Protokoll:
14230

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 14

  • date_rangeSitzungsnummer: 230

  • date_rangeDatum: 18. April 2002

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 21:14 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Nachträgliche Glückwünsche zum Geburtstag des Bundeskanzlers a. D. Dr. Helmut Kohl so- wie der Abgeordneten Dr. Helmut Lippelt, Werner Labsch, Dr. Irmgard Schwaetzer und Horst Schild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22767 A Eintritt des Abgeordneten Detlef Helling in den Deutschen Bundestag . . . . . . . . . . . . . . . 22767 B Wahl der Abgeordneten Gabriele Lösekrug- Möller als Schriftführerin . . . . . . . . . . . . . . . 22767 B Erweiterung und Änderung der Tagesordnung 22767 B Absetzung der Tagesordnungspunkte 4 b, 19, 22 und 26 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22768 B Nachträgliche Ausschussüberweisungen . . . . 22768 C Tagesordnungspunkt 3: Abgabe einer Regierungserklärung: Fami- lie ist, wo Kinder sind – Politik für ein fa- milien- und kinderfreundliches Deutsch- land . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22769 A Gerhard Schröder, Bundeskanzler . . . . . . . . . 22769 B Friedrich Merz CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 22775 B Dr. Peter Struck SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22779 A Michael Glos CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 22780 B Cornelia Pieper FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22781 A Katrin Göring-Eckardt BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22782 C Cornelia Pieper FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . 22782 D Jörg Tauss SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22783 A Petra Pau PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22785 B Ina Lenke FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22785 C Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22787 B Cornelia Pieper FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . 22788 D Dr. Maria Böhmer CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 22790 A Hanna Wolf (München) SPD . . . . . . . . . . 22791 D Ekin Deligöz BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 22793 A Ina Lenke FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22793 C Ina Lenke FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22794 C Hildegard Wester SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22795 D Maria Eichhorn CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 22797 D Irmingard Schewe-Gerigk BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22800 A Ina Lenke FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22801 A Christel Humme SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22802 A Cornelia Pieper FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22803 D Christel Humme SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22804 B Tagesordnungspunkt 4: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Angelegenheiten der neuen Länder zu dem Antrag der Abge- ordneten Cornelia Pieper, Jürgen Türk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Offensive für Zukunfts- investitionen in neuen Bundeslän- dern starten – Abwanderung stop- pen – Zehnpunkteprogramm für den Aufbau Ost (Drucksachen 14/6066, 14/8569) . . . . 22804 C c) Antrag der Abgeordneten Cornelia Pieper, Hildebrecht Braun (Augsburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion Plenarprotokoll 14/230 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 230. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 18. April 2002 I n h a l t : der FDP: Perspektiven für die deut- schen Waggonbaustandorte verbes- sern (Drucksache 14/7833) . . . . . . . . . . . . . 22804 D d) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Tech- nologie zu dem Antrag der Abgeordne- ten Christel Riemann-Hanewinckel, Manfred Hampel, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Werner Schulz (Leip- zig), Andrea Fischer (Berlin), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Waggonbaustandorte erhalten (Drucksachen 14/7973, 14/8519) . . . . 22804 D e) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Angelegenheiten der neuen Länder zu dem Antrag der Frak- tion der PDS: Verlässliche Perspek- tiven für Ostdeutschland und auch für die westdeutschen Steuerzah- lenden sichern (Drucksachen 14/6492, 14/8567) . . . . 22804 D f) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Tech- nologie zu dem Antrag der Abgeordne- ten Gerhard Jüttemann, Monika Balt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS: Gleichstellung der von Strukturkrisen betroffenen Berg- leute in Ost und West (Drucksachen 14/2385, 14/4691) . . . . 22805 A g) Antrag der Abgeordneten Klaus Haupt, Jürgen Türk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Für ein fai- res Rentenrecht für das ehemalige mittlere medizinische Personal (Drucksache 14/7612) . . . . . . . . . . . . . 22805 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 3: Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Michael Luther, Manfred Grund, weite- ren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur dringlichen Sicherung von Werkunternehmeransprüchen und zur ver- besserten Durchsetzung von Forderungen (Forderungssicherungsgesetz) (Drucksache 14/8783) . . . . . . . . . . . . . . . 22805 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 4: Antrag der Fraktion der PDS: Ostdeutsche Löhne und Gehälter im öffentlichen Dienst bis zum Jahre 2007 stufenweise auf das Niveau der alten Bundesländer anheben (Drucksache 14/8791) . . . . . . . . . . . . . . . 22805 B Cornelia Pieper FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22805 C Christel Riemann-Hanewinckel SPD . . . . 22807 C Sabine Kaspereit SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22808 B Günter Nooke CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 22810 A Sabine Kaspereit SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 22812 C Wolfgang Gerhards, Minister (Sachsen-Anhalt) 22814 B Arnold Vaatz CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 22815 A Margarete Späte CDU/CSU . . . . . . . . . . . 22815 B Arnold Vaatz CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 22816 D Cornelia Pieper FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22817 C Wolfgang Gerhards, Minister (Sachsen-Anhalt) 22818 A Steffi Lemke BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 22818 C Roland Claus PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22820 C Dr. Rainer Wend SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22822 B Dr. Christa Luft PDS . . . . . . . . . . . . . . . . 22822 D Dr. Michael Luther CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 22824 C Werner Schulz (Leipzig) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22827 B Rolf Schwanitz, Staatsminister BK . . . . . . . . 22828 D Jürgen Türk FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22829 D Hans-Peter Kemper SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 22830 C Tagesordnungspunkt 29: Überweisungen im vereinfachten Ver- fahren a) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Straßen- verkehrsgesetzes und anderer stra- ßenverkehrsrechtlicher Vorschriften (StVRÄndG) (Drucksache 14/8766) . . . . . . . . . . . . . 22832 A b) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zum NATO-Truppenstatut und anderer Gesetze (Verteidigungslastenzustän- digkeitsänderungsgesetz) (Drucksache 14/8764) . . . . . . . . . . . . . 22832 A c) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. April 2002II Neunten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Errichtung einer Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder“ (Drucksache 14/8733) . . . . . . . . . . . . 22832 A d) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs ei- nes Zweiten Gesetzes zur Änderung des Mineralölsteuergesetzes (Drucksache 14/8711) . . . . . . . . . . . . . 22832 B e) Erste Beratung des von den Abgeord- neten Christine Ostrowski, Heidemarie Ehlert, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der PDS eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Investitionszulagegesetzes 1999 (Drucksache 14/8549) . . . . . . . . . . . . 22832 B f) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs ei- nesGesetzes zur Modernisierung des Stiftungsrechts (Drucksache 14/8765) . . . . . . . . . . . . 22832 B g) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs ei- nes Gesetzes zur Änderung des Pflichtversicherungsgesetzes und an- derer versicherungsrechtlicher Vor- schriften (Drucksache 14/8770) . . . . . . . . . . . . 22832 C h) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Rechts der Vertretung durch Rechtsanwälte vor den Oberlandesgerichten (Drucksache 14/8763) . . . . . . . . . . . . 22832 C i) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs ei- nes Gesetzes zur Erleichterung des Marktzugangs im Luftverkehr (Drucksache 14/8730) . . . . . . . . . . . . 22832 C j) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Ände- rung des Hochschulrahmengesetzes (6. HRGÄndG) (Drucksache 14/8732) . . . . . . . . . . . . 22832 D k) Erste Beratung des von den Abgeord- neten Dr. Dieter Thomae, Detlef Parr, weiteren Abgeordneten und der Frak- tion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung einer angemessenen Vergütung psycho- therapeutischer Leistungen im Rah- men der gesetzlichen Krankenver- sicherung (Drucksache 14/8400) . . . . . . . . . . . . 22832 D l) Antrag der Abgeordneten Tobias Marhold, Brigitte Adler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Monika Knoche, Dr. Angelika Köster-Loßack, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Entwicklungszusammenarbeit mit Namibia (Drucksache 14/5796) . . . . . . . . . . . . 22832 D m) Antrag der Abgeordneten Klaus-Jürgen Hedrich, Dr. Norbert Blüm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Gezielter und intensiver als bisher Demokratisierung und Wiederherstellung des Rechtsstaates in Simbabwe unterstützen (Drucksache 14/5757) . . . . . . . . . . . . 22833 A n) Antrag der Abgeordneten Heidemarie Ehlert, Heidemarie Lüth, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der PDS: Bestellung einer Amtsanklägerin/ eines Amtsanklägers (Drucksache 14/7227) . . . . . . . . . . . . 22833 A o) Antrag der Abgeordneten Petra Bläss, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der PDS: Partner- schaftliche Beziehungen zu Latein- amerika festigen und ausbauen (Drucksache 14/8558) . . . . . . . . . . . . 22833 B p) Antrag der Abgeordneten Georg Brunnhuber, Dirk Fischer (Hamburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Mitwirkungsrechte des Deutschen Bundestages bei Transrapid-Entscheidungen sichern (Drucksache 14/8590) . . . . . . . . . . . . 22833 B q) Antrag der Abgeordneten Hartmut Büttner (Schönebeck), Kurt-Dieter Grill, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Fortschrei- bung des Bundesverkehrswegeplans; Erschließung der Altmark und an- grenzender Gebiete mittels derAuto- bahnen A 14 und A 39 in Form der so genannten X-Konzeption (Drucksache 14/8591 [neu]) . . . . . . . . 22833 C in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 5: Weitere Überweisung im vereinfachten Verfahren (Ergänzung zu TOP 29) a) Erste Beratung des vom Bundesrat ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. April 2002 III zur Änderung tierarzneimittelrecht- licher Vorschriften (Drucksache 14/8613) . . . . . . . . . . . . . 22833 C b) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes (Drucksache 14/8781) . . . . . . . . . . . . . 22833 C Tagesordnungspunkt 30: Abschließende Beratungen ohne Aus- sprache a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Uwe-Jens Rössel, Dr. Winfried Wolf, weiteren Abgeord- neten und der Fraktion der PDS ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Eisenbahnkreu- zungsgesetzes (EkrG) (Drucksachen14/3332,14/8551,14/8556) 22833 D b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 3. Juni 1999 betreffend die Än- derung des Übereinkommens vom 9. Mai 1980 über den internationalen Eisenbahnverkehr (COTIF) (Drucksachen 14/8172, 14/8547) . . . . 22834 D c) Zweite Beratung und Schlussabstim- mung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 2. Fe- bruar 1998 über die Vorrechte und Befreiungen der Kommission zum Schutz der Meeresumwelt der Ostsee (Drucksachen 14/8217, 14/8614) . . . . 22835 A d) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zu dem Abkom- men vom 21. November2000 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Polen über den Bau und die Erhaltung von Grenzbrücken im nachgeordneten Straßennetz (Drucksachen 14/8224, 14/8641) . . . . 22835 B e) Zweite Beratung und Schlussabstim- mung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 10. Novem- ber 2000 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Französischen Re- publik über die Zusammenarbeit bei der Wahrnehmung schifffahrtspoli- zeilicher Aufgaben auf dem deutsch- französischen Rheinabschnitt (Drucksachen 14/8219, 14/8645) . . . . 22835 C f) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 12. September 2000 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen Republik über den Zu- sammenschluss der deutschen Auto- bahn A 17 und der tschechischen Autobahn D 8 an der gemeinsamen Staatsgrenze durch Errichtung einer Grenzbrücke (Drucksachen 14/8220, 14/8646) . . . . 22835 D g) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zu dem Abkom- men vom 12. Juni 2001 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Französischen Republik überden Bau und die Erhaltung von Grenzbrücken über den Rhein, die nicht in der Bau- last der Vertragsparteien liegen (Drucksachen 14/8216, 14/8647) . . . . 22836 A h) Zweite Beratung und Schlussabstim- mung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Zusatzprotokoll Nr. 6 vom 21. Oktober 1999 zu der Revidierten Rheinschifffahrtsakte vom 17. Okto- ber 1868 (Drucksachen 14/8215, 14/8650) . . . . 22836 B i) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Abkommens vom 4. Dezember 1991 zur Erhaltung der Fledermäuse in Europa (Drucksachen 14/7980, 14/8409) . . . . 22836 C j) Zweite Beratung und Schlussabstim- mung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 10. März 2000 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und derRepublik Korea zur Vermeidung der Doppelbesteue- rung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (Drucksachen 14/8213, 14/8794) . . . . 22836 D k) Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Eva Bulling-Schröter, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der PDS: Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. April 2002IV Kurdische Namensgebung in der Bundesrepublik Deutschland ermög- lichen (Drucksachen 14/3749, 14/8513) . . . . 22837 A l) Antrag der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der PDS: Än- derung des Zeitraumes für die Be- richte der Bundesregierung über den Stand der Auszahlungen und die Zusammenarbeit der Stiftung „Erin- nerung, Verantwortung und Zukunft“ mit den Partnerorganisationen (Drucksache 14/8612) . . . . . . . . . . . . 22837 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 6: Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache (Ergänzung zu TOP 30) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht über die Entwicklung der Konvergenz in der Europäischen Union im Jahr 2000 (Drucksachen 14/7563, 14/8580) . . . . . . . 22837 B Tagesordnungspunkt 5: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Zollfahndungsdienstes (Zollfahndungs- neuregelungsgesetz) (Drucksachen 14/8007 [neu], 14/8515) 22837 C Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22837 D Jochen-Konrad Fromme CDU/CSU . . . . . . . 22839 A Christine Scheel BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 22840 D Carl-Ludwig Thiele FDP . . . . . . . . . . . . . . . . 22841 C Heidemarie Ehlert PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 22842 C Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22843 A Jochen-Konrad Fromme CDU/CSU . . . . . . . 22843 D Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . 22843 D Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22845 B Zusatztagesordnungspunkt 7: Aktuelle Stunde betr. Haltung der Bun- desregierung zu dem Befund, dass fast drei Viertel derVersicherten keinen Ver- trag für eine so genannte Riester-Rente abschließen wollen . . . . . . . . . . . . . . . . . 22844 A Johannes Singhammer CDU/CSU . . . . . . . . . 22844 B Erika Lotz SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22848 A Dr. Irmgard Schwaetzer FDP . . . . . . . . . . . . . 22849 A Christine Scheel BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 22850 B Pia Maier PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22851 C Walter Riester, Bundesminister BMA . . . . . . 22852 C Andreas Storm CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 22854 C Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22855 C Heinz Schemken CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 22856 C Katrin Göring-Eckardt BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22857 D Gerald Weiß (Groß-Gerau) CDU/CSU . . . . . 22859 A Franz Thönnes SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22859 D Matthäus Strebl CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 22861 A Horst Schild SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22862 A Tagesordnungspunkt 6: a) – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Norbert Geis, Wolfgang Bosbach, weiteren Abge- ordneten und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes der Bevölkerung vor Sexualverbrechen und anderen schweren Straftaten (Drucksachen 14/6709, 14/8779) 22863 A – Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines ... Strafrechtsänderungsge- setzes – SexuellerMissbrauch von Kindern (Drucksachen 14/1125, 14/8779) 22863 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Antrag der Abgeordneten Ingrid Fischbach, Peter Weiß (Emmendingen), weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Gegen die sexuelle Aus- beutung und den Missbrauch von Kindern (Drucksachen 14/7610, 14/8806) . . . . 22863 B c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe zu dem Antrag der Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. April 2002 V Abgeordneten Carsten Hübner, Rosel Neuhäuser, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS: Kinder vor se- xueller Ausbeutung schützen – Kin- dersextourismus bekämpfen (Drucksachen 14/7793, 14/8795) . . . . 22863 B Norbert Geis CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 22863 C Anni Brandt-Elsweier SPD . . . . . . . . . . . . . . 22865 B Jörg van Essen FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22867 A Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22868 B Norbert Geis CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 22869 C Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22870 A Rosel Neuhäuser PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22870 C Renate Gradistanac SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 22871 C Ingrid Fischbach CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 22872 C Dr. Angelika Köster-Loßack BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22874 B Margot von Renesse SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 22875 A Tagesordnungspunkt 7: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften (Drucksachen 14/7752, 14/8780) . . . . . . . 22877 A Dr. Eckhart Pick, Parl. Staatssekretär BMJ 22877 B Dr. Wolfgang Götzer CDU/CSU . . . . . . . . . . 22878 D Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22880 D Rainer Funke FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22881 D Dr. Evelyn Kenzler PDS . . . . . . . . . . . . . . . . 22882 D Alfred Hartenbach SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 22883 C Christine Lambrecht SPD . . . . . . . . . . . . . . . 22883 D Rainer Funke FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22886 A Christine Lambrecht SPD . . . . . . . . . . . . . . . 22886 B Tagesordnungspunkt 8: Antrag der Abgeordneten Karl-Josef Lauman, Brigitte Baumeister, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der CDU/ CSU: Arbeitsrecht flexibilisieren – Be- schäftigung schaffen (Drucksache 14/8267) . . . . . . . . . . . . . . . 22886 C Karl-Josef Laumann CDU/CSU . . . . . . . . . . . 22886 D Klaus Brandner SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22888 A Dr. Heinrich L. Kolb FDP . . . . . . . . . . . . . . . 22889 D Karl-Josef Laumann CDU/CSU . . . . . . . . 22890 D Heinz Schemken CDU/CSU . . . . . . . . . . . 22891 B Dr. Thea Dückert BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 22891 C Dr. Heinrich L. Kolb FDP . . . . . . . . . . . . 22892 B Klaus Brandner SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 22893 C Pia Maier PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22894 B Tagesordnungspunkt 9: a) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs ei- nes Verbraucherinformationsgeset- zes (VerbIG) (Drucksache 14/8738) . . . . . . . . . . . . . 22895 B b) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuorganisation des ge- sundheitlichen Verbraucherschutzes und der Lebensmittelsicherheit (Drucksache 14/8747) . . . . . . . . . . . . . 22895 C c) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Recht- sakte der Europäischen Gemeinschaft auf dem Gebiet des ökologischen Land- baus (Öko-Landbaugesetz) (Drucksache 14/8768) . . . . . . . . . . . . . 22895 C d) Antrag der Abgeordneten Birgit Homburger, Ulrich Heinrich, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Obstbauern vor dem Ruin ret- ten – Plantomycin für Notfallmaß- nahmen zulassen (Drucksache 14/8180) . . . . . . . . . . . . . 22895 C e) Antrag der Abgeordneten Marita Sehn, Ulrich Heinrich, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Pflanzen- schutzpolitik neu ausrichten, heimi- sche Produzenten unterstützen und Verbraucher schützen (Drucksache 14/8430) . . . . . . . . . . . . . 22895 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 8: Antrag der Fraktion der CDU/CSU: Ver- braucherinformationsgesetz effektiv ge- stalten (Drucksache 14/8784) . . . . . . . . . . . . . . . 22895 D Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. April 2002VI Tagesordnungspunkt 10: Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Willi Brase, Klaus Barthel (Starnberg), weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD sowie den Abgeord- neten Christian Simmert, Hans-Josef Fell, weiteren Abgeordneten und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Berufsbildungsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes (Drucksachen 14/8359, 14/8699) . . . . . . . 22896 A Tagesordnungspunkt 11: a) Erste Beratung des von den Abgeord- neten Ulf Fink, Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid), weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verstärkung der Personalausstat- tung in Pflegeheimen (Personalver- stärkungsgesetz Pflege) (Drucksache 14/8364) . . . . . . . . . . . . 22896 C b) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs ei- nes Gesetzes zur Förderung der am- bulanten Hospizarbeit (Drucksachen 14/6754, 14/8518) . . . . 22896 C Ulf Fink CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22896 D Marga Elser SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22898 A Detlef Parr FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22899 B Katrin Göring-Eckardt BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22900 A Dr. Ilja Seifert PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22900 D Horst Schmidbauer (Nürnberg) SPD . . . . . . . 22901 C Tagesordnungspunkt 12: Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Iris Gleicke, Dr. Hans-Peter Bartels, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD sowie den Abgeordneten Albert Schmidt (Hitzhofen), Franziska Eichstädt-Bohlig, weiteren Abgeordneten und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Perso- nenbeförderungsgesetzes (PBefG) (Drucksachen 14/6434, 14/8354) . . . . . . . 22902 D Tagesordnungspunkt 13: Antrag der Abgeordneten Andreas Schmidt (Mülheim), Dr. Wolfgang Bötsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU:Untätigkeit der Bundesregie- rung gegenüber der Europäischen Kom- mission im Hinblick auf den Abschluss des Hauptprüfverfahrens in Sachen In- vestitionsbeihilfen für Leuna/Minol (Drucksache 14/8283) . . . . . . . . . . . . . . . 22903 B Tagesordnungspunkt 14: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Woh- nungswesen – zu dem Antrag der Abgeordneten Heide Mattischeck, Reinhard Weis (Stendal), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Winfried Hermann, Marieluise Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Fahr Rad – für ein fahrrad- freundliches Deutschland – zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Dirk Fischer (Hamburg), weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der CDU/ CSU: Für ein fahrradfreundliches Deutschland – zu der Unterrichtung durch die Bundes- regierung: Bericht der Bundesregie- rung über Maßnahmen zur Förde- rung des Radverkehrs (Drucksachen 14/6441, 14/3773, 14/3445, 14/8431) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22903 C Tagesordnungspunkt 15: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union zu dem Antrag der Abgeordneten Peter Hintze, Klaus Hofbauer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Förderung der Grenzregionen zu den Beitrittsländern (Drucksachen 14/6638, 14/7970) . . . . . . . 22904 A Tagesordnungspunkt 16: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Bekämpfung der Geld- wäsche und der Bekämpfung der Finan- zierung des Terrorismus (Geldwäsche- bekämpfungsgesetz) (Drucksache 14/8739) . . . . . . . . . . . . . . . 22904 B Tagesordnungspunkt 17: a) Erste Beratung des vom Bundesrat ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. April 2002 VII über die Finanzierung der Sanierung von Rüstungsaltlasten in der Bundes- republik Deutschland (Rüstungsalt- lastenfinanzierungsgesetz) (Drucksache 14/7464) . . . . . . . . . . . . . 22904 C b) Antrag der Abgeordneten Rolf Kutzmutz, Petra Bläss, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der PDS: So- fortmaßnahmen des Bundes bei der Rüstungskonversion einleiten (Drucksache 14/8657) . . . . . . . . . . . . . 22904 C Tagesordnungspunkt 18: Antrag der Abgeordneten Volker Neumann (Bramsche), Heide Mattischeck, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD, der Abgeordneten Dr. Christian Schwarz- Schilling, Hermann Gröhe, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der CDU/CSU, der Abgeordneten Christa Nickels, Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN sowie der Abgeordneten Dr. Irmgard Schwaetzer, Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP: Menschenrechte und Entwicklung in Tibet (Drucksache 14/8782) . . . . . . . . . . . . . . . 22904 D Tagesordnungspunkt 20: Antrag der Abgeordneten Maritta Böttcher, Dr. Heinrich Fink, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS: Weltoffenheit als Chance für die Hochschulen (Drucksache 14/7425) . . . . . . . . . . . . . . . 22905 A Zusatztagesordnungspunkt 9: Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Vertrag vom 18. Oktober 2001 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossen- schaft über die Durchführung der Flug- verkehrskontrolle durch die Schweize- rische Eidgenossenschaft über deutschem Hoheitsgebiet und über Auswirkungen des Betriebes des Flughafens Zürich auf das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland (Gesetz zu dem deutsch- schweizerischen Vertrag vom 18. Okto- ber 2001) (Drucksache 14/8731) . . . . . . . . . . . . . . . 22905 B Stephan Hilsberg, Parl. Staatssekretär BMVBW 22905 C Dr. Karl-Heinz Hornhues CDU/CSU . . . . 22906 A Thomas Dörflinger CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 22906 D Winfried Hermann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22908 C Ernst Burgbacher FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22909 C Dr. Winfried Wolf PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 22910 B Karin Rehbock-Zureich SPD . . . . . . . . . . . . . 22911 A Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22912 C Berichtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22912 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 22913 A Anlage 2 Erklärung des Abgeordneten Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg) (CDU/CSU) zur nament- lichen Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Zollfahndungs- dienstes (Zollfahndungsneuregelungsgesetz – ZFnrG) (Tagesordnungspunkt 5) . . . . . . . . . . . 22913 C Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Arbeitsrecht flexibilisieren – Be- schäftigung schaffen (Tagesordnungspunkt 8) 22913 C Wolfgang Grotthaus SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 22913 C Anette Kramme SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22914 C Wolfgang Meckelburg CDU/CSU . . . . . . . . . . 22915 D Heinz Schemken CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 22916 D Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Verbraucherinformationsge- setzes (VerblG) – Entwurf eines Gesetzes zur Neuorganisa- tion des gesundheitlichen Verbraucher- schutzes und der Lebensmittelsicherheit – Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung der Rechtsakte der Europäischen Gemein- schaft auf dem Gebiet des ökologischen Landbaus (Öko-Landbaugesetz – ÖLG) – Antrag: Obstbauern vor dem Ruin retten – Plantomycin für Notfallmaßnahmen zu- lassen – Antrag: Pflanzenschutzpolitik neu ausrich- ten, einheimische Produzenten unterstüt- zen und Verbraucher schützen – Antrag: Verbraucherinformationsgesetz ef- fektiv gestalten (Tagesordnungspunkt 9 a bis e, Zusatztages- ordnungspunkt 8) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22917 C Heidemarie Wright SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 22917 C Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. April 2002VIII Jella Teuchner SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22918 D Albert Deß CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22919 B Heinrich-Wilhelm Ronsöhr CDU/CSU . . . . . 22920 B Ulrike Höfken BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 22921 C Marita Sehn FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22922 B Kersten Naumann PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 22923 B Matthias Berninger, Parl. Staatssekretär BMVEL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22923 D Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Berufsbildungsgesetzes und des Arbeits- gerichtsgesetzes (Tagesordnungspunkt 10) 22925 B Willi Brase SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22925 B Dr.-Ing. Rainer Jork CDU/CSU . . . . . . . . . . . 22926 A Christian Simmert BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 22927 D Ernst Burgbacher FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . 22928 B Maritta Böttcher PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22929 A Wolf-Michael Catenhusen, Parl. Staatssekre- tär BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22929 C Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Personenbeförderungsgesetzes (PBefG) (Ta- gesordnungspunkt 12) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22930 D Iris Gleicke SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22930 D Peter Letzgus CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 22932 A Albert Schmidt (Hitzhofen) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22932 B Horst Friedrich (Bayreuth) FDP . . . . . . . . . . 22932 D Rosel Neuhäuser PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22933 B Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Untätigkeit der Bundesregierung gegenüber der Europäischen Kommission im Hinblick auf den Abschluss des Hauptprüfver- fahrens in Sachen Investitionsbeihilfen für Leuna/Minol (Tagesordnungspunkt 13) . . . . . 22933 D Friedhelm Julius Beucher SPD . . . . . . . . . . . 22933 D Gerhard Schulz CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 22934 B Hans-Christian Ströbele BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22935 D Jürgen Türk FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22936 C Rolf Kutzmutz PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22937 A Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: – zu dem Antrag: Fahr Rad – für ein fahrrad- freundliches Deutschland – zu dem Antrag: Für ein fahrradfreundliches Deutschland – zu der Unterrichtung: Bericht der Bundes- regierung über Maßnahmen zur Förderung des Radverkehrs (Tagesordnungspunkt 14) . . . . . . . . . . . . . . . . 22937 C Heide Mattischeck SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 22937 C Wolfgang Börnsen (Bönstrup) CDU/CSU . . . 22939 A Winfried Hermann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22941 B Ernst Burgbacher FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . 22941 D Dr. Winfried Wolf PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22942 C Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: För- derung der Grenzregionen zu den Beitrittslän- dern (Tagesordnungspunkt 15) . . . . . . . . . . . . 22943 C Rainer Fornahl SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22943 C Dr. Gerd Müller CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 22945 B Arnold Vaatz CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 22946 A Christian Sterzing BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 22946 D Jürgen Türk FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22947 D Uwe Hiksch PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22948 B Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Bekämpfung der Geldwäsche und der Bekämpfung der Finanzierung des Terroris- mus (Geldwäschebekämpfungsgesetz) (Tages- ordnungspunkt 16) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22949 B Hans-Peter Kemper SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 22949 B Erwin Marschewski (Recklinghausen) CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22950 A Cem Özdemir BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 22951 B Rainer Funke FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22952 B Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. April 2002 IX Ulla Jelpke PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22952 D Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär BMI 22953 C Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung – des Entwurfs eines Gesetzes über die Fi- nanzierung der Sanierung von Rüstungsalt- lasten in der Bundesrepublik Deutschland (Rüstungsaltlastenfinanzierungsgesetz – RüstAltFG) – des Antrags: Sofortmaßnahmen des Bundes bei der Rüstungskonversion einleiten (Tagesordnungspunkt 17 a und b) . . . . . . . . . . 22954 C Angelika Krüger-Leißner SPD . . . . . . . . . . . . 22954 C Hans-Josef Fell BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 22955 D Jürgen Koppelin FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22956 C Rolf Kutzmutz PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22957 B Jörg Schönbohm, Minister (Brandenburg) . . . 22957 D Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Menschenrechte und Entwicklung in Tibet (Tagesordnungspunkt 18) . . . . . . . . . . . . 22959 B Volker Neumann (Bramsche) SPD . . . . . . . . . 22959 B Dr. Christian Schwarz-Schilling CDU/CSU 22960 C Christa Nickels BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 22962 C Carsten Hübner PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22963 B Dr. Ludger Volmer, Staatsminister AA . . . . . . 22963 D Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Weltoffenheit als Chance für die Hochschulen (Tagesordnungspunkt 20) Dr. Ernst Dieter Rossmann SPD . . . . . . . . . . 22964 B Thomas Rachel CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 22966 A Dr. Reinhard Loske BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22967 D Ulrike Flach FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22968 B Maritta Böttcher PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22968 D Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. April 2002X Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. April 2002
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    Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. April 2002 Karin Rehbock-Zureich 22912 (C)(A) Berichtigung 229. Sitzung, Seite 22751 (C), 1. Absatz, der 4. Satz ist wie folgt zu lesen: „ Ich frage Sie noch einmal: Warum geben Sie dazu keine Erklärung ab?“ Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. April 2002 22913 (C) (D) (A) (B) Adam, Ulrich CDU/CSU 18.04.2002 Balt, Monika PDS 18.04.2002 Dr. Bartsch, Dietmar PDS 18.04.2002 Bohl, Friedrich CDU/CSU 18.04.2002 Bühler (Bruchsal), CDU/CSU 18.04.2002* Klaus Caesar, Cajus CDU/CSU 18.04.2002 Dr. Däubler-Gmelin, SPD 18.04.2002 Herta Erler, Gernot SPD 18.04.2002 Friedrich (Altenburg), SPD 18.04.2002 Peter Hofbauer, Klaus CDU/CSU 18.04.2002 Irmer, Ulrich FDP 18.04.2002 Jelpke, Ulla PDS 18.04.2002 Ostrowski, Christine PDS 18.04.2002 Philipp, Beatrix CDU/CSU 18.04.2002 Pofalla, Ronald CDU/CSU 18.04.2002 Reiche, Katherina CDU/CSU 18.04.2002 Dr. Ruck, Christian CDU/CSU 18.04.2002 Schauerte, Hartmut CDU/CSU 18.04.2002 Schlee, Dietmar CDU/CSU 18.04.2002 Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 18.04.2002 Hans Peter Schur, Gustav-Adolf PDS 18.04.2002 Seehofer, Horst CDU/CSU 18.04.2002 Siemann, Werner CDU/CSU 18.04.2002 Dr. Süssmuth, Rita CDU/CSU 18.04.2002** Thiele, Carl-Ludwig FDP 18.04.2002 Weisskirchen SPD 18.04.2002** (Wiesloch), Gert Dr. Westerwelle, Guido FDP 18.04.2002 * für die Teilnahme an den Sitzungen der Westeuropäischen Union ** für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung der OSZE entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Erklärung des Abgeordneten Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg) (CDU/CSU) zur namentlichen Ab- stimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Zollfahnungsdienstes (Zoll- fahndungsneuregelungsgesetz – ZFnrG) (Tages- ordnungspunkt 5) In der Abstimmungsliste ist mein Name unter „Enthal- tung“ aufgeführt. Mein Votum lautet „Nein“. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Arbeitsrecht flexibili- sieren – Beschäftigung schaffen Wolfgang Grotthaus (SPD): Schon im Titel des An- trages verbirgt sich ein grundlegender Fehler. Es wird ein Zusammenhang zwischen Arbeitsrecht und Beschäfti- gungswirkung – sprich Arbeitslosigkeit – hergestellt. Aber tatsächlich besteht ein solcher Zusammenhang nicht. Anerkannte Experten kommen in ihren Analysen zu dem Ergebnis, dass arbeitsrechtliche Schutzbestimmun- gen nicht als Ursache für eine hohe Arbeitslosigkeit nach- zuweisen sind. Das sollten auch Sie von der Opposition einfach mal zur Kenntnis nehmen. Aber darum geht es Ihnen ja gar nicht. Sie bauen hier einen Popanz auf „Ausbau von Arbeitnehmerrechten be- deutet Vermehrung der Arbeitslosigkeit“ –, der im Wahl- kampf als griffige Formel verkauft werden soll. Dabei las- sen Sie jeglichen Sachverstand außer Acht. Wäre Ihre Annahme richtig, wäre die Schlussfolgerung: Die Leib- eigenschaft in der Feudalzeit hat die meisten Arbeits- plätze erhalten. Gleich auf der ersten Seite schreiben Sie, mehr „Be- schäftigung durch eine Flexibilisierung des Arbeitsrech- tes“ erreichen zu wollen; dass diese Grundannahme wis- senschaftlich und ökonomisch falsch ist, habe ich ja bereits einleitend gesagt. Die Bundesregierung hat in dieser Legislaturperiode das Arbeitsrecht konsequent modernisiert. Der von Ihnen aufgebaute Reformstau wurde zugunsten einer aktiven Unternehmenskultur aufgelöst. Flexibilität und Sicherheit sind in ausgewogener Weise gewährleistet. Trotzdem oder vielleicht sogar gerade deswegen ist entgegen Ihrer Be- hauptung die Arbeitslosigkeit zurückgegangen. Ihnen geht es gar nicht um „Flexibilität in ausgewoge- ner Weise“; Ihnen geht bei Flexibilisierung um die Aus- höhlung der Arbeitnehmerrechte. Ein Beispiel: befristete Arbeitsverträge. Mit dem Teil- zeit- und Befristungsgesetz setzt die Bundesregierung eine Vereinbarung der europäischen Sozialpartner um, an deren Zustandekommen BDA und DGB maßgeblich beteiligt waren. Danach sollen unbefristete Arbeitsverträge die Normalform der Beschäftigung bleiben. Ein wesentliches Anliegen ist es, den Missbrauch von aufeinander folgen- den Kettenbefristungen ohne Sachgrund zu verhindern. Sie behaupten, dass die Aufhebung der Befristungsket- ten ein Einstellungshemmnis darstelle. Das ist schlicht- weg dummes Zeug. Vielmehr wird Rechts- und Pla- nungssicherheit für Arbeitgeber und Arbeitnehmer geschaffen. Dies belegt auch die DIHK Studie vom No- vember 2001. Danach konnte ein angebliches Einstel- lungshemmnis nicht belegt werden; im Handels- und Dienstleistungsbereich wurden 76 Prozent aller Befris- tungen auf Sachgründe gestützt. Ausnahmen und Sonderregelungen sind ohnehin nach geltender Gesetzeslage möglich, denn je nach Branche lassen die Tarifverträge dies zu. Und noch eine ganz an- dere Frage stellt sich mir: Wie passen Befristungsketten – wie Sie sich das vorstellen – mit dem Wunsch nach mehr Mobilität bei Arbeitssuchenden zusammen? Kann bei diesen Perspektiven, die Sie im Auge haben, beispiels- weise ein Umzug mit der ganzen Familie in eine andere Stadt noch gewagt werden? Nein, meine Damen und Her- ren von der Opposition, auch Arbeitnehmer brauchen Pla- nungssicherheit. Und wir sorgen dafür. Noch zwei Beispiele, wo unsere Gesetze den Arbeits- markt flexibler gestaltet haben: Erstens. Bei älteren Arbeitnehmern hat unsere gesetz- liche Regelung die sachgrundlose Befristung erweitert. Die Altersgrenze, ab der mit Arbeitnehmern befristete Ar- beitsverträge ohne zeitliche Begrenzung und wiederholt abgeschlossen werden können, wurde vom 60. auf das 58. Lebensjahr gesenkt, unter gewissen Voraussetzungen sogar auf das 56. Lebensjahr des Arbeitnehmers. Zweitens. Die von ihnen geforderte Erweiterung der sachgrundlosen Befristung für Existenzgründer ist nicht notwendig, weil nämlich in einem neu gegründeten Un- ternehmen jede Einstellung eine Neueinstellung ist und so Existenzgründer alle Arbeitnehmer zunächst bis zu zwei Jahren ohne Sachgrund befristet einstellen können. Auch hier stellt sich wieder heraus: Sie haben unsere Gesetze abgelehnt, ohne die Inhalte gekannt zu haben. Das ist Op- position um jeden Preis. Zum Anspruch auf Teilzeitarbeit. Sie behaupten, dies gehe an den wirtschaftlichen Realitäten vorbei. Ich weiß nicht, in welcher Realität Sie leben. Die Praxis zeigt, dass in der Mehrzahl der Fälle Arbeitgeber und Arbeitnehmer Teilzeit vereinbaren, wenn der Arbeitnehmer eine Redu- zierung der Arbeitszeit wünscht. Dabei muss der Wunsch des Arbeitnehmers in das Organisationskonzept des Ar- beitgebers passen. Ansonsten kann dieser den Teilzeitan- spruch ablehnen. Dass dies fast immer unproblematisch ist, beweist die DIHK-Studie, in der dargestellt wird, dass in der überwiegenden Mehrheit der Fälle – 70 Prozent der befragten Unternehmen – den Wünschen der Beschäftig- ten auf Teilzeitarbeit problemlos zugestimmt wurde. Le- diglich in 9 Prozent aller Unternehmen erwägen Mitar- beiter, deren Teilzeitantrag abgelehnt wurde, eine Klage beim Arbeitsgericht. Es gäbe noch eine Menge zu sagen, aber dafür reicht die Zeit nicht. Festzuhalten ist jedoch: Wir wollen die Gleichrangig- keit von Human- und Finanzkapital in den Betrieben. Dazu sind gewisse Voraussetzungen notwendig. Ein Rückfall in die Zeit, als Arbeitnehmer dankbar zu sein hatten, arbeiten zu dürfen, egal unter welchen Bedingungen, ist mit uns nicht machbar. Deshalb wissen auch die Arbeitnehmerin- nen und Arbeitnehmer in dieser Republik, was unsere Vor- stellungen von denen der Opposition trennt. Darauf sind wir stolz und darauf bauen wir auf. Anette Kramme (SPD):Mit diesem Entschließungsan- trag haben Sie, meine Damen und Herren der Union, einen Griff in ihre Klamottenkiste getan. Gebetsmühlen- hafte Wiederholungen tragen aber nicht zu einer inhaltli- chen Verbesserung Ihrer Politik bei. Bereits in der Ära Kohl sind Sie mit ihrem Ansatz des ständigen Abbaus sozialer Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer als Mittel zum Abbau von Arbeitslosigkeit gescheitert. Sie haben durch diese Politik eine schwere Erblast begründet, nämlich eine Rekordarbeitslosigkeit. Darf ich erinnern? 1997 lag die durchschnittliche Zahl von Arbeitslosen bei 4,38 Millionen und 1998 immerhin noch bei 4,28 Millionen. Meine Damen und Herren der Union, Sie sollten mehr auf Expertenstimmen hören. Namhafte Ökonomen kom- men in ihren Analysen zu dem Ergebnis, dass arbeits- rechtliche Schutzbestimmungen als Ursache für hohe Ar- beitslosigkeit empirisch nicht nachzuweisen sind. Die Studie des ISG aus dem Jahr 1997, interessanter- weise in Ihrer Ära durch das Bundesministerium für Wirt- schaft in Auftrag gegeben, kommt zu folgendem Ergebnis: Die festgestellten Veränderungen in Hinblick auf die Schwellenwertänderung im Kündigungsschutzgesetz „be- wegen sich ... im Wesentlichen im Rahmen der ohnehin ablaufenden beschäftigungspolitischen Prozesse. Die Wir- kungen der Anhebung des Schwellenwerts auf die Be- schäftigungspolitik sind somit sehr gering“. Der OECD – Beschäftigungsausblick aus dem Jahr 1999 resümiert in Hinblick auf seine Untersuchung von 27 Ländern: „Wie schon bei früheren Untersuchungen festgestellt wurde, scheint – wenn überhaupt – nur eine schwa- che Verbindung zwischen Beschäftigungsschutz-Ri- gidität und Gesamtarbeitslosigkeit zu bestehen.“ Meine Damen und Herren der CDU/CSU-Bundestags- fraktion, Ihr Politikansatz ist sachlich grundlegend falsch. Ich möchte Sie aber auch loben. Anders als Ihr Kanzler- kandidat Stoiber agieren Sie nicht als Wölfe im Schafspelz. Sie sagen als CDU/CSU-Bundestagsfraktion den Men- schen wenigstens offen, was Sie wollen: den Ausbau prekä- rer Beschäftigungsverhältnisse, den Aufbau von zusätzli- chen Hemmnissen bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie und die Unverbindlichkeit von Tarifverträgen. Die Inhalte ihrer Politik sind nicht unsere Politik. Wir als SPD sind mit dem Ziel angetreten, wieder Recht und Ordnung auf dem Arbeitsmarkt zu schaffen. Wir wollen nicht, dass die Menschen mit Angst und Sorge zur Arbeit Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. April 200222914 (C) (D) (A) (B) gehen, sondern als Menschen mit Persönlichkeit und Würde geachtet werden. Wir haben deshalb den schlimmsten Missbrauch bei den befristeten Arbeitsverhältnissen abgeschafft. Wir wollen nicht, dass Menschen über Jahre immer wieder sachgrundlos in befristeten Arbeitsverhältnissen beschäf- tigt werden; denn nur wer einen gewissen Kündigungs- schutz hat, kann frei und sorglos agieren und auch das eine oder andere Mal seine Meinung äußern und seine Rechte durchsetzen. Die von Ihnen für die befristeten Arbeitsverhältnisse genannten Zahlen bedürften im Übrigen der Interpreta- tion. Sie sind nämlich letztlich ohne Aussagekraft. Wenn 50 Prozent der Unternehmen angeben, dass sie Arbeit- nehmer nicht mehr sachgrundlos einstellen konnten, dann sagt das überhaupt nichts über die Anzahl der Fälle und nichts darüber, ob nicht eine Befristung mit Sachgrund möglich war. Nach der Umfrage des DIHK von Novem- ber 2001 hätten in Handels- und Dienstleistungsunterneh- men 76 Prozent aller Befristungen auf Sachgründe ge- stützt werden können. Wir – als SPD – berücksichtigen die Lebenskonstella- tionen gerade von vielen jungen Frauen: Berufsausbil- dung erfolgreich abgeschlossen; Annahme einer Vollzeit- tätigkeit; schwanger; 3 Jahre Kinderpause; Wunsch nach Wiederaufnahme der Arbeit; dabei Schwierigkeiten bei der Organisation der Kinderbetreuung; Arbeitgeber geht nicht auf den Wunsch auf Arbeitszeitreduzierung ein, dann die Eigenkündigung; nach einiger Zeit unter Um- ständen Hinnahme eines beruflichen Abstiegs bei der Su- che nach einer neuen Tätigkeit, die mit den familiären An- forderungen übereinstimmt. – Das ist etwas, was wir nicht wollen. Deshalb haben wir das Teilzeitgesetz in dieser Form geschaffen. Im Übrigen werden nach der von Ihnen angeführten Untersuchung des DIHK nur unterproportional Teilzeit- anträge in kleineren und mittleren Betriebe gestellt, bei denen die organisatorischen Schwierigkeiten sicherlich größer sind als bei Großbetrieben. Nur 10 bis 20 Prozent dieser Unternehmen geben an, bereits Anträge auf Redu- zierung der Teilzeit erhalten zu haben. Mitarbeiter wissen auch, was sie ihren Betrieben zumuten können und was nicht. Deshalb stimmen 70 Prozent der befragten Unter- nehmen nach der von Ihnen zitierten Studie des DIHK dem Teilzeitantrag auch unproblematisch zu. Unser Gesetz nimmt eine ausgewogene Interessenab- wägung zwischen den Belangen der Arbeitnehmer und denen der Betriebe vor. Wir haben das Betriebsverfas- sungsgesetz den heutigen Gegebenheiten angepasst und den Betriebsräten und Betriebsrätinnen neue und hervor- ragende Arbeitsmöglichkeiten gegeben. Es war richtig, die Zahl der freizustellenden und zu wählenden Betriebsratsmitglieder auszudehnen, denn die Anforderungen an die Gremien sind in den letzten Jahren durch technische Neuentwicklungen und ständige Um- strukturierungen ständig angestiegen. Es war auch richtig, den Betriebsräten mehr Mitbe- stimmungsrechte gerade im Bereich der Qualifizierung einzuräumen, denn dies betrifft essentielle Zukunftschan- cen der Belegschaft, aber letztlich auch der Betriebe. Das Gesetz ist aber nicht nur ein Gesetz für die Be- triebsrätinnen und für die Betriebsräte, es ist nicht nur ein Gesetz für die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen. Es ist auch Standortvorteil für die deutsche Wirtschaft. Mo- derne Unternehmensstrategie ist es, betriebliche Hierar- chien abzubauen. Genau dies tun wir. Wir sollten auch nicht außer Acht lassen, dass gerade die Betriebsverfas- sung wesentlicher Faktor für die Schaffung des sozialen Friedens in der Bundesrepublik war und ist. Sie ist die Er- gänzung zur Streitkultur der Tarifvertragsparteien. Wie sich mit Ihrem Antrag aber feststellen lässt, wol- len Sie nicht mehr die Streitkultur der Tarifvertragspar- teien. Sie sind vom Konsens der sozialen Marktwirtschaft abgerückt. Sie wollen Gewerkschaften auf eine Instanz der unverbindlichen Meinungsäußerung degradieren. Sie wollen mehr Entscheidungen auf die Ebene der Be- triebsräte verlagern. Das hört sich gut an. Das ist es aber nicht. Jeder Betriebsrat wird vor dem Hintergrund ange- drohter Kündigungen jeglichen Arbeitsbedingungen vor Ort zustimmen. Das Erpressungspotenzial vor Ort ist ein anderes, als wenn mit den Gewerkschaften selber zu ver- handeln ist. Wenn es Ihnen tatsächlich darum gehen würde, die Situation von Betrieben in kritischen wirt- schaftlichen Situationen aufzugreifen, dann würden Sie auf die in der tagtäglichen Praxis immer wieder abge- schlossenen Sanierungstarifverträge verweisen. Meine sehr geehrten Damen und Herren der Union, Ihr Antrag ist unsäglich. Das ist kein Weg für die Zukunft. Die Aufrechterhaltung und der Ausbau einer leistungs- fähigen deutschen Wirtschaft ist nur gemeinsam mit so- zial gesicherten und motivierten Arbeitnehmern und Ar- beitnehmerinnen möglich. Wolfgang Meckelburg (CDU/CSU):Mit dem Antrag der CDU/CSU-Fraktion zur Flexibilisierung des Ar- beitsrechts sprechen wir einen Teilbereich der Beschäf- tigungspolitik an, bei dem dringend Korrekturen der bisherigen Regierungspolitik und weitergehende Verbes- serungen notwendig sind. Bei der nach wie vor drama- tischen Arbeitsmarktsituation ist politisches Handeln an jeder denkbaren Stellschraube geboten. Bei über 4 Millionen Arbeitslosen zu Beginn des Jah- res 2002 gibt es kein Herumreden: Deutschland hat ein Dauerproblem Arbeitslosigkeit. Die Arbeitslosenzahlen steigen saisonbereinigt seit 15 Monaten. Der jetzige Bun- deskanzler Schröder hat sein Versprechen nicht erreicht: Deutschland wird 2002 nicht bei den versprochenen 3,5 Millionen Arbeitslosen landen, die Zahl – regierungs- amtlich festgestellt – wird in diesem Jahr bei fast 4 Mil- lionen Arbeitslosen liegen. Das ist eine Bankrotterklärung der Bundesregierung. Noch schlimmer: Statt der Bekämpfung der Arbeitslo- sigkeit findet jetzt ein Kampf gegen die Zahlen und die Statistik statt. All das hilft nichts. Jeder hat begriffen, auch nach dreieinhalb Jahren Rot-Grün bleibt das Problem der Arbeitslosigkeit Dauerthema. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. April 2002 22915 (C) (D) (A) (B) Warum gibt es aber keine Lösung? Die Antwort ist ganz einfach: Die Regierung Schröder hat die Bekämp- fung der Arbeitslosigkeit nicht wirklich zur zentralen Auf- gabe ihrer Politik gemacht. Schröder und Riester haben sich auf den demographischen Effekt verlassen, dass jähr- lich circa 200 000 ältere Arbeitnehmer mehr aus dem Ar- beitsleben ausscheiden, als junge Menschen in den Ar- beitsmarkt eintreten. Schröder und Riester haben sich auf die Auswirkungen des Wirtschaftswachstums der USA auf den deutschen Arbeitsmarkt verlassen. Das ist passive Abhängigkeits- politik, kein aktives nationales Handeln der Regierung. Nur durch eine Kombination verschiedener Maßnah- men lässt sich das Problem der Arbeitslosigkeit wirklich in den Griff bekommen. Eine der wichtigsten Stellschrauben ist dabei das Arbeitsrecht. Hat Rot-Grün hier die Chancen zu einem wirklichen Wandel genutzt? Nein. Schröder und Riester haben in den letzten dreieinhalb Jahren – statt mehr Bewegung auf den Arbeitsmarkt zu bringen – nationale Hürden durch die rot-grüne Gesetzgebung aufgebaut. Statt die Politik der Flexibilisierung des Arbeitsmarktes fortzu- setzen, hat Rot-Grün Reformschritte der Vorgängerregie- rung rückgängig gemacht und mehr Bürokratie und mehr Regulierungen eingeführt: zum Beispiel bei 630-DM- Jobs, mit den Scheinselbstständigkeitsregelungen, mit dem uneingeschränkten Recht auf Teilzeitarbeit, mit dem Betriebsverfassungsgesetz. Die Union fordert, die von Rot-Grün vorgenommene Einschränkung bei den Mög- lichkeiten des Abschlusses befristeter Arbeitsverträge zurückzunehmen. Denn die Einschränkungen haben sich negativ auf die Einstellungsbereitschaft der Wirtschaft ausgewirkt. Weiterhin sollte nach Ansicht der Union der nahezu voraussetzungslose Anspruch auf Teilzeitbeschäftigung wieder rückgängig gemacht werden. Die jetzige Regelung geht an den betrieblichen Realitäten insbesondere der mit- telständischen Unternehmen vorbei und hat konsequen- terweise negative Effekte auf die Einstellung von solchen Bewerbern, bei denen Arbeitgeber die Umsetzung des Teilzeitanspruchs vermuten. Sie verhindert insbesondere die Einstellung von Frauen. Die Reform des Betriebsverfassungsgesetzes hat nicht dazu geführt, dass Arbeitsplätze in Deutschland gesichert oder gar neu geschaffen werden. Mit der Absenkung der Schwellenwerte bei der Zahl der Betriebsratsmitglieder und der Freistellungen ist die Wirtschaft mit zusätzlichen Kosten in Milliardenhöhe belastet worden. Aus diesem Grund sieht die Union dringenden Korrekturbedarf auch in diesem Bereich. Der Antrag der CDU/CSU-Fraktion fordert weiter ge- hende Flexibilisierungen des Arbeitsrechts, zu denen der Schröder-Regierung der Mut fehlte. Für die Union bleibt die Tarifautonomie ein unverzichtbares Element der sozia- len Marktwirtschaft. Auf dieser Basis gilt es, das Arbeits-, Tarif- und Sozialrecht weiterzuentwickeln. Ziel muss es sein, dezentrale Lösungen zu ermöglichen, die auf Be- schäftigung gerichtet sind. Die Union fordert in ihrem An- trag weiterhin, den Spielraum für betriebliche Bündnisse für Arbeit zu erweitern, indem das geltende Tarifvertrags- gesetz weiter flexibilisiert wird. Wir halten am Prinzip des Flächentarifvertrages fest, möchten aber betriebsnähere Vereinbarungen eröffnen, als derzeit möglich sind. Das Instrument der Zeitarbeit sollte stärker als bisher zu einer Brücke zwischen Arbeitslosigkeit und regulärer Beschäftigung ausgebaut werden. In diesem Bereich hat die Union eine Gesetzesinitiative gestartet, die von Rot- Grün abgelehnt worden ist. Das Instrument der Ar- beitnehmerüberlassung muss weiter ausgebaut werden. Deshalb ist die Höchstdauer der Überlassung eines Leih- arbeitnehmers an denselben Entleiher auf 36 Monate zu erhöhen, das Synchronisationsverbot aufzuheben und der Verleiher hinsichtlich der Befristungsmöglichkeiten mit allen anderen Arbeitgebern gleichzustellen. Befristete Arbeitsverhältnisse haben sich für viele Ar- beitnehmer als Einstieg ins Berufsleben und als Chance auf ein unbefristetes Arbeitsverhältnis bewährt. Die Be- fürchtung, dass unbefristete Arbeitsverhältnisse durch be- fristete verdrängt werden, hat sich nicht bestätigt. Die Union fordert, die Möglichkeit des Abschlusses „befris- teter Arbeitsverhältnisse ohne Sachgrund“ auszudehnen. Damit hätten wir ein Instrument, das insbesondere Exis- tenzgründern bei schwer abschätzbaren Neueinstellungen von Personal helfen könnte. Gleichzeitig wären unbe- schränkt befristete Arbeitsverhältnisse für ältere Arbeit- nehmer eine Chance, besser in den ersten Arbeitsmarkt eingegliedert zu werden. Unser Antrag zur Flexibilisierung des Arbeitsrechts hat insgesamt zum Ziel, Beschäftigungshürden abzubauen und Unternehmergeist zu fördern. Nur dann kann es ge- lingen, den Arbeitsmarkt zu beleben. Heinz Schemken (CDU/CSU): „Die Situation am deutschen Arbeitsmarkt hat sich im Laufe des letzten Jah- res deutlich eingetrübt und ein weiterer Anstieg der Ar- beitslosenzahlen bis zum Frühjahr 2002 scheint unaus- weichlich“, so die Feststellung der Bertelsmann-Stiftung in einer Studie vom Februar 2002. Wir haben im Monat März rund 160 000 Arbeitslose mehr als vor einem Jahr. Hinzu kommt die alarmierende Zahl von 130 000, die wir weniger an Beschäftigten haben. Des Kanzlers Wort von Reduzierung der Arbeitslosigkeit ist deshalb gleich zwei- mal gebrochen. Schuld ist die verfehlte Wirtschafts-, Finanz- und Ar- beitsmarktpolitik von Rot-Grün. Äußerungen des Bun- deskanzlers auf einen unmittelbar bevorstehenden Auf- schwung sind reiner Zweckoptimismus; denn das ständig nach unten korrigierte Wirtschaftswachstum in 2001 setzt sich auch in einer nie dagewesenen Insolvenzwelle fort und damit im Verlust von Arbeitsplätzen. Die Bundesregierung hat auf dem Gebiet der beschäf- tigungsorientierten Flexibilisierung im Arbeitsmarkt völ- lig versagt und kann deshalb auch mit den Erfolgen ver- gleichbarer Länder in Europa nicht mithalten. Kleine und mittlere Betriebe wurden mit einem nicht mehr durch- schaubaren Geflecht aus Vorschriften, Verordnungen und Gesetzen überzogen. Beispiele sind das 630-DM-Gesetz, das Gesetz zur Bekämpfung der Scheinselbstständigkeit, der Rechtsanspruch auf Teilzeit. Höhere Steuern und Ab- gaben tun ihr Übriges. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. April 200222916 (C) (D) (A) (B) Insgesamt wurde durch das Teilzeit- und Befristungsge- setz der betriebliche Spielraum für Personalentscheidungen weiter eingeengt, Verfahrensabläufe weiter bürokratisiert und zusätzliche Rechtsunsicherheit für die Beschäftigten und Betriebe geschaffen. Durch die Reform des Betriebs- verfassungsgesetzes wurden den Betrieben zusätzliche Kosten in Milliardenhöhe aufgebürdet und deshalb konn- ten Arbeitsplätze in Deutschland nicht gesichert und erst recht nicht geschaffen werden. Ausgehend von dem Bekenntnis zur Tarifautonomie als unverzichtbares Element der sozialen Marktwirtschaft ist das Arbeits-, Tarif- und Sozialrecht weiterzuentwickeln. Der Flächentarifvertrag hat sich in seiner befrieden- den Wirkung bewährt; deshalb muss an ihm festgehalten werden. Die praktischen Erfahrungen zeigen aber, dass das gel- tende Tarifvertragsgesetz zu wenig flexibel ist, um Arbeits- plätze zu schaffen und zu sichern. Notwendig ist eine tarif- rechtliche Flankierung, um den Spielraum für betriebliche Bündnisse für Arbeit zu erweitern. Mit dem zum 1. Januar 2002 in Kraft getretenen Gesetz zur Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente wurde eine nur unzureichende Lockerung des Arbeitnehmerüber- lassungsgesetzes vorgenommen. Die Regelung zeigt ge- rade, dass weiter gehende Handlungsräume erforderlich sind, um die wirksame Brücke zwischen Arbeitslosigkeit und regulärer Beschäftigung auszubauen. Gerade Exis- tenzgründer leiden darunter, kaum abschätzen zu können, welcher mittel- bzw. langfristige Personalbedarf besteht, und entscheiden sich vor diesem Hintergrund vielfach ge- gen Neueinstellungen. Um auch älteren Arbeitssuchenden wieder bessere Chancen auf Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt zu geben, sollen ältere Arbeitnehmer das Recht erhalten, un- beschränkt befristetete Arbeitsverhältnisse einzugehen. Dies ist besser als der Vorschlag der Regierung, „Ältere“ auszugliedern. In Deutschland wirken sich vor allem im Einstiegslohn- bereich die hohen Sozialabgaben besonders negativ aus. Es bleibt einfach zu wenig im Geldbeutel. Der Abstand zwi- schen Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zu kleineren Einkommen ist so gering, dass viele die Auf- nahme einer Arbeit als unattraktiv ansehen oder in Schwarzarbeit abwandern. Der Anteil der Schwarzarbeit am Brutto-Inlandsprodukt beträgt inzwischen 16,5 Prozent. An einem Arbeitsmarkt, der Schwarzarbeit in diesem Aus- maß als Ventil benötigt, stimmt etwas nicht. So hat uns der Bundesinnungsverband des Gebäudereinigungshandwerks gestern ein Teilzeitaktivierungsmodell vorgestellt, das ver- dient hat, sich damit zu befassen. Dies kommt dem „Drei Säulen“-Modell von CDU/CSU nahe. Wir würden damit eine weitere Blockade für die Teilzeitarbeit aufheben und könnten damit im Dienstleistungsbereich über die Gebäu- dereinigung hinaus in der Saisonarbeit und weiteren einfa- chen Tätigkeiten bis hin zu Nebenverdiensten wie zum Bei- spiel der Zeitungszustellung einen Dienst erweisen. Gehen Sie deshalb im Interesse der Arbeitslosen auf unseren An- trag ein und lassen Sie uns über weitere Wege der Beschäf- tigung sprechen. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Verbraucherinformationsgesetzes (VerblG), – Entwurf eines Gesetzes zurNeuorganisation des ge- sundheitlichen Verbraucherschutzes und der Le- bensmittelsicherheit, – Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung der Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft auf dem Gebiet des ökologischen Landbaus (Öko- Landbaugesetz – ÖLG), – Antrag: Obstbauern vor dem Ruin retten – Plan- tomycin für Notfallmaßnahmen zu lassen, – Antrag: Pflanzenschutzpolitik neu ausrichten, ein- heimische Produzenten unterstützen und Verbrau- cher schützen, – Antrag: Verbraucherinformationsgesetz effektiv gestalten (Tagesordnungspunkt 9 a bis e, Zusatztagesordnungs- punkt 8) Heidemarie Wright (SPD): Eine breite Palette ver- braucher- und landwirtschaftspolitischer Themen steht zur Debatte und zur ersten Lesung an: Themen, die wir vorbereitet und bereits miteinander diskutiert haben und die jetzt in den parlamentarischen Reigen gehen. Nach der ersten Lesung werden wir uns noch in Anhörungen mit den einzelnen Gesetzen auseinander setzen. Heute, mit der ersten Lesung, machen wir deutlich: Wir wollen und brauchen ein Verbraucherinformationsgesetz, wir wollen und brauchen ein Gesetz zur Neuorganisation des gesundheitlichen Verbraucherschutzes und der Le- bensmittelsicherheit und wir wollen und brauchen ein Ge- setz zur Durchführung der EG-Öko-Verordnung. Zum Verbraucherinformationsgesetz: Hier hätte ich mir gewünscht, dass wir schon weiter wären und dass wir auch tiefer hätten gehen können. Denn Verbraucherschutz wird nicht nur durch ein Ressort in einem Ministerium ge- währleistet, sondern ist eine Querschnittsaufgabe, der sich immer noch viele, zu viele, entziehen. Der vorlie- gende Entwurf sieht Informationsrechte der Verbraucher gegenüber Behörden vor. Der Anspruch auf Informati- onsrechte gegenüber Unternehmen war vorerst nicht zu erreichen. Ich bedauere das, nehme jedoch auch den Spatz in der Hand. Wie notwendig das ist, will ich wieder mal am Beispiel des Bayerischen Staatsministeriums für Verbraucher- schutz beleuchten. Der allseits bekannte Minister Sinner muss weitere Kontrollpannen bei den BSE-Tests einräu- men, macht jedoch keinerlei weitere Angaben und be- nennt insbesondere nicht die betroffenen Labors. Zum ei- nen ist das schlechter Stil, zum anderen nimmt das alle die, die ordentlich gearbeitet haben, in Mitverdacht. Vor allem aber ist das der Beweis dafür, dass wir ein Verbrau- cherinformationsgesetz brauchen. Dann sind auch bayeri- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. April 2002 22917 (C) (D) (A) (B) sche Behörden und das bayerische Verbraucherschutzmi- nisterium zur Auskunft verpflichtet. Das vorliegende Gesetz ist ein Einstieg in mehr Ver- braucherinformation und es ist auf jeden Fall ausbaufähig. Wenn nun auch Kollegen der Opposition Weitergehendes fordern, so kann ich dies nur begrüßen. Ich kann Sie nur bestärken: Machen Sie mit, machen Sie Stimmung für den Verbraucherinformationsanspruch auch gegenüber Unter- nehmen, aber tauchen Sie nicht ab ins europäische Nir- wana! Hier wie auch beim Gesetz zur Neuorganisation wer- den wir über die Anhörung sicherlich noch Anregungen bekommen, um dann zügig in die weiteren Beratungen zu gehen. Weiter sind wir schon beim Gesetz zur Durchführung der EG-Öko-Verordnung. Der Gesetzesentwurf lag dem Bundesrat bereits vor und es konnte grundsätzliche Über- einstimmung erzielt werden. Diesem Gesetz zur Durchführung der Rechtsakte der EG auf dem Gebiet des ökologischen Landbaus geht eine lange Entwicklung voraus. Die Europäische Gemein- schaft hat mit der Verordnung 2092/91, der EG-Öko-Ver- ordnung, dem Ökolandbau eine Basis gegeben. Diese Basis, wir wissen es, wurde in Deutschland lange Jahre im Dornröschenschloss vergraben und nur ja nicht das Dickicht darum entstrüppt. Verbraucher, Biobauern und die Politik dieser Bundesregierung haben aber doch diesen Bann gebrochen und den Ökolandbau auch in Deutschland etabliert. Die nächste Ökosaat ist schon aus- gesät, die Ökoprodukte werden flächendeckend im Land angeboten. Mit dem heutigen Gesetz geht es nur um die Kontrollverfahren, denen sich die ökologischen Betriebe zu unterwerfen haben. Die Kontrolle wird im Wesentlichen von Privaten durchgeführt, also von den Verbänden, und deren Kon- trolle wiederum durch die Behörden. Kontrolle ist gerade im Bereich der Ökoproduktion von besonderer Bedeu- tung. Jeder, der mit falscher Kennzeichnung Missbrauch betreibt, muss wissen, dass es hier Strafvorschriften nach § 11 und Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr gibt. „Und sie bewegt sich doch“, die Pflanzenschutzpro- blematik, die Lückenindikation. Über kaum ein anderes Thema wurde im scheinbaren Interessenkonflikt zwi- schen Pflanzenschutz und Verbraucherschutz, zwischen Anbauer und Verbraucher so gerungen wie hier. Ich habe es von dieser Stelle aus schon einmal gesagt: Im Bereich des Pflanzenschutzes befinden wir uns in Europa und in Deutschland – im Interesse der Umwelt und der Verbrau- cher – in einer Phase des Umbruchs durch die Umsetzung der europäischen Pflanzenschutzrichtlinie. Fakt ist: Zu lange wähnte man sich nach dem Motto „Es wird schon nicht so schlimm kommen“ auf der sicheren Seite. Und richtig: Es kam auch nicht so schlimm. Deutsche Obst- und Gemüsebauern haben in vielen Regionen vor- bildliche Produktionsverfahren entwickelt und die BBA, das UBAund die Politik haben Zug um Zug, und – das will und muss ich leidgeprüft sagen – unter Ächzen und Stöh- nen vieles bewirkt. Die 7. Rückstands-Höchstmengenver- ordnung zum Beispiel ist mächtig forciert worden und wird am 26. April abschließend im Plenum des Bundesra- tes behandelt. Dann werden weitere circa 100 Lücken ge- schlossen werden. Mehr als 500 Lücken wurden bereits geschlossen. Fakt ist, ein Rest von je 30 Lücken im Obst- und Gemüsebau bleibt vorerst. Hierüber wird es weitere Gespräche zwischen der Mi- nisterin und dem Zentralverband Gartenbau bereits in der nächsten Woche geben. Die spannende Frage ist: Was passiert mit Plantomy- cin? Grundsätzlich gilt: Aus Gründen des vorsorgenden Verbraucherschutzes haben Antibiotika in Lebensmitteln nicht zu suchen, auch nicht aus Rückständen aus Pflan- zenschutzmitteln. Allerdings ist festzustellen, dass zur Bekämpfung des Feuerbrandes derzeit außer Plantomycin kein vergleichbar wirksames Mittel zur Verfügung steht. Deshalb hat die Ministerin auch richtigerweise in einem Schreiben vom 26. März an die Amtschefs der Länder und die BBA in Braunschweig mitgeteilt, dass die BBA be- grenzt auf 2002 und 2003 in die Lage versetzt werden soll, im Fall eines akuten Feuerbrandrisikos die Zulassung zeitlich und räumlich begrenzt zu gewähren. Leider klappt das so wohl nicht. Es ergeben sich neue Schwierigkeiten. Deshalb wird die BBAvorerst in einigen Versuchsgebieten die Anwendung von Plantomycin wei- ter begleiten. Fakt ist: Wir sind weiter auf der Suche nach der Lösung. Von Bund und Ländern, unter Mitwirkung der betroffenen Verbände, ist ein integriertes Konzept über Alternativen zum Einsatz von Antibiotika zur Bekämpfung von Feuerbrand zu entwickeln. Es ist jedoch nicht so, dass die Obstbauern in Deutsch- land allein gelassen werden oder gar vor dem Ruin stün- den. Ich konnte gerade aktuell für einen Obstbauern mei- ner Region tätig sein, der sein Anbaugebiet erweitern möchte. Dennoch will ich nicht verharmlosen, dass Obstbauern in unserer europäischen Nachbarschaft bislang nicht mit einer engen Auslegung der Pflanzenschutzrichtlinie be- lastet sind. Ich prognostiziere aber, dass vorbildliche deut- sche integrierte Verfahren auf Dauer nicht zum Wettbe- werbsnachteil, sondern zu einem Wettbewerbsvorteil gereichen. Alles in allem tut Eile gerade im Bereich Pflanzen- schutz Not. Das Ministerium ist gehalten, unverzüglich der 7. Rückstands-Höchstmengenverordnung über die dann noch bestehende WTO-Hürde hinwegzuhelfen. Denn allemal ist es sinnvoller, ein deutsches, besser noch ein regionales Obst oder Gemüse zu essen als ein Produkt der geringen Kontrolle und der längeren Wege. Pünktlich zur 7. Verordnung bricht sich jetzt auch der Frühling Bahn, die Vegetation ist in vollem Gange und un- sere Obst- und Gemüsebauern haben alle Hände voll zu tun. Wir wollen ihnen die Arbeit nicht erschweren. Jella Teuchner (SPD): Vor einem Monat haben wir schon einmal über das Verbraucherinformationsgesetz ge- sprochen. Wir waren uns alle einig, dass eine verständli- che und umfassende Information über die Qualität von Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. April 200222918 (C) (D) (A) (B) Produkten notwendig ist. Damals wurde – gerade von der FDP – die Frage gestellt, ob dazu dieses Gesetz notwen- dig sei. Vorgestern hat die Verbraucherzentrale Bundes- verband eine Studie zum Auskunftsverhalten von Unter- nehmen vorgestellt. Ergebnis der Studie: Dieses Gesetz ist notwendig! Es gibt keine Antworten auf kritische Nachfragen zur Qualität von Produkten und zum Verhalten des Unterneh- mens. Nach Angaben des Instituts für Markt-Umwelt-Ge- sellschaft beantworten circa 70 Prozent der Unternehmen solche Anfragen nicht. Die Studie der Verbraucherzen- trale stützt diese Zahl: Bekleidungshersteller waren oft nicht zu erreichen; oft konnten sie keine Aussage zum Nickelgehalt von Jeans- knöpfen machen. Das heißt: keine Informationen für Allergiker. Auch Lebensmittelhersteller reagierten zum Teil nicht auf Anfragen, die Antworten waren oft unbefriedigend. Das heißt: keine Informationen zur Tierhaltung. Wird nach sozialen oder ethischen Kriterien bei der Geldanlage gefragt, weichen die Unternehmen aus, ver- weisen auf das Geschäftsgeheimnis oder antworten gar nicht. Das heißt: keine Information für Anleger. Wer angesichts solcher Ergebnisse die Informations- politik der Unternehmen als Wirklichkeit werdende Vi- sion bezeichnet, der ist kein Verbraucherschützer, der schützt die Unternehmen vor dem Verbraucher. Die vorgestern vorgelegten Zahlen zeigen: Ein Teil der Unternehmen bietet richtige und verständliche Informa- tionen. Das freut mich. Ein großer Teil informiert aller- dings nicht; die Verbraucherinnen und Verbraucher haben keinen Zugang zu den Informationen bei den Behörden, und auch die Behörden durften nicht von sich aus infor- mieren. Dies werden wir ändern. Wir geben den Behörden eine neue Aufgabe, und wir machen ihr Handeln öffentlich. In Zukunft dürfen die Behörden Ross und Reiter nennen, die Verbraucher kön- nen feststellen, was für Ergebnisse die Behörden vorlie- gen haben. Dies gibt auch den Verbraucherverbänden und den Medien neue Möglichkeiten an die Hand. Das ist kein Placebo-Gesetz, das ist ein großer Schritt nach vorn. Eine verständliche und umfassende Information über die Qualität von Produkten ist notwendig. Darüber sind wir uns alle einig. Das Verbraucherinformationsgesetz ist ein erster großer Schritt, diese Information zu ermögli- chen. Die Studie der Verbraucherzentrale fordert weitere Schritte. Wir werden auch diese Schritte machen. Machen Sie mit uns den ersten Schritt! Gehen Sie den Weg mit, dann können wir den Informationsanspruch in Zukunft noch ausweiten. Albert Deß (CDU/CSU): Wenn man die Gesetzent- würfe der rot-grünen Bundesregierung zum Verbraucher- schutz betrachtet, die heute in erster Lesung beraten wer- den, kann man eines feststellen: Die Bundesregierung handelt in Torschlusspanik. Anders kann man sich die Oberflächlichkeit der Gesetze nicht erklären. Nach den vollmundigen Ankündigungen von Frau Künast sollen schnell noch einige Gesetzentwürfe durch das Parlament gedrängt werden, damit man im Hinblick auf den 22. Sep- tember nicht mit leeren Händen dasteht. Mit neuen Behörden soll Aktionismus vorgetäuscht werden. Statt in einer Behörde eine Bündelung von Ver- antwortung im Verbraucherschutz zu erreichen, spalten Sie, Frau Künast, die Verantwortung in zwei Behörden. Reibungsverluste im Informationsfluss sind doch hier vorprogrammiert. Nehmen Sie den Gesetzentwurf zur Neuorganisation des gesundheitlichen Verbraucherschutzes zurück. Lassen Sie uns in einem zeitgerechten parlamentarischen Verfah- ren gemeinsam ein Gesetz gestalten, bei dem in einem Bundesamt für Verbraucherschutz sowohl die Aufgabe der Forschung und Risikobewertung als auch das Risi- komanagement zusammengefasst sind. In einem solchen Bundesamt für Verbraucherschutz kann die breite Palette des Verbraucherschutzes wahrgenommen werden. Kollege Ronsöhr hat in seiner Rede die Argumente festgehalten, warum die CDU/CSU-Fraktion das Gesetz zur Neuorganisation der Lebensmittelsicherheit in der vorliegenden Fassung ablehnt. Die CDU/CSU lehnt aber auch den unausgewogenen Gesetzesentwurf zum Ver- braucherinformationsgesetz ab. Das Ziel, den Verbrau- cher in seinen Rechten und in seiner Position zu stärken, ist zwar zu begrüßen. Auch die Bündelung der Informati- onsrechte in einem Verbraucherinformationsgesetz ist dazu der richtige Weg. Der vorliegende Gesetzentwurf der rot-grünen Bundesregierung ist jedoch unausgegoren und praxisfremd. Konkret müssten die bestehenden Gesetze harmoniert werden. Eine aktive Verbraucherinformationspolitik müsste gesetzlich verankert werden, die auch ordnungs- rechtliche Ansätze enthält. In dem Gesetz ist nicht defi- niert, welche Behörden konkret zuständig sind, über welche verbraucherrelevanten Informationen Mittei- lungspflicht besteht. Der vorliegende Gesetzentwurf birgt für die auskunftspflichtigen Behörden ein erhebli- ches Haftungsrisiko. Die CDU/CSU-Fraktion lehnt einen nationalen Allein- gang im Verbraucherinformationsbereich ab. Wird der jetzige Gesetzentwurf umgesetzt, bedeutet das in einem weiteren Bereich einen gespaltenen Rechtszustand für Unternehmen in Deutschland und Unternehmen, die ihren Sitz nicht in Deutschland haben. Dieses Gesetz kann wie- der dazu führen, dass ausländische Unternehmen Wettbe- werbsvorteile haben, weil die Behörden ihrer Heimatlän- der nach deren Recht über die dortigen Unternehmen keine Informationspflichten haben. Statt in Brüssel eine europäische Regelung zu errei- chen, schikaniert die rot-grüne Bundesregierung die Un- ternehmen in Deutschland. Der in § 1 des Gesetzentwurfs aufgeführte „Zweck des Gesetzes“ ist insgesamt zu allge- mein gefasst und genügt nicht dem Bestimmtheitsgrund- satz. Es wird nicht dargelegt, um welche Art von Infor- mation und Dienstleistung es sich handeln soll. Und es ist auch nicht klar, wie marktrelevante Sachverhalte definiert werden sollen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. April 2002 22919 (C) (D) (A) (B) Im Ergebnis ist es ein verfassungswidriger Gesetzent- wurf. Es ist problematisch, dass die Länder und Kommu- nen verpflichtet werden, Informationen an Verbraucher herauszugeben, die möglicherweise Auslöser für erhebli- che Schadenersatzforderungen sind. An dieser Stelle verweise ich auf die ergangene Rechts- sprechung im Zusammenhang mit der Warnung des Lan- des Baden-Württemberg vor Nudeln aus Frisch-Erzeug- nissen. Riesige Entschädigungssummen mussten damals an das betroffene Unternehmen bezahlt werden. Wenn die rot-grüne Mehrheit ein Gesetz beschließt, das Ländern und Kommunen ein enormes Haftungsrisiko schafft, soll die rot-grüne Mehrheit dieses Haftungsrisiko übernehmen. Wie im Steuer- und Sozialbereich wollen Sie von der rot-grünen Bundesregierung jetzt auch beim Verbraucher- schutz ihre Pflichten den Kommunen einseitig aufbürden. Sollte der jetzt vorliegende Entwurf Gesetz werden, fol- gen mit Sicherheit eine Vielzahl von Rechtsstreitigkeiten. Dies scheint aber die Absicht der rot-grünen Bundesre- gierung zu sein. Anders kann man sich die Liederlichkeit des Gesetzentwurfes nicht erklären. Man sollte das ganze Gesetz statt „Verbraucherinfor- mationsgesetz“ in „Juristenbeschäftigungsgesetz“ umtau- fen. Gerade weil so viel im Unklaren gelassen ist, wird vieles erst endgültig geklärt sein, wenn durch alle Instan- zen gestritten ist. Das kann nicht im Sinne von notwendi- ger und sinnvoller Verbraucherinformation sein. Unerträglich ist auch die Situation für viele Obst- und Gemüsebauern durch die einseitige Benachteiligung bei der Zulassung von Pflanzenschutzmitteln. Frau Künast hat an- scheinend noch nicht bemerkt, dass die Vegetation beginnt und damit dringend Entscheidungen notwendig sind, die unseren Obst- und Gemüsebauern Rechtssicherheit geben. Es kann doch auf Dauer nicht sein, dass in einem gemein- samen europäischen Markt die deutschen Bauern einseitig von Rot-Grün schikaniert werden, Marktanteile verlieren und mit zusehen müssen, wie ihre Existenzen vernichtet werden. Mit Verbraucherschutz hat das Ganze nichts zu tun, sonst müssten Importe von Obst und Gemüse aus Ländern verboten werden, die nicht die in Deutschland geltenden Vorschriften im Pflanzenschutz einhalten. Hier sieht man, wie unglaubwürdig rot-grüne Verbraucherschutzpolitik ist. Täuschen, tarnen, tricksen – das sind die Merkmale von Frau Künast. Ich habe deshalb vollstes Verständnis für die Äußerung eines SPD-Kollegen, dass weitere vier Jahre ei- ner Ministerin Künast unerträglich sind. Am 22. September haben die Wählerinnen und Wähler die Möglichkeit, eine bessere Alternative auch im Interesse eines ideologiefreien, sachgerechten Verbraucherschutzes zu wählen. Die CDU/CSU ist die bessere Alternative. Heinrich-Wilhelm Ronsöhr (CDU/CSU): Die Ein- bringung der vorliegenden Gesetzentwürfe zum Verbrau- cherschutz zum jetzigen Zeitpunkt zeigt, dass Sie, Frau Ministerin Künast, viel Zeit ungenutzt haben verstreichen lassen. Seit Ihrer Ernennung zur Ministerin unter anderem für Verbraucherschutz haben Sie immer viel angekündigt, in die Tat umgesetzt wurde nichts. Jetzt am Ende der Le- gislaturperiode werden Sie wach und lassen hektischen gesetzgeberischen Aktionismus erfolgen. Sie legen dem Parlament nicht nur zwei völlig unausgegorene Gesetz- entwürfe vor, wie dies auch die vielen Änderungsanträge des Bundesrates zeigen, sondern lassen ihm auch keine ausreichende Zeit zur Beratung. Es ist skandalös, wie diese Gesetzentwürfe in kürzester Zeit durch das Parla- ment gepeitscht werden sollen. Obwohl die beiden Ge- setzentwürfe weitreichende Folgen für Verbraucher, Un- ternehmen und Behörden haben, wird die Legislative durch den von der Bundesregierung diktierten Zeitplan an einem ordnungsgemäßen Beratungsverfahren weitgehend gehindert. Ich möchte die Akzente auf eine Analyse des Gesetz- entwurfes zur Neuorganisation des gesundheitlichen Ver- braucherschutzes und der Lebensmittelsicherheit setzen. Frau Ministerin Künast, Ihre Maßnahmen zur behördli- chen Neuorganisation im nachgeordneten Bereich ihres Ministeriums sind nicht akzeptabel und misslungen. Statt Risikomanagement und Risikobewertung institutionell zu trennen, sollte das neue Bundesamt für Verbraucherschutz Aufgaben sowohl im Bereich der Erarbeitung und Koor- dination wissenschaftlicher Standpunkte auf nationaler Ebene und die Beratung der Bundesregierung wahrneh- men als auch die Kompetenzen im Bereich des Risi- komanagements erhalten, soweit nicht ohnehin Länder- kompetenzen berührt sind. Gerade im Bereich des Risikomanagements kommt es entscheidend auf schnelle Reaktionsfähigkeit an. Die institutionelle Trennung von Risikomanagement und Risikobewertung bewirkt aber gerade nicht die Ver- einfachung von Kommunikationswegen und Entschei- dungsprozessen, sondern schafft lediglich ein neues, schwerfälliges System, mit dem im Krisenfall nicht effi- zient reagiert werden kann. So soll laut Ihrem Gesetzentwurf das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit unter an- derem die Erhebung von Daten und Erkenntnissen im Be- reich der Lebens- und Futtermittel sowie des Pflanzen- schutzes übernehmen. Diese sind aber wesentliche Voraussetzung für die Arbeit der Risikobewertung und -kommunikation. Hinzu kommt, dass das Bundesinstitut für Risikobewertung seinen Sitz in einem Ort bekommen soll, das Bundesamt für Verbraucherschutz jedoch an ei- nem anderen Ort eingerichtet wird. Es ist bereits durch diese Entscheidungen absehbar, dass dadurch unnötige Barrieren für die schnelle Kom- munikation der gegenseitigen Erkenntnisse der Ämter ge- schaffen werden. Wir brauchen aber kurze Entschei- dungswege, um Effizienz bei der Lebensmittelsicherheit zu gewährleisten. Darüber hinaus ist im Gesetzentwurf über die Errichtung des Bundesamtes in keiner Vorschrift eine Verpflichtung des Bundesamtes zu ersehen, einen re- gelmäßigen Informationsaustausch und eine Umsetzung der Erkenntnisse des Bundesinstitutes vorzunehmen. Auch dem Errichtungserlass ist nicht zu entnehmen, wel- che der vier neuen Referate des Bundesamtes die Kom- munikation mit dem Bundesinstitut übernehmen sollen. Frau Ministerin Künast, Sie hätten aus den jüngsten Skandalen um die Nichtweitergabe von Informationen in ihrem Hause Konsequenzen ziehen sollen. Wenn schon Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. April 200222920 (C) (D) (A) (B) die Informationswege zwischen Abteilungen einer einzi- gen Behörde im Krisenfall versagen können, liegt es doch auf der Hand, dass dieses Problem bei zwei getrennten Behörden umso stärker auftreten wird – und dies bei ei- nem so wichtigen Thema wie der Lebensmittelsicherheit. Wieder einmal zeigt sich: Verbraucherschutz ist bei Ihnen, Frau Ministerin Künast, nicht in den besten Händen! Unabhängig von der unnötigen Trennung von Risi- komanagement und Risikobewertung und der Schaffung von zwei statt einer Behörde wird nicht ersichtlich, dass mit dieser Neuorganisation die gesamte Bandbreite des Ver- braucherschutzes im nachgeordneten Bereich abgedeckt wird. Wenn Sie, Frau Ministerin Künast, Verbraucher- schutz als Querschnittsaufgabe ernst nehmen, dann müssen Sie dafür sorgen, dass dies auch so im nachgeordneten Be- reich verankert wird. Als gelungenes Beispiel sollten Sie sich einmal das Gesetz zur Errichtung des Umweltbundes- amtes ansehen. Das Amt, was Sie jetzt neu errichten möch- ten, ist weitgehend nur auf Risikomanagement im gesund- heitlichen Verbraucherschutz beschränkt. Wir benötigen aber ein Amt, welches beim Verbraucherschutz in die Breite geht. Dieses neue Amt muss aus unserer Sicht eine Sensor- und Aufklärungsfunktion für alle Belange des Ver- brauchers haben. Wir brauchen keine Fortführung des bis- herigen Schmalspurverbraucherschutzes à la Künast. Besonders negativ wird sich im Falle einer Errichtung der neuen Behörde und des Institutes dies auf die Zulas- sung von Pflanzenschutz- und Tierarzneimitteln auswir- ken. Das ganze Verfahren wird bürokratisch gestreckt. Die Kompetenzen von Behörden, die wirklich Sachver- stand haben, wie die BBA, werden nicht mehr genutzt, nur weil Ministerin Künast meint, mehr Bürokratie bringe mehr Verbraucherschutz. Dem kann ich nur widerspre- chen. Unnötige Schnittstellen und Doppelarbeit sowie in- effiziente Abstimmungsprozesse, wie im von-Wedel-Gut- achten gefordert, werden augenfällig nicht vermieden, sondern im Gegenteil sogar erst geschaffen. Das Gleiche gilt für die Zulassung von Tierarzneimitteln. Eine Auftei- lung der derzeit gut funktionierenden Tierarzneimittelzu- lassung in zwei Behörden widerspricht grundsätzlich dem Prinzip der Verwaltungseffizienz und dem politischen Ziel eines schlanken Staates. Die weitere Folge wird sein, dass international tätige Unternehmen ihre Zulassungsanträge vermehrt direkt über die europäische Behörde EMEA bzw. über andere EU- Mitgliedstaaten stellen werden, um die Unwägbarkeiten einer aufgesplitterten Zulassungsbehörde zu umgehen. Frau Ministerin Künast, die Pflanzenschutz- und Tierarz- neimittelunternehmen in Deutschland werden mit Sicher- heit ihre Produktionsstandorte ins Ausland verlagern und dies wird wieder viele Arbeitsplätze kosten. Des Weiteren wird sich die Problematik bei der Zulassung von Pflan- zenschutzmitteln, die wir bereits jetzt haben, für unsere Bauern weiter verschlimmern. Auch zurzeit stehen drin- gend benötigte Pflanzenschutzmittel nicht zur Verfügung. Auch die Begründung, dass Kompetenzen und der Auf- gabenbereich der Europäischen Lebensmittelbehörde na- tional gespiegelt werden sollten, geht meines Erachtens ins Leere. Die nationale Spiegelbehörde soll das Bundesinsti- tut für Risikobewertung sein. Faktisch sind die übertra- genen Aufgaben jedoch nicht deckungsgleich. So ist der europäischen Lebensmittelbehörde auch die Aufgabe zur Datenerhebung, der Betrieb des Schnellwarnsystems für Lebens- und Futtermittel sowie die Koordinierung der Ri- sikokommunikation zwischen Mitgliedstaaten und EU- Kommission übertragen. Dies sind jedoch Aufgaben des Risikomanagements und werden nach dem Konzept der Bundesregierung dem neuen Bundesamt zugewiesen und nicht der eigentlichen Spiegelbehörde. Ohnehin sind die Aufgabenbereiche auf EU-Ebene so- wie die dortigen Strukturen nicht eins zu eins auf die na- tionale Ebene übertragbar. Statt künstlich eine – tatsäch- lich nicht erreichbare – derartige „genaue Spiegelung“ zu versuchen, sollte das oberste Leitbild lieber die Effizienz der Kommunikation und der Entscheidungswege sein. Die Begründung der Neuorganisation der nachgeordneten Bundesbehörden des Verbraucherschutzes beruht letztlich offensichtlich nicht auf sachlichen Erwägungsgründen. Der Verdacht liegt nahe, dass die Entscheidung in der jet- zigen Form eher aus Gründen des politischen Aktionismus erfolgt. Die strukturelle Trennung zwischen den beiden Aufgabenbereichen Risikomanagement und Risikobewer- tung und -kommunikation ist daher abzulehnen. Abschließend möchte ich darauf hinweisen, dass wir, wie auch der Bundesrat, das Gesetz als zustimmungs- pflichtig sehen. Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): CDU und FDPhaben die Verbraucherpolitik jahrzehntelang wie ein Mauerblümchen behandelt. Erst mit der Einrichtung des Verbraucherministeriums Anfang letzten Jahres konn- ten wir die Verbraucherpolitik vom Kopf auf die Füße stellen. Renate Künast stellt endlich die Verbraucher in den Mittelpunkt der Politik. Nach jahrzehntelanger Stagnation haben wir innerhalb eines Jahres die Konsequenzen aus Lebensmittelskanda- len und BSE gezogen und den gesundheitlichen Verbrau- cherschutz so neu organisiert, dass endlich der Verbrau- cher wirkungsvoll geschützt wird. Heute bringen wir die gesetzliche Grundlage für eine umfassende Neuorganisation des staatlichen gesundheit- lichen Verbraucherschutzes und der Lebensmittelsicher- heit ein: Risikomanagement einerseits sowie Risikobe- wertung und -kommunikation auf der anderen Seite sind jetzt klar institutionell getrennt, wie das auf EU-Ebene auch der Fall ist. Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmit- telsicherheit ist künftig zuständig für Risikomanagement und Krisenmanagement und es ist Zulassungsstelle. Das Bundesinstitut für Risikobewertung ist die wissenschaft- liche Stelle für Erkennen und Bewerten von Risiken, Er- arbeitung von Handlungsoptionen, Öffentlichkeitsarbeit und Information an Verbraucher und Forschung. Mit diesser Grundlage kann dann den bayerischen BSE-Test-Skandalen oder den Problemen der Futtermittel- kontrolle entgegengewirkt werden. Aber Verbraucherpolitik für mündige Verbraucher ist mehr ist als reiner Verbraucherschutz. Dazu gehören mehr Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. April 2002 22921 (C) (D) (A) (B) Information und Transparenz, damit der Verbraucher als gleichberechtigter Marktteilnehmer agieren kann. Heute bringen wir deshalb ein zentrales Projekt der neunen Verbraucherpolitik ein: das Verbraucherinforma- tionsgesetz. Der jetzt vorliegende Entwurf ist der Ein- stieg in umfassende Rechte der Verbraucher auf vollstän- dige Information, mithin die Voraussetzung für die Verbraucher, sich informiert am Markt entscheiden zu können. Die Informationsrechte sollen sich zunächst auf den Lebensmittel- und Bedarfsgegenständebereich beziehen. Dazu gehört vom Babyschnuller und Teddybär über Toas- ter und Fahrradsättel fast alles, was wir im täglichen Le- ben nutzen. Perspektivisch soll das Recht der Verbraucher auch auf Informationen über Produkte und Dienstleistun- gen ausgeweitet werden. Das Gesetz setzt an zwei entscheidenden Punkten an: Erstens. Verbraucherinnen und Verbraucher sollen Zu- gang zu den Informationen erhalten, die bei Behörden vorhanden sind und sich auf Verbraucherinteressen bezie- hen. Zweitens. Behörden sollen das Recht erhalten, die Verbraucher über marktrelevante Vorkommnisse unter Nennung des Produktherstellers und der Produkte aktiv zu unterrichten. Wir werden im parlamentarischen Verfahren ausloten, wie unser Anliegen, auch Auskunftspflichten für die Wirt- schaft zu verankern, zu integrieren ist. Das wird auch aus dem Bundesrat unterstützt. Wir sind gespannt, wie sich dort die CDU-Länder und Bayern verhalten. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat mit ihrem Ent- schließungsantrag wieder einmal bewiesen, dass sie keine effektive Verbraucherinformation will. Die vielen gut ar- beitenden Unternehmen gewinnen mit dem Verbraucher- informationsgesetz den Wettbewerb. Marita Sehn (FDP): Seit etwa einer Woche ist er nun in Kraft, der öffentliche Aufruf zum zivilen Ungehorsam des agrarpolitischen Sprechers der SPD, Matthias Weisheit. Denn entgegen seiner vollmundigen Ankündi- gungen lässt die Bundesregierung die Obstbauern weiter- hin im Stich. Während im Süden demnächst eine Obst- plantage nach der anderen den Kettensägen zum Opfer fällt und in Flammen aufgeht, schaut die Bundesregierung weiterhin tatenlos zu. Die Aufforderung zum zivilen Ungehorsam ist der po- litische Offenbarungseid der rot-grünen Koalition. Selber nichts zustande bringen und dann die Bauern zum zivilen Ungehorsam gegen die eigene Regierung auffordern, ist mittlerweile die traurige Realität der rot-grünen Agrar- wende. Natürlich sind Herrn Weisheit zufolge nur die bösen Grünen Schuld an der Misere. Aber die SPD kann nicht in der Bundesregierung die Landwirtschaft zum Bauern- opfer für die Grünen machen und sich dann aus der po- litischen Verantwortung stehlen. Auch wenn Sie, meine Damen und Herren von der SPD, das Verbraucher- schutzressort wieder für sich fordern: Sie haben das Kind nicht nur in den Brunnen fallen lassen, Sie haben es regelrecht hineingeworfen. Die Bauern werden Ihnen das nicht vergessen: Die Agrarwende ist ebenso grün wie rot. Was ist das für eine Koalition, in der der kleinere Partner das Porzellan zerdeppert und der Größere taten- los zuschaut und jammert. Übt der Bundeskanzler seine Richtlinienkompetenz eigentlich auch noch in Bezug auf andere Themen als seine Haarfarbe aus? Die FDP hat frühzeitig die Wiederzulassung von Plan- tomycin gefordert und einen entsprechenden Antrag ge- stellt. Anstatt die Landwirte zu illegalen Handlungen auf- zufordern, stimmen Sie einfach unserem Antrag zu, Herr Weisheit. Das ist vollkommen legal und sachdienlicher obendrein! Das hilflose Agieren der Bundesregierung im Falle von Plantomycin ist ein eindeutiger Beleg dafür, dass es hier um Ideologie und längst nicht mehr um die Sache geht. Mit unserem Antrag „Pflanzenschutzpolitik neu aus- richten“ erteilen wir der ideologiegesteuerten Politik der Bundesregierung eine Absage. Wir haben die zentralen Forderungen der deutschen Landwirte, Obst- und Gemü- sebauern aufgegriffen und setzen uns für praxistaugliche Regelungen im Pflanzenschutz ein. Machen Sie sich nicht der „unterlassenen Hilfeleistung“, wie Herr Weisheit das bezeichnet, schuldig und stimmen Sie diesem Antrag zu. Denn es reicht nicht, nur „regional ist erste Wahl“ zu tö- nen, man muss auch etwas dafür tun. Mit ihrer derzeitigen Politik des Zauderns, Wegschauens und Vertröstens set- zen sie mutwillig Existenzen aufs Spiel. Machen Sie eine gescheite Agrarpolitik, meine sehr ge- ehrten Damen und Herren von Rot-Grün, dann müssen Sie die Landwirte nicht zum zivilen Ungehorsam gegen sich selbst auffordern. Ihre ganze Politik zeigt doch, Sie wollen keinen mo- dernen, keinen ökologischeren oder unbedenklicheren Pflanzenschutz, Sie wollen überhaupt keinen. Was ist denn ein Zulassungsverfahren für Pflanzenschutzmittel mit vier beteiligten Behörden anderes als der Stopp von Neuzulassungen. Welche Firma wird sich denn dem rot- grünen Zulassungsmonster aussetzen und noch eine Zu- lassung in Deutschland beantragen? Die Bundesregierung ist auf dem besten Wege zum Exportweltmeister für In- novationen und Arbeitsplätze zu werden. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Neuorga- nisation des gesundheitlichen Verbraucherschutzes ist Ausdruck der Wissenschafts-, Fortschritts- und Technik- feindlichkeit von SPD und Grünen. Vier Behörden in Produktzulassungsverfahren, das heißt, vier mal werden Gebühren fällig. Da bedarf es schon der Naivität einer Frau Künast, um allen Ernstes zu behaupten, dass das nicht einmal mehr kostet. Die grüne Milchmädchenrechnung, viele Behörden gleich viel Verbraucherschutz, geht nicht auf. Nicht nur die Wirtschaft, gerade die Verbraucher werden die Rech- nung für die grünen Bürokratieexzesse zahlen müssen. Viel Bürokratie heißt zunächst einmal hohe Gebühren, aufgeblähte Verwaltungsverfahren, Kompetenzstreitigkei- ten und verzögerte Entscheidungen. Bürokratie ist innova- tionsfeindlich, kostet Steuergelder und wirkt preistreibend. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. April 200222922 (C) (D) (A) (B) Ein schlanker Staat, meine Damen und Herren von Rot-Grün, ist bereits eine Form von praktiziertem Ver- braucherschutz. Genau dafür setzt sich die FDP ein. Ein glaubwürdiger Verbraucherschutz setzt unabhän- gige Institutionen voraus. Aber was macht Frau Künast? Sie stuft die Behörde, welche diese Unabhängigkeit ver- körpern soll, die so genannte „wissenschaftliche Stelle“, zu einer Institution zweiter Klasse herab. Während das Umweltbundesamt entscheidet, darf die „wissenschaftli- che Stelle“ mitreden. Mit dem jetzigen Konzept wird das Umweltbundesamt für den Verbraucherschutz die domi- nierende Behörde. Auf diese Weise diskreditiert die Ministerin das Bun- desinstitut für Risikoforschung bereits, bevor dieses über- haupt seine Arbeit aufgenommen hat. Das künastsche Konzept bringt deshalb auch nicht mehr Verbraucher-, nicht mehr Umwelt- oder gar Gesundheitsschutz, es bringt vor allem mehr Bürokratie. Das Verbraucherinformationsgesetz weist die gleiche Richtung auf: mehr Bürokratie, unklare Zuständigkeiten, mehr Kosten für die Bürger. Die Grünen haben unter dem Deckmantel des Verbraucherschutzes ein riesiges ABM- Programm für Ärmelschonerträger angeschoben. Sagen Sie doch den Verbrauchern bitte auch einmal, dass der Verbraucherschutz künastscher Prägung die Bür- ger viel Geld kostet. Wer bezahlt denn die Gebühren, auf die Sie in ihrem Gesetzentwurf so nebulös verweisen? Es sind doch die Verbraucher. Anstatt auf ein sinnvolles Mit- einander von Staat, Wirtschaft und Verbrauchern zu set- zen, sind die Grünen immer noch einem antiquierten Obrigkeitsstaatsdenken verhaftet. Vielleicht darf ich Sie abschließend noch einmal daran erinnern: Die zentrale Forderung des „Von-Wedel-Gut- achtens“ lautete „mehr Verbraucherschutz“ und nicht „mehr Bürokratie“. Kersten Naumann (PDS):Gut gemeint ist nicht auch gut gemacht. Das gilt offensichtlich auch für den Entwurf des Verbraucherinformationsgesetzes. Nun wird er im Eilverfahren eingebracht. Vorher ist seine Erarbeitung im- mer wieder verzögert worden. Das hat dem Gesetz nicht gut getan. Besonders der nachgiebige Verzicht auf eine Informa- tionspflicht der Unternehmen mindert seinen Wert. Wer will, dass Verbraucher rational und selbstbestimmend Marktentscheidungen treffen können, muss Transparenz durch ein Optimum an Informationen schaffen. Das geht nicht, wenn die Unternehmen ausgeklammert werden. Vor allem: Wer staatliche Aufsicht und Regulierung zurücknimmt, darf die Informationsansprüche nicht auf behördliches Wissen beschränken. In diesem Zusammenhang sollte man sich die Doku- mentation der Verbraucherzentrale Bundesverband e. V. über das Auskunftsverhalten der Unternehmen anschauen. Ich frage mich und ich frage die Koalition: Warum ist diese Reduzierung vorgenommen worden? In Umsetzung des „von Wedel-Gutachtens“ wurden von der Bundesregierung Schritte zur Verbesserung der Organisationsstrukturen des gesundheitlichen Verbrau- cherschutzes eingeleitet. Das Bundesinstitut für Risiko- bewertung und das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit befinden sich im Aufbau. Die zü- gige Umsetzung begrüßen wir ausdrücklich. Grundsätzlich unterstützen wir die Trennung der Risi- kobewertung und -kommunikation vom Risikomanage- ment. Sie muss aber in allen Bereichen konsequent durch- gesetzt werden. Damit besteht die Möglichkeit, die Sicherheit und die Effizienz der Verfahren im gesundheit- lichen Verbraucherschutz zu erhöhen. Dabei sind unnötige Doppelarbeit und Reibungsflächen zwischen den Behörden im Interesse einer zügigen und sicheren Be- arbeitung von Vorgängen zu vermeiden. Was ich nicht verstehen kann, ist, dass im Zuge der Re- organisation des gesundheitlichen Verbraucherschutzes nach wie vor an alten Konzepten festgehalten wird. Ob- wohl alle Bereiche einer eingehenden Prüfung unterzogen werden, wird von Standortschließungen in der Bundes- forschungsanstalt für Viruskrankheiten der Tiere, konkret von Wusterhauen, gesprochen. Im Interesse einer effi- zienten Forschungsarbeit sollten die alten Pläne schnells- tens verschwinden und gemeinsam mit der Fachkom- petenz aus den Instituten selbst tragfähige Konzepte erarbeitet werden. Die Ministerin erklärte am 14. März den ursprünglich umfassenderen Entwurf für besser. Sie freute sich schon, „dass die Länder, in denen die PDS mitregiert, im Bun- desrat dafür Sorge tragen, dass möglichst schnell mög- lichst viel davon durchkommt.“ An der PDS wird es nicht scheitern. Darauf haben Sie mein Wort, Frau Künast. Wir werden im weiteren Verfahren folgende Forderun- gen bzw. Vorschläge einbringen: Erweiterung der Infor- mationspflicht – über Lebensmittel und Bedarfsgegen- stände hinaus – für alle Produkte, Auskunftspflicht gegenüber Unternehmen und Aufnahme der Sammelkla- gebefugnis für Verbraucherverbände. Matthias Berninger, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft: Bundesministerin Künast hat bereits in ihrer Regierungserklärung am 15. März die Gründe ge- nannt, warum ein Verbraucherinformationsgesetz in Deutschland mehr als überfällig ist. Es geht kurz gesagt um nicht mehr und nicht weniger, als den Verbraucherin- nen und Verbrauchern in Deutschland ein entscheidendes Stück mehr zu ihren Rechten zu verhelfen. Informationen sind eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass die Menschen ihr Leben eigenbestimmt führen und die Märkte aktiv beeinflussen können. Mit dem Ent- wurf des neuen Verbraucherinformationsgesetzes hat sich diese Tür ein Stück weit geöffnet. Das Gesetz wird end- lich den Verbrauchern ein selbstbestimmtes Verhalten als Marktteilnehmer erleichtern. Das ist auch zum Vorteil der Wirtschaft, denn es stärkt die ehrlichen, die guten, die zu- kunftsfähigen Unternehmen. Und es sichert dadurch Arbeitsplätze. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. April 2002 22923 (C) (D) (A) (B) Das Gesetz enthält zwei Kernelemente: erstens ein In- formationsrecht der Verbraucherinnen und Verbraucher gegenüber Behörden auf Bundes-, Landes- und Gemein- deebene und zweitens umgekehrt ein Recht der Behörden, die Öffentlichkeit schon ohne Vorliegen einer konkreten Gefahrensituation, aktiv und ausführlich über den Sach- verhalt aufzuklären. Beide Rechte sind zum Beispiel dann relevant, wenn in Lebensmitteln Zusätze gefunden wurden, von denen zwar keine akute Gesundheitsgefahr ausgeht, die aber uner- laubter Weise mitverarbeitet wurden oder wenn Schad- stoffe gefunden wurden, die die Grenzwerte fast erreichen oder für die – warum auch immer – keine Grenzwerte existieren. Das ist ein absolutes Novum. So etwas gibt es in Deutschland bisher noch nicht. Damit ist Schluss mit dem auferzwungenen behördlichen Schweigen in unserem Land. Nun können die Behörden Ross und Reiter nennen und keiner muss mehr herumspekulieren. Wie schnell kann eine ganze Branche in Verruf geraten, nur weil die Behörden keine konkreten Auskünfte über die schwarzen Schafe geben dürfen. Dem wollen wir vorbeugen und da- mit auch Vertrauen bei den Verbraucherinnen und Ver- brauchern schaffen. Wir fangen bei den Lebensmitteln und Bedarfsgegen- ständen an, weil es hier besonders dringlich ist. Denn hier kam es in der Vergangenheit wesentlich häufiger als an- derswo zu Risikosituationen und anschließenden In- formationsdefiziten. Das wollen wir abstellen. In einem späteren Schritt muss die Informationspflicht dann auf alle Produkte und Dienstleistungen ausgeweitet werden! Dazu werden uns die Erfahrungen, die wir mit diesem Verbraucherinformationsgesetz sammeln können, sehr nützlich sein. Die Durchsetzung der Verbraucherrechte wird grundsätzlich das Koordinatensystem des öffentlichen Bewusstseins verändern. Ja, mehr noch: Unser Ziel ist es, den europäischen Binnenmarkt zum dynamischsten über- haupt zu machen. Das geht nur mit den Verbrauchern. Deshalb mein Appell auch an Sie, verehrte Kollegin- nen und Kollegen: Unterstützen Sie uns dabei, den Ver- brauchern zu ihren Rechten zu verhelfen. Unterstützen Sie das Verbraucherinformationsgesetz! Nun zum Pflanzenschutz. Lassen Sie mich hier zunächst einmal zwei Dinge unmissverständlich klarstel- len. Erstens. Lebensmittel sind keine Arzneimittel. Des- halb haben Antibiotika in Lebensmitteln nichts zu suchen. Da lassen wir uns auf keine Kompromisse ein! Zweitens. Wir bekennen uns zum Agrarstandort Deutschland. Wesentlicher Teil davon ist ein nachhaltig wirtschaftender und wettbewerbsfähiger Obst- und Gemüsebau. Beides schließt sich keineswegs aus. Im Gegenteil: Beides gehört zusammen, denn nur gesunde Lebensmittel sind verkehrsfähig. Und nur verkehrsfähige Lebensmittel können überhaupt wettbewerbsfähig sein. Sie, meine Da- men und Herren, von der Opposition tun nun so, als ob unsere Pflanzenschutzpolitik den Standort Deutschland gefährden würde. Aber auch hier sage ich Ihnen: Das Ge- genteil ist der Fall. Wir betreiben eine verantwortungsbewusste, nachhal- tige und zukunftsorientierte Pflanzenschutzpolitik im In- teresse von Verbrauchern, Landwirten und unserer Um- welt. Denn im Gegensatz zur Vorgängerregierung packen wir die Probleme an. Man glaubt es kaum, aber die Richt- linie zum Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln in der EU, auf deren Grundlage wir seit letztem Jahr die In- dikationszulassung haben, existiert schon seit 1991. Ich frage Sie: Was ist eigentlich in all der Zeit bis 1998 pas- siert? Sieben Jahre hat sich die frühere Bundesregierung, der bekanntlich auch die FDP angehörte, darum gedrückt, et- was gegen die sich auftuenden Lücken zu tun. Schlimmer noch, Sie haben EG-Recht gebrochen, indem Sie die Richtlinie nicht fristgerecht bis 1993 umgesetzt haben. Erst nach einer Verurteilung durch den EuGH sind Sie ak- tiv geworden und haben 1998 das neue Pflanzenschutz- gesetz mit einer dreijährigen Übergangszeit verkündet. Anstatt schon 1991 die Probleme gemeinsam mit den Obst- und Gemüsebauern, mit der Wirtschaft und der For- schung anzugehen, haben Sie Verschleppungstaktik be- trieben. Das ist eine Verantwortungslosigkeit ohneglei- chen. Damit haben Sie unserer Landwirtschaft einen Bärendienst erwiesen. Erst nachdem wir 1998 die Sache in die Hand genom- men haben, tat sich etwas. Wir haben intensiv mit allen Akteuren Gespräche geführt, nach Lösungen gesucht und auch Lösungen gefunden. Und so sieht unsere Bilanz seit 1998 aus: Die Biologi- sche Bundesanstalt hat bisher für über 900 Anwendungs- gebiete Anträge erhalten. Die Pflanzenschutzmittelindus- trie stellte über 510 Anträge, die Länder über 370 und der Berufsstand, der mit am lautesten schreit und nur in Ein- zelfällen Geld verfügbar gemacht hat, gerade einmal vier. Inzwischen sind für über 530 Anwendungsgebiete Ge- nehmigungen erteilt worden. Am 1. Juli 2001 waren es noch unter 300. Das zeigt, was die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Biologischen Bundesanstalt leisten. Auch das sei an dieser Stelle einmal gesagt! Der Berufsstand hat uns im vergangenen Jahr eine Liste mit 125 dringlich zu schließenden Lücken im Obst- und Gemüsebau vorgelegt. Für die meisten dieser Lücken sind Lösungen bereits verfügbar oder es zeichnen sich kurzfristig Lösungen ab. Im Januar haben wir die Rückstands-Höchstmengen- verordnung zum sechsten Mal aktualisiert und der siebten Änderung, die die Grundlage für über 100 weitere Ge- nehmigungen für den Obst- und Gemüsebau schafft, wird der Bundesrat am 26. April zustimmen. Sie sehen, wir arbeiten mit Hochdruck. Doch wir kön- nen beim besten Willen die Versäumnisse unserer Vor- gänger nicht über Nacht ausbügeln. Deshalb sind wir auch bereit, in Notfällen Kompromisse einzugehen. Dazu gehört die Bekämpfung des Feuerbrands im Obstbau. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. April 200222924 (C) (D) (A) (B) Wir sehen, dass es derzeit zu Plantomycin keine Alter- nativen gibt. Auf der Grundlage eines Beschlusses der Agrarministerkonferenz prüft die Biologische Bundesan- stalt, ob bei einem akuten Feuerbrandrisiko unter strengen Auflagen Plantomycin zeitlich und räumlich begrenzt an- gewandt werden kann. Gleichzeitig arbeiten wir gemein- sam mit allen Akteuren intensiv an Alternativen zum An- tibiotikaeinsatz bei Feuerbrand. Dabei ziehen wir mit Österreich und der Schweiz an einem Strang. Es geht hier aber nicht nur um Einzelmaßnahmen. Wir werden unsere gesamte Pflanzenschutzpolitik weiter mo- dernisieren, im Sinne von mehr Nachhaltigkeit. Dazu wird Ende Mai ein Workshop stattfinden, bei dem wir wie- derum gemeinsam mit allen Akteuren Leitlinien zur zukünftigen Pflanzenschutzpolitik entwickeln wollen. Das wird ein elementarer Mosaikstein der neuen Agrarpolitik sein. Auf EU-Ebene drängen wir darauf, die Überprüfung der so genannten Altwirkstoffe möglichst schnell abzu- schließen. Das ist der eigentliche Grund für die Wettbe- werbsverzerrungen innerhalb der EU. Wir haben daher bereits im November 2000 in einem Memorandum einen Pflanzenschutz-Workshop zur Fort- entwicklung des EG-Pflanzenschutzrechtes gefordert. Die- ser Workshop wird nun endlich im Juli dieses Jahres in Griechenland stattfinden. Dann werden wir hoffentlich bald eine Lösung finden, die EU-weit den Interessen aller Verbraucherinnen und Verbraucher und auch aller Obst- und Gemüsebauern gerecht wird. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zurBeratung des Entwurfs eines Gesetzes zurÄn- derung des Berufsbildungsgesetzes und des Ar- beitsgerichtsgesetzes (Tagesordnungspunkt 10) Willi Brase (SPD):Ausgangspunkt für den vorliegen- den Gesetzesentwurf zur Änderung des Berufsbildungs- gesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes ist die Reform der Betriebsverfassung und somit die erweiterte Mit- bestimmung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in den Betrieben gewesen. Mit den vorliegenden Änderungen sollen junge Men- schen in außerbetrieblichen Ausbildungseinrichtungen, die sonst nicht von betrieblicher Mitwirkung und Mit- bestimmung erfasst sind, ebenfalls die Chance erhalten, bei der Durchführung ihrer Ausbildung gemeinsam mit der außerbetrieblichen Berufsbildungseinrichtung die In- halte und den Ablauf zu gestalten. Immer wieder wird in wissenschaftlichen Studien, in po- litischen Analysen und bei Jugendkongressen die Notwen- digkeit gesellschaftlicher Mitwirkung der jungen Leute ge- fordert. Mit dem hier vorliegenden Gesetzesentwurf wollen wir auch den jungen Menschen, die in öffentlich geförder- ten Ausbildungseinrichtungen eine qualifizierte Ausbildung absolvieren, Beteiligung, Verantwortungsübernahme und Teilhabe ermöglichen. Dieses ist wichtig, damit sie ihre Ausbildungszeit nicht als Auszubildende zweiter Klasse ohne direkte Mitwir- kungsmöglichkeit durchlaufen. Die Erfahrungen in der beruflichen Ausbildung, in den Betrieben und der Ver- waltung, zeigen deutlich, dass durch die Jugend- und Auszubildendenvertretungen die Inhalte und Abläufe so- wie letztendlich das Qualifikationsniveau vorangetrieben werden. Dieses muss auch für die circa 130 000 jungen Menschen in unserem Land, die in öffentlich geförderten Ausbildungseinrichtungen ihren Berufsabschluss erlan- gen wollen, möglich sein. Durch die Einführung einer Regelung zur Interessen- vertretung im Berufsbildungsgesetz, die sich natürlich in ihren Möglichkeiten und Aufgabenbereichen an den Be- stimmungen für Jugend- und Auszubildendenvertretun- gen orientiert, wird die Beteiligungsmöglichkeit von Aus- zubildenden in sonstigen Berufsbildungseinrichtungen im Sinne des § 1 Abs. 5 des Berufsbildungsgesetzes gesetz- lich verankert. Mit einer Verordnungsermächtigung wird die Möglichkeit gegeben, die nähere Ausgestaltung der Interessenvertretung zu regeln. Der Internationale Bund als freier Träger der Jugend-, Sozial- und Bildungsarbeit hat in seiner Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Berufsbil- dungsgesetzes und weiterer Gesetze ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die geplanten Ergänzungen zur Schaf- fung von Interessenvertretungen notwendig und richtig sind. Nach Auffassung des IBs sind Jugendliche damit im beruflichen Alltag in der Lage, elementare Grundlagen der Wahrnehmung eigener Interessen und die Organisation ent- sprechender Arbeitsschritte zu lernen. Dabei ist besonders bedeutsam, dass die Zielgruppe, deren Interessenvertretung Gegenstand dieser Gesetzesänderung ist, in der Regel einen großen Nachholbedarf hat, weil sie in ihrer Schulzeit ent- sprechende Erfahrungen kaum machen konnte. Auch die Bundesarbeitsgemeinschaft Jugendsozial- arbeit, kurz BAG JAW, weist auf die Bedeutung der For- derung nach Partizipation der jungen Erwachsenen in ihren eigenen Belangen als eine der zentralen Forderun- gen heutiger Jugendpolitik hin. Beide Arbeitsgemein- schaften stellen deutlich heraus, dass mit der Tätigkeit in einer Interessenvertretung Selbstbewusstsein und Moti- vation der jungen Menschen gestärkt werden. Dieses ver- bessere ihre Chancen auf ein erfolgreiches Absolvieren der Ausbildung. Auf die jungen Gewerkschafterinnen und Gewerk- schafter der im DGB zusammengeschlossenen Gewerk- schaften haben für diesen Personenkreis eine entspre- chende Mitwirkungs- und Beteiligungsregelung gefordert. Dabei wollte die Gewerkschaftsjugend eine 100-prozen- tige Übertragung der Mitbestimmungsregelungen analog zum Betriebsverfassungsgesetz für die zu wählende Inte- ressenvertretung. Dieses ist aus rechtlichen und system- immanenten Gründen nicht möglich. Deshalb bleibt es in Streitfällen beim Letztentscheidungsrecht der Berufsbil- dungseinrichtung, allerdings muss sie ihre Entscheidung nochmals schriftlich gegenüber der Interessenvertretung darlegen. Sollten Vereinbarungen zwischen Berufsbil- dungseinrichtung und Interessenvertretung dem einzelnen Auszubildenden Rechte einräumen, so haben wir ebenfalls Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. April 2002 22925 (C) (D) (A) (B) ein unmittelbares und zwingendes Individualrecht einge- führt. Mit diesen Vorschlägen und der Gesetzesreform wollen wir die Laborsituation dieser jungen Menschen in den öf- fentlich geführten Ausbildungseinrichtungen ein Stück weit verändern, um sie noch mehr an die Realitäten einer betrieblichen Ausbildung heranzuführen. Für die SPD- Fraktion ist mit dieser Gesetzesergänzung – und der dann zu verabschiedenden Verwaltungsvereinbarung – die Mit- bestimmung und Teilhabe junger Menschen auf den rich- tigen Weg gebracht. Der Forderung, Jugendliche als ei- genständige Beteiligte im Gemeinwesen zu sehen, sind wir wieder ein Stück näher gekommen. Man kann sich nicht in Sonntagsreden über Demokratie, Teilhabe, Pflichten und Rechte auslassen und diese fordern, wenn man gleichzei- tig nicht bereit ist, in konkreten Gesetzgebungsinitiativen die Bedingungen für die jungen Menschen zu verbessern. Wir freuen uns, dass wir wieder ein weiteres Stück Ge- rechtigkeit, Chancenwahrnehmung und Teilhabe ermög- licht haben. Dr.-Ing. Rainer Jork (CDU/CSU): Der zur Debatte stehende Gesetzentwurf verfolgt das Ziel, für Lehrlinge in einer „die praktische Berufsausbildung nachahmenden Ausbildungseinrichtung eine befriedigende rechtliche Absicherung von Beteiligungsmöglichkeiten“ zu schaf- fen. Lehrlinge, die sich nicht in einem betrieblichen Aus- bildungsverhältnis befinden und durch einen Betriebsrat bzw. Jugend- und Auszubildendenvertretung repräsentiert werden, sollen eine „besondere Interessenvertretung“ er- halten. Wenn eine neue gesetzliche Regelung zu diesem Be- treff vorgelegt wird, drängen sich mir folgende Fragen auf: Wer soll denn wem gegenüber welche Interessen ver- treten? Ist das Gesetz für die Betroffenen tatsächlich hilf- reich? Wo und unter welchen Bedingungen wirkt das Ge- setz? – Hier sehe ich den Schwerpunkt: Wie kann für die Einhaltung des Gesetzes gesorgt werden, wenn es tatsäch- lich sinnvoll ist? Welche Kosten kommen auf Betriebe bzw. auf Bund und Steuerzahler zu? Dazu einige sicher unvollständige Aussagen. Zunächst möchte ich grundsätzlich feststellen, dass in unserer demokratischen Gesellschaft Interessenvertre- tungen nicht nur sinnvoll, sondern unverzichtbar sind. Wenn unterschiedliche Interessen aufeinander treffen, müssen diese zum Ausgleich gebracht werden. Während das für Studenten längst selbstverständlich ist – schließ- lich haben diese in der Regel staatlich finanzierte Ein- richtungen als Partner –, kümmert sich bei Lehrlingen kaum jemand um vergleichbare Konditionen. Lehrlinge – vor allem in den neuen Bundesländern – haben weder eine mit einem Studienplatz vergleichbare Sicherheit, was den gewünschten Lernort angeht, noch solch stabile Part- ner wie Hochschulen und Universitäten. Dafür wird aber allgemein vorausgesetzt, dass die Lehre zur vollen Be- rufsfähigkeit und einem Arbeitsplatz führen soll. Interessant ist im Ergebnis der zum Gesetzentwurf durchgeführten Anhörung, dass ihn lediglich die Gewerk- schaftsvertreter für nützlich halten; ansonsten wird auf die bereits existierenden Möglichkeiten der Interessenvertre- tung hingewiesen und das Gesetz für überflüssig gehalten. Wo und für wen besitzt das Gesetz also eigentlich Rele- vanz? Wo gibt es eigentlich die außerbetriebliche Ausbil- dung in nennenswerter Größenordnung? Dankenswerter- weise antwortete mir die Bundesregierung auf meine entsprechende Anfrage im Februar dieses Jahres: Danach betrug der Anteil der außerbetrieblich ausge- bildeten Jugendlichen in den neuen Ländern ein- schließlich Berlin zwischen 18,7 Prozent in Berlin und 30,6 Prozent in Brandenburg, im Durchschnitt lag er bei rund 25 Prozent. In den alten Ländern lag der An- teil der Auszubildenden, die außerbetrieblich ausge- bildet wurden, zwischen 2,4 in Bayern und 8,6 Pro- zent in Bremen, im Durchschnitt bei rund 4 Prozent. Auch, um der Schönfärberei in der Kanzlerecke heute Morgen konkrete Aussagen gegenüberzustellen, hier genau dazu Angaben zu einigen Bundesländern: Baden-Württem- berg 3,9 Prozent, Brandenburg 30,6 Prozent, Bayern 2,4 Prozent und Mecklenburg-Vorpommern 25,5 Prozent. Im Durchschnitt gibt es also in den neuen Bundesländern sechsmal so viele außerbetriebliche Lehrstellen wie in den alten Bundesländern. Ist das Gesetz damit etwa besonders hilfreich für die neuen Bundesländer? Dürfen wir dankbar sein, dass hier endlich etwas Wesentliches auf den Weg ge- bracht werden soll? – Natürlich geht es hier nicht um die Schaffung zusätzlicher Lehrstellen. Aber sehen wir uns doch die aktuellen Arbeitslosen- zahlen für Jugendliche unter 25 Jahren an – Stand März 2002 –: Baden-Württemberg 5,5 Prozent, Brandenburg 17,1 Prozent, Bayern 6,8 Prozent, Mecklenburg-Vorpom- mern 16,3 Prozent und – weil es heute Vormittag so oft ge- nannt wurde – Sachsen-Anhalt 17, 5 Prozent bzw. Bun- desgebiet West 8,4 Prozent und Bundesgebiet Ost 16,6 Prozent. Das ist auch ein Ausdruck aktueller Famili- enpolitik. Natürlich gibt es zwischen den beiden Zahlengruppen – einerseits Jugendarbeitslosigkeit und andererseits Anteil außerbetriebliche Lehrstellen in den Bundesländern – einen ursächlichen Zusammenhang; denn die „außerbe- trieblichen Ausbildungseinrichtungen als reine Bildungs- träger“ konnten „den Fachkräften keine Übernahmeange- bote“ machen. Ich stelle also noch einmal fest: In den neuen Bundes- ländern haben wir gegenüber den alten Bundesländern eine doppelt so hohe Jugendarbeitslosigkeit und den sechsfachen Anteil an außerbetrieblichen Lehrstellen. Da- mit zielt der Gesetzentwurf klar zuerst auf die neuen Bun- desländer. Die beste Interessenvertretung für Lehrlinge in den neuen Bundesländern wäre dann gegeben, wenn die Ju- gendlichen eine Stelle in der dualen betrieblichen Ausbil- dung fänden und damit eine reale Chance für einen späte- ren Arbeitsplatz hätten. Es ist im Übrigen absurd, aus dem Mangel an betrieb- lichen Lehrstellen in den neuen Bundesländern einen „Zerfall des dualen Systems“ abzuleiten, wie ihn die Grü- nen immer wieder verkünden: Ein solcher Fatalismus ver- hindert zwangsläufig das Nachdenken über Problemlö- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. April 200222926 (C) (D) (A) (B) sungsstrategien zur Sicherung von Nachwuchs und Lehrstellen und nützt den betroffenen Jugendlichen nicht im Geringsten. Es muss uns allesamt extrem beunruhigen, wenn in Ge- samtdeutschland die Anzahl betrieblicher Lehrstellen stark zurückgeht, die Anzahl vermittelter Bewerber im- mer mehr abnimmt und wir bereits circa 500 000 arbeits- lose Jugendliche zählen müssen. Hier kann man dem Hauptpartner im Spiel, der mittelständischen Wirtschaft, nur so lange die gelbe Karte zeigen, wie sie überhaupt noch auf dem Spielfeld dabei ist. In den neuen Bundes- ländern haben wir jedoch längst die dreifache Insolvenz- rate gegenüber den alten Bundesländern. Immer mehr Spieler verlassen k. o. das Spielfeld. Das vorgeschlagene Gesetz ist fürwahr ein seltsames Geschenk für die vielen ostdeutschen Jugendlichen, die keine betriebliche Lehrstelle bekommen. Sicher wollen diese auch Mitbestimmung und Interessenwahrnehmung, doch bitte im Betrieb und unter realen Arbeitsbedingun- gen! Der vorgelegte Gesetzentwurf ist jedenfalls für die primär Betroffenen ohne jeden positiven Effekt. Sie, ver- ehrte Kolleginnen und Kollegen von der Regierungsko- alition, bieten hier einen Trockenschwimmerkurs in Sa- chen Demokratie für Nichtschwimmer an. Es müssen jedoch mit geeigneten Partnern und durch eine vernünf- tige Wirtschaftspolitik für Ostdeutschland Hochleistungs- schwimmer ausgebildet werden! Ich wiederhole: Eine sinnvolle Interessenvertretung für Lehrlinge in den neuen Bundesländern ist nur in be- trieblichen Lehrstellen im dualen System möglich. Schließlich setzt eine seriöse Interessenvertretung auch eine Identifikation der Lehrlinge mit dem Betrieb, der Ausbildungseinrichtung, voraus. Der erstrebte Effekt des Gesetzes, nämlich dass Lehrlinge in der außerbetriebli- chen Ausbildung durch ihre Mitwirkung frühzeitig demo- kratische Willensbildung „lernen“, wird durch die zu er- wartenden Schwierigkeiten konterkariert. Verantwortung im Sinne eines Demokratieverständnisses zu übernehmen lässt sich nur dort erlernen, wo es die Interessenlage ge- bietet, mit dieser Verantwortung sorgfältig umzugehen. Eine echte demokratische Mitwirkung ist nur da möglich, wo es eine Basis dafür gibt. Durch die mangelnde be- triebliche Integration der Lehrlinge ist diese hier nicht ge- geben. Bei der Umsetzung der vorgesehenen Mitwirkungs- rechte wird es zu gravierenden Problemen kommen, zum Beispiel zu einer Spaltung der Jugendlichen bei verschie- denen Interessen. Selbst wenn Sach- und Verwaltungs- kosten vom Bund übernommen werden, werden die be- trieblichen Abläufe zusätzlich verzögert, wird der Verwaltungsaufwand unnötig erschwert. Gerade für die neuen Länder kann dies doch niemand wirklich wollen. Eine wirkliche Interessenvertretung ist nur unter le- bens- und praxisnahen Arbeits- und Lernbedingungen möglich. Die CDU/CSU-Fraktion hat zum Beispiel mit ihrem Antrag 14/5753 „Soziale Partnerschaft stärken – Betriebsverfassungsgesetz zukunftsträchtig modernisie- ren“ die für die betriebliche und Berufspraxis unverzicht- baren Zusammenhänge hergestellt, bei denen auch die Ju- gendlichen in außerbetrieblichen Ausbildungsstätten berücksichtigt werden, aber eben nur „auch“. Ich fasse zusammen. Erstens. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf ist einer praxisnahen Interessenvertretung nicht gedient; er ist für die Betroffenen kaum hilfreich, geht an der eigentlichen Problemlage vorbei. Eine be- triebliche Interessenvertretung kann außerbetriebliche nicht oder nur unzureichend trainiert bzw. simuliert wer- den. Zweitens. Die politische Flickschusterei in Sachen Lehrstellen wird fortgesetzt. Vor der Bundestagswahl 1998 hat die damalige Oppo- sition allerdings völlig neue Schuhe versprochen. Es wurde die Illusion genährt, mit Rot-Grün käme es zu einer völlig neuen, konstruktiven Politik im Sinne der Jugend und der nächsten Generationen. Ich erinnere mich noch recht gut an die scharfen Reden der damaligen Sprecherin der SPD-Fraktion. Jetzt, ein halbes Jahr vor der nächsten Bundestagswahl, ist festzustellen: Die in Aussicht gestellten Ansätze für eine ganzheitliche Problemlösungspolitik sind nicht zu erkennen. Eine verantwortungsvolle Berufsbildungspoli- tik muss jedoch gerade heute und vor allem in den neuen Bundesländern mehr sein als einseitige Lobbypolitik, mehr als der Absatz eines geflickten Schuhs, auf dem man sich beliebig dreht. Berufsbildungspolitik ist zuerst Wirt- schaftspolitik und nicht zuerst Lobby- oder Sozialpolitik! Zur nötigen und längst fälligen Integration der Berufsbil- dungspolitik in eine vernünftige Bildungs-, Wirtschafts- und Sozialpolitik ist die Schröder-Regierung jedoch of- fensichtlich nicht in der Lage. Schlimm für die Jugendli- chen, vor allem in den neuen Bundesländern! Christian Simmert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Am 22. Juni letzten Jahres haben sich die rot-grünen Koa- litionsfraktionen darauf verständigt, für Jugendliche in der außerbetrieblichen Ausbildung eine eigenständige In- teressenvertretung gesetzlich zu verankern. Wir haben dies im Entschließungsantrag zur Reform des Betriebs- verfassungsgesetzes formuliert und setzen es jetzt um. Diese Regelung ist notwendig, da junge Menschen ohne betrieblichen Ausbildungsplatz, in einer außerbetriebli- chen Lehre auch ein Recht auf demokratische Mitbestim- mung haben müssen. Ohne betriebliche Lehrstelle dazu- stehen ist schon bitter genug. Dann aber die Erfahrung zu machen, die eigenen Interessen nicht vertreten zu können, ist in so einer Situation nicht motivationsfördernd. Bisher sind diese jungen Menschen aus dem Mitbestimmungs- rahmen des Betriebsverfassungsgesetzes herausgefallen. Diese grobe Ungleichbehandlung in der Mitbestimmung werden wir nun wesentlich verbessern. Gerade Jugendliche reagieren zu Recht sehr sensibel auf Ungleichbehandlung. Mit dem vorliegenden Entwurf regeln wir die Ausgestaltung der Interessenvertretung von Jugendlichen nun möglichst eng entlang des Betriebsver- fassungsgesetzes. Besonders die Vorschriften über das Wahlverfahren, aber auch wesentliche Teile des Aufga- benkatalogs und der Zugang der vertretenen Gewerk- schaften sind in der Rechtsverordnung ans Betriebsver- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. April 2002 22927 (C) (D) (A) (B) fassungsgesetz angelehnt. So wird es in Zukunft mehr Mitbestimmung für junge Auszubildende geben. Natürlich können wir die Rechte von Jugendausbil- dungsvertretungen nicht eins zu eins auf Interessenvertre- tungen in der außerbetrieblichen Ausbildung übersetzen. Ein entscheidender struktureller Unterschied zur JAV im Betrieb ergibt sich dadurch, dass Auszubildende in außer- betrieblichen Ausbildungsstätten keine Arbeitnehmerin- nen oder Arbeitnehmer dieser Einrichtung sind. Der di- rekte Ansprechpartner kann also nicht der Betriebsrat sein, sondern ist aus unserer Sicht die Berufsbildungsein- richtung selbst. Wir sind der Auffassung, dass Mitbestimmung und In- teressenvertretung nicht nur wichtige Rechte sind. Son- dern sie stärken auch das Vertrauen junger Menschen in die Demokratie insgesamt. Wir nehmen junge Menschen ernst und stärken ihre Rechte: Die Interessenvertretung wird in Zukunft direkt mit der Berufsbildungseinrichtung verhandeln können. Wir achten aber auch auf Ausgewo- genheit: Die Mitbestimmungsrechte von Betriebsräten werden nicht beeinträchtigt und in strittigen Fragen bleibt es bei einem Letztentscheidungsrecht der Berufsbil- dungseinrichtung. Wir räumen der Interessenvertretung hier jedoch ge- zielt Beteiligungsrechte ein, die über die Rechte von Schülervertretungen hinaus gehen. Die jungen Auszubil- denden sollen als Partner auch in der außerbetrieblichen Ausbildung ernst genommen werden. Dies ist für uns aus zwei Gründen wichtig: Zum einen stärken wir dadurch demokratische Beteiligungsmöglichkeiten von Jugendli- chen. Junge Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer lernen so, sich für ihre Belange einzusetzen, und werden in der Ausbildung ernster genommen. Auch hier gilt: Wer die Zivilgesellschaft stärken will, muss auch junge Menschen in ihrem unmittelbaren Lebensumfeld stärken. Zum ande- ren erwarten wir ein besseres Qualitätsmanagement durch die Mitwirkung der Jugendvertreterinnen und -vertreter. Wer, wenn nicht die Auszubildenden selbst, kann Mängel in der Ausbildung erkennen, konkret benennen und mit- helfen, sie zu beseitigen? Zur Stärkung der Demokratie und der Qualität der außerbetrieblichen Ausbildung brauchen wir die Interes- senvertretung in außerbetrieblichen Einrichtungen. Des- halb freue ich mich über eine möglichst breite Zustim- mung zur Novelle des Berufsbildungsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes. Ernst Burgbacher (FDP):Die FDP hat im vergange- nen Jahr die Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes aus guten Gründen abgelehnt. Wir halten auch den jetzt unter Berufung auf diesen Bundestagsbeschluss von den Koalitionsfraktionen vorgelegten Gesetzentwurf zur Än- derung des Berufsbildungsgesetzes und des Arbeitsge- richtsgesetzes für unnötig. Die FDP sieht hierfür keinerlei Notwendigkeit. Die vorgeschlagene Regelung würde zu noch mehr Bürokratie und höheren Kosten führen, aber den Jugendlichen keine Verbesserung ihrer Ausbildungs- chancen bringen. Darauf kommt es aus unserer Sicht an. Es fehlt in diesen außerbetrieblichen Einrichtungen die betriebliche Anbindung. Der Auszubildende verlässt nach Beendigung der Ausbildung die Einrichtung. Deshalb ge- hen die vorgeschlagenen Regelungen an der Praxis vor- bei. Die FDPhat im vergangenen Jahr einen eigenen Antrag vorgelegt „Mit einem individuellen Ausbildungspass durchs Leben – für ein liberales, duales und modulares Berufsausbildungssystem in Deutschland“, das von der rot-grünen Mehrheit dieses Hauses leider, aber nicht über- raschend abgelehnt worden ist. Strukturveränderungen in den Unternehmen, die Ver- kürzung von Innovationszyklen von Produkten und Leis- tungen, der schnelle Wandel zur Dienstleistungsgesell- schaft und die Veränderung von Arbeitsinhalten führen zu neuen Anforderungen an die Beschäftigten. Die Arbeits- organisation in den Betrieben verändert sich von einer be- rufsbezogenen und funktionalen Arbeitsteilung hin zu ei- nem prozessorientierten kooperativen Arbeiten. Spezielle fachliche Kenntnisse und Fertigkeiten werden nur für eine kurze Phase der Lebensarbeitszeit des Einzelnen benötigt. Grundlegende fachübergreifende Kenntnisse und Fertig- keiten sowie eine generelle Disposition der Beschäftigten werden immer stärker gefordert. Diese sich dynamisch verändernden Qualifikationsanforderungen in Wirtschaft und Verwaltung bringen neue Wege hin zu einer moder- nen Beruflichkeit hervor. Daher ist die enge Partnerschaft von Wirtschaft und Staat, von Betrieb und Schule ein sicheres Fundament für die Ausbildung einer vollen Berufsfähigkeit. Sie ist das Spiegelbild des Qualifikationsbedarfs der Unternehmen, ermöglicht ein Lernen in der Arbeitswelt, bietet beste Chancen für den direkten Übergang in den Beruf, sichert ein breites Spektrum bei der individuellen Ausbildungs- wahl, bildet die Grundlage für eine aufbauende Weiterbil- dung und stärkt die Selbstverantwortung der Wirtschaft. Aus Sicht der FDP ist es grundsätzlich notwendig, das Verhältnis von Staat und Wirtschaft neu zu definieren. Die Verantwortung der Wirtschaft, ihren eigenen Fachkräf- tenachwuchs primär auch selbst auszubilden, darf nicht durch staatlich dirigistische Maßnahmen konterkariert werden. Berufsausbildung ist die zentrale Zukunftsinves- tition der Wirtschaft, die staatlicher Begleitung bedarf. Von der Politik verstärkt geförderte außerbetriebliche Ausbildungsgänge führen in eine Sackgasse, denn diese Absolventen haben schlechte Übernahmeperspektiven auf dem ersten Arbeitsmarkt. Heute absolvieren rund zwei Drittel aller Jugendlichen eine Ausbildung im dualen System. Die statische Fest- schreibung der Berufsprofile birgt allerdings Gefahren in sich. Sie äußern sich unter anderem in einer ständig sin- kenden Ausbildungsbereitschaft der Wirtschaft und in der Abnahme der Zahl jener Unternehmen, die im eigenen Betrieb das volle Berufsbild vermitteln können. Es ist eine Tendenz zu erkennen, wonach immer weniger Ausbil- dungsbetriebe Übernahmeangebote nach Abschluss der Ausbildung unterbreiten, was zu einer Arbeitslosigkeit nach Abschluss der Lehre führt. SPD und Grüne gehen mit ihrem Gesetzentwurf zur Änderung des Berufsbildungsgesetzes den falschen Weg. Dies haben auch die Stellungnahmen der Vertreter der Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. April 200222928 (C) (D) (A) (B) Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, des Deutschen Industrie- und Handelskammertags und des Hauptverbands des Deutschen Einzelhandels in der An- hörung des Ausschusses deutlich gezeigt. Die FDP lehnt den rot-grünen Gesetzentwurf ab. Es besteht hierfür kein Bedarf. Maritta Böttcher (PDS): Wenn es um direkte Mit- spracherechte geht, haben Sie die PDS immer an ihrer Seite. Obwohl wir uns die vorgeschlagene Regelung noch durchgreifender vorstellen können, unterstützen wir den Gesetzentwurf. Zu drei kritischen Aspekten: Erstens. Art und Umfang der Mitwirkung sind in der Verordnung quasi versteckt. Die Chance, es im Art. 1 des Gesetzes genauer zu bestimmen, wurde vertan. Zweitens. Die Verordnung räumt den betroffenen Ju- gendlichen im Grunde nur Mitwirkungsrechte ein, während die vom Betriebsverfassungsgesetz erfassten Ju- gendlichen über den Betriebsrat Mitbestimmungsrechte haben. Und selbst diese Mitwirkung ist nach § 7 Abs. 3 der Verordnung nicht für alle Situationen sichergestellt. Drittens. Es fehlt in der Verordnung jegliche Regelung über die Zusammenarbeit der gewählten Interessenver- tretung der Auszubildenden und der jeweiligen Bildungs- einrichtung mit den Gewerkschaften. Insgesamt bleiben damit Gesetzentwurf und Verord- nung hinter der Vorgabe des Bundestages vom 22. Juni 2001 zurück. Die Interessenvertretung der Auszubilden- den in den außerbetrieblichen Einrichtungen muss sich an den Möglichkeiten und Aufgabenbereichen der Jugend- und Auszubildendenvertretung in den Betrieben orientie- ren. Dies ist nicht erreicht. Mit unserer Zustimmung machen wir aber auch ganz bewusst deutlich, wo die Linie verläuft zwischen denen, die grundsätzlich für ein Mitspracherecht sind, und denen, die gegen ein Mitspracherecht von circa 130 000 Jugend- lichen in außerbetrieblichen Ausbildungseinrichtungen sind. Es ist doch bezeichnend: Die Arbeitgeberverbände be- fürchten Effizienzverluste in der Ausbildung, wenn diese Regelung in Kraft tritt. CDU/CSU und vor allem die FDP machen sich diese Sicht zu Eigen. Ich sehe das ganz anders: Wenn es um demokratische Rechte geht, darf es nicht zuerst um die Frage ihrer öko- nomischen, auch nicht bildungsökonomischen, Effizienz gehen. Jugendliche müssen Demokratie aktiv leben kön- nen. Mehr Mitsprache führt zu größerer Identifikation mit den Aufgaben und Zielen der Ausbildung. Das wiederum ist doch eine wesentliche Voraussetzung für Leistungsbe- reitschaft und gute Ergebnisse in der Ausbildung. Also: Eine Zustimmung zum Gesetzentwurf ist durch- aus auch im Sinne der Arbeitgeber. Nur so bekommen sie einen interessierten und engagierten Facharbeiternach- wuchs, oder wollen sie politisch desinteressierte „Fachi- dioten“? Im Übrigen veranlasst mich der vielversprechende Ti- tel des Gesetzentwurfs zu einer abschließenden Bemer- kung: Es ist dringend an der Zeit, dass die Bundesregie- rung unter einer solchen Überschrift wie „Gesetz zur Änderung des Berufsbildungsgesetzes“ endlich die not- wendigen grundlegenden strukturellen Veränderungen der beruflichen Ausbildung in Deutschland anpackt. Wir brauchen endlich ein quantitativ ausreichendes, auswahl- fähiges und qualitativ hochwertiges Ausbildungsangebot! Wolf-Michael Catenhusen, Parlamentarischer Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Wir beraten heute abschließend über den Gesetzentwurf, der eine Interessenvertretung für Auszu- bildende in außerbetrieblichen Ausbildungsstätten ein- richtet. Lassen Sie mich zunächst kurz in Erinnerung rufen, vor welchem Hintergrund der Deutsche Bundestag im Juni letzten Jahres eine entsprechende Entschließung verabschiedet hat: Im Gegensatz zu betrieblichen Auszu- bildenden sind Auszubildende in außerbetrieblichen Aus- bildungsstätten keine Arbeitnehmer im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes. Dies hat zwangsläufig zur Folge – so sieht es auch das Bundesarbeitsgericht –, dass sie zur Jugend- und Auszubildendenvertretung und zum Betriebsrat nicht wahlberechtigt sind. Faktisch bedeutet das, dass bisher über 125 000 Auszubildende – vornehm- lich in den neuen Bundesländern – keine rechtliche Mög- lichkeit hatten, sich zu organisieren und ihre Belange kol- lektiv vertreten zu können. Der Ihnen vorliegende Gesetzentwurf beendet diesen Missstand. Angelehnt an die Vorschriften des Betriebsverfas- sungsgesetzes erhalten Auszubildende in außerbetriebli- chen Ausbildungsstätten jetzt ein Wahlrecht zu einer In- teressenvertretung, wenn in dieser Bildungseinrichtung mindestens fünf Auszubildende beschäftigt werden. Be- gleitet wird diese Änderung des Berufsbildungsgesetzes durch eine Anpassung des Arbeitsgerichtsgesetzes, durch die die besondere Zuständigkeit der Arbeitsgerichte auch für Angelegenheiten der Interessenvertretung begründet wird. Nach dem vorliegenden Gesetzentwurf wird das Bundesministerium für Bildung und Forschung ermäch- tig, im Einzelnen die Fragen zu regeln, auf die sich die Be- teiligung der Interessenvertretung erstreckt. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung beabsichtigt, von dieser Verordnungsermächtigung zügig Gebrauch zu machen, so dass bereits im Hebst diesen Jah- res die ersten Wahlen zur Interessenvertretung auf neuer Rechtsgrundlage stattfinden können. Lassen Sie mich kurz auf einige Punkte dieser Verordnung eingehen: All- gemeine Aufgaben der Interessenvertretung sollen sein: Das Antragsrecht für Maßnahmen, die den außerbetrieb- lichen Auszubildenden dienen, insbesondere in Fragen der Berufsausbildung, die Überwachung der Einhaltung von Gesetzen, Verordnungen, Unfallverhütungsvorschrif- ten sowie die Verfolgung von Maßnahmen zur Durchset- zung der tatsächlichen Gleichstellung der außerbetriebli- chen männlichen und weiblichen Auszubildenden sowie der Integration ausländischer Auszubildender. Hierfür werden der Interessenvertretung in folgenden Angelegenheiten Rechte der Beteiligung durch die Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. April 2002 22929 (C) (D) (A) (B) Berufsbildungseinrichtung eingeräumt: Fragen der Ord- nung im Arbeitsbereich der Berufsbildungseinrichtung, Einführung und Anwendung von Fragebögen und Beur- teilungsgrundsätzen, soweit sie sich auf die außerbetrieb- lichen Auszubildenden selbst beziehen, Regelungen über die Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankhei- ten, Gestaltung von Ausbildungsplätzen, Arbeitsablauf und Arbeitsumgebung, Mitgestaltung sozialer Aktivitä- ten, Zuweisung und Kündigung von Wohräumen, soweit sie den Auszubildnden vermietet werden, Fragen des Ver- haltens der außerbetrieblichen Auszubildenden in der Be- rufsbildungseinrichtung, Aufstellung allgemeiner Ur- laubsgrundsätze und eines Urlaubsplanes sowie Fragen der Verpflegung. Dem Konfliktmanagement dienen sowohl die Einrich- tungen einer Vermittlungsstelle als auch die Möglichkeit, der Interessenvertretung eine Vertrauensperson an die Seite zu stellen. Die in der Berufsbildungseinrichtung ver- tretenden Gewerkschaften erhalten ähnliche Rechte wie im Betriebsverfassungsgesetz. Selbstverständlich sieht die Verordnung auch ein Benachteiligungs- und Bevortei- lungsverbot hinsichtlich der Mandatsträger der Interes- senvertretung vor. Ebenfalls in der Verordnung wird das Wahlverfahren geregelt sein, durch das insbesondere si- chergestellt wird, dass das Geschlecht in der Minderheit entsprechend seinem Anteil in der Interessenvertretung vertreten ist. Ich habe eingangs drauf hingewiesen, dass die Auszu- bildenden, von denen wir hier reden, nicht wahlberechtigt zum Betriebsrat sind. Wir haben deshalb bei der Erarbei- tung der Verordnung sorgsam darauf geachtet, dass wir mit der Einführung der Interessenvertretung die Rechte eines eventuell in der Berufsbildungseinrichtung vorhan- denen Betriebsrates nicht beeinträchtigen. Es geht also nicht darum, dass hier eine Mehrheit von Auszubildenden eine Minderheit von Ausbildern majorisieren soll. Viel- mehr setzen wir auf eine partnerschaftliche, vertrauens- volle Zusammenarbeit zwischen Interessenvertretung, Betriebsrat und Berufsbildungseinrichtung. Wir haben sowohl das Gesetz als auch die Verordnung mit den betroffenen Verbänden diskutiert. Dabei zeigte sich: Den einen ging der Entwurf zu weit, den anderen nicht weit genug. Dies ist, was die Spitzenverbände an- geht, kein ungewöhnliches Bild. Wichtig für mich war aber, dass die unmittelbar Betroffenen, nämlich die Trä- ger der Berufsbildungseinrichtungen, sowohl Gesetz als auch Verordnung einhellig begrüßt haben. Lassen Sie mich mit einigen über Fachfragen hinaus- gehende Bemerkungen schließen: So wünschenswert es auch sein mag, dass alle Auszubildenden einen Ausbil- dungsplatz im Betrieb finden: Außerbetriebliche Auszu- bildende sind eine Realität. Außerbetriebliche Auszubil- dende sind auch keine Auszubildenden zweiter Klasse. Wir dürfen deshalb unsere Augen vor ihrem Wunsch nach Mitwirkung nicht verschließen. Manche sagen: Gegen Mitwirkung haben wir nichts, aber muss es denn gleich so konsequent sein? Ich meine, ja! Deshalb waren die Kollegen Brase, Simmert und ich uns von Anbeginn einig, dass es nicht darum gehen kann, hier eine „Schülermitverwaltung Light“ zu kon- struieren. Es gilt, die Auszubildenden in außerbetrieb- lichen Aubildungsstätten auch über die reinen Aus- bildungsinhalte hinaus an betriebliche Wirklichkeiten heranzuführen. Zu betrieblicher Wirklichkeit gehört be- triebliche Mitwirkung. Ebenso wie der Betriebsrat Ent- scheidungen des Arbeitgebers inhaltlich beeinflussen kann und soll, sollen auch die außerbetrieblichen Aus- zubildenden an der Willensbildung und an den Entschei- dungen und Maßnahmen der Berufsbildungseinrichtung teilhaben. Dabei dient die Beteiligung gemeinsamen Zielen, nämlich dem Wohl der Bildungseinrichtung und dem Wohl der Auszubildenden. Dies hat erhebliche Vorteile: Die Argumente der Aus- zubildenden werden in die Entscheidungen einbezogen, die Entscheidung wird dadurch „richtiger“. Es bestehen Begründungszwänge. Für Maßnahmen gibt es mehr Ver- ständnis, auch wenn sie eventuell nachteilig sind. Maß- nahmen und Entscheidungen der Berufsbildungseinrich- tung gewinnen an Plausibilität, Transparenz und Akzeptanz. Diese Vorteile verdrängen die durch Mitbe- stimmung nie ganz auszuschließende eventuell aufwendi- gere oder zeitlich verzögerte Entscheidungsfindung. Mitwirkung bedeutet nicht einseitiger Ausbau von Rechten. Mitwirkung bedeutet auch Verpflichtung und Verantwortung. Mitwirkung bedeutet Eigeninitiative und gesellschaftliches Engagement. Wir brauchen qualifi- zierte, motivierte, kreative junge Menschen, die sich für die Belange anderer einsetzen. Das vorliegende Gesetz ist deshalb auch eine Aufforderung an die jungen Frauen und Männer, sich zu engagieren und demokratische Teilhabe zu leben. Ich bitte deshalb um Ihre Zustimmung zu die- sem Gesetz. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Personenbeförderungsgesetzes (PBefG) (Tagesordnungspunkt 12) Iris Gleicke (SPD): Wir verabschieden heute eine Gesetzesänderung, mit der wir ein Stück überflüssiger Bürokratie beseitigen, vielen Jugendverbänden bei ihrer alltäglichen Arbeit helfen und gleichzeitig den Verbrau- cherschutz stärken. Den Sachverhalt, um den es geht, darf man getrost als ein wenig bizarr bezeichnen. Wenn etwa ein Jugendverein in Deutschland eine Ausflugsfahrt oder Ferienzielreise anbietet und den Teilnehmerkreis nicht auf seine eigenen Mitglieder beschränkt, verwandelt er sich nach geltendem Recht automatisch in einen Veranstalter im Sinne des Per- sonenbeförderungsgesetzes und muss sich die entspre- chende Genehmigung beschaffen, und zwar auch dann, wenn der beauftragte Busunternehmer eine solche Lizenz hat. Die kostet Geld, immerhin einige Hundert Mark, und das Ganze ist natürlich auch mit bürokratischem Aufwand verbunden. Insbesondere für kleinere Vereine stellt das eine erhebliche Belastung dar. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. April 200222930 (C) (D) (A) (B) Dieses Phänomen der doppelten Genehmigungspflicht bezeichnet man im Fachjargon als „Doppellizenz“, und genau diese Doppellizenz wollen wir hier und heute ab- schaffen. Der schöne Spruch, dass doppelt gemoppelt besser hält, gilt nämlich nicht immer. Es ist überhaupt nicht ein- zusehen, dass für ein und dieselbe Fahrt zwei Genehmi- gungen vorliegen müssen. Denn es geht bei der Geneh- migung lediglich um den Transport. Wer eine Fahrt mit dem Bus veranstaltet, sucht sich doch selbstverständlich einen seriösen Busunternehmer als Partner, der über die entsprechende Genehmigung verfügt, und mit diesem Un- ternehmer wird die Fahrt gemeinsam geplant. Das ist ganz alltägliche und normale Praxis. Die Doppellizenz gilt wohlgemerkt nur für Busreisen. Wer als Veranstalter die Bahn oder das Flugzeug benutzt, braucht sich um eine solche Genehmigung nicht zu küm- mern. Die Doppellizenz ist eine deutsche Besonderheit mit schwerwiegenden Folgen nicht nur für die Jugend- verbände. Es gab auch deshalb Ärger, weil amerikanische und japanische Veranstalter, die deutsche Unternehmer einsetzten, selbst nicht im Besitz einer Genehmigung nach dem Personenbeförderungsgesetz waren. Man hat zunächst versucht, dem Problem auf der un- tergesetzlichen Ebene beizukommen. Erleichterungen für die Jugendverbände im Hinblick auf die Doppellizenz versprach man sich bis vor einiger Zeit von einer von den für den Straßenpersonenverkehr zuständigen Länderrefe- renten abgesprochenen Auslegung des PBefG, nach der unter bestimmten Voraussetzungen kein genehmigungs- pflichtiger Personenverkehr angenommen werden sollte. Die Veranstaltergenehmigung sollte dann entfallen, wenn die Beförderungen für einen beschränkten Personenkreis, zum Beispiel als Jugendaustausch, durchgeführt wurden und wenn ein Feriendienst nach außen hin nicht als Be- förderer auftrat, sondern deutlich machte, dass ein Dritter als Unternehmer beauftragt wurde. Das klingt im Rahmen der leider so weit verbreiteten bürokratischen Sprache zwar fast einigermaßen elegant, aber der Teufel steckt bekanntlich im Detail. Zum einen hätten die Vereine in diesem Fall streng genommen nicht mehr selbst als Veranstalter auftreten dürfen, denn Veran- stalter wäre der Beförderer, also der Unternehmer gewe- sen. Zum anderen ist es sehr schwierig zu definieren, was denn ein beschränkter oder geschlossener Personenkreis eigentlich ist. Ein beschränkter Personenkreis ist auf je- den Fall dann nicht mehr gegeben, wenn nicht nur Ver- einsmitglieder mitfahren und wenn für die Veranstaltung öffentlich geworben wird. Das klingt alles sehr kompliziert, und es ist auch wirk- lich ganz furchtbar kompliziert. Ich will das Ganze des- halb an einem einfachen Beispiel illustrieren: Ein Ju- gendzentrum plant einen Besuch im Schwimmbad in der nächsten Stadt und bestellt einen Omnibus beim örtlichen Busunternehmer. Gleichzeitig macht man einen Aushang am Schwarzen Brett, damit sich Jugendlichen zu dieser Fahrt anmelden können. Das ist ein ganz normaler Vor- gang, den wir alle kennen und völlig in Ordnung finden. Wer käme schon auf die Idee, dass man dafür eine beson- dere Genehmigung braucht. Tatsächlich liegt hier jedoch ein eindeutiger Verstoß gegen geltendes Recht vor. Ver- anstalter ist nämlich ganz eindeutig das Jugendzentrum und nicht der beauftragte Busunternehmer, und von einem beschränkten Personenkreis kann auch keine Rede sein, weil für die Teilnahme an der Fahrt öffentlich geworben worden ist. Demzufolge hätte das Jugendzentrum für diese Fahrt eine Genehmigung nach dem Personenbeför- derungsgesetz gebraucht. Das ist ganz einfach bescheuert. Künftig sind Veranstalter im Gelegenheitsverkehr – damit auch die anerkannten Träger der freien Jugend- hilfe – von der Genehmigungspflicht ausgenommen unter der Bedingung, dass ein lizenzierter Busunternehmer mit der Beförderung beauftragt wird und dass dies gegenüber den Teilnehmern deutlich gemacht wird. Konkret heißt das: Den Teilnehmern an solchen Fahrten muss künftig mitgeteilt werden, welcher Busunternehmer die Beförde- rung durchführt. Das ist eine saubere und einfache Lösung eines komplizierten Problems. Uns ging und geht es darum, einen unguten und un- sauberen Rechtszustand zu heilen. Denn das geltende Recht ist in den verschiedenen Bundesländern durchaus unterschiedlich Interpretiert worden. Insbesondere in den alten Ländern hat es offenbar Arrangements gegeben, die gerne als „liberal“ bezeichnet worden sind und die man bei genauerer Betrachtung als zumindest überaus „krea- tiv“ einstufen müsste. Da haben die Behörden offenbar öf- ters beide Augen zugedrückt. Irgendwelche mehr oder weniger abenteuerlichen Hilfs- konstruktionen liegen aber weder im Interesse der Ver- kehrssicherheit noch des Verbraucherschutzes. Sie liegen übrigens auch nicht im Interesse der Busunternehmer. Wenn wir hier keine Klarheit schaffen, werden eine ganze Reihe von Fahrten nämlich zukünftig mit der Bahn ge- macht, oder sie fallen schlicht und ergreifend aus. Davon hätte die Busbranche nun wirklich nichts. Ich habe mich in diesem Zusammenhang wirklich sehr über die völlig maßlose und überzogene Kritik der Bus- unternehmerverbände an unserem Gesetzentwurf geär- gert. So wurde uns im vergangenen September in der größten deutschsprachigen Fachzeitschrift für die Touris- muswirtschaft, FVW, mit fetter Schlagzeile unterstellt, wir wollten „freie Fahrt auch für schwarze Schafe“. Ich fand es auch nicht gerade prickelnd, dass der Bundesver- band Deutscher Omnibusunternehmer einen Monat später nachgelegt hat und erklärt hat, Reisegäste würden „unzu- reichend geschützt sein“ und ihre „Sicherheit wäre beein- trächtigt“, wenn die Gesetzesinitiative durchkäme. Das ist alles totaler Quatsch, denn wir bekämpfen mit dem Gesetz den Schwarztourismus, weil künftig mehr Fahrten als bisher von lizenzierten Omnibusunternehmen durchgeführt werden. Diese werden künftig die Beförde- rungen übernehmen können, die ohne Rechtsänderung von den Vereinen selbst oder von Privatleuten durchge- führt würden. Wir sorgen damit indirekt für mehr Ver- kehrssicherheit. Ich bin überzeugt davon, dass wir hier und heute ein gutes Gesetz im Interesse aller Beteiligten verabschieden, ich wünsche mir eine ganz breite Mehrheit für dieses Ge- setz, und ich bedanke mich bei der Bundesregierung und ganz ausdrücklich auch bei den Kolleginnen und Kolle- gen von der Opposition für die gute Zusammenarbeit. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. April 2002 22931 (C) (D) (A) (B) Peter Letzgus (CDU/CSU): In der letzten Zeit erhiel- ten viele Abgeordnete, speziell die aus unserem Aus- schuss, Zuschriften von Jugendorganisationen, Trägern der freien Jugendhilfe und Sportvereinen, die eine Verän- derung im Personenbeförderungsgesetz forderten. Das Problem besteht darin, dass Jugenderholungs- und Jugendbegegnungsfahrten, die für Jugendliche allgemein zugänglich sind, als Gelegenheitsverkehr unter das Perso- nenbeförderungsgesetz fallen. Die Veranstalter gelten als „Unternehmer“ und benötigen für die Durchführung die- ser Fahrten nach geltender Rechtslage eine Geneh- migung. Sie benötigen diese Genehmigung auch dann, wenn die Fahrten von einem Unternehmen des gewerb- lichen Straßenpersonenverkehrs durchgeführt werden, das ohnehin schon im Besitz einer solchen Genehmigung ist. Hier liegt ein doppeltes Genehmigungserfordernis vor, eine Überregulierung, die in der Praxis vor allem den kleinen Trägern der freien Jugendhilfe, Jugendorganisa- tionen und Sportvereine Schwierigkeiten bereitet. Der vorliegende Entwurf zur Änderung des Personen- beförderungsgesetzes wird die geltende Gesetzeslage ver- einfachen. Die Ziele eines geordneten Personenverkehrs wie die Gewährleistung der Verkehrssicherheit und der Schutz der Teilnehmer werden nicht eingeschränkt. Sie sind bereits durch die vorliegende Genehmigung des mit der Beförderung beauftragten gewerblichen Unterneh- mens gegeben. Eine Beeinflussung des Marktes ist nicht zu befürchten. Die bisherige Verwaltungspraxis auf der Grundlage des geltenden Rechts führte teilweise zu Rechtsunsicher- heiten und war mit dem Risiko verbunden, dass die Ver- anstalter von Jugenderholungs- und -begegnungsreisen das Risiko eingingen, eine mit erheblichem Bußgeld be- legte Ordnungswidrigkeit zu begehen, wenn die Fahrten ohne Genehmigung durchgeführt wurden. Die vorliegende Änderung zum Personenbeförde- rungsgesetz beeinträchtigt also nicht die Ziele eines ge- ordneten Personenverkehrs, sie beseitigt Rechtsunsicher- heit und das doppelte Genehmigungsverfahren. Die CDU/CSU ist immer der Ansicht, dass der Staat nur das regeln muss, was unbedingt notwendig ist. Überregulie- rungen lehnen wir ab. Demzufolge stimmen wir dem vor- liegenden Entwurf zur Änderung des Personenbeförde- rungsgesetzes zu. Albert Schmidt (Hitzhofen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen, den wir heute abschließend beraten, beseitigt die unsi- chere Rechtslage, nach der ein Veranstalter, wie zum Bei- spiel ein Sportverein oder Jugendverband, bei der Beför- derung von Nichtmitgliedern in Zusammenhang mit Mitgliederreisen nach dem Personenbeförderungsrecht als Unternehmer behandelt wird und daher eine Lizenz benötigt. Dies führt gerade bei kleineren Vereinen zu ei- nem bürokratischen und finanziellen Aufwand. Wie absurd dieser Passus im Gesetz war, zeigt die Tat- sache, dass es sogar einer Genehmigung des Veranstalters bedurfte, wenn der mit der Beförderungsleistung beauf- tragte Busunternehmer im Besitz einer Genehmigung war. Eine mit den Ländern abgesprochene Auslegung des bisherigen PbefG, wonach unter bestimmten Bedingungen bei den Vereinen kein genehmigungspflichtiger Personen- verkehr angenommen werden solle, hat sich auf Dauer als nicht tragfähig erwiesen, weil dieses eine uneinheitliche Rechtsauslegung zur Folge hatte. Insbesondere die kleinen anerkannten Träger der freien Jugendhilfe, die einen ge- setzlichen Auftrag nach dem Kinder- und Jugendhilfe- gesetz erfüllen, wurden durch eine problematische Geneh- migungspraxis in ihrer Arbeit behindert. Insofern bin ich froh, dass sich – auch im Hinblick auf eine aktive Jugend- politik – die Koalitionsfraktionen entschlossen haben, die- ser Verunsicherung ein Ende zu bereiten und eine eindeu- tige Regelung zu schaffen. Ich bin sehr erfreut, dass sich auch die anderen Parteien des Deutschen Bundestages die- sem Anliegen anschließen konnten. Die Kritik der Busverbände an dieser Gesetzesänderung läuft ins Leere, denn nach wie vor wird die Beförderung von einem Unternehmer im Sinne des Personenbeförde- rungsgesetzes durchgeführt. Damit haben die Reiseteilneh- mer die Garantie, dass die Beförderung tatsächlich von einem fachlich versierten Busunternehmen durchgeführt wird. Durch diese eindeutige Regelung wird auch der von den Verbänden der Busunternehmen so gefürchtete „Schwarztourismus“ bekämpft, weil klare Verhältnisse ge- schaffen werden. Im Gegenteil: Ich glaube, dass die seriösen Busunter- nehmer mehr Aufträge bekommen werden als bisher, weil aufgrund der neuen Gesetzeslage mehr Fahrten stattfin- den können. Im Übrigen wird durch die Gesetzesände- rung auch der Verbraucherschutz nicht verwässert, wie manche Busunternehmer befürchten, weil die Reisever- anstalter weiterhin gesetzlichen Vorschriften, wie bei- spielsweise dem BGB, unterliegen. Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP): Mit dem heute zu diskutierenden Gesetz wird ein langer Streitpunkt zwi- schen Jugendverbänden, Busunternehmern und dem Ge- setzgeber vorläufig beendet. Vorläufig deshalb, weil bei der Beratung im Verkehrsausschuss auf Anregung der FDP und aufgenommen von den Koalitionsfraktionen vereinbart worden ist, nach einer Zeit von zwei Jahre nach In-Kraft-Treten des Gesetzes einen Erfahrungsbe- richt vorzulegen, der beinhaltet, ob Wettbewerbsverzer- rungen zwischen den gewerblichen Busunternehmen und veranstaltenden Jugendverbänden aufgetreten sind. Wie bereits beim GüKG oder in anderen vergleichbaren Gesetzen sind Jugendverbänden, die anerkannte Träger der freien Jugendhilfe sind, bereits Ausnahmeregelungen eingeräumt worden. Beim vorliegenden Fall geht es da- rum, dass Jugenderholungs- und Jugendbegegnungsmaß- nahmen, die als Gelegenheitsverkehre in der Form von Ausflugsfahrten und Ferienzielreisen für Jugendliche all- gemein zugänglich sind, bisher als genehmigungspflich- tige Personenbeförderungen unter das Personenbeförde- rungsgesetz gefallen sind. Die Veranstalter – das heißt in aller Regel die Vereine – sind nach der derzeit geltenden Rechtslage Unternehmer im Sinne des Personenbeförde- rungsgesetzes und benötigen deshalb eine Genehmigung nach diesem Gesetz, wenn sie solche Gelegenheitsver- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. April 200222932 (C) (D) (A) (B) kehre ausschreiben und einem nicht geschlossenen Perso- nenkreis anbieten, also nicht nur Vereinsmitgliedern. Diese Vorschrift gilt bis jetzt auch dann, wenn die Be- förderungen von einem Unternehmer des gewerblichen Straßenpersonenverkehrs, der im Besitz aller Genehmi- gungen ist, durchgeführt werden. Insbesondere kleine an- erkannte Träger der freien Jugendhilfe, zum Beispiel Pfadfindergruppen oder freie Träger der Jugendarbeit, se- hen sich dadurch zunehmend in ihrer Arbeit behindert, vor allen Dingen auch durch die entstehenden Kosten. Offensichtlich ist eine Regelung unter Beibehaltung des bisherigen Gesetzesrahmens bei flexibler Auslegung der Länder nicht sicherzustellen. Insbesondere besteht die Gefahr einer nicht einheitlichen Verwaltungspraxis, was das Problem eher erschwert als erleichtert. Deshalb hat die jetzige Änderung des Personenbeförderungsgesetzes zum Inhalt, dass Veranstalter, die anerkannte Träger der freien Jugendhilfe sind, dadurch in ihrer Arbeit unterstützt werden, dass sie keine weitere Genehmigung als Veran- stalter benötigen, wenn der mit der Beförderungsleistung beauftragte Busunternehmer im Besitz einer Genehmi- gung ist. Die Ausschussberatungen haben deutlich gemacht, dass die inhaltliche Lösung in relativ breitem Konsens aller Parteien möglich ist. Wir Liberalen haben darauf hingewiesen, dass zumindest auch die Gefahr eines Miss- brauchs besteht und deswegen die jetzige Gesetzespraxis im Interesse der gewerblichen Busunternehmerschaft nach angemessener Zeit zu überprüfen ist. Die Fraktion der SPD hat erklärt, dass die Auswirkungen der jetzigen gesetzlichen Änderungen durch Vorlage eines möglichst genauen Erfahrungsberichts nach Ablauf eines Zeitraums von zwei Jahren überprüft werden sollen, was auch die Bundesregierung in der Ausschusssitzung zugesichert hat. Wir werden diese Prüfpflicht im Rahmen unserer Ver- antwortung für ein effizientes Arbeiten auch der gewerb- lichen Busunternehmer im Auge behalten. Rosel Neuhäuser (PDS): Das Personenbeförde- rungsgesetz, welches seit einigen Jahren gilt, erfuhr seit geraumer Zeit eine vermehrte Brisanz. Im Kern ging es um Folgendes: Die Organisation und Durchführung von Ferienlagern, Jugendreisen, Erholungsfahrten und internationalen Be- gegnungen gehören von jeher zu den Aufgaben der Kin- der- und Jugendarbeit. Gemeinsame Freizeitreisen haben neben ihrem Erholungswert auch eine wichtige Bedeu- tung für das Erleben demokratischer Verantwortung und dienen der Verständigung, dem toleranten Umgang miteinander und der Übernahme von Verantwortung. Leider erklärte das Personenbeförderungsgesetz Kin- der- und Jugendverbände zu Unternehmen, die sie weder sind noch sein wollen. An der Wirklichkeit von Jugend- verbandsarbeit geht das natürlich zwangsläufig vorbei. Es kann nicht sein, dass ein freier Träger, der für Kinder- und Jugendliche Ferienaufenthalte organisiert, vom Ord- nungsamt warnend darauf hingewiesen wird, dass hierfür eine Genehmigung nach dem Personenbeförderungsge- setz notwendig ist, obwohl ein Busunternehmen beauf- tragt wurde. Bekanntlich sind Busunternehmen im Besitz einer entsprechenden Lizenz. Die Hauptargumente, die von verschiedenen Seiten ins Feld geführt wurden, nämlich die Frage der Verkehrs- sicherheit und der angebliche Verstoß gegen das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, überzeugt nicht, mich jedenfalls nicht. Abgesehen davon ist zu fragen, ob nicht eine Benachteiligung im Sinne des Gesetzes gegen un- lauteren Wettbewerb dann vorliegt, wenn der Jugend- verband bei seinen Reiseangeboten zweimal die – anteili- gen – Kosten für die Genehmigungen trägt, die des Busunternehmens und die der eigenen. Bekanntermaßen werden entstehende Kosten auf den Teilnehmerpreis um- geschlagen. Tatsache war bis vor einem Jahr auch noch, dass Ver- bände bei Missachtung der Genehmigungspflicht mit Ordnungsstrafen bis zu einer Höhe von 10 000 DM rech- nen konnten. Die damit häufig in Verbindung stehende und praktizierte stillschweigende Einigung aller Beteilig- ten, das Personenbeförderungsgesetz weder zu befolgen noch zu verändern, halte ich für grob fahrlässig. Zudem wird die Glaubwürdigkeit von Demokratie und Recht un- tergraben. Mehrfach hat die AGJ und viele betroffene Vereine und Verbände auf Probleme mit dem Personenbeförderungs- gesetz und der darin enthaltenen „Doppellizenz“ in den zurückliegenden Jahren hingewiesen und vergeblich ver- sucht, eine Gesetzesänderung zu erreichen. Die sachliche Notwendigkeit einer Genehmigungspflicht nach dem Per- sonenbeförderungsgesetz vermag ich genau wie die AGJ und viele andere aus genannten Gründen nicht zu sehen. Nun liegt uns eine Änderung des Personenbeförde- rungsgesetzes zur Abstimmung vor. Mit unserem – hoffentlich – einmütigen Abstimmungs- verhalten leisten wir heute einen wichtigen Beitrag zur Stärkung der Kinder- und Jugendarbeit und anerkennen außerdem ehrenamtliches Engagement. Zum Schluss komme ich aber nicht umhin, entgegen einigen Pressemeldungen, zum Beispiel des CVJM, da- rauf hinzuweisen, das auch meine Fraktion den vorlie- genden Antrag mit trägt und ich selbst zu den Mitinitiato- ren, was die Aufarbeitung der Problematik betraf, zähle. Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Untätigkeit der Bun- desregierung gegenüber der Europäischen Kom- mission im Hinblick auf den Abschluss des Hauptprüfverfahrens in Sachen Investitionsbei- hilfen fürLeuna/Minol (Tagesordnungspunkt 13) Friedhelm Julius Beucher (SPD): Dass wir heute über diesen Antrag der CDU reden, ist überflüssig wie ein Kropf. Sie wollen, dass der Deutsche Bundestag die Bun- desregierung auffordert, darauf hinzuwirken, dass die EU-Kommission ein Prüfverfahren zügig abschließt. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. April 2002 22933 (C) (D) (A) (B) Erstens. Die Bundesregierung hat dies meines Wissens nach bereits mehrfach in angemessener Weise getan. Zweitens. Wir werden uns sicher nicht daran beteili- gen, dass in unangemessener Weise Druck auf die EU- Kommission ausgeübt wird – schon gar nicht, wenn die CDU sich hier offenbar in altbewährter Weise allein für die Interessen eines Investors einsetzen will. Diesen Einsatz, den die CDU hier an den Tag legt, den hätten wir uns gewünscht bei der Aufklärung der Leuna- Affäre. Dann wären wir wohl schon ein Stück weiter. Aber da hat die Union rein gar nichts beigetragen – im Gegen- teil, sie hat gemauert, blockiert, geschwiegen und abge- lenkt. Der Verdacht, dass hier bestochen wurde, dass hier be- trogen wurde auf Kosten des Steuerzahlers, ist beileibe nicht ausgeräumt. Vor dem Untersuchungsausschuss ha- ben die zentralen Zeugen nicht ausgesagt. Solange Helmut Kohl, der ehemalige Bundeskanzler, der sich noch immer außerhalb unserer Gesetze bewegt, die Geld- quellen für seine schwarzen Kassen nicht nennt, solange bleibt der Verdacht, dass er sich hat bestechen lassen – zum Beispiel für das Wohlwollen gegenüber dem Investor der Leuna-Raffinerie. Dieser Verdacht wird an ihm hän- gen bleiben und mit ihm an der ganzen CDU. Das wird auch der Justiziar der CDU-Fraktion, Andreas Schmidt, nicht verhindern können. Da kann er auf seinen Pressekonferenzen so viel Nebelkerzen wer- fen, wie er will, so wie er es zum Beispiel auch gestern gleich zweimal tat. Aber es liegt ja auf der Hand, warum er solche Probleme mit der Wahrheit hat: Er will von den Verfehlungen seiner eigenen Partei ablenken und andere, die sich um Aufklärung bemühen, mit Dreck bewerfen. Um das noch einmal ganz deutlich zu sagen: Ich freue mich, dass die Anlage bei Leuna brummt. Ich freue mich über die Arbeitsplätze, über das Wachstum, über die so- ziale Sicherung gerade an diesem Standort. Nie wird auch nur ein Wort über meine Lippen gehen, das sich gegen die Mitarbeiter der Raffinerie richtet. Das habe ich den Leu- ten vor Ort auch gesagt – übrigens weit bevor sich Herr Schmidt dorthin bewegt hatte. Meine Kritik richtet sich gegen die alte Bundesregierung, die – wie es die Treu- handanstalt damals formulierte – „eine sorgfältige, ratio- nale, am Wirtschaftlichen orientierte Verhandlungs- führung“ behindere, in dem sie „immer aus ‚Bonn’ politische Vorgaben“ mache. Meine Kritik richtet sich ge- gen Leute, die sich wie die CDU/CSU-Fraktion mit Hän- den und Füßen dagegen wehren, dass einer der größten Skandale der Bundesrepublik aufgeklärt wird. Vielleicht wird noch mehr Zeit ins Land gehen, viel- leicht sogar noch Jahre. Aber ich bin sicher, irgendwann wird es sich herausstellen, dass beim Leuna-Deal die CDU oder einzelne CDU-Leute sich auf illegale Weise die Taschen vollgestopft haben. Die Wahrheit mag spät kom- men, aber sie kommt. Gerhard Schulz (CDU/CSU): Der Antrag der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, über den wir heute bera- ten, befasst sich mit einem der dunkelsten Kapitel in der langen Reihe von Tricksereien und Täuschungen der rot- grünen Bundesregierung. Es geht um ein besonders be- zeichnendes Beispiel, wie diese Bundesregierung um des vermeintlichen eigenen politischen Vorteils willen Fakten verdreht, falsche Anschuldigungen erhebt und Nachteile für Dritte dabei bewusst in Kauf nimmt. Besonders bedauerlich ist, dass im vorliegenden Fall diese Nachteile und Schädigungen einen der erfolgreichs- ten und zuverlässigsten Investoren in Sachsen-Anhalt be- treffen. Der Neubau der Leuna-Raffinerie ist ein Lehrbeispiel dafür, wie erfolgreich Ansiedlungspolitik in den neuen Ländern betrieben werden kann. Zur Erinnerung: Es war Bundeskanzler Helmut Kohl, der sich – gegen den erklär- ten Willen der deutschen Chemieindustrie – für den Erhalt des Chemiedreiecks eingesetzt hat. Durch den Neubau der Raffinerie haben letztlich fast 10 000 Menschen in einer strukturschwachen Region sichere und zukunftsfähige Arbeitsplätze erhalten. Es wurden von Elf in Leuna Investitionen in Höhe von mehr als 2,4 Milliarden Euro getätigt. Hierfür wurden Beihilfen von fast 1 Milliarde Euro zugesagt, die nach Investitions- fortschritt zur Auszahlung kommen sollten. Abgerufen wurde etwa eine halbe Milliarde Euro. Die Beihilfeintensität liegt unter 25 Prozent und liegt damit weit unter dem für die neuen Länder zulässigen Höchstsatz von 35 Prozent. Seit mittlerweile drei Jahren werden rund 60 Millionen Euro an fälligen Fördermitteln für Elf von der EU-Kommission blockiert. Die EU-Kom- mission hat im Juli 1997 ein beihilferechtliches Haupt- prüfverfahren zu den bewilligten Investitionsbeihilfen für den Neubau der Leuna-Raffinerie eröffnet, um zu prüfen, ob die von Elf geltend gemachten Investitionskosten künstlich überhöht worden waren, um Subventionen in nicht gerechtfertigter Höhe zu erhalten. Eine von der Kommission beauftragte italienische Gut- achterfirma kam zunächst zu dem Ergebnis, dass die Kos- ten um circa 360 Millionen Euro zu hoch angesetzt wor- den seien. Intensive Prüfungen von BMF, BvS und Elf ergaben jedoch im April 1999, dass die geltend gemach- ten Aufwendungen tatsächlich erfolgt sind. Das wurde ge- genüber der Kommission dargelegt und glaubhaft ge- macht. Diese Stellungnahme, die einen Totalverriss des Kommissionsgutachtens darstellt, führte dazu, dass der italienische Gutachter sein ursprüngliches Gutachten und die darin aufgestellten Behauptungen völlig revidieren musste. Damit bestand kein rechtlicher Grund mehr für die Fortführung des Hauptprüfverfahrens! Obwohl die Bundesregierung das wusste, hat sie es un- terlassen, gegenüber der Kommission auf einen Ab- schluss des Hauptprüfverfahrens zu dringen. Sie hat sich vielmehr wider besseres Wissen aktiv an den um die Leuna-Privatisierung wuchernden und nie belegten Schmiergeldspekulationen beteiligt, weil sie sich davon erhoffte, die frühere Bundesregierung und den ehemali- gen Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl in den Schmutz zie- hen zu können. Diese Versuche, die ja nicht nur auf die Leuna-Privati- sierung beschränkt waren, sind bekanntlich mittlerweile gründlich in die Hose gegangen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. April 200222934 (C) (D) (A) (B) Einer der herausragenden Täuschungsversuche war da- bei die der Öffentlichkeit zunächst verborgen gebliebene Einrichtung der so genannten Sondertaskforce durch das Finanzministerium im September 2000, die prüfen sollte, ob der Bundesrepublik Deutschland im Zusammenhang mit der Privatisierung von Leuna/Minol ein finanzieller Schaden entstanden ist. Nachdem die Tätigkeit dieser Gruppe, die unter außerordentlich fragwürdigen recht- lichen Grundlagen agierte und von der Presse als „Dillers Detektive“ bezeichnet wurde, durch einen Zufall bekannt wurde, mussten natürlich Ergebnisse her. So wurde pünktlich zum Auftritt von Herrn Staatsse- kretär Diller vor dem Untersuchungsausschuss im Mai 2001 unter großem Mediengetöse eine Strafanzeige an die Staatsanwaltschaft Magdeburg wegen des Verdachts des Subventionsbetruges gegen Verantwortliche der Leuna- Raffinerie fabriziert. Behauptet wurde, es hätten sich An- haltspunkte dafür ergeben, dass angebliche Schmiergel- der in die Investitionskosten eingerechnet worden seien. Dass dies in Wirklichkeit nicht der Fall war, hatte die Bundesregierung aber bereits bei der Erarbeitung ihrer Stellungnahme an die EU-Kommission im April 1999 festgestellt. Diese Stellungnahme wurde ebenso wie andere entlas- tende Unterlagen der Staatsanwaltschaft natürlich nicht vorgelegt. Die Staatsanwaltschaft Magdeburg hat daher nach ebenfalls intensiver Prüfung folgerichtig einen An- fangsverdacht verneint und es abgelehnt, ein Ermittlungs- verfahren einzuleiten. Herr Diller hatte zunächst in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der CDU/CSU-Fraktion behauptet, von der Stellungnahme der Bundesregierung erst im Juli 2001, also nach der Anzeigeerstattung durch die Sondertask- force, erfahren zu haben. Später musste die Bundesregie- rung dann in einer weiteren Antwort auf eine Kleine An- frage unserer Fraktion einräumen, dass Herr Diller doch bereits im Januar 2001 angeblich auszugsweise über die Stellungnahme unterrichtet worden war. Irgendwie erinnert mich das an die Vorgehensweise bei der aktuellen Frage, ob Herr Müntefering die Namen der Spender bei seiner Befragung im Spendenuntersuchungs- ausschuss wusste oder nicht. Zurück zum Thema: Die Handelnden im Finanzminis- terium wussten, dass bereits unter der Verantwortung der rot-grünen Bundesregierung durch BMF, BvS und dem In- vestor Elf nach intensiven Prüfungen festgestellt worden war, dass Elf die geltend gemachten Investitionskosten tatsächlich aufgewendet hatte, und haben gleichwohl eine Strafanzeige erstattet, in der dasGegenteil behauptetwurde. Inwieweit der Finanzminister darüber unterrichtet war, sollte er heute vor dem Untersuchungsausschuss darle- gen. Auch insoweit gibt es dem Vernehmen nach entspre- chende Anhaltspunkte. Aber das Scheitern der Strafanzeige war ja nicht Ihr einziger Fehlschlag. Auch die Akten des Genfer General- staatsanwalts Bertossa haben nicht den von Rot-Grün lan- cierten Inhalt gehabt. Hier kam der Generalbundesanwalt nach Prüfung zu der Erkenntnis, dass es keinerlei Hin- weise auf strafrechtlich relevante Zahlungen nach Deutschland im Zusammenhang gibt. Auch der Untersu- chungsausschuss hat nach intensiven Ermittlungen kei- nerlei Hinweise auf eine Bestechlichkeit der früheren Bundesregierung im Zusammenhang mit der Leuna-Pri- vatisierung festgestellt. All dies hat die rot-grüne Bundesregierung immer noch nicht veranlasst, nunmehr auf einen zügigen Abschluss des Hauptprüfverfahrens zu dringen. Offenbar hat die Bundesregierung Angst davor, dass die Fragwürdigkeit ihrer Aktivitäten dann noch deutlicher als bisher wird. Die rot-grüne Bundesregierung hat bedenkenlos aus parteitaktischen Motiven versucht, den großartigen Er- folg der Leuna-Privatisierung in ein schiefes Licht zu rücken. Das Vorgehen dieser Bundesregierung hat nicht nur zu erheblichen finanziellen Nachteilen für den Inves- tor geführt, sondern auch eine massive Rufschädigung des Standortes Leuna in Kauf genommen. Die Bundesregie- rung hat dabei auch in Kauf genommen, dass einer der wenigen positiven Bilanzpunkte der Höppner-Regierung, die höchste ausländische Direktinvestition in den neuen Ländern realisiert zu haben – dass das eigentlich Helmut Kohl war, wird gerne verschwiegen –, in Misskredit ge- bracht wird. Das sind Parteifreunde! Dass man so jeden- falls nicht mehr dringend benötigte rentable Arbeitsplätze in den neuen Ländern schaffen kann, ist klar. Die Bürger in Sachsen-Anhalt werden am kommenden Sonntag Ge- legenheit haben, Rot-Grün für diese verantwortungslosen Spielchen die verdiente Quittung zu geben. Ich fordere die Bundesregierung daher auf: Werden Sie endlich im Sinne unseres Antrags tätig, wirken Sie auf ei- nen zügigen Abschluss des Hauptprüfverfahrens bei der EU-Kommission hin. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Die Antragsteller sind fast alle Kollegen und Kol- leginnen aus der Union, die mit mir im Spendenunter- suchungsausschuss sitzen. Das macht misstrauisch. Ihre Absicht ist durchsichtig: Sie wollen mal wieder dem ehe- maligen Bundeskanzler Dr. Kohl beispringen und der Bundesregierung Untätigkeit und Beteiligung an einer „Verleumdungskampagne“ vorwerfen. Angeblich soll sie den Abschluss eines Prüfverfahrens von Subventionen verzögern, die bei der Privatisierung von Leuna und Mi- nol gezahlt wurden. Hätte sie aber schon zugestimmt, hätten Sie behauptet, was wir im Ausschuss noch klären wollen, sei schon geklärt und uns ginge es nur noch um Rufmord gegen Dr. Kohl. Nein, die Bundesregierung und auch die EU-Kommis- sion tun gut daran, den Bericht unseres Untersuchungs- ausschusses abzuwarten, bevor weitere Schritte erfolgen. Schließlich geht es bei den zu prüfenden Subventionen um Steuergelder in beträchtlicher Höhe, nämlich mehr als 1 Milliarde DM. Die Bürgerinnen und Bürger wollen, dass gründlich geprüft wird, wenn es um den Verdacht von krimineller Subventionserschleichung geht. Unser Abschlussbericht wird hierzu die gesammelten Daten und Fakten zusammenstellen. Vielleicht ist es das, was Sie fürchten. Das wollen Sie offensichtlich nicht abwarten. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. April 2002 22935 (C) (D) (A) (B) Verdachtsmomente, die jede Bundesregierung zu einer Prüfung geradezu verpflichten, sind: Erstens. Akten zum Privatisierungsvorgang Leuna/Mi- nol aus der Zeit der Kanzlerschaft von Dr. Kohl sind spur- los verschwunden. Auch Aktenkopien sind nicht mehr da. Soweit überhaupt schriftliche Unterlagen vorhanden sind, sind diese lückenhaft. Viele Papiere sind den Untersu- chungsausschüssen der 12. und 13. Wahlperiode von der Kohl-Regierung vorenthalten worden. Es ist auch nicht mehr nachvollziehbar, was dem Parlament überhaupt vor- gelegt wurde. Zweitens. Ein zweistelliger Millionenbetrag ist seit Be- ginn der 90er-Jahre versteckt an die CDU und hohe Funk- tionsträger dieser Regierungspartei bzw. an Bundeskanz- ler Dr. Kohl geflossen. Die Herkunft dieser Gelder ist ungeklärt. Dr. Kohl behauptet, es waren Spenden. Aber stimmt das? Er sagt nicht, von wem die Spenden stamm- ten. Die CDU hat mindestens seit Beginn der 80er-Jahre mysteriöse Konten, Schließfächer und Stiftungen mit so wohlklingenden Phantasienamen wie „Zaunkönig“ in der Schweiz unterhalten, über die Gelder in Millionenhöhe abgewickelt wurden, ohne dass die Herkunft der Gelder geklärt wurde. Beteiligt hieran waren die ehrenwertesten Kreise der CDU wie Ihr Bundesschatzmeister himself. Der war übrigens auch im Rahmen der Privatisierung von Leuna/Minol höchst aktiv. Könnte es Zusammenhänge geben zwischen Schweizer Konten und Geschäften? Wa- ren es Einflussspenden? Drittens. Des Weiteren ist Ihr ehemaliger Staatssekre- tär Dr. Pfahls zu nennen. Bei der Leuna/Minol-Privatisie- rung soll Herr Dr. Pfahls auch dabei gewesen sein, nicht nur bei dem Fuchs-Panzergeschäft, das den Ausschuss be- schäftigt. Nach seinem Ausscheiden beim Bundesmi- nisterium der Verteidigung im April 1992 begann er seine Lobby-Tätigkeit für Elf Aquitaine. Inzwischen ist er in Augsburg der Bestechlichkeit und der Steuerhinterzie- hung angeklagt. Seit April 1999 ist er untergetaucht. Aus Unterlagen aus der Schweiz ist ersichtlich, dass auf Konten in Luxemburg, deren wirtschaftlich Berechtigter Dr. Pfahls war, in den letzten Jahren 1992 bis 1995 circa 13 Millionen DM und 8,5 Millionen FF aus den Elf-Zah- lungen geflossen sind. Viertens ist noch der ehemalige Bundeswirtschafts- minister Dr. Friedrichs anzuführen. Dieser war Interna- tional Advisor der Investmentbank Goldmann und Sachs, just jener Bank also, die das Ausschreibungsverfahren für Leuna/Minol maßgeblich gestaltete. Gleichzeitig war er zunächst gegen ein monatliches Honorar von 50 000 DM für Elf Aquitaine tätig, für das Unternehmen also, welches bei der – von Goldmann und Sachs gestalteten – Ver- kaufsausschreibung von Leuna/Minol schließlich den Zu- schlag erhielt. Überdies war er Aufsichtsratsvorsitzender der beiden Unternehmen, Leuna und Minol, die – wer mag hier noch an Zufall glauben? – an Elf Aquitaine ver- kauft wurden. Fünftens. Es gibt Aussagen der ehemaligen Gewaltigen von Elf Aquitaine wie des damaligen Präsidenten Le Floch Prigent über Zahlungen an die CDU. Le Floch Prigent spricht in seiner Vernehmung am 22. August 2000 von so genannten „Lobbying-Maßnahmen“, Schmiergel- der also, um 2 Milliarden DM an Subventionen von der EU, vom Bund und den Ländern zu erreichen. Leider war Herr P. nicht bereit, seine Aussage vor einem deutschen Untersuchungsausschuss zu wiederholen. Sechstens. Auch der Generalbundesanwalt stellt einen wirren Kreislauf von Geldtransaktionen in Höhe von 256 Millionen FF aus Quellen von Elf Aquitaine ohne erkennbaren realen wirtschaftlichen Hintergrund fest. Und 11 Millionen DM sind in bar geflossen. Warum das, wenn es doch nichts zu verbergen gibt? Das sind genug Gründe nachzufragen und zu prüfen, wie dies die Bundesregierung macht. Ihnen geht es auch nicht um den Standort Leuna, Ihnen geht es darum, end- lich Schluss zu machen mit „dieser ganzen Aufklärerei“, die für Ihre Partei und Ihren ehemaligen Ehrenvorsitzen- den so unangenehm ist. Dafür ist Ihnen fast jedes Mittel recht. Deshalb zum Schluss mein Rat: Ziehen Sie Ihren An- trag zurück und helfen Sie bei der Aufklärung von Her- kunft und Verbleib der CDU-Gelder. Jürgen Türk (FDP): Ein politisches Trauerspiel in mehreren Akten könnte man die Vorgänge um die Inves- titionsbeihilfen für die Raffinerie Leuna/Minol, eine der größten Investitionen in den neuen Ländern nach 1989, mit Fug und Recht nennen. 1997 erhob die EU Einspruch gegen die Höhe der ge- währten Subventionen und eröffnete ein beihilferecht- liches Hauptprüfverfahren. Die EU war der Meinung, dass die Höhe der gewährten Subventionen unangemes- sen sei, weil die Gesamtkosten für den Raffineriebau aus ihrer Sicht bewusst und gewollt überhöht worden waren. Dieser Vorwurf ist, auch aufgrund der Intervention der Bundesregierung, bereits 1999 abgeschmettert worden. Trotzdem ist das Hauptprüfverfahren bis heute weder ab- geschlossen noch eingestellt worden, angeblich aufgrund noch andauernder staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen, in Wirklichkeit aber wohl eher, weil es der Bundesregie- rung politisch nicht in den Kram passt und sie deshalb kei- nen Finger rührt, um die leidige Sache aus der Welt zu schaffen. Sie möchte das Süppchen noch ein wenig am Kochen halten, wenigstens bis zur nächsten Bundestags- wahl, um CDU und FDPeins auszuwischen. Denn die Ko- alitionsregierung, namentlich Bundeskanzler Helmut Kohl, hat sich bekanntlich stark dafür engagiert, dass diese Investition zustande gekommen ist. Man hat ver- sucht, Kohl daraus nachträglich einen Strick zu drehen, indem man ihm Untreue unterstellte und ein Verfahren an- hängte, das inzwischen eingestellt wurde. Aber die Ver- leumdungskampagne, die auf eine gezielte Vernichtung von Leuna-Akten durch die CDU-FDP-Regierung ab- hebt, schwelt noch immer, und das, obwohl die Staats- anwaltschaft trotz intensiver Ermittlungen keine straf- baren Vorgänge fand. Als die Bonner Staatsanwälte das Verfahren deshalb im September 2001 einzustellen ge- dachten, kam harsche Kritik aus dem Kanzleramt. Der Generalstaatsanwalt in Düsseldorf verfügte schließlich, dass weiter zu ermitteln sei. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. April 200222936 (C) (D) (A) (B) Es ist ein Skandal, dass die Bundesregierung in diesem Fall offenbar nur um des Skandals willen weder darauf dringt, dass das Hauptprüfverfahren der EU endlich ab- geschlossen wird, noch durch kooperatives Verhalten dazu beiträgt, dass das Verfahren wegen Aktenvernich- tung eingestellt wird. Durch ihr bewusst duldendes Verhalten im Falle der Beihilfenprüfung für Leuna/Minol hat die Bundesregie- rung der ohnehin Not leidenden ostdeutschen Wirtschaft erkennbar Schaden zugefügt. Dies hat nämlich dazu ge- führt, dass der Investor keine Planungssicherheit für die Investition hat, denn von den ihm zugesagten Beihilfen stehen noch immer 60 Millionen Euro aus. Zudem wurde das Image des Standortes Leuna beschädigt. Dies alles ge- schieht nur, damit der politische Gegner möglichst lange ein Problem hat und eine schlechte Presse bekommt. Wenn es noch eines weiteren Beweises dafür bedurft hätte, dass der rot-grünen Regierung der Aufbau Ost kei- neswegs so am Herzen liegt, wie sie immer vorgibt: Dies ist er. Rolf Kutzmutz (PDS): Die Frage, die sich aus dem Antrag – mehr noch aus der Begründung – ergibt, ist schlicht und einfach: Was ist eigentlich das Hauptanliegen der Antragsteller? Seit 1997 ist das beihilferechtliche Hauptprüfverfahren im Gange, seit 1999 wird die Höhe der geltend gemach- ten Investitionen nicht mehr infrage gestellt. Die Bundesregierung hat – nach eigenem Bekunden – nicht auf den Abschluss des Hauptprüfverfahrens drängen können, weil die Kommission das Verfahren wegen der noch nicht beendeten staatsanwaltlichen Ermittlungen noch nicht abgeschlossen hat. Und – wenn ich die Argu- mentation der Bundesregierung richtig aufgenommen habe –, dann geht sie auch jetzt noch davon aus, dass sie keinen Erfolg für den Ausschluss des Hauptprüfverfah- rens zum gegenwärtigen Zeitpunkt sieht. Ob das mit den immer noch als verschwunden gelten- den sieben Original-Leuna-Aktenbänden zu tun hat oder mit dem Verdacht, dass diese vielleicht „nicht ohne akti- ves Handeln verschwunden sind“, wie Herr Staatsminis- ter Bury erklärte, vermag ich nicht zu sagen. Der Antrag will klar machen, dass bei der „Güterabwä- gung“ zwischen Kampagne gegen die Bundesregierung unter Helmut Kohl oder Beförderung von Investitionen und damit Sicherung von Arbeitsplätzen in der genannten Region, die Regierung sich für die erste Variante entschie- den habe. Das ist schwer nachvollziehbar. Schließlich wird in Sachsen-Anhalt um jeden Arbeitsplatz und damit um je- den Euro an Investitionen gekämpft. Das Land wird sozi- aldemokratisch regiert und am Wochenende findet dort die letzte Landtagswahl vor der Bundestagswahl statt. Würde also die Vermutung der CDU/CSU-Fraktion Realität sein, wäre das ein hoher Preis, der zu zahlen ist. Und noch etwas: Die Behauptung, dass die „zögerliche Sachbehandlung“ zu einer Rufschädigung des Standortes Leuna geführt hätte, wird durch nichts belegt. Erst vor ei- nigen Tagen gingen Meldungen von einer neuen Investi- tion in Leuna durch die Presse. Dass der Investor ein be- rechtigtes Interesse daran hat, die noch ausstehenden circa 60 Millionen Euro an zugesagten Investitionsbeihilfen gezahlt zu bekommen, ist verständlich. Es geht also da- rum, noch einmal sachlich zu prüfen, welche Möglichkei- ten die Bundesregierung hat, den Abschluss des Haupt- prüfverfahrens anzustreben. Wie schnell das erreicht werden kann, liegt aus meiner Sicht in der Klarheit der vorzulegenden Beweise, also der Ausräumung des Vor- wurfs der Inanspruchnahme von Subventionen in unge- rechtfertigter Höhe. Wenn das eindeutig belegbar ist, darf es keine Verzögerungen geben, weil das dann tatsächlich zum Schaden des Investors und zur Schädigung des Stand- ortes führen würde. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: zu dem Antrag: Fahr Rad – für ein fahrradfreundliches Deutschland, zu dem An- trag: Für ein fahrradfreundliches Deutschland, zu der Unterrichtung: Bericht der Bundesregie- rung über Maßnahmen zur Förderung des Rad- verkehrs (Tagesordnungspunkt 14) Heide Mattischeck (SPD): Das Thema „Förderung des Fahrradverkehrs“ hat sich wie ein roter Faden durch die in Kürze zu Ende gehende 14. Legislaturperiode ge- zogen. Wir können konstatieren, dass wir auf dem Wege zu einem „Fahrradfreundlichen Deutschland“ ein gutes Stück vorangekommen sind. Das hat mehrere Ursachen: Erstens sind das die parlamentarischen Bemühungen und Initiativen der Koalitionsfraktionen; zweitens die Be- geisterung von Minister Bodewig für das Fahrradfahren, die sich auf die zuständigen Mitarbeiter im Hause positiv ausgewirkt hat (wenn sie nicht schon ohnehin in der Sa- che engagiert waren); drittens möchte ich die durchaus konstruktive Mitarbeit der Opposition nennen in Person des Kollegen Börnsen vor allem, der sich der Förderung des Fahrradfahrens durchaus verpflichtet fühlt und vier- tens die außerordentlich konstruktive, kritische Zusam- menarbeit mit einschlägigen Verbänden, hier will ich vor allem den ADFC nennen. Es hat viele Jahrzehnte oder – nimmt man die Erfin- dung des Drahtesels als Maßstab – sogar mehr als ein Jahrhundert gedauert, bis die große Bedeutung des Fahr- rads für ein integriertes Verkehrssystem in Deutschland auf höchster politischer Ebene angekommen ist. Zum ersten Mal beschäftigen sich der Deutsche Bun- destag und die Bundesregierung ernsthaft und ausführlich mit dem Verkehrsmittel Fahrrad und der Förderung seines Einsatzes. Nur zur Erinnerung: Nachdem die Förderung des Rad- verkehrs in der 10. und 11. Legislaturperiode gescheitert war, hat die SPD-Fraktion in der 12. Legislaturperiode, im April 1992, erneut mit einem Antrag einen Vorstoß unter- nommen. Es hat damals ein ganzes Jahr gedauert, bis auch Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. April 2002 22937 (C) (D) (A) (B) die CDU/CSU- und FDP-Fraktion das Fahrrad als förde- rungswürdiges und umweltfreundliches Verkehrsmittel entdeckte. Allerdings waren die Forderungen sehr allge- mein und so richtig ernst haben die CDU/CSU-Regierung und ihr Verkehrsminister Wissmann die Sache nicht ge- nommen. Anders die rot-grüne Bundesregierung: Nur ein halbes Jahr nach ihrem Amtsantritt wurde der erste Fahrrad- bericht einer deutschen Regierung veröffentlicht. Im Mai 2000 wurde dieser Bericht im Kabinett verabschiedet und hier im Bundestag ausführlich diskutiert. Ebenfalls eine Premiere im Deutschen Bundestag war die Anhörung des Verkehrsausschusses zum Fahrradver- kehr, die im Januar 2001 stattfand. Im Zentrum der For- derungen praktisch aller anwesenden Expertinnen und Experten stand dort die Verabschiedung eines nationalen Radverkehrsplans. Dieses Anliegen haben wir, die Koalitionsfraktionen, aufgegriffen und in einem Antrag konkretisiert. Das war ein erster – aber sicherlich nicht der letzte Höhepunkt in den Bemühungen der Koalition zur Stärkung des Ver- kehrsmittels Fahrrad. Ich will noch einmal auf die wesentlichen Schwer- punkte unseres Antrages hinweisen: Erstens. Die Potenziale für den Fahrradverkehr sind bei weitem nicht ausgeschöpft. Nur circa 12 Prozent der Wege werden in Deutschland mit dem Rad zurückgelegt. In den Niederlanden sind es im Durchschnitt 27 Prozent; auch in Deutschland gibt es Städte, in denen der Anteil 30 bis 40 Prozent beträgt. Zweitens. Radfahren ist gesund. Die Zivilisations- krankheiten wie Herzinfarkt, Bluthochdruck, hoher Cho- lesterinspiegel, Diabetes, Übergewicht verursachen ge- schätzte jährliche Kosten in Höhe von 25 Milliarden Euro. Hier könnte mehr Bewegung Gesundheit fördern und Kosten senken. Beispielsweise Erlangen: 30 Prozent Fahrradverkehr und die höchste Lebenserwartung in Deutschland. Drittens. Das Fahrrad als Wirtschaftsfaktor. Rund 4 Milliarden Euro Umsatz im Handel, 6 800 Fachhandels- betriebe, circa 50 000 Beschäftigte, 4 000 Ausbildungs- plätze, vor allem auch im Mittelstand, gilt es zu stärken und auszubauen. Viertens. Die wichtige Rolle des Fahrrads im Touris- musbereich. Mehr als 2 Millionen Deutsche haben 2 000 eine Reise mit dem Fahrrad unternommen. Im Freizeitbe- reich spielt es eine zunehmende Rolle. Wenn wir besonders das Alltagsradeln, also den Be- rufs-, Einkaufs- und Ausbildungsverkehr nachhaltig fördern und den Anteil deutlich erhöhen wollen, dann muss Deutschland insgesamt ein fahrradfreundliches Land werden. Da reicht es nicht, hier und da einen Radweg zu bauen oder andere Einzelmaßnahmen zu ergreifen, sondern der Radverkehr muss als Gesamtsystem geplant und durch- geführt werden; das Fahrrad muss gleichberechtigt von der Verkehrspolitik berücksichtigt werden; Bund, Länder und Kommunen müssen und unter der Beteiligung al- ler gesellschaftlichen Kräfte gemeinsam diese Aufgabe lösen. Lassen sie mich an dieser Stelle noch einmal darauf hinweisen, dass Länder und Kommunen die Hauptverant- wortung für die Förderung des Fahrradverkehrs tragen. Das entspricht unserem bewährten System des Födera- lismus. Ich bin aber froh darüber – das will ich noch einmal be- tonen –, dass sich das Parlament und die Bundesregierung ausdrücklich zu einer aktiven Rolle als Moderator bei der Förderung des Fahrradverkehrs bekennen. Das ist ein wichtiger Fortschritt. Meine Damen und Herren, lassen sie mich nochmals auf die zentrale Forderung unseres Antrages zurückkom- men: Deutschland braucht einen nationalen Radverkehrs- plan nach dem Vorbild der Niederlande. In ihm sollen zentrale Ziele entwickelt und die Aktivitäten der ver- schiedenen Akteure auf der Basis der Freiwilligkeit koor- diniert werden. Dieser von uns geforderte „Masterplan Fahrrad“ soll nach unserer Auffassung weniger ein Plan als ein Prozess sein. Dieser Prozess wird sich natürlich über viele Jahre erstrecken. Notwendig ist allerdings, dass konkrete Ziele benannt werden, die auch von Zeit zu Zeit überprüft werden müssen. Die wichtigsten Ziele sind: Erstens den Anteil des Rades am Gesamtverkehr zu er- höhen. Wir haben als Ziel 27 Prozent genannt. Das muss man natürlich auf die verschiedenen Ebenen herunterbre- chen. Zweitens muss die Sicherheit erhöht werden. An der Verbesserung der Karosserie von Kfz wird zum Beispiel auf EU- und deutscher Ebene bereits gearbeitet. Drittens. Attraktive Radwege-Netze als ein wichtiger Bestandteil des Systems „Fahrrad“ – das bedeutet nicht unbedingt separate Radewege. Viertens. Ausgebaut werden kann und muss die Ver- netzung von Radverkehr und Öffentlichem Verkehr. Beide Verkehrsarten sollen sich weniger als Konkurrenz, sondern eher als Ergänzung betrachten. Stellplätze, Mit- nahmemöglichkeiten usw. sind wichtige Infrastruktur- und Dienstleistungsangebote. Fünftens. Einen wichtigen Beitrag zur Gleichstellung des Fahrradverkehrs mit den anderen Verkehrsträgern müssen die StVO und die StVZO leisten. Wir fordern zum Beispiel die Überprüfung der Radwegebenutzungspflicht, da die jetzige Regelung nicht die Heterogenität der Gruppe der Radfahrer berücksichtigt. Ein anderes Beispiel betrifft den Neukauf von Fahrrä- dern. Eine nicht geringe Zahl – vor allem Billig-Räder – weisen oft gravierende Sicherheitsmängel an Bremsen und Beleuchtung – besonders wichtige Bestandteile des Rades – auf. Hier muss im Rahmen einer Änderung der StVZO für mehr Sicherheit gesorgt werden. Sechstens. Kommen wir zur Finanzierung: Im Bun- deshaushalt 2002 haben wir – die rot-grüne Bundesregie- rung – die Haushaltsmittel für Zwecke des Fahrradver- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. April 200222938 (C) (D) (A) (B) kehrs verdoppelt. Das sollte auch als Signal an Länder und Kommunen verstanden werden, ihre finanziellen An- strengungen zu verstärken. Zumal ich betonen möchte, dass der Bund im Rahmen des GFVG auch Radverkehrs- anlagen, und nicht nur Radwege, sondern auch andere wichtige Infrastrukturen fördern kann. Die Verantwortung für die Verteilung liegt bei den Län- dern. Übrigens wäre es sehr interessant, wenn wir mehr Transparenz über die Verwendung der GFVG-Mittel all- gemein hätten und insbesondere natürlich wüssten, wel- che Mittel Länder und Kommunen insgesamt für den Fahrradverkehr ausgeben. Lassen Sie mich zum Schluss noch einmal betonen, dass wir sehr zufrieden sind über den politischen Stellen- wert, den die Förderung des Fahrradverkehrs bei der Bun- desregierung hat und der uns zu einem fahrradfreundli- chen Deutschland führen soll. Dieser Stellenwert drückt sich nicht nur, aber auch, beim genannten finanziellen Engagement aus. Ich kann heute feststellen: Wir haben viel erreicht – es gibt aber noch viel zu tun. Ich habe keinen Zweifel, dass bereits der nächste Fahrradbericht, der im Jahre 2005 vor- liegen wird, weitere wichtige Erfolge zum Inhalt haben wird. Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): Der Frühling zieht ein in Deutschland und mit ihm starten wie- der fast 60 Millionen Deutsche in die Fahrradsaison. Das ist gut, denn Radfahren ist gesund, umweltfreundlich und entlastet den Verkehr. Deshalb wurde Radfahren seit den 80er-Jahren von den vorangegangenen Bundesregierungen massiv gefördert. Etwa 15 000 Kilometer Radwege wurden bis heute an Bundesstraßen gebaut, davon 11 420 Kilometer allein bis 1980. Zwischen 1991 und 1999 wurden rund 3 300 Kilo- meter Radwege an Bundesstraßen mit einem Betrag in Höhe von 1,1 Milliarden DM aus dem Bundesfernstraßen- haushalt realisiert. Mit dieser Bilanz kann Deutschland sich sehen lassen. Es gibt bereits Bundesländer – wie etwa Schleswig-Holstein –, in denen 80 Prozent aller Bundes- straßen mit einem Radweg versehen sind. Von der ehemaligen Regierung wurde die Straßenver- kehrsordnung durchforstet und den Bedingungen des Radverkehrs angepasst. Die Radfahrnovelle von 1997 gehört ebenso dazu wie die Novellierung der StVO in sie- ben Punkten für den Radverkehr. Die Neuregelung der Radwegebenutzungspflicht passte die Verordnung den praktischen Erfahrungen der Radfahrer und Radfahrerin- nen an. Durch die Schaffung markierter Schutzstreifen wurde auf Kreuzungen zusätzliche Sicherheit geschaffen. Die Fahrradstraße ist der einzige Fahrweg, auf dem Rad- fahrer gegenüber den Autofahrern bevorzugt wurden. Durch sie war es möglich, attraktive Velorouten neben den vielbefahrenen Verkehrsadern der Städte zu schaffen. Die versuchsweise Öffnung von Einbahnstraßen für den gegenläufigen Radverkehr wurde als so positiv erfahren, dass diese Initiative der damaligen Regierung von Rot- Grün übernommen wurde. Generell kam es zu einer groß angelegten Überprüfung der Radverkehrsanlagen in Städ- ten und Kommunen, um Raum zu schaffen für mehr Rad- verkehr. Durch alle diese Maßnahmen sank die Zahl der Radfahrunfälle von 74 000 Anfang der 90er-Jahre auf 68 879 im Jahr 1998. Die Kombination von Radverkehr und Bahn wurde ge- stärkt. Die Fahrradmitnahme hat sich im Personennah- verkehr von 818 000 im Jahr 1991 auf 1 602 000 in 1998 verdoppelt. In den Fernzügen hat sie sich von 1991 bis Ende 1998 von 200 000 auf 600 000 sogar verdreifacht. Im Rahmen eines Umweltverbundes, das heißt in Kombi- nation mit dem ÖPNV wie dem Schienenverkehr, sind noch erhebliche Potenziale für eine Verkehrsverlagerung vomAuto auf das Fahrrad vorhanden. Dafür müssen aber Maßnahmen getroffen werden: sichere Fahrradparkhäu- ser, Serviceeinrichtungen und ein radorientiertes Dienst- leistungsangebot. Alle diese Leistungen wurden von den damaligen Bundesregierungen in den 90er-Jahren ge- schaffen. Umso unfairer ist es, dass die rot-grüne Bundesregie- rung so tut, als hätte sie das Rad erfunden. Sie schmückt sich mit fremden Federn. Der Bericht der Bundesregie- rung ist eine einseitige Bestandsaufnahme. Anerkennung hätte in dieser Bilanz der Politik für Radfahrer und Rad- fahrerinnen in den 90er-Jahren gebührt; die damaligen Entscheidungen wurden in der Regel von allen Fraktionen getragen. Einen Meilenstein für den Radverkehr in Deutschland setzte der Bericht, der 1995 hier im Bundestag in Auftrag gegeben wurde. Damals war man so visionär, die Bedeu- tung des Fahrrades für den Straßenverkehr zu erkennen. Damals hat man mit ganz konkreten Maßnahmen für eine Verbesserung der Situation gesorgt. Damals wurde durch konsequenten Radwegebau, durch die Novellierung der StVO und durch Verbesserungen für Radfahrer bei der Deutschen Bahn ein Durchbruch für den Radverkehr er- reicht. Rot-Grün kassiert nun lediglich die Lorbeeren, ohne tatsächlich neueAkzente zu setzen.Während die alte Bun- desregierung allein zwischen 1990 und 1998 3280 Kilo- meter Radwege baute, also rund 364 Kilometer pro Jahr, kündigt Kurt Bodewig heute an, er wolle zukünftig 300 Kilometer Radwege im Jahr bauen. Das sind etwa 250 Kilometer weniger in der Regierungszeit von Rot- Grün! Sie betreiben Radverkehrspolitik mit angezogener Handbremse, Herr Minister! Unser Antrag wurde im Juni 2000 in den Bundestag eingebracht. Fast zwei Jahre hat es nun gedauert, bis er abschließend beraten wird. Er wurde um 22 Monate ver- zögert. Zuerst hat Rot-Grün ihn blockiert, dann abgelehnt. Ihr eigener Antrag, der nach unserem Muster gestrickt wurde, ist aber weniger konkret, weniger innovativ, weni- ger an Sicherheit orientiert. Er entstand erst ein gutes Jahr nach dem Antrag unserer Fraktion. Visionär ist Rot-Grün nicht. Wenn man schon kopiert, dann aber auch den ganzen Text! Unsere Forderungen haben an Aktualität nichts einge- büßt, wie uns der ADFC deutlich bescheinigt hat: Wir wollen die Realisierung eines tatsächlichen nationalen Radverkehrsplans. Von den Verbänden gefordert, von Rot-Grün immer wieder angekündigt, bleiben die bisheri- gen Ankündigungen unscharf und greifen zu kurz. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. April 2002 22939 (C) (D) (A) (B) Wir wollen die Schaffung eines Fahrradforums in Deutschland. Der „Masterplan Fiets“ hat in Holland be- achtliche Ergebnisse erzielt. Der Radfahranteil beträgt in diesem Land 27 Prozent. Zum Vergleich: Bei uns sind es nur 12 Prozent. Steigerungen sind möglich, zumal wenn fast 50 Prozent aller PKW-Fahrten unterhalb der 5-km- Grenze liegen. ADFC und andere Verbände fordern des- halb auch für Deutschland einen Masterplan. Dennoch gab es bisher noch nicht einmal ein erstes Treffen aller Be- teiligten. Dabei sollte die Bundesregierung dringend prü- fen, wie dieses Modell im Föderalstaat Deutschland um- setzbar ist. Alle Beteiligten – Bund, Länder, Kommunen und Verbände – müssen dafür an einen Tisch. Das ist bis- her noch nicht geschehen und das wird es wohl mit dieser Regierung auch nicht mehr geben. 60 Millionen Radfah- rer und Radfahrerinnen müssen den Eindruck gewinnen: gestern versprochen – heute gebrochen! Wir wollen die Verbesserung der Steuergesetzgebung, um zu mehr Umstieg auf des Rad zu kommen. Radfahren ist gut für Deutschland. Es ist gesund und entlastet damit die Krankenkassen, mindert Fehltage bei den Betrieben. Es senkt die Umweltverschmutzung und damit die Kos- ten, die dadurch entstehen. Es entlastet die Straßen und damit den Stau. Die Europäische Kommission hat festge- stellt, dass mittlerweile die Kosten von Staus in Deutsch- land 0,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes betragen – mit steigender Tendenz. Wann also werden Radfahrer für ihr kluges Verhalten auch finanziell belohnt? Die Entfernungspauschale, angeblich ein großes Ge- schenk an die Radfahrer, ist ein Trugbild. Trotz Freibetrag müsste ein Radfahrer täglich fast 15 Kilometer zur Arbeit fahren, um in den Genuss des Steuerabzuges zu kommen. Diese Entfernung bleibt Ausnahme, ist keine Regel. Auch hier müssen 60 Millionen Radfahrer und Radfahrerinnen den Eindruck gewinnen: gestern versprochen – heute ge- brochen! Wir wollen die Anhebung der Mittel nach dem Bun- desfernstraßengesetz auf den Stand der 90er-Jahre, um mehr Radwege zu bauen. 300 km Radwege pro Jahr sind weniger als bisher. Es sind zu wenig! Die CDU/CSU- Fraktion will, dass heute genauso viele Radwege gebaut werden wie unter ihrer Regierung. Auch SPD und Grüne haben in ihrer Zeit als Opposition eine Ausweitung der Mittel gefordert. Doch geschehen ist nichts. Die angebli- che Verdoppelung der Haushaltsmittel für Radverkehr 2002 wurde durch einen einfachen Bilanztrick erreicht. Aus dem Posten „Bau“ und dem Posten „Erhaltung“ wurde der Posten „Bau und Erhaltung“ gemacht. Das ist keine Verdoppelung der Mittel, das ist übelste Täuschung! Dabei stehen Gelder, sei es aus den UMTS-Milliarden oder dem Anti-Stau-Programm, zur Verfügung. 60 Milli- onen Radfahrer und Radfahrerinnen müssen den Ein- druck gewinnen: gestern versprochen – heute gebrochen! Wir wollen die Anhebung der Mittel aus dem Gemein- deverkehrsfinanzierungsgesetz auf die Höhe der 90er- Jahre, um Ländern und Gemeinden zu mehr Radwegen zu verhelfen. 1994 änderte die damalige Bundesregierung das GVFG und schuf damit weitere Vorraussetzungen für die Förderung des Rades. Bis 1998 wurden jährlich 1 Mil- liarde an Bundesmitteln über das GVFG investiert. Rad- fahrerfreundliche Städte und Gemeinden werden von der Regierung gerne als Vorbilder herumgezeigt. Nützen tut ihnen das allerdings wenig. Die Mittel, die sie für den Ausbau von kommunalen Radwegen und Radverkehrsan- lagen bräuchten, wurden ihnen von Rot-Grün gestrichen. Aber als Opposition hat Rot-Grün für mehr Mittel für die Kommunen mächtig auf den Putz gehauen. 60 Millionen Radfahrer und Radfahrerinnen müssen den Eindruck ge- winnen: gestern versprochen – heute gebrochen! Wir wollen die Verdoppelung der Bundesradtouren und eine bessere touristische Vermarktung. Ein radfahr- touristisches Konzept nützt nicht nur den Radfahrern. Auch die Wirtschaft in Deutschland würde enorm davon profitieren, wenn ein „Fahrradland Deutschland“ in den Köpfen der Menschen verankert wäre. Mit so einem Pro- gramm würden Arbeitsplätze geschaffen, die unser Land dringend braucht. Doch für diese zukunftsweisenden For- derungen hat Rot-Grün kein konkretes Konzept. Ironisch sei angemerkt: Wer lieber in der Toskana radelt, braucht keine Velorouten in Deutschland. Wir wollen die Erweiterung der Radmitnahme bei der Deutschen Bahn auch bei Schnellzügen. In den letzten Jahren ist die Zahl der Fahrradmitnahmen in Bussen und Bahnen gestiegen. 1 602 000 sind es jetzt im Personen- nahverkehr, und in Fernzügen liegt sie bei 600 000. Jetzt ist es an der Bundesregierung, die Deutsche Bahn AG an- zuhalten, diese Errungenschaften nicht durch Sparpro- gramme wieder zu gefährden. Doch die Regierung küm- mert sich zu wenig. 60 Millionen Radfahrer und Radfahrerinnen müssen den Eindruck gewinnen: gestern versprochen – heute gebrochen! Wir wollen die Optimierung der Verkehrssicherheits- maßnahmen für Radfahrer. Fast 2 000 Radfahrer starben in den vergangenen drei Jahren auf Deutschlands Straßen. Sie nehmen etwa 12 Prozent des Verkehrsanteils ein, aber rund 15 Prozent der Verletzten. Durch geeignete infra- strukturelle, rechtliche und präventive Maßnahmen ist die Zahl der Unfälle mit Radfahrern zu verringern. Radfahrer haben keine Knautschzone. Ihre Sicherheit muss unser oberstes Gebot sein. Dennoch haben SPD und Grüne die Mittel für die Verkehrssicherheit um 4 Millionen Mark gegenüber 1999 gekürzt. Seit der Zeit wurden 12 Milli- onen Mark weniger für die Sicherheit ausgegeben als vor- her. Das nenne ich unverantwortlich. Wir benötigen mehr, nicht weniger Mittel für die Verkehrssicherheit – eine alte Forderung, auch von Rot-Grün zu Oppositionszeiten. Jetzt müssen 60 Millionen Radfahrer und Radfahrerinnen den Eindruck gewinnen: gestern versprochen – heute ge- brochen! Wir wollen die Vernetzung von Radwegen innerhalb der Bundesrepublik sowie mit unseren Nachbarstaaten. Velorouten sind in Deutschland notwendig, aber auch da- rüber hinaus. Mit einem attraktiven Routensystem wird das Rad als Freizeitvergnügen attraktiv. Für eine europä- ische Zusammenarbeit müssen auch grenzüberschrei- tende Radtouren möglich sein. Nicht nur von den Nach- barn lernen, ist die Devise. Doch von Rot-Grün kommt in dieser Richtung nichts. Dabei gehörte das zu den Forde- rungen in ihrer Oppositionszeit. Wieder müssen 60 Milli- onen Radfahrer und Radfahrerinnen den Eindruck gewin- nen: gestern versprochen – heute gebrochen! Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. April 200222940 (C) (D) (A) (B) Wir wollen ein besseres Dienstleistungsangebot der Deutschen Bahn AG auf den Bahnhöfen mit einem ge- sonderten Service rund um das Rad. Für ein funktionie- rendes Bike & Ride-System müssen die Anlagen an Nah- und Fernverkehrsknoten verbessert werden. Sicherheit gilt nicht nur für den Fahrer, sie muss auch für das Rad gelten. Völlig unberücksichtigt bleibt bei der Regierung der Sachverhalt, dass es zu circa 420 000 Fahrraddieb- stählen pro Jahr in unserem Land kommt, bei einer Auf- klärungsquote von 9 Prozent und einem Versicherungs- schaden, den wir alle zu tragen haben in Höhe von circa 130 Millionen DM jährlich, legt man einen Fahrradwert von nur 300 DM zugrunde. Wer Angst haben muss, dass sein Drahtesel beschädigt oder gestohlen wird, benutzt ihn nicht. Es müssen 60 Millionen Radfahrer und Rad- fahrerinnen den Eindruck gewinnen: gestern verspro- chen – heute gebrochen! Dieses Zehnpunktekonzept der Union sollte die At- traktivität des Fahrradverkehrs fördern, die Renaissance des Rades verstärken, sollte zu mehr Umstieg auf das Rad beitragen, um die Umwelt zu schonen, die Gesundheit zu fördern, den Nahverkehr zu entlasten. Wir, die Union, haben im Verkehrsausschuss dem An- trag der Sozialdemokraten und Bündnisgrünen zuge- stimmt, weil er in seinen Grundsätzen mit unserer voran- gegangenen Initiative identisch ist. Leider sind die Regierungsfraktionen seit der Ausschussbefassung unse- rer Auffassung nicht gefolgt, dass ein gemeinsamer An- trag der Sache hier im Plenum gedient hätte. Durch diese Nichtbereitschaft zur Kooperation werden wir uns des- halb für unseren, aber gegen den Antrag der Regierung entscheiden. Unseren Antrag lehnen Sie heute ab – deshalb, weil man nicht bereit ist, über den eigenen Schatten zu sprin- gen, weil Rot-Grün lieber fahrradfreundlich scheint als fahrradfreundlich handelt. Wir, von der CDU/CSU-Bun- destagsfraktion halten das für unverantwortliche Bürger- täuschung. Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Heute ist für Radfahrerinnen und Radfahrer ein großer Tag. Es gibt etwas zu feiern. Die Radfreunde und -freun- dinnen aller Fraktionen sind sich einig: Deutschland soll ein fahrradfreundliches Land werden. Das ist eine gute Nachricht für alle Radlerinnen und Radler. Das ist gut für die Umwelt, für die Städte und sehr gut für die Gesund- heit. Hierzu sollen in den kommenden Jahren verstärkt Anstrengungen unternommen werden. Ein „Masterplan FahrRad“ wird nächste Woche vom Bundeskabinett ver- abschiedet werden. Damit wird aus dem guten Willen und den schönen Reden ein strategisches Konzept, ein Ar- beits- und Koordinationsprozess auf zehn Jahre zur För- derung des Radfahrens. Das Wichtigste ist, dass alle politischen Ebenen zukünftig verstärkt zusammenarbeiten zur Verbesserung der Bedingungen des Radfahrens. Denn es gibt noch al- lerhand zu tun, bis Deutschland ein wirklich fahrrad- freundliches Land ist: Es gilt: das Radwegenetz auszubauen, zu verbessern und die Lücken zwischen den Wegen zu schließen. Nicht der teure Extraweg, sondern die preisgünstige Variante mit weißem Pinselstrich am Straßenrand wird bevorzugt. Auch das überregionale und bundesweite Radwegenetz soll ausgebaut werden. Radwege entlang der Bundes- straßen können zukünftig auch ohne Ausbau der Straße gebaut werden und sie können ebenfalls abseits der Bun- desstraße funktional parallel gelegt werden. Wir haben im Haushalt 2002 hierfür die Mittel verdoppelt. Zum ersten Mal hat der Radverkehr einen eigenen Haushaltstitel. Verbessert werden muss auch die Infrastruktur für das Radfahren: von der Radstation über Mitnahmemöglich- keiten im ÖPNV bis hin zu sicheren Abstellplätzen. Abgebaut werden müssen Hemmnisse in der Straßen- verkehrsordnung, die das Radfahren behindern. So muss zum Beispiel die Radwegebenutzungspflicht wegfallen und der Velotaxiverkehr muss dauerhaft rechtlich abgesi- chert werden, um nur einmal zwei Beispiele zu nennen. Wir müssen dafür sorgen, dass das Radfahren bei allen Planungsprozessen inner- und außerhalb von Städten von Anfang an mit eingeplant wird. Wir brauchen als Leitbild die fahrrad- und fußgängerfreundliche Stadt. Wir sollten auf allen politischen Ebenen gemeinsam ein radfahrerfreundliches Klima schaffen und deutlich ma- chen, dass das Fahrrad kein randständiges Verkehrsmittel, sondern ein modernes, intelligentes, schnelles, gesundes und umweltfreundliches Verkehrsmittel ist. Hierzu brau- chen wir zielgerichtet Wettbewerbe, die einen positiven Beitrag in der Lage zu leisten sind, damit sich in Deutsch- land möglichst viele Schulen, Betriebe, Verwaltungen, Unternehmen, Gemeinden und Landkreise um das Etikett „fahrradfreundlich“ bewerben. Schließlich brauchen wir dauerhaft auf allen staat- lichen Ebenen in den kommenden Jahren eine finanzielle Absicherung für die Realisierung zur verstärkten Förde- rung des Radfahrens. Wenn das alle tun, wenn alle, die dazu einen Beitrag leisten können, dies auch wirklich tun, dann können wir problemlos das ambitionierte Ziel schaffen, den Anteil des Radverkehrs am Verkehrsaufkommen zu verdoppeln. Wir beschließen heute einen Antrag der Koalitionsfrak- tionen, der weitgehend auch die Anliegen der Oppositi- onsanträge mit aufnimmt und selbst weit darüber hinaus- geht. Es ist selten, dass man bei der Beschlussfassung schon sagen kann: Die Regierung hat die Aufforderungen des Parlamentes umgesetzt. Der „Masterplan FahrRad“, der nächste Woche im Kabinett verabschiedet werden wird, liegt rechtzeitig zu Beginn der Radsaison vor. Dank an das Ministerium, das es so rasch den ersten „Masterplan FahrRad“ für Deutschland vorgelegt hat. Ernst Burgbacher (FDP): Radfahren macht Spaß! Außerdem ist es gesund, leise, schnell, flexibel, sportlich, ökologisch und kostengünstig. Kein Wunder, dass sich die unterschiedlichsten Interessengruppen für den Radver- kehr stark machen. Wir haben uns im Ausschuss seit fast zwei Jahren intensiv mit dem Radverkehr beschäftigt. Ein Höhepunkt war sicher die Anhörung im letzten Jahr. Fahrradfahren hat eine echte Renaissance in Deutsch- land erlebt. So kommt es auch, dass seit einigen Jahren die Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. April 2002 22941 (C) (D) (A) (B) Fahrradproduktionszahlen in Deutschland deutlich ge- stiegen sind. Das sichert viele Arbeitsplätze in einer äußerst innovativen Branche. Gestiegen sind die Durch- schnittsqualitäten und das aus gutem Grunde, denn die Kunden legen immer mehr Wert auf eine hervorragende Ausstattung ihrer Fahrräder. So sind komfortable Fede- rungssysteme, zupackende Bremsen und leistungsfähige Lichtanlagen für den echten Biker heute eine absolute Notwendigkeit. Die Modelle, die von der Fahrradindus- trie angeboten werden, decken sowohl den Tourenradbe- reich, den Trekking-, Cross- oder MTB- bzw. Sportive- Bereich ab. Ja, sogar Rennmaschinen haben Konjunktur, nachdem sich seit geraumer Zeit auch sportliche Erfolge in diesem Bereich eingestellt haben. Millionen einzelne Verkehrsteilnehmer haben sich längst für das Rad entschieden, da es auf unvergleichliche Art Sport, Spaß und Schnelligkeit in den Alltag integriert. Das Fahrrad ist gerade in den Städten und dicht besiedel- ten Gegenden ein optimales Verkehrsmittel und natürlich im Bereich des Fremdenverkehrs ein ernst zu nehmender wirtschaftlicher Faktor. Seitens des Bundes, der Länder und der Gemeinden sind große Anstrengungen unternom- men worden, um ein gutes Radverkehrsnetz aufzubauen. Durch die grundlegende Novellierung der Straßen- verkehrsordnung im Jahre 1997 sind sehr konkrete Verbesserungen von der Radwegebenutzungspflicht, der Radfahrstraße oder der Einbahnstraßenregelung für den Radfahrer erreicht worden. Diese Schritte waren notwen- dig, denn der Fahrradfahrer bzw. der Radler ist im Kon- flikt mit dem motorisierten Verkehr immer der Schwächere. Die FDP hat bereits frühzeitig auf das Vorbild der Niederlande verwiesen, deren Masterplan Fiets hat Ziele festgeschrieben, die wir in Deutschland ganz einfach übernehmen sollten: Imageverbesserung fürs Fahrrad, Diebstahlprävention, Radroutennetze, Fahrradabstell- anlagen an Haltestellen und Bahnhöfen sowie die Fahr- radnutzung in der Freizeit. Ich freue mich, dass wir uns gemeinsam dazu ent- schlossen haben, dem niederländischen Vorbild nachzu- eifern. Deshalb begrüßt die FDP ausdrücklich die Auffor- derung des heute zu verabschiedenden Antrags an die Bundesregierung, unter anderem ein Bundesradtouren- netz einzurichten. Was der Masterplan Fiets für die Niederländer ist, muss der Fahrrad-Master-Plan für Deutschland sein. Mit diesem Plan verknüpft die FDP fol- gende Ziele: erstens Umstieg vom Auto auf das Fahrrad in Verbindung mit öffentlichen Verkehrsmitteln; zweitens Sicherheit für Radfahrer, Fahrradparkplätze und Dieb- stahlprävention; drittens Vernetzung des Radverkehrs mit den Verkehrs- und Transportplänen des Bundes, der Län- der und Gemeinden; viertens Nutzung des Wirtschafts- faktors Fahrrad im Hinblick auf Herstellung, Handel, Dienstleistung und Tourismus. In der alten Bundesregierung haben wir bereits zusam- men mit der CDU/CSU erste fahrradfördernde Maßnah- men ergriffen, die zu mehr Verkehrssicherheit und zu ei- ner Steigerung des Fahrradverkehrs insgesamt geführt haben. Aber das Ende der Fahnenstange ist da sicherlich noch nicht erreicht. Deswegen begrüßt die FDP, dass in dem heute vorliegenden Antrag auch die Vernetzung von Fahrradverkehr und ÖPNV im Mittelpunkt steht. Dr. Winfried Wolf (PDS): Seit der erste Bericht über die Situation des Fahrradverkehrs in der Bundesrepublik Deutschland vorgelegt wurde, sind knapp vier Jahre ver- gangen. Im Juni 2001 folgte dann der Antrag von SPD und Grünen mit dem Titel „FahrRad – für ein fahrradfreund- liches Deutschland“. Wir haben in der Diskussion in der ersten Lesung und in den Debatten im Ausschuss deutlich gemacht, dass wir den Bericht und den Antrag positiv werten. Wir stimmen auch darin überein, dass das Verlage- rungspotenzial von Verkehr auf das Fahrrad – ebenso auf die Füße und den öffentlichen Verkehr – enorm ist. Es hat in unserem Land viel zu lange gedauert, bis das Fahrrad von der Verkehrsstatistik und der Verkehrspolitik neu ent- deckt wurde. Die Gefahr, die ich im Augenblick sehe, ist die folgende: Wir delektieren uns an dem schönen Be- richt, an dem nochmals schöneren Antrag und an der brei- ten Mehrheit, mit der er in diesem Haus getragen wird. Doch die Konsequenzen, die Umsetzung einer Politik für ein fahrradfreundliches Deutschland, sind nicht oder viel zu schemenhaft erkennbar. Gestatten Sie mir also, dass ich Wasser in den Wein gieße und die folgenden drei kritischen Anmerkungen an- bringe. Erstens stellt der Antrag im Grunde nur die – wohl be- gründete, detaillierte und begrüßenswerte – Aufforderung an die Bundesregierung und an die Landespolitik dar, eine Wende in der Verkehrspolitik vorzunehmen und dafür zu sorgen, dass Deutschland zu einem fahrradfreundlichen Land gemacht und zu diesem Zweck ein Masterplan Fahr- rad realisiert wird. Ein solcher Plan liegt bis heute nicht vor und er wird wohl in dieser Legislaturperiode nicht mehr vorgelegt werden. Will man den „Fahrradfreund- lichkeitsquotient“ der Verkehrspolitik und dieser Bundes- regierung jedoch bewerten, dann benötigt man einen sol- chen Plan. An den dann anerkannten Zielen könnte die Politik bewertet werden. Zweitens sind die uns vorliegenden Strukturdaten im Fahrradverkehr in jüngerer Zeit nicht allzu günstig. Nach der Publikation von „Verkehr in Zahlen“ stagnieren das Verkehrsaufkommen und die Verkehrsleistung durch Fahrräder zumindest bis einschließlich 1999. Da ansons- ten das Verkehrsaufkommen und die Verkehrsleistung wachsen, hat der Anteil des Rads an denselben abgenom- men. Bei den unterschiedlichen Verkehrswegen sank laut derselben Statistik der Anteil des Rads sogar meist, im Fall der Berufswege von 9,0 Prozent im Jahr 1995 auf 8,7 Prozent 1999, im Fall der Ausbildungswege von 18,6 auf 18,4 Prozent, im Fall der Einkaufswege von 10,3 Pro- zent auf 10,1 Prozent. Selbst bei den Freizeitwegen wird ein solch (geringer) Rückgang von 9,8 auf 9,7 Prozent ausgewiesen. Leider liegen hier keine neueren Angaben vor, so wie insgesamt an dieser wichtigsten Verkehrssta- tistik der Publikation „Verkehr in Zahlen“ zu beklagen ist, dass das Radfahren und das Zufußgehen noch zu sehr als „besondere Bewegungsformen“ definiert werden und diese wichtigen Formen von Mobilität in der Regel nicht Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. April 200222942 (C) (D) (A) (B) als Teil der gesamten Mobilität ausgewiesen werden. Hier werden als „100 Prozent“ immer noch die addierten mo- torisierten Formen der Mobilität gewertet. Drittens ist festzustellen: In einem für das Radfahren wichtigen Bereich erlebten wir in der ablaufenden Legis- laturperiode eine wesentliche Verschlechterung, und zwar bei der Fahrradmitnahme im Schienenfernverkehr. Der zur Debatte stehende Antrag konstatiert dies bereits und berichtet davon, dass die Zahl der mit der Bahn beförder- ten Fahrräder von 520 000 im Jahr 1999 auf 490 000 im Jahr 2000 zurückging. Im Jahr 2001 hat sich dieser Rück- gang nochmals fortgesetzt. Das hängt vor allem damit zu- sammen, dass die Bahn die Zuggattung Interregio zunächst abbaute und nun, im März 2002 auch offiziell er- klärt hat, dass sie sich von der „Marke Interregio“ verab- schieden werde. Als Ersatz bietet die Bahn nur den Nah- verkehr an. Das aber ist in Wirklichkeit kein Ersatz, da in den RE-Zügen die Radmitnahmemöglichkeiten viel zu gering sind und vor allem, da sich Nahverkehrszüge auf- grund der Reisedauer nicht für die Mobilitätszwecke eig- nen, für die bisher die Interregios genutzt wurden. Der Antrag von SPD und Grünen fordert, dass die in den Interregios wegfallenden 3 500 Fahrradstellplätze „in anderen Zügen des Fernverkehrs zusätzlich angeboten werden sollten“. Das ist gut so. Doch das schert die Bahn nicht. Sie tut das Gegenteil und ist dabei, das Rad ganz aus dem Schienenfernverkehr zu verbannen. Dass die Bahnen in Österreich, in der Schweiz und sowieso in den Nieder- landen zeigen, dass Radler im Fernverkehr und als Teil des Tourismusgeschäfts ein großes, attraktives Potenzial darstellen, interessiert offensichtlich bei der DB AG nicht. Wes Geistes Kind Bahnchef Mehdorn ist, wurde deutlich, als dieser anlässlich der Übernahme der Fahrradvermie- tung „Call a bike“ durch die DB AG äußerte: „Wir wollen unseren Kunden nicht zumuten, das Fahrrad zum Bahn- hof zu schleppen.“ Auf die Idee, dass Radfahrende zum Bahnhof radeln könnten, kommt der Vorstandsvorsitzen- de der DB AG erst gar nicht. Der Antrag zum „fahrradfreundlichen Deutschland“ fordert: „Die Beförderungspflicht von Personen und Reise- gepäck, die im Allgemeinen Eisenbahngesetz (§10) und in der Eisenbahn-Verkehrsordnung (§ 16) gere- gelt ist, ist auf Fahrräder auszudehnen, sodass für die Fahrradmitnahme attraktive Verbindungen im Nah- und Fernverkehr bestehen.“ Die tatsächliche Entwicklung geht in die entgegenge- setzte Richtung. Nicht nur wird das AEG nicht in diesem Sinne ausgeweitet. Das am 15. Dezember dieses Jahres einzuführende neue Bahnpreissystem läuft darauf hinaus, dass auch die „Beförderungspflicht für Personen und Rei- segepäck“ faktisch – aufgrund des massiv angehobenen Anteils von Reservierungen – nicht mehr bestehen wird. Nimmt man all das zusammen, dann ist nicht feststell- bar, dass es in dieser Legislaturperiode konkrete Maßnah- men für den Fahrradverkehr gegeben hätte. Die Anhebung der Bußgelder für Straßenverkehrsdelikte der Radlerin- nen und Radler werden SPD und Grüne kaum als positi- ves Signal werten. Bleibt unsere Hoffnung, dass endlich den wohl gesetzten Worten des Antrags der konkrete Plan und die messbaren, fahrradfreundlichen Taten folgen und dass in diesem Sinne ins Pedal getreten wird. Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: Förderung der Grenzregionen zu den Beitrittsländern (Tagesordnungspunkt 15) Rainer Fornahl (SPD): Der heute zur Beratung vor- liegende Antrag der CDU/CSU Fraktion ist schon etwas älter, die Forderungen größtenteils umgesetzt. Dennoch ist das Thema sehr aktuell, denn der Prozess der Erweite- rung der EU kommt im Jahre 2002 in seine entscheidende Phase. EU-Erweiterungskommissar Günter Verheugen hat vor wenigen Tagen in einem Interview mit der „Leip- ziger Volkszeitung“ den Fahrplan, die aktualisierte „road map“, wie das heute so neudeutsch heißt, vorgestellt: Ab- schluss der Beitrittsverhandlungen mit allen zehn aktuel- len Beitrittskandidaten von Estland bis Zypern Ende 2002; Unterzeichnung des Beitrittsvertrages zwischen EU-Kommisson und den Kandidaten im Frühjahr 2003; Ratifizierung des Vertrages durch die Mitgliedstaaten und die Kandidatenländer bis Ende 2003; Teilnahme der zehn neuen Mitgliedstaaten an den Europawahlen 2004. Das ist ein Projekt von Dimensionen, das Verheugen als „größten diplomatischen Prozess der Weltgeschichte“ ein wenig überhöht qualifiziert hat. Nun darüber können unsere Kinder vielleicht einmal Aufsätze oder Examensarbeiten schreiben. Auf jeden Fall ist dieser ins Auge gefasste Zielpunkt ein Höhepunkt in ei- ner Entwicklung Europas, der schon das Attribut histo- risch verdient; aber wir sind uns sicher einig, dass am Ende, um bei der Eingangsmetapher zu bleiben, „der größte diplomatische Erfolg der Weltgeschichte steht“. Diese Gemeinschaft will jetzt bald größer werden. Die Stabilitätszone des Friedens, der Demokratie und stabiler Wirtschaft wird sich nach Westen und Süden ausweiten. Die EU wächst durch die Beitritte um mehr als 100 Millionen Menschen zu einem Wirtschaftsraum mit fast 500 Millionen Verbrauchern. Damit entsteht der größte Binnenmarkt der Welt. Darüber hinaus profitiert die EU schon jetzt ganz er- heblich vom Wirtschaftsaustausch mit den Beitrittslän- dern. Der gemeinsame Handel entwickelt sich sehr dyna- misch und hat sich seit 1989 mehr als verfünfacht. Fast die Hälfte davon entfällt auf Deutschland. Diese Entwicklung hat in Deutschland, auch in den neuen Ländern, eine Viel- zahl von neuen Arbeitsplätzen geschaffen und vorhan- dene gesichert. Insgesamt sind es circa 80 000, wenn ich die Zahl noch richtig erinnere. Mit dem Abbau von wei- teren Handelshemmnissen werden die Wachstums- und Wohlfahrtsgewinne im Zuge der Erweiterung zunehmen. Dies zeigt: Es ergeben sich aus der Erweiterung auf längere Sicht günstige Entwicklungschancen. Dass die so genannte Transformationsdividende für den Übergang in Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. April 2002 22943 (C) (D) (A) (B) offene Demokratien und in marktwirtschaftliche Struktu- ren für viele Menschen in den Kandidatenländern aber noch längst nicht verbucht werden kann, zeigen die Zah- len und die reale Lage auf den Arbeitsmärkten dort. Dies ist im Analyseteil des vorliegenden Antrages auch weit- gehend unstrittig richtig beschrieben. Damit wäre der Übergang zu den Herausforderungen gegeben. Der An- trag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen „Flankierung der Erweiterung der Europäischen Union als innenpolitiche Aufgabe“ vom 5. Dezember 2000 zeigt diese sehr deutlich auf. Die Herausforderun- gen, die mit dem Erweiterungsprozess schon in der seit Jahren laufenden Vorbeitrittsphase – übrigens auf beiden Seiten der jetzigen Außengrenze der EU mit Polen und Tschechien – verbunden sind, haben es durchaus in sich. Wer wollte das leugnen?! Betroffen von den laufenden und kommenden Umbrüchen und Veränderungen sind die Staaten und Regionen, die Volkswirtschaften, nicht zu- letzt auch die kleinen und mittleren Unternehmen und Handwerksbetriebe. Letzten Endes sind es die Menschen, die betroffen sind. In den Kandidatenländern ist seit über zehn Jahren ein Transformationsprozess mit immensen Veränderungen in der Gesellschaft und für die Wirtschaft und die Menschen im Gange, der seinesgleichen sucht. Ähnliches lief und läuft seit 1990 auch in Ostdeutschland ab. Auch hier hat dieser Prozess allen aktiv und passiv Be- teiligten Gewaltiges abverlangt. Er ist, wie wir alle wis- sen, noch lange nicht bewältigt. Was sind nun die wesentlichen Probleme und Heraus- forderungen in den deutschen Grenzregionen? Man muss dabei meines Erachtens zwei Problemebenen betrachten. Einmal: Was passiert nach dem Beitritt in erster Linie der direkten Nachbarn auf dem heimischen Markt? Zum an- deren: Wie können die deutschen Unternehmen auf den Märkten der neuen Mitgliedstaaten den Wettbewerb be- stehen? Es ist völlig natürlich, dass die daraus resultierenden Fragestellungen, was passiert ganz konkret und was muss man tun, um Folgen zu bedenken und Lösungen anzubie- ten, Sorgen in Teilen der deutschen Bevölkerung auslö- sen, grade in den strukturschwachen Gebieten und in den Grenzregionen? Vielfach muss man aber auch feststellen, dass sich die Diskussionen im Bereich von Befürchtun- gen, Vermutungen und Spekulationen bewegen. Es wäre deshalb nicht akzeptabel, wenn der Eindruck entstünde, die Bundesregierung und die Koaltionsfraktionen gingen auf diese Sorgen und Befürchtungen nicht ein. Ich kann aber versichern: Wir nehmen die Sorgen sehr wohl ernst. Insgesamt muss man festhalten, dass bei der Suche nach der richtigen Strategie zur Flankierung des Erweiterungs- prozesses Sachlichkeit, Nüchternheit und auch die Be- achtung von Zuständigkeiten gefragt ist. Auf die Vielzahl der Unterstützungs- und Förderpro- gramme, die die EU-Kommission aufgelegt hat, kann ich hier nicht im Einzelnen eingehen. Ich verweise an dieser Stelle auf die Dokumentation „Förderung der Grenzre- gionen zu den Beitrittsländern“ aus dem Bundesministe- rium für Wirtschaft und Technologie. Hier sind die Hilfen von EU, Bund und Ländern für die Grenzregionen aus- führlich dargestellt. Dass die Kommission insbesondere auf Druck der Bundesregierung und des Deutschen Bun- destages ein zusätzliches Programm „Gemeinschafts- initiative für Grenzregionen“ aufgelegt hat, ist aber doch der Erwähnung wert. Das Volumen ist sicher nicht geeignet, alle Wünsche zu erfüllen. Es bringt aber mit einer Größenordnung von ins- gesamt 215 Millionen Euro auch zusätzliche Unterstüt- zung für die Grenzregionen. Schwerpunkt ist die grenz- überschreitende Verkehrsinfrastruktur im Bereich der TEN-Förderquote, angehoben auf 20 Prozent mit 150 Mil- lionen Euro. Dies setzt Investitionen von 750 Millionen Euro frei. Aber wo sind die Projekte die damit realisiert werden können? Hier sind die Länder gefordert, für die Baureife zu sorgen. Bei der Verbindung über die Grenzen hinweg geht es aber noch viel mehr um die kleinen Brückenschläge, Radwege, Grenzübergänge nur zum Beispiel. Das Europäische Parlament hat darüber hinaus nochmal 65 Millionen Euro bewilligt. Auch der Bund leis- tet einen erheblichen Beitrag zur Flankierung des Anpas- sungsprozesses. Die Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ ist dabei das wichtigste Instrument zur Förderung von Investitionen der gewerb- lichen Wirtschaft und der wirtschaftsnahen Infrastruktur in struktrurschwachen Gebieten. Allein im Jahr 2002 ste- hen den vier Grenzländern im Rahmen der Gemein- schaftsaufgabe „Verbesserungen der regionalen Wirt- schaftsstruktur“ Mittel in Höhe von rund 977 Millionen Euro – Bund, Land – zur Verfügung. Den Sorgen und Be- fürchungen wegen der Folgen unbeschränkter Arbeitneh- mer- und Dienstleistungsfreiheit nach dem Beitritt hat die Kommission, auch hier wieder auf Initiative der Bundes- regirung, Übergangsregelungen, die bei Bedarf insgesamt sieben Jahre in Anspruch genommen werden können, mit den Kandidatenländern ausverhandelt. Das 2+3+2-Mo- dell lässt dabei eine flexible Umstetzung zu. An dieser Stelle muss man natürlich darauf hinweisen, nicht zur un- geteilten Freude unserer Freunde und Partner aus Polen und Tschechien. Ich bin aber davon überzeugt, sie werden deshalb auf gar keinen Fall Mitglieder zweiter Klasse werden. Das waren beispielsweise Spanien und Portugal damals bei deren Beitritt auch nicht. Die Wünsche für Übergangsregelungen im freien Ka- pitalverkehr und beim Grunderwerb oder auch im Um- weltbereich einer Reihe von Beitrittskandidaten mussten jetzt im Gegenzuge nach zähen Bemühungen um Kom- promisse auch akzeptiert werden. Europa ist nicht selten ein oder der Kompromiss. Wenn ich das an der Stelle nur ganz kursorisch ein- flechten darf: Die Schaffung klarerer Regelungen in den institutionellen Fragen der EU, das Prinzip der Mehrheits- entscheidungen und die Zuordnung der Kompetenzen zwischen der EU, den Mitgliedstaaten und den Regionen im so geannten Post-Nizza-Prozess ist dringender denn je. Wir sollten alle den Daumen drücken, dass der so ge- nannte Verfassungskonvent zur Vorbereitung einer Regie- rungskonferenz im Jahre 2004 dazu die richtigen Weichen stellt. Zurück zu den aktuellen Fragen. Nutzen die Unterneh- men, die Kammern und Verbände alle die Möglichkeiten der Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit und der Aus- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. April 200222944 (C) (D) (A) (B) richtung auf die Märkte in den künftigen Mitgliedstaaten im Osten? Auf einigen Reisen nach Polen und Tschechien, insbesondere in die Grenzregionen zu Sachsen im Nie- derschlesischen und im Böhmischen, bei vielen Ge- sprächen speziell in den Euroregionen, habe ich durchaus den Eindruck gewonnen, dass man vielerorts mit Tatkraft und auch Zuversicht die Möglichkeiten der grenzüber- schreitenden Kooperationen und der Zusammenarbeit von Unternehmen und Verwaltungen bereits nutzt. Trotz- dem gibt es noch erhebliche Reserven. Der größtmögliche Nutzen aus den erheblichen Finanzmitteln, die EU, Bund und die Länder zur Flankierung des Erweiterungsprozes- ses in der gegenwärtigen Vorbeitrittsphase zur Verfügung stellen, wird wohl noch nicht gezogen. Handlungspiel- räume gibt es durchaus. Am besten können sie vor Ort ausgeschöpft werden. Dies alles muss in einer dringend erforderlichen und umfassenden Informations- und Kom- munikationskampagne den Beteiligten und Akteuren nahe gebracht werden. Zu diesem Ergebnis kommen auch Stu- dien des Sächsischen Handwerkstages und der Industrie und Handelskammer Frankfurt/Oder. Beide Analysen stellen ein erhebliches Informationsdefizit vor allem bei den kleinen Unternehmen fest. Gerade diese schlecht in- formierten Betriebe gilt es, nochmehr für die Chancen der EU-Osterweiterung zu sensibilisieren. Die Vertreter von Kammern und Verbänden, Unternehmer, Handwerker und auch Ministerpräsidenten Professor Dr. Biedenkopf ha- ben festgestellt: Die Lösung der Probleme in der Vorbei- trittsphase bedarf nicht in erster Linie mehr Geld, sondern mehr Intelligenz und Effizienz, die Milliarden richtig für Infrastruktur und Wirtschaftsförderung zu nutzen. Hierzu gehört auch, wie eingefordert, die Verbesserung der EU- Programme wie PHARE CBC, INTERREG III und Än- derung der Programmstrukturen. Die EU muss schneller handeln. Der Kommissar Verheugen hat mir das auf Nachfrage kürzlich in der gemeinsamen Sitzung der Eu- ropaausschüsse von Bundestag und Bundesrat nochmals bestätigt. Der Vollzug steht aber immer noch aus. Was wir brauchen, um die Chancen der EU-Erweite- rung zu nutzen, dabei die Herausforderungen zu bestehen, sind Netzwerke über die noch bestehenden Grenzen hin- weg, Netzwerke der Kammern und Verbände, der Ver- waltungen und der Unternehmen. Wir brauchen aber auch die Bereitschaft, die jeweils anderen zu verstehen. Ein Blick in eine hochinteressante Studie des Warschauer In- stitutes für öffentliche Angelegenheiten zur jeweiligen Sicht Deutscher auf Polen und umgekehrt – ich kann sie zur gründlichen Lektüre wirklich empfehlen, – zeigt: Da ist ist noch einiges zu tun. Insgesamt kann man feststellen: Mit den vorhandenen Mitteln und Instrumenten kann und muss man vor Ort, in den Ländern und Grenzregionen eine Unterstützung zu- stande bringen. Der Ruf nach frischem Geld bringt nicht viel, lediglich eine Aufblähung des EU-Haushaltes, von Deutschland zu 24 Prozent selbst finanziert. Denken Sie, die Antragsteller, dabei auch an die Stabilitätskriterien für die Eurozone. Der Antrag verkleistert, wie gesagt, den Blick auf die nicht ausgeschöpften Möglichkeiten des vorhandenen Instrumentariums. Deshalb werden wir ihn ablehnen. Dr. Gerd Müller (CDU/CSU): Wir wollen die histo- rische Chance der anstehenden Osterweiterung der Euro- päischen Union nutzen. Diese angestrebte Erweiterung der EU ist im Hinblick auf die Größenordnung und auf das enorme Wohlstandsgefälle die gewaltigste Herausforde- rung in der Geschichte des Einigungsprozesses. Damit die EU-Erweiterung auch langfristig ein Erfolg wird, müssen allerdings drei Voraussetzungen erfüllt sein: Erstens: die Erfüllung der Kopenhagener Beitrittskrite- rien durch die Kandidatenländer. Hier gibt es Fortschritte, aber auch große Probleme, insbesondere bei der Korrup- tionsbekämpfung und der geforderten Umsetzung und Durchsetzung des Brüsseler Regelungswerkes in den Bei- trittsstaaten. Zweitens: die Erweiterungsfähigkeit aufseiten der EU. Leider hat die Bundesregierung dazu in den vergangenen Jahren ihre Hausaufgaben nicht gemacht. Die fehlende In- stitutionenreform und eine klare Kompetenzabgrenzung der verschiedenen Ebenen ist immer noch nicht in Sicht. Mit 27 Mitgliedstaaten kann das bisherige System nicht mehr funktionieren. Der Finanzrahmen für die Osterwei- terung ist lediglich bis 2006 gesichert. Was danach kommt, weiß niemand. Die Agenda 2000 war und ist keine Basis für die Reformen der EU-Agrarpolitik; die grundlegende Reform der EU-Regionalförderung wurde ebenfalls nicht angegangen. Somit wird auf die EU der zukünftigen 25 Mitglied- staaten ein System übertragen, das für die EU der 15 nicht zukunftsfähig war und für eine EU mit 25 Mitgliedstaaten weder sinnvoll noch finanzierbar ist. Allein bei den Struk- turfonds würden im Jahr 2008 zu den 30 Milliarden Euro Strukturmittel für die bisherigen 15 weitere 37 Milliarden Euro für die neuen Mitglieder hinzukommen. Bei der Agrarpolitik würden 2008 zusätzlich Ausgaben für die neuen Mitglieder in Höhe von 16,6 Milliarden Euro ent- stehen. Drittens: die dritte Voraussetzung für das Gelingen der Osterweiterung ist die Förderung einer positiven wirt- schaftlichen Entwicklung der Grenzregionen. Chancen: Grenzregionen werden von der Randlage innerhalb der EU ins Zentrum gerückt, was einen Gewinn an Zentralität in einem erweiterten Wirtschaftsraum mit sich bringt. Ri- siken: Wettbewerbsnachteile durch Kostenvorteile der Beitrittsländer: niedrige Löhne, unterschiedliche Kauf- kraft, niedrige Umwelt- und Sozialstandards und hohes Fördergefälle. Angesichts dieser Situation hat der Europäische Rat in Nizza die Kommission aufgefordert, finanzielle Hilfen für die Grenzregionen bereitzustellen, um die Benachtei- ligung durch die Osterweiterung auszugleichen. Das vor- gelegte Sonderprogramm für Grenzregionen mit 195 Mil- lionen Euro für 23 EU-Regionen ist allerdings absolut unzureichend. Die vom Bundeskanzler für die Grenzre- gionen gegebenen Versprechen wurden nicht eingelöst. Sollte hier nicht wesentlich nachgebessert werden, be- steht die große Gefahr, dass es insbesondere in den Grenz- regionen zu Verlagerungen von Produktion, Investitionen und Dienstleistungen kommt. An notwendigen Regelungen, die jetzt angegangen werden müssen, nenne ich erstens ein geschlossenes Grenzförderprogramm der EU mit Substanz, zweitens Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. April 2002 22945 (C) (D) (A) (B) einen größeren Spielraum für die eigenständige Förder- möglichkeit der Mitgliedstaaten und Länder, drittens eine Anpassung und Verbesserung der bewährten Grenzgän- gerregelung. Viertens. Der Bund muss seiner Verantwortung, vor al- lem im Rahmen des dringend erforderlichen Ausbaus der Verkehrsinfrastruktur, nachkommen. Fünftens. Besonderes Augenmerk verdient die mittel- ständische Wirtschaft und insbesondere die Bauwirt- schaft. Gerade hier führen Schwarzarbeit und die großen Differenzen im Arbeits-, Steuer-, Tarif-, Sozial- und Um- weltrecht zu erheblichen Wettbewerbsnachteilen. Sechstens. Wir brauchen die Koordination der ver- schiedenen Programme. Siebtens. Wir brauchen die aktive Ausgestaltung der vereinbarten Übergangsfristen. Insgesamt wollen wir die Erweiterung optimistisch an- gehen. Aber wir müssen feststellen, dass die deutschen In- teressen schlecht vertreten werden. Wie sonst ist es zu er- klären, dass Bundesaußenminister Fischer an den Erweiterungsverhandlungen auf Ebene der Minister bis- her so gut wie nicht teilnimmt? Dieses Projekt allein würde es rechtfertigen, einen Europaminister der Bundes- regierung einzusetzen. Also lassen Sie uns die großen Chancen nutzen, die Probleme lösen und den Menschen die Ängste nehmen! Arnold Vaatz (CDU/CSU):Wir benötigen in Deutsch- land für die Erweiterung der Europäischen Union kein Re- ferendum. Aber das ist kein Freibrief. Ohne ein Klima der Zustimmung für diesen Prozess in unserem Land wird das Unternehmen nicht erfolgreich sein. Ein sorgfältig durch- dachtes Programm zur gezielten Vorbereitung der jetzigen EU-Grenzregionen in Bayern, Sachsen, Brandenburg und Vorpommern auf die Erweiterung wäre eine große Chance gewesen. Im Falle der EU-Süderweiterung hat man diese Möglichkeit genutzt: zur Aufwertung besonders betroffe- ner Regionen und zur Vertrauensbildung für den damali- gen Erweiterungsprozess. Auch nach der ersten Debatte über unseren Antrag hier im Hause waren zumindest Ver- suche der Bundesregierung zu beobachten, ein besonderes Grenzregionenprogramm auf die Beine zu stellen. Was ist nun daraus geworden? Für die Grenzregionen stehen bekanntlich die Mittel von INTERREG III A zur Verfügung. Auf das Drängen von Sachsen und Branden- burg hat vor einem knappen Jahr der Bundeswirtschafts- minister dem Kommissar Barnier geschrieben. Er hat ge- fordert, die Mittelausstattung für dieses Programm zu verdoppeln. Die Kommission ist darauf jedoch nicht ein- gegangen. Sie hat im Juli 2001 ein Grenzregionen- Aktionsprogramm verabschiedet. Das hat sie mit 195 Mil- lionen Euro ausgestattet. Diese Summe müssen sich aber die 23 Grenzregionen in ganz Europa teilen. Was dann für die Projekte in der deutschen Grenzregion bleibt, kann sich jeder ausrechnen: zum Leben zu wenig und zum Ster- ben zu viel. Man kann keine sachlichen Gründe erkennen, warum die Bundesregierung nun die Forderungen des Müller- Briefes nicht weiter verfolgt hat – es sei denn, sie waren von vornherein nicht ernst gemeint. Was die Bundes- regierung nicht zustande brachte, das schaffte dann we- nigstens ansatzweise schließlich das Europäische Parla- ment: Zusätzlich wurden 65 Millionen Euro bewilligt für 2002 und 2003. So blamabel es ist, dass die Bundesregierung am Zu- standekommen der Aufstockung keinen Anteil hat, so wichtig ist es für die Region selbst: Darunter sind 30 Mil- lionen für interregionale Strukturförderung, die in die INTERREG III A-Mittel einfließen und 18 Millionen für die Unterstützung von kleinen und mittleren Unterneh- men. Aber auch hier gibt es noch große Unklarheiten: We- der steht ein Verteilungsschlüssel fest, noch ist klar, für welche Maßnahmen die Mittel eingesetzt werden können – und das, obwohl schon klare Projektlisten in den Re- gionen vorliegen. Dennoch ist auch das aufgestockte Pro- gramm ein Tropfen auf einen heißen Stein. Die von der Bundesregierung ursprünglich geforderte Verdopplung der INTERREG III A-Mittel hätte allein für Deutschland eine verfügbare Summe von 430 Millionen Euro ge- bracht. Die Lücke zwischen dem von der Bundesregierung selbst angemeldeten Bedarf und der sich abzeichnenden Ausstattung erklärt sich aber auch durch den geringen fi- nanziellen Spielraum der Europäischen Union selbst. Da schlägt nun zu Buche, dass die vollmundigen Versuche, im Agrarbereich eine französische Kofinanzierung er- zwingen zu wollen und stattdessen das waigelsche Kap- pungsprinzip aufzugeben, verhängnisvolle Fehler dieser Bundesregierung waren: Die Taube auf dem Dach ist weggeflogen und der Spatz in der Hand auch. Die be- scheidenere Ausstattung des Grenzregionenprogramms wird sichtbare Konsequenzen haben: Wenn zum Beispiel in die transeuropäischen Netze investiert wird, werden die notwendigen Investitionen in die regionale Verkehrsinfra- struktur auf der Strecke bleiben. Und für die Zeit nach 2006 gibt es weniger Hoffnung statt mehr, das Infrastruk- turdefizit auszugleichen. In den Grenzregionen wird man feststellen, dass der besonderen Beanspruchung der Re- gionen aus dem Erweiterungsprozess keine besondere Vorsorge durch die Regierung entgegensteht. Das ist keine Werbung für die europäische Integration, sondern unterlassene politische Hilfeleistung. Es sind Grüße aus jener Sackgasse im europäischen Finanzsystem, in das uns diese Bundesregierung hineingeführt hat. Wenn die Skepsis gegen die Erweiterung der EU nun um sich greift, dann ist das nicht der europäischen Idee geschuldet, sondern der schlechten handwerklichen Form, in der ihr diese Bundesregierung zu entsprechen sucht. Christian Sterzing (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Europäische Union steht zu Beginn des 21. Jahrhun- derts vor einer riesigen Herausforderung. Die Erweite- rung der Europäischen Union nach Osten und Südosten ist eine politische Notwendigkeit und Chance. Wenn noch vor der nächsten Wahl des Europapar- lamentes neue Mitglieder aufgenommen werden sollen – und das haben wir uns alle in der EU vorgenommen –, Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. April 200222946 (C) (D) (A) (B) dann müssen die Beitrittsverhandlungen zügig zum Ende gebracht werden. Jede Verzögerung des Verhandlungs- prozesses birgt das Risiko in sich, dass damit rückwärts- gewandte Kräfte innerhalb Ost- und Mitteleuropas ge- stärkt werden und die vorhandene Zustimmung für einen Beitritt zur Union geschmälert wird. Die Osterweiterung der Union darf daher aber auch bei uns nicht zum Spiel- ball innenpolitischer Opportunitäten werden. Die Erweiterung der Europäischen Union ist ein äußerst komplexer Vorgang. Auch wenn längerfristig die wirtschaftlichen Vorteile überwiegen – niemand zweifelt daran –, sind Risiken nicht auszuschließen. Je nach Re- gion, nach Wirtschaftsbereich oder anderen spezifischen Bedingungen – etwa der Qualifizierung der Menschen – sind unterschiedliche Effekte denkbar. Ängste, Sorgen und Skepsis gegenüber Europa sind deshalb verständlich, weil viele Menschen nicht verstehen, wer warum von wei- tem in ihren Alltag eingreift. Hier muss sich gewiss man- ches ändern, um die Akzeptanz für Europa zu erhöhen. Aber wir sind heute sehr viel weiter als zur Zeit der Stellung des Antrags, über den wir heute diskutieren. Die weitgehend ausgehandelten Übergangsfristen werden mögliche negative Folgen der Erweiterung in besonders sensiblen Bereichen abfedern können. Wichtig ist für uns, dass die Übergangsfristen weder von den alten noch von den neuen Mitgliedstaaten dazu instrumentalisiert wer- den, einerseits überfälligen Strukturwandel künstlich zu verhindern oder falsch verstandene Partikularinteressen zu wahren. Die Übergangsfristen sind, soweit bislang festgelegt – das ist für uns besonders wichtig – auch hin- reichend flexibel, um auf mögliche unerwartete Entwick- lungen reagieren zu können. Damit sind wir bei den Problemen der Grenzregionen. Auch in ihnen werden die meisten Menschen von der Er- weiterung profitieren. Die grenznahen Regionen rücken aus ihrer Randlage heraus und ihre bisherigen Standort- nachteile können mittelfristig zu Standortvorteilen wer- den. Sie werden künftig zu wichtigen und zentral gelege- nen Standorten im größeren EU-Europa. Hier gibt es sicherlich Handlungsbedarf für einen Anpassungsprozess an eine sich im Übrigen schon seit längerem verändernde Situation. Also Ja zu einer gezielten regionalen Struktur- förderung. Aber: Förderung darf nicht der Konservierung alter Strukturen dienen und keine Belohnung für versäumte Anpassung und Veränderungsunwilligkeit sein. Jede poli- tische Ebene muss ihre Verantwortung wahrnehmen und ihren Teil zur politischen Flankierung des Erweiterungs- prozesses beitragen. Die regionale Wirtschaftsförderung ist primär Sache der Länder. Die vorhandenen Mittel müs- sen mehr als bisher auf die besonders betroffenen Regio- nen konzentriert werden, wobei die zukunftsweisenden und innovativen Projekte zu bevorzugen sind. Auch der Bund leistet durch die Gemeinschaftsaufgabe „Regionale Wirtschaftsförderung“ bereits jetzt einen Bei- trag zu diesen Anpassungsprozessen. Gerade bei der Ge- meinschaftsaufgabe gilt es, künftig stärker noch als bisher auf eine Konzentration der Mittel zu drängen. Natürlich ist nicht zuletzt die Europäische Union ge- fordert, ihren Teil beizutragen. Schon jetzt ist sie mit ih- rer Struktur- und Regionalpolitik aktiv. In besonderer Weise versucht sie über ihre Fonds zukunftsträchtige Pro- jekte zu forcieren. Aber seien wir ehrlich: Wir hatten uns von dem Aktionsplan der Europäischen Kommission et- was mehr an Masse versprochen. Aber alle finanziellen Wünsche können nun einmal nicht wahr werden. Es geht auch nicht, dass wir das Einkassieren der Vor- teile des Erweiterungsprozesses als selbstverständlichen nationalen Anspruch und das Auffangen der Nachteile als selbstverständliche europäische Aufgabe betrachten. Umso wichtiger ist es, dass die Verwendung aller Gelder und die Durchführung aller Maßnahmen zwischen allen Ebenen gut abgestimmt wird, damit es echte Investitionen in die Zukunft werden. Nur eineöffentlicheundehrlicheDebatte überdieChan- cen und Risiken der Erweiterung kann gewährleisten, dass eine breite politische Akzeptanz der Erweiterung erhalten bleibt.OhnediebreiteUnterstützungderBevölkerungwird die Erweiterung nur schwerlich gelingen.Die Entwicklung der öffentlichen Diskussion in den EU-Mitgliedstaaten können wir – so mein Eindruck – daher positiv bewerten. Das Informationsniveau steigt, das Verständnis für die Zu- sammenhängewächst unddieÄngsteverringern sich–dies alles nicht zuletzt aufgrund der Anstrengungen der Bun- desregierung und der Parteien, besonders in den Grenz- regionen für die Erweiterung zu werben. Für uns Bündnisgrüne liegt ein besonderes Augenmerk auf der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, die sich aber auch nicht auf wirtschaftliche Kooperation be- schränken darf. Vor allem in der kulturellen, gesellschaft- lichen und politischen Zusammenarbeit liegt ein enormes Potenzial für das Gelingen des Erweiterungsprozesses. Wirtschaftliche Probleme können gerade auch in grenz- überschreitender Kooperation erfolgreich angegangen werden. Dafür gibt es bereits viele gute Beispiele. Daran sollten wird anknüpfen. Jürgen Türk (FDP): Die Erweiterung der Europä- ischen Union ist inzwischen in greifbare Nähe gerückt. Alle demokratischen Parteien in Deutschland wollen sie. Sie sind sich auch darin einig, dass es notwendig ist, die deutschen Grenzregionen wirtschaftlich fit zu machen für die Erweiterung, denn gerade hier wird die Vision vom ei- nigen Europa zuerst und aufgrund des Anpassungsdrucks wohl auch am härtesten auf die Probe gestellt. Brüssel und Berlin haben in diesem Zusammenhang viel versprochen, aber leider wenig gehalten. Sie lassen die Grenzregionen weitgehend hängen. Nach langer Verzögerung hat die EU-Kommission im Juli vergangenen Jahres endlich eine „Gemeinschaftsak- tion für Grenzregionen“ aufgelegt, die diesen Namen aber leider kaum verdient. Es ist Minimalismus pur. Für die 23 Grenzregionen von Finnland bis Italien stellt die Kommis- sion bis zur Erweiterung ganze 245 Millionen Euro zur Verfügung, von denen allein 150 Millionen für transnatio- nale Verkehrsprojekte reserviert sind. Die bescheidene Restsumme verteilt sich auf ein Sonderkreditprogramm der Europäischen Investitionsbank, ein Pilotprojekt für KMU, den Aufbau von Informationsnetzen und Jugend- austausch- sowie Bildungsmaßnahmen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. April 2002 22947 (C) (D) (A) (B) Das ist nicht eben viel und entspricht in keiner Weise den hohen Erwartungen, die die Kommission im Vorfeld geweckt hatte. Selbst die Bundesregierung, sonst be- kanntlich nicht so schnell aus der Ruhe zu bringen, war offensichtlich erschrocken und hat Nachbesserungen ge- fordert. Ende November 2001 wurden dann noch 65 Mil- lionen Euro von der EU für die Grenzregionen „nachge- reicht“. Für die große Zahl der Aufgaben, die es vor der Erweiterung im Grenzbereich zu lösen gilt, ist das aber immer noch bei weitem nicht ausreichend. Und das ist auch deutlich spürbar für jeden, der wie ich in der Grenzregion lebt. Die wirtschaftliche Talfahrt, die ge- rade die ostdeutschen Grenzregionen im letzten Jahr erlebt haben, ist beispiellos. Schon lange gab es nicht mehr der- maßen viele Firmenpleiten, so hohe Arbeitslosenzahlen und so viele Abwanderer wie in diesem und im vergangenen Jahr. Dieser Trend muss sich umkehren. Denn nur wenn die Wirtschaft auf Wachstumskurs ist, kann den Menschen in der Grenzregion die Angst vor der Erweiterung genommen werden, nur dann werden sie den Einigungsprozess be- grüßen. Dazu aber bedarf es eines generellen Umschwen- kens in der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung und einer Grenzlandförderung, die für alle fühlbar Zeichen setzt und Entwicklungsschübe auslöst. Die Brandenburger FDP hat sich auf ihrem kürzlich stattgefundenen 12. ordentlichen Landesparteitag inten- siv mit dem Thema „EU-Osterweiterung“ befasst und dazu einen Leitantrag beschlossen, der deutlich macht, welche Maßnahmen uns schneller ans Ziel bringen kön- nen. So fordern wir darin die Einrichtung eines Zentrums, das alle Aktivitäten zur EU-Erweiterung in Brandenburg zusammenfasst und koordiniert, die intensivere Förde- rung von Kooperation von KMU beiderseits der Grenze und die Vereinheitlichung von Verwaltungsstrukturen in Deutschland und Polen. Im Interesse der EU-Erweiterung ist zu hoffen und zu wünschen, dass Landes- und Bundesregierung diese Vor- schläge schnell aufgreifen und mit Leben erfüllen. Uwe Hiksch (PDS):Über den Antrag, der der heutigen Debatte zugrunde liegt, braucht man nicht mehr viele Worte zu verlieren. Der Antrag der CDU/CSU ist datiert vom 3. Juli 2001 und mittlerweile überholt. An diesem Antrag fällt auch auf, dass ermit sehr wenigen konkretenVorschlä- gen versucht, populistische Stimmung zu organisieren. In- teressanter verspricht die noch stattfindendeDebatte umdie GroßeAnfrage der PDS zu diesem Thema zu werden. Der Antrag der CDU/CSU verfolgt einen völlig falschen Ansatz. Er fordert einseitig die Schaffung eines Sonderprogramms für die deutschen Grenzregionen, um die vorhandenen Probleme durch die Osterweiterung zu mildern. Er blendet dabei bewusst aus, dass es ein spezi- elles Förderprogramm nur für die deutschen Grenzregio- nen im Rahmen der Europäischen Union niemals geben wird, da ein solches Programm für alle EU-Außengrenzen notwendig ist. Auch geht er in keiner Weise auf die Not- wendigkeit von grenzüberschreitenden Initiativen in den Regionen ein. Der Antrag bezieht sich einseitig auf die vermeintlichen Wettbewerbsvorteile der Kandidatenlän- der, auf das Fördergefälle zwischen deutschen und den an- grenzenden Regionen und die Verdrängungseffekte auf dem Arbeitsmarkt. Das ist eine falsche Sicht auf die He- rausforderung der Osterweiterung und auch auf die Sor- gen der Menschen in den ostdeutschen, aber auch in den fränkischen und niederbayerischen Grenzregionen. Dort verbinden die Menschen mit der Osterweiterung auch die Hoffnung, aus der Randlage im alten Europa in die Mitte eines neuen Europas zu rücken. Dort schaffen es die Men- schen jetzt schon, unter schwierigen Ausgangsbedingun- gen die Chancen eines Zusammenwachsens mit Polen und der Tschechischen Republik zu nutzen; dort schaffen es die Menschen jetzt schon, jenseits aller bestehenden Sprachprobleme miteinander zu reden. Das Problem aber ist: Sie werden von der Politik der rot-grünen Regierung alleine gelassen. Die bevorstehende EU-Osterweiterung lässt viele Menschen in Ostdeutsch- land und Ostbayern befürchten, dass ihre Regionen zur reinen Transitstrecke im größeren EU-Binnenmarkt und zum perspektivlosen Hinterhof westdeutscher Wirt- schaftszentren werden und sich die ungleiche Wirt- schaftsentwicklung in der Bundesrepublik weiter zuun- gunsten Ostdeutschlands verstärkt. Die PDS setzt sich deshalb für die Schaffung eines spe- ziellen Förderprogrammes für alle europäischen Grenz- regionen ein, das als Schwerpunkt die intraregionale Zusammenarbeit dieser Region setzt. Es müssen Initiati- ven im kulturellen, wirtschaftlichen, umweltpolitischen und kommunalen Bereich gefördert werden. Spezielle Sprachinitiativen, zum gegenseitigen Erlernen der ande- ren Sprache, müssen zum Zusammenwachsen dieser Re- gionen beitragen. Man muss sich die Situation in den einzelnen Regionen genau anschauen und dann eine gezielte und auf die Pro- bleme ausgerichtete Infrastrukturpolitik entwickeln, die in Bayern andere sind als in Mecklenburg-Vorpommern. Oberstes Prinzip muss dabei sein, nicht in nationalstaatli- chen Kategorien zu denken, sondern grenzüberschreitende Projekte und Lösungsansätze zu entwickeln. Gerade im Nordosten Mecklenburg-Vorpommerns gibt es auf der an- deren Seite der Grenze durch die Wirtschaftsregion Stettin Möglichkeiten für eine gemeinsame Kooperation zum bei- derseitigen Vorteil. Das Gleiche gilt für bestimmte Dienst- leistungsbranchen wie Unternehmens- und Rechtsbera- tung oder Architektur- und Ingenieursbüros, die von einem Zusammenwachsen der Regionen profitieren können. Das Problem ist hier allerdings, dass diese Dienstleistungen bisher zu wenig in den Grenzregionen angeboten werden, sondern aus den Zentren bedient werden. Hier gilt es, ge- zielt Unternehmensgründungen zu fördern. Chancen sehe ich mit vielen Wirtschaftswissenschaftlern zusammen auch in den Bereichen Aus- und Weiterbildung oder medi- zinischen Dienstleistungen, also durchaus humankapital- intensiven Dienstleistungsbranchen. Aber: Die Zeit für die Vorbereitung der Grenzregionen ist knapp; deshalb muss sofort damit begonnen werden, über die bestehenden Grenzen hinaus zu denken. Wir brauchen schon jetzt sinnvolle Erleichterungen im klei- nen Grenzverkehr. Wir brauchen jetzt eine auch klein- räumig durchdachte Planung für ein Verkehrsprojekt Osterweiterung, weil die Verkehrsbelastung in den Grenz- orten unerträglich ist. Regionale Wirtschaftsverpflechtun- gen brauchen regionale Verkehrswege, regionale Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. April 200222948 (C) (D) (A) (B) Knotenpunkte und den regionalen öffentlichen Verkehr unterstützende Tarife. Vordringlich ist auch eine gemein- same grenzüberschreitende Bildungsinitiative mit Polen und Tschechien. Grenzüberschreitende Kooperationen und Verflechtun- gen gelingen nur mit den Menschen, nicht gegen die Men- schen, die in diesen Regionen leben. Eine erfolgreiche Osterweiterung braucht daher sozialen und kulturellen Austausch, regionale Offenheit und gegenseitige Kennt- nis, Besuchs- und Begegnungsprojekte, Mehrsprachigkeit. Da die Osterweiterung unweigerlich dazu führen wird, dass mehr Fördermittel in die osteuropäischen Regionen fließen werden, müssen wir jetzt schon darüber nachden- ken, wie wir uns eine Neuausrichtung der Regional- und Strukturpolitik nach 2006 vorstellen. Wir brauchen eine Weiterentwicklung der Förderprogramme auf europä- ischer Ebene. Das von der EU-Kommission vorgelegte „Aktionspro- gramm Grenzregionen“ verdient diesen Namen jedoch nicht. Die Grenzregionen müssen eine beträchtliche, sub- stanzielle Aufstockung im Rahmen dieses Sonderprogram- mes erhalten. Die Verkehrsinfrastruktur muss vor allem in- nerhalb der Regionen und nicht nur für die großen transeuropäischen Netze gefördert werden. Klein- und mit- telständische Unternehmen brauchen wirksame Anpas- sungshilfen und vor allem Unterstützung für die Entwick- lung grenzüberschreitender Kooperation. Dringend notwendig sind europäische und nationale Strategien zur Überwindung der extrem hohen Arbeitslosigkeit in den ost- deutschen Grenzregionen und zur Verringerung der Ab- wanderung junger Menschen. Wesentlich erhöht werden müssen die Mittel für den Jugendaustausch, für grenzüber- schreitende und zweisprachige Bildung und Ausbildung, für Kontakte zwischen sozialen und kulturellen Initiativen. Werden die deutschen Politiker darauf angesprochen, schieben sie sehr schnell die Verantwortung nach Brüssel. Auch hier werden die Widersprüche nur zu deutlich: Die Landespolitiker und die CDU/CSU fordern einmütig mehr Geld aus Brüssel für das Grenzregionenprogramm der EU. Das ist richtig. Gleichzeitig treten sie gemeinsam mit Gerhard Schröder für eine Rationalisierung der Struk- tur- und Regionalpolitik ein. Die PDS wird ihre Aufgabe darin sehen, die bestehen- den Probleme deutlich aufzuzeigen, gleichzeitig aber durch konkrete Lösungsansätze deutlich zu machen, wie die großen Chancen der Erweiterung für die Menschen in der Region als Chance genutzt werden kann. Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Bekämpfung der Geldwäsche und der Bekämpfung der Finanzierung des Ter- rorismus (Geldwäschebekämpfungsgesetz) (Ta- gesordnungspunkt 16) Hans-Peter Kemper (SPD):Der vorliegende Gesetz- entwurf ist ein weiterer richtiger Schritt zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität und des internationalen Terrorismus und damit ein wichtiger Beitrag zur weiteren Verbesserung der inneren Sicherheit. Organisierte Kriminalität und vor allem internationaler Terrorismus sind im hohen Maße geeignet, Unruhe in der Bevölkerung auszulösen und das Sicherheitsempfinden der Bevölkerung empfindlich zu stören. Sozialdemokra- ten legen aber seit jeher großen Wert auf die Verbesserung der inneren Sicherheit. Ein Leben der Menschen in Si- cherheit zu gewährleisten, ist ein zutiefst sozialdemokra- tisches Anliegen. Ein Leben ohne Angst, ein Leben in Si- cherheit ist ein Stück Lebensqualität. Viele Menschen reagieren in sicherheitspolitisch ange- spannten Situationen so, dass sie nach Einbruch der Dun- kelheit ihre Häuser nicht mehr verlassen, bestimmte Stadtteile meiden und dadurch Kontakte und Besuche bei Verwandten und Bekannten nicht mehr wahrnehmen. Sie geben ein Stück persönlicher Freiheit und damit ein Stück Lebensqualität preis. Nicht erst seit den verheerenden Anschlägen vom 11. September haben Sozialdemokraten die Bedeutung der Geldströme für die organisierte Kriminalität und für den internationalen Terrorismus erkannt und sorgen für Transparenz und eine nachhaltige Bekämpfung der Geld- wäsche. Es ist nach unserer Meinung ein wichtiger Ansatzpunkt zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität, diese illegalen Geldströme auszutrocknen, denn Finanzmittel im großen Umfang, sei es legal oder illegal; sind nun mal die Triebfeder der organisierten Kriminalität, der Lebens- saft des internationalen Terrorismus. Daher ist es richtig und wichtig, weitere Schritte in der Bekämpfung der in- ternationalen Geldwäsche zu gehen, von denen ich hier nur einige schwerpunktartig aufführen will. In dem bisherigen Geldwäschebekämpfungsgesetz wa- ren ganz bestimmte Berufsgruppen nicht oder nicht ausrei- chendmit einbezogen. Das waren all diejenigen, bei denen die Gefahr besteht, dass sie ihre berufliche Stellung miss- brauchen oder dass ihre Dienstleistungen zur Geldwäsche missbraucht werden, zum Beispiel Finanzmakler, steuer- beratende und rechtsberatende Berufe. Diese bestehenden Lücken werden mit dem neuen Gesetz geschlossen. In diesem Gesetzentwurf wird den neuen Erkenntnis- sen der EDV-gestützten Finanztransaktionen im europä- ischen Bereich Rechnung getragen: Die Zeiten, in denen organisierte Kriminelle mit einer Tragetasche voller Geld in der Bank erschienen, sind längst vorbei. Heute werden riesige Geldmengen in Sekundenschnelle über unsere EDV-Systeme um die ganze Welt transferiert. Insofern haben wir es bei diesem Gesetz mit einer Anpassung an neue, sich ständig verändernde Techniken im Bank- und Kreditwesen zu tun. Als weiterer, sehr wichtiger Schwerpunkt in diesem neuen Gesetz ist die Straffung des innerstaatlichen Ver- fahrens zu nennen. Die Weiterleitung einer Geldwäsche- anzeige vom Anzeigepflichtigen, also von den Banken oder Steuerberatern etc. an die zuständigen Strafverfol- gungsbehörden erfolgt, und das ist sehr wichtig, parallel dazu an die bestehende Zentralstelle des BKA. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. April 2002 22949 (C) (D) (A) (B) In der Vergangenheit ist immer wieder insbesondere von den Finanzermittlern Klage über ein schwerfälliges, mit unnötigen Zeitverlusten verbundenes Verfahren ge- führt worden. Die Parallelmeldungen entsprechen inter- nationalen Vorgaben und stellen eine schnellstmögliche Verfügbarkeit sämtlicher geldwäscherelevanten Informa- tionen sicher. Der hier vorliegende Gesetzentwurf ergänzt die bereits im Bereich der Geldwäsche bestehenden Rechtsvorschrif- ten in sinnvoller Weise und passt sie an die sich wandeln- den Bedingungen in unserer Gesellschaft an. Er trägt den Erkenntnissen zur besseren Bekämpfung des internationa- len Terrorismus so weit als möglich Rechnung, ohne dabei in unvertretbarer Weise Datenschutz oder Bürgerrechte zu beeinträchtigen. Von daher halte ich diesen Gesetzentwurf für sehr gelungen, weil hilfreich in der Bekämpfung der organisierten Kriminalität und des Terrorismus, und ich bin davon überzeugt, dass dieses Gesetzesvorhaben noch in dieser Legislaturperiode die breite Zustimmung unseres Parlaments finden wird. Erwin Marschewski (Recklinghausen) (CDU/CSU): Der Terroranschlag auf die USA hat die Welt verändert: Wir stehen vor neuen Herausforderungen, die uns zu neuen Sichtweisen und zu veränderten Schwerpunkten bei den Aufgaben des Staates zwingen, weil wir die frei- heitlichste Gesellschaftsordnung, die Deutschland je ge- kannt hat, erhalten und stärken wollen. Ein Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung der Geldwäsche und zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus ist notwendiger denn je, weil gerade die fi- nanziellen Strukturen des internationalen Terrorismus zerstört werden müssen. Denn nur dadurch kann dem in- ternationalen Terrorismus die logistische und strukturelle Grundlage entzogen werden. Insofern ist das Gesetz rich- tig. Ihre Initiative ist dankenswert. Aber: Ob Sie dies mit dem vorgelegten Gesetzentwurf vollständig erreichen werden, ist hier und da leider doch zweifelhaft. Nicht gut ist zum Beispiel, dass Ihr Gesetz- entwurf weitere bürokratische Hürden – im Wesentlichen bei den Banken – schafft. Denn auf die Banken sind wir ja bei der Identifizierung von terroristischem Vermögen besonders angewiesen. Gerade ihre Motivation, die ihrer Mitarbeiter, führt zum Erfolg. Und diese Motivation müs- sen wir stärken und dürfen die Banken nicht mit überflüs- sigen Aufgaben belasten. Deswegen frage ich mich, wieso die im Rahmen einer Identifizierung zu dokumentierenden Aufgaben um das „Ende der Gültigkeitsdauer“ ergänzt werden sollen. Denn dies nützt wenig und kostet Geld. Dies erfordert die Um- stellung des gesamten Formularwesens der Kreditwirt- schaft, obwohl bereits nach geltendem Recht gültige Aus- weispapiere bei der Identifizierung verwendet werden. Die zusätzlichen Kosten stehen in keinem Verhältnis zu einem überhaupt vorstellbaren Nutzen. Problematisch ist unter dem Gesichtspunkt des zusätz- lichen unnötigen Verwaltungsaufwandes auch die neue Identifizierungspflicht bei Abschluss eines Vertrages zur Begründung einer auf Dauer angelegten Geschäftsbezie- hung. Die Praxis der Kreditinstitute, die erforderlichen personenbezogenen Daten nach den Vorschriften der Ab- gabenordnung festzustellen und festzuhalten, hat sich seit Jahrzehnten bewährt. Ich wiederhole: Nicht mehr Verwaltungsaufwand, son- dern die Überzeugung bei den Mitarbeitern der Banken bestärken, dass die neuen Vorschriften sinnvoll sind und dass sie zur gemeinsamen notwendigen Bekämpfung von OK und besonders des Terrors dienen. Sie hätten eben mehr vorschlagen müssen, um die we- sentlichen Probleme bei der Geldwäschebekämpfung an- zupacken. Das Regelwerk hätte erheblich effektiver ge- staltet werden müssen. Seit 1993 hat es in Deutschland nur 100 Verurteilungen wegen Geldwäsche gegeben. Was fehlt, sind effektivere gesetzliche Regelungen. Was fehlt, ist eine erhebliche Verbesserung der Koordinierung aller betreffenden Institutionen. Was fehlt, ist Personal. Weil Sie das nicht regeln, bleibt die Beweisführung lückenhaft, ist eine Verurteilung wegen Geldwäsche oftmals leider nicht möglich. Sie wissen: Ich habe deshalb an dieser Stelle immer wieder die Umkehr der Beweislast für diesen Bereich ge- fordert. Dies ist in der Schweiz möglich. Vom CDU-Bun- desparteitag ist das beschlossen worden. Die Polizei for- dert dies. Dann wagen auch wir die ernsthafte Diskussion hierüber. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat aus denselben Gründen bereits vor dem 11. September 2001 immer wie- der die Optimierung der Geldwäschevorschriften gefor- dert. So haben wir unter anderem auch Verbesserungsvor- schläge für die verfahrensrechtliche Ausgestaltung der Gewinnabschöpfung vorgelegt. Der Zugriff auf die sehr hohen Gewinne – damals beschränkt auf die OK – war ei- nes unserer wichtigsten gesetzgeberischen Ziele bei der Einführung der Geldwäschegesetzgebung. Es muss näm- lich die Gewinnabschöpfung auch solcher Vermögensge- genstände möglich sein, die das Ergebnis eines oder meh- rerer Geldwaschvorgänge sind. Darüber hinaus sind Beweiserleichterungen im Ver- fallsrecht sowie eine deutliche Verlängerung der Fristen für die – vorläufige – Sicherstellung erforderlich. Das fehlt hier. Das ist ein Mangel. Ich erinnere in diesem Zusammenhang weiter an unse- ren Gesetzentwurf zur Bekämpfung von Straftaten der OK und des Terrorismus, der leider nicht die erforderliche Mehrheit in diesem Hause bekommen hat. Es ist unverzichtbar, dass die erwirtschafteten Profite, die insbesondere für Terrorismus verwendet werden, ent- zogen werden können. Wenn es auch angesichts der inter- nationalen Strukturen der Täter schwierig ist, aber es geht. Wie wir gesehen haben, sind trotz der hohen Zahl auslän- discher Beziehungsstrukturen der kriminellen Organisa- tionen im vergangenen Jahr in einem von der Union re- gierten Land, nämlich in Baden-Württemberg, allein bei der organisierten Kriminalität Vermögenswerte in Höhe von rund 10,7 Millionen Euro aufgespürt und beschlag- nahmt worden – dank dem zuständigen Innenminister Thomas Schäuble und dem FDP-Justizminister Ulrich Goll. Nur so – nämlich mit der Abschöpfung der krimi- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. April 200222950 (C) (D) (A) (B) nellen Vermögenswerte – kann die OK, mit der letztend- lich auch der Terrorismus finanziert wird, an ihrer Le- bensader getroffen werden. Nur so wird eine Reinvestition dieser Mittel in weitere kriminelle und terroristische Verbrechen verhindert. Und gerade deswegen unterstützen wir, dass alle im Finanz- sektor tätigen Institute verpflichtet werden, Verdachtsan- zeigen im Hinblick auf den Terrorismus zu erstatten. Wir halten diese Regelung im vorliegenden Gesetzentwurf für zielführend. Wir begrüßen auch den Ausbau und die Verbesserung der Funktionalität der im BKA bestehenden Zentralstelle für Geldwäscheverdacht entsprechend den internationa- len politischen Anforderungen. Sie wissen: Wir haben das Geldwäschegesetz seiner- zeit gegen ihren Widerstand durchgesetzt. Insofern be- grüßen wir ausdrücklich, dass Sie von der Regierungsko- alition nunmehr, wenn auch etwas spät, jedenfalls zum Teil in der Realität angekommen sind. Dennoch: Noch mehr Mut – auch gegen Grün – wäre nötig gewesen. Der Terrorismus muss international bekämpft werden, weil sich kein Land alleine schützen kann; da sind wir uns doch einig. Warum arbeiten Sie aber nicht daran, die in- ternationale Zusammenarbeit auszubauen? Es müssen in- ternationale Standards und ein Verhaltenskodex bei der Geldwäschebekämpfung geschaffen werden. Das System weltweiter Schattenbanken muss aufgebrochen werden. Wir sind hier der Meinung, dass die 40 Empfehlungen zur Geldwäschebekämpfung der Financial Action Task Force zwar als Grundlage dienen können. Sie müssen aber im Hinblick auf die Terrorismusbekämpfung weiterent- wickelt, erweitert werden. Und vor allem: Die Umsetzung darf nicht auf die 29 Mitgliedstaaten begrenzt bleiben! Die nicht ordnungsgemäß beaufsichtigten und mangel- haft regulierten Finanzplätze liefern vor allem den terroris- tischen Netzwerken Grundlagen für ihre Finanztransfers. Sie müssen konsequent ins Visier genommen werden. Und ein Weiteres: Es müssen vor allem gemeinsame Sanktionsmöglichkeiten auf internationaler Ebene ge- schaffen werden. Notwendig sind identische Gesetze, ein Strafgerichtshof, eine angegliederte einheitliche interna- tionale Strafvollstreckung. Denn von der Politik, von uns, ist nach den notwendigen Worten der Bestürzung, Trauer und Solidarität nunmehr tatkräftiges Handeln gefordert. Und deshalb: Wie beim Terrorbekämpfungsgesetz: Die Union wird – bei notwendigen Änderungsanträgen – der Bundesregierung zur Seite stehen. Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Heute Abend reden wir über ein wichtiges Thema. Ich bedaure, dass es so weit hinten auf der Tagesordnung steht. Wie können wir die Geldströme der terroristischen Organisa- tionen stoppen oder zumindest eindämmen? Der An- schlag von Djerba zeigt einmal mehr, dass Terroristen in- ternational vernetzt sind und mit internationalen Finanztransaktionen ihre Attentate finanzieren. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf machen wir ei- nen weiteren Schritt hin zu der effektiven Bekämpfung der internationalen Finanzströme terroristischer Organi- sationen. Der Entwurf wird aber auch in einem anderen Bereich relevant werden: in dem der organisierten Krimi- nalität. Wir müssen die Finanzbewegungen der organi- sierten Kriminalität, die zum Teil mit Etats jongliert, die höher als ein Staatshaushalt sind, eindämmen. Gerade hier gilt es, möglichst umfassende Kontrollen einzuführen. Geldwäsche ist kein Kavaliersdelikt. Wir müssen alles daran setzen, diesem Eindruck entgegenzutreten. Der Ge- setzentwurf zeigt, wie schnell Europa hier reagiert hat und wie schnell wir die europäische Richtlinie umsetzen. Das ist gut so. Gerade im Bereich der Geldwäsche ist die euro- päische und internationaleKooperation besonderswichtig. Geldströme machen keinen Halt vor nationalen Grenzen. Schon das Vierte Finanzmarktförderungsgesetz hat auf die Transparenz der Finanzströme abgezielt. Mit dem jetzt vorliegenden Entwurf intensivieren wir die Transparenz. Wir tun das, indem wir die an Finanztransaktionen betei- ligten Unternehmen und Personen verpflichten, stärker auf illegale Geldbewegungen zu achten. Es ist deswegen sinnvoll, dass zum Beispiel Versiche- rungsmakler, seien sie selbständig oder angestellt, jetzt in den Anwendungsbereich des Geldwäschebekämpfungs- gesetzes einbezogen werden. Es ist richtig, die Finanz- institute stärker in die Pflicht zu nehmen. Das bedeutet auch, dass sich die Finanzinstitute über ihre bisherige Pflichten hinaus jetzt auch über die Identität einer Person vergewissern müssen, mit der sie längerfristige Ge- schäftsbeziehungen planen. Sie dürfen nicht länger davon ausgehen, dass Geld nicht stinkt. Allerdings macht mir eine Regelung im Gesetzentwurf Sorge. Ich denke aber, dass wir hier im weiteren parla- mentarischen Verfahren zu einer Lösung kommen wer- den. Ich spreche von den neuen Pflichten, die Rechtsan- wältinnen und Rechtsanwälten auferlegt werden. Richtig ist sicherlich, dass sie sich jetzt über die Identität eines Mandanten vergewissern müssen, wenn sie bestimmte fi- nanzielle Transaktionen vornehmen. Zu weit geht aber meines Erachtens die Pflicht der Rechtsbeistände, in be- stimmten Fällen eine Anzeige erstatten zu müssen. Das Verhältnis Rechtsanwalt – Mandant ist ein beson- deres Vertrauensverhältnis. Der Mandant muss die Si- cherheit haben, dass er seinem Rechtsbeistand umfassend vertrauen kann. Dieses Vertrauen des Rechtssuchenden ist auch Ausdruck des Schutzes der Persönlichkeit nach Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes. Alles, was der Rechtssuchende seinem Rechtsanwalt anvertraut, ist zunächst von diesem Schutz umfasst. Gerade der Grundsatz „nemo tenetur se ipsum accusare“ könnte aber durchbrochen werden, wenn der Rechts- anwalt verpflichtet wird, Mitteilungen über den Mandan- ten an die Rechtsanwaltskammer zu machen. Wenn der Mandant mit der Möglichkeit rechnen muss, dass Anga- ben, die er gegenüber dem Rechtsanwalt gemacht hat, von diesem weitergegeben werden, dann besteht die Gefahr, dass er sich seinem Rechtsanwalt gegenüber nicht umfas- send offenbart. Meines Erachtens müssen wir hier den Gesetzentwurf auch noch einmal unter dem Gesichtspunkt der Wer- tungseinheit mit §138 StGB betrachten. Dort hat der Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. April 2002 22951 (C) (D) (A) (B) Rechtsanwalt die Pflicht, schwerste Verbrechen anzuzei- gen. Im Geldwäschebekämpfungsgesetz ist er schon ver- pflichtet, ein Vergehen, wie es die Geldwäsche gemäß § 261 StGB darstellt, anzuzeigen. Ich denke, dass wir hier im weiteren parlamentarischen Verfahren noch einmal nachbessern sollten. Auch hier muss das strucksche Gesetz gelten: Kein Gesetz geht so in das parlamentarische Verfahren hinein, wie es letztend- lich verabschiedet wird. Wir haben hier auch noch Hand- lungsspielraum. Die Geldwäscherichtlinie, die mit dem heutigen Gesetzesentwurf umgesetzt wird, lässt aus- drücklich eine Ausnahme für rechtsberatende Berufe zu. Insbesondere erlaubt sie, dass der Rechtsanwalt der Man- dantin mitteilen darf, dass er Informationen an die Kam- mer weitergegeben hat. Das ist für das Vertrauensverhältnis zwischen Rechts- beistand und Mandant sehr wichtig. Denn nur so kann der Mandant das ausreichende Vertrauen zu seinem Rechts- anwalt aufbauen. Er kann dann gegebenenfalls entschei- den, ob er das Mandatsverhältnis fortsetzen möchte oder nicht. Auch für den Rechtsanwalt und die Rechtsanwältin ist das wichtig: Sie müssen, wenn sie schon zum Ge- heimnisverrat verpflichtet werden, berechtigt sein, sich demjenigen gegenüber zu offenbaren, der in der Erwar- tung des Geheimnisschutzes zu ihnen gekommen ist. Ich bin mir sicher, dass wir hier noch zu einer vernünf- tigen Lösung kommen werden. Die anderen Maßnahmen begrüße ich. Ich möchte zum Schluss noch einmal unter- streichen, dass der vorliegende Gesetzentwurf ein posi- tives Beispiel für die schnelle Umsetzung europäischer Vorgaben und internationaler Initiativen ist, die eine Re- aktion auf den 11. September sind. Rainer Funke (FDP): Das vorliegende Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung der Geldwäsche und der Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus klingt im Titel gut. Ob auch der Inhalt des Gesetzes gut und vor al- lem durchführbar ist und die hier entwickelten Vorhaben nicht gegen höherrangiges Recht verstoßen, muss noch in den anschließenden Beratungen in den Ausschüssen gründlich untersucht werden. Ich fürchte, dass es sich hierbei um einen großen Etikettenschwindel handelt. Natürlich wollen wir alle den internationalen Terroris- mus bekämpfen, auch durch die Austrocknung illegaler Finanzströme, die der terroristischen Logistik und Struk- tur dienen. Man kann auch sagen, auf diesem Gebiet jagt ein Gesetz das andere: So ist bereits das Terrorismus- bekämpfungsgesetz seit dem 1. Januar dieses Jahres in Kraft und das Vierte Finanzmarktförderungsgesetz ist ge- rade vom Deutschen Bundestag verabschiedet worden. Ohne auch nur Erfahrungen mit diesen beiden Gesetzen und den bisherigen §§ 261 ff. StGB gegen Geldwäsche abzuwarten, wird ein weiteres Gesetz vorgelegt, das in die Grundstrukturen unserer Rechtsordnung eingreift und da- rüber hinaus die Kreditwirtschaft tief treffen wird. Die europäische Richtlinie zur Geldwäsche hat in einem gerade noch vertretbaren Umfang den Anwen- dungsbereich der Geldwäscherichtlinie auch auf die An- wälte ausdrücklich mit erfasst, aber Ausnahmen vorgese- hen, die noch sicherstellen können, dass ein Anwalt auch ohne Offenlegung Mandanten die Rechtslage erläutern und beraten kann. Darüber hinaus unterliegt der Anwalt keiner Meldepflicht, wenn er den Mandanten vor Gericht vertritt. Dagegen ist die Formulierung in § 11 Abs. 3 S. 2 des Geldwäschebekämpfungsgesetzes weiter und lässt befürchten, dass bei den Auslegungen und Anwendungen des Gesetzes unverzichtbare Rechte der Rechtsuchenden in einer Weise eingeschränkt werden könnten, wie dies Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes und Art. 8 MRK wider- spricht. Der Rang des Geheimnisschutzes bei der Bera- tung ist ein hohes Gut und ist im Übrigen gemäß § 203 StGB auch strafbewehrt. Es besteht kein Anlass, hier weiter zu gehen, als in der zweiten europäischen Geld- wäscherichtlinie. Auch Art. 3 des Geldwäschegesetzentwurfs schießt in der Fassung seines neuen § 25 b weit über das eigentliche Ziel, verdächtige Zahlungen zum In- und Ausland zu er- fassen, hinaus. § 25 b sieht eine Totalerfassung von allen Transaktionsdaten vom In- ins Ausland und umgekehrt vor. Gegebenenfalls fehlende Transaktionsdaten müssen erforscht werden, und zwar von allen an der Transaktion beteiligten Kreditinstituten. Dieses Verfahren ist aufwen- dig, sehr kostenintensiv und wird nicht etwa von den Kre- ditinstituten, sondern von allen Kunden zu finanzieren sein. Die Flut von Daten wird auch dazu führen, dass Er- mittlungen mehr erschwert denn erleichtert werden. Des- wegen wird in den Anhörungen zu prüfen sein, ob nicht einfachere Verfahren zu demselben gewünschten Ergeb- nis führen können. Entsprechende Vorschläge liegen ja bereits vor. Diese Totalerhebung folgt der typisch deut- schen Regulierungswut. Dieser Perfektionismus wird in keinem Land der OECD umgesetzt. Da es sich um Aus- landszahlungen handelt, sollten wir uns auch an den Er- fahrungen im Ausland orientieren. Für meine Fraktion sage ich eine gründliche und kon- struktive Mitarbeit in den Ausschüssen zu, denn der Ter- rorismus muss überall bekämpft werden. Wir dürfen nicht zulassen, dass sich der Terrorismus auch bei uns einnisten kann. Ulla Jelpke (PDS): Im Zusammenhang mit der Dis- kussion um Terrorismusbekämpfung gab es im vergange- nen Herbst Stimmen, die für Steuerberater, Anwälte und Notare schon bei einem schwachen Verdacht auf Geldwä- sche eine Anzeigepflicht gegen ihre eigenen Mandanten einführen wollten. Solche extremen Forderungen tauchen in der jetzigen Vorlage nicht mehr auf. Aber der Eingriff in das Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt bzw. Steuer- berater und seinem Mandanten ist geblieben. Schon bei der Debatte um den großen Lauschangriff haben sich Anwälte, Notare, Ärzte und andere zu Recht gegen das Belauschen von vertraulichen Gesprächen mit Mandanten gewehrt. Nun wird erneut darin eingegriffen. So sollen Anwälte und Steuerberater jetzt verpflichtet werden, ihre Mandanten anzuzeigen, wenn sie „wissen, dass der Mandant ihre Rechtsberatung bewusst für den Zweck der Geldwäsche in Anspruch nimmt“. Im Gesetz heißt es zwar, dass diese Anzeigepflicht nicht gelten soll, Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. April 200222952 (C) (D) (A) (B) wenn nur ein Verdacht auf eine Straftat besteht. Wo aber verläuft die Grenze zwischen Gewissheit und Verdacht? In Wirklichkeit wissen doch alle, dass es hier eine breite Grauzone gibt. Außerdem hat bisher selbst ein auf frischer Tat ertapp- ter Straftäter das Recht zu schweigen. Soll das künftig nicht mehr gelten? Wer zu einem Anwalt oder Steuerbe- rater geht, offenbart sich diesem. Und ein Anwalt oder Steuerberater, der nach einem solchen Gespräch seinen Mandanten anzeigt, ist dann auch Zeuge der Anklage ge- gen seinen eigenen Mandanten. Anwälte, Notare, Steuer- berater und andere würden damit zu Hilfspolizisten. Das ist unvereinbar mit rechtsstaatlichen Grundsätzen. Die Verfolgung und Verurteilung von Verbrechen ist Sache von Polizei und Justiz und von niemandem sonst. Aufgabe von Anwälten, Notaren und Steuerberatern ist die rechtli- che Beratung und auch die Verteidigung von Beschuldig- ten. Dabei muss es bleiben. In der Praxis wäre die jetzt geplante Regelung nach meiner Überzeugung zudem völlig wirkungslos. Zu An- wälten oder Steuerberatern, die ihre Mandanten anzeigen, geht niemand mehr hin. Und wenn es um wirklich schwere Verbrechen geht, kaufen sich solche Banden so- wieso ihre Anwälte und Berater mit Haut und Haaren. Zu glauben, ein großer Rauschgift- oder Waffenhändler wäre mithilfe seiner eigenen Anwälte oder Steuerberater zu überführen, ist naiv bis zur Lächerlichkeit. Die geplante Vorschrift ist deshalb auch kürzlich auf dem 26. Strafver- teidigertag in Mainz von den dort versammelten 500 An- wältinnen und Anwälten zu Recht als „Sicherheitshyste- rie“ abgelehnt worden. Ein zweiter Punkt: Mit der vorliegenden Novelle sol- len im Finanzsektor tätige Firmen zu Anzeigen verpflich- tet werden, wenn ihnen Anhaltspunkte für eine Finanzie- rung von Terrorismus vorliegen. Was Terrorismus ist, wird dabei nicht gesagt. Verwiesen wird stattdessen auf § 129 a und den neuen § 129 b Strafgesetzbuch. Die PDS lehnt beide Paragraphen entschieden ab. Beide Gesin- nungsparagraphen werden auch von Strafverteidigern und Menschenrechtsgruppen schon lange kritisiert. Wenn in Zukunft auch noch die Deutsche Bank, die Dresdner Bank, die Allianz AG oder andere Firmen ent- scheiden sollen, welche Gruppe oder Person in Kolum- bien oder sonst in Südamerika, im Irak in der Türkei oder irgendwo sonst im Mittleren Osten oder in einem anderen Land der Welt als terroristisch einzustufen ist, wird das vollends grotesk. Es gibt bis heute keine allgemein ak- zeptierte Definition von Terrorismus. Unter diesen Um- ständen auch noch Banken und Versicherungen zu Hilfs- polizisten zu machen ist völlig unhaltbar. Um nicht falsch verstanden zu werden: Gegen Geld- wäsche soll auch nach Ansicht der PDS unbedingt vorge- gangen werden. Genau hier aber geschieht weiter viel zu wenig. Das Ermittlungsverfahren gegen den früheren In- nenminister Kanther wegen Geldwäsche zum Beispiel wurde vor wenigen Wochen wieder eingestellt, obwohl dieser Millionenbeträge, die aus bis heute nicht bekann- ten Quellen in die Kassen der CDU gelangt waren, illegal in die Schweiz und wieder zurück transferiert hat. Noch grotesker finde ich die Einstellung des Verfahrens gegen den flüchtigen CSU-Staatssekretär Pfahls. Gegen ihn wurde wegen Verdacht auf Geldwäsche im Zusammen- hang mit der Leuna-Affäre ermittelt. Dabei sollen 39 Mil- lionen DM Schmiergelder geflossen sein, vor allem über den Geschäftsmann Dieter Holzer. Herr Pfahls sei Teil der Geldverteilungsmaschinerie des Herrn Holzer gewesen, aber er habe Konten in Ländern unterhalten, in denen Geldwäsche nicht strafbar sei, und deshalb sei das, was Herr Pfahls getan habe, auch nach hiesigem Strafrecht nicht strafbar, hat der mit den Ermittlungen befasste Augsburger Staatsanwalt erklärt. Ich finde, in diesen beiden Fällen ist Strafverfolgung wegen Geldwäsche mehr als angebracht, ebenso wie bei anderen Fällen von illegalem Waffenhandel, Rauschgift- geschäften und Ähnlichem. Hier aber geschieht auch mit der heutigen Vorlage nichts. Einen Gesetzentwurf, der ge- gen solche Taten nichts unternimmt, aber Banken und Versicherungen zu weltweiten Hilfspolizisten macht und den Schutz von Mandanten von Anwälten und Notaren untergräbt, lehnen wir ab. Fritz Rudolf Körper, Parlamentarischer Staatssekre- tär beim Bundesminister des Innern:Mit den Anschlägen vom 11. September 2001 hat die terroristische Bedrohung eine neue und bisher unbekannte Dimension erreicht. Hinter solchen Gräueltaten stecken Logistik und vor al- lem große finanzielle Ressourcen. Im Konsens mit der internationalen Staatengemeinschaft ist es gemeinsame Aufgabe aller innerstaatlichen Kräfte, diese Strukturen zu zerschlagen. Ein entscheidender Aspekt dabei ist der Kampf gegen die Finanzierung des Terrorismus. Illegale Finanzströme müssen entschlossen bekämpft und die fi- nanziellen Quellen des Terrorismus wirkungsvoll ausge- trocknet werden. Zur Gewährleistung der Sicherheit unseres Landes sind bereits entscheidende administrative und legislative Schritte eingeleitet worden. Mit dem Geldwäsche- bekämpfungsgesetz werden nun in engem funktionalen Zusammenhang mit dem am 1. Januar 2002 in Kraft ge- tretenen Terrorismusbekämpfungsgesetz weitere notwen- dige Voraussetzungen zur effektiven Bekämpfung der Fi- nanzströme des internationalen Terrorismus geschaffen. Deutschland wird mit dem vorliegenden Gesetz als einer der ersten Staaten in der Europäischen Union die am 28. Dezember 2001 in Kraft getretene EU-Geldwäsche- richtlinie umsetzen. Ein Schwerpunkt der Gesetzesänderungen liegt zum einen in der vom führenden internationalen Gremium „Financial Action Task Force an Money Laundering“ – FATF – vorgegebenen Nutzung des vorhandenen Geld- wäscheinstrumentariums auch zur Aufdeckung von Ter- rorismusfinanzierung. Zum anderen geht es um die Um- setzung der Vorgabe einer verbesserten Transparenz des Zahlungsverkehrs. Um die Finanzierung des Terrorismus zu unterbinden, werden beispielsweise die ldentifizie- rungs- und Anzeigepflichten bei verdächtigen Transaktio- nen verschärft. Entsprechend den Vorgaben der europäischen Geldwä- sche-Richtlinie wird außerdem der vom Geldwäschege- setz verpflichtete Personenkreis um neue Berufsgruppen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. April 2002 22953 (C) (D) (A) (B) erweitert. Bislang unterliegen der Dokumentations- und Identifizierungspflicht ab 15 000 Euro nur Banken und Versicherungsunternehmen. Künftig sollen auch Steuer- berater und Wirtschaftsprüfer identifizieren und doku- mentieren. Anwälte und Notare müssen dies nur dann tun, wenn sie bestimmte Geschäfte für ihre Klienten ab- wickeln. Entsprechend den europäischen Vorgaben ist zudem vorgesehen, dass die vier Berufsgruppen ebenfalls der Pflicht zur Verdachtanzeige unterliegen. Davon gibt es aus verfassungsrechtlichen Gründen allerdings eine Aus- nahme für Angehörige freier Berufe, wenn sie Informatio- nen im Zusammenhang mit ihrer Prozessvertretung oder im Rahmen ihrer rechtsberatenden Tätigkeit erlangen. Ein weiterer Schwerpunkt des Entwurfs ist die Straf- fung des innerstaatlichen Verfahrens der Weiterleitung ei- ner Geldwäscheanzeige vom Anzeigepflichtigen an die zuständigen Strafverfolgungsbehörden sowie parallel dazu an die bestehende Zentralstelle im BKA. Zur Verbesserung der Zusammenarbeit mit den „Fi- nancial Intelligence Units“ – FIU – im Ausland wird zu- gleich die bestehende Zentralstelle personell und organi- satorisch entsprechend den internationalen Vorgaben ausgebaut. Die deutsche Zentralstelle für Verdachtsanzei- gen – „Financial Intelligence Unit“ – soll interdisziplinär zunächst mit rund 15 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern – Strafverfolger, Staatsanwälte und Finanzexperten – be- setzt werden. Durch diese Maßnahmen wird die schnellst- mögliche Verfügbarkeit sämtlicher geldwäscherelevanter Informationen in der Zentralstelle sichergestellt. Schließlich werden mit dem Entwurf die bisherigen Er- fahrungen mit dem geltenden Geldwäschegesetz umge- setzt: Hierzu gehören insbesondere die Berücksichtigung der verstärkten Nutzung der neuen Medien bei der Durch- führung von Finanztransaktionen, aber auch der Abbau von bürokratischen Hemmnissen. Elektronisches Geld wird Bargeld gleichgestellt. Das ist insbesondere für die effektive Arbeit der Zollbehörden von Bedeutung. Die Bundesregierung steht mit dem vorliegenden Ent- wurf an der Seite der internationalen Staatengemein- schaft. Wir verfolgen international wie national einen multidisziplinären Ansatz im Kampf gegen die Finanzie- rung des Terrorismus. In diesem Sinne führt der Gesetz- entwurf polizeiliche, strafverfolgungs- und bankenauf- sichtsrechtliche Maßnahmen zusammen. Die Bundesregierung wird auch diese neue Maßnah- men einer kontinuierlichen und kritischen Evaluierung unterziehen: Effektivität und Kohärenz mit den interna- tionalen Standards sind hierfür die entscheidenden Krite- rien. Dies gilt nicht zuletzt für die Ausgestaltung und Struktur der deutschen „Financial Intelligence Unit“. Vor dem Hintergrund der internationalen Anforderungen an die Organisation einer Zentralstelle und der Entwicklun- gen im Verdachtsanzeigewesen wird diese drei Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes überprüft werden. Lassen Sie mich abschließend auf Folgendes hinwei- sen: Um eine Verabschiedung des Gesetzentwurfs vor der Sommerpause zu erreichen, ist uns ein enger Zeitplan ge- steckt. Wir müssen dieses Ziel erreichen: Das auf interna- tionaler Ebene führende Gremium der Geldwäsche- bekämpfung, die Financial Action Task Force an Money Laundering, hat seine Mitgliedstaaten dringlich aufgefor- dert, die aktuellen Vorgaben zur Terrorismusfinanzierung bis Mitte dieses Jahres umzusetzen. Deutschland wird im Sommer für ein Jahr die Präsidentschaft in diesem Gre- mium übernehmen. Die Verabschiedung des vorliegenden Gesetzentwurfs ist dafür die wichtigste Startvorlage. Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung – des Entwurfs eines Gesetzes über die Finanzie- rung der Sanierung von Rüstungsaltlasten in der Bundesrepublik Deutschland (Rüstungsaltlas- tenfinanzierungsgesetz – RüStAltFG) – des Antrags: Sofortmaßnahmen des Bundes bei der Rüstungskonversion einleiten (Tagesordnungspunkt 17 a und b) Angelika Krüger-Leißner (SPD): Vor über einem Jahr habe ich zum ersten Mal zu diesem Thema hier im Plenum gesprochen. Heute haben wir als Folge der dama- ligen Debatte einen Gesetzentwurf des Bundesrates zu be- raten. Was hat sich seit dieser Zeit getan? Zum einen muss ich als Brandenburger Abgeordnete aus der besonders betrof- fenen Region Oranienburg ganz deutlich sagen, dass sich die Situation nicht entspannt, sondern im Gegenteil wei- ter verschärft hat. Die Gefährdung 57 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ist immer noch allgegen- wärtig. Erst vor einer Woche wurde eine 250-kg-Bombe ame- rikanischer Bauart mitten in der Innenstadt entschärft. Über 10 Stunden lang mussten 2 600 Oranienburger ihre Wohnungen verlassen, Schulen, Kitas und Verwaltungen wurden geschlossen und der Verkehrsfluss durch die Stadt kostete noch mehr Nerven und Zeit als ohnehin üblich. Dies wiederholte sich zum 85. Mal in Oranienburg und für die nächste Woche ist Gleiches bereits angekündigt. Ein Ende ist noch nicht absehbar. Wir können aufgrund massiver Bombenangriffe in der Vergangenheit davon ausgehen, dass von den 20 000 ab- geworfenen Bomben durch Flugzeuge der Alliierten, circa 10 bis 20 Prozent ihre Wirkung nicht entfaltet haben und als Blindgänger im Erdreich, im Wasser, unter Straßen und Häusern liegen und damit eine permanente Bedrohung für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger darstellen. Die Experten gehen also auch nach den Auswertungen der in den letzten Jahren erworbenen alliierten Luftbildauf- nahmen von 1 500 bis 2 000 Vermutungsflächen auf rund 350 Quadratkilometern allein in meiner Heimatregion aus. Das verpflichtet zum Handeln. Auf die anderen Ge- fährdungsregionen über Brandenburg hinaus, in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Niedersachsen, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen, kann ich schon aus Zeitgründen nicht eingehen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. April 200222954 (C) (D) (A) (B) Ich glaube, jeder von uns kann nachvollziehen, wie be- drückend diese permanente Gefährdung für die Bürger solcher Regionen ist und welche wirtschaftlichen Nach- teile daraus entstehen. Investoren ziehen sich zurück, auch weil sie die finanziellen Belastungen weder kalku- lieren noch tragen können. Die Städte und Gemeinden können dieses drückende Erbe nicht allein tragen. Ihre Fi- nanzlage kann dem verstärkten Druck nach Bergung und Vernichtung der Munitionsaltlasten nicht standhalten. Leider hat auch das Land Brandenburg in der Vergan- genheit von der Möglichkeit eigener landesrechtlicher Regelungen bisher Abstand genommen. Hintergrund wird hier wohl auch die fehlende Finanzkraft sein. Branden- burg ist wie andere Länder mit dieser Aufgabenerfüllung hoffnungslos überfordert. Und so liegt uns heute ein Ergebnis der Überlegungen der Länder, wie man dieses Problem der Kriegsaltlasten grundlegend lösen könnte, zur Beratung auf dem Tisch. Ich habe mich, wie am 8. Februar letzten Jahres in meiner Rede versprochen, an den Innenminister des Landes Brandenburg mit der Bitte gewandt, gemeinsam mit den betroffenen Regionen und mit dem Landtag Brandenburg einen generellen neuen Lösungsansatz in der Kampfmit- telberäumung zu finden. Diese Initiative wurde aufgegrif- fen und mündete in einen Gesetzentwurf des Bundesrates. Dass Brandenburg mit den anderen Ländern nun auf den Bund zugegangen ist, ist aus den voran genannten Gründen nachvollziehbar. Zielstellung dieser Gesetz- initiative ist es, eine veränderte Lastenteilung zwischen Bund und Ländern bei der Finanzierung von Maßnahmen zur Sanierung von Rüstungsaltlasten zu erreichen. Die für die Länder bisher gültige so genannte „Staatspraxis“ des Bundes soll verändert werden. Der Bund soll künftig nach dem Willen der Länder sowohl die Aufwendungen für die Kampfmittelräumung auf bundeseigenen Liegenschaften und für die Bergung und Vernichtung so genannter „reichs- eigener Munition“ auf sonstigen Flächen und zusätzlich jetzt auch die Bergung und Vernichtung alliierter Muni- tion aus dem Zweiten Weltkrieg sowie Rüstungsaltlasten aus der Zeit des Kalten Krieges erstatten. Dass dies nicht so ohne weiteres vom Bund zu schul- tern sein wird, ist selbst den „Nicht-Haushältern“ in die- sem Hause bewusst. Dennoch müssen wir gemeinsam nach Lösungen suchen, der Bund, die Länder und die in diesem Hause beteiligten Ausschüsse. In diesem Zusammenhang möchte ich auch daran erin- nern, dass wir in dieser Frage den dritten Anlauf des Bun- desrates seit 1992 haben. Es lohnt sich noch einmal den Blick auf die bisherigen Entscheidungen zu werfen. 1992 – beim ersten Versuch, den Bund in die alleinige Verantwortung zu schicken – waren sich nicht alle Länder einig und insbesondere den neuen Ländern der enorm ver- stärkte Handlungsdruck nicht bewusst. Die CDU-/CSU- Regierung lehnte 1993 das Ansinnen ab. 1997 – beim zweiten Versuch – berief sich die gleiche CDU/CSU-Regierung auf die bestehende Kostenregelung und die Staatspraxis zwischen Bund und Ländern, die sich bewährt hätte und die deshalb beibehalten werden sollte, so der Originalton. Als nicht gerechtfertigte Forderung der Länder lehnte die CDU/CSU-Regierung ohne große Aussprache 1997 erneut die Forderung des Bundesrates nach Neuregelung der Finanzierung von Rüstungsaltla- sten ab. Wie gehen wir nun mit diesem erneuten Antrag des Bundesrates um? Ausgehend davon, dass der Antrag des Bundesrates grundlegende verfassungsrechtliche Fragen aufwirft und selbstverständlich auch erhebliche finanzi- elle Auswirkungen auf die Haushaltssituation des Bundes haben wird, ist der eingeschlagene Weg der intensiven Erörterung nur gutzuheißen. Der von der CDU/CSU-Fraktion beantragten An- hörung zu ihrem vor einem Jahr eingereichten Antrag „Kriegsfolgen- und Kriegslastenbeseitigung in den neuen Ländern“ haben wir unter der Prämisse zugestimmt, dass sich die Anhörung prioritär mit dem Entwurf des Rüs- tungsaltlastenfinanzierungsgesetz detailliert auseinander setzt. Die nun am 15. Mai stattfindende öffentliche An- hörung werden wir mit Experten durchführen, die mit der Thematik bestens vertraut sind und ihre Erfahrungen aus unterschiedlichen Regionen unserer Republik einbringen können. Im Mittelpunkt werden die Erörterung der ver- fassungsrechtlichen Möglichkeiten, die Einschätzung der Gefährdungssituation, die von den Rüstungsaltlasten aus- geht, und natürlich auch die finanzpolitischen Auswir- kungen für Bund und Länder stehen. Bis heute kann mir noch keiner sagen, welches Fi- nanzvolumen hinter einem geforderten fünfjährigen Fi- nanzierungsprogramm, das jährlich fortgeschrieben wer- den soll, stehen wird. Eine ernsthafte und solide Neuregelung in der Frage der Rüstungsaltlastenfinanzierung verlangt eine gründli- che Klärung der offenen Fragen. Denn nur so haben wir die Chance, eine für alle Beteiligten angemessene Lösung zu finden. Ich will mich dieser Herausforderung stellen. Lassen Sie uns gemeinsam an die Arbeit gehen! Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Rüstungsaltlasten sind ohne Zweifel Hinterlassenschaften von Kriegen, Rüstungsindustrie oder Truppenübungs- plätzen, die von Nachfolgegenerationen schwer zu tragen sind. Auch ein halbes Jahrhundert nach Kriegsende gehen erhebliche Gefahren von Fliegerbomben und anderer Kriegsmunition aus. Aber auch auf Truppenübungsplät- zen, ob in Betrieb oder aufgelassen, lauern Gefahren für Mensch und Umwelt in Form von Explosionsgefahren, Gewässerverschmutzung oder Bodenvergiftungen. Die Beseitigung von Rüstungsaltlasten erfordert er- heblichen Aufwand, vor allem auch finanzieller Art. In vielen Fällen sind die betroffenen Kommunen, private Grundstücksbesitzer oder die Länder finanziell überfor- dert. Wichtige Sanierungsaufgaben bleiben unerfüllt, da sie schlichtweg nicht finanzierbar sind. Die Gefährdun- gen für Mensch und Umwelt bleiben aber bestehen. Da- bei gibt es Regionen, die besonders von Rüstungsaltlasten Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. April 2002 22955 (C) (D) (A) (B) betroffen sind, beispielsweise Brandenburg, wo mit 40 0000 Hektar weit mehr als die 240 000 Hektar ehema- lige Militärflächen belastete Fläche sind. Gerade die Ge- gend um Oranienburg ist besonders betroffen. Die Probleme der Rüstungsaltlasten sind nicht neu. Be- reits 1992 und 1997 hat der Bundesrat Initiativen für ein Rüstungsaltlastenfinanzierungsgesetz beschlossen, die jeweils vom Deutschen Bundestag abgelehnt wurden. Begründet wurden diese ablehnenden Beschlüsse der liberalkonservativen Regierungen damit, dass den Län- dern ausreichend Finanzmittel zur Verfügung stünden. Um die Folgen des Truppenabbaus auszugleichen, wurde ab 1993 eine Erhöhung des Länderanteils am Umsatz- steueraufkommen um 2 Prozent vorgenommenen. Damit waren nach Auffassung der alten Regierungen auch künf- tige Lasten der Konversion berücksichtigt. Der Einsatz dieser Mittel liegt ausschließlich in der Verantwortung der Länder. Mit der Bundeswehrreform unter der rot-grünen Re- gierung, mit der ein erneuter Truppenübungsplatzabbau einhergehen wird, ist die Diskussion um Militärkonver- sion erneut entfacht. Ich möchte an dieser Stelle erinnern, dass die Bundeswehrreform in den 90er-Jahren eine Re- duzierung der Mannschaftsstärke um 700 000 Soldaten zufolge hatte. Die heutige Bundeswehrreform sieht eine Reduzierung um etwa 90 000 Soldaten vor. Daher ist die Konversionsnotwendigkeit heute erheblich geringer als wegen der unter der schwarz-gelben Regierung verein- barten Truppenreduzierung. Dennoch lässt die rot-grüne Bundesregierung die be- troffenen Kommunen nicht alleine. Zurzeit besteht bereits ein Instrumentarium, das zur Finanzierung des Anpas- sungsprozesses in den von den Reduzierungen oder Schließungen betroffenen Standorten eingesetzt werden kann. Hierzu gehören insbesondere die Bundesländerge- meinschaftsaufgabe ,,Verbesserung der regionalen Wirt- schaftsstruktur“, die europäischen Strukturfonds sowie Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik, um nur einige we- nige zu nennen. Insofern ist die Bundesregierung dem Anliegen der PDS, Sofortmaßnahmen des Bundes bei der Rüstungs- konversion einzuleiten, längst nachgekommen. Im Übri- gen kommt die PDS mit ihrem Antrag zu Sofortmaßnah- men reichlich spät. Union und FDP hatten dieses Thema bereits in dieser Wahlperiode im Bundestag zur Sprache gebracht. Aufgrund der bereits in Angriff genommenen Konversionshilfen der Bundesregierung und der finanzi- ellen Möglichkeiten, die die Länder seit der Erhöhung des Umsatzsteueranteiles 1993 haben, waren die Anträge der CDU/CSU und FDP von der Mehrheit des Deutschen Bundestag für überflüssig gehalten worden und wurden abgelehnt. Der Gesetzesentwurf des Bundesrates zur Finanzie- rung der Sanierung von Rüstungsaltlasten greift ja, wie ich eingangs in meinem Redebeitrag ausführte, wichtige Fragen der Altlastensanierung auf. Bei der entscheidenden Frage jedoch, wer die durch den Gesetzesentwurf induzierten Mehrkosten zu tragen hat, macht es sich der Bundesrat zu einfach, indem er dem Bund einseitig höhere Ausgabenlasten zuschieben will. Vor allem in der entscheidenden Frage, wie hoch denn die tatsächlich auf den Bund entfallenden Mehrkosten sein werden, schweigt der Bundesratsantrag. Wir von Bündnis 90/Die Grünen wollen es uns aber nicht, wie die alte Regierung, einfach machen und mit dem Verweis auf die Erhöhung des Mehrwertsteueranteils von 1992 den Bundesratsantrag einfach ablehnen. Nein, wir wollen uns ernsthaft um das berechtigte Anliegen des Bundesrates kümmern, vor allem, da die hohen Kosten der Altlastensanierung in einzelnen Regionen tatsächlich Probleme bereiten. Wir schlagen daher vor, den Gesetzentwurf in die zu- ständigen Ausschüsse zu überweisen und dort über umfas- sende Anhörungen vor allem zu klären, wie hoch denn überhaupt die finanziellen Lasten sind, die auf Bund, Län- der und Gemeinden zukommen werden. Erst mit dieser Kenntnis kann seriös über die beiden vorliegenden Anträge entschieden werden, da sie erhebliche Haushaltsrelevanz entfalten werden. In dieser Vorgehensweise sind wir uns auch mit unserem Koalitionspartner von der SPD einig. Jürgen Koppelin (FDP): Dieses Thema ist von großer Relevanz sowohl für die neuen als auch für die alten Bundesländer. Ich bedauere sehr, dieses Thema nicht zu einer besseren Tageszeit im Plenum debattieren zu können. Ich denke allerdings, den tieferen Grund für diesen weit nach hinten geschobenen Tagesordnungs- punkt zu kennen. Der Gesetzentwurf des Landes Brandenburg ist nicht der erste seiner Art, der über den Bundesrat vorgelegt wird. Denn schon im Jahr 1992 hat es ein Gesetz zur Finanzierung der Rüstungsaltlasten aus dem Bundesrat gegeben. Dabei hervorgetan hat sich das Land Nieder- sachsen unter rot-grüner Regierung. Unter einem Minis- terpräsidenten Schröder war es seinerzeit der jetzige Um- weltminister Jürgen Trittin, der sowohl für das Land Niedersachsen als auch stellvertretend für die Länder Bremen, Hamburg, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Hol- stein den damaligen Gesetzentwurf im Bundesrat feder- führend vorgestellt hat. Wenn ich mich heute umschaue und den Debattenzeitpunkt berücksichtige, bleibt mir nichts anderes, als festzustellen, dass die Herren Schröder und Trittin von ihrem damaligen Ansinnen nichts mehr wissen wollen. Dabei ist die Entsorgung von Fliegerbomben und anderer Kriegsmunition sowohl für Länder als auch für Privatpersonen von besonderer Bedeutung. Gerade Rüs- tungsaltlasten verursachen – da kann ich die Stadt Ora- nienburg in Brandenburg beispielhaft für viele andere Städte in der Bundesrepublik nennen – schwer wiegende Probleme. Immer wieder hört man von Blindgängern, die gefun- den werden und entsorgt werden müssen. Dabei müssen selbstverständlich Bewohner ganzer Straßenzüge oder Stadtviertel evakuiert werden. In einem Fall musste sogar das Wohnhaus einer Familie wegen einer darunter liegen- den Bombe abgerissen werden. Damit kommen wir zum Wesentlichen, nämlich zu der Frage der Kostenübernahme. Die gängige Praxis ist, dass Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. April 200222956 (C) (D) (A) (B) eine Kostenübernahme durch den Bund nur dann erfolgt, wenn es sich um reichseigene Munition handelt. Diese Praxis soll mit dem vorliegenden Gesetzentwurf geändert werden. Doch muss hier jedem klar sein, dass sowohl die Fi- nanzierungsabwicklung und die Ausweitung der Kos- tenträgerschaft als auch die Errichtung einer Rüstungs- belastungsdatei beim Umweltbundesamt zu erheblichen zusätzlichen Ausgaben beim Bund führen. Wenn das ge- wollt ist, dann sollten Sie von der Koalition das Gespräch mit dem Bundeskanzler führen und ihn in seiner heutigen Eigenschaft an sein Vorgehen als Ministerpräsident in Niedersachsen erinnern. Ich kann mir allerdings das Ergebnis dieses Ge- spräches sehr genau vorstellen. Er wird Ihnen mit dem Hinweis auf die zu erwartenden Kosten eine Absage er- teilen. Daher sollte überlegt werden – das sage ich hier als Vertreter der FDP –, ob nicht im Rahmen des Finanzaus- gleichsgesetzes und einer – wie ich meine – notwendigen Finanzreform der Weg der Kostenverteilung über dieses Instrument beschritten werden sollte. Uns allen ist klar: Die Beseitigung von Kriegslasten und Kriegsgefahren aus dem Zweiten Weltkrieg ist keine teilungsbedingte Sonderlast der neuen Länder, sondern eine Aufgabe, die in ganz Deutschland zu leisten war und weiterhin zu leisten ist. Von daher geht der Gesetzentwurf des Landes Brandenburg weiter als der Antrag der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, den wir im letzten Jahr im Plenum beraten haben. Ich begrüße dies für meine Fraktion ausdrücklich; denn es darf hier keine Unter- scheidung zwischen alten und neuen Ländern geben, wo- bei ich anerkenne, dass die Probleme in den neuen Län- dern weit größer sind als in den alten. Lassen Sie mich zum Abschluss noch kurz auf den PDS-Antrag eingehen. Er ist wohlgemeint und geht in An- sätzen auch in die richtige Richtung. Doch eine Fraktion, die wie die FDP für die Verschlankung des Staates eintritt, kann einen Antrag nicht unterstützen, der zur Schaffung eines weiteren Amtes bzw. einer Behörde auffordert. Dies lehnen wir strikt ab. Rolf Kutzmutz (PDS): Ich möchte mit zwei Zitaten beginnen: Erlöse aus der Veräußerung ehemals militärischer Liegenschaften, die über den Haushaltsansatz hi- nausgehen, fließen in einen Konversionsfonds. Aus dem Fonds werden Kosten für Konversionsmaßnah- men in den betroffenen Regionen getragen. Und: Zusätzlich legt der Bund ein Konversionsprogramm für die Förderung von Regionen auf, die von der Konversion besonders betroffen sind. Sie könnten aus dem heute hier debattierten PDS-An- trag stammen, tun sie aber nicht. Ich habe aus einem Ent- schließungsantrag von Rudolf Scharping und Kollegen zitiert – allerdings vom 6. November 1996. Wenn auf solche Vorhaltungen immer nur kommt, mit der Verantwortung für die Kasse würden sich auch die Einsichten ändern, so ist mir das buchstäblich zu billig. Alle großen Parteien – von Herrn Stoiber bis zu Herrn Eichel – beschwören in diesen Tagen, nach der Wahl zur so genannten „Entflechtung“ der Mischfinanzierung von Bund und Ländern schreiten zu wollen. Meine Herren, hier, bei den Konversionskosten, haben Sie ein geeignetes Objekt zur Umsetzung dieses lautstark bekundeten Wil- lens. Den kalten und den davor stattgefundenen heißen Krieg haben nicht die Länder und Kommunen, die haben der Bund bzw. seine Rechtsvorgänger geführt. Wer anders als der Bund sollte also für die Folgekosten aufkommen? Deshalb ist es auch im Sinne der stoiber-eichelschen Logik nur konsequent, einen Bundesbeauftragten zu benen- nen, der – natürlich in Abstimmung mit den Betroffenen, also Hardthöhe, Länder und Kommunen – ein Sofortpro- gramm für Konversion erarbeitet und ein Konversionsge- setz vorbereitet, um langfristig einen fairen Lastenaus- gleich zwischen Bund und Ländern bei der Bewältigung des militärisch bedingten Strukturwandels sicherzustel- len. Mehr verlangt auch die PDS mit ihrem Antrag nicht. Was hören wir stattdessen von der Regierung: Nichts weiter als ständige Verweise auf die Wirtschaftsstruktur- Gemeinschaftsaufgabe – eine GA, deren Mittel nicht ein- mal für die originären Aufgaben reicht und Sie ja erklär- termaßen auch noch abschaffen wollen. Vollends absurd wird das Ganze mit der rigorosen Ablehnung des Bundes- rat-Gesetzentwurfes für ein Rüstungsaltlastenfinanzie- rungsgesetz, wie sie der Stellungnahme der Bundesregie- rung zu entnehmen ist. Letztlich verschanzt sie sich hinter dem Motto: Das haben wir schon immer so gemacht, also bleibt es auch künftig dabei – hochtrabend „Staatspraxis“ genannt. Diese Praxis aber ist es ja, die gerade den Kommunen finanziell das Leben schwer macht. Ich rede dabei nicht nur von Oranienburg; auf die 30 000-Einwohner-Stadt fielen 20 000 alliierte Bomben. Ich meine auch solche All- tagsfälle wie jetzt in Schwerin, wo nach einem Granaten- fund wegen unverzichtbarer Sondierungen nun mög- licherweise für Wochen eine Hauptschlagader des Verkehrs gesperrt werden muss. Die Bundesratsinitiative zielt schließlich nicht auf eine Bereicherung der Länder zulasten des Bundes, sondern, wie jeder nachlesen kann, auf die Entlastung der kommu- nalen Haushalte um die Kosten für Gefahrenabwehr und Wiederherstellung, die künftig die Länder tragen wollen. Wer so oft von künftig verlässlichen Finanzierungsgrund- lagen für die Kommunen spricht, wie Kanzler, Finanzmi- nister und ihr Herausforderer, der darf sich dem Ziel die- ses Gesetzentwurfes eigentlich nicht verschließen – wenn er denn noch ernst genommen werden will. Jörg Schönbohm,Minister (Brandenburg): In weni- gen Wochen liegt das Ende des Zweiten Weltkrieges 58 Jahre zurück. Dennoch müssen wir uns hier und heute mit einem Problem befassen, das unmittelbare Folge des Zweiten Weltkrieges ist und heute noch zu Gefährdungen von Personen und Sachen führt. Gegenstand unserer Debatte ist der Entwurf eines Ge- setzes über die Finanzierung der Sanierung von Rüs- tungsaltlasten in der Bundesrepublik Deutschland, das der Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. April 2002 22957 (C) (D) (A) (B) Bundesrat auf Antrag des Landes Brandenburg be- schlossen und in den Bundestag eingebracht hat. Mit dem Rüstungsaltlastenfinanzierungsgesetz soll der bisher un- befriedigende Zustand einer Staatspraxis des Bundes beendet werden, wonach der Bund den Ländern nur die Aufwendungen für die Kampfmittelräumung auf bundes- eigenen Liegenschaften sowie für die Bergung und Ver- nichtung so genannter reichseigener Munition erstattet. Diese – von der Bundesregierung in ihrer Stellung- nahme als „angemessen“ bezeichnete – Staatspraxis ver- nachlässigt jedoch, dass das heutige Gebiet der Bundes- republik Deutschland während des Zweiten Weltkrieges Ziel ungezählter Bombardierungen durch die alliierten Streitkräfte war. In vielen Gegenden unseres Landes ge- hen noch heute von im Boden befindlichen, oft noch un- entdeckten Blindgängern erhebliche Gefahren aus. Die betroffenen Länder und Kommunen arbeiten unter erheblichem personellem und finanziellem Aufwand da- ran, die Gefährdungspunkte zu ermitteln und zu beseiti- gen. Besonders stark betroffene Länder, Kommunen und private Grundstückseigentümer sind durch finanzielle Mehrbelastungen infolge der notwendigen Räumung von Rüstungsaltlasten und der damit verbundenen Maßnah- men überfordert. Ich verweise hier auf die notwendigen Begleitmaßnahmen wie Evakuierung von Personen, Be- wachung der Fundstelle, Verlegung von Medien usw. Als eines von vielen Beispielen möchte ich an dieser Stelle die im Land Brandenburg gelegene Stadt Oranien- burg nennen. Die Luftbildauswertung für die Stadt Ora- nienburg hat circa 2 000 Bombenblindgängerverdachts- punkte auf überwiegend bebauten Grundstücken ergeben. Das heißt, mitten in der Stadt, unter Wohnhäusern, befin- den sich noch zahlreiche mögliche Bombenblindgänger. Während der Kriegshandlungen sind bei den alliierten Luftangriffen auch vielfach Bomben mit einem chemi- schen Langzeitzünder eingesetzt worden. Circa 15 Pro- zent dieser Bomben detonierten nicht. Die Besonderheit dieser Bomben besteht in der Gefahr der Selbstdetona- tion, die im Zuge der fortschreitenden Korrosion ständig zunimmt. In der Zeit von 1977 bis 1994 kam es in Oranienburg zu sechs Selbstdetonationen. In einem Fall sind Personen verletzt worden.Wir müssen nach Lage der Dinge froh sein, dass bisher keine weiteren Personenschäden zu ver- zeichnen sind. Auch in anderen Ländern gibt es ähnliche Bedrohun- gen, die nicht länger hingenommen werden können. Ich nenne hier ein Beispiel vom 7. April 2002 aus Nieder- sachsen. In Langenhagen sind drei alliierte 5-Zentner- Bomben aus dem Zweiten Weltkrieg entschärft worden, die zuvor bei der Auswertung von Luftbildaufnahmen entdeckt worden waren. Auch hier waren erhebliche Be- gleitmaßnahmen zu veranlassen. Circa 1 500 Menschen haben ihre Häuser verlassen müssen. Für die Dauer der Entschärfung wurden die Autobahn 2 sowie eine Bahn- strecke gesperrt. Die Kosten für Bombenbergung betragen im Einzelfall bis zu 50 000 Euro. Hierzu kommen Kosten für Begleit- maßnahmen, die abhängig vom Einzelfall ebenfalls meh- rere 10 000 Euro betragen können. Unter Berücksichti- gung des bereits dargelegten Umfangs der Problematik verdeutlichen diese Zahlen, dass die Belastungen nicht länger durch Länder und Kommunen allein getragen wer- den können. Neben den bereits skizzierten Gefahren für unsere Bür- ger, die teilweise buchstäblich gezwungen sind, auf Bom- ben zu leben, verhindert die hohe Munitionsbelastung da- rüber hinaus in beachtlichem Maße die wirtschaftliche Entwicklung nutzbarer Bodenflächen. Es gibt zahlreiche Fälle, in denen die Munitionsverdachtsflächen schon aus haftungsrechtlichen Gründen gegen den Zugang des Pu- blikums gesperrt werden mussten. Dieser Umstand mit allen seinen Folgen verursacht einen volkswirtschaftlichen Schaden, der gerade in der jetzigen gesamtwirtschaftlichen Situation unakzeptabel und in seiner Höhe gar nicht zu beziffern ist. In Anbetracht des Ausmaßes dieser Belastung ist trotz größter Anstren- gungen der bundesweit zuständigen Stellen ein Ende der aufgezeigten Situation nicht absehbar. An dieser Stelle ist auch die Bundesregierung gefordert. Der Bund ist nach der entsprechenden Regelung des Art. 120 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes verpflichtet, alle Aufwendungen zur Beseitigung von Kriegsfolgelasten zu tragen, nach Maßgabe entsprechender bundesgesetzlicher Regelungen. Bezüglich der alliierten Munition kommt dies bislang nur deswegen nicht zum Tragen, da eine bun- desgesetzliche Regelung fehlt. Genau diese bundesge- setzliche Regelung soll das Rüstungsaltlastenfinanzie- rungsgesetz innerhalb des vom Grundgesetz gesteckten Rahmens bringen. Das Gesetz regelt klar die Verteilung der Kosten unter Einbeziehung des Bundes. Bislang trägt der Bund zwar die Kosten für die Be- seitigung reichseigener Munition, beteiligt sich aber überhaupt nicht an den Aufwendungen zur Beseitigung alliierter Bomben. In ihrer Stellungnahme hat die Bun- desregierung dies als eine ausgewogene Verteilung der Kosten zwischen Bund und Ländern dargestellt. Dies vermag ich nicht nachzuvollziehen, da mit den Kosten- aufwendungen zur Beseitigung alliierter Munition aus- schließlich die Länder und Kommunen belastet sind. Im Übrigen führt diese Staatspraxis zu einer Situation, die insbesondere den Bürgern nicht mehr erklärbar ist. Ein Zufall, nämlich die Herkunft der Bombe, entscheidet da- rüber, ob der Bund für die Räumungskosten einsteht oder ob der belastete Bürger bzw. die belastete Kommune selbst die Kosten zu tragen hat. Da die Gefährdungen je- doch immer gleich sind, egal welchen Ursprungs die Bombe einmal war, ist diese unterschiedliche Handha- bung nicht vermittelbar, schon gar nicht einem privaten Grundstückseigentümer. Der Aufwendungsersatz des Bundes wird im vorlie- genden Gesetzentwurf in § 3 auch klar umrissen. Nur für die dort genannten Maßnahmen soll der Bund in die Pflicht genommen werden. Alle anderen Kosten bleiben Ländersache; dies trifft insbesondere Personalkosten so- wie die Ausgaben für die erforderlichen Liegenschaften, Sachmittel und Sicherungsmaßnahmen. Auch unter die- sem Aspekt erweist sich die angestrebte Kostenverteilung als sachgerecht, vor allem mit Blick auf die Haushaltslage in Bund und Ländern. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. April 200222958 (C) (D) (A) (B) Freigesetzte Finanzmittel der Länder sollen in erster Linie an die Landkreise und Kommunen weitergeleitet werden, um so eine wesentliche Entlastung von den er- heblichen Begleitkosten zu erreichen und eine Intensivie- rung der Suchmaßnahmen zu ermöglichen. Letzteres ist unbedingt erforderlich. Nach Schätzungen von Experten würde die Beseitigung der Rüstungsaltlasten in besonders stark belasteten Gegenden erst in einem Zeitraum von weiteren 100 Jahren oder mehr beendet sein, wenn sie im bisherigen Umfang weitergeführt werden würde. Fast 58 Jahre nach Beendigung des Zweiten Weltkrie- ges muss es nationale Aufgabe sein, die hoch gefährlichen Hinterlassenschaften vergangener Zeiten wesentlich schneller zu beseitigen und nicht das Problem auf nach- folgende Generationen durchzureichen. Wie ich bereits erwähnte, würde eine gerechtere Verteilung der Lasten auch für eine schnellere, intensivere Munitionsberäu- mung sorgen und damit die Anzahl wirtschaftlich nutzba- rer Flächen erheblich erhöhen. Auch unter diesem Aspekt ist die zögerliche Haltung der Bundesregierung für mich unverständlich. Auch die jetzige Bundesregierung hat es sich auf die Fahnen ge- schrieben, die wirtschaftliche Situation in den neuen Bun- desländern, die zum Teil besonders stark von Rüstungs- altlasten betroffen sind, zu verbessern. Nutzen Sie, meine Damen und Herren von der Bundesregierung, die Ihnen hier gebotene Chance zur Stärkung des auch von Ihnen oft im Munde geführten „Aufschwung Ost“. Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Menschenrechte und Entwicklung in Tibet (Tagesordnungspunkt 18) Volker Neumann (Bramsche)(SPD): Wenn wir jetzt nach 1996 erneut einen interfraktionellen Antrag zu Tibet in den Bundestag einbringen, dann wollen wir gemeinsam dreierlei deutlich machen. Erstens: Die Lage der Tibeter in der Volksrepublik China hat sich seit unserem letzten gemeinsamen Antrag von 1996 nicht verbessert, sondern eher verschlechtert. Zweitens: Die Mitglieder des Deut- schen Bundestages haben die Not der Tibeter nicht ver- gessen. Und drittens: Die derzeitige Tibet-Politik der chi- nesischen Regierung wird in einer Sackgasse enden, wenn die chinesische Führung nicht endlich bereit ist, einen Dialog mit dem Dalai Lama und seinen Vertretern aufzu- nehmen. Selbstverständlich begrüßen wir die Freilassung von drei politischen Häftlingen seit Beginn dieses Jahres, da- runter der Musikwissenschaftler Ngawang Choephel. Er lebte ursprünglich im Exil und war 1995 zu Forschungs- zwecken nach Tibet gereist. Sonst hatte er sich nichts zu- schulden kommen lassen. Dennoch warfen ihm die chi- nesischen Behörden „konterrevolutionäre Aktivitäten“ vor und verurteilten ihn zu 18 Jahren Haft. Er kam dank der Bemühungen der Regierungen und Parlamente eini- ger Staaten und Nichtregierungsorganisationen kürzlich frei. Das Gleiche gilt für den 76-jährigen Jigme Sangpo, der nach über 40 Jahren Haft Ende März von den chine- sischen Behörden aus „medizinischen Gründen“ aus der Haft entlassen wurde. Aber damit geben wir uns nicht zufrieden. Wir sind nach wie vor besorgt angesichts der hohen Zahl tibetischer politischer Häftlinge in der Volksrepublik China, die von Menschenrechtsorganisationen auf etwa 250 beziffert wird. Drei Viertel dieser Gefangenen sollen Mönche und Nonnen sein. Der Sonderberichterstatter der VN weist außerdem auf mehrere Fälle von Misshandlungen an Tibe- tern in Gefängnissen der Autonomen Region Tibet hin. Tibeter können nach wie vor ihre Religion nicht frei ausüben. Ich erinnere hier an die Vertreibung von Tausen- den tibetischen und chinesischen Nonnen und Mönchen aus einem buddhistischen Kloster – Serthar-Institut – in der Provinz Sichuan durch bewaffnete Sicherheitskräfte im vergangenen Jahr. Den Nonnen und Mönchen wurde nach Berichten des „Tibet Information Network“ mit Haft gedroht, sollten sie in das Kloster zurückkehren. Ihre Un- terkünfte wurden zerstört. Einer der höchsten Würdenträger der tibetischen Buddhisten, der vom Dalai Lama als Reinkarnation des Panchen Lama benannte 12-jährige Junge Gedhun Choekyi Nyima bleibt weiter verschollen. Bereits in un- serem gemeinsamen Antrag 1996 hatten wir nach seinem Verbleib gefragt. Seitdem ist nichts passiert. Der Junge und seine Familie sollen von den chinesischen Behörden festgehalten werden, seitdem er zusammen mit seiner Fa- milie im Mai 1995 aus ihrem Haus in Lhari in der Auto- nomen Region Tibet verschwunden ist. Angesichts dieser traurigen Bilanz fühlen wir uns he- rausgefordert, wenn das chinesische Außenministerium bei der in Genf tagenden Menschenrechtskommission in Genf erklärt, Minderheiten genössen in der Volksrepublik China „angemessene Menschenrechte und grundlegende Freiheiten“. Denn genau diese grundlegenden Freiheiten bleiben den Tibetern nach wie vor verwehrt. Und „ange- messene Menschenrechte“ darf es in Tibet schon gar nicht geben. Menschenrechte müssen für jeden in demselben Maße gelten und sind deshalb auch nicht zu relativieren. Angesichts dieser fortgesetzten Unterdrückung ist es nicht verwunderlich, dass durchschnittlich jährlich etwa 4 000 Tibeter ins Ausland fliehen. Dies ist Ausdruck der Hoffnungslosigkeit, die viele Tibeter empfinden. Warum sonst schicken Eltern jedes Jahr bis zu 600 Kinder auf die lebensgefährliche Flucht über die eisigen Höhen des Himalaja nach Nepal und schließlich Indien? Selbst für Tibeter, die verdiente Funktionäre der kommunistischen Partei sind, und für von den chinesischen Behörden an- erkannte religiöse Würdenträger ist oft die Flucht der ein- zige Ausweg aus dieser Hoffnungslosigkeit. All dies macht deutlich: Die nunmehr ein halbes Jahr- hundert andauernde Unterdrückung der Tibeter in der Volksrepublik China, der Versuch, eine Jahrtausende alte, religiös geprägte Kultur gewaltsam zurückzudrängen – und dazu gehört auch die Kampagne gegen das religiöse Oberhaupt der Tibeter, den Dalai Lama –, all das hat die Tibeter gegenüber der chinesischen Führung misstrauisch Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. April 2002 22959 (C) (D) (A) (B) gemacht. Das offizielle China sollte endlich seine Verbal- attacken gegenüber dem Dalai Lama einstellen und den Dalai Lama und seinen aufrichtigen Wunsch nach einem Dialog anerkennen. Nur so wird die chinesische Führung das Vertrauen der Tibeter gewinnen und tatsächlich die Früchte seiner Bemühungen um wirtschaftliche Entwick- lung in Tibet ernten können. Um die Unterschiede zwischen den reicheren Gebieten an der Ostküste und den ärmeren westlichen Regionen auszugleichen, wurden in der vergangenen Planperiode gut 8 Milliarden Yuan gezielt nach Tibet gelenkt. Diese Leistungen verdienen Respekt und Anerkennung. Wir se- hen aber mit Besorgnis, dass im Zuge dieser Anstrengun- gen immer mehr ethnische Chinesen gezielt in der Auto- nomen Region angesiedelt werden. Auch dies bedroht die religiöse und kulturelle Identität der Tibeter und wird das Misstrauen gegenüber der chinesischen Führung weiter steigern. Bereits heute sollen über die Hälfte der Einwoh- ner Lhasas ethnische Chinesen sein. Die chinesische Führung sollte sicherstellen, dass ihre Bemühungen auch tatsächlich den Tibetern zugute kommen. Ansonsten wird man auch Vorhaben wie den Bau einer Eisenbahnverbin- dung nach Lhasa mit Misstrauen betrachten müssen. Wir stehen zu dem Ein-China-Prinzip in der deutschen Außenpolitik und wir erkennen die gewaltigen Anstren- gungen Chinas für die wirtschaftliche Entwicklung in der Autonomen Region Tibet an. Auch das haben wir in un- serem Antrag deutlich gemacht und auch das ist unsere Botschaft an den Nationalen Volkskongress der Volks- republik China. Wir sind – und auch das kann nur das Interesse des chi- nesischen Volkskongresses sein – an Stabilität in diesem großen, mächtigen Land interessiert, das sich in vielen Bereichen – auch bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus – als zuverlässiger Partner erwiesen hat und inzwischen Mitglied der WTO geworden ist. Aber die verlässlichste Grundlage für Stabilität und Frieden ist die Förderung von Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, auch und erst recht nach den Terror- anschlägen vom 11. September, wie unser Außenminister in seiner Rede vor der Menschenrechtskommission betont hat. Wir gehen mit dem Antrag einen neuen Weg und ap- pellieren direkt an die Mitglieder des chinesischen Volks- kongresses, ihrer Verantwortung nachzukommen und eine Debatte über die gegenwärtige Lage und politische Zukunft in der Autonomen Region Tibet (TAR) und den von Tibetern besiedelten Regionen zu führen. Die Mit- glieder des chinesischen Volkskongresses sollten sich dafür einsetzen, dass ein direkter Dialog mit dem Dalai Lama aufgenommen wird mit dem Ziel, für das tibetische Volk weit gehende Autonomierechte auszuhandeln. Wir sprechen von Abgeordneten zu Abgeordneten, wenn wir uns an den chinesischen Volkskongress wenden, aber wir rufen auch die Bundesregierung sowie die EU und ihre Mitgliedsländer auf, sich bei allen Kontakten mit der Volksrepublik China für eine baldige Aufnahme des Dia- logs zwischen dem Dalai Lama und der chinesischen Führung einzusetzen. Auch der von der Bundesregierung initiierte Rechts- staatsdialog muss, wenn er Teil der Menschenrechtspo- litik der Bundesregierung ist, für die Diskussion der Lage in Tibet genutzt werden. Nur auf diesem Wege kann eine dauerhafte politische Lösung für Tibet erreicht werden und politische Appelle wie diese in Zukunft überflüssig machen. Dr. Christian Schwarz-Schilling (CDU/CSU):Men- schenrechte sind unteilbar. Menschenrechte sind nicht das Gut einer Kultur auf dieser Welt – sie sind ein gemein- sames Gut der verschiedenartigsten Kulturen und Zivili- sationen. Zu den Menschenrechten bekennen sich eine Vielzahl von Völkern und Nationen aus fast allen Kultur- kreisen dieser Welt. Und jene Nationen, welche Mitglied der Vereinten Na- tionen sind, haben mit der Charta der Vereinten Nationen auch besondere Verpflichtungen übernommen zur Einhal- tung dieser Menschenrechte. Zu diesen Nationen gehört auch die Volksrepublik China als das völkerreichste Land der Erde und als ein bedeutendes Mitglied der Völkerge- meinschaft, selber auch wichtiges Mitglied des Sicher- heitsrates der Vereinten Nationen. Seit vielen Jahren ha- ben wir hier ein besonders schwieriges Problem: Seit dem Einmarsch der chinesischen Armee nach Tibet im Jahre 1950 gibt es gewaltsame Unterdrückung in Tibet und sei- nes Strebens nach politischer, ethnischer, kultureller und religiöser Selbstbestimmung. Der Deutsche Bundestag hat auf diese sich mehr und mehr verschlechternde Situa- tion im Laufe der letzten Jahre und Jahrzehnte immer wie- der hingewiesen. So zum Beispiel in seinem Beschluss vom 15. Oktober 1987, durch die Veröffentlichungen der Ergebnisse des Hearings im Auswärtigen Ausschuss vom 19. Juli 1995, durch seinen wegweisenden Antrag „Men- schenrechtssituation in Tibet verbessern“ vom 23. April 1996. Anschließend ist der Menschenrechtsausschuss zweimal nach China gefahren und führte Dialoge. Dies war bereits eine Verbesserung des gegenseitigen Verste- hens, da der Dialog beim zweiten Mal bereits große Fort- schritte gemacht hat; aber zu einer Verbesserung der Le- benssituation der Menschen in Tibet hat es kaum geführt. Man muss im Gegenteil eine Tendenz feststellen, die auf verschiedensten Gebieten zu gravierenden Verschlechte- rungen geführt hat: Die Zahl der politisch Inhaftierten in Tibet ist offen- sichtlich nicht kleiner, sondern größer geworden. China hat die Konvention gegen Folter ratifiziert; den- noch starben seitdem etwa 70 Tibeter an Folgen von Fol- terbehandlungen. Seit 1996 wurden über 12 000 Mönche und Nonnen aus ihren Klöstern vertrieben. Der 11. Panchen Lama ist immer noch im Gewahrsam der chinesischen Regierung. Es erfolgt eine systematische gezielte Ansiedlung von Chinesen in Tibet, sodass auf diese Weise die Tibeter mehr und mehr zur Minderheit im eigenen Land werden. Bereits heute stellen Chinesen mehr als 50 Prozent der Bevölkerung in Lhasa. Wir haben uns in dem Antrag bemüht, nicht einseitig zu urteilen, sondern auch positive Entwicklungen aufzu- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. April 200222960 (C) (D) (A) (B) zeigen: dass die Volksrepublik China große Anstrengun- gen zur wirtschaftlichen Entwicklung in Tibet unter- nimmt, dass die Unterschiede zwischen reicheren Gebie- ten an der Ostküste und ärmeren westlichen Regionen auszugleichen versucht werden, dass eine große Zahl von Investitionen in Tibet unternommen werden, um Infra- struktur, Landwirtschaft, Technologie, Bildung und Um- weltschutz zu vervielfachen; wir haben auch vermerkt, dass sich teilweise der Lebensstandard der Bevölkerung verbessert hat. Diese Leistungen verdienen durchaus Res- pekt und Anerkennung, aber sie können nicht das kom- pensieren, was durch fortgesetzte Unterdrückungsmaß- nahmen an seelischen, kulturellen und materiellen Schäden in Tibet angerichtet wird. Dieses wird auch vom Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen, wie es in dem Antrag festgestellt ist, bestätigt. Es mag sein, dass die Chinesen zuweilen guten Willens sind und nicht begreifen, dass diese materiellen Wohlta- ten nicht mit größter Dankbarkeit akzeptiert werden, dass die Lebensqualität und das Wertegerüst eines Tibeters an- ders aussieht als sich das die Chinesen vorstellen. Es gehört eine gewisse Reife dazu, wenn eine materiell ent- wickelte Zivilisation wie die chinesische gegenüber „zurückgebliebenen“ Kulturen der Versuchung von Arro- ganz und Überlegenheit widersteht. Atheisten und Mate- rialisten, die heute aus ihrem eigenen Selbstverständnis heraus das Land regieren, haben eben zuweilen keine Ah- nung davon, was für Dinge es zwischen Himmel und Erde gibt, auch nicht zwischen den hohen tibetischen Gebirgen und den religiösen Riten frommer Tibeter. Tatsache ist, dass der religiöse Glaube, die eigene Meinung und das Menschenrecht jedes einzelnen Menschen nach eigenem Willen und Rechtsanspruch gestaltet werden können und von keinem Staat und seinen politischen Führern in Zwei- fel gezogen werden dürfen. Wir müssen feststellen, dass vor unseren Augen eine der ältesten und einzigartigsten Kulturen dieser Welt unter dieser materialistischen Dog- matik leidet und mehr und mehr versinkt. Wenn dem nicht Einhalt geboten wird, wird diese Kultur in absehbarer Zeit der Vergangenheit angehören. Manche mögen dies als Fortschritt feiern. Diejenigen, die Achtung und Ehrfurcht vor der Vielgestaltigkeit des Lebens auf dieser Welt ha- ben, werden Trauer und Leid empfinden und sie werden den unterworfenen Menschen beistehen. Solange die Tibeter ihren eigenen Willen behalten und ihre eigene Kultur formen, hat keiner, auch nicht die chi- nesische Regierung, das Recht, diese kulturellen und reli- giösen Traditionen zu schmälern oder gar zu beenden. Das ist auch gegen die eigene Verfassung und gegen den Au- tonomiestatus von Tibet gerichtet, der von den chinesi- schen Führern endlich ernst genommen werden muss. Da wir nach unserer Erfahrung nicht davon ausgehen können, dass unsere Regierungen den Mut haben, dieses offen und unzweideutig der chinesischen Regierung zu vermitteln, wenden wir uns diesmal an unsere Kolleginnen und Kol- legen im chinesischen Volkskongress: Haltet ein und be- endet diesen Zerstörungsprozess und bewahrt die Beson- derheit des Lebens der Tibeter als einen Ausdruck des Reichtums unserer Schöpfung, den zu bewahren wir alle auf dieser Welt aufgerufen sind. Das gilt für ökologische Reichtümer in gleicher Weise wie für geistige und reli- giöse Reichtümer. Beachten wir das chinesische Sprich- wort: „Ein einfacher Zweig ist dem Vogel lieber als ein goldener Käfig“. Der Dalai Lama hat es sehr treffend mit seinen eigenen Worten gesagt: „Das Geschäftemachen und der Reichtum kann den Menschen nicht die volle Zu- friedenheit geben. Und jene, die in einem gewissen Le- bensabschnitt ihre ganze Energie ins Geldmachen stecken, werden eines Tages merken, dass dies nicht die Antwort auf ihr Leben ist.“ Wenn wir die Äußerungen chinesischer Funktionäre hören, welche die materiellen Errungenschaften preisen und die religiösen Traditionen der Tibeter als eine rückständige Form einer Sklavenherr- schaft beschreiben und sich selber als Befreier dieser Sklavenherrschaft sehen, so kann man nur feststellen, dass hier zwei Welten aufeinander prallen, die nicht dia- logfähig sind. Und so sehen wir ja auch prompt, dass von chinesischer Seite der Dialog mit dem Dalai Lama stets abgelehnt wird, obwohl der Dalai Lama mehr als einmal sowohl in privaten Gesprächen als auch öffentlich bekun- det hat, dass er die chinesische Verfassung bei der Beach- tung der Autonomie Tibets keineswegs überschreiten will. Tibet soll weiterhin Bestandteil der Volksrepublik China bleiben. Doch die chinesische Seite glaubt ihm nicht. Hier sind offensichtlich nur Machtkategorien in der Poli- tik bekannt und deshalb kann sie nicht glauben, dass es Menschen gibt, deren Wertekategorien jenseits dieser Machtkategorien stehen. Auf der anderen Seite darf man allerdings vom Dalai Lama auch nicht verlangen, dass er sich und sein Volk in seiner kulturellen und religiösen Existenz aufgibt. Die Idee, uns an die Vertreter des Volkskongresses zu wenden, beruht auf der Erfahrung, dass wir mit Abgeord- neten des Volkskongresses sehr viel bessere Gespräche führen konnten als mit den meisten Vertretern der Exeku- tive. Gerade bei den jüngeren Abgeordneten entsteht zu- nehmend die Weltsicht gemeinsamer Rechtsordnungen und damit auch gemeinsamer Verpflichtungen zur Erhal- tung von Demokratie, Freiheit und Frieden. Der chinesi- sche Staatspräsident, Jiang Zemin, hat anlässlich seiner Reise nach Deutschland in einem „Spiegel“-Interview er- klärt: „Den Konfuzianismus gibt es seit 78 Generationen. Für den Aufbau des Sozialismus benötigen wir mindes- tens ein paar Dutzend Generationen, wir stehen immer noch am Anfang.“ Bei allem Respekt vor der Dauer chi- nesischer Dynastien: China ist heute Teil einer globali- sierten Welt, welche durch Informations- und Kommuni- kationstechnologien bestimmt ist. Die Rasanz der Zeitenwende ist gewachsen und die dynamischen Ent- wicklungen dauern nicht mehr so lange wie in früheren Jahrhunderten. Im 20. Jahrhundert war es schon lange ge- nug, wie viele Jahre oder Jahrzehnte Diktaturen einen falschen Weg gehen konnten und damit für Millionen und Millionen von Menschen unendliches Leid verbreitet ha- ben. Auch China wird in den Genuss schnellerer Ent- wicklungen kommen und die Notwendigkeit von Korrek- turen immer deutlicher sehen, wie wir alle entsprechende Strukturänderungen vornehmen müssen. So wird auch die Frage der Menschenrechte und auch der Autonomie Ti- bets nicht eine Frage der Jahrhunderte, sondern eine Frage der nächsten Jahre der Volksrepublik China. Gerade sol- che Nationen und Kulturen, die krampfhaft an überholten Vorstellungen festgehalten haben, sind nach unseren Erfahrungen am Ende des 20. Jahrhunderts sehr viel Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. April 2002 22961 (C) (D) (A) (B) schneller zerbrochen als sie es selbst für möglich gehalten haben. Beschwörungen, dass man am Anfang stehe und Entschuldigungen für Fehlentwicklungen mit einem sol- chen Argument zählen im geschichtlichen Ablauf der ver- gangenen Jahrzehnte nicht mehr. Je mehr man sich als un- fähig erweist, strukturellen Wandel nachzuvollziehen und entsprechenden Mut zur Reform zu haben, desto schnel- ler gehen Staaten ihrem Ende entgegen. Im Übrigen haben wir dieses in Europa gerade auch in den letzten Jahrzehnten mit unglaublichen Erschütterungen und Ver- lusten bezahlen müssen. Dieser Entwicklung kann keine Nation entkommen. Und so rufen wir unsere Kollegen in Peking auf: Ergreift die Initiative, habt Mut, beachtet die Prinzipien der Charta der Vereinten Nationen, macht durch entsprechende Änderungen eurer Gesetze Platz für ein modernes China mit demokratischen und freiheitli- chen Errungenschaften im Respekt vor Kultur und Reli- gion der Völker in diesem Land und der Menschen über- all in China. Aber auch wir hier dürfen die eigene Regierung nicht aus der Verpflichtung entlassen, sich mit allen Kräften für die weitere Durchsetzung der Menschenrechte einzuset- zen. Was hier von der heutigen Koalition geboten wird, ist wirklich mehr als bedauerlich. So viel Feigheit und Angst vor einer großen Nation wie China, die selbstverständlich ein gewaltiger Wirtschaftsfaktor ist, hat man nach den Ankündigungen des Stellenwertes der Menschenrechte bei der rot-grünen Koalition wirklich nicht vermuten kön- nen. Hier kann ich nur feststellen: Die chinesische Seite wird eine solche Leisetreterei mit Sicherheit nicht als Glanzleistung einschätzen. Das Gleiche gilt für die Schwäche der Europäischen Union, welche auch dieses Jahr wiederum in Genf jedem ernsthaften Dialog mit China und entsprechenden Entschließungen ausgewichen ist. Die Frage wird also mit noch größerer Vehemenz spä- ter auf uns zukommen. Und wer meint, die Chinesen hät- ten einen besonderen Respekt vor Drückebergern, der wird noch eines Besseren belehrt werden. Es war auch keine Glanzleistung, diese Debatte in diesem Parlament möglichst nach dem Besuch des Staatspräsidenten zu ver- anstalten. Die chinesische Regierung war natürlich längst über diese Resolution informiert und kann durch diese Absichten nur selber befriedigt feststellen, wie sehr sich die Bundesrepublik Deutschland vor ihrer eigenen Cou- rage fürchtet. Ich möchte hier auf dieses Trauerspiel, das ja auch offensichtlich durch die Plazierung unserer De- batten in mitternächtliche Stunden eine besondere Facette erhält, nicht näher eingehen. Ich kann nur hoffen, dass unsere Kolleginnen und Kollegen in Peking mutiger sind und eine solche Debatte bei Tageslicht und offenen Auges nicht scheuen. Ich möchte hier zum Abschluss den großen Völker- rechtslehrer Hugo Grotius zitieren, der einmal geschrie- ben hat: „Omnibus viribus huic saeculo in peius ruenti sese opponere – Wir müssen uns ständig mit allen Kräften dem Drange dieser Welt entgegenstellen, ins Schlimmere abzugleiten“. Nur wenn es uns gelingt die heutige und künftige Generationen mehr denn je in diesem Geiste wal- ten zu lassen, dann werden wir als Vertreter unserer Ge- neration unseren Beitrag für die Menschenrechte und für Frieden und Freiheit auf dieser Welt geleistet haben. Christa Nickels (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der vorliegende fraktionsübergreifende Antrag zur Lage der Menschenrechte und zur Entwicklung in Tibet setzt die schon vor mehreren Legislaturperioden begründete gute interfraktionelle Arbeit des Deutschen Bundestages zu Tibet erfolgreich fort. 1991, zu Beginn der 12. Legislaturperiode, hatte sich ein kleiner Kreis von Abgeordneten beider großen Volks- parteien sowie der Liberalen und der Bündnisgrünen in ei- ner kontinuierlich arbeitenden Fachgruppe zu der sich schon damals dramatisch verschärfenden Menschen- rechtssituation in Tibet zusammengefunden, um die poli- tische Debatte zu Tibet auch auf der Ebene des deutschen Parlamentes voranzubringen. Damals waren die Widerstände und der Druck der chi- nesischen Seite noch zu groß. Aber 1995 gelang es schließlich, eine im In- und Ausland viel beachtete ganz- tägige Anhörung zu Tibet unter Beteiligung des religiösen Oberhauptes der Tibeter, des Dalai Lama, im Bundestag in Bonn zu veranstalten. Als Resultat der Ergebnisse die- ser Anhörung mündete das Engagement des Bundestages schließlich in einen interfraktionellen Antrag zu Tibet, der gegen heftigen Widerstand der damaligen Bundesregie- rung im Sommer 1996 mit überwältigender Zustimmung verabschiedet werden konnte. Leider hat sich die Menschenrechtslage seitdem in Ti- bet nicht durchgreifend verbessert. Nach wie vor gibt es massive Unterdrückungsmaßnahmen gegen die Bevölke- rung. Tausende Personen fliehen jährlich ins Ausland, werden Menschen inhaftiert und äußerst harten Haftbe- dingungen unterworfen. Nach Berichten von Amnesty In- ternational gibt es in der autonomen Republik Tibet kaum einen politischen Gefangenen, der nicht gefoltert oder misshandelt wurde. Auf einer Delegationsreise unseres Ausschusses nach China vom 18. bis 27. April letzten Jahres konnte sich die Delegation beim Besuch der westlich gelegenen Provin- zen Gansu und Qinghai auch einen Eindruck von der Lage der Minderheiten in beiden Gebieten machen – besonders der Tibeter und der muslimischen Hui – sowie über die Möglichkeiten gerade auch der tibetischen Buddhisten, ihre Religion auszuüben. Die Delegation führte Ge- spräche mit den stellvertretenden Provinzgouverneuren, besuchte die buddhistischen Klöster Labrang und Kum- bum und traf Vertreter der nationalen Minderheiten. Seit 1996 versuchen die Behörden im Rahmen einer „patriotischen Erziehungskampagne“ die Kontrolle über die Klöster zu verstärken, was zu einer Vielzahl von wei- teren Festnahmen geführt hat. Die „abschreckende Wir- kung“ dieser Maßnahmen ist ersichtlich: Offensichtlich verfügen sowohl das Kloster Labrang (Gansu) als auch das Kloster Kumbum (Qinghai) nur noch über einen Bruchteil der Mönche, die sie früher ausbildeten. Im Kloster Kumbum wurde der Delegation ein Gespräch mit den Äbten und Mönchen verwehrt. Auf unsere Fragen nach dem Verbleib des seit Mai 1995 als verschwunden geltenden von der ersten Fin- dungskommission als Reinkarnation des Panchen Lama benannten Gendun Choekyi Nyima wurde uns geantwor- tet, dem Jungen gehe es gut. Sein Aufenthaltsort wurde uns nicht genannt. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. April 200222962 (C) (D) (A) (B) Immerhin ist es mittlerweile möglich, offen mit allen Stellen diese Fragen strittig zu erörtern. Insofern sind der Menschenrechtsdialog der EU mit China und der Rechts- staatsdialog zwischen China und Deutschland, der auf eine Idee von Antje Vollmer zurückgeht, sehr wichtig und fruchtbar. Aber diese neue Offenheit läuft ins Leere, wenn als Konsequenz sogar allzu oft Antworten ausbleiben. So gab es auf unseren Vorschlag, Peking solle wenigstens Menschenrechtsorganisationen oder ausländischen Di- plomaten Zugang zu dem heute 12-jährigen Jungen eröff- nen, keine Antwort. Auf unsere Frage, warum der Folterberichterstatter der UN – trotz einer seit Anfang 1999 vorliegenden Einla- dung – noch keinen Besuchstermin erhalten habe und dem Internationalen Roten Kreuz der Zugang zu chinesischen Gefängnissen nicht gestattet werde, bekamen wir Ausre- den zu hören. Von schrecklichen Zuständen hat kürzlich auch der chinesische Dissident Harry Wu in einer öffentlichen Sit- zung unseres Ausschusses berichtet. Auch zwei sehr of- fene Gespräche unseres Ausschusses mit dem Minister im Rechtsamt des Staatsrates, Jingyu Yang, anlässlich seiner Deutschlandbesuche im Juni und Oktober letzten Jahres ließen keine Veränderungen in diesen Fragen erkennen. Deshalb ist der heute vorgelegte Antrag so wichtig und notwendig. Der Antrag wendet sich an die nationalen Parlamente in Europa und an das Europäische Parlament, um Dialoge auf allen nur möglichen Ebenen mit der chinesischen Seite anzuregen. Allerdings, wenn die neue Gesprächsbe- reitschaft und Offenheit der chinesischen Regierung und Administration nicht endlich auch in konkrete Umset- zungsschritte mündet, hätten die Menschenrechtsorgani- sationen mit ihrer Sorge Recht behalten, die Rechtsstaats- dialoge könnten nur Makulatur bleiben. Mit dem Antrag wenden wir uns, was den Forderungs- katalog angeht, darüber hinaus direkt an das Partnerparla- ment in China, den nationalen Volkskongress. Das gibt unserer Hoffnung Ausdruck, dass demokratische parla- mentarische Entscheidungsstrukturen im China der Zu- kunft eine Chance haben werden, auch und gerade wenn es um die elementaren Belange der vielen Minderheits- kulturen des Riesenreiches geht. Ich bin sehr froh darüber, dass dieser Antrag, der die reale Situation in Tibet in aller kritischen Offenheit be- schreibt, der aber gleichzeitig bemüht ist, die Tür gegen- über den chinesischen Partnern nicht zuzuschlagen, nach anfänglichen Schwierigkeiten nun doch noch in der zu Ende gehenden Legislaturperiode verabschiedet werden kann. Die Regierenden in Peking müssen begreifen: Ge- rade das moderne China, das sich in einer ungeheuren Umbruchphase befindet, wird nur dann eine dauerhafte gute wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung haben, wenn es die Menschenrechte beachtet. Carsten Hübner (PDS): Das Anliegen des vorliegen- den Antrags, sich für die wirtschaftliche Entwicklung Tibets im vollen Einklang mit den Menschenrechten ein- zusetzen, findet unsere ausdrückliche Unterstützung. Wir teilen die Analyse des Antrags in weiten Teilen. Insbe- sondere halten wir es für begrüßenswert, dass neben den unbestrittenen gravierenden menschenrechtlichen Pro- blemfeldern auch die positiven Schritte Chinas gewürdigt werden, so die Ratifizierung des Paktes über wirtschaft- liche, soziale und kulturelle Rechte sowie die großen An- strengungen, die China unternimmt, um die wirtschaft- liche Entwicklung in Tibet voranzutreiben. Dass wir dem Antrag dennoch nicht zustimmen können, sondern uns enthalten werden, liegt vor allem daran, dass wir das Ver- fahren in Bezug auf diesen Antrag für eine Farce halten. Dass sich der Antrag nicht an die Bundesregierung, sondern an den chinesischen Volkskongress richtet, könnte man noch als eine zwar unübliche, aber doch in- teressante und originelle Vorgehensweise betrachten, um so einen neuen Impuls in den deutsch-chinesischen Dis- kurs über Menschenrechtsfragen und insbesondere die Situation in Tibet zu bringen. Stutzig werden muss man jedoch angesichts der Tatsache, dass der chinesische Prä- sident vor nicht einmal zwei Wochen in Deutschland zu Gast war. Dass der Antrag erst nach der Abreise des chi- nesischen Staatschefs eingebracht und der Besuch mit keinem Wort erwähnt wird, lässt nur den Schluss zu, dass das Parlament hier bereitwilligst eine Alibifunktion für das Verhalten der Bundesregierung während des Staats- besuchs einnimmt: Schließlich hätten all die erwähnten Punkte auch in den Gesprächen mit Jiang Zemin an- gesprochen werden können. Dies war jedoch mitnichten der Fall. Im Gegenteil: Die Bundesregierung setzte alles daran, den chinesischen Gast von Menschenrechtsgrup- pen und Demonstrierenden abzuschirmen. Es gab weite Absperrungen, Sichtblenden wurden errichtet, Transpa- rente wurden entfernt. Der Besuch stand ausschließlich im Zeichen der auszubauenden deutsch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen, bei denen die Erwähnung von Menschenrechten nur hinderlich gewesen wäre. Dieses Vorgehen der Bundesregierung wird im Nachhinein durch den Antrag stillschweigend gebilligt, da er nicht einmal für die Zukunft ein verändertes Verhalten der Bundes- regierung einfordert. Um keine Missverständnis aufkommen zu lassen: Natürlich sind wir für den Ausbau guter wirtschaftlicher Beziehungen mit China. Wir sind auch der Auffassung, dass Einführungsvermögen und Sensibilität unverzicht- bar für jeden Dialog sind, der positive Wirkungen zeitigen soll. Dies gilt selbstverständlich und in besonderem Maße auch für die Frage der Menschenrechte. Allerdings darf dies nicht dazu führen, dass Menschenrechtspolitik mit verteilten Rollen betrieben wird: Die Bundesregierung setzt auf ungetrübte Kontaktpflege und betreibt Wirt- schaftspolitik und das Parlament frischt im Anschluss das leicht angekratzte Menschenrechtsrenommee wieder auf. Eine solche Arbeitsteilung, in der das Parlament zum Steigbügelhalter für die Regierungspolitik wird, beschä- digt die Menschenrechte in ihrer Bedeutung und Wichtig- keit. Sie kann nicht unsere Zustimmung finden. Dr. Ludger Volmer, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Der Bundestag hat heute mit großer Einmütigkeit seine Sorge über die Lage in Tibet zum Ausdruck ge- bracht. Auch wenn wir uns über jüngst erfolgte Freilas- sungen einzelner tibetischer Langzeithäftlinge freuen: Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. April 2002 22963 (C) (D) (A) (B) Nach wie vor prägen massive Beschränkungen der Reli- gionsfreiheit, die Verweigerung substanzieller Autono- mierechte und ein hoher Assimilierungsdruck das Leben der Tibeter in China. Bundesminister Fischer hat deshalb in seiner Rede vor der Genfer Menschenrechtskommis- sion am 20. März im Namen der Bundesregierung China aufgefordert, die Unterdrückung der tibetischen Minder- heit zu beenden. Es geht dabei nicht darum, die Zugehörigkeit Tibets zum chinesischen Staatsverband infrage zu stellen – diese wird weder von der Bundesregierung noch in diesem Hause bestritten. Wohl geht es aber darum, gegenüber der chinesischen Regierung deutlich zu machen, dass die Ge- währung der Menschenrechte in Tibet und der Erhalt ei- ner einzigartigen lamaistisch-buddhistischen Kultur eine Grundvoraussetzung für die Bewahrung von Stabilität nicht nur in China, sondern in der gesamten von Krisen ohnehin schon genug bedrohten Region ist. Die Sorge vor einer Ausbreitung des Terrorismus ist auch in China berechtigt. Der gemeinsame Kampf gegen den internationalen Terrorismus darf aber nicht zum Vor- wand für die Einschränkung internationaler Menschen- rechtsstandards gemacht werden. Dies hat die Bundesre- gierung beim gerade zu Ende gegangenen Staatsbesuch Präsident Jiang Zemins gegenüber der chinesischen Seite unmissverständlich deutlich gemacht. Einen wirksamen Schutz gegen separatistischen Terrorismus bietet nicht die Repression, sondern nur die Gewährung wirklicher Auto- nomierechte, angefangen bei der Chancengleichheit in Entwicklung und Bildung bis hin zur Freiheit der Religi- onsausübung. Die chinesische Regierung würde einen Fehler bege- hen, wenn sie glaubte, das Gespräch mit dem Dalai Lama nicht suchen zu müssen. Noch vermag der Dalai Lama alle Tibeter hinter seinem gewaltlosen Einsatz für die Rechte des tibetischen Volkes zu vereinen; wir wissen, dass sein Ansehen auch unter den innerhalb Chinas lebenden Tibe- tern ungebrochen ist. Dies könnte sich aber ändern, wenn eines Tages das religiöse Oberhaupt der Tibeter als Inte- grationsfigur wegfällt. Anzeichen für eine Radikalisierung kleinerer tibetischer Gruppen gibt es bereits. Auch wenn das Misstrauen auf beiden Seiten nach wie vor groß ist: Die Bundesregierung fordert gemeinsam mit ihren Partnern in der EU die chinesische Regierung und den Dalai Lama dazu auf, in einen substanziellen Dialog mit dem Ziel einer Lösung des Tibet-Problems einzutreten. Wir maßen uns dabei keine Vermittlerrolle an; wohl aber sind wir bereit, gute Dienste zu leisten, wo dies gewünscht ist – und sei es nur, wenn es zunächst darum geht, auf bei- den Seiten ein Mindestmaß an Vertrauen aufzubauen. Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Weltoffenheit als Chance für die Hochschulen (Tagesordnungs- punkt 20) Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): „Weltoffenheit als Chance für die Hochschulen“ – diese Intention des vorliegenden Antrags der PDS trifft auf breiteste Zustim- mung im Plenum dieses Bundestages. Aus dem Parlament heraus hat es mehrere Initiativen in dieser Legislaturpe- riode gegeben, dieses angesprochene Ziel konkret zu un- termauern. Die SPD-Fraktion hat zusammen mit Bünd- nis 90/Die Grünen bereits in einem Antrag vom 1. Juni 2001 eine umfangreiche Agenda entwickelt, wie die internationale Attraktivität und Leistungsfähigkeit des Wissenschafts- und Forschungsstandortes Deutschland für ausländische Studierende und junge Wissenschaft- lerinnen und Wissenschaftler gestärkt werden kann. Wenn die PDS im Anschluss an diese umfangreichen und weitgehend von Konsens getragenen Beratungen und Initiativen aus dem Parlament heraus hier jetzt noch einen eigenen Antrag einbringt, dann begründet sie dies mit den furchtbaren Terroranschlägen in New York und Washington vom 11. September 2001 und ihren Befürch- tungen, dass die bisher eingeleiteten Schritte zur Interna- tionalisierung der Hochschulen grundsätzlich in Frage gestellt werden könnten, wie es in ihrem Antrag auf Seite 2 heißt. Jetzt, ein halbes Jahr nach den entsetzlichen Terror- anschlägen in Amerika, dürfen wir im Bundestag zusam- men feststellen: Diese Schritte zur Internationalisierung der Hochschulen wurden und werden nicht in Frage ge- stellt. Eine ausländerfeindliche Stimmung und Abschot- tung der Hochschulen gegenüber ausländischen Studie- renden hat nicht stattgefunden und wird in diesem Lande auch nicht stattfinden. Es ist ein gutes Zeichen, dass der Appell, nach dem die PDS in ihrem Antrag verlangt, dass Hochschulleitungen, Studierendenvertretungen und alle Hochschulangehörigen pauschalen Verurteilungen von Menschen anderer Nationalität und Religionszuhörigkeit entgegentreten sollen, in dieser Weise noch nicht notwen- dig ist. Die Hochschulen erweisen sich nach wie vor als Orte der Toleranz, der Weltoffenheit, der internationalen und interkulturellen Verständigung und des freien Gedan- kenaustausches. Wir beobachten zur allgemeinen Freude und Zustim- mung, dass Deutschland sich zunehmend wieder als weltweit attraktiver Studienstandort für junge Menschen aus aller Welt etablieren kann. So haben wir bei der Zahl ausländischer Studierender eine Steigerung um 21 Pro- zent vom Wintersemester 1997/98 zum Wintersemester 2000/2001 verzeichnen können. In absoluten Zahlen: von rund 104 000 auf jetzt rund 126 000. Und diese Entwick- lung schreitet voran. Nach ersten Schätzungen ist im vergangenen Jahr die Zahl nochmals um gut 15 Prozent auf jetzt 140 000 ausländische Studierende gestiegen. Deutschland ist damit seinem Ziel, 10 Prozent ausländi- sche Studenten in Deutschland zu haben, aus den mittel- und osteuropäischen Staaten, aber auch aus Ländern der Russischen Föderation, aus wichtigen Schwellenländern wie Indien und Indonesien zu verzeichnen. In ihrem Antrag spricht die PDS einige Vorschläge an, wie dieses gemeinsame Ziel noch effektiver erreicht wer- den kann. Erlauben Sie den Hinweis, dass viele dieser an- gesprochenen Maßnahmen schon in früheren vom Parla- ment beschlossenen Anträgen enthalten sind, dass sie vor allen Dingen aber schon Regierungsinitiativen und Re- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. April 200222964 (C) (D) (A) (B) gierungspraxis umfassen und sich die PDS deshalb bei vielen Vorschlägen hinter der Realität bewegt. Zwei Beispiele dazu: Die PDS fordert eine Reform des Hochschuldienstrechtes ein, um Hemmnisse für die Tätigkeit ausländischer Wissenschaftlerinnen und Wis- senschaftler in Deutschland zu beseitigen, zum Beispiel mit der international unüblichen Habilitation. Wir alle in diesem Hause wissen, dass die erfolgreiche Verabschie- dung des neuen Hochschuldienstrechtes genau dies be- reits in die Praxis umgesetzt hat. Ein weiteres Beispiel: In Ziffer 5 des PDS-Antrags wird die Bundesregierung aufgefordert, durch spezielle Förderprogramme des Bundes dafür aktiv zu werden, die Hochschulen weiter zu internationalisieren und auslän- dische Studierende in ihren besonderen Belangen beson- ders zu unterstützen. Darf man an die Adresse der PDS fragen, ob sie eigentlich die zahlreichen und – wie ja aus den Zuwächsen bei ausländischen Studierenden zu ver- zeichnen ist – offensichtlich erfolgreichen Maßnahmen der Bundesregierung vollkommen ausgeblendet hat? Da- bei sollte es doch auch der PDS nicht entgangen sein, dass aus den UMTS-Zinserlösen zusätzlich 170 Millionen DM speziell für die Gewinnung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie Studierenden aus dem Ausland bereit gestellt worden sind. Weitere Stichworte für die eingeleiteten erfolgreichen Bemühungen sollen hier nur sein: das vom BMBF ini- tiierte und finanzierte Modellprogramm international ausgerichteter Studiengänge mit zurzeit 62 Modellstudi- engängen, das vom DAAD und von der Deutschen For- schungsgesellschaft durchgeführte Programm „Promo- tionen in Deutschland“. Die Bundesregierung förderte im Jahr 2000 allein über den DAAD den Aufenthalt von über 21 000 Studierenden und Graduierten sowie von 5 262 Wissenschaftlern in Deutschland mit circa 207 Mil- lionen DM. Die Alexander-von-Humboldt-Stiftung konn- te Gleiches für die wissenschaftliche Arbeit von insge- samt 1 440 internationalen Forschungsstipendiaten aus 90 Ländern tun. Dies wurde auch durch die deutsche Ver- besserung der Mittel in diesem Bereich möglich. Schließlich: Im Rahmen der Zukunftsinitiative Hoch- schule hat das BMBF in der Internationalisierung der Hochschule mit etwa 90 Millionen Euro einen deutlichen Schwerpunkt gesetzt. Die Liste ließe sich fortsetzen. Nicht zuletzt auch in Beachtung der besonderen sozia- len Bedingungen hat es Fortschritte gegeben: mit erleich- tertem Zugang in Sprachprogrammen schon im Hei- matland, mit kompletten, von den Studentenwerken angebotenen Servicepaketen, die die Module Wohnen, Semesterbeitrag und Versicherung anbieten, mit zusätz- lichen Initiativen, die gerade auch das kulturelle und ge- sellschaftliche Umfeld für ausländische Studenten an den Hochschulen verbessern. Dass es hier gleichwohl Pro- bleme gibt, soll nicht verschwiegen werden. Speziell das Wohnheimangebot für ausländische Studenten muss im Auge behalten werden. Die gemeinsamen Anstrengun- gen, ausländische Studierende vor Fremdenfeindlichkeit und Rassismus auch an den Hochschulen aktiv zu unter- stützen, müssen uns ein gemeinsames Anliegen sein. Ob es in der gemeinsamen Zielsetzung, mehr Weltof- fenheit an den Hochschulen zu schaffen, allerdings hilf- reich ist, mit derartigen Forderungen aufzuwarten, wie sie die PDS in ihrem Antrag formuliert, sei – wohlwollend ausgedrückt – sehr kritisch dahingestellt. Wir halten es für unverhältnismäßig und auch nicht zu rechtfertigen, wenn die PDS in der Ziffer 4 fordert, dass mit einer Änderung des BAföG-Gesetzes ausländische Studierende mit deut- schen gleichgestellt werden sollen, wenn sie sich recht- mäßig in Deutschland aufhalten und einen Studienplatz vorweisen können. Es hilft keiner Seite, wenn die PDS fordert, dass allen, die an einer Hochschule in Deutsch- land ein Studium aufnehmen möchten, einen individuel- len Rechtsanspruch auf Einwanderung gegeben werden soll. Zusätzlich soll es hier dann noch die Sonderregelung geben, dass Finanzierungsnachweise für die Erteilung ei- ner Aufenthaltsgenehmigung für ausländische Studie- rende vollkommen abzuschaffen sind. In Verbindung mit der PDS-BAföG-Forderung kann sich jeder schnell vor- stellen, welche Entwicklung damit eingeleitet würde. Die SPD zieht es deshalb vor, mit Augenmaß und Ba- lance und über viele konkrete Maßnahmen die Unterstüt- zung für mehr Internationalisierung der Hochschulen und mehr ausländische Studenten in Deutschland voranzutrei- ben. Gerade in letzter Zeit konnten wir mit der erfolgrei- chen Verabschiedung des neuen Zuwanderungsgesetzes in Bundestag und Bundesrat hierbei einen weiteren nach- haltigen Erfolg erreichen. In dem neuen Gesetz ist in Ab- schnitt 3 ein spezieller Aufenthalt zum Zweck der Ausbil- dung definiert. Die dort in den §§ 16 und 17 enthaltenen Vorschriften tragen der Bedeutung des Studienstandortes Deutschland im internationalen Vergleich Rechnung und ermöglichen es im Gegensatz zur geltenden Rechtslage, ausländische Studenten- und Studienbewerber unter er- leichterten Bedingungen und besseren Perspektiven für einen Aufenthalt in Deutschland zu gewinnen. Hierbei sind deutliche Erleichterungen in den bisherigen Bestim- mungen vorgesehen. Nicht zuletzt durch weitere Initiativen aus dem Parla- ment heraus hat es auch deutliche Verbesserungen für den Arbeitsmarktzugang ausländischer Studenten während des Studiums gegeben. Denn wir wissen: Ein großer Teil der Studenten aus dem Ausland muss sich sein Studium in Deutschland selbst finanzieren. Eingeweihte wissen: Die Veränderung der bisherigen Regelung, nach der auslän- dische Studierende an bis zu 90 Tagen im Jahr studen- tische Nebentätigkeiten ausüben konnten, hatte zur Folge, dass jeder Tag auch dann als vollständiger Tag angerech- net wurde, wenn die Studenten nur stundenweise be- schäftigt waren. Die Aufenthaltserlaubnis soll nach der nun beschlossenen Regelung zur Ausübung einer Be- schäftigung an insgesamt 90 Tagen oder 180 halben Tagen berechtigen, wobei die nur stundenweise ausgeübte Tätig- keit verrechnet oder die Mehrbeschäftigungen addiert werden können. Was hier so hölzern daher kommt, ist in Wirklichkeit eine deutliche Verbesserung und macht es für ausländische Studenten erheblich leichter, auch ohne Stipendien und großen finanziellen Rückhalt aus ihrem Herkunftsland in Deutschland eine erfolgreiche Finanzie- rung und damit auch Durchführung ihres Studiums be- treiben zu können. Schließlich werden auch die Möglichkeiten, nach ei- nem erfolgreichen Studium einen Aufenthalt zum Zweck Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. April 2002 22965 (C) (D) (A) (B) der Erwerbstätigkeit wahrzunehmen oder jedenfalls aus- reichend Zeit für die Arbeitsplatzsuche zu gewinnen, aus- drücklich und deutlich erweitert. In der Verbindung mit dem neuen § 19 – Aufenthalt zum Zweck der Erwerbs- tätigkeit –, der speziell eine Niederlassungserlaubnis für Hochqualifizierte bestimmt, sind hier dem wissenschaft- lichen Nachwuchs aus dem Ausland deutliche und attrak- tive Chancen eröffnet. Dies alles sind konkrete Verbesserungen, dies ist hart erkämpfte praktische Reformpolitik. Dies ist die beste Antwort auf die Forderungen der PDS, der wir nur sagen können: Gut gemeint muss nicht immer gut sein. Der PDS-Antrag erfüllt nicht die Bedingung, ein guter Antrag zu sein, und wird deshalb nicht die Zustimmung der SPD finden können. Thomas Rachel (CDU/CSU): Heute beraten wir den PDS-Beitrag „Weltoffenheit als Chance für die Hoch- schulen“ im Deutschen Bundestag, nachdem wir im Ple- num des Parlaments bereits mehrfach intensiv über die In- ternationalisierung des deutschen Hochschulstandortes diskutiert haben. Der PDS-Antrag enthält eine Reihe von sinnvollen Gesichtspunkten, allerdings auch einige voll- kommene Fehlschlüsse. Mit Verweis auf die Terroranschläge in New York und Washington vom 11. September 2001 wendet sich die PDS gegen die Rasterfahndung im Bereich ausländischer Studierender und behauptet, dass alle ausländischen Stu- dierenden unter Generalverdacht gestellt würden. Die PDS verharmlost die nun leider nachweislich vorhandene Gefährdung, die von einzelnen ausländischen Terroristen, die an deutschen Hochschulen eingeschrieben waren, ganz real für viele Tausend Menschenleben ausgegangen ist. Dies rundweg abzuleugnen, erscheint keineswegs als differenzierter Umgang mit dieser schwierigen Materie. Krönung des politischen Unsinns ist die Forderung der PDS nach einem „individuellen Rechtsanspruch auf Ein- wanderung“ für „alle, die an einer Hochschule in Deutschland ein Studium, eine wissenschaftliche Qualifi- kation oder eine Forschungstätigkeit aufnehmen möch- ten“. Wenn jeder ausländische Studierende einen Rechts- anspruch auf Einwanderung in die Bundesrepublik Deutschland hätte, würden wir aus allen Ländern der Welt überrannt werden – nicht um qualifizierte ausländische Studenten zu bekommen, sondern weil es verständlicher- weise in allen Teilen der Welt den Wunsch nach Einwan- derung nach Deutschland gibt. Diesem millionenfachen Wunsch wird Deutschland aber natürlich nicht entspre- chen können. Mit einem solchen Antrag an den Deutschen Bundestag derartige Hoffnungen zu wecken, ist zutiefst unseriös und gefährlich. Im Übrigen ist es äußerst unglaubwürdig, wenn die SED-Nachfolgepartei PDS nun gerade ihr Interesse an Ausländern und ausländischen Studierenden entdeckt. Faktum ist nämlich, dass in der damaligen DDR Auslän- der nicht erwünscht waren. Dies sieht man noch heute an den außerordentlich niedrigen Ausländerzahlen in den neuen Bundesländern. Demgegenüber war die frühere Bundesrepublik Deutschland bereits immer ein auslän- derfreundliches Land und hat viele Hunderttausend aus- ländische Bürger in unser Land aufgenommen und ihnen hier eine neue Zukunft gegeben. Nun zum eigentlichen Thema – der Internationalität, Offenheit und Qualität der deutschen Hochschulen. Das Hochtechnologieland Deutschland verliert seine Koryphäen regelmäßig an ausländischen Konkurrenten. Außerdem hat Deutschland in letzter Zeit größte Schwie- rigkeiten, den geeigneten akademischen Nachwuchs, aber auch ausreichend qualifizierte Fachkräfte aus den eigenen Reihen hervorzubringen. Es fehlt an geeignetem akade- mischen Nachwuchs in Deutschland. Dies ist eine alar- mierende Diagnose. Denn die Wettbewerbsfähigkeit und die Innovationsfähigkeit eines Landes hängen entschei- dend vom Potenzial hoch qualifizierter Arbeitskräfte ab. Deutschland droht an dieser Herausforderung einer wis- sensbasierten Industriegesellschaft zu scheitern. Die Reform des Bildungssystems wird darüber ent- scheiden, ob Deutschland in der globalisierten Welt des 21. Jahrhunderts international wettbewerbsfähig sein wird. Das Ausland hält uns kritisch den Spiegel vor Au- gen. Aus US-Sicht verfügt Deutschland zurzeit über keine einzige Universität von Weltrang. Das Problem wird so beschrieben: Es gibt eine breite Grundlage und eine solide Mitte. Aber es fehlt eine Spitze. Mit anderen Worten: Deutschland braucht Spitzenuniversitäten im Weltmaß- stab als Ergänzung und als leistungsstimulierendes Vor- bild. Deutschland ist auf dem globalen Bildungsmarkt un- terrepräsentiert. Dies ist ein Fehler. Denn es handelt sich um einen Wachstumsmarkt mit intensivem Wettbewerb. Man muss sich nur vor Augen führen, dass die USA auf diesem internationalen Bildungsmarkt einen Erlös von 12 bis 18 Milliarden US-Dollar pro Jahr erwirtschaften und damit mehr als die amerikanische Filmindustrie. Die letzte unionsgeführte Bundesregierung hat bereits entscheidende Weichenstellung zur Internationalisierung vorgenommen. Mit der Novelle zum Hochschulrahmen- gesetz wurden die international anerkannten Abschlüsse Bachelor und Master eingeführt. SPD und Grüne haben damals versucht, die Reform zu kippen. Gott sei Dank ist ihnen das nicht gelungen. Denn sonst hätte sich in den letzten drei Jahren an den deutschen Hochschulen nichts bewegt. Seit 1998 haben aber die deutschen Universitäten und Fachhochschulen bereits über 1 100 neue Bachelor- und Master-Studiengänge und über 600 Studiengänge, die man auch in einer Fremdsprache studieren kann, etabliert. Dies ist eine Erfolg der christdemokratischen Hochschul- politik. Die unionsgeführte Bundesregierung hat 1997 ein För- derprogramm zum Aufbau international ausgerichteter Studiengänge aufgelegt. Diese sind ein großer Erfolg. Die neue Bundesregierung setzt dieses Programm zwar fort, aber die finanzielle Ausstattung stagniert. Das sind die Realitäten rot-grüner Bildungspolitik. Der Hochschulstandort Deutschland muss internatio- naler werden. Der Anteil der in Deutschland studierenden Ausländer beträgt nur rund 7 Prozent der Studenten. Die ausländischen Studierenden von heute sind die Freunde und Botschafter unseres Landes von morgen. In den US- Hochschulen sind 50 Prozent der Graduierten und Post- graduierten in den technischen Fächern keine Amerika- ner, sondern Ausländer – darunter viele Deutsche. Es darf Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. April 200222966 (C) (D) (A) (B) die Bundesregierung nicht zufrieden stellen, dass deut- sche Hochschulabsolventen mit öffentlichen Mitteln ihre Grundausbildung in Deutschland erhalten, im Endergeb- nis aber schließlich für die USA forschen und lehren. Wir müssen besser werden – für die deutschen Studen- ten, aber auch für die aus dem Ausland. Nicht Abwehr und Provinzialismus sind gefragt. Wir brauchen in Deutsch- land vielmehr eine neue Offenheit für qualifizierte Nach- wuchskräfte aus dem Ausland und die besten Köpfe. Des- halb müssen Barrieren im Aufenthalts- und Arbeitsrecht beseitigt werden. Viele Bildungsausländer können ihren Studienaufent- halt in Deutschland nur realisieren, wenn ihnen die Chance gegeben wird, mit Einnahmen aus eigener Tätig- keit in Deutschland den Lebensunterhalt zu bestreiten. Deshalb ist es richtig, die so genannte 90-Tages-Frist zu verändern und die so genannte Vorrangprüfung zumindest bei studiennahen Tätigkeiten zu beseitigen. Ausländische Studenten sollen in Zukunft nach ihrem Studium in Deutschland bleiben dürfen. Sie brauchen eine Arbeitserlaubnis, damit sie Berufserfahrung in Deutsch- land sammeln können. Es macht keinen Sinn, das hoch qualifizierte Akademiker das Land verlassen müssen, wenn Deutschland mit seinen eigenen Fachkräften in den gleichen Bereichen den Bedarf nicht decken kann. Die Sondererhebung zur 16. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks zum Thema „Internatio- nalisierung des Studiums“ zeigt zwar viele Fort- schritte, aber einen ebenso großen Handlungsbedarf, um Deutschland für ausländische Studierende attrak- tiver zu machen. Das hat der Präsident des Deutschen Studentenwerkes, Professor Dr. Hans-Dieter Rinkens, betont. Zur Steigerung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit des Studien- standortes Deutschland sei es – so Rinkens – dringend er- forderlich, die Rahmenbedingungen des Studienaufent- haltes für die Gäste aus dem Ausland zu verbessern. So haben 43 Prozent der Bildungsausländer in Deutsch- land Schwierigkeiten mit der Arbeitserlaubnis, 37 Prozent mit der Beantragung des Visums bzw. der Aufenthaltsge- nehmigung und ebenso viele mit der Finanzierung des Studiums. Ein zusätzlicher wichtiger Baustein für bessere Rah- menbedingungen sei auch der Ausbau des von den Studen- tenwerken angebotenen Servicepakets für ausländische Studierende. Zusätzlich zu einem attraktiven Gesamtpreis für Wohnen, Verpflegung, Semesterbeitrag und Betreuung können insbesondere auch Nicht-Stipendiaten von ihrem Heimatland aus der Start an einer Hochschule in Deutsch- land erleichtert werden. In vielen Städten hat sich nach einer Entspannungsphase die Suche nach bezahlbarem Wohnraum leider wieder als ein großes Problem herausgestellt, wie das Studentenwerk richtigerweise feststellt. Nur die neuen Bundesländer haben hier einen klaren Standortvorteil. Das Wohnen ein einem Studentenwohnheim ist für ausländische Studie- rende die beliebteste Wohnform. Zurzeit wohnen circa 50 000 ausländische Studenten in den Wohnheimen der Studentenwerke. Dies zeigt, wie unersetzlich die Studen- tenwerke sind. Der Präsident des Deutschen Studenten- werks, Prof. Rinkens, hat aber betont, dass „wir ... circa 20 000 neue Wohnheimplätze“ benötigen. Wo ist die Ini- tiative der Bundesregierung? Interessante Erkenntnisse hat auch die Studie des Deut- schen Städtetages zum Thema „Ausländische Studierende in deutschen Hochschulstädten: Fakten, Probleme und Handlungsfelder“ hervorgebracht. Zu begrüßen ist vor al- lem der Empfehlungskatalog des Deutschen Städtetages, der eine Reihe von sinnvollen Anregungen enthält. So schlägt der Städtetag vor, dass vor Ort Kommuni- kations- und Projektnetzwerke aufgebaut werden mit dem Ziel, neue und verbesserte Betreuungskonzepte und Ser- viceangebote für ausländische Studierende zu entwickeln. Die Netzwerke sollten in ihrem Kern aus Vertretern jener Einrichtungen bestehen, die die Studierenden in ihrem Lebens-, Arbeits- und Studienalltag begleiten, das heißt Hochschulen, Studentenwerken und Stadtverwaltungen. Der Städtetag weist auf die vielfältigen Möglichkeiten der Kommunen hin, über eine Empfangspolitik und ei- gene Angebote die Studier-, Wohn- und Lebensbedingun- gen der ausländischen Bildungsgäste zu verbessern und somit entscheidend zu einem „Klima für Gastfreund- schaft“ in den deutschen Hochschulstädten beizutragen. Hierzu gehören beispielsweise die Verbesserung der In- formationsangebote für die Zielgruppe „ausländische Stu- dierende“, die Entwicklung eigener Begrüßungsangebote, die Verbesserung der Serviceangebote der Ausländer- behörde, Willkommens-Pakete, Patenschaftsprogramme, und Aufrufe der Stadt an private Vermieter wegen Wohn- raummangels. Wichtig ist auch die Unterstützung der Kommunen für die Studentenwerke bei der Schaffung neuen Wohnraums, zum Beispiel über die städtischen Wohnungsbaugesell- schaften, bei der Einrichtung von Service-Points und Info-Cafés bzw. bei der Suche nach entsprechenden Lie- genschaften. Außerdem können die Kommunen die Hochschulen bei der Suche nach Praktikumsplätzen für ausländische Studierende durch Herstellung von Kontak- ten zur Wirtschaft unterstützen. Deutsche Studierende sind zudem offensichtlich viel- fach in sich gekehrte Muffel. Denn nach der Studie des Deutschen Studentenwerkes hat eine sehr große Gruppe der Gäste aus dem Ausland ihren mangelnden Kontakt mit deutschen Studierenden beklagt. Von Studierenden aus Entwicklungsländern äußern sogar 41 Prozent diese Klage. Insofern hat der Präsident des Deutschen Studenten- werks, Prof. Rinkens Recht, wenn er auch an die deutschen Studenten appelliert, „sich verstärkt dem interkulturellen Dialog zu stellen“. Dem können wir uns wohl nur ge- meinsam anschließen. Davon profitieren alle – die Hoch- schulen, aber auch unsere Gesellschaft in der Bundesre- publik Deutschland insgesamt. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Eines der zentralen Elemente bündnisgrüner Hochschul- politik ist die Vernetzung und Einbindung des Studien- und Forschungsstandorts Deutschlands. Die Bundeslän- der und Hochschulen haben bereits Erhebliches geleistet, Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. April 2002 22967 (C) (D) (A) (B) um Deutschland als internationalen Hochschulstandort at- traktiver zu gestalten. Einige Verbesserungen im Arbeits- und Aufenthaltsrecht für ausländische Studierende und Hochschulabsolventen haben wir bereits im Zuge der Ein- wanderungsdebatte erreicht. Ausländischen Absolventen der neu eingerichteten Ba- chelor- und Masterprogramme sowie hoch qualifizierten Wissenschaftlern und ihren Familien muss in Deutsch- land eine dauerhafte Bleibeperspektive gegeben werden. Sonst gehen sie nach Kanada oder in die USA. Wir fordern daher weitere arbeitsrechtliche Erleichte- rungen im Bereich der studentischen Nebenjobs und die Abschaffung der so genannten Vorrangprüfung. Danach können ausländische Studierende erst dann einen Neben- job antreten, wenn keine geeigneten deutschen Bewerber oder EU-Bürger für die Stelle zur Verfügung stehen. Ohne Nebenjobs können Studierende aus Asien oder Afrika ihren Aufenthalt aber nicht finanzieren. Wichtig ist auch, die soziale Situation von ausländi- schen Studierenden zu berücksichtigen. Insbesondere brauchen wir eine bessere Versorgung mit öffentlich ge- fördertem Wohnraum für ausländische Studierende. Der Bedarf an Wohnheimplätzen steigt kontinuierlich und wird in den Ballungsgebieten, in denen die Mieten beson- ders hoch sind, zum entscheidenden sozialen Auswahlkri- terium. Aus unserer Sicht umfasst die Internationalisierung des deutschen Hochschulsystems aber mehr als nur das An- werben von Studierenden aus anderen Ländern – und diese Dimension fehlt dem hier zu diskutierenden Antrag völlig. Internationalisierung bedeutet auch, endlich die Bereicherung zu sehen, die von den Bildungsinländern – also Studierenden ohne deutsche Staatsangehörigkeit, aber mit deutscher Hochschulzugangsberechtigung – aus- geht. Deutschland kann es sich als Einwanderungsland nicht länger leisten, auf die Kompetenzen der Bildungs- inländer zu verzichten. Sie spielen eine Schlüsselrolle bei der Integration neuer Migrantinnen und Migranten und sollten deshalb verstärkt in pädagogischen Berufen, im Gesundheitsbereich und in der öffentlichen Verwaltung eingestellt werden. Die internationale Einbindung des deutschen Bil- dungssystems bedeutet aber auch, dass die Mobilität deut- scher Studierender sowie Wissenschaftlerinnen und Wis- senschaftler beratend und finanziell unterstützt wird. Ein erster wichtiger Schritt ist hier das seit letztem Jahr ins Ausland übertragbare BAföG. Ob BAföG- oder Dienstrechtsreform: Rot-Grün stellt die Weichen auf Internationalisierung an den deutschen Hochschulen. Ulrike Flach (FDP): Ein schöner Titel macht noch keinen schonen Antrag. Die weltoffene und international orientierte Hochschule wollen wir natürlich auch, aber schon die Beschreibung des Ist-Zustandes teile ich nicht. Die gebetsmühlenartige Wiederholung der Behaup- tung, die „ausländerfeindliche Stimmung, insbesondere gegen Migrantinnen und Migranten“ habe zugenommen, macht diese Aussage nicht richtiger. Ich sehe auch nicht, dass hochschulpolitische Betätigung ausländischer Stu- dierender unter einen „Generalverdacht“ gestellt würde oder dass an unseren Hochschulen eine „Atmosphäre des Verdachts, der Denunziation und der Denktabus“ herr- sche, wie Sie es beschreiben. Fakt ist: Unsere Hochschulen müssen internationaler werden. Sie brauchen finanzielle und organisatorische Unterstützung dabei, im Ausland um Studierende und Wissenschaftler werben zu können. Wir müssen mehr fremdsprachige und virtuelle Studiengänge einrichten. Hochschulen brauchen finanzielle Spielräume, um Spit- zenwissenschaftler aus dem Ausland auch bezahlen zu können. Und sie brauchen die Unterstützung des Bundes beim Bau von Wohnheimen für ausländische Studieren- de – hier fehlen uns circa 21 000 Plätze. Die schleppende Anerkennung ausländischer Hoch- schulzugangsberechtigungen, die Bürokratie in den deut- schen Auslandsvertretungen, unser – noch – antiquiertes Aufenthalts- und Arbeitsrecht – das alles hindert uns da- ran, mehr ausländische Studierende zu gewinnen. Ich sage bewusst „gewinnen“; denn es ist keine Gnade, in Deutsch- land studieren zu dürfen, sondern ein Gewinn für unser Land. Was mich an Ihrem Antrag ärgert und warum wir ihn ablehnen werden, sind zwei Punkte. Erstens: Bei aller politischen Korrektheit, die ja gerade die PDS immer anmahnt, kommt im Antrag dreimal der Begriff „unterentwickelte Länder“ vor. Das ist ein Sprachgebrauch, der völlig unpassend ist und das Anlie- gen, sich für mehr Studierende aus der so genannten Drit- ten Welt einzusetzen, konterkariert. Zweitens: Was schlagen Sie vor? Sie überziehen die Hochschulen mit Aufgaben. Sie sollen ein bedarfsgerech- tes Angebot an Sprachkursen bereitstellen, interkulturelle Kommunikation fördern, unentgeltliche studienbeglei- tende Betreuungen für Ausländer anbieten und anderes mehr. Das ist alles wünschenswert, aber es fehlen konkrete Finanzierungskonzepte. Und es ist bei Ihnen immer der Staat, der den Hochschulen alles vorschreibt, der alles re- geln will. Lassen Sie doch den Hochschulen die Freiheit, sich selbst zu organisieren. Sie können das besser als die PDS-Fraktion. Sie könnten wirklich etwas tun, indem Sie in den Län- dern, in denen Sie mitregieren, die Landeshochschulge- setze ändern und den Hochschulen volle Personal, Tarif und Organisationshoheit geben. Weltoffenheit kann man nicht verordnen. Unsere Hochschulen müssen von staatlichen Korsetten entfesselt werden. Wir werden in den anstehenden Beratungen zum Sechsten HRG einen Antrag vorlegen, der zu einer deut- lichen Reduzierung staatlicher Eingriffe führt. Damit können wir das erreichen, was wir alle wollen: eine inter- nationale, wettbewerbsfähige und attraktive Hochschul- landschaft in Deutschland. Maritta Böttcher (PDS): Das Thema Internationali- sierung der Hochschulen hatte bis vor kurzem politische Hochkonjunktur. Doch seit dem 11. September hat sich Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. April 200222968 (C) (D) (A) (B) auch in dieser Frage die Atmosphäre verändert. Das Un- wort von den Hochschulen als „Ruheraum“ für Terroris- ten machte schnell die Runde. Ausländische Studierende insbesondere aus arabischen Herkunftsstaaten sehen sich mit Vorurteilen konfrontiert. Die Zimmersuche auf dem freien Wohnungsmarkt ist für sie fast aussichtslos gewor- den. Die in etlichen Bundesländern durchgeführten Ras- terfahndungen stellten ausländische Studierende unter ei- nen Generalverdacht – was in einigen Fällen rechtswidrig war, wie jüngste Gerichtsentscheidungen gezeigt haben. Ich bin hochpolitischen Akteuren wie der Hochschulrek- torenkonferenz oder den Studierendenvertretungen dank- bar, dass sie durch ihre Erklärungen unmissverständlich deutlich gemacht haben, dass die Angst vor Terroranschlä- gen nicht für Angriffe gegen die Weltoffenheit der Hoch- schulen instumentalisiert werden darf. Die PDS-Fraktion möchte mit ihrem Antrag dazu bei- tragen, dass weltoffene Hochschulen in Zukunft nicht als Bedrohung, sondern als Chance verstanden werden. Auch die kürzlich erfolgte Verabschiedung des Zuwanderungs- gesetzes ist kein Grund, das Thema ad acta zu legen. Zwar ist anzuerkennen, dass sich die rechtlichen Rahmenbedin- gungen für ausländische Studierende in einem Punkt ver- bessert haben: Die Genehmigung von Nebentätigkeiten ausländischer Studierender wird erleichtert, unter ande- rem durch eine flexiblere Anwendung der so genannten 90-Tage-Regelung. Doch die größten ausländerrechtli- chen Restriktionen bleiben unverändert. Bei der Jobsuche gilt weiterhin die Bevorrechtigtenregelung des Sozialge- setzbuchs: Studierende aus Nicht-EU-Staaten dürfen nur beschäftigt werden, wenn keine Kommilitone aus einem EU-Mitgliedstaat zur Verfügung steht. Ausländische Stu- dierende müssen auch in Zukunft einen Finanzierungsnach- weis erbringen, um überhaupt eine Aufenthaltsgenehmi- gung zu erhalten. Das heißt, sie müssen nachweisen, dass sie für ein Jahr über Mittel in Höhe des BAföG-Regelsat- zes verfügen. Die PDS bleibt bei ihrer Forderung nach ei- ner Gleichstellung von in- und ausländischen, EU- und Nicht-EU-Studierenden. Obwohl das Zuwanderungsgesetz – ohne den von der PDS geforderten Rechtsanspruch auf Einwanderung für ausländische Studierende mit Studienplatz – verabschie- det ist, sind nicht alle Würfel gefallen. Sobald der Bundes- präsident das Gesetz unterzeichnet hat, hat die Bundesre- gierung im Zusammenwirken mit dem Bundesrat die Allgemeinen Verwaltungsvorschriften und Durchführungs- bestimmungen zu dem neuen Gesetz zu beschließen. Ich warne die Bundesregierung davor, einfach die alten Be- stimmungen zum Ausländergesetz abzuschreiben. Fragen wie der Finanzierungsnachweis könnten ohne erneute Gesetzesänderung im Interesse der Betroffenen besser ge- regelt werden. Ich fordere die Bundesregierung auf, den Sachverstand von Organisationen wie dem Deutschen Stu- dentenwerk sowie Vertreterinnen und Vertretern der auslän- dischen Studierenden in die Ausarbeitung der neuen Vor- schriften einzubeziehen. Das Kuratorium des Deutschen Studentenwerks hat übrigens bereits im November 2001 einstimmig Bund und Länder aufgefordert, sich an einem Förderpro- gramm für den Bau von 20 000 Wohnheimplätzen, ins- besondere auch für ausländische Studierende, zu beteili- gen. Zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für ausländische Studierende gehört eben weit mehr als eine Liberalisierung des Ausländerrechts. Ausländische Stu- dierende sind sehr viel mehr als ihre inländischen Kom- militonen auf ein ausreichendes Angebot von Wohn- heimplätzen in öffentlicher Trägerschaft angewiesen. In unserem Antrag fordern wir daher die Bundesregierung ausdrücklich auf, die Studentenwerke darin zu unterstüt- zen, mehr integrationsfördernde Wohnheimplätze anzu- bieten. Dass diese Aufforderung dringend erforderlich ist, macht die vorige Woche geäußerte Kritik des DSW- Kuratoriumsvorsitzenden und HRK-Präsidenten Profes- sor Landfried deutlich. Bund und Länder konnten sich bislang nicht auf eine Finanzierung von neuen Wohn- heimplätzen verständigen, die Engpässe in der Wohn- raumversorgung vor allem für ausländische Studierende sind ungebrochen. Das passt nun wirklich nicht zusam- men: Dass das BMBF auf der einen Seite eine konzer- tierte Aktion ins Leben ruft, die weltweit für den Stu- dienstandort Deutschland werben und ausländische Studierende nach Deutschland locken soll, auf der ande- ren Seite aber geizt, wenn es um die Schaffung ange- messener Studienbedingungen geht. Ich wünsche mir eine vorbehaltlose Diskussion im Ausschuss über unsere Vorschläge zur Stärkung der Weltoffenheit der Hochschulen, die ich Ihnen aus Zeit- gründen nicht alle im Detail vorstellen kann. Bestehende Barrieren für eine Internationalisierung von Forschung, Lehre und Studium sind zu beseitigen: etwa bei der Aner- kennung von im Ausland erbrachten Hochschulzugangs- berechtigungen, Studien- und Prüfungsleistungen sowie Abschlüssen oder bei der Berufung und Einstellung aus- ländischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Darüber hinaus bedarf es aktiver Fördermaßnahmen – etwa in Form von Stipendien- und Gastdozentenprogram- men, wobei Entwicklungs- und Transformationsländer sehr viel stärker als bisher berücksichtigt werden müssen. Abschließend ist mir wichtig zu betonen, dass über die ausländerrechtlichen und infrastrukturellen Fragen hinaus die soziale und kulturelle Dimension nicht zu kurz kom- men darf. Der wissenschaftliche Erkenntnisprozess ist schon von seinem Grundverständnis her auf eine interna- tionale Kommunikation, Kooperation und Konkurrenz von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ausge- richtet. Dies sollte sich an jeder einzelnen Hochschule wi- derspiegeln: Die Hochschulpolitik hat daher den interna- tionalen und interkulturellen Dialog auf dem Campus zu fördern; Hochschulen, Studierendenschaften, Studenten- werke und Kommunen sind bei entsprechenden Projekten zu unterstützen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. April 2002 22969 (C) (D) (A) (B) Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin
Gesamtes Protokol
Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423000000
Guten Morgen, liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.

In der Osterpause feierten eine Kollegin und mehrere
Kollegen einen runden Geburtstag. Im Namen des Hau-
ses gratuliere ich dem Kollegen und Bundeskanzler a. D.
Dr. Helmut Kohl zur Vollendung seines 72. Lebens-
jahres,


(Beifall)

dem Kollegen Dr. Helmut Lippelt zu seinem 70. Ge-
burtstag,


(Beifall)

dem Kollegen Werner Labsch zu seinem 65. Geburtstag


(Beifall)

und der Kollegin Dr. Irmgard Schwaetzer sowie dem
Kollegen Horst Schild jeweils zum 60. Geburtstag
nachträglich sehr herzlich


(Beifall)

und wünsche den Genannten weiterhin alles Gute.

Der Kollege Norbert Hauser (Bonn) hat am 9. April
2002 auf seine Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag
verzichtet. Als Nachfolger hat der Kollege Detlef Helling
am 10. April 2002 die Mitgliedschaft im Deutschen Bun-
destag erworben. Ich begrüße den Kollegen, der schon in
der 13. Wahlperiode Mitglied des Hauses war, sehr herz-
lich.


(Beifall)

Sodann teile ich mit, dass die Kollegin Barbara Imhof

ihr Amt als Schriftführerin niedergelegt hat. Die Frak-
tion der SPD benennt als Nachfolgerin die Kollegin
Gabriele Lösekrug-Möller. Sind Sie damit einverstan-
den? – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist die Kol-
legin Lösekrug-Möller als Schriftführerin gewählt.

Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene
Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in der Ihnen
vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:

1. Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD, der
CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der

FDP eingebrachten Entwurfs eines Achten Gesetzes zur Än-

(siehe 229. Sitzung)

Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäfts-
ordnung
Rechtsausschuss
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO

2. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD: Haltung
der Bundesregierung zum Insolvenzantrag der Kirch-
Media AG (siehe 229. Sitzung)


3. Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Michael Luther,
Manfred Grund, Günter Nooke, weiteren Abgeordneten und
der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes zur dringlichen Sicherung von Werkunternehmer-
ansprüchen und zur verbesserten Durchsetzung von Forde-
rungen (Forderungssicherungsgesetz – FoSiG –) – Druck-
sache 14/8783 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Haushaltsausschuss

4. Beratung des Antrags der Fraktion der PDS: Ostdeutsche
Löhne und Gehälter im öffentlichen Dienst bis zum Jahre
2007 stufenweise auf das Niveau der alten Bundesländer an-
heben – Drucksache 14/8791 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder (f)

Innenausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Haushaltsausschuss


(Ergänzung zu TOP 29)


a) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs ei-
nesGesetzes zur Änderung tierarzneimittelrechtlicherVor-
schriften – Drucksache 14/8613 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft (f)

Ausschuss für Gesundheit

b) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs

22767


(C)



(D)



(A)



(B)


230. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 18. April 2002

Beginn: 9.00 Uhr

eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Regionalisierungs-
gesetzes – Drucksache 14/8781 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss


(Ergänzung zu TOP 30)

Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Fi-
nanzausschusses (7. Ausschuss) zu der Unterrichtung durch die
Bundesregierung: Bericht über die Entwicklung der Kon-
vergenz in der Europäischen Union im Jahr 2000 – Druck-
sachen 14/7563, 14/8580 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Lothar Binding (Heidelberg)

Klaus-Peter Willsch

7. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU:
Haltung der Bundesregierung zu dem Befund, dass fast
drei Viertel der Versicherten keinen Vertrag für eine so
genannte Riester-Rente abschließen wollen

8. Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU: Ver-
braucherinformationsgesetz effektiv gestalten – Drucksache
14/8784 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

9. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 18. Oktober 2001
zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schwei-
zerischen Eidgenossenschaft über die Durchführung der Flug-
verkehrskontrolle durch die Schweizerische Eidgenossenschaft
über deutschem Hoheitsgebiet und über Auswirkungen des
Betriebes des Flughafens Zürich auf das Hoheitsgebiet der

(Gesetz zu dem deutschschweizerischen Vertrag vom 18. Oktober 2001)

sache 14/8731 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

10. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur weiteren Reform des Aktien- und

(Transparenzund Publizitätsgesetz)

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie

11. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN: Haltung der Bundesregierung zum
Waldaktionsplan im Übereinkommen über die biologische
Vielfalt anlässlich der 7. Vertragsstaatenkonferenz in Den
Haag

Von der Frist für den Beginn der Beratung soll – soweit
erforderlich – abgewichen werden.

Darüber hinaus ist die Absetzung folgender Punkte der
verbundenen Tagesordnung vereinbart worden: Tagesord-
nungspunkt 4 b – Entwurf eines Vorleistungssicherungs-
gesetzes –, Tagesordnungspunkt 19 – Globalisierung –,
Tagesordnungspunkt 22 – Nahostdebatte –, Tagesord-
nungsspunkt 26 – Entwurf eines Gesetzes über Arbeit-
nehmererfindungen.

Außerdem mache ich auf nachträgliche Ausschuss-
überweisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerk-
sam:

Die in der 218. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesenen nachfolgenden Vorlagen sollen zusätzlich
dem Ausschuss für Wirtschaft und Technologie zur Mit-
beratung überwiesen werden.

Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Ände-
rung des Gentechnikgesetzes – Drucksache
14/8230 –
überwiesen:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Gesetzentwurf des Bundesrates zur Änderung
des Gentechnikgesetzes – Drucksache 14/5929 –
überwiesen:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Unterrichtung durch die Bundesregierung: Zwei-
ter Bericht der Bundesregierung über Erfah-
rungen mit dem Gentechnikgesetz – Drucksache
14/6763 –
überwiesen:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung

Die in der 224. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Unterrichtung soll zusätzlich
dem Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfol-
genabschätzung zur Mitberatung überwiesen werden.

Unterrichtung durch die Bundesregierung: Fort-
schrittsbericht zum Aktionsprogramm derBun-
desregierung
Innovation und Arbeitsplätze in der Informa-
tionsgesellschaft des 21. Jahrhunderts – Druck-
sache 14/8456 –
überwiesen:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss für Kultur und Medien

Die in der 228. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesenen nachfolgenden Gesetzentwürfe sollen zu-
sätzlich dem Verteidigungsausschuss zur Mitberatung
überwiesen werden.




Präsident Wolfgang Thierse
22768


(C)



(D)



(A)



(B)


Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Ein-
führung des Völkerstrafgesetzbuches – Druck-
sache 14/8524 –
überwiesen:
Rechtsausschuss (f)

Auswärtiger Ausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Aus-
führung des Römischen Statuts des Interna-
tionalen Strafgerichtshofes vom 17. Juli 1998
– Drucksache 14/8527 –
überwiesen:
Rechtsausschuss (f)

Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäfts-
ordnung
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? –
Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf:
Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bun-
deskanzler
Familie ist, wo Kinder sind – Politik für ein fa-
milien- und kinderfreundliches Deutschland

Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktionen der
SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung
eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich höre keinen Wider-
spruch. Dann ist so beschlossen.

Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat
der Bundeskanzler, Gerhard Schröder.


(von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit Beifall begrüßt)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Nur ganz nebenbei, Herr Präsident: Auch ich hatte Ge-
burtstag.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD – Lachen bei der CDU/CSU – Michael Glos [CDU/CSU]: Herzlichen Glückwunsch!)


– Von Ihnen besonders gerne, Herr Glos.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Familie

– so heißt es in Art. 6 unseres Grundgesetzes – steht unter
dem besonderen Schutz des Staates. Wohlgemerkt: Im
Grundgesetz heißt es nicht, dass etwa der Staat den Men-
schen vorzuschreiben habe, wie sie zu leben hätten. Wenn
wir also heute über den Stand und die Perspektiven der
Familienpolitik sprechen, dann müssen wir zunächst ein-
mal in Erinnerung rufen, welche familienpolitische Wirk-
lichkeit meine Bundesregierung vorgefunden hat. Wir
haben grobe Ungerechtigkeiten vorgefunden, die das Bun-
desverfassungsgericht mehrfach als verfassungswidrig

bezeichnet hat; man könnte auch sagen: als Verfassungs-
bruch.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir sollten vor diesem Hintergrund nicht den Fehler
machen, über Familie so zu dozieren, wie sich das der eine
oder andere Ideologe vorstellt. Das jedenfalls ist mit un-
serem Verständnis von Familie und, damit zusammen-
hängend, von Freiheit nicht zu vereinbaren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Was meinen Sie denn damit?)


Politik der Freiheit handelt davon, wie die Menschen
leben wollen, nicht, wie sie leben sollen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Deshalb setzen wir mit unserer Politik da an, wo Men-
schen zusammenleben, wo sie sich wohl fühlen, wo sie
Geborgenheit finden und wo Vertrauen herrscht, in der
Familie also.

Familien bilden das stabile Zentrum unserer Gesell-
schaft. Von allen sozialen Netzen ist die Familie mit Ab-
stand das wichtigste für die Menschen, nicht nur bei uns.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dies ist der Grund dafür, dass die Bundesregierung mit
vielfältigen Formen Familien fördert und sie unterstützt,
und zwar unabhängig davon, ob sich die Menschen für
Trauscheine oder für andere Ausdrucksformen ihrer ge-
genseitigen Verpflichtung entscheiden. Entscheidend ist
für uns, dass die Familie der Ort ist, an dem Menschen
ganz unmittelbar Verantwortung füreinander tragen, das
heißt vor allen Dingen, Verantwortung für Kinder.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir sind davon überzeugt, dass eine solidarische
Gesellschaft überhaupt erst entstehen kann, wenn es
solche solidarischen Netzwerke, Familien also, in der
Gesellschaft gibt. Solidarische Familien können nur im
Respekt vor den Wünschen und vor den Rechten zur
Selbstbestimmung befähigter Menschen existieren.

Wir unterstützen durchaus das, was man die traditio-
nelle Familie nennt, die Familie mit Mutter, Vater und
Kindern.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Durchaus!)

Wir unterstützen aber auch die Familien, in denen Eltern
nicht miteinander verheiratet sind, in denen ein Elternteil
oder beide ein Kind mit in die Beziehung bringen und in
denen Mütter oder Väter ihre Kinder allein erziehen. Auch
das ist Familie.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Es geht doch darum, Wirklichkeiten, die sich verändert
haben, zur Kenntnis zu nehmen und in den veränderten




Präsident Wolfgang Thierse

22769


(C)



(D)



(A)



(B)


Wirklichkeiten Familien in all ihren Ausdrucksformen zu
unterstützen. Die Familie – das ist bekannt – ist schon oft
totgesagt worden. Doch in diesen Verschiedenheiten und
natürlich in erster Linie als traditionelle Familie lebt sie,
nicht zuletzt deshalb, weil sie sich als wandlungsfähig er-
wiesen hat. Genau deshalb und darin hat sie auch Zukunft.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Wo sind denn die Zuständigen auf der Regierungsbank?)


Zukunft hat sie vor allen Dingen aus dem Grunde, weil
uns seit 1998 der Politikwechsel hin zu einer wirklich fa-
milienfreundlichen Gesellschaft gelungen ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Oje!)


Es lässt sich nun nicht bestreiten, dass alle Urteile des
Bundesverfassungsgerichts, die die Familienpolitik als
schlicht verfassungswidrig bezeichnen, vor dem Hinter-
grund Ihrer Politik und nicht vor dem Hintergrund unse-
rer Politik judiziert worden sind.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir haben den Familien durch den Ausbau des Fami-
lienleistungsausgleichs zu mehr materieller Sicherheit
verholfen.


(Beifall bei der SPD – Ilse Falk [CDU/CSU]: Durch die Ökosteuer!)


Wir haben das Kindergeld in den dreieinhalb Jahren, in
denen wir regieren, dreimal um insgesamt 40 Euro auf
154 Euro erhöht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir haben die Familienbesteuerung neu geordnet. Seit
dem 1. Januar 2002 gibt es einen einheitlichen Freibetrag
für Betreuung, Erziehung und Ausbildung. Er beträgt
2 160 Euro, für auswärts studierende Kinder gibt es noch
einmal 924 Euro dazu.


(Ina Lenke [FDP]: Viel zu wenig!)

– Das ist ja nun wieder ganz interessant. Sie rufen dazwi-
schen: „Viel zu wenig!“ Das mag ja sein; aber es ist weit
mehr, als Sie zustande gebracht haben. Das sollten Sie
sich einmal hinter die Ohren schreiben!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es ist schon Ausdruck eines ungeheuren Maßes an
Dreistigkeit,


(Joachim Poß [SPD]: Bei ihr ist es auch Dummheit!)


sich hier hinzusetzen und zu behaupten, wir hätten viel zu
wenig gemacht, obwohl Sie von allen Seiten bescheinigt
bekommen, dass Ihre Familienpolitik, die Sie 16 Jahre
lang gemacht haben, schlicht verfassungswidrig ist, und
obwohl Sie sehen können, was wir alles gemacht haben.
Sie hätten doch mehr machen können. Warum haben Sie
es nicht getan? Sie waren dazu nicht in der Lage.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Niemand soll glauben, dass Sie es schaffen, das, was
Sie nicht getan haben, dadurch vergessen zu machen, dass
Sie völlig illusorische Forderungen in die Welt setzen.
Das nimmt Ihnen doch keiner ab; das hat mit redlicher Po-
litik nicht das Geringste, aber auch wirklich nicht das Ge-
ringste zu tun.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich möchte gerne mit der Aufzählung dessen fortfah-
ren, was wir für die Familien in den letzten dreieinhalb
Jahren getan haben. Mit der Steuerreform haben wir den
Grundfreibetrag – gewiss nur stufenweise, aber eben so-
lide finanziert – angehoben und den Eingangssteuersatz
stufenweise gesenkt. Das hilft gerade Familien mit nied-
rigem und mittlerem Einkommen. Darüber hinaus haben
wir den Kindergrundfreibetrag auf 3 648 Euro – also wirk-
lich kräftig – erhöht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Familien spüren diese Entlastung. Eine Familie
mit zwei Kindern und einem durchschnittlichen Einkom-
men hat in diesem Jahr gegenüber 1998 fast 2 000 Euro
– nach der alten Rechnung also fast 4 000 DM – mehr zur
Verfügung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – HansPeter Repnik [CDU/CSU]: Das wird auf der anderen Seite durch die Ökosteuer wieder einkassiert!)


– Ich verstehe ja, dass Ihnen das vor dem Hintergrund Ih-
res dauerhaften familienpolitischen Versagens peinlich
ist.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Nein! Sagen Sie etwas zur Ökosteuer!)


Das Verfassungsgericht hat nämlich wiederholt Ihre Fa-
milienpolitik schlicht als verfassungswidrig erklärt. Wenn
ich nach 16 Jahren eine solche Bilanz vorzuweisen hätte,
dann würde ich ruhig sein, zuhören und die Leistungen
der anderen wenigstens – feiern müssen Sie ja nicht ge-
rade – begrüßen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hans-Peter Repnik [CDU/ CSU]: So eindeutig ist das nicht! – Zuruf des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP])


– Sie sind so einer – das habe ich schon häufig erlebt –:
Wenn Sie politisch nicht mehr weiter wissen, dann starten
Sie den Versuch, die Menschen persönlich zu diffamieren.
Sie sollten sich schämen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Oh!)


Diese Regelungen gelten für alle Eltern, ob sie verhei-
ratet sind oder nicht, ob sie zusammen mit einem Partner




Bundeskanzler Gerhard Schröder
22770


(C)



(D)



(A)



(B)


oder alleine erziehen. Ich denke, das ist ein wirklicher
Fortschritt.

Schließlich noch ein Wort zum Haushaltsfreibetrag
fürAlleinerziehende.Das Bundesverfassungsgericht sieht
darin eine Benachteiligung für Verheiratete. Karlsruhe hat
deshalb der Politik aufgegeben, diesen Haushaltsfrei-
betrag abzuschaffen. Ich will hier sehr deutlich sagen:
Mich hat diese Entscheidung nicht überzeugt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Joachim Poß [SPD]: Mich auch nicht!)


Sie ist unter Rückgriff auf den Gleichheitsgrundsatz judi-
ziert worden. Mein Eindruck ist, dass hier etwas mitei-
nander verglichen worden ist, was eben nicht verglichen
werden kann. In puncto Betreuung ist es nämlich schlicht
so, dass die Alleinerziehenden naturgemäß einen weit
höheren Betreuungsaufwand haben als diejenigen, die zu
zweit ein Kind erziehen können.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich glaube also, dass der Ansatz des Bundesver-
fassungsgerichts, hier herrsche ein Verstoß gegen den
Gleichheitsgrundsatz, jedenfalls für mich – es muss mög-
lich sein, das zu sagen – nicht nachvollziehbar ist.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Es wurde nämlich nicht Gleiches ungleich behandelt, son-
dern es wurde aufgrund der höheren Betreuungskosten
für Alleinerziehende Ungleiches ungleich behandelt. Das
darf nach dem Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes
durchaus sein.

Ich hätte mir also wie viele in diesem Hohen Hause
eine andere Entscheidung gewünscht. Aber wir haben die-
ser Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nachzu-
kommen und wir müssen sie umsetzen. Wir werden sie
aber so umsetzen, dass das erhalten bleibt, was vor dem
Hintergrund dieses Urteils möglich ist.

Ich will hinzufügen, dass natürlich gefordert worden
ist: Dann behandelt doch die Verheirateten so wie die Al-
leinerziehenden. Objektiv wäre das möglich gewesen. Al-
lein vor dem Hintergrund der Notwendigkeit, die Konso-
lidierungspolitik weiterzubetreiben, war dies – jedenfalls
jetzt – nicht finanzierbar. Deswegen war uns dieser Aus-
weg verschlossen. Ich finde, gerade das muss in der Öf-
fentlichkeit gesagt werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Trotzdem möchte ich eines klarstellen: Alleinerzie-
hende werden nicht wie Singles besteuert, wie das gele-
gentlich behauptet wird.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Sie haben nämlich die gleichen Ansprüche auf Steuerfrei-
beträge und auf Kindergeld wie verheiratete Eltern. Es
kommt mir darauf an, das festzustellen. Denn es ist in die-
sem Zusammenhang viel Fehlinformation betrieben wor-
den. Wegen des Wechsels der Steuerklassen ist gesagt
worden, hier würden Alleinerziehende anders behandelt.
Aber das stimmt nicht. Alleinerziehende haben die glei-

chen Ansprüche im Hinblick auf die Steuer und bei den
Familienleistungen. Sie profitieren im Übrigen von der
Steuerreform. Ich bin froh, dass es gelingen wird, allen
Alleinerziehenden bis 2005 die Geltendmachung eines
Haushaltsfreibetrages zu erhalten.


(Dr. Barbara Höll [PDS]: Das haben Sie gestern im Finanzausschuss abgelehnt!)


Das war das Äußerste dessen, was nach dem Urteil der
Verfassungsjuristen vor dem Hintergrund des skizzierten
Urteils objektiv möglich war.

Meine Damen und Herren, zusätzlich haben wir die
schlimmsten Fehlentwicklungen aus der Regierungszeit
von CSU/CDU und FDP korrigiert. Beim Erziehungs-
geld waren die Einkommensgrenzen von 1986 bis 1998,
also volle zwölf Jahre, nicht verändert worden. Das sind
zwölf Jahre, in denen die Familienpolitik weder dem wirt-
schaftlichen Fortschritt noch der Teuerungsrate angepasst
wurde. Im Ergebnis hatte das zur Folge, dass immer we-
niger Eltern Erziehungsgeld bekamen. Wir haben das
geändert und haben die Einkommensgrenzen angehoben.
Damit haben wieder mehr Familien Anspruch auf diese
Leistungen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Auch das Wohngeld war von 1992 bis 1998 nicht er-
höht worden. Das heißt, es gab sechs Jahre lang real we-
niger Wohngeld für diejenigen Familien, die darauf ange-
wiesen waren. Wir haben das geändert. Es gibt jetzt mehr
Wohngeld und das nützt vor allen Dingen den einkom-
mensschwächeren Familien.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Schließlich sind in den 90er-Jahren die BAföG-Leistun-
gen – politisch gewollt – massiv zurückgefahren worden.
Im Ergebnis führte das dazu, dass immer weniger Kinder
aus einkommensschwachen Familien studieren konnten.
Wenn man das politisch gewollt macht, dann drückt man da-
mit aus, dass es einem eben nicht um die Förderung der Be-
gabung aller jungen Menschen geht, sondern nur um die
derjenigen, denen man sich besonders zuwendet.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das ist eine Förderung von Begabungen im Volk, die nach
dem Motto verläuft: für die eigenen der Königsweg und
für die anderen der Trampelpfad.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Oh je!)


Das war eine Familien- und Bildungspolitik, in der der
Geldbeutel der Eltern über die Lebenschancen der Kinder
entschieden hat. Das haben wir gründlich geändert.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir haben die Bedarfssätze und die Freibeträge massiv an-
gehoben, und zwar deshalb, weil nur auf diese Weise wie-
der mehr begabte junge Menschen, die es sich ansonsten
wegen des Einkommens ihrer Eltern nicht hätten leisten




Bundeskanzler Gerhard Schröder

22771


(C)



(D)



(A)



(B)


können, studieren können. Die Zahl der BAföG-Empfän-
ger ist um 81 000 auf jetzt 445 000 gestiegen. Das kostet
den Staat etwas; das ist gar keine Frage. Aber ich bin stolz
darauf; denn diese Kosten sind wirklich gut angelegte In-
vestitionen in die Zukunft.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dabei geht es nicht nur um die nackten Zahlen. Mehr
Studenten heißt noch nicht mehr Qualifikation und höhere
Bildungschancen. Wer die PISA-Studie nicht nur selektiv
gelesen hat, kommt nicht umhin, festzustellen, dass soziale
Ausgrenzung und materielle Bildungsbarrieren immer noch
und in einem Maße, wie ich das nicht für vorstellbar gehal-
ten habe, das größte Hindernis auf dem Weg zu einer wett-
bewerbsfähigen, aber eben auch menschlichen, allen Men-
schen eine Chance gebenden Wissensgesellschaft sind.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir können und wir müssen es uns ganz einfach leisten,
gleiche Bildungschancen für alle, unabhängig von der so-
zialen Herkunft, anzubieten. Es ist jetzt etwa 30 Jahre her,
dass Willy Brandt die deutsche Gesellschaft im Hinblick
auf das Ziel einigen konnte, dass jeder Mensch das glei-
che Recht auf Bildung und damit auf Entwicklung seiner
eigenen Begabungen und Fähigkeiten hat. 16 Jahre kon-
servativer Regierung haben uns in dieser Hinsicht zurück-
geworfen. Das haben wir geändert, weil es geändert wer-
den musste.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir haben im Unterhaltsrecht dafür gesorgt, dass Vä-
ter, die für ihre Kinder weniger als das Existenzminimum
bezahlen, kein Kindergeld mehr bekommen. Oder ich
nenne die Kinderbetreuung: Gute Kinderbetreuung
– wir wissen das – kostet Geld, zum Teil viel Geld – und
das ist gerade bei Alleinerziehenden oftmals sehr, sehr
knapp. Wir haben deshalb dafür gesorgt, dass erwerbsbe-
dingte Betreuungskosten seit dem 1. Januar 2002 steuer-
lich abzugsfähig sind.

Ferner haben wir – das sollte nicht vergessen werden –
den Schutz von Kindern vor Gewalt verbessert.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Um nicht missverstanden zu werden: In der Erziehung
Grenzen zu setzen, das ist sicher richtig und notwendig.
Doch nach unserer Auffassung muss das ohne Gewalt ge-
schehen. Denn Gewalt ist immer auch Demütigung; Ge-
walt verletzt die Seele und zerstört Selbstbewusstsein und
auch Selbstvertrauen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es genügt nicht, Gewalt in der Familie zu ächten und zu
verbieten. Es ist darüber hinaus wichtig, die vermeintli-
chen Schutzräume zu schließen, in denen die Schutzlosen
von den Stärkeren misshandelt werden. Deswegen haben
die heutigen Regierungsfraktionen lange auf wirksamen
Schutz vor Vergewaltigung in der Ehe gedrängt.

Doch unsere politische Aufgabe kann nicht nur darin
bestehen, Gewalt zu bestrafen; wir müssen sie auch früh-
zeitig verhindern, also präventiv handeln. Das heißt, wir
müssen von vornherein in den Familien menschenwürdige
Verhältnisse schaffen, um Konflikte wie die beschriebenen
gar nicht erst auftreten zu lassen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, niemals zu-
vor wurden die Familien umfassender gefördert als heute.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Seit unserem Regierungsantritt haben wir die Aufwen-
dungen für Familien um mehr als 13 Milliarden Euro auf
mittlerweile fast 53 Milliarden Euro pro Jahr erhöht. Da-
rum sage ich hier ganz bewusst: Wir sind stolz auf das,
was wir für die Familien haben erreichen können. Wir
wollen diesen Weg der Verbesserung – das ist immer noch
nötig – weiter gehen. Wir werden nicht zulassen, dass et-
was verloren geht; wir wollen das Erreichte absichern und
darauf aufbauen. Wir haben die materielle Sicherheit von
Familien in unserem Land verbessert. Aber ich denke, Fa-
milien brauchen mehr als materielle Hilfe.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie der Abg. Maritta Böttcher [PDS])


Lebenspläne von Müttern und Vätern sind heute sehr
unterschiedlich: mal mit, mal ohne Berufstätigkeit, mal
mit kurzen, mal mit langen Elternzeiten, die mal zwischen
den Partnern verteilt, mal auf mehrere Jahre verteilt sind.

Damit wir uns richtig verstehen: Mütter und Väter, die
sich gegen Erwerbstätigkeit und für die Erziehung und die
Familienarbeit entscheiden, verdienen unser aller Res-
pekt und unser aller Unterstützung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wenn Menschen jedoch gezwungen sind, ohne dass sie es
wollen, sich für Familie oder Beruf zu entscheiden, dann,
denke ich, läuft etwas in unserer Gesellschaft falsch.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Frauen und Männer, die Kinder großziehen und einer Er-
werbsarbeit nachgehen wollen – ihre Zahl wächst, und das
häufig aufgrund ökonomischer Notwendigkeiten –, erwar-
ten von der Politik zu Recht, dass genau dafür Bedingun-
gen geschafften werden. Diese haben wir ungeachtet un-
serer Anstrengungen längst noch nicht erreicht, jedenfalls
noch nicht so, wie es objektiv notwendig ist und wie wir
sie uns vorstellen.

Immer mehr Eltern, vor allem junge Frauen, wollen
heute beides: Sie wollen eine Familie, aber auch ihren Be-
ruf. Das ist übrigens kein Wunder; denn sie sind heutzu-
tage besser ausgebildet als jemals zuvor. Also besteht die
Aufgabe darin, die Voraussetzungen für diejenigen weiter
zu verbessern, die ihre Vorstellungen von Familie und Be-
ruf in einen guten Einklang bringen wollen. Wir haben ei-
niges auf den Weg gebracht, zum Beispiel die Elternzeit.
Diese haben wir flexibler gestaltet und auch für Väter at-
traktiver gemacht.




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Ein anderes Beispiel – es wird viel gescholten; aber vor
diesem Hintergrund sollte die Bewertung noch einmal
überdacht werden – ist das Teilzeitgesetz. Auch nach der
Elternzeit wollen vor allen Dingen Mütter, manchmal aber
auch Väter, in Teilzeit arbeiten. Wir haben den Anspruch
auf familienbedingte Teilzeitarbeit auf die Zeit nach der
Elternzeit ausgedehnt. Wir wissen natürlich, dass er mit
den betrieblichen Notwendigkeiten in Einklang gebracht
werden muss. Deshalb enthält das Gesetz auch eine sinn-
volle Balance zwischen Möglichkeit und Notwendigkeit.

Die Erfahrungen zeigen: Das, was Familien brauchen,
ist öffentliche Verantwortung. Sie brauchen eine Verant-
wortung, die die private Verantwortung stärkt, die sie stützt
und unterstützt. Was sie nicht brauchen, ist eine staatliche
oder gesellschaftliche Regie oder gar Bevormundung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Keine Frage: Wir alle – das geht nicht nur das Hohe
Haus und die Regierung oder nur die Opposition an – müs-
sen viel mehr dafür tun, dass es Frauen und Männern
möglich wird, Elternschaft und Berufstätigkeit mitei-
nander zu vereinbaren.

Eine gute und bedarfsgerechte Kinderbetreuung ist
dafür der wichtigste Schlüssel. Sie ist ein zentraler Beitrag
zur Lebensqualität und zur Chancengleichheit von Kin-
dern. Mehr noch: Mir geht es darum, darauf hinzuweisen
– auch das ist notwendig –: Eine so ausgestaltete Betreu-
ung ist mehr und mehr auch ökonomisch notwendig, weil
sie ökonomisch vernünftig ist und nur auf diese Weise
alle, aber auch wirklich alle Begabungsreserven in unse-
rem Land für das Wachsen und Gedeihen der Volkswirt-
schaft genutzt werden können.

Wir haben zu wenige zeitlich flexible Kinderbetreu-
ungsmöglichkeiten in Deutschland. In den meisten Bun-
desländern existiert ein solches Angebot ganz überwie-
gend nur halbtags und nur für die Drei- bis Sechsjährigen.
Katastrophal ist die Situation für Eltern mit Kindern unter
drei Jahren. In Westdeutschland zum Beispiel gibt es le-
diglich für 5 Prozent aller Kinder unter drei Jahren einen
Krippenplatz –


(Ina Lenke [FDP]: Niedersachsen! – Joseph Fischer, Bundesminister: Bayern!)


– ich komme noch dazu – und in Bayern sind es 1,4 Pro-
zent.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Herr Glos, in Bayern sind es 1,4 Prozent. Er liest gerade.

Auch bei der Nachmittagsbetreuung in den Grund-
schulen liegt vieles im Argen. Bundesweit gibt es diese
Betreuungsmöglichkeit gerade einmal für knapp 13 Pro-
zent der Schülerinnen und Schüler.

Natürlich weiß ich um die Zuständigkeiten. Aber wenn
es um die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft insge-
samt geht, dann dürfen uns formale Kompetenzen nicht
daran hindern, mitzuhelfen, dass Sinnvolles und vor allen
Dingen Notwendiges geschieht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Niemand will Ländern und Kommunen ihre Verant-
wortung für die Kinderbetreuung abnehmen. Aber auch
in Deutschland müssen Eltern die Möglichkeit haben, die
Betreuung nach den Bedürfnissen ihrer Kinder und in
Einklang mit ihren eigenen Lebensentwürfen für sich und
ihre Familien zu organisieren. Was das vermeintlich Bes-
te für die Kinder ist, die mit ihren Eltern und Geschwis-
tern aufwachsen, sollte eben nicht der Staat entscheiden
wollen. Das ist der Grund, warum wir für die Familien, die
dieses wollen, ein deutlich verbessertes Angebot einer ver-
lässlichen und in der Perspektive – natürlich geht das nur
schrittweise – ganztägigen Kinderbetreuung brauchen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Insgesamt brauchen wir ein qualitativ hochwertiges und
zuverlässiges Netz aus Krippen, Kindergärten, Horten
und Schulen, denn Betreuung, Bildung und Erziehung
gehören zusammen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ganztagsbetreuung mit pädagogischen Anregungen
und Anleitungen in den Kindergärten und in den Schulen
ist deshalb von elementarer Bedeutung für unsere Kinder
und Jugendlichen. Wie dies geht, demonstrieren übrigens
einige Bundesländer. Rheinland-Pfalz und Nordrhein-
Westfalen haben mit dem Ausbau der Ganztagsschule und
der Ganztagsbetreuung begonnen.


(Zuruf von der CDU/CSU: „Gesamtschule“ heißt das in Nordrhein-Westfalen!)


Aber wir brauchen auf diesem Weg noch deutlichere Fort-
schritte. Deshalb wird die Bundesregierung eine eigene An-
strengung unternehmen, um einen weitergehenden Ausbau
der Ganztagsbetreuung in Deutschland zu erreichen. Zu-
ständigkeiten, die wir respektieren, dürfen kein Vorwand
für Untätigkeit auf diesem so zentralen Gebiet sein.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir wollen deshalb – ich denke, mit den Ländern ist
darüber Einvernehmen zu erzielen – ein Zukunftspro-
gramm Bildung und Betreuung auflegen.


(Beifall bei der SPD)

Mit diesem Programm wird in den nächsten vier Jahren
mit jährlich 1 Milliarde Euro genau dieser Aspekt unserer
Politik gefördert. Ich bin ziemlich sicher, dass wir – in Res-
pekt vor der Zuständigkeit der Länder und Kommunen –
Wege finden, um genau dieses Programm mit den Ländern
zusammen, die dies dann an die Kommunen weitergeben,
umzusetzen. Es ist an der Zeit, eine solche gesamtgesell-
schaftliche große Anstrengung zu unternehmen. Wir wer-
den das tun.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich muss noch auf einen Bereich zu sprechen kommen,
wo auch vieles im Argen liegt. Im Zusammenhang mit den
Leistungen, die wir erbracht haben, und mit dem, was wir
uns vorgenommen haben, ist es nur richtig, darauf hinzu-
weisen: Auch und vor allen Dingen in den Unternehmen




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sind familienfreundliche Arbeitszeiten und deren Gestal-
tung bedauerlicherweise immer noch die Ausnahme.
Auch hier muss eine Menge getan werden. Dies gilt es
ohne Abstriche auch öffentlich deutlich zu machen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Auch hier gilt übrigens: Wo immer hier Versäumnisse
sind, bei der Gestaltung der Arbeitszeiten, bei der – auch
in diesem Zusammenhang kann dieses Wort ruhig einmal
gebraucht werden – Flexibilität der Arbeitsorganisation
und bei der Betreuung – auch an der Betreuung durch die
Unternehmen mangelt es –: Meistens tragen Frauen die
Konsequenzen. Sie sind es dann nämlich, die ihre Qua-
lifikation nur unzureichend in die Arbeitswelt einbrin-
gen können. Natürlich hat Deutschland auch deshalb
eine der geringsten Frauenerwerbsquoten in Europa.
Dies ist übrigens ein Fehler nicht nur im Hinblick auf die
Frage der sozialen, der gesellschaftlichen Gleichheit und
der damit verbundenen Gerechtigkeit, sondern auch
ökonomisch.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Konsequenz dessen ist klar: Auch die Arbeitswelt
– hier tragen vor allen Dingen die Unternehmen die Ver-
antwortung – muss frauenfreundlicher und familienge-
rechter werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dann und nur dann haben viel mehr junge Frauen, die bes-
ser ausgebildet sind als jemals zuvor, ihre ganz spezifi-
sche Chance, ihre Fähigkeiten und Qualifikationen einzu-
bringen, ohne den Wunsch nach Zusammenleben in der
Familie und mit Kindern aufgeben zu müssen.

Es ist eine große Aufgabe, die Arbeitswelt familien-
freundlicher zu machen. Das wird nur im Konsens mög-
lich sein. Dazu bedarf es der Wirtschaft, der Gewerk-
schaften, der Arbeitgeber und der Betriebsräte. Genau
deswegen haben wir begonnen – übrigens im Einverneh-
men mit den Einsichtigen in den Wirtschaftsverbänden –,
dies zu einer zentralen Frage bei den Beratungen im
Bündnis für Arbeit zu machen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Den weniger Aufgeschlossenen in den Unternehmen,
die immer noch glauben, dass die Gleichheit zwischen
Frauen und Männern – auch in den mittleren, gehobenen
und höheren Führungspositionen – in der Wirtschaft et-
was sei, was man nicht so wichtig nehmen müsse und man
deswegen – bislang gilt das Gebot der Freiwilligkeit – ru-
hig vernachlässigen dürfe, muss man sagen: Falls es nicht
wie vereinbart klappt, werden wir auch auf diesem Gebiet
gesetzlich handeln müssen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Roland Claus [PDS])


Es ist keine Frage – das weiß nicht nur der Bundesfi-
nanzminister –: Die finanziellen Spielräume bleiben eng.

Deswegen werden wir uns bei der Umsetzung dessen, was
ich skizziert habe, auf das, was wirklich vordringlich ist,
konzentrieren. Ich denke, in der Familienpolitik gibt es im
Augenblick nichts Wichtigeres, als den Ausbau der Kin-
derbetreuung zu forcieren. Genau das wird der Schwer-
punkt unserer Familienpolitik in der nächsten Legislatur-
periode sein.


(Joseph Fischer, Bundesminister: Sehr gut!)

Darüber hinaus haben wir uns vorgenommen, auch den

Familienleistungsausgleich weiterzuentwickeln. Im Ver-
gleich zur Besteuerung kinderloser Ehepaare wollen wir
bei der Besteuerung von Familien Gestaltungsspielräume
nutzen, ohne diejenigen zu benachteiligen, die häufig
– auch das muss man sehen – aus wirtschaftlichen, sozia-
len und anderen Gründen in einer bestimmten Form der
Familie zusammenleben und deswegen auf diese Förde-
rungsmöglichkeiten angewiesen sind.

Meine Damen und Herren, Familienpolitik ist immer
auch Gesellschaftspolitik. Das haben wir in den vergan-
genen Jahren immer im Auge gehabt. Deshalb haben wir
für mehr Gerechtigkeit zwischen den Generationen ge-
sorgt. Die gewaltige Verschuldung, die wir 1998 über-
nommen haben, war eine Hypothek nicht nur für uns, son-
dern auch für unsere Kinder und Enkel.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das ist übrigens der Grund, warum wir begonnen haben,
den Staatshaushalt in Ordnung zu bringen. Dadurch ma-
chen wir Politik wieder handlungsfähig.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wer jetzt mit völlig illusorischen, weil in keiner Weise
finanzierbaren, Forderungen durchs Land läuft, weil
Wahlkampf ist, signalisiert den Menschen im Land zu-
gleich, dass er wieder in die Verschuldung herein will, aus
der wir gerade erst herausgekommen sind.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/CSU – Ina Lenke [FDP]: Das machen Sie doch!)


– Ich kann ja verstehen, dass Sie aus bestimmten Gründen
die Ergebnisse dieser Politik, durch die der Unsinn, den
Sie angerichtet haben, korrigiert wird, nicht gerne hören.
Sie werden sie sich aber – auch in den nächsten sechs Mo-
naten – immer wieder anhören müssen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


In diesem Zusammenhang ist mir eines noch wichtig,
weil es auch etwas mit der Familie und der Familienpoli-
tik zu tun hat: Es geht um die Frage, wie sich die Ausbil-
dung in diesem Land in den letzten dreieinhalb Jahren
entwickelt hat. Wir erinnern uns alle: Bevor wir in die Re-
gierung gekommen sind, gab es nicht nur im Osten unse-
res Landes, sondern auch im Westen unseres Landes eine
wirklich bittere Ausbildungsplatznot. Das hat negative
Auswirkungen auch auf die Familie und die Art ihres Zu-
sammenlebens.


(Beifall bei der SPD)





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Deswegen freue ich mich, dass wir es geschafft haben,
jungen Menschen, die eine Ausbildung suchen, wieder
eine Perspektive zu geben.


(Zuruf von der CDU/CSU: Was?)

Die Zahl der Ausbildungsplätze ist deutlich gestiegen.
Auch in diesem Jahr wird das Angebot höher als die Nach-
frage sein.


(Ina Lenke [FDP]: Die Arbeitslosigkeit auch!)

Sie müssen sich nur einmal die Zahlen anschauen.


(Ina Lenke [FDP]: Ja, eben!)

Im Westen des Landes ist es bereits so, dass die Zahl der ge-
werblichen Ausbildungsplätze die Nachfrage deutlich über-
steigt. Mit dem JUMP-Programm, das Sie bitter bekämpft
haben, haben wir den jungen Leuten auch im Osten eine
Chance gegeben. Das haben Sie doch die ganze Zeit ver-
säumt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Mit dieser Politik, die eben auch die Konsequenz von
Familienpolitik in anderen Politikbereichen ist, sorgen
wir dafür, dass insbesondere junge Menschen eine Chance
zum Einstieg in das Arbeitsleben haben und sich damit
erst die Möglichkeit erwerben, ein selbstbestimmtes und
würdevolles Leben zu führen. Das ist das Ergebnis unse-
rer Politik. Das Gegenteil war das Ergebnis Ihrer Ver-
säumnisse.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Unsere Politik – deswegen sind wir stolz darauf – sorgt
für ein sinnvolles Verhältnis zwischen privaten Möglich-
keiten und staatlichen Notwendigkeiten. Das bedeutet Si-
cherheit und Verlässlichkeit sowohl für den Einzelnen als
auch für die Familie. Weil das richtig ist und unsere Ge-
sellschaft zusammenhält, werden wir diese Politik unbe-
irrt fortsetzen.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Anhaltender Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423000100
Ich erteile dem Kolle-
gen Friedrich Merz, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

Friedrich Merz (CDU/CSU) (von Abgeordneten der
CDU/CSU mit Beifall begrüßt): Herr Präsident! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Herr Bundeskanzler,
zunächst gratuliere ich Ihnen im Namen der CDU/CSU-
Bundestagsfraktion nachträglich herzlich zu Ihrem Ge-
burtstag.

Wer Ihre Regierungserklärung heute Morgen angehört
hat, dem sollte ganz offensichtlich der einseitig auf den be-
ginnenden Bundestagswahlkampf ausgerichtete Eindruck
vermittelt werden, Familienpolitik habe in Deutschland so-
zusagen erst mit der rot-grünen Bundesregierung begonnen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wer die richtige Politik für die Familien so einseitig für
sich in Anspruch nimmt, wie Sie das heute Morgen hier
getan haben, der nutzt den Familien und vor allem den
Kindern in Deutschland nicht, sondern er nutzt sie für
seine parteipolitischen Zwecke aus, Herr Bundeskanzler.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch bei der SPD)


Bevor Sie weiter Zwischenrufe machen, will ich Ihnen

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423000200
Sie stoßen mit dem, was
Sie heute Morgen an Familienpolitik entdeckt haben, in
der CDU/CSU-Bundestagsfraktion auf ein Langzeitge-
dächtnis.


(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Genau!)

Wir können uns nämlich relativ gut daran erinnern – ei-
nige von uns waren dabei –, als Sie vor Ihrer Zeit als nie-
dersächsischer Ministerpräsident schon einmal Mitglied
des Deutschen Bundestages waren. Das ist lange her. Aus
dieser Zeit, Herr Bundeskanzler, stammen solche Zitate
von Ihnen wie dieses: „Topfblumen und Kinder gehören
in keinen anständigen Haushalt.“


(Zurufe von der CDU/CSU: Pfui!)

Alle hier im Haus können sich daran erinnern, wie Sie
noch im Oktober des Jahres 1998 von „Frauenpolitik und
so einem Gedöns“ gesprochen haben. Wenn Sie, Herr
Bundeskanzler, heute die Familien und die Kinder ent-
decken, dann ist das gut. Aber glaubwürdig ist das vor
dem Hintergrund dessen, was Sie in den vergangenen Jah-
ren dazu gesagt und was Sie in den letzten drei Jahren in
der Regierungsverantwortung gemacht haben, nicht. Das
werde ich Ihnen im Einzelnen belegen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wenn wir mit dem Thema „Familienpolitik/Zukunft

der Kinder in unserem Land“ verantwortungsvoll umge-
hen wollen und wenn wir die uns gesellschaftspolitisch
gestellte Aufgabe wirklich annehmen wollen, dann bedarf
es differenzierterer Antworten als der, die Sie heute Mor-
gen zum Teil gegeben haben. Zu diesen Antworten gehört
zunächst einmal, dass Deutschland ein sehr wohlhaben-
des Land ist,


(Joachim Poß [SPD]: Ach!)

in dem Kinder von engagierten Eltern verantwortungsvoll
erzogen werden und gesund sowie in Frieden und Freiheit
aufwachsen können. Das ist vor dem Hintergrund der
Lage der Kinder in vielen anderen Ländern dieser Welt ein
Befund, der nicht ganz ohne Bedeutung ist. Familien mit
ihren Kindern stehen jedenfalls in Deutschland sehr viel
besser da als in vielen anderen Ländern dieser Welt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Über Jahre und Jahrzehnte hinweg, Herr Bundeskanz-
ler, hat es in unserer Gesellschaft den Konsens gegeben,
dass die Erziehung von Kindern nicht in erster Linie bzw.
überhaupt nicht eine staatliche Aufgabe, sondern die Auf-
gabe ihrer Eltern ist. Wir haben über Jahre und Jahrzehnte
auch einen Konsens darüber gehabt, dass Familien mit
Kindern finanziell entlastet werden müssen. Wir haben




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diese Aufgabe weitgehend gemeinsam Schritt für Schritt
zu erfüllen versucht.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Bundesverfassungsgericht hat aber etwas anderes gesagt!)


Herr Bundeskanzler, wenn wir jetzt schon wechselsei-
tig Bilanz Ihrer Amtszeit und unserer Regierungszeit zie-
hen, dann gehört zu dieser Bilanz auch, dass es eben nicht
die SPD, sondern die unionsgeführte Bundesregierung
war, die aus dem Familienlastenausgleich einen Famili-
enleistungsausgleich gemacht hat.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir haben den Grundfreibetrag in der Steuer und das Kin-
dergeld eingeführt. Den Grundfreibetrag mussten wir erst
wieder einführen, weil Sie ihn zu Zeiten der soziallibera-
len Koalition abgeschafft hatten.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir haben die Kindererziehungszeiten in der Rente an-
erkannt. Wir haben Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub
ebenso wie den Rechtsanspruch auf einen Kindergarten-
platz eingeführt. Herr Bundeskanzler, es war die von Ihnen
hier so verächtlich herabgesetzte unionsgeführte Bundes-
regierung, die in den Jahren von 1982 bis 1998 die Leis-
tungen für die Familien mit Kindern in Deutschland von
etwa 27 Milliarden DM auf rund 75 Milliarden DM im
Jahr praktisch verdreifacht hat.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Eine solche Steigerung der Leistungen für die Familien
hat es vorher und nachher in Deutschland nicht gegeben.
Trotzdem, meine Damen und Herren, hat das Bundesver-
fassungsgericht diese Leistungen als nicht ausreichend an-
gesehen. Deswegen war es auch richtig – wir haben es nicht
kritisiert –, dass Sie das Kindergeld Schritt für Schritt wei-
ter erhöht haben.


(Joachim Poß [SPD]: Sie waren doch gegen die Erhöhung! Nach dem Regierungswechsel haben Sie die Erhöhung abgelehnt!)


Herr Bundeskanzler, ich stelle in diesem Zusammenhang
die Frage, ob Sie denn der Meinung sind, dass Sie mit
dem, was Sie in den letzten dreieinhalb Jahren gemacht
haben, heute einen verfassungsgemäßen Zustand herge-
stellt haben. Ist es verfassungsgemäß, wenn eine Familie
mit zwei Kindern heute immer noch etwa 5 000 Euro im
Jahr mehr versteuern muss als vier Erwachsene mit einem
vergleichbaren Einkommen? Herr Bundeskanzler, die Le-
benswirklichkeit in Deutschland sieht anders aus, als Sie
sie heute hier beschrieben haben.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Zu dieser Lebenswirklichkeit gehört, dass Sie den Fa-

milien die rund 13 Milliarden Euro, die Sie ihnen an nomi-
nalen Leistungen zusätzlich zur Verfügung gestellt haben,
über die Ökosteuerweitgehend wieder aus der Tasche zie-
hen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch bei der SPD)


Herr Bundeskanzler, die nächste Erhöhung der steuerli-
chen Belastungen für die Familien ist bereits fest einge-
plant: Sie soll, wenn es nach Ihren Vorstellungen geht, am
1. Januar des Jahres 2003 mit einer weiteren kräftigen An-
hebung der Ökosteuer erfolgen.

Lassen Sie mich über den finanziellen Aspekt hinaus
noch einen weiteren Aspekt hinzufügen, den Sie in Ihrer Re-
gierungserklärung heute Morgen überhaupt nicht erwähnt
haben. Es gibt heute in Deutschland etwa 1 Million Kinder,
die auf Sozialhilfe angewiesen sind, übrigens knapp zwei
Drittel davon in SPD-geführten Bundesländern.


(Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört! – Joachim Poß [SPD]: Was soll denn das heißen?)


Wenn in einem der wohlhabendsten Länder dieser Welt,
nämlich in Deutschland, 1 Million Kinder auf Sozialhilfe
angewiesen sind, dann ist dies ein großer anhaltender ge-
sellschaftspolitischer Skandal. Daran müssen wir schnell,
und wenn es geht, gemeinsam, etwas ändern.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Meine Damen und Herren, wir schlagen deshalb vor,

den Familienleistungsausgleich so zu ändern, dass in
Deutschland sehr bald kein Kind mehr auf Sozialhilfe an-
gewiesen ist.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie kennen unsere Vorschläge. Wir wollen ein einheitli-
ches Familiengeld von 600 Euro pro Kind und Monat für
die ersten drei Lebensjahre,


(Zuruf von der SPD: Wie wollen Sie das bezahlen?)


von 300 Euro bis zur Volljährigkeit und danach während
der Zeit der Ausbildung von 150 Euro pro Monat.


(Jörg Tauss [SPD]: Warum nicht tausend?)

Wir wissen, dass dies eine enorme finanzpolitische Kraft-
anstrengung erfordert. Wir wissen, dass dies rund 20 Mil-
liarden Euro zusätzlich für die Familien in Deutschland
bedeutet. Aber ich will Ihnen in aller Klarheit sagen, dass
wir mit diesem Vorschlag nicht aus der Opposition heraus
in einen unbezahlbaren Überbietungswettbewerb mit Ih-
nen eintreten, sondern auch klar dazu sagen: Dieses Geld,
diese zusätzlichen Leistungen müssen an anderer Stelle
eingespart werden.


(Dr. Peter Struck [SPD]: Wo denn?)

Ich füge ausdrücklich hinzu, dass dies nur geht, wenn

die Arbeitslosenhilfe und die Sozialhilfe zusammengelegt
werden, wenn wir einen Teil der hohen Bewirtschaf-
tungskosten für die Arbeitslosigkeit in Deutschland redu-
zieren und die dadurch frei werdenden Mittel zugunsten
der Familien mit Kindern einsetzen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich will den gesellschaftspolitischen, den arbeits-

marktpolitischen, ja den ordnungspolitischen Gesamtzu-
sammenhang dieses von uns unterbreiteten Vorschlages
noch einmal erläutern. Erst mit diesen Leistungen des Fa-
miliengeldes für die Kinder, so wie ich sie skizziert habe,
werden arbeitslose Sozialhilfeempfänger und sozialversi-




Friedrich Merz
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cherungspflichtig beschäftigte Arbeitnehmer im Famili-
enleistungsausgleich wirklich gleich behandelt. Damit
wird zugleich die Schwelle, ab der es sich wieder lohnt,
eine Beschäftigung im ersten Arbeitsmarkt anzunehmen,
deutlich herabgesetzt.

Dieser Zusammenhang ist auch von entscheidender
Bedeutung für die Lösung des Arbeitsmarktproblems. Die
Eltern von Kindern dürfen auf dem Weg von der Arbeits-
losigkeit in die sozialversicherungspflichtige Beschäfti-
gung nicht fast die Hälfte der staatlichen Leistungen für
ihre Kinder verlieren.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Geschieht dies trotzdem, lohnt es sich praktisch nicht, in
den ersten Arbeitsmarkt zurückzukehren. Deswegen ha-
ben unsere Vorschläge zum Familiengeld, die tatsächlich
eine Herausforderung darstellen und eine Kraftanstren-
gung erfordern, etwas mit der Lösung des Arbeitsmarkt-
problems und der Absenkung der Beschäftigungsschwelle
in Deutschland zu tun. Wer diesen Zusammenhang nicht
sieht, wird die Probleme in Deutschland weder auf dem
Arbeitsmarkt noch im Bereich der Familien lösen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Cornelia Pieper [FDP])


Meine Damen und Herren, Familienpolitik in Deutsch-
land darf sich nicht in einer Diskussion über die finanzi-
ellen Zuwendungen für Familien erschöpfen. Wir sind mit
Ihnen, Herr Bundeskanzler, der Meinung, dass wir der
Ökonomisierung der Familienpolitik entgegentreten und
den gesellschaftspolitischen Wert der Arbeit der Familien
und der Eltern in den Vordergrund stellen müssen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Deswegen ist die Anerkennung und Förderung der ideel-
len Leistungen der Familien in unserer Gesellschaft min-
destens ebenso wichtig wie die bessere finanzielle Aus-
stattung der Familien.

Ob Sie es wollen oder nicht, lernen Kinder zuallererst
vom Vorbild ihrer Eltern. Eltern stehen heute vielleicht
größeren Herausforderungen gegenüber als früher, sie ma-
chen heute wie früher Fehler in der Erziehung, aber sie sind
und bleiben die wichtigsten Bezugspersonen für ihre Kin-
der.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ich sage dies deshalb, meine Damen und Herren von der
rot-grünen Koalition, weil das Miteinander der Eltern nicht
ohne Bedeutung für das Heranwachsen ihrer Kinder ist.

Auffallend war bei der Regierungserklärung – ich weiß
nicht, ob Sie es alle gehört haben; ich habe aber aufmerk-
sam zugehört –, dass Sie das Grundgesetz, Art. 6, zitiert
haben und gesagt haben, dort stehe: „Familie steht unter
dem besonderen Schutz des Staates.“


(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Unvollständig!)


Nein, meine Damen und Herren, das ist unvollständig zi-
tiert. Im Grundgesetz steht nicht: „Familie steht unter dem
besonderen Schutz“, sondern darin steht: „Ehe und Fami-

lie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen
Ordnung.“


(Beifall bei der CDU/CSU)

Dass hier unvollständig zitiert wird, ist kein Zufall. Es ist
auch kein Zufall, dass es derzeit eine neue ausschließliche
Ausrichtung Ihrer Familienpolitik auf generell zwei außer
Haus berufstätige Elternteile gibt.


(Dr. Peter Struck [SPD]: Lächerlich!)

Ich sage das in aller Klarheit. Ich habe auch mit dem Zwi-
schenruf gerechnet. Wir wollen nicht, dass das frühere
Leitbild der Familie, in der in der Regel die Mutter auf
eine Erwerbstätigkeit außer Haus verzichtet, nun aus-
schließlich durch das neue Leitbild einer Familie ersetzt
wird,


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das will doch niemand! Wahlfreiheit!)


in der grundsätzlich beide Elternteile ganztägig außer
Haus berufstätig sind und Kinder vom ersten Lebensjahr
an in Krippen, Horten, Ganztagskindergärten und Ganz-
tagsschulen groß werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Herr Bundesaußenminister, aus Ihrer reichhaltigen Er-

fahrung mit den Zwischenrufen von der Regierungsbank
will ich Ihnen klar beantworten, was unsere Vorstellungen
sind. Wir wollen wirklich Wahlfreiheit der Eltern.


(Beifall bei der CDU/CSU – Christel Humme [SPD]: Aha!)


Wir wollen insgesamt in Deutschland ein besseres Klima
für Kinder. Wir wollen, dass Frauen ihre gute Ausbildung
besser mit dem Wunsch nach Beruf und Familie verein-
baren können als bisher. Wir wollen aber beispielsweise
auch, dass sich Männer der Familienarbeit und ihren Kin-
dern besser und intensiver zuwenden können und dies
auch wollen als bisher. Das ist unser Leitbild für eine zu-
kunftsorientierte Familienpolitik.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, dazu gehört, dass die

Erziehungskompetenz der Eltern gestärkt wird. Das
geht aber nicht, wenn mit der Gemeinschaft der Eltern
jede beliebige Verbindung zweier Menschen auf Zeit auf
eine Stufe gestellt wird. Dann wird es beliebig und die Er-
ziehungskompetenz der Eltern nimmt mit der Bindungs-
fähigkeit der Gesellschaft ab.


(Beifall bei der CDU/CSU – Christel Humme [SPD]: Endlich hören wir die Wahrheit!)


Verantwortung wahrzunehmen, Bindungsfähigkeit zu
entwickeln, Zuverlässigkeit und Verlässlichkeit zu erpro-
ben, dies alles lernen Kinder nur, wenn die Eltern ihnen
dies auch – selbst in aller Unvollkommenheit – vorleben.
Deshalb, Herr Bundeskanzler, steht im Grundgesetz zu
Recht: „Ehe und Familie stehen unter dem besonderen
Schutze der staatlichen Ordnung.“


(Beifall bei der CDU/CSU)

Lassen Sie mich zum Schluss noch zwei Ihrer Behaup-

tungen oder Vorschläge aus Ihrer Regierungserklärung




Friedrich Merz

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(B)


aufgreifen. Sie haben behauptet, Ihre rot-grüne Koalition
habe begonnen, den Staatshaushalt in Deutschland wie-
der in Ordnung zu bringen.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Aber auch dies sollte eine interessierte deutsche Öffent-
lichkeit wissen: Am Ende Ihrer vierjährigen Regierungs-
zeit wird die Staatsschuld des Bundes in Deutschland
mindestens 40 Milliarden Euro höher sein als zu Beginn
Ihrer Regierungstätigkeit. Ohne die UMTS-Lizenz-Er-
löse hätten wir eine knapp 100 Milliarden Euro höhere
Staatsverschuldung des Bundes als zu Anfang Ihrer Re-
gierungszeit im Jahre 1998.


(Beifall bei der CDU/CSU – Otto Schily, Bundesminister: Wir können ja mal vergleichen, was Sie in 16 Jahren gemacht haben!)


Woher nehmen Sie in diesem Zusammenhang eigentlich
die Zuständigkeit und das Recht, in die Kompetenz der
Länder und Kommunen einzudringen, Herr Bundeskanz-
ler,


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil es notwendig ist, Herr Merz!)


indem Sie heute vonseiten der Bundesregierung vorschla-
gen, Ganztagsschulen in Deutschland mit 4 Milliarden
Euro zu finanzieren? Dafür hat der Bund keine Zustän-
digkeit, Herr Bundeskanzler.

Ich habe noch in relativ guter Erinnerung – die Paral-
lele ist deutlich erkennbar –: Kurz vor der Niedersachsen-
Wahl am 1.März 1998 hat der damalige Ministerpräsident
Gerhard Schröder im gleichen Zusammenhang das Ver-
sprechen gegeben, nach der Wahl für die Schulen in Nie-
dersachsen 1 Milliarde DM zusätzlich zur Verfügung zu
stellen. Auch das war wenige Monate vor einer Wahl. Auf
diese 1 Milliarde DM warten die Schüler und Eltern in
Niedersachsen bis heute, Herr Bundeskanzler.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Deswegen ist auch das Versprechen, das Sie heute Mor-
gen gegeben haben, nicht mehr als eine unzulässige Ein-
mischung in die Zuständigkeiten der Kommunen und
Länder


(Lachen bei der SPD)

und ein hohles Wahlkampfversprechen, das Ihnen in
Deutschland aufgrund Ihrer Vorgeschichte niemand mehr
glaubt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wir haben stattdessen eine Antwort von Ihnen auf die
Frage erwartet, wie Sie denn Ihre bundespolitischen Zu-
ständigkeiten im Hinblick auf eine Entscheidung des Bun-
desverfassungsgerichts aus dem letzten Jahr wahrzunehmen
gedenken. Damals hat das Bundesverfassungsgericht
nicht etwa den Ländern, sondern dem Bund, also Ihrer Bun-
desregierung, für die letzten fünf Monate Ihrer Regierungs-
zeit den Auftrag erteilt, zu klären, wie die Sozialversiche-
rungsbeiträge unterschiedlich ausgestaltet werden können,
je nachdem, ob die Beitragszahler Kinder haben oder
nicht. Das Bundesverfassungsgericht hat das im Hinblick

auf die Pflegeversicherung entschieden. Ich sehe kaum
Gründe, warum diese Entscheidung nicht auch für die
Rentenversicherung gelten sollte. Darauf hätten Sie heute
Morgen eine Antwort geben müssen, Herr Bundeskanzler.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Abschließend möchte ich sagen: Ich stimme Ihrer Aus-

sage völlig zu – wir suchen ja den gesellschaftspolitischen
Konsens, so weit es möglich ist –, dass Gewalt in der Er-
ziehung nichts zu suchen habe. Aber Sie haben heute Mor-
gen den Eindruck erweckt, als ob dies eine Erfindung
Ihrer rot-grünen Regierung gewesen sei. Herr Bundes-
kanzler, das Kindschaftsrecht in Deutschland ist – ich sage
das nur zur Erinnerung; die meisten Kolleginnen und Kol-
legen waren bei den Beratungen ja dabei – im September
1997, also in der Verantwortung der früheren Bundesre-
gierung, geändert worden. Seitdem steht die Gewaltfrei-
heit in der Erziehung im Bürgerlichen Gesetzbuch, also
nicht erst, seitdem Sie regieren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wenn es aber Defizite bei der Gewaltfreiheit der Er-

ziehung gibt, dann hätte ich mir gewünscht, dass Sie, Herr
Bundeskanzler, heute Morgen von diesem Rednerpult aus
uns alle – wir hätten gerne mitgemacht – aufgefordert hät-
ten, endlich gemeinsam die Initiative zur Zurückdrängung
bzw. Vermeidung von Gewalt verherrlichenden Horrorfil-
men, deren Zahl sowohl in den öffentlich-rechtlichen als
auch in den privaten Fernsehanstalten zunimmt, zu er-
greifen. Das wäre ein gesellschaftspolitischer Beitrag zur
Gewaltfreiheit in der Erziehung gewesen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Joachim Poß [SPD]: Herr Merz, das müssen gerade Sie sagen! – Jörg Tauss [SPD]: I h r Privatfernsehen! – Weitere Zurufe von der SPD)


– Es gibt offensichtlich – das war ja in den Zeitungen
nachzulesen – einen Krawallerlass in Ihrer Fraktion: Je-
des Mal, wenn ein Oppositionsredner spricht, rufen Sie
ständig dazwischen. Die Art und Weise, wie Sie dazwi-
schenrufen, ist auch ein Stück Gewalt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich lasse mich nicht davon beirren. Es bleibt dabei:
Nicht nur die finanziellen Leistungen für die Familien
müssen in erheblichem Maße verbessert werden. Fami-
lien mit Kindern müssen auch einen neuen Stellenwert in
unserer Gesellschaft bekommen. Dafür engagieren wir
uns und setzen wir neue Prioritäten. Vor allem muss aber
die eigene Politik glaubwürdig sein.

Herzlichen Dank.

(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Bei fall bei der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423000300
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Dr. Peter Struck, SPD-Fraktion.




Friedrich Merz
22778


(C)



(D)



(A)



(B)


Dr. Peter Struck (SPD) (von der SPD sowie von Ab-
geordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN mit
Beifall begrüßt): Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Herr Kollege Merz, seien Sie nicht so
empfindlich. Ein paar Zwischenrufe muss ein Fraktions-
vorsitzender schon vertragen können. Das ist keine Ge-
walt im Parlament.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Es gibt in meiner Fraktion auch keinen Krawallerlass.

(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Den gibt es!)


In meiner Fraktion gibt es überhaupt keine Erlasse, sondern
nur Überzeugungsentscheidungen, Herr Kollege Merz.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Lachen bei der CDU/CSU)


Die „Frankfurter Rundschau“ hat anlässlich der heuti-
gen Regierungserklärung getitelt: Siegerthema Familie.
Beim Lesen dieser Überschrift ist mir klar geworden, dass
Edmund Stoiber heute nicht hier sein wird. Dem haben am
letzten Dienstag 30 Minuten gereicht, um aus der Famili-
enpolitik für sich ein Verliererthema zu machen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Er wollte – wohl aufgrund eines Ratschlags seines Me-
dienberaters – schlau sein und nicht die Regierungs-
erklärung des Kanzlers abwarten, sondern vorpreschen.
Er hat deshalb schon vorgestern eine Pressekonferenz zu
dem heute hier zu diskutierenden Thema gegeben und auf
dieser gemeinsam mit dem Kollegen Merz – Sie haben
das schon eben angesprochen – verkündet: Monatlich
600 Euro Familiengeld für jedes Kind in den ersten drei
Lebensjahren!


(Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht bezahlbar!)


Das sollte ein Überraschungscoup sein. Das war es auch,
vor allen Dingen für die Kollegin Merkel, die CDU-Vor-
sitzende; denn sie hatte nur einen Tag vorher erklärt, für
ein Familiengeld in Höhe von 600 Euro sei kein Geld da
und der Betrag müsse niedriger sein.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Können Sie das mal belegen!)


Sie hat Recht, wenn sie behauptet, dass das im Moment
nicht finanzierbar ist. Ich werde darauf noch zu sprechen
kommen.

Am Dienstagnachmittag war die Lage dann anders:
600 Euro Familiengeld für jedes Kind in den ersten drei Le-
bensjahren. Dieses Versprechen hatte die Halbwertzeit von
wenigen Stunden; denn noch am gleichen Abend musste
ein Stoiber-Sprecher es gegenüber der „Financial Times
Deutschland“ korrigieren. Er sagte, der Kandidat habe sich
vertan, das Versprechen gelte nur für das erste Lebensjahr.


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Peinlich, peinlich!)


Das war wieder einmal ein Glanzstück, wie wir es schon
mehrmals in den 100 Tagen Stoiber-Kandidatur erlebt ha-

ben: Als Tiger gestartet, als Stoiber und Bettvorleger ge-
landet.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Äußerungen von Stoiber und natürlich auch Ihre
Äußerungen von heute haben eines deutlich gemacht:
600 Euro Familiengeld sind nichts anderes als eine Mo-
gelpackung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Zunächst war der Vorschlag vorgelegt worden, diese
großartige Summe aus dem Wirtschaftswachstum zu fi-
nanzieren, das er, Stoiber, mit sich bringe. Daran glaubt er
nun selbst nicht mehr. Also haben Sie heute einen überaus
interessanten, neuen Vorschlag gemacht.

Ich komme jetzt zu Ihrem Finanzierungsvorschlag.
Zunächst einmal sagen Sie: Das Ganze kostet 20 Milliar-
den Euro. Unsere Experten haben ausgerechnet: 30 Milli-
arden Euro. Ich gehe ruhig von Ihren 20 Milliarden Euro
aus. Sie haben gerade gesagt: Das finanzieren wir durch die
Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe.
Nun sage ich Ihnen: Die Arbeitslosenhilfe kostet 13,5 Mil-
liarden Euro; die Sozialhilfe kostet 9,5 Milliarden Euro.
Das sind nach Adam Riese 23 Milliarden Euro. Wenn Sie
Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe abschaffen wollen, dann
kommen Sie mit Ihrer Rechnung vielleicht gerade hin. Herr
Merz, ich sage Ihnen: Sie wollen, dass die Arbeitslosen Ihr
Familiengeld bezahlen. Das machen wir nicht mit!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Was heißt 600 Euro Familiengeld eigentlich? Das
heißt, so vermute ich einmal, dass es kein Kindergeld und
kein Erziehungsgeld mehr gibt. Was ist eigentlich mit den
anderen kinderbezogenen Leistungen, die unsere Gesetze
vorsehen? Was ist eigentlich mit dem Kinderzuschlag bei
der Eigenheimzulage?


(Joachim Poß [SPD]: Sagen Sie das doch einmal!)


Wollen Sie auch das abschaffen? Was ist mit den Kinder-
zuschlägen beim Wohngeld? Wollen Sie auch das ab-
schaffen? Sie schütteln immer den Kopf. Wenn Sie das
tun, dann müssen Sie hier schon freimütig bekennen: Ihr
Vorschlag eines Familiengeldes in Höhe von 600 Euro ist
eine reine Luftnummer, die nicht zu bezahlen ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Sie haben sich des Längeren und des Breiteren über das
Angebot des Bundeskanzlers zur Betreuung ausgelassen.
Ich will Ihren 1. stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden,
den Kollegen Glos, zitieren. Der Bundeskanzler hat zum
Thema Betreuung Folgendes vorgeschlagen: vier Jahre
lang 1 Milliarde Euro pro Jahr. Dieser Vorschlag ist ein
Angebot des Bundes an die Länder. Zu sagen, das sei for-
maljuristisch nicht zulässig, weil der Bund nicht zustän-
dig sei, ist doch lächerlich. Es ist ein Angebot, das wir den






(C)



(D)



(A)



(B)


Ländern machen, und wir gehen davon aus, dass es ange-
nommen wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Herr Glos hat in einer Pressemeldung von gestern ge-
sagt – nun hören Sie einmal zu, Herr Glos –:

Die Ankündigung des SPD-Vorsitzenden Gerhard
Schröder, mit 4 Milliarden Euro die Ganztagsbetreu-
ung von Kindern fördern zu wollen, wird strikt ab-
gelehnt.

Das Geld solle stattdessen der Bundeswehr zur Verfügung
gestellt werden.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir sollten schon bei dem bleiben, was die Meinung
der Opposition ist. Herr Merz hat gesagt: Weil der Bund
nicht zuständig ist, sind wir dagegen. Ich höre allerdings
schon mit großem Interesse Stimmen derjenigen, auch aus
CDU-geführten Bundesländern, die sich freuen, wenn es
1 Milliarde Euro gibt. Sie sind die Ersten, die dabei sind,
trotz Ihrer formalen Bedenken, Herr Kollege Merz. Sie
tun gut daran, wenn Sie unser Angebot, auf das wir stolz
sind, annehmen.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN])



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423000400
Kollege Struck, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Glos?


Dr. Peter Struck (SPD):
Rede ID: ID1423000500
Ja, bitte.


Michael Glos (CSU):
Rede ID: ID1423000600
Herr Kollege Struck, da
ich mich an das, was ich erst vor allerkürzester Zeit gesagt
habe, immer besonders gut erinnere, –


(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Peter Struck (SPD):
Rede ID: ID1423000700
Na, na, na!


Michael Glos (CSU):
Rede ID: ID1423000800
– kann ich genau schil-
dern, wie es gewesen ist.


Dr. Peter Struck (SPD):
Rede ID: ID1423000900
Aber nicht so lange, Herr
Glos! Sagen Sie doch nur, ob es stimmt, dass Sie gesagt
haben, das Geld solle lieber für die Bundeswehr ausgege-
ben werden. Das reicht mir.


Michael Glos (CSU):
Rede ID: ID1423001000
Es gibt eindeutige Zu-
ständigkeiten. Der Bund ist eindeutig für die äußere Si-
cherheit zuständig; hier gibt es Mängel. Der Bund ist nicht
für die Förderung der Schulen zuständig. Dafür sind die
Länder zuständig. In diesem Zusammenhang war das ge-
meint. Niemand hat aber etwas dagegen, wenn mehr öf-
fentliche Mittel, insbesondere der Länder, in den wichti-
gen Bereich Ganztagesschulen fließen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Peter Struck (SPD):
Rede ID: ID1423001100
Herr Kollege Glos – Sie müs-
sen einen Augenblick stehen bleiben, ich antworte Ihnen
ja –, darf ich Ihre Äußerung so verstehen – ich verstehe
sie so –, dass Sie jetzt gerade Ihren Fraktionsvorsitzenden
korrigieren, der nämlich erzählt hat, er wolle das nicht?
Wenn das so ist, dann nehme ich das mit Zufriedenheit zur
Kenntnis. Ich weiß allerdings nicht, ob Sie in Ihrer Frak-
tion mehr zu sagen haben als Ihr Fraktionsvorsitzender.
Bei uns ist es nicht so, dass einer mehr zu sagen hat als der
Fraktionsvorsitzende.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie dürfen jetzt gern Platz nehmen, Herr Glos.
Ich stelle fest, dass wir in der Familienpolitik eine

großartige Bilanz vorweisen können.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Ich stelle auch fest, dass es in den vergangenen Jahren
viele Regierungserklärungen zur Familienpolitik gege-
ben hat, auch zu Zeiten der konservativ-liberalen Regie-
rung. Dass es Gerhard Schröder ist, der als erster Bun-
deskanzler eine solche Regierungserklärung abgibt,
zeigt die Bedeutung, die wir diesem Thema beimessen
werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Bilanz hat der Bundeskanzler vorgetragen. Wir
werden auch dafür sorgen, dass diese Bilanz bis zum
22. September vielen Menschen in Deutschland immer
wieder vorgelegt wird, damit sie erkennen, was wir zu-
sätzlich getan haben. Hätten Sie es in Ihrer Regierungszeit
geschafft, das Kindergeld dreimal zu erhöhen – von
220 DM auf 300 DM –, dann hätten Sie jeden Tag Ju-
belarien gesungen. Das jetzt als nicht ausreichend zu kri-
tisieren ist – da hat der Bundeskanzler völlig Recht – ab-
solut lächerlich.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir gehen mit dem Angebot der Bundesregierung,
1 Milliarde Euro pro Jahr zusätzlich für Betreuung zur
Verfügung zu stellen, das dem Finanzminister sicherlich
nicht ganz leicht gefallen ist und bei dessen Umsetzung si-
cherlich schwierige Fragen entstehen werden – das ist so,
wenn man mit Ländern und Gemeinden darüber zu ver-
handeln hat, wie man mehr Ganztagsbetreuungsplätze
schafft –, in die Bundestagswahl. Wir wollen, dass insbe-
sondere mehr und mehr Frauen wieder in den Beruf
zurückkehren können, weil wir wissen, dass die Verein-
barkeit von Familie und Beruf ein wichtiges Gut ist. Das
hat nichts mit Kritik an der Institution Ehe und derglei-
chen zu tun.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben die notwendigen Sofortmaßnahmen getrof-
fen, auch die, die nach dem Bundesverfasssungs-
gerichtsurteil von uns erwartet wurden. Wir haben die
Versäumnisse der 16 Jahre von Helmut Kohl wettgemacht




Dr. Peter Struck
22780


(C)



(D)



(A)



(B)


und jetzt haben wir Luft, um uns neuen Herausforderun-
gen einer noch familienfreundlicheren Politik zu stellen.


(Anhaltender Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423001200
Ich erteile der Kolle-
gin Cornelia Pieper, FDP-Fraktion, das Wort.


Cornelia Pieper (FDP):
Rede ID: ID1423001300
Sehr verehrter Herr Präsi-
dent! Meine Damen und Herren! Herr Bundeskanzler, ich
möchte Ihnen zunächst dazu gratulieren, dass Sie nun
endlich die Bedeutung der Familienpolitik für die Zu-
kunft unseres Landes erkannt haben.


(Beifall bei der FDP)

Früher – Herr Merz hat es ja schon gesagt – haben Sie
Derartiges gern als „Gedöns“ bezeichnet, aber man lernt
ja nie aus. Nun sei es jedem gegönnt, seine Meinung zu
ändern, nur: Glaubwürdig ist das eben nicht, besonders
dann, wenn sich ein solcher Meinungswandel pünktlich
zum Bundestagswahlkampf einstellt.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


So, Herr Bundeskanzler, müssen Sie sich eben auch an
Ihren Taten messen lassen; hehre Worte genügen nicht.
Ich sage es einmal mit einem alten deutschen Sprichwort:
Man sollte nicht mit Steinen werfen, wenn man selbst im
Glashaus sitzt.


(Zurufe von der SPD)

Sie sprachen von Versäumnissen der letzten Bundesre-

gierung in der Familien- und Bildungspolitik in den ver-
gangenen Jahren. Es sind in der Tat Fehler gemacht wor-
den. Das kann man ja auch einmal zugeben. Wir müssen
aber überhaupt erst einmal für ein kinder- und familien-
freundliches Klima in Deutschland sorgen.


(Beifall bei der FDP)

Sie haben damals als Ministerpräsident von Niedersachen
jedenfalls nicht sehr viel dazu beigetragen: Wenn man
sich anschaut, wie hoch der Versorgungsgrad an Kinder-
gartenplätzen in den einzelnen Bundesländern ist, stellt
man fest, dass ausgerechnet Nordrhein-Westfalen und
Niedersachsen an letzter Stelle liegen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Bilanz Ihrer knapp vier Regierungsjahre in der Fa-
milien-, Frauen- und Kinderpolitik ist wahrhaftig nicht
glanzvoll. Die Bundesregierung rühmt sich gerne der Er-
höhung des Kindergeldes. Sie erwähnen natürlich nicht,
dass Sie aus der einen Tasche nehmen, was Sie in die andere
geben. Dass Sie die Maßnahmen für Familien von Familien
selber bezahlen lassen, ist nämlich die ganze Wahrheit:


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


zum einen durch Steuererhöhungen, nicht zuletzt der
Ökosteuer, durch die Streichung des Haushaltsfreibetra-
ges für Alleinerziehende, durch den Wegfall des Ausbil-
dungsfreibetrages für Kinder, die auswärts studieren, und

durch den Wegfall der Möglichkeit der kostengünstigen
Beschäftigung von Haushaltshilfen und Tagesmüttern.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren von der Regierungskoali-
tion, wenn man das alles zusammenrechnet, kommt man
am Ende zu dem Ergebnis: Die Familien in Deutschland
zahlen drauf,


(Beifall bei der FDP – Widerspruch bei der SPD)


besonders die kinderreichen Familien und die Allein-
erziehenden, die ohnehin am stärksten von Armut bedroht
sind.

SPD und Grüne haben gegenüber den Familien voll-
mundige Versprechungen gemacht. Die Realität Ihrer Po-
litik sieht aber anders aus: Die Bundesregierung macht
eine Politik, die Familien schadet. Die von Ihnen viel be-
schworene Vereinbarkeit von Beruf und Familie macht es
erforderlich, die Mobilität von Familien zu verbessern.
Die so genannte Ökosteuer aber bestraft Mobilität. Wer
Familie und Beruf unter einen Hut bringen will, der ist auf
Mobilität angewiesen: Er muss die Kinder morgens mit
dem eigenen Auto in die Schule bringen oder am Wo-
chenende zum Fußball.


(Beifall bei der FDP)

Deswegen belastet die Ökosteuer auch ganz besonders die
Familien.

Die Bundesregierung bestraft Familien in doppelter
Weise: Familien, in denen es nur einen Erwerbstätigen
gibt, profitieren nämlich nicht von der Senkung der Ren-
tenbeiträge. Herr Bundeskanzler, erklären Sie mir doch
einmal, welche Hintergründe es hat, dass der Deutsche
Familienverband der Bundesregierung ein schlechtes
Zeugnis ausstellt. Die Steuerreform, sagt der Familien-
verband, sei familienfeindlich, die Rentenreform sei fa-
milienfeindlich. Auch viel zu hohe Verbrauchsteuern
sind familienfeindlich. Das ist ein vernichtendes Urteil
von denen, die es angeht.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich sagte ja: Wir schätzen Lernfähigkeit. Es ist also
schon einmal ein Fortschritt, dass auch die Bundesregie-
rung eingesehen hat, dass eine stärkere Förderung von
Kindern und Familien das Gebot der Stunde ist, insbe-
sondere angesichts der zurückgehenden Geburtenraten
mit weit reichenden gesellschaftlichen Folgen für die so-
zialen Sicherungssysteme in diesem Land. Zu den Kolle-
ginnen und Kollegen von der Union, Herr Merz, sage ich
auch ganz deutlich: Sie müssen einmal Ihr antiquiertes
Familienbild überarbeiten.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der PDS)


Es ist eben so, dass heute Kinder nicht nur in ehelichen
Gemeinschaften, sondern zunehmend auch in unehe-
lichen Lebensgemeinschaften, so genannten Verantwor-
tungsgemeinschaften, leben. Auch das ist anerkennens-
wert und sie müssen aufgewertet werden.




Dr. Peter Struck

22781


(C)



(D)



(A)



(B)


Ihr Familiengeld, meine Damen und Herren von der
Union, trägt gerade dazu bei – das hat auch der Deutsche
Familienverband heute noch einmal deutlich gemacht –,
dass zukünftig Frauen vom Erwerbsleben ausgeschlossen
werden.


(Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht!)


Genau das wollen junge Männer und Frauen mit Kindern
heute nicht.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Bevölkerungswissenschaftler gehen davon aus, dass
eine Erhöhung des Kindergeldes alleine eine Steigerung
der Geburtenrate von nur 0,1 Kind pro Frau bewirkt. Eine
Gesellschaft, die dringend auf qualifizierte Arbeitskräfte
angewiesen ist, muss daher neue Möglichkeiten schaffen,
dass sich Männer und Frauen für Kinder und Karriere ent-
scheiden können. Dies muss das zentrale Element einer
wirksamen Familienförderung sein.

Ein Blick über die Grenzen belegt diese Annahme. Ein
Vergleich der Geburtenraten in Europa zeigt, dass mehr
Kinder in Ländern geboren werden, in denen Frauen stär-
ker erwerbstätig sind. Die Entscheidung für Kinder fällt
eindeutig da leichter, wo es genug Möglichkeiten der
Kinderbetreuung gibt.


(Beifall bei der FDP)

Die Situation in Deutschland ist – mit einem Wort –

schlecht. Für nur 2,8 Prozent der Kinder stehen hier Krip-
penplätze zur Verfügung; bei den anderen Kinderbetreu-
ungsplätzen sieht es nicht besser aus. In Österreich zum
Beispiel sind 90 Prozent der Fünfjährigen im Kindergar-
ten oder in einer Vorschule. In Dänemark besucht fast die
Hälfte der Ein- bis Dreijährigen eine Betreuungseinrich-
tung. Etwa ein Drittel sind es in Schweden. Deutschland
liegt mit 8,5 Prozent am Schluss.

Hier muss sich dringend etwas ändern. Deswegen set-
zen wir als Fraktion der Freien Demokratischen Partei als
Erstes auf die Verbesserung der Kinderbetreuungseinrich-
tungen in Deutschland. Ich wünschte mir sehr, dass wir
bei diesem Thema gemeinsam einen großen Schritt vo-
rankommen, denn auch hier sind wir Schlusslicht in Eu-
ropa. Wir müssen eine bessere Versorgung gewährleisten,
damit Frauen und Männer trotz Kindern unabhängig ihre
Lebensentwürfe gestalten können. Darauf kommt es an.
Deswegen wollen wir, dass der Kindergarten dort, wo er
auch vorschulische Aufgaben erfüllt, zukünftig kostenfrei
gestellt wird. Das soll aus dem Bund-Länder-Finanzaus-
gleich finanziert werden.


(Beifall bei der FDP)

Wir wollen durch eine Steuersenkungspolitik zu mehr

sozialer Gerechtigkeit beitragen und die Familien entlas-
ten. Darüber hinaus wollen wir, dass Kinder steuerrecht-
lich zu Erwachsenen gemacht werden. Wir fordern zur
Sicherung des Existenzminimums für Familien einen ein-
heitlichen steuerlichen Grundfreibetrag von 7 500 Euro
für jeden Erwachsenen wie für jedes Kind.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es bleibt immer viel zu wenig Zeit, um über Familien-
politik zu sprechen. Gehen wir Reformen in Deutschland
auch in der Familien- und Bildungspolitik endlich an. Die
beste Investition in die Zukunft ist die in unsere Kinder.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423001400
Ich erteile Kollegin
Katrin Göring-Eckardt, Bündnis 90/Die Grünen, das
Wort.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Pieper, Sie haben dem Bundeskanzler Meinungs-
wandel vorgeworfen. Nun hat ja die FDP in der letzten
Woche plötzlich festgestellt, dass sie das Thema Familie
völlig vergessen hatte, und hat dann schnell einige Vor-
schläge aus der Kiste geholt und nachgelegt, die völlig
ohne Gegenfinanzierung sind. Dabei haben Sie so getan,
als ob Sie sich mit diesem Thema schon beschäftigt hät-
ten. Wissen Sie, woran ich dabei gedacht habe? – An das
Märchen „Des Kaisers neue Kleider“, in dem der Kaiser
zum Schluss nackt dasteht und die Bühne verlässt.

Das sollten Sie in der Familienpolitik auch tun. Denn
die Bilanz, die Sie gemeinsam mit der angeblichen Fami-
lienfraktion CDU/CSU vorzuweisen haben, ist drama-
tisch.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423001500
Kollegin Göring-
Eckardt, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin
Pieper?


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Cornelia Pieper (FDP):
Rede ID: ID1423001600
Liebe Kollegin, ist Ihnen be-
kannt, dass der beste Versorgungsgrad in Bezug auf Kin-
dergartenplätze ausgerechnet in Baden-Württemberg und
Rheinland-Pfalz vorzufinden ist,


(Christel Humme [SPD]: Das stimmt nicht! – Lothar Mark [SPD]: Das haben die sozialdemokratisch geführten Städte durchgedrückt! – Weitere Zurufe von der SPD)


wo die FDP mitregiert, und ist Ihnen auch bekannt, dass
insbesondere in Rheinland-Pfalz 225 Millionen Euro für
Ganztagsschulen ausgegeben werden sollen, um ein
flächendeckendes Ganztagsschulennetz aufzubauen? Ir-
gendwie muss Ihnen das entgangen sein, sonst hätten Sie
etwas Derartiges jetzt nicht gesagt.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

dass Sie noch nicht einmal wissen, was Realität ist. Den
schlechtesten Betreuungsgrad für Kinder unter drei Jah-




Cornelia Pieper
22782


(C)



(D)



(A)



(B)


ren gibt es in den Ländern Bayern und Baden-Württem-
berg.


(Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Märchen! – Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Keine Ahnung!)


Das müssen Sie einmal zur Kenntnis nehmen. Die Tatsa-
che, dass es in Rheinland-Pfalz eine Initiative für Ganz-
tagsschulen gibt, deren tatsächliche Kosten Sie offensicht-
lich nicht kennen, hat eindeutig nichts mit der Beteiligung
der FDP an der Regierung in Rheinland-Pfalz zu tun.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Widerspruch bei der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423001700
Frau Kollegin, gestat-
ten Sie eine weitere Zwischenfrage, und zwar des Kolle-
gen Tauss von der SPD-Fraktion?


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Jörg Tauss (Plos):
Rede ID: ID1423001800
Frau Kollegin, ist Ihnen bekannt,
dass die hervorragenden und hier wirklich zu Recht posi-
tiv erwähnten Ganztagsschulen in Rheinland-Pfalz gegen
den Widerstand des Koalitionspartners FDP mithilfe des
Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz durchgesetzt
werden mussten?


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: So ein Quatsch! – Ina Lenke [FDP]: Sie waren ja dabei! Sie müssen es ja wissen!)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

die Ganztagsschulen nichts mit der FDP zu tun haben.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Das sagt ja noch nicht einmal der Ministerpräsident!)


Ich kann Ihnen nur zustimmen. Ich denke, dass die FDP
in dieser Frage ausreichend entlarvt ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Es gehört zur Wahrheit, dass die Koalition, der Sie ja
16 Jahre lang angehört haben, die Kinderbetreuung nur
mangelhaft angepackt hat. Zur Wahrheit gehört auch, dass
die damalige Familienministerin, Claudia Nolte – sie ist
heute nicht anwesend –, allein erziehende Eltern mit Kin-
dern als unvollständige Familien bezeichnet hat. So sah
die Realität aus, die Sie uns zurückgelassen haben.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423001900
Frau Kollegin, es gibt
einen weiteren Wunsch nach einer Zwischenfrage, dies-
mal von der Frau Kollegin Sehn.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

zulassen,


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


weil ich jetzt gerne zu den Versprechungen von Herrn
Merz kommen möchte.

Das Familiengeld – Herr Merz hat hier seine Vorstel-
lungen ausgebreitet; wir wissen aber immer noch nicht so
genau, wann es kommt und wie hoch es ist, weil Sie sich
mit Herrn Stoiber und Frau Merkel noch nicht einig sind –
soll in irgendeiner Form kommen. Die Realität ist: In Bay-
ern gibt es die wenigsten Betreuungsplätze in ganz
Deutschland.


(Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Märchen!)

Ihre Vorstellungen gehen weit an den Bedürfnissen der El-
tern vorbei. Ihr Familiengeld ist nichts weiter als eine Zu-
Hause-bleib-Prämie für die Mütter und damit eine Aus-
grenzung vom Arbeitsmarkt. Bezahlen sollen es am Ende
die Arbeitslosen. Ich halte das für unanständig, Herr Merz.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Vielleicht hätten Sie einmal junge Eltern fragen sollen,
was sie wirklich brauchen. Junge Eltern brauchen zum
Beispiel Zeit. Diese Zeit brauchen sie nämlich für die Or-
ganisation von Kindergarten, Tagesmutter und Nachhilfe-
unterricht oder um die Kinder beispielsweise zur Musik-
schule, zum Sportverein oder zum Kindergeburtstag zu
fahren. Das Problem dieser Familien ist nicht – das kann
man ausrechnen – die Ökosteuer, Herr Merz. Wenn Sie
das meinen, verkennen Sie die Lebenswirklichkeit. Eine
vierköpfige Familie in Deutschland hat heute nach Abzug
der Belastungen durch die Ökosteuer noch 1 500 Euro
mehr als zu Ihrer Regierungszeit. Das ist die Realität.

Herr Merz, die Ökosteuer ist ja so „schrecklich“.

(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Das ist wahr!)


Herr Stoiber will sie aber nicht abschaffen.

(Cornelia Pieper [FDP]: Aber wir wollen es!)


Sie sollten einmal den Wählerinnen und Wählern sagen,
dass Herr Stoiber das Schreckensinstrument Ökosteuer
beibehalten will.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Sie hätten auch einmal mit Eltern sprechen sollen, die
mit ihren Kindern von Sozialhilfe oder von einem Ein-
kommen etwas über Sozialhilfeniveau leben müssen.
Dann wüssten Sie nämlich, was für eine große Scham es
bedeutet, wenn man sich die Klassenfahrt nach Italien
nicht leisten kann. Als Entschuldigung für die Nichtteil-
nahme wird dann die angebliche Erkrankung des Kindes
vorgeschoben.


(Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Dann sorgen Sie dafür, dass die 1 Million Kinder aus der Sozialhilfe herauskommen!)


Herr Merz, die dringenden Aufgaben, die vor uns lie-
gen, stehen bei Ihnen noch nicht einmal auf der Tages-
ordnung. Sie kritisieren in diesem Zusammenhang den




Katrin Göring-Eckardt

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(A)



(B)


Bundeskanzler wegen seines Vorstoßes zur Ganztags-
schule, weil er dafür angeblich nicht zuständig sei.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Ja! – Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Zu Recht!)


Herr Merz, es ist eine Bürokratenmentalität pur, mit der
Sie Familienpolitik machen wollen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir lassen die Kinder doch nicht wegen einer ungeklärten
Zuständigkeit im Regen stehen.


(Zuruf von der SPD: Heuchlerisch ist das auch noch!)


Natürlich geht es zuerst um die Verantwortung der El-
tern. Eltern müssen den Bedürfnissen der Kinder mit dem
nötigen Maß an Zuwendung und an Zeit gerecht werden.
Sie müssen sie mit gesundem Essen versorgen und ihnen
Werte und Kultur vermitteln. Der Staat aber hat die Auf-
gabe, die entsprechenden Rahmenbedingungen zu
schaffen. Die Eltern müssen endlich aus den Schmuddel-
ecken dieser Gesellschaft heraus. Sie sollen sich nicht
dauernd entschuldigen müssen, nur weil sie Kinder ha-
ben: im Beruf, in der S-Bahn, beim Vermieter oder im Su-
permarkt. Es geht nicht um ein Familienidyll nach dem
Motto – wenn es so sein sollte, ist das natürlich schön –:
„Und sie lebten glücklich bis an ihr Ende.“

Herr Merz, ich habe bis heute wirklich nicht verstan-
den, warum Sie meinen, sich dafür quasi entschuldigen
zu müssen – so drückte es jemand aus –, dass Sie schon so
lange mit Ihrer Frau verheiratet sind. Wir alle gönnen Ih-
nen das genauso wie Ihre Rowdyvergangenheit.


(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wenn diese Entschuldigung aber irgendwie ironisch ge-
meint sein sollte und sich vielleicht auf andere Lebens-
entwürfe bezogen hat, dann ist dies ein verdammt
schlechter Scherz.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Oh je!)

Die Lebensrealität in Deutschland ist nämlich vielfältig.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Aha! Fundamentale Erkenntnis!)


Wie die Menschen heute zusammenleben, das ist ihre Pri-
vatsache. Uns betrifft dabei die Frage: Wie geht es den
Kindern? Um diesen Bereich müssen wir uns kümmern.
Dies tun wir auch im Gegensatz zu Ihnen, die Sie vor al-
len Dingen ein Hohes Lied auf die Ehe singen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Wir brauchen übrigens kein Ehegattensplitting, wie es
heute besteht. Denn das Geld muss dahin, wo es wirklich
gebraucht wird: zu den Kindern.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Das sieht der Bundeskanzler anders!)


Deshalb machen wir vordringlich bei der Kinderbetreu-
ung Ernst. Die Betreuung ist der zentrale Hebel. Es geht

um eine freie Wahl der Kinderbetreuung. Sie muss ganz-
tags und flächendeckend angeboten werden, von hoher
Qualität sein und von Anfang an erfolgen. Es geht um eine
freie Wahl der Schule, die den ganzen Tag offen ist und
die ein Lebensort sein muss, wo Begabte und weniger Be-
gabte gleichermaßen gefördert werden, wo Kinder mit
und ohne Behinderungen zusammen lernen, wo Musik
und Handwerk, genügend Bewegung und der Umgang
mit dem Internet nicht nur Randthemen sind. Wir brau-
chen eine Kinderbetreuung, in der das gesunde Mittag-
essen ebenso selbstverständlich ist wie das kostenfreie
Vorschuljahr, damit alle Kinder – auch solche aus Migran-
tenfamilien – gut vorbereitet in die Schule kommen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Ina Lenke [FDP]: Was habt ihr denn in dieser Legislaturperiode dafür getan?)


Kinderarmut kann in einem so reichen Land wie
Deutschland nicht hingenommen werden. Die Grund-
sicherung der Grünen gibt darauf die richtige Antwort.


(Ina Lenke [FDP]: In der nächsten Legislaturperiode?)


Auch die Arbeitswelt – der Bundeskanzler hat darauf
hingewiesen – muss sich ändern. Viele Unternehmen ha-
ben dazu bereits gute Ideen. Denn sie wissen genau: Sie
können nicht auf das Potenzial gut ausgebildeter Mütter
und Väter verzichten, auch wenn der klassische Betriebs-
kindergarten nicht unbedingt die richtige Antwort sein
wird.

Wir brauchen kinderfreundliche Städte und keine ab-
geschotteten Spielplatzgehege und Wohnviertel, in denen
sich die Kinder aufhalten müssen, damit außerhalb die
Autos „spielen“ können. Wir brauchen auch für morgen
und übermorgen eine neue Lebensqualität und eine ge-
sunde Umwelt. Das ist ebenso eine echte Kinderpolitik
wie der Satz „Wir haben die Erde von unseren Kindern
nur geborgt“, den die Grünen übrigens schon 1980 auf ein
Wahlplakat geschrieben haben und der eindrücklich aus-
sagt: Nachhaltige Politik ist Politik für Kinder.

Da steht viel auf der Habenseite: der Ausstieg aus der
Atomkraft, die Einführung der Windenergie, die Haus-
haltssanierung, die generationengerechte Rentenpolitik,
mehr Kindergeld und Steuergerechtigkeit. Auch die
Verbesserung der Situation der Alleinerziehenden sollte
eigentlich auf der Habenseite stehen.

Zu Recht wollen Eltern und solche, die es werden wol-
len, heute ganz genau wissen, was auf sie zukommt. Wir
sagen es ihnen ehrlich und verlässlich. Wir sagen, wie wir
unsere Vorhaben finanzieren wollen. Dies ist zwar eine
große Anstrengung für die gesamte Gesellschaft, sie lohnt
sich aber; denn Familienpolitik ist echte Standortpolitik.
Mit dieser Standortpolitik wollen wir beginnen. Wir sind
dabei auf einem wirklich guten Weg.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das ist vielleicht ein wenig wie Politik auf Kinder-
nasenhöhe – auch wenn das für manchen lächerlich klingt.
Aber in Kindernasenhöhe bekommt man zum Beispiel




Katrin Göring-Eckardt
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mehr Schadstoffe ab. Deswegen müssen Grenzwerte be-
zogen auf den kindlichen Körper festgelegt werden.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


In Kindernasenhöhe – lassen Sie mich das zum Schluss
sagen – träumt es sich vielleicht ein bisschen leichter von
der Zukunft.

Dass die Tatsache, dass beide Eltern berufstätig sind, für
das Selbstvertrauen eines Kindes nicht schädlich ist, sieht
man möglicherweise an meinem Sohn, der zwölf Jahre alt
ist und Friedrich heißt. Der will nämlich Bundeskanzler
werden.


(Heiterkeit bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Auch Edmund Stoiber will das. Aber angesichts der Fa-
milienpolitik von Edmund Stoiber, der zurückgenomme-
nen Versprechungen und vor allen Dingen der Verspre-
cher, glaube ich: Mein Sohn hat eine größere Chance. Bis
dahin werden nach dem 22. September 2002 Rot und
Grün mit einer großen Offensive für Kinder und Familien,
für ein kinderfreundliches Deutschland weitermachen.
Edmund Stoiber kann sich dann in Bayern endlich um die
Kinderbetreuungsplätze kümmern. Da hat er weiß Gott
genug zu tun.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423002000
Ich erteile Kollegin
Petra Pau, PDS-Fraktion, das Wort.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423002100
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Zum Thema Familienpolitik gibt es viel zu
sagen und noch mehr zu tun. Viel zu sagen haben in die-
sen Tagen die beiden Kanzlerkandidaten; es ist Wahl-
kampf. Es ist aber noch mehr zu tun; das wissen wir aus
dem Leben. Deshalb will ich auch gar nicht klagen, dass
Familien, Frauen und Kinder in das Wahlkampflicht
gerückt werden, weil ich finde, sie haben es nötig und
auch verdient.


(Beifall bei der PDS)

Nicht verdient allerdings und überhaupt nicht nötig haben
sie eine Verbalzuwendung, die sich danach als folgenloser
Wahlwerbespot herausstellt.

Das ehrlichste Wort zu einem solchen Umgang mit
dem Thema habe ich übrigens diese Woche von der Kol-
legin Pieper gehört. Nicht heute, sondern gestern früh im
ZDF-„Morgenmagazin“ lobten Sie erst Ihr Wahlpro-
gramm – klar, das ist Ihr Job – und fügten dann hinzu, die
FDP habe jetzt auch noch was in Sachen Familie aufge-
nommen. Ich wette, wäre gerade die Lage der Vögel in der
Großstadt das Thema der Woche, hätten Sie auch dazu
noch schnell ein paar wohlfeile Worte gefunden.


(Beifall bei der PDS)

Aber genau das ist es nicht, was Familien, Frauen und
Kinder erwarten, übrigens auch nicht in Sachsen-Anhalt.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423002200
Kollegin Pau, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Lenke, FDP-
Fraktion? – Bitte schön.


(Christel Humme [SPD]: Das muss nicht sein!)



Ina Lenke (FDP):
Rede ID: ID1423002300
Frau Pau, haben Sie die Legislatur-
periode im Griff, was die Drucksachen anbelangt, in de-
nen die Vorstellungen der FDP niedergelegt sind?


(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Roland Claus [PDS]: Wir haben die FDP überall im Griff, nicht nur bei den Drucksachen!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423002400
Ich denke, ich habe zumindest einen
Überblick.


Ina Lenke (FDP):
Rede ID: ID1423002500
Wenn Sie sagen, Sie haben einen
Überblick, dann scheint der Überblick aber sehr missra-
ten zu sein. Denn wir haben, seit wir in dieser Legislatur-
periode in der Opposition sind, sehr viele Anträge zur
Familienpolitik vorgelegt.


(Zuruf von der SPD: Aber erst seitdem!)

Das ist auch unsere Aufgabe. Die Anträge, die wir vorge-
legt haben, werden wir in der nächsten Legislaturperiode
in der Regierung umsetzen.


(Beifall der Abg. Cornelia Pieper [FDP] – Lachen bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423002600
Ich habe Ihre Anträge durchaus im
Blick, einschließlich derjenigen, die wir gewogen haben
und die wir, etwa diejenigen zum Thema Steuerpolitik,
nicht richtig gefunden haben. Ich darf doch wohl das Wort
Ihrer Generalsekretärin, das sie gestern früh im Fernsehen
verkündet hat, ernst nehmen,


(Cornelia Pieper [FDP]: Für uns ist die Familienpolitik ein ernstes Thema! Warum haben Sie denn mit Herrn Höppner das Kinderhortgesetz in Sachsen-Anhalt abgeschafft? Antworten Sie doch darauf mal!)


als sie ganz deutlich sagte: Wir haben ein Programm. –
Pause. Sie fuhr fort: Und jetzt haben wir uns noch was zur
Familienpolitik einfallen lassen.


(Beifall bei der PDS)

Das Folgende gehört auch zum aktuellen Befund in Be-

zug auf die Lage in der Bundesrepublik, weil es sich da-
bei um eine von den Parteien unabhängige Analyse han-
delt: Kinder gelten in der Bundesrepublik immer noch als
Armutsrisiko. Frauen werden in der Bundesrepublik noch
immer grundlegend benachteiligt; das heilen auch Ihre
Anträge nicht. Ferner: Wer oder was eine Familie ist, da-
rüber entscheiden offensichtlich immer noch Parteistrate-
gen, nicht aber jene, die eine Familie sein wollen oder
sind. Da empfehle ich zum Selbststudium einen Artikel
des CSU-Kollegen Geis, der vor einigen Wochen in der




Katrin Göring-Eckardt

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(A)



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„Frankfurter Rundschau“ erschienen ist. Ich muss zu-
geben: So viel pangermanischen Ungeist zum Thema Fa-
milie und so viel Abscheu gegen anders Lebende, gegen
anders Liebende und anders Sorgende habe ich im
21. Jahrhundert nicht mehr für möglich gehalten. Da wer-
den vom Kollegen Geis Schwule als abartig verhöhnt und
die Rechte gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften – ich
darf zitieren – als „explosiver USA-Import“ beschrieben,
der das deutsche Volk gefährde.


(Zurufe von der PDS und der SPD: Oh!)

Ich vermisse bis heute ein klares Wort des CDU/CSU-
Kanzlerkandidaten dazu und auch Sie, Herr Merz, haben
es heute versäumt, sich dazu deutlich zu äußern.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die PDS hat vor Wochen ein Familienprogramm vor-
gestellt, das auf den Säulen Gerechtigkeit, Kinderrecht und
Gleichstellung fußt. Dazu bedurfte es weder eines Wahl-
kampfhöhepunktes noch der Mahnung des Bundesverfas-
sungsgerichtes. Denn wir wollen nicht ganz vergessen: So
manche unter Rot-Grün beschlossene Verbesserung der
Situation der Kinder und Familien bedurfte des Drucks
aus Karlsruhe und so mancher Spruch aus Karlsruhe be-
traf die familienunfreundliche Ära Kohl. Insofern finde
ich, der Bundeskanzler hätte es heute eine Nummer klei-
ner machen können; ich finde den Lobgesang in eigener
Sache etwas überzogen.


(Beifall bei der PDS)

Ich finde allerdings auch die Töne, die der Kollege Merz
angestimmt hat, etwas überzogen.

Wir kennen alle das Problem vieler Frauen: Sie müssen
sich letztendlich zwischen Beruf und Kindern entschei-
den, weil die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen bei-
des schwer oder kaum miteinander vereinbaren lassen.
Das sind die Zwänge, die in dieser Gesellschaft auf Fa-
milien und Frauen wirken, Herr Kollege Merz, und nicht
das, was hier heute politisch debattiert wird.

Ich bin also beim Thema Kitas, Ganztagsschulen usw.
Davon wurde heute schon gesprochen. Daran mangelt es,
und zwar in den alten Bundesländern mehr als in den neuen.
Das stimmt und wäre eigentlich eine Extradebatte wert.

Ich will heute nur wiederholen, was ich neulich in
Nürnberg gesagt habe. Verglichen mit Mecklenburg-Vor-
pommern und Sachsen-Anhalt ist Bayern in diesen Fra-
gen ein Entwicklungsland.


(Beifall bei der PDS – Roland Claus [PDS]: Hoffentlich entwickelt sich da mal etwas!)


Insofern sollte der Kanzlerkandidat der CDU/CSU etwas
vorsichtiger sein, wenn er die neuen Bundesländer missio-
nieren will. Vielleicht sollte er doch erst einmal zu Hause
mittel-, ost- und nordeuropäische Standards anstreben,
wenn es um Familien-, Kinder- und Frauenrechte geht.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die PDS hat im Laufe dieser Legislaturperiode meh-
rere Anträge und Initiativen eingebracht, die einen Para-

digmenwechsel zugunsten von Familien und Kindern er-
bracht hätten. Ich muss heute sagen „hätten“, denn auch
Rot-Grün hat diese abgelehnt. Dabei hatten wir natürlich
auch Vorschläge zur Finanzierung gemacht, Vorschläge,
die nun wieder zum Teil bei SPD und Grünen auftauchen.

Gut, könnte man sagen, spät kommt ihr, aber ihr
kommt. Oder sagen wir besser: Vielleicht kommt etwas.
Denn nicht nur der Präsident des Deutschen Familienver-
bandes äußerte sich gestern aus Erfahrung skeptisch, was
von den vielen Ankündigungen dieser Tage wirklich blei-
ben wird.

Einen Gedanken möchte ich dennoch der Finanzie-
rungsfrage widmen. Kaum hatten wir im März unser Fa-
milienprogramm vorgestellt, da rechnete ein Kommen-
tator vor: Das CDU/CSU-Programm kostet x Milliarden,
es ist also fragwürdig. Das SPD-Programm kostet y Milli-
arden, es ist also problematisch. Das PDS-Programm kos-
tet noch mehr und ist folglich illusorisch. Einmal abge-
sehen davon, dass der Vergleich nicht stimmt, will ich
diese Rechenart deutlich übersetzen: Soziale Gerechtig-
keit rechnet sich nicht, Kinderrechte rechnen sich nicht,
Gleichstellung rechnet sich nicht. Das ist die Denkart, die
dahinter steckt.

Deshalb sage ich: Wer so argumentiert, trifft nicht uns.
Wer so argumentiert und zuerst die Frage stellt, was rech-
net sich, polemisiert gegen zig Betroffene, gegen gesell-
schaftliche Werte und gegen die Zukunft der Bundesrepu-
blik.

Nun hat das Schönreden in Wahlkampfzeiten Kon-
junktur. Deshalb will ich auf ein Beispiel zurückkommen,
das mir noch niemand vernünftig erklären konnte, das
aber auch zur rot-grünen Bilanz gehört. Wir erinnern uns:
Das Kindergeld wurde erhöht. So weit, so gut. Denjeni-
gen aber, die es am nötigsten brauchen, den Empfänge-
rinnen und Empfängern von Sozialhilfe, wurde die Kin-
dergelderhöhung sofort verrechnet, sodass sie keinen
Groschen oder Cent mehr in der Kasse haben. So weit und
leider so schlecht;


(Beifall bei der PDS)

denn das Beispiel der Kindergelderhöhung zeigt die Ge-
neralkrux der schwarz-gelben Familienpolitik, mit der
Rot-Grün nicht gebrochen hat: Die Reichen bekommen
immer noch etwas dazu, während die Armen links liegen
gelassen werden.


(Joachim Poß [SPD]: Pure Demagogie! Sie wollen das offenbar nicht verstehen!)


– Ich habe das sehr wohl verstanden und vor allen Dingen
mit den Betroffenen, Herr Kollege, anhand ihres Geld-
beutels debattiert. Ich erkenne an, dass Rot-Grün für die
Förderung und Entlastung von Familien fast ein Drittel
mehr Mittel bereitgestellt hat als die CDU/CSU zu ihrer
Zeit, aber die Ungerechtigkeitsschere bleibt. Und darüber
rede ich heute.

Deshalb hätte ich gern vom Bundeskanzler heute ein
klareres Wort zu einer weiteren Episode aus seiner Amts-
zeit gehört. Es gab Jahre, in denen immer wieder einmal
Verwandte von ihm auftauchten und für Schlagzeilen
sorgten: Cousinen aus dem Osten und eine Schwester aus




Petra Pau
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(A)



(B)


dem Westen. Letztere ist mit der Kinderpolitik der Koali-
tion und des Kanzlers höchst unzufrieden und zog sogar
vor das Bundesverfassungsgericht. Auch das ist eine
Form von Familienpolitik, bei der ich der Schwester viel
Erfolg wünsche.


(Heiterkeit bei der PDS – Zuruf von der SPD: Populismus!)


– Nein. – Da hilft es auch nicht, wenn der Kanzler heute
Morgen ankündigt, dass er den gestern abgelehnten PDS-
Antrag zum Haushaltsfreibetrag nun selbst umsetzen
möchte.


(Beifall bei der PDS)

Ein letztes Beispiel. Frau Bundesministerin Bergmann,

Sie sagten, im Familienbericht stehe – völlig richtig –:
Familienpolitik heißt auch Gleichstellung deutscher
und nicht deutscher Kinder.

Wem bitte wollen Sie ernsthaft vermitteln, dass das jüngst
beschlossene Einwanderungsgesetz in diesem Sinne ein
Beitrag zur Familienpolitik und zur Gleichstellung ist,
wenn das Kindsein bei ausländischen Familien mit zwölf
Jahren endet? So etwas hat nichts mit Familienpolitik zu
tun und entspricht auch nicht etwa UN-Konventionen.

Unser Vorschlag liegt auf dem Tisch. Kinder und Fa-
milien sollen begünstigt werden, und zwar ganz egal, ob
ihre Art zu leben altdeutschen Heimatfilmen oder moder-
nen Gemeinschaftsvorstellungen entspricht.

Danke schön.

(Beifall bei der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423002700
Ich erteile der Bun-
desministerin Christine Bergmann das Wort.

Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin für Fa-

(von Abgeordneten der SPD mit Beifall begrüßt)

geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Familienpo-
litik stand für diese Regierung vom ersten Tag des Regie-
rungshandelns an im Mittelpunkt der Politik, nicht erst
wie bei Ihnen, Frau Pieper, in der letzten Phase, wenn es
um das Warmlaufen für den Wahlkampf geht.


(Ina Lenke [FDP]: Das stimmt doch nicht! Das wissen Sie ganz genau!)


Wir haben vom ersten Tag an gehandelt. Die erste Kin-
dergelderhöhung ist sofort beschlossen worden. Wir sind
an die Rahmenbedingungen herangegangen.


(Zurufe von der FDP)

– Ich reagiere nur auf das, was Frau Pieper vorhin gesagt
hat. Ich denke, wir haben eine überzeugende Bilanz auf
den Tisch zu legen.


(Cornelia Pieper [FDP]: Ökosteuer!)

Davon muss ich nur Sie überzeugen. Die Bevölkerung ist
überzeugt. Es wird der Kompetenz der SPD und dieser
rot-grünen Regierung für Familienpolitik zugeschrieben
und das mit Recht und nicht umsonst.


(Beifall bei der SPD)


Wir wissen auch, warum wir von Anfang an gehandelt
haben, nämlich weil wir die wichtige Rolle, die Familien
in der Gesellschaft spielen, ernst nehmen. Wir wissen,
welche Leistungen Väter und Mütter tagtäglich erbringen.
Es ist keine einfache Aufgabe, Kinder großzuziehen. Wir
sagen dies nicht nur sonntags.


(Ina Lenke [FDP]: Wir auch nicht!)

Vielmehr unterstützen wir Familien dort, wo sie die Un-
terstützung am nötigsten brauchen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Ina Lenke [FDP]: Das machen wir auch!)


Dies fängt natürlich schon bei der Akzeptanz der Viel-
falt der Familienformen an. Der Bundeskanzler hat dazu
einiges gesagt. Ich will dies wiederholen: Für uns stehen
alle Familienformen gleichwertig nebeneinander. Wir ha-
ben eine breite Vielfalt, obwohl nach wie vor 80 Prozent
der Kinder bei ihren verheirateten Eltern aufwachsen.
Aber diese Vielfalt der Familienformen besteht.

Herr Merz, was Sie vorhin gesagt haben, nämlich dass
wir lieber über Ehe und Familie statt über die beliebigen
Verbindungen, die es noch so gibt, reden sollten, war
schon verräterisch. Für uns Sozialdemokratinnen und So-
zialdemokraten – dies sage ich mit allem Ernst – zählen
die Werte, die in diesem Zusammenleben vermittelt wer-
den,


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


wie Geborgenheit, Sicherheit und Zuversicht, sich um
Kinder und auch um die alte Generation kümmern, und
zwar unabhängig von der jeweiligen Familienform.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Wie oft soll man denn den Ehepartner idealerweise wechseln: viermal, fünfmal oder zehnmal?)


– Ich bin eine bekennende Ehefrau. Das ist nichts Neues.
Ich betrachte dies nicht als besondere Leistung und ent-
schuldige mich auch nicht dafür. Wir akzeptieren aber
trotzdem die Vielfalt der Familienformen, weil es uns da-
rum geht, dass die Kinder und auch die Gesellschaft das
erhalten, was sie am Nötigsten brauchen.

Wir schreiben auch niemandem vor, wie er leben soll.
Wir akzeptieren die unterschiedliche Rollenverteilung in
den Familien. Selbstverständlich haben die Frauen das
gleiche Recht auf Erwerbsarbeit wie die Männer. Ebenso
unterstützen wir Väter, die ihr Recht auf Erziehungsarbeit
wahrnehmen wollen. Hier haben wir noch ein wenig
Nachholbedarf, dies ist uns aber ein ernstes Anliegen. Ge-
nauso unterstützen und fördern wir die Kinderrechte.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Mit 14 in die Disko, oder?)


Ich glaube, hier haben wir in den letzten vier Jahren Ent-
scheidendes getan.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)





Petra Pau

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Wir wissen natürlich, wie schwierig dies für Familien
im Alltag zu leben ist. Dies gilt besonders für die Verein-
barkeit von Beruf und Familie. Daher steht die Verbes-
serung der Rahmenbedingungen für Familien im Mittel-
punkt unserer Politik. Wir wissen, woran es häufig hapert,
nämlich an entsprechenden Arbeitszeitregelungen, Ar-
beitsbedingungen und der Kinderbetreuung. Familien
können ein Lied davon singen, wie schwierig es ist, alles
unter einen Hut zu bringen.

Ich will auf die Fortschritte bei der Verbesserung der
Rahmenbedingungen hinweisen. Hier nenne ich als erstes
das Elternzeitgesetz. Wenn Sie sich nun hier hinstellen
und sagen, dass auch Väter Erziehungsarbeit wahrneh-
men sollen und wollen, ist dies schon ein Fortschritt. Ich
kann mich aber nicht erinnern, dass Sie diesem Gesetz im
Deutschen Bundestag zugestimmt hätten.


(Beifall bei der SPD und der PDS)

Mit dem Gesetz machen wir genau das, was Sie verkün-
den. Wir schaffen Wahlfreiheit. Die Eltern sollen sehen,
wie sie gut klarkommen, wie sie ihre Arbeitzeit regeln.
Beide können zur gleichen Zeit Elternzeit nehmen. Sie ha-
ben einen Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit. Dadurch ha-
ben Eltern viele Möglichkeiten. Das müssen wir – es wird
natürlich fortgesetzt – im Zusammenhang mit dem Teil-
zeitgesetz sehen, zu dem es von Ihnen auch keine Zu-
stimmung gab.

Das sind die Rahmenbedingungen, die die Familien
brauchen, um ihre Lebenswünsche umzusetzen und die Be-
dürfnisse der Kinder zu erfüllen. Wir alle, die wir Kinder er-
ziehen oder erzogen haben, wissen, dass Kinder Zeit brau-
chen. Das halte ich für eine zeitgemäße Familienpolitik.

Wir haben für dieses veränderte Rollenverständnis ge-
worben und versuchen, Väter zu ermutigen. Das tun wir
nicht, indem wir ihnen nur sagen, dass es nett wäre, wenn
sie auch etwas tun würden, sondern das tun wir, indem wir
in große Unternehmen wie Daimler-Chrysler, VW, Tele-
kom und BMWund in kleine Unternehmen gegangen sind.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Und was hat es genutzt?)


Mit diesen haben wir gemeinsam beraten, wie das Ziel zu
erreichen ist, welche Möglichkeiten der Arbeitszeitflexi-
bilisierung, die beiden Teilen zugute kommt, es gibt und
welche Arbeitsbedingungen man verbessern kann. Bei der
Frage der Vereinbarkeit von Familie und Beruf darf man
sich nicht nur an die Mütter, sondern muss sich in gleicher
Weise auch an die Väter wenden.

Und siehe da: Alle Unternehmen, die sich darum küm-
mern, stellen fest, dass es ein Gewinn für sie ist. Sie sind
in einer Win-win-Situation. Die Eltern sind zufrieden und
die Unternehmen sehen, dass es ein ökonomischer Vorteil
für sie ist, wenn sie die Arbeitszeiten den bestehenden Fa-
milienwünschen anpassen und versuchen, Teilzeitarbeit
– auch bei Führungskräften – anzubieten, um die Karri-
eremöglichkeiten von Menschen, die eine Familie haben,
nicht zu beschneiden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Ina Lenke [FDP]: Beim Bundeskanzler auch!)


Seit Jahren besuche ich die Unternehmen. Es macht
richtig Spaß, wenn man sieht, dass sich etwas tut. Es ist
wunderbar, dass das jetzt auch im Bündnis für Arbeit ge-
schieht. Mehr Familienfreundlichkeit ist Bestandteil un-
serer Vereinbarung mit den Arbeitgeberverbänden. Auch
das ist ein Prüfstein. Er wird zum gegebenen Zeitpunkt zu
kontrollieren sein.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich komme
noch einmal zum Thema Kinderbetreuung, weil das in
der Debatte eine große Rolle spielt und weil ich mich
natürlich nicht erst seit heute dafür einsetze, dass sich auf
dem Gebiet in diesem Land endlich etwas tut.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Einiges wurde bereits genannt. Es wird wirklich aller-
höchste Zeit. Wir stehen europaweit ziemlich weit hinten.


(Ina Lenke [FDP]: Ja, seit einer Legislaturperiode!)


Das ist übrigens – das muss man klar sagen – vor allen
Dingen das Problem der alten Bundesländer. Es gibt ein
Ost-West-Gefälle. In den neuen Bundesländern ist das al-
les relativ gut – das sage ich vorsichtig –, und zwar von
der Geburt bis zum 12. Lebensjahr, geregelt.

Frau Pieper, weil Sie sich hier so vehement für einige
Länder eingesetzt haben, die an der Spitze der Statistik
stehen, habe ich mir einige Daten herausgesucht. Es gibt
ein Ost-West- und ein Nord-Süd-Gefälle. Es ist wirklich
so. Im Süden, zum Beispiel in Bayern, sieht es sowohl bei
den Betreuungsangeboten für die unter 3-Jährigen als
auch bei Ganztagsschulen am schlechtesten aus.

(Rainer Brüderle [FDP]: Die im Süden sind die Bes ten! – Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Statistik!)

Frau Pieper, Ihnen müsste ein Land doch ziemlich nahe

stehen. Schauen wir einmal, wie es in Sachsen-Anhalt
aussieht. Sachsen-Anhalt steht an der Spitze, wenn es um
die Betreuung für die unter 3-Jährigen und die Schulkin-
der geht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Wer regierte denn da vor einigen Jahren?)


Es hat ein wunderbares Kita-Gesetz. Wenn ich richtig in-
formiert bin, gilt dieses für gerade geborene Kinder bis zu
dem Zeitpunkt, an dem sie aus der sechsten Klasse ent-
lassen werden. Nach Sachsen-Anhalt folgen, bevor die al-
ten Bundesländer kommen, andere neue Bundesländer.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Wer hat das denn eingeführt?)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423002800
Frau Ministerin, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Pieper?

Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin für Fa-
milie, Senioren, Frauen und Jugend: Ja, bitte.


Cornelia Pieper (FDP):
Rede ID: ID1423002900
Sehr geehrte Frau Ministerin,
da ich, wie Sie wissen, zufällig aus Sachsen-Anhalt




Bundesministerin Dr. Christine Bergmann
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komme, frage ich Sie, ob Ihnen bekannt ist, dass das Kin-
dertagesstättengesetz, das einen Rechtsanspruch enthält,
Anfang der 90er-Jahre unter Beteiligung der FDP be-
schlossen worden ist.


(Lachen bei der SPD – Christel RiemannHanewinckel [SPD]: Will Ministerpräsidentin in Sachsen-Anhalt werden und hat keine Ahnung, wie es dort aussieht! – Weiterer Zuruf von der SPD: Das ist acht Jahre her!)


Ist Ihnen bekannt – ich war im Landtag damals übrigens
dabei und habe an diesem Gesetz mitgearbeitet –, dass Ihr
Ministerpräsident Höppner gemeinsam mit der PDS das
Schulhortgesetz abgeschafft hat, dem die FDP 1992 mit
zugestimmt hatte?


(Beifall bei der FDP)


Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin für Fa-
milie, Senioren, Frauen und Jugend: Frau Pieper, ich habe
nur die Zahlen, die Sie vorhin genannt haben, richtig ge-
stellt. Nach wie vor hat Sachsen-Anhalt neben den ande-
ren neuen Bundesländern – das muss man auch sagen – in
diesem Bereich das beste Angebot. Wenn Sie damals an
dem Gesetz beteiligt waren, dann ist es gut.

Ich denke, wir brauchen ein flächendeckendes und be-
darfsgerechtes Kinderbetreuungsangebot für die unter
3-Jährigen sowie ein Ganztagsangebot für die 3- bis
6-Jährigen und für die Schulkinder.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Und für die noch nicht Geborenen?)


Das ist eine wichtige Voraussetzung für die Vereinbarkeit
von Beruf und Familie. Ansonsten brauchten wir über das
Thema gar nicht zu reden. Es hat auch ökonomische
Gründe.

Herr Merz, ich wende mich jetzt an Sie, weil Sie sehr
verräterisch über Wahlfreiheit geredet haben. Sie versu-
chen nach wie vor, das Thema Kinderbetreuung zu ideo-
logisieren.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Bitte? Aber Frau Bergmann!)


Sie tun so, als ob all diejenigen, die ein Angebot fordern, ihre
Kinder generell in Betreuungseinrichtungen geben wollen.
Wir wollen die Wahlfreiheit der Eltern. Wir haben sie noch
nicht. Ihre Wahlfreiheit sieht so aus: Ich kann wählen, ob ich
esse oder nicht esse. Das heißt, wenn ich kein Angebot habe,
kann ich nicht auswählen. Die Frage, ob ich erwerbstätig
sein will oder nicht, stellt sich damit nicht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Mütter haben längst gewählt. Schauen Sie sich die
Statistiken an, die wir haben! Ich kann Ihnen auch eine
neue Studie auf den Tisch legen; auch diese werden wir
noch behandeln. Die Mehrzahl der Mütter will erwerbstä-
tig sein. Zum großen Teil müssen sie arbeiten, aber sie
wollen es auch. Bisher haben wir kein flächendeckendes
Angebot an Kinderbetreuung. Das müssen wir in den nächs-
ten Jahren schaffen. Dabei geht es natürlich in gleicher

Weise um das Thema Bildung und Integration. Kinderbe-
treuungseinrichtungen sind wichtig für die Integration.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Kommen wir zum Thema Erziehungskompetenz. Sie
haben über Gewalt geredet. Ich hoffe, Sie betrachten es
nicht als Ausübung meiner Gewalt, wenn ich Sie auf das
Thema anspreche. Wir haben das Recht der Kinder auf
gewaltfreie Erziehung als Gesetz verankert. Das haben
Sie offensichtlich vergessen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Meines Wissens haben Sie nicht zugestimmt. Es ist ein

Unterschied zu der vergangenen Rechtslage, als diese ge-
nerelle gewaltfreie Erziehung nicht festgeschrieben war.
Damit haben wir ein wichtiges Signal in diese Gesell-
schaft gesandt. Wir wollen, dass Kinder lernen, Konflikte
gewaltfrei zu lösen. Das haben wir mit vielen Aktionen
begleitet. Der Erfolg ist da. Wir haben dazu Studien ge-
macht. Das Gesetz und die Aktionen sind bekannt und
werden akzeptiert. Es gibt auch im Erziehungsverhalten
Veränderungen. Manches wäre noch zu wünschen, aber
so etwas dauert lange. Wir arbeiten daran, das gesell-
schaftliche Klima in einem ganz entscheidenden Punkt zu
verbessern. Das sollten Sie anerkennen und honorieren.


(Beifall bei der SPD)

Zum Thema Familiengeld haben wir schon einiges

gehört. Frau Böhmer und ich waren gestern gemeinsam
bei einem Empfang der Caritas in Berlin. Der dort anwe-
sende Kardinal Sterzinsky hat uns auf den Weg gegeben:
Das, was wir in Zukunft erreichen wollen, muss finan-
zierbar sein; wir müssen alles gründlich auf die Finan-
zierbarkeit überprüfen. – Wir haben ein Angebot gemacht,
das Sie ablehnen. Darüber kann ich wirklich nur lachen.
Der Bund beteiligt sich nun endlich an der Kinderbetreu-
ung. Er ist bereit, seinen Teil dazu beizutragen, aber er er-
wartet natürlich auch von den Ländern und Kommunen,
dass sie in den nächsten Jahren die Lücken schließen. Wir
werden ein gemeinsames Paket schnüren.

Sie erklären, dass Sie das nicht wollen, weil der Bund
dafür nicht zuständig ist. Dafür kommen Sie uns zum wie-
derholten Male mit Ihrem Familiengeld. Aber finanzier-
bar ist das nicht; das wissen Sie ganz genau. Ihren zyni-
schen Vorschlag, dieses Familiengeld sozusagen auf dem
Rücken der Arbeitslosen zu finanzieren, sollten Sie in den
nächsten Wochen und Monaten verkünden. Dafür wün-
sche ich Ihnen viel Erfolg. Dieser Vorschlag kann wohl
nicht ganz ernst gemeint sein.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir werden in der nächsten Legislaturperiode weitere fi-
nanzielle Spielräume anbieten.

Frau Göring-Eckardt, Sie können Ihrem Sohn
Friedrich sagen: Wir bleiben zunächst bei unserem Kanz-
ler. Aber er kann sich schon einmal vorbereiten. Er hat
noch ein bisschen Zeit. Ich glaube, mit der Familienpoli-
tik, die wir machen und in der Zukunft vorhaben, die ge-
nau an den Punkten ansetzt, bei denen es in den Familien




Cornelia Pieper

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wirklich brennt, sind wir auf dem richtigen Weg. Damit
stehen wir gut da. Dass Sie das ärgert, verstehe ich. Aber
wir werden sie fortsetzen.

Danke.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423003000
Ich erteile das Wort
Kollegin Maria Böhmer, CDU/CSU-Fraktion.


Dr. Maria Böhmer (CDU):
Rede ID: ID1423003100
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute haben wir die
erste Regierungserklärung des Bundeskanzlers zur Fami-
lienpolitik gehört. Ich halte es schon für bemerkenswert,
dass wir nach dreieinhalb Jahren erstmals erfahren, was
der Bundeskanzler zur Familienpolitik zu sagen hat.


(Widerspruch bei der SPD)

Dreieinhalb Jahre sind inzwischen nutzlos verstrichen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Wie oft hat denn Kohl dazu geredet?)


Tatsache ist, dass Sie erst kurz vor Toresschluss dieser
Legislaturperiode und am Ende der Regierungszeit von
Rot-Grün das Wort zum Thema Familie ergreifen. Das ist
in der Tat mehr als spät.


(Joachim Poß [SPD]: Herr Kohl sitzt da ja! Er kann ja sagen, wie oft er zur Familienpolitik gesprochen hat!)


So erleben auch die Familien in Deutschland Ihre Po-
litik. Das Urteil in der Presse war in den letzten Jahren
rundweg vernichtend.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welche Zeitung lesen Sie denn?)


Vor einem Jahr hieß es in der „Welt“: „Die ausgebeutete
Familie“. In der „Frankfurter Rundschau“ war von dem
„Skandal der Familienpolitik“ zu lesen; dort war davon
die Rede, dass die Struktur in Deutschland immer noch
eine ausgesprochen familienfeindliche sei.


( V o r s i t z : Vizepräsidentin Petra Bläss)

Nach dreieinhalb Jahren rot-grüner Regierung haben Sie
es nicht geschafft, das einzulösen, was Sie an und für sich
einlösen wollten.


(Beifall bei der CDU/CSU – Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das spricht aber mehr gegen Sie, Frau Böhmer!)


Vor wenigen Wochen hat Ihnen Petra Kohse in der
„Frankfurter Rundschau“ bescheinigt, dass die deutsche
Familienpolitik an einem „Mangel an Visionen“ leide.
Wer heute die Regierungserklärung des Bundeskanzlers
und die Worte von Frau Bergmann gehört hat, muss in der
Tat sagen, dass Sie kein Konzept für die Familien in
Deutschland haben. Was Sie hier zu bieten haben, ist
bruchstückhaft und Flickwerk.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Typisch für Ihren Ansatz in der Familienpolitik ist das
Kindergeld. Richtig ist zwar, dass das Kindergeld erhöht
worden ist und dass Sie hier eine Verpflichtung erfüllt ha-
ben, die das Bundesverfassungsgericht vorgegeben hat.
Aber Sie haben nicht mehr als das getan. Sehen wir uns
nun einmal ganz genau an, wie Sie die Vorgaben des Bun-
desverfassungsgerichts im steuerlichen Bereich tatsäch-
lich erfüllt haben: Sie könnten diese Vorgaben erst dann
erreichen, wenn Sie überhaupt noch die Möglichkeit hät-
ten, Ihre Steuerpolitik bis zum Jahre 2005 durchzuhalten.
Es fehlt also immer noch an der Umsetzung des Urteils
des Bundesverfassungsgerichts. Das heißt, diese rot-
grüne Bundesregierung macht nach wie vor eine verfas-
sungswidrige Familienpolitik.


(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der SPD)


Wenn Sie nicht hören wollen, was ich sage, dann soll-
ten Sie wenigstens die Worte des Deutschen Frauenrates
hören. Der Deutsche Frauenrat hat festgestellt, die Kin-
dergelderhöhung – damals war noch von 30 DM die Re-
de – sei, gemessen an dem Bedarf, völlig unzulänglich
und es sei unverständlich, warum nur eine Erhöhung für
das erste und zweite Kind, nicht aber für die weiteren Kin-
der in der Familie vorgesehen sei. Man darf es nicht hin-
nehmen, dass dritte und vierte Kinder dieser Bundesre-
gierung keine Kindergelderhöhung wert sind.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Zuruf von der CDU/CSU: Einkindfamilie, das ist ihr Motto!)


Herr Bundeskanzler, Sie haben nichts zur Anerken-
nung von Kindererziehung und zum Wert von Familien-
arbeit in Bezug auf die Rente gesagt. Das wundert mich,
ehrlich gesagt, nicht; denn die Rentenreform, die Sie auf
den Weg gebracht haben, versagt hinsichtlich der Berück-
sichtigung der Leistungen in der Familie völlig. Im letz-
ten Januar haben Sie sogar per Gesetz hier im Bundestag
dieWitwenrente gestrichen.


(Zuruf von der SPD: So ein Quatsch! Die Erziehungszeiten werden besser angerechnet!)


Rot-Grün hat das Aus der Witwenrente beschlossen. Nur
weil wir gemeinsam mit den Frauen- und Familienver-
bänden in Deutschland deutlich gemacht haben, dass die
Arbeit in der Familie auch bei der Rente ihre Anerken-
nung finden muss und dass auf die Witwenrente auch
zukünftig nicht verzichtet werden kann, haben Sie sich in
der letzten Sitzung des Vermittlungsausschusses unserem
Druck gebeugt. Das Gesetz ist dann zurückgenommen
worden, allerdings nicht in voller Höhe. Aber wir haben
immerhin sicherstellen können, dass Frauen auch zukünf-
tig mit einer Witwenrente rechnen können.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ich habe Ihren langatmigen Erklärungen zu den
Alleinerziehenden wohl zugehört. Die Alleinerziehen-
den sind in der Tat die Verliererinnen Ihrer Politik.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)





Bundesministerin Dr. Christine Bergmann
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Wenn Sie immer wieder versuchen, den allein erziehen-
den Frauen in Deutschland zu erklären, Sie hätten objek-
tiv nicht anders handeln können, dann sage ich dazu: An-
gesichts Ihrer Wirtschaftspolitik wundert es mich nicht,
dass Sie kein Geld in der Kasse haben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Rainer Brüderle [FDP])


Angesichts der hohen Zahl von Arbeitslosen wundert
mich das auch nicht; denn Sie müssen das Geld zur Ver-
sorgung der Arbeitslosen ausgeben, statt dass Sie endlich
für die Alleinerziehenden das leisten, was Not tut. Sie
streichen ihnen ein Gehalt pro Jahr, Herr Bundeskanzler.
Das ist die Wahrheit. Von daher wundert es uns nicht, dass
die Frauen, angeführt von Ihrer Schwester, vor das Bun-
desverfassungsgericht gegangen sind und dort klagen.
Eine solche Ungerechtigkeit kann man nicht hinnehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Joachim Poß [SPD]: Unglaublich! Vorsätzliche Täuschung!)


– Sie kennen doch die Klage, die eingereicht worden ist.
Ist sie Ihnen unbekannt?


(Joachim Poß [SPD]: Was Sie hier machen, ist eine vorsätzliche Täuschung! Sie wissen es besser!)


Dann sollten Sie das einmal registrieren und wieder rück-
gängig machen. Sie haben doch die Chance; Sie können
doch handeln. Es ist doch Ihre Sache, Ihre Politik zu kor-
rigieren, sodass die Alleinerziehenden nicht auf dieses
eine Monatsgehalt pro Jahr verzichten müssen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Cornelia Pieper [FDP])


Ein Ausweis dafür, dass Sie an dieser Stelle gescheitert
sind, ist auch der Vorschlag von Bündnis 90/Die Grünen,
für die Kinder, deren Eltern Sozialhilfe beziehen, 100 Euro
mehr zu geben. Dies jetzt, nach einer langen Regierungs-
zeit, zu erklären, wohlgemerkt am Ende einer Legislatur-
periode, zeigt, dass Sie in diesem Bereich nicht gehandelt
haben. Gerade der Prozentsatz der unter 7-jährigen Kinder,
die von Sozialhilfe abhängig sind, ist über die Jahre Ihrer
Regierungszeit gleich geblieben. Hier ist es zu keiner Ver-
besserung gekommen. Die Kinder sind von Ihnen nicht
aus der Sozialhilfe herausgeholt worden. So kann man in
diesem Land nicht handeln.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Zynismus ist das!)


Wir haben dazu ein Konzept vorgelegt, denn wir mei-
nen, wir brauchen einen deutlich anderen Weg in der Fa-
milienpolitik. Wir brauchen eine Familienpolitik aus ei-
nem Guss, die innovativ ist, die in die Zukunft weist und
die Familien in unserem Land wirklich eine Chance gibt.


(Joachim Poß [SPD]: Die mit den Realitäten dieser Welt nichts zu tun hat! Wolkenkuckucksheim!)


Die drei Säulen unseres familienpolitischen Konzeptes
lauten: Wir wollen die Vereinbarkeit von Familie und

Beruf verbessern. Wir wollen an dieser Stelle mit dem
fortfahren, was wir im Bereich der Kinderbetreuung ge-
tan haben, denn ohne Union gäbe es in Deutschland kei-
nen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz. Er
ist von uns eingeführt worden.


(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei Abgeordneten der SPD)


Wenn ich mir einmal die Zahlen anschaue – Frau
Bergmann, Sie haben übrigens in Ihrem Ministerium die
neuen Daten, die Sie nicht nach draußen geben, weil die
Bilanz, die Sie im Bereich der Kinderbetreuung ziehen,
für die SPD-regierten Bundesländer in der Tat vernich-
tend ist –, so sehe ich, dass die Schlusslichter im Bereich
der Kinderbetreuung, also im Hinblick auf Kindergärten,
Krippen und Horte, nach wie vor die SPD-regierten Län-
der Niedersachsen und Schleswig-Holstein sowie Ham-
burg sind. Das sind die drei Schlusslichter im Bereich der
Kindergärten. Wenn ich mir anschaue, wie es im Hinblick
auf die Horte aussieht, so stelle ich fest: Niedersachsen
liegt auf dem viertletzten Platz.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: So ist es! Das ist die Wahrheit!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423003200
Frau Kollegin
Böhmer, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin
Wolf?


Dr. Maria Böhmer (CDU):
Rede ID: ID1423003300
Ja, mit Freude, Frau
Wolf. Ich habe schon die ganze Zeit darauf gewartet. Bitte.


Hanna Wolf (SPD):
Rede ID: ID1423003400
Ich musste ja erst auf
das Stichwort warten. Nun haben Sie es gegeben.

Wir haben es doch zusammen im Parlament erlebt:
Können Sie bestätigen, dass der Rechtsanspruch auf einen
Kindergartenplatz durchgesetzt wurde, weil wir eine Re-
form des § 218 verabschiedet haben und dieser Rechtsan-
spruch die vom Bundesverfassungsgericht geforderte
Voraussetzung dafür war und ihn die SPD-Frauen ge-
meinsam mit vielen Frauen aus Ihrer Fraktion erkämpft
haben? Bestätigen Sie, dass es so gelaufen ist?


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Cornelia Pieper [FDP]: Sie haben es der deutschen Einheit zu verdanken, dass es so gekommen ist!)



Dr. Maria Böhmer (CDU):
Rede ID: ID1423003500
Frau Wolf, an dieser
Stelle sage ich Ihnen, dass es die Union auszeichnet, da-
rüber nie nur geredet, sondern stets gehandelt zu haben.


(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der SPD)


Betrachten wir die Situation in den Bundesländern,
so hat als erstes unter den alten Bundesländern das damals
noch unionsregierte Rheinland-Pfalz den Rechtsanspruch
auf einen Kindergartenplatz eingeführt. Von dem, was wir
gemacht haben, zehrt heute noch die SPD in Rheinland-
Pfalz. Deshalb ist die dortige Bilanz im Hinblick auf die




Dr. Maria Böhmer

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Kinderbetreuung besser als in den anderen SPD-Ländern.
Ansonsten ist die Situation in den SPD-Ländern katastro-
phal.


(Zuruf von der SPD: Könnten Sie die Frage beantworten?)


Was die Frauenerwerbstätigkeit anbetrifft – Frau
Wolf, Sie dürfen mir ruhig noch zuhören; das gehört im-
mer noch zu der Antwort auf Ihre Frage –, so möchte ich
als Frau nicht in einem SPD-regierten Land leben.


(Lachen der Bundesministerin Dr. Christine Bergmann)


Die Frauenerwerbsquote ist beispielsweise in Nordrhein-
Westfalen deutlich niedriger als in unionsregierten Bundes-
ländern. Die Spitzenreiter hierbei sind Bayern und Baden-
Württemberg. Das liegt darin begründet, dass sie auch die
Spitzenreiter im Hinblick auf die Versorgung mit Kinder-
gartenplätzen sind. Unter den alten Bundesländern hat Ba-
den-Württemberg die beste Ausstattung mit Kindergarten-
plätzen. Die Bayern haben in diesem Bereich auch einen
Spitzenplatz. Sie haben im Bereich der Krippen zugelegt.
Dort gibt es jetzt Krippenplätze für 3,5 Prozent der Kinder,
in Nordrhein-Westfalen dagegen für nur 2,3 Prozent.

Sie können jetzt gern eine weitere Frage stellen.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423003600
Jetzt gibt es eine
zweite Zwischenfrage der Kollegin Wolf.


Hanna Wolf (SPD):
Rede ID: ID1423003700
Zum Stichwort Krip-
penplätze: Der Bundeskanzler hat vorhin angegeben, wie
viele Krippenplätze es in Bayern gibt. Könnten Sie –
wenn Sie München herausrechnen würden, das bekannt-
lich von der SPD regiert wird – vielleicht bestätigen, dass
es in Bayern dann 0,4 Prozent sind?


(Beifall bei der SPD)



Dr. Maria Böhmer (CDU):
Rede ID: ID1423003800
Liebe Frau Wolf,
dann können wir auch bei Niedersachsen Hannover he-
rausrechnen. In diesem Fall würde dieses Land endgültig
das Schlusslicht bilden. Dort gab es bekanntlich einen Mi-
nisterpräsidenten namens Schröder, der – das will ich Ih-
nen auch noch sagen – jetzt als Bundeskanzler erklärt,
dass er die Ganztagsschule als zentrales Projekt für un-
ser Land ansieht.


(Zuruf von der SPD: Ach ja! Das ist ja sehr interessant!)


Ich halte es für richtig, dass es im schulischen Bereich
mehr Ganztagsangebote gibt. Man muss es aber auch rich-
tig machen, Herr Bundeskanzler. Sie hatten damals die Ge-
legenheit, als Ministerpräsident in Ihrem Land die Wei-
chen entsprechend zu stellen. In Niedersachsen beträgt der
Deckungsgrad bei den Ganztagsschulen ganze 3 Prozent.


(Zuruf von der CDU/CSU: Nichts gemacht hat er! Ein Sprüchemacher ist er!)


In Baden-Württemberg beträgt der Deckungsgrad
6,8 Prozent.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wenn das kein Unterschied ist! Ein Blick nach Nordrhein-
Westfalen, das in puncto Ganztagsschulen immer wieder
als Paradeland genannt wird, zeigt, dass es zwar richtig
ist, dass der Deckungsgrad dort 8,7 Prozent beträgt, dass
es sich aber überwiegend um Gesamtschulen handelt,


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na und! Was heißt das denn?)


sodass die Eltern gar keine Wahl haben, sich für eine be-
stimmte Form von Ganztagsschulen zu entscheiden. Mit
dem Weg, den man dort beschritten hat, wollte man das
Ganztagsschulenprogramm schmackhaft machen.


(Zuruf von der SPD: Das interessiert die Eltern doch gar nicht!)


Wenn das, was uns Ihre Bildungsministerin Frau
Bulmahn derzeit verkündet, wirklich stimmen würde,
nämlich dass Ganztagsschulen den Schlüssel zu einer bes-
seren Bildung darstellten, dann müssten doch die Ge-
samtschulen in Nordrhein-Westfalen das Paradebeispiel
für die beste Bildung sein. Im Zusammenhang mit der
PISA-Studie verweigern sich aber gerade die Gesamt-
schulen der Erhebung. Das spricht doch Bände. Es geht
hier also nicht um die Frage der Organisation, sondern um
die Inhalte.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423003900
Frau Kollegin
Böhmer, Ihre Redezeit ist jetzt etwas überschritten. Ich
bitte Sie, zum Schluss zu kommen.


Dr. Maria Böhmer (CDU):
Rede ID: ID1423004000
Ich will zum Schluss
noch auf eines aufmerksam machen. Frau Schmidt – im-
merhin stellvertretende Vorsitzende der SPD – hat gestern
erklärt, dass die Familien in Deutschland kein Familien-
geld bräuchten,


(Ina Lenke [FDP]: Das hat sie ja abgelehnt!)

sondern Kindergarten- und Ganztagsplätze. Das hat sie im
Zusammenhang mit Akademikerinnen gesagt. Es ist si-
cherlich richtig, dass Akademikerinnen eine andere Aus-
gangssituation haben. Aber, Herr Bundeskanzler, erklären
Sie doch bitte der Verkäuferin im Supermarkt, der Frau
bei VW am Band, der Krankenschwester, der Polizistin
oder der Botin hier im Deutschen Bundestag, dass sie kein
Familiengeld brauchen. Wer ein solches Verständnis von
gerechter Förderung von Familien und Anerkennung ih-
rer Leistungen hat, dem kann ich nur sagen: Es ist gut,
wenn Ihre Zeit hier endet. Denn man kann es nur als Dro-
hung empfinden, dass Ihre Familienpolitik fortgesetzt
würde. Dann wäre es auch weiterhin schlecht um die Fa-
milien in unserem Land bestellt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Zuruf von der SPD: Was haben Sie uns hier eigentlich erzählt?)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423004100
Das Wort für die Frak-
tion des Bündnisses 90/Die Grünen hat die Kollegin Ekin
Deligöz.




Dr. Maria Böhmer
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Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423004200
Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Böhmer, es wun-
dert mich sehr, wenn ausgerechnet Sie beginnen, Zahlen
von Kindergärten miteinander zu vergleichen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Und dann noch richtig!)


– Was heißt denn „richtig“? – Warum wundert mich das?
Wir – und zwar nicht wir alle, sondern die Frauen im Bun-
destag – haben gemeinsam ein Recht auf einen Kinder-
gartenplatz in Deutschland durchgesetzt. Ein Recht auf
einen Kindergartenplatz heißt für mich, dass es eigentlich
ein 100-prozentiges statt ein 98- oder 95- oder 93-pro-
zentiges Angebotsniveau geben müsste. Das ist nichts,
dessen man sich rühmen kann, sondern das sollte ein Min-
deststandard sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ein Kindergartenplatz steht 3- bis 6-Jährigen offen.
Kinderbetreuung fängt aber mit der Kinderkrippe an und
setzt sich fort bis zur Ganztagsschule. Ihr Kanzlerkandi-
dat kommt aus Bayern. Sie haben vorhin ausgeführt, wer
das Recht auf einen Kindergartenplatz als erstes anerkannt
hat; ich sage Ihnen, wer es immer noch nicht umgesetzt
hat: Das ist Bayern. Bayern wehrt sich mit Händen und
Füßen, dieses Recht anzuerkennen und umzusetzen.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Wir haben 100 Prozent Versorgungsgrad!)


– Bayern hat einen Versorgungsgrad nicht von 100 Pro-
zent, sondern von 93 Prozent. Bayern bildet nicht nur ein
Schlusslicht bei den Kinderkrippen und den Kinderhor-
ten, sondern auch bei der Nachmittagsbetreuung und vor
allem bei den Ganztagsschulen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


In Bayern liegt der Anteil der Ganztagsschulen bei
3 Prozent. Das sind in absoluten Zahlen 24 Ganztags-
schulen. Davon sind gerade einmal drei in öffentlicher
Hand. Die restlichen sind in anderer Trägerschaft.


(Zuruf von der FDP: Kommen Sie doch zum Thema!)


Wir reden über die Bilanz der Familienpolitik. Dabei
dürfen wir eine Sache nicht vergessen: Es gibt verschie-
dene Lebenskonzepte. Für uns besteht die Familie nicht
nur aus Mama, Papa und Kind. Die Familie beginnt für
uns auch nicht erst mit dem Trauschein. Für uns stehen
vor allem die Kinder im Mittelpunkt, egal, für welche Le-
bensform sich ihre Eltern entschieden haben, egal, ob sie
allein erziehend sind, ob sie in gleichgeschlechtlichen Le-
benspartnerschaften leben, ob sie verheiratet sind oder
nicht. Im Mittelpunkt muss immer das Wohl der Kinder
stehen.

Vor allem sind für uns alle Kinder gleich viel wert.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Wenn Sie sich darüber beschweren, dass wir das Kinder-
geld für das dritte Kind nicht erhöht haben, dann sage ich

Ihnen: Für das dritte Kind werden bereits 300 DM bzw.
154 Euro an Kindergeld gezahlt. Endlich ist es so weit,
dass alle Kinder in Deutschland beim Kindergeld gleich
viel wert sind. Das war während Ihrer Regierungszeit
nicht der Fall.

Sie greifen uns wegen der Abschaffung des Haus-
haltsfreibetrages fürAlleinerziehende an. Es stimmt, es
gibt dazu eine Entscheidung des Bundesverfassungsge-
richts, und wir haben darauf reagiert. Aber warum gibt
es eine solche Entscheidung des Bundesverfassungsge-
richts? Es gibt sie nicht, weil wir falsch gehandelt haben.
Vielmehr hat Ihr Regierungshandeln uns diese Entschei-
dung eingebrockt. Sie haben die Entscheidung des Bun-
desverfassungsgerichts durch Ihre falsche Politik herbei-
geführt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423004300
Kollegin Deligöz, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Lenke?


Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423004400
Ja,
bitte.


Ina Lenke (FDP):
Rede ID: ID1423004500
Frau Deligöz, ich muss Ihnen wirk-
lich sagen: Es geht mir langsam auf den Keks, wenn der
Bundeskanzler und Sie ständig behaupten, dass das Bun-
desverfassungsgericht schuld daran gewesen sei, dass Sie
den Haushaltsfreibetrag für Alleinerziehende abschaffen
mussten.


Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423004600
Was
heißt hier „schuld“? Von Schuld habe ich nicht gespro-
chen.


Ina Lenke (FDP):
Rede ID: ID1423004700
Frau Deligöz, ich möchte Sie fra-
gen: Hat das Bundesverfassungsgericht der Regierung die
Abschaffung des Haushaltsfreibetrages für Alleinerzie-
hende dezidiert vorgeschrieben?


Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423004800
Frau
Lenke, das Bundesverfassungsgericht hat ganz konkret
gesagt, dass man alle, Verheiratete und Nichtverheiratete,
gleich behandeln solle. Daraus ergeben sich zwei mögli-
che Konsequenzen: Wir hätten den Haushaltsfreibetrag
für alle auf das gleiche Niveau anheben können. Das hätte
allerdings Mehrkosten in Höhe von fast 30 Milliarden
Euro zur Folge gehabt, die wir in Zeiten der Haushalts-
konsolidierung de facto nicht finanzieren können.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Eure Lösung stellt alle schlechter!)


Wir möchten keine Familienpolitik zulasten kommender
Generationen betreiben.


(Zuruf von der CDU/CSU: Aber zulasten der Alleinerziehenden!)







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Die Alternative wäre gewesen, den Haushaltsfreibetrag
komplett abzuschaffen. Das wollten wir auch nicht. Wir
hätten also den Haushaltsfreibetrag ganz abschaffen oder
fast 30 Milliarden Euro herzaubern müssen. Das eine
wollten wir nicht; das andere war nicht möglich. Was ha-
ben wir getan? Für uns stand die Bekämpfung der Armut
im Vordergrund. Deshalb haben wir das Unterhaltsrecht
reformiert. Wir haben das Kindergeld für alle Verdienen-
den in gleichem Maße erhöht. Wir haben die Möglichkei-
ten, die Kosten für die Kinderbetreuung abzusetzen, ver-
bessert. Die Grünen fordern darüber hinaus, dass künftig
die Kinderbetreuungskosten ab dem ersten Euro abgesetzt
werden können.


(Ina Lenke [FDP]: Sie hätten das bezuschussen müssen!)


– Ich zähle Ihnen nicht das auf, was wir haben wollen,
sondern das, was wir gemacht haben.

Wir haben die Gelder im Sinne der Kinderförderung
umgeschichtet. Dabei haben wir alle gleich behandelt. Sie
dürfen nicht Äpfel mit Birnen vergleichen. Es stimmt, die-
jenigen Frauen, die Sozialhilfe beziehen, profitieren von
der Absetzbarkeit der Kinderbetreuungskosten nicht. Es
profitieren nur diejenigen, die Steuern zahlen.


(Abg. Ina Lenke [FDP] nimmt wieder Platz)

– Frau Lenke, ich bin mit meiner Antwort auf Ihre Zwi-
schenfrage noch nicht fertig. Sie können ruhig noch ein
bisschen stehen bleiben.

Wie gesagt, nur diejenigen, die eine hohe Steuerbelas-
tung haben, profitieren von dieser Maßnahme; denn nur
sie können die Kinderbetreuungskosten entsprechend ab-
setzen. Es profitieren also nicht die Sozialhilfeempfänger
und nicht die Bezieher geringer Einkommen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir haben die Gelder im Sinne der Kinderförderung
umgeschichtet, im Sinne derjenigen Familien, die ein ge-
ringes Einkommen haben. Das werden wir auch mit der
geplanten Kindergrundsicherung fortsetzen. Sie sollten
darüber keine Unwahrheiten verbreiten. Mit der Kinder-
grundsicherung wollen wir Familien aus der Sozialhilfe
herausholen. Wir wollen für sie Anreize zur Aufnahme ei-
ner Erwerbstätigkeit schaffen. Eines kann ich Ihnen aber
auch sagen: Die beste Form der Armutsbekämpfung ist
noch immer die Erwerbstätigkeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Die beste Form der Armutsbekämpfung ist noch im-
mer, wenn hoch qualifizierte Frauen berufstätig sein dür-
fen und nicht dazu verdammt werden, am heimischen
Herd zu bleiben und das Haus zu hüten. Genau auf diese
Aspekte gründet sich unsere Kinder- und Familienpolitik.

Ich möchte noch eines hinzufügen: Wir werden die Fa-
milienpolitik oder die Kinderpolitik auf keinen Fall kon-
junkturabhängig gestalten. Diese Regierung hat es, auch
in Zeiten knapper Kassen, in Zeiten der Haushalts-
konsolidierung, geschafft, Milliarden für Kinder zu inve-
stieren. Die Mittel wurden in die Familienpolitik umge-

leitet. Diese Politik werden wir fortsetzen. Die Unterstüt-
zung der Schwächsten in unserer Gesellschaft, unserer
Kinder, die unsere Zukunft sind, und unserer Familien
werden wir ganz bestimmt nicht von einer Konjunktur-
prognose abhängig machen.


(Ina Lenke [FDP]: Eichel hat das gemacht!)

Im Gegensatz zu Ihnen werden wir dies auch nicht von
Goodwillaktionen abhängig machen. Wir werden auch
nicht einfach irgendwelche Konzepte vorlegen, die im
Grunde bewusst falsche Versprechungen sind, weil sie de-
finitiv nicht realisierbar sind. Das wissen Sie genauso gut
wie ich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423004900
Jetzt hat die Kollegin
Ina Lenke, FDP-Fraktion, das Wort.


Ina Lenke (FDP):
Rede ID: ID1423005000
Frau Deligöz, Herr Eichel hat die
Erhöhung des Kindergeldes von den Einnahmen des Bun-
des abhängig gemacht. Von daher ist all das, was Sie ge-
sagt haben, nicht richtig.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gemes-
sen an den großartigen Ankündigungen haben Sie in den
letzten drei Jahren wirklich kleine Brötchen gebacken.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


In der Steuerpolitik haben Sie eine grundlegende Reform
im Sinne der Familien nicht zustande gebracht; ich sage
nur: Steuerklasse V. Sie haben den Zugang für Frauen zum
Arbeitsmarkt durch stringente Gesetze verschärft und Sie
sind für die hohe Arbeitslosigkeit verantwortlich.


(Beifall bei der FDP)

Frau Deligöz hat auf die Wichtigkeit von Arbeitsplät-

zen für Frauen verwiesen. Dem stimme ich zu. Die Grü-
nen haben aber durch eine falsche Wirtschafts- und
Steuerpolitik die Arbeitslosigkeit so hoch getrieben.


(Zuruf von der SPD: Wir haben 1,1 Millionen mehr Arbeitsplätze geschaffen!)


Sie wissen genau, dass eine hohe Arbeitslosigkeit ganz
besonders den Frauen schadet.

Sie haben den Koalitionsvertrag gebrochen, zumindest
haben Sie ihn nicht erfüllt. Ich zitiere:

Ein ausreichendes Angebot an Kindertagesstätten
und Ganztagsbetreuung ist zu gewährleisten.

Was haben Sie in den letzten dreieinhalb Jahren denn ge-
macht? In dieser Beziehung: nichts, nichts, nichts.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Herr Schröder spricht im Zusammenhang mit Familien
nicht umsonst von „Gedöns“. Als Ihre Familienministe-
rin, Frau Bergmann, versuchte, den rot-grünen Koaliti-
onsvertrag umzusetzen, und mehr Geld für die Kinderbe-
treuung forderte, bekam der Finanzminister einen




Ekin Deligöz
22794


(C)



(D)



(A)



(B)


Ohnmachtsanfall. Sie haben für die Familien etwas getan;
aber immer nur so viel, dass Sie die Vorgaben des Bun-
desverfassungsgerichts gerade erfüllten. Sie haben das
nicht freiwillig gemacht, sondern Sie mussten das ma-
chen. Um negative Schlagzeilen zu verhindern, haben Sie
das Urteil laut bejubelt. Das hat aber nichts genutzt. Sie
sprechen von einer Entlastung für die Familien, erheben
aber höhere Steuern. Ich frage mich, wie das Ergebnis
aussieht.

Ich will zum von Ihnen verabschiedeten Zweiten Ge-
setz zur Familienförderung etwas sagen: Sie verabschie-
den eine Kindergelderhöhung, natürlich nur für das erste
und das zweite Kind, in Höhe von 30 DM. Die Familien
mussten diese Erhöhung des Kindergeldes selbst gegenfi-
nanzieren. Was soll denn das? Nur, den Bürgern sagen Sie
etwas anderes. Die Aussage der Familienverbände war
dazu damals: Taschenspielertricks. Ihre Familienpolitik
wurde zum Verschiebebahnhof. Wissenschaftler rechnen
Ihnen vor, dass die Nettoentlastung der Familien insgesamt
gegen null tendiert.

Ich verwahre mich für die FDP gegen Angriffe von Fa-
milienministerin Bergmann, wir griffen dieses Thema erst
kurz vor der Wahl auf. Das ist die Unwahrheit. Frau
Bergmann weiß ganz genau, welche Anträge wir hier, im
Bundestag, gestellt haben.


(Beifall bei der FDP)

Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist eines

der zentralen Ziele liberaler Familien- und Frauenpo-
litik. Populäre Wahlversprechen Ihres Herrn Schröder,
10 000 neue Ganztagsschulen zu schaffen, helfen den
Frauen nicht allein. Ich bitte die Frauen aus der Regie-
rungskoalition, einmal zuzuhören – sie müssten eigentlich
protestieren –: Dieses Versprechen hilft den Frauen, die
Kinder haben und wieder in den Beruf einsteigen wollen,
wenn ihr Kind ein, zwei oder drei Jahre alt ist, überhaupt
nicht. Sollen wir erst einmal sechs Jahre zu Hause bleiben,
bis der schrödersche Goodwill einer Ganztagsschule um-
gesetzt wurde? So geht das nicht.


(Beifall bei der FDP)

Das zeigt, dass Herr Schröder hier zwar eine Regierungs-
erklärung gehalten hat, aber von realer Familienpolitik
keine Ahnung hat.

Wir wollen ein breiteres und flexibleres Angebot an
Kinderbetreuungsplätzen. Wir wollen das für Männer
und für Frauen. Wir haben deutlich gemacht – Cornelia
Pieper hat es auch schon gesagt –: Wir wollen, dass der
Halbtagsplatz, auf den ein Rechtsanspruch besteht, kos-
tenlos zur Verfügung gestellt wird: Denn wir meinen, dass
die Bildung im Kindergarten genauso viel wert ist wie an
der Schule und an der Hochschule, und da wird sie kos-
tenfrei zur Verfügung gestellt.


(Beifall bei der FDP)

Wir werden in der neuen Regierung einen Weg finden, die
Kosten, die den Kommunen entstehen, im Bund-Länder-
Finanzausgleich zu berücksichtigen.

Wir müssen auch andere Formen der Kinderbetreuung
als die staatlich subventionierten Kindergartenplätze

schaffen. Wer hat hier über Tagesmütter als eine Säule der
Kinderbetreuung gesprochen? Wer hat hier von privaten
Einrichtungen gesprochen? Ich sage Ihnen: Staatliche
Kindergartenplätze können die Flexibilität, die Eltern
wollen, überhaupt nicht schaffen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dazu ist von Ihnen auf Bundesebene kein Konzept vorge-
legt worden.

Sie alle, auch Sie von den Grünen, schwafeln hier da-
von, die Kinderbetreuung solle kostenlos sein. Wir haben
dazu einen Antrag im Bundestag vorgelegt. Sie haben ihn
abgelehnt. Warum haben Sie diesen Teil nicht herausge-
nommen und ihm zugestimmt?


(Zurufe)

– Frau Schewe-Gerigk, genau so ist es. Wir können es be-
legen. Es war nicht erst gestern.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423005100
Frau Kollegin Lenke,
Sie müssen bitte zum Schluss kommen.


Ina Lenke (FDP):
Rede ID: ID1423005200
Ich komme jetzt zum Schluss.
Die FDPwill einen Aufbruch in der Familienpolitik. Es

muss ein Ruck durch unser Land gehen. Wir müssen vie-
les gemeinsam machen. Frau Wolf, wir müssen uns von
dem einen oder anderen ollen Zopf trennen. Wir sind von
Folgendem überzeugt, meine Damen und Herren: Kin-
derlärm ist Zukunftsmusik.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423005300
Für die Fraktion der
SPD spricht jetzt die Kollegin Hildegard Wester.


Hildegard Wester (SPD):
Rede ID: ID1423005400
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Wir wollen Deutschland wieder zu
einem kinder- und familienfreundlichen Land machen.


(Rainer Brüderle [FDP]: Das wäre gut!)

Damit leisten wir eine wichtige Investition in die Zukunft
unseres Landes.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Ich sehe nicht, wie!)


Dies hat die rot-grüne Koalition vor dreieinhalb Jahren in
ihre Koalitionsvereinbarung geschrieben.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Und was ist passiert?)


Ich stelle heute fest: Viele Beiträge haben bestätigt,
dass wir eine positive Bilanz ziehen können.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

CSU]: Als Praktiker kann ich das nicht sagen!)

Wir können eine positive Bilanz ziehen, obwohl hier von
vielen Rednern der Opposition das Gegenteil behauptet




Ina Lenke

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(C)



(D)



(A)



(B)


wird. Ich will mich jetzt einmal mit einigen Aussagen, vor
allem von Frau Böhmer und Frau Pieper, befassen.

Frau Pieper, Sie haben gesagt, der Kanzler solle sich an
den Taten messen lassen.


(Cornelia Pieper [FDP]: Richtig!)

Wir haben Ihnen heute eindrucksvoll gezeigt, dass wir das
durchaus können.


(Beifall bei der SPD)

Es war auch der richtige Zeitpunkt, zu dem der Bundes-
kanzler das Wort zur Familienpolitik ergriffen hat, Frau
Böhmer; denn hätte er das zu Beginn der Legislaturperiode
getan, hätte man ihm vielleicht vorwerfen können, er
würde hohle Worte sagen, so wie wir das von den Vor-
gängerregierungen gewohnt waren.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Zum heutigen Zeitpunkt können wir feststellen, dass wir
auf dem Weg zu einer kinderfreundlichen Gesellschaft ein
großes Stück vorangekommen sind.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Leider nicht! – Gegenruf des Abg. Dr. Uwe Küster [SPD]: Ignoranten!)


In der Koalitionsvereinbarung steht neben vielen ande-
ren konkreten Maßnahmen auch die Erhöhung des Kin-
dergeldes um 30 DM zum 1. Januar 1999.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Und die Erhöhung der Benzinrechnung um 100 DM!)


Wenn Sie rechnen können, dann wissen Sie, dass wir die
Koalitionsvereinbarung geschrieben haben, bevor das
Bundesverfassungsgericht das vernichtende Urteil über
Ihre Familienpolitik gesprochen hat.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir hatten es nicht nötig, auf das Verfassungsgerichts-
urteil zu warten.

Wir haben auch keine leeren Versprechungen gemacht.
Sie alle wissen, wann die Wahl war, und Sie alle wissen,
welchen zeitlichen Abstand der 1. Januar 1999 zu diesem
Termin hatte. Es ging nicht schneller und wir haben die
Politik konsequent weitergeführt.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich kann verstehen, dass hier viel Wahlkampf gemacht
wird; unbegreiflich ist mir aber, dass man mit den Ge-
fühlen von Menschen so Schindluder treibt und damit so
unverantwortlich umgeht. Frau Böhmer, bei allem Res-
pekt: Wenn Sie sagen, wir hätten die Witwenrente ge-
strichen, dann ist das unglaublich.


(Dr. Maria Böhmer [CDU/CSU]: Das war doch Ihr Entwurf!)


Wir haben in der Rentenreform zum ersten Mal seit Jahr-
zehnten stärkere Akzente für Kinder gesetzt. Wir haben

für Kindererziehung sogar einen Bonus zur Witwenrente
gegeben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Witwen, die mehrere Kinder erzogen haben, bekommen
eine höhere Witwenrente. Wir haben auch die Rente für
Frauen, die Kinder erziehen und erwerbstätig sind, erhöht,
und egal, ob sie berufstätig sind oder nicht, werden für die
ersten drei Lebensjahre drei Punkte angerechnet. Das wis-
sen Sie genauso gut wie ich.

Dass Sie hier mit den Ängsten der Menschen, sie könn-
ten unter Umständen im Alter in Armut fallen, so unver-
antwortlich umgehen, enttäuscht mich sehr. Das macht
wieder einmal deutlich, dass wir in der Familienpolitik
leider weit davon entfernt sind, mit der Opposition in die-
sem Hause an einem Strang zu ziehen. Ich halte das für
bedauerlich.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zuruf der Abg. Maria Eichhorn [CDU/CSU])


Ihr Versprecher in Form der Feststellung, wir hätten
heute immer noch eine kinderunfreundliche Gesellschaft,
spricht ebenso Bände. Wie Sie es trotz der Diagnose, dass
Sie eine kinderunfreundliche Gesellschaft hinterlassen
haben, wagen können, uns vorzuwerfen, wir hätten nichts
getan, ist mir angesichts der Bilanz, die wir hier vorwei-
sen können, schleierhaft. Sie sollten sich lieber auf den
Weg machen und uns unterstützen.


(Wolfgang Weiermann [SPD]: Die sind doch alle fußkrank!)


Ich habe in den Ausführungen von Ihnen, Frau Böhmer,
und auch in denen von Herrn Merz, der nicht mehr da ist,
konkret vermisst – –


(Ina Lenke [FDP]: Der Schröder ist auch nicht mehr da!)


– Das liegt sehr wahrscheinlich daran – –

(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Herr Merz hat vier Kinder! Der Schröder hat vier Frauen!)


– Unterste Schublade, ehrlich.

(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Ist aber die Wahrheit!)

Da Sie nun mittlerweile alle miteinander entdeckt ha-

ben, dass die Frage der Vereinbarkeit von Familie und
Beruf die zentrale Frage der Familienpolitik ist, frage ich
mich allerdings, wieso weder Sie, Frau Böhmer, noch der
Herr Merz irgendeinen Ton dazu gesagt haben, wie das
Problem vonseiten des Bundes angegangen werden soll.


(Dr. Maria Böhmer [CDU/CSU]: Sie sind doch an der Regierung!)


– Ach, aber Sie wollen doch an die Regierung. Seit wann
kommt man an die Regierung mit hohlen Versprechun-
gen?


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)





Hildegard Wester
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(C)



(D)



(A)



(B)


Gut, ich stelle fest, Sie wollen nicht an die Regierung,
weil Sie keine Konzepte vorweisen können.


(Dr. Maria Böhmer [CDU/CSU]: Nein! Sehen Sie sich doch unsere Haltung zu den Vorschlägen der Bundesfamilienministerin an!)


Ich erwarte – das tun, wie ich glaube, auch die Men-
schen –, dass eine Partei bzw. eine Fraktion, die für sich fa-
milienpolitische Kompetenz in Anspruch nimmt und die
Vereinbarkeit von Familie und Beruf als zentrales Thema
der Familienpolitik ansieht, Lösungsansätze dafür bietet.
Das haben wir getan; der Kanzler hat das heute vorgetra-
gen. Wir lassen uns nicht von denjenigen abhalten, die
nicht zur Lösung beitragen wollen und auf die Kompe-
tenzverteilung in unserem Staat hinweisen. Es gibt Über-
einstimmungen und man kann Vereinbarungen treffen,


(Zuruf des Abg. Wolfgang Dehnel [CDU/CSU])


natürlich unter Beachtung der staatlichen Ordnung. Ich
sehe auch überhaupt kein Problem darin, das gemeinsam
anzupacken. Aber offensichtlich will man es nicht ge-
meinsam tun.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Maria Böhmer [CDU/CSU]: Baden-Württemberg und Bayern gehen bei den Ganztagsschulen voran!)


Wenn Sie in sturer Konsequenz immer wieder behaup-
ten, es gebe in Bayern oder Baden-Württemberg eine
Vollversorgung mit Kindergartenplätzen,


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Ist der Fall! – Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Lesen Sie doch die Zahlen des Ministeriums!)


– lassen Sie mich doch einmal ausreden –, dann zeigt das
eigentlich nur, dass Sie nicht wollen, dass eine Vereinbar-
keit von Familie und Beruf hergestellt wird. Die Plätze,
von denen Sie reden, sind Kindergartenplätze. Das heißt
bei uns im Westen in der Regel immer noch: Plätze für
drei bis vier Stunden am Tag.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Sie leben nicht in der Realität!)


Dass unter dieser Voraussetzung keine einzige Frau und
kein einziger Mann einem vernünftigen Halbtagsberuf
nachgehen kann, wissen Sie genauso gut wie ich.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wenn Sie darin kein Problem sehen, dann kann ich Ihnen
nur entgegnen: Sie meinen es nicht ernst mit Ihrer Aus-
sage, dass die Herstellung von Vereinbarkeit von Familie
und Beruf das wichtigste zu lösende Problem ist.

Es ist heute schon so viel gesagt worden, dass ich
meine vorbereitete Rede beiseite gelegt habe. Zum Ab-
schluss möchte ich Ihnen aber noch eines sagen, obwohl
das schon gesagt worden ist: Sie meinen, mit einem
Familiengeld von 600 Euro, das zudem noch abenteuer-
lich finanziert ist und Fragen hinsichtlich der Wirksam-
keit aufwirft, eine Lösung angeboten zu haben; aber wir
müssen doch erst einmal darüber reden, welcher Gedanke
hinter diesem Vorschlag steckt. Hier haben Sie komi-

scherweise einen konkreten Vorschlag, obwohl Sie vorhin
gesagt haben, Sie brauchten zur Vereinbarkeit nichts zu
sagen, weil Sie nicht an der Regierung seien.


(Dr. Maria Böhmer [CDU/CSU]: Weil wir schon gehandelt haben!)


– Sie haben gehandelt? Wunderbar. – Ich sage Ihnen: Sie
wollen die Frage der Kinderbetreuung mit Ihrem Famili-
engeld so lösen, dass die Frauen in den ersten drei Jahren
und nach Möglichkeit noch länger zu Hause bleiben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU)


Wir wissen doch ganz genau, dass 600 Euro Familiengeld
für die meisten Menschen verdammt viel Geld ist. Viele
mit mittlerem und unterem Einkommen werden sich über-
legen, ob es sich dann überhaupt lohnt, arbeiten zu gehen.
Sie werden aber später, wenn sie nicht arbeiten gegangen
sind, den Anschluss im Beruf verpasst haben. Wenn die
Kinder aus dem Haus sind, werden entsprechende Pro-
bleme auftauchen, die Sie dann vielleicht mit einer hohen
Witwenrente lösen wollen. Oder welche Vorschläge ha-
ben Sie da?


(Dr. Maria Böhmer [CDU/CSU]: Das ist barer Unsinn!)


– Das ist kein Unsinn, das ist die Realität.

(Dr. Maria Böhmer [CDU/CSU]: Hier handelt es sich um Freiheit, dass sich jeder entscheiden kann, wie er will!)


Das bescheinigen Ihnen auch andere. Sie wollen dadurch
die lästige Frage klären, ob und wie Sie sich an der Fi-
nanzierung der Kinderbetreuung beteiligen, und Sie wol-
len auch die lästige Frage der Rollenverteilung in den Fa-
milien klären, und das alles auf Kosten der Frauen und
Kinder. Ich halte das für unverantwortlich.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie haben die Zeichen der Zeit nicht begriffen. Sie ha-
ben nicht begriffen, dass unsere Gesellschaft nur voran-
kommen kann, wenn sich alle mit vereinten Kräften am
wirtschaftlichen, staatlichen und familiären Leben betei-
ligen. Nur dann werden alle Ressourcen, die in den Men-
schen liegen, geweckt und genutzt werden können. Das ist
unsere Politik und in der werden wir fortschreiten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Das war wenig!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423005500
Das Wort für die Frak-
tion der CDU/CSU hat jetzt die Kollegin Maria Eichhorn.


Maria Eichhorn (CSU):
Rede ID: ID1423005600
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will in dieser De-
batte zunächst einmal allen Müttern und Vätern danken;
denn sie sind es, die für unsere Zukunft und damit unse-
ren Generationenvertrag sorgen.




Hildegard Wester

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(C)



(D)



(A)



(B)


Familien eine Zukunft zu geben, das versprach Bun-
deskanzler Schröder 1998. Was ist daraus geworden?
„Mehr Steuergerechtigkeit durch Entlastung von Familien
um 2 500 DM pro Jahr und mehr Kindergeld“, das war
Punkt sieben des Wahlversprechens von Kanzler Schröder.


(Dr. Maria Böhmer [CDU/CSU]: So ist es!)

Ich habe mir eine Karte mit Ihren Wahlversprechen

aufgehoben.

(Christel Humme [SPD]: Gut! Lobenswert!)


Ich werde sie in diesem Wahlkampf immer wieder vor-
zeigen und Sie an Ihren Taten messen. Sie werden sehen,
wie Ihre Bilanz dann aussieht.

Kernstück der gesetzgeberischen Initiativen Ihrer Re-
gierungszeit war das Zweite Gesetz zur so genannten Fa-
milienförderung. Dies ist jedoch keine echte Familienför-
derung, sondern der minimalste Schritt, den Sie bei der
Umsetzung des Bundesverfassungsgerichtsurteils über-
haupt gehen konnten. Ihre Kindergelderhöhung schließt
Familien mit drei und mehr Kindern aus.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Unglaublich! Die gibt es in deren Vorstellungswelt überhaupt nicht!)


Dies ist keine Politik, die Familien fördert.
Was die Alleinerziehenden von Ihrer Politik halten,

haben diese durch den Gang nach Karlsruhe deutlich ge-
macht. Die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts,
Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, ist in Ihrer Re-
gierungszeit erfolgt, aufgrund Ihrer Familienpolitik. Neh-
men Sie das bitte zur Kenntnis!


(Zurufe von der SPD: Was?)

– Selbstverständlich. Die Alleinerziehenden haben sich
auf das Familienförderungsgesetz bezogen, das Sie ver-
abschiedet haben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Der Verband Alleinerziehender Mütter und Väter hat
Ihnen vorgerechnet – er weiß, wovon er redet –, dass Al-
leinerziehende durch die Kürzung des Haushaltsfreibetra-
ges bis 2005 ihre eigene Kindergelderhöhung mit
900 Millionen Euro finanzieren.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Unglaublich!)

Ihre ständig wechselnden Vorschläge zur Förderung

von Familien machen das ganze Desaster Ihrer Familien-
politik deutlich: Am 12. März forderte Renate Schmidt,
dass der Ausbau der Betreuungsangebote Vorrang vor ei-
ner erneuten Erhöhung des Kindergeldes haben solle. Am
13. März, einen Tag später, war zu lesen, dass die Grünen
mit ihrer Familieninitiative gescheitert seien, die steuerli-
che Förderung von Familien jährlich um 600 Milli-
onen Euro auszuweiten. Am 26. März dieses Jahres war
wiederum zu lesen, dass der Bundeskanzler das Kinder-
geld erhöhen und Betreuungseinrichtungen fördern wolle.
Jetzt, drei Wochen später, wollen die Grünen das Kinder-
geld allein für Einkommensschwache um bis zu 100 Euro
pro Kind und Monat erhöhen.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sie haben nichts verstanden!)


Außerdem fordern sie Investitionen zum Ausbau der Kin-
derbetreuung. Ein Finanzierungsvorschlag dazu, Frau
Schewe-Gerigk, fehlt völlig.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich frage Sie, meine Damen und Herren von Rot-Grün:

Was wollen Sie denn nun wirklich? Was gilt denn jetzt in
Ihrer Familienpolitik? Diese Politik ist in höchstem Maße
unglaubwürdig. Sie ist irreführend. Die Wählerinnen und
Wähler wissen nicht mehr, woran sie sind.

Seit dreieinhalb Jahren tragen Sie nun Verantwortung.
Sie haben die Familien nicht entlastet – im Gegenteil.
Durch die Ökosteuer haben Sie den Familien in die Tasche
gegriffen und damit zusätzlich belastet.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Die reine Abzocke!)


Das gilt vor allen Dingen für die Familien auf dem flachen
Land.

Sie planen offensichtlich weiterhin – selbstverständ-
lich erst nach der Wahl –, das Ehegattensplitting einzu-
schränken oder gar abzuschaffen.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist auch gut so!)


Tatsache ist aber, Frau Schewe-Gerigk, dass eine Strei-
chung oder Kappung des Splittings in über 90 Prozent der
Fälle Familien mit Kindern träfe.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Nein! 2,5 Milliarden Euro kappen wir!)


Betroffen wären vor allem die Familien, in denen ein El-
ternteil wegen der Kindererziehung die Erwerbstätigkeit
einschränkt oder darauf verzichtet. Aber auf diese Perso-
nengruppe legen Sie keinen Wert; sie wollen sie gar nicht
fördern; denn schließlich werden die Betreuungskosten
für Kinder nur dann steuerlich berücksichtigt, wenn beide
Eltern erwerbstätig sind.

Das Bundesverfassungsgericht hat am 5. Februar, also
vor kurzer Zeit, klargestellt, dass Kindererziehung, Haus-
arbeit und Erwerbstätigkeit gleichberechtigt nebeneinan-
der stehen. Diese Gleichberechtigung findet aber in Ih-
rer Politik keine Berücksichtigung. Hier unterscheidet
sich die Politik der Union deutlich von der Politik der am-
tierenden Bundesregierung.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Das ist wahr!)

Wir sind der Überzeugung: Wenn sich Eltern bewusst

entscheiden, für eine bestimmte Zeit zugunsten ihrer Kin-
der auf Erwerbstätigkeit zu verzichten, dürfen sie nicht
durch eine Einschränkung der Leistungen bestraft werden.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Das ist der Kernpunkt!)


Wir wollen keine einseitige Bevorzugung der Erwerbs-
tätigkeit. Wir setzen uns für echte Wahlfreiheit ein. Wir
wollen nicht wie Sie Müttern und Vätern durch einseitige




Maria Eichhorn
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(C)



(D)



(A)



(B)


Förderung vorschreiben, wie sie zu leben haben. Wir mei-
nen, dass dies die Eltern selber entscheiden sollen, was sie
auch wollen.

Der Bundeskanzler und diese Regierung haben drei-
einhalb Jahre nichts zur Verbesserung der Vereinbarkeit
von Familie und Beruf getan.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ach du liebe Güte! Sie waren doch im Ausschuss, Frau Eichhorn!)


Kurz vor Toresschluss kommt das Versprechen, 10000 neue
Ganztagsschulen schaffen zu wollen.


(Dr. Maria Böhmer [CDU/CSU]: Wo ist denn der Kanzler?)


Wenn man diesen Vorschlag etwas näher durchleuchtet,
dann stellt man fest: Es gibt keine einheitliche Definition
der Ganztagsschulen. Daher frage ich: Herr Bundeskanz-
ler – er ist nicht mehr anwesend –, an welche Form der
Ganztagsschule denken Sie?


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Es ist keiner mehr da, auch nicht die Ministerin! Nur ein paar Rentner hocken da noch und sonst niemand! Müde Mannschaft!)


Frau Ministerin – auch sie ist nicht mehr anwesend –, wie
viele Lehrer und Fachkräfte müssen dafür eigentlich ein-
gestellt werden? Sagen Sie den Wählerinnen und Wählern
auch, an welchen Stellen Sie bei den Familien wieder
einsparen wollen! Bleiben Sie bei der Wahrheit! Im Übri-
gen wissen Sie ganz genau, dass die Schulen eine Sache
der Länder sind. Angesichts dieser Tatsache kann man
natürlich leicht Versprechungen machen.

Verwunderlich ist, dass die Bundesfamilienministerin,
heute durch einen vielstimmigen Chor unterstützt, ge-
betsmühlenartig wiederholt, dass die Kinderbetreuung
der unter Dreijährigen in Bayern schlecht sei. Ich glaube,
die Ministerin kennt ihre eigene Aufstellung nicht.


(Dr. Maria Böhmer [CDU/CSU]: So ist es!)

Wenn sie nämlich die Aufstellung vom Dezember 2000
gelesen hätte, dann würde sie feststellen, dass Bayern un-
ter den Flächenstaaten bereits heute mit an vorderster
Stelle liegt, was die Betreuung von Kindern von null bis
drei Jahren und die Kindergärten betrifft. Auch im Hort-
bereich liegt Bayern im vorderen Feld.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Wie kann man sich angesichts dieser Zahlen so in die Sonne setzen! Rot werden müssten Sie! Unglaublich!)


Ich lese Ihnen einmal die Vergleichszahlen vor: Laut
Ihrer Statistik vom Dezember 2000 hat Bayern einen Ver-
sorgungsgrad bezüglich der Kinder von null bis drei Jah-
ren von 3,5 Prozent,


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Bei stundenweiser Betreuung! – Dr. Uwe Küster [SPD]: Grässlich, wie Sie Falschmeldungen verbreiten!)


Nordrhein-Westfalen von 2,3 Prozent, Rheinland-Pfalz
von 1,4 Prozent und Schleswig-Holstein von 2,3 Prozent.

Bei Niedersachsen steht in dieser Aufstellung: statistisch
nicht erfasst.


(Beifall der Abg. Ina Lenke [FDP] – Dr. Maria Böhmer [CDU/CSU]: Das spricht ja Bände!)


Ähnliche Zahlen kann ich Ihnen für den Kindergartenbe-
reich und auch für die Betreuung der Schulkinder vorle-
gen. Bitte lesen Sie Ihre eigenen Zahlen nach! Dann ist die
Märchenstunde endgültig vorbei.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Zusätzlich hat die Bayerische Staatsregierung im No-
vember letzten Jahres beschlossen, 313 Millionen Euro
zur Verfügung zu stellen, um diesen Bereich gerade für
Kinder unter drei Jahren und für Schulkinder noch besser
auszustatten.

Ihre Familienpolitik ist ohne Hand und Fuß.

(Hildegard Wester [SPD]: Die ist mit Herz und Verständnis!)

Wir setzen eine Politik dagegen, die durch die Ein-
führung eines Familiengeldes für echte Wahlfreiheit
sorgt. Frau Wester, hören Sie doch endlich mit dem Mär-
chen auf, dass die Mütter mithilfe des Familiengeldes zum
Herd zurückkehren sollen.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Na klar!)


Frau Wester, meine Damen und Herren, wenn Sie genau
nachlesen, können Sie feststellen, dass wir den Anspruch
auf Familiengeld unabhängig von einer Erwerbstätigkeit
vorsehen.


(Hildegard Wester [SPD]: Das weiß ich!)

Das heißt also, wir sorgen für echte Wahlfreiheit. Wir er-
möglichen damit erstmals, dass sich Mütter und Väter frei
entscheiden können.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423005700
Frau Kollegin
Eichhorn, auch Sie muss ich leider darauf aufmerksam
machen, dass Ihre Redezeit abgelaufen ist.


Maria Eichhorn (CSU):
Rede ID: ID1423005800
Ich komme sofort zum
Schluss.

Ein zweiter Punkt unserer Familienoffensive ist die
Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Hier haben wir kei-
nen Nachholbedarf. Vielmehr bauen wir auf dem auf, was
bereits bestand.

Ein dritter Punkt ist die Stärkung der Elternkompetenz.
Der Bundeskanzler hat viele Versprechungen gemacht,

sie aber nicht gehalten. Sie haben die Familien im Stich
gelassen.


(Widerspruch bei der SPD)

Deswegen brauchen wir eine neue Politik.


(Beifall bei der CDU/CSU)





Maria Eichhorn

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(C)



(D)



(A)



(B)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423005900
Die nächste Rednerin
in dieser Debatte ist die Kollegin Irmingard Schewe-
Gerigk für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Kollegen! Frau Böhmer, Frau Eichhorn, ich kann ja ver-
stehen, dass es Ihnen nicht passt, dass wir in den letzten
dreieinhalb Jahren mehr für die Familien erreicht haben
als Sie in 16 Jahren. Aber dass Sie so platt argumentieren,
das ärgert mich schon!


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie bei der SPD – Dr. Maria Böhmer [CDU/CSU]: Aber Sie haben nichts verbessert!)


Rot-Grün hat 1998 nicht nur einen finanzpolitischen,
sondern auch einen familienpolitischen Scherbenhaufen
übernommen. Trotz aller schönen Sonntagsreden über
den Wert der Familie, die Sie, meine Damen und Herren
von der CDU/CSU und der FDP, hier vorgetragen haben,
haben Sie eine Familienpolitik gemacht, die frauenfeind-
lich und verfassungswidrig war. Das steuerfreie Existenz-
minimum war zu niedrig. Die Erhöhung des Kindergeldes
im Jahre 1998 hat Ihnen der Bundesrat aufzwingen müs-
sen. Der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz für
Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren wurde den Frauen
quasi als Entschädigung für den Kompromiss im Hinblick
auf den § 218 StGB gewährt. Herr Merz, der Bund hat be-
schlossen und die Kommunen mussten diesen Rechtsan-
spruch umsetzen. So viel zu Ihrer Politik!


(Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Dafür gab es eine Erhöhung im Länderfinanzausgleich!)


Ihre konservative Heim-und-Herd-politik haben Sie auf
dem Rücken der Frauen ausgetragen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie bei der SPD)


Auch die FDP, die sich jetzt wie ein Chamäleon einen
modernen Anstrich gibt, hat dieser Ideologie 16 Jahre
nichts entgegengesetzt.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Ina Lenke [FDP]: Das stimmt doch gar nicht!)


– Das war in der Zeit, als Sie noch nicht hier waren, Frau
Lenke. – Dabei müssten Sie doch wissen: Junge Frauen
wollen sich nicht länger entweder für eine Berufstätigkeit
oder für eine Familie entscheiden müssen. Sie wollen –
wie Männer auch – beides. Ist das nicht zu vereinbaren,
entscheiden sich viele Frauen gegen Kinder. Heute ist be-
reits jede dritte Frau kinderlos. Die Frauen sind in einen
stillen Gebärstreik getreten und das ist das Ergebnis Ihrer
Politik. Dieses Erbe haben wir übernommen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie bei der SPD)


Heute überschlagen sich nahezu alle Parteien bei der
Frage, wer wohl am meisten für die Familien tut. Kon-
kurrenz belebt zwar das Geschäft und Opposition macht
spendabel, wie wir gehört haben. Aber was gut gemeint

ist, ist noch lange nicht gut. Das Familiengeld der CDU
in Höhe von 600 Euro – die CSU nennt es ehrlicher Fa-
miliengehalt;


(Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Wo haben Sie denn das gelesen? Welche Märchen erzählen Sie denn?)


das schreibt das alte Rollenbild fest – schafft Anreize, sich
zwischen Familienarbeit und Erwerbsarbeit zu entscheiden.


(Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Das sind doch Unwahrheiten!)


– Da können Sie noch so viel schreien, Frau Eichhorn.
Aber genau das wollen die Frauen nicht. Die Frauen wol-
len beides.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Ilse Falk [CDU/CSU]: Die Kinder wollen beides: Mutter und Vater!)


Zu Lohn für Hausarbeit – dabei ist der Staat der Arbeitge-
ber – sagen die Frauen: Nein danke. Herr Stoiber, das kön-
nen Sie vielleicht den Frauen im Komödienstadl verkau-
fen; aber die jungen Frauen wollen so etwas nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Maria Eichhorn [CDU/ CSU]: Lassen Sie die Eltern selber entscheiden! Schreiben Sie ihnen nichts vor!)


– Frau Eichhorn, hören Sie zu!
Vier Kindertagesplätze in Bayern für 1 000 Kinder im

Alter unter drei Jahren, das ist ein Armutszeugnis!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Gerd Müller [CDU/ CSU]: Es gibt auch noch Kinder, die in funktionierenden Familien leben wollen! – Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Haben Sie die offizielle Statistik gelesen?)


– Ich habe die Statistik hier. Ich habe von den Tagesplät-
zen gesprochen.

Bei der FDP ist alles unentgeltlich: Einkommen bis zu
30 000 Euro sollen für eine Familie mit zwei Kindern
steuerfrei sein. Erst danach gelten die Steuersätze in Höhe
von 15, 25 und 35 Prozent. Kindergärten sind natürlich
gebührenfrei. Die Absetzbarkeit der Betreuungskosten ist
überhaupt keine Frage.


(Cornelia Pieper [FDP]: Wir sind eine soziale Partei!)


Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der FDP, Sie
müssen sich schon entscheiden: Entweder Sie nehmen
keine Steuern ein – dann können Sie auch keine kosten-
lose Betreuungseinrichtung schaffen – oder aber die Be-
treuung ist kostenlos; dann brauchen Sie auch Steuerein-
nahmen. So sind Sie einfach opportunistisch und
unglaubwürdig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423006000
Frau Kollegin
Schewe-Gerigk, aus den Reihen der FDP gibt es jetzt eine






(C)



(D)



(A)



(B)


Frage, und zwar von der Kollegin Lenke. – Wie ich sehe,
lassen Sie die auch zu.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Nein! Jetzt ist keine Zeit! Die hatte doch schon Redezeit!)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Ina Lenke (FDP):
Rede ID: ID1423006100
Frau Schewe-Gerigk, da sieht man,
wie nachlässig Drucksachen und Pressemitteilungen von
anderen durchgelesen werden.


(Zuruf von der SPD: Fragen!)

Sie haben gesagt, wir hätten gefordert, dass alle Kinder-
gartenplätze gebührenfrei sein sollen. Ich möchte Sie jetzt
aufklären und sagen: Der Rechtsanspruch auf einen Kin-
dergartenplatz, der vier Stunden umfassen soll, soll ge-
bührenfrei sein, weil wir mehr Bildungspolitik im vor-
schulischen Bereich wollen.


(Christel Humme [SPD]: Das hat aber Westerwelle anders gesagt!)


Von daher bitte ich Sie, das zur Kenntnis zu nehmen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Kenntnis genommen. Frau Pieper hat vorhin in Ihrer Er-
klärung für die FDP gesagt: Kindergärten sollen ge-
bührenfrei sein.


(Cornelia Pieper [FDP]: Sie haben meiner Rede nicht zugehört!)


Sie hat nicht gesagt „alle Kindergärten“, sie hat gesagt:
Kindergärten.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Da sagt jeder was anderes!)


Das betrifft die Kinder zwischen drei und sechs Jahren.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS SES 90/DIE GRÜNEN)

Mit dem Regierungswechsel hat Rot-Grün einen Fokus

auf das Leben mit Kindern gelegt, sowohl materiell – jetzt
hören Sie einfach einmal zu: Es gab 13 Milliarden Euro
Mehrausgaben für die Familie seit 1998 – als auch struk-
turell: Eltern können nun gemeinsam während der El-
ternzeit drei Jahre lang ihre Arbeitszeit bis auf 30 Stun-
den reduzieren. Ich hoffe, dass dieses Angebot auch von
vielen Vätern dafür genutzt wird, mehr Zeit mit ihren Kin-
dern zu verbringen. Uns reicht das nicht aus. Wir Bünd-
nisgrünen wollen die Kinderarmut mit einer Kinder-
grundsicherung bekämpfen, die Kinderbetreuung für
Kinder zwischen null und 14 Jahren flächendeckend auf-
bauen, aber auch inhaltlich aufwerten, um zum einen
Chancengleichheit für die Kinder – ich nenne nur das
Stichwort PISA– und zum anderen Chancengleichheit für
Frauen auf dem Arbeitsmarkt zu schaffen.


(Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Sie sagen so, die SPD sagt anders und Renate Schmidt sagt wieder anders! Was gilt denn eigentlich?)


Ferner wollen wir die Kinderbetreuungskosten ab dem
1. Euro steuerlich absetzbar machen; das hilft insbeson-
dere den Alleinerziehenden.

Dass diese ehrgeizigen Pläne weder der Bund noch die
Länder, noch gar die Kommunen allein umsetzen können,
leuchtet ein; das müsste eigentlich auch Herr Merz wis-
sen. Er sollte nicht davon sprechen, wer wohl wofür zu-
ständig ist; er sollte froh sein, wenn sich der Bund endlich
einschaltet und Geld gibt.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Der hat das Geld gar nicht!)


Darum brauchen wir einen föderativen Kindergipfel;
die Familienministerin hat schon davon gesprochen. Die-
ser Kindergipfel muss alle Ebenen an einen Tisch bringen.
Dazu kommt: Wir müssen von alten Privilegien Abschied
nehmen.

Sie haben vorhin gefragt: Wie wollen Sie das alles fi-
nanzieren? Wir halten das Ehegattensplitting für unge-
recht, weil es die Ehe subventioniert und nicht die Familie.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: So ist es!)


Ein Paar mit einem hohen Einkommen des Ehemannes
und einem niedrigen der Ehefrau ohne Kinder kann einen
Vorteil von bis zu 1 000 Euro haben, während ein Paar, das
unverheiratet zusammenlebt und Kinder hat, von diesem
Ehegattensplitting nichts hat.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Die brauchen doch bloß zu heiraten!)


Das ist Ihre Ideologie. Wir wollen das Leben mit Kindern
fördern; und nicht den Trauschein.

Lassen Sie mich zum Schluss noch Folgendes sagen
– das Licht der Präsidentin hat schon aufgeleuchtet –:


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423006200
Die Redezeit ist schon
abgelaufen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

und Beruf“ aufgelegt, das hervorragend gelaufen ist. In
der nächsten Legislaturperiode brauchen wir ein neues
Programm, das heißen muss: Mann und Familie.


(Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Und eine neue Regierung! – Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Und eine neue Ministerin brauchen wir!)


Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423006300
Letzte Rednerin in
dieser Debatte ist die Kollegin Christel Humme für die
SPD-Fraktion.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Wo ist eigentlich die Ministerin bei der Familiendebatte hingeflüchtet? Kann man das einmal feststellen? Es sitzt keiner mehr da, der von der Sache etwas versteht!)





Vizepräsidentin Petra Bläss

22801


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(B)


– Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend ist durch die Parlamentarische Staatssekretä-
rin Dr. Edith Niehuis vertreten.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Die kenne ich gar nicht!)



Christel Humme (SPD):
Rede ID: ID1423006400
Das liegt aber an Ihnen.

(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Die hat sich hier noch gar nicht zu Wort gemeldet! – Gegenruf des Abg. Joachim Poß [SPD]: Lassen Sie uns mal weitermachen und nicht den doofen Quatsch von Herrn Müller oder wie er heißt hören!)


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe
Kolleginnen! Die Parteien haben die Familien entdeckt, so
der Tenor der Berichterstattung in den Medien in den letz-
ten Tagen und Wochen. Die Debatte heute hat gezeigt: Die
SPD und auch die Grünen können damit nicht gemeint
sein; denn bei uns stehen die Familien seit eh und je im
Vordergrund der Politik. Gemeint sein können nur Sie von
der Union und FDP; denn heute wetteifern Sie, meine ver-
ehrten Herren und Damen von der Opposition, um die
Gunst der Familien und überbieten sich gegenseitig. Ich
hatte phasenweise den Eindruck: Wir sind nicht im Deut-
schen Bundestag, sondern auf einem orientalischen Basar.

Familienpolitik ungenügend, so lautete das Urteil des
Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1998 über Ihre
Politik. Darüber täuscht auch nicht die Milchmädchen-
rechnung Ihres Fraktionsvorsitzenden Friedrich Merz
hinweg, nach der Sie in Ihrer Regierungszeit die Ausga-
ben für Familien von 27Milliarden DM auf 75 Milliarden
DM erhöht hätten.


(Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Trotz Wiedervereinigung!)


Das sind 12 Milliarden DM pro Legislaturperiode. Wir
haben in dieser Legislaturperiode für die Familien das
Doppelte ausgegeben. Dass Ihnen das nicht passt, ist klar.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ihre Politik bedeutete eine eklatante soziale Schieflage
zuungunsten der Familien. Die Familien hatten ein be-
sonders hohes Armutsrisiko. Ihr größtes Problem war die
Vereinbarkeit von Familie und Beruf; denn Deutschland
war und ist – das muss man zugeben – in Sachen Ganz-
tagsbetreuung ein Entwicklungsland.


(Ina Lenke [FDP]: Ist noch ein Entwicklungsland!)


Das ist eine weitere Folge Ihrer falschen Weichenstellung
in der Familienpolitik.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Blick auf die
westdeutschen Bundesländer zeigt – wir haben das heute
schon an verschiedenen Stellen gehört –, dass es für El-
tern in den unionsregierten Ländern Baden-Württemberg
und Bayern am schwierigsten ist, einen Betreuungsplatz
zu bekommen.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Da lache ich ja!)


Dass es anders geht – Frau Pieper, ich bitte Sie jetzt, ganz
besonders zuzuhören –,


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Es ist ganz gut, dass Sie nicht dort leben müssen!)


zeigt ein Land wie Sachsen-Anhalt. Sie haben gesagt,
das Hortgesetz sei abgeschafft worden.


(Ulrike Flach [FDP]: Natürlich!)

Sie haben aber vergessen, zu sagen, warum es abgeschafft
worden ist; denn im Hinblick auf Betreuungsplätze ist
Sachsen-Anhalt Spitze.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Hier hat die SPD-Regierung unter Ministerpräsident
Höppner vorbildlich gehandelt


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

und für Kinder im Alter von null bis zwölf Jahren einen
Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung eingeführt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Dann braucht man keinen Hort mehr und kann das Hort-
gesetz abschaffen.


(Beifall bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423006500
Frau Kollegin
Humme, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeord-
neten Pieper?


Christel Humme (SPD):
Rede ID: ID1423006600
Sie kann zum Schluss eine
Kurzintervention machen, wenn sie will. Wir haben die
Zeit schon weit überschritten.


(Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Sie trauen sich nicht!)


Meine Herren und Damen von der Union und der FDP,
noch im Jahre 1997 waren Sie nicht bereit, das Kindergeld
um 30 DM auf 250 DM zu erhöhen. Heute, auf den be-
quemen Oppositionsbänken tönen Sie ganz anders.
600 Euro Familiengeld pro Kind wollen Sie von der
CDU/CSU, 7 500 Euro Grundfreibetrag pro Kind wollen
Sie von der FDP. Das sind zurzeit die utopischen Höchst-
angebote.

Gestern stand in meiner Rede noch: Die Antwort auf
die Frage nach der Finanzierung bleiben Sie schuldig, Sie
blenden sie völlig aus. Heute habe ich in der Debatte ge-
lernt, was Sie wirklich wollen: Sie wollen Arbeitslose ge-
gen Kinder oder Bundeswehr gegen Kinder aufrechnen.
Das ist unseriös finanziert.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie verabschieden sich aus dem Kreis derjenigen, die
ernsthaft und glaubwürdig Politik machen.

Frau Böhmer, Sie wollen Familienpolitik aus einem
Guss. Ich denke, Ihr Familiengeld ist Familienpolitik aus
einem Guss, nämlich aus dem Guss der Gießkanne, es ist




Vizepräsidentin Petra Bläss
22802


(C)



(D)



(A)



(B)


völlig unabhängig von der Einkommenssituation der El-
tern. Das ist ungerecht.


(Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Jedes Kind ist gleich viel wert, haben Sie einmal gesagt! Das haben Sie wohl vergessen!)


Ihr Familiengeld ist rückwärts gewandt – das hat Frau
Wester schon dargestellt –, denn Sie schaffen wieder ein-
mal für Frauen den Anreiz, langfristig aus der Erwerbs-
tätigkeit auszusteigen. Damit stellen Sie Frauen wissent-
lich eine Falle, eine Falle aus schlechten Erwerbs- und
Einkommenschancen, aus der sie sich oft ein Leben lang
nicht befreien können. Andererseits schaffen Sie Anreize
für eine ausschließliche Betreuung in der Familie. Das ist
ein bildungspolitischer Irrweg, wie wir spätestens seit
PISAwissen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren von der FDP, Ihre Vorstel-

lungen von 7 500 Euro Steuerfreibetrag pro Kind sind
ebenso dürftig. Wie Sie dieses Steuergeschenk finanzie-
ren wollen, ist mir in dieser Debatte völlig verschlossen
geblieben. Reine Freibetragslösungen sind außerdem un-
gerecht; denn sie begünstigen ausschließlich Gutverdie-
nende. Den Familien mit niedrigen und mittleren Ein-
kommen nützen sie überhaupt nichts. Da bleiben Sie Ihrer
Politik absolut treu.


(Dirk Niebel [FDP]: Das ist Quatsch!)

Frau Eichhorn hat gerade gesagt, sie wolle eine Fami-

lienpolitik mit Hand und Fuß. Lassen Sie uns eine Fami-
lienpolitik mit Herz und Verstand machen!


(Beifall bei der SPD – Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Ihre Politik hat nicht Hand und nicht Fuß!)


Familienpolitik mit Herz heißt, Deutschland zu einem
kinder- und familienfreundlichen Land zu machen. Dies
haben wir im Ansatz schon erreicht. Familien haben nach
vier Jahren SPD-geführter Regierung spürbar mehr Geld
im Portemonnaie.


(Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Sie waren enttäuscht!)


Frau Eichhorn, Sie haben gesagt, wir hätten nichts für
dieVereinbarkeit von Familie und Beruf getan. Wir ha-
ben vieles getan.


(Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Wo denn?)

Mit dem Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit, der Flexibili-
sierung – das ist das eigentliche Kernziel – der Elternzeit
und der Absetzbarkeit der erwerbsbedingten Betreuungs-
kosten haben wir große Schritte hin zur Vereinbarkeit von
Familie und Beruf gemacht. Dies ist die richtige Wei-
chenstellung in der Familienpolitik.

Familienpolitik mit Verstand heißt: Wir konzentrieren
uns auch vor dem Hintergrund knapper Kassen auf fami-
lienpolitische Schwerpunkte und setzen die zur Verfü-
gung stehenden Mittel effizient ein. Der bedarfsgerechte
Ausbau von Ganztagsbetreuungsangeboten wird der we-
sentliche Schwerpunkt, das zentrale familienpolitische
Projekt der nächsten Jahre sein. Damit eröffnen wir Kin-

dern und Jugendlichen bessere Bildungs-, Frauen bessere
Erwerbs- und Einkommenschancen und wir stärken den
Wirtschaftsstandort Deutschland.

Es ist klar, dass wir die Herkulesaufgabe, die Ganz-
tagsbetreuung auszubauen, nicht allein den Kommunen
und Ländern aufbürden dürfen. Wir müssen uns als Bund
beteiligen. Deshalb ist der Ansatz, 4 Milliarden Euro zu-
zuschießen, völlig richtig.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ein weiterer Schwerpunkt der zukünftigen Arbeit wird
die gezielte Förderung von Kindern aus einkommens-
schwachen Familien sein. Eine solche Lösung ist sozial
gerecht, bekämpft Kinderarmut und stärkt die Selbsthilfe-
kräfte der Familien. Sie hilft vor allem den Alleinerzie-
henden. Besonders der Ausbau der Ganztagsbetreuungs-
angebote wird die Selbsthilfekräfte der Familien stärken.
Dies nenne ich intelligente und effiziente Familienpolitik,
die gleichzeitig nachhaltig in die Zukunft wirkt.

Die Menschen in Deutschland wissen ganz genau, wer
etwas für die Familien tut und wer nur über Familienför-
derung redet. Deshalb werden wir von Berlin aus – davon
bin ich fest überzeugt – auch nach dem 22. September
weiter für ein kinder- und familienfreundliches Deutsch-
land sorgen.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423006700
Bevor ich die Aus-
sprache schließe, erteile ich jetzt der Kollegin Cornelia
Pieper zu einer Kurzintervention das Wort.


Cornelia Pieper (FDP):
Rede ID: ID1423006800
Vielen Dank, Frau Präsiden-
tin. – Punkt eins: Alle, die hier in der Familiendebatte ge-
sprochen haben, insbesondere von der SPD-Bundestags-
fraktion, und nicht aus Sachsen-Anhalt kommen, wissen
alles besser, was in Sachsen-Anhalt zu tun ist, als diejeni-
gen, die dort zu Hause sind.


(Beifall bei der FDP)

Punkt zwei: Ich möchte auf den Vorwurf von eben rea-

gieren. Ich war von 1990 bis 1994 Landtagsabgeordnete
in Sachsen-Anhalt und habe für die FDP-Fraktion im
Landtag Familienpolitik gemacht.


(Christel Riemann-Hanewinckel [SPD]: Das ist acht Jahre her, Frau Pieper!)


Ich selbst war an der Erarbeitung des Kindertagesstätten-
gesetzes beteiligt, welches einen Rechtsanspruch auf einen
Kindergartenplatz von Anfang an verankert hat. Wir haben
damals mit Beteiligung der FDP an der Landesregierung
durchgesetzt, dass die Kindergartenplätze vom Land mit
60 Prozent bezuschusst worden sind. Dies wurde mit
Übernahme der Regierung Höppner, natürlich mithilfe der
PDS, 1996 wieder abgeschafft. Die Kosten wurden über
Gebühren gedeckt, mit nun entsprechend höheren Stan-
dards bei den Kindergärten in Sachsen-Anhalt.




Christel Humme

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(C)



(D)



(A)



(B)


1992 gab es ein Schulhortgesetz, welches ich für die
FDP-Fraktion eingebracht habe, allerdings – das gebe ich
zu – nicht mit unserem damaligen Koalitionspartner
Union, aber mit einer großen Mehrheit im Landtag; übri-
gens auch mit Zustimmung der SPD-Landtagsfraktion.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist keine Kurzintervention! Sie zählt Ihre Verdienste von Anno Tobak auf! – Joachim Poß [SPD]: Wen interessiert das, was Sie damals getan haben?)


1997 ist dieses Gesetz, das seinerzeit galt, von Reinhard
Höppner mit der PDS abgeschafft worden. Die Kommu-
nen und die Eltern dürfen jetzt mit hohen Gebühren dafür
bezahlen.

Ich stelle fest: Es nutzt überhaupt nichts, dass wir uns
hier gegenseitig Schuldzuweisungen machen. Lassen wir
die Polemik,


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist keine Kurzintervention!)


tun wir lieber mehr für die Kinder in diesem Land und
konzentrieren uns auf die Probleme!

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423006900
Zur Erwiderung Frau
Kollegin Humme, bitte.


Christel Humme (SPD):
Rede ID: ID1423007000
Frau Pieper, es ist schön,
dass Sie uns ein wenig darüber belehren wollen, wie es in
Sachsen-Anhalt zugeht.


(Cornelia Pieper [FDP]: Ein Glück! – Dirk Niebel [FDP]: Da haben Sie etwas gelernt!)


Nichtsdestotrotz ist Sachsen-Anhalt nach wie vor SPD-
regiert. Sachsen-Anhalt hat unter der von Ministerpräsi-
dent Höppner geführten SPD-Regierung als einziges
Bundesland in Deutschland – das halte ich für wichtig und
entscheidend – den Rechtsanspruch auf eine Kinderbe-
treuung durchgesetzt.

Sie reden vom Kindergarten. Es ist klar, dass es einen
Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz für die Drei-
bis Sechsjährigen gibt.


(Cornelia Pieper [FDP]: Sie wissen es nicht! Vergessen Sie es!)


Ein Rechtsanspruch auf die Betreuung für Kinder im Al-
ter von null bis zwölf Jahren ist eine tolle Sache. Das hilft
den Frauen und Männern, die Familie und Beruf in Sach-
sen-Anhalt miteinander vereinbaren wollen. Um nichts
anderes geht es.

Danke.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Gerd Müller [CDU/ CSU]: Der Rechtsanspruch hilft am meisten, wenn man einen Arbeitsplatz hat!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423007100
Ich schließe die Aus-
sprache.

Es wurde beantragt, den Entschließungsantrag der
Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
auf Drucksache 14/8790 zur federführenden Beratung an
den Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
und zur Mitberatung an den Finanzausschuss, den Haus-
haltsausschuss, den Ausschuss für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung sowie an den Ausschuss
für Arbeit und Sozialordnung zu überweisen. Sind Sie da-
mit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Über-
weisung so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a und 4 c bis g so-
wie die Zusatzpunkte 3 und 4 auf:
4 a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

richts des Ausschusses für Angelegenheiten der
neuen Länder (17. Ausschuss) zu dem Antrag
der Abgeordneten Cornelia Pieper, Jürgen Türk,
Dr. Karlheinz Guttmacher, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der FDP
Offensive für Zukunftsinvestitionen in neuen
Bundesländern starten – Abwanderung stop-
pen – Zehnpunkteprogramm für den Aufbau
Ost
– Drucksachen 14/6066, 14/8569 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Sabine Kaspereit
Günter Nooke

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten CorneliaPieper, Hildebrecht Braun (Augsburg), Jörg vanEssen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion derFDP
Perspektiven für die deutschen Waggonbau-
standorte verbessern
– Drucksache 14/7833 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder

d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Wirtschaft und Techno-logie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord-neten Christel Riemann-Hanewinckel, ManfredHampel, Reinhard Weis (Stendal), weiterer Abge-ordneter und der Fraktion der SPD sowie der Ab-geordneten Werner Schulz (Leipzig), AndreaFischer (Berlin), Antje Hermenau, weiterer Ab-geordneter und der Fraktion des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN
Waggonbaustandorte erhalten
– Drucksachen 14/7973, 14/8519 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Ulrich Klinkert

e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Angelegenheiten derneuen Länder (17. Ausschuss) zu dem Antrag derFraktion der PDS




Cornelia Pieper
22804


(C)



(D)



(A)



(B)


Verlässliche Perspektiven für Ostdeutschland
und auch für die westdeutschen Steuerzahlen-
den sichern
– Drucksachen 14/6492, 14/8567 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Sabine Kaspereit
Günter Nooke

f) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Wirtschaft und Techno-logie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord-neten Gerhard Jüttemann, Monika Balt, PetraBläss, weiterer Abgeordneter und der Fraktion derPDS
Gleichstellung der von Strukturkrisen betroffe-
nen Bergleute in Ost und West
– Drucksachen 14/2385, 14/4691 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Werner Labsch

g) Beratung des Antrags der Abgeordneten KlausHaupt, Jürgen Türk, Dr. Irmgard Schwaetzer, wei-terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Für ein faires Rentenrecht für das ehemaligemittlere medizinische Personal
– Drucksache 14/7612 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f)

Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder

ZP 3 Erste Beratung des von den Abgeordneten
Dr. Michael Luther, Manfred Grund, Günter
Nooke, weiteren Abgeordneten und der Fraktion
der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur dringlichen Sicherung von Werkun-
ternehmeransprüchen und zur verbesserten Durch-

(Forderungssicherungsgesetz – FoSiG –)

– Drucksache 14/8783 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Haushaltsausschuss

ZP 4 Beratung des Antrags der Fraktion der PDS
Ostdeutsche Löhne und Gehälter im öffentli-
chen Dienst bis zum Jahre 2007 stufenweise auf
das Niveau der alten Bundesländer anheben
– Drucksache 14/8791 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder (f)

Innenausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen, wobei die
FDP-Fraktion 15 Minuten erhalten soll. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Erste Rednerin ist die Kol-
legin Cornelia Pieper für die FDP-Fraktion.


(Susanne Kastner [SPD]: Schon wieder die Pieper! – Dr. Rainer Wend [SPD]: Hat es einen Grund, dass sie heute einen Dauerauftritt hat?)



Cornelia Pieper (FDP):
Rede ID: ID1423007200
Frau Präsidentin! Meine Da-
men und Herren! Zum wiederholten Male geht es in die-
sem Jahr um die wirtschaftliche Situation der neuen Bun-
desländer. Diese Diskussionen sind brisant.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Das dritte Mal in vier Sitzungswochen!)


– Herr Küster, ich habe schon gesagt, dass seitens der
Bundesregierung nicht Brüllen und Polemik, sondern
Handeln gefragt ist.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Lachen bei der SPD)


Das vermissen wir bei Ihnen.
Ich habe mich schon gewundert, warum der Kanzler

keine Regierungserklärung zum Aufbau Ost abgibt.
Wahrscheinlich hat er sich davor gedrückt. Vielleicht
wollte er das Thema auf die nächste Generation verschie-
ben. Deswegen hat er sich heute wohl die Familienpolitik
vorgenommen. Wo ist eigentlich Ihr Bundeskanzler?


(Dr. Rainer Wend [SPD]: Ministerpräsidentin von Legoland!)


– Lieber Herr Kollege, bezüglich der Ministerpräsiden-
tenkandidatur in Sachsen-Anhalt sage ich Ihnen nur:
Sachsen-Anhalt hätte gerne einen neuen Minister-
präsidenten; denn unter Reinhard Höppner ist das Land
wirtschaftlich in eine Sackgasse geführt worden.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dirk Niebel [FDP]: Noch besser wäre eine Ministerpräsidentin!)


Beruhigen Sie sich, vielleicht arbeiten wir auch einmal
gemeinsam an dem Thema Aufbau Ost.

Die ruhige Hand des Kanzlers ist schon sprichwörtlich
geworden. Manchmal wünsche ich mir, dass er die Hand
wirklich ruhig halten würde, damit er den Menschen im
Osten nicht durch eine verfehlte Arbeitsmarkt- und
Wirtschaftspolitik noch zusätzliche Knüppel zwischen
die Beine wirft.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wie gesagt: Jetzt macht der Kanzler die Familienpoli-
tik zum Wahlkampfthema. Wir als FDP-Bundestagsfrak-
tion haben ein ganz klares Zehnpunkteinvestitionspro-
gramm für die neuen Bundesländer vorgeschlagen. Ein
gravierendes Problem in den neuen Bundesländern, gegen
das die Bundesregierung offenbar keine Konzepte hat und
das im Westen schlicht und einfach ignoriert wird, ist die
dramatische Abwanderung.

Vor allem die jungen und qualifizierten Menschen ver-
lassen mehr und mehr ihre angestammte Heimat, weil sie
dort keine wirtschaftliche Perspektive mehr sehen und




Vizepräsidentin Petra Bläss

22805


(C)



(D)



(A)



(B)


keine Arbeitsplätze finden. 1999 betrug der Abwan-
derungssaldo minus 43 600. Fast 60 Prozent davon waren
Menschen im Alter zwischen 18 und 25 Jahren.


(Zuruf von der FDP: Das ist das Schlimme!)

Der Sog in den Westen nimmt weiter zu. Zuletzt vermel-
dete Mecklenburg-Vorpommern für 2001 einen Anstieg
der Abwanderung um 13 Prozent.


(Zuruf von der FDP: Das ist keine normale Mobilität!)


Der Herr Bundeskanzler verstärkt diese Abwanderung
mit seiner Regierungspolitik, indem den Menschen Prä-
mien dafür gezahlt werden, dass sie ihre Heimat in Ost-
deutschland verlassen. Das ist verantwortungslos.


(Zuruf von der SPD: Sie sind verantwortungslos!)


Wir müssen eine Politik machen, die Rahmenbedingun-
gen dafür schafft, dass in den neuen Bundesländern
Arbeitsplätze entstehen, anstatt hinzunehmen, dass die
jungen Leute weggehen müssen, weil sie keine Arbeits-
plätze finden.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Sie, meine Damen und Herren von der Regierungs-

koalition, haben dafür gesorgt, dass das Jugendsofort-
programm – für das auch ich bin; denn es geht ja
grundsätzlich darum, jungen Menschen zu helfen, Aus-
bildungs- und Arbeitsplätze zu finden – jetzt auch die
Zahlung so genannter Mobilitätshilfen umfasst, die wir
schon aus dem SGB III kennen. 88 Prozent der Jugendli-
chen erhielten die Mobilitätshilfe als reine Prämie. Wer
jung und qualifiziert ist, ist ohnehin mobil. Wer einen gut
bezahlten Job im Westen findet, braucht nicht zusätzlich
eine Prämie dafür zu erhalten, dass er den Osten verlässt.
Stattdessen müssen wir dieses Geld in den ersten Arbeits-
markt der jeweiligen Regionen in Ostdeutschland inves-
tieren. Wir können damit Existenzgründer mit innovati-
ven Geschäftsideen fördern und so dort Arbeitsplätze
schaffen, wo sie fehlen. Nur so können wir den Osten auf
Dauer stärken und verhindern, dass er ausblutet. Ich
denke auch daran, dass gerade die Geburtenrate drastisch
eingebrochen ist. Allein in Sachsen werden wir im
Jahr 2009 nur noch die Hälfte der Schulabgänger im Ver-
gleich zu heute haben.

Wir brauchen für die neuen Bundesländer innovative
Strategien. Der wirtschaftliche Aufschwung ist mit der
Entwicklung einer leistungsfähigen Infrastruktur in den
neuen Ländern untrennbar verbunden. Hier liegt einiges
im Argen. Der ehemalige Präsident der Wissenschaftsge-
meinschaft Leibniz Professor Pobell hat im letzten Jahr in
der „Süddeutschen Zeitung“ die Situation des Wissen-
schaftsstandorts neue Bundesländer wie folgt beschrieben:

In Relation zur Bevölkerung gibt es in den neuen
Ländern viermal weniger Wissenschaftler als in den
alten Ländern und die Aufwendungen für Forschung
und Entwicklung im Wirtschaftssektor sind zum
Beispiel in Baden-Württemberg zehnmal höher als
in Sachsen und 40-mal höher als in Sachsen-Anhalt.

Das ist ein Problem. Wir brauchen mehr Forschungs-
kompetenz, mehr Wissenschaftler und mehr Kompetenz-

zentren in den strukturschwachen Regionen der neuen Bun-
desländer, um zukunftssichere Arbeitsplätze zu schaffen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Ich verstehe nicht, warum Sie unsere Vorschläge in dieser
Richtung ständig ablehnen. Wir haben bei den Haushalts-
beratungen ein Hochschulsonderprogramm vorgeschla-
gen. Sie haben es abgelehnt. Aber genau das tut in den
neuen Bundesländern Not.

Es gibt jedoch auch gute Beispiele. Bereits heute haben
sich in Ostdeutschland Wachstumsregionen herausgebil-
det, in denen sich um die Hochschulen und Forschungs-
einrichtungen Wirtschaftsbetriebe aus dem Hochtechnolo-
giebereich angesiedelt haben. Ein gutes Beispiel ist der
ForschungsstandortBerlin-Buch.Hier ist es gelungen, die
Akademieforschung alter DDR-Prägung schrittweise auf
Weltniveau zu bringen. Das Max-Delbrück-Centrum kon-
zentrierte sich auf Spitzenforschungsbereiche, was natür-
lich einschneidende personelle Konsequenzen erforderte.

Heute sind in Berlin-Buch mehr Menschen als vor der
politischen Wende 1990 beschäftigt. Dieser Prozess ist
noch lange nicht abgeschlossen. Aber daraus müssen wir
lernen. Die Stärkung dieser Wissenschaftsregionen wird
dazu beitragen, dass es Wachstumszentren in den neuen
Ländern geben wird, wie wir sie auch aus Halle, Dresden,
Leipzig, Erfurt, Chemnitz und Jena kennen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Diese Beispiele zeigen, dass der Anschluss des Ostens
keine Utopie ist. Die damalige Bundesregierung unter Be-
teiligung der FDP hat den Bio-Regio-Wettbewerb ins Le-
ben gerufen. Ich glaube, dass dieser Bio-Regio-Wettbe-
werb eine Erfolgsstory in den neuen Bundesländern war.


(Beifall bei der FDP – Susanne Kastner [SPD]: Frau Pieper, Sie sind schwer zu ertragen!)


Diese müssen wir fortsetzen. Hier hat damals eine Bundes-
regierung nicht nur Geld in die Hand genommen, sondern
sie hat es ganz im Gegensatz zu Ihrem Inno-Regio-Wett-
bewerb, meine Damen und Herren von der rot-grünen
Regierungskoalition, auch zeitnah an die beteiligten Ak-
teure vergeben. Das Geld fließt wegen irgendwelcher büro-
kratischer Abläufe, die ich bei einer so hohen Arbeits-
losigkeit in den neuen Bundesländern einfach nicht nach-
vollziehen kann, eben nicht in die Forschungsunternehmen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn wir über die Zukunftsinvestitionen in den neuen
Bundesländern reden, dürfen wir dabei nicht den Mittel-
stand vergessen. Morgen werden wir als vorletzten Punkt
der Tagesordnung den Antrag der FDP gegen den
Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Tarifzwang im öf-
fentlichen Vergaberecht debattieren. Dieser Antrag richtet
sich gegen die Initiative der Regierungskoalition, ein Gesetz
zu erlassen, das insbesondere der Bauindustrie in den neuen
Ländern ihren letzten Wettbewerbsvorteil nimmt.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)





Cornelia Pieper
22806


(C)



(D)



(A)



(B)


Wenn die ostdeutschen Unternehmen tatsächlich ge-
zwungen werden sollten, die von westdeutschen Gewerk-
schaftsfunktionären ausgehandelten Tarife an ihre Mit-
arbeiter zu zahlen, würde dies eine Flut von Firmenpleiten
im Osten nach sich ziehen. Das muss verhindert werden.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Sie debattieren schon lange nicht mehr öffentlich darüber.
Wahrscheinlich trauen Sie sich nicht zu debattieren.

Ich darf darauf hinweisen, dass dieses Gesetz öffentli-
che Bauaufträge im Schnitt um mindestens 5 Prozent ver-
teuert. Das alles bezahlen die Kommunen in Deutschland
und damit im Übrigen der Steuerzahler.


(Beifall bei der FDP)

Darüber hinaus ist dieses Gesetz verfassungsrechtlich
äußerst bedenklich und behindert den Wettbewerb.

Trotzdem bleibt es Verfassungsauftrag, die Lebensver-
hältnisse in Deutschland zu vereinheitlichen. Daran wol-
len wir als Freie Demokratische Partei mitarbeiten. Wir
brauchen eine klare Perspektive für die Ostdeutschen,
auch was die Lohnangleichung anbelangt, aber eben nicht
zulasten bestehender Arbeitsplätze im Mittelstand.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, die Produktivität wächst
mit der industriellen Basis. Die Leistungskraft ostdeut-
scher Firmen ist sehr hoch. Unser oberstes Ziel ist es, die
Wirtschaftskraft des Ostens zu stärken, um zukünftig glei-
che Löhne zu erreichen. Dabei sollen sich einmal diejeni-
gen an die Nase fassen, die gerade Investitionen in den
neuen Bundesländern verhandeln. Jetzt schaue ich einmal
zu meinen Kollegen von der PDS. Auch sie haben in
Sachsen-Anhalt dazu beigetragen, dass ein interessanter
Investitionsstandort für BMW eben nicht interessant war,
weil Sachsen-Anhalt einen schlechten Ruf hat.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Lachen bei der SPD und der PDS – Dr. Uwe Küster [SPD]: Sie reden den Standort immer schlecht! Sie sind daran schuld! – Gegenruf von der CDU/CSU: Der Standort ist doch schlecht! – Dr. Uwe Küster [SPD]: Noch einer! Man scheißt nicht ins eigene Nest!)


Meine Damen und Herren, Sie können notwendige Re-
formen nicht dadurch wettmachen, dass Sie die vermeint-
liche Rettung einzelner Unternehmen medienwirksam
inszenieren. Von welcher Dauer sind denn Ihre Eingriffe?
Geht heute Holzmann und morgen vielleicht Bombardier
in Halle-Ammendorf? Ich habe im Februar eine Frage
an das Verkehrsministerium gestellt, nachdem Herr
Mehdorn in der „FAZ“ mit der Äußerung zitiert worden
war, das Bombardier-Werk in Halle-Ammendorf werde
von der Deutschen Bahn AG keine neuen oder vorgezo-
genen Aufträge erhalten.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: So eine Ableserei!)

Was ist denn von Ihrem Rettungskonzept für den Wag-

gonbau Halle-Ammendorf eigentlich übrig geblieben?
Endet nach Ihrem Konzept ein großartiger Industriebe-

trieb in Halle-Ammendorf, der modernste Waggonbauer,
als einfaches Instandhaltungswerk der Deutschen Bahn?


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Wohnen Sie nicht mehr in Halle? Können Sie das nicht zur Kenntnis nehmen?)


Sie vernichten damit einen großartigen Industriestandort
in Sachsen-Anhalt. Das ist Ihre Politik, meine Damen und
Herren von der Regierungskoalition.


(Beifall bei der FDP – Christoph Matschie [SPD]: Wer hat Ihnen solch einen Quatsch aufgeschrieben?)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423007300
Frau Kollegin Pieper,
gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin
Hanewinckel?


Cornelia Pieper (FDP):
Rede ID: ID1423007400
Aber gerne.


Christel Hanewinckel (SPD):
Rede ID: ID1423007500
Frau Kolle-
gin Pieper, Sie haben eben die rhetorische Frage in den
Raum gestellt: Was ist denn von Bombardier in Ammen-
dorf übrig geblieben? Meines Wissens leben Sie immer
noch in Halle an der Saale. Nun muss ich Sie fragen: Sie
sind nicht in den letzten Wochen im Bombardier-Werk in
Ammendorf gewesen?


Cornelia Pieper (FDP):
Rede ID: ID1423007600
Doch!

(Zuruf von der SPD)



Christel Hanewinckel (SPD):
Rede ID: ID1423007700
Ja, wahr-
scheinlich, weil keine Presse dabei war. – Sie sollten wis-
sen, dass dieses Werk weiter besteht und dass die Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmer sehr froh darüber sind.


(Zuruf von der CDU/CSU: Frage!)

– Ich habe sie ja gefragt, ob sie das weiß. Sie weiß es of-
fenbar nicht, wenn sie solch eine rhetorische Frage stellt.

Deshalb noch einmal meine Frage: Haben Sie das nicht
wahrgenommen? Wissen Sie nicht, dass Ammendorf nach
wie vor besteht und dass es mehr Aufträge als vorher gibt,
unabhängig davon, woher sie kommen?


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Aus Vetschau zum Beispiel!)


Sie schreiben immer die Wirtschaftspolitik auf Ihre Fah-
nen. Wissen Sie auch nicht, dass die Vergabepraxis so ist,
wie sie ist, und dass keine Bundesregierung sagen kann,
wohin einzelne Unternehmen ihre Aufträge vergeben sol-
len? Dann hätten Sie nämlich laut aufgeschrien.

Es gab da lange Verhandlungen. An dieser Stelle ist noch
sehr viel mehr als das passiert, was Sie jetzt hier klein zu re-
den versuchen. Ich bin sehr gespannt auf Ihre Antwort.


(Beifall bei der SPD)



Cornelia Pieper (FDP):
Rede ID: ID1423007800
Liebe Frau Hanewinckel, ich
wünsche mir eine Zukunft für die rund 900 Mitarbeiter im




Cornelia Pieper

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(B)


Waggonbau Halle-Ammendorf. Aber wenn ich dort bin,
nehme ich nicht immer einen Journalisten mit, wie es der
Bundeskanzler und Reinhard Höppner tun.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Ich sage Ihnen ganz klar: Ich kenne keinen neuen Auftrag
für den Waggonbau Halle-Ammendorf. Der ist noch nicht
erkennbar.

Wir brauchen dringend ein Überleben dieses Industrie-
betriebes. Dafür aber – darum können Sie nicht herum-
reden – brauchen wir Aufträge.

Meine Damen und Herren, zu den Ursachen für die
Probleme in den neuen Bundesländern gibt es viel zu sa-
gen. Wir als FDP-Bundestagsfraktion haben damals ein
Niedrigsteuergebiet Ost vorgeschlagen. Hätten wir das
mal gemacht! Dann wären heute die Probleme in den
neuen Bundesländern nicht so groß; dann wäre die Wirt-
schaftskraft stärker.


(Beifall bei der FDP)

Damals haben auch Bundesfinanzminister Waigel, die
CSU und der bayerische Ministerpräsident verhindert,
dass es dieses Niedrigsteuergebiet Ost gibt. Für die FDP
sage ich Ihnen ganz klar: Wir brauchen ein gesamtdeut-
sches Niedrigsteuergebiet mit einfachen und sozial ge-
rechten Steuersätzen.


(Beifall bei der FDP)

Auch das wird ein Befreiungsschlag für die neuen Bun-
desländer sein, insbesondere für den Mittelstand.

Tun wir mehr für die Existenzgründer! Ostdeutschland
hat viel zu wenige Unternehmen. Wir brauchen dringend
Arbeitsplätze, damit die Menschen, vor allem junge Men-
schen, Ostdeutschland nicht verlassen, sondern dort ihre
Heimat haben.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP – Dr. Uwe Küster [SPD]: Diese Lautsprecherin!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423007900
Für die SPD-Fraktion
spricht jetzt die Kollegin Sabine Kaspereit.


Sabine Kaspereit (SPD):
Rede ID: ID1423008000
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Frau Pieper, das war also Ihr
großer Auftritt, den Ihre Fraktion für Sie drei Tage vor der
Landtagswahl in Sachsen-Anhalt arrangiert hat. Die Vor-
stellung, die Sie heute im Deutschen Bundestag abgelie-
fert haben, war wirklich alles andere als stark.


(Beifall bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423008100
Frau Kollegin
Kaspereit, es gibt sofort eine Frage der Kollegin Pieper.
Wollen Sie sie zulassen?


(Susanne Kastner [SPD]: Sie hat noch nicht einmal einen Satz gesagt!)



Sabine Kaspereit (SPD):
Rede ID: ID1423008200
Im Moment nicht. – Fazit:
Der Unterhaltungswert Ihrer Rede war gering und brachte

in der Sache nichts Neues; Sie haben sich bestenfalls mit
fremden Federn geschmückt. Hinzu kamen die immer
gleiche Polemik, die zum Teil auch gehässigen persönli-
chen Angriffe auf Mitglieder der Landes- und Bundesre-
gierung und die großmäuligen Versprechungen, von de-
nen Sie wissen, dass sie nicht erfüllbar sind.

Ich komme auf Details aus Ihrem alten Antrag, den Sie
doch zum Vorwand für diese durchsichtige Wahl-
kampfaktion nehmen, noch zu sprechen. Es fehlte nur
noch, dass Sie hier mit Ihrem pompösen Seidenkleidchen
mit der 18-Prozent-Schärpe – vermutlich aus Fallschirm-
seide – aufgetreten wären. Das ist also die neue FDP un-
ter der Spielleitung der Herren Westerwelle und
Möllemann, die FDP mit der Fallschirmspringermenta-
lität.


(Lachen und Beifall bei der SPD)

Nun, Frau Pieper, wir werden ja am Sonntag sehen, ob

Ihr Fallschirm aufgehen wird und wie weit er Sie trägt.
Vielleicht landen Sie ja auch da, wo Sie vor wenigen Wo-
chen in Bayern gelandet sind und haben sich mal eben nur
in der Kommastelle geirrt.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Werner Schulz [Leipzig] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir haben in den letzten Monaten oft über die Lage in
den neuen Ländern diskutiert. Erst in der vergangenen Sit-
zungswoche wurde sehr ausführlich über den Aufbau Ost
gesprochen. Das war am 21. März. Alle Argumente zu
diesem Thema wurden ausgetauscht. Die Opposition hat
die Bundesregierung kritisiert; das ist ihr gutes Recht. Die
Regierungsfraktionen haben die Bundesregierung gegen-
über unberechtigter Kritik verteidigt; das ist ebenfalls ihr
Recht und war zu erwarten. Es gibt seither keinen einzi-
gen Grund für eine erneute Befassung mit diesem Thema
im Deutschen Bundestag. Es gibt keine neuen Erkennt-
nisse,


(Cornelia Pieper [FDP]: Fast 20 Prozent Arbeitslosigkeit!)


keine neuen Fakten, noch nicht einmal einen neuen FDP-
Antrag, der dem Deutschen Bundestag zugeleitet worden
wäre – nichts von alledem! Es gibt nicht einmal eine öf-
fentlichkeitswirksamere, publikumsträchtigere Debatten-
zeit, denn auch die letzte Ostdebatte fand in der Kernzeit
statt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Sie, meine Kolleginnen und Kollegen von der FDP, ha-

ben Ihren Antrag am 21. März aus einem einzigen Grund
von der Tagesordnung genommen: um den Deutschen
Bundestag als wohlfeile Wahlkampftribüne zu missbrau-
chen, die Ihre Parteikasse schont. Sie zwingen die ande-
ren Parteien qua Geschäftsordnung des Hauses, dieses un-
würdige Spiel mitzuspielen, und instrumentalisieren die
Mitglieder Ihrer Fraktion zu Claqueuren.


(Beifall bei der SPD – Cornelia Pieper [FDP]: Mir sind die Probleme der Menschen wichtig!)


Frau Pieper, Sie können ja den Menschen das Blaue
vom Himmel versprechen. Ich allerdings sage den Bürge-




Cornelia Pieper
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(D)



(A)



(B)


rinnen und Bürgern in Sachsen-Anhalt, sie sollten sich an
den Taten der FDP im Deutschen Bundestag orientieren.


(Beifall bei der SPD)

Hier aber, Frau Pieper, sieht Ihre Bilanz ganz düster aus.

Ich nenne als erstes Beispiel den Länderfinanzaus-
gleich. Wir erinnern uns: Der Länderfinanzausgleich
wurde im vergangenen Jahr neu geregelt, jedoch ohne die
Zustimmung der FDP im Deutschen Bundestag.


(Zurufe von der SPD: Aha!)

Als einzige Partei hat sich die FDP verweigert. Das will
ich einmal festhalten.


(Beifall bei der SPD)

Worum geht es im Länderfinanzausgleich? – Mit dem

Länderfinanzausgleich sind die finanziellen Grundlagen
der neuen Länder und ihrer Kommunen langfristig gesi-
chert worden. Das ist für Ostdeutsche ein eminent wichti-
ges Ereignis. Wenn wir damit die staatliche Eigenständig-
keit der ostdeutschen Länder garantieren, ist das etwas
sehr Wichtiges.


(Beifall bei der SPD)

Dem Versuch, über das Entfallen der finanziellen Zuwei-
sungen im Länderfinanzausgleich eine föderale Neuord-
nung der Bundesrepublik zu erzwingen, wurde damit eine
eindeutige Absage erteilt. Das Engagement der FDP an
dieser Stelle: Fehlanzeige!

Zweites Beispiel, der Solidarpakt II. Der Solidarpakt I
wurde über das Jahr 2004 bis zum Jahr 2019 verlängert,
und zwar ohne die Zustimmung der FDP im Deutschen
Bundestag. Sie, Frau Pieper, waren dagegen.


(Cornelia Pieper [FDP]: Das ist falsch! Lesen Sie das bitte nach! – Gegenruf von der SPD: Oh, oh!)


Ich will für die Wählerinnen und Wähler in Sachsen-An-
halt einmal festhalten, was der Solidarpakt II für die neuen
Länder bedeutet. Er bedeutet Milliardenhilfen des Bundes
für die neuen Länder und Planungssicherheit für die öf-
fentlichen und privaten Investoren. Bis 2019 können die
ostdeutschen Länder, Kommunen und privaten Investoren
auf insgesamt 156 Milliarden Euro – das sind mehr als
300 Milliarden DM – an Bundeshilfe rechnen.


(Beifall bei der SPD)

Damit werden Schulen und Universitäten, Krankenhäuser
und Altenheime gebaut, Straßen, Brücken, Schienen und
Wasserwege, Wasserversorgungs- und Entwässerungsan-
lagen modernisiert und auf den neuesten Stand gesetzt.
All das wird durch den Solidarpakt II möglich. Das ist ein
Glanzstück der Reformpolitik dieser Bundesregierung,
dem Sie sich als einzige Partei in diesem Hohen Hause
verweigert haben.


(Beifall bei der SPD)

Das erklären Sie einmal den Ostdeutschen!


(Cornelia Pieper [FDP]: Ich erkläre es Ihnen! – Rainer Brüderle [FDP]: Sie will es nicht verstehen!)


– Sie müssen es nicht mir erklären.

(Cornelia Pieper [FDP]: Das können Sie im Proto koll des Deutschen Bundestags nachlesen!)

– Erklären Sie das den ostdeutschen Bürgerinnen und
Bürgern, besonders in Sachsen-Anhalt, deren Minister-
präsidentin Sie ja werden wollen.


(Lachen bei der SPD)

Meine Damen und Herren, ich habe mich gewundert,

dass es die FDP nicht einmal für nötig erachtet hat, einen
neuen Antrag als Anlass für diese Debatte vorzulegen. Der
FDP-Antrag auf Drucksache 14/6066 vom Frühjahr des
vergangenen Jahres war schon veraltet, als er am 16. Mai
2001 vorgelegt wurde. Im Übrigen muss ich gestehen,
dass ich selten einen Antrag gelesen habe, der so schlecht
gearbeitet und so unseriös ist wie dieser. Er stellt sogar
noch alles in den Schatten, was wir von der PDS-Fraktion
gewöhnt sind.

Ich will gar nicht weiter auf die Ausgabenseite Ihres
Antrags zu sprechen kommen, auf die milliardenschwe-
ren Forderungen wie: Sonderprogramm EU-Osterweite-
rung – Kostenpunkt schlappe 3 Milliarden Euro; neues
Hochschulprogramm Ost – Kostenpunkt unbekannt;
Rücknahme der Kürzungen für die Leibniz-Gesellschaft;
Stärkung der Industrieforschung – Kostenpunkt unbe-
kannt; 1-Milliarde-Wohnungsabrissprogramm. Wie nicht
anders zu erwarten, haben Sie für all das keine Finanzie-
rungsvorschläge für den Finanzminister.

Geradezu atemberaubend sind die steuerpolitischen
Höhepunkte Ihres Antrages: Abschaffung der Ökosteuer


(Cornelia Pieper [FDP]: Richtig! Sagen Sie es ruhig noch einmal laut, damit es jeder in Deutschland hört!)


– Einnahmeausfälle allein im Jahre 2002 gut 14Milliarden
Euro; Wiederherstellung der alten Abschreibungs-
regelungen – Einnahmeausfälle mehr als 1Milliarde Euro;


(Zuruf von der SPD: Und leer stehende Wohnungen!)


Vorziehen der für 2005 vorgesehenen Steuerreform-
stufe – Einnahmeausfälle 65 Milliarden Euro; Abschaf-
fung des Scheinselbstständigengesetzes und der 630-DM-
Regelung – Einnahmeausfälle 2,7 Milliarden Euro. Das
alles hat doch mit seriöser Politik nichts zu tun!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Statt in sich zu gehen und nachzurechnen, setzen Sie so-
gar noch einen drauf.

Neulich hat die FDP ihre steuerpolitischen Vorschläge
der staunenden Öffentlichkeit in einem Papier zur Kennt-
nis gegeben und es den Wählerinnen und Wählern prä-
sentiert: Knapp 77 Milliarden Euro oder 150 Milliarden
DM würden die FDP-Vorschläge kosten, hat das Bundes-
finanzministerium ausgerechnet.


(Cornelia Pieper [FDP]: Falsch gerechnet! – Gegenruf von der SPD: Sie haben keine Ahnung!)





Sabine Kaspereit

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(C)



(D)



(A)



(B)


– Gehen wir ruhig um 10 Milliarden herunter, das ist im-
mer noch genug. Darin enthalten sind aber nicht einmal
die Steuerausfälle aus der Abschaffung der Ökosteuer. Es
ist eine Luftnummer, die Sie auf Ihrer Showbühne ver-
kaufen. Auch das Rechenkunststück, wonach Sie, Frau
Pieper, mit 18 Prozent Ministerpräsidentin werden, kann
ich nicht nachvollziehen.

So schließt sich der Kreis zu der heutigen Vorstellung
der Dame mit der Schärpe und zu der Fallschirmsprin-
germentalität einer Partei, die sich in besseren Tagen
gerne Partei der Mäßigung und der Vernunft nennen
ließ.


(Susanne Kastner [SPD]: Eher Partei der Besserverdienenden!)


Ich weiß wirklich nicht, ob Sie sich mit der heutigen
Debatte einen Gefallen getan haben. Meine Landsleute
mögen sicherlich Shows und kennen auch „Big Brother“.
Aber sie können auch rechnen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423008300
Für die Fraktion der
CDU/CSU hat jetzt das Wort der Kollege Günter Nooke.


Günter Nooke (CDU):
Rede ID: ID1423008400
Sehr verehrte Frau Prä-
sidentin! Sehr verehrte Damen und Herren! Es war ja die
Fraktion der FDP, die diese Debatte beantragt hat. Es be-
steht in der Tat Handlungsbedarf bei der schröderschen
Chefsache Aufbau Ost.


(Sabine Kaspareit [SPD]: Das kann man alles im Protokoll der letzten Debatte nachlesen!)


Ich glaube, wir müssen darüber noch einmal ernsthaft dis-
kutieren.

Noch eine Vorbemerkung: Das letzte Mal waren wir es,
die eine Debatte über den Aufbau Ost beantragt haben.
Mich wundert schon, dass die Koalitionsfraktionen in
den letzten Jahren nicht einen einzigen Antrag zu dem
wichtigen Thema „Aufbau Ost“ zustande gebracht und
keinen einzigen substanziellen Vorschlag gemacht ha-
ben.


(Rainer Fornahl [SPD]: Das ist unser aller Sache, Herr Nooke! Das sollten Sie mal begreifen!)


Heute wollten Sie zwar den Entwurf eines Vorleistungs-
sicherungsgesetzes einbringen, mit dem die Zahlungs-
moral verbessert werden sollte. Aber selbst dieser Tages-
ordnungspunkt musste wieder abgesetzt werden, weil Sie
sich offensichtlich nicht einig sind.


(Rainer Fornahl [SPD]: Regierungshandeln – das ist unser Ansatz, lieber Herr Nooke!)


Es bleibt also dabei: Sie haben nicht einen einzigen sub-
stanziellen Beitrag zum Thema „Aufbau Ost“ geleistet.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich vermute, das Thema „Aufbau Ost“ ist der SPD

schlichtweg peinlich; denn nirgends sonst wird das Schei-

tern der rot-grünen Bundesregierung so deutlich wie bei
der angeblichen Chefsache Aufbau Ost.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Was ist peinlich? – Zuruf von der SPD: Halten Sie sich mal schön fest, damit Sie bei dieser Aussage nicht umfallen!)


Es ist Ihnen aber dank der von uns beantragten Debatten
nicht gelungen, dieses Thema totzuschweigen.


(Lachen bei der SPD – Sabine Kaspereit [SPD]: Es gab drei Debatten!)


Ich habe ja Herrn Schwanitz einmal den „Spindoctor der
Schweigespirale“ genannt. Ich weiß nicht, ob es so intel-
ligent war, dass Sie geschwiegen haben. Auf jeden Fall
wollen Sie über den Aufbau Ost nicht reden.

Wenn ich mir das anschaue, was mir in den letzten Ta-
gen aufgefallen ist, dann stelle ich fest: Es ist noch schlim-
mer. Deutschland – so hat es auch Kanzlerkandidat
Edmund Stoiber gesagt – hat ernste Probleme im Osten.


(Susanne Kastner [SPD]: Den haben wir auch noch nicht gesehen! Wer ist das denn? Seit wann interessiert der sich denn für den Aufschwung Ost?)


Es geht darum, dass alle in Ost- und Westdeutschland
diese Herausforderungen annehmen und sie gemeinsam
meistern.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Darüber zu schweigen schadet, weil es uns davon abhält,
die richtigen und notwendigen Schritte zu gehen. In einem
EU-Bericht, der in dieser Woche erschienen ist und der ja
wohl nicht ohne Zuarbeiten der Bundesregierung zu-
stande gekommen ist, wird die Meinung verbreitet,
Deutschland habe in Europa nur deshalb die rote Laterne,
weil es solche Probleme im Osten habe.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Wo ist denn Thierse, der Absturz Ost? – Gegenruf der Abg. Susanne Kastner [SPD]: Wo ist denn der Bäckermeister Hinsken?)


Ich glaube, daran wird deutlich, dass Sie sich mit Hin-
weis auf die Probleme mit der deutschen Einheit und auf
das geringere Wirtschaftswachstum im Osten Deutsch-
lands dafür zu entschuldigen versuchen, dass Sie eine
schlechte Politik für den ganzen Standort Deutschland
machen, also nicht nur für die alten, sondern auch für die
neuen Bundesländer.


(Zuruf von der SPD: Das behaupten Sie permanent! Dr. Uwe Küster [SPD]: Das erzählen Sie doch allein, kein anderer!)


Sie sollten sich einmal vor Augen führen, welche Wir-
kung es hat, wenn Sie behaupten: Nur wegen des Ostens
stehen wir so schlecht da. Soll denn in Deutschland quasi
wie in Italien nur noch der Norden zählen? Wird es dann
vielleicht auch in Deutschland eine Liga Nord geben?
Sollen vielleicht Süditalien und Sizilien bei der Berech-
nung des Wirtschaftswachstums in Italien nicht berück-
sichtigt werden? So können wir in Deutschland doch nicht
rechnen! Die Wachstumsraten sind zum Beispiel auch in
Ostfriesland niedriger als in anderen Regionen. Eine sol-
che Entschuldigung lassen wir Ihnen nicht durchgehen.




Sabine Kaspereit
22810


(C)



(D)



(A)



(B)


Im Wahlkampf 1998 haben Sie noch von der Chefsa-
che Aufbau Ost gesprochen. Im Wahlkampf 2002 gibt es
nur noch die Ausrede Ost. Auch damit kommen Sie bei
uns nicht durch.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Lassen Sie mich noch einen anderen Punkt ansprechen,
der in der letzten Woche eine Rolle gespielt hat und der
auch mit dem Osten zu tun hat. Deutsche Außenpolitik
findet jetzt offenbar in der Talkshow von Alfred Biolek im
Nationaltheater in Weimar statt. Es ist nicht sehr witzig,
wenn der Moderator fragt, ob es bei der Stasi und dem
KGB in etwa so zugegangen sei wie bei James Bond. So
war die DDR nicht! Die Stasi und der KGB waren für
viele Menschen in der DDR existenzbedrohend und -ver-
nichtend. So witzig kann man Politik nicht abhandeln.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich finde es auch etwas verwunderlich, wenn sich der

russische Präsident beim Bundeskanzler der Bundesrepu-
blik Deutschland bedankt und ihn als anständigen Men-
schen bezeichnet,


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Wollen Sie das bezweifeln?)


weil er nicht nur einen Kontakt zu einer ehemaligen Stasi-
Freundin ermöglicht hat, sondern diese Stasi-Freundin, die
die Frau des ehemaligen Chefs der Staatssicherheit in Dres-
den ist, auch zum Staatsbesuch einlädt, damit Putin ge-
meinsam mit ihr auf einem Dampfer die Elbe entlangfahren
kann. So geht das nicht. Sie müssen sich einmal klarmachen,
was für Fragen einige SED-Opfer und andere stellen.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Wovon reden Sie denn eigentlich? So etwas Schlappes habe ich lange nicht gehört!)


Sie können doch nicht behaupten, dass da eine neue Män-
nerfreundschaft zwischen Putin und Schröder entsteht.
Mir wurde die Frage gestellt, ob sich Putin als Schröders
neuer Führungsoffizier profiliert. So kommt das an. Das
ist die Realität.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir haben unseren Antrag, über den wir vor kurzer Zeit

hier beraten haben, mit dem Titel „Deutschland 2015“
überschrieben. Sie wissen, dass es uns darum geht, einen
zweiten Anlauf für den Aufbau Ost unter der Überschrift
„Im Osten was Neues“ zu wagen.


(Simone Violka [SPD]: Weil Sie beim ersten Mal auf die Nase gefallen sind! – Gegenruf des Abg. Manfred Grund [CDU/CSU]: Was brüllen Sie denn so? Das ist ja unmöglich. Mäßigen Sie sich!)


Lassen Sie mich über das Thema „befristete Öffnungs-
und Experimentierklauseln“ sprechen. Durch befristete
Öffnungs- und Experimentierklauseln soll mehr Frei-
heit für eigene Wege in den neuen Bundesländern ge-
schaffen werden.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Haben Sie dafür eine Mehrheit? Haben Sie eine Mehrheit für eine Verfassungsänderung?)


– Das werden wir sehen. Herr Küster, seien Sie doch ein-
mal ruhig und hören Sie einfach zu! Ein Minister, der der
SPD angehört, erklärt immer nur – das wissen Sie ganz
genau –, warum etwas nicht geht. Verfassungsrechtlich
betrachtet befinden wir uns auf der sicheren Seite. Es ist
keineswegs richtig, dass die Landesregierungen von
Sachsen oder eines anderen Landes behaupten, das gehe
nicht. Wir arbeiten daran, Vorschläge für die konkrete
Umsetzung vorzulegen.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Ach ja? Bohren Sie ein Loch in die Verfassung oder wie?)


Edmund Stoiber hat keineswegs eine Sonderwirtschafts-
zone für den Osten gefordert. Vielmehr hat er Sonderre-
gelungen gefordert, um schneller dorthin zu kommen, wo
wir alle in Deutschland hinkommen müssen. Wir sind ja
bereit, in den neuen Bundesländern voranzugehen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Uwe Küster [SPD]: Das klingt ja schön! Aber haben Sie dafür eine Bundesratsmehrheit?)


Geben Sie uns befristet – wenn es klappt, für immer
und vielleicht nicht nur in den neuen Bundesländern – die
Möglichkeit, überflüssige Bundesregelungen und -ge-
setze außer Kraft zu setzen, Bürokratie abzubauen sowie
Verwaltungs-, Planungs- und Genehmigungsverfahren zu
vereinfachen! Geben Sie uns die Möglichkeit, einfach
schneller sein zu können, was heute fast die wichtigste
Voraussetzung ist, wenn Sie in der Wirtschaft vorankom-
men wollen!


(Beifall bei der CDU/CSU – Rainer Fornahl [SPD]: Da müssen Sie einmal die Länder fragen!)


– Sie können gern mit Ihrem Ministerpräsidenten darüber
reden.


(Rainer Fornahl [SPD]: Das ist einer, der die Kommunen kaputtsparen will!)


– Herr Fornahl, wir sollten Herrn Milbradt erst einmal
dazu gratulieren, dass er gewählt wurde. Glückwunsch an
Herrn Milbradt!


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Eigentlich wollten wir heute über Sachsen-Anhalt re-

den. Wir sind die Einzigen, die hier keinen Wahlkampf be-
treiben. Natürlich weiß ich, dass Herr Höppner mit seiner
rot-roten Regierung nie den Mut aufbringen wird, Bürokra-
tie abzubauen, sich selbst zurückzunehmen, zu dezentrali-
sieren und eigene Verantwortung im Land zu übernehmen.
Natürlich gibt es aber auch andere, CDU-geführte Bundes-
länder, wo das gemacht werden wird. Deshalb möchte ich
darauf hinweisen, dass wir diese unkonventionellen Lö-
sungen wollen. Wir sind sicher, dass das Schule macht
und ein Beispiel für die alten Bundesländer sein kann.


(Rainer Fornahl [SPD]: Darauf bin ich sehr gespannt!)


Wir sollten in diesem Haus gemeinsam politische Ent-
scheidungen treffen und nicht nur Verwaltungs- und Mi-
nisterialbürokratien fragen, was geht und was nicht geht.
Ich hätte mich gefreut, wenn Herr Schwanitz und Herr
Höppner nicht die Ersten gewesen wären, die die Hand
heben und sagen: Das funktioniert alles nicht und ist




Günter Nooke

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(C)



(D)



(A)



(B)


verfassungsrechtlich bedenklich. Lassen Sie uns prüfen,
was davon möglich ist. Ich bin sicher, es geht eine ganze
Menge, und dann kommen wir wieder voran.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

In unserem Antrag wurde die Lohnangleichung mit

diesem Punkt in Zusammenhang gebracht. Wir haben uns
dafür ausgesprochen, die Lohnangleichung bis 2007
schrittweise um jeweils zwei Prozentpunkte, zumindest
für Bundesbedienstete, sicherzustellen. Sie wissen, dass
das in Berlin besonders wichtig ist. Herr Schily zahlt im
Innenministerium 100 Prozent West. Herr Bodewig darf in
der Invalidenstraße im Bezirk Mitte – ehemaliger Osten –
nur den Osttarif zahlen und es höchstens hintenherum
ausgleichen. Das kann nicht vernünftig sein; das kann
nicht ewig so bleiben. Man müsste die Angleichung ei-
gentlich noch viel schneller vorantreiben. Wir sollten uns
aber wenigstens vornehmen, die Angleichung bis 2007
umzusetzen. Ich finde, dass die Mitarbeiter, die im Bun-
desumweltamt in Dessau arbeiten, das Gleiche verdienen
sollten wie die Mitarbeiter, die im Bundesarchiv in Ko-
blenz, an einem Gericht in Koblenz oder in Karlsruhe ar-
beiten. Die Menschen in Erfurt brauchen das Geld ge-
nauso wie diejenigen in Karlsruhe.

Das ist eine Möglichkeit, die Kaufkraft in den neuen
Bundesländern, die in den besten Regionen des Ostens
schlechter ist als in den schlechtesten Regionen des Wes-
tens, zu stärken. Ich weiß, dass das Druck auf die Wirt-
schaft mit sich bringt. Ich sage aber ganz deutlich: Insge-
samt werden wir als Niedriglohnland im Osten keine
Chance haben. Wir müssen für die besten Kräfte in
Deutschland im Osten eine Heimat schaffen und deshalb
eine gute Bezahlung anbieten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Warum habe ich das Thema Lohnangleichung noch

einmal aufgegriffen? Mit viel Pomp haben Sie am
10.März einen Sonderparteitag in Magdeburg organisiert.
Herr Höppner und der Bundeskanzler verkündeten: Auch
wir sind für Lohnangleichung bis 2007. – Was ist letzte
Woche bei der Kommandeurtagung der Bundeswehr in
Hannover passiert, als der Kanzler darauf angesprochen
wurde? – Alles einkassiert! Gibt es nicht! Geht nicht!
Nicht bezahlbar! Machen wir nicht!


(Susanne Kastner [SPD]: Warum habt ihr denn so viel Schulden gemacht? – Sabine Kaspereit [SPD]: Wie ist denn nun der Stand bei der Lohnangleichung?)


Insofern, Frau Kaspereit, haben Sie im Ausschuss ja
schon gesagt, dass der Kanzler lügt. Sie müssen sich dazu
schon noch einmal erklären. Wie ist denn nun der Stand
bei der Lohnangleichung? Sie haben die Möglichkeit,
dazu noch einmal Stellung zu nehmen. Ich hätte mich ge-
freut, Sie hätten es gleich gemacht.


(Roland Claus [PDS]: Das heißt, Sie stimmen unserem Antrag zu, Herr Nooke?)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423008500
Herr Kollege Nooke,
die Kollegin Kaspereit hat hierzu eine Frage.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Frau Kaspereit hat vorhin auch keine Frage zugelassen!)



Sabine Kaspereit (SPD):
Rede ID: ID1423008600
Ich habe nur eine sehr
kurze Frage: Herr Nooke, wären Sie unter Umständen be-
reit, zurückzunehmen, dass ich gesagt hätte, der Kanzler
lüge?


Günter Nooke (CDU):
Rede ID: ID1423008700
Frau Kaspereit, Sie ha-
ben im Ausschuss gesagt, Sie sähen das anders als der
Kanzler; das werde nicht funktionieren. Das waren Ihre
Worte.

Ich möchte noch auf einen wichtigen Punkt hinweisen.

(Sabine Kaspereit [SPD]: Frau Präsidentin, ich verwahre mich gegen eine solche Unterstellung!)


– Ich habe doch akzeptiert, dass sie nicht gesagt hat, der
Kanzler lüge, sondern dass sie gesagt hat, der Kanzler
sehe es so, wie sie es nicht sehe,


(Sabine Kaspereit [SPD]: Das ist mein gutes Recht!)


und dass sie der Meinung ist, es werde nicht funktionieren.
Dazu müssen Sie als stellvertretende Fraktionsvorsitzende
schon stehen. Wir sitzen gemeinsam im Ausschuss. Da
müssen Sie halt aufpassen, was Sie sagen, Frau Kaspereit.


(Sabine Kaspereit [SPD]: Sie sollten sich mäßigen!)


„Infrastruktur“ ist ein wichtiges Thema. Ich möchte
noch einmal darauf hinweisen, dass der Bund seine Zu-
ständigkeit für Fernstraßen, Schienenwege und Was-
serstraßen zwischen 1991 und 1999 mit Investitionen
von rund 43 Milliarden Euro in die Verkehrsinfrastruktur
der neuen Bundesländer wahrgenommen hat. Dies ent-
spricht 42 Prozent der gesamten Investitionen des Bundes
in die Verkehrswege in diesem Zeitraum.

Darin ist auch die Förderung von Investitionen in das
Verkehrswegenetz der Länder und Kommunen und in Ver-
kehrsknoten, also Hafenumschlagsanlagen, Anlagen des
kombinierten Verkehrs usw., enthalten. Im Bereich der
Verkehrsinfrastruktur der Länder und Kommunen kommt
der Aufholprozess, den wir dringend brauchen, in den letz-
ten Jahren nur ganz langsam voran. Der Bund beteiligt sich
an den Investitionen über das Gemeindeverkehrsfinanzie-
rungsgesetz. Das DIW hat jetzt ausgerechnet, dass der
Wert der Straßeninfrastruktur in den ostdeutschen Ländern
im Jahr 2005 nur 60 Prozent des Niveaus der westdeut-
schen Bundesländer erreicht haben wird. Das ist immer
noch bedrückend; denn wir wissen ja: Infrastrukturausbau
ist das Wichtigste, was wir als Wirtschaftsförderungs- und
Ansiedlungspolitik tun können. Es ist ja nicht Herr
Tiefensee aus Leipzig, der große Projekte an Land gezo-
gen hat, sondern es sind die Autobahnen und die Flughä-
fen, die zum Beispiel BMW dahin gebracht haben.


(Zuruf von der CDU/CSU: Und die sächsische Landesregierung!)


– Natürlich auch die sächsische Landespolitik, die dafür
gesorgt hat, dass da investiert wird.


(Rainer Fornahl [SPD]: Das ist eine Logik, Herr Nooke! Sie wissen, wovon Sie reden! So ein Schrott!)





Günter Nooke
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(D)



(A)



(B)


Die ostdeutschen Städte müssen nach Angaben des
Deutschen Städtetages wegen der kritischen Finanzlage
ihre Investitionen drastisch zurückfahren. Sie können die
Investitionen in die Infrastruktur ohne Hilfe von außen
nicht leisten. In diesem Jahr werden die Kommunen in
den neuen Bundesländern voraussichtlich 8,5 Prozent we-
niger investieren als im Vorjahr. 2001 betrug der Rück-
gang 7 Prozent. Die Hauptursache für den Rückgang im
vergangenen Jahr ist, denke ich, der dramatische Einbruch
bei der Gewerbesteuer. In 2001 haben die ostdeutschen
Städte durchschnittlich 17,5 Prozent weniger Gewerbe-
steuer eingenommen als im Vorjahr. Auch hieran wird
deutlich, wie wichtig es wäre, unserer Forderung nach ei-
ner kommunalen Infrastrukturpauschale zu entsprechen,
so wie sie schon im Sonderprogramm von Bernhard
Vogel, dem Thüringer Ministerpräsidenten, vor einem
Jahr vorgeschlagen wurde.

Ein letzer Punkt. Die Beseitigung des Wohnungsleer-
standes wird meines Erachtens im Antrag der FDP nicht
deutlich genug angesprochen. Das ist in der Tat kein ganz
einfaches Thema. Der Punkt „Wohnungsbau und Eigen-
tumsentwicklung stärker fördern“ ist in der Sache schon
richtig. Nur: Die Forderung, die Nachfrage nach Woh-
nungen in Ostdeutschland – Frau Pieper hört jetzt leider
nicht zu – durch eine Wohngelderhöhung um 900 Milli-
onen DM anzukurbeln, geht meines Erachtens in die
falsche Richtung. Wir müssen nicht mehr Geld in das Sys-
tem Wohnungsbau hineingeben, glaube ich, sondern wir
müssen das Geld, das darin ist, intelligenter verteilen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Rainer Fornahl [SPD]: Machen wir doch schon, Herr Kollege! – Zuruf von der SPD: Fragen Sie mal Herrn Kansy! Der sagt Ihnen was anderes!)


Die Situation ist ja klar; aber wir können uns nicht damit
herausreden, dass wir damit die Bauwirtschaft ankurbeln
können.

Wir waren bei der Förderung und den Abschreibungs-
möglichkeiten fast zu erfolgreich. Beim Wirtschaftsgut
Wohnung hat es einen Umschwung vom Vermieter- zum
Mietermarkt gegeben. Wir hatten auch 1990 schon einen
erheblichen Leerstand. Aber er ist unter Ihrer Regierung
weiter gestiegen, in fast schon unermessliche Höhen.


(Rainer Fronahl [SPD]: Sie haben uns 1 Million leer stehende Wohnungen hinterlassen!)


Die Kosten bei der Verwaltung der Wohnungen sind
kontinuierlich gestiegen; aber die Eigenkapitalquote
der Wohnungsunternehmen ist in den letzten Jahren
kontinuierlich gesunken. Die Verschuldung je Quadrat-
meter Wohnfläche hat sich seit 1993 somit mehr als ver-
doppelt und liegt jetzt im Durchschnitt bei 600 DM pro
Quadratmeter. Das gefährdet natürlich die Ertragskraft
der Unternehmen extrem. Ein Wirtschaftsgut, das dauer-
haft keinen Ertrag abwirft, verliert an Wert. Es ist dann
langfristig kein Aktivposten mehr, sondern eine Belas-
tung. Man kann nicht nur mit historischen Anschaffungs-
preisen oder Substanzwerten operieren. Irgendwann muss
auch die Mietsituation der neuen Länder in die Berech-
nung eingehen; dann wird das durchschlagen.

Lässt man die Wohnungsunternehmen in die Insolvenz
trudeln – das sollten wir hier auch ganz klar sagen –, stellt

sich die Frage, was dann gewonnen ist. Bei unsicherer Si-
tuation der Unternehmen können auch die Sparkassen und
die Regionalbanken in erhebliche Turbulenzen geraten.
Das hätte wiederum nicht auszudenkende Folgen für die
Kommunen in den neuen Bundesländern. Wenn man ei-
nen Überschuss an Wohnungen hat, hilft es nicht, wie in
vielen Regionen, neue Wohnungen zu bauen, sondern
man muss schauen, dass das öffentliche Geld besser ver-
teilt wird.


(Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das wurde gemacht! – Rainer Fornahl [SPD]: Machen wir doch, Herr Nooke!)


Wir müssen im Mietwohnungsbau auch über Rück-
bau reden, deutlicher gesagt: Es geht um Abriss dessen,
was nicht gebraucht wird, von der Peripherie her. Selbst-
verständlich können wir nicht im Kern- bzw. Innenbe-
reich der Städte einfach wahllos abreißen.


(Sabine Kaspereit [SPD]: Wir haben das Stadtumbauprogramm mit einer Verbesserung des Wohnumfeldes!)


Ich will noch einmal deutlich sagen, dass es viel besser
wäre – ich habe ja vorhin von Öffnungsklauseln und mehr
Freiheit für eigene Wege in den neuen Bundesländern ge-
sprochen –, wenn die Länder das Wohngeld – für alle, die
es noch nicht wissen: Es ist jeweils hälftig vom Bund und
von dem entsprechenden Land zu finanzieren – ganz zur
Verfügung hätten und damit eigenständig Politik machen
könnten. Dann wäre es zum Beispiel auch leichter, Mieter
aus einzelnen Bereichen umzusiedeln oder umziehen zu
lassen.


(Sabine Kaspereit [SPD]: Umsiedeln?)

– Ja, umsiedeln, in dem Sinne, dass man den Mietern bil-
ligere Wohnungen anbietet und so weniger öffentliches
Geld hereingibt, um dann dort zu sanieren oder abzu-
reißen, wo es in das Konzept der Stadterneuerung in den
neuen Bundesländern passt. Hier sind wirklich intelligen-
tere Lösungen zur Verbesserung des Wohnumfeldes mög-
lich.


(Susanne Kastner [SPD]: Nooke siedelt den Osten leer, lautet die Schlagzeile!)


Wir müssen natürlich unsere Städte so erneuern, dass
junge Leute auf Dauer – über Abwanderung wurde ja
schon gesprochen – Lust haben, im Osten zu bleiben und
zu wohnen.


(Sabine Kaspereit [SPD]: Mit dem CDU/CSUUmsiedlungsprogramm?)


Ein verbessertes Wohnumfeld zieht immer Manager und
andere Leute an, ein schlechtes schreckt ab.


(Sabine Kaspereit [SPD]: Auch Sie sind abschreckend, Herr Nooke!)


Auch auf diese Weise kann ein Imagegewinn des Ostens
erzielt werden.

Lassen Sie mich zum Abschluss sagen: Wir brauchen
einen zweiten Anlauf, einen neuen Kraftakt für den Auf-
bau Ost, einen Aufschwung, der möglichst alle Regionen




Günter Nooke

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(C)



(D)



(A)



(B)


erreicht und nicht nur punktuell wirkt. Ich habe jetzt über
das, was erreicht wurde, nicht so laut gesprochen.


(Zuruf von der SPD: Aha, das ist ja eine gute Idee!)


Es war auch nicht nötig, weil das in Sachsen-Anhalt, wo
am nächsten Sonntag Wahl ist, nicht vorkommt.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423008800
Herr Kollege Nooke,
Sie hatten den Schluss angekündigt. Ihre Redezeit ist gut
überschritten.


(Susanne Kastner [SPD]: Es reicht, Herr Nooke!)



Günter Nooke (CDU):
Rede ID: ID1423008900
Ja, ich komme zum
Schluss. – Wir kommen nur dahin, wenn wir den Mut ha-
ben, die Verantwortung nicht nur für das, was gut, sondern
auch für das, was schlecht gelaufen ist, zu übernehmen.
Am Sonntag übernehmen Sie bitte die Verantwortung für
das, was in Sachsen-Anhalt schlecht gelaufen ist. Wir
werden am 22. September die Verantwortung in Deutsch-
land übernehmen, damit es wieder besser läuft.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord neten der FDP)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423009000
Das Wort hat jetzt der
Minister der Finanzen des Landes Sachsen-Anhalt,
Wolfgang Gerhards.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423009100

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eigentlich
wollte ich erst später reden und mich dabei darauf be-
schränken, darzustellen, wie ein ostdeutscher Finanzminis-
ter versucht, die Probleme in den Griff zu bekommen.
Aber Frau Pieper und auch Herr Nooke haben diese De-
batte nun als Wahlkampfplattform benutzt und ein paar
Unfreundlichkeiten über das Land gesagt. Ich komme
nicht umhin, das zunächst klarzustellen, und zwar relativ
früh in der Debatte, damit sich da nichts Falsches festsetzt.

Frau Pieper, Sie haben ein paar Sachen gesagt. Dazu
kann ich nur sagen: Bestenfalls trübt Sie Ihre Erinnerung.
Deshalb möchte ich einiges klarstellen. Sie haben sich am
Schluss Ihrer Rede noch einmal dazu geäußert, wie Sie für
eine anständige Kinderbetreuung und für ein gutes
Hortgesetz gekämpft haben. Vergessen haben Sie da,
dass Sie dabei zusammen mit der CDU immer schöne
Standards gesetzt haben, aber die Finanzierung nicht ge-
sichert haben.


(Zuruf von der SPD: Das kennen wir ja!)

– Gell. – Das hat zur Folge gehabt – darauf wird Herr
Claus später sicherlich auch noch eingehen –, dass wir zu-
sammen mit der PDS große Mühen gehabt haben, die Er-
wartung der Eltern, die Sie über Jahre hinweg geschürt ha-
ben, zu reduzieren und dafür zu sorgen, dass das
überhaupt finanzierbar wird.

Wie schwierig das gewesen ist, haben wir bei Bürger-
initiativen gesehen, hinter denen auch Herrschaften aus
verschiedenen Parteien gestanden haben, die versucht ha-
ben, die Wahrheit zu verschleiern, und auch gegen die In-
teressen mancher Beschäftigten nicht akzeptiert haben,
dass man von den Standards wieder herunterkommen
musste. Rechtsansprüche schaffen und die Finanzierung
nicht sicherstellen ist eine schöne Nummer, die Sie im
Wahlkampf machen können; aber dass Sie uns auch jetzt
noch, nach Jahren, erzählen, wie gut das gewesen sei,
zeigt, dass Sie auf dem Weg über Berlin zur Minister-
präsidentenkandidatur irgendwann die Wahrheit verges-
sen haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Das geht dann noch weiter – das richte ich auch
an Herrn Nooke –: Sie haben uns, als Sie 1994 abgewählt
worden sind, etwas hinterlassen, nämlich eine Ver-
waltungsstruktur, die die schlechteste in ganz Ost-
deutschland war. Wir haben große Mühen, diese jetzt ein-
zustampfen. Sie haben eine zu kurz gesprungene
Gebietsreform inszeniert, sodass wir noch immer viel zu
kleine Kommunen haben und deren Zahl bis 2005 durch
Änderungen in unserer kommunalen Gebietsstruktur mit
aller Mühe drastisch reduzieren müssen. Das Gleiche gilt
für die Funktionalreform, die wir durchführen müssen,
weil die Verwaltung in Sachsen-Anhalt über Jahre hinweg
kleinteilig und unübersichtlich aufgebaut worden ist. Das
war auch in anderen Ländern der Fall; diese haben aber
rechtzeitig die Notbremse gezogen und das nicht so lau-
fen lassen. Wir jedoch haben einen völlig überbesetzten
Verwaltungsapparat geerbt. Der Personalstand war in
Sachsen-Anhalt noch höher als in anderen Ländern.

Auch dieses müssen wir korrigieren. Die Erste, die sich
an der Spitze dagegen stellt, ist die CDU. Auch das muss
man einmal sagen, Herr Nooke. Ihr Parteifreund Becker,
der bis vor zwei Jahren seine Mitarbeit signalisiert hat, ist
der Erste, der im Lande Sachsen-Anhalt, je näher die
Landtagswahl rückt, dagegen kämpft, dass wir eine ernst-
hafte Funktionalreform durchführen. Das ist die Wahrheit.


(Margarete Späte [CDU/CSU]: Das ist ja Unsinn!)


Das Dritte, das man einmal sagen muss: Sie haben auf
die Bildungslandschaft abgehoben; das ist richtig. Aber
Sie haben uns eine katastrophale Bildungslandschaft hin-
terlassen. Wir haben ein völlig ungegliedertes Hoch-
schulsystem geerbt,


(Widerspruch bei der CDU/CSU)

mit vielen Hochschulen, vielen Standorten, zwei medizi-
nischen Fakultäten, einer Fachhochschullandschaft, die
wir jetzt mühsam profilieren müssen. Das alles gehört zu
dem, was Sie uns hinterlassen haben. Wie schwierig es ist,
das zu korrigieren, das wissen Sie nun wirklich selber.


(Beifall bei der SPD – Dr. Michael Luther [CDU/CSU]: Acht Jahre lang nichts gemacht!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423009200
Herr Minister, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Vaatz?




Günter Nooke
22814


(C)



(D)



(A)



(B)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423009300

Aber bitte sehr.


Arnold Vaatz (CDU):
Rede ID: ID1423009400
Herr Minister, ich kann
mich im Augenblick nicht genau erinnern, wann Ihre
SPD/PDS-Regierung das erste Mal gewählt worden ist.
Können Sie das bitte noch einmal sagen?


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423009500
Ich
nehme an, Sie wissen, dass das 1994 war.


Arnold Vaatz (CDU):
Rede ID: ID1423009600
1994? – Wenn ich jetzt
richtig rechne, hatten Sie also acht Jahre Zeit. Vielen
Dank.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423009700

Wissen Sie, wie groß die Sünden sind, die wir abarbeiten
müssen? Da werden noch einmal vier Jahre erforderlich
sein, um das richtig hinzubekommen.


(Beifall bei der SPD)

Wir haben Mühe, das, was Ihre Parteifreunde in vier Jah-
ren vermasselt haben, in einem Jahrzehnt wieder zurück-
zudrehen.

Ich komme nun aber zu dem, weshalb ich eigentlich
hier in den Bundestag gekommen bin.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423009800
Herr Minister, bevor
Sie fortfahren: Es gibt noch eine Frage der Kollegin Späte.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423009900

Bitte sehr.


Margarete Späte (CDU):
Rede ID: ID1423010000
Herr Minister, Sie ha-
ben eben davon gesprochen, dass der innenpolitische
Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, Herr Curt Becker,
keine Funktionalreform wolle. Habe ich das so richtig
verstanden? Dann möchte ich Sie hier doch fragen, ob es
nicht tatsächlich so ist, dass gerade die CDU-Landtags-
fraktion die Funktionalreform immer wieder einfordert,
die nämlich auf Länderebene noch nicht vollzogen wird
und für die es auch keine Ansätze gibt. Gebietsreformen
haben wir ja schon mehrfach hinter uns gebracht. Können
Sie mir sagen, inwieweit Sie als Minister in der
Landesregierung Sachsen-Anhalts eine Funktionalreform
real durchführen?


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423010100

Richtig. Wir haben schon einiges gemacht: Wir haben be-
reits eine Reihe von Behördenstrukturen umgebaut und
werden den Rest im Jahre 2005 angehen. Also sage ich
Ihnen noch einmal: Ihr Kollege Becker, den Sie genannt
haben, ist derjenige, der eine Funktionalreform gefor-
dert hat, ganz wie Sie gesagt haben, weil er nämlich die
Strukturen seinerzeit mit verantwortet hat. Aber jetzt, da
wir sie wirklich durchführen, sagt er: Nein, so geht es

nicht, dieses Amt bitte nicht und jenes auch nicht. – Das
ist Ihre Art und die Art Ihrer Parteifreunde bei Verwal-
tungsreformen.


(Beifall bei der SPD)

Mein Thema war aber ein anderes – darauf will ich

mich jetzt beschränken –: Was machen wir mit dem Soli-
darpakt II und wie gehen wir den Aufbau Ost an? Da
sage ich als Erstes: Wir haben im vergangenen Jahr durch
mühsame Verhandlungen, an denen auch ich beteiligt war,
die Grundlagen für den neuen Länderfinanzausgleich und
den Solidarpakt II geschaffen. Wir brauchen keine neuen
Sonderprogramme, wir brauchen keine Sonderförderge-
biete und wir brauchen keine Ostnummern, sondern wir
haben das nötige Instrumentarium. Das haben wir ge-
meinsam entwickelt, zum Teil gegen den Willen der FDP.
Frau Pieper, Ihre Erinnerung ist da zumindest dünn. Die
FDP hat beim Solidarpaktfortführungsgesetz dagegen ge-
stimmt.


(Beifall bei der SPD)

Ihre Kollegin Frick hat dagegen gesprochen; ich könnte
Ihnen das hier vorlesen. Ich empfehle Ihnen, das Protokoll
der 206. Bundestagssitzung vom 30. November 2001 zu
lesen. Auf den Seiten 20 401 f. steht alles, was Frau Fricke
gesagt hat und warum Sie bei der Abstimmung dagegen
gestimmt haben.


(Jürgen Türk [FDP]: Nein!)

– Sagen Sie nicht Nein; das ist doch so. Sie sind die Par-
tei gewesen, die gegen das Solidarpaktfortführungsgesetz
gestimmt hat, in dem nun einmal die Grundlagen enthal-
ten sind.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir brauchen keine Sonderregeln bezüglich Verfahren
und wir brauchen auch nicht dauernd frisches Geld. Wir
müssen vielmehr das fortzusetzen, was wir schon begonnen
haben. Ich habe in diesem Zusammenhang den Korb 2 bzw.
3 erwähnt: Wir brauchen künftig jährlich 10MilliardenDM.
Es ist alles in trockenen Tüchern; wir kriegen das hin.


(Günter Nooke [CDU/CSU]: Das wollen Sie noch in den nächsten fünf Tagen schaffen?)


– Ja, das schaffe ich. Wir haben schon eine ganze Menge
erreicht. Sie müssten sich das selbst einmal anschauen
und nicht immer nur Ihre Parteifreunde fragen, die offen-
sichtlich auch nicht vor Ort gewesen sind.

Was machen wir mit dem Geld? – Wir investieren in
die Infrastruktur. Herr Nooke, Sie haben wenigstens ei-
nen Satz dazu gesagt. Bei Frau Pieper ist dieses Thema In-
frastruktur überhaupt nicht vorgekommen; ich habe nichts
davon gehört.


(Zuruf von der SPD: So ist es! – Dr. Karlheinz Guttmacher [FDP]: Natürlich hat sie etwas dazu gesagt!)


Wir müssen hauptsächlich in die Infrastruktur investieren
und da vor allen Dingen in den Straßenbau. Wenn
man zwei Stunden braucht, um die nächste Autobahn in
50 Kilometer Entfernung zu erreichen, dann ist das ein






(C)



(D)



(A)



(B)


Standortnachteil. Das muss ich nicht weiter erklären; das
haben alle begriffen.


(Susanne Kastner [SPD]: Frau Pieper hat das nicht begriffen!)


Es gibt zusätzlich weiche Standortfaktoren wie Sozialein-
richtungen.


(Dr. Michael Luther [CDU/CSU]: Warum haben Sie das in den acht Jahren nicht gemacht?)


– Wir machen es ja, und wie! Wir bauen die Krankenhäu-
ser, die Kindergärten und die Schulen aus. Das läuft sehr
gut. Jeder, der ins Land kommt, kann das sehen.


(Beifall bei der SPD)

Eine Sache kann ich wirklich nicht mehr ausstehen: Sie

erzählen, dass das Land die rote Laterne habe, obwohl Sie
uns diese rote Laterne übergeben haben. Im Gegensatz zu
Ihnen machen wir nämlich eine ganze Menge.


(Beifall bei der SPD – Lachen des Abg. Günter Nooke [CDU/CSU])


Wenn Sie in unser Land kommen, dann können Sie sehen,
was wir getan haben. Erzählen Sie also den Menschen
nicht, es habe sich nichts bewegt!

Zweiter Punkt. Wir investieren in die Bildung. Wir
bauen die Hochschulen aus, sodass sie sich profilieren
können und schlagkräftig sind. Bildung ist nämlich der
Rohstoff für ein Land, das keine eigenen Rohstoffe hat
und in dem die Schwerindustrie weggebrochen ist. Wenn
die Bildungslandschaft ausgebaut wird, dann bleiben die
Menschen im Land und es ziehen noch andere Menschen
zu. Das funktioniert.


(Günter Nooke [CDU/CSU]: 13 Jahre bis zum Abitur!)


– Ja, eben.
Wir haben in diesem Jahr keinen Abiturjahrgang ge-

habt.

(Dr. Michael Luther [CDU/CSU]: Abitur mit 60!)

Die Folge ist, dass die Universitäten so voll sind wie noch
nie, weil wir nämlich inzwischen attraktive Hochschul-
standorte bieten können.


(Zuruf von der FDP: Wo?)

Dadurch werden Menschen aus der ganzen Republik an-
gezogen, die auch an diesen Orten bleiben. Genau das
brauchen wir.


(Beifall bei der SPD)

Dritter Punkt. Wir brauchen eine Wirtschaftsförde-

rung, die daran anknüpft. Es müssen also Betriebe geför-
dert werden, die wichtig für den Aufschwung sind. Da-
runter verstehe ich nicht jede kleine Klitsche, die sich mit
IT-Technologie beschäftigt. Dabei handelt es sich um in-
novative Betriebe, die mit den Hochschulen zusammen-
arbeiten und Netzwerke bilden. Auch wenn Sie es immer
schlechtreden, muss man ganz deutlich sagen: Dieses
funktioniert.

Die kleinen und mittleren Unternehmen – und nicht die
großen Leuchttürme, deren Zeit vorbei ist; auf ein paar
Ausnahmen komme ich gleich noch zu sprechen – bilden
die Basis für den Aufschwung und für die Schaffung von
Arbeitsplätzen. Wir unterstützen zielgerichtet – und nicht
mit der Gießkanne – Existenzgründer, aber nicht auf Kos-
ten der vorhandenen Unternehmen. Man muss sich genau
anschauen, wo man fördern will.


(Beifall bei der SPD)

Man darf nicht weitere Elektrobetriebe fördern, wenn
schon genug vorhanden sind.

Man muss eine Branche auswählen, in der Existenz-
gründer gefördert werden sollen, damit sie in dieser Bran-
che Fuß fassen können und damit sie die ersten fünf Jahre
überstehen. Vielleicht muss man ihnen in der zweiten
Phase, also in den nächsten fünf Jahren, noch einmal Geld
zur Verfügung stellen. Das ist ein wichtiger Punkt.

Vierter Punkt. Wir vermitteln den Unternehmen Know-
how, weil uns eine ganze Unternehmergeneration fehlt. Es
gab in Ostdeutschland keine Kinder, die im Gespräch mit
den Eltern gelernt haben, wie man einen Betrieb führt,
und denen berichtet wurde, welche Sorgen ein Unterneh-
mer hat. Dieses Defizit müssen wir mühsam aufarbeiten.
Bezüglich des Know-how ist das der größte Nachteil ge-
genüber Westdeutschland. Wir müssen an dieser Stelle
ansetzen und konsequent darangehen, Know-how zu ver-
mitteln.


(Beifall bei der SPD)

Darüber hinaus gibt es bei den Investitionen ein paar

Punkte, die sehr wichtig sind und bei denen uns auch die
Bundesregierung hilft. Der erste Punkt betrifft Ammen-
dorf. Jeder weiß, wie schwierig es gewesen ist, den Wag-
gonstandort in Halle-Ammendorf am Leben zu erhalten
und dafür zu sorgen, dass er nicht kaputtgeht. Ich muss
ausdrücklich sagen: Der Bundeskanzler hat zusammen
mit der Bundesregierung das Nötige getan, um da zu hel-
fen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Vera Lengsfeld [CDU/CSU]: Wie bei Holzmann!)


Derjenige, der als Erster gesagt hat, das werde niemals
funktionieren und das sei eine Luftnummer, war Ihr Kol-
lege, dieser Superwirtschaftswissenschaftler, der vor eini-
gen Jahren die Bundesbahn zugrunde gerichtet hat. Das ist
die Wahrheit.


(Beifall bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423010200
Herr Minister, gestat-
ten Sie eine weitere Frage des Kollegen Vaatz?


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423010300

Aber bitte sehr.


Arnold Vaatz (CDU):
Rede ID: ID1423010400
Herr Minister, hier ist, an-
knüpfend an Ihre Aussagen zur Bildungssituation in Sach-
sen-Anhalt, kürzlich das Gerücht aufgetaucht, dass das




Minister Wolfgang Gerhards (Sachsen-Anhalt)

22816


(C)



(D)



(A)



(B)


Land Sachsen-Anhalt aus Sparsamkeitsgründen plane,
das 14. Schuljahr einzuführen. Trifft das zu?


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423010500

Herr Vaatz, ich finde, es ist unter Ihrem Niveau, über
Gerüchte zu diskutieren. Ich muss einmal deutlich sagen:
Wir sollten über Fakten sprechen und nicht über
Gerüchte. Ihre Äußerung finde ich ein bisschen peinlich.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Peinlich, Herr Vaatz!)

Zum nächsten Punkt. Eine weitere große Investition ist

geplant. Gestern habe ich mit Freude vernommen, dass
auch der Bund nunmehr bereit ist, eine Bürgschaft zu
übernehmen, um das Zellstoffwerk in Arneburg zu in-
stallieren. Das wird ein bedeutender Beitrag für die Schaf-
fung von langfristig gesicherten Arbeitsplätzen in der Re-
gion Altmark sein, wo es ganz besonders kneift. Das ist
die Art der Investitionsförderung, die wir betreiben. Denn
davon hängt sehr viel ab. Wenn diese Investition in die Tat
umgesetzt wird, haben wir einen großen Treffer erzielt.


( V o r s i t z : Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters)


Es ist sehr wichtig, dass man sich auf Branchen kon-
zentriert, in denen das möglich ist; das habe ich vorhin
schon erklärt. Sie haben gefragt, was wir tun. Darauf ant-
worte ich: Das ist das, was wir zusammen mit der Bun-
desregierung tun. Ich hoffe, dass das so bleibt.


(Beifall bei der SPD)

Ich komme zum letzten Punkt; denn als Gast möchte

ich meine Redezeit und Ihre Aufmerksamkeit nicht über-
strapazieren. Wir haben im Augenblick noch ein Projekt,
an dem unsere Landesregierung zusammen mit der säch-
sischen arbeitet. Dies ist ein ganz bedeutsames Projekt,
das für die Zukunft sehr entscheidend sein kann. Es han-
delt sich um die Spallationsneutronenquelle, die wir
zwischen Halle und Leipzig länderübergreifend, also auf
der Ländergrenze, ansiedeln wollen. Beide Länder haben
sich dazu entschlossen; denn die ostdeutschen Länder
können – auch über Parteigrenzen hinweg – gut zusam-
menarbeiten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Hier befinden wir uns in einem nationalen und interna-
tionalen Wettbewerb. Nationaler Wettbewerber ist der
Standort Jülich in Nordrhein-Westfalen. Frau Pieper ist im
August des vergangenen Jahres dort gewesen und hat ge-
sagt, den Standort Jülich halte sie für richtig. Das sei der
Standort, den sie bevorzuge.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Pfui!)

Jedenfalls stand dies so in der Zeitung und ich gehe davon
aus, dass es stimmt. Frau Pieper, ich frage Sie als Gene-
ralsekretärin, die, da sie Ministerpräsidentin werden will
und auch bei der Wahl in Sachsen-Anhalt 18 Prozent er-
reichen möchte, besser mehr General und weniger Sekre-
tärin sein sollte: Können Sie mir erklären, warum Sie

dafür sind, dass die Spallationsneutronenquelle in Jülich
angesiedelt wird und nicht in Halle–Leipzig?


(Beifall bei der SPD)

Damit ich nicht mit Fragen schließe, will ich mich aus-

drücklich dafür bedanken, dass in den vergangenen Jahren
die Zusammenarbeit zum einen bei der Geldbeschaffung,
was den Solidarpakt II angeht, und zum anderen bei der
Umsetzung sehr gut geklappt hat. Gestatten Sie mir im
Hinblick auf den Wahlkampf auch noch Folgendes: Ich
hoffe, dass die Situation sowohl im Bund als auch im Land
so bleibt und wir die erfolgreiche Arbeit fortsetzen können.

Danke sehr.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1423010600
Zu einer
– bitte wirklich kurzen – Kurzintervention gebe ich der
Kollegin Cornelia Pieper das Wort.


Cornelia Pieper (FDP):
Rede ID: ID1423010700
Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Ich fühle mich zu dieser Intervention ge-
zwungen, da Herr Gerhards genauso wie Frau Kaspereit
der FDP unterstellt hat, sie habe dem Solidarpakt II am
5. Juli 2001 nicht zugestimmt. Ich möchte dazu feststel-
len: An diesem Tag – ich habe den entsprechenden Steno-
graphischen Bericht in Händen – hat Frau Gisela Frick als
steuerpolitische Expertin der FDP gesprochen.


(Dr. Rainer Wend [SPD]: Sie haben doch gar keine Experten!)


Damals ging es um das Maßstäbegesetz, das wir vom
Grundsatz her abgelehnt haben. Ich zitiere jetzt aus dem
Stenographischen Bericht:

Ich möchte ganz klar betonen, dass das nicht bedeu-
tet, dass wir alle Abmachungen im Einzelnen ableh-
nen, insbesondere die nicht, die die Solidarität mit
den neuen Ländern, also den Solidarpakt II, betref-
fen. Das ist hier gerade nicht das Thema. Es ist ganz
selbstverständlich, dass immer wieder versucht wird,
das in dieser Form umzumünzen. ... Wir stehen zur
Solidarität mit den neuen Ländern; das ist bekannt.
Wir wissen und unterstützen, dass weiterhin Finanz-
leistungen in die neuen Länder fließen.

(Beifall bei der FDP– Zurufe von der SPD: Und wie haben Sie abgestimmt? – Sabine Kaspereit [SPD]: Sie haben abgelehnt!)


Ich verwahre mich dagegen, dass diese Anschuldigun-
gen immer wieder hier im Plenum und auch außerhalb
von Berlin gemacht werden. Sie sind nicht richtig.

Zudem soll die Spallationsneutronenquelle, Herr
Minister Gerhards, nach Sachsen-Anhalt; ich weiß das. Es
gibt auch noch den Bewerber Jülich als Forschungsstand-
ort. Entschieden wird das alles erst im Jahre 2003. Ich
kann Ihnen nur sagen: Ich bin darüber mit Wissenschaft-
lern an der Martin-Luther-Universität im Gespräch. Zu
dem Zeitpunkt, als sich Jülich um dieses europäische For-
schungsprojekt beworben hat, wussten die noch nichts




Arnold Vaatz

22817


(C)



(D)



(A)



(B)


von dem Ansinnen der Landesregierung, sich daran ge-
meinsam mit Sachsen zu beteiligen.

Sie sollten Ihre Informationspolitik gerade gegenüber
den Bundestagsabgeordneten aus den neuen Ländern, be-
sonders aus Sachsen-Anhalt, überdenken. Wenn sie an-
ders wäre, könnte man gemeinsam vieles auf den Weg
bringen. Dadurch, dass Sie eine solch schlechte Informa-
tionspolitik machen, verhindern Sie, dass in Sachsen-An-
halt ein guter Forschungsstandort entsteht. Das ist die
Wahrheit.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1423010800
Zur Erwi-
derung gebe ich das Wort dem Finanzminister Wolfgang
Gerhards.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423010900
Es
tut mir Leid, Frau Pieper, ich muss darauf antworten. Das
Erste ist: Was immer Sie über Professoren erzählen, die
das offenbar nicht gewusst haben, ändert nichts daran,
dass Sie sich für Jülich ausgesprochen haben. Das wollen
wir einmal klarstellen.

Zweiter Punkt. Wenn Sie gestatten, Herr Präsident,
werde ich jetzt aus dem Protokoll zitieren, damit ich
nichts falsch mache. Es ist das Protokoll der 206. Sitzung
des Deutschen Bundestages, Freitag, 30. November 2001,
Seite 20 401. Es spricht für die FDP-Fraktion die Kolle-
gin Professor Gisela Frick zum Solidarpaktfortführungs-
gesetz. Das ist das eigentlich spannende Gesetz gewesen.
Sie hat unter anderem gesagt, es handle sich gegenüber
dem bisherigen Rechtszustand um eine

nochmalige Verschlechterung und keine Verbesse-
rung. Wenn wir uns als FDP der Zustimmung zu die-
sem Gesetz verweigern ..., dann ist das nicht auf
bösen Willen zurückzuführen ...

Sie haben sich also dagegen ausgesprochen. Das zweite
Zitat – ich lese ja jetzt nur vor, was seinerzeit gesagt wor-
den ist –:

Sie werden verstehen, dass die FDP-Fraktion dieses
Solidarpaktfortführungsgesetz ablehnt.

Das ist der Orginaltext des Protokolls.

(Dr. Rainer Wend [SPD]: Aha! War das auch der Experte bei denen?)

Wir reden jetzt nicht über das Maßstäbegesetz; wir reden
jetzt über das Solidarpaktfortführungsgesetz. In ihm sind
die 206 Milliarden enthalten, um die es geht, und nicht im
Maßstäbegesetz.

Dritter Punkt. Auf der Seite 20 408 C ist das Abstim-
mungsergebnis dokumentiert. Da heißt es dann: „Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? –“. Dann folgt die Fest-
stellung der amtierenden Präsidentin: „Kollege Fromme
und die FDP-Fraktion stimmen dagegen.“

Ich nehme doch an, dass dieses Protokoll korrekt ist.
Deshalb sage ich noch einmal: Sie haben dagegen ge-
stimmt; Sie haben Gründe gehabt. Sie haben sie genannt.

Die können Sie heute für falsch halten, aber stellen Sie das
doch nicht in Abrede.


(Beifall bei der SPD – Hans-Peter Kemper [SPD]: Ein klassisches Selbsttor!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1423011000
Ich gebe
nunmehr für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen
das Wort der Kollegin Steffi Lemke.


Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423011100
Ver-
ehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ein wahlkampftaktisch platzierter Antrag bringt uns heute
zum wiederholten Male eine Ostdebatte. Ich glaube aller-
dings nicht, Frau Pieper, dass sie den Osten voranbringt.
Ich glaube zwar an die Kraft des Wortes, aber nicht daran,
dass Sie durch monotone Wiederholung Ihrer Phrasen den
Osten voranbringen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Ihre Fraktion hat Ihnen den Weg für einen Antrag ge-
ebnet, den Sie hier für einen Showauftritt als Ministerprä-
sidentin in spe benutzen können. Ich prophezeie Ihnen,
dass dieser Fallschirm, den Sie Sachsen-Anhalt als Ret-
tung anbieten, am Sonntag nicht aufgehen wird. Ihr Auf-
tritt heute war blass. Bereits vor vier Wochen hat Ihnen
mein Kollege Werner Schulz bestätigt, dass der Neuig-
keitsgehalt Ihrer Aussagen weit unterhalb der 18-Prozent-
Marge liegt.


(Zuruf von der FDP: Wo liegen denn die Grünen?)


Die 18 Prozent entschwinden immer weiter am Horizont.
Verehrte Kollegen von der Opposition, ich glaube, Sie

tun sich selbst, den neuen Bundesländern und dem Land
Sachsen-Anhalt keinen Gefallen, wenn Sie einen Standort
kleinreden, den Sie eigentlich groß machen wollen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Rainer Fornahl [SPD]: Genau das ist der Punkt!)


Sie wissen genauso gut wie wir alle hier im Saal, dass die
positiven Wirtschaftsdaten in Sachsen-Anhalt und den an-
deren neuen Bundesländern vom Auftragsrückgang in
derBauwirtschaft überlagert werden und dass uns in ers-
ter Linie die Bauwirtschaft die negativen Wirtschaftsda-
ten im Osten beschert. Ich finde, dass zur Ehrlichkeit in
der Politik gehört, dass Sie dafür die Verantwortung über-
nehmen. CDU und FDP haben dieses Problem geschaf-
fen. Durch Ihre falsche Förderpolitik, durch die Sonder-
abschreibung Ost, ist dieses Problem entstanden.


(Vera Lengsfeld [CDU/CSU]: Durch unsere Förderpolitik ist der Chemiestandort erhalten geblieben!)


Sie haben von 1990 bis 1998 durch ein falsches Steuer-
sparmodell in den neuen Bundesländern Kapazitäten in
der Bauwirtschaft aufgebaut, die an jeder Realität vorbei
gegangen sind und die uns inzwischen Investitionsruinen
in den neuen Bundesländern en masse beschert haben




Cornelia Pieper
22818


(C)



(D)



(A)



(B)



(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Abg. Cornelia Pieper [FDP] verlässt den Saal – Rainer Fornahl [SPD]: Frau Pieper, bleiben Sie hier! Sie hat aufgegeben!)


und die zusätzlich dazu geführt haben, dass die Kommu-
nen und die Länder an den Rand der maximal möglichen
Verschuldung getrieben wurden, weil sie versucht haben,
diese Maßnahmen kozufinanzieren.

Ich will die Situation in meiner Heimat nicht schönreden,
aber mit einer vollkommen undifferenzierten Schwarzma-
lerei, wie Sie sie seit Monaten, jetzt mit Ihrem Kanzlerkan-
didaten Stoiber an der Spitze, betreiben, schaden Sie dem
Osten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)


Lassen Sie sich von Wirtschaftsexperten erklären, welch
negative Auswirkungen solche Schwarzmalerei auf die
Wirtschaft in den neuen Ländern hat. Ihre Rote-Laterne-
Kampagne – Ihr Kanzlerkandidat Stoiber sagt, Deutsch-
land trägt die rote Laterne in Europa


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

und Sachsen-Anhalt in Deutschland – schadet, und als ob
Sie nicht genug davon kriegen könnten, ergötzen Sie sich
wöchentlich an diesen Tatbeständen.


(Jürgen Türk [FDP]: Wenn alles läuft, lachen die Leute darüber!)


Was hat Rot-Grün für den Aufbau Ost durchgesetzt?
Die bedeutendste Entwicklung für die neuen Bundeslän-
der ist der Erfolg bei der Fortführung des Solidarpakts.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben mit 150 Milliarden Planungssicherheit und die
finanziellen Grundlagen für den Aufbau Ost bis 2020 ge-
schaffen. Sie haben daran nicht mitgewirkt, Sie haben die
Verhandlungen über den Solidarpakt II nicht konstruktiv
begleitet. Der Solidarpakt II ist die wichtigste Grundlage
für den Aufbau Ost für die nächsten Jahre.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Was tun wir für die Bauwirtschaft? Ich hatte darauf
hingewiesen, dass die Bauwirtschaft im Moment das Sor-
genkind bei den Wirtschaftsdaten ist. Wir haben das un-
sinnige Steuersparmodell, das Sie eingeführt hatten, in-
zwischen ein Stück weit kompensieren können, und zwar,
indem wir bei der Städtebauentwicklung im Osten nicht
einen quantitativen Zuwachs, sondern einen qualitativen
Umbau erreicht haben.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Günter Nooke [CDU/ CSU]: Ganz toll!)


– Herr Nooke, vielen Dank für Ihren Zwischenruf. Sie ha-
ben in Ihrer Rede das Stadtumbauprogramm Ost, das
die rot-grüne Bundesregierung aufgelegt hat, minuten-
lang gelobt. Ich danke Ihnen dafür. Ich finde, dass man
über die Parteigrenzen hinweg solche Erfolge durchaus

gegenseitig anerkennen kann, wenn man am Osten inte-
ressiert ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Das Stadtumbauprogramm Ost wird für die Bauwirt-
schaft in den nächsten Jahren die Grundlage dafür sein,
dass weitere Aufträge reinkommen und dort weiter gebaut
werden kann. Es wird in den ostdeutschen Kommunen die
Stadtentwicklung für die nächsten Jahre bestimmen. Wir
werden mit einer internationalen Bauausstellung dieses
Programm innovativ ausgestalten und dafür sorgen, dass
das, was dem Osten bevorsteht, nämlich der Abriss von
Wohnungen, vernünftig ausgestaltet wird und dort nicht
einfach Plattenbauten weggenommen werden. Wir wollen
zu einer qualitativen Neuausrichtung kommen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Vera Lengsfeld [CDU/CSU]: Was heißt denn das?)


– Das kann ich Ihnen, Frau Lengsfeld, genau erzählen. Ich
hatte gedacht, dass die Ausführungen Ihres Kollegen
Nooke Ihnen auf die Sprünge geholfen haben, aber wir
können uns darüber gern noch einmal separat unterhalten.

Wir haben mit dem KfW-Modernisierungsprogramm
und dem Altbausanierungsprogramm die Grundlagen dafür
gelegt, dass es in der Bauwirtschaft auch im Bereich der
ökologischen Modernisierung weitere Auftragseingänge
geben wird; denn im Neubau wird das nicht mehr passieren.

Meine Damen und Herren von der CDU, ich darf Sie
daran erinnern: Sie haben durch Ihre Blockade in der Alt-
schuldenhilfeproblematik von 1994 bis 1998 den Woh-
nungsbauunternehmen in Ostdeutschland die größten
Probleme bereitet, die wir heute noch lösen müssen und
an denen wir im Interesse der ostdeutschen Kommunen in
den nächsten Jahren weiter arbeiten müssen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Wo sind neue Arbeitsplätze entstanden? Allein in den
letzten beiden Jahren sind deutschlandweit in der Erneu-
erbare-Energien-Branche rund 60 000 neue zusätzliche
Arbeitsplätze entstanden. Das bedeutet gleichzeitig die
massive Förderung regionaler Wirtschaftsstrukturen, da
diese Jobs hauptsächlich in mittelständischen Unterneh-
men und in strukturschwachen Regionen entstanden sind.

Der größte Gewerbebetrieb in Magdeburg – ich habe
das in der letzten Debatte schon angeführt, möchte aber
noch einmal darauf eingehen – ist ein Windkraftanlagen-
hersteller, die Firma Enercon. Ich finde, dass Sie hier
deutlich sagen sollten: Wer am kommenden Sonntag FDP
wählt, wählt die Schließung von Enercon. Das, was Sie
mit Ihrem Antrag im Deutschen Bundestag, der von der
CDU unterstützt wird, zur Rücknahme des Erneuerbare-
Energien-Gesetzes vorgelegt haben, wird dazu führen,
dass der größte Gewerbebetrieb in der Landeshauptstadt
Sachsen-Anhalts schließen wird. Das wird die Konse-
quenz Ihrer Politik sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Vera Lengsfeld [CDU/CSU]: Steffi Lemke 22819 Das liegt daran, dass die Windkraft nicht effektiv ist!)





(C)


(D)


(A)


(B)


Wenn auf der Hannover Messe der Unternehmensver-
band und die Unternehmer aus der Metall verarbeitenden
Industrie die CDU und die FDP vor der Wahl – nicht da-
nach, sondern vor der Wahl – auffordern, Klarheit darüber
zu schaffen, ob sie dieses Gesetz fortführen wollen oder
nicht, dann sollten sie das im Interesse der Wirtschaft ins-
besondere in den neuen Bundesländern und in Sachsen-
Anhalt tun.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Wir werden gerade in Sachsen-Anhalt als dem ost-
deutschen Bundesland mit der größten Abwanderung in
Zukunft nicht mehr hauptsächlich über Arbeitslosigkeit
diskutieren, sondern primär darüber, wie qualifizierte Ar-
beitskräfte in Sachsen-Anhalt zu halten bzw. nach Sach-
sen-Anhalt zurückzuholen sind.

Ich begrüße ausdrücklich, dass die Chemieindustrie in
Sachsen-Anhalt bereits jetzt vorausschauend auf dieses
Problem eingeht und im Bündnis für Ausbildung und Ju-
gend die Grundlagen dafür schafft, dass sie mit diesem Pro-
blem in geringerem Maße konfrontiert sein wird, indem sie
jetzt weit über ihren Bedarf hinaus ausbildet, damit sie in
Zukunft qualifizierte Arbeitskräfte zur Verfügung hat.

Ich glaube aber, dass wir insgesamt darüber diskutie-
ren müssen, dass die Lebensbedingungen für junge Men-
schen in den neuen Bundesländern, dass die weichen
Standortfaktoren zu verbessern sind, wenn wir die jungen
Menschen dort halten wollen. Diese gehen nicht mehr nur
deshalb weg, weil sie keinen Arbeitsplatz in Sachsen-An-
halt finden. Sie gehen vielmehr zunehmend weg, weil die
Stimmung in Sachsen-Anhalt viel schlechter ist als die ei-
gentlichen Wirtschaftsdaten und sie für sich dort keine
Perspektiven und keine Zukunft sehen.

Dies hat etwas damit zu tun – das bestätigen inzwi-
schen auch die Wirtschaftsforschungsinstitute –, dass in-
novative moderne Unternehmen nicht dorthin gehen, wo
es am billigsten ist. Wir werden aufhören müssen, in
Sachsen-Anhalt um die billigsten Löhne, die schlechtes-
ten Tarifverträge und die schlechtesten Arbeitnehmer-
bedingungen zu konkurrieren, wenn wir Arbeitnehmer im
Osten halten wollen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich glaube im Übrigen auch, dass die schlechte Stim-
mung in meinem Heimatland Sachsen-Anhalt etwas da-
mit zu tun hat, dass die Menschen spüren, dass die Minis-
terpräsidentenkandidaten, die am kommenden Sonntag
zur Wahl stehen, nicht die Zukunft für Sachsen-Anhalt be-
deuten.


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Sie spüren, dass es dort eines anderen Personalangebots
als einiger Spaßkandidaten und als das, was die CDU mit
Herrn Böhmer aufgeboten hat, bei dem Sie noch die
Nachfolgefrage klären müssen, bedarf.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Manfred Grund [CDU/ CSU]: Reden wir einmal über das amtierende Personal!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1423011200
Für die
Fraktion der PDS spricht der Kollege Roland Claus.


(Vera Lengsfeld [CDU/CSU]: Das ist der Mann, der nie Ministerpräsident wird!)



Roland Claus (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1423011300
Herr Präsident! Meine sehr ver-
ehrten Damen und Herren! Drei Tage vor der Sachsen-
Anhalt-Wahl debattieren wir hier – völlig überraschend –
über neun Anträge zum Osten. Aber – dies gehört auch zur
Redlichkeit – erfreulicherweise hat nur einer die Chance,
angenommen zu werden, und das, obwohl er sich schon
erledigt hat. Ein Schelm, wer da an Wahlkampf denkt.


(Beifall bei der PDS)

Zur Redlichkeit im ganzen Hause gehört aber auch,

dass hier nicht der eine Wahlkämpfer den anderen Wahl-
kämpfer beschimpft, weil er Wahlkampf macht. Irgend-
wie sind wir doch alle beteiligt. Ich will aber eines deut-
lich sagen: Natürlich ist auch in Wahlkampfzeiten alles,
was wirklich hilft, willkommen. Ich erlebe immer wie-
der, dass sich die Menschen in den neuen Ländern von
uns, den Bundestagsabgeordneten aus den neuen Ländern
– wir sind heute wieder nahezu unter uns –,


(Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Susanne Kastner[SPD]: Was Sie sagen, ist aber nicht wahr! Das mag in der PDS so sein, aber bei uns ist es nicht so!)


wünschen, dass wir hier im Deutschen Bundestag nicht
nur Schuldzuweisungen betreiben, sondern gemeinsam
die Ärmel hochkrempeln. Dies findet leider sehr selten
statt.


(Susanne Kastner [SPD]: Von uns sind jede Menge Westabgeordnete hier!)


Ich will auf eine angenehme Ausnahme verweisen. Das
war die Diskussion über den Waggonbaustandort Halle-
Ammendorf und über den Waggonbaustandort Vetschau.
Damals haben wir es wirklich geschafft, gemeinsam et-
was auf den Weg zu bringen. Insofern ist jetzt eines be-
sonders verwunderlich: Die Kollegen von CDU und FDP
haben seinerzeit gerufen: Kanzler, tu etwas! Danach hat
die Belegschaft Druck auf die Politik gemacht. Der Kanz-
ler hat etwas getan.


(Susanne Kastner [SPD]: Der Kanzler macht es auch ohne Druck!)


Die gleiche CDU und die gleiche FDPwerfen dem Kanz-
ler jetzt vor, dass er etwas getan hat, und reden das Er-
gebnis in Sachen Waggonbau schlecht. Das ist einfach
mies.


(Beifall bei der PDS – Jürgen Türk [FDP]: Es geht nicht nur darum, etwas zu machen, sondern darum, dass es etwas wird!)





Steffi Lemke
22820


(C)



(D)



(A)



(B)


– Es ist etwas daraus geworden, Herr Kollege. Es war im-
merhin Bombardier selbst und nicht irgendein Wunsch-
kandidat von der politischen Bühne, der dies noch einmal
klargestellt hat.

Leider erleben wir alle, dass die Debatten über den
Osten im Bundestag nach dem Motto ablaufen: Die Ko-
alition erklärt, dass man auf einem guten Weg ist, und die
konservative Opposition malt alles in schwarz und weiß.


(Günter Nooke [CDU/CSU]: Nur Sie sind die Guten!)


Wir wissen es besser: So ist das Leben nicht.
Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen: Weder

Schönreden noch Schwarzmalen helfen den Menschen in
den neuen Bundesländern. Wem zum Thema Sachsen-
Anhalt nichts anderes einfällt, als permanent die rote La-
terne zu beschwören, dem kann ich eines sagen: In mei-
ner Heimatstadt Halle gibt es jedes Jahr im August ein
Laternenfest. Dort können Sie sich mit Ihrer Laterne hin-
stellen. Auch Herr Hinsken findet dort vielleicht seine
Verwendung. Lassen Sie sich aber gesagt sein, dass das in
der Politik zu wenig ist.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD – Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)


Es ist natürlich dubios, dass Frau Pieper in der mor-
gendlichen Debatte das sachsen-anhaltinische Kinder-
betreuungsgesetz über den grünen Klee lobt und versucht,
ihren eigenen Anteil herauszustellen, während zur glei-
chen Zeit ihre Wahlkämpfer in Sachsen-Anhalt unterwegs
sind und sagen, dass das, was dort für die Kinderbetreu-
ung getan werde, zu teuer sei und abgeschafft gehöre. Das
lassen wir uns hier im Bundestag nicht bieten.


(Beifall bei der PDS)

Die Menschen in den neuen Ländern haben von fal-

schen Versprechen – zum Beispiel dem der blühenden
Landschaften – in der Tat die Nase voll. Auch die Chef-
sache Aufbau Ost haben sie nicht wirklich erlebt.


(Susanne Kastner [SPD]: Na, na!)

Sie fühlen sich deshalb bislang von allen Bundesregie-
rungen im Stich gelassen.


(Susanne Kastner [SPD]: Sie werden sehr populistisch!)


Nun kommt Herr Stoiber mit seiner angeblichen Wirt-
schaftskompetenz. Stoibers Wirtschaftskompetenz erle-
ben wir gegenwärtig insbesondere in Berlin. Wenn man
sich einmal anschaut, dass die Union – ihr gehört auch Herr
Stoiber an – allein in der Bundeshauptstadt Schulden in
Höhe von 40 Milliarden Euro hinterlassen hat, muss man
sich fragen, was das für eine Wirtschaftskompetenz ist.

Ich weiß, dass sich diese Zahlen nicht direkt verglei-
chen lassen, führe sie aber dennoch an, um die Größen-
ordnung darzustellen: Ende 1989 ist die DDR mit 10 Mil-
liarden Euro Auslandsschulden zugrunde gegangen. Auch
das muss man einmal sagen dürfen.


(Lachen und Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP – Manfred Grund [CDU/CSU]: Wo haben Sie denn gelebt, Herr Claus?)


– Mir war schon klar, dass ich an dieser Stelle Ihren Wi-
derspruch ernte. Die Wahrheit bleibt es aber trotzdem.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Was hat Herr Stoiber in Bayern zu verantworten? Das

sind Kredite von der Bayerischen Landesbank in Höhe
von 2 Milliarden Euro, die den Kirch-Unternehmen noch
hinterhergeworfen wurden, als schon klar war, dass sie in
die Pleite gehen. Das ist das Geld der Steuerzahlerinnen
und Steuerzahler. Das soll also Wirtschaftskompetenz
sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Bürgerinnen und Bürger in den neuen Bundeslän-

dern erwarten von der Politik wirklich keine Wunder. Sie
erwarten aber einen politischen Willen zur wirklichen An-
gleichung der Lebensverhältnisse.Den erleben sie auch
unter der Regierung Schröder nicht. Demzufolge ist im
Lande leider nach wie vor ein Rentenunrecht anzutreffen.

Ich habe mir von ehemaligen Lehrerinnen und Lehrern
in Halle exakt vorrechnen lassen, was es ausmacht, dass
sie von der Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst aus-
geschlossen sind. Es ist Fakt, dass die Bergleute, die im
Osten ihren Arbeitsplatz verlieren, nicht in gleicher Höhe
abgefunden werden wie die Bergleute im Westen. So
kommt es zu solch, wie ich finde, tragischen Schicksalen,
dass jemand 30 Jahre unter Tage gearbeitet hat und dann
Geld nur wenig über dem Sozialhilfeniveau erhält.


(Susanne Kastner [SPD]: Welche Geschichte erzählen Sie hier? Sie schüren den Sozialneid! – Weiterer Zuruf von der SPD: Unwahrheit!)


Ich komme zu den Arbeitslosen im Osten. Wir müs-
sen registrieren, dass die Arbeitslosenrate im Jahre 1998
– lassen Sie die Fakten sprechen! – im Osten das 1,8fache
und im Jahre 2002 leider das 2,3fache der Rate im Westen
betrug. Das ist eine schlechte Entwicklung. Handwerker
beklagen die Benachteiligung durch die Steuerreform,
während sich Großunternehmen und Banken dank Ihres
Steuerrechts immer wieder armrechnen können.

Deshalb möchte ich Sie auffordern: Lassen Sie uns
heute mit dieser Debatte wenigstens ein Zeichen setzen
und lassen Sie uns gemeinsam beschließen, etwas zur An-
gleichung der Löhne und Gehälter bis zum Jahre 2007 zu
tun.


(Beifall bei der PDS)

Ich weiß sehr wohl, was das kostet. Es sind etwa 2 Milli-
arden Euro für die Länder und etwa 1,5 Milliarden Euro
für die Kommunen. Zusammen mit dem Anteil des Bun-
des macht das etwa 4 Milliarden Euro. Das ist nicht we-
nig. Das ist nur mit Bundeshilfe möglich; das muss man
deutlich aussprechen. Es ist aber noch immer weniger als
die Hälfte der Kosten von Rudolf Scharpings neuen Flie-
gern.


(Beifall bei der PDS – Simone Violka [SPD]: Das schafft auch in Sachsen-Anhalt viele Arbeitsplätze!)


Deshalb sollten wir diese Anstrengungen gemeinsam
wagen. Ich sage Ihnen dazu nur eines: Die Landesregierung




Roland Claus

22821


(C)



(D)



(A)



(B)


in Brandenburg hat für diesen Vorschlag, der nicht nur von
der PDS gemacht wird, inzwischen Unterstützung sig-
nalisiert. Sie hat dies anders getan, als man dies von der
Landesregierung bisher kennt. Sie unterstützt diesen Vor-
schlag tatsächlich als Landesregierung. Es ist nicht so,
dass der eine Ja und der andere Nein gesagt hat. Nein, sie
will das gemeinsam tun.


(Jürgen Türk [FDP]: Das ist ganz neu!)

Wir verlangen – das wollen wir Ihnen sagen – die so-

fortige Abstimmung des entsprechenden Antrags der PDS
zur Angleichung der Löhne und Gehälter bis 2007 im Ple-
num und nicht die Überweisung.


(Beifall bei der PDS)

Wir wollen Sie daran erinnern: Uns wäre auf diesem

Gebiet noch viel mehr eingefallen. Aber das ist exakt die
Beschluss- und Verkündungslage von SPD und CDU, wie
sie sie vor den Wahlen an den Tag gelegt haben. Deshalb
wird die PDS weiter darauf Wert legen, gemeinsam Mut
zu machen und nicht schwarz zu malen. Daher sprechen
wir in unseren Vorschlägen zur Verbesserung der Lebens-
lage in den neuen Bundesländern vom Zukunftsfaktor
Ost. Es ist noch immer ein gutes Papier, auch wenn viele
der Überschriften inzwischen durch die CDU abgeschrie-
ben worden sind.

Zu Sachsen-Anhalt: Sie können über die PDS räsonie-
ren und Zwischenrufe machen, wie Sie wollen. Die Ab-
teilung Größenwahn haben in Sachsen-Anhalt andere als
die PDS besetzt. Wir sind auf dem Teppich geblieben. Wer
hat denn das Land mit Ministerpräsidentenkandidaten zu-
plakatiert?


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1423011400
Herr Kol-
lege Claus, Sie müssen zum Ende kommen.


Roland Claus (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1423011500
Das war nicht die PDS, das wa-
ren Ulrich Hansel, der jetzt Marseille heißt, und Cornelia
Pieper.


(Rainer Brüderle [FDP]: Unglaublich!)

Deshalb wünschen wir uns – ich komme damit zum

Ende, Herr Präsident –, dass die Sozialdemokraten in
Sachsen-Anhalt ihren Wählerinnen und Wählern sagen,
wohin mit ihnen die Reise gehen soll. Wollen Sie mit der
PDS für mehr soziale Gerechtigkeit eintreten oder wollen
Sie mit der CDU Sozialabbau betreiben? So viel Klarheit
muss sein.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der PDS – Susanne Kastner [SPD]: Nein, wir wollen allein regieren, Herr Claus!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1423011600
Ich gebe
nunmehr für die Fraktion der SPD dem Kollegen
Dr. Rainer Wend das Wort.


Dr. Rainer Wend (SPD):
Rede ID: ID1423011700
Herr Präsident! Meine sehr
geehrten Damen und Herren! Herr Claus, mit Ihren Be-
merkungen fordern Sie mich heraus, Ihnen Folgendes zu

sagen. Sie meinen, die DDR sei an 8 Milliarden Euro zu-
grunde gegangen.


(Roland Claus [PDS]: Nein!)

Sie glauben vermutlich auch noch heute an das Märchen,
dass die DDR die achtstärkste Industrienation der Welt
gewesen sei.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der FDP)


Ich will, Herr Claus, einen Satz aus einer Dissertation
der Universität Halle zitieren: Die Hinterlassenschaft der
DDR für Sachsen-Anhalt ist vor allem durch Umwelt-
schäden größten Ausmaßes sowie durch eine Wirtschafts-
und Beschäftigtenstruktur gekennzeichnet, die den Über-
gang von der sozialistischen Planwirtschaft in die soziale
Marktwirtschaft besonders erschwert hat.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir wollen in diesem Lande keinen Ministerpräsidenten
von der Nachfolgepartei derjenigen, die dieses Chaos ver-
anstaltet haben, Herr Claus.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1423011800
Herr Kol-
lege Wend, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abge-
ordneten Frau Dr. Luft?


Dr. Rainer Wend (SPD):
Rede ID: ID1423011900
Ja, selbstverständlich, Frau
Luft.


Dr. Christa Luft (PDS):
Rede ID: ID1423012000
Danke schön, Herr Kollege. –
Erstens. Sie haben sich vermutlich ein wenig vertan. Es
hat nie jemand in der DDR behauptet, die DDR sei die
achtgrößte Industrienation. Es wurde behauptet, sie sei
die zehntgrößte Industrienation. Ich stimme völlig mit Ih-
nen überein, dass auch das größenwahnsinnig war.

Zweitens. Ich möchte Sie fragen: Haben Sie den Mo-
natsbericht der Deutschen Bundesbank von August 1998
gelesen? Darin wird festgestellt, dass die Auslandsschul-
den der DDR zum 30. Juni 1990, also einen Tag vor Be-
ginn der Währungsunion, etwa 10 Milliarden Dollar be-
tragen hätten. Das ist etwa das, was Herr Kollege Claus
eben in Euro umgerechnet hat. Das ist keine Erfindung der
PDS, sondern das hat die Deutsche Bundesbank an Aus-
landsschulden festgestellt. Genau das hat mein Kollege
vorhin in der Debatte gesagt.


Dr. Rainer Wend (SPD):
Rede ID: ID1423012100
Frau Dr. Luft, ich danke Ihnen
sehr herzlich für die in Frageform gekleidete Kurzinterven-
tion, die Sie hier gemacht haben. Ich bleibe dabei: Die So-
zialistische Einheitspartei Deutschlands hat diesen Teil des
östlichen Landes ökonomisch, politisch und moralisch zu-
grunde gerichtet. Da beißt keine Maus einen Faden ab.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)


So unterschiedlich Herr Claus, Herr Nooke und Frau
Pieper ihre Positionen hier auch beschreiben, in einem




Roland Claus
22822


(C)



(D)



(A)



(B)


sind sie sich einig: Sie wollen einen Wettlauf beginnen,
wer die neuen Länder am schlechtesten redet. In diesen
Wettlauf werden wir Sozialdemokraten uns nicht einbin-
den lassen.


(Beifall bei der SPD)

Ich bedanke mich bei meiner Fraktion dafür, dass ich

in dieser Debatte als Einziger aus den alten Ländern spre-
chen kann.


(Gerhard Jüttemann [PDS]: Das hat man deutlich gemerkt!)


Ich komme aus Nordrhein-Westfalen. Gleichgültig, ob
CDU, SPD, FDP oder Grüne: Wenn irgendjemand in
Nordrhein-Westfalen unser Bundesland so schlecht reden
würde, wie Sie dies heute mit den neuen Ländern getan
haben, dann würden ihn die Bürgerinnen und Bürgern aus
den Sälen treiben. Ich wünsche Ihnen in Sachsen-Anhalt
dasselbe, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der SPD)

In einem, Herr Claus, möchte ich Ihnen ausdrücklich

Recht geben:

(Dr. Michael Luther [CDU/CSU]: Oh! Koalition!)

Weder Schönfärberei noch Schwarzmalerei ist die Lösung.
Richtig ist, dass wir in den neuen Ländern eine sehr diffe-
renzierte Situation haben. Wir haben eine bedrückende Ar-
beitslosigkeit und wir haben eine bedrückende Anzahl von
Insolvenzen.


(Günter Nooke [CDU/CSU]: Was wollen Sie denn machen, Herr Kollege!)


Ich möchte auf Folgendes hinweisen: Die Hauptquote
der Insolvenzen entfällt auf die Bauwirtschaft. Wer hat
dies zu verantworten? Wer hat zu Beginn der 90er-Jahre
die Sonderabschreibungsregelungen gemacht, die nicht
nur dazu geführt haben, dass Wohnräume und Büropaläs-
te leer stehen, sondern auch dazu, dass heute nach dem
Rückgang der überhitzten Konjunktur im Baubereich die
Überkapazitäten durch Insolvenzen zurückgeführt wer-
den? Die politische Verantwortung für diese Situation
trägt die rechte Seite dieses Hauses und nicht Sozial-
demokraten.


(Beifall bei der SPD)

Das ist die negative Seite, die wir nicht verschweigen dür-
fen.

Ich möchte aber auch über die positiven Dinge reden.
Es sind zwei Stichworte genannt worden, die ich gerne
noch etwas deutlicher beschreiben möchte.

Das erste ist Ammendorf: direkt 800 bis 900 Arbeits-
plätze. Eben habe ich aus der FDP den Zwischenruf
„Holzmann!“ gehört. Holzmann haben wir die Chance ge-
geben, dass die Marktkräfte auch in diesem Bereich der
Bauwirtschaft zu einer Gesundung beitragen. Das hat lei-
der nicht geklappt. Ammendorf geben wir dieselbe Chance.
Ich sage Ihnen, dass die Deutsche Bahn Bestellungen in
Milliardenhöhe über rollendes Material in Ammendorf
getätigt hat. Insbesondere wird dort auch für die S-Bahn

Berlin produziert werden. Das ist ein positives Signal. Wir
sollten uns gemeinsam darüber freuen, anstatt darüber zu
meckern, was dort passiert ist.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich bedanke mich bei der Bundesregierung für die In-
vestition in eine Zellstofffabrik in der strukturschwachen
Region der Altmark. Der Finanzminister des Landes hat
davon eben schon gesprochen. Über 1 Milliarde Euro
wird in rund 580 direkt dort vorhandene Arbeitsplätze in-
vestiert, durch eine Bundesbürgschaft von über 500 Mil-
lionen Euro gesichert. Das ist praktische Wirtschaftsför-
derung, auf die wir stolz sind und die wir uns nicht von
Ihnen kaputtreden lassen.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich weiß, Sie haben es mit den Zahlen etwas schwer.
Im Wahlkampf ist es schwierig, mit differenzierten Zah-
len zu argumentieren. Wir sagen: Die ökonomische
Situation im Osten ist deutlich besser, als Sie sie hier
schildern. Der Tiefpunkt im Osten, was die Entwicklung
des Bruttoinlandsprodukts anbelangt, lag im ersten Halb-
jahr 2001: Es sank um 0,6 Prozent. Im zweiten Halbjahr
lag es bereits bei 0 Prozent; es gab also kein Minus-
wachstum, das es in den alten Bundesländern gab. Für
2002 wird für das Wachstum im Westteil Deutschlands
eine Rate von 0,75 Prozent und im Ostteil eine Rate von
0,5 Prozent prognostiziert. Für 2003 liegen die Prognosen
aller Institute für das Wachstum des Bruttoinlandspro-
duktes für Ost und West mit 2,5 Prozent erstmals gleich-
auf. Das ist ein gutes Signal für den Osten.

Das „Handelsblatt“ schrieb am 21. März 2002: „Ost-
deutschland kommt steil aus dem Aufschwung heraus“.
Diese Botschaft, meine Damen und Herren, sollten Sie
den jungen Menschen überbringen, die Sorgen um die
Zukunft in den neuen Ländern haben, denjenigen, die
abzuwandern erwägen, um ihnen zu vermitteln, dass es
sich lohnt, zu bleiben und um diesen Standort Ost zu
kämpfen, weil es aufwärts geht, auch dank dieser Bun-
desregierung. Das dürfen wir auch einmal so positiv sa-
gen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Lassen Sie mich aber auch noch etwas speziell zum
verarbeitenden Gewerbe sagen.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Sagen Sie es erst einmal Herrn Thierse, damit er es weiter erzählt!)


Seit 1993 wächst die Produktion des verarbeitenden Ge-
werbes in Ostdeutschland um 6,8 Prozent jährlich, Herr
Nooke, und damit fünfmal schneller als in Westdeutsch-
land. Allein im Jahr 2001 stieg die Bruttowertschöpfung
in Sachsen um stolze 8,4 Prozent – Glückwunsch, Herr
Biedenkopf! –,


(Beifall bei der CDU/CSU)





Dr. RainerWend

22823


(C)



(D)



(A)



(B)


gefolgt von Sachsen-Anhalt mit 5,3 Prozent – Glück-
wunsch, Herr Ministerpräsident Höppner!


(Beifall bei der SPD)

– Klatschen Sie doch auch! Zeigen Sie auf der rechten
Seite des Hauses doch einmal Anstand und bekräftigen
Sie, dass sich die in Sachsen-Anhalt unternommenen An-
strengungen gelohnt haben!


(Beifall bei der SPD)

Ich komme zu den Rezepten, die auf der rechten Seite

des Hauses vertreten werden, wie man nun damit umge-
hen soll. Frau Kaspereit hat schon gesagt, dass über be-
reits vorhandene beträchtliche finanzielle Mittel hinaus
weitere Staatsprogramme von Ihnen gefordert werden.
Dies führt nicht nur zurück in den Verschuldungsstaat,
den Sie uns hinterlassen haben, nein, das zeugt auch von
einer unsinnigen Staatsgläubigkeit von CDU und FDP,


(Lachen bei der CDU/CSU)

im Vergleich zu der die PDS als Marktwirtschaftspartei
erscheint, wenn man deren Forderungen für den Osten
analysiert.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ihr zweites Rezept lautet Aufhebung der Tarifbindung,

Senkung von Löhnen und Aufhebung von Arbeitnehmer-
rechten. Wir haben in den neuen Ländern doch nur noch
verhältnismäßig wenige tarifgebundene Unternehmen.
Wir haben deutlich niedrigere Löhne als im Westen. Nach
Ihrer Logik müssten wir doch in den neuen Bundeslän-
dern Vollbeschäftigung haben. Das Gegenteil ist der Fall.
Deswegen sage ich: Wir werden es nicht zulassen, dass
unter dem Vorwand „Aufbau Ost“ Löhne noch weiter ge-
senkt und Arbeitnehmerrechte beseitigt werden. Dies ist
mit Sozialdemokraten nicht zu machen.


(Beifall bei der SPD)

Ich sage Ihnen deshalb abschließend: Die Bundes-

regierung hat die Aufgaben richtig beschrieben. Wir ste-
hen vor einer Generationenaufgabe. Sie mag nicht immer
nur spektakulär sein, wir brauchen einen langen Atem;
aber es ist keine Schönfärberei, wenn ich zum Ende mei-
nes Beitrages sage: Ostdeutschland ist auf gutem Wege,
wie in der Vorkriegszeit zu den fortgeschrittensten Indus-
trieregionen Deutschlands und Europas aufzuschließen.


(Widerspruch bei der CDU/CSU)

Krempeln wir gemeinsam die Ärmel hoch. Gehen wir

die Aufgabe entschlossen an. Wir sind bereit dazu. Kom-
men Sie aus Ihrer Meckerecke heraus und arbeiten Sie mit
uns am weiteren Aufschwung Ost. Es lohnt sich für unser
Land.


(Beifall bei der SPD – Jürgen Türk [FDP]: Zu Befehl! – Manfred Grund [CDU/CSU]: Erzählen Sie das erst einmal Herrn Thierse, damit er es schon einmal weiß!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1423012200
Für die
Fraktion der CDU/CSU spricht der Kollege Dr. Michael
Luther.


Dr. Michael Luther (CDU):
Rede ID: ID1423012300
Sehr geehrter Herr
Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist heute
sehr viel über die Situation in den neuen Bundesländern
und über die dortige wirtschaftliche Entwicklung gespro-
chen worden. Ich hätte an dieser Stelle gern dem Finanz-
minister von Sachsen-Anhalt, Herrn Gerhards, geant-
wortet und ihn gefragt, wovon er eigentlich redet.


(Vera Lengsfeld [CDU/CSU]: Er konnte nicht mal bis zum Ende der Debatte bleiben!)


Er hat von der Hinterlassenschaft der CDU gesprochen
und vergessen, dass Herr Höppner dort acht Jahre lang
Regierungsverantwortung getragen hat.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Vera Lengsfeld [CDU/CSU]: Die PDS war auch mit dabei!)


Das hat dazu geführt, dass Sachsen-Anhalt in der Rang-
liste der neuen Bundesländer auf dem letzten Platz, jedoch
im Hinblick auf die Abwanderung auf dem ersten Platz
steht. Das muss deutlich gesagt werden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Vera Lengsfeld [CDU/CSU]: E i n e n Spitzenplatz muss man ihnen ja lassen!)


Ich komme aus Sachsen und bin froh, dass die Erfolge
dieses Bundeslandes hier einmal erwähnt werden. Sach-
sen hat es mit der viel gescholtenen schwarzen Regierung
geschafft, Spitzenreiter zu sein, Silicon Valley für die
neuen Bundesländer zu sein und eine hervorragende wirt-
schaftliche Entwicklung vorzulegen. Das hat etwas mit
der dortigen Unionsregierung und – das will ich an dieser
Stelle auch erwähnen – mit Professor Biedenkopf zu tun,
der dieses Land als Ministerpräsident elfeinhalb Jahre gut
geführt hat.


(Dr. Rainer Wend [SPD]: Warum habt ihr ihn dann verjagt? – Susanne Kastner [SPD]: Ja, warum darf er denn nicht mehr Ministerpräsident sein?)


Ich möchte ihm recht herzlich dafür danken, dass er dies
für Sachsen geleistet hat.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Heute ist Georg Milbradt vom Sächsischen Landtag

zum neuen Ministerpräsidenten gewählt worden. Er wird
die Arbeit, die Professor Biedenkopf gemeinsam mit der
Union in Sachsen angefangen hat, fortsetzen. Auch ihm
herzlichen Glückwunsch!


(Beifall bei der CDU/CSU)

Herr Wend, darf ich vielleicht noch auf Ihre Rede rea-

gieren?

(Dr. Rainer Wend [SPD]: Ja, natürlich dürfen Sie das!)

Sie haben die Sonderabschreibungen kritisiert. Ich weiß
nicht, ob Sie eine Vorstellung davon haben, wie 1990 die
deutsche Einheit in den neuen Bundesländern begonnen
hat. Zuallererst musste alles unternommen werden, um
Straßen zu bauen, Städte zu sanieren und Gewerberaum
zu schaffen.




Dr. RainerWend
22824


(C)



(D)



(A)



(B)



(Dr. Rainer Wend [SPD]: Was hat denn die Sonderabschreibung mit Straßenbau zu tun? Können Sie mir das mal erklären?)


Ich meine, dass das Instrument der Sonderabschreibung
und die damit verbundene Mobilisierung von Privatkapi-
tal ein richtiger und guter Weg waren.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Es ist richtig, dass im verarbeitenden Gewerbe zum jet-

zigen Zeitpunkt eine Entwicklung stattfinden muss. Aber
– das haben Sie bei Ihren Ausführungen vergessen – Sie
ruinieren durch Ihre Politik die Bauwirtschaft in den
neuen Bundesländern. Ich will Ihnen auch sagen, wie.
Schauen Sie einmal in Ihren Bundeshaushalt 2002. Die
Investitionsquote dieses Bundeshaushalts erreicht einen
historischen Tiefstand. Sie haben den Kommunen die
Mittel, die ihnen für Investitionen zur Verfügung standen,
weggenommen. Die Kommunen haben keine Möglich-
keit, Investitionen zu tätigen. Das schadet der Bauwirt-
schaft in den neuen Bundesländern.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Aber nicht nur das ist ein Thema, das die Bauwirtschaft
in den neuen Bundesländern berührt. Auf der heutigen Ta-
gesordnung steht noch ein Antrag der Union als Zusatz-
punkt, zu dem ich jetzt sprechen möchte. Es geht darin um
das Thema Forderungssicherungsgesetz. Es ist kein Ge-
heimnis, dass nicht nur in den neuen, sondern auch in den
alten Bundesländern und insbesondere in der Bauwirt-
schaft die Unternehmen hohe Zahlungsausfälle zu ver-
zeichnen haben. Gerade das jüngste Beispiel, des Kanzlers
Holzmann-Pleite, zeigt, welche Folgen das hat. Sicherlich
werden es viele Kollegen in ihrem Wahlkreis gespürt ha-
ben: Es gibt dadurch Unternehmen in der Baubranche, die
Forderungen nicht geltend machen können und deswegen
unverschuldet in die Insolvenz gehen werden.

Der Mittelstand muss Jahr für Jahr – das ist Fakt – in
der Größenordnung eines einstelligen Milliardenbetrags
Zahlungsforderungsausfälle verkraften. Es ist allgemein
bekannt, dass mit den bestehenden gesetzlichen Regelun-
gen diesem Problem nicht effektiv begegnet werden kann.
Die Hauptursache liegt darin, dass der Werkunternehmer
zum einen vorleistungspflichtig ist und zum anderen in
dem Moment, in dem er eine Sache in ein Bauwerk ein-
baut, das Eigentum an der eingebauten Sache verliert.
Dann kann die Forderung oftmals nur schwer und manch-
mal gar nicht geltend gemacht werden. Gegen diese struk-
turelle Schlechterstellung des Werkvertragunternehmers
insbesondere in der Bauwirtschaft muss etwas unternom-
men werden. Sie wird mitunter – manchmal auch exten-
siv – ausgenutzt. Ich meine, wir sind im Deutschen Bun-
destag zum Handeln aufgerufen.

Der Zentralverband des Deutschen Handwerks schätzt,
dass 38,2 Prozent aller deutschen Betriebe durch Zah-
lungsausfälle betroffen sind. Um das Bild vollständig zu
zeichnen, stellt sich die Frage nach den Folgen. Zu nennen
ist der Schaden für den Unternehmer, wenn er die ausste-
henden Summen nicht eintreiben kann. Er bekommt kei-
nen Lohn für seine Arbeit. Dieser Verlust muss irgendwie

ausgeglichen werden. Das wird mit vielen Mitteln ver-
sucht und darunter leidet sicherlich auch die Bauqualität.

Es ist viel von den Arbeitnehmern und ihrer Situation
gesprochen worden. Die Lohnspirale geht nach unten,
weil versucht wird, das Problem über die Mitarbeiter auf-
zufangen. Im Fall der Insolvenz kann diese Folgeinsol-
venzen nach sich ziehen. Auch das gehört dazu: Diese
Bundesregierung hat zumindest eine Bilanz vorzulegen,
die nicht großartig ist. Dabei handelt es sich um die In-
solvenzbilanz. Diese ist wirklich spitze.

Was ist zu tun? Wir, der Gesetzgeber, müssen etwas un-
ternehmen. Vorweg möchte ich auf die Geschichte der
Gesetze eingehen, die der Verbesserung der Zahlungs-
moral dienen sollten. Schon 1997 hat die Union in den
neuen Bundesländern – das ist nicht verwunderlich; denn
gerade dort war es am kompliziertesten – über Maßnah-
men zur Verbesserung der Zahlungsmoral nachgedacht.
In Sachsen wurde zum ersten Mal am 26. Mai 1998 eine
Arbeitsgruppe einberufen, die sich intensiv mit diesem
Thema beschäftigt hat. Wenn man wirklich etwas verän-
dern will, dann stellt man sehr schnell fest, dass es sich bei
diesem Thema um eine sehr schwierige Materie handelt,
die auch Eingriffe in die Strukturen des BGB erfordert.
Man kann hier keine Entscheidung aus dem Bauch heraus
treffen. Das ist allen klar. Ich möchte einmal beispielhaft
die Mitglieder der Arbeitsgruppe nennen: An dieser Ar-
beitsgruppe nahmen nicht nur Justizbeamte, Richter und
Rechtsanwälte, sondern auch Vertreter der IHKs, von
Haus + Grund, des Baugewerbeverbandes und der Ver-
braucherschutzverbände teil. Alle saßen an einem Tisch
und haben versucht, Lösungen für das drängende Problem
zu finden.

Die Union hat die Ergebnisse dieser Arbeitsgruppe in
ihrem Entwurf eines Bauvertragsgesetzes aufgegriffen,
den sie am Anfang dieser Legislaturperiode eingebracht
hat. Erst dann – auch das ist bezeichnend für diese Regie-
rung – ist Frau Däubler-Gmelin tätig geworden.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Aber erst danach!)

Zuerst hat sie nur Sprüche gemacht und dann ein Gesetz
zur Beschleunigung fälliger Zahlungen vorgelegt, das un-
tauglich war.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: So ist es!)

Bereits in der Anhörung, die im Herbst 1999 durchge-

führt worden ist, hat sich gezeigt, dass dieses Gesetz nicht
funktionieren wird. Ich möchte nur an zwei Sachverhalte
erinnern: Die 30-Tage-Regelung beim Schuldnerverzug
bedeutete eine deutliche Schlechterstellung der Gläubi-
ger. Diese Regelung haben Sie mittlerweile einkassiert,
weil Sie selber gemerkt haben, dass man das Schuldrecht
so nicht modernisieren kann. Des Weiteren wurde eine
Fertigstellungsbescheinigung vorgeschlagen. Alle Sach-
verständigen haben gesagt, dass das nicht funktionieren
werde. Sie haben es trotzdem umgesetzt. Zwei Jahre spä-
ter müssen wir feststellen, dass das von niemandem ange-
wendet wird, weil es einfach nicht funktioniert. Das ganze
Gesetz, das Sie im Schnellschussverfahren beschlossen
haben, war ein Flop.


(Beifall bei der CDU/CSU – Norbert Geis [CDU/ CSU]: Das sehen die Handwerker genauso!)





Dr. Michael Luther

22825


(C)



(D)



(A)



(B)


Hinzu kommt noch etwas anderes: Mit diesem Gesetz
wurde das drängende Problem des Zahlungsausfalls nicht
gelöst. Der strukturelle Nachteil des Werkunternehmers
wurde nicht beseitigt. Unser damaliger Entwurf ging ex-
plizit auf die Sicherung der Forderungen des Werkunter-
nehmers ein. Wir wollten das Bauvertragsrecht moder-
nisieren. Im Herbst 1999 – ich betone: Herbst 1999 – hat
die Justizministerin die Einrichtung einer Bund-Länder-
Arbeitsgruppe zugesagt, die sich mit der Modernisierung
des Bauvertragsrechts beschäftigen sollte. Diese Arbeits-
gruppe hat erstmalig am 5. Dezember 2001 getagt, also
zwei Jahre nach der Zusage der Justizministerin. Sie hat
aber nicht auf Drängen der SPD oder von Frau Däubler-
Gmelin getagt. Nein, sie hat auf unsere Initiative hin ge-
tagt; denn wir in Sachsen haben beizeiten gemerkt, dass
die Bundesregierung an diesem Thema desinteressiert ist,
dass sie die Probleme der deutschen Unternehmen gar
nicht aufgreifen wollte. Deshalb haben wir seit diesem
Zeitpunkt erneut darüber nachgedacht, wie das Thema
„Sicherung der Forderungen des Werkunternehmers“ an-
gegangen werden kann. Eine entsprechende Arbeits-
gruppe gab es nicht nur in Sachsen, sondern auch in
Thüringen. Es wurde also in zwei Arbeitsgruppen ver-
sucht, langfristige Lösungen zu finden.


(Rainer Fornahl [SPD]: Auch in SachsenAnhalt, Herr Kollege!)


– Darauf komme ich gleich zu sprechen.
Ich möchte an dieser Stelle nur an die hungerstreiken-

den Frauen am Brandenburger Tor erinnern. Die Bundes-
regierung hat nichts gemacht. Das Schicksal der Frauen
hat sie kalt gelassen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP– Sabine Kaspereit [SPD]: Das ist nicht wahr! – Rainer Fornahl [SPD]: Wir haben einen Fonds zur Verfügung gestellt! Bleiben Sie bei der Wahrheit!)


Die Wahrheit ist also: Die Arbeitsgruppe ist erst auf
Drängen von Sachsen und Thüringen einberufen worden,
und zwar zwei Jahre nach dem zugesagten Termin. Es
stellte sich aber schnell heraus, warum diese Arbeits-
gruppe einberufen worden ist; auch das ist interessant. Zu-
erst hat man gesagt, man wolle aufgrund der Vorschläge
von Sachsen und Thüringen einen gemeinsamen Gesetz-
entwurf vorbereiten. Aber im Februar dieses Jahres hat
man gesagt, es müsse erst eine rechtstatsächliche Unter-
suchung durchgeführt werden. Man will dieses Thema
also auf die lange Bank schieben.

DerKommentar zu den Vorschlägen ist mir schon ein
bisschen aufgestoßen. Im Februar wurde gesagt, die Vor-
schläge seien völlig unbrauchbar und billige Wahlkampf-
tricks. Ich bin auf den geschichtlichen Ablauf so ausführ-
lich eingegangen, um diesem Argument zu begegnen. Die
Vorlage ist kein Schnellschuss, sondern lange überlegt
und von vielen kompetenten Beteiligten ausführlich dis-
kutiert worden. Es handelt sich um seriöse und wohl
durchdachte Lösungsvorschläge.

Handlungsbedarf besteht nach wie vor. Die Bund-Län-
der-Arbeitsgruppe hat ein solches Gesetz nicht auf den
Weg gebracht, weil das Bundesjustizministerium und die

Regierung es nicht wollten. Darum haben wir, die
CDU/CSU-Bundestagsfraktion, uns der Vorschläge von
Sachsen und Thüringen angenommen und sie in das For-
derungssicherungsgesetz eingearbeitet, das heute in erster
Lesung in den Bundestag eingebracht wird.

Nun zu Sachsen-Anhalt. Jetzt hat Sie wieder einmal
die Panik erfasst. Am Sonntag – das ist schon ein paarmal
gesagt worden – ist Wahl in Sachsen-Anhalt. Just, aus hei-
terem Himmel, kam aus Sachsen-Anhalt der Entwurf ei-
nes Vorleistungssicherungsgesetzes.


(Rainer Fornahl [SPD]: Nach langer Vorberatung!)


Gestern stand die Beratung dieses Gesetzentwurfs noch
auf der Tagesordnung für heute. Plötzlich haben Sie es
wieder zurückgenommen. Sie haben vielleicht selbst ge-
merkt, dass es ein Schnellschuss ist und man darüber viel-
leicht noch einmal nachdenken muss, weil Sie eben nur
aus dem Bauch heraus – vielleicht vordergründig wegen
der Wahl – etwas in den Bundestag einbringen wollten.

Ich hoffe darauf, dass Sie die Gesetzesvorlage noch
einmal überarbeiten und beraten, um sie dann in den Bun-
destag einzubringen. Es nutzt den Handwerkern über-
haupt nichts, wenn wir uns jahrelang im Deutschen Bun-
destag plakativ darüber unterhalten, wie wir das Problem
lösen können; vielmehr muss endlich eine tragfähige Lö-
sung her. Wenn Sie Ihre Vorlage in den Bundestag einge-
bracht haben, können wir das Thema zusammen angehen
und versuchen, etwas Gemeinsames auf den Weg zu brin-
gen.

Eines bleibt allerdings festzuhalten: Wir, die CDU/
CSU-Bundestagsfraktion, haben unserer Aufgabe als Op-
position im Deutschen Bundestag Rechnung getragen;
denn wir haben Sie nun schon zum zweiten Mal in dieser
Legislaturperiode getrieben. Sie haben auf unsere Vor-
schläge reagiert.


(Dr. Rainer Wend [SPD]: Hat er gesagt „getrieben“? – Norbert Geis [CDU/CSU]: Jetzt haben Sie es wieder zurückgezogen! – Günter Nooke [CDU/CSU]: Was ist denn mit dem Gesetz?)


– Getrieben. – Sie haben reagiert. Sie haben etwas viel-
leicht vergessen: Sie sollten zurzeit eigentlich regieren;
aber das können Sie nicht.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Die gewöhnen sich schon daran zu reagieren! – Günter Nooke [CDU/CSU]: Gute Übung für die Opposition!)


Das Forderungssicherungsgesetz ist ein mutiges und
notwendiges Gesetz. Wir, die Union, sind nicht der Auf-
fassung, dass man nach dem Motto verfahren sollte: Man
sollte etwas tun; aber es darf sich nichts bewegen. Deshalb
sind manche Themen, die in der nächsten Zeit vielleicht
schwierig und kritisch diskutiert werden können, von uns
aufgegriffen und dem Bundestag zur Beratung vorgelegt
worden:

Erstens. Dazu zählt zum Beispiel die Regelung zum
Thema Eigentumsvorbehalt beim Werkunternehmer. Sie
wird bei den Juristen in Deutschland eine Diskussion da-
rüber auslösen, ob man das machen kann oder nicht. Ich




Dr. Michael Luther
22826


(C)



(D)



(A)



(B)


meine aber, dass diese Regelung weder ein Systembruch
noch ein Fremdkörper im BGB ist. Sie schafft vielmehr
größtmögliche Klarheit über die Zuordnung von Eigen-
tumsrechten auch für denjenigen, der im Rahmen eines
Werkvertrags arbeitet.

Zweite Regelung: Änderung der Zivilprozessordnung.
Wir verbessern die Möglichkeit, auf zivilprozessualem
Weg, im Erkenntnisverfahren, möglichst schnell einen
vollstreckbaren Titel zu erlangen. Wir meinen, dass das
Voraburteil dazu ein geeignetes Instrument ist.

Drittens. Wir schlagen eine Regelung vor, mit deren
Hilfe der Aufenthaltsort eines Schuldners leichter ausfin-
dig gemacht werden kann. Das Finanzamt kann dies mit-
hilfe der staatlichen Stellen leisten. Ich glaube, dass auch
dem Privatmann, der einen Schuldner sucht, diese Mög-
lichkeit eröffnet werden sollte.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich will ganz klar feststellen, dass das nicht der Beliebig-
keit des Privatmanns überlassen werden darf, sondern dass
dazu natürlich ein gerichtlicher Beschluss notwendig ist.

Viertens. Wir wollen die Gründe für den Ausschluss
von der Geschäftsfähigkeit um die Straftatbestände Be-
trug, Untreue, Veruntreuung von Lohn usw. erweitern.
Auch das ist ein richtiger Schritt.

Dieses Gesetz beinhaltet sozusagen eine Menge Holz.
Ich bin mir sicher, dass dieses Gesetz, wenn es in Kraft
treten würde, seine Wirkung nicht verfehlen würde. Ich
habe bereits das Angebot unterbreitet, dass wir dieses Ge-
setz, vielleicht um Vorschläge der Regierung ergänzt, in
den Beratungen ausführlich diskutieren. Ziel muss es
sein, zu einem Ergebnis zu kommen. Es nutzt den Hand-
werkern in Deutschland nichts, wenn wir über die Pro-
bleme nur reden. Ein Ziel haben wir als Union heute auf
jeden Fall schon erreicht. Wir reden seit heute im Deut-
schen Bundestag wieder über die Frage: Wie kann man et-
was zur Verbesserung der Zahlungsmoral tun? Lassen Sie
uns dieses Thema angehen! Ehrliche Arbeit in Deutsch-
land muss sich endlich wieder lohnen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1423012400
Für die
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen spricht der Kol-
lege Werner Schulz.

Werner Schulz (Leipzig) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die
Attacken von Frau Pieper und Herrn Nooke auf die Bun-
desregierung wären möglicherweise in den Bereich von
Glaubwürdigkeit und Redlichkeit gerückt, wenn sie zu-
mindest eine Prise Selbstkritik enthalten hätten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Es ist doch keine faule Ausrede der Bundesregierung,
wenn sie sagt, dass die heutige Wachstumsschwäche
Deutschlands mit den Problemen und Folgen der Wieder-
vereinigung zusammenhängt. Schauen Sie sich die Ex-

pertise von Pedro Solbes an! Der EU-Wirtschaftskom-
missar sagt: Ein Drittel der Probleme, die in Deutschland
bestehen, ist auf die nach wie vor fließenden hohen Trans-
ferleistungen zurückzuführen. Das heißt übersetzt: auf
eine Fehlfinanzierung der deutschen Einheit, die nämlich
auf Pump finanziert worden ist und nicht durch eine soli-
darische Einmalleistung, die möglich gewesen wäre.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Ein Drittel der Wachstumsschwäche! 3 Prozent des Brutto-
inlandsprodukts, die wir nach wie vor permanent in die-
sen Prozess investieren müssen!

Ein weiteres Drittel der Wachstumsschwäche ist mit
den Überkapazitäten in der Bauindustrie und dem
Schrumpfungsprozess in Verbindung zu bringen. Das ist
ein hausgemachtes Problem, weil ein Wirtschaftswunder à
la 50er-Jahre erzeugt werden sollte. Frau Pieper, es stimmt
eben nicht, was Sie in dem Zehnpunkteprogramm Ihres
Antrages schreiben, dass der Wachstumsmotor der Bau-
konjunktur zum Erlahmen gekommen ist. Den hat es so nie
gegeben. Es sind Scheinblüten, die hier entstanden sind,
leere Büropaläste, verprellte Anleger, Überkapazitäten, die
wir heute mühsam abbauen müssen. Das ist die Wahrheit!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Jürgen Türk [FDP]: Es war alles zu bauen, was wir gebaut haben, und es ist noch mehr zu bauen!)


Das ist eine EU-Expertise. Die können Sie nachlesen. Das
ist von außen sehr realistisch analysiert worden.

Das letzte Drittel – damit komme ich zu den Proble-
men, die wir noch lösen müssen – beruht im Grunde – das
ist kein Geheimnis – auf den noch ausstehenden Refor-
men auf dem Arbeitsmarkt, in der Gesundheitspolitik und
in der Sozialpolitik.


(Jürgen Türk [FDP]: Gehen Sie die endlich an!)


Daran arbeiten wir.
Wenn Sie wirklich über die Situation in Sachsen-Anhalt

sprechen wollen – dafür ist ja diese ganze Debatte ange-
setzt worden –, dann sollten Sie an dieser Stelle auch ehr-
lich sein. Das betrifft – das fällt mir gerade ein – übrigens
auch Sie, Herr Luther. Sie sollten sich endlich abgewöh-
nen, immer zu wiederholen: Den Großen, Holzmann,
wird geholfen und die Kleinen lässt der Kanzler hängen.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist doch die Wahrheit! – Dr. Michael Luther [CDU/CSU]: So ist es doch!)


Wir haben den hungerstreikenden Handwerkerfrauen am
Brandenburger Tor mit Millionen unter die Arme gegrif-
fen. Schreiben Sie sich diesen Satz auf!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Norbert Geis [CDU/CSU]: Was sagen Sie zur Steuerreform?)


Hören Sie auf, so schamlos zu lügen! Ich muss ehrlich sa-
gen: An dieser Stelle verstehe ich keinen Spaß mehr.


(Zuruf von der CDU/CSU: Wir auch nicht!)





Dr. Michael Luther

22827


(C)



(D)



(A)



(B)


Von Ihrer Seite ist das unverschämt.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Von Ihnen! – Wei tere Zurufe von der CDU/CSU)

– Schreien Sie doch nicht so!


(Lachen bei der CDU/CSU)

Es ist eine Lüge. Sie lügen sich die Dinge doch zurecht.
Es stimmt nicht. Wir haben diesen Leuten geholfen.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1423012500
Herr Kol-
lege Schulz, bei allem Respekt: Innerhalb einer Minute
dreimal das Wort „Lüge“ ist ein bisschen viel. Ich bitte
alle Seiten des Hauses, sich in dieser Debatte zu mäßigen.

Werner Schulz (Leipzig) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Herr Präsident, ich nehme das an. Es war e i n e
Lüge.

An der Entwicklung Sachsen-Anhalts beispielsweise
ist zu sehen, dass wir nicht mehr von Ostdeutschland als
homogenem Gebiet sprechen können. Die ostdeutschen
Länder differenzieren sich auseinander. Sachsen-Anhalt
hatte einen unglaublich schwierigen Start, weil dort ein
Land gebildet worden ist, das nicht auf eine historisch ge-
wachsene Identität zurückgreifen konnte und das die
schwersten Hinterlassenschaften – die großen Chemie-
kombinate, die großen Schwermaschinenbaukombinate –
hatte. Kollege Claus, die DDR ist nicht wegen ihrer Aus-
landsschulden zusammengebrochen – ich weiß nicht, was
das nun wieder soll –,


(Roland Claus [PDS]: Das habe ich nicht behauptet!)


sondern die DDR ist wegen ihres gescheiterten Men-
schenbilds zusammengebrochen, wegen einer Repres-
sionsschraube, die eine ganze Generation zur Flucht ge-
trieben hat.

Im Übrigen haben wir die Abteilung Größenwahn – in
einer Außenstelle in Halle haben Sie, wie ich glaube, so-
gar gearbeitet – glücklicherweise aufgelöst. Die Einheit
von Wirtschafts- und Sozialpolitik war ein großer Flop
und hat zum Staatsbankrott geführt. Allerdings muss man
erklären, wieso in so einer verschwiemelten Koalition wie
in Sachsen-Anhalt die dafür Verantwortlichen ausge-
rechnet als stille Teilhaber mit Einfluss nehmen, nachdem
sie sich nun wirklich nicht gerade durch Kompetenz in
Wirtschaftsfragen ausgewiesen haben. Auch das ist eine
Frage.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Es gibt eine Stimmung in Sachsen-Anhalt, die sich un-

gefähr so wiedergeben lässt: Sachsen-Anhalt ist das Ar-
menhaus; daraus folgt Trostlosigkeit. Daran hat die PDS
– darüber sollten wir, Kollege Claus, vertieft diskutieren –
Anteil und Schuld, weil sie die Leute in ihrer negativen
Selbstwahrnehmung und in dem Selbstwertgefühl, Bür-
ger zweiter Klasse zu sein, bestärkt.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Davon leben die doch!)


Das sind sie aber nicht. Sie sind keine Bürger zweiter
Klasse. Sie haben Enormes erreicht, auch in Sachsen-An-
halt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir haben innerhalb von zwölf Jahren einen Struktur-
wandel hinbekommen, der sich sehen lassen kann und in
Europa ohne Beispiel ist. Das ist einfach Fakt. Wenn Sie
zusammen mit den zu kurz Gekommenen und denjenigen,
die über den Tisch gezogen wurden, dauernd den Sound
anstimmen „I can’t get no satisfaction“, dann bedienen
Sie zwar antiwestliche Ressentiments, aber das ist nicht
richtig und sie tun den Leuten damit auch keinen Gefal-
len. Gewöhnen Sie sich auch ab, immer im Namen des
ganzen Volkes zu sprechen. Das war vielleicht einmal so,
ist aber nicht mehr so. Diese Einheit von Partei und Volk
gibt es nicht mehr.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Da ich nur noch wenig Redezeit habe, möchte ich ein
positives Beispiel bringen. Den Bündnisgrünen geht es ja
in Ostdeutschland nicht gut.


(Gerhard Jüttemann [PDS]: Das will ich meinen!)


Das ist richtig. Aber in Rostock hat es sich zum Beispiel
schon geändert. Da haben wir bei der Oberbürgermeister-
wahl 19 Prozent erzielt.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Sie sehen: Mit guten Konzepten und Personen ist die Lage
für uns nicht hoffnungslos. Das ist auch in Sachsen-An-
halt ganz wichtig.

Wir haben beispielsweise auf dem Gelände von SKET,
dem Schwermaschinenkombinat Ernst Thälmann, heute
einen Windkraftanlagenbauer, der 2 400 Arbeitsplätze in
einer Zukunftsbranche geschaffen hat. Das muss man se-
hen. Wir sind also keine grünen Spinner, sondern haben
frischen Wind in die Wirtschaftspolitik von Sachsen-An-
halt gebracht. Nur das bringt uns weiter.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1423012600
Ich gebe das
Wort Staatsminister Rolf Schwanitz.


Rolf Schwanitz (SPD):
Rede ID: ID1423012700

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mich
noch einmal zu Wort gemeldet, weil nach meiner Ansicht
einfach ein paar Dinge richtig gestellt werden müssen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich will mich aber zunächst noch einmal ausdrücklich

bei Dr. Wend bedanken. Die Zuhörerinnen und Zuhörer,
die heute am Fernseher sitzen, hätten ja ansonsten den




Werner Schulz (Leipzig)

22828


(C)



(D)



(A)



(B)


Eindruck gewinnen können, dass nichts passiere. Ich sage
ausdrücklich noch einmal, dass der Haushaltsausschuss in
dieser Woche eine Bundesbürgschaft beschlossen hat, mit
deren Hilfe 580 Arbeitsplätze in einer Zellstofffabrik in
Stendal angesiedelt werden können. Hier handelt es sich
ganz konkret um Aufbau Ost. Das rückt Schmalspur-
anschuldigungen ins rechte Licht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es sind heute Aussagen getätigt worden, die an Un-
wahrheit grenzen; sie sind eigentlich glatt unwahr. Ich
spreche Sie, Herr Nooke, einmal direkt an, da Sie sich ja
auch ein wenig als Spezialist profiliert haben. Als Aller-
erstes will ich noch einmal etwas zu Ihrer Anschuldigung
bezogen auf die Aussagen des Bundeskanzlers bei der
Kommandeurtagung zum Thema Lohnangleichung sa-
gen. Der Bundeskanzler hat tatsächlich gesagt – ich darf
hier zitieren –:

Das, was angekündigt worden ist – z. B. aus Sach-
sen-Anhalt –, dass man das in einer gewissen Stu-
fenfolge machen will, scheint mir deswegen der rich-
tige Weg.

Das ist das gesprochene Wort: ein konkretes Bekenntnis
zum Stufenplan zur Angleichung der Löhne im Bereich
des öffentlichen Dienstes bis 2007. So ist der Sachverhalt,
nicht so, wie Sie ihn hier darstellten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich füge ausdrücklich noch einmal hinzu, da wir ja die
Unterschiede, Herr Nooke, nicht zukleistern sollten: Sie
sehen das in Ihrem Programm nur für Bundesbedienstete
vor; wir aber wollen keine neue Spaltung im öffentlichen
Dienst Ost. Das mögen Sie bitte Ihren Sympathisanten in
den neuen Bundesländern erklären. So viel zum Ersten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zweitens möchte ich schon noch einmal etwas zu den
ominösenÖffnungsklauseln Ost sagen. Sie haben dieses
Sonderrecht Ost wieder angeführt und es tauchte auch bei
verschiedenen anderen wieder auf. Ich will ausdrücklich
noch einmal sagen – allein schon aus Respekt vor dem
Altbundeskanzler Helmut Schmidt –: Als dieser Vor-
schlag im Herbst letzten Jahres kam,


(Günter Nooke [CDU/CSU]: Es geht um unseren Antrag!)


hat die Wirtschaftsministerkonferenz Ost gemeinsam mit
dem Bundeswirtschaftsminister sofort eine Arbeitsgruppe
eingesetzt – übrigens unter Federführung von Sachsen –,
die zu dem Ergebnis kam, dass dies aus rechtlichen Grün-
den nicht möglich ist.


(Günter Nooke [CDU/CSU]: Was? Fragen Sie mal in Sachsen nach! Mit wem haben Sie da geredet?)


Es hat noch vor Ostern – das wissen Sie alles; ich darf
es aber hier noch einmal sagen – eine Ministerpräsiden-
tenkonferenz Ost stattgefunden, bei der die Ministerpräsi-

denten gesagt haben, sie wollten so etwas für alle Länder.
Übrigens war Ministerpräsident Teufel der Erste, der ge-
sagt hat, für den Osten allein könne es das nicht geben,
wenn, dann für alle. Das ist die Situation. Also hören Sie
doch auf, solche Dinge zu erzählen, von denen Sie ganz
genau wissen, dass sie nicht umgesetzt werden können!

Wenn übrigens die größte Regionalzeitung in Ost-
deutschland unmittelbar zu dieser Diskussion mit Blick
auf Stoibers Forderung sinngemäß schreibt, dass etwas
versprochen werde, von dem man ganz genau wisse, dass
es das nicht geben werde, dann ist das eine klare Antwort
auf solche inhaltslosen Perspektiven, die Sie hier formu-
liert haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zum Schluss möchte ich ausdrücklich noch einmal sa-
gen – ich kann das in der Kürze der Zeit nicht weiter aus-
führen; wir haben aber lang und breit darüber geredet –:
Das hat natürlich auch etwas mit der Entsolidarisierungs-
strategie zu tun, die parallel dazu praktisch vollzogen
wird, und zwar durch die Politik des bayerischen Minis-
terpräsidenten mit der Verfassungsklage in Karlsruhe ge-
gen den Risikostrukturausgleich, die sich gegen den Mit-
telstand in Ostdeutschland richtet.


(Widerspruch bei der CDU/CSU)

Im Erfolgsfall droht eine Explosion der Lohnnebenkosten
und wird bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern
in die Lohntüte gegriffen werden. Das ist das konkrete
Handeln, das Sie gerne verstecken möchten. Das wird Ih-
nen aber nicht gelingen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1423012800
Für die
FDP-Fraktion spricht der Kollege Jürgen Türk.


Jürgen Türk (FDP):
Rede ID: ID1423012900
Sehr geehrter Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollegin Lemke, Kol-
lege Dr. Wend, Sie haben gesagt, die Opposition rede den
Standort kaputt und deswegen sei alles so schlecht. Aber
einen Standort kann man nur kaputtregieren.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Das kenne ich aus DDR-Zeiten: Die Meckerer sind die
Schlimmen und deshalb sind sie auch eingesperrt worden.
So weit gehen Sie nicht. Aber einen Standort kann man
nur kaputtregieren. Die jungen Leute gehen nicht weg,
weil alles schlechtgeredet wird, sondern sie gehen weg,
weil sie keine Perspektive mehr haben. Das ist die Rea-
lität.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zum Stadtumbauprogramm: Natürlich ist der Ansatz
gut; aber Fakt ist auch, dass die Mittel, die dafür vorgese-
hen sind, nicht reichen. Damit bekommen Sie nicht ein-
mal den Abriss in einem vernünftigen Zeitraum hin. Das
kann man vorrechnen. Sie jedoch tun so, als sei alles




Staatsminister Rolf Schwanitz

22829


(C)



(D)



(A)



(B)


schön und gut, aber die Leute gehen trotzdem weg. Also
Schluss mit dieser Schönrederei!


(Beifall der Abg. Cornelia Pieper [FDP])

Sie sind als SPD insbesondere für mehr Gerechtigkeit

angetreten. Das ist eine schöne Sache. Aber es ist Ihnen
nicht gelungen, mehr Wirtschaftswachstum zu erreichen,
was sich auf dem Arbeitsmarkt bemerkbar macht. Die
Schere zwischen Ost und West öffnet sich. Das ist keine
Schlechtrederei, sondern das ist Fakt. Daraus muss man
entsprechende Schlussfolgerungen ziehen.


(Zuruf von der SPD: Nein, da muss man differenzieren!)


Jetzt zu einer großen Gerechtigkeitslücke aus jüngster
Vergangenheit, der Rentenlücke beim ehemaligen mitt-
leren medizinischen Personal. Das ist bisher vergessen
worden. Wahrscheinlich wird das mittlere medizinische
Personal immer vergessen. Wir wollen das hier nicht tun.
Es handelt sich dabei um eine große Gruppe, die viel ver-
dient hätte, weil sie viel geleistet hat, die aber wenig ver-
dient hat. Die DDR hat sie damals auf die Rente vertrös-
tet; der Rentenanspruch sah einen Faktor von 1,5 vor.
Dann ist die DDR zu Ende gegangen


(Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Das tut Ihnen wohl Leid?)


und da war guter Rat teuer. Wir haben entsprechend dem
DDR-Gesetz bis 1996 den Bestandsschutz gewährt und
bei den Renten mit 1,5 multipliziert. Krankenschwestern
und Pfleger jedoch, die ab 1997 – das ist das Problem –
Rentner geworden sind, erhalten jetzt monatlich mindes-
tens 500 DM weniger. Das sind immerhin 340 000 Men-
schen, die ungerecht behandelt werden und sich auch so
behandelt fühlen.


(Sabine Kaspereit [SPD]: Von wem?)

Es ist nachvollziehbar, wenn sie sagen, dass es so nicht
geht.

Deswegen haben mein Kollege Klaus Haupt, meine
Kollegin Cornelia Pieper und ich die Initiative ergriffen
und hat die FDP den Antrag gestellt, die Rente für das
mittlere medizinische Personal wie bis 1996 zu berech-
nen.


(Sabine Kaspereit [SPD]: Seit wann sind Sie im Deutschen Bundestag?)


Wir fordern ein faires Rentenrecht für alle, die ab 1997
Rentner geworden sind, damit sie als Rentner nicht ganz
alt aussehen.


(Beifall bei der FDP)

Ich möchte noch eine letzte Bemerkung machen. Bei

den Problemen in Ostdeutschland handelt es sich um Pro-
bleme, über die man nicht einfach so daherreden kann.
Aber wahrscheinlich halten Sie diese Probleme für nicht
so wichtig; denn bei dieser Debatte hat sich kein Minister
sehen lassen.


(Peter Dreßen [SPD]: Ein Minister sitzt doch da!)


– Ausnahmen bestätigen die Regel.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP – Sabine Kaspereit [SPD]: Schwach, sehr schwach, Herr Türk!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1423013000
Als letzter
Redner in dieser Debatte hat der Kollege Hans-Peter
Kemper das Wort für die Fraktion der SPD.


Hans-Peter Kemper (SPD):
Rede ID: ID1423013100
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Bevor ich zu dem eigentlichen
Thema, nämlich zu der Angleichung der Löhne in Ost und
West, komme, möchte ich eine Vorbemerkung zum Ver-
lauf dieser Debatte machen.

Mein Kollege Rainer Wend hat darauf hingewiesen,
dass es in Wahlkampfzeiten oftmals schwierig ist, sauber
zu differenzieren. Wenn Herr Nooke in fachlicher Hin-
sicht Unsinn erzählt, dann ist das sein Problem; damit
muss er allein fertig werden. Wenn er aber angesichts der
näher rückenden Wahl in Sachsen-Anhalt nicht in der
Lage ist, menschlich sauber und fair mit den Kolleginnen
und Kollegen unserer Fraktion umzugehen, dann ist das
bedenklich. Er hat meine Kollegin Sabine Kaspereit der
Lüge bezichtigt. Als er in diesem Punkt widerlegt worden
ist, hat er nicht einmal den Anstand gehabt, sich zu
entschuldigen und diese Behauptung zurückzunehmen.
Das ist menschlich zutiefst unanständig und hat nachtei-
lige Auswirkungen auf den Umgang miteinander.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der SPD: Pfui!)


Die Forderung gleicher Lohn für gleiche Arbeit ist ein
Stück sozialer Gerechtigkeit und damit auch ein Stück
grundsätzlicher Politik der Sozialdemokratie. Es ist nicht
nachzuvollziehen, dass im Osten unseres Landes Men-
schen für engagierte und gute Arbeit weniger Geld be-
kommen als im Westen. Daher begrüßen wir, dass sich
Ministerpräsident Höppner und Bundeskanzler Schröder
in dieser Frage sehr deutlich geäußert haben und ener-
gisch eine Angleichung gefordert haben. Wir unterstützen
nachdrücklich diese Forderung und werden alles daran-
setzen, den einmal eingeschlagenen Weg weiterzugehen.

Bei den letzten Tarifverhandlungen sind die Löhne und
Gehälter im öffentlichen Dienst im Osten in drei Stufen
von 86,5 auf heute 90 Prozent angehoben worden. Das ist
zwar noch nicht genug und reicht nicht aus.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Was war die Ausgangslage?)


Aber es sind wichtige Schritte in die richtige Richtung.
Die Nettobetrachtung ergibt ein etwas günstigeres Bild.
Aber trotzdem unterstütze ich nachdrücklich das Ziel ei-
nerAngleichung der Löhne und Gehälter. Diese Forde-
rung müssen wir bis zum Jahre 2007 in die Tarifverhand-
lungen einbringen.

Hier bin ich bei einem ganz wichtigen Punkt. Vielleicht
nicht alle, aber doch die meisten Kolleginnen und Kolle-
gen in diesem Hause wissen, dass Besoldungserhöhungen
immer in einem engen zeitlichen und inhaltlichen Zusam-
menhang mit den Tarifabschlüssen im öffentlichen Dienst




Jürgen Türk
22830


(C)



(D)



(A)



(B)


stehen. Es gilt nämlich die Regel: Tarif muss vorangehen;
den Tarifverhandlungen darf nicht vorgegriffen werden.
Das gilt auch für die Angleichung der Löhne und Gehäl-
ter in Ost und West. Genau dies und nichts anderes haben
Gerhard Schröder und Reinhard Höppner gefordert.

Es ist völlig unstrittig, dass die Einheitlichkeit der
Löhne und Gehälter in Ost und West die Menschen seit
der Wiedervereinigung beschäftigt. Es ist auch klar, dass
gleicher Lohn für gleiche Arbeit ein wichtiges Element
für das Zusammenwachsen unserer Gesellschaft ist. Aber
auch wenn man diese Erkenntnis teilt, kann man nicht alle
Regeln über Bord werfen. Wir müssen die Kompetenzen
bezüglich dieser Frage dort lassen, wo sie hingehören,
nämlich bei den Tarifparteien. Das gilt umso mehr, als un-
gefähr 78 Prozent der öffentlich Bediensteten in den
neuen Bundesländern Arbeiter und Angestellte und nur
22 Prozent Beamte sind.

Lassen Sie mich noch einen anderen wichtigen Aspekt
ansprechen. 1998 haben wir von der Vorgängerregierung
eine Rekordverschuldung übernommen.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Wir mussten den sozialistischen Schrott beseitigen!)


Der Staatshaushalt musste stabilisiert werden. Gleichzei-
tig musste die Rekordarbeitslosigkeit abgebaut werden,
die Sie uns ebenfalls überlassen hatten. Deswegen sind
die Forderungen der PDS nach einer schnellen Anglei-
chung nur schrittweise zu erfüllen. Es darf nicht zu einer
Präjudizierung der Verhandlungen über die Beamten-
besoldung kommen.

Auf der anderen Seite müssen wir die Länder und Kom-
munen in Ostdeutschland einbeziehen. Diejenigen, die
später die Hauptlast dieser Regelungen im finanziellen Be-
reich zu tragen haben, müssen auch beteiligt werden. Denn
in den neuen Bundesländern gibt es 733000 Beschäftigte
im öffentlichen Dienst.

Eine Anhebung der Löhne und Gehälter auf 100 Pro-
zent würde etwa 8 Milliarden DM kosten. Auf Bundes-
ebene würden nur 700 000 DM anfallen. Das könnte der
Bund leicht leisten. Aber es wäre unverantwortlich, das
auf Bundesebene zu beschließen, ohne Länder und Kom-
munen einzubeziehen, und dann die Länder und Kommu-
nen mit diesem Problem allein zu lassen.


(Roland Claus [PDS]: Aber ihr habt es doch beim Parteitag so beschlossen!)


Die Länder und Kommunen werden ungleich höher be-
lastet. Deswegen kann es für Bund, Länder und Kommunen
nur einen Weg geben. Wir werden gemeinsam dazu beitra-
gen, dass die Löhne und Gehälter in den Tarifverhandlungen
bis zum Jahre 2007 – zumindest soll dies versucht werden –
auf Westniveau angeglichen werden. Allerdings muss dies
unter den schon heute geltenden Voraussetzungen gesche-
hen, dass der Tarif weiterentwickelt wird, den Tarifverhand-
lungen nicht vorgegriffen wird und es nicht zu untragbaren
finanziellen Belastungen von Kommunen und Ländern
kommt. Hier ist nur ein gemeinsamer Weg erfolgverspre-
chend und den werden wir gehen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1423013200
Ich schließe
die Aussprache.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Angelegenheiten der neuen Länder auf Drucksache
14/8569 zu dem Antrag der FDP-Fraktion mit dem Titel
„Offensive für Zukunftsinvestitionen in neuen Bundeslän-
dern starten – Abwanderung stoppen – 10-Punkte-Pro-
gramm für den Aufbau Ost“. Der Ausschuss empfiehlt, den
Antrag auf Drucksache 14/6066 abzulehnen. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthal-
tung? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS gegen die
Stimmen von FDP und CDU/CSU angenommen.

Tagesordnungspunkt 4 c: Interfraktionell wird Über-
weisung der Vorlage auf Drucksache 14/7833 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist
die Überweisung so beschlossen.

Tagesordnungspunkt 4 d: Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Wirtschaft und Technologie auf Druck-
sache 14/8519 zu dem Antrag der Fraktion der SPD und
des Bündnisses 90/Die Grünen mit dem Titel „Waggon-
baustandorte erhalten“. Der Ausschuss empfiehlt, den An-
trag auf Drucksache 14/7973 anzunehmen. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthal-
tungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS bei Enthal-
tung der CDU/CSU und der FDP angenommen.

Tagesordnungspunkt 4 e: Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Angelegenheiten der neuen Länder auf
Drucksache 14/8567 zu dem Antrag der PDS-Fraktion
„Verlässliche Perspektiven für Ostdeutschland und auch
für die westdeutschen Steuerzahlenden sichern“. Der Aus-
schuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/6492 ab-
zulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfeh-
lung ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen
der PDS angenommen.

Tagesordnungspunkt 4 f: Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Wirtschaft und Technologie auf Druck-
sache 14/4691 zu dem Antrag der PDS-Fraktion „Gleich-
stellung der von Strukturkrisen betroffenen Bergleute in
Ost und West“. Der Ausschuss empfiehlt, diesen Antrag
auf Drucksache 14/2385 abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltun-
gen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des
Hauses gegen die Stimmen der PDS angenommen.

Tagesordnungspunkt 4 g sowie Zusatzpunkte 3 und 4:
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 14/7612 und 14/8783 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. –
Das Haus ist damit einverstanden.

Bei der Drucksache 14/8791 wünscht die PDS eine Ab-
stimmung zur Sache. Wer stimmt dafür, dass zur Sache
abgestimmt wird? – Wer ist dagegen? – Enthaltungen? –
Dann überweisen wir, wenn Sie damit einverstanden sind,
auch diese Drucksache an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse.




Hans-Peter Kemper

22831


(C)



(D)



(A)



(B)


Wir kommen jetzt zu Überweisungen im vereinfachten
Verfahren ohne Debatte. Ich rufe die Tagesordnungs-
punkte 29 a bis 29 q sowie Zusatzpunkte 5 a und 5 b auf:
29a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-

gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung des Straßenverkehrsgesetzes und ande-
rer straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften

(StVRÄndG)

– Drucksache 14/8766 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung
des Gesetzes zum NATO-Truppenstatut und ande-

(Verteidigungslastenzuständigkeitsänderungsgesetz – VertLastÄndG)

– Drucksache 14/8764 –
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss (f)

Verteidigungsausschuss

c) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Neunten Gesetzes zur
Änderung des Gesetzes über die Errichtung ei-
ner Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder“
– Drucksache 14/8733 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Ausschuss für Gesundheit

d) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur
Änderung des Mineralölsteuergesetzes
– Drucksache 14/8711 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

e) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Christine Ostrowski, Heidemarie Ehlert, Rolf
Kutzmutz, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion der PDS eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung des Investitionszulage-
gesetzes 1999
– Drucksache 14/8549 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder

f) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Moder-
nisierung des Stiftungsrechts
– Drucksache 14/8765 –

Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Innenausschuss
Sportausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Kultur und Medien

g) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung des Pflichtversicherungsgesetzes und an-
derer versicherungsrechtlicher Vorschriften
– Drucksache 14/8770 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft

h) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung des Rechts der Vertretung durch Rechts-
anwälte vor den Oberlandesgerichten
– Drucksache 14/8763 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss

i) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erleich-
terung des Marktzugangs im Luftverkehr
– Drucksache 14/8730 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie

j) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes
zur Änderung des Hochschulrahmengesetzes

(6. HRGÄndG)

– Drucksache 14/8732 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

k) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Dr. Dieter Thomae, Detlef Parr, Dr. Irmgard
Schwaetzer, weiteren Abgeordneten und der Frak-
tion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Sicherung einer angemessenen Vergü-
tung psychotherapeutischer Leistungen im
Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung
– Drucksache 14/8400 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung

l) Beratung des Antrags der Abgeordneten Tobias
Marhold, Brigitte Adler, Ingrid Becker-Inglau, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie
der Abgeordneten Monika Knoche, Dr. Angelika




Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters
22832


(C)



(D)



(A)



(B)


Köster-Loßack, Hans-Christian Ströbele, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN
Entwicklungszusammenarbeit mit Namibia
– Drucksache 14/5796 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für Tourismus

m)Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus-
Jürgen Hedrich, Dr. Norbert Blüm, Siegfried
Helias, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU
Gezielter und intensiver als bisher Demokrati-
sierung und Wiederherstellung des Rechtsstaa-
tes in Simbabwe unterstützen
– Drucksache 14/5757 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe

n) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Heidemarie Ehlert, Heidemarie Lüth, Dr. Barbara
Höll, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
PDS
Bestellung einer Amtsanklägerin/eines Amts-
anklägers
– Drucksache 14/7227 –
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss

o) Beratung des Antrags der Abgeordneten Petra
Bläss, Wolfgang Gehrcke, Uwe Hiksch, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Partnerschaftliche Beziehungen zu Latein-
amerika festigen und ausbauen
– Drucksache 14/8558 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

p) Beratung des Antrags der Abgeordneten Georg
Brunnhuber, Dirk Fischer (Hamburg),
Dr.-Ing. Dietmar Kansy, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der CDU/CSU
Mitwirkungsrechte des Deutschen Bundestages
bei Transrapid-Entscheidungen sichern
– Drucksache 14/8590 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Haushaltsausschuss

q) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hartmut
Büttner (Schönebeck), Kurt-Dieter Grill, Peter
Letzgus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU
Fortschreibung des Bundesverkehrswegeplans
Erschließung der Altmark und angrenzender
Gebiete mittels der Autobahnen A 14 und A 39
in Form der so genannten X-Konzeption
– Drucksache 14/8591 (neu)
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

ZP 5a) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung tier-
arzneimittelrechtlicher Vorschriften
– Drucksache 14/8613 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft (f)

Ausschuss für Gesundheit

b) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge-
brachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Än-
derung des Regionalisierungsgesetzes
– Drucksache 14/8781 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Der Gesetzentwurf auf Drucksache 14/8711
– Tagesordnungspunkt 29 d – soll zusätzlich an den Aus-
schuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
überwiesen werden. – Ich sehe, dass das Haus damit ein-
verstanden ist. Dann ist so beschlossen.

Wir kommen jetzt zu den Tagesordnungspunkten 30 a
bis 30 l sowie zu Zusatzpunkt 6. Es handelt sich um die
Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Ausspra-
che vorgesehen ist.

Tagesordnungspunkt 30 a:
Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Dr. Uwe-Jens Rössel, Dr. Winfried Wolf,
Dr. Dietmar Bartsch, weiteren Abgeordneten und
der Fraktion der PDS eingebrachten Entwurfs ei-
nesGesetzes zur Änderung des Eisenbahnkreu-
zungsgesetzes (EkrG)

– Drucksache 14/3332 –

(Erste Beratung 109. Sitzung)

a) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-

schusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswe-
sen (15. Ausschuss)

– Drucksache 14/8551 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Wieland Sorge




Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters

22833


(C)



(D)



(A)



(B)



(8. Ausschuss)

– Drucksache 14/8556 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Bartholomäus Kalb
Gerhard Rübenkönig
Matthias Berninger
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Uwe-Jens Rössel

Der Kollege Dr. Uwe-Jens Rössel, PDS-Fraktion, hat
gebeten, eine kurze persönliche Erklärung dazu abgeben
zu dürfen. Ich gebe ihm das Wort.


Dr. Uwe-Jens Rössel (PDS):
Rede ID: ID1423013300
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mein Abstim-
mungsverhalten bei der Entscheidung über den von der
PDS eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung
des Eisenbahnkreuzungsgesetzes darlegen und kurz be-
gründen. Dazu liegen die Beschlussempfehlung und der
Bericht des federführenden Ausschusses für Verkehr,
Bau- und Wohnungswesen auf Drucksache 14/8551 vor.
Die Beschlussempfehlung lautet, den Gesetzentwurf der
PDS-Fraktion abzulehnen.

Ich stimme gegen diese Beschlussempfehlung, weil
damit eine Ungleichbehandlung ostdeutscher Kommunen
zementiert und für rechtens erklärt wird.

Es geht darum, dass ostdeutsche Kommunen auch
weiterhin die Grundsanierungskosten, die sich bei der
Rekonstruktion der über Jahrzehnte vernachlässigten
Straßenbrücken über Schienenwege der Eisenbahn er-
geben, tragen müssen,


(Peter Dreßen [SPD]: Das müssen alle!)

während im Altbundesgebiet dafür die Eisenbahnunterneh-
men aufzukommen haben. Das ist Ungleichbehandlung pur.
Als so genannte Begründung für diese Ungleichbehandlung
muss eine formale DDR-Verwaltungsvereinbarung aus dem
Jahre 1953 herhalten, nach der Straßenüberführungen in die
Baulast der Kommunen übertragen wurden.

Ich stimme gegen diese Beschlussempfehlung, weil die
eben angesprochene Übertragung aufgrund einer 49 Jahre
alten DDR-Verwaltungsvereinbarung nur eine Verant-
wortung, bloß auf dem Papier, mit sich brachte. Die Kom-
munen in der ehemaligen DDR hatten – ich zitiere –

keine eigene Finanzhoheit und sind mithin für den
schlechten Erhaltungszustand der Brückenbauwerke
nicht verantwortlich zu machen.

Dieses Zitat stammt aus einem Änderungsantrag der
SPD-Fraktion zum Eisenbahnkreuzungsgesetz aus der
letzten Wahlperiode. Damals, vor fünf Jahren, liebe Kol-
leginnen und Kollegen, hat auch die SPD-Fraktion ver-
langt – ich zitiere Ihren eigenen Antrag –, dass die Kosten
für die aufgelaufenen Unterhaltungsrückstände nicht den
ostdeutschen Kommunen aufgebürdet werden, sondern je
zur Hälfte vom Bund und vom Eisenbahnunternehmen zu
tragen sind. Genau diese damalige Forderung der SPD
– und nichts anderes – steht heute im Gesetzentwurf der
PDS.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1423013400
Herr Kol-
lege Rössel, Sie können begründen, warum Sie wie stim-
men, aber Sie haben nicht das Recht, sich im Rahmen ei-
ner persönlichen Erklärung mit den Positionen der
anderen Fraktionen auseinander zu setzen. Ich bitte Sie
daher, zum Schluss zu kommen.


Dr. Uwe-Jens Rössel (PDS):
Rede ID: ID1423013500
Ich stimme gegen die
Beschlussempfehlung des federführenden Ausschusses,
weil die im Bericht des Ausschusses erwähnten Entlas-
tungsmaßnahmen für die Jahre 1999 bis 2003 in einer Ge-
samthöhe von rund 125 Millionen Euro das Problem nicht
lösen werden. Ich stimme ferner gegen die Beschlussemp-
fehlung, weil damit die jahrelangen Hilferufe der Kommu-
nalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker ignoriert wer-
den. Ich stimme gegen die Beschlussempfehlung, weil sich
die kommunalen Spitzenverbände in Stellungnahmen, die
uns vorgelegt worden sind, deutlich für die Annahme die-
ser parlamentarischen Initiative ausgesprochen haben.

Die Annahme des PDS-Gesetzentwurfes durch das
Hohe Haus wäre gerade in Zeiten dramatischer Finanznot
ostdeutscher Kommunen ein spürbarer Schritt zu deren
Entlastung von Ausgaben, die sie nicht zu verantworten
haben. Ich bitte Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, hel-
fen Sie mit, zu retten, was noch zu retten ist. Stimmen Sie
gegen diese Beschlussempfehlung!


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1423013600
Herr Kol-
lege Rössel, Sie können Ihr Abstimmungsverhalten be-
gründen. Ich entziehe Ihnen das Wort.


Dr. Uwe-Jens Rössel (PDS):
Rede ID: ID1423013700
Ich bedanke mich für
Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der PDS)


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1423013800
Sie können

Ihr Abstimmungsverhalten begründen und sonst nichts.
Der Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

empfiehlt auf Drucksache 14/8551, den Gesetzentwurf
abzulehnen. Diejenigen, die diesem Gesetzentwurf zu-
stimmen möchten, bitte ich um das Handzeichen. – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist in zweiter Beratung mit den Stimmen des Hauses ge-
gen die Stimmen der PDS abgelehnt. Damit entfällt nach
unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.

Tagesordnungspunkt 30 b:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zu dem Protokoll vom 3. Juni 1999 betreffend
die Änderung des Übereinkommens vom 9. Mai
1980 über den internationalen Eisenbahnver-
kehr (COTIF)

– Drucksache 14/8172 –

(Erste Beratung 218. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

(15. Ausschuss)

– Drucksache 14/8547 –




Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters
22834


(C)



(D)



(A)



(B)


Berichterstattung:
Abgeordneter Horst Friedrich (Bayreuth)


Der Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
empfiehlt auf Drucksache 14/8547, den Gesetzentwurf
anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in
zweiter Beratung einstimmig angenommen.

Wir kommen zur
dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge-
genstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist
mit der gleichen Mehrheit wie in der zweiten Beratung an-
genommen.

Tagesordnungspunkt 30 c:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs ei-
nes Gesetzes zu dem Übereinkommen vom
2. Februar 1998 über die Vorrechte und Befrei-
ungen der Kommission zum Schutz der Mee-
resumwelt der Ostsee
– Drucksache 14/8217 –

(Erste Beratung 221. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
heit (16. Ausschuss)

– Drucksache 14/8614 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Christel Deichmann
Kurt-Dieter Grill
Winfried Hermann
Birgit Homburger
Eva Bulling-Schröter

Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktor-
sicherheit empfiehlt auf Drucksache 14/8614, den Ge-
setzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen möchten, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-
wurf ist einstimmig angenommen.

Tagesordnungspunkt 30 d:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zu dem Abkommen vom 21. November 2000
zwischen der Regierung der Bundesrepublik
Deutschland und der Regierung der Republik
Polen über den Bau und die Erhaltung von
Grenzbrücken im nachgeordneten Straßennetz
– Drucksache 14/8224 –

(Erste Beratung 221. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

(15. Ausschuss)

– Drucksache 14/8641 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Renate Blank

Der Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
empfiehlt auf Drucksache 14/8641, den Gesetzentwurf
anzunehmen. Diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustim-
men möchten, bitte ich um das Handzeichen. – Gegen-
probe! – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zwei-
ter Beratung einstimmig angenommen.

Wir kommen zur
dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte, sich zu erheben, wenn
Sie zustimmen möchten. – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.

Tagesordnungspunkt 30 e:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs ei-
nes Gesetzes zu dem Abkommen vom 10. No-
vember 2000 zwischen der Regierung der Bun-
desrepublik Deutschland und der Regierung
der Französischen Republik über die Zusam-
menarbeit bei der Wahrnehmung schifffahrts-
polizeilicher Aufgaben auf dem deutsch-fran-
zösischen Rheinabschnitt
– Drucksache 14/8219 –

(Erste Beratung 221. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

(15. Ausschuss)

– Drucksache 14/8645 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Renate Blank

Der Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
empfiehlt, diesen Gesetzentwurf anzunehmen. Diejeni-
gen, die dem Gesetzentwurf zustimmen möchten, bitte
ich, sich zu erheben. – Gegenprobe! – Enthaltungen? –
Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.

Tagesordnungspunkt 30 f:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zu dem Vertrag vom 12. September 2000 zwi-
schen der Bundesrepublik Deutschland und der
Tschechischen Republik über den Zusammen-
schluss der deutschen Autobahn A 17 und der
tschechischen Autobahn D 8 an dergemeinsamen
Staatsgrenze durch Errichtung einer Grenz-
brücke
– Drucksache 14/8220 –

(Erste Beratung 221. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

(15. Ausschuss)

– Drucksache 14/8646 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Renate Blank




Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters

22835


(C)



(D)



(A)



(B)


Der bereits genannte Ausschuss empfiehlt, den Ge-
setzentwurf anzunehmen. Diejenigen, die zustimmen
möchten, bitte ich um das Handzeichen. – Gegenprobe! –
Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist einstimmig in
zweiter Beratung angenommen.

Wir kommen zur
dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zustim-
men wollen, sich zu erheben. – Gegenprobe! – Enthaltun-
gen? – Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.

Tagesordnungspunkt 30 g:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu
dem Abkommen vom 12. Juni 2001 zwischen
der Regierung der Bundesrepublik Deutsch-
land und der Regierung der Französischen Re-
publik über den Bau und die Erhaltung von
Grenzbrücken über den Rhein, die nicht in der
Baulast der Vertragsparteien liegen
– Drucksache 14/8216 –

(Erste Beratung 221. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

(15. Ausschuss)

– Drucksache 14/8647 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Renate Blank

Der genannte Ausschuss empfiehlt, den Gesetzentwurf
anzunehmen. Diejenigen, die zustimmen möchten, bitte
ich um das Handzeichen. – Gegenprobe! – Enthaltun-
gen? – Der Gesetzentwurf ist einstimmig in zweiter Bera-
tung angenommen.

Wir kommen zur
dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte, sich zu erheben, wenn
Sie zustimmen möchten. – Gegenprobe! – Enthaltungen? –
Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.

Tagesordnungspunkt 30 h:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs ei-
nes Gesetzes zu dem Zusatzprotokoll Nr. 6 vom
21. Oktober 1999 zu der Revidierten Rhein-
schifffahrtsakte vom 17. Oktober 1868
– Drucksache 14/8215 –

(Erste Beratung 221. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses

(15. Ausschuss)

– Drucksache 14/8650 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Renate Blank

Der genannte Ausschuss empfiehlt, den Gesetzentwurf
anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenprobe! – Ent-
haltungen? – Der Gesetzentwurf ist einstimmig ange-
nommen.

Tagesordnungspunkt 30 i ist einmal etwas anderes:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Abkommens vom 4. Dezem-
ber 1991 zur Erhaltung der Fledermäuse in
Europa
– Drucksache 14/7980 –

(Erste Beratung 215. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
heit (16. Ausschuss)

– Drucksache 14/8409 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Christel Deichmann
Cajus Caesar
Sylvia Voß
Birgit Homburger
Eva Bulling-Schröter

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

– Besonderer Beifall aus der Fraktion der Grünen!

Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktor-
sicherheit empfiehlt auf Drucksache 14/8409, den Ge-
setzentwurf über die Erhaltung der Fledermäuse in Eu-
ropa anzunehmen.


(Heiterkeit)

Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt gegen die Er-
haltung der Fledermäuse in Europa? – Niemand. Enthal-
tungen? – Auch niemand. Der Gesetzentwurf ist in zwei-
ter Beratung einstimmig angenommen.


(Beifall)

– Noch sind wir nicht fertig.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Das
ist ein erhebendes Bild. Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenom-
men. Ich danke Ihnen.

Tagesordnungspunkt 30 j:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs ei-
nes Gesetzes zu dem Abkommen vom 10. März
2000 zwischen der Bundesrepublik Deutsch-
land und der Republik Korea zur Vermeidung
der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung
der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steu-
ern vom Einkommen und vom Vermögen




Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters
22836


(C)



(D)



(A)



(B)


– Drucksache 14/8213 –

(Erste Beratung 221. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-
schusses (7. Ausschuss)

– Drucksache 14/8794 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Reinhard Schultz (Everswinkel)

Hansgeorg Hauser (Rednitzhembach)

Heidemarie Ehlert

Der Finanzausschuss empfiehlt auf Drucksache 14/8794,
den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich sage nur zur
Klärung, dass es keine dritte Lesung gibt, da es sich um
ein Vertragsgesetz handelt. Ich bitte diejenigen, die dafür
stimmen, sich zu erheben. – Gegenprobe! – Enthaltun-
gen? – Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.

Tagesordnungspunkt 30 k:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Innenausschusses (4. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Eva
Bulling-Schröter, Roland Claus, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der PDS
Kurdische Namensgebung in der Bundesrepu-
blik Deutschland ermöglichen
– Drucksachen 14/3749, 14/8513 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Harald Friese
Martin Hohmann
Cem Özdemir
Dr. Max Stadler
Ulla Jelpke

Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksa-
che 14/3749 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen.

Tagesordnungspunkt 30 l:
Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD, der
CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
NEN, der FDP und der PDS
Änderung des Zeitraumes für die Berichte der
Bundesregierung über den Stand der Auszah-
lungen und die Zusammenarbeit der Stiftung
„Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“
mit den Partnerorganisationen
– Drucksache 14/8612 –

Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Der Antrag ist einstimmig angenommen.

Nun kommen wir zu Zusatzpunkt 6:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) zu der
Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht über die Entwicklung der Konvergenz
in der Europäischen Union im Jahr 2000
– Drucksachen 14/7563, 14/8580 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Lothar Binding (Heidelberg)

Klaus-Peter Willsch

Der Ausschuss empfiehlt in Kenntnis der Unterrich-
tung auf Drucksache 14/7563, eine Entschließung anzu-
nehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfeh-
lung ist mit den Stimmen des Hauses bei Enthaltung der
PDS-Fraktion angenommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe nunmehr
Tagesordnungspunkt 5 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Neuregelung des Zollfahndungsdienstes

(Zollfahndungsneuregelungsgesetz – ZFnrG)

– Drucksache 14/8007 (neu)

(Erste Beratung 212. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-
schusses (7. Ausschuss)

– Drucksache 14/8515 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Reinhard Schultz (Everswinkel)

Jochen-Konrad Fromme
Heidemarie Ehlert

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch, dann ist dies so beschlossen.

Bevor ich die Aussprache eröffne, weise ich darauf hin,
dass zur Annahme des Gesetzes, über das wir in einer hal-
ben Stunde namentlich abstimmen werden, nach Art. 87
Abs. 3 des Grundgesetzes die absolute Mehrheit erforder-
lich ist. Das sind 334 Stimmen.

Nunmehr eröffne ich die Aussprache und gebe als ers-
ter Rednerin der Parlamentarischen Staatssekretärin beim
Bundesminister der Finanzen, der Kollegin Dr. Barbara
Hendricks, das Wort.

D
Dr. Barbara Hendricks (SPD):
Rede ID: ID1423013900
Danke schön, Herr Präsi-
dent! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Anforderun-
gen an eine wirksame und nachhaltige Kriminalitäts-
bekämpfung durch den Zollfahndungsdienst haben sich
in den letzten Jahren aufgrund der Verwirklichung des
Binnenmarktes, der Öffnung der Grenzen nach Osteuropa
und der immer häufiger anzutreffenden Erscheinungsfor-
men der organisierten Kriminalität grundlegend geändert.
Der heute zu verabschiedende Entwurf eines Zollfahn-
dungsneuregelungsgesetzes schafft die Voraussetzungen
dafür, diesen geänderten Anforderungen Rechnung zu
tragen.

Dabei verfolgen wir mit diesem Gesetz drei Ziele: ers-
tens die Errichtung eines einheitlichen Organisationsstran-
ges für den Zollfahndungsdienst, zweitens die detaillierte
Regelung der Aufgaben und der Befugnisse des Zollkrimi-
nalamtes und der Zollfahndungsämter sowie drittens die




Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters

22837


(C)



(D)



(A)



(B)


Schaffung bereichsspezifischer Datenschutzbestimmun-
gen für das Zollkriminalamt und die Zollfahndungsämter.

Bisher sind die Zollfahndungsämter organisatorisch
und personell den Oberfinanzdirektionen unterstellt und
erhalten daneben vom Zollkriminalamt fachliche Weisun-
gen. Die einheitliche organisatorische, personelle und
fachliche Unterstellung der Zollfahndungsämter unter das
Zollkriminalamt schafft nunmehr klare Organisations-
stränge, wie sie im Übrigen auch vom Rechnungs-
prüfungsausschuss des Deutschen Bundestages und vom
Bundesrechnungshof angesichts der engen Verzahnung
der Aufgaben des Zollkriminalamtes und der Zollfahn-
dungsämter gefordert werden.

Wegen der hierzu erforderlichen Umwandlung des
Zollkriminalamtes in eine Mittelbehörde bedarf der Ge-
setzentwurf gemäß Art. 87 Abs. 3 Satz 2 des Grundgeset-
zes der Zustimmung des Bundesrates sowie der Mehrheit
der Mitglieder des Bundestages; der Herr Präsident hat
soeben darauf hingewiesen.

Die Anbindung der Zollfahndungsämter an das
Zollkriminalamt ist ein wichtiger Schritt im Rahmen der
Neustrukturierung der Bundesfinanzverwaltung inner-
halb unseres Regierungsprogramms „Moderner Staat –
Moderne Verwaltung“.

Der Gesetzentwurf stellt die Aufgaben und Befug-
nisse des Zollkriminalamtes und der Zollfahndungsäm-
ter, soweit sie nicht bereits in anderen Gesetzen geregelt
sind, auf eine eindeutige Rechtsgrundlage und knüpft im
Wesentlichen an die gegenwärtigen Tätigkeiten des Zoll-
fahndungsdienstes an. Dabei spiegeln die Aufgaben des
Zollkriminalamtes dessen unterschiedlichen Charakter ei-
nerseits als Überwachungsbehörde, soweit es an der Über-
wachung des Außenwirtschaftsverkehrs und des grenzüber-
schreitenden Waren- und Bargeldverkehrs mitwirkt, und
andererseits als Strafverfolgungs- und als Finanzbehörde,
soweit es im Rahmen seiner Ermittlungsaufgaben zum
Zwecke einer gesetz- und gleichmäßigen Besteuerung im
Zoll- und Verbrauchsteuerbereich auch steuerlich tätig
wird, wider.

Die Aufgabe, eigenständig an der durch die Haupt-
zollämter und Zollfahndungsämter durchzuführenden
Bekämpfung der international organisierten Geldwäsche
mitzuwirken, geht über die bisherige Tätigkeit des
Zollkriminalamtes hinaus.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Der Entwurf stellt den Zollfahndungsbehörden zur Er-

füllung präventiver Aufgaben neben allgemeinen Befug-
nissen nunmehr auch besondere Mittel der Datenerhe-
bung zur Verfügung. Insofern wird durch den Entwurf
eine Angleichung an die in den Länderpolizeigesetzen
vorhandenen Regelungen hergestellt.

Nicht zuletzt schaffen wir mit dem Gesetzentwurf die
zur Wahrung des Grundrechts auf informationelle Selbst-
bestimmung des Bürgers notwendigen bereichspezifi-
schen Datenschutzbestimmungen und tragen somit den
Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts Rechnung. We-
gen der besonderen Eingriffsintensität einiger Befugnisse
sind diese datenschutzrechtlichen Bestimmungen teil-

weise sehr detailliert. Sie berücksichtigen im Übrigen die
im Mai 2001 in Kraft getretenen Änderungen des Bun-
desdatenschutzgesetzes.

Der Bundesrat hatte in seiner Stellungnahme vom De-
zember 2001 Ergänzungs- und Änderungsvorschläge un-
terbreitet, die aus fachlicher und datenschutzrechtlicher
Sicht nicht vollständig aufgegriffen werden konnten. Zu
der zustimmungsbedürftigen Errichtung des Zollkrimi-
nalamtes als Mittelbehörde hat der Bundesrat nicht Stel-
lung genommen.

Die Änderungen im Finanzverwaltungsgesetz betreffen
die geänderte Unterstellung der Zollfahndungsämter und
die Aufhebung der ohnehin als vorübergehend konzipierten
Vorschrift über Aufgaben und Befugnisse des Zollkrimi-
nalamtes. Soweit andere Gesetze, wie das Grundstoffüber-
wachungsgesetz, das Bundeskriminalamtsgesetz und die
Abgabenordnung, auf diese aufzuhebenden Regelungen
verweisen, bestand ein Anpassungsbedarf.

Im Bereich des Straßenverkehrsrechts werden die Zu-
griffsmöglichkeiten des Zollfahndungsdienstes sowie der
Zolldienststellen, die zur Erfüllung ihrer Aufgaben auch
Kontrollen von Beförderungsmitteln durchführen und
hierzu ein Anhalterecht besitzen, verbessert.

Im Bereich des Außenwirtschaftsrechts war die Schaf-
fung einer Bußgeldandrohung notwendig, um bei der
Durchführung von Maßnahmen nach dem Außenwirt-
schaftsgesetz die Erteilung von Auskünften und die He-
rausgabe von Sendungen auch erzwingen zu können.

Das Bundesverfassungsschutzgesetz und das Bundes-
nachrichtendienstgesetz werden um bereichsspezifische
Datenschutzregelungen für so genannte Spontanübermitt-
lungen der Behörden des Zollfahndungsdienstes ergänzt.

Meine Damen und Herren, mit dem vorliegenden Ge-
setzentwurf werden Organisation, Aufgaben und Befug-
nisse des Zollfahndungsdienstes neu definiert und klar ge-
regelt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Dies dient sowohl der inneren Sicherheit als auch der
Rechtssicherheit der mit diesen Aufgaben betrauten Stel-
len. Schließlich wird ein datenschutzrechtlich angemes-
sener Ausgleich zwischen den Belangen des Staates bei
der Kriminalitätsbekämpfung und den berechtigten Inte-
ressen des Einzelnen geschaffen.

Im Finanzausschuss war es zeitweise zu Irritationen
gekommen, weil die Verwaltung im Vorgriff auf die zu er-
wartende Gesetzesänderung bereits Personaldienststellen
ausgeschrieben hatte. Von den ausgeschriebenen Stellen
sind im Hinblick auf die zu erwartenden Gesetzesände-
rungen 19 Dienstposten ausgeschrieben gewesen, damit
die Gesetzesänderungen im künftigen Bereich Organisa-
tion, Personal und Haushalt zügig umgesetzt werden kön-
nen. Selbstverständlich werden diese Stellen erst dann be-
setzt, wenn dieses Gesetz verabschiedet ist, zumal diese
Stellen sonst gar nicht vorhanden wären. Insofern erfolgt
kein unzulässiger Vorgriff, sondern dies ist verwaltungs-
übliches Handeln, um eine rasche Umsetzung der Gesetz-
gebung tatsächlich vollziehen zu können.




Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks
22838


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich bitte deshalb um die Zustimmung zu diesem Ge-
setzentwurf.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1423014000
Für die
CDU/CSU-Fraktion spricht der Kollege Jochen-Konrad
Fromme.


Jochen-Konrad Fromme (CDU):
Rede ID: ID1423014100
Herr Präsi-
dent! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir als Union un-
terstützen die Grundanliegen dieses Gesetzentwurfes.
Veränderte Verhältnisse erfordern neue Strukturen. Des-
wegen ist es selbstverständlich, dass diese von Zeit zu
Zeit angepasst werden müssen. Wo immer es geht, unter-
stützen wir natürlich die Kriminalitätsbekämpfung. Des-
wegen braucht der Bund der Deutschen Zoll- und Finanz-
gewerkschaft keine Sorge zu haben, dass wir etwa nicht
hinter der Arbeit der Beamten und der anderen Mitarbeiter
des Staates stehen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Aber es müssen der richtige Weg und die richtigen Mit-
tel sein. Genau das ist hier nicht der Fall. Wir können die-
sem Gesetzentwurf aus zwei Gründen nicht zustimmen.
Es geht zunächst einmal um den Umgang der Regierung
mit dem Parlament. Frau Staatssekretärin, ich beurteile
es völlig anders, wenn im Vorgriff auf ein Gesetz, das so-
gar eine Kanzlermehrheit benötigt, hierzu in der Verwal-
tung schon Fakten geschaffen werden. Es war nicht nur
so, dass die Stellen schon ausgeschrieben wurden, son-
dern Sie haben dies im Ausschuss zunächst sogar geleug-
net und mussten sich dann selber verbessern.

Ein solcher Umgang macht es unmöglich, einem sol-
chen Gesetzentwurf zuzustimmen. Im Übrigen stärkt es
nicht gerade das Vertrauen, wenn die Regierungsvertreter
so schlecht informiert sind und den Sachverhalt noch
nicht einmal erklären können. Deswegen können wir die-
sem Gesetzentwurf nicht zustimmen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Daneben führen natürlich auch handwerkliche Mängel
dazu, diesen Gesetzentwurf abzulehnen. Die daten-
schutzrechtlichen Regelungen entsprechen nicht den
Vorstellungen, die wir damit verbinden. Wenn beispiels-
weise in § 11 Abs. 4 des Zollfahndungsneuregelungsge-
setzes davon die Rede ist, dass bei durchschnittlich jedem
zehnten Datenabruf zu Zwecken der Datenschutzkontrolle
Protokolle gefertigt werden, dann ist das viel zu unbe-
stimmt und ermöglicht gerade die Manipulation, die durch
solche Kontrollvorschriften ausgeschlossen werden soll.

Es soll doch protokolliert werden, um zum einen die-
jenigen, die damit umgehen, zu disziplinieren, und zum
anderen diejenigen, die betroffen sind, in ihren Rechten zu
schützen. Wenn ich nun etwas nicht ganz Koscheres ma-
chen will, dann erkläre ich, dass nicht das zehnte, sondern
das elfte Mal protokolliert wird. So etwas geht nicht.
Wenn ein Gesetz handwerklich so schlecht gestaltet ist,

dann können und werden wir das nicht billigen. Deswe-
gen werden wir dem nicht zustimmen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Sie haben auf eine ähnliche Formulierung im BKA-
Gesetz hingewiesen, das unter unserer Verantwortung be-
schlossen worden ist. Ich habe mir die Diskussion einmal
angeschaut. Ich weiß jetzt, was Sie damals dazu gesagt
haben und dass Sie dazu sehr kritisch Stellung genommen
haben. Gleiches gilt für andere unbestimmte Begriffe, wie
„Straftaten mit erheblicher Bedeutung“, die damals eine
große Rolle gespielt haben.

Ich frage mich schon, woher der Meinungswandel
kommt, dass Sie plötzlich Dinge, die Sie vor Ihrer Regie-
rungstätigkeit verteufelt haben, jetzt nicht nur billigen, son-
dern sogar als selbstverständlich und handwerklich in Ord-
nung darstellen. Ich hätte gerne erlebt, wie Ihre Reaktion
gewesen wäre, wenn wir ein solches Gesetz vorgelegt hät-
ten. Sie wäre wahrscheinlich genauso ablehnend wie damals
beim BKA-Gesetz gewesen. Deswegen muss man schon ein
bisschen Ursachenforschung betreiben, um herauszufinden,
was zu Ihrem Meinungsumschwung geführt hat.

Ich glaube, Sie nutzen jede Gelegenheit, um Geld in die
staatlichen Kassen zu holen. Das ist Ihr Grundprinzip.
Deswegen ist es Ihnen auch völlig egal, was Sie früher
zum Datenschutz und zu ähnlichen Dingen gesagt haben.
Wenn sich damit jetzt das Steueraufkommen erhöhen
lässt, dann ist es Ihnen recht und billig. Das ist nicht in
Ordnung.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Sie setzen doch Ihre Linie mit Ökosteuer, Tabaksteuer
und Versicherungsteuer fort. Sie behaupten, Sie hätten
den Mittelstand entlastet. Gestern konnten wir in der An-
hörung zum Familienrecht wieder einmal hören, dass die
Familien weniger Geld als vorher in der Tasche haben.
Das haben Experten gesagt. Das waren nicht unsere Vor-
stellungen.

Da bemüht sich der Finanzminister angesichts der de-
solaten Haushaltslage, deutlich zu machen, dass es keine
Steuererhöhungen geben soll. Im gleichen Atemzug sagen
Ihnen die Gewerkschaften: Vermögensteuer und Erb-
schaftsteuer müssen kräftig erhöht werden. – Meine sehr
verehrten Damen und Herren, das ist ein Thema, das je-
dermann angeht. Denn spätestens über die Miete wird es
jeden einholen.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Richtig!)

Das ist Ihre Politik.

Genau in diese Politik reiht sich auch Ihr Meinungs-
wandel ein, was die Frage des Datenschutzes und ähnli-
che Dinge betrifft.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Sehr richtig! – Gegenruf von der SPD: Unfug!)


Sie haben in der Steuerpolitik jedes Maß für praktische
Regelungen verloren.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Leider wahr!)





Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks

22839


(C)



(D)



(A)



(B)


Sie machen viele Eingriffe und haben in der Steuerpolitik
ein Klima geschaffen, das es den Betroffenen vermiest
und unmöglich macht, zu wirtschaften. Wer mit Schrot
auf Mücken schießt, wie Sie es tun, meine Damen und
Herren, der wird sehr wahrscheinlich die Mücken nicht
treffen, aber rundum großen Schaden anrichten. Genau so
ist Ihre Steuerpolitik. Ich werde Ihnen das gleich an we-
nigen Beispielen erläutern.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Um einem Zwischenruf vorzubeugen, will ich dazu gleich
sagen: Steuermissbrauch und -kriminalität bezeichnen
wir nicht als Mücke. Vielmehr geht es um die Frage der
handwerklichen Durchführung ihrer Bekämpfung.

Sie haben einen neuen Feind entdeckt. Dieser Feind ist
bei Ihnen der Unternehmer, der wirtschaftlich Tätige.


(Widerspruch bei der SPD – Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Fromme!)


Für Sie ist jeder ein potenzieller Krimineller. Deswegen
behandeln Sie ihn so.

Ich nehme nur einmal das Thema Steuerverkürzungs-
bekämpfungsgesetz. Meine Damen und Herren, Sie ha-
ben ein Recht statuiert, Wohnungen und Geschäftslokale
ohne vorherige Ankündigung zu betreten, ohne dass – wie
es in anderen Eilfällen ist – vorher ein Staatsanwalt das
prüft. Sie haben die Regelung geschaffen, dass man sofort
ohne Anordnung in eine Betriebsprüfung eintreten kann.
Wer so jeden Steuerpflichtigen als Quasikriminellen be-
handelt,


(Joachim Poß [SPD]: Jeden nicht!)

der darf sich doch nicht wundern, wenn ihm diese Leute
weglaufen.


(Joachim Poß [SPD]: Totaler Quatsch!)

Nehmen Sie den Tatbestand des § 370 a, gewerbs-

mäßige oder bandenmäßige Steuerhinterziehung.

(Zuruf von der SPD: Das steht heute nicht auf der Tagesordnung!)

– Ich schildere das Klima, in dem sich dieses Thema be-
wegt. Da haben Sie jeden wegen der kleinsten Steuerver-
fehlung gleich zum Schwerkriminellen gemacht. Das war
nicht etwa, wie die Deutsche Steuergewerkschaft es ges-
tern verniedlichen wollte, eine versehentliche Kriminali-
sierung. Ich erinnere mich an die intensive Debatte im
Ausschuss gerade um diese Punkte. Sie haben es trotzdem
gemacht. Jetzt merken Sie es.

Ich komme zum Thema Steuernummer. Meine Damen
und Herren, Sie haben den Datenschutz immer sehr ernst
genommen. Jetzt wollen Sie plötzlich einführen, dass die
Steuernummer auf jede Rechnung geschrieben werden
muss. Damit ist das Steuergeheimnis im höchsten Maße
gefährdet.


(Jörg Tauss [SPD]: Sie haben doch gesagt: Datenschutz ist Täterschutz! Das waren Sie doch!)


– Herr Tauss, richtiger Datenschutz ist natürlich in Ord-
nung. Sie haben das in der Vergangenheit überzogen. Jetzt

sind Sie ins andere Extrem gefallen und sagen: Das inte-
ressiert uns alles nicht mehr; wir müssen nur diesen bösen
Steuerpflichtigen ständig auf die Finger schauen und auf
die Finger klopfen.

Wer sich so benimmt, der braucht sich nicht zu wun-
dern, dass der Mittelstand als Hauptbetroffener keine
Lust hat, in Deutschland zu arbeiten und zu wirtschaf-
ten.


(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Wer sich so benimmt, der braucht sich nicht zu wundern,
wenn das notwendige Wirtschaftswachstum nicht zu-
stande kommt. Statt hier zu überziehen, sollten Sie sich
einmal richtig um die Frage der Arbeitslosigkeit küm-
mern. Dann bräuchten wir uns nicht über 4,3 Millionen
Arbeitslose zu unterhalten. Sie sollten handwerklich or-
dentlich und sauber arbeiten!


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Meine Damen und Herren, ich wiederhole, was ich ein-
gangs gesagt habe: Wenn am Parlament vorbei Fakten ge-
schaffen werden, dann ist das nicht zu billigen. Wenn eine
Koalitionsfraktion dies einfach hinnimmt, dann zeigt das,
dass sie im Grunde ihre parlamentarische Aufgabe gar
nicht wahrnimmt, sondern Büttel der Regierung ist und
immer nur applaudiert, um das zu unterstreichen, was
diese sagt. Das kann es nicht sein. Wir werden deshalb
diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1423014200
Für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht die Kollegin
Christine Scheel.


Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423014300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr
Fromme, Ihr Beitrag war insofern wieder sehr erhellend,


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

als wir jetzt wissen, dass die Union wirklich überhaupt
kein Interesse daran hat, Steuerhinterziehung zu be-
kämpfen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – CarlLudwig Thiele [FDP]: Blödsinn!)


Das ist aus Ihren Ausführungen sehr deutlich geworden.
Welchen Sinn macht es denn, wenn ein Fahnder oder

ein Prüfer kommt, nachdem er sich schriftlich angekün-
digt hat, und derjenige, der geprüft werden soll, vorher die
Akten oder die Disketten verschwinden lässt? Das ist
doch Unsinn. Um Kriminalitätsbekämpfung vorzuneh-
men, ist es deshalb notwendig, dass man vernünftige Zu-
griffe organisiert. Das haben wir gesetzlich geregelt; das
ist auch richtig so.

Wir sprechen jetzt hier über das Zollfahndungsneure-
gelungsgesetz. Es war für die Union anscheinend nicht so
einfach, Gründe zu finden, warum sie dieses Gesetz ab-




Jochen-Konrad Fromme
22840


(C)



(D)



(A)



(B)


lehnen will. Sie haben sich dann auf die eher formale
Ebene zurückgezogen,


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Das ist ausreichend!)


sich aber nicht zu inhaltlichen Aspekten geäußert. Das
finde ich sehr bedauerlich, denn es geht darum, dass wir
wegen des europäischen Binnenmarktes, wegen der Öff-
nung der Grenzen nach Osteuropa und wegen der in den
letzten Jahren in verschiedenen Formen zunehmend auf-
tretenden organisierten Kriminalität eine sehr wirksame
Kriminalitätsbekämpfung benötigen. Dafür ist dieses
Gesetz gedacht, denn bei den Zollfahndungsbehörden
sind eine stärkere Konzentration von Personal und dessen
stärkere Spezialisierung bei der Umsetzung der Aufgaben
nötig. Dies gewährleistet einen effektiveren Personalein-
satz. Zollfahndungsaktivitäten werden in Deutschland
künftig hochspezialisiert mit schlagkräftigen Einheiten
erfolgen können. Das ist der Hintergrund dieses Gesetzes.

Es reicht aber nicht aus, allein auf diesen Punkt zu set-
zen. Vielmehr benötigt der Zollfahndungsdienst auch
klare Kompetenzen und klare Weisungswege. Die ge-
samte Organisation muss weiter gestrafft werden. Auch
dies ist Bestandteil des vorgelegten Gesetzentwurfes.

Mit diesem Gesetzentwurf, über den wir heute ab-
schließend beraten, findet die Neuordnung bei der Zoll-
fahndung ihren Abschluss. Die Zollfahndungsbehörden
erhalten mehr Befugnisse, um Zollvergehen im Vorfeld zu
verhindern, um sie aufzudecken, um die Täter zu ermit-
teln. So dürfen sie künftig beispielsweise personenbezo-
gene Daten sammeln. Sie dürfen zur Erhebung dieser Da-
ten in gleicher Weise wie Polizeibeamte ermitteln. Dabei
ist ganz klar geregelt, dass sehr eingriffsintensive Metho-
den wie zum Beispiel längerfristige Observationen mit
Bild- und Tonaufzeichnungen eben nur bei gewerbs-, ge-
wohnheits- oder bandenmäßig begangenen Straftaten ein-
gesetzt werden dürfen. Dies ist auch dringend notwendig,
denn Zollkriminalität und organisierte Kriminalität über-
schneiden sich immer stärker.

Eine Behörde kann nur effektiv arbeiten, wenn klar ist,
wer welche Weisungen zu erteilen hat. Bisher über-
schneiden sich diese Weisungskompetenzen im Zollfahn-
dungsdienst. Das erschwert die Arbeit; die eindeutige An-
bindung der Zollfahndungsämter an das Zollkriminalamt
ist auch aus diesem Grund dringend notwendig.

Klare Organisationsstränge im Zollfahndungsdienst ha-
ben im Übrigen der Bundesrechnungshof schon seit 1996
und auch der Rechnungsprüfungsausschuss seit 1997 ein-
gefordert. Diese Forderungen setzen wir mit dem vorlie-
genden Gesetzentwurf um. Jetzt kann durch die direkte
Zusammenarbeit des koordinierenden Zollkriminalamtes
mit den regional selbstständigen Zollfahndungsämtern
Kriminalität nachhaltig und erfolgreich bekämpft werden.
So können zum Beispiel die Zollfahndungsämter die Spe-
zialeinheiten des Zollkriminalamtes nun kurzfristig und
unkompliziert anfordern. Umgekehrt laufen verschiedene
dezentral gesammelte Informationen im Zollkriminalamt
zusammen und können dort weiter ausgewertet werden.

Unsere europäischen Partner brauchen einen eindeuti-
gen Ansprechpartner, wenn Ermittlungen auch über die

Grenzen hinweg – wir alle betonen immer, dass dies not-
wendig ist – erfolgreich sein sollen. Gerade auf der euro-
päischen Ebene sind in den letzten Jahren neue Aufgaben
entstanden. In diesem Zusammenhang denke ich nur an
die Bekämpfung der Geldwäsche. Aber auch bei der Erle-
digung ihrer klassischen Aufgaben trifft die Zollfahndung
heute immer wieder auf Täterstrukturen, die in der ge-
samten Europäischen Union agieren. Für die erfolgreiche
Bekämpfung ist deshalb eine effektive Amts- und Rechts-
hilfe durch und für andere Länder immer wichtiger ge-
worden. Das Zollkriminalamt wird hier eine zuverlässige
Verbindung zu den entsprechenden Dienststellen der
europäischen Partner sichern.

Alle damit verbundenen Veränderungen werden uns in
Zukunft helfen, Kriminalität zu bekämpfen. Deshalb be-
daure ich es sehr, dass die Union diesen Gesetzentwurf
nicht mittragen will.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1423014400
Für die
FDP-Fraktion spricht der Kollege Carl-Ludwig Thiele.


Carl-Ludwig Thiele (FDP):
Rede ID: ID1423014500
Sehr geehrter Herr Präsi-
dent! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen!
Um es gleich vorwegzunehmen: Die FDP lehnt den Ent-
wurf des Zollfahndungsneuregelungsgesetzes ab.


(Beifall bei der FDP)

Es ist eine unglaubliche Missachtung des Parlaments,
wenn mit Datum vom 28. Februar 2002 Stellen auf der
Basis eines Gesetzes ausgeschrieben werden, das erst da-
nach, nämlich am 13. März, im Finanzausschuss beraten
und heute, am 18. April 2002, im Deutschen Bundestag
verabschiedet werden soll.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Mit Datum vom 28. Februar sind in den VSF-Nach-

richten – das ist die Vorschriftensammlung der Bundesfi-
nanzverwaltung – unter Nr. 14 insgesamt 43 Dienstposten
für das Zollkriminalamt ausgeschrieben worden. Hier-
von betreffen zumindest 19 Stellen – das ist auch laut
Schreiben der Staatssekretärin Frau Dr. Hendricks un-
streitig – die künftige OPH-Gruppe des Zollkriminalamts.
Dabei handelt es sich um die Gruppe, die für Organisa-
tion, Personal und Haushalt verantwortlich ist.

Zum einen stellt sich die Frage, ob es überhaupt
sinnvoll ist, beim Zollkriminalamt neue Stellen auszu-
schreiben, weil der Bedarf an Zollbeamten durch das
Schengener Abkommen deutlich gesunken ist. Der Bun-
desrechnungshof hat kritisiert, dass das Zollkriminalamt
schon jetzt mit circa 600 Stellen über einen zu stark auf-
geblähten Apparat verfügt. Dass im Zuge angeblicher
Sparmaßnahmen zusätzliche Stellen im Zollkriminalamt
ausgeschrieben werden, ist nicht zu verstehen und nicht
nachvollziehbar.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Staatssekretärin rechtfertigt dieses unglaubliche
Vorgehen der Verwaltung damit, dass es sich um eine – ich




Christine Scheel

22841


(C)



(D)



(A)



(B)


zitiere – „reine Vorbereitungsmaßnahme“ handele. Frau
Staatssekretärin, wenn Sie wirklich eine reine Vorberei-
tungsmaßnahme hätten treffen wollen, dann hätten Sie
doch die Ausschreibung vorbereiten können. Das würde
jeder akzeptieren. Dagegen hätte niemand etwas. Das
wäre ein vernünftiges Verhalten der Verwaltung.

Aber woher nimmt das Finanzministerium eigentlich
die unglaubliche Frechheit, diese Ausschreibung schon
vor dem Beschluss des Parlaments zu veröffentlichen und
damit schon im Februar das Verfahren bzw. die Auswir-
kungen des am heutigen Tage durch das Parlament zu be-
schließende Gesetzes vorwegzunehmen?


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dieses gesamte Verfahren wird wieder einmal klaglos
von den rot-grünen Kolleginnen und Kollegen akzeptiert.


(Dirk Niebel [FDP]: Pfui!)

Welches Parlamentsverständnis haben Sie eigentlich?
Welches Verständnis haben Sie eigentlich von der Rolle
eines Abgeordneten? Welches Verständnis haben Sie als
Gesetzgeber, wenn Sie dieses Verhalten der Verwaltung
ohne jegliche Kritik akzeptieren?


(Beifall bei der FDP)

Bedauerlicherweise ist gerade in dieser Legislaturperi-

ode insbesondere der Gesetzgeber in der Federführung
des Finanzausschusses fast ausschließlich zum verlänger-
ten und willfährigen Arm der Finanzverwaltung gewor-
den.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Hierzu reichen wir von der FDP nicht die Hand. Deshalb
möchte ich noch einmal auf das Selbstverständnis zurück-
kommen, das jeder – auch ein roter oder ein grüner – Ab-
geordnete haben sollte. Gesetze werden nicht von der Re-
gierung beschlossen und verabschiedet. Gesetze werden
auch nicht von Ministerialbeamten beschlossen und ver-
abschiedet. Gesetze werden hier im Bundestag von den
Abgeordneten des Deutschen Bundestages verabschiedet.
Darüber müssen wir uns im Klaren sein. Deshalb ist ein
solches Präjudiz durch die Verwaltung nicht hinnehmbar.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Aus diesem Grunde ist es eine Frechheit sondergleichen,
wenn die Verwaltung Strukturveränderungen vornimmt
und Stellen ausschreibt, bevor das Gesetz verabschiedet
ist. Die Zollfahndungsstelle Heidelberg ist schon jetzt
aufgelöst und die Mitarbeiter sind bereits versetzt worden.


(Dirk Niebel [FDP]: Skandal!)

Dieses Vorgehen ist eine krasse Missachtung des Parla-
mentes, zu der die FDP nicht die Hand reicht.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1423014600
Das Wort
hat die Kollegin Heidemarie Ehlert von der PDS-Frak-
tion.


Heidemarie Ehlert (PDS):
Rede ID: ID1423014700
Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Der Zoll hat mit seinen 37 000 Be-
schäftigten in der letzten Zeit einen wertvollen Beitrag zur
Bekämpfung der Zollkriminalität geleistet. Das betrifft
die Bekämpfung der organisierten Kriminalität, der Steu-
erhinterziehung, der Geldwäsche und der Embargover-
stöße. Die Aufgabenstellung des Zolls hat sich durch die
politischen Entwicklungen der letzten Jahre in der Tat ver-
ändert. Der Binnenmarkt wird mehr und mehr verwirk-
licht. Die Grenzen nach Osteuropa werden geöffnet. Die
Bundesrepublik Deutschland verliert im Schengener Sys-
tem ihre Außengrenzen fast vollständig. Die Zahl der Er-
scheinungsformen der organisierten Kriminalität nimmt
damit zu. Der Zoll muss auf diese neue Entwicklung ein-
gestellt werden.

Das ist aber mit dem vorliegenden Gesetzentwurf aus un-
serer Sicht schlecht gelungen, und das in mehrfacher Hin-
sicht. Wäre es nur um eine Umstrukturierung der Aufga-
benverteilung gegangen, dann hätten wir dem vorliegenden
Gesetzentwurf zustimmen können. Dem ist aber nicht so.


(Beifall bei der PDS)

Im komplizierten Gefüge des Apparates der inneren Si-
cherheit werden die Kompetenzen und die Befugnisse des
Zolls aus unserer Sicht schlechter mit den Befugnissen
der Länderpolizeien und der Bundespolizei abgestimmt.


( V o r s i t z : Vizepräsidentin Anke Fuchs)

Die Befugnisse des Zolls im präventiven Bereich werden
nicht ausreichend von den Befugnissen der Länderpoli-
zeien abgegrenzt.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Wir sehen auch nicht die Notwendigkeit ein, eine Sonder-
einsatzeinheit beim Zoll – ähnlich der GSG 9 – einzu-
richten.


(Beifall bei der PDS)

Ebenso wenig notwendig und akzeptabel ist die vorgese-
hene Speicherung von Telefonaten.

Neben den Problemen der Befugnissabgrenzung und
der Aufgabenstellung sehe ich auch Anlass zur Kritik an
der Struktur des Zollfahndungsdienstes insgesamt.
Stimmt das Gefüge schon im nationalen Maßstab nicht, so
muss ich feststellen, dass das Gefüge auch im europä-
ischen Maßstab nicht stimmig ist. Zur Strukturierung der
Bekämpfung der Kriminalität im europäischen Maßstab
müssen und sollen die erforderlichen Schritte von den
einheitlichen Institutionen der EU, also von Europol und
OLAF, ausgehen. Das erfordert aber auch eine parlamen-
tarische Kontrolle dieser Institutionen.


(Beifall bei der PDS)

Ich sehe ein weiteres Problem im Gefüge des Zoll-

fahndungsdienstes insgesamt. Durch die Umstrukturie-
rung wird das Zollamt zur Mittelbehörde aufgebaut. Auf
die Beschäftigten der Zollfahndungsämter hat dies ent-
sprechende soziale Auswirkungen. Mit der Erweiterung
der Aufgaben des Zollfahndungsdienstes hätte die Bun-
desregierung sehr wohl die Möglichkeit gehabt, die Mitar-
beiter des Zollfahndungsdienstes mit denen der Polizei
gleichzustellen. Soziale Regelungen bedeuten aber auch,




Carl-Ludwig Thiele
22842


(C)



(D)



(A)



(B)


dass beim Wegfall von Aufgaben den Beschäftigten keine
neuen Aufgaben übertragen werden. Zielgerichtete und
strukturierte Umschulung für den Einsatz in anderen Be-
reichen, in denen Personalmangel herrscht, ist die Lösung.

Zum Abschluss möchte ich noch auf einen Punkt hin-
weisen, den ich für unerhört halte. Obwohl das Verfas-
sungsorgan Deutscher Bundestag noch nicht einmal das
Gesetz gelesen und die Ausschussarbeit aufgenommen
hatte, begann die Bundesfinanzverwaltung schon mit der
Stellenausschreibung für die geplante Erweiterung des
Zollkriminalamtes.

All das sind für unsere Fraktion Gründe, das Gesetz
abzulehnen.


(Beifall bei der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423014800
Zum Abschluss der
Debatte erteile ich das Wort der Parlamentarischen Staats-
sekretärin Dr. Barbara Hendricks.

D
Dr. Barbara Hendricks (SPD):
Rede ID: ID1423014900
Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich möchte es kurz machen. Vielleicht kann ich
trotz der zunehmenden Lautstärke dazu beitragen, dass
die Kirche im Dorf bleibt.

Wenn der Kollege Fromme in der Debatte über die
Neuordnung des Zollfahndungsdienstes behauptet, der
Bundesfinanzminister tue alles, um mehr Geld einzuneh-
men, und das sei im Sinne ständig steigender Steuern,
dann kann ich nur sagen: Sie müssen in einem anderen
Land leben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Zum einen senken wir die Steuern. Zum anderen – das
muss ich Ihnen offenbar klar machen – wird der Zoll-
fahndungsdienst nur dann tätig, wenn es einen Anhalts-
punkt für kriminelles Handeln – in diesem Fall: für
Steuerhinterziehung und Geldwäsche – gibt. Es muss
doch wohl in jedem Rechtsstaat erlaubt sein, dass der
Zollfahndungsdienst solche kriminellen Handlungen mit
rechtsstaatlichen Mitteln verfolgt, so wie es die Polizei
auch in anderen Fällen tut.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Insofern sind die Beamten des Zollfahndungsdienstes
ebenso wie die Polizeibeamten und die Steuerfahnder
auch Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft.

Warum um Himmels willen wollen Sie immer diejeni-
gen in Schutz nehmen, die zur Last des Staates Geld hin-
terziehen, obwohl Sie gleichzeitig wollen, dass die Poli-
zei eingreift, wenn es einen Vermögensschaden zulasten
der Bürger gibt? Warum sollen diejenigen, die zur Last
des Staates Geld hinterziehen, nicht genauso verfolgt wer-
den? Das müssen Sie mir einmal unter rechtsstaatlichen
Gesichtspunkten erläutern. Ich weise Ihren Vergleich aus-
drücklich zurück.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Im Übrigen will ich kurz auf die 19 Stellen eingehen.
Herr Kollege Thiele, es handelt sich natürlich nicht um
neue Stellen. Wie Sie richtig gesagt haben, sind sie ver-
waltungsintern ausgeschrieben worden; deswegen kön-
nen sich nur Menschen, die schon Zollbeamte sind, auf
diese Stellen bewerben. Es sind natürlich keine zusätz-
lichen Stellen. Wenn die Aufgabenumstrukturierung er-
folgt ist und die Aufsicht zukünftig nicht mehr bei den
Oberfinanzdirektionen angesiedelt ist, dann liegt es ge-
radezu nahe, dass sich diejenigen, die diese Arbeit bisher
bei den Oberfinanzdirektionen wahrgenommen haben,
nunmehr auf die Stellen beim Zollkriminalamt bewerben.

Ich darf es noch einmal sagen: Es handelt sich um
19 Stellen im künftigen Bereich Organisation, Personal,
Haushalt. Das ist in der Tat – das müsste jeder einsehen,
der schon einmal irgendetwas mit Verwaltung zu tun
hatte – die Voraussetzung dafür, dass eine Neuordnung
greifen kann, die sich gerade in Organisation, Haushalt
und Personal wegen der Verlagerung von Aufgaben-
strömen von den Oberfinanzdirektionen auf das Zoll-
kriminalamt darstellt. Dies wird ohne die Beamten nicht
gehen, die dann sozusagen mitverlagert werden. Deswegen
werden sie selbstverständlich nicht eingestellt, bevor dieses
Gesetz verabschiedet worden ist. Im Hinblick auf einen rei-
bungslosen Übergang sowie darauf, dass keine Fahndungs-
lücke entsteht und dass keine Steuerhinterzieher und keine
Geldwäscher, also Kriminelle, entkommen können, ist es
unbedingt notwendig, dieses Vorhaben zeitnah umzuset-
zen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423015000
Nun hat der Kollege
Fromme das Wort zu einer Kurzintervention. Bitte sehr,
Herr Kollege.


Jochen-Konrad Fromme (CDU):
Rede ID: ID1423015100
Erstens.
Wenn Sie, Frau Staatssekretärin, es so eilig hatten, dass
Sie die Stellen schon so früh ausschreiben mussten, dann
verstehe ich nicht, warum Sie dreimal dafür gesorgt ha-
ben, dass die Beratung des Gesetzes von der Tagesord-
nung des Plenums abgesetzt wird.


(Beifall des Abg. Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS])

Zweitens. Sie haben mir nicht richtig zugehört. Ich

habe nicht gesagt, dass ich die Kriminellen schützen will.
Ich habe nach einem Motiv dafür gesucht, dass die Koali-
tionsfraktionen ihre Einstellung zum Datenschutz geän-
dert haben. Das habe ich deutlich gemacht und damit habe
ich keinen Kriminellen in Schutz genommen. An der
Bekämpfung von Kriminalität liegt uns genauso wie Ih-
nen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423015200
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Neurege-
lung des Zollfahndungsdienstes, Drucksachen14/8007 (neu)





Heidemarie Ehlert

22843


(C)



(D)



(A)



(B)


und 14/8515. Es liegt eine persönliche Erklärung des Kolle-
gen Dirk Niebel zur Abstimmung vor.

Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. –
Gegenprobe! – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist
damit in zweiter Beratung angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Nach Art. 87 Abs. 3 des Grund-
gesetzes ist zur Annahme des Gesetzentwurfs die absolute
Mehrheit der Mitglieder des Bundestages – das sind 334
Stimmen – erforderlich. Es ist namentliche Abstimmung
verlangt worden. Bitte kontrollieren Sie, ob die von Ihnen
benutzten Stimmkarten Ihren Namen tragen, den Sie si-
cherlich alle kennen. Ich bitte die Schriftführerinnen und
Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. –
Sind alle Urnen besetzt? – Das ist der Fall. Dann eröffne
ich die Abstimmung.

Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall.
Dann schließe ich die Abstimmung.

Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit
der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der namentli-
chen Abstimmung wird Ihnen nachher bekannt gegeben.1)

Wir setzen die Beratungen fort. Ich bitte diejenigen, die
zuhören wollen, Platz zu nehmen, und diejenigen, die
nicht zuhören wollen, den Saal zu verlassen.

Ich rufe den Zusatzpunkt 7 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU
Haltung der Bundesregierung zu dem Befund,
dass fast drei Viertel der Versicherten keinen
Vertrag für eine so genannte Riester-Rente ab-
schließen wollen

Das Wort hat der Kollege Johannes Singhammer für
die CDU/CSU-Fraktion.


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1423015300
Frau Präsi-
dentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr
Bundesminister Riester, Ihnen ist es gelungen, sich aus
der Schar der grauen Mäuse im Kabinett herauszuheben.
Ihr Name wird mit einem Gesetz verbunden. Man spricht
von der Riester-Rente.


(Jörg Tauss [SPD]: Nur kein Neid!)

Ihr Name, Herr Minister, ist aber auch zu einem Negativ-
symbol geworden. Immer mehr Menschen in Deutschland
erfahren: Die Riester-Rente ist nicht top, sondern die
Riester-Rente ist ein Flop.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das Deutsche Institut für Altersvorsorge hat gerade in

den vergangenen Tagen das „Rentenbarometer“ veröf-
fentlicht. Drei Aussagen sind von herausragender Bedeu-
tung:

Erstens. Bisher haben nur 1,5 Millionen Menschen ei-
nen förderfähigen Vorsorgevertrag abgeschlossen, obwohl
mehr als 35Millionen Menschen anspruchsberechtigt sind.
Nach dieser Studie wollten von denjenigen, die einen pri-
vaten, förderfähigen Vorsorgevertrag abschließen könn-
ten, im Oktober 2001 wie auch im März dieses Jahres
71 Prozent keine derartigen Verträge abschließen. Es hat
sich also trotz großer Werbekampagnen überhaupt nichts
bewegt.

Zweitens. Nach der Einschätzung der in dieser Studie
Befragten hat das Vertrauen in die Sicherheit der gesetz-
lichen Rente im März 2002 einen neuen Tiefstand erreicht.

Drittens. Bei 60 Prozent der Befragten hat sich dem-
entsprechend das Gefühl eingestellt, vom Staat in Fragen
der Altersvorsorge im Stich gelassen zu werden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das sind die
Auswirkungen der so genannten Rentenreform von Herrn
Riester. Rot-Grün steht vor einem Scherbenhaufen.


(Susanne Kastner [SPD]: Herr Singhammer, Sie stehen in München vor einem Scherbenhaufen! – Weitere Zurufe der SPD und dem Bündnis 90/Die Grünen)


Das Vertrauen der Menschen in unserem Land in die
Rente ist auf einem Tiefstand angelangt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Franz Thönnes [SPD]: Elefant im Porzellanladen!)


Wer die Rentenanpassungsformeln so gestaltet, dass sie
willkürlich manipuliert werden können, schafft kein Ver-
trauen. Wer das Rentenniveau schönt und ein höheres an-
gibt, als es der Wirklichkeit entspricht, schafft Miss-
trauen.

Die Gründe, warum es mit der so genannten Riester-
Rente nicht vorangeht, liegen auf der Hand: Sie haben ein
bürokratisches Monster geschaffen.


(Franz Thönnes [SPD]: Das Monster redet gerade!)


Die Regulierungswut konnte sich austoben, weil Sie den
Menschen nicht vertrauen und jeden Missbrauchstatbe-
stand ausschließen wollten. Die Folge: Sie haben ein Ge-
bilde geschaffen, das keiner mehr versteht, bei dem Trans-
parenz und Vergleichsmaßstäbe fehlen.


(Franz Thönnes [SPD]: Quatsch!)

Deshalb sind die Menschen schwer verunsichert und
überlegen sich, ob sie überhaupt einen Antrag auf Ab-
schluss einer derartigen Vorsorge stellen sollen. Immer
mehr zögern und immer weniger sind bereit, diese Art der
Altersvorsorge anzunehmen.

Die Konsequenz ist allerdings – jetzt kommt das ei-
gentlich Dramatische –: Die Riester-Lücke, die entstan-
den ist, nachdem Sie die Renten gekürzt haben, und die
Sie mit Ihrer privaten Altersvorsorge auffüllen wollten,
kann nicht geschlossen werden, weil die Menschen kaum
Vertrauen in diesen Weg gewonnen haben. Im Gegenteil,
es schwindet immer mehr.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Franz Thönnes [SPD]: Dummes Zeug!)





Vizepräsidentin Anke Fuchs
22844


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Seite 22845

– Das ist kein dummes Zeug, Herr Kollege, denn die
Gründe liegen auf der Hand.

So sind zum Beispiel die Aufwendungen der Versiche-
rer, also der Unternehmen, die einen solchen Vertrag an-
bieten, dermaßen hoch, dass sie erst einmal einkalkuliert
werden müssen, sodass die entsprechenden Leistungen
niedrig sind. Die Zahl der Abschlüsse ist deshalb so nied-
rig, weil die Menschen eigentlich mehr erwarten. Die Ver-
sicherer sind zudem gezwungen, die entsprechenden Auf-
lagen zu erfüllen. Das Ganze führt in der Konsequenz
dazu, dass immer weniger Menschen bereit sind, sich für
die notwendige private Ergänzung zu entschließen.

Nun haben Sie etwas durchaus Löbliches vor: Sie wol-
len die Menschen mit einer Renteninformation darüber
informieren, was sie an Rente erwarten können. Dazu soll
Mitte dieses Jahres, am 1. Juli, ein Pilotprojekt gestartet
werden. Jetzt haben Sie allerdings festgestellt, dass es sich
möglicherweise nicht vorteilhaft für Sie auf die Bundes-
tagswahl auswirken könnte, wenn die Menschen er-
kennen, dass sie sich mehr erhofft haben, als sie tatsäch-
lich erwarten dürfen. Deshalb legen Sie Wert darauf, dass
im Rahmen dieses Pilotversuchs diejenigen informiert
werden, die 23 Jahre oder etwas älter sind, weil deren Per-
spektiven noch nicht so präzise wie die derjenigen be-
stimmt werden können, die 54 oder 55 Jahre alt sind und
in absehbarer Zeit in Rente gehen.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Verschleiert!)


An dieser Stelle sage ich Ihnen deshalb: Wenn Sie es
ehrlich meinen, fangen Sie, wenn Sie schon einen solchen
Pilotversuch machen, mit der Generation der über 50-
Jährigen an. Die älteren Jahrgänge haben nämlich nur
noch wenig Zeit, sich auf die neue Praxis einzustellen. Für
sie zählt jeder Tag. Das wäre ehrlich und macht Sinn. Al-
les andere nährt den Verdacht, dass Sie zunächst noch ei-
nige Nebelkerzen werfen wollen, bevor bekannt wird,
was Sie mit Ihrer Rentenreform angerichtet haben, um
sich über den Wahltermin herüberzuretten. Das werden
wir nicht zulassen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423015400
Bevor ich der nächs-
ten Rednerin das Wort erteile, kehre ich zurück zu Tages-
ordnungspunkt 5 und gebe das von den Schriftführerinnen
und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentli-
chen Abstimmung über den Gesetzentwurf der Bundes-
regierung zur Neuregelung des Zollfahndungsdienstes be-
kannt – die Schriftführer haben ein Lob verdient, dass sie
so schnell auszählen können; deswegen möchte ich das
Ergebnis auch gleich verkünden –:


(Beifall)

Abgegebene Stimmen 612. Mit Ja haben gestimmt 339,
mit Nein haben gestimmt 84, Enthaltungen 189. Der Ge-
setzentwurf ist damit mit der erforderlichen Mehrheit an-
genommen.




Johannes Singhammer

22845


(C)



(D)



(A)



(B) Endgültiges Ergebnis

Abgegebene Stimmen: 612;
davon

ja: 339
nein: 84
enthalten: 189

Ja
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Eckhardt Barthel (Berlin)

Klaus Barthel (Starnberg)

Ingrid Becker-Inglau
Wolfgang Behrendt
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding (Heidelberg)

Kurt Bodewig
Klaus Brandner
Anni Brandt-Elsweier

Willi Brase
Rainer Brinkmann (Detmold)


(Hildesheim)


Hans-Günter Bruckmann
Edelgard Bulmahn
Ursula Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner (Ingolstadt)

Marion Caspers-Merk
Wolf-Michael Catenhusen
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Christel Deichmann
Karl Diller
Peter Dreßen
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Dr. Peter Eckardt
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Peter Enders
Annette Faße
Lothar Fischer (Homburg)

Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Dagmar Freitag
Peter Friedrich (Altenburg)

Lilo Friedrich (Mettmann)


Harald Friese
Anke Fuchs (Köln)

Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Günter Graf (Friesoythe)

Angelika Graf (Rosenheim)

Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Karl-Hermann Haack

(Extertal)


Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Manfred Hampel
Alfred Hartenbach
Anke Hartnagel
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Reinhold Hiller (Lübeck)

Stephan Hilsberg

Gerd Höfer
Jelena Hoffmann (Chemnitz)

Walter Hoffmann

(Darmstadt)


Iris Hoffmann (Wismar)

Frank Hofmann (Volkach)

Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Barbara Imhof
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung (Düsseldorf)

Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Marianne Klappert
Siegrun Klemmer
Hans-Ulrich Klose
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Volker Kröning




Vizepräsidentin Anke Fuchs
22846


(C)



(D)



(A)



(B)


Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Konrad Kunick
Dr. Uwe Küster
Werner Labsch
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange (Backnang)

Detlev von Larcher
Christine Lehder
Waltraud Lehn
Robert Leidinger
Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering

(Neubrandenburg)


Gabriele Lösekrug-Möller
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß (Herne)

Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Ulrike Mascher
Christoph Matschie
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer (Ulm)

Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Siegmar Mosdorf
Michael Müller (Düsseldorf)

Jutta Müller (Völklingen)

Christian Müller (Zittau)

Franz Müntefering
Andrea Nahles
Volker Neumann (Bramsche)

Gerhard Neumann (Gotha)

Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Eckhard Ohl
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug
Dr. Eckhart Pick
Joachim Poß
Karin Rehbock-Zureich
Dr. Carola Reimann
Margot von Renesse
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter

Christel Riemann-
Hanewinckel

Reinhold Robbe
Gudrun Roos
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Birgit Roth (Speyer)

Gerhard Rübenkönig
Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch
Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Otto Schily
Dieter Schloten
Horst Schmidbauer

(Nürnberg)


Ulla Schmidt (Aachen)

Silvia Schmidt (Eisleben)

Dagmar Schmidt (Meschede)

Wilhelm Schmidt (Salzgitter)

Dr. Frank Schmidt

(Weilburg)


Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt (Berg)

Carsten Schneider
Dr. Emil Schnell
Walter Schöler
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Ottmar Schreiner
Gerhard Schröder
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert

(Delitzsch)


Brigitte Schulte (Hameln)

Reinhard Schultz

(Everswinkel)


Volkmar Schultz (Köln)

Ewald Schurer
Dr. Angelica Schwall-Düren
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie Sonntag-
Wolgast

Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Antje-Marie Steen
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Reinhold Strobl (Amberg)

Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim

Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Simone Violka
Ute Vogt (Pforzheim)

Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis (Stendal)

Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen

(Wiesloch)


Dr. Ernst Ulrich von Weiz-
säcker

Jochen Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Norbert Wieczorek
Jürgen Wieczorek (Böhlen)

Helmut Wieczorek

(Duisburg)


Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dieter Wiefelspütz
Heino Wiese (Hannover)

Klaus Wiesehügel
Brigitte Wimmer (Karlsruhe)

Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Hanna Wolf (München)

Waltraud Wolff

(Wolmirstedt)


Heidemarie Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Gila Altmann (Aurich)

Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Angelika Beer
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Annelie Buntenbach
Ekin Deligöz
Amke Dietert-Scheuer
Dr. Thea Dückert
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Andrea Fischer (Berlin)

Joseph Fischer (Frankfurt)

Katrin Göring-Eckardt
Rita Grießhaber
Gerald Häfner
Winfried Hermann
Antje Hermenau
Ulrike Höfken

Michaele Hustedt
Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack
Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt
Dr. Reinhard Loske
Oswald Metzger
Kerstin Müller (Köln)

Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Cem Özdemir
Simone Probst
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt (Hitzhofen)

Werner Schulz (Leipzig)

Christian Simmert
Christian Sterzing
Hans-Christian Ströbele
Jürgen Trittin
Dr. Antje Vollmer
Dr. Ludger Volmer
Sylvia Voß
Helmut Wilhelm (Amberg)

Margareta Wolf (Frankfurt)

Fraktionslos
Christa Lörcher

Nein
CDU/CSU
Dr. Heribert Blens
Albert Deß
Albrecht Feibel
Axel E. Fischer

(Karlsruhe-Land)


Herbert Frankenhauser
Ernst Hinsken
Martin Hohmann
Josef Hollerith
Susanne Jaffke
Helmut Lamp
Julius Louven
Meinolf Michels
Eduard Oswald
Norbert Otto (Erfurt)

Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith
Anita Schäfer
Norbert Schindler
Michael von Schmude
Dr. Rupert Scholz
Max Straubinger
Dr. Theodor Waigel
Benno Zierer
FDP
Ina Albowitz
Hildebrecht Braun

(Augsburg)


Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich (Bayreuth)


Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther (Plauen)

Dr. Karlheinz Guttmacher
Klaus Haupt
Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Dr. Klaus Kinkel
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Ina Lenke
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto

(Frankfurt)


Detlef Parr
Cornelia Pieper
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Gerhard Schüßler
Dr. Irmgard Schwaetzer
Marita Sehn
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
PDS
Wolfgang Bierstedt
Petra Bläss
Maritta Böttcher
Roland Claus
Heidemarie Ehlert
Dr. Heinrich Fink
Wolfgang Gehrcke
Dr. Barbara Höll
Ulla Jelpke
Sabine Jünger
Gerhard Jüttemann
Dr. Evelyn Kenzler
Rolf Kutzmutz
Heidi Lippmann
Heidemarie Lüth
Pia Maier
Angela Marquardt
Manfred Müller (Berlin)

Kersten Naumann
Rosel Neuhäuser
Dr. Uwe-Jens Rössel
Christina Schenk
Dr. Ilja Seifert
Dr. Winfried Wolf

Enthaltungen
CDU/CSU
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Dietrich Austermann
Norbert Barthle
Günter Baumann
Meinrad Belle

Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Otto Bernhardt
Dr. Joseph-Theodor Blank
Renate Blank
Dr. Norbert Blüm
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Sylvia Bonitz
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen

(Bönstrup)


Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Paul Breuer
Monika Brudlewsky
Georg Brunnhuber
Dankward Buwitt
Manfred Carstens (Emstek)

Peter H. Carstensen

(Nordstrand)


Leo Dautzenberg
Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert
Renate Diemers
Thomas Dörflinger
Dr. Hansjürgen Doss
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Rainer Eppelmann
Anke Eymer (Lübeck)

Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Ulf Fink
Ingrid Fischbach
Klaus Francke
Dr. Gerhard Friedrich

(Erlangen)


Dr. Hans-Peter Friedrich

(Hof)


Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Michael Glos
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Manfred Grund
Horst Günther (Duisburg)

Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein

Gottfried Haschke

(Großhennersdorf )


Gerda Hasselfeldt
Hansgeorg Hauser

(Rednitzhembach)


Helmut Heiderich
Ursula Heinen
Manfred Heise
Siegfried Helias
Detlef Helling
Hans Jochen Henke
Peter Hintze
Klaus Holetschek
Dr. Karl-Heinz Hornhues

Siegfried Hornung
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Georg Janovsky
Dr.-Ing. Rainer Jork
Dr. Harald Kahl
Bartholomäus Kalb
Steffen Kampeter
Dr.-Ing. Dietmar Kansy
Irmgard Karwatzki
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Norbert Königshofen
Eva-Maria Kors
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Rudolf Kraus
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Werner Kuhn
Dr. Karl A. Lamers

(Heidelberg)


Dr. Norbert Lammert
Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann
Vera Lengsfeld
Werner Lensing
Peter Letzgus
Walter Link (Diepholz)

Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold

(Offenbach)


Dr. Manfred Lischewski
Wolfgang Lohmann

(Lüdenscheid)


Dr. Michael Luther
Erich Maaß (Wilhelmshaven)

Erwin Marschewski

(Recklinghausen)


Dr. Martin Mayer

(Siegertsbrunn)


Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Friedrich Merz
Hans Michelbach
Dr. Gerd Müller
Bernward Müller (Jena)

Elmar Müller (Kirchheim)

Bernd Neumann (Bremen)

Claudia Nolte
Günter Nooke
Franz Obermeier
Dr. Peter Paziorek
Anton Pfeifer
Dr. Friedbert Pflüger
Ruprecht Polenz
Marlies Pretzlaff
Dr. Bernd Protzner
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Helmut Rauber
Peter Rauen
Christa Reichard (Dresden)

Erika Reinhardt
Hans-Peter Repnik
Klaus Riegert

Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Hannelore Rönsch

(Wiesbaden)


Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Adolf Roth (Gießen)

Dr. Norbert Röttgen
Dr. Wolfgang Schäuble
Heinz Schemken
Karl-Heinz Scherhag
Dr. Gerhard Scheu
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt (Fürth)

Dr.-Ing. Joachim Schmidt

(Halsbrücke)


Andreas Schmidt (Mülheim)

Dr. Andreas Schockenhoff
Reinhard Freiherr von
Schorlemer

Dr. Erika Schuchardt
Wolfgang Schulhoff
Gerhard Schulz
Diethard Schütze (Berlin)

Clemens Schwalbe
Dr. Christian Schwarz-
Schilling

Wilhelm Josef Sebastian
Heinz Seiffert
Dr. h. c. Rudolf Seiters
Bernd Siebert
Johannes Singhammer
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Wolfgang Steiger
Erika Steinbach
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten

Andreas Storm
Dorothea Störr-Ritter
Matthäus Strebl
Thomas Strobl (Heilbronn)

Michael Stübgen
Dr. Susanne Tiemann
Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Angelika Volquartz
Andrea Voßhoff
Peter Weiß (Emmendingen)

Gerald Weiß (Groß-Gerau)

Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Hans-Otto Wilhelm (Mainz)

Klaus-Peter Willsch
Bernd Wilz
Willy Wimmer (Neuss)

Matthias Wissmann
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Aribert Wolf
Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach
Wolfgang Zeitlmann
Wolfgang Zöller




Vizepräsidentin Anke Fuchs

22847


(C)



(D)



(A)



(B)





Vizepräsidentin Anke Fuchs
22848


(C)



(D)



(A)



(B)


Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des
Europarates und der WEU, der Parlamentarischen Versammlung der NATO, der OSZE oder der IPU
Abgeordnete(r)
Bühler (Bruchsal), Klaus Süssmuth, Rita Dr.

CDU/CSU CDU/CSU

Wir setzen die Beratungen fort. Das Wort hat jetzt die
Kollegin Erika Lotz für die SPD-Fraktion.


Erika Lotz (SPD):
Rede ID: ID1423015500
Frau Präsidentin! Liebe Kollegin-
nen! Liebe Kollegen! Herr Singhammer, zum Thema
Riester-Rente sage ich Ihnen: Nur kein Neid! Die Riester-
Rente ist eine gute Sache und Sie hätten sie gepriesen,
wenn Sie sie eingeführt hätten.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Wir hätten sie nicht eingeführt!)


Aber das haben Sie nicht gemacht. Sie haben, was die pri-
vate Vorsorge angeht, nichts gemacht. Sie haben bei der
Rentenreform nur gekürzt, aber nicht dafür gesorgt, dass
die Menschen mit einer staatlich geförderten Vorsorge et-
was für ihre Altersversorgung tun.

Ich weiß nicht, zum wievielten Male Sie in dieser Le-
gislaturperiode in einer Aktuellen Stunde das Thema
Rente angesprochen haben,


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Es war nicht das letzte Mal! – Franz Thönnes [SPD]: Er hat immer wieder die gleiche Rede gehalten!)


womit Sie immer wieder versuchen, Verwirrung zu stiften
und die Menschen in diesem Lande zu verunsichern. Das ist
unredlich, dieses Mal genauso wie bei allen Malen zuvor.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Bis Ende dieses Jahres ist Zeit, sich für eine der ver-
schiedenen Möglichkeiten der privaten Altersvorsorge zu
entscheiden, wenn man in den Genuss der vollen Förde-
rung für das Jahr 2002 kommen will. Jetzt ist gerade ein-
mal Mitte April und nicht etwa schon Mitte Dezember. Es
ist gut, dass sich die Menschen Zeit für die Entscheidung
nehmen und alle Möglichkeiten abwägen. Schließlich
gibt es ja für einen großen Teil von ihnen neben der reinen
privaten Altersvorsorge auch noch die Möglichkeit einer
betrieblichen Altersvorsorge. Die Tarifvertragsparteien
haben erst im Frühjahr die Tarifverträge abgeschlossen.
Deshalb können jetzt, Mitte April, aus meiner Sicht noch
gar keine anderen Zahlen vorliegen, als sie in dieser Be-
fragung zutage getreten sind. Dass Sie, meine Damen und
Herren von der CDU/CSU, sich jetzt so entsetzt darüber
zeigen, dass bisher so wenige Vorsorgeverträge abge-
schlossen worden sind, kann ich also kaum verstehen.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Das müssen Sie auch nicht verstehen!)


Dass mit dem 1. Januar 2002 nicht explosionsartig Ver-
sicherungsverträge für die Riester-Rente abgeschlossen
werden, mag die Versicherungen beunruhigen. Aber das

ist doch auch das Ergebnis von voreiligen Geschäftsprak-
tiken. Es zeigt einfach, dass die Verunsicherung noch
immer nachwirkt, die ausgelöst wurde, als schon auf Kun-
denfang gegangen wurde, bevor die nötigen Vorausset-
zungen, die Zertifizierungen der Verträge, vorlagen. Es
zeigt auch, dass unsere Warnungen vor unseriösen Ge-
schäftspraktiken Wirkung hatten.

Die Umfrage, auf die Sie sich beziehen, kommt unter
anderem zu dem Ergebnis, dass die Unwissenheit über das
eigene Rentenkonto ein Grund dafür ist, dass bisher we-
nig vorgesorgt wird. Das ist aber ein Manko, das wir mit
der Rentenreform beheben. Ab 2004 wird jeder und jede
Versicherte eine jährliche Renteninformation erhalten.
Darin enthalten sind auch die Auswirkungen, die zukünf-
tige Anpassungen haben werden.

Deshalb finde ich es unglaublich, dass Sie jetzt schon
wieder versuchen, etwas Sinnvolles und Notwendiges zu
verhindern und zu diskreditieren.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Der Plan des VDR nämlich, in einem Pilotprojekt jüngere
Versicherte – bis 45 Jahre – nicht erst ab 2004, sondern
schon in diesem und im nächsten Jahr über den Stand ih-
res Rentenkontos und darüber zu informieren, wie hoch
die gesetzliche Rente ist, die sie zu erwarten haben, ist
notwendig und sinnvoll. Es ist auch notwendig und sinn-
voll, dass die Versicherten diese Information bekommen,
insbesonderes für die Planung der zusätzlichen Vorsorge.
Es ist wichtig, mit den jüngeren Versicherten anzufangen.
Wer 55 Jahre und älter ist, wird schon jetzt über den Stand
seines Rentenkontos informiert. Das wissen Sie doch,
Herr Singhammer.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Alle sechs Jahre!)


Aber es ist ganz klar, weshalb Sie sich gegen das Pi-
lotprojekt sträuben.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Wir sträuben uns überhaupt nicht dagegen! Ganz im Gegenteil!)


Dann ist nämlich für jeden deutlich sichtbar, dass Renten-
anwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung
durch unsere Rentenreform stärker wachsen, als sie nach
Ihrer Rentenreform gewachsen wären. Gerade Mütter
werden dies merken.


(Beifall bei der SPD)

Warum Sie dieses Pilotprojekt verhindern wollen, ist also
klar.


(Dirk Niebel [FDP]: Wer hat Ihnen das denn aufgeschrieben?)


Ich verstehe aber nicht, dass Sie in Kauf nehmen, dass den
Menschen Informationen vorenthalten werden, die sie für
ihre Zukunftsplanung dringend brauchen. Das ist einfach
infam.

Ich kann den Menschen nur empfehlen, die Verträge
weiter zu prüfen. Die Förderung für 2002 erhält man für
Verträge, die bis zum Ende dieses Jahres abgeschlossen
werden. Es besteht also kein Grund zur Panik und zur Be-
unruhigung.

Ihnen empfehle ich: Bleiben Sie ruhig! Bis zum Jahres-
ende sehen die Zahlen ganz anders aus.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Dann sitzen Sie in der Opposition!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423015600
Nun erteile ich der
Kollegin Dr. Irmgard Schwaetzer das Wort.


Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (FDP):
Rede ID: ID1423015700
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Alles paletti“ könnte
die Überschrift für das lauten, was uns Frau Lotz gerade
zu erklären versuchte. Es ist aber nicht alles paletti.


(Franz Thönnes [SPD]: Doch!)

Denn wenn man sich einmal genau anschaut, warum drei
Viertel der Befragten sagen, dass sie keinen Vertrag für
eine Riester-Rente abschließen wollen, dann erkennt man,
dass die Sache wirklich alarmierend ist. Das heißt also,
Frau Lotz, dass nichts paletti ist und dass Sie dringend
handeln müssen. Es reicht einfach nicht aus, wenn Herr
Riester Imagekampagnen durchführt und den Menschen
sagt, dass schon alles gut werde. Er muss vielmehr die
Notwendigkeit dieser Rente erklären.


(Susanne Kastner [SPD]: Was sollen wir jetzt machen: handeln oder erklären?)


Als wir dieses Thema im Bundestag behandelt haben
– wir haben diesem Gesetz nicht zugestimmt –, haben wir
ganz klar gesagt: Im Grundsatz ist es richtig, dass es eine
ergänzende Rentenversicherung für all diejenigen gibt,
die in Zukunft in Rente gehen. Keiner von dieser Perso-
nengruppe sollte davon ausgeschlossen sein; diese Zu-
satzrente brauchen alle. Wenn jetzt aber herauskommt,
dass drei Viertel der Versicherten diese Zusatzrente nicht
wollen, dann müssen Sie sich wirklich fragen lassen,
woran es liegt.


(Franz Thönnes [SPD]: Das ist doch keine Fragestunde! Das ist eine Aktuelle Stunde!)


Hierfür gibt es zwei Gründe. Wenn sich jemand bei ei-
nem Berater einer Bank erkundigt, was er für den Ab-
schluss eines solchen Vertrages braucht, dann bekommt er
einen Fragebogen in die Hand gedrückt, auf dem – eng be-
schrieben – eine Menge an persönlichen Informationen
abgefragt wird. Auf der Rückseite steht – wiederum eng
beschrieben – Kleingedrucktes, das jeden von vornherein
abschreckt.


(Franz Thönnes [SPD]: Es gibt Tausende solcher Verträge! – Erika Lotz [SPD]: Bei der Feuerversicherung sieht es nicht anders aus! – Gegenruf des Abg. Karl-Josef Laumann [CDU/ CSU]: Wir machen doch keine Feuerversicherung, sondern eine Rentenversicherung!)


Die mangelnde Akzeptanz dieser Versicherung zeigt, dass
die gesamte Konzeption viel zu kompliziert ist.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich will Ihnen einmal eine Stelle aus der Erklärung vor-
lesen, die jedem an den Riester-Produkten Interessierten
in die Hand gedrückt wird.


(Peter Dreßen [SPD]: Da spricht wieder die Versicherungswirtschaft!)


Auf den zwei ziemlich eng bedruckten Seiten ist folgen-
der Satz zu finden:

Die staatlichen Zulagen und die steuerlichen Förde-
rungen fordert der Staat nicht zurück, wenn im To-
desfall der Rückkaufswert des Vertrages in einen
bereits bestehenden Altersvorsorgevertrag des Ehe-
partners überführt wird.

Verstehen Sie das? Wir alle verstehen dies sicherlich, weil
wir uns intensiv damit beschäftigt haben. Aber fragen Sie
doch bitte einmal Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in
Ihren Büros, was sie darunter verstehen.

Ich sage es noch einmal: Der entscheidende Grund,
weshalb diese Versicherungen nicht angenommen wer-
den, ist die Kompliziertheit des gesamten Verfahrens.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es gibt aber noch einen zweiten Grund – auch das wer-
den Ihnen die Berater sagen, egal ob sie bei einer Bank
oder bei einer Versicherung tätig sind –: Wenn es um die
Frage geht, wie viel der Einzelne für diese Versicherung
monatlich aufbringen muss, dann sagen viele, dass die
Höhe für dieses Jahr in Ordnung geht, aber dass der vier-
fache Beitrag im Jahre 2008 einfach zu hoch ist.

Sie müssen sich wirklich fragen lassen, warum Sie
über die Entwicklung der gesetzlichen Rentenversiche-
rung nicht besser informiert haben. Wenn Sie das getan
hätten, dann wüssten viele Menschen, dass sie ohne eine
solche Zusatzrente ihren Lebensstandard im Alter nicht
mehr sichern können.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


In diesem Zusammenhang habe ich an Sie die Auffor-
derung, sich vor der Bundestagswahl nicht vor der Lösung
dieser Probleme zu drücken.

Frau Lotz, Sie haben soeben behauptet, wir würden den
Pilotversuch bezüglich der Information des Bürgers über
die Höhe seiner zukünftige Rente ablehnen.


(Franz Thönnes [SPD]: 82 Prozent wollen die private Altersvorsorge haben!)


Das stimmt überhaupt nicht. Aber wenn Sie so etwas tun
wollen – dies ist ja richtig, gut und notwendig –, dann soll-
ten Sie mit denjenigen anfangen, die ganz besonders




Erika Lotz

22849


(C)



(D)



(A)



(B)


darauf angewiesen sind, noch in diesem Jahr eine Zusatz-
rente abzuschließen.


(Beifall bei der FDP – Erika Lotz [SPD]: Bis Dezember ist noch Zeit!)


Aber das sind natürlich diejenigen, bei denen ganz schnell
klar wird, wie sehr der von ihnen erwartete Rentenan-
spruch durch die Rentenreform gekürzt worden ist.

Deswegen kann ich nur sagen: Machen Sie diesen Pi-
lotversuch mit denjenigen, die über 45 Jahre alt sind!


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das sind diejenigen, die diese Information jetzt benöti-
gen.

Ich hoffe, dass Sie in den nächsten Wochen klug wer-
den. Die Zeit läuft davon.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Und ab für die Rot-Grünen!)


Noch in diesem Jahr müssen möglichst viele einen sol-
chen Zusatzvorsorgevertrag abschließen; denn sonst wird
die zukünftige Alterssicherung gefährdet. Sie werden mit
Ihrer verfehlten Informationspolitik dafür sorgen, dass
das Ziel der Alterssicherung verfehlt wird. Das ist
schlecht für die Bürger in diesem Lande. Ich bitte Sie
nachdrücklich: Kommen Sie Ihrer Verantwortung nach!
Tun Sie mehr, als Sie bisher getan haben!


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423015800
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, wir befinden uns in der Aktuellen Stunde.
Herr Kollege Gilges, ich konnte deswegen Ihre Zwi-
schenfrage nicht akzeptieren und bitte daher um Ver-
ständnis. Außerdem will ich darauf hinweisen, dass die
Redezeit in der Aktuellen Stunde – einschließlich des
Schlussgedankens – fünf Minuten beträgt.

Das Wort hat jetzt die Kollegin Christine Scheel für das
Bündnis 90/Die Grünen.


Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423015900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau
Schwaetzer, es ist schon verrückt: Die FDP war 29 Jahre
lang ununterbrochen an der Regierung beteiligt, hat nichts
in Richtung privater Altersvorsorge durchgesetzt


(Beifall des Abg. Hans Georg Wagner [SPD])

und macht nun der Koalition, die endlich den Weg in die
private Altersvorsorge eröffnet hat,


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Ich wusste es doch: Die Grünen haben keine Fantasie!)


Vorhaltungen, weil zum jetzigen Zeitpunkt, Mitte April,
noch nicht jeder einen Vertrag abgeschlossen hat. Das ist
schon ein bisschen verrückt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Karl-Josef Laumann [CDU/ CSU]: Jeder? Ich finde kaum einen!)


Wenn man sich einmal die Studie des Deutschen Insti-
tuts für Altersvorsorge ansieht, dann findet man ganz in-
teressante Zahlen, die Sie – aus Ihrem Interesse heraus;
das verstehe ich aus Ihrer Sicht sogar – nicht genannt ha-
ben. Aber wie ist es 1996 gewesen? Wie viele haben über-
haupt ein Interesse daran gehabt bzw. darüber nachge-
dacht, etwas für ihre private Altersvorsorge zu tun?


(Dr. Barbara Höll [PDS]: Die zahlen in die Rentenversicherung, damals wie heute!)


Das waren 7 Prozent der im Jahre 1996 Befragten.
Heute dagegen, nachdem Rot-Grün verstärkt ein ent-

sprechendes Problembewusstsein geschaffen hat, indem
wir ehrlich gesagt haben, wie es in Zukunft für die Men-
schen, vor allen Dingen für die jungen Leute, aussieht und
wie notwendig es ist, eine betriebliche und private Alters-
vorsorge anzubieten, gehen über 80 Prozent der Bevölke-
rung davon aus, dass sie privat vorsorgen müssen. Bei den
jungen Leuten zwischen 18 und 29 Jahren – das finde ich
besonders phänomenal – wollen heute sogar mehr als
90 Prozent, eine private Vorsorge, weil sie wissen, dass sie
diese brauchen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Aber 71 Prozent sagen zurzeit Nein zur Riester-Rente!)


– Herr Meckelburg, ich gehe jetzt auf Ihren Zuruf ein.
Die jetzige Situation ist dadurch entstanden, dass wir

den Bürgern aufgrund der Vielzahl der Angebote, die auf
dem Markt bestehen, gesagt haben: Schließt nicht vorei-
lig irgendwelche Verträge ab! Prüft die angebotenen Ver-
träge! Schaut sie euch an, vergleicht sie miteinander und
überlegt in aller Ruhe, was, individuell gesehen, das güns-
tigere Angebot ist! Denn es hängt natürlich immer von der
persönlichen Lebenssituation, also davon, ob ich verhei-
ratet bin oder nicht, wie alt ich bin, ob ich Kinder habe und
wie die Einkommensverhältnisse sind, ab, inwieweit sich
der eine Vertrag im Vergleich zum anderen positiver dar-
stellt. Das ist doch logisch. Deswegen ist es überhaupt
nicht verwunderlich, dass sich die Menschen hierüber in-
formieren. Wenn Sie sagen, dass 71 Prozent der befragten
Pflichtversicherten überhaupt keinen Altersvorsorgever-
trag abschließen wollen, dann ist das ja nur die halbe
Wahrheit. Die ganze Wahrheit ist, dass in dieser Studie
steht, dass diese 71 Prozent in naher Zukunft, das heißt
morgen, übermorgen oder nächste Woche, einen solchen
Vertrag noch nicht abschließen wollen.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Na, na! – Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Das ist Ihre Interpretation! – Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Falsch gelesen!)


Ferner hat man nicht berücksichtigt, wie sich das bei den
Pensionsfonds und bei Altersvorsorgeangeboten auf der be-
trieblichen Ebene darstellt, die ja zum Teil jetzt erst zertifi-
ziert werden. Auch das wurde ja in dieser Studie außen vor
gelassen. Deswegen bitte ich darum: Tragen Sie mit Ihren
Beiträgen hier nicht dazu bei, die Leute zu verunsichern,


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Tun wir nicht!)





Dr. Irmgard Schwaetzer
22850


(C)



(D)



(A)



(B)


sondern machen Sie das, was Aufgabe der Politik ist,
nämlich zu sagen: Es gibt ein vernünftiges und gutes An-
gebot für die private, staatlich geförderte Altersvorsorge.
Das ist vor allen Dingen gut für Familien mit Kindern.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Nein, das ist es nicht!)


Tun Sie nicht so, als ob das wertlos wäre. Alle Berech-
nungen, gerade auch in Bezug auf die Bezieher unterer
und mittlerer Einkommen und auf Familien mit Kindern,
haben gezeigt, dass die Angebote für die private Alters-
vorsorge günstiger sind als andere Altersvorsorgeange-
bote, die ich jetzt nicht aufzählen will. Diese Entscheidung
muss jeder für sich treffen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es kommt noch etwas hinzu. Im Licht anderer Studien,
die es nämlich auch gibt, relativiert sich das Ganze. So
kam eine Infratest-Umfrage im Januar zu ganz anderen
Ergebnissen. Demzufolge hatten 13,4 Prozent der
Förderberechtigten bereits einen Vertrag abgeschlossen;
43 Prozent hatten die Absicht, in kurzer Zeit einen Vertrag
abzuschließen. Das zeigt, dass andere Studien zu anderen
Ergebnissen kommen können. Man muss sich auch ein-
mal anschauen, wer die Gesellschafter jenes Instituts sind,
das diese Studie gemacht hat. Dann sieht man nämlich
auch die Interessen, die dahinter stehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Nach Prüfung abgelehnt! – Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Nach Prüfung abgelehnt! Darum sind die Ergebnisse so herunter gegangen!)


Verbraucherschützerinnen und Verbraucherschützer
und viele öffentliche Stellen raten den Bürgern, zu warten,
bis mehr Produkte auf dem Markt sind, sodass sie auch
Vergleiche anstellen können. Darauf bin ich bereits
eingegangen. Wir müssen auch sehen, dass es bereits in
über 100 Tarifverträgen Regelungen zur betrieblichen Al-
tersvorsorge gibt. Davon profitieren gut 15 Millionen
Deutsche bzw. 60 Prozent aller Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer – heute schon!


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423016000
Frau Kollegin, Ihre
Redezeit ist weit überschritten.


Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423016100

Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. – Wir sehen
zudem, dass es neue Pensionsfonds gibt, die derzeit erst
zertifiziert werden. Auch in diese Fonds werden die Men-
schen stärker einsteigen. Es steht jedenfalls fest: Die neue
Förderung ist ein attraktives Angebot für den Einstieg in
die private und betriebliche Altersvorsorge. Daran können
auch Sie nicht rütteln.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Nur, die Leute glauben es Ihnen nicht! – Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Ein Flop ist es! )



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423016200
Nun erteile ich das
Wort der Kollegin Pia Maier für die PDS-Fraktion.


Pia Maier (PDS):
Rede ID: ID1423016300
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Da-
men und Herren! Auch ich habe mir die Mühe gemacht,
zu schauen, was denn die Ziele und wer die Gesellschaf-
ter des Instituts sind, das die Studie vorgelegt hat, von der
Herr Singhammer gesprochen hat. Das Deutsche Institut
für Altersvorsorge – ich zitiere aus der Selbstdarstellung –
hat zum Ziel,

Chancen und Risiken der Altersvorsorge bewusst zu
machen und die private Initiative zu fördern.

Gesellschafter des Instituts sind die Deutsche Bank AG,
die Deutsche Bank Bauspar AG, DWS Investment GmbH,
zugehörige Lebensversicherungen und weitere.


(Peter Dreßen [SPD]: Sehr gut! – Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Was ist daran verwerflich? – Gegenruf des Abg. Franz Thönnes [SPD]: Das muss man nur noch mal sagen!)


Diese Studie ist also garantiert interessengeleitet. Es ist
kein Wunder, dass diese Studie besagt, dass drei Viertel
der Befragten kein Riester-Produkt wählen wollen, weil
die gestellten Fragen suggerieren, dass man besser in pri-
vate Fonds investiert. Diese Interessenvertreter wollen
natürlich lieber ihre Fonds verkaufen und kein Riester-
Produkt, das einer Regulierung unterliegt.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Die wollen doch gerade Geschäfte machen! – Franz Thönnes [SPD]: Das ist der Kampf um die Kröten!)


Es gibt auch andere Untersuchungen. Ich möchte mich
hier auf das Sozio-ökonomische Panel beziehen, das die
„FAZ“ am Dienstag dieser Woche veröffentlicht hat.
Darin stehen so bedenkenswerte Dinge wie: 80 Prozent
der Befragten geben an, dass sie „weniger gute“ bis
„schlechte“ Erwartungen an die Rente haben, und gerade
einmal 20 Prozent der Befragten erwarten etwas Gutes
von ihrem Lebensunterhalt im Alter.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Da haben sie Recht!)


Dieses Ergebnis der Rentenreform von Herrn Riester in-
teressiert mich.

Die Riester-Rente muss man nämlich inhaltlich kriti-
sieren und nicht anhand der Zahl der bis jetzt abgeschlos-
senen Verträge. Warum ist der Riester-Boom bisher aus-
geblieben? Warum wird er auch weiter ausbleiben? – Weil
viele Versicherte noch kalkulieren, was sie eigentlich tun
sollen. Für viele lohnen sich die Riester-Produkte nicht.
Wer nach der besten Rendite sucht, kauft in der Tat keine
Riester-Rente; das erklärt uns die FDP immer wieder.

Viele andere wollen und können sich aber die private
Vorsorge nicht leisten; denn wer wenig verdient, hat keine
Möglichkeit, genug beiseite zu legen. Selbst wenn jetzt ei-
nige Euro reichen würden, fehlt die Sicherheit, ob man
sich diese wenigen Euro auch künftig leisten kann. Die




Christine Scheel

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(C)



(D)



(A)



(B)


leidvolle Erfahrung zeigt außerdem, dass sich die Ge-
setzeslage auch immer wieder ändert und man sich die
Vorsorge vielleicht auch deshalb in Zukunft nicht leisten
kann.

Die Bundesregierung hat mit dieser Rentenreform das
Vertrauen in die gesetzliche Rente untergraben. Das ist
das Problem. Wenn Sie erst erklären, jede und jeder müsse
privat vorsorgen, weil die gesetzliche Rente nicht mehr
reichen wird, dann brauchen Sie sich auch nicht zu wun-
dern, wenn die gesetzlich regulierte und geförderte pri-
vate Vorsorge nicht der Renner ist. Wenn die Riester-Ren-
tenreform als schlecht empfunden wird, färbt das auf die
Riester-Produkte ab. So sind die Marktgesetze. Würden
Sie einen Sessel von einem Händler kaufen, der Ihnen die
ganze Zeit erklärt, wie schlecht das Sofa ist, das Sie bei
ihm kaufen müssen? – Sicher nicht.

Mich interessiert an diesen Umfragen zum Sozio-öko-
nomischen Panel ein anderes Ergebnis: 40 Prozent halten
die Altersvorsorge „nur“ oder „vor allem“ für eine staatli-
che Aufgabe. Nur 6 Prozent der Befragten sagen, Alters-
vorsorge sei eine private Aufgabe. Solche Ergebnisse zei-
gen, dass die Privatisierung der Rente die falsche Lösung
ist. Die künftigen Rentnerinnen und Rentner halten die
Rente aus gutem Grund für eine staatliche Aufgabe; denn
nur so kann die Rente ausgleichend und gerecht wirken.


(Beifall bei der PDS)

Dieser Artikel zeigt leider nicht, wie hoch der Anteil

der Frauen unter den Befragten ist, die sich nicht für ein
Riester-Produkt oder für eine andere private Vorsorge ent-
scheiden wollen. Ich glaube, dass dieser Anteil sehr hoch
ist, weil gerade die Frauen die Entsolidarisierung, die in
der Privatisierung steckt, am drastischsten erleben. Für
Frauen gilt nämlich nicht mehr das Prinzip: gleiche Leis-
tung für gleiche Beiträge. Sie zahlen bei der privaten
Rente die gleichen Beiträge und bekommen weniger he-
raus als die Männer, weil hier die Versicherungsmathe-
matik zählt und nicht die gesetzliche solidarische Rente
die Regeln bestimmt. Das führt dazu, dass die gleichen
Beiträge wegen der längeren Rentenbezugsdauer der
Frauen zu geringeren Leistungen führen.

Der Kern Ihrer Rentenreform ist ein Systembruch, der
wesentlich schwerer wiegt. Sie haben das Prinzip der
paritätischen gesetzlichen Rente aufgegeben, weil das
oberste Ziel Ihrer Rentenreform die Begrenzung der Bei-
tragshöhe auf 22 Prozent war. Man muss das genauer sa-
gen: Es geht um die Begrenzung auf 11 Prozent aufseiten
der Arbeitgeber; denn von den Arbeitnehmern erwarten
Sie künftig mehr, 15 Prozent insgesamt ab 2004. Das ist
keine solidarische Rente mehr, das ist ein Umverteilungs-
programm von unten nach oben. Das wollten wir eigent-
lich in dieser Legislaturperiode beendet sehen.


(Beifall bei der PDS)

Die gesetzliche Rente hätte auch reformiert werden

können, indem der Kreis der Beitragszahler erweitert
worden wäre. Bislang konnten sich vor allem Besserver-
dienende aus der gesetzlichen Rente verabschieden. Da-
mit wurde die Rente zur Angelegenheit der Lohnabhängi-
gen und ihrer Arbeitgeber. Gerade die Selbstständigen
und die Politiker, die eher besser verdienen, haben sich an

der Finanzierung der Renten nicht beteiligt. So setzt sich
die ungleiche Reichtumsverteilung aus dem Berufsleben
im Alter fort. Wer besser verdiente, bekam bessere Ren-
diten als die, die in die gesetzliche Rente von ihrem ge-
ringeren Lohn einzahlten.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423016400
Frau Kollegin, Sie
müssen zum Schluss kommen.


Pia Maier (PDS):
Rede ID: ID1423016500
Ich komme zum Schluss. – Diese
Ungleichheit abzubauen und die Rentenreform auf einen
Ausbau des Sozialgedankens zu orientieren haben Sie
verpasst. Deshalb geschieht Ihnen auch das Schimpfen
mit den falschen Studien recht.


(Beifall bei der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423016600
Ich erteile das Wort
dem Bundesarbeitsminister, Walter Riester.

Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und So-
zialordnung: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Da-
men und Herren! Als Erstes möchte ich mich bei der
Union bedanken: Machen Sie möglichst in jeder Sit-
zungswoche eine solche Debatte! Darüber müssen wir
sprechen. Die staatlich geförderte Rente ist ein Produkt,
das sich wirklich gut vertreten lässt.


(Beifall bei der SPD – Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Wir helfen Ihnen gern! Aber es hilft nichts!)


Nun komme ich zu den Fakten: Zwei Monate nachdem
die Förderung begonnen hatte, gab es schon 1,4Millionen
abgeschlossene Verträge. Nunmehr, nach dreieinhalb Mo-
naten, sind es 1,9 Millionen abgeschlossene Verträge.


(Franz Thönnes [SPD]: Gute Leistung! – KarlJosef Laumann [CDU/CSU]: Mitnahmeeffekt!)


Nächste Information: Am 11. Mai letzten Jahres haben
wir die Rentenreform gegen Ihren Widerstand verab-
schiedet.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Das war ein schlechter Tag für Deutschland!)


Seit dem 11. Mai haben die deutschen Gewerkschaften
und die Arbeitgeberverbände 106 Tarifverträge zur Ent-
geltumwandlung für 15,7 Millionen Menschen abge-
schlossen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben große Altersvorsorgevereinbarungen vorlie-
gen von VW, von der Telekom, von Ford. Nachdem die
betriebliche Altersvorsorge ein Auslaufprodukt geworden
war, erleben wir jetzt eine Renaissance der betrieblichen
Altersvorsorge, in einer Dimension, die niemand erwartet
hat. Angesichts dessen sagt auch der Fachverband für die
betriebliche Altersvorsorge: Viele Klein- und Mittelbe-
triebe werden diese betriebliche Altersvorsorge nach dem
neuen Rentengesetz aufbauen. Das sind die Fakten. Über
diese Fakten freue ich mich. Ich würde liebend gern jede




Pia Maier
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(C)



(D)



(A)



(B)


Woche einmal auch von diesem Pult aus darüber spre-
chen. Stellen Sie bitte mehr solcher Anfragen!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Frau Schwaetzer schwätzt, das alles sei zu kompli-
ziert, und wedelt zum Beleg mit einem Bogen. Frau
Schwaetzer, wenn es danach ginge, dürfte dürfte es kei-
nen Finanzdienstleister, keine Versicherung geben und
dürften keine Lebensversicherung und kein Bausparver-
trag mehr abgeschlossen werden. Die Informationen, die
der Bürger geben muss, um die Zulage zu bekommen,
sind: Familienstand, Kinderzahl und Verdienst des letzten
Jahres. Dies kann man jedem zutrauen. Dies sieht man
auch an den 1,9 Millionen Menschen, die dies bereits ge-
tan haben. Die Zulage bekommen diese dann so einfach
wie das Kindergeld. Sie müssen sich darum in der Tat
keine Sorgen mehr machen. Sie bekommen sie auf ihr
Konto überwiesen.

Bei aller Verunsicherung, die Sie zu streuen versuchen:
Das merken die Bürger.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Darum schließen sie nicht ab!)


Ich bin davon überzeugt, dass das, was wir angestoßen
haben, von der Bevölkerung in einem Tempo aufgenom-
men wird, das in der Tat einmalig ist.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: 71 Prozent wollen überhaupt nicht!)


Ich rate Ihnen, sich einmal darüber zu informieren, wie
die Rentenreform in Schweden durchgeführt worden ist.
Nach fünf Jahren Verhandlungen und drei Jahren Ein-
führung sind die noch nicht so weit wie wir jetzt – und ha-
ben für die kapitalgedeckte Anlage nur 2,5 Prozent vor-
gesehen.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Sie können am 23. September dort hingehen und denen erklären, wie es geht!)


Über dieses Thema möchte ich gern reden und ange-
sichts des 22. September bitte ich Sie direkt: Sprechen Sie
darüber! Dies ist ein Thema, das ich gerne aufgreife. An
diesem Thema kann man aufzeigen, wo über Jahrzehnte
nichts gemacht worden ist. Die betriebliche Altersvorsorge
war ein Auslaufprodukt. Die Menschen haben die Formel,
die Rente sei sicher, nicht mehr geglaubt. Sie haben eine
Rentenreform vorgelegt, die im Ergebnis das Rentenniveau
auf 64 Prozent abgesenkt, aber keinen Aufbau einer zu-
sätzlichen kapitalgedeckten Rente vorgesehen hätte.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dazu höre ich Frau Schwaetzer, wie sie hier sagt: Bitte
ganz schnell abschließen, sonst fallen die Leute in ein Ren-
tenloch. – In welches Rentenloch wären sie denn gefallen,


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: In das Riester-Renten-Loch!)


wenn es keine Zustimmung zur kapitalgedeckten zusätz-
lichen Vorsorge gegeben hätte? Welches Rentenloch hätte
es dann gegeben?


(Franz Thönnes [SPD]: Das Blüm-Loch!)


Wo blieb denn da die Gestaltungsoffensive der Opposi-
tion?


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, liebend gern würde ich die-

ses Thema jeden Tag diskutieren, von mir aus auch im
Wahlkampf. Wir werden die Leute informieren.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Dann machen Sie mal! Sie tun es ja nicht!)


Sie werden auf breiter Ebene darüber informiert, was sie
jetzt ergänzend, zusätzlich, staatlich gefördert einbringen
können.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Alle Bescheide schnell raus!)


Ich war mit vielem, was Frau Maier sagte, nicht ein-
verstanden; sie hat aber völlig zu Recht darauf hingewie-
sen, wer hinter dem Institut steckt, auf das Sie sich bei der
Beantragung der aktuellen Stunde gestützt haben. Die vier
Institute, die Sie genannt haben, gehören alle zur Deut-
schen Bank. Es gibt natürlich ein Gerangel derer, die die
Fonds und Versicherungsverträge anbieten. Auch aus der
Immobilienwirtschaft – für die haben Sie ja gekämpft –


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Ja, sicher!)

haben sich einige eingeklinkt. Diese Auseinandersetzung
läuft. Darüber muss man sich nicht wundern. Hier wird
mit harten Bandagen gekämpft. Auch darüber muss man
sich nicht wundern.

Aber was wäre denn passiert, meine Damen und Her-
ren von der Opposition, wenn wir nicht Mindestvoraus-
setzungen des Verbraucherschutzes im Gesetz festge-
schrieben hätten? Was wäre denn dann jetzt?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie haben es Bürokratie genannt. Was wäre denn, wenn
wir das Geld für die Bürger nicht abgesichert hätten, wie
es jetzt geschehen ist,


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Es wäre einfacher!)


wenn wir nicht sichergestellt hätten, dass eine lebenslange
ergänzende Rente ausgezahlt wird, und wenn wir nicht
abgesichert hätten,


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Sie wollen doch alle nur in die Fonds der Tarifvertragsparteien treiben!)


dass der Bürger über seine Kontenstände bei der
Sozialversicherung und der ergänzenden kapitalgedeck-
ten Rente informiert wird?


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Machen Sie es bei den Jahrgängen ab 45 Jahren!)


– Liebe Frau Schwaetzer, wir haben dafür gesorgt, dass
dies spätestens ab 2004 geschieht. Nach Absprache mit
den Rentenversicherern wird es sogar noch schneller ge-
hen.


(Zurufe von der CDU/CSU)





Bundesminister Walter Riester

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(C)



(D)



(A)



(B)


Es ist jetzt schon sicher, dass ab dem 1. Juli 25 000 Ren-
teninformationen – Tag für Tag – versandt werden. Das
haben Sie jahrelang versäumt und verhindert.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Das interessiert heute keinen Menschen mehr! Sie sind dran!)


Die Menschen sind nicht darüber informiert worden, wie
sich ihre tatsächlichen Rentenrücklagen entwickeln. Das
haben Sie jahrzehntelang verhindert. Wir führen es jetzt
ein. Kaum beginnen die Informationen zu fließen,
kreischt die Opposition auf und sagt, dass man gerne
wüsste, welche Jahrgänge zuerst drankommen.

Mir ist es im Prinzip ziemlich schnuppe.

(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Dann machen Sie es doch!)

Ich tanze aber nicht nach Ihrer Pfeife. Wir gehen nach
sachlichen Gesichtspunkten vor.

Lieber Herr Singhammer, es geht nicht darum, dass
unklare Informationen gegeben werden. Den jetzt zu in-
formierenden Jahrgängen wird der wahrscheinliche Ren-
tenverlauf bis zum 65. Lebensjahr dargelegt.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: RiesterLoch!)


Hier wird erstmals in der Geschichte der deutschen Ren-
tenpolitik Transparenz beim Bürger hergestellt, sodass er
es nachvollziehen kann. Ich kann mir vorstellen, dass Sie
das ärgert.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Warum fangen Sie dann nicht bei denen an, die es benötigen? – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Sie sind angepfiffen worden!)


Ich kann mir auch vorstellen, dass es Sie ärgert, dass
wir die Renten für die Rentnerinnen und Rentner ab dem
1. Juli erstmals nach acht Jahren wieder um mehr als
2 Prozent anheben.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Und nächstes Jahr ziehen Sie wieder etwas von der Rente ab!)


In den letzten vier Jahren betrug die durchschnittliche
Rentenanhebung im Westen etwas mehr als 1,5 Prozent.
In den letzten vier Jahren Ihrer Regierungszeit betrug sie
0,9 Prozent.


(Peter Dreßen [SPD]: Hört! Hört! – Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Wie viel habt ihr mit der Ökosteuer wieder abgezogen?)


Das ist die Wahrheit und das werden wir draußen offen
vertreten. Deswegen freue ich mich über jede Rentende-
batte. Ich lade Sie dazu ein.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423016700
Ich erteile dem Kolle-
gen Andreas Storm für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.


Andreas Storm (CDU):
Rede ID: ID1423016800
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Herr Minister, wissen Sie, was
im Duden unter dem Stichwort Riester zu finden ist? Dort
steht: „veraltend für Lederflicken auf dem Schuh.“ Jetzt
wird manches klar. Der Name ist Programm. Jetzt wissen
wir, warum die Riester-Rente im wahrsten Sinne des Wor-
tes zur Flickschusterei geworden ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zurufe von der SPD)


Es geht kein Weg daran vorbei: Alle Anbieter der so ge-
nannten Riester-Produkte stellen fest, dass sie weit unter
den Erwartungen liegen. Die Umfrage des Deutschen In-
stituts für Altersvorsorge belegt es schwarz auf weiß: Die
große Mehrheit der Menschen in unserem Land – 71 Pro-
zent – plant keinen Vertragsabschluss. Das hat gute
Gründe. Ich will Ihnen die wichtigsten nennen.

Grund eins. Ihr Modell ist viel zu kompliziert.

(Wolfgang Weiermann [SPD]: Für euch, weil ihr zu dämlich seid!)

Nicht nur die Verbraucherschutzverbände klagen. Ich
frage mich, wo die Verbraucherschutzministerin bei die-
sem wichtigen Thema ist.

Grund zwei. Die Versorgungslücke wird überhaupt
nicht erkennbar. Herr Riester, im Übereifer des Gefechts
in den Rentendebatten haben Sie dafür gesorgt, dass in
den Statistiken ausgewiesen wird, dass das Rentenniveau
in der gesetzlichen Rentenversicherung nach der Reform
angeblich nicht mehr sinkt, sondern steigt. Laut Renten-
versicherungsbericht landen wir im Jahre 2015 angeblich
bei einem Rentenniveau von über 70 Prozent. Sie sagen
aber selber, dass die Leistung für die junge Generation in
Wirklichkeit viel geringer sein wird. Kein Mensch kann
mehr erkennen, wie hoch der Vorsorgebedarf eigentlich
ist, weil Sie die Dinge so lange manipuliert haben, bis nie-
mand mehr eine Versorgungslücke erkennen konnte.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ganz wichtig ist Grund drei. Ich nenne das Stichwort

Altverträge. Was soll man mit einer Verkäuferin, die nur
700 Euro netto im Monat zur Verfügung hat, machen? Sie
kann den Euro genauso wie vorher die Mark nur einmal
ausgeben. Wenn sie bisher schon Altersvorsorge betrieben
hat, muss sie deswegen überlegen, ob sie diese Verträge
umwandelt.


(Zuruf von der SPD: Ihr habt sie alleine gelassen! – Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb bekommt sie auch einen Zuschuss!)


Aber das ist zu akzeptablen Bedingungen nicht möglich.
Das ist nicht nur die Meinung der Unionsfraktion. Ich

zitiere jetzt aus der Bertelsmann-Studie, die die Defizite
der Riester-Rente in hervorragender Weise vor wenigen
Wochen aufgezeigt hat. Die Bertelsmann-Studie kommt
zu dem Ergebnis: „Die Umstellung von Altverträgen muss
praktisch möglich sein und darf keine Nachteile für den
Verbraucher enthalten.“

Meine persönliche Überzeugung ist die, dass der ins
Stocken geratene Prozess beim Abschluss von neuen Ver-




Bundesminister Walter Riester
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(C)



(D)



(A)



(B)


trägen vor allen Dingen darauf zurückzuführen ist, dass
diejenigen, die bisher vorgesorgt haben, zögern, ihren al-
ten Vertrag umzuwandeln oder einen Vertrag zusätzlich
abzuschließen. Weil es jedoch keine vernünftigen Bedin-
gungen bei der Umstellung von Altverträgen gibt, werden
diese Menschen abgeschreckt. Die Studie des Deutschen
Instituts für Altersvorsorge bringt es auf den Punkt: Trotz
massiver Werbekampagnen von Finanzdienstleistern und
Medienberichten ist die Abschlussbereitschaft im letzten
Halbjahr insgesamt tendenziell sogar gesunken.

Grund vier. Herr Riester, das bürokratische Förder-
dickicht, das Sie geschaffen haben, führt zu einem enor-
men Verwaltungsaufwand mit hohen Kosten.


(Peter Dreßen [SPD]: Er hat es doch erklärt!)

Das schlägt sich in einer Rendite nieder, die nicht attrak-
tiv ist.

Vor wenigen Tagen war im „Spiegel“ zu lesen – das ist
nicht nur eine Erkenntnis der Unionsfraktionen –, dass der
Berliner Ökonom Klaus Jaeger von der Freien Universität
in einer Studie nachgewiesen hat, dass die Rendite bei
Riester-Produkten bis zu 0,4 Prozentpunkte unter der von
herkömmlichen Lebensversicherungen liegt. Unter sol-
chen Bedingungen ist es doch kein Wunder, dass die Men-
schen zögern, einen Vertrag abzuschließen.


(Peter Dreßen [SPD]: Das ist Schwachsinn, was Sie erzählen!)


Grund fünf. Es ist zu wenig attraktiv, bei Versiche-
rungsprodukten die Riester-Rente zu wählen, weil man
bei der Mittelverwendung völlig eingeschränkt ist. Eine
monatliche Auszahlung bis ans Lebensende ist
vorgeschrieben. Sie können noch nicht einmal über einen
Teil der Mittel selbst verfügen. Es ist jedoch ein wichtiger
Punkt, über einen Teil des selbst angesparten Vermögens
frei verfügen zu können. Hierzu ist im Bericht der Ber-
telsmann-Stiftung zu lesen: Für die Akzeptanz der Vor-
sorge wird es wesentlich davon abhängen, ob wir hier eine
vernünftige Regelung finden.

Herr Riester, es gibt eine gravierende sozialpolitische
Schieflage in Ihrem Konzept. Die Schlagzeile im
Bertelsmann-Bericht lautete: „Riester-Rente benachtei-
ligt Haushalte in Notlagen und sozial schwache Bevölke-
rungsgruppen.“ Benachteiligt sind vor allen Dingen Lang-
zeitarbeitslose und allein erziehende Mütter, die einen
Vorsorgevertrag kurzfristig nicht oder zumindest nicht in
der vorgeschriebenen Höhe weiterverfolgen können. Sie
verlieren massiv. Es kann doch nicht sein, dass ausge-
rechnet diejenigen, die am stärksten darauf angewiesen
wären, die Benachteiligten sind.


(Beifall des Abg. Ernst Hinsken [CDU/CSU])



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423016900
Herr Kollege, Ihre
Redezeit ist zu Ende.


Andreas Storm (CDU):
Rede ID: ID1423017000
Jawohl, Frau Präsiden-
tin!

Last, but not least: Es fehlt eine angemessene Förde-
rung des Wohneigentums. Deswegen wird es nach dem

22. September für uns oberste Priorität haben, in der So-
zialpolitik aus der nicht funktionsfähigen Riester-Rente
eine wirkliche Sparrente für die gesamte Bevölkerung zu
machen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Wolfgang Weiermann [SPD]: Sie haben doch gar nichts gemacht! – Erika Lotz [SPD]: Das war zwar laut, aber nicht gut!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423017100
Nun hat das Wort die
Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks.

D
Dr. Barbara Hendricks (SPD):
Rede ID: ID1423017200
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Heute ist der 18. April 2002.
An diesem Tag erklärt die Opposition: Es haben noch
nicht genügend Menschen die neue Riester-Rente abge-
schlossen.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Nein! Über 70 Prozent wollen nicht abschließen! Das ist das Problem!)


Seit dem 1. Januar dieses Jahres sind die Produkte am
Markt. Sie mussten vorher zertifiziert werden.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Ihr redet alle am Problem vorbei!)


Wir haben sie zertifizieren lassen, weil die Menschen si-
cher sein müssen, dass ihnen ihr angelegtes Geld ganz si-
cher wieder zur Verfügung stehen wird, also aus Gründen
des Verbraucherschutzes.


(Beifall bei der SPD)

3 500 Produkte sind zum 1. Januar zertifiziert worden.

Daneben gibt es eine Reihe von Musterverträgen, die zum
Beispiel von der Sparkassenorganisation vielfältig ange-
boten werden. Diese 3 500 Produkte haben natürlich un-
terschiedliche Ausprägungen. Nicht nur wir als Bundes-
regierung, sondern auch alle Verbraucherschützer haben
dazu geraten, mit diesen neuen Produkten vorsichtig um-
zugehen und die Produkte zunächst miteinander zu ver-
gleichen. Es ist und bleibt richtig: Man verliert nicht ei-
nen Euro aus dem ersten Förderjahrgang, wenn man den
Vertrag am 31. Dezember 2002 abschließt. Wenn man das
erste Förderjahr in Anspruch nehmen will, reicht es also
völlig aus, dies bis zum Ende des Jahres zu tun. Darauf
sind natürlich auch die Verwaltungen eingestellt. Selbst-
verständlich kann es auch sein, dass jemand auf das erste
Förderjahr verzichtet und erst im nächsten Jahr einen Ver-
trag abschließt. Dies bleibt jedem selbst überlassen.

Wenn Sie uns nun den Vorhalt machen, wir würden die
Menschen nicht genügend darüber aufklären, welche Ver-
sorgungslücken bei der Sozialversicherungsrente entste-
hen könnten,


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Genau! Das ist ein Punkt!)


dann kann ich nur sagen: Das muss daran liegen, dass ins-
besondere die älteren Bürgerinnen und Bürger 16 Jahre
lang von Herrn Blüm in die Ohren getutet bekommen ha-
ben, die Rente sei sicher. Wir mussten nun die Bürgerinnen




Andreas Storm

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(C)



(D)



(A)



(B)


und Bürger darauf aufmerksam machen, dass diese Ver-
sprechungen der alten Bundesregierung nicht einzuhalten
waren, und haben, weil für die Zukunft tatsächlich nicht
mehr sicher ist, dass man aus der Sozialversicherungs-
rente 70 Prozent des bisherigen Nettoeinkommens erhält,


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Deswegen waren Sie so konstruktiv bei der blümschen Reform!)


diese Blüm-Lücke durch die kapitalgedeckte Altersvor-
sorge aufgefüllt. Diese kapitalgedeckte Altersvorsorge ist
insbesondere für Familien mit Kindern interessant und in-
soweit besonders sozial ausgerichtet.

Wenn Sie uns heute auf der Basis einer windigen Un-
tersuchung vorhalten, die Riester-Rente sei nicht attraktiv
genug, dann kann ich nur sagen, dass Sie mindestens auf
einem Auge blind sind.


(Beifall bei der SPD)

Daneben hat der Bundesarbeitsminister schon zu Recht
darauf hingewiesen, dass die betriebliche Altersvorsorge
vor einer Renaissance steht oder sich schon in einer Re-
naissance befindet. Er hat auf die große Anzahl der neuen
Abschlüsse im Bereich der betrieblichen Altersvorsorge
hingewiesen.

Als drittes Element haben wir die Genehmigung von
Pensionsfonds ermöglicht. Zu Beginn dieses Monats – ich
glaube, es war in der ersten Aprilwoche – ist


(Franz Thönnes [SPD]: Am 9. April!)

– am 9. April – der erste Pensionsfonds genehmigt wor-
den; es war ein Fonds der IG Chemie. Weitere Pensions-
fonds liegen zur Genehmigung vor. Über ihre Genehmi-
gung wird noch im zweiten Quartal dieses Jahres
entschieden werden. Natürlich muss der Genehmigung
eine Prüfung vorangehen, weil unter aufsichtsrechtlichen
Gesichtspunkten die Neuerrichtung eines Pensionsfonds
mit der Neuerrichtung einer Lebensversicherung ver-
gleichbar ist. Ein Pensionsfonds ist also nicht irgendein
neues Produkt, sondern er stellt gleichsam eine neue Le-
bensversicherung für einen bestimmten Personenkreis
dar. Dies unterliegt auch unter Verbraucherschutzge-
sichtspunkten – dazu sind ohnehin alle aufsichtsrechtli-
chen Regelungen da – der Prüfung.

Ich sage Ihnen noch einmal: Über alle Pensionsfonds,
deren Genehmigung zurzeit beantragt ist, wird zum Ende
des zweiten Quartals auch entschieden werden.

Natürlich wissen sehr viele Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer insbesondere in den großen Betrieben, aber
auch – Herr Kollege Riester hat zu Recht darauf hinge-
wiesen – in den Betrieben des Mittelstandes, dass ihre Ar-
beitgeber und ihre Gewerkschaften daran arbeiten, solche
Pensionsfonds auf die Beine zu stellen. Selbstverständlich
warten sie darauf und schließen nicht einen Vertrag mit ei-
nem der übrigen Anbieter ab.

Uns nun zum Vorwurf zu machen, dass wir eine Re-
naissance der betrieblichen Altersvorsorge herbeigeführt
hätten und zum ersten Mal in der Bundesrepublik
Deutschland das moderne Finanzierungsinstrument des
Pensionsfonds für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-

mer nutzbar machen, ist an Ignoranz überhaupt nicht zu
überbieten. Die Vorwürfe, die Sie uns in diesem Zusam-
menhang machen, sind völlig unhaltbar.

Gegen Ende des Jahres werden wir noch einmal eine
ordentliche Kampagne durchführen, damit niemand das
erste Förderjahr verpasst.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN– Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Ende des Jahres seid ihr nicht mehr dran!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423017300
Das Wort hat jetzt der
Kollege Heinz Schemken für die CDU/CSU-Fraktion.


(Erika Lotz [SPD]: Hoffentlich sind Sie ehrlich, Herr Schemken!)



Heinz Schemken (CDU):
Rede ID: ID1423017400
Frau Präsidentin!
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir haben ein
gutes Gedächtnis. Frau Staatssekretärin, wer hat denn die
Blüm-Reform zu Fall gebracht? – Sie. Wer hat die Rent-
ner 1998 verunsichert? – Sie.


(Lachen bei der SPD – Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo war denn da die private Altersvorsorge? – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wer hat denn ein marodes Rentensystem hinterlassen? – Sie!)


Wer muss die Verbraucher vor einem Produkt schützen? –
Sie.


(Lachen bei der SPD)

– Ja, das Produkt kann doch gar nicht so gut sein, weil hier
ständig von Verbraucherschutz die Rede ist.

Wir haben den Minister vor handwerklichen Fehlern
im Zusammenhang mit dieser Gesetzgebung vergeblich
gewarnt. Das rächt sich jetzt. Ich bin noch einer von der
Sorte, die die letzten Reformen, die Blüm-Reform und
diese Reform, gern gemeinsam mit großen Mehrheiten
herbeigeführt hätten, weil wir uns bezüglich dieser Fragen
nicht jahrelang wechselseitig Vorwürfe machen sollten;
denn damit würden die Rentner verunsichert werden.


(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Blüm hatte keine private kapitalgedeckte Altersvorsorge!)


8 Prozent der Förderberechtigten haben sich bisher in-
formiert; 5 Prozent haben bisher Versicherungsverträge
abgeschlossen. Das ist nun weiß Gott kein großartiger Er-
folg, auch wenn Sie das so darstellen. Wenn man Ihren
Ausführungen glaubte, müsste das Produkt ein Selbst-
läufer sein. Wir haben jedoch große Defizite festzustellen.
Das wäre ja nicht tragisch, wenn es um irgendein Gesetz
ginge. Es geht hier aber um die Sicherung der zukünftigen
Existenz der Menschen.


(Zuruf von der SPD: Das ist doch eine reine Aufblaserei!)


Hiervon sind fast 40 Millionen Menschen betroffen.

(Wolfgang Weiermann [SPD]: Aber bei Blüm sind es doch viel weniger gewesen!)





Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks
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(C)



(D)



(A)



(B)


– Bei Blüm waren alle betroffen; hier werden unter-
schiedliche Maßstäbe angelegt.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Das Niveau ist niedriger als das Blüm-Niveau! – Gegenruf von der SPD: Das war mal die Wahrheit!)


Das hat Folgen für diejenigen, die nach dem Prinzip
Hoffnung – die SPD hat es immer wieder verstanden, auf
das Prinzip Hoffnung zu setzen, insbesondere dann, wenn
es um Rentner ging – auf die Sicherheit ihrer Altersver-
sorgung setzten.

Ich kann mich nur wundern, wenn hier von 2 Prozent
Rentenerhöhung gesprochen wird. Jeder weiß, dass die
Rentner in den vorangegangenen Jahren ausgebremst
worden sind.


(Zuruf von der SPD: Bei Ihnen, Herr Schemken!)


Da die Renten nicht erhöht wurden, kann bei vorherigen
Nullrunden in einem Wahljahr natürlich leicht mit 2 Pro-
zent Steigerung aufgewartet werden.


(Lachen bei der SPD – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie wissen gar nicht, was im Gesetz steht! Keine Ahnung!)


– Ich weiß, was im Gesetz steht. Ich weiß auch, dass Sie
die Mindestreserve nicht mehr einhalten. Sie ändern ja
ständig die Gesetze. Man kann gar nicht so schnell lesen,
wie Sie die Gesetze ändern.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist schon wieder ein Beleg dafür! – Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Das hat Ihnen gestern erst der Bundesrechnungshof bestätigt!)


Es gibt auch noch andere Zeitzeugen. Herr Achenbach,
der Fachmann aus dem Ministerium, hat die nächste Ren-
tenreform schon angekündigt. Das sehen also nicht nur
wir voraus. Herr Achenbach hat in der Öffentlichkeit er-
klärt, dass eine Rentenreform notwendig sei, und zwar
genau auf dem Hintergrund, den wir Ihnen aufgezeigt ha-
ben. Auch die Auswirkungen infolge des Urteils des Bun-
desverfassungsgerichts zur Rentenbesteuerung kommen
noch auf uns zu.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das wird die Lage völlig verändern!)


– Ja, das wird die Lage völlig verändern.

(Zuruf von der SPD: So viel Unwahrheit!)


Die Warnungen im Hinblick auf die Kompliziertheit,
die überzogenen Verfahren und die Bürokratie bestätigen
sich. Ich frage Sie: Mit wem sollen wir denn sonst spre-
chen, wenn nicht mit der Versicherungswirtschaft, mit den
Betroffenen, mit den Gewerkschaften – das haben wir im
Übrigen in dieser Woche getan – und mit den Bauspar-
kassen? Das sind doch die Anbieter, mit denen wir darü-
ber reden müssen, wie sie mit den Menschen im Hinblick
auf diese Gesetzgebung umgehen.

Wissen Sie, was das Dramatische ist? Die Verwal-
tungskosten belaufen sich durch den Apparat, den Sie auf-

bauen, auf bis zu 20 Prozent, wie uns in dieser Woche er-
klärt wurde. Das gilt für die Zertifizierungsbehörde.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Darin waren die schon immer gut!)


Das wäre nicht nötig.
Die von Ihnen vorgeschlagenen Regelungen haben er-

hebliche Schwächen. Die Konstante, die bis 2008 gilt,
bringt insbesondere für Frauen, für Geringverdiener und
für die Familien eine erhebliche Schwächung in der Al-
tersversorgung. Weil Sie nicht an die Versicherungs-
grenze als Maßstab herangehen – das wäre eine Möglich-
keit der Fortschreibung gewesen –, frieren Sie hier
letztlich die Fortschreibung der Zulagen ein.


(Zuruf von der SPD: Wir frieren überhaupt nicht! Es ist hinreichend warm!)


Die dynamische Rente wurde ja einmal von der Koalition
aus CDU/CSU und FDP eingeführt.


(Zurufe von der SPD)

– Wenn wir schon in die Vergangenheit blicken, dann
heißt das: Derjenige, der damit rechnet, im Alter an der
Steigerung des Lebensstandards teilzuhaben, erwartet,
dass er dies durch eine Fortschreibung erreicht. Das ist bei
Ihnen jedoch nicht der Fall.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Darauf können wir nicht antworten!)


Im Gegenteil, durch die Abgaben im Jahr 2008 schmelzen
Sie die Rente zwangsläufig von 70 auf 64 Prozent der
früheren Bezüge ab. Das hätte Herr Blüm einmal machen
sollen.


(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Blüm wollte abschmelzen! Das wissen Sie genau!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423017500
Herr Kollege, Ihre
Redezeit ist weit überschritten.


Heinz Schemken (CDU):
Rede ID: ID1423017600
Aber einen Satz las-
sen Sie noch zu, Frau Präsidentin, weil Sie ein Herz für
Frauen haben: Die Betroffenen sind die Hinterbliebenen,
die Frauen, die Geringverdiener, die Familien und die Al-
leinerziehenden.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Damit habe ich ein Problem. Da kann man eigentlich nur
traurig werden, Frau Lotz. Ich bin überhaupt nicht nei-
disch, wie Sie glauben; man kann das, was Sie machen,
nur bedauern.

Schönen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423017700
Nun hat die Kollegin
Katrin Göring-Eckardt für die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen das Wort.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)





Heinz Schemken

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(C)



(D)



(A)



(B)


Kollegen! Ich meine, der Vorwurf, Herr Schemken sei
eine Frau, ist sicherlich unparlamentarisch.

Ich würde aber gern auf das eingehen, was Sie zur Li-
quidität der Rentenversicherung gesagt haben, Herr
Schemken. Weil sie relativ kurz ist, verlese ich die Stel-
lungnahme des VDR:

Die heutige Meldung in der „Bild“-Zeitung,
– Sie haben sich ja darauf bezogen –

die pünktliche Auszahlung der Renten im Herbst die-
ses Jahres sei möglicherweise gefährdet, entbehrt
jeglicher Grundlage. Zum Ende dieses Jahres wird
die Schwankungsreserve in der Rentenversicherung
nach den Berechnungen des Verbandes 12,3 Milliar-
den Euro betragen.

(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Ja, wenn das Weihnachtsgeld gezahlt wurde! Vorher ist sie pleite! So ist das!)

Sie entspricht damit der gesetzlich festgelegten Min-
destschwankungsreserve von 0,8 Monatsausgaben
zum Jahresende. Auch für den Herbst dieses Jahres
gibt es daher an der Liquidität der Rentenversiche-
rung keine Zweifel.

(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Ihr habt das Gesetz nur geändert! Das ist der Punkt!)


Das hat der VDR festgestellt. Ich meine, Sie sollten es zur
Kenntnis nehmen


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Das könnte euch so gefallen! – Zuruf von der FDP: Es ist genau so eingetreten, wie wir es vorhergesagt haben!)


und hier keine Verunsicherungskampagne betreiben, die
niemandem nutzt, insbesondere nicht den Menschen, die
auf ihre Renten angewiesen sind.


(Beifall bei der SPD)

Ich komme jetzt zum Thema Riester-Rente und zu Ih-

rer Panikmache in Bezug darauf. Dass wir nicht infor-
miert haben, ist Quatsch. Eigentlich wird über nichts so
viel geredet wie über die private Vorsorge,


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Gerede!)

und zwar nicht nur von den Politikern. Über nichts
werden so viele Informationen verbreitet, auf sehr vielen
Ratgeberseiten und in sehr vielen Zeitungen, von der Bun-
desregierung, den Verbraucherverbänden und insbeson-
dere vom VDR, den wir nämlich damit beauftragt haben.
Ich meine, niemand kann sagen, dass jemand an fehlen-
den Informationen scheitert. Im Gegenteil: Die vermittel-
ten Informationen werden von den Menschen sehr ernst
genommen. Das ist der Grund dafür, warum sie nicht
schnell irgendwelche Verträge unterschreiben, weil näm-
lich das, was die Verbraucherverbände sagen, richtig ist:
Abwarten, genau prüfen und vergleichen – übrigens auch
die betrieblichen Vorsorgeangebote, die es zum Teil aber
auf dem Markt noch nicht gibt – und erst dann einen Ver-
trag abschließen. Niemandem wird auch nur eine Mark
der Förderung entgehen, wenn er das in diesem Jahr in

aller Ruhe tut. Deswegen rate ich zu Gelassenheit in die-
ser Frage, was die Abschlüsse und vor allem auch die Ver-
unsicherung der Menschen angeht, die sich solche Vor-
sorgeleistungen genau anschauen.

Für wichtig halte ich, dass besonders die jungen Ar-
beitnehmerinnen und Arbeitnehmer ein großes Interesse
an der Riester-Rente und ihren Produkten zeigen. Das
sind nämlich diejenigen, die wir selbstverständlich be-
sonders erreichen wollen, weil vor allem sie darauf ange-
wiesen sein werden. Deswegen ist es gut, dass gerade die
jungen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ein großes
Interesse zeigen.

Wenn Sie uns vorwerfen, wir hätten nicht ausreichend
informiert, dann muss ich – auch wenn ich nicht mehr
gerne auf Ihre Regierungszeit verweise –


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Das interessiert auch keinen mehr!)


darauf hinweisen, dass nicht wir diejenigen waren, die
versichert haben, die Rente sei sicher und man könne da-
mit auskommen. Wir waren vielmehr diejenigen, die
erstmals klar gemacht haben: Nein, ganz so einfach ist
es nicht; wir müssen eine generationengerechte Renten-
politik machen. Dazu gehört die private Vorsorge, die
wir, nicht Sie, auf den Weg gebracht haben. Wir haben
sie ausgestaltet, und zwar vor allen Dingen so, dass sich
auch Menschen, die nicht so viel im Geldbeutel haben,
dass sie es sich schon vorher leisten konnten, heute
tatsächlich eine zusätzliche private Vorsorge leisten kön-
nen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Es sind insbesondere Familien und Geringverdiener, de-
nen wir unter die Arme greifen.

Inzwischen sind schon 3 500 Produkte zertifiziert wor-
den. Außerdem gibt es betriebliche Vorsorgeprodukte, die
aber noch nicht auf den Weg gebracht worden sind. Ich
meine, das ist eine gute Ausgangsbasis, wenn man be-
denkt, das erst der Monat April erreicht ist. Die Verbrau-
cherverbände raten dazu, sich zu informieren. Es geht um
verantwortungsbewusstes Handeln der Menschen, das
nicht geeignet ist, Panik auszulösen.

Wenn man sich damit befasst, was dieses Informati-
onsbedürfnis bedeutet, sollte man sich auch damit be-
schäftigen, worüber wir hier gestritten haben, nämlich
über erhöhte Transparenz bei den Angeboten, zum Bei-
spiel hinsichtlich der Informationspflicht bei den Anlage-
formen. Es war uns als Grünen besonders wichtig, dass
die Produktanbieter offen legen, in welche Bereiche sie
investieren bzw. ob sie in ökologische, soziale oder ethi-
sche Anlageprodukte nach entsprechenden Kriterien in-
vestieren. Deswegen ist es richtig, sich zu informieren.
Das muss man deutlich machen.

Zum Schluss: Auf den Internetseiten des gleichen In-
stituts, das festgestellt hat, dass bisher nur wenige
Riester-Verträge abgeschlossen worden seien, findet sich
die Überschrift: Riester-Rente schwer zu schlagen. Das
ist das Ergebnis der Rentenpolitik dieser Bundesregie-
rung.




Katrin Göring-Eckardt
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(C)



(D)



(A)



(B)


Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423017800
Das Wort hat nun-
mehr der Kollege Gerald Weiß für die CDU/CSU-Frak-
tion.

Gerald Weiß (Groß-Gerau) (CDU/CSU): Frau Präsi-
dentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Meine
Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün! Herr Riester,
das Ärgerlichste ist Ihre elende Selbstgerechtigkeit. An-
gesichts des Umfrageergebnisses, dass nur 8 Prozent der
Befragten bisher einen Riester-Vertrag abgeschlossen ha-
ben und dass 71 Prozent sagen, dass sie gar keine Riester-
Rente wollten, sollten Sie sich fragen, warum das so
schleppend anläuft und wo – das machen Sie ja am liebs-
ten – nachgebessert werden muss. Sie sollten eine unvor-
eingenommene Fehlursachenanalyse durchführen. Nein,
das tun Sie nicht. Sie behaupten stattdessen selbstgerecht,
dass man auf dem richtigen Wege sei. Wenn die Menschen
das anders sähen, dann hätten sie eben Pech gehabt. Die-
sen Standpunkt können wir nicht akzeptieren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Frau Scheel, der Herr Minister und Frau Hendricks re-

den nur von Verbraucherschutz und Transparenz. Die Ar-
beitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssten sich nur erst
informieren. Dann werde es schon laufen. – Pustekuchen!
Ich sage Ihnen: Die Arbeiter, die zum Beispiel am Fließ-
band bei Opel arbeiten, werden durch die komplizierten
Riester-Modelle nicht durchsteigen können, wenn selbst
die Fachleute das nicht können. Das möchte ich Ihnen an
einem Beispiel deutlich machen: Die Verbraucherschutz-
zentralen in Baden-Württemberg und Nordrhein-West-
falen weisen darauf hin, dass den Riester-Rentnern des-
halb riesige finanzielle Verluste drohen, weil 15 von
23 untersuchten Riester-Modellen – so sieht der von Ih-
nen gepriesene Verbraucherschutz aus, Herr Riester – so
konstruiert seien, dass die Rente im Falle des Ablebens
des Ehepartners noch fünf bis zehn Jahre an die Hin-
terbliebenen gezahlt werde. Herr Eichel hat dazu gesagt,
dass dies förderschädlich sei. Deshalb müssten die Zula-
gen in diesen Fällen zurückgezahlt werden. Wenn die
Fachleute, die Juristen der Versicherungswirtschaft, in De-
tailkenntnis des Gesetzes etwas Falsches gebastelt haben
bzw. eine große Rechtsunsicherheit verursacht haben –
vielleicht haben sie das, was der Bundesfinanzminister ge-
sagt hat, falsch ausgelegt –, dann kann man vom kleinen
Mann und von der kleinen Frau nicht erwarten, dass sie
durch die komplizierten Riester-Modelle durchsteigen.

Es ist zu Recht darauf hingewiesen worden, dass die
Riester-Rente kompliziert ist. Sie ist auch sozial unge-
recht. Vielleicht wollen nur so wenige die Riester-Rente,
weil sie sich einfach überfordert fühlen. Ich möchte Ihnen
einmal ein Zahlenbeispiel geben: Eine allein stehende Ver-
käuferin, die ein jährliches Einkommen von 15 000 Euro
hat, wird im Jahr 2008 eine so genannte Grundzulage von
154 Euro bekommen. Der Filialleiter, unterstelltes Jahres-
einkommen 50 000 Euro, wird neben der Grundzulage

von 154 Euro noch einen Steuervorteil von 650 Euro pro
Jahr in Anspruch nehmen können. Das ist doch eine wind-
schiefe Förderung. Die Familien mit Kindern und die
Einkommensschwachen werden zu schwach gefördert.
Deshalb fragen sie auch nur schwach die Riester-Rente
nach. Dass Sie als Sozialdemokraten diesen Zusammen-
hang nicht sehen, ist traurig.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Riester-Rente ist bürokratisch, kompliziert, in der

Förderung unzureichend und ungerecht gegenüber den
Familien. Sie ist – darauf hat der Kollege Storm schon
vorhin hingewiesen – auch renditeschwach. Vielleicht ist
das der entscheidende Grund, warum so viele sie nicht
wollen. Ich möchte nicht noch einmal Professor Jaeger zi-
tieren. Ich verweise stattdessen auf die Berechnungen des
Bundesverbandes Deutscher Versicherungsmakler, wo-
nach die Riester-Produkte im Schnitt 5 bis 10 Prozent we-
niger Rendite bringen als vergleichbare herkömmliche
Produkte. Die Riester-Rente ist unter diesem Gesichts-
punkt also unattraktiv.

Fragen Sie doch einmal nach den Ursachen. Es liegen
elf komplizierte Kriterien zugrunde, obwohl Sie eigent-
lich nur zwei benötigen: Sicherheit und Langfristigkeit.
Durch Ihre Kataloge schließen Sie wichtige, wertvolle
Wahlmöglichkeiten von vornherein aus. Welch ein Kampf
war es, wenigstens die Auszahlungsmöglichkeit von nur
20 Prozent bei Beginn des Ruhestands sicherzustellen!
Warum nehmen Sie den Leuten die Lebensplanung ab?
Wenn sich jemand in ein Seniorenstift einkaufen möchte,
benötigt er mehr als 20 Prozent.


(Peter Dreßen [SPD]: Das ist doch keine Rente mehr!)


– Das ist ein Stück Alterssicherung. Begreifen Sie doch,
dass die Menschen nicht nur nach Ihrer Schablone selig
werden wollen, sondern ihren Lebensabend nach ihrer ei-
genen Lebensplanung gestalten wollen.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423017900
Das Wort hat jetzt der
Kollege Franz Thönnes für die SPD-Fraktion.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Versuch gar nicht erst, es zu verteidigen! Es ist ganz schlecht!)



Franz Thönnes (SPD):
Rede ID: ID1423018000
Frau Präsidentin! Meine sehr
geehrten Damen und Herren! Der Titel dieser Aktuellen
Stunde lautet „Haltung der Bundesregierung zu dem Be-
fund, dass fast drei Viertel der Versicherten keinen Vertrag
für eine so genannte Riester-Rente abschließen wollen“.
Man stellt sich schon die Frage, was das für ein Befund
ist. Es handelt sich um eine Untersuchung aus dem
März 2002. In dem entsprechenden Bericht wird erläu-
tert, dass noch immer fast drei Viertel der Versicherten
– Pflichtversicherte, Arbeitnehmer und Angestellte ma-
chen insgesamt immerhin 62 Prozent aus – keine Riester-
Rente abschließen wollen. Angesichts einer massiven




Katrin Göring-Eckardt

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(C)



(D)



(A)



(B)


Werbekampagne sei das enttäuschend. Die Bun-
desregierung, so heißt es weiter – das haben Sie nicht zi-
tiert –, mache die Wahrheit über den schlechten Zustand
des Umlagesystems nicht deutlich.

Ich will der Frage nachgehen, worüber wir hier eigent-
lich reden und was die Basis dafür ist. 1 000 Beschäftigte
– bei ungefähr 27 bis 28 Millionen Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmern, die sozialversicherungspflichtig be-
schäftigt sind – wurden befragt. Davon waren 45 Prozent
Männer und 55 Prozent Frauen. In der Realität sieht es
aber so aus, dass 55 Prozent Männer und 45 Prozent
Frauen sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind. Da-
rum sind Zweifel an der Aussagekraft dieser Umfrage an-
gebracht.

Die Verlässlichkeit der gesetzlichen Rentenversiche-
rung wird in dieser Untersuchung anhand einer Skala be-
wertet: völlig sicher: 10 Punkte, völlig unsicher: 0 Punkte.
Auf dieser Skala findet man für das Jahr 1980 die Größen-
ordnung 7,5 Prozent. Bis zum Jahr 2002 verringert sich
diese Größe auf 4,1 Punkte. Sie verschweigen völlig, dass
diese Größe bis 1996, also im Laufe Ihrer Regierungszeit,
von 7,5 auf 5 Punkte sank, weil die Menschen gemerkt
haben, dass Ihr Spruch „Die Renten sind sicher“ schlicht-
weg eine Lüge war. Das Vertrauen in das System ist unter
Ihrer Regierung verloren gegangen. Das haben Sie nicht
zitiert.


(Beifall bei der SPD)

Der Rückgang des Vertrauens in die Rentenversicherung
war während Ihrer Regierungszeit dreimal höher als unter
unserer Verantwortung. Uns ist es gelungen, diese Ten-
denz zu bremsen.

Es ist gesagt worden, wer hinter diesem Institut steht.
Man muss aber auch sagen, dass der wissenschaftliche
Berater Professor Dr. Meinhard Miegel ist, der, so glaube
ich, Leiter der Bundesgeschäftsstelle der CDU in Bonn
gewesen ist. Darum müssen Sie diese Untersuchung auf-
greifen; es bleibt Ihnen gar nichts anderes übrig. Sie müs-
sen das aufgreifen, weil Sie auch in der jetzigen Situation
versuchen, in Deutschland Angst zu schüren: Angst vor
Zuwanderung, Angst, obwohl eine Verbesserung der Kon-
junktur, die sich jetzt am Himmel abzeichnet, abzusehen
ist, Angst bei der Rente. Sie sind auch in dieser Situation
die eigentlichen Angstverursacher. Sie wollen wieder
dazu beitragen, dass diese Rente, die private Altersvor-
sorge, die von der Wirtschaft, von Gewerkschaften und
Fachleuten akzeptiert und als eine gute politische Ent-
scheidung bewertet wird, schlecht geredet wird.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Franz mit der Schlafmütze! – Wolfgang Meckelburg [CDU/ CSU]: Jetzt zum Thema!)


– Frau Schwaetzer, Ihnen ist es am liebsten – ich bleibe
bei meiner Philosophie –, wenn gar nichts geregelt wird.
Sie wissen nicht, was geregelt werden soll. Sie, Frau
Maier, wollen alles geregelt haben.

Mithilfe der elf Punkte, die wir aufgeschrieben haben,
versuchen wir aus dem Gesetz mehr praktischen Ver-
braucherschutz, der die Menschen vor dem schützen soll,
was auf dem Markt üblich ist, herauszuholen. Es geht um

Marktanteile für die Unternehmen. Das ist auch gar nicht
schlimm; aber da muss ein bisschen geregelter Wettbe-
werb hinein und das machen wir. Die Menschen – das ist
völlig klar – gehen sehr vorsichtig damit um. Sie lassen
sich das erklären.

Die Zahl von 1,9 Millionen Verträgen ist schon ein
ganz großer Erfolg. 1,9 Millionen Verträge in vier Mo-
naten, das ist kein Zeichen des Scheiterns, sondern das ist
ein riesiger Erfolg, weil alle Prognosen davon ausgehen,
dass zwei Drittel bis drei Viertel aller Verträge in der
betrieblichen Altersvorsorge abgeschlossen werden. Am
Ende werden es also nicht einmal 8 Millionen Verträge in
der privaten Vorsorge sein. Demnach haben wir nach gut
drei Monaten schon ein Viertel erreicht. Jedes Unterneh-
men im Wettbewerb wäre froh, wenn es bei einem neuen
Produkt diese Einführungsquote erreichen würde. Deswe-
gen sind wir auch stolz darauf.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es ist deutlich gesagt worden, dass jetzt mehr als
106 Tarifverträge das für 15,7 Millionen Menschen
regeln. Damit kommen mehr als 60 Prozent der Beschäf-
tigten im Bereich von Tarifverträgen in den Genuss einer
gut geregelten betrieblichen Altersvorsorge. Es ist klar,
dass die Menschen jetzt warten. Der Vorteil bei der be-
trieblichen Altersvorsorge besteht darin, dass die Verwal-
tungskosten nur bei ungefähr 5 bis 6 Prozent liegen. Wenn
sie bei den Privaten bei 20 Prozent liegen, dann kann ich
nur sagen: Munter rein in den Wettbewerb! Es wird sich
zeigen, wo die besseren Verträge gemacht werden. Wir
werden dann sehen, dass das am Ende im tariflichen Be-
reich der Fall sein wird.


(Beifall bei der SPD)

Deswegen werden wir sehr vertrauensvoll abwarten,

was die Stiftung Warentest sagen wird, die Mitte des
Jahres die Untersuchungsergebnisse vorlegen wird. Die
Menschen werden sich ein Bild davon machen, wo sie
Vorteile haben werden.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423018100
Herr Kollege, Sie ha-
ben Ihre Redezeit überzogen.


Franz Thönnes (SPD):
Rede ID: ID1423018200
Wir lassen uns das auch
nicht schlecht reden. Sie sagen, dass wir die Bezieher
höherer Einkommen stärker fördern als die niedriger.
Nein! Verheiratet, zwei Kinder, Durchschnittseinkommen
30 000 Euro: 57 Prozent Förderquote. Gleiche Einkom-
mensklasse, allein stehend: 30 Prozent Förderquote.

Ich sage abschließend: Der Erfolg der Rentenpolitik
dieser Regierung wird aus der Grafik, die ich hier habe,
deutlich.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423018300
Herr Kollege, Sie
müssen bitte zum Schluss kommen.


Franz Thönnes (SPD):
Rede ID: ID1423018400
In den letzten vier Jahren Ih-
rer Regierungszeit gab es nur 3,5 Prozent Rentenzuwachs




Franz Thönnes
22860


(C)



(D)



(A)



(B)


in Westdeutschland und in den vier Jahren dieser Regie-
rung 6,14 Prozent.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist eine Ihrer üblichen Statistiken!)


Ihnen wird es nicht gelingen, die Menschen zu verun-
sichern. Dieses Produkt ist ein gutes Produkt und es wird
im Wettbewerb Bestand haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423018500
Bevor ich dem Kolle-
gen Matthäus Strebl für die CDU/CSU-Fraktion das
Wort gebe, folgender Hinweis: Wir sind in der Aktuellen
Stunde. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie müssen sich
an die Redezeit halten. Wenn das nicht funktioniert, werde
ich irgendwann das Mikrofon abschalten.

Ich werde es nicht bei Ihnen tun, Herr Kollege Strebl;
denn Sie werden sich ja an die Redezeit von fünf Minuten
halten. Bitte sehr.


Matthäus Strebl (CSU):
Rede ID: ID1423018600
Ich hoffe es. – Frau
Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Vergangenes Jahr stellte der Bundesarbeitsminister
Walter Riester mit ungeheurem Werbeaufwand seine so
genannte Riester-Rente vor, die die Bürgerinnen und
Bürger zur privaten Altersvorsorge anhalten sollte. Ziel
war es, die angeschlagene Rentenkasse zu entlasten.

Herr Thönnes, weil Sie von der Wahrheit sprachen,
muss ich Folgendes sagen: Die Wahrheit ist, dass Sie im
Jahr 2000 die Nettolohnanpassung ausgesetzt haben. Die
Wahrheit ist auch, dass Sie es waren, die die Blüm-Re-
form behindert haben.

Die so genannte Riester-Rente floppt an allen Ecken
und Enden, wie wir heute feststellen müssen. Eine Studie
des Deutschen Instituts für Altersvorsorge belegt, dass
rund 71 Prozent keinen Vertrag für eine zusätzliche pri-
vate Altersvorsorge abschließen wollen und 49 Prozent an
der Riester-Rente generell nicht interessiert sind. Jetzt
kommt Licht ins Dunkel der Rentenreform dieser Bun-
desregierung.

Dabei wächst die Angst in der Bevölkerung vor der Un-
sicherheit der gesetzlichen Rente. 82 Prozent der Befrag-
ten sind sich zwar darüber im Klaren, dass eine private Al-
tersvorsorge prinzipiell notwendig ist; aber 60 Prozent
haben den Eindruck, vom Staat im Stich gelassen zu wer-
den. Das ist das Ergebnis der viel zitierten „Solidarität mit
Gewinn“. Anstatt eines ausgewogenen, transparenten
Modells haben wir nun ein einseitiges, übereilt vorge-
stelltes Machwerk, das auf Kosten von Rentnerinnen und
Rentnern sowie Verbrauchern geht.

Es wurde eine Vielzahl von Regeln aufgestellt, damit
ein Anlageprodukt die Zertifizierung erhält. Doch leider
hat Bundesminister Riester dabei nur an Rahmenbedin-
gungen gedacht. Die Frage der Wirtschaftlichkeit derar-
tiger Verträge spielte keine Rolle; denn die Zertifizierung
ist nach seinen Angaben kein staatliches Prüfsiegel. Ich
frage daher: Ist das für Sie Verbraucherschutz? Lieber

eine späte Warnung als eine gut ausgearbeitete Reform
des Modells. Immer mehr treten die Unzulänglichkeiten
der Riester-Rente zutage:

Die Riester-Rente ist nur auf den so genannten
Eckrentner zugeschnitten, der 45 Jahre in die Renten-
kasse einzahlt, aber es ist doch, wie wir alle wissen, rea-
litätsfern, von 45 Jahren auszugehen.


(Peter Dreßen [SPD]: Blüm!)

Prognosen besagen, dass die durchschnittliche Lebens-
arbeitszeit bei Männern 40 Jahre und bei Frauen 30 Jahre
betragen wird, womöglich sogar darunter liegt. Das be-
deutet, dass die Versorgungslücke in den kommenden Jah-
ren von 29,9 Prozent auf über 32 Prozent anwachsen wird.

Ein weiteres Problem ist, dass bestehende Altverträge
nicht die Förderkriterien der Riester-Rente erfüllen. Die
Betroffenen müssen neue Verträge abschließen und even-
tuell wieder Abschlussprämien zahlen, um die Förderung
zu erhalten, was sich gerade Bezieher von unterdurch-
schnittlichem Einkommen nicht leisten können. Diese
Gruppe wird ohnehin durch die Förderung benachteiligt,
denn grundsätzlich gilt frei nach Riester: je höher das Ein-
kommen, desto höher die Förderung.

Nach Schätzungen der Verbraucherschutzzentrale Nord-
rhein-Westfalen drohen nachher Hunderttausenden Deut-
schen aufgrund einer Vertragsklausel Nachzahlungen.
15 von 23 Versicherern garantieren auch nach dem Tod
des Einzahlers die Auszahlung der Rente für einen Zeit-
raum von mehreren Jahren. Diese Vertragskonstruktion
soll eigentlich Eheleute schützen und absichern, aber sie
verstößt gegen Ausführungsbestimmungen des Bundes-
finanzministeriums, welches in einer Auszahlung der
Rente in Raten an den überlebenden Ehepartner eine
schädliche Verwendung der staatlichen Zuschüsse, die
in die Riester-Rentenverträge geflossen sind, sieht. Die
Folge: Die so genannten Riester-Zahlungen müssen beim
Tod des Ehepartners auf einen Schlag versteuert werden.
So sieht die Familienförderung bei Ihnen aus, die Sie sich
für Ihr Wahlprogramm auf die Fahne geschrieben haben.

Herkömmliche Anlagemodelle dagegen sind flexibler
und besser auf die individuellen Bedürfnisse der Verbrau-
cher zugeschnitten, denn Fondssparpläne erlauben zum
Beispiel, dass der Anleger jederzeit über sein Geld verfü-
gen kann, was bei Riester-Produkten erst ab dem 60. Le-
bensjahr möglich ist.


(Peter Dreßen [SPD]: Jetzt ist die Zeit aber auch wieder rum!)


Das Riester-Programm ist besonders aufwendig in der
Beratung. Die Policen fallen aufgrund der vielen Auf-
lagen eher ertragsschwach aus.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist kein
Wunder, dass die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes
dieser Flop-Rente kaum Beachtung schenken.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423018700
Herr Kollege, Ihre
Redezeit ist leider längst abgelaufen.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie haben das Vertrauen der Präsidentin missbraucht!)





Franz Thönnes

22861


(C)



(D)



(A)



(B)



Matthäus Strebl (CSU):
Rede ID: ID1423018800
Die Experten halten es
für möglich, dass in einigen Jahren wieder über eine obli-
gatorische Versicherung nachgedacht werden muss.

Zum Schluss: Diese Bundesregierung hat mit der
Riester-Rente eine Chance verspielt und den Bürgerinnen
und Bürgern unseres Landes den Weg zu einer zukunfts-
orientierten privaten Alterssicherung nicht geebnet. Das
ist für mich nicht solidarisch und erst recht kein Gewinn.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423018900
Nun ruht meine ganze
Hoffnung auf dem Kollegen Horst Schild, SPD-Fraktion.


Horst Schild (SPD):
Rede ID: ID1423019000
Frau Präsidentin! Meine Damen!
Meine Herren! Kollege Strebl, es handelt sich doch um
ein fundamentales Missverständnis, was Ihren zum Teil
auch gar nicht zutreffenden Ausführungen zugrunde liegt.
Hier geht es um die Schließung der Lücke zwischen dem
früheren und dem zukünftigen Rentenniveau der gesetz-
lichen Rentenversicherung. Hier geht es nicht um die
staatliche Förderung der Erben, sondern um die der Hin-
terbliebenen. Das ist etwas völlig anderes.


(Beifall bei der SPD)

Was wollte denn die Union mit der Beantragung dieser

Aktuellen Stunde? Sie haben eine Momentaufnahme aus
einer Studie von vielen, der vom Deutschen Institut für
Altersvorsorge, zum Anlass genommen und darüber hi-
naus wahrscheinlich auch nur die Schlagzeile der „Frank-
furter Allgemeinen Zeitung“ vom 12. April dieses Jahres
gelesen.


(Ute Kumpf [SPD]: Die hätten auch den Untertitel lesen sollen! Genau lesen!)


Ich hätte Ihnen – dann hätten wir uns das Ganze heute er-
sparen können – geraten, die Schlagzeile der „Frankfurter
Allgemeinen Zeitung“ vom 25. Januar zu nehmen. Sie
lautete: „Interesse an der Riester-Rente“. Jetzt hat man
das kleine Wörtchen „wenig“ hinzugefügt und die Basis
der empirischen Daten ist keine andere.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Die Leute wenden sich schaudernd ab!)


– Das ist doch Unsinn, Frau Schwaetzer.

(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Fragen Sie doch einmal bei den Leuten nach, die darüber informiert sind!)


Sie wollten den untauglichen Versuch unternehmen, ne-
gative Schlagzeilen zu provozieren und damit das mies zu
machen, was Sie in Ihrer Amtszeit nicht auf die Beine ge-
stellt haben, nämlich den Weg staatlich geförderter zu-
sätzlicher privater und betrieblicher Altersvorsorge.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Das ist der Unterschied zwischen gut gemeint und schlecht gemacht!)


In der Studie steht ausdrücklich: Entgegen den hohen
Erwartungen – das ist sicherlich richtig; Erwartungen hat-

ten wir und auch die Finanzdienstleister – wollen auch im
März dieses Jahres, wenige Wochen nach In-Kraft-Treten
dieses Gesetzes, 71 Prozent der Befragten nicht abschlie-
ßen.

Aber wenn Sie sich einmal die weiteren Befunde die-
ser Studie anschauen, dann sehen Sie, dass es berechtig-
ten Anlass zu Optimismus gibt, dass dieser Anteil in Zu-
kunft wesentlich größer wird. Das sollten Sie, wenn auch
Sie die Notwendigkeit einer zusätzlichen, kapitalgedeck-
ten Altersvorsorge sehen, nicht in Zweifel ziehen und Sie
sollten nicht Zweifel säen.

Nehmen wir einmal das Positive – einiges ist dazu ge-
sagt worden –: Nur 18 Prozent gehen davon aus, dass sie
keine Vorsorge treffen müssen. Aber 82 Prozent der Be-
fragten gingen im März davon aus, dass sie etwas tun
müssen. Frau Kollegin Scheel hat vorhin darauf verwie-
sen – das ist für uns besonders wichtig –: Gerade bei den
jungen Menschen, bei den 18- bis 29-Jährigen, steigt das
Bewusstsein; 91 Prozent gehen davon aus, dass die Not-
wendigkeit einer zusätzlichen Altersvorsorge besteht. Ich
gehe davon aus, dass sie, wenn dieses Bewusstsein vor-
handen ist, in Zukunft den von uns angebotenen Weg ei-
ner zusätzlichen betrieblichen oder privaten Altersvor-
sorge gehen werden.


(Beifall bei der SPD)

Es gibt weitere erfreuliche Daten. In den neuen Län-

dern gibt es eine starke Nachfrage nach Riester-Produk-
ten. Das freut uns besonders. Die Umfrage von Infratest
– man sollte sich nicht nur auf die Studie des DIA bezie-
hen – kommt zu dem Ergebnis, dass bereits jeder Achte ei-
nen Vertrag abgeschlossen hat und noch 43 Prozent im
Laufe dieses Jahres einen abschließen wollen. Das sind
positive Signale.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Warten wir es einmal ab!)


– Wir werden abwarten und sehen – wir haben entspre-
chende Befunde –, dass bei den neuen Durchführungswe-
gen der staatlich geförderten betrieblichen Altersvorsorge
bis zu 80 Prozent all derjenigen, die dafür infrage kom-
men, diesen Weg gehen werden.


(Ulrich Heinrich [FDP]: Wir wären froh, wenn es ein Erfolg wäre! Wir wollen doch die private Altersvorsorge! Aber was hier vorliegt, ist Murks!)


Sie können doch nicht nur wenige Wochen – auch der
Minister hat vorhin darauf verwiesen – als Maßstab neh-
men. Hier ist auch auf die Einführung anderer Produkte
verwiesen worden. Wir werden erleben, dass die Bereit-
schaft zum Abschluss einer staatlich geförderten privaten
oder betrieblichen Altersvorsorge in den nächsten Mona-
ten deutlich zunehmen wird und die Riester-Rente ein Er-
folg wird.

Ich danke Ihnen. – Frau Präsidentin, ich bin unter fünf
Minuten geblieben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)







(C)



(D)



(A)



(B)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423019100
Es geht doch, liebe
Kolleginnen und Kollegen! – Die Aktuelle Stunde ist be-
endet.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a bis 6 c auf:
a) – Zweite und dritte Beratung des von den Abge-

ordneten Norbert Geis, Wolfgang Bosbach,
Dr. Maria Böhmer, weiteren Abgeordneten und
der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zur Verbesserung des
Schutzes der Bevölkerung vor Sexualverbre-
chen und anderen schweren Straftaten
– Drucksache 14/6709 –

(Erste Beratung 196. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines ... Strafrechtsän-
derungsgesetzes – Sexueller Missbrauch von
Kindern –
– Drucksache 14/1125 –

(Erste Beratung 61. Sitzung)


Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)

– Drucksache 14/8779 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Jürgen Meyer (Ulm)

Joachim Stünker
Norbert Geis
Volker Beck (Köln)

Jörg van Essen
Dr. Evelyn Kenzler

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend (13. Ausschuss) zu dem Antrag
der Abgeordneten Ingrid Fischbach, Peter Weiß

(Emmendingen), Erika Reinhardt, weiterer Abge-

ordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Gegen die sexuelle Ausbeutung und den Miss-
brauch von Kindern
– Drucksachen 14/7610, 14/8806 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Renate Gradistanac
Ingrid Fischbach
Irmingard Schewe-Gerigk
Klaus Haupt
Rosel Neuhäuser

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Menschenrechte und hu-
manitäre Hilfe (18. Ausschuss) zu dem Antrag der
Abgeordneten Carsten Hübner, Rosel Neuhäuser,
Sabine Jünger, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der PDS
Kinder vor sexueller Ausbeutung schützen –
Kindersextourismus bekämpfen
– Drucksachen 14/7793, 14/8795 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Rolf Stöckel
Hermann Gröhe
Christa Nickels
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Carsten Hübner

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich sehe keinen
Widerspruch.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Norbert Geis für die CDU/CSU-Fraktion.


Norbert Geis (CSU):
Rede ID: ID1423019200
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Das letzte Sommer-
loch stand ganz im Zeichen des Ausspruchs des Herrn
Bundeskanzlers, man müsse die Sexualstraftäter weg-
schließen, und das für immer. Aber es ist nichts gesche-
hen; Sie haben nichts unternommen. Das muss man im-
mer wieder feststellen. Wir haben einen Gesetzentwurf
vorgelegt, über den wir heute beschließen werden. Wir
wollen durch diesen Gesetzentwurf die Bevölkerung vor
Sexualverbrechen, insbesondere an Kindern, und vor an-
deren schweren Delikten stärker schützen.

Wir haben uns in der vergangenen Legislaturperiode
große Mühe gegeben, gerade diesen Bereich gesetzlich
neu zu regeln. Das ist uns auch größtenteils gelungen.
Aber es gibt Defizite, die wir heute aufgreifen wollen. Wir
wollen den Kindesmissbrauch als Verbrechen hochstu-
fen. Der Straftatbestand des § 176 StGB soll in Zukunft
nicht mehr als Vergehen behandelt werden, sondern er soll
zum Verbrechen hochgestuft werden. Wir greifen damit
einen Gesetzentwurf des Bundesrates auf.

Die Grundformen des sexuellen Missbrauchs von Kin-
dern waren bereits vor 1973 in jedem Fall als Verbrechen
konzipiert. Erst im Jahre 1973 hat man eine Differenzie-
rung zwischen Vergehen und Verbrechen vorgenommen.
Nur bei ganz schweren Taten handelte es sich um ein Ver-
brechen. Damals hat der Gesetzgeber erklärt, es sei nicht
so ganz sicher, ob ein Kind wirklich immer einen großen
Schaden erleidet, wenn es sexuell missbraucht wird. Das
war die offizielle Gesetzesbegründung für die Differen-
zierung zwischen Vergehen und Verbrechen. Heute haben
wir weiter gehende Erkenntnisse. Wir wissen, dass ein
Kind immer einen schweren Schaden erleidet, wenn es se-
xuell missbraucht wird. Es kann psychische Schäden und
negative Auswirkungen auf die Persönlichkeitsentwick-
lung geben. Der Schaden kann sich auch in der mangeln-
den sexuellen Reife und in Traumata zeigen, die oftmals
ein Leben lang andauern können. Deswegen sind wir der
Auffassung, dass jedweder sexueller Missbrauch von
Kindern als Verbrechen zu qualifizieren ist.

Daraus ergeben sich natürlich gewisse Folgen. Das Ge-
richt kann das Verfahren nicht mehr nach §§ 153 und 153 a
StPO einstellen. Es kann Straftaten aus dem unteren Be-
reich nicht mehr einfach nur mit Strafbefehl ahnden. Es
muss vielmehr Anklage vor dem Schöffengericht erhoben
werden. Der Richter und das Gericht müssen sich selbst ei-
nen Eindruck von der Tat und von dem Täter verschaffen.






(C)



(D)



(A)



(B)


Aber es ist nicht so, dass auf leichte Begehungstaten
keine Rücksicht genommen werden könnte. Das Verfah-
ren kann zwar nicht mehr eingestellt werden. Aber es gibt
dennoch die Möglichkeit, über § 47 Abs. 2 StGB eine
Geldstrafe zu verhängen oder eine Verwarnung mit Straf-
vorbehalt auszusprechen. Eine ausreichende Reaktions-
möglichkeit der Gerichte – zu Recht wurde diesbezüglich
eine Einschränkung befürchtet; das ist das eigentliche Ge-
genargument gegen die Hochstufung zum Verbrechen –
ist durchaus gegeben. Wir müssen also nicht befürchten,
dass minderschwere Fälle unter der Erheblichkeits-
schwelle liegen.

Wir glauben, dass wir diesen Weg gehen können. Auch
der Bundesrat schlägt ihn vor. Wir bekommen außerdem
Signale aus dem Bereich der Strafverfolgung, die uns zei-
gen, dass dies der bessere Weg ist und dass die Maßnah-
men aus dem Jahre 1973 korrigiert werden müssen.

In unserem Gesetzgebungsvorhaben greifen wir einen
zweiten Punkt heraus, nämlich die Anordnung der
nachträglichen Sicherungsverwahrung.


(Unruhe)

– Ich bitte die Kollegen von der CDU/CSU-Fraktion, ihre
Diskussion zu beenden, damit ich fortfahren kann.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423019300
Herr Kollege, wir hat-
ten eben eine lebhafte sozialpolitische Debatte. Ich habe
mich noch nicht richtig auf diese juristische Debatte
eingestellt. Ich weiß, dass die Juristen unter den Kollegen
meistens aufmerksam zuhören. Sie haben mit Ihrer Be-
merkung also völlig Recht. – Herr Kollege Geis, Sie haben
das Wort.


Norbert Geis (CSU):
Rede ID: ID1423019400
Danke. Ich hätte mich
nicht getraut, diese Rüge den Kolleginnen und Kollegen
von der SPD auszusprechen; ich habe meine eigenen
Freunde ansprechen wollen. Vielleicht kann man die so-
zialpolitische Debatte außerhalb des Plenarsaals fortset-
zen und vielleicht ist es möglich, dass wir hier einmal ein
paar Minuten lang über ein wichtiges strafrechtliches
Thema diskutieren. Denn es ist kein einfaches Thema.
Frau Präsidentin, ich stimme Ihnen zu: Es ist vielleicht
nicht ganz so geläufig wie sozialpolitische Themen.

Wir wollen die Möglichkeit der nachträglichen
Anordnung der Sicherungsverwahrung. Wir haben
schon jetzt die Möglichkeit, dass der Richter bei einem
Täter, der einen Hang zu schweren Straftaten hat und
außerdem unter Umständen ein gefährlicher Wiederho-
lungstäter ist, die Strafe aussprechen kann und ihn nach
Absitzen der Strafe in die so genannte Sicherungsver-
wahrung schicken kann. Aufgrund unserer gesetzlichen
Regelung aus dem Jahre 1998 ist das erleichtert worden.
Das, was der Bundeskanzler möchte, ist schon aufgrund
gesetzlicher Regelungen aus dem Jahre 1998 möglich.

Aber wir haben eine Regelungslücke. Diese Rege-
lungslücke besteht darin, dass das Gericht unter Umstän-
den nicht immer in der Lage ist, schon beim Urteil fest-
zustellen, ob es sich wirklich um einen Täter handelt, der
einen Hang zu schweren Straftaten hat und zugleich ge-

fährlich ist, und dass sich diese Tatsache erst während des
Vollzugs, während der Therapie herausstellt, also in Kon-
takt mit den Vollzugsbeamten. Die stellen dann fest: Das
ist ja ein gefährlicher Täter. Eine solche Feststellung liegt
an sich nicht fern; das ist durchaus möglich. Für diese
Fälle haben wir keine Regelung. Wenn also der Vollzugs-
beamte zu dem Ergebnis kommt, dass es sich um einen
Täter handelt, der einen Hang zu schweren Straftaten hat,
dann muss er dennoch in die Freiheit entlassen werden,
wenn das Gericht nicht zuvor bereits die Sicherungsver-
wahrung angeordnet hat. Das ist eine echte Regelungs-
lücke. Das wird erkannt und das sieht auch die SPD so.

Deswegen hat die Koalition die Regelung vorgeschla-
gen, dass das Gericht eine solche Sicherungsverwahrung
unter Vorbehalt aussprechen kann. Wir halten diese
Regelung für nicht ausreichend. Gestern fand dazu eine
Anhörung statt. In dieser Anhörung hat dieser Gesetzent-
wurf auch bei den Sachverständigen, die von der SPD be-
nannt wurden, keinen großen Anklang gefunden. Deswe-
gen sollte man aufseiten der Koalition noch einmal
darüber nachdenken, ob man nicht andere Formulierungen
findet.

Wir sind der Meinung, dass unser Vorschlag der bes-
sere ist.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Der ist verfassungswidrig!)


– Lieber Herr Hartenbach, der ist nicht verfassungswid-
rig. Ihr Gesetzentwurf – das haben wir gestern von einem
Sachverständigen, den Sie selber benannt haben, gehört –
ist unter Umständen verfassungswidrig. Jedenfalls gibt es
dagegen ganz erhebliche Bedenken.

Wir meinen, dass der Vorbehalt, den Sie machen wol-
len, deswegen nicht in Ordnung ist, weil dann zum einen
das Gericht keine Sicherungsverwahrung mehr ausspre-
chen wird – jedenfalls im größten Teil der Fälle –, sondern
immer nur eine Sicherungsverwahrung unter Vorbehalt.
Das halten wir für eine Verschlechterung der jetzigen
Möglichkeit. Zum anderen ist Ihre Formulierung, die Sie
vorschlagen, sehr unbestimmt und unter Umständen ver-
fassungswidrig.

In einem solchen Fall ist ohne weiteres auch die Mög-
lichkeit gegeben, dass das Gericht nicht mit der nötigen
Sicherheit feststellen kann, dass es sich um einen Täter
handelt, der einen Hang zu schweren Straftaten hat und
gefährlich ist, und dass das Gericht dann den Vorbehalt
gar nicht aussprechen darf. Denn der Vorbehalt bedeutet
eine Belastung für den Betroffenen, gegen die er sich im
Rahmen von Revisionsverfahren wehren kann.

Es besteht also ohne weiteres die Möglichkeit, dass das
Gericht den Vorbehalt nicht aussprechen kann. Wenn
dann im Vollzug festgestellt wird, dass es sich tatsächlich
um einen gefährlichen Täter handelt, haben wir die glei-
che Situation wie im Augenblick: In diesem Fall besteht
eine Regelungslücke. Deswegen ist Ihre Vorbehaltslösung
sehr, sehr mangelhaft.

Eine zeitliche Lücke kommt hinzu: Was machen wir
mit den Tätern, die bereits verurteilt sind und bei denen
dann festgestellt wird, dass sie gefährlich sind? Mit der




Norbert Geis
22864


(C)



(D)



(A)



(B)


Vorbehaltslösung können Sie die nicht mehr erfassen;
denn die greift erst in der Zukunft.

Das ist also ein schlechter Vorschlag. Deswegen mei-
nen wir, dass wir ihn nicht annehmen können.

Die verfassungsrechtlichen Bedenken, die gegen un-
seren Vorschlag vorgebracht werden, gelten auch für die
Vorbehaltsregelung. Wir sind der Meinung, dass diese
verfassungsrechtlichen Bedenken nicht durchgreifen.
Zum einen ist die Verbindung zur Strafe selbst gegeben;
der Betreffende sitzt deswegen im Strafvollzug. Zum
Zweiten handelt es sich nicht um eine erneute Bestrafung;
es ist kein Verstoß gegen den Grundsatz „ne bis in idem“,
und zwar deswegen nicht, weil diese Sicherungsverwah-
rung keine Strafe, sondern eine Maßnahme der Sicherung
und Besserung ist. Das Dritte ist: Natürlich darf eine sol-
che Sicherungsverwahrung nur ausgesprochen werden,
wenn sie notwendig, das geeignete Mittel und angemes-
sen ist. Das kann im Einzelfall entschieden werden. Aus
diesen Gründen ist unser Vorschlag verfassungsrechtlich
nicht bedenklich.

Wir haben einen dritten Vorschlag unterbreitet; er be-
trifft die DNA-Analyse.Wir wollen ihre Anwendung aus-
weiten. Wir haben schon jetzt die Möglichkeit, eine DNA-
Analyse vornehmen zu lassen. Die DNA-Analyse mit
ihrer Möglichkeit der genetischen Identifizierung ist ein
exzellentes Mittel der Strafverfolgung. Eine solche Ana-
lyse können wir schon jetzt vornehmen. Es sind aber
große Hürden zu überwinden. Eine Voraussetzung ist,
dass es sich um eine schwere Straftat handelt. Zum Zwei-
ten muss der Richter zu der Prognose gelangen, dass der
Betreffende wiederum eine schwere Straftat begehen
wird. Dann ist eine DNA-Analyse möglich. Wir wollen
den Katalog der Anlasstaten ausweiten und sagen: Das ist
bei jedweder Tat möglich. Allerdings muss der Richter
eine erneute Prognose stellen, derzufolge es sich bei dem
Betreffenden um einen potenziell schweren Straftäter
handeln wird, und muss dann die DNA-Analyse verfügen.
Der Richtervorbehalt bleibt also erhalten. Wir meinen,
dass dies notwendig und für die Strafverfolgung wichtig
ist.

Der letzte Punkt. Wir wollen den Katalog in § 100 a der
Strafprozessordnung, der die Telefonüberwachung regelt,
um die Straftaten Kindesmissbrauch und Kinderporno-
graphie ergänzen. Das SPD-regierte Land Niedersachsen
will mit einem neuen Gesetzentwurf genau das Gleiche.
Wir halten die Aufnahme dieser Straftaten in den Katalog
für notwendig und meinen, dass Sie zumindest in dieser
Frage mit uns stimmen sollten.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423019500
Ich erteile das Wort
der Kollegin Anni Brandt-Elsweier für die SPD-Fraktion.


Anni Brandt-Elsweier (SPD):
Rede ID: ID1423019600
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kolle-
gen! Bei der Vorbereitung zu dieser Rede habe ich festge-
stellt, dass ich zu diesem Thema bereits im November

1997 gesprochen habe. Es ging damals um das Gesetz zur
Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährli-
chen Straftaten und um das Sechste Gesetz zur Reform
des Strafrechts, das noch unter der Kohl-Regierung – Sie
erinnern sich – verabschiedet wurde. Wir Sozialdemokra-
ten haben diese Gesetze damals mitgetragen; denn es wur-
den damit wichtige Voraussetzungen für den strafrechtli-
chen Schutz in diesem Bereich geschaffen.

Sexueller Missbrauch von Kindern, Kinderhandel,
Kindersextourismus und Kinderpornographie, aber auch
Misshandlung und Vernachlässigung von Kindern müs-
sen mit aller Kraft verfolgt und geächtet werden, da sie
mit schwerwiegenden Folgen für die betroffenen Kinder
verbunden sind.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Aus diesem Grunde haben wir uns sehr intensiv mit den
beiden Gesetzentwürfen der CDU/CSU und des Bundes-
rates, die heute zur Abstimmung stehen, auseinander ge-
setzt. Es ist jedoch fraglich, ob die von Ihnen vorgeschla-
genen einzelnen strafrechtlichen Verschärfungen wirklich
geeignet sind, unsere Kinder zukünftig besser zu schüt-
zen.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Wie wahr!)

Eines ist leider Fakt: Einzelfälle, die uns erschrecken,

wird es immer wieder geben. Lückenlose Sicherheit kann
es in einem demokratischen Rechtsstaat – für den stehen
wir alle hier ein – nie geben. Wir sollten uns davor hüten,
das Strafrecht für eine Politik des „Unschädlichmachens“
zu missbrauchen, so der Sachverständige Dr. Pollähne
vom Bremer Institut für Kriminalpolitik in der gestrigen
Anhörung.

Die Sachverständigenanhörung zu den vorliegenden
Gesetzentwürfen hat ergeben, dass zum Beispiel Ihr Vor-
schlag einer nachträglichen Anordnung der Siche-
rungsverwahrung auf erhebliche verfassungsrechtliche
Bedenken stößt. Es kann in der Tat Fälle geben – Sie ha-
ben sie angesprochen, Herr Geis –, bei denen die Gefähr-
lichkeit des Verurteilten zum Zeitpunkt des Urteils nicht
hinreichend sicher festgestellt werden kann, aber auch
nicht auszuschließen ist. Aus diesem Grunde hat die Ko-
alition den Gesetzentwurf vorgelegt, der die spätere An-
ordnung der Sicherungsverwahrung dann möglich macht,
wenn sie denn im Urteil des erkennenden Gerichts vorbe-
halten worden ist. Die gestrige Anhörung hierzu wird
noch auszuwerten sein.

Ihre Kritik, im Rahmen einer rechtsstaatlich korrekten
Nutzung der DNA-Analyse gäbe es erhebliche Defizite,
ist so sicherlich nicht berechtigt; denn die schrecklichen
Verbrechen der jüngsten Zeit haben gezeigt, dass das vor-
handene gesetzliche Instrumentarium im Bereich der
DNA-Analyse zur effektiven Kriminalitätsbekämpfung
ausreichend ist, wenn es sachgerecht genutzt wird.

Ebenso stehen den Strafverfolgungsbehörden bei Tele-
fonüberwachungen auch weit reichende Instrumentarien
zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern
und der Verbreitung von Kinderpornographie zur Verfü-
gung. Wir meinen, das ist zunächst einmal ausreichend, wir




Norbert Geis

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werden das aber, wie Sie bereits gesagt haben, anhand der
Initiative des Landes Niedersachsen überprüfen müssen.

Ich habe bereits 1997 ausgeführt, dass eine strafrecht-
liche Verschärfung nicht für ausreichend gehalten wird,
unsere Kinder wirksam vor sexuellen Übergriffen zu
schützen. Das Strafrecht wird erst dann wirksam, wenn
das Kind bereits Opfer sexueller Gewalt geworden ist.

Wir können uns sicher nicht ernsthaft damit begnügen,
darauf zu warten, dass etwas passiert, um dann die Keule
des Gesetzes zu schwingen und uns zufrieden zurückzu-
lehnen, weil wir den Täter hinter Gitter, möglicherweise
sogar für immer, gebracht haben. Ich kann Ihnen aus der
Erfahrung meiner langjährigen Tätigkeit als Richterin
versichern, dass die Androhung einer schweren Strafe ei-
nen potenziellen Täter, auch einen Wiederholungstäter,
nicht davon abhält, erneut eine Straftat zu begehen. Die
Abschreckungswirkung ist minimal. Das können Sie da-
ran sehen, dass in Ländern mit Todesstrafe immer noch
Morde geschehen.

Eines der großen Probleme bei der Bekämpfung von
sexuellem Missbrauch ist die Tatsache, dass in den meis-
ten Fällen der Täter aus dem vertrauten Umfeld kommt.
Bei nur etwa 6 Prozent der Fälle handelt es sich um einen
Fremden.

Dabei – das muss man sehen – umfasst sexueller Miss-
brauch nicht nur die körperliche Misshandlung. Seelische
Verletzungen, die Angst, das Gefühl der Verlassenheit,
ein gestörtes Gefühl zum eigenen Körper, das zerbro-
chene Vertrauen, Schuld- und Schamgefühle können das
ganze Leben andauern. Viele der Betroffenen – das wis-
sen wir aus Gesprächen mit den Beratungsstellen –
schweigen jahrelang. Das liegt vor allem daran, dass das
Kind gar nicht versteht, was geschieht, und meist nicht
weiß, dass dies Unrecht ist.

Aus dieser Verwirrung heraus haben Kinder Schwie-
rigkeiten, sich an jemanden zu wenden. So zeigen Unter-
suchungen aus den USA, dass sich ein missbrauchtes
Kind im Durchschnitt sechs Mal an einen Erwachsenen
wendet, bevor der siebte ihm endlich glaubt oder erkennt,
was das Kind ihm wirklich sagen will.

Hier liegt eine weitere Schwierigkeit in der Bekämp-
fung des sexuellen Missbrauchs. Es gibt wenig Fälle, bei
denen es sich um die Tat eines erkennbar sexuell abartig
veranlagten Menschen, also eines Triebtäters, handelt. In
der Regel erfolgt der Missbrauch durch unauffällige Men-
schen, die von Außenstehenden meist als „ganz normale“
Männer, nicht selten sogar als vorbildliche Familienväter
wahrgenommen werden.

Wo also können wir ansetzen, um unseren Kindern zu
helfen? Prävention, Unterstützung und Hilfe sind die
Stichworte, die in diesem Zusammenhang wichtig sind.
Prävention bedeutet, dass wir Aufklärung betreiben müs-
sen. Nur dann, wenn wir in der Gesellschaft ein Bewusst-
sein für dieses Thema schaffen, steigen die Chancen, dass
ein Missbrauch erkannt und den Kindern geholfen wird.

Unterstützung heißt, wir müssen das Selbstbewusst-
sein und den Mut unserer Kinder stärken. Erwachsenen
muss klar sein, dass sie nicht frei über ihre Kinder verfü-

gen können, sondern die Verpflichtung haben, sie zu för-
dern und zu schützen. Kinder sind eigenständige Persön-
lichkeiten mit eigenen Rechten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Hilfe bedeutet, dass wir den betroffenen Kindern, aber
auch den Erwachsenen – zum Beispiel in Form von Bera-
tungsstellen – Hilfe anbieten müssen. Die Betroffenen
dürfen nicht das Gefühl haben, in solchen Situationen al-
lein gelassen zu werden.

Die rot-grüne Koalition hat die letzten drei Jahre ge-
nutzt, um mit Gesetzen, aber auch mit Aufklärungs-
kampagnen viel für den Schutz von Kindern zu tun und
die Rechte der Kinder zu stärken.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Ich nenne hier beispielhaft das Gesetz zur Ächtung der
Gewalt in der Erziehung, das Gewaltschutzgesetz und das
Kinderrechteverbesserungsgesetz. All diese Gesetze ha-
ben eine gemeinsame Zielsetzung: das Recht der Kinder
auf eine gewaltfreie Erziehung und den Schutz der Kinder
vor Gewalt. Das Wegweisungsrecht gegenüber dem Täter
ist eine wichtige Verbesserung, die auf die Psyche der
Kinder positive Wirkung hat. Das Kind wird bei Miss-
handlung nicht noch zusätzlich bestraft, indem es ge-
zwungen wird, seine vertraute Umgebung zu verlassen.
Es kann in seinem Zuhause bleiben.

An das Recht des Kindes auf gewaltfreie Erziehung
knüpft auch die Kampagne „Mehr Respekt vor Kindern“
des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend an. Diese Kampagne setzt vor allem auf ein
verstärktes Beratungsangebot und Informationsveranstal-
tungen bei Kinder- und Jugendschutzverbänden, Trägern
der Familienbildung, aber auch in Schulen und Kinder-
gärten, also dort, wo Kinder ihr alltägliches Leben ver-
bringen.

Beispielhaft finde ich in diesem Zusammenhang das
Präventionsprogramm PowerChild, das ein wesentlicher
Bestandteil der Präventionsarbeit von Kobra e. V. ist, ei-
nem mit staatlicher Förderung gegründeten gemeinnützi-
gen Verein mit Sitz in Stuttgart, der für Angebote der Be-
ratung, Therapie und Prävention bei sexueller Gewalt
oder sexuellen Übergriffen an Kindern und Jugendlichen
steht. Power Child richtet sich an Kinder und Jugendliche
in Kindergärten und Schulen unter Beteiligung der Eltern,
Erzieher und Lehrer. Ziel von Power Child ist es, Kinder
und Jugendliche in ihrem Selbstbewusstsein zu stärken.
Sie sollen befähigt werden, sich gegen Belästigung und
sexuelle Übergriffe zur Wehr zu setzen oder Hilfe zu ho-
len. Die Kinder werden mithilfe von zwei Handpuppen
behutsam an das Thema herangeführt. Den Erwachsenen
werden realistische Hilfemöglichkeiten zum Schutz ihrer
Kinder vor sexueller Gewalt aufgezeigt. So können durch
Information und Aufklärung Ängste im Umgang mit die-
ser Thematik abgebaut werden.


( V o r s i t z : Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer)





Anni Brandt-Elsweier
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Wir können leider nicht alle Kinder vor Gewalt und
Missbrauch schützen. Aber in der richtigen Kombination
von Gesetzen, Aufklärung und Prävention können wir
versuchen, den notwendigen Schutz zu gewähren.

Im Interesse unserer Kinder reicht es nicht aus, nur ein-
zelne Strafnormen zu verschärfen. Aus diesem Grunde
lehnen wir die Gesetzentwürfe der CDU/CSU und des
Bundesrates ab.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist aber nicht logisch!)


– Doch.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423019700
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Jörg van Essen.


Jörg van Essen (FDP):
Rede ID: ID1423019800
Frau Präsidentin! Meine Da-
men und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
Kollege Geis hat Recht: Sexualstraftaten führen zu Schä-
den bei Kindern, insbesondere zu Langzeitschäden. Des-
halb ist das Thema jede Debatte wert.

Ich habe heute Vormittag – vielleicht hat es der eine
oder andere auch gesehen – im Frühstücksfernsehen – ich
weiß gar nicht mehr, bei welchem Sender – einen Bericht
über ein Sexualdelikt eines Geistlichen an einem Jungen
gesehen. So, wie dieser Bericht präsentiert wurde, konnte
das Ganze bei dem Kind, das dort zur Sensationsmache
verwendet wurde, nur noch zu einem zusätzlichen Scha-
den führen. Ich denke, dass wir gut beraten sind, auch von
dieser Stelle aus an die Medien zu appellieren, Kinder
nicht zu instrumentalisieren.


(Beifall im ganzen Hause)

Gerade weil es solche Schäden gibt, auf die der Kol-

lege Geis zu Recht hingewiesen hat, hätte ich eigentlich
erwartet, dass Sie in Ihrem Antrag etwas zum Opfer-
schutz gesagt hätten. Dort besteht Regelungsbedarf, und
zwar sowohl hinsichtlich der Frage der Kostentragung für
die Betreuung nach einem Sexualdelikt als auch hinsicht-
lich der Betreuung von Angehörigen, deren Kind bei-
spielsweise Opfer eines Sexualdeliktes eines Sexualmor-
des, geworden ist. Unter uns sind einige, die aus der
juristischen Praxis kommen. Diese wissen, dass das Le-
ben für eine solche Familie nie wieder normal sein wird
und eine langwierige Betreuung notwendig ist.

Wir als FDP haben einen entsprechenden Antrag in den
Bundestag eingebracht. Wir hatten gehofft, dass wir diesen
heute zusammen mit Ihrem Antrag hätten behandeln kön-
nen; denn ich glaube, dass man das nicht trennen kann. Ich
bedauere es sehr, dass die CDU/CSU es abgelehnt hat, dass
es hier zu einer gemeinsamen Behandlung kommt.


(Beifall des Abg. Jürgen Koppelin [FDP])

Ich habe gerade die Frage des Verbrechens angespro-

chen. Ich glaube, dass wir uns alle darin einig sind, dass
ein Sexualdelikt ein Verbrechen an der Seele ist. Die
Frage, ob es auch juristisch ein Verbrechen ist, hat uns in
der Vergangenheit schon mehrfach beschäftigt. Einige, die
hier sitzen – das kann ich nur noch einmal aufführen –, sind

auch in der letzten Legislaturperiode schon als Bericht-
erstatter damit befasst gewesen.

Wir haben eine Anhörung dazu durchgeführt. Das Inte-
ressante ist, dass uns auch die Sachverständigen, die von der
CDU/CSU benannt worden sind, davon abgeraten haben.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Einer!)

– Herr Geis, selbst wenn es nur einer gewesen ist, war
doch auffällig, dass es eine breite Ablehnung gab. Sie
selbst waren bei der letzten Beratung von den guten Ar-
gumenten überzeugt, es rechtstechnisch nicht zu einem
Verbrechen hochzustufen.

Ich will noch einmal die für mich durchgreifende Be-
gründung dafür nennen: Die Rechtsprechung hat die De-
finition des Begriffs „Sexualdelikt“ sehr weit ausgedehnt.
Es beginnt sehr früh. Ich denke, dass das auch gut und
richtig ist, weil es dem Täter signalisiert, dass er sehr vor-
sichtig sein muss, da sein Verhalten sehr früh als Delikt
angesehen wird. Bereits leichte Annäherungen können als
Sexualdelikt angesehen werden. Ich glaube, dass es ein
sehr wirksamer Schutz für Kinder ist, dass Erwachsenen
klar gemacht wird, dass sie sehr vorsichtig zu sein haben.

Ich bin mir sicher, dass die Gerichte darauf reagieren
und mehr verlangen würden, wenn das Ganze ein Verbre-
chen mit einer entsprechend hohen Strafe wäre.


(Margot von Renesse [SPD]: Niemand kann mehr zugeben!)


– So ist es. Das kommt noch hinzu. Frau Renesse, ich
finde, dass das ein sehr guter Hinweis gewesen ist, den Sie
als erfahrene Richterin gegeben haben. – Deshalb plädie-
ren wir dafür, es so zu belassen. Wir haben das Ganze aus
guten Gründen und zum Schutz der Kinder so gestaltet.

Ein weiterer Punkt, den Sie in Ihrem Gesetzentwurf an-
sprechen, beschäftigt mich ebenfalls. Dabei geht es um
die Gendaten. Das Bundesverfassungsgericht hat uns
klar gemacht, dass es verfassungsrechtlich nicht möglich
ist, die Daten von jedem Straftäter aufzunehmen.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr richtig!)


Ich denke, dass wir uns im Rahmen der Verfassung zu be-
wegen haben.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Tun wir ja!)

Das bedeutet, dass wir Ihrem Vorschlag nicht folgen wer-
den. Trotzdem können und dürfen wir nicht zufrieden
sein.

Bezüglich der Möglichkeiten der Übermittlung von
Gendaten an das Bundeskriminalamt habe ich bei einer
anderen Debatte auf völlig unterschiedliche Statistiken in
den einzelnen Bundesländern hingewiesen. Es gibt ein-
zelne Bundesländer, die das vorbildlich gestaltet haben.
Bei anderen Bundesländern gibt es erhebliche Defizite.
Ich nutze meine Rede dazu, an die Länder, die Defizite ha-
ben, dringend zu appellieren, zu einem ähnlichen Ergeb-
nis zu kommen wie beispielsweise Baden-Württemberg,
wo das Ganze, wie ich finde, vorbildlich geregelt wurde.


(Beifall des Abg. Jürgen Koppelin [FDP])





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Dass das sinnvoll und ein aktiver Beitrag zum Opfer-
schutz ist, hat uns der Fall in München, wo es eine
schwere Sexualstraftat an einer Schülerin gegeben hat,
gezeigt. Der Täter konnte erst Anfang dieses Jahres nach
einer dritten schweren Sexualtat festgenommen werden.
Bei den Ermittlungen hat sich herausgestellt, dass er vor
der Serie schon einmal wegen eines versuchten Sexualde-
likts, und zwar in Köln, festgenommen worden war. Die
Straftaten und die entsprechenden Gendaten wurden von
Köln jedoch nicht an das Bundeskriminalamt gemeldet.
Wäre das geschehen, wäre beispielsweise die dritte Tat,
die zu der Verhaftung des Täters geführt hat, nicht mehr
geschehen. Das zeigt, in welcher Verantwortung die Län-
der in diesem Zusammenhang stehen.

Als weiteres Thema möchte ich die Telefonüberwa-
chung ansprechen. Herr Geis, ich bin durchaus dafür of-
fen, über das eine oder andere bezüglich der Notwendig-
keiten und Möglichkeiten der Telefonüberwachung zu
diskutieren. Sie wissen, dass ich in jedem Jahr die Daten
der Telefonüberwachung abfrage. Es gibt einen enormen
Anstieg.

Ich denke, dass wir zunächst einmal aufgerufen sind,
eine Bestandsaufnahme zu machen. Es gibt Vorschriften,
nach denen wir die Telefonüberwachung durchführen
dürfen.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Die gibt es ja schon seit dreieinhalb Jahren!)


Diese haben keinerlei Bedeutung. Sie wissen, dass ein
entsprechender Bericht in Auftrag gegeben wurde. Ich
finde, das ist der richtige Weg, weil wir dadurch die ent-
sprechenden Grundlagen für die Diskussion erhalten.
Wenn es so weit ist, sollten wir zu einer breiten Diskus-
sion kommen und darüber reden, wie die Telefonüberwa-
chung geregelt wird, sodass sie weiterhin möglich ist. Ich
bin selbst Oberstaatsanwalt und weiß, wie notwendig Te-
lefonüberwachung ist. Aber ich möchte das in einer
rechtsstaatlich einwandfreien Weise geregelt wissen. Des-
halb muss der Katalog überarbeitet werden. Es hilft nicht,
wenn wir diesem Katalog ständig neue Straftaten hinzu-
fügen.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Man kann das eine tun und muss das andere nicht lassen!)


Das Ergebnis der Prüfung ergibt für die Freien Demo-
kraten: Wir wollen, dass die Rechte der Opfer, insbeson-
dere die Opfer von Sexualstraftaten, gestärkt werden. Die
Vorschläge, die Sie konkret gemacht haben, ermöglichen
aber nicht unsere Zustimmung.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423019900
Jetzt hat der Ab-
geordnete Volker Beck das Wort.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423020000

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin mit
dem, was Herr van Essen gesagt hat, sehr einverstanden.

Ich glaube, es besteht in diesem Haus völlige Einigkeit:
Sexuell motivierte Gewalt, vor allem Sexualstraftaten an
Kindern, gehört zu den schlimmsten und widerwärtigsten
Verbrechen, die es überhaupt gibt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Den Tätern drohen nach unserem Strafgesetz zu Recht
sehr hohe Strafen. Keine Frage: Der Schutz der Bevölke-
rung vor Sexualverbrechen und vor allen Dingen der
Schutz von Kindern hat für diese Koalition Top-Priorität.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Ich habe nicht den Eindruck!)


Wir haben dies gerade wieder unter Beweis gestellt. Mit
unserem Entwurf zur vorbehaltenen Sicherungsverwah-
rung schließen wir gesetzliche Lücken und schützen da-
mit die Bevölkerung und insbesondere die Kinder vor ge-
fährlichen Sexualstraftätern noch wirkungsvoller. Wir tun
dies in einer rechtsstaatlich vertretbaren, verfassungskon-
formen Art und Weise.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Der Entwurf ist gestern völlig zerrissen worden!)


– Geschätzter Kollege Geis, gestern gab es in der Tat eine
Kontroverse zwischen den Sachverständigen um die
Frage, wie weit man gehen und was man überhaupt alles
tun darf. Einige Sachverständige haben das Instrument
der Sicherungsverwahrung überhaupt infrage gestellt,
weil sie bezweifeln, dass dies in einem Rechtsstaat zuläs-
sig ist. Ich meine, es gibt rechtsstaatlich und verfassungs-
rechtlich gute Gründe für diese Argumentation. Aber weil
wir hier ein Sicherungsbedürfnis sehen, nähern wir uns
alle diesem Instrument mit einem sehr schlechten Gewis-
sen.

Das hat gestern die Zerrissenheit der Sachverständigen
gezeigt. Die einen haben erklärt: Wir gehen viel zu weit.
Die anderen haben in Ihrem Sinne erklärt: Wir sollten
noch weitergehen. Das zeigt zumindest, dass der Lö-
sungsansatz von der Linie her versucht, Ausgewogenheit
zwischen Sicherung und Rechtsstaatlichkeit zu wahren.
Diese Aufgabe ist nicht leicht zu bewältigen. Wir werden
im Ausschuss noch darüber reden müssen, was wir aus
den Kritikpunkten der Sachverständigen im Einzelnen
machen. Aber Ihr Entwurf stößt natürlich bei denjenigen,
die selbst schon an unserem Entwurf den einen oder an-
deren Punkt auszusetzen haben und rechtsstaatliche Be-
denken haben, noch viel eindeutiger auf Kritik.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Wo denn?)

Rechtsstaatliche und trotzdem effektive Kriminalpoli-

tik, das unterscheidet uns grundlegend von Ihnen, verehrte
Kolleginnen und Kollegen von der Union. Die meisten
Ihrer Vorschläge sind entweder nur symbolische Luft-
nummern oder schlichtweg verfassungswidrig. Manchmal
sind sie sogar beides.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Sagen Sie uns doch, wo sie verfassungswidrig sind!)


– Herr Geis, Sie haben sich vorhin beschwert, dass bei Ih-
nen sogar Ihre eigene Fraktion dauernd dazwischenredet.




Jörg van Essen
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Wieder fällt Ihre Fraktion auf, aber dieses Mal sind Sie
selbst es, der dauernd dazwischenredet.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423020100
Gestatten Sie
eine Zwischenfrage des Kollegen Geis?


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423020200

Ich möchte erst diesen Abschnitt der Argumentation zu
Ende bringen. Danach kann Herr Geis fragen.

Beispiel nachträgliche Sicherungsverwahrung. Ihr Vor-
schlag verstößt gegen das Verbot der Doppelbestrafung
und auch gegen das Rückwirkungsverbot. Fazit: verfas-
sungswidrig. Erweiterung des genetischen Fingerabdrucks:
Sie wollen die DNA-Analyse bei sämtlichen Delikten er-
möglichen und nicht nur bei Straftaten von einer gewissen
Schwere. Damit verletzen Sie bewusst das Postulat der
Verhältnismäßigkeit, das das Bundesverfassungsgericht in
diesem Zusammenhang immer wieder angemahnt hat. Im
Urteil des Bundesverfassungsgerichts wurde begründet,
warum die jetzige Rechtslage verfassungskonform ist.
Weiter dürfen wir im Wesentlichen aber nicht gehen. Fa-
zit: Ihr Vorschlag ist verfassungswidrig.

Die Heraufstufung der Tatbestände gemäß § 176 StGB
zum Verbrechen ist in Ihren Augen ein besonders opfer-
freundlicher Vorschlag. Ich behaupte, das Gegenteil ist
der Fall. Die besonders schweren Formen des sexuellen
Missbrauches werden in § 176 a StGB bereits heute als
Verbrechen qualifiziert. Den Opfern ist mehr geholfen,
wenn die besonders schweren Missbrauchsformen auch
als solche bezeichnet werden. Mit Ihrem Vorschlag brin-
gen Sie nur die vernünftige Systematik des jetzigen Se-
xualstrafrechts aus dem Gleichgewicht.

Obwohl ursprünglich ein anderer Vorschlag in den Bun-
destag eingebracht worden war, hat der Gesetzgeber nicht
ohne Grund in diesem Bereich sorgfältige Differenzierun-
gen zwischen Vergehens- und Verbrechenstatbeständen
vorgenommen. Strafunwürdige Fälle wie die einverständ-
liche Sexualität – das kann ein Kuss sein – zwischen einem,
sagen wir, vierzehneinhalbjährigen Jugendlichen und sei-
ner dreizehnjährigen Freundin können so von den Ge-
richten und der Staatsanwaltschaft unbürokratisch nach
§ 153 a StPO eingestellt werden. Es ist gut so, wenn Ju-
gendliche bei ihren ersten einvernehmlichen Gehversu-
chen auf diesem Gebiet nicht gleich mit Polizei, Gericht
und Staatsanwaltschaft Bekanntschaft machen. Sie dage-
gen wollen so etwas zum Verbrechen hoch stufen, obwohl
Sie wissen, was dies zwangsläufig auslöst: Es würde am
Ende nicht zu einer Verurteilung führen, wohl aber zu un-
tragbaren Verfahrensschritten, die für die Kinder und Ju-
gendlichen ein großes Problem darstellten.

Meine Damen und Herren, wir werden bei dem Thema
Kinderpornographie in diesem Haus wahrscheinlich
über Strafrahmen zu reden haben, weil die Europäische
Union eine Vereinheitlichung der Strafrahmen anstrebt.
Dazu merke ich an, dass höhere Strafrahmen – das wurde
von Frau Brandt-Elsweier völlig zu Recht angesprochen –
nicht dazu führen, dass die Leute davon lassen. Das Ein-
zige, was sie allenfalls abschreckt, ist eine höhere Kon-
trolldichte, die zum Aufspüren der Täter führt.

Herr Geis, ich bin völlig damit einverstanden, dass wir
bei der Telefonüberwachung über den Straftatenkatalog
reden, aber wir müssen – das ist dringend überfällig –
auch über die Konstruktion der Zulässigkeit von Tele-
fonüberwachung reden.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423020300
Herr Kollege,
jetzt ist Ihre Redezeit vorbei.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423020400

Wir sind auf diesem Gebiet Weltmeister. Die Bundesre-
gierung hat dazu ein Gutachten in Auftrag gegeben, um
das Recht zu erforschen. Dass es noch nicht vorliegt, liegt
insbesondere an Ländern, in denen die Union an der Re-
gierung beteiligt ist, weil von ihnen lange Zeit nicht zu-
geliefert wurde.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423020500
Eine Kurzinter-
vention des Kollegen Geis, bitte.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Herr Geis, was soll eine Kurzintervention?)



Norbert Geis (CSU):
Rede ID: ID1423020600
Herr Kollege Hartenbach,
Sie sollten es mir nicht verübeln, wenn ich von einem par-
lamentarischen Recht Gebrauch mache. Sie sollten so viel
Respekt vor dem parlamentarischen Brauch und unserer
Geschäftsordnung haben und nicht dazwischenrufen,
wenn ich von meinem parlamentarischen Recht Gebrauch
mache. Aber vielleicht sind Sie kein guter Parlamentarier.

Ich möchte kurz zu dem Stellung nehmen, was Herr
Beck gesagt hat, zunächst zu seiner Behauptung, die Si-
cherungsverwahrung stelle eine doppelte Bestrafung
dar. Das würde dann auch für die Vorbehaltslösung gelten,
sodass der Gesetzentwurf der Koalition ebenso verfas-
sungswidrig wäre. Hier handelt es sich – das habe ich vor-
hin gesagt – nicht um eine Bestrafung, sondern um eine
Maßnahme der Sicherung und Besserung. Deswegen ist
es keine Doppelbestrafung und verstößt auch nicht gegen
den Grundsatz „ne bis in idem“.

Dann sagten Sie, unser Vorschlag zur DNA-Analyse
sei verfassungswidrig. Wir vertreten die Auffassung, dass
eine Anlasstat und die Prognose des Richters notwendig
sind. Das Gleiche gibt es schon jetzt und das ist als ver-
fassungskonform angesehen worden. Wir sprechen nur
von jedweder Anlasstat, weil wir aus der Statistik wissen,
dass ein Sexualstraftäter in der Regel vorher – zum Bei-
spiel als Dieb – straffällig geworden ist. Wenn der Richter
zu dem Ergebnis kommt, ein Straftäter habe einen Hang
zum Begehen schwerer Straftaten, dann ist diese Pro-
gnose dafür ausschlaggebend, dass eine DNA-Analyse
gemacht werden kann. Insofern halten wir uns völlig an
den Rahmen des Bundesverfassungsgerichtsurteils.

Über die Aufstufung des Tatbestandes nach § 176 StGB
zum Verbrechen ist schon 1973 eine Diskussion geführt
worden. Die damaligen Voraussetzungen treffen nicht zu.
Es sind Erfahrungen aus der Sozialpsychologie vorhanden;




Volker Beck (Köln)


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diese Erkenntnisse sollten wir berücksichtigen. Deswe-
gen kommen wir zu dem Ergebnis, dass wir hier eine Auf-
stufung zum Verbrechen vornehmen sollten.

Zur Telefonüberwachung: Wir sollten in der Tat den
Straftatenkatalog überprüfen. Dabei sollten wir aber das
andere nicht lassen. Es ist dringend notwendig, dass wir
die beiden schweren Verbrechen Kindesmissbrauch und
Verbreitung von Kinderpornographie in die Telefonüber-
wachung hineinnehmen. So lautet auch eine Forderung
der Polizeigewerkschaft, der wir entsprechen sollten.

Danke schön.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423020700

Herr Geis, es tut mir Leid, eine Doppelbestrafung kommt
bei der Sicherungsverwahrung natürlich nicht allein
durch die Verhängung der Maßregel zustande, sondern da-
durch, dass im erkennenden Urteil dazu noch nichts gesagt
wird. Bei der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung wird
im erkennenden Urteil stehen, dass Sicherungsverwahrung
entweder bereits verhängt oder aber vorbehalten wird.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist genau das Gleiche!)


Insofern resultiert aus Ihrem System, ohne dass es für den
Strafgefangenen absehbar wäre, eine neue Strafe, eine
neue Sanktion. Die Maßregel der Sicherungsverwahrung
– das wissen Sie auch – unterscheidet sich tatsächlich in
nichts vom Strafvollzug.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Sie waren gestern nicht in der Anhörung!)


– Das ist leider so. Das wurde gestern auch ausdrücklich
von einigen Sachverständigen angesprochen.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Dann haben Sie es nicht verstanden!)


– Herr Geis, Sie regen sich auf, dass man dazwischenruft.
Sie rufen ständig dazwischen.

Dass die Sicherungsverwahrung nach dem Vollzugsge-
setz einen anderen Vollzug ermöglicht, war gestern auch
ein Thema, das wir meines Erachtens in der nächsten
Wahlperiode aufgreifen sollten.

Im Hinblick auf die DNA-Analyse haben Sie ver-
schwiegen, dass das Bundesverfassungsgericht in seiner
Urteilsbegründung ausdrücklich auf die Erheblichkeit der
Straftaten abgestellt hat.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Bei der Prognose!)


– Nein, nicht bei der Prognose, sondern bei den Anlass-
taten.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Da müssen Sie noch einmal nachlesen!)


Wir haben uns 1997 und nicht 1973 darüber unterhal-
ten, Herr Kollege, warum wir zwischen dem Tatbestand
gemäß § 176 StGB als Vergehen und der schweren Be-
gehensform gemäß § 176 a als Verbrechen unterschei-
den. Die in der damaligen Debatte angeführten Gründe
sind heute genauso richtig wie damals. Man muss einfach

beachten, dass in § 176 ganz unterschiedliche soziosexu-
elle Situationen angesprochen werden. Es sind einerseits
Opfer im Alter von null bis 14 Jahren und andererseits Tä-
ter im Alter von 14 bis 99 Jahren denkbar, und zwar in al-
len Kombinationen. Deshalb ist es auch wichtig, das alles
weiterhin als strafbar gelten zu lassen. Herr van Essen hat
vorhin zu Recht ausgeführt, wie weit wir die Begehens-
form gemäß diesem Paragraphen vorverlagert haben. Das
brauchen wir, wenn wir wirksam schützen wollen.

Wenn wir bereits bei dem kleinstmöglichen Unrecht
immer wegen eines Verbrechens anklagen, geben wir den
Opfern Steine statt Brot, weil damit der Begründungsauf-
wand für eine Verurteilung höher wird und es damit zu
mehr Freisprüchen kommen wird. Deshalb ist das, was
Sie hier vorschlagen, nur gut gemeint, aber schlecht ge-
macht. Es nützt für den Schutz der Kinder an diesem
Punkt leider überhaupt nichts. Deshalb lehnen wir das
auch weiterhin ab.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423020800
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Rosel Neuhäuser.


Rosel Neuhäuser (PDS):
Rede ID: ID1423020900
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Kollege Geis hat vorhin aus-
geführt, Strafverschärfung sei der bessere Weg. Ich hielte
es für den besseren Weg, dafür Sorge zu tragen, dass es
überhaupt keiner Strafen wegen sexueller Ausbeutung
von Kindern bedürfte.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS – Margot von Renesse [SPD]: Das gibt es nur im Paradies!)


Wir sind uns sicherlich in diesem Hause einig, dass für
den Schutz von Kindern und gegen ihren sexuellen Miss-
brauch Regelungen gefunden und Gesetze geschaffen
werden müssen. Nicht allein die zweite Weltkonferenz ge-
gen sexuelle Ausbeutung, an der ich teilnahm, sondern
auch viele bekannt gewordene Fälle in der Bundesrepu-
blik Deutschland unterstreichen das mit Nachdruck.

Der Ansatz, Kindern zu helfen, sie zu schützen und zu
unterstützen, ist richtig. Aber gerade diesem Anspruch
werden die heute vorliegenden Anträge der Fraktion der
CDU/CSU nicht gerecht. Neben den allgemeinen unver-
bindlichen Bekenntnissen zur Unterstützung von Präven-
tionsarbeit setzen Sie vor allem darauf, verstärkt staatli-
che Regelungen zu schaffen. Nach dem Willen der Union
soll gegenüber hoch gefährlichen Straftätern die Unter-
bringung in der Sicherungsverwahrung nachträglich an-
geordnet werden. Außerdem sollen die Grundfälle des
sexuellen Missbrauchs von Kindern wieder als Verbre-
chen gekennzeichnet werden. Mit einer solchen Strafver-
schärfung wird zugleich erreicht, dass im Bereich des
Kindesmissbrauchs bereits die Verabredung und der An-
stiftungsversuch unter Strafe zu stellen wären.

Als weiteres Kernstück bezeichnen Sie die Ergänzung
des Strafgesetzbuchs um den Tatbestand der Anbahnung
von Kontakten, die Erweiterung der Telefonüberwachung




Norbert Geis
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(C)



(D)



(A)



(B)


und die konsequente Nutzung der DNA-Analyse im Straf-
verfahren als die Mittel, dem Problem des sexuellen Miss-
brauchs zu begegnen. Dass das der falsche Weg ist, haben
Ihnen sicherlich viele Experten, aber in der heutigen De-
batte auch Kollegen aus den Fraktionen gesagt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, seit dem ersten Welt-
kongress gegen sexuelle Ausbeutung von Kindern 1996 in
Stockholm hat sich das Problem sexualisierter Gewalt ge-
gen Kinder erheblich verschärft. Wir hatten auf der Fol-
gekonferenz in Japan in verschiedenen Workshops die
Möglichkeit, mit Regierungen, NGOs, Vereinen, Initia-
tiven und Verbänden Gespräche zu führen, die die unter-
schiedlichsten Entwicklungen verdeutlichten. War es zum
ersten Weltkongress noch eine Frage der so genannten
Dritten Welt, so ist derzeit eine weltweite Zunahme von
sexuellem Missbrauch von Kindern und dem Kinderhan-
del zu verzeichnen. Dazu liegt auch ein Antrag der PDS-
Fraktion mit dem Titel „Kinder vor sexueller Ausbeu-
tung schützen – Kindersextourismus bekämpfen“ vor, den
wir in dieser Debatte mitberaten. Bereits vor der zweiten
Weltkonferenz in Yokohama eingebracht, betrachtet er die
gesellschaftlich notwendigen Bedingungen, die Miss-
brauchstaten an Kindern und Kinderhandel verhindern
helfen sollen, viel aktueller und vor allem facettenreicher.

Unser Antrag setzt auf umfassende Maßnahmen im Be-
reich der Prävention im In- und Ausland, bei der Schaf-
fung rechtlicher Grundlagen zur Bekämpfung von sexu-
eller Ausbeutung, der polizeilichen und justiziellen
Zusammenarbeit sowie der Stärkung des Kindes. Außer-
dem fordern wir effektive Opferschutzprogramme und,
nicht zu vergessen, zielgerichtete Maßnahmen der Ent-
wicklungszusammenarbeit. Ich denke zum Beispiel an die
Entschuldung der Dritten Welt. Auf andere Punkte hat
Herr van Essen in seinem Beitrag hingewiesen.

Stichpunktartig möchte ich einige weitere Forderungen
der PDS, die in unserem Antrag niedergelegt sind, nen-
nen: die Ratifizierung internationaler Konventionen ge-
gen Kinderhandel, die Einstufung von Kinderhandel als
organisierte Kriminalität und den Abschiebeschutz für
Opfer von Kinderhandel.

Die Ergebnisse der zweiten Weltkonferenz zeigen
auch, dass es notwendig ist, den Aktionsplan der Bun-
desrepublik Deutschland zu aktualisieren und zielstrebig
umzusetzen. Im Zusammenhang damit müssen wir die
Frage nach der Entwicklung von jugendlichen Straftätern,
die Probleme der Internetanbieter – es sind schließlich
täglich immerhin mehr als 1 000 neue Angebote verfüg-
bar –, die Situation im familiären Nahbereich und das
Problem des Missbrauchs in Institutionen konsequent in
Betracht ziehen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, gerade heute beginnt
in Weimar eine Fachtagung, die sich inhaltlich mit dem
Umgang mit sexuellem Missbrauch, mit den Problemen
der Jugendhilfe und des Opferschutzes, der praktischen
Kinderschutzarbeit, den Konsequenzen der UN-Kinder-
rechtskonvention und den Hilfesystemen im Internet be-
schäftigt. Diese Fragen sind nicht allein über Strafge-
setzänderungen oder -gebung zu regeln, vielmehr handelt
es sich um ein gesamtgesellschaftliches Problem, das ge-
samtgesellschaftliche Lösungsansätze erfordert.

In Auswertung der Konferenz in Yokohama führen wir
am 12. Juni 2002 gemeinsam mit dem Familienausschuss,
dem Tourismusausschuss und der Kinderkommission
eine Anhörung durch. Wir laden Sie herzlich dazu ein, ge-
meinsam an diesem Problem weiter zu arbeiten.

Vielen Dank.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423021000
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Renate Gradistanac.


Renate Gradistanac (SPD):
Rede ID: ID1423021100
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Auf 2 Millionen Kin-
der schätzt UNICEF die Zahl der weltweit sexuell ausge-
beuteten Kinder in Deutschland, in Europa, weltweit, in
Familien, in Verbänden und von Touristen.

Kindesmissbrauch, kommerzielle sexuelle Ausbeu-
tung, Kinderprostitution und Kinderpornographie sind
– das klang heute schon mehrfach an – Verletzungen an
Kinderseelen bis hin zum Seelenmord.

Eine Welt, in der so viele Kinder ihrer Kindheit be-
raubt und zu Sexobjekten für Erwachsene degradiert
werden, darf nicht toleriert werden. Diese Überzeu-
gung hat uns bisher Kraft und Ausdauer gegeben.

Das hat Ron O’Grady gesagt, Mitbegründer und lang-
jähriger Vorsitzender von ECPAT. Auch wir stehen in die-
ser Verantwortung.

Drei Schwerpunkte bestimmen unsere Arbeit: Präven-
tion und Aufklärung – es geht hierbei in verstärktem Maße
um die Täterprävention mit besonderem Augenmerk auf
jugendliche Täter –, Gesetzgebung sowie internationale
Strafverfolgung und Opferschutz. Viel wurde getan. Da-
bei beziehe ich ausdrücklich auch die alte Regierung ein.
Auf dem ersten Weltkongress gegen die gewerbsmäßige
sexuelle Ausbeutung von Kindern, der 1996 in Stockholm
stattfand, verpflichteten sich 122 Staaten, nationale
Aktionspläne zum Schutz der betroffenen Kinder zu er-
stellen und zu verabschieden. Leider haben nur ein Drit-
tel der Länder ihre Zusagen eingehalten.

Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend hat ein vorbildliches nationales Arbeitspro-
gramm gegen Kindesmissbrauch, Kinderpornographie
und Sextourismus vorgelegt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Der Zwischenbericht von 1998 wurde im Bericht vom
Januar 2001 um die Maßnahmen ergänzt, die bis Dezem-
ber 2000 umgesetzt wurden. Damit hat Deutschland – ich
denke, man muss an dieser Stelle auch einmal etwas
Positives sagen – als eines der ersten Länder überhaupt
die in Stockholm eingegangenen Verpflichtungen erfüllt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Erwähnenswert ist auch, dass Deutschland, soweit be-
kannt, bisher das einzige Land ist, das eine nationale




Rosel Neuhäuser

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Nachfolgekonferenz veranstaltet hat. Zur Erinnerung:
Diese fand im März 2001 in Berlin statt.

Im Einzelnen möchte ich auf die Prävention eingehen.
Die SPD-geführte Bundesregierung hat in Deutschland
einen Paradigmenwechsel hin zu einem neuen, von Res-
pekt getragenen Leitbild in der Erziehung eingeleitet. Wir
haben das Gesetz zur Ächtung der Gewalt in der Erzie-
hung verabschiedet. Es schreibt ein eigenes Recht des
Kindes auf gewaltfreie Erziehung fest und betont die Sub-
jektstellung des Kindes. Die Bundesregierung hat gleich-
zeitig eine Kampagne mit dem Titel „Mehr Respekt vor
Kindern“ ins Leben gerufen.

Ein weiteres deutliches Zeichen zum Schutz der Kin-
der vor häuslicher Gewalt und Missbrauch wurde durch
das verabschiedete Gesetz zur weiteren Verbesserung von
Kinderrechten gesetzt. Demnach können Väter, Mütter
oder auch andere im Haushalt lebende Personen, die Kin-
der schlagen oder missbrauchen, der Wohnung verwiesen
werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Erwähnenswert ist der hervorragende Inflightspot, den
das Familienministerium gemeinsam mit Terre des hom-
mes entwickelt hat. Er sollte auf Flugreisen eingesetzt
werden. In Yokohama mussten wir allerdings erfahren,
dass er nach nur einem halben Jahr von den Fluggesell-
schaften zurückgezogen wurde. Das ist ein Wermutstrop-
fen. Ich finde das schade.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS sowie bei Abgeordneten der FDP)


Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend hat ein Faltblatt mit dem Titel „Kleine Seelen,
große Gefahr“ unterstützt. Es soll in den Reisebüros an die
Kunden verteilt werden. Reisende sollen informiert und
sensibilisiert werden sowie durch Zivilcourage mithelfen,
den Tätern das Terrain zu entziehen. Es wird darüber in-
formiert, dass Kindesmissbrauch weltweit strafbar ist.
Überführte Täter können nach deutschem Recht bestraft
werden, selbst wenn sie Kinder im Ausland sexuell miss-
braucht haben. Diese Aktion ist notwendig; denn es gibt
Schätzungen, wonach allein aus Deutschland jährlich
10 000 Täter kommen. Darunter sind auch jugendliche
Täter, deren Zahl leider steigt.

Es sind fast ausschließlich Männer, die Kinder miss-
brauchen.

Was treibt Menschen dazu, Kinder als Handelsware
dafür in kriminellen Netzwerken bereitzustellen?

Heinz Fuchs meint weiter:
Erziehung und Sozialisierungskonzepte sind gefragt,
die Männer anleiten, neue Wege ihrer Identität zu
suchen. Männeridentitäten, die nicht länger über den
Umweg der Unterdrückung von Frauen und Kindern
laufen dürfen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich freue mich, dass immer mehr Männer in der ersten
Reihe stehen, um gegen Kindesmissbrauch durch Sex-
touristen zu kämpfen. Ich möchte mich an dieser Stelle
ganz besonders bei Herrn Paschold aus dem Bun-
desministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
bedanken. Frau Staatssekretärin, ich bitte Sie, den Dank
weiterzugeben.

Wir lehnen die Anträge von PDS und CDU/CSU ab.
Sie wurden vor dem zweiten Weltkongress in Yokohama
geschrieben. Sie enthalten zahlreiche Forderungen, die
von der Regierung bereits umgesetzt worden sind.

Die Bekämpfung der kommerziellen sexuellen Aus-
beutung bleibt für unsere Fraktion auf der Tagesordnung.
Die Anhörung, die für den 12. Juni 2002 angekündigt
wurde, ist beschlossen. Nach dieser Anhörung werden wir
weitersehen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423021200
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Ingrid Fischbach.


Ingrid Fischbach (CDU):
Rede ID: ID1423021300
Frau Präsidentin!
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die Kollegin
Gradistanac hat gerade schon darauf hingewiesen – ich
denke, man kann es nicht oft genug sagen –: Über 2 Milli-
onen Kinder werden weltweit Opfer sexueller Ausbeutung.
Über 2 Millionen! Kinderprostitution, Kindesmissbrauch
und Kinderpornographie sind in allen gesellschaftlichen
Bereichen angesiedelt. Es ist für mich kaum vorstellbar,
aber es ist Realität: Es gibt Familien, Eltern oder andere Fa-
milienangehörige, die Klein- und Kleinstkinder zum Zweck
des kommerziellen Missbrauchs zur Verfügung stellen. Für
pornographische Aufnahmen werden Kinder unter Drogen
gesetzt, sexuell missbraucht, misshandelt und manchmal zu
Tode gequält. Der Markt ist weltweit verzweigt.

Kinder stellen lediglich eine Ware dar, mit der viel
Geld verdient werden kann. Die Nachfrage – auch darauf
haben Sie hingewiesen – ist sehr groß. Aufgrund dieses
Stellenwerts der Kinder sind sie zum größten Teil auf sich
ganz allein gestellt. Viele Kinder stammen aus sozial be-
nachteiligten sowie verarmten Familien und müssen mit
ihren Einnahmen die gesamte Familie ernähren. Alkoho-
lismus, Drogenabhängigkeit sowie kriminelle Strukturen
prägen größtenteils die Herkunftsfamilien.

Viele Kinder haben bereits innerhalb der Familie Ge-
walt und/oder sexuellen Missbrauch erfahren. Häufig wa-
ren die Kinder in Heimen untergebracht, wurden von dort
entführt, sind weggelaufen oder wurden sogar verkauft.
Unzählige Kinder werden in andere Länder verkauft. Vor
allem Flüchtlingskinder sind beliebte Opfer; deshalb
brauchen sie unseren besonderen Schutz.


(Beifall des Abg. Klaus Haupt [FDP])

Einige Kinder und Jugendliche leben auf der Straße,

bei Zuhältern oder Freunden. Waisen, die durch Aids oder
Flucht beide Elternteile verloren haben, haben teilweise




Renate Gradistanac
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keine andere Chance, als durch Prostitution zu überleben.
Hieran wird deutlich, dass wir, gerade was den Aidsfonds
angeht, auch die Waisen berücksichtigen müssen. Genau
wie die Kinder, welche von den eigenen Angehörigen an-
geboten werden, stellen diese Kinder eine Randgruppe
ohne Perspektive dar. Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Armut darf für uns keine Entschuldigung sein, die sexu-
elle Ausbeutung von Kindern zu dulden. Wir Politiker
sind gefragt und müssen handeln.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die sexuelle Ausbeutung ist aber nicht nur ein Problem

der Entwicklungsländer Südostasiens, Lateinamerikas
und Afrikas, sondern es ist auch ein Problem der west-
lichen Welt, Osteuropas, auch Deutschlands. Jährlich
werden bundesweit mehr als 15 000 Fälle sexuellen Miss-
brauchs von Kindern registriert. Die Dunkelziffer liegt
um ein Vielfaches höher.

Wenn man nach Gründen fragt, dann muss man fest-
stellen, dass das stark ausgeprägte Wohlstandsgefälle, un-
zureichende Informationen und Aufklärung der Öffent-
lichkeit, subjektives Empfinden für straffreie Räume und
die Tabuisierung des Themas in der Öffentlichkeit unter
anderem begünstigend wirken.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, deshalb muss es un-
ser dringlichstes Ziel sein, die sexuelle Ausbeutung von
Kindern nicht nur bei uns, sondern auch weltweit zu
bekämpfen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Durch sexuelle Ausbeutung wird einem Kind – die UN-
Kinderrechtskonvention sagt: jede Personen unter 18 Jah-
ren ist ein Kind – die Würde geraubt. Ihm wird das Recht
auf die Kindheit und auf ein stabiles Leben verwehrt.


(Beifall der Abg. Irmgard Karwatzki [CDU/CSU])


Schwere psychische und physische Schäden der Kinder,
zum Beispiel Geschlechtskrankheiten und Infektionen
mit HIV, Drogenmissbrauch sowie Selbstmordversuche
sind unter anderem als Folgen sexueller Ausbeutung zu
verzeichnen.

Auf dem ersten Weltkongress gegen die gewerbs-
mäßige sexuelle Ausbeutung von Kindern 1996 in
Stockholm – die Kollegin Neuhäuser hat darauf hin-
gewiesen – wurde eine Erklärung unterzeichnet, mit der
der Durchbruch im gemeinsamen Vorgehen gegen die
kommerzielle sexuelle Ausbeutung von Kindern ge-
schafft wurde. Mit dieser Erklärung wurde zum einen der
Passus der UN-Kinderrechtskonvention bestätigt, dass
jedes Kind ein Recht auf umfassenden Schutz vor allen
Formen sexueller Ausbeutung oder sexuellen Miss-
brauchs hat.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Zum anderen verpflichteten sich die unterzeichnenden
Staaten, bestimmte Maßnahmen zum Schutz der betroffe-
nen Kinder zu ergreifen.

Dem Weltkongress folgte im Jahr 2001 – darauf haben
Sie auch hingewiesen – die nationale Nachfolgekonferenz
in Berlin, auf der im Zusammenwirken von Bundesregie-
rung und Vertretern der NGOs, der Initiativen, der Polizei,
der Justiz sowie Sachverständigen aus Wissenschaft und
Wirtschaft Herangehensweisen und Konzepte für eine ef-
fektive Bekämpfung der kommerziellen sexuellen Aus-
beutung von Kindern erörtert wurden. Dabei wurden
Eckpunkte für einen nationalen Aktionsplan erarbeitet.
Anders als Sie, Frau Kollegin Gradistanac, stellen wir
fest, dass die entscheidenden Schritte immer noch fehlen.
Ich gebe Ihnen Recht darin, dass wir Schritte unternom-
men haben, aber sie reichen bei weitem nicht aus.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir müssen Strategien entwickeln, um Kinder wirksam
zu schützen, und daran sollten wir gemeinsam arbeiten.

Aktionen der NGOs im Zusammenwirken mit der
Wirtschaft, etwa der Verhaltenskodex zum Schutz der
Kinder vor sexueller Ausbeutung, den ECPAT Deutsch-
land zusammen mit dem „Deutschen Reisebüro und Rei-
severanstalter Verband“ geschaffen hat, haben im Gegen-
satz zu anderen Projekten Fortschritte erzielt. Mit diesem
Verhaltenskodex haben sich die Mitglieder des DRV ver-
pflichtet, aktiv und nachhaltig für die Kinderrechte ein-
zutreten. Im Einzelnen bedeutet dies: Information und Auf-
klärung von Kunden, Sensibilisierung und Schulung von
Mitarbeitern, Aufnahme in die Unternehmensphilosophie,
Vereinbarungen und Regelungen mit Hotels und anderen
Leistungsträgern, regelmäßige Berichterstattung über die
durchgeführten Maßnahmen. Gerade solche Maßnahmen
sollten wir auch weiterhin gezielt unterstützen und fördern.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Vertreter auf dem zweiten Weltkongress in Yoko-

hama haben sich intensiv mit den Entwicklungen seit
Stockholm beschäftigt und erneut festgestellt, dass ihre
vorrangige Aufgabe darin besteht, die Interessen und die
Rechte des Kindes auf Schutz vor jeder Form von sexuel-
ler Ausbeutung zu schützen und zu fördern. Das zeigt,
dass nach 1996 nicht genügend passiert ist und dass noch
viel zu tun ist.

Es ist wichtig, dass gerade die Förderung einer wirk-
samen Umsetzung von politischen Maßnahmen, Geset-
zen und Programmen intensiviert werden muss. Man
muss versuchen, auch europa- und weltweit zusammen-
zuarbeiten, um dem Phänomen der sexuellen Ausbeutung
von Kindern vorzubeugen und entgegenzuwirken. Dazu
gehören Aufklärungskampagnen zur Bewusstseinsbil-
dung, bessere Bildungsmöglichkeiten für Kinder, soziale
Unterstützungsmaßnahmen für Familien und Kinder, um
Armut zu bekämpfen, Maßnahmen gegen Kriminalität
und gegen die Nachfrage nach sexueller Ausbeutung von
Kindern sowie die strafrechtliche Verfolgung derer, die
Kinder ausbeuten. Wir, die wir Verantwortung in der Po-
litik tragen, müssen sicherstellen, dass die Täter und nicht
die Opfer zur Rechenschaft gezogen werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir stellen gemeinsam

fest – das habe ich auch den anderen Reden entnommen –,




Ingrid Fischbach

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(A)



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dass wesentlich mehr getan werden muss, um unsere Kin-
der besser zu schützen. Es wird Zeit, dass den Erklärun-
gen von Stockholm und Yokohama Rechnung getragen
wird. Sorgen wir dafür, dass die vielen Dokumente, die in-
zwischen verabschiedet wurden, auch umgesetzt werden!
Dazu haben wir, wie ich denke, auch in unseren Anträgen
Vorschläge gemacht, die im Übrigen auch von der Jungen
Gruppe der Gewerkschaft der Polizei begrüßt werden.
Gerade diejenigen, die vor Ort aktiv sind, sagen – das
Schreiben werden Sie alle bekommen haben –, dass es
wichtig ist, den Straftatenkatalog um die Straftatbestände
Verbreitung von Kinderpornographie und Kindesmiss-
brauch zu erweitern. Ebenso sagen sie:

Es ist daher erforderlich und konsequent, die Über-
wachung der Telekommunikation ... auf diese De-
liktsformen auszudehnen.

Zum Schluss schreiben sie:
Denn zum Schutz der Kinder und zur Verfolgung die-
ser Delikte ist es dringend geboten, dieses Rege-
lungsdefizit zu beseitigen.

Also nicht nur wir sehen es so, sondern auch die vor Ort
tätige Polizei.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Frau Brandt-Elsweier, Sie haben am Anfang gesagt:

Einzelfälle wird es immer geben, lückenlose Sicherheit
gibt es nicht. Deshalb möchte ich mit einem Zitat
von Albert Camus, dem französischen Philosophen,
schließen. Er hat gesagt:

Das Erschütternde ist nicht das Leiden der Kinder an
sich, sondern der Umstand, dass sie unverdient leiden
... Wenn wir nicht eine Welt aufbauen können, in der
Kinder nicht mehr leiden, können wir wenigstens ver-
suchen, das Maß der Leiden der Kinder zu verringern.

Das sollten wir gemeinsam tun.
Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423021400
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Angelika Köster-Loßack.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Kollegen! Jenseits aller international inzwischen schon
getroffenen Abmachungen, Unterzeichnungen und Ratifi-
zierungen zur Kinderrechtskonvention müssen wir uns
klarmachen, dass es bisher keine globalen Einsichten für
die Implementierung aller dieser Vorgaben gibt. Es gibt
ganz unterschiedliche Wahrnehmungen von Kindern und
von Kindheit in den verschiedenen Kulturen der Welt. Ei-
nes haben alle gemeinsam, nämlich dass die Schwächeren
sexuell ausgebeutet werden. Das ist hier von vielen gesagt
worden. Das passiert nicht nur in Familien oder unter in-
formellen Rahmenbedingungen, sondern auch das organi-
sierte Verbrechen ist an diesen Dingen beteiligt. Die
UNICEF hat geschätzt, dass pro Jahr 5 Milliarden Dollar
Umsatz mit Kinderhandel, Kinderprostitution und Kin-
derpornographie gemacht werden.

Bei der Reise des Ausschusses für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung, die uns im letzten Jahr
nach Kambodscha geführt hat, war eine der erschütternds-
ten Erfahrungen der Besuch eines Projektes zur Rehabili-
tation von Kindern im Alter zwischen vier und 14 Jahren,
die über die kambodschanisch-thailändische Grenze zum
Zwecke der Kinderprostitution verschleppt worden wa-
ren. Nach den Gesprächen, die wir dort geführt haben, und
auch nach den Gesprächen, die jetzt vor einigen Wochen
wieder im Rahmen der internationalen Parlamentarier-
union in diesem Zusammenhang geführt wurden, glaube
ich aber nach wie vor, dass sich die politischen Entschei-
dungsträger in vielen Ländern des Südens nicht über die
Bedeutung dieser Fragen im Klaren sind, einfach weil sie
die Verantwortung für diese Formen der Ausbeutung nicht
übernehmen.

Deswegen müssen wir jenseits der Forderungen, europa-
weit eine Harmonisierung im Strafrecht vorzunehmen oder
die Zusatzprotokolle zur Kinderrechtskonvention zu den
Bereichen Kinder in bewaffneten Konflikten, Kinder-
handel, Kinderprostitution und Kinderpornographie zu rati-
fizieren, wie sie in unseren Anträgen gestellt werden,
sicherstellen, dass sowohl im außenpolitischen wie im ent-
wicklungspolitischen Dialog bei Regierungsverhandlungen
diese Themen systematisch mit angesprochen werden und
nicht tabuisiert werden. Sie müssen vielmehr nicht nur in
den Programmen und Projekten berücksichtigt werden, die
wir selber vorschlagen, sondern auch in den relevanten Pro-
grammen und Projekten, die in den Ländern selber aufge-
baut worden sind.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Im CDU/CSU-Antrag wird der Vorwurf erhoben – das
hat die Kollegin vorhin schon gesagt –, dass die Imple-
mentierung der auf der nationalen Nachfolgekonferenz
„Kommerzielle sexuelle Ausbeutung von Kindern“ ent-
wickelten Strategien auf sich warten lasse. Es geht hier
aber nicht nur um die Einforderung von Regierungshan-
deln, sondern auch um die Einforderung des Handelns
aller relevanten Akteure. Das betrifft natürlich auch die
Ebene der Länder, Kommunen und Regionen sowie der
NROs und aller Initiativen, die in diesem Bereich arbei-
ten, wie Polizei, Justiz, Wissenschaft und Wirtschaft.

Ich habe im Zusammenhang mit Aufklärungskampa-
gnen selber die Erfahrung gemacht, dass es auch in unse-
rer eigenen Gesellschaft auf diesem Feld sehr viele My-
then gibt, die wir auflösen müssen. Das bedeutet auch,
dass das, was erreicht worden ist, was von Kolleginnen
und Kollegen hier dargestellt worden ist, in einem größe-
ren Bereich vermittelt werden muss, als es durch den Bun-
destag möglich ist. Der internationale Politikdialog darf
nicht vergessen werden. Es ist sehr schwer, diesen Dialog
mit politischen Vertretern aus Ländern zu führen, die Se-
xualität tabuisieren; auch in unserer Gesellschaft sind be-
stimmte Fragen in diesem Zusammenhang noch tabui-
siert. Es kostet sehr viel Mut und Engagement, die
Implementierung der Regeln, die bisher bestehen, einzu-
fordern und sich selber daran zu beteiligen.

Ich weiß, wovon ich rede; denn ich habe mit Mitstrei-
terinnen auf kommunaler Ebene noch vor wenigen Jahren




Ingrid Fischbach
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(A)



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große Schwierigkeiten gehabt, dieses Thema über die
Ressortgrenzen hinweg so zu behandeln, wie es notwen-
dig gewesen wäre.

Jedenfalls glaube ich, dass wir auf diesem Feld in den
nächsten Jahren einen der schwierigsten Politikbereiche zu
bearbeiten haben. Dazu brauchen wir Mut. Ich wünsche
uns allen, dass wir das gemeinsam weiterhin angehen.

Danke.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423021500
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Margot von Renesse.


Margot von Renesse (SPD):
Rede ID: ID1423021600
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Für die Verhinderung oder
Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern ist,
wie wir hier aus verschiedenen Ausschüssen und Blick-
winkeln gehört haben, weiß Gott nicht nur, aber auch
Strafrecht erforderlich. Es ist ein ganzes Netzwerk not-
wendig, von der Stärkung der Kinder in ihrer eigenen
Subjektqualität, wie das hier von der Kollegin mit dem
schwierigen Namen ausgeführt worden ist, bis zur Ein-
wirkung auf Personen, die möglicherweise für andere ge-
fährlich werden können.

Prävention im Sinne der Verhinderung oder der Verhü-
tung von dergleichen Straftaten ist nicht nur durch Straf-
recht möglich, obgleich Strafrecht dazugehört. Präven-
tion ist beim Strafrecht Generalprävention und
Spezialprävention; das wissen wir. Nur, wenn man weiß,
wie sexueller Kindesmissbrauch oft motiviert ist, hat man
so seine Zweifel, ob das wirkt. Glauben Sie wirklich, Herr
Geis, dass sich ein Elternpaar, Eltern einer kleinen, ent-
zückenden Tochter, sicherer fühlt, wenn aus dem sexuel-
len Missbrauch ein Verbrechen gemacht wird?


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Dann brauchen Sie es gar nicht zum Verbrechen zu machen!)


– Lieber Herr Geis, wenn sie sich im Schoß der Sicherheit
wähnten, weil die CDU/CSU eine höhere Bestrafung des
sexuellen Kindesmissbrauchs vorsieht oder weil die Si-
cherungsverwahrung möglich wird, dann könnte man ih-
nen nur sagen: Ihr verkennt eure elterliche Sorge.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Dann können wir das Strafrecht ja ganz abschaffen!)


Wenn sie ihre Kinder wirklich sichern wollen, müssen
sie in dem Sinne handeln, wie es Anni Brandt-Elsweier
dargestellt hat und wie es auch von der Kollegin und an-
deren hier ausgeführt worden ist: Sie müssen darauf ach-
ten, dass sich ihre Kinder möglichst so zu verhalten ler-
nen, dass sie den vielen Gefährdungen, die es in dieser
Gesellschaft nun einmal gibt, so gut es geht widerstehen
können. Sie müssen behütet werden, aber nicht überbehü-
tet, denn auch das ist gefährlich.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS – Norbert Geis [CDU/CSU]: Vollkommen d’accord!)


Sicherheit gibt es nicht. Die Illusion einer Sicherheit
durch Strafrecht wäre geradezu gefährlich.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Dann schaffen wir es ab!)


– Ich habe gesagt, dass alles zusammengehört. Dazu
gehört zweifelsfrei auch das Strafrecht. Aber Ihre Be-
gründung, Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch mit
schrecklichen Folgen hätten gezeigt, dass das Strafrecht
verschärft werden müsse,


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Natürlich!)

unterstellt, dass das Strafrecht die Sicherheit erhöht. Das
ist aber leider nicht der Fall. Das zu glauben wäre eine ge-
fährliche Illusion.

Was Sie mit Ihrem Gesetzentwurf befriedigen, ist et-
was ganz anderes: Einfache Menschen nennen es Rache-
bedürfnis und die Juristen nennen es die Versöhnung des
verletzten Rechtsgefühls. An dieser Auffassung ist etwas
dran. Wir wollen nämlich, dass der sexuelle Kindesmiss-
brauch als schwere Straftat von der Gesellschaft geächtet
und geahndet wird. Beides hängt miteinander zusammen,
was wir nicht verkennen wollen.

Lassen Sie mich aber Folgendes sagen – ich habe
während der Rede des Kollegen van Essen einen entspre-
chenden Zuruf gemacht –: Jede Verschärfung des Straf-
rechts bringt nicht nur die Gefahr mit sich, dass der Täter
seine Tat nicht zugibt und dass deswegen die Kinder als
Zeugen angehört werden müssen, was ihnen nicht gut tut.
Damit ist vielmehr auch die Gefahr verbunden, dass es
Kindern schwerer fällt, als Zeugen aufzutreten. Wir wis-
sen nämlich genau, dass die meisten Täter aus dem Nah-
bereich kommen.

Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang an ein
furchtbares Verfahren. Ein zwölfjähriges Mädchen ver-
schloss sich während des zweijährigen Ermittlungsver-
fahrens in einem Heim wie eine Auster, obgleich sie die-
jenige war, von der das Verfahren ausgegangen ist. Sie
hatte im Schoß ihrer Lehrerin geweint und berichtet, was
ihr von dem Freund ihrer Mutter angetan wurde. Sie
wollte aber während des zweijährigen Ermittlungsverfah-
rens nichts mehr davon wissen, weil sie ihre Mutter nicht
ans Messer liefern wollte. Das ist eine sehr verständliche
Reaktion von Kindern.

Auch angesichts dieser furchtbaren Verbrechen dürfen
wir eines nicht tun: Wir dürfen uns dem rationalen Um-
gang mit diesen Taten nicht verweigern. Wir wollen, dass
darüber geredet werden kann. Wir wollen aber auf keinen
Fall die Gefahr verschärfen, dass der Täter vor Entsetzen
über sich und seine Tat und aus Angst vor möglichen Zeu-
genaussagen verletzter Kinder diese Kinder auch noch
umbringt. Die Verdeckung einer Straftat ist oftmals der
Grund für Morde, die im Anschluss von sexuellen Strafta-
ten auf schreckliche Weise begangen werden.

Der Ausdruck rationaler Umgang hört sich an, als
wolle man die Täter schützen. Davon bin ich weit ent-
fernt. Wir dürfen aber nicht zulassen, dass die Eltern oder
die Opfer Rache verüben oder – anders gesagt – die Ver-
söhnung des verletzten Rechtsgefühls selbst in die Hand
nehmen. Wir müssen ein rechtsstaatliches Verfahren




Dr. Angelika Köster-Loßack

22875


(C)



(D)



(A)



(B)


durchführen und dürfen uns vor dem rationalen Umgang
mit der Tat nicht verschließen, wenn wir eine präventiv
sinnvolle Strafrechtspflege wollen.

Wenn man Verfahren erlebt, in denen sich Kinder wei-
gern, zur Bestrafung ihrer brutalen Peiniger beizutragen,
dann wird einem klar, dass man sehr häufig – gerade wenn
es um den Nahbereich geht – nicht zwischen dem Schutz
für das Kind und der Frage, was mit dem Täter geschieht,
trennen kann. Je näher der Täter dem Opfer steht, desto
mehr wird das Kind seiner Fähigkeit beraubt, als Zeuge
aufzutreten.

Die Erfahrung zeigt auch, dass die von uns so gut ge-
meinte Videovernehmung nur wenig bewirkt. Das Be-
wusstsein, dass durch die Aussage die Familienbande ge-
sprengt werden – es ist schizophren und paradox, dass
man den Täter liebt, auch wenn man durch ihn geschädigt
wurde –, kommt einem Kind auch dann nicht abhanden,
wenn es dem Täter oder beispielsweise seiner Mutter
nicht unmittelbar gegenübersitzt.

Ich bitte daher eindringlich um einen rationalen Um-
gang. Ich kann gut verstehen, dass uns allen der rationale
Umgang sehr schwer fällt. Wenn ich an meine Enkeltöch-
ter und an die vielen entzückenden kleinen Mädchen und
Jungen denke, dann kann ich mir nur schwer vorstellen,
dass irgendjemand sie auf diese schreckliche Weise schä-
digt. Es ist nicht nur ein Verbrechen, sondern ein brutaler
Tabubruch. In uns allen steckt doch das Bedürfnis, die
kleinen Kinder zu schützen. Es ist sozusagen ein biologi-
scher Reflex, der bewirkt, dass wir uns für die Kinder ver-
antwortlich fühlen. Das bedeutet, dass jeder, der Kinder
schädigt, unser Feind zu sein scheint und dass wir die Ra-
tionalität schnell verlieren. Ich bitte darum, das nicht zu
tun; denn es ist wirklich gefährlich.

Ein Letztes: Frau Fischbach, in Ihrem Antrag gibt es
einen Punkt, den ich besonders herausheben will, ob-
gleich wir als Bund dafür leider nicht zuständig sind. In
Ihrem Punkt 14 haben Sie von der Prävention in Bezug
auf Jugendliche, die als Täter auffallen, gesprochen; ich
komme gleich darauf zurück.

Ich möchte nicht lange über das Problem der Siche-
rungsverwahrung sprechen. Nach meiner Meinung be-
steht bei Ihrem Vorschlag nicht das Problem der
Zweifachbestrafung, sondern das der schweren beein-
trächtigenden Maßnahme ohne Tat. Denn die Verurteilung
liegt zurück. Wie wollen Sie rechtsstaatlich korrekt – das
möchte ich einmal wissen – ohne Tat einen Hang feststel-
len? Denn die Tat ist einer Aburteilung zugeführt worden.
Wenn Sie mir erklären könnten, wie Sie eine solche Maß-
nahme, die die Gefangenen als „Rucksack“ bezeichnen,
das Härteste, was es gibt, die eigentliche wirkliche Strafe,
die lebenslänglich ist, unter dem Gesichtspunkt der Ver-
hältnismäßigkeit an lose Reden anknüpfen wollen, würde
ich meinen Standpunkt noch einmal überdenken. Aber
auch bei unserem Vorschlag habe ich Sorge.

Frau Fischbach, das, was Sie in Punkt 14 vorschlagen,
ist sehr vernünftig. Soweit ich weiß, ist eine Vielzahl die-
ser Taten im Grunde das Ergebnis von Serien. Das fängt
mitunter in früher Jugend an, durch eine Fehlentwicklung
aus der Lust an Macht, aus dem Hochgefühl der Macht,

indem man ein anderes Menschenkind zwar nicht schä-
digt, aber demütigt, erniedrigt und sich dies leisten kann.
Dies betrifft insbesondere auch Kinder, die selber Gegen-
stand von Macht sind.

Hier aufzupassen, dass daraus nicht das Gesetz der Se-
rie entsteht, in der Macht, Kraft und Kompetenz wachsen,
ist eine ganz wichtige Sache. In Bochum existiert ein sol-
ches Projekt. Man bestätigt mir dort ständig, was dahinter
steht, nämlich dass sich dieses Machtgefühl in der Streu-
breite wie eine umgekehrte Pyramide erhöht, je älter, je
kräftiger und je kompetenter ein Mensch wird. Dies kann
zur Sucht werden.

Ich denke, das ist etwas, worüber wir genau nachden-
ken sollten. Ich fürchte, unsere Zuständigkeit als Bund
reicht nicht so weit. Aber darauf zu achten wäre wichtig.

Danke sehr.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423021700
Wir kommen
nun zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Frak-
tion der CDU/CSU zur Verbesserung des Schutzes der
Bevölkerung vor Sexualverbrechen und anderen schwe-
ren Straftaten. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 14/8779, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte die,
die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Ge-
setzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen des
ganzen Hauses gegen die Stimmen der CDU/CSU abge-
lehnt worden. Damit entfällt nach unserer Geschäftsord-
nung die weitere Beratung.

Abstimmung über den vom Bundesrat eingebrachten
Entwurf eines Strafrechtsänderungsgesetzes „Sexueller
Missbrauch von Kindern“. Das ist jetzt die Drucksa-
che 14/1125. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buch-
stabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 14/8779, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte die,
die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Ge-
setzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen des
ganzen Hauses gegen die Stimmen von CDU/CSU abge-
lehnt worden. Damit entfällt nach unserer Geschäftsord-
nung auch hier die weitere Beratung.

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend auf Drucksache 14/8806 zu
dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel
„Gegen die sexuelle Ausbeutung und den Missbrauch von
Kindern“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf
Drucksache 14/7610 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS gegen die
Stimmen der CDU/CSU bei Enthaltung der FDP ange-
nommen worden.

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Menschen-
rechte und humanitäre Hilfe auf Drucksache 14/8795 zu
dem Antrag der Fraktion der PDS mit dem Titel „Kinder




Margot von Renesse
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vor sexueller Ausbeutung schützen – Kindersextourismus
bekämpfen“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf
Drucksache 14/7793 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und CDU/CSU gegen
die Stimmen der PDS bei Enthaltung der FDP angenom-
men worden.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 7 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten
Gesetzes zur Änderung schadensersatz-
rechtlicher Vorschriften
– Drucksache 14/7752 –

(Erste Beratung 208. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)

– Drucksache 14/8780 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Christine Lambrecht
Dr. Wolfgang Götzer
Volker Beck (Köln)

Rainer Funke
Dr. Evelyn Kenzler

Es liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion der FDP
sowie ein Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD
und des Bündnisses 90/Die Grünen vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Es gibt
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der
Parlamentarische Staatssekretär Dr. Pick.

D
Prof. Dr. Eckhart Pick (SPD):
Rede ID: ID1423021800
Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Wir behandeln ein Gesetz, das den etwas be-
scheidenen Namen „Zweites Gesetz zur Änderung
schadensersatzrechtlicher Vorschriften“ trägt. Dahinter
verbirgt sich eine Reform, die diesen Namen auch ver-
dient. Es ist ein weiterer wichtiger Schritt auf dem Weg
zurModernisierung des deutschen Rechts. Die Moder-
nisierung des Schadenersatzrechtes war überfällig.

Nehmen wir zum Beispiel die Haftungshöchstgren-
zen im Straßenverkehrsgesetz und im Haftpflichtgesetz:
Sie sind seit mehr als 20 Jahren nicht mehr erhöht worden.
Oder nehmen wir die Haftung von Kindern im
Straßenverkehr. Damit schließen wir eigentlich an einen
Gesichtspunkt an, den wir gerade behandelt haben, näm-
lich den Schutz der Schwächsten. In diesem Fall geht es
um den Schutz der Schwächsten im Straßenverkehr – auf
einem ganz anderen Gebiet also, als vorhin behandelt.
Seit Jahren fordert zum Beispiel der Deutsche Verkehrs-
gerichtstag einen besseren haftungsrechtlichen Schutz
von Kindern im Straßenverkehr, ohne dass das bisher
größere Folgen gehabt hätte.

Oder nehmen Sie das Thema Schmerzensgeld: Ob-
wohl bereits die Gutachten zur Schuldrechtsreform aus
dem Jahre 1980 forderten, einen allgemeinen Anspruch

auf Schmerzensgeld einzuführen, der auch die
Vertragshaftung und die Fälle der Gefährdungshaftung
mit umfasst, besteht der unbefriedigende Rechtszustand
bis heute fort.

Meine Damen und Herren, das hat heute ein Ende. Mit
unserem heutigen Beschluss setzen wir endlich viele
längst fällige Änderungen im deutschen Schadenersatz-
recht um.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Eines wird an diesem Gesetz besonders deutlich: Mo-

dernisierung ist kein Selbstzweck. Modernisierung ist im-
mer mit neuen, mit veränderten Wertentscheidungen ver-
bunden. Die Wertentscheidung dieses Gesetzes ist ganz
klar: Der Opferschutz wird gestärkt. Wenn ich von Op-
fern rede, dann denke ich in erster Linie an die Opfer von
Personenschäden, an Menschen, die an Körper und
Gesundheit verletzt worden sind.

Ein Beispiel: die Haftung für fehlerhafte Arzneimit-
tel.Bisher steht dem Patienten mit dem pharmazeutischen
Unternehmer ein an Informationen und Wissen weit über-
legener Antragsgegner gegenüber. Das wird sich nun än-
dern. Wir schaffen ein Stück „Waffengleichheit“ durch ei-
nen Auskunftsanspruch gegen den pharmazeutischen
Unternehmer und gegen die Überwachungsbehörde. Auf
diese Weise kann sich der Geschädigte in Zukunft die not-
wendigen Informationen verschaffen, um seine Situation
richtig beurteilen zu können.

Wir gehen aber noch einen wichtigen Schritt weiter,
um die Beweissituation des Patienten zu verbessern.
Bisher hatte es der Patient schwer, den Nachweis zu
führen, dass sein Gesundheitsschaden durch ein ganz
bestimmtes Arzneimittel hervorgerufen wurde. In Zu-
kunft wird ihm dabei eine gesetzliche Ursachenvermu-
tung helfen. Wenn das Arzneimittel im Einzelfall geeig-
net ist, den infrage stehenden Gesundheitsschaden zu
verursachen, so wird zugunsten des Patienten vermutet,
dass der Gesundheitsschaden von diesem Arzneimittel
hervorgerufen wurde. Das ist für die Patienten eine
wichtige Verbesserung von hoher und, wie ich glaube,
auch praktischer Bedeutung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es kommen noch weitere Verbesserungen der Arznei-
mittelhaftung hinzu. Die Haftungshöchstgrenzen im Arz-
neimittelgesetz werden zum Beispiel erhöht, und es wird
erstmals ein Anspruch auf Schmerzensgeld in die
Arzneimittelhaftung eingeführt. Das heißt, neben dem ei-
gentlichen Schadensersatzanspruch wird es zukünftig
auch einen Anspruch auf Schmerzensgeld geben.

Schließlich wird in Zukunft der Arzneimittelhersteller
beweisen müssen, dass ein Fehler des Arzneimittels nicht
schon in seinem Bereich bei der Entwicklung oder Her-
stellung entstanden ist. Bislang musste der Patient den
entsprechenden Nachweis erbringen.

Alles in allem können wir feststellen, dass die Rechts-
stellung von Arzneimittelgeschädigten ganz erheblich
verbessert wird. Ich bin auch sicher, dass sich diese Ver-
besserungen in der Praxis bewähren werden. Über die




Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer

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(C)



(D)



(A)



(B)


Erfahrungen wird die Bundesregierung drei Jahre nach
In-Kraft-Treten des Gesetzes berichten, so wie es der auch
zur Abstimmung stehende Entschließungsantrag der Ko-
alition vorsieht.


( V o r s i t z: Vizepräsidentin Anke Fuchs)

Ich möchte nun auf einen Punkt eingehen, zu dem viele

Anfragen besorgter Bürger mein Haus erreicht haben: die
Änderung der Straßenverkehrshaftung. Ein wichtiges
Ziel des Gesetzentwurfs besteht darin – ich habe es schon
gesagt –, die Rechtsstellung von Kindern im Straßenver-
kehr zu verbessern. Um dieses Ziel zu erreichen, haben
wir den Ausschluss der Haftung durch das unabwendbare
Ereignis im Straßenverkehrsgesetz geändert, mit dem sich
Autofahrer bisher bekanntlich von ihrer Haftung gegen-
über Kindern befreien konnten.

Allerdings entfällt der Haftungsausschlussgrund des
unabwendbaren Ereignisses anders als ursprünglich vor-
gesehen nicht vollständig, sondern besteht für Unfälle zwi-
schen Kraftfahrzeugen weiter fort. Es bleibt also dabei,
dass sich ein Kraftfahrzeughalter gegenüber einem ande-
ren Kraftfahrzeughalter auf die Unabwendbarkeit des Un-
falls nach wie vor berufen kann. Ich denke, dass damit
Rechtssicherheit gewährleistet wird. Es wird ebenso ver-
hindert, dass es zu mehr Quotenfällen kommt, wenn meh-
rere Kraftfahrzeuge – was häufig der Fall ist – am Unfall
beteiligt sind.

Nur für Unfälle von Kraftfahrzeugen mit nicht motori-
sierten Verkehrsteilnehmern, also zum Beispiel Fußgän-
gern, ganz besonders Kindern, entfällt der Haftungsaus-
schluss wegen eines unabwendbaren Ereignisses. Denn
sonst, meine Damen und Herren, würde das Ziel, Kinder
im Straßenverkehr besser zu schützen, nicht erreicht. Wir
wollen damit auch die Besorgnisse der Bürger ernst neh-
men und ziehen daraus die Konsequenzen.

Ich will noch drei weitere Punkte ansprechen: Ein be-
deutender Punkt ist die Tatsache, dass sich die Gefähr-
dungshaftung in § 7 Straßenverkehrsgesetz künftig
auch auf unentgeltlich, nicht gewerbsmäßig transportierte
Personen zum Beispiel in einem PKW erstreckt. Ich finde
das umso wichtiger, als wir die Erfahrung machen, dass
häufig Eltern Kinder anderer Eltern zu Sportereignissen
oder zum Training fahren. Ich denke, dass dieser Schutz
der mitfahrenden Kinder sehr begrüßenswert ist.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der zweite Punkt, der in der Debatte eine Rolle gespielt
hat, ist der so genannte fiktive Ausgleich von Sachschä-
den, die fiktive Abrechnung. Wir haben eine Lösung ge-
funden, die ausgewogen ist und die unterschiedlichen In-
teressen berücksichtigt. Es hat uns nicht eingeleuchtet,
dass zum Beispiel der Umsatzsteueranteil im Falle eines
Sachschadens – nur darum geht es – geltend gemacht wer-
den kann, ohne dass nachgewiesen wird, dass tatsächlich
Umsatzsteuer angefallen ist.

Ich weiß, dass das die Rechtsprechung so entwickelt
hat, aber ich meine, es ist richtig, dass wir die Mehrwert-
steuer nur dann ersetzen, wenn sie auch tatsächlich ange-
fallen ist. Das hat mehrere Vorteile. Es hat einmal den Vor-

teil, dass gewährleistet wird, dass Schäden fachgerecht
beseitigt werden.


(Peter Dreßen [SPD]: Schwarzarbeit bekämpfen!)


Ich möchte nicht wissen, wie viele PKWs auf unseren
Straßen fahren, die im Zuge einer falsch verstandenen
Nachbarschaftshilfe repariert worden sind und sehr ge-
fährlich sind.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Zum anderen – das müsste die FDP auch freuen, Herr
Funke – haben wir damit einen mittelständischen Akzent
gesetzt, denn wir erwarten, dass diese Reparaturen in den
Fachwerkstätten durchgeführt werden.


(Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU]: Aber unfreiwillig!)


Ein dritter Punkt – damit möchte ich schließen – be-
trifft das Schmerzensgeld. Der Regierungsentwurf hatte
die Einführung einer Bagatellschwelle vorgesehen. Wir
haben uns im Laufe der Diskussionen davon überzeugen
lassen, dass es richtig ist, den bisherigen Rechtszustand
beizubehalten. Für uns ist besonders wichtig, dass die Op-
fer mit Schäden an Körper und Gesundheit angemessen
entschädigt werden. Hierbei hat die Rechtsprechung ihren
Spielraum. Ich denke, die Verbesserung des Opfer-
schutzes ist ein Thema, bei dem wir uns alle einig sein
sollten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423021900
Das Wort hat jetzt der
Kollege Dr. Wolfgang Götzer für die CDU/CSU-Fraktion.


Dr. Wolfgang Götzer (CSU):
Rede ID: ID1423022000
Frau Präsidentin!
Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Mit der heutigen
zweiten und dritten Lesung des Schadensersatzände-
rungsgesetzes wird eine umfassende und weit reichende
Reform zum Abschluss gebracht. Der Reformbedarf ist
unbestritten. Manche unserer seit dem Jahre 1900 fast un-
verändert gebliebenen Bestimmungen im BGB zum
Schadensersatzrecht müssen einfach der heutigen Le-
benswirklichkeit angepasst werden. Deshalb hatte bereits
die Regierung Kohl hierzu in der 13. Legislaturperiode ei-
nen Gesetzentwurf eingebracht, auf dem der heute vorlie-
gende Entwurf im Wesentlichen basiert.

Einen Schwerpunkt in dem Gesetzentwurf bilden Neu-
regelungen im Bereich des Arzneimittelgesetzes. Der
neue § 84 Abs. 2 des Arzneimittelgesetzes beinhaltet nun
eine Beweiserleichterung in Form einer Kausalitätsver-
mutung, die dem Patienten eine zu begrüßende beweis-
rechtliche Besserstellung beschert. § 84 Abs. 2 AMG
schließt somit die bisher bestehende Regelungslücke in
den Fällen ungeklärter Kausalität bei der Anwendung
mehrerer Arzneimittel. Ist das angewendete Arzneimittel
nach den Gegebenheiten des Einzelfalles geeignet, den
Schaden zu verursachen, so wird vermutet, dass der Scha-
den durch dieses Arzneimittel verursacht wurde. Diese




Parl. Staatssekretär Dr. Eckhart Pick
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(C)



(D)



(A)



(B)


Vermutung gilt auch dann, wenn ein gleichzeitig einge-
nommenes Medikament ebenfalls als Schadensursache in
Betracht kommt, ohne dass der Betroffene klären kann,
welches der einzelnen Präparate konkret schadensursäch-
lich war. Dies ist im Sinne eines umfassenden Patienten-
schutzes grundsätzlich zu begrüßen.

Soweit auch nach dieser Neuregelung zum Beispiel
wegen ungeklärter Kausalität oder ungenügender
Deckungsgrenzen aufseiten des Herstellers noch Haf-
tungslücken bestehen sollten, ist gelegentlich eine solida-
rische Einstandspflicht pharmazeutischer Unternehmen
in Form eines Fonds angedacht worden. Diese Lösung
ginge allerdings zulasten derjenigen Unternehmen, die
sich zum einen ausreichend selbst gegen eventuelle Scha-
densersatzansprüche versichern und zum anderen auch
noch in den Fonds einzahlen müssten. Diese Unterneh-
men müssten dann mit ihren Beiträgen für jene Hersteller
einstehen, die sich nicht ausreichend versichern und zu
denen sie meist auch noch in einem harten Konkurrenz-
kampf stehen. Eine solche Fondslösung ist daher keine
sachgerechte Lösung. Diese Auffassung wurde im Übri-
gen auch von den meisten Sachverständigen in der An-
hörung vertreten.

In dem geplanten neuen § 84 Abs. 3 Arzneimittelgesetz
wird nun die Darlegungs- und Beweislast dafür um-
gekehrt, dass die feststehenden schädlichen Wirkungen
eines Arzneimittels ihre Ursache im Bereich der Entwick-
lung oder Herstellung haben. Künftig soll der pharma-
zeutische Unternehmer die Beweislast für Fehler in die-
sem Bereich tragen. Er muss also darlegen und beweisen,
dass die schädliche Wirkung des Mittels nicht im Bereich
von Herstellung und Entwicklung liegt.

Mit dieser im Bereich des Arzneimittelrechts durchaus
zu begrüßenden Änderung greifen wir einmal mehr zu
dem inzwischen immer häufiger angewandten Mittel der
Beweislastumkehr. Grundsätzlich muss bekanntlich der-
jenige, der einen Anspruch geltend macht, auch beweisen,
dass ihm dieser Anspruch nach Recht und Gesetz zusteht.
Bei diesem Grundsatz muss es meiner Meinung nach auch
bleiben.

Bei vielen immer komplizierter werdenden Herstel-
lungsverfahren wird es heute jedoch – und zwar nicht nur
bei der Herstellung von Arzneimitteln – für den Geschä-
digten immer schwieriger, die erforderlichen Beweise zu
erbringen, da die Schadensursachen meist in einer für den
Anspruchsteller nicht oder kaum durchschaubaren Sphäre
liegen. Deshalb befürworten wir die Beweislastumkehr
im Arzneimittelrecht.

In diesem Zusammenhang wäre bezüglich der Einbe-
ziehung mittelbar Geschädigter in den Schutzbereich
dieses Paragraphen eine weitere Klarstellung in § 84Arz-
neimittelgesetz wünschenswert gewesen. Die Gesetzes-
begründung sieht dies zwar bereits vor, doch fehlt nach
wie vor eine klarstellende Ergänzung im Gesetzestext.

Eine erfreuliche Neuregelung erhält das Schadenser-
satzrecht mit der Einfügung des § 84 a Arzneimittelgesetz,
der dem Patienten einen Auskunftsanspruch gegenüber
dem Arzneimittelhersteller einräumt. Liegen demnach
Tatsachen vor, die die Annahme begründen, dass ein Arz-

neimittel den Schaden verursacht hat, kann der Geschä-
digte Auskunft von dem pharmazeutischen Unternehmen
verlangen, wenn dies zur Feststellung eines Anspruchs
erforderlich ist. Damit wird die Position des Geschädig-
ten gegenüber dem oft übermächtig erscheinenden Phar-
maunternehmen zusätzlich gestärkt.

Zum Schutz vor einer für die Unternehmen nachteili-
gen Darlegungspflicht, zum Beispiel zugunsten der Kon-
kurrenz, begrenzt der Gesetzentwurf den Auskunftsan-
spruch jedoch und nimmt, wie ich finde, zu Recht solche
Informationen aus, die aufgrund grundgesetzlicher Vor-
schriften geheim zu halten sind oder die in einem über-
wiegenden Interesse des pharmazeutischen Unternehmens
liegen. Somit ist gewährleistet, dass sich der Auskunfts-
anspruch tatsächlich auf den konkreten Schadensfall be-
schränkt.

Die CDU/CSU-Mitglieder im Rechtsausschuss hätten
es allerdings begrüßt, wenn dem Unternehmen seinerseits
ein Auskunftsanspruch gegenüber dem Patienten einge-
räumt worden wäre; denn der überwiegende Teil des Scha-
densablaufes spielt sich erfahrungsgemäß in der Sphäre
des Geschädigten ab. Ohne die Gegenseitigkeit des Aus-
kunftsanspruchs wird es dem Hersteller vor allem ange-
sichts der künftig vorgesehenen Beweislastumkehr erheb-
lich erschwert, die durch § 84 Abs. 2 Arzneimittelgesetz
geschaffene Kausalitätsvermutung zu erschüttern. Leider
hat die Regierungskoalition dieser Forderung des Bun-
desrates nicht Rechnung getragen.

Dass es für die Durchsetzung des Auskunftsanspruchs
nach § 84 a Abs. 2 künftig zwei verschiedene Rechtswege
gibt, nämlich zum einen den zu den ordentlichen Gerich-
ten gegenüber den Herstellern und zum anderen den zu
den Verwaltungsgerichten gegenüber den Behörden, er-
scheint auf den ersten Blick unpraktisch. Für den Geschä-
digten bietet der Verwaltungsrechtsweg aufgrund des
Amtsermittlungsgrundsatzes jedoch einen nicht zu unter-
schätzenden Vorteil.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich
noch zu einigen weiteren Schwerpunkten des Gesetzent-
wurfs Stellung nehmen. Mit dem neu gefassten § 253 BGB
wird eine einheitliche Norm für den Ersatz immaterieller
Schäden geschaffen. Damit gibt es künftig einen allge-
meinen Anspruch auf Schmerzensgeld bei der Verletzung
von Körper, Gesundheit und sexueller Selbstbestimmung.
Dies wird vonseiten unserer Fraktion nachhaltig begrüßt.
Eine daraus abgeleitete Angst vor amerikanischen Verhält-
nissen und vor astronomischen Haftungssummen halte ich
für unbegründet. Das Verschulden wird weiterhin vielfach
Voraussetzung eines jeden Anspruchs sein und bei der
Zumessung des Schmerzensgeldes die entscheidende
Grundlage bilden. In diesem Zusammenhang erscheint es
mir sinnvoll, die Gewährung von Schmerzensgeld auch
auf Ansprüche aufgrund der Gefährdungshaftung auszu-
dehnen.

Eine weitere Änderung betrifft die Haftung des ge-
richtlichen Sachverständigen gemäß dem neuen § 839 a
BGB. Kaum ein etwas umfangreicherer Zivilprozess
kommt heute ohne einen Sachverständigen aus. Beson-
ders wenn es um technisch komplizierte Anlagen oder um
Immobilien geht, kann man auf sie nicht mehr verzichten.




Dr. Wolfgang Götzer

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(C)



(D)



(A)



(B)


Solche Gutachten dienen einer soliden Verhandlungs-
grundlage und haben daher auch eine große wirtschaftli-
che Bedeutung für alle Verfahrensbeteiligten. Ob und in
welchem Umfang ein Sachverständiger nach gegenwärti-
ger Rechtslage haftet, hängt nicht zuletzt davon ab, ob es
sich um einen vereidigten Sachverständigen handelt oder
nicht. Diese Unterscheidung wird durch die Einführung
des neuen § 839 a BGB zu Recht aufgehoben und die Haf-
tung wird auf Fälle grober Fahrlässigkeit beschränkt. So-
mit umgehen wir die Gefahr, dass Gutachter die Begut-
achtung aufgrund der Haftungsrisiken ablehnen oder sich
nicht öffentlich bestellen lassen.

Wichtige Änderungen sind auch bei den Regelungen,
bei denen es um Unfälle im Straßen- und Bahnverkehr
geht, vorgesehen. So werden die Haftung und das Mit-
verschulden von Kindern unter zehn Jahren künftig
grundsätzlich ausgeschlossen. Damit wird den Erkennt-
nissen der Entwicklungspsychologie Rechnung getragen,
nach denen Kinder regelmäßig frühestens ab Vollendung
des zehnten Lebensjahres imstande sind, die besonderen
Gefahren des Straßenverkehrs zu erkennen und sich ent-
sprechend zu verhalten. Auch dies sah der alte Entwurf
aus der 13. Legislaturperiode bereits vor. Dass diese Be-
schränkung der Deliktsfähigkeit nicht bei Vorsatz gilt,
halte ich für richtig.

Die ausnahmslose Ersetzung des unabwendbaren Er-
eignisses als Haftausschließungsgrund im Regierungsent-
wurf durch den Begriff „höhere Gewalt“ ist nicht nur von
uns, sondern auch vonseiten der Sachverständigen in der
Anhörung kritisiert worden. Daraus hätten sich für den so
genannten Idealfahrer ungerechtfertigte Nachteile mit der
praktischen Konsequenz einer Haftung ohne jegliche Ent-
lastungsmöglichkeit ergeben. Deshalb begrüßen wir, dass
die Bundesregierung im Laufe der Beratungen hiervon
abgerückt ist. Die jetzt in der vom Rechtsausschuss be-
schlossenen Fassung enthaltene Differenzierung können
wir mittragen.

Bei Unfällen im motorisierten Straßenverkehr zwi-
schen motorisierten Verkehrsteilnehmern bleibt es bei der
Entlastungsmöglichkeit im Falle eines unabwendbaren
Ereignisses. Sind an einem Unfall nicht motorisierte Ver-
kehrsteilnehmer beteiligt, wird es künftig zu einem Haf-
tungsausschluss nur dann kommen, wenn sich der Unfall
für den Fahrer als höhere Gewalt darstellt. Mit dieser Dif-
ferenzierung ist insbesondere unserem Anliegen Rech-
nung getragen, Kinder und hilfsbedürftige Menschen im
Straßenverkehr besser zu schützen.

Begrüßenswert ist zudem die geplante Ausweitung der
Halterhaftung auf unentgeltlich beförderte Fahrzeug-
insassen. Es kann nach unserer Ansicht bei dem Ersatz ei-
nes erlittenen Schadens keinen Unterschied machen, ob
dieser bei einer Taxifahrt oder zum Beispiel bei der Mit-
nahme aus Gefälligkeit entstanden ist.

Uneingeschränkt begrüßen wir auch die geplante Er-
höhung der Haftungshöchstbeträge im Straßenverkehrs-
gesetz bei der Verletzung bzw. Tötung von Menschen.
Damit wird der allgemeinen wirtschaftlichen Entwick-
lung, aber auch der Erkenntnis Rechnung getragen, dass
die bisher im Gesetz vorgesehenen Höchstbeträge völlig
unzureichend sind. Eine dadurch möglicherweise zu er-

wartende Erhöhung der Versicherungsbeiträge ist im Hin-
blick auf diese Problematik und vor allem im Hinblick auf
die Geschädigten durchaus hinnehmbar.

Sachgerecht ist auch die in dem Gesetzentwurf vorge-
sehene Neuregelung bei der Abrechnung fiktiver Repara-
turkosten. Bisher konnte die Umsatzsteuer bekanntlich
auch dann geltend gemacht werden, wenn das Fahrzeug
gar nicht repariert wurde und sie daher tatsächlich nicht
angefallen ist. Die Neufassung von § 249 Abs. 2 BGB
stellt nun sicher, dass der Geschädigte nur die tatsächlich
anfallenden Umsatzsteuerkosten ersetzt bekommen kann.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, so viel zu den aus
meiner Sicht wichtigsten Punkten des Gesetzentwurfs.
Uns Juristen ist natürlich klar, dass das Schadensersatz-
recht nicht gerade zu den spannendsten politischen The-
men gehört.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Doch, das ist sogar sehr spannend!)


– Ich hatte gedacht, Herr Hartenbach, Sie kämpften mit
dem Schlaf. Aber ich stelle fest, Sie haben aufgepasst wie
ein Luchs.


(Christine Lambrecht [SPD]: Ja, der Eindruck täuscht!)


– Der Eindruck täuscht. Ich nehme das zurück.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423022100
Nun bringen Sie mal
keine Schärfe in die Debatte!


(Heiterkeit)



Dr. Wolfgang Götzer (CSU):
Rede ID: ID1423022200
Ich habe den Ein-
druck, dass die heutige Debatte diese Meinung zur Bri-
sanz und Spannung dieses Themas vielleicht bei dem ei-
nen oder anderen Nichtjuristen be- oder verstärkt hat.
Trotzdem handelt es sich um wichtige Fragen, die für je-
den von uns – auch wenn wir es nicht hoffen wollen – viel-
leicht einmal große Bedeutung erlangen können.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, der heute zur Ab-
stimmung stehende Gesetzentwurf, der in wesentlichen
Teilen – darauf habe ich schon hingewiesen – unsere
Handschrift trägt, bringt deutliche Verbesserungen für
Geschädigte. Deshalb wird die CDU/CSU-Fraktion dem
Gesetzentwurf trotz einiger Kritikpunkte zustimmen.

Ich bedanke mich.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Alfred Hartenbach [SPD]: Er wird zum Ende der Legislaturperiode noch richtig vernünftig! Das finde ich toll!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423022300
Ich erteile nun das
Wort dem Kollegen Volker Beck, Bündnis 90/Die Grü-
nen.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423022400

Dazu kann man nur sagen, Herr Dr. Götzer: Machen Sie
so weiter, den vernünftigen Gesetzen der Koalition zum
Ende der Wahlperiode immer kräftig zuzustimmen.




Dr. Wolfgang Götzer
22880


(C)



(D)



(A)



(B)


Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ein Mar-
kenzeichen rot-grüner Rechtspolitik ist die Stärkung der
Schwachen durch das Recht. Die Reform des Scha-
densersatzrechtes ist hierfür ein weiterer eindrucksvoller
Beleg.

Mit dem Gesetz optimieren wir den zivilrechtlichen
Opferschutz in breiter Hinsicht. Für die Opfer von Arz-
neimittelskandalen, wie wir sie in den 80er-Jahren beim
HIV-Bluter-Skandal oder jüngst bei Lipobay hatten, ist
dieses Gesetz der Durchbruch.

Weiter verbessern wir die Rechtsstellung von Kin-
dern im Straßenverkehr. Wir weiten die Gefährdungs-
haftung im Straßenverkehr auf alle Fahrzeuginsassen
aus, sodass künftig alle Mitfahrer, zum Beispiel auch der
mitgenommene Tramper, als Opfer eines Unfalls ge-
schützt werden. Mit der Ausweitung eines Schmerzens-
geldanspruches auf den Bereich der Gefährdungs- und
Vertragshaftung helfen wir zum Beispiel denjenigen Ver-
kehrsunfallopfern, die das Verschulden eines Dritten nicht
nachweisen können.

Meine Damen und Herren, diese Reform des Scha-
densersatzrechtes war längst überfällig. Das zeigt auch
die Erhöhung der Haftungshöchstgrenzen. In einigen
Gesetzen war hier seit mehr als 20 Jahren nichts mehr ge-
schehen. Schwarz-Gelb hat da offensichtlich lange ge-
schlafen, wenn die schwarz-gelbe Koalition auch kurz vor
Ende der letzten Legislaturperiode beinahe aufgewacht
wäre. Das aber hat die FDP dann noch verhindert.

Jetzt wird der Wert von Schäden an Leib und Leben
erstmals wieder deutlich angehoben. Damit wird der Ab-
stand zu Schadenssummen in anderen Ländern überwun-
den. Deutschland gibt hier endlich seine Schlusslichtposi-
tion auf.


(Beifall der Abg. Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Bei einzelnen Personenschäden erhöhen wir die indi-
viduelle Haftungshöchstgrenze sogar um mehr als das
Doppelte. Bei einer schweren Querschnittslähmung hat
der bisherige Betrag von 500 000 DM für Heilungskosten,
den eingetretenen Erwerbs- und Unterhaltsschaden sowie
Schmerzensgeld hinten und vorne nicht ausgereicht. Des-
halb werden künftig im Straßenverkehrsgesetz der Kapital-
betrag für die Tötung oder Verletzung eines Menschen bei
600000 Euro und die Jahresrente bei 36000 Euro liegen.

Zu gering war auch der bisherige Haftungshöchstbetrag
bei mehreren Verletzten. Wenn sich drei Schwerverletzte
bislang 750000 DM teilen mussten, war dies eindeutig zu
wenig. Hier haben wir die Grenze auf 3 Millionen Euro
hoch geschraubt. Das ist für die beklagenswerten Opfer
solcher Tragödien auch gut.


(Beifall der Abg. Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] sowie bei Abgeordneten der SPD)


FürOpfer von Arzneimitteln schaffen wir mit diesem
Gesetz endlich die nötigen Haftungserleichterungen. Ein
Auskunftsanspruch gegen Behörde und Pharmaunterneh-
men sowie eine angemessene Beweislastverlagerung wird
es den Betroffenen künftig ermöglichen, den Nachweis

der Kausalität zwischen Präparat und Schädigung leichter
zu führen. Nicht erst Lipobay hat uns daran erinnert.
Schon seit dem HIV-Bluter-Skandal in den 80er-Jahren
wissen wir, wie schwer es für die Betroffenen ist, ihre be-
rechtigten Ansprüche auch tatsächlich gegen die potenten
Pharmaunternehmen durchzusetzen. Ich freue mich, dass
wir hier endlich vorangekommen sind. Unter Schwarz-
Gelb war das nicht möglich.

Ich freue mich übrigens auch, dass wir im Gesetz-
gebungsverfahren keine Aufweichungen zulasten der Ge-
schädigten mitgemacht haben, wie es die Pharmalobby
und die FDP wollten. Die Beweislastumkehr für die Er-
forderlichkeit einer Auskunft wieder abzumildern oder
sogar dem Pharmaunternehmer einen Auskunftsanspruch
gegenüber dem Patienten einzuräumen, wäre verfehlt ge-
wesen. Solche Ideen widersprechen dem Geist dieses op-
ferfreundlichen Gesetzes. Sie nehmen die rechtliche Ver-
besserung für die Patienten an anderer Stelle wieder
zurück. Das war mit uns nicht zu machen.

Abschließend noch ein Wort zum Entschließungs-
antrag, der diese Reform begleitet: Er belegt, wie sehr uns
der Schutz der Arzneimittelanwender am Herzen liegt.
Wir werden in den nächsten drei Jahren sorgfältig beo-
bachten, ob das Gesetz in der Praxis auch die gewünsch-
ten Erleichterungen für die Patienten bringt. Wenn dies in
einigen Punkten noch nicht ausreichend der Fall sein
sollte, dann wird es zu einem Pharmahaftungsfonds
keine Alternative geben. Für uns ist eine Diskussion da-
rüber mit diesem Gesetz noch nicht beendet. Aber wir
werden sie auch nur weiterführen, wenn wir feststellen
sollten, dass wir diesen Weg unbedingt brauchen.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423022500
Das Wort hat nun der
Kollege Rainer Funke für die FDP-Fraktion.


Rainer Funke (FDP):
Rede ID: ID1423022600
Frau Präsidentin! Meine Da-
men und Herren! Das vorliegende Schadensersatz-
rechtsänderungsgesetz ist hinsichtlich seiner Wirkungen
auf die Bürger, aber auch hinsichtlich der wirtschaftlichen
Auswirkungen auf die betroffene Industrie, insbesondere
auf die Pharmaindustrie, sicherlich eines der wichtigeren
Gesetze der derzeitigen Bundesregierung. Dieses Gesetz
stützt sich auf Vorüberlegungen und Arbeiten der vergan-
genen Legislaturperiode. Umso mehr verwundert es, dass
die Bundesregierung so spät, nämlich erst am Ende der
Legislaturperiode, ihren Gesetzentwurf vorgelegt hat. Es
hätte sich durchaus angeboten, diese schadensersatzrecht-
lichen Fragen früher – vielleicht im Zuge der Schuld-
rechtsmodernisierung – zu behandeln.


(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren, meine Fraktion wird dem

Gesetz die Zustimmung verweigern. Die Verschärfung
der Arzneimittelhaftung ist zweifellos ein Schwerpunkt
des Gesetzes. Unter verbraucherpolitischen Gesichtspunk-
ten mag man diese Verschärfung noch begrüßen, obwohl




Volker Beck (Köln)


22881


(C)



(D)



(A)



(B)


die dadurch höheren Kosten der Pharmaindustrie und der
Versicherungswirtschaft im Ergebnis auf die Verbrau-
cherpreise und damit auf den Verbraucher umgelegt wer-
den müssen. Dadurch werden Arzneimittel teurer; dies
führt zur Verschlechterung der Wettbewerbsfähigkeit der
deutschen Pharmaindustrie.

Insbesondere die in § 84 Abs. 2 des Arzneimittelgeset-
zes eingeführte Kausalitätsvermutung wird dazu führen,
dass die Zuerkennung unberechtigter Ansprüche erheb-
lich steigt, weil nur einseitig ein Auskunftsanspruch be-
steht; ein solcher Anspruch des möglicherweise beklagten
Pharmaunternehmens gegenüber dem klagenden Patien-
ten ist nicht gegeben. Dabei wäre es durchaus möglich ge-
wesen, den Auskunftsanspruch nach dem Vorbild des
Umwelthaftungsrechts auszugestalten, also eine gewisse
Gegenseitigkeit der Auskunftsansprüche zu gewährleis-
ten; denn gerade bei der Wirkung der Medikamente
kommt es doch nicht nur auf die Arzneien an, sondern
auch auf die Verhältnisse beim Patienten, zum Beispiel
auf das Zusammenwirken des eingenommenen Medika-
ments mit anderen Medikamenten oder den Gesundheits-
zustand des Patienten.

Wir räumen durchaus ein, dass es angemessen sein
kann, einen verschuldensunabhängigen Schmerzensgeld-
anspruch auch im Falle der Gefährdungshaftung zu kreie-
ren, da dies international immer mehr üblich geworden ist.
Dabei ist jedoch streitig, wie weit ein angemessener
Schmerzensgeldanspruch gehen soll. Schon der 62. Deut-
sche Juristentag 1998 hat sich dafür ausgesprochen, diesen
Schmerzensgeldanspruch bei schwer wiegenden und dau-
erhaften Körper- und Gesundheitsschäden zu beschrän-
ken. Dieser Lösung hätten wir gegenüber der hier gefun-
denen den Vorzug gegeben.


(Beifall bei der FDP)

Wir begrüßen die Regelung zur Verbesserung der

Rechtsstellung von Kindern bei Unfällen im Straßen-
und Bahnverkehr durch den grundsätzlichen Ausschluss
der Haftung und des Mitverschuldens von Kindern unter
zehn Jahren. Dies ist ja auch eine alte Forderung des Ver-
kehrsgerichtstages; darauf hat Herr Professor Dr. Pick be-
reits hingewiesen.

Die anderen Änderungen des Straßenverkehrsrechts
und im Sachschadenabrechnungsrecht des BGB lehnen
wir jedoch ab.

Erstens. Der Haftungsausschluss des Kraftfahrzeug-
halters gegenüber nicht motorisierten Verkehrsteilneh-
mern kann zu zahlreichen Ungerechtigkeiten gegenüber
Kraftfahrzeugführer und -halter führen, weil selbst vor-
sätzliches verkehrswidriges Verhalten des nicht motori-
sierten Verkehrsteilnehmers, zum Beispiel des Radfahrers
– das erleben wir tagtäglich im Straßenverkehr –, zur Haf-
tung des sorgfältig handelnden Kraftfahrzeugfahrers führt.

Zweitens. Die Änderung der Sachschadenabrech-
nung in § 249 BGB wird zu zahlreichen Ungereimtheiten
bei der Abrechnung von Kraftfahrzeugschäden bei der
Versicherung führen. Dies gilt insbesondere für die Ein-
beziehung der 16-prozentigen Umsatzsteuer bei der Scha-
densberechnung. Darauf hat der ADAC in der Anhörung,
die wir in gründlicher Weise im Rechtsausschuss vorge-

nommen haben, hingewiesen. Im Übrigen trifft gerade
diese Regelung den kleinen Bürger ganz besonders, der
häufig unmittelbar nach dem Unfall noch nicht weiß, ob
er das Auto reparieren oder teilweise reparieren lassen
will oder ob er es verkaufen und sich vielleicht ein neues
Fahrzeug kaufen will. Die bisherige Abrechnung ist im
Grunde nicht auf größere Schwierigkeiten gestoßen
– auch nicht bei der Abwicklung –, sodass man sie durch-
aus hätte beibehalten können.

Meine Damen und Herren, wir werden auch den Ent-
schließungsantrag der Koalitionsfraktionen ablehnen.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Aber Herr Funke, jetzt bin ich enttäuscht!)


Die Prüfung von Dokumentationspflichten hätten wir
nicht abgelehnt. Jedoch lehnen wir die Prüfung des Erfor-
dernisses der ergänzenden Schaffung eines Haftungs-
fonds generell ab. Solche Haftungsfonds sind unter kei-
nem Gesichtspunkt akzeptabel; denn dadurch finanzieren
die weißen Schafe die schwarzen Schafe der Branche.
Wer schadensbegründende Arzneimittel in den Verkehr
bringt, soll selber dafür haften. Im Übrigen bitte ich Sie,
unseren Änderungsanträgen zuzustimmen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423022700
Wir haben reizenden
Besuch auf der Besuchertribüne, meine Damen und Her-
ren. Die Kornkönigin ist unter uns. Herzlich willkommen
bei uns im Deutschen Bundestag.


(Beifall)

Nun erteile ich der Kollegin Dr. Evelyn Kenzler von

der PDS-Fraktion das Wort.

Dr. Evelyn Kenzler (PDS):
Rede ID: ID1423022800
Frau Präsidentin! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Mit diesem Gesetzentwurf
will die Bundesregierung Haftungslücken schließen und
Gerechtigkeitsdefizite beseitigen. In der Tat werden wich-
tige Lücken geschlossen. Auch manches Gerechtigkeits-
defizit wird beseitigt, allerdings nicht, ohne neue Gerech-
tigkeitsprobleme entstehen zu lassen.

Es ist auf jeden Fall ein Fortschritt, dass das Schadens-
ersatzrecht des BGB endlich novelliert wird. Das betrifft
zum Beispiel die Absenkung der Verantwortlichkeit von
Kindern bei der Teilnahme am Straßenverkehr und setzt
sich mit der Ausweitung des Schmerzensgeldanspruchs
fort. Der Ersatz des immateriellen Schadens bei Körper-
und Gesundheitsverletzungen und die Erhöhung der Haf-
tungssummen bei Gefährdungshaftung gehören ebenso
dazu. Schließlich ist die Verbesserung der Rechtsstellung
der Geschädigten bei der Arzneimittelhaftung in diesem
Zusammenhang zu nennen.

Das Unternehmen ist also alles in allem im Interesse
der betroffenen Bürgerinnen und Bürger grundsätzlich zu
begrüßen. Der Teufel liegt jedoch wie immer im Detail.

Ich begrüße sehr, dass es gelungen ist, den Opfer-
schutz deutlich zu verbessern.


(Beifall bei der PDS)





Rainer Funke
22882


(C)



(D)



(A)



(B)


Dass auf die zunächst vorgesehene Bagatellgrenze für
Schmerzensgeld nunmehr verzichtet wurde und es der
Rechtsprechung überlassen bleiben soll, halte ich eben-
falls für vernünftig. Bedauerlich ist, dass der insbesondere
vom Bundesverband der Verbraucherzentralen und Ver-
braucherverbände vorgetragene Wunsch nach Einbezie-
hung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in die Aufzäh-
lung der geschützten Rechtsgüter nicht erfolgte. Gerade
hier gibt es bekanntlich ein verstärktes Rechtsschutzbe-
dürfnis.

Begrüßenswert ist dagegen die Anhebung der Haf-
tungshöchstgrenzen. Sie wird allerdings nicht in allen
Fällen zu befriedigenden Lösungen führen.

Beim Arzneimittelrecht sieht der Entwurf die Ein-
führung eines Auskunftsanspruchs gegen Pharmaunter-
nehmen, aber auch gegen Behörden vor. Durch ihn werden
die Möglichkeiten des Geschädigten, seinen Schadens-
ersatzanspruch im Prozess durchzusetzen, klar erleichtert.
Aber es gibt weiter gehende Vorstellungen, die man nicht
als überzogen abtun sollte. Ein Haftungsfonds für Scha-
densfälle bei ungeklärter Kausalität für die Fälle, in denen
der Arzneimittelhersteller nicht mehr identifiziert werden
kann, sowie beim Fehlen einer Arzneimittelzulassung
bzw. Deckungsvorsorge wäre ebenfalls wichtig gewesen.


(Beifall bei der PDS)

Auch die Haftungshöchstbeträge könnten durchaus höher
sein.

Wenn Kollegin Lambrecht in ihrer Rede zur ersten Le-
sung äußerte: „Es ist oft so, dass Dinge von großer Trag-
weite ohne die große Aufmerksamkeit stattfinden“, dann
hat sie sicherlich Recht. Aber ich habe im Zusammenhang
mit der Diskussion dieses Gesetzentwurfs die Erfahrung ge-
macht: Autofahrer merken alles und machen auch schnell
mobil. Das hat ein wenig genutzt. Dass der ursprünglich
vorgesehene vollständige Verzicht auf den Haftungsaus-
schluss des „unabwendbaren Ereignisses“ und seine Erset-
zung durch den Haftungsausschluss bei „höherer Gewalt“
nicht apodiktisch aufrechterhalten wurde, ist vernünftig.
Nun muss sich zeigen, wie die modifizierte Regelung
beim Schadensausgleich bei mehreren haftpflichtigen
Fahrzeughaltern wirken wird. Das gilt auch für die Un-
abwendbarkeitsdefinition.

Was noch übrig bleibt, ist die Einführung eines
Schmerzensgeldes für die verschuldungsunabhängige
Gefährdungshaftung. Wie schmerzhaft sich diese Rege-
lung für die Autofahrer auswirkt, muss man abwarten. Fi-
nanzschwache Geschädigte werden im Einzelfall sowohl
den Autofahrer als auch die Verkehrsunternehmen belas-
ten. Wie häufig das vorkommen wird und wie hoch die
Belastungen sein werden, wird sich zeigen. Da ich gegen
ungerechtfertigt hohe Belastungen bin, halte ich alsbald
einen Bericht für notwendig, aus dem man gegebenenfalls
die entsprechenden Konsequenzen ziehen kann.

Die Einschränkung der fiktiven Abrechnung bei Kfz-
Schadensfällen durch Ausschluss des Ersatzes der fikti-
ven Umsatzsteuer lehne ich dagegen ab. Das bedeutet eine
Beschneidung der Dispositionsbefugnis der Betroffenen
und trifft letztlich vor allem finanzschwache Geschädigte.

Insofern unterstütze ich den diesbezüglichen Änderungs-
antrag der FDP.

Trotz meiner kritischen Anmerkungen zu bestimmten
Fragen befürwortet meine Fraktion den vorliegenden Ge-
setzentwurf; denn alles in allem verbessert er die gegen-
wärtige Rechtslage. In der nächsten Legislaturperiode
müssen wir jedoch nach einer rechtstatsächlichen Wirk-
samkeitsanalyse das Gesetz nochmals einer kritischen
Überprüfung unterziehen.

Danke.

(Beifall bei der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423022900
Das Wort zu einer
Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Hartenbach.


Alfred Hartenbach (SPD):
Rede ID: ID1423023000
Vielen Dank, Frau Präsi-
dentin. – Verehrter Kollege Götzer, Sie haben vorhin zu-
erst vermutet, dass ich schlafe, dann aber festgestellt, dass
ich wachsam sei wie ein Luchs. Ich möchte mich bei Ih-
nen für dieses Kompliment bedanken und überreiche Ih-
nen deshalb die CD „Don Cato – Die Rückkehr des Luch-
ses“.


(Heiterkeit bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und der CDU/CSU)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423023100
Zum Abschluss der
Debatte hat das Wort die Kollegin Christine Lambrecht
für die SPD-Fraktion.


Christine Lambrecht (SPD):
Rede ID: ID1423023200
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Ich werde versuchen, in ähn-
lich charmanter Weise wie Herr Hartenbach meine Rede
zu gestalten.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Ich dachte, Sie werden es charmanter machen als er!)


– Lassen Sie sich überraschen. Ich wäre mir an Ihrer Stelle
nicht so sicher, ob ich das schaffen kann.

Lassen Sie mich gleich zu Beginn meiner Rede etwas
zu den Änderungsanträgen der FDP sagen. Herr Funke,
Sie haben kritisiert, dass bei der Regulierung eines Scha-
dens, der aufgrund eines Gutachtens, aber ohne tatsächli-
che Reparatur erfolgt, die Umsatzsteuer nicht mehr er-
stattet werden solle. Noch einmal zur Klarstellung: Wenn
jemand seinen Unfallschaden in einer Werkstatt reparie-
ren lässt und zusätzlich zu den Reparaturkosten die
16-prozentige Umsatzsteuer zahlen muss, dann be-
kommt er auch nach der Novellierung des jetzt geltenden
Gesetzes die Umsatzsteuer erstattet. Ich halte es aber nur
für logisch, dass jemandem, der eine Reparatur nicht aus-
führen lässt und demnach auch keine Umsatzsteuer zahlt,
keine Umsatzsteuer erstattet wird. Das entspricht dem
Prinzip der Naturalrestitution, wonach keine Überkom-
pensation erfolgen darf, das heißt, man darf nicht besser
gestellt werden als vor dem Schaden.

Im Übrigen finde ich es sehr dreist, dass Sie in diesem
Zusammenhang in Ihren Änderungsanträgen ausgerechnet




Dr. Evelyn Kenzler

22883


(C)



(D)



(A)



(B)


auf die so genannten freien Reparaturwerkstätten hinwei-
sen und behaupten, dass diese nun benachteiligt würden.
Ich finde, das ist beinahe schon rufschädigend für diese
Art der Werkstätten. Ich sage Ihnen: Eine freie Werkstatt,
die die Arbeiten sauber und ordentlich durchführt, steht
einer an einen Autohersteller gebundenen Werkstatt in
nichts nach.

Ich möchte Ihnen aus meinem kurzen Leben ein Bei-
spiel geben: Ich habe während meines Jurastudiums an
der Kasse einer Tankstelle gejobbt, an die eine freie Re-
paraturwerkstatt angeschlossen war. Mein damaliger
Chef hat die Reparatur- und Wartungsarbeiten, die TÜV-
Vorbereitungsarbeiten und die ASU-Untersuchungen im-
mer zur vollsten Zufriedenheit seiner Kunden durchge-
führt. Wenn einer seiner Kunden einen bei einem
Verkehrsunfall entstandenen Schaden hatte, dann brachte
er sein Auto zur Reparatur in diese Werkstatt. Mein da-
maliger Chef hatte überhaupt keine Probleme, ganz nor-
mal, also inklusive Mehrwertsteuer, abzurechnen. Die
Schadensregulierung hat also mit der Frage der Umsatz-
steuer nichts, aber auch gar nichts zu tun.

Dass Sie das wissen und dass Sie von dem, was Sie in
Ihren Änderungsanträgen fordern, gar nicht überzeugt
sind, zeigt ein Gesetzentwurf aus der 13. Legislaturperi-
ode. In der letzten Legislaturperiode hat nämlich die FDP
den Justizminister gestellt. Interessanterweise waren aus-
gerechnet Sie, Herr Funke, damals Parlamentarischer
Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Man kann es nicht glauben!)


Aus dem damaligen Justizministerium kam damals ein
Gesetzentwurf, der Folgendes vorsah – gestatten Sie, dass
ich zitiere –:

Bei der Beschädigung einer Sache beläuft sich der
Geldbetrag auf die nachgewiesenen Kosten der Re-
paratur. Soweit der Geschädigte auf die Wiederher-
stellung durch einen gewerblichen Betrieb verzichtet,
bleiben die in dem Betrag enthaltenen öffentlichen
Abgaben bei der Feststellung des Schadensersatzes
außer Ansatz.

Das heißt, Sie gingen sogar noch einen Schritt weiter. Sie
haben nicht nur gesagt, dass die Umsatzsteuer nicht er-
stattet wird, sondern dass auch die öffentlichen Abgaben,
sprich: die Sozialabgaben, nicht erstattet werden.


(Beifall der Abg. Dr. Angelica Schwall-Düren [SPD] – Dr. Klaus Rose [CDU/CSU]: Ungeheuerlich!)


– Ich finde das schon sehr dreist. Sie haben Recht. – In der
Begründung heißt es:

Der Geschädigte kann auch wie bisher auf eine Re-
paratur ganz verzichten oder die beschädigte Sache
in sonstiger Weise wiederherstellen.
Für den Geschädigten ist

– trotz der Einschränkung, dass ihm die öffentlichen Ab-
gaben nicht erstattet werden –

sichergestellt,

– das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen –
dass er grundsätzlich weiterhin den vollen Ersatz sei-
nes Schadens erhält. Allerdings muss er nun eine
Entscheidung treffen, welche der beiden Alternati-
ven für ihn vorteilhaft ist.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423023300
Frau Kollegin, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Funke?


Christine Lambrecht (SPD):
Rede ID: ID1423023400
Nein. Herr Funke und
ich haben unsere Argumente im Rechtsausschuss bereits
ausgetauscht. Darauf komme ich gleich zu sprechen.

In Ihrem Entwurf von 1998 gingen Sie viel weiter, als
wir das nun tun. Jetzt kritisieren Sie das Ganze. Ich weiß
nicht genau, was ich davon halten soll.


(Rainer Funke [FDP]: Das wollte ich Ihnen gerade erklären!)


Ich weiß nicht, wie die Bürgerinnen und Bürger Ihre Po-
sition in diesem Zusammenhang einschätzen. Vielleicht
war der Gesetzentwurf von 1998 gar nicht ernst gemeint,
das heißt, er entsprach gar nicht Ihrer Position, obwohl er
aus Ihrem Hause kam.


(Rainer Funke [FDP]: Darf ich Ihnen das vielleicht beantworten? – Zuruf von der SPD: Nicht regierungsfähig!)


Wir werden diesen Antrag ablehnen. Was Sie vorgetragen
haben, ist nicht sonderlich glaubwürdig. Ähnlich verhält
es sich mit Ihrem zweiten Änderungsantrag, in dem Sie
einen Auskunftsanspruch auf Gegenseitigkeit im Arznei-
mittelrecht fordern.

Einen Schwerpunkt des heute zu verabschiedenden
Gesetzentwurfs bildet die Beseitigung von Haftungs-
lücken bei Arzneimittelschäden. Seit dem Skandal um
aidsverseuchte Blutprodukte zu Beginn der 90er-Jahre
besteht Einigkeit, dass der Schutz geschädigter
Arzneimittelanwender dringend verbessert werden muss.
Die Koalition bringt die seit zwei Legislaturperioden an-
dauernde Diskussion über die notwendigen Änderungen
im Arzneimittelgesetz endlich zum Abschluss.


(Beifall bei der SPD)

Unter Berücksichtigung der Ergebnisse des 3. Unter-

suchungsausschusses des Deutschen Bundestages zu den
HIV-Infektionen durch Blut und Blutprodukte wird die
haftungsrechtliche Position des Arzneimittelanwenders
durch mehrere Neuregelungen konsequent gestärkt. Es
wird ein Auskunftsanspruch des Geschädigten eingeführt,
der sich gegen die pharmazeutischen Unternehmen rich-
tet, aber auch gegen die für die Zulassung und Überwa-
chung des Arzneimittels zuständige Behörde. Eine Reihe
von Beweiserleichterungen, wie eine dem Umwelthaf-
tungsgesetz nachgebildete Kausalitätsvermutung, trägt
der besonders schwierigen Beweissituation des geschä-
digten Anwenders Rechnung. Jetzt ist ausreichend, dass
der Geschädigte im Einzelfall die Schadensgeeignetheit
des Arzneimittels darlegt. Es liegt in den Händen des Her-
stellers, dies zu widerlegen. Dass dies jetzt im Interesse




Christine Lambrecht
22884


(C)



(D)



(A)



(B)


der Anwender leichter möglich ist, ist Folge des einge-
führten Auskunftsanspruchs des Arnzeimittelanwenders.

Sie, meine Damen und Herren der FDP, wollen, dass
dies ein Anspruch auf Gegenseitigkeit ist, das heißt, er soll
im gleichen Umfang auch den Arzneimittelherstellern ge-
genüber den Verbrauchern zustehen. Das verwundert
schon. Sie übersehen offensichtlich völlig, dass im Rah-
men einer Schadensersatzklage wegen einer Schädigung,
etwa durch ein Medikament, der Geschädigte schon durch
die Vorlage der erforderlichen Krankenakten einen weit
gehenden Eingriff in seine Persönlichkeitsrechte zulassen
muss. Das wollen Sie noch mehr ausweiten, egal, ob die
erlangte Information etwas mit dem konkreten Fall zu tun
hat oder nicht.

Wenn ich mir den besagten Entwurf aus der letzten Le-
gislaturperiode anschaue, dann muss ich feststellen, dass
Sie dort ebenfalls einen Auskunftsanspruch des Geschä-
digten vorgesehen haben, wenn auch in modifizierter
Form, jedoch keine Gegenseitigkeit. Es gilt das bereits
Gesagte: In Ihren Änderungsanträgen fordern Sie etwas,
was von Ihnen selbst nicht vorgesehen war. Das spricht
nicht für eine glaubwürdige Politik und ist bei einem so
wichtigen Gesetz wie dem vorliegenden nicht angebracht.

Lassen Sie mich jetzt noch etwas zu dem Entschlie-
ßungsantrag sagen, der Ihnen vorliegt. Sämtliche Verbes-
serungen sind gut und schön; aber es muss auch beobach-
tet werden, ob sie sich in der Realität, das heißt in der
Praxis, durchsetzen lassen. Aus diesem Grunde wollen
wir Bericht darüber bekommen, inwieweit die Dokumen-
tation so erfolgt, dass diese Rechte auch durchgesetzt wer-
den können.

Darüber hinaus wollen wir nach drei Jahren einen Be-
richt darüber vorgelegt bekommen, wie sich die Ände-
rungen der schadensersatzrechtlichen Vorschriften ausge-
wirkt haben. Das entspricht bei weitem nicht der
Forderung nach einem Fonds, Herr Funke. Auch ich als
Jurist weiß, dass es keinen Fonds als Auffangtatbestand
geben kann und geben wird. Aber es muss ja wohl gestat-
tet sein, zu schauen, ob sich das, was wir heute be-
schließen, in der Realität bewährt oder ob in dem einen
oder anderen Punkt noch eine Veränderung erforderlich
ist.

Lassen Sie mich zum Schluss noch zu einem zentralen
Ansatz der Neuregelung des Schadensersatzrechts kom-
men, dem verbesserten rechtlichen Schutz der Kinder
im Straßenverkehr. Mich hat die Medienberichterstat-
tung zu diesem Thema – das muss ich zugeben – zum Teil
schon sehr verwundert. Offensichtlich trägt man in eini-
gen Medien der Tatsache Rechnung, dass der größte Teil
der Leser bzw. der Zuschauer Autofahrer sind. Ein großer
Teil sind aber auch Eltern. Der Blick unserer Politik auf
die Welt sollte nicht der Blick durch die Frontscheibe
eines Autos sein.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Unser Blick bezieht vielmehr alle Verkehrsteilnehmer
mit ein. Wir wissen, dass Kinder aufgrund ihrer Statur und
ihres Wahrnehmungsvermögens im Straßenverkehr be-
nachteiligt und besonders gefährdet sind. Dies bestätigen

die Zahlen von Verkehrsunfällen, an denen Kinder betei-
ligt sind. In meinem Wahlkreis – Bergstraße – wurden im
Jahr 2001 1 640 Menschen im Straßenverkehr verletzt.
Davon waren 123 unter 15 Jahren. Zwei in der Alters-
gruppe kamen bedauerlicherweise sogar zu Tode. Das
macht deutlich: Kinder sind im Straßenverkehr besonders
gefährdet und bedürfen eines besonderen Schutzes.

Diesem Umstand tragen wir jetzt Rechnung. Es gilt in-
zwischen als erwiesen, dass Kinder aufgrund ihrer physi-
schen und psychischen Fähigkeiten frühestens ab Vollen-
dung des 10. Lebensjahres imstande sind, die besonderen
Gefahren des Straßenverkehrs zu erkennen und sich dann
auch dementsprechend zu verhalten. Das Gesetz zieht
daraus die notwendigen Konsequenzen für das Haftungs-
recht. Die Haftung von Kindern vor Vollendung des 10. Le-
bensjahres wird nunmehr ausgeschlossen. Nur zur Klar-
stellung, damit hier nichts, wie in manchen Medien, in den
falschen Hals gerät: Hiervon werden keine Vorsatztaten er-
fasst. Das heißt, das Werfen von Kanaldeckeln auf Auto-
bahnen oder andere Straßen führt selbstverständlich auch
weiterhin zur Haftung. Das wird von dieser Novellierung
nicht berührt.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423023500
Frau Kollegin, Sie
müssen bitte zum Schluss kommen.


Christine Lambrecht (SPD):
Rede ID: ID1423023600
Ich komme zum
Schluss. – Lassen Sie mich noch den Dank an die Kolle-
ginnen und Kollegen aus dem Rechtsausschuss ausspre-
chen. Wir haben dort in sehr sachlicher Weise über die
Novellierung beraten.


(Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU]: Das kann ich bestätigen!)


Mein Dank geht ganz besonders an die Vertreter des Jus-
tizministeriums, allen voran an die Frau Ministerin, die
heute krankheitsbedingt nicht dabei sein kann, an den Par-
lamentarischen Staatssekretär nicht minder, aber ganz be-
sonders an die Mitarbeiter, die keine Mühen gescheut ha-
ben, um uns mit Rat und Tat zur Seite zu stehen.

Dass ein guter Gesetzentwurf zustande gekommen ist,
der im Großen und Ganzen aus dem Wahlkampfgetöse
herausgehalten werden konnte, sieht man am Abstim-
mungsergebnis im Rechtsausschuss. Alle vertretenen Par-
teien – außer der FDP – haben zugestimmt. Zur Glaub-
würdigkeit Ihrer Position, meine Kolleginnen und
Kollegen der FDP, habe ich schon einiges ausgeführt. Ich
kann Sie im Interesse der Sache nur auffordern, dieser
sinnvollen und dringend notwendigen Novellierung heute
hier zuzustimmen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423023700
Zu einer Kurzinter-
vention hat der Kollege Funke das Wort.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Herr Funke, wollen Sie sich jetzt entschuldigen? – Zuruf von der CDU/CSU: Das Imperium schlägt zurück!)





Christine Lambrecht

22885


(C)



(D)



(A)



(B)



Rainer Funke (FDP):
Rede ID: ID1423023800
Frau Kollegin Lambrecht, Sie
haben in diese Diskussion jetzt doch ein bisschen Schärfe
hineingebracht.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Nein, das waren Sie!)


– Nein, das kann ich gar nicht; das wissen Sie auch. – Sie
sollten sich nicht nur auf Ihre sehr klugen juristischen
Ausführungen beschränken, sondern sich auch einmal die
politische Situation in der letzten Legislaturperiode ver-
gegenwärtigen. Es hatte zuvor einen Untersuchungsaus-
schuss gegeben. Da sind Emotionen entstanden, auch bei
Kollegen der CDU beispielsweise. Sie haben hinsichtlich
des Arzneimittelrechts einen dringenden Änderungsbe-
darf geltend gemacht. Das Justizministerium ist natürlich
auch Dienstleister. Insoweit ist in diesem Dienstleistungs-
bereich ein Gesetzentwurf entstanden, den Sie ja zitiert
haben. Aber dass man politisch nicht immer hinter diesen
Gesetzen gestanden hat, können Sie sich vielleicht vor-
stellen.


(Zurufe von der SPD: Oh!)

Dass wir dieses Gesetz nicht wollten, habe ich immer

deutlich gemacht, auch in den Beratungen.

(Alfred Hartenbach [SPD]: Das lässt tief blicken für die Regierungsfähigkeit!)


Dass es nicht zu diesem Gesetz gekommen ist, haben wir
sicherlich mit zu vertreten gehabt.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423023900
Nun darf die Kollegin
Lambrecht antworten.


Christine Lambrecht (SPD):
Rede ID: ID1423024000
Ich habe Sie dann recht
verstanden, Herr Funke, dass Sie, wie ich es in meiner
Rede auch schon ausgeführt habe, als Parlamentarischer
Staatssekretär im Justizministerium, das von einem FDP-
Minister geleitet wurde, einen Gesetzentwurf vorgelegt
hatten, der zu keinem Zeitpunkt von Ihnen ernst gemeint
war. Das war also lediglich weiße Salbe, gefühlvoll ver-
abreicht für die verängstigten und emotional aufgeregten
Kollegen der CDU/CSU. – Das ist das Fazit, das ich jetzt
aus Ihrem Redebeitrag ziehe.

Vielen Dank.

(Alfred Hartenbach [SPD]: Das waren die „Bekenntnisse des Hochstaplers Rainer Funke“!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423024100
Nun schließe ich die
Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Ände-
rung schadensersatzrechtlicher Vorschriften, Drucksa-
chen 14/7752 und 14/8780. Es liegen Änderungsanträge
vor, über die wir zuerst abstimmen.

Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der
FDP auf Drucksache 14/8797? – Gegenprobe! – Enthal-
tungen? – Der Änderungsantrag ist gegen die Stimmen
der FDP, bei Enthaltung der CDU/CSU mit den Stimmen
von Bündnis 90/Die Grünen, SPD und PDS abgelehnt.

Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der
FDP auf Drucksache 14/8798? – Gegenprobe! – Der An-
trag ist abgelehnt.


(Rainer Funke [FDP]: Zählen! – HeinrichWilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Angenommen!)


– Das Präsidium ist sich einig.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-

schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. –
Gegenprobe! – Enthaltungen? – Gegen die Stimmen der
FDP ist der Gesetzentwurf in der Ausschussfassung und
damit in zweiter Beratung angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Die
Gegenprobe! – Der Gesetzentwurf ist gegen die Stimmen
der FDP in dritter Lesung angenommen.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktionen der SPD und des Bündnis-
ses 90/Die Grünen auf Drucksache 14/8799. Wer stimmt
für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Gegen die Stimmen der FDP bei Ent-
haltung von CDU/CSU ist der Entschließungsantrag an-
genommen.

Nun rufe ich Tagesordnungspunkt 8 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Karl-
Josef Laumann, Brigitte Baumeister, Rainer
Eppelmann, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der CDU/CSU
Arbeitsrecht flexibilisieren – Beschäftigung
schaffen
– Drucksache 14/8267 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Das ist jetzt
so beschlossen.


(Die Parlamentarischen Geschäftsführer beraten sich mit dem Präsidium)


– Ich lese einmal die vereinbarte Redezeiten vor. Viel-
leicht können sich die Geschäftsführer darauf einigen:
CDU/CSU sieben Minuten, SPD sieben Minuten, Bünd-
nis 90/Die Grünen fünf Minuten, FDP fünf Minuten und
PDS fünf Minuten.

Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem
Kollegen Karl-Josef Laumann. Bitte sehr.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Sag etwas zu den Haaren von Schröder!)



Karl-Josef Laumann (CDU):
Rede ID: ID1423024200
Sehr geehrte Frau
Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir diskutieren






(C)



(D)



(A)



(B)


heute den von der Union eingebrachten Antrag mit dem
Titel „Arbeitsrecht flexibilisieren – Beschäftigung schaf-
fen“. Wir haben in unserem Antrag eine Reihe von Vor-
schlägen zur Reform des Arbeitsrechts gemacht, von der
Ermöglichung betrieblicher Bündnisse für Arbeit über
eine Lockerung der Arbeitnehmerüberlassung bis hin zur
Erleichterung befristeter Arbeitsverhältnisse. In dem An-
trag wird deutlich aufgezeigt, worin die Unterschiede
zwischen SPD und Union liegen: Nicht in der weiteren
Zementierung des Arbeitsrechts liegt die Lösung der Be-
schäftigungskrise, sondern in einem modernen, an den
betrieblichen Erfordernissen orientierten Arbeitsrecht.

Die Bundesregierung hat auf dem Gebiet der beschäf-
tigungsorientierten Flexibilisierung des Arbeitsrechts völ-
lig versagt. Die seit Regierungsantritt vom Arbeitsminis-
ter durchgeführten Reformen waren nicht auf ein Mehr an
Beschäftigung gerichtet, sondern haben die ohnehin star-
ren arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen noch verhär-
tet. Das Ergebnis liegt auf der Hand: eine konstant hohe
Arbeitslosigkeit trotz demographischer Entlastung, ein
Rekordniveau bei den Insolvenzen und steigende Sozial-
versicherungsbeiträge.

Der zum 1. Januar 2001 eingeführte Rechtsanspruch
auf Teilzeitarbeit hat in der betrieblichen Praxis zu viel-
fältigen Problemen geführt. Die unterschiedlichen Ent-
scheidungen der Arbeitsgerichte sind Beleg hierfür. So
wundert es nicht, wenn Fachanwälte für Arbeitsrecht zu-
sammenfassend feststellen:

Bis hier das Bundesarbeitsgericht Klarheit geschaf-
fen hat, scheint die Umsetzung des Teilzeitanspru-
ches in jeder Hinsicht unkalkulierbar.

So zu lesen in der „FAZ“ am 6. April dieses Jahres.
So schreibt auch der Sachverständigenrat in seinem

Gutachten:
Die anderen in diesem Jahr vorgenommenen gesetz-
lichen Änderungen sind für die Flexibilität eindeutig
kontraproduktiv.

Und weiter heißt es:
Demnach hat das Gesetz beschäftigungshemmende
Effekte für teilzeitinteressierte Arbeitnehmer.

Hätten Sie auf die Fachleute wirklich gehört, hätten Sie
ein solches Gesetz nicht verabschiedet. So hat der
63. Deutsche Juristentag im September 2000 vor einem
wie dem von Ihnen verabschiedeten Gesetz gewarnt und
klar festgestellt: „Ein Teilzeitanspruch für alle Arbeitneh-
mer darf nicht begründet werden.“

Die Regierung hat auch die Forderungen des Sachver-
ständigenrats nach Flexibilisierung des Arbeitsrechts
ignoriert. Unter der Überschrift „Wo der Gesetzgeber ge-
fragt ist“ fordert der Sachverständigenrat – wie auch die
Union –, endlich eine Modifikation des Günstigkeits-
prinzips innerhalb des Tarifvertragsgesetzes vorzuneh-
men, um betriebliche Bündnisse für Arbeit auf eine recht-
lich einwandfreie Grundlage zu stellen.

Dabei geht es nicht, wie von Ihnen immer wieder be-
hauptet, um die Abschaffung der Tarifautonomie. Viel-
mehr geht es darum, die ohnehin gängige Praxis endlich

abzusichern. Jeder von uns kennt doch Betriebe, in denen
Unternehmensführung, Betriebsrat und die Beschäftigten
sich auf Entgelt- oder Arbeitszeitregelungen verständigt
haben, die am geltenden Tarifvertrag vorbeigehen, aber
letztlich den Bestand des Betriebes und damit die Arbeits-
plätze sichern. Die Gewerkschaften und Arbeitgeberver-
bände dulden diese Tarifabweichungen in aller Regel,
weil es ihnen um die Sicherung von Arbeitsplätzen geht.

Ich meine, hier darf man nicht wegschauen, sondern
muss sich zu diesen Bemühungen der Betriebspartner klar
bekennen und die rechtlichen Rahmenbedingungen für
betriebliche Bündnisse für Arbeit schaffen. Die gesetz-
geberische Umsetzung scheitert in diesem Haus allein an
den Strukturkonservativen in der SPD. Union, FDP und
auch die Grünen dagegen wollen die betrieblichen Bünd-
nisse für Arbeit auf eine sichere Rechtsgrundlage stellen. Al-
lein die SPD-Ideologen verhindern durch ihren Widerstand,
dass in vielen Fällen Arbeitsplätze gerettet werden könnten.


(Wolfgang Weiermann [SPD]: Sind Sie nicht für das Tarifvertragsrecht?)


Als Ergebnis dieser Politik des Nichtstuns steigt stattdes-
sen die Zahl der Insolvenzen auf ein Rekordniveau.

Nicht nur die Wirtschaftssachverständigen haben die
Beschäftigungspolitik in Deutschland stark kritisiert, son-
dern auch die Europäische Union. So hat die Europäische
Kommission am 12. September 2001 Deutschland ein be-
sonders schlechtes Zeugnis ausgestellt. Dort heißt es,
Deutschland müsse Arbeitsverträge und Arbeitsorganisa-
tion flexibilisieren.

Der Bundeskanzler wartet dagegen nur auf die kon-
junkturelle Erholung. Abwarten allein aber wird die Pro-
bleme auf dem Arbeitsmarkt nicht lösen. Reformen müs-
sen endlich her, um den Arbeit Suchenden wieder neue
Perspektiven zu geben. Das Fazit ist klar: Deutschland
braucht einen flexibleren Arbeitsmarkt für mehr Beschäf-
tigung. Mit der jetzigen Bundesregierung war dies und
wird dies auch in Zukunft leider nicht zu schaffen sein.

Heute diskutieren wir das erste Mal über unseren An-
trag. Da nicht mehr so viele Themen im Ausschuss für Ar-
beit und Sozialordnung auf der Tagesordnung stehen,
würde ich mir schon wünschen, dass unser Antrag und da-
mit unsere konkreten Vorschläge dort einmal Punkt für
Punkt unideologisch diskutiert werden.


(Beifall bei der CDU/CSU – Wolfgang Weiermann [SPD]: Sie können die Arbeitnehmer doch nicht zum Freiwild machen!)


Ich habe in meiner Rede mit vielen Beispielen aus der
Fachwelt und aus der Politik sowie mit Stellungnahmen
von unabhängigen Sachverständigenkommissionen deut-
lich gemacht – das wird uns schon seit Jahren gesagt –,
was in diesem Bereich zu tun ist.

Da ich weiß, dass man mit diesem Thema große Emo-
tionen wecken kann,


(Peter Dreßen [SPD]: Veränderung der Gesellschaft!)


würde es dem Arbeitsmarkt dienen und sicherlich auch
die Politik auszeichnen, wenn wir wenige Monate vor der




Karl-Josef Laumann

22887


(C)



(D)



(A)



(B)


Wahl einmal unideologisch über solche schwierigen Fra-
gen miteinander reden könnten.

Schönen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423024300
Das Wort hat nun der
Kollege Klaus Brandner für die SPD-Fraktion.


Klaus Brandner (SPD):
Rede ID: ID1423024400
Sehr geehrte Frau Präsiden-
tin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Kol-
lege Laumann, Ihr Antrag trägt den Titel „Arbeitsrecht
flexibilisieren – Beschäftigung schaffen“. Ich bin wirk-
lich davon beeindruckt,


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Das ist auch gut so! Bravo!)


dass Sie sich einen solch schönen Titel für Ihren unsägli-
chen Antrag ausgedacht haben.

Flexibilisieren ist ja eines von den derzeit so beliebten
Modezauberwörtern; alles muss flexibel sein. Wenigstens
mit dem Titel Ihres Antrages liegen Sie voll im Trend.
Aber mit dem Inhalt, der sich dahinter verbirgt, befinden
Sie sich auf der Gegenfahrbahn.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Jeder von uns weiß: Wer sich auf der Gegenfahrbahn be-
findet, der kommt nicht vorwärts. Er muss zurückrudern.


(Wolfgang Weiermann [SPD]: Geisterfahrer! – Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Sie stehen doch schon dort!)


Für Sie gilt die simple Gleichung: je weniger Arbeits-
recht, desto mehr Beschäftigung. Diese Auffassung ist ab-
surd. Tatsächlich besteht kein nachgewiesener Zusam-
menhang zwischen dem Arbeitsrecht und der Höhe der
Arbeitslosigkeit.


(Beifall bei der SPD – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Es besteht kein Zusammenhang? Das ist ja interessant, Herr Brandner!)


Das zeigt auch ein vergleichender Blick auf Europa.
Selbst die OECD, gewiss eine eher wirtschaftsfreundliche
internationale Institution, kommt in ihrer Analyse zu dem
Schluss, dass ein solcher Zusammenhang empirisch nicht
nachweisbar ist.

Der Abbau von Arbeitsrechten während Ihrer Regie-
rungszeit hat jedenfalls nicht zu mehr, sondern zu weni-
ger Beschäftigung geführt. Zur Erinnerung und um Ihnen
einen Spiegel vorzuhalten, will ich Ihnen folgende Zahlen
nennen: 1996 – das war das Jahr, in dem Sie das grausame
Sparpaket beschlossen haben – hatten wir 3,96 Millionen
Arbeitslose. Nachdem Ihre gesetzlichen Maßnahmen zur
Deregulierung griffen, hatten wir 1997 im Jahresdurch-
schnitt 4,38 Millionen Arbeitslose. Die Auffassung, dass
der Abbau von Schutzrechten zu mehr Beschäftigung
führt, ist damit eindeutig widerlegt.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Den Quatsch hat doch niemand behauptet!)


Genau das Gegenteil tritt ein.

Ich war im Übrigen nicht nur beeindruckt, sondern
auch ein wenig überrascht angesichts des so sorgsam for-
mulierten Titels Ihres Antrages. Ansonsten sind Sie von
der Opposition nicht so wählerisch in Ihrer Wortwahl.
Herr Stoiber und Frau Merkel sprechen immer gern da-
von, dass der Arbeitsmarkt und das Arbeitsrecht „entrüm-
pelt“, „entriegelt“ oder „entfesselt“ werden müssten.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Entriestert!)

Sie tun gerade so, als hätten wir den Arbeitsmarkt gekne-
belt. Das ist ein ungeheuerlicher Vorwurf. Wir haben die
Schutzrechte der Arbeitnehmer verbessert und wir haben
da, wo es notwendig war, den Missbrauch eingeschränkt.
Wir haben Ihre sozialen Versäumnisse aufgearbeitet und
Fehlentwicklungen korrigiert.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Mich wundert in diesem Zusammenhang, dass gerade die
Sozialpolitiker in den Reihen der CDU/CSU das noch nicht
gemerkt haben. Man sieht, wie tief Sie gesunken sind.

Ein ganz wichtiger Punkt in diesem Zusammenhang ist
das Teilzeit- und Befristungsgesetz. Mit dem Gesetz
über Teilzeit und befristete Arbeitsverträge haben wir ei-
nen effektiven Beitrag zum Beschäftigungsaufbau und
zur Beschäftigungssicherung geleistet. Wir haben damit
zwei Missstände beseitigt: erstens den Mangel an Teil-
zeitarbeitsplätzen und zweitens den Missbrauch von be-
fristeten Arbeitsverträgen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es war gut und richtig, die Dauerbefristungen abzu-
schaffen. Dauerbefristungen und die Umgehung des Kündi-
gungsschutzes haben nie zu unbefristeten Arbeitsverträgen,
sondern zur Rechtlosigkeit von Arbeitnehmern geführt.
Dort, wo eine Befristung wirklich zur Beschäftigung
beiträgt, haben wir sie erhalten und sogar ausgedehnt. Für
Arbeitnehmer ab dem 58. Lebensjahr sind befristete Ein-
stellungen weiterhin dauerhaft möglich. Dies hält den Zu-
gang zum Arbeitsmarkt lange offen und verbessert die
Einstiegschancen – und das übrigens mit Erfolg: In den
letzten drei Jahren, in denen wir die Regierungsverant-
wortung hatten, ist die Arbeitslosigkeit der über 55-Jähri-
gen um 250 000 gesunken. Das belegt, dass unsere Poli-
tik richtig ist und auf dem Arbeitsmarkt wirkt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der Teilzeitanspruch war unsere Antwort auf das stei-
gende Bedürfnis nach Teilzeitarbeit. Das ist wahre Flexi-
bilisierung! In statistischen Erhebungen ist nachgewiesen
worden, dass Arbeitnehmer zunehmend den Wunsch nach
Teilzeitarbeit haben. Wir haben das gesetzlich möglich
gemacht. Sie können das zum Beispiel an den Zahlen des
Mikrozensus für Baden-Württemberg, der im Jahr 2001
veröffentlicht worden ist, nachlesen. Von 1980 bis 2001
ist dort die Teilzeitquote von 14 auf 24 Prozent gestiegen.
Fast jede zweite weibliche Beschäftigte, 47 Prozent, ar-
beitet in Teilzeit. Ein besonders sprunghafter Anstieg der
Teilzeitbeschäftigung ist in dem Bereich der bis zu 21 Wo-
chenstunden Beschäftigten erfolgt. Die Zahl der Beschäf-




Karl-Josef Laumann
22888


(C)



(D)



(A)



(B)


tigten, die bis zu 15 Stunden arbeiten, hat sich von 1990
bis heute mehr als verdoppelt.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Das hat aber nichts mit Ihrem Gesetz vom letzten Jahr zu tun! Einverstanden?)


Aus den bisherigen Erfahrungen in der Praxis wissen wir,
dass der Teilzeitanspruch flexibel und praktikabel ist. Die
Behauptung der CDU/CSU, das neue Gesetz verhindere
Jobs, ist schlichtweg falsch und wurde durch diese Zahlen
nachdrücklich widerlegt.


(Beifall bei der SPD)

Wenn man den uns heute vorliegenden Antrag genau

liest, dann wird leider deutlich, was Sie tatsächlich wol-
len: Es geht Ihnen nicht um eine Flexibilisierung, sondern
darum, den Arbeitnehmern Rechte und Gestaltungsmög-
lichkeiten wegzunehmen. Da hilft es auch nicht, dass der
Kanzlerkandidat mit wolkigen Aussagen durch das Land
reist und verkündet, er wolle auf die Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer zugehen. Damit will der bayerische
Ministerpräsident nur von seiner wahren Politik ablenken.
Denn hier wird schwarz auf weiß offenbar, was die
CDU/CSU eigentlich im Schilde führt: Sie wollen nicht
nur die Rechte zum Schutz der Arbeitnehmer beschnei-
den, sondern gleichzeitig auch die Mitbestimmung wieder
einschränken, weil sie angeblich zu teuer ist.

Was haben Sie eigentlich gegen mehr Teilhabe, gegen
mehr Demokratie in den Betrieben? Mit der Reduzierung
der Mitbestimmung nehmen Sie den Arbeitnehmern die
Möglichkeit, an der Sicherung und dem Erhalt der Be-
schäftigung selber mitzuwirken. Dabei ist das Kostenar-
gument nur vorgeschoben. Die zusätzlichen Kosten wer-
den nämlich durch eine kompetente und qualifizierte
Arbeit der Betriebsräte wettgemacht.

Das, was hingegen Sie in Ihrem Antrag vorschlagen,
grenzt an einen Missbrauch der Betriebsräte. Kollege
Laumann hat es gerade deutlich gemacht: Sie wollen, dass
die Betriebsräte Vereinbarungen treffen, die die Tarifver-
träge unterlaufen. Das ist ein Angriff auf die Tarifautonomie.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Da klatscht nicht ein Gewerkschaftler!)


Das gilt, eindeutig gesagt, auch für die Vorschläge zum Ta-
rifvertragsgesetz, die Sie hier formuliert haben. Tarifver-
träge, die nicht verbindlich sind, sind nämlich nichts wert.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Tarifverträge und die Tarifpolitik in Deutschland
sind flexibel. Da Sie der Sozialdemokratischen Partei in
diesem Zusammenhang Ideologie unterstellen, muss ich
Ihnen sagen: Ideologie führen Sie ein, weil Sie einseitig
Arbeitgeberinteressen formulieren. So plappern Sie in
Ihrem Antrag von Punkt 1 bis zum Schluss nur die politi-
schen Forderungen nach, die die Arbeitgeber in diesem
Land vorher formuliert haben. Von Arbeitnehmerorgani-
sationen, von Gewerkschaften, findet man in Ihrem An-
trag nicht ein Wort. Das zeigt, welche Positionierung Sie
in diesem Lande eingenommen haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Tarifverträge, die gerade bei VW abgeschlossen
worden sind, zeigen, dass die Gewerkschaften keine Prin-
zipienreiter sind, sondern nach vorne marschieren, wenn
es um die Beschäftigten, um Neueinstellungen und die
Nutzung neuer Chancen geht.

Die Union ist in diesem Fall aus meiner Sicht auf ei-
nem Holzweg. Sie unterschätzt nämlich die Wähler. Die
lassen sich nichts vormachen. Das zeigt sehr eindrucks-
voll die letzte Forsa-Umfrage.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423024500
Herr Kollege, Sie
müssen bitte zum Schluss kommen.


Klaus Brandner (SPD):
Rede ID: ID1423024600
Ich komme sofort zum
Schluss. – Der Unionskanzlerkandidat verliert nämlich
durch diese Politik bei den Bürgern – auch bei den Mana-
gern – deutlich an Zustimmung.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Aber die Kompetenz bei den Arbeitsplätzen, die wird eindeutig uns zugewiesen!)


AP meldet: Kanzlerkandidat Stoiber im Stimmungstief.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Die Popularität von Kanzlerkandidat Edmund Stoiber ist
einer Umfrage zufolge stark gesunken. Nur 29 Prozent der
Deutschen würden den CDU/CSU-Kandidaten derzeit di-
rekt zum Bundeskanzler wählen – 6 Prozent weniger als
in der Vorwoche.

Das ist das Ergebnis einer Politik, mit der Sie den Ar-
beitnehmern vorgaukeln wollen, Sie wollten für sie mehr
Beschäftigung erreichen; tatsächlich wollen Sie ihre
Rechte abbauen. Das können Sie mit Sozialdemokraten
nicht machen. Wir stehen für die Arbeitnehmerrechte. Wir
werden dafür auch weiterhin eintreten und erfolgreiche
Beschäftigungspolitik betreiben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423024700
Nun hat der Kollege
Heinrich Kolb für die FDP-Fraktion das Wort.


Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1423024800
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Es geht, Herr Kollege
Brandner, anders als Sie hier vorgetragen haben, eben
nicht darum, Rechte zu mindern oder gar zu beseitigen.
Vielmehr geht es uns darum – das nehme ich für uns in
Anspruch –, die Voraussetzungen für mehr Arbeitsplätze
in Deutschland zu schaffen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Den Kollegen von der Unionsfraktion muss man Recht
geben, wenn sie in ihrem Antrag schreiben:

Die Bundesregierung hat auf dem Gebiet der be-
schäftigungsorientierten Flexibilisierung des Ar-
beitsrechts versagt.

Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen.
Ich habe Ihnen, Herr Brandner, in den letzten dreiein-

halb Jahren in fast jeder Debatte zum Thema Arbeitsrecht




Klaus Brandner

22889


(C)



(D)



(A)



(B)


Ihre Sündenfälle vorgetragen – ob es um das 630-Mark-
Gesetz, um Scheinselbstständigkeit, befristete Arbeitsver-
hältnisse, Teilzeitarbeit, Reform der Betriebsverfassung
oder die völlig verkorkste Neuregelung des Betriebsüber-
gangs in § 613 a BGB ging.


(Anette Kramme [SPD]: Heldentaten!)

All das hat leider nicht gefruchtet. Vielmehr hat die rot-
grüne Bundesregierung entgegen dem Rat aller Sachver-
ständigen weiter reglementiert, den deutschen Arbeits-
markt weiter „verriestert“ und verrammelt. Damit haben
Sie das Gegenteil von dem erreicht, was eigentlich das
Ziel sein sollte, nämlich mehr Beschäftigung.


(Wolfgang Weiermann [SPD]: Die FDP als Trojanisches Pferd des Arbeitgeberverbandes!)


Letztendlich, Herr Brandner – ich will es Ihnen noch
einmal erklären –, sind Empirie und Wissenschaft an der
Stelle gar nicht so ausschlaggebend. Die Frage ist: Wie
empfinden die Menschen, die in Deutschland über Be-
schäftigung entscheiden, also diejenigen, die konkret ei-
nen Arbeitsplatz anbieten – oder auch nicht –, die Rege-
lungen, die Sie geschaffen haben? Hier muss man sagen:
Ihre Regelungen sind deutlich kontraproduktiv. Insbeson-
dere dem Mittelstand steht zunehmend die Regelungs-
dichte, die er von Ihnen auferlegt bekommt, bis zum Hals.
Das führt dazu, dass Beschäftigungsdynamik nicht statt-
findet.


(Wolfgang Weiermann [SPD]: So ein Quatsch!)


Wenn Sie, Herr Brandner, aber nicht bereit sind, das
aus dem Mund eines mittelständischen Unternehmers ent-
gegenzunehmen, dann muss ich doch einmal aus den Gut-
achten des Sachverständigenrates zitieren. Zum Rechts-
anspruch auf Teilzeit – dazu hat Herr Kollege Laumann
auch schon zitiert – heißt es dort:

Demnach hat das Gesetz beschäftigungshemmende
Effekte für teilzeitinteressierte Arbeitnehmer.

Das sagt Ihr Sachverständigenrat! – Zur Einschränkung
der Befristungsmöglichkeiten heißt es dort:

Auf diese Weise wird die Nachfrage nach Arbeitneh-
mern reduziert.

Auch das schreibt Ihr Sachverständigenrat! – Zur so ge-
nannten Reform der Betriebsverfassung heißt es:

Zu befürchten ist, dass die inhaltliche Erweiterung
der Mitbestimmung in den unternehmerischen
Handlungsspielraum eingreift, die Betriebsabläufe
komplizierter macht und damit der notwendigen Fle-
xibilität bei den betrieblichen Entscheidungsprozes-
sen entgegenwirkt.

Daran sehen Sie doch, liebe Kolleginnen und Kollegen
von Rot-Grün: Es hat eine Ursache, dass Sie nach drei-
einhalb Jahren mit Ihrer Arbeitsmarktpolitik gescheitert
sind


(Widerspruch bei der SPD)

und dass wir, anders als alle anderen Länder in Europa, im
letzten Aufschwung eben nicht die Arbeitslosigkeit redu-

ziert haben. Sie haben im Vergleich die schlechteste Ar-
beitsmarktbilanz in ganz Europa. Sie haben die Chance
vertan, Strukturreformen durchzusetzen. Im Bündnis für
Arbeit wurde zwar groß debattiert,


(Anette Kramme [SPD]: Schauen Sie sich auch einmal die Studie der OECD an!)


aber der entsprechende Benchmarkingbericht durfte gar
nicht veröffentlicht werden, weil Empfehlungen geäußert
wurden, die konträr zu Ihrer Politik im Deutschen Bun-
destag standen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Herr Kollege Laumann hat ja gesagt, mit diesem An-
trag würden die Unterschiede zwischen CDU/CSU und
SPD deutlich. Ich will hier klar sagen: Mit dem vorlie-
genden Antrag, Herr Laumann, werden auch die Unter-
schiede zwischen CDU/CSU und FDP sehr deutlich. Wir
teilen mit Ihnen die Analyse des heute zu debattierenden
Antrages. Bei den Lösungen sind wir dann aber im Detail
doch etwas konkreter. Um es umgekehrt zu sagen: Ich
finde Ihre Lösungsvorschläge oft zu bescheiden, zu zag-
haft und zu wenig entschlossen.


(Beifall bei der FDP – Anette Kramme [SPD]: Schaffen Sie das Arbeitsrecht doch ab!)


So wollen Sie, ausgehend von dem Bekenntnis zur
Tarifautonomie die „Möglichkeiten tarifdispositiver
Rechtsvorschriften genutzt, aber auch, um tarifdispositive
Regelungen erweitert“ sehen.


(Peter Dreßen [SPD]: Sie sind Geisterfahrer auf dem Arbeitsmarkt!)


Schön gesagt, aber welche? Mit diesen Leerformeln kön-
nen wir nichts anfangen. Sie wollen den Spielraum für be-
triebliche Bündnisse für Arbeit erweitern, indem Sie Lohn
und Arbeitszeit in den Günstigkeitsvergleich einbeziehen.
Der Knackpunkt aber ist: Den Tarifvertragsparteien soll
ein begründetes Vetorecht verbleiben. Dazu muss ich Ih-
nen sagen: Da fallen Sie hinter frühere Einsichten zurück.
Das haben wir doch in der Debatte anlässlich unseres Ge-
setzentwurfs zur Legalisierung betrieblicher Bündnisse
für Arbeit schon gehabt und damals haben Sie in nament-
licher Abstimmung einem Entwurf ohne ein solches Ve-
torecht zugestimmt. Warum gehen Sie hinter diese Forde-
rung zurück?


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423024900
Lassen Sie eine Frage
des Kollegen Laumann zu?


Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1423025000
Sehr gern.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423025100
Bitte sehr, Herr Kol-
lege Laumann, Sie dürfen eine Frage stellen.


Karl-Josef Laumann (CDU):
Rede ID: ID1423025200
Herr Kollege
Kolb, mir ist wichtig, hier festzustellen, dass ich anläss-
lich der Debatte über Ihren Antrag für die CDU/CSU-
Fraktion ganz eindeutig festgestellt habe, dass eine solche
Öffnung beim Günstigkeitsprinzip ohne ein Vetorecht der




Dr. Heinrich L. Kolb
22890


(C)



(D)



(A)



(B)


Tarifvertragsparteien für uns nicht infrage kommt. In die-
ser Frage besteht in der Tat ein Unterschied zwischen
CDU/CSU und FDP. Wir begründen unsere Haltung da-
mit, dass sich ein Arbeitgeber mit dem Eintritt in den
Arbeitgeberverband bewusst einer Tarifgemeinschaft an-
schließt – genauso wie ein Arbeitnehmer, der Mitglied ei-
ner tarifabschließenden Gewerkschaft wird. Wenn man
anschließend davon abweichen will, denke ich, müssen
die Tarifvertragsparteien ein Einspruchsrecht haben.
Wenn das ein Unterschied ist, kann ich gut damit leben.

Mir war vor allen Dingen wichtig: Wir haben damals
in der Debatte sehr deutlich gemacht, dass hier ein we-
sentlicher Unterschied besteht. Wir haben dem Antrag
dennoch zugestimmt, weil er in allen anderen Punkten un-
serer Auffassung sehr nahe kam.


(Klaus Brandner [SPD]: Erklären Sie uns die Frage!)



Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1423025300
Was war Ihre Frage?

(Zuruf von der CDU/CSU: Ob Sie das mitnehmen?)

– Ob ich das mitnehme? Ich nehme das gerne mit, Herr
Laumann, ich frage mich aber im Nachhinein, warum die
CDU damals in namentlicher Abstimmung unserem An-
trag zugestimmt hat, wenn sie hier so offensichtliche Be-
denken hat.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423025400
Herr Kollege, jetzt
will der Kollege Schemken Sie etwas fragen.


Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1423025500
Sehr gern.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423025600
Bitte sehr.


Heinz Schemken (CDU):
Rede ID: ID1423025700
Eine Frage, Herr Kol-
lege Kolb: Können Sie bestätigen, dass zu dem, was Herr
Kollege Laumann gesagt hat, doch ein Unterschied besteht?


Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1423025800
Herr Kollege Schemken,
ich kann Ihnen bestätigen, dass hier ein Unterschied be-
steht. Ich kann Ihnen aber auch gern bestätigen, dass die-
ser Unterschied in Ihrem damaligen Abstimmungsverhal-
ten nicht deutlich geworden ist. Deswegen müssen Sie
sich heute diese Frage stellen lassen. Ich finde es auch
nicht schlimm, dass es Unterschiede zwischen CDU/CSU
und FDP gibt, im Gegenteil!

Auch in anderen Bereichen, bei der Betriebsverfassung
etwa, gibt es deutliche Unterschiede. Sie schreiben zwar
auch, dass diese wieder mittelstandsfreundlicher gestaltet
werden muss. Aber Sie schreiben nicht, ob Sie auch ein
Quorum für die Wahl des Betriebsrats wollen, ob Sie die
Mitbestimmung in Betrieben mit bis zu 20 Beschäftigten
formalisieren wollen oder ob Sie glauben, dass die infor-
melle Mitbestimmung, die es dort gibt, ausreicht, unter
Umständen sogar die bessere Lösung ist. Hier gibt es noch
sehr viele Fragen.

Ich kann, weil meine Redezeit langsam zu Ende geht,
nur feststellen: Die CDU/CSU-Fraktion fällt als Reform-
motor in dem Bereich der Überarbeitung des Arbeits-
rechts offensichtlich aus.


(Zuruf des Abg. Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU])


– Sie fällt als Motor aus, habe ich hier sehr deutlich ge-
sagt. Der Antrag, den Sie hier vorlegen, ist ein Me-too-
Produkt. Sie wollen auch ein bisschen Flexibilisierung,
aber Schrittmacher in diesem Bereich ist die FDP-Frak-
tion im Deutschen Bundestag. Das ist gut so und soll auch
in Zukunft so bleiben.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423025900
Jetzt hat die Kollegin
Thea Dückert für Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Ich sehe, dass das Telefonieren mit Handy hier zu-
nimmt. Das finde ich nicht so gut. – Das war eine ge-
schäftsleitende Bemerkung.

Frau Kollegin, Sie haben das Wort.


Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423026000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach
diesem besserwisserischen Vortrag der FDPmuss ich eine
kleine Vorbemerkung machen. Da Sie, Herr Kolb, die
FDP sozusagen zum Schrittmacher stilisieren wollten,
muss ich doch noch einmal daran erinnern, was nach
29 Jahren Regierungsbeteiligung der FDPübrig geblieben
ist:


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Die Grünen haben auch schon einmal anders geredet!)


die höchste Steuerbelastung in der Geschichte der Bun-
desrepublik Deutschland, die höchste Staatsverschuldung
in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, die
höchste Arbeitslosigkeit in unserer Geschichte und die
höchsten Sozialabgaben, und zwar auf der Basis einer ver-
fassungswidrigen Vernachlässigung von Kindern und ei-
ner verfassungswidrigen Vernachlässigung des Arbeitslo-
sengeldes; sie haben nämlich die Einmalzahlungen den
Arbeitslosen nicht zugute kommen lassen. Das war Ihre
Bilanz. Das ist Ihr „Schrittmachertum“. Das ist unsozial
und das wollen wir nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Jetzt zum Antrag der CDU/CSU:

(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Zu wem haben Sie eigentlich eben gesprochen?)


– Ich habe zur FDP gesprochen, Herr Kollege. – Dies ist
ein interessanter Antrag, weil er uns in dem beliebten Ra-
tespiel „Was will die CDU?“, das in den letzten Wochen
und Monaten lief, weiterhilft.


(Wolfgang Weiermann [SPD]: Das müssen die erst einmal selber wissen!)





Karl-Josef Laumann

22891


(C)



(D)



(A)



(B)


Die Antwort darauf steht in diesem Antrag. Er sagt uns
nämlich, dass Sie vorschlagen, zu dem Arsenal von alten
beschäftigungs- und arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen
zurückzukehren. Zudem präsentieren Sie uns hier eine
Liste – sie ist sehr lückenhaft – Ihrer Streichungsvor-
schläge, mit der Sie eine zukunftsgerichtete Politik ein-
leiten wollen.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Das ist nur der arbeitsrechtliche Teil, Frau Kollegin!)


Es tut mir Leid, aber Sie schlagen nichts anderes vor als
Streichungen. Dies gilt beispielsweise für das Teilzeitge-
setz, für die Reduzierung der Mitbestimmungsrechte
und für die Aushöhlung des Flächentarifvertrages durch
Zurückschrauben des Günstigkeitsprinzips. Sie wollen al-
les verändern. Sie waren sogar so weit – das haben Sie
wieder zurückgenommen –, die Ökosteuer zurückzuneh-
men, die dazu geführt hat, dass wir die Sozialabgaben ha-
ben senken können. Auch dies haben Sie vorgeschlagen.

Die erste Antwort, die Sie auf die beliebte Frage, was
die CDU will, geben, ist also: rückwärts gewandt in die
Zukunft. Dies wird uns nicht weiterbringen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423026100
Frau Kollegin
Dückert, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Dr.
Kolb?


Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423026200

Wir hatten uns zwar geeinigt, heute eine kurze Debatte zu
führen, aber wenn es denn sein muss: Ja.


(Klaus Brandner [SPD]: Es ist beim Versuch geblieben!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423026300
Also lassen Sie eine
Frage zu?


Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423026400
Ja.


Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1423026500
Ich bedanke mich auch
ausdrücklich, Frau Kollegin Dückert. Aber wenn es gar zu
schlimm wird, muss man nachhaken dürfen. Ich möchte
nicht, dass hier der Eindruck bestehen bleibt, Sie hätten
im Bereich der Sozialversicherungsbeiträgewirklich et-
was Nachhaltiges erreicht. Wenn Sie alles hineinrechnen,
stimmt das ganz einfach nicht. Sie haben nur durch eine
Manipulation der Mindestreserve den Beitragssatz auf
19,1 Prozent senken können.


(Beifall bei der FDPund der CDU/CSU – Klaus Brandner [SPD]: So einen Quatsch habe ich selten gehört!)


Auch haben wir in diesem Jahr mit 37 Milliarden DM
einen neuen Höchststand bei den Einnahmen durch die
Ökosteuer.


(Beifall bei der FDP)

Wenn Sie wissen, dass 17 Milliarden DM einen Prozent-
punkt in der Rentenversicherung ausmachen, und Sie dies

umrechnen, stellen Sie fest, dass wir einen neuen Höchst-
stand bei den Beitragssätzen erreicht haben,


(Klaus Brandner [SPD]: Was hat die Reserve mit dem Beitragssatz zu tun?)


dass also das, was Sie gesagt haben, nicht stimmt. Wie ste-
hen Sie dazu?


Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423026600

Herr Kollege Kolb, ich danke Ihnen für diese Frage, weil sie
ein bezeichnendes Licht auf Ihr kurzes Gedächtnis wirft.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wieso das?)


Ich will Ihnen zwei Zahlen nennen.
Erstens. Die Sozialversicherungsbeiträge sind unter

CDU-Regierungsbeteiligung zwischen 1993 und 1998
um 6,6 Prozent gestiegen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Da gab es doch noch etwas, oder? Deutsche Einheit, Frau Dückert, schon vergessen?)


Zweitens. Die Sozialversicherungsbeiträge sind in den
ersten Jahren rot-grüner Regierung innerhalb von drei
Jahren um 1,2 Prozent gesunken, und zwar auch mithilfe
derÖkosteuer.Ohne die Ökosteuer, die Sie ja abschaffen
wollen, hätten wir jetzt um zwei Prozentpunkte höhere
Rentenversicherungsbeiträge. Das ist Ihre Art von Sozial-
politik.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sie geben es sogar zu! – Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Ihr Beitrag heißt Ökosteuer!)


Sie halten die Augen und Ohren zu. Das ist die Politik der
drei Affen: Sie wollen nicht wissen, was Sie getan haben,
und schlagen etwas ohne richtiges Konzept vor.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Herr Kolb, ich fasse zusammen: Wir haben die Sozial-
versicherungsbeiträge gesenkt und Sie haben sie exorbi-
tant steigen lassen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sie haben die Belastungen für die Menschen erhöht! Es läuft alles in einem Portemonnaie zusammen!)


Kommen wir zurück zu dem Antrag der CDU/CSU,
über den wir hier diskutieren. Ich würde gerne mit Ihnen
über weitere Reformschritte in der Arbeitsmarktpolitik
diskutieren, weil diese wirklich notwendig sind. Wenn Sie
aber all die Modernisierungsmaßnahmen der letzten Jahre
überhaupt nicht zur Kenntnis nehmen oder zurückdrehen
wollen wie zum Beispiel das Job-AQTIV-Gesetz mit sei-
nem bei der Verhinderung von Arbeitslosigkeit ansetzen-
den neuen Konzept, das neue Elemente wie Jobrotation
und Ähnliches beinhaltet, wenn Sie solche Ansätze ein-
fach in Bausch und Bogen ablehnen,


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Die Jobrotation lehnen wir gar nicht ab!)





Dr. Thea Dückert
22892


(C)



(D)



(A)



(B)


weiß ich nicht, worüber wir in diesem Zusammenhang
noch reden wollen.

Was haben Sie in der letzten Zeit noch abgelehnt? Zum
Beispiel haben Sie an einer Stelle, an der wirklich Re-
formbedarf besteht, nämlich bei der Bundesanstalt für
Arbeit, abgelehnt, die Spitze zügig zu verändern. Das war
der erste Punkt. Zweitens wollten Sie auch noch den ge-
samten Reformprozess aufhalten.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Das reicht jetzt aber wirklich, Frau Dückert!)


Es tut mir wirklich Leid, aber ich weiß nicht, wie ich mit
Ihnen über arbeitsmarktpolitische Veränderungen für die
Zukunft reden soll, wenn Sie noch nicht einmal über das
diskutieren, was hier aktuell notwendig ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sie können von der Opposition nicht verlangen, dass sie bei solchen Hauruckgesetzen mitmacht!)


Sie schlagen – Herr Laumann hat es eben noch einmal
vorgetragen; das finde ich vom Ansatz her auch richtig –
zum Beispiel mehr betriebliche Bündnisse für Arbeit
vor. Natürlich brauchen wir die.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Aha!)

Was sind aber die Voraussetzungen dafür, dass wir mehr be-
triebliche Bündnisse für Arbeit erhalten? Es gibt drei Vo-
raussetzungen: Erstens brauchen wir starke Betriebsräte,


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Da haben Sie Recht!)


zweitens brauchen wir – sozusagen als Korsett – funktio-
nierende Flächentarifverträge und drittens brauchen wir
ein funktionierendes allgemeines Bündnis für Arbeit, weil
es diesen Prozess unterstützen kann.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Darauf hoffe ich nicht mehr! – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das hat Herr Schlauch auch schon einmal anders gesehen!)


Wenn diese Voraussetzungen eingehalten werden, kön-
nen so zukunftsfähige Bündnisse für Arbeit auf betrieb-
licher Ebene wie bei VW zustande kommen. Dort gibt es
den Vertrag „5000 mal 5000“.

Sie haben gesagt, Sie wollen, dass die betrieblichen
Bündnisse für Arbeit auf einer rechtlich einwandfreien
Basis stehen. Das Bündnis für Arbeit bei VW steht auf ei-
ner rechtlich einwandfreien Basis. Nach unserem Recht
ist es möglich. Es gibt sehr viel mehr Bündnisse für Ar-
beit auf betrieblicher Ebene in dieser Republik. Ich denke,
wir müssen sehr viel dafür tun, dass diese – auch das all-
gemeine Bündnis für Arbeit in der Bundesrepublik – vor-
angebracht werden.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Sie stimmen uns in dem Punkt also zu!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423026700
Frau Kollegin, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Brandner?


Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423026800
Ja,
ich lasse sie zu, obwohl es mich langsam reizt, wieder ein
Zitat des Weihbischofs Hengsbach anzuführen, das ich
bereits beim letzten Mal gebracht habe. Das mache ich
jetzt aber nicht.


Klaus Brandner (SPD):
Rede ID: ID1423026900
Frau Kollegin Dückert, kön-
nen Sie bestätigen, dass, wenn wir die Arbeitsmarktpoli-
tik nicht reformiert und wir nicht das Prinzip des Förderns
und Forderns eingeführt hätten, es heute noch mehrere
hunterttausend Menschen in ABM-Stellen versteckt
gäbe, sodass die Arbeitslosenstatistik geschönt würde?


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Sie schmeißen sie inzwischen aus der Statistik heraus! – Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen!)



Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423027000

Das kann ich Ihnen bestätigen. Wir haben hier eine sehr
ehrliche Politik betrieben. Im Gegensatz dazu – wir be-
finden uns ja in einem Wahljahr – hat die alte Regierung
im Wahljahr die Zahl der ABM-Stellen verdoppelt. Kurz-
fristig hat sie 5 Milliarden DM dort hineingepumpt.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wenn Sie Geld hätten, würden Sie das wahrscheinlich auch tun!)


In den vergangenen Jahren haben wir in diesem Bereich
die ABM zurückgefahren und haben andere Instrumente,
die arbeitsmarktnah sind, genutzt.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Das wird euch auch nichts nutzen!)


Das heißt, wir versuchen hier eine ehrliche Politik zu ma-
chen


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Ach Gott!)


und haben gleichzeitig die Arbeitslosenzahl noch einmal
um 400 000 gesenkt und über 1 Million neue Arbeits-
plätze geschaffen. Das hat in der Tat mit unserer Politik zu
tun.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Ich möchte noch eine abschließende Bemerkung ma-
chen, weil Sie einiges, zum Beispiel das Teilzeitgesetz,
abschaffen wollen. Ich finde Ihre Argumentation in die-
sem Zusammenhang wirklich absolut absurd. Sie haben
sie im Ausschuss vorgetragen. Dieses Teilzeitgesetz hat
die Gleichbehandlung von Männern und Frauen zur
Grundlage. Sie sagen, dass Sie es verändern wollen, weil
es zur Diskriminierung von Frauen führen würde. Es tut
mir furchtbar Leid, aber aufgrund meiner Erfahrungen aus
der Vergangenheit bin ich sehr misstrauisch, wenn Män-
ner plötzlich Frauenrechte auf dem Arbeitsmarkt vertei-
digen. Da wird es schon komisch.

Sie wissen doch auch, dass die Schutzrechte von
Frauen auf dem Arbeitsmarkt in der Vergangenheit immer




Dr. Thea Dückert

22893


(C)



(D)



(A)



(B)


dazu geführt haben, dass sie letzten Endes ausgeschlossen
worden sind. Hier treffen wir Regelungen für eine Gleich-
behandlung von Männern und Frauen im Teilzeitbereich.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Die werden gar nicht mehr eingestellt! – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Trotzdem gibt es bei bestimmten Personengruppen doch eine hohe Teilzeitneigung! Die werden aus der Statistik herausgenommen!)


Wir wollen Männern und Frauen die gleiche Möglichkeit
geben, sich zum Beispiel durch Teilzeitarbeit mehr um die
Familie zu kümmern. Sie drehen den Spieß in absurder
Weise um und behaupten, dass dies eine Diskriminierung
von Frauen sei.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423027100
Frau Kollegin, jetzt
müssen Sie aber zum Schluss kommen.


Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423027200

Ich komme zum Schluss. – Ich glaube, das, was Sie hier
präsentiert haben, ist rückwärts gewandt und hilft uns
nicht weiter. Ich lade Sie gerne ein, mit uns über vorwärts
gewandte Konzepte zu diskutieren.

Schönen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423027300
Da es eine kurze De-
batte ist, lasse ich keine Zwischenfragen mehr zu und er-
teile nun der Kollegin Pia Maier für die PDS-Fraktion das
Wort.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Kollegin Maier hätte bestimmt auch gerne Zwischenfragen gestellt bekommen!)



Pia Maier (PDS):
Rede ID: ID1423027400
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Da-
men und Herren! Es ist ein interessanter Antrag. Die Op-
positionspartei zählt all das auf, was die Regierung ge-
macht hat, was nicht ihrer Meinung entsprach. Sie ist
dagegen und will, dass das alles zurückgenommen wird.
Alle Vorschläge, die die CDU/CSU hier bringt, sind be-
kannt. Bei jeder arbeitsmarktpolitischen Debatte und als
jedes einzelne hier genannte Gesetz verabschiedet wurde,
haben Sie das alles schon ausgeführt.

Entweder kennen wir die Ideen, weil es zu Ihrer Zeit so
war – dann haben Sie den Regierungswechsel wohl noch
nicht verwunden –, oder Sie reden schon seit Jahren da-
von und haben es selbst nicht umgesetzt. Die Reden und
Forderungen jedenfalls sind immer wieder dieselben.
Dieser Antrag ist so interessant wie die Zeitung von vor-
gestern. Das alles können Sie in Ihrem Wahlprogramm
fordern, aber als neue Initiative im Bundestag kurz vor der
Wahl ist der Antrag ziemlich überflüssig.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Na, na, na!)


Zu den einzelnen Punkten. Sie fordern eine Auswei-
tung befristeter Beschäftigung. Die Ausweitung von

Rot-Grün reicht Ihnen noch nicht. Das Gesetz soll zurück-
genommen werden, damit noch öfter noch länger befristet
eingestellt werden kann. Wie damit Arbeitsplätze ge-
schaffen werden sollen, kann ich nicht nachvollziehen. Es
werden höchstens Möglichkeiten zum Jobben geschaffen,
aber keine existenzsichernden Arbeitsplätze.

Als Nächstes will die CDU/CSU den Teilzeitanspruch,
der jüngst eingeführt wurde, wieder rückgängig machen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Weil er kontraproduktiv ist!)


Im Wahlkampf müssen die einzelnen Teile Ihres Pro-
gramms noch nicht richtig zusammenpassen. Diese For-
derung verträgt sich überhaupt nicht mit der Fami-
lienförderung, die auch Sie heute Morgen hochgehalten
haben. Herr Merz hat die Familienförderung beschworen.
Gerade in den Jahren, in denen eine Familie Kinder er-
zieht, ist Teilzeit eine Möglichkeit, Beruf und Familie zu
vereinbaren. Das geht aber nur, wenn ein entsprechender
Anspruch besteht und der Arbeitnehmer oder die Arbeit-
nehmerin ein Recht darauf hat und nicht dem Willen des
Chefs ausgeliefert ist.

Das Teilzeitgesetz müsste um das Recht ergänzt wer-
den, nach einer solchen Familienphase mit reduzierter Ar-
beitszeit wieder voll arbeiten zu können. Das wäre Fami-
lienförderung und keine Wahlkampfquietscheente.


(Beifall bei der PDS)

Dann wollen Sie natürlich das Betriebsverfassungsgesetz

wieder zurückverändern. Es ist ein Wunder, dass bei diesem
Betriebsverfassungsgesetz die Wirtschaft überhaupt noch
funktioniert. Sie beschwören in Ihrem Antrag Kosten in
Milliardenhöhe, die den Unternehmen allein durch das
Betriebsverfassungsgesetz entstanden sein sollen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Auch im Mittelstand funktioniert es nicht!)


Wenn Sie mit diesen Zahlen nicht so übertreiben würden,
dann könnte man vielleicht darüber reden. Allerdings ist
Ihre Schlussfolgerung, dass den Betrieben mit diesem Be-
triebsverfassungsgesetz Schaden entstanden wäre, garan-
tiert falsch, wenn es um Arbeitsplätze geht.

In den Tarifauseinandersetzungen werden jetzt die Be-
triebsräte und Gewerkschaften hoffentlich für mehr Be-
schäftigung sorgen, indem mehr Lohn ausgehandelt und
damit die Binnennachfrage angekurbelt wird. Die
Lohnzurückhaltung hat in den letzten Jahren keine
Arbeitsplätze geschaffen. Jetzt ist eine andere Strategie
gefragt.

Die Antwort der CDU/CSU auf die Arbeitslosigkeit
heißt, Sicherheiten für Arbeitnehmer abschaffen und
mehr Leiharbeit zulassen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist totaler Unsinn, was Sie da erzählen!)


Für diesen Weg in die Unsicherheit, den Weg des Abbaus
aller erkämpften Standards bekommen Sie von uns keine
Unterstützung.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Das haben wir auch nicht erwartet!)





Dr. Thea Dückert
22894


(C)



(D)



(A)



(B)


Dies geschieht vor allem aus einem einfachen Grund: Es
bringt keine Arbeitsplätze. Sie schaffen nichts Neues, aber
gute Regeln ab.

Wer hierzulande Arbeitsplätze schaffen will, muss
Geld in die Hand nehmen. Ein Beispiel, damit die Kom-
munen wieder investieren können, ist eine kommunale
Investitionspauschale. Die Kommunen, die kein Geld
für Investitionen haben, können ihre Infrastruktur nicht
mehr renovieren und erhalten. Für den Ausbau von Schu-
len und Straßen in den Kommunen, die überdurchschnitt-
lich von Arbeitslosigkeit betroffen und pleite sind,
braucht es ein besonderes Programm. Hier müssten der
Bund und die Länder Geld geben, ohne eine Kofi-
nanzierung von den Kommunen einzufordern, weil sie
schon pleite und zusätzlich von überdurchschnittlich ho-
her Arbeitslosigkeit betroffen sind.

Die PDS schlägt als Grenze 30 Prozent über dem
Durchschnitt der alten Bundesländer vor. Viele Ostkom-
munen, aber auch besonders betroffene Gemeinden im
Westen liegen unterhalb dieser Grenze. Damit kann man
einen Teufelskreis verhindern, der entsteht, wenn Kom-
munen wegen Arbeitslosigkeit und Verarmung wenig Ein-
nahmen haben, damit schlechtere Bedingungen für Inves-
toren und Bildung bieten, um dann weiter zu verarmen
und Arbeitsplätze zu verlieren.

Dieser Entwicklung schieben wir mit Investitionen ei-
nen Riegel vor. Befristete Beschäftigung, Teilzeitverbot
und Leiharbeit sind Ihre Antworten. Damit schaffen Sie
Unsicherheit, aber keine Arbeitsplätze. Das soll nur der
Disziplinierung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
mern dienen. Das alles ist nichts Neues und wird heute ge-
nauso schlecht wie in den letzten Jahren funktionieren.

Danke.

(Beifall bei der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423027500
Die Vereinbarung
über die verkürzte Redezeit hat mit sich gebracht, dass der
Kollege Schemken und der Kollege Meckelburg ihre Re-
den zu Protokoll gegeben haben. Ist das richtig so?


(Zuruf von der SPD: Unsere auch!)

– Wenn etwas zu Protokoll gegeben worden ist, müssen
Sie mir die Redner nennen. Ich stelle fest: Herr Grotthaus
und Frau Kramme geben ihre Reden ebenfalls zu Proto-
koll.1) Damit schließe ich die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/8267 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Damit sind Sie ein-
verstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Jetzt rufe ich die Tagesordnungspunkte 9 a bis 9 e
sowie Zusatzpunkt 8 auf:
9 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-

gebrachten Entwurfs eines Verbraucherinforma-
tionsgesetzes (VerbIG)

– Drucksache 14/8738 –

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Land-
wirtschaft (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neu-
organisation des gesundheitlichen Verbrau-
cherschutzes und der Lebensmittelsicherheit
– Drucksache 14/8747 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Land-
wirtschaft (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO

c) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durch-
führung der Rechtsakte der Europäischen Gemein-
schaft auf dem Gebiet des ökologischen Landbaus

(Öko-Landbaugesetz – ÖLG)

– Drucksache 14/8768 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Land-
wirtschaft (f)

Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgit
Homburger, Ulrich Heinrich, Marita Sehn, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Obstbauern vor dem Ruin retten – Plantomycin
für Notfallmaßnahmen zulassen
– Drucksache 14/8180 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Land-
wirtschaft (f)

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Marita
Sehn, Ulrich Heinrich, Walter Hirche, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der FDP
Pflanzenschutzpolitik neu ausrichten, heimi-
sche Produzenten unterstützen und Verbrau-
cher schützen
– Drucksache 14/8430 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Land-
wirtschaft (f)

Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

ZP 8 Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU
Verbraucherinformationsgesetz effektiv ge-
stalten
– Drucksache 14/8784 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Land-
wirtschaft (f)





Pia Maier

22895


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 3

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Mir ist mitgeteilt worden, dass alle Reden zu Protokoll
gegeben worden sind. Ich eröffne die Aussprache, nehme
alle Reden zu Protokoll und schließe die Aussprache.1)

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf Drucksachen 14/8738, 14/8747, 14/8768, 14/8180,
14/8430 und 14/8784 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Dann sind die Überweisungen so beschlos-
sen.

Nun rufe ich Tagesordnungspunkt 10 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Willi Brase, Klaus Barthel (Starnberg),
Hans-Werner Bertl, weiteren Abgeordneten und
der Fraktion der SPD sowie den Abgeordneten
Christian Simmert, Hans-Josef Fell, Dr. Reinhard
Loske, weiteren Abgeordneten und der Fraktion
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung
des Berufsbildungsgesetzes und des Arbeitsge-
richtsgesetzes
– Drucksache 14/8359 –

(Erste Beratung 221. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung

(19. Ausschuss)

– Drucksache 14/8699 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Willi Brase
Dr.-Ing. Rainer Jork
Hans-Josef Fell
Ernst Burgbacher
Maritta Böttcher

Auch hier höre ich, dass die Reden zu Protokoll gege-
ben sind. Dann eröffne ich die Aussprache, nehme die Re-
den zu Protokoll und schließe die Aussprache.2)

Wir kommen zur Abstimmung über den von den
Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Berufsbil-
dungsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes auf Druck-
sache 14/8359. Der Ausschuss für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung empfiehlt auf Druck-
sache 14/8699, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um
das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP ist der
Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Die

Gegenprobe! – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in
der dritten Lesung angenommen.

Nun rufe ich die Tagesordnungspunkte 11 a und 11 b
auf:
11 a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Ulf

Fink, Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid), Maria
Eichhorn, weiteren Abgeordneten und der Frak-
tion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Verstärkung der Personalausstattung

(Personalverstärkungsgesetz Pflege – PVG)

– Drucksache 14/8364 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

b) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur För-
derung der ambulanten Hospizarbeit
– Drucksache 14/6754 –

(Erste Beratung 196. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Gesundheit (14. Ausschuss)

– Drucksache 14/8518 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Horst Schmidbauer (Nürnberg)


Hierzu ist interfraktionell vereinbart worden, dass die
Redezeit eine halbe Stunde betragen soll. – Das ist so be-
schlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Ulf Fink für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.


Ulf Fink (CDU):
Rede ID: ID1423027600
Frau Präsidentin! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Die CDU/CSU-Bundes-
tagsfraktion legt Ihnen einen Gesetzentwurf vor, der zum
Inhalt hat, dass vom 1. Juli dieses Jahres an bis einschließ-
lich 2004 die Pflegekassen an die Pflegeheime je Pflege-
bedürftigen der Stufen II und III – das sind die Schwer- und
Schwerstpflegebedürftigen – monatlich einen Betrag von
102 Euro und für jeden Pflegebedürftigen, der als Härte-
fall anerkannt ist, einen Betrag von 204 Euro zahlen sol-
len. Dies bedeutet eine Erhöhung der Leistungen der
Pflegeversicherung um etwa 5 Prozent. Gemessen am
Gesamtvolumen der Leistungsausgaben der sozialen Pfle-
geversicherung von über 30 Milliarden DM ist das eine
verhältnismäßig geringe Summe. Da wir auf keinen Fall
wollen, dass das eine Auswirkung auf die Beitragssätze
hat, haben wir diese Erhöhung auf den Zeitraum von zwei-
einhalb Jahres begrenzt. Das bedeutet jährlich zusätzliche
Mittel der Pflegeversicherung von knapp 400 Milli-
onen DM. Falls die Einnahmeverbesserung der Pflegever-
sicherung nicht ausreichen sollte, lassen sich diese Mittel
gegebenenfalls aus den Rücklagen finanzieren, die be-
kanntlich ein sehr viel höheres Ausmaß haben.

Wir halten diese Änderungen für zwingend, weil sich
seit Einführung der Pflegeversicherung vor sieben, acht




Vizepräsidentin Anke Fuchs
22896


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 4
2) Anlage 5

Jahren die Preise und Lohnkosten erhöht haben und in fast
allen Feldern Kostensteigerungen festzustellen sind. Le-
diglich die Leistungen der Pflegeversicherung sind seit
Mitte der 90er-Jahre überhaupt nicht angepasst worden.
Es gab nicht einmal einen Inflationsausgleich oder etwas
Ähnliches.


(Dr. Ilja Seifert [PDS]: Das haben Sie damals so angelegt!)


– Nein, die Leistungen der Pflegeversicherung sind in all
diesen Jahren um keinen Pfennig erhöht worden.

Lese ich die diesbezügliche Regierungserklärung von
Kanzler Schröder oder führe ich mir die Wahlaussagen
der Sozialdemokraten aus dem Jahr 1998, noch einmal
vor Augen, so finde ich darin vor allem die Aussage, Sie
wollten sich für mehr soziale Gerechtigkeit einsetzen. Ich
frage Sie: Wie können Sie es denn damit vereinbaren, dass
die Leistungen der Pflegeversicherung, also für diejeni-
gen, die der Leistungen des Staates besonders bedürfen,
nicht angepasst wurden?


(Dr. Ilja Seifert [PDS]: Warum haben Sie denn das Gesetz so gemacht?)


Stellen Sie sich nur einmal vor, was in der Bundesre-
publik Deutschland los wäre, wenn seit sechs, sieben,
acht Jahren die Renten nicht erhöht, die Leistungen der
Arbeitslosenversicherung nicht angepasst oder gar die
Löhne um überhaupt keinen Pfennig erhöht worden
wären: Sie würden sich vor Demonstrationen überhaupt
nicht mehr zurechtfinden.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Nur, bei den Pflegebedürftigen denken Sie, Sie könnten es
sich leisten.


(Heinz Schemken [CDU/CSU]: Das sind die Stillen im Land! – Weiterer Zuruf von der CDU/ CSU: Die können sich nicht wehren!)


Ich sage Ihnen, wozu das führt. Wir haben die Pflege-
versicherung in einer nicht einfachen Situation gegen zum
Teil erhebliche Widerstände eingeführt, und zwar nicht
zuletzt deshalb, weil wir es nicht länger vertreten zu kön-
nen glaubten, dass die Rente von Menschen, wenn sie in
ein Pflegeheim müssen, nicht ausreicht, um die Kosten
des Pflegeheims zu decken, sodass sie auf Sozialhilfe an-
gewiesen sind und sogar ihr Taschengeld beim Sozialamt
abholen müssen. Das hielten wir für einen unwürdigen
Zustand. Wir haben erklärt: Wir müssen erreichen, dass
Menschen, wenn sie das Schicksal ereilt, pflegebedürftig
zu werden, aus eigener Kraft, von ihrer Rente und von den
Leistungen der Pflegeversicherung, leben können, ohne
auf das Sozialamt angewiesen zu sein. Das war der Sinn
der Einführung der Pflegeversicherung.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Jetzt darf ich darstellen, wie sich das entwickelt hat. Ich

habe die Zahlen des Statistischen Bundesamtes vor mir.
Danach hat sich die Zahl der Menschen, die auf Pflege an-
gewiesen sind, bei denen die Leistungen aus der Pflege-
versicherung sowie die Rente nicht ausgereicht haben und
die deshalb zum Sozialamt gehen mussten, wie folgt ent-
wickelt: 1994 waren 454 000 Menschen wegen zu gerin-

ger Eigenleistungen auf Leistungen des Sozialamtes an-
gewiesen. Dann wurde die Pflegeversicherung eingeführt.
Die Zahl sank von 454 000 auf 373 000. Im Jahr 1996, als
wir die Leistungen im stationären Bereich eingeführt ha-
ben, sank die Zahl auf 285 000, 1997 auf 251 000 und im
Jahr 1998 sogar auf 222 000. Das waren immer noch
222 000 zu viel, aber immerhin war ihre Zahl von ehedem
454000 auf 222 000 gesunken.

Dann traten Sie die Regierung an und sagten, Sie woll-
ten es besser machen und mehr soziale Gerechtigkeit
schaffen. Ich darf Ihnen die Zahlen vorlesen: 1999 stieg
die Zahl derjenigen, die wegen Pflegebedürftigkeit wie-
der auf ergänzende Hilfen des Sozialamtes angewiesen
waren, auf 247 000 und im Jahr 2000 – das ist die letzte
mir vorliegende Zahl – bereits auf 261 000. Lägen mir die
Zahlen für 2001 und 2002 vor, würde deutlich, dass schon
wieder mehr als 300 000 Menschen wegen zu geringer ei-
gener Leistungen auf ergänzende Leistungen des Sozial-
amtes angewiesen sind. Das ist ein Menetekel für Ihre Po-
litik.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Aber das ist nicht alles. Hinzu kommt, dass die Heime
häufig nicht in der Lage waren, die Leistungen so anzu-
passen, wie es der gestiegenen Kosten wegen eigentlich
notwendig wäre. Als Konsequenz mussten die Heime bei
der Personalausstattung sparen. Mir liegen auch hierzu
Zahlen vor. Danach hat sich die personelle Ausstattung
der Pflegeheime in den vergangenen Jahren kaum verbes-
sert und ist in vielen Fällen deutlich zurückgegangen.


(Dr. Karl-Heinz Hornhues [CDU/CSU]: Hört! Hört!)


Mittlerweile liegen auch einige Studien zur Personal-
bemessung vor. Ich darf auf ein besonders wichtiges Ver-
fahren aufmerksam machen. Fast alle diese Studien haben
ergeben, dass die Personalausstattung in den Heimen um
fast 20 Prozent unter dem liegt, was eigentlich notwendig
wäre. Frau Kollegin, Herr Kollege Schmidbauer, eine
Studie zum Verfahren PLAISIR hat ergeben, dass zum
Beispiel in den Einrichtungen der Arbeiterwohlfahrt die
personelle Ausstattung sogar um mehr als 20 Prozent hin-
ter dem herhinkt, was eigentlich erforderlich wäre.


(Dr. Karl-Heinz Hornhues [CDU/CSU]: Das darf doch nicht wahr sein!)


Bei den Untersuchungen in Schleswig-Holstein sind
ebenfalls solche Ergebnisse zutage getreten.


(Dr. Karl-Heinz Hornhues [CDU/CSU]: Wer regiert denn da eigentlich?)


Wir hatten vor kurzem die Gelegenheit, uns das
Verfahren in Quebec anzuschauen. Wir waren alle der
Überzeugung, dass es sich um gute Methoden handelt.
PLAISIR ist sogar in einem Gesetzentwurf aufgeführt.


(Zuruf von der CDU/CSU: Was heißt das eigentlich?)


– Das ist eine Abkürzung für ein Verfahren, das nichts an-
deres beinhaltet, als dass gefragt wird: Was ist eigentlich
nötig? Man fragt also nicht: Welche Personalausstattung
haben die Heime? Vielmehr geht es darum: Was müsste




Ulf Fink

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(D)



(A)



(B)


eigentlich vorhanden sein, damit die Menschen ordentlich
versorgt werden? Danach liegen wir in fast allen Berei-
chen weit unterhalb der für die Sicherstellung einer or-
dentlichen Versorgung notwendigen Zahlen.

Wir schlagen ja eine Sofortmaßnahme vor. Es ist er-
kennbar, dass wir gern mehr getan und die Leistungen um
mehr als 5 Prozent erhöht hätten. Wir hätten auch gern für
den ambulanten Sektor noch etwas getan. Trotzdem müssen
wir uns jetzt darauf konzentrieren, die dringendsten Miss-
stände in der finanziellen Ausstattung der Heime zu lindern.

Es hilft nichts, dass Sie auf der einen Seite die man-
gelnde Qualität in den Pflegeheimen beklagen, aber auf
der anderen Seite ein Pflege-Qualitätssicherungsgesetz
verabschieden, das nur zum Inhalt hat, dass die Pflegen-
den zusätzlich zu den ohnehin großen Belastungen ihre
Zeit noch darauf verwenden müssen, Tausende von For-
mularen auszufüllen. Pflegequalität kann man nicht in die
Heime hineinprüfen, sondern man muss die Vorausset-
zungen dafür schaffen, dass die Menschen in den Heimen
gut gepflegt werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423027700
Nun erteile ich der
Kollegin Marga Elser für die SPD-Fraktion das Wort.


Marga Elser (SPD):
Rede ID: ID1423027800
Sehr geehrte Frau Präsidentin!
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ihr Antrag, sehr
geehrter Herr Fink und sehr geehrte CDU/CSU-Fraktion,
ist wortwörtlich von einem Antrag Bayerns für den Bun-
desrat abgeschrieben.


(Horst Schmidbauer [Nürnberg] [SPD]: Hört! Hört! – Ulf Fink [CDU/CSU]: Was gut ist, ist gut!)


Der bayerische Antrag ist bereits im Bundesrat abgelehnt
worden.


(Ulf Fink [CDU/CSU]: Schlimm genug! – Dr. Karl-Heinz Hornhues [CDU/CSU]: Darauf sind Sie auch noch stolz!)


Ihrem Antrag wird es sicherlich heute auch so ergehen.
Ich halte es schon für merkwürdig, wenn Sie in diesem
Antrag beispielsweise auf die Ökosteuer und anderes
– ich möchte gar nicht darauf eingehen – verweisen.

Ich meine, unsere Regierungskoalition hat in dieser
Legislaturperiode viel für die Pflege getan.


(Dr. Karl-Heinz Hornhues [CDU/CSU]: Was? Gnädige Frau, wo haben Sie denn das gehört?)


Aus dem Wissen heraus, dass wir für die Pflege älterer
Menschen mehr tun müssen, dass wir politische Rahmen-
bedingungen für eine hochwertige, menschenwürdige
Pflege schaffen müssen, haben wir drei Gesetzesvorhaben
angestoßen und zum Abschluss gebracht. Mit dem Pflege-
Qualitätssicherungsgesetz setzen wir verstärkte Kontrol-
len und die Einführung eines Qualitätsmanagements in
den Heimen und den Pflegediensten durch. Damit lösen
wir einen Qualitätsschub aus.


(Ulf Fink [CDU/CSU]: Mehr Geld wäre besser gewesen!)


Es ist in dem Pflege-Qualitätssicherungsgesetz auch
etwas über die Instrumentarien für eine ausreichende Per-
sonalausstattung zu lesen. Es wird verlangt, dass landes-
weite Personalbedarfsermittlungsverfahren oder landes-
weite Personalrichtwerte Teil der Rahmenverträge über
die pflegerische Versorgung werden. Außerdem ist vorge-
sehen, dass sich die Vertragspartner künftig über die Per-
sonalausstattung eines jeden Pflegeheims einigen müs-
sen. Voraussetzung für den Betrieb eines Heimes ist, dass
der Träger sicherstellt, dass die Zahl der Beschäftigten so-
wie ihre persönliche und fachliche Eignung für die von ih-
nen zu leistende Tätigkeit ausreichen. Ob und inwieweit
dies der Fall ist, wird von den Heimaufsichtsbehörden ge-
prüft werden. Jetzt kommt das PLAISIR ins Spiel. Es wird
im Mai eine Sitzung geben. Wir möchten das einführen.

Unsere Novelle des Heimgesetzes stärkt die Bedürfti-
gen in ihren Rechten. Sie erhalten mehr Mitbestim-
mungsrechte in den Heimbeiräten.

Im November letzten Jahres haben wir das Pflegeleis-
tungs-Ergänzungsgesetz beschlossen. Damit haben wir
nach der Verbesserung der stationären Pflege auch Entlas-
tungen für die häusliche Pflege von Demenzkranken auf
den Weg gebracht.


(Ulf Fink [CDU/CSU]: 2,50 DM!)

– Herr Fink, man muss ja einmal anfangen.


(Ulf Fink [CDU/CSU]: Aber für 2,50 DM bekommt man wirklich nichts!)


Wenn wir heute darüber reden, wie schwierig es ist,
Personal für die Pflege in ausreichender Zahl zu finden,
dann kann es aber nicht nur darum gehen, welche Rah-
menentscheidungen die Politik trifft. Ich halte es für ganz
wichtig, dass sich auch die Träger von Heimen und Pfle-
gestationen für den Pflegeberuf einsetzen und ihn attrak-
tiver machen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Pflegeberufe werden in unserer älter werdenden Ge-
sellschaft immer wichtiger. Der Personalbedarf wird in
den kommenden Jahren – ich denke, darüber gibt es keine
Meinungsverschiedenheiten, Herr Fink – weiter steigen.
Dabei kommt den Trägern die wichtige Aufgabe zu, junge
Menschen für diesen Beruf zu gewinnen. Dass wir von
politischer Seite her die Rahmenbedingungen erheblich
verbessert haben, ist dabei eine wichtige Unterstützung.


(Ulf Fink [CDU/CSU]: Das stimmt nur nicht!)

Auch in der Frage des Personals – ich bitte Sie, genau

zuzuhören – waren wir nicht untätig. Die Bundesregie-
rung will die Pflegeausbildung bundeseinheitlich gesetz-
lich regeln. Aber blockiert wird dieses Vorhaben derzeit
durch die bayerische Landesregierung. Diese hat das Bun-
desverfassungsgericht angerufen.


(Ulf Fink [CDU/CSU]: Sie weiß schon, warum!)


Wir könnten ohne diese Kompetenzrangeleien heute
schon sehr viel weiter sein.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)





Ulf Fink
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(C)



(D)



(A)



(B)


Ich habe bei meinen Heimbesuchen immer wieder den
Eindruck gewonnen, dass manche Träger von Pflegehei-
men ihrem Personal die Auffassung vermitteln, dass alle,
die in den Pflegeheimen arbeiten dürfen, froh sein müs-
sen. Das, was in anderen Berufen gang und gäbe ist, näm-
lich dass man für den eigenen Beruf wirbt und dass man
den Berufseinsteigern klar macht, in welchem schönen
und erfolgreichen Beruf sie sich ausbilden lassen, gibt es
in den Pflegeberufen nur ganz selten. Wir brauchen aber
offensive Maßnahmen, zum einen um Pflegekräfte zu ge-
winnen und zum anderen um sie – ich denke, das ist noch
wichtiger – an ihren Beruf zu binden. Die in der Pflege
Tätigen sind täglich starken Belastungen ausgesetzt. Man
darf sie deshalb nicht alleine lassen. Die Träger sollten
beispielsweise Instrumente wie die Supervision nutzen,
um Probleme und Belastungen offen ansprechen zu kön-
nen. Das verbessert das Arbeitsklima und stärkt die Moti-
vation unter den Mitarbeitern.

Auch das Zuwanderungsgesetz, dem Sie ebenfalls
Ihre Zustimmung versagt haben, dient dazu, hoch qualifi-
zierte Arbeitskräfte für Arbeitsplätze zu gewinnen, die
trotz Arbeitslosigkeit im Inland nicht besetzt werden kön-
nen. Die CDU-regierten Länder wollen auf der einen Seite
ausländische Pflegekräfte anwerben, haben aber auf der
anderen Seite das Zuwanderungsgesetz abgelehnt. Ich
weiß nicht, wie das zusammenpasst. Für mich passt es
nicht zusammen.

Was die nicht ausgebildeten Pflegekräfte anbelangt:
Auch hier haben wir eine pragmatische Lösung auf den
Weg gebracht. Gerade für die Familien, die Angehörige zu
Hause pflegen, soll weiterhin eine bezahlbare Entlastung
gesichert werden.

Auch der Bundespflegeausschuss zur Fortentwicklung
der Pflegeversicherung hat unter anderem die Themen
„Personalausstattung“ und „Qualität in der Pflege“ auf
der Tagesordnung. Von diesen Erörterungen erhoffen wir
uns weitere Anregungen für künftige Maßnahmen und
Initiativen aller, die am Pflegegeschehen beteiligt sind.

Auch der Schlussbericht der Enquete-Kommission
„Demographischer Wandel“, der uns seit kurzem vorliegt,
macht mit seinen Überlegungen zur Personalentwicklung
und zur Personalgewinnung deutlich, dass in naher Zu-
kunft große Herausforderungen auf diesem Gebiet auf uns
zukommen werden. Mit unserer bisherigen Politik sind
wir auf dem richtigen Weg, um Lösungen für unsere Ge-
sellschaft zu finden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423027900
Jetzt hat der Kollege
Detlef Parr für die FDP-Fraktion das Wort.


Detlef Parr (FDP):
Rede ID: ID1423028000
Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Es ist der Wunsch vieler Menschen, in Würde zu
Hause zu sterben, in der vertrauten Umgebung, die ein Le-
ben lang Geborgenheit bedeutet hat, und nicht in einer Ein-
richtung. Aus diesem Grund begrüßt die FDP den Gesetz-
entwurf des Bundesrates, und zwar insbesondere deshalb,
weil er den größten Fehler der Regelung, die die rot-grüne
Koalition im Zuge des Pflegeleistungs-Ergänzungsgeset-

zes beschlossen hat, vermeidet, nämlich einen zu starken
Anspruch an eine Professionalisierung der Helfenden.

Gerade das kann nicht im Sinne der Sache sein. Ster-
bebegleitung ist von der Idee der ehrenamtlichen Hilfe
sehr stark geprägt. Dass die Helfer Unterstützungsange-
bote brauchen, um einen Sterbenden kompetent zu be-
gleiten und um besser damit umgehen zu können, wenn
ein Mensch stirbt, ist eine Selbstverständlichkeit. Aber
das möge doch bitte nicht als Pflicht oder als Zwang ge-
schehen, sondern als Angebot.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Gesetzentwürfe müssen gerade im Gesundheitsbereich
solide finanziert sein. Wir wissen um die Finanzprobleme.
Wenn die CDU/CSU hier vorschlägt, dass ab dem
1. Juli 2002 die GKV die Kosten für die medizinische
Behandlungspflege übernimmt – das ist im Gesetz bisher
erst ab dem 1. Januar 2005 vorgesehen –, dann erfüllt die-
ser Vorschlag gerade diese Bedingung nicht. Die gesetzli-
che Krankenversicherung soll hiermit noch schneller in
die Pflicht genommen werden. Es wäre wohl sachgerech-
ter gewesen, die Behandlungspflege auf Dauer bei der
Pflegeversicherung zu belassen. Pflege und Behand-
lungspflege in den Heimen gehen stark ineinander über.
Durch den Gesetzentwurf der CDU/CSU würde eine
künstliche Schnittstelle geschaffen, die zu Problemen
zwischen GKV und gesetzlicher Pflegeversicherung und
damit zu Versorgungsproblemen führen kann.


(Beifall bei der FDP)

Zudem: Hat nicht auch die Union noch vor kurzem die

Verschiebebahnhöfe hinsichtlich der sozialen Siche-
rungszweige vehement verdammt? Mit diesem Gesetz-
entwurf will sie jetzt die Begrenzung aufheben, dass die
Pflegekassen nicht mehr als durchschnittlich 15 339 Euro
pro Jahr je Pflegebedürftigen ausgeben dürfen. Nicht
mehr als 5 Prozent der Pflegebedürftigen der Stufe III dür-
fen als Härtefälle eingestuft werden. Die Pflegekassen
sollen verpflichtet werden, bis Ende 2004 je Pflege-
bedürftigen der Stufen II und III 102 Euro monatlich an
die jeweilige Pflegeeinrichtung zu zahlen. Zusätzliches
Personal soll eingestellt werden.

Die Mehrkosten sollen aus den Rückstellungen finan-
ziert werden. Das ist angesichts der großen Probleme, die
aufgrund unserer älter werdenden Bevölkerung auf die
Pflegeversicherung zukommen, Beispiel Demenzerkran-
kungen, nicht zu verantworten.


(Beifall bei der FDP)

Die sozialpolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfrak-
tion der letzten Legislaturperiode, Gisela Babel, hatte
schon Recht: Reserven bei gesetzlichen Sicherungssys-
temen, auf die der Gesetzgeber Zugriff hat, sind vor Über-
griffen nicht geschützt. Sie dürfen deshalb innerhalb die-
ses Systems eigentlich gar nicht erst entstehen. Wenn
Vorsorge getroffen wird, liebe Freunde, dann nur in einer
privaten Absicherung als ergänzender Säule zur Pflege-
versicherung.


(Beifall bei der FDP – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Über „liebe Freunde“ wollen wir hier nicht reden!)





Marga Elser

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(C)



(D)



(A)



(B)


Einer Forderung der FDP entspricht dagegen die ge-
plante Einrichtung einer Schiedsstelle zur Schlichtung
von Streitigkeiten im Rahmen der häuslichen Kranken-
pflege über die Einzelheiten der Versorgung, die Preise
der Leistungen und ihre Abrechnung. Zu häufig beobach-
ten wir, dass der Anreiz für eine vernünftige Einigung auf-
seiten der Kostenträger eher begrenzt ist, weil eine Nicht-
einigung ihnen Vorteile bringt. Ein Schlichtungsgremium
ist deshalb notwendig und sollte so schnell wie möglich
eingerichtet werden.

Vor dem Hintergrund der jüngsten Gesetzgebung in un-
serem Nachbarland, den Niederlanden, die Autonomie am
Lebensende betreffend, und der damit verbundenen Dis-
kussion auch bei uns haben wir immer wieder betont, dass
der Förderung der Palliativmedizin und der ambulanten
Hospizarbeit eine besondere Bedeutung zukommt. Des-
halb stimmen wir dem Bundesratsentwurf gerne zu.

Der Gesetzentwurf der Union bedarf dagegen noch ei-
ner eingehenden Diskussion im Gesundheitsausschuss
und neuer Überlegungen. Dazu werden wir gern unseren
Beitrag leisten.


(Beifall bei der FDP)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423028100
Das Wort hat jetzt die
Kollegin Katrin Göring-Eckardt für das Bündnis 90/Die
Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

legen! Herr Parr, Sie sind auf den Gesetzentwurf zur
ambulanten Hospizarbeit eingegangen. Was die Inhalte
angeht, stimmen wir insoweit überein, als auch wir als
Regierungskoalition der Meinung sind, dass steriles Ster-
ben, das heute noch allzu oft Alltag und Normalfall in un-
serer Gesellschaft ist, nicht mehr die Norm sein soll. Des-
wegen haben wir schon ein entsprechendes Gesetz
beschlossen, das bereits in Kraft getreten ist. Ein Tod in
technischer Atmosphäre, ein anonymer Tod, ein Tod in
einem klinischen Umfeld ist nicht das, was wir unseren
Angehörigen, Freunden, Bekannten und uns selbst wün-
schen. Deswegen ist die ambulante Hospizarbeit so wich-
tig.

Deswegen bin ich auch froh darüber, dass wir mit dem
Pflegeleistungs-Ergänzungsgesetz seit dem 1. Januar die
ambulante Hospizarbeit verbessert haben. Die Vorausset-
zungen dafür, die Möglichkeiten, zu Hause zu sterben, zu
fördern und die Angehörigen und Pflegenden bei dieser
Aufgabe zu unterstützen, sind damit geschaffen worden.
Ich bin wirklich der Überzeugung, dass wir mit diesem
Gesetz bereits das Richtige getan haben.

Herr Fink, Sie haben noch einmal das alte Lied davon
gesungen, dass man Qualität nicht in die Heime hinein-
prüfen könne. Ich bin auf der einen Seite wirklich der
festen Überzeugung, dass die Frage der Qualität eine ganz
zentrale Frage ist und dass wir da nicht über bestimmte
Dinge hinwegsehen dürfen. Ich bin auf der anderen Seite
der festen Überzeugung, dass es in der Tat darum geht, die
Rechte derjenigen zu stärken, die sich als zu Pflegende in
diesen Heimen finden. Deswegen ist das, was wir im

Sinne von Mitbestimmung, im Sinne von Rechten der
Heimbewohnerinnen und Heimbewohner beschlossen
haben, ganz zentral. Diese Rechte können nur wahr-
genommen werden, wenn auch tatsächlich überprüft wer-
den kann und überprüft wird, wie die Situation in den Hei-
men tatsächlich ist. Solche Überprüfungen finden statt
und sie führen vor allem hinsichtlich des Managements
und der Managementplanungen auch tatsächlich zu einer
neuen Qualität.

Es ist zu einfach zu sagen, glaube ich, dass man nur das
Personal aufstocken muss. Ich stimme mit Ihnen zwar
darin überein, dass wir in vielen Bereichen tatsächlich zu
wenig Personal haben, aber vordringlich müssen die Fra-
gen geklärt werden, wie das Personal aufgestockt werden
soll und wie das Management verbessert werden soll. In-
sofern sind wir mit den Gesetzen zu den Qualitätsverbes-
serungen auf dem richtigen Weg.

Gemeinsam mit meiner Vorvorrednerin bedaure ich,
dass die Frage der Ausbildung in der Pflege nicht geklärt
werden konnte, weil sich das Land Bayern querstellt. Wir
brauchen in diesem für die Zukunft so wichtigen Beruf
tatsächlich einen Neuanfang. Dieser Neuanfang ist zurzeit
nicht möglich. Wenn wir das nicht sehr bald schaffen,
dann – davon bin ich ganz fest überzeugt – werden wir in
eine Situation hineinkommen, die sich niemand wün-
schen kann und die in der Tat bedrohlich ist.

Alles in allem, meine Damen und Herren: Wir sind in
der Pflege auf dem richtigen Weg. Wir sind noch nicht da,
wohin wir wollen, aber wir sind so weit gekommen, wie
es zurzeit vor dem Hintergrund der Finanzierungsfragen
und der Tatsache, dass sich andere quer stellen, möglich
ist.


(Abg. Ulf Fink [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Ich bin der Überzeugung, wir müssen hier in der Tat zu
weiteren Qualitätsverbesserungen kommen. Die Evalua-
tion findet jetzt statt. Darüber bin ich sehr froh.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423028200
Nun ist es für Herrn
Fink zu spät, noch eine Zwischenfrage zu stellen.

Jetzt erteile ich dem Kollegen Dr. Ilja Seifert das Wort.


Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1423028300
Frau Präsidentin! Meine lieben
Kolleginnen und Kollegen! Heute früh in der Kernzeit der
Debatte haben wir sehr ausführlich und teilweise sehr
emotional über Familienpolitik gesprochen. Der Wahl-
kampf ließ grüßen. Mir fällt dabei auf, dass überhaupt
niemand über Familien mit pflegenden Angehörigen
spricht. Ist das vielleicht im Wahlkampf kein Thema? In-
teressiert das etwa niemanden? Heute Abend sprechen wir
über zwei Gesetzentwürfe. Einer davon ist von Ihnen,
Herr Fink und liebe Kolleginnen und Kollegen von der
CDU/CSU, in dem es um die Pflege in Heimen geht und
wieder nicht um die pflegenden Angehörigen.




Detlef Parr
22900


(C)



(D)



(A)



(B)


Aber nun zur Sache: Im Kern schlagen Sie vor, den
Heimen bzw. Einrichtungen mehr Geld zu geben, um Per-
sonal einzustellen. Dagegen kann man im Prinzip nichts
sagen; denn nötig ist es allemal. Jedenfalls ist es viel nö-
tiger als das so genannte Pflege-Qualitätssicherungs-
gesetz, das nichts anderes ist als Bürokratisierung und
zusätzlicher Papierkram – wodurch die pflegefernen Be-
reiche gestärkt werden und nicht die pflegenahen – das
nicht am Menschen arbeitet, sondern am Papier.

Aber, Herr Fink, was Sie überhaupt nicht tun – das
kreide ich Ihnen auch heute wieder an –: Sie kritisieren die
Pflegeversicherung und sagen dazu nicht, dass sie von
Ihnen mit dem Geburtsfehler erfunden wurde, dass sie
nicht einmal einen Dynamisierungsfaktor beinhaltet,


(Dr. Karl-Heinz Hornhues [CDU/CSU]: Wir wollen es doch besser machen!)


geschweige denn, dass Sie das Dogma der Beitragsstabi-
lität auch nur antasten.

Sie wollen im Grunde genommen die geringen Über-
schüsse, die zurzeit noch da sind, auffressen. Deswegen
sagen Sie, dass Sie Ihr Vorhaben auf zwei Jahre befristen
und dann einmal sehen, wie es weitergeht. Wenn wir sa-
gen würden, dass wir diese zwei Jahre nutzen, um bis
dahin dieses Dogma zu durchbrechen und eine zukunfts-
sichere Lösung zu finden, die tatsächlich mehr qualifi-
ziertes Personal in die Einrichtungen bringt, dann wäre
ich auf Ihrer Seite. Darüber möchte ich einmal im Aus-
schuss diskutieren und vielleicht könnten wir dann am
Ende auch etwas Vernünftiges beschließen.

Aber nur zu sagen:„Wir leben von der Substanz“, ist
mir zu billig. Das reicht im Prinzip auch nicht aus, jeden-
falls nicht, wenn es eine Dauerlösung sein soll. Dies
ist nur eine Übergangslösung, die wir sofort umsetzen
könnten. Das ist notwendig, aber leider nicht der Fall. Die
Kuschel-Lösung wäre ganz gut umzusetzen.

Mehr und qualifiziertes Pflegepersonal brauchen wir
so bald als möglich. Das kann ich Ihnen nur sagen. Reden
Sie mit Ihren Kolleginnen und Kollegen von der CSU, da-
mit nun endlich diese unsägliche Blockierung in Form
des Altenpflegeausbildungsgesetzes verschwindet. Las-
sen Sie uns zu vernünftigen Lösungen kommen!

Leider reicht meine Zeit jetzt nicht mehr aus, ausführ-
lich über die Förderung der Hospizarbeit zu reden. Ich
habe zu einer anderen Zeit an diesem Ort schon ausführ-
lich darüber gesprochen. Die Betroffenenorganisationen
wissen, wie die PDS dazu steht. Wir werden den Gesetz-
entwurf des Bundesrates unterstützen; denn er geht in die
richtige Richtung. Das Geld muss dorthin, wo die ambu-
lante Pflege geleistet wird, und nicht in die Bürokratie.
Wir werden versuchen, in der Richtung dieses Vorschla-
ges weiterzukommen.

Danke schön für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423028400
Bei den Zwischenfra-
gen bin ich ein bisschen zögerlich, weil wir gemeinsam

vereinbart haben, nur kurze Debatten zu führen. Es ist am
besten, wenn sich alle daran halten.

Zum Abschluss hat jetzt der Kollege Horst
Schmidbauer das Wort. Danach bitte ich alle Geschäfts-
führer aufzupassen, weil wir dann einen Abstimmungsma-
rathon haben, bevor wir einen weiteren Punkt debattieren.


Horst Schmidbauer (SPD):
Rede ID: ID1423028500
Frau Präsi-
dentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass heute
schon wieder über Hospizarbeit in Deutschland geredet
wird, finde ich gut; denn wir können nicht dankbar genug
sein, dass wir die Hospizarbeit in Deutschland im Kern
verankert haben und dass sie einen festen Stand hat.

Wir können den 35 000 Frauen und Männern nicht oft
genug danken, die ehrenamtlich in der Hospizbewegung
tätig sind. Wir können auch nicht oft genug den 10 000
Profis, Frauen und Männern, danken, die als Ärzte oder
Pflegefachkräfte – teilweise im 24-Stunden-Dienst –
ihren Einsatz in der hauptamtlichen Hospizarbeit leisten.


(Beifall bei der SPD)

Aber heute noch einmal über die Förderung der ambu-

lanten Hospizarbeit durch die Krankenkassen zu beraten,
macht eigentlich keinen Sinn. Wir haben die Aufgabe, die
dringend anstand und auf deren Lösung wir stolz sind,
gelöst, indem wir endlich die ambulante Versorgung in
der Hospizarbeit durch Beitragsgelder sichergestellt ha-
ben. Dies haben wir bereits mit der Neufassung des § 39 a
des Sozialgesetzbuches V vor 22 Wochen geleistet.


(Beifall bei der SPD)

Heute können wir feststellen, dass wir mit unserer Lö-

sung richtig liegen. Wir haben von den Betroffenen der
Hospizbewegung die volle Anerkennung erhalten. Das
sollte man auch in diesem Hause endlich zur Kenntnis
nehmen. Wir haben für diesen neuen Weg auch bei den
Krankenkassen die volle Anerkennung und Akzeptanz
verzeichnen können und wir haben die Anerkennung bei
dem Gros der Bundesländer gefunden.

Man muss deutlich sagen: Bei der Lösung ging es nicht
um das Ob der Finanzierung der ambulanten Hospizarbeit
an sich, sondern es ging vor allem um das, was mit Kran-
kenkassenbeitragsgeldern finanziert werden soll.

Das, was die Hospizbewegung leisten soll, hat sie selbst
auf den Punkt gebracht. Gerda Graf, die Vorsitzende der
Bundesarbeitsgemeinschaft Hospiz, hat dazu bei der An-
hörung zu dem Gesetzentwurf des Bundesrates gesagt,

...dass es im Grunde genommen auch darum geht,
dass gerade die Ehrenamtler erfahren, dass sie quali-
fiziert begleitet und geführt werden, damit sie eben
nicht zu Lückenbüßern in der Gesellschaft werden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das ist ein ganz wichtiger Ansatz, wo wir auch in der
Hospizarbeit sagen: Es muss ein qualifiziertes Netz-
werk im Sinne einer palliativen Versorgung geben,
damit Ehrenamtliche so begleitet werden, dass sie
nicht selber zum hilflosen Helfer degradieren.




Dr. Ilja Seifert

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(C)



(D)



(A)



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Herr Kollege Parr, ich glaube, man sollte das einfach
einmal zur Kenntnis nehmen. Frau Graf hat nämlich
Recht.

Der zentrale Unterschied heißt also: Qualität und Qua-
lifikation. Über Qualität und Qualitätsanforderungspro-
file kann man nicht, auch nicht durch eine Bundesrats-
initiative, in Verhandlungen eintreten. Entweder man ist
dafür oder man ist nicht dafür.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Aber gerade dieses hohe Anforderungsprofil an Qua-

lität ist notwendig, damit die Ehrenamtler auch eine qua-
lifizierte Anleitung, Ausbildung und Unterstützung erhal-
ten können. Am Sonntag war ich Schirmherr beim
zehnjährigen Bestehen einer Hospizbewegung. Dort sag-
ten die Betroffenen, als sie vor 20 Jahren angefangen hät-
ten, habe man für die Ehrenamtlichen 20 Stunden Ausbil-
dung aufgewendet. Heute erhalten sie 250 Stunden
Ausbildung, und zwar durch höher qualifiziertes Perso-
nal; denn es ist klar geworden, dass man das den Men-
schen schuldig ist, die sich für das Ehrenamt zur Verfü-
gung stellen. Darüber kann man nicht verhandeln,
sondern man muss mit Blick auf das handeln, was die
Menschen benötigen und was notwendig ist.

Deshalb ist es konsequent, dass wir diese Fragen auch
im Gesetz verankert haben. Ich zitiere aus dem Pflegeleis-
tungs-Ergänzungsgesetz:

...dass der ambulante Hospitzdienst ...unter der fach-
lichen Verantwortung einer Krankenschwester, eines
Krankenpflegers oder einer anderen fachlich qualifi-
zierten Person steht, die über mehrjährige Erfahrung
in der palliativ-medizinischen Pflege oder über eine
entsprechende Weiterbildung verfügt und eine Wei-
terbildung als verantwortliche Pflegefachkraft oder
in Leitungsfunktionen nachweisen kann.

Ansonsten müssten wir die Frage stellen: Was hilft den
Ehrenamtlichen eine hauptamtliche Kraft, die keine Er-
fahrung in der Leitung von Menschen hat und die nicht
weiß, wovon sie spricht, wenn es um die Sterbebegleitung
und um die Bedeutung von palliativ-medizinischer Ver-
sorgung oder Palliativpflege geht?

Noch schlimmer: Wenn der hauptamtlichen Kraft diese
Qualifikationen und Kompetenzen fehlen, bleiben die
Ehrenamtlichen mit ihrer schwierigen Arbeit allein. Die
Folge ist, dass die Ehrenamtler dann niemanden mehr ha-
ben, auf den sie sich stützen können.

Es ist noch ein zweiter Punkt unbedingt zu beachten.
Ich zitiere noch einmal aus dem Gesetz:

Voraussetzung der Förderung ist außerdem, dass der
ambulante Hospizdienst... mit palliativ-medizinisch
erfahrenen Pflegediensten und Ärzten zusammenar-
beitet.

Aus dem bereits am 1. Januar 2002 in Kraft getretenen
Gesetz geht also ein weiteres Förderkriterium hervor: Vo-
raussetzung für eine Förderung ist, dass die ambulanten
Hospizdienste mit in der Palliativpflege erfahrenen Pfle-
gediensten zusammenarbeiten müssen, und das ist gut so.
Nur Palliativmedizin und Sterbebegleitung, in einer Ein-
heit zusammengefasst, verkörpern Hospizarbeit. Wer

Teile davon abtrennt, kann nicht mehr von einer sinnvol-
len Hospizarbeit sprechen. Palliativmedizin und Sterbe-
begleitung müssen unabdingbar als eine Einheit betrach-
tet werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Bis zuletzt würdig zu leben beinhaltet eine qualifizierte
ambulante Versorgungsstruktur für Schwerkranke und
Sterbende, um möglichst vielen Menschen ein Sterben zu
Hause zu ermöglichen. Der Wunsch von 80 Prozent der
Menschen in Deutschland, zu Hause in ihrer familiären
Umgebung ihre letzten Tage verbringen zu können, ist lei-
der nicht bestimmend. Die Wirklichkeit sieht nämlich an-
ders aus: Nur 5 Prozent sterben tatsächlich zu Hause;
4 Prozent sterben in Hospizen oder Palliativstationen.

Bis zuletzt würdig zu leben bedeutet aber vor allem: ein
schmerzfreies Leben bis zuletzt. Ein schmerzfreies Leben
in dieser letzten Lebensphase ist aber nicht ohne Palliativ-
pflege und Palliativmedizin zu erreichen. Ohne das Muss
zur Zusammenarbeit zwischen palliativ-medizinisch er-
fahrenen Pflegediensten und Ärzten ist das Ziel, bis zu-
letzt würdig zu leben, nicht zu erreichen.

Es ist nachvollziehbar und nicht überraschend, wenn
wir sagen: Qualität muss sein. Deshalb muss die Qualität,
die beschlossen worden ist, durchgesetzt werden. Sie wer-
den daher nicht überrascht sein, wenn wir dem Gesetz-
entwurf des Bundesrates, der hinter unseren Vorstellun-
gen geblieben ist, heute nicht zustimmen werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423028600
Ich schließe die Aus-
sprache.

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwur-
fes auf Drucksache 14/8364 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Damit sind Sie
einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Tagesordnungspunkt 11 b: Abstimmung über den vom
Bundesrat eingebrachten Gesetzentwurf zur Förderung
der ambulanten Hospizarbeit auf Drucksache 14/6754.
Der Ausschuss für Gesundheit empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 14/8518, den Gesetz-
entwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz-
entwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Die
Gegenprobe! – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung
abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung
die dritte Beratung.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Iris Gleicke, Dr. Hans-Peter Bartels, Anni
Brandt-Elsweier, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion der SPD sowie den Abgeordneten Albert
Schmidt (Hitzhofen), Franziska Eichstädt-Bohlig,
Helmut Wilhelm (Amberg), weiteren Abgeordne-
ten und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Personenbeförderungsgeset-
zes (PbefG)





Horst Schmidbauer (Nürnberg)

22902


(C)



(D)



(A)



(B)


– Drucksache 14/6434 –

(Erste Beratung 179. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

(15. Ausschuss)

– Drucksache 14/8354 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Peter Letzgus

Ich eröffne die Aussprache. Mir ist mitgeteilt worden,
dass alle Reden zu Protokoll gegangen seien.1) Da für
mehrere Tagesordnungspunkte die Reden zu Protokoll ge-
geben wurden, sind Sie sicherlich damit einverstanden,
dass ich die entsprechenden Namen nicht alle nenne. Sie
erscheinen mit den Reden im Protokoll. – Damit sind Sie
einverstanden.

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstim-
mung über den von den Fraktionen der SPD und des
Bündnisses 90/Die Grünen eingebrachten Gesetzentwurf
zur Änderung des Personenbeförderungsgesetzes, Druck-
sachen 14/6434 und 14/8354. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist bei Enthaltung
der CDU/CSU in zweiter Beratung angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf
ist bei Enthaltung der CDU/CSU angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 13 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Andreas
Schmidt (Mülheim), Dr. Wolfgang Bötsch,
Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof), weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion der CDU/CSU Untätigkeit
der Bundesregierung gegenüber der Euro-
päischen Kommission im Hinblick auf den Ab-
schluss des Hauptprüfverfahrens in Sachen
Investitionsbeihilfen für Leuna/Minol
– Drucksache 14/8283 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Haushaltsausschuss

Ich öffne die Aussprache. Auch hier sind alle Reden zu
Protokoll gegeben worden, sodass ich die Aussprache
schließe.2)

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/8283 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Auch damit sind Sie
einverstanden? – Dann ist die Überweisung so beschlos-
sen.

Nun rufe ich Tagesordnungspunkt 14 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Woh-
nungswesen (15. Ausschuss)

– zu dem Antrag der Abgeordneten Heide

Mattischeck, Reinhard Weis (Stendal), Hans-
Günter Bruckmann, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten
Winfried Hermann, Marieluise Beck (Bremen),
Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und
der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
NEN
Fahr Rad – für ein fahrradfreundliches
Deutschland

– zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang
Börnsen (Bönstrup), Dirk Fischer (Hamburg),
Eduard Oswald, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
Für ein fahrradfreundliches Deutschland

– zu der Unterrichtung durch die Bundesregie-
rung
Bericht der Bundesregierung über Maßnah-
men zur Förderung des Radverkehrs

– Drucksachen 14/6441, 14/3773, 14/3445,
14/8431 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Heide Mattischeck
Wolfgang Börnsen (Bönstrup)

Albert Schmidt (Hitzhofen)

Hans-Michael Goldmann
Dr. Winfried Wolf

Ich eröffne die Aussprache. Auch hier sind alle Reden
zu Protokoll gegeben worden.3)


(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Schade!)


Deswegen schließe ich die Aussprache, was ich sehr be-
dauere.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen auf Drucksa-
che 14/8431. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner
Beschlussempfehlung die Annahme des Antrages der
Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
auf Drucksache 14/6441 mit dem Titel „Fahr Rad – für ein
fahrradfreundliches Deutschland“.


(Beifall des Abg. Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Die Beschlussempfehlung ist gegen
die Stimmen von CDU/CSU angenommen.

Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der
Ausschuss die Ablehnung des Antrages der Fraktion der
CDU/CSU auf Drucksache 14/3773 mit dem Titel „Für




Vizepräsidentin Anke Fuchs

22903


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 6
2) Anlage 7 3) Anlage 8

ein fahrradfreundliches Deutschland“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP ist die Be-
schlussempfehlung angenommen.

Schließlich empfiehlt der Ausschuss für Verkehr, Bau-
und Wohnungswesen unter Nr. 3 seiner Beschlussemp-
fehlung, in Kenntnis des „Berichts der Bundesregierung
über Maßnahmen zur Förderung des Radverkehrs“ auf
Drucksache 14/3445 eine Entschließung anzunehmen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –Wer ist da-
gegen? – Diese Beschlussempfehlung ist einstimmig an-
genommen.

Nun rufe ich Tagesordnungspunkt 15 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für die Angelegenheiten
der Europäischen Union (22. Ausschuss) zu dem
Antrag der Abgeordneten Peter Hintze, Klaus
Hofbauer, Arnold Vaatz, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der CDU/CSU
Förderung der Grenzregionen zu den Beitritts-
ländern
– Drucksachen 14/6638, 14/7970 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Winfried Mante
Markus Meckel
Peter Hintze
Michael Stübgen
Klaus Hofbauer
Christian Sterzing
Ernst Burgbacher
Manfred Müller (Berlin)


Auch hier eröffne ich die Aussprache und stelle fest,
dass alle Reden zu Protokoll gegeben worden sind.1) Ich
schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für die Angelegenheiten der Europäischen Union auf
Drucksache 14/7970 zu dem Antrag der Fraktion der
CDU/CSU mit dem Titel „Förderung der Grenzregionen
zu den Beitrittsländern“. Der Ausschuss empfiehlt, den
Antrag auf Drucksache 14/6638 abzulehnen. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Gegen
die Stimmen von CDU/CSU und FDP ist die Beschluss-
empfehlung angenommen.

Nun rufe ich Tagesordnungspunkt 16 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesse-
rung der Bekämpfung der Geldwäsche und der
Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus

(Geldwäschebekämpfungsgesetz)

– Drucksache 14/8739 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Gesundheit

Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

Auch hier eröffne ich die Aussprache und stelle fest,
dass alle Reden zu Protokoll gegeben worden sind.2) Des-
wegen schließe ich die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwur-
fes auf Drucksache 14/8739 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Dazu gibt es
keine weiteren Vorschläge. Sie sind einverstanden? –
Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Nun rufe ich die Tagesordnungspunkte 17 a und 17 b
auf:

a) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrach-
ten Entwurfs eines Gesetzes über die Finanzie-
rung der Sanierung von Rüstungsaltlasten in der
Bundesrepublik Deutschland
Rüstungsaltlastenfinanzierungsgesetz – Rüst-
AltFG
– Drucksache 14/7464 –
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss (f)

Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Rolf
Kutzmutz, Petra Bläss, Maritta Böttcher, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Sofortmaßnahmen des Bundes bei der Rüs-
tungskonversion einleiten
– Drucksache 14/8657 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Haushaltsausschuss

Auch hier eröffne ich die Aussprache und stelle fest,
dass alle Reden zu Protokoll gegeben worden sind.3) Ich
schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 14/7464 und 14/8657 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Da-
mit sind Sie einverstanden? – Das sehe ich. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.

Nun rufe ich Tagesordnungspunkt 18 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker
Neumann (Bramsche), Heide Mattischeck, Rudolf
Bindig, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
SPD, der Abgeordneten Dr. Christian Schwarz-
Schilling, Hermann Gröhe, Hartmut Koschyk,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/
CSU, der Abgeordneten Christa Nickels, Kerstin
Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie




Vizepräsidentin Anke Fuchs
22904


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 9
2) Anlage 10
3) Anlage 11

der Abgeordneten Dr. Irmgard Schwaetzer,
Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP
Menschenrechte und Entwicklung in Tibet
– Drucksache 14/8782 –

Ich eröffne die Aussprache und stelle fest, dass alle Re-
den zu Protokoll gegeben worden sind.1) Ich schließe die
Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag
der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des Bündnis-
ses 90/Die Grünen und der FDP auf Drucksache 14/8782
mit dem Titel „Menschenrechte und Entwicklung in Ti-
bet“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Die Gegenprobe! –
Enthaltungen? – Bei Enthaltung der PDS ist dieser Antrag
angenommen.

Jetzt rufe ich Tagesordnungspunkt 20 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Maritta
Böttcher, Dr. Heinrich Fink, Ulla Jelpke, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Weltoffenheit als Chance für die Hochschulen
– Drucksache 14/7425 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung (f)

Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss

Ich eröffne die Aussprache. Auch hier sind alle Reden
zu Protokoll gegeben.2) Deswegen schließe ich die Aus-
sprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/7425 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Damit sind Sie ein-
verstanden. Dann ist so beschlossen.

Jetzt kommt noch ein Zusatzpunkt. Ich habe die Ta-
gesordnungspunkte getauscht, damit wir nicht auf eine zu
Protokoll gegebene Debatte zurückkommen müssen. So-
mit ist nun dieser Zusatzpunkt der letzte Punkt des heuti-
gen Tages.

Ich rufe Zusatzpunkt 9 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ver-
trag vom 18. Oktober 2001 zwischen der Bundes-
republik Deutschland und der Schweizerischen
Eidgenossenschaft über die Durchführung der
Flugverkehrskontrolle durch die Schweizerische
Eidgenossenschaft über deutschem Hoheitsgebiet
und über Auswirkungen des Betriebes des Flugha-
fens Zürich auf das Hoheitsgebiet der Bundesrepu-

(Gesetz zu dem deutsch-schweizerischen Vertrag vom 18. Oktober 2001)

– Drucksache 14/8731 –

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Debatte eine halbe Stunde vorgesehen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Parlamentarischen Staatssekretär Stephan Hilsberg.

S
Stephan Hilsberg (SPD):
Rede ID: ID1423028700
Sehr ge-
ehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Gegenstand der heutigen Abenddebatte ist der Einstieg in
das Ratifizierungsverfahren eines deutsch-schweizeri-
schen Staatsvertrages. Dieser zielt auf eine deutliche Ent-
lastung des süddeutschen Raumes – insbesondere von
Baden-Württemberg – von dem Fluglärm, der von dem
Hauptflughafen der Schweiz, nämlich dem Flughafen
Zürich, ausgeht. Dabei spielen folgende Essentials eine
Rolle:

Erstens. Am Tag nach der Vertragsunterzeichnung
– das ist bereits jetzt – ist für die Nachtzeit von 22 bis
6 Uhr eine Nachtflugbeschränkung in Kraft getreten, die
insbesondere den Landkreis Waldshut entlastet. Landun-
gen auf den beiden Pisten 14 und 16 – dieser Flughafen
hat drei Pisten; die Pisten 14 und 16 befinden sich im We-
sentlichen in Nord-Süd-Richtung – dürfen über deut-
schem Gebiet nur abgewickelt werden, wenn es flug-
betrieblich und technisch unvermeidbar ist. Die anderen
Flüge über deutschem Gebiet haben in der Regel eine
Mindestflughöhe von circa 3 000 Metern über Normalnull
einzuhalten.

Zweitens. Ab dem 27. Oktober dieses Jahres treten für
Wochenenden und Feiertage für die Tagesrandstunden
von 6 bis 9 Uhr und von 20 bis 22 Uhr die gleichen Be-
schränkungen wie nachts in Kraft.

Drittens. Die Anzahl der Anflüge wird nach einer
Übergangszeit von 41 Monaten auf 100 000 pro Jahr be-
schränkt; diese Zahl bleibt dann konstant, unbeschadet ei-
ner wahrscheinlichen Zunahme des Gesamtluftverkehrs
am Standort Zürich.

Viertens. Mit der Festlegung eines Grenzabstandes für
die Abflüge und einer Mindesteinflughöhe von 3 000 Me-
ter über Normalnull in den deutschen Luftraum wird die
deutsche Bevölkerung vor dem wesentlich lauteren Ab-
fluglärm geschützt.

Fünftens. Mit der Verpflichtung der Schweiz, zusätz-
lich zu den Pisten 14 und 16 Präzisionsanflugverfahren
auf andere Pisten und Anflugverfahren mit Warteverfah-
ren über schweizerischem Gebiet einzurichten und ent-
sprechend zu nutzen, wird erneut ein erheblicher Teil der
aus dem Anflugverkehr resultierenden Umweltbelastung
auf Schweizer Gebiet verlagert werden.

Insgesamt, meinen wir, sind dies wesentliche Punkte,
die den süddeutschen Luftraum deutlich zulasten der
Schweiz entlasten. Gegenüber der alten Regelung von
1984, die die Benutzung des deutschen Luftraumes bis
zum Mai 2001 geregelt hat, sind weit gehende Verbesse-
rungen erreicht worden. Zum Beispiel enthielt die alte
Vereinbarung keinerlei Nachtflugbeschränkungen. Die




Vizepräsidentin Anke Fuchs

22905


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 12
2) Anlage 13

Zahl der Überflüge in den Höhen unter 3000 Metern über
Normalnull war eben nicht begrenzt. Vor dem Abschluss der
Vereinbarungen sind 154000 Flüge unter 3000 Metern über
Normalnull abgewickelt worden. Das ist deutlich mehr als
das, was jetzt im Vertrag als Zielvorgabe geregelt ist. Für die
Abflüge nach Norden bestanden überhaupt kaum Ein-
schränkungen. Die wenigen Beschränkungen, die die Ver-
einbarung enthielt, wurden zudem von der Schweiz kaum
eingehalten.

Die alte Bundesregierung kannte das Problem. Sie hat
sich damit nicht beschäftigt. Protestbriefe sind keine po-
litischen Maßnahmen. Die Landesregierung von Baden-
Württemberg hat dabei mitgespielt, weil sie offenbar be-
fürchtete, sonst auch für den Landesflughafen Stuttgart
mit gleichen Forderungen nach Beschränkung des Flug-
betriebs konfrontiert zu werden.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423028800
Herr Staatssekretär,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Hornhues?

S
Stephan Hilsberg (SPD):
Rede ID: ID1423028900
Ja.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423029000
Bitte sehr, Herr Kol-
lege.


Dr. Karl-Heinz Hornhues (CDU):
Rede ID: ID1423029100
Herr Kollege,
Sie haben uns ja geschildert, wie sehr wir entlastet und die
Schweizer belastet werden. Plant die Bundesregierung,
auch dafür zu sorgen, dass künftig weniger deutsche
Staatsbürger ab Zürich fliegen, damit vielleicht auch die
Schweizer durch die Deutschen entlastet werden können?

S
Stephan Hilsberg (SPD):
Rede ID: ID1423029200
Sehr ge-
ehrter Herr Kollege, es wird weiterhin den deutschen
Staatsbürgern überlassen bleiben, zu entscheiden, von
und zu welchem Flughafen sie fliegen. Das betrifft auch
den Flughafen Zürich.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sehr gut!)


Lassen Sie mich fortfahren: Wir wissen, dass sich die
süddeutsche Bevölkerung noch mehr erhofft hatte, doch in
einem Kompromissverfahren bekommt man nie 100 Pro-
zent dessen, was man gerne hätte. Ich glaube, Sie stimmen
mir zu, dass eine gütliche und ausgewogene Lösung im-
mer besser ist als einseitige Maßnahmen.

Viele werden auf ein Schreiben des Schweizerischen
Bundesrats an das schweizerische Parlament verweisen,
mit dem dort das Vertragsgesetz zur Ratifizierung einge-
bracht worden ist. Dies spielt in der politischen Debatte
eine Rolle. Das Schreiben hat – das ist wichtig – auch den
politischen Zweck, dem schweizerischen Parlament die
Ratifizierung des Staatsvertrags nahe zu bringen; denn
– das ist unüberhörbar – es gibt in der Schweiz Stimmen,
die sagen, die Schweiz führe besser damit, wenn sie die-
sen Staatsvertrag nicht ratifizierte.

Wir meinen schon, dass das der Schweiz nicht gut
bekäme; denn dann sähen wir uns gezwungen, folgende
Maßnahmen durchzuführen: Zum einen würde die Flug-
sicherung sofort an uns zurückfallen, und zum anderen
entstünde sofort ein rechtsfreier Raum, den wir dann mit
einer eigenen Rechtsverordnung ausfüllen müssten, und
zwar ohne Rücksicht auf eventuelle Nachbarn im dortigen
Raum zu nehmen. Wir sind deshalb der Auffassung, dass
die Ratifizierung dieses Staatsvertrags auch für die
Schweiz die bessere Lösung ist.

In den vergangenen Monaten gab es den bedauerlichen
Absturz eines Flugzeugs der Crossair in Zürich. Danach
wurde der Vorwurf erhoben, der Staatsvertrag werde
schon in seiner Anfangsphase nicht eingehalten. Wir ha-
ben die Abwicklung des Verkehrs immer, insbesondere
nach diesem Absturz, sorgfältig beobachtet. Natürlich ge-
winnt man den Eindruck, dass Ausnahmeregelungen über
einen längeren Zeitraum zugegebenermaßen intensiv ge-
nutzt wurden. Das lag nicht nur an den infolge des Ab-
sturzes hoch gesetzten Wettermindestbedingungen für
Landungen auf die nachts zu nutzende Piste.

Wir werden der Schweiz gegenüber sehr deutlich wer-
den, wenn bei uns der Eindruck entstehen sollte, dass der
Vertrag nicht eingehalten wird. Ich verweise hier auf die
Konsequenzen eines gar nicht erst zustande gekommen
Vertrags. Diese stehen uns jederzeit zur Verfügung. Es
gibt genug Möglichkeiten, diesen Vertrag durchzusetzen.

Meine Damen und Herren, ich bitte Sie deshalb: Un-
terstützen Sie dieses Gesetz, damit die süddeutsche Be-
völkerung durch die Regelungen dieses Vertrags ge-
schützt wird und wieder Frieden in der Region einkehrt.
Diesen hat die Region und haben wir insgesamt nötig.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423029300
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Thomas Dörflinger für die CDU/CSU-
Fraktion.


Thomas Dörflinger (CDU):
Rede ID: ID1423029400
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen!


(Detlef Dzembritzki [SPD]: Sie können ruhig Schwyzerdütsch reden!)


– Ich fürchte, Sie würden das nicht verstehen, und wir
bräuchten noch einen Übersetzer, Herr Kollege.

Es lohnt die Überlegung, was passiert wäre, wenn die
Tagesordnung des heutigen Tages so abgewickelt worden
wäre, wie sie ausgedruckt war, und die Kolleginnen und
Kollegen vor uns Ihre Reden nicht zu Protokoll gegeben
hätten. Dann hätten wir diese Debatte entweder um
2.30 Uhr morgens geführt oder aber die Reden zu Proto-
koll gegeben.

Ich frage, Herr Staatssekretär, nachdem diese Debatte
auf ausdrücklichen Wunsch der CDU/CSU-Bundestags-
fraktion heute in erster Lesung stattfindet: Warum sind Sie




Parl. Staatssekretär Stephan Hilsberg
22906


(C)



(D)



(A)



(B)


so öffentlichkeitsscheu bei einem Staatsvertrag,

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Damit hat der Staatssekretär nichts zu tun! Das hat er nicht zu verantworten!)


der der süddeutschen Bevölkerung bezüglich der Belas-
tungen durch den Luftverkehr geradezu paradiesische Zu-
stände zu versprechen scheint?

Es gibt Gründe, die ich ausführen werde. Zur Vorge-
schichte will ich eine Bemerkung machen: Es war richtig
und fand die ausdrückliche Unterstützung unserer Frak-
tion und meiner Kollegen im Deutschen Bundestag, die in
ihren Wahlkreisen ebenso betroffen sind – das sind die
Kollegin Störr-Ritter, der Kollege Belle aus dem Schwarz-
wald-Baar-Kreis und die Kollegen Kauder und Repnik –,
dass die Bundesregierung die Vereinbarung von 1984
gekündigt hat. Es fand auch unsere Unterstützung, dass die
Bundesregierung Verhandlungen mit der Schweiz aufge-
nommen hat, um die Fragen, die bekannt sind, in einem
Staatsvertrag zu regeln.

Wenn Sie aber die Botschaft nachlesen – im Sprachge-
brauch unserer Geschäftsordnung würden wir von einer
Beschlussempfehlung reden –, die der Schweizer Bun-
desrat an den Nationalrat gegeben hat, dann wird deutlich,
wo der Knackpunkt dieses Vertrags liegt. Der Beratungs-
verlauf teilt sich in zwei Phasen. In der ersten Phase stan-
den wir auf der Seite der Bundesregierung. Da wurde
nämlich glaubhaft der Eindruck vermittelt, der Vertrag
würde dazu dienen, die Belastungen künftig abzuschaffen
oder aber deutlich zu verringern.

In der zweiten Phase wurden die Verhandlungen auf
die ministerielle Ebene gehoben. Von diesem Punkt an
– dies ist nicht nur ausschließlich meine Meinung, son-
dern dies ist auch in der Botschaft des Bundesrates an die
Nationalrätinnen und Nationalräte nachzulesen – gestal-
tete sich der Beratungsprozess so, dass der Vertrag für die
Schweizer zustimmungsfähig wurde, weil nämlich die
deutsche Verhandlungsdelegation unter der Leitung von
Kurt Bodewig Zug um Zug die Positionen, die sie auch im
Landtagswahlkampf in Baden-Württemberg, also vor der
Landtagswahl, vertreten hat, verlassen hat. Dadurch
wurde der Vertrag für die Schweizer zustimmungsfähig.
Heute stellen Sie sich, Herr Staatssekretär, hierher und sa-
gen, dass nur das im Vertrag steht, was Sie ursprünglich
angekündigt haben. Das ist nachweislich nicht der Fall.

Es gibt acht zentrale Kritikpunkte zu diesem Staatsver-
trag; ich will sie im Einzelnen nennen. Der erste Punkt,
der auch zu einer Bundesratsinitiative des Landes Baden-
Württemberg geführt hat, betrifft die Frage der Verfas-
sungskonformitätmit Blick auf Art. 24 und Art. 87 d des
Grundgesetzes,


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ist sie von allen CDU-geführten Ländern unterstützt worden?)


und zwar hinsichtlich der Frage, ob es denn gestattet ist,
dass die Bundesregierung Hoheitsrechte an einen auslän-
dischen Staat respektive an ein ausländisches Unterneh-
men, in diesem Fall die Skyguide als privatrechtliche
Flugüberwachungsorganisation der Schweiz, überträgt.

Das Grundgesetz spricht von der Zulässigkeit der Über-
tragung an zwischenstaatliche Organisationen.

Ein Blick in den renommiertesten Grundgesetzkom-
mentar, den wir haben, von Maunz, Dürig, Roman Herzog
und Rupert Scholz, hätte genügt, um festzustellen, dass
die Grenzen einer Übertragung von Hoheitsrechten sehr
eng gezogen sind und dass diese Bestimmung in dem
Staatsvertrag zumindest am Rande der Verfassungs-
mäßigkeit steht. Ich hätte erwartet, dass man die Verfas-
sungskonformität dieses Vertrages klärt, bevor man ihn
dem Deutschen Bundestag zur Beschlussfassung vorlegt.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Was Sie gerade erzählt haben, ist alles Unsinn! – Gegenruf des Abg. Dr. Karl-Heinz Hornhues [CDU/ CSU]: Herr Kollege!)


Der zweite Punkt hängt damit zusammen: Es ist durch-
aus gebräuchlich, dass bei grenznahen Flughäfen der an-
grenzende Staat die Luftverkehrsüberwachung über-
nimmt. Dies ist zum Beispiel beim Flughafen Salzburg
und dem angrenzenden Gebiet in Bayern der Fall. Wenn
Sie sich aber einmal das Gebiet ansehen, das zukünftig
nicht von der Bundesrepublik Deutschland, sondern von
der Schweiz luftverkehrsüberwacht werden soll, werden
Sie feststellen, dass dieses Gebiet nicht nur halb Baden-
Württemberg, sondern auch einen Zipfel des Freistaates
Bayern umfasst. Dies geht weit über das hinaus, was ei-
gentlich notwendig wäre, um den Betrieb auf dem Flug-
hafen Zürich-Kloten zu regeln.


(Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Aber einer Annexion kommt das nicht gleich, da brauchen Sie keine Angst zu haben!)


Dritter Punkt: Sie haben selbst darauf hingewiesen,
welche mögliche martialische Reaktion die Bundesregie-
rung für den Fall plant, dass der Vertrag nicht eingehalten
wird. Der Fehler wurde schon einen Schritt vorher ge-
macht, Herr Staatssekretär. Wie nämlich soll bewiesen
werden, dass der Staatsvertrag nicht eingehalten worden
ist, wenn die Daten, die zur Überprüfung notwendig sind,
von einer der beiden Vertragsparteien bzw. einer nachge-
ordneten Organisation kommen? Wie wollen Sie in der
Gemeinsamen Luftverkehrskommission überprüfen, ob
die Schweiz diesen Staatsvertrag möglicherweise nicht
eingehalten hat, wenn die Daten von Skyguide geliefert
werden? Das ist schlichtweg nicht möglich.

Lassen Sie mich auf einen weiteren Punkt zu sprechen
kommen: Sehen Sie sich bitte einmal genau die Ausnah-
meregelungen in diesem Staatsvertrag an. Hierbei spre-
che ich einmal die Juristen unter den Kolleginnen und
Kollegen an. Ich habe noch keinen Vertrag gesehen, in
dem die Worte „und so weiter“ vorkommen. Selbst für
mich als Nichtjuristen erscheint diese Formulierung gänz-
lich unjuristisch. Juristen pflegen in der Regel sehr kon-
kret und explizit zu formulieren. In diesem Staatsvertrag
werden bestimmte meteorologische Erscheinungen wie
Nässe und hohe Temperaturen erwähnt. Danach findet
man die Worte „und so weiter“. Damit haben Sie eigent-
lich jede meteorologische Erscheinungsform abgedeckt,
die man sich vorstellen kann.




Thomas Dörflinger

22907


(C)



(D)



(A)



(B)


Einen zweiten Punkt bei den Ausnahmeregelungen ha-
ben Sie selbst angesprochen: Die Beschränkungen gelten
nur für Flüge unterhalb einer Flughöhe von Flugfläche
100. Ich erinnere in diesem Zusammenhang auch daran,
dass wir über ein Gebiet reden, das nicht nur in Baden-
Württemberg, sondern auch in der gesamten Bundesrepu-
blik Deutschland zu den bevorzugten Feriengebieten
gehört. Das gilt für den Hochrhein, für den Südschwarz-
wald und insbesondere für den Bodensee. Ich frage mich,
wie die Zukunft dieser Tourismusregionen aussieht, wenn
Sie einen solchen Staatsvertrag abschließen.


(Heinz Wiese [Ehingen] [CDU/CSU]: Eben! – Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Das ist für den Kreis Konstanz verhängnisvoll! – Gegenruf des Abg. Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie dramatisieren!)


Nächster Punkt. Herr Staatssekretär, Sie haben ver-
mutlich zur Kenntnis genommen, dass vor wenigen Ta-
gen ein Urteil des Verwaltungsgerichtshofs in Baden-
Württemberg über den Warteraum RILAX ergangen ist.
In Ihrem Staatsvertragsentwurf steht, dass Sie der
Schweiz zumindest in der nächsten Zeit das Recht zu-
billigen, Warteräume auf deutschem Gebiet einzurichten.
Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg stellt in
seinem Urteil von vor wenigen Tagen fest, dass die Ein-
richtung des Warteraumes RILAX die Interessen der dort
betroffenen Bevölkerung nicht ausreichend berücksich-
tigt. Das heißt, Sie hätten sehr wohl die Möglichkeit
gehabt, in den bilateralen Verhandlungen zwischen der
Schweiz und Deutschland darauf zu drängen, dass die
Schweiz ihre Möglichkeiten ausschöpft, um auf ihrem
Staatsterritorium die notwendigen Warteräume für Zürich-
Kloten einzurichten.

Ein Letztes: Sie räumen eine Übergangsfrist von
41 Monaten ein. Innerhalb dieser 41 Monate soll – es ist
eine Soll- und keine Mussbestimmung – die Schweiz bei-
spielsweise durch die Umrüstung der Pisten dafür sorgen,
dass den Forderungen, die Sie erhoben haben, anschlie-
ßend Genüge getan wird.

Erinnern Sie sich an die Genese des Staatsvertrages
und daran, wie die Schweiz mit der Vereinbarung von
1984 verfahren ist, die sie – das gehört auch zur Vollstän-
digkeit – gut zwei Jahre eingehalten hat. Es wäre notwen-
dig gewesen, das Ganze etwas konkreter zu formulieren
und nicht den Versuch zu unternehmen, dem Deutschen
Bundestag nur deshalb einen Staatsvertrag vorzulegen,
damit ein solcher vorgelegt wird.

Der vorliegende Entwurf schützt die Interessen der be-
troffenen Bevölkerung im deutschen Südwesten nicht.
Deswegen lehnt die CDU/CSU-Bundestagsfraktion die-
sen Staatsvertrag ab.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Ernst Burgbacher [FDP])



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423029500
Nun erteile ich dem
Kollegen Winfried Hermann, Bündnis 90/Die Grünen,
das Wort.


Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423029600

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Her-
ren! In der Tat ist es so: Wer in Südwestdeutschland Poli-
tik macht und Verantwortung trägt, weiß, dass die Themen
Fluglärm und Züricher Flughafen seit vielen Jahren eine
immense Rolle spielen, und zwar mit wachsender Vehe-
menz.

Überall, querbeet durch alle Parteien und in allen
Wahlkreisen entlang des Hochrheins, am Bodensee sowie
im Schwarzwald-Baar-Kreis, gibt es Proteste. – Meine
Kollegen von der CDU nicken mir zu: Die Zunahme des
Fluglärms in dieser Region ist belästigend und belastend.
Von daher war es aus unserer Sicht allerhöchste Zeit, et-
was zu tun.

Meine Damen und Herren von der Opposition, wenn es
1998 eines Grundes bedurfte, weshalb ein Regierungs-
wechsel gut war, dann war es der, dass Sie als Opposition
jetzt erkennen können, was Sie hätten tun müssen, als Sie
in der Regierung waren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Karl-Heinz Hornhues [CDU/CSU]: Vergessen Sie es auch nicht, wenn Sie am Jahresende wieder in der Opposition sind!)


Das ist die Weisheit, die ich aus der Rede des Herrn
Dörflinger herausgehört habe. Er hat durchaus kritische
Punkte erwähnt und viele Punkte der Bürgerinitiativen
aufgegriffen. Man fragt sich aber wirklich, warum in all
den Jahren weder die Landes- noch die letzte Bundes-
regierung diesen schwierigen und unsäglichen Zustand
durch ein Vertragswerk, das genau Ihren Forderungen ent-
sprochen und die Bürgerinteressen berücksichtigt hätte,
nicht angegangen ist.

Das alles haben Sie nicht gemacht. Insofern muss ich
Ihnen leider sagen, dass Sie heute besserwisserisch auf-
getreten sind. Man kann Ihnen zugute halten, dass Sie, ge-
nau wie ich, neu im Parlament sind. Da kann man das, was
vorher war, schon einmal vergessen. Kollege Repnik ist
aber schon lange genug in einer mächtigen Position dabei
und hätte schon längst aktiv werden können.

Unbestreitbar ist, dass dieser Staatsvertrag – gemessen
an den Zuständen vorher – bedeutende Verbesserungen
bringt. Man kann doch nicht bestreiten, dass mit diesem
Staatsvertrag eine deutliche Reduktion der Flugbewegun-
gen innerhalb von drei Jahren erreicht wird.


(Thomas Dörflinger [CDU/CSU]: Kennen Sie die Position der grünen Kreistagsfraktion?)


Man kann auch nicht bestreiten, dass durch die Nacht-
flugverbote und die sie ergänzenden Beschränkungen an
Feiertagen insgesamt ein bedeutender Fortschritt für die
Bevölkerung erreicht wird. Ein Großteil der Bürger, die
protestieren, erkennen dies an und auch die Bürgermeis-
terinnen und Bürgermeister in dieser Region sagen das.


(Thomas Dörflinger [CDU/CSU]: Nein, sie sagen genau das Gegenteil! – Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Sie sind weit vom Schuss! Reden Sie häufiger mit den Leuten!)





Thomas Dörflinger
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(D)



(A)



(B)


– Nein, ich bin oft genug dort. Diese Wahlkreise betreue
ich. Ich weiß, wovon ich rede.

Es ist vollkommen richtig – Sie müssen Ihren eigenen
Kollegen zurücknehmen, der danach gefragt hat, in wes-
sen Interessen wir eigentlich reden und was mit den
Schweizern ist –, dass der große Schweizer Verkehrsflug-
hafen Zürich seine Fluglärmbelastungen im Wesentlichen
auf Südwestdeutschland abgeladen hat. Natürlich fliegen
von dort auch Deutsche, aber es ist in erster Linie ein
Schweizer Flughafen. Es ist nicht rechtens und nicht rich-
tig, dass vor allen Dingen die deutsche Bevölkerung da-
von betroffen ist.

Nun will ich gerne einige Kritikpunkte aufnehmen; das
sage ich in aller Offenheit. Ein Staatsvertrag wird von der
Regierung ausgehandelt. Parlamentarier werden dabei
weitgehend nicht einbezogen. Deswegen ist es klar, dass
einige der Punkte der Bürgerinitiativen nicht aufgenom-
men wurden. Ich kann aus Sicht der Grünen sagen: Wir
hätten uns gewünscht, dass die Zahl der Flugbewegungen
schneller reduziert und insgesamt niedriger wird. Die
Flughöhen von 3 000 Meter über Normalnull, die Sie ge-
nannt haben, können unter Umständen 2 000 Meter über
Grund bedeuten. Es wäre schön, wenn wir hier niedrigere
Höhen hätten vereinbaren können.

Das alles sind Punkte, die ich sofort unterschreiben
würde. Ich glaube, dies sollte nicht auf Dauer so bleiben.
Eine dauerhafte Belastung der Menschen durch den
Fluglärm ist nicht zu ertragen. Da der Flugverkehr so or-
ganisiert ist, dass Flugzeuge über dem Fughafen Warte-
schleifen drehen müssen, wodurch es zu Lärmbelästigun-
gen kommt, muss es bei der Abwicklung des Flugverkehrs
zu einer Verbesserung kommen. Es ist nicht einzusehen,
dass Flugzeuge überhaupt aufsteigen dürfen, wenn man
weiß, dass sich ihre Landung verzögert, was dazu führt,
dass sie über Regionen kreisen müssen, die dann schwer
belastet werden.

Ich wünsche mir, dass beim Abschluss eines Staatsver-
trags und bei möglichen Nachverhandlungen eine bessere
Beteiligung der Bürger vor Ort erreicht wird. Es ist doch
völlig klar: Wenn Bürgerinitiativen und Bürgermeister
mit ihrem Sachverstand einbezogen werden, dann werden
sie den Staatsvertrag anders als jetzt akzeptieren können,
weil sie sehen, wo Kompromisse gemacht wurden und zu
machen waren.

Ich finde es erstaunlich, dass Sie heute so auftreten,
als könne man bei internationalen Vertragsverhandlun-
gen die eigenen Interessen einseitig durchsetzen. Ihr ei-
gener Kollege hat so getan, als sei es völlig illegitim,
deutsche Bürgerinteressen in diesem Rahmen durchzu-
setzen. Sie haben sich zwar davon distanziert, aber in-
nerhalb Ihrer Fraktion deutet das auf keine gute Abspra-
che hin.

Ich will zum Schluss den Bürgerinitiativen und den
Bürgern vor Ort meinen herzlichen Dank aussprechen.
Mich jedenfalls haben sie immer mit Argumenten unter-
stützt und mich in der Sache kundig gemacht. Bleiben Sie
weiter dran. Ich glaube, dass wir in den nächsten Jahren
eine deutliche Verbesserung schaffen werden. Aber wir
sollten nicht aufgeben, um noch mehr herauszuholen.

Ein letztes Wort an die Opposition. Die eigentliche Lö-
sung wäre, in Deutschland ein ambitioniertes Gesetz zur
Reduktion des Fluglärms durchzusetzen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dazu brauchen wir die Unterstützung aller, also auch Ih-
rer Landesfürsten. Es wäre gut gewesen, wenn zu Beginn
der Beratungen zum neuen Fluglärmgesetz nicht alle Mi-
nisterpräsidenten sowohl von der SPD als auch von der
CDU – allen voran Ministerpräsident Teufel – deutlich
signalisiert hätten: Wir wollen kein ambitioniertes Flug-
lärmgesetz. Dieses Gesetz hätte natürlich auch Verände-
rungen für die Flughäfen in Stuttgart, Frankfurt und in an-
deren Städten bedeutet. Wenn man etwas gegen Fluglärm
und für die Bevölkerung tun will, dann muss man konse-
quent sein und im eigenen Land neue Regelungen finden,
die dem Anspruch einer bürgerfreundlichen fluglärm-
reduzierenden Politik tatsächlich gerecht werden.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423029700
Jetzt hat das Wort der
Kollege Ernst Burgbacher für die FDP.


Ernst Burgbacher (FDP):
Rede ID: ID1423029800
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich würde gern eine Bemer-
kung zur vorherigen Zwischenfrage des Kollegen
Hornhues machen. Sehr geehrter Herr Hornhues, Sie ha-
ben hier angedeutet, dass Deutsche nicht von einem
Schweizer Flughafen fliegen. Natürlich fliegen viele
Deutsche von Zürich aus. Übrigens ist der Flughafen
Zürich-Kloten auch für die deutsche Bevölkerung in die-
sem Raum ein ganz wichtiger Arbeitgeber. Das ist völlig
unbestritten.

Zumindest die große Mehrheit der Bevölkerung und
auch die Abgeordneten der Region sind nicht der Mei-
nung, wir müssten den ganzen Lärm auf das Schweizer
Gebiet verlagern. Die Frage ist eine ganz andere. Die
Frage lautet: Ist eine gerechte Lastenverteilung zwischen
den Gebieten möglich? Man muss an dieser Stelle die
berühmte Goldküste am Zürichsee mit ihren schönen Vil-
len erwähnen. Wenn ein verantwortlicher Schweizer Poli-
tiker offen erklärt: „Es geht nicht an, dass wir die Flieger
über der Goldküste beim Anflug warten lassen“, dann
können Sie sich vorstellen, zu welchen Reaktionen das in
der deutschen Bevölkerung führt. Hinzu kommt, dass die
Schweiz 50 Prozent ihres Luftraums für militärische
Zwecke gesperrt hat. Das hat natürlich enorme Auswir-
kungen, ist aber für die andere Seite so nicht nachvoll-
ziehbar. Diese Dinge spielen in unserer Region eine große
Rolle.

Durch die jahrzehntelange Nutzung des süddeutschen
Luftraumes für den Flughafen Zürich-Kloten hat sich der
Warteraum mehr und mehr auf deutsches Gebiet verla-
gert. Das ist nicht über Nacht gekommen, sondern diese
Entwicklung erfolgte nach und nach. Die Belastungen
durch den vermehrten Luftverkehr wurden immer stärker
und die Lärmbelästigung vor allem im Kreis Waldshut,




Winfried Hermann

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(C)



(D)



(A)



(B)


aber auch in den angrenzenden Kreisen Konstanz und
Schwarzwald-Baar bis hin zum Kreis Tuttlingen ist zum
Teil schon unerträglich.

Eines der Hauptanliegen der Betroffenen – in der Kürze
der Zeit kann ich nur auf wenige Punkte eingehen – war
die Verlagerung des Warteraumes RILAX. Das ist nach
wie vor ein großes Problem. Der Text des Staatsvertrags
enthält keine verbindliche Regelung, die eine Verlagerung
vorsieht, soweit diese – das ist völlig klar; mehr fordern
wir nicht – flugtechnisch möglich ist. Die Prüfungsoption,
die lediglich im Protokoll verankert ist, ist völlig unzurei-
chend. Nach unserer Auffassung muss der Warteraum
RILAX unbedingt überprüft werden, da dessen Einrich-
tung nicht ordnungsgemäß zustande kam. In diesem
Punkt hat uns der Verwaltungsgerichtshof Recht gegeben;
daher muss es auf jeden Fall eine Überprüfung geben.

Die FDP fordert die Bundesregierung auf, Herr Staats-
sekretär, auf die Schweiz dahin gehend Einfluss zu neh-
men, dass sie ihre Verpflichtung baldmöglichst erfüllt, ei-
gene Warteräume einzurichten und auch tatsächlich zu
nutzen. Die Rechtsverordnung, in der die Einrichtung des
Warteraumes RILAX geregelt ist, muss entsprechend
geändert werden.

Ein zweiter Punkt: Im Staatsvertrag ist geregelt, dass
die „Warteverfahren über deutschem Hoheitsgebiet in der
Regel nur für Anflüge auf die Pisten 14 und 16 genutzt“
werden. Dieser Grundsatz muss präzisiert sowie streng
überprüft werden.

Ein dritter Punkt: In Art. 17 des Staatsvertrages wird
ausdrücklich den im sektoriellen Abkommen zwischen
der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europä-
ischen Gemeinschaft „festgelegten Rechten und Ver-
pflichtungen“ ein Vorrang eingeräumt. Dies sorgt zumin-
dest für Unsicherheit; denn offensichtlich kann nach
Schweizer Erwartungen die Kontingentierung der An-
flüge durch zukünftiges EU-Recht hinfällig werden. Der
Verzicht auf entsprechende Vorrangregelungen des Ver-
trags ist aus Sicht der FDP unverständlich. Wir werden
Schwierigkeiten haben, dem so zuzustimmen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir hatten immer
ein hervorragendes Verhältnis zu unserem Nachbarn im
Süden. Dieses Verhältnis wird auch nicht auf den Prüf-
stand gestellt werden. Der vorliegende Vertrag ist aber ab-
solut unzureichend. Wir können dem Bundesverkehrs-
minister den Vorwurf nicht ersparen, dass der Vertrag
schlecht ausgehandelt ist. Deshalb fordern wir im Inte-
resse der betroffenen Bevölkerung dringend Nachbes-
serungen des deutsch-schweizerischen Staatsvertrages.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423029900
Das Wort hat nun
Dr. Winfried Wolf für die PDS-Fraktion.


Dr. Winfried Wolf (PDS):
Rede ID: ID1423030000
Sehr geehrte Frau Präsi-
dentin! Werte Kolleginnen! Werte Kollegen! Es ist ziem-
lich klar, dass dieser Vertrag für die baden-württember-

gische Bevölkerung einen Fortschritt darstellt, und zwar
unabhängig von der Frage, ob er juristisch sauber ist oder
nicht. Die Festlegungen, dass zum Teil ein Nacht- und
Wochenendflugverbot gelten soll und dass eine Reduk-
tion der Überflüge stattfinden soll, sind wirklich ein Fort-
schritt.

Man muss aber sagen – mich wundert, dass bisher nie-
mand dieses Wort in den Mund genommen hat –, dass der
Vertrag durch und durch von einer Doppelmoral geprägt
ist, weil alle dort vorgeschlagenen Regelungen der Be-
völkerung in der Bundesrepublik Deutschland vorenthal-
ten werden. So finden zum Beispiel in Frankfurt am Main
pro Nacht 120 Flüge statt.


(Zuruf von der SPD: Mehr!)

– Es wird gerade korrigiert und gesagt, es seien noch
mehr. – Hunderttausende von Menschen engagieren sich
dafür, dass dort wenigstens ein begrenztes Nachtflugver-
bot eingeführt wird. Dabei wird auch darüber diskutiert,
dass im Koalitionsvertrag von 1998 versprochen wurde,
den „Schutz vor Verkehrslärm, besonders während der
Nachtruhe, auf eine verbesserte gesetzliche Grundlage“
zu stellen. Wir haben jedoch vier Jahre Nichtstun oder La-
vieren erlebt. Wir stellen fest, dass Herr Trittin als grüner
Kaiser ohne Kleider dasteht. Wir stellen fest, dass es keine
Gesetzesinitiative zur Verminderung des Fluglärms gibt,
dass der Lärm bleibt und weiter wächst.

Ich halte fest, dass der Binnenflugverkehr in Deutsch-
land seit 1990 um 50 Prozent gesteigert wurde, so auch in
den Jahren 1999 und 2000, und dass die durchschnittliche
Reiseweite bei jedem Binnenflug heute bei 454 Kilome-
tern liegt, also eindeutig auf die Schiene verlagert werden
könnte. Ich stelle fest, dass die Entwicklung des Fernver-
kehrs der Bahn trotz des Wachstums des Binnenflugver-
kehrs seit acht Jahren stagniert.

Ich füge hinzu, dass zum Beispiel das Flugzeug
A 380/A 3XX ein Projekt darstellt, das mit 600 Milli-
onen DM subventioniert wird. Die interne Kalkulation
von Airbus – schriftlich festgelegt von Herrn Bischoff von
DASA – basiert darauf, dass sich das Flugzeug nur rech-
net, wenn sich der Flugverkehr nochmals verdoppelt.
Man muss 800 Jets verkaufen; man kann sie nur in den
Weltmarkt hineindrücken, wenn sich der Flugverkehr
nochmals verdoppelt, wie dies bereits in den letzten zwölf
Jahren geschehen ist.

Deswegen sage ich, dass dieser Vertrag möglicher-
weise unterstützenswert ist – das werden wir in den Dis-
kussionen im Ausschuss sehen –, aber durch und durch
von Doppelmoral geprägt ist. Ich meine auch, Herr Staats-
sekretär Hilsberg, dass der von Ihnen geäußerte Satz, es
„würde der Schweiz nicht gut bekommen“, wenn sie den
Vertrag im Parlament nicht annähme, im Grunde auf den
Tatbestand der Erpressung hinausläuft. Es fragt sich, was
noch passieren soll. Ein nochmaliger Abgang eines Bot-
schafters kann es ja wohl nicht sein.

Nochmals: Der Vertrag hat gute Seiten, ist aber durch
und durch problematisch.


(Beifall bei der PDS – Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Das ist doch Käse!)





Ernst Burgbacher
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(C)



(D)



(A)



(B)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423030100
Nun hat das Wort die
Kollegin Karin Rehbock-Zureich für die SPD-Fraktion.


Karin Rehbock-Zureich (SPD):
Rede ID: ID1423030200
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich bin
schon erstaunt über die hier geführte Diskussion.


(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Was?)

Wir haben seit 1998 Folgendes zustande gebracht: Erstens
wurde in einem Staatsvertrag mit der Schweiz festge-
schrieben, dass eine Sonn- und Feiertagsregelung für
Ruhe von 20 Uhr abends bis 9 Uhr morgens sorgt. Zwei-
tens haben wir festgelegt, dass die Nachtruheregelung für
die Zeit von 22 Uhr bis 6 Uhr in der Region einzuhalten
ist. Drittens – das ist das Wichtigste – haben wir festge-
legt, dass der bisher zu 90 Prozent von Norden her erfol-
gende Anflug zum Schweizer Flughafen Kloten nun ge-
deckelt ist. Wir hatten bisher 160 000 Anflüge auf diesen
Flughafen ausschließlich über deutsches Gebiet. Nun ha-
ben wir eine Deckelung auf 100 000 Anflüge erreicht, un-
abhängig davon, wie die weitere Entwicklung der Flug-
bewegungen in Kloten insgesamt verlaufen wird. Dies
sind Erfolge für die deutsche Bevölkerung, von denen sie
in den letzten 16 Jahren nur geträumt hat, Herr Dörflinger.
Das muss man hier einmal ganz deutlich sagen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir hatten 1984 eine Vereinbarung. Ich will Ihnen sa-
gen, warum die Verhandlungen mit der Schweiz, die sich
über drei Jahre erstreckten, so schwierig waren. Der
Grund lag im Gewohnheitsrecht der Schweizer. In den
letzten 16 Jahren hat man sich aufgrund der ständigen Pro-
teste der Bevölkerung zusammengesetzt, der Protest
wurde vorgetragen, aber es wurde nichts getan. Es hat sich
nichts bewegt. Aus dieser Haltung heraus, die man in den
letzten 16 Jahren vonseiten Deutschlands erlebt hat, dass
es nämlich sowohl der konservativen baden-württember-
gischen Landesregierung wie auch der konservativen Bun-
desregierung egal war, welche Proteste vonseiten der Be-
völkerung herangetragen wurden, hat man einfach gar
nichts getan.

Ich gebe Ihnen Recht: Die Übergangsfrist ist sicher-
lich eine Kröte. Man muss der Ehrlichkeit halber aber sa-
gen, warum diese Übergangsfrist festgelegt wurde. Wenn
wir diese Deckelung nämlich in einer kürzeren Frist ver-
langt hätten, hätte die Schweiz, die jetzt die bilateralen
Verträge mit der EU abgeschlossen hat, die am 1. Juni
rechtskräftig werden, diese Diskriminierung vor der EU
beanstanden können. Dies wäre ein Diskriminierungstat-
bestand gewesen, weil das in der Schweiz in diesem Zeit-
raum verwaltungstechnisch nicht abwickelbar ist. Das ist
für den Zeitraum von 41 Monaten – wie übrigens auch
von dem konservativen Landrat in einem Gutachten fest-
gehalten wurde – eine Kröte, die es zu schlucken gilt.

Selbstverständlich waren die Verhandlungen schwie-
rig. Wir mussten das EU-Recht und internationale Ver-
träge berücksichtigen. Aber ich meine, mit dem Kompro-
miss, den wir erzielt haben, haben wir es endlich
geschafft, dass auch vor dem Hintergrund zu erwartender

steigender Flugbewegungen eine verbindliche Regelung
für die Region festgeschrieben wird.

Wenn Sie dem Staatsvertrag nicht zustimmen, frage ich
Sie, welche Alternative es mit Ihrer Politik gäbe.


(Zuruf von der SPD: So ist es!)

Wäre die Alternative wieder 14 Jahre warten, reden und
nichts tun? Bei aller Kritik und angesichts dessen, dass bei
allen Kompromissen nicht für beide Seiten alles 100-pro-
zentig geregelt werden kann, ist dies eine Regelung,


(Dr. Karl-Heinz Hornhues [CDU/CSU]: Und was für eine!)


die die Region entlastet – aus der Region ist auch sehr
wohl Zustimmung zu hören – und es zustande gebracht
hat, dass wir endlich und vor allen Dingen auch nachts
Ruhe haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Thomas Dörflinger [CDU/ CSU]: Da braucht man ja ein Hörrohr!)


Wir haben die Situation – der Staatssekretär ist auch
darauf eingegangen und ich bin dankbar für diese klaren
Worte –, dass wir – auch das ist aus dieser Haltung heraus
entstanden – zwar selbstverständlich Ausnahmeregelun-
gen zulassen, um bei schwierigen Wetterlagen Flugsi-
cherheit zu gewährleisten, dass diese aber vonseiten der
Schweiz in manchen vergangenen Wochen in einem Aus-
maß in Anspruch genommen wurden, das wir so nicht zu-
lassen können und werden.

Ich meine, dass in der Schweiz der Bundesrat selbst-
verständlich gegenüber dem Parlament darlegen muss,
dass der Vertrag positiv zu beurteilen ist. Es ist nämlich
für die Schweiz schwierig, den Vertrag zu vertreten, wenn
in der Presse berichtet wird, dass man sich vom großen
Nachbarn über den Tisch gezogen fühlt. Auch diese Dis-
kussionen zeigen, dass wir einen Kompromiss geschlos-
sen haben und bereit sind, Lasten zu tragen. Die ganze Re-
gion legt auch immer Wert auf ein gutnachbarschaftliches
Verhältnis. Die Schweiz muss aber – das ist die Erwartung
für die Zukunft – endlich sämtliche Pisten mit allen tech-
nischen Voraussetzungen ausrüsten, damit die Anflüge
von allen Seiten – Nord, Süd, Ost und West – so abgesi-
chert sind, dass sie genau wie von Norden her erfolgen
können.

Wir werden Wert darauf legen – das ist gegenüber der
Vereinbarung von 1984 auch neu –, dass eine gemeinsame
Luftverkehrskommission diesen Staatsvertrag begleitet
und die Einhaltung kritisch beobachtet. Das heißt, wir ha-
ben ein Gremium, in dem wir immer das zur Sprache brin-
gen, was aus der Sicht der Region nicht in Ordnung ist.
Dass die technischen Voraussetzungen geschaffen werden
müssen, damit der Anflug auch von Süden möglich ist,
wird auf der Tagesordnung stehen.


(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Der Anflug von Süden ist immer gut!)


Sie haben hier ausgeführt, dass Sie diesem Staatsver-
trag nicht zuzustimmen werden. Wenn Sie diesem Staats-
vertrag nicht zustimmen, werden Sie sich wahrscheinlich






(C)



(D)



(A)



(B)


genauso wie die Konservativen in der Schweiz verhalten,
die dem Staatsvertrag auch nicht zustimmen wollen.
Verfolgen Sie denn hierbei die gleiche Linie?, muss ich
Sie fragen. Wenn Sie dem Staatsvertrag nicht zustimmen,
dann stimmen Sie auch nicht zu, dass es hierbei zu einer
Verbesserung in der Region kommt. Gott sei Dank haben
wir die Mehrheit,


(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Das gibt sich mit der Zeit!)


sodass wir dafür sorgen können, dass eine Entlastung
stattfindet.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423030300
Ich schließe die Aus-
sprache.

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 14/8731 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es weitere
Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Über-
weisung so beschlossen.

Wir sind am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-

tages auf Freitag, den 19. April 2002, 9 Uhr, ein.
Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Restabend. Die

Sitzung ist geschlossen.