Protokoll:
14159

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 14

  • date_rangeSitzungsnummer: 159

  • date_rangeDatum: 16. März 2001

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 14:01 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Absetzung des Zusatztagesordnungspunktes 10 15540 C Friedrich Merz CDU/CSU (zur GO) . . . . . . . 15531 B Wilhelm Schmidt (Salzgitter) SPD (zur GO) 15532 B Dr. Guido Westerwelle F.D.P. (zur GO) . . . . . 15533 D Katrin Göring-Eckardt BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN (zur GO) . . . . . . . . . . . . . . . . 15534 D Dr. Heidi Knake-Werner PDS (zur GO) . . . . . 15535 D Wilhelm Schmidt (Salzgitter) SPD (zur GO) 15537 B Hans-Peter Repnik CDU/CSU (zur GO) . . . . 15537 D Tagesordnungspunkt 16: a) Erste Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Wohnungsbaurechts (Drucksache 14/5538) . . . . . . . . . . . . . 15538 B b) Erste Beratung des vom Bundesrat ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Zweiten Woh- nungsbaugesetzes und anderer woh- nungsrechtlicher Gesetze (Drucksache 14/627) . . . . . . . . . . . . . . 15538 B c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen – zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Spanier, Dieter Maaß (Herne), weiterer Abgeordneter und der Fraktion SPD sowie der Abge- ordneten Franziska Eichstädt- Bohlig,Winfried Hermann, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Den sozialen Wohnungsbau erhalten und reformieren – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr.-Ing. Dietmar Kansy, Dirk Fischer (Hamburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion CDU/CSU: Soziale Wohnraumförderung – Reform im Einklang mit einer kohärenten Wohnungs- und Städtebaupolitik – zu dem Antrag der Abgeordneten Horst Friedrich (Bayreuth), Hans- Michael Goldmann, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion F.D.P.: Wohngeld erhöhen, Bürokratie ab- bauen, Länderkompetenzen stär- ken: Reformchancen beim sozialen Wohnungsbau konsequent nutzen (Drucksachen 14/3664, 14/3668, 14/3676, 14/4668) . . . . . . . . . . . . . . . . 15538 B Wolfgang Spanier SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15538 D Eduard Oswald CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 15540 C Dr. Michael Vesper, Minister (Nordrhein- Westfalen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15542 D Hans-Michael Goldmann F.D.P. . . . . . . . . . . . 15544 D Christine Ostrowski PDS . . . . . . . . . . . . . . . . 15546 C Achim Großmann, Parl. Staatssekretär BMVBW . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15547 C Hans-Michael Goldmann F.D.P. . . . . . . . . . . 15549 D Achim Großmann, Parl. Staatssekretär BMVBW . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15550 B Dr.-Ing. Dietmar Kansy CDU/CSU . . . . . . . 15551 A Dieter Maaß (Herne) SPD . . . . . . . . . . . . . . . 15553 B Plenarprotokoll 14/159 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 159. Sitzung Berlin, Freitag, den 16. März 2001 I n h a l t : Tagesordnungspunkt 17: Erste Beratung des von dem Abgeordneten Wolfgang Bosbach und der Fraktion CDU/ CSU eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Änderung des Versammlungs- gesetzes (Drucksache 14/4754) . . . . . . . . . . . . . . . 15554 C Wolfgang Bosbach CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 15554 C Dieter Wiefelspütz SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 15556 A Erwin Marschewski CDU/CSU . . . . . . . . 15557 A Dr. Edzard Schmidt-Jortzig F.D.P. . . . . . . . . . 15558 C Dieter Wiefelspütz SPD . . . . . . . . . . . . . . 15559 A Cem Özdemir BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 15559 D Dr. Edzard Schmidt-Jortzig F.D.P. . . . . . . . . . 15561 C Erwin Marschewski CDU/CSU . . . . . . . . . . . 15562 A Cem Özdemir BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 15562 B Petra Pau PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15563 B Dr. Eckart Werthebach, Senator (Berlin) . . . . 15564 A Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär BMI 15566 A Cem Özdemir BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 15567 C Tagesordnungspunkt 20: – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes und der Bundespflegesatzverordnung (DRG- Systemzuschlags-Gesetz) (Drucksachen 14/5082, 14/5567) . . . . 15567 D – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes und der Bundespflegesatzverordnung (DRG- Systemzuschlags-Gesetz) (Drucksachen 14/5396, 14/5567) . . . . 15567 D Tagesordnungspunkt 19: Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion CDU/CSU eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Verbesserung derAbschreibungsbedingungen (Drucksachen 14/5135, 14/5562, 14/5566) 15568 B Tagesordnungspunkt 21: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten – zu dem Antrag der Fraktion CDU/CSU: Unterglasgartenbau in Deutschland sichern – zu dem Antrag der Abgeordneten Ulrich Heinrich, Birgit Homburger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion F.D.P.: Anpassungsbeihilfen für Unterglas- betriebe im Gartenbau – zu dem Antrag der Abgeordneten Kersten Naumann, Rolf Kutzmutz, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion PDS: Schaffung eines Nothilfefonds für existenzbedrohte Unterglasgar- tenbaubetriebe (Drucksachen 14/4243, 14/4257, 14/4291, 14/4444) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15568 D Tagesordnungspunkt 22: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- wärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Heidi Lippmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion PDS: Einstufung des irakischen Giftgas- angriffs am 16. März 1988 auf Halabja als Völkermord – Humanitäre Hilfe für die Opfer des Angriffs (Drucksachen 14/2916, 14/4946) . . . . . . . 15569 A Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15569 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 15571 A Anlage 2 Erklärung des Abgeordneten Jürgen Koppelin (F.D.P.) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Krankenhaus- finanzierungsgesetzes und der Bundespflege- satzverordnungDRG-Systemzuschlags-Gesetz) (Tagesordnungspunkt 20) . . . . . . . . . . . . . . . . 15572 A Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Abschreibungsbedingungen (Tagesordnungs- punkt 19) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15572 A Klaus Lennartz SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15572 A Elke Wülfing CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 15573 B Christine Scheel BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15574 C Gerhard Schüßler F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . 15575 C Heidemarie Ehlert PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 15576 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 159. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. März 2001II Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes und der Bundespflegesatzverordnung (DRG-System- zuschlags-Gesetz) (Tagesordnungspunkt 20) 15576 C Dr. Martin Pfaff SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15576 D Dr. Hans Georg Faust CDU/CSU . . . . . . . . . 15578 C Monika Knoche BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 15580 A Detlef Parr F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15581 A Dr. Ruth Fuchs PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15581 B Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Berichts zu den Anträgen: – Unterglasgartenbau in Deutschland sichern – Anpassungsbeihilfen für Unterglasbetriebe im Gartenbau – Schaffung eines Nothilfefonds für exis- tenzbedrohte Unterglasgartenbaubetriebe (Tagesordnungspunkt 21) . . . . . . . . . . . . . . . 15581 D Waltraud Wolff (Wolmirstedt) SPD . . . . . . . . 15581 D Heidemarie Wright SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 15582 C Heinrich-Wilhelm Ronsöhr CDU/CSU . . . . . 15583 C Ulrike Höfken BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 15584 C Marita Sehn F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15585 A Kersten Naumann PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 15585 D Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: Ein- stufung des irakischen Giftgasangriffs am 16. März 1988 auf Halabja als Völkermord – Humanitäre Hilfe für die Opfer des Angriffs (Tagesordnungspunkt 22) . . . . . . . . . . . . . . . . 15586 B Christoph Moosbauer SPD . . . . . . . . . . . . . . 15586 C Joachim Hörster CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 15587 C Gudrun Kopp F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15588 A Ulla Jelpke PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15588 D Dr. Ludger Volmer, Staatsminister AA . . . . . . 15589 C Anlage 7 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15590 C Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 159. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. März 2001 III Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 159. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. März 2001
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    Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 159. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. März 2001 Vizepräsidentin Petra Bläss 15569 (C) (D) (A) (B) 1) Eine Erklärung der Abg. Petra Pau (PDS) wird als Anlage zum Pro- tokoll der nächsten Sitzung abgedruckt. 2) Anlage 6 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 159. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. März 2001 15571 (C) (D) (A) (B) Balt, Monika PDS 16.03.2001 Bierling, Hans-Dirk CDU/CSU 16.03.2001 Binding (Heidelberg), SPD 16.03.2001* Lothar Dr. Blüm, Norbert CDU/CSU 16.03.2001 Bodewig, Kurt SPD 16.03.2001 Dr. Bötsch, Wolfgang CDU/CSU 16.03.2001 Brüderle, Rainer F.D.P. 16.03.2001 Burgbacher, Ernst F.D.P. 16.03.2001 Dr. Däubler-Gmelin, SPD 16.03.2001 Herta Fischer (Frankfurt), BÜNDNIS 90/ 16.03.2001 Joseph DIE GRÜNEN Freitag, Dagmar SPD 16.03.2001 Friedrich (Altenburg), SPD 16.03.2001 Peter Dr. Geißler, Heiner CDU/CSU 16.03.2001 Dr. Gerhardt, Wolfgang F.D.P. 16.03.2001 Dr. Haussmann, Helmut F.D.P. 16.03.2001 Heinrich, Ulrich F.D.P. 16.03.2001 Dr. Hendricks, Barbara SPD 16.03.2001 Heyne, Kristin BÜNDNIS 90/ 16.03.2001 DIE GRÜNEN Hirche, Walter F.D.P. 16.03.2001 Hoffmann (Darmstadt), SPD 16.03.2001 Walter Homburger, Birgit F.D.P. 16.03.2001 Irber, Brunhilde SPD 16.03.2001 Jäger, Renate SPD 16.03.2001 Klappert, Marianne SPD 16.03.2001 Lehn, Waltraud SPD 16.03.2001 Dr. Leonhard, Elke SPD 16.03.2001 Lietz, Ursula CDU/CSU 16.03.2001 Müller (Berlin), PDS 16.03.2001 Manfred Neumann (Bramsche), SPD 16.03.2001 Volker Nolte, Claudia CDU/CSU 16.03.2001 Ohl, Eckhard SPD 16.03.2001 Otto (Frankfurt), F.D.P. 16.03.2001 Hans-Joachim Pieper, Cornelia F.D.P. 16.03.2001 Rauen, Peter CDU/CSU 16.03.2001 Reiche, Katherina CDU/CSU 16.03.2001 Schmidbauer (Nürnberg), SPD 16.03.2001 Horst Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 16.03.2001 Hans Peter Schröder, Gerhard SPD 16.03.2001 Schröter, Gisela SPD 16.03.2001 Dr. Schuchardt, Erika CDU/CSU 16.03.2001 Schulz (Leipzig), BÜNDNIS 90/ 16.03.2001 Werner DIE GRÜNEN Dr. Seifert, Ilja PDS 16.03.2001 Dr. Stadler, Max F.D.P. 16.03.2001 Dr. Süssmuth, Rita CDU/CSU 16.03.2001 Thiele, Carl-Ludwig F.D.P. 16.03.2001 Dr. Thomae, Dieter F.D.P. 16.03.2001 Vogt (Pforzheim), Ute SPD 16.03.2001 Dr. Vollmer, Antje BÜNDNIS 90/ 16.03.2001 DIE GRÜNEN Wieczorek (Duisburg), SPD 16.03.2001 Helmut Wistuba, Engelbert SPD 16.03.2001 Wohlleben, Verena SPD 16.03.2001 Wolf, Aribert CDU/CSU 16.03.2001 Zierer, Benno CDU/CSU 16.03.2001 * für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Erklärung des Abgeordneten Jürgen Koppelin (F.D.P.) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Krankenhausfinanzierungs- gesetzes und der Bundespflegesatzverordnung (DRG-Systemzuschlags-Gesetz) (Tagesordnungs- punkt 20) Ich erkläre, dass das Votum meiner Fraktion „Zustim- mung“ lautet. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Abschreibungsbedingungen (Tagesordnungspunkt 19) Klaus Lennartz (SPD): Die deutsche Wirtschaft hat allen Grund zur Freude. Freuen Sie sich doch einfach ein- mal mit, wenn unsere Steuerpolitik die Menschen entlas- tet und nicht belastet! Freuen Sie sich doch, dass der Standort Deutschland für in- und ausländische Investoren wieder attraktiv geworden ist! Freuen Sie sich, dass die Arbeitslosigkeit zurückgeht! Freuen Sie sich doch einfach darüber, statt ständig den Standort Deutschland schlecht zu reden! Unsere Steuerpolitik hat umfangreiche Steuersenkun- gen insbesondere für den Mittelstand auf den Weg ge- bracht. Die Unternehmensteuerreform 2000 und die Ent- lastung des Mittelstandes beim Einkommensteuertarif – Wiedereinführung des halben Steuersatzes für Betriebs- veräußerungen – entlasten die Wirtschaft von 2001 bis 2005 um rund 104 Milliarden DM. Das sind echte Entlas- tungen und keine vorübergehenden Finanzspritzen auf Pump. Dem gewaltigen Entlastungsvolumen von 104 Milliar- den DM steht ein Finanzierungsbeitrag der AfA-Tabellen von maximal 3,5 Milliarden DM gegenüber, keine müde Mark mehr. Das hat die Bundesregierung mehrfach zuge- sagt, und das ist auch allgemeiner Konsens. Das müssen die Unternehmer wissen, wenn am heutigen Tag über die AfA-Tabellen gesprochen wird. Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, wissen es schon längst. Sie wissen auch, dass die Überar- beitung der AfA-Tabellen auf einen einstimmigen Be- schluss der obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder vom April 1998 zurückgeht, zu einer Zeit also, in der Theo Waigel Finanzminister war. Sie wissen auch, dass Sie in Ihrem Steuerprogramm ebenfalls die 3,5 Mil- liarden DM als Mehrertrag aus den AfA-Tabellen ange- setzt haben. Ich erinnere mich nicht, Herr Thiele, von Ihnen oder von anderen Kollegen der Kohl-Regierung je einen Auf- schrei des Entsetzens vernommen zu haben. Vielleicht setzen Sie zur Abwechslung einmal die parteipolitische Brille ab und schauen durch die Gläser der Realität. Das erhöht die Tiefenschärfe beträchtlich. Ihre Aufgeregtheit ist allenfalls ein schlecht inszenier- tes Polit-Theater. Aber Sie unterhalten nicht, Sie verunsi- chern. Aber das ist ja Ihr Ziel; das ist Absicht. Die von Ihnen im letzten Jahr öffentlich behaupteten Mehrbelas- tungen durch die AfA-Tabellen von erst 27, dann 17, dann 10Milliarden DM haben doch erst zu einer massiven Ver- wirrung der deutschen Wirtschaft geführt. Das war unnö- tig und zudem völlig unbegründet. Sie wussten doch sehr genau, dass die von Ihnen nach außen getragenen Zahlen nur das Ergebnis eines ersten Arbeitsentwurfes waren, ohne Gültigkeit, ohne Bindungskraft. Es gab eine Verein- barung zwischen Regierung und Wirtschaft: Die Ober- grenze liegt bei 3,5 Milliarden DM. Daran halten wir uns. Sehen wir uns doch einmal Ihren Gesetzentwurf an! Er sieht vor, dass „bei der Bemessung der Nutzungsdauer technische und betriebswirtschaftliche Aspekte“ berück- sichtigt werden sollen. Das macht keinen Sinn; denn dann haben Sie das Problem, dass Sie nicht wissen, mit welcher Gewichtung bewertet werden soll. Wir brauchen eine klare Regelung nach betriebswirtschaftlichen Gesichts- punkten, in der selbstverständlich auch die technische Nutzungsdauer einfließt. Die Bundesregierung wird hierzu ein Gutachten in Auftrag geben, in dem die Ab- schreibungsbedingungen insbesondere unter Berücksich- tigung der betriebswirtschaftlichen Aspekte untersucht werden. Im Übrigen ist schon jetzt klargestellt, dass im Einzel- fall durchaus die tatsächliche, also eine kürzere Nut- zungsdauer angesetzt werden kann, wenn der Steuer- pflichtige dies glaubhaft nachweist. Eine klare Absage erteilen wir auch Ihrer Forderung nach einer Anhebung der Betragsgrenze für geringwertige Güter auf 1 600 DM. Gegen eine Verdoppelung der derzeit geltenden Wert- grenze von 800 DM sprechen gewichtige Gründe: Erstens. Die geforderte Anhebung der Wertgrenze führt zu erheblichen Steuerausfällen von 4 bis 5 Milliar- den DM im Entstehungsjahr. Zweitens. Die gesamtwirtschaftliche Anstoßwirkung ist gering. Drittens. Eine Anhebung der Wertgrenze würde zudem den Preis vieler geringwertiger Wirtschaftsgüter in die Höhe treiben. Die Forderung der Opposition ist daher un- sinnig. Die neue AfA-Tabelle „AV“ ist eine gemeinsame Lö- sung zwischen Wirtschaft und Verwaltung. Damit haben Wirtschaft und Verwaltung Rechtsklarheit. Die Höhe der Belastung durch die veröffentlichte AV-Tabelle setzt das Finanzministerium mit einem Mehraufkommen von 2,6 Milliarden DM an. Hier gibt es Dissens. Die Wirt- schaft nennt 3 Milliarden DM. Wir sind mit der Wirtschaft zu einer einvernehmlichen Lösung gekommen: Wir reduzieren die Belastungen durch die AV-Tabelle um 400 Millionen DM, und zwar durch eine verkürzte Nutzungsdauer für LKWs, PKWs und Kombis um ein Jahr – dies macht 200 Millionen DM Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 159. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. März 200115572 (C) (D) (A) (B) aus und trägt insbesondere dem Anliegen des Handwerks Rechnung – und durch neue Branchentabellen für Ma- schinenbau und Seehafenbetriebe. Die Herausnahme die- ser Branche aus der AV-Tabelle verringert das Mehrauf- kommen der AV-Tabelle um weitere rund 200 Millionen DM. Dadurch verringert sich das Mehraufkommen der AV-Tabellen von 2,6 Milliarden DM auf 2,2 Milliarden DM, sodass der von den Änderungen der Branchentabel- len zu erbringende Finanzierungsbeitrag 1,3 Milliarden DM beträgt. Insgesamt überschreiten wir aber damit nicht die mit der Wirtschaft vereinbarten Mehreinnahmen von 3,5 Milliarden DM. Bevor die Opposition weitere Märchen verbreitet: Die Nutzungsdauerabschläge bei Mehrschichtnutzung sind bereits vom Finanzminister gestrichen worden. Die ver- längerte Nutzungsdauer bei den AV-Tabellen ändert nichts daran, dass alle Investitionen weiterhin zu 100 Prozent abgeschrieben werden können. Die Bundesregierung wird bis Mai 2001 die wesentli- chen Änderungen der Branchentabellen mit der Wirt- schaft abstimmen, damit die neuen Branchentabellen rechtzeitig im Laufe des zweiten Halbjahres 2001 erfol- gen können. Die teilweise Finanzierung der Steuerreform durch geänderte Abschreibungstabellen war fester Be- standteil der Unternehmensteuerreform und grundsätzlich Konsens zwischen allen Bundestagsfraktionen. Eine voreilige Negativbewertung der neuen AV-Tabelle vor Abschluss der Überarbeitung der Branchentabellen ist un- begründet. Ein fundiertes Urteil ist nur im Gesamtzusam- menhang der neuen AV-Tabellen und Branchentabellen möglich. AfA steht für „Absetzung durch Abnutzung“. An die Opposition gerichtet, sage ich: Sie sind bereits abge- schrieben. Ihre Nutzungsdauer ist schon längst über- schritten. Elke Wülfing (CDU/CSU): Ehe ich zum Gesetzent- wurf der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zur Verbesse- rung der Abschreibungsbedingungen komme, möchte ich auf die Finanzausschusssitzung vom 7. März dieses Jah- res in Anwesenheit des Bundesfinanzministers eingehen. Bundesfinanzminister Eichel hat in dieser Finanzaus- schusssitzung bestritten, dass das Finanzministerium be- reit war, die Abschreibungstabellen erst nach der öffentli- chen Anhörung in Kraft zu setzen. Das Studium der Akten dient meistens der Wahrheitsfindung. Das Protokoll der Finanzausschusssitzung vom 6. Dezember 2000 ist hier eindeutig. Der SPD-Kollege Spiller macht die Bemer- kung, außerdem könne die Anhörung nur etwas bewirken, wenn sie vor In-Kraft-Treten der neuen Tabellen durch- geführt werde. Richtig! Daraufhin bemerkt Steuerabtei- lungsleiter Juchum, er gehe davon aus, dass es unschäd- lich sei, wenn die Abschreibungstabellen erst Ende Januar 2001 im Bundessteuerblatt veröffentlicht würden. Die Vorsitzende Frau Scheel ergänzt, dass die Tabellen dann rückwirkend zum 1. Januar 2001 in Kraft gesetzt werden müssten. Die Wahrheit ist also, dass der Finanzausschuss davon ausgehen musste, dass die Abschreibungstabellen nicht vor der Anhörung in Kraft gesetzt würden. Sonst hätte man nämlich der Verlegung des Termins der öffent- lichen Anhörung zu den Abschreibungstabellen auf den 15. Januar 2001 gar nicht zustimmt. Das war die Mei- nung aller Fraktionen im Finanzausschuss. Nun will ich zugunsten von Bundesfinanzminister Eichel annehmen, dass er nicht richtig informiert war, denn sonst müsste ich sagen, er hat gelogen! Zurück zum Gesetzentwurf: Mit Urteil vom 19. No- vember 1997 hat der Bundesfinanzhof in einem Einzelfall entschieden, dass bei der Bemessung der Abschreibung im Regelfall von der technischen Nutzungsdauer auszu- gehen sei. Eine hiervon abweichende kürzere wirtschaft- liche Nutzungsdauer komme nur in Betracht, wenn das Wirtschaftsgut erfahrungsgemäß vor Ablauf der techni- schen Nutzungsdauer objektiv wirtschaftlich wertlos werde. Die Finanzverwaltung hatte daraus gefolgert, dass deswegen grundsätzlich die technische Nutzungsdauer maßgeblich sei, und hatte für die Abschreibungstabellen Nutzungsdauern ermittelt, die zum Teil doppelt so hoch waren wie bisher. Die Präsidentin des Bundesfinanzhofes, Frau Dr. Ebling, hat aber in der öffentlichen Anhörung sehr deutlich gemacht, dass man dem Urteil des Bundes- finanzhofes nichts entnehmen kann, worauf die Finanz- verwaltung diese Auffassung stützen könnte. Damit war eigentlich die Basis für die neue AfA-Tabelle obsolet und der Finanzminister hätte sie nicht zurückziehen müssen, wenn er denn nicht so nötig Geld bräuchte. Nun müssen wir die Frage der Verlängerung der Ab- schreibungszeiträume vor allem vor dem Hintergrund ei- ner Konjunkturentwicklung sehen, bei der die Wolken am Horizont zunehmen. Gewitter ziehen auf. Notwendig wäre deshalb jetzt eine Verkürzung der Abschreibungs- dauern, nicht eine Verlängerung. Das Gegenteil ist der Fall. Die Steuerreform hat durch die Senkung der degres- siven AfA von 30 auf 20 Prozent eine massive Behinde- rung von Investitionen gebracht. Nun hat die Regierung uns die neue AfA-Tabelle beschert, und das vor dem Hin- tergrund der Erhöhung des Spitzensteuersatzes für ge- werbliche Einkommen von 43 auf 48,5 Prozent in diesem Jahr. Ich kann dazu nur sagen, die Jahrhundertsteuerre- form dieses Bundesfinanzministers fördert keine Investi- tionen, sondern sie behindert sie. Es wird ja immer wieder behauptet, bei der Verlänge- rung der Abschreibungsdauern handele es sich im Grunde nur um einen Zinseffekt. Dies ist mitnichten so. Ein Un- ternehmen, das immer gleich bleibend reinvestiert, schiebt den Geldbetrag, der einmal an Mehrsteuern ge- zahlt worden ist, wie eine Bugwelle vor sich her – bis zur Liquidation des Unternehmens. Es geht also nicht um ei- nen Zinseffekt, sondern es geht um effektive Mehrsteu- ern, die gezahlt werden müssen. Nun war es bisher so, dass die AfA-Tabellen und auch die Branchentabellen in ganz hohem Maße in Überein- stimmung zwischen Finanzverwaltung, Verbänden und Unternehmen gestaltet worden sind. Das heißt, jedermann hat sich darauf geeinigt, und deshalb hat es auch wenig Veranlassung gegeben, Prozesse zu führen. Diese befrie- dende Wirkung der Abschreibungstabellen hat das Bun- desfinanzministerium mit seiner Vorgehensweise leicht- fertig aufs Spiel gesetzt. Es kann durchaus sein, dass es in Zukunft vermehrt zu Prozessen kommt. Die Betriebsprüfer Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 159. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. März 2001 15573 (C) (D) (A) (B) haben eine neue Spielwiese. Nach all den Erfahrungen, die nun der Finanzausschuss wie auch die Verbände mit der Finanzverwaltung gemacht haben, müssen wir eigent- lich darüber nachdenken, ob die Frage der Dauer der Ab- schreibung von Wirtschaftsgütern der Verwaltung nicht aus der Hand genommen und dem Gesetzgeber anheim gegeben werden muss. Es kann ja wohl nicht angehen, dass völlig unabhängig von betriebswirtschaftlichen Ge- setzmäßigkeiten Abschreibungsdauern je nach Geldbe- darf verlängert werden, sozusagen als Reservekasse für den Finanzminister. Um aber im ersten Schritt wenigstens eine eindeutige Grundlage für die Erarbeitung von Abschreibungstabellen zu bekommen, schlägt die CDU/CSU-Bundestagsfrak- tion eine Änderung des § 7 Abs. 1 Satz 2 EStG vor. Ziel des Gesetzes ist es, bei der Bemessung der Abschrei- bungsdauer nicht allein auf die technische Abnutzbarkeit eines Wirtschaftsgutes abzustellen, was in der Regel zu ei- ner erheblich längeren Abschreibungsfrist führt, sondern auch betriebswirtschaftliche Gesichtspunkte zu berück- sichtigen. Wenn § 7 entsprechend geändert wird, kann die am 1. Januar 2001 in Kraft gesetzte AfA-Tabelle nachträglich geändert werden. Denn diese AfA-Tabelle wirkt innovations- und investitionshemmend. Wie schon gesagt, der Konjunkturhimmel trübt sich. Deshalb brauchen wir unbedingt ein positives Investiti- onsklima und die Förderung von technischen Innovatio- nen. Dazu brauchen wir eine Verkürzung und nicht eine Verlängerung der bisherigen Abschreibungsfristen. Diese Möglichkeit ergäbe sich, wenn das ganze Haus unserem Gesetzentwurf zustimmen würde. Betriebswirtschaftliche Gesichtspunkte könnten dann auch bei der begonnenen Überarbeitung der 100 Branchen-Tabellen berücksichtigt werden. Zur Begründung der Sinnhaftigkeit unserer beantrag- ten Gesetzesänderung möchte ich doch noch einmal den Sachverständigen Schwenker von DIHT aus der öffentli- chen Anhörung zitieren. Er sagt dort bezüglich der Ände- rung des § 7 Einkommensteuergesetz, „wie schon ver- schiedentlich angesprochen wurde, fordern wir, dass sich die Abschreibung vor allen Dingen nach dem betriebs- wirtschaftlichen Wertverzehr richtet. Wir appellieren an alle Parteien im Bundestag und Bundesrat, diesen Geset- zesantrag zu unterstützen. Was schließlich die Branchen- tabellen angeht, so fordern wir praktikable Regelungen, an deren Gestaltung die Wirtschaft, anders als bei der all- gemeinen Tabelle, beteiligt wird“. Daraufhin äußert die Vorsitzende des Finanzausschusses, Frau Christine Scheel – ich zitiere –: „Es gibt auch vonseiten der Länder ein Interesse daran, den § 7 EStG zu ändern. Das ergibt sich aus einem Vermerk in einem Protokoll. Ich bin der Meinung, dass wir das BMF beauftragen sollten, schrift- lich darzulegen, was unter der betriebswirtschaftlichen Nutzungsdauer zu verstehen ist und welche Bedeutung ih- rer Aufnahme in das EStG zukommt. Im Interesse der Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen denke ich, dass wir dies möglichst schnell auf den Weg bringen soll- ten. Das ist zumindest meine Position“. – Bravo, Frau Scheel! Das war vor zwei Monaten! Also seien Sie mutig! Empfehlen Sie Ihrer Fraktion, unserem Antrag zuzustim- men, und handeln Sie endlich mal so, wie Sie es der Wirt- schaft in der Öffentlichkeit immer versprechen. Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wenn man der CDU/CSU so zuhört, könnte man glauben, sie hätte mit der Neuregelung der Abschreibungsfristen nie etwas zu tun gehabt. Fakt ist aber, das unter der Re- gierung von CDU/CSU und F.D.P. genau diese Verlänge- rung der Abschreibungsfristen – orientiert an der techni- schen Nutzungsdauer der Wirtschaftgüter – in Gang gesetzt worden ist. Denn die Finanzverwaltung des Bun- des und wohlgemerkt auch der Länder hat sich schon im April 1998 entschlossen, die Abschreibungstabellen zu überarbeiten. Hansgeorg Hauser war zu diesem Zeitpunkt als Parla- mentarischer Staatssekretär im BMF zuständig für Steu- ern, Carl-Ludwig Thiele war Vorsitzender des Finanzaus- schusses. Sie hätten also alle Möglichkeiten gehabt, der Verlängerung der Abschreibungsfristen entgegenzuwir- ken. Sie hätten auch die Möglichkeit gehabt, § 7 EStG neu zu formulieren und stärker auf betriebswirtschaftliche Kriterien auszurichten. Aber, dem war nicht so. Ganz im Gegenteil: Noch im letzten Jahr hat die CDU/CSU die Mehreinnahmen von 3,5 Milliarden DM aus der Verlän- gerung der Abschreibungsfristen in ihrem eigenen Ge- setzentwurf zur Steuerreform mit eingeplant. Nach den Vorgaben aus der Regierungszeit von CDU/CSU und F.D.P. hätte die Verlängerung der Ab- schreibungsfristen 60 Prozent betragen. Das hätte zwei- fellos die Investitions- und Innovationstätigkeit der Wirt- schaft schwer beschädigt. Wir haben diese Verlängerung, die ja eigentlich eine reine Verwaltungsangelegenheit ist, in einem aufwendigen und zeitraubenden Abstimmungs- prozess zurückfahren können. Die durchschnittliche Ver- längerung der Nutzungsdauer in der Allgemeinen Tabelle beträgt jetzt 20 Prozent. Mit den Wirtschaftsverbänden hat das Ministerium eine deutliche Annäherung bei der Einschätzung der fi- nanziellen Auswirkungen der Allgemeinen Tabelle erzielt. Das Ministerium geht von 2,6, die Wirtschaft von 3 Milli- arden DM aus. Das betrifft 47 Prozent der gesamten Anla- gegüter. Auch zur Allgemeinen Tabelle hat uns das Ministerium aber noch weitere Verbesserungen fest zugesagt: Die alte Regelung für Schichtbetriebe gilt weiter. Das ist wichtig für den Rechtsfrieden zwischen Unternehmen und Fi- nanzverwaltung. Außerdem wird in den Allgemeinen Vor- bemerkungen jetzt ganz unmissverständlich klargestellt, dass auch kürzere Nutzungsdauern möglich sind. Bedin- gung ist: Die Steuerpflichtigen müssen dies glaubhaft dar- stellen. So ist auch im Einzelfall ausgeschlossen, dass eine überhöhte Nutzungsdauer zugrunde gelegt wird. Die Nutzungsdauer von besonders intensiv genutzten Lastkraftwagen, PKWs und Kombis kann um ein Jahr verkürzt werden. Gerade für kleine Unternehmen und das Handwerk ist das wichtig. Ansonsten wären diese Unter- nehmen durch die Allgemeinen Tabellen besonders stark belastet worden. Durch diese Option sinkt ihre Belastung durch die Allgemeine Tabelle um 200 Millionen DM. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 159. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. März 200115574 (C) (D) (A) (B) Außerdem werden noch Änderungen bei den Bran- chentabellen vorgenommen, die sich günstig für die be- troffenen Branchen auswirken: Für den Maschinenbau, der von der Verlängerung in der Allgemeinen Tabelle be- sonders stark betroffen wäre, wird eine neue Branchenta- belle erarbeitet. Die Seehäfenbetriebe haben das gleiche Problem. Sie werden deshalb in die bestehende Bran- chentabelle für die Schifffahrt aufgenommen. Damit sinkt die Belastung in der Allgemeinen Tabelle nochmals um 200 Millionen DM. Bleibt eine Gesamtbelastung aus der Allgemeinen Ta- belle von 2,2 Milliarden DM. Für die Überarbeitung der Branchentabellen stehen somit noch 1,3 Milliarden DM zur Verfügung. Diese Mehrbelastung muss jetzt möglichst breit und gleichmäßig verteilt werden, sodass es zu einem ausgewogenen und fairen Belastungsausgleich zwischen den Wirtschaftszweigen kommt. Die Überarbeitung wird in enger Abstimmung mit den Wirtschaftsverbänden noch vor der Sommerpause erfolgen. Das Ministerium hat uns auch zugesagt, dass im Zusammenhang mit der Abstim- mung der Branchentabellen die noch bestehenden Mei- nungsverschiedenheiten über die finanziellen Auswirkun- gen in der Allgemeinen Tabelle ausgeräumt werden. Wie gesagt, die Abschreibungstabellen sind endlich auf einem guten Weg. Die zugesagten 3,5 Milliarden DM werden eingehalten. Dies steht im Steuersenkungsgesetz als Gegenfinanzierung und da ist auch der Kanzler im Wort. Und wir werden mit Argusaugen darüber wachen. Nun zum konkreten Vorschlag von CDU/CSU. Die CDU/CSU schlägt jetzt vor, die Abschreibungsgrenze für geringwertige Wirtschaftsgüter auf 800 Euro nahezu zu verdoppeln. Allerdings, die jetzt gültige Grenze von 800 DM gilt bereits für alle nach dem 31. Dezember 1964 angeschafften Wirtschaftsgüter. Allein die Kohl-Regie- rung hatte 16 Jahre Zeit, diese Grenze zu verändern. Warum haben sie es nicht getan? Der Grund dürften wohl die zu erwartenden Steueraus- fälle sein. Kostenpunkt der Verdopplung, wie die CDU/ CSU selbst angibt: gut 3 Milliarden DM; das BMF schätzt sogar 4,5 bis 5 Milliarden DM. Zusammen mit dem Ausfall der 3,5 Milliarden DM durch die Beibehaltung der alten Abschreibungstabellen, wie von der CDU/CSU ebenfalls gefordert, wären das dann mindestens 8 Milliarden DM Steuerausfälle, die von den öffentlichen Haushalten zusätz- lich verkraftet werden müssten. Ich bitte die CDU/CSU und auch die F.D.P., doch wenigstens einmal zur Kenntnis zu nehmen, dass unsere Steuerreform allein dem Mittelstand von 2001 bis 2005 insgesamt über 104 Milliarden DM Steuerentlastung bringt. Die CDU/CSU fordert außerdem, die Nutzungsdauer mehr an betriebswirtschaftlichen Kriterien zu orientieren. Wenn jetzt in § 7 Abs. 1 Satz 2 aber einfach betriebswirt- schaftlich neben betriebsgewöhnlich geschrieben wird, ist damit niemandem gedient. Uns geht es um eine um- fassende Modernisierung der Vorschriften zu Abschrei- bungen. Wir werden noch in diesem Jahr ein Gutachten in Auf- trag geben, das untersucht, wie unsere Abschreibungsbe- dingungen auch international gesehen wettbewerbsfähig gestaltet werden können. Auf dieser fundierten Grundlage werden wir die Vorschriften umfassend modernisieren. Damit gehen wir weit über die Vorstellungen der CDU/ CSU-Fraktion hinaus. Zum Antrag der F.D.P. „Steuerpolitik mittelstands- freundlich gestalten“: Es ist mittlerweile ziemlich lästig, wie die F.D.P. jede sich bietende Gelegenheit für billige Wahlkampfrhetorik benutzt. Selbstredend ohne auch nur im Entferntesten an eine Finanzierung ihrer Forderungen zu denken. Ein Wunschzettel ist noch keine Politik. Steuererleichterungen zu verteilen ohne Gegenfinanzie- rung bedeutet Politikunfähigkeit. Das bescheinigt sich die F.D.P. mit diesem Antrag nur ein weiteres Mal. Wir werden noch in diesem Jahr die Unternehmen- steuerreform fortsetzen. Das hatten die Koalitionsfrak- tionen ja auch schon im Steuersenkungsgesetz ange- kündigt. Dabei wird es ganz wesentlich darum gehen, Umstrukturierungen von Unternehmen weiter steuerlich zu erleichtern. Gerhard Schüßler (F.D.P.): Um es gleich zu sagen: Die F.D.P.-Bundestagsfraktion wird dem Gesetzentwurf der CDU/CSU zustimmen. – Die neuen AfA-Tabellen be- schäftigen uns nun seit September 1999, als das Kabinett eine Verschlechterung der Abschreibungsfristen – Steuer- mehreinnahmen in Höhe von 2,2 Millionen DM – für das Jahr 2000 beschlossen hat. Nach dem Kabinettsbeschluss begann eine unendliche Geschichte: Beim Nachrechnen der Wirtschaft stellte sich heraus, dass die tatsächliche Belastung nicht 2,2 Milliar- den DM, sondern 16 bis 20 Milliarden DM betragen würde. Dann wurden die neuen AfA-Tabellen zurückge- zogen. Statt eines vernünftigen Abstimmungsprozesses mit der Wirtschaft entstand dann eine lang andauernde Sendepause, verbunden mit ständigen Ankündigungen überarbeiteter Tabellen, die nicht eingehalten wurden. Das lässt vermuten, dass im Finanzministerium Kopf- rechnen ohne richtiges Ergebnis geübt wurde. Die Zusage des Finanzministeriums, die AfA-Tabellen nicht vor Abschluss des parlamentarischen Verfahrens in Kraft zu setzen, wurde nicht eingehalten. Sie wurden stattdessen noch im Dezember 2000 veröffentlicht und am Parlament vorbei in Kraft gesetzt. Das Handeln des Fi- nanzministers im Umgang mit dem Parlament erreichte mit dieser Missachtung seinen Höhepunkt. Ich möchte ausdrücklich darauf hinweisen, dass dieser unglaubliche Vorgang von Abgeordneten aller Fraktionen im Finanzausschuss des Bundestages gerügt worden ist. Zur Sache selber: Die durch die Steuerreform be- schlossene Schieflage des Mittelstandes wird weiter ausgebaut. Der Mittelstand wird schon jetzt durch die Ver- schlechterungen der degressiven Abschreibung überpro- portional belastet. Das setzt sich bei den AfA-Tabellen fort. Die Absicht der Bundesregierung ist klar: Sie will heimlich Steuern erhöhen, und zwar in Millionenhöhe. Sie will zusätzlich Betriebe abkassieren, klammheimlich als Verwaltungsanweisung am Parlament vorbei. Die neuen AfA-Tabellen stellen weder eine ausgewogene Belastung der Steuerpflichtigen noch eine realistische Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 159. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. März 2001 15575 (C) (D) (A) (B) Festsetzung von Nutzungsdauern dar. Die Koalition weiß das auch ganz genau. Alle Argumente, die nachvollziehbar dargelegt worden sind, hat Rot-Grün in beispielloser Weiser ignoriert. Das Etikett stimmt: Das ist die mittelstandsfeindlichste Bun- desregierung, die es je gegeben hat. Die Bundestagsfrak- tion der F.D.P. fordert die Bundesregierung erneut auf, die AfA-Tabellen zurückzunehmen und zu überarbeiten. Heidemarie Ehlert (PDS): Langsam könnten relativ außenstehende Beobachter der Diskussionen im Finanz- ausschuss den Eindruck gewinnen, Dreh- und Angelpunkt der wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland seien die Abschreibungstabellen. Ich bin nun relativ neu im politischen Geschäft, aber dass die amtliche „AfA-Tabelle für die allgemein ver- wendbaren Anlagegüter“ nichts mit der tatsächlichen Gebrauchswert-Abnutzung zu tun hat, war mir eigentlich leider sehr bewusst. Ein Hauch von ökologischem Ver- antwortungsbewusstsein hätte uns hier schon ganz gut zu Gesicht gestanden. Aber nein, Mann und leider auch Frau definiert sich über das Auto, und deshalb muss jedes Jahr ein neues her, egal ob das alte noch seinen Zweck erfüllt – mich von einem Ort zum anderen zu fahren, und das mög- lichst noch auf Kosten der anderen Steuerzahler. Ab- schreibungen sind, gerade so wie sie von der F.D.P. und von der CDU/CSU thematisiert wurden, inzwischen zu Subventionen in Reinkultur verkommen. Nun finden wir die Lösung der Regierungskoalition auch nicht gerade glücklich. Noch ein bisschen zielge- nauer hätten die Abschreibungen schon sein können. Aber die Regierung hat nur das gemacht, was auch in der ver- gangenen Legislaturperiode, 1997, gemacht wurde; sie hat die Abschreibungstabellen genutzt, um unter Umge- hung von Steuererhöhungen mehr Geld in die Staatskas- sen zu bekommen. Aber auch über die notwendige Ge- genfinanzierung der Steuerreform haben wir ja schon mehr als einmal diskutiert. Auf ein Problem im Gesetzentwurf der CDU/CSU möchte ich aber nachdrücklich verweisen, weil hier wie- der einmal letztlich auf dem Rücken der Kommunen den Unternehmen Geld zufließen soll: Die Anhebung der Ab- schreibungsgrenze für geringfügige Wirtschaftsgüter von bisher 800 DM auf 800 Euro. Dies würde eine Belastung der Haushalte von Bund, Ländern und Kommunen von rund 3 Milliarden DM bedeuten. Für die Kommunen ergibt sich zusätzlich ein Problem. Entsprechend den jetzigen Regelungen im kommunalen Haushalt sind geringfügige Wirtschaftsgüter über 800 DM im Vermögenshaushalt, ge- ringfügige Wirtschaftsgüter unter 800 DM aber im Ver- waltungshaushalt eingestellt. Wenn die Summe verdoppelt wird, werden die Spielräume im Verwaltungshaushalt sehr eng, zumal hier keine Rücklagen gebildet werden können. Zwei Bemerkungen noch zum Entschließungsantrag der F.D.P.: Erstens. Eine grundlegende Vereinfachung des Steuer- rechts hätten Sie in den 16 Jahren Ihrer Regierungskoali- tion durchsetzen können und Sie hätten sicher Partner ge- funden. Wenn Sie allein die Zeit nach dem Beitritt der DDR dazu effektiv genutzt hätten, hätten sie sicher viele Wählerinnen und Wähler gewinnen können. Die Lobby der Steuerberater, die Sie aber gleichzeitig bedienen müs- sen, ist so groß nicht. Zweitens. Die Forderung nach Abschaffung der Ge- werbesteuer unter Wahrung der finanziellen Belange der Gemeinden zeugt meines Erachtens von einer äußerst ge- ringen Verankerung Ihrer Partei in den Kommunen. Die Gewerbesteuer ist nach wie vor eine der wichtigsten Ein- nahmequellen der Kommunen. Ohne sie würden wichtige Mittel zum Beispiel für den Erhalt und den Ausbau der In- frastruktur sowohl für die Wirtschaft wie auch für die Le- bensqualität fehlen. Oder sollen diese Mittel künftig nur noch von den Bürgerinnen und Bürgern gezahlt werden? Über eine Neugestaltung der Gewerbesteuer muss drin- gend nachgedacht werden, aber nicht über ihre Abschaf- fung. Wir lehnen beide Anträge ab. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Krankenhausfinanzierungsge- setzes und der Bundespflegesatzverordnung (DRG-Systemzuschlags-Gesetz) (Tagesord- nungspunkt 20) Dr. Martin Pfaff (SPD):Mit der heutigen zweiten und dritten Lesung des DRG-Systemzuschlags-Gesetzes schaffen wir die finanziellen Grundlagen zum Aufbau der nötigen Strukturen, um die Entwicklung, Einführung und laufende Pflege des DRG-Fallpauschalensystems in Deutschland sicherzustellen. Die damit finanzierte Gründung eines DRG-Instituts der Selbstverwaltungspartner sowie die zu vergebenden Fremdaufträge sind meines Erachtens notwendige, jedoch noch nicht ausreichende Bedingungen für die erfolgreiche Anpassung der australischen Klassifikation von Krank- heiten an die besonderen Strukturen in der Bundesrepu- blik Deutschland. Mit dem DRG-Institut und seinen Ko- operationspartnern werden jedoch nur die technischen, nicht aber die politischen Voraussetzungen für die erfolg- reiche Realisierung eine durchgängig leistungsbezogenen Entgeltsystems geschaffen. Für die politischen Vorausset- zungen sind natürlich nicht die Selbstverwaltungspartner, sondern die Regierungskoalition, ich meine aber auch, die Opposition im Deutschen Bundestag verantwortlich. Denn wir haben nicht erst seit der GKV-Gesundheits- reform 2000, sondern bereits in Lahnstein die politischen Voraussetzungen zwischen CDU/CSU, F.D.P. und SPD gemeinsam geschaffen, um anstelle des kostendeckenden, tagesgleichen Pflegesatzes mit seinen fehlsteuernden An- reizen in Richtung ungebührlicher Verlängerung der Ver- weildauer ein echt leistungsbezogenes Entgeltsystem zu schaffen: Das Geld sollte dorthin und in einem Umfang fließen, dass Leistungen bedarfsgerecht im Krankenhaus finanziert werden – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 159. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. März 200115576 (C) (D) (A) (B) Nun wäre es ein Leichtes, auf die Fehler und Versäum- nisse bei der Umsetzung der Lahnstein-Beschlüsse und des GSG 1993 hinzuweisen. Ich will dies aber heute nicht tun, weil die Zukunft wohl für uns alle interessanter ist als die Vergangenheit. Denn die Zukunft hat die durchaus be- grüßenswerte Eigenschaft – im Gegensatz zur Vergan- genheit –, dass man sie zumindest teilweise mitgestalten kann. Dies ist jedenfalls unsere Aufgabe, unsere Verant- wortung. Wo liegt die Verantwortung der Politik für die weitere Umsetzung eines leistungsbezogenen Entgeltsystems? Wie ich bereits an anderer Stelle ausgeführt habe, sind da- bei insbesondere die folgenden Fragen zu beantworten: Erstens. Wie soll der ordnungspolitische Rahmen kon- kret aussehen, der ab 1. Januar 2003 für den stationären Bereich gelten soll? Soll es beispielsweise ein Preissys- tem ohne oder mit Mengenbegrenzungen, beispielsweise mit zusätzlichen An- und Abreizen – wie Preisdegression bei Überschreitung des Budgets – geben? In der Über- gangsphase sind Mengenbegrenzungen wohl erforder- lich, um Budgetüberschreitungen in Grenzen zu halten. Zweitens. Soll es krankenhausindividuelle Verhand- lungen über Budgets geben oder nicht? Wahrscheinlich werden auch diese in der Übergangsphase notwendig sein, um auf der Ebene der Einzelakteure das Ziel der Bei- tragssatzstabilität praktisch ansteuern zu können. Drittens. Wie soll der Prozess der notwendigen struk- turellen Veränderung politisch gesteuert werden? Welche Rolle kommt der Krankenhausplanung der Länder zu? Viertens. Wie soll der Zeitplan zur Realisierung und Umsetzung des DRG-Systems gestaltet werden? Ist bei- spielsweise eine Verlängerung der Umsetzungsphase, der Konversionsphase, von der Sache her geboten? Von den konkreten Antworten wird abhängen, ob und in welchem Umfang die mit der Einführung des DRG-Systems ver- bundenen Erwartungen realisiert werden können. Fünftens. Wie sind Krankenhaus-Wahlleistungen bei der Berechnung der DRGs zu berücksichtigen? Sechstens. Soll es ein Festpreissystem oder ein Höchst- preissystem mit Abschlägen geben? Siebtens. Soll das Preissystem zunächst länderspezi- fisch und erst später bundesweit einheitlich angewendet werden? Achtens. Wie sollen Universitätskliniken im Rahmen der DRG-Systematik – im selben oder in einem separaten System – behandelt werden? Worin liegt die technische Hauptarbeit des DRG-Insti- tuts, das wir heute mit dem DRG-Systemzuschlags-Gesetz finanziell ermöglichen wollen? Wir alle wissen: Die Deut- sche Krankenhausgesellschaft, DKG, und die Kranken- kassen haben sich fristgerecht zum 30. Juni 2000 für eine Variante eines Fallpauschalen-Systems auf der Basis der Diagnosis Related Groups, DRGs, geeinigt: die Austra- lian-Refined Diagnosis Related Groups, AR-DRG. Diese einvernehmliche Lösung ist nachhaltig zu begrüßen; denn sie schafft – nach den vorhergehenden gesetzgeberischen Schritten des Gesundheitsstrukturgesetzes 1993 und des GKV-Gesundheitsreformgesetzes 2000 – wichtige Vo- raussetzungen für die Realisierung eines durchgängig leis- tungsorientierten Vergütungssystems und damit eine große Planungssicherheit für die Krankenhäuser in Deutschland. Allerdings ist damit die Hauptarbeit noch nicht getan: In den kommenden Jahren muss das australische Dokumen- tationssystem auf die in Deutschland üblichen Prozeduren hin adaptiert werden. Es müssen Relativgewichte auf der Grundlage deutscher Daten ermittelt und fortgeschrieben werden. Dabei sind die Eigenheiten – die Vor- und Nach- teile, aber auch die in Australien gemachten Erfahrungen mit den Auswirkungen dieses Systems – für unseren Lern- und Entwicklungsprozess von großer Bedeutung. Wie ist das australische System im Vergleich zu ande- ren Systemen der Fallklassifikation zu bewerten? Dieses System kann wie folgt bewertet werden: Die Entschei- dung für ein gemeinfreies System bietet sich vor allem für eine soziale Krankenversicherung an. Damit ist die Ab- hängigkeit von Geschäftsinteressen eventueller Leitfor- men nicht gegeben: Dauerhafte Lizenzgebühren sollten – nach einer einmaligen Kostenbeteiligung für die Ent- wicklung des Systems – nicht anfallen. Das AR-DRG- System stellt ein sehr viel feineres Instrument zur Diffe- renzierung des Schweregrades einer Krankheit dar als die „Konkurrenten“: das US-amerikanische AP-DRG-Sys- tem und das französische „Groupes homogènes de mala- des“, GHM. Es weist auch eine erweiterte Altersdifferen- zierung auf: Diese „Alterssplits“ werden bei 114 von 661 Behandlungsfallgruppen angewandt. Besonderheiten – wie „Ein-Tages-Fälle“, neue Therapieformen und anderes mehr können relativ einfach Berücksichtigung finden. Weil dieses System feiner differenziert als andere, spielen allerdings Fehler bei der Dokumentation und Verschlüs- selung der Diagnosen für die Finanzierung des Kranken- hauses eine größere Rolle. Welche praktischen Erfahrungen wurden in Australien mit diesem System gemacht? Das AR-DRG System hat sich in mehreren Regionen Australiens – insbesondere im Staate Victoria – bewährt. Nach sechs- bis siebenjährigen Implementationsprozessen ist das System ausgereift und kommt – nach Meinung einschlägiger Beobachter – den Bedürfnissen eines sozialen Gesundheitswesens eher ent- gegen als die für die privaten Versicherungen mit ihrer großen Finanzierungsvielfalt entwickelten US-amerika- nischen Systeme. Die Behandlungsintensität und die Ko- Morbidität wird bei der Fallbestimmung angemessen berücksichtigt. Mit dem australischen System sind zudem jüngere Erfahrungen als mit dem der USAverbunden. Die stringentere Logik des revidierten AR-DRG-Systems, die einfachere Handhabung und die leichtere Nutzung für Kostenzuordnung empfehlen dieses System zusätzlich. Die Zahl der Fälle ist ausreichend, wenngleich geringer als bei anderen Klassifikationssystemen wie dem AP- DRG-System. Die folgenden Wirkungen sind vor allem für unsere ei- gene Entwicklung von besonderem Interesse: Erstens. Als Konsequenz der Einführung ist in Austra- lien die Verweildauer im Krankenhaus erheblich gesun- ken: um 20 bis 25 Prozent. Es erfolgt eine Verlagerung des Fokus – weg von den Betten, hin zum Fallmanagement. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 159. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. März 2001 15577 (C) (D) (A) (B) Zweitens. Es fand auch eine teilweise Verlagerung der Verantwortlichen und Risiken statt – weg vom Kranken- haus, hin zu benachbarten Sektoren, die mit den Folgen verbunden waren, auf die diese nicht vorbereitet waren. Dies gilt insbesondere für den Bereich der Dienstleistun- gen der Familie selbst: Home Care wuchs um rund 30 Pro- zent zum Beispiel für postoperative Dienstleistungen wie Wechsel von Bandagen. Drittens. Als Folge dieser Risikoverlagerungen stieg der Koordinationsbedarf zwischen den einzelnen Sekto- ren, Coordinated Care. Viertens. In der Anfangsphase wurden Tendenzen zur Fehleinstufung von Fällen festgestellt mit dem Ziel, eine attraktive Fallpauschale zu erzielen, Case-Upgrading. Dies führte zur Forderung nach unabhängiger Überprü- fung des Kodierungsprozesses. Fünftens. Problematisch war anfangs die Behandlung von Lehre und Forschung in einem DRG-System. Sechstens. Angeregt durch das DRG-System erfolgte eine stärkere Orientierung an einer Evidence-based-Pra- xis: Mehr Qualitätsindikatoren und geplante Behand- lungsabläufe, Clinical Pathways, fanden Anwendung. Dies führte zur Entwicklung von vergleichenden Daten- basen. Siebtens. Damit einhergehend stieg der Bedarf an in- formationstechnologiebasierten Infrastrukturen für Kodie- rungssysteme, Softwareentwicklung und anderes mehr. Achtens. Dies erforderte eine erweiterte Kompetenz beim Patienten- und Bettenmanagement. Neuntens. Es fand eine Leistungsverdichtung insbe- sondere bei pflegerischen Leistungen – später bei ärztli- chen Leistungen – statt. Die Versuche, Kostenrechnungs- systeme kompatibel mit den AR-DRG-Systemen zu gestalten, stießen vielfach an die Grenzen der Komple- xität, sodass einer Konzentration auf Schlüsselindikato- ren der Vorzug gegeben wurde. Diese Erfahrungen zeigen, dass die Hauptarbeit mit den DRGs noch vor uns liegt. Für Deutschland spielt vor allem das Jahr 2001 eine strategische Rolle; denn dann müssen die wichtigsten technischen Weichenstellungen erfolgen. Auch hierfür bleibt zu hoffen, dass sowohl für die Entwicklung des DRG-Systems als auch für deren er- folgreiche Anwendung in den einzelnen Krankenhäusern die erforderlichen qualifizierten Kräfte geschult und ein- gesetzt werden können. Welche gesundheitspolitischen Risiken sind mit der Einführung eines Preissystems im Krankenhaus zu be- achten? Auch nach Erarbeitung der DRGs für das deut- sche Gesundheitswesen ist Wachsamkeit im Umsetzungs- prozess geboten. Denn die Einführung der DRGs birgt auch Risiken für die Versorgung: ungebührliche Verkür- zung der Verweildauer, quicker – sicker; fehlerhafte Ein- stufung der Fälle, um höhere Pauschalen zu erhalten, Case-Upgrading; ungenügende Vorhaltung von Kapazitä- ten im ländlichen Raum, dort nämlich, wo wegen gerin- gerer Fallzahlen dies unwirtschaftlich ist. Hier zeigt sich, dass ein leistungsbezogenes Entgeltsys- tem die Politik nicht von ihrer Gesamtverantwortung für die Ziele der Gesundheitsversorgung, die tatsächlichen Ergebnisse in der Quantität und Qualität, aber auch der Verteilung von Gesundheitsleistungen entlasten kann. Die Einführung der DRGs ist somit sowohl technisch als auch politisch eine anspruchsvolle Aufgabe – voller Erwartun- gen, aber auch begleitet von Risiken. Packen wir es ge- meinsam an. Dr. Hans Georg Faust (CDU/CSU): Zum Ende die- ser Plenarwoche beschäftigen wir uns eine halbe Stunde lang mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes und der Bundespfle- gesatzverordnung, dem so genannten DRG-Systemzu- schlags-Gesetz; und das in einem kleinen, sach- und fach- kundigen Kreis. Der Umfang dieser Gesetzänderungen hält sich im Rah- men. Die Kosten, die infolge dieses Gesetzes entstehen werden, belaufen sich auf geschätzte 5 Millionen DM im Jahr. Dieser Betrag ist, gemessen an dem, was sonst im Gesundheitswesen an Milliardenbeträgen bewegt wird, eine erfreulich geringe Ausgabe. Und was darüber hinaus noch erstaunlicher ist: Im Prinzip haben sich die Deutsche Krankenhausgesellschaft, der Bundesverband Privater Krankenanstalten, die gesetzlichen und die privaten Kran- kenkassen mit dem Gesetzestext in der Anhörung einver- standen erklärt. Eine geringgradige Verbesserung hat der Bundesrat noch beigesteuert und diese Verbesserung ist in einen Antrag der Regierungsfraktionen aufgenommen worden. Benötigt werden dieses Gesetz und die notwendige fi- nanzielle Ausstattung zum Aufbau des Konstruktions- büros für das DRG-System, für dessen Ausstattung und Personal und die anschließend notwendigen Pflegeleis- tungen an das System, wobei die in den nächsten Jahren anfallenden Kosten naturgemäß, weil kaum kalkulierbar, nicht beziffert werden können. Immerhin ist es tröstlich zu erfahren, dass die Regierung in der Begründung beteu- ert, dass im Hinblick auf das Umsatzvolumen der Kran- kenhäuser in Höhe von rund 100 Milliarden DM und die durch das neue Entgeltsystem bewirkte Verbesserung der Wirtschaftlichkeit im Krankenhausbereich eine Erhöhung der Preis aufgrund des Gesetzes nicht zu erwarten sei. Dem Gesetzentwurf ist weiterhin zu entnehmen, dass zukünftig pro Krankheitsfall 30 Pfennige als System- zuschlag berechnet werden sollen. Bleibt es bei diesen 30 Pfennigen pro Krankheitsfall, dann ist das kostenmäßig in der Tat nur eine Marginalie. Viel gravierender ist die Frage, ob das neu eingeführte DRG-System tatsächlich eine Verbesserung der Wirtschaftlichkeit im Krankenhaus bringt und, wenn ja, zu welchem Preis. Ich meine hiermit nicht nur die materiellen Kosten der Einführung eines DRG-Systems, sondern auch die immateriellen Folgen für die bundesdeutsche Krankenhauslandschaft. Um nicht missverstanden zu werden: Auch die CDU/ CSU-Fraktion ist für die Einführung eines einheitlichen Entgeltsystems im Krankenhaus und wir werden aus die- sem Grund auch dem DRG-Systemzuschlags-Gesetz zu- stimmen. Den Mitgliedern der CDU/CSU-Fraktion ist es aber ungleich wichtiger, sich darüber Klarheit zu verschaf- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 159. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. März 200115578 (C) (D) (A) (B) fen, was mit der Einführung des DRG-Systems insgesamt auf die Patienten, die Beschäftigten und Träger der noch 2 249 deutschen Krankenhäuser zukommt. In der Debatte über die Gesundheitsreform 2000 ist von der ehemaligen Gesundheitsministerin, Frau Fischer, über zwei Jahre lang der Eindruck erweckt worden, dass die sich durch demographische Entwicklung und medizinisch- technischen Fortschritt abzeichnenden Kostensteigerungen im Gesundheitswesen durch Rationalisierungsmaßnahmen aufgefangen werden könnten. Das Hauptreservoir für mo- bilisierbares Geld wurde von ihr in den bundesdeutschen Krankenhäusern gesehen. Meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, Sie haben versucht, das Pro- blem im Gesundheitsreformgesetz über eine monistische Krankenhausfinanzierung ohne Gegenfinanzierung und durch eine veränderte Krankenhausplanung weitgehend in Kassenhand zu lösen. Dieser Versuch ist am Widerstand der Bundesländer, auch Ihrer Freunde in den SPD-geführten Ländern, im Bundesrat gescheitert. Die Ablehnung durch den Bundesrat war richtig, denn Ihre Vorschläge waren vollkommen unausgegoren und hätten zu einer unkontrollierten Veränderung der bundes- deutschen Krankenhauslandschaft geführt. Und wenn man die Ausgabensteigerungen für die Krankenhäuser be- trachtet, muss man sagen: Diese Maßnahmen wären auch nicht einmal notwendig gewesen. Denn die Steigerung der Leistungsausgaben für die Krankenhäuser lag im letz- ten Jahr mit 1,4 Prozent bundesweit unter dem Anstieg der beitragspflichtigen Einnahmen von 1,8 Prozent. Dies bei einem Überschuss der gesetzlichen Krankenkassen von 614 Millionen DM. Das einheitliche Entgeltsystem wollen wir alle. Sie wollen es überstürzt und in der Ausprägung als schnei- dend scharfes Instrument. Sie nehmen dafür wissend Un- genauigkeiten, Unvollständigkeiten und Unklarheiten bei Codierungen und Kalkulationsgrundlagen, bei Vorstel- lungen über Mengen und Preise für unsere Krankenhäu- ser in Kauf. So kann das nicht laufen, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition. Im Namen der CDU/CSU-Fraktion und wohl auch im Einklang mit Fachleuten aus Ihrem Gesundheitsministerium fordere ich Sie daher eindringlich auf, Ihre Zeitvorstellungen zur budgetneutralen Einführung und zur Konvergenzphase noch einmal zu überdenken und vertretbare Zeitspannen vorzusehen. Lassen Sie mich unabhängig von den Zeitvorgaben skizzieren, was in dem Krankenhausschauspiel zu sehen sein wird. Erster Akt: Mit Einführung der DRGs im Jahr 2003 stehen die Krankenhäuser in Leistung, Wirtschaft- lichkeit und Qualität völlig vergleichbar, also nackt da. Die Ausrede „Meine Patienten sind kränker als in den Nachbarkrankenhäusern, deshalb habe ich höhere Fallkos- ten.“ zählt nicht mehr, da der Schweregrad von Erkra- nkungen ebenso berücksichtigt wird wie die unterschied- liche Patientenstruktur. Zweiter Akt: Die Krankenhäuser wissen mit Ein- führung des DRG-Systems, wo sie mit ihren Kosten im Betriebsvergleich stehen. Krankenhäuser mit niedrigen Produktionskosten werden mit den Preisen der DRGs gut leben können. Krankenhäuser mit höheren Kosten haben ein Riesenproblem und müssen Strategien entwickeln, wie sie der schrittweisen Unterdeckung ihrer Kosten be- gegnen. Entweder gelingt es, die Kosten von Behandlun- gen zu senken, oder diese Behandlungen müssen einge- schränkt oder eingestellt werden. Dritter Akt: Die Krankenhäuser werden versuchen, de- fizitäre Leistungen an andere Häuser abzugeben und Leis- tungsmengen in profitablen DRGs zuzukaufen. Wer von Mengenvereinbarungen mit festen Preisen träumt, wird erkennen müssen, dass sich viele Krankenhäuser nicht scheuen werden, unterhalb der vorgesehenen Preise anzu- bieten. Die Lenkung von Patientenströmen beginnt. Vierter Akt: Durch den Wegfall der Leistungsproduk- tion in Häusern, die diese Leistungen nur überdurch- schnittlich teuer erbringen können, senkt sich das Kosten- niveau insgesamt ab. Fünfter und letzter Akt: Die Absenkung des Kosten- niveaus schlägt voll auf die Preise durch. Die weitere Ver- kürzung der Verweildauer, die mit den DRGs zwangsläu- fig einhergeht, sowie die erwartete Bettenreduzierung und die an sich gewünschte Verschiebung stationärer Fälle in den ambulanten und Rehabilitationsbereich wird dort zu vermehrten Kosten und erhöhtem Finanzbedarf führen. Bleibt nur die Frage aller am Schauspiel Beteiligten, ob denn die dortigen Strukturen für den Zustrom der Patien- ten aufnahmebereit sind. Lassen Sie mich das an einem einfachen Beispiel er- klären. Ein Patient, der an einem Außenknöchelbruch operiert wird und nach der Operation noch mehrere Tage im Bett liegen muss, kann sicher aus medizinischen Ge- sichtspunkten und unter dem Druck der DRGs nach kurzem stationären Aufenthalt nach Hause entlassen wer- den. Im Krankenhaus wären die lebensnotwendigen Anti- thrombosespritzen Bestandteil der Krankenhausbehand- lung und des Behandlungspreises gewesen. Bei früheren Entlassungen wird der Hausarzt begeistert sein von der Aussicht, sich die teuren Heparinspritzen in sein Arz- neimittelbudget rechnen lassen zu müssen. Die betroffe- nen Hausärzte werden alles versuchen, mit den Kranken- häusern Arrangements zu treffen, damit das nicht passiert. Aber, Frau Ministerin Schmidt, wir hoffen ja auf ihren Gesamtreformansatz, der sektorenübergreifend diese Pro- bleme lösen wird. Denn mit Richtgrößen allein und dem Hinweis auf Praxisbesonderheiten sind solche System- fehler in Massen nicht zu beseitigen. Das weiß jeder, der die aufwendigen Verfahren bei den Krankenversicherun- gen kennt. Kostet das DRG-Zuschlagssystem auch nur 30 Pfennig pro Fall, so erzeugt schon die Codierung eines Falls bei Zugrundelegung von 30 Minuten Arbeitszeit 35 DM und in einem 400-Betten-Haus ungefähr eine halbe Milli- on DM im Jahr an tatsächlichem Mehraufwand. Dazu kommen Einführungskosten inklusive Hard- und Soft- ware, sodass initial zwischen 3 bis 5 Prozent des Kran- kenhausbudgets aufzubringen sind. Damit ist die Frage nach der verbesserten Wirtschaftlichkeit, die ich eingangs gestellt habe, kurzfristig beantwortet. Die erhoffte Verbesserung der Wirtschaftlichkeit im Krankenhaus wird nicht unmittelbar einsetzen, sondern eine Folge von Jahren sein. Im Gesamtsystem wird erst dann eine Verbesserung eintreten, wenn eine Gesundheitsreform sektorenübergreifend kommt, die Sie, Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 159. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. März 2001 15579 (C) (D) (A) (B) Frau Ministerin Schmidt, vor der Bundestagswahl 2002 wohl aber nicht mehr in Angriff nehmen wollen. Der heute vorgelegte Gesetzentwurf zum DRG-Sys- temzuschlags-Gesetz ist ein erster Schritt auf einem Weg voller Tücken. An Ihnen, Frau Ministerin, liegt es, diesen Weg für die Patienten, die Beschäftigten und für die bun- desdeutschen Krankenhäuser zu gestalten. Monika Knoche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In diesem Hause besteht seit Jahren Übereinstimmung darin, dass wir bei der Bezahlung der Krankenhausleistungen die Erfordernisse von Qualität, Transparenz und Preis zu einem stimmigen Ganzen bringen müssen. Mittlerweile ist DRG zu einem stehenden Begriff für eine umfassende neue Gestaltung der Finanzierung stationärer Leistungen geworden. Manche sprechen gar von einer „Revolution“, die damit dem gesamten stationären Sicherungs- und Ver- sorgungssystem ins Haus steht. Ich will dem nicht widersprechen. In der Tat ist das Un- ternehmen, neue Preise zu finden, eine Klassifikation zu entwickeln und sie fortzuschreiben, um neue Untersu- chungs- und Behandlungsmethoden in Qualitätsstandards zu binden, die für alle Häuser gelten und damit allen Kranken angeboten werden, ein unvergleichlich großes Unterfangen, das – und da will ich allen kritischen An- merkungen, die auf das Politische hinweisen, zustimmen –, mit technokratischen Mitteln oder rein technischen In- strumenten nicht erschöpfend behandelt werden kann. Im Jahr 2000 wurde mit GKV-Gesundheitsreform- gesetz der § 17 b Krankenhausfinanzierungsgesetz modi- fiziert. Seit dieser Zeit stehen wir vor der Frage, die mit diesem heutigen Gesetz gelöst werden soll: Wie kann be- reits vor der Einführung eines solchen durchgängigen, leis- tungsorientierten, pauschalierenden Gesetzes das Klassi- fikationsverfahren bewerkstelligt werden bzw. wie kann ein gänzlich neues Vergütungsmodell quasi institutionali- siert werden? Wie dem Gesetzentwurf zu entnehmen ist, soll ein neues Institut entstehen. Der Selbstverwaltung wird hier praktisch freie Hand für die Ausgestaltung gegeben. Es sind keine Vorgaben gemacht, wo zwischen Selbstver- waltung und Staat das Institut angesiedelt sein soll. Auch legt der Gesetzgeber hier nicht fest, was bzw. wie in dem fortlaufenden Prozess der Veränderung von Diagnose- und Therapieverfahren oder die Zugewinne an medizi- nisch-pflegerischer Qualität in das Klassifizierungssys- tem Eingang finden. Positiv ausgedrückt heißt das, hier wird der Selbstver- waltung eine hohes Maß an Kompetenz und Verantwor- tung zugeordnet. Beispiele dafür gibt es in Europa kaum. In gewisser Weise importieren wir hier etwas Extraordi- näres aus Übersee. Jedoch: Auch in dem ehrgeizigen DRG-Projekt, das die Australier etabliert haben, verzich- tet man nicht auf fachliche Aufsicht und letztstaatliche Gesamtverantwortung. Allein vor diesem Hintergrund, glaube ich sagen zu können, wird das, was zu Beginn der rot-grünen Legisla- tur ins Werk gesetzt wurde, in seiner gesamten ordnungs- politischen Dimension noch weiterhin unterschätzt. Mei- nes Erachtens machen sich die Kritiker und Kritikerinnen, die sich allein auf den Zeitplan beziehen und ihn infrage stellen, die Sache viel zu einfach. Vor allen Dingen sagen sie nicht, dass die DRGs lediglich ein Instrument sind, dessen Einsetzung und Wirkungsweise im System mit ei- ner ausdrücklichen politischen, konzeptionell substanti- vierten Systemwirkungsabschätzung unterlegt sein muss. Wer sich darauf kapriziert, den Zeithorizont zur Disposi- tion zu stellen, kann damit selbst im Oppositionsgeschäft dennoch keine Glaubwürdigkeit gewinnen. Denn die Ent- scheidung, um die es mit der tatsächlichen Einführung der DRGs geht, ist mit dem Verweis auf den Vorrang für die Selbstverwaltung noch nicht getätigt. Ohne Vorentschei- dung allerdings weist das DRG-System eher auf den Ein- stieg in Einkaufsmodelle, in Vertragswettbewerb und da- mit auf den Ausstieg aus einer politisch verantworteten zukunftsweisenden Koordination und Kooperation in ei- ner Versorgungsregion – ich will das als Grüne erklärter- maßen nicht. Darüber, meine sehr geehrten Herren und Damen von der Opposition, die Sie sich nicht nur im Bundestag, son- dern gerade auch in den Ländern für Ihre tatsächlichen operationalisierbaren gesundheitsstrukturpolitischen Vor- schläge und ihre Systemtreue zu verantworten haben, da- rüber müssen Sie, wenn Sie das DRG-System als solches aufrufen, schon Rede und Antwort stehen. Wozu wollen nun Sie, meine Herren von der F.D.P./CDU, die DRGs nutzen? Ich will mit dieser neuen Klassifizierung erreichen, dass Qualität, Transparenz, leistungsgerechte Bezahlung des Klinikpersonals, Verbesserung der Prozessqualität usw. zu realen Vergleichsgrößen für die Bezahlung von Krankenhauskosten werden können. Diese Aufgabe zu lö- sen ist wichtig: In den letzten Jahren hat sich heraus- konsensualisiert, dass das DRG-System nach Stand der- zeitiger politischer Übereinkünfte das einzig mögliche Instrument ist. Es ist aber auch nicht mehr als lediglich ein Instrument: Wie es eingesetzt werden soll, wie es die Ver- sorgungsstruktur verändern soll, bedarf zwingend der ordnungspolitischen Debatte. Da würde mich schon inte- ressieren, wie Sie ihr erkennbares politisches Wollen, nämlich klammheimlich ein Vertragswettbewerbsmodell zu etablieren, mit der politischen Zuständigkeit Ihrer Ministerkollegen und -kolleginnen in den eigenen Län- dern in Einklang bringen wollen. Wer will bestreiten, dass es sich hier um eine große ordnungspolitische Diskussion handelt. Denn alle, die wir uns damit befassen, wissen: Man kann DRGs nicht los- gelöst von der dualen Finanzierung, von der Rolle der Länder in der Krankenhausplanung, vom RSA, vom Si- cherstellungsauftrag oder unabhängig von der integrierten Versorgung diskutieren. Ich weiß wohl, wie F.D.P./CDU sich einen subkutanen Strukturwechsel am liebsten vorstellen mag. Wer das politische Parkett aufmerksam beobachtet, hat längst be- merkt, wie sie schon kräftig Ausschau halten nach Mit- gängern im Bund der Verschweigenden. Indem sie näm- lich nicht thematisieren und darüber hinaus auch mit dem Mittel der Nichtentscheidung Sachzwänge sich aufbauen lassen, sich elegant in Pirouetten drehen, nicht sagen, wo- hin sie wirklich wollen und sich den politischen Debatten um das Eigentliche und Wesentliche entziehen, um sich Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 159. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. März 200115580 (C) (D) (A) (B) dann gemeinsam – mit wem? – auf dem festen Boden der unabweisbaren Sachzwänge wieder einig zu sein. Meine Herren und Damen, aus der hohen Verantwor- tung für die Versorgungsgerechtigkeit, das zeigt die Wirk- lichkeit, werden auch Sie sich nicht wegtänzeln können, insbesondere weil Sie ja die politische Zuständigkeit ge- rade dafür in den Ländern haben, was durchaus bedauert werden kann. Detlef Parr (F.D.P.): Nomen non semper est omen – der Name hält nicht immer das, was er verspricht. Wir beraten das DRG-System-Zuschlagsgesetz. Nur, von Sys- tem ist bei der Erarbeitung dieses Gesetzentwurfs wenig zu erkennen. Bis heute sind weder Aufgaben noch Kompetenzen und Verantwortungen des noch zu gründenden DRG-Instituts zu erkennen. Auch nicht festgelegt sind die Schnittstellen zu der notwendigen Datenerfassungs- und -auswertungs- stelle. Ebenso wenig ist klar, wie die Zusammenarbeit zwi- schen der Softwarezertifizierungsstelle sowie dem DIMDI organisiert werden soll. Außerdem gibt es zurzeit keinerlei Überlegungen, ob und inwieweit private Dienstleister pro- jektbezogen beauftragt werden können. Es ist fraglich, ob ein einziges DRG-Institut zum Ziel führt. Denn in Australien gibt es auf der Bundesebene vier verschiedene Organisationen, die an den Fallpauschalen arbeiten. Nach aktuellem Kenntnisstand sind hier auch private Dienstleister eingebunden. Bevor die Diskussion zum Aufbau geeigneter institu- tioneller Strukturen nicht abgeschlossen ist, kann gar nicht verlässlich gesagt werden, mit welchen Kosten wir rechnen müssen. Der administrative Aufwand für die Um- stellung der Krankenhausabrechnungsprogramme, für die Mittelverwaltung sowie die Weiterleitung an Vertrags- partner dürfte höher liegen als die geplanten 30 Pfennige je Fall. Uns erscheint es sinnvoller, wenn die Kranken- kassen direkt und fallbezogen Zahlungen an den beab- sichtigten Fonds leisten würden. Aber dieser Zug ist be- reits abgefahren. Wir wollen die Entwicklung der im Grundsatz auch von uns befürworteten diagnosebezogenen Fallpauscha- len nicht aufhalten. Deshalb werden wir diesem Gesetz- entwurf zähneknirschend zustimmen. Dr. Ruth Fuchs (PDS): Wer sich für die Vergütung von Krankenhausleistungen mittels DRGs entscheidet, braucht eine entsprechende wissenschaftliche Infrastruk- tur für die Einführung und Pflege der Klassifikationssys- teme, für die Kalkulation der Kostengewichte und vieles andere mehr. Das vorliegende Gesetz soll dafür die finan- ziellen Voraussetzungen schaffen. Diesem Ziel wird es zweifellos gerecht. Allerdings kommt es – vor dem Hin- tergrund eines unrealistisch knappen Zeitplanes – schon zu spät. In vielen Krankenhäusern, die bereits jetzt ver- schlüsseln und dokumentieren sollen, ohne über verbind- liche Kodierregeln und andere Vorgaben zu verfügen, ist schon Chaos eingetreten. Dieses Gesetz hätte gleich mit der Gesundheitsreform 2000 beschlossen werden müssen. Hier zeigt sich erneut, wie wenig vorbereitet und durch- dacht diese aus unserer Sicht verfehlte Grundentschei- dung damals getroffen wurde. Nach allen Erfahrungen wird das neue Vergütungssys- tem gravierende Auswirkungen auf die Situation und das medizinische Handeln der Ärzte und Schwestern haben. Ärztliche Ethik und wissenschaftlicher Erkenntnisstand werden sich ständig im offenen Konflikt mit den ökono- mischen Anforderungen an die Krankenhäuser befinden. Wer prospektive Finanzierungssysteme einrichtet, verla- gert das finanzielle Risiko auf die Leistungserbringer, was diese tendenziell dazu bringt, es an die Patienten weiter- zugeben. Mit anderen Worten: Wenn der wirtschaftliche Erfolg eines Krankenhauses davon abhängt, inwieweit es gelingt, Kosten und Leistungen zu minimieren, dann werden die Patienten im Unterschied zur bisherigen Si- tuation permanent einem Unterversorgungsrisiko ausge- setzt. Diese Finanzierungsformen bringen neben er- wünschten Wirkungen eben auch massiv nicht gewollte, unerwünschte Folgen hervor. Das ist seit langem bekannt. Alle bisher bei uns bestehenden bzw. vorgesehenen Maß- nahmen der Qualitätssicherung werden dieser völlig ver- änderten Grundsituation in keiner Weise gerecht. Wer zu solchen Vergütungsformen übergeht, ist nicht nur verantwortlich für ihre richtige technisch-organisato- rische Einführung, so wichtig das natürlich ist. Er hat ebenso die Verantwortung für eine möglichst weitgehende Verminderung der Risiken für die Patienten und die Be- völkerung. Alles andere ist nach unserer Auffassung un- vertretbar gegenüber den Millionen Menschen, die künf- tig in den Krankenhäusern behandelt werden. Deshalb sagen wir: Die Einrichtung des Instituts ist richtig, aber nur eine Hälfte des Notwendigen. Mit glei- cher Intensität und Aufmerksamkeit müssen jetzt auch die institutionellen und finanziellen Voraussetzungen für eine weitere Vorlauf- und Begleitforschung geschaffen wer- den. Sie muss darauf zielen, die neuen Gefahren für die Versorgungsqualität vorausschauend zu minimieren, wenn sie schon nicht völlig ausgeschlossen werden kön- nen. Ein solches Ziel ist erreichbar, allerdings nur dann, wenn genau dafür das Notwendige mit gleichem Ernst ge- tan wird. Da das vorliegende Gesetz nur für einen Teil der mit der DRG-Einführung anstehenden Aufgaben die Voraus- setzungen schafft, werden wir uns der Stimme enthalten. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Berichts zu den Anträgen: – Unterglasgartenbau in Deutschland sichern – Anpassungsbeihilfen für Unterglasbetriebe im Gartenbau – Schaffung eines Nothilfefonds für Existenzbe- drohte Unterglasbaubetriebe (Tagesordnungspunkt 21) Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Die vorliegen- den Anträge von CDU/CSU, der F.D.P. und der PDS Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 159. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. März 2001 15581 (C) (D) (A) (B) zeigen das Engagement der Opposition für den – sich im harten Konkurrenzkampf befindenden – Unterglasgarten- bau. Wir als Regierungskoalitionen haben in den letzten Monaten nicht nur Gespräche mit dem Berufsstand ge- führt und leere Versprechungen gemacht, sondern gerade wegen der Brisanz der Wettbewerbsnachteile innerhalb Europas und der Verteuerung der Heizölkosten alle An- strengungen unternommen, um auch kurzfristig Hilfe zu gewähren. Wollen wir doch bitte nicht vergessen, dass die Verteuerung des Heizöles nicht originär auf die Ökosteuer zurückzuführen ist, sondern wir in dieser Frage abhängig sind von den OPEC-Staaten und Mineralölgesellschaften! Das müssen wir ändern; die Kollegin Heidi Wright hat auf die alternativen Energien hingewiesen. In den Aus- schusssitzungen haben wir mehrfach über Probleme und Lösungsansätze diskutiert. In vielen Punkten waren wir uns über die Inhalte einig. Das will ich hier betonen. Des- halb sind die doch zum Teil stark überzogenen Vorstel- lungen in den Oppositionsanträgen aus meiner Sicht rea- litätslos. Die CDU/CSU-Fraktion fordert zum Beispiel den Ausgleich des Kostensprunges, also knapp über den Daumen gepeilt ca. 400 Millionen DM, ganz nach dem Motto: Wer bietet mehr? Wir sind doch nicht bei „Wünsch dir was“! Seit die Regierungsverantwortung gewechselt hat, hat die Opposition Anträge im Agrarbereich in Höhe von mehreren Milliarden Mark gestellt. Das zeigt einmal deutlicher die fehlende Solidität ihrer Arbeit. Die Harmonisierung der Wettbewerbsbedingungen auf europäischer Ebene hingegen ist ein langfristiges Ziel, das wir gemeinsam verfolgen sollten. Anpassungsbeihilfen in Höhe von 300 Millionen DM für Unterglasbetriebe – mit eigenem Titel im Haushalt des EZP 10 –, wie sie die F.D.P. will, sind absolut abwegig. Wollen Sie etwa so Subventionsabbau betreiben? Die No- tifizierung für Betriebskostenzuschüsse durch Brüssel würde Deutschland nie bekommen. Das weiß die F.D.P ganz genau. Was ist denn hierbei der Hintergedanke? Die F.D.P. geht mit wissentlich falschen Hilfsangeboten ins Land, erweckt falsche Hoffnungen und stellt uns als To- tengräber hin. Ich nenne das Wahlkampfpolemik auf Kos- ten der Gartenbauer. Wir haben den Weg freigemacht für das Investitions- und Liquitätsprogramm für den Gartenbau; denn wir se- hen die Notwendigkeit, den Unterglasgartenbau weiter zu entlasten. Neben vielen Fördermöglichkeiten hat die Bundesregierung für 2001 und 2002 die Mittel der Ge- meinschaftsaufgabe um jeweils 15 Millionen DM aufge- stockt – und das, obwohl die Preisdifferenz im Energie- bereich zur Konkurrenz in den Niederlanden schwächer geworden ist. Wir sind uns an dieser Stelle unserer Ver- antwortung sehr bewusst. Auch Vertreter des Gartenbaues sagen, dass sich die Si- tuation entspannt hat. Aber Hilfe ist dennoch nötig. Zur- zeit liegt das Preisverhältnis im Energiebereich nicht mehr bei 3:1, sondern nur noch etwa bei 2:1. Aber uns reicht das immer noch nicht aus. Die Energiepreise der niederländischen Gärtner liegen jetzt etwa bei 35 Pfen- nig/Liter Heizöläquivalent, die Kosten für deutsche Gar- tenbauer etwa bei 65 Pfennig je Liter. Deshalb setzen sich SPD und Bündnis 90/Die Grünen dafür ein, dass es weitere Hilfen gibt. Wir haben ganz deutlich gemacht, dass wir im Zuge der Hilfen für die Landwirte über das Agrardiesel- gesetz auch die Unterglasgartenbauer entlasten wollen. Hier finde ich die ablehnende Haltung einiger Länder nicht nachvollziehbar. Die Landwirte jedenfalls sind mit ihren Berufskollegen des Gartenbaues solidarisch. Des- halb von dieser Stelle aus ein herzliches „Dankeschön“! Wir wissen doch aber alle, dass durch die BSE-Krise die Landwirtschaft schwere Verluste hinnehmen muss, und Länder, Bund und EU Milliardenbeträge für die Be- wältigung zur Verfügung stellen werden. Hilfsmaßnah- men für Gartenbau finden dennoch statt. Das eine hat mit dem anderen nämlich wenig zu tun. Es wäre an dieser Stelle produktiver, den Bund tatkräf- tig zu unterstützen, statt mit immer neuen Forderungen Geldquellen anzapfen zu vollen, die es gar nicht gibt. Ich fordere an dieser Stelle konstruktive Unterstützung aus der Opposition; denn es geht um Existenzen und nicht um Medienwirksamkeit. Außerdem bin ich der Meinung, dass die Wettbewerbskommission der EU gefordert ist, dem Preisdumping einiger EU-Mitgliedstaaten im Be- reich Energiepolitik entschieden die rote Karte zu zeigen. Heidemarie Wright (SPD): Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt – dieser Verballhornungssatz passt wohl auf die Anträge der Opposition, allesamt von Anfang Oktober 2000. Der Heizölpreis war so hoch wie nie, der Winter stand vor der Tür und die Glashäuser waren voller Weihnachts- sterne, die auf dem adventlichen Verbrauchermarkt abge- setzt werden sollten. Aber: In der Folge sank der Heizöl- preis, der Winter wurde nicht kalt und die Gärtner haben gerade mal so ihre Weihnachtssterne über die Theke ge- bracht, ohne dass das Schlimmste eingetreten wäre. Die sich verschärfenden Wettbewerbsbedingungen deutscher Gärtner – im Gegensatz zu den holländischen Mitbewerbern – waren seit Jahren offensichtlich und hat- ten die Regierungskoalitionen bereits im Herbst 2001 auf den Plan gerufen. Zäh waren die Verhandlungen, aber es wurde erreicht: Die Bundesregierung hat im Oktober 2000 ein Programm zur Förderung einsparender Investitionen, speziell für die Gärtner, aufgelegt. Im Rahmen der Gemeinschaftsauf- gabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küsten- schutzes“ werden in den Jahren 2001 und 2002 je 15 Mil- lionen DM zusätzlich zur Verfügung gestellt, aufgestockt durch Länderhaushaltsmittel in Höhe von zusätzlich 20 Millionen DM stehen den deutschen Gärtnern somit 50 Millionen DM zur Verfügung. Dies ist eine stattliche Summe, ein stattliches Programm, das es gilt, jetzt mit Le- ben zu erfüllen. Der Einfallsreichtum der deutschen Gärt- ner und die Innovationsbereitschaft der oft über Genera- tionen geführten Betriebe ist enorm. Ich konnte mich hiervon mehrfach und in ständigem Dialog überzeugen. Gärtner sind nicht nur ideenreich, sondern auch flexibel, und haben es immer wieder geschafft, sich den Gegeben- heiten der Zeit, den Notwendigkeiten der Energieein- sparung und optimalen Energienutzung sowie den verän- derten Wünschen der Verbraucher anzupassen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 159. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. März 200115582 (C) (D) (A) (B) Anfang des Winters schien jedoch das Maß der Anpas- sungsfähigkeit zunächst erschöpft. Ich konnte das haut- nah in einer großen Versammlung im November in Aschaffenburg miterleben, wo meine Ausführungen zu den Fakten des Energiemarktes, des Weltmarktpreises und der Notwendigkeit einer Politik „weg vom Öl“ mit lautstarkem Protest belegt wurde. Meine Empfehlungen, auf andere Energieträger, wie zum Beispiel Holzhack- schnitzel zu setzen, kamen, gelinde gesagt, nicht gut an. Aber wir haben uns zusammengerauft. Inzwischen sind sich die Gärtner bewusst, dass ihnen mit der Krise auf dem Rohölmarkt die nächste Herausforderung und auch eine Chance bevorsteht. Bei einem Preisäquivalent von Holzhackschnitzeln zu einem Liter Heizöl in Höhe von 30 Pfennig lohnt sich eine Holzhackschnitzel-Heizan- lage, möglichst im Verbund mit dem Nachbarbetrieb, al- lemal. Hier gilt es seitens der Politik, über das Förderpro- gramm und über die Fachagentur nachwachsende Rohstoffe den Gärtnern Schützenhilfe zu leisten, damit sie sich mittelfristig freimachen von der Abhängigkeit vom Öl. Die Aufgabe heißt also, mittel- und langfristig den deutschen Gartenbau energietechnisch noch fitter und moderner zu machen. Aber noch einmal zu der sehr aktuellen Situation und der Wettbewerbsverzerrung durch die sehr unterschied- lichen Energiepreise für deutsche und holländische Gärt- ner: Zwar ist Petrus wohl ein Gärtner und hat zur rele- vanten Zeit die Temperaturen milde gehalten; das darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass für die nächs- ten zwei Jahre – so lange läuft der holländische Deal für niedrige Gaspreise noch – Hilfe notwendig ist. Wir von der Regierungskoalition haben das längst erkannt und den Gartenbaubetrieben und dem Zentralverband unsere Schützenhilfe zugesagt. Ganz in die Vollen greifen die Helfer der F.D.P.: Sie will gleich 300 Millionen DM für die Unterglasbetriebe in Deutschland in den Haushalt einstellen. Woher das Geld kommen soll, sagen sie natürlich nicht. Mehr Schulden machen oder wo anders wegnehmen? Recht hat sie ja, die F.D.P., wenn sie feststellt, dass ge- rade im Gartenbau in Europa Wettbewerbsverzerrungen bestehen und sich verschärfen. Dass sie bestehen, und zwar schon über viele Jahre, stimmt – daran hätte die F.D.P. aber in der Vergangenheit etwas ändern können. Jetzt aus der Opposition heraus wohlfeile und unrealisti- sche Anträge einzufüttern, ohne zu sagen, woher das Fut- ter kommen soll, hilft niemandem, insbesondere nicht den Gärtnern. Dass sich die Wettbewerbsverzerrungen verschärfen, stimmt auch, denn gerade die holländische Gärtnerlobby versteht es hervorragend, mit immer neuen Tricks den so wachsamen Wettbewerbskommissar der EU auszutrick- sen und sich Sonderkonditionen notifizieren zu lassen. Das ist europafeindlich, wettbewerbsverzerrend und zu- tiefst ärgerlich. Wir sind mit unserer Politik für die Gärtner auf der Zielgeraden und das Aufwärmen der alten Anträge der Opposition ist nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Fakt ist: Die Gärtner können sicher sein, dass sie trotz hoher Staatsverschuldung, trotz des Ziels der Regierung, die Schuldenschraube zurückzudrehen, trotz Verbraucher-, Landwirtschafts- und BSE-Krise nicht vergessen sind. Schon kurz vor Weihnachten hätte eine Lösung zu- sammen mit der Regelung um den Agrardiesel erreicht werden können. Jetzt möchte die Opposition mit der Auf- setzung ihrer Anträge nochmals Verunsicherung bei den Gärtnern schüren und die Regierung unter Druck setzen. Beides gelingt nicht. Wir haben die weitere Wettbewerbs- stärkung des Gartenbaus auf der Zielgraden. Heinrich-Wilhelm Ronsöhr (CDU/CSU): Die dras- tisch gestiegenen Energiepreise treffen einen Bereich der deutschen Landwirtschaft ganz besonders, nämlich den Unterglasgartenbau. Diese Betriebe müssen bekanntlich im Winterhalbjahr ihre Gewächshäuser heizen. Bei den meisten Betrieben geschieht dies mit Heizöl und Erdgas. Von Februar 1999 bis heute sind die Kosten für diese Energieträger um über 200 Prozent gestiegen. Ein durch- schnittlicher Betrieb benötigt in einer Heizperiode circa 400 000 Liter Heizöl bzw. 100 000 Kubikmeter Erdgas; die Mehrkosten gehen in die Hunderttausende. Mit einem Heizölpreis von 92 Pfennigen pro Liter sind die Unter- glasbetriebe im Marktwettbewerb mit den Niederlanden hoffnungslos unterlegen. Dort zahlen die Gärtner für die Heizung ihrer Gewächshäuser nur ein Drittel des Preises in Deutschland. Die Verdreifachung der Energiekosten- differenz ist für den deutschen Gartenbau unerträglich. Davon sind die 14 000 Gartenbaubetriebe mit über 5 000 Hektar beheizter Anbaufläche in Deutschland hart betroffen. Es ist für einen Betrieb unmöglich, Energie- mehrkosten, die in die Größenordnung von 100 000 DM gehen, durch höhere Preise am Markt wettzumachen. Dies bedeutet: Ohne Hilfe muss eine große Zahl der Be- triebe den Anbau einstellen, dies führt aber letztlich zwangsläufig zur Betriebsaufgabe. Diese Betriebe brauchen direkte Hilfe. In einer Krisen- situation muss auch das möglich sein, was bei den Ener- giekrisen 1974 und 78/79 möglich war. Das von der Bun- desregierung beschlossene Liquiditätshilfeprogramm in Höhe von jeweils 10 Millionen DM im Jahre 2001 und 2002 ist keine Antwort auf die brennenden Sorgen der Un- terglasgartenbaubetriebe. Nach den Berechnungen des Zentralverbandes Gartenbau hätten die Unterglasgarten- baubetriebe als Überbrückungshilfe für den nun fast schon überstandenen Winter zur Bewältigung der abnorm gestiegenen Energiekosten 300 Millionen DM benötigt. Dies war noch knapp gerechnet, denn nach den eigenen Berechnungen der Bundesregierung ergaben sich für die Betriebe Energiemehrkosten in Höhe von 634 Millionen DM. Was hat aber Rot-Grün getan? In Ihrem Änderungs- antrag zum Haushalt 2001 hatten sie sich schöngerechnet, dass jeweils 10 Millionen DM Bundesanteil zur Zinsver- billigung im Jahre 2001 und 2002 – wie es dort heißt – „angemessen“ sei. Das ist keine Antwort auf die kritische Lage der Unterglasgartenbaubetriebe. Zu begrüßen ist, dass die Bundesregierung unserer For- derung nach Einführung eines Energieeffizienzprogram- mes von jeweils 15 Millionen DM in den nächsten beiden Jahren entsprochen hat. Vom Umfang und Zeitraum ist Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 159. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. März 2001 15583 (C) (D) (A) (B) dies jedoch zu kurz gesprungen. Der Vorschlag von CDU/ CSU, über fünf Jahre jeweils 25Millionen DM für ein En- ergieeffizienzprogramm zur Verfügung zu stellen, wäre eine bessere Basis für die Gartenbaubetriebe gewesen, In- vestitionen für eine bessere Energieeffizienz ihrer Pro- duktion zu tätigen. Die Bundesregierung zieht herum und verkündet ihre Hilfe in der Öffentlichkeit als Großtat und bauscht sie aufgrund der Beteiligung der Länder auf 50 Millionen DM auf. In Wirklichkeit bleibt sie aber ihrem alten Prinzip treu, wenn es um Hilfsmaßnahmen der Landwirtschaft geht. Sie stellt nicht, was notwendig wäre, zusätzliches Geld zur Verfügung, sondern plündert den Agrarhaushalt und hier vornehmlich den Etat der Ge- meinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“. Daher kommen nämlich jeweils die 15 Millionen DM für 2001 und 2002. Die derzeitigen Überlegungen, den Unterglasgarten- bau wegen der hohen Energiekosten von der Heizölsteuer in Höhe von 0,08 DM je Liter zu befreien, sind ein Schritt in die richtige Richtung. Der Reifungsprozess zu dieser Einsicht hat aber bei Ihnen lange gedauert. Ich will Ihnen einmal zitieren, was mir die Parlamentarische Staats- sekretärin beim Bundesministerium der Finanzen, Dr. Barbara Hendricks, am 6. Dezember 2000 auf meine Forderung, die Gartenbaubetriebe von der Steuer auf Hei- zöl von 8 Pfennig pro Liter zu befreien, geantwortet hat: Wenn Sie die Forderung ernst meinen sollten, Herr Ronsöhr, dann scheinen Sie als Abgeordneter der Bun- desrepublik Deutschland in der Tat einen Mangel an Ver- antwortungsbewusstsein zu pflegen. Wenn ich die Agrarpolitik von Rot-Grün Revue pas- sieren lasse, die zu erheblichen Verschlechterungen der Rahmenbedingungen geführt und die Wettbewerbsnach- teile gegenüber den Konkurrenten in anderen EU-Mit- gliedstaaten noch vergrößert hat, dann ist dieser Vorwurf richtigerweise wohl für diese Politik angebracht. Deshalb sollten Sie die angedachte Befreiung von der Heizölsteuer nicht als Gnadenakt, sondern als Bringschuld der Bun- desregierung verstehen. Fasst man die beschlossenen und die angekündigten Maßnahmen zusammen, so bringen Sie den derzeit exis- tenzbedrohten Betrieben nicht die notwendige Hilfe. Hier muss dringend nachgebessert werden. Dies sollte aber nicht als Gnadenakt, sondern als Bringschuld der Bun- desregierung verstanden werden, da sie zum einen erheb- lich zur Verschlechterung der Rahmenbedingungen beigetragen hat und zum anderen die großen Wettbe- werbsnachteile gegenüber den Konkurrenten in den ande- ren EU-Mitgliedstaaten – insbesondere in den Niederlan- den – bestehen bleiben. Die angekündigte Maßnahme alleine bringt aber den Betrieben, die derzeit existenzbe- droht sind, nicht die notwendige Hilfe. So ist die Liqui- ditätshilfe völlig unzureichend. Hier muss dringend nach- gebessert werden. Ich appelliere an die Bundesregierung, die Maßnah- men für den Unterglasgartenbau nicht mit der Absenkung des Steuersatzes für Agrardiesel gegenzurechnen. Der Be- schluss der Agrarminister der Länder muss durchgesetzt werden, den Steuersatz für Agrardiesel auf wenigstens 0,47 DM je Liter festzusetzen. Dies wäre dann immer noch mehr als eine Verdoppelung gegenüber dem unter der CDU/CSU-Regierung gültigen Steuersatz in Höhe von 0,21 DM je Liter. Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Gartenbau hat in Deutschland eine hohe Bedeutung für die Versorgung der Bevölkerung mit gesunden Lebens- mitteln und für das Angebot umweltgerecht erzeugter Zierpflanzen. Er bietet zudem eine Vielzahl von Arbeits- und Ausbildungsplätzen. Wir begrüßen das von der Bundesregierung geschnürte erfolgsorientierte Maßnahmepaket für die Unterglasgar- tenbaubetriebe, mit dem längst umgesetzt wurde, was die Opposition fordert. Damit werden die Betriebe, die vor al- lem aufgrund ungleicher Wettbewerbsbedingungen auf europäischer Ebene in eine schwierige wirtschaftliche Lage gekommen sind, mit einem zukunftsorientierten Programm unterstützt: Innovation im Bereich erneuerba- rer Energien, das Investitionsprogramm, Verbesserung der Liquiditätslage finanziell bedrohter Betriebe, Entlas- tung bei den Heizölkosten, rückwirkend zum Januar 2001, Unterstützung des Qualitäts-Gemüse- und Zier- pflanzenanbaus in Deutschland im Rahmen der Neu- orientierung der Agrarpolitik. Die alte CDU/CSU- und F.D.P.-Regierung hat die Wettbewerbsnachteile des deutschen Gartenbaus gegen- über den Niederlanden geduldet, statt energisch gegen die überzogene Subventionspraxis in Brüssel anzugehen. Angesichts der im letzten Jahr hohen Energiepreise vor allem im Unterglasgartenbau, die hauptsächlich aus der Verteuerung der Rohölpreise resultierten, steht die Ener- gieeffizienz als zentrale Aufgabe im Mittelpunkt der För- derung. Die Situation bei den Energiekosten hat sich heute wieder deutlich entspannt, doch die Abhängigkeit von der endlichen Ressource Erdöl und ihren unbere- chenbaren Preisschwankungen macht uns mehr als deut- lich, das die Zukunft in der innovativen Energieein- sparung liegt. Für 2001 und 2002 werden daher die Mittel der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruk- tur und des Küstenschutzes“ um jeweils 15 Millionen DM aufgestockt und gezielt für Investitionen zur Energieein- sparung verwendet. Ebenso steht das Förderprogramm Erneuerbare Energien mit 300 Millionen DM auch für den Gartenbau zur Verfügung. Die Kombination von Innova- tion und Umweltschutz wird dem Gartenbau eine ökono- misch und ökologisch bessere Grundlage schaffen. Weitere 10 Millionen DM werden für den gleichen Zeitraum anteilig von Bund und Ländern für finanziell bedrohte Betriebe bereitgestellt und sollen zu einer spür- baren Verbesserung der Liquiditätslage beitragen. Wir warten allerdings noch auf grünes Licht von der EU- Kommission für dieses Programm. Als Soforthilfe für den Unterglasgartenbau in Deutsch- land ist ein für Januar 2001 rückwirkendes Entlas- tungsprogramm in Höhe von 60 Millionen DM im Rahmen der Senkung der Agrardieselbesteuerung beschlossen. Mit diesem soliden Maßnahmenpaket, welches vom Zentralverband Gartenbau als sehr positiv und zukunfts- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 159. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. März 200115584 (C) (D) (A) (B) weisend bezeichnet wird, helfen wir den Unterglasgarten- baubetrieben und der Umwelt. Die Unterstützung des Qualitätsanbaus im Rahmen der Neuausrichtung der Agarpolitik durch Ministerin Künast soll den Gartenbau zukunftsfähig machen und die Nach- frage nach Obst und Gemüse weiter stärken. Marita Sehn (F.D.P.): Lange hat es gedauert, aber schließlich ist auch die Regierung zur Vernunft gekom- men und hat endlich den Weg frei gemacht für die Anpas- sungsbeihilfen im Unterglasanbau. Dieser Schritt war eine längst überfällige Notwendigkeit. Die F.D.P. begrüßt die Genehmigung des Förderprogrammes für den deut- schen Unterglasgartenbau durch die Europäische Union. Damit ist immerhin ein erster Schritt auf dem weiten Weg zu einer Wettbewerbsgleichheit der Gartenbaubetriebe in der Europäischen Union erreicht. Dass dieser Weg sehr weit geworden ist, daran ist die Bundesregierung maß- geblich beteiligt. Sie nimmt die Schlechterstellung der deutschen Betriebe nicht nur bei den Energiepreisen, son- dern auch bei den Pflanzenschutzmitteln bereitwillig in Kauf. Die Wettbewerbssituation der deutschen Betriebe entspricht einem 100-Meter-Lauf, nur dass die einen auf freier Bahn starten, während die deutschen Teilnehmer ei- nen Hürdenlauf machen müssen. Die F.D.P. bekennt sich zwar klar zum Wettbewerb. Aber es muss eine Chancen- gleichheit gegeben sein. Die Politik der Bundesregierung ist ein aktives Förder- programm für die ausländischen Konkurrenten. Und diese Politik zeigt auch erste Konsequenzen: Immer mehr Blu- men, Obst und Gemüse werden mit dem Flugzeug nach Deutschland importiert. Und was sagt unsere Verbrau- cherschutzministerin dazu? Regional ist erste Wahl! Aber sollten Sie dann nicht die deutschen Gartenbaubetriebe stärken, anstatt ihre Wettbewerbsfähigkeit gegenüber aus- ländischen Konkurrenten zunehmend einzuschränken? Die Debatte, ob der Agrardiesel subventioniert werden soll oder nicht und, wenn ja, wie hoch, das war doch eine Peinlichkeit ersten Grades. Eine Regierung, welche die Interessen gerade der kleinen Betriebe im Auge hat, hätte gehandelt und weniger verhandelt. Aber bei Ihnen ging es zu wie auf einem Basar. Mal sagte die SPD Hü und die Grünen Hott. Jetzt haben Sie uns damit schon seit De- zember unterhalten und so langsam wird es langweilig. Wann, bitte schön, gedenken Sie jetzt endlich etwas für unsere Landwirte zu tun? Finden Sie nicht, dass unsere Landwirte von BSE und MKS schon genug gebeutelt sind? Wenn Sie es nicht einmal schaffen, innerhalb der Regierung einen Konsens über die Agrardieselbesteue- rung herbeizuführen, dann bin ich einmal auf Ihre groß angekündigte Agrarwende gespannt. So viel zu der Glaubwürdigkeit der Bundesregierung in Bezug auf ihre umwelt- und agrarpolitischen Zielset- zungen. Dass es bei der Ökosteuer nicht um ökologische Ziele, sondern um Geldbeschaffung geht, dass hat die Debatte innerhalb der Regierungskoalition in den letzten Wochen gezeigt. Kaum zeichnet sich ab, dass das Einkommen durch die Ökosteuer geringer ausfällt als erwartet, schon wird der Ruf nach einer Erhöhung laut. Dies ist ein poli- tischer Offenbarungseid. Warum sind die Einnahmen aus der Ökosteuer denn geringer als erwartet? Vielleicht weil die Bürger das getan haben, was Sie angeblich von ihnen erwartet haben, näm- lich Energie sparen. Und jetzt jammern Sie, dass das Geld nicht reicht, und rufen nach einer weiteren Anhebung. Sie müssen sich fragen lassen: Was wollen Sie eigentlich er- reichen? Wollen Sie unsere Bürgerinnen und Bürger zum Energiesparen animieren oder einfach abkassieren? Die Antwort ist eindeutig: Sie brauchen schlicht und ergrei- fend das Geld. Prompt war wieder eines der berühmten Machtworte Ihres Basta-Kanzlers fällig. Diese Ökosteuer ist weder öko noch logisch und schon gar nicht ökono- misch. Deshalb wird sich die F.D.P. auch weiterhin für ihre Abschaffung einsetzen. Ein echter Wettbewerb kann nur im Einklang mit der Europäischen Union erfolgen. Frau Künasts Auftritte vor den Gremien der Europäischen Union lassen da allerdings keine großen Hoffnungen aufkommen. Sie hat noch nicht einmal in Deutschland mit ihrer viel beschworenen Agrar- wende begonnen, da will sie schon die ganze Europäische Union wenden. Sehr geehrte Frau Künast, Ihre Auftritte nach dem Motto „Am deutschen Wesen soll die Welt ge- nesen“ waren peinlich und kontraproduktiv. Bevor Sie un- sere europäischen Partner belehren, sollten Sie vielleicht erst einmal die Praxistauglichkeit ihrer agrarpolitischen Ideologien unter Beweis stellen. Ein Reinheitsgebot für Kühe mag sich zwar ganz schick anhören, nur geht es an der Realität vorbei. Es wäre schön, wenn die Regierung einmal ein Reinheitsgebot für ihre Politik einführen würde. Wie wäre es mit dem Motto „Unsere Politik braucht nur Wissen, Information, Auf- klärung und Verantwortung und sonst nichts“? Aber da müssten Sie ja auf die Ideologie verzichten. Die Agrarwende ist in sich unschlüssig. Da wird ein Anteil für den ökologischen Landbau von 20 Prozent ge- fordert. Warum, sehr geehrte Frau Künast, fordern Sie keinen Anteil von 20 Prozent Ökolebensmitteln an den gesamten Lebensmitteln? Sie blähen die Angebotsseite künstlich auf und diesem Angebot steht dann keine ent- sprechende Nachfrage gegenüber. Das ist eine Planwirt- schaft, die an den Realitäten des Marktes vorbeigeht. Ökonomie und Ideologie sind nicht immer die besten Partner. Das größte Wettbewerbshindernis ist aber nicht die un- terschiedliche Zulassungspraxis bei Pflanzenschutzmit- teln. Es sind vielleicht nicht einmal die unterschiedlichen Energiepreise. Es ist eine konzeptionslose Agrarpolitik, die langsam, aber sicher die Bodenhaftung verliert. 18 000 Betriebe mit 85 000 Arbeitnehmern und 6 000 Auszubildenden erwarten von uns eine faire Chance, im Wettbewerb zu stehen. Die Gartenbaubetriebe haben in der Vergangenheit immer wieder auf beeindruckende Weise belegt, dass sie dazu in der Lage sind. Wir sollten sie dabei unterstützen und ihnen nicht im Wege stehen. Kersten Naumann (PDS): Offen gesagt weiß ich nicht so richtig, was dieser Tagesordnungspunkt zum Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 159. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. März 2001 15585 (C) (D) (A) (B) Unterglasgartenbau soll. Die Abstimmung ohne Ausspra- che hätte genügt, um das parlamentarische Verfahren ab- zuschließen. Tatsache ist doch, dass mit der vor Monaten erfolgten Beschlussfassung zum Haushalt 2001 bereits al- les entschieden wurde. Die Debatte ist daher eher eine Scheindebatte, in der die Opposition Frust ablassen darf. Die zur Debatte stehenden Anträge der drei Oppositi- onsfraktionen, über die heute abschließend befunden wer- den soll, stammen vom Oktober des Vorjahres. Auslöser war damals der dramatische Anstieg der Preise bei leich- tem Heizöl. Für die über 14 000 Gartenbaubetriebe mit mehr als 85 000 Arbeitskräften, die auf beheizten An- bauflächen Unterglaskulturen produzieren, war das eine wirtschaftliche und teils existenzielle Bedrohung. Es wurde befürchtet, dass nicht alle Betriebe in der Lage sein werden, die höheren Heizenergiepreise zu finanzieren und über den Winter zu kommen. Deshalb beantragte die PDS-Fraktion die Einrichtung eines Bund-Länder-Nothilfefonds zur Unterstützung akut gefährdeter Unterglasgartenbaubetriebe. Unser Antrag enthielt keine Aussage zum Finanzvolumen des Nothilfe- fonds. Uns ging es um die politische Grundsatzentschei- dung, die dann im damals noch laufenden Haushaltsver- fahren konkretisiert werden sollte. Deshalb auch unser Vorschlag, den Fonds aus Mehreinnahmen der Umsatz- steuer auf Heizöl zu finanzieren. Die Koalitionsfraktionen ignorierten unseren Antrag genauso wie die Anträge der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P., sondern schufen – ich möchte behaupten, un- ter dem Druck der Opposition – mit dem Haushalt 2001 Tatsachen. Das betrifft zum einen das mit einem Bundes- anteil von je 10 Millionen DM in diesem Jahr und im Jahr 2002 ausgestattete Hilfsprogramm Unterglasgartenbau – also Liquiditätshilfen im Sinne unseres Antrages – und zum anderen das inzwischen von der EU-Kommission ge- nehmigte Programm zur Förderung energiesparender In- vestitionen im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe, das in diesem und nächsten Jahr mit je 15 Millionen DM Bun- desmitteln ausgestattet ist, sodass mit der Kofinanzierung der Länder immerhin beachtliche 50 Millionen zur Verfü- gung stehen. Auch wenn damit sicher nicht alle Wünsche abgedeckt wurden, ist das doch recht akzeptabel. Auch deshalb habe ich nie ein Hehl daraus gemacht, dass ich die Forderung im CDU/CSU-Antrag nach einem vollen Ausgleich der erhöhten Energiekosten durch ein Überbrückungsprogramm von Anfang an nicht ernst ge- nommen, sondern unter der Rubrik Populismus abgehakt habe. Am wichtigsten scheint mir, von der Bundesregie- rung zu hören, wie sie heute die Situation im Unterglas- gartenbau einschätzt und was die eingeleiteten Maßnah- men konkret bewirkt haben. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: Einstufung des irakischen Giftgasan- griffs am 16. März 1988 auf Halabja als Völker- mord – Humanitäre Hilfe für die Opfer des An- griffs (Tagesordnungspunkt 22) Christoph Moosbauer (SPD): Heute genau vor 13 Jahren, am 16. März 1988, schickte der irakische Dik- tator Saddam Hussein Kampfflugzeuge in den Norden seines Landes. Sie bombardierten die ausschließlich von Kurden bewohnte Stadt Halabja mit Giftgas. Dabei ka- men mehr als 5 000 Menschen zu Tode, für Tausende an- dere war das Leben aufgrund ihrer schweren Verletzungen nur mehr eine Qual. Dieses Verbrechen reiht sich ein in die lange Liste der schweren Vergehen Saddam Husseins gegen seine eigene Bevölkerung. Niemand wird das be- streiten können und niemand will dies auch bestreiten. Daher ist es nicht leicht, gegen den Antrag zu sprechen, den uns die PDS heute, am Jahrestag dieses Verbrechens, vorgelegt hat. Dennoch, bei allem Verständnis für das Anliegen: Der Bundestag ist nicht der Ort, an dem per Antrag historische Wahrheiten beschlossen werden können. Daher tun wir uns so schwer mit Ihrem Antrag. Wir sind uns einig, dass mit dem Giftgasangriff ein schweres Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorliegt – unbegreifbares Grauen und erschreckende Niedertracht. Es schein zynisch zu sein, hier die Messlatte des internationalen Rechts anzulegen. Doch erlegt uns die Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermords vom 9. Dezember 1948 auf, derartige Verbrechen an genau dieser Messlatte zu prüfen. Damit hängt die Einstufung als Völkermord maßgeblich davon ab, ob der Giftgasangriff von Halabja in der Ab- sicht begangen wurde, eine nationale, eine ethnische oder religiöse Gruppe ganz oder teilweise zu zerstören. Die Absicht hinter dem Angriff der irakischen Regierung kön- nen wir zwar vermuten, wir kennen sie aber eben nicht. Auch die einschlägige Resolution des Sicherheitsrates vom 5. April 1991, die die Unterdrückung der Zivilbevöl- kerung nicht nur im Norden, sondern in vielen Teilen des Iraks verurteilt, spricht nicht von einem Völkermord. Und so mag die politische – aber eben nur die politische – Ein- schätzung richtig sein, dass es sich hier um ein gezieltes Vorgehen der irakischen Regierung handelt. Aber noch einmal: Es obliegt nicht uns, eine völkerrechtliche Wer- tung vorzunehmen oder gar eine historische Wahrheit zu beschließen. Unweigerlich setzt man sich in dieser Diskussion der Gefahr aus, darüber urteilen zu müssen – und im Zuge dessen falsch verstanden zu werden –, ob denn nun bei 5 000 Toten ein Völkermord vorliegt oder erst bei 100 000 oder ob eine ethnische Säuberung erst dann stattfindet, wenn die Bevölkerung eines ganzen Landstriches vertrie- ben wird, oder schon, wenn eine Stadt ausgelöscht wird. Im Grunde sind dies perverse Fragestellungen. Und darin erklärt sich auch das Unbehagen dabei, sich damit be- schäftigen zu müssen. Aber wir müssen uns auch überle- gen, aus welcher historischen Erfahrung heraus die Völ- kermord-Konvention 1948 verabschiedet wurde, und bedenken, dass es sich auch darum beim völkerrechtli- chen Tatbestand des Völkermordes um eine bestimmte Dimension des politischen Verbrechens handelt, die eben nun einmal nicht auf die Schnelle im deutschen Parlament Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 159. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. März 200115586 (C) (D) (A) (B) mit Mehrheitsbeschluss beurteilt werden kann. Wir kön- nen daher bei allem Unbehagen, das bleibt, hier dem An- trag nicht zustimmen. Der Antrag hebt zu Recht hervor, dass deutsche Firmen maßgeblich daran beteiligt waren, dass Saddam Hussein chemische Waffen herstellen konnte und – nach allem, was wir wissen – immer noch kann. Es muss absolut klar sein, dass die Firmen, die dieses mit zu verantworten ha- ben, hart bestraft werden müssen. Jeder, der aus Gewinn- streben – oder aus welchem Grund auch immer – den Dik- tatoren dieser Welt die Instrumente an die Hand liefert, mit denen diese ihre brutalen Machenschaften durchset- zen können, ist kein Geschäftsmann, sondern ein schäbi- ger Verbrecher. Hier muss das Strafrecht hart zuschlagen. Daraus aber eine politische Verantwortung der Bundesre- gierung zu konstruieren halte ich für unzutreffend, wenn auch in gewissen politischen Kreisen für wohlfeil. Es ist ja nicht so, dass die Bundesrepublik die Kurden im Nordirak ohne Hilfe gelassen hätte. Allein zwischen 1990 und 1992 wurden für die nordirakische Bevölkerung Bundesmittel in einer Gesamthöhe von fast 230 Millionen DM zur Verfügung gestellt. Auch heute unterstützt die Bundesregierung die humanitäre Hilfe für die kurdische Bevölkerung des Nordiraks. Hier also noch einmal zu be- schließen, dass das getan werden soll, was ohnehin ge- schieht, mutet ja etwas seltsam an. Einen Bezug – und sei er nur moralisch – mit dem Giftgasangriff herzustellen, für den allein Saddam Hussein verantwortlich ist, ist doch auch nicht zielführend. Humanitäre Hilfe wird dort ge- leistet, wo sie notwendig ist und wo sie gebraucht wird. Und moralisch sind wir doch immer dann zur Hilfe ver- pflichtet, wenn Menschen in Not sind, ungeachtet der konkreten Ursache. Ich muss hier noch etwas anfügen, was mir schon beim Antrag der PDS zur Aufhebung der Sanktionen gegen den Irak aufgefallen ist. In beiden Anträgen wird die Verant- wortung Saddam Husseins sowohl für die Entstehung des Sanktionsregimes als auch für den Giftgasangriff besten- falls am Rande erwähnt. Das halte ich für unerträglich! Saddam Hussein hat die Angriffe auf Halabja und die Auslöschung der dortigen kurdischen Bevölkerung be- fohlen, nach alledem, was wir nur vermuten können, gar nicht mal in der Absicht, die Kurden insgesamt auszulö- schen oder zu vertreiben. Vielmehr – diese zynische und für uns ganz und gar unerträgliche Vermutung drängt sich auf – ging es wohl ausschließlich darum, hier einmal, quasi im Feldversuch, den Einsatz von Chemiewaffen zu erproben. Menschenverachtender geht es kaum. Dies muss hier im Deutschen Bundestag einmal klar benannt werden: Saddam Hussein verfolgt seine eigene Bevölkerung. Saddam Hussein ist für die humanitäre Lage der Menschen im Irak verantwortlich, nicht nur im Norden, sondern im ganzen Land. Ich teile auch Ihre Mei- nung, dass das bisherige Sanktionsregime ihm hierbei in die Hände spielt. Daher bin auch ich für eine Entkoppe- lung der wirtschaftlichen Sanktionen vom notwendigen militärischen Embargo – eben weil wir nicht das irakische Volk treffen wollen, sondern die menschenverachtende, skrupellose und zynische Politik Saddam Husseins und seiner Satrapen. Aber ich darf an dieser Stelle noch ein- mal ausdrücklich darauf hinweisen, dass humanitäre Hilfe von den Sanktionen der Weltgemeinschaft ausgenommen ist. Dass Medikamente und Lebensmittel aber trotzdem die notleidende Bevölkerung nicht erreichen, liegt in der Verantwortung des Regimes in Bagdad. Wir sollten hier Verantwortlichkeiten auch klar benennen. Und diese klare Sprache fehlt in Ihrem Antrag. Daher und aus den vorher genannten Gründen werden wir dem Antrag nicht zustimmen, auch wenn – das gebe ich Ihnen zu – ein Unbehagen zurückbleibt. Joachim Hörster (CDU/CSU): Es besteht kein Zwei- fel daran, dass der irakische Giftgasangriff auf Halabja eine krasse Verletzung der Menschenrechte darstellt und alle internationalen Vereinbarungen zur Ächtung des Ein- satzes von Massenvernichtungswaffen zynisch und rück- sichtslos verletzt. Soweit der Antrag der PDS eine Mitverantwortung der Bundesrepublik Deutschland für diesen schändlichen Giftgasangriff konstruiert, ist der Antrag gänzlich unbe- gründet und sachlich abwegig. Die Bundesrepublik Deutschland hat zu keinem Zeitpunkt das irakische Rüs- tungsprogramm zur Herstellung von Massenvernich- tungswaffen stillschweigend geduldet oder gar gefördert. Vielmehr ist die Beteiligung an solchen Programmen nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz verboten und mit Strafe bedroht. Demzufolge sind auch die Verantwortli- chen deutschen Unternehmen, die sich unter Verletzung eindeutiger deutscher Vorschriften illegal an dem Rüs- tungsprogramm der irakischen Regierung beteiligt haben, strafrechtlich verfolgt und zur Rechenschaft gezogen worden. Die Bundesrepublik Deutschland ist allen ihren Kontrollverpflichtungen nachgekommen und sie kann nicht dafür in Haftung genommen werden, dass Einzelne unter Verletzung gesetzlicher Vorschriften die verbreche- rischen Methoden eines fremden Regimes unterstützen. Die Verantwortung für den verbrecherischen Giftgas- angriff auf Halabja liegt ausschließlich beim irakischen Regime, dessen menschenverachtende Methoden hinrei- chend bekannt sind. Alleine der Umstand, dass im PDS- Antrag nicht mit einer einzigen Silbe auf diese Verant- wortlichkeit hingewiesen wird, macht deutlich, dass sich die PDS einer objektiven Darstellung der Ursachen dieses mörderischen Giftgasangriffes verweigert. Ebenso wenig setzt sich die PDS mit dem herrschenden System im Irak auseinander, obwohl die für den Giftgasangriff Verant- wortlichen noch immer den Irak beherrschen, das Volk unterdrücken und den Menschen im Irak in erheblichem Umfange die zum täglichen Leben notwendigen Güter, Lebensmittel und Medikamente vorenthalten. Im Zusammenhang auch mit einem früheren von der PDS zur Irakproblematik gestellten Antrag muss man den Eindruck gewinnen, dass die PDS die Verantwortlichen für die Menschenrechtsverletzungen im Irak, für den Überfall auf Kuwait und die Bedrohung der arabischen Nachbarn nicht bei der im Irak herrschenden Diktatur, sondern überall sonst wo sucht. Eine solche Haltung, die sich an den wahren Ursachen für die Leiden der Men- schen vorbeimogelt, kann nicht hingenommen werden. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 159. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. März 2001 15587 (C) (D) (A) (B) Im Übrigen bleibt festzuhalten, dass sich die Bundes- republik Deutschland unabhängig von jeweiligen Regie- rungsmehrheiten entschieden gegen jede Verbreitung von Massenvernichtungswaffen eingesetzt hat und durch Exportkontrollen das ihr Mögliche tut, um die Lieferung von zur Waffenproduktion geeignetem Material zu unter- binden. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird den Antrag der PDS ablehnen. Gudrun Kopp (F.D.P.):Der Rachefeldzug des Saddam Hussein gegen die kurdische Bevölkerung von Halabja, die systematische Ermordung von über 5 000 Kurden und die Verschleppung von Frauen und Kindern aus der Re- gion, wird sicherlich als eines der schlimmsten Verbre- chen in die Geschichte der Schreckensherrschaft des Dik- tators von Bagdad eingehen. Hierauf und auf andere massive Verletzungen des Völkerrechts durch den Irak hat die Staatengemeinschaft mit militärischen Interven- tionen und mit politischen und wirtschaftlichen Sanktio- nen reagiert. Doch alle Strafmaßnahmen haben bislang leider nicht verhindern können, dass Saddam Hussein seine Lands- leute nach wie vor unterdrückt und sein Land weiter in die internationale Isolation treibt. Dass die Sanktionen bis- lang nicht die gewünschte Wirkung gehabt haben, liegt vor allem daran, dass die Saddam-Clique es versteht, sich durch illegale Ölverkäufe Milliardenbeträge zur Erhal- tung ihrer eigenen Machtstruktur zu verschaffen, während die Bevölkerung darbt. Die Konsequenz daraus muss je- doch sein, die Sanktionen zu verschärfen, sie zielgerich- teter dort einzusetzen, wo sie unmittelbar die Interessen Saddam Husseins beeinträchtigen, und ihre Umsetzung besser zu kontrollieren. Ihre Aufhebung indessen hätte nur eine Konsequenz: die politische Aufwertung des Sad- dam-Regimes. Daher ist es geradezu grotesk, dass die gleiche PDS-Fraktion, die Saddam Hussein mit dem heute hier vorliegenden Antrag des Völkermords bezichtigt, noch vor wenigen Wochen die Aufhebung der Sanktionen gegen den Irak gefordert hat. Der Antrag geht auf die Mitverantwortung deutscher Firmen für die Produktion von Giftgas im Irak ein. Alle hier im Hause wissen, dass die deutsche Justiz damals je- dem Verdachtsfall rigoros nachgegangen ist und die Ver- antwortlichen zur Rechenschaft gezogen wurden. Die damals schon restriktiven Exportrichtlinien für Rüstungs- güter und so genannte Dual-use-Produkte sind sukzessive weiter verschärft worden. Es kann also überhaupt keine Rede davon sein, dass die damalige Bundesregierung, so wie dies im PDS-Antrag behauptet wird, in irgendeiner Form direkt oder indirekt eine Mitverantwortung für rechtswidrige Machenschaften von einzelnen Unterneh- men trifft. Im Gegenteil: Das große Engagement der da- maligen Bundesregierung hat dazu beigetragen, dass die Vorwürfe schnell und vollständig aufgeklärt und die Täter ihrer Strafe zugeführt werden konnten. Deutschland ist aktiv an dem VN-Programm „Food for Oil“ beteiligt, dessen Ziel es ist, die größte wirtschaftliche Not der irakischen Bevölkerung zu mildern. Dies begrüßt die F.D.P.-Bundestagsfraktion ebenso wie sie sich dort, wo erforderlich, auch für humanitäre Hilfsleistungen für die kurdische Bevölkerungsgruppe im Nordirak einsetzt. Von einer Wiedergutmachungsaktion Deutschlands in ei- ner wie auch immer gearteten Form kann jedoch keine Rede sein. Hierzu besteht auch kein Anlass. Dass sich gerade die PDS-Fraktion 13 Jahre nach dem Massaker von Halabja und der Vertreibung der Kurden aus dieser Region dieses Themas annimmt, zeigt erneut die außenpolitische Ambivalenz und Selektivität der selbsternannten demokratischen Sozialisten. Offensicht- lich liegt der PDS das Schicksal der Kurden deutlich mehr am Herzen als das der Kosovo-Albaner. Noch sehr deut- lich erinnere ich mich an den herzlichen Händedruck zwi- schen Gregor Gysi und Slobodan Milosevic, während gleichzeitig Milosevics Schergen Tausende von Albanern ermordeten und Hunderttausende vertrieben. Eine derar- tige Politik ist an Hypokrisie nicht mehr zu überbieten und ich bin insofern froh, dass die PDS durch ihren Antrag einmal mehr Gelegenheit gegeben hat, dies auch deutlich auszusprechen. Wenn es der PDS schon daran gelegen ist, historische Hintergründe und Verantwortungen zu klären, so muss sie sich auch fragen lassen, inwieweit sie etwa als SED- Nachfolgepartei bereit ist, Verantwortung zu übernehmen für die Politik der Sozialistischen Solidarität der DDR, etwa mit dem Massenmörder Pol Pot, dessen Terror über 1 Million Kambodschanern das Leben gekostet hat. Eine parlamentarische Aufarbeitung dieser und anderer schwe- rer Verfehlungen der DDR-Außenpolitik würde der PDS gut bekommen. Ulla Jelpke (PDS): Die PDS fordert in dem vorlie- genden Antrag, den irakischen Giftgasangriff auf Halabja vom 16. März 1988 als Völkermord einzustufen und hu- manitäre Hilfe für die Opfer des Angriffs zu leisten. Dieser Antrag geht auf zahlreiche Bitten und Schreiben kurdischer Organisationen zurück. Allein in den letzten Tagen habe ich in meinem Büro erneut zahlreiche Schrei- ben von kurdischen Initiativen und Organisationen erhal- ten. Darunter ist zum Beispiel ein Schreiben des Kurdi- schen Nationalkongresses, ein internationaler Aufruf von 64 kurdischen Organisationen aus den Niederlanden, der Bundesrepublik und Australien und natürlich vor allem Schreiben und Aufrufe aus Süd-Kurdistan selbst. Sie se- hen daran: viele Kurdinnen und Kurden erwarten drin- gend eine solche Entscheidung des Bundestags. Auch Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch unterstützen unser Anliegen. Als die PDS den heutigen Antrag einreichte, wusste ich nicht, dass ich mir bald auch direkt ein Bild von der Si- tuation in Halabja machen würde. Das ist inzwischen ge- schehen. Ich war vor wenigen Wochen in Halabja. Ich muss Ihnen sagen: Ich war erschüttert. Die Menschen dort leiden noch heute unter den Folgen des damaligen An- griffs. Dieser Giftgasangriff war in unseren Augen ein- deutig ein Verbrechen des Völkermords. Nach Art. 2 der „Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völ- kermords“ von 1948 bedeutet – ich zitiere –: „Völker- mord eine der folgenden Handlungen, die in der Absicht begangen wird, eine nationale, ethnische, rassische oder Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 159. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. März 200115588 (C) (D) (A) (B) religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zer- stören: a) Tötung von Mitgliedern der Gruppe, b) Verur- sachung von schwerem körperlichem oder seelischem Schaden an Mitgliedern der Gruppe, c) vorsätzliche Auf- erlegung von Lebensbedingungen für die Gruppe, die ge- eignet sind, ihre körperliche Zerstörung ganz oder teil- weise herbeizuführen.“ Mehrere Menschenrechtsorganisationen, darunter etwa Human Rights Watch, sind zu dem Schluss gekommen, dass die von der irakischen Armee an den Kurden während der so genannten „Anfal-Kampagne“ im Jahre 1988 verübten Menschenrechtsverletzungen den Tatbe- stand des Völkermords erfüllen. 5 000 Menschen kamen damals in Halabja qualvoll zu Tode, mehr als 10 000 er- litten infolge des Einsatzes von Senfgas und anderen Ner- vengasen schwerste Verletzungen. Zwischen 50 000 und 100 000 Menschen sind insge- samt bei der „Anfal-Kampagne“ massenhaften Hinrich- tungen und dem „Verschwindenlassen“ zum Opfer gefal- len, darunter zahlreiche Frauen und Kinder. Etwa 2 000 Dörfer wurden zerstört, die Bevölkerung vertrieben. Männer, Frauen und Kinder wurden zu Hunderten unter unmenschlichen Bedingungen in Haft gehalten. Alles das geschah zu dem Zweck, die kurdische Bevölkerung im Norden des Irak, also in Südkurdistan, buchstäblich aus- zulöschen. Etwa 70 Prozent der Giftgasproduktionsanlagen des Irak stammten nach Presseberichten damals aus der Bun- desrepublik. Im August 1990 wurden sieben Mitarbeiter beteiligter deutscher Firmen – ich nenne die Firmen Preussag, W.E.T., Karl Kolb, Pilot Plant – zwar vorüber- gehend festgenommen. Die Verfahren gegen sie wurden aber in den Jahren 1994 bzw. 1996 mit nur ganz geringen Bewährungsstrafen, mit der Einstellung des Verfahrens oder sogar mit Freispruch beendet. Das ist beschämend. Die Hilfsorganisation Medico international hat 1998 eine Liste von 56 weiteren deutschen Firmen veröffent- licht, die zu der irakischen Giftgasproduktion beigetragen haben sollen. Diese Firmen sind dafür bis heute nicht zur Rechenschaft gezogen worden. Ich weiß, die Bundesrepublik hat nach Ende der 80er- Jahre humanitäre Hilfe geleistet. Aber das war viel zu wenig. Ich sagte schon: Ich war vor wenigen Wochen in Ha- labja. Noch immer sind viele Häuser, die 1988 zerstört wurden, nicht wieder aufgebaut. Der Boden, das Grund- wasser sind nicht entseucht. Die Menschen trinken wieder Wasser aus den Brunnen, ohne dass dieses Wasser kon- trolliert wurde, ob es noch giftig ist oder nicht. Auf dem mit Giftgas verseuchten Boden werden wieder Nahrungs- mittel angebaut: Gemüse, Salate und anderes. Vieh wei- det auf dem Gras. Die Menschen in Halabja haben den Eindruck – und das haben sie mir auch deutlich gesagt –, dass die Welt sie wieder vergessen hat. Nach medizinischen Untersuchungen leiden über die Hälfte der heute wieder 50 000 Einwohner von Halabja an Spätfolgen des damaligen Giftgasangriffs. Neben Atem- wegs- und Herzerkrankungen, Asthma, Allergien sowie Lungenkrebs sind in den letzten Jahren vor allem die Fälle von Hautkrebs und Leukämie überproportional gestiegen. Nirgendwo ist die Zahl der Fehlgeburten so hoch wie hier. Die Ärzte berichten von einer alarmierend hohen Zahl von Missbildungen: Kinder mit deformiertem Schädel, offenem Rachen, fehlenden Gliedern. „Das Schlimme ist, dass wir den Frauen nicht helfen können“, zitiert die „ta- geszeitung“ in einem heute erschienenen Bericht den Di- rektor des Krankenhauses von Halabja, Dr. Adil Kerim Fatah. „Deutschland muss die Opfer entschädigen“, for- dert auch dieser Arzt. Dem habe ich nichts hinzuzufügen. Dr. Ludger Volmer, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Wir haben die Lage im Irak bereits Ende Januar aus- führlich diskutiert und sind uns einig: Die humanitäre Si- tuation der Zivilbevölkerung im Irak ist dramatisch schlecht, teilweise menschlich tragisch, nicht nur in Ha- labja, sondern landesweit. Wir dürfen uns aber nicht täu- schen lassen, wer dafür die Verantwortung trägt: Es ist nicht das internationale Sanktionsregime, es ist die poli- tisch unverantwortliche Führung des Landes, die dies in seinen Ruin treibt: das irakische Regime. Dies sind dieje- nigen, die Halabja bombardiert haben, vielleicht nur, um ihr C- und B-Waffenpotenzial militärisch zu testen. Saddam Hussein kämpft einerseits um den innenpoliti- schen Machterhalt, andererseits sucht er eine dominante Rolle in der sensiblen Nahostregion. Er instrumentalisiert auch heute die Lage der eigenen Bevölkerung für sein Machtstreben. Die Bundesregierung hat viel Verständnis für die Kri- tik an der Situation in Halabja und die Sorge um die Be- völkerung im Kurdengebiet im Nordirak. Ich nutze die Gelegenheit, daran zu erinnern, dass die Fraktion der Grünen bereits im Jahr 1988 im Deutschen Bundesstag – Drucksache 11/2247 – den Giftgasmord des Irak in Ha- labja an Tausenden von Kurden verurteilt und die Unter- bindung der Lieferungen von Produktionsanlagen und Chemikalien an Irak verlangt hat. Sie verlangte auch ei- nen verstärkten Einsatz für eine internationale Konven- tion über B- und C-Waffen. Es ist aber der falsche Ansatz, im Jahr 2001 eine Scha- densersatzpflicht der Bundesregierung zu konstruieren und Hussein aus der Verantwortung zu nehmen. Die Bun- desregierung hat seinerzeit Konsequenzen aus dem von der irakischen Seite gezielt betriebenen Missbrauch der zivilen Lieferungen für militärische Zwecke gezogen und das Exportkontrollsystem im Außenwirtschaftsrecht, we- sentlich auf Druck dieses Hauses, verschärft. Die illega- len Lieferungen deutscher Firmen sind von deutschen Ge- richten in aufwendigen Verfahren beurteilt worden. Die heutige erbarmungswürdige Situation der Opfer des ira- kischen Giftgasangriffs auf Halabja wie auch an anderen Orten im Irak wird nicht dadurch verbessert, dass Verant- wortlichkeiten verschoben werden. Nebenbei sei bemerkt, dass die Bundesregierung seit 1991 humanitäre Hilfe für die notleidende kurdische Bevölkerung im Irak leistet – 1991 mehr als 415 Milli- onen DM, von 1993 bis 1997 13 Millionen DM –, zusätz- lich erhebliche finanzielle Beiträge zu den Hilfsmaßnah- men der internationalen Hilfsorganisationen UNHCR, IKRK und UNICEF, zuletzt übrigens im März dieses Jah- res 0,5 Millionen DM. Hinzu kommen Hilfsmaßnahmen, Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 159. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. März 2001 15589 (C) (D) (A) (B) an denen die Bundesregierung über das ECHO-Pro- gramm der EU-Kommission beteiligt ist, wo seit 1991 weitere 170 Millionen DM bereitgestellt wurden. Saddam Hussein hat kein Interesse, die Lage zu ver- bessern. Er nutzt bewusst die Möglichkeiten zur Verbes- serung der Lage der Bevölkerung nicht aus, die das Sank- tionssystem der Vereinten Nationen durch die Resolutionen 661, 986 und auch 1284 bietet, um der in- ternationalen Staatengemeinschaft den schwarzen Peter zuzuschieben. Ich habe dies für die Bundesregierung in meiner Rede vom 25. Januar 2001 hier dargelegt. Wenn uns Halabja eines lehrt, so ist das, dass der Wes- ten Recht hat, wenn er davon ausgeht, dass der Diktator bereit ist, über Leichen zu gehen für seine politischen Ziele, dass er hemmungslos willens und bereit ist, biolo- gische und chemische Waffen einzusetzen, sofern er sie hat. Das ist der Grund für das Sanktionssystem der Vereinten Nationen. Dieser Grund besteht unverändert weiter fort. Dass der Erfolg des Sanktionsregimes begrenzt ist und durch die Maßnahmen des Bagdader Regimes teilweise konterkariert wird, das die eigene Bevölkerung in eine Geiselhaft nimmt, liegt auf der Hand; hierin sind wir uns, denke ich, alle einig. Wir haben dies in verschiedenen Ausschüssen eingehend erörtert. Die Bundesregierung sucht daher nach Lösungen, die die Auswirkungen der Sanktionen auf die Zivilbevölkerung möglichst gering hält. Das „Öl für Lebensmittel“-Programm hat dies effizi- ent nicht erreicht. Im Januar habe ich für die Bundesregierung die Er- wartung ausgedrückt, dass es zu einer Wiederaufnahme des Gesprächsfadens zwischen VN-Generalsekretär und dem Irak kommen möge, der seit der Operation „Wüsten- fuchs“ 1998 abgerissen ist. Nun war der irakische Außen- minister am 26./27. Februar in New York. Statt einer konstruktiven Herangehensweise war er der Meinung, Irak habe alle Sanktionen erfüllt, und fordert: eine bedin- gungslose Aufhebung aller Sanktionen, bevor eine Ko- operation mit dem VN-Überwachungsmechanismus in Frage komme, sowie die Aufhebung der Flugverbotszo- nen, die sofortige Einstellung der Kontrollflüge. Der Rüs- tungsüberwachung will er nur zustimmen, wenn die ge- samte Region, insbesondere Israel, einbezogen werde. Dadurch macht der Irak alle Überlegungen, eventuell einer Aussetzung der Sanktionen auf „Bewährung“ für sechs Monate, selbst zunichte. Wir haben nach Kräften eine politische Lösung des Irak-Problems unterstützt und dies gegenüber den fünf ständigen Mitgliedern des VN- Sicherheitsrats und der irakischen Seite vertreten; unser Einfluss im Sicherheitsrat ist, wie jeder weiß, mangels ei- ner deutschen Mitgliedschaft begrenzt. Der neue US-Außenminister Powell hat Überlegungen angestellt, wie man erreichen kann, dass der Ansatz des Sanktionssystems wieder verstärkt auf die Einhaltung der Abrüstungsverpflichtungen gelegt werden kann, ohne dass das irakische Regime dies konterkariert. Es bleibt ab- zuwarten, wie sich dies in konkrete Initiativen des Si- cherheitsrats entwickeln wird. Die Bundesregierung setzt sich verstärkt auch für eine grundsätzliche Überprüfung und Verbesserung des Sank- tionsinstrumentariums der Vereinten Nationen ein. Es muss vermieden werden, dass Sanktionen entweder die gewünschte Wirkung, nämlich das Einlenken derer, die Stabilität und Frieden einer Region bedrohen, nicht errei- chen oder dass sie Nebenwirkungen entfalten, die unver- hältnismäßig erscheinen oder zu humanitären Tragödien führen. Mit zwei Konferenzen in Bonn 1999 und Berlin 2000 haben wir deshalb die Initiative zu zielgerichteteren Sanktionen, zu so genannten smart sanctions, im Bereich von Waffenembargos und von Reise- und Luftverkehrs- beschränkungen ergriffen. Dies hat einerseits in den Ver- einten Nationen einen starken Denkanstoß gegeben und die Diskussion über größere Sanktionseffizienz ange- stoßen; es hat andererseits unserem Ansehen in den VN genutzt. Als Resultat dieses so genannten Berlin-Bonn- Prozesses wird demnächst ein Handbuch zur Abfassung solcher auf die Eliten der betroffenen Regime zielenden Resolutionen vorgestellt werden. Zielgerichtete, „smarte“ Sanktionen sollen weitgreifende Embargos möglichst verhindern und die Zivilbevölkerung möglichst aussparen. Eine Feinabstimmung von Sanktionen – wie Kofi Annan hervorhob – stellt kein Einknicken vor dem Ver- letzer dar, sondern ist das Zeichen eines verantwortlichen Umgangs der internationalen Staatengemeinschaft mit den Zwangsmaßnahmen, die eine Friedensbedrohung verhindern oder unterbinden sollen. Anlage 7 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner 760. Sitzung am 9. März 2001 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzu- stimmen, bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 Grundgesetz zu stellen: – Gesetz zu den Änderungen vom 1. Oktober 1999 der Satzung der Internationalen Atom- energie-Organisation – Gesetz zu dem Zusatzabkommen vom 19. Mai 1999 zum Europipe-Abkommen vom 20. April 1993 zwischen der Bundesrepublik Deutsch- land und dem Königreich Norwegen über den Transport von Gas durch eine neue Rohrlei- tung (Europipe II) vom Königreich Norwegen in die Bundesrepublik Deutschland – Gesetz zu dem Europäischen Übereinkommen vom 5. März 1996 über die an Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschen- rechte teilnehmenden Personen – Gesetz zur Änderung der Europäischen Sozial- charta – Gesetz zu dem Vertrag vom 3. Juni 1999 zwi- schen derBundesrepublik Deutschland und der Tschechischen Republik über das Grenzurkun- denwerk der gemeinsamen Staatsgrenze – Gesetz über Rahmenbedingungen für elektro- nische Signaturen und zur Änderung weiterer Vorschriften Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 159. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. März 200115590 (C) (D) (A) (B) – Gesetz zur Reform und Verbesserung der Ausbil- dungsförderung – Ausbildungsförderungsre- formgesetz (AföRG) – Sechzehntes Gesetz zur Änderung des Bundes- wahlgesetzes Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mit- geteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Innenausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über den Stand derAbwick- lung des Fonds fürWiedergutmachtungsleistungen an jü- dische Verfolgte – Drucksache 14/4264 – Haushaltsausschuss – Beratung der Unterrichtung durch die Präsidentin des Bun- desrechnungshofes als Vorsitzende des Bundesschuldenaus- schusses Bericht des Bundesschuldenausschusses über seine Tätig- keit sowie die Verwaltung derBundesschuld im Jahre 1999 – Drucksache 14/5059 – Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutsch- lands 1999 und Stellungnahme der Bundesregierung – Drucksache 14/2957 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bundesbericht Forschung 2000 – Drucksachen 14/4229 – Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mit- geteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden EU-Vorla- gen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Parla- ment zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat. Ausschuss fürWirtschaft und Technologie Drucksache 14/5172 Nr. 2.25 Drucksache 14/5172 Nr. 2.37 Drucksache 14/5172 Nr. 2.81 Drucksache 14/5172 Nr. 2.82 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 159. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. März 2001 15591 (C)(A) Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin
Gesamtes Protokol
Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415900000
Guten Morgen, liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, müssen wir
einen Geschäftsordnungsantrag behandeln. Die Frak-
tion der CDU/CSU hat fristgerecht beantragt, die heutige
Tagesordnung zu erweitern um die Beratung ihres Antra-
ges auf sofortige Entlassung des Bundesministers für
Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Jürgen
Trittin, Drucksache 14/5573. Der Antrag soll mit einer
Debattenzeit von einer Stunde beraten werden.

Das Wort zur Geschäftsordnung hat Herr Merz für die
CDU/CSU-Fraktion.

Friedrich Merz (CDU/CSU) (von der CDU/CSU mit
Beifall begrüßt): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Da-
men und Herren! Wir stellen heute den Antrag auf sofortige
Entlassung des Bundesumweltministers Jürgen Trittin.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Herr Trittin hat am Dienstag dieser Woche in einem

Rundfunkinterview mit dem Westdeutschen Rundfunk er-
klärt, –


(Zurufe von der CDU/CSU: Lauter! – Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Sabotage!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415900100
Ich bitte die Technik,
die Mikrofone lauter zu stellen.


Friedrich Merz (CDU):
Rede ID: ID1415900200
– der Generalsekretär
der CDU Deutschlands, Herr Laurenz Meyer, habe das
Aussehen und die Mentalität eines Skinheads.


(Zurufe von der CDU/CSU: Pfui!)

Nach dieser unglaublichen Entgleisung hat er sich nach
mehrfachem Drängen, unter anderem des Bundeskabi-
netts und des Bundeskanzlers, bei Laurenz Meyer per-
sönlich entschuldigt. Laurenz Meyer hat diese Entschul-
digung angenommen.

Es bleibt der Brief, den Herr Trittin geschrieben und
den er nicht zurückgenommen hat. In diesem Brief hat er

auf einen Satz Bezug genommen, mit dem Willy Brandt
im Jahre 1972 den Bundestagswahlkampf bestritten hat.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das glauben Sie aber allein!)


Willy Brandt hat 1972 im Bundestagswahlkampf plaka-
tiert: „Deutsche, wir können stolz sein auf unser Land.“


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Abg. Michael Glos [CDU/CSU] hält ein Plakat hoch)


Meine Damen und Herren von der rot-grünen Koali-
tion, ich frage Sie: Was ist an diesem Satz 30 Jahre später
eigentlich rassistisch oder rechtsradikal?


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Wenn Herr Trittin zu diesem Satz heute wörtlich sagt:
„Das ist so die Flachheit, der geistige Tiefflug, der jeden
rassistischen Schläger in dieser Republik auszeichnet“,
dann offenbart er damit nicht nur seine eigene Haltung
diesem Land gegenüber, dem zu dienen er sich verpflich-
tet hat. Wer so formuliert, setzt sich auch dem unwider-
legbaren Verdacht aus, den Rechtsradikalismus in der
Bundesrepublik Deutschland zu instrumentalisieren


(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

im Streit der demokratischen Parteien untereinander.


(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Ein solcher Satz ist bei Herrn Trittin kein einmaliger
Ausrutscher oder eine Entgleisung, wie auch zahlreiche
andere Äußerungen zuvor: gegenüber der Bundeswehr,
gegenüber der Christlich-Demokratischen und der Christ-
lich-Sozialen Union und auch gegenüber dem Sohn eines
Opfers terroristischer Gewalt in Deutschland. Wer immer
wieder demokratische Parteien und Institutionen in unse-
rem Land so angreift, so diffamiert, so herabsetzt, der ver-
lässt die Gemeinsamkeit der Demokraten im Kampf ge-
gen politischen Radikalismus und schlägt sich auf die
Gegenseite.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


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(C)



(D)



(A)



(B)


159. Sitzung

Berlin, Freitag, den 16. März 2001

Beginn: 9.00 Uhr

Sie, Herr Kollege Struck von der SPD, haben ein Amt
inne, das über viele Jahre von Kurt Schumacher ausgeübt
wurde

(Zurufe von der SPD: Oh! – Rezzo Schlauch [BÜND NIS 90/DIE GRÜNEN]: Na, sag mal!)

– diese Reaktionen aus Ihren Reihen sprechen Bände –,


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

einem Mann, der nie Zweifel daran gelassen hat, dass die
Demokraten in diesem Land gegen jeden Radikalismus in
Deutschland, ob von rechts oder von links, zusammen-
stehen müssen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Peter Dreßen [SPD]: Auf einmal? Warum habt ihr ihn denn so diffamiert?)


Ich appelliere deswegen heute Morgen an Sie, Herr
Kollege Struck, von dieser Stelle aus zu erklären, dass wir
den gemeinsamen Auftrag haben, politischen Radikalis-
mus von rechts und links auch in Zukunft gemeinsam zu
bekämpfen, und dass ein Mann wie Jürgen Trittin auf der
Bank der Bundesregierung der Bundesrepublik Deutsch-
land nichts zu suchen hat.


(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU – Beifall bei der F.D.P. – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Frau Präsidentin, das geht so nicht!)


Ich appelliere an Sie, heute Morgen von dieser Stelle aus
keine Geschäftsordnungsdebatte zu führen, sondern ein
Zeugnis abzulegen, dass es Ihnen im Kampf gegen den
Rechtsradikalismus in Deutschland wirklich Ernst ist.


(Lebhafte Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich appelliere an Sie, unserem Antrag auf Entlassung von
Jürgen Trittin als Mitglied der Bundesregierung der Bun-
desrepublik Deutschland zuzustimmen.


(Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/ CSU und der F.D.P. – Beifall auf der Besuchertribüne)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415900300
Erstens möchte ich
die Besucher darauf hinweisen, dass es nicht gestattet ist,
zu klatschen oder Missfallensbekundungen von sich zu
geben.

Zweitens möchte ich darauf hinweisen, dass wir noch
in der Geschäftsordnungsdebatte sind, bei der jeder Red-
ner fünf Minuten Redezeit hat. Die andere Debatte würde
sich anschließen.

Unter dem noch immer anhaltenden Beifall hat nun der
Kollege Wilhelm Schmidt für die SPD-Fraktion das Wort.

Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD) (von der SPD
sowie von Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN mit Beifall begrüßt): Vielen Dank für den Bei-
fall. – Herr Kollege Merz, ich will zunächst bekräftigen,
dass es natürlich die gemeinsame Arbeit dieses Hauses ist
und bleibt, die Radikalen in diesem Lande zu bekämpfen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Nur hat dieser Vorgang, den Sie hier heute auf die Tages-
ordnung zu setzen versuchen, damit überhaupt nichts zu tun.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Lebhafter Widerspruch bei der CDU/CSU)


Wenn Sie uns über das Plakat aus alten Wahlkampfzei-
ten mit dem Spruch von Willy Brandt klarzumachen ver-
suchen, dass auch wir in der SPD immer wieder betont
hätten, dass wir auf dieses Land stolz sind und dass alle
Deutschen stolz auf dieses Land sein sollten, dann weisen
Sie ja auf etwas völlig Richtiges hin. Aber Sie müssen
auch die Zusammenhänge beachten,


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


die bei Willy Brandt eine Rolle gespielt haben – er wollte
auf die neue Friedenspolitik hinweisen und dazu auffor-
dern, auf die Friedenspolitik Deutschlands stolz zu sein –,
und dürfen nicht falsche Verbindungen zu bestimmten
Personen und Personengruppen herstellen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Insofern bleibt es dabei: Auch wir sind stolz darauf, Deut-
sche zu sein, und fordern alle Deutschen auf, stolz zu sein.


(Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Aber die Art und Weise des Zusammenhangs muss dabei
auch immer wieder klar sein.

Meine Damen und Herren, worum geht es hier? Es geht
um Äußerungen des Bundesumweltministers, zu denen
ich für mich und meine Fraktion sage: Herr Trittin, mit
Verlaub, so hätten wir sie nicht gemacht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Das ist windig!)


Ich füge hinzu: nicht nur aus Überzeugung in der Sache,
sondern schon allein, um Plakat-Meyer nicht Gelegenheit
zu geben, mit seinen schmutzigen Fingern auf andere zu
zeigen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hans-Peter Repnik [CDU/ CSU]: Sie machen die Geschichte noch schlimmer!)


Nun hat sich Herr Trittin in der Öffentlichkeit und mit
allem Nachdruck für diese Äußerung entschuldigt.


(Lachen bei der CDU/CSU – Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Wo?)


– Wenn Sie keine Fernsehsendungen sehen, kann ich Ih-
nen auch nicht helfen. Das Entscheidende ist, dass er es ge-
tan und seine Entschuldigung noch einmal bekräftigt hat.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Er hat sich in der Substanz der Sache nicht entschuldigt! Er hat seine Anwürfe sogar bekräftigt! – Gegenruf des Abg. Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Meyer hat die Entschuldigung doch akzeptiert!)





Friedrich Merz
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(C)



(D)



(A)



(B)


– Frau Präsidentin, darf ich vielleicht weiterreden?
Die Tatsache, dass er sich entschuldigt hat, muss doch

auch bei einem verbalen Missgriff die Möglichkeit bieten,
nun wieder die gemeinsame Grundlage der Demokraten,
wenn Sie sie schon in dieser Weise strapazieren, zurück-
gewonnen zu haben.


(Zuruf von der CDU/CSU: Herr Trittin ist unverbesserlich!)


Das stellen wir für uns jedenfalls mit Nachdruck fest: Herr
Trittin ist an der Stelle wieder auf den Boden der Ge-
meinsamkeit zurückgekehrt, wenn er ihn denn durch seine
Äußerung verlassen haben sollte.


(Widerspruch bei der CDU/CSU)

Nun sage ich Ihnen eines: Herr Trittin hat sich ent-

schuldigt. Ich will jetzt gar nicht die ganze Latte der
Äußerungen und Vorgänge hier vorlesen, für die sich Ver-
treter der CDU/CSU noch immer entschuldigen müssen
und es bis heute nicht getan haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Aber es gehört schon in diesen Zusammenhang, festzu-
halten, dass sich weder Frau Merkel noch Herr Meyer
selbst für dieses unsägliche Wahlkampfplakat entschul-
digt haben, das dann zurückgezogen worden ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Auch hat sich Herr Meyer nicht dafür entschuldigt, dass
er folgende Äußerung gegenüber dem Bundesaußenmi-
nister gemacht hat:

Wir wissen nicht, wie man Hooligans erklären soll,
wo der Unterschied liegen soll zu Menschen wie
Joschka Fischer.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


– So habe ich Sie eingeschätzt: mit genau dieser unter-
schiedlichen Wahrnehmung von Wahrheit.


(Brigitte Adler [SPD]: Unerträglich!)

Dies ist das Unerträgliche an Ihrem Vorgehen, meine Da-
men und Herren von der CDU/CSU, und das machen wir
nicht mit.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Barbara Höll [PDS])


Wenn der Kollege Repnik in diesen Tagen Bundes-
kanzler Schröder einen „Häuserdieb“ nennt – –


(Dr. Peter Struck [SPD]: Unglaublich! – Zuruf von der CDU/CSU)


– Ja, genau, wieder der typische Zwischenruf von Ihrer
Seite! So sind Sie: Moralapostel nur an der Stelle, an der
Sie es für richtig halten.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit einem Heiligenschein auf der Stirn!)


Das machen wir nicht mit.
Ich will Ihnen in Erinnerung rufen, dass Plakat-Meyer

auch die Gesundheitsministerin persönlich diskriminiert
und beleidigt hat.


(Iris Gleicke [SPD]: Das ist wahr!)

Ich will Ihnen in Erinnerung rufen, dass Herr Hollerith
gestern in einer Sitzung dieses Parlaments den Bundes-
kanzler in seiner Rede zweimal als Lügenkanzler be-
zeichnet hat.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Vor diesem Hintergrund blasen Sie sich bitte nicht er-
neut in einer Weise auf, die ich für unerträglich halte.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Herr Trittin hat sich entschuldigt. Wir akzeptieren diese
Entschuldigung


(Josef Hollerith [CDU/CSU]: Er hat sich nicht entschuldigt!)


und lehnen deswegen die Debatte darüber und erst recht
die Entlassung von Bundesminister Trittin ab.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415900400
Für die F.D.P. erteile
ich Dr. Guido Westerwelle das Wort.

Dr. Guido Westerwelle (F.D.P.) (von der F.D.P. so-
wie von Abgeordneten der CDU/CSU mit Beifall be-
grüßt): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen
und Herren! Die Fraktion der Freien Demokraten unter-
stützt den Antrag, den Bundesumweltminister zu entlas-
sen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es wird immer so sein, dass in politischen Debatten
hart gekämpft wird. Es wird nicht immer nur mit dem
Florett gefochten, sondern oftmals auch mit dem Säbel.
Aber seinen politischen Gegner als Skinhead zu bezeich-
nen, das ist eine unvergleichliche Verrohung der deut-
schen Politik, die dem Ansehen des ganzen Parlamentes
schadet.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Es geht doch nicht nur um die Entgleisung; es geht

auch um den Geist, der hinter dieser Einschätzung steht.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Man wird in die rechtsradikale Ecke geschickt, nur weil
man ein Stück Patriotismus empfindet. Deswegen sage
ich hier jedenfalls für mich: Auch ich bin stolz auf unser
Land; aber ich verbitte mir, deswegen in die Nähe ir-
gendwelcher rechtsradikaler Schläger gebracht zu wer-
den.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)





Wilhelm Schmidt (Salzgitter)


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(C)



(D)



(A)



(B)


Nur weil es einige Minister der Bundesregierung bis
heute noch nicht einmal fertig bringen, die National-
hymne zu singen,


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

bin ich nicht bereit, mir auch eine gehörige Portion eige-
ner Einstellung zu unserem Vaterland nehmen zu lassen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: So weit zur Liberalität, Herr Westerwelle!)


Ich bin stolz auf die Deutschen, die vor elf Jahren fried-
lich, mit der Kerze in der Hand, die Einheit Deutschlands
geschaffen haben.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Was hat denn das mit diesem Thema zu tun? Das ist ja unmöglich!)


Ich bin stolz auf die Deutschen, die unser Land als Bun-
deswehrsoldaten bei Friedenseinsätzen der Vereinten Na-
tionen vertreten.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Es ist nicht zulässig, dass jemand, der hier Verfas-

sungspatriotismus und Stolz auf das eigene Land artiku-
liert, in einer solchen Weise diffamiert wird. In Amerika,
in Frankreich, in Belgien, in Italien, in Spanien, in Eng-
land würden solche Politiker nicht einmal auf die Regie-
rungsbank kommen. Sie müssen deswegen hier auch end-
lich entlassen werden.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Kolleginnen und Kollegen von der SPD, man merkt Ih-

nen doch geradezu das körperliche Unwohlsein an,

(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Bei Ihrer Rede!)

wenn es um Herrn Trittin geht. Sie haben völlig Recht da-
bei; denn dieses Plakat, das hier gerade gezeigt worden ist
und bei dem es um Willy Brandt und seine Zeit geht, ist
Ausdruck einer Politik, die jedenfalls ich als Liberaler
auch im Nachhinein noch als richtig empfinde. Dass Sie
sich heute davon distanzieren, ist bedauerlich.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist doch nicht liberal! Wir distanzieren uns von Ihnen! – Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Sie sind doch nicht liberal!)


Das sage ich als jemand, der, als dieses Plakat von Herrn
Meyer geklebt worden ist, noch in der selben Stunde er-
klärt hat, dass dieses Plakat aus der Welt geschaffen wer-
den muss.


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Das ist auch eine Geisteshaltung!)


Ich sage Ihnen dazu: Es ist nicht in Ordnung, wenn wir in
der Politik uns mit Skinheads vergleichen oder auf Plaka-
ten zur Fahndung ausschreiben oder wenn aus Bayern ir-
gendwelche Nazi-Analogien gezogen werden.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ja, zum Beispiel!)


Ich sage Ihnen: Es schlägt nicht nur auf die Partei und den
Politiker zurück, der das tut, sondern schadet auch der Po-
litik und dem Ansehen der Demokratie insgesamt, wenn
solche Entgleisungen stattfinden.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, ich glaube, dass es um das

Ansehen von uns allen in der Welt geht. Deswegen
möchte ich hier klar betonen: Dies ist weit mehr als eine
Stilfrage. Es geht um das Selbstverständnis von Demo-
kraten und Demokratien. Es wäre zumindest angebracht,
über diesen Antrag eine ordentliche Debatte zu führen.
Dass Sie diese Debatte abwürgen, zeigt in Wahrheit nur,
dass Sie sich ihr nicht stellen wollen, und zwar aus Ängst-
lichkeit gegenüber der Öffentlichkeit. Deswegen wollen
Sie hier eine solche Debatte verhindern.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Völlig überzogen!)


Zum Schluss möchte ich Sie, Herr Kollege Metzger, zi-
tieren. Sie haben vor einiger Zeit über Herrn Trittin ge-
sagt, die Grünen würden einen Befreiungsschlag erleben,
wenn Jürgen Trittin selbst den Hut nähme. Herr Kollege
Metzger, Sie haben Recht, Sie haben ausdrücklich Recht!
Aber nicht nur Sie als Grüne würden einen Be-
freiungsschlag erleben.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Auch unser Land!)


Wir insgesamt in Deutschland wären froh, wenn wir nicht
von einem Mann repräsentiert würden, der aus lauter Ver-
klemmtheit nicht einmal den Satz hinbringt: „Wir sind
stolz auf unser eigenes Land.“ – Wir sind stolz auf unser
Land!


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415900500
Für das Bünd-
nis 90/Die Grünen erteile ich der Kollegin Katrin Göring-
Eckardt das Wort.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Kollegen! Worum geht es hier heute?


(Zurufe von der CDU/CSU und der F.D.P.: Um Trittin!)


Es geht erstens um die politische Kultur in diesem Land.
Dazu gehören nicht Doppelzüngigkeit und scheinheilige
Moral.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Zweitens geht es um mittelenglische Umgangsformen,
falls Sie das als Teil deutscher Anstandskultur akzeptieren
können.

Wir leben natürlich in einer Mediengesellschaft. Aber
das darf uns nicht Anlass geben zu einer Hau-drauf-Rhe-




Dr. Guido Westerwelle
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(C)



(D)



(A)



(B)


torik, wie sie in den letzten Monaten besonders von Ihnen
von der CDU/CSU praktiziert worden ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Nun sagt Herr Meyer, dass man mit Inhalten keine
Wahlen gewinnen könne und vor allem an den Stammti-
schen verstanden werden müsse. Dass die Union seit Mo-
naten nicht in der Lage ist, einen einzigen inhaltlichen An-
griff gegen die Regierung zu formulieren, das ist für uns
erst einmal ein Lob. Wie Sie allerdings versuchen, Hoheit
über die Stammtische zu gewinnen, das bereitet nicht nur
mir ernsthaft Sorge.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sollten trotz die-
ser etwas aufgeregten Stimmung in diesem Hause einen
Moment in uns gehen: Wenn Sie den Satz „Ich bin stolz,
ein Deutscher zu sein“ hören und ehrlich sind, woran den-
ken Sie?


(Michael Glos [CDU/CSU]: An Willy Brandt! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU – Abg. Michael Glos [CDU/CSU] hält ein Plakat hoch)


Denken Sie wirklich an die Heimatliebe von Laurenz
Meyer oder denken Sie vielleicht auch an diejenigen in
diesem Land, die diesen Satz immer wieder miss-
brauchen?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD –Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wir lassen Willy Brandt auch nicht durch das Hochhalten eines Plakates durch Herrn Glos beleidigen!)


Sicher, wir sollten den Stolz auf unsere Heimat nicht
den Rechten und den Deutschtümelanten überlassen. Hei-
mat, das ist mehr, als sich an Parolen anzuschließen. Hei-
mat, das sind Orte und Gegenden, die wir lieben, das sind
Menschen, bei denen wir uns zu Hause fühlen. Wenn aber
ein solcher Satz im Sinne von „Andere gehören nicht
dazu; die wollen wir nicht hier haben und die wollen wir
ausschließen“ gebraucht wird, dann ist das ein Fehler. Das
kritisieren wir.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Da wir alle über die rasante Zunahme von rechtsextre-
men Straftaten und von rechtem Gedankengut bis hinein
in die Mitte der Gesellschaft, bis in die Wohn- und Klas-
senzimmer, besorgt sind, müssen wir in unserem Sprach-
gebrauch sorgfältig und genau sein. Das sollten wir von-
einander verlangen können.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir brauchen einen Umgang miteinander, der das ge-
währleistet.

Daher hat sich Jürgen Trittin entschuldigt. Denn auf ei-
nen so groben Klotz wie Laurenz Meyer gehört kein
grober Keil. Er hat eingestanden, dass er einen Fehler ge-
macht hat. Er hat seine Äußerung zurückgenommen, und

er hat sich bei Laurenz Meyer auch ganz persönlich ent-
schuldigt.

Damit sind wir dann bei den mittelenglischen Um-
gangsformen: Wenn sich jemand entschuldigt, wer ent-
scheidet dann darüber, ob eine Entschuldigung gilt? Wenn
sich jemand entschuldigt, wenn jemand sagt, er habe ei-
nen Fehler gemacht, dann, so denke ich, ist klar: Damit ist
der persönliche Angriff erledigt.


(Beifall des Abg. Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD])


Wilhelm Schmidt hat hier eine ganze Reihe von Äuße-
rungen vorgetragen, für die sich bis heute niemand ent-
schuldigt hat. Dass Edmund Stoiber gestern nach der De-
batte, die wir hier hatten, Renate Künast Agrarnationalismus
und Reichsnährstandspolitikvorgeworfen hat,


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Buh! Das ist unanständig!)


ist so unterirdisch, dass es einer Entschuldigung bedarf,
und die wollen wir von Ihnen verlangen. Oder sagen Sie,
Edmund Stoiber muss entlassen werden?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Dabei geht es ausdrücklich nicht um Aufrechnen, son-
dern es geht um eine Abwärtsspirale der politischen Kul-
tur, die Sie in Gang gesetzt haben und von der wir sagen
müssen: Diese Abwärtsspirale der politischen Kultur
muss endlich ein Ende haben! Wenn wir für unsere De-
mokratie werben wollen, wenn wir dieser Demokratie
würdig sein wollen und wenn wir die Politikverdrossen-
heit in diesem Lande bekämpfen wollen. dann bedeutet
das: Wir brauchen einen vernünftigen Umgang miteinan-
der. Wir brauchen dabei Anstand, keine doppelte Moral.

Dafür ist eine Debatte über eine Entlassungsforderung
der völlig falsche Ort. Ich kann Sie nur auffordern, diese
Diskussion mit uns an einem vernünftigen Ort und auf
vernünftige Art und Weise zu führen.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415900600
Für die PDS erteile
ich der Kollegin Dr. Heidi Knake-Werner das Wort.


Dr. Heidi Knake-Werner (PDS):
Rede ID: ID1415900700
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Ich persönlich – und
ich denke, viele meiner Fraktionskolleginnen und -kolle-
gen werden mir darin zustimmen – halte die Angriffe von
Umweltminister Trittin auf den Generalsekretär der CDU,
Laurenz Meyer, für eine sprachliche Entgleisung.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Das kann einem passieren und der politische Anstand ge-
bietet eine Entschuldigung. Jürgen Trittin hat sich im Ge-
gensatz zu vielen, die sich heute so entrüsten, entschul-
digt.




Katrin Göring-Eckardt

15535


(C)



(D)



(A)



(B)


Diese Art der politischen Auseinandersetzung trägt mit
dazu bei, dass die politische Kultur in diesem Lande und
auch in diesem Hause verhunzt wird.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich glaube aber, dass gerade Politiker, insbesondere Re-
gierungsmitglieder,


(Michael Glos [CDU/CSU]: Obwohl er bei euch abtrünnig geworden ist!)


hier eine besondere Verantwortung tragen, und davon ist
bei Jürgen Trittin häufig leider wenig zu spüren.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Anders geht es uns mit der inhaltlichen Zuspitzung in

Trittins Äußerungen. Wir denken, liebe Kolleginnen und
Kollegen von der CDU/CSU, dass das eigentliche Pro-
blem für Sie nicht Umweltminister Trittin ist. Ihr Problem
ist Laurenz Meyer, Ihr Generalsekretär!


(Beifall bei der PDS und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Äußerungen von Laurenz Meyer aus dem Konrad-
Adenauer-Haus sind doch kein Betriebsunfall.


(Peter Dreßen [SPD]: Ein System ist das!)

Es ist nicht das erste Mal, dass sich Ihr Generalsekretär als
Stichwortgeber deutschtümelnden rechten Gedankenguts
betätigt.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wer vor einigen Monaten die Debatte um deutsche
Leitkultur angestoßen hat und in diesem Kontext heute er-
klärt, dass er stolz ist, ein Deutscher zu sein – und diese
Parole ist nun wirklich besetzt –, der präzisiert doch noch
im Nachhinein die Richtung seiner Leitkulturdebatte un-
missverständlich.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wer das macht, der zielt natürlich auf die Lufthoheit
über den Stammtischen. Wer das macht, der bedient dabei
genau den rechten Sumpf, den wir gemeinsam trockenle-
gen wollten. Es ist eben immer wieder Laurenz Meyer, der
diese Gemeinsamkeit auf eine harte Probe stellt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, jemand, der von sich
sagt, dass er in der politischen Auseinandersetzung den
Säbel dem Florett vorzieht, der muss auch mit scharfem
Klingenkreuzen rechnen.


(Beifall bei der PDS)

Kollege Glos, man muss die Äußerungen von Laurenz

Meyer in Zeit und Raum sehen, und deswegen tut es mir
Leid: Das offenbar aus Ihrem Wohnzimmer mitgebrachte
Plakat ist heute einfach völlig fehl am Platz.


(Beifall bei der PDS und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ NEN – Lachen bei Abgeordneten der CDU/ CSU)


Wir, die PDS, werfen Jürgen Trittin vor, dass er es mit
seinen unqualifizierten Angriffen der CDU/CSU leicht
macht, sich aus dem Bemühen um einem breiten gesell-
schaftlichen Konsens gegen Rechtsextremismus zu
verabschieden.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS und der SPD)


Warum unterzeichnen Sie denn nicht den Antrag, den wir
in der nächsten Sitzungswoche gemeinsam diskutieren
werden? Warum ziehen Sie sich aus diesem Konsens he-
raus? Trittin schadet mit seinen Äußerungen allen, die mit
großem Engagement gegen rechtsextremistische Ent-
wicklungen kämpfen. Das ist das eigentlich Ärgerliche.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)


Zum Schluss, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
CDU/CSU: Ich bin mir, ehrlich gesagt, völlig unsicher, ob
Sie Ihren Antrag wirklich ernst meinen. Denn ich glaube
nicht, dass Sie daran interessiert sein können, Jürgen
Trittin als Minister loszuwerden.


(Heiterkeit und Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD – Lachen bei der CDU/CSU)


Mit seiner Politik, mit der es ihm auf erstaunliche Weise
gelingt, die Kernkraftindustrie und die Kernkraftgegner
gleichzeitig zu bekämpfen, sind Sie offensichtlich so un-
zufrieden nicht – jedenfalls nicht so wie mit seiner Person.
Jemand wie Trittin ist doch für Sie immer ein willkom-
mener Anlass, über Regierungsmitglieder statt über Re-
gierungspolitik zu streiten.


(Beifall bei der PDS und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das hilft eben einer Oppositionspartei, die so konzepti-
onslos agiert wie die CDU/CSU. Deshalb lehnen wir
Ihren Antrag ab.

Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415900800
Wir kommen nun zur
Abstimmung über den Aufsetzungsantrag der Fraktion
der CDU/CSU. Wer stimmt für diesen Aufsetzungsan-
trag? –


(Zurufe von der CDU/CSU und der F.D.P.: Mehrheit!)


Wer stimmt dagegen? –

(Zurufe von der SPD: Mehrheit!)


Der Sitzungsvorstand ist sich nicht einig. Deswegen wie-
derholen wir die Abstimmung. Wer ist für den Aufset-
zungsantrag? – Wer stimmt dagegen? –


(Zurufe von der CDU/CSU: Die Minderheit! – Hammelsprung!)





Dr. Heidi Knake-Werner
15536


(C)



(D)



(A)



(B)


Der Sitzungsvorstand ist sich nicht einig. Damit kommen
wir zum Hammelsprung. Ich fordere die Mitglieder des
Bundestages auf, den Sitzungssaal zu verlassen, und bitte,
die Türen zu schließen, sobald das geschehen ist.

Ich eröffne den Hammelsprung und bitte, die Türen zu
öffnen. – Ich hoffe, dass das draußen in der Lobby ver-
standen wird. – Gut.

Dann ist die Auszählung eröffnet.
Ich frage jetzt nach, ob noch weiter gezählt wird, ob

also noch Kolleginnen und Kollegen kommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie sich hin-

setzen, wird die Sache übersichtlicher. Ich habe die Aus-
zählung noch nicht abgeschlossen. Wir warten, bis der
letzte Abgeordnete hereingekommen ist.

Ich frage noch einmal in die Lobby hinein: Sind alle
Abgeordneten nun wieder im Saal? – Das ist der Fall.
Dann schließe ich die Auszählung. Die Schriftführerinnen
und Schriftführer bitte ich zu Herrn Reuter nach vorn.


(Zuruf von der PDS: Der Oberzählmeister!)

Ich gebe das Abstimmungsergebnis bekannt. Für den

Antrag haben 235, gegen den Antrag haben 320 Abgeord-
nete gestimmt. Damit ist der Antrag abgelehnt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Zur Geschäftsordnung hat der Kollege Wilhelm
Schmidt das Wort.


Wilhelm Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1415900900
Frau Präsiden-
tin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die sehr
deutliche Mehrheit für die Ablehnung des Aufsetzungs-
antrags der CDU/CSU zeigt mir, dass der von der
CDU/CSU eingesetzte Schriftführer sein Amt


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Missbraucht hat! In übelster Weise!)


gravierend missbraucht hat.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Absolut! Weg!)


Schon zur Zeit der offenen Abstimmung war klar, welche
Mehrheitsverhältnisse hier herrschen.


(Widerspruch bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Deswegen beantrage ich jetzt eine Sondersitzung des
Ältestenrates.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415901000
Herr Kollege
Schmidt, ich nehme den Kollegen ausdrücklich in Schutz.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Das Präsidium war sich uneinig. Vor dem Hintergrund,
wie viele Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU auf
der rechten Seite saßen und dass die andere Seite etwas
dünner besetzt war,


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


war der Kollege berechtigt, Zweifel zu haben. Ich glaube,
es ist besser, dass wir das Sitzungspräsidium souverän
entscheiden lassen. Ein Hammelsprung schadet dem Par-
lament nicht.


(Zuruf von der F.D.P.: So ist es!)

Es stellt sich nun die Frage, ob wir jetzt dem Antrag der
CDU/CSU, die eine Unterbrechung für eine Fraktionssit-
zung möchte, folgen. Am besten, wir machen beides: Wir
unterbrechen diese Sitzung und führen zugleich eine Sit-
zung des Ältestenrates durch.

Ich unterbreche jetzt die Sitzung des Deutschen Bun-
destages für eine Fraktionssitzung der CDU/CSU und wir
beginnen in fünf Minuten eine Sitzung des Ältestenrates.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wie kann denn die Sitzung des Ältestenrates ohne die Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion stattfinden? Das geht doch gar nicht!)


– Dann findet erst die Sitzung der CDU/CSU-Fraktion
statt und dann tagt der Ältestenrat.


(Wolfgang Thierse [SPD]: Der Ältestenrat geht vor!)


– Gut, der Ältestenrat geht vor.
Da der Kollege Schmidt etwas zur Geschäftsordnung

sagen durfte, dürfen nun auch Sie, Herr Kollege Repnik,
etwas zur Geschäftsordnung sagen. Bitte sehr.


Hans-Peter Repnik (CDU):
Rede ID: ID1415901100
Frau Präsidentin!
Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Beitrag des
Kollegen Schmidt hat gezeigt, wie schwach die Nerven
der Koalition sind.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Ich darf auf Folgendes aufmerksam machen: Zu Be-
ginn des Eintritts in die Abstimmung war die linke Seite
des Hauses – ich meine die SPD – ganz offensichtlich
nicht so besetzt, wie es danach beim Hammelsprung der
Fall war. Sie haben die Leute herbeigerufen und deshalb
war der Hammelsprung gerechtfertigt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Völliger Quatsch! Es war doch gar keine Zeit!)


Wir haben eine Unterbrechung der Sitzung zur Abhal-
tung einer Fraktionssitzung beantragt. Der Vorgang ist so
gravierend, dass wir uns in der Fraktionssitzung damit
noch einmal befassen müssen. Frau Präsidentin, da unser
Antrag rechtzeitig eingebracht worden ist, beantrage ich,
dass unsere Fraktionssitzung zuerst stattfindet. Wir sehen
uns jetzt nicht in der Lage, an einer Sitzung des Ältesten-
rates teilzunehmen. Im Anschluss an die Fraktionssitzung




Vizepräsidentin Anke Fuchs

15537


(C)



(D)



(A)



(B)


sind wir selbstverständlich bereit, der Sitzung des Ältes-
tenrates beizuwohnen. Ich darf Sie darum bitten, bei der
Einladung zur Sitzung des Ältestenrates auf dieses Min-
derheitsrecht Rücksicht zu nehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415901200
Ich fasse die Wünsche
jetzt einmal zusammen: Auch für einen Teil des Vorstan-
des war klar, wie die Mehrheitsverhältnisse sind. Aber ich
glaube, es ist richtig, dass ein Mitglied des Sitzungsvor-
stands sagen kann: Ich zweifle das an. Insofern hat der
Kollege richtig gehandelt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Nun ist eine Fraktionssitzung der CDU/CSU beantragt

worden und auch die SPD will eine Fraktionssitzung
durchführen. Ich bitte die Geschäftsführer, sich zu überle-
gen, ob und wann der Ältestenrat tagen soll. Ihnen wird
bekannt gegeben, wann der Deutsche Bundestag seine
Sitzung fortsetzt.

Die Sitzung ist unterbrochen.

(Unterbrechung von 9.59 bis 11.19 Uhr)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415901300
Die unterbrochene
Sitzung ist wieder eröffnet.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 16 a bis 16 c auf:
a) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD

und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zurReform des
Wohnungsbaurechts
– Drucksache 14/5538 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Haushaltsausschuss

b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des
Zweiten Wohnungsbaugesetzes und anderer
wohnungsrechtlicher Gesetze
– Drucksache 14/627 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Woh-
nungswesen (15. Ausschuss)

– zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang

Spanier, Dieter Maaß (Herne), Angelika
Mertens, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der SPD sowie der Abgeordneten
Franziska Eichstädt-Bohlig, Winfried

Hermann, Albert Schmidt (Hitzhofen), weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Den sozialen Wohnungsbau erhalten und
reformieren

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr.-Ing.
Dietmar Kansy, Dirk Fischer (Hamburg),
Eduard Oswald, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der CDU/CSU
Soziale Wohnraumförderung – Reform im
Einklang mit einer kohärenten Wohnungs-
und Städtebaupolitik

– zu dem Antrag der Abgeordneten Horst
Friedrich (Bayreuth), Hans-Michael
Goldmann, Dr. Karlheinz Guttmacher, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Wohngeld erhöhen, Bürokratie abbauen,
Länderkompetenzen stärken: Reformchan-
cen beim sozialen Wohnungsbau konse-
quent nutzen

– Drucksachen 14/3664, 14/3668, 14/3676,
14/4668 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Franziska Eichstädt-Bohlig
Norbert Otto (Erfurt)


Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Damit sind Sie ein-
verstanden. Das ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die SPD-
Fraktion dem Kollegen Wolfgang Spanier das Wort.


Wolfgang Spanier (SPD):
Rede ID: ID1415901400
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen! Liebe Kollegen! Man kann ja sicherlich un-
terschiedlicher Meinung über die Bedeutung von politi-
schen Themen sein. Ich will mich auch nicht zu dem
äußern, was heute Vormittag schon abgelaufen ist. Das
Thema, was wir jetzt besprechen, hat sicherlich eine
große Bedeutung,


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der F.D.P. und der PDS)


und zwar nicht nur eine wohnungspolitische, sondern
auch eine sozialpolitische.

Wir freuen uns, dass der dritte große wohnungspoliti-
sche Reformschritt dieser Koalition hiermit in die parla-
mentarische Diskussion eingebracht wird: nach der
Wohngeldnovelle und der Reform des Mietrechts nun die
Reform des Wohnungsbaurechts. Alle drei Reformen
haben Sie in der letzten Legislaturperiode zwar anzu-
packen versucht, aber eben nicht umgesetzt. Wir sind
schon ein wenig stolz,


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Vorsicht mit „stolz“, Herr Spanier!)


dass wir all das in den Jahren nach 1998 unter Dach und
Fach gebracht haben bzw. bringen.


(Beifall bei der SPD – Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Sie haben Glück, dass Lafontaine nicht mehr da ist!)





Hans-Peter Repnik
15538


(C)



(D)



(A)



(B)


Die Situation auf den Wohnungsmärkten sei entspannt,
heißt es. Das ist in weiten Teilen richtig, es gibt aber nach
wie vor einen Engpass im preiswerten Segment. Es gibt
ein weiteres Problem, das in einer Studie des GdW zu-
treffend „die überforderten Nachbarschaften“ genannt
worden ist. Die Bilanz des sozialen Wohnungsbaus ist
eine stolze Bilanz: Seit Kriegsende wurden 9 Millionen
Sozialwohnungen gebaut. Derzeit bestehen davon aber
nur noch 1,9 Millionen; jährlich nimmt die Zahl der So-
zialwohnungen um 100 000 ab, weil sie aus der Bindung
herausfallen.

Ich will aber gleich an dieser Stelle, vor allen Dingen
in Richtung CDU/CSU, sagen: Wir sollten uns von dem
alten Denken trennen, das den Erfolg der Wohnungspoli-
tik nur an den Fertigstellungszahlen maß. Mittel- und
ganz besonders langfristig sollten wir Wohnungspolitik
nicht unter dem Aspekt der Quantität, sondern sehr viel
stärker unter dem Aspekt der Qualität betrachten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir sollten bei der Wohnungspolitik nicht nur die ge-
schaffenen Wohneinheiten berücksichtigen, sondern sie
im Kontext mit der Stadtentwicklungspolitik sehen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die guten Erfahrungen, die wir hoffentlich mit ver-

nünftigen Lösungen bei der Bewältigung der Leer-
standsproblematik in den neuen Bundesländern machen
werden, werden sicherlich genauso wichtig und bedeut-
sam für die alten Bundesländer sein,


(Iris Gleicke [SPD]: Sehr richtig!)

weil auch dort die Städte zunehmend schrumpfen werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es ist gut, Herr Staatssekretär, dass diese Reform im
Einvernehmen und in enger Zusammenarbeit mit den
Ländern vorbereitet wurde. Es war wichtig, von vornhe-
rein die Länder mit im Boot zu haben. Deswegen können
wir heute einen Gesetzentwurf vorlegen, der intensiv dis-
kutiert und gründlich vorbereitet wurde.


(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Das ist nachhaltige Politik!)


Zwei grundsätzliche Dinge sind wichtig: Zum einen be-
kennt sich der Bund zur Gemeinschaftsaufgabe, dass
Bund und Länder gemeinsam den sozialen Wohnungsbau
zu betreiben haben. Zum anderen bleibt – das ist der
finanztechnische Gesichtspunkt – die Rückflussbindung
erhalten. Das Entscheidende ist aber, dass wir sozialen
Wohnungsbau nicht mehr auf den Neubau konzentrieren,
sondern die Modernisierung des Bestandes mit in die
Förderung aufnehmen. Das ist ein wichtiger Schritt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Hans-Michael Goldmann [F.D.P.])


Mindestens ebenso wichtig ist: Der Bund setzt nur noch
den Rahmen, er regelt weniger. Rund 200 Vorschriften
fallen weg.


(Iris Gleicke [SPD]: Das ist schlanker Staat!)


Das kann man an Folgendem sehen:
Beispiel Förderwege: Wir gehen weg von der Kosten-

miete und eröffnen die Möglichkeit, sozusagen vor Ort
eine maßgeschneiderte Förderung zu gewähren.

Beispiel Einkommensgrenzen: Der Bund gibt nur noch
Basisgrenzen vor; die Länder haben die Möglichkeit, re-
gional oder lokal davon abzuweichen. Wir werden sicher-
lich gerade über die Einkommensgrenzen noch sprechen
und diskutieren müssen, aber vom Prinzip her ist das eine
wichtige und bedeutsame Richtungsentscheidung.

Beispiel Belegungsrechte: Diese werden nicht mehr
starr an die einzelne Wohneinheit gebunden, sondern sind
übertragbar. Auch gibt es die Möglichkeit, Belegungs-
rechte zu erwerben.

Letztes Beispiel, Fehlbelegungsabgabe: Es besteht die
Möglichkeit deutlich freierer Gestaltung; der Unterschied
liegt nicht nur darin, dass es statt „Fehlbelegungsabgabe“
künftig „Ausgleichszahlung“ heißen wird.

Insgesamt – das ist das entscheidend Neue an diesem
Gesetz – wird der Gestaltungsspielraum von Ländern und
Kommunen deutlich größer.


(Beifall bei der SPD)

Das ist wichtig und notwendig. Dies werden wir künftig
auch bei anderen Förderprogrammen und Gesetzen sehr
viel stärker berücksichtigen müssen. Der Entwicklung hin
zu regional höchst unterschiedlichen Wohnungsmärkten
müssen wir als Gesetzgeber mit einschlägigen Gesetzen
Rechnung tragen. In diesem Punkt ist dieses Gesetz ein
deutlicher Fortschritt.


(Beifall bei der SPD)

Diese deutlich flexibleren Instrumente versetzen die

Kommunen und die Wohnungsunternehmen endlich in
die Lage, in Bezug auf diese „Überforderung der Nach-
barschaften“ wirksam gegenzusteuern. Das ist in unserem
Land von hoher sozialpolitischer Bedeutung.


(Iris Gleicke [SPD]: Das ist wohl wahr!)

Denn die Situation in manchen Stadtquartieren – und nur
in großen Städten – ist mittlerweile schon fast als explo-
siv zu bezeichnen. Das können wir nicht verantworten.
Deswegen geben wir den Kommunen durch dieses Gesetz
die notwendigen Möglichkeiten und Instrumente, um
wirksam gegensteuern zu können.


(Beifall bei der SPD)

Mehr Gestaltungsspielraum vor allen Dingen für die

Kommunen bedeutet für diese natürlich auch höhere Ver-
antwortung. Auch die kleinen und mittleren Kommunen
werden sich unter dem Dach der Überlegungen zur Stadt-
entwicklung wieder sehr viel stärker mit der Wohnungs-
situation der einzelnen Kommune und den künftigen Ent-
wicklungen auseinander zu setzen haben, weil sie hier
neue Entscheidungsspielräume haben. Dies ist ein wichti-
ger Schritt. Ich als langjähriger Kommunalpolitiker bin
davon überzeugt, dass man den Bedarf vor Ort sehr viel
besser einschätzen kann.


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Richtig! Aber dann auch konsequent!)





Wolfgang Spanier

15539


(C)



(D)



(A)



(B)


Deswegen halte ich das Gesetz für

(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Einen ersten Schritt!)

eine ganz wichtige Sache.

Das hier im Entwurf vorgesehene Instrument des Ko-
operationsvertrages ist mit dem städtebaulichen Vertrag
im Baurecht vergleichbar. Ich kann nur hoffen, dass sich
die Kommunen sehr schnell vorbereiten und mit den
Wohnungsunternehmen vor Ort maßgeschneiderte Lö-
sungen finden werden.

Lassen Sie mich zum Schluss noch etwas zu den Fi-
nanzen sagen, denn ich bin fest davon überzeugt, Herr
Dr. Kansy, dass dies von Ihnen angesprochen werden
wird.


(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Richtig, Herr Kollege Spanier!)


450 Millionen DM sind sicherlich eine ansehnliche
Summe, aber daraus, dass ich mir – und mit mir sicherlich
viele meiner politischen Freunde – mehr wünsche, mache
ich keinen Hehl. Aber wir müssen dies im Gesamtzusam-
menhang der Finanzen des Bundes sehen.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Das sind die Schulden, die uns die CDU hinterlassen hat!)


Auch wir haben letztlich einen Konsolidierungsbeitrag
zu leisten. Ich bin davon überzeugt, dass es durch diese
Reform vielleicht wieder etwas leichter werden wird,
mehr Mittel zu bekommen. Denn die Erfahrung der letz-
ten Jahre hat gezeigt, dass viele Städte die für den sozia-
len Wohnungsbau zur Verfügung stehenden Mittel über-
haupt nicht mehr abgerufen haben, weil die Regelungen
viel zu starr und eng waren.

In Richtung CDU/CSU muss ich sagen:

(Iris Gleicke [SPD]: Das ist notwendig!)


Wenn man einmal Revue passieren lässt, welche Haus-
haltsforderungen Sie in den letzten Monaten gestellt ha-
ben,


(Iris Gleicke [SPD]: Da können wir froh sein, dass sie nicht mehr an der Regierung ist!)


und diese addiert, kommt man auf die erkleckliche
Summe von nicht 240 Millionen, sondern Milliarden DM.


(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Billionen!)


– Nein, mit den Nullen kenne ich mich aus. Damit kann
ich gut umgehen, gerade, wenn es um Geld geht. So geht
es nicht. Ich weiß, dass die Oppositionsrolle dazu ver-
führt, zu sagen „Mehr Geld!“, um damit bei bestimmten
Wählergruppen Eindruck zu schinden. Aber durch die Ge-
samtsumme werden Sie entlarvt. Das ist absolut unseriös.
Hier zeigen Sie ein bisschen Zockermentalität à la Las
Vegas.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dennoch glaube ich, dass wir in der Sache, was das
Wohnungsbaurecht betrifft, nicht weit auseinander sind.

Deswegen – das ist jetzt keine Floskel – freue ich mich auf
die Diskussion in den nächsten Wochen und Monaten. Ich
glaube, dass wir dieses Gesetz nicht nur zügig beraten,
sondern auch im Parlament verabschieden werden. Dann
haben wir endlich den dritten großen wohnungspoliti-
schen Reformschritt nach vorne getan.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415901500
Ich möchte Sie darauf
hinweisen, dass die Aktuelle Stunde, die von der F.D.P.
beantragt war, entfällt. Ob es Veränderungen bei den an-
deren Tagesordnungspunkten gibt, kann ich jetzt noch
nicht genau sagen.

Ich erteile nun dem Kollegen Eduard Oswald für die
CDU/CSU-Fraktion das Wort.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1415901600
Frau Präsidentin!
Meine Kolleginnen und Kollegen! Nachdem wohnungs-
politische Fragen lange Zeit keine politischen Themen in
der Öffentlichkeit waren, sind wieder Schlagzeilen wie
„Mietanstieg“ und „Wohnungsmangel“ zu lesen. Ohne
Zweifel haben wir in unserem Land eine sehr differen-
zierte wohnungspolitische Situation. Wir haben die
Sondersituation in den neuen Ländern, die Situation in
den Ballungsräumen mit den Problemen des Stadtumlan-
des und die Herausforderungen des ländlichen Raumes.

Wohnungspolitik ist nicht eine isolierte Politik für ei-
nige wenige, sondern Wohnungspolitik gestaltet ganz ent-
scheidend die Zukunft unseres Landes mit. Tatsache ist,
dass die Bundesregierung ohne Rücksicht auf nachteilige
Wirkungen die rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmen-
bedingungen für den Wohnungsbau fortlaufend ver-
schlechtert hat. Ihre Politik führt dazu, dass gerade in Bal-
lungsräumen im westlichen Teil unserer Republik wieder
spürbare Versorgungsengpässe entstanden sind.


(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD)


Auffallend dabei ist, dass sich der Versorgungsengpass in
Ballungsgebieten vor allem bei den Mietwohnungen zeigt
und dass nicht nur Einkommensschwächere, sondern na-
hezu alle Gesellschaftsschichten Probleme bei der Woh-
nungssuche haben.


(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

Tatsache ist – dies wird von Experten nicht bestritten –,

dass die Regierung Dr. Helmut Kohl einen geordneten
Wohnungsmarkt geschaffen hat.


(Beifall bei der CDU/CSU – Iris Gleicke [SPD]: Oh!)


Tatsache ist aber auch, dass wir trotz einer guten Woh-
nungsversorgung für eine große Mehrheit unserer Bürger
in Regionen mit Wohnungsmangel wieder einen Konkur-
renzkampf um die relativ wenig frei werdenden oder
zuwachsenden preiswerten Sozialwohnungen haben. Wir
haben einen massiven Rückgang der Bautätigkeit im frei




Wolfgang Spanier
15540


(C)



(D)



(A)



(B)


finanzierten Mietwohnungsbau und auch einen Einbruch
beim Eigenheimbau.

Das im März 1999 überhastet beschlossene Steuerent-
lastungsgesetz hat verheerende Auswirkungen auf den
Wohnungsbau.


(Iris Gleicke [SPD]: Quatsch!)

Ob durch die Verlängerung der Spekulationsfrist beim
Weiterverkauf privater Immobilien oder ob durch die in-
vestitionsfeindlichen Beschränkungen des Verlustabzugs:
Mit diesen Maßnahmen haben Sie die private Kapital-
anlage in Mietwohnungen massiv belastet.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Warum merken Sie eigentlich nicht, dass man damit die
private Kapitalanlage in Mietwohnungen kaputtgemacht
hat? Die Konsequenzen sind doch für jedermann sichtbar:
Neue Eigentumswohnungen werden nur noch für
Selbstbezieher gebaut und nicht mehr als Anlageobjekt
zum Vermieten.


(Iris Gleicke [SPD]: Schon mal etwas vom Leerstand gehört?)


Was Sie im Bereich der Mietrechtsänderung vorha-
ben, geht in die gleiche Richtung. Noch nie haben Ver-
mieter und Mieter gleichermaßen so vehement Miet-
rechtsänderungen abgelehnt, wie dies jetzt der Fall ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wenn Sie bei Ihren Vorschlägen bleiben, wird die bishe-
rige Balance zwischen Mieter- und Vermieterinteressen
einseitig zulasten der Vermieter verschoben.


(Iris Gleicke [SPD]: Oh, nein!)

Es ist doch klar: Wird Vermieten uninteressant, so unter-
bleiben Investitionen und steigen die Mieten.


(Zuruf von der CDU/CSU: Genau so ist es!)

Die scheinbare Stärkung der Mieterrechte schlägt in
Nachteile für Mieter um. Das ist doch die Situation.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Auch die Diskussion beim Altersvermögensgesetz

zeugt nicht gerade von der Bereitschaft, den Wohnungs-
bau in angemessener Weise zu unterstützen. Was bringt
denn im Alter eine höhere Nettoentlastung als das Woh-
nen in den eigenen vier Wänden?


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Richtig!)

Mietfreies Wohnen im Alter ist die Wunschvorstellung
von vier Fünfteln aller Bundesbürger. Im Alter mietfrei
wohnen ist die beste Sozialpolitik.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich hoffe sehr, dass sich im Vermittlungsverfahren hier

noch wesentliche Verbesserungen ergeben werden, damit
die Wohnimmobilie bei der Altersvorsorge eine zentrale
Rolle spielt. Man muss jetzt die Initiativen ergreifen, um
zu verhindern, dass man morgen auf dem Wohnungsmarkt
vor schwer lösbaren Aufgaben steht.

Ihre Politik bewirkt zwischenzeitlich auch einen deut-
lichen Rückgang beim Bau von Eigenheimen. Seit Ihrer

Übernahme der Regierungsverantwortung ist der durch
die Eigenheimzulage ausgelöste Aufwärtstrend im Eigen-
heimbau gestoppt.

Mit dem Hinweis auf den vermeintlichen Reformstau
versuchen Sie nur, von Ihren Fehlleistungen abzulenken.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wer sagt, er löse den Reformstau auf, muss auch sagen,
wer in der vergangenen Legislaturperiode Blockadepoli-
tik betrieben hat.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie haben einen Zusammenhang zwischen der Wohngeld-
reform und der Reform des Wohnungsbaurechts herge-
stellt und gleichzeitig bei der Wohngeldreform blockiert,


(Iris Gleicke [SPD]: Wir haben die Wohngeldreform gemacht!)


sodass Sie das Wohnungsbaurecht nicht mittragen muss-
ten. Ihr politisches Ziel war damals in der Opposition
– wie bei der Steuerreform –, der Regierung Dr. Helmut
Kohl keinen Erfolg zu überlassen. Sich jetzt hier hinzu-
stellen und zu sagen, Sie hätten den Stau aufgelöst, ist
eben nur ein Teil der Wahrheit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Wenn ich mir jetzt genau anschaue, welche Forderun-
gen Sie in Ihrer Oppositionszeit beim Wohnungsbau-
reformgesetz gestellt haben, muss ich feststellen, dass
vieles davon heute nicht mehr auftaucht. Tatsache ist, dass
Sie sich auf Positionen der CDU/CSU zubewegt haben,


(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Stimmt! – Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Auf F.D.P.Positionen!)


die Sie in der vergangenen Legislaturperiode noch
blockiert haben.

Herr Kollege Spanier, wir erkennen Ihre Bemühungen
zur Abstimmung mit den Ländern durchaus an. Ich
möchte ausdrücklich die Arbeit des Parlamentarischen
Staatssekretärs Achim Großmann würdigen, der sich hier
ganz persönlich engagiert eingesetzt hat.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Schade, dass er nicht Minister wurde!)


Wir sind bereit, an der Reform des Wohnungsbaurechts
konstruktiv mitzuwirken.


(Iris Gleicke [SPD]: Sehr gut!)

Wir brauchen auch künftig den sozialen Wohnungsbau.
Er ist die Antwort auf bestimmte Defizite im Wohnungs-
markt. Erst durch die gezielte Förderung von Mietwoh-
nungen und von Eigenwohnraum können Wohnungen für
die Haushalte geschaffen und vorgehalten werden, die
Marktzugangsprobleme haben oder sich aus anderen
Gründen nicht selbst mit ausreichendem und für sie be-
zahlbarem Wohnraum versorgen können.

Wir werden Ihren Gesetzesvorschlag zur Reform des
Wohnungsbaurechts eingehend beraten und an unseren




Eduard Oswald

15541


(C)



(D)



(A)



(B)


Leitlinien messen. Wir wollen einen sozialen Wohnungs-
bau, der auch in Zukunft Bestand hat. Wir wollen die
Förderung der Schaffung individuellen Wohneigentums,
insbesondere für Familien mit Kindern, und die Vorsorge
für das Alter.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir wollen auch jungen Ehepaaren in der Familiengrün-
dungsphase bei der Suche nach Wohnraum helfen. Es geht
um eine familienfreundliche Wohnungsbaupolitik.

Wir wollen die stärkere Förderung des Erwerbs von
vorhandenem Wohnraum und von Belegungsrechten im
Wohnungsbestand. Wir wollen die Gewährleistung aus-
gewogener Bewohnerstrukturen im Interesse der Bewah-
rung des sozialen Friedens. Wir wollen ausreichende Fle-
xibilisierung wohnungspolitischer Regelungen für eine
effiziente Wohnungspolitik in den Ländern, in den Re-
gionen und im örtlichen Bereich. Herr Kollege Spanier,
Sie haben völlig Recht: Baupolitik ist eine Politik des
Bundes, der Länder und der Kommunen.

Wir wollen die Förderung und Unterstützung ökologi-
scher Belange und Bauweisen,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wir auch! Machen wir doch!)


auch im Sinne einer Vorreiterfunktion für Innovationen
und Entwicklungen in Bereichen in- und außerhalb der
Wohnraumförderung. Wir wollen die Abstimmung der
verschiedenen wohnungspolitischen Instrumente im Inte-
resse einer effizienten Wohnungspolitik.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Wohnungsbau braucht
eine Verbesserung der wirtschaftlichen und rechtlichen
Rahmenbedingungen. Ich nenne sechs Punkte: erstens die
Anhebung der Bundesmittel für den sozialen Wohnungs-
bau; zweitens die Wahrung der sozialen Balance zwischen
Mieter- und Investoreninteressen bei der Mietrechtsre-
form; drittens die Rücknahme der restriktiven Steuerge-
setzgebung der letzten Jahre; viertens Bauland aktivie-
rende Maßnahmen; fünftens die Verbesserung der
Leistungen nach dem Eigenheimzulagengesetz für den
Bestandserwerb; sechstens die Einführung einer siebten
Stufe im Wohngeldrecht bzw. die Anhebung der Wohn-
geldleistungen in Gemeinden der Wohngeldstufe sechs.

Wir wollen, dass die Reform eine flexiblere und der je-
weiligen örtlichen Situation angepasste Lösung bringt.
Ihre Aussage „Wir fördern künftig zielgenauer“ darf aber
nicht heißen: „Wir kürzen die Mittel“.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wenn Sie das Mindestmaß der Beteiligung des Bundes

an der Wohnraumförderung auf 230 Millionen Euro fest-
legen, was dem bisherigen Mindestmaß von 450 Milli-
onen DM entspricht, und Sie die Rückflüsse nicht mehr
voll für die soziale Wohnraumversorgung einsetzen, er-
schweren Sie damit nicht nur unsere parlamentarische Zu-
stimmung, sondern gefährden auch das Projekt insgesamt.


(Dieter Maaß [Herne] [SPD]: Wenn wir die Schulden bezahlt haben, dann machen wir das!)


Lassen Sie mich einen weiteren Punkt ansprechen: Ein
Reformgesetz, das für die nächsten Jahre, wenn nicht Jahr-
zehnte Gültigkeit haben und eine Art Grundgesetz für die
soziale Wohnraumversorgung sein soll, muss auch der
Rolle der Wohnungsunternehmen angemessen Rech-
nung tragen. Nur dann kann die Wohnungswirtschaft den
sozialen Auftrag erfüllen und einen wirksamen Beitrag zur
Bewältigung der Probleme im Bestand, in der Belegung
und bei der Integration von Mietern mit Marktzugangs-
schwierigkeiten leisten. Die Reform darf deshalb keine
Schlechterstellung der Wohnungsunternehmen bringen.


(Wolfgang Spanier [SPD]: Die sehen das Gesetz positiv!)


Meine Damen, meine Herren, da wir im Wohnungs-
markt in Deutschland keine einheitliche Situation haben,
muss das Gesetz auch in der Lage sein, die strukturellen
Unterschiede und auch die besondere Situation der neuen
Länder ebenso wie die Probleme in den alten Ländern zu
bewältigen.

Wir haben im Laufe der parlamentarischen Arbeit eine
große Chance. Viele der geltenden Rechtsgrundlagen
stammen im Wesentlichen aus der Nachkriegszeit. Es
muss jetzt ein Gesetz geschaffen werden, das viele Vor-
schriften vereinfacht, das für alle verständlich ist und in
dem sich nicht nur Experten zurechtfinden.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Genau!)


Wohnungspolitische Verantwortung zu übernehmen
heißt, sich den jeweils aktuellen Problemen zu stellen und
Lösungen nicht nur für heute, sondern für kommende Ge-
nerationen zu entwickeln und umzusetzen. Wir fordern
Sie auf: Stellen Sie wieder verbesserte Rahmenbedingun-
gen für den Wohnungsbau her und setzen Sie mit der Er-
höhung der Bundesmittel im sozialen Wohnungsbau ein
Signal für Investoren, Bauherren und Bauwirtschaft und
damit für die Wohnungsbaupolitik insgesamt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415901700
Ich erteile dem Minis-
ter für Städtebau und Wohnen des Landes Nordrhein-
Westfalen, Dr. Michael Vesper, das Wort.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1415901800

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Oswald, Sie haben hier einen beachtlichen Katalog des-
sen vorgetragen, was Sie wollen: Wir wollen dieses, wir
wollen jenes, wir wollen drittens usw.


(Iris Gleicke [SPD]: Was er in seiner Regierungszeit nie geschafft hat!)


Fakt ist: In Ihrer Regierungszeit – Sie gehören ja auch zu
den vielen Bundesbauministern, die hier unter uns sind –


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Wo sehen Sie weitere?)


haben Sie nichts von dem erreicht, was Sie hier vorgetra-
gen haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)





Eduard Oswald
15542


(C)



(D)



(A)



(B)


Insofern freue ich mich über Ihre Selbsterkenntnis. Sie
haben es eben selber gesagt. Der Regierung Kohl und
ihren zahlreichen Bundesbauministern


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Es waren qualitativ sehr gute! – Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Von wegen viele Bauminister! Sie hatten drei in einem Jahr!)


ist ein Erfolg in diesem Politikfeld jedenfalls nicht gelun-
gen. Sie haben die Wohngeldreform und die Reform des
Wohnungsbaurechtes nicht erreicht. Wenn Sie über die Fi-
nanzierung reden, dann ist das wirklich witzig: Sie haben
damals nur auf einer Seite Eckwerte vorgelegt, in denen
„450 Millionen DM“ standen.


(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Aber wir hatten im Haushalt 1,3 Milliarden DM, Herr Kollege!)


Insofern sollten Sie hier nicht wie ein Blinder von der
Farbe reden.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Dr. Kansy spricht noch! Nehmen Sie sich in Acht!)


Wir debattieren heute über ein ganzes Paket. Der ältes-
te Teil dieses Pakets stammt aus dem Jahr 1997. Das ist
ein Gesetzentwurf des Bundesrates, und zwar ein kon-
kreter Vorschlag, wie das Wohnungsbaurecht den gesell-
schaftlichen Wandel mit neuen Formen des Zusammenle-
bens berücksichtigen kann. Ziel des Bundesrates war es,
Partner einer auf Dauer angelegten Lebensgemein-
schaft rechtlich den Familienangehörigen gleichzustel-
len, damit auch solche Lebensgemeinschaften eine So-
zialwohnung beziehen können, wenn die sonstigen
Voraussetzungen stimmen.


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Das ist doch nur ein Teilaspekt, Herr Vesper!)


Bundesregierung und Koalitionsfraktionen greifen mit
ihrem Gesetzentwurf dieses Anliegen auf.


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Das ist ja positiv!)


Deshalb lassen Sie mich wenigstens der Bundesregierung
und den Koalitionsfraktionen dafür danken, dass sie es ge-
tan haben. Das ist ein wichtiger Bestandteil der Reform.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Im Übrigen debattieren wir heute in der Tat ein großes
Reformwerk. Nach zehn Jahren Diskussion sehen wir
endlich Licht am Ende des Tunnels. Deshalb freue ich
mich sehr, dass uns heute dieser Gesetzentwurf vorliegt.

Eine Reform des Wohnungsbaurechts braucht klare
Antworten auf vier Fragen: Erstens. Was soll gefördert
werden? Zweitens. Wer soll gefördert werden? Drittens.
Wie soll gefördert werden? Viertens. Was passiert mit
dem Sozialwohnungsbestand? Ich möchte kurz auf diese
vier Fragen eingehen.

Zur ersten Frage: Was soll gefördert werden? Zunächst
einmal muss man sich vergegenwärtigen – ich begrüße,
was Herr Oswald zu diesem Aspekt gesagt hat –, dass die

Wohnungsbauförderung nicht erledigt ist. Sie ist kein
Relikt aus den Anfängen der Bundesrepublik, sondern sie
hat auch heute noch eine wichtige Funktion.

Mit den Bau- und Förderleistungen der vergangenen
Jahrzehnte ist es gelungen, auch einkommensschwache
Haushalte besser unterzubringen, aber es gibt nach wie
vor einen großen Bestand an wohnungssuchenden Haus-
halten. Deswegen bleibt soziale Wohnraumförderung eine
Daueraufgabe, allerdings unter anderen Bedingungen als
in der unmittelbaren Nachkriegszeit. Darum ist diese Re-
form in der Tat überfällig.

Staatliche Wohnungspolitik kann nicht mehr vorrangig
auf eine Ausweitung des Wohnungsbestandes abzielen.
Nicht nur der Neubau, sondern auch die bereits vorhan-
denen Wohnungsbestände müssen verstärkt genutzt wer-
den, um einkommensschwache Haushalte zu versorgen.
Darum heißt soziale Wohnraumförderung heute nicht nur
Neubau, sondern eben auch Modernisierung, auch Er-
werb von Belegungsrechten oder Erwerb von selbstge-
nutztem Wohneigentum aus dem Bestand.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Diese Orientierung auf den Bestand ist sinnvoll, auch
ökologisch sinnvoll. Sie darf aber auf der anderen Seite
auch nicht missverstanden werden. Stärkere Bestandsori-
entierung, das heißt für mich die Förderung von Sozial-
wohnungen im Wohnungsbestand und nicht die Verlage-
rung von Bewirtschaftungsrisiken des Bestandes auf die
öffentliche Hand.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Zweite Frage: Wer wird gefördert? Das geltende Recht
geht davon aus, dass der soziale Wohnungsbau breiten
Schichten der Bevölkerung zugute kommt. Das war in der
Nachkriegszeit plausibel, solange Wohnraum fehlte.
Heute stehen Mengenprobleme nicht mehr im Vorder-
grund. Zu Recht nennt deshalb der Gesetzentwurf als
Zielgruppe die Haushalte, die sich am Markt ohne öf-
fentliche Hilfe nicht angemessen mit Wohnraum versor-
gen können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig! – Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Die Frage ist, wie!)


In der Lyrik ist der Gesetzentwurf also richtig; über die
konkrete Ausformung müsste noch ein wenig diskutiert
werden, meine ich, denn die konkrete Abgrenzung dieser
Zielgruppe bleibt mir jedenfalls noch ein wenig zu unver-
bindlich. Festgelegt werden lediglich Basiseinkommens-
grenzen, von denen die Länder dann unbegrenzt nach
oben abweichen können. Hier hätte ich mir doch mehr
Klarheit gewünscht, die angestrebte Zielgruppenorientie-
rung auch tatsächlich durchzusetzen. Man muss sich eines
klar machen, meine Damen und Herren: Die Basisein-
kommensgrenzen umfassen bereits mehr als ein Drittel
aller Haushalte in der Bundesrepublik Deutschland. Von
daher ist es für mich nicht ganz nachvollziehbar, warum




Minister Dr. Michael Vesper (Nordrhein-Westfalen)


15543


(C)



(D)



(A)



(B)


eine Reform, die eine stärkere Konzentration der Förde-
rung auf die Bedürftigen bezweckt,


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Richtig!)

unbegrenzt Abweichungen von diesen Basiseinkommens-
grenzen zulassen will.

Ich sage aber auch eines klar, meine Damen und Her-
ren: Es wird vielfach das Problem von Fehlförderungen
beklagt. Gleichzeitig darf man dann aber auch nicht da-
rauf verzichten, die Möglichkeiten voll auszuschöpfen,
Fehlsubventionierungen tatsächlich abzubauen. Wir in
Nordrhein-Westfalen haben in der Vergangenheit die bun-
desrechtlichen Handlungsspielräume zu einer konsequen-
ten Abschöpfung nicht mehr benötigter Fördervorteile ge-
nutzt. Im Interesse dieser Praxis wünsche ich mir noch
etwas mehr Spielräume, um beispielsweise auch soziale
Komponenten bei der Ausgleichsabgabe berücksichtigen
zu können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir müssen uns eines klar machen: Wenn wir nicht da-

rauf achten, dass Subventionen gerecht und effizient ein-
gesetzt werden, dann laufen wir Gefahr, dem sozialen
Wohnungsbau langfristig seine Legitimation zu entzie-
hen. Darum ist es wichtig, die Zielgruppenorientierung
auch klar umzusetzen.

Die dritte Frage lautet: Wie soll künftig gefördert wer-
den? Wir sind keine Gralshüter des Kostenmietrechts. Es
kommt mir aber darauf an, dass es in der Wohnungs-
bauförderung klarere Regelungen für die Verwaltungs-
praxis gibt, wie Preis- und Belegungsbindungen durch-
gesetzt werden sollen. Hier geht der Gesetzentwurf einen
durch und durch vernünftigen Weg. Auf die bisherige Un-
terscheidung zwischen 1., 2. und 3. Förderweg mit all
ihren Facetten verzichtet er. Er verbindet die Flexibilität
des 3. Förderweges mit den Vorteilen des traditionellen
1. Förderweges, der die soziale Verantwortung deutlich
macht, nämlich mit klaren Regelungen über Preis- und
Belegungsbindungen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dadurch wird die vereinbarte Förderung besser praktika-
bel, wenn langfristige Bindungen zugunsten der Ziel-
gruppe erreicht werden sollen.

Zum Abschluss noch ein Wort zum Sozialwohnungs-
bestand: In Nordrhein-Westfalen haben wir, wie Sie wis-
sen, mit etwa 1 Million preis- und belegungsgebundenen
Wohnungen noch die Hälfte des bundesweiten Bestandes
an Sozialwohnungen. Die Regelungen für den Woh-
nungsbestand und das Überleitungsrecht sind deshalb ge-
rade für unser Land von essenzieller Bedeutung.

Den vorhandenen Sozialbindungen stehen frühere
Förderleistungen der öffentlichen Hand gegenüber. Auf
die Gegenleistung für diese einmal eingesetzten öffentli-
chen Mittel kann und will ich nicht verzichten. Die ge-
scheiterten Versuche der vergangenen Legislaturperiode
haben gezeigt, dass eine Übertragung der Kostenmietbin-
dungen im Bestand auf das System einer vereinbarten
Miete die Dinge nur unnötig komplizieren würde. Die In-
vestoren sind unter den Bedingungen des Kostenmiet-
rechts angetreten. Im Nachhinein kann man ihnen weder

die Möglichkeit verwehren, ihre laufenden Aufwendun-
gen auf die Miete umzulegen, noch sollte man ihnen ge-
statten, teuer erkaufte Mietvorteile zulasten der Sozial-
mieter abzubauen.

Darum unterstütze ich die Haltung der Bundesregie-
rung und der Koalitionsfraktionen, diese vorhandenen So-
zialbindungen in vollem Umfang beizubehalten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Dies hat einen weiteren Aspekt: Wer die überfällige Re-
form jetzt wirklich durchsetzen will, der darf sie nicht
durch eine Verunsicherung der Mieter in den bestehenden
Sozialwohnungen, zum Beispiel durch Mieterhöhungs-
diskussionen, belasten. Darum ist der jetzt eingeschla-
gene Weg der richtige.

Meine Damen und Herren, endlich ist die Reform da.
Ich beglückwünsche die beiden Koalitionsfraktionen und
die Bundesregierung. Wir werden konstruktiv an der wei-
teren Arbeit mitwirken. Ich glaube, dass wir diese Re-
form, die wir so dringend für die Weiterführung des so-
zialen Wohnungsbaus brauchen, jetzt endlich erreichen.

Herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415901900
Für die F.D.P.-Frak-
tion erteile ich dem Kollegen Hans-Michael Goldmann
das Wort.


Hans-Michael Goldmann (FDP):
Rede ID: ID1415902000
Sehr geehrte Frau
Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Um es
gleich vorweg zu sagen: Auch wir freuen uns auf die Dis-
kussion über den Entwurf dieses neuen Gesetzes. Aber ich
denke, wir brauchen noch mehr richtige Antworten auf die
neuen Herausforderungen, vor denen wir stehen.


(Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Jetzt kommt die kluge F.D.P.)


Ich will dies zunächst ein bisschen historisch betrach-
ten: Wie wir wissen, sind sehr viele wohnungsbaurechtli-
che Dinge Erbgut der Nachkriegszeit. Gerade gestern ha-
ben wir wieder einen 50. Geburtstag gefeiert, und zwar
den des Wohneigentumsrechtes. Damals war die Situation
völlig anders: In Deutschland fehlten 5 Millionen Woh-
nungen; die Menschen hatten im wahrsten Sinne des Wor-
tes kein Dach über dem Kopf. Damals ist die Einrichtung
eines Bauministeriums auf den Weg gebracht worden.
Das war damals richtig. Denn man war der Meinung, dass
die Wohnungsnot zu groß ist und dass einheitliches Han-
deln aus der Bundesebene heraus die Lösung bringt.

Die F.D.P. – ich glaube, da sind wir über jeden Zweifel
erhaben – steht in einer langen und erfolgreichen Tradition,
wenn es um den Wohnungsbau geht. Wir haben immer Re-
formimpulse gegeben, die ein Stück über das hinausgingen,
was man meinte im Moment tun zu müssen. Eine solche
Anregung wollen wir auch heute wieder geben.


(Beifall bei der F.D.P.)





Minister Dr. Michael Vesper (Nordrhein-Westfalen)

15544


(C)



(D)



(A)



(B)


Lassen Sie uns nicht zu lange über das streiten, was
einmal war. Richtig ist, dass wir uns immer gegen Kür-
zungen im investiven Bereich, in dem der Baubereitstel-
lung, gewandt haben.


(Wolfgang Spanier [SPD]: Das stimmt nicht!)

– Das stimmt schon, Herr Spanier. – 1998 hat sich der
heute geschätzte Staatssekretär Großmann bitter darüber
beklagt, dass für diesen Bereich nur noch 1,2 Milliar-
den DM zur Verfügung gestellt würden.


(Wolfgang Spanier [SPD]: Also haben Sie doch gekürzt!)


– Nein, langsam. – Von „Zusammenstreichen“ war die
Rede. Auch wenn Sie sich, Herr Spanier, nun darüber
freuen, dass wir dann doch, wie Sie behaupten, gekürzt
haben, sollten Sie sich eigentlich ein wenig schämen.
Denn im Moment werden im Haushalt für diesen Bereich
nur noch 450 Millionen DM bereitgestellt.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Um es einmal umgangssprachlich zu formulieren: Das ist
nun wirklich nur noch ein kleines Schissle.

Wir sollten einmal darüber nachdenken, wie viel Auf-
wand wir betreiben, um dieses Schissle an die Länder zu
verteilen.


(Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: 450MillionenDM als „Schissle“ zu bezeichnen!)


Herr Minister Vesper hat soeben schon angesprochen, wo
noch der eine oder andere Veränderungsbedarf besteht.
Das heißt in der Folge: Bürokratie, Bürokratie, Bürokra-
tie. Dafür braucht man von den 450Millionen DM wieder
jede Menge Geld. Das ist der falsche Weg.

Nein, Herr Spanier, liebe Kollegen von Rot-Grün, Ihre
Leistungen in diesem Bereich sind schlecht. Sie haben die
Mittel für den sozialen Wohnungsbau innerhalb von zwei
Jahren auf ein Drittel zurückgeführt. Das muss man sich
einmal auf der Zunge zergehen lassen.

Vor diesem Hintergrund, geschätzter Kollege Maaß,
stehen in dem Gesetz natürlich auch einige Dinge, über
die man sich nur wundern kann.


(Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wollen Sie eine Steuererhöhung durchführen?)


Ich will Ihnen das einmal vorrechnen. Sie müssen in der
Bundesrepublik Deutschland von 42 Millionen Haushal-
ten ausgehen. Sie propagieren, dass 37 Prozent davon Be-
rechtigungsempfänger für die Bereiche des sozialen Woh-
nungsbaus sind.


(Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Typisch F.D.P.!)


Das sind 15 Millionen Haushalte, Frau Eichstädt-Bohlig.
So weit sollten Sie auch rechnen können. 450 Millionen
durch 15 Millionen macht pro Haushalt 30 Märkelchen.
Sie sollten also bitte nicht so tun, als ob darin ein Re-
formansatz enthalten wäre, der substanzielle Kraft hätte.
Das ist nun wirklich nicht der Fall. Die ehrlichen Zahlen

zeigen, welches Nichtengagement Sie in diesem Bereich
an den Tag legen.


(Beifall bei der F.D.P.)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415902100
Herr Kollege, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Spanier?


Hans-Michael Goldmann (FDP):
Rede ID: ID1415902200
Nein, das gestatte
ich leider nicht.

Der heute hier im Parlament zu beratende Gesetzent-
wurf steht eben – deswegen lasse ich auch die Zwi-
schenfrage nicht zu – in einem krassen Missverhältnis
zum finanziellen Aufwand.

Ich will überhaupt nicht bestreiten, dass in den Vor-
stellungen, die hier zur Diskussion anstehen, richtige
Schritte enthalten sind.


(Dieter Maaß [Herne] [SPD]: Aha!)

Natürlich ist von Flexibilisierung, Entbürokratisierung
und Liberalisierung die Rede. Ich bin sicher, Herr Maaß,
dass, wenn Frau Dr. Schwaetzer Ihnen ein solches Gesetz
vorgelegt hätte, Sie gegen dieses Gesetz auf den Barrika-
den gestanden hätten,


(Beifall bei der F.D.P.)

weil es finanziell nicht ausgestaltet ist und weil Sie scharf
kritisiert hätten, dass der Bund seine Kompetenzen an die
Länder abgibt. Nein, richtig ist die Vorstellung, die Kompe-
tenzen an die Länder abzugeben. Neue Zeiten – neue Vor-
schläge. Allerdings muss man dann auch konsequent sein.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Leiten wir doch gemeinsam einen Prozess ein,

(Wolfgang Spanier [SPD]: Sie wollen doch die Objektförderung abschaffen!)

der wirklich denjenigen die Verantwortung überträgt, die
sie sowieso schon haben! Vor dem Hintergrund, was die
Länder tun, sind doch unsere/Ihre 450 Millionen DM ge-
radezu eine lachhafte Nummer!


(Beifall bei der F.D.P. – Wolfgang Spanier [SPD]: Sie wollen doch auf null!)


Gerade wenn ich an die Leistungen des Landes Nord-
rhein-Westfalen denke, dann ist doch das, was hier auf
den Weg gebracht wird, im Grunde genommen die Arbeit
gar nicht wert, die wir leisten. Sie macht doch nur dann
Sinn, wenn sie punktgenau dort ankommt, wohin sie
gehört.

Deswegen sagen wir: Weg mit dem ganzen Drum-
herum, hin zum Wohngeld, hin zur Subjektförderung!


(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


– Können Sie einmal Luft holen, damit ich wieder dazwi-
schen komme?

Frau Gleicke, eben haben Sie sich darüber beschwert,
dass in den neuen Ländern 1 Million Wohnungen leer ste-
hen. Jetzt beschweren Sie sich darüber, dass wir denen




Hans-Michael Goldmann

15545


(C)



(D)



(A)



(B)


helfen wollen, die in der Mietsituation sind. Das ist punkt-
genau. Das bringt das Geld an die Stelle, an der sich die
Menschen den Mietraum leisten können, ihren individu-
ell ausgestalteten Mietraum, der sie dann in die Lage ver-
setzt, dafür zu sorgen, dass ihre persönliche Wohnsitua-
tion angemessen ist.


(Beifall bei der F.D.P.)

Ich bleibe dabei: „Menschen fördern statt Mauern för-

dern“ ist die Antwort zu dieser Zeit und in dieser Situa-
tion.

Lassen wir uns doch einmal auf der Zunge zergehen,
was das bedeutet: Sie haben keine Fehlbelegungsabgabe
mehr. Sie haben keine Reibungsverluste. Sie haben natür-
lich auch keine Luxusförderung mehr. Sie haben keine
Abgrenzungsprobleme mehr, Herr Vesper. Das ist alles
das, was Sie hier auch kritisch angemerkt haben; denn Sie
haben uns ja ein ganzes Auftragspaket an die Hand gege-
ben, das bei der Diskussion jetzt noch nachgebessert wer-
den müsste.


(Wolfgang Spanier [SPD]: Wir haben keine Belegungsrechte mehr!)


Ich denke, in dieser Frage können wir uns voll und
ganz auf die Kompetenzen der Länder verlassen. In die-
ser Frage sollten wir uns auf die Gesamtregie der Länder
in Verbindung mit den Gemeinden, die wissen, wo die
Probleme liegen, verlassen.

Diese Richtung sollten wir einschlagen und in diese
Richtung geht unser Antrag. Wir sollten uns, Frau Gleicke,
auf das konzentrieren, was wir zwingend bundespolitisch
lösen müssen.


(Beifall bei der F.D.P.)

Das sind zum Beispiel die Probleme in den Innenstädten.
Das ist so etwas wie „Die soziale Stadt“. Ich bin ganz be-
geistert davon! Ich war bei S.T.E.R.N. in Berlin und habe
mich informieren lassen. Ich habe denen zu ihrer Aus-
zeichnung gratuliert. Das ist eine Supersache.

Was wir natürlich auch tun müssen, ist, uns sehr kon-
zentriert der Situation des Leerstandes in den neuen Län-
dern zuzuwenden. Das ist überhaupt keine Frage. „Die so-
ziale Stadt“, Leerstand in den neuen Ländern – das sind
Bundesaufgaben. Aber den sozialen Wohnungsbau in der
heutigen Ausgestaltung können die Länder selbst über-
nehmen. Wir können den Ländern helfen, indem wir den
Bürgerinnen und Bürgern, indem wir dem einzelnen Mie-
ter ein bisschen mehr Geld geben, damit er sich in seiner
Bedrängnis ein bisschen mehr Wohnraum leisten kann.
Das ist die richtige Antwort!

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. – Franziska EichstädtBohlig [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was machen wir in den Notfällen in München, Leipzig, Köln und Hamburg?)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415902300
Nun erteile ich für die
PDS-Fraktion der Kollegin Christine Ostrowski das Wort.


Christine Ostrowski (PDS):
Rede ID: ID1415902400
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Ich bekomme um die 150 000 DM an
Diäten im Jahr. Für mich wird es nie ein Problem sein,
eine Wohnung zu bekommen und sie zu bezahlen. Für ei-
nen, der 24 000 DM im Jahr hat, sieht das schon ganz an-
ders aus.


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Richtig! Deswegen braucht er Wohngeld!)


– Jawohl, Herr Goldmann. – Es sind in dieser reichen
Bundesrepublik 15 Millionen Haushalte, die allein wegen
geringer Einkommen zu staatlicher Wohnungsfürsorge
berechtigt sind. Dieser Gruppe und niemand anderem gilt
die Reform. Die Frage ist nur, ob sie ihr auch hilft. Wenn
ich den Gesetzentwurf, den ich vor 48 Stunden bekom-
men habe und der 146 Seiten umfasst, richtig verstanden
habe, so muss ich die Frage mit Nein beantworten. Die ge-
nannte Gruppe war nicht Ausgangspunkt Ihrer Überle-
gungen; ich begründe das.

Erstens. Ihnen liegt der Haushalt ganz eindeutig mehr
am Herzen als diejenigen, die es auf dem Wohnungsmarkt
schwer haben. Das Motto lautet ungefähr wie folgt: Ich
habe noch eine Mark übrig; mal sehen, wie wir damit re-
formieren können. Mehr als 450 Millionen DM gibt der
Bund nicht, aber 2 Milliarden DM wären nötig. Damit ist
Ihre Reform natürlich der Rückzug aus dem sozialen
Wohnungsbau; wir brauchen nicht darum herumzure-
den. 1997 hieß es bei den Grünen noch, der Ausstieg aus
dem sozialen Wohnungsbau sei sozialpolitisch unverant-
wortlich und finanzpolitisch riskant. Dem ist auch heute
nichts hinzuzufügen –


(Beifall bei der PDS)

außer, dass ich denke, dass Sie Ihre Prinzipien aufgegeben
haben. Ihren Rückzug können Sie nicht mit dem Hinweis
auf den momentan insgesamt entspannten Wohnungs-
markt entschuldigen, weil ein Gesetz nicht nur auf einen
bestimmten Moment, sondern auch auf die zukünftige
Wohnungsmarktsituation hin abgestimmt sein muss.

Zweitens. In München stehen die Menschen vor preis-
werten Wohnungen schon wieder Schlange. Gibt es sol-
che preiswerten Wohnungen nicht, nützt ihnen auch das
schönste Reformpapier nichts, weil nur ein ausgegliche-
nerWohnungsmarktMieter vor Mietausschlägen schützt
und gerade diskriminierten Gruppen eine Chance gibt.
Ihre Reform ist eben nicht darauf gerichtet, die ewigen
Wellen zwischen zu vielen und zu wenigen freien Woh-
nungen auf dem Wohnungsmarkt zu verhindern. Sie
schaffen den klassischen Sozialwohnungsbau ab, der als
gesondertes Marktsegment zur Stabilisierung des unge-
bundenen Wohnungsmarktes beitragen könnte. Auch ha-
ben Sie kein Interesse an Bedarfsprognosen. Jedenfalls
haben Sie uns in der Antwort auf eine Kleine Anfrage mit-
geteilt, solche Bedarfsprognosen zur Abschätzung eines
zukünftigen Steuerungsverhaltens seien keine Vorausset-
zung für eine Reform. Ich staune darüber sehr. Damit
passt Ihre Reform wahrscheinlich für die momentane
Schönwetterlage; sie müsste aber, wie gesagt, langfristig
gelten und auf jede Situation auf dem Wohnungsmarkt
reagieren können.




Hans-Michael Goldmann
15546


(C)



(D)



(A)



(B)


Drittens. Sie begründen Ihre Reform mit den gravie-
renden Veränderungen, die sich am Wohnungsmarkt voll-
zogen haben. Grundsätzlich haben Sie damit Recht. Aber
fällt Ihnen denn nicht auf, dass Sie diese Veränderungen
für Ihre Reform und Ihre Maßnahmen ganz selbstver-
ständlich in Anspruch nehmen, dass Sie allerdings, wenn
es um die Einkommensgrenzen geht, schlicht sagen: Das
war es dann. Die Einkommensgrenzen können auf dem
Stand von 1994 stehen bleiben. – Doch letzten Endes sind
gerade diese Grenzen entscheidend dafür, ob ein Mensch
berechtigt ist oder nicht.


(Wolfgang Spanier [SPD]: Die sind variabel!)

Wenn Sie glauben, dass 24 000 DM im Jahr heute so viel
wert sind wie gestern, dann irren Sie. Herr Spanier, Sie
können sich auch nicht darauf verlassen, dass alle Länder
die Einkommensgrenzen erhöhen.


(Wolfgang Spanier [SPD]: In MecklenburgVorpommern wird das schon gemacht!)


Dass Sie sich darauf verlassen, heißt doch nichts anderes,
als dass Sie Ihrer eigenen Verantwortung ausweichen.


(Beifall bei der PDS)

Viertens. Sie drücken sich vor der Aussage, wie viel an

Wohnkosten den Betroffenen zuzumuten ist. Die Miete
wird sich schon irgendwie – nach Größe, Einkommen,
örtlichem Mietniveau, Wohngeld usw. – in der Verant-
wortung der Länder regeln. Doch auf diese Weise kann es
dazu kommen, dass ein Betroffener beispielsweise in
Hamburg mehr als in Kiel oder in Stuttgart mehr als in
Suhl zahlt. Für uns muss die Prämisse aber immer lauten:
Gleiche Miete bei gleichem Wohnwert und gleichem Ein-
kommen. Wir sagen: Höher als ein Viertel des Einkom-
mens darf die Wohnkostenbelastung nicht sein, egal ob in
Rostock, Stuttgart, Hamburg, Kiel oder sonst wo.


(Beifall bei der PDS)

Damit hätten Sie die gewünschte Treffsicherheit. Sie

machen stattdessen hunderttausend verschiedene Regeln,
um eine entsprechende Treffsicherheit zu erzielen. Wären
Sie von der Wohnkostenbelastung der Betroffenen aus-
gegangen, hätten Sie das Problem im Griff. Dass Sie die
Bedürfnisse der Zielgruppe nicht als Ausgangspunkt Ih-
rer Überlegungen genommen haben, schreiben Sie sogar.
Lesen Sie Ihren Gesetzentwurf: Sozialwohnungen wer-
den knapp, das Geld geht aus, verteilen wir den Rest un-
ter den bedürftigen Haushaltsgruppen.

Hätten Sie nicht zuerst fragen müssen: Wie groß ist die
Gruppe der Bedürftigen? Wie wird sie sich mittel- und
langfristig entwickeln? Was passiert, wenn der Kreis
größer wird, was ich nicht hoffe? Ich nenne hier nur Alte-
rung und Rentenentwicklung. Wollen Sie die Grenzen
dann noch enger ziehen – Herr Vesper hat so etwas ange-
deutet –, weil keine Finanzen mehr da sind, und damit die
Sozialwohnungen ganz abschaffen?

Sie haben die Pflicht, dafür zu sorgen, dass alle, die
sich am Wohnungsmarkt nicht eigenständig versorgen
können, angemessen wohnen können. Man kann nicht
erst zwei Pflöcke einschlagen und sich dann anschauen,
was noch übrig bleibt.


(V o r s i t z: Präsident Wolfgang Thierse)


Ich komme zum Schluss. Ihre stadtentwicklerisch,
ökologisch und sozial an sich richtige Schwerpunktset-
zung, den Bestand zu fördern und die Belegungsmöglich-
keiten zu verbessern, hat für mich den unangenehmen
Beigeschmack, dass es Ihnen eben weniger um Stadtent-
wicklung, Ökologie und soziale Durchmischung als viel-
mehr doch nur ums Sparen geht. Wegen des größeren
Freiraums für die Kommunen und die Länder habe ich
den Verdacht, dass Sie keine Verantwortung übernehmen
wollen.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1415902500
Kollegin Ostrowski,
Sie müssen zum Ende kommen.


Christine Ostrowski (PDS):
Rede ID: ID1415902600
Alles in allem: Ein
großer Wurf sollte diese Reform werden, aber sie ist nur
ein kleiner geworden.


(Beifall bei der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1415902700
Ich erteile dem Parla-
mentarischen Staatssekretär Achim Großmann das Wort.

A
Achim Großmann (SPD):
Rede ID: ID1415902800
Herr
Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit einem modernen
und hochinnovativen Gesetz passen wir den traditionellen
sozialen Wohnungsbau endlich den heutigen Anforderun-
gen an.


(Dr. Karlheinz Guttmacher [F.D.P.]: Er war schon gut!)


Erneut lösen wir ein Stück des Reformstaus auf, den
die alte Regierung auch in der Wohnungs- und Städtebau-
politik hinterlassen hat.


(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Das war doch Herr Lafontaine! Das wissen Sie doch!)


Wir sorgen auch in Zukunft dafür, dass Familien, die sich
nicht aus eigener Kraft am Wohnungsmarkt versorgen
können, genügend bezahlbarer Wohnraum zur Verfügung
steht. Aber wir tun dies mit deutlich weniger Bürokratie
und viel treffsicherer, effizienter und flexibler, als das bis-
her der Fall war.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Mit dieser Reform setzen wir konsequent unseren Weg
fort, politische Konzepte integrativer anzulegen. Die
Wohnungs- und Städtebaupolitik wird wie nie zuvor
verzahnt. Mit dem neuen Gesetz stärken wir die Städte, die
Lebensqualität und die soziale Stabilität in den Städten.
Wir gehen weg von der früheren Gießkannenmentalität hin
zu gezielteren Lösungen, die die jeweilige Problematik vor
Ort oder in der Region aufnehmen und den Ländern die
Möglichkeit geben, mit einem Höchstmaß an Flexibilität
die jeweils notwendigen Maßnahmen zu fördern.

Über die Neubestimmung der Zielgruppe ist bereits
gesprochen worden. Aber das, was Frau Ostrowski hier




Christine Ostrowski

15547


(C)



(D)



(A)



(B)


gesagt hat, muss bei dieser Gelegenheit klargestellt wer-
den. Frau Ostrowski, den Fraktionen ist bereits Anfang
Februar der Gesetzentwurf zugestellt worden. Es tut mir
Leid, wenn Sie erst in den letzten Tagen die Zeit gefunden
haben, ihn zu lesen.

Aufgrund der Basiseinkommensgrenzen und der Mög-
lichkeit, dass Länder regional und örtlich begrenzt diese
Einkommensgrenzen anheben können, können eben nicht
nur Familien, die unter die Basiseinkommensgrenze fal-
len, gefördert werden. Auch dort, wo es nötig ist, zum Bei-
spiel in Ballungsgebieten, in denen der Mietwohnungs-
markt viel enger ist, kann gezielter geholfen werden.


(Beifall bei der SPD)

Flexibler kann man nicht mehr vorgehen. Wenn Herr

Minister Vesper kritisiert, dass wir keine Obergrenze ge-
setzt haben, dann nehmen wir das zur Kenntnis. Aber es
war in erster Linie der Wunsch der Länder – wir haben
über mögliche Grenzen, die man ziehen könnte, gespro-
chen –, dies nicht zu machen,


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Da war wahrscheinlich Nordrhein-Westfalen nicht dabei! Sie waren vielleicht nicht anwesend!)


weil ein Land unter Umständen gerne 30 Prozent und ein
anderes Land vielleicht 40 oder 50 Prozent als obere
Grenze beim Einkommen festlegen wollte.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Wo waren sie denn?)


Wir wollten den Ländern den nötigen Spielraum überlas-
sen.

Zur Bestandsorientierung. Wir legen großen Wert da-
rauf, dass der vorliegende Gesetzentwurf zum sozialen
Wohnungsbau kein Neubaugesetz – wie sein Vorgänger –
ist, sondern er ist ein Gesetzentwurf für den sozialen
Wohnraum im Neubau und im Bestand.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Es ist für diejenigen, die sich am Wohnungsmarkt ein
bisschen auskennen und das zur Kenntnis nehmen, was
dort passiert, völlig klar, dass in Frankfurt am Main ganz
andere Probleme als in Frankfurt an der Oder herrschen.
Den unterschiedlichen Bedingungen an den Wohnungs-
märkten werden wir mit diesem Gesetz Rechnung tragen:
Dort, wo neu gebaut werden soll, kann neu gebaut werden
und dort, wo der Bestand gefördert werden soll, kann der
Bestand gefördert werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es ist schon darauf hingewiesen worden, dass wir ein
ganz flexibles Fördersystem schaffen wollen. Wir schaf-
fen den, man möchte fast sagen: ganzen Rattenschwanz
von Fördersystemen ab und führen eine einzige Förder-
möglichkeit ein, die, ähnlich einem Baukastenprinzip,
hochflexibel ist. Das heißt, vor Ort kann mit den Inves-
toren darüber gesprochen werden, was nötig ist. Braucht
man Wohnungen, die längerfristig, also 20, 30 oder
40 Jahre, gebunden sind – bei solchen muss der Mietpreis
anders fixiert werden –, oder handelt es sich um Wohn-

raum in Regionen, in denen keine Mietpreisbindungen
notwendig sind, in denen die Miete langsam wachsen
kann und in denen man nur eine Belegungsbindung von
zehn oder 15 Jahren braucht? Das alles kann vor Ort mit
den Investoren – auch im Investorenwettbewerb – verein-
bart werden.

Das Gesetz gibt nun endlich die Möglichkeit, zu
berücksichtigen, ob jemand nur eine direkte Förderung
bekommt oder ob er gleichzeitig steuerlich abschreiben
kann; dann soll er weniger Geld vom Staat bekommen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir ziehen in diesem Punkt die bisherige Situation glatt,
indem wir ein flexibles und effizientes Fördersystem
schaffen.

Über den Beitrag des sozialen Wohnungsbaus für die
Städtebauförderung ist schon gesprochen worden. Dem-
nächst gibt es kein Geld mehr für den sozialen Woh-
nungsbau, wenn nicht klar gemacht wird, dass das Geld,
das entsprechend investiert wird, in städtebauliche Kon-
zepte passt, die vor Ort notwendig sind, zum Beispiel zur
Stabilisierung der Bewohnerstruktur in den Stadtteilen.


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Ich denke, das sollen die Länder entscheiden! Das haben Sie doch eben gesagt!)


Das heißt, wir werden mit einer Fülle von Möglichkeiten
– Kooperationsverträge, mittelbare Belegung, verbun-
dene Förderung und andere flankierende Maßnahmen –
sicherstellen, dass Wohnungsbau städtebaulich integriert
stattfindet und wir sozial stabile Wohnquartiere bekom-
men. Das ist ein ganz wichtiges Ziel dieser Reform.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich spreche bei vielen Gelegenheiten von einer urba-
nen Trias, die wir unseren Konzepten zugrunde legen
müssen. Dazu gehört die ökonomische, ökologische und
die soziokulturelle Situation. Wir werden der Nachhal-
tigkeit im Bauen dadurch einen neuen Schub geben, dass
wir die Nachhaltigkeit im Gesetz festschreiben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir müssen in Übereinstimmung mit den ökonomischen
Gegebenheiten, treffsicher, effizient und nachhaltig bauen.
Es müssen auch die ökologischen Grundbedingungen
durch kosten- und flächensparendes Bauen erfüllt werden.

Wir werden schließlich – das ist schon gesagt worden –
ungefähr 200 bis 250 bürokratische Regelungen abschaf-
fen, die nach dem bisherigen Gesetzesstand befolgt wer-
den müssen, um im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus
Gelder in Anspruch zu nehmen. Wir werden also das Ge-
setz entbürokratisieren, wir werden es schlanker machen.
Das ist ein Beitrag zur Vereinfachung und ein Bemühen,
das Gesetz besser anwendbar zu machen.

Ein paar Worte zu dem, was meine Vorredner gesagt
haben: Herr Oswald, vielen Dank für die Blumen. Es tut
gut, zu wissen, dass die eigene Arbeit gewürdigt wird.




Achim Großmann, Parl. Staatssekretär
15548


(C)



(D)



(A)



(B)


Trotzdem darf das nicht dazu führen, dass ich zu zahm mit
Ihnen umgehe.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Eduard Oswald [CDU/CSU]: Umgekehrt auch nicht! Keine Angst! Sie müssen auch daran denken, dass Sie für dieses Gesetz eine Mehrheit der Länder brauchen!)


– Die von mir geäußerte Kritik ist schon etwas abgemil-
dert und entspricht dem Lob, das ich bekommen habe.
Das ist völlig klar.

Ich wollte Sie nur daran erinnern, dass der ehemalige
Bauminister Oswald für den sozialen Wohnungsbau im
Bundeshaushalt 2 Milliarden DM vorgefunden hat und
es zum Zeitpunkt des Regierungswechsels nur noch
1,3 Milliarden DM waren. Das heißt, in Ihrer Amtszeit
sind Bundesmittel im Umfang von 700 Millionen DM
verloren gegangen. Deshalb sollte man sich nicht gegen-
seitig Vorwürfe machen. Ich erinnere nur daran, dass im
letzten Jahr in vielen Ländern die für den sozialen Woh-
nungsbau zur Verfügung gestellten Mittel nicht abgerufen
wurden, weil die bisherige Förderung des sozialen Woh-
nungsbaus als Neubaugesetz konzipiert ist.

Wir brauchen die Reform auch, um bei den Finanzmi-
nistern wieder antreten zu können und zu sagen: Wir ha-
ben nun ein hochmodernes, innovatives Gesetz, das nicht
nur beim Neubau greift, sondern auch den Bestand för-
dert. Wir schaffen mit dieser Reform die Vorurteile, die
gegen den sozialen Wohnungsbau bestehen, aus der Welt
und machen damit den Wohnungsbau wieder finanzierbar.
Auf diese Weise schaffen wir es, neue Gelder zu bekom-
men.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Herr Goldmann, ich bin Ihnen für Ihre offenen Worte
dankbar. Es ist auch für die Wählerinnen und Wähler in
Baden-Württemberg wichtig zu wissen, wie die F.D.P.
zum sozialen Wohnungsbau steht. Der baden-württem-
bergische Wirtschaftsminister Döring, der auch für den
Wohnungsbau zuständig ist, hat uns geschrieben: Die Ob-
jektförderung im Mietwohnungsbau ist kontraproduktiv.
Der Mietwohnungsmarkt muss deshalb privatisiert wer-
den und auf staatliche Mietpreisvorgaben muss verzichtet
werden. Im Klartext heißt das: Wer in Baden-Württem-
berg F.D.P. wählt, wählt die nächste Mieterhöhung, und
zwar eine drastische Mieterhöhung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dirk Niebel [F.D.P.]: Über die Menschen fördern wir die Häuser! Zitieren Sie die anderen vier Seiten! – Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Herr Döring hat Ihnen vier weitere Seiten geschrieben! Lesen Sie doch die anderen Seiten!)


Ich finde, das gehört zu der Wahrheit, die wir hier of-
fen aussprechen sollten. Es geht nicht darum, mit einer
Subjektförderung das Problem aus der Welt zu räumen. Es
gibt viele Investoren, die nicht bereit sind, für bestimmte
Familien Wohnungen zu bauen. Wenn wir keine Objekt-

förderung hätten, würden wir für viele Familien keinen
Wohnraum schaffen können. Das muss auch in Ihren
Kopf gehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich möchte zusammenfassend feststellen: Wir schaffen
mit diesem hochmodernen und hochinnovativen Gesetz
die Möglichkeit, den neuen Herausforderungen, die sich
uns stellen, gerecht zu werden. Wir sorgen für mehr Fle-
xibilität und Effizienz. Wir sorgen auch am Wohnungs-
markt für mehr soziale Gerechtigkeit. Ich wünsche mir,
dass wir in den zukünftigen Diskussionen das, was noch
kritikwürdig ist und was noch nachjustiert werden muss,
klären können. Dazu werden sicherlich auch die Vorwürfe
gehören, die Herr Kansy gleich in seiner Rede erheben
wird, zum Beispiel den der Mieterhöhungen. Ihre Presse-
mitteilung dazu war allerdings etwas schwach.


(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Bei uns sind die Pressemitteilungen schwach; bei Ihnen der Minister!)


Über die Tatsache, dass wir die Verwaltungskosten-
pauschale indexieren möchten, während die Wohnungs-
wirtschaft jetzt eine deutlich höhere fordert, werden wir in
den Ausschussberatungen sicherlich außergewöhnlich in-
tensiv diskutieren. Ich bin sicher, dass wir auch dafür eine
für alle vernünftige Regelung finden werden.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1415902900
Bevor ich dem Kolle-
gen Dr.-Ing. Dietmar Kansy das Wort erteile, gebe ich
dem Kollegen Goldmann das Wort zu einer Kurzinter-
vention. – Bitte schön.


(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Der hat doch gerade geredet, Herr Präsident!)



Hans-Michael Goldmann (FDP):
Rede ID: ID1415903000
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist immer gut, wenn
man die Unterlagen, aus denen zitiert wird, griffbereit hat.
Herr Großmann, Sie haben gerade aus einem Brief von
Herrn Döring an Sie zitiert, der immerhin fünf Seiten um-
fasst. Insofern ist es unfair, wenn Sie nur aus einem Ab-
schnitt dieses Briefes zitieren. Das ist kein vernünftiger
Umgang mit einem Landesminister.


(Zuruf des Parl. Staatssekretärs Achim Großmann)


– Sie sollen nicht den ganzen Brief vorlesen. Aber Sie
sollten den Geist, in dem der Brief gehalten ist, einiger-
maßen fair wiedergeben. Das haben Sie nicht gemacht.

Herr Döring hat Ihnen unter anderem – das ist der erste
Punkt; das haben Sie nicht zitiert – geschrieben:

Die Ziele im sozialen Wohnungsbau sind nicht zu
erreichen. In der Begründung zum Gesetzentwurf
findet sich die Aussage, rund 37 % aller Haushalte in
den alten Ländern erfüllten die Einkommensgrenzen




Achim Großmann, Parl. Staatssekretär

15549


(C)



(D)



(A)



(B)


und seien damit potentiell berechtigt, eine öffentlich
geförderte Sozialwohnung zu belegen. Für Baden-
Württemberg schätzen wir diesen Anteil auf ein
Drittel

– dieses Drittel wurde schon vorhin erwähnt –
der 4,70 Mio. Haushalte, also auf rund 1,6 Mio. po-
tentiell berechtigte Haushalte. Der Bestand an
Sozialwohnungen belief sich hier Ende 2000 auf
177.000 sozial gebundene Wohnungen oder auf
11 % der potentiell berechtigten Haushalte; er wird
sich bis zum Jahr 2010 auf 46 000 Wohnungen ver-
ringern und damit jährlich im Schnitt um etwa
13 000 Wohnungen abnehmen.
Allein um diesen Sozialwohnungsbestand zu sichern
und die Abgänge durch neue Mietwohnungen und
durch gefördertes Wohneigentum zu ersetzen,
müsste unser Landeswohnungsbauprogramm jähr-
lich mindestens 580 Mio. DM umfassen.

Sie müssen sich das einmal vorstellen: Sie kritisieren
die Aussagen von Herrn Döring und verlangen gleichzei-
tig von einem Land wie Baden-Württemberg, dass es
mehr Mittel für die Förderung des sozialen Wohnungs-
baus in seinen Landeshaushalt einstellt als der Bund für
16 Bundesländer. Vor diesem Hintergrund ist es ein Skan-
dal, wenn Sie Herrn Döring hier so kritisieren, wie Sie es
getan haben. Das finde ich auf keinen Fall in Ordnung.

Herr Döring hat in seinem Brief an Sie auch auf den
Punkt hingewiesen, dass man mit Mietpreisbindungen in
den Wettbewerb auf dem freien Wohnungsmarkt eingreift.
Auch das haben Sie nicht erwähnt. Herr Döring hat außer-
dem gesagt, dass mit Ihrem Gesetzentwurf große soziale
Ungerechtigkeiten verbunden seien. Auch das haben Sie
nicht erwähnt. Sie haben auch nicht erwähnt, dass Herr
Döring in seinem Brief darauf hingewiesen hat, dass die
Erhaltung des Bestandes wichtiger als die Förderung von
Neubauten sei. Das ist, nebenbei bemerkt, eine Aussage,
die Sinn macht.

Herr Großmann, ich finde, dass das, was Sie hier ge-
macht haben, nicht korrekt ist. Es widerspricht auch dem
Geist, den Sie vorhin heraufbeschworen haben, als Sie da-
rauf hingewiesen haben, dass Sie zusammen mit den Län-
dern eine zukunftsorientierte Lösung gefunden hätten. Ich
muss Ihnen energisch widersprechen: Ihre Vorschläge
sind nicht geeignet, die Lösung der Probleme im sozialen
Wohnungsbau auf den richtigen Weg zu bringen.


(Beifall bei der F.D.P.)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1415903100
Kollege Großmann,
Sie haben das Wort zur Erwiderung.

A
Achim Großmann (SPD):
Rede ID: ID1415903200
Herr
Goldmann, das, was Sie vorgelesen haben, war ziemlich
entlarvend,


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


weil Sie die Systematik, die in diesem Brief steckt, an-
scheinend nicht erkannt haben. Sie können doch den Bund

nicht dafür verantwortlich machen, dass es in Baden-
Württemberg anscheinend nie einen vernünftigen sozia-
len Wohnungsbau gegeben hat. Der Bund ist doch wohl
die falsche Adresse.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Hans-Michael Goldmann [F.D.P.])


– Herr Goldmann, den sozialen Wohnungsbau in Baden-
Württemberg kann man im Moment noch nicht einmal
mit der Lupe finden. Das ist doch das Problem.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Herr Döring wollte sich noch nicht einmal an dem Pro-
gramm „Die soziale Stadt“ beteiligen.

Ich möchte Folgendes festhalten: Es gibt nicht die Not-
wendigkeit, dass jeder Familie, die einen Wohnberech-
tigungsschein hat, eine Sozialwohnung zur Verfügung
steht. Das hat es in diesem Land noch nie gegeben.


(Zuruf von der F.D.P.: Das steht in Ihrem Entwurf, in Ihrer Begründung!)


– Nein, das steht nicht in der Begründung des Entwurfs.
Dann müssen Sie das noch einmal lesen. Lassen Sie mich
doch einfach einmal ausreden. Es steht nicht im Entwurf.
Sie haben ihn nur überflogen oder gar nicht verstanden.

Wir haben, damit die soziale Ungerechtigkeit aus der
Welt geschafft wird, dass nicht jede Familie, die einen
Wohnberechtigungsschein hat, eine Sozialwohnung fin-
det, als erste Reformmaßnahme dieser Bundesregierung
im wohnungspolitischen Bereich das Wohngeld erhöht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Zehn Jahre lang hat das die Regierung, an der Sie betei-
ligt waren, nicht geschafft. Das heißt, wir haben denen,
die keine Chance haben, eine Wohnung im sozialen Woh-
nungsbau zu bekommen, deutlich mehr Wohnkaufkraft
durch ein höheres Wohngeld, das sie seit dem 1. Januar
dieses Jahres bekommen, gegeben.

Jetzt machen wir den zweiten Schritt. Wir schaffen die
Möglichkeit, dass Familien Wohnraum finden, und das
nicht nur durch Neubaumaßnahmen. Herr Döring bezieht
sich in seinem Brief nur auf den Neubau. Wir machen aber
ein Gesetz für Neubau und Bestand, mit dem man mit deut-
lich weniger Geld aus dem Bestand Belegungsbindungen
kaufen und mit Modernisierungsmitteln Bindungen schaf-
fen kann. Das heißt, wir helfen Herrn Döring sogar, seine
Nachlässigkeiten aus den letzten Jahren zu korrigieren,


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


weil er mit dem Geld, das er bekommt, jetzt deutlich mehr
Wohnungsbindungen schaffen kann.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Eine Unverschämtheit!)

Lesen Sie sich den Entwurf noch einmal in Ruhe durch

und machen Sie sich noch einmal klar, Herr Goldmann,
dass auch das Land Baden-Württemberg zu den Ländern
gehört – es waren alle 16 am Tisch –, die diesen Gesetz-
entwurf erarbeitet haben.




Hans-Michael Goldmann
15550


(C)



(D)



(A)



(B)


Mich würde interessieren, was die Fachabteilung des
Wirtschaftsministeriums, die an diesem Gesetzentwurf
mitgearbeitet hat, zu diesem Brief sagen würde. Ich weiß,
was sie dazu sagt. Ich will das aber der Fairness halber
hier nicht aussprechen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1415903300
Nun hat tatsächlich
Kollege Dietmar Kansy das Wort.


(Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Jetzt geht Herr Goldmann! So sind sie!)



Dr.-Ing. Dietmar Kansy (CDU):
Rede ID: ID1415903400
Herr Präsi-
dent! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine Da-
men und Herren, die Sie uns hier zuhören! Herr Kollege
Spanier, vielleicht fragen sich die Leute tatsächlich,
warum wir ausgerechnet heute Morgen, sozusagen zwi-
schen Trittin und BSE-Krise, das Thema sozialer Woh-
nungsbau diskutieren.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ihr wolltet doch die TrittinDebatte! Wir wollten doch die bescheuerte Trittin-Debatte überhaupt nicht! Das war doch euer Klamauk!)


Einen Grund haben wir eben gehört: Es ist auch ein bisschen
Wahlkampf dabei. Aber, Herr Kollege Großmann, wenn Sie
schon Baden-Württemberg erwähnen, muss ich Ihnen ent-
gegenhalten: Es ist neben dem Saarland das Flächenland mit
der höchsten Eigentumsrate, der niedrigsten Arbeitslosen-
quote und den besten Zukunftserwartungen. Daher hat Ba-
den-Württemberg eine gute Regierung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Aber warum zu einer Zeit, in der die Wohnungsmärkte

anscheinend ausgeglichen sind, eine Wohnungsdebatte?
Man hört und liest von 1 Million leer stehender Woh-
nungen im Osten, von einer Forderung nach Abrisspro-
grammen und von Prognosen, die eine abnehmende Be-
völkerungszahl vorhersagen. Daher ist tatsächlich die
Versuchung groß, das Thema Wohnungsbau als abgehakt
zu betrachten. Ich will Ihnen, meine Kollegen von der Ko-
alition, insbesondere von der Bundesregierung, ganz ehr-
lich sagen: Sie haben einen erheblichen Teil dazu beige-
tragen, dass dieses Thema als abgehakt betrachtet wird.
Der Herr Kollege Oswald und auch der Herr Kollege
Goldmann haben es schon gesagt: Wir hatten – da beißt
die Maus keinen Faden ab – am Ende der vergangenen
Regierungszeit einen so ausgeglichen Wohnungsmarkt,
wie wir ihn über Jahrzehnte nicht gehabt haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wir hatten mit 1,1 Prozent die niedrigsten Mietsteigerun-
gen, solange es überhaupt Statistiken darüber in Deutsch-
land gibt.

Wenn Sie das zusammenfassen, Herr Staatssekretär, er-
kennen Sie, dass – mit oder ohne Mietrechtsreform – nach
wie vor die Faustregel gilt: Der beste Mieterschutz ist ein
ausreichendes Wohnungsangebot.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Das haben wir Ihnen hinterlassen.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Das war die Regierung Helmut Kohl mit ihren Bauministern! Keine Geschichtsfälschung!)


Aber Sie haben jetzt eine Politik begonnen, mit der Sie
in allen Bereichen der Wohnungspolitik durch massive
Kürzungen bei der direkten Förderung, durch syste-
matische Verschlechterung der Rahmenbedingungen im
frei finanzierten Wohnungsbau und durch ständige Abstri-
che bei der Förderung des selbst genutzten Wohneigentums
die Investitionen so gedrosselt haben, dass wir dieses Jahr
– Herr Spanier, das wissen Sie – erstmals die so genannte
Ersatzbaurate unterschreiten. Das heißt im Klartext: Es
werden weniger Wohnungen gebaut oder grundlegend sa-
niert, als abgängig sind. Da diesem Parlament auch der
Vorsitzende der IG BAU, Kollege Wiesehügel, angehört,
sei gesagt: 100000 Wohnungen weniger pro Jahr – das ist
das Ergebnis Ihrer Politik –, das sind auch 120000Arbeits-
plätze weniger auf dem Bau in diesem Land.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Iris Gleicke [SPD]: Das ist Quatsch!)


– Frau Gleicke, der Hinweis auf die leer stehenden Woh-
nungen in Leipzig hilft uns überhaupt nichts, wenn wir in
westdeutschen Ballungsräumen schon wieder erste
Knappheitserscheinungen haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P. – Iris Gleicke [SPD]: Da gebe ich Ihnen Recht!)


So weit, so schlecht.
Dennoch bleibt die Frage: Weiter so im sozialen Woh-

nungsbau, neue Ansätze oder neue Schwerpunkte? Diese
Frage haben vor vier Jahren der damalige Wohnungsbau-
minister Klaus Töpfer und vor zwei Jahren der damalige
Minister Oswald beantwortet: Nicht „Weiter so“! Einig-
keit, Reform, aber kein Kahlschlag. – In welcher Form der
Kahlschlag erfolgt, das ist für die Mieter relativ unin-
teressant. Ob der Kahlschlag, wie die F.D.P. vorschlägt,
durch eine formelle Aufgabe der Bundesverantwortung er-
folgt, ob er, wie es die Koalition tatsächlich macht, durch
finanzielles Aushungern erfolgt oder ob er durch Sprüche
wie „Wohnungsbau ist Zubetonierung der Landschaft“ be-
gleitet wird – dies alles hat nichts mit Reform zu tun.

Wir gehen an diese Aufgabe mit dem Ziel, den sozia-
len Wohnungsbau zu erhalten und nicht nur zu reformie-
ren. Das kann man nicht – der Kollege Goldmann ist ge-
rade nicht anwesend –, wenn man vorschlägt, die Mittel
für den sozialen Wohnungsbau quasi dem Wohngeld zu-
zuschlagen und zu sagen: Der Markt wird es schon rich-
ten. – Alle Erfahrungen der letzten Jahrzehnte sprechen
dagegen. Für bestimmte Bevölkerungsgruppen und für
bestimmte Regionen reicht selbst eine ausreichende
Wohnkaufkraft nicht, meine verehrten Kollegen von der




Parl. Staatssekretär Achim Großmann

15551


(C)



(D)



(A)



(B)


F.D.P., um eine Wohnung zu finden. Wenn wir uns aus der
Mischfinanzierung zurückziehen würden, dann würden
wir das Problem nur auf die Länder und Gemeinden ver-
schieben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


– Vielen Dank.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der SPD,

man kann den sozialen Wohnungsbau natürlich auch nicht
aufrechterhalten, wenn man, wie Sie, Reformgesetze vor-
legt, aber deren Finanzierung im Bundeshaushalt so
zusammenstreicht, dass das groß angekündigte Reform-
programm de facto heiße Luft wird. Dazu kommt – das
übersieht bestenfalls die Fachwelt –, dass der Bund durch
die sehr großzügige Neuinterpretation der Rückflussrege-
lung zusätzlich kassiert und unterm Strich mehr Rück-
flussmittel für den Wohnungsbau einnimmt, als er für den
sozialen Wohnungsbau ausgibt.

Meine sehr verehrte Kollegin Eichstädt-Bohlig, vor
dem Wahlkampf habe ich Sie von „mindestens 1 Milli-
arde DM Fördermittel“ reden hören.


(Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Natürlich wollen immer alle mehr Geld haben!)


Inklusive aller Rückflüsse wären das in diesem Jahr ins-
gesamt 2,5 Milliarden DM an Mitteln. In Ihrem Haushalt
ist kaum ein Viertel mehr von dem vorgesehen, was Sie
Ihren Wählern – ich erinnere an Ihre Forderungen – vor
der Wahl versprochen haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Wolfgang Spanier [SPD]: Wir müssen Ihre Schulden bezahlen!)


Herr Großmann und Herr Spanier, da können Sie na-
türlich sagen: Man darf nicht nur über das Geld reden.
– Hören Sie einmal auf den Volksmund, der schon immer
gesagt hat: Uns ist ein Onkel lieber, der etwas mitbringt,
als eine Tante, die nur Klavier spielt. – Genau das machen
Sie im Wohnungsbau: Sie kündigen eine Reform groß an
und verfügen über die minimalste Finanzierung über-
haupt.

Herr Großmann, Sie haben den Exminister Oswald an-
gesprochen: Ich war dabei, als er mit seinem Finanzminis-
ter gekämpft hat. Die Untergrenze seiner Forderungen im
Hinblick auf Haushaltsmittel für den sozialen Wohnungs-
bau lag bei 1,3 Milliarden DM. In diesem Haushalt ist
dafür noch nicht einmal ein Drittel dieser Summe vorge-
sehen, von den zusätzlich vorhandenen Milliarden, die
Sie forderten, ganz zu schweigen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Eduard Oswald [CDU/CSU]: Das ist die Wahrheit und nichts als die Wahrheit!)


In dieser Gemengelage von richtigen Reformansätzen
und finanzieller Beerdigung des sozialen Wohnungsbaus
wird die CDU/CSU den Gesetzentwurf konstruktiv bera-
ten, und zwar in der Hoffnung, dass vielleicht etwas
Vernünftiges dabei herauskommt. Ich sage Ihnen schon
jetzt voraus: Wenn Sie dem Bundesrat im finanziellen Be-

reich nicht mehr als die Brosamen bieten, die nicht nur
Teil Ihres Haushaltes, sondern auch Ihrer mittelfristigen
Finanzplanung sind, dann können Sie das ganze Reform-
gesetz vergessen.


(Wolfgang Spanier [SPD]: Das sehen die Länder aber anders!)


– Die Länder sehen das genauso, Herr Kollege Spanier.
Was wollen Sie denn? Genauso wie der Staatssekretär ha-
ben Sie die Herausforderungen im Bestand angesprochen.
Wie wollen Sie die Herausforderungen im Bestand be-
wältigen? Es geht um mehr als um den Teilabriss von Plat-
tensiedlungen auf dem Gebiet der ehemaligen DDR. Der
viel größere Teil der Leerstände betrifft verfallene Alt-
bauten aus der Gründerzeit. Sie stellen bei dieser Dotie-
rung Sachsen-Anhalt oder Brandenburg etwa 30 Milli-
onen DM pro Jahr zur Verfügung, wollen gleichzeitig das
Problem soziale Stadt angehen – das ist auch völlig un-
terdotiert; dafür bekommen Sachsen-Anhalt oder Bran-
denburg noch einmal vielleicht 10 Millionen DM – und
glauben dann, dass Sie den Leuten sagen könnten: Wun-
derbar, jetzt habt ihr die Mittel, damit ihr mit diesen Pro-
blemen endlich fertig werdet.


(Iris Gleicke [SPD]: Wir haben das Altschuldenhilfe-Gesetz novelliert! 700 Millionen!)


Wer in seinem Gesetz davon spricht, dass soziale
Wohnungsbauförderung in Zukunft mehr Bestandsför-
derung sein soll, der muss das natürlich auch im Haushalt
sichtbar machen und darf die Mittel für den sozialen Woh-
nungsbau nicht auf ein Minimum zurückführen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Es ist ja alles richtig, was Sie hier so schön vorgetragen
haben. Ich frage aber: Wie wollen Sie denn die Siedlun-
gen, die zu sozialen Brennpunkten geworden sind, Herr
Vesper, durch eine ausgeglichene Belegung wieder zu-
kunftsfähig machen, wenn Sie die Einkommensgrenzen
nicht sichtbar erhöhen und wenn Sie die Fehlbelegungs-
abgabe als flächendeckendes Instrument belassen,


(Wolfgang Spanier [SPD]: Tut doch keiner!)

mit der Möglichkeit, sich auf Landesebene gegebenen-
falls mit viel Bürokratie zurückzuziehen? Diese beiden
Instrumente sind nicht Teil der Lösung; sie sind das Pro-
blem, nämlich dass wir in unseren Ballungsräumen keine
vernünftige Durchmischung haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Dafür muss man, wenn man das politisch ankündigt, im
Haushalt etwas tun und darf nicht nur Reformgesetze ma-
chen und Mindestforderungen aufstellen.

Gestatten Sie mir zum Schluss noch folgenden Hin-
weis: Wie wollen Sie den Menschen eigentlich noch in die
Augen schauen, die Sie vor gut zwei Jahren gewählt ha-
ben und denen Sie, der Bundeskanzler, und der Kollege
Großmann mit seiner Forderung nach 2 Milliarden ver-
sprochen haben, mehr für den sozialen Wohnungsbau zu
tun? Jetzt haben Sie weniger als ein Drittel dessen, was im
letzten Regierungsjahr von Helmut Kohl aufgewendet




Dr.-Ing. Dietmar Kansy
15552


(C)



(D)



(A)



(B)


wurde, dort vorgesehen. Das müssen Sie Ihren Wählern
erst einmal erläutern.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Eduard Oswald [CDU/CSU]: Da machen wir ein Plakat!)


Im Übrigen tricksen Sie schon wieder. Sie haben ge-
sagt: Wir schaffen die Kostenmiete nicht ab; ihr Mieter im
Bestand könnt ruhig bleiben. – Wunderbar! Aber Sie se-
hen eine Lösung vor, die ein Nicht-Fachmann fast über-
haupt nicht versteht. Sie machen eine Mieterhöhung von
bis zu 50 DM monatlich über den Umweg über geänderte
Pauschalen für Verwaltung und Instandsetzung. Das ist
Feigheit. Sie könnten Mut beweisen, indem Sie sagten:
Wir stellen auch die Kostenmiete im Bestand infrage. Sie
sagen aber: „Mit uns nicht“ und erhöhen die Mieten über
Umwege und verkaufen das Ganze als soziale Politik.


(Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unverschämtheit! Eine falsche Rechnung, Herr Kollege Kansy! – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen Sie am besten ein Plakat!)


Kurzum, meine Damen und Herren: Wir haben viel zu
diskutieren. Ich will das Thema Mietrecht jetzt nur wie
folgt ansprechen, Herr Großmann: Ich hoffe, dass die Be-
ratung des Mietrechts im Parlament, diese unseriöse Bera-
tung ohne Zeit für Details, nicht das Beispiel für die Be-
ratung des sozialen Wohnungsbaus abgibt, nach dem
Motto, nach dem Sie verfahren sind: Mehrheit ist Mehr-
heit; eure Meinung interessiert uns nicht. – Dann, Herr
Spanier, wäre der angestrebte Konsens in Gefahr. Aber ich
hoffe, dass dies nicht der Fall sein wird.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das liegt doch an Ihnen!)


Vielleicht gelingt es ja wieder. Ich erwarte vernünftige
Beratungen in den nächsten Wochen und Monaten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Was denken Sie, was wir erwarten von Ihnen!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1415903500
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Dieter Maaß, SPD-Fraktion.


Dieter Maaß (SPD):
Rede ID: ID1415903600
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Wir haben 1998 den klaren Wähler-
auftrag bekommen, das Aussitzen und den Stillstand in
der Bundespolitik zu beenden, den Reformstau aufzulö-
sen und Innovationskräfte in unserer Gesellschaft zu mo-
bilisieren.


(Beifall bei der SPD)

Unsere Zwischenbilanz der politischen Gestaltung im

Sinne dieses Wählerauftrages kann sich sehen lassen.
Diese Koalition hat unter anderem dafür gesorgt, dass mit
dem Wohngeld ein wirksames wohnungspolitisches In-
strument erhalten bleibt, und sie geht jetzt einen wichti-
gen Reformschritt weiter.

Wir entwickeln den sozialen Wohnungsbau weiter zu
einer sozialen Wohnraumförderung. Obwohl wir gegen-

wärtig eine entspannte Versorgungslage haben, müssen
wir weiterhin die Menschen unterstützen, die nur sehr
schwer Zugang zum Wohnungsmarkt finden. Diesen Fa-
milien helfen wir durch die Förderung von preiswertem
Mietwohnraum und durch die Förderung der Bildung von
Wohneigentum.

Wir reagieren bei der politischen Gestaltung der Woh-
nungspolitik auf die veränderte Wirklichkeit und die Be-
dürfnisse der Menschen. Dabei richten wir ein besonderes
Augenmerk auf das genossenschaftliche Wohnen.


(Beifall bei der SPD)

Wohnungsgenossenschaften haben sich stets in starkem
Maße für den sozialen Wohnungsbau und die entspre-
chende Zielgruppe eingesetzt. Unser Gesetz unterstützt
deshalb den genossenschaftlichen Gedanken, durch die
Mobilisierung von Selbsthilfe für die Bereitstellung von
Wohnraum zu sorgen.

Im Gesetzentwurf wird diese Rolle der Genossen-
schaften dann auch besonders gewürdigt und unterstützt:
Die Zielgruppe der Förderung deckt sich in weiten Teilen
mit den Zielgruppen der Wohnungsgenossenschaften. Die
Bestandsorientierung der Förderung, die durchgehend im
Gesetz ihren Ausdruck findet, wird für Wohnungsgenos-
senschaften von besonderer Bedeutung sein.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Alle Vorteile, die mit der Neuausrichtung der Förderung
von Mietwohnungen und selbst genutztem Wohneigen-
tum vorgesehen sind, kommen auch den Wohnungs-
genossenschaften zugute.

Besondere Aufmerksamkeit möchte ich jedoch auf
§ 12 des Gesetzentwurfs lenken. Den Genossenschaften
wird hier ein sehr innovatives Angebot gemacht. Förde-
rungswürdig sind künftig Arbeitsleistungen von Mietern
– die so genannte Muskelhypothek – sowie Sachleis-
tungen von Mietern und erbrachte Finanzierungsanteile,
aber auch – und das ist neu – zusätzlich gezeichnete An-
teile von Genossenschaftsmitgliedern. Diese zu fördern,
wenn das zusätzlich bereitgestellte Kapital nachweisbar
für Wohnbaumaßnahmen investiert wird, ist sinnvoll,
wenn erstens der Mietpreis reduziert wird, zweitens eine
Modernisierung oder Sanierung im Bestand geschieht
und drittens das Wohnumfeld verbessert wird. Das ist,
meine ich, aus der Sicht eines Wohnungspolitikers, dem
die Idee genossenschaftlichen Wohnens am Herzen liegt,
eine wichtige Leistung des Gesetzgebers.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Im Abs. 2 des § 12 ist ein weiteres klassisches Instru-
ment der Genossenschaften Gegenstand der Förderung:
Die organisierte Gruppenselbsthilfe bei der Vorberei-
tung und Durchführung von Baumaßnahmen kann erst-
malig im Rahmen des Gesetzes erfolgen.

In einem weiteren Abschnitt unseres Gesetzentwurfs,
dem § 14, bieten wir den Genossenschaften erweiterte
Handlungsspielräume: Wohnungsgenossenschaften kön-
nen sich künftig auch im Rahmen von Kooperationsver-
trägen mit den Kommunen zu ihren Gunsten engagieren.




Dr.-Ing. Dietmar Kansy

15553


(C)



(D)



(A)



(B)


Damit stellt diese Bundesregierung ein Rahmengesetz,
ein neues Instrument für Genossenschaften zur Verfü-
gung, das sich in der Praxis bewähren wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Genossenschaften und Kommunen entscheiden vor Ort,
ob und wie diese Möglichkeit zur Kooperation genutzt
wird. Wenn die Kommunen diese Chancen erkennen und
auch entsprechend handeln, ist dies ein wirksames
wohnungspolitisches Instrument.

Wir wissen, dass die Wohnungsmärkte regional unter-
schiedlich sind – in München sicher anders als im Ruhr-
gebiet oder in den neuen Bundesländern – und oft stellen
wir fest: Ganze Mietwohnquartiere werden privatisiert. In
den meisten Fällen wird den Mietern die Wohnung zum
Kauf angeboten; oft fehlt den Mietern aber das Geld für
den Erwerb. Hier können sich Genossenschaften neu
gründen. Aber auch Altgenossenschaften können zukünf-
tig Angebote machen, die Wohnungsnutzern helfen und
Wohnquartiere erhalten.

Meine Damen und Herren, heute bringen wir das Ge-
setz zur Reform des Wohnbaurechtes ein. Ich erwarte kon-
struktive Vorschläge der Opposition in den Aus-
schusssberatungen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜND NIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1415903700
Ich schließe die Aus-
sprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Gesetzent-
würfe auf den Drucksachen 14/5538 und 14/627 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind
die Überweisungen so beschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-emp-
fehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Woh-
nungswesen auf Drucksache 14/4668. Der Ausschuss
empfiehlt die Annahme des Antrages der Fraktionen der
SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen mit dem Titel
„Den sozialen Wohnungsbau erhalten und reformieren“
auf Drucksache 14/3664. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Gegenprobe! – Stimmenthaltungen? – Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD,
Bündnis 90/Die Grünen und der PDS angenommen.

Weiterhin empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des
Antrags der CDU/CSU mit dem Titel „Soziale Wohn-
raumförderung – Reform im Einklang mit einer kohären-
ten Wohnungs- und Städtebaupolitik“, Drucksache
14/3668. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Gegenprobe! – Stimmenthaltungen? Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen von SPD und Bünd-
nis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von CDU/CSU bei
Enthaltung von F.D.P. und PDS angenommen.

Schließlich empfiehlt der Ausschuss für Verkehr, Bau-
und Wohnungswesen auf Drucksache 14/4668 die Ableh-
nung des Antrags der F.D.P. mit dem Titel „Wohngeld er-
höhen, Bürokratie abbauen, Länderkompetenzen stärken:

Reformchancen beim sozialen Wohnungsbau konsequent
nutzen“, Drucksache 14/3676. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Stimment-
haltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-
men von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS gegen
die Stimmen der F.D.P. bei Stimmenthaltung der
CDU/CSU angenommen.

Ich rufe denTagesordnungspunkt 17 auf:
Erste Beratung des von dem Abgeordneten
Wolfgang Bosbach und der Fraktion der CDU/
CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Versammlungsgesetzes
–Drucksache 14/4754 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Rechtsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Wolfgang Bosbach, CDU/CSU-Fraktion.


Wolfgang Bosbach (CDU):
Rede ID: ID1415903800
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Zunächst ein kurzer Blick
zurück: Am 29. Januar 2000 marschierten Neonazis mit
schwarz-weiß-roten Fahnen durch das Brandenburger
Tor. Anlass der Demo: Protest gegen das geplante Holo-
caust-Mahnmal, das in unmittelbarer Nähe errichtet wer-
den wird. Datum und Ort waren bewusst gewählt. Der
27. Januar erinnert an die Befreiung des Konzentrations-
lagers Auschwitz und am 30. Januar 1933 marschierte die
SA anlässlich Hitlers Machtergreifung ebenfalls durch
das Brandenburger Tor.

In gleicher Weise unappetitlich war die Neonazi-De-
monstration am 12.März dieses Jahres an gleicher Stelle,
diesmal zur Erinnerung an den Anschluss Österreichs an
Nazi-Deutschland im Jahre 1938.

Die Bilder von diesen Aufzügen gingen um die ganze
Welt. Solche Demonstrationen blamieren und diskreditieren
nicht nur die Hauptstadt Berlin, sondern unser ganzes Land.


(Beifall bei der CDU/CSU – Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Sehr wahr!)


Sie sind eine Zumutung für unsere Bürger. Vor allen Din-
gen sind sie eine Zumutung für unsere Mitbürger jüdi-
schen Glaubens. Sie sind gleichzeitig eine Herausforde-
rung für eine wirklich wehrhafte Demokratie und damit
für alle, denen das Ansehen unseres Landes nicht gleich-
gültig ist und die von einem entschlossenen Kampf gegen
politische Extremisten jeder Schattierung nicht nur reden,
sondern ihn auch tatsächlich ernst meinen.

Wir dürfen uns nicht damit abfinden, dass das Branden-
burger Tor und demnächst auch noch das Mahnmal für die
ermordeten Juden Europas zum Aufmarschplatz für extre-
mistische Aufzüge und zur medienwirksamen Kulisse für
verfassungsfeindliche Aufzüge und Parolen werden.


(Beifall bei der CDU/CSU – Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Sehr richtig!)





Dieter Maaß (Herne)

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(C)



(D)



(A)



(B)


Gelegentlich ist zu hören, eine in sich gefestigte De-
mokratie müsse solche Demonstrationen aushalten und
solange die NPD nicht verboten sei, könne sie grundsätz-
lich Ort und Zeit ihrer Demonstrationen frei bestimmen.
Wenn sie nicht am Brandenburger Tor oder am Holo-
caust-Mahnmal demonstriere, dann eben woanders.

Diese Argumentation überzeugt nicht. Richtig ist, dass
wir Aufzüge extremistischer Organisationen nicht allein
wegen ihrer extremen politischen Ausrichtung verbieten
können. Aber das kann nicht bedeuten, dass wir rechtlich
verpflichtet sind, auch besonders bedeutsame und daher
besonders sensible Orte als Kulisse für diese Demonstra-
tionen zur Verfügung zu stellen. Diese Orte werden nicht
zufällig, sondern absichtlich – wegen der damit verbun-
denen Provokation – als Aufmarschplätze gewählt. Einen
verfassungsrechtlich garantierten Rechtsanspruch auf
eine extremistische Demonstration ausgerechnet am Ho-
locaust-Mahnmal, vor der Neuen Wache oder am Bran-
denburger Tor dürfte es wohl nicht geben.

Am 14. September 2000 hat Bundeskanzler Schröder
anlässlich des 50-jährigen Bestehens der Gewerkschaft
der Polizei in Hamburg gesagt, er könne im Ausland nie-
mandem erklären, dass wir solche Demonstrationen dul-
den würden; hier müsse unbedingt etwas geschehen.

Seitdem sind über sechs Monate vergangen, ohne dass
die Bundesregierung oder die Koalitionsfraktionen auch
nur andeutungsweise mitgeteilt hätten, was denn nun kon-
kret geschehen soll. Wir erwarten von der Koalition eine
klare Aussage darüber, ob dieses Kanzlerwort nur ein ty-
pischer „Schröder“ war oder ob sich dahinter ein ernst-
haftes politisches Anliegen verbirgt.

Es ist ja keineswegs so, dass nur meine Fraktion Hand-
lungsbedarf sieht. Die Innenministerkonferenz hat be-
reits am 24. November den Bundesminister des Innern
aufgefordert, einen Gesetzentwurf zur Änderung des
Versammlungsrechtes vorzulegen. Da dies bis zur Stunde
nicht geschehen ist, bringen wir heute in Abstimmung mit
dem Berliner Innensenator Werthebach einen eigenen Ge-
setzentwurf ein. Dieser enthält neben der Ausgestaltung
der vom Bundesverfassungsgericht vorgegebenen Ko-
operationspflichten zwischen dem Veranstalter der De-
monstration und der Genehmigungsbehörde im Wesentli-
chen zwei Punkte: die Konkretisierung der Verbotsnorm
des § 15 des Versammlungsgesetzes und die erweiterte
Möglichkeit zur Schaffung so genannter befriedeter Be-
zirke in § 16.

Nach geltender Rechtslage kann eine Versammlung
grundsätzlich nur dann verboten werden, wenn bei Durch-
führung der Versammlung die öffentliche Sicherheit oder
Ordnung erkennbar gefährdet ist. Rechtsprechung dazu
ist, dass nur das vorhersehbare Begehen von Straftaten
aus der Demonstration heraus, nicht aber schon die Äuße-
rung verfassungsfeindlicher Inhalte eine unmittelbare Ge-
fährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung dar-
stellt, mithin ein Versammlungsverbot rechtfertigen kann.

Das wollen wir ändern. Ein Verbot soll schon bei der
Gefahr einer nachhaltigen Beeinträchtigung erheblicher,
insbesondere außenpolitischer Belange der Bundesrepu-
blik Deutschland möglich sein, wenn gleichzeitig auch

Verfassungsgrundsätze im Sinne von § 92 Abs. 2 des
Strafgesetzbuches missachtet werden. Diese Vorschrift
nennt die wesentlichen Prinzipien unserer verfassungs-
gemäßen Ordnung, vor allem das Demokratieprinzip, das
Rechtsstaatsprinzip sowie den Ausschluss jeglicher Ge-
walt und Willkürherrschaft.

Das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit ist ein
hohes Rechtsgut, das niemand leichtfertig aufs Spiel set-
zen will und das auch von unserem Gesetzentwurf nicht
beschädigt, sondern ausdrücklich beachtet wird. Aber das
Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit ist kein schran-
kenloses Recht, hinter das alle anderen Rechte zwangs-
läufig zurücktreten müssten. Schon jetzt sind diesem
Grundrecht unter Berücksichtigung anderer wichtiger Ge-
meinschaftsgüter Schranken gesetzt.

Die zweite wesentliche Änderung betrifft die Möglich-
keit, die Einrichtung von befriedeten Bezirken zu er-
weitern. Nach geltendem Recht bestehen solche befriede-
ten Bezirke nur für die Gesetzgebungsorgane des Bundes
und der Länder sowie für das Bundesverfassungsgericht
in Karlsruhe. Künftig sollen vergleichbare befriedete Be-
zirke auch für solche Einrichtungen und Örtlichkeiten
ausgewiesen werden können, „die von herausragender na-
tionaler und historischer Bedeutung sind“. Auch die In-
nenminister und Innensenatoren der Länder denken in die
gleiche Richtung.

In dem bereits erwähnten Beschluss vom 24. Novem-
ber heißt es unter anderem wörtlich, dass

Versammlungen an historisch oder kulturell bedeut-
samen Einrichtungen und Örtlichkeiten wie dem
Brandenburger Tor, dem Denkmal für die ermorde-
ten Juden Europas, der zentralen Gedenkstätte der
Bundesrepublik für die Opfer von Krieg und Ge-
waltherrschaft und ehemaligen Konzentrations-
lagern der NS-Diktatur nur nach besonderer Gestat-
tung zulässig sein sollten.

Aus den Reihen der verehrten politischen Konkurrenz
ist zu hören, dass man über einen „befriedeten Bezirk“
ausschließlich für das Holocaust-Denkmal reden könne,
nicht aber für irgendeinen anderen politisch oder histo-
risch bedeutsamen Ort. Diese Argumentation ist schlicht-
weg nicht nachvollziehbar.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die zentrale nationale Gedenkstätte für die Opfer

von Krieg und Gewaltherrschaft ist die Neue Wache.
Wieso soll nur das Holocaust-Denkmal durch einen be-
friedeten Bezirk vor extremistischen Demonstrationen
geschützt werden, nicht jedoch gleichzeitig auch die
Neue Wache? Entscheidender Unterschied kann ja nicht
sein, dass die Neue Wache nicht nur, sondern auch den
jüdischen Opfern der NS-Gewaltherrschaft gewidmet
ist. Wieso soll am Holocaust-Denkmal nicht demons-
triert werden dürfen, wohl aber in unmittelbarer Nach-
barschaft ehemaliger Konzentrationslager, in denen
jene Grausamkeiten begangen wurden, an die das Denk-
mal erinnern soll?


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Sehr wahr!)





Wolfgang Bosbach

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(C)



(D)



(A)



(B)


Im Übrigen können und werden Ausnahmeregelungen,
nach denen unter bestimmten Voraussetzungen auch in-
nerhalb der befriedeten Bezirke Versammlungen zulässig
sind, dafür sorgen, dass die Versammlungsfreiheit nicht
unverhältnismäßig eingeschränkt wird.

Ich hoffe, dass es uns gelingt, diese wichtige und ernste
Thematik sachlich und ohne Parteipolemik zu erörtern.
Vielleicht gelingt uns im Laufe der Gesetzgebungsarbeit
tatsächlich ein parteiübergreifender parlamentarischer
Konsens.

Wir sind es uns in diesem Lande schuldig, dass wir
über die hier in Rede stehenden Demonstrationen nicht
nur unsere Empörung zum Ausdruck bringen, sondern
dass wir sie auch durch Entschlossenheit bekämpfen.

Danke fürs Zuhören.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1415903900
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Dieter Wiefelspütz, SPD-Fraktion.


Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD):
Rede ID: ID1415904000
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Ich bedaure vorab, dass sich die be-
sonderen Ereignisse des heutigen Tages so auswirken,
dass wir diese Debatte nicht mit der Aufmerksamkeit
führen können, wie das sonst der Fall gewesen wäre.

Es ist in der Tat – in dem Punkte stimme ich Herrn
Bosbach ausdrücklich zu – eine wichtige Fragestellung:
Wie geht wehrhafte Demokratie mit den Feinden von
Demokratie, mit den Gegnern von Recht und Gesetz, mit
den Feinden von Toleranz und Menschlichkeit um? Diese
Frage müssen wir uns immer wieder stellen. Es ist richtig,
wenn Sie von wehrhafter Demokratie sprechen. Die Frage
ist nur: Mit welchen Instrumenten wehren wir uns? Diese
Instrumente müssen immer die Instrumente des Rechts-
staates sein, müssen sich immer an der Messlatte des
Grundgesetzes und an nichts anderem ausrichten.

Im Zusammenhang mit NPD-Veranstaltungen war die
Rede davon, dass es nicht nur Worte geben darf, sondern
auch Taten geben muss. Ich darf daran erinnern, dass wir
– die Koalition, aber insbesondere die SPD, auch ich
persönlich – uns mit Leidenschaft für einen eigenständi-
gen Verbotsantrag in Richtung NPD durch den Deutschen
Bundestag eingesetzt haben. Diese Auffassung ist von der
CDU/CSU-Fraktion nicht geteilt worden. Der Kollege
Bosbach – der jetzt einen anderen Termin hat, was in Ord-
nung ist, und die Debatte hier nicht verfolgen kann; aber
er kann es ja nachlesen – hat hier eine Haltung eingenom-
men – Herr Marschewski, jetzt müssen Sie das ertragen –,
die den Worten keine Taten hat folgen lassen. Auch der In-
nensenator des Landes Berlin hat es nicht zustande ge-
bracht, dass das Land Berlin in Sachen NPD-Verbotsan-
trag im Bundesrat eine klare und eindeutige Haltung
eingenommen hat. Es hat eine kraftvolle konsequente
Enthaltung ausgesprochen.

Ich finde es sehr traurig, dass das geschehen ist. Sie ha-
ben meine besondere Anteilnahme dafür, dass diejenigen,
die hier von wehrhafter Demokratie sprechen und über

NPD-Veranstaltungen am Brandenburger Tor die
Fahne ganz hoch halten,


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ CSU]: Die Fahne halten wir da nicht hoch! Das passt da nicht hin! Wir sind zwar gute Deutsche, aber wir halten da nicht die Fahne hoch!)


nicht einmal imstande sind, das voranzutreiben, was wirk-
lich konsequent ist, nämlich den Verbotsantrag.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: So ist es!)


Ich freue mich auf die Beratungen im Innenausschuss
und auch im Rechtsausschuss. Ich höre, dass eine An-
hörung angedacht ist, Herr Marschewski.


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Das ist wahr!)


Diesem Ansinnen werden wir ausdrücklich zustimmen,
weil wir dieses Thema in der Tat auf den Prüfstand stellen
wollen. Ich bin auch der Auffassung, dass wir in diese De-
batte ergebnisoffen hineingehen sollten.

Ich will Ihnen meine Meinung zu diesem Gesetzent-
wurf aus heutiger Sicht allerdings nicht vorenthalten. Ich
halte diesen Gesetzentwurf in Teilen für verfassungswid-
rig. Das ist nicht nur meine persönliche Meinung, sondern
diese Meinung ist inzwischen auch in der verfassungs-
rechtswissenschaftlichen Literatur mehrfach zu lesen.
Wenn Sie bei den besten Kommentatoren zu Art. 8, der die
Messlatte ist, nachgelesen hätten – bei Herrn Benda oder
bei Herrn Herzog, ehemalige christdemokratische Politi-
ker, hochrangige Verfassungsrechtler, Präsidenten des
Bundesverfassungsgerichtes –, dann hätten Sie dort ähn-
liche Testate gefunden.

Außenpolitische Belange als Messlatte für Demonstra-
tionen heranzuziehen ist nach meiner festen Überzeugung
verfassungswidrig. Deswegen wird der von Ihnen vorge-
legte Gesetzentwurf in dieser Form keinesfalls Gesetz
werden. Die CDU/CSU-Fraktion steht mit dieser Position
ganz alleine. Sie haben die große Mehrheit des Hauses ge-
gen sich, wenn Sie meinen, außenpolitische Belange
könnten als Messlatte für Demonstrationen in Deutsch-
land herangezogen werden. Ich bitte Sie, wer definiert
denn außenpolitische Belange? Das Auswärtige Amt? Der
Polizeipräsident von Berlin? Die Gerichte? Soll es nicht
mehr möglich sein, dass hier Demonstrationen gegen
Menschenrechtsverletzungen in Tibet stattfinden,
wenn gleichzeitig ein deutscher Außenminister selbstver-
ständlich Gespräche mit der chinesischen Regierung da-
rüber führen muss?

Dieses Spannungsverhältnis muss doch ausgehalten
werden. Zensur findet nicht statt. Ich sage an dieser Stelle
noch einmal sehr deutlich, was ich an anderer Stelle schon
betont habe: Die Ausübung von Grundrechten in Deutsch-
land kann nicht davon abhängig gemacht werden, was im
Ausland in der Zeitung steht. Ich sage das in voller Kennt-
nis der Konsequenzen, obwohl auch ich weiß, dass Nazi-
Demonstrationen in Deutschland dem Ansehen Deutsch-
lands im Ausland schaden, und ich es genauso gerne wie
jeder andere von uns habe, dass im Ausland gut über uns




Wolfgang Bosbach
15556


(C)



(D)



(A)



(B)


gesprochen wird. Aber es ist nun wirklich nicht möglich
– wie sollte es auch möglich sein? –, dass in Deutschland
die Ausübung von Grundrechten davon abhängig ge-
macht wird, was in einem anderen Land an Kritischem
oder Unkritischem geschrieben wird. Es ist verfassungs-
rechtlich völlig abwegig, zu glauben, dass dies zulässig
wäre. Dies ist evident verfassungswidrig, genauso verfas-
sungswidrig übrigens, Herr Innensenator Werthebach,
wie Ihr Vorschlag – das gehört jetzt allerdings nicht unbe-
dingt zur Sache –, einen genetischen Fingerabdruck für
alle Männer verpflichtend einzuführen.


(Dr. Eckart Werthebach, Senator [Berlin]: Das habe ich nie vorgeschlagen!)


– So war es jedenfalls zu lesen. Sollte das nicht der Fall
sein, dann bitte ich um Nachsicht und korrigiere das.


(Dr. Eckart Werthebach, Senator [Berlin]: Ja, bitte!)


– Aber es könnte stimmen, Herr Werthebach; es liegt auf
Ihrer Linie.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1415904100
Kollege Wiefelspütz,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Marschewski?


Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD):
Rede ID: ID1415904200
Selbstverständlich. – Sehr
gerne, Herr Marschewski.


Erwin Marschewski (CDU):
Rede ID: ID1415904300

Herr Kollege Wiefelspütz, sind Sie mit mir der Auffas-
sung, dass der Vergleich einer Demonstration von Nazis
am Brandenburger Tor mit einer Demonstration für ein
autonomes Tibet ziemlich absurd ist,


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Aber Ihr Gesetzentwurf lässt das zu! Ihr Gesetzentwurf ist das Manko!)


dass es dann, wenn erhebliche schutzwürdige Belange der
Bundesrepublik – das ist der Obersatz – beeinträchtigt
werden, durchaus richtig wäre, dass wir zu Nazi-Demon-
strationen am Brandenburger Tor Nein sagen, und dass es
neben dem Reichstagsbereich und dem Bereich in Karls-
ruhe weitere Bereiche in Deutschland geben muss – Kol-
lege Bosbach hat dies ausgeführt und Rheinland-Pfalz hat
dazu einen Antrag in den Bundesrat eingebracht –, in de-
nen eine Nazi-Demonstration nicht stattfinden darf?


(Eckhardt Barthel [Berlin] [SPD]: Er hat es nicht begriffen!)



Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD):
Rede ID: ID1415904400
Herr Marschewski, ich
bedanke mich für diese Frage, weil ich glaube, dass Sie
von mir nur differenzierte Antworten bekommen. Ich sage
Ihnen noch einmal sehr deutlich: Ich bin strikt dagegen,
dass außenpolitische Belange für die Beantwortung der
Frage herangezogen werden, ob ein Grundrecht in
Deutschland ausgeübt werden darf oder nicht. Dies ist
verfassungsrechtlich nicht hinnehmbar. Ich habe genauso
wie Sie etwas gegen rechtsextremistische Veranstaltun-
gen. Übrigens habe ich vermutlich genauso wie Sie auch

etwas gegen linksextremistische Veranstaltungen. Das ist
ja keine Frage von rechts oder links, sondern da muss eine
gemeinsame Messlatte angelegt werden. Diese Messlatte
ist Art. 8 des Grundgesetzes.

Da hier vom 29. Januar die Rede war, sage ich auch
noch Folgendes sehr deutlich: Hier sitzt ein Herr aus der
Verwaltung des Innensenators, der, was ich positiv finde,
neulich auf einem Kolloquium erstmals anerkannt hat,
dass die Verbotsverfügung des Polizeipräsidenten von
Berlin vom 29. Januar des vergangenen Jahres vielleicht
etwas besser hätte begründet werden können. Da hat man
offenbar handwerklich nicht sauber gearbeitet.


(Dr. Eckart Werthebach, Senator [Berlin]: Dazu muss ich auch noch etwas sagen!)


Ich finde es ja in Ordnung, wenn man das zugibt.
Herr Marschewski, ich bitte Sie, auch einmal Folgen-

des zu würdigen: Ein Gesetz muss auch das leisten, was
es leisten soll. Ich habe verfassungsrechtlich erhebliche
Bedenken gegen diesen Aspekt der außenpolitischen Be-
lange. Über die befriedeten Bezirke kann und muss man
reden. Dagegen gibt es nicht diese elementaren verfas-
sungsrechtlichen Bedenken, verfassungspolitische Be-
denken aber schon.

Ich frage Sie, wo man anfangen und wo man aufhören
soll. Wie viele Orte mit historisch-symbolischer Bedeu-
tung gibt es in Deutschland? Wie viele gibt es allein in
Berlin?


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ganz Berlin!)


Was haben wir davon, wenn wir die Nazis nicht mehr auf
der Straße Unter den Linden haben, sondern am Kurfürs-
tendamm? Was bringt uns das weiter?

Das Problem sind doch nicht die Veranstaltungen, bei
denen Gesetzesbrüche stattfinden. Die können wir mit
dem gegenwärtigen Recht verbieten. Deswegen ist auch
meine Botschaft: Das gegenwärtige Versammlungsrecht
ist in aller Regel völlig ausreichend, um das, was Sie, Herr
Marschewski, und ich für unerwünscht halten, auch in den
Griff zu bekommen.

Aber wenn – darüber bitte ich wirklich einmal nachzu-
denken – und soweit Extremisten friedlich – ich betone,
friedlich – und ohne Waffen und gesetzeskonform de-
monstrieren, werden wir solche Veranstaltungen vor dem
Hintergrund des Art. 8 akzeptieren müssen. Das ist genau
der Punkt.


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ CSU]: Da bin ich anderer Meinung!)


Im Übrigen ist alles, was erkennbar Rassismus ist, was
Fremdenfeindlichkeit ist, zum Beispiel die Parole „Aus-
länder raus!“, völlig ausreichend, um eine solche Veran-
staltung sofort aufzulösen und die Leute strafrechtlich zu
verfolgen. Das ist alles völlig ausreichend!

Aber wenn und solange die Leute gesetzeskonform
– und sei es auch nur wie der Wolf im Schafspelz –
demonstrieren, werden wir es ertragen müssen. Ich wie-
derhole: Dies wird und muss eine reife Demokratie aus-
halten. Wir sollten nicht den Fehler machen – das ist




DieterWiefelspütz

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(C)



(D)



(A)



(B)


meine Hauptbotschaft –, dass wir im Kampf gegen Extre-
mismus unsere eigenen Maßstäbe von Recht und Gesetz
verletzen – in allerbester Absicht, aber verletzen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)


Das zahlt sich nicht aus, dieser Schuss geht nach hinten
los. Diese Leute, die wir gemeinsam bekämpfen sollten,
sind es auch nicht wert, dass wir ihretwegen unsere Ver-
fassungsordnung verbiegen.

Ich erlebe in der letzten Zeit häufiger – ich habe mich
auch wirklich darum bemüht, die Polizei bei ihrer Arbeit
zu begleiten – Demonstrationen, bei denen auf der einen
Seite 300 Rechtsextremisten und auf der anderen Seite
5 000, 10 000, 15 000 Bürger, Demokraten demonstrieren.
Das ist das Ermutigende. Das funktioniert doch viel bes-
ser als Repression mit dem Risiko, das eigene Recht zu
verbiegen.

Es gibt einige Bestandteile an dem Gesetzentwurf,
über die man diskutieren kann, zum Beispiel Fragen der
Kooperation von Versammlungsveranstaltern und Ver-
sammlungsbehörden. Man kann vernünftig darüber re-
den, ob wir da Verbesserungen erzielen.

In Bezug auf die befriedeten Bezirke – ich sage es
noch einmal – habe ich erhebliche Probleme, denn ich
frage Sie, Herr Marschewski: Wo anfangen? Wo auf-
hören?


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter) [SPD]: Ja!)

Bei der Feldherrenhalle in München? Bei dem Platz da-
vor? Beim Obersalzberg? Sonst irgendwo?

Deutschland ist doch voll von Geschichte, auch von
Stätten, die mit nationalsozialistischer Geschichte ver-
bunden sind. Ich bitte sehr darum, darüber nachzudenken,
ob das, was Sie – ich unterstelle einmal, in guter Absicht –
wollen, im Grunde nichts anderes als weiße Salbe ist, um
den Eindruck zu vermitteln, wir seien ein starker, hand-
lungsfähiger Staat, während sich in Wirklichkeit die Pro-
bleme verschieben. Selbst dann, wenn wir ein solches Ge-
setz, wie Sie es hier vorschlagen, hätten, würde es uns in
der Praxis substanziell nicht weiterbringen. Wir als Ge-
setzgeber sollten nicht Gesetze erlassen, deren Verfas-
sungsmäßigkeit sehr fragwürdig ist oder die solche Be-
standteile haben, die uns bestenfalls weiße Salbe bieten.
Das sollten wir nicht machen.


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Petra Bläss)

Die Debatte wird fortgesetzt. Ich freue mich auf die

Anhörung. Ich kann Ihnen allerdings heute schon zusi-
chern, dass dieser Gesetzentwurf in diesem Hohen Hause
nicht den Hauch einer Chance hat.


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Sehr, sehr schade!)


Schönen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1415904500
Für die F.D.P.-Frak-
tion spricht jetzt der Kollege Dr. Edzard Schmidt-Jortzig.


Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (FDP):
Rede ID: ID1415904600
Frau Präsiden-
tin! Meine Damen und Herren Kollegen! Fast am Ende
dieser Plenarwoche und, wie ich höre, als letzter Punkt
vor dem ganz großen Break-up geht es um etwas wirklich
Grundsätzliches, um die Frage der Änderung des Ver-
sammlungsgesetzes. Das Versammlungsgesetz, das in sei-
ner ursprünglichen Form aus dem Jahre 1953 stammt, ist
sicherlich eines der am wenigsten geänderten Gesetze.
Immerhin ist die letzte Neubekanntmachung bereits
22 Jahre alt. In dieser Zeit hat es nur drei Änderungen ge-
geben.

Diese Behutsamkeit, mit der der Gesetzgeber das Ver-
sammlungsrecht behandelt hat, hat ihren guten Grund:
Neben der Meinungsfreiheit wird die Versamm-
lungsfreiheit als – da kann man die Worte des Bundesver-
fassungsgerichts nur wiederholen – schlechthin konstitu-
ierend für unsere freiheitliche Demokratie angesehen.
Das Versammlungsrecht ist das Recht kollektiver
Meinungsäußerung. Es soll die offene argumentative
Auseinandersetzung auch und gerade in politischen An-
gelegenheiten ermöglichen. Deshalb ist die Versamm-
lungsfreiheit von besonderer Bedeutung auch und gerade
für Minderheiten, die auf diese Weise öffentlichkeits-
wirksam ihre Meinung dartun können. Über diese Grund-
sätze besteht – davon gehe jedenfalls ich aus – partei-
übergreifende Einigkeit.

Über den heute zu beratenden Gesetzentwurf der
CDU/CSU-Fraktion, das Versammlungsrecht über die be-
stehenden Möglichkeiten hinaus einzuschränken, werden
wir allerdings sprechen müssen. Denn das, was die Union
vorschlägt, ist eine Einschränkung, auch wenn in der Be-
gründung des Entwurfs beschwichtigend von Präzisie-
rung bzw. Ergänzung gesprochen wird.

Ausgelöst hat den Entwurf, der im Übrigen deutlich
Ihre Handschrift, verehrter Herr Werthebach, trägt, das
Ereignis vom 29. Januar letzten Jahres; darauf wurde
schon hingewiesen. Ich kann darauf verzichten, das noch
einmal darzustellen. Aber ich möchte schon Zweifel an
der These, dass solchen Dingen mit der nach dem gelten-
den Versammlungsrecht bestehenden Rechtslage nicht
hinreichend begegnet werden könne, anmelden. Das gel-
tende Versammlungsrecht bietet den Behörden eine Viel-
zahl von Möglichkeiten, bei Gefahren für die öffentliche
Sicherheit und Ordnung sowohl vorbeugend als auch re-
pressiv mit Verboten und Beschränkungen einzugreifen.


(Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man muss das Recht anwenden!)


Unsere Demokratie ist also auch auf diesem Feld keines-
wegs wehrlos.

So ist zum Beispiel das Tragen von Uniformen und uni-
formartigen Kleidungsstücken, also das Tragen von
Springerstiefeln, Bomberjacken pp. – vom Mitführen von
Waffen will ich gar nicht sprechen –, verboten. Das Glei-
che gilt für die Verwendung von Kennzeichen verfas-
sungswidriger Organisationen. In der neueren Rechtspre-
chung des Bundesverfassungsgerichts zeichnet sich auch




DieterWiefelspütz
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ab, dass es zulässig sein kann, eine Demonstration an be-
stimmten symbolträchtigen Tagen zu unterbinden.

Auch über die Wahl des Versammlungsortes entschei-
det keineswegs allein der Veranstalter. Es gibt hinreichend
gerichtsfeste Beispiele dafür, dass es gelungen ist, im
Wege von Auflagen die angemeldeten Demonstrations-
routen zu verändern oder die Demonstration an einen an-
deren Ort zu verlegen. Natürlich muss dies sorgfältig be-
gründet werden, zum Schutz gleichwertiger Rechtsgüter
geboten und im Übrigen nicht nur schlüssig, sondern auch
überzeugend sein.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1415904700
Herr Kollege
Schmidt-Jortzig, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Wiefelspütz?


Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (FDP):
Rede ID: ID1415904800
Ich habe schon
eine entsprechende Pause gemacht. – Gerne.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1415904900
Ich habe es registriert.
– Bitte.


Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD):
Rede ID: ID1415905000
Mich interessiert einfach
einmal Ihre fachliche Meinung, Herr Kollege Schmidt-
Jortzig. Ist es für Sie eigentlich zwingend, dass man eine
Demonstration von 300 Personen, Neonazis, über die
Straße Unter den Linden führt? Wie würden Sie das fach-
lich sehen?


Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (FDP):
Rede ID: ID1415905100
Der Jurist sagt
immer: „Es kommt darauf an“ und will sich natürlich
nicht an die Stelle der hier besonders entscheidungs-
trächtigen Gerichtsbarkeit – ich will nichts zur Berliner
Gerichtsbarkeit sagen –


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Könnte man aber!)


setzen. Aber ich könnte mir sehr wohl vorstellen, dass man
mit entsprechenden Auflagen bestimmte Teile des Straßen-
zuges Unter den Linden – ob das nun der Kopfteil am Pa-
riser Platz oder etwa die Stelle vor der Universität ist – für
Demonstrationen rein faktisch dadurch sperren könnte,
dass man per Auflage sagt: An diesen Stellen wäre es über-
mäßig, euer Demonstrationsanliegen gegen das Schutzbe-
dürfnis allgemeiner Symbole durchzusetzen. – Das geht. Es
muss nur entsprechend engagiert versucht werden.


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ CSU]: Aber doch nicht nach dem BrokdorfUrteil!)


Ich bleibe also dabei: Das geltende Recht lässt Möglich-
keiten, mit diesen Erscheinungen, die wir alle natürlich
nicht wollen, umzugehen.

Wir sind uns – das scheint mir besonders wichtig zu
sein – hoffentlich einig, dass es ein Sonderrecht für be-
stimmte Gruppen nicht geben darf. Die besonders uner-
freulichen Versammlungen rechtsextremistischer Kräfte
sollten uns – darin stimme ich Ihnen ausdrücklich zu, Herr
Wiefelspütz – nicht dazu veranlassen, neues Recht zu

schaffen, das alle treffen kann, nicht nur die Rechtsextre-
misten. Das wäre, glaube ich, eine Kapitulation des
Rechtsstaates, die wir gerade nicht wollen. Wir wollen
den Rechtsstaat stärken.


(Beifall bei der F.D.P., der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Ich möchte noch auf ein oder zwei Einzelpunkte ein-
gehen. Problematisch wird, wie ich finde, der Gesetzent-
wurf dann, wenn man im Rahmen einer so genannten Öff-
nungsklausel den Ländern die Möglichkeit einräumen
will, für ihre öffentlichen Einrichtungen oder für Örtlich-
keiten von herausragender nationaler und historischer Be-
deutung durch Gesetz demonstrationsfreie Zonen oder
Bezirke einzurichten. Wenn man überhaupt einer solchen
Einschränkung näher tritt, worüber man ernsthaft nach-
denken sollte – wir haben ja auch schon einmal im Innen-
ausschuss in dieser Richtung diskutiert –, dann muss diese
Regelungsbefugnis dem Bund verbleiben und von ihm
wahrgenommen werden, damit diese Interessen nicht zum
Spielball von regionalen Besonderheiten und Mehrheiten
ausarten, sondern die grundsätzliche Bedeutung und die
Einheitlichkeit der Regelung gewahrt bleibt.

Als Letztes: Die Bundesrepublik ist mit ihrem bisheri-
gen Versammlungsrecht, das vom Bundesverfassungsge-
richt, wie ich jedenfalls finde, vorbildlich konturiert wor-
den ist, gut gefahren. Dieses Versammlungsrecht ist ein
Markenzeichen unserer Verfassung und auch unseres frei-
heitlichen Rechtsstaates, das wir nicht beim ersten Wind,
egal, aus welcher Richtung, gefährden sollten. Einer be-
hutsamen Weiterentwicklung wird sich die F.D.P. nicht
versperren; aber gravierende Einschnitte werden wir mit
Sicherheit nicht mittragen.

Danke sehr.

(Beifall bei der F.D.P. und der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1415905200
Das Wort für die Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Cem
Özdemir.


Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415905300
Frau
Präsidentin! Meine Damen und Herren! Um es gleich vor-
weg zu sagen: Auch meine Fraktion lehnt die Pläne der
Unionsfraktion zur Einschränkung des Versammlungs-
rechtes ab. Wir glauben nicht, dass sie in der Debatte, um
die es geht, sachdienlich sind.

Man muss es in diesen Tagen vielleicht auch noch ein-
mal sagen: Grundrechte sind nicht eine Loseblattsamm-
lung oder ein Abreißkalender, sondern sie bewähren sich
gerade dann, wenn sie in Anspruch genommen werden.
Sie bewähren sich gerade dann, wenn es schwierig wird.
Ich will in der Folge darauf eingehen.

Wenn man den Antrag aufmerksam durchliest, erkennt
man, dass sich der Vorschlag der Union in andere Vor-
schläge einreiht, die wir in letzter Zeit von der Union be-
kommen haben. Mal sollen die Bürger ins Röhrchen
spucken, damit per Gen-Test festgestellt wird, ob sie mög-
liche Verbrecher sind. Kinder, die in Konflikt mit dem




Dr. Edzard Schmidt-Jortzig

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(B)


Gesetz geraten, sollen interniert werden, statt dass man sich
um sie kümmert. Herr Merz meldet sich damit zu Wort
– vielleicht auch das ein Beitrag zum Thema Leitkultur –,
dass sich Nichtdeutsche politisch nicht mehr äußern sollen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Herr Trittin hat sich auch gemeldet!)


Jetzt muss das Versammlungsrecht daran glauben, das als
neue Sau durchs Dorf gejagt werden soll. Das Versamm-
lungsrecht in unserem Grundgesetz – darauf haben die
Vorredner von F.D.P. und SPD bereits hingewiesen – ist
ein hoher Wert des demokratischen Rechtsstaates, und es
ist das falsche Instrument, um eine Debatte über die
Bekämpfung des Rechtsradikalismus zu führen, die wir
alle hier im Hause hoffentlich gemeinsam wollen. Die
Freiheit, sich zu versammeln, ist wie die Meinungs- und
die Pressefreiheit eines der grundlegenden Menschen-
und Bürgerrechte in unserer Gesellschaft.

Das Bundesverfassungsgericht hat deshalb folgerich-
tig geurteilt und Versammlungen als „wesentliches Ele-
ment demokratischer Offenheit“ bezeichnet. Es hat he-
rausgearbeitet:

Sie bieten die Möglichkeit zur öffentlichen Einfluss-
nahme auf den politischen Prozess, zur Entwicklung
pluralistischer Initiativen ... oder auch zu Kritik und
Protest ..., sie enthalten ein Stück ursprünglich-unge-
bändigter unmittelbarer Demokratie, das geeignet
ist, den politischen Betrieb vor Erstarrung und ge-
schäftiger Routine zu bewahren.

Dies hat uns das Bundesverfassungsgericht ins Stamm-
buch geschrieben, und wir als Gesetzgeber sollten das
sehr ernst nehmen.

Die Forderungen nach einem grundsätzlichen Ver-
sammlungsverbot an gesetzlich festgelegten Orten von
herausragender nationaler und historischer Bedeutung
sind rechtlich unbestimmt und beliebig. Darauf hat Kol-
lege Wiefelspütz bereits hingewiesen. Das Brandenburger
Tor – Sie sehen es ja gegenwärtig – steht seit Monaten als
Werbefläche für die Telekom zur Verfügung, und Sie wol-
len jetzt die Aura der Unberührbarkeit durch eine Art
Bannmeile gegen das Grundrecht auf Versammlungsfrei-
heit durchsetzen. Ich halte dies nicht für einen sachdien-
lichen Hinweis.

Zum zweiten Vorschlag: Es gibt an vielen Orten und an
vielen Stätten unseres Landes Orte von herausragender
nationaler historischer Bedeutung. Ich glaube, wir kom-
men in Teufels Küche, wenn wir uns auf diesen Vorschlag
einlassen. Wenn Sie so wollen, ist die ganze Republik ein
schützenswertes Gut; trotzdem werden Sie mir hoffent-
lich zustimmen, dass wir die Republik nicht mit einem
Demonstrationsverbot überziehen dürfen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Schließlich zu Ihrem Vorschlag, dass Sie das Demons-
trations- und Versammlungsrecht bei Beeinträchtigung
erheblicher Belange der Bundesrepublik Deutschland und
insbesondere bei Beeinträchtigung außenpolitischer Inte-
ressen und völkerrechtlicher Verpflichtungen ebenfalls
einschränken wollen. Man muss sich dann schon fragen,
was das konkret heißt. Müssen wir zukünftig Demonstra-

tionsanmeldungen mit den Botschaften der jeweiligen
Länder abstimmen? Herr Wiefelspütz hat auf das Beispiel
China und die Tibet-Politik hingewiesen. Ihnen fallen si-
cher noch weitere Beispiele ein, denn es gibt viele Länder,
mit denen wir – vorsichtig formuliert – außenpolitische
Dissonanzen haben. Sollen wir in all diesen Fällen künftig
immer abwägen? Soll der Außenminister sein Veto einle-
gen? Sollen wir jeweils mit den Botschaften verhandeln?
Das ist mit Sicherheit eine Situation, die wir niemandem
wünschen – auch nicht denjenigen, die nachher über das
Demonstrations- und Versammlungsrecht entscheiden
müssen. Ich halte das für nicht praktikabel und sehe darin
auch ein etwas verqueres Rechtsstaatsverständnis.

Wir alle waren maßlos empört, als die Neonazis einen
Tag vor dem Jahrestag des Machtantritts der Nazis quasi
als Nachfolger im Denken und Handeln am 29. Ja-
nuar 2000 mitten in Berlin aufmarschiert sind. Ich emp-
fehle aber – darauf ist in der Debatte schon mehrfach hin-
gewiesen worden; deshalb kann ich mich kurz fassen –, die
geltende Rechtslage zunächst einmal zur Kenntnis zu neh-
men, bevor man Gesetzesverschärfungen fordert. Es gab
in Berlin – Herr Werthebach wird darauf wahrscheinlich
eingehen – eine sehr lange Diskussion darüber, inwiefern
die ergriffenen Maßnahmen tatsächlich sachdienlich wa-
ren. Niemand möchte solche makaberen Veranstaltungen.
Gegenwärtig finden sie nicht mehr statt. Das ist gut so;
dafür muss man sich bei unseren Bürgerinnen und Bür-
gern, die Gegendemonstrationen organisieren, bedanken.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig [F.D.P.])


Das ist wirklich ein Zeichen dafür, dass die Zivilgesell-
schaft funktioniert, und zwar parteiübergreifend. Als je-
mand, der den Innensenator in der vergangenen Zeit hef-
tig kritisiert hat, muss ich dazu sagen, dass der Senat
mittlerweile die notwendigen Maßnahmen ergreift, damit
eine Wiederholung solcher Demonstrationen in dieser
Form nicht möglich ist.

Lassen Sie mich noch eines sagen, obwohl der Kollege
Bosbach, der auf die jüdischen Mitbürger verwiesen hat,
jetzt nicht mehr da ist. Ich finde es nicht ganz fair, dass
man die Juden immer dann zitiert, wenn es einem gerade
in den Kram passt.


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ CSU]: Das ist eine unverschämte Behauptung! – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Ausgerechnet zu Herrn Bosbach! Ungewöhnlich dumm! – Gegenruf von der SPD: Schauen Sie doch einmal nach Hessen!)


Wir haben uns auch mit Herrn Nachama und mit der Jü-
dischen Gemeinde zusammengesetzt.


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ CSU]: Das ist einen Ordnungsruf wert!)


Wir haben es uns nicht leicht gemacht, zu einer Position
zu kommen, denn uns ist natürlich klar, dass die Jüdische
Gemeinde – –


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Das ist unverschämt!)





Cem Özdemir
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– Jetzt hören Sie doch erst einmal zu! Ich finde, als Ver-
treter einer Partei, die in Hessen mit angeblichen jüdi-
schen Vermächtnissen Wahlkampf gemacht hat, sollte
man sich in diesem Punkt ein bisschen zurückhalten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich komme gleich noch zu meinem Argument. Es ist nicht
okay, dass man dann, wenn es einem in den Kram passt,
die Juden zitiert, doch dann, wenn sich Herr Spiegel, der
Vorsitzende des Zentralrates der Juden in Deutschland, zur
Leitkulturdebatte zu Wort meldet, sagt, er sollte sich doch
besser zurückhalten und sich zu anderen Themen äußern.


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ CSU]: Außerordentlich niveauvoll! Passen Sie sich einmal dem Stil hier an! Es ist ja furchtbar!)


Das passt nicht ganz zusammen; das wundert mich auch
ein wenig. Ich möchte Ihnen empfehlen, das Gespräch mit
der Jüdischen Gemeinschaft in Deutschland etwas inten-
siver zu führen.

Aber lassen Sie mich, weil meine Redezeit gleich ab-
gelaufen ist,


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das ist das Beste daran!)


zu dem Thema übergehen, das Anlass für diese Debatte
ist, nämlich der Aufmarsch von Rechtsradikalen, den
– hoffentlich – niemand in diesem Hause möchte. Wir
müssen uns alle gemeinsam überlegen, was wir gegen so
etwas tun können, ohne Grundrechte abzubauen. Unsere
Regierung hat dazu einiges an Maßnahmen vorgelegt.
Lassen Sie uns in einen Wettbewerb darüber eintreten,
wie wir Rechtsradikalismus in jeder Form am besten
bekämpfen können! Wir haben dafür Mittel im Haushalt
eingestellt. Wir haben den Antrag zum Verbot der NPD
gestellt. Wir haben so genannte Nazimusik und andere na-
zistische Organisationen verboten. Auch heute wurde da-
rauf hingewiesen, dass der Antrag auf Verbot der NPD
auch in diesem Haus sehr kontrovers diskutiert wurde.
Herr Schmidt-Jortzig, der ja in der Kommission, die das
jetzt begleitet, vertreten ist, wird mir nicht böse sein, wenn
ich sage, dass die F.D.P., die nicht für diesen Antrag des
Bundestages war, und mit ihr Herr Westerwelle die Ersten
sein werden, die hinterher, wenn das Bundesverfassungs-
gericht zu dem Urteil kommt, dass es rechtens ist, die
NPD zu verbieten, sagen werden, das Verfassungsgericht
habe weise geurteilt und die F.D.P. sei schon immer dafür
gewesen.


(Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Warten wir doch erst einmal ab!)


Aber wir gönnen Ihnen auch das. Wenn es der Sache dient,
hilft es uns ja auch.

Zum Schluss, meine Damen und Herren, möchte ich
auf das Holocaust-Mahnmal zu sprechen kommen, weil
ich glaube, dass es eine gesonderte Beurteilung verdient.
Wir sind uns alle einig, dass das Holocaust-Mahnmal ein
Ort des Gedenkens und der Aufklärung und damit nicht
vergleichbar mit dem Reichstag oder der Neuen Wache

ist. Es kann kein Zweifel daran aufkommen, dass dort ein
Schutz in besonders sensibler Weise notwendig ist.

Ich habe an das Kuratorium der Stiftung die Bitte, Vor-
schläge zu machen, wie ein umfassendes Sicherheitskon-
zept zum Schutz der Gedenkstätte entwickelt werden
kann. Wir alle, die sich damit beschäftigen, sind uns wahr-
scheinlich darin einig. Das Problem ist weniger die Frage
der Versammlungen, sondern die des Missbrauchs und
die, was von Besuchern angerichtet werden kann. Wir
sind für Vorschläge offen. Das scheint mir sachdienlicher
zu sein, als Grundrechte zu ändern.

Danke sehr.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1415905400
Zu einer Kurzinter-
vention erteile ich jetzt dem Kollegen Dr. Edzard
Schmidt-Jortzig das Wort.


Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (FDP):
Rede ID: ID1415905500
Ich fühle mich
zu dieser Kurzintervention herausgefordert, weil Sie sich
eben, Herr Özdemir, in der Verve Ihrer schönen Einlas-
sung gegen den Entwurf zu einer gewissen Entgleisung
haben hinreißen lassen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ CSU]: Eine schlimme Sache war das! Das ist mir im Parlament noch nicht passiert!)


Wir haben, wie Sie genau wissen, nur deshalb dem
NPD-Verbotsantrag nicht zugestimmt, weil wir die Sache,
um die es geht, für viel zu ernst halten, als dass wir mit
diesem Verbotsantrag Symbolpolitik betreiben dürften.


(Beifall bei der F.D.P. – Zuruf von der SPD: Herr Marschewski, er meint etwas ganz anderes!)


Deswegen ist es nicht nur falsch, sondern auch infam,
wenn Sie dieses Votum dazu benutzen, uns nicht genü-
gend Ernsthaftigkeit im Kampf gegen den Rechtsradika-
lismus zu unterstellen. Das durfte so nicht passieren.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir werden in der Tat sehr kritisch beobachten, ob
diese Bundesregierung über den mit sehr großem Pomp
ins Werk gesetzten Verbotsantrag hinaus ernsthaft etwas
zur Bekämpfung des Rechtsradikalismus tut. Das wird die
entscheidende Elle sein, nicht dieser Verbotsantrag. Aber
aus diesen Gründen – und wirklich nur aus diesen Grün-
den – haben wir gesagt: Wir machen bei diesem Verbots-
antrag nicht mit. Das bitte ich zur Kenntnis zu nehmen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie des Abg. Wolfgang Zöller [CDU/CSU])



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1415905600
Bevor ich Ihnen das
Wort zur Erwiderung erteile, Herr Özdemir, weise ich da-
rauf hin, dass es eine zweite angemeldete Kurzinterven-
tion vom Kollegen Erwin Marschewski, CDU/CSU, gibt.

Bitte schön, Herr Marschewski.




Cem Özdemir

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Erwin Marschewski (CDU):
Rede ID: ID1415905700

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Her-
ren! Ich bin in hohem Maße über das, was der Kollege
Özdemir vorhin gesagt hat, erschüttert. Er hat ausgeführt,
wir würden die Juden benutzen, wenn sie uns in den Kram
passten. So habe zumindest ich es gehört.

Herr Kollege Özdemir, dies ist ungeheuerlich. Hier
steht jemand, der sich für deutsch-jüdische und christlich-
jüdische Zusammenarbeit einsetzt, der sein ganzes Leben
diesem Feld gewidmet hat. Hier steht jemand, der eine
christlich-demokratische Politik vertritt, die als Erstes
durch Konrad Adenauer die Aussöhnung mit den Juden,
den Israelis gesucht hat.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Hier steht jemand, der das Demonstrieren am Bran-

denburger Tor deswegen verhindern will, weil Nazis Ber-
lin, Deutschland, unser Vaterland missbrauchen, was im
Ausland einen außergewöhnlich negativen Eindruck hin-
terlässt und das Ansehen unserer freiheitlich-demokrati-
schen Grundordnung und unserer Demokratie im Ausland
in den Schmutz zieht.

Ich habe mich gemeldet, um dies zu sagen. Ich bitte Sie
ganz herzlich, sich von dem, was Sie, wie ich hoffe, sehr
flapsig gesagt haben, zumindest zu distanzieren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1415905800
Zur Erwiderung er-
teile ich jetzt dem Kollegen Cem Özdemir das Wort.


Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415905900
Frau
Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich fange mit der
Kurzintervention des Kollegen Schmidt-Jortzig an. Ich
habe meine Rede noch relativ gut präsent. Wir können uns
den Wortlaut gleich einmal anschauen.

Herr Schmidt-Jortzig, ich habe keinen Zusammenhang
zwischen der Bekämpfung des Rechtsradikalismus, bei
der wir uns – das habe ich in meiner Rede mehrfach ge-
sagt – in den Linien einig sind, und dem NPD-Verbotsan-
trag hergestellt. Ich habe darauf hingewiesen, dass es ge-
legentlich bei der F.D.P., insbesondere bei Herrn
Westerwelle, vorkommt, dass man mal dieses und mal je-
nes hört.


(Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Das stimmt doch überhaupt nicht!)


Das NPD-Verbot wurde kontrovers beurteilt. Sie alle,
auch die Union, arbeiten mit an der Begleitung des Ver-
fahrens, was ich begrüße. Hier arbeiten wir sehr gut zu-
sammen. Ihre Hinweise zur Sache werden alle umgesetzt.


(Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Bleiben Sie bei der Sache!)


Was ich damit andeuten wollte, ist, dass ich mir durch-
aus vorstellen kann, dass sich manche nach dem Verbot
der NPD durch unseren Antrag, was wir, wie ich hoffe,
alle wünschen – es wäre eine Katastrophe, wenn es nicht
käme –, die am Anfang nicht so begeistert waren, hinter-
her zu den Vätern des Erfolges zählen werden. Aber das

habe nicht ich, sondern das hat die Öffentlichkeit zu be-
urteilen.


(Jürgen Koppelin [F.D.P.]: So etwas von Arroganz!)


Aber einen irgendwie gearteten Zusammenhang zwi-
schen der Haltung der F.D.P. zum NPD-Verbot und der
Bekämpfung des Rechtsradikalismus habe ich weder her-
gestellt, noch wollte ich ihn herstellen, noch ist er aus
Geist, Inhalt oder Buchstaben meiner Rede abzulesen.


(Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Was Sie gesagt haben, war kräftig daneben! – Zuruf von der CDU/CSU: Lesen Sie einmal Ihre Rede nach!)


Zu dem, was der Kollege Marschewski gesagt hat: Was
Sie mir vorwerfen, muss ich in aller Deutlichkeit zurück-
weisen. Herr Marschewski, ich glaube, Sie verwechseln
die Debatte von vorhin – wir können es gerne gleich
nachlesen – mit der Debatte von heute Morgen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Unglaublich!)

Das scheint mir die Ursache für Ihre Kurzintervention zu
sein.


(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Ich glaube, Sie wissen nicht, was Sie sagen!)


Ich wiederhole einfach meine Ausführungen; vielleicht
trägt das zur Aufklärung bei.


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Lesen Sie einmal nach!)


– Vielleicht darf ich zu Ende reden, Herr Marschewksi.
Ich habe gesagt, dass es nicht in Ordnung ist, wenn

man den Zentralrat der Juden in Deutschland immer dann
zitiert, wenn es einem gefällt. Das kann man nicht ma-
chen.


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ CSU]: Nein, das haben Sie nicht gesagt! Aber auch das wäre schlimm!)


– Das habe ich gesagt, also, ich bitte Sie!

(Weitere Zurufe von der CDU/CSU)


– Sie müssen mir schon die Chance geben, zu antworten.
Sie können nicht hergehen und sagen, nur wenn es um

die Frage geht, das Demonstrations- und Versammlungs-
recht zu ändern, zitiere ich den Zentralrat. Es wäre übri-
gens auch einmal ganz interessant, zu belegen, wo sich
der Zentralrat öffentlich geäußert hat bzw. welche jüdi-
sche Gemeinde öffentlich gesagt hat, das Versammlungs-
recht müsse geändert werden. Wir haben uns mit Herrn
Nachama und dem Zentralrat zusammengesetzt, weil wir
das Thema ernst nehmen, und ausdrücklich gefragt: Wie
seht ihr die Situation? Ich muss Ihnen sagen, dass die Mei-
nung des Zentralrats in der Frage des Holocaust-Mahn-
mals nicht mit der Position meiner Fraktion identisch war.
Es gibt aber keinen Zweifel: Weder in Bezug auf das
Brandenburger Tor noch in Bezug auf andere Orte von
herausragender nationaler Bedeutung hat Herr Nachama
bzw. haben andere jüdische Gemeinden gefordert, das
Versammlungsrecht zu ändern.






(C)



(D)



(A)



(B)


Darauf, auf nichts anderes, habe ich mich bezogen.
Dass CDU und CSU, dass die Union – –


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ CSU]: Das ist leider nicht besser als die Entschuldigung von Trittin!)


– Jetzt muss ich Sie wirklich bitten: Bleiben Sie auf dem
Teppich! Das ist nun wirklich eine Art und Weise, die dem
Parlament nicht angemessen ist. Man braucht mich nicht
darüber zu belehren, dass die Union – genauso wie die
SPD und alle anderen Fraktionen dieses Hauses – zum
christlich-jüdischen sowie zum christlich-muslimischen
Dialog beiträgt. Das hoffe ich nicht nur, ich weiß, dass es
so ist, weil ich diesen Dialog mit vielen Kollegen ge-
meinsam führe. Ich bitte Sie daher, fair zu bleiben.

Danke sehr.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Wir haben Ihnen die Chance gegeben, sich zu entschuldigen!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1415906000
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, aufgrund dieses Streits mache ich den Vor-
schlag, den Stenographischen Bericht abzuwarten und auf
dieser Grundlage die Auseinandersetzung zu führen. Ich
möchte nur angesichts der jetzigen Auseinandersetzung
an Sie appellieren, dass gerade bei diesem hochsensiblen
politischen Thema der Stil des Hohen Hauses gewahrt
wird. Dies gilt auch für Auseinandersetzungen, Vorwürfe
und Unterstellungen. Wie gesagt: Ich bin dafür, dass man
den Streit klärt, wenn man die Äußerungen schwarz auf
weiß nachlesen kann.

Ich erteile jetzt der Kollegin Petra Pau, PDS-Fraktion,
das Wort.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1415906100
Frau Präsidentin! Liebe Kollegin-
nen und Kollegen! Ich möchte mich zunächst auf meine
Vorredner beziehen: Wir haben ein gemeinsames Pro-
blem, nämlich einen grassierenden Rechtsextremismus,
der nicht nur demonstrativ, sondern auch tödlich ist. Ihm
gilt es zu wehren, und das sollte unser gemeinsames An-
liegen sein.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)


Allerdings beantwortet das prinzipielle Wollen noch
nicht die Frage nach dem Wie. Das Grundgesetz der Bun-
desrepublik setzt Normen – als Reaktion auf die Lehren
des Faschismus formuliert –, die sich ganz bewusst gegen
die Praktiken des NS-Regimes wenden. Dazu gehört das
Versammlungs- und Demonstrationsrecht.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)


Als vor einem Jahr alte und neue Nazis durch das Bran-
denburger Tor marschierten, gehörte ich zu jenen, die vor
Ort dagegen protestierten und somit demonstrierten: So
nicht, so nicht mit uns! Wir wollen ein demokratisches, to-
lerantes und ausländerfreundliches Land. Das, was dort
stattfand, war ziviler Ungehorsam, den ich gern, gemein-

sam mit den jüdischen Gemeinden, Gewerkschaften,
Künstlern, jedermann und jeder Frau, begehe. Im Übrigen
war damals in den Nachfolgeveranstaltungen der christ-
demokratische Parlamentspräsident Berlins genauso wie
der sozialdemokratische Fraktionsvorsitzende vertreten.
Ich denke, wir müssen uns in einer solchen Einheit auf der
Straße zivil gegen so etwas auflehnen.


(Beifall bei der PDS)

Ich kenne die Frage – ich stelle sie mir auch immer

wieder –: Dürfen alte und neue Nazis ihre Meinung frei
äußern und überall demonstrieren? Nur, was bringt es uns,
wenn wir diese Frage mit Nein beantworten? Es gibt kein
Sonderrecht. Wird das Recht auf freie Meinungsäußerung
und Demonstration einmal eingeschränkt, hat dieses
Recht niemand mehr. Das ist das Problem, über das wir
heute reden.

Natürlich empfinde ich Scham und Abscheu, wenn
Neonazis durch das Brandenburger Tor marschieren. Mit
dem vorliegenden Antrag soll das verhindert werden.
Aber meine Abscheu und Scham sind keinen Deut gerin-
ger, wenn Neonazis durch Berlin-Hellersdorf, Lübeck
oder Passau marschieren.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)


Der Versuch, national bedeutende Areale wie das Bran-
denburger Tor „sauber zu halten“, ist aus meiner Sicht nur
Kosmetik. Er löst nichts, sondern blendet das Problem
und seine Ursachen aus.


(Beifall bei der PDS sowie des Abg. Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wer die Ideologie und die Strategie neofaschistischer
Parteien oder Kameradschaften halbwegs kennt, der weiß:
Sie kämpfen gegen die humanistische Substanz des
Grundgesetzes. Aber der CDU/CSU-Antrag läuft darauf
hinaus, die rechtsstaatliche Substanz des Grundgesetzes zu
beschneiden. Das kann doch nicht ernsthaft gewollt sein.


(Beifall bei der PDS sowie des Abg. Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir können doch den Deibel nicht mit dem Beelzebub
austreiben.


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ CSU]: Jetzt zitiert die PDS sogar aus der Bibel!)


Gefragt sind Zivilcourage, staatliche Unterstützung und
komplexe Programme gegen rechts – von mir aus auch die
Bibel, Kollege Marschewski. Ich finde dort vieles, was uns
auffordert, gemeinsam Zivilcourage zu zeigen. Aber ge-
rade daran mangelt es in unserer Gesellschaft nach wie vor.

Wie in jedem Gesetzentwurf, der in das Parlament ein-
gebracht wird, steht auch in dem Entwurf eines Gesetzes
zur Änderung des Versammlungsgesetzes der Fraktion
der CDU/CSU der formale Satz: „Alternativen – Keine.“
Ich denke, es gibt eine Alternative zu diesem Gesetzent-
wurf. Nur heißt sie nicht Bürgerrechte einschränken, son-
dern Bürgerrechte ausbauen.


(Beifall bei der PDS)





Cem Özdemir

15563


(C)



(D)



(A)



(B)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1415906200
Es spricht jetzt der In-
nensenator des Landes Berlin, Dr. Eckart Werthebach.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1415906300
Frau Prä-
sidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst
einige Vorbemerkungen zu dem machen, was vor mir ge-
sagt würde. Herr Özdemir, viele Passagen Ihrer Rede sind
anfechtbar. Ich drücke das sehr höflich aus, weil ich hier
Gast bin. Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu
Berlin, Herr Nachama, hat sich – darauf möchte ich Sie
hinweisen – ausdrücklich für ein Verbot von Demonstra-
tionen am Holocaust-Denkmal und – wenn ich mich rich-
tig erinnere – auch am Brandenburger Tor ausgesprochen.


(Zustimmung des Abg. Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Sie, Herr Özdemir, haben gesagt, Sie wüssten noch nicht
einmal, ob sich Herr Nachama für ein solches Demons-
trationsverbot aussprechen würde. Ich kann Ihnen nur sa-
gen: Er hat sich ausdrücklich dafür ausgesprochen.


(Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben uns doch mit ihm unterhalten!)


Verehrter Herr Wiefelspütz, ich finde es gut, dass Sie
in einen Denkprozess eingetreten sind, der Sie offenbar
ein Stück weitergebracht hat, jedenfalls im Vergleich zu
den Äußerungen, die ich seinerzeit im Innenausschuss des
Deutschen Bundestages von Ihnen gehört habe.


(Dieter Wiefelspütz [SPD]: Hoffentlich gilt das auch für Sie, Herr Werthebach!)


– Ich bin immer bereit, über alles nachzudenken. Wenn
wir hier zu einem gemeinsamen Ergebnis kämen, wäre ich
froh und dankbar;


(Beifall bei der CDU/CSU – Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Ich auch!)


schließlich habe ich als Innensenator die alltäglichen Pro-
bleme mit den Demonstrationen. Herr Wiefelspütz, ich
muss Ihnen doch keinen Nachhilfeunterricht erteilen und
Ihnen sagen, in wie vielen Bundesgesetzen der Begriff
„erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland“
verwandt wird, zum Beispiel in § 37 des Ausländergeset-
zes. Wer bestimmt denn diesen Begriff? Das zu tun ist
doch die tagtägliche Praxis der Verwaltung und der Ge-
richte; denn dieser Begriff ist justiziabel.

Sie haben Herrn Bosbach offensichtlich völlig miss-
verstanden. Er hat nicht gesagt: außenpolitische Belan-
ge, sondern: erhebliche Belange der Bundesrepublik
Deutschland,


(Dieter Wiefelspütz [SPD]: Insbesondere!)

insbesondere außenpolitische Interessen, wenn dadurch
zugleich – den dann folgenden Gesetzestext scheinen Sie,
Herr Wiefelspütz, nicht mehr gelesen zu haben –, wenn
dadurch zugleich einer der Verfassungsgrundsätze im
Sinne des § 92 Abs. 2 Strafgesetzbuch missachtet wird.
Ich gestehe Ihnen zu, dass das ein enger Rahmen ist. Man
wird bei der Anhörung darüber diskutieren müssen, ob
dieser Rahmen nicht zu eng gefasst ist. Aber insgesamt

– auf diese Feststellung lege ich großen Wert – bedeutet
der Gesetzentwurf der CDU/CSU-Fraktion nach meiner
Überzeugung keine Verschärfung des Demonstrations-
rechts. Vielmehr bedeutet er eine maßvolle Erweiterung
der Verbotsmöglichkeit im Sinne einer Präzisierung.

Es ist hier und heute erneut angedeutet worden – nie-
mand hat es deutlich ausgesprochen; Herr Schmidt-
Jortzig hat das auf sehr vornehme Art und Weise getan –,
dass die Versammlungsbehörde Berlins – das ist der
Polizeipräsident – das Verbot der Versammlung am
29. Januar – angeblich – nicht hinreichend begründet
habe. Es standen zwar nur wenige Stunden zur Verfügung,
aber als das Oberverwaltungsgericht im Eilverfahren ent-
scheiden musste, lagen alle entscheidungserheblichen
Akten mit Begründungen vor. Darauf lege ich großen
Wert.


(Dieter Wiefelspütz [SPD]: Ihr Senatsdirigent hat es etwas anders dargestellt!)


– Ich weiß nicht, was mein Senatsdirigent gesagt hat. Je-
denfalls kann er sich auf die Entscheidung des Polizei-
präsidenten beziehen. Wir sind ja noch im Gerichtsver-
fahren gewesen. Sie sind doch Verwaltungsrichter, Herr
Wiefelspütz.


(Dieter Wiefelspütz [SPD]: Verwaltungsrichter a. D.!)


– Gewesen. Das will ich gar nicht bestreiten.
Meine Damen und Herren, mir liegt sehr viel an die-

sem Gesetzesvorhaben. Ich bin der CDU/CSU-Fraktion
sehr dankbar dafür, dass sie diesen Entwurf eingebracht
hat. Das ist nicht nur der Dank des Innensenators von Ber-
lin. Ich glaube, sehr viele Innenminister der Länder wer-
den der CDU/CSU-Fraktion dafür sehr dankbar sein.

Berlin bietet wie kein anderer Ort in Deutschland stei-
nerne Zeugen als historische Kulissen für die Wiederbe-
lebung einer unseligen Vergangenheit. Gleichwohl han-
delt es sich nicht nur um ein Berliner Problem, wie
ähnliche Erscheinungen in anderen Bundesländern zei-
gen. Auch andernorts führt die geltende Rechtslage, nach
der Versammlungen nur dann verboten werden dürfen und
können, wenn mit der Begehung von Straftaten zu rech-
nen ist, zu unerträglichen Ergebnissen. Die Versamm-
lungsbehörde und die Polizisten, die verbotswürdige Ver-
sammlungen vor gewaltbereiten Gegendemonstranten zu
schützen haben, müssen sich regelmäßig als „Beschützer
von Neonazis“ verhöhnen lassen. Der Rechtsstaat lässt
sich hier mit seinen eigenen Instrumenten bekämpfen.
Grundrechte werden für verfassungsfeindliche Zwecke
missbraucht.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wie sagte Goebbels 1929?
Wir gehen in den Reichstag

– in dieses Gebäude! –
um uns im Waffenarsenal der Demokratie mit deren
eigenen Waffen zu versorgen.


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: So ist es!)







(C)



(D)



(A)



(B)


Genau das stößt bei den Bürgern auf Kopfschütteln und
Unverständnis und irritiert im Übrigen unsere europä-
ischen und transatlantischen Partner.


(Zuruf von der CDU/CSU: Genau!)

Eine angemessene Reaktion des Staates darf sich doch
nicht darin erschöpfen, die Bürger zu Lichterketten und
Gegendemonstrationen aufzurufen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Der sachlich falsche, aber gleichwohl gebetsmühlenar-

tig wiederholte Einwand, die geltende Fassung des Ver-
sammlungsgesetzes genüge, um extremistische Aus-
wüchse zu unterbinden, dient der Ablenkung und der
Abwälzung von Verantwortung.

Übrigens: Das Verbotsverfahren gegen die NPD
macht, unabhängig von seinem Ausgang, die vorgeschla-
genen Änderungen des Versammlungsgesetzes keines-
wegs entbehrlich. Wie Sie wissen, war es nicht nur die
NPD, die hier demonstriert hat; es waren viele Gruppie-
rungen von Neonazis.

Es ist mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
der Mittel doch schlechthin unvereinbar – das sage ich
noch einmal insbesondere in Ihre Richtung, Herr
Wiefelspütz –, mit dem Parteiverbotsverfahren eine der
schärfsten Waffen des Rechtsstaates einzusetzen, zu-
gleich aber die Möglichkeit einfachgesetzlicher Rechts-
änderungen ungenutzt zu lassen, um öffentliche Angriffe
auf die Verfassung zu unterbinden. Das sage ich auch in
Ihre Richtung, Herr Schmidt-Jortzig. Wenn unsere De-
mokratie vor neue Herausforderungen gestellt wird, muss
sie abwehrbereit sein. Sie darf nicht zurückweichen. Den-
ken Sie an das Goebbels-Zitat!

Der von der CDU/CSU-Fraktion vorgelegte Gesetz-
entwurf liefert den Rahmen dafür, wie ein Missbrauch des
Versammlungsrechts durch Einzelne künftig verhindert
werden kann, ohne dass das Versammlungsrecht für alle
eingeschränkt wird. Herr Bosbach hat die wesentlichen
Punkte genannt.

Lassen Sie mich als Verfassungssenator von Berlin er-
läutern, warum aus meiner Sicht die folgenden drei Orte
– das war immer wieder die Frage in der heutigen Dis-
kussion – zu befriedeten Bezirken erklärt werden müs-
sen. Dass das Denkmal für die ermordeten Juden Europas
eines besonderen Schutzes bedarf, ist leider evident. Wir
dürfen doch nicht zulassen, dass das Gedenken an die er-
mordeten Juden Europas von Verfassungsfeinden verun-
glimpft wird!

Wenn aber, Herr Özdemir, am Holocaust-Mahnmal ein
befriedeter Bezirk geschaffen werden muss, an dem Ver-
sammlungen nur unter besonderen Voraussetzungen
zulässig sind, dann muss das selbstverständlich auch für
die Neue Wache gelten,


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Sehr wahr!)


da die Neue Wache die zentrale nationale Gedenkstätte für
alle Opfer von sämtlichen Kriegen sowie jeglicher Ge-
walt- und Willkürherrschaft ist.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es wäre fatal, in dieser Frage eine Hierarchie der Opfer-
gruppen zu schaffen, mit der eine Unterscheidung zwi-
schen besonders schutzbedürftigen und sonstigen Opfern
getroffen wird.

Schließlich liegt uns allen das Brandenburger Tor
– nicht nur wegen seiner zentralen Lage – am Herzen. Das
Brandenburger Tor ist nicht nur das Symbol des neuen
Berlins; vielmehr ist es zwischenzeitlich auch das Symbol
des wieder vereinten Deutschlands geworden. Kein ande-
res Bauwerk erinnert gleichermaßen an die gewaltsame
Teilung ebenso wie an die friedliche Wiedererlangung
von Freiheit und Einheit. Dieser Symbolgehalt des
Brandenburger Tores ist weit über die Grenzen Deutsch-
lands und Europas hinaus bekannt.

Frau Präsidentin, das Lämpchen leuchtet schon auf.
Das bedeutet wohl, dass meine Redezeit abgelaufen ist.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1415906400
Herr Senator, als Mit-
glied des Bundesrates haben Sie selbstverständlich wei-
terhin das Rederecht. Ich glaube, dass es aber ein flächen-
deckendes Interesse gibt, die Debatte nicht übermäßig
auszudehnen. Ich bin schon recht großzügig. Wenn Sie
Ihre Rede fortsetzen, hat die Gegenseite das Recht, die
Debatte zu verlängern.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1415906500
Frau Prä-
sidentin, ich habe gesehen, dass Sie auch bei meinen Vor-
rednern sehr großzügig gewesen sind. Ich werde mich be-
eilen.

Ich will an Sie appellieren: Es darf nicht bei der bloßen
Empörung über extremistische Demonstrationen bleiben.
Der Gesetzgeber, also Sie meine Damen und Herren Ab-
geordneten, sind gefordert, hier eine Gesetzesänderung
herbeizuführen. Die CDU/CSU-Fraktion hat ihren Bei-
trag geleistet.

Obwohl ich das eigentlich gern tun würde, kann ich
nicht mehr auf die Kammergerichtsentscheidung des
Bundesverfassungsgerichts eingehen. Ich will dazu nur
sagen: Nichts gegen richterliche Rechtsfortbildung,
meine Damen und Herren Abgeordnete; aber die Rechts-
setzung ist Ihre Aufgabe. Die Entscheidung des Bundes-
verfassungsgerichts vom 26. Januar kann als Einzelfall-
entscheidung nicht ausschlaggebend sein.

Wenn die Mütter und Väter unseres Grundgesetzes die
jüngsten Aufzüge der Neonazis am Brandenburger Tor er-
lebten, dann wären sie fassungslos. Daran haben sie bei
der Formulierung von Art. 8 GG gewiss nicht gedacht, ge-
nauso wenig wie die Gesetzgeber bei der Verabschiedung
des Versammlungsgesetzes 1953 und das Bundesverfas-
sungsgericht bei seiner Brokdorf-Entscheidung 1985.

Für die Weiterentwicklung des Versammlungsrechts
im Sinne einer wert- und wehrhaften Demokratie ist es in
der Tat höchste Zeit. Hören Sie auf Carlo Schmid, der bei
der Einbringung des Grundgesetzes sagte:

Wenn man an die Würde des Menschen als etwas
Notwendiges glaubt, dann muss man auch den Mut
zur Intoleranz denen gegenüber haben, die die De-
mokratie gebrauchen wollen, um sie umzubringen.




Senator Dr. Eckart Werthebach

15565


(C)



(D)



(A)



(B)


Haben Sie Mut, meine Damen und Herren Abgeordnete!

(Beifall bei der CDU/CSU – Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Sehr gutes Zitat!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1415906600
Der letzte Redner in
dieser Debatte ist der Parlamentarische Staatssekretär
Fritz Rudolf Körper.

Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär beim Bun-

(von Abgeordneten der SPD mit Beifall begrüßt)

Herren! Ich habe hier keine Ratschläge zu erteilen. Aber
ich möchte vorab eine Bitte äußern: Dieses für unser Land
und die politische Diskussion sehr sensible Thema ist
meiner Ansicht nach für einen platten parteipolitischen
Streit absolut ungeeignet.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der F.D.P. und der PDS – Lothar Mark [SPD]: Das musste mal gesagt werden! – Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Meint er sich damit?)


Herr Schmidt-Jortzig hat im Zusammenhang mit dem
Thema Versammlungsrecht – ich persönlich kann mich
daran leider nicht erinnern – das Jahr 1953 erwähnt, in
dem dieses Recht entstanden ist. Er hat zu Recht darauf
hingewiesen, dass das Versammlungsrecht eigentlich
ganz behutsam angepackt worden ist. Man muss ein wei-
teres Jahr hinzufügen: Das Bundesverfassungsgericht hat
sich mit diesem Thema im Jahr 1985 im Rahmen seines
Brokdorf-Beschlusses sehr grundsätzlich auseinander ge-
setzt und uns eine verfassungskonforme Auslegung prä-
sentiert. Es hat die Versammlungsfreiheit zu Recht als ei-
nes der vornehmsten Grundrechte überhaupt bezeichnet.
Es wurde klar festgelegt, dass ein Versammlungsverbot
nur die Ultima Ratio sein darf.

Meine Damen und Herren, in diesen Tagen reden wir
ja viel über das, worauf wir stolz sein können. Ich glaube,
dass wir gerade darauf stolz sein können, dass die Ver-
sammlungsfreiheit ein wesentliches Kennzeichen unserer
freiheitlich-demokratischen Grundordnung ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Leider muss man natürlich hinzufügen, dass die Ver-
sammlungsfreiheit von Leuten missbraucht wird, die ex-
tremistisches Gedankengut vertreten. Die Diskussion
zum Versammlungsrecht heute und im Vorfeld wurde ja
durch das schon erwähnte auslösende Ereignis im Januar
2000 hier in Berlin geprägt. Dieses Ereignis löste
Empörung aus, da auf dieser Veranstaltung Ideen propa-
giert wurden, die in der Geschichte unter anderem Krieg
und Völkermord heraufbeschworen haben.

Ich will heute an dieser Stelle zu der Frage der Bewer-
tung des NPD-Verbotsantrags nicht Stellung nehmen. Ich
will aber dazu aufrufen, dass wir heute alles daransetzen
müssen, dass sich das, was sich in unserem Land von 1933
bis 1945 abgespielt hat, nie wiederholt.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Handeln Sie doch mal!)


– Lieber Erwin Marschewski, ich hoffe, dass wir deutlich
machen können, dass wir in der Frage des Ergebnisses
überhaupt nicht weit auseinander liegen. Denn wer will
das schon, was sich da am Brandenburger Tor abgespielt
hat? Vielmehr geht es um den Weg und die Instrumente.

CDU/CSU begründen ihren Gesetzentwurf zunächst
damit, dass sich Bilder von mit Fahnen und Trommeln
durch das Brandenburger Tor marschierenden Rechtsex-
tremisten nicht wiederholen sollen. Ich verstehe den Un-
mut und frage noch einmal: Wer will das schon?


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: So ist es!)


Ich weise allerdings darauf hin, dass die Verwaltungsge-
richte in der letzten Zeit gezeigt haben, wie man auch auf
der Grundlage des geltenden Rechtes solchen Aufzügen
die Spitze der Provokation nehmen kann.


(Dieter Wiefelspütz [SPD]: Sehr richtig!)

Für das Versammlungsrecht ist gerade typisch, dass

sich Bevölkerungsgruppen mit sehr unterschiedlichen
Interessenlagen gegenüberstehen: Versammlungsteil-
nehmer, eventuell Gegendemonstranten, Anlieger, Ge-
werbetreibende, einkaufswillige Passanten, allgemeine
Verkehrsteilnehmer. Die Versammlungsbehörde und die
Polizei haben nun zwischen all diesen Gruppen einen
Interessenausgleich herbeizuführen. Um dies zu errei-
chen, kann die Versammlungsbehörde Auflagen erlassen.
Hierzu zählt beispielsweise in Berlin die Auflage, nicht
durch das Brandenburger Tor zu marschieren


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

und das Mitführen von Trommeln und Fahnen zu unter-
lassen. Ich denke, Herr Kollege Werthebach, dass man
damit auch eine Wiederholung solcher Szenen wie der
vom Januar 2000 vermeiden kann.

Der Schutz geschichtlich symbolträchtiger Orte vor
der missbräuchlichen Nutzung zur Verherrlichung oder
Verharmlosung von Gewalt- und Willkürherrschaft, der
Verunglimpfung von deren Opfern sowie zur verfas-
sungsfeindlichen Propaganda ist der Bundesregierung ein
großes Anliegen. Ich betone hierbei, dass wir die Diskus-
sion um die Verhinderung von Demonstrationen mit
extremistischem Hintergrund, deren Ziel allein Provoka-
tion und Einschüchterung und nicht die politische Ausei-
nandersetzung ist, nicht in erster Linie wegen des Anse-
hens der Bundesrepublik Deutschland im Ausland führen
dürfen. In erster Linie muss es darum gehen, die Opfer
von Diktatur und Völkermord sowie deren Hinterbliebene
vor Verunglimpfung zu schützen und unsere freiheitlich-
demokratische Grundordnung vor aushöhlender Verhöh-
nung zu bewahren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Innenminister von Bund und Ländern haben sich
ja im November vergangenen Jahres mit dem Thema be-
fasst. Die Innenministerkonferenz hat beschlossen, Ver-
sammlungen, die Gewalt und Willkürherrschaft verherrli-




Senator Dr. Eckart Werthebach
15566


(C)



(D)



(A)



(B)


chen und gegen die Grundlagen der menschlichen Ge-
meinschaft gerichtet sind, zu verhindern. Demonstratio-
nen an historisch oder kulturell bedeutsamen Orten soll-
ten nur in Ausnahmefällen zulässig sein, so der Beschluss
vom November 2000. Der Bundesinnenminister wurde
gebeten, entsprechend tätig zu werden. Darüber hat er mit
den Innenministern der Länder einen guten Dialog ge-
führt. Auch auf Beamtenebene – das werden Sie bestäti-
gen, Herr Werthebach – gab es zahlreiche Gespräche zwi-
schen dem Bundesinnenministerium und der Berliner
Senatsverwaltung für Inneres.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich eine kurze
Einschätzung des vorliegenden Gesetzentwurfes der
CDU/CSU geben: Der Entwurf stellt eine Diskussions-
grundlage dar. Ich möchte nicht in die Einzelkritik einstei-
gen, sondern mich auf zwei Gesichtspunkte beschränken.

In § 16 des Versammlungsgesetzes sollen Bund und
Länder ermächtigt werden, öffentliche Einrichtungen
oder Örtlichkeiten, die von herausragender nationaler und
historischer Bedeutung sind, per Gesetz als befriedete
Bezirke zu schützen. Die Einrichtung befriedeter Bezirke
mit dem Ziel, symbolträchtige Orte nicht länger als Ku-
lisse für extremistische Aufmärsche missbrauchen zu las-
sen, ist ein Ansatzpunkt. Der Vorschlag, die Länder zu er-
mächtigen, eigene befriedete Bezirke um Orte von
herausragender Bedeutung einzurichten, löst bei mir
große Skepsis aus. Würde man sich entschließen, so eine
Regelung zu treffen, müsste festgeschrieben werden, dass
der Bundesgesetzgeber die schutzwürdigen und schutzbe-
dürftigen Orte selbst festlegt. Dabei muss es sich um Orte
handeln, die gesamtstaatlich eine herausragende Bedeu-
tung haben. Dies darf nicht von regionalen Zufälligkeiten
abhängen. Dies ist ein ganz wichtiger Punkt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der F.D.P.)


Ich möchte auch noch etwas zu der Verpflichtung, an
einem Kooperationsgespräch mitzuwirken, sagen, welche
ja auch in diesem Vorschlag enthalten ist. Hierdurch
könnte das Gesetz behutsam weiterentwickelt werden. Ich
stimme mit Sicherheit mit vielen hier im Hause überein,
dass die im CDU/CSU-Entwurf vorgesehene Regelung zu
einseitig ist und sie deshalb nicht sinnvoll ist. Das muss
an dieser Stelle auch noch einmal kurz gesagt werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der Innenminister hat auch zugesagt – ich denke, das
wird dem Thema gerecht –, die verfassungsrechtliche
Problematik durch einen externen Gutachter prüfen zu
lassen. Ich glaube, dass dies eine sinnvolle Maßnahme ist.
Wir sollten unsere jeweiligen Vorstellungen in der Dis-
kussion darlegen. Das Bundesinnenministerium wird sich
konstruktiv und ernsthaft in die Diskussionen bei der An-
hörung einbringen. Ich denke, dass dies ein guter Weg ist.
Unser Land braucht diese Diskussion.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P. – Lothar Mark [SPD]: Sehr gute Rede!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1415906700
Bevor ich die Aus-
sprache schließe, erteile ich zu einer Kurzintervention
Cem Özdemir das Wort.


Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415906800
Frau
Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Staatssekre-
tär Körper hat zu Beginn seiner Rede – wir alle haben da-
bei applaudiert – an uns appelliert, das Thema mit der ge-
botenen Sensibilität anzugehen. So will auch ich meinen
Beitrag dazu leisten. Mir liegt das Wortprotokoll noch
nicht vor. Sollte aber – entgegen dem, was ich in der Kurz-
intervention gesagt habe – bei meiner Rede vor diesem
Hohen Hause der Eindruck entstanden sein, dass ich mich
in Zusammenhang mit der Jüdischen Gemeinde missver-
ständlich ausgedrückt habe, so nehme ich das ausdrücklich
zurück und korrigiere das. Es gibt unterschiedliche Äuße-
rungen. Natürlich ist klar, dass sich die Union – genauso
wie alle anderen Fraktionen dieses Hauses – aktiv bemüht,
den Dialog in dieser Gesellschaft voranzubringen.


(Beifall im ganzen Hause – Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Akzeptiert!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1415906900
Danke für die Klar-
stellung. – Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 14/4754 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit
einverstanden? – Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist
die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 20 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen
der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
NEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes

(DRG-Systemzuschlags-Gesetz)

– Drucksache 14/5082 –

(Erste Beratung 143. Sitzung)

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Krankenhausfinanzierungsge-
setzes und der Bundespflegesatzverordnung

(DRG-Systemzuschlags-Gesetz)

– Drucksache 14/5396 –

(Erste Beratung 155. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Gesundheit (14. Ausschuss)

– Drucksache 14/5567 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Horst Schmidbauer (Nürnberg)


Die Kolleginnen und Kollegen Dr. Martin Pfaff,
Dr. Hans Georg Faust, Monika Knoche, Detlef Parr sowie
Dr. Ruth Fuchs haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.1) –




Parl. Staatssekretär Fritz Rudolf Körper

15567


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 4

Ich sehe Einverständnis im gesamten Hause. Deshalb
kommen wir sofort zu den Abstimmungen.

Wir kommen zum Gesetzentwurf der Fraktionen der
SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen zur Änderung
des Krankenhausfinanzierungsgesetzes und der Bundes-
pflegesatzverordnung. Es handelt sich um die Drucksa-
chen 14/5082 und 14/5567. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wol-
len, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Ent-
haltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Be-
ratung gegen die Stimmen der F.D.P.1) und bei Enthaltung
der PDS angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist damit gegen die Stimmen der F.D.P.2) und bei Enthal-
tung der PDS-Fraktion angenommen.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Gesundheit zu dem Gesetzentwurf der Bundesre-
gierung zur Änderung des Krankenhausfinanzierungs-
gesetzes und der Bundespflegesatzverordnung, Drucksa-
che 14/5567. Der Ausschuss empfiehlt, den Gesetzent-
wurf auf Drucksache 14/5396 für erledigt zu erklären.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegen-
probe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist
damit mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 19 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion
der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes zur Verbesserung der Abschreibungsbe-
dingungen
– Drucksache 14/5135 –

(Erste Beratung 146. Sitzung)

a) Beschlussempfehlung und Bericht des

Finanzausschusses (7. Ausschuss)

– Drucksache 14/5562 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Klaus Lennartz
Hans Michelbach


(8. Ausschuss)

gemäß § 96 der Geschäftsordnung
– Drucksache 14/5566 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Hans Georg Wagner
Hans Jochen Henke
Oswald Metzger
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Uwe-Jens Rössel

Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der
F.D.P. vor.

Die Kolleginnen und Kollegen Klaus Lennartz, Elke
Wülfing, Christine Scheel, Gerhard Schüßler und
Heidemarie Ehlert haben ihre Reden zu Protokoll gege-
ben.3) – Auch hier sehe ich keinen Widerspruch im Hause.
Deshalb kommen wir auch hier sogleich zu den Abstim-
mungen.

Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den Ge-
setzentwurf der Fraktion der CDU/CSU zur Verbesserung
der Abschreibungsbedingungen auf Drucksache 14/5135.
Der Finanzausschuss empfiehlt auf Drucksache 14/5562,
den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. –


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das sind ja nicht sehr viele!)


Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-
wurf ist in zweiter Beratung gegen die Stimmen von
CDU/CSU und F.D.P. abgelehnt. Damit entfällt nach un-
serer Geschäftsordnung die weitere Beratung.

Wir kommen zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion der F.D.P. auf Drucksache
14/5571. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? –


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das sind noch weniger!)


Gegenprobe! – Enthaltungen? – Der Entschließungsan-
trag ist gegen die Stimmen der F.D.P. bei Enthaltung der
CDU/CSU abgelehnt.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 21 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt-
schaft und Forsten (10. Ausschuss)

– zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU
Unterglasgartenbau in Deutschland sichern

– zu dem Antrag der Abgeordneten Ulrich
Heinrich, Birgit Homburger, Marita Sehn, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Anpassungsbeihilfen für Unterglasbetriebe
im Gartenbau

– zu dem Antrag der Abgeordneten Kersten
Naumann, Rolf Kutzmutz, Dr. Ruth Fuchs, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Schaffung eines Nothilfefonds für existenzbe-
drohte Unterglasgartenbaubetriebe
– Drucksachen 14/4243, 14/4257, 14/4291,
14/4444 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Karsten Schönfeld

Die Kolleginnen und Kollegen Heidemarie Wright,
Waltraud Wolff, Heinrich-Wilhelm Ronsöhr, Ulrike
Höfken, Marita Sehn und Kersten Naumann haben ihre
Reden zu Protokoll gegeben.4) – Auch hier sehe ich Ein-
verständnis im ganzen Hause.




Vizepräsidentin Petra Bläss
15568


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 2
2) Anlage 2

3) Anlage 3
4) Anlage 5

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf Druck-
sache 14/4444, und zwar zunächst zu dem Antrag der
Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Unterglasgarten-
bau in Deutschland sichern“, Drucksache 14/4243. Der
Ausschuss empfiehlt, den Antrag abzulehnen. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthal-
tungen? – Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stim-
men von CDU/CSU und F.D.P. bei Enthaltung der PDS
angenommen.

Weiterhin empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des
Antrags der Fraktion der F.D.P. zu Anpassungsbeihilfen
für Unterglasbetriebe im Gartenbau, Drucksache 14/4257.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegen-
probe! – Enthaltungen? – Auch diese Beschlussempfeh-
lung ist gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. bei
Enthaltung der PDS angenommen.

Schließlich empfiehlt der Ausschuss, den Antrag der
Fraktion der PDS zur Schaffung eines Nothilfefonds für
existenzbedrohte Unterglasgartenbaubetriebe auf Druck-
sache 14/4291 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der
CDU/CSU bei Enthaltung von F.D.P. und PDS angenom-
men.1)

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(3. Ausschuss)

Jelpke, Heidi Lippmann, Carsten Hübner, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der PDS

Einstufung des irakischen Giftgasangriffs am
16. März 1988 auf Halabja als Völkermord – Hu-
manitäre Hilfe für die Opfer des Angriffs
– Drucksachen 14/2916, 14/4946 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Christoph Moosbauer
Ruprecht Polenz
Christian Sterzing
Walter Hirche
Dr. Gregor Gysi

Die Kolleginnen und Kollegen Christoph Moosbauer,
Joachim Hörster, Gudrun Kopp, Ulla Jelpke sowie der
Staatsminister Dr. Ludger Volmer haben ihre Reden zu
Protokoll gegeben.2) – Auch hier sehe ich Einverständnis
im ganzen Hause.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswärti-
gen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion der PDS mit
dem Titel „Einstufung des irakischen Giftgasangriffs am
16. März 1988 auf Halabja als Völkermord – Humanitäre
Hilfe für die Opfer des Angriffs“ auf Drucksache 14/4946.
Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache
14/2916 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussemp-
fehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Be-
schlussempfehlung ist gegen die Stimmen der PDS-Frak-
tion angenommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf Mittwoch, den 28. März 2001, 13 Uhr, ein.

Die Sitzung ist geschlossen.