Protokoll:
14192

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 14

  • date_rangeSitzungsnummer: 192

  • date_rangeDatum: 11. Oktober 2001

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: None Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Nachträgliche Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeordneten Inge Wettig-Danielmeier und Dr. Edzard Schmidt-Jortzig . . . . . . . . . 18679 A Erweiterung der Tagesordnung . . . . . . . . . . . 18679 A Absetzung der Tagesordnungspunkte 3 g und h sowie 18 c und d . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18679 D Absetzung des Tagesordnungspunktes 19, Auf- setzung des Tagesordnungspunktes 23 a und b Nachträgliche Ausschussüberweisung . . . . . . 18679 D Zusatztagesordnungspunkt 2: Abgabe einer Regierungserklärung: Aktu- elle Lage nach Beginn der Operation ge- gen den internationalen Terrorismus in Afghanistan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18680 A Gerhard Schröder, Bundeskanzler . . . . . . . . . 18680 B Dr. Angela Merkel CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 18684 C Dr. Peter Struck SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18688 B Hans-Peter Repnik CDU/CSU . . . . . . . . . . . 18690 C Dr. Peter Struck SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18690 D Dr. Wolfgang Gerhardt FDP . . . . . . . . . . . . . 18691 B Joseph Fischer, Bundesminister AA . . . . . . . . 18692 D Dr. Guido Westerwelle FDP . . . . . . . . . . 18694 C Roland Claus PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18695 C Rudolf Scharping, Bundesminister BMVg 18696 C Tagesordnungspunkt 3: a) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Vereinsgesetzes (Drucksache 14/7026) . . . . . . . . . . . . . 18698 A b) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs ei- nes ... Strafrechtsänderungsgesetzes – § 129 b StGB (... StrÄndG) (Drucksache 14/7025) . . . . . . . . . . . . . 18698 B c) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs ei- nes ... Gesetzes zur Änderung der Strafprozessordnung (Drucksache 14/7008) . . . . . . . . . . . . . 18698 B d) Erste Beratung des von den Abgeordne- ten Norbert Geis, Erwin Marschewski (Recklinghausen), weiteren Abgeord- neten und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Bekämpfung von Straftaten der organisierten Kri- minalität und des Terrorismus (Drucksache 14/6834) . . . . . . . . . . . . . 18698 B e) Erste Beratung des vom Bundesrat ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung der Kronzeugenrege- lungen im Strafrecht (KrZErgG) (Drucksache 14/5938) . . . . . . . . . . . . . 18698 C f) Erste Beratung des vom Bundesrat ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Strafprozessord- nung (§ 110 Abs. 1, § 111 f Abs. 3, § 163 a Abs. 6 StPO) (Drucksache 14/6079) . . . . . . . . . . . . . 18698 C Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18698 D Plenarprotokoll 14/192 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 192. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 I n h a l t : Wolfgang Bosbach CDU/CSU . . . . . . . . . . . 18701 B Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18703 C Jörg van Essen FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18705 B Petra Pau PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18707 C Dr. Jürgen Meyer (Ulm) SPD . . . . . . . . . . . . 18709 B Norbert Geis CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 18710 C Dr. Jürgen Meyer (Ulm) SPD . . . . . . . . . 18712 A Cem Özdemir BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 18712 D Joachim Stünker SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18714 A Volker Kauder CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 18715 A Hans-Christian Ströbele BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18716 D Volker Kauder CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 18717 B Otto Schily, Bundesminister BMI . . . . . . . . . 18718 B Erwin Marschewski (Recklinghausen) CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18721 C Gerald Häfner BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 18723 D Erwin Marschewski (Recklinghausen) CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18724 C Dieter Wiefelspütz SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 18724 C Dr. Max Stadler FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18726 A Tagesordnungspunkt 4: Antrag der Abgeordneten Birgit Schnieber- Jastram, Karl-Josef Laumann, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Arbeit vermitteln statt Arbeitslosigkeit verwalten – Mehr Beschäftigung durch Effizienz, Transparenz und Subsidiarität im Arbeitsförderungsrecht (Drucksache 14/6162) . . . . . . . . . . . . . . . 18727 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 3: Antrag der Abgeordneten Dr. Heidi Knake- Werner, Dr. Ruth Fuchs, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der PDS: Den Ein- stieg in einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor ermöglichen (Drucksache 14/7070) . . . . . . . . . . . . . . . 18727 B Birgit Schnieber-Jastram CDU/CSU . . . . . . . 18727 C Klaus Brandner SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18729 C Dirk Niebel FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18731 C Dr. Thea Dückert BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18733 A Dr. Klaus Grehn PDS . . . . . . . . . . . . . . . 18734 A Wolfgang Meckelburg CDU/CSU . . . . . . 18735 C Dr. Heidi Knake-Werner PDS . . . . . . . . . . . . 18736 A Andrea Nahles SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18737 C Karl-Josef Laumann CDU/CSU . . . . . . . . . . 18739 A Ute Kumpf SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18741 A Tagesordnungspunkt 25: Überweisungen im vereinfachten Ver- fahren a) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 18. De- zember 1979 zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (Drucksache 14/7009) . . . . . . . . . . . . . 18742 C b) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Entschließung vom 22. Mai 1995 zur Änderung des Über- einkommens vom 18. Dezember 1979 zur Beseitigung jeder Form von Dis- kriminierung der Frau (Drucksache 14/7011) . . . . . . . . . . . . . 18742 C c) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Fakultativprotokoll vom 6. Oktober 1999 zum Überein- kommen vom 18. Dezember 1979 zur Beseitigung jeder Form von Dis- kriminierung der Frau (Drucksache 14/7012) . . . . . . . . . . . . . 18742 C d) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Schuld- buchrechts des Bundes und der Rechtsgrundlagen der Bundesschul- denverwaltung (Bundeswertpapier- verwaltungsgesetz – BWpVerwG) (Drucksache 14/7010) . . . . . . . . . . . . . 18742 D e) Erste Beratung des von den Abgeordne- ten Rolf Kutzmutz, Eva Bulling- Schröter, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- rung des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) (Drucksache 14/6796) . . . . . . . . . . . . . 18742 D f) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Bundeszentralregistergesetzes (4. BZRGÄndG) (Drucksache 14/6814) . . . . . . . . . . . . . 18742 D Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001II g) Erste Beratung des vom Bundesrat ein- gebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung der Verwaltungsge- richtsordnung (Drucksache 14/6856) . . . . . . . . . . . . 18743 A h) Antrag der Abgeordneten Ulrike Flach, Cornelia Pieper, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: For- schungsstandort Deutschland stär- ken – Zukunftsprojekt „TESLA“ nicht gefährden (Drucksache 14/4646) . . . . . . . . . . . . 18743 A i) Antrag der Abgeordneten Ulrike Flach, Cornelia Pieper, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Förderung der Alterungsforschung (Drucksache 14/5464) . . . . . . . . . . . . 18743 A j) Antrag der Abgeordneten Rolf Kutzmutz, Eva Bulling-Schröter, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der PDS: Zugangsverordnung für Strom- netze erlassen (Drucksache 14/6795) . . . . . . . . . . . . 18743 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 4: Weitere Überweisungen im vereinfach- ten Verfahren (Ergänzung zu TOP 25) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Änderung des Vermögenszuord- nungsgesetzes (Drucksache 14/7035) . . . . . . . . . . . . . . . 18743 B Tagesordnungspunkt 26: Abschließende Beratungen ohne Aus- sprache a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Anpassung bi- lanzrechtlicher Bestimmungen an die Einführung des Euro, zur Erleichterung der Publizität für Zweigniederlassungen ausländischer Unternehmen sowie zur Einführung einer Qualitätskontrolle für genossenschaftliche Prüfungsverbände (Euro-Bilanzgesetz – EuroBilG) (Drucksachen 14/6456, 14/7081) . . . . 18743 C b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes über den Beruf der Podologin und des Podologen (Po- dologengesetz – PodG) (Drucksachen 14/5593, 14/7107) . . . . 18743 D c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu der Verord- nung der Bundesregierung: Verord- nung zur Änderung abfallrechtlicher Bestimmungen zur Altölentsorgung (Drucksachen 14/6653, 14/6907 Nr. 2.1, 14/7056) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18744 A d) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu der Verord- nung der Bundesregierung: Verord- nung zur Änderung abfallrechtlicher Nachweisbestimmungen (Drucksachen 14/6808, 14/6907 Nr. 2.2, 14/7055) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18744 A e) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Angelegenheiten der neuen Länder – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Paul Krüger, Ulrich Adam und der Fraktion der CDU/CSU: An- siedlung einer Produktionsstätte für den Airbus A 3XX in Meck- lenburg-Vorpommern – zu dem Antrag der Abgeordneten Rolf Kutzmutz, Dr. Christa Luft, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS: Ansiedlung ei- ner Airbus-Fertigungsstätte in Mecklenburg-Vorpommern (Drucksachen 14/161, 14/25, 14/2689) 18744 B Tagesordnungspunkt 5: a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Alfred Hartenbach, Hermann Bachmaier, weiteren Abge- ordneten und der Fraktion der SPD so- wie den Abgeordneten Volker Beck (Köln), Grietje Bettin, weiteren Abge- ordneten und der Fraktion des Bündnis- ses 90/Die Grünen eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Moderni- sierung des Schuldrechts (Drucksachen 14/6040, 14/7052) . . . . 18744 C b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Modernisie- rung des Schuldrechts (Drucksachen 14/6857, 14/7100) . . . . 18744 D Hermann Bachmaier SPD . . . . . . . . . . . . . . . 18745 A Ronald Pofalla CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 18746 B Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18749 B Rainer Funke FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18751 B Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 III Jella Teuchner SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18753 A Dr. Evelyn Kenzler PDS . . . . . . . . . . . . . . . . 18753 D Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18755 A Norbert Geis CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 18756 D Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten CDU/CSU 18758 D Dr. Eckhart Pick SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18761 D Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten CDU/CSU 18762 A Dirk Manzewski SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18762 B Tagesordnungspunkt 6: a) Unterrichtung durch die Bundesregie- rung: Berufsbildungsbericht 2001 (Drucksache 14/5946) . . . . . . . . . . . . . 18765 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung – zu dem Antrag der Abgeordneten Ernst Küchler, Dr. Ernst Dieter Rossmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Dr. Reinhard Loske, Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Weiterbildung im Bildungssystem verankern – Chancengleichheit stärken – zu dem Antrag der Abgeordneten Ernst Küchler, Dr. Ernst Dieter Rossmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Matthias Berninger, Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN: Lebensbe- gleitendes Lernen für alle – Wei- terbildung ausbauen und stärken – zu dem Antrag der Abgeordneten Werner Lensing, Ilse Aigner, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Zukunftsorien- tierte Weiterbildung durch Eigen- verantwortung und Selbstorgani- sation – Ein Paradigmenwechsel – zu dem Antrag der Abgeordneten Maritta Böttcher, Dr. Heinrich Fink, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS: Für ein Bundes- rahmengesetz zur Weiterbildung (Drucksachen 14/6435, 14/3127, 14/5312, 14/6170, 14/7005) . . . . . . . . . . . . . . . . 18765 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 5: Antrag der Abgeordneten Cornelia Pieper, Ulrike Flach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Anforderungen an die Weiterbildung (Drucksache 14/7075) . . . . . . . . . . . . . . . 18765 C Edelgard Bulmahn, Bundesministerin BMBF 18765 D Dr.-Ing. Rainer Jork CDU/CSU . . . . . . . . . . 18768 B Hans-Werner Bertl SPD . . . . . . . . . . . . . . 18768 B Christian Simmert BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18770 C Dr.-Ing. Rainer Jork CDU/CSU . . . . . . . . 18771 A Cornelia Pieper FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18772 B Maritta Böttcher PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18774 A Ernst Küchler SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18775 A Werner Lensing CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 18776 D Willi Brase SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18778 D Tagesordnungspunkt 7: Antrag der Abgeordneten Gerda Hasselfeldt, Eduard Oswald, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der CDU/ CSU: Bessere steuerliche Rahmenbedin- gungen für den Wohnungsbau (Drucksache 14/6637) . . . . . . . . . . . . . . . 18780 C Dr. Michael Meister CDU/CSU . . . . . . . . . . 18780 D Dieter Grasedieck SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 18783 A Hans-Michael Goldmann FDP . . . . . . . . . . . 18785 B Franziska Eichstädt-Bohlig BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18786 C Heidemarie Ehlert PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 18788 A Tagesordnungspunkt 8: a) Antrag der Abgeordneten Dr. Helmut Haussmann, Klaus Haupt, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der FDP: Für eine VN-Resolution zur Ächtung der Gewalt gegen Kinder auf dem Weltkindergipfel in New York (Drucksache 14/6324) . . . . . . . . . . . . . 18788 D b) Antrag der Abgeordneten Dr. Klaus Kinkel, Günther Friedrich Nolting, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Ächtung aller Landminen ohne Wirkzeitbegrenzung (Drucksache 14/6328) . . . . . . . . . . . . . 18789 B c) Antrag der Abgeordneten Dr. Helmut Haussmann, Ina Albowitz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001IV FDP: Für einen substanziellen deut- schen Beitrag zum Aidssonderfonds der Vereinten Nationen (Drucksache 14/6623) . . . . . . . . . . . . 18789 A d) Antrag der Abgeordneten Dr. Helmut Haussmann, Ulrich Irmer, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der FDP: Für eine Antiterrorismuskonvention der Vereinten Nationen (Drucksache 14/6952) . . . . . . . . . . . . 18789 B Sabine Leutheusser-Schnarrenberger FDP 18789 B Karin Kortmann SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18790 B Clemens Schwalbe CDU/CSU . . . . . . . . . . . 18791 D Rita Grießhaber BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18793 B Carsten Hübner PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18794 A Brigitte Adler SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18795 A Sabine Leutheusser-Schnarrenberger FDP 18796 B Birgit Homburger FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . 18796 D Dr. Ludger Volmer, Staatsminister AA . . . . . 18797 C Ingrid Fischbach CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 18798 D Tagesordnungspunkt 9: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Durchsetzung der Gleichstellung von Frauen und Männern (Gleichstellungsdurchset- zungsgesetz – DGleiG) (Drucksachen 14/5679, 14/6898) . . . . 18800 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Vierter Be- richt der Bundesregierung über die Förderung der Frauen im Bundes- dienst – Berichtszeitraum 1995 bis 1998 (Drucksachen 14/5003, 14/6898) . . . . 18800 C Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18800 D Maria Eichhorn CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 18803 A Dr. Edith Niehuis SPD . . . . . . . . . . . . . . 18804 B Kerstin Griese SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 18805 B Christel Riemann-Hanewinckel SPD . . . 18805 C Irmingard Schewe-Gerigk BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18806 A Ina Lenke FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18808 A Petra Bläss PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18809 B Christel Humme SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18810 B Renate Diemers CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 18811 B Renate Gradistanac SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 18813 A Zusatztagesordnungspunkt 8: Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäfts- ordnung zu einem Antrag auf Genehmi- gung zur Durchführung eines Strafver- fahrens (Drucksache 14/7115) . . . . . . . . . . . . . . . . 18814 B Tagesordnungspunkt 10: Antrag der Abgeordneten Wolfgang Bosbach, Erwin Marschewski (Reckling- hausen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Voraussetzungen für die Durchführung von Onlinewahlen (Drucksache 14/6318) . . . . . . . . . . . . . . . 18814 B Tagesordnungspunkt 11: a) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung von öffentli- chen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren und von Unterneh- mensübernahmen (Drucksachen 14/7034, 14/7090) . . . . 18814 C b) Antrag der Abgeordneten Hartmut Schauerte, Gunnar Uldall, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der CDU/ CSU: Fairer Wettbewerb und Rechts- sicherheit bei Unternehmensüber- nahmen in Europa (Drucksache 14/3776) . . . . . . . . . . . . 18814 C c) Große Anfrage der Abgeordneten Rainer Brüderle, Rainer Funke, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Zur gesetzlichen Regelung von Firmenübernahmen (Drucksachen 14/2826, 14/3895) . . . . 18814 D Tagesordnungspunkt 12: Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Einführung von streckenbezoge- nen Gebühren für die Benutzung von Bundesautobahnen mit schweren Nutz- fahrzeugen (Drucksachen 14/7013, 14/7087) . . . . . . . 18815 A in Verbindung mit Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 V Zusatztagesordnungspunkt 6: Antrag der Abgeordneten Horst Friedrich (Bayreuth), Hans-Michael Goldmann, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Keine Abgabenerhöhung durch LKW-Maut (Drucksache 14/7072) . . . . . . . . . . . . . . . 18815 A Tagesordnungspunkt 13: a) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Siebenten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Deutsche Bundes- bank (Drucksache 14/6879) . . . . . . . . . . . . . 18815 B b) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die integrierte Finanz- dienstleistungsaufsicht (Drucksachen 14/7033, 14/7088) . . . . 18815 B Tagesordnungspunkt 14: a) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Schuldrechtsanpassungsgesetzes (Drucksache 14/6884) . . . . . . . . . . . . . 18815 C b) Antrag der Abgeordneten Dr. Evelyn Kenzler, Dr. Ruth Fuchs, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der PDS: Änderung des Schuldrechtsanpas- sungsgesetzes (Drucksache 14/6918) . . . . . . . . . . . . . 18815 D Tagesordnungspunkt 15: Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Heidemarie Ehlert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS: Wirksamer Schutz der Bürgerinnen und Bürger im Rahmen der Euroumstellung (Drucksache 14/6895) . . . . . . . . . . . . . . . 18815 D Dr. Barbara Höll PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18816 A Zusatztagesordnungspunkt 7: a) Erste Beratung des von den Abgeordne- ten Dr. Hermann Otto Solms, Hildebrecht Braun (Augsburg), weite- ren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zur Änderung des Bewer- tungsgesetzes (Drucksache 14/5345) . . . . . . . . . . . . . 18817 C b) Erste Beratung des vom Bundesrat ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bewertungsgesetzes (Drucksache 14/6718) . . . . . . . . . . . . . 18817 C Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18817 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 18819 A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Voraussetzungen für die Durch- führung von Onlinewahlen (Tagesordnungs- punkt 10) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18819 C Sylvia Bonitz CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 18819 C Grietje Bettin BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 18821 B Dr. Max Stadler FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18822 A Angela Marquardt PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 18822 C Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär BMI 18823 A Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung – des Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung von öffentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren und von Unterneh- mensübernahmen – des Antrags: Fairer Wettbewerb und Rechts- sicherheit bei Unternehmensübernahmen in Europa – der Großen Anfrage: Zur gesetzlichen Regelung von Firmenübernahmen (Tagesordnungspunkt 11 a bis c) . . . . . . . . . . . 18824 A Nina Hauer SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18824 A Hartmut Schauerte CDU/CSU . . . . . . . . . . . 18824 D Andrea Fischer (Berlin) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18826 D Rainer Funke FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18827 C Ursula Lötzer PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18828 A Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18828 C Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung – des Entwurfs eines Gesetzes zur Ein- führung von streckenbezogenen Gebühren für die Benutzung von Bundesautobahnen mit schweren Nutzfahrzeugen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001VI – des Antrags: Keine Abgabenerhöhung durch LKW-Maut (Tagesordnungspunkt 12, Zusatztagesordnungs- punkt 6) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18829 B Reinhard Weis (Stendal) SPD . . . . . . . . . . . . 18829 B Wilhelm-Josef Sebastian CDU/CSU . . . . . . . 18830 B Albert Schmidt (Hitzhofen) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18831 D Horst Friedrich (Bayreuth) FDP . . . . . . . . . 18832 C Dr. Winfried Wolf PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 18833 A Angelika Mertens Parl. Staatssekretärin BMVBW . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18833 C Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines – Siebenten Gesetzes zur Änderung des Ge- setzes über die Deutsche Bundesbank – Gesetzes über die integrierte Finanzdienst- leistungsaufsicht (Tagesordnungspunkt 13 a und b) . . . . . . . . . . 18834 C Jörg-Otto Spiller SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18834 D Otto Bernhardt CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 18835 C Christine Scheel BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 18836 C Gerhard Schüßler FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . 18837 B Dr. Barbara Höll PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 18837 D Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18838 B Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung – des Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Schuldrechtsanpassungs- gesetzes – des Antrags: Änderung des Schuldrechts- anpassungsgesetzes (Tagesordnungspunkt 14 a und b) . . . . . . . . . . 18839 B Hans-Joachim Hacker SPD . . . . . . . . . . . . . 18839 B Andrea Voßhoff CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 18840 C Hans-Christian Ströbele BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18842 A Rainer Funke FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18843 A Dr. Evelyn Kenzler PDS . . . . . . . . . . . . . . . . 18843 D Dr. Eckhart Pick, Parl. Staatssekretär BMJ 18844 C Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Wirksamer Schutz der Bürgerin- nen und Bürger im Rahmen der Euroumstel- lung (Tagesordnungspunkt 15) . . . . . . . . . . . . 18845 D Jella Teuchner SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18845 D Norbert Schindler CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 18847 B Kristin Heyne BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 18848 B Gudrun Kopp FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18849 A Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bewertungsgesetzes (Zusatztagesordnungs- punkt 7 a und b) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18849 C Nicolette Kressl SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18849 D Hans Michelbach CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 18851 A Christine Scheel BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 18852 A Rainer Funke FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18852 C Dr. Barbara Höll PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 18853 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 VII Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001
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    Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, gratuliere ich nachträglich der Kollegin Inge Wettig-Danielmeier zu ihrem 65. Geburtstag und dem Kollegen Dr. Edzard Schmidt-Jortzig zu seinem 60. Geburtstag sehr herzlich. (Beifall) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die verbundene Tagesordnung erweitert werden. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufge- führt: ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU Haltung der Bundesregierung zur weiterhin Besorgnis er- regenden Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt ZP 2 Abgabe einer Regierungserklärung des Bundeskanzlers Aktuelle Lage nach Beginn der Operation gegen den inter- nationalen Terrorismus in Afghanistan ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Heidi Knake- Werner, Dr. Ruth Fuchs, Dr. Klaus Grehn, Pia Maier und der Fraktion der PDS Den Einstieg in einen öffentlich geförderten Beschäfti- gungssektor ermöglichen – Drucksache 14/7070 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f) Finanzausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen- abschätzung Haushaltsausschuss ZP 4 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren (Ergänzung zu TOP 25) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Vermögens- zuordnungsgesetzes – Drucksache 14/7035 – Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss (f) Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia Pieper, Ulrike Flach, Birgit Homburger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Anforderungen an die Weiterbildung – Drucksache 14/7075 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen- abschätzung (f) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst Friedrich (Bay- reuth), Hans-Michael Goldmann, Dr. Karlheinz Guttmacher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Keine Abgabenerhöhung durch LKW-Maut – Drucksache 14/7072 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuss ZP 7 a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Hermann Otto Solms, Hildebrecht Braun (Augsburg), Rainer Brüderle, weite- ren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bewertungsge- setzes – Drucksache 14/5345 – Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs ei- nes Gesetzes zur Änderung des Bewertungsgesetzes – Drucksache 14/6718 – Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Die mit Tagesordnungspunkt 3 aufgeführten Vorlagen unter g und h sowie die mit Tagesordnungspunkt 18 auf- geführten Vorlagen unter c und d sollen abgesetzt werden. Außerdem soll Tagesordnungspunkt 19 – Änderung des Versammlungsgesetzes – abgesetzt und an dieser Stelle der Tagesordnungspunkt 23 a und b beraten werden. Des Weiteren mache ich auf eine nachträgliche Über- weisung im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam: 18679 (C) (D) (A) (B) 192. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Beginn: 9.00 Uhr Der in der 188. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Wirtschaft und Technologie zur Mit- beratung überwiesen werden. Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Bekämp- fung von Steuerverkürzungen bei der Umsatzsteuer und anderen Steuern (Steuerverkürzungsbekämp- fungsgesetz – StVBG) – Drucksache 14/6883 – überwiesen: Finanzausschuss (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO Sind Sie damit einverstanden? – Ich höre keinen Wi- derspruch. Dann ist so beschlossen. Ich rufe den Zusatzpunkt 2 auf: Abgabe einer Regierungserklärung des Bundes- kanzlers Aktuelle Lage nach Beginn der Operation gegen den internationalen Terrorismus in Afghanistan Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der PDS vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat der Bundeskanzler Gerhard Schröder. Gerhard Schröder, Bundeskanzler (von der SPD so- wie von Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN mit Beifall begrüßt): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am 7. Oktober haben die Vereinigten Staaten von Amerika als Teil der notwendigen Antwort auf die terroristischen Anschläge von New York und Washington mit militärischen Maßnahmen gegen die Infrastruktur des terroristischen Netzwerks von Osama Bin Laden und gegen Einrichtungen des Taliban-Re- gimes in Afghanistan begonnen. In dieser Situation wird von Deutschland aktive Solidarität und verantwortliches Handeln erwartet und auch geleistet, eine Solidarität, die sich nicht in Lippenbekenntnissen erschöpfen darf, und eine Politik, die Deutschlands Verantwortung in der Welt, aber auch der Verantwortung der Bundesregierung für die Menschen in Deutschland angemessen ist. Übrigens haben wir das, was wir hier an politischen Aktivitäten entwickelt haben, nicht zuletzt auch gemein- sam mit der Opposition erarbeitet. Ich sage sehr deutlich: Ich bin für manchen Rat – auch für den, der nicht öffent- lich gegeben wurde – dankbar. Das Gleiche gilt für dieje- nigen, die in der Vergangenheit Verantwortung für unser Land getragen haben und mit denen ich mich beraten habe. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP) Nicht nur bei uns stellen sich viele Menschen die Fra- gen: Welcher konkrete Beitrag wird im Kampf gegen den Terrorismus von uns gefordert und welche Risiken müs- sen wir alle miteinander dabei eingehen? Stehen wir vor einer neuen Phase internationaler Instabilität, mit allen Konsequenzen für die äußere und innere Sicherheit, aber auch mit allen Konsequenzen für unsere Freiheit? – Die Antwort der Bundesregierung und – soweit ich das verstanden habe – fast des gesamten Hohen Hauses auf diese Fragen ist eindeutig: Wir befinden uns mitten in einer entscheidenden und wahrscheinlich langwierigen Auseinandersetzung mit dem internationalen Terrorismus. Wir – das gilt für uns alle – haben diesen Konflikt nicht gewollt. Er ist uns durch barbarische Attentate in den Ver- einigten Staaten aufgezwungen worden. Aber wir nehmen diese Auseinandersetzung mit dem Terrorismus an und wir werden sie miteinander gewinnen. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP) Die Vereinigten Staaten von Amerika und wir als Ver- bündete führen keinen Krieg gegen einzelne Staaten oder Völker und schon gar keinen gegen die islamische Welt insgesamt. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP sowie des Abg. Dr. Ilja Seifert [PDS]) Aber wer den Terrorismus fördert und unterstützt, wer sei- nen Hintermännern und Drahtziehern Unterschlupf bietet, wer ihnen gestattet, ihre Netzwerke des Terrors zu betrei- ben und ihre Verbrechen vorzubereiten, der wird dafür zur Rechenschaft gezogen. Das Taliban-Regime hat all das gewusst. Die Machtha- ber in Kabul, die ja auch die Unterdrücker ihres Volkes sind, hatten Zeit genug, den Forderungen der Staaten- und Völkergemeinschaft nachzukommen. Sie haben die der- zeitige Konfrontation gewollt. Das afghanische Volk ist selbst Opfer von Terroris- mus, Armut und Unterdrückung. Darum wollen wir die Menschen in Afghanistan im Rahmen der atlantischen So- lidarität, aber vor allem im Rahmen der Vereinten Natio- nen mit einem wirklich umfassenden Hilfsprogramm un- terstützen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Meine Damen und Herren, ebenso klar ist, dass die Menschen in Deutschland auf eines bauen können: Wir tun alles in unserer Macht Stehende, um die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger in unserem Land zu gewährleis- ten. Gewiss: Im Moment gibt es keine konkreten Hin- weise auf akute Bedrohungen durch terroristische Anschläge. Zu Furcht oder gar zu Panik besteht also über- haupt kein Anlass. Gleichwohl haben wir den Schutz be- sonders gefährdeter Einrichtungen verstärkt und weitere Maßnahmen zur besseren Bekämpfung aller Formen des Terrorismus und der Gewalt ergriffen. Bereits am 19. September haben wir im Kabinett ein erstes Antiterrorpaket beschlossen. Dadurch werden wir die Sicherheit im Luftverkehr verbessern. Das betrifft die Überprüfung und Überwachung der Beschäftigten auf Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Präsident Wolfgang Thierse 18680 (C) (D) (A) (B) den Flughäfen, die Intensivierung der Gepäckkontrollen und die Begleitung deutscher Flugzeuge durch entspre- chendes Sicherheitspersonal. Wir haben Geld für die Bekämpfung des Terrorismus mobilisiert und wir werden das Strafrecht so regeln, dass wir ausländische Kriminelle und terroristische Vereinigungen besser verfolgen kön- nen. Wir schaffen das Religionsprivileg im Vereinsrecht ab; denn das Grundrecht der Glaubens- und der Bekennt- nisfreiheit darf nicht jene schützen, die religiös-fanati- schen Zielen nachhängen und unter dem Schutz dieses Grundrechts Terror und Mord planen. Es ist ganz klar: Auf die neuen Formen des Terrorismus müssen wir durch eine engere nationale, aber auch inter- nationale Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden rea- gieren. Genauso unmissverständlich können und dürfen wir festhalten: Der Standard der inneren Sicherheit in Deutschland genügt höchsten internationalen An- sprüchen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Bundeskriminalamt, Bundesgrenzschutz, die Dienste und die Polizei leisten gute und wirksame Arbeit und dafür sind wir ihnen zu Dank verpflichtet. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der PDS) Der Terrorismus, mit dem wir es zu tun haben, organi- siert sich in einem internationalen Netzwerk. Viele Maß- nahmen erfordern daher sinnvollerweise eine engere eu- ropäische und internationale Kooperation. Darum haben wir uns auf der Sondersitzung des Europäischen Rates am 20. September in Brüssel intensiv mit den Problemen der Verhütung und der Bekämpfung des Terrorismus be- schäftigt. Ein weiteres, informelles Treffen wird am 19. Oktober in Gent folgen. Dabei geht es allen Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union vor allem darum, einen europäischen Haftbefehl einzuführen, der zu spürbar vereinfachten Verfahren bei der gegenseitigen Überstellung von Straftätern führen wird. Ferner wollen wir die Arbeit der Antiterrorexperten der einzelnen Länder wirksamer vernetzen und die transat- lantische polizeiliche Zusammenarbeit mit den Vereinig- ten Staaten von Amerika organisieren und optimieren. Außerdem brauchen wir im Asyl- und Einwanderungs- recht auch auf europäischer Ebene Regelungen, die für mehr Schutz vor dem Terrorismus sorgen. Die Bundesregierung wird noch in diesem Monat ein zweites umfassendes Antiterrorpaket beschließen. Vor al- lem müssen wir den Sicherheits- und Strafverfolgungs- behörden effizientere Möglichkeiten geben, um zusätzli- che Informationen zur Bekämpfung von Terrorismus und Kriminalität zu nutzen. Das kann heißen: Personalaus- weise, Pässe und Visaanträge werden zukünftig um Fin- gerabdrücke oder andere biometrische Merkmale ergänzt. Es handelt sich übrigens um eine Regelung, die in den Vereinigten Staaten bei Aufenthaltsgenehmigungen schon seit Jahren praktiziert wird, um eine Regelung, die Qualität und Effizienz in der Bekämpfung des Ter- rorismus sehr wohl verbessern wird, mit der aber kei- neswegs der Bestand der Grundrechte gefährdet oder, wie man gelegentlich liest, gar der Rechtsstaat abge- schafft wird. (Jörg van Essen [FDP]: So ist es!) Wir müssen und wir werden den Verfassungsschutz an die veränderte Bedrohungslage personell wie struktu- rell anpassen. Unsere Ermittlungen haben gezeigt, dass es auch bei uns in Deutschland Strukturen terroristischer Netzwerke gibt. Deren Gefährdungspotenzial müssen wir alle sehr ernst nehmen und diese Netzwerke müssen zer- schlagen werden. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der PDS) Handlungsbedarf gibt es auch beim Zivil- und Kata- strophenschutz, der teilweise von den Ländern und teil- weise von uns zu organisieren ist. Nach dem Ende des Kalten Krieges schienen die früheren Gefährdungslagen weggefallen zu sein. Wir werden unsere Bemühungen um den Schutz der Bevölkerung, die wir nicht aufgegeben haben, nunmehr sehr gezielt auf die neuen Problemlagen hin verstärken. Es geht in erster Linie darum, die erfor- derlichen Informationen schnell, länderübergreifend und bundesweit zu vernetzen sowie ihre Weiterleitung zu ga- rantieren, um auf diese Weise effiziente Einsätze sicher- zustellen. Dazu gehört auch ein entsprechendes Warnsys- tem für die Bevölkerung. Was im Kampf gegen den Terrorismus nicht so sehr weiterhilft, ist eine abstrakte Diskussion über die Ver- schiebung von Grundsätzen, nach denen unser Gemein- wesen organisiert ist. Ich will gar keine Zweifel aufkom- men lassen: Ich plädiere dafür, dass wir unter allen Umständen an der Unterscheidung von äußerer und inne- rer Sicherheit festhalten. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordne- ten der CDU/CSU und der PDS) Ich halte es nicht nur für zulässig, sondern auch für an- gemessen – auch daran will ich keinen Zweifel aufkom- men lassen –, dass man über den einen oder anderen Ver- fassungsartikel unseres Grundgesetzes, etwa über den, der sich zum Einsatz der Bundeswehr im Inneren äußert, diskutiert. Ich möchte darauf hinweisen und vor allen Dingen der Öffentlichkeit klar machen – es handelt sich zwar um eine juristisch vielleicht interessante, aber nicht sehr weit führende Diskussion –: Die Verfassungs- lage lässt den Einsatz der Bundeswehr von jeher in be- stimmten Situationen zu: in Situationen, in denen das sinnvoll ist und in denen die Bundeswehr in der Lage ist, jene Kräfte zu ergänzen, nämlich die Polizei, die eigent- lich für die innere Sicherheit zuständig ist. Wir haben zum Beispiel den Ministerpräsidenten der Länder mitgeteilt, dass der Bundesverteidigungsminister kein Problem damit hat, Hilfe zur Verfügung zu stellen – die einschlägigen Verfassungsartikel geben das her –, falls in ihren Ländern amerikanische Einrichtungen zu schützen sind und die Bundeswehr dabei wirksam helfen kann. Ich glaube nicht, dass wir eine Änderung der Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Bundeskanzler Gerhard Schröder 18681 (C) (D) (A) (B) Verfassung im Hinblick auf diese und ähnliche – be- grenzte – Aktivitäten der Bundeswehr im Innern wirklich brauchen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS und des Abg. Walter Hirche [FDP]) In meiner Regierungserklärung vom 19. September habe ich darauf hingewiesen, dass wir unsere besondere Aufmerksamkeit auf die finanziellen Strukturen der terroristischen Netzwerke richten müssen und dass es unsere Aufgabe ist, diese Finanzströme zu erfassen und wirksam zu unterbinden. Dazu bedarf es Maßnahmen auf nationaler, aber natürlich auch auf internationaler Ebene. Wir werden eine Zentralstelle zur Bekämpfung der Geld- wäsche einrichten sowie Strukturen und Instrumente schaffen, um unerlaubt betriebene Bankgeschäfte und das Schattenbankwesen leichter verfolgen zu können. Am vergangenen Wochenende haben sich die Finanz- minister der G-7-Staaten und Russlands auf einen umfas- senden Aktionsplan zur Bekämpfung des Terrorismus durch Verhinderung von Geldwäsche und Überwachung der Finanzströme geeinigt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Die vom Bundesfinanzminister entwickelten Maßnahmen und der in internationaler Kooperation verabredete Ak- tionsplan sind geeignet, die Finanzquellen des Terroris- mus auszutrocknen und damit den terroristischen Netz- werken eine wichtige Voraussetzung ihrer Existenz wirksam zu entziehen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS) Aus dem, was ich gesagt habe, ergibt sich, dass die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes überzeugt sein können, dass ihre Sicherheit ein zentrales Anliegen der Bundesregierung, aber auch der Parteien hier im Hohen Hause ist und bleiben wird. Ich sage auch ganz unzwei- deutig: Genauso wenig wie wir uns von den Terroristen in einen „Kampf der Kulturen“ treiben lassen, werden wir im Kampf gegen den Terrorismus jene Werte, die unsere Welt zusammenhalten – die Werte von Freiheit, Solida- rität, Rechtssicherheit und Gerechtigkeit –, auch nur einen Millimeter preisgeben. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der PDS) Meine Damen und Herren, ich denke, wir haben Grund, bei der Formulierung und Durchsetzung unserer Außenpolitik – vielleicht spüren Sie, dass es mir darum geht, dass man in dieser Frage soweit wie irgend möglich Gemeinsamkeiten, die entwickelt wurden, bewahrt – das eine oder andere zu verändern. Das war auch Kern der Ge- spräche, die ich in Washington und New York geführt habe. Es gibt sicher viele Gründe, warum Deutschland in der aktuellen Situation seine Präsenz und seine aktive So- lidarität unseren Freunden in den Vereinigten Staaten und in der internationalen Allianz gegen den Terrorismus zeigen muss: historische, gegenwärtige, aber auch Gründe, die mit der Positionierung Deutschlands in der Zukunft zu tun haben. Nach dem Ende des Kalten Krieges, der Wiederher- stellung der staatlichen Einheit Deutschlands und der Wiedererlangung unserer vollen Souveränität haben wir uns in einer neuen Weise der internationalen Verantwor- tung zu stellen, einer Verantwortung, die unserer Rolle als wichtiger europäischer und transatlantischer Partner, aber auch als starker Demokratie und starker Volkswirtschaft im Herzen Europas entspricht. Noch vor zehn Jahren hätte niemand von uns erwartet, dass Deutschland sich anders als durch so etwas wie „sekundäre Hilfsleistungen“ – also Zurverfügungstellung von Infrastruktur oder Gewährung von Finanzmitteln – an internationalen Bemühungen zur Sicherung von Freiheit, Gerechtigkeit und Stabilität betei- ligt. Ich sage das durchaus auch bezogen auf mein eigenes Denken und Handeln. Diese Etappe deutscher Nach- kriegspolitik – darauf habe ich bereits unmittelbar nach dem 11. September hingewiesen – ist unwiederbringlich vorbei. Gerade wir Deutschen, die wir durch die Hilfe und So- lidarität unserer amerikanischen und europäischen Freunde und Partner die Folgen zweier Weltkriege über- winden konnten, um zu Freiheit und Selbstbestimmung zu finden, haben nun auch eine Verpflichtung, unserer neuen Verantwortung umfassend gerecht zu werden. Das schließt – und das sage ich ganz unmissverständlich – auch die Beteiligung an militärischen Operationen zur Verteidigung von Freiheit und Menschenrechten, zur Her- stellung von Stabilität und Sicherheit ausdrücklich ein. Bei den gezielten Militärschlägen, die im Augenblick von den Vereinigten Staaten und Großbritannien durchge- führt werden, haben unsere amerikanischen und briti- schen Freunde deshalb nicht nur unsere uneingeschränkte Solidarität verdient. Diese Militärschläge stehen – das kann gar nicht oft genug betont werden – völlig im Ein- klang mit der Beschlussfassung des Weltsicherheitsrates über die Anwendung legitimer Selbstverteidigung, also mit den Resolutionen 1369 und 1373. In seiner wegweisenden Resolution 1373 hat der Si- cherheitsrat der Vereinten Nationen in beeindruckender Weise das Völkerrecht im Hinblick auf die neu entstande- nen Bedrohungen angepasst. Das Völkerrecht angepasst zu haben heißt für uns, es innerhalb bestimmter Zeit im Inneren wirksam umzusetzen und es als Richtschnur für nationales und internationales Handeln zu begreifen. Diese Bedrohungen und Angriffe überschreiten das Maß dessen, was in der internationalen Politik, aber vor allem im Zusammenleben der Menschen, in der Ge- schichte menschlicher Zivilisation bisher als Angriff von einzelnen Terroristen und terroristischen Gruppen vorstellbar gewesen und tatsächlich realisiert worden ist. Meine Damen und Herren, Bürgermeister Giuliani hat mich vorgestern an den Ort dieser Katastrophe geführt, an den Ort, an dem noch vor wenigen Wochen Tausende von Menschen ihrer Arbeit im World Trade Center nach- gingen. Die Erschütterung, die jeden denkenden, fühlen- den und mitfühlenden Menschen beim Anblick dieses Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Bundeskanzler Gerhard Schröder 18682 (C) (D) (A) (B) „Ground Zero“ erfasst, kann man kaum beschreiben; denn – gestatten Sie mir, diese Erfahrung kurz mitzuteilen – die Fernsehbilder, die wir alle gesehen haben, gehen gnädig mit den Zuschauern um, weil sie Distanz schaffen. Wenn man es unmittelbar sieht und erlebt, kann man eigentlich nur zu der Überzeugung kommen, das wir alles, aber auch wirklich alles tun müssen, damit sich diese grausamen Anschläge nicht wiederholen können. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der PDS) Unsere Verbündeten haben uns bisher nicht um einen direkten militärischen Beistand im Kampf gegen den Ter- rorismus gebeten. Präsident Bush hat mir versichert, wie hoch er und das amerikanische Volk den Beitrag schätzen, den wir bisher in der nachrichtendienstlichen Zusammen- arbeit, bei der Austrocknung der Finanzquellen und vor allem bei der Herstellung der internationalen Allianz ge- gen den Terrorismus geleistet haben. Ich habe gegenüber dem amerikanischen Präsidenten deutlich gemacht, dass Deutschland seiner Verantwortung auf allen Gebieten nachkommen wird. Das schließt auch die militärische Zu- sammenarbeit ausdrücklich ein. Eine solche Verpflich- tung ergibt sich für uns aus Art. 5 des NATO-Vertrages, dessen Anwendbarkeit auf die aktuelle Situation vom NATO-Rat festgestellt worden ist. Die Bereitschaft, auch militärisch für Sicherheit zu sor- gen, ist ein wichtiges Bekenntnis zu Deutschlands Allian- zen und Partnerschaften. Aber nicht nur das: Die Bereit- schaft, unserer größer gewordenen Verantwortung für die internationale Sicherheit gerecht zu werden, bedeutet auch ein weiter entwickeltes Selbstverständnis deutscher Außenpolitik. International Verantwortung zu überneh- men und dabei jedes unmittelbare Risiko zu vermeiden kann und darf nicht die Leitlinie deutscher Außen- und Si- cherheitspolitik sein. Meine Damen und Herren, mit Bezug auf die innenpo- litische Diskussion sage ich auch: Wir sollten versuchen, nachzuvollziehen und zu verstehen, dass es viele Men- schen gibt, die sich Sorgen um Tatsache und Umfang ei- nes militärischen Beitrags zur Bekämpfung des Terroris- mus machen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Dr. Ilja Seifert [PDS]) Mit den Menschen, die sich einer solchen Entwicklung noch verweigern wollen, müssen und werden wir die Dis- kussion aufnehmen. Im Übrigen: Dass unsere zivile Gesellschaft gegenüber der Notwendigkeit militärischer Optionen und ihrer Aus- übung zurückhaltender als jemals in der deutschen Ge- schichte geworden ist, begreife ich als einen zivilisatori- schen Fortschritt, auch wenn es die eigene Argumentation bezüglich bestimmter Notwendigkeiten schwerer macht. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der PDS) Mir ist – ich glaube, da spreche ich den meisten aus den Herzen – die Zurückhaltung einer Gesellschaft, die sich zu Recht etwas auf ihren zivilen Charakter einbildet, alle- mal lieber als jede Form von Hurrapatriotismus. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS sowie bei Abgeordne- ten der CDU/CSU und der FDP) Wir Deutschen stehen – auch das hat der Generalsekretär der Vereinten Nationen sehr deutlich gemacht – an vorders- ter Front bei der konsequenten Sicherung des Friedens in der Welt, aber ebenso bei der konsequenten Herstellung von Sicherheit und Stabilität, die auf Menschenrechten und Menschenwürde basiert. Die Bundesregierung hat immer gesagt, dass unser Hauptaugenmerk auf die Krisenprävention und die Kri- senregulierung gerichtet ist und dass unter Umständen er- forderliche militärische Beiträge in der internationalen Politik gelegentlich notwendige, aber keineswegs hinrei- chende Bedingung für internationale Stabilität sind. Ich sage dazu: Das war nie eine Ausflucht, nicht auch mi- litärisch handeln zu wollen, wenn wir das müssen. Das wird auch so bleiben. Meine Damen und Herren, die vergangenen Wochen haben uns nicht nur schockiert, sondern sie haben uns auch klar gemacht, dass wir etwas sehr Wertvolles zu ver- teidigen haben: das Streben nach Glück, wie es die Ame- rikaner sagen, oder, wie es bei uns im Grundgesetzt heißt, die Würde des Menschen, die bei uns und nicht nur bei uns Maßgabe und Maßstab jeglicher Politik sein muss. Es geht um Rechtssicherheit, Gerechtigkeit und Teilhabe, die wir nicht nur national, sondern auch international durch- setzen müssen oder bei deren Durchsetzung wir Hilfe leis- ten müssen. Die Bundesregierung begegnet jener namenlosen Bar- barei, der in New York und Washington Tausende zum Opfer gefallen sind, mit Entschlossenheit, aber auch – das wissen Sie – mit Besonnenheit. Durch intensive Be- mühungen und vielfältige Aktivitäten ist es gelungen, eine breite internationale Koalition gegen den Terrorismus herzustellen. Das ist ein hohes Gut und wir müssen sehr viel politische Kraft einsetzen, um es zu bewahren. Die in- ternationale Gemeinschaft ist so entschlossen wie nie, mit vereinten Anstrengungen den Durchbruch zum Frieden im Nahen Osten zu erreichen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Auch damit machen wir klar, dass der Terrorismus keine wie auch immer geartete Legitimation hat und haben kann. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Meine Damen und Herren, mir liegt daran, dass deut- lich wird: Die Aufteilung der Welt in Arm und Reich ist ein bedauerliches Übel. Die Situation im Nahen Osten und die Auseinandersetzungen, von denen wir tagtäglich erfahren, sind es auch. Aber die Aufteilung der Welt in Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Bundeskanzler Gerhard Schröder 18683 (C) (D) (A) (B) Arm und Reich ist keine und darf nicht verstanden wer- den als monokausale Begründung für den Terrorismus. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der PDS) Worum es geht, ist zu erkennen, dass der Terrorismus auf der einen Seite eine ganz eigene Qualität hat, dass aber auf der anderen Seite solche Konflikte, die ich erwähnt habe, wenn wir sie nicht lösen, es den Terroristen und ihren Hel- fershelfern gestatten, die Massen, die mit diesen Konflik- ten in Berührung kommen, für ihre verbrecherischen Ziele zu missbrauchen. Das ist der Zusammenhang, der hergestellt werden muss. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der PDS) Deshalb wird der Bundesaußenminister, der dort sehr viel geleistet hat, seine Bemühungen, zum Frieden im Na- hen Osten beizutragen, in völliger Übereinstimmung mit dem Präsidenten der Vereinigten Staaten unbeirrt fortset- zen. Dies ist ein Teil der Arbeitsteilung, die wir vornehmen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Roland Claus [PDS]) Unser Konzept wird das einer umfassenden Sicherheit sein: materielle Sicherheit, soziale Sicherheit, aber auch Rechtssicherheit und in diesem Zusammenhang auch Wehrhaftigkeit. Diese Konzeption, die wir bereits in den Balkankonflikten vorgeschlagen und, soweit das möglich ist, umgesetzt haben, hat auch etwas genuin Europäisches. Wir sagen heute stolz: Das Projekt der europäischen Integration ist die größte Erfolgsgeschichte des 20. und, ich denke, auch des 21. Jahrhunderts. Die daraus resultie- renden Erfahrungen in der Bewältigung und Lösung von Konflikten wollen wir gern anderen Völkern in anderen Regionen zur Verfügung stellen. Ich will aber, meine Damen und Herren, auch einen an- deren Stolz zum Ausdruck bringen: Die Solidarität der deutschen Bevölkerung mit den Opfern des Terrorismus und die Bereitschaft der Menschen bei uns, gegen jeden Extremismus und Terrorismus zu kämpfen, dabei aber nicht in falschen Eifer zu verfallen, sind beispielhaft. Das ist ein großes Kompliment, das sich die Menschen in un- serem Land verdient haben. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der PDS) Die Menschen in Deutschland, unsere zivile Gesell- schaft wissen sehr genau, was auf dem Spiel steht. Des- halb rufen sie nicht nach Rache und Vergeltung. Aber sie sind bereit, unsere Gesellschaft und die Zukunftsfähigkeit unserer einen Welt in einem wirklich umfassenden Sinne zu verteidigen. Dafür müssen wir ihnen dankbar sein. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. (Anhaltender Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile das Wort Kollegin Angela Merkel von der CDU/CSU-Fraktion. Dr. Angela Merkel (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute vor einem Monat haben die schrecklichen Terroranschläge auf New York und Washington die Welt verändert. Ich glaube, wir sind uns alle einig, dass dieser 11. September 2001 ein Wende- punkt ist, ein Wendepunkt im Zusammenleben der Völker auf dieser Welt. Spätestens seit dem 7. Oktober, seit Sonn- tagabend, wissen wir: Dies hat viele Konsequenzen, auch militärische. Ich sage dazu: Diese Konsequenzen sind alternativlos. Mit Recht – ich verstehe das – stellen sich viele Menschen in den letzten Wochen die bange Frage: Was bedeuten diese Terroranschläge für meine eigene Zukunft, für meine Familie, für meine Kinder? Denn schlagartig sind für uns alle die Bedrohungen des 21. Jahrhunderts sicht- bar geworden. Schlagartig ist klar geworden: Die Illusion von einer friedlichen Welt bleibt eine Illusion. Angst darf nicht unser Ratgeber sein. Ein Wendepunkt des 11. September hat Konsequenzen. Es wäre aber falsch zu sagen: Dieser Wendepunkt bedeutet, dass nichts mehr so bleibt, wie es war. Es bleiben unsere Werte, die Ach- tung der Würde des Menschen, das Eintreten für Freiheit und Gerechtigkeit und es bleibt vor allen Dingen die Chance, sie in ihrer Bedeutung stärker zu achten und stär- ker durchzusetzen. Sie, Herr Bundeskanzler, waren – wie ich finde, leider recht spät – in dieser Woche in den Vereinigten Staaten. (Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der SPD: Oh! – Weiterer Zuruf von der SPD: Das ist doch lächerlich!) Sie waren an der Stätte des Grauens, an der Stätte des Ter- rors, an der Stelle, an der Tausende von Menschen ihr Le- ben verloren haben. Sie haben dort den Ort gesehen, an dem Hass und Gewalt gewütet haben. Jedem muss klar sein: Es gibt keine Form der Erklärung für solche Taten und es darf sie auch nicht geben. Ich sage dies, weil ich spüre, dass mit dem Abstand von dem Ereignis immer wieder versucht wird, solcherlei Erklärungen doch auf die verschiedenste Art und Weise zu finden. Ich sage dies vor allen Dingen mit großer Bedrückung, weil das selbst im öffentlich-rechtlichen Fernsehen vorkommt. Das dürfen wir auf keinen Fall zulassen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der FDP) Wir dürfen das nicht zulassen, weil wir es den Opfern schuldig sind. Wenn dieser schreckliche Tod von Tausen- den und Abertausenden von Menschen einen Sinn haben soll, dann müssen wir es entschlossen in die Hand neh- men, unsere Welt von den Wurzeln dieses Terrors zu be- freien. Das ist die Aufgabe, die sich für uns aus diesem 11. September ergibt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der FDP) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Bundeskanzler Gerhard Schröder 18684 (C) (D) (A) (B) Der 11. September hat uns gezeigt: Wir, unsere offenen Gesellschaften – das gilt für jeden einzelnen Menschen – brauchen die Bereitschaft, diesen Kampf einzugehen. Wir haben erlebt, dass es nicht ausreicht, gleichgültig gegen- über uns selbst zu sein. Vielmehr müssen wir uns darüber klar werden, wofür wir kämpfen. Ansonsten werden der Krake des Terrors, der Krake der Angst die Menschen handlungsunfähig machen. Ich werde in diesen Tagen, wie Sie alle, oft gefragt: Müssen wir nicht noch mehr Angst haben, wenn es Reaktionen der freien Welt gibt? Ich sage: Die Angst müsste größer sein, wenn es keine Re- aktionen gäbe. Deshalb müssen wir handeln. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Der 11. September hat noch etwas anderes deutlich ge- macht: Unsere eine Welt ist eine überschaubare Welt und wir leben gemeinsam. Wer geglaubt hat, Deutschland könne sich aus dieser Welt in irgendeiner Weise ausklin- ken, ist eines Besseren belehrt worden. Terroristen haben unter uns gelebt oder leben vielleicht noch unter uns. Des- halb haben wir die Verantwortung, gemeinsam darüber nachzudenken, wie wir ein Konzept nicht nur im wirt- schaftlichen Bereich, sondern genauso im Bereich der In- nenpolitik als Weltinnenpolitik aufstellen. Ein solches Konzept muss verschiedene Aspekte berücksichtigen. Der erste Aspekt ergibt sich im Grunde, seitdem es die deutsche Einheit gibt. Damals hat der Va- ter des heutigen amerikanischen Präsidenten dem Bundeskanzler Helmut Kohl „partnership in leadership“ angeboten. Heute ist die Zeit da, in der wir diese Verant- wortung einlösen müssen. Geradezu vorausschauend hat uns der Leiter des Jüdischen Museums in Berlin, Herr Blumenthal, anlässlich der Einweihung dieses Museums ins Stammbuch geschrieben: Wir Deutschen haben im 21. Jahrhundert die Aufgabe, eine führende Rolle im Kampf um Menschenrechte und gegen den Terrorismus zu spielen. Diese Aufgabe müssen wir einlösen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir müssen diese Aufgabe auch als ein wichtiges, als ein großes Land in der Europäischen Union einlösen. Die Wertegemeinschaft der Europäischen Union muss sich in diesen Stunden und Tagen bewähren. Die Antwort auf die Frage, wie die Europäische Union und in ihr Deutschland agieren und wie wir die Vertiefung unserer Zusammenarbeit ausgestalten, wird entscheiden, welche Rolle Europa in der Welt des 21. Jahrhunderts spielt. Es zeigt sich mit großem Drängen, dass die Ausgestaltung ei- ner gemeinsamen europäischen Verteidigungs- und Si- cherheitspolitik nicht auf sich warten lassen sollte. Es zeigt sich mit großem Drängen, dass das Schmieden von Allianzen nicht ohne die Europäische Union vonstatten gehen darf; vielmehr wird sie dabei eine wichtige Rolle spielen müssen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der FDP) Meine Damen und Herren, selten hat es einen Monat so vieler diplomatischer Aktivitäten gegeben. Wer geglaubt hat, nach dem 11. September könnte es das Primat der Po- litik nicht mehr geben, ist eines Besseren belehrt worden. Das ist eine gute Erfahrung. Wir müssen aber auch auf- passen, dass neue Allianzen nicht über unterschiedliche Wertvorstellungen hinwegtäuschen. Der russische Präsi- dent hat an dieser Stelle eine bemerkenswerte Rede ge- halten. Er hat uns alle darauf hingewiesen, dass der Kalte Krieg lange vorbei ist. Er hat festgestellt, dass wir alle noch dazu neigen, in den Strukturen des Kalten Krieges zu denken. All das ist richtig. Aber ich möchte hinzufü- gen: Der Kalte Krieg ist zu Ende; dies hat aber nicht zu ei- ner neutralen Wertebasis geführt. Er ist nämlich zu Ende, weil die Werte von Freiheit und Demokratie gegen Dikta- tur und Unterdrückung gesiegt haben. Dies ist eine wich- tige Erfahrung. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich sage dies nicht aus nachträglicher Besserwisserei – ich habe nämlich auf der anderen Seite gelebt –, sondern weil wir uns über diesen Punkt im Klaren sein müssen, wenn wir die Fundamente für eine neue Ordnung des 21. Jahrhunderts legen wollen. Es mag ja sein, dass wir die Erfahrungen und Geschehnisse in Tschetschenien auch unter einem anderen Blickwinkel sehen müssen. Es muss aber auch ausgesprochen werden, dass in Tschet- schenien Menschenrechtsverletzungen passiert sind und passieren, die wir auch angesichts neuer Allianzen nicht dulden dürfen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN und der PDS) Ich sage Ja zu neuen Allianzen und zu neuen Partner- schaften in allen Bereichen, wo dies möglich ist. Aber das darf beispielsweise im Zusammenhang mit Russland nicht dazu führen, dass wir auf dem Standpunkt stehen, Russland könne sofort Mitglied der NATO werden. Wir tun uns alle keinen Gefallen, wenn wir diese Dinge nicht mehr aussprechen würden; sie müssen auch nach dem 11. September ausgesprochen werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir brauchen einen Dialog der Religionen und Kul- turen, entschlossener und offener als bisher. Ich glaube im Übrigen, dass wir, die Deutschen und die Europäer, über unsere eigenen Grundlagen sehr viel stärker nach- denken werden, wenn wir in einen solchen Dialog der Kulturen offensiv eintreten. Es ist aber auch wichtig, dass wir uns mit der Frage auseinander setzen, warum viele der Terroristen nicht aus der Schicht der Ärmsten der Armen kommen, sondern Mitglieder der gebildeteren und reiche- ren Schichten ihrer Länder sind. Deshalb sage ich: Der Dialog der Kulturen und Religionen ist wichtig. Aber er findet dort seine Grenzen, wo Religion für politische Machtstrukturen missbraucht wird. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der FDP und des Abg. Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]) Für die Bekämpfung des Terrorismus brauchen wir eine Doppelstrategie wie die, die zum Untergang des So- zialismus und des Kommunismus geführt hat. Diese Stra- tegie muss auf der einen Seite hart, unerbittlich und kom- promisslos mit allen Mitteln, die uns zur Verfügung stehen, Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Dr. Angela Merkel 18685 (C) (D) (A) (B) gegen bestimmte Werteverletzungen angehen. Auf der an- deren Seite muss sie denjenigen Menschen eine Perspek- tive geben, die sich für die Werte von Freiheit und Demo- kratie einsetzen. Wenn wir diese Strategie durchführen wollen, dann muss das Konsequenzen für die Prioritäten unserer Poli- tik haben. Herr Bundeskanzler, ich kann Ihnen deshalb diese Bemerkung nicht ersparen: Der Haushalt des Jahres 2000 mit den dramatischen Kürzungen im Bereich der Entwicklungshilfe war genau das falsche Signal für eine solche notwendige Politik des 21. Jahrhunderts. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Auch die 200 Millionen DM, die jetzt aus den zusätzlich aufgebrachten 3 Milliarden DM zusätzlich für die Ent- wicklungshilfe ausgegeben werden, sind nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Der 11. September muss stärkere Konsequenzen nach sich ziehen – beispielsweise hinsichtlich der Verhandlungen bei der Welthandelsorga- nisation –, weil es notwendig ist, den armen Ländern auf der Welt zu helfen. Wenn wir dies nicht bedenken, sind unsere Worte nur Lippenbekenntnisse. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der FDP) Für mich hat der 11. September gezeigt, dass die Gren- zen von innerer und äußerer Sicherheit zunehmend ver- schwimmen. Bei ganz nüchterner Betrachtung müssen wir zu dem Schluss kommen, dass plötzlich aus dem In- neren offener Gesellschaften nicht staatliche Akteure quasi militärisch agieren. Dies ist eine Form von Bedro- hung, die wir nicht gekannt haben. Deshalb kann ich mich mit Ihrem Satz: „An der Unterscheidung von innerer und äußerer Sicherheit werden wir festhalten“ nicht einver- standen erklären. Dieser Satz beschreibt das, was wir ge- meinsam erlebt haben, nicht ausreichend. Dieser Satz be- schreibt nicht die eigentliche Veränderung. Denn es gibt nicht die äußere Sicherheit und die innere Sicherheit, son- dern es gibt die Frage der Bedrohung. Wir leben in einer gemeinsamen Welt. Das ist doch die Erfahrung; das sagen Sie doch selber auch. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) In gewisser Weise haben Sie sich selbst in Ihren weite- ren Ausführungen widersprochen, als Sie darüber redeten, dass es natürlich ganz neue Verzahnungen geben werde. Niemand in dieser Bundesrepublik Deutschland, jeden- falls nicht in meiner Partei, wird in irgendeiner Weise Po- lizei und Bundesgrenzschutz durch Kräfte der äußeren Sicherheit ersetzen wollen. Vielmehr geht es um die Frage, ob in bestimmten Bedrohungssituationen, ergän- zend zu dem, was wir von Polizei und Bundesgrenzschutz brauchen, und ergänzend zu dem, was bereits heute das Grundgesetz ermöglicht, vielleicht bestimmte Dinge zu- sätzlich angewandt werden sollten. Es geht um die Frage, ob wir es schaffen, nicht immer in rechtlichen Grauzonen zu arbeiten. Denn auch das ist kein politisches Handeln auf Dauer. (Beifall bei der CDU/CSU – Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Ein Blick in das Grundge- setz reicht schon!) Nun hat der Bundeskanzler selbst eben – deshalb brau- chen Sie sich doch auch gar nicht aufzuregen – davon ge- sprochen, dass man über diesen und jenen Artikel des Grundgesetzes noch einmal nachdenken müsse. Ich lade uns alle ein, dies ohne alle ideologischen Scheuklappen zu tun (Beifall bei der CDU/CSU – Joachim Poß [SPD]: Nachdenken ist immer gut!) und dabei eines zu beachten: Bundeswehr, Polizei und Bundesgrenzschutz müssen finanziell ausreichend ausge- stattet sein. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der FDP) Herr Bundeskanzler, es ist eine zweite Rechnung nicht aufgegangen. Sie haben gedacht, mit Ihrer Konzeption der Haushaltskonsolidierung könnten Sie vor allen Din- gen die Bereiche herunterfahren, in denen sich die Schä- den nicht so schnell zeigen würden. Sie haben sich die Entwicklungshilfe vorgenommen. Sie haben sich die Bundeswehr vorgenommen. Sie haben sich Teile der inneren Sicherheit vorgenommen. (Dr. Peter Struck [SPD]: Das ist ja falsch! – Joachim Poß [SPD]: Alles falsch!) Es hat sich gezeigt, dass die 20 Milliarden DM, die Sie ge- genüber unserer ursprünglichen Finanzplanung bei der Bundeswehr einsparen, genau die 20 Milliarden DM sind, die fehlen, um die Bundeswehr auf die Aufgaben vorzu- bereiten, (Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Nichts verstanden, Frau Kollegin! – Joachim Poß [SPD]: Deutlich fehlende Kompetenz!) die sie im Bereich der europäischen Verteidigungs- und Sicherheitspolitik, im Bereich der neuen internationalen Herausforderungen hat. Das werden wir auch immer wie- der ansprechen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der FDP) Diese neuen Bedrohungen haben einen weiteren Aspekt: Sie stellen uns vor die Aufgabe – die CDU/CSU- Bundestagsfraktion hat dazu ein umfassendes Konzept vorgelegt –, (Dr. Peter Struck [SPD]: Abgeschrieben!) mit neuen Mitteln und Möglichkeiten auf bestimmte Dinge zu reagieren. – Herr Struck, wenn Sie hier von „ab- geschrieben“ reden, (Dr. Peter Struck [SPD]: Ja, bei Otto Schily haben Sie abgeschrieben! – Michael Glos [CDU/CSU]: Das ist wirklich schwach!) dann muss ich Ihnen wirklich sagen: Sie sollten sich ein- mal die Freude machen, die Reden Ihres Bundesinnenmi- nisters (Gernot Erler [SPD]: Bei dem haben Sie doch abgeschrieben!) und anschließend die Kommentierung durch die Bundes- justizministerin im öffentlichen Radio (Friedrich Merz [CDU/CSU]: Tja!) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Dr. Angela Merkel 18686 (C) (D) (A) (B) sowie das Herumeiern über die Frage zu hören, ob man nun Fingerabdrücke in Pässen braucht. Da haben wir eine ganz klare Haltung. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich sage Ihnen: Sicherlich will niemand die Freiheit in unserem Land beschränken oder aufheben. (Jörg Tauss [SPD]: Ja, Sie schon!) Aber lassen Sie uns bitte in voller Klarheit deutlich ma- chen: Die Freiheit von Millionen Menschen kann nur gesi- chert sein, wenn die wenigen, die aus dieser Freiheit nega- tiv Profit ziehen wollen, energisch und mit aller Konsequenz bekämpft werden. Deutschland ist dafür bis jetzt weltweit nicht bekannt. Daran muss sich etwas ändern. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, wir werden in der Verzah- nung der Aufgaben, aber vor allen Dingen auch in der Ko- ordination von Informationen voranschreiten müssen. Wir werden sehr deutlich machen müssen, dass die vielen Informationen, die in einer offenen Gesellschaft gesam- melt werden, aber heute völlig unabhängig voneinander existieren, im internationalen Kampf gegen den Terroris- mus gebündelt werden müssen. Dies wird sich nicht auf die Dienste beschränken, wo das natürlich heute schon vollzogen wird. Vielmehr wird sich dies auf eine Vielzahl von Informationen ausdehnen, die in verschiedenen Bun- des- und Landesbehörden ermittelt werden. Ich bin dafür, dass diese Informationszusammenführung institutionali- siert wird, und zwar an einer Stelle, an der mit diesen In- formationen kein Missbrauch betrieben werden kann. Das sage ich im Hinblick auf den Bundesfinanzminis- ter. (Friedrich Merz [CDU/CSU]: Wo ist der ei- gentlich?) Ich glaube schon, dass wir eine stärkere Kontrolle aller Geldbewegungen brauchen. Die Geldbewegung ist eine wesentliche Indizienkette. Dadurch können wir die Be- ziehungen zwischen den Terroristen erfassen. Aber ich persönlich bin dagegen, dass all diese Daten direkt beim Bundesfinanzminister erhoben werden und ihm zugäng- lich sind. Denn dann kann der Missbrauch immer wieder Triumphe feiern. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Joachim Poß [SPD]: Wasch mir den Pelz, mach mich nicht nass! Das ist ein schönes Thema! Da sieht man, wie ernst Sie es meinen!) – Ich muss ehrlich sagen: Das müsste doch auch Ihnen recht sein. (Weitere Zurufe von der SPD – Glocke des Präsidenten) Diese Aufregung verstehe ich wirklich nicht. Auch die globale wirtschaftliche Ordnung wird auf dem Prüfstand stehen. (Detlev von Larcher [SPD]: Das Bankgeheim- nis ist heilig, das Menschenleben nicht! Das ist der Punkt!) Herr Bundeskanzler, Sie sprechen davon, dass die Bun- desrepublik Deutschland im internationalen Bereich ei- nen wichtigen Beitrag leisten will und muss; das wollen auch wir. Wenn das so ist, dann muss eine so große Nation wie wir auch ihren Beitrag zur Stabilität der weltweiten Wirtschaftsordnung leisten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es ist sicherlich richtig, dass wir in einer globalen Welt leben, die zu gegenseitigen Abhängigkeiten führt. Es ist mit Sicherheit richtig, dass wir heute nicht mehr das Wirt- schaftswachstum der einen völlig von dem der anderen separieren können. Aber dass wir, die Bundesrepublik Deutschland, mit unseren Möglichkeiten und den Fähig- keiten der Menschen in unserem Land innerhalb der Eu- ropäischen Union in diesem Zusammenhang den letzten Platz belegen, hat nichts mit den Amerikanern zu tun, son- dern mit unserer nationalen Politik – und die, Herr Bun- deskanzler, muss sich schlagartig ändern. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der FDP – Joachim Poß [SPD]: Das hat et- was mit Ihrer Erbschaft zu tun! Mit nichts an- derem!) Ich spreche deshalb über die wirtschaftliche Lage, weil die globale Wirtschaftsordnung, die Freiheit ge- währleisten soll, und unsere soziale Marktwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland immer die eine Seite der Medaille waren. Auf der anderen Seite stand immer die freiheitlich-demokratische Grundordnung. Die Über- zeugungskraft der freiheitlichen Demokratien entwickelt sich auch aus ihrer Dynamik im Bereich des Wirtschafts- wachstums und des Lebensstandards der Menschen in diesen Gesellschaften. Wenn es uns in Deutschland nicht gelingt, an dieser Stelle vorne zu liegen und die Maßnah- men einzuleiten, die wirklich notwendig sind, und nicht solche, die kontraproduktiv sind, dann werden wir in der Weltgemeinschaft nicht die Rolle einnehmen, die wir einnehmen könnten. Herr Bundeskanzler, ich halte es nach dem 11. Sep- tember 2001 für eine massive Fehlentscheidung strategi- scher Art, (Joachim Poß [SPD]: Bei Ihrer Bilanz wäre ich da sehr vorsichtig!) dass Sie das erste Mehr an Sicherheit durch ein Mehr an Steuern erkauft haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Joachim Poß [SPD]: Sie werden uns jetzt sagen, wo Sie das Geld herholen! Sie werden uns jetzt Vorschläge machen, wo man einsparen kann!) Die Vereinigten Staaten von Amerika haben in einer ver- gleichbaren Situation genau das Gegenteil getan. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Joachim Poß [SPD]: Die hatten ja auch Haus- haltsüberschüsse! Sie haben uns 1,5 Billio- nen DM Schulden hinterlassen! Bei Ihrer Bi- lanz wäre ich ganz ruhig!) Die Bundesregierung hätte dem deutschen Parlament mühelos den Auftrag geben können, im Rahmen der Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Dr. Angela Merkel 18687 (C) (D) (A) (B) anstehenden Haushaltsberatungen Einsparungen von 3 Milliarden DM vorzunehmen. (Joachim Poß [SPD]: Machen Sie Vorschläge! Bei der Entwicklungshilfe, bei der Bundes- wehr?) Dies ist möglich und oft geschehen. Die Bereitschaft dazu wäre da gewesen. Der Weg der Steuererhöhung ist falsch. Dabei bleiben wir! (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Joachim Poß [SPD]: Machen Sie doch einmal Vorschläge! – Gernot Erler [SPD]: Peinlich, peinlich!) Die Bedrohungen haben sich verändert. Neue Bedro- hungen erfordern neues Denken und entschlossenes Han- deln. Neue Bedrohungen erfordern vor allen Dingen auch entschiedenes und in sich konsistentes Handeln. Herr Bundeskanzler, es hat in den vergangenen Wochen in die- sem Hause eine große Einigkeit über die strategischen, politischen Notwendigkeiten einer gemeinsamen Politik nach außen gegeben. Wir alle haben die Erfahrung ge- macht, dass eine einzige Partei in diesem Hause zu dieser Gemeinsamkeit nicht bereit ist: Dies ist die PDS. Herr Bundeskanzler, ich muss es deshalb noch einmal sagen: (Gernot Erler [SPD]: Nein, lassen Sie es!) Ich halte es für vollkommen inakzeptabel, dass Sie als Parteivorsitzender zulassen, dass es im Augenblick in der deutschen Hauptstadt einen Regierenden Bürgermeister gibt, der mit den Stimmen dieser Partei gewählt ist. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das passt nun wirklich rein! Sehr angemessen! Das ist ja nun wirklich lächerlich!) Sie können Ihr politisches Handeln nicht auf die Ebenen der Länder und des Bundes und des Handelns nach außen aufteilen. Die Aufgabe für Deutschland im 21. Jahrhun- dert wird sein, konsistent, besonnen und konsequent zu handeln, und dies ohne Kompromisse. Deshalb sage ich Ihnen: Die Union ist dafür präpariert. Die Union ist bereit, diesen Beitrag für die Bundesrepublik Deutschland zu leisten. Die Union ist bereit, dann mit Ih- nen zusammenzustehen, wenn Sie die Interessen der Bun- desrepublik Deutschland nach außen vertreten. Aber die Union ist auch bereit, ein unbequemer Gesprächspartner zu sein, wenn es um die Interessenvertretung nach innen und um das Wohl der Menschen in diesem Lande geht. Herzlichen Dank. (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Bei- fall bei Abgeordneten der FDP) Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile das Wort dem Kollegen Peter Struck, SPD-Fraktion. (Friedrich Merz [CDU/CSU]: Jetzt wird ge- holzt!) Dr. Peter Struck (SPD) (von der SPD mit Beifall be- grüßt): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehr- ten Damen und Herren! Zunächst möchte ich Ihnen, Herr Bundeskanzler, für die großartige und große Rede dan- ken, die Sie hier gerade gehalten haben. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Diese Bewertung gilt nicht für die Rede meiner Vor- rednerin. Das war eine kleinkarierte, innenpolitische Rede, Frau Merkel, die der Vorsitzenden einer großen Par- tei völlig unwürdig und unangemessen ist. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Als wir am 12. September, einen Tag nach den bruta- len Angriffen auf New York und Washington, hier zusam- mengekommen sind, waren wir uns einig, dass uns die schrecklichen Bilder nie mehr loslassen werden. Heute, nur einen Monat später, habe ich den Eindruck, dass es schon notwendig geworden ist, manchen an diese Bilder zu erinnern, daran zu erinnern, dass die brutalen Massen- morde in den USA die Ursache für jene Bilder sind, die uns seit Sonntag aus Afghanistan erreichen, und daran zu erinnern, dass die amerikanisch-britischen Luftan- griffe auf die militärische Infrastruktur der Taliban ein un- erlässlicher Bestandteil des Kampfes gegen den interna- tionalen Terrorismus sind. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Sie sind ein Akt der Selbstverteidigung. Die amerikanische Regierung geht dabei besonnen vor. Sie ist daran interessiert, die breite internationale Koali- tion gegen den internationalen Terrorismus fortzuführen. Wer bisher an der Urheberschaft von Osama Bin Laden und seiner Terrororganisation al-Qaida an den Anschlä- gen gezweifelt hat, ist in den zurückliegenden Tagen eines Besseren belehrt worden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Da hat er Recht!) Das Videoband mit einem Kampfaufruf Bin Ladens gegen die USA und die Ankündigung weiterer Terrorakte – Attacken durch Flugzeugangriffe – durch einen Spre- cher von al-Qaida sind das Eingeständnis der grausamen Anschläge und sie belegen auch die enge Verflechtung und wechselseitige Abhängigkeit zwischen Bin Laden und den Taliban. Zweifellos hat die NATO in den letzten Wochen rich- tig gehandelt, als sie nach Unterrichtung durch die ameri- kanische Regierung den Bündnisfall festgestellt hat; denn die kollektive Verteidigung der USA gegen kriegerische Terrorangriffe ist für die Verbündeten nicht nur eine Frage der Solidarität. Sie ist zugleich für jedes NATO-Mitglied, also auch für unser Land, ein Akt der Selbstverteidigung; denn angegriffen wurde die tolerante, freiheitliche Le- bensform aller westlichen Demokratien. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Dr. Angela Merkel 18688 (C) (D) (A) (B) Im Visier der islamischen Terroristen sind Deutschland und auch andere EU-Staaten. Deswegen unterstützt die SPD-Fraktion ohne Wenn und Aber die Bereitschaft der Bundesregierung, den USA AWACS-Flugzeuge zur Überwachung des amerikanischen Luftraums zur Verfü- gung zu stellen. Die Mehrheit in diesem Haus ist mit uns der Meinung, dass diese Maßnahme nicht vom Parla- mentsvorbehalt betroffen ist. Deshalb bedarf es für die Entsendung auch allein der Entscheidung der Bundesre- gierung. Seit dem 11. September 2001 ist das ganze Ausmaß des Kampfes gegen den internationalen Terrorismus immer deutlicher geworden. Es ist eine äußerst komplexe und komplizierte Strategie notwendig, die sich auf politische, wirtschaftliche, finanzielle, entwicklungspolitische, kul- turelle und militärische Elemente stützen muss. Bezüglich der finanziellen Elemente möchte ich von Ihnen, Frau Kollegin Merkel, dann aber schon einmal Klarheit haben, ob Ihnen das Bankgeheimnis tatsächlich noch wichtiger ist als das Leben von Menschen, die von terroristischen Anschlägen bedroht sind. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS – Widerspruch bei der CDU/CSU) Es ist schon peinlich, wenn Sie die Maßnahme der Bun- desregierung, eine Stelle im Finanzministerium einzu- richten, an der Person des Bundesfinanzministers schei- tern lassen wollen. Das ist ja absolut lächerlich, was Sie hier vorgetragen haben. (Beifall bei der SPD) Sie sollten nicht vergessen, meine Damen und Herren, dass die Taliban Afghanistan okkupiert haben. Sie sind nicht die legitime und völkerrechtlich anerkannte Regie- rung. Zur Durchsetzung ihrer Macht haben sie grausams- te Menschenrechtsverletzungen begangen und die Frauen in dem Land regelrecht versklavt. Sie haben Afghanistan zu einer Brutstätte des Terrorismus und der organisierten Kriminalität gemacht. Sie destabilisieren mit ihren fun- damentalistischen Glaubenskriegern die gesamte Region. Unter der Herrschaft der Taliban wird das afghanische Volk unterdrückt, und es leidet Hunger und große soziale Not. Es ist deshalb sehr wichtig, bei allen Aktionen zwi- schen den Taliban und dem afghanischen Volk streng zu unterscheiden. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Die Taliban und nicht das afghanische Volk machen mit den Terroristen gemeinsame Sache. Wir begrüßen daher sehr die amerikanische Initiative, die militärischen Angriffe mit Hilfen für die darbende Bevölkerung zu flankieren. Das ist Bestandteil einer um- fassenden Initiative der westlichen Staaten und der Afgha- nistan Support Group, dem afghanischen Volk mit huma- nitärer Hilfe beizustehen. Präsident Wolfgang Thierse: Kollege Struck, ge- statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Repnik? Dr. Peter Struck (SPD): Nein, im Augenblick nicht. Ich bitte um Entschuldigung. Allein die europäischen Staaten und die Europäische Union haben 314 Millionen Euro für diesen Zweck zur Verfügung gestellt. Ich danke der Bundesregierung, dass sie darüber hinaus weitere 51 Millionen DM für huma- nitäre Hilfe in der Region bereitgestellt hat. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir müssen auch die Zukunft Afghanistans im Auge haben. Es ist völlig klar, dass ein wirtschaftlicher und po- litischer Aufbau unter einer legitimen Regierung mit brei- ter internationaler Unterstützung nur möglich ist, wenn die Taliban nicht mehr an der Macht sind. Bei der Schaf- fung neuer politischer Strukturen in diesem Land soll den Vereinten Nationen eine entscheidende und besondere Rolle zukommen. Diese neuen politischen Strukturen können sich nur entwickeln, wenn sie die Akzeptanz der afghanischen Stammesgesellschaft finden. Aus ihr heraus muss eine le- gitime Übergangsregierung gebildet werden, die den schwierigen und mühevollen Wiederaufbau Afghanistans beginnen kann. Ich stimme Bundeskanzler Gerhard Schröder und In- nenminister Otto Schily ausdrücklich darin zu, dass der Kampf gegen den internationalen Terrorismus nicht allein mit Militär, Strafverfolgungsbehörden und Gerichten zu gewinnen ist. (Beifall bei der SPD) Wir brauchen eine geistig-politische Auseinandersetzung mit einem Denken, das alle freiheitlich-demokratischen Werte infrage stellt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir dürfen die Lüge nicht zulassen, hier werde ein Kampf für die Unterdrückten der Welt geführt. Bin Laden ist nicht Robin Hood. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Er und seine Helfershelfer in aller Welt betreiben organi- sierte Kriminalität in bisher nicht vorstellbarer Brutalität. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Sie kämpfen nicht für unterprivilegierte Muslime, son- dern sie benutzen sie, um ihre weltzerstörerische Aktivität zu rechtfertigen. Sie wollen die Werte zerstören, die die Welt menschlich gemacht haben. Wer bei uns die Reli- gionsfreiheit ausnutzt und in Moscheen auch hier in Deutschland predigt, um in Wahrheit unsere freiheitlich- demokratische Grundordnung anzugreifen, hat keinen Anspruch darauf, dass ihn diese freiheitliche Grundord- nung gewähren lässt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ebenso falsch ist es – wie geschehen –, Bin Laden bei öf- fentlichen Diskussionen als Freiheitskämpfer zu verherr- lichen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Dr. Peter Struck 18689 (C) (D) (A) (B) Deutschland muss und wird ein weltoffenes Land blei- ben. Wir haben es nicht hingenommen, dass Rechtsradi- kale diese Weltoffenheit untergraben. Und wir werden es nicht hinnehmen, dass uns terroristische Feinde des frei- heitlich-demokratischen Westens dieser Weltoffenheit be- rauben wollen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir wollen, dass die drei Millionen Muslime in Deutschland eine sichere Heimat haben. Aber wir wollen auch, dass alle, deutsche wie ausländische Mitbürger, wis- sen: Diese Sicherheit gibt es nur auf der Grundlage unse- rer Gesetze und unserer Verfassung. Daran lassen wir nicht rütteln. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der Bundesinnenminister ist dabei, die nötigen Maß- nahmen einzuleiten, um die Sicherheitsrisiken zu mini- mieren. Im Anschluss an diese Debatte werden wir über das erste Antiterrorpaket beraten, das zweite wird noch Ende dieses Monats im Kabinett und anschließend in den Koalitionsfraktionen behandelt. Das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Ar- beit von Otto Schily ist so groß, dass es der Opposition keinen realen Raum lässt, um sich zu profilieren. Deshalb wirken Ihre Versuche, Frau Merkel, daran etwas herum- zureden, eher hilflos. Sie tun mir in diesem Zusammen- hang Leid. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Lachen bei der CDU/CSU) Der Innenminister kündigt nicht an, sondern er handelt. Er handelt so, dass den Sicherheitsinteressen Rechnung ge- tragen wird, ohne die freiheitliche Ordnung über Gebühr zu strapazieren. Die innere Sicherheit in Deutschland hat in Otto Schily einen guten Anwalt. (Beifall bei der SPD) Nun haben Sie, Frau Kollegin Merkel, Ihre eigenen Sicherheitsvorstellungen offenbar in dieser Woche in Ih- rer Fraktion diskutiert und abgestimmt. In den Teilen, die Sie von Otto Schily abgeschrieben haben, gebe ich Ihnen Recht. Hier sind Sie auf dem richtigen Weg. Aber ich kann – das will ich für meine Fraktion deutlich sagen – Ihrer Forderung, die Bundeswehr im Innern einzusetzen, nicht zustimmen. Im Übrigen habe ich Ihren Versuch einer Be- gründung dessen nicht verstanden. Dies wird nicht die Zu- stimmung meiner Fraktion finden. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Jörg van Essen [FDP]) Wenn wir in wenigen Wochen über die Pakete zur Terrorbekämpfung abstimmen, haben alle Fraktionen in diesem Haus die Möglichkeit, zu zeigen, ob sie es mit der Unterstützung der Regierung bei dieser schwierigen Auf- gabe ernst meinen. Ich bedanke mich ausdrücklich – ich will das unterstreichen, was der Kanzler in diesem Zu- sammenhang gesagt hat – (Friedrich Merz [CDU/CSU]: Ich bin schwer beeindruckt!) für die große außenpolitische Zusammenarbeit, die wir in Krisengesprächen auch von Vertretern der Oppositions- fraktionen, die PDS ausgenommen, erfahren haben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Für uns ist die Unterstützung der Maßnahmen der Bun- desregierung überhaupt keine Frage. Sie wird auch keine Frage der Koalitionsfraktionen sein. Beide Fraktionen werden den Kurs der Bundesregierung unterstützen, um unsere internationale Freiheit nicht durch Terrorismus zerstören zu lassen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Präsident Wolfgang Thierse: Zu einer Kurzinter- vention erteile ich dem Kollegen Hans-Peter Repnik das Wort. Hans-Peter Repnik (CDU/CSU): Herr Kollege Struck, da Sie meine Zwischenfrage nicht zugelassen ha- ben, möchte ich Sie hiermit auf folgenden Sachverhalt hinweisen. Wir begrüßen ganz ausdrücklich Ihre Aussage, dass durch die Videoaufnahmen Bin Ladens seine Schuld als Verursacher der Terroranschläge anerkannt ist. Die Frage an Sie lautet: Wie verhält es sich mit der Aussage, die Ihr Erster Parlamentarischer Geschäftsfüh- rer Wilhelm Schmidt heute in der „Frankfurter Rund- schau“ getroffen hat? Ich darf zitieren: Vor einem Einsatz der Bundeswehr im aktuellen Afghanistankonflikt erwartet die SPD-Bundes- tagsfraktion von der Bundesregierung die Offenle- gung von Beweisen gegen das Terrornetzwerk von Osama Bin Laden. Die Abgeordneten des Bundestages würden mehr In- formationen von der Bundesregierung bekommen, „wenn sie – Zitat Wilhelm Schmidt – über einen Einsatz der Bundeswehr abstimmen sol- len.“ Derzeit weigert sich die Bundesregierung, das von den USA vorgelegte Beweismaterial vorzulegen. Meine konkrete Frage an Sie: Ist das die Auffassung der SPD-Bundestagsfraktion oder stimmt Ihre Aussage von vorhin, dass die Videoaufnahmen Bin Laden eindeu- tig der Schuld überführt haben? Darüber hinaus habe ich eine Bitte an den Bundesmi- nister der Verteidigung, der anschließend noch das Wort ergreifen wird: Mich würde interessieren, wie die Bun- desregierung zu diesem Sachverhalt steht, das heißt, ob sie die Beweise als gegeben betrachtet bzw. welche Pro- bleme sie noch sieht. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Wolfgang Thierse: Herr Kollege Struck, Sie haben die Möglichkeit zu einer Antwort. Dr. Peter Struck (SPD): Herr Kollege Repnik, um Ih- nen eine Antwort zu geben: Ich kommentiere nicht Äuße- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Dr. Peter Struck 18690 (C) (D) (A) (B) rungen meines Ersten Parlamentarischen Geschäftsfüh- rers (Lachen bei der CDU/CSU) – ja, langsam! –, die in der Presse wiedergegeben worden sind. Ich sage nur: Die Bundesregierung hat – Sie konn- ten leider nicht dabei sein, aber Ihr Fraktionsvorsitzender war dabei – in den Besprechungen, die wir mit allen Ver- tretern unserer Sicherheitsorgane zur aktuellen Lage ge- führt haben, deutlich gemacht, dass es eigene Erkennt- nisse der Bundesregierung über die Urheberschaft Bin Ladens gibt. Das steht für mich außer Frage. Diese Urheberschaft ist im Übrigen nach den Ereignissen vom vergangenen Sonntag von den Taliban und von Bin Laden selbst bestätigt worden. Wir erinnern uns alle an das Vi- deo, das offenbar vor den Angriffen aufgezeichnet und später veröffentlicht wurde. Die Bundesregierung informiert die Fraktionen – nicht nur die Koalitionsfraktionen, sondern auch die Opposi- tionsfraktionen – in umfassendem und ausreichendem Maße, Herr Kollege Repnik. Ich habe in diesem Punkt nichts zu beanstanden und werde die Bundesregierung in diesen Fragen nach wie vor uneingeschränkt unterstützen. Davon können Sie ausgehen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile dem Kolle- gen Wolfgang Gerhardt, FDP-Fraktion, das Wort. Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Freien Demokraten sind mit großen Teilen der vom Bundeskanzler abgegebenen Regierungserklärung einverstanden. Was er zum Bünd- nis, zur Solidarität, zur Lage in Afghanistan und zu den militärischen Notwendigkeiten gesagt hat, trifft auf un- sere Zustimmung. Seine Aussagen sind eine Konsequenz aus den Verabredungen, den vertrauensvollen Gesprächen und deren Ergebnissen. Damit ist dies ein Stück konstante deutsche Außenpolitik. Ich muss das nicht weiter aus- führen. Herr Bundeskanzler, wir stimmen Ihnen ausdrücklich zu, dass die gezielten Militärschläge gegen terroristische Einrichtungen, gegen Ausbildungscamps und gegen In- frastruktureinrichtungen richtig sind. Es ist entscheidend – darum bemühen sich die Vereinigten Staaten –, logisti- sche Ziele zu treffen und die Zivilbevölkerung zu scho- nen. Im Übrigen begrüßen wir es, dass die Angriffe durch Beschluss des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen völkerrechtlich abgesichert sind. Sie sind legitim. (Beifall bei der FDP) Es ist auch richtig, dass gleichzeitig eine Versorgung mit humanitären Gütern erfolgt. In wenigen Wochen be- ginnt in dieser Gegend der Winter. Dort lebt eine ge- schundene Zivilbevölkerung, die außerdem noch niemals gefragt worden ist, wie ihr Land aufgebaut werden und wer sie regieren soll. Die humanitäre Hilfe sollte ein ers- tes Zeichen der freien Welt sein, auf politische Lösungen hinzuwirken, die wir nicht nur dort, sondern auch an an- deren Orten dieser Welt, zum Beispiel im Nahen Osten, brauchen. Natürlich gibt es Konfliktlagen, die einen solchen Ter- rorismus speisen, ohne ihn direkt verantworten zu wollen. Deshalb gibt es keine Notwendigkeit, eine Diskussion über diesen Teil Ihrer Regierungserklärung, Herr Bundes- kanzler, zu führen. Ihre Ausführungen treffen auf unsere Zustimmung. Wir sind zu internationaler Verantwortung bereit. Wir kennen das und dabei soll es auch, soweit es nach den Freien Demokraten geht, bleiben. Wir werden unsere Bereitschaft in den vertrauensvollen Gesprächen, die demnächst sicher wieder stattfinden müssen, zeigen. Darüber gibt es keinen Zweifel. Aber, Herr Bundeskanzler – bei aller Zurückhaltung –: Die Hausaufgaben in der Bundesrepublik Deutschland dürfen darunter nicht leiden. Darauf muss jetzt aufmerk- sam gemacht werden. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Übereinstimmung in der Außenpolitik ist das eine, aber ebenso notwendig sind die sachlichen Kontroversen in der Innenpolitik, soweit sie mit Ihrer Regierungs- erklärung zusammenhängen. Sie sagen, Deutschland könne nicht immer alle Risiken vermeiden, wenn es international Verantwortung über- nehme. Das sei eine neue Situation in der deutschen Außenpolitik. – Richtig, das ist eine Veränderung. Aber dann muss ich Sie fragen: Was tun Sie und die rot-grüne Koalition, um die Voraussetzungen für die Bewältigung der neuen außenpolitischen Aufgaben zu schaffen? Sie wissen genauso gut wie ich, dass die deutsche Bundes- wehr stark unterfinanziert ist. Sie haben einen europä- ischen Vertrag mitbeschlossen, mit der Absicht, eine eu- ropäische Sicherheits- und Verteidigungsidentität zu schaffen. Trotzdem lassen Sie nicht die geringsten Anzei- chen erkennen, wie Sie die sich aus diesem Vertrag erge- benden neuen Sicherheitsaufgaben im Verteidigungs- haushalt zu finanzieren gedenken. Sie sagen: „weiter so“, obwohl Sie genau wissen, dass durch Ihre so finanzierte Sicherheitspolitik die Glaubwürdigkeit Deutschlands in der Außenpolitik bei seinen Partnern leidet. Das wird so nicht gehen. Sie können nur in begrenztem Umfang sol- che Erklärungen abgeben, wenn Sie im Innern Ihren Wor- ten nicht auch Taten folgen lassen. Das wissen Sie ge- nauso gut wie wir. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Sie haben zu Recht erklärt, dass sicherheitspolitische Entscheidungen im Bereich der Gesetzgebung zwar not- wendig seien, dass aber auch die Vollzugsdefizite im Be- reich der inneren Sicherheit beseitigt werden müssten. Wir folgen Ihnen auf diesem Weg. Aber ich möchte den Bundesinnenminister, den Bundesfinanzminister, die Bun- desjustizministerin sowie die zuständigen Landesmi- nisterinnen und -minister auffordern, zuallererst die beste- henden Defizite zu beseitigen. Wenn beispielsweise 2 000 DNA-Analysen nicht bearbeitet werden können und wenn es nur 16 Beschäftigte im Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen gibt, die im Hinblick auf die Geldwäsche die Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Dr. Peter Struck 18691 (C) (D) (A) (B) Aufsicht über rund 3 000 Banken haben, dann stimmt et- was nicht und dann beraten wir gerne mit Ihnen über ent- sprechende gesetzliche Änderungen. Es darf jedenfalls kein Tag verloren werden, hier für Verbesserungen zu sor- gen. Das ist die Aufgabe, die zuallererst zu erledigen ist. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Wir werden konstruktiv über Gesetzesänderungen beraten. Wir wissen, dass die Teilhabe an der Freiheit Si- cherheit voraussetzt. Sie finden uns bei der Entscheidung über die Abschaffung des Religionsprivilegs an Ihrer Seite. Das wollten wir übrigens schon früher einmal ab- schaffen, und zwar gegen Widerstände in der Bundes- republik Deutschland. Wir beraten gerne konstruktiv über die Straftatbestände, die terroristische Aktivitäten, die vom Ausland ausgehen, betreffen. Wir werden auch kon- struktiv über eine rechtstaatlich einwandfreie, verbesserte Kronzeugenregelung beraten. Darüber wird es keinen Streit geben. Ich als Bürger bin aber nicht bereit, mich als gläserner Mensch zur Verfügung des Staates zu halten. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deshalb sage ich Ihnen, Herr Kollege Struck: Durch das Bankgeheimnis wird kein Terrorist geschützt. Eine solche Behauptung wäre völlig falsch. Wer in Deutschland ein Bankkonto hat und darauf mindestens 30 000 DM in bar einzahlt, muss identifiziert werden. Bei Geldwäschever- dacht ist die Bank zur Anzeige verpflichtet. Deshalb in- teressiert mich, wie die von Ihnen geplante Konten- evidenzzentrale letztlich aussehen soll. Ich sage Ihnen als Bürger der Bundesrepublik Deutschland: Ich möchte, dass mein Konto auch nach der Einrichtung einer solchen Zentralstelle noch immer bei einer Bank und nicht beim Bundesfinanzminister geführt wird, so treuherzig er auch dreinschauen mag. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Es sei mir an dieser Stelle auch eine Bemerkung in Rich- tung unserer Freunde in den Vereinigten Staaten gestattet. Ich kann mich gut erinnern, dass der US-amerikanische Finanzminister noch in diesem Sommer die Financial Action Task Force kritisiert hat. Das ist eine Gruppe aus Schwellenländern und Ländern der freien Welt, die sich der Bekämpfung der Geldwäschekriminalität an Offshore- plätzen und in Steueroasen widmet. Das hat der US-ameri- kanische Finanzminister noch im Sommer als Angriff auf souveräne Staaten betrachtet. Deshalb sage ich unseren amerikanischen Freunden: Sie müssen sich manchmal an- gesichts dessen, was sie früher gesagt und getan haben, an die eigene Nase fassen. Es ist wichtig, dass sich die Bun- desregierung zusammen mit anderen Ländern – die Verei- nigten Staaten scheinen jetzt auch so weit zu sein – jetzt der Bekämpfung der Geldwäsche an den Finanzplätzen in der Welt intensiv widmet und entsprechende internationale Vereinbarungen schließt. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Herr Bundeskanzler, ich muss Sie auch daran erinnern, dass durch die dramatischen Ereignisse der letzten Woche die ökonomische Situation in Deutschland überlagert worden ist. Das wollen wir nicht zulassen. Ich muss fest- stellen: Sie sind mit Ihrem wirtschaftspolitischen Latein am Ende. Die terroristischen Anschläge haben Ihnen zwar ein Zeitguthaben verschafft, das Sie aber nicht nutzen sollten. Sie müssen von Ihrer Politik der ruhigen Hand wegkommen. Sie müssen ganz entschieden die Beschäf- tigungsdynamik in Deutschland wieder auf Touren brin- gen. Sie müssen einen wirtschaftspolitischen Kurs fahren, der die Menschen ermutigt. Angst ist nicht nur Angst vor terroristischer Bedrohung. Soziale Sicherheit für Men- schen – die größte soziale Sicherheit ist ein Arbeitsplatz – gehört dazu, wenn man freie Gesellschaften stabil halten will. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Ist Rexrodt nicht mehr Mitglied bei Ihnen?) Lassen Sie mich noch einen Punkt ansprechen. Sie sa- gen in jeder Erklärung: Notwendig ist Solidarität mit den Vereinigten Staaten. – Dem stimmen wir zu. Diese Solidarität ist selbstverständlich. Sie haben das oft wie- derholt und es ist auch gut, wenn Sie es wiederholen. „Wir sind alle Amerikaner“, hat uns neulich der Kollege Struck hier gesagt. Das ist ein kluger Satz gewesen. Darauf baut Amerika. Darauf schaut Amerika. Amerika schaut im Übrigen dann auch auf diese Stadt, auf Berlin. Deshalb sage ich Ihnen, Herr Bundeskanzler: Lassen Sie Ihren Worten Taten folgen! „Keine Koalition mit der PDS in Berlin“ ist die notwendige Konsequenz aus Ihrer Er- klärung. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zu- rufe von der SPD und der PDS) Wir stimmen weiten Teilen Ihrer Regierungserklärung zu. Wir vermissen aber deren Konsequenz für innenpoli- tische Taten in der Bundesrepublik Deutschland – sicher- heitspolitisch und wirtschaftspolitisch. Das zu sagen ist die Aufgabe einer Opposition. Unsere Institutionen funk- tionieren. Die demokratische Auseinandersetzung zwi- schen Regierung und Opposition funktioniert ebenfalls. Sie schadet auch nicht. Wenn man sich über die Konstan- ten deutscher Außenpolitik, die Sie vorgetragen haben, klar ist und wenn man die Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland, die das Land aus der größten Katastrophe herausgebracht hat, beherzigt, dann finden Sie uns an Ih- rer Seite. Ansonsten melden wir uns als Opposition zu dem, was Sie hier vorgetragen haben – trotz jener Ereig- nisse –, weil auch danach das politische Leben in der Bundesrepublik Deutschland weitergehen muss. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile das Wort dem Bundesminister Joseph Fischer, Fraktion Bünd- nis 90/Die Grünen. Joseph Fischer, Bundesminister des Auswärtigen: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der 11. Sep- tember hat uns einen Kampf aufgezwungen, den niemand Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Dr. Wolfgang Gerhardt 18692 (C) (D) (A) (B) von uns wollte, nicht die Menschen in den USA, nicht die Regierung der USA, nicht die Führung der NATO, auch nicht die Bundesregierung und die Menschen in Deutsch- land. Dieser 11. September war ein Angriff auf die Men- schen in New York, auf die Regierung der Vereinigten Staaten, er war ein Angriff auf unseren wichtigsten Bünd- nispartner. Insofern ist Solidarität, umfassende Solida- rität, eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Er war auch ein Angriff auf die offene Gesellschaft, ein Angriff auf unsere Demokratie. Insofern sind es unsere elementaren Interessen, die uns zwingen, hier zu widerstehen, ja Wi- derstand zu leisten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Es ist eine mörderische, eine totalitäre Herausforde- rung, vor der wir stehen. Wer gestern im Fernsehen gese- hen hat, wie neue Massenmorde angekündigt werden, und wer weiß, dass es sich hierbei nicht mehr nur um Rheto- rik handelt, der stellt nicht mehr die Frage nach den Be- weisen, die ja vorliegen, die vorhanden sind. Alles zieht sich dorthin zu. Es gibt keine alternativen Erkenntnisse, nicht nur bei uns nicht, sondern auch im gesamten Bünd- nis und bei anderen Diensten nicht. Nach den vorbereite- ten Erklärungen von Bin Laden und nach dem gestrigen Aufruf zu neuen Massenmorden ist völlig klar: Wir stehen hier vor einer internationalen totalitären Herausforde- rung, die den Islam missbraucht, die die religiösen Ge- fühle von Menschen missbraucht, um ihre totalitären Ziele mit dem Mittel des Massenmordes durchzusetzen. Und das darf nicht siegen, meine Damen und Herren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Auseinandersetzung mit dem Terrorismus ist kein Kampf der Kulturen – das anzunehmen wäre der größte Fehler, den wir innen- wie außenpolitisch machen könn- ten –, aber sie ist ein Wertekonflikt. Die Grundwerte der Demokratie, die Grundwerte der Menschenrechte werden hier infrage gestellt – auf mörderische Art und Weise. Deswegen geht es um die Verteidigung dieser Grundwerte und nicht um ihre Infragestellung. Wie der Bundeskanz- ler in seiner, wie ich finde, großen Rede heute Morgen klar gemacht hat, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) muss die Linie sein: Festigkeit und Besonnenheit, Ent- schlossenheit im Kampf gegen den Terrorismus, Ent- schlossenheit aber auch in der Verteidigung der offenen Gesellschaft, der Demokratie sowie – ich betone dies – des multikulturellen Charakters der offenen Gesellschaft, den wir haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Ich finde, das verdient nachdrücklich Unterstützung. Die Antwort auf den Terrorismus muss umfassend sein. Das Militärische steht jetzt sehr stark im Vordergrund. Ich kann hier nur unterstreichen, was der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung gesagt hat: Die Antwort muss auf die Lösung ökonomischer und politischer Probleme ausgerichtet sein und wird sehr stark auch des kulturellen Dialogs bedürfen. Die eine Welt ist eben nicht nur eine Sonntagsveranstaltung, sondern sie ist auch voller Kon- flikte und voller Gefahren. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Aber die eine Welt ist unsere Zukunft. Die Pluralität der Kulturen bedarf nicht der kulturellen Konfrontation, son- dern des interkulturellen Dialogs im Zentrum der interna- tionalen Politik. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Wir reden hier über nichts Geringeres als über den Ent- wurf einer Friedenspolitik im 21. Jahrhundert. Anders als zu Zeiten des Kalten Krieges bedeutet Friedenspolitik in der einen Welt im 21. Jahrhundert internationale Ord- nungspolitik im Kampf gegen den internationalen Terro- rismus. Das heißt, es geht darum, eine Weltordnung zu schaffen, die Zonen der Ordnungslosigkeit oder gar, wie es in weiten Teilen der Fall ist, des völligen politischen Ordnungsverlustes nicht mehr zulässt. Ich sage das nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Bedrohungen, die durch Zonen der Ordnungslosigkeit für uns erwachsen können; die eigentliche Gefahr besteht vielmehr in dem Leid der betroffenen Zivilbevölkerung. Das ist der entscheidende Punkt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Dr. Guido Westerwelle [FDP]) Wenn wir uns in letzter Zeit, was die Schaffung einer Weltordnung angeht, alle miteinander selbstkritisch etwas vorzuwerfen haben, dann vielleicht, dass wir der Illusion einer friedlichen Welt zu sehr erlegen waren. Für die Eu- ropäer gilt das zwar weniger, weil der Balkan so nahe ist – aber nur deswegen! Wenn Sie dem zustimmen, dann komme ich – völlig unpolemisch – zu der Frage, ob ange- sichts der neuen Herausforderungen über das Ziel eines Niedrigsteuerstaats nicht völlig neu diskutiert werden muss. Ich möchte einmal sehr ernsthaft die Frage disku- tieren, ob das neue Engagement für eine auf Pluralität gründende Weltordnung, das ein Mehr an Sicherheit im Inneren und Äußeren erfordert und mehr Einsatz in der Außenpolitik, in der Friedenspolitik und in der Entwick- lungspolitik notwendig macht, mit den Vorstellungen von einem Niedrigsteuerstaat, denen wir alle angehangen ha- ben, tatsächlich noch vereinbar ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Eine Weltordnung schaffen, die allen Völkern die Per- spektive voller Teilhabe ermöglicht, das klingt zwar sehr ambitioniert, ist aber nur die Konsequenz aus einem er- folgreichen Kampf gegen den Terrorismus. Lassen Sie mich hier unterstreichen: Multilateralismus und nicht Unilateralismus wird die Welt im 21. Jahrhundert zu be- stimmen haben. Auch das ist eine wichtige Konsequenz dessen, was wir erlebt haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Bundesminister Joseph Fischer 18693 (C) (D) (A) (B) Dabei gewinnen die Vereinten Nationen eine völlig neue Bestimmung. Bei all den Tragödien, die sich ereig- net haben, müssen wir auch das Positive herausarbeiten: dass der Sicherheitsrat jetzt geschlossen handelt, dass das Völkerrecht fortentwickelt wird, und zwar auf eine sehr robuste, handlungsfähige Art und Weise, wie es im- mer gefordert worden ist. Ich erinnere mich an all die Auseinandersetzungen über die Einsätze auf dem Balkan. Jetzt handelt der Sicherheitsrat geschlossen. Ich stimme auch Frau Merkel völlig zu – wir haben das schon vorher nachdrücklich unterstrichen –, dass diese Koalition der Staaten die Gemeinsamkeit in den Grund- werten nicht vergessen machen darf: Menschenrechtsver- letzungen sind Menschenrechtsverletzungen, auch wenn sie von Koalitionspartnern begangen werden; Unterstüt- zung von Terrorismus ist Unterstützung von Terrorismus, auch wenn sie durch Koalitionspartner erfolgt. So wichtig es ist, dass wir in dieser Auseinandersetzung Festigkeit bewahren, so wichtig ist es auch, dass wir mehr und nicht weniger an Menschenrechtsorientierung brauchen, wenn wir diesen Kampf bestehen wollen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Lassen Sie mich einen weiteren Punkt ansprechen, der in vielen Reden, vor allen Dingen sonntags, diskutiert wird – allerdings weiß ich von vielen Kollegen, dass sie auf diesem Gebiet auch werktags sehr praktische Arbeit ge- leistet haben –: Was sind die Ziele des islamistischen Terrorismus? Ziel ist die Befreiung der islamischen Welt von äußerem Einfluss, was sich aktuell an den USA fest- macht. Ziel ist aber auch – das ist eines der wichtigsten Ziele – die Zerstörung Israels. Hier sind wir besonders ge- fordert, wenn all die Erklärungen, die wir fraktionsüber- greifend immer abgegeben haben und die ich immer ernst genommen habe, ernst gemeint waren. Hier haben wir eine besondere, auch historische Verantwortung und Ver- pflichtung. Eine Politik, die mit den Mitteln des Terroris- mus und des Massenmordes auf die Zerstörung Israels zielt, verdient unseren energischsten Widerstand und den Einsatz aller Möglichkeiten, die wir haben. (Beifall im ganzen Hause) Terror gegen Israel ist von uns ohne Wenn und Aber zu verurteilen, egal, ob dieser von Bin Laden, von Hamas, von einem islamischen Dschihad, von der Hisbollah oder von wem auch immer ausgeht. Terrorismus gegen Israel wird von uns nicht akzeptiert. Hier wissen wir uns mit dem Staate Israel und den Menschen dort einig. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der CDU/CSU) Wir betonen hier noch einmal ausdrücklich das Exis- tenzrecht Israels und seinen Anspruch auf sichere Gren- zen und Frieden. Hier möchte ich als Freund Israels auch betonen, dass wir, weil wir das Existenzrecht Israels sichern wollen, den Friedensprozess wollen und alles tun werden, um diesen Friedensprozess weiter voranzubrin- gen. Dazu gehört auch die Berücksichtigung der legitimen Interessen des palästinensischen Volkes; das schließt sein Selbstbestimmungsrecht und die Option auf einen eige- nen Staat ein, wie es in der Berliner Erklärung der Euro- päischen Union während der deutschen Präsidentschaft hier geheißen hat; allerdings unter Wahrung des Existenz- rechtes und der Sicherheitsinteressen Israels. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Herr Westerwelle, ich möchte hier keine falsche Pole- mik betreiben; ich fände es aber gut, wenn Sie die doch sehr merkwürdigen Äußerungen des Kollegen Möllemann für die FDP wirklich einmal klarstellen würden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/ CSU – Abg. Dr. Guido Westerwelle [FDP] mel- det sich zu einer Zwischenfrage) Präsident Wolfgang Thierse: Kollege Westerwelle, ich unterstelle, dass Ihre Meldung bedeutet, dass Sie eine Zwischenfrage stellen wollen. Dr. Guido Westerwelle (FDP): Selbstverständlich möchte ich eine Zwischenfrage stellen, Herr Präsident Präsident Wolfgang Thierse: Bitte schön. Dr. Guido Westerwelle (FDP): Herr Minister, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass dies bereits am Montag unverzüglich durch den stellvertretenden Frakti- onsvorsitzenden und früheren Außenminister, der auch jetzt hier anwesend ist, erfolgt ist? Ich erkläre hier auch noch einmal ausdrücklich, dass das, was Herr Kinkel ge- sagt hat, auch die Meinung der Freien Demokraten ist. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Ich schließe mich voll an!) Joseph Fischer, Bundesminister des Auswärtigen: Dafür bedanke ich mich. Ich denke, das war eine wichtige Klarstellung, denn in Israel schaut man schon sehr genau danach, wie geschlossen unsere Haltung in diesem Punkt ist. Mir geht es hier gar nicht um kleinliche parteipoliti- sche Aufrechnung. Was wir hier, und zwar alle Fraktio- nen, in Deutschland bezüglich Israel sagen, tun oder nicht tun, wird dort aufgrund der tragischen historischen Be- ziehungen besonders wahrgenommen. Ich erlebe das als Außenminister. Insofern weiß ich, wie wichtig es ist, dass wir hier einen partei- und fraktionsübergreifenden Kon- sens im Deutschen Bundestag haben. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der CDU/ CSU – Michael Glos [CDU/CSU]: Jawoll, Herr Schulrat!) Für mich ist, meine Damen und Herren, neben der Lö- sung der Regionalkonflikte noch ein anderer Punkt ganz entscheidend: Die Lösung des Nahostkonflikts wird von ganz entscheidender Bedeutung für das Gelingen des Kampfes gegen den Terrorismus sein, nicht aufgrund Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Bundesminister Joseph Fischer 18694 (C) (D) (A) (B) eines unmittelbaren Zusammenhangs, sondern weil die Gefühle von Millionen von Menschen in der Region miss- braucht werden können. Andere Regionalkonflikte, zum Beispiel in Zentralasien oder auch im südlichen Kauka- sus, spielen ebenfalls eine Rolle; der Maghreb wird mit- einzubeziehen sein. Das sind alles Regionen, die nicht in unmittelbarer Nachbarschaft zu Deutschland, aber zu Eu- ropa liegen. Gestatten Sie mir, dass ich hier eine Entwicklung an- spreche, die ich mit einer gewissen Sorge betrachte. Wir erleben gegenwärtig die Verschiebung der zentralen Ach- sen der internationalen Politik. Russland wird sich völlig neu aufstellen. Das liegt in unserem Interesse. Die ernst- hafte Öffnung Russlands, die sich, wie Präsident Putin hier in seiner Rede zum Ausdruck gebracht hat, in einer neuen russischen Politik niederschlägt, liegt im deutschen und im europäischen Interesse. Wenn wir nicht Acht ge- ben, könnte das ungewollte Konsequenzen haben. Ich halte überhaupt nichts davon, hier eine Entwicklung ne- gativ zu bewerten, die in unserem Interesse liegt und eigentlich positiv ist. Wenn wir sie allerdings national be- trachten und in einem rückwärts gewandten Sinne miss- verstehen, das heißt, wenn wir gewissermaßen diesen Schönheitswettbewerb der europäischen Nationalstaaten mitmachen, ohne zu begreifen, wie kurzsichtig ein sol- cher ist, und die Europäische Union dafür verbal kritisie- ren oder ihr sogar mit einer gewissen Arroganz entgegen- treten, weil sie noch nicht so weit ist, wie sie sein müsste, dann laufen wir Gefahr, einem historischen und strategi- schen Irrtum zu unterliegen. Wir müssen nämlich sehen, dass in der Welt des 21. Jahrhunderts, in der sich die Zen- tralachsen verschieben, nicht Deutsche, Franzosen oder Briten eine Rolle spielen werden, sondern nur ein inte- griertes Europa. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deswegen wird es von entscheidender Bedeutung sein, jetzt das europäische Engagement zu stärken. Wir werden weniger Zeit haben, als viele von Ihnen und ich bisher dachten, weil sich die Welt jetzt dramatisch verändert. Das ist ein weiteres Argument dafür, dass Deutschland nicht abseits stehen darf. Wir sind im europäischen Kon- zert zu groß und zu wichtig. Es geht hier nicht um Schön- heitswettbewerbe, sondern es geht neben der Solidarität, die sehr wichtig ist, auch um Humanität, Menschenrechte und ein neues Engagement in einer globalen Welt. All das wird nur eine Zukunft haben, wenn wir den europäischen Integrationsprozess mit dem ganzen Gewicht unseres Landes in der Außen- und Sicherheitspolitik und durch die Schaffung einer europäischen Demokratie voranbrin- gen. Wenn wir jetzt am nationalen Denken festhielten, würden wir einen großen Fehler machen. Meine Damen und Herren, Kampf gegen den Terroris- mus bedeutet deswegen nicht nur das Eintreten für eine neue, humanere Weltordnung und ein neues Engagement, mit dem wir ein Mehr an Leistungen aufzubringen und ein Mehr an Risiken zu schultern haben, es müssen auch Re- gionalkonflikte gelöst und interkulturelle Dialoge geführt werden. Er bedeutet vor allen Dingen auch, dass wir bei der europäischen Integration vorankommen müssen. Wenn wir getrennt bleiben, werden die Europäer in der neuen Weltordnung marginalisiert. Ich bedanke mich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile dem Kolle- gen Roland Claus, PDS-Fraktion, das Wort. Roland Claus (PDS): Herr Präsident! Meine sehr ver- ehrten Damen und Herren! Was erwarten die Menschen in diesen Tagen von der Politik, also von ihrem Parlament und ihrer Regierung? Ich denke, sie erwarten, dass sie vor terroristischer Bedrohung geschützt, somit auch die Täter vom 11. September bestraft und die von den terroristi- schen Strukturen ausgehenden Gefahren andauernd und wirksam überwunden werden. (Beifall bei der PDS) Sie erwarten, dass ihr Leben nicht durch Terror und Angst entwürdigt wird. Das Bekennervideo von Bin Laden ist nichts anderes als der Versuch, die Würde der Welt, die Würde aller Kulturen und Religionen mit Mitteln jenseits jeder Achtung vor dem Leben anzugreifen. Regierung und Opposition müssen sich diesen Erwartungen gemeinsam stellen, sie müssen dabei aber nicht zwangsläufig die glei- chen Antworten geben. (Beifall bei der PDS) So hat sich, finde ich, die ja nicht nur die von der PDS immer wieder vorgetragene Mahnung zur Besonnenheit im Handeln der Regierenden durchaus widergespiegelt. Ich sage aber auch in aller Deutlichkeit und ausdrücklich: Die am Sonntag begonnenen militärischen Aktionen hal- ten wir für den falsch Weg. (Beifall bei der PDS) Der Kampf gegen den Terrorismus, auch ein langwie- riger Kampf, ist gewinnbar, ein Krieg nicht. Auch lange Wege beginnen mit dem ersten Schritt. Entschieden wich- tig ist darum, in welche Richtung dieser erste Schritt ge- gangen wird. Bomben auf Afghanistan, die bekanntlich nicht nur terroristische Strukturen getroffen haben, sind falsche erste Schritte in die falsche Richtung. (Beifall bei der PDS) Diese Kritik an den Militäreinsätzen in Afghanistan be- deutet für die PDS nicht das Ende der kritischen Solida- rität mit Amerika, obwohl uns das häufig unterstellt wird. Günter Grass sagte vorgestern, dass ein wirklicher Freund auch die Kraft aufbringen müsse, einem Freund in den Arm zu fallen, wenn er der Überzeugung ist, dass dieser falsch handelt. Nach den nun begonnenen Militäreinsätzen haben wir nicht kurzschlüssig oder antiamerikanisch reagiert, son- dern wir haben gefragt: Sind diese Mittel geeignet, den Terror zu bekämpfen? Führen sie zu mehr Sicherheit in Amerika oder Deutschland? Besteht nicht eher die Ge- fahr, dass in der Logik des Wahnsinns Gegenschläge Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Bundesminister Joseph Fischer 18695 (C) (D) (A) (B) infolge des 11. September einkalkuliert sind? Werden die Terroristen die Bomben auf Afghanistan nicht dazu be- nutzen, neuen Fanatismus anzuheizen? Natürlich ist eine kritische Minderheit hier im Parlament in schwieriger Lage, weil ihr unterstellt wird, sie wolle nichts tun, während die hinter der Regierung Stehenden für sich öf- fentlich durchaus in Anspruch nehmen: Wir tun wenigs- tens etwas! Nur, meine Damen und Herren, wird ihr Tun dem angestrebten Ziel gerecht? Das glaube ich nicht. (Beifall bei der PDS) Diese Bomben schaffen weder mehr Sicherheit in den USA und in Europa noch wird damit das internationale Netzwerk des Terrorismus erreicht. Aber ich glaube, dass es noch nicht zu spät ist, einen anderen Weg einzuschla- gen. Ein von der UNO legitimierter internationaler Po- lizeieinsatz gegen die Strukturen des Terrors wäre geeig- neter. Ein souveränes Agieren der Vereinten Nationen anstelle der nachträglichen Befassung steht noch aus. Den Flüchtlingen, die aus Afghanistan kommen, könnte mit geöffneten Grenzen und einem kombinierten Handeln von Polizeikräften und Hilfsorganisationen wirksamer geholfen werden. Das hätten die Flüchtlinge auch bitter nötig. Denn Hilfsorganisationen kritisieren, dass die Hilfe mit Nahrungsmitteln nach den Angriffen nicht vermehrt, sondern verringert wurde. Deutschland sollte seine Ver- sprechen bei der Flüchtlingshilfe und nicht bei Militär- operationen einlösen. (Beifall bei der PDS) Afghanistan braucht nach 23 Jahren Krieg die Hoff- nung auf ein vertrauensbildendes Aufbauprogramm. Die Nordallianz birgt diese Hoffnung nicht. Schließlich muss die Weltöffentlichkeit über das militärische Vorgehen tatsächlich informiert werden. Denn Solidarität kann nur als informierte Solidarität, nicht aber als blindes Ver- trauen gedeihen. (Beifall bei der PDS) Auch wir, meine Damen und Herren, wollen die offene Gesellschaft sicherer gestalten. Sie sollten der PDS nicht unterstellen, sie sei zum radikalen Pazifismus übergegan- gen. Sie wissen wie wir, dass das nicht stimmt. Die PDS ist keine pazifistische Partei, gleichwohl Pazifistinnen und Pazifisten und deren grundsätzlicher Widerstand ge- gen Waffengewalt in den Reihen der PDS geachtet sind. (Beifall bei der PDS) Es sind eben mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, also auch in der Politik, als purer Pazifismus einerseits und uneingeschränkter Bündnisfall andererseits. (Beifall bei der PDS) Politik hat die Aufgabe, aufzuklären und nicht in der Ge- sellschaft zu polarisieren. Wenn die Bundesregierung den SPD-Generalsekretär in dieser Situation erklären lässt, dass eine kritische Minderheit im Parlament weniger als andere informiert wird, sagt das nichts anderes, als dass sie eine andere Meinung nicht ertragen kann. (Beifall bei der PDS) Herr Präsident! Meine Damen und Herren, die Hoff- nungen der Menschen auf ein Leben ohne Terror und Angst wollen wir alle nicht enttäuschen. Es ist noch nicht zu spät, andere als kriegerische Wege zu gehen. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der PDS) Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile dem Bun- desminister Rudolf Scharping das Wort. Rudolf Scharping, Bundesminister der Verteidigung: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seitens der Bundesregierung haben wir hier immer wieder darauf aufmerksam gemacht, dass im Rahmen einer umfassen- den Antwort auf die Herausforderung des Terrorismus mi- litärische Maßnahmen notwendiger und unerlässlicher Bestandteil sein würden. Seit Sonntag ist das so. Umso mehr fragen sich die Menschen in Deutschland: Mit wel- cher Art von Bedrohung haben wir es zu tun? Wie können wir uns wirksam und gemeinsam dagegen schützen? In diesem Zusammenhang taucht immer wieder das Wort „Krieg“ auf. Wir sind nicht im Krieg; jedenfalls dann nicht, wenn uns mit diesem Wort immer noch die alten Assoziationen und Vorstellungen vom Krieg zwi- schen Staaten mit dem Ziel, ein Territorium zu erobern und zu beherrschen, verbinden. Die Bedrohung richtet sich nicht gegen ein Territorium. Sie zielt nicht auf die Be- herrschung. Sie zielt auf etwas ganz anderes. Sie zielt auf die innere Stabilität, auf den inneren Frieden und auf den inneren Zusammenhalt der demokratischen Gesellschaft. Man spürt übrigens, dass die Verwendung des Wortes „Krieg“ in der bloßen, nackten Übersetzung des Wortes „war“ zwischen uns und unseren amerikanischen Freun- den aufgrund anderer historischer Erfahrungen schon zu Missverständnissen führen kann. Deshalb diese Bemer- kungen. Im Übrigen wird deutlich, dass die klassische Tren- nung zwischen äußerer und innerer Sicherheit ange- sichts dieser Bedrohungen, angesichts dieser Herausfor- derungen nicht mehr völlig tauglich ist. (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Das sagt Frau Merkel auch!) Daraus den Schluss zu ziehen, dass über die notwendige Kooperation aller, die für innere und äußere Sicherheit verantwortlich sind, in der Vergangenheit praktizierte, für die Zukunft zu gewährleistende Zusammenarbeit hinaus eine Änderung der Verfassung oder der Gesetze erforder- lich ist, ist schlicht falsch. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Denn – ohne alle Einzelheiten aufzublättern –: Wir haben in der Vergangenheit genügend Erfahrungen damit ge- sammelt, dass die Bundeswehr im Innern in der Lage ist, den für die innere Sicherheit unseres Landes verantwort- lichen Institutionen dann zu helfen, wenn diese Hilfe er- forderlich wird. Wir sollten eine Grenze nicht überschrei- ten, gar nicht den Eindruck entstehen lassen, wir wollten Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Roland Claus 18696 (C) (D) (A) (B) sie überschreiten, dass nämlich niemand anders als die für die innere Sicherheit unseres Landes verantwortlichen In- stitutionen darüber entscheiden, ob sie der Hilfe bedürfen oder nicht, ob sie sie anfordern oder nicht. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Auf diese Grenze sollten wir unverändert, so wie der Bun- deskanzler das in seiner Regierungserklärung gesagt hat, Wert legen. In diesen Zusammenhang gehört auch ein anderer, wie ich finde, „falscher“ Widerspruch, (Friedrich Merz [CDU/CSU]: Gibt es nicht!) nämlich der irreführende Widerspruch, ein Element der Antwort für die gesamte Antwort zu halten, so wie Herr Claus das eben wieder getan hat. Umfassend lässt sich Si- cherheit nur gewährleisten, wenn die wirtschaftlichen, die ökologischen, die kulturellen, die sozialen, die huma- nitären Dimensionen der Sicherheit mit betrachtet wer- den. Das wird mit Blick auf diese Region überdeutlich. Wir wissen doch alle, dass zum Beispiel die weltwirt- schaftliche Stabilität und die weltwirtschaftliche Sicher- heit von dieser Region sehr stark beeinflusst werden können, von jener Region, in der 70 Prozent der Erdölre- serven des Globus und 40 Prozent der Erdgasreserven des Globus liegen. (Zuruf von der PDS: Jetzt sind wir beim Thema!) Wir wissen, dass in dieser Region nicht nur beachtliche natürliche Ressourcen sind, sondern, wie mir das ein in- discher Gesprächspartner sagte, ein unverändert risikorei- cher, wahrscheinlich der gefährlichste Mix von Risiken, den man auf der ganzen Erde finden kann: Fanatismus, Hass, der Besitz von Massenvernichtungswaffen, der Ver- such, solche zu erwerben, und zwar jeder Art von Mas- senvernichtungswaffen, bis hin zu dem Versuch, sie ent- weder terroristisch oder als Bedrohung der Integrität von Staaten und ihrer Territorien einzusetzen. Wir wissen – der Bundesaußenminister hat darauf hingewiesen –, dass der Nahostkonflikt, gelingt seine Lösung nicht, zur Antriebskraft dafür werden könnte, dass die in den arabi- schen Gesellschaften relativ isolierten terroristischen Gruppierungen genau jenen Katalysator, jenes Ferment gewinnen könnten, aus dem dann mehr entstehen wird als eine terroristische Bedrohung. Es darf also – das will ich mit diesen Bemerkungen deutlich machen – keine Domi- nanz des Militärischen in einer politischen Strategie ge- ben. Es darf aber auch keine Vernachlässigung des Mi- litärischen in einer politischen Strategie geben. Wir werden uns also der Frage zuwenden müssen, dass die Erneuerung der Bundeswehr von Grund auf nicht nur reflektiert, was im strategischen Konzept der NATO über politischen Terror und seine Herausforderungen steht, was wir uns gemeinsam an Fähigkeiten vorgenom- men haben. Man wird angesichts dessen, was man verall- gemeinernd „Kontinuum an Fähigkeiten“ nennt, von der Landes- und Bündnisverteidigung über die Krisenpräven- tion und Krisenreaktion bis hin zur Bekämpfung terroris- tischer Bedrohungen, auch überlegen müssen, diese Fähigkeiten schneller und zum Teil sogar neu zu erwer- ben. Dem dient das Paket der Bundesregierung zur Ver- besserung der inneren und äußeren Sicherheit. Ich füge hinzu: Man wird diese Fähigkeiten in angemessener Zeit und vollständig nur erwerben können, wenn über dieses Paket hinaus alle Schritte im Zusammenhang mit der ver- einbarten Erneuerung der Bundeswehr gegangen werden. Die Soldaten leisten für die Sicherheit unseres Landes das Beste. Sie haben auch das Beste verdient. (Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Einen besse- ren Minister vor allen Dingen!) – Ich habe mir schon gedacht, dass Sie nie ganz frei sind von dem, was Sie jetzt wieder dokumentiert haben. Das ist mir im Moment aber ein bisschen zu klein. (Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Das ist die Wahrheit!) Ich will Ihnen nur eins sagen: In diesem Zusammen- hang sollten wir nicht gering schätzen, aber auch nicht überbewerten, was zwischen 1993 in Somalia und heute tatsächlich geschehen ist. Es wurden nämlich nicht nur schrittweise die praktischen Konsequenzen aus einer grundlegend veränderten sicherheitspolitischen Situation gezogen, sondern es wurde auch die Erkenntnis gewon- nen – mit ihren praktischen Konsequenzen –, dass diese Veränderung der sicherheitspolitischen Lage in Europa die Welt nicht unbedingt sicherer gemacht hat. Wir dürfen nicht nur die Vorteile beanspruchen, sondern müssen für die dauerhafte Gewährleistung der Sicherheit auch die notwendige Verantwortung übernehmen. Wir dürfen nicht nur die Rechte beanspruchen, sondern müssen auch die Verpflichtungen akzeptieren, die sich daraus ergeben. Ko- sovo, Mazedonien und anderes sind die Stichworte dafür. Damit bin ich bei meinem letzten Hinweis. Wir ma- chen die Erfahrung, dass das alte Muster des zwi- schenstaatlichen Krieges immer weiter in den Hinter- grund tritt, jedenfalls im euroatlantischen Raum und hoffentlich zunehmend auch auf der gesamten gemeinsa- men Erde. Wenn Terrorismus – wie jener glasklar bewie- sene von Osama Bin Laden und al-Qaida – von Staaten beheimatet, unterstützt und geduldet wird oder gar Staa- ten in den Händen von Terroristen sind, dann ist das Ver- wenden des Militärischen gegen den Terrorismus und ge- gen die Staaten, die Terroristen Unterstützung oder Hafen bieten, nicht etwa der klassische Krieg, sondern im Kern eigentlich eine Polizeiaktion mit den Mitteln des Mi- litärischen. (Beifall bei der SPD) Vor diesem Hintergrund zeigt sich, warum im Rahmen der gemeinsamen Antwort auf die Herausforderung des internationalen Terrorismus die Bundesregierung unein- geschränkt unterstützt, was zurzeit von den USA und Großbritannien getan wird. Darüber hinaus hat die Bundesregierung in den Vereinten Nationen, in der NATO und im bilateralen Verkehr deutlich gemacht, dass sie sich weder duckt noch drängelt. Die fundamentale Verände- rung bei der Entwicklung des Völkerrechts ist vermutlich noch gar nicht so gut erfasst, wie wir alle sie in Zukunft werden erfassen müssen; denn dass der Weltsicherheitsrat zum ersten Mal gesagt hat, internationaler Terrorismus sei Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Bundesminister Rudolf Scharping 18697 (C) (D) (A) (B) eine Bedrohung des Weltfriedens und der weltweiten Sta- bilität, dass er die Staaten mit sehr konkreten Hinweisen aufgefordert hat, etwas zu tun, und dass er im Übrigen eine Frist gesetzt und diese Frist zu überwachen sich entschlossen hat, ist eine weit reichende Veränderung. Diese Veränderung bietet eine sehr starke Legitimation für das jetzt gewählte Vorgehen – das ist im Weltsi- cherheitsrat ausdrücklich so beschlossen worden. Mit den praktischen Konsequenzen dieser Veränderung müssen wir uns bei der Verbesserung der inneren wie der äußeren Sicherheit unseres Landes sehr konkret beschäftigen und müssen entsprechende Entscheidungen treffen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Präsident Wolfgang Thierse: Ich schließe die Aus- sprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Ent- schließungsantrag der Fraktion der PDS. Wer stimmt für den Entschließungsantrag auf Drucksache 14/7079? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Entschlie- ßungsantrag ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der PDS abgelehnt. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 f auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Vereinsgesetzes – Drucksache 14/7026 – Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Rechtsausschuss b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines ... Strafrechtsände- rungsgesetzes – § 129 b StGB (... StrÄndG) – Drucksache 14/7025 – Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss (f) Innenausschuss Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union c) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Ände- rung der Strafprozessordnung – Drucksache 14/7008 – Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss (f) Innenausschuss d) Erste Beratung des von den Abgeordneten Norbert Geis, Erwin Marschewski (Recklinghausen), Wolfgang Bosbach, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Bekämpfung von Straftaten der organisierten Kriminalität und des Terrorismus – Drucksache 14/6834 – Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss (f) Innenausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit e) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung der Kron- zeugenregelungen im Strafrecht (KrZErgG) – Drucksache 14/5938 – Überweisungsvorschläge: Rechtsausschuss (f) Innenausschuss f) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Straf- prozessordnung (§ 110 Abs. 1, § 111 f Abs. 3, § 163 a Abs. 6 StPO) – Drucksache 14/6079 – Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss (f) Innenausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Bundesminis- terin Herta Däubler-Gmelin. Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin der Jus- tiz: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die schrecklichen Anschläge in New York und Washington vor einem Monat stellen uns vor ganz neue Herausforde- rungen und in eine neue Verantwortung. Es ist dabei völ- lig klar, dass unser Mitleiden mit den ermordeten Men- schen und mit ihren Angehörigen fortbesteht. Es wurden so viele Lebenspläne zerstört und so viel Leiden verur- sacht. Auch unser Entsetzen über den Hass und über das Ausmaß der Zerstörungswut bleibt natürlich weiter beste- hen. Neben unserem Mitgefühl und neben der Solidarität mit den USA müssen gerade wir hier uns der Verantwor- tung stellen, im Lichte dessen, was wir heute über die Tä- ter und über die Unterstützer wissen, diesen Terrorismus zu bekämpfen, die Täter, die Schuldigen und die Unter- stützer zur Rechenschaft zu ziehen und unsere Bevölke- rung dort zu schützen, wo wir das können und wo das er- forderlich ist. Das tun wir. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Es ist die Aufgabe der Bundesregierung, aber auch der Landesregierungen in ihren jeweiligen Zuständigkeitsbe- reichen und auch die Aufgabe des Deutschen Bundesta- ges. Deshalb sprechen wir heute im Rahmen des ersten Sicherheitspaketes, das die Bundesregierung vorgelegt hat, auch über Vorschläge für Gesetzesänderungen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Bundesminister Rudolf Scharping 18698 (C) (D) (A) (B) Sie werden festgestellt haben, dass sich nur relativ knappe Gesetzesänderungen unter den Vorschlägen der Bundesregierung befinden. Das ist beabsichtigt. Dennoch sind diese Änderungen wichtig. Dabei handelt es sich um die Einführung des neuen § 129 b des Strafgesetzbuches und um eine Nachfolgeregelung für § 12 des Gesetzes über Fernmeldeanlagen im Rahmen der Strafprozessord- nung. Ergänzt werden wird das Paket um das, was in der Öffentlichkeit als „Kronzeugenregelung“ bezeichnet wird. Wir werden Ende des Monats gemeinsam eine neue Regelung vorlegen, die unter bestimmten Voraussetzun- gen Strafmilderung für Täter beinhaltet, denen selbst schwerste Verbrechen zur Last gelegt werden, die aber zur Aufklärung oder Verhinderung schwerer Straftaten we- sentlich beigetragen haben. Lassen Sie mich zu allen drei Punkten ganz kurz etwas sagen. Der Vorschlag der Bundesregierung, den neuen § 129 b in das Strafgesetzbuch einzuführen, macht es möglich, die Mitglieder und Unterstützer terroristischer Vereinigungen, die ihre Verbrechen in anderen Staaten be- gehen, in die Strafbarkeit in Deutschland einzubeziehen. Das ist richtig und wichtig. Die schrecklichen Anschläge in New York und Washington vor einem Monat haben je- dem gezeigt – das wurde durch die Videoaufnahmen von Erklärungen aus den Reihen von al-Qaida bestätigt –, dass sich dieser Terrorismus gegen alle offenen Gesellschaften und nicht nur gegen die der Vereinigten Staaten von Ame- rika richtet. (V o r s i t z: Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer) Es ist besonders augenfällig, dass die Bekämpfung speziell dieses Terrorismus nicht in einem Lande allein durchgeführt oder auf ein Land beschränkt werden kann. Es handelt sich hierbei vielmehr – dies haben auch die Er- klärung des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen und die Erklärungen auf europäischer Ebene sehr deutlich gemacht – um ein Anliegen der gesamten Völkerge- meinschaft. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Max Stadler [FDP]) Täter und Unterstützer terroristischer Vereinigungen sollen in jedem Land mit Bestrafung rechnen müssen. Ruhe- und Rückzugsräume darf es nicht geben. Deshalb erweitert der Vorschlag der Bundesregierung den straf- rechtlichen Schutz und wendet das umfangreiche Instru- mentarium des § 129 StGB einschließlich der flankierenden verfahrensrechtlichen Vorschriften an. Deshalb überprüfen wir zurzeit im Zusammenhang damit weitere Folgeände- rungen. Lassen Sie mich zum zweiten Punkt etwas sagen, näm- lich zur Nachfolgeregelung zu § 12 des Fernmeldeanla- gengesetzes. Er gestattete es den Strafverfolgungsbehör- den, von den verpflichteten Diensteanbietern Auskunft über die zulässigerweise gespeicherten Daten über Te- lekommunikationsverbindungen zu verlangen. Das ist ge- nauso kompliziert, wie es klingt. Aber für die notwendige Arbeit der Strafverfolgungsbehörden handelt es sich da- bei um ein wichtiges Ermittlungsinstrument beispiels- weise zur Beschaffung von Beweismitteln, zur Bestim- mung des Tatorts und der Tatzeit eines Verbrechens oder zur Klärung des Aufenthaltsortes oder auch zur Abklä- rung, ob und bezüglich welcher Personen eine Telekom- munikationsüberwachung erforderlich und unabdingbar ist. Diese Regelung brauchen wir auch weiterhin. Wir halten die bloße Verlängerung des § 12 FAG, so wie er heute besteht, indes nicht für richtig, weil die Vor- schrift wegen der zunehmenden Digitalisierung des Tele- kommunikationsverkehrs einfach zu wenig differenziert ist. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Genau diese Differenzierung nehmen wir mit dem Vor- schlag der Bundesregierung vor. Er bringt Verbrechens- bekämpfung und den notwendigen Datenschutz in die nötige Balance und berücksichtigt beide Gewichte da, wo sie berücksichtigt werden müssen. Außerdem fügt der neue Vorschlag die Regelung in die rechtsstaatliche Systematik der Strafprozessordnung ein und ist so insgesamt eine wesentliche Verbesserung ge- genüber der geltenden Rechtslage. Sie werden gesehen haben, dass wir auch diese Vor- schrift – bis zum 31. Dezember des Jahres 2004 – befris- ten wollen. Der Grund dafür liegt nicht nur darin – das wird gerade in den Reihen der Kolleginnen und Kollegen der Opposition immer wieder diskutiert –, dass es manch- mal ganz vernünftig ist, Regelungen zu befristen. Viel- mehr liegt der Grund darin, dass es wichtig ist, in Zukunft zu einem in sich stimmigen und harmonischen Gesamt- system der strafprozessual zulässigen heimlichen Ermitt- lungsmaßnahmen zu kommen. (Dr. Max Stadler [FDP]: Das wollten Sie aber schon dieses Jahr vorlegen!) – Ja, und es war auch schon zu der Zeit, als Sie die Re- gierung hier verantworteten, Herr Stadler, natürlich erfor- derlich. Aber die Vorarbeiten sind halt nicht in dem Maße geleistet worden, (Norbert Geis [CDU/CSU]: Alles konnten wir nicht leisten! Wir haben viel geleistet!) wie wir es jetzt unter dem Aspekt der Sicherheit und der Freiheit, also der Balance zwischen innerer Sicherheit und Rechtsstaatlichkeit, brauchen. Deswegen arbeiten wir da- ran, übrigens mithilfe von zahlreichen Experten und Sachverständigen. Ich denke, wir werden das auch hier im Bundestag sehr detailliert diskutieren müssen. Auch die übrigen Vorschläge zur Änderung der Straf- prozessordnung, die von verschiedenen Seiten kommen, sollten wir in aller Ruhe, aber nicht überhastet diskutie- ren. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich habe den Eindruck, dass eine Menge ältere Überle- gungen mit vorgetragen werden, die übrigens die Verän- derungen durch die terroristischen Anschläge von Anfang September noch nicht berücksichtigen konnten. Diese Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Bundesministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin 18699 (C) (D) (A) (B) aber müssen wir analysieren und diskutieren. Ich denke, auch dazu wird in den kommenden Monaten Zeit sein, wenn wir das mit einer Gesamtreform des Strafverfah- rensrechts verbinden. Lassen Sie mich jetzt noch etwas zu dem dritten Punkt sagen, der in der Öffentlichkeit unter der nicht immer ganz richtigen Bezeichnung „Kronzeugenregelung“ be- kannt ist. Die alte Regelung haben wir auslaufen lassen, weil sie erheblichen Bedenken tatsächlicher und rechts- staatlicher Art gegenüberstand. Das ist ja bekannt. Des- halb halten wir es übrigens auch nicht für richtig, jetzt ein- fach zu dieser alten Regelung zurückzukehren. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Das macht keiner! Ich auch nicht!) Wir wollen auch den vorliegenden Entwürfen des Bun- desrates und der Opposition, denen man gelegentlich an- sieht, dass sie ganz schnell zusammengeflickt wurden, nicht näher treten, sehr geehrter Herr Geis. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Zusammengeflickt worden sind sie nicht!) Wir werden darüber im Detail noch ausführlich diskutie- ren können. Man merkt einfach, dass da die eine Vor- schrift mit der anderen und die eine Intention mit der vor- hergehenden nicht so ganz zusammenpasst. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Ich sehe das nicht so!) Wir werden Ende dieses Monats einen neuen Entwurf vorlegen, der den Grundsatz berücksichtigt, dass es sich hierbei um Straftäter handelt, denen schwerste Verbre- chen zur Last gelegt werden. Dass deshalb natürlich das Angebot einer Strafmilderung bestimmter Voraus- setzungen, Regelungen, Begründungen und Sicherungen, die gerade unter rechtsstaatlichen Aspekten sehr sorgfäl- tig abgewogen werden müssen, bedarf, darüber sollte in diesem Hause kein Zweifel bestehen. Wir werden mit Ih- nen darüber diskutieren. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zu einem anderen Punkt kommen, der viele Menschen beschäftigt. Wir werden in der Öffentlichkeit häufig gefragt, ob die im Rahmen des Antiterror- bzw. des Sicherheitspaketes vor- geschlagenen Gesetze und Maßnahmen nicht zu einer zu starken Einschränkung des Rechtsstaats, wie es formuliert worden ist, führen würden. Ich antworte, bezogen auf die Vorschläge, die wir vorlegen, mit einem eindeutigen Nein. Wir halten die erforderliche Balance zwischen Si- cherheit auf der einen und Rechtsstaatlichkeit und Frei- heit auf der anderen Seite. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dies ist nicht ganz leicht. Ich darf in diesem Zusam- menhang an die Rede erinnern, die der Bundespräsident vor wenigen Tagen in Leipzig gehalten hat. Er hat davon gesprochen, dass die gelungene Verbindung von Freiheit und Sicherheit nichts Selbstverständliches sei. Er hat Recht. Gerade in dieser neuen Situation, in der wir uns jetzt befinden, diese Verbindung herzustellen ist unsere Aufgabe. Dieser Aufgabe müssen wir uns stellen. Ich will Ihnen sehr deutlich sagen: Wir tun das auch. Dabei halte ich die öffentliche Diskussion und die von vielen geäußerte Sorge darüber, ob diese Balance auch er- halten bleibt, für im Prinzip gut. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es ist ein Kennzeichen einer offenen Gesellschaft, dass immer wieder sehr sorgfältig darauf geschaut wird, ob eine Maßnahme bzw. eine Gesetzesänderung geeignet, er- forderlich und im Sinne unserer freiheitlichen Grundord- nung verhältnismäßig ist. Nur, wir haben in unserem Land bereits Erfahrungen mit der Terrorismusbekämpfung gemacht. Auch da- mals, als dies aktuell war, gab es diese Diskussionen. Wir sollten uns nicht nur an die damals geführten Diskussio- nen erinnern, sondern auch an die Erfahrungen, die wir im Anschluss an die in diesem Zusammenhang durchgeführ- ten Gesetzesänderungen gemacht haben. Die sind näm- lich außerordentlich positiv. Wir haben den Terrorismus besiegen können, ohne den Rechtsstaat oder die Freiheit zu beschädigen und ohne die Balance zwischen Sicherheit und Freiheit in unserer Gesellschaft aus dem Gleichge- wicht zu bringen. (Beifall bei der SPD) Das gibt mir die Zuversicht, dass wir dann, wenn wir die derzeit anstehenden Maßnahmen sorgfältig erwägen, diese Balance auch dieses Mal erhalten können. Allerdings muss man immer wieder auf die Klarheit der Ziele hinweisen. Ich füge hinzu: Durch das ständige Wiederholen von Befürchtungen erreicht man diese Aus- gewogenheit von Sicherheit und Freiheit noch nicht. (Jörg van Essen [FDP]: Das ist sehr richtig!) Das Ziel ist klar: Wir wollen eine offene Gesellschaft auf der Grundlage unserer Verfassung. Denn wir leben gerne in einer solchen Gesellschaft. Genau diese offene Gesell- schaft greifen Terroristen an. Klarheit muss auch dahin gehend bestehen, dass wir den Terrorismus bekämpfen, Unterstützer zur Rechenschaft ziehen und keine Ru- heräume zulassen werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich habe erwähnt, dass das eine Aufgabe ist, deren Be- wältigung wirklich schwierig wird, und dass dies nicht nur in einem Land vollbracht werden kann. Das ist der Grund dafür, warum wir uns so außerordentlich stark im Bereich der Europäischen Union und im Bereich des Eu- roparates engagieren. Im Bereich der Europäischen Union arbeiten wir mit Nachdruck an einer gemeinsamen Grundlage zur straf- rechtlichen Bekämpfung des Terrorismus. Das fängt bei einer Definition des Terrorismusbegriffes an und geht dann bis zu einem europäischen Haftbefehl weiter, den der Bundeskanzler schon angesprochen hat und den wir benötigen. In diesem Zusammenhang werden auch die Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Bundesministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin 18700 (C) (D) (A) (B) Institutionen Europol und Eurojust, die wir befürworten, genutzt. Auch hier besteht übrigens diese Balance zwi- schen innerer Sicherheit, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und der Bekämpfung von Straftaten und des Terrorismus, und zwar auf der Basis dessen, was die Europäische Grund- rechte-Charta für den Raum der Europäischen Union vor- sieht. Im Bereich des Europarates ist ein gemeinsames Vor- gehen nicht ganz so leicht. Aber wir gehen mit Nachdruck in diese Richtung, auch wenn hier noch viel zu tun bleibt. Lassen Sie mich zum Schluss noch zwei Dinge erwäh- nen. Das eine ist die Abscheu vor und die Ablehnung von irgendwelchen Trittbrettfahrern und Nachahmertaten, mit denen die Öffentlichkeit derzeit immer stärker verun- sichert wird. Dass das schwerste Straftaten sind, die wir ablehnen, ist völlig klar. Aber in diesem Zusammenhang richte ich auch an die Medien die Bitte, sich zu überlegen, wie sie mit solchen Erscheinungen umgehen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Auch hier muss man Besonnenheit und Entschlossenheit miteinander verbinden. Der zweite Punkt ist der Dank, den ich denen abstatten möchte, die heute nicht nur bei uns vor der Türe stehen, sondern in den letzten Tagen und Wochen verstärkt für die Sicherheit aller sorgen: Das sind die Polizeibeamten und natürlich auch die Beamten der Staatsanwaltschaften, die über ihre Dienstzeit hinaus eine Menge tun. Ich glaube, sie verdienen nicht nur unseren Dank, sondern auch den Dank der Öffentlichkeit. Herzlichen Dank! (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der PDS) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Wolfgang Bosbach. Wolfgang Bosbach (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Diese Debatte findet zu einem entscheidenden Zeitpunkt statt. Denn wir befinden uns mitten in der Phase drei des folgenden Ablaufs, den wir in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten schon oft – wie wir meinen, zu oft – hatten: Erste Phase: Es geschieht ein fürchterliches Verbre- chen. Die Menschen sind entsetzt. Die Folgen sind Trauer, Wut, Empörung. Wir alle sind uns einig, dass sich eine solche Katastrophe nicht wiederholen darf. Es folgt dann die Phase zwei: Die Politik wird aufge- fordert, nun endlich die notwendigen Konsequenzen zu ziehen; so jedenfalls gehe es nicht mehr weiter. Sobald die ersten Vorschläge erarbeitet und konkrete Maßnahmen ergriffen werden, beginnt dann die Phase drei: In düsteren Farben wird das Bild eines Furcht er- regenden Polizei- und Überwachungsstaates an die Wand gemalt. Angeblich sind die Bürgerrechte in akuter Gefahr. Der Staat dürfe jetzt nicht überreagieren; die Gesetze wür- den ausreichen, man müsse sie nur anwenden. Zum Schluss kommt dann die Phase vier: Alles bleibt beim Alten, und zwar genauso lange, bis wiederum ein fürchterliches Verbrechen geschieht. Dann beginnt alles wieder von vorne. Diesen Teufelskreis müssen wir diesmal durchbrechen. (Beifall bei der CDU/CSU) An starken Worten hat es seit dem 11. September nicht gefehlt, im Gegenteil. Entscheidend sind jetzt starke Ta- ten. Wenn wir in dieser schwierigen Situation nicht un- verzüglich die Maßnahmen ergreifen würden, die not- wendig und zum Teil längst überfällig sind, um die Bürger wirksamer vor dem Terrorismus und anderen Formen der Kriminalität zu schützen, würden wir unverantwortlich handeln. Seit dem 11. September ist genau ein Monat ver- gangen. Es ist jetzt nicht nur unsere Aufgabe, sondern es ist unsere Pflicht, das im wahrsten Sinne des Wortes Not- wendige zu tun. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat lange vor dem 11. September einen Gesetzentwurf zur Verbesserung der Bekämpfung von Straftaten der organisierten Krimi- nalität und des Terrorismus vorgelegt (Zuruf von SPD: Abgeschrieben habt ihr den!) und darüber hinaus vor wenigen Tagen ein Konzept für mehr innere und äußere Sicherheit. Wenn Sie sagen, er sei abgeschrieben, dann können Sie ihm ja zustimmen, dann gibt es keinen einzigen Grund, diesen Gesetzentwurf ab- zulehnen. (Beifall bei der CDU/CSU – Alfred Hartenbach [SPD]: Wer sich mit fremden Federn schmückt!) Es gibt kein Patentrezept für einen allumfassenden Schutz vor Anschlägen oder anderen Formen der Krimi- nalität. Daher muss eine Fülle von einzelnen Maßnahmen ergriffen werden. Das Entscheidende aber ist, dass jetzt Schluss gemacht werden muss mit der Diffamierung der- jenigen, die für mehr äußere und innere Sicherheit plä- dieren. (Beifall bei der CDU/CSU) CDU und CSU wollen keinen allmächtigen Staat, kei- nen Überwachungsstaat, aber einen starken Staat, der seine Bürger wirksam vor Verbrechen zu schützen weiß. (Beifall bei der CDU/CSU) Sicherheit und Freiheit sind keine Gegensätze. Ohne aus- reichende Sicherheit gibt es keine wirkliche Freiheit. Mehr noch: Weniger Sicherheit bedeutet niemals mehr Freiheit, sondern mehr Schutzlosigkeit gegenüber Verbre- chen aller Art. Vor allem die Grünen werden sich ent- scheiden müssen, ob sie bei ihren traditionellen poli- tischen Positionen bleiben (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sind entschieden!) oder ob sie spät, aber immerhin, einsehen, dass ihre Hal- tung in vielen Fragen der Sicherheitspolitik unverant- wortlich ist. (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Bundesministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin 18701 (C) (D) (A) (B) Eigentlich müssten mittlerweile wir alle wissen, dass wir von unseren Diensten mehr sicherheitsrelevante In- formationen benötigen und nicht etwa weniger. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die richtigen!) Im Programm der Grünen noch für die letzte Bundes- tagswahl heißt es wörtlich: Geheimdienste haben fast alle Aufgaben verloren. Zwecks Arbeitsbeschaffung werden krampfhaft neue Betätigungsfelder gesucht, zum Beispiel Scientolo- gy ... Die Geheimdienste sind schrittweise aufzu- lösen. Wo stünden wir eigentlich in Deutschland heute, wenn sich die Grünen in diesem Punkt bei den Koalitionsver- handlungen durchgesetzt hätten? Deswegen die Frage an die Grünen mit der Bitte um eine klare Antwort: Ist das nach wie vor Ihre Auffassung, was ich aus Ihrem Programm für die Bundestagswahl zi- tiert habe, oder sind Sie mittlerweile auf dem Weg der Besserung? (Beifall bei der CDU/CSU) Anderes Beispiel: Der Innenminister will zukünftig in den Personalausweis oder Reisepass zum Bild des Inha- bers einen Fingerabdruck aufnehmen. (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!) Es sollen keine neuen personenbezogenen Daten darüber hinaus gespeichert werden. Der Kollege Özdemir lässt sich in der „Welt“ von gestern wie folgt ein: Es blüht die Gefahr, dass man aus dem Fingerab- druck auch noch andere Daten ablesen kann. (Lachen bei der CDU/CSU – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Den Kontostand! – Jörg van Essen [FDP]: Man muss schon grüner Politiker sein, um so etwas zu äußern!) Dabei geht es allein um die Erhöhung der Fälschungssi- cherheit. Herr Kollege Özdemir, hier blüht in der Tat ei- niges, und zwar blüht hier Unsinn. Wenn es so wäre, dass man aus einem in Folie eingeschweißten Fingerabdruck andere sensible personenbezogene Daten ablesen könnte, dann müsste man konsequenterweise jeden Fingerab- druck verbieten. (Alfred Hartenbach [SPD]: Das sind doch Straftäter! Sie reden Unsinn!) Dann müsste man im Übrigen auch nach jeder Trunken- heitsfahrt die Abnahme einer Blutprobe verbieten; denn aus einer Blutprobe könnten Sie auch mehr Informationen herausfiltern als nur die Blutalkoholkonzentration. Das ist blühender Unsinn! (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Alfred Hartenbach [SPD]: Wollen Sie jetzt die Blutprobe abschaffen? – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wollen Sie die Blutprobe in den Pass einschweißen oder wie soll ich das verstehen?) Die innere Unsicherheit der Koalition über das, was jetzt zu tun ist, darf nicht die innere Sicherheit des Landes gefährden. (Beifall bei der CDU/CSU) Auch Teile der SPD – ich sage ausdrücklich: Teile der SPD – müssen sich fragen lassen, ob sie noch auf der Höhe der Zeit sind. Im gleichen Moment, in dem diese Bundesregierung einen neuen § 129 b StGB kreiert, um auch die Unterstützung ausländischer Terrorgruppen im Inland strafrechtlich verfolgen zu können, startet der rot- grüne Übergangssenat in Berlin eine Gegeninitiative mit dem Ziel, die Werbung für eine terroristische Vereini- gung zukünftig straffrei zu stellen. (Zuruf von der CDU/CSU: Wissen das die Berliner Wähler schon?) Gibt es hier im Hause tatsächlich irgendjemanden, der ernsthaft glaubt, man könne den Terrorismus dadurch wirksamer bekämpfen, dass man Werbung für terroristi- sche Gruppen zukünftig nicht mehr strafrechtlich ver- folgt? Wenn einzelne Politiker solche Thesen vertreten, ist es schlimm. Wenn Regierungen solche Thesen vertreten, dann müssen sie abgewählt werden! (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Zum Thema Einsatz der Bundeswehr im Innern. Schon diese Formulierung löst ja bei einigen Empörung aus. Aufgabe der Bundeswehr sei die Landes- und die Bündnisverteidigung und dabei müsse es bleiben. Das ist richtig und falsch. Natürlich hat die Bundeswehr die Auf- gabe der Landes- und der Bündnisverteidigung. Deswe- gen müssen wir sie personell und technisch so ausstatten, dass sie bündnisfähig wird und auf Dauer bleibt. Aber schon nach jetzt geltender Rechtslage kann sie im Inland eingesetzt werden, ohne dass dies bislang für Aufregung gesorgt hätte: nach Art. 35 GG im Wege der Amtshilfe, zum Beispiel bei der Bewältigung von Naturkatastrophen, und nach Art. 87 a GG im Spannungs- und im Verteidi- gungsfall sowie beim inneren Notstand. Richtig ist auch: Wenn es Defizite im Bereich der Si- cherheit gibt, dann müssen wir die Dienste, Polizeien und Strafverfolgungsbehörden so ausstatten, dass sie ihre Auf- gaben wahrnehmen können. Die Bundeswehr kann nicht eine Art zweiter Bereitschaftspolizei sein, zumal sie ja nicht nur andere Aufgaben, sondern auch eine andere Aus- rüstung hat und die Soldaten eine andere Ausbildung als unsere Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten haben. Aber es gibt zwei Fragen, die wir ernsthaft prüfen und rasch beantworten müssen: Erstens. Ist es richtig, dass die Bundeswehr außerhalb des Verteidigungs- und des Spannungsfalles nicht zum Schutz ziviler Objekte, zum Beispiel lebenswichtiger In- frastruktureinrichtungen, eingesetzt werden kann, auch wenn wir eine ganz konkrete Gefährdungslage haben und die Polizeien und der Grenzschutz nicht mehr in der Lage sind, die notwendigen Aufgaben zu erledigen, weil sie schon jetzt an ihrer Kapazitätsgrenze angelangt sind? Wollen wir auf den Schutz, den die Bundeswehr in diesen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Wolfgang Bosbach 18702 (C) (D) (A) (B) Situationen bieten kann, verzichten? Die Bundeswehr kann und soll Polizei und Bundesgrenzschutz nicht erset- zen. Es geht ausdrücklich und ausschließlich um deren Unterstützung in einer besonderen Gefährdungslage, wie wir sie ganz unzweifelhaft heute haben. Zweitens. Müssen wir die Bundeswehr nicht dann ein- setzen dürfen, wenn nur sie über diejenigen Fähigkeiten verfügt, die notwendig sind, um eine ganz konkrete Ge- fahr abzuwehren? Eigentlich müsste bekannt sein, dass in bestimmten Situationen, zum Beispiel bei inländischen Angriffen aus der Luft, nur die Bundeswehr über diejeni- gen Fähigkeiten verfügt, die benötigt werden, um die Ge- fahr abwehren zu können. Es soll niemand glauben, dass solch fürchterliche Anschläge, wie wir sie vor einem Mo- nat in den USA erlebt haben, ausgerechnet in unserem Land nicht stattfinden könnten. Eine solche Annahme wäre irreal. Ich empfehle jedem, das 12. Kapitel in Georg Lebers Buch „Vom Frieden“ zu lesen. 11. September 1972: Schlussfeier der Olympischen Spiele in München. Wenige Tage zuvor hatte es das fürchterliche Massaker auf dem Flugplatz von Fürstenfeldbruck gegeben. Leber beschreibt eindrucksvoll die Lage, als ihn die Nachricht ereilte, dass ein gestohlenes Flugzeug Kurs auf das Olympiastadion ge- nommen habe, um dort Bomben abzuwerfen. Von der Po- lizei in München sei er gebeten worden, die Luftwaffe zur Abwehr eines solchen Vorhabens einzusetzen. In dem Buch von Georg Leber heißt es wörtlich: Der Vorgang war ungewöhnlich und gleichzeitig schaffte er einen zeitlichen Zwang, der langes Nach- denken ausschloss. Dass jede Entscheidung, die zu treffen war, eine Fülle staatsrechtlicher und politi- scher Probleme in sich barg, war mir sofort klar ... Als feststand, dass das Flugzeug den angegebenen Kurs in Richtung München fortsetzte, gab ich den Befehl zum Start einer Alarmrotte mit scharfen Waf- fen und weitere Befehle abzuwarten ... Kurz vor dem Punkt, an dem ich nach meiner Einschätzung nicht mehr warten durfte, wenn der Waffeneinsatz nicht in der Nähe des Olympiastadions erfolgen sollte, kam die Meldung, das unbekannte Flugzeug habe sich verirrt und bitte um die Erlaubnis zur Landung in München-Riem. Höchstens zwei Minuten später hätte dieser Vorgang, der sich jetzt wie eine Episode anhört, einen anderen Verlauf genommen ... Seit die- sem Tag sind Jahre vergangen. Vor dem Vorfall blieb vieles im Dunkeln. Es wäre aber gut, wenn er einmal juristisch und politisch aufgearbeitet würde. Nie- mand kann ausschließen, dass es sich in ähnlicher Form wieder einmal ereignet. Wieder wäre derje- nige, der dann – ohne sich in der Kürze der Zeit mit Krisenstäben beraten zu können – zu entscheiden hätte, neben der Last der direkten Verantwortung in der Sache auch noch mit einer außerordentlich kom- plizierten Rechtslage konfrontiert. Seit diesem Vorfall sind 29 Jahre vergangen, seit dem Erscheinen des Buches 20 Jahre. Die Kritiker unserer Vor- schläge sollten sich einmal gut überlegen, ob sie ange- sichts unserer Erfahrungen bei ihrer Kritik bleiben. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Kollege, bitte denken Sie an Ihre Redezeit. Wolfgang Bosbach (CDU/CSU): Es könnte nämlich sein, dass diesmal ein Gesinnungswandel zu spät wäre. Danke fürs Zuhören. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Volker Beck. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Geschätzter Kollege Bosbach, wir befinden uns eben nicht in der eben von Ihnen beschriebenen Phase 3. Die Phase 3 gibt es bei dieser Bundesregierung nicht, sondern wir sind gerade da- bei, den ersten Teil der notwendigen Maßnahmen zu er- greifen. Deshalb stimmt es nicht, dass sich hinterher nichts geändert haben wird. Die rot-grüne Koalition hat zügig eine Reihe von Maß- nahmen auf den Weg gebracht, um der neuen Dimension des internationalen Terrorismus auch in Deutschland ge- recht zu werden. Rot-Grün stellt damit unter Beweis: Wir sind im Kampf gegen diese in ihrem Ausmaß und in ihrer Brutalität völlig neue Form des Terrorismus nicht hilflos. Wir sind entschlossen, als Teil der internationalen Staa- tengemeinschaft gemeinsam mit den USA die Verant- wortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Mit dem so genannten Sicherheitspaket 1, das wir heute beraten, knüpfen wir die Verbindung zwischen der notwendigen Effektivität bei der Kriminalitätsbe- kämpfung einerseits sowie der strengen Beachtung rechts- staatlicher Prinzipien andererseits, beispielsweise des Ver- hältnismäßigkeitsgrundsatzes. Denn eines ist klar: Wir lassen uns von den Terroristen nicht dazu verleiten, Freiheits- und Bürgerrechte in unse- rem Land abzubauen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Diesen Gefallen werden wir ihnen nicht tun. Die Freiheit zu sichern und zu verteidigen ist die Aufgabe des Rechts- staates in unserer Demokratie. Deshalb werden sich sämt- liche Maßnahmen, die diese Regierung bereits auf den Weg gebracht hat und in absehbarer Zeit noch auf den Weg bringen wird, an folgenden Kriterien orientieren: Sie müssen geeignet, erforderlich, zielgerichtet, verhält- nismäßig, effektiv und zugleich praktikabel sein, um das Ziel der Terrorismusbekämpfung zu erreichen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Es wird in Zukunft möglich sein, extremistische Grup- pen, die sich bisher im Schein der bei uns zu Recht ver- bürgten Religionsfreiheit gesonnt haben, nach den Vor- schriften des Vereinsgesetzes zu verbieten. Wir begrüßen es sehr, dass uns zahlreiche muslimische Organisationen hierfür ihre Zustimmung erklärt haben. Die ganz über- wiegende Anzahl der bei uns lebenden Muslime weiß: Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Wolfgang Bosbach 18703 (C) (D) (A) (B) Unsere Maßnahmen richten sich nicht gegen sie und nicht gegen den Islam, sondern gegen diejenigen, die Religion instrumentalisieren, um Terror, Gewalt und Schrecken zu säen. Für solche Gruppen gilt künftig das Privileg der Re- ligionsfreiheit zu Recht nicht mehr. Herr Bosbach, Sie haben vorhin die Frage der Ge- heimdienste angesprochen. Unsere Fraktion und unsere Partei spricht sich dafür aus, nicht eine Abschaf- fungsdebatte, sondern eine Qualitätsdebatte über die Ar- beit der Geheimdienste zu führen. Ich meine, eine solche Debatte ist – trotz aller Erfolge, die die Geheimdienste in den letzten Wochen seit dem 11. September haben – durchaus angebracht, denn wir müssen uns fragen: Warum haben wir so spät von dem Anschwellen rechts- extremistischer Gewalt in den letzten Jahren Warnungen erhalten, warum gab es keine Hinweise auf die Anschläge vom 11. September? Wenn Sie mit Geheimdienstleuten sprechen – ich habe das in den letzen Wochen getan; ein Grüner tut dies vielleicht nicht jeden Tag –, dann können Sie erkennen, dass es in bestimmten Bereichen der Ge- heimdienste personelle und strukturelle Versäumnisse gibt, die man aufarbeiten muss. (Albert Deß [CDU/CSU]: Sie hätten ja die Geheimdienste ganz abgeschafft!) Allein die Forderung nach mehr Geld bringt kein Mehr an Qualität. Wir müssen vielmehr genau hinsehen und das werden wir auch tun. Ein weiterer Punkt: In der Gesellschaft gibt es eine De- batte über die Kronzeugenregelung. Sie wollen mit Ihren Initiativen im Prinzip zurück zur alten Kronzeugenrege- lung. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Sie haben unsere Vorschläge ja nicht gelesen! Genau das schla- gen wir nicht vor!) – Sie wollen den schmutzigen Deal des Staates mit Schwerverbrechern einführen. Dazu sagen wir als Koali- tion ganz klar Nein. (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: „Schmutziger Deal“? – Norbert Geis [CDU/CSU]: Sie sind die Saubermänner!) Die alte Kronzeugenregelung hat schon bei der Bekämpfung des deutschen Linksterrorismus nichts be- wirkt. Nicht in einem einzigen Fall ist es gelungen, einen aktiven Terroristen aus dem terroristischen Zusammen- hang mit den Verlockungen der Kronzeugenregelung her- auszubrechen. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Warum wollen Sie dann jetzt die Kronzeugenregelung? Das ist doch inkonsequent!) Wir sollten der Öffentlichkeit nicht sagen, dass so etwas bei islamisch verblendeten, zum Selbstmord ent- schlossenen Kamikaze-Terroristen gelingen könnte. Gleichwohl sagen wir: Eine rechtsstaatlich vernünftige und vertretbare Regelung, die kein Sondergesetz schafft, sondern eine neue Strafzumessungsregel für Aufklärungs- und Präventionsgehilfen vorsieht, ist sinnvoll. Darüber werden wir in der Koalition reden und über dieses Thema führen wir bereits Fachgespräche. Ich bin sicher, dass wir – auch unter Zuhilfenahme des Rats der Fachleute bei der Anhörung im Rechtsausschuss, die wir gestern be- schlossen haben – zu einem vernünftigen Gesetz kommen werden. Ihre Aufregung zeigt: Die Kompetenz und Entschie- denheit dieser Koalition auf dem Feld der inneren Sicherheit steht außer Frage. Der „Stern“ schreibt, das Thema Sicherheit werde von der Regierung so gut abge- deckt, dass die Gegner von der Union keinen Ball sehen, obwohl es eigentlich ein Heimspiel für sie sein müsste. Der „Stern“ hat Recht, sehr verehrte Damen und Herren von der Union. Soweit sie nicht unsere Vorschläge be- grüßen, sind die Rezepte, die Sie selber vorlegen, gänz- lich unbrauchbar und purer Aktionismus. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ihre Parteivorsitzende Angela Merkel stolpert derzeit nur so durch die innenpolitische Landschaft. Mit Vor- schlägen nach einem Bundessicherheitshauptamt oder Polizeibefugnissen für die Bundeswehr macht sie sich von Woche zu Woche lächerlicher. Es ist nur zu leicht zu durchschauen, wozu der Prüfauftrag in Sachen vermehr- ter Einsatz der Bundeswehr im Inland und Grundge- setzänderung, den Ihre Gremien vorsichtig erteilt haben, dienen soll: Sie wollen Ihre taumelnde Parteivorsitzende stützen, obwohl Herr Stoiber längst das Ruder übernom- men hat. (Lachen bei der CDU/CSU – Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: So etwas Blödes!) Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Union, sollte Ihnen jemals Kompetenz in Sachen innere Sicherheit zu- geschrieben worden sein: In den letzten Tagen und Wo- chen haben Sie die endgültig verspielt. Mittlerweile hat man bei der Union längst den Überblick verloren, welches Sicherheitspapier gerade ak- tuell ist; denn wöchentlich gibt es ein neues. Im Paper, das Herr Bosbach Ende September vorgelegt hat, steht kein einziges Wort zur internationalen Dimension des Terrors. In der letzten Woche haben Sie einige diesbezügliche Vor- schläge von der Koalition übernommen. Das ist auch gut so. Selbstverständlich sind auch wir für den Ausbau von Europol und Eurojust. Wir wollen den Ausbau zwar aus- drücklich. Aber wir wollen auch, dass die Fundamente stimmen. Wir wollen, dass es hier eine justizielle und parlamentarische Kontrolle gibt. Manche bestehenden Re- gelungen bezüglich Europol sind – das muss ich deutlich sagen – ein Hindernis, um die erforderliche Ausweitung der europäischen Kooperation im Bereich der Polizei voranzutreiben. Wir wollen diese Hindernisse beseitigen. Ein weiterer Punkt ist die Bekämpfung der Geldwä- sche. Diese scheint Teilen des Hauses große Sorgen zu be- reiten. Ich muss Ihnen ganz deutlich sagen: Wer den Terroristen nicht durch Lockerung des Bankgeheimnis- ses den Geldhahn zudrehen will, stellt ein Sicherheitsri- siko für diese Republik dar. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Wolfgang Freiherr Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Volker Beck (Köln) 18704 (C) (D) (A) (B) von Stetten [CDU/CSU]: Das müssen Sie uns sagen, Herr Beck! Das ist ja unglaublich!) Das, was Herr Eichel dazu vorgelegt hat, ist in keiner Weise zu kritisieren. Das ist wohl abgewogen und klug durchdacht. Es muss niemand Angst haben, dass unbe- scholtenen Bürgern in die Konten geschaut wird. Mich verwundert in diesem Zusammenhang nur: Sie haben zwar keine Scheu, den Lausch- und Spähangriff einzu- führen, um Menschen in ihren Privatwohnungen abhören zu können, (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) aber wenn es an das heilige Konto und das Bankgeheim- nis geht, (Margot von Renesse [SPD]: Dann ist alle!) dann stehen Union und FDP auf einmal auf den Bänken, dann gibt es Proteststürme und dann sind die Bürgerrechte in Gefahr. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der SPD und der PDS) Ich glaube, angesichts der terroristischen Gefahr setzen Sie die falschen Prioritäten. Ich bin deshalb froh, dass wir eine so kooperative, vernünftige, entschlossene, aber auch besonnene Bundesregierung haben. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Norbert Geis [CDU/CSU]: Dann werden auch Ihre Bankkonten offen sein! Dann werden wir sehen, was Sie so alles in An- spruch nehmen!) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Jörg van Essen. Jörg van Essen (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kol- leginnen und Kollegen! Die FDP sagt ein klares Ja zur notwendigen Verbesserung der inneren Sicherheit. Für uns Liberale ist es selbstverständlich, dass die Freiheit des Bürgers wirksam geschützt werden muss. Sicherheit und Freiheit gehören für die FDP eng zusammen. (Beifall bei der FDP) Der Staat muss die Grundrechte und die Freiheit seiner Bürger gewährleisten. Nur ein Staat, der in der Lage ist, die Grundrechte seiner Bürger zu schützen, wird auch als Rechtsstaat akzeptiert. (Beifall des Abg. Dr. Max Stadler [FDP]) Es gibt einen doppelten Anlass, über das Thema Si- cherheit neu nachzudenken. Es ist zum einen die bisher nicht gekannte Herausforderung durch den internationa- len Terrorismus und zum anderen auch das Hamburger Wahlergebnis, das signalisiert, dass eine große Zahl unse- rer Bürger mit der Behandlung des Themas innere Si- cherheit nicht zufrieden ist. Die Bestandsaufnahme macht für die FDP deutlich, dass die notwendige Verbesserung der inneren Sicherheit auf zwei Säulen fußen muss: der Beseitigung des Vollzugsdefizits auf der einen und der Prüfung der Frage auf der anderen Seite, welche gesetzge- berischen Konsequenzen zusätzlich notwendig sind. Wer sich die Frage des Vollzugsdefizits stellt, muss feststellen, dass die alte Koalition unter maßgeblicher Be- teiligung der FDP in über 50 Gesetzen zwischen 1990 und 1998 zusätzliche Instrumentarien geschaffen hat, um bes- ser gegen Rauschgifthandel, Geldwäsche, Korruption und organisierte Kriminalität vorgehen zu können. (Joachim Stünker [SPD]: War alles Flickwerk!) Viele dieser Gesetze haben schon deshalb auch bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus Bedeutung, weil sich Terroristen häufig durch Drogenhandel und an- dere Delikte der Schwerstkriminalität finanzieren. (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Das Sicherheitsrisiko ist Herr Beck!) Die in Afghanistan hergestellten Heroinmengen sind dafür ein Beispiel. (Beifall bei der FDP – Joachim Stünker [SPD]: Ja, und?) Diese Gesetze bleiben auf weiter Strecke unwirksam, weil bundesweit bei der Polizei 30 000 Stellen unbesetzt sind und bei den Nachrichtendiensten und Katastrophen- schutzorganisationen Stellen in unverantwortlicher Weise abgebaut worden sind. Wenn im rot-grün-regierten Berlin aus Personalmangel zum Beispiel 2 000 genetische Fin- gerabdrücke nicht bearbeitet und 60 – ich wiederhole: 60 – richterlich angeordnete Telefonüberwachungen nicht umgesetzt werden können, (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Hört! Hört!) dann ist das ein unerträglicher Skandal. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das 1992 beschlossene polizeiliche Informationssystem INPOL neu ist trotz der Ausgabe dreistelliger Millionen- beträge immer noch nicht realisiert und es ist auch nicht abzusehen, wann dies jemals umgesetzt werden kann. Personal- und Ausstattungsverbesserungen bei den Strafverfolgungsbehörden und den Nachrichtendiensten sind deshalb – diese Beispiele machen es deutlich – für die FDP unverzichtbar. (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]) Noch so viele Gesetzesänderungen, die beschlossen wer- den, können nicht umgesetzt werden, wenn das Personal nicht vorhanden ist, das diese Gesetze anwendet. Hier ist nicht nur der Bund, hier sind in besonderer Weise auch die Länder gefordert. Die FDP ist darüber hinaus selbstverständlich auch be- reit, die Bundesregierung bei all den Vorstellungen zu un- terstützen, die notwendig und geeignet sind, die innere Si- cherheit zusätzlich zu verbessern. Wir sprechen uns für die Wiedereinführung einer rechtsstaatlichen Kronzeu- genregelung aus. Ich erinnere an die Debatte, die wir hier Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Volker Beck (Köln) 18705 (C) (D) (A) (B) geführt haben. Ich habe noch sehr genau im Ohr, was die Kollegen aus der SPD-Fraktion und insbesondere aus der Fraktion der Grünen gegen die Kronzeugenregelung ge- sagt haben. Ich bin froh darüber, dass es jetzt hier ein ver- nünftiges Umdenken gibt; denn die Kronzeugenregelung ist ein wichtiges Mittel. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Was der Kollege Beck hier wieder aufzeigen wollte, nämlich dass die alte Kronzeugenregelung nichts ge- bracht hat, ist schlicht falsch (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN) und macht für mich deutlich, dass es bei Ihnen offen- sichtlich immer noch Widerstände gegen diese notwen- dige Kronzeugenregelung gibt. Wer beispielsweise sieht, welchen Erfolg wir mit dieser Regelung im Bereich der Terrororganisation PKK hatten, (Norbert Geis [CDU/CSU]: Genau!) der weiß, wie viel sie gebracht hat, auch an Aufklärung und an Überführung von Schwersttätern. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Das macht deutlich, dass sie offensichtlich auch – Sie ha- ben das bestritten – in ethnisch abgeschotteten Strukturen wirkt. Für uns als Liberale ist aber auch klar, dass wir eine Kronzeugenregelung wollen, bei der es keine Verurtei- lung allein auf der Grundlage der Aussage eines Kron- zeugen geben darf; es müssen weitere Gesichtspunkte hinzukommen. (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wie ver- steht sich das mit dem, was Sie eben gesagt ha- ben? Sie widerlegen Ihre eigene Polemik! – Margot von Renesse [SPD]: Das haben Sie vor- her nicht vorgetragen!) Wir begrüßen es ganz außerordentlich, dass die auf ge- setzlicher Grundlage, nämlich in der Strafprozessordnung und in vielen Polizeigesetzen, klar geregelte Rasterfahn- dung jetzt zum Einsatz kommt. Es ist schlicht falsch zu behaupten, dass die Rasterfahndung in der Vergangenheit keine Erfolge gebracht hat. Sie hat Erfolge in vielfältiger Form gebracht. (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: So ist es!) Wir haben übrigens – das muss in diesem Zusammenhang auch erwähnt werden – einen erheblichen Zeitverlust da- durch, dass einige Länder jetzt erst überhastet gesetzliche Regelungen für die Rasterfahndung einführen müssen. (Albert Deß [CDU/CSU]: Zum Beispiel dort, wo der Bundeskanzler Ministerpräsident war!) Die Aufhebung des Religionsprivilegs im Vereins- recht ist ein weiterer Vorschlag, der von uns unterstützt wird. Ich übersehe nicht, dass er durchaus verfassungs- rechtliche Fragen aufwirft. Es macht uns große Sorgen, dass sich extremistische Vereinigungen als Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften tarnen. Es ist auch im Interesse der Kirchen und der vielen rechtstreuen Mus- lime in unserem Land, dass Religion nicht missbraucht wird. (Beifall bei Abgeordneten der FDP, der SPD und der CDU/CSU) Wir als FDP sind auch für die Schaffung eines § 129 b StGB, der die Tätigkeit und Unterstützung für ausländi- sche terroristische Organisationen unter Strafe stellt. Wer die dringende Notwendigkeit dieser Vorschrift sieht, är- gert sich umso mehr darüber, dass noch im März dieses Jahres die Vorsitzende der Grünen, Claudia Roth, und die Bundesministerin Renate Künast in einer Zeitungsan- zeige die Aufhebung des Terrorismusparagraphen 129 a des Strafgesetzbuches gefordert haben. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Norbert Geis [CDU/CSU]: Das muss man mal sagen!) Man muss es sich noch einmal vor Augen führen: Eine Ministerin dieser Regierung forderte im März dieses Jah- res in einer Zeitungsanzeige, dass Terroristen in Deutsch- land nicht mehr strafrechtlich verfolgt werden können. Unerträglich! (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Albert Deß [CDU/CSU]: Frau Künast hat sich bis heute nicht distanziert!) Aber die Bürger erwarten von der FDP auch ein klares Nein da, wo wir uns von einem Vorschlag keine Verbes- serung der Sicherheit erwarten. (Margot von Renesse [SPD]: Das Bankge- heimnis!) Das gilt zum Beispiel für die hochgespielte Frage des Ein- satzes der Bundeswehr im Inneren. Der Kollege Bosbach hat zu Recht gesagt: Die Bundeswehr wird bereits jetzt im Rahmen der geltenden Verfassung im Innern eingesetzt – und das ist auch gut so. Sie hilft bei Naturkatastrophen wie dem Oderhochwasser und sie leistet Amtshilfe, wenn beispielsweise Aufklärungsflugzeuge nach verschwunde- nen Kindern suchen. Ich möchte auch klar stellen – Herr Bosbach, Sie haben daran sozusagen ein Fragezeichen angebracht –: Es gehört beispielsweise zu den klassischen Aufgaben der Bundeswehr, für die Luftverteidigung in ganz Deutsch- land zuständig (Norbert Geis [CDU/CSU]: Genau!) und deshalb mit Flugzeugen und Flugabwehrstellungen im Inneren präsent zu sein. (Dr. Max Stadler [FDP]: Richtig!) Es ist völlig wurscht, woher diese Flugzeuge kommen und wohin sie fliegen. Wir brauchen keinerlei neue Regelung. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Jörg van Essen 18706 (C) (D) (A) (B) Wer die Bundeswehr zusätzlich zu den immer neuen Aufgaben auf dem Balkan und bei der Bekämpfung des Terrorismus zum Lückenfüller, zur billigen Hilfspolizei machen will, der hat die Zeichen der Zeit nicht verstan- den. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD – Norbert Geis [CDU/CSU]: Das will keiner!) Polizei und Bundeswehr müssen gleichzeitig für ihre ei- gentlichen Aufgaben gestärkt werden. Das Gleiche gilt für den Vorschlag zur Einführung ei- nes Sicherheitsamtes. (Dieter Wiefelspütz [SPD]: Richtig!) Nicht neue Bürokratie ist gefragt, sondern bessere Koor- dinierung und Zusammenarbeit. Das erwartet die FDP auch auf europäischer Ebene, weil sonst angesichts der of- fenen Grenzen viele Maßnahmen ins Leere laufen wür- den. Wir wenden uns auch – Frau von Renesse, Sie haben danach schon gefragt – gegen die Abschaffung des Bank- geheimnisses. (Margot von Renesse [SPD]: Das ist kein Wunder!) Im Rahmen der strafrechtlichen Ermittlungen – darauf darf ich als Oberstaatsanwalt hinweisen – gibt es gar kein Bankgeheimnis. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Beim Verdacht auf eine Straftat, auch steuerlicher Art, sind Banken ganz selbstverständlich auskunftspflichtig. (Joachim Stünker [SPD]: Da hat er Recht!) Wir wünschen uns auch in diesem Punkt einen besse- ren Vollzug. Wer sich anschaut, dass beim Bundesauf- sichtsamt für das Kreditwesen lediglich 16 Beschäftigte die Geldwäscheaufsicht über rund 3 000 Banken und 1 700 Finanzdienstleistungsinstitute wahrnehmen müs- sen, der sieht, dass es auf diesem Gebiet Defizite gibt, die dringend beseitigt werden müssen. (Beifall bei der FDP) Das würde auch die flächendeckende Registrierung von Bankkonten überflüssig machen. Dass dies nicht erforderlich ist, zeigt im Übrigen ein weiterer Umstand: Nach wenigen Tagen waren alle deut- schen Banken in der Lage, die Konten beispielsweise von Bin Laden und anderen zu benennen, sodass sie danach gesperrt werden konnten. Das ist gut und richtig so. Aus all dem folgt, dass der Bundesinnenminister auf die Unterstützung der FDP bei vielen seiner Überlegun- gen für die Verbesserung der inneren Sicherheit rechnen kann. Wir erwarten von ihm aber auch, dass er sich inner- halb der eigenen Koalition schnell durchsetzt. Wer die, insbesondere aufgrund des Widerstandes der Grünen, im- mer wiederkehrenden Verschiebungen der Verabschie- dung der verschiedenen Terrorpakete sieht, der ärgert sich über den Zeitverlust. Wir brauchen dringend eine Verbes- serung der inneren Sicherheit. Die FDP ist zu konstrukti- ven Gesprächen bereit. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Alfred Hartenbach [SPD]: Schwacher Beifall!) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Petra Pau. Petra Pau (PDS): Frau Präsidentin! Liebe Kollegin- nen und Kollegen! Seit den Terroranschlägen vom 11. September haben wir eine neue Lage. Eine neue Lage erfordert neues Nachdenken, auch über die öffentliche Si- cherheit. Unsere Fraktion beschäftigt sich mit diesem Thema sehr intensiv. Wir kennen die Sorgen, die Ängste und ebenfalls die Verunsicherungen, die es in der Bevöl- kerung gibt. Wir teilen sie im Wortsinne; denn auch wir haben Ängste und Sorgen. Unser Nachdenken und unser Prüfen geschieht nicht ideologisch, sondern sehr pragmatisch. Wir stellen uns bei jedem neuen Vorschlag drei Fragen: Bringt dieser Vor- schlag mehr Sicherheit oder gibt er dies nur vor? Stärkt er den Rechtsstaat oder unterläuft er seine Regeln? Was überwiegt, der Heilstoff oder die Nebenwirkungen? Ich möchte Ihnen das gerne an einem Beispiel illus- trieren: In allen Bundesländern ist inzwischen eine Rasterfahndung angelaufen, also ein umfangreicher Ab- gleich persönlicher Daten. Das sei unumgänglich, drän- gen CDU und CSU. (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Wir sind genau der Meinung!) Das sei eine normale Ermittlungsmethode, beschwichtigt mein Berliner SPD-Innenminister. Das sei gerade noch hinnehmbar, knurren Bündnis 90/Die Grünen. (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: „Knurren“, das ist richtig! Mehr können die Grünen auch nicht!) Ganz anders der Präsident des Landeskriminalamtes Sachsen, also offenbar ein Mann vom Fach. Er sagte die- ser Tage: Die Rasterfahndung ist untauglich. Auf die Nachfrage, warum sie denn trotzdem durchgeführt werde, meinte er: Nun, wir haben kein besseres Mittel. Das heißt, obwohl das Ganze untauglich ist, wird der Datenschutz ausgehöhlt und werden viele Bürgerinnen und Bürger ob ihrer Herkunft unter Generalverdacht ge- stellt. Das ist ein klassischer Fall, in dem die Nebenwir- kungen die positiven Effekte eher erdrücken. Dasselbe wird eintreten, wenn Sie den Fingerabdruck von ausländischen Mitbürgern in den Pass prägen lassen und sie damit diskriminieren. Nun habe ich heute Morgen mit großer Sorge vernommen, dass der Herr Bundeskanz- ler noch weitere erkennungsdienstliche Daten in Pässe prä- gen lassen will. Ich sage für die PDS: Wir lehnen beides ab. (Beifall bei der PDS) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Jörg van Essen 18707 (C) (D) (A) (B) Diese Vorschläge bringen nämlich nicht mehr Sicherheit, sondern unterlaufen nur rechtsstaatliche Ansprüche. Jene, die das trotzdem tun wollen, sollten doch dann wenigstens den Mut aufbringen, dies ehrlich zu sagen, anstatt, wie heute Morgen Frau Merkel, zu behaupten, dass das alles alternativlos und ungefährlich sei. Nun zu unserer Positivliste. Es steht ja außer Frage, dass es Handlungsbedarf, und sogar sehr dringenden, gibt. Wir brauchen erstens eine Polizeireform. Wir brauchen zweitens einen effektiven Katastrophenschutz. Wir brau- chen drittens eine bessere internationale Kooperation. Viertens brauchen wir mehr Prävention, übrigens welt- weit. Fünftens schließlich brauchen wir mehr öffentliche Sicherheit in der offenen Gesellschaft. Mehr öffentliche Sicherheit in einer offenen Gesell- schaft verträgt allerdings dreierlei nicht: erstens die Kap- pung von Bürgerrechten, zweitens das Unterlaufen von Rechtsstaatsprinzipien und drittens die Privatisierung öffentlicher Sicherheit. Damit zu den konkreten und aktu- ellen Vorschlägen, die auf dem Tisch dieses Hauses liegen. Stichwort Flugsicherheit: Es liegt nahe und ist richtig, die Flugsicherheit zu erhöhen. Dazu sollten natürlich ver- besserte Gepäck- und Personenkontrollen und auch die Sicherung des Cockpitbereichs gehören. Sofern es sich um ausgebildete Polizeibeamte handelt, spricht meines Erachtens auch nichts gegen so genannte Skymarshals, also Flugbegleiter mit Sicherheitskompetenzen. Gerade am Beispiel Flugwesen zeigt sich dann aber auch: Der Teufel steckt im Detail. Immer mehr Leistungen werden in diesem hochsensiblen Bereich inzwischen von Be- schäftigten in prekären Arbeitsverhältnissen erbracht, wenn sie nicht sogar auf Billigjobbasis arbeiten. Das ist nicht nur ein sozialer Skandal, sondern auch ein Sicher- heitsproblem. (Beifall bei der PDS) Das gilt übrigens nicht nur für das Flugwesen. Ich denke da nur an U- und S-Bahnhöfe, auf denen inzwi- schen kein Personal mehr eingesetzt wird. Hier ist Um- denken gefragt. Das ist nicht nur eine Frage der Innenpo- litik, sondern wir müssen in allen Ressorts prüfen, wo wir mehr öffentliche Sicherheit herstellen können. (Dr. Ilja Seifert [PDS]: Das wäre wirklich mal notwendig!) Die FDP ist nicht nur deshalb ein Sicherheitsrisiko, weil sie ihre Abteilung Bürgerrechte derzeit in den Koali- tionsverhandlungen mit dem Herrn Schill entsorgt, (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Wider- spruch bei der FDP) sondern auch deshalb, weil ihr hemmungsloser Privatisie- rungskurs in der Wirtschaftspolitik soziale und öffentliche Sicherheit beseitigt. Stichwort Kronzeugenregelung: Wer Straftaten be- geht und danach sagen kann, er wisse noch etwas, wird mit Straferlass belohnt. (Dr. Max Stadler [FDP]: Das steht jetzt schon im StGB!) Das ist und bleibt mittelalterlicher Ablasshandel. (Dr. Max Stadler [FDP]: Das steht in § 46!) Kollege Stadler, auch deshalb und weil sie nichts erbracht hat, wurde die Kronzeugenregelung 1999 zu Recht ad acta gelegt. Nun soll sie neu aufgelegt und – so sagen es die Grünen – in Strafzumessungsregelung umbenannt wer- den. Liebe Kerstin Müller, ich verrate Ihnen, was eine Kol- legin aus Ihrer Regierungskoalition, die sich noch SPD- links fühlt, dieser Tage zu solchen Vorschlägen und Ver- renkungen zu mir sagte. Sie meinte: Wir können gar nicht so schnell aufstehen, wie die Grünen umfallen. (Beifall bei der PDS – Rainer Brüderle [FDP]: Ja, das ist wahr!) Mit Rechtsstaatlichkeit, Bürgerrechten und Terror- bekämpfung hat das gar nichts zu tun – ganz im Gegen- teil. Dasselbe trifft auf § 129 b des Strafgesetzbuches zu. Trotzdem – wider besseres Wissen – wollen Sie ihn. Sie wissen hoffentlich wenigstens, warum und zu welchem Preis Sie ihn einführen wollen. Damit komme ich zum dritten Stichwort, nämlich der Bundeswehr im Innern. Zu Beginn des Jahres habe ich aus SPD-berufenem Mund, von einer Staatssekretärin, gehört: Wer sich künftig bei der Bundeswehr bewirbt, muss wissen, dass sein Arbeitsplatz im Ausland ist. Nun höre ich dazu keinen Widerruf, wohl aber eine neue Dro- hung aus den Reihen der CDU/CSU: Die Bundeswehr solle nicht nur weltweit, sondern auch zu Hause eingrei- fen, vor allem dort, wo sie besser gerüstet sei als die Poli- zei. Kritische Stimmen haben es derzeit schwer. Selbst vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen wird nur noch eingela- den, wer Kaiser Wilhelm II. folgt oder – wie die FDP – verkündet, dass man keine Parteien mehr kenne. Dieser Tage fand ich in der „Basler Zeitung“ doch noch eine kri- tische und obendrein liberale – nämlich von der FDP – Stimme, und zwar die von Burkhard Hirsch. Er warnte – meines Erachtens zu Recht – dringend davor, die Bun- deswehr über das ohnehin mögliche Maß hinaus im In- nern einzusetzen. (Dr. Max Stadler [FDP]: Das steht auch in un- serem Fraktionspapier!) Dies sei in der Sache falsch und obendrein ein Einfallstor für nicht absehbaren Missbrauch. Sie wollen es trotzdem. Wir werden es ablehnen. (Beifall bei der PDS) Ich nenne ein letztes Stichwort, nämlich das Bank- geheimnis. Jeder weiß, dass der internationale Terroris- mus viel mit Geld zu tun hat. Dies gilt übrigens nicht nur, um ihn auszuüben, sondern auch, um mit Terror Kasse zu machen. Es liegt doch nahe, Geldströme zu kontrollieren. Wir – aber nicht nur die PDS – fordern das seit langem. Ich lese und höre heute, dass die FDP dagegen sei, weil damit die Privatsphäre unbescholtener Bürger betroffen werde. Ich frage die Herren Westerwelle und Rexrodt, ob Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Petra Pau 18708 (C) (D) (A) (B) sie vergessen haben, dass das so genannte Bankgeheimnis für Millionen Betroffene hierzulande längst nicht mehr gilt, nämlich für die Sozialhilfeempfänger und all diejeni- gen, die mit ihnen verwandt sind. Wollen Sie denen durch die innenpolitische Brille etwa sagen, sie seien beschol- tene Bürger, nur weil sie arm sind? (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Das ist aber eine Argumentation!) Ich komme zu meinem Schlussgedanken. Ich kann uns alle nur warnen und zugleich werben: Auch im Parlament der USA wird über Maßnahmen gegen den Terrorismus gestritten und werden Wege für mehr öffentliche Sicher- heit gesucht. Auch dort werden Antiterrorpakete ge- schnürt und geprüft. Das muss auch sein. Aber selbst in den USA haben jene, die sich als Liberale engagieren, in dieser Woche ein klares Stoppzeichen gesetzt. Sie haben sortiert, was der Sicherheit dient und was mit Sicherheit falsch läuft. Sie wollen alles, was ihnen im Wortsinne fragwürdig erscheint, zumindest unter einen Prüfvorbe- halt stellen und zugleich all diese Maßnahmen zeitlich be- grenzen. Ich finde, zur kritischen Solidarität gehört es, nicht schlechter, sondern möglichst besser sein zu wollen als die liberalen Innenpolitiker in den USA. Die PDS, die Opposition zur Linken, ist dazu bereit. (Beifall bei der PDS) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Jürgen Meyer. Dr. Jürgen Meyer (Ulm) (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Rechtsstaat lebt von Reformen. Daran sollten wir denken, wenn wir neuen oder größer werdenden Gefährdungen der Sicher- heit unserer Bürgerinnen und Bürger durch neue Gesetze zu begegnen versuchen. Wir sollten aber auch daran den- ken, dass die Reformen den Rechtsstaat am Leben erhal- ten sollen und nicht ruinieren dürfen. Denn das wäre der größte Triumph der Terroristen, mit dem wir uns ausei- nander zu setzen haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deshalb bin ich froh, dass wir uns verständigt haben, keinen der vielen Vorschläge für neue Gesetze übereilt umzusetzen. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Faule Ausreden!) Wir werden diese Vorschläge zum Gegenstand einer kri- tischen Überprüfung und einer öffentlichen Sachverstän- digenanhörung am 7. November dieses Jahres machen. Bis dahin gilt es, die bereits geltenden Gesetze konse- quent anzuwenden. Wie notwendig eine kritische Prüfung ist, will ich mit zwei Beispielen belegen. Mein erstes Beispiel: Unter den hier Anwesenden bin ich wohl einer, der sich länger als andere, nämlich seit mehr als 25 Jahren, mit rechtsvergleichenden und krimi- nologischen Argumenten gegen die missbräuchliche Ver- wendung von Kronzeugen im Strafverfahren engagiert. Dabei stört mich weniger die gedankenlose Übersetzung des englischen Begriffs „crown witness“, obwohl wir die Monarchie vor immerhin 83 Jahren abgeschafft haben. (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Aber Herr Meyer, so kleinkariert kann man doch nicht sein.) Mehr stört mich schon die Verwendung des Begriffs als einer Art Ehrenbezeichnung, einer Nobilitierung für Ver- brecher, welche die gewiss dringend benötigten Informa- tionen über ihre Komplizen vor allem um ihres Vorteils willen liefern. Die italienische Bezeichnung „pentiti“, die so etwas wie Reue unterstellt, ist da schon erträglicher, wenn auch sehr euphemistisch. Am schlimmsten aber ist der Kuhhandel um Gerechtigkeit mit Straftätern, die nicht selten zur Erlangung von Vergünstigungen das Blaue vom Himmel herunterlügen. (Beifall bei der SPD) Deshalb haben wir die alte Kronzeugenregelung auslau- fen lassen. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Dann hätten Sie eine neue machen können! – Gegenruf des Abg. Alfred Hartenbach [SPD]: Machen wir ja! – Norbert Geis [CDU/CSU]: Ja, nach zwei Jah- ren! Nach dem 11. September!) So wird sie auch nicht wiederkehren. Ich vertraue darauf, dass wir uns auf eine neue Rege- lung verständigen werden, die den bereits geltenden § 46 des Strafgesetzbuches für Verhalten nach der Tat konkre- tisiert und keine Straffreistellung für Verbrecher oder eine absurd niedrige Strafe, etwa für Mord, vorsieht, (Norbert Geis [CDU/CSU]: Da müssen Sie natürlich Anreize schaffen! Dafür brauchen Sie die Kronzeugenregelung nicht!) sondern sich charakterisieren lässt als Strafzumessungs- regel für Aufklärungshelfer. Das dient dem Interesse po- tenzieller Verbrechensopfer und ist in Fällen des so ge- nannten Ermittlungsnotstandes ausnahmsweise sehr wohl zu rechtfertigen. (Beifall bei der SPD) Mein zweites Beispiel ist der Vorschlag der CDU/ CSU-Fraktion, die Gewinnabschöpfung durch erweiter- ten Verfall auch für solche Fälle vorzusehen, in denen Ge- winne nur mittelbar aus rechtswidrigen Taten stammen. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, übersehen dabei wohl, dass in dem von Ihnen genannten Fall der Einnah- men eines Restaurants, das mit Drogengeldern finanziert wird, (Norbert Geis [CDU/CSU]: Zum Beispiel!) längst mit dem vor über fünf Jahren auf meine Initiative weiterentwickelten § 443 StPO geholfen werden kann; (Beifall bei der SPD – Norbert Geis [CDU/ CSU]: Der wird aber nicht angewendet! Wir müssen da eine bessere Formulierung haben!) übrigens auch mithilfe der vom Bundesgerichtshof ver- fassungskonform interpretierten Vermögensstrafe mit vorausgehender Beschlagnahme. Ihr Vorschlag gehört Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Petra Pau 18709 (C) (D) (A) (B) also – gestatten Sie diese Charakterisierung – in das Ka- pitel Aktivismus. (Beifall bei der SPD – Norbert Geis [CDU/ CSU]: Nein, nein! Die Vermögensstrafe ist wie- der etwas anderes!) Schlimmer allerdings ist, das Sie bisher den ins Zen- trum der organisierten Kriminalität zielenden Vorschlag, (Norbert Geis [CDU/CSU]: Machen wir gar nicht!) die gewerbsmäßige oder durch Banden begangene Steu- erhinterziehung zur Vortat des Geldwäschetatbestan- des zu machen, ablehnen. (Alfred Hartenbach [SPD]: Hört, hört!) Ich zitiere zwei Sätze aus dem Minderheitenvotum der CDU/CSU im Zwischenbericht der Enquete-Kommission „Globalisierung der Weltwirtschaft“: Eine Einbeziehung der schweren Steuerhinterziehung in den Vortatenkatalog der Geldwäschestrafnorm wäre wegen der damit verbundenen automatischen Erweiterung der Anzeigepflicht des Geldwäschege- setzes nicht nur für die Adressaten dieses Normgefü- ges höchst bedenklich. Selbst die ganz überwiegende Anzahl redlich handelnder Bürger müsste befürch- ten, nicht nur bewacht, sondern rein zufällig den Strafverfolgungsbehörden gemeldet zu werden. (Joachim Stünker [SPD]: Sieh mal an!) Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU-Fraktion, übersehen bei Ihren Einwänden, dass redlich handelnde Bürger nur höchst selten in den Verdacht schwerer Steuerhinterziehung geraten (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD) und dass es geradezu unerträglich ist, (Norbert Geis [CDU/CSU]: Kommt darauf an, wer regiert! – Gegenruf des Abg. Alfred Hartenbach [SPD]: Ein ehemaliger Innenminis- ter! – Norbert Geis [CDU/CSU]: Kanther hat keine Steuern hinterzogen!) die Anlage und den Transfer von Schwarzgeld im großen Stil durch Kreditinstitute schönzumalen. Das ist Geldwä- sche. Ohne die Mitwirkung von Kreditinstituten sind or- ganisierte Kriminelle und auch Terroristen nicht lebens- fähig. (Beifall bei der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns also gemeinsam das Übel bei der Wurzel packen und mit Au- genmaß für den Rechtsstaat arbeiten, getreu dem Motto von Willy Brandt aus dem Jahre 1969: Wer morgen sicher leben will, muss heute für Reformen kämpfen. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Wolfgang Bosbach [CDU/CSU]: Sehr gut der Schlusssatz!) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Norbert Geis. Norbert Geis (CDU/CSU): Verehrte Frau Präsiden- tin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der ers- ten Debatte nach dem 11. September sagte unser Frakti- onsvorsitzender, als über den Angriff auf New York und Washington diskutiert wurde: Dies war ein Angriff aus der Hölle! – In der Tat, wir haben eine derartige Konzen- tration des Bösen erlebt, dass sie unser Fassungsvermö- gen übersteigt. Nie hätten wir glauben mögen, dass Men- schen zu solchen Taten fähig sind, dass sie ihr Leben wegwerfen und damit Tausende anderer Menschen in den Tod reißen. Die Attentäter haben sich auf den heiligen Krieg beru- fen. In Wirklichkeit haben sie sich wie Besessene verhal- ten. Bei einer solchen Tat kann man sich auf keine Reli- gion berufen. Keine Religion wird je eine solche Tat rechtfertigen. Das entspringt einem Wahn, hat mit Reli- gion nichts zu tun, sondern vielleicht mit Krankheit, mit einer eingeschränkten Denkweise oder auch mit Beses- senheit. Das ist es, was uns beunruhigt. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine sehr verehrten Damen und Herren, nach dem 11. September müssen wir mit allem rechnen. Der Wahn der Terroristen ist die eine Seite. Aber die andere Seite ist, dass sie von Ländern unterstützt werden, die arm sind und nicht an dem Ölreichtum teilhaben. Dort wachsen Neid und Wut. Dort wächst die Atmosphäre, die zur Unterstüt- zung solcher terroristischen Taten notwendig ist. Dorthin ziehen sich die Terroristen zurück. Dort bilden sie ihre Zellen. Dort haben sie ihre Basen, in denen sie neue An- schläge vorbereiten. Wir müssen deswegen in einer klu- gen Weise versuchen, diese Länder von einem solchen Verhalten abzuhalten, und das kann auch mit Hilfe wirt- schaftlicher Unterstützung geschehen. Wir müssen aber auch mit dem Islam ins Gespräch kommen. Das ist Aufgabe der westlichen Welt. Der Papst hat von Kasachstan aus unmittelbar nach diesen Anschlä- gen dazu aufgerufen, dass die Kulturen miteinander ins Gespräch kommen. Es muss in der Welt eine Atmosphäre, eine Zivilisation des Verständnisses herrschen. Es muss, wie Paul VI. es Mitte der 70er-Jahre gesagt hat, eine Zi- vilisation der Liebe entstehen, damit die Völker und die Menschen in Zukunft überhaupt noch in Freiheit leben können. (Beifall bei der CDU/CSU) Auch das sollten wir uns in diesen Tagen einmal durch den Kopf gehen lassen. Jetzt kommt es darauf an, die unmittelbare Gefahr des Terrorismus zu bekämpfen. Es geht darum, dass wir die Gruppen der Terroristen, die Zellen in den fraglichen Ländern, auch mit Waffengewalt bekämpfen. Es geht aber auch darum, dass wir solche terroristischen Erscheinun- gen in unserem Land genau beobachten und entschieden bekämpfen. Die Toleranz gegenüber ausländischen Extre- misten und die mangelnde Entschlossenheit, gegen diese Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Dr. Jürgen Meyer (Ulm) 18710 (C) (D) (A) (B) vorzugehen, waren gewiss falsch. Eine solche Nachläs- sigkeit können wir uns in Zukunft nicht mehr leisten. Wir haben schon vor dem 11. September lange über diese Fragen diskutiert. Wir haben uns sowohl hier als auch im Ausschuss sehr kontrovers damit auseinander ge- setzt. Aber ich glaube, dass nun, nach dem 11. September, ein anderes Bewusstsein, auch in der Regierungskoali- tion, entstanden ist. Wir jedenfalls werden alle Maßnah- men unterstützen, die der Sicherheit unserer Bevölkerung dienen. Wir werden auch, lieber Herr Meyer, über alle Maßnahmen diskutieren; wir sind keinen Vorschlägen ge- genüber verschlossen. Allerdings dürfen wir auch nicht verschweigen, dass die Regierungskoalition in den letzten drei Jahren keinen einzigen zählbaren Gesetzentwurf vorgelegt hat, der im Kampf gegen den Terrorismus und gegen die Kriminalität eine Rolle gespielt hätte. (Beifall bei der CDU/CSU) Jetzt sind Sie endlich aufgewacht. So bei der Kronzeugenregelung: Wir können hier doch nicht verschweigen, dass Sie die Kronzeugenrege- lung einfach haben auslaufen lassen, ohne sich Gedanken darüber zu machen, wie es danach weitergehen soll. Es gab vielleicht wenige unter Ihnen, die sich doch Gedan- ken gemacht haben – das will ich nicht verschweigen –; sicherlich haben Sie, Herr Innenminister, sich darüber Ge- danken gemacht und sich auch dazu geäußert. Es gab in den vergangenen zwei Jahren aber keinen Vorschlag – von Ihnen nicht und von der Koalition nicht –, die Kronzeu- genregelung wieder – wenn auch vielleicht in Ihrem Sinne in einer verbesserten Weise – wieder einzuführen. Jetzt machen Sie diesen Vorschlag; wir werden ihn prü- fen. Wir selbst haben diesen Vorschlag bereits in unserem Gesetzentwurf gemacht, den wir vor der Sommerpause eingebracht haben. Wir differenzieren im Übrigen in die- sem Gesetzgebungsvorschlag; wir übernehmen nicht ein- fach die alte Kronzeugenregelung. Wir sind der Meinung, dass sich ein Straftäter, der das Blaue vom Himmel he- runterlügt, nicht auf die Kronzeugenregelung berufen kön- nen darf. Vielmehr muss er, wenn sich seine Lügen als sol- che herausstellen, auch nachträglich verurteilt werden können. Da differenzieren wir also. Was immer Sie aber auch vorschlagen werden: Es wird besser sein als die zweijährige Gesetzeslücke, mit der wir bislang auskom- men mussten. Nun mag jemand sagen – vielleicht hat er damit auch gar nicht Unrecht –, der 11. September wäre auch durch die Kronzeugenregelung nicht verhindert worden; aber darum geht es doch gar nicht. Es geht darum, dass die Terroristen in unserem Land gelebt und hier einen Ruhe- raum gesucht und gefunden haben. Sie haben sich unter dem Dach unserer Rechtsordnung gewissermaßen sicher gefühlt. (Alfred Hartenbach [SPD]: Seit 1996! Als Sie Regierungsverantwortung hatten!) Das kann aber nicht die Aufgabe unserer Rechtsordnung sein. Deswegen müssen wir jetzt – da bleibt kein anderer Weg; es sind auch entsprechende Maßnahmen von Ihrer Seite, also vonseiten des Innenministeriums und des Jus- tizministeriums, vorgeschlagen worden – versuchen, un- sere Rechtsordnung so auszurichten, dass solche terroris- tischen Machenschaften aufgedeckt werden können. Wir sehen ebenfalls die rechtsstaatlichen Bedenken gegen die Kronzeugenregelung; das wollen wir nicht verschweigen. Dort aber, wo es um die Sicherheit unserer Bevölkerung geht, dort, wo es darum geht, Terror und schwere Krimi- nalität zu bekämpfen, hat die Sicherheit, hat der Kampf gegen schwere Kriminalität Vorrang vor dem Strafan- spruch des Staates. (Beifall bei der CDU/CSU) Wer die Verhältnisse hier umkehren wollte, würde den Strafanspruch überhöhen. Das will hoffentlich keiner von uns. Diese Zeit haben wir längst überwunden. Einen wichtigen Punkt hat Herr Meyer eben angespro- chen: Es geht natürlich darum, der organisierten Krimina- lität, aber auch dem Terrorismus den Geldhahn abzudre- hen. Hier gibt es, auch von Ihnen, viele Vorschläge. Wir haben sogar gemeinsam Ihre und unsere Vorschläge noch am Ende der letzten Legislaturperiode umgesetzt. Das war aber nicht vollständig genug. Ich weiß auch, wie schwierig es ist, an den Gewinn der Verbrecher heranzu- kommen. Ich bin allerdings nicht Ihrer Auffassung, was das Bankgeheimnis angeht. Ich glaube, in diesem Punkt wird die Diskussion zu sehr aufgeplustert. Wir wissen doch alle – Sie wissen es genauso gut wie ich –, dass bei der Strafverfolgung – Herr van Essen hat es gesagt – das Bankgeheimnis keine Rolle spielt. Natürlich können wir im Ermittlungsfall schon jetzt die Geldströme verfolgen. Die Staatsanwaltschaften können schon jetzt die Bankbe- bediensteten und deren Mitarbeiter vor Gericht zitieren und als Zeugen oder Sachverständige vernehmen. Des- wegen glaube ich, dass diese Diskussion ein wenig über- zogen ist. Aber bitte, wir werden darüber im Ausschuss beraten und versuchen, auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen. Wir meinen schon, Herr Meyer, dass der Weg, den wir jetzt vorschlagen – vielleicht ist es nicht der letzte Vor- schlag, den wir im Rahmen der Gewinnabschöpfung ma- chen –, eine Möglichkeit ist. Wir müssen zu einer präzise- ren gesetzlichen Formulierung kommen, damit wir besser an den mittelbaren Gewinn, wie Sie ihn richtig bezeichnet haben, herankommen. Das gelingt uns im Moment nicht. (Dr. Jürgen Meyer [Ulm] [SPD]: Das liegt nicht an den Gesetzen!) Die Gewinnabschöpfung klappt nicht. Sie führt nicht zu den gewünschten Zielen. Deswegen müssen wir uns im- mer wieder aufs Neue Gedanken machen. Insoweit bin ich für jeden Vorschlag dankbar. Wir brauchen im Rahmen der Bekämpfung der organi- sierten Kriminalität, aber auch des Terrorismus – das ha- ben wir uns immer vorgenommen – eine Verbesserung der Telefonüberwachung. Wir haben schon lange gefordert, Delikte wie Kreditkartenfälschung und Fälschung von Euroschecks sowie Bestechung, Menschenhandel, Com- puterbetrug, Investitionsbetrug und den betrügerischen Bankrott in die Überwachung einzubeziehen. Wir halten Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Norbert Geis 18711 (C) (D) (A) (B) dies für notwendig und bitten Sie, sich in dieser Frage of- fen zu zeigen. Ich weiß aber nicht, ob die von Ihnen vorgeschlagene Hochstufung der schweren Steuerhinterziehung zu ei- nem Verbrechen wirklich zum Erfolg führt. Wir werden darüber diskutieren. Aber es ist zu bedenken, dass die Steuerhinterziehung nicht das klassische Betätigungsfeld der Mafia und der Terroristen ist. Deswegen sollte man mit solchen Vorschlägen vorsichtig sein. Aber, Herr Meyer, wir werden diese Vorschläge diskutieren und werden ver- suchen, zu einer gemeinsamen Regelung zu kommen. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Meyer? Norbert Geis (CDU/CSU): Bitte sehr. Dr. Jürgen Meyer (Ulm) (SPD): Herr Kollege Geis, stimmen Sie mit mir darin überein, dass die von Ihnen ge- nannten Gruppen wie Mafia und Terroristen ihre Einkom- men nicht versteuern, die sie aus Drogenhandel, aus illega- lem Waffenhandel und aus Frauenhandel beziehen? Diese Gruppen betreiben zwangsläufig Steuerhinterziehung großen Stils, weil sie sich ansonsten durch eine entspre- chende Steuererklärung der Staatsanwaltschaft als Straftä- ter zu erkennen geben würden. Meinen Sie nicht, dass Ihre Auffassung, die schwere Steuerhinterziehung sei keine klassische Straftat der Mafia und der Terroristen, überdacht werden muss, weil sie für die organisierte Kriminalität so- gar notwendig ist, um ihre Gewinne zu sichern? (Beifall bei der SPD – Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Kein Mensch hat es verstanden!) Norbert Geis (CDU/CSU): Herr Meyer, wir überden- ken alles. Einen Punkt sollten aber auch Sie dabei beden- ken, nämlich dass die eigentliche Straftat der Drogenhan- del ist, aus dem die Gelder fließen. Wir müssen in erster Linie also die Ursprungstat und nicht die Steuerhinterzie- hung – ich gebe zu, dass sie daraus folgt – bekämpfen. Wir müssen die aus dem Drogenhandel fließenden Gelder ein- ziehen, die wir im Übrigen jetzt schon einziehen können, da für diesen Fall der erweiterte Verfall gilt. Ich bleibe deswegen dabei: Wir sollten uns nicht so schnell dort auf neue Strafnormen einlassen, wo es sich nach meiner Auffassung nicht um ein klassisches Betätigungsfeld der Mafia und des Terrorismus handelt. Wir brauchen eine Erweiterung der Möglichkeit, die Bewegungsabläufe von Tätern festzustellen, die den Mo- bilfunk benutzen. Wir brauchen die Einführung der Speicherungspflicht von Daten – wer telefoniert wann und wo –, die bei Telekommunikationsgesellschaften an- fallen. Das könnte für die Polizei interessant sein. Wir brauchen eine bessere rechtliche Grundlage, an solche Daten heranzukommen. § 12 des Gesetzes über Fernmel- deanlagen darf nicht in seiner Wirkung geschmälert wer- den. Wir sind froh, dass er verlängert wird. (Alfred Hartenbach [SPD]: Nicht verlängert, sondern neu gefasst, Herr Geis!) Der Zugriff der Ermittler auf diese Daten, wie er jetzt nach § 12 FAG möglich ist, muss natürlich erhalten bleiben. Ich möchte noch eine Bemerkung zum verdeckten Er- mittler machen. Dieser Punkt ist ebenfalls in unserem Gesetzentwurf enthalten. Wir sind der Meinung, dass es ein wichtiges Mittel ist, verdeckte Ermittler in terroris- tische Organisationen einzuschleusen. Wir wissen, dass es möglich ist. Das gilt für die organisierte Kriminalität ge- nauso wie für den Terrorismus. Wir müssen die Situation der verdeckten Ermittler – das sind Menschen, die bereit sind, ihr Leben aufs Spiel zu setzen, um die Rechtsord- nung zu schützen – rechtlich anders werten. Wer bereit ist, sein Leben einzusetzen, um die Rechtsordnung zu schüt- zen, und dabei geringfügige Straftaten begeht, durch die andere nicht geschädigt werden, der handelt nicht gegen die Rechtsordnung. Dieses Vorgehen ist nach unserer Auf- fassung gerechtfertigt. Darüber sollten wir nachdenken. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Liebe Kollegin- nen und Kollegen, auf dem Gang ist ein Brillenglas ge- funden worden. Es scheint ein rechtes Brillenglas zu sein. (Alfred Hartenbach [SPD]: Das kann nur von der CDU/CSU sein!) Schauen Sie bitte einmal nach, ob es jemandem von Ihnen fehlt. Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Cem Özdemir. Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Gespräche in Sachen „zweites Sicherheitspaket“ sind in vollem Gange. Für uns ist die Bekämpfung des Terrorismus in drei Richtungen von entscheidender Wichtigkeit: Erstens. Wir müssen – klassisch repressiv – die Täter und ihre Helfer festnehmen, sie vor Gericht bringen (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Und sie laufen lassen!) und sie der Strafe zuführen, die sie verdient haben. Herr Geis, ich glaube, Sie waren es, der „laufen lassen“ rief. (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Nein, das war ich! Tut mir ja Leid!) – Gut. Ich entschuldige mich bei Herrn Geis und wende die Kritik an den Freiherrn von Stetten. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Sie hätten auch mich gerne kritisiert!) Alles Unterirdische kann noch unterboten werden. Freiherr von Stetten, großes Kompliment für das Unter- irdische. Zweitens. Wir müssen polizeilich-präventiv alles tun, um Anschläge bei uns zu verhindern und die Sicherheit für alle Bürgerinnen und Bürger zu verbessern. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Norbert Geis 18712 (C) (D) (A) (B) Drittens. Wir müssen die Ursachen bekämpfen und den Nährboden des Terrorismus bei uns wie in den Her- kunftsländern trockenlegen. Gestatten Sie an dieser Stelle mir als Innenpolitiker einen Hinweis, der sich vielleicht etwas fachfremd anhört. Ich glaube aber, dass ich für alle Innenpolitiker sagen kann, dass dazu auch gehört – nicht weil darin die unmittelbare Ursache besteht, sondern weil dies als Nährboden dienen kann; der Kanzler hat in seiner Rede darauf hingewiesen –, mehr für die Entwicklungs- politik und für die Beseitigung der Ursachen in den Ent- wicklungsländern zu tun, weil das unsere Arbeit in der In- nenpolitik dramatisch erleichtern würde. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, ich bin froh, dass der Kol- lege Geis darauf hingewiesen hat – uns verbindet in der Auseinandersetzung in der Innenpolitik nicht immer so viel; aber in diesem Punkt sind wir uns einig –, dass wir dazu beitragen müssen, dass die Integration des Islam in unsere Gesellschaft weitergeht und dass wir ein Feindbild „Islam“, aber andersherum auch ein Feindbild „Christen- tum“ verhindern. Wir sind uns einig darin, dass wir entschlossen vorge- hen. Auf die Frage der Finanzströme ist bereits hinge- wiesen worden. Auch das ist ein wichtiger Teil der Bekämpfung der Kriminalität. Allerdings wundere ich mich schon darüber, dass der Kollege Bosbach – er ist jetzt leider nicht mehr da; des- halb möchte ich Sie bitten, ihm das bei Gelegenheit aus- zurichten; ich kann es ihm aber auch gerne noch einmal persönlich sagen – hier so locker über die Bedenken hin- weggegangen ist, die nicht von uns, nicht von den Grü- nen, sondern von einem der Hersteller von Finger- abdrücken in Personalausweisen kommen. Ich darf aus der „Newsweek“ zitieren, die in diesem Zusammenhang eher unverdächtig ist. Dort sagt ein Hersteller, dass gene- tische Dispositionen heute bereits aus Fingerabdrücken technisch herzuleiten sind. Ich will nicht dramatisieren, aber ich glaube schon, dass es zu den Aufgaben von Par- lamentariern gehört, auf solche Gefahren hinzuweisen und dies in diesem Zusammenhang zu diskutieren. Auf die Kritik und die Anregungen des Datenschutzbeauftrag- ten, der der Fraktion der FDP angehört, (Dr. Max Stadler [FDP]: Nur der Partei, nicht der Fraktion!) möchte ich hier nicht weiter eingehen. Sie kennen sie: Er warnt vor der Referenzdatei. (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Wenn dadurch ein Verbrecher gefasst wird, ist es doch gut!) Auch das sollte man in diesem Zusammenhang ernst neh- men. Weil von Ihnen, Herr Geis, gerade die rot-grüne Lan- desregierung in Berlin diskutiert wurde, möchte ich Fol- gendes sagen: Es ist der Innensenator des Landes Berlin, der auf die Bedeutung der Flugsicherheit hingewiesen hat und als eine seiner ersten Maßnahmen angeordnet hat, dass beispielsweise von Tegel auch Privatflieger künftig nicht mehr ohne Kontrolle starten können. Dreimal dür- fen Sie raten, wie der Innenminister des Landes Branden- burg heißt und welcher Fraktion er angehört, der dies nicht für notwendig erachtet, was die Flughäfen in Bran- denburg angeht. Vielleicht, meine Damen und Herren von der Union, reden Sie noch einmal mit dem Innenminister von Brandenburg und sagen ihm, dass die Stellungnahme, dass besondere Sicherheitsvorkehrungen auf Privatflug- häfen Brandenburgs nicht notwendig seien, nach dem 11. September angesichts der Tatsache, dass die Bürge- rinnen und Bürger auch in Fragen der Flugsicherheit Angst haben, vielleicht etwas unangemessen ist und dass wir das ernst nehmen sollten. Meine Damen und Herren, ich möchte – um das Ge- sagte nicht zu wiederholen – zum Schluss auf einen Aspekt eingehen, der in der Debatte zur inneren Sicher- heit bislang nur eine untergeordnete Rolle gespielt hat, der aber, wenn man die Ängste der Bevölkerung ernst neh- men möchte, eine zunehmend wichtige Rolle spielen sollte. Dabei geht es nicht um Panikmache; alle haben da- rauf hingewiesen, dass wir da vorsichtig sein müssen. Vielmehr geht es darum, dass wir konkrete Sicherheitsri- siken auch konkret bekämpfen müssen. Ich rede von der Frage der Sicherheit der Atomkraftwerke in der Bun- desrepublik Deutschland. Dass der Innenminister, gleich nachdem uns die Nachrichten von den schrecklichen Er- eignissen in den USA erreicht hatten, Gespräche mit den Betreibern geführt hat, war notwendig und ein wichtiger Schritt. Aber ich glaube, dass wir jetzt einen Schritt wei- ter gehen müssen. Nicht nur die Bürgerinnen und Bürger an den Standorten von Atomkraftwerken haben Angst, wie es aussieht, wenn das eintritt, was niemand von uns bisher für möglich gehalten hat: dass Passagiermaschinen als Waffen eingesetzt werden. Was heißt das für die Standorte von Atomkraftwerken? Was heißt es im konkreten Bedrohungsfall? Es muss ge- sichert werden, dass Atomkraftwerke sofort herunterge- fahren werden können. Vielleicht braucht man sogar eine Art rotes Telefon im Zusammenhang mit den Atomkraft- werken. Wir müssen schauen, ob die bestehenden rechtli- chen Grundlagen dafür ausreichen. Lange Diskussionen mit den Betreibern kann es in einer solchen Situation nicht geben. Lassen Sie mich zum Schluss – ich möchte meine Re- dezeit nicht überziehen – einen Liberalen zitieren, den wir alle in diesem Haus sehr schätzen, den ersten Bundesprä- sidenten der Bundesrepublik Deutschland, der meiner Meinung nach etwas sehr zutreffend formuliert hat, was ich uns allen ins Stammbuch schreiben möchte: Die äußere Freiheit der vielen beruht auf der inneren Freiheit des Einzelnen. – Dies sollte die Leitlinie unseres Han- delns sein, wenn es um die Frage der Sicherung der inne- ren Freiheit der Bundesrepublik Deutschland geht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Joachim Stünker. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Cem Özdemir 18713 (C) (D) (A) (B) Joachim Stünker (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute in erster Lesung ganz konkret ein Konglomerat von sechs Gesetz- entwürfen, die zwar von unterschiedlichen Verfassern, die aber alle mit der Zielsetzung eingebracht worden sind, eine noch effektivere Strafverfolgung in unserem Land zu gewährleisten und den Menschen ein Mehr an innerer Si- cherheit zu bringen. Jeder dieser Entwürfe bedarf daher einer gründlichen und vor allen Dingen – das möchte ich betonen – vorurteilsfreien Beratung. Von daher, Herr Geis, war ich über die moderaten Töne in Ihrer Rede heute Morgen sehr erfreut. Ich denke, wir sollten bei dem Thema der inneren Sicherheit den parteipolitischen Streit wirklich hintanstellen. Dem Bedürfnis der Menschen nach Sicherheit, nach Schutz vor Kriminalität und vor Terrorismus nachzukom- men ist nämlich ein hohes Gut. Wir als Gesetzgeber ha- ben uns dieser Aufgabe daher mit großem Ernst und sehr viel Verantwortung zu widmen. Dazu werden wir in den vor uns liegenden Wochen und Monaten sicherlich noch in vielen Bereichen Gelegenheit haben. Der Gesetzgeber hat bei dieser Aufgabe – es ist mir ge- rade heute wichtig, darauf hinzuweisen – das Normen- und Wertesystem unseres Grundgesetzes nicht nur zu be- achten, sondern auch strikt einzuhalten. Wir müssen uns bei jeder einzelnen Regelung immer wieder bewusst ma- chen, dass jegliche Strafverfolgung an den Geboten der Rechtsstaatlichkeit auszurichten ist. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die zu beratenden Vorschläge sind daher samt und son- ders an diesem Normen- und Wertesystem zu messen. Ich bin sehr froh darüber, dass der Herr Bundeskanzler heute Morgen in seiner Regierungserklärung deutlich darauf hingewiesen hat, dass es keine Schnellschüsse geben darf. Vor diesem Hintergrund möchte ich kurz zu drei Rege- lungen Stellung nehmen: Der Entwurf der Bundesregie- rung zur Einführung eines § 129 b in das Strafgesetzbuch wird von den Koalitionsfraktionen uneingeschränkt be- grüßt. Nach heute geltendem Recht ist die Bildung einer kriminellen Vereinigung ebenso wie die Bildung einer terroristischen Vereinigung nämlich nur dann strafbar, wenn diese Vereinigungen – zumindest in Form einer Teil- organisation – im Bereich des Bundesgebietes bestehen. Sind daher Mitglieder einer ausländischen kriminellen oder terroristischen Vereinigung im Inland tätig, machen sie sich nach den geltenden Gesetzen nur unter diesem Gesichtspunkt strafbar. Die Ereignisse des 11. September 2001 und das Ausmaß des Terrorismus, das sich in der Folgezeit gezeigt hat, haben uns allen aber deutlich ge- macht, dass die generelle Erstreckung der genannten Vor- schriften auf im Ausland tätige kriminelle oder terroristi- sche Vereinigungen, deren Mitglieder bei uns im Inland tätig sind, notwendig ist. In diesem Gesetzgebungsverfahren darf bei der kon- kreten Ausgestaltung der Norm jedoch eine Problemstel- lung nicht übersehen werden – sie bedarf sogar unserer besonderen Beachtung –: Die Neuregelung darf in ihrer endgültigen Fassung im Ergebnis nicht so ausgelegt wer- den können, dass andere Widerstandsbewegungen in der Welt, die diktatorische oder verbrecherische Regime bekämpfen, ihrerseits zu kriminellen oder terroristischen Vereinigungen im Sinne des Gesetzes werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Denn jede Unterstützung einer derartigen Widerstandsbe- wegung auf deutschem Boden würde dann nach dem Kontext der gesetzlichen Bestimmungen, der ein bisschen kompliziert ist, ebenfalls strafbar werden. Es ist schade, dass Herr Bosbach jetzt nicht mehr hier ist, der diesen Problembereich heute Morgen angesprochen, aber, wie ich glaube, nicht ganz zu Ende gedacht hat. Denn es gibt eine ganze Reihe von Vorstellungen und Vorschlägen, die dazu dienen, dies nicht eintreten zu lassen. Wir werden im Gesetzgebungsverfahren Vorschläge hierzu unterbreiten. Zum Beispiel könnte man schon in Abs. 4 der Vorschrift, auf die Bezug genommen wurde, das Tatbestandsmerkmal „Werben“ durch das Tatbe- standsmerkmal „Anwerben“ ersetzen, um derartige Fol- gen zu umgehen. Ich hoffe daher auf eine fruchtbare Be- ratung. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Ein- führung der §§ 100 g und 100 h in die Strafprozess- ordnung hat die Frau Bundesjustizministerin umfassend Stellung genommen. Ich denke, dem ist nichts hinzuzufü- gen. Hieran ist von allen Fraktionen des Hauses keine Kri- tik geäußert worden. Es ist notwendig, dass die Ermitt- lungsbehörden an derartige Daten kommen können. Die Vorschrift genügt dem Bestimmtheitsgebot der Verfas- sung. Ich denke, deshalb werden wir schnell einig darüber werden. Ein dritter Punkt ist mir wichtig. Das ist ein Entwurf, der bisher, soweit ich die Debatte verfolgt habe, noch nicht diskutiert worden ist, und zwar der Entwurf des Bundesrates zur Änderung der Strafprozessordnung. Die- sem Entwurf vermag ich – ich denke, auch meine Frak- tion – nicht ohne Einschränkung vollinhaltlich zuzustim- men. Denn dieser Entwurf zielt fast ausschließlich auf eine Verlagerung von Kompetenzen der Staatsanwalt- schaft auf die Polizei im Ermittlungsverfahren. Nun ist es selbstverständlich keine Frage, dass eine effektive und zugleich an den Geboten der Rechtsstaatlichkeit ausge- richtete Strafverfolgung der guten und auch vertrauens- vollen Zusammenarbeit zwischen Polizei und Justiz be- darf. Darum geht es nicht. Andererseits aber ist gerade in der jüngsten Zeit deutlich geworden, dass die Staatsan- waltschaft als Herrin des Ermittlungsverfahrens durch die Strafprozessordnung gestärkt werden muss und nicht ge- schwächt werden darf. (Beifall bei der SPD) Von daher werden wir die Vorschläge des Bundesrates zu diesen Punkten sehr sorgfältig zu prüfen haben. Einen Vorschlag des Bundesrates – das kann ich, glaube ich, schon heute hier sagen – halten ich und meine Fraktion für verfehlt. Er wird mit Sicherheit keine Mehr- heit finden können. Es geht um den Vorschlag, dass Zeu- gen zukünftig auf Ladung der Polizei verpflichtet sein sol- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 200118714 (C) (D) (A) (B) len, zu erscheinen und auch auszusagen. Das ist ein Grundsatz der Strafprozessordnung und das kann nur Auf- gabe der Staatsanwaltschaft sein. Dem werden wir mit Si- cherheit nicht zustimmen können. (Beifall bei der SPD) Man sieht an diesen wenigen Beispielen, dass wir Sach- und Fachpolitiker, die wir uns mit Rechtspolitik und Sicherheitspolitik zu beschäftigen haben, bei den Neuregelungen, die jetzt notwendig sind und denen wir uns auch nicht verweigern, sehr gründlich und genau im Detail hinsehen müssen. Ich wünsche daher uns allen, die wir in diesem Hohen Hause für Rechtspolitik und Sicher- heitspolitik zuständig sind, in den vor uns liegenden Wo- chen und Monaten in jedem Einzelfall abgewogene Ur- teile und Beurteilungen und vor allen Dingen den notwendigen Mut zur Entscheidung. Schönen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Volker Kauder. Volker Kauder (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Thema „Sicher- heit für die Menschen in unserem Land“ hat in diesen Ta- gen auch im Deutschen Bundestag die Bedeutung be- kommen, die ihm eigentlich schon immer hätte zukommen sollen. (Beifall bei der CDU/CSU) Bedauerlich ist, dass es für diese Diskussion und für die Fragen sowie manche Gemeinsamkeiten, die sich jetzt zwischen Opposition und Koalition abzeichnen, eines furchtbaren Ereignisses in Amerika bedurfte. Dies müs- sen wir einmal ausdrücklich feststellen. Die Union, CDU und CSU, hat dieses Thema immer wieder auf die Tagesordnung gebracht und hat noch vor der Sommerpause Vorschläge eingebracht. Sie sind im- mer so beschieden worden, dass das Thema im Augen- blick nicht auf dem ersten Platz der Agenda stehe. (Joachim Stünker [SPD]: Welche Vorschläge denn? Die möchte ich gerne mal sehen!) So kann man sich täuschen, lieber Herr Stünker. (Beifall bei der CDU/CSU) Sie haben ja Recht, Herr Kollege Stünker, wenn Sie sa- gen: Wir müssen jede einzelne Maßnahme, um die es geht, sehr genau prüfen. Was aber manchen in unserem Lande und die Menschen, die dieser Debatte folgen, si- cherlich nachdenklich macht, ist, dass Sie von Wochen und Monaten sprechen, um notwendige Regelungen durchführen zu können. Wir wären schon wesentlich wei- ter, wenn wir auch vonseiten der Regierungskoalition manche Frage schon früher mit größerem Ernst beant- wortet bekommen hätten. (Beifall bei der CDU/CSU – Joachim Stünker [SPD]: 16 Jahre hatten Sie Zeit!) „Freiheit und Sicherheit“ heißt das eine Thema, mit dem wir antreten, „Rechtsstaat und konsequente Bekämp- fung des Terrorismus“ das andere. Herr Kollege Stünker, Sie haben genauso wie ich heute Morgen die Rede des Bundeskanzlers gehört. Ich denke, dass sich der Bundes- kanzler zu Recht an die linke Seite des Hauses gewandt hat, als er gesagt hat, nicht jede Maßnahme, die jetzt vor- geschlagen werde, bedeute gleich den Untergang des Rechtsstaates. (Beifall bei der CDU/CSU) Das hat er sicher nicht an unsere Seite, an die Opposition gewandt, gesagt. (Zuruf von der SPD: Er meinte etwas anderes!) Wir vonseiten der CDU/CSU haben eine Reihe von Vorschlägen vorgelegt. Sie haben Vorschläge vorgelegt. Ich habe den Worten des Bundeskanzlers entnommen, dass die Vorschläge, die Sie vorgelegt haben, nicht aus- reichend sind, um dem Problem gerecht zu werden; denn der Bundeskanzler hat angekündigt, dass in der nächsten Woche ein zweites umfangreiches Sicherheitspaket vor- gelegt wird. Dem kann ich doch nur entnehmen, dass es dieses grässlichen Anschlages in Amerika bedurfte, um offenkundig werden zu lassen, welche Sicherheitslücken in unserem Lande bestehen. (Beifall bei der CDU/CSU – Joachim Stünker [SPD]: Das ist ja Sophismus!) Deswegen sind wir bereit, mit Ihnen zusammen jetzt in Verhandlungen über ganz konkrete Vorstellungen einzu- treten, um diese Sicherheitslücken zu schließen. Ich mache mir natürlich schon die eine oder andere Sorge, wenn ich höre, dass zu den konkreten Vorstel- lungen, die von der Bundesregierung – auch von der Bundesjustizministerin, vor allem vom Bundesinnenmi- nister – vorgetragen werden, schon in den eigenen Reihen Diskussionen darüber beginnen, was möglich und was nicht möglich ist. Der Herr Bundesinnenminister kann froh sein, dass er eine Opposition wie die CDU/CSU hat, die ihn in vielen Punkten unterstützt. (Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der SPD) Wie der Bundeskanzler bei Einsätzen der Bundeswehr, so kann in diesem Fall der Bundesinnenminister nicht sicher sein, ob er sich auf eigene Mehrheiten verlassen kann. (Beifall bei der CDU/CSU) Herr Kollege Ströbele wird ja nach mir reden. Ich wun- dere mich über manche Diskussion, die jetzt gerade von der Fraktion der Grünen und von deren Landesverbänden geführt wird. Während hier die Grünen so tun, als ob sie schon immer Sicherheitspartei Nummer eins gewesen wären, lese ich heute in Zeitungen aus Baden-Württem- berg die Auffassung von Kreis- und Ortsverbänden der Grünen, dass das, was die Bundestagsfraktion vorhabe, ein Anschlag auf grünes Gedankengut sei; das werde nicht mitgemacht. Sie müssen einmal klären, ob Sie wirklich bereit und in der Lage sind und ob Sie die Macht haben, diese Positionen überhaupt zu vertreten. (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Joachim Stünker 18715 (C) (D) (A) (B) Die Grünen waren – dies darf man ausdrücklich sagen – noch nie eine Partei, die die innere Sicherheit mit Herz- blut auf ihr Banner geschrieben hat. (Beifall bei der CDU/CSU) Neue Herausforderungen an die innere Sicherheit zwingen uns zu neuen Sichtweisen bei so mancher Sach- frage. Ich hoffe sehr, dass bei den Grünen jetzt nicht nur über die Notwendigkeit der Verbesserung der Sicherheit gesprochen wird, sondern dass sich auch die Einstellung geändert hat; denn wirklich gute Gesetze kann man nur machen, wenn man auch die entsprechende Einstellung hat: Es muss etwas getan werden, um die innere Sicher- heit in Deutschland zu verbessern. Wo die Bundesregierung vernünftige gesetzgeberische Maßnahmen durchsetzen möchte, kann sie mit der unein- geschränkten Unterstützung durch unsere Fraktion rech- nen. Die Union wird aber – das möchte ich nachdrücklich betonen – darauf bestehen, dass ein sauberes und faires Gesetzgebungsverfahren durchgeführt wird, in dem wir auch die Gelegenheit haben, unsere Anliegen und Anre- gungen einzubringen. Der vorgelegte Gesetzentwurf zur Einführung eines § 129 b in das Strafgesetzbuch wurde bereits angespro- chen. Er hat die Ausdehnung des Strafbarkeitstatbe- standes krimineller und terroristischer Vereinigungen zum Ziel und ist ein Beispiel für eine gesetzgeberische Maßnahme, der wir vonseiten der CDU/CSU-Bundes- tagsfraktion zustimmen können. Damit kann der interna- tionale Terrorismus in Deutschland mit einer angemes- senen Strafrechtsreform endlich effektiv bekämpft werden. Dies ist eine richtige und wichtige Regelung. Ich freue mich, dass sich die rot-grüne Bundesregierung über die Empfehlung des europäischen Aktionsplanes zur Be- kämpfung der organisierten Kriminalität hinaus zu dieser Erkenntnis hat durchringen können. Die Einsicht kommt spät, aber immerhin kommt sie. Diese grundsätzliche Freude über einen Sinneswandel bei Rot-Grün hin zu mehr innerer Sicherheit wird aller- dings sofort getrübt. Ich finde, es ist schon ein bemer- kenswerter Vorgang: Während wir hier alle – damit schließe ich bis auf die PDS wirklich alle ein – unter dem Eindruck dessen, was in New York passiert ist, über eine Stärkung der inneren Sicherheit sprechen, die Bundesre- gierung ein Antiterrorpaket schnürt und die Terror- bekämpfung weltweit an die erste Stelle der Prioritäten- liste gerückt ist, wagt es die rot-grüne Übergangsregierung des Landes Berlin tatsächlich, einen Antrag einzubrin- gen, der genau das, was wir mit dem § 129 b des Strafge- setzbuches erreichen wollen, im Kern zurücknimmt. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist ungeheuer- lich! – Zuruf des Abg. Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) – Herr Kollege Ströbele, dass Ihnen das gefällt, glaube ich sofort. Man könnte darüber hinweggehen, wenn es sich nicht um den Regierenden Bürgermeister der Stadt Berlin han- delte, der in besonderer Weise Sicherheitsinteressen ver- treten muss. Vor dem Hintergrund, dass wir besonders ausländische Einrichtungen in Berlin schützen müssen, ist dies ein ungeheuerlicher Vorgang. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Es wird nicht nur deutlich, dass die Sicherheit des Lan- des und der Stadt Berlin bei der rot-grünen Übergangs- regierung in Gefahr ist; (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt lassen Sie mal den Wahl- kampf weg!) es wird auch deutlich, welch Geistes Kind noch viele bei Rot-Grün in Berlin sind. Die Herren Schröder und Schily können noch so viel Aktionismus präsentieren: Die SPD führt hier in Berlin vor, dass sie noch nicht verstanden hat, worum es geht. (Joachim Stünker [SPD]: Machen Sie Wahl- kampf oder reden Sie über die innere Sicher- heit?) – Es geht um die innere Sicherheit. Herr Kollege Stünker, ich sage Ihnen jetzt, worum es wirklich geht. Ich werde den Eindruck nicht los, dass dieser Antrag auch gestellt worden ist, um der PDS entgegenzukommen, mit der man nach dem 21. Oktober 2001 eine gemeinsame Regierung bilden will. Darin sehe ich Gefahren. (Beifall bei der CDU/CSU – Alfred Hartenbach [SPD]: Putzen Sie mal Ihre Brille, damit Sie besser sehen!) Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat Vorschläge ge- macht. Wir werden den Vorschlägen der Bundesregierung dann zustimmen, wenn wir der Meinung sind, dass sie vernünftig und richtig angelegt sind. Die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land können sich darauf verlassen: Die Union wird der Regierung bei den notwendigen Maßnah- men beistehen, wenn sie auf dem richtigen Weg bleibt. Bei der Aufgabe, Sicherheit für die Menschen zu schaf- fen, brauchen wir im Gegensatz zu Rot-Grün keine Nach- hilfe und haben sie auch noch nie gebraucht. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Jürgen Meyer [Ulm] [SPD]: Sie haben sie nie gewollt! Aber ob Sie sie brauchen, ist eine andere Frage!) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Hans-Christian Ströbele. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kol- legen! Herr Kollege Kauder, ich finde es bemerkenswert, dass Sie sich um das Herzblut der Bündnisgrünen so große Sorgen machen; aber ich kann Sie beruhigen: Für uns und auch für mich persönlich ist es selbstverständlich, dass wir nach solchen Ereignissen wie den schrecklichen Anschlägen in Washington und New York darüber nach- denken, was wir in Deutschland tun können, um zusätz- liche Sicherheit für die Bevölkerung zu schaffen. Das ist selbstverständlich; darüber brauchen wir nicht zu reden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Volker Kauder 18716 (C) (D) (A) (B) Herr Kollege Kauder, wir haben uns in Berlin darauf verständigt, die Anschläge und mögliche Konsequenzen nicht zum Wahlkampfthema zu machen. Sie haben es trotzdem versucht. Ich will Ihnen kurz darauf antworten, weil Ihre Bemerkung sehr unanständig war. Das, was vom Land Berlin im Bundesrat vorgeschlagen wurde, war ge- nau das, was der Kollege Stünker angesprochen hat. Es geht um das schwierige Problem – mit ihm schlagen sich auch die UNO, der Sicherheitsrat und die Vollversamm- lung, seit Jahren und auch jetzt wieder herum –, dafür zu sorgen, dass der § 129 b StGB in Deutschland – sofern er denn kommen sollte – zum Beispiel nicht auf Vertreter von Befreiungsbewegungen, die in ihren Heimatländern gegen Diktaturen und unmenschliche Regime kämpfen, angewandt wird. Stellen Sie sich doch einmal vor, jemand von der Nord- allianz käme nach Deutschland und Sie würden ihn vor Gericht stellen, weil er einer terroristischen Vereinigung seines Heimatlandes angehört. Stellen Sie sich vor, Men- schen aus dem Nahen Osten kämen hierher und wären in Gefahr, hier strafrechtlich verfolgt zu werden. Außerdem – Kollege Stünker hat schon darauf hingewiesen –: Wenn sie in einem Stadtteil Berlins oder Stuttgarts eine Solida- ritätskundgebung für die Nordallianz, für den Befreiungs- kampf gegen die Taliban machen, könnte eine solche Handlung als Werbung für eine terroristische Verei- nigung ausgelegt werden. Das wollen wir verhindern. Das bedeutet aber nicht, dass wir es nicht für richtig hal- ten, Menschen, die in den USA Anschläge verüben oder in anderen Ländern Europas Anschläge vorbereiten, auch in Deutschland wegen des Organisationsdelikts zu verfol- gen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Ich darf im Übrigen darauf hinweisen, dass immer wie- der unterschlagen wird, dass die betroffenen Personen selbstverständlich weiterhin wegen Mordes, Totschlags oder anderer schwerer Straftaten in Deutschland verfolgt werden können. Es geht allein um die Verfolgung wegen des Organisationsdelikts. § 129, § 129 a und § 129 b be- treffen lediglich die Mitgliedschaft in einer terroristischen oder kriminellen Vereinigung. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kauder? Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Ja, wenn sie kein Beitrag zum Wahlkampf in Ber- lin ist. (Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Wollen Sie das?) Volker Kauder (CDU/CSU): Herr Kollege Ströbele, habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie mit Ihrer jetzigen Aussage der Bundesregierung unterstellt haben, sie habe keinen sauberen und präzisen Gesetzentwurf vorgelegt? Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Ich habe in meiner Auskunft Ihnen gegenüber – auch mehrfach gegenüber der Öffentlichkeit – zum Ausdruck gebracht, dass ich eine Klarstellung in dieser Hinsicht für richtig und erforderlich halte, die nach mei- ner Auffassung auch im Gesetz stehen sollte, um auf diese Weise jedes Missverständnis zu beseitigen. Wir würden uns überall in der Welt – nicht nur im Hinblick auf Afghanistan oder die USA – gerade auch vor dem Hinter- grund der Diskussion, die in der UNO über das Thema Terrorismus stattfindet, abmelden, wenn wir dieses Pro- blem nicht sähen und angingen. In vielen Bereichen in der Öffentlichkeit findet im Au- genblick geradezu ein Wettlauf statt; in vielen Medien las- sen sich jeden Tag neue Überlegungen finden, was man noch tun könnte oder sollte – Erlass neuer Gesetze durch den Deutschen Bundestag oder Zurverfügungstellen von Finanzmitteln –, um die Sicherheit zu verstärken. Dabei betonen alle immer wieder, dass keine absolute Sicherheit garantiert werden kann; dieser Aussage kann ich mich nur anschließen. In einer Situation wie dieser ist es wichtig und richtig, dass es eine Partei und eine Fraktion sowie Abgeordnete – nicht nur beim Bündnis 90/Die Grünen; ich nenne auch die Kollegen Meyer und Stünker – gibt, die genau hin- sehen und sagen: Wir wollen nur Gesetze, von denen wir uns tatsächliche Erfolge bei der konkreten Terrorismus- bekämpfung versprechen; wir wollen alle rechtsstaat- lichen Regelungen behalten und vermeiden, dass mit neuen Gesetzen zu viel Freiheit über Bord geht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der SPD – Norbert Geis [CDU/CSU]: Das wollen alle! Dazu brauchen wir die Grünen nicht!) Ich halte das für notwendig und richtig und dafür stehen wir Bündnisgrünen als Partei, nachdem sich andere Par- teien, wie etwa die FDP – von ihr habe ich zumindest keine Bedenken gehört –, die ein solches Ziel früher auf ihre Fahnen geschrieben hatten, verabschiedet haben. Herr Kollege Geis, Sie können doch nicht sagen, die potenziellen Täter, die in Hamburg gewohnt haben sollen, wären infolge der Kronzeugenregelung nicht behelligt worden (Norbert Geis [CDU/CSU]: Das habe ich doch gar nicht gesagt!) und trotzdem bräuchten wir für den Kampf gegen diese Art von Terrorismus die Kronzeugenregelung. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Natürlich! Wollen Sie keine Kronzeugenregelung haben?) Auf irgendeine Weise müssen die Dinge doch zusammen- passen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich möchte darauf hinweisen, dass bei der Kronzeu- genregelung einiges durcheinander gebracht wird. Täg- liche Praxis in allen Gerichten ist, dass Nachtatverhalten, wie zum Beispiel ein Beitrag zur Aufklärung einer Straftat oder Verhinderung weiterer Straftaten, strafmildernd Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Hans-Christian Ströbele 18717 (C) (D) (A) (B) berücksichtigt wird. So etwas geschieht in unendlich vie- len Strafverfahren jeden Tag. Das Besondere an der ur- sprünglichen Kronzeugenregelung war doch unter ande- rem, dass auch Mördern dieses Privileg zustehen sollte und sie nicht nach § 211 StGB zu einer lebenslangen Frei- heitsstrafe verurteilt werden mussten. Es kann Situationen geben, in denen eine solche Strafmilderung erforderlich ist; aber diese müssen sehr eng eingegrenzt werden, damit mit einer solchen Regelung kein Missbrauch getrieben wird. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Damit treibt doch keiner Missbrauch!) Ein solcher Missbrauch wäre unerträglich für das Rechts- bewusstsein der Bevölkerung. Wenn Sie sich die Anschläge von New York vor Augen führen, können Sie doch nicht allen Ernstes fordern, dass ein Verdächtiger, der verurteilt wird, weil das Gericht von einer Tatbeteiligung überzeugt ist, nicht bestraft wird, nur weil er zur Aufklärung der Straftat beigetragen hat, ob- wohl er selbst an ihr beteiligt war. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Wollen Sie die Kronzeugenregelung oder nicht?) Hier müssen gesetzliche Grenzen mit Augenmaß ein- gebaut werden. Wir wollen, dass im Gesetz klargestellt wird – unter anderem wäre das in § 46 des Strafgesetzbu- ches möglich –, dass das Nachtatverhalten bei allen De- likten berücksichtigt werden kann, also auch bei Mord, (Norbert Geis [CDU/CSU]: Haben wir schon! Das sagt doch jeder!) das heißt, wenn eigentlich eine lebenslängliche Freiheits- strafe verhängt werden müsste. Wenn Sie sich das heute vorgelegte Gesetzespaket ge- nau anschauen, dann werden Sie feststellen, dass es auch einen Gesetzentwurf des Bundesrates enthält, in dem die- ser vorschlägt, die Möglichkeit der Strafmilderung in mindestens 20 weiteren Vorschriften einzuführen. (Joachim Stünker [SPD]: 27!) Den Gedanken der Strafmilderung kann man aufgrei- fen; man kann ihn weiterverfolgen und sich schließlich der Lösung annähern, die wir vorgeschlagen haben. Diese halten wir für richtig und für eine Regelung mit Augen- maß. Die alte Kronzeugenregelung, die Ihnen immer vor- schwebt, lehnen wir ab. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der SPD – Norbert Geis [CDU/CSU]: Das haben wir gar nicht vorge- schlagen!) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat jetzt der Herr Bundesinnenminister Otto Schily. Otto Schily, Bundesminister des Innern: Frau Präsi- dentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Ich finde, es ist der gegenwärtigen ernsten Situation angemessen, dass die demokratischen Kräfte gewillt und entschlossen sind – das ist erfreulicher Weise erkennbar geworden –, der terroristischen Herausforderung gemeinsam entge- genzutreten, und dass – bei allem Streit im Detail – die heute vorliegenden Gesetzentwürfe begrüßt werden. Das möchte ich als etwas Positives herausstellen. Ich finde, der jetzige Zeitpunkt ist nicht geeignet, um über die Ver- gangenheit zu reden. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Wir sollten in die Zukunft schauen. Auch im Hinblick auf zukünftige Maßnahmen wird die bisher gezeigte Gemein- samkeit erforderlich sein. Es ist manchen in der Vergangenheit zur Gewohnheit geworden, sich etwas spöttisch über unsere Geheimdiens- te zu äußern. (Dirk Niebel [FDP]: Manche wollten die sogar abschaffen!) Manchmal fiel die Kritik auch etwas härter aus. Ich möchte an dieser Stelle – das tue ich sehr bewusst – ge- genüber den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bun- desamtes für Verfassungsschutz, der Landesämter für Verfassungsschutz und des Bundesnachrichtendienstes meinen ausgesprochen herzlichen Dank für ihre Tätigkeit zum Ausdruck bringen, (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP) weil wir uns ohne deren Tätigkeit wahrlich in einer noch schwierigeren und risikoreicheren Situation befänden. Ich darf an etwas erinnern, was vier Jahre zurückliegt und was manchem seinerzeit vielleicht gar nicht so auf- gefallen ist. Anfang 1997 hat der Sozialdemokrat und Prä- sident des Bundesamtes für Verfassungsschutz Dr. Peter Frisch in einem Interview Folgendes ausgeführt – ich be- tone: 1997 –: Das Sicherheitsproblem Nummer eins für Deutsch- land sind die islamischen Fundamentalisten. Er hat auf Nachfrage Folgendes hinzugefügt: Das ist ein Problem, das die Sicherheitsbehörden wahrscheinlich im nächsten Jahrhundert vorrangig beschäftigen wird. (Dr. Uwe Küster [SPD]: Da hatte er hellseheri- sche Fähigkeiten!) Das ist wahrhaft eine nahezu prophetische Äußerung. Deshalb verbietet sich jede dümmliche Kritik an dem, was die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz und der Landesämter für Verfas- sungsschutz unter sehr schwierigen Voraussetzungen leis- ten. Sicherlich ist auch deren Arbeit fehlerbehaftet, so wie jedes menschliche Verhalten fehlerbehaftet und von Un- zulänglichkeiten geprägt ist. Aber das eben von mir vorgetragene Zitat lässt uns ansatzweise erkennen, was wir solchen Institutionen verdanken. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist richtig!) Ich will zwar die sachliche Linie der Debatte nicht ver- lassen. Aber ich muss die Parteivorsitzende der CDU, Frau Merkel, korrigieren, wenn sie behauptet, wir hätten Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Hans-Christian Ströbele 18718 (C) (D) (A) (B) in unserer Regierungszeit vor dem 11. September die Si- cherheitserfordernisse vernachlässigt. Genau das Gegen- teil ist richtig. Wir haben in den zurückliegenden Haus- haltsjahren die Ausgaben für die innere Sicherheit kontinuierlich erhöht und nicht verringert und wir werden das auch im bevorstehenden Haushaltsjahr tun. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir haben das getan, obwohl wir von Ihnen – auch das muss man an dieser Stelle einmal erwähnen – einen na- hezu konkursreifen Haushalt geerbt haben. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/ CSU – Norbert Geis [CDU/CSU]: Das kann der Finanzminister so nicht bestätigen!) Diese Politik werden wir fortsetzen. Ich bin dankbar dafür, dass wir jetzt unabhängig von den Konsolidierungsbemühungen, die wir fortsetzen wer- den und auch fortsetzen müssen, durch die Maßnahmen des Kollegen Eichel in die Lage versetzt werden, an den Stellen, an denen das notwendig ist, auch die Ausgaben für die innere Sicherheit zu erhöhen. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Also Steuer- erhöhungen!) Das werden wir sehr gezielt und sehr konsequent be- werkstelligen, weil wir in der Tat auch einen Personal- aufbau im Bundesamt für Verfassungsschutz, im Bun- deskriminalamt, beim Bundesgrenzschutz und auch bei anderen Sicherheitsbehörden benötigen. (Norbert Geis [CDU/CSU]: 500 Stellen mehr!) Ich finde es übrigens durchaus begrüßenswert, dass auch in den Ländern entsprechende Maßnahmen zustande kommen. (Zuruf von der CDU/CSU: Sagen Sie mal, dass Herr Schröder in Niedersachsen gekürzt hat! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU) – Wir reden jetzt nicht über einzelne Landeshaushalte. Gerade einige Landeshaushalte sind, denke ich, nun wahrlich in Schwierigkeiten; da kann man die Historie ebenfalls etwas zurückverfolgen; aber das wollen wir an dieser Stelle nicht tun. Meine Damen und Herren, es geht mir darum, in mei- nem Beitrag auf einige aktuelle Fragen einzugehen, die heute in der Debatte eine Rolle gespielt haben. Ich teile die Auffassung des Bundeskanzlers und anderer, dass die Bundeswehr außerhalb der ihr schon jetzt von der Ver- fassung gebotenen Möglichkeiten nicht für polizeiliche Aufgaben im Innern eingesetzt werden kann. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Max Stadler [FDP]) Es scheint so zu sein, dass einigen die Lektüre des Grund- gesetzes noch einmal zu empfehlen ist. Nach einer sol- chen Lektüre weiß man, welche Möglichkeiten die Bun- deswehr hat. Ich bin sehr dankbar dafür, dass die Bundeswehr in die- ser schwierigen Lage, in der wir uns jetzt befinden, in der die Polizeien der Länder und des Bundes wirklich eine sehr angespannte Arbeitssituation haben, sehr kooperativ bestimmte Bewachungsaufgaben übernommen hat. Übri- gens hat sich auch der Freistaat Bayern – ich glaube, dass man das hier einmal berichten sollte – bei der Bundesre- gierung ausdrücklich dafür bedankt. Da, wo das möglich ist, etwa bei einem Truppenübungsplatz in Bayern oder bei militärischen Einrichtungen der US-Streitkräfte in Ba- den-Württemberg oder in Rheinland-Pfalz, geschieht das in sehr guter Kooperation. Ich habe auf Anregung des Oberkommandierenden der US-Streitkräfte in Europa eine Arbeitsgruppe gebildet, die diese Fragen koordiniert. Auch ich bin der Meinung, dass wir neben den vor- handenen Institutionen nicht neue Bürokratien aufbauen sollten. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir haben wirklich, glaube ich, eine gute Sicherheitsar- chitektur in Deutschland. Wir dürfen auch sagen, dass wir im internationalen Vergleich diesbezüglich wirklich sehr, sehr gut aussehen. Es führt nicht weiter, neue Ämter zu schaffen. Es ist ja auch ganz interessant, wie beredt bei- spielsweise einige Innenminister, auch aus CDU- oder CSU-regierten Ländern, zu diesen Vorschlägen schwei- gen. Entgegen manchen Regeln im Bürgerlichen Gesetz- buch heißt Schweigen in diesem Fall, glaube ich, eindeu- tig Ablehnung. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich etwas zu der Frage sagen, zu der hier Ausführungen gemacht wor- den sind, nämlich zu der Frage, was denn die Bundeswehr bei bestimmten Situationen vielleicht zu unternehmen hätte. Das entspricht einer Frage, die in diesen Tagen des Öfteren an mich gestellt wird. Ich werde gefragt: Sagen Sie mal, Herr Schily, was tun Sie eigentlich, wenn ein Passagierflugzeug auf den Potsdamer Platz zufliegt? Ha- ben Sie da ein Antikollisionssystem geschaffen oder was wollen Sie tun? Lassen Sie es abschießen? – Darauf ant- worte ich: Alles das sind falsche Überlegungen; denn dann ist es zu spät. Wir müssen, was Sicherheit angeht, viel früher ansetzen, und zwar in einer tief gestaffelten Form. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sicherheitssysteme dürfen nicht so aufgebaut sein, dass nach dem Versagen der ersten Stufe auch die zweite nicht funktioniert. Die verbrecherischen Anschläge in New York und in Washington waren nicht mehr zu verhindern, als sich die Flugzeuge auf das World Trade Center und auf das Pentagon zubewegt haben. Sie wären zu verhindern gewesen, wenn bei der Fluggastkontrolle und auf ande- ren Gebieten einige andere Möglichkeiten genutzt worden wären. Wir müssen – das ist nicht als ein Vorwurf gegen- über den US-Behörden zu verstehen, in dieser Hinsicht versagt zu haben – über die Verbesserung entsprechender Maßnahmen nachdenken. Wir werden also über viele Fra- gen diskutieren müssen. Ich bin – obwohl es in der Federführung meiner Kolle- gin Däubler-Gmelin liegt, erlauben Sie mir, einige Sätze Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Bundesminister Otto Schily 18719 (C) (D) (A) (B) dazu zu sagen – sehr dankbar dafür, wie das Thema Kron- zeugenregelung heute angesprochen worden ist. Ich denke, der Kollege Ströbele hat vollkommen Recht, wenn er sagt: Wir müssen eine rechtsstaatsgetreue Regelung finden. Wir befinden uns in der Koalition in sehr kon- struktiven Gesprächen. Ich bin entschieden dagegen, eine Kronzeugenregelung zu schaffen, die auf eine unziemli- che Weise einen Deal mit einem Verbrecher darüber vor- sieht, welche Aussage er vor Gericht macht. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Eine Kronzeugenregelung kann aber ein wichtiges Hilfsmittel zur Verhinderung und zur Aufklärung von Straftaten sein, wenn sie so gestaltet ist, dass jemand im Hinblick auf Sanktionen strafrechtlich milder behandelt wird, wenn er dazu beiträgt, eine Straftat zu verhindern oder sie aufzuklären. Das ist beispielsweise der Fall, wenn er die Ermittlungsbehörden zu einem Sprengstoffversteck bzw. zu einer konspirativen Wohnung führt oder in ande- rer objektiv nachweisbarer Weise dazu beiträgt, bei der Strafverfolgung zu helfen. Ein weiteres wichtiges Vorhaben ist die Abschaffung des Religionsprivilegs. Dieses Vorhaben besteht nicht erst seit dem 11. September, sondern schon viel länger. Es ist zuzugestehen, dass es einige Zeit gedauert hat, bis wir es auf den Weg gebracht haben. Die vorgetragenen Be- denken sind nicht von mir persönlich geltend gemacht worden, sondern sie kamen aus kirchlichen Kreisen, in denen man gemeint hat, es handele sich um eine proble- matische Lösung. Ich freue mich, dass wir diese Beden- ken durch lange und geduldige Gespräche haben über- winden können und dass wir jetzt gemeinsam darangehen, das Religionsprivileg abzuschaffen. Es geht nicht an, dass wir Vereinen in Deutschland einen Aktionsraum bieten, die mit Äußerungen operieren, wie ich sie zitieren darf: Der Islam ist sowohl eine Religion als auch ein Staat, sowohl Gottesverehrung als auch Politik. Der Islam erkennt das laizistische Regime nicht an. Der Islam ist niemals mit der Demokratie vereinbar. Kurzum läuft das demokratische Regime im Kern, im Grunde und Endergebnis dem Islam zuwider. Das ist nur eine von vielen schrecklichen Äußerungen, auch solchen antiisraelischer bzw. antisemitischer Art. Solchem Treiben müssen wir in unserer Demokratie ein Ende machen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP) Ich werde mit der gebotenen Härte vorgehen, damit das hier nicht weiter geduldet wird. Wir werden uns in den nächsten Tagen auch auf ein zweites Paket zu einigen haben. Ich will nicht alle Einzel- heiten vorwegnehmen. Wir werden Ihnen das, worum es geht, zu gegebener Zeit vortragen. Wie es der Bundes- kanzler angekündigt hat, werden wir einen entsprechenden Kabinettsbeschluss noch in diesem Monat herbeiführen. Ich will vorweg auf zwei Dinge aufmerksam machen. Heute ist schon die UN-Sicherheitsratsresolution 1373 erwähnt worden. Ich empfehle allen, diese Resolution nachzulesen. Das ist keine unverbindliche Resolution, die zu den Akten gelegt werden kann, sondern diese UN- Sicherheitsratsresolution müssen wir umsetzen; der Zeit- raum dazu ist befristet und die Umsetzung wird auch kon- trolliert werden. (V o r s i t z: Vizepräsidentin Anke Fuchs) Es wird extra ein Gremium eingesetzt werden, das über- prüfen wird, ob die einzelnen Mitgliedstaaten sie umge- setzt haben. Dort findet sich unter anderem ein Passus, in dem die Staaten aufgefordert werden, bevor sie einer Person Flüchtlingsstatus im Einklang mit den entsprechenden Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts und des Völ- kerrechts einschließlich der internationalen Menschen- rechtsnormen gewähren, geeignete Maßnahmen zu er- greifen, mit denen sichergestellt werden kann, dass der Asyl Suchende keine terroristischen Handlungen geplant, erleichtert oder sich daran beteiligt hat. Es findet sich ferner der Passus, dass in Übereinstimmung mit dem Völ- kerrecht sicherzustellen ist, dass diejenigen, die terroris- tische Handlungen begehen, organisieren oder erleich- tern, den Flüchtlingsstatus nicht missbrauchen können und dass angebliche politische Beweggründe nicht als Grund anerkannt werden, Anträge auf die Auslieferung mutmaßlicher Terroristen abzuweisen. Das sind, meine Damen und Herren, sehr klare Sätze, mit denen wir uns zu befassen haben werden. Deshalb kommt es sehr darauf an, dass auch wir unsere Auf- klärungsmöglichkeiten in dem Bereich durch Vernetzung von Daten und Ähnlichem verbessern. Ich kann das jetzt nur andeuten. Es gehört auch in diesen Bereich, dass wir uns mit der Frage befassen, wie wir in einer Welt, in der die techni- sche Entwicklung fortschreitet, die Identität von Men- schen sicher klären und feststellen können. Altmodische Methoden dazu kann man heute in jedem Pass finden. Dort gibt es ein Lichtbild, da stehen Name, Geburtsdatum und -ort, die Augenfarbe und die Körpergröße. Das alles sind Identifizierungsmerkmale. Man kann sagen, dass es sich schon, wenn der Staat einem abverlangt, im Ausweis solche Identitätsmerkmale aufzunehmen, irgendwie um einen Eingriff in die Privatsphäre handelt. Dieses Argu- ment wird aber doch von niemandem ernsthaft vorge- tragen. Wenn wir nun neuere Methoden der Identifizierung wie Fingerabdrücke hinzunehmen, dann müssen wir uns darüber klar sein, dass in Deutschland hier eine emotio- nale Barriere besteht, weil wir es gewohnt sind, dass Fingerabdrücke nur bei Tatverdacht und ähnlichen Vor- fällen genommen und in eine Datei aufgenommen wer- den. Das entspricht aber keineswegs der Praxis in allen anderen Staaten. Ich habe Ihnen hier eine Karte „Resident Alien“ mitgebracht. Das ist ein Ausweis, mit dem man in Amerika seit Jahrzehnten ausgestattet wird, wenn man dort als Ausländer einer Arbeit nachgehen darf. In diesem Ausweis befindet sich ein Fingerabdruck. (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Sehr gut!) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Bundesminister Otto Schily 18720 (C) (D) (A) (B) Ich habe noch nie gehört, dass sich irgendeiner, der nach Amerika gegangen ist – das ist immerhin die Führungs- macht bei Demokratie und Menschenrechten –, in seinen Menschenrechten verletzt sah, weil er dort diesen Finger- abdruck abliefern musste. (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Herr Beck meint das!) Wir müssen also versuchen, (Dieter Wiefelspütz [SPD]: Auf dem Teppich zu bleiben!) ein wenig Nüchternheit in die Debatte zu bringen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Die modernen Identifizierungsmethoden, die es heute gibt, wurden immer weiter entwickelt und werden längst in der Privatwirtschaft angewandt. Gehen Sie doch einmal auf die CeBIT, da werden Sie entdecken, welche biome- trischen Methoden heute schon im Interesse von Privat- heit – einschließlich des Fingerabdrucks – genutzt wer- den. Ich bitte doch, so manche krausen Ideen – das sage ich jetzt einmal meinem Freund Cem Özdemir – wie die, dass das womöglich noch die genetische Disposition eines Menschen zu sehr offenbaren könnte, beiseite zu lassen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der FDP) Ich glaube, dass man die genetische Disposition doch eher den Gesichtszügen als dem Fingerabdruck entnehmen kann. Ich finde, man kann alle Sorgen übertreiben. Wenn es darum geht, verbrecherische Anschläge zu verhindern, muss man schon einmal gegeneinander abwägen, ob wir dafür sorgen wollen, dass wir wissen, wer zu uns kommt, oder ob wir krausen Überlegungen eines so genannten Sachverständigen folgen wollen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der FDP) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluss – ich glaube, Frau Kollegin Däubler-Gmelin hat das schon getan – ausdrücklich noch einmal wiederholen, weil ich weiß, wie es den Menschen geht: Unsere Poli- zeien in Bund und Ländern sind in der gegenwärtigen Lage in einer Weise angespannt, wie es sich mancher von uns gar nicht vorstellen kann. Der BGS fährt zum Teil 12-Stunden-Schichten. Ich glaube, es ist wichtig, dass wir als Deutscher Bundestag einmütig sagen: Diesen Män- nern und Frauen gebührt wahrlich großer Dank dafür, dass sie diese Arbeit in einer Ausdauer und Anspannung, die wirklich ganz ungewöhnlich und nicht alltäglich sind, leisten. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN und der PDS) Wir stehen vor der großen Aufgabe, diese Ausdauer, Disziplin und Einsatzbereitschaft fortzuführen. Wir wis- sen alle: Die jetzige Auseinandersetzung ist nicht auf Tage oder Wochen und noch nicht einmal auf Monate angelegt, sondern sie wird über eine sehr lange Zeit anhalten. Eine solche Einsatzbereitschaft in dieser Größenordnung auf- rechtzuerhalten wird besondere Anstrengungen erfordern. Es erfordert auch von uns viel Ausdauer, Disziplin und vor allen Dingen Verantwortungsbereitschaft. In diesem Sinne hoffe ich, dass alle parlamentarischen Fraktionen – auch mit der Bundesregierung – zusammenwirken. Dafür bedanke ich mich im Voraus. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der PDS) Vizepräsidentin Anke Fuchs: Ich erteile dem Kolle- gen Erwin Marschewski für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. Erwin Marschewski (Recklinghausen) (CDU/CSU) (von Abgeordneten der CDU/CSU mit Beifall begrüßt): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Her- ren! Zunächst darf ich mich für meine Fraktion bei den Diensten für ihre Tätigkeit herzlich bedanken. Wer könnte das besser wissen als jemand, der Mitglied der Kontroll- kommission der Dienste ist? – Herzlichen Dank, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD und der FDP) Herr Bundesinnenminister, Sie haben dieser Debatte entnommen, dass wir Ihre Vorschläge unterstützen. Sie sind vernünftig, abgewogen und für sich betrachtet gut. Meine Damen und Herren der Grünen und zum Teil auch der SPD, diese Gesetzesvorschläge werden den Rechts- staat nicht beeinträchtigen und sie werden ihn schon gar nicht aus den Angeln heben. Deswegen verstehe ich die vorgestrige ARD/ZDF-Frage an Passanten in Berlin nicht. Die Frage „Wollen Sie mehr innere Sicherheit oder weni- ger Rechtsstaat?“, die das deutschen Fernsehen gestellt hat, ist absurd. Es handelt sich um Unsicherheit und Angst erzeugende Stimmungsmache (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie ist voll berechtigt!) und entspricht nicht dem Auftrag der deutschen Fernseh- anstalten. Herr Ströbele, unsere Antwort ist die: Wer Frei- heit gegen Sicherheit ausspielt, wird beides verlieren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD – Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist ein guter Satz!) Hier will niemand Bürgerrechte einschränken. Wir wollen die freiheitlichste demokratische Ordnung, die Deutschland je hatte, erhalten und nach dem 11. Septem- ber besonders stärken. Wir wissen: Freiheit ist ohne Si- cherheit nicht denkbar. Deswegen habe ich vor ein paar Wochen in diesem Hohen Hause gesagt: Unser Gemein- wesen wird mehr für die innere Sicherheit in Deutsch- land tun müssen. Meine Damen und Herren der SPD und der Grünen, Sie haben mir übrigens für diese richtige Äußerung leider keinen Beifall gespendet. Ich habe wei- ter gesagt: Wir wollen die wehrhafte Demokratie im Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Bundesminister Otto Schily 18721 (C) (D) (A) (B) Kampf gegen jede Form von Extremismus. Als ich for- derte, dass die Regelanfrage beim Verfassungsschutz ein- geführt werden sollte, und darauf hinwies, dass in Bayern seit 1998 rund 200 Einbürgerungen abgelehnt wurden, (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das haben wir möglich gemacht, dass das Bayern kann!) haben Sie, meine Damen und Herren von der SPD, von Ladenhütern der Union gesprochen. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, jetzt wollen Sie einführen: den verdeckten Ermittler, Fingerabdrücke auf dem Aus- weis. Ferner wollen Sie für eine Verschärfung der Be- stimmungen beim Kampf gegen die Geldwäsche sorgen. Das sind Ihre Vorschläge? Ich will in dieser Stunde der Gemeinsamkeiten nun wirklich nicht nachkarten und schon gar nicht rechthaberisch sein. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das gelingt Ihnen nicht!) Herr Bundesinnenminister, meine Parteivorsitzende, Frau Merkel, hat aber Recht. Sie haben bis vor wenigen Tagen leider kein einziges neues Gesetz zur wirksamen Be- kämpfung von Terrorismus und organisierter Kriminalität vorgelegt. Das ist die Wahrheit. Ich will sicherlich einräu- men, dass das – das ist wahr – gar nicht Ausdruck Ihrer persönlichen Meinung ist. Wenn ich aber zur SPD schaue, stelle ich fest: Ihr – ich hoffe, Herr Wiefelspütz, dass die Einsicht nun da ist – hat der Wille gefehlt. Mut und Ent- schlusskraft waren Ihnen offensichtlich fremd. Bei den Grünen – von ihnen ganz zu schweigen – ist eine Rea- litätsbezogenheit überhaupt nicht vorhanden. Ich finde es schon bemerkenswert, dass der Bundesinnenminister zum innenpolitischen Sprecher der Grünen sagt, er habe krause Ideen. Das zeigt die Situation in der Koalition und ihr Ver- hältnis zur inneren Sicherheit. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Anke Fuchs: Herr Kollege, gestat- ten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ströbele? Erwin Marschewski (Recklinghausen) (CDU/CSU): Ich möchte mit meinen Ausführungen fortfahren. (Beifall der Abg. Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]) Meine Damen und Herren, ich zitiere aus einer Zeitung den Herrn Prantl. Er ist wirklich nicht mein Wegbegleiter, schon gar nicht jener der Union. Ich möchte Ihnen aber vorlesen, was selbst er geschrieben hat: Es ist bitter, dass es offensichtlich erst Terror braucht, um eklatante Missstände abzustellen – Miss- stände, die mit dem Wirrwarr bei der polizeilichen Datenverarbeitung beginnen (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das ist auch ein echtes Vergehen der Länder!) und die noch lange nicht damit aufhören, dass es zwar seit geraumer Zeit maschinenlesbare Personal- ausweise gibt, aber nicht genügend Maschinen, die diese Ausweise auch lesen können. Recht hat der Herr Dr. Prantl hier, meine Damen und Herren. (Dieter Wiefelspütz [SPD]: Prantl hat Recht? Das kann ja wohl nicht wahr sein! – Gerald Häfner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es freut uns, dass Sie Herrn Prantl mal Recht geben!) Damit sind wir mitten in der Debatte über unsere Forderungen. Die neuen Herausforderungen zwingen zu neuen Sichtweisen. Wir brauchen bei allem Dank an die Dienste mehr hoch qualifizierte Personen, ein bes- seres Know-how und eine bessere Ausrüstung der Si- cherheitskräfte. Wir müssen mehr als bisher finanzie- ren. Wir haben die strategische Kontrolle eingeführt. Sie bedeutet, dass der Bundesnachrichtendienst Gespräche auch aus dem Bereich des Terrorismus aufzeichnen kann. Max Stadler und ich haben das damals in der Koalition vorgelegt und das Bundesverfassungsgericht hat dies als verfassungsgemäß – zumindest dem Grunde nach – be- stätigt. (Alfred Hartenbach [SPD]: „Zumindest dem Grunde nach“!) Aber diese Kontrolle ist nicht durchführbar, weil Men- schen und Mittel fehlen. Das ist doch skandalös. Die In- vestitionen in Sicherheit sind Investitionen in die Zukunft. (Beifall bei der CDU/CSU – Norbert Geis [CDU/ CSU]: Auch wieder ein guter Satz!) Ein zweites Beispiel auf Länderebene: Richtig ist doch, dass der Verfassungsschutz in Hessen eine Mittel- kürzung um 20 Prozent hinnehmen musste und dadurch weniger Personen einstellen konnte. Richtig ist auch, dass es eine Reduzierung in Niedersachsen, in Hamburg und in Rheinland-Pfalz gibt. Wer die Situation kennt, Herr Bun- desinnenminister, der muss von einer miserablen Lage der Dienste sprechen; das wird jeder, der mit den Dingen zu tun hat, bestätigen. Die Lage ist so, obwohl im Verfas- sungsschutzbericht des Jahres 2000 85 000 Rechts- und Linksextremisten, 60 000 Mitglieder in extremen auslän- dischen Organisationen, 31 000 Mitglieder in islamischen Gruppen verzeichnet sind. Der Personalabbau bei den Diensten, meine Damen und Herren, war ein schwerer Fehler. (Beifall bei der CDU/CSU) Deswegen ist es kein Wunder, dass das Wissen über die Islamisten bei den Diensten trotz Herrn Dr. Frisch, den ich sehr gut kenne, wie Sie wissen, sehr gering ist. Herr Kollege Ströbele wollte sich gerade zu einer Zwi- schenfrage melden. Ich möchte ihm etwas sagen: Sie sind offensichtlich immer noch der Meinung, wie es im Wahl- programm der Grünen steht, dass wir den Verfassungs- schutz abschaffen sollten. Wer einen solchen Unsinn, eine solche Absurdität verkündet, der verzichtet doch auf das Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Erwin Marschewski (Recklinghausen) 18722 (C) (D) (A) (B) wirksamste Mittel, das es im Einsatz gerade gegen Terro- risten gibt. (Beifall bei der CDU/CSU – Jörg van Essen [FDP]: Die Grünen haben auch noch die Ab- schaffung des § 129 a StGB gefordert!) Herr Bundesinnenminister, ich begrüße auch, dass wir – das ist kein neuer Vorschlag – das Religionsprivileg ab- schaffen. Extremistische Organisationen, die sich unter dem Deckmantel einer Religionsgemeinschaft terroris- tisch-kriminellen Machenschaften widmen, müssen ver- boten werden. Dies hat insbesondere für Islamisten zu gelten, die eine Gesellschaftsordnung nach den Grundsät- zen der Scharia errichten wollen. Dies steht, um es zu wie- derholen, in unauflöslichem Widerspruch zum Prinzip der Volkssouveränität, zum Mehrheitsprinzip und zum Gleichheitsgrundsatz, also zur freiheitlich-demokrati- schen Grundordnung schlechthin. Deswegen müssen wir auch Verbote aussprechen, Herr Bundesinnenminister: Es darf keinen Platz für Terroristen in Deutschland geben. Wer sich extremistisch betätigt, muss ausgewiesen werden. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Ohne Wenn und Aber!) Wer eine Gefahr für die innere Sicherheit in Deutschland darstellt, weil er schwere Straftaten begeht, darf durch das deutsche Asylrecht nicht geschützt werden. Sie haben zu Recht auf die UN-Resolution verwiesen. Ich habe neulich einen Artikel eines Kollegen, der in der SPD für Innenpolitik zuständig ist, gelesen. Der Kol- lege Wiefelspütz, der nach mir redet, schrieb: Die Grund- rechte gelten auch für Extremisten. – Meine Damen und Herren, wer sich extremistisch betätigt, verwirkt diese Grundrechte; das ist unsere Position. (Beifall bei der CDU/CSU – Ludwig Stiegler [SPD]: Das entscheidet Karlsruhe! – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Damit bewegen Sie sich außerhalb unserer Ver- fassung! Herr Marschewski muss auch ausge- wiesen werden! – Ludwig Stiegler [SPD]: Er ist schon außerhalb der Verfassung! Wir müssen ihn beobachten!) Der Bundesinnenminister hat auch den Datenschutz angesprochen. Ich bin voll Ihrer Meinung. Sie kennen un- sere Philosophie: Datenschutz ja, Täterschutz nein! Das ist keine Leerformel. Können Sie sich vorstellen, dass es nicht möglich war, in Deutschland die Daten aller Studen- ten – je nach Ländern getrennt – die in technischen, si- cherheitsrelevanten Bereichen studieren, zusammenzufas- sen? Da legt der Bundesbeauftragte für den Datenschutz Einspruch ein und den Diensten ist dies untersagt. Das kann doch nicht sein, gerade angesichts der neuen Er- kenntnisse, die wir haben. Datenschutz ja, Täterschutz nein – das ist unsere Position! (Beifall bei der CDU/CSU – Ludwig Stiegler [SPD]: Ein Dampfplauderer bist du!) – Ach, Herr Kollege Stiegler! Es ist nicht einmal ein hal- bes Jahr her, da habe ich an dieser Stelle das Ausländer- zentralregister gefordert. Sie haben Nein gesagt. Ich be- danke mich, dass es jetzt gemacht wird. Bei den Fingerabdrücken haben Sie vor einem halben Jahr Nein gesagt – ich kann Ihnen die Rede gleich zeigen –, wir ha- ben Ja gesagt. Wir haben gesagt, wir müssten die Not- wendigkeiten im Datenschutz neu definieren. Wir haben Ja gesagt, Sie haben Nein gesagt. (Ludwig Stiegler [SPD]: Fragen Sie sich mal, aus welchen Gründen Sie das wollten! Das hat mit dem Terror nichts zu tun! Er kennt nicht ein- mal sein eigenes Gesetz!) Wir haben gesagt, wir wollen ausländische Personen und Organisationen erfassen. Sie haben Nein gesagt, wir ha- ben Ja gesagt. Meine Damen und Herren, der Staat darf sich nicht un- wissender stellen als er ist. Das ist das Problem. Auch Po- lizeien und Dienste – wir haben das ebenfalls gefordert – müssen noch enger, noch mehr zusammenarbeiten. Auch da sind Verbesserungen möglich. Ich weiß, dass Sie in der letzten Zeit Maßnahmen ergriffen haben. Gemeinsam müssen wir auch den Terrorismus bekämpfen. Sie, Herr Bundesinnenminister, haben Vor- schläge unterbreitet. Wir, die Union, geben Ihnen hierfür die politische Rückendeckung. Wir haben ein Programm in den Deutschen Bundestag eingebracht mit dem Titel: Sicherheit 2001. Wir sagen darin, was zur Bekämpfung des internationalen Terroris- mus zu tun ist. Wir hoffen, meine Damen und Herren, sehr geehrter Herr Bundesminister, insbesondere auf Ihre Un- terstützung. Wir bitten auch um die Zustimmung der Mit- glieder des gesamten Deutschen Bundestages, weil der Terrorismus uns alle bedroht. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Anke Fuchs: Zu einer Kurzinter- vention erteile ich das Wort dem Kollegen Häfner vom Bündnis 90/Die Grünen. (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Jetzt kriegen wir von Herrn Häfner eine Grund- gesetzerklärung!) Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Lie- ber Herr Marschewski, ich werde es kurz machen, aber deutlich. Denn Ihr Beitrag hat mich doch (Norbert Geis [CDU/CSU]: Tief getroffen!) erschrocken. Ich habe vor allen Dingen folgende Sätze mitbekommen: Sie haben gesagt: Wer sich extremistisch bewegt, darf keine Grundrechte genießen. – Damit bewe- gen Sie sich außerhalb des Konsenses unseres Grundge- setzes, Herr Marschewski. Die Grundrechte gelten in der Tat für jeden. Extremis- tische Äußerungen – das gilt auch für das, was Sie heute vorgetragen haben – sind nach geltendem Recht noch kein Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Erwin Marschewski (Recklinghausen) 18723 (C) (D) (A) (B) Grund, dass diese verwirkt werden. Ein Zweites, möchte ich deutlich sagen. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Das war weit über- zogen, was Sie gerade gesagt haben!) – Herr Geis, Sie kennen das Grundgesetz genauso gut wie ich. Soll ich Ihnen es vorlesen? (Norbert Geis [CDU/CSU]: Das brauchen Sie nicht! Ich habe den Herrn Marschewski ganz anders verstanden als Sie!) Da heißt es: Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern... Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Ausländer nicht!) – Alle Deutschen, heißt es hier, auch solche mit extremis- tischen Gesinnungen. Für diese Rechte werden wir kämp- fen. Wir werden mit Gesetzen und darauf gestützten Ein- griffsmöglichkeiten verhindern, dass Terror stattfindet und Gewalt gebraucht wird. Aber wir werden nicht die Grundrechte zur Disposition stellen. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Das hat Kollege Marschewski auch nicht gesagt!) – Hören Sie doch einmal einen Moment zu und lassen Sie es mich in einem zweiten Punkt noch deutlicher sagen. Sie haben gesagt: Wer Freiheit gegen Sicherheit ausspielt, wird beides verwirken. Genau dies ist aber der Auftrag der freiheitlich-demo- kratischen Grundordnung, unserer Verfassung, dass Frei- heit und Sicherheit immer wieder in jedem einzelnen Punkt aufs Neue gegeneinander abgewogen werden müs- sen. Ohne solche Abwägung hätten wir keine freiheit- lich-demokratische Grundordnung mehr. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Aber nicht ausge- spielt!) – Nein, Art. 1 sagt unmissverständlich: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist oberste Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Der Staat hat diese Würde zu achten. Sicherheit muss gegen Freiheit abgewogen werden. Wer hier so redet, als könne man auf diese Abwägung künftig verzichten oder bräuchte sie von heute an nicht mehr zu treffen, der macht mir Angst. (Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Sie reden wie ein Obermoralist! – Norbert Geis [CDU/CSU]: Das hat hier keiner gesagt!) Mir sind Sicherheits- und Innenpolitiker, die diese Abwä- gung maßvoll und besonnen treffen, lieber. Ich danke Ihnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Vizepräsidentin Anke Fuchs: Herr Kollege Marschewski, Sie wollen antworten? – Bitte sehr. Erwin Marschewski (Recklinghausen) (CDU/CSU): Herr Kollege Häfner, der Bundesinnenminister hat vorhin von „krausem Zeug“ gesprochen. Das war gerade auch krauses Zeug. Jeder deutsche Bürger hat das Recht, sich zu versammeln und zu demonstrieren; Versammlungs- freiheit gilt selbstverständlich für alle. In Art. 18 steht aber: Wer dies zum Kampf gegen die freiheitlich-demo- kratische Grundordnung missbraucht – das tun Terroris- ten –, der verwirkt diese Grundrechte. Das sollten Sie als Parlamentarier zumindest wissen, lieber Herr Kollege. (Beifall bei der CDU/CSU– Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er hat immer noch das Recht auf einen rechtsstaatlichen Pro- zess!) Vizepräsidentin Anke Fuchs: Nun erteile ich das Wort dem Kollegen Dieter Wiefelspütz von der SPD- Fraktion. Dieter Wiefelspütz (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach einer weitgehend sach- lich geführten Debatte gibt es nun doch noch Aufwallun- gen. Herr Marschewski, ich schätze Sie durchaus als ker- nigen, kantigen Kollegen im Innenausschuss. Ich meine das so, wie ich es sage. Lesen Sie aber bitte später einmal nach, was Sie gesagt haben. Sie haben zumindest den Ein- druck erweckt, als seien Sie es, der einem Menschen Grundrechte aberkennen könnte. Das ist nicht der Fall. Das dürfen Sie nicht. Hinsichtlich der Frage, ob Grund- rechte verwirkt werden, gilt Art. 18 Grundgesetz. Es steht ausschließlich dem Bundesverfassungsgericht zu – nicht Ihnen und auch nicht mir –, Menschen Grundrechte abzu- erkennen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Herr Wiefelspütz, das weiß doch hier jeder!) Das hätten Sie etwas anders formulieren können und auch müssen. Ich bitte Sie in aller Besonnenheit, da noch ein- mal nachzuschauen. Die Bundesrepublik Deutschland war vor dem 11. Sep- tember ein sehr freies und auch ein sehr sicheres Land. Es macht überhaupt keinen Sinn, wenn wir uns heute im Nachhinein vor dem Hintergrund des 11. Septembers wechselseitig vermeintliche Nachlässigkeiten vorhalten, die wir vor dem 11. September begangen hätten. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Das muss man schon sagen! Wir haben oft genug auf Granit gebissen!) Wen interessiert denn das eigentlich? Die Bürgerinnen und Bürger, lieber Herr Geis, haben einen Anspruch da- rauf, dass der Staat innere Sicherheit verbürgt. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Die Opposition muss dafür sorgen, dass es auch ge- schieht!) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Gerald Häfner 18724 (C) (D) (A) (B) Wofür haben wir denn den Staat? Wir haben den Staat vor allem dafür, dass den Bürgern Sicherheit vermittelt wird; denn Sicherheit ist eine unerlässliche Voraussetzung für Freiheit. (Zuruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]) – Da sind wir alle einer Meinung, Herr Kauder; das wol- len Sie doch nicht bestreiten? (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das hätten Sie schon vorher machen müssen!) – Lieber Herr Kauder, auch vor dem 11. September war die Bundesrepublik Deutschland eines der freiesten und eines der sichersten Länder der Welt. Wollen Sie das ernstlich bestreiten? Das können Sie doch nicht ernstlich bestreiten. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Wir hatten auch da unsere Probleme! Schauen Sie sich doch die Kriminalität an!) Daran wird sich auch nach dem 11. September nichts ändern. Ich füge allerdings hinzu: Weil niemand von uns, weder hier in Deutschland noch andernorts – bis auf ei- nige schlimme Verbrecher –, sich den 11. September hätte vorstellen können, werden wir auf die neuen Fragen, die sich stellen, auch neue Antworten finden müssen. Das tun wir entschlossen, zielorientiert, kraftvoll, aber auch be- sonnen. Wir wollen – da haben wir keine Einigkeit – keine Militarisierung der inneren Sicherheit. Wir brauchen keine neuen Vorschriften für die Bundeswehr, die vor al- len Dingen für die äußere Sicherheit zuständig ist. In Be- zug auf ihren Einsatz im Innern haben wir völlig ausrei- chende Vorschriften. (Beifall des Abg. Ludwig Stiegler [SPD]) Polizei kann Militär nicht ersetzen; Militär kann Polizei nicht ersetzen. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Das will auch keiner!) Das wissen wir alle doch auch. Das sind Geisterdiskus- sionen, die da geführt werden. Wir brauchen keine neuen Behörden, (Beifall des Abg. Ludwig Stiegler [SPD]) sondern da und dort bei bestehenden Behörden mehr Ef- fektivität und auch mehr Geld und Personal, damit sie ihre Arbeit in den Bereichen, in denen sie überlastet sind, bes- ser machen können. (Beifall bei der SPD – Norbert Geis [CDU/ CSU]: Und wir brauchen neue Gesetze!) Wir brauchen auch keine Nationalgarde – ein Vorschlag, der übrigens auch aus unseren Reihen kam –, weil das, was die Amerikaner – durchaus erfolgreich – machen, nicht mit dem vergleichbar ist, was wir hier in Deutsch- land machen. Wir haben ein anderes Verfassungsgefüge. Wir müssen klar und zielorientiert das tun, was nötig ist. Wir werden keine totale Sicherheit herstellen können. Das ist aber auch nicht gefragt. Das Menschenmögliche muss gemacht werden. Das, was notwendig ist – seien wir doch auch da ganz freimütig –, lieber Herr Marschewski, werden wir hier in diesem Hause mit breiter Mehrheit tun. Das Sicherheitspaket 1 hat Ihre Zustimmung, die der FDP und vielleicht auch die der PDS gefunden. Das Sicher- heitspaket 2, das in Vorbereitung ist, wird ebenfalls mit breitester Mehrheit beschlossen werden. Ich kann nicht ausschließen, dass noch ein drittes oder viertes Paket fol- gen wird. Ich bin der Auffassung, dass die Sicherheitsphiloso- phie in Deutschland durch den 11. September nachhaltig beeinflusst werden wird. Wir werden das Rad nicht neu erfinden müssen. Dennoch muss man feststellen, dass sich die Lage verändert hat. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist wahr!) Wir werden noch viele Monate die Maßnahmen abarbei- ten müssen, die sich aus den Herausforderungen ergeben. Wir tun dies aber als freiheitlicher Rechtsstaat, weil wir dieses kostbare Gut Freiheit nicht gefährden wollen. Wir werden Antworten finden, die auf den Mitteln eines sich entschlossen verteidigenden Rechtstaates beruhen. Dazu gibt es keine Alternative. Das ist die Gemeinsamkeit, die uns alle eint. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Wir sollten nicht versuchen, Schlachten der Vergangen- heit zu schlagen, (Norbert Geis [CDU/CSU]: Haben wir nicht gemacht!) die uns wirklich nicht weiterbringen. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Wenn Sie in unse- rer Lage wären: Was würden Sie alles veran- stalten!) Lieber Herr Marschewski und lieber Herr Geis, ob Sie es glauben oder nicht: Sie werden diesem Kurs der Bundes- regierung folgen. Ein Schlusssatz. Wer glaubt, er könne bei Rot-Grün auf Streit über die innere Sicherheit spekulieren, den werden wir enttäuschen; denn Rot-Grün wird gemeinsam han- deln. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Erwin Marschewski [Recklinghau- sen] [CDU/CSU]: Das glauben Sie wohl selbst nicht!) Innere Sicherheit ist ein Markenartikel von Rot-Grün. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/CSU) Es ist auch ein Markenartikel des Ministers, den wir ge- meinsam unterstützen. (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Jetzt haben Sie in die falsche Kiste gegriffen! – Norbert Geis [CDU/CSU]: Herr Ströbele ist ein Markenartikel der inneren Sicherheit! Herr Beck ist ein Markenartikel der inneren Sicherheit!) Herr Marschewski, wir haben den Personalabbau beim Bundesamt für Verfassungsschutz gestoppt. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Dieter Wiefelspütz 18725 (C) (D) (A) (B) Vizepräsidentin Anke Fuchs: Herr Kollege, Sie wa- ren doch schon in der Schlussphase Ihrer Rede. Dieter Wiefelspütz (SPD): Jawohl. – Herr Ströbele und der innenpolitische Sprecher einer anderen Regie- rungspartei, den Sie, Herr Marschewski, gerade ange- sprochen haben, haben das G-10-Gesetz vor dem 11. Sep- tember verantwortlich entworfen. Im Übrigen haben auch Sie diesem Gesetz zugestimmt. Dies ist ein Gesetz, das wir gerade vor dem Hintergrund weltweiter terroristischer Herausforderungen dringend benötigen. Sie werden sich wundern, was uns in Sachen innere Sicherheit noch alles einfällt, Herr Marschewski. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Anke Fuchs: Das Wort hat nun der Kollege Dr. Max Stadler. Dr. Max Stadler (FDP): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der erste Teil der Rede von Herrn Wiefelspütz – danach ist er zum Wahlkampf über- gegangen – und die Kurzintervention des Kollegen Häfner haben wie manche andere Beiträge das Kernpro- blem der heutigen Aussprache berührt: das Verhältnis von Sicherheit und Freiheit. Deswegen möchte ich Sie daran erinnern, dass dieses Hohe Haus im Frühjahr dieses Jah- res fraktionsübergreifend einen Beschluss gefasst hat, mit dem wir uns verpflichtet haben, Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Gewalt zu be- kämpfen. Wir sehen es nämlich als unerträgliche Ein- schränkung der persönlichen Freiheit an, wenn sich Men- schen in so genannten national befreiten Zonen nicht mehr sicher und frei bewegen können. Unser Grundge- danke war: Ohne Sicherheit gibt es keine Freiheit. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD) Dieser Grundgedanke gilt angesichts der Bedrohung durch den internationalen Terrorismus erst recht. Des- halb unterstützt die FDP als Freiheitspartei ausdrück- lich die Bemühungen der Bundesregierung und des Bundesinnenministers Otto Schily, die innere Sicher- heit in Deutschland zu verbessern. Ein Kriterium für die Zustimmungen im Einzelnen ist selbstverständlich, dass die Maßnahmen geeignet und notwendig sein müssen. In diesem Zusammenhang kommt man sehr rasch zur Frage des Vollzugsdefizits bei der inneren Sicherheit: Woran liegt es, dass offenkundig die zahlreichen zum Beispiel von CDU/CSU und FDP in den beiden letzten Legislaturperioden beschlossenen Si- cherheitsgesetze in der Praxis nicht richtig und nicht ausreichend angewandt werden? Man kommt rasch zu der Feststellung, dass es den Sicherheitsbehörden an Perso- nal- und Sachausstattung fehlt. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Die Politik muss bereit sein, den Sicherheitsbehörden das notwendige Personal und die notwendige Ausstattung zur Verfügung zu stellen. (Ludwig Stiegler [SPD]: Aber für den Haus- halt waren Sie damals auch zuständig!) Wir dürfen die Innenminister, die Justizminister und die Finanzminister von Bund und Ländern aus dieser Verant- wortung nicht entlassen. Denn das wäre die wirksamste Maßnahme, die man sofort ergreifen könnte. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Darüber hinaus werden nun zahlreiche Gesetzesände- rungen diskutiert. Die FDP-Fraktion hat dazu in einem umfangreichen Thesenpapier bei weitgehender Zustim- mung zu den Vorschlägen der Bundesregierung eine differenzierte Position vertreten. Wir werden den notwen- digen Gesetzesänderungen zustimmen. Aber das heißt nicht, dass wir alles unbesehen unterschreiben werden. (Dieter Wiefelspütz [SPD]: Warum nicht? – Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) Zum Beispiel bleibt die FDP dabei, dass jetzt nicht unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung der gläserne Bürger geschaffen werden darf. (Beifall bei der FDP) Meine Damen und Herren, es ist dem Vorschlag zuzu- stimmen, neue identitätssichernde Maßnahmen vorzuse- hen, etwa Fingerabdrücke oder vielleicht modernere tech- nische Maßnahmen für die Ausweispapiere. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Genetische Fingerabdrücke?) Das eigentliche Problem ist doch: Was geschieht mit Da- ten, die notwendigerweise erhoben werden? Da ist aller- dings durch die Datenschutzgesetzgebung und auch durch die verdienstvolle Tätigkeit der Datenschutzbeauftragten – zum Beispiel berichtet Herr Jacob jährlich dem Bun- destag – sichergestellt, dass diese Daten ausschließlich zweckgebunden verwandt werden. Darauf kommt es an. (Beifall bei der FDP) Herr Minister Schily, wir sind Ihnen dankbar, dass Sie heute klargestellt haben, dass der Einsatz der Bundes- wehr nach innen über das verfassungsmäßig zulässige Maß hinaus für Sie nicht infrage kommt, ebenso wenig die Schaffung unnützer Bürokratien wie eines Bundessi- cherheitsamts. Das deckt sich voll mit der Auffassung der FDP. Meine Damen und Herren, zu einer rationalen Sicher- heitspolitik gehört auch die ständige Erfolgskontrolle von gesetzgeberischen Maßnahmen. Die FDP hatte sich dafür eingesetzt, im Bereich der Telefonüberwachung eine sol- che Erfolgskontrolle durch den Bundestag einzuführen. An diesem Modell werden wir uns auch jetzt bei neueren gesetzlichen Maßnahmen orientieren, weil wir wollen, dass Gesetzgebung nicht Aktionismus bleibt, sondern wirklich erfolgsbezogen arbeitet. (Beifall bei der FDP) Lassen Sie mich als Letztes noch erwähnen, dass im Zuge der internationalen Bedrohung vieles Stückwerk bliebe, wenn Maßnahmen nicht international vereinbart würden, mindestens EU-weit. Sonst könnte manches, was Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 200118726 (C) (D) (A) (B) jetzt vorgeschlagen wird, zu leicht umgangen werden. Dies ist ein besonders wichtiger Aspekt aus der Sicht der Freien Demokraten. Meine Damen und Herren, ich möchte insofern um Verständnis für den Kollegen Marschewski werben, als seine Formulierung zu der Frage, wer Grundrechte hat und wer sie nicht hat, in der Hitze des Gefechts vielleicht nicht völlig geglückt war. Es ist doch völlig selbstver- ständlich, dass jeder Mensch das unveräußerliche Recht auf Leben und die Menschenwürde hat und dass es un- veräußerliche Menschenrechte gibt. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Alle vier im ersten Artikel sind nicht ein- schränkbar!) Weil ein solcher sprachlicher Lapsus eben auch einmal vorkommen kann, darf ich am Schluss mein ceterum cen- seo wiederholen: Wir werden die Freiheit und die Sicher- heit schützen, aber ausschließlich mit rechtsstaatlichen Mitteln. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN) Vizepräsidentin Anke Fuchs: Ich schließe die Aus- sprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Gesetzent- würfe auf den Drucksachen 14/7026, 14/7025, 14/7008, 14/6834, 14/5938 und 14/6079 an die in der Tagesord- nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Dazu gibt es keine anderen Vorschläge. Dann ist es so be- schlossen. Nun rufe ich Tagesordnungspunkt 4 sowie Zusatz- punkt 3 auf: 4. Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgit Schnieber-Jastram, Karl-Josef Laumann, Brigitte Baumeister, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der CDU/CSU Arbeit vermitteln statt Arbeitslosigkeit verwal- ten – Mehr Beschäftigung durch Effizienz, Transparenz und Subsidiarität im Arbeitsför- derungsrecht – Drucksache 14/6162 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen- abschätzung ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Heidi Knake-Werner, Dr. Ruth Fuchs, Dr. Klaus Grehn, Pia Maier und der Fraktion der PDS. Der Einstieg in einen öffentlich geförderten Be- schäftigungssektor ermöglichen. – Drucksache 14/7070 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f) Finanzausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen- abschätzung Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Damit sind Sie ein- verstanden. Nun warte ich, bis der Schichtwechsel sich erledigt hat. – Eigentlich können die Innenpolitiker ruhig zuhören; das kann sie auch interessieren. – Herr Geis bleibt sitzen; sehr gut. (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Darf er?) – Ich habe gerade eingeladen, zu dem wichtigen Thema hier zu bleiben. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Dann bleibe ich hier!) Dann darf ich die Aussprache eröffnen. Das Wort hat die Kollegin Schnieber-Jastram für die CDU/CSU-Frak- tion. Birgit Schnieber-Jastram (CDU/CSU) (von Abge- ordneten der CDU/CSU mit Beifall begrüßt): Frau Präsi- dentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man in diesen Tagen des Terrors und der Bomben an das Redner- pult dieses Hauses tritt, um über Arbeitsmarktpolitik zu sprechen, dann hat man immer ein bisschen das Gefühl, man spreche über Nebensächlichkeiten. (Dirk Niebel [FDP]: Das ist nicht wahr!) Ich möchte sehr deutlich machen, dass das nicht der Fall ist. Wir sprechen hier über das Schicksal von knapp 3,8 Millionen Menschen und deren Familien. Es gibt eine Reihe von Anzeichen, die sehr sorgenvoll stimmen. Man muss zur Kenntnis nehmen, dass es 73 Prozent mehr Kurzarbeiter gibt. Hiervon sind 113 000 Menschen be- troffen. Wenn vor diesem Hintergrund die stellvertretende DGB-Vorsitzende Ursula Engelen-Kefer sich eher als Steigbügelhalterin der Regierung betätigt und vergisst, dass auch die DGB-Mitglieder Interessen haben, (Zurufe von der SPD: Oh!) dann versetzt mich das in ziemlich großes Erstaunen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Klaus Brandner [SPD]: Sprechen Sie zu Ihrem An- trag!) Was hat der Bundeskanzler in den vergangenen drei Jahren für den Abbau der Arbeitslosigkeit getan? Was ist aus seinen vollmundigen Versprechungen geworden? (Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Gute Frage! – Dirk Niebel [FDP]: Heiße Luft! – Andrea Nahles [SPD]: Sehr viel und Gutes!) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Dr. Max Stadler 18727 (C) (D) (A) (B) Was macht sein Arbeitsminister Riester? Ist es wirklich ein Zufall, dass man seinen Namen nur noch im Zusam- menhang mit dem Altersruhegeld hört? (Andrea Nahles [SPD]: Das ist jetzt aber der pure Neid!) Ich zitiere ja immer gerne die „Süddeutsche Zeitung“ – das tun auch viele andere meiner Kollegen –, weil ihr keine übertriebene Nähe zur CDU/CSU nachgesagt wer- den kann. (Dirk Niebel [FDP]: Das gilt auch für die FDP!) Dort heißt es zu den neuesten Arbeitsmarktzahlen: Die rot-grüne Koalition hat sich längst mit der Massenarbeitslosigkeit abgefunden. Für den SPD- Vorsitzenden Schröder ist dieser Umstand ein Ar- mutszeugnis. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wenn wir schon von einem Armutszeugnis sprechen, dann sollte ich auch auf Ihr so genanntes Job-Aqtiv-Pro- gramm – es enthält ja dieses neckische Q – eingehen. (Renate Rennebach [SPD]: Seit wann ist Qua- lifizierung neckisch?) Dazu kann ich nur sagen: Wenn Herr Riester für die Ar- beitsmarktpolitik so viel Fantasie aufbringen würde wie für das Erfinden von Namen, dann würden wir heute ein Stückchen weiter sein. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Es sprengt ein wenig den Zeitrahmen, wenn man hier alle Kritikpunkte aufzählen will. Auch will ich nicht die für den nächsten Montag geplante Anhörung vorwegneh- men. (Andrea Nahles [SPD]: Da sind wir aber froh!) Aber eines möchte ich deutlich machen: Ihr neues Instru- ment, eine beschäftigungsschaffende Infrastrukturför- derung, ist nicht nur beschäftigungspolitisch unwirksam, sondern auch ordnungspolitisch völlig verfehlt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich möchte Ihnen hierzu einmal vorlesen, was Ihre Staatssekretärin Frau Ulrike Mascher (Andrea Nahles [SPD]: Können Sie außer Zi- taten noch etwas anderes sagen?) in der Aktuellen Stunde am 4. April 2001 meiner Kollegin Dagmar Wöhrl auf die Frage, ob es Überlegungen gebe, Mittel aus ABM in kommunale Investitionen umzu- lenken, geantwortet hat. Ihre Staatssekretärin hat dazu gesagt, eine unmittelbare Förderung kommunaler Investi- tionen scheide aus. Kommunale Investitionen gehörten – ich zitiere wörtlich – ... zu den gesamtgesellschaftlichen Aufgaben, die aus Steuermitteln finanziert werden müssen. (Dirk Niebel [FDP]: Da hat sie ausnahmsweise einmal Recht gehabt!) In Ihrem hierzu vorliegenden Gesetzentwurf machen Sie allerdings eine absolute Kehrtwendung hinsichtlich dieser Aussage. Ich wäre einem Vertreter der Regierung bzw. der Regierungsfraktionen wirklich sehr dankbar, wenn er mir die Ursachen für diese Neuorientierung, die seit April dieses Jahres erfolgt, erläutern könnte. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Der Entwurf eines Job-Aqtiv-Gesetzes beinhaltet of- fensichtliche Fehler. Dennoch bin ich der Meinung, man sollte das Angebot des Ministers Riester, bei der Reform des Arbeitsförderungsgesetzes einen Konsens mit der Opposition zu erzielen, nicht ignorieren. Ich hoffe, das ist auch Ihre Position. Nehmen wir also einfach unseren vor- liegenden Antrag als Grundlage für einen Konsens und er- gänzen ihn um die guten Ideen aus dem Entwurf Ihres Job-Aqtiv-Gesetzes! (Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: So ist es! – Dr. Heidi Knake-Werner [PDS]: Das macht es auch nicht besser!) Ich weiß allerdings nicht, ob unser Antrag durch diese Er- gänzung bedeutend länger wird. Denn obwohl einige Denkansätze in Ihrem Entwurf in die richtige Richtung gehen, sind die daraus folgenden Maßnahmen in der Re- gel so betulich und so vorsichtig, dass jede Wirkung ver- puffen muss. Es wird so bleiben, wie es bereits seit langer Zeit unter der Regierung Schröder ist: Deutschland belegt im euro- päischen Umfeld – Sie wollen das nicht wahrhaben; ich habe das gestern im Ausschuss gemerkt – sowohl bezüg- lich des Wirtschaftswachstums als auch bezüglich des Ab- baus der Arbeitslosigkeit einen der hinteren Plätze. Daher muss man die Frage stellen: Warum ist das so? – Weil un- ter dieser Bundesregierung die drei Kernbegriffe einer guten Arbeitsmarktpolitik nicht nur vernachlässigt, son- dern sogar zurückgedrängt wurden. Diese drei Begriffe sind: Effizienz, Transparenz und Subsidiarität. (Andrea Nahles [SPD]: Mein Gott, das ma- chen wir doch, Frau Schnieber-Jastram!) Ich will diese drei Begriffe hier einmal verständlicher machen: Stichwort Effizienz. Die Steuerzahler und diejenigen, die in die Arbeitslosenversicherung einzahlen, geben jährlich 40 Milliarden DM und mehr für Arbeitsför- derungsprogramme aus, aber kein Mensch im Hause Riester weiß letztendlich, wie viele Erwerbslose durch diese 40 Milliarden DM wieder in Arbeit gekommen sind. (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Traurig!) Wir fordern deshalb eine strikte Kontrolle der arbeits- marktpolitischen Maßnahmen über eine Auswertung der vermittelten Personen. Programme, die ihre Wirksamkeit nicht über eine ausreichende Zahl von Vermittlungen in den ersten Arbeitsmarkt nachweisen können, müssen ent- weder verbessert oder eingestellt werden. Arbeitsmarkt- politik bedeutet für uns nämlich Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt und sie bedeutet sicher nicht Parken der Er- werbslosen in Programmen und Maßnahmen, nicht noch Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Birgit Schnieber-Jastram 18728 (C) (D) (A) (B) leichteres Abschieben der älteren Arbeitnehmer in die Frühverrentung und nicht das Schieben der Langzeit- arbeitslosen in die Drehtür zwischen Arbeitslosengeld und Sozialhilfe. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Genau dies aber fördert die Bundesregierung mit ihrer Arbeitsmarktpolitik; zumindest unterbindet sie es nicht. Ich bin jedenfalls davon überzeugt, dass die im Job-Aqtiv- Gesetz enthaltenen Ausweitungen bei ABM und den Strukturanpassungsmaßnahmen nicht der richtige Weg sind, und meine Kollegen teilen diese Position. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Aber hundert- prozentig!) Stichwort Transparenz. Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Es kann wirklich nicht angehen, dass ein Hand- werksmeister, fähig zum Beispiel zum Tischlern, mindes- tens drei Semester Jura und ein bisschen Betriebswirt- schaft studiert haben muss, um zu wissen, über welchen der vielen Töpfe im Arbeitsförderungsgesetz er bei der Einstellung von Langzeitarbeitslosen finanzielle Hilfe er- halten kann. (Klaus Brandner [SPD]: Und was sollen wir jetzt machen? Klären Sie uns doch einmal auf, Frau Schnieber-Jastram!) Dies muss wirklich dringend vereinfacht werden und die Subventionsmöglichkeiten müssen so durchschaubar und praxisnah gestaltet werden, dass auch der Handwerker dieses Instrument beherrschen kann, sodass sein Frust über seine hohen Beiträge nicht darin mündet, dass er sagt: Warum zahle ich immer für andere, kann das Instru- ment aber nie selbst nutzen? (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dasselbe gilt natürlich für private und öffentliche Ver- mittlertätigkeit. Wir brauchen klare Grundsätze. Ein Ar- beitsloser, der nach zehn Bewerbungsgesprächen keine Stelle bekommen hat, erhält zur Unterstützung eine Assis- tenz an seine Seite, die ihm bei der Arbeitssuche hilft, aber auch seine Arbeitsbereitschaft überprüft. Private Vermitt- ler, die einen Langzeitarbeitslosen in Arbeit bringen, er- halten eine nach der Schwere der Vermittelbarkeit festge- legte Prämie, die diesen Vermittlerfirmen auch eine Kalkulationssicherheit gibt. Nötig sind verlässliche und einfache Grundlagen des Arbeitsförderungsrechts für Er- werbslose, Arbeitgeber und Vermittler. Als letztes Stichwort möchte ich die Subsidiarität an- sprechen. Probleme am Arbeitsmarkt können am besten vor Ort gelöst werden. Hier können die lokalen Gege- benheiten berücksichtigt werden. Hier kann auch der zielgenaue Einsatz der Hilfsangebote im Vordergrund stehen. So fordern wir beispielsweise einen größeren finanzi- ellen Spielraum für die Arbeitsämter. Wir fordern eine verbesserte Zusammenarbeit – hier müssen Sie wirklich in die Puschen kommen und etwas vorlegen, das über das hinausgeht, was Sie jetzt vorhaben – von Sozial- und Ar- beitsämtern und darüber hinaus, dass den Beschäftigten in den Arbeitsämtern durch eine umfassende Reform des SGB III die Möglichkeit geschaffen wird, den Erwerbslo- sen flexibel und zielorientiert zu helfen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Effizienz, Transparenz und Subsidiarität, das sind die Grundsätze, nach denen das Arbeitsförderungsrecht re- formiert werden muss. Wir sehen diese Grundsätze – das werden Sie am Montag in der Anhörung sicher auch aus dem Munde vieler Experten hören – nur sehr ungenügend umgesetzt. Deshalb fordern wir diese Bundesregierung auf, unsere Vorschläge aus dem vorgelegten Antrag zu übernehmen. Sie sollten dies schnell tun, bevor der Bun- deskanzler sein Versprechen, die Arbeitslosenzahl auf 3,5 Millionen zu senken, durch das Versprechen ersetzen muss, sie bei 4 Millionen zu halten. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Anke Fuchs: Das Wort hat der Kol- lege Klaus Brandner für die SPD-Fraktion. Klaus Brandner (SPD): Sehr geehrte Frau Präsiden- tin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei dem Beitrag, den Frau Schnieber-Jastram gerade geleistet hat, (Dirk Niebel [FDP]: Das war eine gute Rede!) fiel mir ein, dass der CDU eigentlich die Luft ausgehen muss. Denn was sie in der letzten Zeit Woche für Woche an arbeitsmarktpolitischen Debatten hier vorgetragen hat, zeugt gerade nicht von Sachverstand und von konkreten Vorschlägen, die den Arbeitslosen helfen könnten, wieder neue Beschäftigung zu finden. (Beifall bei der SPD und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) Bei uns steht die Sicherheit in der jetzigen Situation ganz obenan. Ich meine damit auch die Sicherheit der Arbeitsplätze. Der Opposition aber – das will ich so deut- lich sagen – fällt nichts anderes ein als eine Mischung aus Miesmachen und unausgegorenen Vorschlägen, die in der Summe gar nicht zu verkraften sind. (Heinz Schemken [CDU/CSU]: So kann man mit uns nicht umgehen! – Dirk Niebel [FDP]: Na, na, na!) Zur Panik besteht trotz der gebremsten Dynamik über- haupt kein Anlass. Wir wollen den Menschen Sicherheit geben. Rufen wir uns in Erinnerung: gut eine Million Arbeits- plätze mehr als 1998, obwohl gleichzeitig die Zahl der ABM-Stellen um 150 000 zurückgegangen ist, und gut 220 000 weniger Arbeitslose als im September 1998. Das sind eindrucksvolle, nachweisbare Zahlen. So etwas wie die kohlschen Wahlkampf-ABM haben wir in dem Zu- sammenhang nicht nötig. Über die Zahlen von 220 000 Ar- beitslosen und 150 000 ABM-Stellen weniger – das macht zusammen 370 000 Beschäftigte mehr – sollten wir uns freuen. Sie sollten nicht ins Miesmachen verfallen. Das Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Birgit Schnieber-Jastram 18729 (C) (D) (A) (B) hilft den Arbeitslosen nicht weiter. Das ist keine gute Stimmung, die Sie im Lande verbreiten. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Kommen wir zu den Fakten zurück! Das Statistische Bundesamt hat die Erwerbstätigenzahlen revidiert und geringfügige Beschäftigungen, von denen Sie so regel- mäßig gesprochen haben, auch für die vergangenen Jahre eingerechnet. Der Zuwachs an Arbeitsplätzen ist also sta- tistisch abgesichert. Wir können trotz des marginalen Rückgangs im letzten Monat auf eine Million zusätzliche Arbeitsplätze stolz sein. Das lassen wir uns von Ihnen, meine Damen und Herren von der CDU/CSU und von der FDP, nicht nehmen. Reichlich unverfroren ist auch die Behauptung, dass die Verbesserung auf dem Arbeitsmarkt allein demogra- phisch bedingt sei. Wenn wesentlich mehr Arbeitsplätze entstehen, also Arbeitslosigkeit abgebaut wird, ist nach- weislich der Druck auf den Arbeitsmarkt nicht schwächer, sondern stärker geworden. Das Erwerbspersonenpoten- zial steigt nämlich trotz einer Entlastung bei den älteren Jahrgängen. Hierbei spielen mehrere Faktoren eine Rolle: Die Jahrgangsstärke der Jugendlichen im Osten nimmt noch bis 2004 zu und Jugendliche aus der stillen Reserve treten verstärkt in den Arbeitsmarkt ein. Beides zusam- men hat dazu geführt, dass die Jugendarbeitslosigkeit – wenn auch noch nicht im gewünschten Umfang – abge- baut werden konnte. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Gerade das insgesamt sehr erfolgreiche JUMP-Pro- gramm ist auch ein Beispiel dafür, dass es gelingen kann, Jugendliche zu motivieren, die nicht als Arbeitslose re- gistriert waren. In der Statistik wirkt sich das zwar nicht aus. Wir stehen aber – das will ich deutlich sagen – voll zu dieser Politik; denn wir machen Politik für die Men- schen und nicht für die Statistik. Das haben Sie seit 1998 vergessen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Die steigende Frauenerwerbstätigkeit ist sehr zu be- grüßen, und zwar gerade auch vor dem Hintergrund, dass in einigen Regionen und in bestimmten Berufen bereits Engpässe an Fachkräften bestehen. Es gibt am Arbeits- markt immerhin eine leichte Zuwanderung aus dem Aus- land. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung geht von etwa hunderttausend Personen aus, die zusätz- lich Jahr für Jahr auf dem Arbeitsmarkt Erwerbstätigkeit nachfragen. Selbst bei der Erwerbstätigkeit Älterer zeich- net sich ganz vorsichtig wieder eine Steigerung ab. Insgesamt geht das Institut für Arbeitsmarkt- und Be- rufsforschung bei der Berücksichtigung der von ihm un- tersuchten Effekte also davon aus, dass das Angebot an Arbeitskräften selbst in diesem Jahr noch leicht, um etwa 50 000, zunimmt. In den vergangenen zwei Jahren waren es jeweils 200 000. Erst ab dem Jahre 2010 ist eine Ent- spannung auf dem Arbeitsmarkt zu erwarten. Das belegt meiner Meinung nach, dass wir eine erfolg- reiche Arbeit betrieben haben, um zusätzliche Erwerbsper- sonen in Arbeit zu bringen. Die beschäftigungspolitischen Erfolge lassen wir uns von Ihnen nicht kleinreden. Sie haben bisher nicht belegt, dass Sie mit Ihren dauernden Mitteilungen, der Beschäftigungszuwachs sei rein demo- graphisch bedingt, faktisch Recht haben. Sie haben Luft- nummern verbreitet. Die Zahlen habe ich Ihnen gerade vorgetragen. Das ist der Beweis dafür, dass unsere Politik erfolgreich gewesen ist. (Beifall bei der SPD) Die Konjunktur ist momentan der bestimmende Fak- tor auf dem Arbeitsmarkt. Gerade deshalb muss man et- was genauer hinsehen, um die strukturellen Verbesserun- gen zu erkennen. Hier ist eine positive Wirkung unserer Politik offensichtlich. Die Zahl der Langzeitarbeitslosen – auch das müssen Sie sich merken – ist innerhalb von drei Jahren überaus deutlich, um exakt 202 000 oder um 14 Prozent, zurückgegangen. Ist das denn nichts? Darüber sollten wir uns gemeinsam freuen, weil dadurch mehr Menschen eine positive Zukunft haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Die sind in Altersteilzeit gegangen!) Noch deutlicher, nämlich um 256 000 oder um 28 Pro- zent, fällt der Abbau der Arbeitslosigkeit bei älteren Men- schen ab 55 Jahren aus. Zugegebenermaßen spielt hier die Veränderung im Altersaufbau eine Rolle. (Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Alters- teilzeit!) – Da Herr Meckelburg nun schon zum zweiten Mal das Stichwort „Altersteilzeit“ einwirft, wird er sich daran er- innern, was gerade gestern der Präsident der Bundesan- stalt für Arbeit gesagt hat: Dieser nämlich hat deutlich gemacht, wie das Bündnis für Arbeit die Altersteilzeit or- ganisiert: Es hat den Tarifvertragsparteien eine Vorlage geliefert und ein positives Ausgleiten aus dem Arbeitsle- ben ermöglicht. (Dirk Niebel [FDP]: Es ist gleichzeitig die Frage, ob wir uns das erlauben können!) Sie reden das Bündnis für Arbeit jeden Tag klein, obwohl es positive Belege dafür gibt, wie wichtig die arbeits- marktpolitischen Impulse sind, die genau aus dieser Insti- tution gekommen sind. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang sagen: Es geht auch darum, dass wir einen deutlichen Rückgang der Arbeitslosigkeit bei Schwerbehinderten zu verzeichnen ha- ben. 23 600 Arbeitslose weniger bedeuten einen Rückgang von 12,5 Prozent. Dieser Trend hat bei allen drei Gruppen auch im letzten Monat angehalten. Wir widmen uns also der strukturellen Arbeitslosigkeit, die sich in Ihrer Regierungs- zeit verfestigt hat. Das sind Erfolge, auf die wir stolz sind. Diese lassen wir uns von Ihnen nicht schlecht reden. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Klaus Brandner 18730 (C) (D) (A) (B) Das Job-Aqtiv-Gesetz ist in dieser Situation selbst- verständlich die richtige Antwort. Öffentliche Beschäfti- gung bleibt erhalten, aber eindeutig nachrangig. Als neues Angebot kommt die Beschäftigung schaffende Infrastruk- tur hinzu. Sie bietet vor allem Kommunen in den neuen Ländern und strukturschwachen Gebieten die Mög- lichkeit, Aufträge zu vergeben, indem sie Investi- tionsförderung und Arbeitsmarktmittel verbindet. Ohne das neue Förderinstrument käme eine Auftragsvergabe schlicht nicht zustande. Darüber hinaus gibt es Verfahren mit klaren Vorgaben, die eine Verdrängung regulärer Arbeitsplätze verhindern. Kern des Gesetzes ist ansonsten, eine am Kunden ori- entierte Arbeitsvermittlung durchzuführen. Die Arbeits- vermittler sollen sich um jeden einzelnen Arbeitslosen in- dividuell kümmern und eine Chancenprognose erstellen, ein so genanntes Profiling. Danach wird in einer Einglie- derungsvereinbarung festgelegt, welche Maßnahmen er- forderlich sind. In den meisten Fällen wird eine passge- naue Vermittlung ausreichen. (Konrad Gilges [SPD]: Hört genau zu!) Möglich sind aber auch Vermittlungshilfen von kurz- fristigen Trainingsmaßnahmen bis zu Eingliederungszu- schüssen. In schwierigen Fällen kommen Weiterbildungs- maßnahmen in Betracht. Ganz zuletzt steht die Teilnahme an Beschäftigungsfördermaßnahmen. Die Koalition setzt damit einen wesentlichen Vorschlag aus dem Bündnis für Arbeit um. Auch hier ist der Impuls in dieser funktionie- renden Einrichtung zu suchen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Die Union und erst recht die FDP wollen hingegen die Leistungen für Arbeitslose kürzen und Arbeitnehmer- rechte abbauen. (Dirk Niebel [FDP]: Das ist Quatsch!) Der Vorschlag, Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zusam- menzulegen, klingt zwar vordergründig plausibel. Tatsächlich aber läuft er auf eine Abschaffung der Ar- beitslosenhilfe hinaus. (Dirk Niebel [FDP]: Herr Riester will es doch auch, aber erst ab 2006!) Wir wollen das nicht. Wir wollen allerdings unnötige Bürokratie abbauen und die Hilfsangebote so zusammen- führen, dass die Betroffenen etwas davon haben. Sicherheit ist für uns unteilbar. Äußere, innere und so- ziale Sicherheit gehören zusammen. Wir werden zu sol- chen Vorschlägen der Opposition daher nicht die Hand rei- chen. Einsparungen können wir auch auf andere Art und Weise erreichen, durch schnelle Vermittlung und dadurch, dass Langzeitarbeitslosigkeit erst gar nicht entsteht. Vizepräsidentin Anke Fuchs: Herr Kollege, denken Sie bitte an Ihre Redezeit. Klaus Brandner (SPD): Ich komme zum Schluss. (Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Das ist das Beste!) Die Koalition hat ein klares Konzept. Die Kernelemente dieses Konzepts sind Stabilisierung der Sozialversiche- rungssysteme auf der Leistungsseite, Beitragsgerechtigkeit und das systematisch wichtige Zusammenführen von Zu- schüssen aus öffentlichen Haushalten. Ich bin davon überzeugt: Spätestens im nächsten Jahr werden wir bei der Arbeitsmarktentwicklung wieder ein gutes Stück vorankommen. Sie werden uns daran erinnern können, dass dank unserer soliden Politik die Arbeitslo- sigkeit kontinuierlich abgebaut wird. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Anke Fuchs: Ich erteile dem Kolle- gen Dirk Niebel für die FDP-Fraktion das Wort. Dirk Niebel (FDP): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach der staatstragenden Rede des Kollegen Brandner muss man sich darüber wundern, dass die Arbeitslosenzahlen tatsächlich stei- gen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Neben der äußeren und inneren Sicherheit, Herr Kol- lege Brandner, ist die Bekämpfung bzw. der Abbau der Arbeitslosigkeit das wichtigste innenpolitische Problem. Bei der Lösung dieses Problems hat Rot-Grün eindeutig versagt. Das bekommen Sie jeden Monat von Herrn Jagoda aus Nürnberg erneut gesagt. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Am 9. Juli 1998 hat der Bundeskanzler gesagt: Der Aufschwung, den wir jetzt haben, ist mein Auf- schwung. Der Abschwung, den Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von Rot-Grün jetzt haben, ist auch Ihr Ab- schwung. (Klaus Brandner [SPD]: Gehen Sie doch auf die Datenlage ein!) Der Kanzler hat versprochen, die Arbeitslosenzahlen auf unter 3,5 Millionen zu senken – ich beziehe mich gar nicht auf den Versprecher vom März, als er von unter 3 Millionen gesprochen hat –, aber diese Zahl wird er nicht nur dieses Jahr, sondern leider auch nächstes Jahr nicht erreichen. Das ist eine Katastrophe für die Betroffe- nen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir haben im Augenblick 3,743 Millionen Arbeitslo- se – Tendenz steigend! Seit neun Monaten steigt die Ar- beitslosigkeit saisonbedingt. Erst vorgestern haben wir wieder Zahlen aus Nürnberg bekommen: reale Steige- rung um 48 000 Arbeitslose gegenüber dem Vorjahres- monat. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Klaus Brandner 18731 (C) (D) (A) (B) Vor diesem Hintergrund erklärte Werner Schulz, grü- ner Bundestagsabgeordneter aus dem Osten Deutsch- lands, gestern in der Aktuellen Stunde: Die Situation am Arbeitsmarkt ist nicht besorgniserregend. (Klaus Brandner [SPD]: Sie reden an der Wirklichkeit vorbei!) Fragen Sie einmal die 3,7 Millionen arbeitslosen Frauen und Männer in diesem Land, ob die Situation besorg- niserregend ist, und erklären Sie ihnen, weshalb das so ist. Der Bundeskanzler zieht sich darauf zurück, die Ar- beitgeber, die Wirtschaft und die konjunkturelle Ent- wicklung seien für diese Situation verantwortlich. Das ist aber nicht wahr. Anhand der Entwicklung der Arbeits- marktdaten können Sie feststellen, dass allein Ihre sture Gesetzgebung maßgeblich für die Entwicklung am Ar- beitsmarkt verantwortlich ist. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Klaus Brandner [SPD]: Eine Million mehr Erwerbstätige!) Es ging damit los, dass Sie die guten Korrekturen der alten Regierung zurückgenommen haben. (Klaus Brandner [SPD]: Ein Glück, dass wir das getan haben!) Ich möchte auf das Kündigungsschutzgesetz verweisen. Allein der Umstand, dass der Schwellenwert in diesem Zusammenhang von zehn auf fünf Beschäftigte gesenkt wurde, hat dazu geführt, dass der sechste, siebte, achte und neunte Arbeitnehmer in kleinen oder mittleren Be- trieben nicht mehr eingestellt wird. Diese Maßnahme hat Arbeitsplätze gekostet. Die Regelung wäre ein Konjunk- turprogramm gewesen, das keinen einzigen Pfennig an Steuergeldern gebraucht hätte, aber Sie haben es kaputt- gemacht. Am 21. September 1998 – also vor fast exakt drei Jah- ren – hat der Bundeskanzler in einem Interview des „Spie- gel“ gesagt: Wenn wir es nicht schaffen, die Arbeitslosenquote signifikant zu senken, dann haben wir es weder ver- dient, wiedergewählt zu werden, noch werden wir wiedergewählt. Dazu kann ich nur sagen, lieber Herr Bundeskanzler: Versprochen ist versprochen! Bei diesen Arbeitsmarktda- ten dürften SPD und Bündnis 90/Die Grünen überhaupt nicht mehr zur Bundestagswahl antreten. (Andrea Nahles [SPD]: Machen Sie sich keine Hoffnungen!) Sie haben Ihr eigenes Ziel verfehlt. Sie wollten sich am Abbau der Arbeitslosigkeit messen lassen und müssen sich nun immer wieder sagen lassen, dass Sie den Abbau nicht geschafft haben. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Freie Demokratische Partei hat durch ihre Bundes- tagsfraktion immer wieder gute Vorschläge zur Verbesse- rung der Arbeitsmarktsituation – vorgelegt: zur Integration älterer Menschen, von Langzeitarbeitslosen, Sozialhilfe- empfängern und Jugendlichen auf dem Arbeitsmarkt. Was sind Ihre Konzepte? (Klaus Brandner [SPD]: Sagen Sie mal etwas zu den Fakten! Keine Sprechblasen!) Ihr Bundesverteidigungsminister in seiner Funktion als Vorsitzender Ihrer Grundsatzkommission möchte den Ju- gendlichen, ohne dass er Arbeits- oder Ausbildungsplätze zur Verfügung stellt, erst einmal die Leistungen kürzen, während er selbst für 400 000 DM für eine Nacht nach Mallorca fliegt. 100 000 Arbeitslose mehr kosten 3 Milliarden DM mehr und sorgen für Mindereinnahmen in Höhe von 300 Millionen DM. Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat in der gestrigen Ausschusssitzung ei- nen Haushalt vorgelegt, der auf den überholten Daten vom Mai dieses Jahres basiert und mit dem angeblich die Arbeitsmarktpolitik zukunftsweisend gestaltet werden soll. Das alles ist schon heute Makulatur. Das konnten Sie spätestens daran erkennen, dass der Präsident der Bun- desanstalt für Arbeit ebenfalls in der gestrigen Sitzung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung erklärt hat, er könne keinen Haushaltsansatz vorlegen, weil jeder Haus- haltsansatz, den er jetzt ohne Kenntnis der Daten von Ende Oktober vorlegen würde, ebenfalls Makulatur und somit unredlich wäre. Mit einem solchen Haushalt könne man keine Politik machen. Ich frage: Weshalb hat nicht auch der Bundesarbeitsminister diese Konsequenz gezo- gen? Weshalb zieht er sein Altpapier nicht zurück? Wes- halb stellt er nicht auf ehrliche Art und Weise einen Haus- halt auf, der transparent ist, und legt dem Deutschen Bundestag ein Konzept vor, aus dem ersichtlich wird, wie die Arbeitsmarktpolitik tatsächlich finanziert werden kann? (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat mit ihrem An- trag, über den wir heute debattieren, eine gute Ergänzung zu unseren bisherigen Anträgen vorgelegt, die wir nur un- terstützen können. (Lachen des Abg. Konrad Gilges [SPD]) Es ist angesichts von über 44 Milliarden DM für die ak- tive Arbeitsmarktpolitik dringend notwendig, einmal zu evaluieren, was das Ganze bringt. Es bringt überhaupt nichts, wenn wir einen Wettbewerb um unterschiedliche Subventionen in Gang setzen; denn ein solcher Wettlauf würde nur dazu führen, dass gut gemeinte Maßnahmen wie beispielsweise die Modellprojekte, die im Niedrig- lohnsektor gerade erprobt werden, gar nicht erst in An- spruch genommen werden, weil es andere Subven- tionstatbestände gibt, die einfach günstiger sind. (Zuruf von der SPD) – Herr Gilges, Sie können noch so sehr schreien. (Konrad Gilges [SPD]: Ich habe gar nichts ge- sagt! Das war der Herr Dreßen!) – Dann hat Herr Dreßen geschrien. Ihre beiden Stimmen klingen sehr ähnlich. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Dirk Niebel 18732 (C) (D) (A) (B) Es gibt einen Subventionsmarathon im Bereich der steuerfinanzierten Sozialleistungen. Es gibt 153 verschie- dene Arten solcher Leistungen, die von 47 verschiedenen Behörden in Deutschland bewilligt werden. Das Gleiche ist im Bereich der Arbeitsförderung festzustellen. Dieje- nigen, die Hilfe brauchen, blicken nicht mehr durch. Die- jenigen, die durchblicken, brauchen eigentlich keine Hilfe mehr. Hier werden Steuern und Beiträge verschwendet. Sie werden nicht darum herumkommen: Sie müssen Ihren Versprechungen und nicht Ihren Versprechern Taten folgen lassen. Sie müssen akzeptieren, dass Ihre Arbeits- marktpolitik gescheitert ist. Sie müssen eine generelle Kehrtwende einleiten. Dazu haben Sie jetzt eine Chance; denn die Union hat ein Angebot gemacht, das unseres gut ergänzt. Nutzen Sie es, damit wir gemeinsam etwas zum Abbau der Arbeitslosigkeit beitragen können. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Anke Fuchs: Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Thea Dückert für Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sicherlich ist es so, dass die aktuelle Entwicklung auf dem Arbeits- markt in der Bundesrepublik Deutschland – das gab es auch schon in der Vergangenheit – eine ernsthafte Dis- kussion über die Beschäftigungssituation notwendig macht. Das liegt daran, dass der Arbeitsmarkt ungeheuer viele Gesichter hat. Natürlich sind wir stolz darauf, dass wir es in den letzten Jahren durch unsere Steuer- und Ab- gabenpolitik erreicht haben, dass die Arbeitslosigkeit 39 Monate in Folge Stück für Stück gesenkt worden ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Immerhin sind jetzt 500 000 Menschen weniger arbeitslos und gibt es jetzt 1 Million Arbeitsplätze mehr als 1998, als wir die Regierung übernommen haben. Übrigens, Herr Niebel – Sie sind ja noch anwesend –, ich möchte Sie da- rauf hinweisen, dass die neuen Arbeitsplätze hauptsäch- lich in kleinen und mittleren Betrieben entstanden. Es ist also nicht so, wie Sie gerade suggeriert haben, nämlich dass sich dort nichts getan hätte. Das ist eines der vielen Gesichter des Arbeitsmarktes. Der Arbeitsmarkt hat aber auch ein anderes Gesicht. Das ist besonders in den letzten zwei Monaten deutlich geworden, weil die positive Entwicklung auf dem Ar- beitsmarkt stagniert hat. Die Arbeitslosigkeit – man darf nicht vergessen, dass die Arbeitslosigkeit bereits auf ei- nem enorm hohen Niveau war, als wir die Regierung übernommen haben – ist noch immer zu hoch. Es gibt zu viele Langzeitarbeitslose. Die Arbeitslosigkeit ist vor al- lem in den ostdeutschen Bundesländern viel zu hoch. Das ist eben das andere Gesicht des Arbeitsmarktes. Deswe- gen sage ich: Wir wollen ernsthaft diskutieren. Wir haben auch ernst zu nehmende Vorschläge gemacht. Wir haben gerade in der letzten Woche das Job-Aqtiv-Gesetz vor- gelegt, weil es nach der Untätigkeit der vergangenen Jahre höchste Zeit wird, dass eine Reform in der Arbeitsmarkt- politik ernsthaft angegangen wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Es lohnt sich in diesen Tagen natürlich darüber zu strei- ten, ob es noch weitere Brücken in den Arbeitsmarkt für Personen geben soll, die es besonders schwer haben, in diesen hineinzukommen. Das tun wir auch. Was uns die CDU/CSU heute mit ihrem Antrag gelie- fert hat, sind wirklich alte Kamellen. Es ist schade, dass Sie so in diese Debatte einsteigen. Ich habe mir heute Morgen gedacht, Sie hätten vielleicht das Datum ver- wechselt. Heute ist nicht der 11. November, sondern der 11. Oktober. Heute ist nicht Karnevalsbeginn, bei dem man sich jeden Unsinn leisten kann. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Andrea Nahles [SPD]: Am 11. November können wir einmal eine Sonder- sitzung machen!) Weil ich befürchte, dass gerade Sie von der CDU/CSU Ihren eigenen Antrag nicht kennen, möchte ich Ihnen einmal zu Gemüte führen, was darin steht. Darin steht zum Beispiel in der Überschrift: „Arbeit vermitteln statt Arbeitslosigkeit verwalten“. Meine Da- men und Herren von der CDU/CSU, was machen wir denn mit dem Job-Aqtiv-Gesetz? Da haben wir doch ge- rade angesetzt. Wir haben den Ansatz von Arbeitsmarkt- politik umgedreht, sodass die Vermittlung von Arbeits- losen sofort beginnt, dass Langzeitarbeitslosigkeit dadurch effektiv abgebaut wird, dass die Menschen gar nicht erst langzeitarbeitslos werden müssen, um in die Maßnahmen zu kommen. (Dirk Niebel [FDP]: Das haben wir die ganze Zeit schon beantragt! Wenn Sie unseren Anträ- gen zugestimmt hätten, dann hätten wir das schon! Warum haben Sie es abgelehnt, als wir es beantragt haben?) Was soll also diese Forderung? Sie rennen der Realität hinterher. Sie fordern des Weiteren mehr Effizienzkontrolle. Das ist im Job-Aqtiv-Gesetz längst angelegt. Lassen Sie uns darüber diskutieren! Ich sage Ihnen noch eines: Das Effektivste am Arbeits- markt ist – das war aber auch schon zu Ihrer Regierungs- zeit klar – die sofortige Vermittlung. (Dirk Niebel [FDP]: Natürlich!) Das hätten auch Sie schon wissen können. Das sagt Ihnen jeder Wissenschaftler, auch ohne Effizienzkontrolle. Vizepräsidentin Anke Fuchs: Frau Kollegin, gestat- ten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Grehn? Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja, sofort. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Dirk Niebel 18733 (C) (D) (A) (B) Das Zweitwichtigste ist die Qualifizierung. Auch da- rauf hätten Sie mehr Gewicht legen sollen. Ich gestatte jetzt gern eine Zwischenfrage. Vizepräsidentin Anke Fuchs: Bitte sehr, Herr Kol- lege. Dr. Klaus Grehn (PDS): Frau Kollegin Dückert, kön- nen Sie mir bitte sagen, was das Job-Aqtiv-Gesetz jenen Millionen Arbeitslosen bringt, die sowohl arbeitsbereit als auch hinreichend qualifiziert sind, die also sofort in den ersten Arbeitsmarkt einsteigen könnten? Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Lieber Kollege Grehn, vielen, die hier zuhören, ist viel- leicht nicht klar, dass Sie auf die ostdeutschen Bundes- länder abzielen, in denen die Arbeitsmarktsituation so ist, dass qualifizierte Arbeitskräfte nicht in den Arbeitsmarkt hineinkönnen, weil die Arbeitsplätze fehlen. Auch damit, Herr Kollege Grehn, haben wir uns im Job-Aqtiv-Gesetz auseinander gesetzt. Das ist der Grund dafür, dass über die Dezentralisierung der arbeitsmarktpolitischen Instru- mente den regionalen Arbeitsmarktakteuren die Möglich- keit gegeben wird, die Instrumente zu nutzen, die Quali- fikation und Integration in der Region am erfolgreichsten fördern. Obwohl ABM, wie wir wissen, in vielen Regio- nen nicht die höchste Effizienz haben, sind ABM in bestimmten Regionen, in denen nämlich der erste Ar- beitsmarkt große Lücken aufweist, gerade auch in den ost- deutschen Regionen, unbedingt notwendig. Deswegen haben wir dafür gesorgt, dass dieses Instrument dort wei- terhin angewandt werden kann. Das ist die Antwort im Job-Aqtiv-Gesetz. Sie wird nicht reichen, um die konjunkturell bedingte Situation in den ostdeutschen Ländern abzufedern. Wir halten weiter- hin Hilfsmöglichkeiten, gerade auch regional angepasst, bereit, die die Arbeitsämter nutzen können und nutzen müssen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Konrad Gilges [SPD]: Jetzt müssen Sie ihm noch sagen, er solle das Gesetz lesen!) – Das können Sie ihm nachher sagen. Ich möchte der CDU/CSU gern noch etwas zu ihrem Antrag sagen. In dem Antrag wird beispielsweise gefordert, dass auch Dritte vermitteln sollen. Das ist im Job-Aqtiv-Gesetz ent- halten. In dem Antrag wird gefordert, dass Ältere stärker qualifiziert werden sollen. Das haben wir bereits umge- setzt. Das ist im Job-Aqtiv-Gesetz enthalten. Sie fordern Jobrotation. Auch das ist bereits im Job-Aqtiv-Gesetz ent- halten. (Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Das haben Sie vor einem halben Jahr noch abgelehnt!) Sie fordern Erleichterungen bei der Arbeitnehmerüberlas- sung. Das ist im Job-Aqtiv-Gesetz enthalten. (Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Jetzt sa- gen Sie bitte, wer wann was vorgelegt hat!) Die Liste könnte ich fortsetzen. (Dirk Niebel [FDP]: Wenn das enthalten ist, dann können Sie doch zustimmen, dann macht das doch nichts kaputt!) Was Sie uns vorgelegt haben, hinterlässt bei mir wirk- lich eine gewisse Ratlosigkeit. Es hinterlässt mich auch ratlos, weil Sie in Ihrem Antrag zum Beispiel behaupten, dass die Eingliederungsvereinbarungen, die wir vorsehen, von Ihnen zwar begrüßt werden, in der Realität – das hät- ten Experten der Bundesanstalt für Arbeit behauptet – aber nicht praktikabel sind. Sind Sie eigentlich lernun- fähig? Können Sie nicht zuhören? (Renate Rennebach [SPD]: Ja!) Der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit hat uns gestern noch einmal bestätigt, dass sich die Bundesanstalt und die Arbeitsämter längst darauf vorbereiten, die Eingliede- rungspläne ab dem 1. Januar erfolgreich umzusetzen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Was sie uns hier geboten haben, ist eigentlich etwas traurig. Ich habe mich gefragt, ob es vielleicht hilft, etwas genauer hinzusehen, was dieser Antrag sonst noch enthält. Vielleicht möchten Sie noch etwas anderes zum Ausdruck bringen und dieser Antrag soll sozusagen als Trojanisches Pferd eine andere Botschaft transportieren. Ich möchte ein paar Punkte nennen, durch die ganz deutlich wird, worin der diametrale Unterschied zwischen Ihren und unseren arbeitsmarktpolitischen Ansätzen besteht. Sie fordern, die Meldepflicht wieder einzuführen. (Dirk Niebel [FDP]: Sehr vernünftig!) Was soll eigentlich dieser bürokratische Schnickschnack, der noch keinem Arbeitslosen zu Arbeit verholfen, son- dern die Arbeitsämter beschäftigt hat. Wir schaffen Ein- gliederungspläne. (Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Das ist dasselbe! Der muss sich melden, damit er ein- gegliedert werden kann!) Wir wollen nicht mehr Bürokratie, sondern die Integration von Arbeitslosen. Was Sie vorschlagen, das ist Schikane statt Hilfe. Sie wollen ABM und SAM aus dem Haushalt der Bun- desanstalt für Arbeit ausgliedern. Es handelt sich um ei- nen Betrag in Höhe von 11 Milliarden DM. Dieser Vor- schlag ist Teil eines größeren Pakets: 11 Milliarden DM an dieser Stelle, 80 Milliarden DM für die vorgezogene Steuerreform, 60 Milliarden DM für Ihr Kindergeld, das macht insgesamt ungefähr 150 Milliarden DM. Wo steht Ihr Goldesel? Ich glaube, Ihr Goldesel sind die Steuer- zahler. Es ist unredlich von Ihnen, hier zu suggerieren, über Steuererhöhungen gleichzeitig die Lohnnebenkosten absenken zu können. Sie wissen ganz genau – das finde ich viel gravieren- der –, dass die ABM in den neuen Bundesländern für ar- beitslos gemeldete Personen, die versichert sind, nicht mehr möglich wären, wenn wir Ihren Vorschlag in die Realität umsetzten. Darauf bin ich eben in meiner Antwort Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Dr. Thea Dückert 18734 (C) (D) (A) (B) auf die Frage von Herrn Grehn eingegangen. Dadurch würde gerade in denjenigen Regionen, wo ABM bitter nötig sind, ein Kahlschlag betrieben. So sieht eine der Fa- cetten der von Ihnen vorgeschlagenen Arbeitsmarktpoli- tik aus. Außerdem schlagen Sie in Ihrem Antrag vor – ich finde das ausgesprochen interessant, weil es zeigt, welche De- batten uns in der Zukunft hier erwarten –, für Arbeitslo- senhilfeempfänger analog dem Bundessozialhilfegesetz gemeinnützige Arbeiten einzuführen. Ich frage Sie im Ernst: Was hat das mit dem Vorhaben zu tun, jemanden in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren? (Dirk Niebel [FDP]: Anreize erhöhen!) Laubharken ist keine Integration. Gerade anders herum – das ist der Ansatz unseres Job-Aqtiv-Gesetzes – muss ein Schuh daraus werden: Es geht darum, dass langzeitar- beitslose Menschen Mittel an die Hand bekommen, die ihnen den Zugang zum ersten Arbeitsmarkt ermöglichen und nicht das Gegenteil bewirken. Deswegen sorgt eine Klausel des Job-Aqtiv-Gesetzes dafür, dass sich der Pro- zentsatz von Menschen ohne Lohnersatzanspruch, die in den Genuss von aktiver Arbeitsmarktpolitik, Qualifizie- rung, Lohnnebenkostenzuschüssen und vor allen Dingen ABM kommen, auf 10 Prozent erhöht. Ihre Logik und un- sere Logik sind ganz unterschiedlich: Während Sie aus- grenzen wollen, wollen wir integrieren. Deswegen sehen unsere Instrumente anders aus. (Dirk Niebel [FDP]: Allein die Doppelverwal- tung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe kos- tet 7 Milliarden DM!) Ich möchte zwei weitere Beispiele anführen, durch die deutlich wird, dass sie den Gedanken der Arbeitsmarkt- politik, nämlich die Integration in den ersten Arbeits- markt, nicht verstanden haben. Sie haben sowohl in der gestrigen Debatte als auch im Ausschuss vorgeschlagen, die Möglichkeit des Zuverdienstes von Sozialhilfeemp- fängern zu verbessern. Das finde ich vernünftig. Wenn das, was Sie vorschlagen, zeitlich begrenzt geschieht, dann kann das für den Weg in den Arbeitsmarkt eine gute Hilfe sein. Allerdings kombinieren Sie Ihre Idee – Sie ha- ben sie groß gefeiert – mit dem Vorschlag des Herrn Koch, in Deutschland das Wisconsin-Modell einzuführen. (Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Falsch!) Das Einzige am Wisconsin-Modell, was es in der Bun- desrepublik Deutschland nicht gibt, ist der in hohem Maße unsoziale Aspekt, den Anspruch auf Sozialhilfe zeitlich zu begrenzen. Durch die Umsetzung des Vor- schlags, Menschen nach einer gewissen Zeit die Sozial- hilfe zu streichen, würde diese Hilfe zur Integration letz- ten Endes mit dem Damoklesschwert verbunden. Vizepräsidentin Anke Fuchs: Frau Kollegin, es gibt den Wunsch nach einer Zwischenfrage. Gestatten Sie die? Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja. Vizepräsidentin Anke Fuchs: Bitte sehr. Wolfgang Meckelburg (CDU/CSU): Ich frage Sie, Frau Kollegin, ob Sie bereit sind, zur Kenntnis zu neh- men, dass der Kollege Koch zwar über das Wisconsin- Modell geredet hat, (Zuruf von der SPD: Es aber nicht verstanden hat!) es aber in der Bundestagsfraktion der CDU/CSU ein sehr ausgewogenes Konzept der Zusammenführung von Ar- beitslosen- und Sozialhilfe mit dem Ziel gibt, gerade die- jenigen, die es auf dem Arbeitsmarkt schwer haben, wie- der in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Dabei sollen bestimmte Möglichkeiten zugelassen werden, die Sie nicht bereit sind zuzulassen. Das ist der Unterschied. Re- den Sie bitte nicht über Dinge, die in der Fraktion nicht beschlossen wurden! (Dirk Niebel [FDP]: Es steht nichts über eine Befristung drin!) Damit das klar ist, sage ich: Das Wisconsin-Modell hat negative Begleitumstände, die wir nicht wollen. Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Lieber Herr Kollege Meckelburg, ich nehme mit Freude zur Kenntnis, dass Sie sich offenbar von den Äußerungen aus dem Vorstand Ihrer Partei und Ihrer Fraktion, die den Vorschlag des Herrn Koch sehr begrüßt haben, (Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Nein!) und offenbar auch von dem Vorschlag Ihres Fraktions- vorsitzenden Merz aus dem Frühjahr dieses Jahres – es war sogar im März, wie ich glaube –, die Arbeitslosenhilfe zu reduzieren und stattdessen Essensmarken zu verteilen, jetzt distanzieren. Wenn Sie das heute nicht mehr unter- stützen, (Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Steht da auch nicht drin! Sie müssen das Papier einmal lesen!) ist das gut und ein Anknüpfungspunkt für eine weitere De- batte. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Auch wenn der Kollege Meckelburg es hier so freund- lich vorträgt, habe ich ein gewisses Misstrauen gegenüber den Vorschlägen, die vonseiten der CDU/CSU kommen. Das bezieht sich beispielsweise auch auf die Frage der In- tegration von Teilzeitbeschäftigten durch die Subventio- nierung der Lohnnebenkosten über 630 DM. Neben diesem sinnvollen Ansatz des Mainzer Modells schlagen Sie nämlich gleichzeitig vor, dass die Regelungen bezüg- lich der 630-DM-Jobs gestrichen werden sollen. Durch die Streichung der Regelungen zu den 630-DM-Jobs, die für uns eine soziale Errungenschaft darstellen, haben Sie letzten Endes im Hinterkopf, wieder und neu ein Heer von sozial ungesicherten Arbeitnehmern zu schaffen. Das heißt, Sie kommen mit Zuckerbrot und Peitsche daher. Diese Methode darf nicht zum Bestandteil von Arbeits- markt- und Sozialpolitik werden. Ich denke, dass die Vorschläge, die Sie machen, wenn man sie als Ganzes sieht, sozialpolitisch nicht verant- wortbar und arbeitsmarktpolitisch sowieso von gestern sind. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Dr. Thea Dückert 18735 (C) (D) (A) (B) Schönen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Vizepräsidentin Anke Fuchs: Das Wort hat nun die Kollegin Dr. Heidi Knake-Werner für die PDS-Fraktion. Dr. Heidi Knake-Werner (PDS): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Gründe für diese De- batte zur Arbeitsmarktpolitik gibt es wahrlich mehr als nur diesen CDU/CSU-Antrag. Es lohnt sich eigentlich kaum, sich richtig damit auseinander zu setzen. Ich werde es trotzdem gleich tun. Die Arbeitslosenzahlen vom September signalisieren eine bedrohliche Entwicklung. Ich denke, das macht uns allen hier Sorgen, vor allem auch deshalb, weil dadurch die Menschen deprimiert werden, die seit Jahren arbeits- los sind oder sich vor neuer Arbeitslosigkeit fürchten. Diese Menschen erwarten von uns die Lösung dieses Pro- blems und wollen auch ganz persönlich Hilfe in ihrer Si- tuation. Da sind neue Ideen gefragt. Da haben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, leider gar nichts zu bieten. (Beifall bei der PDS – Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Warten Sie einmal ab!) Ihr Antrag atmet den Geist von vorgestern. (Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Sie können ja wieder eine Mauer bauen!) Sie scheinen wirklich – das ist mir gestern schon aufge- fallen – völlig zu vergessen, dass Sie dieser Regierung 4,3 Millionen Arbeitslose hinterlassen haben, trotz reich- lich Wahl-ABM. (Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Die haben Sie uns hinterlassen!) Das ist wahrlich eine schwere Bürde. Nun schreiben Sie einerseits in Ihren Antrag Vor- schläge, die Sie während Ihrer 16-jährigen Regierungszeit längst hätten realisieren können. Ich nenne als Beispiele nur, dass beschäftigte Sozialhilfeberechtigte 50 Prozent ihres Einkommens behalten sollen – das hätten Sie doch umsetzen können – (Beifall bei der PDS) oder dass die Arbeitsmarktpolitik zukünftig aus Steuer- geldern bezahlt werden soll. Danke schön, im Schulden- machen waren Sie ja schon bisher immer sehr gut. (Manfred Grund [CDU/CSU]: Das müsst ihr uns erzählen!) Andererseits bieten Sie Rezepte aus der Mottenkiste an, obwohl Sie selber wissen, dass sie keinen einzigen zu- sätzlichen Arbeitsplatz bringen. Ich nenne in diesem Zu- sammenhang als Stichwort nur die Meldepflicht. Schon die Überschrift Ihres Antrages drückt das ganze Dilemma dieser Situation aus: „Arbeit vermitteln statt Ar- beitslosigkeit verwalten ...“. Nehmen Sie doch einfach einmal zur Kenntnis, dass die 3,7 Millionen Menschen, die im September dieses Jahres arbeitslos waren, nicht deshalb arbeitslos waren, weil die Arbeitsämter ineffi- zient gearbeitet haben, sondern deshalb, weil man nicht vermitteln kann, was es nicht zu vermitteln gibt. (Beifall bei der PDS – Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: So ist das! Wer regiert denn seit drei Jahren? Sie doch auch nicht! Die redet ei- nen Stuss!) Dieser Zustand wird sich in den nächsten Monaten leider noch dramatisch verschlechtern, weil zu der schon heute bestehenden Arbeitslosigkeit wegen Rationalisierung und weiterer tief greifender Schwierigkeiten im Arbeitssystem noch andere konjunkturelle Probleme und Einbrüche hin- zukommen. Die Situation in der Bauwirtschaft steht ebenso dafür wie die zahllosen Ankündigungen weiterer Entlassungswellen. Wie man der „Wirtschafswoche“ ent- nehmen kann, kündigen dies vor allen Dingen große Un- ternehmen an, wie Siemens, Daimler-Chrysler. Diese haben von der Steuerreform der rot-grünen Bundesregie- rung wirklich sehr profitiert. In Berlin kommen heute 33 Arbeitslose auf einen offe- nen Arbeitsplatz. Vor allen Dingen in den anderen ost- deutschen Ländern sieht es nicht wesentlich besser aus. Was wollen Sie unter diesen Bedingungen eigentlich noch vermitteln? Ich denke, es geht Ihnen in der Tat um etwas ganz anderes: Es ist nur ein ganz kleiner Schritt von den angeblichen falschen Vermittlungsstrategien hin zur Fau- lenzer-Debatte. Ich muss es Ihnen einfach deutlich sagen: Die Sündenbocktheorie schimmert an allen Ecken und Enden deutlich durch Ihren Antrag. Dabei ist die Melde- pflicht wirklich nur ein Punkt. Ansonsten geht es um die Kontrolle der Arbeitsbereitschaft, um effiziente Leis- tungskürzung und um die Verhängung von Sanktionen. Die Kolleginnen und Kollegen in den Arbeitsämtern werden sich ebenso wie die Arbeitslosen dafür, dass Sie Politik durch Drohgebärden ersetzen, wirklich bedanken. (Beifall bei der PDS – Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Es kann doch niemand sagen, dass die Arbeitslosenzahlen in Deutschland in Ordnung sind!) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, Sie brauchen diese Drohgebärden auch, weil Sie den Ar- beitslosen eben nichts anderes anzubieten haben als Stel- len im Niedriglohnbereich. Sie sollen gezwungen werden, diese Billigjobs anzunehmen. (Albert Deß [CDU/CSU]: Wo gibt es denn die wenigsten Arbeitslosen? Dort, wo die CDU oder die CSU in Deutschland regiert!) – Ach, bleiben Sie doch ganz gelassen! – Der Nied- riglohnsektor ist für Sie das schlummernde Beschäfti- gungswunder. Für mich ist dies völlig unverständlich. Ich möchte dazu drei Bemerkungen machen: Erstens. Im letzten Jahr – das ist richtig – konnten 1 Millionen Arbeitsplätze nicht besetzt werden. Knapp 200 000 standen für gering Qualifizierte zur Verfügung. Was ist die Schlussfolgerung daraus? Die Schlussfolge- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Dr. Thea Dückert 18736 (C) (D) (A) (B) rung muss sein: Wir brauchen Qualifikation und noch ein- mal Qualifikation, aber keine Billigjobs. (Beifall bei der PDS – Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Ziemlich unlogisch, was Sie hier erzählen!) Zweitens. In der Bundesrepublik arbeiten schon heute 7 Millionen Menschen in prekärer Beschäftigung. (Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: „Pre- kärer Beschäftigung“?) Das wissen Sie sehr gut, denn Sie haben wesentlich dazu beigetragen. Die Zahl der Menschen, die bitterarm sind, obwohl sie eine Arbeit haben, nimmt zu. Dabei werden von den Menschen erbärmliche Löhne in Kauf genom- men. Gucken Sie zum Beispiel nach Thüringen, wo Leute, die im Wachdienst arbeiten, mit einem Stundenlohn von 7 DM nach Hause gehen. (Manfred Grund [CDU/CSU]: Das ist in Meck- lenburg-Vorpommern besser, oder was?) Damit komme ich zu meiner dritten und letzten Be- merkung: Schauen Sie sich, weil wir in diesen Tagen – natürlich zu Recht – so viel über Sicherheit reden, ein- mal an, was durch Privatisierung und Deregulierung ge- rade im Bereich der öffentlichen Sicherheit, zum Beispiel bei der Sicherung der öffentlichen Gebäude und an den Gepäckbändern der Flughäfen, angerichtet worden ist! Hier sind Löhne auf Sozialhilfeniveau und die ständige Fluktuation zu einem höchst brisanten Sicherheitsrisiko geworden. Ich weiß nicht, ob wir uns das länger leisten können. Ich meine, nein. Vizepräsidentin Anke Fuchs: Frau Kollegin, Sie ha- ben Ihre Redezeit weit überzogen. Dr. Heidi Knake-Werner (PDS): Ich komme sofort zum Schluss. Wenn wir Sicherheit wirklich ernst nehmen und sie uns wirklich etwas wert ist, dann müssen wir auch die Men- schen, die sie gewährleisten sollen, anständig bezahlen. (Beifall bei der PDS – Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Lesen Sie den Antrag einmal rich- tig! Dann haben Sie die Antwort! Es ist un- glaublich, was Sie da erzählen!) Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, gehe ich da- von aus, dass öffentlich geförderte Beschäftigung auch zukünftig unverzichtbar sein wird. Ich wünsche mir sehr – Ihre Zwischenbemerkungen deuten das zwar nicht an, aber ich gebe die Hoffnung ja nicht auf –, dass wir es viel- leicht doch einmal schaffen, den Streit um die besten Kon- zepte statt um fade Ideologien zu führen. Wir jedenfalls sind dazu bereit. (Beifall bei der PDS – Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Sie müssen einmal bereit sein, Anträge zu lesen, und sollten nicht einen sol- chen Blödsinn erzählen! Das ist völlig dane- ben!) Vizepräsidentin Anke Fuchs: Ich erteile der Kolle- gin Andrea Nahles, SPD-Fraktion, das Wort. Andrea Nahles (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kol- leginnen und Kollegen! Es ist nicht gut, wenn die Oppo- sition Regierung und Regierungsfraktionen so unterfor- dert, wie es heute hier der Fall ist. (Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Es ist auch nicht gut, wenn Regierungsparteien so ar- rogant reagieren wie Sie!) Außer professioneller Schwarzmalerei haben wir heute nichts von Ihnen gehört. (Beifall bei der SPD) Wenn wir uns die Mühe machen und einen Blick in Ihren Antrag werfen, dann finden wir in ihm außer La- denhütern, längst umgesetzten Forderungen wie der nach mehr Dezentralisierung und Transparenz, undurchführba- ren Vorschlägen wie dem, eine Mindestquote für schwer vermittelbare Arbeitslose einzuführen, und der Schika- nierung von Arbeitslosen durch eine Meldepflicht nichts, was uns eine Realisierung lohnenswert erscheinen lässt. Darüber sollten Sie sich einmal Gedanken machen, meine Damen und Herren von der Opposition. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Das alles wundert mich aber nicht, wenn man Ihre Re- gierungspolitik Revue passieren lässt. Sie scheinen ja diese 16 Jahre mit den in der Spitze 4,8 Millionen Ar- beitslosen in einem Anfall kollektiver Amnesie völlig ver- drängt zu haben. Ich habe das Gefühl – hier müssen wir ganz ehrlich sein –, dass Sie aus dieser Phase, in der Sie arbeitsmarktpolitisch massenhaft Konfektionsware gelie- fert haben – ein Beispiel dafür ist die Wahlkampf-ABM, (Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Wann war das denn?) mit der Sie nur Ihre Unfähigkeit zu kaschieren versucht haben –, nichts gelernt haben. Daher haben Sie heute auch nichts anzubieten. Wir hingegen haben in den letzten Jahren gezielte Schwerpunkte bei Zielgruppen gesetzt. Trotz der gegen- wärtig schwierigen konjunkturellen Lage haben wir im Vergleich zum September 2000 eine deutliche Verbesse- rung erreicht: bei Langzeitarbeitslosen minus 6,7 Prozent, bei älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer minus 15,9 Prozent und bei Schwerbehinderten – das war eine ganz besondere Anstrengung – minus 7,2 Prozent. Das ist effizient und erfolgreich; das sollten Sie würdigen, statt hier Schwarzmalerei zu betreiben. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Diese Zielgruppenarbeit haben wir auch in Bezug auf die Jugendlichen zu einem Erfolg geführt: 330 000 junge Menschen sind in Arbeit, in Qualifizierung, weg von der Perspektivlosigkeit. Jetzt gehen wir einen weiteren Schritt, mit dem wir die Zielgruppenorientierung verlassen. Mit dem Job-Aqtiv- Gesetz wollen wir an die einzelnen Menschen herankom- men. Jeder einzelne Arbeitslose bekommt im Rahmen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Dr. Heidi Knake-Werner 18737 (C) (D) (A) (B) einer Eingliederungsvereinbarung, die Rechte und Pflich- ten nicht nur für die Arbeitslosen, sondern auch für das Arbeitsamt vorsieht, (Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: „Pflich- ten“ würden Sie bei uns „Druck“ nennen!) ein individuell auf ihn zugeschnittenes Angebot. Diesen Quantensprung erreichen wir mit dem Job-Aqtiv-Gesetz. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das hätten wir schon lange haben können! Früher haben Sie sich gegen solche Überlegun- gen gesperrt!) Besonders stolz bin ich, dass in diesem Gesetz eine Gruppe von Arbeitslosen, der Sie sich in den 16 Jahren kaum gewidmet haben, nämlich die der Frauen, eine ganz entschiedene Rolle spielt. Wir werden die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die für Frauen das Haupthinder- nis darstellt, in Arbeit zu kommen, erheblich verbessern, indem wir den Missstand beheben, dass Frauen während des Mutterschaftsurlaubs aus der Versicherungspflicht herausfallen. Heute fallen sie während der Erziehung von Kindern, was eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, aus der Versicherungspflicht heraus. Diese Lücke in der sozialen Sicherung werden wir schließen. (Beifall der Abg. Dr. Thea Dückert [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]) Das stellt, wie gesagt, einen Quantensprung dar, über den ich mich ganz besonders freue. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Aber es geht nicht nur darum, dass hier Leistungs- lücken geschlossen werden. Man hat danach nämlich nicht bloß Anspruch auf Leistungen, sondern vor allem Möglichkeiten, durch Umschulung, Qualifizierung und andere Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik Brücken ge- baut zu bekommen und Hilfen zu erhalten. Deswegen ha- ben wir auch den Berufsrückkehrerinnen im Job-Aqtiv- Gesetz die Möglichkeit verschafft, in ABM zu kommen. Wir haben den Zuschuss zu den Kinderbetreuungskosten, die bei Weiterbildung anfallen, auf 130 Euro angehoben. Wir haben es besonders Frauen – für die ist das sehr wichtig – ermöglicht, nicht nur Vollzeitqualifizierungen zu machen, mit denen sie ihre familiären Verpflichtungen auch nicht vereinbaren können, sondern auch Teilunter- haltsgeld bei Teilzeitweiterbildung zu nutzen. Teilzeit- weiterbildung wird für Frauen eine Möglichkeit sein, de- zidierte Schritte in den ersten Arbeitsmarkt zurück zu machen, wenn sie die Kindererziehungszeiten hinter sich haben. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Insoweit darf ich Ihnen – auch Ihnen, Herr Grehn – sagen, dass wir glauben, dass für viele Frauen und für viele an- dere, die arbeitslos sind, in dem Paket Job Aqtiv eine Menge Chancen sind. Eines halte ich für eine wichtige Neuerung: Wir wer- den nicht erst dann, wenn das Kind in den Brunnen gefal- len ist, im Rahmen des Job-Aqtiv-Gesetzes aktiv. (Klaus Brandner [SPD]: Präventiv!) Ungelernte und gering qualifizierte Arbeitnehmer, vor al- lem in Kleinbetrieben, in denen Weiterbildung nicht selbst- verständlich ist, können durch Lohnkostenzuschüsse von bis zu 100 Prozent an Weiterbildungsmaßnahmen teilneh- men, und zwar nicht erst, wenn sie arbeitslos geworden sind – das ist ja nicht die große Kunst –, sondern bereits dann, wenn im Rahmen unserer Eingliederungsvereinba- rung ein erhöhtes Risiko festgestellt worden ist. Das ist nun wirklich ein gutes Angebot an die Gruppe von Ungelernten und gering Qualifizierten. Das ist eine echte Chance. Ich hoffe, dass davon viel Gebrauch gemacht wird. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Wir reden heute über Arbeitsmarktpolitik. Ich möchte deswegen auch über die Grenzen von Arbeitsmarktpoli- tik reden. (Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Das ha- ben Sie gerade gemacht! Quantensprünge am laufenden Band! – Albert Deß [CDU/CSU]: Luftsprünge!) Es werden ja immer wieder Wunderwaffen ausgepackt: Kombilohn, (Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Erzählen Sie doch lieber, was Sie beim Wirtschafts- wachstum in diesem Jahr erreicht haben!) die Zusammenlegung von was auch immer. Ich will Ihnen einmal etwas sagen: Wir brauchen eine bessere Konjunk- tur. Wir brauchen Wachstum. Wir können das mit den Mit- teln der Arbeitsmarktpolitik nicht erreichen, aber wir kön- nen dazu beitragen. Ich wünsche mir, dass zum Beispiel im europäischen Kontext, was Leitzinssenkungen und an- deres angeht, konjunkturelle Entwicklungen begünstigt werden. Ich erwarte von den Arbeitgebern und auch von den Gewerkschaften, dass sie in der Frage des Abbaus von 1,8 Milliarden Überstunden ganz konkrete Fortschritte er- reichen. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS – Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP) Das, was wir als Arbeitsmarktpolitiker tun können, haben wir getan, indem wir das Job-Aqtiv-Gesetz auf den Tisch gelegt haben. Daran können Sie sich eine Weile abarbei- ten. Aber tun Sie uns einen Gefallen: Langweilen Sie uns nicht weiter mit Ladenhütern! Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Anke Fuchs: Das Wort hat jetzt der Kollege Karl-Josef Laumann für die CDU/CSU-Fraktion. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Andrea Nahles 18738 (C) (D) (A) (B) Karl-Josef Laumann (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer diese Debatte verfolgt hat, hat verschiedene Eindrücke bekom- men. Frau Dückert, zunächst zu Ihnen. Ich kenne niemanden unter den Sozialpolitikern im Deutschen Bundestag, bei dem das, was er in Interviews äußert, derart dem wider- spricht, was er im Deutschen Bundestag vertritt, wie bei Ihnen. In Interviews erklären Sie, dass wir die Zusam- menlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe brau- chen. In Interviews erklären Sie, dass Sie für Zeitarbeit und ähnliche Dinge sind. Was Sie dann aber in der politi- schen Debatte hier letzten Endes mit Vehemenz vertreten, passt damit überhaupt nicht zusammen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Inwieweit das ehrlich ist, darüber mag jeder selber urteilen. Bei den Ausführungen von Frau Nahles konnte man vor lauter Quantensprüngen die Politik gar nicht mehr er- kennen. (Andrea Nahles [SPD]: Wo wir gut sind, da sind wir eben gut!) Warum streiten wir eigentlich über die Arbeitsmarkt- politik? – Wir streiten über die Arbeitsmarktpolitik, weil wir alle wissen, dass sie in Deutschland große Defizite hat und wir mit viel Geld nicht das erreichen, was wir uns alle vorstellen. Wir geben für den zweiten Arbeitsmarkt mitt- lerweile 48 Milliarden DM aus. (Andrea Nahles [SPD]: Für den ersten Arbeits- markt! 46 Milliarden sind für allgemeine Arbeitsmarktpolitik!) Die Funktion des zweiten Arbeitsmarktes als Brücke in den ersten wird auch in den Bereichen, wo das klappt, im- mer schlechter erfüllt. Jetzt wollen wir einmal überlegen, woran das liegt. (Klaus Brandner [SPD]: Lassen Sie sich nicht aus dem Konzept bringen, aber bei der Wahrheit müssen Sie schon bleiben!) Ich glaube, dass man die Instrumente der Arbeits- marktpolitik weiterentwickeln muss. Jetzt greifen wir ein- mal einen Punkt heraus, der in Deutschland offensichtlich ist: Wir haben die Situation, dass es unbesetzte Stellen gibt, und zwar dort, (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: 1,5 Millionen!) auch im tarifgebundenen Bereich, wo wir niedrige Löhne haben. Es ist nun einmal so – Sie brauchen nur einmal mit Vertreterm des Dehoga zu sprechen –, dass es selbst in Gebieten, in denen wir eine hohe Arbeitslosigkeit haben, faktisch unmöglich ist, für Löhne von 12 oder 13 DM Rei- nigungspersonal für die Gastronomie zu bekommen. (Konrad Gilges [SPD]: Würdest du für 12 Mark arbeiten?) – Das sind doch abgeschlossene Tarifverträge in dem Be- reich, Konrad Gilges. (Konrad Gilges [SPD]: Das spielt doch keine Rolle!) 50 Prozent der Langzeitarbeitslosen sind ohne abge- schlossene Berufsausbildung. (Ute Kumpf [SPD]: Und warum, Kollege Laumann? Wo wart ihr?) Es ist sowieso schon ein Unding, dass wir über die Bun- desanstalt für Arbeit für Tausende von jungen Menschen den Hauptschulabschluss finanzieren müssen, weil un- sere Schulen nicht dazu in der Lage sind, die Schüler dort- hin zu führen. (Beifall bei der CDU/CSU) Das ist in Nordrhein-Westfalen, wo Sie seit 30 Jahren die Politik bestimmen, ein großes Problem. (Beifall bei der CDU/CSU – Konrad Gilges [SPD]: In Bayern und Baden-Württemberg auch!) Es wäre doch vielleicht sinnvoll – bevor Sie jetzt im- mer nur schreien –, in aller Ruhe darüber nachzudenken, ob wir in der Politik nicht ein Mittel in die Hand nehmen könnten und sollten, mit dem wir in dem Bereich der niedrigen Löhne die Schere zwischen brutto und netto wieder stärker schließen, damit die Menschen auch einen Sinn in einer solchen Beschäftigung sehen. (Beifall bei der CDU/CSU – Klaus Brandner [SPD]: Warum haben wir denn die Lohnneben- kosten gesenkt?) Jetzt will ich Ihnen nur einmal ein Beispiel vorrechnen. In der Steuerpolitik hat die alte Regierung durch relativ hohe Steuerfreibeträge erreicht, dass bei niedrigen Ein- kommen die Steuer keine große Rolle spielt; das wissen Sie auch. (Klaus Brandner [SPD]: Dank unserer Steuer- politik! Weil wir 200 DM mehr Steuerfreiheit im Monat gewähren!) Wenn wir jetzt einmal von einem Lohn von 13 DM bei nor- malen Arbeitszeiten ausgehen, dann kommen wir auf ei- nen Bruttolohn von 2 184 DM. Das unsoziale ist, finde ich, dass wir einem Menschen mit diesem Bruttolohn 436 DM für die Sozialversicherung wegnehmen – 436 DM! Dann hat er noch 1 748 DM netto. (Peter Dreßen [SPD]: Wieso das?) – Die Steuern habe ich nicht eingerechnet. Gehen wir ein- mal davon aus, dass er aufgrund seiner Familiensituation so hohe Steuerfreibeträge hat, dass Steuern keine Rolle spielen. (Renate Rennebach [SPD]: Was erzählen Sie denn da, Herr Laumann?) Wäre es denn nicht wirklich sinnvoll, das zu tun, was wir Ihnen jetzt schon seit Jahren sagen? Kombilohnmodelle, degressive Gestaltung der Sozialversicherungsbeiträge, höhere Einstiegsgelder – nehmen Sie meinetwegen alle drei Instrumente, geben Sie sie den Behörden an die Hand und sagen Sie ihnen: Bitte wendet diese Instrumente an, damit die untere Lohngrenze nicht so nah an die Sozial- hilfe reicht. (Beifall bei der CDU/CSU – Konrad Gilges [SPD]: Das wird doch gemacht!) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 18739 (C) (D) (A) (B) Gehen Sie endlich aus den Modellprojekten heraus. Vizepräsidentin Anke Fuchs: Herr Kollege Laumann, gestatten Sie eine Zwischenfrage? Karl-Josef Laumann (CDU/CSU): Nein, ich möchte jetzt im Zusammenhang vortragen. Ein weiterer Punkt. Wir alle wissen doch, dass uns auf dem Arbeitsmarkt in Ostdeutschland schlicht und er- greifend die Arbeitsplätze fehlen. Nur, wahr ist auch: Der Unterschied in der wirtschaftlichen Entwicklung zwi- schen West- und Ostdeutschland ist in den letzten drei Jahren eher größer als kleiner geworden. (Lachen der Abg. Renate Rennebach [SPD]) – Frau Rennebach, da können Sie ruhig lachen. Das ist die Wahrheit. – (Renate Rennebach [SPD]: Ihr habt gesät und wir haben geerntet! – Hartmut Schauerte [CDU/ CSU]: Da lacht die Dummheit!) Das hat vielleicht auch damit zu tun, dass die großen Lohnunterschiede zu Polen, die dort gerade wegen der Nähe zur deutsch-polnischen Grenze bestehen, faktische Auswirkungen haben. – Das ist im Übrigen unabhängig davon, wer regiert. – Wir müssen uns in der Strukturpoli- tik Mühe geben, dort mehr Arbeitsplätze, vor allem ren- table Arbeitsplätze, zu schaffen; denn nur diese werden auf Dauer überleben. Ich kann in Ihrem Haushalt wirklich nicht erkennen, dass Sie das Richtige tun. Ich nehme ein weiteres Beispiel. Wir sind uns in der Arbeitsmarktdebatte darüber einig, dass Arbeitsplätze – wenn noch welche geschaffen werden – von den Klei- nen geschaffen werden. Erklären Sie mir einmal, warum Sie eine Steuerreform gemacht haben, die die AGs – das sind eher die Großen – sehr bevorteilt und dem Mittel- stand nichts gebracht hat. (Widerspruch bei der SPD) Warum muss auf der einen Seite die Deutsche Bank keine Steuern zahlen, wenn sie einen Teil ihres Geschäfts- bereichs verkauft, wenn doch auf der anderen Seite der Gärtnermeister in meinem Dorf – er ist 67 Jahre alt und hat keine Kinder – den Erlös aus dem Verkauf seines Be- triebs an seinen Meister versteuern muss? (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ute Kumpf [SPD]: Das stimmt nicht!) Das ist doch Ihre Politik und Ihr Versagen. Warum haben Sie bezüglich des Arbeitsrechts so viele neue Hürden für den Mittelstand aufgebaut? Die größte Herausforderung ist doch, solche Rahmenbedingungen zu schaffen, dass mehr Arbeitsplätze entstehen. Da sind wir in Deutschland seit zwei Monaten leider auf einer radika- len Talfahrt. Ihr Wahlkampfversprechen, mehr Arbeits- plätze zu schaffen, sollten Sie zurücknehmen. (Klaus Brandner [SPD]: Du hast es doch gerade gehört; lies es im Protokoll nach! 1 Million Ar- beitsverhältnisse!) Ich nenne Ihnen einen weiteren Punkt, der uns nach- denklich machen muss. Frau Nahles, Sie haben gesagt, was die Arbeitsämter gemäss dem Job-Aqtiv-Gesetz un- ternehmen sollen. Das war im Grunde genommen das Bild der Arbeitsämter nach dem Vorbild „Arbeits- amt 2000“. Die Arbeitsämter sollten sich schon immer so- fort mit den Arbeitslosen beschäftigen und sich direkt da- rum kümmern, dass sie wieder in Arbeit kommen. Sie sollten sich schon immer um Menschen kümmern, bei de- nen die Gefahr besteht, dass sie bald arbeitslos werden. Ich frage mich mittlerweile, ob die hierarchischen Struk- turen der Bundesanstalt für Arbeit wirklich noch die rich- tige Antwort auf den flexiblen Arbeitsmarkt sind. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Ute Kumpf [SPD]) – Ich glaube schon, dass man darüber reden muss. Angesichts der Situation, dass in vielen Kommunen und kreisfreien Städten Beschäftigungsgesellschaften größere Vermittlungserfolge haben als die Bundesanstalt für Arbeit, werde ich sehr nachdenklich. Ich glaube, dass Ihr Entwurf des Job-Aqtiv-Gesetzes und in Teilen auch unser Antrag, der ebenfalls zu stark von administrativen Aufgaben ausgeht, nicht weit genug führen. Wir müssen nach meiner Auffassung den Niedriglohnbereich stärken. Die Arbeitsplätze dort sind nun einmal so, wie sie sind. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir bei jungen Leu- ten die Unterstützung grundsätzlich mit der Forderung verbinden sollten, dass sie selbst etwas tun müssen: Aus- bildung, Sprachkurse, notfalls auch gemeinnützige Ar- beit. Wenn Menschen jahrelang von der Arbeit entwöhnt sind, dann ist es sehr schwer, sie wieder zu integrieren. Auch im Schulsystem müssen wir darauf achten, wie wir die Schüler, die sich in der schulischen Ausbildung schwerer tun, zu Schulabschlüssen führen, die ihnen die Möglichkeit geben, im gewerblichen Bereich eine Be- rufsausbildung zu absolvieren. Ich würde mir sehr wün- schen, dass auf Landesebene die Hauptschule gestärkt wird und dass die Verwissenschaftlichung der Schule in diesem Bereich ein Stück weit aufgegeben wird. Ich hoffe, dass ich durch meinen Beitrag deutlich ma- chen konnte, wo die Probleme objektiv liegen, und dass es uns gar nichts bringt, in einen parteipolitischen Schlag- abtausch einzutreten, wer das bessere Instrument in der Tasche hat. Wir brauchen einen großen Instrumentenkof- fer für die örtliche Arbeitsverwaltung. Dies gilt es zu er- reichen. (Konrad Gilges [SPD]: Ihr seid beim Job- Aqtiv-Gesetz eingeladen!) Ich glaube, dass unsere Überlegungen in der Arbeits- marktpolitik weitreichender sind als Ihre. Wenn ich die Interviews mit Frau Dückert richtig lese, dann komme ich zu dem Schluss, dass sie lieber mit uns als mit Ihnen zusammenarbeiten würde. Schönen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Andrea Nahles [SPD]: Oh, Mann!) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Karl-Josef Laumann 18740 (C) (D) (A) (B) Vizepräsidentin Anke Fuchs: Jetzt erteile ich der Kollegin Ute Kumpf, SPD-Fraktion, das Wort. Ute Kumpf (SPD): Lieber Kollege Laumann, ich bin voller „Bewunderung“ (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist auch ein guter Mann!) für Ihre Wandlungsfähigkeit. Ich habe Sie vor 1998 als ei- nen Kollegen mit anderen Ansichten kennen gelernt, der auch für die sozialen Belange der Arbeitnehmer gestritten hat. Ich bin auch voller „Bewunderung“ für die Kollegen der CDU/CSU – Herr Niebel von der FDP ist nicht mehr anwesend – aufgrund ihrer Starrköpfigkeit und vor allem aufgrund ihrer Vergesslichkeit. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Sie sind höchstens voller Verwunderung! Seit wann bewundern Sie Starrköpfigkeit?) – Ich „bewundere“, dass Sie nach Ihrem Politikwandel ab dem Jahre 1998 nicht schlaflose Nächte haben. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Haben Sie mal Ihre eigene Rolle überlegt?) Sie bieten jetzt in Ihrem Antrag Konzepte von gestern an. Ich will einfach daran erinnern: Diese Konzepte von gestern haben uns nicht nur einen nie gekannten Berg von Schulden hinterlassen. Wir erbten 1998 auch ein Chaos auf dem Arbeitsmarkt: 4,4 Millionen Menschen waren da- mals als Arbeitslose registriert, über 2 Millionen waren in der stillen Reserve, 6 Millionen in prekären Beschäf- tigungsverhältnissen. Sie haben einen Dschungel hinter- lassen: Abschaffung des Kündigungsschutzes, Kürzung bei der Lohnfortzahlung, Kürzung auf der Leistungsseite bei den Arbeitslosen. Jetzt wollen Sie uns in Ihrem Antrag diese alten Denk- muster wieder als Muster für die Zukunft verkaufen. Wir machen an dieser Stelle nicht mit. Ihr Weg führt in das Ab- seits, von der Problemlösung weg und in die Sackgasse. Diesen Weg werden wir nicht mitgehen. Er weist nicht in die Zukunft und ist nicht zielführend. (Konrad Gilges SPD: Sehr richtig!) Herr Kollege Laumann hat es eben ausgeführt: Die Ausweitung des Niedriglohnsektors ist für Sie das All- heilmittel. Auch Ihnen sind die Ergebnisse aus den Bun- desländern bekannt. Ich nenne nur das Mainzer Modell und das Saarbrücker Modell. Diese Konzepte werden nicht aufgegriffen, weil sie schlichtweg nicht greifen. Wir werden uns gegen die Ausweitung des Niedriglohnsektors wehren, weil sie letztendlich dazu führt, dass normale Beschäftigung subventioniert wird. Dies können wir uns nicht leisten. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir wollen mit unserem Job-Aqtiv-Gesetz die Pro- bleme konsequent angehen. Wir richten die Arbeitsmarkt- politik neu aus. Wir sorgen dafür, dass besondere Ziel- gruppen am Arbeitsmarkt – Un- und Angelernte, Ältere wie Jüngere – zusätzlich gefördert werden, dass die Ver- mittlung beschleunigt und verbessert wird. Das hat posi- tive Folgen nicht nur für die Arbeitslosen, sondern auch für die Kassen der Bundesanstalt für Arbeit. Eine um drei Tage verkürzte Verweildauer in der Arbeitslosigkeit, un- ter anderem bezogen auf 200 000 Arbeitslose, verringert die Kosten der Arbeitslosigkeit um rund 2,6 Milliar- den DM. Dies ist keine Rechnung von uns und auch keine Rechnung vom BMA, sondern eine Rechnung von Pro- fessor Egle von der Fachhochschule der Bundesanstalt für Arbeit in Mannheim, nachzulesen in seiner Stellung- nahme für die Anhörung am Montag. Wir machen mit dem Job-Aqtiv-Gesetz Ernst mit dem lebensbegleitenden Lernen, unterstützen und fördern eine Kultur des Lernens. Die Unterweisung muss künftig mehr gelten als die Überweisung. (Beifall bei der SPD) Qualifizierung und Beschäftigung hängen eng zusammen. Wir wissen: je niedriger die berufliche Qualifikation, des- to schlechter die Stellung und die Chancen auf dem Ar- beitsmarkt. Regelmäßige berufliche Qualifizierung für die dauerhafte Sicherung und Stärkung der Beschäftigungs- fähigkeit, das ist unser Angebot an Arbeitslose wie an Be- schäftigte, die womöglich von Arbeitslosigkeit bedroht sind. Das ist auch unser Angebot an die Arbeitgeber, vor allem die kleinen und mittleren Unternehmen, denen wir bei der Qualifizierung mit Job Aqtiv unter die Arme grei- fen. Das ist eine Antwort auf die Herausforderung, wie wir uns künftig wettbewerbsfähig in der Wirtschaft bewe- gen können, sowohl für die Beschäftigten- als auch für die Arbeitgeberseite. Dass dieses Konzept erfolgversprechend ist, zeigen die aktuellen Arbeitslosenzahlen. Trotz der schwierigen Ge- samtsituation gibt es Erfolge bei dieser wichtigen Ziel- gruppe. Die Arbeitslosigkeit Älterer – Menschen über 55 – wurde gegenüber dem Vorjahr um mehr als 16 Prozent ab- gebaut. Das ist ein Minus von 126 000. Ebenso sank die Zahl der Langzeitarbeitslosen um mehr als 12 Prozent. Damit haben wir Bewegung in den Abbau auch der struk- turellen Arbeitslosigkeit gebracht. Für uns heißt es, die internen Wachstumskräfte zu stär- ken. Das haben wir mit einer Politik der Haushaltskonso- lidierung, mit deutlichen Steuersenkungen, mit der Ren- tenreform, mit der Modernisierung der Mitbestimmung und auch mit dem Erschließen von Talenten getan. Die in- ternen Wachstumskräfte zu stärken heißt vor allem auch, der Qualifizierung eine Chance und ein solides Funda- ment zu geben. Alle hier im Hause fordern immer lebenslanges Lernen und beschwören dies. Ich spreche lieber vom lebensbe- gleitenden Lernen. Denn das Wort „lebenslang“ weckt ein wenig die Assoziation von lebenslänglich und das ist nicht gerade positiv. Wer in Zukunft auf dem Arbeitsmarkt Erfolg haben will, muss sein Wissen immer wieder überprüfen und sich den veränderten Bedingungen anpassen. Das gilt auch für uns als Abgeordnete. Diese Feststellung ist nicht neu. Im Gegensatz zur CDU/CSU und zur FDP reden wir aber nicht nur darüber, sondern wir handeln auch. Seit 1998 ha- ben wir die berufliche Aus- und Weiterbildung besonders Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 18741 (C) (D) (A) (B) ausgebaut. Noch nie wurde so viel für Bildung und For- schung ausgegeben wie von dieser Bundesregierung. (Beifall bei der SPD) Auch im Bündnis fürArbeit besteht Einigkeit darüber, alle Qualifikationspotenziale erschließen und fördern zu müssen. Wir können es uns nicht leisten, das Potenzial der Frauen nicht voll auszuschöpfen und das Potenzial und den Erfahrungsschatz älterer Menschen brachliegen zu lassen. Alt ist man für manchen Arbeitgeber schon mit 40 Jahren. Es ist erschreckend – man kann dies in einer IAB-Studie nachlesen –, dass in 60 Prozent der Betriebe keine Beschäftigten mehr vorzufinden sind, die älter als 55 Jahre sind. Die Klagen über eine Überforderung der Rentenver- sicherung und das gleichzeitige Hinausdrängen der Älte- ren aus dem Erwerbsleben sowie die mangelnde Bereit- schaft, Ältere einzustellen, passen nicht zusammen. Dieses Problem ist mit einem gelockerten Kündigungs- schutz, so wie vor allem Sie von der CDU/CSU und auch Sie von der FDP ihn fordern, nicht anzugehen. Wir da- gegen wollen eine Vermittlungs- und Qualifizierungs- offensive gerade für Ältere. Im Bündnis für Arbeit haben sich alle Akteure darauf verpflichtet und die Weichen dafür wurden gestellt. Mit dem Job-Aqtiv-Gesetz erledigen wir unsere Haus- aufgaben, neue Rahmenbedingungen zu gestalten: durch moderne Instrumente der Weiterbildung, und zwar vor al- lem der Weiterbildung von gering Qualifizierten und älte- ren Beschäftigten, und durch die Einführung der Jobrota- tion. Angesichts von 1,8 Milliarden Überstunden in Deutschland sind nun vor allem auch die Arbeitgeber ge- fordert, die im Bündnis für Arbeit verabredeten Aktivitä- ten zur Reduzierung der Mehrarbeit und zur Umwandlung in neue Beschäftigung umzusetzen. (Beifall der Abg. Andrea Nahles [SPD]) Mit dem Job-Aqtiv-Gesetz liefern wir arbeitsmarktpo- litische Instrumente wie zum Beispiel Eingliederungs- und Lohnkostenzuschüsse und begleitende Hilfen bei der Qua- lifizierung. Ich kann hier alle im Interesse der Arbeitslosen nur auffordern: Ergreifen wir die Chancen! Nutzen wir die Instrumente und gehen wir auf Schatzsuche! Danke schön. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Anke Fuchs: Ich schließe die Aus- sprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf Drucksachen 14/6162 und 14/7070 an die in der Tages- ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 25 a bis 25 j sowie Zusatzpunkt 4 auf – es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte –: 25 a)Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- rung des Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 18. Dezember 1979 zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau – Drucksache 14/7009 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Entschließung vom 22. Mai 1995 zur Ände- rung des Übereinkommens vom 18. Dezem- ber 1979 zur Beseitigung jeder Form von Dis- kriminierung der Frau – Drucksache 14/7011 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Fakultativprotokoll vom 6. Oktober 1999 zum Übereinkommen vom 18. Dezember 1979 zur Beseitigung jeder Form von Diskri- minierung der Frau – Drucksache 14/7012 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Schuldbuchrechts des Bundes und der Rechtsgrundlagen der Bundesschulden- verwaltung (Bundeswertpapierverwaltungs- gesetz – BWpVerwG) – Drucksache 14/7010 – Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss (f) Finanzausschuss e) Erste Beratung des von den Abgeordneten Rolf Kutzmutz, Eva Bulling-Schröter, Uwe Hiksch, Gerhard Jüttemann und der Fraktion der PDS ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- rung des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) – Drucksache 14/6796 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit f) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Bundeszentralregister- gesetzes (4. BZRGÄndG) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Ute Kumpf 18742 (C) (D) (A) (B) – Drucksache 14/6814 – Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss (f) Innenausschuss g) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrach- ten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung – Drucksache 14/6856 – Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss (f) Innenausschuss h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike Flach, Cornelia Pieper, Rainer Funke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Forschungsstandort Deutschland stärken – Zukunftsprojekt „TESLA“ nicht gefährden – Drucksache 14/4646 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- schätzung (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie i) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike Flach, Cornelia Pieper, Birgit Homburger, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Förderung der Alterungsforschung – Drucksache 14/5464 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen- abschätzung (f) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Haushaltsausschuss j) Beratung des Antrags der Abgeordneten Rolf Kutzmutz, Eva Bulling-Schröter, Uwe Hiksch, Gerhard Jüttemann und der Fraktion der PDS Zugangsverordnung für Stromnetze erlassen – Drucksache 14/6795 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ZP 4 Erste Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Ände- rung des Vermögenszuordnungsgesetzes – Drucksache 14/7035 – Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss (f) Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Dann ist das so beschlossen. Wir kommen nun zur Behandlung von Beschlussfas- sungen zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgese- hen ist. Ich rufe Tagesordnungspunkt 26 a auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung bilanzrechtlicher Bestimmungen an die Einführung des Euro, zur Erleichterung der Publizität für Zweigniederlassungen ausländischer Unternehmen sowie zur Einführung einer Qua- litätskontrolle für genossenschaftliche Prüfungs- verbände (Euro-Bilanzgesetz – EuroBilG) – Drucksache 14/6456 – (Erste Beratung 182. Sitzung) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus- schusses (6. Ausschuss) – Drucksache 14/7081 – Berichterstattung: Abgeordnete Bernhard Brinkmann (Hildesheim) Dr. Susanne Tiemann Rainer Funke Dr. Evelyn Kenzler Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus- schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent- wurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge- genprobe! – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist ein- stimmig angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 26 b auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Beruf der Podologin und des Podologen (Podologengesetz – PodG) – Drucksache 14/5593 – (Erste Beratung 164. Sitzung) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- ses für Gesundheit (14. Ausschuss) – Drucksache 14/7107 – Berichterstattung: Abgeordnete Eva-Maria Kors Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei- chen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Bei Ent- haltung der FDP ist der Gesetzentwurf in zweiter Bera- tung angenommen. Die Podologinnen und Podologen werden dies kritisch würdigen, meine Damen und Herren von der FDP. Dritte Beratung Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Vizepräsidentin Anke Fuchs 18743 (C) (D) (A) (B) und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Die Gegenprobe! – Enthaltungen? – Bei Enthaltung der FDP ist der Gesetzentwurf angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 26 c auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu der Ver- ordnung der Bundesregierung Verordnung zur Änderung abfallrechtlicher Bestimmungen zur Altölentsorgung – Drucksachen 14/6653, 14/6907 Nr. 2.1, 14/7056 – Berichterstattung: Abgeordnete Rainer Brinkmann (Detmold) Georg Girisch Dr. Reinhard Loske Birgit Homburger Eva Bulling-Schröter Der Ausschuss empfiehlt, der Verordnung zuzustim- men. Wer ist für diese Beschlussempfehlung? – Die Ge- genprobe! – Enthaltungen? – Gegen die Stimmen der FDP ist die Beschlussempfehlung angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 26 d auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu der Ver- ordnung der Bundesregierung Verordnung zur Änderung abfallrechtlicher Nachweisbestimmungen – Drucksachen 14/6808, 14/6907 Nr. 2.2, 14/7055 – Berichterstattung: Abgeordnete Rainer Brinkmann (Detmold) Georg Girisch Michaele Hustedt Birgit Homburger Eva Bulling-Schröter Der Ausschuss empfiehlt, der Verordnung zuzustim- men. Ich bitte diejenigen, die ihr zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenprobe! – Diesmal ist auch die FDP dabei. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 26 e auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- richts des Ausschusses für Angelegenheiten der neuen Länder (17. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr.-Ing. Paul Krüger, Ulrich Adam und der Fraktion der CDU/CSU (zurückgezogen) Ansiedlung einer Produktionsstätte für den Airbus A 3XX in Mecklenburg-Vorpom- mern – zu dem Antrag der Abgeordneten Rolf Kutzmutz, Dr. Christa Luft, Dr. Dietmar Bartsch, Dr. Gregor Gysi und der Fraktion der PDS Ansiedlung einerAirbus-Fertigungsstätte in Mecklenburg-Vorpommern – Drucksachen 14/161, 14/25, 14/2689 – Berichterstattung: Abgeordnete Christel Deichmann Dr.-Ing. Paul Krüger Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ableh- nung des Antrags der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/25 zur Ansiedlung einer Airbus-Fertigungsstätte in Mecklenburg-Vorpommern. Wer stimmt für diese Be- schlussempfehlung? – Die Gegenprobe! – Enthaltungen? – Gegen die Stimmen der PDS ist die Beschlussempfehlung angenommen. Weiter empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe c sei- ner Beschlussempfehlung die Annahme einer Entschlie- ßung. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Die Gegenprobe! – Das ist einstimmig. Nun rufe ich die Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b auf: a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord- neten Alfred Hartenbach, Hermann Bachmaier, Bernhard Brinkmann (Hildesheim), weiteren Ab- geordneten und der Fraktion der SPD sowie den Abgeordneten Volker Beck (Köln), Grietje Bettin, Irmingard Schewe-Gerigk, weiteren Abgeordne- ten und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Modernisierung des Schuldrechts – Drucksache 14/6040 – (Erste Beratung 171. Sitzung) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechts- ausschusses (6. Ausschuss) – Drucksache 14/7052 – Berichterstattung: Abgeordnete Hermann Bachmaier Hans-Joachim Hacker Alfred Hartenbach Dirk Manzewski Norbert Geis Ronald Pofalla Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten Volker Beck (Köln) Rainer Funke Dr. Evelyn Kenzler b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Modernisierung des Schuldrechts – Drucksache 14/6857 – (Erste Beratung 190. Sitzung) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechts- ausschusses (6. Ausschuss) – Drucksache 14/7100 – Berichterstattung: Abgeordnete Hermann Bachmaier Hans-Joachim Hacker Alfred Hartenbach Dirk Manzewski Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Vizepräsidentin Anke Fuchs 18744 (C) (D) (A) (B) Norbert Geis Bernd Wilz Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten Volker Beck (Köln) Jörg van Essen Christina Schenk Es liegt je ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU und der Fraktion der PDS vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Hermann Bachmaier für die SPD-Fraktion das Wort. Hermann Bachmaier (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir diskutieren, wie wir das auch gerade wieder gesehen haben, und verabschieden im Bundestag häufig Gesetze, mit denen die Mehrzahl der Menschen in ihrem Alltag nicht allzu viel zu tun hat. Bei der heute zu verabschiedenden Modernisierung des Schuldrechts handelt es sich aber um ein Gesetz, mit des- sen Auswirkungen wir praktisch ständig konfrontiert sein werden. Ob wir Einkäufe im Kaufhaus tätigen, ob wir ei- nen Neu- oder Gebrauchtwagen kaufen, ob wir einen Handwerker rufen, in einen Verkehrsunfall verwickelt sind, ein Haus bauen oder eine Eigentumswohnung kau- fen, ein Darlehen aufnehmen oder einen Mietvertrag ab- schließen, immer handelt es sich um Anwendungsfälle des Schuldrechts. Als das Bürgerliche Gesetzbuch am 1. Januar 1900 in Kraft trat, galt es als großer Wurf. Es hat die Rechtszer- splitterung auf dem Gebiet des Zivilrechts in Deutschland beendet; es war das zentrale Gesetz zur Regelung der zivilrechtlichen Fragen. Das BGB war ein Spiegelbild der politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ver- hältnisse des heraufziehenden industriellen Zeitalters. Vertragsfreiheit, Gewerbefreiheit, umfassende Eigen- tumsrechte und Testierfreiheit waren die Schlüsselbe- griffe, auf denen sich die Wirtschaftsordnung des begin- nenden 20. Jahrhunderts aufbaute. Zum Teil geistern noch heute typische Vertragsformen der damaligen Zeit durch unser Zivilrecht, wenn man an die Verjährung der Ansprüche von Lohnkutschern, Ta- gelöhnern und Wundärzten denkt. Leitbild des Zivilrechts war der selbstbewusste, eigenverantwortliche Bürger, von dem man annahm, dass er seine Interessen im Rechtsle- ben jederzeit zur Geltung bringen kann. Ein sozial- reformerischer Anspruch war dem BGB fremd. An die oft schwerwiegenden Folgen höchst unterschiedlicher wirt- schaftlicher Macht hat der damalige Gesetzgeber mit Si- cherheit kaum gedacht. Schon deshalb wurde die „soziale Kälte“ des Gesetzes, wie es hieß, von Anfang an beklagt. Das ursprüngliche Familienrecht des BGB mit seiner patriarchalischen Grundstruktur war erzkonservativ, die Behandlung der so genannten unehelichen Kinder diskri- minierend. Gustav Radbruch hat deshalb zutreffend fest- gestellt, dass das BGB bei seinem In-Kraft-Treten „mehr das Endprodukt des 19. als der Auftakt des 20. Jahrhun- derts“ gewesen sei. (Beifall bei der SPD) Unbestreitbar bleibt aber, dass das Bürgerliche Gesetz- buch als Gesamtkodifikation des Zivilrechtes von großer dogmatischer Präzision und Konsequenz geprägt ist. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Eine rechtsphilo- sophische Vorlesung ist das!) – Ich komme schon noch dazu; das gefällt Ihnen wohl nicht so ganz. – Dadurch haben zentrale Rechtsinstitute unserer Wirtschaftsordnung, wie zum Beispiel das Eigen- tum, klare Konturen erhalten. Schon bald wurde jedoch erkannt, dass insbesondere in zwei Bereichen des Bürgerlichen Gesetzbuches grundle- gender Reformbedarf besteht. Das galt zum einen für das Familienrecht und zum anderen für das Schuldrecht. Es ist sicherlich kein Zufall, dass es immer sozialdemokratisch geführte Regierungen waren, die den Reformbedarf nicht nur sahen, sondern die notwendigen Reformen auch um- setzten. (Beifall bei der SPD) Die überfällige Reform des Ehe- und Familienrechts wurde in den 70er-Jahren durch die sozialliberale Koali- tion vollzogen, obwohl Sie zuvor fast 20 Jahre regiert hat- ten. Nach jahrzehntelangen Vorarbeiten durch Gutachter und Kommissionen verabschieden wir heute ein moder- nisiertes Schuldrecht. Wir wollen es nicht weiter hinneh- men, dass das Schuldrecht des BGB wegen seiner offen zutage liegenden Defizite einer weiteren Erosion ausge- setzt wird. Schon längst haben Richterrecht und eine Viel- zahl von Nebengesetzen den Kernbereich schuldrechtli- cher Regelungen sukzessive verändert. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Wir werden in der nächsten Zeit noch mehr haben!) Das Schuldrecht des BGB ist zum Teil einfach lebens- fremd, wenn man zum Beispiel an das Recht der Leis- tungsstörungen, also zum Beispiel an die verschiedenen Unmöglichkeitsregelungen denkt, die die Examensklau- suren vieler Studenten, aber weniger den Alltag prägen. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Da hat er Recht! – Alfred Hartenbach [SPD]: Da nickt sogar Herr Funke) Darüber hinaus gibt das Gesetz auf viele drängende Fragen überhaupt keine Antwort. (V o r s i t z: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms) Deshalb mussten die Gerichte beispielsweise für das Ver- schulden beim Vertragsabschluss, für die positive Ver- tragsverletzung und auch für den Wegfall und die Verän- derung der Geschäftsgrundlage eigenständig Lösungen entwickeln, die im BGB nicht vorgesehen waren. (Rainer Funke [FDP]: Na und?) Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat die notwendi- gen und zeitgemäßen Standards gesetzt, die man im BGB vergebens sucht. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Vizepräsidentin Anke Fuchs 18745 (C) (D) (A) (B) Viele Nebengesetze haben inzwischen das Schuld- recht des BGB in den Schatten gestellt und seiner zentra- len Bedeutung beraubt. Das gilt vor allem für das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, das den Betrof- fenen bei der erdrückenden Fülle des Kleingedruckten zu mehr Gerechtigkeit verhilft, für das Verbraucherkreditge- setz und für das Gesetz zum Widerruf von Haustürge- schäften. Es ist gut, dass wir das Verbraucherschutzrecht jetzt wieder in das BGB integrieren und damit verhindern, dass es zu einem Sonderprivatrecht wird. (Beifall bei der SPD) Die unübersichtlich gewordenen und zerklüfteten Ver- jährungsregeln lassen inzwischen jedwede innere Logik vermissen und sind zu Fallgruben für die Betroffenen ge- worden. Nur noch Spezialisten finden sich in diesem La- byrinth zurecht. Da Richter hier nicht korrigierend ein- greifen können, ist der Gesetzgeber gefordert. Das heute zu verabschiedende Gesetz zur Modernisie- rung des Schuldrechts ist deshalb zwingend geboten. Wir schaffen damit transparente und gerechtere Regelungen für den zivilrechtlichen Alltag. Unbestreitbar ist, dass das vorliegende Gesetz grundlegende Defizite des geltenden Schuldrechts beseitigt und das BGB wieder zum zentra- len Ort der Regelung der Rechtsgeschäfte des täglichen Lebens macht. Es ist lange genug und hoch qualifiziert über diese Reform diskutiert und gestritten worden. Jetzt gilt es, das umzusetzen, was sich jeweils als eine ver- nünftige Lösung herauskristallisiert hat. Über mangelnden Dialog kann sich niemand beklagen. Wohl deshalb findet dieses Gesetz auch eine so weitge- hende Zustimmung in den gesellschaftlichen Gruppierun- gen und Organisationen, denen die schon lange erkannten Defizite des Zivilrechts vertraut sind. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Die Schuldrechtsmodernisierung ist ein Vorhaben, das 1978 von dem damaligen Bundesjustizminister Hans- Jochen Vogel begonnen und von seinen Nachfolgern, Hans Engelhard und Klaus Kinkel, fortgeführt und weiter vorangebracht wurde. Es ist dankenswert, dass unsere Bundesjustizministerin diese Arbeiten jetzt zu einem ge- lungenen Abschluss gebracht hat. (Beifall bei der SPD – Norbert Geis [CDU/ CSU]: Mithilfe des Herrn Bachmaier!) Hundert Jahre nach In-Kraft-Treten des BGB war es höchste Zeit, das Schuldrecht einer gründlichen Renovie- rung zu unterziehen und es für das 21. Jahrhundert fit zu machen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Ronald Pofalla von der CDU/CSU-Fraktion. Ronald Pofalla (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Offensichtlich will die Bundesjustizministerin – dafür habe ich Verständnis – als die große Reformerin in die Rechtsgeschichte unseres Landes eingehen. (Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin: Ich bin schon lange drin! – Alfred Hartenbach [SPD]: Ist sie schon!) Anders kann man sich die rastlose Suche nach vermeint- lich reformbedürftigen Gesetzen nicht erklären. Bewundernswert ist der Elan der Bundesjustizministe- rin deshalb, weil sie wider besseres Wissen und gegen noch so vehement und fundiert vorgetragenen fachlichen Rat jeden noch so falsch eingeschlagenen Weg konse- quent und munter zu Ende geht. (Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD) Ermöglicht wird ihr die Tabula rasa des Rechtssystems einzig durch die Stimmenmehrheit der Regierungskoali- tion. Nach diversen Reformen und Reförmchen wird vor al- lem bei der so genannten großen Reform des Schuldrechts klar: Sie ist in dieser Form unnötig. Im Laufe des Gesetz- gebungsverfahrens wurden circa 200 Änderungen in dem Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuld- rechts – sprich: der Schuldrechtsreform – durchgesetzt. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen!) Diese Änderungen basieren im Wesentlichen auf Anträ- gen der unionsregierten Länder. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Hört! Hört!) Hierdurch wurde der Gesetzentwurf im Vergleich zur Ur- sprungsversion zwar verbessert, aber bereits die Notwen- digkeit einer solchen Masse an Veränderungen, die durch die Regierung und die Regierungskoalition auch bereit- willig akzeptiert wurden, zeigt, welch mangelnde Qualität der Gesetzentwurf ursprünglich aufwies. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist der Punkt!) Hier auf dem Rednerpult liegt das Ergebnis der Bera- tungen. Eine Zusammenfassung von 369 Seiten mit über 200 Änderungsanträgen macht deutlich, dass der Aus- gangsentwurf eben nicht ausgereift war. Das lässt be- fürchten, dass selbst diese, jetzt zu entscheidende Fassung – darauf werde ich näher eingehen – für die Rechtspraxis auf Dauer nicht zu gebrauchen sein wird. Die Folge dieser mangelnden Qualität wird sein, dass es eine Anzahl von unerkannten Fehlern geben wird, die erst in den nächsten Jahren bemerkt werden dürften. Ein solch umfangreicher, übers Knie gebrochener Gesetzent- wurf (Joachim Stünker [SPD]: So ein Quatsch!) birgt nun einmal viele Unwägbarkeiten, die offenbar von der Frau Ministerin und den Kolleginnen und Kollegen der Regierungskoalition billigend in Kauf genommen werden. Aber die besonders betroffenen Rechtsanwen- der – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Hermann Bachmaier 18746 (C) (D) (A) (B) (Dirk Manzewski [SPD]: Sind alle dafür!) vom Kaufmann über den Rechtsanwalt bis hin zum Richter – werden nicht vergessen, wer ihnen diese Re- form – ich bin geneigt, es so zu nennen – eingebrockt hat. Wäre der Gesetzentwurf zur Modernisierung des Schuldrechts ein Auto, das neu auf den Markt käme, so drohte Ihnen, meine Damen und Herren von der Regie- rungskoalition, die Produkthaftung; denn Sie hätten zu verantworten, dass die Serientauglichkeit nicht überprüft worden ist und das Produkt daher mit mangelnder Qua- lität auf den Markt kommt. Unter diesen Umständen be- dauert man fast, dass es eine Produkthaftung für Geset- zesvorhaben wie dieses nicht gibt. (Beifall bei der CDU/CSU) Aber die Wähler werden Sie für diese unnötigen und für andere mangelhafte Reformen schon zur Rechenschaft ziehen. Die so genannte große Reform des Schuldrechts weist einige gravierende Fehler auf. Ich werde einige davon be- nennen. Erstens. Nur durch erheblichen Weiterbildungsauf- wand werden sich Justiz und Anwaltschaft wie auch die anderen Rechtsanwender mit den anstehenden Neurege- lungen vertraut machen können. Abgesehen davon, dass Anwaltschaft und die meisten anderen Rechtsanwender bereits ab dem 1. Januar kommenden Jahres alle neuen Verträge nach neuem Recht erstellen müssen und somit die Zeit zur Vorbereitung viel zu kurz bemessen ist, wer- den auch erhebliche Kosten entstehen. (Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der SPD) – Ich habe gelernt: Wer keine Argumente hat, wird laut. Ich entnehme Ihrer Lautstärke, dass Sie dem inhaltlich – das ist für mich nicht überraschend – nichts entgegen- zusetzen haben. (Lachen bei der SPD) Die Rechtsanwender werden Weiterbildungskurse, Li- teratur und Ähnliches benötigen, um die umfangreichen Gesetzesänderungen in der vorhandenen Zeit verinnerli- chen zu können. Die hierbei zu erwartenden Kosten für die Praxis werden erheblich unterschätzt. Ganz im Gegensatz zur Einschätzung der Frau Ministe- rin, die in dem Gesetzentwurf für die öffentlichen Haus- halte keinerlei Kosten veranschlagt, werden auch auf die öffentliche Hand nicht unerhebliche Kosten zukommen, wenn ganze Schuldrechtsbibliotheken in der Nacht vom 31. Dezember 2001 zum 1. Januar 2002 Makulatur werden. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Müll!) Zahllose Kommentare, Lehrbücher und Gesetzestexte müssen in den vorhandenen Bibliotheksbeständen, in de- nen sonst nur in unregelmäßigen Abständen eine Aktuali- sierung notwendig ist, ersetzt werden. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das spricht gegen jede Gesetzesände- rung!) Zweitens. Die vollständige Reform des deutschen Schuldrechts ist auch deswegen sinnlos, weil es mit aller- größter Wahrscheinlichkeit bald von einem allgemein gültigen europäischen Schuldrecht abgelöst wird. Über- legungen zu einem europäischen Schuldrecht sind in der EU-Kommission bereits angelaufen. Im Rahmen der Eu- ropäisierung des Schuldrechts wird eine umfassende Ko- difizierung und Vereinheitlichung des Schuldrechts der Mitgliedstaaten angestrebt. Die von der jetzt beabsichtig- ten Reform betroffenen Rechtsanwender in Deutschland werden also in einem überschaubaren Zeitraum gleich zweimal mit erheblichen Umstellungen eines wichtigen Bereichs des Zivilrechts konfrontiert. Genau das ist unzu- mutbar. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Damit wird in unverantwortlicher Weise Rechtsunsicher- heit in Kauf genommen. Drittens. Bereits bei der jetzigen Umstellung wird auf- grund der geplanten gravierenden Änderungen und der knapp bemessenen Übergangszeit mit erheblicher Rechts- unsicherheit zu rechnen sein, bis sich die Justiz und die Rechtsanwälte auf das neue Recht eingestellt haben und Grundsatzurteile in strittigen Fragen gefällt worden sind. Erst dann werden auch die aufgrund der kurzen Vorberei- tungszeit mit Sicherheit vorhandenen rechtstechnischen Mängel des Entwurfes zutage treten. Bereits das wesent- lich sorgfältiger vorbereitete zurzeit geltende Schuldrecht wies Fehler auf, die in mühevoller Arbeit durch jahrzehn- telange richterliche Rechtsfortbildung behoben wurden. Ich denke, dass Sie den Gerichten mit der Umsetzung die- ses Entwurfes erneut viel Arbeit und den Parteien eines Zivilrechtsstreits viel Frustration bereiten werden. (Zuruf von der CDU/CSU: Wohl wahr!) Viertens. An dieser Stelle möchte ich auf den Faktor Zeit – in diesem Punkt verstehe ich Sie, Herr Kollege Bachmaier, überhaupt nicht – im Zusammenhang mit die- sem Gesetzentwurf etwas genauer eingehen. Für eine wissenschaftliche Durchdringung des zur Diskussion ste- henden Gesetzentwurfes hat die Zeit nicht ausgereicht. (Beifall bei der CDU/CSU) Die alten Vorschläge der Schuldrechtskommission, deren Arbeit überhaupt nicht abgewertet werden soll, sind kein Beleg für eine gründliche und sorgfältige Vorbereitung der Reform. Das umso weniger, als vom ursprünglichen Entwurf nach den bereits erwähnten circa 200 Änderun- gen nicht mehr viel übrig ist. Die wissenschaftlichen Vor- arbeiten der Schuldrechtskommission waren im Hinblick auf den vorliegenden Entwurf nur in ganz engen Grenzen verwendbar. In einem sagenhaften Tempo wurde der Gesetzentwurf zudem an allen Gremien des Bundestages und den Be- troffenen vorbei durch das Gesetzgebungsverfahren ge- hetzt. Die mangelnde Einbeziehung des Deutschen Bun- destages ist eine Entwicklung, die mir am allermeisten Sorge bereitet und über die wir uns an anderer Stelle gesondert unterhalten sollten. Angesichts des Umfangs der Reform habe ich einen solchen Zeitdruck in den letz- ten mehr als zehn Jahren in diesem Haus noch nicht erlebt. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Ronald Pofalla 18747 (C) (D) (A) (B) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Eine solche Eile wird dem hohen Anspruch einer um- fassenden Reform des Schuldrechts nicht gerecht. Die Diskussion wurde am Parlament vorbei geführt. Ich be- tone: Die in der Verfassung und in der Geschäftsordnung vorgesehenen Beteiligungen sind formal – in diesem Punkt gibt es keinen Streit – alle eingehalten worden. Aber eine wirkliche Beteiligung des Parlamentes hat es nicht gegeben. (Rainer Funke [FDP]: Sie war auch nicht ge- wollt! – Gegenruf des Abg. Alfred Hartenbach [SPD]: Herr Funke, mäßigen Sie sich!) Bei einer so grundlegenden Reform des Zivilrechtes soll- ten Sie als Abgeordnete der Koalitionsfraktionen darüber nachdenken, ob Sie sich von Ihrer Regierung das bieten lassen, was wir uns angesichts dieser Zeitknappheit haben bieten lassen müssen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Es kann nicht richtig sein, dass die Diskussion über die fachlichen Aspekte quasi ausschließlich auf der Ebene der Fachbeamten und der Ländervertreter geführt wurde. Ich betone noch einmal: Die Länder, insbesondere der CSU- regierte Freistaat Bayern, haben sehr gute Vorschläge ge- macht, die auch übernommen worden sind. (Norbert Geis [CDU/CSU]: 120!) Aber es war doch eine Diskussion der Beamten und keine der Parlamentarier. Als Sie noch in der Opposition waren, haben Sie – Sie, Herr Manzewski, waren damals in der Tat noch nicht Mit- glied des Bundestages; ich meine die zahlreich vertrete- nen älteren Kollegen Ihrer Fraktion – immer die man- gelnde Beteiligung des Parlamentes beklagt. An manchen Stellen – das möchte ich im Rückblick zugeben – haben Sie Recht gehabt. Aber eine solch große Reform wie die jetzige faktisch an den Parlamentariern des Deutschen Bundestages vorbei durchzuführen kann nicht im Inte- resse dieses Hauses und kann schon gar nicht im Interesse der Bürgerinnen und Bürger sein, deren Repräsentanten wir im Deutschen Bundestag sind. Damit ist die Diskus- sion über die Modernisierung des Schuldrechts auch am deutschen Volk vorbei geführt worden. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Hermann Bachmaier [SPD]: So einen breit an- gelegten Diskussionsprozess haben Sie nie gemacht!) – Herr Bachmaier, ich sage Ihnen ehrlich: Ich hätte von Ihnen an dieser Stelle etwas mehr Kritikfreudigkeit er- wartet. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Die hat er unter vier Augen auch gezeigt!) Ihre Regierung vertrat im Zusammenhang mit einem be- stimmten Ratifizierungsverfahren die Auffassung, dass es nur der einfachen Mehrheit im Deutschen Bundestag be- dürfe. Ich muss Ihnen sagen: Ich habe Hochachtung vor Herrn Professor Meyer, Ihrem Kollegen, der den Mitglie- dern Ihrer Regierung deutlich gemacht hat, (Alfred Hartenbach [SPD]: Das gehört doch nicht hierher!) dass diese Auffassung nicht dem geltenden Recht ent- spricht, weil eine Zweidrittelmehrheit notwendig ist. (Alfred Hartenbach [SPD]: Die brauchen wir hier doch nicht!) Darüber ist nun Konsens erzielt worden. Ich habe mir von Ihnen, Herr Bachmaier, gewünscht – ich kann mich an die Kampfreden, die Sie acht Jahre lang gehalten haben, be- vor Ihre Partei die Regierung übernommen hat, noch sehr gut erinnern –, dass Sie wenigstens einmal kritisch ange- merkt hätten, dass die Bundesregierung in Zukunft nicht mehr so mit den Abgeordneten des Deutschen Bundesta- ges verfahren darf. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich verstehe ja, dass sich die Bereitschaft, kritische An- merkungen zu machen, mit Blick auf mögliche Beförde- rungen, die hin und wieder anstehen, reduziert. (Hermann Bachmaier [SPD]: Soll ich Oberab- geordneter werden?) Auch die Justizministerin hätte sich, als sie noch Spre- cherin der SPD-Arbeitsgruppe im Rechtsausschuss war, niemals bieten lassen, dass eine Bundesregierung eine solche Reform am Bundestag vorbei durchzieht. Sie hätte Recht gehabt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Fünftens. Die so genannte große Reform löst zudem längst nicht alle im Laufe der Rechtsanwendung aufge- laufenen Probleme. Vereinfachungen wurden keineswegs in allen Bereichen erreicht. Längst nicht alle privatrecht- lichen Sondergesetze mit Schuldrechtsbezug wurden so integriert, wie Sie es vorgeben. Ausgerechnet das Produkthaftungsgesetz, eines der bedeutendsten Neben- gesetze, wurden außen vor gelassen. Es kann also summa summarum von einer Beseitigung des Wildwuchses der Sondergesetze überhaupt keine Rede sein. Auch für den einfachen Rechtsanwender wird das Gesetz nicht ver- ständlicher. Die Bildung abstrakter Begriffe und die schon legendäre Verweisungstechnik des bisherigen Schuld- rechtes werden noch exzessiver genutzt und gleichsam auf die Spitze getrieben. Weiterhin sind auch noch grobe Wertungswider- sprüche im Gesetz enthalten, die auch im Gesetzgebungs- verfahren nicht beseitigt werden konnten. Auf die Be- seitigung dieser offensichtlichen Ungereimtheiten zielten einige Änderungsanträge der CDU/CSU-Bundestagsfrak- tion ab; doch stießen diese Änderungsvorschläge unver- ständlicherweise auf den Widerstand der Regierungsko- alition. Um Ihnen einmal vor Augen zu führen, warum diese Änderungsanträge von der CDU/CSU-Bundestags- fraktion auch ins Plenum eingebracht worden sind, möchte ich Ihnen zwei offensichtliche Wertungswider- sprüche aufzeigen. Erstens geht es um die viel zu kurze Frist in dem ge- planten § 196 BGB. Bereits der Bundesrat hat empfohlen, die Verjährungsfrist bei Ansprüchen auf Eigentums- übertragung und auf die Übertragung von Rechten an Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Ronald Pofalla 18748 (C) (D) (A) (B) Grundstücken auf 30 Jahre zu erhöhen. Aufgrund der bestehenden Praxis und der Unzahl von weiterhin beste- henden derartigen Grundschulden – um solche geht es ja – ist der Standpunkt der Bundesregierung unverständ- lich. Krasser Missbrauch könnte im Einzelfall die Folge sein, wenn Sie hier nur eine kurze Verjährungsfrist vorse- hen. Das wird zulasten vor allem von Eigentümerinnen und Eigentümern von Häusern und Grundstücken gehen, die entsprechende Eintragungen im Grundbuch vorge- nommen haben und diese, selbst wenn Tilgungen vorge- nommen worden sind, im Grundbuch stehen lassen, weil sie Eintragungskosten sparen wollen. Wenn die Banken dann die Verjährungseinrede erheben, werden diese Ei- gentümerinnen und Eigentümer von Grundstücken und Häusern letztlich vor den Gerichten unter Verweis auf diese kurze Verjährungsfrist abgewiesen werden. Sie rich- ten damit großen Schaden an. Zweitens. Eine weitere von vielen Unverständlichkei- ten ist der Wertungswiderspruch des § 199 Abs. 2 BGB in der Entwurfsfassung. Hier wird völlig zu Unrecht mit zweierlei Maß gemessen. Zum einen unterliegen An- sprüche selbst aus geringfügigster Körperverletzung, auch im Falle leichtester Fahrlässigkeit, der 30-jährigen Verjährungsfrist des § 199 Abs. 2 BGB in der Entwurfs- fassung. Gleiches gilt im Fall der Gefährdungshaftung ohne jedes Verschulden des Schädigers. Zum anderen ver- jähren Schadensersatzansprüche wegen einer vorsätzli- chen sittenwidrigen Schädigung oder wegen der vorsätzli- chen Begehung einer Straftat nach § 823 Abs. 2 spätestens nach zehn Jahren. Das heißt: Fahrlässigkeitstaten, zum Beispiel eine kleine Verletzung durch eine Ohrfeige, ver- jähren nach 30 Jahren. Wenn aber jemand absichtlich je- manden wirtschaftlich ruiniert, gilt eine kürzere Ver- jährungsfrist. Diese Wertungswidersprüche sind in dem Gesetzent- wurf enthalten. Deshalb – das will ich noch einmal deut- lich machen, da meine Redezeit gleich endet – lehnen wir diesen Gesetzestext so, wie er in der Ausschussfassung heute zur Entscheidung ansteht, ab. Sie geben vor, eine Reform vorzunehmen. Es ist aber keine Reform. Sie wer- den Rechtsanwender verunsichern, haben neue Wertungs- widersprüche eingeführt und einen Teil der alten Pro- bleme nicht gelöst. Sie tragen die Verantwortung dafür. Wir lehnen diesen Gesetzentwurf deshalb aus innerer Überzeugung ab. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Volker Beck vom Bündnis 90/Die Grünen. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Pofalla, manche Argumente nutzen sich durch ständige Wiederholung ab. (Joachim Stünker [SPD]: Hat er welche ge- habt?) Bei jedem Gesetzentwurf, ob es zur Lebenspartnerschaft war, ob es zur Zivilprozessordnung war oder jetzt bei der Schuldrechtsreform (Alfred Hartenbach [SPD]: Mietrechtsreform nicht vergessen!) – Mietrechtsreform, ja; wenn wir eine Weile nachdenken, fallen uns noch zehn andere ein –, erzählen Sie uns, es sei alles zu schnell gegangen, Sie kämen nicht mehr hinter- her, Sie kämen nicht mit. In der Tat, die Koalition hat sich einiges vorgenommen. Wenn Sie das aber bei jeder Re- form vortragen, dann muss das Publikum langsam nach- denklich werden und sich fragen, ob das denn sein kann und wie wir bloß diese Geschwindigkeit aushalten. Auch ein anderes Argument, das Sie vorgetragen ha- ben, lässt sich eigentlich schlecht gegen diese Reform an- führen, nämlich dass durch die Gesetzesänderung neue Gesetzessammlungen und neue Kommentarliteratur fällig werden. Wenn man diesem Argument folgt, dann heißt das natürlich letztlich: Wir machen nichts mehr. Dann können die Bibliotheken ihre Anschaffungsetats reduzie- ren. Aber das kann ja wohl nicht ernsthaft gewollt sein. Nach rund 20 Jahren Diskussion in Wissenschaft und Praxis über die Modernisierung des Schuldrechts hat Rot- Grün jetzt gehandelt. Diese Reform ist die lang erwartete umfassende Generalinventur des Bürgerlichen Gesetzbu- ches. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Wir bringen unser angestaubtes BGB auf Vordermann. Wir werden mit diesem modernen Zivilrecht auf interna- tionaler Ebene wieder ernst genommen. Im Hinblick auf ein europäisches Zivilgesetzbuch wird unser neues BGB Vorbildfunktion haben. (Alfred Hartenbach [SPD]: Genau!) Herr Kollege Pofalla, obwohl sich Ihre Fraktion in den Ausschüssen – zumindest in den Berichterstatterge- sprächen – der Mitarbeit an diesem Jahrhundertwerk weit- gehend verweigert hat, hat der Kollege Geis in der Debatte über den Justizhaushalt treffende Worte gefunden. Er sagte, das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz sei – ich zi- tiere – „zweifellos das bedeutendste zivilrechtliche Vorha- ben dieser Legislaturperiode“. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Ausnahmsweise haben Sie Recht, Herr Geis. Ich teile diese Einschätzung. Umso bedauerlicher ist es, dass die Fraktion der Union dieses bedeutende Vorhaben wegen einiger im Detail ab- weichender Vorstellungen nicht mittragen will. (Alfred Hartenbach [SPD]: Die FDP auch!) Manchmal übertreiben Sie es mit Ihrer Oppositionsrolle einfach ein bisschen. In der Rechtspolitik verpassen Sie mit dieser Blockadehaltung den Modernisierungszug. Dasselbe gilt für die FDP. Obwohl Sie, Herr Kollege Funke, in den Berichterstattergesprächen, an denen Sie Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Ronald Pofalla 18749 (C) (D) (A) (B) immerhin teilgenommen und zu denen Sie einiges beige- tragen haben, Zustimmung signalisiert haben, wollen Sie diese Reform nun offensichtlich nicht mehr unterstützen. Ich finde es wirklich beschämend, wie Sie sich aufgrund ideologischer Zwänge mit dem Hinweis auf einzelne Vor- schriften – offensichtlich haben Sie Angst, mit einer Zu- stimmung der Banken- und Wirtschaftslobby auf die Füße zu treten – zu einer Ablehnung durchgerungen haben. Übrigens tut es mir auch für Ihren Parteifreund Klaus Kinkel Leid – er ist anwesend –; schließlich hat der Kol- lege Kinkel noch im Jahre 1991 den Abschlussbericht der Schuldrechtskommission mit der Hoffnung versehen, es werde alsbald auch zu einem entsprechenden Gesetzent- wurf kommen. Rot-Grün macht jetzt Kinkels Träume wahr, so wie Rot-Grün bereits bei der ZPO-Reform die Träume Ihres Kollegen Schmidt-Jortzig verwirklicht hat; aber das Im-Regen-stehen-Lassen der eigenen Justizministerin und Justizminister hat bei der FDP ja durchaus eine gewisse Tradition. Auch die Kollegin Leutheusser-Schnarrenberger kann aus der Vergangenheit manches berichten. Die Resonanz bei den Expertinnen und Experten in der umfassenden Rechtsausschussanhörung war überwälti- gend. Nahezu die gesamte Praxis unterstützt die Schuld- rechtsmodernisierung. Der von uns gewählten so genann- ten großen Lösung wurde von der großen Mehrheit der Verbände gegenüber einer Art Salamitaktik, wie sie die Opposition vorgeschlagen hat, der Vorzug gegeben, und das zu Recht. Wir wollen den Bürgerinnen und Bürgern sowie den Rechtsanwendern in diesem Land nicht jedes Jahr eine neue Rechtslage zumuten. Wenn wir zunächst nur die EU-Richtlinien umgesetzt hätten, dann hätten wir ein unüberschaubares Chaos an geltenden Rechtszustän- den bekommen. Die renommierte Zivilrechtsexpertin Frau Professor Dauner-Lieb vom Deutschen Anwaltverein hat im letzten „Anwaltsblatt“ gesagt, der Diskussionsentwurf des BMJ vom August 2000 sei in einer beispiellosen Kraftanstren- gung des BMJ unter Mitwirkung von Wissenschaft und Praxis überarbeitet, geglättet und auch deutlich verbessert worden. Ich will mich diesem Lob an dieser Stelle aus- drücklich anschließen. Die Fachebene des Bundesminis- teriums der Justiz hat in der Tat eine ganz bemerkenswerte Arbeit geleistet. Mein Respekt gilt den zuständigen Refe- rentinnen und Referenten, die übrigens bis zuletzt auch gegenüber den Vorschlägen meiner Fraktion aufgeschlos- sen waren. Herzlichen Dank! Vielen Dank auch dafür, dass die Referenten des BMJ jetzt den verschiedenen Berufsgruppen bei den erforder- lichen Fortbildungsveranstaltungen mit ihrem Sachver- stand zur Seite stehen. Vor dem Hintergrund dieser vor- trefflichen und verantwortungsvollen Hilfeleistung durch das Ministerium bin ich sehr zuversichtlich, dass die Rechtsanwender im Hinblick auf die neue Rechtslage ab Januar 2002 bestens gerüstet sein werden. Die Reform des Schuldrechts ist in erster Linie eine Reform für die Verbraucherinnen und für die Verbraucher in unserem Land. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Das freut die Verbraucherpartei Bündnis 90/Die Grünen. Die Verbraucher werden ab Januar 2002 von einer ganzen Reihe von Neuregelungen profitieren. Die spürbarste ver- braucherfreundliche Regelung ist sicherlich die Auswei- tung der Gewährleistungsfrist im Kaufrecht von sechs Monaten auf zwei Jahre. Wir haben darauf geachtet, dass diese Rechtsverbesserung den Verbrauchern an anderer Stelle des Gesetzes nicht wieder genommen wird. Eine Pflicht zur Rüge innerhalb der ersten zwei Monate, ähn- lich wie unter Kaufleuten, bleibt den Verbrauchern er- spart. (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Unter Kaufleuten war das unverzüglich, nicht zwei Monate! Das ist ein Schmarren!) Das ist auch richtig so, weil sich viele Mängel naturgemäß erst nach viel längerer Zeit herausstellen. Gleichzeitig wird bei Schadenseintritt innerhalb der ersten sechs Monate nach Lieferung eine Beweislast- umkehr zugunsten der Verbraucher eingeführt. (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Das ist ein Schmarren!) Die Haftung der Verkäufer wird auf Herstellerangaben und fehlerhafte Montageanleitungen erweitert und der Leistungsverzug – das hat meine Fraktion durchgesetzt – tritt bei Verbrauchern nur dann ohne vorangegangene Mahnung nach 30 Tagen automatisch ein, wenn in der Rechnung auf diese Rechtslage hingewiesen wurde. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, diese Schuldrechtsmoder- nisierung trägt damit an vielen Stellen eindeutig die grüne Handschrift. Auch in den letzten Zügen des Gesetzge- bungsverfahrens haben wir noch diverse Verbesserungen im Detail erreichen können. So haben wir dafür gesorgt, dass die Verjährung von Ansprüchen bei Verletzung des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung künftig bis zum 21. Lebensjahr gehemmt ist. Sie ist im Übrigen auch so lange gehemmt, wie Opfer und Täter in einem Haushalt leben. Das ist eine vernünftige Regelung, die den tatsäch- lichen Umständen in solchen Fällen angemessen Rech- nung trägt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Bislang waren Schmerzensgeldansprüche ja häufig schon verjährt, bevor das Opfer überhaupt anfing, über solche Ansprüche nachzudenken. Bei der Neugestaltung der Verjährungsfristen ge- lingt dem Entwurf die notwendige, weitgehende Verein- heitlichung des derzeitigen Wirrwarrs. Gleichzeitig wird dem Gläubiger auch eine faire Chance eröffnet, seinen Anspruch geltend zu machen. Das Gesetz stellt deshalb beim Verjährungsbeginn auf die Kenntnis oder die grob fahrlässige Unkenntnis des Gläubigers von den an- spruchsbegründenden Umständen ab. (Rainer Funke [FDP]: Auch grüne Ideologie!) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Volker Beck (Köln) 18750 (C) (D) (A) (B) Meine Damen und Herren, die Schuldrechtsmoderni- sierung ist nicht nur eine Reform für alle Rechtsanwender, sondern auch für die Bürgerinnen und Bürger, die in ihrer täglichen Arbeit nicht mit Paragraphen zu tun haben. Durch das Gesetz wird das Vertragsrecht wesentlich ver- einfacht. Es wird damit auch für die Bürgerinnen und Bür- ger durchschaubarer. Wir verhelfen dem BGB wieder zu dem Stellenwert, den es ursprünglich einmal besitzen sollte. Dies tun wir, indem wir zahlreiche Verbraucher schützende Nebengesetze in das BGB integrieren. Damit wird sich die Rechtslage in Zukunft wieder allein aus dem BGB ergeben. Richterrecht, das bislang nur Juristen und welche, die es werden wollten, kannten, wird jetzt aus- drücklich in das Gesetz integriert. (Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Am Ende ver- stehen es auch noch die Rechtspolitiker!) Ich nenne als Stichworte: positive Vertragsverletzung, Culpa in contrahendo oder Wegfall der Geschäftsgrund- lage – all diese Rechtsinstitute stehen jetzt endlich im Ge- setz. Das schafft nicht nur mehr Rechtssicherheit, auch der beliebte Hinweis: „Ein Blick ins Gesetz erleichtert die Rechtsfindung!“ wird mit dieser Reform wieder uneinge- schränkt Geltung beanspruchen können. Deshalb ist es eine gute und eine bürgerfreundliche Re- form. Ich glaube, Sie bieten hierzu einfach keine Alterna- tive. (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Ein Wunschtraum!) Wenn wir Ihrem Weg gefolgt wären, hätten wir jetzt in schöner Regelmäßigkeit neue Rechtszustände in unserem Land. Zu dem, was Sie zur europäischen Entwicklung gesagt haben, erwidere ich Ihnen, dass ich glaube, dass diese Re- form richtungsweisend werden wird, wenn sie denn zu- stande kommt. Wir können aber den Verbraucherinnen und Verbrauchern in unserem Land nicht zumuten, noch länger zu warten und sich auf den europäischen Weg zu verlassen, nur weil dort Diskussionen begonnen worden sind. Vielen Dank, meine Damen und Herren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Kollege Rainer Funke von der FDP-Fraktion. Rainer Funke (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das so genannte Schuldrechtsmodernisie- rungsgesetz, das heute in zweiter und dritter Lesung be- handelt werden soll, wird – da gebe ich Ihnen völlig Recht – das Bürgerliche Gesetzbuch grundlegend verän- dern. Es hat aber noch nie ein so bedeutsames und um- fangreiches Gesetz gegeben, bei dem der Bundestag als zentrales Gesetzgebungsorgan eine solch untergeordnete Rolle gespielt hat. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Dafür trägt die Bundesjustizministerin Verantwortung; dies zeigt aber auch die Schwäche der die Regierung tra- genden Koalitionsfraktionen. (Alfred Hartenbach [SPD]: Mir kommen die Tränen!) Der Bundestag, der Rechtsausschuss und seine Bericht- erstatter haben auf dieses Gesetzgebungswerk kaum Ein- fluss nehmen können, auch wenn Herr Beck meint, dass er als Grüner besonders Einfluss genommen hätte. Aus Sicht des Parlaments handelt es sich um einen völ- lig übereilten Gesetzentwurf. Zwar gab es sicherlich viele Beratungen zwischen dem Bundesjustizministerium, den Ländern und auch einem Teil der Wissenschaft, an denen sich auch die Ministerialbürokratie der Bundesländer intensiv beteiligt hat, auf der anderen Seite ist aber das parlamentarische Beratungsverfahren trotz der anerken- nenswerten Bemühungen, die Opposition in die Bericht- erstattergespräche einzubeziehen, von Anfang an ohne jegliche Auswirkung auf das Gesetzgebungsverfahren ge- blieben. (Dr. Klaus Kinkel [FDP]: Das ist sehr bedauerlich!) Der heute zu beschließende Gesetzentwurf weist – ebenso wie die noch geltende Regelung des § 284 Abs. 3 BGB – erhebliche Mängel auf. In rund 150 Fällen sind Mängel – das ist unbestreitbar und aus- drücklich zu erwähnen – aufgrund der Korrekturwünsche des Bundesrates abgestellt worden. Dennoch haben wir mit Sicherheit in der Kürze der Zeit nicht alle Fehler ent- deckt. Vor allem aber wird es neue Fehler gegeben haben. Die FDP hatte sich zu Beginn der Beratungen stets für die kleine Lösung ausgesprochen. Eine solche kleine Lö- sung ist aufgrund des Vorgehens der Bundesregierung heute nicht mehr möglich. Das Gesetzgebungsverfahren hätte im Rahmen einer kleinen Lösung, die sich auf die Umsetzung der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie konzen- triert, zu Beginn der Legislaturperiode in Gang gesetzt werden müssen. Dieses Gesetz wäre dann hier auch zügig beraten worden. Stattdessen hat man mit einem großen Gesetzentwurf, der erst zur Mitte der Legislaturperiode eingebracht wurde, darauf hingearbeitet, dass letztlich nur noch mittels einer großen Lösung vorgegangen werden konnte. Der Entwurf lässt die europäischen Entwicklungen völlig unberücksichtigt. Ich will hier nicht weiter darauf eingehen, weil der Kollege Pofalla hierzu schon alles We- sentliche gesagt hat. Einige Punkte könnte man inhaltlich sicherlich kriti- sieren. Ich will aber auch positive Aspekte des Gesetzent- wurfes hervorheben: Die FDP begrüßt, dass durch den Gesetzentwurf nunmehr endlich ein weit transparen- teres Vertragsrecht entsteht. (Beifall bei der FDP) Dies gilt auch für die vereinfachten Bestimmungen im Leistungsstörungsrecht, das in der Tat im alten BGB zum Schrecken der Studenten und sonstiger Rechtsanwender reichlich kompliziert gewesen ist. Auch die Handhabbar- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Volker Beck (Köln) 18751 (C) (D) (A) (B) keit des BGB dürfte in vielen Bereichen durch das Gesetz verbessert werden. Wir halten es jedoch für einen Irrglau- ben, dass durch die Aufnahme von bisher nicht gesetzlich kodifizierten Rechtsregeln, wie etwa der positiven Ver- tragsverletzung oder des Grundsatzes culpa in contra- hendo, eine leichtere Handhabbarkeit des Gesetzes für ju- ristische Laien ermöglicht wird. Die FDP unterstützt ausdrücklich die Vereinfachung des in den letzten Jahrzehnten vollkommen unübersicht- lich gewordenen Verjährungsrechts. Die Verlängerung der Gewährleistungsfrist auf zwei Jahre wird von der Regierungskoalition als großer Erfolg verkauft. Ich weiß nicht, worin der große Erfolg besteht. Es handelt sich um eine 1:1-Umsetzung der europäischen Richtlinie. Die Ver- braucherfreundlichkeit, die hiermit erreicht werden sollte, wird dadurch minimiert, dass Industrie und Handel jetzt dazu übergehen müssen, ihre Preise neu zu kalkulieren, weil sie inzwischen höhere Haftungsrisiken haben. Wir halten die Einarbeitung des AGB-Gesetzes in das Bürgerliche Gesetzbuch für unzweckmäßig – das haben wir in den Berichterstattergesprächen immer gesagt –, nachdem das AGB-Gesetz auch durch die Recht- sprechung ein wirksames Instrument für den Verbrau- cherschutz geworden ist. Bewährtes sollte man nicht ohne Not verändern. Auch auf die Einarbeitung bisheriger Nebengesetze hätte man aus systematischen Gründen verzichten kön- nen. Ich glaube, dass es richtig war, was die damalige Op- positionsführerin im Rechtsausschuss, Frau Däubler- Gmelin, vertreten hat, dass nämlich die Nebengesetze außerhalb des BGB geregelt werden sollten. (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU] – Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin: Das ist doch falsch!) – Das ist kein Quatsch, Frau Ministerin, das halte ich wirklich – – (Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin: Quatsch ist das nicht!) – Das hatten Sie aber gesagt. (Susanne Kastner [SPD]: Sie hat gesagt: Das ist falsch!) – Dann entschuldige ich mich; das habe ich eben falsch verstanden. (Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Ungeachtet des Inhaltes darf man von der Regierungsbank ei- gentlich nichts sagen! – Alfred Hartenbach [SPD]: Herr Senator in spe, gut aufpassen!) – Lieber Herr Hartenbach, Sie wissen doch, wie gerne ich bei Ihnen bin. (Joachim Stünker [SPD]: Das kann nicht sein!) Ausdrücklich zu kritisieren ist, dass nunmehr nach § 310 Abs. 4 BGB das individuelle Arbeitsrecht auch den Kontrollmechanismen der allgemeinen Geschäftsbe- dingungen unterliegen wird. Das macht das Verfahren für die Arbeitgeber, insbesondere die mittelständischen Ar- beitgeber, noch schwieriger. Interessanterweise regeln Sie das kollektivrechtliche Arbeitsrecht nicht im BGB, son- dern belassen es außerhalb des BGB. Das ist in meinen Augen bezeichnend. (Beifall bei der FDP) Der Gesetzentwurf wurde, wiewohl die Einflüsse der Koalitionsfraktionen auf den Entwurf sehr marginal wa- ren, an einigen Stellen in den Beratungen dadurch sogar noch verschlechtert, dass die Grünen – Herr Beck, hören Sie ruhig zu, es betrifft Sie; es ist wirklich eine Unver- schämtheit, dass Sie sich immer dann, wenn Sie ange- sprochen werden, mit anderen unterhalten – (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Der Kollege Geis hat mich angespro- chen! Da bin ich so höflich gewesen und habe ihm zugehört!) sozusagen als Anwalt der Verbraucherverbände Formu- lierungen in das Gesetz eingebaut haben, die dem System des bisherigen BGB vollkommen widersprechen. (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Sie sind ja Soziologen, keine Rechtler!) Beispielhaft nenne ich hier § 286 Abs. 3 des Entwur- fes, der bei einem Schuldner, der Verbraucher ist, einen Verzugseintritt selbst dann nicht annimmt, wenn dieser die bestellte Ware bekommen hat – Sie haben es erwähnt – und Unsicherheit über den Zugang der Rechnung besteht. Eine solche Regelung hat noch nicht einmal die EU- Richtlinie zum Verbrauchsgüterkauf gefordert. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Aber ausdrücklich für möglich gehal- ten!) Es schien aber der Wille der Verbraucherverbände zu sein, dass ein Schuldner zukünftig bereits durch die schlichte Behauptung, es habe keine Rechnung beigelegen, einen Monat kostenlos und ohne die Möglichkeit des Gläubi- gers, die Forderung beizutreiben, über den Kaufgegen- stand verfügen kann. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Das kann man so nicht hinnehmen!) Man kann also künftig jedem Verbraucher empfehlen, er solle sich die Ware liefern lassen und behaupten, er habe keine Rechnung bekommen, weil er dann erst einen Mo- nat später zahlen muss. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist unmög- lich!) Wie eine solche Regelung der Behauptung der Bun- desregierung, sie wolle die so genannte schlechte Zah- lungsmoral bekämpfen, entgegenkommen kann, ist nicht nachvollziehbar. Das kann auch nicht in ihrem Interesse sein; (Norbert Geis [CDU/CSU]: Herr Beck kennt sein Interesse nicht so genau!) denn der Käufer, der seine Rechnung bekommen hat und dann nicht zahlt, indem er behauptet, er habe diese Rech- nung noch nicht bekommen, bereichert sich zulasten der- jenigen Käufer, die ordnungsgemäß zahlen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Rainer Funke 18752 (C) (D) (A) (B) (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Norbert Geis [CDU/CSU]) Das kann auch nicht im Sinne der Marktwirtschaft sein. Die Justizministerin mutet mit diesem Gesetz, das in- nerhalb von kürzester Zeit beschlossen und in Kraft treten wird, den beteiligten Berufsgruppen und Wirtschaftskrei- sen erhebliche Umsetzungsarbeit zu. Wir beraten dieses Gesetz dreieinhalb Monate vor seinem In-Kraft-Treten. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Es kommt auch noch in den Bundesrat!) – Es muss auch noch durch den Bundesrat. Ich gehe da- von aus, dass es dort weitestgehend unverändert bleibt. Die Wirtschaft muss sich aber noch auf dieses Gesetz einstellen. Die AGB-Bestimmungen müssen verändert werden. Die Wirtschaft muss sich zugleich auf viele an- dere Dinge einrichten, etwa die Änderung der ZPO und der Insolvenzordnung, sowie die Formulare und das ge- samte Softwareprogramm für den Kaufvertrag verändern. Dies ist schlicht unzumutbar und zeigt, dass diese Bun- desregierung kein Interesse am Gedeihen der Wirtschaft hat. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als nächste Rednerin hat die Kollegin Jella Teuchner von der SPD-Fraktion das Wort. Jella Teuchner (SPD): Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir schließen heute die Bera- tungen über die Modernisierung des Schuldrechtes ab. Damit stärken wir gleichzeitig den Verbraucherinnen und Verbrauchern den Rücken. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist eine Fest- stellung!) Wir stärken wesentliche Verbraucherrechte, wir verein- heitlichen und vereinfachen das Schuldrecht und wir wer- ten die Verbrauchergesetze durch ihre Integration in das BGB auf. Verbraucherinnen und Verbraucher stehen oft vor dem Problem, dass sie die Eigenschaften und die Qualität von Produkten nicht oder nur mit sehr hohem Aufwand fest- stellen können. Sie sind oft auf die Auskünfte von Handel und Hersteller angewiesen. Auch Mängel sind oft nicht sofort sichtbar. Hier werden wir die Rechte der Verbrau- cherinnen und Verbraucher stärken: Erstmals wird jetzt im BGB geregelt, dass der Verkäufer mangelfreie Produkte übereignen muss; der Käufer bekommt einen Anspruch auf Nacherfüllung. Die Beweislast wird beim Auftreten von Mängeln in den ersten sechs Monaten nach Lieferung zugunsten der Käufer umgekehrt. Insgesamt wird die Ver- jährungsfrist bei mangelhaften Produkten zugunsten des Käufers auf zwei Jahre ausgedehnt. Es wird eine Haftung für Herstellerangaben und Werbeaussagen über be- stimmte Eigenschaften der Ware eingeführt. Ich bin mir sicher: Mit diesen Verbesserungen im Kaufrecht wird sich auch die Qualität der Produkte in den Regalen verbessern. (Beifall bei der SPD) Die Produktinformation wird besser werden. Dies nützt den Verbraucherinnen und Verbrauchern, dies nützt aber genauso den Herstellern, die hochwertige Produkte auf den Markt bringen. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Reines Wunsch- denken!) Meine Damen und Herren, für die Verbraucherinnen und Verbraucher sind die Änderungen im Kaufrecht wahr- scheinlich die Änderungen, mit denen sie in ihrem tägli- chen Leben am häufigsten zu tun haben. Die Änderungen bei den Regelungen zu Darlehensverträgen schützen sie bei ihrer wahrscheinlich größten Ausgabe. Als Reaktion auf die Probleme von Verbraucherinnen und Verbrauchern bei fehlgeschlagenen Immobilienkäufen wurden von der Rechtsprechung entwickelte Sonderkündigungsmöglich- keiten aufgegriffen. Auch die Formvorschriften zum Ver- braucherdarlehensvertrag und zu den Vollmachten zum Darlehensvertrag helfen, die Informationsvorschriften zugunsten der Verbraucherinnen und Verbraucher durch- zusetzen. Die Modernisierung des Schuldrechts bringt weitere Verbesserungen für den Verbraucher mit sich: Die Rege- lungen über Widerrufsrechte bei den verschiedenen Ver- braucherverträgen werden vereinheitlicht. Die Verbrau- cherzentralen können sich die Ansprüche gegen ein Unternehmen abtreten lassen und dann gerichtlich durch- setzen. Damit sinkt das Prozesskostenrisiko für die Ver- braucherinnen und Verbraucher. Zudem werden die Verbandsklagemöglichkeiten des ABG-Gesetzes verein- heitlicht. Aus Sicht der Verbraucherinnen und Verbraucher – die Stellungnahmen der Verbraucherverbände unterstützen dies – verbessert sich mit dem Projekt, über das wir heute abstimmen werden, deren Stellung gegenüber den Anbie- tern. Wir geben ihnen die Möglichkeit, ihren Anspruch auf mangelfreie Waren, ihren Anspruch auf wahrheitsge- treue Informationen und ihre wirtschaftlichen Interessen besser durchsetzen zu können, ohne die Anbieter über Ge- bühr zu belasten. Darüber freue ich mich und darin sehe ich einen Teil der Modernisierung des Schuldrechts, die längst notwendig war. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Dr. Evelyn Kenzler von der PDS-Fraktion. Dr. Evelyn Kenzler (PDS): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 1. Januar des Jahres 1900 trat das Bürgerliche Gesetzbuch in Kraft – ein denkwür- diges Datum für ein außergewöhnliches Gesetz, das im Laufe von über 100 Jahren mehrere geschichtliche Um- brüche und zwei Weltkriege überlebt hat. Es hat sich aber, Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Rainer Funke 18753 (C) (D) (A) (B) wie wir alle wissen, in bestimmten Teilen im Laufe der Jahrzehnte schlichtweg überlebt. Nicht umsonst wurde vor wenigen Jahren das Kindschaftsrecht reformiert. Es ist deshalb endlich an der Zeit, dass auch die Einzelge- setze und richterlichen Rechtsfortbildungsakte, die das Schuldrecht weiterentwickelt haben und damit letztlich das BGB am Leben halten, integriert werden. Dass uns nach jahrzehntelangen Bemühungen um eine Reform nunmehr europäische Richtlinien auf die Sprünge helfen, mag man bemängeln. Wichtig ist jedoch letztlich das Er- gebnis und nicht der Anlass. Positiv werte ich allerdings, dass von der Bundesregie- rung nicht die kleine, sondern die so genannte große Lö- sung gewählt wurde. Leider sind die großen Lösungen trotz Vorarbeiten offenbar selten auch als schnelle Lösun- gen zu realisieren. Es ist ein Problem, dass der Gesetzent- wurf in der endgültigen Fassung sehr spät gekommen ist. Das dürfte für die Rechtspraxis, die sich erfahrungs- gemäß schon aus Zeitgründen erst mit dem Endresultat des Gesetzgebers vertraut macht, Schwierigkeiten mit sich bringen. Beim In-Kraft-Treten des BGB waren die ersten Kommentare schon ein Jahr vorher auf dem Markt. Auf der Frankfurter Buchmesse dürfte man heute vergeb- lich nach einem Kommentar oder Lehrbuch suchen. (Hermann Bachmaier [SPD]: Zuerst müssen wir dies verabschieden!) Zutreffend hat die Ministerin bei der Beschlussfassung im Bundeskabinett seinerzeit festgestellt, dass mit dem vorliegendem Gesetzentwurf sichergestellt werden soll – ich zitiere –, „dass das Schuldrecht im BGB auch zukünftig eines der wichtigsten Gesetze im Alltag der Bürgerinnen und Bürger bleibt“. Daran dürfte kein Zwei- fel bestehen. Doch es sollte auch ausgesprochen bür- gerfreundlich – nicht nur im Sinne von „besser verständ- lich“ – und vor allem sozialer werden. Wer die Entstehungsgeschichte des BGB einigermaßen kennt, der wird sich an die alte Forderung seiner Kritiker, zum Beispiel von Anton Menger, erinnern – ich zitiere –: Unser Privatrecht muss ein Tropfen socialistischen Öles durchsickern! Nun trieft der vorliegende Gesetzentwurf keineswegs vor sozialistischen Rechtsvorstellungen – keine Angst –, doch er wird ohne Zweifel ein sozialeres Schuldrecht bringen, ohne gleich eine Rechtsrevolution für den Verbraucher auszulösen. Nebenbei bemerkt: Der Verbraucher be- kommt nichts geschenkt. Die Belastungen, die auf die Wirtschaft und den Handel zum Beispiel durch die ver- längerte Gewährleistungsfrist zukommen, wird er mittra- gen müssen. Man wird sie auf ihn umlegen. Das Schuld- recht bleibt also bürgerlich. Auch wenn nicht alle Wünsche gereift sind: Es ist in der Tat bis zu einem gewissen Grad gelungen, den ange- strebten Zuwachs an Übersichtlichkeit, Rechtssicherheit und Europafähigkeit zu erreichen. Positiv sind grundsätz- lich die Schaffung eines einheitlichen Tatbestandes der Pflichtverletzung, die Verlängerung der gesetzlichen Ge- währleistungsfrist, die konsumentenfreundliche Beweis- lastumkehr in § 476 BGB, die Verpflichtung des Verkäu- fers, eine mangelfreie Ware zu liefern, einschließlich seiner Haftung für die versprochenen Eigenschaften, und die Integration der verstreuten Verbraucherschutzgesetze in das Schuldrecht zu werten. Auch konnten seit der ers- ten Lesung einige Verbesserungen gegenüber dem Ur- sprungsentwurf erreicht werden, zum Beispiel hinsicht- lich des Beginns der Verjährungsfrist in § 199 BGB oder auch der Verlängerung der Verjährung für Mängel- ansprüche bei Bauwerken nach § 438 BGB. Problematisch dagegen erscheint mir weiterhin die Reduzierung der regelmäßigen Verjährungsfrist auf drei Jahre. Diese Frist ist extrem knapp und wird wohl nicht selten zum Verlust berechtigter Ansprüche führen. Schließlich wird die Chance versäumt, auch völlig über- holte Vorschriften anderer Titel des BGB der europä- ischen Rechtslage anzupassen. So ist die Stellung einer Bürgschaft gemäß § 232 Abs. 2 BGB weiterhin als Aus- nahmefall geregelt und § 239 BGB verlangt noch immer einen inländischen Sitz. Angesichts der Komplexität des Reformprojektes ist es sehr schwierig, einzelne Änderungsvorschläge zu ma- chen, da sie zumeist die gesamte Systematik berühren. Wir haben daher einen Änderungsantrag verfasst, der einige Teilaspekte erfasst und sich weiterhin um die so ge- nannten Häuslebauer kümmert; denn die Verbrauchs- güterkaufrichtlinie ordnet eine Reihe von Verträgen, für die bisher Werkvertragsrecht Anwendung fand, nun- mehr dem Kaufrecht zu. Das verbleibende Werkvertrags- recht findet auf die Reparatur- und Wartungsverträge, auf die Transportverträge, auf das geistige Werk sowie auf den Bauvertrag Anwendung. Das übrig gebliebene Werk- vertragsrecht des BGB bietet jedoch keine verlässliche Grundlage für die Regelung der Rechtsverhältnisse am Bau. Der überragenden Bedeutung des Bauens für die Wirtschaft und für den Verbraucher wird nicht genügend Rechnung getragen. Ich weiß, dass die Bundesregierung, so die Wähler es wollen, in der nächsten Legislaturperiode rechtliche Re- gelungen im Bereich des Baurechts plant. Nichtsdes- totrotz halte ich bereits jetzt die von uns vorgeschla- genen Ergänzungen wie den Schutz vor möglicher Ver- kürzung der Verjährung im Teil B der Verdingungsord- nung für Bauleistungen, die Einfügung eines Rechts auf Sicherheitsleistung für den Verbraucher, die Verpflich- tung zur genauen Beschreibung der Bauleistung durch den Erbringer, die Aufnahme eines Rechts auf Kündi- gung des Vertrages, wenn einer Vertragspartei ein Fest- halten am Vertrag nicht mehr zugemutet werden kann, und die Ablehnung der Nachbesserung, wenn der Unter- nehmer unzuverlässig war, für nützlich und auch mach- bar. Ich bitte daher um Zustimmung für unseren Antrag. Ich möchte zusammenfassen: Wir halten die Schuld- rechtsreform, mit der das aus der Jahrhundertwende stam- mende Schuldrecht modernen Entwicklungen angepasst wird, grundsätzlich für erforderlich, und zwar über die Umsetzung der drei EG-Richtlinien hinaus. Wir hätten uns durchaus noch weiter gehende Änderungen vorstellen können. Wir sind jedoch mit der eingeschlagenen Grund- richtung trotz Kritik an Einzelpunkten einverstanden. Wir werden deshalb dem vorliegenden Gesetzentwurf zustim- men. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Dr. Evelyn Kenzler 18754 (C) (D) (A) (B) (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt die Bundesministerin der Justiz, Frau Dr. Herta Däubler-Gmelin. Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin der Justiz: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts ist wirk- lich etwas Besonderes. Da sich die Kolleginnen und Kol- legen der CDU/CSU bei den Berichterstattergesprächen nie haben sehen lassen, (Norbert Geis [CDU/CSU]: Das stimmt nicht! Das ist nicht wahr!) hatte ich eigentlich gehofft, wir könnten wenigstens heute eine inhaltliche Auseinandersetzung führen. Ich hatte mich auf die Rede von Herrn Pofalla schon richtig gefreut. Leider Gottes hat er seine Standardrede, die er hier schon oft gehalten hat, wieder aus der Schublade gezogen. Ob- wohl Sie mich sozusagen ins Geschichtsbuch einsortieren – das ist aber mittlerweile auch schon so häufig passiert, dass es nicht mehr originell ist –, finde ich das ein biss- chen schade. Die Schuldrechtsmodernisierung ist wirklich etwas Besonderes, weil sie die erste systematische und grundle- gende, aber auch dringend notwendige Änderung unseres Schuldrechtes seit dem In-Kraft-Treten am 1. Januar 1900 ist. Es ist schade, dass die Auseinandersetzung in der Sa- che fehlt. Hätten Sie diese Modernisierung vollbracht – es war genügend Zeit während der Regierung von CDU/ CSU und FDP –, (Norbert Geis [CDU/CSU]: Wir haben viel ge- leistet! Wir konnten nicht alles machen!) dann hätten Sie Jubelgesänge angestimmt. Ein bisschen mehr Beteiligung und ein bisschen mehr Anerkennung hätte auch der größten Oppositionsfraktion, der CDU/ CSU, nicht schlecht angestanden. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Sie wissen natürlich ganz genau, dass es kaum ein so grundlegendes zivilrechtliches Modernisierungswerk ge- geben hat, das so breit, so intensiv und – nehmen wir al- les zusammen – so lange diskutiert worden ist. (Widerspruch bei der CDU/CSU – Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Frau Minis- terin!) – Ihre Zwischenrufe gehören zum Geschäft. (Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Von hier dürfen Sie rufen, aber nicht von der Regierungsbank!) Für die Öffentlichkeit sage ich: Schon 1978 wurde die Frage der Schuldrechtsmodernisierung – ich war damals bereits Mitglied des Rechtsausschusses, Herr von Stetten – erörtert. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Warum haben wir so spät den Referentenentwurf bekommen?) Dann ist mit Ihrer Beteiligung eine Kommission einge- setzt worden, die 1992 ihre Ergebnisse vorlegte. Sie wur- den nicht nur von uns, sondern auch von der CDU/CSU, vom Deutschen Juristentag und von anderen begrüßt. Dann ist Ihnen aber die Luft unter dem Hut ausgegangen. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Zu der Diskussion sind wir erst vor einem Jahr gekommen!) Offiziell haben Sie erklärt, Sie warten noch auf die euro- päische Verbrauchsgüterkaufrichtlinie. Nun liegt diese Richtlinie vor. Sie wissen ganz genau, dass sie – darüber wurde so furchtbar gejammert – bis zum 1. Januar 2002 umgesetzt werden muss. Dann müssen Sie sich einfach entscheiden. Wollen Sie es machen wie der von mir sehr geschätzte Kollege Pofalla, der dieses Datum gar nicht erwähnt? Dann wun- dert es mich aber überhaupt nicht, dass in Ihrer Regierungszeit die Reisevertragsrichtlinie nicht rechtzei- tig umgesetzt wurde, was dazu geführt hat, dass die Bun- desrepublik Deutschland Schadensersatz in Millionen- höhe zahlen musste. Meine Damen und Herren, wenn wir dieses Datum nicht einhielten, wäre die Schadensersatzverpflichtung ungleich höher. Aber wenn wir dieses Datum akzeptieren – das mussten wir, weil es einfach eine Vorgabe war –, dann hat es überhaupt keinen Sinn, so zu tun, als könne man das alles ad calendas graecas hinausschieben. (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Wir hätten eine Seite gebraucht!) Ich hätte erwartet, dass jemand von Ihnen, der sich be- teiligen will, an den zahllosen Symposien, an den Ge- sprächen, an den Möglichkeiten, sich im Bereich der Wissenschaft oder der Öffentlichkeit einzuklinken, teil- genommen hätte. Dies ist nicht erfolgt. Es gab in der Wissenschaft auch andere Meinungen, zum Beispiel von den Kollegen Professoren Altmeppen und Wilhelm. Ich habe ihren fachlichen Standpunkt nicht geteilt; aber sie hatten wenigstens einen. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Herr Pofalla hat sei- nen Standpunkt in fünf Punkten dargestellt!) Jetzt will ich Ihnen einmal sagen, was sie geschrieben haben, nachdem sie ihren Widerstand eingestellt hatten: Sie seien auch bei den Vertretern der Oppositionsparteien gewesen. Diese seien „naturgemäß einer Kritik aufge- schlossen“ gewesen, hätten „sich aber in grundsätzlichen und in Detailfragen des Entwurfs als überraschend wenig informiert“ präsentiert. Ich zitiere wörtlich: Sie waren ersichtlich mehr daran interessiert, von uns irgendwelche „Munition“ gegen die Regierungs- arbeit zu erlangen, als dass sie sich für die Proble- matik einer derartigen Gesetzgebungsarbeit interes- sieren ließen. (Zurufe von der SPD: Hört! Hört! – Na so was! – Norbert Geis [CDU/CSU]: Wer hat denn das geschrieben?) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 18755 (C) (D) (A) (B) Ich habe dies mit Abscheu und Empörung zurückge- wiesen. (Beifall bei der SPD) Allerdings muss ich den Standpunkt überdenken, nach- dem ich die Rede von Herrn Pofalla gehört habe. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist eine Ver- leumdung!) – Sie können das Dokument gern haben. Der Punkt ist: Das ist in der Öffentlichkeit bekannt. Meine Damen und Herren, lassen Sie uns festhalten: Dieses Gesetz wurde nicht nur mit den Ländern diskutiert – dafür danke ich übrigens ganz besonders –, sondern auch von einer sehr breiten wissenschaftlichen – kriti- schen und auch durchaus unterstützenden – Diskussion begleitet. Wir haben einen sehr breiten Diskurs organi- siert. Deswegen ist es keine Schande, sondern gut, dass wir die Überlegungen und Anregungen aufgenommen ha- ben, die ja im Vergleich zu denen der Schuldrechts- modernisierungskommission vernünftiger und besser wa- ren. Nur so kann ein solches Gesetz entstehen. Wir hätten es aber begrüßt, wenn Sie sich da ein bisschen stärker ein- gebracht hätten. Wertvolle Unterstützung erhielten wir übrigens nicht nur von Wissenschaftlern, von der Schuldrechtskommis- sion, von Gerichten und gerade auch von Praktikern, son- dern auch aus den Berufsverbänden. Schauen Sie sich doch die Stellungnahmen des Richterbundes, des Anwalt- vereins, der Anwaltskammern, der Notarkammern oder der Handwerkskammern an! Sie waren alle der Meinung: Jawohl, das muss jetzt sein. (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Mir schreiben sie aber anderes!) Meine Damen und Herren, lassen Sie uns noch einmal den Anlass hervorheben. Dies war zunächst einmal die Umsetzung von drei wichtigen europäischen Richtlinien. Eine dieser Richtlinien ist die europäische Verbrauchsgü- terkaufrichtlinie. Über das Zeitlimit und über die Folgen habe ich schon gesprochen. Jetzt ist aber noch die Frage: Hätte man das sinnvollerweise in zwei oder drei Stufen umsetzen sollen? Darüber kann man doch reden. Darüber haben wir auch geredet, auch wenn Sie sich nicht daran beteiligt haben. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Wir sind doch zu Berichterstattergesprächen ohne Absprache einbestellt worden! Dann sind sie wieder ver- legt worden!) – Die Zwischenrufe des allseits verehrten und geschätzten Kollegen Geis! Er weiß es in Wirklichkeit besser. Aber alle Beteiligten, die hier sehr intensiv mitgewirkt haben, und gerade die Praktiker, die Anwender und die Verbände haben gesagt: Wir wollen den Umsetzungsbe- darf und die Umsetzungskosten nur einmal. Wir wollen sie nicht noch einmal haben, nachdem wir sie wegen der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie zum 1. Januar 2002 so- wieso haben. Dies muss hier nochmals festgehalten wer- den. Das ist auch von der Sache her sinnvoll, und zwar ein- fach deswegen, weil diese Verbrauchsgüterkaufrichtlinie zwei Schlüsselvorgaben enthält, die sinnvollerweise mit einer Modernisierung des Schuldrechts Hand in Hand ge- hen müssen. Das ist zum einen die Verlängerung der Ver- jährungsfrist für Mangelansprüche beim Kauf- und beim Werkvertrag. (Abg. Norbert Geis [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage) – Entschuldigen Sie, Herr Präsident. Der Kollege wartet, ich weiß. – Aber wenn Sie sich noch etwas gedulden, Herr Geis? (Norbert Geis [CDU/CSU]: Zehn Sekunden!) – Danke schön. Bitte setzen Sie sich doch wieder. Ich brauche noch einen Moment. Die Verjährungsfrist beträgt also künftig statt bisher sechs Monate zwei Jahre. Natürlich haben Sie Recht, Herr Funke: Das ist gut. Auch in einem weiteren Punkt haben Sie Recht: Das schreibt die entsprechende europäische Richtlinie vor. Das ist eine Schlüsselvorgabe. Nur, wer dies gut findet und wer weiß, dass wir diese europäische Richtlinie umsetzen müssen, der darf nicht dagegen- stimmen, sondern muss zustimmen. (Beifall bei der SPD – Ronald Pofalla [CDU/ CSU]: Wir müssen gar nichts!) Das heißt, man kann nicht alles haben. Auch das muss man bedenken. Jetzt kann der Kollege Geis seine Zwischenfrage stel- len. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kol- lege Geis, die Frau Ministerin erlaubt Ihnen, eine Zwi- schenfrage zu stellen. Bitte schön. (Heiterkeit – Ronald Pofalla [CDU/CSU]: Die befiehlt uns ja auch, was wir machen müssen!) Norbert Geis (CDU/CSU): Ich bedanke mich für die Erlaubnis zu einer Zwischenfrage. Frau Ministerin, wenn es richtig ist, dass aufgrund der Umsetzung der vorliegenden europäischen Richtlinien zum 1. Januar 2002 sinnvollerweise das gesamte Werk zur Modernisierung des Schuldrechts verabschiedet werden soll, wäre es dann nicht richtig gewesen, den entspre- chenden Diskussionsentwurf nicht erst ein Jahr vor Ver- abschiedung, also ungefähr jetzt vor einem Jahr, auf den Tisch zu legen? Im Übrigen ist von diesem Diskussions- entwurf, wie Sie selber wissen, fast nichts übrig geblie- ben. Wäre es also nicht sehr viel besser gewesen, diese ge- samte Diskussion – besonders im Hinblick darauf, dass Parlamentarier auch andere Verpflichtungen haben – ein Jahr früher zu beginnen? Sie sollten bedenken, dass die Diskussion über das BGB, das vor 100 Jahren rechtskräf- tig geworden ist, 20 Jahre gedauert hat. Im vorliegenden Falle haben wir die Diskussion über den konkreten Ge- setzentwurf nur ein Jahr lang geführt. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Bundesministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin 18756 (C) (D) (A) (B) Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin der Jus- tiz: Herr Kollege Geis, Sie wissen wahrscheinlich ganz genau, dass wir zwischen 1978 und 1980 und dann wie- der um das Jahr 1992 über diese Fragen lange diskutiert haben. In einem Punkt gebe ich Ihnen aber Recht: Ich hätte es sehr begrüßt, wenn auch der Bundestag während der Verhandlungen über die Verbrauchsgüterkaufrichtli- nie und die beiden anderen damit verbundenen europä- ischen Richtlinien auf europäischer Ebene mitdiskutiert hätte. Sie wissen ganz genau: Ich war damals nicht in der Position, in der ich dies hätte sicherstellen können. Sie wissen auch, dass ich europäische Richtlinienentwürfe immer sehr rechtzeitig in die entsprechenden Gremien dieses Hauses einbringe. Nur, auch wenn eine Richtlinie innerhalb von nur zwei bis zweieinhalb Jahren umgesetzt werden soll, muss man erst einmal einen Diskussionsent- wurf erarbeiten. Selbstverständlich weiß ich, dass wir alle sehr viel zu tun hatten. Sie hatten diesen Gesetzentwurf zum ersten Mal im September des vergangenen Jahres auf dem Tisch. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Im November!) – Nein, im September. Ich habe Ihnen in diesem Zusam- menhang einen persönlichen Brief geschrieben. Deswe- gen weiß ich das ganz genau. Ich hätte es begrüßt, wenn Sie sich ein bisschen mehr beteiligt hätten. Unsere Schuld ist es nicht. Die Sache wäre es wert gewesen. Zudem haben wir nicht nur die Zahlen der Verjährungsfristen gemäß der ersten Vorgabe, von der ich bereits gesprochen habe – lassen Sie mich da- rauf zurückkommen –, ausgetauscht, sondern auch das Verjährungsrecht wieder stimmig gemacht. Das heißt, wir haben das System des Verjährungsrechts wieder à jour modernisiert und damit eine ganze Reihe von Ungereimt- heiten, aber auch von Fehlentwicklungen im Schuldrecht beseitigt. Auch Sie hätten das in der Zeit nach 1992 tun können. Sie haben dies nicht gemacht. Sie werden Ihre Gründe dafür gehabt haben. Seien Sie also so freundlich und grei- fen Sie uns deshalb nicht an! Sehen Sie vielmehr die deut- lichen Vorzüge gerade für die Anwender in der Praxis! Der zweite strukturell entscheidende Punkt in der Ver- brauchsgüterkaufrichtlinie klingt unscheinbar, ist aber für eine einheitliche Umsetzung absolut notwendig: Das ist die Bestimmung in der Richtlinie selber, dass die Kaufsa- che den vertraglichen Vorgaben entsprechen und frei von Mängeln sein muss. Sie selber wissen aus der bisherigen Rechtsprechung und aus dem BGB, dass es hier unglaub- lich viele Wege gegeben hat. Zusammen mit der Schuld- rechtsmodernisierungskommission sind wir der Meinung, dass eine Antwort genügt. Diese ist jetzt vorgelegt wor- den. Hierin werden wir im Übrigen von der Wissenschaft und ganz besonders von der Praxis unterstützt. Hinzu kommt, dass wir die Gewährleistungsfalle für das Handwerk abschaffen. Das erklärt, warum der Mittel- stand und gerade das Handwerk für diese Reform sind. Hinter der Gewährleistungsfalle verbirgt sich – für dieje- nigen, die das nicht wissen – Folgendes: Wenn Sie in Ihrem Haus oder in Ihrer Wohnung von einem Glaser Fenster einbauen lassen, dann haftet dieser Ihnen als sei- nem Kunden gegenüber länger, als er gegenüber seinem Lieferanten Gewährleistungsrechte geltend machen kann. Das ist die Gewährleistungsfalle, die wir jetzt ausräumen. Dafür ist uns gerade das Handwerk dankbar. Im Leistungsstörungsrecht führen wir einen einheitli- chen Pflichtverletzungstatbestand ein; das ist erwähnt worden. Das „case law“, das die Rechtsprechung gerade in diesen Fällen entwickelt hat, führen wir, soweit es sich zu einem gesicherten Bestandteil des Rechts entwickelt hat, wieder ins Bürgerliche Gesetzbuch zurück. Das Glei- che gilt für manche Sondergesetze. Jetzt komme ich zu den, wie ich finde, merkwürdigen Behauptungen, die hier aufgestellt wurden. Es gibt zwei Theorien, über die man streiten kann. Die eine Theorie besagt: Das Bürgerliche Gesetzbuch von 1900 soll als Leistung der deutschen Rechtskultur sozusagen wie eine Monstranz in einen Glaskasten gesperrt, gelegentlich aus- gepackt, abgestaubt und wieder hineingestellt werden, während das gesamte wirtschaftliche Leben seit Jahr- zehnten neben dem BGB durch „case law“ oder durch Sondergesetze – insbesondere bei der Umsetzung von EU-Richtlinien – geregelt wird. Wir haben gesagt, dass wir das nicht wollen. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Das wird auch in Zukunft so sein!) Deshalb machen wir das nur – das ist die zweite Theorie –, soweit es sinnvoll und nützlich ist. Wir haben das in Be- zug auf das Mietrecht getan und wir machen das jetzt in Bezug auf das Gesetz über die Allgemeinen Geschäftsbe- dingungen. Sehr geehrter Herr Pofalla, wenn Sie plötzlich der Mei- nung sind, man solle das auch bei dem Produkthaf- tungsgesetz machen, warum haben Sie das dann nicht be- antragt? (Ronald Pofalla [CDU/CSU]: Machen Sie die Gesetze oder wir? Das können Sie uns nicht vorwerfen! Sie wechseln ständig die Position! Null Linie!) Ich persönlich halte es für falsch. Sie haben das nie bean- tragt. Aber uns das dann vorzuwerfen, das entspricht der Qualität dessen, was Sie hier insgesamt vorgetragen ha- ben. Das ist ziemlich flach. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Ronald Pofalla [CDU/ CSU]: Nein, Sie wechseln ständig die Position, wie immer! Keine Linie!) Das BGB erhält auf diese Weise als zentrale zivilrecht- liche Kodifikation wieder die Bedeutung und die Funk- tion zurück, die sich mit einer solchen Institution der deut- schen Rechtskultur verbinden sollten. Die Modernisierung bewirkt auch einen fairen Interes- senausgleich. Auf der einen Seite steht das Interesse der Verbraucher – darauf ist schon hingewiesen worden; ich glaube, das ist eine gute Sache –, und zwar zum Beispiel im Kaufrecht beim Mangelbegriff und bei den Gewähr- leistungsfristen. Auf der anderen Seite gibt es nicht nur Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Bundesministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin 18757 (C) (D) (A) (B) Vorzüge für den Mittelstand und das Handwerk, sondern ebenso profitieren Wirtschaft und Vertrieb von klaren, ab- gestimmten und teilweise kürzeren Verjährungsfristen oder Rückgriffsrechten, aber auch von erheblich pra- xisgerechteren Regelungen sowie von größerer Rechtssi- cherheit und damit, so hoffe ich, auch von einem erhebli- chen Rückgang der Zahl der Rechtsstreitigkeiten. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Die Bauhandwer- ker sind nach wie vor unzufrieden! – Ronald Pofalla [CDU/CSU]: Alle sind unzufrieden, mit Ausnahme der Ministerin!) – Das Bauhandwerk hat mit dem Schuldrechtsmoderni- sierungsgesetz nicht unmittelbar zu tun. Das Werksver- tragsrecht und das Bauvertragsrecht sollten wir – aber dann hoffentlich mit mehr Beteiligung der CDU/CSU- Opposition – etwas später und gründlicher diskutieren. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Wir haben ja selber Vorschläge gemacht, die Sie abgelehnt haben! Es wäre gut gewesen, Sie hätten sie mitgenom- men!) Jetzt komme ich noch einmal zu der europäischen Ebene. Das schlägt dem Fass den Boden aus. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Das Argument ist nicht ohne!) Jeder weiß ganz genau, dass die deutschen Schuldrechtler bei der Aushandlung der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie deswegen so wenig gehört wurden, weil alle Nachbarlän- der gesagt haben, wir hätten keine modernen Regelungen; diese Regelungen seien für sie nicht interessant. Nun mo- dernisieren wir das Schuldrecht und gestalten es europa- kompatibel, damit wir bei der künftigen Erarbeitung eines europäischen Vertragsrechts den Fuß in der Tür haben. Aber das ist Ihnen auch wieder nicht recht. (Ronald Pofalla [CDU/CSU]: Das ist völlig überflüssig!) – Sie wissen ganz genau, dass die EU-Kommission gerade angefangen hat, einen Fragebogen zu versenden. Die Aus- wertung dieses Fragebogens wird vielleicht irgendwann dazu führen, dass die Notwendigkeit eines europäischen Vertragsrechts von den Mitgliedstaaten bejaht wird. Aber wir wissen ganz genau, dass in den kommenden Jahren damit nicht zu rechnen ist. Deswegen sage ich: Wir schaffen ein europakompa- tibles Recht, weil wir damit mehr Einfluss in Europa ha- ben. Sie täten gut daran, es zu unterstützen. Jetzt noch etwas zu der Übergangszeit. Wir haben der Wirtschaft sehr deutlich angeboten, mit dem, was man jetzt noch nicht umsetzen muss, zum Beispiel im Be- reich der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, zu warten. Sie haben das in den Verbandsanhörungen abgelehnt. Sie haben unserem Weg zugestimmt und nicht Ihrer Kritik. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Ronald Pofalla [CDU/CSU]: Ein Jahr!) Deswegen ist es auch ein Gebot der intellektuellen Red- lichkeit, (Ronald Pofalla [CDU/CSU]: Ein Jahr! Täuschung!) zu sagen, dass es so ist, Herr Pofalla. (Ronald Pofalla [CDU/CSU]: Sie täuschen, Frau Ministerin! Ein Jahr haben Sie angebo- ten!) – Herr Pofalla, ich weiß, dass Sie heute nichts anderes sa- gen können. Aber es ist wirklich traurig. Sie sollten auch über die Art und Weise, wie Sie sich hier einbringen, noch einmal nachdenken. (Ronald Pofalla [CDU/CSU]: Ein Jahr!) Das scheint mir langsam ein persönliches Problem zu werden. (Heiterkeit bei der SPD) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluss noch eines sagen: Sehr viele haben mitgearbeitet. Ich bedanke mich keineswegs allein bei den vielen Wis- senschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die konstruktiv mitgearbeitet haben, ob nun kritisch oder nicht. Ich be- danke mich vielmehr ausdrücklich auch bei den Ländern, die daran mitgearbeitet haben, auch wenn es diese Justizministerin und das Bundesministerium der Justiz waren, die den Diskussionsprozess von Anfang an darauf angelegt haben. Ich bedanke mich übrigens auch bei den Berichterstattern dafür, dass sie sich in diese schwierige Materie so hervorragend eingearbeitet haben, bei allen, die sich hiervon angesprochen fühlen und die auch ange- sprochen sind. Lassen Sie mich noch hinzufügen: Sie gestatten, dass ich mich auch bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und insbesondere bei den Verantwortlichen der Abtei- lung I des Bundesministeriums der Justiz bedanke, (Beifall im ganzen Hause) die in langer und mühevoller Arbeit und zum Teil auch in Arbeitsprozessen, die der normalen Arbeit eines Ministe- riums nicht entsprechen, nämlich in Zusammenarbeit mit vielen Wissenschaftlern in zahllosen Symposien, diese schwierige Materie so hervorragend bearbeitet haben. Herzlichen Dank! Ich glaube, das Ergebnis wird gut. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Evelyn Kenzler [PDS]) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten von der CDU/CSU-Fraktion. Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe bei der Diskussion, wenn ich die unterschied- lichen Interpretationen höre, den Eindruck, dass wir über verschiedene Gesetzentwürfe diskutieren. Das kann man Ihnen, Frau Ministerin, natürlich nicht absprechen: Mutig sind Sie. Widerstand ermuntert Sie. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Bundesministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin 18758 (C) (D) (A) (B) Sie gehen notfalls mit dem Kopf durch die Wand und zie- hen ihn erst zurück, wenn es wehtut. (Heiterkeit bei der CDU/CSU) Damit haben Sie schon ganze Generationen Ihrer Partei- genossen und -genossinnen zur Weißglut gebracht. Sie streiten ja nicht nur mit uns im Rechtsausschuss, sondern angeblich, so hört man, streiten Sie auch im Kabinett. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Was? Wird da überhaupt noch gestritten?) Mit der von Ihnen forcierten Zivilprozessrechtsre- form wollten Sie sich ein Denkmal setzen. Das Ge- schichtsbuch will ich einmal auslassen. Aber noch bevor Sie sich zur Probe auf das Denkmal setzen konnten, war der Sockel schon weggestoßen, weil die einhellige Mei- nung der Anwälte, der Richter und der Professoren so abenteuerliche Reformen in Grund und Boden ver- dammte. (Joachim Stünker [SPD]: Das ist aber jetzt nicht in Ordnung! Das ist das falsche Thema!) Sie haben dann, wie man so schön sagt, lieber Herr Stünker, „die Kurve gekratzt“, und Ihr Reformgesetz be- kam eine Beerdigung erster Klasse. Aber ein Glück: Es gab ja noch eine EU-Richtlinie und einen Referentenentwurf, auf den Sie sich im Frühjahr mit Macht stürzen konnten, obwohl noch im März, Frau Mi- nisterin, Staatssekretär Professor Pick auf Anfrage zusi- cherte, dass dieser Referentenentwurf in dieser Legisla- turperiode nicht in das Gesetzgebungsverfahren kommen sollte, sondern nur die EU-Richtlinien umgesetzt werden sollten. Sie haben dann Ihre Mitarbeiter in Tag- und Nachtar- beit einen Gesetzentwurf ausarbeiten lassen. Dass infolge der Schnelligkeit einige Fehler passierten, liegt nicht an diesen; aber uns knallten Sie ihn sozusagen auf den Tisch. Es wurde auch nicht 20 Jahre und auch nicht seit 1978 an dem Entwurf gearbeitet, sondern seit 1992 ruhte das Gesetzgebungswerk dieser Kommission. Im Grunde ge- nommen hatten wir ihn erst in den letzten vier, fünf Mo- naten. Sie haben es sehr geschickt gemacht, Frau Ministerin: Sie haben die Entrüstung ein wenig gebändigt, indem Sie sagten, Sie seien nach allen Seiten offen und Veränderun- gen könne man noch jederzeit vornehmen. Entsprechende Wünsche kamen zu Hunderten: vom Bundesrat, von Ver- bänden, von Rechtsgelehrten. Aber die Übersichtlichkeit nahm zunächst einmal ab. Berichterstattergespräche – Sie haben es eben erwähnt; man hätte lange diskutieren kön- nen – haben Sie uns wie ein Feigenblatt angeboten, weil uns unmittelbar vor der Sitzung oder direkt zur Sitzung neue Synopsen, mal als zweite Synopse, mal als Ände- rung, mal als Schlusssynopse, jeweils im Umfang von bis zu 450 Seiten, vorgelegt wurden. Sie sollten sich daher nicht wundern, dass wir teilweise die aufoktroyierten und diktierten Termine abgelehnt haben. (Beifall bei der CDU/CSU) Eine der Hauptursachen war, dass Sie unsere Bitte, das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz in Ruhe zu beraten und der Praxis – sowohl den Anwälten als auch den Rich- tern, dem Handel und dem Handwerk – einen entspre- chenden Vorlauf zur Erarbeitung zu geben, kategorisch abgelehnt haben. Die wenigen Paragraphen, die wegen der EU-Richtlinie hätten verändert werden müssen, hätten fast auf einer Seite Platz gefunden und hätten völlig un- abhängig von der Schuldrechtsreform gut zum 1. Ja- nuar 2002 in Kraft treten können; das Gesetz – über die- ses werde ich nachher noch etwas sagen –, das im Grunde vernünftig ist, wäre zum 1. Januar 2003 oder zum 1. Ja- nuar 2004 rechtzeitig, durchdacht und gründlich beraten in Kraft getreten. Diese Chance haben Sie, Frau Ministerin, vertan. Die Schuldrechtsreform hätte noch immer Ihren Namen ge- tragen. So sind wir mit Sicherheit bereits ab Januar dabei, viele Reparaturgesetze und Ergänzungen zu erarbeiten und zu beschließen, um das richtig zu stellen, was in der Eile nicht durchdacht werden konnte. Ich kann mich im Übrigen ganz im Gegensatz zu Ihnen nicht daran erinnern, dass wir ein wichtiges Gesetz im Rechtsausschuss so dilettantisch wie das Schuldrechts- modernisierungsgesetz verabschiedet haben. Es war und ist bei uns im Rechtsausschuss üblich, dass wir vor der letzten Beschlussfassung jeden Paragraphen, manchmal sogar die Absätze einzeln beraten und abstimmen. Bei diesem angeblichen Jahrhundertgesetz wurden nach kur- zen allgemeinen Ausführungen Hunderte von Paragra- phen auf einmal beschlossen und durchgeboxt. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Aber nicht auf unser Verlangen, sondern im Einvernehmen der Obleute!) – Wie kann man ein solches Gesetz in zwei Stunden durcharbeiten? Man hätte dafür zwei Tage gebraucht, um es vernünftig zu machen. Die Degradierung des Rechtsausschusses und vor allem die Degradierung Ihrer eigenen Parteigenossen und Ihrer Bündnisgenossen, der Grünen, von denen höchstens vier bis fünf Kollegen daran gearbeitet haben, ist offensichtlich. Dies ist nicht würdig und zeigt Ihre Wertschätzung. Frau Ministerin, Sie haben gerade fast schwärmerisch von der breiten Zustimmung von Verbänden und Profes- soren gesprochen. Sie müssen eine andere Klientel haben als wir. Wir erhalten auch heute noch ständig Warnungen vor dem Gesetz und Anträge auf Veränderungen, insbe- sondere die eindringliche Bitte, das In-Kraft-Treten des Gesetzes zu verschieben. Als ein Beispiel nenne ich die Stuttgarter Rechts- anwaltskammer – ich erwähne sie, weil sie unsere ge- meinsame Kammer ist; Sie kennen sie sehr gut –, die in ihrem aktuellen Kammerreport schreibt: „Bei der Schuldrechtsreform droht Chaos“, „Die überstürzte Um- setzung der Schuldrechtsreform wird für viele Unterneh- mer hohe Verluste mit sich bringen und zudem zu einem rechtlichen Chaos führen“, „Schaden für den Mittelstand und für die Verbraucher“, „Die Anwaltschaft gerät unter Druck“, „Experten fordern Verschiebung“. – Ich habe mit der Kammer in Stuttgart nur einen Verband genannt. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten 18759 (C) (D) (A) (B) Hektisch einberufene Seminare versuchen, das Schlimmste zu verhindern. Hunderttausende von Betrie- ben müssen ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen än- dern. 100 000 Anwälte und 20 000 Richter werden über Nacht zu Studenten – das ist nicht unbedingt falsch –, um das neue Recht richtig anzuwenden. (Heiterkeit bei der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Die Repetitoren freuen sich!) Sie waren – auch das muss man sagen –, Frau Minis- terin, flexibel, um den Bundesrat mit ins Boot zu bekom- men. Von fast 200 Änderungsanträgen haben Sie 120 mehr oder weniger übernommen, um damit einige ver- nünftige Ansätze in das Gesetz zu bringen. Ich will auf einige kurz eingehen. Die Verjährungsbestimmungen mit der regelmä- ßigen Verjährung von drei Jahren sind eine klare Verein- fachung und Erleichterung für alle. Die schönen Klausur- themen zu § 196 Abs. 1 und 2, § 197 und § 832 BGB mit der zwei-, drei- und vierjährigen Verjährungsfrist gehören nun der Vergangenheit an. Aber leider – auch das muss ich sagen – sind im Gesetz noch zu viele Eigenfristen, zum Beispiel beim Kauf- und Werkvertrag, vorgesehen. Auch hier hätte man mit Ausnahme der Gewährleistungsfrist von zwei Jahren vereinfachen können. Die Frage der Hemmung ist klar geregelt. Richtiger- weise wurde auf Anregung des Bundesrates aufgenom- men, wie bisher die Verjährungsfristen mit dem Ende des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist, beginnen zu lassen. Ich wäre noch einen Schritt weitergegangen und hätte unter Verweis auf § 199 Abs. 1 BGB den Beginn der Verjährung gemäß § 212 BGB am Schluss des Jahres nach einer Unterbrechung beginnen lassen. Wenn man rechts- politisch begründet, aber rechtsdogmatisch nicht richtig den Beginn der Verjährung auf das Jahresende setzt, so wäre es sicher kein Bruch gewesen, auch bei der Unter- brechung so zu verfahren. Sie haben unserer Anregung leider nicht entsprochen, die Verjährung bei Grundstücksgeschäften von zehn auf 30 Jahre heraufzusetzen, obwohl Sie wissen, dass häufig sehr lange Fristen notwendig sind. Wir werden heute ei- nen entsprechenden Antrag einbringen. Sie haben auch nicht den Widerspruch zwischen langer Verjährung für fahrlässig begangene Körperverletzung und vorsätzlich sowie grob fahrlässig verursachte Vermö- gensschäden gelöst. Zu diesem Bereich hat Kollege Pofalla einige Ausführungen gemacht. Die Bestimmungen des § 207 – Hemmung der Ver- jährung aus familiären und ähnlichen Gründen – sind, nachdem die Anregungen berücksichtigt wurden, ge- glückt und klar. Für unlogisch halte ich, dass dem alten § 241 BGB ein Abs. 2 hinzugefügt wurde, der Schutzpflichten, so ge- nannte Nebenpflichten, regeln und auf diese Weise wohl das Rechtsinstitut der positiven Forderungsverletzung ersetzen soll, während vorvertragliche Pflichten der culpa in contrahendo im neuen § 311 Abs. 2 und 3 aufgenom- men wurden. Besser und verständlicher wäre es gewesen, wenn man den guten alten § 242 durch einen Abs. 2 so ergänzt hätte, dass sowohl die vertraglichen Nebenpflich- ten als auch Pflichten im Vorfeld – gegebenenfalls auch zugunsten Dritter – mit aufgenommen worden wären. Sie haben unnötigerweise die relativ klaren Unmög- lichkeitsregelungen, die in Zukunft den Streit zwischen ursprünglicher und nachträglicher subjektiver oder ob- jektiver Unmöglichkeit, dem subjektiven Unvermögen und anderen Unmöglichkeitskonstruktionen vermeiden sollen, mit den Bestimmungen des § 275 Abs. 3 belas- tet, der eher Soziologen als Juristen Ehre macht. Ich will diese Bestimmung nicht vorlesen, frage mich aber, ob er § 242 BGB ergänzen oder ablösen soll. Die neuen §§ 280 ff. lassen in der Zukunft sicher noch manche Fragen aufkommen. Insbesondere ist fraglich, in- wieweit ein eventueller Vertrauensschaden, zum Beispiel durch § 284 BGB begründet, durch das positive Interesse der Erfüllung begrenzt ist. (Unruhe bei der SPD) – Es ist interessant, meine Damen und Herren von der SPD: Sie stimmen nachher einem Gesetzentwurf zu, ob- wohl Sie nicht einmal der Debatte darüber zuhören wol- len. Die Diskussion ist wahrscheinlich ziemlich langwei- lig. (Zuruf von der SPD: So, wie Sie das vortragen!) Es handelt sich um einen Gesetzentwurf, den Sie in vier Monaten durchgeboxt haben. Jetzt haben Sie nicht einmal zwei Minuten Zeit. (Susanne Kastner [SPD]: Das liegt an der Dynamik, wie Sie reden!) – Danke schön, Frau Kollegin. Im Zusammenhang mit §§ 280 ff. bleibt fraglich, ob ein eventueller Vertrauensschaden durch das positive Inte- resse der Erfüllung begrenzt ist oder ob dies nur bei den §§ 122 oder 179 gelten soll, nachdem der bisherige § 307 BGB beseitigt worden ist. Bei der Frage der Verzugszinsen wird deutlich über- zogen, um ordnungspolitisch die Zahlungsmoral zu ver- bessern. – Sie haben mit dem Schuldrechtsmoderni- sierungsgesetz einen guten alten Brauch und fast alle Gepflogenheiten, wie sie insbesondere für den Rechts- ausschuss galten, ohne Not über Bord geworfen. – Die EU-Richtlinie fordert Verzugszinsen von 7 Prozent über dem Basiszinssatz. Das hätte genügt. Wenn ein säumiger Zahler nun Zinsen zwischen 12 und 15 Prozent über dem Basiszinssatz zu zahlen hat, könnten unter Umständen so- gar die Reglungen über den Wucher greifen. Warum wird hier ein höherer Zinssatz festgeschrieben, als es die EU- Richtlinie fordert? Das Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage, das durch die Rechtsprechung entwickelt wurde, ist nun- mehr richtigerweise normiert, und zwar im § 313. Damit muss als Anspruchsgrundlage nicht mehr auf Treu und Glauben zurückgegriffen werden. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten 18760 (C) (D) (A) (B) Der frühere Titel 2 „Gegenseitiger Vertrag“ ist nun- mehr im Untertitel 4 „Einseitige Leistungsbestimmungs- rechte“ aufgegangen. Die höchstkomplizierten früheren §§ 323 ff. wurden zusammengefasst. Die Praxis wird erweisen, ob damit Klarheit geschaffen wurde oder ob – wie manche sagen – alle Klarheiten beseitigt wurden. Das Gleiche gilt im Übrigen für die Rücktrittsrechte gemäß §§ 346 ff. BGB. Man kann darüber streiten, ob es richtig ist, die Allge- meinen Geschäftsbedingungen in das BGB aufzuneh- men. Man hätte die Bestimmungen aber so anordnen müs- sen, dass sie nicht so unübersichtlich sind wie nunmehr mit den Bezeichnungen a, b, c, d und f. Damit werden die Bestimmungen derart unübersichtlich, wie wir es bereits aus dem Reisevertragsrecht kennen. Bei Nacht und Nebel haben Sie – wohl um den linken Gewerkschaftsflügel zu befriedigen – die Anwendbarkeit der Bestimmungen über Allgemeine Geschäftsbedin- gungen für Arbeitsverträge mit aufgenommen. Das ist schlichtweg falsch. Das Kaufrecht ist zwar in erheblichem Maße auf den Kopf gestellt, wohl aber letztlich vereinfacht worden. Die Bestimmungen der §§ 450 und 451 sollen verhindern, dass Schindluder mit unter Eigentumsvorbehalt gekauften Waren getrieben werden kann. Die Beweislastumkehr – sie wurde schon eben angesprochen – ist insoweit abzu- lehnen, als es für Unternehmer innerhalb der Frist von bis zu sechs Monaten in der Regel nicht möglich sein wird, den Gegenbeweis zu führen. Das ist Unfug und wird zu erheblichen Einbußen bei den Gewerbetreibenden führen. Die zweijährige Gewährleistungsfrist belastet schon ge- nug. Kollidieren dürfte in jedem Falle der neue § 478 BGB – Rückgriff des Unternehmers – mit § 377 HGB, – un- verzügliche Untersuchungs- und Rügepflicht –, der wie in § 478 Abs. 6 vorgesehen unberührt bleiben soll. Welche Bestimmung ist nun rechtmäßig, die eine oder die andere? Die fünf Paragraphen, mit denen im alten BGB die Darlehensverträge abgespeist wurden, wurden der heu- tigen Zeit angepasst, und zwar unter Aufhebung bisheri- ger Einzelgesetze. Dabei wurden klare Regelungen hinsichtlich des klassischen Darlehens, des Verbraucher- darlehens und auch des Sachdarlehens geschaffen. Von der Systematik her habe ich Bedenken, dass der so genannte Existenzgründer nicht als Kaufmann, sondern als Normalverbraucher gesehen wird. Wenn ich § 507 richtig interpretiere, dann kann der Unternehmensgründer beliebig viele Darlehen oder Finanzierungshilfen oder Ratenzahlungskäufe bis zu einem Betrag von jeweils 50 000 Euro in Anspruch nehmen und wird, selbst wenn er Millionenbeträge schuldet, noch immer als Verbrau- cher behandelt. Das kann wohl nicht richtig sein und könnte durch immer wieder begonnene Neugründungen zu Missbrauch führen. In Zukunft muss jeder, der einem Unternehmer etwas verkauft, fragen: Bist du Existenz- gründer oder nicht? Dies ist, nachdem wir im HGB den Kaufmannsbegriff klar und deutlich definiert haben, vom Ansatz her falsch. Dagegen halte ich die Regelungen bezüglich des Werkvertrages für geglückt, soweit in der Eile nicht Fol- geänderungen vergessen wurden. Unglücklich ist die Regelung in § 634 a bezüglich der Verjährung der Män- gelansprüche, die gegebenenfalls mit den Regelungen des § 438 BGB kollidieren kann. Die restlichen Änderungen sind im Wesentlichen Folgeänderungen. Wir fürchten aber, dass aufgrund der Schnelligkeit der Beratungen über den Gesetzentwurf und der ebenfalls im Schnelllauf durchgeführten Änderungen erhebliche Lücken bestehen bleiben werden. Die von Ihnen in das Gesetz aufgenom- menen zahlreichen Ermächtigungen zu Rechtsverordnun- gen zeigen, dass Sie selber nicht sicher sind, was noch al- les kommen wird. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kol- lege, kommen Sie bitte zum Schluss. Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten (CDU/CSU): Ja. Dann möchte ich die Liste mit Namen von Professoren und Verbänden, die beklagen, dass die Beratung über das Gesetz im Schweinsgalopp durchgeführt worden sei und dass es keine ordentliche Beratung gegeben habe, nicht mehr vorlesen. Sie kennen die Namen ohnehin schon. Es ist schade, dass die Beratung über ein notwendiges Reformgesetz nicht mit der notwendigen Gründlichkeit, Genauigkeit und wissenschaftlichen Begleitung durchge- führt wurde und dass die Anwender – das sind nicht nur An- wälte und Richter, die sich von Berufs wegen schnell ein- arbeiten können und müssen, sondern auch die Bürger – keinerlei Zeit haben, sich auf die neuen Rechtsnormen einzustellen. Es hätte, Frau Ministerin, ein gutes Gesetz werden können. So ist es nur Stückwerk. Deswegen leh- nen wir es ab. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Dr. Eckhart Pick von der SPD-Fraktion. Dr. Eckhart Pick (SPD): Lieber Herr von Stetten, ich möchte eine Bemerkung, die sich auf mich bezog, richtig stellen. Wir haben am Anfang der Diskussion in der Tat darüber gesprochen, wie die drei EU-Richtlinien umge- setzt werden sollen. Ich habe damals – zu einem frühen Stand der Diskussion – gesagt: Natürlich gibt es Überle- gungen im Hause, das auch sukzessive zu machen. Darü- ber haben wir in der Folgezeit diskutiert. Nach Rückspra- che auch mit den Verantwortlichen aus der Wirtschaft sind wir zu dem Ergebnis gekommen, dass es besser sei, dies uno acto statt sukzessive zu machen. Insofern ist das, was ich damals gesagt habe, nicht widersprüchlich gewesen. Ich möchte noch auf eine andere Bemerkung, die Sie gemacht haben, eingehen. Manche tun immer so, als sei das Bürgerliche Gesetzbuch ein Monument, das nicht mehr verändert werden dürfe, und als sei es 1896 nach ei- ner umfassenden Diskussion im Reichstag verabschiedet Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten 18761 (C) (D) (A) (B) worden. Das ist nicht der Fall. Es waren Diskussionen in Kommissionen. Sie wissen auch, dass eine Kommission von Windscheid geleitet worden ist. Deswegen hatte der erste Entwurf die süffisante Bezeichnung: der kleine Windscheid. – Daran hat sich im Laufe der Diskussion nicht viel geändert. Im Reichstag selbst hat sich die Diskussion auch nicht um Dogmatik gedreht, sondern – wenn man sich recht er- innert – um den so genannten Wildschaden, der damals zum Beispiel von der deutschen Försterschaft zu einem großen Thema gemacht worden ist. Andere Themen ha- ben in der Öffentlichkeit und im Reichstag damals keine Rolle gespielt. (Rainer Funke [FDP]: Inzwischen hat sich aber das Parlamentsverständnis geändert!) Vielen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Zur Erwi- derung hat das Wort Dr. von Stetten. Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten (CDU/CSU): Ich darf vielleicht daran erinnern, lieber Herr Staatssekre- tär, dass inzwischen rund 120 Jahre vergangen sind, wir eine Demokratie sind und in den Rechten der Reichstag eigentlich nicht mit dem Deutschen Bundestag verglichen werden sollte. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es ist richtig, dass Sie das Verfahren zur Diskussion ge- stellt haben. Wir waren dann aber überrascht – insofern muss ich doch sagen, dass wir nicht rechtzeitig informiert worden sind –, als es dann plötzlich im April/Mai hieß, das Gesetz komme im Ganzen. Dann kam die Diskussion auf und die Berichterstattergespräche wurden angekün- digt. Das war im Juni/Juli und im August/September. Da wurden wir einfach hin zitiert. Deswegen konnten wir nicht in dem Umfang mitarbeiten, wie es sonst der Fall ge- wesen wäre. Der Rechtsausschuss hat diesen Gesetzentwurf nicht behandelt, sondern ist einfach darüber hinweggegangen. Das moniere ich und das finde ich bei einem solch wich- tigen Gesetzentwurf nicht gut. Ich bin ein glühender An- hänger der Schuldrechtsreform und ich hätte gern noch manches mehr geändert – so ist das nicht –, aber eben mit der notwendigen Diskussion, Begründung und wissen- schaftlichen Begleitung. Das monieren wir und deswegen lehnen wir den Gesetzentwurf ab. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als letz- tem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt erteile ich jetzt das Wort dem Kollegen Dirk Manzewski. Dirk Manzewski (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am heutigen Tag debattieren wir ab- schließend über die Schuldrechtsreform. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Jetzt schon einein- halb Stunden lang!) Wir setzen hiermit nicht nur drei EU-Richtlinien um, son- dern wir haben dies auch zum Anlass genommen, Herr Kollege Geis, das Schuldrecht umfassend zu moderni- sieren. (Zuruf von der CDU/CSU: Deformieren!) Wir alle sind uns darüber einig – überhaupt gar keine Frage –, dass es sich bei dem Bürgerlichen Gesetzbuch nach wie vor um ein hervorragendes Gesetzeswerk han- delt. Niemand wird das bestreiten, jedenfalls kein Jurist, der es kennt. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist aber sehr absolut! – Zuruf von der CDU/CSU: Das sind aber nur sehr wenige!) Genauso wenig kann aber bestritten werden, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass das BGB in vielen Be- reichen nicht mehr praxisnah ist. Die im BGB so her- vorgehobenen vermeintlich wichtigen Unmöglichkeits- vorschriften taugen in der Regel heutzutage eigentlich nur noch für die Theorie. Die praxisrelevanten Probleme der Nicht- oder Schlechtleistung sind dagegen nur über die so genannten Rechtsinstitute geregelt. Ich halte es daher für eine Farce, wenn hier behauptet wird, mit dem heutigen BGB ließen sich alle Fälle lösen. Es ist gerade nicht dem BGB, sondern es ist insbesondere den von der Rechtspre- chung entwickelten Rechtsgrundsätzen und Rechtsinsti- tuten zu verdanken, dass viele der in der Vergangenheit aufgetretenen und nicht im BGB geregelten Probleme gelöst werden konnten. (Beifall bei der SPD – Norbert Geis [CDU/ CSU]: Das wird auch in Zukunft so sein!) Dass dies bis vor kurzem noch von allen so gesehen worden ist, Herr Kollege Geis, zeigt doch nicht zuletzt die im Jahr 1978 eingesetzte Kommission zur Überarbeitung des Schuldrechts, die ihren Abschlussbericht immerhin noch während Ihrer Regierungszeit vorgelegt hat. Man kann also doch nicht ernsthaft behaupten, meine Damen und Herren von der Union und von der FDP, dass eine Modernisierung des BGB nicht notwendig ist. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Von den Vorschlä- gen ist ja nichts übrig geblieben!) Die Behauptung, dass man sich für dieses wichtige Ge- setzesvorhaben – es ist ein wichtiges Gesetzesvorhaben – zu wenig Zeit genommen hat, kann ich ebenfalls so nicht gelten lassen. Natürlich stand das Gesetzgebungsverfah- ren unter einem ehrgeizigen Zeitplan. Ich persönlich hätte mir auch etwas mehr Zeit gewünscht. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist wenigstens ehrlich!) Aber, meine Damen und Herren: Seit 1978 befinden wir uns in der Diskussion hierüber. Seit 1992 liegt der Ab- schlussbericht der Schuldrechtskommission vor. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Der aber nicht mehr Grundlage dieses Entwurfs ist!) Seit August 2000 ist der Gesetzentwurf des Bundesjustiz- ministeriums bekannt. Wer sich also rechtzeitig informie- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Dr. Eckhart Pick 18762 (C) (D) (A) (B) ren wollte, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, der hätte dies auch rechtzeitig tun können. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Warum haben Sie es dann nicht schon vor drei Jahren vorgelegt?) Dies wird übrigens selbst von den meisten der nur weni- gen Gegner dieser Reform eingeräumt. Mit den vorgenommenen inhaltlichen Veränderungen des BGB betreten wir auch nicht, wie hier vielfach sug- geriert worden ist, juristisches Neuland. Gesetze werden in das BGB integriert, bestehende Rechtsinstitute endlich normiert, Fristen überschaubarer gestaltet und im Rah- men der gewohnten Dogmatik neu entwickelte Rechts- grundsätze eingebaut. Meiner Auffassung nach wird jeder Anwender ohne größere Probleme mit diesen Vorschrif- ten arbeiten können. Wenn es im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens zu zahlreichen Änderungen durch das BMJ gekommen ist, wie vorgetragen wurde, so halte ich das für absolut nicht ungewöhnlich. Das zeigt doch vielmehr, (Norbert Geis [CDU/CSU]: Dass der ur- sprüngliche Entwurf miserabel war!) dass das BMJ nicht so borniert gewesen ist, sich gegen- über sachlich vernünftigen Argumenten zu verschließen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Norbert Geis [CDU/CSU]: Und dass der Entwurf nicht stimmte, Herr Manzewski!) Dass vor allen Dingen die Verbände, Herr Kollege Geis, das Verfahren mit zahlreichen weiteren Änderungs- vorschlägen begleitet haben, ist ebenfalls nichts Unge- wöhnliches. Wenn man sich die Änderungsvorschläge nämlich etwas genauer anschaut, dann stellt man fest, dass es sich in der Regel entweder um Prüfbitten oder um puren Lobbyismus gehandelt hat. Das ist für ein Gesetz- gebungsverfahren wirklich nichts Neues. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Kollege Geis, ich gehe sogar noch weiter: Würde man die Möglichkeit eröffnen, das geltende BGB kritisch zu be- leuchten, würden – so ehrlich muss man doch wohl sein – die Aktenbände mit den eingereichten Änderungs- vorschlägen den Umfang einer Strecke einmal quer durch den gesamten Plenarsaal annehmen. (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: So viel Zeug haben wir auch von Ihnen bekommen!) Was ist das Entscheidende? Entscheidend ist doch – das ist hier völlig falsch wiedergegeben worden –, dass die Schuldrechtsreform von der überwältigenden Mehr- heit der Verbände, Vereinigungen und Interessensgrup- pierungen begrüßt und mitgetragen wird, auch wenn das dem einen oder anderen von Ihnen nicht passen mag. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Das ist nicht so! Ich kann Ihnen die Liste vorlesen!) Das ist in zwei unserer Anhörungen bestätigt worden. Kollege von Stetten, vielleicht waren Sie nicht dabei. Mir ist jedenfalls überhaupt nicht klar, wie man hier etwas an- deres behaupten kann. Um Ihnen das deutlich zu machen, zähle ich Ihnen das gerne noch einmal auf: Der Deutsche Anwaltverein ist dafür, die Bundesrechtsanwaltskammer ist dafür, der Deutsche Richterbund ist dafür, die Verbraucherverbände sind dafür und der überwiegende Teil der Wirtschaftsver- bände ist dafür. Zu denjenigen, die dafür sind, gehört selbst die Creme der Rechtswissenschaftler. Ich erinnere daran, dass sich die hoch angesehenen Professoren Medi- cus, Canaris, Heinrichs und Westermann für die Schuld- rechtsreform ausgesprochen haben. Für Nichtjuristen sei gesagt: Das ist ungefähr so, als wenn Sie Anfang der 70er- Jahre Fußball spielen und Sie haben Franz Beckenbauer, Günter Netzer, Uwe Seeler und Gerd Müller in Ihrer Mannschaft und auf der anderen Seite steht die Truppe von Rudi Völler vom letzten Wochenende. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Um es klar zu sagen, liebe Gegner der Reform: Selbst ge- gen Finnland reicht es nicht. Und wenn man dann keine vernünftigen Argumente findet, Herr Geis, dann versucht man eben verzweifelt, sich welche zu basteln. (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Die Elf von 1970 ist schon etwas veral- tet!) – Ich habe mich auf den Anfang der 70er-Jahre bezogen. Wer behauptet, die Änderungen des BGB belasteten unsere Unternehmen mit unglaublichen Kosten, (Norbert Geis [CDU/CSU]: Ja, natürlich!) weil sie unter anderem ihre Allgemeinen Geschäftsbe- dingungen ändern müssten, der liegt völlig neben der Sa- che. Meine Vorredner von der Union und von der FDP haben selbst eingestanden, dass zumindest die EU-Ver- brauchsgüterkaufrichtlinie zwingend in deutsches Recht umgesetzt werden muss. Das ist also die so genannte kleine Lösung, für die Sie plädieren. Aber allein die Um- setzung der EU-Verbrauchsgüterkaufrichtlinie würde be- reits Änderungen der Allgemeinen Geschäftsbedingun- gen nach sich ziehen. Und ob ich nun vier oder acht oder zehn oder zwölf Geschäftsbedingungen in meinen vorge- fertigten Vertragsformularen ändern muss, ist nun wirk- lich völlig egal, weil die Kosten im Wesentlichen bereits durch die erste Änderung ausgelöst werden. Die Unternehmen würde die Umsetzung der Forderun- gen von Union und FDP vielmehr teuer zu stehen kom- men. (Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin: Richtig!) Ich erinnere daran, dass beide Parteien dafür plädierten, im ersten Schritt zunächst die kleine Lösung zu wählen und das Schuldrecht erst später umfassend zu reformie- ren. Es ist doch eigentlich eindeutig, dass die Firmen dann dadurch mindestens zweimal mit diesen Kosten belastet würden. Würde später irgendwann einmal noch eine Ver- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Dirk Manzewski 18763 (C) (D) (A) (B) einheitlichung des Schuldrechts auf europäischer Ebene dazukommen, müssten die Allgemeinen Geschäfts- bedingungen ein weiteres Mal geändert werden, wodurch weitere Kosten entstehen würden. Und überlegen Sie sich doch einmal – ich sage das ins- besondere in Richtung der Juristen –, zu welcher Rechts- unsicherheit das führen würde: Die Juristen müssten sich binnen kurzer Zeit mindestens zweimal in ein neues Recht einarbeiten. Der gleiche Kaufgegenstand, der mehrmals hintereinander verkauft wird, könnte – dieser Gesichts- punkt ist wichtig – bei jedem Verkauf unterschiedlichen Rechtsanforderungen unterliegen. Das würde nun wirk- lich niemand mehr verstehen. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Sie hätten früher mit der Reform kommen müssen! Das ist unser Vorwurf!) Wer behauptet, dass eine umfassende Reform des Schuldrechts für Richter und Rechtsanwälte eine zu hohe Hürde darstellt, der möge mir erklären, wie man diesen dann dieses verkaufen will. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Sie hätten früher mit der Reform kommen müssen! Das ist es!) Und nicht umsonst – Herr Kollege Geis, und das können Sie hier nicht abtun – verlangen gerade diejenigen, die das Recht anwenden müssen, wie eben Rechtsanwälte und Richter, eine umfassende Reform. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union und von der FDP, verschließen Sie sich bitte nicht den Wünschen dieser Fachleute! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Lassen Sie mich noch etwas zum Vorschlag sagen, mit einer umfassenden Reform zunächst noch abzuwarten, bis sich die EU hierzu positioniert hat. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Sie hätten damit früher kommen müssen!) Also, da kann ich wirklich nur lachen; denn die Verein- heitlichung des Schuldrechts wird auf EU-Ebene schon seit Jahren angekündigt und nichts ist geschehen. Selbst wenn sich die EU-Kommission jetzt endlich entschließen sollte, sich mit diesem Thema ausgiebig zu beschäftigen, dann ist weder gesagt, wie lange sie dafür braucht, noch ist gesagt, zu welchem Ergebnis sie dann kommt. Aber was für mich als Rechtspolitiker der SPD noch viel wich- tiger ist: Es kann doch nicht Ziel deutscher Rechtspolitik sein, immer erst auf EU-Richtlinien zu warten, um diese dann in deutsches Recht umzusetzen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Unsere Aufgabe muss es doch vielmehr sein, die EU- Richtlinien schon im Vorfeld so zu beeinflussen, dass sich vieles von unserem deutschen Recht in den EU-Richtli- nien wiederfindet. Das ist doch das Entscheidende. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Das muss die Re- gierung in Brüssel leisten und nicht durch den Deutschen Bundestag!) Aber das ist, lieber Kollege Geis, leider nicht möglich – darüber sind wir uns doch eigentlich einig –, weil wir kein modernes Schuldrecht haben. Das ist nun einmal so. Es ist eindeutig so, dass sich die EU in solchen Fällen eher am niederländischen als am deutschen Recht orientiert. Ich sehe das als ein Armutszeugnis für unser Recht an. Deswegen begrüße ich es ausdrücklich, dass nun die Mo- dernisierung des deutschen Schuldrechtes endlich erfolgt. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Jetzt müssen Sie der Mi- nisterin danken! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU) – Das will ich jetzt gerade machen, Herr Kollege von Stetten, ich habe ja noch ein bisschen Zeit. Von einigen ist es schon gesagt worden – ich teile diese Auffassung –: Wir beschließen heute hier – ich bin des- halb angenehm überrascht und begeistert, dass so viele Kolleginnen und Kollegen meiner Fraktion anwesend sind – (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Die kennen das Gesetz noch nicht einmal rich- tig! – Norbert Geis [CDU/CSU]: Die wissen nicht, über was sie abstimmen!) vermutlich das wichtigste Gesetzesvorhaben im Bereich des Rechts in den letzten 20 bis 30 Jahren. Ich kann die Justizministerin nur beglückwünschen, dass sie sich ent- schlossen hat, tatsächlich diese umfassende Schuldrechts- reform anzupacken. Ich möchte mich auch beim BMJ für die hervorragende Mitarbeit und Unterstützung bedan- ken. Ich habe mich eingebunden gefühlt; ich war aller- dings auch bei fast allen Besprechungen dabei. Ich würde mir wünschen, wenn Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, bei der Abstimmung nachher Ihr „kons- truktives“ Verhalten aufgeben und dieser hervorragenden Reform zustimmen würden. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Norbert Geis [CDU/CSU]: Wir sollen unser konstruktives Verhalten aufge- ben? Das machen wir nicht!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von den Frak- tionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen ein- gebrachten Gesetzentwurf zur Modernisierung des Schuldrechts auf Drucksachen 14/6040 und 14/7052. Es liegen je ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU und der Fraktion der PDS vor, über die wir zuerst abstim- men. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/7067? – Wer stimmt dage- gen? – Wer enthält sich? – Der Änderungsantrag ist damit bei Zustimmung der CDU/CSU-Fraktion mit den Stim- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Dirk Manzewski 18764 (C) (D) (A) (B) men der Koalitionsfraktionen und der PDS-Fraktion und bei Enthaltung der FDP-Fraktion abgelehnt. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/7080? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Änderungsantrag ist damit mit den Stimmen aller Fraktionen mit Ausnahme der PDS, die zugestimmt hat, abgelehnt. Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei- chen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetz- entwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit bei den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie zu- vor in dritter Lesung angenommen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Rechts- ausschusses zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Modernisierung des Schuldrechts; Drucksachen 14/6857 und 14/7100. Der Ausschuss empfiehlt, den Gesetzentwurf für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist damit einstimmig angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b sowie Zusatzpunkt 5 auf: a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre- gierung Berufsbildungsbericht 2001 – Drucksache 14/5946 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen- abschätzung (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Tourismus Haushaltsausschuss b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- richts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (19. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Ernst Küchler, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Doris Barnett, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der SPD sowie der Abgeordneten Dr. Reinhard Loske, Hans-Josef Fell, Grietje Bettin, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Weiterbildung im Bildungssystem veran- kern – Chancengleichheit stärken – zu dem Antrag der Abgeordneten Ernst Küchler, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Klaus Barthel (Starnberg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeord- neten Matthias Berninger, Ekin Deligöz, Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Lebensbegleitendes Lernen für alle – Wei- terbildung ausbauen und stärken – zu dem Antrag der Abgeordneten Werner Lensing, Ilse Aigner, Dr. Maria Böhmer, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Zukunftsorientierte Weiterbildung durch Eigenverantwortung und Selbstorganisa- tion – Ein Paradigmenwechsel – zu dem Antrag der Abgeordneten Maritta Böttcher, Dr. Heinrich Fink, Dr. Klaus Grehn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS Für ein Bundesrahmengesetz zur Weiter- bildung – Drucksachen 14/6435, 14/3127, 14/5312, 14/6170, 14/7005 – Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Ernst Dieter Rossmann Werner Lensing Christian Simmert Cornelia Pieper Maritta Böttcher ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia Pieper, Ulrike Flach, Birgit Homburger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Anforderungen an die Weiterbildung – Drucksache 14/7075 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen- abschätzung (f) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin spricht für die Bundesregierung die Bundesministerin Edelgard Bulmahn. Frau Ministerin, Sie haben das Wort. Ich bitte diejenigen Kollegen, die dieser Debatte nicht beiwohnen wollen, den Saal zu verlassen. – Frau Pieper, ich bitte Sie, das Gespräch zu beenden. – Frau Ministerin, ich denke, dass genügend Ruhe eingekehrt ist. Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung und Forschung: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Her- ren und Damen! Eine gute und qualifizierte Berufsaus- bildung ist die wichtigste Zukunftsvorsorge, die wir über- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms 18765 (C) (D) (A) (B) haupt treffen können. Dabei geht es nicht nur um den for- malen Erwerb eines Gesellenbriefs. Es geht darum, dass junge Menschen frühzeitig Verantwortung übernehmen und spüren, dass sie in unserer Gesellschaft gebraucht werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) In den nächsten Jahren werden auf dem Arbeitsmarkt zwei entgegengesetzte Entwicklungen zusammentreffen: Ich meine damit zum einen die sinkende Zahl junger Men- schen, die eine Berufsausbildung beginnen, und die wach- sende Zahl älterer Menschen, die aus dem Erwerbsleben ausscheiden. Deshalb müssen wir schon heute Lösungen finden, die eine Antwort darauf geben, wie wir auch in Zu- kunft unseren Bedarf an qualifizierten Fachkräften decken können. Es hilft dabei nicht weiter, dass der Zentralverband des Deutschen Handwerks angesichts des drohenden Lehr- lingsnotstandes auf die Abiturienten schaut und sie für eine Berufsausbildung gewinnen will. Das ist nicht die Lö- sung; denn in Zukunft werden nicht nur Lehrlinge fehlen, sondern auch Studierende und Hochschulabsolventen. Das ist übrigens schon jetzt der Fall. Man braucht sich nur die Zahl der Studienanfänger in Deutschland anzuschauen. Sie liegt – wir kennen sie ja alle – bei 28 Prozent. In ver- gleichbaren OECD-Staaten liegt sie im Durchschnitt bei 45 Prozent. Das alles macht deutlich, dass wir das Problem durch ein Hin und Her alleine nicht lösen können. Bei meinem Amtsantritt hatten fast 12 Prozent der 20- bis 29-Jährigen – oder rund 1,3 Millionen junge Men- schen – keine Berufsausbildung. (Zuruf von der SPD: Ein Skandal war das!) Der alarmierende Tiefstand bei der Ausbildungsförderung hat parallel dazu viele junge Menschen vom Studium ab- geschreckt. Wir haben diese Probleme angepackt und nicht nur geredet; wir handeln. Noch nie wurde so viel Geld für Bildung und Forschung zur Verfügung gestellt. Damit haben wir in die Köpfe – in Ausbildung und Bil- dung – von jungen Menschen investiert. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Mit dem Sofortprogramm haben wir die Jugendlichen von der Straße geholt und ihnen eine zweite Chance auf Ausbildung und Qualifizierung gegeben. Wir haben es – in diesem Jahr bereits zum zweiten Mal in Folge – mit dem Ausbildungskonsens im Bündnis für Arbeit gemein- sam mit den Bündnispartnern geschafft, dass erheblich mehr neue betriebliche Ausbildungsplätze geschaffen worden sind. (Erika Lotz [SPD]: Sehr richtig!) Gemeinsam mit den Sozialpartnern modernisieren wir die berufliche Bildung und entwickeln neue Berufe für Zu- kunftsbranchen. Mit dem neuen Meister-BAföG verbes- sern wir für junge Fachkräfte aus Handwerk, Industrie und Dienstleistungen die Möglichkeit, sich fortzubilden und damit ihre Zukunft zu gestalten. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Bei der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit hat diese Doppelstrategie der Bundesregierung – Sofortprogramm und Ausbildungskonsens, Modernisierung von Berufen und Weiterentwicklung der Konzepte – gegriffen. Mehr als 330 000 Jugendliche haben dadurch eine neue Per- spektive erhalten. Wir gehen aber noch einen Schritt weiter: Bei der be- vorstehenden Reform des Sozialgesetzbuches III werden wir wichtige Elemente aus dem Sofortprogramm als Re- gelangebot in das Sozialgesetzbuch aufnehmen. Man kann das Ganze in den Worten „Förderung aus einem Guss“ zusammenfassen. Dieses Ziel wollen wir errei- chen, das werden wir sicherstellen. Dadurch erhalten junge Menschen erheblich bessere Chancen bei der be- ruflichen Qualifizierung. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Diesen Kurs, meine sehr geehrten Damen und Herren, werden wir konsequent fortsetzen. Die erste Zwischenbilanz für das Ausbildungsjahr 2001 fällt positiv aus. In diesem Jahr werden alle Jugend- lichen einen Ausbildungsplatz erhalten. Wir haben eine deutliche Zunahme der Zahl von betrieblichen Ausbil- dungsplätzen – auch das ist ein positives Ergebnis – und wir haben im zweiten Jahr hintereinander Anfang Okto- ber mehr offene Lehrstellen als Jugendliche, die noch ei- nen Ausbildungsplatz suchen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) In Zahlen ausgedrückt heißt das Folgendes – das sind die Zahlen, die uns heute vorliegen –: Die Zahl der unvermit- telten Bewerberinnen und Bewerber ist gegenüber dem Vorjahr um rund 13,5 Prozent und gegenüber dem Jahr 1998 sogar um 42 Prozent gesunken. Das ist wirklich ein großer Erfolg. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hans-Werner Bertl [SPD]: Das ist eine Bilanz, die sich sehen lassen kann!) Ich will allerdings auch nicht verschweigen, dass es ei- nen Wermutstropfen gibt: Sorge macht mir die Situation in den neuen Bundesländern. Dort ist es einzig und allein den staatlichen Programmen zu verdanken, dass alle Ju- gendlichen eine Chance auf eine Lehrstelle erhalten. An dieser Stelle möchte ich ganz deutlich sagen, dass das keine Dauerlösung sein kann. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie der Abg. Maritta Böttcher [PDS]) Die Betriebe setzen ihre eigene Zukunft aufs Spiel, wenn sie nicht genügend in Ausbildung investieren; denn in we- nigen Jahren werden die Unternehmer und die Betriebe händeringend nach Fachkräften und auch nach jungen Leuten, die sie ausbilden können, suchen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Bundesministerin Edelgard Bulmahn 18766 (C) (D) (A) (B) In der Verantwortung, diese Entwicklung zu sehen und ihr vorzubeugen, stehen wir alle. Wir alle müssen Zukunft gestalten, wozu gehört, Jugendlichen eine Ausbildung zu geben. Aber ich appelliere an erster Stelle an die Betriebe: Bilden sie aus, insbesondere in den neuen Bundesländern! (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Eine gute Ausbildung, meine sehr geehrten Herren und Damen, benötigt auch zukunftsfähige Berufe. Allein in den letzten drei Jahren haben wir 44 Ausbildungsord- nungen modernisiert und zehn neue Berufe geschaffen. Früher lagen die Beteiligten jahrelang im Clinch, bis eine neue Berufsordnung das Tageslicht erblickte; in vielen Fällen endeten die Bemühungen sogar ohne Ergebnis. Heute haben wir für die Entwicklung der Ausbildungsord- nungen in den neuen Berufen „Sport- und Fitnesskauf- mann“, „Gesundheitskaufmann“ und „Veranstaltungskauf- mann“ nur knapp neun Monate benötigt. Auch das ist ein Fortschritt und auch das kann sich sehen lassen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Das war nur möglich, weil alle im Bündnis eine gemein- same Anstrengung unternommen haben. Wir brauchen aber nicht nur moderne, zeitgemäße Aus- bildungsordnungen, wir brauchen auch Berufsschulen, die den veränderten Anforderungen gerecht werden. Also haben wir gehandelt und Geld in die Hand genommen. Wir stellen 255 Millionen DM für einen Modernisie- rungsschub an den Berufsschulen zur Verfügung. Viele Schulen können jetzt mehr moderne Technik und Geräte sowie Lernsoftware anschaffen. Dabei haben wir unab- hängig von Zuständigkeitsfragen geholfen, damit es in diesem wichtigen Bereich schneller vorangeht. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Besondere Aufmerksamkeit hat das Bündnis dem Be- reich der IT- und Medienberufe gewidmet, wo sich der Fachkräftemangel frühzeitig bemerkbar gemacht hat. Durch die „Offensive zum Abbau des IT-Fachkräfteman- gels“ haben die Bündnispartner die Zahl der Ausbil- dungsplätze von 14 000 im Jahre 1998 auf 54 000 im letz- ten Jahr gesteigert. Die von der Wirtschaft für 2003 zugesagte Zielmarke von 60 000 werden wir voraussicht- lich schon in diesem Jahr erreichen. Das, liebe Kollegin- nen und Kollegen, ist ein großer Erfolg. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Besonders wichtig ist mir persönlich, dass Jugendliche mit schlechteren Startchancen und junge Erwachsene ohne Berufsabschluss genauso wie besonders Begabte, die mir ebenfalls ein wichtiges Anliegen sind, eine Chance zur beruflichen Qualifizierung und Weiterqualifi- zierung haben. Diese Zielgruppen müssen deshalb beson- ders gefördert werden. Auch benachteiligte Jugendliche sollen eine vollwertige Berufsausbildung erhalten. Einer „Ausbildung light“ erteile ich eine klare Absage. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Gerade Jugendliche, die große Lernprobleme haben oder die in den Schulen gescheitert sind, brauchen mehr und nicht weniger berufliche Förderung und Betreuung. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Eben darauf haben wir uns im Bündnis geeinigt. Wir wollen bei der Entwicklung neuer Ausbildungsberufe tragfähige Bereiche ausschöpfen, wo es weniger kom- plexe Anforderungen gibt. Das müssen wir schaffen, das müssen wir im Interesse der Jugendlichen leisten. Genauso wichtig sind Maßnahmen, mit denen wir die Ausbildungsbeteiligung von Jugendlichen ausländischer Herkunft und von jungen Aussiedlern erhöhen. Sie sind nicht nur ein wichtiger Beitrag zur Integration, sie sind auch eine wichtige Investition in den Fachkräftenach- wuchs, den wir so dringend brauchen. (Beifall bei der SPD) Viele dieser jungen Menschen verfügen durch ihre Kennt- nis anderer Sprachen und Kulturen überdies über Fähig- keiten, die in einer globalisierten Welt immer wichtiger werden. Und diese Fähigkeiten dürfen wir nicht einfach brachliegen lassen, wir müssen sie nutzen. (Beifall bei der SPD) Qualifizierung, meine sehr geehrten Damen und Her- ren, bedeutet nicht nur Ausbildung, sie bedeutet auch Wei- terbildung, Fortbildung, lebensbegleitendes Lernen und Anpassung an neue Entwicklungen. Deshalb haben wir die finanziellen Aufwendungen für Weiterbildung in Deutschland deutlich gesteigert. In Deutschland werden im Übrigen dafür insgesamt zweistellige Milliardenbe- träge ausgegeben. Trotzdem haben noch nicht immer alle Personen den gleichen Zugang zur Weiterbildung. Des- halb haben wir auch an diesen Punkten angesetzt. Ein zentraler Baustein unserer Qualifizierungsoffen- sive ist die Novellierung des so genannten Meister- BAföG, mit dem wir rund 660 Millionen DM bis 2005 bereitstellen werden. Diese Reform ist sowohl familien- freundlich, weil wir damit gerade auch diejenigen för- dern, die eine Familie haben, wie auch sozial und sie ist ein wichtiger Beitrag zur Qualifizierung, zur Gründung neuer Unternehmen und zur Schaffung neuer Arbeits- und Ausbildungsplätze. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Last, not least werden wir durch Modelle für das infor- melle Lernen im Arbeitsprozess genauso wie mit unserem Job-Aqtiv-Gesetz die Ausbildung und Weiterbildung stär- ken und sie betriebsnah gestalten. Das ist notwendig und richtig. Deshalb, meine sehr geehrten Damen und Herren, kann ich zusammenfassend sagen: Es ist Bewegung in die be- rufliche Bildung gekommen. (V o r s i t z: Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Bundesministerin Edelgard Bulmahn 18767 (C) (D) (A) (B) Gemeinsam mit den Sozialpartnern haben wir die Stag- nation auf diesem Feld überwunden. Was wir bisher er- reicht haben, kann sich sehen lassen. Das bedeutet aber nicht, dass wir uns ausruhen: Unsere Erfolge sind uns An- sporn für die vor uns liegenden Aufgaben. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Ich erteile nunmehr dem Kollegen Dr. Rainer Jork von der CDU/ CSU-Fraktion das Wort. Dr.-Ing. Rainer Jork (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Umstand, dass ich heute hier im Plenum den elften Berufsbildungs- bericht erlebe, ist für mich Anlass, eingangs zu fragen: Was ist anders geworden? Was ist vorangegangen? Was ist zu tun? (Hans-Werner Bertl [SPD]: Eine Menge! Die Welt sieht ganz anders aus!) Zuerst fällt mir auf – darauf komme ich gleich zu spre- chen –, dass wir erstmalig erst im Herbst über den Be- rufsbildungsbericht reden. (Zurufe von der CDU/CSU: Hört! Hört!) Es ist bekanntermaßen so, dass die Situation im Herbst günstiger ist. (Zurufe von der CDU/CSU: Aha! – Christian Simmert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ha- ben Sie im letzten Jahr geschlafen?) All die anderen Jahre haben wir darüber bereits im Früh- jahr gesprochen. Sie wissen aus eigener Oppositions- erfahrung, warum Sie das gemacht haben. Der Berufsbildungsbericht weist zu Recht auf die pro- blematische Lage in den neuen Bundesländern hin. Hier ist eine Konzentration nötig. Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Herr Kol- lege Jork, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeord- neten Hans-Werner Bertl? Dr.-Ing. Rainer Jork (CDU/CSU): Ein Satz noch, weil Sie den zuvor hören müssen: Die besonders desolate Situation in den neuen Bundesländern bei betrieblichen Lehrstellen durfte nach dem Willen der Bundesregierung nicht ins Sommerloch. (Beifall bei der CDU/CSU) Jetzt können Sie fragen, warum das so ist. Hans-Werner Bertl (SPD): Herr Kollege, Sie ver- breiten hier Gerüchte, die sind absurd. Ist Ihnen nicht bekannt, dass die neuesten Daten des Berufsbildungsbe- richts vom 30. September sind und dass wir hier eine sehr aktuelle Bilanz einer erfolgreichen Berufsbildungspolitik ziehen, die wir sonst erst ein viertel oder ein halbes Jahr später bekommen haben? (Beifall bei der SPD) Dr.-Ing. Rainer Jork (CDU/CSU): Ich werde Ihnen die Freude machen, ein paar aktuelle Daten zu nennen, die wir von der Bundesanstalt für Arbeit haben, werde Ihnen berichten, was bei uns in der Zeitung steht – das stimmt manchmal sogar! –, und werde Ihnen noch von ein paar Erlebnissen aus dieser Woche erzählen, bei denen auch die Frau Bundesministerin anwesend war. Dann werden Sie sich davon überzeugen können, dass das durchaus ak- tuell ist. Ich frage also – um nach meinen Vorstellungen fortzu- fahren –: Was ist denn in den letzten drei Jahren passiert? Zum Ersten treibt die Bundesregierung die Modernisie- rung neuer Berufe voran. Das ist notwendig und gut. Zum Zweiten werden Lehrstellenentwickler und Verbünde fortgeführt. Das hat sich bewährt. Wir können dafür nur Dankeschön sagen. Zum Dritten wird die früher scharf von der SPD verurteilte Mobilitätshilfe nun für gut be- funden. Das ist löblich. Viertens wurde die früher von SPD und Grünen geforderte kontraproduktive Lehrstellenum- lage zu den Akten gelegt. Ich freue mich darüber. Fünf- tens werden Module der Berufsbildung – das war früher ein Teufelswort – inzwischen endlich in der Praxis akzep- tiert. Es geht also vorwärts. Sechstens verdienen damit endlich Berufe mit geringen theoretischen Anforderungen eine größere Aufmerksamkeit. Das haben wir eben schon gehört. Im Interesse der Jugendlichen, die sich in der Lehre für solche Berufe befinden, wünschte ich mir, dass die Berufsschullehrer direkt aus der Praxis geholt werden. Schließlich – das ist eigentlich das erste Neue – stelle ich fest, dass die Bundesregierung sehr viel Geld in die Hand nimmt. Ich sage es immer wieder: Das hätte ich mir schon früher gewünscht. Ich finde aber – auch das wiederhole ich –: Der Effekt ist unzureichend, und zwar deshalb, weil die Methode auf beschränkten Denk- und Handlungs- ansätzen basiert. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Bei all dem Positiven: Das Grundproblem – die Frau Ministerin hat es dankenswerterweise angesprochen – ist, dass die Lehrstellensituation in Ostdeutschland kriti- scher und problematischer denn je ist. So sieht die Rea- lität aus. Sehen wir uns doch die konkreten Zahlen aus dem Oktober zur Jugendarbeitslosigkeit an – sie haben diese angefordert –: In Baden-Württemberg, um ein Bei- spiel zu nennen, liegt die Jugendarbeitslosigkeit bei etwa fünf Prozent, in Sachsen-Anhalt bei 18 Prozent. Insge- samt beträgt die Jugendarbeitslosigkeit in Westdeutsch- land 7,8 Prozent, im Osten 17,1 Prozent. Das macht klar, wo der Schwerpunkt liegen, wo man handeln muss und was zu tun ist. Das sollten wir nicht wegreden, auch wenn es sich vielleicht nur um 20 Prozent der Bevölkerung han- delt. Die Relation von Bewerbern zu Lehrstellen beschrieb vorgestern – etwas Aktuelles – im Forum „Mobilisierung neuer Ausbildungsplätze“ der Konferenz des Bündnisses für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit hier in Berlin der stellvertretende Geschäftsführer der Hand- werkskammer München und Oberbayern. Er sagte, dass Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 200118768 (C) (D) (A) (B) in dem von ihm vertretenen Bereich auf einen Bewerber zwei Ausbildungsplätze kommen. Sein Hauptproblem sei es, den Bewerbern Wohnraum zur Verfügung stellen zu können. Wir wissen, dass es in den neuen Bundesländern genau umgekehrt ist: Dort gibt es zwei Bewerber für ei- nen Ausbildungsplatz. Die Abwanderung führt dort zur Auszehrung, vor allem zur Begrenzung von Selbsthilfe. Wir wollen – das habe ich wiederholt gesagt – nicht lange an den Finanztropf. Wir wollen leistungsvolle Lehr- und Arbeitsplätze. Wir wollen uns selbst helfen. Das ist es, was wir brauchen. Da sollte der Schwerpunkt der Ar- beitspolitik ansetzen. Aktuelle Zitate, wie gewünscht. Die „Sächsische Zeitung“ schrieb am vergangenen Wochenende: „Kon- junkturflaute verursacht Rückgang der Ausbildung“ – 3 000 Lehrstellen weniger. Ich sage an der Stelle: Wo keine Betriebe sind, da helfen keine Appelle an Betriebe und auch keine Ermahnungen, wie Sie, Frau Ministerin, das gesagt haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wer Sorgen wegen ausstehender Zahlungen, stornierter Aufträge oder steigender Kosten hat, der denkt kaum län- gerfristig. Das wäre überall so. Eine andere Zeitung schrieb gestern: Desolat ist auch die Lage auf dem Ausbildungsmarkt. Über 1 800 junge Leute suchten Ende September noch eine Lehrstelle. Das sind zwar 800 weniger als ein Jahr zuvor, wie Streich bemerkte. – Wir wissen, wer das ist. – Aber das wurde durch erhöhte Abwanderung erkauft: 5 220 junge Sachsen begannen eine Ausbildung in ei- nem anderen Bundesland, 1 000 mehr als im Vorjahr. Das sollte man sich auf der Zunge zergehen lassen. Das sind die aktuellen Daten, die Sie gerne hören wollten. – Ich muss feststellen, dass Sie von der SPD im Moment keine Zeit haben, zuzuhören. Das ist die Flaute des Bundeskanzlers. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der FDP – Widerspruch bei der SPD) Für diese Flaute muss er die Verantwortung übernehmen. Woran liegt es denn, wenn trotz aller genannten Maßnah- men, die ich für positiv halte und die ich mit Dankbarkeit zur Kenntnis nehme, die Lehrstellensituation in den neuen Bundesländern so schlimm ist? Ich meine, dass der Zu- sammenhang zwischen Lehrstellenangebot und Wirt- schaftslage völlig ungenügend berücksichtigt wird. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Werner Lensing [CDU/CSU]: Das ist die Wahr- heit!) Die Lehrstellenkrise Ost ist eben keine Routineangele- genheit. Sie ist nicht eine Frage des Geldes und sie ist auch nicht eine Frage, die allein den Bund angeht. Das ist mir klar. Sie ist aber in den neuen Bundesländern ein Grundsatzproblem. Sie zu überwinden ist eine eminent wichtige Aufgabe, eine Aufgabe für vernetzte Ministe- riumsbereiche. Das ist für mich immer wieder der ent- scheidende Punkt. Sie ist im umfassenden Sinne auch eine Angelegenheit der Infrastruktur in den neuen Bundes- ländern. Sie ist eben Chefsache. Ich frage mich daher: Wo ist der Chef? Will er nicht oder kann er nicht? Warum pas- siert hier nichts? Die Bundesregierung hat aus meiner Sicht keinen Mut, an den Kern des Lehrstellenproblems in den neuen Bun- desländern heranzugehen, (Beifall bei der CDU/CSU) weil es nicht in ihr traditionelles und ideologisches Den- ken passt, (Zuruf von der CDU/CSU: Genau!) durch konsequente Förderung der ausbildenden Betriebe und ihrer Infrastruktur jene, die das können und wollen, in die Lage zu versetzen, auszubilden. (Hans-Werner Bertl [SPD]: Wozu gibt es denn ein Bund-Länder-Programm?) – Als ich vorhin auf Sie eingegangen bin, haben Sie mit Ihrem Nachbarn geredet. Jetzt rufen Sie dazwischen. Was soll denn das? Das ist doch kein Stil! Machen Sie das mit Ihren Leuten! (Werner Lensing [CDU/CSU]: Er versteht es nicht!) Die komplexen Lehrstellenprobleme in Ost und West sind nur partnerschaftlich und unabhängig von formalen Zuständigkeiten und Ressorts durch ernsthaft gewollte und verpflichtend festgelegte Maßnahmen zu lösen. Zum Beispiel ist das Problem schulischer Vorleistungen natür- lich eine Sache der Kultusministerien, aber nicht allein. Die Bereitstellung betrieblicher Lehrstellen ist natürlich eine Angelegenheit von Wirtschaft und Mittelstand, aber eben nicht allein. Das Anliegen, moderne Berufsschulen zu haben, ist natürlich eine Angelegenheit des BMBF, aber eben auch nicht allein. Schröder und unsere Ministerin, Frau Bulmahn, wur- den am Anfang der Woche zu „Lehrstellenfüchsen“ gekürt. Ich habe mich gefreut, dass ich das erleben konnte. Frau Ministerin, ich sage Ihnen aber: Kommen Sie heraus aus dem Bau und sehen Sie die Chancen einer gemein- samen Jagd auf Lehrstellen unter bestimmten konkreten Bedingungen, so wie sie in den neuen Bundesländern vor- liegen! Angesichts der Abwanderung von jungen Men- schen fordere ich Sie auf: Erkennen Sie die vernetzte Welt in der freien Lehrstellenwildbahn, denken und handeln Sie – das ist der Hauptpunkt; ich sage es immer wieder – ressortgrenzenüberschreitend! (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Die Handwerkskammer Chemnitz schrieb mir, dass das Einstellungsverhalten von der Konjunktur und von der Auftragslage abhängig ist. Das sind die wahren Aus- wirkungen der so genannten Ökosteuer, (Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da ist sie wieder!) der von Ihnen praktizierten mittelstandsfeindlichen Wirt- schaftspolitik. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Dr.-Ing. Rainer Jork 18769 (C) (D) (A) (B) (Widerspruch bei der SPD) – Auch wenn Sie es nicht hören wollen: Es ist so. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Karlheinz Guttmacher [FDP]) Gehen Sie in die Betriebe und reden Sie mit den Verant- wortlichen! Es geht um den direkten Einfluss auf die du- alen Lehrstellen. Die Grünen fordern in einem Antrag Chancengleich- heit. Ich frage mich, ob sie eigentlich wissen, worum es geht. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Tun Sie etwas dafür! Wenn wir Chancengleichheit im Sinne der inneren Einheit Deutschlands erreichen wollen, dann müssen die zukünftigen Lehrlinge eine Chance ha- ben, an ihrem Wohnort eine Lehrstelle zu bekommen. So einfach ist das. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Schauen Sie sich Ihren Antrag daraufhin an und überar- beiten Sie ihn! Es wird viel darüber geredet, ob das duale System noch eine Existenzberechtigung hat. Diese Woche fand das 1. VDE-Forum mit dem Thema „Technologie und Wissen als Wirtschaftsfaktoren“ statt. Ein Teilnehmer der Podiumsdiskussion sagte, dass die duale Ausbildung – das betrifft also unser Thema – eine Renaissance erleben wird. Er forderte dazu auf, sie zu gestalten. Ich bitte Sie, darüber nachzudenken: Es geht um eine Renaissance, eine Erneuerung des dualen Systems. Wie in dem vorliegenden Bericht beschrieben, ist diese teilweise schon erfolgt. Be- herzigen wir das, grenzüberschreitend und unverklemmt! (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Finden wir auch!) Es geht darum, das System zu erhalten und auszubauen. Das System „Lernen und Arbeiten“ muss funktionieren. Ich muss mich kurz fassen. Ich bitte auch darum – das steht ebenfalls im Bericht –, dass ausländische Unterneh- mer in höherem Maße ausbilden. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Sehr gut!) Angesichts dessen, was wir in den letzten Wochen erlebt haben, ist uns klar, was für eine Chance dahinter steht. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Da unter- stützen wir Sie!) – Ich wollte nicht „Gefahrenpotenzial“ sagen. Lassen Sie mich drei Kernaussagen zusammenfassen und sagen, was mir wichtig ist: Erstens. Im Interesse der inneren deutschen Einheit ist ein Qualitätssprung in der Lehrstellenpolitik unverzicht- bar. Alle Maßnahmen müssen den praktischen, realen und aktuellen Vernetzungen entsprechen. Man kann nicht von Globalisierung reden und zu Hause simple Problemver- netzungen ignorieren. Zweitens. Im Interesse der notwendigen Flexibilität der Berufe und Benachteiligter sind geeignete Berufe für Berufsbildung und Weiterbildung praxisbezogen zu modularisieren. Drittens. Es liegt in unser aller Interesse, dass die Inte- grationschancen ausländischer Jugendlicher verbessert werden, indem mehr ausländische Firmen ausbilden. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Sehr gut!) Danke. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Dem können wir zustim- men!) Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Ich gebe nunmehr das Wort dem Kollegen Christian Simmert. Er spricht für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Christian Simmert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Kol- lege Jork, wenn die Schaffung von Ausbildungsplätzen so einfach wäre, dann hätten Sie Herrn Rüttgers vielleicht vor 1998 ein paar Empfehlungen mit auf den Weg geben sollen – (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der SPD und der PDS) aber bitte nicht dieser Bundesregierung, die sich ja nicht nur, wie Sie gerade gefordert haben, ressortübergreifend, sondern auch im Bündnis für Arbeit als gesellschaft- lichem Brennpunkt darum kümmert, was die Schaffung von zukunftsfähiger Ausbildung und die Diskussion da- rüber angeht. Der vorliegende Berufsbildungsbericht trägt dem Rechnung. Die Zahlen hat Frau Ministerin gerade ge- nannt. Es ist eben nicht ganz einfach, Ausbildungsplätze zu schaffen, gerade in den neuen Bundesländern nicht. Aber die Bundesregierung hat im Bündnis für Arbeit in den letzten drei Jahren Beachtliches geleistet. Ich denke, auch das sollte die Opposition zur Kenntnis nehmen. Für Bündnis 90/Die Grünen steht fest, dass Bildung nicht nur Rohstoff ist. Bildung schafft grundsätzlich die Voraussetzung für verantwortungsvolles, demokratisches und selbstbestimmtes Handeln. Bildung ermöglicht es, Chancen zu nutzen und Herausforderungen zu meistern. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist für uns selbst- verständlich, dass die Weiterbildungsmöglichkeiten – um sie geht es in unserem Antrag – für bislang benachteiligte Gruppen in der Gesellschaft verstärkt ausgebaut werden müssen. Menschen, die in weniger qualifizierten Berufen von Arbeitslosigkeit bedroht sind, müssen ebenso wie Mi- grantinnen und Migranten sowie Frauen befähigt und da- bei gefördert werden, sich zu qualifizieren, gerade in der Weiterbildung. Für Bündnis 90/Die Grünen steht fest, dass das Recht auf Bildung – das gilt im Übrigen auch für die Erstausbil- dung – die neue soziale Frage ist, der sich das gesamte Haus zu stellen hat. (Zuruf von der FDP: Aus dem FDP-Programm Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Dr.-Ing. Rainer Jork 18770 (C) (D) (A) (B) abgeschrieben!) Bildung ist der Schlüssel zur Wissensgesellschaft, also auch zur persönlichen Wissensgestaltung. Die Vorstellung von einer abgeschlossenen Erstausbildung, in der lebens- lang gültiges Wissen erworben wird, ist überholt. Wir sind aber auch der Überzeugung, dass lebensbe- gleitendes Lernen keinen Zwang bedeuten muss. Wenn die Einzelnen den Spaß und den Nutzen des Lernens ent- decken, werden die Menschen selbst aktiv und nutzen die Angebote der Weiterbildung zum beruflichen Aufstieg, zum Branchenwechsel, zur Qualifikation für einen Ar- beitsplatz oder zur eigenen Wissens- und Perspektiv- erweiterung. Wir setzen uns daher für eine nachhaltige Bildungspoli- tik ein. Grundvoraussetzung dafür sind offene Zugangsbe- dingungen, die Sicherung der Qualität in der Weiterbildung, die Schaffung eines flächendeckenden Weiterbildungs- netzes und eine nachhaltige Bildungsfinanzierung, an der sich alle Akteure, der Staat, die Unternehmen und die Teil- nehmer an den Maßnahmen, nach ihren Möglichkeiten be- teiligen. Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Herr Kol- lege Simmert, gestatten Sie eine Zwischenfrage Ihres ver- ehrten Herrn Vorredners? Christian Simmert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja, gerne. Dr.-Ing. Rainer Jork (CDU/CSU): Herr Kollege, Sie waren so nett, mir zu empfehlen, darüber nachzudenken, ob ich dem vorhergehenden Minister eine Empfehlung bezüglich der Schaffung von Ausbildungsplätzen gege- ben habe. Darf ich Sie fragen, ob Ihnen bekannt ist, dass unsere Fraktion – jeweils im Vierjahresabstand – dreimal Anhörungen zu der Lehrstellensituation in den neuen Bundesländern durchgeführt hat, dass die Ergebnisse der ersten beiden Anhörungen an Herrn Rüttgers und die der letzten Anhörung auch an Ihre Ministerin weitergeleitet worden sind? Es handelte sich dabei um Vorschläge zu Maßnahmenkatalogen, die aus meiner Sicht durchaus konstruktiv berücksichtigt worden sind. Ist Ihnen das nicht bekannt? Meine zweite Frage: Meinen Sie nicht, dass jemand, der selbst aus der Berufsbildung kommt, weil er einmal als Mechaniker angefangen hat, vielleicht ganz gut Be- scheid weiß? Sie sollten einmal Ihre Berufserfahrung prü- fen, anstatt mir zu sagen, wie es bei der praktischen Be- rufsbildung aussieht. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Christian Simmert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Antwort zur ersten Frage: Ja, das ist mir bekannt. Zur zweiten Frage: Vom Alter her befinde ich mich ein biss- chen näher an meiner beruflichen Erstausbildung. Daher weiß ich auch, worüber ich spreche. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Thomas Rachel [CDU/ CSU]: Arroganz ersetzt keine Sachkenntnis!) – Wenn Sie möchten, können Sie noch eine Frage stellen. Ich habe gerade davon gesprochen, dass wir uns für eine nachhaltige Bildungspolitik einsetzen. Es geht um die Bildungsfinanzierung. Diese haben wir auch in den bestehenden Gesetzen verankert: Mit der Novelle zum SGB III, in die Jobrotation, Job Aqtiv und JUMP Eingang finden, öffnen wir den Arbeits- markt auch für Weiterbildungsmaßnahmen. Das neue Betriebsverfassungsgesetz – auch das hört die Opposition nicht gerne – ermöglicht es, innerbetrieb- liche Vereinbarungen im Hinblick auf Qualifizierungs- maßnahmen zu treffen, wie es zum Beispiel die Tarifpart- ner im Südwesten wegweisend gezeigt haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Mit der Novelle zum Meister-BAföG – Frau Ministe- rin, Sie haben es gerade erwähnt – erweitern wir die Per- spektiven und den Personenkreis der Teilnehmer durch Erleichterungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh- mer mit Migrationshintergrund und durch die Förderung von Teilnehmern und vor allen Dingen Teilnehmerinnen mit Kindern. Mit der Novelle zum Fernunterrichtsschutzgesetz wer- den wir die Einhaltung von Angeboten und die Qualität der Maßnahmen entscheidend verbessern. Dieser Bereich wird auch für das softwaregestützte Lernen nützlich sein. Die rot-grüne Bundesregierung erprobt mit dem Ak- tionsprogramm „Lebensbegleitendes Lernen“ verschie- dene Segmente der Weiterbildungspolitik, um sie effi- zient im Fördersystem verankern zu können. Die Einbindung von Hochschulen, Schulen, Volkshochschu- len und Bibliotheken in das Konzept der Netzwerkförde- rung „Aufbau lernender Regionen“ macht deutlich, dass staatlich bereitgestellte Infrastruktur, gekoppelt mit der Eigenleistung der Lernenden und der Förderung durch die Wirtschaft, ein flächendeckendes Weiterbildungsnetz dar- stellt. Dieses Konzept werden wir verstetigen. Dies wird auch in dem vorliegenden Entschließungsantrag – darauf habe ich bereits hingewiesen – deutlich. Grundvoraussetzung für den Erfolg dieser Bemühun- gen bleibt allerdings die Qualitätssicherung, also der Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher. Hier sind im Rahmen der einzelnen Maßnahmen die Entwicklung von Qualitätsstandards und die Schaffung von Mitbestim- mung durch die Teilnehmerinnen und Teilnehmer selbst eine entscheidende Komponente der Erfolgssicherung. In Übereinstimmung mit europäischen Standards sollen er- worbene Qualifikationen nachweisbar und zertifizierbar sein. Dabei können wir uns vorstellen, einen europäischen Weiterbildungspass einzuführen. Die Nachhaltigkeit der initiierten Maßnahmen muss kontrolliert werden. Daher setzen wir uns für die Verstär- kung der Weiterbildungsforschung ein und wollen den Blick gerade auf geschlechtsspezifische Aspekte, auf die Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Christian Simmert 18771 (C) (D) (A) (B) Einbindung noch bildungsferner Zielgruppen und auf das informelle Lernen richten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Auch die Qualifikation der Weiterbildenden selbst und ihre Arbeitsverhältnisse müssen immer wieder auf den Prüfstand gestellt werden. Für Bündnis 90/Die Grünen steht fest, dass der Zugang zu Bildung keine Frage des Geldbeutels der Einzelnen sein darf. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Ohne Beteiligung der Wirtschaft und des Staates darf es eine Qualifizierungsoffensive nicht geben. Wir wollen sie nicht ohne die Wirtschaft und schon gar nicht ohne den Staat planen. Deshalb werden sämtliche Finanzierungs- modelle unter dem Aspekt der sozialen Gerechtigkeit be- sonders zu prüfen sein. Für Bündnis 90/Die Grünen ist Weiterbildung mehr als die ständige Anpassung der Qualifikation an den Arbeits- markt. Weiterbildung trägt ganz wesentlich zur Persön- lichkeitsentwicklung bei. Sie ermöglicht es den Men- schen, aktiv an der Gestaltung der Gesellschaft teilhaben zu können. Lassen Sie uns gemeinsam den Freiraum gestalten und den nötigen Rahmen dafür schaffen, damit Weiterbildung in Zukunft eine sehr starke und zusätzliche Säule in unse- rem Bildungssystem werden kann. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Für die FDP-Fraktion spricht nun die Kollegin Cornelia Pieper. Cornelia Pieper (FDP): Herr Präsident! Meine Da- men und Herren! Ich möchte als Erstes mit einer Legende aufräumen. Von Vertretern der Regierungskoalition ist hier mehrmals gesagt worden, die Bundesregierung habe bei der Schaffung von Ausbildungsplätzen Enormes ge- leistet. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Werner Lensing [CDU/ CSU]: Nicht diese! Die damalige!) Nicht die Bundesregierung, sondern die Unternehmen in diesem Land und die Wirtschaft haben Ausbildungsplätze geschaffen, (Beifall bei der FDP) und das trotz Ihrer Politik; denn Sie haben dem kleinen Mittelstand und den Freiberuflern mit Ihrer Steuerreform, zum Beispiel mit den Steuerbelastungen durch die Öko- steuer, immer wieder Knüppel zwischen die Beine ge- worfen. Ausbildungs- und Arbeitsplätze kosten jetzt mehr als früher und deswegen kann man es dem kleinen Mit- telstand nicht vorwerfen, (Hans-Werner Bertl [SPD]: Das tut doch auch keiner!) dass nicht noch mehr Arbeitsplätze geschaffen werden. Das haben Sie zu verantworten, auch aufgrund der Rah- menbedingungen, die Sie gerade durch eine falsche Wirt- schafts- und Steuerpolitik in diesem Land geschaffen haben. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Hans- Werner Bertl [SPD]: So kommen Sie nie als Bil- dungsministerin nach Magdeburg!) Von daher, lieber Herr Tauss, ist der Berufsbildungsbe- richt immer wieder ein Spiegelbild wirtschaftlicher Ent- wicklung oder Stagnation. Er zeigt, wie politische Instru- mentarien greifen und ob sich der gewünschte Erfolg auch einstellt. Er ist sozusagen eine der beiden Messlatten, an denen Bundeskanzler Schröder sich messen lassen möchte. Die drastische Senkung der Jugendarbeitslosig- keit ist das eine, was er sich vorgenommen hat, und die Reduzierung der Arbeitslosenzahlen unter 3,5 Millionen das andere. Ich will Ihnen klar sagen: Ich halte beide Ziele dieser Bundesregierung für nicht erreicht. Sie haben beide Ziele verfehlt. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Die Arbeitslosenquote ist im Vergleich zum Vorjahr um 1,6 Prozent gestiegen und die Jugendarbeitslosigkeit ist erschreckenderweise mit die höchste in Europa. Im Wes- ten Deutschlands ist letztere im Vergleich zum Vorjahr um 9,7 Prozent gestiegen. Das steht in der Statistik; bitte schauen Sie hinein. Ich denke, ein Lobgesang der Bun- desregierung ist da nicht angemessen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Für mich und meine Fraktion ist der Blick in den aktu- ellen Berufsbildungsbericht eher ernüchternd. Trotz der enormen Fördermittel des Bundes im Sofortprogramm der Bundesregierung, das auch im Jahr 2000 fortgeführt wurde, stagniert die Zahl der betrieblichen Ausbildungs- plätze. Es gibt faktisch keine Zunahme. Die Zahl der be- trieblichen Ausbildungsplätze sank 1999 um 13 500 und stieg 2000 wieder fast um die gleiche Zahl, um 14 000. Vergleiche ich die Beschäftigungsentwicklung und die Ausbildungsbereitschaft einiger Branchen, so sehe ich im Bank- und Kreditgewerbe einen Rückgang der Ausbil- dungsplätze. Im gesamten Dienstleistungsgewerbe hat sich die Zahl der Beschäftigten zwar um circa eine halbe Million erhöht, die Zahl der Ausbildungsstellen ging aber um 2 800 zurück. Noch eine Feststellung ist interessant und sie ist mei- nes Erachtens auch alarmierend. Wir müssen aufpassen, dass der Sinn der dualen Berufsausbildung nicht aufgege- ben wird. Der Schwerpunkt muss bei den Ausbildungs- plätzen in den Betrieben liegen; dieser Schwerpunkt darf sich nicht auf die außerbetrieblichen Ausbildungsplätze verlagern. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Christian Simmert 18772 (C) (D) (A) (B) Sogar der DGB warnt inzwischen vor einer schleichenden Verstaatlichung des dualen Berufsausbildungssystems. Ich gebe den Kollegen von der Union Recht: Hier ist vernetztes Denken angesagt. Es ist Aufgabe nicht nur der Bildungspolitiker, sich mit den richtigen Rahmenbedin- gungen für Ausbildungsplätze in Deutschland zu beschäf- tigen, sondern das ist auch Aufgabe der Wirtschaftspoli- tiker. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deshalb sagen wir: Die beste Ausbildungsplatzpolitik ist immer noch eine aktive und konsequente Mittelstands- politik. Frau Ministerin, Sie haben in Ihrer Zwischenbi- lanz für das Ausbildungsjahr 2001 erklärt: „Die Betriebe setzen ihre eigene Zukunft aufs Spiel, wenn sie jetzt nicht genügend in die Ausbildung investieren.“ (Hans-Werner Bertl [SPD]: 45 Milliarden DM!) Nein, sage ich. Die Bundesregierung setzt die Zukunft junger Menschen aufs Spiel, wenn sie zulasten des Haupt- ausbilders, des Mittelstandes, Steuern erhöht und mit dem Betriebsverfassungsgesetz oder der Zwangsteilzeit die Unternehmen stranguliert. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Zu Recht hat der Präsident des Zentralverbandes des Handwerks ein Vorziehen der nächsten Stufe der Steuer- reform gefordert. Das ist immerhin noch die beste Maß- nahme, um Ausbildungs- und Arbeitsplätze zu schaffen. Dazu gehören auch unsere Vorschläge aus dem Gesamt- paket der FDP für mehr Wachstum und Beschäftigung. (Rainer Brüderle [FDP]: Sehr gut!) Als besonders dramatisch wurde hier die Situation der jungen Menschen in den neuen Bundesländern be- schrieben. Ich sehe das genauso. Die Ausbildungsplatz- situation ist dort dermaßen schlecht, dass fast täglich junge Menschen in die alten Bundesländer „auswandern“. Wir haben allein im Jahre 2000 einen Wanderungsverlust von 61 000 Menschen, insbesondere jungen, kreativen, gut ausgebildeten Menschen. Das sind 17 000 mehr als im Jahre 1999. Was das auch für die nächsten Jahre in Bezug auf Fachkräftemangel und in Bezug auf Nachfrage nach qualifizierten Arbeitskräften im Osten bedeutet, ist gut vorstellbar. Dieses Problem wird uns noch gesondert hier im Deutschen Bundestag zu beschäftigen haben. Unter diesem Gesichtspunkt frage ich mich: Ist das ein- zige Konzept, das die rot-grüne Bundesregierung dem entgegenzuhalten hat, diesen jungen Menschen, die von Ost nach West abwandern, Mobilitätshilfen zu zahlen und keine Zukunftsperspektiven in den neuen Bundesländern zu schaffen? (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Hans- Werner Bertl [SPD]: Das stimmt doch alles gar nicht!) Da ist ein Umdenken angesagt, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition. Wir brauchen dringend auch die Stärkung des Mittelstandes gerade in den neuen Bun- desländern. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) In der Tat werden in den nächsten Jahren gerade für die neuen Länder Sonderprogramme erforderlich sein. Aber ich sage auch: Gerade in den neuen Ländern wird das Di- lemma einer immer weniger differenzierten, nicht auf Leistung setzenden Schulausbildung deutlich. Zur ange- messenen Beurteilung gehört auch, dass immer mehr Schulabgänger keinen Haupt- oder Realschulabschluss haben. In Sachsen-Anhalt waren im vergangenen Jahr 13 Prozent ohne Schulabschluss. Deshalb müssen auch wir als Bundespolitiker unseren Fokus auf eine bessere Qualität in der Unterrichtsversorgung richten. Was die Schule an Vermittlung von Kernkompetenzen, traditio- nellen Kulturtechniken oder sozialer Kompetenz ver- säumt, kann in der Berufsschule oder im Betrieb nicht nachgeholt werden. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Deswegen muss die Ausbildungsfähigkeit junger Men- schen grundsätzlich gewährleistet sein. Ich fordere Sie förmlich auf, auf Ihre Landesregierun- gen einzuwirken, in der Schulpolitik endlich mit jeglicher Gleichmacherei aufzuhören und stattdessen mehr auf Dif- ferenzierung und Leistungsorientierung zu setzen. (Hans-Werner Bertl [SPD]: Das stammt aus der Mottenkiste der FDP! Das ist ja peinlich!) – Nein. – Das wird nach allen Erfahrungen von Bildungs- experten auch der Förderung praxisorientierter junger Menschen eher gerecht. Meine Damen und Herren, im Berufsbildungsbericht werden auch positive Elemente sichtbar, (Hans-Werner Bertl [SPD]: Selbst für Sie!) die wir auch in unserem Antrag zur Modularisierung der Aus- und Weiterbildung vorgeschlagen haben. Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Frau Kolle- gin, Sie haben leider nicht die Zeit, diese ganzen positiven Seiten darzustellen. (Heiterkeit) Cornelia Pieper (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident, dass Sie mich darauf hinweisen. – Wir werden diesen An- trag zu gegebener Zeit zu beraten haben. Ich sage als Letztes: Frau Ministerin, es geht beim Thema Ausbildung, Weiterbildung oder Allgemeinbil- dung nicht um ideologische Grabenkämpfe. (Jörg Tauss [SPD]: Hören Sie doch damit auf!) Die Modularisierung und die angestrebte zweijährige Grundausbildung mit einem ordentlichen Berufsabschluss, wie wir sie vorgeschlagen haben, ist keine Schmalspuraus- bildung. Es geht darum, dass diese jungen Menschen mit einem Berufsabschluss überhaupt einen Arbeitsplatz be- kommen. Besser einen Arbeitsplatz als keinen Arbeitsplatz, Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Cornelia Pieper 18773 (C) (D) (A) (B) das war doch immer Ihr Motto, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition. Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Frau Kolle- gin, ich bekomme mit dem Kollegen Hinsken, dem ich einmal den Saft abgedreht habe, den größten Ärger, wenn ich jetzt nicht eingreife. Cornelia Pieper (FDP): In diesem Sinne: Stimmen Sie uns zu! Dann werden Sie auch mit dem Thema Aus- bildungsplätze besser vorankommen. Vielen Dank, Herr Präsident. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Nun gebe ich der Kollegin Maritta Böttcher für die Fraktion der PDS das Wort. Maritta Böttcher (PDS): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zur Zwischenbilanz des Aus- bildungsstellenmarktes liefert uns das Bundesbildungsmi- nisterium gleich die entsprechende Interpretationshilfe. Wir erfahren, wie wir Statistiken zu lesen haben: „Ausbil- dung im Aufwind“, „Jeder bekommt eine Lehrstelle“ heißen die Botschaften. Alles scheint also in bester Ord- nung zu sein. Wer es genau wissen will, muss sich aller- dings schon die Mühe machen, mehr als diese Schlagzei- len zu lesen. Frau Ministerin, im Osten hat sich leider nichts grundsätzlich verändert. Das ist nicht Ihre Schuld. Sie ha- ben ein wirklich schweres Erbe übernommen. Dennoch ist es eine Tatsache. (Werner Lensing [CDU/CSU]: Von wem denn? Aus der SED-Zeit!) – Hören Sie auf mit der Frage: Von wem denn? Seit elf Jahren sind wir ein Land. Inzwischen gibt es Entwicklun- gen, die andere zu verantworten haben. (Beifall bei der PDS – Werner Lensing [CDU/ CSU]: Das andere ist eine traurige Wahrheit!) Der Aufwind ist dort offenbar nicht angekommen. 5 Prozent weniger gemeldete Stellen als im Vorjahr lassen sich aus einer deutlichen Abnahme der betrieblichen Lehrstellen erklären. Die Zunahme der Zahl außerbetrieb- licher Lehrstellen ergibt sich allein daraus, dass derartige Stellen für Rehabilitanden erstmals mitgezählt werden. Das niederschmetternde Fazit des Berufsbildungsjah- res für den Osten lautet: 97 nicht vermittelte Bewerber auf 10 unbesetzte Ausbildungsplätze mit den Schwerpunkten Brandenburg und Sachsen. Die sächsischen Zahlen sind zum Teil schon genannt worden. Ich will sie für Branden- burg sagen: Auf 193 nicht vermittelte Bewerber kommen noch heute 10 unbesetzte Ausbildungsstellen. Dazwi- schen klafft nun wirklich eine Lücke, die niemand be- streiten kann. Dagegen helfen weder eine bundesweit aus- geglichene Bilanz noch das Gesundbeten von Statistiken. Hier müssen endlich Strukturentscheidungen getroffen werden, und zwar auf der Grundlage einer soliden Ursa- chenanalyse. Dafür wiederum bietet der Berufsbildungs- bericht wertvolle Anhaltspunkte. Erstens. Es fällt auf, dass wir es noch immer mit einer mangelnden Ausbildungsbereitschaft der Großbetriebe zu tun haben, nicht etwa hinsichtlich der Beteiligung über- haupt, sondern hinsichtlich der Verteilung der Ausbil- dungsverträge. Zweitens. Wir haben eine nach wie vor sinkende Aus- bildungsquote, vor allem in Großbetrieben. Ich vermisse die politischen Schlussfolgerungen aus dieser Entwick- lung. Wie soll denn dem allseits beklagten Fachkräfte- mangel abgeholfen werden, wenn nicht durch die Ausbil- dung in den Betrieben? (Beifall bei der PDS) Die Verantwortung für den Fachkräftenachwuchs liegt bei den Arbeitgebern. Das ist völlig richtig. Wenn diese aber, statt ihrer Ausbildungsverpflichtung nachzukommen, lie- ber Faulenzerdebatten lostreten, dann müssen sie durch die Politik angehalten werden, endlich ihre Hausaufgaben zu machen. (Beifall bei der PDS) Das ist unsere Verantwortung und vor allem natürlich die Verantwortung der Bundesregierung. Das ist aber noch nicht alles. Auf die besondere Situation im Osten habe ich wie viele andere an dieser Stelle immer wieder hingewiesen. Die Zahlen im Bericht werden durch die ein- gangs beschriebene aktuelle Entwicklung bestätigt. Wo durch Konjunktureinbrüche konkursgefährdete Klein- und Mittelbetriebe das Rückgrat des dualen Systems bil- den, haben die ursprünglich als Überbrückungsmaßnah- men konzipierten Programme längst einen anderen Stel- lenwert. Sie haben Recht, Frau Ministerin: Das muss verändert werden. Im Osten sind vor allem die Zahl berufsvorbereitender Maßnahmen und der Umfang der außerbetrieblichen Ausbildung im Benachteiligtenprogramm angestiegen. In meinem Heimatland Brandenburg absolviert jeder zweite Jugendliche seine Berufsausbildung in einem Oberstufen- zentrum. Das ist das Ergebnis eines Mangels an betriebli- cher Ausbildung. Dadurch entsteht eine überdimensionale Nachfrage nach Ausbildungsplätzen in Vollzeitunterricht. Solche Entwicklungen müssen endlich auf Bundesebene ernst genommen werden. (Beifall bei der PDS) Immer neue oder geringfügig umgestrickte Maßnah- men und Förderprogramme als Warteschleifen zwischen Schulabschluss, Ausbildung und Arbeitsmarkt, finanziert aus verschiedenen Fördertöpfen mit nicht zu überblicken- den Förderbedingungen und -zielen, verschleppen das Problem notwendiger Strukturentscheidungen im Osten. Sämtliche öffentlich finanzierten Ausbildungsprogramme gehören auf den Prüfstand. Das ist ein Punkt, über den wir uns wohl alle einig sind. Das immer unübersichtlicher werdende System der Berufs- und Weiterbildung muss neu strukturiert werden, Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 200118774 (C) (D) (A) (B) wenn das Gerede von gleichen Bildungschancen noch ir- gendeinen Sinn haben soll. Im freien Spiel der Kräfte ent- wickeln sich gleiche Bildungschancen ganz offensichtlich nicht. Im Gegenteil: Die Schere zwischen den gut ausge- bildeten und immer besser weitergebildeten Menschen und den Bildungsbenachteiligten öffnet sich weiter. Aus diesem Grund plädieren wir für ein Bundesrahmenge- setz zur Weiterbildung. Weder über Aktionsprogramme noch über Modellprojekte ist die notwendige systema- tische Strukturierung dieses immer wichtiger werdenden Bildungsbereichs zu gewährleisten. Wir brauchen Struk- turen, die allen Menschen eine einigermaßen planbare, auf die eigenen Bedürfnisse und Voraussetzungen abge- stimmte Lernbiografie ermöglichen. (Beifall bei Abgeordneten der PDS) Erst wenn die individuellen Entwicklungschancen nicht mehr vorrangig davon abhängen, ob jemand zufäl- lig im Osten oder im Westen dieses Landes geboren ist, wird die Wahl des Lebensortes zu einer freien Entschei- dung. Erst dann geht es um Mobilität und nicht mehr um Abwanderung. (Beifall bei der PDS) Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Für die SPD-Fraktion spricht der Kollege Ernst Küchler. Ernst Küchler (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolle- ginnen! Liebe Kollegen! Wir diskutieren heute nicht nur den Berufsbildungsbericht, sondern auch die Anträge zu Fragen der Weiterbildung. Ich möchte mich in meinen Ausführungen auf diese Anträge konzentrieren. Mein Kollege Willi Brase wird später in seinem Beitrag auf den Berufsbildungsbericht eingehen. Nachdem wir uns im Ausschuss bereits mit den ord- nungspolitischen Fragen beschäftigt haben, ist es aus mei- ner Sicht angebracht, in dieser Debatte eine erste Zwi- schenbilanz zu ziehen und aufzuzeigen, welche Rolle die Weiterbildung in der Politik der letzten drei Jahre gespielt hat und vor welchen Aufgaben die Weiterbildungspolitik in den nächsten Jahren stehen wird. Als die Koalitionsfraktionen vor mehr als einem Jahr mit ihrem ersten Antrag „Lebensbegleitendes Lernen für alle – Weiterbildung ausbauen und stärken“ die Initiative ergriffen haben, die Weiterbildung – auch als Teil der Bil- dungspolitik auf Bundesebene – in den Blick zu nehmen, haben sie eine Debatte aufgenommen, die zu jener Zeit nicht nur unter Bildungspolitikern, sondern in vielen ge- sellschaftlichen Bereichen bereits begonnen hatte. Die zahlreichen Beschlüsse, Entschließungen und Verlautba- rungen von einschlägigen Verbänden, gesellschaftlichen Organisationen und der Parteien zur Weiterbildungs- politik weisen darauf hin, dass dem Weiterbildungssektor im Bildungssektor der Bundesrepublik Deutschland in- zwischen eine große Aufmerksamkeit zukommt. (Beifall bei der SPD) Ich will darauf verzichten, an dieser Stelle die Gründe für die Aufwertung des Weiterbildungsbereichs zu erläu- tern, zumal zwischen den unterschiedlichen Verbänden und politischen Lagern keine grundsätzlichen Differenzen bezüglich der Bewertung und der Bedeutung der Weiter- bildung für die heutige und zukünftige Bildungs- und Be- schäftigungspolitik bestehen. Ich will vielmehr versuchen, eine erste Bilanz zu ziehen, um zu verdeutlichen, welche Initiativen und Vorhaben seitens der Bundesregierung in den letzten drei Jahren in Gang gebracht worden sind. Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, Weiterbildung, ins- besondere berufliche Weiterbildung, hat eine außer- ordentliche Bedeutung auch für die Arbeitsmarktpolitik. Deshalb ist es zu begrüßen, dass zum Beispiel mit dem Job-Aqtiv-Gesetz, das die Bundesregierung eingebracht hat, der Weiterbildung und der beruflichen Qualifizierung eine besondere Aufmerksamkeit gewidmet wird. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die hohen Vermittlungsquoten von Teilnehmerinnen und Teilnehmern an Maßnahmen zur beruflichen Qualifi- zierung zeigen deutlich die Wirksamkeit dieser Maßnahmen und die Notwendigkeit, durch berufliche Qualifizierung und Weiterbildung Arbeitslosen oder von Arbeitslosigkeit Be- drohten eine Chance zu geben, wieder einen Arbeitsplatz zu bekommen bzw. ihren Arbeitsplatz zu erhalten. Dabei ist aus meiner Sicht besonders wichtig, Weiterbildung als Prävention zu begreifen, um Arbeitslosigkeit erst gar nicht entstehen zu lassen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Mit dem Instrument der Jobrotation wird eine Chance eröffnet, Weiterbildung mit der Vermittlung Arbeitsloser in den Arbeitsmarkt zu verbinden. Des Weiteren haben wir mit der Reform des Betriebsverfassungsgesetzes auch die Rechte der Arbeitnehmervertretungen gestärkt, Ein- fluss auf die Weiterbildung in den Betrieben zu nehmen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich komme darauf noch einmal im Zusammenhang mit den tariflichen Möglichkeiten zurück, Ansprüche auf be- triebliche Weiterbildung zu begründen und durchzuset- zen. Das JUMP-Programm zur Bekämpfung der Jugend- arbeitslosigkeit, mit dem wir inzwischen weit über 300 000 Jugendliche erreicht haben, ist ein voller Erfolg. Die Arbeitsämter haben in Zusammenarbeit mit den Bil- dungsträgern inzwischen eine Vielzahl von Qualifizie- rungsmaßnahmen durchgeführt und damit Jugendlichen wieder eine Chance eröffnet, in Ausbildung und Arbeit zu kommen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich kann dies aus eigener Erfahrung und aufgrund zahl- reicher Gespräche mit der Arbeitsverwaltung und den Bil- dungsträgern vor Ort belegen. Wir werden auch im Zusammenhang mit der gesetzli- chen Regelung der Zuwanderung über die Finanzierung der Weiterbildungsmaßnahmen für Aussiedler und Aus- länder entscheiden müssen. Wenn wir Bereitschaft zur sprachlichen und beruflichen Weiterbildung erwarten, Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Maritta Böttcher 18775 (C) (D) (A) (B) müssen wir auch bereit sein, die erforderlichen Mittel hierfür zur Verfügung zu stellen. Integration erfordert auch erhebliche Anstrengungen im Bildungs-, Weiterbil- dungs- und Qualifizierungsbereich. Nun gab es in den letzten drei Jahren nicht nur gesetz- liche Initiativen im Bereich der Weiterbildung, sondern auch zahlreiche Projekte und Modellversuche, die da- rauf abzielen, den Weiterbildungssektor zu stärken und die Voraussetzungen für ein Weiterbildungssystem zu schaffen, mit dem die vielfach beklagten und von allen Seiten anerkannten Defizite abgebaut werden sollen. Aber ein System erfordert Strukturen, Qualität, Transparenz, Verlässlichkeit und Stabilität. Davon sind wir noch weit entfernt. Im FDP-Antrag wird zwar von einem Weiterbildungs- system gesprochen. Aber gleichzeitig spricht man sich dafür aus, an den bestehenden diffusen Strukturen nichts zu verändern. Im CDU/CSU-Antrag sucht man vergeb- lich nach einer Erläuterung dessen, was mit dem groß an- gekündigten und notwendigen Paradigmenwechsel wohl gemeint sein mag. (Werner Lensing [CDU/CSU]: Das haben Sie noch immer nicht begriffen!) Beide Anträge intendieren den Abbau öffentlicher Verant- wortung im Weiterbildungssystem und setzen ausschließ- lich auf die Eigenverantwortung und den Weiterbildungs- markt, (Beifall der Abg. Ulrike Flach [FDP]) und zwar ausschließlich. Mit dem Aktionsprogramm „Lebensbegleitendes Ler- nen für alle“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung wurden die vielfältigen Forschungs-, Entwick- lungs- und Erprobungsmaßnahmen gebündelt. „Innova- tionen und Konzepte zur Realisierung einer ‚lernenden Gesellschaft‘ sollen breiter und nachhaltiger als bisher umgesetzt werden“, heißt es im Berufsbildungsbericht. Das Aktionsprogramm enthält zahlreiche Teilprogramme, auf die ich hier im Einzelnen nicht eingehen möchte. Sie beziehen sich auf die Vernetzung, die Qualitätssicherung, die Zertifizierung, die Transparenz, auf neue Lernformen und Lernkulturen, aber auch auf die Bildungsforschung. Ich will nur auf drei Initiativen näher eingehen. Das Modellprogramm „Lernende Regionen – Förderung von Netzwerken“, für das von 2000 bis 2004 138 Milli- onen DM bereitgestellt werden, hat bereits jetzt, kurz nach der Vergabe der ersten über 50 Projekte, ein breites Engagement in den Kommunen, in den Regionen, bei den Weiterbildungsträgern und Einrichtungen ausgelöst. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wer sich die eingegangenen Projektvorschläge an- schaut und mit den Projektpartnern spricht, kann erken- nen, dass bereits der Prozess der Projektentwicklung neue Kooperationsbereitschaft der Akteure und vielfältige An- sätze zur Schaffung von Netzwerken ausgelöst hat. Ich bin auch aufgrund der Kenntnis vieler Akteure vor Ort si- cher, dass wir mit diesen Modellen eine neue Qualität im Weiterbildungssystem gewinnen, dass Strukturen ge- schaffen werden, die als Netzwerke dauerhaft tragfähig sein werden. Das von mir gerade erwähnte Programm ist im Sinne unseres Antrags vorbildlich, weil es nachhaltig, strukturbildend und integrativ angelegt ist. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Ich möchte auf zwei, drei andere Programme nur noch stichwortartig eingehen, weil mir die Redezeit davonge- laufen ist. Ich möchte besonders das Programm „Neue Medien in der Bildung“ herausheben. Wir erwarten, dass im Rahmen dieses Programms, mit dem die Entwicklung von Lernsoftware gefördert werden soll, nicht nur Mittel im Bildungsbereich, sondern auch im Weiterbildungs- bereich eingesetzt werden. Ich erwähne die Bemühungen um die Schaffung einer Stiftung Bildungstest, eines Bildungstestsystems, mit dem wir den Verbraucherschutz stärken wollen. Wir begrüßen besonders die Machbarkeitsstudie für einen „regelmäßi- gen Weiterbildungstrendbericht“ und die Einrichtung ei- ner Kommission, die sich mit Bildungsfinanzierung und damit auch mit Weiterbildungsfinanzierung beschäftigen wird. Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, es wäre noch viel zu erwähnen, was im Zusammenhang mit dem Bündnis für Arbeit, im Zusammenhang mit dem Forum Bildung und im Zusammenhang mit den Aktivitäten der Konzer- tierten Aktion Weiterbildung in Bezug auf das lebens- lange Lernen in Gang gebracht worden ist. Das ist be- wundernswert und vorbildlich. Wenn man sich anschaut – um nur ein Beispiel zu nehmen –, was aus den Ergeb- nissen des Bündnisses für Arbeit im Zusammenhang mit dem Tarifvertrag in Baden-Württemberg und den Mög- lichkeiten, dort Lernzeitansprüche für die Arbeitnehme- rinnen und Arbeitnehmer im Betrieb zu entwickeln, ge- worden ist, dann sieht man, dass diese Maßnahmen und Aktivitäten greifen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Als Bildungspolitiker möchte ich abschließend davor warnen, die Weiterbildungspolitik allein den Bildungspo- litikern zu überlassen, (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) nicht deshalb, weil ich ihnen nicht traue, sondern deshalb, weil wir eine Verschränkung der Bildungs-, Wirtschafts- und Sozialpolitik brauchen, um die Weiterbildung in allen Lebensbereichen zu verankern. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Das ist ein Paradigmenwech- sel!) Wenn wir es mit dem Anspruch „lebensbegleitendes Ler- nen für alle“ ernst meinen, dann stehen wir erst am An- fang einer langen Wegstrecke, auf der wir die Menschen, die Betriebe und die Bildungseinrichtungen politisch be- gleiten müssen. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Ernst Küchler 18776 (C) (D) (A) (B) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Ich erteile nunmehr das Wort dem Kollegen Werner Lensing für die CDU/CSU-Fraktion. Werner Lensing (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da in dieser Debatte über Bildung und deren Weiterbildung verhandelt wird, dürfte es sicherlich angemessen sein, auf eine Erkenntnis zu rekurrieren, die bereits vor 2 500 Jahren der chinesische Philosoph Konfuzius wie folgt formulierte: Lernen ohne zu denken ist eitel, denken ohne zu ler- nen gefährlich. Ich stelle fest: Unter diesem Aspekt ist die gegenwärtige Regierung eitel und die von ihr konzipierte Weiterbil- dungspolitik nicht ohne Gefahren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch bei der SPD) Wenn man den vorliegenden Anträgen der Koalition folgt, dann liegt die Vermutung nahe, dass in Kreisen rot- grüner Bildungspolitiker der Name Konfuzius von dem Begriff „konfus“ abgeleitet wird – fürwahr eine besonders delikate Variante der Weiterbildung. (Heiterkeit bei der CDU/CSU) Sicherlich sind wir alle uns darüber einig, dass sich un- ser soziales, technisches und wirtschaftliches Lebensum- feld verändert hat und dass dies täglich in immer größerer Geschwindigkeit geschieht. In manchen technischen Bereichen des Alltags und der beruflichen Umgebung be- darf ein vollständiger Innovationszyklus nicht einmal des Zeitraums eines Jahres. Die Konsequenz ist offensicht- lich: Jeder, der mitreden möchte und in seinem Beruf nicht ins Hintertreffen geraten will, hat sich fortwährend weiterzubilden. (Beifall bei der CDU/CSU – Christian Simmert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch Politi- ker, Herr Kollege!) Angesichts dieser Faktenlage, meine Damen und Her- ren, erschreckt es mich, das Ergebnis zur Kenntnis neh- men zu müssen, zu dem die Wissenschaftler im Bündnis für Arbeit – Herr Kollege Küchler, Sie haben davon gesprochen – in ihrem aktuellen Bericht an den Bundes- kanzler gekommen sind – ich zitiere –: Unter 17 verglichenen Ländern kommt Deutschland in Bezug auf die betriebliche Weiterbildung lediglich auf den 14. Platz. Da ist die rote Laterne als Schlusslicht nicht mehr fern. (Zuruf von der SPD: Wer hat denn 16 Jahre lang regiert?) – Ich verstehe ja Ihre Nervosität, aber sie irritiert mich nicht. Dabei hatte bereits im Oktober des Jahres 2000 Pro- fessor Heyse in einem Memorandum über lebenslanges Lernen der Europäischen Kommission erklären müssen: Wir sind in Deutschland heute dort, wo die EU vor zwei Jahren war. (Zuruf von der SPD: Herr Lensing, das ist die Datenlage bis 1998!) In dieser fatalen Situation hat jeder einzelne Mensch umso mehr von sich aus zeitgemäße Wertvorstellungen zu konzipieren, innovative Fähigkeiten zu fördern und neue Lebensstrategien zu entwickeln. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Tatsache, dass sich diese realen Ziele nicht allein durch Staatsdirigismus und staatlich verordnete Planung durchsetzen lassen, hat sich – das muss ich zugestehen – inzwischen sogar im rot-grünen Lager herumgesprochen. (Ulrike Flach [FDP]: Sind Sie da so sicher? – Zuruf des Abg. Jörg Tauss [SPD]) – Herr Tauss, rufen Sie nicht so dazwischen; sonst muss ich wieder beim Präsidenten beantragen, dass Sie gerügt werden. Sie wissen doch, dass ich damit schon großen Er- folg hatte. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Christian Simmert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Jetzt werden Sie aber nervös, Herr Kol- lege!) Bei uns wurde die vage Hoffnung geweckt, dass sich selbst in Regierungskreisen der Gedanke existenziell not- wendiger Weiterbildung auf der Basis freiwilliger Ent- scheidungen zaghaft entwickelt. Die diesbezügliche mentale Abwesenheit der PDS mit ihrer antiquierten Forderung nach einem Bundesrahmen- gesetz kann mich nicht weiter verwundern, da doch schon die letzten elf Jahre an diesen Herrschaften erkenntnisfrei vorbeigezogen sind. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Ruth Fuchs [PDS]: Lassen Sie sich ein Bienchen eintragen von Ihrer Partei!) Meine Damen und Herren von der Koalition, Ihr erster Antrag ließ zumindest vom Titel her aufhorchen; denn man spricht von „zukunftsorientierter Weiterbildung durch Eigenverantwortung und Selbstorganisation“. Doch traurigerweise haben Sie diesen Antrag schnells- tens – ich glaube, unter dem Eindruck der CDU/CSU-Kri- tik; insofern verständlich – zurückgezogen. (Lachen bei Abgeordneten der SPD) Ihre damaligen Eingebungen, die zumindest mich persön- lich erfreut haben, erwiesen sich als kurze Blitzlichter im tiefen Dunkel Ihrer bildungspolitischen Bewegungslosig- keit. (Widerspruch bei der SPD und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) Ihr zweiter Anlauf geht in wesentlichen Passagen an der Realität vorbei. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Werner Lensing 18777 (C) (D) (A) (B) (Jörg Tauss [SPD]: Konfuzius sieht das anders!) Nehmen wir nur einmal den vorhin auch von Ihnen, Herr Küchler, im Zusammenhang mit Finanzen beschworenen integrativen Ansatz in der Bildungspolitik. Dieses von Ihrem Wunschdenken generierte Allerlei aus allgemeiner, beruflicher und politischer Weiterbildung verweigert sich der gelebten Wirklichkeit. Es bietet nichts Konkretes und nichts Handfestes. Wir haben zu begreifen und zur Kennt- nis zu nehmen, dass Wissen und Praxis erst in der Addi- tion wirklich Bildung ausmachen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Nicht von ungefähr erklärte Frau Dr. Beate Baltes, die Leiterin des Lehrstuhls für Erziehungswissenschaften an der National University Los Angeles in Berlin: Was nützt einem Lehrer das soeben in einer Weiter- bildung erworbene Zertifikat für Onlineunterricht, wenn er seinen eigenen Internetanschluss nicht kon- figurieren kann, weil er das selbst noch nie gemacht hat. Unter anderem an diesem Punkt setzt, Herr Kollege Küchler, unser Paradigmenwechsel an. Dass er Ihnen auf- grund des hohen intellektuellen Anspruchs der Begrün- dung Schwierigkeiten gemacht hat, vermag ich zu verste- hen. Wir befinden uns immer in der Entwicklung, in der Weiterbildung. Zur FDP möchte ich so viel sagen: (Ulrike Flach [FDP]: Jetzt seien Sie aber vorsichtig!) Frau Flach, mir erscheinen fast alle im FDP-Antrag auf- geführten Punkte akzeptabel. (Jörg van Essen [FDP]: Sehr schön!) Ich verstehe sie als eine Art Adaption unseres eigenen An- trages. Allerdings könnte sich die Vorstellung, Weiterbil- dung als eine zukünftige Domäne der Hochschulen zu se- hen – Sie vermerken das im sechsten Punkt Ihres Antrags –, fatal auswirken. (Ulrike Flach [FDP]: Warum?) – Ich wusste es, Frau Kollegin! Denn sollten die Hoch- schulen noch immer nicht die Möglichkeit erhalten, aus ihrem Elfenbeinturm hervortreten zu dürfen, um in enger Kooperation mit Industrie und Wirtschaft praxisbezogene Bildung zu vermitteln, wäre eine lediglich als Fortführung der derzeitigen Wissensübermittlung verstandene Weiter- bildung äußerst fruchtlos. Von daher freue ich mich selbst über unsere Gedanken, die, in unserem Antrag dargelegt, einen grundlegenden Wandel und eine völlige Neuorien- tierung in der Weiterbildung darstellen. (Lachen bei der FDP) – Da können Sie ruhig lachen. Lachen befreit, allerdings nicht vom Mitdenken. Gehen wir davon aus, dass das so notwendige Konti- nuum von lebenslangem Lernen (Zuruf von der SPD: Was ist das nun wieder?) – soll ich auch das noch erklären? Ich habe leider nicht ge- nug Redezeit – über den Prozess der Arbeit, über das so- ziale Umfeld, über die neuen Medien und sicherlich auch über die traditionelle Weiterbildung erfolgt. Wir lassen uns von fünf Grundsätzen leiten. Ich be- nenne diese gerne: (Hans-Werner Bertl [SPD]: Donnerwetter!) stärkere Öffnung der Schulen und Hochschulen für die Weiterbildung; mehr Praxiserfahrung durch Personalaus- tausch beim Einsatz von Lehrkräften in Schule und Er- wachsenenbildung; Schaffung von Rahmenbedingungen für neue interaktive Lehr- und Lernformen der Weiterbil- dung im betrieblichen Ablauf; Förderung der dualen, das heißt sowohl der wissenschaftlichen als auch verstärkt der praxisorientierten Ausbildung des Führungsnachwuchses in Unternehmen sowie Sicherung der Qualität institutio- neller Weiterbildung. (Jörg Tauss [SPD]: Ist ja fast sozialdemo- kratisch!) Am eigenen Willen zur Weiterbildung, so möchte ich es zusammenfassen, und an der Selbstorganisation der ei- genen Laufbahn, (Hans-Werner Bertl [SPD]: Sie machen gerade die Aufnahmeprüfung für unsere Arbeits- gruppe!) ja des eigenen Lebens führt eben kein Weg vorbei. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Im Übrigen ist Bildung immer das, was übrig bleibt, wenn wir alles, was wir zuvor lernten, wieder vergessen haben. Die Bildung lebt bekanntlich von dem Prinzip Hoff- nung. Von daher bin ich voller Optimismus, meine Damen und Herren von der Koalition, dass der CDU/CSU-Antrag inzwischen auch bei Ihnen die Bereitschaft zum eigenen lebenslangen Lernen und den Prozess der eigenen Weiter- bildung so befördert haben dürfte, dass nunmehr die Koalition unseren Antrag unterstützen wird. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Nun gebe ich als letztem Redner in dieser Debatte das Wort dem Kollegen Willi Brase für die SPD-Fraktion. Willi Brase (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Situation im Bereich der beruflichen Bildung, der Erstausbildung, ist aus unserer Sicht zah- lenmäßig positiv. Wir wollen aber nicht verhehlen, dass es große regionale Unterschiede zwischen Baden-Württem- berg oder Bayern und den neuen Ländern gibt. Die Schlussfolgerung ist für uns sehr eindeutig und einfach: Wir brauchen nach wie vor Nachvermittlungsaktionen, wir brauchen regionale Ausbildungsplatzkonferenzen. Wenn wir das in den Regionen vernünftig umsetzen, wer- den wir die Situation der jungen Menschen verbessern. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Werner Lensing 18778 (C) (D) (A) (B) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Lassen Sie mich das deutlich sagen: Gerade in den Re- gionen, also auch in den neuen Bundesländern, sind wir in der Lage, die noch vorhandenen über 3 000 Plätze aus dem Bund-Länder-Programm, die 2 500 Plätze, die je- weils auf Aktivitäten der Länder zurückgehen, und die 2 400 Plätze aus dem Jugendsofortprogramm Zug um Zug zu besetzen. Ich sage an dieser Stelle: Lieber ein öffent- lich geförderter Platz für eine dreijährige Berufsausbil- dung als keiner. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Ich möchte nicht in die Diskussion einsteigen und ver- gleichen, welche Steuerpolitik in den letzten zehn Jahren bzw. in den letzten drei Jahren gemacht wurde. Wir aber haben Arbeitnehmer und Unternehmen entlastet, allein in diesem Jahr um 45 Milliarden DM. Das spricht für sich, meine Damen und Herren. Im europäischen Vergleich liegt die Zahl der jugendlichen Arbeitslosen in der Bun- desrepublik – das kann man in allen Statistiken nachle- sen – dank der Leistungen nicht nur der Politik auf Bun- des- und Landesebene, sondern auch der Unternehmen und der Gewerkschaften, also der Betriebspartner, im guten oberen Drittel. Das belegt allein das Statistische Jahrbuch 2001 eindeutig. Nun erleben wir in der Diskussion über berufliche Bil- dung und Weiterbildung häufig, dass gesagt wird, dass das Berufskonzept der dualen Berufsausbildung überholt sei, weil sich die Arbeitslandschaft und damit einherge- hend auch Berufsverläufe grundlegend gewandelt hätten. Man hört in der aktuellen Diskussion häufig folgende Fra- gestellung: Sind die althergebrachten Ausbildungszeiten bei Berufen des dualen Systems für die Herausforderun- gen der New Economy noch geeignet? Müssen wir das Konzept der klassischen Beruflichkeit noch wie eine Monstranz vor uns hertragen oder nicht vielmehr an die New Economy anpassen? Soll in der New Economy Erst- ausbildung durch modulare Weiterbildung ersetzt wer- den? Dagegen steht das, was Erwin Staudt, Geschäftsführer von IBM Deutschland und Sprecher der Initiative D 21, im „Handelsblatt“ vom 30. September 2001 gesagt hat. Er spricht vom „Ende der New Economy“. Die New Econo- my glänzt im Moment durch Massenentlastungen. Ich kann nur sagen: Wären wir so verrückt gewesen, uns ganz schnell für solch modische Vorstellungen im Bereich der beruflichen Bildung einzusetzen, hätten wir die Jugendli- chen fehlgeleitet und sie ständen heute auf der Straße. (Beifall bei der SPD) Ich glaube, dass das Beispiel der neuen Ökonomie zeigt, dass wir nicht ständig neue Spezialberufe brau- chen, die gerade – das kann man besonders an Wochen- enden in den Zeitungen sehr gut nachvollziehen – in Mode sind. Die breite Grundlagenausbildung ist für den IT-Bereich notwendig und richtig. Deshalb begrüßen wir, dass die ständige Arbeitsgruppe im Bereich des Bündnis- ses für Arbeit die vielfach geforderte Auflösung der be- ruflichen Erstausbildung in Teilqualifikationen ablehnt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sage: Dort haben Sie Recht. (Beifall bei der SPD) Die Manie, ständig neue Berufe zu erfinden, kann man an einem absurden Beispiel trefflich darstellen. Die IHK Hamburg hat vor wenigen Monaten Einsteigerberufe mit einjähriger Ausbildung vorgestellt. Ich will Ihnen einige vorlesen, weil das, was dahinter steht, wirklich nicht mehr zu überbieten ist: Helfer und Helferin für Veranstaltungs- technik, Kurierfahrer oder Kurierfahrerinnen, (Zuruf von der SPD: Unglaublich!) Lichtspielservicekraft, Pförtnerin oder Pförtner. Wenn ich Hamburg und Pförtnerin oder Pförtner höre, dann denke ich, dass möglicherweise Jugendliche ein Jahr in einem Nachtclub auf der Reeperbahn ausgebildet werden sollen. Das kann es ja wohl wirklich nicht sein. (Beifall bei der SPD – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das sind aber Perspektiven, Herr Kol- lege!) Ich glaube, dass das, was Mario Zaleski, Ausbildungs- leiter der Gesellschaft für Informationsmanagement in Wiesbaden, deutlich gesagt hat, richtig ist. Ich zitiere die „Frankfurter Rundschau“ vom 15. Mai. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Die hat von beruflicher Bildung Ahnung!) – Es geht hier nicht um die Zeitung, sondern um Mario Zaleski. Es geht darum, ob man Jugendliche in eine Erst- ausbildung mit einjähriger Ausbildungszeit, die über- haupt keine Perspektive haben, bringt. Wenn Sie die we- nigen Beispiele, die ich vorgelesen habe, zur Kenntnis nehmen, werden Sie feststellen, dass dort billige Arbeits- kräfte gesucht werden. Eine voll qualifizierte, vernünftige Ausbildung soll nicht erfolgen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Hans- Michael Goldmann [FDP]: Ach, das ist doch Quatsch! Was Sie sagen, stimmt doch nicht!) Lassen Sie es mich deutlich sagen: Wir erleben es im- mer wieder – auch in der Informationstechnologie –, dass nach Fachkräften gerufen wird, dass in der Politik natür- lich nicht so schnell gehandelt werden kann und dass es sinnvoll und richtig ist, dass – so Mario Zaleski – nicht „ständig neue Berufe erfunden werden“. Sie können dies auch auf Seite 15 des Berufsbildungsberichtes nachlesen. Dort geht es um die Diskussion der Patchwork-Biografie. Wir wollen, dass Jugendliche am Berufskonzept ausge- bildet werden und somit auch eine Chance haben, zukünf- tig aufbauend auf diese Qualifizierung ihren weiteren Lebensweg – auch im Rahmen des lebensbegleitenden Lernens – vernünftig zu gestalten. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Lassen Sie mich noch etwas zu den Ausbildungs- schwächeren sagen. Ich sehe es als richtig an, dass im Bündnis für Ausbildung und Arbeit die Benachtei- ligtenförderung endlich als Daueraufgabe begriffen und anerkannt wird. Wir sollten auch verstehen, dass diese Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Willi Brase 18779 (C) (D) (A) (B) Daueraufgabe integraler Bestandteil der Berufsausbil- dung in der Zukunft ist. Darüber, wie dort Fördermög- lichkeiten effektiviert werden können, ist nachzudenken. Die Reduzierung auf Teilqualifikationen bringt uns kein Stück weiter. Richtig ist, dass wir Jugendliche über zwei Jahre hinweg an den Beruf heranführen und sie ein weiteres Stück mit auf den Weg nehmen. Manchmal absolvieren sie – die Benachteiligten und Leistungs- schwächeren – zwei plus ein Jahr, manchmal aber auch drei plus ein Jahr. Alle Pädagogen sagen uns: Wer Pro- bleme mit dem Lernen hat, braucht nicht weniger, sondern mehr Zeit. Wenn er dann eine voll qualifizierte Ausbil- dung und einen entsprechenden Abschluss hat, ist es gut, und es bringt uns entsprechend voran. (Beifall bei der SPD) Zum Schluss will ich sagen: Wirtschaft und Handwerk sind nach wie vor aufgefordert, weiterhin Ausbildungs- plätze in ausreichender Anzahl zur Verfügung zu stellen. Der von der rot-grünen Bundesregierung auf den Weg ge- brachte Ausbildungskonsens bedeutet, dass die Gesell- schaft insgesamt dafür sorgt, dass alle Jugendlichen, die können und wollen, einen Ausbildungsplatz erhalten. Ich glaube, das ist die neue Qualität unserer Politik. Wir wer- den sie auch weiterhin erfolgreich umsetzen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 14/5946 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Das Haus ist damit einverstanden? – Die Überweisung ist so beschlossen. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp- fehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung auf Drucksache 14/7005. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschluss- empfehlung die Annahme des Antrages der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksa- che 14/6435 mit dem Titel „Weiterbildung im Bildungs- system verankern – Chancengleichheit stärken“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS ge- gen die Stimmen der CDU/CSU bei Enthaltung der FDP angenommen. Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss, den Antrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 14/3127 mit dem Titel „Lebensbegleitendes Lernen für alle – Weiterbildung ausbauen und stärken“ für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussemp- fehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Be- schlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrages der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/5312 mit dem Titel „Zu- kunftsorientierte Weiterbildung durch Eigenverantwor- tung und Selbstorganisation – Ein Paradigmenwechsel“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegen- probe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP ange- nommen. (Renate Rennebach [SPD]: Bei einer Enthal- tung aus den Reihen der CDU/CSU!) – Ich bitte denjenigen aus der CDU/CSU-Fraktion um ein Handzeichen, der sich enthalten möchte. – Der Kollege Lensing. (Werner Lensing [CDU/CSU]: Ich bitte, das auch im Protokoll festzuhalten!) – Es steht somit im Protokoll. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 4 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrages der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/6170 mit dem Titel „Für ein Bundesrahmengesetz zur Weiterbildung“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Herr Lensing, Enthaltung!) Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU und FDP gegen die Stimmen der PDS angenommen. Zusatzpunkt 5: Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 14/7075 an die in der Tages- ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 7 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Gerda Hasselfeldt, Eduard Oswald, Heinz Seiffert, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Bessere steuerliche Rahmenbedingungen für den Wohnungsbau – Drucksache 14/6637 – Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Das Haus ist damit einverstanden. Dann eröffne ich die Aussprache und gebe für den Antragsteller, die CDU/CSU-Fraktion, dem Kollegen Dr. Michael Meister das Wort. Dr. Michael Meister (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor welchem Hintergrund findet die heutige Debatte statt? Die Situa- tion der deutschen Bauwirtschaft ist, gelinde gesagt, katastrophal. In den letzten drei Jahren sind im Bau- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Willi Brase 18780 (C) (D) (A) (B) hauptgewerbe 240 000 Arbeitsplätze auf der Strecke ge- blieben. Für dieses Jahr ist damit zu rechnen, dass in die- ser Branche weitere 60 000 Arbeitsplätze verloren gehen werden. Meine Damen und Herren, die rot-grüne Bundesregie- rung schafft mit ihrer Politik mehr und mehr Arbeitsplätze für Bauarbeitnehmer ab. Drei Viertel der arbeitslosen Bauarbeiter gehen nach Berechnungen der deutschen Wohnungswirtschaft auf das Konto des rückläufigen Wohnungsbaus. Die mittelständischen Bauunternehmer kommen in der aktuellen Regierungsarbeit kaum vor. Bundeskanzler Schröder hat im Wahlkampf 1998 die so genannte Neue Mitte propagiert. Ich frage mich, wo der Mittelstand in der Bauwirtschaft bleibt. War die Neue Mitte nur eine wahlkampfwirksame Worthülse oder was steckt wirklich dahinter? (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Nichts, Herr Dr. Meister!) Die rot-grüne Wohnungsbaupolitik, meine Damen und Herren, sofern man beim mittlerweile dritten Minis- ter in dieser Wahlperiode davon noch sprechen kann, ist eine traurige Aneinanderreihung sektorspezifischer Fehl- entscheidungen, (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Sehr richtig!) die für einen dramatischen Wirtschaftsabschwung im Baubereich gesorgt haben. Sie, meine Damen und Herren von SPD und Grünen, haben die Rahmenbedingungen in diesem Sektor falsch gesetzt. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: So ist es!) Es ist Ihre Verantwortung, die dazu geführt hat. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die rot-grüne Bilanz bei der Wohnungsbautätigkeit weist bei den Fertigstellungszahlen in Deutschland ei- nen Rückgang um 30 Prozent aus, wenn man das erste Halbjahr 1998 mit dem ersten Halbjahr 2001 vergleicht. Ein Drittel weniger Fertigstellungen im deutschen Bau- gewerbe innerhalb von drei Jahren – eine „Leistung“, die man, glaube ich, nicht mehr kommentieren muss. Wenn man sich die Genehmigungszahlen im Vergleich des ers- ten Halbjahres 1998 mit dem ersten Halbjahr 2001 ansieht stellt man fest: ein Rückgang um 40 Prozent. Daraus kann man schließen, dass die schmerzhafte Re- duzierung um ein Drittel der Bauleistung in Deutschland, dieses niedrige Niveau, das wir mittlerweile erreicht ha- ben, bei weitem noch nicht das Ende bedeutet. Die Tal- sohle des Abschwungs der Baukonjunktur aufgrund Ihrer politischen „Leistungen“ ist noch nicht erreicht. Meine Damen und Herren, Sie tragen damit die Ver- antwortung dafür, dass 240 000 Familien in Deutschland ihren Ernährer aus der Bauwirtschaft in die Arbeitslosig- keit entlassen bekamen. (Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: So ist es!) Alles das sind Einzelschicksale, die Sie zu verantworten haben und die hier klar und deutlich angesprochen wer- den müssen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Das sind die Folgen Ihrer investitionsfeindlichen Ent- scheidungen durch Eingriffe in die steuerlichen Rahmen- bedingungen. Sie tragen die Verantwortung für diesen Ar- beitsplatzabbau, das Sterben des Mittelstandes und die Talfahrt beim Wohnungsbau. Ich möchte einige ganz konkrete Beispiele nennen. Sie haben in einer ersten Entscheidung den Vorkostenabzug abgeschafft und Sie haben die Einkommensgrenzen bei der Eigenheimzulage gesenkt. Sie sprechen in Ihrer Koa- litionsvereinbarung und in allen Sonntagsreden davon, Sie wollten die Bestandsförderung vorantreiben. Wes- halb, haben Sie dann gerade den Vorkostenabzug, abge- schafft? Damit tun Sie genau das Gegenteil dessen, was in Ihrer Koalitionsvereinbarung steht. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ein Junggeselle, der heute Eigentum erwerben will, hat mit den Einkommensgrenzen, die Sie geschaffen haben, bei einem Nettoeinkommen in einer Größenordnung von 45 000 DM keine Chance mehr, Fördermittel zu bekom- men. Wer soll denn in Deutschland bei solchen Grenzen noch Wohneigentum schaffen? Angesichts dieses niedri- gen Nettoeinkommens frage ich: Woher soll denn über- haupt noch das Einkommen, das Vermögen kommen, um Wohneigentum bilden zu können? Meiner Meinung nach sind Sie von der Realität vollkommen weg. Ein weiterer Punkt. Sie haben die steuerlichen Rah- menbedingungen beim privaten Mietwohnungsbau ver- schlechtert. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Richtig!) Ich nenne hier als Stichworte „Beschränkung der Verlust- verrechnungen“ und „Beseitigung der Verteilungsmög- lichkeit bei größerem Erhaltungsaufwand“. Beides, meine Damen und Herren, ist bestandsschädlich, beides sind Entscheidungen, die dafür sorgen, dass der Mietwoh- nungsbau nicht vorangetrieben wird, dass keine Sanie- rung und keine Erhaltung betrieben wird. Das ist ein wei- terer Verstoß gegen Ihre Koalitionsvereinbarung, in der Sie sich gerade an dieser Stelle für die Bestandsförderung ausgesprochen haben. Auch beim Neubau von Mietwohnungen die gleichen Auswirkungen: ein Rückgang von 1998 auf 2000 von 208 000 Wohnungen auf 136 000. Auch das sind Folgen Ihrer Politik. Ich will ein weiteres Beispiel nennen. Es betrifft das Stichwort „Spekulationsfrist“. Sie haben die Spekulations- frist von zwei auf zehn Jahre verlängert und dies auch rückwirkend für alle Grundstücksverkäufe nach dem 31. Dezember 1998 getan. Was Sie hier betrieben haben, ist ein Eingriff in den Rechtsstaat. Denn zum Teil war die Spekulationsfrist bei Immobilien ausgelaufen. Nachdem die Spekulationsfrist ausgelaufen war, wurden Immobi- lien rückwirkend wieder in die Spekulationsfrist hinein- genommen. Hier ist von Vertrauensschutz überhaupt nicht Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Dr. Michael Meister 18781 (C) (D) (A) (B) mehr die Rede. Hier wurde das Vertrauen von Investoren klar überstrapaziert. Wer soll eigentlich in eine solche Po- litik, in eine solche Regierung noch Vertrauen haben? Sie zerstören die Grundlagen eines funktionierenden Marktes, denn dieser lebt gerade vom Vertrauen der Investoren in sichere und verlässliche Rahmenbedingun- gen. Dieses Vertrauen zerstören Sie mit solchen Entschei- dungen. Das ist keine ruhige Hand, wie Sie immer propa- gieren, das ist eine unkalkulierbare, eine unberechenbare Hand, die hier Politik macht. Dies können wir für Deutschland, für die Mieter, für die Bauarbeitnehmer und für die Wohnungswirtschaft nicht länger verantworten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich will im Zusammenhang mit den steuerlichen Rah- menbedingungen einen weiteren Punkt ansprechen, und zwar die Erhöhung der Erbschaft- und der Schen- kungsteuer. Indem Sie eine unselige Diskussion über die Erhöhung von Erbschaft- und Schenkungsteuer angezet- telt haben, haben Sie viele Menschen in Deutschland ver- unsichert, die wir eigentlich aufgefordert haben, im Be- reich der Immobilie für ihre Altersversorgung Vorsorge zu treffen. Was haben Sie jetzt getan? Sie haben das Ganze bis Mitte der nächsten Wahlperiode verschoben, um über die Bundestagswahl hinwegzukommen und diese Diskus- sion aus der Bundestagswahl herauszuhalten. Sie beab- sichtigen aber, in der nächsten Wahlperiode erneut das Thema Schenkung- und Erbschaftsteuer auf die Tages- ordnung zu setzen. Die Verunsicherung der Bevölkerung muss ein Ende haben. Wir fordern Sie auf: Sagen Sie den Menschen vor der Bundestagswahl die Wahrheit. Sagen Sie, ob Sie die Erbschaft- und die Schenkungsteuer in der nächsten Wahlperiode erhöhen wollen oder ob hier ver- lässliche Rahmenbedingungen gelten. (Beifall bei der CDU/CSU) Das ist ein Beitrag, den Sie zu leisten haben. An dieser Stelle haben Sie eine Bringschuld. Der Herr Minister wird heute von Staatssekretär Großmann vertreten. Er selbst hat sich aber zu Jahresbeginn über die Situation der Wohnungswirtschaft in Deutschland geäußert. Auf einer Pressekonferenz am 17. Januar hat er prognostiziert, dass wir in diesem Jahr beim Neubau eine Fertigstellungsrate zwischen 370 000 und 390 000 Wohnun- gen bekommen werden. Er hat weiterhin davon gesprochen, dass dies eine weiche Landung der Wohnungsbaukonjunk- tur in Deutschland erlauben würde. Meine Damen und Herren, schauen Sie sich die Zahlen für das Jahr 2001 an. Beide Ziele werden Sie nicht errei- chen. Minister Bodewig wird an beiden Zielen scheitern. Er wird weder die von ihm im Januar prognostizierten Fertigstellungszahlen erreichen, noch wird er eine weiche Landung der Wohnungsbaukonjunktur erreichen. Wenn man sich die Zahlen ansieht, kann man eher davon spre- chen, dass das Ganze zu einer Bruchlandung auf dem har- ten Boden der Realität wird. Es muss Schluss sein mit einer Politik gegen den Woh- nungsbau. Es kann nicht angehen, dass die Wohnungs- baupolitik mittlerweile im Finanzministerium gemacht wird. Herr Eichel macht die Vorgaben, was beim Woh- nungsbau fachpolitisch geschehen soll; (Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist schon immer so ge- macht worden!) die Wohnungsbaupolitiker, Frau Kollegin Eichstädt- Bohlig, nicken dies ab. In der Regel haben sie in den Dis- kussionen keine fachpolitischen Argumente, sondern ver- weisen immer auf den Bundesfinanzminister. (Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Da haben Sie nicht zugehört!) Wir brauchen in Deutschland wieder einen Wohnungs- bauminister und wir brauchen wieder Wohnungsbaupoli- tiker. Wir brauchen keine Wohnungsbaupolitik, die vom Finanzminister diktiert wird. (Beifall bei der CDU/CSU) Herr Bodewig steht jetzt am Beginn seines letzten Amtsjahres. Er hat damit in seinen letzten elf Monaten noch einmal die Chance, die Situation zu wenden. (Dr. Uwe Küster [SPD]: Ein meisterhafter Be- schluss! – Rudolf Bindig [SPD]: Meister heißt er, redet Kleister!) – Ich sehe Ihre Verzweiflung, wenn Sie hier einen solchen Stuss reden, anstatt in Zwischenfragen oder Kurzinter- ventionen mit Argumenten zu antworten. Wenn man offensichtlich keine Argumente hat, dann muss man eben dumme Zwischenrufe machen. Das wird mich aber nicht aus dem Konzept bringen. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich wieder- hole es: Herr Bodewig steht am Beginn seines letzten Amtsjahres. Wir bieten ihm persönlich als Minister mit diesem Antrag die Chance, noch einmal die Wende zu schaffen. Herr Müntefering hat zu Beginn seiner Amtszeit überhaupt kein Interesse an diesem Ressort gehabt. Des- halb ist im ersten Jahr seiner Amtszeit dieses Ressort ab- solut vernachlässigt worden. Es bestand in Deutschland überhaupt kein Interesse daran, Wohnungsbaupolitik zu betreiben. Beim zweiten Minister, den Sie nominiert ha- ben und der dann auch im Amt war, bei Herrn Klimmt, fragt man sich, mit welcher Vision er in dieses Amt hi- neingegangen ist. Ich habe mich manchmal gefragt, wo seine Visionen überhaupt geblieben sind. (Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Er war doch nur auf der Flucht!) Auch er ist nicht mehr da. Deshalb ist in diesem Ressort dringend ein Neustart geboten. Wir haben hier einen Antrag vorgelegt, mit dem Sie endlich die richtigen Weichenstellungen für die Woh- nungspolitik in Deutschland vornehmen können. Wir bie- ten Ihnen die Chance zu einem Neustart. Nehmen Sie diese Chance wahr. Nehmen Sie unseren Antrag positiv auf. Stimmen Sie ihm zu und machen Sie mit uns ge- meinsam endlich wieder Wohnungsbaupolitik in Deutschland, anstatt weiterhin die Wohnungskonjunktur an die Wand zu fahren, Bauarbeitnehmer und Investoren zu verunsichern und dafür zu sorgen, dass in Deutschland Arbeitsplätze verloren gehen und sich Firmenpleiten er- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Dr. Michael Meister 18782 (C) (D) (A) (B) eignen. Das ist der falsche Weg; Sie sind auf dem falschen Kurs! Leider haben Sie auch keine Argumente und keine Vorstellungen, wie Sie das korrigieren können. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Ich gebe das Wort dem Kollegen Dieter Grasedieck. Er spricht für die SPD-Fraktion. Dieter Grasedieck (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ihr Antrag, Herr Meister, zeigt: Die CDU/CSU fordert ohne Verantwor- tung. Die Koalition fördert mit Verantwortung. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: In die Arbeitslosigkeit, ja!) Ich will ein paar Beispiele aufführen. Sie werden staunen, Herr Fromme; Sie können das gleich einmal genauer be- trachten. Sie wollen ja unter anderem die Steuern redu- zieren. Auf allen Ebenen wollen Sie reduzieren. Zum Bei- spiel schlagen Sie vor, die Steuerreform vorzuziehen. Das kostet Geld, und zwar insgesamt 50 Milliarden DM. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das steht doch gar nicht im Antrag!) – Herr Meister, hat zu dem Antrag nicht gesprochen. Ha- ben Sie sich diesen Antrag überhaupt durchgelesen? (Beifall bei der SPD) Schauen Sie sich ihn ruhig etwas genauer an! (Zuruf des Abg. Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]) – Es wäre gut, wenn Sie erst einmal zuhören würden. Dann können Sie etwas lernen. Das wäre gar nicht ver- kehrt, Herr Fromme. (Elke Wülfing [CDU/CSU]: Wir haben den Antrag gelesen!) Obwohl Sie auf der einen Seite die Steuern reduzieren wollen, wollen Sie auf der anderen Seite breit gefächert mehr Geld für die verschiedensten Bereiche ausgeben: (Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Weil sich das selbst finanziert!) unter anderem mehr Geld für die Bundeswehr und für den Wohnungsbau. Sie fordern ohne Verantwortung. Wir han- deln, während Sie noch diskutieren. Wir sind in den un- terschiedlichsten Bereichen aktiv. Wir haben als erstes festgehalten, was sich im Woh- nungsbau verändert und getan hat. Man muss in diesem Zusammenhang feststellen, dass es Ihre Politik war, Herr Meister, die zu den leer stehenden Wohnungen und Büros in Ostdeutschland führte. Wir müssen jetzt entsprechend handeln und neue Konzepte erarbeiten. Das tun wir. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Weiterhin stellten wir natürlich fest, dass die Entwick- lung in vielen Bereichen der Wirtschaft, zum Beispiel im Maschinenbau und im Elektrobereich, durch unsere Steu- erreform sehr positiv verläuft. (Elke Wülfing [CDU/CSU]: Warum gehen die Bauunternehmen reihenweise pleite?) Ehrlicherweise muss man sagen, dass wir im Baubereich Probleme hatten. (Elke Wülfing [CDU/CSU]: Die haben Pro- bleme!) Diese Probleme haben wir erkannt und entsprechend ge- handelt. Wir haben deswegen neue Konzepte erarbeitet. (Elke Wülfing [CDU/CSU]: Davon haben wir nichts gemerkt!) Diese Konzepte müssten Sie eigentlich kennen, wenn Sie sich mit den Vorschlägen der Bundesregierung auseinan- der gesetzt hätten. (Dr. Michael Meister [CDU/CSU]: Es waren offensichtlich die falschen Konzepte, auch wenn sie neu waren!) Wir können feststellen, dass die Arbeitslosigkeit ins- gesamt stark reduziert wurde. Sie haben uns eine Arbeits- losigkeit mit 4,4 Millionen Arbeitslosen hinterlassen. (Beifall bei der SPD) Im Moment gibt es 3,75 Millionen Arbeitslose. (Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Drei- mal 300 000 durch die demographische Ent- wicklung!) Die Zahl ist aber noch sehr hoch. Deswegen wollen wir die Situation am Arbeitsmarkt weiter verbessern. Wir konnten allgemein neue Arbeitsplätze schaffen. Wir geben zu, dass wir in der Bauwirtschaft unsere Schwierigkeiten hatten. Deshalb haben wir gehandelt und Vorschläge erarbeitet. (Dr. Michael Meister [CDU/CSU]: 240 000 Ar- beitsplätze abgebaut!) Unsere Koalition hatte stets das Ziel, die Baukonjunktur zu fördern, um Arbeitsplätze zu schaffen. Dafür haben wir mehrere Programme erarbeitet und beschlossen. Eigent- lich müssten Sie diese Programme kennen. Dazu gehört unter anderem das Programm „Stadtumbau Ost“, für das mehr als 4 Milliarden DM, über zehn Jahre gestaffelt, be- reitstehen. (Beifall bei der SPD – Dr. Michael Meister [CDU/CSU]: Eine Luftnummer!) Dadurch wird das Wohnungseigentum gefördert. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Wie viel ge- ben Sie davon in dem kommenden Haushalt aus?) – Sie können ja eine Zwischenfrage stellen. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das lohnt sich nicht!) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 18783 (C) (D) (A) (B) Im Bereich des Mietwohnungsbaus wollen wir die Sanierung fördern. Auch die Stadtentwicklung wird mit den schon genannten 4 Milliarden DM, verteilt über zehn Jahre, gefördert. Sie sollten sich mit unseren Programmen und unseren Gesetzen beschäftigen, bevor Sie einen An- trag schreiben. Sie fordern, die Investitionsbedingungen für Woh- nungsbereiche zu verbessern, obwohl klar ist, dass seit Januar 2000 der Wohnraum mit Darlehen in einem Ge- samtvolumen von 80 Milliarden DM durch die KfW ge- fördert wird. Es sollen Modernisierungen durchgeführt werden und neue Wohnungen gebaut werden. Über 100 000 neue Wohnungen sind in der Planung und 3,5 Millionen Altbauwohnungen sollen renoviert werden. Das ist das erste Programm. Im Rahmen des zweiten Programms stehen 10 Milliar- den DM für die Sanierung und Modernisierung denk- malgeschützter Bauten und Hochhäuser zur Verfügung. (Elke Wülfing [CDU/CSU]: Reden Sie doch mal über den Bau von Eigenheimen!) Mit diesem wichtigen Programm wollen wir die Kon- junktur in der Bauwirtschaft wieder ankurbeln. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Warum ha- ben Sie sie dann erst kaputtgemacht?) Dazu wollen wir den Einbau neuer Technologien speziell im Wohnungsbau fördern. Unter anderem sollen Heizun- gen saniert und Isolierungen vorgenommen werden. Das entsprechende Programm hat ein Volumen von 10 Milli- arden DM. Wir erfüllen Ihre Forderungen, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, schon seit Januar 2000. Die CDU/CSU fordert weiterhin Impulse für die Bau- wirtschaft vor allem im Hinblick auf den Leerstand. So ähnlich ist es im Antrag formuliert. Ich will Ihnen sagen: Wir haben die Unternehmer, die davon betroffen sind, be- sonders gefördert. Seit einem Jahr werden die Unterneh- men unterstützt, letztendlich um Arbeitsplätze abzusi- chern. Wir haben die Probleme erkannt und sofort gehandelt – im Gegensatz zu Ihnen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Weiter fordern Sie für Familien Wohnungen zu er- schwinglichen Preisen. Kennen Sie eigentlich die zehnte Wohngeldnovelle unserer Bundesregierung? Durch sie erhalten Wohngeldempfänger in einer großen Familie zukünftig 119 DM pro Monat mehr als bisher. (Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Und wie viel nimmt die Ökosteuer weg?) Das ist eine ganz wichtige Zulage. Das müssen Sie regis- trieren. Sie können darauf gleich in Ihrer Rede eingehen. Man muss auch berücksichtigen, dass es 50 Prozent mehr Wohngeldempfänger als bisher gibt. Wir haben das verbessert, was Sie 16 Jahre nicht verändert haben, meine Damen, meine Herren. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Stimmt nicht!) In diesem Jahr haben wir 420 000 Wohngeldempfänger mehr. Das sind natürlich wichtige Veränderungen. Da- durch wollen wir die Baukonjunktur beleben und dadurch haben wir sie belebt. Wir fördern die Baukonjunktur durch unsere Gesetze. Für unsere Koalition ist das Sozialpolitik. Für unsere Ko- alition ist das Familienpolitik. Das ist ein wichtiger Fak- tor der Familienpolitik. Natürlich war auch das Kinder- geld eine wichtige Frage für uns. Wir haben es um 80 DM erhöht. Hinzu kommt: Eine Familie mit zwei Kindern – das haben Sie angesprochen, Herr Meister – bekommt 8 000 DM als Eigenheimzulage, wenn sie 220 000 DM pro Jahr verdient. In ihrem Antrag malt die CDU/CSU weiterhin das Ge- spenst der erhöhten Erbschaftsteuer in bunten Farben aus. Seit Monaten erstellen Sie dieses Kunstwerk, das un- vollendet bleiben wird. Denn Sie, Herr Meister, müssten eigentlich wissen, dass der Zug schon weitergefahren ist. Die Grünen haben ganz klar erklärt: Die Erbschaftsteuer wird nicht erhöht. Die SPD sagte das Gleiche. (Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Die Parteitagsbeschlüsse sind andere!) Die Bundesregierung sagte das Gleiche. Insofern waren die Bundesregierung und die Koalition im Wort. Aber Sie von der CDU/CSU verschwenden keine Zeit auf Ihre eigenen Argumente. Das ist eigentlich traurig. Denn man stellt fest, dass die von der Union regierten Länder im Bundesrat der Verlängerung, die Sie in Ihrem Antrag aufgeführt haben, zugestimmt haben. Das Be- wertungsverfahren zur Erhebung der Erbschaftsteuer wird um fünf Jahre verlängert. Auch wir unterstützen das im Bundestag. Sie sollten sich einmal mit den Kollegen von der CDU und CSU darüber unterhalten. Dann sind Sie vielleicht etwas genauer über die Veränderungen in- formiert. (Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Wir sprechen häufig miteinander!) Meine Damen und Herren, zum Abschluss kommt der ganz große Wurf der CDU/CSU innerhalb dieses Antra- ges: Die Länder sollen eigene Grundsteuergesetze erlas- sen. So steht es in Punkt 9 des Antrages. Die regionalen Immobilienmärkte könnten dann viel besser gefördert werden, heißt es; die Landesregierung könne das besser übersehen als die Städte, als die Ratsherren und die Rats- frauen in den Städten. So sagt es die CDU/CSU. Eine der letzten Kommunalsteuern wollen Sie – so Punkt 9 Ihres Antrages – abschaffen. Haben Sie mit Ihren Ratsherren, mit Ihren Ratsfrauen eigentlich darüber ge- sprochen, was sie dazu meinen? (Elke Wülfing [CDU/CSU]: Können Sie nicht lesen?) Haben Sie mit den CDU- bzw. CSU-Ratsfrauen oder CDU- bzw. CSU-Ratsherren darüber gesprochen, ob auch sie der Meinung sind, dass der Landtagsabgeordnete die Situation in der Stadt eigentlich viel besser beurteilen könne als der Ratsherr vor Ort, der in einem kleinen Be- reich seine Arbeit tut? Ist das der Fall, meine sehr verehr- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Dieter Grasedieck 18784 (C) (D) (A) (B) ten Damen und Herren? Ich habe mit Ratsherren und Ratsfrauen von der CDU gesprochen. Sie sind höchst er- staunt über Ihren Antrag und verstehen ihn nicht so ganz. Sie von der CDU/CSU bestätigen durch Ihren Antrag: (Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Kennen Sie den Unterschied zwischen Abschneiden und Reform?) Die CDU/CSU ist ein vielstimmiger Chor mit disharmo- nischen Stimmen. Ihr Antrag zeigt weiterhin: Wer alles will, will eigent- lich nichts erreichen. Sie versuchen, eher den Applaus statt den Erfolg zu erreichen. Das sieht man bei der Erb- schaftsteuer ganz besonders deutlich. Unsere Koalition hingegen stellt sich der Aufgabe, Jahr für Jahr eine konti- nuierliche Verbesserung der Situation im Baugewerbe zu erreichen. So beurteilt auch der Zentralverband des Deutschen Baugewerbes diese Situation. Er beurteilt sie zwar kri- tisch – keine Frage –, aber mit positiven Tendenzen. (Elke Wülfing [CDU/CSU]: Katastrophal, nicht kritisch!) Der Zentralverband schreibt – das sollten Sie sich einmal anhören –: Die Zahl der Baugenehmigungen nimmt im 2. Quar- tal 2001 etwas zu. Die Auftragseingänge verzeich- nen in den alten Bundesländern wieder einen Zu- wachs. Es ist doch interessant, dass es hier eine positive Ten- denz gibt. (Elke Wülfing [CDU/CSU]: Aber auf welchem Niveau denn? Wenn Sie am Boden liegen, ist das Kopfheben schon etwas Gutes!) – Das sagt die Industrie. Sie sollten sich einmal das Schreiben des Zentralverbandes im Detail ansehen. Darin ist auch die Statistik aufgeführt. Hier zeichnen sich natürlich die ersten Ergebnisse un- serer Wohnungsbaupolitik ab. (Zuruf der Abg. Elke Wülfing [CDU/CSU]) – Ich kann auf Ihre Zurufe nicht eingehen, Frau Wülfing. Sie müssen schon eine Zwischenfrage stellen, denn sie ist das Einzige, was klappt. Ihre einfachen Einwürfe kann ich manchmal nur schlecht verstehen. (Elke Wülfing [CDU/CSU]: Nein, ich will Ihre Ausführungen nicht noch verlängern!) Ich will wiederholen: Hier zeichnen sich die ersten po- sitiven Ergebnisse unserer Wohnungsbaupolitik ab. SPD und Grüne fördern unsere Bauwirtschaft, um Arbeits- plätze zu erhalten. Unsere Koalition handelt auch in Zu- kunft. Glück auf! (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Ich erteile das Wort dem Kollegen Hans-Michael Goldmann, FDP- Fraktion. Hans-Michael Goldmann (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Geschätzter Kollege Grasedieck, wir sehen das, was Sie hier vorgetra- gen haben, ganz anders. (Dieter Grasedieck [SPD]: Das kann sein, da bin ich nicht überrascht! – Elke Wülfing [CDU/ CSU]: Wir sehen es so, wie es ist!) Wir haben uns vorhin schon darüber gestritten, ob Sie den Antrag wirklich gelesen haben. Es geht darin um bes- sere steuerliche Rahmenbedingungen für den Wohnungs- bau. (Dieter Grasedieck [SPD]: Erbschaftsteuer!) Vielleicht können wir uns zunächst darauf verständigen, dass Sie nach der Regierungsübernahme die steuerlichen Rahmenbedingungen für den Wohnungsbau verändert ha- ben. (Dieter Grasedieck [SPD]: Verbessert haben!) – Nein, Sie haben sie eben nicht verbessert; denn Sie müs- sen seit 1998 den Verlust von 240 000 Arbeitsplätzen in diesem Bereich beklagen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: So ist es! Das ist Ihre Verbesserung!) Sie müssen beklagen, dass weniger Wohnungen gebaut werden. Sie müssen beklagen, dass in diesen Bereichen weniger investiert wird. Das sind doch nicht unsere Er- findungen, sondern das ist die Realität, die wir ständig er- leben. Ich bin sehr darüber erstaunt, dass Sie das nicht als dringendes Problem empfinden. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Lassen Sie uns den – meiner Meinung nach – guten An- trag der CDU/CSU-Bundestagsfraktion einmal inhaltlich abklopfen. (Dieter Grasedieck [SPD]: Nur die Ökosteuer ist vergessen worden! Sonst ist alles drin!) – Ich habe doch die Ökosteuer noch gar nicht erwähnt. Sie haben sich gerade beklagt, dass wir nicht bei der Sache geblieben sind. Gehen Sie doch mit gutem Beispiel voran und bleiben Sie bei der Sache! (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Fragen Sie sich: War die Beschränkung der Verlustver- rechnung wohl klug? War die Verkürzung der Spekula- tionsfrist, die gerade die mittelständische Bauwirtschaft und das Handwerk negativ trifft, klug? War die Beseiti- gung der Verteilungsmöglichkeiten bei größeren Erhal- tungsaufwänden im Bestand – Sie haben gerade darüber geklagt, dass dafür so wenig getan wird – wohl klug? (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Dieter Grasedieck 18785 (C) (D) (A) (B) War es klug, die Einkommensgrenze so zu senken, dass Singles, Geschiedene und Witwen wesentlich größere Schwierigkeiten haben, Eigentum zu erlangen? War die Streichung des Vorkostenabzugs bei Wohnei- gentum im Bestand – ich bin wieder beim Bestand –, die besonders die niedrig Verdienenden trifft, klug? Waren die Dinge, die Sie im Mietrecht auf den Weg gebracht ha- ben, klug? Führte die Diskussion über die Erbschaft- und Schenkungsteuer nicht dazu, dass wir es heute im Bereich der Bauwirtschaft im Grunde genommen mit sehr viel Traurigkeit zu tun haben? Unterhalten Sie sich doch ein- mal mit den Unternehmern und mit den Arbeitnehmern in den Betrieben! Sie sind entsetzt darüber, was ihnen durch die steuerliche Verschlechterung zugemutet worden ist. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Da kommt bei Ihnen meiner Meinung nach eine Grund- ideologie zum Tragen: Alles, was mit Eigentum, mit Im- mobilien und mit Maklern zu tun hat, das ist des Teufels. (Dieter Grasedieck [SPD]: Ach!) All das gehört abkassiert, eingeschränkt, benachteiligt. Anschließend kommen Sie dann mit Ihren Segenspro- grammen. Das ist genau der falsche Weg. (Dieter Grasedieck [SPD]: Das ist keine neue Perspektive, die Sie aufzeigen! Das ist Ihr altes Schema!) – Das ist Ihr altes Schema, richtig! Der Private kann es nicht, der Staat muss es machen. Deswegen kommen Sie mit einem Programm nach dem anderen, die Sie aber im Grunde genommen überhaupt nicht finanzieren können. Denn die Wirksamkeit dieser Programme, Herr Kollege, kann nur zum Tragen kommen, wenn Sie Mitfinanziers haben. Wenn Sie sagen, dass Sie in einer Zeitspanne von endlosen Jahren 4 Milliarden DM oder einen anderen Be- trag – gestern war im Ausschuss sogar von 12 Mil- liarden DM die Rede – (Dieter Grasedieck [SPD]: Gut, dass Sie das wiederholen! Sie müssen das Wohngeld noch mit hineinbringen!) in den Umbau Ost investieren wollen – was wir begrüßen würden –, dann brauchen Sie dafür Mitfinanziers, Private, die bereit sind, in Immobilien, in Wohnraum zu investie- ren. Dann brauchen Sie dafür Länder und Kommunen, die die Möglichkeit der Mitfinanzierung haben. Dann macht es einfach keinen Sinn, vorher durch jede Menge Ände- rungen in den steuerlichen Bereichen abzukassieren und sich hinterher als Heilsbringer hinzustellen, die die richti- gen Programme haben. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Nein, weniger Staat, mehr Eigenverantwortung, mehr Bereitschaft zu Investitionen von Privatpersonen in Im- mobilien – das ist die richtige Antwort und diese Antwort bleiben Sie in dieser hochdramatischen Situation zum tie- fen Bedauern schuldig. Ich weiß, wovon ich rede. Ich komme aus einer Region, in der sehr viele Menschen von der Bauwirtschaft leben. Ich komme aus einer Region, in der es Gemeinden gibt, die im Winter aufgrund der Schlechtwettergeldregelungen über 70 Prozent Arbeits- lose haben. Ich bin entsetzt und empört darüber, dass die rot-grüne Politik diese Leute im Regen stehen lässt. Das haben sie nicht verdient. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dieter Grasedieck [SPD]: Haben Sie nicht gehört, welche Förderung wir aufgebaut haben?) Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen spricht die Kol- legin Franziska Eichstädt-Bohlig. Franziska Eichstädt-Bohlig (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe den Antrag sehr genau gelesen, aber ich bin zunehmend verwirrt; denn ich habe das Gefühl, dass der rechte Teil des Hauses die Grundregeln der Marktwirtschaft und das Verhältnis von Angebot und Nachfrage noch nicht begrif- fen hat. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Lachen bei der CDU/CSU und der FDP – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Wir haben auf Sie gewartet!) In Ihrem Antrag behaupten Sie, dass der Mietwoh- nungsbau deswegen zurückgehe, weil die Koalition in dieser Legislaturperiode steuerrechtliche Änderungen vorgenommen habe. (Elke Wülfing [CDU/CSU]: Ja, so ist das!) Der Deutsche Bundestag in seiner Mehrheit stellt ganz schlicht fest, dass die Nachfrage nach Mietwohnungsbau angesichts der Marktsättigung – in Ostdeutschland so- wieso, aber auch in vielen Teilen von Westdeutschland – deutlich zurückgeht, also nicht aufgrund steuerlicher Maßnahmen, sondern ganz schlicht, weil wir ein Riesen- angebot an Mietwohnungen haben. Wir haben Wohnungsprobleme – das haben wir hier schon x-mal gesagt – in München, in den Regionen Stutt- gart und Frankfurt. Schon in Düsseldorf, also auch in Bal- lungsräumen der zweiten Kategorie, haben wir einen aus- geglichenen Wohnungsmarkt. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das erzählen Sie mal in Hamburg, München, Düsseldorf, Wiesbaden und Heidelberg!) Wir haben in Ostdeutschland inzwischen einen Woh- nungsleerstand von fast 15 Prozent. Da frage ich Sie, was Sie mit Ihrer Forderung nach steuerlichen Instrumenten, damit dort mehr Wohnungen gebaut werden, überhaupt wollen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Sie sind doch für Stadtumbau!) Das gilt auch in Nordrhein-Westfalen und besonders dort, wo Sie wohnen, Herr Kollege Goldmann. Ich möchte wis- sen, wie viel Mietwohnungen Sie neu bauen wollen, für die wir hinterher wieder Programme entwickeln müssen, damit andere Wohnungen abgerissen werden können. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Hans-Michael Goldmann 18786 (C) (D) (A) (B) Nun hören Sie doch endlich auf mit dieser absurden Poli- tik! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Sie sind doch die größte Verfechterin von Stadtumbau! Wie wollen Sie das machen?) Die Vermischung von wohnungspolitischen, steuer- rechtlichen und bauwirtschaftspolitischen Instrumenten hat im Osten dazu geführt, dass wir einen riesigen Leer- stand und neue Probleme haben, die man früher nie ge- kannt hat. Jetzt fordern Sie ständig, dass wir das Modell, absurde, wirtschaftlich nicht nötige Maßnahmen künst- lich zu fördern, auf Westdeutschland übertragen und wei- ter fördern. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Überhaupt nicht!) Das kann doch wirklich nicht das Ziel sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Ich nenne einen zweiten Punkt, um zu zeigen, wie ab- surd Ihr Antrag ist. In diesem Antrag wird behauptet, die Wohngeldreform habe dazu geführt, dass der Immobili- enerwerb und der Immobilienbesitz erschwert würden. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Wo steht das denn?) Ich muss Ihnen sagen: Die Eigentümer haben uns auf Knien gebeten, endlich eine Wohngeldreform zu machen. Damit Sie etwas davon lernen, was Immobilienerwerb er- schwert oder erleichtert, sollten Sie einen Schulungskurs belegen. Wenn Sie mir fachliche Inkompetenz vorwerfen, Herr Kollege Meister, dann sage ich Ihnen deutlich: Dieser An- trag ist unter Ihrem Niveau. Wir kennen aus dem Aus- schuss sehr viel qualifiziertere Beiträge von Ihnen als das, was Sie in diesem Antrag schreiben. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Der trifft Sie ins Mark. Das ist Ihr Problem!) Ich nenne einen dritten Punkt. In Ihrem Antrag haben Sie geschrieben: Durch die Verringerung von Wohn- raum drohen Mietsteigerungen. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Richtig!) Zunächst einmal drohen keine Mietsteigerungen durch Verringerung von Wohnraum. In Westdeutschland verrin- gert überhaupt niemand Wohnraum, und in Ostdeutsch- land sind wir dabei, Wohnraum zu verringern, um die Mieten überhaupt zu stabilisieren. Auch insofern habe ich das Gefühl, dass Sie die Regeln der Wohnungswirtschaft und von Angebot und Nachfrage überhaupt nicht be- greifen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Nächster Punkt: Eigenheimzulage. Allmählich ärgert mich das. Ein Ehepaar mit 160 000 DM zu versteuerndem Jahreseinkommen, ein Ehepaar mit einem Kind und 190 000 DM zu versteuerndem Jahreseinkommen, ein Ehepaar mit zwei Kindern und 220 000 DM zu versteu- erndem Jahreseinkommen bekommt Eigenheimzulage. Wenn Leute, die ein Einkommen haben wie wir alle hier, steuerliche Zulagen für den Erwerb von Eigentum be- kommen, dann ist das in meinen Augen eher eine Über- förderung als eine Unterförderung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Die zahlen auch viel Steuern!) Angesichts der Probleme in den öffentlichen Haushal- ten sollten Sie nicht ständig fordern, den Leuten mehr Geld hinterher zu schmeißen, die es nicht brauchen. Sie sollten endlich die Politik unterstützen, die darin besteht, dass wir unsere öffentlichen Mittel und die Steuergelder, die unsere Bevölkerung erwirtschaftet, auf die konzen- trieren, die das Geld wirklich brauchen. Das sollten Sie endlich als Prinzip anerkennen, zumal Sie dauernd Steu- ersenkungen fordern. Es ist doch wohl absurd, was Sie hier mit uns machen! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Sie sind also für ein einkommensabhän- giges Kindergeld. Hochinteressant!) Letzter Punkt! Wir haben Probleme in der Bauwirt- schaft. Aber wir sollten nicht ständig stärker schwarz ma- len, als in der Bauwirtschaft wirklich Probleme bestehen. Die Zahl der Baugenehmigungen steigt nämlich bei- spielsweise genau im Raum München, wo auch der Be- darf an Wohnungen und an Investitionen größer ist. In an- deren Regionen ist das nicht das Problem. Insofern sollten wir bitte die bauwirtschaftlichen Probleme da lösen, wo wir sie lösen müssen. Das heißt, im Osten kommen wir nicht darum herum, die Bauwirtschaft, die Sie künstlich aufgebläht haben, an einen Level anzupassen, auf dem sie lebensfähig ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Das ist ein schwieriger Prozess. Sie sollten das aber nicht denen vorwerfen, die das vollziehen müssen. Sie sollten sich selber an die Brust klopfen; denn Sie haben jahrelang eine falsche Politik betrieben. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Und Sie wa- ren dagegen, oder wie? – Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Das werfen wir nicht der Bauwirtschaft vor, sondern der Politik!) – Ich war dagegen, genau! Ich habe seit 1995 gesagt, dass das eine falsche Politik ist und dass wir nur einen Vermö- genstransfer West machen. Das kann ich Ihnen beweisen. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Sie wollten in der alten Platte und in den kaputten Innen- städten weiterleben, ganz genau!) – Nein, ich wollte die Förderung denen geben, die sie brauchen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Franziska Eichstädt-Bohlig 18787 (C) (D) (A) (B) Wir machen hier besser Schluss, weil die Opposition einfach nicht begreifen will, was fachliche Kompetenz ist, und arbeiten ruhig weiter. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Unver- schämtheit!) Dann werden wir erfolgreiche Wohnungspolitik, Steuer- politik und Bauwirtschaftsförderung machen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Die Kolle- gin Heidemarie Ehlert spricht für die Fraktion der PDS. Heidemarie Ehlert (PDS): Herr Präsident! Meine Da- men und Herren! Ich kann ja noch einsehen, dass das Steuerentlastungsgesetz vielleicht nicht der große Renner war. Aber das hat sich doch schon vor zwei Jahren in der Diskussion gezeigt. Jetzt liegen ja bereits Änderungsan- träge dazu vor. Die Praxis hat doch gezeigt, dass sich insbesondere auf dem Wohnungsmarkt die Zustände zugespitzt haben – aber nicht, weil Wohnungen fehlen, sondern weil allein in Ostdeutschland mehr als 1,2 Millionen Wohnungen leer stehen. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Da haben Sie Recht!) In den alten Bundesländern deuten sich ähnliche Ent- wicklungen an, bedingt durch einen stetigen Bevölke- rungsrückgang. Abgesehen davon: Glauben Sie wirklich im Ernst, dass eine Familie mit 320 000 DM Jahreseinkommen ein Ei- genheim nicht baut, weil es auf 5 000 DM Eigenheimzu- lage im Jahr verzichten muss? (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD) Da kann ich mich nur totlachen. Nein, es liegt daran, dass der Nachholbedarf zum Teil gedeckt ist. Natürlich liegt es auch daran, dass es in den neuen Bundesländern viel mehr Familien gibt, die weniger als 70 000 DM im Jahr verdie- nen, was nicht ausreicht, um Wohneigentum zu erwerben oder auf Dauer finanzieren zu können. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Da haben Sie Recht! Deswegen brauchen Sie Investoren! Diese brauchen steuerliche Rahmenbedingun- gen!) Kommen wir zur Verlustverrechnung. Dank der Sonderabschreibung AfA-Ost wurde in den neuen Bun- desländern ohne Rücksicht auf Bedarf gekauft und ge- baut: Wohnungen, aber in erster Linie Büros. Dank der Verlustverrechnung störte es nur bedingt, dass die Mieter sowohl für die Wohnungen als auch für die Büros weg- blieben. Leerstand wurde schließlich über die steuerliche Abschreibung aufgefangen. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Richtig!) Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, möchten nun nichts weiter als eine Neuauflage dieser be- triebenen Politik. Hier muss es erlaubt sein, auch auf die Kehrseiten dieser steuerlichen Förderpolitik hinzuweisen. Hier auf den Zuschauerrängen sitzen Betroffene, die auf ausgeklügelte, so genannte Steuersparmodelle – mit Na- men wie Erwerbermodell, Bauherrenmodell oder Treu- handmodell – von Banken und Versicherungen hereinge- fallen sind und sich an die Öffentlichkeit gewandt haben. Als mit den Besserverdienenden keine Geschäfte mehr zu machen waren, wurden nun auch den kleinen Leuten die Abschreibungsimmobilien angeboten – meist Sanierungs- objekte oder Billigwohnungen aus Konkursmassen –, je- doch zum doppelten oder dreifachen Verkehrswert. Die Opfer hatten kaum eigenes Kapital und wurden mit der Werbung, die Immobilie finanziere sich durch Abschrei- bung, Verlustverrechnung und Steuervorteile wie von selbst, in die Steuerfalle gelockt. Der Traum von der Al- tersversorgung ist für viele zum Albtraum geworden. Ein Beispiel aus Plauen: Eine sanierungsbedürftige Wohnung mit 49 Quadratmetern wurde einem Betroffe- nen für 165 000 DM angeboten. Die Wohnung steht heute noch leer, aber der Mann muss die angefallenen Zinsen und Zinseszinsen an die Bank selbstverständlich zurück- zahlen, ohne dass er jemals Mieteinnahmen erzielt hat. Zusätzlich fordert jetzt noch das Finanzamt die in vier Jahren gewährten Steuervorteile zurück – so steht es im Gesetz –, weil ein Anlageobjekt, das über Jahre keinen Gewinn abwirft, eine reine Liebhaberei ist. Das kann ja wohl nicht wahr sein: Es gab keine Mieter, es wird be- hauptet, es sei ein Liebhaberobjekt, und die Leute bleiben auf ihren Verlusten sitzen. Bei diesen Leuten handelt es sich nicht um eine von Ihnen zu schützende Klientel. Dieser Mann ist leider kein Einzelfall. Die Verbrau- cherzentralen rechnen schon heute mit circa 300 000 Be- troffenen, die auf den Schulden aus diesen schönen Be- treibermodellen sitzen bleiben. Auch das gehört zu den Hinterlassenschaften Ihrer Politik. (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Frau Kolle- gin, Sie haben Ihre Redezeit schon lange überschritten. Heidemarie Ehlert (PDS): Ich komme zum Schluss. Wenn man schon reformieren will, dann sollte man nicht die Besserverdienenden fördern, sondern einkom- mensabhängig gerade jenen, die weniger Einkommen ha- ben, stärker unter die Arme greifen. Dazu werden wir selbstverständlich demnächst Anträge vorlegen. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Ich schließe die Aussprache. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 200118788 (C) (D) (A) (B) Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 14/6637 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Das Haus ist damit einverstanden. Dann ist es so beschlossen. Ich rufe nunmehr die Tagesordnungspunkte 8 a bis 8 d auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Helmut Haussmann, Klaus Haupt, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der FDP Für eine VN-Resolution zur Ächtung der Ge- walt gegen Kinder auf dem Weltkindergipfel in New York – Drucksache 14/6324 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- lung b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Klaus Kinkel, Günther Friedrich Nolting, Dr. Helmut Haussmann, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der FDP Ächtung aller Landminen ohne Wirkzeitbe- grenzung – Drucksache 14/6328 – Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Helmut Haussmann, Ina Albowitz, Ulrich Irmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Für einen substanziellen deutschen Beitrag zum Aidssonderfonds der Vereinten Nationen – Drucksache 14/6623 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- lung (f) Auswärtiger Ausschuss d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Helmut Haussmann, Ulrich Irmer, Birgit Homburger, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der FDP Für eine Antiterrorismuskonvention der Ver- einten Nationen – Drucksache 14/6952 – Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) Innenausschuss Rechtsausschuss Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann eröffne ich mit Zustimmung des Hauses die Aus- sprache. Ich gebe das Wort der Kollegin Sabine Leutheusser- Schnarrenberger für die Fraktion der FDP. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP): Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Dieser Tagesordnungspunkt, dem vier Anträge der FDP zugrunde liegen, befasst sich vorwiegend mit der wichti- gen Rolle der Vereinten Nationen, mit vier Themen, die bereits vor dem 11. September dieses Jahres sehr aktuell gewesen sind und heute zum Teil eine noch stärkere Ak- tualität bekommen haben. Es geht um Gewalt gegen Kin- der, um die Aidskatastrophe, um Landminen und deren verheerende Auswirkungen sowie um Terrorbekämpfung. Allen Anträgen ist gemeinsam, dass es immer um Mil- lionen unschuldiger Opfer geht; denn weder Kinder noch die durch Landminen Verletzten – in Gegenden, in denen keine Infrastruktur mehr vorhanden ist, sei es auf dem Balkan, in Afghanistan, Korea oder Vietnam – sind Ter- roristen. Wo immer Sie in den genannten Ländern hinse- hen, erblicken Sie die Überreste verheerender Ausei- nandersetzungen. Die FDP möchte mit ihren Anträgen die Bundesregierung auffordern, sich bei der Linderung der Folgen weltweiter Katastrophen sehr viel energischer als bisher zu engagieren. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der PDS) Die Terroranschläge gegen die USA haben auf er- schreckende Weise deutlich gemacht, dass es zu einer engen und vertrauensvollen Zusammenarbeit demo- kratischer Staaten bei der Verteidigung ihrer offenen Ge- sellschaftsordnung keine Alternative gibt. Die einzige weltumspannende und handlungsfähige Organisation sind die Vereinten Nationen. Deshalb bieten sie den rich- tigen Rahmen für einen nachhaltigen globalen Kampf gegen Terror und gegen die Auswirkungen von Benach- teiligungen von Kindern und für die Zukunft der Gesell- schaften unserer Welt. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der PDS) Leider musste der Weltkindergipfel der Vereinten Na- tionen aufgrund der Ereignisse vom 11. September ver- schoben werden. Ich habe es bedauert, dass sich die Ko- alitionsfraktionen nicht unserem Antrag angeschlossen haben. Sie haben jetzt einen eigenen Antrag nachgescho- ben, der im Wesentlichen auf unserem basiert. Ich denke, man sollte hier das Kleinklein weglassen. Wenn wir im Ergebnis dahin kommen, die formulierten Anliegen ge- meinsam zu unterstützen, wäre das ein hervorragender Er- folg. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Die Kinderkonvention der Vereinten Nationen ist vor über zehn Jahren in Kraft getreten. Dennoch werden Kin- der und Minderjährige immer häufiger Opfer gezielter staatlicher Gewalt. Entführung, Vergewaltigung, Zwangs- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters 18789 (C) (D) (A) (B) arbeit und Nahrungsentzug sind nur einige Erscheinungs- formen, die in vielen Ländern dieser Welt die Gewalt ge- gen Kinder dokumentieren. Trotz 82 Resolutionen – auch durch die UN- Menschenrechtskommission – ist es nicht gelungen, dem gravierenden Menschenrechtsproblem der Misshand- lung von Kindern gerecht zu werden. Deshalb müssen alle Kräfte darauf konzentriert werden, diesem wichtigen Anliegen auf dem hoffentlich bald stattfindenden Welt- kindergipfel zum Erfolg zu verhelfen. Wir fordern die Bundesregierung daher auf, mit den Partnern der Europä- ischen Union einen gemeinsamen Resolutionsentwurf zur Ächtung der Folter von Kindern, des Kinderhandels und der Zwangsrekrutierung Minderjähriger zum Militär- dienst vorzulegen, der durch den so genannten Weltkin- dergipfel verabschiedet werden sollte. (Beifall bei der FDP) Lassen Sie uns bei dieser wichtigen humanitären Frage in- nenpolitische Eifersüchteleien vergessen und, gestützt auf unsere Initiative, einen gemeinsamen Antrag erarbeiten! In Anbetracht meiner kurzen Redezeit möchte ich wenigstens ein paar Worte zu einem wichtigen der vier ge- nannten Anträge sagen, nämlich dem zum Aidssonder- fonds. Aids hat sich inzwischen zu einer medizinischen, humanitären und wirtschaftlichen Katastrophe ausgewei- tet. (Karl Lamers [CDU/CSU]: Und politischen!) Die Zahl der in absoluter Armut lebenden Menschen hat sich aufgrund der Aidsepidemie dramatisch erhöht. Der überwiegende Teil der wirtschaftlich aktiven Bevölke- rung stirbt. Die durchschnittliche Lebenserwartung in Ländern wie Botswana und Simbabwe wird in den nächs- ten Jahren auf unter 30 Jahre sinken. Deshalb ist es zwar zu begrüßen, dass die Bundesregierung grundsätzlich ihre Unterstützung für die Initiative des UN-Generalsekreta- riats zur Einrichtung eines internationalen Fonds für den Kampf gegen Aids erklärt hat. Aber seit 1998 sind die Haushaltsansätze für die Entwicklungshilfe rückläufig. Alles das, was bisher zu diesem Punkt zu hören war, lässt befürchten, dass der Ansatz für den Aids-Sonderfonds im nächsten Jahr nicht erhöht werden wird. Die Erhöhung ist eigentlich dringend notwendig. Deshalb appellieren wir in unserem Antrag an Sie, ei- nen Teil der zu erwartenden Steuermehreinnahmen in Höhe von 3 Milliarden DM – möglicherweise ist es auch sehr viel mehr – den über 23 Millionen Menschen in der Welt zugute kommen zu lassen, die an Aids infiziert sind. (Beifall des Abg. Manfred Grund [CDU/CSU]) Leider ist meine Redezeit zu Ende, sodass ich zu den anderen Anträgen nichts mehr sagen kann. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der PDS) Vizepräsidentin Anke Fuchs: Das Wort hat nun die Kollegin Karin Kortmann für die SPD-Fraktion. Karin Kortmann (SPD): Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kofi Annan, hat anlässlich des Jahrtausendwechsels das anbrechende neue Jahrhundert als ein Jahrhundert der Prävention bezeichnet. Wie wün- schenswert und unterstützenswert dieses Anliegen auch sein mag: Die politische Realität sieht angesichts der zu- nehmenden Zahl von Krisenherden in der Welt leider noch immer ganz anders aus. Wir wissen doch selbst, wie schwierig es sich in unse- rem Alltagsgeschäft erweist, die zukünftige Lebenswirk- lichkeit in Vorbeugemaßnahmen einzufangen. Präven- tion ist in der Regel auf Ziele ausgerichtet, die noch nicht genau zu erkennen sind. Deshalb wird auf allen Ebenen der Politik – sei es national, europäisch oder internatio- nal – immer wieder die gleiche Frage gestellt, wenn es um präventive Mittel geht: Können Sie uns garantieren, dass Ihrem präventiven Modell tatsächlich auch Erfolg be- schieden ist? Nur wenn dieses Ziel bejaht wird, werden knappe Ressourcen – Sie haben darauf hingewiesen, Frau Leutheusser-Schnarrenberger – zur Verfügung gestellt. Den komplexen Problemlagen dieser Welt, einerseits der Globalisierung der Wirtschafts- und Finanzmärkte für die Reichen und andererseits der Globalisierung der Solida- rität mit den Armen sowie den damit einhergehenden so- zialen Konflikten und ökologischen Krisen, können wir auf Dauer nur präventiv entgegenwirken. Der Vorsitzende des Heidelberger Instituts für interna- tionale Konfliktforschung, Christoph Rohloff, weist in seiner jüngsten Bilanzierung zu den Weltkonferenzen in den 90er-Jahren mit Recht darauf hin, dass solche Konfe- renzen ungeachtet der Aktualität und der Dringlichkeit ih- rer Inhalte und Forderungen auf dem Niveau unverbind- licher Absichtserklärungen bleiben, wenn nicht auch in friedens- und sicherheitspolitischen Bereichen eine Ver- gemeinschaftung von staatlichen Interessenlagen im Sinne einer normativen Integration der Staatenwelt er- reicht wird. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dazu gehört auch eine berechenbare Grundlage von Mi- nimalstandards sowie Entscheidungsstrukturen und Ent- scheidungsprozessen. Der 11. September – darauf hat schon der Bundeskanzler in seiner Rede, die er heute Mor- gen gehalten hat, hingewiesen – wird uns in seinem grau- samen Ausmaß immer in Erinnerung bleiben, die uns mahnt, dass sich globale Ordnungsstrukturen und inner- staatliche Demokratisierung in ihren Erfolgschancen ge- genseitig bedingen. Übrigens, Frau Leutheusser-Schnarrenberger, es wäre gut gewesen, wenn Sie Ihre Anträge früher vorgelegt hät- ten. Dann hätten wir auch im Sinne der FDP im Vorfeld der Einigungsprozesse Einfluss nehmen können. Wir reden heute über die Ächtung der Gewalt gegen Kinder. Wir alle sind uns, glaube ich, doch in diesem Par- lament einig, dass der Schutz, die Förderung und die Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Sabine Leutheusser-Schnarrenberger 18790 (C) (D) (A) (B) Entwicklung von Kindern zu den wichtigsten Prioritäten jeder Politik gehören müssen. Setzt man hier Verbesse- rungen durch, dann lässt sich der von einer Generation zur nächsten Generation weitergegebene Teufelskreis aus Armut und Ausbeutung durchbrechen. Diese Sichtweise kommt auch in den Prinzipien der UN-Konvention über die Rechte des Kindes von 1989 zum Ausdruck; der Sondergipfel sollte ja sozusagen auch der UN-Kindergipfel plus elf sein. Sie hat das weltweite Engagement für Kinder ein wichtiges Stück vorange- bracht. Mittlerweile ist die Kinderrechtskonvention – mit Ausnahme von den USA und Somalia – von allen Staaten ratifiziert worden. Ich darf aber auch auf das große Enga- gement der UN-Konferenzen verweisen, die danach statt- gefunden haben und die die Kinder und ihre Entwick- lungschancen immer mehr ins Zentrum internationaler Politik rückten. Es ist richtig zu sagen: Wir brauchen diese Einigungen auf UN-Ebene. Ich erinnere an die Menschenrechtskonfe- renz 1993. Sie betonte die Notwendigkeit, Kinder in schwierigen Lebensumständen besser zu schützen, und richtete unter anderem eine eigene Abteilung für Kin- derrechte ein. Ein Jahr später, 1994, fand die Weltbevöl- kerungskonferenz statt. Sie stärkte die Selbstbestim- mungsrechte von Frauen im Bereich der Familienplanung. Der Weltgipfel für soziale Entwicklung von 1995 be- stätigte die Rechte der Kinder, insbesondere ihre Rechte auf Gesundheit, auf Bildung, auf Hygiene und auf Ernährung. Mit dem Weltkongress gegen kommerzielle sexuelle Ausbeutung 1996 konnte erreicht werden, dass sich 120 Regierungen verpflichteten, die sexuelle Aus- beutung von Kindern zu stoppen. Die Teilnehmer der Weltbildungskonferenz 2000 beschlossen neue konkrete Schritte für die Verwirklichung des Ziels „Bildung für alle“. Ich darf auch noch auf die verschiedenen ILO- Konventionen, Zusatzprotokolle, Beschlüsse und Ent- schließungsanträge im Deutschen Bundestag oder im Europäischen Parlament verweisen. Angesichts dessen können wir eigentlich mit Recht sagen, dass es kaum noch Lücken in den vielfältigen Beschlusslagen gibt, die zur Ächtung der Gewalt gegen Kinder beitragen sollen. Deshalb – es wird Sie nicht überraschen – lehnen wir den FDP-Antrag betreffend Gewalt gegen Kinder ab. Er enthält unserer Einschätzung nach eine Vielzahl von For- derungen, die erstens bereits Beschlusslagen des Deut- schen Bundestages sind (Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [FDP]: Wie die, den Vorbehalt zur Kinderkonvention aufzugeben!) – darauf komme ich noch zu sprechen –, zweitens bereits Durchführungs- und Anwendungspraxis der angespro- chenen Ministerien, insbesondere des BMZ, sind, und drittens Punkte betreffen wie die Konditionierung der Entwicklungshilfe, die dem entwicklungspolitischen An- satz der Mehrheit dieses Parlaments widersprechen. Ähnlich verhält es sich bei der Ächtung der Land- minen. Die SPD hat sich über viele Jahre hinweg für eine Ächtung der Antipersonenminen eingesetzt und mit dazu beigetragen, dass sich die Bundesrepublik Deutsch- land aktiv an dem Ottawa-Prozess beteiligt hat. Das Ottawa-Übereinkommen kann sehr wohl als ein erster Erfolg verstanden werden, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) aber als ein Erfolg – ich will das Klatschen nicht mindern –, der nach wie vor auch gravierende Mängel aufweist. Die größte Schwäche besteht darin, dass die wichtigsten Mi- nenproduzenten und Minenexporteure – ich kann sie noch einmal nennen: es sind Russland, China, Indien, Pakistan und auch die USA – diesem Übereinkommen bisher nicht beigetreten sind. Darum gilt es, alle Anstrengungen da- rauf zu richten, dass sie diesem Übereinkommen beitreten können. (Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [FDP]: Ja, eine Antiterrorallianz!) Auch hat das Abkommen in den realen Krisenregionen dieser Welt noch keine nachhaltige Wirkung erzielen können. Ich darf noch einmal darauf hinweisen, dass auch in unserer unmittelbaren Nachbarschaft, im ehemaligen Jugoslawien, nach wie vor Antipersonenminen verlegt werden und damit auch viele Kinder Opfer dieser Waffen werden. Es wäre deshalb gut, wenn wir Ihre Anträge ebenso wie die Beschlüsse, die wir bereits gefasst haben, zugrunde legen und uns dafür einsetzen, dass diese Beschlüsse um- gesetzt werden; denn die derzeitigen Herausforderungen bei der Wahrung der Kinderrechte und auch der Menschenrechte in der internationalen Zusammenarbeit liegen vor allem in der Umsetzung der bereits verschrift- lichten Rechte und im Einklagen der bereits verbrieften Garantien. Dazu gehört auch die Anerkennung der UN- Kinderrechtskonvention. Wir sollten darauf hinwirken – so ähnlich, wie wir es in dieser Woche auch im Men- schenrechtsausschuss debattiert haben –, dass wir endlich zu einer Anerkennung kommen können. Dazu möchte ich Sie ermutigen. (Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [FDP]: Wir haben alles getan! Der Bundestag hat alles getan!) – Der Bundestag hat alles getan. Er hat in der Tat die Be- schlüsse dazu gefasst. Insofern: Unterstützen Sie noch einmal diese Beschlusslagen! (Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [FDP]: Das ist ja uninteressant!) Wir setzen uns dann gemeinsam dafür ein, dass sie auch umgesetzt werden. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Anke Fuchs: Nun erteile ich das Wort dem Kollegen Clemens Schwalbe für die CDU/ CSU-Fraktion. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Karin Kortmann 18791 (C) (D) (A) (B) Clemens Schwalbe (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das 21. Jahrhundert hat am 11. September ein neues Kapitel der Weltgeschichte und der internationalen Zusammen- arbeit aufgeschlagen. Waren die Konflikte des letzten Jahrhunderts noch darauf ausgerichtet, dass sich Staaten untereinander bekriegten, so veränderten sich die kriege- rischen Auseinandersetzungen in den 60er- und 70er-Jah- ren zu so genannten innerstaatlichen Befreiungskriegen durch Guerillabewegungen. Seit einigen Jahren zeichnet sich jedoch eine Verschie- bung des neuen Konfliktpotenzials hin zum primär reli- giös motivierten Terrorismus ab. Die neue Dimension des Terrorismus hat die letzte noch verbleibende Welt- macht, die USA, und damit symbolhaft die ganze freie Welt an diesem Tag bis ins Mark erschüttert. Der Kalte Krieg galt für die meisten Menschen seit dem Fall der Mauer als überwunden und man wähnte sich seither in ei- ner grenzenlosen Sicherheit. Der Schock von New York dürfte wohl alle dahin ge- hend wachgerüttelt haben, dass unsere Freiheit auch wei- terhin bedroht ist. Der Schock ist bei den meisten umso größer, da die Feinde der Freiheit nicht klar fixierbar sind, sondern mitten unter uns leben, sei es in Berlin, in Hamburg, in Bochum, in Paris oder sonst wo. Feind kann der nette Nachbar sein, der uns jahrelang freundlich ge- grüßt hat. Es ist diese Unwägbarkeit, die uns so ohn- mächtig macht und viele Menschen bei uns verängstigt. Dieser barbarische Akt der Zerstörung, des Tötens und des Terrors einer kleinen, international zusammengesetz- ten Gruppe hat für unsere freiheitliche Gesellschaft auf al- len Ebenen folgenreiche Konsequenzen nach sich gezo- gen: Zum einen demonstriert er die neue Dimension der Täterstrukturen. Gut ausgebildete, finanziell abgesi- cherte und in ihr Umfeld scheinbar integrierte Personen mit legalen Papieren, die geregelten Tätigkeiten nachge- hen, fanden sich zu einem bestimmten Zeitpunkt zusam- men, um diese Schreckenstat auszuführen. Keine Vorwar- nung, keine Eingrenzung der Opfer und die Bereitschaft, das eigene Leben für diese einmalige grausame Tat zu op- fern, kennzeichnen diesen neuen Tätertyp. Bislang allge- mein gültige Werte und Moralvorstellungen zählen für diese Täter nicht. Dass bei diesem „Kampf zwischen Gut und Böse“, wie George Bush die neue Konfrontation nennt, wenige Täter mit relativ geringen Mitteln und ohne große Logistik die freie Welt bis ins Mark erschüttern konnten, das ist das Unglaubliche und Provozierende. Die Täter wollen das System, die Wirtschaft und die freie Welt treffen. Zu den Tausenden unschuldigen Toten kommt die Tatsache, dass viele Menschen ihren Job und damit ihre Existenz verlieren. Ganze Wirtschaftszweige brechen weg, während sich die Täter selbst die freien Ka- pitalmärkte, die sie – das geben sie vor – bekämpfen wol- len, sogar noch zunutze machen und durch Spekulations- geschäfte mit der Angst Millionen verdienen. Auf der anderen Seite stehen Tausende Opfer, ebenfalls Menschen wie Sie und ich, Männer und Frauen aller Na- tionalitäten und Religionen, die zufällig am gleichen Tag am gleichen Ort zusammenkamen und aufgrund dieser Zufälligkeit grausam sterben mussten. Sie waren keine Politiker oder Soldaten, an denen man sich rächen wollte, sondern einfache Menschen. Damit demonstrierten die Täter jedem Bürger der freien Welt, dass er in der gleichen schicksalhaften Zufälligkeit des Lebens das nächste Op- fer sein kann. Das ist die Angst, die die Menschen berührt. Dieser neuen Bedrohungslage müssen wir, muss die freie Welt begegnen. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kofi Annan, hat schon in seinem Plädoyer zum Milleniumsgipfel 1999 „Wir, die Völker – die Rolle der Vereinten Nationen im 21. Jahrhundert“ darauf aufmerk- sam gemacht, dass uns der internationale Terrorismus zu- nehmend bedrohen und seine Schatten auf labile Herr- schaftsstrukturen werfen wird. Er fügte hinzu, dass unsere vielfältigen Institutionen auf diese neuen Gegebenheiten nicht vorbereitet sind. Nun befinden wir uns mitten in ei- ner solchen Situation und müssen rasch handeln. Zunächst gilt es, die Sicherheitskonzepte hierzulande zu überdenken. Unsere Sicherheitskräfte sind in höchster Alarmbereitschaft und jeder merkt dies, sei es vor dem Reichstag oder an vielen vermeintlich gefährdeten Orten in unserem Land. Ich möchte daher auch an dieser Stelle allen Polizisten, Grenzschützern, Soldaten und allen Si- cherheitskräften, die rund um die Uhr für unsere Sicher- heit sorgen, unseren Dank aussprechen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Allerdings: Den perfekten Schutz wird es niemals ge- ben, denn politischer Terrorismus ist nach der Definition des Politikwissenschaftlers Manfred Funke eine plan- mäßige Androhung oder Anwendung von plötzlicher Ge- walt, die sich im Bewusstsein der Allgemeinheit wach und gegenwärtig hält, ohne die Schätzung des Wie und Wann seiner Wiederholbarkeit zu gestatten. Diese Möglichkeit, nahezu an jedem Ort und zu jedem Zeitpunkt zuschlagen zu können, schränkt die Möglichkeit der Prävention mas- siv ein. Neben den nationalen Fragen und den Aufgaben zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus hier bei uns in Deutschland, die bei der Regierungserklärung und bei der Beratung des Antiterrorprogramms bereits heute Thema in diesem Haus waren, bedarf es aber auch und vor allem einer internationalen Allianz gegen den Terroris- mus. Deshalb ist der Antrag der FDP-Fraktion „Für eine Antiterrorismuskonvention der Vereinten Nationen“, den wir heute hier mitberaten, vorbehaltlos zu begrüßen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dies stellt nämlich einerseits die konsequente Antwort auf die Millenniumserklärung von Kofi Annan, andererseits eine Notwendigkeit nach den Anschlägen auf New York und Washington dar. Ich denke aber auch, meine Damen und Herren, dass der 11. September neue Maßstäbe für und eine neue Qua- lität der internationalen Zusammenarbeit begründet hat. So schlimm das Ereignis auch war, es hat einen Schub zu Solidarität und Zusammenarbeit gegeben, der davor nicht denkbar schien. Nun haben wir über die früheren Ost-West-Schemata hinweg ein echtes Zusammenspiel von EU, NATO und Vereinten Nationen, wo Entschei- dungen binnen Tages-, ja sogar Stundenfrist getroffen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Clemens Schwalbe 18792 (C) (D) (A) (B) werden können. Präsident Putin hat diese neuen Ansätze der Zusammenarbeit hier im Hause eindrucksvoll ge- schildert. Die internationale Gemeinschaft hat damit den Verbrechern demonstriert, dass sie handlungsfähig und gewillt ist, den Terror gemeinsam zu bekämpfen. So hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen schon am 12. September die Resolution 1368 verabschiedet, mit der sich die zivilisierte Welt dazu entschließt, den internatio- nalen Terror mit allen Mitteln zu bekämpfen. Trotzdem bleiben noch viele Fragen, gerade im inter- nationalen Bereich, offen. So ist trotz der UN-Resolution 2625 von 1970 und auch nach der UN-Antiterrordeklara- tion von 1995 das Definitionsmonopol von Terrorismus noch nicht endgültig geklärt. So wäre eine Aufnahme des Tatbestandes des Terrorismus in das Statut des Ständigen Gerichtshofes denkbar und wünschenswert. Bislang kann dieser nur bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit an- gerufen werden. Die europäische Antiterrorismuskon- vention von 1977 könnte als Vorlage für eine entspre- chende Antiterrorkonvention der UNO dienen, mit der sich die beitretenden Staaten zur grenzüberschreitenden Terrorismusprävention verpflichten. Die Globalisierung der Welt impliziert auch die Glo- balisierung des Terrors. Viele der heutigen Terroristen ha- ben ähnliche Biografien und Lebensstationen. Geprägt wurden sie von einer islamistisch-fundamentalistischen Weltanschauung, die für Nichtmuslime schwer zugäng- lich und verständlich ist. Wir dürfen es jedoch nicht zu ei- nem „Clash of Civilizations“, also einem Krieg der Kul- turen, kommen lassen. Eine solche Entwicklung wäre in der Tat sehr gefährlich und hätte unübersehbare Folgen für die Menschheit, doch eine solche streben die Terroris- ten um Bin Laden an, wenn sie zum heiligen Krieg gegen Amerika und seine Verbündeten aufrufen. Der Theologe Hans Küng hat sich mit dieser Gefahr in seinem Buch „Weltethos für Weltpolitik und Weltwirtschaft“ beschäf- tigt und stellt, wie ich meine, zutreffend fest: Es wird kei- nen Frieden zwischen den Zivilisationen geben ohne ei- nen Frieden unter den Religionen! Und es wird keinen Frieden zwischen den Religionen geben ohne einen Dia- log zwischen den Religionen! (Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [FDP]: Da hat er Recht!) Meine Damen und Herren, die Vereinten Nationen ha- ben die wichtige Aufgabe, diesen Dialog aufzunehmen, um den Frieden voranzutreiben. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Anke Fuchs: Das Wort hat nun die Kollegin Rita Grießhaber. Meine Damen und Herren, Sie dürfen gerne die Rede- zeit einhalten. Rita Grießhaber (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich freue mich, dass wir Gäste auf der Zuschauertribüne begrüßen können, nämlich zwei UN-Mitarbeiter aus der UNMIK- Mission im Kosovo. Herzlich willkommen bei uns! (Beifall) Die Vereinten Nationen stehen vor großen Herausfor- derungen. Sie sind gerade in der jetzigen Situation zu ei- nem wichtigen Akteur geworden. Der VN-Sicherheitsrat hat auf die neue Bedrohung eindeutig und prompt rea- giert. Er hat am 12. September festgestellt, dass durch die Terroranschläge der Weltfrieden und die internationale Sicherheit bedroht sind, und er hat in der Resolution 1373 für alle Staaten verbindliche Maßnahmen zur Bekämp- fung und Verhinderung von Terrorismus festgelegt. Wie ernst es ihm damit ist, zeigt, dass er mit dieser Resolution nach Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen tätig geworden ist und damit neue Weichen für das Völkerrecht gestellt hat. Die Anschläge vom 11. September lassen sich nicht in die herkömmlichen Kategorien von Krieg und Frieden einordnen. Erhard Eppler schreibt dazu, wir hätten es mit privatisierter Gewalt, mit einer Mischung von Fanatismus und Kriminalität, mit fundamentalistischen Fanatikern und ausgekochten Kriminellen zu tun. Er hat Recht. Die neue Qualität des Terrors stellt uns verschärft vor äußerst komplexe Probleme. Schon der Versuch, den Be- griff Terrorismus zu definieren – so notwendig das ist – kann in einer Zerreißprobe à la Antirassismuskonferenz in Durban enden. Ich frage Sie in den Reihen der FDP: Wie soll auf die Schnelle im globalen Raum der Vereinten Na- tionen eine klare Definition von Terrorismus gelingen, wenn schon das Europäische Parlament diese Hürde noch nicht nimmt? Allein der Streit darum, was Terrorismus und was Freiheitskampf ist, wird die sorgsam geschmie- dete Antiterrorkoalition gleich einer weiteren Zer- reißprobe aussetzen. Meine Damen und Herren, es ist eine Tatsache, dass die Stärke und der Rang der Vereinten Nationen in der Welt- politik auch von dem Verhältnis zu den USA abhängen. Es ist gut, dass die USAin dieser Krise so eng mit den Ver- einten Nationen zusammenarbeiten. Jetzt gilt es, unsere amerikanischen Partner in aller Freundschaft auch davon zu überzeugen, dass die rasche Einsetzung des Internatio- nalen Strafgerichtshofs in unser aller Interesse liegt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP) Ich komme zum letzten Punkt, zu Afghanistan. Dort gilt es, die Ausweitung einer humanitären Katastrophe zu verhindern, die schon Jahrzehnte vor dem 11. September begonnen hat. Neu ist, dass parallel zu den militärischen Aktionen zur Zerstörung der terroristischen Infrastruktur alles getan wird, um dem afghanischen Volk zu helfen. Dass die Zivilbevölkerung bei den Angriffen zu schonen ist, ist ohnehin völkerrechtliche Pflicht. Unser Ziel muss es sein, dieses Land wieder zu stabilisieren. Afghanistan braucht – mit Unterstützung der Vereinten Nationen – eine friedliche politische Perspektive. Die Bundesregierung tut in ihrer Funktion als Vorsitzende der Afghanistan Sup- port Group alles, was möglich ist, um dort zu helfen. Sie hat unsere volle Unterstützung. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Clemens Schwalbe 18793 (C) (D) (A) (B) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Meine Damen und Herren, es ist kein Zufall, dass das Netzwerk von Bin Laden in Afghanistan agiert. Dieser Terror braucht Länder, in denen die Staaten ihr Territorium nicht mehr kontrollieren können oder gar im Kampf um die Macht sich selbst der Terrorstrukturen bedienen. Für die globalisierte Welt ist das Zerbrechen von Staaten die große Herausforderung. Dem Terrorismus dienen regio- nale Konflikte als ideologisches Trampolin für seine Ver- brechen. Umso notwendiger ist es, dass wir mit aller Kraft an einer Lösung dieser Konflikte arbeiten. Das breit ange- legte Bündnis vieler Staaten aller Glaubensrichtungen und Religionen sowie das entschiedene und einmütige Vorge- hen des Sicherheitsrates verdeutlichen am besten die glo- bale Antwort auf die Anschläge vom 11. September. Wie groß die Herausforderung ist, vor der die Völker- gemeinschaft steht, hat Generalsekretär Kofi Annan so ausgedrückt: Wenn die Welt beweisen kann, dass sie weiterma- chen kann, dass sie beharrlich an der Schaffung einer stärkeren, gerechteren, gütigeren und noch interna- tionaleren Gemeinschaft über alle Grenzen von Reli- gion und Rasse hinweg arbeitet, dann wird der Ter- rorismus sein Ziel verfehlen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Vizepräsidentin Anke Fuchs: Nun hat der Kollege Carsten Hübner für die PDS-Fraktion das Wort. Carsten Hübner (PDS): Frau Präsidentin! Liebe Kol- leginnen und Kollegen! Wortlaut und Intention des FDP- Antrages für eine Antiterrorismuskonvention der Verein- ten Nationen treffen in meiner Fraktion durchaus auf Zustimmung. Gerade für die strategische Diskussion da- rüber, wie es jetzt weitergehen soll, ist er ein ganz wichti- ger Vorschlag. (Beifall bei der PDS) Wir teilen den Ansatz, dass die UNO der Ort sein muss, an dem ein globaler Konsens gegen den Terrorismus ge- funden wird, über seine Ursachen debattiert wird und Ge- genmaßnahmen verabschiedet werden. Die UNO hat hier in den vergangenen Jahren wichtige Vorarbeiten geleistet, andere internationale und regionale Gremien auch. Umso wichtiger ist es jetzt, diese Ansätze nicht nur zusammen- zuführen und den aktuellen Erfordernissen anzupassen, sondern auch darauf hinzuwirken, dass die UNO mit ei- nem in vielerlei Hinsicht schlagkräftigen Instrumenta- rium zur konkreten Umsetzung ausgestattet wird. (Beifall bei der PDS) Die Praxis seit dem 11. September, liebe Kolleginnen und Kollegen, läuft diesem Anspruch aber völlig entge- gen. Die UNO darf in Resolutionen nachvollziehen, was zuvor von den USA und der NATO beschlossen und ver- kündet wurde. Ihre Rolle ist auf die humanitäre Beglei- tung der militärischen Aktionen beschränkt; weder auf die Logik der Militäreinsätze noch auf deren Umsetzung hat sie irgendwelchen Einfluss. Im Gegenteil, offenbar sind bereits erste UN-Mitarbeiter Opfer der Bombenan- griffe auf Afghanistan geworden. Im Moment scheitert es an der Zustimmung der USA, soweit ich weiß, dass hu- manitäre Lieferungen nach Afghanistan hineinkommen, obwohl Lebensmittellieferungen an der Grenze bereitste- hen. Wer die internationale Allianz gegen den Terrorismus unter dem Motto „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns“ zu- sammentrommelt, der stärkt nicht, sondern negiert gera- dezu die Rolle und das Selbstverständnis der UNO und setzt an ihre Stelle die Macht der letzten verbliebenen Su- permacht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine Antiterroris- muskonvention der Vereinten Nationen ist überfällig, ihre Etablierung ist dringend geboten. Ihr Themenspek- trum muss die gesamte Bandbreite der Fragen aufgreifen, die das Terrorismusproblem ausmachen: Fragen globaler Gerechtigkeit, Fragen des Dialoges zwischen Nord und Süd auf gleicher Augenhöhe, Fragen einer internationalen Zusammenarbeit im Bereich Krieg und Frieden, Terroris- mus und Gefahrenabwehr. Der FDP-Antrag tut das durch- aus. Wir müssen aber auch erwarten, dass sich in einem sol- chen Prozess die Staaten des Nordens in kritischer Nach- denklichkeit und Reflexion ihres eigenen Handelns und nicht in Selbstgerechtigkeit üben. (Beifall bei der PDS) Wer liefert die Waffen und Minen für den Bürgerkrieg, wessen Entwicklungshilfe sinkt Jahr für Jahr und wer be- nutzt extremistische Gruppen und undemokratische Re- gimes je nach Situation entweder als Agentur eigener In- teressen oder als Projektionsfläche alles Bösen? Bin Laden und die Taliban, liebe Kolleginnen und Kollegen, waren schon zu der Zeit Feinde von Humanität sowie Menschen- und Frauenrechten, als sie noch aus dem Wes- ten protegiert wurden. Die Nordallianz hatte bereits ihre Chance, Afghanistan zu regieren, und zwar ebenfalls mit Unterstützung der USA. Das Ende waren eine Trümmer- wüste und der Sieg der Taliban. Das alles geschah, obwohl die UNO bereits eine große Zahl von Konventionen verabschiedet hat, die ein solches rein interessengeleitetes internationales Agieren von Staa- ten verhindern sollten und sollen. (Rudolf Bindig [SPD]: Die PDS wird das Problem lösen!) Aber vieles davon wurde seitens der Vereinigten Staaten einfach nicht ratifiziert, so manche Anwendung in der Praxis scheiterte schlichtweg an der Macht der USA und vieler Staaten des Nordens. Ein Auseinanderklaffen von Anspruch und Wirklichkeit, liebe Genossinnen und Ge- nossen, nein, liebe Kolleginnen und Kollegen – – (Lachen bei der CDU/CSU) – Das wäre schön, ja. (Beifall bei der PDS) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Rita Grießhaber 18794 (C) (D) (A) (B) Ich komme gleich zum Schluss, Frau Präsidentin. Nach diesem Versprecher kann mir gar nichts mehr passieren und ich kann in aller Ruhe zu Ende sprechen. (Manfred Grund [CDU/CSU]: Wir waren beim Auseinanderklaffen von Anspruch und Wirk- lichkeit!) Dies ist ein Auseinanderklaffen von Anspruch und Wirklichkeit (Manfred Grund [CDU/CSU]: Bei den Genossen!) – in diesem Fall von Hoffnung und Realität –, das in den Ländern der so genannten Dritten Welt verständlicher- weise schlecht ankommt und reaktionären Ideologen wie Bin Laden den Boden bereiten hilft. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, befürwortet meine Fraktion ausdrücklich eine Antiterrorkonvention der UNO, die dringend erforderlich ist. Wir erwarten aber gleichzeitig, dass sich auch die mächtigen Staaten dieser Welt daran halten und die Führungsrolle der UNO aner- kennen. Dazu gehört, die UNO mit den notwendigen Finanzmitteln und Instrumenten zur Umsetzung auszu- statten. Vielen Dank. (Beifall bei der PDS) Vizepräsidentin Anke Fuchs: Hier klang ein biss- chen nach, was Parteitage so alles mit sich bringen. Jetzt hat die Kollegin Brigitte Adler für die SPD-Frak- tion das Wort. Brigitte Adler (SPD): Frau Präsidentin! Verehrte Kol- leginnen und Kollegen! Die Vereinten Nationen werden für die internationale Zusammenarbeit immer wichtiger. Die Anträge der FDP-Fraktion weisen damit in die rich- tige Richtung. Ob ihre Forderungen auch übernommen werden können, stelle ich infrage. Schauen wir uns den Antrag zum Aids-Sonderfonds der Vereinten Nationen an. Der Generalsekretär der Ver- einten Nationen, Kofi Annan, hat mit seiner Initiative ei- nen Anstoß gegeben. Mit einem Beitrag von 10 Milliar- den Dollar soll den Ländern des Südens für die nächsten zehn Jahre geholfen werden. Vor allem der afrikanische Kontinent südlich der Sahara hat die größten Probleme. 70 Prozent der Aidsinfizierten sind Afrikaner. Aber auch Asien steht dem nicht nach: Thailand und andere Länder stehen vor der gleichen Herausforderung. Welches Leid diese Krankheit für alle Betroffenen und ihre Familien gebracht hat, kann man nur ahnen. Die Gründe, die zur Infizierung führen, müssen bedacht und ergründet werden, damit Hilfe gezielt und effektiv einge- setzt werden kann. In den Industrieländern sind vor allen Dingen Drogen und Bluttransfusionen die Übertragungswege. In den Ent- wicklungsländern ist es oft Armut, die zu Prostitution führt und somit neben Drogen der Verbreitung der Seuche den Weg ebnet. Aufklärung durch die Medien ist wichtig. In Ländern mit hoher Analphabetenrate sind zum Beispiel Theaterstücke hilfreich. Aber für alles benötigt man Geld, Geld auch für die notwendige Medizin. Aidsmedikamente, die dringend zur Verfügung gestellt werden müssen, brauchen noch Forschung und Entwick- lung. Die Kosten dafür müssen aufgebracht werden. Die gesamte Problematik des Patentrechtes – national und in- ternational – gewinnt in diesem Zusammenhang an Be- deutung. Die wirtschaftliche Seite, die Sie in Ihrem Antrag an- sprechen, ist sicherlich ebenso bedenkenswert. Sie spre- chen von negativen Standortfaktoren. Die Einbußen bei den nationalen Einkünften sprechen Sie ebenfalls an. Wenn nachhaltig gehandelt werden könnte, dann könnte einiges abgewendet werden. Was tut die Bundesregierung? Von 1992 bis 2000, also auch unter Ihrer Koalitionszeit, wurden bereits 20,5 Mil- lionen DM für Treuhandvorhaben zur Verfügung gestellt. In bilateralen Projekten wurden für die HIV-/Aids- bekämpfung bis 2000 insgesamt rund 500 Millionen DM bereitgestellt. Aber auch andere Maßnahmen wie die Ent- schuldungsinitiative helfen, mit nationalen Armutsstrate- gien Mittel freizusetzen, sodass die betroffenen Länder selbst in die Lage versetzt werden, Mittel zur Prävention und Fürsorge einzusetzen. Gerade das Aktionsprogramm 2015 mit seinem Anspruch zur Armutsminderung macht deutlich, dass die Koalition die Aidshilfe und -prävention als übergreifende Aufgabe versteht und umsetzt. Konkrete Schritte in der Zusammenarbeit auch mit der Pharmaindustrie konnten eingeleitet werden. Die Firma Böhringer Ingelheim hat weltweit den Entwicklungslän- dern angeboten, zur Verhinderung der Mutter-Kind-Über- tragung Nevaparin zur Verfügung zu stellen. Zusammen mit der GTZ werden in Kenia, Tansania und Uganda Pro- jekte durchgeführt. Das Tropeninstitut der Charité hier in Berlin hat die Begleitforschung übernommen. Die Sondergeneralversammlung der Vereinten Natio- nen vom 27. Juni dieses Jahres hat in einer Declaration of Commitment die Selbstverpflichtung der Staaten zur Hilfe und zur Bekämpfung des HIV/Aidsproblems be- schlossen. In einem Schreiben an die G-7-Regierungs- chefs schlägt Kofi Annan eine Arbeitsgruppe zur Einrich- tung des globalen Gesundheitsfonds vor. Der Anfang ist gemacht, auch wenn noch Fragen offen sind, die geklärt werden müssen – so unter anderem, dass der Fonds aus- schließlich auf die Bekämpfung von Malaria, Tuberku- lose und HIV/Aids ausgerichtet ist. Eine neue, rechtlich eigenständige Institution ist nicht beabsichtigt. Die Weltbank sollte mit ihrer bereits vorhan- denen Expertise zum GEF-Prozess neben UNAIDS eine entscheidende Rolle spielen. Die Zugangskriterien sollten nicht nur auf die Intensität der Bedürftigkeit zugeschnitten sein, sondern auch Anreize für eine energische Aids- bekämpfung in den Entwicklungsländern selbst enthalten. Die Forderung, dass die Bundesregierung schnell in den Fonds einzahlen soll, stößt auf Verständnis. Wie der Staatssekretär diese Woche im Ausschuss für wirtschaftli- che Zusammenarbeit und Entwicklung jedoch bemerkte, fehlen eben noch einige gemeinsame Vereinbarungen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Carsten Hübner 18795 (C) (D) (A) (B) Die 140 Millionen DM, die bereits im Haushalt dieses Jahres eingestellt worden sind, sind der FDP nicht genug. Machen Sie Umschichtungsvorschläge, damit der ent- sprechende Haushaltstitel erhöht werden kann! Ihre ande- ren Forderungen werden bereits umgesetzt. Die Bun- desregierung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen haben das Problem nicht nur erkannt, sondern setzen Hilfe konkret um. Ihr Antrag ist deshalb eine Unterstützung und Bestätigung unserer Arbeit, aber bereits überholt. Der Antrag zur Antiterrorismuskonvention der Verein- ten Nationen, der ebenfalls von den Kolleginnen und Kol- legen der FDP vorgelegt wird, ist mit heißer Nadel ge- strickt. Sie wollten Ihre Ansichten verbreiten und die Bundesregierung zu Handlungen auffordern. Originelles ist nicht in Ihrer Auflistung zu finden. In einem Satz wird dann noch das Übliche abgehandelt: zum Beispiel politi- sche, wirtschaftliche und auch kulturpolitische Maßnah- men. Geld wird auch noch gefordert. Warum auch nicht? Woher es kommen soll, verschweigen Sie. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Das 0,7-Prozent-Ziel wird eingefordert, die Haushalts- konsolidierung soll jedoch nicht gefährdet werden. Aber wie? Die Kritik an der Vorgehensweise des Bundesfi- nanzministers lässt sich vor dem Hintergrund Ihrer For- derungen nicht verstehen. Das BMZ wird mit dem Geld, das von den 3 Milliarden DM im Rahmen des Antiterror- paketes zur Verfügung steht, mit dazu beitragen, dass Hilfe gegeben wird, um Ursachen zu beheben. Der 11. September 2001 war sicherlich ein tief greifender Ein- schnitt. Sicherheitspolitisches Denken muss deshalb aber nicht neu erfunden werden. Gibt es Sicherheit überhaupt? Wie kann in unserer Demokratie das Spannungsverhältnis zwischen innerer und äußerer Sicherheit und der freiheit- lich-demokratischen Grundordnung austariert werden? Die Vorschläge für die Arbeit der Vereinten Nationen, die Sie aufgelistet haben, sind sicherlich ein guter Ansatz. Sie sind auch bereits national in Arbeit. Sie lagen auf der Hand. Konferenzen werden zurzeit nicht gebraucht, son- dern gesunder Menschenverstand. Die nötigen Maßnah- men werden ergriffen und sorgfältig umgesetzt. So schlägt die Bundesregierung Maßnahmen vor, die nach innen und außen das Risiko möglicher Anschläge so ge- ring wie möglich halten. Es soll sichergestellt werden, dass Terroristen Deutschland nicht benutzen, um ihre zer- störerischen Aktionen zu planen und in die Wege zu lei- ten. Vizepräsidentin Anke Fuchs: Frau Kollegin, ge- statten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger? Brigitte Adler (SPD): Bitte sehr. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP): Sehr geehrte Frau Kollegin, wie vertragen sich Ihre Aus- führungen bezüglich der Nichtnotwendigkeit einer ge- samtumfassenden Antiterrorismuskonvention, die Sie ge- rade zu diesem Punkt gemacht haben, denn mit der entsprechenden Resolution der Vereinten Nationen? Es ist ja gerade eine Resolution beschlossen worden, in der eine solche umfassende Konvention gefordert wird, weil die zwölf Einzelkonventionen, die in den letzten Jahrzehnten zu einzelnen Aspekten beschlossen worden sind, bisher nicht umgesetzt wurden und auch nicht zu einem Gesamt- handlungskonzept geführt haben. Brigitte Adler (SPD): Frau Kollegin, ich denke, dass die Konvention, die die Vereinten Nationen vorschlagen haben, sicherlich überdenkenswert und auch noch zu be- raten ist. Die einzelnen Punkte, die Sie in Ihrem Antrag je- weils dazu aufgeführt haben, habe ich angesprochen. Ich meine, dass wir da noch einige Fragezeichen zu setzen ha- ben. Einige dieser Punkte sind bereits in Arbeit oder wer- den schon umgesetzt. Insofern kann ich Ihre Kritik nicht verstehen. (Zuruf der Abg. Sabine Leutheusser- Schnarrenberger [FDP]) – So ist es. Ich mache jetzt konkrete Vorschläge, Frau Kol- legin, die Ihnen zeigen, dass wir – ich bin Entwicklungs- politikerin – genau auf diesem Sektor noch einiges ein- bringen werden, das uns weiterbringen wird. Dem Terrorismus kann auch durch Armutsbekämpfung der Nährboden entzogen werden. Gerade Entwick- lungspolitiker wissen um die Ursachen von Hunger und Armut und entwickeln Lösungswege. Mehr Gerechtigkeit statt wirtschaftlicher Abhängigkeit ist gefragt. Mehr Si- cherheit ergibt sich durch wirtschaftliche Gerechtigkeit. Wie ich bereits ausgeführt habe, verweisen Sie auf diesen Zusammenhang ansatzweise in Ihrem Antrag. So wird zum Beispiel der Entwicklungspolitik 200 Millionen DM zusätzlich zur Verfügung gestellt, um mehr Gelder für Nahrungsmittel, Not- und Flücht- lingshilfe verwenden zu können. Der zivile Friedens- dienst hat bereits bewiesen, wie wichtig gerade seine Auf- gaben sind. Auch er wird gestärkt werden. Die Unterstützung der Zivilgesellschaften zur Demo- kratisierung ihrer Länder ist ein wesentliches Element deutscher Entwicklungszusammenarbeit. Dazu gehören zum Beispiel Länder wie Afghanistan. Der Aufbau rechtsstaatlicher Institutionen, denen sich gerade auch die politischen Stiftungen widmen, gehört zu diesem Zusam- menhang. Unter anderem wird die Bundesregierung UN- Entwicklungsorganisationen stärker unterstützen, so etwa schwerpunktmäßig das Weltentwicklungsprogramm von der UNDP. Der Governance Fund und der Crisis Preven- tion and Recovery Fund sind Fonds, die demokratische Regierungs- und Verwaltungsstrukturen in Krisengebie- ten zum Abbau von Krisenursachen und zur Behebung von Krisenfolgen finanzieren. Das Palästina-Hilfspro- gramm von UNDP gehört ebenso dazu. Der Förderung von Frauen wird ebenfalls große Beachtung geschenkt, da sie und ihre Kinder oft die am schlimmsten Betroffenen sind. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Brigitte Adler 18796 (C) (D) (A) (B) Da die Bundesregierung bereits handelt, ist der von Ih- nen in diesem Zusammenhang vorgelegte Antrag als erle- digt zu betrachten. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Anke Fuchs: Das Wort hat jetzt die Kollegin Birgit Homburger für die FDP-Fraktion. Birgit Homburger (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich zu unserem Antrag „Für eine Antiterrorismuskonvention der Verein- ten Nationen“ äußern. Die Terrorbekämpfung erfordert ein schnelles Handeln. Deswegen hat die FDP sofort nach den Anschlägen diesen Antrag eingebracht, der eine um- fassende UN-Konvention gegen den Terrorismus fordert. Frau Kollegin Kortmann, Sie haben vorhin kritisiert, dass unsere Anträge zu spät auf den Tisch kamen und dass Sie sie gerne früher gehabt hätten. Dazu kann ich nur sa- gen, dass ein Großteil der Anträge, über die wir heute dis- kutieren, schon vor der Sommerpause vorlag und dass der Antrag hinsichtlich einer Antiterrorismuskonvention so- fort nach dem Anschlag erarbeitet wurde. Man kann der Opposition also wirklich nicht vorwerfen, dass sie nicht sofort gehandelt und Vorschläge gemacht hätte. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Bezüglich der Antiterrorismuskonvention wurde die Notwendigkeit des FDP-Antrags vorhin bestritten. Wir vonseiten der FDP freuen uns, dass nunmehr auch der UN-Sicherheitsrat den Vorschlag gemacht hat, eine solche Konvention zu erarbeiten. Im Übrigen decken sich die In- halte der Vorschläge des UN-Sicherheitsrates im Wesent- lichen mit unseren Punkten. Diese Initiative muss jetzt von der Generalversamm- lung aufgegriffen werden. Die Bekämpfung des interna- tionalen Terrorismus muss zum Hauptpunkt der diesjähri- gen UN-Generalversammlung werden. Deshalb ist es besonders wichtig, dass die verschobene Generaldebatte unter Beteiligung der Staats- und Regierungschefs nun Anfang November stattfindet. Sie muss, wie ich finde, der Weltöffentlichkeit demonstrieren, dass die Entschlossen- heit im Kampf gegen den internationalen Terrorismus fest und unerschütterlich ist und auch über den ersten Schock hinaus andauert. (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Dr. Heinrich Fink [PDS]) Wir jedenfalls haben Vorschläge bezüglich des Inhalts dieser UN-Konvention gemacht. Ich will an dieser Stelle darauf eingehen, dass Frau Grießhaber die Definition des Terrorismusbegriffs kriti- siert hat. Ich halte es für wichtig, dass wir zumindest den Versuch unternehmen, innerhalb der Staatengemein- schaft zukünftig gemeinsam, schnell und entschlossen handeln zu können. Das kann man aber nur, wenn man sich darüber einig ist, was der Begriff Terrorismus um- fasst. Es ist zwar misslich, dass sich die EU in diesem Punkt noch nicht einigen konnte. Aber dies ist noch lange kein Grund, das Vorhaben von vornherein aufzu- geben und nicht zu versuchen, es bei der UNO durchzu- setzen. (Beifall bei der FDP) Neben dem Austausch nachrichtendienstlicher Er- kenntnisse und der Verschärfung der weltweiten Maßnah- men gegen Geldwäsche muss die Konvention auch präventive politische und wirtschaftliche Maßnahmen vorsehen. Dazu gehören vor allen Dingen auch verstärkte entwicklungspolitische Anstrengungen zur Überwindung sozialer und wirtschaftlicher Missstände, die letztendlich den Boden für Terror bieten. Der Beschluss des UN-Sicherheitsrates ist ein ermuti- gendes Zeichen. Ebenso ermutigend ist die Tatsache, dass seit neuestem auch die Vereinigten Staaten die UNO stärker unterstützen. Jetzt weitere Initiativen zu ergreifen ist Aufgabe der Bundesregierung. Dabei ist eine verbes- serte Koordinierung der EU-Mitgliedstaaten dringend nötig, insbesondere bei der Erarbeitung einer gemein- samen Position für die UN-Generalversammlung. Die EU, die neben den USA maßgeblicher Akteur der Welt- politik ist, muss in der Generalversammlung mit einer Stimme sprechen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der PDS) Hier sehen wir eine große Aufgabe für die Bundesregie- rung. Die FDP hat schon im Sommer einen Antrag für eine gemeinsame europäische UN-Politik vorgelegt. Ich habe den Eindruck, dass Sie sich diesem Antrag bisher nur des- wegen nicht angeschlossen haben, weil er nicht Ihre Idee war. Vielleicht können Sie noch einmal darüber nachden- ken und ihm zustimmen. (Beifall bei der FDP) Ich freue mich auf die Beratungen im UNO-Unteraus- schuss. (Beifall bei der FDP – Rudolf Bindig [SPD]: Die Weltmacht FDP löst das Problem!) Vizepräsidentin Anke Fuchs: Jetzt hat der Staats- minister Dr. Ludger Volmer das Wort. Dr. Ludger Volmer, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kofi Annan, hat in einer seiner Stellungnahmen zu den furchtbaren, menschenverachtenden Terrorangriffen vom 11. Sep- tember gesagt: „Aus Bösem kann auch Gutes entste- hen.“ Dieses Gute könnte sehr wohl in einer Stärkung der Vereinten Nationen liegen. Denn die Anschläge auf fried- liche Bürger von mehr als 80 Nationen haben die gesamte Menschheit nicht nur schmerzlich getroffen, sondern auch wachgerüttelt. Aus der Erkenntnis der gemeinsamen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Birgit Homburger 18797 (C) (D) (A) (B) Bedrohung ist in den letzten Wochen eine längst überfäl- lige Gemeinsamkeit im Handeln, eine globale Allianz ge- gen den Terrorismus geworden, in der die Vereinten Na- tionen die zentrale Rolle spielen müssen, die sie übrigens schon seit mehreren Jahren spielen. Frau Homburger, Ihr Antrag fordert eine Antiterroris- muskonvention, an der die Vereinten Nationen bereits seit zwei Jahren intensiv arbeiten. Somit kommen Sie mit Ihrem Antrag zwei Jahre zu spät. Wir drücken darüber hinaus unsere Erwartung aus, dass alle Länder, die bei der Terrorismusbekämpfung auf die VN setzen, auch bei den anderen globalen Fragen die zentrale Rolle der VN anerkennen. In der aktuellen Lage allerdings ist es vordringlich, die zwölf VN-Konventionen gegen den Terror, die schon existieren, so rasch wie möglich zu zeichnen, zu ratifizie- ren und umzusetzen. Dazu fordert die Bundesregierung alle Staaten auf. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Dies gilt insbesondere für die Bekämpfung der Terroris- musfinanzierung. Dazu gehört aber auch die Stärkung des Internationalen Strafgerichtshofs. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) Deutschland wird mit seinen Partnern entschlossen da- ran mitarbeiten, den von Indien vorgelegten Entwurf ei- ner umfassenden VN-Konvention zur Bekämpfung des Terrorismus, den ich gerade schon einmal angesprochen habe, erfolgreich zu finalisieren, um damit jene Lücken zu schließen, die heute noch bei der internationalen Zusam- menarbeit zur Terrorismusbekämpfung bestehen. Gleichzeitig fordert der in der Sicherheitsratsresolu- tion 1373 enthaltene Maßnahmenkatalog auch von uns die notwendigen Konsequenzen. Die beteiligten Ressorts haben bereits große Anstrengungen in dieser Richtung unternommen, wofür ich mich bei ihnen im Namen des Auswärtigen Amts ausdrücklich bedanken möchte. Meine Damen und Herren, der Generalsekretär der VN hat zu Recht hervorgehoben, dass nur eine umfassende, breit angelegte, nachhaltige Strategie die Gefahr des Ter- rorismus bannen kann. Dazu gehören die unnachsichtige Verfolgung und Bestrafung der Täter, ihrer Hintermänner, Anstifter und Gehilfen, die weltweite Versagung eines „sicheren Hafens“ für Terroristen, die internationale Zu- sammenarbeit der Polizeien und Nachrichtendienste, Schutzmaßnahmen gegen weitere terroristische Akte, aber auch der notwendigerweise langfristig angelegte Ab- bau der Ursachen des internationalen Terrorismus. Poli- zeiliche und gerichtliche Maßnahmen allein tragen der Dimension des internationalen Terrorismus nicht hinrei- chend Rechnung. Die Ausübung des Selbstverteidigungsrechts nach Art. 51 der VN-Charta lässt Maßnahmen zu, die auf die militärische Infrastruktur der Terroristen und ihrer Be- schützer zielen, nicht auf die Zivilbevölkerung. Das beto- nen wir, insbesondere auch bezogen auf die Angriffe, die zurzeit afghanisches Territorium erreichen. Wir sind der Auffassung, dass politische, ökonomische und soziale Maßnahmen den entscheidenden Durchbruch schaffen müssen. In diesem Rahmen sind aber einzelne militärische Schläge unvermeidlich. Wir begrüßen, dass die militärischen Maßnahmen von intensiven Anstren- gungen der Staatengemeinschaft begleitet werden, dem unter zwei Jahrzehnten Krieg und Bürgerkrieg leidenden afghanischen Volk humanitäre Hilfe zu leisten. Die Bun- desregierung trägt dazu durch eine beträchtliche Er- höhung ihres Haushaltsansatzes für humanitäre Hilfe bei. Über den Vorsitz der von den VN eingesetzten Afghanis- tan-Support-Group haben wir eine erhöhte Verantwor- tung und Einflussmöglichkeit. Mehr, meine Damen und Herren, nicht weniger inter- nationales Engagement ist jetzt von uns allen gefordert, nicht nur in Afghanistan. Das ist die Lektion der An- schläge von New York und Washington. Darin liegt eine Chance für die Revitalisierung der Vereinten Nationen. Auch wenn zurzeit eine Hauptaufgabe der Vereinten Na- tionen die Bekämpfung des internationalen Terrorismus ist, dürfen die globalen Missstände nicht übersehen wer- den, die den Terroristen einen Resonanzboden bieten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Die UNO ist in einzigartiger Weise dazu befähigt, wirt- schaftliche und soziale Ursachen von Hass, Gewalt und Perspektiv- und Hoffnungslosigkeit zu überwinden. Dazu gehören die entschlossene Armutsbekämpfung, der Kampf gegen Seuchen und Infektionskrankheiten, allen voran die Aidspandemie, die Korruptionsbekämpfung, die Beseitigung von Gefahren durch Minen und die För- derung von „good governance“; um nur einige Punkte zu nennen. Auf all diesen Gebieten ist die Bundesregierung aktiv und hat eigene Initiativen ergriffen. Machen wir uns aber nichts vor: So nötig Entwick- lungszusammenarbeit, Armutsbekämpfung, Alphabeti- sierung und Frauenförderung auch sind, so greifen sie doch im Moment zu kurz. Die Attentäter von New York und Washington waren beileibe keine verarmten Ver- zweiflungstäter. Prävention ist nötig, kann aber die Konfliktbewälti- gung nicht ersetzen. Es sind die schwelenden und zum Teil jahrzehntelang – auch von uns – vernachlässigten Konflikte, die im Gefolge von Aussichtslosigkeit, Aus- grenzung und Missachtung Hass, Gewalt und Fanatismus gebären. Auch hier muss die internationale Gemeinschaft gestützt auf die existierenden VN-Resolutionen ihre Lö- sungsbemühungen verstärken. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) Lassen Sie mich einen letzten Punkt ansprechen: Die von uns angestrebte nicht ständige Mitgliedschaft im Si- cherheitsrat der Vereinten Nationen ab 2003 ist Chance und Verpflichtung, diesen Konflikten endlich die gebo- tene Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Wir werden auf ein möglichst lückenloses Ineinandergreifen von Kri- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Staatsminister Dr. Ludger Volmer 18798 (C) (D) (A) (B) senprävention und Konfliktbewältigung hinarbeiten, um vernachlässigte Konflikte zu entschärfen und zerfallen- den Staaten wirksam zu helfen. Der 11. September signalisiert: Wir sind in eine neue Ära des internationalen Engagements, in die Renaissance der Vereinten Nationen eingetreten. Ich danke Ihnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Vizepräsidentin Anke Fuchs: Nun hat das Wort die Kollegin Ingrid Fischbach für die CDU/CSU-Fraktion. Ingrid Fischbach (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die vorliegen- den Anträge der FDP gehen auf zentrale Themen ein, über deren wichtige Bedeutung wir hier im Hause nicht strei- ten werden. Ich glaube, darüber sind wir uns alle einig. Da sich mein Kollege Schwalbe bereits zur Antiterrorismus- konvention geäußert hat, werde ich auf die anderen drei Anträge eingehen. Ich denke, wir sind uns auch alle darüber einig, dass die Situation von Familien und Kindern weltweit verbessert werden muss. Die Lebensbedingungen von Familien und damit notwendigerweise auch die der Kinder sind viel- fach katastrophal. Weltweit wird die Kluft zwischen Arm und Reich größer. Die Armut von Familien und somit der Kampf ums Überleben nehmen zu. Kinder sind hiervon besonders betroffen: 600 Millionen Kinder wachsen in extremer Armut auf. 30 Millionen Kin- der sind obdachlos, 100 Millionen Kinder gehören zu den so genannten Straßenkindern und 250 Millionen Kinder arbeiten gegen so geringe Bezahlung, dass wir von Aus- beutung sprechen müssen. 540 Millionen Kinder leiden unter Kriegsfolgen. Allein in den 90er-Jahren sind über 2 Millionen Kinder umgekommen; viele sind durch Landminen verstümmelt worden. Über 100 Millionen Landminen liegen in mehr als 80 Ländern der Welt verstreut. Kambodscha hält hier einen traurigen Rekord. Über 4 Millionen Minen lauern nach UNICEF-Schätzungen allein auf Wegen, in Dörfern und an Straßenecken. 45 000 Menschen mussten nach Mi- nenunfällen Füße, Beine oder Arme amputiert werden. Je- des vierte Opfer ist ein Kind. Die aktuellen Bilder und Geschehnisse in Afghanistan zeigen das Gleiche. Minen werden auch heute noch ein- gesetzt. Sie sind Waffen. Das – ich denke, auch da sind wir uns einig – dürfen wir nicht weiter dulden. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP so- wie bei Abgeordneten der PDS) Wir sollten uns einig sein, schnellstens alle Landminen zu ächten und alles in unserer Kraft Stehende zu tun, auf die Länder, die das Anti-Personen-Minen-Abkommen von Ottawa noch nicht ratifiziert haben, einzuwirken, der Ächtung der Minen endlich zustimmen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Regierungs- koalition, ich habe gestern mit besonders großer Freude zur Kenntnis genommen, dass der Etat zur Beseitigung von Landminen im Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe auf unseren Antrag hin von 18,5 auf 20 Millionen DM erhöht worden ist. Das zeigt, dass Sie unserer Argumentation gefolgt sind. Das ist gut so und das sollten Sie vielleicht des Öfteren tun. (Beifall bei der CDU/CSU) Auch im Gesundheitsbereich gibt es noch viel zu tun. Rund 80 Prozent der Kinder sind heute gegen die wich- tigsten Krankheiten geimpft. 1960 waren es nur 5 Prozent. Aber immer noch sterben täglich rund 50 000 Kinder auf- grund von vermeidbaren Erkrankungen oder Unter- ernährung. Ein besonders großes Problem ist Aids. Aids ist zu ei- ner globalen Epidemie geworden: 22 Millionen Men- schen sind bisher an Aids gestorben, 36 Millionen Men- schen haben sich infiziert. Täglich infizieren sich weltweit 8 500 Kinder und Jugendliche. In manchen Re- gionen Afrikas kommt ein Drittel der Neugeborenen be- reits aidsinfiziert auf die Welt. Eine Entwicklung bedarf unserer besonderen Auf- merksamkeit: Vor allem Mädchen und junge Frauen sind in den Entwicklungsländern von der Aidsepidemie be- droht. Unter den jungen Menschen zwischen 15 und 24 Jahren ist der Anteil der infizierten Mädchen und Frauen doppelt so hoch wie der ihrer männlichen Alters- genossen. Schon heute kommen im südlichen Afrika auf 10,1 Millionen HIV-positive Männer 12,2 Millionen Frauen. Daher ist es dringend erforderlich, Mittel aus dem neu gegründeten Aidsfonds der Vereinten Nationen gezielt dafür einzusetzen, Mädchen vor der Aidsgefahr zu war- nen und sie zu informieren. Ursachen dieses Informati- onsdefizits sind die massiven Benachteiligungen der Mädchen beim Schulbesuch und beim Zugang zu Infor- mationen. Hier muss Entwicklungshilfe gezielt eingesetzt werden, indem man zum einen den Projekten Vorrang ein- räumt, die Aidsprävention und -bekämpfung in den be- troffenen Regionen Afrikas zum Ziel haben. Zum anderen müssen aber auch die freiwilligen Beiträge zur weltwei- ten Aidsvorsorge und -bekämpfung deutlich erhöht wer- den. Meine Damen und Herren von der Regierungskoali- tion, Sie selbst haben in Ihrem Antrag vom 20. Juni 2001 gefordert, den Aidsfonds der Vereinten Nationen mit zu- sätzlichen Mitteln zu unterstützen. Ihr Kanzler hat Ende Juni im Beisein von Kofi Annan werbewirksam einen deutschen Beitrag zum Aidsfonds von 300 Millionen DM versprochen. Jetzt stellt sich heraus, dass die entspre- chende Unterstützung fehlt. Vielleicht sollte er zukünftig nicht so schnell mit Beträgen operieren, die er später nicht zahlen kann. (Brigitte Adler [SPD]: Das stimmt doch gar nicht!) Die Kollegin Adler hat gerade zu dem Antrag der FDP gesagt: Woher soll das Geld kommen? – Vielleicht sollte Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Ingrid Fischbach 18799 (C) (D) (A) (B) sich auch der Herr Bundeskanzler im Vorfeld informieren, woher er das Geld nehmen will, das er so werbewirksam verspricht. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Rudolf Bindig [SPD]: Der Fonds ist doch noch gar nicht aufgelegt, Frau Kollegin!) Zu dem Fonds selber kann man sicher kritische Äuße- rungen machen. Sind die Erwartungen zu hoch? Droht die Gefahr der Bürokratisierung? Wie sind die Unterstüt- zungskriterien? Wie sieht die Selbstverpflichtung der Länder aus? Das sind Fragen, die man sicherlich disku- tieren muss. Aber insgesamt muss man diesen Fonds als wichtigen Appell zum Kampf gegen die Mensch- heitsgeißel Aids sehen. Deshalb ist er auch unterstützens- wert. Um aber in Zukunft entwicklungspolitisch handlungs- fähig zu bleiben, müssen Ihre haushaltspolitischen Bud- geteinschnitte korrigiert werden. Hier holen Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, Ihre überdimensionalen Kürzungen aus dem Jahre 2000 in Höhe von 8,5 Prozent ein. Beim jetzigen Haushalt hat die Entwicklungsminis- terin soeben ihr Gesicht wahren können. Sie wissen: Es sollten Kürzungen von 5,3 Prozent stattfinden; es sind „nur“ 2,6 Prozent geworden. Das ist aber meiner Meinung nach der falsche Weg. Die Struktur des Entwicklungs- haushalts muss grundlegend geändert werden. Wir wür- den Ihnen dabei gerne helfen. Fragen Sie uns, wir stehen Ihnen zur Verfügung. (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP) Entwicklungs- und Menschenrechtspolitik ist auch weltweite Kinderpolitik. UNICEF ruft besonders im Jahr 2001 dazu auf, gegen die „verlorenen Kindheiten“, gegen Gewalt gegen Kinder die Stimme zu erheben. Wir müssen den Kampf gegen die weltweit zunehmende Gewalt gegen Kinder zur obersten Priorität unserer Men- schenrechtspolitik machen. Dazu gehört die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention auf der ganzen Welt. Über 190 Staaten haben sie unterschrieben, aber Anspruch und Wirklichkeit klaffen weit auseinander: Die Zahl der Kinder, die Missbrauch, körperlichen Misshandlungen, se- xueller wie wirtschaftlicher Ausbeutung, den schlimmsten Formen der Kinderarbeit sowie Kinderhandel und Ob- dachlosigkeit ausgesetzt sind, wächst. Kinder und Min- derjährige werden immer häufiger Opfer staatlicher Ge- walt. Kinder werden gefoltert und menschenverachtend behandelt: Entführung, Vergewaltigung, Zwangsarbeit, Schläge, Nahrungsentzug, Zwangsrekrutierung zum Kriegsdienst, Verhängung der Todesstrafe. Gegen Kinder wird – gemäß einer Studie der Weltor- ganisation gegen Folter – mit der gleichen Härte vorge- gangen wie gegen Erwachsene. Aber unsere Kinder sind das schwächste Glied in der Gesellschaft; sie können sich nicht wehren. Sie sind auf unsere Hilfe angewiesen. Wenn wir ihnen nicht helfen, wer soll es dann tun? Lassen Sie uns gemeinsam für unsere Kinder darum kämpfen, alle Länder mit Nachdruck zu verpflichten, die Rechte der Kinder zu stützen und zu fördern. Kinderfreundlichkeit fängt im eigenen Land an, hört aber bei uns nicht auf. Globalisierung bedeutet auch Ver- antwortung für Notlagen in der übrigen Welt. Nachhaltig- keit für eine Politik, in der Kinder und Familien im Mit- telpunkt stehen, muss Priorität auf unserer politischen Agenda haben. Erkennen wir an, dass Kinder Bürger mit eigenen Rechten sind, dass in der Investition in ihre Entwicklung der Schlüssel zum Ausbau einer von Frieden und Wohl- stand geprägten Gesellschaft liegt. Lassen Sie uns in die- sem Sinne gemeinsam investieren! (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der PDS) Vizepräsidentin Anke Fuchs: Ich schließe die Aus- sprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 14/6324, 14/6328, 14/6623 und 14/6952 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus- schüsse vorgeschlagen. – Damit sind Sie einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a und b auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchsetzung der Gleichstellung von Frauen und Männern (Gleichstellungsdurchsetzungs- gesetz – DGleiG) – Drucksache 14/5679 – (Erste Beratung 164. Sitzung) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- ses für Familien Senioren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss) – Drucksache 14/6898 – Berichterstattung: Abgeordnete Christel Humme Irmingard Schewe-Gerigk Renate Diemers Ina Lenke Petra Bläss b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- richts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss) zu der Unter- richtung durch die Bundesregierung Vierter Bericht der Bundesregierung über die Förderung der Frauen im Bundesdienst – Be- richtszeitraum 1995 bis 1998 – – Drucksachen 14/5003, 14/6898 Berichterstattung: Abgeordnete Christel Humme Irmingard Schewe-Gerigk Renate Diemers Ina Lenke Petra Bläss Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein Ent- schließungsantrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen vor. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Ingrid Fischbach 18800 (C) (D) (A) (B) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Frau Mi- nisterin Christine Bergmann. Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin für Fa- milie, Senioren, Frauen und Jugend: Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn wir heute den Gesetzentwurf zur Durchsetzung der Gleichstellung von Frauen und Männern im Bundesdienst beschließen, dann ist das ein weiterer wichtiger Baustein zur Gleich- stellung von Frauen und Männern in unserem Land. Ich würde mich sehr freuen, wenn es, wie es aussieht, ge- länge, das in einem breiten Konsens in diesem Parlament zu tun. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Es geht auch bei diesem Gesetzentwurf wieder um die zwei wichtigsten Handlungsfelder, die wir in der Gleich- stellungspolitik mit vielen Initiativen bearbeiten, nämlich zum einen um die tatsächliche Gleichstellung von Frauen und Männern im Berufsleben und zum zweiten um die eng damit verknüpfte Frage, wie wir es Frauen und Män- nern erleichtern können, Familie und Beruf besser mitei- nander zu vereinbaren. Es hat sich mittlerweile herumgesprochen – bisher hat es noch nicht zu den entsprechenden Konsequenzen ge- führt –, dass Frauen heute so gut qualifiziert und ausge- bildet sind wie nie zuvor. Sie haben schlichtweg die Nase vorn. Mehr als die Hälfte der Abiturienten sind junge Frauen. Junge Frauen erreichen heute ebenso wie junge Männer zu 90 Prozent einen qualifizierten Berufsab- schluss. Bei den Universitätsabsolventen liegt der Frau- enanteil bei rund 45 Prozent. Wenn man sich einmal die Abschlüsse anschaut, so kommt hinzu, dass die jungen Frauen einfach besser sind. Sie machen die besseren Ab- schlüsse. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Bei der Erwerbstätigkeit stellen wir fest, dass heute 45 Prozent der Erwerbstätigen in Deutschland Frauen sind. Die Erwerbsquote ist in den vergangenen Jahren in den alten Bundesländern kontinuierlich auf etwa 62 Pro- zent gestiegen. In den neuen Bundesländern hat sie sich bei rund 73 Prozent von ehemals 90 Prozent zu DDR-Zei- ten stabilisiert. Das heißt also: Junge Frauen wissen, was sie können. Sie haben ein erfrischendes Selbstbewusst- sein. Sie verfolgen ihre Lebensplanung mit der gleichen Energie und der gleichen Ausdauer wie junge Männer. Junge Frauen und Frauen insgesamt haben sich ein gutes Stück Gleichberechtigung erobert. Das ist die positive Seite, die ich berichten kann. Nun kommt das Aber: Nach wie vor sind 70 Prozent der Frauen davon überzeugt – so eine Allensbach-Studie –, nicht die gleichen beruflichen Aufstiegschancen wie Männer zu haben. Im Übrigen sind auch 50 Prozent der Männer davon überzeugt, dass Frauen nicht die gleichen beruflichen Aufstiegschancen haben. Also muss doch da- ran etwas Wahres sein. Die Fakten geben ihnen Recht. Das gestiegene Bil- dungsniveau der Frauen schlägt sich nach wie vor nicht genügend am Arbeitsmarkt nieder. Auf der einen Seite sind gut qualifizierte Frauen, auf der anderen Seite steht der Sachverhalt, dass die Mehrheit der Frauen weniger als Männer verdient, dass sich Frauen häufiger in Berufen mit einer geringeren Reputation und geringeren Zukunftsaus- sichten wiederfinden, Teilzeit arbeiten und nur in sehr ge- ringer Zahl leitende Positionen innehaben. Das, was wir mit unserer Politik über die ganze Legis- laturperiode hinweg verfolgen, ist, diese Benachteiligung abzubauen. Hierfür müssen wir an vielen Stellen anset- zen. Ich will eine Sache erwähnen, die mir gerade vorige Woche sehr bitter aufgestoßen ist. Angesichts der Tat- sache, dass sich Frauen mehr in Berufen mit geringerer Reputation und geringeren Zukunftsaussichten wieder- finden, müssen wir versuchen, das Verhalten von Mäd- chen bei der Berufswahl zu verändern. Wir sagen Ihnen: Schaut euch um. Sucht euch auch Berufe im technischen Bereich. Was ist mit Informatik? – Wir haben in diesen Berufen viel zu wenig Frauen, obwohl sie das können. Vorige Woche war ich auf einer Veranstaltung bei Sie- mens. Es gibt dort einen sehr guten Verein, MINT. MINT steht für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik. In diesem Verein geht es – wir unterstützen ihn auch finanziell – darum, junge Frauen darüber zu infor- mieren, was in diesen Bereichen los ist. Sie sollen motiviert werden, ihren Berufsweg in diese Richtung einzuschlagen. Bei dieser Veranstaltung waren 70 Schülerinnen aus ganz Deutschland vertreten: sehr erfrischende, patente junge Frauen, elfte bis dreizehnte Klasse. Sie wurden in diesem Seminar mit Frauen aus den genannten Bereichen konfron- tiert, damit sie mehr Informationen erhalten und ihre Be- rufswahl möglicherweise nicht so einseitig ausfällt. Ich setze mich immer zu den jungen Mädchen und frage: Wer hat Ihnen Mut gemacht? Wer hat Sie in diese Richtung gelenkt? Ich habe von einer jungen Frau, zwölfte Klasse, die Physik studieren will, gehört: Als sie sich für den Leistungskurs Physik beworben hat, hat ihr ihre Koordinatorin geraten, nicht diesen Kurs zu wählen, weil sie ansonsten nach einem halben Jahr wieder vor ih- rer Tür stände und etwas anderes machen wolle. – Über einen solchen Rat kann man nur verzweifeln. Ich erzähle das, weil ich es für unser aller Aufgabe halte, darauf hin- zuwirken, dass nicht das, was wir politisch machen, an an- derer Stelle konterkariert wird. Es sind nicht alle, aber selbst einer ist schon zu viel. Ich jedenfalls erfahre es im- mer wieder. Wenn wir uns anschauen, wo Frauen bei gleicher Qua- lifikation in der Betriebshierarchie angesiedelt sind, dann stellen wir fest, dass sie deutlich niedriger als ihre männ- lichen Kollegen angesiedelt sind. Hier kann doch etwas nicht stimmen. Auch die gerade von mir genannte hohe Erwerbsquote von Frauen muss man sich genauer anse- hen und fragen: Was steckt dahinter? Wir haben zwar eine relativ gute Prozentzahl, stellen aber fest, dass sich mehr Frauen das gleiche Arbeitsvolu- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Bundesministerin Dr. Christine Bergmann 18801 (C) (D) (A) (B) men teilen. Das Arbeitsvolumen für die Frauen nimmt also nicht zu, sondern es gibt immer mehr Teilzeitstellen mit den durchaus bekannten geringen Aufstiegschancen. Übrigens gibt es auf diesem Feld sehr große Unterschiede zwischen den beiden Teilen Deutschlands. In den alten Bundesländern liegt die Teilzeitquote bei 42 Prozent, während sie in den neuen Bundesländern nur bei 23 Pro- zent liegt. Das hat auch etwas mit dem Vorhandensein von Kinderbetreuungseinrichtungen sowie der Akzeptanz von Frauenerwerbsarbeit zu tun. Wenn ich aus den vorhandenen Daten das Resümee ziehe, stelle ich fest: Wir haben den Verfassungsauftrag, die Gleichstellung zwischen Männern und Frauen in allen Bereichen der Gesellschaft zu gewährleisten, noch lange nicht umgesetzt. Außerdem verhalten wir uns öko- nomisch unsinnig. Wir haben gut qualifizierte Frauen, aber nicht an der richtigen Stelle. Es kann mir niemand er- zählen, dass das vernünftig ist. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS) Uns liegt ja das Gleichstellungsgesetz für den öffentli- chen Dienst vor. Wir können nicht behaupten, dass wir im öffentlichen Dienst mit gutem Beispiel vorangegangen sind. Auch im öffentlichen Dienst haben wir diese Diskrepanzen. Nach diesem Bericht sind 45 Prozent aller Beschäftigten des öffentlichen Dienstes des Bundes Frauen, während der Anteil der Frauen im höheren Dienst der obersten Bundesbehörden nur 13,5 Prozent betrug, bei den Referatsleitungen hatten sie 1998 einen Anteil von 10,6 Prozent, bei den Unterabteilungsleitungen von 8,2 Prozent und bei den Abteilungsleitungen von 2,1 Pro- zent. Wir sehen daran, dass wir auch im öffentlichen Dienst noch eine ganze Menge zu tun haben. Allerdings erkennen wir, dass politischer Wille eine ganze Menge ausrichtet. Wenn wir uns die Steigerungs- quoten der letzten beiden Jahre hinsichtlich der Leitungs- positionen ansehen, können wir feststellen, dass der An- teil von Frauen auf der Ebene der Abteilungsleitungen von 2,1 Prozent auf 8,2 Prozent und auf der Ebene der Re- feratsleitungen von 10,6 Prozent auf 13,4 Prozent gestie- gen ist. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wenn wir jedes Mal in Zweijahresschritten so gut vo- rankämen, wäre das ein Erfolg. (Ina Lenke [FDP]: Das ist das letzte Frauen- fördergesetz!) – Ich habe gerade gesagt, worauf ich dieses Ergebnis zurückführe. Es war gezielter politischer Wille. Sie wis- sen genau, Frau Lenke – das zeigt auch der uns vorlie- gende Bericht –, dass das alte Frauenfördergesetz nicht das gebracht hat, was wir brauchen. Deswegen haben wir einen neuen Gesetzentwurf auf dem Tisch liegen, zu dem es eine sehr breite Zustimmung gibt. (Ina Lenke [FDP]: Der ist nicht neu!) Ich will ein paar wichtige Punkte nennen: Wir haben mit dem Gesetzentwurf verbindliche Gleichstellungs- pläne als Instrument der Personalentwicklung vorgese- hen. Der Entwurf ist in wesentlichen Punkten so verbes- sert, dass wir ein effektives Gesetz haben. Das wissen Sie doch alle. Wir haben die Gleichstellungspläne auch so ausgestaltet, dass nicht nur bei Schönwetter Frauen ge- fördert werden, das heißt bei Stellenzuwächsen, sondern auch in Fällen des Stellenabbaus – etwa bei Fusionen – Frauen nicht unter den Tisch fallen. Wir haben – Frau Lenke, Sie müssen zugeben, dass das eine neue Qualität des Gesetzes ist – in diesem Entwurf eine einzelfallbezogene Quote verankert. Das heißt, Frauen sind in allen Bereichen, in denen sie bisher unterrepräsentiert sind, bei gleicher Qualifikation bevor- zugt auszubilden, einzustellen und zu befördern. Das ist nun wirklich eine neue Qualität der Frauenförderung. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS) Damit das geplante Gesetz eine möglichst breite Wir- kung entfalten kann, werden über die öffentlich-rechtli- chen Bundesverwaltungen hinaus auch privatrechtlich organisierte Einrichtungen der Bundesverwaltung einbe- zogen. Dieses Ziel muss durch vertragliche Vereinbarun- gen erreicht werden. (Ina Lenke [FDP]: Gleichstellungsgesetz für die Wirtschaft durch die Hintertür!) – Es ist aus meiner Sicht in Ordnung, dass man das auf diese Weise regelt. (Ina Lenke [FDP]: Das ist nicht in Ordnung!) Das Gleiche gilt für Leistungsempfänger des Bundes. In Bereichen, in denen wir Geld ausgeben, können wir auch erwarten, dass unsere politischen Vorgaben durch entsprechende Vertragsgestaltungen umgesetzt werden. Das ist doch wohl rechtens. Außerdem haben wir die Arbeit der Gleichstellungs- beauftragten kräftig unterstützt. Sie bekommen mehr Rechte zugebilligt. Die Gleichstellungsbeauftragten sind die Hüterinnen des Gesetzes. Aus diesem Grunde muss man sie auch so ausstatten, dass sie ihre Funktion wahr- nehmen können. Das haben wir nunmehr getan. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS) Natürlich geht es im vorliegenden Gesetz auch darum, Frauen und Männern die Balance zwischen Familie und Beruf zu erleichtern. Ich sage ausdrücklich: Frauen und Männern. Wenn wir mit den jetzt getroffenen Regelungen sogar über das hinausgehen, was wir schon mit dem Bundeserziehungsgeldgesetz und dem Gesetz zur Rege- lung der Teilzeitarbeit begonnen haben, nämlich wirklich familienfreundliche Arbeitszeiten zu ermöglichen, dann sprechen wir nicht nur die Frauen, sondern auch ganz ex- plizit die Männer mit Familienpflichten an. Für uns ist je- denfalls klar: Wer eine bessere Vereinbarkeit von Fami- lie und Beruf für Väter und Mütter erreichen will, der muss in der Arbeitswelt ansetzen. (Ina Lenke [FDP]: Sie haben doch gerade einen männlichen Gleichstellungsbeauftragten in die- sem Gesetz ausgeschlossen!) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Bundesministerin Dr. Christine Bergmann 18802 (C) (D) (A) (B) – Wenn wir annähernd Parität erreicht haben, können wir darüber auch reden. Aber im Moment sollten wir Frauen uns das Heft noch nicht aus der Hand nehmen lassen. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS) Wir garantieren allen beschäftigten Männern und Frauen mit Familienpflichten einen Anspruch auf Teil- zeitbeschäftigung oder Beurlaubung. Wir bieten vernünf- tige Arbeitszeitmodelle an. Ich nenne nur die Stichwörter „Telearbeit“ und „Arbeitszeitkonten“. Die Regelungen – das ist mir ganz wichtig – gelten ausdrücklich auch für Leitungspositionen. Ich wünsche mir – ich werbe dafür, wo ich gehe und stehe –, dass viele Männer und Frauen davon Gebrauch machen, damit wir davon wegkommen, dass reduzierte Arbeitszeit ein absoluter Karrierekiller ist. Das sollte sie nicht sein. Deswegen gelten die Regelungen ausdrücklich auch für Leitungspositionen. Wir haben darüber hinaus festgelegt – damit es keine Karrierefalle mehr ist –, dass künftig auch mittelbare Dis- kriminierung bei Bewerbungsgesprächen und Auswahlver- fahren ausgeschlossen ist. Das heißt, dass bei vergleichen- der Bewertung die Unterbrechung der Erwerbstätigkeit aufgrund von Familienpflichten und die Reduzierung der Arbeitszeit wegen Kindererziehung nicht berücksichtigt werden dürfen. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, der bisher immer den Frauen zum Nachteil gereicht hat. Ich denke, wir können mit dem vorliegenden Gesetz Benachteiligungen in erheblichem Maße abbauen. Ich be- danke mich bei allen, die dazu beigetragen haben, dieses Gesetz auf den Weg zu bringen. Wir haben von den Erfah- rungen der Bundesländer und natürlich auch der Gleich- stellungsbeauftragten profitiert. Ich hoffe, dass die Unter- stützung für unseren Gesetzentwurf über die Abstimmung im federführenden Ausschuss hinaus reichen wird. Aber damit wird das Thema für uns nicht abgehakt sein. Wir ha- ben das große Thema Gender Mainstreaming als Dauer- aufgabe. Das wird uns so lange beschäftigen, solange es Diskriminierung von Frauen in allen Teilen der Gesell- schaft gibt. Das vorliegende Gesetz trägt ein Stück weit zur Modernisierung der Verwaltung bei. Ich denke, dies wird ihr gut bekommen. Danke. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS) Vizepräsidentin Anke Fuchs: Jetzt hat das Wort die Kollegin Maria Eichhorn für die CDU/CSU-Fraktion. Maria Eichhorn (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Neuer Auf- bruch für die Frauenpolitik“ – mit diesem Titel ist die Frauenpolitik der Bundesregierung im Koalitionsvertrag überschrieben. Das Gleichstellungsdurchsetzungsgesetz, das heute in dritter Lesung verabschiedet werden soll, ist kein Aufbruch. Es ist lediglich eine Fortschreibung der von der Union angestoßenen Gleichstellungsgesetzge- bung. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Christel Riemann-Hanewinckel [SPD]: Das ist der Abbruch dessen, was nicht funktioniert hat! Das ist gut so!) Nachdem Sie unsere Anträge doch noch akzeptiert haben, haben wir uns nach langen Bedenken zwar entschlossen, ihm zuzustimmen. Aber der große Wurf ist dieses Gesetz nicht. Wir werden noch später darauf eingehen. (Rudolf Bindig [SPD]: Aber weiter als Ihre Würfe!) – Wir haben einiges getan. Wir haben die Gleichstel- lungsgesetzgebung in Gang gebracht. Sie gehen auf dem Weg weiter, den wir angelegt haben. Aber, Frau Riemann- Hanewinckel, etwas grundlegend Neues ist Ihnen nicht eingefallen. Der Vierte Bericht der Bundesregierung über die För- derung der Frauen im Bundesdienst zeigt, dass noch viele Anstrengungen erforderlich sind, um die Gleichstellung von Frauen und Männern in der Bundesverwaltung voranzubringen. Immerhin sind 45 Prozent aller Beschäf- tigten im öffentlichen Dienst Frauen. Doch der Anteil der Frauen in leitenden Positionen ist noch immer viel zu ge- ring. So beträgt er beispielsweise bei den Beschäftigten im höheren Dienst der obersten Bundesbehörden ledig- lich 14,5 Prozent. Frau Ministerin, die von Ihnen dargestellten Steigerun- gen sind auf unser Gesetz zurückzuführen. (Dr. Edith Niehuis [SPD]: Nein, nein!) Durch unser Gesetz wurde die Grundlage dafür gelegt. Erfolgreiche Frauenpolitik ist immer auch mit Famili- enpolitik verbunden. So soll im vorliegenden Gesetzent- wurf die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit verbessert werden. Die Grundlagen dazu haben wir während unserer Regierungszeit erfolgreich gelegt, (Dr. Edith Niehuis [SPD]: Ah ja!) und zwar durch die Einführung von Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub, die Anerkennung der Erziehungsleis- tungen in der Rentenversicherung und die Einführung ei- nes Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz ab dem dritten Lebensjahr. Das waren grundlegende Entschei- dungen, meine sehr geehrten Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU – Christel Riemann- Hanewinckel [SPD]: Das stand im Gruppenan- trag zum § 218! Daran möchte ich erinnern!) Auch die Erweiterung des Art. 3 Grundgesetz ist in unse- rer Regierungszeit geschehen. Aber es ist natürlich noch viel zu tun. Wir sehen das. Sie haben in Ihrer Koalitionsvereinbarung vollmundig betont, dass Sie die Gleichstellung von Mann und Frau wieder zu einem großen gesellschaftlichen Reformprojekt machen wollen. Von den insgesamt 44 Prozent erwerbstä- tigen Frauen sind lediglich 8,2 Prozent in der öffentlichen Verwaltung beschäftigt. Das Gesetz, das heute verab- schiedet werden soll, betrifft daher nur einen ganz gerin- gen Teil der erwerbstätigen Frauen. Für die große Zahl der Frauen in der Privatwirtschaft tun Sie nichts! Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Bundesministerin Dr. Christine Bergmann 18803 (C) (D) (A) (B) (Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann machen wir mit Ihnen ge- meinsam ein Gesetz, Frau Eichhorn!) Seit Beginn dieser Legislaturperiode wollen Sie die Gleich- stellung in der Wirtschaft durch ein Gesetz regeln. Liebe Frau Gerigk, Sie haben den Mund gespitzt, aber zum Pfei- fen sind Sie nicht einmal ansatzweise gekommen. Sie sind mit Ihrem Vorhaben nicht nur in der eigenen Koalition ge- scheitert, Sie haben auch alle Frauenverbände enttäuscht, denen Sie ein effektives Gleichstellungsgesetz für die Pri- vatwirtschaft versprochen haben. (Christel Riemann-Hanewinckel [SPD]: Wir trösten Sie jetzt mit einem neuen Entwurf!) Frau Bergmann, Ihre Kabinettskollegen, allen voran der Kanzler selbst, haben Sie an der Umsetzung eines Geset- zes gehindert. Übrig geblieben ist eine Vereinbarung zwi- schen Regierung und Arbeitgebern zur Gleichstellung in der Privatwirtschaft. Dass damit ein Durchbruch für die Chancengleichheit von Frauen in der Privatwirtschaft erreicht wird, wie Sie, Frau Bergmann, im Juli gesagt ha- ben, das glauben Sie wohl selber nicht. (Rudolf Bindig [SPD]: Wo ist denn Ihr Gesetz- entwurf?) Die Vorsitzende des Deutschen Frauenrats, Inge von Bönninghausen – bekanntlich Ihnen sehr nahe stehend; sie gehört politisch zu Ihnen –, (Zuruf von der SPD: Sie saß da vorn! Sie hat auf Sie gewartet!) bescheinigt Ihnen Versagen auf der ganzen Linie. Ich zi- tiere, was sie gesagt hat: Es ist ein Hohn, wie sich die Regierung das verspro- chene Gesetz hat abschwatzen lassen. Die rot-grüne Gleichstellungspolitik wurde wie beim Sommer- schlussverkauf verramscht. (Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Das ist nicht von uns!) Die ehemalige erste Vorsitzende des Deutschen Juris- tinnenbundes, Frau Professor Nelles, fragt – auch hier ein Zitat –: Kann eine Regierung es sich leisten, bei 15,9 Milli- onen erwerbstätigen Frauen den Verfassungsauftrag zur Förderung der Durchsetzung der Gleichberechti- gung von Frauen und Männern so zu missachten? Meine Damen und Herren, ich sage: Nein. (Rudolf Bindig [SPD]: Nochmals: Wo ist Ihr Gesetzentwurf?) Gleichzeitig haben Sie auch alle Chancen verspielt, in intensiven Gesprächen mit der Wirtschaft Maßnahmen zu entwickeln, die die Gleichstellung in der Privatwirtschaft voranbringen. Vizepräsidentin Anke Fuchs: Frau Kollegin, gestat- ten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Edith Niehuis? Maria Eichhorn (CDU/CSU): Ja. Vizepräsidentin Anke Fuchs: Bitte, Frau Kollegin. Dr. Edith Niehuis (SPD): Ich bedanke mich, Frau Eichhorn. – Da Sie jetzt so leidenschaftlich für ein Gleich- stellungsgesetz für die Privatwirtschaft reden, frage ich: Darf ich daraus schlussfolgern, dass die CDU/CSU ein Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft möchte? Maria Eichhorn (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Kol- legin, wir haben nie den Anspruch erhoben, den Sie zu Be- ginn dieser Legislaturperiode in Ihre Koalitionsver- einbarung hineingeschrieben haben. Sie müssen sich daran messen lassen, was Sie versprochen haben. (Zuruf von der SPD: Frage beantworten!) Sie dürfen nicht etwas versprechen und nachher so tun, als sei nichts gewesen. Wir haben im Gegensatz zu Ihnen nie ein Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft ver- sprochen. (Beifall bei der CDU/CSU – Rudolf Bindig [SPD]: Sie wollen es nicht! Halten wir fest!) – Ich sage Ihnen gleich, was wir Ihnen vorschlagen. Wir müssen mehr Betriebe davon überzeugen, dass sich ökonomischer Erfolg und sozialverträgliche betrieb- liche Bedingungen, zu denen auch die Chancengleichheit von Frauen und Männern gehört, nicht ausschließen. Es gibt viele Betriebe und Unternehmen, die beachtliche Bemühungen auf diesem Gebiet an den Tag legen. So hat zum Beispiel die Bayerische Staatsregierung auch in diesem Jahr drei Firmen mit dem Bayerischen Frauenförderpreis ausgezeichnet. (Rudolf Bindig [SPD]: Jetzt kommt auch noch Bayern als Beispiel!) Dazu gehören große Firmen wie BMW, aber auch mit- telständische Betriebe. Wichtige Gesichtspunkte waren dabei die intensive Förderung von neuen Arbeitsformen wie Telearbeit, Jahres- und Lebensarbeitszeitkonten, die Chancen für Frauen in Führungspositionen, die betriebs- eigene Kindertagesstätte, die Hausaufgabenbetreuung, die Berücksichtigung der unterschiedlichsten Lebenssi- tuationen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie unkonventionelle Ideen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Mit diesen Erfolgen können wir werben. Ich bin davon überzeugt: Je mehr Firmen frauen- und famili- enfreundliche Maßnahmen praktizieren, desto mehr wer- den sich diese Vorbilder und Ideen durchsetzen. Betriebe und Unternehmen sind vielgestaltig. Die Beschäftigungssituation für Frauen ist ebenfalls sehr un- terschiedlich. Maßnahmen, die für Großunternehmen sinnvoll sein mögen, sind für mittelständische Betriebe oft nicht realisierbar. Es ist daher fraglich, ob insbeson- dere mittelständische Betriebe durch neue Regelungsme- chanismen motiviert werden, die Gleichstellung von Frauen und Männern voranzubringen. Restriktivere Re- gelungen kämen nicht den Frauen zugute, sondern könn- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Maria Eichhorn 18804 (C) (D) (A) (B) ten als Vorwand dienen, Frauen aus der Arbeitswelt her- auszusozialisieren. Für die Umsetzung einer effektiven Gleichstellungspo- litik sind neben den Arbeitgebern auch Betriebsräte und Gewerkschaften gefragt. Es ist wichtig, dass sie neben den Fragen von Entlohnung, Arbeits- und Urlaubszeiten frauen- und familienfreundliche Maßnahmen verstärkt in den Blick nehmen. Frauenpolitik ist Querschnittspolitik. Veränderungen, die zu einer besseren Chancengerechtigkeit für Frauen beitragen sollen, setzen Veränderungen in allen Berei- chen, in der Familienerziehung, in der Schule, im Betrieb und in der Politik voraus. Kern einer zukunftsorientierten Frauenpolitik muss in erster Linie die Verbesserung der Rahmenbedingungen für Frauen und Familien sein. In dieser Hinsicht ist der Staat gefordert. (Rudolf Bindig [SPD]: Noch wolkiger bitte! Noch ungenauer!) Notwendig sind insbesondere bedarfsgerechte Kin- derbetreuungsmöglichkeiten. In den von Ihnen regier- ten Ländern, meine Damen und Herren von der SPD, gibt es diesbezüglich einen erheblichen Nachholbedarf. Zum Vergleich: Im bisher SPD-regierten Hamburg gibt es je 100 Kinder 76 Kindergartenplätze, in Baden-Württem- berg dagegen 125 Plätze und in Thüringen gar 153 Plätze. Die beiden letzteren Länder sind bekanntlich unionsre- giert. Nehmen Sie sich die Politik dieser Länder also zum Vorbild! Eine angemessene finanzielle Ausstattung von Fami- lien ist entscheidend dafür, ob auch gut verdienende Vä- ter bereit sind, zeitweise aus dem Beruf auszusteigen, ohne dass für die Familie die Gefahr besteht, in finanzi- elle Schwierigkeiten zu geraten. Sie haben mit der jüngs- ten Kindergelderhöhung die Forderungen des Bundesver- fassungsgerichts nur minimal umgesetzt. Wir wollen mit dem Familiengeld eine wirkliche Familienförderung schaffen. Eine Politik für Frauen muss auch dazu beitra- gen, in den Köpfen ein gesellschaftliches Umdenken zu erreichen. Die Grundlage dafür muss in der Erziehung, also frühzeitig, geschaffen werden. Die Gleichstellung von Frauen und Männern im öf- fentlichen Dienst und in der Privatwirtschaft zahlt sich aus, da sie nicht nur für Frauen, sondern für die ganze Ge- sellschaft Vorteile bringt. Die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit und eine angemessene finanzielle Ausstattung von Familien sind grundlegende Vorausset- zungen dafür, die Gleichstellung von Frauen und Män- nern voranzubringen. Vizepräsidentin Anke Fuchs: Frau Kollegin, gestat- ten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Griese? Maria Eichhorn (CDU/CSU): Bitte sehr. Vizepräsidentin Anke Fuchs: Bitte sehr, Frau Kol- legin. Kerstin Griese (SPD): Frau Eichhorn, Sie plädieren hier stark für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Als einen wichtigen Beitrag dazu nennen Sie besonders die Betreuung von Kindern. Darin stimme ich Ihnen zu. Ich muss allerdings Ihrem Vergleich der Länder widerspre- chen. Im Jahr 1998 gab es – das zeigen die Zahlen – auf 1 000 Kinder in Baden-Württemberg 13 Krippenplätze, in Bayern 14, in Nordrhein-Westfalen 25 – als Nordrhein- Westfälin sage ich das mit einem gewissen Lob – und in Sachsen-Anhalt 472. Meinen Sie nicht, dass diese Zahlen eine deutliche Sprache sprechen? (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Maria Eichhorn (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Kol- legin, ich kann Ihnen ganz andere Zahlen entgegensetzen: (Lachen bei der SPD) Baden-Württemberg 125 Kindergartenplätze pro 100 Kin- der; Bayern 97; (Zurufe von der SPD: Krippenplätze!) Sachsen 135; Thüringen 153. Hamburg dagegen liegt mit 76 Plätzen am unteren Ende, Niedersachsen hat 90, Nord- rhein-Westfalen erreicht bei den von Ihnen regierten Län- dern mit 96 die höchste Zahl. Diese Werte liegen weit un- ter denen der unionsregierten Länder. Den Spitzenplatz, Frau Kollegin, hält Thüringen mit 153. Vizepräsidentin Anke Fuchs: Frau Kollegin, gestat- ten Sie noch eine weitere Zwischenfrage? Maria Eichhorn (CDU/CSU): Nein, ich könnte zwar das Zahlenspiel noch weiter führen, aber ich denke, ich habe ausreichend geantwortet. – Entschuldigung, Frau Kollegin Hanewinckel, ich habe nicht gesehen, dass Sie sich gemeldet haben. Ich dachte, die Kollegin hätte noch eine Zusatzfrage. Vizepräsidentin Anke Fuchs: Dann Frau Hanewinckel, bitte. Christel Riemann-Hanewinckel (SPD): Danke schön. – Ist Ihnen bewusst, Frau Kollegin Eichhorn, dass die Zahlen, die Sie eben genannt haben, so genannte Kin- dergartenplätze betreffen, im Klartext also Halbtags- plätze? Es handelt sich nicht um die Zahlen der Plätze in Kindertagesstätten. Da sieht es ganz anders aus. Die ent- sprechende Statistik können Sie in einer Erhebung des Deutschen Jugendinstituts nachlesen. Da kommen er- schreckende Zahlen just für einige der Länder, die Sie eben genannt haben, heraus. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der SPD: Baden-Württemberg!) Maria Eichhorn (CDU/CSU): Frau Kollegin Hanewinckel, wir haben als Ziel die Wahlfreiheit festge- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Maria Eichhorn 18805 (C) (D) (A) (B) legt. Wir wollten niemandem vorschreiben, wie er das Le- ben gestalten soll. (Zurufe von der SPD) Wir haben im Jahre 1996 einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz festgeschrieben. Für diese Plätze hat der Staat in erster Linie zu sorgen; das ist Maßgabe für die Länder. (Christel Humme [SPD]: Zu wenig!) Diese Vorgabe wurde von den unionsregierten Ländern hervorragend erfüllt – im Gegensatz zu den von der SPD regierten Ländern; da wurde der Rechtsanspruch nicht umgesetzt. (Beifall bei der CDU/CSU – Christel Humme [SPD]: Stimmt nicht! Nordrhein-Westfalen hat eine Quote von 100 Prozent!) Meine Damen und Herren, aktive Maßnahmen zur För- derung von Frauen sind nach wie vor notwendig. Es genügt nicht, dass Frauen hervorragende Abiturnoten und Abschlusszeugnisse nachweisen können. Dieses Wissen muss sich auch in Führungspositionen niederschlagen. Die im öffentlichen Dienst bestehenden Gleichstellungs- gesetze haben bereits positive Veränderungen bewirkt. Wir müssen aber auch weiterhin dafür eintreten, dass sich die Chancen für Frauen in der Privatwirtschaft verbes- sern. Es wird daher in Zukunft darauf ankommen, Teil- schritte für freiwillige Vereinbarungen und Tarifregelun- gen in Angriff zu nehmen. Dies ist notwendig, damit die Gleichstellung von Männern und Frauen nicht weiter Zu- kunftsmusik bleibt. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Anke Fuchs: Das Wort hat nun die Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk für Bündnis 90/Die Grünen. Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Eichhorn, ich habe gerade bewundert, wie leidenschaftlich Sie in Ihrer Rede für ein Gleichstellungs- gesetz in der Privatwirtschaft gekämpft haben und einge- treten sind, obwohl Sie es inhaltlich zutiefst ablehnen. Das hat schon etwas. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Wir beraten heute ein Gesetz, das meines Erachtens bisher viel zu wenig öffentliche Beachtung erfahren hat. Dabei ist es ein wichtiges Gesetz, das die Rechte der Frauen im öffentlichen Dienst des Bundes stärkt. (Beifall der Abg. Renate Gradistanac [SPD]) Frauen sind in Führungspositionen noch immer deutlich unterrepräsentiert, nicht nur in denen der Wirtschaft, son- dern leider auch in denen der öffentlichen Verwaltung. Dass wir von einer wirklichen Gleichberechtigung von Männern und Frauen im öffentlichen Dienst noch längst nicht reden können, zeigt der Vierte Bericht der Bundes- regierung über die Förderung der Frauen im Bundes- dienst mehr als deutlich. Der Berichtszeitraum erstreckt sich ja über die Jahre von 1995 bis 1998, sodass wir sehr konkret, Frau Eichhorn, die Auswirkungen des 1994 von der CDU/CSU – das gestehe ich Ihnen zu – verabschie- deten Frauenfördergesetzes messen können. Es war aber vorher abzusehen, dass dieses Gesetz weitgehend fol- genlos bleiben würde. Kommentiert wurde es damals von der Presse als „Papiertiger“. Leider – das muss ich sa- gen – haben die Journalisten und Journalistinnen auch Recht behalten; (Widerspruch bei der CDU/CSU) denn es war ein Gesetz mit unverbindlichen Vorschriften. Sanktionen waren bei Nichteinhaltung nicht vorgesehen. Mich zumindest hat es nicht verwundert, dass über dieses Gesetz keine wirklichen Verbesserungen erreicht worden sind. Das lässt sich an der Beschäftigtenstruktur leicht ab- lesen: Während fast die Hälfte der Beschäftigten im öf- fentlichen Dienst der Bundesverwaltung Frauen sind, blieb die Leitungsebene – zumindest bis 1998 – eine fast frauenfreie Zone. (Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Es ist aber wirklich ein toller Fortschritt, eine Steigerung von 10 auf 12 Prozent zu erreichen!) Die Ministerin hat die anderen Zahlen genannt; ich er- spare mir das. Im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen waren überproportional viele Frauen auch in geringer bezahlten Bereichen beschäftigt. Wenn man sich die Strukturen an- schaut, erkennt man, dass nur 38 Prozent der Vollzeit- beschäftigten Frauen sind. Im Gegensatz dazu stellen sie 90 Prozent der Teilzeitbeschäftigten. Für uns war hier also dringender Handlungsbedarf angesagt. Es ging nicht um eine Novellierung, bei der ein paar Worte geändert wer- den, es war einfach ein neues Gesetz notwendig. (Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Das ändert ihr aber nicht mit einer Quote, sondern nur mit Kin- dergartenplätzen!) Ich finde, es muss dringend in der Arbeitswelt ankom- men, dass die heutige Frauengeneration – die Ministerin hat es erwähnt – über hervorragende Qualifikationen ver- fügt. Im Durchschnitt sind sie heute bei den jungen Frauen besser als bei den Männern. Darum sage ich: Frauen dürfen nicht länger als Bittstellerinnen auf dem Arbeitsmarkt auftreten, sondern sie müssen den ihnen zu- stehenden Platz einnehmen. Das wollen wir mit diesem Gesetz erreichen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Rot-Grün macht mit dem vorliegenden Gesetzentwurf einen wichtigen Reformschritt zur tatsächlichen Gleich- stellung der Geschlechter im öffentlichen Dienst. Wir wollen nicht nur den Anteil von Frauen in Führungsposi- tionen erhöhen, sondern durch die Quotierung von Aus- bildungsplätzen auch Gerechtigkeit für die jüngere Gene- ration schaffen. Ich komme zu weiteren Verbesserungen: Zunächst wurde der Anwendungsbereich des Gesetzes so ausge- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Maria Eichhorn 18806 (C) (D) (A) (B) dehnt, dass es künftig keine weißen Flecken mehr auf der Gleichstellungskarte im Bundesdienst geben wird. Das neue Gesetz gilt sowohl für die Bundesverwaltung als auch für die Bundesgerichte – das ist ein ganz wichtiger Punkt – und, Frau Lenke, wird auch bei künftigen Priva- tisierungen von Bundesunternehmen Gültigkeit haben. (Ina Lenke [FDP]: Ja klar, das haben wir auch so verstanden!) Die Grundsätze des Gleichstellungsgesetzes sollen erst- malig auch in den außeruniversitären Forschungsein- richtungen den Weg zu einer gesetzlichen Verpflichtung zur Chancengleichheit eröffnen. Das war uns besonders wichtig, da gerade Arbeitsplätze im außeruniversitären Forschungsbereich für Wissenschaftlerinnen von großer Bedeutung sind. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, derzeit sind Solda- tinnen und Soldaten von dem Geltungsbereich des Geset- zes noch ausgenommen. Da mit dem Urteil des Europä- ischen Gerichtshofes vom Januar des vergangenen Jahres nun auch Frauen Dienst an der Waffe tun können, ist es dringend notwendig, dass wir auch für diesen speziellen Bereich Regelungen zur Gleichstellung der Geschlechter erarbeiten. Dazu liegt Ihnen heute ein Entschließungsan- trag vor, der ein Gesetz fordert, das auf die unterschiedli- chen Bedürfnisse von Soldatinnen und Soldaten eingeht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Von diesem Gesetz – ein Gleichstellungsgesetz! – werden auch die Soldaten profitieren, die ihre Vaterrolle ernst nehmen. Sie haben nämlich die Chance, ihre Soldatenzeit und die Kindererziehung besser miteinander zu verein- baren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Soweit zum Geltungsbereich. Die wichtigste Neuregelung in dem vorliegenden Ge- setz ist die qualifikationsbezogene Quote bei der Ein- stellung, beim beruflichen Aufstieg und bei der Vergabe von Ausbildungsplätzen. Hinzu kommt ein konkretes Benachteiligungsverbot bei mittelbaren Diskriminie- rungen. Jetzt gelten bei Einstellung und Aufstieg nur noch Kriterien wie Eignung, Leistung und Befähigung. Das sind doch Kriterien, die die FDP ohne weiteres mittragen kann. (Ina Lenke [FDP]: Natürlich, das sagen wir auch! Aber es muss auch bei der Bundeswehr so sein!) Wir akzeptieren aber keine Hilfskriterien – wie Le- bensalter, Dienstalter und letzte Beförderung – mehr, durch die bisher besonders Männer bevorzugt wurden. Diese dürfen nach der europäischen Rechtsprechung keine Anwendung mehr finden. (Ina Lenke [FDP]: Das ist auch in Ordnung so!) Mit dem vorliegenden Gesetz werden aber auch die Rechte der Gleichstellungsbeauftragten deutlich gestärkt. Frau Lenke, ich meine, dass die Gleichstellungsbeauf- tragten Frauen sein sollten; es finden sich ja auch genü- gend. Als Mitglied im Frauenausschuss habe ich noch miterleben können, dass es einen frauenpolitischen Spre- cher der FDP-Fraktion gab. Dieser hat gezeigt, dass es besser ist, wenn Frauen dieses Amt noch eine Weile aus- füllen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der SPD – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das war wirklich eine abenteuerliche Konstruktion! – Gegenruf der Abg. Birgit Schnieber-Jastram [CDU/ CSU]: Waren Sie auch im Frauenausschuss?) Zukünftig wird jede Dienststelle mit mehr als 100 Be- schäftigten eine Gleichstellungsbeauftragte mit mindes- tens einer halben Stelle bestellen. Die Gleichstellungs- beauftragte ist weisungsfrei und hat ein Einsichtsrecht auch in Personalakten. Ihr Geschäftsbereich umfasst die Gleichstellung der Geschlechter, die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsarbeit und den Schutz vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz. Die Rechtsstärkung der Gleichstellungsbeauftragten wird besonders durch die Möglichkeit deutlich, dass sie bei Verstößen der Dienst- stelle gegen Gleichstellungsregelungen Einspruch einle- gen kann. So kann bei Problemen auch direkt das Bun- desministerium angesprochen werden. Im Streitfall mit der Dienststellenleitung hat die Gleichstellungsbeauf- tragte sogar das Recht, auf einer außergerichtlichen Einigung zu bestehen oder ein gerichtliches Verfahren an- zustreben. Diese Rechte werden es der Gleichstellungs- beauftragten erleichtern, sich für die Frauen in den Unter- nehmen und Verwaltungen einzusetzen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Ich komme zu dem neuen Gleichstellungsplan. Bereits für die Frauenförderpläne mussten Maßnahmen ent- wickelt werden, um den Frauenanteil zu erhöhen. Es fehl- ten allerdings konkrete, verbindliche Kriterien hinsicht- lich der Zielvorgaben. In den Gleichstellungsplänen ist künftig vorzusehen, dass mindestens die Hälfte aller Per- sonalstellen mit Frauen zu besetzen ist, wenn Frauen in diesem Bereich unterrepräsentiert sind. Personalverant- wortliche – also nicht nur die Frauen- und Gleichstel- lungsbeauftragten – haben sich laufend mit den Zielvor- gaben des Gleichstellungsplanes auseinander zu setzen, ganz im Sinne von Gender Mainstreaming. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Familienpolitik ist in den letzten Monaten zu einem Thema mit großem Auf- merksamkeitswert geworden. Man überbot sich gegensei- tig, wenn es darum ging, den Familien eine Mark mehr zu geben. Das waren verbale Kraftakte. Wir legen Ihnen heute Regelungen vor, die Vätern und Müttern Arbeits- zeiten und Rahmenbedingungen bieten, um das Leben mit Kindern und Erwerbsarbeit zu vereinbaren. Dies gilt auch für Leitungspositionen, damit die Familienpflichten nicht wieder gegen die berufliche Karriere ausgespielt werden können. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Irmingard Schewe-Gerigk 18807 (C) (D) (A) (B) Ich komme zum Schluss: Das neue Gesetz wird dem Regelungsanspruch im Bereich des öffentlichen Dienstes des Bundes gerecht. Die vorliegenden Regelungen sind Kernstücke einer sehr modernen Verwaltung. Der öffent- liche Dienst wird damit in Gleichstellungsfragen zu einem Vorbild auch für andere Bereiche des beruflichen Lebens. Unser gemeinsames Anliegen muss es nun sein, auch in der Wirtschaft nach wirksamen Lösungen zu su- chen, die eine Demokratie zwischen den Geschlechtern ermöglichen. Ich danke Ihnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Vizepräsidentin Anke Fuchs: Ich erteile nun der Kollegin Ina Lenke für die FDP-Fraktion das Wort. Ina Lenke (FDP): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die im Grundgesetz auferlegten Pflichten der Förderung der Gleichstellung von Männern und Frauen ist eine ganz besondere Aufgabe, der wir uns auch im Bundestag widmen müssen. Die FDP-Fraktion hat ge- zeigt, dass sie mit parlamentarischen Initiativen ihren Bei- trag dazu geleistet hat. Heute sprechen wir über den Vierten Bericht der Bun- desregierung über die Förderung von Frauen im Bundes- dienst und über ein altes Gesetz in neuer Verpackung, das rot-grüne Gleichstellungsdurchsetzungsgesetz für den öf- fentlichen Dienst des Bundes. Meine Damen und Herren, über viele Seiten ist das Vorgängergesetz, das Frauenför- dergesetz, unverändert geblieben. Dass Sie es aktualisiert haben, ist in Ordnung. In dem Gesetzentwurf sind sicher- lich auch viele gute Vorschläge enthalten. Aber wir müs- sen auch das Gesetz insgesamt sehen: Manches betrachtet die FDP kritisch, weniges ist aus ihrer Sicht positiv zu be- werten. Zunächst komme ich auf zwei positive Punkte in dem Gesetz zu sprechen. Die FDP hat es mit den Stimmen aller Fraktionen in unserem Ausschuss durchgesetzt, dass den besonderen Belangen behinderter und von Behinderung bedrohter Frauen Rechnung getragen wird. Das ist eine gute Sache. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Je älter ich werde, desto wichtiger ist nach meiner An- sicht eine geschlechtergerechte Sprache. Man darf es damit nicht übertreiben, aber man darf die weiblichen Sprachformen auch nicht vergessen. (Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: So ist es! Wir hatten genug generisches Maskulin!) Die Sprache prägt enorm. Wenn ich höre, wie sich Män- ner darüber lustig machen, dann sage ich immer: Wir kön- nen es jetzt einmal 50 Jahre lang anders herum machen; wir haben immer unter männlichen Sprachformen leiden müssen und können nun frauenspezifische Begriffe neh- men. (Beifall bei der FDP) Genau da höre ich Proteste. Daran wird die Schnittstelle erkennbar; das wollen die Männer nicht. Das war jetzt nur ein kleiner Schlenker. Meine Damen und Herren, wir werden diesen Gesetz- entwurf ablehnen. Ich werde das noch begründen. Trotz- dem brauchen wir ein Gleichstellungsgesetz für den öf- fentlichen Dienst. Schließlich haben auch wir – mit der CDU/CSU – das Frauenfördergesetz beschlossen. Unter den Änderungen, die Sie gemacht haben, sind einige – ich werde sie gleich aufzählen –, die wir nicht mittragen wol- len. Ich bitte, das nicht dahin gehend misszuverstehen, dass wir grundsätzlich gegen solche Gleichstellungsge- setze im öffentlichen Dienst sind. Ich will nun zu dem Bericht kommen, der von der Re- gierung vorgelegt worden ist. Diese regelmäßige Bericht- erstattung soll letztendlich eine Erfolgskontrolle sein, in- wiefern das Frauenfördergesetz gegriffen hat. Dabei haben wir festgestellt, dass sich – trotz des Bundesgre- mienbesetzungsgesetzes, das ich so sehr liebe, alleine schon des Namens wegen – insgesamt wenig getan hat. Das heißt, wir konnten nicht erreichen, dass in Gremien des Bundes mehr Frauen Eingang finden. Ich glaube, dass solche Gesetze alleine nicht viel bewirken können. Viel wichtiger sind die Rahmenbedingungen, die Frauen ha- ben. (Beifall bei der FDP) Dazu werde ich gleich kommen. In diesem Bericht heißt es: Frauenförderpläne werden zwar durchgängig aufgelegt, aber Führungspositionen sind – das hat auch Frau Bergmann gesagt – dennoch nur zu knapp 10 Prozent mit Frauen besetzt. Grund dafür, Frau Bergmann, ist, wenn Sie es genau gelesen haben, die Tatsache, dass sich keine oder nur sehr wenige Frauen auf Leitungsfunktionen bewerben. Wir müssen nicht immer denken: die armen Frauen! Frauen haben auch andere Wünsche, andere Biographien. Lesen Sie das noch einmal durch! Oft gab es keine Bewerbung von Frauen für Lei- tungsfunktionen. Darum müssen wir uns kümmern. Sie müssen ermutigt werden. Frau Schwaetzer hat mir gerade gesagt, dass sie damals als Bauministerin kein Gleichstellungsgesetz brauchte. Sie hat Frauen ganz gezielt gefördert. Machen Sie das bei Ihren Ministerien auch! Da geht das sicher genauso. (Christel Humme [SPD]: Nach persönlichem Gusto, wunderbar!) Meine Damen und Herren, ich komme jetzt zu den Kritikpunkten an diesem Gesetz. Wir kritisieren die Ausweitung des Gesetzes auf die Privatwirtschaft durch die Hintertür. Unternehmen – das hat auch schon Frau Schewe-Gerigk sehr stolz gesagt –, die früher öffent- lich-rechtlich organisiert waren und jetzt privatwirtschaft- lich tätig sind oder institutionelle Zuwendungen erhalten, müssen sich diesem Gleichstellungsdurchsetzungsgesetz für den öffentlichen Dienst unterwerfen. Die FDP hat sich gegen ein Gleichstellungsgesetz für die Wirtschaft ausge- sprochen. Und wir wollen das hier auch nicht durch die Hintertür mitbeschließen. (Beifall bei der FDP) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 200118808 (C) (D) (A) (B) Meine Damen und Herren, die Gleichstellungsbeauf- tragten werden ab dem nächsten Jahr ausschließlich Frauen sein. Der Name des Gesetzes lautet doch „Gleich- stellungsdurchsetzungsgesetz“ und soll für Männer und Frauen gleichermaßen gelten. Ich finde es prima, wenn sich Männer für mehr Gleichstellung im öffentlichen Dienst einsetzen und auch Frauen vertreten. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Sie aber schließen Männer aus. Wenn Sie keine Gleich- stellungsbeauftragte in den Dienststellen finden, wollen Sie eine Frau sogar zwangsverpflichten. Diese Logik in diesem Gesetz kann ich überhaupt nicht verstehen. Ein Weiteres verstehe ich persönlich nicht: Wenn beur- laubte Mitarbeiter während der Zeit ihrer Beurlaubung an Fortbildungsveranstaltungen teilnehmen wollen, werden sie beim Wiedereinstieg mit Urlaub belohnt. Ich finde das nicht in Ordnung; denn wenn eine Frau nach dem Erzie- hungsurlaub wieder in den Beruf einsteigen will – ich weiß das von mir selber –, braucht sie keinen Urlaub, son- dern will arbeiten. Von daher halte ich es für ganz wich- tig, dass Frauen für ihre Fortbildung während der Erzie- hungspause selbst sorgen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Das sollte eine Pflicht sein. Dafür muss es hinterher nicht unbedingt Urlaub geben. (Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Gewerkschaf- terinnen können das nicht verstehen!) Meine Damen und Herren, ich habe im Ausschuss Än- derungsvorschläge vorgelegt, die die Mehrheit von Rot-Grün abgelehnt hat. Ich finde das sehr bedauerlich. Daher können wir vielen der von Rot-Grün vorgeschla- genen gesetzlichen Änderungen unsere Zustimmung nicht geben. Noch eines – das hatte ich vergessen, das muss ich Ih- nen noch einmal erzählen –: In dem Bericht, der den Be- richtszeitraum 1995 bis 1998 umfasst, liest man, dass die Ministerien zu wenig Kindergartenplätze vorhalten. Das, Frau Schewe-Gerigk, haben Sie leider vergessen. (Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die eigenen Kinder sollen bevor- zugt werden, die Kindergärten nicht!) Das zeigt: Wie auch immer die Gesetze lauten, wir brau- chen Kinderbetreuungseinrichtungen. Nur so haben Frauen und Männer die Wahl, ob sie am beruflichen Leben teil- nehmen wollen oder nicht. Meine Damen und Herren, noch ein Letztes: Dem An- trag, ein gesondertes Gleichstellungsgesetz für die Bun- deswehr zu erarbeiten – diese Aufgabe haben Sie der Bundesregierung mit diesem Antrag ja auferlegt –, stim- men wir zu. Wir wollen sehen, was die Bundesregierung da macht, und werden unsere eigenen Vorstellungen dann auch vortragen. Ich bedanke mich, dass Sie mir zugehört haben. Sie müssen ertragen, dass es noch andere politische Vorstel- lungen als nur die von Rot-Grün gibt. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Anke Fuchs: Das Wort hat nun die Kollegin Petra Bläss für die PDS-Fraktion. Petra Bläss (PDS): Frau Präsidentin! Liebe Kollegin- nen und Kollegen! Der Vierte Bericht der Bundesregie- rung über die Förderung der Frauen im Bundesdienst zeigt sehr deutlich: Ohne konsequente und verbindliche Maßnahmen in der Frauenförderung kommen wir bei der Gleichstellung der Geschlechter tatsächlich nur im Schneckentempo voran. Die PDS wird dem heute zur Ab- stimmung stehenden Gleichstellungsdurchsetzungsgesetz die Zustimmung geben. Dieses Gesetz ist für uns ein not- wendiger erster Schritt hin zu einer umfassenden Anti- diskriminierungsgesetzgebung. In der Debatte ist be- reits einiges zur wirklich neuen Qualität dieses Gesetzes gesagt worden. Ich nenne nur Stichworte: die einzelfall- bezogene Quote, die stärkeren Rechte der Gleichstel- lungsbeauftragten, die insgesamt größeren Verbindlich- keiten. Der öffentliche Dienst des Bundes muss zweifellos mit gutem Beispiel vorangehen; er hat eine Vorbildfunktion. Doch, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sollten nicht vergessen, dass die meisten erwerbstätigen Frauen außer- halb des öffentlichen Dienstes des Bundes, aber auch der Länder arbeiten, das heißt, unter Bedingungen tätig sind, die bei weitem nicht dieses Gleichbehandlungsniveau aufweisen. Umso schwerer wiegt es, dass die rot-grüne Bundesregierung davon Abstand genommen hat, auch die Privatwirtschaft gesetzlich zu einer aktiven Gleichstel- lungspolitik zu bewegen. Ich halte jedenfalls die im Juli dieses Jahres von der Bundesregierung und den Arbeitge- berbänden unterzeichnete Vereinbarung zur Förderung der Chancengleichheit von Frauen und Männern nicht für ein ausreichendes Instrumentarium, um die ablehnende Haltung von Unternehmen gegenüber gleichstellungspo- litischen Maßnahmen grundlegend zu ändern. (Beifall bei der PDS) Worum, liebe Kolleginnen und Kollegen, geht es denn in all den Debatten um gleichstellungspolitische Rege- lungen? Um nicht mehr, aber auch nicht weniger als um die Umsetzung eines Gleichstellungsgebotes in Art. 3 un- seres Grundgesetzes und um die Durchsetzung von euro- päischen Standards, die zuletzt im Amsterdamer Vertrag und in der Europäischen Grundrechte-Charta festge- schrieben worden sind. Die Zulässigkeit von Kompensa- tionsmaßnahmen zur tatsächlichen Durchsetzung von Chancengleichheit ist im vergangenen Jahrzehnt durch eine Vielzahl verbindlicher, das heißt auf nationaler Ebene durchzusetzender internationaler Dokumente und in diversen Gerichtsurteilen bestätigt worden. Heute wurde dem Bundestag auch der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Ratifizierung des Fakultativpro- tokolls zum Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frau zur Beratung überwiesen. Dieses Zusatzprotokoll sieht vor, dass sich Frauen und Gruppen bei Verletzung ihrer Rechte direkt beim zustän- digen Ausschuss der Vereinten Nationen beschweren kön- nen. In Art. 11 der UN-Konvention heißt es, dass die Vertragsstaaten – ich zitiere – „alle geeigneten Maßnah- men zur Beseitigung der Diskriminierung der Frau im Be- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Ina Lenke 18809 (C) (D) (A) (B) rufsleben treffen“. Wir werden also demnächst die Be- schwerdemöglichkeiten für Frauen verbessern; ihre Dis- kriminierung im Bereich der Privatwirtschaft wird aber nach wie vor nicht in angemessener Weise, das heißt vom Gesetzgeber geregelt werden. Der politische Handlungs- bedarf für eine gesetzliche Regelung bleibt nach wie vor. Gestatten Sie mir noch eine kurze Anmerkung zum vorliegenden Gesetzentwurf. Wir hätten uns gewünscht, auch die institutionellen Leistungsempfänger, also zum Beispiel die Stiftungen, würden gezwungen, das Gesetz anzuwenden. Dazu hätte die Sollvorschrift in § 3 in eine Mussvorschrift umgewandelt werden müssen. Mit Soll- vorschriften – insbesondere im Gleichstellungsbereich – haben wir ja bereits einschlägige Erfahrungen gesammelt. Dem Entschließungsantrag der Koalition, der die Aus- weitung des Geltungsbereichs des Gesetzes auf die Bun- deswehr einfordert, werden wir zustimmen. (Ina Lenke [FDP]: Sie wissen doch noch gar nicht, was da drinsteht!) Auch wenn die Öffnung der Bundeswehr für Frauen in der PDS nach wie vor äußerst kontrovers diskutiert wird: Die- sem Anliegen können und wollen wir uns nicht ver- schließen. (Beifall bei der PDS) Wenn Frauen bei der Bundeswehr arbeiten, gibt es keinen Grund, ihnen gleichstellungspolitische Instrumentarien vorzuenthalten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer den ersten Schritt zur Durchsetzung der Gleichstellung von Frauen im Bereich des öffentlichen Dienstes des Bundes macht, der sollte auch so schnell wie möglich den zweiten Schritt gehen und eine gesetzliche Regelung zur Gleichstellung in der Privatwirtschaft in Angriff nehmen. (Beifall bei der PDS) Eines ist klar: Spätestens in der kommenden Legislatur- periode werden wir diese notwendige rechtspolitische Debatte wieder auf der Tagesordnung haben. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN) Vizepräsidentin Anke Fuchs: Jetzt hat die Kollegin Christel Humme das Wort für die SPD-Fraktion. Christel Humme (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kol- legen! Liebe Kolleginnen! Mit dem Gleichstellungs- durchsetzungsgesetz, das wir heute verabschieden, ma- chen wir Schluss mit der Benachteiligung von Frauen, die in der Verwaltung des Bundes und in Instituten arbeiten, die vom Bund gefördert werden. (Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP) Der Anwendungsbereich ist umfassend. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Ich wünsche allen Frauenbeauftragten des Bundes von dieser Stelle aus viel Erfolg bei der Durchführung der un- mittelbar anstehenden Wahlen, zum ersten Mal nach den Vorgaben unseres neuen Gesetzes. Sie werden dann zu Gleichstellungsbeauftragten; sie werden auch zahlen- mäßig mehr sein, (Ina Lenke [FDP]: Nicht mehr!) mehr Rechte haben und in Gleichstellungsplänen durch- setzen können, dass Frauen und Männer den gleichbe- rechtigten Zugang zu Ausbildungsplätzen und Laufbah- nen haben. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS) Künftig gilt die einzelfallbezogene Quote. Das heißt, Frauen werden bei gleicher Qualifikation bei Ausbildung, Anstellung und Beförderung – unter Berücksichtigung des jeweiligen Einzelfalls – bevorzugt. Auch die Rege- lungen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf werden durch unser Gesetz deutlich verbessert. Beschäftigte mit Familienpflichten – Frauen und Männer – erhalten einen Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit. Sabbatjahre und Ar- beitszeitkonten werden auch in der Bundesverwaltung Einzug halten. Die Frauen des Deutschen Frauenrates äußern die Sorge um die Gewichtung frauenpolitischer Ziele. Sie fra- gen sich, ob diese frauenpolitischen Ziele in der Politik nicht zunehmend hinter missverstandenem Gender Main- streaming und Familienorientierung verschwinden. Mit unserem Gleichstellungsdurchsetzungsgesetz geben wir darauf eine eindeutige Antwort. (Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Der Frauenrat hat auf Ihr Gesetz eine Antwort gegeben, und was für eine!) Das für unsere Politik durchgängige Prinzip des Gen- der Mainstreaming ist nun auch im Bundesdienst ge- setzlich verankert. Dort machen wir zum Beispiel mit dem bereits erwähnten Rechtsanspruch Teilzeitarbeit auch für Männer attraktiv. Väter haben so künftig die Chance, sich an der Erziehung ihrer Kinder zu beteiligen. Andererseits geben wir Frauen dort den Vorzug, wo sie noch benach- teiligt sind. Sie sehen, Gender Mainstreaming und Frau- enpolitik sind in der Tat kein Widerspruch. (Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Schaffen Sie denn auch die Parteibuchbeförderung ab?) Unserem heutigen Erfolg, dem Durchbruch in Sachen Gleichstellung in der Bundesverwaltung, mussten zwei Schritte vorangehen – das ist in der Tat wahr, Frau Eichhorn –: Der erste Schritt ist der hervorragende Ge- setzentwurf, den die Bundesregierung in den Bundestag eingebracht hat. Sie ist mit diesem Gesetzentwurf der na- tionalen verfassungsrechtlichen Verpflichtung des Grund- gesetzes, aber auch der Verpflichtung aus dem Europa- recht nachgekommen, eine wirkungsvolle und aktive Gleichstellungspolitik voranzutreiben. Dafür danke ich der Ministerin Christine Bergmann ausdrücklich. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Petra Bläss 18810 (C) (D) (A) (B) Der zweite Schritt waren die beispielhaften parlamen- tarischen Beratungen. Über alle Fraktionsgrenzen hinweg haben wir um das bestmögliche Gleichstellungsgesetz für die Bundesverwaltung gerungen. (Ina Lenke [FDP]: Ja, wir haben gerungen!) Im April haben wir eine an der Sache orientierte Debatte geführt. Ebenso sachlich war die Beratung im Ausschuss. (Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Es wäre noch schlimmer geworden, wenn wir nicht Ände- rungsanträge gestellt hätten!) Wir haben dort den überarbeiteten Gesetzentwurf ein- stimmig verabschiedet. Hierfür möchte ich mich nochmals bei der Opposition bedanken. Ich hätte mir heute eine Fortsetzung im Plenum gewünscht, Frau Lenke. Wir hätten eine gute Chance gehabt, in Sachen Gleichstellung gemeinsam voranzugehen. Wir beraten heute ebenfalls unseren Entschließungsan- trag, der ein Gleichstellungsgesetz für Frauen und Män- ner fordert, die im Bereich der Bundeswehr Dienst tun. Bekanntlich leisten seit dem 1. Januar Frauen freiwillig Dienst in der Bundeswehr. Seitdem stehen ihnen auch dort die unterschiedlichsten Laufbahnen offen. Deshalb ist es nur konsequent, dass auch sie von einem Gleichstellungs- gesetz profitieren. Ich bitte Sie, meine Herren und Damen von der Opposition, auch diesem Antrag zuzustimmen. Mit unserem Gleichstellungsdurchsetzungsgesetz wird der öffentliche Dienst eindeutig zum Vorreiter in Sachen Gleichstellung. Die private Wirtschaft muss in der Tat erst noch unter Beweis stellen, dass sie genauso auf der Höhe der Zeit ist. Die im Juli getroffene Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Spitzenverbänden der deut- schen Wirtschaft zur Förderung der Chancengleichheit von Frauen und Männern in der Privatwirtschaft ist dafür meiner Ansicht nach eine gute Voraussetzung. Die Han- delnden in der Privatwirtschaft wissen: Es liegt in ihrem ureigensten ökonomischen Interesse, die Begabungen und Qualifikationen von Frauen zu nutzen. Liebe Kollegen und Kolleginnen, am heutigen Tag setzt ausgerechnet der öffentliche Dienst einen Meilen- stein in Sachen Gleichstellungspolitik – der öffentliche Dienst, der so häufig als strukturkonservativ, kaum refor- mierbar und schwerfällig bezeichnet wird. Er wird jetzt moderner und erfolgsorientierter als die private Wirt- schaft. Darauf können wir mit Recht stolz sein. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die private Wirtschaft dies lange auf sich sitzen lassen wird. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Ich bin sicher, unser gutes Beispiel wird Schule machen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS) Vizepräsidentin Anke Fuchs: Ich erteile nun das Wort der Kollegin Renate Diemers, CDU/CSU-Fraktion. Renate Diemers (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Nur das Atmen ist er- laubt.“ Diese Zeitungsüberschrift aus der „Welt“ be- schreibt in der kürzesten denkbaren Fassung die Rolle der Frauen im heutigen Afghanistan. Angesichts des men- schenunwürdigen Verhaltens gegen Frauen in vielen Tei- len der Welt und, uns aktuell bewusst, in Afghanistan verblassen unsere Gleichberechtigungsprobleme. Die Si- tuation der absolut rechtlosen Frauen wird zwar mit ehr- licher Betroffenheit zur Kenntnis genommen; der interna- tionale Aufschrei fehlt jedoch. Gesellschaftliche und religiöse Gründe seien die Ursa- che, heißt es. Dies wurde bisher auch so hingenommen. Es trifft zwar zu, dass die Rolle der Frauen in Afgha- nistan gesellschaftlich und religiös begründbar ist. Aber das eigentliche Problem ist – wir wollen es doch beim Na- men nennen – die Macht, die Machtfrage zwischen Män- nern und Frauen. Alles andere klingt vorgeschoben und ist nicht hauptursächlich. Diese Machtfrage zieht sich durch alle Gesellschaften und ist in allen so genannten Ent- wicklungsstadien zu finden, leider auch noch bei uns. Ich vergleiche damit nicht in unzulässiger Weise un- sere Situation mit der Lage der Frauen in Afghanistan. De- ren Elend hat eine ganz andere Dimension als unsere Pro- bleme. Ich möchte deutlich machen, dass wir einerseits hier in Deutschland für die Rechte der Frauen in anderen Ländern, aber andererseits auch weiterhin für unsere ei- genen Rechte kämpfen sollten und müssen. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir brauchen weder in den anderen Ländern noch bei uns almosenhafte Verbesserungen. Wir brauchen und fordern die vollständige gleichberechtigte Teilhabe der Frauen auf allen gesellschaftlichen Ebenen, die wir, wie gesagt, auch hier in Deutschland noch lange nicht erreicht haben. In der Vergangenheit hat es bei uns viele Initiativen für Frauen gegeben. Eine der besten war die Einführung der Frauenfördergesetze für den öffentlichen Dienst des Bundes. (Christel Humme [SPD]: Das stimmt, weil es sonst keine gab!) Frau Ministerin, ohne diese Frauenfördergesetze wären wir noch viel weiter von einer wirklichen Gleichberech- tigung entfernt. (Beifall bei der CDU/CSU) Natürlich sind die Erfolge bescheiden. Die Zahlen des Berichtes über die Frauenförderung des Bundes von 1995 bis 1998 könnten in der Tat viel besser sein. Aber wir Frauen sollten uns die – wenn auch kleinen – Erfolge nicht künstlich kleinreden lassen. Wir profitieren heute von den Erfahrungen unserer ers- ten Fördergesetze. Aus diesem Grund unterstützen wir als Union die notwendige Fortschreibung und Ergänzung un- serer Ideen. Das heute zu verabschiedende Gesetz zur Durchsetzung der Gleichstellung von Frauen und Män- nern in Bundesverwaltung und Gerichten des Bundes baut Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Christel Humme 18811 (C) (D) (A) (B) auf den Erfahrungen auf, die wir in den letzten zehn Jah- ren gesammelt haben. Die Frauenförderung wird mit dem neuen Gesetz weiterentwickelt, (Maria Eichhorn [CDU/CSU]: So ist es!) der Geltungsbereich des Gesetzes etwas ausgeweitet, die Kompetenzen der Gleichstellungsbeauftragten werden genau definiert und ausgedehnt. Wir können heute dem Gesetz zustimmen, obwohl wir von der CDU/CSU in einzelnen Fragen Bedenken hatten und noch haben, uns eine weniger dirigistische Lösung wünschten und zum Beispiel auf ein Klagerecht gerne verzichtet hätten. Wir stimmen heute zu, da wir in der grundsätzlichen Frage der Frauenförderung dasselbe Ziel anstreben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wichtig ist für uns, dass mit der Umsetzung des Geset- zes Folgendes erreicht wird: erstens eine größere gesell- schaftliche Akzeptanz von Frauen in der Arbeitswelt und in Führungspositionen, zweitens eine wachsende Selbst- verständlichkeit im Hinblick auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf bzw. Erwerbstätigkeit – dieser Punkt gilt gleichermaßen für Mütter und Väter – und drittens eine Vorbildfunktion für Unternehmen in der Privatwirt- schaft. Der öffentliche Dienst lebt seit jeher mit dem Vorur- teil, nicht so flexibel zu sein wie die freie Wirtschaft; die Strukturen seien verkrustet und allgemeine Neuerungen, gerade im Hinblick auf moderne Arbeitsorganisation, kä- men in der öffentlichen Verwaltung erst mit großer Zeit- verzögerung an. Positiv kann ich heute bewerten, dass sich die Verwaltung des Deutschen Bundestages inzwi- schen modern und aufgeschlossen zeigt. Vor kurzem wurde eine Vereinbarung zur Einführung der alternieren- den Telearbeit unterzeichnet und die Einführung der Gleitzeit steht, so hoffe ich, unmittelbar bevor. Wenn wir in der öffentlichen Verwaltung die gesteckten Ziele für die Frauen auch nur annähernd erreichen, wird vom öffent- lichen Dienst ein wichtiges Signal für die übrigen Wirt- schaftsunternehmen in Deutschland ausgehen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, zurzeit wird einer- seits in vielen Verwaltungen und Unternehmen über eine neue Personalpolitik und Flexibilisierung von Arbeits- organisation diskutiert. Es scheint eine nahezu unbe- grenzte Kreativität ausgebrochen zu sein, um zu demons- trieren, was für Frauen alles gemacht wird. Andererseits wird geschickt suggeriert, es gäbe nicht genügend quali- fizierte Frauen. Das ist übrigens das alte Totschlagar- gument gegen die Quote. Aber wer, wenn nicht wir Frauen im Bundestag, weiß, dass dieses Argument nur ein Scheinargument ist, das zudem nicht wahrer wird, je älter es wird und je öfter es aus der Mottenkiste hervorgeholt wird. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Selbstverständlich sollen nur geeignete Menschen Füh- rungspositionen einnehmen. Aber warum ist der Hinweis auf eine notwendige Qualifizierung immer nur im Zu- sammenhang mit Frauen zu finden? (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN) Es stört mich auch gewaltig, dass im Zusammenhang mit Frauenförderung und Gleichstellung immer im selben Atemzug neue Forderungen an den Staat gestellt werden. Es gilt das Motto: Jeder will die Frauen fördern, aber nur dann, wenn der Staat dieses und jenes regelt und alle Un- wegsamkeiten aus dem Wege räumt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Mit diesen Forderungen wird eines ganz deutlich: Die Philosophie großer Teile der Wirtschaft und der öffent- lichen Verwaltung gleichermaßen basiert nicht auf Ver- einbarkeit von Erwerbstätigkeit und Familie, sondern es werden in erster Linie diejenigen Frauen gefördert, deren Familie dabei nicht stört. Die Arbeitgeber und Führungskräfte unterliegen einem großen Irrtum, wenn sie erwarten, dass eine ausgeweitete Kinderbetreuung und Ganztagsschulen, also öffent- liche Aufgaben, so wichtig sie sind – dafür kämpfen wir auch –, die Probleme alleine lösen könnten. Vereinbarkeit von Beruf und Familie heißt eben nicht, dass Frauen und Männer mit Familienaufgaben zwei vollkommen ge- trennte Leben führen. Selbst wenn die außerhäusliche Versorgung des Kindes sichergestellt ist, also ausreichende Versorgung mit Kin- dergartenplätzen und Ganztagsschulen vorhanden wäre, gibt es weiterhin gewisse Unwägbarkeiten: Krankheiten, Betriebsausflüge, Fortbildungen, Schul- und Prüfungs- stress oder auch ganz alltägliche Hausaufgaben, Impf- termine und kurzfristiger Schulstundenausfall lassen ei- nen gewissenhaft geplanten Arbeitstag ganz schnell platzen. Die Umgebung der Betroffenen – die Vorgesetz- ten und Arbeitskollegen und -kolleginnen – reagiert mit Unwillen, mit Unverständnis und vor allem mit dem Vorwurf der Überforderung. Hier müssen wir ansetzen und weitere Maßnahmen für eine familienfreundliche Arbeitswelt anregen. Wir müs- sen dafür sorgen, dass auch in den Köpfen der Menschen eine Änderung eintritt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP) Gegen Sturheit und antiquierte Ansichten über das Rol- lenverständnis gibt es leider kein Klagerecht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch die Bundes- wehr sollte von der Anwendung eines Gleichstellungs- gesetzes nicht ausgenommen werden. Nach der Öffnung der Bundeswehr für die Frauen ist es also folgerichtig, auch hier ein entsprechendes Gleichstellungsgesetz zu erarbeiten. Daher unterstützen wir den von der Regie- rungskoalition vorgelegten Entschließungsantrag und er- warten nun von Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Regierungskoalition, einen vernünftigen Gesetz- entwurf. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Renate Diemers 18812 (C) (D) (A) (B) Mir ist gerade von einer Sitzung des Frauenrates be- richtet worden, dass es in vielen Gremien des Bundes keine Frauen gebe. Ich denke, Frau Ministerin, es ist mög- lich, dass wir recht bald einen entsprechenden Bericht vorgelegt bekommen, in dem steht, ob es in der Tat frau- enlose Bundesgremien bei uns in Deutschland gibt, so- dass wir dann weiter darüber diskutieren können. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Vizepräsidentin Petra Bläss: Die letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin Renate Gradistanac für die SPD-Fraktion. Renate Gradistanac (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung hat mit ihrem Programm „Frau und Beruf – Aufbruch in der Gleichstellungspolitik“ ein anspruchsvolles Arbeits- programm für diese Legislaturperiode vorgelegt. Dazu gehört ein effektives Bundesgleichstellungsgesetz, das wir mit dem Gleichstellungsdurchsetzungsgesetz heute in zweiter und dritter Lesung verabschieden werden. Das bisherige Frauenfördergesetz wird aufgehoben, da es nicht die erhoffte Wirkung erzielt hat, wie im Vierten Bericht der Bundesregierung über die Förderung von Frauen im Bundesdienst aufgeführt wird. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der neue Ansatz, der durch Begriffe wie „Gleichstel- lung“, „Gleichstellungsplan“ und „Gleichstellungsbeauf- tragte“ geprägt ist, zeigt die neue Philosophie dieses Gesetzes, nämlich die Gleichstellung von Frauen und Männern als durchgängiges Handlungs- und Leitprinzip zu berücksichtigen, (Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Wo ist denn da etwas Neues?) so genanntes Gender Mainstreaming. (Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Steht das da drin?) – Lieber Gott, Sie sollten die Gesetze vorher durchlesen, wenn Sie darüber sprechen! Das ist ja unglaublich. (Beifall bei der SPD) Damit ist das Prinzip der Gleichbehandlung überholt, das problematisch ist, weil daraus abgeleitet wird, dass Frauen wie Männer zu behandeln sind, die Norm also der Mann ist. Kursangebote wie zum Beispiel „Wie entwickle ich einen Killerinstinkt?“, (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Hilfe!) „Wie gehe ich mit dem Büro-Casanova um?“ oder „Wie verschaffe ich mir Gehör bei Besprechungen?“ zielen da- rauf ab, Frauen zu helfen, die so genannten besseren Män- ner zu werden. Es wird von der Vorstellung ausgegangen, dass Frauen Defizite haben. An den in erster Linie für die Benachtei- ligung von Frauen verantwortlichen kulturellen und orga- nisatorischen Strukturen wurde nicht gerührt. Wie heißt es in unserem SPD-Grundsatzprogramm so zutreffend: „Wer die menschliche Gesellschaft will, muss die männliche Gesellschaft überwinden.“ Ist das nicht herrlich? (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Eckart von Klaeden [CDU/ CSU]: Herr Schmidt klatscht ganz verkrampft fürs Protokoll!) Beim Gender Mainstreaming geht es also darum, dass Frauen und Männer in ihrer ganzen Vielfalt ihren Platz finden und ihr gesamtes Potenzial an Fähigkeiten entfal- ten können, zum Beispiel Fähigkeiten in der Kommuni- kation, zur Teamarbeit und Konsensbereitschaft. Das heutige Gesetz findet seine Anwendung in der Bundes- verwaltung, an den Gerichten des Bundes, in der Bundes- verwaltung in Privatrechtsform und soll – das freut mich ganz besonders – auf Soldatinnen und Soldaten erweitert werden. Damit – das klang heute schon mehrfach an – wird der Bund seiner Verantwortung und seiner Vorbild- funktion gerecht, die sich auch in gesetzlich festgeschrie- bener Verwendung geschlechtspezifischer Sprache in Rechts- und Verwaltungsvorschriften ausdrückt – end- lich! Ich wünsche mir, dass dieses gute zukunftsgerichtete Gesetz die Unterstützung in unserer Gesellschaft erhält, die es benötigt, um durchgreifende Veränderungen zu be- wirken. Das Gleichstellungsdurchsetzungsgesetz entspricht im Übrigen dem Verfassungsauftrag unseres Grundgesetzes, den Vorgaben des EG-Vertrages sowie völkerrechtlichen Verpflichtungen. Ich erinnere an Art. 11 des Übereinkom- mens zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau, CEDAW, von dem heute schon die Rede war. Das Frauenrechtsübereinkommen von 1979 ist das erste umfassende internationale Instrument zum Abbau ge- schlechtsspezifischer Diskriminierung. Ich erinnere an die Ächtung der Genitalverstümmelung von Frauen. Bis- lang fehlten aber wirksame Kontrollmechanismen zur Einhaltung durch die Vertragsstaaten. Ich freue mich, dass nun die Ratifizierung des CEDAW-Zusatzprotokolls an- steht. Die Bundesregierung stärkt die nationalen Frauen- rechte durch die Möglichkeit der Individualbeschwerde- und Untersuchungsverfahren vor dem UN-Frauenaus- schuss. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS) Ich freue mich darüber, weil ich meine, dass dies ein Aus- druck einer gereiften Demokratie ist. Wünschenswert wäre die internationale Einigkeit, dass, unabhängig von Kultur und Religion, die Missach- tung der Rechte der Frauen – ich denke beispielhaft an die afghanischen Frauen – deutlicher als Menschenrechtsver- letzungen geächtet wird als bisher. Ich danke Ihnen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 18813 (C) (D) (A) (B) (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS) Vizepräsidentin Petra Bläss: Ich schließe die Aus- sprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurf eines Gleichstel- lungsdurchsetzungsgesetzes. Es handelt sich um die Drucksachen 14/5679 und 14/6898. Der Ausschuss für Fa- milie, Senioren, Frauen und Jugend empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung, in Kenntnis der Unterrich- tung durch die Bundesregierung den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung bei Enthaltung der FDP-Fraktion angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen Kolleginnen und Kollegen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit bei Enthaltung der FDP-Fraktion angenommen. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Entschlie- ßungsantrag der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/ Die Grünen auf Drucksache 14/7074. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen des ge- samten Hauses angenommen. Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Ju- gend empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/6898, in Kenntnis der Unterrichtung durch die Bundesregierung auf Drucksache 14/5003 eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Be- schlussempfehlung? – Enthaltungen? – Gegenprobe! – Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Interfraktionell ist vereinbart, die heutige Tagesordnung um die Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschus- ses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zu einem Antrag auf Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens zu erweitern und jetzt sofort als Zusatz- punkt 8 aufzurufen. Erhebt sich dagegen Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Deshalb rufe ich jetzt den Zusatzpunkt 8 auf: Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschus- ses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäfts- ordnung zu einem Antrag auf Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens – Drucksache 14/7115 – Wir kommen sofort zur Abstimmung. Der Ausschuss empfiehlt auf Drucksache 14/7115, die Genehmigung zu erteilen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschluss- empfehlung ist einstimmig angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Bosbach, Erwin Marschewski (Recklinghausen), Meinrad Belle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Voraussetzungen für die Durchführung von Onlinewahlen – Drucksache 14/6318 – Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäfts- ordnung Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Kultur und Medien Die Kolleginnen und Kollegen Sylvia Bonitz, Grietje Bettin, Dr. Max Stadler, Angela Marquardt sowie der Par- lamentarische Staatssekretär Fritz Rudolf Körper haben ihre Reden zu Protokoll gegeben1). – Ich sehe keinen Widerspruch im Hause. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 14/6318 an die an der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Offensichtlich sind Sie alle damit einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Jetzt rufe ich die Tagesordnungspunkte 11 a bis 11 c auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Rege- lung von öffentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren und von Unternehmens- übernahmen – Drucksachen 14/7034, 14/7090 – Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hartmut Schauerte, Gunnar Uldall, Wolfgang Börnsen (Bönstrup), weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der CDU/CSU Fairer Wettbewerb und Rechtssicherheit bei Unternehmensübernahmen in Europa – Drucksache 14/3776 – Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Rechtsausschuss Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Vizepräsidentin Petra Bläss 18814 (C) (D) (A) (B) 1) Anlage 2 2) Anlage 3 c) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Rainer Brüderle, Rainer Funke, Hildebrecht Braun (Augsburg), weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der FDP Zur gesetzlichen Regelung von Firmenüber- nahmen – Drucksachen 14/2826, 14/3895 – Die Kolleginnen und Kollegen Nina Hauer, Hartmut Schauerte, Andrea Fischer (Berlin), Rainer Funke, Ursula Lötzer sowie die Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks haben ihre Reden ebenfalls zu Pro- tokoll gegeben2). – Auch hier sehe ich große Begeisterung im Saal. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 14/7034, 14/7090 und 14/3776 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla- gen. – Einverständnis des gesamten Hauses liegt vor. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 sowie den Zu- satzpunkt 6 auf: 12. Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ein- führung von streckenbezogenen Gebühren für die Benutzung von Bundesautobahnen mit schweren Nutzfahrzeugen – Drucksachen 14/7013, 14/7087 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f) Innenausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Tourismus Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst Friedrich (Bayreuth), Hans-Michael Goldmann, Dr. Karlheinz Guttmacher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Keine Abgabenerhöheung durch LKW-Maut – Drucksache 14/7072 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuss Die Kollegen Reinhard Weis (Stendal), Wilhelm Josef Sebastian, Albert Schmidt (Hitzhofen), Horst Friedrich (Bayreuth), Dr. Winfried Wolf sowie die Parlamentari- sche Staatssekretärin Angelika Mertens haben ihre Reden zu Protokoll gegeben1). – Kein Widerspruch im Hause. Deshalb wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 14/7013, 14/7087 und 14/7072 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse interfraktionell vorgeschlagen. – Es gibt keine anderweitigen Vorschläge dazu. Dann sind auch diese Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 13 a und 13 b auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Siebenten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Deutsche Bundesbank – Drucksache 14/6879 – Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die in- tegrierte Finanzdienstleistungsaufsicht – Drucksachen 14/7033, 14/7088 – Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO Wir merken erst jetzt, was wir so alles beschließen, wenn man es auf die Schnelle macht. Die Kolleginnen und Kollegen Jörg-Otto Spiller, Otto Bernhardt, Christine Scheel, Gerhard Schüßler, Dr. Barbara Höll sowie die Parlamentarische Staats- sekretär Dr. Barbara Hendricks haben ihre Reden zu Pro- tokoll gegeben2). – Auch hier kein Widerspruch im Hause. Interfraktionell wird die Überweisung der Gesetzent- würfe auf den Drucksachen 14/6879, 14/7033 und 14/7088 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus- schüsse vorgeschlagen. – Auch hier gibt es keine ander- weitigen Vorschläge. Dann sind die Überweisungen so be- schlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 14 a und 14 b auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Schuldrechtsanpassungsgesetzes – Drucksache 14/6884 – Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss (f) Innenausschuss Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Evelyn Kenzler, Dr. Ruth Fuchs, Ulla Jelpke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS Änderung des Schuldrechtsanpassungsgesetzes – Drucksache 14/6918 – Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss (f) Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder Die Kolleginnen und Kollegen Hans-Joachim Hacker, Andrea Voßhoff, Hans-Christian Ströbele, Rainer Funke, Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Vizepräsidentin Petra Bläss 18815 (C) (D) (A) (B) 1) Anlage 4 2) Anlage 5 3) Anlage 6 Dr. Evelyn Kenzler sowie der Parlamentarische Staatsse- kretär Dr. Eckhart Pick haben sämtlichst ihre Reden zu Protokoll gegeben3). – Auch hier Freude im ganzen Hause. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 14/6884 und 14/6918 an die in der Ta- gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Es gibt keine anderweitigen Vorschläge. Dann sind auch diese Überweisungen so beschlossen. Ich rufe jetzt – nun wird es wirklich spannend, es wird doch noch geredet – den Tagesordnungspunkt 15 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Heidemarie Ehlert, Dr. Christa Luft, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS Wirksamer Schutz der Bürgerinnen und Bür- ger im Rahmen der Euroumstellung – Drucksache 14/6895 – Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Tourismus Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die PDS sechs Minuten erhalten soll. – Ich höre keinen Wider- spruch. Dann ist das so beschlossen. Allerdings haben die Kolleginnen und Kollegen Jella Teuchner, Norbert Schindler, Kristin Heyne und Gudrun Kopp ihre Reden bereits zu Protokoll gegeben1). (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sehr lo- benswert!) Ich eröffne jetzt die Aussprache und erteile der Kolle- gin Dr. Barbara Höll für die PDS-Fraktion das Wort. (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Dafür hat es früher Klassenkloppe gegeben!) Dr. Barbara Höll (PDS): Nein, ich denke, die Freude steigert sich. Sie wissen doch, dass wir aus Prinzip immer reden möchten, wenn wir den letzten oder fast den letzten Tagesordnungspunkt bestreiten. Auf Wiedersehen, D-Mark! Am 1. Januar 2002 ist es so weit. Dies kann man satirisch besingen, wie derzeit im Mehringhof-Theater zu erleben: Wir kennen uns seit Jahren, der Weg zu dir war weit. Wenn wir zusammen waren, wurd’s eine gute Zeit. Jetzt gibt es leider sehr viele Menschen, die befürchten, dass mit und durch die Umstellung der D-Mark auf den Euro diese gute Zeit getrübt und gestört wird. Ich meine, diese Befürchtungen bestehen leider zu Recht. Es gibt eine akute Angst vor Preiserhöhungen im Zuge der Eu- roumstellung. (Dr. Klaus Grehn [PDS]: Leider wahr!) Nach Umfragen betrifft das etwa 70 Prozent der Bevölke- rung. Auch die Deutsche Bundesbank teilt diese Befürch- tung. Es gibt zwar eine Selbstverpflichtung des deutschen Einzelhandels, in Vorbereitung der Euroumstellung im zweiten Halbjahr keine Preiserhöhungen vorzunehmen. Aber nach Untersuchungen von Verbraucherverbänden steht dies leider nur auf dem Papier und nicht Realität. Das Kölner Institut für angewandte Verbraucherfor- schung e.V. untersuchte in diesem Sommer 1 000 Pro- dukte und stellte eine durchschnittliche Preiserhöhung von 4,4 Prozent fest. Dies erfolgte auf verschiedenen We- gen, unter anderem auch durch die Veränderung der Verpackungsgröße, obwohl das für die Herstellung relativ aufwendig ist und dies letztendlich wieder beim Handel ankommt. Ein spezifisch deutsches Problem sind dabei die so genannten Signalpreise: 9,99 DM oder 8,88 DM. Es stellt sich die Frage, wie diese Signalpreise aufrechterhal- ten werden können, denn durch eine genaue Umrechnung der D-Mark in den Euro lassen sich diese Signalpreise nicht mehr erreichen. Man müsste dabei in größerem Um- fang auf- oder abrunden. Vielleicht wäre die Euroumstel- lung eine Gelegenheit für den Handel, seine antiquierten Vorstellungen aufzugeben, die Menschen ließen sich durch die Signalpreise leichter zum Kauf verführen. Es gibt eine große Unsicherheit, ob nicht viele Pro- dukte nach der Umstellung teurer werden. Ich habe die Bundesregierung im Sommer gefragt, was sie zu unter- nehmen gedenkt, um die Ängste und Befürchtungen der Bevölkerung hinsichtlich der Euroumstellung abzubauen. Die Bundesregierung antwortete mir am 17. September, sie werde in enger Zusammenarbeit mit den Verbraucher- verbänden die Umstellung für den Verbraucher so kosten- günstig und transparent wie möglich gestalten. Die Skep- sis in der Bevölkerung und die Furcht vor verdeckten Preiserhöhungen und einem Wertverfall des Geldes wür- den durch vertrauensbildende Maßnahmen abgebaut. Das klingt fantastisch. Allerdings steht überhaupt nichts da- hinter. Unser Antrag zeigt Ihnen mit zwei Vorschlägen den Weg auf, wie Sie tatsächlich vertrauensbildend tätig wer- den können. Wir haben dabei insbesondere die Befürch- tungen der Verbraucherverbände aufgegriffen. Ich nehme ein Beispiel: Es ist bis heute nicht klar, bis zu wel- cher Höhe die Bürgerinnen und Bürger bei einer Bank oder Sparkasse kostenfrei Geld umtauschen können. Die Commerzbank will einen handelsüblichen Betrag kosten- frei umtauschen und stellt sich dabei eine Summe von 20 DM vor. Von anderen Banken ist überhaupt keine Zahl zu erfahren. Für uns ist ein handelsüblicher Betrag sicher das, was wir im Portemonnaie haben. Das ist bei uns even- tuell etwas mehr als bei jemandem, der ein monatliches Nettoeinkommen von 2 000 DM hat. Es herrscht Unklarheit darüber, was mit dem weiteren Bargeld geschieht. Wenn Sie heute bei der Sparkasse nach einem Startpaket fragen, damit Sie die Euromünzen ken- nen lernen können, so stellen Sie fest, dass pro Bürger nur ein Paket ab 17. Dezember ausgegeben wird. Wenn Sie nach zwei oder drei Paketen fragen: Fehlanzeige. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Vizepräsidentin Petra Bläss 18816 (C) (D) (A) (B) 1) Anlage 7 Ein weiteres Problem: Was ist mit den Menschen ohne eigene Bankverbindung? Sie haben zwar Bargeld, aber keine Bankverbindung. Nebenbei bemerkt: Diese Fälle gibt es, obwohl seit 1995 die Selbstverpflichtung besteht, allen Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit einer Bankverbindung einzuräumen. Diese Selbstverpflichtung wurde von der Kreditwirtschaft nicht eingehalten. Nach Angaben der Bundesanstalt für Arbeit gibt es derzeit etwa 90 000 Empfänger von Arbeitslosengeld oder -hilfe und 70 000 Empfänger von Kindergeld ohne eigene Bankver- bindung. Das heißt, es geht hier nicht nur um ein, zwei oder drei Personen, sondern es geht um eine Vielzahl von Menschen, die nicht die Möglichkeit haben, ihr Konto kos- tenlos umzustellen. Sie sind vielmehr auf den Umtausch von Bargeld angewiesen. Hierzu gibt es bisher keine Aus- sage von der Kreditwirtschaft. Eine andere Frage: Was ist mit den überflüssigen Geld- beständen – ein paar Franken, Lira oder Peseten –, die man vielleicht im März, April oder Juni findet? Dieses Geld können Sie umtauschen, aber nur bei den Landeszentralbanken. Wenn Sie irgendwo auf dem Land wohnen, wo der öffentliche Personennahverkehr schon stark abgebaut worden ist, haben Sie Schwierigkeiten, zu den Öffnungszeiten zu den Landeszentralbanken zu kom- men, um Ihr Restgeld umtauschen zu können. Es ist noch die Frage, ob der Umtausch kostenfrei geschieht oder ob Gebühren erhoben werden. Es ist auch nicht klar, ob ab dem 1. Januar 2002 trotz der gemeinsamen Währung Gebühren erhoben werden, wenn man als Ausländer in Paris oder in irgendeiner an- deren Stadt im Euroraum mit der EC-Karte Geld zieht. Es gibt also noch eine Vielzahl von Problemen. Wir sind der Meinung, die Bundesregierung sollte von sich aus aktiv werden und nicht nur einfach Werbekampagnen initiieren, in denen auf freundliche Art mitgeteilt wird: Der Euro kommt! (Beifall bei der PDS) Wir haben Ihnen vorgeschlagen, beim Bundesfinanz- ministerium eine Hotline einzurichten, damit die Bürge- rinnen und Bürger wenigstens eine Adresse haben, an die sie sich wenden können, wenn ihnen Unregelmäßigkeiten bei der Preisauszeichnung auffallen und sie das Gefühl haben, dass in eklatanter Art und Weise gegen gesetzliche Regelungen verstoßen wird. Dafür fehlt bisher eine Stelle. Wir meinen, dass wir in unserem Antrag sehr konkret auf die Befürchtungen der Bevölkerung eingegangen sind und Ihnen aufgezeigt haben, wie Sie ohne großen Auf- wand und ohne viel Geld handeln könnten. Sie müssen einfach nur aktiv werden. In diesem Sinne werbe ich für unseren Antrag und hoffe, dass wir ihn im Ausschuss zü- gig und erfolgreich behandeln werden. Danke schön. (Beifall bei der PDS) Vizepräsidentin Petra Bläss: Ich schließe die Aus- sprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 14/6895 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Zusatzpunkt 7 a sowie den Zusatzpunkt 7 b auf: a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Hermann Otto Solms, Hildebrecht Braun (Augsburg), Rainer Brüderle, weiteren Abgeord- neten und der Fraktion der FDP eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bewer- tungsgesetzes – Drucksache 14/5345 – Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Be- wertungsgesetzes – Drucksache 14/6718 – Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Die Kolleginnen Nicolette Kressl, Christine Scheel und Dr. Barbara Höll sowie die Kollegen Hans Michelbach und Rainer Funke haben ihre Reden zu Pro- tokoll gegeben.1) – Es herrscht große Begeisterung im ganzen Saale. Interfraktionell wird die Überweisung der Gesetzent- würfe auf den Drucksachen 14/5345 und 14/6718 an die Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 Dr. Barbara Höll 18817 (C) (D) (A) (B) 1) Anlage 8 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 18819 (C) (D) (A) (B) Adam, Ulrich CDU/CSU 11.10.2001 Altmann (Aurich), BÜNDNIS 90/ 11.10.2001 Gila DIE GRÜNEN Bierling, Hans-Dirk CDU/CSU 11.10.2001*** Dr. Blank, CDU/CSU 11.10.2001*** Joseph-Theodor Bühler (Bruchsal), CDU/CSU 11.10.2001** Klaus Eymer (Lübeck), Anke CDU/CSU 11.10.2001 Frankenhauser, CDU/CSU 11.10.2001 Herbert Friedrich (Altenburg), SPD 11.10.2001 Peter Friedrich (Mettmann), SPD 11.10.2001 Lilo Haack (Extertal), SPD 11.10.2001 Karl-Hermann Ibrügger, Lothar SPD 11.10.2001*** Jäger, Renate SPD 11.10.2001* Janssen, Jann-Peter SPD 11.10.2001 Janz, Ilse SPD 11.10.2001 Jelpke, Ulla PDS 11.10.2001 Kolbow, Walter SPD 11.10.2001 Kopp, Gudrun FDP 11.10.2001 Naumann, Kersten PDS 11.10.2001 Nolte, Claudia CDU/CSU 11.10.2001 Ostrowski, Christine PDS 11.10.2001 Dr. Protzner, Bernd CDU/CSU 11.10.2001 Raidel, Hans CDU/CSU 11.10.2001 Rauber, Helmut CDU/CSU 11.10.2001 Simm, Erika SPD 11.10.2001 Dr. Süssmuth, Rita CDU/CSU 11.10.2001 Thiele, Carl-Ludwig FDP 11.10.2001 Dr. Thomae, Dieter FDP 11.10.2001 Dr. Wieczorek, SPD 11.10.2001 Norbert Wolf, Aribert CDU/CSU 11.10.2001 * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung des Europarates ** für die Teilnahme an den Sitzungen der Westeuropäischen Union *** für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung der NATO Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Voraussetzungen für die Durchführung von Onlinewahlen (Tages- ordnungspunkt 10) Sylvia Bonitz (CDU/CSU): Man stelle sich vor, es wäre Wahl und keiner ginge hin. Was im ersten Moment nach einem dramatischen Absinken der Wahlbeteiligung aussieht, könnte in nicht allzu ferner Zukunft auch eine andere Ursache haben: die Teilnahmemöglichkeit an On- linewahlen. In den letzten Jahren hat die Zahl der Internetnutzer weltweit stark zugenommen. Auch bei uns in Deutsch- land nutzen inzwischen über 20 Millionen Deutsche das Internet zur Unterhaltung, zur Kommunikation oder zur Informationsbeschaffung. Immer mehr bundesdeutsche Haushalte sind mit Personalcomputern ausgestattet. Und so gewinnt angesichts einer stetig wachsenden Zahl von Internetnutzern die Möglichkeit der Online- stimmabgabe zunehmend an Bedeutung. Die mittels Internet abgegebene Wählerstimme könnte damit die herkömmliche Stimmabgabe im Wahllokal oder per Briefwahl um ein attraktives, zeitgemäßes Angebot er- gänzen. Innenminister Otto Schily hat zwar bereits Anfang Mai diesen Jahres angekündigt, dass im Jahre 2006 die Bun- destagswahl auch online möglich sein werde. Allerdings schon zwei Wochen später hat er dieses Datum auf das Jahr 2010 nach hinten korrigiert. Es fällt auf, dass neben plakativen Ankündigungen, Deutschland befinde sich auf dem Wege zu Onlinewahlen, konkrete Schritte in diese Richtung bislang nicht erkennbar sind. Gewiss wird im Bundesinnenministerium eifrig an den Vorbereitungen für die Durchführung von Onlinewahlen gearbeitet. Nur er- fahren wir davon nichts. Und so fällt es schwer zu beur- teilen, wie es um die Sache steht. Vor allem interessiert, ob auch die Sicherheit solcher elek- tronisch gestützter Wahlverfahren wirklich gewährleistet entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht werden kann. Dies ist ein ganz entscheidender Punkt. Da- raus resultiert unser Antrag, einen Bericht der Bundesre- gierung zu diesem Thema einzufordern. Schließlich sind uns andere Länder voraus bei diesem Thema. Onlinewah- len als technische Erweiterung des Wahlsystems sind be- reits in einigen europäischen Ländern, aber auch in den USA und in Neuseeland möglich oder zumindest für die nähere Zukunft geplant. Es liegt daher nahe, sich die Er- fahrungen aus anderen Ländern oder Kommunen zunutze zu machen, zumal es inzwischen einige sehr erfolgver- sprechende Vorbilder gibt: So sollen in Stockholm bereits im Jahre 2003 gültige Wahlen und Abstimmungen in einzelnen Stimmbezirken durchgeführt werden. Für das Parlament ist eine solche Onlinewahlmöglichkeit für das Jahr 2005 geplant. Auch die neuseeländische Ministerpräsidentin hat für ihr Land Modellprojekte zum „e-voting“ angekündigt. In den USA wird ebenso verstärkt hierüber nachgedacht, insbesondere auch nach dem Wahldebakel in Florida. In der Tat wurden auch in Deutschland bereits erste Schritte unternommen. So fand im Juli diesen Jahres in Esslingen am Neckar, also in Baden-Württemberg, die erste rechtsverbindliche Internetwahl zu einem öffentli- chen Gremium in Europa statt. Jugendliche hatten die Möglichkeit, auf Signaturenkarten gestützt per Online- wahl ihren Jugend-Gemeinderat zu wählen. Interesse und Zustimmung waren bei den Jugendlichen groß. Das jüngste Beispiel ist die Landratswahl im Landkreis Mar- burg-Biedenkopf im September 2001. 234 Briefwähler hatten sich im Vorfeld für die Stimmabgabe im Netz regis- trieren lassen. Doch ich sage es deutlich, um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Es geht uns bei dem Begriff der Onlinewahl um die Schaffung einer zusätzlichen Mög- lichkeit der Stimmabgabe neben Urnen- und Briefwahl. Von einem vollständigen Ersatz der bisherigen Wahlmög- lichkeiten kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Rede sein. Und was spricht eigentlich dagegen, das Wahlrecht mit der Einführung einer zeitgemäßen, zusätzlichen Stimmabgabemöglichkeit zukunftsgewandt fortzuent- wickeln und zu ergänzen? Schließlich wurde auch die Briefwahl erst einige Jahre nach dem Entstehen der Bun- desrepublik Deutschland zugelassen. Erst seit 1957 dür- fen Wählerstimmen per Briefwahl abgegeben werden. Dabei ist die Briefwahlmöglichkeit seinerzeit vom Bundesverfassungsgericht ausdrücklich nur als Aus- nahme genehmigt worden. Sie sollte auf diejenigen be- schränkt sein, die am Wahltag aus einem gesundheitlichen oder anderen triftigen Grund nicht im Wahllokal erschei- nen können. Aus dieser Ausnahme hat sich allerdings in den letzten Jahren eine stetig gestiegene Zahl von Brief- wählern entwickelt. So betrug der Anteil an Briefwahl- stimmen bei der Bundestagswahl 1998 allein 16 Prozent, in München sogar 25 Prozent, das heißt dort wurde jede vierte Stimme per Briefwahl abgegeben. Was läge also näher, als angesichts einer stetig wach- senden Zahl von Internetnutzern demnächst auch die Möglichkeit der Stimmabgabe mittels dieses elektroni- schen Mediums zuzulassen? Sie wäre in vielen Fällen be- quemer, da eine sonst erforderliche Anforderung von Briefwahlunterlagen entfällt. Um aber den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts gerecht zu werden, gilt wei- terhin der Grundsatz, dass der Wähler sein Kreuz in der Wahlkabine zu machen hat. Wenngleich dieser Grund- satz zunehmend unterlaufen wird, so bleibt doch festzu- halten: Eine komplette Wahl im Internet widerspräche wohl auch unserer Wahlkultur. Einige kritisieren gar, eine Stimmabgabe per Mausklick tangiere die „Würde“ des Wahlaktes. Ich gebe zu, es gibt bei einigen die Hoffnung, auf dem Wege der Onlinewahl der zunehmenden Wahlmüdigkeit begegnen zu können. Immer wieder haben uns in letzter Zeit „Negativrekorde“ im Hinblick auf geringe Wahlbe- teiligungen aufgeschreckt. So betrug bei den niedersäch- sischen Kommunalwahlen die Wahlbeteiligung nur noch enttäuschende 56,2 Prozent. Doch ich warne davor, in On- linewahlen ein Allheilmittel gegen diesen Trend zu sehen. Vielleicht mag tatsächlich der eine oder andere auf elek- tronischem Wege eher motiviert sein, seine Stimme abzu- geben. Gerade wenn es draußen regnet und stürmt, mag der Weg ins Wahllokal als beschwerlich angesehen wer- den, sodass manche Stimmabgabe unterbleibt. Doch eine geringe Wahlbeteiligung hat letztlich an- dere, tiefer gehende Ursachen. Ein liebestoll herumplan- schender Verteidigungsminister, der gern völlig desinfor- miert in TV-Morgenmagazinen herumplaudert, sei hier nur als ein Beispiel wenig hilfreicher Art angeführt: An- gesichts solcher „Politikerverdrossenheit“ kann ich schon verstehen, wenn die Würde des Wahlaktes von einigen als Bürde empfunden wird. Doch zurück zu unserem Unionsantrag, der Ihnen heute zur Debatte vorliegt. CDU und CSU wollen die bis- herigen Stimmabgabemöglichkeiten um eine moderne, zukunftsgerichtete Abstimmungstechnik ergänzen, zumal diese insbesondere auch die jüngeren Menschen in unse- rem Lande, anspricht. Uns ist klar, dass Onlinewahlen kein Allheilmittel gegen Wahlmüdigkeit und Politikver- drossenheit sind. Sie sind aber als ergänzendes Angebot ein wichtiger Schritt hin zu zeitgemäßeren Abstimmungs- verfahren. Auch ältere und gesundheitlich beeinträchtigte Menschen können davon profitieren. Wer nicht mehr so mobil ist, dem kann die elektronische Stimmabgabe eine echte Erleichterung sein. Denn auch bei diesem Perso- nenkreis stößt das Internet zunehmend auf Interesse. Was wir hingegen nicht wollen, ist die schleichende Einführung von Volksabstimmungen über den elektroni- schen Umweg. Onlinewahlen sind eine dritte, ergänzende Möglichkeit der Stimmabgabe neben Urnenwahl und Briefwahl. Von vielen wird diese technische Erweiterung der Stimmabgabemöglichkeit zwar gerne mit dem Thema Volksentscheid verknüpft. Für uns sind dies allerdings zwei Paar verschiedene Schuhe. Wir wollen den Wähle- rinnen und Wählern lediglich eine andere, für PC-Nutzer naheliegende Form der Stimmabgabe anbieten. Um hier bei der Realisierung voranzukommen, fordern wir die Bundesregierung auf, einen Bericht über die ge- setzlichen, sicherheitstechnischen und verwaltungsrele- vanten Erfordernisse an Onlinewahlen sowie die Maß- nahmen zu ihrer Realisierung vorzulegen. Gleichzeitig wird die Bundesregierung aufgefordert darzulegen, unter Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 200118820 (C) (D) (A) (B) welcher zeitlichen Perspektive und mit welchem techni- schen, personellen sowie finanziellen Aufwand erste On- linewahlen auf den unterschiedlichen Ebenen durchge- führt werden können. Die Bundesregierung soll geeignete Projekte zur Erprobung von Onlinewahlen entwickeln und dabei die Erfahrungen aus anderen Ländern oder anderen gesell- schaftlichen Bereichen heranziehen. Eine ganz entschei- dende Voraussetzung kommt dabei der Entwicklung eines sicheren und manipulationsfreien Wahlsystems zu, um die Vertraulichkeit der Wahlentscheidung zu gewährleisten. Das Vertrauen der Bürger in die Sicherheit einer solchen Wahlalternative ist schließlich die Grundvoraussetzung für ihre allgemeine Akzeptanz. Onlinewahlen können letztlich nur durchgeführt wer- den, wenn die Anforderungen des Art. 38 GG an allge- meine, unmittelbare, freie, gleiche und geheime Wahlen erfüllt sind. So muss die eindeutige Feststellung der Wahlberechtigung und die dauerhafte Geheimhaltung der abgegebenen Wahlentscheidung und die gebotene Ein- maligkeit der Stimmabgabe und Stimmzählung gewähr- leistet sein. Vor allem aber muss der gesamte Wahlvor- gang sicher vor Manipulationen, wie sie beispielsweise durch Hackerangriffe denkbar sind, geschützt werden und eine Nachprüfbarkeit der Wahlergebnisse möglich sein. Die Bundesregierung soll diese Bedingungen in Mo- dellprojekten erarbeiten, testen und letztlich die Funktio- nalität sicherstellen. Ist all dies gewährleistet, so wird auch die Bevölkerung das Angebot von Onlinewahlen ge- wiss annehmen. CDU und CSU werden die Anstrengungen der Bun- desregierung zur Ermöglichung von Onlinewahlen in diesem Sinne wohlwollend-kritisch begleiten, um die zu- kunftsgewandte Option einer zusätzlichen Onlinestimm- abgabemöglichkeit zügig einzuführen. Allerdings kann dieses nur geschehen, wenn die nötigen Sicherheitsanfor- derungen eingehalten werden und auch die weiteren Vo- raussetzungen geschaffen sind. Deswegen fordern wir die Bundesregierung auf, einen entsprechenden Bericht vorzulegen. Erst muss die Bun- desregierung ihre Hausaufgaben erledigen. Dann können wir hoffentlich auch bald per Mausklick wählen. In die- sem Sinne schließe ich: Heute Schily, morgen scharf, starke Sprüche nach Bedarf. Doch bis zum Online-Wähler- glück, fehlt ihm noch ein ganzes Stück. Grietje Bettin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): „Wir leben im Internetzeitalter, aber wir wählen mit Lochkar- ten-Technologie, die so alt ist wie das Radio.“ Dies sagte der ehemalige Cisco-Chef John Chambers anlässlich des Wahldebakels in Florida während der ver- gangenen amerikanischen Präsidentenwahl. Wie ist die Situation bei uns in Deutschland? Loch- karten gibt es meines Wissens zwar nicht mehr, aller- dings wählen auch wir noch traditionell in der Wahlka- bine oder per Briefwahl. „Bis die Wahlberechtigten ihre Stimme von zu Haus aus über das Internet abgeben kön- nen, wird es noch eine Weile dauern“, sagte Bundesin- nenminister Otto Schily kürzlich auf einer Konferenz. Erst müsse noch eine zuverlässige Technik entwickelt werden, die eine sichere und anonyme Stimmübermitt- lung ermögliche. Genau an diesem Punkt müssen wir ansetzen: Rot- Grün ist sich vollkommen im Klaren darüber, dass On- linewahlen zukünftig ein wichtiges Mitbestimmungsin- strument sein müssen und auch sein werden. Allerdings darf man bei der Durchsetzung neuer Formen von elek- tronischer Mitbestimmung – zu denen nach Ansicht von Bündnis 90/Die Grünen unter anderem auch Volksab- stimmungen und Petitionen zählen – nicht mit dem Kopf durch die Wand. Geeignete Verfahren müssen erst gründ- lich erprobt und evaluiert werden – und hier sind wir in Deutschland mit Unterstützung der Bundesregierung auf einem guten Weg. Es gibt bereits mehrere vorzeigbare Pilotprojekte im gesamten Bundesgebiet: So schrieben vor kurzem 234 Briefwählern in Marburg ein Stück Internetge- schichte, indem sie als erste Netzwähler überhaupt bei ei- ner Landratswahl ihre Stimme online abgeben durften. Ähnliche Wahlen wurden bereits unter anderem für das Studentenparlament in Osnabrück und für den Jugendge- meinderat in Esslingen erfolgreich durchgeführt. Weitere Projekte – wie die Onlinewahl zu einem Europäischen Studentenrat oder zu der Seniorenvertretung der Stadt Köln folgen in nächster Zeit. Gerade die wachsende Zahl von Briefwählerinnen und Briefwählern würde sicherlich von der zusätzlichen Mög- lichkeit durch Onlinewahlen profitieren. Doch darf man bei aller Euphorie über die Möglichkeiten auch die immer noch vorhandenen Schwierigkeiten nicht vergessen: ins- besondere den Datenschutz, die Identitätsüberprüfung und die Unverfälschlichkeit der Stimmabgabe. Die technische Umsetzung stellt dabei sicherlich kein Hindernis dar. Aber es sind nicht nur Sicherheitspro- bleme, die Onlinewahlen schwierig machen, sondern es kommt auch auf die Zuverlässigkeit der Netze an. Bei ei- ner Vielzahl von benötigten Clients und Servern ist diese Sorge sicherlich nicht unbegründet – darf aber nicht als Totschlagargument benutzt werden. Doch nicht nur die technische Funktionsfähigkeit von Onlinewahlen muss gewährleistet sein, sondern auch die breite Aufklärung der Bürgerinnen und Bürger über das elektronische Wahlverfahren, um für die nötige Akzeptanz in der Bevölkerung zu sorgen. Die rechtli- chen Grundlagen sind für Onlinewahlen ebenfalls noch nicht geschaffen. Kommunalwahlgesetze, aber auch die Wahlgesetze auf Landes-, Bundes- und Europaebene, lassen ein E-Voting noch nicht zu. Hier sind unter sorgfältiger juristischer Prüfung entsprechende An- passungen notwendig, die nach und nach zu erfolgen haben. Langfristiges Ziel muss es sein, Kommunalwahlen, aber auch Landtags- und Bundestagswahlen über das Netz abzuwickeln. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 18821 (C) (D) (A) (B) Dies ist sicherlich auch ein sehr sinnvoller Ansatz, Wahl- und Politikverdrossenheit – gerade auch bei jungen Menschen – entgegenzutreten. Die Bundesregierung ist mit ihrem Schritt-für-Schritt- Programm sicherlich auf einem guten Weg. Wir begrüßen ausdrücklich, dass bereits zur nächsten Bundestagswahl die Wahllokale so miteinander vernetzt sein sollen, dass alle Bürgerinnen und Bürger in einem beliebigen Wahl- lokal ihre Stimme abgeben können. Als nächsten Schritt sollen die Bürgerinnen und Bürger sich dann in den Wahl- lokalen an die elektronische Stimmabgabe per PC ge- wöhnen. Diese sollte dann in nicht allzu ferner Zukunft auch, aber nicht nur ausschließlich, vom heimischen PC aus erfolgen. Doch Onlinewahlen sind sicherlich kein Allheilmittel gegen Wahlmüdigkeit. Es kommt darauf an, die neuen technischen Möglichkeiten insgesamt für mehr Transpa- renz, Information und Mitbestimmung zu nutzen. Hierin liegt vor allem eine politische Herausforderung, nämlich diese Offenheit und Partizipation wirklich zu wollen. Die Technik steht uns im Prinzip jetzt schon zur Verfügung. Helfen Sie alle mit, diese Herausforderung anzu- nehmen. Max Stadler (FDP): In wenigen Jahren wird die Onlinestimmabgabe bei Wahlen eine Selbstverständlich- keit sein. Die FDP unterstützt daher alle Bemühungen, rechtzeitig die hierfür notwendigen rechtlichen Rahmen- bedingungen zu schaffen. Das Internet hat schon jetzt die Möglichkeiten der Menschen, sich Informationen zu verschaffen, gigantisch ausgeweitet. Zugleich bietet es die Chance, sich mit anderen Internetnutzern auszutauschen. Es ist somit ein Medium für einen intensiven politischen Diskurs. Die FDP nutzt diese neuen technischen Möglichkeiten und bietet beispielsweise Interessenten an, über das Internet an der Diskussion für das Wahlprogramm 2002 mitzu- wirken. Die wichtigste Form der politischen Mitwirkung ist die Ausübung des Wahlrechts. Auch dies lässt sich über das Internet machen. Selbstverständlich muss das Wahlgeheimnis gewahrt werden, der Wahlvorgang vor Manipulation gesichert werden und Vorsorge getroffen werden, dass eine Stimme nur einmal abgegeben wird. Diese Probleme sind lösbar. Die Einführung der digitalen Signatur ist dabei ein wichtiger Zwischen- schritt. Wenn im Antrag der Union aufgeführt wird, dass bei Onlinestimmabgabe die Wahlergebnisse schneller verfüg- bar sein werden, so mag mancher dies im Rückblick auf die früheren spannenden Wahlabende bedauern. Man er- innert sich daran, wie sich die Spannung mit der fort- schreitenden Auszählung der Wahlergebnisse früher am Wahlabend erst so richtig aufgebaut hat. Heute ist häufig schon mit Bekanntgabe der ersten Prognose um 18.00 Uhr fast alles klar. Dennoch: Die Vorteile der Onlinestimmabgabe über- wiegen; vor allem jüngere Menschen werden diese Mög- lichkeit nutzen. Die Onlinestimmabgabe wird eines Tages wahrscheinlich nahezu vollständig an die Stelle der Brief- wahl treten. Diese Entwicklung ist ohnehin unaufhaltsam. Wir sollten sie mit rechtsstaatlichen Rahmenbedingungen gestalten. Angela Marquardt (PDS): Mich hat das Internet im- mer besonders als Mittel der Demokratie, als ein unkon- trollierter, unzensierbarer Raum zum freien Informations- und Kommunikationsaustausch interessiert. In der Tat glaube ich, dass Onlinewahlen für Menschen mit einge- schränkter Mobilität, aber gerade auch für Jugendliche eine Hilfe oder eine zusätzliche Motivation sein könnten, sich an Wahlen zu beteiligen. Ich unterstütze daher den vorlie- genden CDU-Antrag an die Bundesregierung, die rechtli- chen und technischen Voraussetzungen darzustellen. Ich muss aber ganz klar feststellen, dass ich zum ge- genwärtigen Zeitpunkt und für die kommenden Jahre strikt gegen die Durchführung von Onlinewahlen bin. Zurzeit können sie bestenfalls eine angeblich bestehende Sicherheit des Internets suggerieren. Eine Sicherheit, die es gar nicht gibt! Akzeptanz für die Sicherheit des Internets gewinnen wir einzig und allein durch ein wirklich sicheres Internet. Davon sind wir jedoch meilenweit entfernt. Die Bundes- regierung tut derzeit alles dafür, dass wir immer weniger Vertrauen in die Sicherheit unserer Daten haben können. Die geplante Telekommunikationsüberwachungsver- ordnung ist auch nach gründlicher Überarbeitung immer noch ein Freibrief für den Überwachungsstaat. Auch die von der Bundesregierung zumindest mitgetragene Cyber- crime-Konvention wird einschneidende Folgen für den Schutz der persönlichen Daten haben. Es ist doch wohl nicht ernsthaft zu glauben, dass das Vertrauen in das In- ternet wächst, wenn die Nutzer immer weniger davon aus- gehen können, dass ihre Kommunikation wirklich ano- nym ist! Einerseits wird das Netz zu einem durchsichtigen Gebilde und auf der anderen Seite wollen Sie den Leuten erklären, ihre Anonymität wäre hundertprozentig zu ge- währleisten. Genau das aber wäre bei einer Wahl die Vo- raussetzung. Auch hat sich die Regierung in ihren Kryptographie- Eckpunkten von 1999 nicht darauf verständigen können, einer staatlichen Reglementierung starker Verschlüsse- lung ein für alle mal eine Absage zu erteilen. Im Gegen- teil, Sie haben sich ein Türchen offen gehalten und woll- ten darüber im Juni dieses Jahres wieder befinden. Auf den angekündigten Bericht warten wir noch; ich bin ge- spannt. Auch von der versprochenen Förderung starker Kryptographie im Alltag hat man leider bis heute kaum et- was bemerkt. Mich stört an diesem CDU/CSU-Antrag, dass er so tut, als würde das Netz immer sicherer und dass es irgend- wann so sicher sei, dass wir auch Onlinewahlen durch- führen können. Doch die CDU/CSU verwechselt da et- was: Was die CDU/CSU als Sicherheit bezeichnet, ist die Überwachung des Datenverkehrs. Dies jedoch ist das Ge- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 200118822 (C) (D) (A) (B) genteil von der Sicherheit, die wir brauchen, um im Inter- net vertrauliche Wahlen zu veranstalten. Wir brauchen Si- cherheit statt Überwachung. Wie gesagt, Onlinewahlen ja, aber nicht als Feigenblatt eines total kontrollierten Internets. Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär beim Bun- desminister des Innern: Die Bundesregierung hat schon lange erkannt, dass eine der vielen Chancen des Internets darin besteht, demokratische Entscheidungsprozesse zu unterstützen. Seit Ende 1998 verfolgt sie das Thema On- linewahlen als einen Schwerpunkt innerhalb ihrer E-Go- vernment-Aktivitäten. „Wahlen im Internet“ sind Bestandteil des Aktionspro- gramms „Innovation und Arbeitsplätze in der Informati- onsgesellschaft des 21. Jahrhunderts“. Mit einem im Frühjahr 1999 angelaufenen Projekt des Bundesministe- riums für Wirtschaft und Technologie wurden erstmals die technischen Voraussetzungen für eine Wahl über das In- ternet geschaffen. Die Erfahrungen mit solchen Formen der Stimmabgabe hat das Bundesinnenministerium im Herbst letzten Jahres gebündelt und weitere konkrete Ini- tiativen zu Onlinewahlen angeregt, zum Beispiel Perso- nalratswahl, Gremienwahl einer Hochschule. Das BMI koordiniert diese verschiedenen Ansätze und unterstützt – gemeinsam mit der Initiative D 21 – den Transfer der Er- gebnisse in Verwaltung, Politik und Öffentlichkeit. Diese Erfahrungen fließen seither in die Entwicklung eines On- linewahlkonzeptes für politische Wahlen ein. Parallel dazu wurde im Oktober letzten Jahres im Bundesinnen- ministerium die Arbeitsgruppe „Onlinewahlen“ einge- richtet. Als ein erstes Ergebnis der bisherigen Arbeiten hat Bundesinnenminister Otto Schily in seiner Rede am 3. Mai 2001 anlässlich des Kongresses „Internet – eine Chance für die Demokratie?“ die geplanten nächsten Schritte angekündigt. Damit ist klar: Wir sind schon auf dem Weg zu Onlinewahlen – auch ohne Antrag der CDU/CSU-Fraktion. Die Vielzahl von Wahlen auf den verschiedenen politi- schen Ebenen in Deutschland und Europa macht eine er- leichterte Teilnahme daran erstrebenswert. Bei steigender Mobilität und Alterung der Wahlbevölkerung bieten On- linewahlen eine zeitgemäße, attraktive Form der Stimm- abgabe. Das Wahlergebnis ist schneller verfügbar und Aufwand und Kosten für Wahlvorbereitung und -durch- führung können gegebenenfalls gesenkt werden. Dabei können Onlinewahlen die Urnenwahl und Briefwahl nicht ersetzen, vielmehr sollen diese bisherigen Formen der Stimmabgabe um eine zeitgemäße, neue Form ergänzt werden. Auf den ersten Blick scheint die Onlinestimmabgabe ebenso unproblematisch wie die Briefwahl. Doch bei de- mokratischen Wahlen haben wir es nicht mit schlichten Meinungsäußerungen zu tun, die ohne Sicherungsmaß- nahmen über das Netz geschickt werden könnten. Weil die demokratische Legitimation der politischen Wahl an die strikte Einhaltung der verfassungsrechtlichen Wahl- grundsätze gebunden ist, müssen an die Zuverlässigkeit und Effizienz von Onlinewahlverfahren hohe Anforde- rungen gestellt werden. Voraussetzung sind technische Systeme und organisa- torische Abläufe, die Betrug unmöglich machen, zuver- lässig gegen Angriffe und Ausfälle geschützt sind und den hohen Anforderungen an allgemeine, unmittelbare, freie, gleiche und geheime Wahlen gerecht werden. Dabei ist insbesondere die notwendige Kombination von „eindeu- tiger Authentifizierung der einzelnen Wahlberechtigten“ bei gleichzeitiger „Geheimhaltung seiner Wahlentschei- dung“ eine nicht triviale Aufgabe. Diese hohen Anforde- rungen müssen wir gewährleisten, damit die Bürgerinnen und Bürger auch weiterhin der Korrektheit der Wahl ver- trauen können. Bundesinnenminister Otto Schily hat in seiner Rede am 3. Mai dieses Jahres die nächsten Schritte auf dem Weg zu Onlinewahlen konkret benannt. Die Erfahrungen bei Onlinewahlen in kleinerem Rahmen, zum Beispiel Personalratswahl, Gremienwahl einer Hochschule, Seni- orenwahl einer deutschen Großstadt, werden in die Ent- wicklung eines Onlinewahlkonzeptes für politische Wahlen einfließen. Das BMI führt dazu – gemeinsam mit der Initiative D 21 – unter anderem einen weiteren Work- shop noch im Dezember dieses Jahres durch, in dem auch internationale Initiativen, zum Beispiel aus der Schweiz, berücksichtigt werden. Die im Bundesinnenministerium eingerichtete Arbeits- gruppe Onlinewahlen erarbeitet im Dialog zwischen In- formatikern, Juristen und Wahlorganisatoren Anforderun- gen an die Funktionalität und Sicherheit technischer Wahlsysteme, die rechtlichen Rahmenbedingungen für ihre Zulassung sowie die aus dem Einsatz der Technik re- sultierenden Kriterien für die Organisation von Online- wahlen. An dieser Arbeitsgruppe sind die Bundesländer und eine Kommune aktiv beteiligt. Wahlprojekte auf Lan- des- und Kommunalebene fallen zwar nicht in die Zu- ständigkeit des Bundes, aber es findet auf diesem Gebiet mit den Ländern eine vertrauensvolle Zusammenarbeit statt. Erfahrungsaustausch und gegenseitiges Lernen sind somit gewährleistet. Bevor wir die Stimmabgabe vom heimischen PC oder per Handy anvisieren, werden wir die Wahllokale so ver- netzen, dass die Wählerinnen und Wähler nicht mehr nur in dem Wahlbezirk, in dem ihre Wohnung liegt, sondern in jedem beliebigen Wahllokal wählen gehen können. In einer zunehmend mobilen Gesellschaft mit steigendem Briefwähleranteil soll damit auch den am Wahltag ver- reisten Wahlberechtigten der Gang ins Wahllokal ermög- licht werden. Dies trägt zur Vertrauensbildung bei. Das Ziel ist, diese Form des Wählens bei der Bundestagswahl 2006 anzubieten. Technologische Möglichkeiten dürfen kein Sachzwang sein – die Gestaltung von Wahlprozessen ist nach wie vor politische Aufgabe. Erst am Ende eines intensiven Erfah- rungsprozesses können wir verantwortungsvoll darüber entscheiden, ob eine Stimmabgabe via Internet bei politi- schen Wahlen verfassungskonform und technisch sicher verwirklicht werden kann. Darauf arbeiten wir hin, doch nicht mit Geschwindigkeit um jeden Preis, sondern in ei- ner sicheren Gangart. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 18823 (C) (D) (A) (B) Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung – des Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung von öffentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren und von Unternehmensüber- nahmen – des Antrags: Fairer Wettbewerb und Rechts- sicherheit bei Unternehmensübernahmen in Europa – der Großen Anfrage: Zur gesetzlichen Rege- lung von Firmenübernahmen (Tagesordnungspunkt 11 a bis c) Nina Hauer (SPD): Es freut mich, dass heute endlich ein Gesetz zur Beratung vorliegt, das für Deutschland lange überfällig ist. Spätestens seit der spektakulären Übernahme von Mannesmann durch das britische Unter- nehmen Vodafone beschäftigt die Regelung von Unter- nehmensübernahmen auch die Öffentlichkeit. Nicht jeder Übernahmeversuch ist übrigens so spektakulär wie der von Mannesmann durch Vodafone. Die Deutsche Börse AG berichtet von 30 Übernahmeangeboten allein in die- sem Jahr. Diese Zahl zeigt auch, dass freundliche oder feindliche Übernahmen von Unternehmen zum Wirt- schaftsprozess gehören. Übernahmen sind Motor regelmäßiger Neustrukturie- rungen in der Wirtschaft. Unternehmen langsam wach- sender Branchen, die in ihrem Betriebsergebnis unter dem Durchschnitt liegen, sind häufiger von feindlichen Über- nahmen betroffen. Freundliche Übernahmen sind dann häufiger, wenn Unternehmen ihre Chancen in einem dy- namischen Umfeld nicht nutzen. Insgesamt weisen Un- ternehmen, für die Übernahmeangebote abgegeben wer- den, ähnliche Merkmale auf. Dazu gehören eine schlechte Kursentwicklung und eine schlechte Beschäftigungsent- wicklung. Natürlich sind Übernahmen auch dann wirtschaftlich interessant, wenn Wettbewerber damit geschluckt werden sollen. Vor Wettbewerbsverzerrungen durch missbräuch- liche Übernahmen schützt uns eine effektive Kartellauf- sicht. Übernahmen kommen ohnehin aber weitaus öfter dann vor, wenn Unternehmen hinter ihren Möglichkeiten zurückbleiben. Durch Übernahmen entstehen in der Regel Unternehmen, die innovativer und finanzstärker sind und sich am Erfolg orientieren. Und nur dort entstehen sichere Arbeitsplätze. Die SPD-Fraktion unterstützt die Bundesregierung in ihrem Ziel, mit diesem Übernahmegesetz verbindliche Regeln für Unternehmensübernahmen aufzustellen. Ein klares Regelwerk ist auch eine Chance für den Finanz- platz Deutschland, damit nicht die Interessen von Vor- ständen, sondern diejenigen von Aktionären in den Mit- telpunkt rücken. Wir haben Pensionsfonds als Mittel der Alterssicherung eingeführt, weil wir wollen, dass Arbeit- nehmer auch in Deutschland zukünftig zu mitbestimmen- den Aktionären werden. Das Leitbild des Entwurfs sind faire Spielregeln für den Wettbewerb, um den besten Weg für ein Unternehmen im Sinne der Eigentümer, der Aktionäre, zu erreichen. Wirtschaftlich leben wir ebenso in Deutschland wie in Eu- ropa. In diesem europäischen Wettbewerb müssen unsere Unternehmen bestehen können. Dieser Entwurf bietet die Chance, sich dort auf Augenhöhe zu begegnen. Es ist be- dauerlich, dass es noch keine europäische Richtlinie gibt. Es ist aber erfreulich, dass jetzt der Prozess angestoßen wurde, die Unternehmen in Europa in ihrer rechtlichen Ausgangsposition einander anzugleichen. Wir nehmen die Bedenken der Unternehmensverbände ernst, die den Ausverkauf der deutschen Wirtschaft als Horrorbild zeichnen. Die Verpflichtung zur Neutralität im Falle eines Übernahmeangebots liegt uns allerdings sehr am Herzen. Wir wollen die bestmögliche Entwicklung des Unternehmens und die Interessen der Aktionäre wahren. Nicht der Vorstand, sondern Eigentümer und Beschäftigte stehen für uns im Mittelpunkt. Deshalb knüpfen wir an die Möglichkeit des Vorratsbeschlusses für Abwehrmaßnah- men die Dreiviertelmehrheit in der Hauptversammlung und begrenzen deren Gültigkeit auf 18 Monate. Zu einer sinnvollen Regelung von Unternehmensüber- nahmen gehören auch ein zügiges Verfahren für Angebot und Annahme, Sanktionsmöglichkeiten bei Verstößen ge- gen die Regeln und eine wirksame Aufsicht durch das Bundesaufsichtsamt für den Wertpapierhandel. Es ist selbstverständlich, dass der Bieter Aktionäre und Arbeit- nehmer umfassend und zeitnah informieren muss. Wir wollen das Vertrauen in Deutschland auf dem in- ternationalen Finanzmarkt weiter stärken. Ein entwickel- ter Finanzmarkt sichert die Finanzierung von Unterneh- men in unserem Land, schafft Arbeitsplätze und ist Motor für wirtschaftliches Wachstum. Dieser Entwurf ist ein weiterer wichtigerer Schritt zur Modernisierung Deutschlands. Wir möchten nicht zurück in die Vergangenheit und geschlossenen Märkten. Wir wollen offene Märkte mit klaren Regeln und mehr Trans- parenz. Dies schafft wirtschaftliche Dynamik und Be- schäftigung. Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Unternehmens- übernahmen sind Ausdruck freier unternehmerischer Ent- scheidung. In- und ausländische Investoren sind dabei gleichermaßen willkommen. Viele Zusammenschlüsse haben positive Auswirkungen auf die Innovationsfähig- keit der betroffenen Unternehmen und die Wettbewerbs- fähigkeit ihrer Arbeitsplätze und stärken so den Standort Deutschland. Ein verbindlicher gesetzlicher Rahmen für Übernah- men existiert bislang weder auf europäischer Ebene noch im deutschen Recht. In Deutschland gibt es derzeit noch einen freiwilligen Übernahmekodex, den weniger als die Hälfte aller börsennotierten Unternehmen anerkannt ha- ben und der keine Sanktionsmöglichkeiten vorsieht. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat deshalb schon vor nunmehr anderthalb Jahren die Bundesregierung mit Nachdruck aufgefordert, endlich für einen EU-weiten ge- setzlichen Mindeststandard als ordnungspolitischen Rah- men von Unternehmensübernahmen zu sorgen. Das Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 200118824 (C) (D) (A) (B) zusammenwachsende Europa mit dem Ziel eines funktio- nierenden Binnenmarktes und die zunehmende Globali- sierung der Weltwirtschaft machen europaweite Regelun- gen und die Angleichung an internationale Standards notwendig. Da Fusionen und Übernahmen ihrer Natur nach in den allermeisten Fällen grenzüberschreitend statt- finden, sind nationale Alleingänge ungenügend. Wir benötigen ein europäisches Level-Playing-Field. Die Personalabteilungen der Merger & Acquisition- Unternehmen in Deutschland, insbesondere in Frankfurt, aber auch in London, werden derzeit in Erwartung der kommenden Geschäfte deutlich aufgestockt. Deutschland wird zum Jahreswechsel mit der Steuerfreistellung von Kapitalbeteiligungs-Veräußerungen für die international agierende Branche zum weltweit interessantesten M&A- Markt. Der Rechtsrahmen, den es zu finden gilt, muss einen angemessenen Ausgleich der Interessen der Aktionäre der Zielgesellschaft und des Bieters gewährleisten. Er muss die Interessen der Shareholder und Stakeholder auf beiden Seiten angemessen berücksichtigen. Die Interessen der Privatanleger dürfen nicht unter den Tisch fallen, denn ge- rade in Zeiten volatiler Kurse und schwacher Börsen muss das Vertrauen in die Aktie und die Entwicklung einer deutschen Aktienkultur gestärkt werden. Als Ausdruck freier unternehmerischer Entscheidung und als Motor für Innovation und Wettbewerbsfähigkeit des Standortes und Finanzplatzes Deutschland ist ein Mindestmaß gesetzge- berischer Regulierung ordnungspolitisch geboten. Recht- liche Regelungen müssen den betroffenen Unternehmen und den Entscheidungsträgern einen verlässlichen Rah- men geben. Sie dürfen nicht dazu führen, dass Übernah- men zukünftig unnötig erschwert werden. Der rechtliche Rahmen darf nicht zwischen in- und ausländischen Un- ternehmen unterscheiden. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat ihre inhaltli- chen Anforderungen an ein deutsches und europäisches Übernahmerecht im August vergangenen Jahres vorge- stellt, nachdem die Expertenkommission des Kanzlers sich auf zehn Eckpunkte für ein deutsches Übernahme- recht verständigte und der federführende Bundesfinanz- minister seinen darauf aufbauenden Diskussionsentwurf der Öffentlichkeit vorgestellt hatte. Den damaligen Dis- kussionsentwurf aus dem Hause Eichel musste man als ei- nen übereilten Schnellschuss bezeichnen. Aus diesem Grund haben wir im vergangenen Jahr gefordert, diesen Diskussionsentwurf zurückzuziehen und abermals zu überarbeiten. Erfreulicherweise sind unsere damaligen wesentlichen Forderungen größtenteils erfüllt worden. Außerhalb der europarechtlichen Fragen, auf die ich heute nicht eingehen will, hatten wir damals gefordert, von wettbewerbsschädlichen Überregulierungen abzusehen und statt dessen Flexibilität und Praktikabilität zum Maß- stab eines Übernahmegesetzes zu machen, das durch die Sicherstellung eines angemessenen Abwehrpotenzials von Zielgesellschaften gewährleisten muss, dass deutsche Unternehmen nicht benachteiligt werden, weil in anderen europäischen Ländern durch Golden Shares und Mehr- fachstimmrechte ein Level-Playing-Field nicht existiert. Das damals vom Finanzminister geplante verschärfte deutsche Bargebot haben wir abgelehnt, flexible und praktikable Fristen, eine vereinfachte und sinnvolle Preis- findung gefordert und ein generelles Pflichtangebot bei mittelbarem Erwerb abgelehnt. Gerade weil es bei dieser Bundesregierung äußerst sel- ten der Fall war und ist, dass sachlich stichhaltige und sinnvolle Änderungsvorschläge aufgegriffen werden, hat uns die Einsicht des Finanzministeriums gefreut. In dem nun vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung wurden die meisten unserer Vorschläge berücksichtigt. Würde die Bundesregierung öfter auf die Opposition hören, wäre es mit unserer Finanz- und Wirtschaftspolitik sicher besser bestellt. Skandalös ist hingegen das bisherige und aktuelle Vor- gehen der Bundesregierung auf dem Brüsseler Parkett. Das Bild vom Elefanten im Porzellanladen wäre geradezu eine Beschönigung der Vorgänge, die sich seit Frühjahr dieses Jahres im Zusammenhang mit der Europäischen Übernahmerichtlinie ereigneten. Die Bundesregierung hat ihre notwendige, von der Union seit langem geforderte Kurskorrektur hin zu mehr gestalterischen Abwehrmöglichkeiten von Zielgesell- schaften bei feindlichen Übernahmen so spät, so unpro- fessionell und so undiplomatisch in die Beratungen in Brüssel eingeführt, dass die Sache scheitern musste. Ne- ben dem Schaden in der Sache hat die Bundesregierung durch ihre missglückte Verhandlungsführung und den verspäteten Sinneswandel bei der Neutralitätspflicht eine herbe Niederlage auf dem europäischen Parkett – erlitten. Das ungenügende Ergebnis des europäischen Vermitt- lungsverfahrens mit der dort zementierten absoluten Neu- tralitätspflicht, das auch durch die fehlende Kompromiss- bereitschaft des Ministerrats entstand, konnte vom Europäischen Parlament sinnvollerweise nicht akzeptiert werden. So bitter es angesichts der jahrzehntelangen Vor- geschichte der europäischen Übernahmerichtlinie und der Notwendigkeit schneller europäischer Lösungen ist: Es war gut, dass diese Übernahmerichtlinie, die eine ver- nünftige Handhabung der Neutralitätspflicht vermissen ließ, am 4. Juli 2001 unter Führung des EVP-Abgeordne- ten Lehne, MdEP, gescheitert ist. Es galt unter allen Umständen, und gilt noch immer, einheitliche europäische Regelungen für Unternehmens- übernahmen zu finden, denn in kaum einem anderen Feld sind einheitliche EU-weite Bedingungen so wichtig wie im Recht der Unternehmensübernahmen, die naturgemäß vor allem, auch „grenzüberschreitend stattfinden. Nach jahrzehntelangem Bemühen um eine europäische Lösung ist die Chance für ein Level-Playing-Field vorerst ge- scheitert. In den nun anstehenden parlamentarischen Beratungen eines nationalen Übernahme-Gesetzes muss die Möglich- keit vernünftiger und maßvoller HV-Vorratsbeschlüsse gefunden werden, damit die Vorstände von Zielgesell- schaften im Interesse von Aktionären, Arbeitsplätzen und Unternehmen bei drohenden feindlichen Übernahmen vernünftig reagieren können. Dies ist umso dringlicher, weil andere EU-Staaten ihre Unternehmen weiterhin mas- siv mit Golden Shares vor Übernahmen schützen. Erfreu- licherweise ist die Bundesregierung auch hier zur Einsicht gekommen. Im Zusammenwirken mit dem KonTraG –Abschaffung von Höchst- und Mehrfachstimmrechten in Deutschland – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 18825 (C) (D) (A) (B) und der Steuerreform – Freistellung von Beteiligungsver- käufen bei Kapitalgesellschaften ab 1. Januar 2002 – rech- nen wir ab kommendem Jahr mit einem großen Umbau der deutschen Wirtschaft, der in Tempo und Umfang massiver sein wird als alle Veränderungen in der Vergangenheit. Deshalb brauchen wir eine verlässliche gesetzliche Grund- lage in Deutschland bis spätestens Ende dieses Jahres. Es bleibt aber dabei, dass allein europäische Lösungen wirklich brauchbar sind. Nach dem Scheitern des jetzi- gen, in Teilen unvernünftigen Richtlinienentwurfs gilt es, schnell einen neuen Anfang für wirklich brauchbare EU- weite Lösungen in Brüssel zu wagen. Aber was tut die Bundesregierung, die seit der Mannesmann-Vodafone- Übernahme dieses Thema sogar zur Chefsache des Kanz- lers und seines Kanzleramtsministers höchstpersönlich erklärt hat? Statt Boden in Brüssel wieder gutzumachen und dafür zu sorgen – immerhin als größter EU-Mitglied- staat –, dass die Kommission schnell einen akzeptablen, überarbeiteten Richtlinienvorschlag vorlegt, legt sie wie- der einmal ihre Hände in den Schoß. Wir werden abge- speist mit einer Expertenrunde, die unverbindliche Vor- schläge über die mittelfristige Abschaffung von Golden Shares machen soll und dazu noch recht parteilich besetzt ist. Gleichzeitig wissen alle in der Sache Versierten, dass der zuständige Kommissar Frits Bolkestein bereits Ende dieses Jahres, also in wenigen Wochen, eine vermeintlich neue Übernahmerichtlinie vorlegen will, die im Wesentli- chen der zu recht gescheiterten alten Richtlinie entspre- chen wird. Während die gescheiterte Richtlinie zumindest im Hinblick auf die Neutralitätspflicht des Vorstands eine Umsetzungsfrist von insgesamt fünf Jahren vorsah, ist an- zunehmen, dass der neue Richtlinienvorschlag bereits vollständig in zwei Jahren in nationales Recht umzuset- zen sein wird. Ob angesichts einzelstaatlicher Sonderin- teressen mancher Mitgliedstaaten und entsprechendem „sanften Druck“ auf EP-Mitglieder eine abermalige Ver- hinderung der gleichen, unzureichenden Richtlinie in Brüssel gelingen kann, ist – bedenkt man das denkbar knappste aller möglichen Abstimmungsergebnisse von 4. Juli – mehr als fraglich. Kurzum: Wir beraten heute in erster Lesung ein natio- nales Übernahmerecht, das nun endlich vernünftige und angemessene Waffengleichheit zwischen Anbieter und Zielgesellschaft durch das Mittel des HV-Vorratsbe- schlusses gewährleisten will, und werden wahrscheinlich in nur wenigen Monaten eine EU-Richtlinie bekommen, die diese Möglichkeiten wieder kassieren wird. Es ist fast eine Zumutung, dem Gesetzgeber einen Gesetzentwurf mit einer Halbwertzeit von vielleicht einmal zwei Jahren in materiellen Angelegenheiten vorzulegen, die Hände in Brüssel wieder in den Schoß zu legen und so zu tun, als sei alles wunderbar. Oder weiß die Bundesregierung nicht was in Brüssel passiert? Die europarechtliche Klippe, ein deutsches Gesetz in Ansehung einer europäischen Be- schlussvorlage mit gegenteiligen Bestimmungen zu bera- ten, ist nun umschifft, denn die neu-alte Richtlinie wird nach Einbringung unseres Gesetzes wieder auf den Weg gebracht. In der Sache aber drohen die mühsam erreich- ten Verbesserungen im nationalen Recht durch abermali- ges Unvermögen bzw. Untätigkeit der Bundesregierung auf Brüssler Parkett nun erneut in Kürze vereitelt zu wer- den. Gegenüber den Betroffenen, die Rechtssicherheit und Rechtskohärenz verlangen, ist ein solches Vorgehen nicht zu begründen. Dann seien Sie lieber ehrlich, geste- hen Ihre Bedeutungslosigkeit in dieser Sache in Brüssel ein und machen uns allen keine falschen Hoffnungen mit einer angemessenen Neutralitätspflicht, die sie über kurz oder lang in der Kommission nicht durchsetzen können. Ich frage mich ernsthaft: Was will der Kanzler eigent- lich in dieser Angelegenheit? War der Sinneswandel zur Waffengleichheit nur ein Medienspektakel à la Holzmann? Sollen wir etwa das deutsche KonTraG wie- der zurücknehmen, um so ein Level-Playing-Field zu er- zeugen? Die zuständigen Ausschüsse werden in Kürze eine Ex- pertenanhörung zum vorgelegten Gesetzentwurf der Bun- desregierung durchführen. Auch wenn die Grundrichtung der Vorschläge der Bundesregierung nun stimmt, werden wir nach Anhörung der Sachverständigen die einen oder anderen Detailfragen und technischen Einzelvorschriften kritisch zu prüfen haben. Ich meine zum Beispiel, dass die Frist für die Ermächtigung in Höhe von 18 Monaten im Rahmen des so genannten Vorratsbeschlusses zu kurz be- messen ist. Dies hätte die Konsequenz, dass sich jeder Aktionär bei jeder Hauptversammlung mit dem Thema einer mögli- chen Übernahme konfrontiert sähe und andere Problem- punkte vernachlässigen würde. Hinsichtlich der Anwendung der Mindestpreisregel so- wohl auf Pflicht als auch auf freiwillige Angebote ergibt sich vielleicht ein europarechtliches Problem. So könnte dies sowohl gegen die im EG-Vertrag verankerte Nieder- lassungsfreiheit als auch gegen die Kapitalverkehrsfrei- heit verstoßen. Die einheitliche Behandlung – die in der gescheiterten Richtlinie nicht vorgenommen wurde – sollte nochmals kritisch überprüft werden. Gleiches gilt für einen steuerrechtlichen Aspekt: Zur Gleichbehandlung von Privatanlegern und Beleg- schaftsaktionären muss sichergestellt werden, dass es bei Privataktionären nicht zur Doppelbesteuerung im Über- nahmefall während der Haltefrist kommt. Ferner sollte hinsichtlich der Arbeitnehmer-Unterrich- tung nicht über den Regelungsgehalt der zu erwartenden alt-neuen Übernahmerichtlinie hinaus gegangen werden. Übertriebene Mitbestimmungshürden, wie sie derzeit in den Reihen der SPD-Fraktion diskutiert werden, sind auch verfassungsrechtlich bedenklich, weil sie in die Ei- gentumsrechte der Aktionäre eingreifen. Sie gefährden eine Modernisierung der „Deutschland AG“ und er- schweren einen neuen Anlauf für ein einheitliches euro- päisches Übernahmerecht. Die Reputation des Finanz- platzes Deutschland wäre nachhaltig geschädigt. Wir brauchen Waffengleichheit und ein europäisches Level- Playing-Field, keinen neuen Protektionismus und ein Übernahmeverhinderungs-Gesetz. Das Übernahmerecht darf nicht zum Lex-DGB werden. Der Überweisung in die Ausschüsse stimmen wir zu. Andrea Fischer (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Im Jahr 2000 umfassten die Unternehmensüber- nahmen, an denen deutsche Firmen beteiligt waren, knapp Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 200118826 (C) (D) (A) (B) 1 000 Milliarden DM. Gegenüber 1999 bedeutete das fast eine Verdopplung. In diesem Jahr haben wir einen drasti- schen Einbruch erlebt. Die Unternehmen sind angesichts der Entwicklung der Aktienkurse und angesichts des schwierigen konjunkturellen Umfelds vorsichtiger ge- worden. Aber alle Prognosen gehen davon aus, dass es sich dabei um einen vorübergehenden Rückgang handelt und der Trend zu Übernahmen grundsätzlich anhalten wird. Bisher gab es keinen Rechtsrahmen für Über- nahmen, es gibt lediglich den Übernahmekodex der Bör- sensachverständigenkommission. Rund drei Viertel der börsennotierten Unternehmen hatten diesen Kodex ak- zeptiert. Das Gesetz orientiert sich an dem Kodex und macht die Regelungen verbindlich. Im europäischen Binnenmarkt brauchen wir ein ein- heitliches Recht für Kapitalgesellschaften und ihre Fusio- nen. Der Nationalstaat ist angesichts der engen ökonomi- schen Verflechtungen nicht mehr die Ebene, auf der ein wirkungsvoller Rechtsrahmen für den Markt gesetzt wer- den kann. Höchst unterschiedliche einzelstaatliche akti- enrechtliche Regelungen führten zu großen Differenzen bei der Ausgangsposition von Unternehmen im Fall der Übernahmeabsicht. Deshalb gibt es schon seit langer Zeit Anstrengungen für eine europäische Übernahmerichtli- nie. Ich halte es für einen Rückschlag, dass die Richtlinie der EU-Kommission vorerst gescheitert ist. Fraglich ist allerdings, ob der Grund, über den dabei so intensiv ge- stritten wurde, den Streit wert war. Kontrovers war die Frage der so genannten Vorratsbeschlüsse: Soll eine Hauptversammlung den Vorstand ermächtigen dürfen, im Falle von Übernahmeangeboten Gegenmaßnahmen zu er- greifen? Wir haben diese Frage in unserem nationalen Ge- setzentwurf nun mit Ja beantwortet. Ich frage mich, ob diese Regelung überhaupt je zur An- wendung kommen wird. Ermächtigt eine Hauptversamm- lung den Vorstand, Gegenmaßnahmen durchzuführen, so wird der Aktienkurs sinken. Die HV würde deutlich ma- chen, dass sie befürchtet, das die Gesellschaft Ziel einer „feindlichen“ Übernahme würde. Das würde das Ver- trauen der Aktionäre beeinträchtigen. Im Übrigen ist of- fen, ob die Aktionäre überhaupt ein Interesse daran haben, dem Vorstand freie Hand dafür zu geben, Übernahmen ab- zuwehren? Aktionäre wissen, dass sie bei Übernahmen auch gut verdienen können. Spätestens seit der größten Fusion in der Wirtschafts- geschichte – Vodafone/Mannesmann – wissen wir, dass der globale Kapitalmarkt auch für die Deutschland AG eine Realität ist. Auch deswegen schaffen wir in Deutsch- land Regeln für den Kapitalmarkt, wie es sie in anderen Staaten längst gibt. Schützenswerte Interessen bei Über- nahmen sind die von Arbeitnehmern und die von Ak- tionären, insbesondere Kleinaktionären. Die Rechte der Vorstände, ihre Jobs zu verteidigen, können aus meiner Sicht dahinter zurückstehen. Mit dem Übernahmegesetz schaffen wir eine weitere Voraussetzung zur Modernisierung unserer Volkswirt- schaft. Ein abgeschotteter Markt verhindert Innovation, Kreativität und Wettbewerbsfähigkeit. Die große Zahl von Mergers reflektiert die Globalisierung der wirtschaft- lichen Strukturen. Die Unternehmen konzentrieren sich auf ihre Kernkompetenzen und bearbeiten dann den glo- balen Markt. Für eine übernommene Gesellschaft kann die Integra- tion in einen Konzern eine Verbesserung der Perspektiven bedeuten: Neue Vertriebssysteme und Märkte kommen hinzu, Forschungskapazitäten können effizienter genutzt werden, Synergien können genutzt werden. Allerdings ist diese Strategie auch mit hohen Risiken verbunden: Bei mehr als der Hälfte der großen Fusionen ist die Kapitalrendite hinterher schlechter als vorher, die Zahl der Beschäftigten ist zugleich niedriger. Aktionäre und Unternehmen haben also sehr sorgfältig zu entscheiden, ob sie sich auf Fusionen einlassen. Aber es ist nicht die Aufgabe des Staates, darüber zu entschei- den. Die Aufgabe des Gesetzgebers ist es, den Rechtsrah- men für ein geordnetes Verfahren bereitzustellen, in dem fairer Wettbewerb möglich ist. Das ist das sinnvolle Ziel des vorliegenden Gesetzentwurfs. Rainer Funke (FDP): Nachdem die Bundesregie- rung das Zustandekommen einer europäischen Übernah- merichtlinie maßgeblich verhindert hat, beraten wir heute ihre Vorstellung von einem nationalen Übernahmegesetz. Der Begriff allein spricht schon Bände: Wir stehen heute vor einem Rückschritt bei der Vollendung des europä- ischen Binnenmarktes, da es einheitliche Regeln für grenzüberschreitende Unternehmensübernahmen vorläu- fig nicht geben wird. Wir können uns damit auf weitere Übernahmeschlachten wie die um die Mannesmann AG gefasst machen. Für die FDP möchte ich feststellen: Eine Übernahme ist kein Angriff auf Unternehmen, insbesondere auf deut- sche Unternehmen aus dem Ausland. Der Begriff „feind- liche Übernahme“ ist irreführend. Übernahmen sind Ergebnis und Teil einer Unternehmenspolitik im interna- tionalen Wettbewerb. Übernahmen bedeuten neue Unter- nehmenskonzepte, neue Ideen und frisches Kapital. Von einer erfolgreichen Übernahme können nicht nur Unter- nehmensleitung und Arbeitnehmer profitieren, sie sind auch positiv für die Kapitalmärkte und damit für ganze Wirtschaftsstandorte. Die rot-grüne Bundesregierung hat in Gestalt des Bun- deskanzlers verhindert, dass es ein liberales europäisches Übernahmerecht gibt. Der Bundeskanzler hat in kurzsich- tiger Art und Weise dem Drängen von Gewerkschafts- funktionären und Unternehmensvorständen nachgege- ben, die um ihre Pfründe fürchten und sich nicht dem internationalen Wettbewerb stellen wollen. Frühzeitige Vorratsbeschlüsse zur Verhinderung von Übernahmen, wie sie der Gesetzentwurf der Bundesregierung vorsieht, sind protektionistisch, wettbewerbsfeindlich und daher provinziell. Faire, liberale Übernahmeregelungen müssen Wettbewerb zulassen und sich ausschließlich daran orien- tieren, was für unsere Wirtschaft wichtig ist. Wachstum, Arbeitsplätze und Strukturwandel wird es – das wird nie- mand bestreiten – nur dann geben, wenn Unternehmen auch international attraktiv sind, was sich in den Wachs- tumszahlen, in Investitionen und Arbeitsplätzen und letzt- lich auch im Aktienkurs widerspiegelt. In diesem Sinn wird ein Unternehmen nicht attraktiv sein, wenn der Ge- setzgeber durch strenge Regulierungen Übernahmen ver- hindert. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 18827 (C) (D) (A) (B) Ursula Lötzer (PDS): In wenigen Monaten wird sich der Prozess von Fusionen und Übernahmen durch die Steuerbefreiung der Gewinne aus Beteiligungsverkäufen beschleunigen. Zu erwarten ist, dass ein Markt für den Kauf und Verkauf von Unternehmen bzw. Bestandteilen entstehen wird, der oft unabhängig von Notwendigkeiten nach Strukturveränderungen funktioniert. Der Preis des gehandelten Unternehmens und wie er kurzfristig an den Börsen zu steigern ist, wird entscheiden, wer mit wem fu- sioniert. Die sozialen Folgen, Arbeitsplatzsicherheit oder regionalpolitische Interessen werden dabei kaum eine Rolle sielen. Das ist nicht aus der Luft gegriffen, genauso hat es sich in den 80er- und 90er-Jahren in den USA abgespielt. Die New York Times hob diesen Zusammenhang in ihrem Kommentar zur Steuerreform ausdrücklich hervor. Umso dringlicher ist ein Gesetzentwurf, mit dem die Sicherung von Arbeitsplätzen und der Interessen der Beschäftigten bei den damit verbundenen Umstrukturierungen ermög- licht werden. Die Antworten der Bundesregierung auf die Große An- frage der FDP „Zur gesetzlichen Regelung von Firmen- übernahmen“ auf diese Frage sind ausweichend. Natür- lich ist die „funktionierende Partnerschaft zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern angesichts der fort- schreitenden Globalisierungsprozesse unverzichtbar“. Richtig ist auch, dass die Beschäftigten „an den wesentli- chen Prozessen und Entscheidungen beteiligt werden sol- len“. Aber gerade hierzu bedarf es klarer Rechte und Sanktionsmöglichkeiten für die Beschäftigten und ihre gewerkschaftliche Vertretung. Der Gesetzentwurf wird dem nicht gerecht. Zu Recht kritisiert der DGB unter anderem am vorlie- genden Gesetzentwurf, dass die Angaben in den Ange- botsunterlagen noch nicht einmal mehr so detailliert sein müssen, wie es noch im Diskussionsentwurf aus dem letz- ten Jahr vorgesehen war. Relevante Informationen über die Absichten des Bieters, was mit allen betroffenen Be- triebsteilen zu geschehen habe und wie sich die Beschäf- tigungsbedingungen generell verändern könnten, fehlen. Wie sich so die Belegschaften überhaupt ein vollständiges Bild über ihre weitere Zukunft im „neuen“ Unternehmen machen können, bleibt ein Rätsel. Liebe Kolleginnen und Kollegen, vor allem aber rei- chen Informationsrechte nicht aus, genauso wenig wie eine aktive Rolle des Aufsichtsrats. 1979 hat das Bundes- verfassungsgericht in seiner Entscheidung zum Mitbe- stimmungsgesetz ausgeführt, dass trotz gleicher Zahl von Anteilseignern und ArbeitnehmerInnenvertretern im Auf- sichtsrat keine wirkliche Parität besteht, sodass im Kon- fliktfall diejenige Seite den entscheidenden Einfluss aus- übt, die den Aufsichtsratsvorsitzenden stellt. Dieses Übergewicht ist den Anteilseignern eingeräumt. Erinnern Sie sich an die Mannesmann AG: In Rekord- zeit wurde der Konzern mit 131 000 Beschäftigten zer- schlagen. Keines der vorher abgegebenen Versprechen, die Chris Gent gegenüber Beschäftigten und Gewerk- schaft damals gemacht hatte, ist trotz Informationsrechten gehalten worden. Mitbestimmung bedeutet Mitentscheidung. Deshalb haben wir in unserem Antrag bereits vor einigen Monaten gefordert, den Gewerkschaften in dem Gesetz ein Recht auf den Abschluss eines Fusionstarifvertrages zu gewähr- leisten. Darin sollen die Fragen von Beschäftigungssiche- rung, Qualifizierung, Erhalt sozialer und tariflicher Stan- dards sowie die Regelungen zur Sicherstellung betrieblicher und gewerkschaftlicher Mitbestimmungs- rechte und -gremien geregelt werden. Darüber hinaus tre- ten wir für ein Vetorecht von Betriebsräten und Gewerk- schaften gegenüber Fusionen und Übernahmen ein. In diesem Sinne muss der Gesetzentwurf dringend nachge- bessert werden. Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister der Finanzen: Die Bundesregierung hat sich eine nachhaltige Modernisierung des Standortes Deutschland zum Ziel gesetzt, um die Rahmenbedingun- gen für Investitionen und die Schaffung neuer Arbeits- plätze zu verbessern. Der vorliegende Gesetzentwurf zur Regelung von öffentlichen Angeboten und von Unterneh- mensübernahmen ist ein wichtiger Bestandteil dieses Konzeptes. Öffentliche Angebote zum Erwerb von Wertpapieren, insbesondere Angebote mit dem Ziel der Unternehmens- übernahme, gewinnen im Wirtschaftsleben eine immer größere Bedeutung. Am deutschen Kapitalmarkt besteht im Gegensatz zu anderen führenden internationalen Fi- nanzplätzen bislang keine gesetzliche Regulierung öffent- licher Angebote zum Erwerb von Wertpapieren und von Unternehmensübernahmen. Der Übernahmekodex der Börsensachverständigenkommission hat sich in der Praxis insoweit nicht bewährt, als er keine flächendeckende Ak- zeptanz gefunden hat. Um gleiche Wettbewerbsbedingun- gen zu schaffen und in Anbetracht der steigenden Anzahl und Bedeutung von Unternehmensübernahmen bedarf es daher einer gesetzlichen Regelung. Diese Regelung muss den Anforderungen der Globalisierung und der Finanz- märkte angemessen Rechnung tragen; sie wird zugleich auch den Finanzplatz Deutschland im internationalen Wettbewerb weiter stärken. Der vorliegende Regierungsentwurf stellt eine Fortent- wicklung des im Juni letzten Jahres vorgelegten Diskus- sionsentwurfs und des Referentenentwurfs vom März die- ses Jahres dar. Durch das Gesetz werden Leitlinien für faire und geordnete öffentliche Angebote von Wertpapie- ren geschaffen. Die rechtzeitige und umfassende Infor- mation der betroffenen Wertpapierinhaber und der Arbeit- nehmer sowie ihre Möglichkeit zur Stellungnahme werden gesetzlich verankert und es wird dem Bedürfnis nach transparenten Verfahren Rechnung getragen. Zudem wird die rechtliche Stellung von Minderheitsaktionären und Arbeitnehmern bei Unternehmensübernahmen ge- stärkt. Durch die gesetzlichen Regelungen soll den Adressa- ten eines Übernahmeangebots, das heißt den Aktionären, ermöglicht werden, in Kenntnis der Sachlage eigenstän- dig über das Übernahmeangebot zu entscheiden. Daher haben Vorstand und Aufsichtsrat grundsätzlich alle Hand- lungen zu unterlassen, durch die der Erfolg des Angebots verhindert werden könnte. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 200118828 (C) (D) (A) (B) Dies gilt jedoch nicht für solche Handlungen, die auch ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter einer Gesellschaft vorgenommen hätte, die nicht von einem Übernahmeangebot betroffen ist. Hierdurch wird sicher- gestellt, dass die Zielgesellschaft während des Angebots nicht unangemessen in ihrer Geschäftstätigkeit behindert wird. Darüber hinaus ist auch die Suche nach einem kon- kurrierenden Angebot jederzeit zulässig. Handlungen, durch die darüber hinaus der Erfolg von Übernahmeangeboten verhindert werden kann, dürfen vom Management einer Gesellschaft nur mit Billigung der Aktionäre als Eigentümer des Unternehmens vorge- nommen werden. Eine entsprechende Ermächtigung kann durch die Hauptversammlung sowohl während eines lau- fenden Übernahmeverfahrens als auch im Vorhinein er- teilt werden. Erfolgt eine Ermächtigung „auf Vorrat“, das heißt ohne dass ein konkretes öffentliches Angebot vor- liegt, müssen sich drei Viertel der Aktionäre hierfür aus- gesprochen haben. Die Ermächtigung kann für höchstens 18 Monate erteilt werden; Handlungen des Vorstands auf- grund der auf Vorrat erteilten Ermächtigung bedürfen stets der Zustimmung des Aufsichtsrats. Zugleich wird durch eine Änderung des Aktiengeset- zes eine Regelung in das deutsche Gesellschaftsrecht auf- genommen, die einem Hauptaktionär ab einer Beteiligung von 95 Prozent des Grundkapitals die Möglichkeit ver- schafft, Minderheitsaktionäre in gesetzlich zulässiger Weise aus der Gesellschaft gegen die Gewährung einer Barabfindung auszuschließen. Für eine solche Regelung besteht in der Praxis ein Bedürfnis. Sie entspricht schließ- lich auch internationalem Standard. Der Bundesrat hat zu dem Entwurf am 27. September 2001 Stellung genommen und gebeten, die im Entwurf enthaltene Regelung zur so genannten Neutralitätspflicht zu überprüfen. Die Bundesregierung wird dem Wunsch des Bundesrates nachkommen und die Anregungen des Bundesrates sorgfältig prüfen. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung – des Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung von streckenbezogenen Gebühren für die Be- nutzung von Bundesautobahnen mit schweren Nutzfahrzeugen – des Antrags: Keine Abgabenerhöhung durch LKW-Maut (Tagesordnungspunkt 12, Zusatztagesordnungs- punkt 6) Reinhard Weis (Stendal) (SPD): Ich freue mich, dass wir heute ein ganz wichtiges verkehrspolitisches Vorha- ben der Koalitionsparteien auf den parlamentarischen Weg bringen: Die Einführung der entfernungsabhängigen LKW-Maut auf Bundesautobahnen nimmt eine Schlüs- selstellung unserer Verkehrspolitik ein. Wir sorgen damit endlich für eine verursachergerechte Anlastung der Wegekosten. Wir werden endlich die aus- ländischen LKW angemessen an der Finanzierung unse- res Verkehrsnetzes beteiligen. Wir leisten mit der Einführung der entfernungsabhän- gigen LKW-Maut einen großen Beitrag zum Abbau der Wettbewerbsverzerrungen in Europa. Die Maut ist inso- fern wettbewerbsneutral, weil sich kein ausländischer Konkurrent dieser Abgabe entziehen kann. Schließlich stärken wir mit der Einführung der LKW- Maut die Wettbewerbsstellung der Schiene gegenüber der Straße. Wir beenden endlich den untragbaren Zustand, dass heute ein LKW mit einer Jahresvignette von 2 500 DM rund 120 000 Kilometer fahren kann, während ein Güterzug für diesen Betrag gerade einmal quer durch Deutschland kommt. Insgesamt schlagen wir mit der LKW-Maut ab dem Jahr 2003 ein ganz neues verkehrspolitisches Kapitel auf. Es ist ein teilweiser Übergang von der reinen Steuer – zur anteiligen Nutzerfinanzierung von Verkehrswegen. Wir werden durch die LKW-Maut auch neue Investiti- onsspielräume gewinnen. Das Anti-Stau-Programm ab dem Jahre 2003, mit dem wir gezielt Engpässe auf beson- ders belasteten Verkehrswegen beseitigen wollen, wäre ansonsten gar nicht finanzierbar. So werden wir für das Anti-Stau-Programm ab 2003 3,7 Milliarden DM in das Straßennetz, 2,8 Milliarden DM in die Schienenwege und 0,9 Milliarden DM in die Bundeswasserstraßen zusätzlich investieren. Statt diesen Schritt in die richtige Richtung anzuerken- nen kommen jetzt wieder die ewigen Bedenkenträger bzw. die Vertreter von Partikularinteressen und verlangen völlig kleinkariert, die Mauteinnahmen nur in die Bun- desfernstraßen zu stecken. Manche haben offensichtlich immer noch nicht verstanden, dass es in der Zukunft nur um ein integriertes Verkehrsnetz geht. Wer die Straße ent- lasten will, muss auch Platz auf der Schiene schaffen. Das neue EU-Weißbuch ist ein hochaktuelles Plädoyer für die verkehrsträgerübergreifende Verwendung der Mautein- nahmen. Der Opposition sei das Weißbuch zur Lektüre deshalb wärmstens empfohlen. Ich halte die bisher geplante Gebührenhöhe für ver- nünftig. Sie entspricht in der Größenordnung dem, was der LKW auch in Italien oder Frankreich bezahlen muss. Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass kein Staat bei der Festlegung der Mauthöhe völlig frei ist. Die Mauthöhe muss sich an den Wegekosten orientieren. Das sei auch in Richtung derjenigen gesagt, die eine deutlich höhere Maut fordern. Man hätte darauf wetten können, dass sich die Beden- kenträger von allen Seiten wieder melden werden. Auf zwei viel gehörte Bedenken möchte ich hier gerne ein- gehen: Die Vorstellung, als Folge der LKW-Maut müssten wir nun mit einer riesigen Preiserhöhungswelle rechnen, halte ich für grundlegend falsch. Natürlich wird sich der LKW- Transport verteuern. Warnungen, dadurch würden sich nun aber auch die Lebenshaltungskosten drastisch verteu- ern, halte ich jedoch für unangebracht. Zur Klarstellung Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 18829 (C) (D) (A) (B) haben wir in unserer Anhörung ja einen Fragenkomplex formuliert. Viel eher werden wir damit rechnen können, dass unsinnige Ferntransporte, wie zum Beispiel der Transport des berühmten Joghurtbechers künftig unter- bleiben werden. Das wäre übrigens ein äußerst erwünsch- ter Effekt. Die Sorge, die LKW-Transporte könnten sich in Zu- kunft auf das nachgeordnete Straßennetz verlagern, halte ich ebenfalls für unberechtigt. Die im Gesetz angelegte Regelung ist vernünftig, im Falle von Ausweichverkehren die Mautgebühr gegebenenfalls auf eine bestimmte Aus- weichstrecke auszuweiten. Ob es sich irgendwann einmal als sinnvoll erweisen kann, das gesamte Straßennetz für den LKW-Verkehr zu bemauten, soll jetzt nicht entschie- den werden. Erst einmal sollte man in aller Ruhe die tatsächliche Entwicklung beobachten und Erfahrungen sammeln. Letzte Anmerkung. Die Einführung der LKW-Maut zum 1. Januar 2003 wird der richtige Zeitpunkt sein, um einen weiteren Harmonisierungsschritt bei der Abgaben- belastung für unser Transportgewerbe zu erzielen. Seit vielen Jahren ist der europäische Transportmarkt in Un- ordnung, weil unsere EU-Partner in einem Dumping- und Subventionswettlauf versucht haben, für ihr eigenes Transportgewerbe Vorteile zu schaffen. Anders als alle Vorgängerregierungen hat die rot-grüne Bundesregierung aber schon einige wichtige Schritte un- ternommen, um die Wettbewerbsverzerrungen auf dem europäischen Transportmarkt zu beenden. Ich erwähne nur die von uns eingeführte Fahrerlizenz für Fahrer aus Drittstaaten und die Übergangsfristen bei der EU-Ost- erweiterung. Wir werden deshalb alle Vorschläge für wei- tere Harmonisierungsschritte, die auf dem Tisch sind, sorgfältig prüfen. Wilhelm Josef Sebastian (CDU/CSU): Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung wird in Deutschland eine überaus wichtige verkehrspolitische Initiative in die parlamentarische Beratung überführt. Es geht um die Umstellung von der Steuer- zur Nutzerfinan- zierung des Straßenbaus und der Straßenunterhaltung, ein Grundsatz, der in Übereinstimmung mit den Vorgaben der Europäischen Union auch von der CDU/CSU mitgetragen wird. Nicht nur die Verkehrspolitik, auch die Finanz- und Wirtschaftspolitik werden in weitem Umfang von den Entscheidungen tangiert werden, die im Gesetzgebungs- verfahren zu treffen sind. Der uns vorgelegte Gesetzentwurf ist unvollständig und wird dem gesetzten Anspruch bei weitem nicht ge- recht. Es stehen noch viele Fragen offen und es ist noch vieles nachzubessern. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Kabinettsvorlage vom Sommer im Schweinsgalopp in einem beispiellosen Zustand der Un- ausgegorenheit verabschiedet wurde. Uns allen ist die schwierige Lage des gesamten deut- schen Transportgewerbes aus vielen Diskussionen be- kannt. Aus vielen Gesprächen mit Unternehmern vor Ort weiß ich, dass vielen das Waser bis zur Oberkante Unter- lippe steht. Jetzt mag ja manch einer denken, wenn einige Unter- nehmen über den berühmten Jordan gehen, dann gäbe es weniger LKW auf unseren Straßen. Weit gefehlt! Jeder deutsche LKW, der in unserem Land weniger auf den Straßen fährt, wird von einem LKW aus einem unserer Nachbarländer ersetzt werden. Dies bedeutet nicht weni- ger Betrieb oder Stau auf unseren Straßen, sondern mehr Unsicherheit; denn ob bei allen ausländischen Verkehrs- teilnehmern unsere Sicherheitsstandards immer eingehal- ten werden, ist doch stark zu bezweifeln. Vielen Unternehmen ist durch die Kostenentwicklung der letzten beiden Jahre jeglicher Spielraum genommen worden. Neben der viel diskutierten und falschen Öko- steuer müssen die Unternehmer die Schwefelsteuer sowie die Erhöhung der Versicherungsteuer hinnehmen und nun soll es zu einer weiteren zusätzlichen Belastung durch die LKW-Maut kommen. Wir, die CDU/CSU, werden einer zusätzlichen Belastung nicht zustimmen. Unsere klare Forderung ist, dass es zu einer Umfinanzierung kommen muß. Im Tenor „LKW-Maut“ hört sich das so an, dass die Bundesregierung im Zuge ihrer Einführung damit „einen höchstmöglichen Harmonisierungsschritt“ verbinden wol- le. Hört sich ja gut an, aber wenn es dann in die Richtung geht, dass man die Harmonisierung nur noch „anstrebt“, klingt es schon nicht mehr so gut. Wahrscheinlich kommt es am Ende so, dass man auf europäischer Ebene nur noch „Gespräche führt“. Die Wettbewerbssituation des deutschen Gewerbes – wir sprechen an dieser Stelle nicht zum ersten Male da- rüber – im europäischen Maßstab ist nach wie vor mise- rabel und auch drei Jahre rot-grüner Ankündigungspolitik haben daran nichts geändert. Der Harmonisierungspro- zess in Europa tritt auf der Stelle, ja er verzeichnet Rück- schritte, wenn man an die zuletzt eingeführten Steuer- erstattungen in Frankreich, Italien und den Niederlanden denkt. Es bleibt unverrückbare Position der CDU/CSU, dass die Abgabenbelastung des deutschen Güterkraftver- kehrs durch die Maut nicht weiter steigen darf. Ein Drauf- satteln auf die KFZ-Steuer und vor allem die Mineral- ölsteuer kommt für uns nicht infrage. Bereits heute besteht bei einem 40-Tonner in Deutsch- land bei einer Jahresfahrleistung von 135 000 Kilometern und einem Verbrauch von 35 Litern auf 100 Kilometern eine jährliche Abgabenlast von insgesamt 43 400 DM Steuern; der Franzose kommt mit 34 100 DM und der Bel- gier mit 30 800 DM hin. Hier müssen Sie ansetzen, hier haben Sie Ihre Hausaufgaben nicht gemacht! Völlig inakzeptabel ist in diesem Zusammenhang für mich die Aussage daes Bundesverkehrsministers auf der Internetseite des Ministeriums, wo es heißt, dass negative Auswirkungen auf den Wirtschaftsstandort Deutschland ausgeschlossen werden. Ein starkes Wort! Würden die Regierungspläne so wie geplant umgesetzt, so stünden ein ganzer Gewerbezweig und Hunderttausende von Arbeits- plätzen auf dem Spiel. Bereits jetzt gehen die Margen der Branche gegen Null und die Verbände haben ja schon an- gekündigt, dass sie die Maut auf die Transportpreise draufschlagen müssen. Dies geht aber nur – das müssten selbst Sie verstehen –, wenn man auf europäischer Ebene wettbewerbsfähig ist. Umso mehr gilt dies nach Freigabe der Kobotagefahrten. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 200118830 (C) (D) (A) (B) In Ihrem Gesetzentwurf führen Sie aus, dass die Wett- bewerbssituation des deutschen Gewerbes „nicht ver- schlechtert“ werde. Im Ausschuss hat der Herr Minister von „Wettbewerbsneutralität“ gesprochen und davon, dass er das Gewerbe keinem ruinösen Wettbewerb ausset- zen wolle. Dem Gewerbe nützt dies wenig, denn zurzeit sind keine wettbewerbsneutralen Bedingungen unter den europäischen Partnern gegeben. Es dient auch nicht der Vertrauensbildung, wenn er die Ideenlosigkeit und Kurz- atmigkeit seiner Konzeption auch noch mit solch leeren Parolen zu untermauern sucht. Wenn ich lese, dass die Umlegung der Maut auf die Preise durch „betriebliche Optimierung“ vermeidbar sei, so sage ich: Gehen Sie doch in die Betriebe, fragen Sie die Unternehmer nach ihren Gewinnen, fragen Sie die Brummi-Fahrer nach ihrem Gehalt, fragen Sie doch ein- mal nach, warum die Spediteure in Thüringen mit Trauer- flor fahren, seit die Regierungspläne zur Maut bekannt sind. Wenn wir nun noch die LKW-Maut bei der von Minis- ter Bodewig genannten Untergrenze von 27 Pfennigen an- setzen, so sind das schon wieder 36 500 DM zusätzlich. Netto – bei Wegfall der Vignette – sind es immerhin noch 34 000 DM. Auch wenn ausländische LKW auf unseren Straßen die gleiche Maut zahlen werden, bleibt bei Belas- sung aller übrigen Abgabenbelastungen der Wettbewerbs- nachteil der deutschen LKW bestehen. Fakt ist doch, dass der ausländische Spediteur nach wie vor günstigere Preise anbieten kann, und bei der vom Gewerbe zu erwartenden Preissteigerung von bis zu 10 Prozent durch deutsche An- bieter wird sich doch der Kunde erst recht nach ausländi- schen Spediteuren umsehen. Insofern stehen Zehntau- sende Arbeitsplätze in Deutschland auf dem Spiel und insofern ist der Verweis, man schaffe durch die Maut ja 830 Arbeitsplätze beim Bundesamt für Güterverkehr für die Mautkontrolleure, wohl mehr als verfehlt. Es gilt, Wege zu finden, in Übereinstimmung mit dem europäischen Recht die Benachteiligung des deutschen Gewerbes abzumildern. Sie wissen, dass es ernst zu neh- mende Vorschläge im Hinblick auf die Anrechnung der Mineralölsteuerbelastung hierzu gibt und dass wir alle aufgefordert sind, dies politisch umzusetzen. In diesem Zusammenhang mache ich nochmals darauf aufmerksam, dass wir, ebenso wie die beteiligten Verbände grundsätz- lich bereit sind, eine LKW-Maut mitzutragen, sofern da- durch Wettbewerbsgerechtigkeit in Europa umgesetzt wird. Der an sich richtige Schritt, unsere Straßen aus dem mittlerweile als Dschungel zu bezeichnenden deutschen Steuersystem herauszunehmen, wird sich als Eigentor er- weisen, sofern nicht die gesamten Einnahmen aus der be- absichtigten Nutzerfinanzierung auch tatsächlich wieder in den Straßenbau und Straßenunterhaltung gehen. Die von Ihnen vorgesehene Aufteilung der Mittel auf ver- schiedene Verkehrsträger halten wir für falsch. Wir können nicht die Einnahme aus der Maut bequem im Staatssäckel einstreichen und gleichzeitig die Straßen- verkehrsinfrastruktur – wie bislang unter Ihrer Regierung geschehen – vernachlässigen. Der Güterkraftverkehr darf nicht zur Melkkuh für alle anderen Verkehrsträger wer- den. An Absichtserklärungen mangelt es ja in letzter Zeit nicht und so hat ja auch der Bundesfinanzminister zuletzt in der Haushaltsdebatte erklärt, er sehe die LKW-Maut als Finanzierungsinstrument für die Verkehrsinfrastruktur. „Gut gebrüllt Löwe“, kann man da nur sagen, aber so manch losgesprungener Tiger ist schon als Bettvorleger gelandet. Skepsis ist also angebracht und wir werden das sehr aufmerksam verfolgen: So tanken wir ja mittlerweile im dritten Jahr für „Opis Rente“ und wissen doch genau, dass mit jedem Liter Sprit über die so genannte Ökosteuer auch etwas für den Bundeshaushalt übrig bleibt. Wenn man sich die aktuelle Entgegnung der Bundesre- gierung auf den Bundesratsbeschluß ansieht, so findet man dort den Begriff „weitgehend“. Weitgehend also sol- len die Einnahmen in das Anti-Stauprogramm einfließen. Man lässt sich also doch noch ein Hintertürchen offen, um „weitgehend“ flexibel die Gelder nach Gutdünken zu ver- wenden. Ich möchte zum Abschluss nur kurz erwähnen, dass noch zahlreiche andere Fragen ungelöst sind, etwa wie man die Umgehung der Mautpflicht durch die Benutzung von Bundes- und Landesstraßen zufriedenstellend regeln will oder wie man angemessene Regelungen für be- stimmte Bereiche, wie etwa die Landwirte oder Schau- steller, gestalten will. Wir haben uns interfraktionell auf eine Anhörung zum Thema, einen Fragenkatalog und eine Expertenrunde geeinigt. Meine Hoffnung ist es, dass wir daraus sinnvolle Anregungen ziehen und in der Lage sind – nicht zuletzt im Hinblick auf die notwendige Zustim- mung des Bundesrates – sachdienliche Kompromisse zu finden. Mein Aufruf zum Schluss an die Kolleginnen und Kol- legen von SPD und Grünen: Machen Sie sich in dieser Frage einmal frei von ihren ideologischen Zwängen und finden Sie mit uns im anstehenden Verfahren eine zweck- dienliche Lösung der vor uns liegenden Probleme, denn wir alle wissen: Ohne LKW’s geht und geschieht in unse- rem Lande wirklich nichts, es wird im wahrsten Sinne des Wortes ohne die Brummis nichts bewegt. Für uns alle ist ein funktionsfähiges Güterverkehrsgewerbe von größter Bedeutung. Albert Schmidt (Hitzhofen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit dem heute eingebrachten „Gesetz zur Einführung von streckenbezogenen Gebühren für die Be- nutzung von Bundesautobahnen mit schweren Nutzfahr- zeugen“ setzt die rot-grüne Koalition ein Kernstück ihrer Verkehrspolitik um: Mit der elektronisch und kilometer- genau erhobenen LKW-Maut gibt es auf den bundes- deutschen Straßen und im Güterverkehrsmarkt endlich mehr Kostenwahrheit und mehr Chancengleichheit für die Bahn. Die rechte Autobahnspur ist heute ein subventionier- tes Warenlager mit hohen Umwelt-, Lärm- und Kostenbelastungen. Die schweren LKW verursachen enorme Straßenschäden und bezahlen derzeit fast nichts dafür. Ab 2003 werden dem LKW verursachergerechte Wegekosten in Rechnung gestellt. Damit bremsen wir das Verkehrswachstum und lenken Transporte auf Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 18831 (C) (D) (A) (B) Schiene und Binnenschiff zusammen mit den folgenden, bereits beschlossenen Maßnahmen: Die Schienenmaut für private Güterbahnen ist halbiert; das Streckennetz der Bahn wird runderneuert, neue Loks und Logistikkon- zepte der Bahn machen den Güterzug attraktiver. Das Rückgrat eines zukunftsfähigen Mobilitätssystems ist die Bahn. Auch Einnahmen aus der LKW-Maut wollen wir in ein intelligentes Güterbahn-System investieren. Des- halb fließen mit dem Anti-Stau-Programm ab 2003 zu- sätzliche Mittel aus der LKW-Gebühr in den Ausbau von Bahn und Binnenschiff, im selben Umfang wie zur Eng- passbeseitigung im Fernstraßennetz. Wir beschreiten da- mit in der Infrastrukturfinanzierung einen Weg, der nicht nur inhaltlich geboten und schlüssig ist, sondern auch im neuen EU-Weißbuch zur Verkehrspolitik aufgezeigt wird. Dort wird ausdrücklich festgehalten, dass Staats- einnahmen aus der LKW-Maut auch zur Finanzierung neuer Bahnstrecken eingesetzt werden dürfen, für die Opposition und LKW-Lobby ein Sakrileg, das sie als „Quersubventionierung“ geißeln. In Wahrheit jedoch ein Segen; denn damit gewinnt die Verkehrspolitik Gestal- tungsspielraum zurück. Verkehrswachstum ist kein Naturgesetz; dies haben wir unter anderem mit der Ökosteuer entgegen mancher Skepsis gezeigt: Wurde früher von Jahr zu Jahr mehr Auto gefahren und mehr Kraftstoff verbraucht, so hat sich in- zwischen der Trend umgedreht. Die heutige PKW-Fahr- leistung auf Deutschlands Straßen liegt um zwei Prozent unter dem Vorjahreswert. In derselben Größenordnung wird mehr Bus und Bahn gefahren. Wir wollen den Güterverkehr auf der Schiene bis 2015 mindestens ver- doppeln. Die LKW-Maut ist dafür ein weiterer wichtiger Baustein, der aus unserer Sicht bezüglich seiner Len- kungswirkung regelmäßig zu überprüfen ist. Wo das Ziel verfehlt wird, muss nachjustiert werden. Sie soll eben nicht nur dafür sorgen, dass die schweren Trucks die Re- paratur der Straßen bezahlen, sondern umlenken auf die umweltverträglicheren Systeme Güterzug und Schiff. Dazu müssen diese Alternativen ausgebaut werden. Des- halb wird das Aufkommen aus der deutschen LKW-Maut ab 2003 eben nicht nur in den Straßenbau zurückfließen, sondern im Sinne der Verkehrsverlagerung zum gleichen Anteil auch in Schiene und Wasserstraße. Die Einführung auf den Autobahnen ist ein erster Schritt. Die Technik muss zunächst erprobt werden und sich bewähren. Für uns steht aber schon heute fest, dass der zweite Schritt folgen wird: Eine Ausdehnung auf das nachgeordnete Straßennetz muss kommen, um insbeson- dere die hoch belasteten Ortsdurchfahrten im wahrsten Sinne des Wortes zu entlastern. Die streckenbezogene LKW-Maut ist aber auch ein Schritt zu einem fairen Wettbewerb der deutschen Spedi- tionen mit der ausländischen Konkurrenz, denn niemand wird mehr von Grenze zu Grenze rauschen und dabei nur Abgase und kaputte Straßen hinterlassen können. Die LKW-Maut bezahlen alle. Mit der emissionsbezogenen Staffelung werden darüber hinaus diejenigen belohnt, die in einen modernen Fuhrpark investieren. Die Debatte der letzten Wochen und Monate hat ge- zeigt, dass die LKW-Maut von einer breiten Akzeptanz in der Bevölkerung getragen wird. Auch dem Speditionsge- werbe ist klar, dass sich mit der Maut keine Wettbewerbs- nachteile verbinden werden. lm Gegenteil: Die LKW- Maut steht für Kostenwahrheit, Chancengleichheit und fairen Wettbewerb. Wer einen funktionsfähigen und ver- träglichen Güterverkehrsmarkt wünscht und dessen volkswirtschaftliche Bedeutung anerkennt, kann sie nur begrüßen. Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP): Die FDP im Deutschen Bundestag spricht sich für die Umstellung der zeitbezogenen LKW-Vignette auf eine streckenbezogene Maut aus. Sie ist ein Schritt in Richtung auf die notwen- dige Nutzerfinanzierung der Verkehrsinfrastruktur. Der Gesetzesentwurf der Bundesregierung ist jedoch in erster Linie eine Abgabenerhöhung, die dem Bundes- finanzminister nach Expertenschätzungen bis zu 10 Mil- liarden DM pro Jahr in den Staatssäckel spült. Die Höhe der Maut übersteigt somit deutlich die Wegekosten, die den schweren LKW anzulasten sind. Zur wünschenswer- ten Umstellung der Infrastrukturfinanzierung gehört eine Entlastung bei der Kraftfahrzeugsteuer und bei der Mine- ralölsteuer sowie eine Zweckbindung der Einnahmen zu- gunsten des Straßenbaus. Zusätzliche Bemühungen zur Harmonisierung der Wettbewerbsbedingungen im euro- päischen Straßengüterverkehrsgewerbe sind weitgehend ausgeblieben. Die FDP im Deutschen Bundestag sieht das Maut-Ge- setz der Bundesregierung als weiteren schweren Mühl- stein für den Wirtschaftsstandort und als einen der letzten Sargnägel für das deutsche Güterkraftverkehrsgewerbe an. Die Maut verteuert die Kosten deutscher Produktions- standorte und erledigt das mittelständisch geprägte deut- sche Güterkraftverkehrsgewerbe. Die FDP wird sich im Bundestag dafür einsetzen, die Abkassiervorlage der Bundesregierung vom Kopf auf die Füße zu stellen: Wir brauchen neben der Umstellung der LKW-Maut konkrete Harmonisierungsschritte, die den Wettbewerbsnachteil des deutschen Güterkraftverkehrs in Europa reduzieren. Um Abgabenerhöhungen auszu- schließen, muss die Abgabenbelastung umfinanziert wer- den, etwa durch die Absenkung der KFZ-Steuer für schwere LKW und die Mineralölsteuer für Dieselkraft- stoff. Das über nur drei Jahre aus Teilen der Maut-Einnah- men finanzierte Anti-Stau-Programm reicht nicht aus, um die dauerhafte Zweckbindung zu gewährleisten. Die Nettoeinnahmen müssen vollständig in den Straßenbau fließen. Direkte Quersubventionierungen zugunsten der Schiene oder der Binnenwasserstraße sind der falsche Weg. Die Höhe der Maut darf nicht „nach Gutsherrenart“ durch Regierungsverordnung festzulegen sein. Der Bun- destag muss sich sein Budgetrecht erhalten; die Höhe der Maut ist durch Gesetz festzulegen. Die Maut muss durch- schaubar und administrierbar sein. Dazu gehört es auch, Ausweichverkehre zu vermeiden, beispielsweise durch eine Ausweitung der Mautpflicht auf Teilstrecken von Bundesstraßen oder Ausnahmen von der Mautpflicht auf Stadtautobahnen. Ziel der Maut ist vor allem der Güter- fernverkehr, weniger der lokale und regionale Wirt- schaftsverkehr. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 200118832 (C) (D) (A) (B) Wenn es Kurt Bodewig nicht gelingt, im Gesetzge- bungsverfahren diese Kriterien umzusetzen, ist es besser, keine Maut einzuführen als diese, die die deutsche Ver- kehrswirtschaft nachhaltig benachteiligt und dem Wirt- schaftsstandort Deutschland schadet. Dr. Winfried Wolf (PDS): Die Kritik der PDS an der Leistungsabhängigen Schwerverkehrsabgabe, der LSVA, wie sie die Bundesregierung jetzt plant, lässt sich in fünf Punkten zusammenfassen: Erstens. Die Reduktion dieser LSVA auf Autobahnen wird zu mehr LKW-Transporten auf Bundesstraßen füh- ren. Damit wird sich die Belastung durch LKW-Verkehr in dichter besiedelten Räumen erhöhen, was zweifellos absolut kontraproduktiv ist. Zweitens. Die Festlegung, wonach die LKW-Maut nur bei LKW ab 12 Tonnen erhoben wird, wird zu mehr Gü- terverkehr mit kleineren LKW führen. In diesem Rahmen dürfte es zu einer massiven Steigerung der Expressgut- dienste kommen und zu einer spezifischen „Schmutzkon- kurrenz“ auf diesem Gebiet. Damit wird eine deutlich ne- gative Entwicklung der jüngeren Zeit, die auch Resultat der falschen Privatisierungspolitik ist, nochmals ver- stärkt. Drittens. Die LSVA soll nach dem Konzept der Bun- desregierung nur die Wegekosten – Bau und Unterhalt – der BAB berücksichtigen – und dies wohl nur zum Teil. Sie wird die „externen“ Kosten – Unfälle, Zeitverluste durch Stau, Lärm, Abgase – nicht berücksichtigen. Das heißt, diese Abgabe wird zu niedrig sein, um eine Kos- tenwahrheit im Transportgewerbe herzustellen, und in je- dem Fall zu niedrig, um eine verkehrslenkende Wirkung zu haben und Verkehre auf Schiene und Binnenwasser- straßen zu verlagern. Viertens. Bezeichnenderweise werden im Gesetzent- wurf – Begründung, Teil „Finanzielle Auswirkungen“ – hinsichtlich der Verwendung der neuen Einnahmen nur Maßnahmen für den Straßenbau genannt, obgleich das Anti-Stau-Programm, das damit finanziert werden soll, formell auch Maßnahmen für die Schiene vorsieht. Das ist Klartext. Tatsächlich wird die LSVAzusätzliche Mittel für den Straßenbau und damit den Bau neuer Straßen mit sich bringen. Damit dürfte es mittelfristig zu einem neuen Schub für die Straße im Allgemeinen und für den LKW- Verkehr im Besonderen kommen. Fünftens. Das deutsche LKW-Gewerbe soll durch an- dere Maßnahmen entlastet werden. Das steht zwar nicht im Gesetzentwurf, weil man der EU keine Handhabe zum Einschreiten geben will. Dies wird aber einigermaßen of- fen – auf LKW-Lobby-Tagungen – durch Regierungsver- treter geäußert. Das aber heißt: Die LKW-Maut wird primär eine protektionistische Wirkung für das deutsche LKW-Gewerbe haben: Ausländische Konkurrenz wird verteuert und deutsche relativ begünstigt. Laut offiziellem Entwurf für einen neuen Bundesver- kehrswegeplan soll der LKW-Verkehr bekanntlich in den nächsten zehn bis 15 Jahren nochmals um bis zu 80 Pro- zent anwachsen. Diese Planung wurde bereits unter Be- rücksichtigung der LSVA-Planungen gemacht und bei- spielsweise im Verkehrsbericht 2000 festgehalten. Auch das ist Klartext: Die LSVA wird nach dem Willen derje- nigen, die sie nun einführen wollen, die unverantwort- liche, Umwelt und Menschen enorm belastende weitere Steigerung des Straßengüterverkehrs nicht oder völlig un- zureichend reduzieren. Die LSVAkönnte grundsätzlich einen richtigen Weg zu einer Politik weisen, die Verkehre von der Straße auf Schiene und Wasserstraßen lenkt. In der realen Ausge- staltung dürfte sie nur immanente Verlagerungseffekte – von ausländischen auf deutsche LKW –, keinen Abbau des real existierenden LKW-Verkehrs und auch keinen geringeren Anstieg des LKW-Verkehrs, als offiziell ge- plant, mit sich bringen. Angelika Mertens, Parl. Staatssekretärin beim Bun- desminister für Verkehr-, Bau- und Wohnungswesen: Ers- tens. Die Bundesregierung beabsichtigt mit dem vorlie- genden Gesetzentwurf, die derzeit geltende zeitabhängige LKW-Eurovignette durch eine fahrleistungsabhängige Gebühr, also durch eine Maut, zu ersetzen, wie wir dies im Koalitionsvertrag vom Oktober 1998 vereinbart ha- ben. Betroffen sein werden hiervon in- und ausländische Fahrzeuge. Zweitens. Mit der für den 1. Januar 2003 geplanten Einführung der LKW-Maut wird ein großer und wichtiger Schritt in Richtung auf eine verstärkte Nutzerfinanzie- rung beim Verkehrsträger Straße vollzogen. Denn die al- leinige Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur aus öffent- lichen Haushaltsmitteln stößt bekanntlich zunehmend an ihre Grenzen. Die Bundesregierung verfolgt deshalb im Einklang mit der EU-Verkehrspolitik das Ziel, die Nutzer stärker an den Kosten der Infrastruktur zu beteiligen. Dies gilt speziell für den schweren LKW, der im besonderen Maße Kosten für den Bau, die Instandhaltung und den Be- trieb unserer Autobahnen verursacht. Drittens. Diese Wegekosten können mit der künftigen LKW-Maut in optimaler Weise den Verursachern angelas- tet werden, da die Maut direkt von den tatsächlichen Fahr- leistungen abhängt. Viertens. Die Maut schafft darüber hinaus auch einen Anreiz zur noch wirtschaftlicheren Ausnutzung der Transportkapazitäten. Fünftens. Sie kann außerdem dazu beitragen, dass Gü- ter von der Straße auf die Schiene und das Schiff verlagert werden. Sechstens. Die wichtigsten Regelungen des Gesetzent- wurfes sind: Die Mautpflicht wird für Fahrzeuge ab 12 Tonnen zulässigem Gesamtgewichts festgelegt. Aus- nahmen sind nur für Fahrzeuge der Polizei, der Notdiens- te, der Streitkräfte und des Straßenbetriebsdienstes sowie für Kraftomnibusse zulässig. Mautpflichtiges Straßennetz wird das Bundesautobahnnetz sein. Zugleich wird die Möglichkeit eröffnet, die Mautpflicht durch Rechtsver- ordnung mit Zustimmung des Bundesrates auf einzelne Bundesstraßenabschnitte auszudehnen, wenn es dort zu sicherheitsrelevanten Ausweichverkehren kommen sol- lte. Das Mautaufkommen wird dem Bund zustehen. Die Gebührenhöhe wird ebenfalls durch Rechtsverordnung der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 18833 (C) (D) (A) (B) festgelegt werden. Dabei wird die Mauthöhe nach Achs- zahl und Emissionsverhalten der schweren LKWs gestaf- felt werden. Das Bundesamt für Güterverkehr wird als Kontroll- und Ordnungswidrigkeitenbehörde dienen. Der Gesetzentwurf enthält außerdem die Rechtsgrundlagen für die Einbeziehung der Privatwirtschaft in das Vorhaben LKW-Maut. Siebtens. Es war von Beginn an die Absicht der Bun- desregierung, die Privatwirtschaft an der Realisierung des Vorhabens zu beteiligen. Deshalb wurde nicht nur die Technik des Mauterhebungssystems, sondern auch die Er- richtung des Gesamtsystems und insbesondere dessen späterer Betrieb europaweit ausgeschrieben. Die Einbe- ziehung der Privatwirtschaft ist auch Ausdruck des Ver- trauens der Bundesregierung in die Fähigkeit der Indus- trie, innovative Lösungen zu entwickeln und zeitgerecht zu realisieren. Achtens. Die Einführung der LKW-Maut findet im Prinzip grundsätzliche Zustimmung. Es werden aber häu- fig zugleich die Forderungen erhoben, die künftigen Mauteinnahmen vollständig der Verkehrsinfrastruktur zu- kommen zu lassen und das von der Maut betroffene Gü- terkraftverkehrsgewerbe an anderer Stelle zu entlasten. Hierzu kann ich Ihnen mitteilen: Die Bundesregierung wird die Einnahmen aus der Mauterhebung weitgehend für den Bau und den Erhalt der Verkehrsinfrastruktur ver- wenden. Ein Teil des künftigen Mautaufkommens wird im Rahmen eines bereits bestehenden „Anti-Stau-Pro- gramms“ zur nachhaltigen Verbesserung der Verkehrsin- frastruktur eingesetzt werden. Neuntens. Das Anti-Stau-Programm als Teil der Infra- strukturpolitik der Bundesregierung verfolgt das Ziel, die Kapazitätsengpässe im Straßen-, Schienen- und Wasser- straßennetz zu reduzieren bzw. die Kapazitäten zu si- chern. Erfolge bei den Verkehrsträgern Schiene und Was- serstraße führen letztlich auch zu Entlastungen im Autobahnnetz. Das Programmvolumen von rund 7,4 Mil- liarden DM wird deshalb je zur Hälfte auf Bundesauto- bahnen einerseits und die Schiene und Wasserstraßen an- dererseits aufgeteilt werden. Auch über die Finanzierung des Anti-Stau-Programms hinausgehende Einnahmen werden noch weitgehend zusätzlich zu den Ansätzen des Verkehrshaushalts des Bundes in die Verkehrsinfrastruk- tur fließen. Zehntens. Im Hinblick auf eine Angleichung der Wett- bewerbsbedingungen im europäischen Güterkraftver- kehrsgewerbe beabsichtigt die Bundesregierung die Einführung der Maut mit einem größtmöglichen Har- monisierungsschritt im Rahmen der EU-Rechtsetzung zu verbinden. Dabei sind die Maßnahmen zugunsten des Gü- terkraftverkehrsgewerbes in ihrer Gesamtheit zu beurtei- len. Das Steuersenkungsgesetz der Bundesregierung ent- lastet nachhaltig die Unternehmen und damit auch das mittelständische Transportgewerbe. Weiterhin hat die Bundesregierung mit dem Gesetz gegen illegale Beschäf- tigung im LKW-Gewerbe ihre Zusage, gegen illegale Wettbewerbspraktiken vorzugehen, bereits konsequent umgesetzt. Elftens. Eine leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur ist wesentlicher Bestandteil eines starken und dynamischen Wirtschaftsstandorts Deutschland sowie zentrale Voraus- setzung für Wachstum und Beschäftigung. Mit dem Ein- stieg in eine stärkere Nutzerbeteiligung bei der Infra- strukturfinanzierung durch die LKW-Maut werden die Voraussetzungen für dringend erforderliche zusätzliche Investitionen geschaffen, die zu einer klaren Verbesse- rung dieses wichtigen Standortfaktors führen werden. Zwölftens. Deutschland wird außerdem mit der Er- richtung eines Mauterhebungssystems, das – und dies ist das eigentlich technisch weltweit Neue – ohne jeden Ein- griff in den freien Verkehrsfluss auskommen, eine Vorrei- terrolle auf diesem Gebiet einnehmen können. Das inter- nationale Interesse ist beträchtlich und nimmt weiter zu. Dies eröffnet neue nationale und internationale Markt- chancen für die Industrie und trägt so zur Sicherung von Arbeitsplätzen bei. Die Realisierung eines solchen Sys- tems kann in Deutschland zudem auch auf anderen Fel- dern der Informationstechnologie einen Innovationsschub auslösen. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines – Siebten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Deutsche Bundesbank – Gesetzes über die integrierte Finanzdienstleis- tungsaufsicht (Tagesordnungspunkt 13 a und b) Jörg-Otto Spiller (SPD): Die Organisation von Be- hörden muss aufgabengerecht sein. Wenn sich Aufgaben und Rahmenbedingungen ändern, gehören Organisation und Arbeitsweisen auf den Prüfstand. Mit den beiden vor- liegenden Gesetzentwürfen, die darauf abzielen, die Struktur der Deutschen Bundesbank und die Organisation der staatlichen Finanzmarktaufsicht sachgemäß zu verän- dern, werden aus schwer wiegenden rechtlichen und tatsächlichen Veränderungen organisatorische Konse- quenzen gezogen. Werden Änderungen in der Behördenorganisation vor- wiegend unter sachlichen Gesichtspunkten beurteilt, dürfte es über die Zusammenführung der heute auf drei Ämter verteilten Banken-, Versicherungs- und Wertpa- pieraufsicht in einer Bundesanstalt für Finanzdienstleis- tungsaufsicht wenig Streit geben. Denn die Märkte, die diese Ämter beaufsichtigen, wachsen immer stärker zu- sammen. Das gilt zum einen für die Produkte. Die im Zuge der Rentenreform geschaffenen kräftigen Anreize zum Aufbau einer ergänzenden kapitalgedeckten Alters- vorsorge werden diesen Trend noch verstärken. Es gilt auch für die Unternehmen. Das Zusammengehen von Al- lianz und der Dresdner Bank ist nur die Spitze des Eis- bergs. Schon heute führt das Bundesaufsichtsamt für das Kre- ditwesen nicht nur eine Solvenzaufsicht der Banken und Finanzdienstleister, sondern auch eine Marktaufsicht der Investmentfonds durch. Die Bundesaufsichtsämter für Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 200118834 (C) (D) (A) (B) das Kreditwesen und für den Wertpapierhandel beauf- sichtigen zusammen die Wertpapierdienstleistungsunter- nehmen. Mit anderen Worten: Der Schritt zur Allfinanzaufsicht ist konsequent und wohlbegründet. Gute Gründe sprechen auch dafür, die drei bisherigen Aufsichtsämter künftig in die Rechtsform einer Anstalt des öffentlichen Rechts zu- sammenzufassen. Bietet sie doch die Chance, für spezi- elle Aufgaben auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ge- winnen zu können, für die Tarifgehälter wenig attraktiv sind. Ausdrücklich begrüßen möchte ich, dass wir diesen Gesetzentwurf in Verbindung mit dem Entwurf zur Ände- rung des Bundesbankgesetzes beraten. Zwischen beiden bestehen Sachzusammenhänge. Die Beteiligung der Bun- desbank an der Bankenaufsicht soll durch die Zusam- menführung der Aufsichtsämter nicht geschmälert, son- dern eher gestärkt werden. Das ist sehr vernünftig. Allein schon deshalb, weil die Bundesbank eine der wenigen Behörden ist, die über die ganze Republik Präsenz in der Fläche vorweisen kann. Anlass für eine Strukturreform der Deutschen Bundes- bank hätte es eigentlich schon Ende 1997 gegeben, als die Entscheidung für den Eintritt in die 3. Stufe der Europä- ischen Wirtschafts- und Währungsunion fiel. Mit der Er- richtung der Europäischen Zentralbank, die nun allein für die Geldpolitik in der Währungsunion zuständig ist, ha- ben die nationalen Zentralbanken am 1. Januar 1999 ihre mit Abstand wichtigste Aufgabe verloren. Es ist Ausdruck für das auch international hohe Ansehen, als Garant, ja ge- radezu als Synonym für Geldwertstabilität, das sich die Bundesbank in einem halben Jahrhundert erworben hat, dass die Europäische Zentralbank streng nach ihrem Vor- bild konstruiert worden ist. Aber das darf nicht heißen, dass die Bundesbank selbst in ihrer Struktur unverändert bleibt, so als gäbe es die Eu- ropäische Zentralbank nicht. Geldpolitische Entscheidun- gen trifft heute der Rat der Europäischen Zentralbank. Da hat die Bundesbank, vertreten durch ihre Präsidenten, eine Stimme. Der einst so mächtige Zentralbankrat der Bundesbank hat seine wichtigste Entscheidungskompe- tenz verloren. Das kann nicht ohne Konsequenzen für die Leitungsstruktur der Bundesbank bleiben. Im Einzelnen wird die im Gesetzentwurf vorgeschla- gene Strukturreform im Finanzausschuss zu beraten sein; auch im Lichte der dort durchzuführenden Anhörung. Vielleicht wird nicht jedes Detail des Entwurfs Bestand haben. Beispielsweise bin ich nicht sicher, ob der Bun- destag gut beraten wäre, einen Anspruch zu formulieren, der Bundesbank Ratschläge über betriebswirtschaftliche Effizienz zu erteilen. Auf die Unabhängigkeit der Noten- bank sollte kein Schatten fallen. Ein Wort noch zur Stellungnahme des Bundesrates. Gewiss, Veränderungen in der Organisation einer Bun- desbehörde bedürfen nicht der Zustimmung des Bundes- rates. Es ist ein schönes Zeichen, dass die Länder für diese Bundesbehörde so viel Anteilnahme zeigen. Die Bundes- bank ist ja auch eine Bundesbehörde von besonderem Rang und besonderem Ansehen. Bisher zeigt der Bundes- rat sich sehr ablehnend. Ich hoffe, es wird uns allen, Bundestag und Bundesrat, gelingen, das Maß an Übereinstimmung noch zu erhöhen. Otto Bernhardt (CDU/CSU): Zunächst einige An- merkungen zum Gesetz über die Deutsche Bundesbank: Durch diesen Gesetzentwurf zieht die Bundesregierung die Konsequenzen aus der Einführung des Euro zum 1. Ja- nuar und dem Übergang der geldpolitischen Kompetenz von der Deutschen Bundesbank auf die Europäische Zen- tralbank. Mit diesem Übergang verliert die Deutsche Bun- desbank einen wesentlichen Teil ihrer Kompetenzen. Nicht mehr der Zentralbankrat, sondern nur noch der Prä- sident der Bundesbank wirkt an den geldpolitischen Ent- scheidungen im Rahmen seiner Mitgliedschaft in der Eu- ropäischen Zentralbank mit. Bisher steht an der Spitze der Bundesbank ein achtköpfiges Direktorium, deren Mit- glieder vom Bundespräsidenten auf Vorschlag der Bun- desregierung ernannt werden. Daneben gibt es neun Lan- deszentralbankpräsidenten, die vom Bundespräsidenten auf Vorschlag des Bundesrates ernannt werden und ge- meinsam mit dem Direktorium den Zentralbankrat bilden. Nach den Vorstellungen der Bundesregierung soll in Zukunft als einziges Gremium ein sechsköpfiger Vorstand bestehen. Der Präsident und der Vizepräsident sollen auf Vorschlag der Bundesregierung vom Bundespräsidenten ernannt werden und die weiteren Mitglieder auf Vorschlag des Bundesbankpräsidenten im Einvernehmen mit der Bundesregierung. Die neun Landeszentralbanken sollen zwar erhalten bleiben und deren Präsidenten weiterhin auf Vorschlag des Bundesrates ernannt werden; da in Zukunft aber weder die Landeszentralbanken noch die Landes- zentralbankpräsidenten eigene Kompetenzen haben sol- len, bedeutet dies letztlich, dass das förderative Element in der Bundesbank weitgehend zurückgedrängt wird. Der Bundesrat spricht in seiner Stellungnahme zu Recht da- von, dass durch den Gesetzentwurf die Landesbankpräsi- denten zu „weisungsgebundenen Regionaldirektoren ab- gestuft“ werden sollen und dies nicht ihre Zustimmung finden wird. Hier ist ein Konflikt zwischen dem Bund und den Ländern vorprogrammiert, unter dem das Image der Deutschen Bundesbank leiden wird, und dies gerade in ei- ner Zeit, in der wir das gute Image dieser Institution, das über 50 Jahre aufgebaut wurde, dringend im Zusammen- hang mit der Einführung der Euronoten und -münzen benötigen. Natürlich ist eine Verschlankung der Deut- schen Bundesbank notwendig und dies muss zwangsläu- fig zum Abbau von Stellen führen. Wir begrüßen, dass Plankostenrechnung, Investitionsplan und Plan-Ist-Ana- lyse als Pflichtinstrumente gesetzlich verankert werden sollen. Einige Anmerkungen zur Finanzdienstleistungsauf- sicht: Die Finanzdienstleistungsmärkte haben sich verän- dert. Die Entstehung integrierter Finanzdienstleister, wie zum Beispiel im Falle des Zusammenschlusses von Alli- anz und Dresdner Bank, zwingen, darüber nachzudenken, ob unser bisheriges System, bestehend aus selbstständi- gen Bundesämtern für das Kreditwesen, für das Versiche- rungswesen und den Wertpapierhandel, noch optimal ist. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 18835 (C) (D) (A) (B) Ob allerdings die Schaffung einer neuen Bundesanstalt quasi als Oberbehörde der richtige Weg ist, bedarf noch eingehender Diskussionen. Wir haben bei einem Besuch einer Gruppe des Finanzausschusses in den Vereinigten Staaten vor wenigen Monaten dieses Thema diskutiert. Dort wurde dringend von einer integrierten Lösung abge- raten. Niemand in Amerika ist bereit, über so etwas auch nur nachzudenken, war die einhellige Auffassung sowohl bei der amerikanischen Administration in Washington als auch bei Vertretern der Finanzwelt in New York und Chi- cago. Großbritannien ist den Weg einer integrierten Auf- sicht gegangen. Die Erfahrungen werden sehr unter- schiedlich beurteilt. Ob der Weg über eine neue Superbehörde wirklich ef- fektiver ist oder ob nicht eine engere Kooperation die Ant- wort auf neue Herausforderungen sein könnte, bleibt da- hingestellt. Auf jeden Fall dürfte der neue Weg teuerer werden. In diesem Zusammenhang ist im Gesetz vorgese- hen, dass sämtliche Kosten – und nicht, wie bisher, 90 Prozent – auf die zu prüfenden Institute abgewälzt werden sollen, eine im Interesse der Effizienz bedenkli- che Lösung. Einige abschließende Anmerkungen: Vom Bundesrat gibt es zu Recht über die Grenzen der Parteien hinweg sehr kritische Anmerkungen zu beiden Gesetzen. Die weit gehende Zustimmung der deutschen Großbanken kann nicht überraschen. Sie werden in der geplanten Super- behörde ihren Ansprechpartner finden. Wie sieht es aber mit den vielen Sparkassen und Genossenschaftsbanken in der Fläche aus? Nur wenn die Deutsche Bundesbank um- fassend in die Bankenaufsicht eingeschaltet bleibt, ist si- chergestellt, dass vor Ort kompetente Gesprächspartner zur Verfügung stehen. Gerade bei der bevorstehenden Umsetzung von Basel II dürfte dies von erheblicher Be- deutung sein, nicht zuletzt für die mittelständische Wirt- schaft. Ernst sollte man auch die Kritik zahlreicher Fachleute nehmen, so zum Beispiel die Ausführungen des langjähri- gen LZB-Präsidenten Professor Hans-Jürgen Krupp, SPD, der in diesem Zusammenhang befürchtet, dass die „Stabilität des Finanzsystems beeinträchtigt und der mit- telständischen Wirtschaft geschadet wird“ und der wört- lich von einem „Zentralisierungswahn“ spricht. Ich fasse abschließend die Kritik unserer Fraktion wie folgt zusammen: Beide Gesetzentwürfe sind geprägt von einem über- triebenen Zentralismus, provozieren einen völlig unnöti- gen Konflikt mit der Mehrzahl der Bundesländer, gefähr- den das hervorragende Ansehen der Bundesbank und von bestehenden Aufsichtsämtern, berücksichtigt zu wenig die mittelständisch geprägte Struktur unserer Wirtschaft sowie die Interessen der in der Fläche vorherrschenden Sparkassen und genossenschaftlichen Banken und ver- nachlässigen die Erfahrungen anderer Staaten. Beide Gesetze sind zwar nicht zustimmungspflichtig, dennoch kann der Bundesrat mit Zweidrittelmehrheit er- reichen, dass auch eine Zweitdrittelmehrheit im Bundes- tag erforderlich wird. Nicht zuletzt vor diesem Hinter- grund hoffen wir, dass beide Gesetze im Rahmen der parlamentarischen Beratungen noch in wesentlichen Punkten verändert werden, damit beide Gesetze eine breite Mehrheit in Bundestag und Bundesrat finden. Dies ist für die wichtigen und sensiblen Bereiche, um die es in beiden Gesetzen geht, sinnvoll und erstrebenswert. Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir beraten die Gesetzentwürfe zur Reform der Bundes- bank und zur integrierten Finanzdienstleistungsaufsicht ab heute zusammen. Das ist die richtige Entscheidung, denn letztlich können wir nicht vernünftig über die neue Struktur der Bundesbank beraten, bevor nicht klar ist, welche Aufgaben die Bundesbank innerhalb des neuen Aufsichtssystems haben wird. Das eine geht nicht ohne das andere. Nach dem Übergang der geld- und währungspoliti- schen Entscheidungsbefugnisse auf die Europäische Zen- tralbank muss die Bundesbank ihrer neuen Rolle gerecht werden. Das heißt in erster Linie, dass die Zentrale der Bundesbank in Frankfurt am Main und damit der Bun- desbankpräsident gestärkt werden müssen. Die Zentrale braucht ein entsprechendes Gewicht, damit die Stimme der Bundesbank bei den geld- und währungspolitischen Entscheidungen im ESZB angemessen berücksichtigt wird. Deutschland kann hier nicht mit einem ganzen Stim- menchor sprechen. Das würde die Glaubwürdigkeit und das Vertrauen der Bevölkerung, das auch mit einer Euro- päischen Zentralbank die Stabilität nach innen und außen gewahrt werden kann, erst recht beeinträchtigen. Kernstück der Reform ist der neue sechsköpfige Bun- desbankvorstand. Dieser wesentlich kleinere Vorstand wird zukünftig die Leitungsfunktionen der bisherigen Bundesbankorgane in sich vereinen. Die Vorbehaltszu- ständigkeiten der Landeszentralbanken entfallen. Die Landeszentralbankpräsidenten sind im Vorstand nicht mehr vertreten und darüber hinaus weisungsgebunden. Ihre Bestellung erfolgt auf Vorschlag des Bundesrates im Einvernehmen mit dem neuen Bundesbankvorstand. Durch diese einheitliche Leitungs- und Entscheidungs- struktur wird die Zentrale der Bundesbank entscheidend gestärkt. Zusätzlich erhält der Präsident eine sehr starke Position innerhalb dieses Gremiums: So bestimmt der Präsident zukünftig im Einvernehmen mit der Bundesregierung die weiteren vier Mitglieder des Vorstandes, Hinzu kommt noch, dass der Präsident bei wichtigen Sachentscheidun- gen das letzte Wort hat. Der Vorstand kann nicht gegen ihn entscheiden. Darüber hinaus ermöglicht die neue, schlan- kere Struktur effiziente Organisationsabläufe. Bisherige Doppelarbeiten können reduziert werden und aufwendige Koordinierungsaufgaben entfallen. Ebenfalls mehr Effizienz versprechen wir uns davon, dass die Bundesbank in Zukunft verstärkt betriebswirt- schaftliche Instrumente wie etwa Kostenrechnung einset- zen muss. Durch diese Maßnahme werden die Ausgaben transparent und das bringt sicherlich auch mehr Ausga- bendisziplin mit sich. Zusätzlich erhält der Bundestag die Möglichkeit, Empfehlungen auszusprechen, wie die Effi- zienz gesteigert werden kann. Hier haben verschiedene Seiten Bedenken angemeldet, ob dies nicht die Unabhän- gigkeit der Bundesbank beschädigt, deshalb auch der ex- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 200118836 (C) (D) (A) (B) plizite Verweis auf den europarechtlichen Schutz der Un- abhängigkeit der Bundesbank. Dies ist ein hohes Gut, das wir keinesfalls gefährden wollen. Trotz dieser Zentralisierung soll aber auch die Veran- kerung in den Regionen erhalten bleiben, damit die Er- fahrungen und damit verbundenen Kompetenzen und Ka- pazitäten vor Ort weiterhin nutzbar sind, um die Geldpolitik dezentral umzusetzen. Denn die föderale Struktur der Bundesbank, ihre Präsenz und Kompetenz auch in der Fläche, ist ein entscheidendes Plus, das man nicht ohne Not opfern darf. Und das auch nicht geopfert wurde. Die neun Landeszentralbanken bleiben erhalten. Es besteht die Möglichkeit, regionale Kompetenzzentren zu schaffen. Und – wie schon erwähnt – kann der Bun- desrat bei der Benennung der Landeszentralbankpräsi- denten weiter mitwirken. Damit ist gesichert, dass Wirtschaft, Banken und Poli- tik auch in der Fläche in den Landeszentralbanken wei- terhin kompetente Partner finden werden. Über die kon- krete Ausgestaltung des Kollegialprinzips werden wir bei den parlamentarischen Beratungen des Gesetzentwurfes sicherlich noch einmal zu reden haben. Ich denke, es sollte nicht einfach hinten herunterfallen. Wie stark die Bundesbank sein wird, ist aber nicht zu- letzt eine Frage, welche Rolle sie bei der Bankenaufsicht spielen wird. Hier verfügt die Bundesbank über umfang- reiche Erfahrungen und die entsprechenden Ressourcen, die es auch weiterhin zu nutzen gilt. Dies ist umso wich- tiger, als mit Basel II neue Anforderungen auf Banken, die Bankenaufsicht und besonders auf die mittelständische Wirtschaft zukommen. In der Banken- und Versicherungslandschaft ist schon seit einiger Zeit ein Trend zu Allfinanzkonzepten zu be- obachten. Die Grenzen zwischen den verschiedenen Ty- pen von Finanzdienstleistern verschwimmen. Damit wer- den gefährliche Risikokonzentrationen häufig erst dann erkennbar, wenn alle Aktivitäten gemeinsam betrachtet werden. Die derzeit getrennten Kompetenzen der Auf- sichtsämter führen dazu, dass Geschäftsbereiche nicht ausreichend oder aber gleich doppelt überwacht werden. Mit der Zusammenlegung der Aufsichtsämter für das Ver- sicherungswesen, den Wertpapierhandel und das Kredit- wesen ziehen die Aufsichtsbehörden jetzt die notwendi- gen Konsequenzen aus diesen Entwicklungen. In diesem Rahmen wird die Aufgabenverteilung zwi- schen der zukünftigen Bundesanstalt für Finanzdienstleis- tungsaufsicht und der Bundesbank erstmals gesetzlich ge- fasst. Auch hier werden wir bei den parlamentarischen Beratungen genau prüfen, ob so Doppelarbeiten tatsäch- lich vermieden und die vorhandenen Kapazitäten effi- zienter genutzt werden. Gerhard Schüßler (FDP): Die vorliegenden Gesetz- entwürfe enthalten Reformen, die von der FDP ausdrück- lich begrüßt werden. Die Strukturreform der Bundesbank und eine Neuregelung unserer komplizierten Finanz- marktaufsicht sind vor dem Hintergrund der veränderten Zentralbankstruktur in Europa einerseits und der zuneh- menden Globalisierung der Finanzmärkte andererseits sinnvoll, aber auch notwendig. Die Schaffung einer einheitlichen Leitungs- und Ent- scheidungsstruktur bei der Bundesbank und die Zusam- menfassung der Aufgaben, die bisher von Zentralbankrat, Direktorium und den Vorständen der Landeszentralban- ken wahrgenommen wurden, werden von der FDP unter- stützt. Die Bundesbank hat mit dem Übergang der Geld- politik auf die Europäische Zentralbank Kompetenzen abgegeben. Geld- und währungspolitische Entscheidun- gen werden im EZB-Rat unter Mitwirkung des Bundes- bankpräsidenten getroffen. Für die vorbereitende Arbeit im ESZB-Rat bedarf es einer Straffung der komplexen Abstimmungs- und Koordinierungsprozesse innerhalb des deutschen Zentralbanksystems. Diese Strukturreform der Bundesbank muss allerdings eine angemessene regionale Präsenz weiterhin gewähr- leisten. Die Zweiganstalten haben Erkenntnisse über Ban- ken „vor Ort“, die sie im Rahmen ihrer Aufsichtstätigkeit dringend benötigen. Hier ist der Zusammenhang mit der Schaffung einer in- tegrierten Finanzmarktaufsicht zu sehen, an der die Bun- desbank wesentlich beteiligt ist. Einerseits verlangt unsere dezentrale Bankenstruktur eine dezentrale, insti- tutsnahe Struktur der Bank- bzw. Finanzmarktaufsicht. Andererseits verlangen die zunehmende Internationalisie- rung der Finanzmärkte sowie das fortschreitende Ent- stehen von Allfinanzkonzernen die zentrale Zusam- menfassung der Finanzmarktaufsicht. Für eine zentrale Finanzmarktaufsicht spricht insbesondere die zurzeit dis- kutierte Bekämpfung der Geldwäsche und die Austrock- nung illegaler Finanzströme. Dem ist unsere sowohl ver- tikal wie horizontal zersplitterte Aufsicht keinesfalls gewachsen. Für die FDP begrüße ich nochmals die von der Bun- desregierung vorgelegten Gesetzentwürfe. Wir werden im Rahmen der parlamentarischen Beratungen konstruktiv daran mitwirken. Dr. Barbara Höll (PDS): Wir beraten heute zwei Gesetzentwürfe – den Entwurf eines siebten Bundes- bankänderungsgesetzes und den Entwurf eines Gesetzes über die integrierte Finanzdienstleistungsaufsicht –, die in unmittelbarem Zusammenhang stehen. Deshalb erscheint mir die gemeinsame Behandlung der Vorlagen auch sinn- voll. Die Bundesregierung plant, eine Allfinanzaufsicht zu installieren, in deren Händen die Aufsicht über die Ban- ken, Versicherungsunternehmen und Finanzdienstleis- tungsinstitute gebündelt wird. Unbestritten ist, die Fi- nanzmärkte haben sich gewandelt. Wer heute in seine Bankfiliale kommt, erhält nicht mehr nur Angebote über Anlagemöglichkeiten oder günstige Kredite. Immer öfter nehmen Banken auch Versicherungen, Ausbildungs- oder Rentenversicherungen, in ihren Leistungskatalog auf. Gleichzeitig offerieren Versicherungsunternehmen neben einer Haftpflicht-, Hausrat- oder Lebensversicherung auch Sparpläne und Anlagemöglichkeiten. Auch wenn meines Erachtens in Zukunft Finanzkonglomerate wie das Konglomerat der Allianz mit der Dresdner Bank nicht bestimmend sein werden, so ist es doch klar, dass die Kooperation von Banken, Finanzdienstleistern und Ver- sicherern stetig zunimmt, die Produkte immer mehr Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 18837 (C) (D) (A) (B) verschwimmen. Auch verstärken sich die Wechselbezie- hungen zwischen Bank- und Kapitalmarktfinanzierung permanent. Eine einheitliche Aufsicht über die Anbieter und ihre Produkte ist da nur sinnvoll. In mehreren euro- päischen und außereuropäischen Ländern hat sich eine Allfinanzaufsicht bewährt, unter anderem in Japan, in der Schweiz oder in den skandinavischen Ländern. Aus diesen Gründen unterstützen wir das Anliegen des Gesetzentwurfes. Allerdings sind in den vor uns stehenden Beratungen noch erhebliche Einwände zu debattieren: Zweifelhaft ist meines Erachtens zum Beispiel die Integration der Versi- cherungsaufsicht in die Allfinanzaufsicht. Diese leitet sich nicht automatisch aus der Bildung einzelner großer Bank- und Versicherungskonzerne ab. Hier sollte noch genauer analysiert und differenzierter reagiert werden. Ein zweiter Aspekt, der insbesondere in der Fachwelt immer wieder angebracht wird, ist die Frage, wer die Fi- nanzaufsicht ausübt. Ist es notwendig, eine neue Behörde zu installieren, oder kann das Know-how der Bundesbank genutzt und die Aufsicht von dieser übernommen werden, wie es zum Beispiel in den Niederlanden oder Spanien der Fall ist? Damit sind wir bei dem zweiten Gesetzentwurf, dem Entwurf eines siebten Bundesbankänderungsgesetzes. Meines Erachtens muss im Rahmen der Strukturreform der Bundesbank auch darüber beraten werden, ob die Bundesbank eine Allfinanzaufsicht übernehmen kann. Mit der endgültigen Einführung des Euro in genau 82 Tagen wird offensichtlich, dass die Geldpolitik als Auf- gabe der Bundesbank wegfällt. Sie hat nun vor allem die Aufgabe, die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank national umzusetzen. Entsprechend müssen die Struktu- ren reformiert werden. Wir unterstützen die entsprechen- den Vorschläge im Gesetzentwurf. Allerdings sind auch hier Korrekturen notwendig: Dies betrifft zum Beispiel die Einbeziehung der Vorschläge des jetzigen Bundesbankpräsidenten in Bezug auf das ein- heitliche Bestellungsverfahren und das Vetorecht des zukünftigen Bundesbankpräsidenten. Besonderes Augen- merk muss weiterhin auf das Mitwirkungsrecht der Be- legschaft gelegt werden. Nehmen Sie die entsprechenden Vorschläge der Gewerkschaften auf, den Beschäftigten Sitz und Stimme im Verwaltungsbeirat zu geben! Damit könnten sich zukünftig auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wirksam an der inneren Gestaltung der Bundesbank beteiligen. Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister der Finanzen: Das Bundeskabinett hat am 30. Mai 2001 den Entwurf für ein Bundesbankstruk- turreformgesetz – Siebentes Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Deutsche Bundesbank – und am 15. Au- gust 2001 den Entwurf eines Gesetzes über die integrierte Finanzdienstleistungsaufsicht verabschiedet. Beide Ge- setzentwürfe sollen im Parlament gemeinsam behandelt werden. Lassen Sie mich im Folgenden die konzeptionel- len Überlegungen der Bundesregierung darlegen. Die konzeptionellen Kernpunkte der Bundesbank- strukturreform lauten wie folgt: angemessene Vertretung deutscher Interessen im Europäischen System der Zen- tralbanken (ESZB) durch die Stärkung der Bundes- bankzentrale in Frankfurt am Main und der Position des Bundesbankpräsidenten; einheitliche Leitungs- und Ent- scheidungsstruktur durch die Einrichtung eines Bundes- bankvorstands, der die Funktionen der bisherigen Bun- desbankorgane in sich vereint – dazu gehört auch der Wegfall der so genannten Vorbehaltszuständigkeiten der Landeszentralbanken –; Bewahrung eines in der Fläche präsenten Bundesbanksystems durch den Erhalt der neun Landeszentralbanken und die Möglichkeit zur Einrich- tung regionaler Kompetenzzentren durch ein Organisa- tionsstatut; Schaffung größerer Ausgabentransparenz und Kostenkontrolle bei der Bundesbank für eine effizientere Aufgabenwahrnehmung unter voller Wahrung ihrer euro- parechtlich geschützten Unabhängigkeit. Der Gesetzentwurf enthält die folgenden wesentlichen Regelungen: Die Bundesbank soll zukünftig von einem sechsköpfigen Vorstand geleitet werden. Ihr Präsident und der Vizepräsident werden auf Vorschlag der Bundesregie- rung bestellt. Bei den übrigen Vorstandsmitgliedern er- folgt die Bestellung auf Vorschlag des Bundesbankprä- sidenten im Einvernehmen mit der Bundesregierung. Bei wichtigen Sachentscheidungen – und zwar bei der Aufstellung des Jahresabschlusses, der Plankostenrech- nung und des Investitionsplans sowie bei der Zuständig- keitsverteilung innerhalb des Vorstands und der Bank – kann nicht gegen den Präsidenten entschieden werden. Durch diese Regelung soll die herausgehobene Position des Bundesbankpräsidenten als Vertreter der Zentralbank Deutschlands im EZB-Rat unterstrichen werden. Die Landeszentralbankpräsidenten sind nicht mehr im Leitungsorgan der Bundesbank vertreten. Ihre Bestellung erfolgt auf Vorschlag des Bundesrats im Einvernehmen mit dem Vorstand. Auf diese Weise wird die einheitliche Umsetzung der von der Bundesbankzentrale vorgegebe- nen Leitlinien durch die Hauptverwaltungen sicherge- stellt. Die Bundesregierung bedauert, dass der Bundesrat den Entwurf in der vorliegenden Form ablehnt. Gleichwohl geht die Bundesregierung davon aus, dass die parlamen- tarischen Beratungen – wie nunmehr vorgesehen – im März 2002 abgeschlossen sein werden. Der gleiche Zeitplan gilt für den Gesetzentwurf über die integrierte Finanzdienstleistungsaufsicht. Dieser Ge- setzentwurf beinhaltet im Wesentlichen die Errichtung der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht mit Ermächtigungsgrundlagen für flankierende Verordnun- gen zur Satzung und Finanzierung und die Regelung der Zusammenarbeit mit der Bundesbank. Die neue Bundesanstalt mit Sitz in Bonn und Frankfurt soll die Aufgaben der heutigen Aufsichtsbehörden Bun- desaufsichtsamt für das Kreditwesen, Bundesaufsicht- samt für das Versicherungswesen und Bundesaufsicht- samt für den Wertpapierhandel übernehmen. Der Gesetzentwurf regelt dazu überwiegend organisations- und dienstrechtliche Fragen, ohne das materielle Auf- sichtsrecht zu ändern. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 200118838 (C) (D) (A) (B) Bei diesem Entwurf geht es um mehr als nur um die Zusammenlegung dreier Aufsichtsbehörden und um Auf- gabenzuweisung hinsichtlich der Bankenaufsicht. Es geht darum, die Voraussetzungen für eine integrierte, stärker kapitalmarktorientierte Aufsicht zu schaffen. Die integrierte Finanzdienstleistungsaufsicht schafft Voraussetzungen für mehr Wettbewerbsneutralität der Aufsicht, die Zusammenführung gemeinsamer Funktio- nen, die Nutzung sektorübergreifenden Know-hows und von Synergieeffekten bei Personal und Equipment sowie Rekrutierung der erforderlichen Spezialisten. Dies er- möglicht den erforderlichen Schritt über die institutsbe- zogene Aufsicht herkömmlicher Prägung hinaus zu mehr Kapitalmarktorientierung. Der Gesetzesentwurf sichert insbesondere im Ver- gleich zum Finanzplatz London und der dortigen Aufsicht der FSA die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Fi- nanzmarktes am Standort Deutschland. Er hat großes In- teresse und überwiegend positives Echo hervorgerufen – zuletzt vom IWF –, auch hinsichtlich der Rolle der Bun- desbank bei der Bankenaufsicht. Der Entwurf erfüllt die Vorgabe der Sicherstellung der Einbeziehung der Bundesbank zur Erfassung systemi- scher Risiken und zur Nutzung der Präsenz in der Fläche. Erstmals wird die Kooperation zwischen der Bundesbank und der Bundesanstalt sowie ihre Einbindung in die lau- fende Bankenaufsicht gesetzlich konkretisiert. Der Vergleich mit dem Status quo zeigt, dass die Rolle der Bundesbank nicht geschwächt, sondern im Gegenteil eindeutig gestärkt wird. Die Anträge im Bundesrat zu un- serem Gesetzentwurf müssen enttäuschen. Das Konzept ist ausgewogen. Die Bundesbank ist mit dem Gesetzes- entwurf weitgehend zufrieden. Wichtige Vorstellungen der Bundesbank sind erfüllt – so kürzlich Edgar Meister, Mitglied des Direktoriums. Weitere Verschiebungen zu- gunsten der Bundesbank schwächten die Stellung der Bundesanstalt und führten zu einer Aushöhlung des Kon- zepts. Ich fasse zusammen. Helfen Sie mit, dass die Bundes- bank und die neue Bundesanstalt den Platz einnehmen können, der im Sinne der Finanzstabilität und des Finanz- platzes Deutschland künftig erforderlich ist. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung – des Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Ände- rung des Schuldrechtsanpassungsgesetzes – des Antrags: Änderung des Schuldrechtsan- passungsgesetzes (Tagesordnungspunkt 14 a und b) Hans-Joachim Hacker (SPD): Die Problematik der Schuldrechtsanpassung, verständlich gesagt, die Rege- lung der Rechtsverhältnisse zwischen Grundstücksei- gentümern und Nutzern von Erholungs- und Garagen- grundstücken, gehörte zu den komplizierten Rechtsfragen bei der Wiedervereinigung. Wer heute über diese Thema- tik spricht, vor allem über den vorgelegten Entwurf der Bundesregierung zur Änderung des Schuldrechtsanpas- sungsgesetzes, darf einerseits den historischen Bezug nicht vergessen. Andererseits muss er sich – jedenfalls dann, wenn er verantwortungsbewusst diskutiert – von den Vorgaben aus dem Urteil des Bundesverfassungsge- richtes vom 14. Juli 1999 leiten lassen. Zum historischen Bezug gehört, dass die Nutzer während der DDR-Zeit Grundstücke erschlossen und mit viel Engagement in Zeiten von Materialknappheit Erho- lungsmöglichkeiten für ihre Familien geschaffen haben. Dabei wurden Privateigentümer, wenn über deren Grund- stücke durch Staatsorgane verfügt wurde, nicht gefragt. Das war in der DDR so. Das weiß jeder, der sich mit der Materie beschäftigt hat. Das geschaffene Eigentum war jedoch nicht durch dingliche Rechte gesichert, auch die Regelungen des ZGB der DDR ließen Kündigungen zu. Bei der Wiedervereinigung hat der Gesetzgeber die Nutzungsrechte an Erholungs- und Garagengrundstücken durch ein Moratorium gesichert und dem gesamtdeut- schen Gesetzgeber die abschließende rechtliche Regelung überlassen. Ohne Moratorium wären die betroffenen Bau- lichkeiten bereits am 3. Oktober 1990 nach den Bedin- gungen des BGB zu behandeln gewesen. Das heißt unter anderem, dass die üblichen Kündigungsvorschriften ge- griffen hätten. Der Einigungsvertrag, den die PDS in der Volkskammer abgelehnt hatte, hat also für die Nutzer in der Übergangsfrist Rechtssicherheit geschaffen und das Schuldrechtsanpassungsgesetz brachte die abschließende gesetzliche Regelung – so dachten wir es im Deutschen Bundestag jedenfalls bei dessen Verabschiedung 1994. Zur Gesamtbetrachtung gehört jedoch auch – ich hatte eingangs bereits darauf hingewiesen –, dass sich auf die Klage von Grundstückseigentümern hin das Bundesver- fassungsgericht mit den Regelungen des Schuldrechtsan- passungsgesetzes befasst und in seinem Urteil vom 14. Juli 1999 jedenfalls teilweise die Verfassungswidrig- keit einzelner Bestimmungen kritisiert hatte. Dieses zwingt den Gesetzgeber zum Handeln. Ob der Gesetzent- wurf den Vorgaben des Verfassungsgerichtes gerecht wird und den vom Gesetzgeber angestrebten verträglichen Ausgleich der Interessen erreicht und dabei die ge- wünschte Befriedungsfunktion erfüllt, darüber können und müssen wir ernsthaft diskutieren, allerdings auf einer ehrlichen Basis. Zum Änderungsantrag der PDS-Fraktion ist festzustel- len, dass damit das Ziel nicht erreicht wird. Man könnte auch sagen: Gewogen und für zu leicht befunden! Auf jeden Fall – das geht an die PDS-Fraktion, aber auch an die Nutzer und ihre Verbände –: Die PDS bleibt ihrer Linie treu. Sie verspricht alles, weil sie selbst für nichts einstehen muss, verdreht dabei noch die Tatsachen und weckt unerfüllbare Hoffnungen. Wie anders sind sonst Forderungen im Änderungsantrag zu verstehen, die darauf abzielen, dass künftig bei der Festlegung des Nut- zungsentgeltes der Zeitwert des Grundstücks zu Beginn der Nutzungsverhältnisse berücksichtigt werden soll. Was heißt das praktisch? Das bedeutet: Der staatlich regle- mentierte Grundstückspreis, zum Beispiel aus dem Jahre 1972, soll nun die Grundlage darstellen. Das sind in der Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 18839 (C) (D) (A) (B) Regel Pfennigbeträge, die nie an marktwirtschaftlichen Werten orientiert waren, also ein bisschen Staatssozialis- mus und – wenn es denn recht ist – auch ein wenig Markt- wirtschaft. Das dürfte nicht einmal die Nutzer überzeugen. Was bedeutet die Forderung nach einer Orientierung der Bundesländer zur Schaffung von Stundungsregelun- gen? Diese Forderung ist völlig unverständlich; denn für Anlagen nach dem Bundeskleingartengesetz hat der Bun- desgesetzgeber längst eine derartige Regelung verab- schiedet und für die Erholungsgrundstücke haben die Länder gemäß Art. 74 GG, Abs. 1, Nr. 18 die Befugnis, das Erschließungsbeitragsrecht landesrechtlich abzuändern. Das heißt, die Länder können eine zinslose Stundung der Erschließungsbeiträge vorsehen mit der Folge, dass man- gels Fälligkeit keine Erstattung verlangt werden kann. In- sofern existiert ein entsprechender Handlungsrahmen. Die neuen Länder brauchen weder einen Fürsprecher noch einen Zensor. Im Folgenden möchte ich auf die Kernpunkte des Ge- setzentwurfes eingehen. Das Bundesverfassungsgericht hat unter anderem gefordert, dass der Gesetzgeber eine Regelung zur angemessenen Beteiligung des Nutzers an den öffentlichen Lasten des Grundstücks und zur Ge- währung eines Teilflächenkündigungsrechtes für Ei- gentümer großer Grundstücke schafft. Daher hat die mit der Erarbeitung von Vorschlägen befasste Bund-Länder- Arbeitsgruppe Regelungen zur Beteiligung der Nutzer an den Kosten für einmalige Erschließungs- oder Anschluss- leistungen sowie für regelmäßig wiederkehrende öffentli- che Lasten unterbreitet. Diese Vorschläge greift der vorliegende Gesetzentwurf auf. Danach sollen die Nutzer bei den einmaligen Lasten in Höhe von 50 Prozent – und das verteilt auf zehn Jah- re – beteiligt werden. Endet das Vertragsverhältnis vor Ablauf des Zehnjahreszeitraums, werden keine weiteren Teilbeträge mehr fällig. Ich wiederhole mich: Eine Stun- dungsregelung ist durch landesrechtliche Regelung mög- lich. Für regelmäßig wiederkehrende öffentliche Lasten soll der Grundstückseigentümer ab dem 1. Juli 2001 die Er- stattung verlangen können. Beide Regelungstatbestände sind keine Böswilligkeiten der Bundesregierung oder der Regierungskoalition, sondern stellen die Umsetzung der Intention des Bundesverfassungsgerichtes im Urteil vom 14. Juli 1999 dar. Der Vorwurf, der von der PDS im Änderungsantrag er- hoben wird, dass der Gesetzentwurf der Bundesregierung die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes nicht berücksichtige, ist völlig haltlos und zielt ins Leere. Wer den Änderungsantrag ernst nimmt, kommt zu dem Ergeb- nis, dass der Gesetzgeber Gestaltungsspielraum zur Ver- besserung der Rechtsstellung der Nutzer hat. Dies ist nicht der Fall. Insofern – das vertrete ich für die SPD-Bundestags- fraktion und auch im Hinblick auf meine früheren Forde- rungen – ist der Handlungsspielraum des Gesetzgebers deutlich begrenzt. Weitergehende Schutzrechte für die Nutzer würden die Rechtsstellung der Grundstücksei- gentümer verschlechtern. Damit würde nicht nur das Ur- teil des Bundesverfassungsgerichtes konterkariert. Wei- tere Klagen wären die Folge. Wenn das die Zielrichtung der PDS-Fraktion ist, kann ich nur feststellen: Das ist eine verantwortungslose Politik, die den betroffenen Nutzern Steine statt Brot gibt, den Streit zwischen Nutzern und Grundstückseigentümern weiter schürt und Unfrieden stiften würde. Mit der SPD-Bundestagsfraktion ist eine solche Politik nicht zu machen. Im Rahmen der heutigen Debatte ist es nicht möglich, über alle Einzelheiten des Entwurfes zu diskutieren. Wir werden das in den Berichterstattergesprächen und im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages ausführlich betreiben. Eines möchte ich zum Abschluss jedoch noch feststel- len: Mit dem Teilkündigungsrecht für große Grund- stücksflächen folgen wir nicht nur der Vorgabe des Bun- desverfassungsgerichtes, sondern wir greifen damit auch Forderungen der Nutzerverbände auf. Mit der konkrete- ren Bestimmung der Nachweisführung über die Ortsüb- lichkeit von Nutzungsentgelten schaffen wir mehr Klar- heit hinsichtlich der Begründung des Verlangens auf Nutzungsentgelterhöhung. Dieses Verlangen beinhaltet jedoch keinen Automatismus. Widerspruch des Nutzers gegen ein Erhöhungsverlangen des Grundstückseigentü- mers war und ist weiterhin möglich und in Streitfällen sind die Gutachterausschüsse gefragt, an deren Verant- wortung ich deutlich appellieren will. Andrea Voßhoff (CDU/CSU): Uns liegt heute ein Ge- setzentwuf der Bundesregierung vor, dessen Themen- komplex dieses Hohe Haus ja schon oft beschäftigt hat. Immer wieder waren und sind die bestehenden Rechts- verhältnisse zwischen Grundstückseigentümern und Nut- zern von Erholungs- und Freizeitgrundstücken in den neuen Ländern Gegenstand der parlamentarischen, aber auch und insbesondere der außerparlamentarischen Erör- terung. Unter dem Stichwort „Datschengesetz“ füllt die- ses Thema bis heute Briefe, Artikel in Tageszeitungen und natürlich Verbandszeitungen der jeweils Betroffenen. Mit verständlichen Emotionen und entsprechender Verunsicherung begegnen gerade die Grundstücksnutzer daher auch der finanziellen Auswirkungen der jetzt geplanten Änderungen. Wer immer sich auf Bundestags- ebene mit diesem Thema beschäftigen durfte, musste bis- her erfahren, dass sich der Rechtsfrieden dieser vom Ge- setzgeber zu regelnden schuldrechtlichen Verhältnisse scheinbar so recht nicht einstellen will. Aber wenn ich mir nicht nur die bisherigen Gesetzes- initiativen von SPD und PDS zu diesem Thema ansehe, sondern auch zum Beispiel die regelmäßig erscheinende Verbandszeitschrift des VDGN aus den vergangenen Jah- ren durchblättere und ihre Stellungnahme dort lese, kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass sie an diesem Unfrieden keinen unbedeutenden Anteil haben. Immer wieder haben sie gegenüber den Nutzern in der Vergan- genheit Hoffnungen geweckt, die nicht erst nach der Ent- scheidung des Bundesverfassungsgerichts, sondern auch schon vorher weder haltbar noch verfassungsrechtlich vertretbar waren. Zumindest bei der SPD scheinen ja diese Stimmen seit dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes aus dem Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 200118840 (C) (D) (A) (B) Jahr 1999 stumm geworden zu sein. Doch noch bis in die Jahre 1997 und 1998, also in das damalige Wahljahr hi- nein wurde den Nutzern schlicht mehr versprochen, als zu halten war. Leider habe ich an einer Veranstaltung des VDGN – wohl im Jahr 1997 – nicht teilgenommen. Auf der soll ja die heutige Bundesjustizministerin und damalige rechtspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Frau Prof. Däubler-Gmelin, den Nutzern ihre damaligen Vorstellun- gen von einem Interessenausgleich zwischen den Grund- stückseigentümern und den Nutzern dargelegt haben. Ich höre immer wieder Nutzer – zuletzt auf der verbandsin- ternen Anhörung des VDGN am 4. September 2001 – die sich auf die Inhalte dieser Rede der Frau Ministerin beru- fen, die sie jetzt im Gesetzentwurf mehr als vermissen. Ich denke, die Nutzer hätten Anspruch auf eine Erklärung, warum ihre damaligen Vorstellungen mit dem in ihrem Hause erarbeiteten und heute vorgelegten Entwurf nur noch wenig Übereinstimmung zeigen. Nun wird vielleicht der eine oder andere aus der SPD- Fraktion, dem ähnliche Fragen gestellt werden, erklären, man habe den Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes damals noch nicht kennen können. Das ist sicher eine zu- treffende Erklärung, aber für viele enttäuschte Nutzer wahrlich keine Entschuldigung; denn das Verfassungs- recht sollte in der Rechtspolitik immer Maßstab des Han- delns sein und nicht erst, wenn das Bundesverfassungs- gericht entschieden hat. Wer zu viel Hoffnungen weckt, muss sich fragen las- sen, was er damit beabsichtigt. Und die PDS? Sie baut – auch mit dem heutigen Än- derungsantrag – weiter an ihrer sozialistischen Denkwelt, in die das Privateigentum nicht hineinpasst, und deshalb nicht sein darf, was das Grundgesetz in Art. 14 definiert hat. Dass diese Forderungen nicht umgesetzt werden, be- gründet die PDS gegenüber den Betroffenen immer wie- der mit den Mehrheitsverhältnissen des Bundestages. Das ist prinzipiell richtig; mir bleibt ja – Gott sei Dank nur vorübergehend – in manchen Fällen auch nichts anderes übrig. Aber als eine im Bundestag vertretene Oppositi- onspartei ist es auch ihre Pflicht, auf die rechtspolitischen Grenzen hinzuweisen, die das Grundgesetz nun einmal vorgibt. Wer dies beharrlich ignoriert und stattdessen mit un- haltbaren Forderungen – auch jetzt mit dem vorliegenden Änderungsantrag der PDS – erneut nicht erfüllbare Hoff- nungen von Grundstücksnutzern weckt und damit gleich- zeitig berechtigte Ansprüche der Grundstückseigentümer schlicht ignoriert, verspielt seine rechtspolitische Glaub- würdigkeit. Gerade diese aber schulden wir den Betroffe- nen, und zwar Nutzern gleichermaßen wie Eigentümern, in dem so schwierigen Prozess der Anpassung dieser Nut- zungsrechtsverhältnisse. Auch ich weiß aus Gesprächen mit vielen Grund- stücksnutzern, dass sie sich mehr als schwer tun mit der bestehenden Gesetzeslage und für die jetzt notwendigen Änderungen nur wenig Verständnis aufbringen können. Aus nicht wenigen Einzelfällen weiß ich, dass viele von ihnen seinerzeit Grund und Boden urbar gemacht haben. Sie haben aus grundbuchtechnisch bezeichnetem „Un- land“, das nämlich als nicht kultivierbar eingestuft wurde, kleine Paradiese gemacht. Und sie sind gerade deshalb mit dem Grundstück so verbunden, als ob es ihr eigenes wäre. Aber ich kenne auch Grundstückseigentümer, insbe- sondere ältere Menschen, denen seinerzeit systembedingt gegen ihren Willen die Verwertung und Nutzung ihres Ei- gentums entzogen wurde und denen heute, zum Beispiel durch den ausgedehnten Kündigungsschutz, die Verwer- tung oder auch Nutzung des Grundstücks vielleicht für den Rest ihres Lebens verwehrt bleiben werden. Beide Beispiele zeigen das Spannungsfeld, in dem sich der Gesetzgeber bewegt, wenn er um einen Interessen- ausgleich bemüht sein muss. Jede Regelung wird deshalb immer auf beiden Seiten zu Enttäuschungen oder Ableh- nung führen. Gleichwohl ist es Aufgabe dieses Hohen Hauses, mit der Umsetzung der Entscheidung des Bun- desverfassungsgerichtes die dort beanstandete Benachtei- ligung der Eigentümer zu beseitigen. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entschei- dung vom 14. Juli 1999 – trotz der Beanstandungen – die damalige Ausgestaltung des Schuldrechtsanpassungsge- setzes dem Grunde nach bestätigt. Dies gilt für den langen Kündigungsschutz, der dem berechtigten Vertrauens- schutz der Nutzer Rechnung tragen soll. Dies gilt auch, bis auf die Beteiligung des Nutzers an den öffentlichen Lasten, für die gestaffelte Regelung der Anpassung des Nutzungsentgelts an die wirtschaftlichen Verhältnisse. So weit, so gut! Wir haben aber auch zur Kenntnis genommen, dass das Gericht sehr deutlich gemacht hat, dass Regelungen der Schuldrechtsanpassung zum Nachteil der Eigentümer ein- deutig verfassungswidrig sind. Darauf hat sich Hand- lungsbedarf ergeben, der mit dem heutigen Entwurf auch umgesetzt werden soll und muss. In vielen Punkten stim- men wir daher dem Regelungsansatz zu. Aber wir melden schon jetzt auch Diskussionsbedarf und gegebenenfalls Änderungsbedarf an. Ich will nur ei- nige Punkte anschneiden, die für uns noch diskussions- würdig sind: So bedarf der Erörterung, ob die Umsetzung des Teilkündigungsrechts für den Eigentümer und des subsidiären Teilkündigungsrecht für den Nutzer im Inte- resse beider Seiten hinsichtlich der im Gesetz genannten Kriterien praktikabel ist. Der Entwurf sieht zudem vor, dass der Nutzer künftig 50 Prozent der in der Zeit seit dem 3. Oktober 1990 ange- fallenen einmaligen öffentlichen Lasten, zeitlich ge- streckt, nachzahlen muss. Der Gesetzentwurf will damit der Forderung des Gerichtes nach einer, wie es im Urteil heißt, „angemessenen Beteiligung“ nachkommen. Hier bedarf es schon einer genauen Prüfung, inwieweit etwaige, vom Nutzer seit der Wiedervereinigung aufgewendete Kosten aus solchen Maßnahmen, die dem Eigentümer wertmäßig zugewachsen sind, in dieser anteiligen Beteili- gung ausreichend berücksichtigt wurden. Schließlich sehe ich auch noch Klärungsbedarf in der immer wieder diskutierten Frage der Beteiligung des Nut- zers an den Abrisskosten im Falle seiner Kündigung. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 18841 (C) (D) (A) (B) Zur Vermeidung von Missverständnissen sage ich: Ich stelle in dieser Frage den Grundansatz der hälftigen Kos- tenteilung nicht in Frage. Gleichwohl müssen wir der Frage nachgehen, ob und in welchem Umfang es Fälle gibt, in denen Nutzer nicht kündigen können, weil sie die Abrisskosten nicht zahlen können. Darauf ergibt sich die Frage, ob und mit welchem Instrumentarium der Gesetz- geber diesem Umstand Rechnung tragen muss. Wir werden diese Fragen im Rechtsausschuss ausführ- lich zu beraten haben und sollten mit einem Ergebnis ab- schließen, das keine neuen verfassungsrechtlichen Fragen aufwirft. Ich werde mich auch dafür einsetzen, vor einer abschließenden Regelung eine Anhörung durchzuführen, in der die Vertreter der betroffenen Eigentümer und Nutzer Gelegenheit haben werden, ihre Einwände vorzubringen. Abschließend, meine Damen und Herren von den Re- gierungsfraktionen, appelliere ich an Sie, diesen Gesetz- entwurf nicht im Hauruck-Verfahren durchzuziehen. Das Bundesverfassungsgericht hatte zur Umsetzung eine Frist bis zum 30. Juni 2001 vorgegeben. Diese Frist ist leider längst verstrichen. Dennoch sollte sich das Parlament im Interesse der Betroffenen die notwendige Beratungszeit nehmen. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Die Benachteiligung der Nutzer gegenüber den Alteigentümern von Grundstücken in den Ost-Bundeslän- dern nach der Vereinigung habe ich immer für falsch ge- halten. Die damalige Regierung Kohl und die Koalition haben nach dem Motto „Rückgabe vor Entschädigung“ anders entschieden. Die Regelungen des Einigungsvertra- ges nach dem Motto sind jetzt nach elf Jahren nicht mehr rückgängig zu machen. Spätere Gesetze wie das Schuldrechtsänderungsgesetz oder das Sachenrechtsbe- reinigungsgesetz haben wenigstens einige Härten gemil- dert. Die damalige Bundestagsgruppe Bündnis 90/Die Grü- nen hatte einen eigenen Gesetzentwurf zur Regelung der Rechtsfragen im Zusammenhang mit den Freizeitgrund- stücken vorgelegt. Der wurde von der früheren Koalition abgelehnt. Der jetzt vorliegende Gesetzentwurf zum Schuldrechtsanpassungsgesetz war notwendig geworden, weil das Bundesverfassungsgericht eine Besserstellung der Grundstückseigentümer verlangt hat. Die Nutzer müs- sen an den öffentlichen Lasten beteiligt und den Eigentü- mern muss eine Teilkündigung ermöglich werden. Das Gericht leitet dies aus der Eigentumsgarantie der Verfas- sung ab. Daran sind wir als Gesetzgeber gebunden, auch wenn ich es anders sehe und will. Ich sage ausdrücklich: leider, leider. Ich weiß, dass die Betroffenen oft unter großen Opfern ihre Datsche gepflegt und bewohnbar gemacht haben. Ich weiß auch, welche besondere Bedeutung privat genutzte Freizeitgrundstücke für die persönlichen und Familien- biografien hatte. Dies galt besonders wegen des Fehlens von Reisefreiheit und Ferienmöglichkeiten in der DDR. Inzwischen sind all diese Möglichkeiten, zu reisen und Ferien zu gestalten wie überall in Deutschland gegeben, wenn das nötige Geld vorhanden ist. Es gibt einen ein- heitlichen Rechtsraum, in dem nun einmal das Grundge- setz in seiner Auslegung durch das Bundesverfassungsge- richt Geltung beansprucht. Es wird auch gegenüber den Nutzern entsprechender Grundstücke in den alten Bun- desländern immer schwieriger, die Sonderregelung Ost zu begründen, gerade was die Höhe der Entgelte angeht. Auch Rentner im Westen haben nicht selten Probleme, die im Kleingartengesetz festgelegten Kosten der öffentli- chen Lasten zu tragen. Ich bin mir auch nicht sicher, ob das Bild, was die PDS in ihrem Antrag zeichnet, der sozialen Realität im verei- nigten Deutschland noch entspricht. Nicht jeder Nutzer aus dem Osten ist arm und alt, nicht jeder Eigentümer des Freizeitgrundstücks aus dem Westen reich und mit vielen alternativen Möglichkeiten ausgestattet. Auch im Westen gibt es derartige Konflikte zwischen Nutzern und Ei- gentümern immer wieder. Es verwischen sich langsam die Unterschiede und damit die Berechtigung unterschiedli- cher Rechtssysteme. Wir kommen nicht darum herum, die heutigen Nutzer kleingärtnerisch genutzter Grundstücke an den öffentli- chen Lasten stärker zu beteiligen. Die Regelungen des Gesetzes müssen sich an den Vorgaben des Bundesver- fassungsgerichts orientieren. Es muss ausgeschlossen werden können, dass eine erneute Anrufung des Gerichts durch Eigentümer, denen die Regelung nicht weit genug geht, Erfolg hat. Keine Regierung und keine Parlaments- mehrheit will sich noch mal dem Risiko aussetzen, dass das Gericht die Neuregelung für verfassungswidrig er- klärt. Das Gesetz versucht die öffentlichen Lasten gerecht zu verteilen. Solche aus den vergangenen elf Jahren sol- len vom Nutzer nur zur Hälfte getragen werden. Es gibt eine sozialverträgliche Regelung für die Nachzahlung. Nur die zukünftigen Lasten trägt der Nutzer allein. Damit wird die Lastenverteilung marktwirtschaftli- chen Verhältnissen angepasst, auch wenn eine eventuelle Wertsteigerung des Grundstückes unberücksichtigt bleibt. Eine Wertsteigerung ist schwer zu kalkulieren. Sie wird auch nicht immer eintreten. In einer generell gültigen ge- setzlichen Regelung ist sie deshalb nur schwer zu fassen. Die unvermeidliche Entgelterhöhung ist letztlich der Preis für die gesetzlich bewusst langen Kündigungs- schutzfristen zugunsten der Nutzer. Die Eigentümer blei- ben – gemessen am deutschen Zivilrecht – für einen über- aus langen Zeitraum von der wirtschaftlichen Nutzung ihres Eigentums und der Verfügungsmacht über ihr Ei- gentum ausgeschlossen. Bei größeren Grundstücken von mindestens 1 000 Qua- dratmetern kann in Zukunft der Eigentümer hinsichtlich einer Teilfläche kündigen. Er muss dann dem Nutzer Auf- wendungen ersetzen. Nutzer können den Eigentümer auf- fordern, das Kündigungsrecht innerhalb von sechs Mona- ten auszuüben. So soll Rechtsklarheit erzwungen werden können. Wir haben Zuschriften von Eigentümern einer- seits und Nutzerverbänden andererseits erhalten. Sie for- dern Veränderungen, aber in gegensätzlicher Richtung. Ich meine, die gefundene Regelung wird innerhalb der Vorgaben den Interessen beider Seiten halbwegs gerecht. Auch ich bin über die Entscheidung des Bundesverfas- sungsgerichts und das Gesetz nicht glücklich. Aber wir Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 200118842 (C) (D) (A) (B) müssen diese Entscheidung, die weitgehend zulasten der Nutzer geht, treffen. So halten wir uns im Rahmen der Verfassung, wie er vom Gericht festgelegt wurde. Nur so vermeiden wir eine neue Anrufung des Verfassungsge- richts. Das Gesetz bringt einen schwierigen Kompromiss zwischen den Interessen der Eigentümer, wie sie das Ver- fassungsgericht gewahrt wissen will, und denen der Nut- zer und Nutzerinnen. Rainer Funke (FDP): Erneut dürfen wir uns heute zu später Stunde mit eigentums- und nutzungsrechtlichen Problemen des Beitrittsgebiets befassen. Wenn wir alle ehrlich sind, müssen wir zugeben, dass es uns noch immer nicht gelungen ist, Rechtsfrieden im Bereich der Nutzung von Freizeit- und Erholungsgrundstücken sowie Klein- gärten zu erreichen. Ich zweifle auch, dass, wenn das Schuldrechtsanpassungsgesetz beschlossen worden ist, Rechtsfrieden – der ja letztlich ein großes Maß an Ge- rechtigkeit erfordert – eintritt. Es sind einfach zu unter- schiedliche Interessen betroffen. Es handelt sich auch nicht, wie einige immer wieder versuchen darzustellen, um eine Ost-West-Problematik. Viele Eigentümer der vom Schuldrechtsanpassungsgesetz betroffenen Grund- stücke sind Bürger der neuen Bundesländer. Dass wir nunmehr Änderungen vornehmen müssen, hat sich der Bundestag letztlich – hierbei nehme ich auch meine Partei nicht aus – selbst eingebrockt. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Juli 1999 macht uns eindeutige Vorgaben und hat uns allen ausdrücklich ge- zeigt, dass die Grenzen des Art. 14 Grundgesetz vom ein- fachen Gesetzgeber nicht missachtet werden dürfen, auch wenn dieses manchmal politisch opportun scheint. Eine angemessene Beteiligung des Nutzers an den öffentlichen Lasten, die auf einem kleingärtnerisch genutzten Grund- stück oder einem Freizeitgrundstück ruhen, ist – letztlich auch aufgrund des Verfassungsgerichtsurteils – vonnöten. Ob die hier von der Bundesregierung vorgeschlagene Lö- sung wirklich der Weisheit letzter Schluss ist, mag man bezweifeln. Letztlich müsste eine Regelung gefunden werden, die die Beteiligung des Nutzers an den öffentli- chen Lasten in Verhältnis zum tatsächlichen Nutzungs- zeitraum setzt. Ebenso müssen wir noch überprüfen, ob die Erstat- tungsansprüche des Grundstückseigentümers in Höhe von 50 Prozent der einmalig erhobenen Beiträge stets gelten können. Etwa auch in den Fällen, in denen der Nutzer letztlich nur ein oder zwei Jahre, etwa aufgrund später er- folgender berechtigter Kündigung des Eigentümers oder sogar eigener Kündigung in den Vorteil der etwa durch Abwassererschließung erfolgtenVerbesserung des Grund- stückes gekommen ist. Es kann jedenfalls nicht angehen, dass ein Nutzer aufgrund der Beendigung des Nutzungs- verhältnisses nur zwei Jahre lang einen Frischwasseran- schluss nutzen kann und dann für diese kurze Zeit den- noch 50 Prozent der gesamten Erschließungskosten tragen muss. Das Auslaufen der Beschränkung der Kündigungs- möglichkeiten von Garagengrundstücken zum 31. De- zember 1999 ist aufgrund des Verfassungsgerichtsurteils selbstverständlich und wird von der FDP ausdrücklich un- terstützt. Ebenso unterstützt die FDP die Möglichkeit bei Erholungs- und Freizeitgrundstücken von mehr als 1 000 Quadratmetern Größe durch Teilkündigung dem Ei- gentümer seine in Art. 14 Grundgesetz niedergelegten Rechte der möglichst freien Verfügung über sein Eigen- tum zurückzugeben. Mit der neu eingefügten Regelung des § 23 a Schuld- rechtsanpassungsgesetz versucht der Gesetzgeber ein Verfahren zu entwickeln, von dem man eigentlich hätte hoffen dürfen, dass es die Beteiligten im Rahmen eines Vergleiches bereits heute schon gefunden hätten. Dieses ist leider nicht der Fall, sonst wäre es nicht zu dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes gekommen. Die nun ge- fundene Lösung, dem Nutzer in jedem Fall mindestens 400 Quadratmeter zu belassen, erscheint für beide Seiten erträglich, da einerseits dem Eigentümer ein höchstmög- liches Maß an Verfügungsrechten über sein Grundstück gegeben wird, während andererseits garantiert ist, dass der Nutzer weiterhin die Grundlagen seiner bisherigen Nutzung vorbehaltlich kleinerer zumutbarer Einbußen – fortsetzen kann. Umgekehrt muss dem Nutzer ebenso ein Teilkündigungsrecht eingeräumt werden, wenn der Ei- gentümer von seinem Teilkündigungsrecht keinen Ge- brauch macht und es ansonsten zu einer unzumutbaren Härte für den Nutzer käme. In Verbindung mit der Frage der Beteiligung an den öffentlichen Lasten und der in den letzten Jahren entsprechend der wirtschaftlichen Ent- wicklung gestiegenen Nutzungsentgelte ist dieses sicher- lich eine vernünftige Regelung. Dies gilt insbesondere, wenn nicht alleine auf objektive Kriterien bei der unzu- mutbaren Härte abgestellt wird, sondern auch das jewei- lige Einzelschicksal des Nutzers berücksichtigt wird. Ein noch lange Jahre währender Streitpunkt wird die Ermittlung des ortsüblichen Nutzungsentgeltes sein. Da- bei erscheinen mir die Probleme aber die gleichen zu sein, die auch bei der Vergleichsmiete im Wohnungsmietrecht anzutreffen sind. Das Bemühen, nunmehr durch Präzisierung der Nut- zungsentgeltverordnung die Vergleichskriterien trenn- schärfer darzustellen, ist ebenfalls zu begrüßen. Im Übrigen werden wir uns im Rechtsausschuss auch noch mit den Änderungsanträgen des Bundesrates befas- sen müssen. Allerdings habe ich bei dem Vorschlag zum Sonderkündigungsrecht dahingehend Bedenken, dass dieser die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts unterläuft. Dr. Evelyn Kenzler (PDS): Das Gesetz von 1994, das jetzt geändert werden soll, und die dazugehörige Nut- zungsentgeltverordnung von 1993 waren von Anfang an auf entschiedene Kritik meiner Fraktion gestoßen. Diese Vorschriften waren und sind bis auf den heutigen Tag die Grundlage dafür, dass hunderttausende Nutzer ihre Grundstücke aufgeben mussten, genauer gesagt: vertrie- ben wurden. Die PDS-Fraktion hat zahlreiche parlamen- tarische Initiativen unternommen, um den Sorgen und Nöten der Nutzer abzuhelfen und zugleich – das will ich sehr deutlich hinzufügen – einen vernünftigen Ausgleich mit den legitimen Interessen der Eigentümer zu erreichen. Ich erinnere nur an unsere Anträge vom November 1998 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 18843 (C) (D) (A) (B) zum Schuldrechtsanpassungsgesetz und zur Nutzungsent- gelt-VO oder an unseren Antrag vom April 2000 zur zeit- weiligen Aussetzung der Erhöhung der Nutzungsentgelte. Die Bundesregierung hat nach unverantwortlich lan- gem Zögern einen Gesetzentwurf vorgelegt, über den die Betroffenen zutiefst enttäuscht sind und den meine Frak- tion für nicht akzeptabel hält, und zwar aus folgenden Gründen: Erstens löst er keines der seit langem anstehenden Pro- bleme. Er zementiert die Ungleichbehandlung von Nut- zern und Eigentümern im Kündigungsrecht und bei der Entschädigung für Aufbauten und Anpflanzungen. Er belässt es bei den in vielen Fällen unerträglich hohen Nut- zungsentgelten. Zweitens legt er den Nutzern unangemessen hohe, ja finanziell geradezu strangulierende Verpflichtungen zur – noch dazu rückwirkenden – Beteiligung an einmaligen Beiträgen und Abgaben auf. Bei ständig wiederkehrenden öffentlichen Lasten wird nicht berücksichtigt, dass diese zum Teil schon durch die hohen Nutzungsentgelte abge- golten sind. Die Bundesregierung kann sich bei diesen die Nutzer zu einseitig belastenden Regelungen auch nicht einfach auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Juli 1999 zurückziehen und darauf, dass sie keinen gesetzge- berischen Handlungsspielraum habe. Die Karlsruher Richter haben eine „angemessene“ Beteiligung der Nut- zer an den öffentlichen Lasten vorgeschrieben. Sie haben aber nicht davon gesprochen, dass das 50 Prozent der ein- maligen Gebühren und Abgaben sein müssen und dass bei der Berechnung der laufenden Lasten die überhöhten Nut- zungsentgelte unberücksichtigt bleiben sollen. Das Urteil hindert die Regierung auch nicht daran, Probleme zu re- geln, die in dem Verfahren gar nicht berührt wurden. Das eigentliche Problem ist, dass die jetzige Bundesre- gierung, ganz ähnlich wie ihre Vorgängerregierung unter Kanzler Kohl, den Sorgen und Problemen der ostdeut- schen Nutzer nicht genügend Aufmerksamkeit schenkt und darauf setzt, dass sich die bestehende Rechtsunsi- cherheit bei den Betroffenen und die noch immer vorhan- dene soziale Schieflage durch Zeitablauf erledigt. Wir fordern deshalb die Bundesregierung in unserem Antrag auf, ihren Gesetzentwurf zurückzuziehen. Die Re- gierung wäre gut beraten, wenn sie sich mit den Verbän- den der Betroffenen, natürlich auch mit der Eigentümer- und Verpächterseite, an einen Tisch setzen würde, um ei- nen neuen Entwurf auszuarbeiten, der einen tatsächlichen abschließenden Interessenausgleich herbeiführt. Meine Fraktion fordert in ihrem Antrag, dass erstens die Eigentümer und Nutzer im Kündigungsrecht vollstän- dig gleichgestellt werden und dass die Entschädigungs- fragen vernünftig und gerecht gelöst werden, dass zwei- tens die mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts geforderte angemessene Beteiligung der Nutzer an den öffentlichen Lasten erfolgt, die nicht zu einer für viele un- erträglichen Belastung wird, dass drittens die rechtliche Möglichkeit der Übernahme des Nutzungsvertrags durch einen Dritten geschaffen wird und dass viertens mit den überhöhten Nutzungsentgelten Schluss gemacht wird. Es darf kein Entgelt für Leistungen geben, die der Nutzer und nicht der Eigentümer erbracht hat. Dr. Eckhart Pick, Parl. Staatssekretär bei der Bun- desministerin der Justiz: Nachdem wir im vergangenen Monat nach langen und gründlichen und – wie ich meine – konstruktiven Beratungen das Grundstücksrechtsberei- nigungsgesetz verabschiedet haben, liegt uns nunmehr mit dem Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Schuldrechtsanpassungsgesetzes ein weiteres Vorhaben vor, dass sich mit dem Immobilienrecht der neuen Bun- desländer befasst. Es geht um den so sensiblen Bereich des so genannten Datschenrechts. Auch der vorliegende Entwurf geht auf intensive Bera- tungen einer von der Konferenz der Justizminister der neuen Bundesländer und der Bundesministerin der Justiz eingesetzten Bund-Länder-Arbeitsgruppe zurück. Er stellt – und dies halte ich angesichts der kontroversen Diskussio- nen in diesem Regelungsbereich für hervorhebenswert – einen gemeinsam gefundenen Kompromiss dar. Mit dem Entwurf soll in erster Linie der vom Bundesverfassungs- gericht in dem Beschluss vom 14. Juli 1999 (1 BvR 995/95 u. a.) erteilte Gesetzgebungsauftrag erfüllt werden. Das Gericht hat auf die Verfassungsbeschwerde von Grundstückseigentümern hin festgestellt, dass der Ge- setzgeber die schutzwürdigen Interessen von Nutzern und Grundstückseigentümern mit dem Schuldrechtsanpas- sungsgesetz grundsätzlich in ein gerechtes und sozial aus- gewogenes Verhältnis gebracht hat und die angegriffenen Regelungen im Wesentlichen mit dem Grundgesetz ver- einbar sind. Einzelne, die Grundstückseigentümer belas- tende Bestimmungen des Schuldrechtsanpassungsgeset- zes hat das Gericht jedoch für verfassungswidrig erklärt und für andere Bestimmungen eine verfassungskonforme Auslegung zugunsten der Eigentümer vorgegeben. Außerdem hat das Bundesverfassungsgericht den Auftrag an den Gesetzgeber erteilt, zusätzliche Regelungen zur angemessenen Beteiligung des Nutzers an den öffentli- chen Lasten des Grundstücks und zur Gewährung eines Teilflächenkündigungsrechts für Eigentümer großer Grundstücke zu schaffen. Den Kern des Entwurfs stellen daher die Regelungen zur Beteiligung des Nutzers an den öffentlichen Lasten des Grundstücks (Art. 1, § 20 a – neu – SchuldRAnpG) und zum Teilkündigungsrecht (Art. 1, § 23 a – neu – SchuldRAnpG) dar. Zur Beteiligung der Nutzer an den öffentlichen Lasten differenziert der Entwurf zwischen den regelmäßig wie- derkehrenden und den einmalig erhobenen Lasten: Für die regelmäßig wiederkehrenden öffentlichen Las- ten soll der Grundstückseigentümer ab dem 1. Juli 2001 die Erstattung verlangen können. Eine Erstattung von weiter in der Vergangenheit angefallenen wiederkehren- den Lasten soll nicht erfolgen. Da aber nach dem Bun- desverfassungsgericht die Neuregelung bis zum 30. Juni 2001 vorliegen sollte, knüpft der Entwurf den entspre- chenden Anspruch an dieses Datum an. Die Kosten für einmalige Erschließungs- oder An- schlussleistungen haben sich der Grundstückseigentümer und der Nutzer grundsätzlich zur Hälfte zu teilen. Ich denke, dies ist dem Grundstückseigentümer zuzumuten, weil sich die den Beiträgen zugrunde liegenden Leistun- gen in der Regel wertsteigernd auf das Grundstück aus- wirken. Aber auch dem Nutzer kann diese Beteiligung zu- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 200118844 (C) (D) (A) (B) gemutet werden, weil – wie das Bundesverfassungsge- richt betont hat – der Nutzungsvorteil während der Lauf- zeit des Vertrags allein bei ihm liegt. Um den Grund- stücksnutzern die neu auf sie zukommende finanzielle Belastung erträglicher zu gestalten, soll die Erstattungs- pflicht zeitlich – auf bis zu zehn Jahre – gestreckt werden, sodass jährlich nur ein Teilbetrag in Höhe von fünf Pro- zent fällig wird. Außerdem ist vorgesehen, dass nach der Beendigung des Nutzungsvertrages – also auch dann, wenn das Vertragsverhältnis vor Ablauf von zehn Jahren beendet wird – keine weiteren Teilbeträge mehr fällig werden; die Erstattungspflicht wird also an die Nutzungs- dauer geknüpft. Der Vorschlag zum Teilkündigungsrecht der Eigentü- mer sieht ein solches Recht vor, wenn das genutzte Grundstück eine Fläche von über 1 000 Quadratmeter hat. Dem Nutzer sollen nach Ausübung des Kündigungsrechts mindestens 400 Quadratmeter zur Nutzung verbleiben. Der Vorgabe des BVerfG entsprechend darf der Grund- stückseigentümer die Teilkündigung aber nur vornehmen, wenn der Nutzer „die bisherige Nutzung ohne unzumut- bare Einbußen fortsetzen kann“. Die zusätzliche finanzielle Belastung und die Mög- lichkeit einer Teilkündigung werden für viele Nutzer ei- nen Einschnitt bedeuten. Wir wissen das und nehmen ihre Sorgen ernst. Wir haben deshalb unser Möglichstes getan, diese Belastungen erträglich zu gestalten. Deshalb die Teilung der Kosten und die zeitliche Streckung. Ich erin- nere daran, dass im durchaus vergleichbaren Bereich des Bundeskleingartengesetzes der Nutzer die öffentlichen Lasten grundsätzlich zu 100 Prozent zu tragen hat. Wir ha- ben aber noch mehr getan: Über den Auftrag des Bundesverfassungsgerichts hi- nausgehend enthält der Entwurf den Vorschlag eines Teil- kündigungsrechts auch des Nutzers eines besonders großen Grundstücks. Der Nutzer kann dieses Kündi- gungsrecht dann ausüben, wenn der Grundstückseigen- tümer von seinem Teilkündigungsrecht keinen Gebrauch macht. Die Regelung ist geeignet, die Nutzer großer Grundstücke finanziell zu entlasten, indem die Reduzie- rung der genutzten Fläche sich mindernd auf das zu zah- lende Nutzungsentgelt auswirkt. Außerdem enthält der Regierungsentwurf den Vor- schlag klarstellender Änderungen der Nutzungsentgelt- verordnung. Es werden die Vergleichbarkeitskriterien zur Ermittlung des ortsüblichen Nutzungsentgelts deutlicher gefasst und die wichtigsten Möglichkeiten der Begrün- dung der Entgelterhöhung in der Verordnung genannt. Auch diese Vorschläge gehen über den Auftrag des BVerfG hinaus; sie entsprechen Anregungen der Nutzer- verbände. Schließlich wird in zwei Punkten der Gesetzestext an die mit der Entscheidung des BVerfG geänderte Rechts- lage angepasst. Nach meiner Überzeugung ist es mit dem vorliegenden Entwurf gelungen, den Auftrag des Bundes- verfassungsgerichts in einer für beide Seiten akzeptablen Weise umzusetzen. Vor allem aber besteht für eine noch weiter gehende Stärkung der Rechtsstellung der Grund- stücksnutzer, wie sie von deren Interessenvertretungen und vereinzelt auch im politischen Raum gefordert wird, aus verfassungsrechtlichen Gründen kein Handlungsspiel- raum. Das Bundesverfassungsgericht hat den Gesetzgeber ausdrücklich aufgefordert, Änderungen zugunsten der Ei- gentümer vorzunehmen, die nicht durch gleichzeitige weit gehende Änderungen zugunsten der Nutzer kompensiert oder gar konterkariert werden können. Die heute ebenfalls zur Beratung stehende Antrag der Fraktion der PDS im Deutschen Bundestag verkennt nach meiner Auffassung die beschriebene verfassungsrecht- liche Situation. Die Forderung beispielsweise nach der Änderung der rechtlichen Folgen einer vom Nutzer aus- gesprochenen Vertragskündigung hinsichtlich der Ent- schädigung und Abrisskosten für das auf dem Erholungs- grundstück stehende Bauwerk lehnt die Bundesregierung ab, weil sie zu einer nicht gerechtfertigten Belastung der Grundstückseigentümer führen würde. Sie widerspricht damit klar den Wertungen des Beschlusses des Bundes- verfassungsgerichts. Die derzeitige Regelung ist außerdem vernünftig und ausgewogen. Die unterschiedlichen Rechtsfolgen im Hin- blick auf die Entschädigung für das Bauwerk und die Ab- bruchkosten – je nachdem, wer kündigt – ergeben sich da- raus, dass der Nutzer bei eigener Kündigung sich bewusst gegen eine weitere Fortsetzung des Vertragsverhältnisses entscheidet, die Rechtsfolgen abwägen und ihren Eintritt anders als der Eigentümer beeinflussen kann. Die von der PDS geforderte Gleichstellung in den Kündigungsfolgen würde dagegen das Risiko der wirtschaftlichen Verwert- barkeit allein auf den Grundstückseigentümer übertragen. Einer unter Umständen hohen Entschädigungsverpflich- tung und den Abbruchkosten kann im Einzelfall durchaus ein nur geringer Grundstückswert gegenüberstehen; Ent- schädigung und Abbruchkosten zehren dann den Wert des Grundstückes auf und wären gar aus weiteren Mitteln des Eigentümers aufzubringen, für den das Bauwerk mögli- cherweise aber überhaupt keinen Wert darstellt. Gege- benenfalls wäre der Eigentümer sogar gezwungen, ein Darlehen aufzunehmen. Diese Folgen für den Grund- stückseigentümer bei vom Nutzer ausgelöster Vertragsbe- endigung wären nicht gerechtfertigt. Auch den weiteren in dem Antrag der PDS enthaltenen Forderungen vermag ich nicht zuzustimmen. Die gefor- derte Regelung eines Rechtsanspruchs auf Vertragsüber- nahme durch einen Dritten und die in dem Antrag enthal- tenen Vorschläge zur Umsetzung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts sind nicht geeignet, einen ge- rechten Interessenausgleich herbeizuführen. Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Wirksamer Schutz der Bürgerinnen und Bürger im Rahmen der Euroum- stellung (Tagesordnungspunkt 15) Jella Teuchner (SPD): Ab dem 1. Januar 2002 wer- den wir mit Euro bezahlen. Es war von Anfang an klar, dass die Menschen auf die Bargeldeinführung mit Fragen und teilweise mit Skepsis reagieren werden. Politik, Ban- ken, Handel und Verbraucherverbände haben deswegen mit vielen Informationskampagnen den Euro vorgestellt Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 18845 (C) (D) (A) (B) und Informationen weitergegeben. Wir können mittler- weile feststellen, dass sowohl diese Aufklärungsarbeit als auch die Selbstverpflichtungen der Wirtschaft zu einer verbraucherfreundlichen Umstellung greifen. Die Zu- stimmung für den Euro steigt, die Mehrheit der Menschen fühlt sich gut über die Einführung des Euro informiert. Es gibt noch Unsicherheiten: Die gilt es aufzugreifen. Die Zeit bis zur Bargeldeinführung kann dazu genutzt werden. Die PDS hat dies in einer Kleinen Anfrage zu „Preiserhöhungen im Zuge der Euroumstellung“ getan und sie tut dies mit dem heute zu beratenden Antrag. Ich möchte diese Diskussion nutzen, um eine Bilanz für die bisherigen Entwicklungen und Maßnahmen zu ziehen. Wir alle wollen, dass die Menschen Vertrauen in den Euro haben. Ich bin mir sicher, dass sie dieses Vertrauen bekommen, wenn sie den Euro erst in den Händen halten und wenn die Umstellung von Handel und Banken ver- braucherfreundlich gestaltet wird. Die Empfehlung der Europäischen Kommission und die freiwillige Selbstver- pflichtung des deutschen Einzelhandels gegenüber den Verbrauchern sind aus meiner Sicht wichtige Bausteine dafür, dass hier vernünftig agiert wird. Die Beobachtung der Umstellung ist notwendig; ich bitte jedoch alle, keine neuen Unsicherheiten zu schaffen. Der Euro ist zwar schon längst Realität, greifbar ist er noch nicht. Und: Es fehlt uns bisher noch das Gefühl, was ein Euro wert ist, welchen Preis in Euro ein Produkt wert ist. Dies führt dazu, dass Preiserhöhungen im Zuge der Umstellung befürchtet werden. Dazu gibt es einiges an Material; es lohnt sich, dieses einmal genauer zu betrach- ten. Und es lohnt sich, im Hinterkopf zu behalten, dass die Inflationsrate im Euroraum von 1997 bis 2000 im Durch- schnitt bei 1,5 Prozent im Jahr, in Deutschland bei 1,3 Prozent gelegen hat. Dies ist das Ergebnis der mit der Währungsunion einhergehenden abgestimmten Stabili- tätspolitik. Im letzten Jahr ist die Inflationsrate auf 2,3 Prozent im Euroraum bzw. auf 1,9 Prozent in Deutsch- land gestiegen. Die Verdreifachung der Weltmarktpreise für Öl und Ölprodukte hat aber nicht zu einer europawei- ten Inflation, einem Auseinanderlaufen der wirtschaft- lichen Entwicklung und zu kostspieligen öffentlichen Programmen und Transfers innerhalb des Euroraumes geführt. Auch dies ein Erfolg der Währungsunion. Bisher wurde noch kein wesentlicher Einfluss der Eu- roumstellung auf die Preisentwicklung festgestellt. So führt das Statistische Bundesamt bei Preisänderungen für Nudelprodukte nur 3 Prozent auf die Euroumstellung zurück. Diese beeinflussen den Preisindex für diese Pro- dukte um weniger als 0,2 Prozentpunkte bei einem An- stieg um 2,7 Prozent. Das Institut für Verbraucherfor- schung hat eine höhere, möglicherweise auf die Umstellung zurückzuführende Preissteigerung errechnet, weist aber auch darauf hin, dass die Einführung des Euro nur einer von vielen Aspekten sei, „der die Händler zur laufenden Überprüfung ihrer Preispolitik veranlasst. In diesen Monaten kommt dieser Aspekt zu den sonstigen Gründen, die für die ,Preisfestsetzung maßgeblich sind, hinzu.“ Auch das Statistische Bundesamt sieht das Pro- blem, dass mit Preisbeobachtungen nur schwer zu ent- scheiden ist, ob Preisänderungen anlässlich der Euro- umstellung vorgenommen wurden. In der freien Marktwirtschaft gilt grundsätzlich die freie Preisgestaltung. Daher halte ich es für einen richti- gen Weg, dass der deutsche Einzelhandel sich auf Preis- stabilität und Preistransparenz verpflichtet hat. Ich halte es genauso für einen richtigen Weg, dass die Verbrau- cherverbände die Preisentwicklung genau beobachten und die Verbraucherinnen und Verbraucher über ihre Be- obachtungen informieren. Ich bin zuversichtlich, dass durch den Wettbewerb, den Druck von Verbraucherver- bänden und Medien und durch die Aufmerksamkeit der Verbraucherinnen und Verbraucher die Preisstabilität ge- währleistet ist. Das Gleiche gilt für die Gebühren der Banken für den Euroumtausch. Die Europäische Kommission hat die Banken aufgefordert, keine Gebühren für die Umstellung auf Euro von ihre Kunden zu verlangen; die Banken ha- ben angekündigt, dieser Aufforderung zu entsprechen. Das heißt, dass die Menschen zum einen bei ihrer Bank, zum anderen bei den Landeszentralbanken und natürlich bis Ende Februar 2002 im Handel ihre D-Mark-Bestände verwenden können. Ich sehe keine Möglichkeit für den Gesetzgeber, für die Euroumstellung in die Preis- oder Gebührengestaltung des Handels oder der Banken einzugreifen. Ich sehe die Aufgabe der Politik darin, im Dialog mit dem Handel und den Banken für eine verbraucherfreundliche Euroumstel- lung zu sorgen. Dies ist auf allen politischen Ebenen ge- schehen. Ich sehe die Aufgabe weiterhin darin, die Men- schen ausführlich über den Euro zu informieren. Hier ist schon vieles geschehen, vieles ist geplant und wird in den nächsten Monaten umgesetzt. Wir müssen das Euro- wissen stärken und damit das Preisbewusstsein schärfen. Ich möchte hier einmal die Ziele definieren, die wir mit den Aufklärungskampagnen erreichen wollen. Die Men- schen müssen wissen, wie viel Mark ein Euro wert ist. Sie müssen wissen, wie er aussieht. Und sie müssen wissen, wie der Umtausch abläuft. Dies müssen wir erreichen, dies werden wir erreichen. Wir haben in Deutschland zum Glück einen relativ ein- fachen Umrechnungsfaktor mit ungefähr 1:2. Dies wird den Menschen das Umrechnen erleichtern. Wir sehen auch, dass der Einzelhandel sich zu einem großen Teil an der doppelten Preisauszeichnung beteiligt. Auch dies trägt dazu bei, dass die Menschen sich an die neuen Preise ge- wöhnen. Und trotzdem ist das Geld mehr wert. Ein Pro- dukt für 50 Cent wirkt billiger als eines für eine Mark. Hier müssen wir deutlich machen: Man muss in der ers- ten Zeit aufpassen, sich lieber mehr Zeit lassen für den Einkauf und insbesondere bei spontanen oder bei größe- ren Käufen die Preise in D-Mark umrechnen. Wichtig wird es auch sein, dass wir den Menschen sa- gen, dass die Euroumstellung für sie keine unüberwind- baren bürokratischen Hindernisse darstellt. Eigentlich müssen sie sich nur um ihr Bargeld kümmern. Und selbst hier werden sie normale Beträge ganz einfach beim Ein- kaufen in den ersten beiden Monaten wechseln, ohne dass sie einen besonderen Aufwand dafür haben. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir diese Ziele mit den Informationskampagnen erreichen werden. Nicht nur die Politik, auch die Verbraucherverbände, die Medien, der Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 200118846 (C) (D) (A) (B) Handel und die Banken beteiligen sich daran. Ich will hier nicht alle einzelnen Maßnahmen nennen, trotzdem scheint es mir sinnvoll, auf ein paar hinzuweisen: Ich halte das Eurostarterpaket für eine wichtige und ef- fektive Möglichkeit, den Menschen die Angst vor dem Euro zu nehmen. Wir alle wollen wahrscheinlich wissen, wie der Euro aussieht, wie er sich anfühlt und wie schwer er ist. Daneben werden in vielen Medien der Euro und seine Sicherheitsmerkmale vorgestellt. Und ich hoffe, dass viele Unternehmen ihren Angestellten Starterpakete zu Weihnachten schenken. Steuer- und abgabenpflichtig wären diese Geschenke nicht. Seit 2. April ist die Euro-Zelt-Tour der Aktions- gemeinschaft Euro und der Deutschen Bank unterwegs. In 100 deutschen Städten wird ausführlich über den Euro in- formiert. Die Aktionsgemeinschaft Euro betreibt außer- dem ein Bürgertelefon für Fragen zum Euro. Die Verbraucherverbände beobachten und informieren über die Preisentwicklung und sorgen somit für die not- wendige Preistransparenz. Daneben gibt es unzählige Broschüren, Faltblätter und Umrechnungstabellen, die den Menschen helfen, sich auf den Euro einzustellen. Der Euro ist schon jetzt eine Erfolgsstory. Dies müssen wir vermitteln. Und wir müssen die Fragen der Menschen aufgreifen und ihnen deutlich machen, dass die Euro- umstellung für sie keine Nachteile bringen wird. Dazu laufen bereits viele Informationskampagnen. Eine Not- wendigkeit für zusätzliche Gesetze oder für eine weitere Hotline sehe ich nicht. Norbert Schindler (CDU/CSU): Heute behandeln wir hier einen Antrag der PDS, der vom Ansatz her vor drei Jahren sicherlich – aus Ihrer Sicht – etwas Verständ- nis hervorgerufen hätte. Heute zu fordern, kurzfristig einen Gesetzentwurf vor- zulegen, mit dem die Bürgerinnen und Bürger für die Ein- führung des Euro am 1. Januar 2002 ein besseres Rüst- zeug erhielten, macht jedoch absolut keinen Sinn, nicht nur, weil die Zeit bis zum 1. Januar 2002 nun deutlich zu kurz ist, sondern vor allem auch, weil der Inhalt des An- trages seit der Festlegung des DM-Euro-Kursverhältnis- ses und der weiteren Maßnahmen der Bundesregierung zur Euroumstellung schon obsolet ist. Für mich hat dieser Antrag nur eine Funktion: Redezeit für eine PDS-Selbstdarstellung einzuheimsen! Dies versuchten Sie schon, als es noch um hypotheti- sche Fragen ging: Sie wollten den Euro schlechtreden! Vor allem wollten Sie eines: Die Verdienste unseres Bun- deskanzlers a. D., Dr. Helmut Kohl, und seines damaligen Finanzministers, Dr. Theo Waigel, für die Einigung Euro- pas auch durch die Einführung der Europäischen Wäh- rungsunion sollten in den Schmutz gezogen werden. Das ist Ihnen schon damals nicht gelungen. Warum insistieren Sie hier weiter? Sie jedenfalls haben nichts dazu beige- tragen, dass Europa zusammenwächst: Sie versuchen ja weiterhin, Deutschland zu spalten! Ich kann nur vermuten, dass Sie sich von der Euroum- stellung überfordert fühlen; vielleicht war der Schritt vom Verrechnungsrubel zum Euro dann doch zu groß! Aus die- sen Gründen wäre es vielleicht gar nicht ratsam, sich mit dem Inhalt Ihres Antrages zu befassen. Ich möchte den- noch auf die fachliche Ebene wechseln und kurz zu den einzelnen Punkten des Antrages Stellung beziehen: Die PDS fordert, dass beim Umtausch und bei der Rückgabe von DM-Münzgeld, von Banknoten und Münz- geld aus dem Euroraum sowie für die Ausgabe von Euro- bargeld auch über die „haushaltsüblichen“ Beträge hinaus von den Banken keine gesonderte Gebühr berechnet wird. Dazu ist anzumerken, dass die Geldinstitute im Rahmen einer Selbstverpflichtung zugesichert haben, DM-Bar- geldbestände in der Regel kostenlos anzunehmen oder umzutauschen. Aber lassen Sie uns doch einmal das praktische Ver- fahren zur Jahreswende 2001/2002 durchspielen: Derje- nige Bürger, der noch große DM-Bargeldbestände hat, wird sie in den ersten zwei Monaten des Jahres 2002 aus- geben und als Rückgeld bei seinen Einkäufen Euromün- zen und -scheine erhalten. Somit ist eine Ausgabe von Eurobargeld über den „haushaltsüblichen“ Betrag hinaus absolut nicht notwendig, da dieser automatisch in die Geldbörsen fließt. Und die Reste an DM-Scheinen und -Münzen werden bis zum 28. Februar 2002 dann höchst- wahrscheinlich aufgebraucht sein. Darüber hinaus besteht immer die Möglichkeit, noch verspätet aufgefundene Be- träge – wo auch immer diese noch herkommen – bei den Landesbanken und der Deutschen Bundesbank kostenlos in Eurowährung umzutauschen. Die zweite Forderung im Antrag 14/6895 ist die For- mulierung – diesmal durch die Blume – eines sich seit mehreren Jahren wiederholenden Rituals der PDS: die Forderung nach einem kostenlosen Girokonto für Jeder- mann. Diesmal soll gewährleistet werden, dass auch „Kontolose“ entgeltfrei Bargeld umtauschen können. Hierbei frage ich mich ernsthaft: Wie kann derjenige, der sich kein Girokonto leisten kann, nun plötzlich über so viel Bargeld verfügen, dass dies nicht im „haushaltsüb- lichen“ Rahmen getauscht würde? Da bleibt nur zu ver- muten: Es ist etwas faul ...! Sowohl die alte Bundesregierung als auch die rot- grüne Nachfolge sehen absolut keinen gesetzlichen Hand- lungsbedarf und verweisen auf die Selbstverpflichtung der Banken und auf die Aktionsgemeinschaft Euro, die ja auch publizistisch aufklärerisch tätig war und ist. Apropos Aktionsgemeinschaft Euro: Das von Ihnen im Antrag geforderte Bürgertelefon für Fragen und Kritik in Bezug auf die Euroumstellung gibt es schon längst bei der oben angegebenen Adresse. Ich gebe Ihnen aber hier gerne noch einmal die Telefonnummer des Eurobürgerte- lefons an die Hand, damit auch Sie und Ihre Klientel sich umfassend über die Einführung des Euro informieren können. Die Telefonnummer lautet: 0180/321 2002. Mon- tags bis freitags von 9.00 bis 19.00 Uhr und samstags von 10.00 bis 14 00 Uhr steht Ihnen ein Experte Rede und Ant- wort. Aber genug der Werbung für die Sache des Euro. Als Verfechter der einheitlichen Währung für Europa kann ich auch ohne Unterstützung Dritter überzeugen. Und der Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 18847 (C) (D) (A) (B) Euro hat uns – anders als Ihr Parteiprogramm – schon längst überzeugt. Sie sollten sich mal ruhig zurücklehnen und überlegen, was die Jahre auf dem Wege zur Europä- ischen Währungsunion bisher an Vorteilen gebracht ha- ben. Seit Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl gemeinsam mit den Staats- und Regierungschefs die erste Stufe der Währungsunion beschlossen hat, wurde der Waren- und Kapitalverkehr in der EU deutlich liberalisiert und die Wirtschafts- und Währungspolitik wird seitdem besser koordiniert. Entscheidend war dann die Festlegung der Teilnehmerländer durch die Staats- und Regierungschefs; Voraussetzung war die Erfüllung strenger Kriterien, die Dr. Theo Waigel maßgeblich mit formuliert hat. Hier hat die CDU/CSU-Bundestagsfraktion als Träger der damali- gen Regierung für die gesamte Europäische Union Vorga- ben geliefert, ohne die wir heute noch nicht so weit wären, bald mit einer neuen Währung dazustehen. Jetzt ist der Eurokurs fest: Ab dem 1. März 2002 wird der Euro in allen WWU-Teilnehmerländern alleiniges ge- setzliches Zahlungsmittel sein. Und ich prophezeie Ihnen: Es wird eine Entlastung für den Durchschnittsverbraucher geben: Allein durch den Wegfall des Devisenumtausches werden jährlich rund 1 Milliarde Euro eingespart werden! Heute haben Sie die Chance, sich auch mal positiv über unsere Verdienste um die Stabilität des Euro zu äußern. Den Willen der Menschen in Europa, enger und wirksa- mer zum gemeinsamen Nutzen zusammenzuarbeiten und auf dem Weg der politischen Integration voranzuschrei- ten, haben wir sowohl gefördert wie auch genutzt. Wir wollen die ökonomische und politische Stabilität schritt- weise auf ganz Europa ausweiten. Nutzen Sie Ihre Chance, sich daran zu beteiligen! Kristin Heyne (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Einführung des Euro war ein wesentlicher Schritt auf dem Weg zur europäischen Integration. Jetzt steht die Bargeld- umstellung unmittelbar bevor und sie macht den Euro endlich sinnlich erfahrbar. Dies ist weit mehr als ein tech- nischer Akt – auch wenn die logistische Herausforderung für alle Beteiligten historisch einmalig ist. Es geht jetzt darum, das Vertrauen in unsere gemeinsame europäische Währung zu vertiefen. Entscheidend dafür ist vor allem, dass die Bargeldumstellung verbraucherfreundlich er- folgt. Eine kurze Bemerkung zum Antrag der PDS, die be- kanntlich den Euro ohnehin nicht wollte: Es kann jetzt nicht darum gehen, um fünf vor zwölf Gesetzesentwürfe zu schaffen, die suggerieren, wir müssten die Verbraucher vor dem Euro schützen. Wir müssen hier auch nicht die Einrichtung einer Hotline beschließen – das Euro-Bürger- telefon gibt es seit 1997, da kommt die PDS mit ihren Vor- schlägen wohl etwas zu spät. Die Verbraucher werden von der höheren Preistransparenz und einem durch den Euro geförderten Wettbewerb profitieren. Reisenden in Euro- land bleiben der Währungsumtausch sowie die dazu- gehörigen Kosten erspart. In Zukunft ist eben nicht mehr die Frage, wo und zu welchen Gebühren man spanische oder italienische Banknoten wieder in heimische Noten umtauschen kann. Wir haben ein umfassendes Konzept zur Inverkehr- gabe des Euro, das federführend von der Deutschen Bundesbank in Zusammenarbeit mit den beteiligten Mi- nisterien und Verbänden erstellt wurde. Es gibt die Selbst- verpflichtung von Handel, Dienstleistungsgewerbe und Kreditwirtschaft zur Euroeinführung sowie die modifi- zierte Stichtagsregelung, die einen juristischen Big Bang ermöglicht und eine langwierige Parallelwährungsphase vermeidet. Banken und Unternehmen werden seit dem 1. September bereits mit den ersten Euros versorgt. In etwa zwei Monaten können auch Private ein so genanntes Starter-Kit erwerben und sich mit den neuen Münzen ver- traut machen. Inzwischen gehen 42 Prozent der Bevölke- rung davon aus, dass ihnen der Euro persönliche Vorteile bringt – vor einem Jahr war nur knapp jeder Vierte dieser Auffassung. Deutlich zugenommen hat die Zuversicht in den langfristigen Erfolg des Euro. Die Zustimmung zur gemeinsamen Währung wächst, allerdings fühlen sich im- mer noch mehr als die Hälfte der Bürger und Bürgerinnen nicht ausreichend informiert. Nachholbedarf bei praxisbezogenen Informationen zur Umstellung sehe ich vor allem bei den kleineren, über- wiegend lokal tätigen Unternehmen. Bei ihnen herrscht die Tendenz vor, erst zum spätest möglichen Zeitpunkt auf den Euro umzustellen. Sie unterschätzen möglicherweise den Zeitaufwand für die Umstellung. Sinnvoll sind des- halb die Bemühungen des Wirtschaftsministeriums, die Öffentlichkeitsarbeit zum Euro in Zusammenarbeit mit den Wirtschaftsverbänden und der „Aktionsgemeinschaft Euro“ weiter zu intensivieren. Besonders gefordert sind die kleinen Unternehmen des Einzelhandels, die im Übergangszeitraum bis Ende Februar eine wichtige Funktion bei der Umstellung von der D-Mark auf den Euro übernehmen sollen, bisher je- doch nur unzureichend auf die Euroumstellung vorberei- tet sind. Schwierig wird ihre Situation vor allem durch die Haltung der privaten Kreditwirtschaft. Sie ist nicht bereit, umfassend auf die Erhebung von Gebühren zu verzichten und allen – auch Nichtkunden – einen unbegrenzten, kos- tenlosen Umtausch von DM-Noten und -Münzen in Euro- bargeld zu gewährleisten. Den kleinen Einzelhändlern wird so die Funktion einer Wechselstube zugewiesen. Auch hat der Bundesverband Deutscher Banken dem Verbändekompromiss nicht zugestimmt, nach dem die Kostenvorteile, die die Bundesbank den Kreditinstituten im Rahmen der Euroumstellung einräumt, an die Ge- schäftskunden angemessen weitergegeben werden sollen. Doch Knausern ist an dieser Stelle fehl am Platze. Das Vertrauen, das die Institute mit Hochglanzbroschüren schaffen wollen, wird so im direkten Kontakt mit den Bür- gerinnen und Bürgern zunichte gemacht. Es ist doch ent- scheidend, dass die Menschen in dem Moment, in dem sie das erste Mal tatsächlich mit dem Euro in Berührung kommen, nicht gleich zur Kasse gebeten werden. Deshalb ist es geboten, dass sich die Kreditinstitute an den Empfehlungen der EU orientieren, nach denen ein un- begrenzter Bargeldumtausch für alle erfolgen soll. Höhere Beträge sollen nach dem Vorschlag vorher an- gekündigt werden. Die deutschen Kreditinstitute haben zumindest für ihren Kundenkreis inzwischen weitgehend einen kostenlosen Bargeldumtausch zugesagt. Problema- tisch könnte die Situation für Menschen ohne Konto sein. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 200118848 (C) (D) (A) (B) Sind ihre Bestände so hoch, dass sie nicht innerhalb von zwei Monaten ausgegeben werden können, halte ich al- lerdings die Einrichtung eines Girokontos für zumutbar. In wenigen Wochen wird der lange Anlauf zur gemein- samen europäischen Währung zu seinem Ziel kommen. Die Menschen werden das neue Geld in der Hand halten und benutzen können. Ich bin sicher, dass viele Befürch- tungen und Zweifel sich mit diesem Moment erledigen werden. Der Währungswechsel ist lange und intensiv vor- bereitet worden. Ich bin überzeugt, dass er gut gelingen wird. Gudrun Kopp (FDP): In exakt 81 Tagen hat die Deut- sche Mark ausgedient. Der Euro wird gesetzliches Zah- lungsmittel in Deutschland und in den übrigen elf Teil- nehmerstaaten der Eurozone. Bei vielen Menschen in diesem Lande kommt Wehmut über den Verlust der stabilen D-Mark auf, aber auch Miss- trauen. Misstrauen hat sich breit gemacht, wie Umfragen belegen, wonach 70 Prozent der Verbraucher in Deutsch- land fürchten, dass Handel und Geldinstitute die Gele- genheit der Währungsumstellung zum „Kasse machen“ nutzen könnten. Insgesamt, so die Vermutung, könnten durch die Eu- roeinführung die Kosten für die Lebenshaltung steigen. Mehrkosten sind jedoch genau das Gegenteil von dem, was unserer lahmenden Konjunktur derzeit gut tut. Die Verbraucher sind ohnehin belastet mit hohen Abgaben- und Steuerzahlungen. Die Umsätze am Markt stagnieren und führen zum weiteren Anstieg der Zahl der Arbeits- losen. Kein Zweifel, mit der Währungsumstellung kommen zusätzliche Risiken auf die Bürger und Bürgerinnen zu, aber auch auf die Wirtschaft. Vertrauen schaffen heißt deshalb das Gebot der Stunde. Dazu bedarf es vor allem fundierter Sachinformationen, für die in erster Linie die Bundesregierung Sorge zu tragen hat, ist doch die Währungsumstellung eine Aufgabe, die die öffentliche Hand erfüllen muss. Die Zusage der Banken und des Handels, freiwillig bis zum 28. Februar 2002 DM-Bargeld anzunehmen und da- mit zu „Wechselstuben der Nation“ zu werden, ist eine große Herausforderung, deren Bewältigung zum Gelin- gen der Euroeinführung und damit zum Aufbau eines Fundaments für neues Vertrauen beitragen wird. Hieran beteiligen sich insbesondere auch die deutschen Hotel- und Gastronomiebetriebe; sie leisten damit einen wahren Kraftakt. Die Kreditinstitute beabsichtigen, auch den Umtausch- wünschen der Verbraucher ohne eigenes Girokonto zu entsprechen; so sieht dies eine freiwillige Vereinbarung bereits seit langem vor. Ergänzend tauschen die Bundes- bank und die Landeszentralbanken DM-Bargeld ge- bührenfrei um. Zusammen mit der Möglichkeit, DM- Münzen noch innerhalb von zwei Monaten nach Jahresende beim Einkaufen auszugeben, dürfte den Be- langen aller Bevölkerungskreise Rechnung getragen sein. Insofern ist der Antrag der PDS schlicht gegenstandslos. Folgende vertrauensbildende Maßnahmen aber muss die Bundesregierung umgehend auf den Weg bringen: Erstens. Eine gezielte Infokampagne ist umgehend zu starten, mit der seriöse Sachinformationen in der verblei- benden Zeit bis zur Euroumstellung den Verbrauchern nahe gebracht werden. Zweitens. Sie muss darauf hinwir- ken, dass keine zusätzlichen Kosten entstehen. Dies gilt besonders dort, wo die öffentliche Hand hoheitlich wirkt, beispielsweise bei Gebühren- und Abgabenbescheiden. Zu lange Zeit zeigte sich die deutsche Bundesregierung im Vergleich mit den europäischen Nachbarstaaten als „euromüde“, indem sie durchschnittlich nur ein Drittel der Finanzmittel in echte Infokampagnen über das neue Geld investierte, die beispielsweise die spanische oder französische Regierung investiert. Im zweiten Schritt muss sich die Bundesregierung auf der EU-Ebene stark machen für eine Harmonisierung beim innereuropäischen Zahlungsverkehr. Dies sind Herausforderungen, die mit aller Kraft und großem Engagement von Regierung, Wirtschaft und Ban- ken offensiv gestaltet und bewältigt werden müssen, wenn der Start in die neue Währung rundum zum Erfolg für die Verbraucher werden soll. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bewertungsgesetzes (Zusatztagesordnungspunkt 7 a und b) Nicolette Kressl (SPD): Die heutige Diskussion schließt nicht an die Diskussion im vergangenen Jahr an, in der die CDU/ CSU-Fraktion aus wahltaktischen Grün- den eine angebliche Erhöhung der Erbschaftsteuer durch die Bundesregierung aus dem Hut zauberte. In der heutigen Debatte geht es vielmehr um einen tatsächlichen und dringenden Handlungsbedarf. Auf- grund der in § 138 des Bewertungsgesetzes bestehenden Befristung zum 31. Dezember dieses Jahres müssen wir gemeinsam eine Lösung finden, um die Bewertungs- grundlagen auch für die Zukunft zu sichern. Ohne eine Neufassung der Verfallklausel bestehen ansonsten ab dem 1. Januar nächsten Jahres keine sicheren Erhebungsvo- raussetzungen für die Erbschaftsteuer. Im Interesse der Länder – diesen fließen die Erbschaftssteuern zu – gilt es, hier Rechtssicherheit zu schaffen. Für die Länder geht es um ein bedeutsames Steuerauf- kommen. Im Jahr 2000 lag das Steueraufkommen aus der Grunderwerbs-, Erbschafts- und Schenkungsteuer bei im- merhin rund 16,6 Milliarden DM. Das sind übrigens rund 2,8 Milliarden DM weniger als noch unter der CDU/CSU- Regierung im Jahr 1996. Diese Zahlen sind nur als klei- ner Hinweis darauf, dass unsere Steuerpolitik entlastet, statt neue Lasten zu schaffen. Es ist vielmehr so, dass die alte Regierung in ihren letzten sieben Jahren die Steuern um 100 Milliarden DM erhöht hat, während wir im glei- chen Zeitraum die Steuern um über 70 Milliarden DM senken werden. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 18849 (C) (D) (A) (B) Lassen Sie mich an dieser Stelle zunächst kurz um- reißen, weshalb wir heute vor der Aufgabe stehen, die erb- schaftsteuerliche Grundbesitzbewertung neu zu regeln: Im Jahre 1995 hat das Bundesverfassungsgericht es mit dem Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 unseres Grundgeset- zes für unvereinbar gehalten, dass Grundbesitz mit Ein- heitswerten, sonstiges Vermögen hingegen mit dem Ver- kehrswert bewertet wird. Es führte dazu aus, dass „die Steuer eine Gemeinlast ist, die alle Inländer je nach ihrem Einkommen, Vermögen und ihrer Nachfragekraft zur Fi- nanzierung der allgemeinen Staatsaufgaben heranzieht. Der steuerliche Eingriff in die Vermögens- und Rechts- sphäre des Einzelnen“, so das Bundesverfassungsgericht weiter, „erhält seine Rechtfertigung auch und gerade aus der Gleichheit dieser Lastenteilung“. Wolle der Gesetzge- ber gleichwohl eine Ungleichbehandlung vornehmen, so sei dies nur aus Gründen des Gemeinwohls möglich und setze weiterhin eine erkennbare Entscheidung des Ge- setzgebers voraus. Allein die höhere Sozialbindung des Grundbesitzes oder der Schutz von Mietern genüge noch nicht, um eine niedrigere Besteuerung bei Grundbesitz zu rechtfertigen, so das Bundesverfassungsgericht sinn- gemäß. Angesichts dieser Vorgaben des Bundesverfassungsge- richts hat der Deutsche Bundestag im Jahre 1996 die nun vorliegende Fassung des Bewertungsgesetzes beschlos- sen. Für Zwecke der Erbschaft- und Schenkungsteuer wurde das Einheitswertverfahren durch die so genannte Bedarfsbewertung nach dem Ertragswertverfahren ab- gelöst, um dem Gleichheitsgebot zu entsprechen. Erst- mals seit 1964 fand damit eine Neubewertung des Grund- besitzes und damit eine Anpassung an die seither enorme Wertentwicklung bei Grundstücken und Immobilien statt. Grundbesitz wird seit 1996 realitätsnäher bewertet, seit- her eingetretene Veränderungen des Marktes blieben je- doch außen vor. Die heute infrage stehende Verfallklausel sollte dazu dienen, eine Überprüfung des 1996 noch nicht in der prak- tischen Umsetzung erprobten Bewertungsverfahrens zu ermöglichen und anhand der zwischenzeitlich gewonnen Erkenntnisse zu einer Neuregelung ab dem Jahr 2002 führen. Dies hatte offensichtlich auch die damalige Mehr- heit aus CDU/CSU und FDP im Bundestag gewollt, auch wenn diese heute die ursprüngliche Intention der Fristen- klausel nicht mehr hinterfragen. Dieser Aufgabe müssen wir nun hier und heute nachkommen. Wie also kann eine Neuregelung des § 138 des Bewertungsgesetzes ausse- hen? Zunächst bietet sich angesichts des Fristendes die Möglichkeit, tatsächlich Neues zu schaffen und die Er- fahrungen der vergangenen sechs Jahre ebenso wie die momentanen Entwicklungen und die Prognosen für die Zukunft mit einfließen zu lassen. Neues meint dabei nicht die bloße Fortschreibung von bereits Bestehendem. Vorstellbar wäre an dieser Stelle, eine Neubewertung des Grundbesitzes vorzunehmen. Der dem § 138 Abs. 4 des Bewertungsgesetzes wegen der Be- fristung anhaftende Übergangscharakter bringt die Über- legung mit sich, ob nicht eine dauerhafte Regelung ge- funden werden sollte. Denn gerade bei dem so beständigen Wert Grundbesitz scheint ein Gesetz, dass von Befristung zu Befristung jeweils wieder in seiner Be- wertung offen ist, nicht der optimale Ansatz zu sein, um Rechtssicherheit langfristig zu garantieren. Eine Aktualisierung des Bewertungsgesetzes könnte zu einer Annäherung der bislang auseinander klaffenden Bewertung von bebauten und unbebauten Grundstücken führen. Dadurch würde die derzeit beim Ertragswertver- fahren gegebene Spanne von durchschnittlich 51 Prozent des Verkehrswertes bei bebauten Grundstücken gegen- über etwa 72 Prozent bei unbebauten Grundstücken ver- kürzt. Gleichzeitig steht für uns an erster Stelle natürlich das von der Bundesregierung schon in vielen Schritten umge- setzte Ziel, Steuern zu senken und Familien zu fördern. Die Vererbung von Omas viel zitiertem Häuschen darf nicht zu einer höheren Steuerlast der Erben führen. Ob dieser Schutz in gleichem Maße auch für Omas Häuser- zeile gelten muss, lasse ich dahingestellt. Um Familien zu fördern, halten wir auch im Rahmen des Bewertungsge- setzes daran fest, dass das Familiengebrauchsvermögen stets so zu stellen ist, dass normale Einfamilienhäuser durch entsprechende Gestaltung der Freibeträge steuerfrei an die Kinder und Ehepartner vererbt werden kann. Nur unter dieser Prämisse ist eine Weiterentwicklung des aus- laufenden § 138 Bewertungsgesetz gangbar. Dass im Hinblick auf die Erbschaftsteuer auch der Mit- telstand als Rückgrat unserer Wirtschaft weiterhin geför- dert wird, versteht sich aufgrund unserer mittelstandsför- dernden Politik von selbst und muss an dieser Stelle nicht weiter erläutert werden. Als Alternative zu dem gerade dargestellten Weg bietet sich die nicht wirklich als Neure- gelung zu bezeichnende Möglichkeit, die Befristung durch eine weitere Befristung zu verlängern. Diese Lö- sung des aus zeitlichen Gründen drängenden Problems hat Vor- und Nachteile, die es abzuwägen gilt: Zunächst besitzt die Fortgeltung des § 138 durch eine neue Befris- tung insoweit einen gewissen Charme, als dadurch bereits Bestehendes bleibt: Die Fortgeltung der Bewertung führt zu einer Beständigkeit innerhalb der Immobilienwirt- schaft und stärkt das Vertrauen der Grundbesitzer und der künftigen Erben in die zu erwartende und einschätzbare Steuerlast. Dies allein genügt jedoch nicht, um eine Ungleichbe- handlung der Bewertung von Grundbesitz und Vermögen in Kauf zu nehmen. Allenfalls die mit der Fristverlänge- rung einhergehende Rechtssicherheit kann eine Ungleich- behandlung auf absehbare Zeit rechtfertigen. In der kur- zen Zeitspanne, die uns noch bis zum Auslaufen des § 138 am 31. Dezember verbleibt, kann eine abschließende und auf lange Sicht gesicherte Regelung der Bewertungsmo- dalitäten kaum durchgeführt werden. Um also ein Stückwerk, wie es die Regelung aus der Zeit der damaligen Bundesregierung aus dem Jahre 1996 leider ist, zu vermeiden, muss ein Gesamtkonzept ent- worfen werden: Eine dauerhafte und gerechte Lösung muss, wie es auch in der Stellungnahme der Bundesregie- rung heißt, „eine Angleichung der unterschiedlichen Maßstäbe und Verfahren für die Bewertung von Grund- besitz einerseits sowie von sonstigem Vermögen anderer- seits enthalten, um den verfassungsrechtlichen Anforde- rungen weiterhin zu entsprechen“. Deshalb ist für uns klar, dass wir dem Antrag des Bundesrats, die Frist des § 138 Bewertungsgesetz zu verlängern, zustimmen wer- den, damit auch nach dem 31. Dezember dieses Jahres die Bewertung von Grundbesitz sichergestellt ist. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 200118850 (C) (D) (A) (B) Hans Michelbach (CDU/CSU): Die Regelung zur Bewertung des Grundbesitzes für Zwecke der Erb- schaftsteuer und Grunderwerbsteuer wurde auf öffentli- chen Druck der Opposition jetzt zeitlich verlängert. Die Verlängerung der bisherigen Bewertungsregelungen bis zum Jahr 2006 ist ein Erfolg. Jedoch ist die Gefahr weite- rer Belastungen der Generationenbrücke nicht gebannt. Der Steuerbürger hat kein Vertrauen mehr in die rot-grüne Koalition; denn die rot-grüne Bundesregierung betreibt eine Politik der Abkassiererei und Preistreiberei. Insgeheim wird im Hause Eichel in enger Abstimmung mit den SPD-geführten Bundesländern schon länger an einem neuen Bewertungsverfahren gearbeitet. Vom so ge- nannten Ertragswertverfahren soll auf ein Sachwertver- fahren umgestellt werden, wodurch sich die Bemessungs- grundlage für die Erbschaft- und Schenkungsteuer sehr viel stärker an den Verkehrswert annähern soll. Wenn das Machtwort des Kanzlers gilt, muss er nun der Verschiebung auch grundsätzliche Taten folgen lassen und seine Parteifreunde auf ihrem Steuerirrweg stoppen. Eine bloße Anhebung der Bewertung in Richtung Ver- kehrswertbesteuerung kann keine Zustimmung finden. Sie führt zu regionalen Verzerrungen im Bundesgebiet, verschärft die Stadt-Land-Problematik und gefährdet die Existenz von Mittelständlern in den Innenstädten. Eine Zusicherung von Aufkommensneutralität ist unzurei- chend, solange nicht gesichert ist, dass höhere Belastun- gen für mittelständische Betriebe vermieden werden. Eine pauschale Anhebung der Bewertungsgrundlage für Grund und Boden bei Betrieben ist ökonomisch und sach- lich nicht gerechtfertigt. Im Vordergrund muss die Förde- rung steigender Beschäftigung und höherer Investitionen stehen. Wenn Bund und Länder tatsächlich an der Bemes- sungsgrundlage drehen wollen, so müssen auch die Frei- beträge deutlich erhöht und die Steuersätze gesenkt wer- den. Neben den persönlichen Freibeträgen muss auch der Freibetrag für Betriebsvermögen von heute 500 000 DM mindestens verdreifacht werden. Unverzichtbar für einen Konsens ist die steuerlich angemessene Berücksichtigung von Grund und Boden als Grundlage für hohe Beschäfti- gung. Wer die Erbschaftsteuerschraube über den Umweg der Anhebung der Bewertungsgrundsätze auf über 70 Pro- zent der Verkehrswerte anziehen will, gefährdet damit die Existenz von einigen Tausend Arbeitsplätzen. Das Bewertungsprivileg ist ein wichtiger Baustein bei der schenkungsteuerschonenden Übertragung von unter- nehmerischen Vermögen auf die nächste Generation. Die Fortführung von mittelständischen Betrieben durch den Übergang auf einen Unternehmensnachfolger darf durch Änderungen an der Bewertungsgrundlage steuerlich nicht verhindert werden, die Generationsbrücke nicht zerstört werden. Die Bundesregierung spricht in der Steuerpolitik oh- nehin mit gespaltener Zunge. Da soll einerseits der Steu- erzahler entlastet werden, andererseits bereitet sie gerade mit den geplanten Erhöhungen der Tabak- und Versiche- rungsteuer ihren neuesten Coup vor. Eichels Mythos vom Steuersenkungsminister erweist sich einmal mehr als Farce. Steuererhöhungen führen zur Erhöhung des Inflations- impulses. Die Erhöhung der Versicherungsteuer auf Sach- versicherungen von 15 Prozent auf 16 Prozent bewirkt einen Inflationsimpuls von 0,1 Prozentpunkten, die Er- höhung der Tabaksteuer pro Zigarette von 5,1 Cent auf 7,1 Cent einen von 0,2 Prozentpunkten und die nächste Stufe der Ökosteuer inklusive Mehrwertsteuer, verursacht einen Inflationsimpuls von 0,2 Prozentpunkten. Ein Fi- nanzminister, dem nur Steuererhöhungen einfallen und der sich zum Umschichten von Mitteln nicht in der Lage sieht, leistet einen Offenbarungseid. Durch den schamlosen Griff in die Taschen der Bürger lässt sich trefflich sparen, wie die Pläne des Finanzminis- teriums zeigen. Einmal mehr zockt Eichel die Steuerzah- ler gnadenlos ab. Die angeblichen Reformen sind bei ge- nauerer Betrachtung bunte Seifenblasen, die sich die Bürger selbst finanzieren, sei es in der Steuerpolitik, bei der Ökosteuer oder in der Familienpolitik. Die viel ge- priesene Steuerreform ist mittlerweile als bunte Seifen- blase zerplatzt. Was wir brauchen, sind Entlastungen und keine zu- sätzlichen Belastungen der Steuerzahler. Die Leute im Land warten darauf. Keine neuen Steuererhöhungen, son- dern die konsequente und verlässliche Fortführung der Steuersenkungspolitik muss zur Förderung von Beschäf- tigung und Kaufkraft auf die Tagesordnung gesetzt werden. Notwendig ist die Weiterentwicklung des Steuer- senkungsgesetzes insbesondere beim Unternehmensüber- gang sowie zu Erleichterungen von Umstrukturierungen. Die „kleine Reinvestitionsrücklage“ ist Mittelstandsfän- gerei und Etikettenschwindel. Im Regierungsentwurf einen Gesetzes zur Fortent- wicklung des Unternehmensteuerrechts verbirgt sich durch die beabsichtigte Änderung des § 8 Nr. 7 GewStG die Einführung einer „Leasing-Steuer“. Durch das zur Diskussion stehende Vorhaben würde den gewerblichen Miet- und Leasingkunden eine gewaltige steuerliche Mehrbelastung aufgebürdet. Durch die Zusatzlasten würde die Leasing-Branche, die mit einem voraussichtli- chen Investitionsvolumen im Mobilienbereich für 2001 von nunmehr 75 Milliarden DM Deutschlands größter In- vestor ist, massiv beeinträchtigt, sodass ein dramatischer Einbruch des Investitionsvolumens zu erwarten ist. Die Schröder-Regierung steht entgegen aller anders lautenden Beteuerungen für den Marsch in den Steuer- staat. Die „Neue Mitte“ wird aus Ideologie nun zu „Rei- chen“ umdefiniert. Statt Verführung der „Neuen Mitte“ kommt nun die „alte Linke“ wieder zum Vorschein: Geld muss in die Kassen, damit die von Rot-Grün aufgerisse- nen Haushaltslöcher gestopft werden können. Für die Union ist klar, Deutschland braucht kein Steuer-Wirrwarr, sondern eine klare und verlässliche Steuerpolitik. Nur so können Leistung und Beschäftigung gefördert und das komplizierte Steuerrecht einfacher und gerechter werden: Abkassieren zur reinen Umverteilung bringt niemanden weiter und vertreibt Kapital für not- wendige Investitionen aus Deutschland. Die Steuerlast darf nicht die Existenz von Betrieben gefährden, da diese als Garant von Arbeitsplätzen der Gemeinwohlverpflich- tung unterworfen sind: Die Steuerpolitik von Rot-Grün erweist sich einmal mehr als kontraproduktiv. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 18851 (C) (D) (A) (B) Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Auf Initiative des Bundesrates werden mit diesem Ge- setzentwurf die Regelungen zur Bewertung des Grund- besitzes für Zwecke der Erbschaftsteuer und der Grund- erwerbsteuer für weitere fünf Jahre verlängert. Die Initiative der Länder kommt gerade noch rechtzeitig, da die vorhandene Befristung im Bewertungsgesetz Ende 2001 abläuft. Es ist politisch selbstverständlich, dass die Länder sich um die Sicherung ihrer Steuereinnahmequellen aus der Erbschaftsteuer und Grunderwerbsteuer kümmern. Mit der Begründung des Bundesrates für einer Verlängerung des so genannten Bedarfsbewertungsverfahrens im Rah- men des Bewertungsgesetzes um fünf Jahre, mit dem ein Bewertungsniveau von 50 bis 70 Prozent der Verkehrs- werte für Immobilienvermögen erreicht wird, bin ich nicht einverstanden. Im vorliegenden Gesetzentwurf heißt es: „Die Grundsätze der Beschlüsse des Bundesver- fassungsgerichtes rechtfertigen eine Festschreibung der Wertverhältnisse vom 1. Januar 1996 für fünf weitere Jahre“. Dies ist eine gewagte Interpretation des Bundes- verfassungsgerichtsurteils vom 22. Juni 1995. Immerhin wird damit behauptet, dass für zehn Jahre eine realitäts- nahe Bewertung von Immobilienvermögen annäherungs- weise zu Verkehrswerten nicht herbeigeführt werden muss. Die Bundesregierung geht mit dem gleichen Sachver- halt in Bezug auf das vorliegende Bundesverfassungsge- richtsurteil erheblich vorsichtiger um. Sie verweist in ih- rer Stellungnahme auf die Tatsache, „dass eine dauerhafte Lösung eine Angleichung der unterschiedlichen Maß- stäbe und Verfahren für die Bewertung von Grundbesitz einerseits sowie von sonstigem Vermögen andererseits enthalten muss, um den verfassungsrechtlichen Anforde- rungen weiterhin zu entsprechen“. Ich verweise auf Drucksache 14/6718, Anlage 2. Dieser Position kann ich mich nur anschließen. Es ist eine Illusion, zu meinen, ein verfassungswidriger Zustand könne einfach so beibehalten werden: Ziel der verfas- sungsgerichtlichen Vorgabe ist die Einlösung des Grund- satzes der gleichmäßigen Besteuerung aller Vermögens- arten, die vererbt oder verschenkt werden. Bislang werden auch mit dem so genannten Bedarfsverfahren im Rahmen des Bewertungsgesetzes Geld- und Grundver- mögen nicht gleichmäßig besteuert. Vielmehr ist es so, dass das Grundvermögen in der Regel nur mit 50 bis 70 Prozent seines Verkehrswertes in die Bemessungs- grundlage für die Berechnung der Erbschaftsteuer ein- geht. Dieser Zustand ist auf Dauer unhaltbar. Ich gehe des- halb davon aus, dass in der nächsten Legislaturperiode dieser verfassungsrechtlich nicht hinnehmbare Zustand aufgehoben wird. Ziel einer Reform der Erbschaftsteuer soll ihre verfassungsrechtlich gerichtsfeste Ausgestaltung sein. Die Bewertungsgrundsätze für Immobilienvermö- gen sind zu ändern, ohne dass es zu einer Belastung von selbst genutztem Immobilieneigentum, also Gebrauchs- vermögen, kommt. Omas Häuschen soll auch weiterhin steuerfrei die nächste Generation erreichen! Auch eine Betriebsüber- gabe an Erben darf den Betrieb nicht gefährden. Der Wo- chenbericht des DIW vom 31. Mai 2001 – Nr. 22/2001 – zeigt den Reformbedarf bei der Erbschaftsteuer. Ich kann empfehlen, diesen Bericht zur Kenntnis zu nehmen. Die Notwendigkeit, sich für die Gleichbehandlung unter- schiedlicher Vermögensarten einzusetzen, wird noch of- fensichtlicher, wenn bekannt ist, wie sich das Bruttover- mögen der privaten Haushalte zusammensetzt. Es hatte 1997 einen Bestand von 14 Billionen DM. Da- von entfielen auf den Immobilienbestand im In- und Aus- land sowie das Gebrauchsvermögen 9 Billionen DM oder 62 Prozent. Etwa 38 Prozent, also der geringere Anteil, machte das private Geldvermögen aus. So ist dem Mo- natsbericht der Deutschen Bundesbank vom Januar 1999 zu entnehmen. Wieso soll eigentlich das Steuersparen mit der Geldan- lage in Grundvermögen kultiviert werden? Dies muss die Opposition den Bürgern erklären. Das Bundesverfas- sungsgericht hat die Antwort bereits dem Gesetzgeber, also uns, vorgegeben. Auf Dauer ist der Zustand unhalt- bar. Rainer Funke (FDP): Die Bewertungsregeln für Im- mobilien laufen Ende dieses Jahres aus. Ohne Tätigkeit des Gesetzgebers könnte im nächsten Jahr keine Erb- schaftsteuer mehr erhoben werden. Der Gesetzentwurf der FDP datiert vom 13. Februar 2001. Wir wollen das geltende Bewertungsrecht verlängern und damit frühzei- tig Klarheit und Planungssicherheit für die Bürger schaf- fen. Ich begrüße es für die FDP ausdrücklich, dass der Bundesrat unserem Entwurf wortgleich gefolgt ist. Ich hoffe, dass das Gesetzgebungsverfahren damit reibungs- los über die Bühne geht. Ich darf aber auch daran erinnern, dass es im Frühjahr Pläne gab – und wohl auch noch gibt –, die Erb- schaftsteuer massiv zu erhöhen. Einige sozialdemokrati- sche Ministerpräsidenten und auch SPD-Politiker im Bund waren noch im Frühjahr dafür, durch Änderungen des Bewertungsrechts zum 1. Januar 2002 den Bürgern abermals tief in die Tasche zu greifen. Das zeigt, dass weite Teile der SPD in keiner Weise daran interessiert sind, die viel zu hohe Steuerbelastung zu senken. Staats- gläubigkeit und Dirigismus herrschen weiterhin vor. Wo Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit zu Erfolgen führen, muss der Staat zugreifen und den Erfolg abschöp- fen. Die mit Hängen und Würgen durchgebrachte halbher- zige Steuerreform, deren viele Fehler in diesen Tagen in Ansätzen korrigiert werden sollen, war wohl das Äußers- te, was mit ideologisch geprägtem Gedankengut in der SPD zu vereinbaren war. In dieses Bild passen die bereits beschlossenen Er- höhungen der Mineralölsteuer und der Stromsteuer zum 1. Januar. Auch die anstehende Erhöhung der Tabaksteuer sowie der Versicherungsteuer belegen, dass die SPD und auch die Grünen weder den Willen noch die Kraft haben, wirkliche Steuersenkungen durchzusetzen. Die viel ge- rühmten Sparmaßnahmen gingen zulasten der Investitio- nen, was sich gerade in diesen Tagen rächt. Die Senkung von Steuer- und Abgabenquote wird vollmundig be- schworen, aber nichts geschieht. Für die FDP steht fest: Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 200118852 (C) (D) (A) (B) Die Politik dieser Regierung ist schädlich für Deutsch- land. Daran ändert nichts der Verzicht auf die Erhöhung der Erbschaftsteuer. Der Grund hierfür liegt einzig darin, dass 2002 ein Wahljahr ist. Dr. Barbara Höll (PDS): Durch den Gesetzentwurf der Bundesländer soll die Anwendung des derzeit gelten- den Bewertungsverfahrens für Grundbesitz im Rahmen der Erbschaftsteuer bis zum Jahr 2006 verlängert werden. Die PDS unterstützt diese Länderinitiative zur Sicherung der Erbschaftsteuer, da ohne diesen Gesetzentwurf die Erbschaftsteuer ab Januar 2002 nicht mehr erhoben wer- den könnten und dies, weil sich auch die rot-grüne Bun- desregierung als reformunwillig erwies und bisher keinen eigenen Gesetzentwurf zur Reform der Erbschaftsteuer vorgelegt hat. Gleichzeitig soll aber für weitere fünf Jahre ein verfassungswidriger Zustand hingenommen werden. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil von 1995 gefordert, zur Durchsetzung der Gleichbesteu- erung alle Vermögensarten realitäts- und zeitnah zu be- werten. Diese geforderte Realitätsnähe ist jedoch durch das derzeit geltende Ertragswertverfahren bei der Bewer- tung der Grundstücke auch nicht annähernd gegeben. Dies dürfte dem Bundesfinanzministerium und somit der Bundesregierung sehr wohl bekannt sein. Nach bundesweiten Untersuchungen der Finanzver- waltungen erreichen die durch das Ertragswertverfahren ermittelten Werte für bebaute Grundstücke derzeit gerade 51 Prozent der Verkehrswerte. Die festgelegten Werte für unbebaute Grundstücke liegen bei 72 Prozent des Ver- kehrswertes. Dies ist eine erhebliche steuerliche Un- gleichbehandlung innerhalb des Grundvermögens. Aber es bedeutet darüber hinaus auch eine steuerliche Privile- gierung des Grundvermögens gegenüber allen anderen Vermögensarten im Rahmen der Erbschaftsbesteuerung. Wider besseres Wissen ist die rot-grüne Regierung nicht gewillt, etwas an diesem verfassungswidrigen Zustand zu ändern. Sie nehmen in Kauf, dass der Gleichbesteuerung über Jahre hinweg Rechnung getragen wird. Wenn Sie in Ihrer Stellungnahme zum Gesetzentwurf des Bundesrates betonen, dass eine dauerhafte Lösung des Problems die Angleichung der unterschiedlichen Verfah- ren für die Bewertung von Grundbesitz einerseits und von sonstigen Vermögen andererseits enthalten muss, dann mutet dies schon zynisch an. Denn erinnern wir uns: Im Mai dieses Jahres legte ein Teil der Länder den Entwurf eines Gesetzes für eine verfassungskonforme Bewertung des Grundbesitzes vor. Statt diese Initiative aufzunehmen und den betreffenden Ländern im Bundesrat politisch den Rücken zu stärken, wurden diese aber – mit Blick auf das Wahljahr 2002 – gerade von Herrn Schröder und Herrn Eichel blockiert. Doch die verfassungsrechtliche Problematik ist das eine. Der eigentliche Skandal besteht darin, dass – nach Schätzungen der Bundesbank – zwar jährlich 100 bis 200 Milliarden DM an privatem Vermögen vererbt wer- den, durch die Erbschaftsteuer aber im vergangenen Jahr gerade 5,8 Milliarden DM an Einnahmen erzielt wurden. Durch eine Änderung von Freibeträgen und Steuersätzen könnte sich dies schnell ändern. Dadurch wären Mehrein- nahmen möglich, die für Investitionen in Bildung und Ausbildung sowie für Kinderbetreuung und Armuts- bekämpfung eingesetzt werden können. Gerade Letzteres ist von besonderer Bedeutung: In die- ser Woche hat die Europäische Kommission der Bundes- regierung eine mangelnde Armutspolitik bescheinigt. Laut dem jüngsten „Bericht über die soziale Eingliede- rung“ der Kommission liegt die Bundesrepublik in punkto Armutsbekämpfung und Armutspolitik im unteren Drittel der EU-Staaten. Einerseits verzichtet Rot-Grün also darauf, Vermö- gende adäquat zur Finanzierung des Gemeinwesens in die Verantwortung zu nehmen, andererseits lassen sie die Ein- kommensschwachen im Regen stehen. Diese unsoziale Politik akzeptieren die demokratischen Sozialisten und Sozialistinnen nicht. Wir akzeptieren auch nicht, dass sich die Regierung weiterhin einer strukturellen Reform der Erbschaftsbesteuerung verweigert. Noch immer hängt die Höhe der Erbschaftsteuer davon ab, in welcher verwandt- schaftlichen Beziehung Erblasser und Erben zueinander standen. Eine überlebende Ehefrau erhält einen Freibetrag von insgesamt 1,1 Millionen DM, die unverheiratete Le- benspartnerin gerade einmal 10 000 DM. Dies ist ange- sichts der sich rapide ändernden Lebensweisen wirklich nicht mehr nachvollziehbar! Inzwischen sollen homo- sexuelle Lebenspartnerschaften zwar weitgehend den Ehen gleichgestellt werden. Dies hebt aber die Diskrimi- nierung zum Beispiel unverheirateter heterosexueller Paare oder aber kinderloser Menschen, die sich im Alter unterstützen, nicht auf. Der Reformbedarf ist immens. Wir fordern deshalb, dass die Bundesregierung schnellstens eine Reform vor- legt, die eine verfassungsfeste und sozial gerechte Erb- schaftsbesteuerung beinhaltet – und dies nicht erst nach dem nächsten Urteil des Verfassungsgerichts. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2001 18853 (C) (D) (A) (B) Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin