Protokoll:
14131

insert_drive_file

Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 14

  • date_rangeSitzungsnummer: 131

  • date_rangeDatum: 10. November 2000

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 16:25 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Ronald Pofalla CDU/CSU (zur GO) . . . . . . . 12591 A Alfred Hartenbach SPD (zur GO) . . . . . . . . . 12592 A Jörg van Essen F.D.P. (zur GO) . . . . . . . . . . . 12593 B Steffi Lemke BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (zur GO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12593 D Dr. Heidi Knake-Werner PDS (zur GO) . . . . . 12594 C Tagesordnungspunkt 17: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Angelegenheiten der neuen Länder zu dem Antrag der Abge- ordneten Dr. Michael Luther, Dr. Angela Merkel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion CDU/CSU: Investitionsför- derung verstetigen – regionale Wirt- schaftsstrukturen stärken (Drucksachen 14/2242, 14/4330) . . . . 12595 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Angelegenheiten der neu- en Länder zu dem Antrag der Abgeordne- ten Dr.-Ing. Rainer Jork, Katherina Reiche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion CDU/CSU: Lehrstellenmangel Ost mit wirksamen Regelungen angehen (Drucksachen 14/3185, 14/4177) . . . . 12595 C Dr. Mathias Schubert SPD . . . . . . . . . . . . . . . 12595 C Dr.-Ing. Rainer Jork CDU/CSU . . . . . . . . . . . 12597 A Werner Schulz (Leipzig) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12598 D Dr.-Ing. Rainer Jork CDU/CSU . . . . . . . . 12599 C Cornelia Pieper F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12600 D Gerhard Jüttemann PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 12602 A Ingrid Holzhüter SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12603 B Katherina Reiche CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 12604 D Tagesordnungspunkt 18: – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Alfred Hartenbach, Margot von Rennesse, weiteren Abgeordneten und der Fraktion SPD sowie den Abge- ordneten Volker Beck (Köln), Marieluise Beck (Bremen), weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Beendigung der Diskrimi- nierung gleichgeschlechtlicher Gemein- schaften: Lebenspartnerschaften (Le- benspartnerschaftsgesetz) (Drucksachen 14/3751, 14/4545, 14/4550) 12606 D – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Hildebrecht Braun (Augs- burg), Rainer Brüderle, weiteren Abgeord- neten und der Fraktion F.D.P. eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse eingetragener Le- benspartnerschaften (Eingetragene-Le- benspartnerschaften-Gesetz) (Drucksachen 14/1259, 14/4545, 14/4550) 12606 D – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Rainer Funke, Jörg van Essen, weiteren Abgeordneten und der Fraktion F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zurÄnderung des Bür- gerlichen Gesetzbuchs (Wohnrecht hinterbliebener Haushaltsangehöriger) (Drucksachen 14/326, 14/4545, 14/4550) 12606 D Plenarprotokoll 14/131 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 131. Sitzung Berlin, Freitag, den 10. November 2000 I n h a l t : – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Christina Schenk, Sabine Jünger, weiteren Abgeordneten und der Fraktion PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zurÜbernahme der ge- meinsamen Wohnung nach Todesfall der Mieterin/des Mieters oder der Mitmieterin/des Mitmieters (Ände- rung des Bürgerlichen Gesetzbuchs) (Drucksachen 14/308, 14/4545, 14/4550) 12607 A Margot von Renesse SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 12607 B Dr. Guido Westerwelle F.D.P. . . . . . . . . . . 12608 D Dr. Rupert Scholz CDU/CSU . . . . . . . . . . 12609 C Jörg van Essen F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12611 B Margot von Renesse SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 12611 D Norbert Geis CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 12612 B Christina Schenk PDS . . . . . . . . . . . . . . . 12614 C Martin Hohmann CDU/CSU . . . . . . . . . . 12615 B Kerstin Müller (Köln) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12616 A Aribert Wolf CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 12616 C Dr. Wolfgang Gerhardt F.D.P. . . . . . . . . . . . . 12617 C Christina Schenk PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12619 B Hanna Wolf (München) SPD . . . . . . . . . . . . . 12620 C Ilse Falk CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12621 C Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12623 D Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12624 D Dr. Guido Westerwelle F.D.P. . . . . . . . . . . . . . 12626 B Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12627 B Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12627 C Alfred Hartenbach SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 12628 A Friedrich Merz CDU/CSU (zur GO) . . . . . . . 12628 D Sabine Jünger PDS (Erklärung nach § 31 GO) 12629 B Tagesordnungspunkt 19: Erste Beratung des von den Abgeordneten Ilse Aigner, Werner Lensing, weiteren Ab- geordneten und der Fraktion CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Ersten Ge- setzes zur Änderung des Aufstiegsfort- bildungsförderungsgesetzes (1. AFBG- Änderungsgesetz) (Drucksache 14/4250) . . . . . . . . . . . . . . . 12630 C Ilse Aigner CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12630 D Dr. Ernst Dieter Rossmann SPD . . . . . . . . . . 12632 B Cornelia Pieper F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12634 A Ekin Deligöz BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . 12635 C Maritta Böttcher PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12637 A Christian Lange (Backnang) SPD . . . . . . . . . 12637 D Werner Lensing CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 12639 A Wolf-Michael Catenhusen, Parl. Staatssekretär BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12640 D Cornelia Pieper F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . 12641 B Tagesordnungspunkt 20: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Steuersenkungsgesetzes (Steuersen- kungsergänzungsgesetz) (Drucksachen 14/4217, 14/4293, 14/4547, 14/4562) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12642 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses zu dem Antrag der Fraktion CDU/CSU: Mittelstand ent- lasten – Steuersenkungsgesetz nach- bessern (Drucksachen 14/4285, 14/4547) . . . . 12642 C c) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Re- gelung der Bemessungsgrundlage für Zuschlagsteuern (Drucksache 14/3762, 14/4546, 14/4563) 12642 D Nicolette Kressl SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12643 A Hans Michelbach CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 12644 D Christine Scheel BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 12647 C Leo Dautzenberg CDU/CSU . . . . . . . . . . 12649 D Dr. Hermann Otto Solms F.D.P. . . . . . . . . . . . 12650 C Dr. Barbara Höll PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12652 B Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12653 C Ulrich Heinrich F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . 12654 C Leo Dautzenberg CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 12656 B Detlev von Larcher SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 12658 C Tagesordnungspunkt 22: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen zu dem Antrag der Ab- geordneten Dr. Winfried Wolf, Christine Ostrowski, weiterer Abgeordneter und der Fraktion PDS: Für eine sozial, fi- nanziell und ökologisch nachhaltige Bundesverkehrswegeplanung (Drucksachen 14/2262, 14/3904) . . . . 12661 B Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000II b) Antrag der Abgeordneten Dr. Winfried Wolf, Gerhard Jüttemann, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion PDS: Rea- lisierung einer direkten Fernbahn- verbindung zwischen den Bahnhöfen Berlin-Ostbahnhof und Berlin-Lich- tenberg beim Ausbau des Eisenbahn- knotens Berlin (Drucksache 14/3783) . . . . . . . . . . . . . 12661 B c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Winfried Wolf, Christine Ostrowski, Dr. Gregor Gysi und der Fraktion PDS: Überzählige Diesellokomotiven der DB AG nicht verschrotten, sondern weiter- verwenden (Drucksachen 14/1930, 14/2788) . . . . 12661 C d) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Winfried Wolf, Christine Ostrowski, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion PDS: Beibehal- tung der Reisezug-Verbindungen zwischen Polen und Berlin (Drucksachen 14/3191, 14/4121) . . . . 12661 C Dr. Winfried Wolf PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 12661 D Tagesordnungspunkt 23: Zweite und dritte Beratung des von den Frak- tionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs ei- nes Zweiundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes (Drucksachen 14/4241, 14/4560, 14/4564) 12663 A Tagesordnungspunkt 24: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Solda- tengesetzes und anderer Vorschriften (SGÄndG) (Drucksachen 14/4062, 14/4368, 14/4548) 12663 C Walter Kolbow, Parl. Staatssekretär BMVg . . 12663 D Kurt J. Rossmanith CDU/CSU . . . . . . . . . 12664 C Paul Breuer CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 12665 C Angelika Beer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 12667 C Dirk Niebel F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12668 C Johannes Kahrs SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12669 B Paul Breuer CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 12670 D Heidi Lippmann PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12671 A Tagesordnungspunkt 25: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze (2. FGOÄndG) (Drucksachen 14/4061, 14/4450, 14/4549) 12672 A Tagesordnungspunkt 26: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zurEinführung einerDienstleis- tungsstatistik und zur Änderung statisti- scher Rechtsvorschriften (Drucksachen 14/4049, 14/4459) . . . . . . . 12672 B Zusatztagesordnungspunkt 5: Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN eingebrachten Entwurfs eines Sech- zehnten Gesetzes zurÄnderung des Bun- deswahlgesetzes (Drucksache 14/4497) . . . . . . . . . . . . . . . 12672 C Harald Friese SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12672 D Dr. Max Stadler F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12673 D Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12674 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 12675 A Anlage 2 Copyright-Abgabe auf CD-Brenner, Drucker, ISDN-Anlagen, CD-ROMs nach einem erwei- terten Urheberrechtsgesetz MdlAnfr 11 Martin Hohmann CDU/CSU Antw PStSekr Dr. Eckhart Pick BMJ . . . . . . . 12676 A Anlage 3 Gesetzliche Regelungen zur Sterbebegleitung und zur Sterbehilfe in Deutschland MdlAnfr 12 Detlef Parr F.D.P. Antw PStSekr Dr. Eckhart Pick BMJ . . . . . . . 12676 B Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000 III Anlage 4 Schädigung des Ansehens der Bundesrepublik Deutschland im Ausland durch Verbreitung neonazistischer Propaganda; Maßnahmen zur Strafverfolgung; Strafrechtliche Verfolgung der Auftritte von Rechtsextremisten im Internet MdlAnfr 13, 14 Dietmar Schlee CDU/CSU Antw PStSekr Dr. Eckhart Pick BMJ . . . . . . . 12676 C Anlage 5 Wehrmedizinische Forschungen bei der Bun- deswehr; Anwendung der Forschungsergeb- nisse MdlAnfr 15 Maritta Böttcher PDS Antw PStSekr’in Brigitte Schulte BMVg . . . 12677 A Anlage 6 Risikopotenzial von gegen Antibiotika resisten- ten und als biologische Waffen einsetzbaren Krankheitserregern; Schutz der Bevölkerung MdlAnfr 16 Dr. Ilja Seifert PDS Antw PStSekr’in Brigitte Schulte BMVg . . . 12677 B Anlage 7 B-Waffen-Schutz im Falle gegen Antibiotika resistenter Krankheitserreger MdlAnfr 17 Carsten Hübner PDS Antw PStSekr’in Brigitte Schulte BMVg . . . 12677 D Anlage 8 Bedrohung der Bevölkerung durch militäri- sche Nutzung von Bio- und Gentechnik zu feindseligen Zwecken MdlAnfr 18 Uwe Hiksch PDS Antw PStSekr’in Brigitte Schulte BMVg . . . 12678 A Anlage 9 Export biologischer Kampfstoffe oder Kompo- nenten vor dem Hintergrund wehrmedizini- scher Genforschung zu B-Waffen MdlAnfr 19 Eva Bulling-Schröter PDS Antw PStSekr’in Brigitte Schulte BMVg . . . 12678 A Anlage 10 Export bzw. Import von Krankheitserregern MdlAnfr 20, 21 Kersten Naumann PDS Antw PStSekr’in Brigitte Schulte BMVg . . . 12678 B Anlage 11 Auswirkungen des Zeitplans für die Verab- schiedung des Soldatengesetzes sowie der Sol- datenlaufbahnverordnung auf den Dienstantritt von Bewerberinnen im Januar 2001; Vorlage des Entwurfs eines neuen Personalstärkegeset- zes zur Einsparung von Personalkosten sowie zur Lösung des Beförderungs- und Verwen- dungsstaus MdlAnfr 22, 23 Werner Siemann CDU/CSU Antw PStSekr’in Brigitte Schulte BMVg . . . 12679 A Anlage 12 Einsätze des Kommandos Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr im Rahmen von SFOR und/ oder KFOR MdlAnfr 24, 25 Günther Friedrich Nolting F.D.P. Antw PStSekr’in Brigitte Schulte BMVg . . . 12679 D Anlage 13 Bundesmittel im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung für die Sanierung des Schie- nennetzes der Deutschen Bahn MdlAnfr 26, 27 Eduard Lintner CDU/CSU Antw PStSekr Kurt Bodewig BMVBW . . . . . 12680 A Anlage 14 Finanzierung und Realisierung des sechsspuri- gen Ausbaus der A 4 zwischen den Anschluss- stellen Jena-Göschwitz und Magdala (Leu- tratal) MdlAnfr 28, 29 Karsten Schönfeld SPD Antw PStSekr Kurt Bodewig BMVBW . . . . . 12680 C Anlage 15 Auswahlkriterien für die mit Mitteln aus der Versteigerung der UMTS-Lizenzen geförder- ten Straßenbauprojekte MdlAnfr 30, 31 Hans-Michael Goldmann F.D.P. Antw PStSekr Kurt Bodewig BMVBW . . . . . 12681 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000IV Anlage 16 Finanzierung der zweiten Baustufe der B 239/ Ortsumgehung Herford sowie der A 30 und A 33 in Ostwestfalen mit UMTS-Mitteln MdlAnfr 32 Dr. Reinhard Göhner CDU/CSU Antw PStSekr Kurt Bodewig BMVBW . . . . . 12681 B Anlage 17 Bereitstellung von Mitteln aus Zinsersparnis- sen aufgrund der UMTS-Erlöse für den Lückenanschluss der A 33; Wiederaufnahme des Planfeststellungsverfahrens für die A 33 auf Grundlage der Variante V 16 + MdlAnfr 33, 34 Hubert Deittert CDU/CSU Antw PStSekr Kurt Bodewig BMVBW . . . . . 12681 D Anlage 18 Verzögerungen bei der Überarbeitung des Bun- desverkehrswegeplans; mögliche Auswirkun- gen auf die Aufnahme von Bundesfernstraßen- vorhaben in Investitionsprogramme der Jahre 2003 und 2004 MdlAnfr 35, 36 PeterWeiß (Emmendingen) CDU/CSU Antw PStSekr Kurt Bodewig BMVBW . . . . . 12682 A Anlage 19 Finanzierung des Weiterbaus der A4 von Olpe- Süd bis zur Krombacher Höhe sowie der Hüt- tentalstraße (B 62) bis Kreuztal MdlAnfr 37, 38 Paul Breuer CDU/CSU Antw PStSekr Kurt Bodewig BMVBW . . . . . 12682 B Anlage 20 Erklärung des Abgeordneten Friedrich Merz (CDU/CSU) zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der Bemessungsgrundlage für Zu- schlagsteuern (Tagesordnungspunkt 20 c) . . . . 12682 D Anlage 21 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung – des Berichts: Für eine sozial, finanziell und ökologisch nachhaltige Bundes- verkehrswegeplanung – des Antrags: Realisierung einer direkten Fernbahnverbindung zwischen den Bahn- höfen Berlin-Ostbahnhof und Berlin- Lichtenberg beim Ausbau des Eisenbahn- knotens Berlin – des Berichts: Überzählige Dieselloko- motiven der DB AG nicht verschrotten, sondern weiterverwenden – des Berichts: Beibehaltung der Reise- zug-Verbindungen zwischen Polen und Berlin (Tagesordnungspunkt 22 a bis d) . . . . . . . . 12683 A Reinhard Weis (Stendal) SPD . . . . . . . . . . . . . 12683 B Wieland Sorge SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12685 A Albert Schmidt (Hitzhofen) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12685 D Horst Friedrich (Bayreuth) F.D.P. . . . . . . . . . 12686 C Anlage 22 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Zweiundzwanzigsten Ge- setzes zur Änderung des Abgeordnetengeset- zes (Tagesordnungspunkt 23) . . . . . . . . . . . . . 12687 A Dr. Uwe Küster SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12687 A Eckart von Klaeden CDU/CSU . . . . . . . . . . . 12689 A Cem Özdemir BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . 12690 B Jörg van Essen F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12691 A Dr. Heidi Knake-Werner PDS . . . . . . . . . . . . 12691 B Anlage 23 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze (2. FGOÄndG) (Tagesordnungspunkt 25) . . . . 12691 D Alfred Hartenbach SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 12691 D Dr. Susanne Tiemann CDU/CSU . . . . . . . . . . 12692 C Helmut Wilhelm (Amberg) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12694 B Rainer Funke F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12694 D Dr. Evelyn Kenzler PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 12695 B Dr. Eckhart Pick, Parl. Staatssekretär BMJ . . 12696 A Anlage 24 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung einer Dienstleistungsstatistik und zur Ände- rung statistischer Rechtsvorschriften (Tages- ordnungspunkt 26) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12696 D Detlev von Larcher SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 12696 D Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000 V Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000VI Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk SPD . . . . . . . . . . . 12697 C Karl-Heinz Scherhag CDU/CSU . . . . . . . . . . 12699 A Margareta Wolf (Frankfurt) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12699 B Gudrun Kopp F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12699 D Anlage 25 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Sechzehnten Gesetzes zur Än- derung des Bundeswahlgesetzes (Zusatztages ordnungspunkt 5) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12700 B Erwin Marschewski (Recklinghausen) CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12700 B Cem Özdemir BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . 12701 C Rolf Kutzmutz PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12702 C Anlage 26 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12703 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000
  • folderAnlagen
    Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000 Dr. Max Stadler 12674 (C) (D) (A) (B) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000 12675 (C) (D) (A) (B) Balt, Monika PDS 10.11.2000 Dr. Bartsch, Dietmar PDS 10.11.2000 Bernhardt, Otto CDU/CSU 10.11.2000 Büttner (Ingolstadt), SPD 10.11.2000 Hans Ehlert, Heidemarie PDS 10.11.2000 Elser, Marga SPD 10.11.2000 Fischer (Frankfurt), BÜNDNIS 90/ 10.11.2000 Joseph DIE GRÜNEN Frankenhauser, Herbert CDU/CSU 10.11.2000 Frick, Gisela F.D.P. 10.11.2000 Friedhoff, Paul K. F.D.P. 10.11.2000 Gloser, Günter SPD 10.11.2000 Gröhe, Hermann CDU/CSU 10.11.2000 Hauser (Bonn), Norbert CDU/CSU 10.11.2000 Hempelmann, Rolf SPD 10.11.2000 Hermann, Winfried BÜNDNIS 90/ 10.11.2000 DIE GRÜNEN Heyne, Kristin BÜNDNIS 90/ 10.11.2000 DIE GRÜNEN Hirche, Walter F.D.P. 10.11.2000 Homburger, Birgit F.D.P. 10.11.2000 Dr. Kohl, Helmut CDU/CSU 10.11.2000 Kossendey, Thomas CDU/CSU 10.11.2000 Kramme, Anette SPD 10.11.2000 Kühn-Mengel, Helga SPD 10.11.2000 Lamers, Karl CDU/CSU 10.11.2000 Lehder, Christine SPD 10.11.2000 Dr. Lippold (Offenbach), CDU/CSU 10.11.2000 Klaus W. Lötzer, Ursula PDS 10.11.2000 Marquardt, Angela PDS 10.11.2000 Michels, Meinolf CDU/CSU 10.11.2000 Mosdorf, Siegmar SPD 10.11.2000 Müller (Berlin), PDS 10.11.2000 Manfred Ostrowski, Christine PDS 10.11.2000 Dr. Protzner, Bernd CDU/CSU 10.11.2000 Röttgen, Norbert CDU/CSU 10.11.2000 Roth (Speyer), Birgit SPD 10.11.2000 Rühe, Volker CDU/CSU 10.11.2000 Schauerte, Hartmut CDU/CSU 10.11.2000 Schmidbauer, Bernd CDU/CSU 10.11.2000 Schmidt (Fürth), CDU/CSU 10.11.2000 Christian Dr. Schmidt-Jortzig, F.D.P. 10.11.2000 Edzard Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 10.11.2000 Hans Peter von Schmude, Michael CDU/CSU 10.11.2000 Schröder, Gerhard SPD 10.11.2000 Dr. Schuchardt, Erika CDU/CSU 10.11.2000 Schuhmann (Delitzsch), SPD 10.11.2000 Richard Schultz (Everswinkel), SPD 10.11.2000 Reinhard Dr. Schwarz-Schilling, CDU/CSU 10.11.2000 Christian Dr. Seifert, Ilja PDS 10.11.2000 Dr. Skarpelis-Sperk, SPD 10.11.2000 Sigrid Spanier, Wolfgang SPD 10.11.2000 Spranger, Carl-Dieter CDU/CSU 10.11.2000 Dr. Freiherr von CDU/CSU 10.11.2000 Stetten, Wolfgang Dr. Struck, Peter SPD 10.11.2000 Dr. Thomae, Dieter F.D.P. 10.11.2000 Thönnes, Franz SPD 10.11.2000 Türk, Jürgen F.D.P. 10.11.2000 Uldall, Gunnar CDU/CSU 10.11.2000 Dr. Wieczorek, Norbert SPD 10.11.2000 Wieczorek-Zeul, SPD 10.11.2000 Heidemarie Wiesehügel, Klaus SPD 10.11.2000 Wülfing, Elke CDU/CSU 10.11.2000 Zierer, Benno CDU/CSU 10.11.2000* Dr. Zöpel, Christoph SPD 10.11.2000 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versamm- lung des Europarates entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Antwort des Parl. Staatssekretärs Prof. Dr. Eckhart Pick auf die Frage 11 des Abgeordneten Martin Hohmann (CDU/ CSU) (Drucksache 14/4468, Frage 11) (129. Sitzung am 8. November 2000): Bleibt die Bundesregierung bei den Plänen zur Copyright-Ab-gabe auf CD-Brenner, Drucker, ISDN-Anlagen, CD-ROMs nacheinem erweiterten Urheberrechtsgesetz oder hat die Bundesregie-rung in dieser Angelegenheit neue Ein- oder Absichten gewonnen? Ihre Frage scheint mir davon auszugehen, dass eine Vergütungspflicht für diese Geräte erst durch ein Reform- gesetz der Bundesregierung begründet werden soll. Das ist aber nicht richtig. Bereits nach dem geltenden Urhe- berrechtsgesetz ist für CD-Brenner, Scanner, Festplatten und ähnliche Geräte bzw. Komponenten eine Gerätever- gütung zu zahlen, wenn und soweit diese Geräte zur Ver- vielfältigung bestimmt sind. Die Vergütungen geben den Inhabern von Urheber- und Leistungsschutzrechten einen finanziellen Ausgleich dafür, dass Vervielfältigungen für private und bestimmte weitere Zwecke auch ohne ihre Genehmigung zulässig sind. Dies ist bereits in dem Zweiten urheberrechtlichen Ver- gütungsbericht, den die Bundesregierung gemäß dem Auftrag des Deutschen Bundestages im Juli dieses Jahres vorgelegt hat, im Einzelnen dargestellt. Darin hat die Bun- desregierung vorgeschlagen, das allseits als bewährt emp- fundene Vergütungssystem beizubehalten und – auch durch klarstellende Einbeziehung der digitalen Verviel- fältigungsverfahren – eine angemessene Vergütung für Künstler, Autoren und andere kreativ Tätige weiter zu si- chern. Konkrete Zahlenvorgaben hat die Bundesregierung dazu noch zu keinem Zeitpunkt gemacht. Sollte die wei- tere technische Entwicklung zu Abrechnungsverfahren führen, die geeignet sind, die tatsächliche Nutzung zu er- fassen, sodass der einzelne Nutzer den berechtigten Ur- heber oder Künstler für Kopien unmittelbar bezahlt, wird über mögliche Konsequenzen für das bestehende System nachzudenken sein. Dies ist aber noch nicht aktuell. Anlage 3 Antwort des Parl. Staatssekretärs Prof. Dr. Eckhart Pick auf die Frage des Abgeordneten Detlef Parr (F.D.P.) (Drucksa- che 14/4468, Frage 12) (129. Sitzung am 8. November 2000): Wie beurteilt die Bundesregierung die intensiven Diskussio-nen des kürzlich erst beendeten Deutschen Juristentages über diezurzeit gültigen gesetzlichen Regelungen zur Sterbebegleitungund Sterbehilfe in Deutschland? Die Bundesregierung hat die Diskussionen des 63. Deutschen Juristentages zum Thema „Empfehlen sich zivilrechtliche Regelungen zur Absicherung der Patienten- autonomie am Ende des Lebens?“ mit großem Interesse verfolgt. Die Problematik der Sterbebegleitung und Sterbehilfe bedarf aus Sicht der Bundesregierung einer gründlichen Aufbereitung, um die Frage nach der Notwendigkeit gesetzgeberischer Maßnahmen zuverlässig beantworten zu können. Hier sind neben juristisch-ethischen Fragen insbesondere auch eine Reihe forensisch-praktischer Pro- bleme zu prüfen und zu erörtern. Eine breite Beteiligung der betroffenen Fachkreise an den notwendigen Diskus- sionen ist wünschenswert. Die Bundesregierung dankt dem 63. Deutschen Juristentag deshalb sehr für seine zahlreichen Vorschläge zur Reform des Rechts der Ster- bebegleitung und Sterbehilfe. Sie werden im Rahmen der weiteren Überlegungen der Bundesregierung berücksich- tigt werden. Anlage 4 Antwort des Parl. Staatssekretärs Prof. Dr. Eckhart Pick auf die Fragen des Abgeordneten Dietmar Schlee (CDU/CSU) (Drucksache 14/4468, Fragen 13 und 14) (129. Sitzung am 8. November 2000): Ist sich die Bundesregierung der Tatsache bewusst, dass das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland im Ausland durch die Verbreitung neonazistischer Propaganda, Verwendung von Kenn- zeichen verfassungswidriger Organisationen oder volksverhet- zender Parolen durch deutsche Extremisten geschädigt wird, und wenn ja, was unternimmt die Bundesregierung, um insoweit be- stehende Strafbarkeitslücken zu schließen und damit eine Straf- verfolgung in Deutschland herbeizuführen? Ist der Bundesregierung bekannt, dass sich die Internet-Auf- tritte von Rechtsextremisten seit 1996 verzehnfacht haben, und wenn ja, was unternimmt die Bundesregierung, um die überwie- gend über ausländische Provider eingestellten rechtsextremisti- schen Web-Seiten aus dem Internet zu entfernen und die Strafver- folgung zu gewährleisten? Zu Frage 13: Das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland im Aus- land wird durch die Verbreitung rechtsextremistischer Propaganda durch Deutsche im Ausland geschädigt. Es gibt allerdings keinen Straftatbestand der Gefährdung oder Schädigung des deutschen Ansehens im Ausland. Die Vorschriften der §§ 86, 86 a, 130 StGB dienen primär dem Schutz der freiheitlich demokratischen Grundord- nung der Bundesrepublik Deutschland, dem Schutz des Gedankens der Völkerverständigung und dem Schutz des friedlichen Zusammenlebens in der Bundesrepublik Deutschland. Ist die Straftat eines Deutschen im Ausland nach §§ 86, 86 a, 130 StGB dort mit Strafe bedroht, kann der Täter auch im Inland bestraft werden. Eine Bestrafung des Tä- ters im Inland erfolgt dann, wenn die Straftat Auswirkun- gen im Inland hat und deshalb eine Inlandstat vorliegt. Auch ist die Bestrafung im Inland denkbar, wenn der Tä- ter nicht ausgeliefert werden darf. Wird zum Beispiel von einem Deutschen bei einer Fernsehübertragung eines Fußballspiels aus Polen nach Deutschland „Heil Hitler“ geschrieen oder nationalsozialistische Propaganda in das Internet im Ausland eingestellt, ist eine Strafverfolgung in Deutschland möglich. Eine zu schließende Strafbarkeitslücke besteht nach Ansicht der Bundesregierung bei dieser Sachlage nicht. Die Bundesregierung unterstützt die deutschen Strafver- folgungsbehörden, die Staatsanwaltschaften und Gerichte der Länder. Dies geschieht zum Beispiel durch die Stel- lung von Rechtshilfeersuchen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 200012676 (C) (D) (A) (B) Zu Frage 14: Der Bundesregierung ist bekannt, dass die Internet- Seiten von Rechtsextremisten besonders stark angestie- gen sind. Dabei handelt es sich bei der überwiegenden An- zahl der Seiten um solche aus dem US-amerikanischen Raum. In den USAist die Verbreitung von rechtsextremis- tischen Seiten im Internet, soweit es sich um Meinungs- äußerungen handelt, nicht strafbar. Die Bundesregierung bemüht sich durch Gespräche mit Verantwortlichen in den USA, diese von der Strafwürdigkeit eines solchen Verhal- tens zu überzeugen. Einerseits wird hierdurch erfolgreich für die Unterstützung deutscher Strafverfahren geworben, andererseits werden US-amerikanische Provider mit Er- folg um die Löschung rechtsextremistischer Seiten gebe- ten. Anlage 5 Antwort der Parl. Staatssekretärin Brigitte Schulte auf die Frage der Abgeordneten Maritta Böttcher (PDS) (Drucksache 14/4468, Frage 15) (129. Sitzung am 8. November 2000): Trifft es zu, dass wehrmedizinische Forschungen in Entwick- lungsprojekten der zivilen Forschung der Bundeswehr durchge- führt werden („Welt am Sonntag“ vom 22. Oktober 2000), und wenn ja, worin besteht dann die spezielle Problematik der An- wendung dieser Erreger und Toxine in Verbindung mit Waffen? Das Bundesministerium der Verteidigung unterhält ein Programm zur Weiterentwicklung unserer Fähigkeiten zum Schutz vor biologischen Waffen. Zu diesem Zweck werden am Institut für Mikrobiologie der Sanitätsakade- mie der Bundeswehr in München und am Wehrwis- senschaftlichen Institut für Schutztechnologien und ABC-Schutz in Munster Forschungs- und Entwicklungs- projekte durchgeführt. Darüber hinaus vergibt die Bun- deswehr im zivilen Bereich Forschungs- und Entwick- lungsvorhaben, die in der Bundeswehr nicht durchgeführt werden können oder die im zivilen Bereich kostengünsti- ger bearbeitet werden. Im Rahmen des Forschungs- und Entwicklungsprogramms gegen Massenvernichtungsmit- tel werden auch Schutzmaßnahmen, unter anderem Impf- stoffe gegen potenzielle biologische Kampfstoffe weiter- entwickelt. Bei diesen handelt es sich um Erreger und Toxine, die in der Bundesrepublik selten oder gar nicht vorkommen, aber wegen ihrer Eigenschaften einen Miss- brauch als Kampfstoff geeignet sind. Anlage 6 Antwort der Parl. Staatssekretärin Brigitte Schulte auf die Frage des Abgeordneten Dr. Ilja Seifert (PDS) (Drucksache 14/4468, Frage 16) (129. Sitzung am 8. November 2000): Wie schätzt die Bundesregierung im Rahmen der Bundes- wehrforschungen zu B-Waffen das Risikopotenzial von Krank- heitserregern ein, die gegen Antibiotika resistent gemacht werden und als biologische Waffen eingesetzt werden können, und welche Erfordernisse ergeben sich aus ihrer Sicht, um entsprechende Ri- siken – auch im Hinblick auf den Schutz der Zivilbevölkerung – zu minimieren? Die Bundesrepublik Deutschland hat sich nach den Pa- riser Protokollen zum Brüsseler Vertrag vom 23. Oktober 1954 und nach dem B-Waffenübereinkommen vom 10. April 1972 (ratifiziert am 7. April 1983) international dazu verpflichtet, sich in keiner Weise aktiv mit biologi- schen Waffen zu befassen. Darüber hinaus gibt es natio- nal im Kriegswaffenkontrollgesetz ein entsprechendes Verbot. Forschung und Entwicklung zur Herstellung von bio- logischen Waffen wurden und werden durch das Bundes- ministerium der Verteidigung nicht vergeben, gefördert oder sonst in irgendeiner Weise unterstützt. Doch der Ein- satz biologischer Kampfstoffe ist leider durch fremde staatliche wie nicht staatliche Akteure denkbar. Und es ist vorstellbar, dass biologische Kampfstoffe auch Resisten- zen gegen Antibiotika aufweisen können. Grundsätzli- ches Ziel unserer Sicherheits- und Militärpolitik ist es, das Risiko eines Einsatzes von Massenvernichtungswaffen soweit wie möglich auszuschließen. Wegen der mögli- chen Verfügbarkeit biologischer Massenvernichtungsmit- tel in einer Reihe von Staaten und eines damit verbunde- nen Risikos unterhält die Bundesrepublik Deutschland ein Programm zur Weiterentwicklung der Fähigkeiten zum Schutz vor biologischen Waffen, das auch die Risi- ken antibiotikaresistenter B-Waffen in Betracht zieht. Diese Fähigkeiten zum Schutz vor biologischen Waffen kommen sowohl der Zivilbevölkerung als auch Soldaten der Bundeswehr zugute. Das deutsche Schutzprogramm wird regelmäßig den sich entwickelnden Risiken ange- passt und mit unseren Bündnispartnern abgestimmt. Anlage 7 Antwort der Parl. Staatssekretärin Brigitte Schulte auf die Frage des Abgeordneten Carsten Hübner (PDS) (Drucksache 14/4468, Frage 17) (129. Sitzung am 8. November 2000): Von welchen Bedrohungsszenarien geht die Bundesregie- rung – vor dem Hintergrund von Pressemeldungen vom 23. Okto- ber 2000 und in der „Welt am Sonntag“ vom 22. Oktober 2000 über wehrmedizinische Forschung zu B-Waffen unter Verwen- dung gentechnischer Methoden im B-Waffen-Schutz im Falle an- tibiotikaresistenter Krankheitserreger – aus? Ein Einsatz biologischer Kampfstoffe ist sowohl durch staatliche wie nicht staatliche Akteure denkbar. Es ist vor- stellbar, dass biologische Kampfstoffe auch Resistenzen gegen Antibiotika aufweisen können und damit Infektionen durch diese Erreger einer Therapie gar nicht oder nur er- schwert zugänglich sind. Grundsätzliches Ziel deutscher Sicherheits- und Mi- litärpolitik ist es, das Risiko eines Einsatzes von Massen- vernichtungswaffen soweit wie möglich auszuschließen. Wegen der möglichen Verfügbarkeit biologischer Mas- senvernichtungsmittel in einer Reihe von Staaten und des damit verbundenen Risikos unterhält die Bundesrepublik Deutschland ein Programm zur Weiterentwicklung der Fähigkeiten zum Schutz vor biologischen Waffen. Bei dem im Artikel der „Welt am Sonntag“ erwähnten anti- biotikaresistenten Erreger handelt es sich um einen Impf- stamm, der als biologischer Kampfstoff ungeeignet und zudem gegen die üblichen Antibiotika empfindlich ist. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000 12677 (C) (D) (A) (B) Anlage 8 Antwort der Parl. Staatssekretärin Brigitte Schulte auf die Frage des Abgeordneten Uwe Hiksch (PDS) (Drucksache 14/4468, Frage 18) (129. Sitzung am 8. November 2000): Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die mögliche militärische Nutzung des Potenzials von moderner Bio- und Gen- technik zu feindseligen Zwecken eine Herausforderung bzw. po- tenzielle Bedrohung der eigenen Bevölkerung wie auch anderer Völker darstellt? Die Bundesregierung teilt diese Auffassung. Grund- sätzliches Ziel deutscher Sicherheits- und Militärpolitik ist es daher, den Einsatz von Massenvernichtungswaffen soweit wie möglich auszuschließen. Wegen der mögli- chen Verfügbarkeit biologischer Massenvernichtungsmit- tel in einer Reihe von Staaten und eines damit verbunde- nen Risikos auch für unser Land und unsere Bevölkerung unterhält die Bundesrepublik Deutschland ein Programm zur Weiterentwicklung der Fähigkeiten zum Schutz vor biologischen Waffen. Anlage 9 Antwort der Parl. Staatssekretärin Brigitte Schulte auf die Frage der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter (PDS) (Druck- sache 14/4468, Frage 19) (129. Sitzung am 8. Novem- ber 2000): Werden vor dem Hintergrund aktueller Pressemeldungen vom 23. Oktober 2000 und in der „Welt am Sonntag“ vom 22. Okto- ber 2000 über wehrmedizinische Forschung zu B-Waffen unter Verwendung gentechnischer Methoden aus Deutschland biologi- sche Kampfstoffe oder Komponenten für Kampfstoffe in andere Staaten geliefert? Nein. Die Bundesrepublik Deutschland hat sich nach den Pariser Protokollen zum Brüsseler Vertrag vom 23. Oktober 1954 und nach dem B-Waffenübereinkom- men vom 10. April 1972 (ratifiziert am 7. April 1983) in- ternational dazu verpflichtet, sich in keiner Weise aktiv mit biologischen Waffen zu befassen. Darüber hinaus gibt es national im Kriegswaffenkontrollgesetz ein ent- sprechendes Verbot. Forschung und Entwicklung zur Her- stellung von B-Waffen wurden und werden durch das Bundesministerium der Verteidigung nicht vergeben, ge- fördert oder sonst in irgendeiner Weise unterstützt. Anlage 10 Antwort der Parl. Staatssekretärin Brigitte Schulte auf die Fragen der Abgeordneten Kersten Naumann (PDS) (Drucksa- che 14/4468, Fragen 20 und 21) (129. Sitzung am 8. No- vember 2000): Werden aus Deutschland Erreger für Human-, Tier- oder Pflanzenkrankheiten in andere Staaten geliefert und mit anderen Staaten ausgetauscht, und wenn ja, welche? In bzw. aus welchen Staaten werden benannte Erreger expor- tiert bzw. importiert? Zu Frage 20: Da Ihre beiden Fragen im Kontext mit denen Ihrer Fraktionskolleginnen und -kollegen gestellt wurden, möchte ich im Namen der Bundesregierung antworten, obwohl das Bundesgesundheitsministerium und das Landwirtschaftsministerium die Gesetzeskompetenz be- sitzen. Human-Krankheitserreger: Gemäß § 19 Bundes-Seu- chengesetz (BSeuchG) und ab 1. Januar 2001 gemäß § 44 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) bedarf derjenige, der Krankheitserreger in den Geltungsbereich dieses Geset- zes verbringen oder sie ausführen will, der Erlaubnis der zuständigen Behörde. Die Erteilung der Erlaubnis ist an bestimmte persönliche Voraussetzungen (insbesondere bestimmtes Studium und praktische Erfahrungen im Um- gang mit Krankheitserregern) geknüpft. Darüber hinaus unterliegen die Personen bei ihren Tätigkeiten der Auf- sicht der zuständigen Behörde (§ 25 Bundes-Seuchenge- setz, ab 1. Januar 2001 § 51 Infektionsschutzgesetz). Die Ausführung der genannten Vorschriften, einschließlich der Bestimmung der zuständigen Behörden, erfolgt durch die Länder in eigener Zuständigkeit und Verantwortung. Die Bundeswehr hält im Rahmen des Forschungs- und Entwicklungsprogramms gegen biologische Kampfstoffe „Stammsammlungen“ von über 500 relevanten Bakte- rien-, Viren- und Pilzstämmen, die für die Bearbeitung der Schutzaufgaben genutzt werden. Die Stämme sind über Jahre aus nationalen Stammkultursammlungen, wie zum Beispiel der „Deutschen Stammsammlung von Mikro- organismen“ oder der Amerikanischen Stammkultur- sammlung „American Type Culture Collection“ und aus verschiedenen in- und ausländischen Forschungsinstitu- ten, vorzugsweise Universitäten, bezogen worden. Ge- genwärtig werden von der Bundeswehr keine vermeh- rungsfähigen Erregerstämme für Human-, Tier- oder Pflanzenkrankheiten in andere Staaten geliefert oder mit diesen ausgetauscht. Zur Standardisierung von Schnell- nachweismethoden im Rahmen der Schutzforschung ge- gen potenzielle B-Agenzien innerhalb der NATO wurden jedoch inaktivierte Proben von Teststämmen, die für die Bedrohung als relevant angesehen werden, für Ringver- suche nach Deutschland geliefert. Schadorganismen von Pflanzen, und dies schließt Pflanzenkrankheiten ein, werden in begrenztem Umfang zwischen wissenschaftlichen Institutionen (Pflanzen- schutzeinrichtungen, Pflanzenzüchtungsinstituten) nach Deutschland eingeführt. Soweit diese Schadorganismen in Deutschland nicht vorkommen bzw. eine besondere Gefahr für Pflanzen in Deutschland darstellen können, unterliegen sie der EU-Richtlinie 95/44 für „Versuchs- und Züchtungszwecke“. Derartige Einfuhren werden von den Pflanzenschutzdiensten der Länder genehmigt und zentral von der Biologischen Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft erfasst. In Kurzfassung werden die Infor- mationen über die Einzelgenehmigungen mit den zustän- digen Behörden anderer Mitgliedstaaten ausgetauscht und der Europäischen Kommission übermittelt. Ein Genehmi- gungsverfahren für nicht als Quarantäne-Schadorganis- men identifizierte Pflanzenkrankheiten und -schädlinge besteht derzeit in Deutschland nicht, wird aber dennoch von einigen Pflanzenschutzdiensten praktiziert. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 200012678 (C) (D) (A) (B) Tierseuchenerreger werden nach Deutschland zu fol- genden Zwecken eingeführt: Diagnostik von Tierseuchen in deutschen Laboratorien; Herstellung von Sera, Impf- stoffen oder diagnostischen Mitteln sowie für vorberei- tende Untersuchungen; Impfstoffe und Antigenpräpara- tionen, die Tierseuchenerreger enthalten; Verbringen von Tierseuchenerregern aus Erstausbrüchen von Tierseuchen an EU-Referenzlaboratorien. Die Einfuhr von Tierseu- chenerregern bedarf der Genehmigung der für das Veteri- närwesen zuständigen obersten Landesbehörden. Zu Frage 21: Was die Beantwortung Ihrer zweiten Frage betrifft, verweise ich Sie auf meine erste Antwort, die ich mit dem Hinweis auf die Ein-/Ausfuhr von humanpathogenen Krankheitserregern im Bezug auf den Verteidigungsbe- reich ergänzen möchte: Proben von inaktivierten Test- stämmen für den Test von Schnellnachweismethoden im Rahmen der B-Schutzforschung bei der Bundeswehr wurden aus Frankreich, den Niederlanden, Norwegen, Großbritannien, Österreich, Schweden und den USA be- zogen. Anlage 11 Anwort der Parl. Staatssekretärin Brigitte Schulte auf die Fragen des Abgeordneten Werner Siemann (CDU/CSU) (Drucksache 14/4468, Fragen 22 und 23) (129. Sitzung am 8. November 2000): Wie beurteilt die Bundesregierung den Zeitplan für die Verab- schiedung des Soldatengesetzes sowie der Soldatenlaufbahnver- ordnung im Hinblick auf die Kündigungsfristen der Bewerberin- nen in ihren bisherigen Arbeitsverhältnissen bezüglich der Öffnung aller Laufbahnen und Laufbahngruppen für Frauen in der Bundeswehr, und wie viele mit einer Einstellungszusage verse- hene Bewerberinnen werden den Dienst aufgrund der bisher nicht beschlossenen rechtlichen Grundlage am 2. Januar 2001 nicht an- treten? Ist es zutreffend, dass die Vorbereitungen für ein neues Perso- nalstärkegesetz zur Einsparung von Personalkosten sowie zur Lö- sung des Beförderungs- und Verwendungsstaus weitgehend abge- schlossen sind, und wann wird der entsprechende Entwurf dem Parlament vorgelegt? Zu Frage 22: Seit Beginn des Ill. Quartals 2000 werden weibliche Bewerber in den Zentren für Nachwuchsgewinnung ei- nem angepassten Eignungsfeststellungsverfahren für ei- nen uneingeschränkten Einsatz in den Streitkräften unter- zogen. Bis Anfang November haben sich rund 1 500 jun- ge Frauen für einen freiwilligen Dienst in den Laufbahnen der Unteroffiziere und Mannschaften beworben. Nach erfolgreicher Eignungsfeststellung haben bislang etwa 200 Frauen – vorbehaltlich der zu schaffenden gesetzli- chen Regelungen – einen vorläufigen Einplanungsbe- scheid zum Diensteintrittstermin 2. Januar 2001 erhalten. Vor dem Hintergrund der am 27. Oktober 2000 im Deutschen Bundestag in zweiter und dritter Lesung be- schlossenen Änderung des Art. 12 a Abs. 4 Satz 2 Grund- gesetz (GG) geht BMVg vom rechtzeitigen In-Kraft-Tre- ten der Verfassungsänderung und der Änderung des einfachen Soldaten(laufbahn)rechts aus. Absicht ist es, auf dieser Grundlage den Versand der Aufforderungen zum Dienstantritt nach der zweiten und dritten Lesung und dem entsprechenden Beschluss der einfachgesetzli- chen Änderungen im Bundestag am 10. November 2000 zu veranlassen. Damit stünde den Bewerberinnen, die in einem Arbeits- verhältnis stehen, noch Zeit und Gelegenheit zur Verfügung, unter Berücksichtigung der gesetzlichen Kündigungsfristen bis Mitte November rechtsverbindlich handeln zu können. Erkenntnisse, wie viele Frauen, die bislang alle eine vorläu- fige Einplanung erhalten haben, aufgrund der bisherigen Rechtssituation von einem Dienstantritt im Januar 2001 möglicherweise Abstand nehmen wollen oder bereits Ab- stand genommen haben, liegen nicht vor. Zu Frage 23: Der Altersaufbau im militärischen Bereich ist nicht ho- mogen und belastet seit Jahren strukturgerechte Einstel- lungen. Dies führte zur Überalterung auf einsatzwichtigen Dienstposten und ist eine der Ursachen für den vorhande- nen Beförderungsstau. An Lösungsmodellen wird gear- beitet, die möglichst früh dem Bundeskabinett und dem deutschen Bundestag vorgelegt werden sollen. Der Refe- rentenentwurf eines Personalanpassungsgesetzes wird ge- genwärtig erarbeitet. Die Arbeiten werden so zeitgerecht vorangetrieben, dass der Gesetzentwurf möglichst noch im Frühjahr 2001 in den parlamentarischen Bereich ein- gebracht werden kann. Anlage 12 Antwort der Parl. Staatssekretärin Brigitte Schulte auf die Fragen des Abgeordneten Günter Friedrich Nolting (F.D.P.) (Drucksache 14/4468, Fragen 24 und 25) (129. Sitzung am 8. November 2000): Wie umfangreich waren die Einsätze des Kommandos Spezi-alkräfte (KSK) der Bundeswehr im Rahmen von SFOR (Stabili-sation Force) und/oder KFOR (Kosovo Force), und wann wurdensie durchgeführt? Was war die rechtliche Grundlage der etwaigen Einsätze, undwarum unterblieb eine vorherige oder nachgeschaltete Unterrich-tung der Ausschüsse und des Parlaments? Zu Frage 24: Das Kommando Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr führte in den Jahren 1998 bis 2000 insgesamt vier Einsätze zur Ergreifung mutmaßlicher Kriegsverbrecher, davon drei Einsätze im Rahmen von SFOR und ein Einsatz im Rahmen von KFOR durch. Die Einsätze er- folgten am 15. Juni 1998 (SFOR), 2. August 1999 (SFOR), 20. August 1999 (KFOR) sowie am 12. Okto- ber 2000 (SFOR). Zu Frage 25: Die rechtliche Grundlage für den jeweiligen Einsatz sind die geltenden Resolutionen des VN-Sicherheitsrats und die Beschlüsse der Bundesregierung sowie des Deut- schen Bundestages. Bei den Einsätzen des Kommandos Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000 12679 (C) (D) (A) (B) Spezialkräfte werden die Ausschüsse und der Bundestag insgesamt vorher nicht unterrichtet, allerdings die Frakti- onsvorsitzenden bzw. von ihnen namentlich benannte Parlamentarier. Nach einem Einsatz unterrichtet der Bundesverteidi- gungsminister den Vorsitzenden des Verteidigungsaus- schusses, die Obleute der Fraktionen im Verteidigungs- ausschuss und die Fraktionsvorsitzenden. Ebenso erfolgt eine Information der Öffentlichkeit. Eine weitergehende Information erfolgt nicht, um besonderen Verfahren der Geheimhaltung zum Schutz der an den Einsätzen betei- ligten Soldaten und ihrer Familien Rechnung zu tragen. Insbesondere wird die Nennung der an der Vorbereitung und Durchführung beteiligten Truppenteile und Soldaten vermieden, um eventuellen Repressalien, zum Beispieldurch Geheimdienste anderer Staaten, auch gegenüber deren Familien vorzubeugen. Einzelheiten zur Vor- bereitung und Durchführung werden nicht bekannt ge- geben, um Gegenmaßnahmen anderer Staaten oder Orga- nisationen sowie der noch gesuchten weiteren mutmaßli- chen Kriegsverbrecher zu erschweren. Pressemeldungen werden deshalb auch nicht kommentiert. Dies gilt im Übrigen weltweit für alle „Special Forces”. Anlage 13 Antwort des Parl. Staatssekretärs Kurt Bodewig auf die Fragen des Abgeordneten Eduard Lintner (CDU/CSU) (Drucksa- che 14/4468, Fragen 26 und 27) (129. Sitzung am 8. No- vember 2000): Haben der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bahn AG (DBAG), Hartmut Mehdorn, oder andere Personen aus dem Leitungs-bereich der DB AG gegenüber dem Bundesminister für Verkehr,Bau- und Wohnungswesen (BMVBW), Reinhard Klimmt, oderanderen Repräsentanten des BMVBW den Betrag, den die Bahnnach ihrer Einschätzung zur Sanierung ihres Streckennetzes in dennächsten Jahren benötigt, konkret beziffert, und wenn ja, als wiehoch wurde der Betrag dabei bezeichnet? Welchen Betrag beabsichtigt die Bundesregierung der DB AGfür die Sanierung des Schienennetzes, insbesondere auch die Be-seitigung der Langsamfahrstellen im Zeitraum der mittelfristigenFinanzplanung jeweils jährlich zur Verfügung zu stellen, und wel-chen Betrag glaubt die Bundesregierung in diesem Zeitraum als100-prozentiger Eigentümer der DB AG aufwenden zu müssen? Zu Frage 26: Die DB AG (DB Netz AG/DB Station & Service AG) steht in einer strategischen Neuausrichtung. Die Strategie Netz 21 sieht vor, dass vorrangig das bestehende Netz, das sich in einem schlechten Zustand befindet, modernisiert werden soll und wirtschaftliche Neu- und Ausbauvorha- ben zur Netzergänzung realisiert werden. Auf dieser Grundlage sieht das Investitionsprogramm für den Aus- bau der Bundesschienenwege, Bundesfernstraßen und Bundeswasserstraßen in den Jahren 1999 bis 2002 bereits vor, dass mehr als 50 Prozent der vorgesehenen Bundes- mittel des vorgenannten Programms für Investitionen in das bestehende Netz bereitgestellt werden, um den Inves- titions- und Modernisierungsstau im Bestandsnetz abzu- bauen. Bundesminister Reinhard Klimmt und der Vor- standsvorsitzender der DB AG, Hartmut Mehdorn, haben am 21. September diesen Jahres gemeinsam erklärt, dass aus Sicht des BMVBW und der DB AG in den kommen- den 10 bis 15 Jahren jährlich rund 2 bis 2,5 Milliarden DM zur Beseitigung von Unterhaltungs- und Instandset- zungsrückständen im Bestandsnetz zur Refinanzierung der Netzsubstanz sowie für einzelne Neu- und Ausbau- maßnahmen erforderlich sind. Die bisher verfügbaren und die zusätzlichen Bundesmittel im Rahmen des ZIP wer- den zielgerichtet und mit nachhaltiger Wirkung für den Verkehrsträger Schiene eingesetzt (zusammen 8,7 Milli- arden DM). Damit kehrt die Bundesregierung zu der bei der Bahnreform 1994 vorgesehenen Finanzierungslinie für Schieneninvestitionen zurück. Zu Frage 27: Auf der Grundlage der Strategie Netz 21 besteht im Bestandsnetz nach der Einschätzung der DB AG jährlich ein Investitionsbedarf von 4,5 bis 5 Milliarden DM. Durch die im Gange befindliche umfassende Bestands- aufnahme soll der Investitionsbedarf für Bestandsnetzin- vestitionen (und Bedarfsplaninvestitionen) konkretisiert werden. Nach den Veranschlagungen im Finanzplan des Bundes und dem angestrebten Einsatz der zusätzlichen Investitionsmittel des Zukunftsinvestitionsprogramms stehen die für eine Modernisierung des bestehenden Net- zes erforderlichen Bundesmittel im Volumen von jährlich 4,5 bis 5 Milliarden DM für Investitionsmaßnahmen im Bestandsnetz bereit. Anlage 14 Antwort des Parl. Staatsekretärs Kurt Bodewig auf die Fragen des Abgeordneten Karsten Schönfeld (SPD) (Drucksache 14/4468, Fragen 28 und 29) (129. Sitzung am 8. Novem- ber 2000): Von welchen Baukosten und Realisierungszeiträumen für die verschiedenen Ausbauvarianten des durchgängigen 6-streifigen Ausbaus der Bundesautobahn A 4 zwischen den Anschlussstellen Jena-Göschwitz und Magdala („Leutratal“) geht die Bundesregie- rung aus, und welche konkreten Summen sind bereits in die Inves- titionsplanung des Bundes eingestellt? Ist die Bereitstellung von Finanzmitteln an eine bestimmte Ausbauvariante des durchgängigen 6-streifigen Ausbaus der Bun- desautobahn A 4 zwischen den Anschlussstellen Jena-Göschwitz und Magdala („Leutratal“) gekoppelt, und gibt es zwischen der Bundesregierung und der Thüringer Landesregierung Absprachen über Trassenführung bzw. zu favorisierende Ausbauvarianten? Zu Frage 28: Die Baukosten für den Gesamtabschnitt der A 4 zwi- schen den Anschlussstellen Jena-Göschwitz und Magdala werden je nach Ausführungsvariante zwischen 222 Milli- onen DM (Ausbauvariante) und 360 Millionen DM (Tun- nelbauvariante) geschätzt. Für den oben genannten Bereich ist im Investitionsprogramm für den Ausbau der Bundes- schienenwege, Bundesfernstraßen und Bundeswasser- straßen in den Jahren 1999 bis 2002 eine erste Finanzie- rungsrate in Höhe von rund 22,0 Millionen DM mit Baubeginn in 2002 enthalten. Zu Frage 29: Die Bereitstellung von Finanzmitteln im oben genann- ten Streckenabschnitt ist an keine bestimmte Ausbauvari- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 200012680 (C) (D) (A) (B) ante gekoppelt. Aufgrund der ökologisch sensiblen Situa- tion im Leutratal (FFH-Gebiet) wurde mit dem Freistaat Thüringen abgestimmt, dass im derzeit laufenden Raumordnungsverfahren eine Neubauvariante mit einem rund 2,8 km langen Tunnel als Vorzugslösung und der be- standsnahe Ausbau als Wahlvariante der landespla- nerischen Beurteilung unterzogen wird. Anlage 15 Antwort des Parl. Staatssekretärs Kurt Bodewig auf die Fragen des Abgeordneten Hans-Michael Goldmann (F.D.P.) (Drucksache 14/4468, Fragen 30 und 31) (129. Sitzung am 8. November 2000): In welchem Verfahren wurden die Straßenbauprojekte für dasneue 2,7 Milliarden DM-Programm aus den Zinsersparnissendurch die Veräußerung der UMTS-Lizenzen (UMTS = UniversalMobile Telecommunications System) ausgewählt, von denen indiversen Zeitungen zu lesen war, und warum wurden der Aus-schuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen des DeutschenBundestages und die Länderministerien nicht mit diesem Straßen-bauprogramm befasst? Nach welchen Kriterien wurden die Straßenbauprojekte aus-gewählt? Zu Frage 30: Die Bundesfernstraßenprojekte im Rahmen des Zukunftsinvestitionsprogramms 2001 bis 2003 wurden in der Umsetzung des vom Deutschen Bundestag verab- schiedeten Bedarfsplans für die Bundesfernstraßen von der Bundesregierung und den Koalitionsfraktionen be- schlossen. Dabei erfolgte die Projektauswahl anhand der Baureife bzw. des Planungsstandes, unter Abwägung ei- ner regionalen Ausgewogenheit und im Einklang mit den zu finanzierenden Kosten. Zu Frage 31: Über den Programminhalt wurden der Vorsitzende des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen zeit- gleich mit den zuständigen Ministern und Senatoren der Länder informiert. Im Übrigen bleiben die jährliche Do- tierung der Maßnahmen und die notwendigen Entschei- dungen der Baubeginne den Bund-Länder-Finanzierungs- programmbesprechungen vorbehalten. Anlage 16 Antwort des Parl. Staatssekretärs Kurt Bodewig auf die Frage des Abgeordneten Dr. Reinhard Göhner (CDU/CSU) (Drucksache 14/4468, Frage 32) (129. Sitzung am 8. No- vember 2000): Wird die Bundesregierung der öffentlichen, in einem Brief anden Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen,Reinhard Klimmt, gerichteten Forderung des Ministers für Wirt-schaft und Mittelstand, Energie und Verkehr des Landes Nord-rhein-Westfalen (NRW), Ernst Schwanhold, entsprechen, zusätz-liche 1,7 Milliarden DM für Bahn- und Straßenprojekte in NRWaus den Zinsersparnissen nach den UMTS-Erlösen (UMTS = Uni-versal Mobile Telecommunications System) zur Verfügung stel-len, um unter anderem die zweite Baustufe der B 239/Ortsumge-hung Herford und die Fertigstellung dieser Ortsumgehung bis Ende 2004 sowie die – wie Minister für Wirtschaft und Mit- telstand, Energie und Verkehr, Ernst Schwanhold, zu Recht schreibt – „überaus wichtigen Lückenschlüsse“ der A 30 und A33 in Ostwestfalen zu finanzieren? Im Rahmen des Zukunftsinvestitionsprogramms der Bundesregierung, das für den Straßenbau in den nächsten drei Jahren zusätzlich 2,7 Milliarden DM vorsieht und da- mit im nächsten Jahr mit 10,8 Milliarden DM für den Straßenbau einen neuen Höchstwert ergibt, ist neben über 120 anderen Ortsumgehungen auch die bedarfsgerechte Finanzierung der Ortsumgehung Herford im Zuge der B 239 vorgesehen. Die jährliche Dotierung dieser Maß- nahme und die notwendigen Entscheidungen hinsichtlich der Vergabe weiterer Bauleistungen bleiben den Bund- Land-Finanzierungsprogrammbesprechungen auf Verwal- tungsebene vorbehalten. Dabei stehen selbstverständlich alle Entscheidungen unter dem Vorbehalt der Verabschie- dung der jährlichen Bundesfernstraßenhaushalte durch den Deutschen Bundestag. Bei der Konkretisierung der Einzelprojekte des Zu- kunftsinvestitionsprogramms (ZIP) ist für den Straßenbau ein Schwerpunkt Ortsumgehungen gesetzt worden. Darü- ber hinaus war entscheidend, dass für die einzelnen Pro- jekte Baurecht vorliegt oder kurzfristig erreichbar ist. Vor diesem Hintergrund konnten die Lückenschlüsse der A 30, Ortsumgehung Bad Oeynhausen und der A 33 zwi- schen Bielefeld und Borgholzhausen nicht berücksichtigt werden. Anlage 17 Antwort des Parl. Staatssekretärs Kurt Bodewig auf die Fragen des Abgeordneten Hubert Deittert (CDU/CSU) (Drucksa- che 14/4468, Fragen 33 und 34) (129. Sitzung am 8. No- vember 2000): Kann die Bundesregierung die zahlreichen Pressemeldungenbestätigen, wonach für den Lückenschluss der BundesautobahnA 33 Mittel in Höhe von 200 Millionen DM aus Zinsersparnissenbereitgestellt werden, die dem Bundeshaushalt aufgrund derUMTS-Erlöse zukommen und an die Länder weitergeleitet wer-den? Ist die Bundesregierung bereit, ihren Einfluss auf das LandNordrhein-Westfalen dahin gehend auszuüben, dass das derzeitausgesetzte Planfeststellungsverfahren für die A33 auf Grundlageder Variante V 16+ wieder aufgenommen wird? Zu Frage 33: Bei der Konkretisierung der Einzelprojekte des Zu- kunftsinvestitionsprogramms (ZIP) ist für den Straßenbau ein Schwerpunkt Ortsumgehungen gesetzt worden. Darü- ber hinaus war entscheidend, dass für die einzelnen Pro- jekte Baurecht vorliegt oder kurzfristig erreichbar ist. Vor diesem Hintergrund konnte der Lückenschluss der A 33 zwischen Bielefeld und Borgholzhausen nicht berücksichtigt werden. Zu Frage 34: Die Bundesregierung unterstützt die aufgrund einer Fauna-Flora-Habitat-Verträglichkeitsstudie (FFH) modi- fizierte Variante V 16+ für den Lückenschluss der A 33 zwischen Borgholzhausen und der A 2. Sie wird sich Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000 12681 (C) (D) (A) (B) uneingeschränkt darum bemühen, dass die planerischen Arbeiten abgeschlossen und das Planfeststellungsverfah- ren zügig weitergeführt wird. Anlage 18 Antwort des Parl. Staatssekretärs Kurt Bodewig auf die Fragen des Abgeordneten Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) (Drucksache 14/4468, Fragen 35 und 36) (129. Sitzung am 8. November 2000): Trifft es zu, dass bei der Überarbeitung des Bundesverkehrs-wegeplans gegenüber dem ursprünglichen Zeitplan der Bundes-regierung mit einer Verzögerung von über zwei Jahren zu rechnenist und damit in dieser Legislaturperiode des Deutschen Bundes-tages die Überarbeitung des Bundesverkehrswegeplanes nichtmehr abgeschlossen wird? Bedeutet die Verzögerung bei der Überarbeitung des Bundes-verkehrswegeplanes, dass Bundesfernstraßenvorhaben, die nichtim derzeit laufenden Investitionsprogramm 1999 bis 2002 undebenfalls nicht im neuen aus den UMTS-Erlösen finanziertenOrtsumgehungsprogramm enthalten sind, keine Chance haben, inden Jahren 2003 oder 2004 in ein Investitionsprogramm aufge-nommen und realisiert zu werden? Zu Frage 35: Die Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, den Bundesverkehrswegeplan 1992 zügig zu überarbeiten. Viele der einzelnen Arbeitsschritte bauen aufeinander auf und können nicht gleichzeitig, sondern nur nacheinander abgearbeitet werden. Die DB AG arbeitet derzeit an einem umfassenden Konzept zur Sanierung des Unternehmens einschließlich des an vielen Stellen maroden Schienennet- zes. Die Unsicherheit über den Zeitbedarf für diese Über- legungen erschwert eine zuverlässige Festlegung über den Abschluss des Bundesverkehrswegeplanes. Es kann des- halb nicht ausgeschlossen werden, dass es im Ergebnis zu Verzögerungen gegenüber dem ursprünglich geplanten Zeitbedarf kommen kann. Dies würde jedoch keine Aus- wirkungen auf die unabdingbar notwendige Kontinuität des Planungs- und Investitionsgeschehens haben. Zu Frage 36: Mit dem Investitionsprogramm für die Bundesschie- nenwege, Bundesfernstraßen und Bundeswasserstraßen in den Jahren 1999 bis 2002 und dem Zukunftsinvesti- tionsprogramm 2000 bis 2003 wird die Zeit bis zur Vor- lage eines überarbeiteten Bundesverkehrswegeplans bzw. neuer Bedarfspläne überbrückt. Zusätzlich wird es ab 2003 das Anti-Stau-Programm geben, mit dem auch Eng- pässe an Autobahnen beseitigt werden sollen. Darüber hi- naus können entsprechend bewertete und vordringlich eingestufte Projekte des überarbeiteten Bundesverkehrs- wegeplans in den Jahren 2003 ff. im Rahmen eines fort- geschriebenen und durch den Deutschen Bundestag ver- abschiedeten Bedarfsplans für die Bundesfernstraßen realisiert werden. Anlage 19 Antwort des Parl. Staatssekretärs Kurt Bodewig auf die Fragen des Abgeordneten Paul Breuer (CDU/CSU) (Drucksache 14/4468, Fragen 37 und 38) (129. Sitzung am 8. Novem- ber 2000): Wie erklärt die Bundesregierung die Tatsache, dass sie in derFragestunde des Deutschen Bundestages vom 25. Oktober 2000(14.30 Uhr) auf meine Frage 24 (Plenarprotokoll 14/126S. 12086 D) nach der Finanzierung des A 4-Weiterbaus von Olpe-Süd bis zur Krombacher Höhe sowie der Hüttentalstraße (B 62)bis Kreuztal ausführte, dass „zurzeit noch keine konkreten Zusa-gen zur Finanzierung von einzelnen Straßenbauprojekten gemachtwerden“ könnten, während einem Bundestagsabgeordneten derKoalitionsfraktionen aber bereits eine Stunde später eine schrift-liche Zusage zu diesem Projekt mitgeteilt wurde? Kann man in Zukunft davon ausgehen, dass der Bundesminis-ter für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen sicherstellt, dass seinebeiden Parlamentarischen Staatssekretäre zur gleichen Zeit nichtinhaltlich unterschiedliche Aussagen gegenüber Abgeordnetender Oppositions- und der Koalitionsfraktionen machen? Zu Frage 37: Der Parlamentarische Staatssekretär Siegfried Scheffler hat am 25. Oktober 2000 um 14.30 Uhr in der Fragestunde des Deutschen Bundestages völlig korrekt geantwortet, dass, ich zitiere „zurzeit noch keine konkreten Zusagen zur Finanzierung von Straßenbauvorhaben gemacht wer- den können“. Zu diesem Zeitpunkt war noch keine ent- gültige Entscheidung über die einzelnen Maßnahmen ge- troffen. Über die einzelnen Projekte im Rahmen des ZIP- Ortsumfahrungsprogramms ist im Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen am Nachmittag des- selben Tages entschieden worden. Unmittelbar nach der Entscheidung habe ich dem Abgeordneten Willi Brase, der mich diesbezüglich mündlich angefragt hat, per E-mail be- stätigt, dass die Maßnahme A4AS Wenden-Krombach Ortsumgebung Wenden mit 85 Millionen DM aus dem Zu- kunftsinvestitionsprogramm der Bundesregierung neu be- gonnen werden kann. Zu Frage 38: Der in der Frage unterstellte Sachverhalt ist unzutref- fend, wie aus meiner Antwort auf die vorhergehende Frage ersichtlich ist. Im Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ist es gängige Praxis, dass alle Mitglieder der Hausleitung mit einer Stimme sprechen und ihre Arbeit eng koordinieren. Dies wird auch in Zu- kunft so bleiben. Anlage 20 Erklärung des Abgeordneten Friedrich Merz (CDU/CSU) zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der Bemessungsgrundlage für Zuschlagsteuern (Ta- gesordnungspunkt 20 c) Für die CDU/CSU-Fraktion erkläre ich: Der von den Koalitionsfraktionen eingebrachte Ent- wurf enthält das Eingeständnis, dass wesentliche Rege- lungen des Steuersenkungsgesetzes steuersystematisch verfehlt und mit dem Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit unvereinbar sind. Die Korrektur dieser Fehler im Rahmen der Kirchen- steuer ist nur unter Inkaufnahme zusätzlicher Belastungen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 200012682 (C) (D) (A) (B) für durch das Steuersenkungsgesetz bereits benachteiligte Personengruppen möglich. Die Rückgängigmachung der Gewerbesteueranrechnung verschärft die ohnedies zu große Spreizung zwischen Kapitalgesellschaften und Per- sonenunternehmen und hat bis zum Jahr 2004 eine Er- höhung der kirchensteuerlichen Grenzbelastung gewerbli- cher Einkünfte zur Folge. Die Rückgängigmachung des Halbeinkünfteverfahrens stellt eine besondere Härte für die schon durch den körperschaftsteuerrechtlichen System- wechsel benachteiligten Kleinaktionäre dar. Die CDU/CSU-Fraktion kann dem Gesetzentwurf des- halb nur unter Zurückstellung schwerwiegender steuerpo- litischer Bedenken zustimmen. Ausschlaggebend hier ist allein der Wunsch, die Finanzbasis der Kirchen zu sichern und ihnen die Erfüllung ihres gesellschaftspolitisch un- verzichtbaren Auftrags auch in Zukunft zu ermöglichen. Die Kirchen dürfen nicht zu Leidtragenden einer bereits im Ansatz verfehlten Steuerpolitik werden. Anlage 21 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung – des Berichts: Für eine sozial, finanziell und ökologisch nachhaltige Bundesverkehrswege- planung – des Antrags: Realisierung einer direkten Fernbahnverbindung zwischen den Bahnhö- fen Berlin-Ostbahnhof und Berlin-Lichten- berg beim Ausbau des Eisenbahnknotens Ber- lin – des Berichts: Überzählige Diesellokomotiven der DB AG nicht verschrotten, sondern wei- terverwenden – des Berichts: Beibehaltung der Reisezug-Ver- bindungen zwischen Polen und Berlin (Tagesordnungspunkt 22 a bis d) Reinhard Weis (Stendal) (SPD): Der Antrag der PDS zum Bundesverkehrswegeplan, den wir im Zusammen- hang mit den anderen PDS-Anträgen heute beraten, hätte zu keinem anderen Zeitpunkt besser behandelt werden können, um verständlich zu machen, warum wir ihn ab- lehnen müssen. Am Mittwoch hat das Bundesverkehrsmi- nisterium den Verkehrsbericht 2000 vorgelegt. Dieser Be- richt definiert die Grundlagen und Planungsziele des neuen Bundesverkehrswegeplanes. Einige der von der PDS-Fraktion gemachten Analysen zum Bundesverkehrswegeplan von 1992 sind durchaus richtig und sind sicher auch Konsens unter Verkehrspoli- tikerinnen und Verkehrspolitikern. Die SPD-Bundestagsfraktion teilt zum Beispiel die Auffassung, dass der alte Bundesverkehrswegeplan ge- messen an der mittelfristigen Finanzplanung des ehema- ligen Finanzministers Waigel hoffnungslos unterfinan- ziert war. Die zugrunde liegenden Prognosen über die Verkehrsentwicklung weichen erheblich von der tatsäch- lich eingetretenen Entwicklung ab, was auch damit belegt ist, dass die Bundesländer eine ganze Reihe neuer Pro- jekte angemeldet haben. Und wir sind überzeugt, dass die Zielrichtung von Verkehrspolitik heute eine andere sein muss. An der Diskussion um die DB AG macht sich das aktuell fest. Genau aus diesen Gründen wird der Bundesverkehrs- wegeplan ja auch von der Bundesregierung überarbeitet. Bis zu seiner Fertigstellung besteht Planungssicherheit durch das Investitionsprogramm 1999 bis 2002. Da wir annehmen müssen, dass in dieser Legislaturperiode der gesetzgeberische Abschluss nicht mehr zu erreichen ist, wird das Investitionsprogramm wohl auch noch einmal angepasst werden müssen. Da dies auf der Basis des der- zeitigen Bundesverkehrswegeplanes passieren muss, kann sich zumindest die CDU/CSU-Opposition mit Kri- tik zurückhalten, denn diesen Bundesverkehrswegeplan haben wir ja von ihr geerbt. Einigkeit besteht sicher auch darüber, dass mehr Güter- und Schwerlastverkehr auf die Schiene gebracht werden müssen. Hierfür muss es zu einer Verbesserung der Rah- menbedingungen für den Schienengüterverkehr kommen. Ich denke, die Einführung der streckenbezogenen LKW-Straßenbenutzungsgebühr ist ein gutes Steuerungs- instrument dafür. In allen anderen Forderungen gehen unsere Einschät- zungen aber nicht mit dem PDS-Antrag konform. Zumin- dest in den ostdeutschen Ländern besteht weiterhin ein sehr großes Infrastrukturdefizit. Aber wir kennen auch die objektiven Engpässe in den alten Bundesländern. Natür- lich heißt das nicht, wie die PDS suggeriert, dass auf Teufel komm raus Landschaften durch Bundesstraßen zerschnitten und Naturflächen durch Asphaltdecken ver- siegelt werden sollen. Das verantwortungsvoll zu ent- scheiden wird das veränderte Instrumentarium für die Be- wertung der Verkehrsprojekte helfen, das ebenfalls mit dem Verkehrsbericht 2000 vorgestellt wurde. Aber man muss auch der Realität ins Auge blicken, eine Fähigkeit, die die PDS noch besser verinnerlichen sollte. Wer unsere Debatte im Deutschen Bundestag über den Raumordnungsbericht ernst nimmt, in dem die Er- reichbarkeitsanalysen für die ostdeutschen Bundesländer noch eine gravierende Schlechterstellung im Vergleich zu dem übrigen Bundesgebiet ausweisen, darf nicht bekla- gen, dass Unternehmen im Osten weniger investieren, als für eine selbsttragende Entwicklung erforderlich wäre, und gleichzeitig Investitionen in die Straße verteufeln. Der Bedarf an Ortsumgehungen ist weiterhin sehr hoch. Und gerade bei den Ortsumgehungen wird deutlich, dass Straßenbau dann vor allem zur Lärmentlastung der Bür- gerinnen und Bürger führt. Hier hat die Bundesregierung zielgerichtet das Zukunftsinvestitionsprogramm aufge- legt, das den Bau vieler Ortsumgehungsstraßen mit zu- sätzlichen 2,7 Millarden DM bis 2003 ermöglicht. Die SPD-Bundestagsfraktion und die Bundesregierung sind sich einig, dass Verkehr nicht einfach unterdrückt werden kann, sondern sinnvoll und ökologisch verträglich gesteuert werden muss. Also: Wir werden bei der Überar- beitung des Bundesverkehrswegeplanes zusätzliche Be- wertungskriterien für die Verkehrsprojekte einführen. Wir Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000 12683 (C) (D) (A) (B) werden dafür Sorge tragen, dass Mobilität für alle ge- währleistet wird. Unser Ziel wird trotzdem die Verringe- rung der Inanspruchnahme von Natur, Landschaft und nicht erneuerbaren Ressourcen sein. Dazu kommen wei- tere Anstrengungen zur Reduktion von Lärm, Schadstof- fen und Klimagasen, hier vor allem die dringend notwen- dige Senkung der C02 -Emission. Ein Aspekt der zukünftigen Verkehrspolitik wird von der PDS-Fraktion besonders unrealistisch betrachtet: Wir müssen davon ausgehen, dass sich bis 2015 der Flugver- kehr mehr als verdoppeln wird. Viele dieser Flugbewe- gungen werden sich auch im geeinten Europa direkter na- tionaler Steuerung entziehen, denn es sind internationale und interkontinentale Flugbewegungen. Dass das Flugaufkommen im Inland und vor allem zwischen Inlandsflughäfen vermindert werden soll, bleibt dabei unbenommen. Aber: Wollen wir zum Beispiel den deutschen Gesellschaften verbieten, in Konkurrenz zum schnellen Eisenbahnverkehr innerdeutsche Verbindungen zu bedienen? Wer verbietet es ausländischen Konkurren- ten, wenn diese Leistungen von den Bürgern nachgefragt werden? Nur wer einer Vorstellung vom dirigistischen Staat anhängt, kann dies fordern. Und nebenbei: Können Sie sich erinnern, welche Resonanz vor gut zwei Jahren die Idee von der Kontingentierung von Flugreisen in der Öffentlichkeit hatte? Auch hier werden die Bundesregierung und die Koali- tionsfraktionen den Weg über die Veränderung von Rah- menbedingungen dem dirigistischen Eingriff bevorzugen. Dies geschieht zum Beispiel auch durch die Novellierung des Fluglärmgesetzes. Lärm ist ein gefährliches Umweltgift. Wer permanent hoher Lärmbeschallung ausgesetzt ist, wird krank. Also muss das Fluglärmgesetz den modernen Anforde- rungen angepasst werden und vor allem den neuen tech- nischen Möglichkeiten. Denn moderne Verkehrsflug- zeuge haben eine deutlich geringere Lärmemission. Der Gesetzgeber wird durch eine Verbesserung des Lärm- schutzes für Anwohner von Flughäfen auf die Fluggesell- schaften einwirken, leisere und sparsamere Flugzeuge zu betreiben. Das Ziel der PDS, Flugverkehr insgesamt möglichst zu vermeiden, ist schlicht unrealistisch. Als letzten Punkt zum Antrag zum Bundesverkehrswe- geplan möchte ich die geforderten Investitionen in das Netz und auch die Ingenieurbauwerke der DB AG auf- greifen. Ihre Analyse ist durchaus richtig. Es wurde über Jahrzehnte viel zu wenig in die Strecken und die Brücken der Bahn investiert. Dieser fundamentale Fehler des ehe- maligen Verkehrsministers Wissmann und des Bahnma- nagements ist nur durch gewaltige Nachinvestitionen zu beheben. Wir fordern jetzt von der Bahn AG, was Herr Wissmann eigentlich schon 1994 einfordern musste: die schonungslose Offenlegung der tatsächlichen Situation der DB AG. Uns ist klar, dass für die Unterstützung des Schienen- verkehres das Investitionsdefizit in das Bestandsnetz auf- gearbeitet werden muss. Die Bundesregierung stellt allein hierfür vorerst dreimal 2 Milliarden DM aus dem Zinserlös der UMTS-Gelder zur Verfügung, und zwar nicht mehr als Kredit an die Bahn, sondern als Baukostenzuschuss. Da allerdings mit diesem Geld keine Strukturen von gestern zementiert werden sollen, werden nur Gelder zur Verfü- gung gestellt, für die die Bahn konkrete Verwendungs- nachweise im Netz führen kann. Das fordert unsere Frak- tion. Zum Abschluss will ich noch ein paar Sätze zum An- trag „Überzählige Dieselloks der DB AG nicht verschrot- ten“ sagen. Auch vor dem Hintergrund der aktuellen Werkedebatte und unter Beachtung des Umstandes, dass eines der Werke, nämlich das in Stendal, gerade mit der Aufarbei- tung dieser Diesellokomotiven sein Privatisierungskon- zept verbindet, werden wir, wie im Ausschuss, bei der Ab- lehnung des Antrages bleiben. Ich kann Ihnen aus meiner Kenntnis der Verhandlungen zwischen der Geschäfts- führung und der Bahn AG sagen, dass zum Zeitpunkt der Einreichung Ihres Antrages die Verschrottung schon ge- stoppt war. Es ging vor gut zwei Jahren um die Frage, ob es eine Privatisierung des Werkes Stendal geben könne oder ob eine Beteiligungslösung mit einem interessierten Unternehmen zustande kommt. Damals entschied sich die Bahn AG, das Geschäft selber zu machen, und im Werk Stendal arbeitet man zielstrebig daran, Kontakte und Ver- träge zu neuen Schienenverkehrsanbietern zu knüpfen. Warum dies ein steiniger Weg war, ist nicht Gegenstand unserer heutigen Debatte. Fakt ist, die Verschrottung wurde gestoppt und die Vermarktung der von der DB AG ausgemusterten Loks ist Kern des wieder aktuellen Privatisierungskonzeptes des Werkes Stendal. Wenn die Bahn AG die Privatisierung des Werkes als den einzigen Ausweg zum Erhalt des Standor- tes sieht, dann erwarten wir jetzt auch, dass in den Ver- handlungen mit Investoren dies auch konstruktiv ermög- licht wird. Im Gegensatz zu dem „Staatliche-Plankommission- Forderungskatalog“ des PDS-Antrages, mit dem die PDS in das Unternehmen Bahn AG hinein regieren will, ist der eben beschriebene Weg zur Privatisierung mit der Ei- gentümerrolle des Bundes und der unternehmerischen Entscheidung kompatibel. Gelegentlich wird aber von Bahn-AG-Vertretern, die ihr Monopol sichern wollen, behauptet, dass mit dem Re- vitalisierungsprogramm für die ausgemusterten Lokomo- tiven das Investitionsprogramm der Bahn AG für neue Lokomotiven bei der freien Wirtschaft verhindert wird. Dies ist eine Zwecklüge, denn die revitalisierten Loks sol- len nicht bei der Bahn AG, sondern bei nicht bundeseige- nen Eisenbahnen zum Einsatz kommen. Auf der An- hörung zur Eisenbahnpolitik ist uns von den Experten gerade erst deutlich gemacht worden, dass wir, wenn wir den Schienenverkehr insgesamt fördern wollen, nicht nur auf die Bahn AG gucken dürfen, sondern für die Unter- nehmen Rahmenbedingungen schaffen müssen, die Ge- schäftsfelder übernehmen können, die von der Bahn AG abgeben werden. Das ist ein Weg zu mehr Wettbewerb auf der Schiene. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 200012684 (C) (D) (A) (B) Wieland Sorge (SPD):Wir führen heute eine Debatte zu zwei Anträgen der PDS. Der eine Antrag – DS 14/3191 – befasst sich mit den Reisezugverbindungen zwischen Polen und Berlin, und der Antrag der DS 14/3793 hat die Realisierung einer Fernbahnverbindung zwischen den Bahnhöfen Berlin-Ostbahnhof und Berlin-Lichtenberg zum Inhalt. Der von mir zuerst genannte Antrag wurde be- reits im Ausschuss für Verkehr-, Bau- und Wohnungswesen behandelt und abgestimmt. Außer der PDS haben alle übri- gen Parteien den Antrag abgelehnt. Am 30. Juni 1993 hat der Deutsche Bundestag das Bundesschienenwegeausbaugesetz – BSchWAG – be- schlossen. Die Orientierung für die festgelegten Projekte richten sich in erster Linie nach dem Bedarf im eigenen Land – aber auch gleichzeitig danach, wie die Fernbahn- bedingungen in den angrenzenden Ländern ihre Fortset- zung finden. Bei der Festlegung der Zugverbindungen von Deutschland nach Polen–Dresden–Görlitz–Polen, Breslau und weiter, Berlin–Frankfurt/Oder–Polen, War- schau und weiter – und weiter nach Osten mussten die er- forderlichen Vereinbarungen zwischen Deutschland und Polen getroffen werden. Um eine solche Vereinbarung zur Realisierung dieser Ausbaustrecke abschließen zu kön- nen, wurde 1993 eine gemeinsame Arbeitsgruppe gebil- det. Das Ziel dieser Arbeitsgruppe bestand darin, die vor- handenen Verbindungen hinsichtlich ihres Bedarfs und Zustandes zu überprüfen, um eine Grundlage zu haben, welche Strecken wegen des steigenden Bedarfs durch die EU-Osterweiterung und den Tourismus unbedingt benötigt werden und welche Strecken wegen ihrer Un- wirtschaftlichkeit eingestellt werden müssen. Im Septem- ber 1995 wurde dem BMVBWder Schlussbericht der von der deutschen Seite beauftragten Gutachter vorgelegt. Am 12./13. September 1996 fand auf Einladung des polni- schen Verkehrsministeriums die 4. Sitzung der gemeinsa- men Arbeitsgruppe Deutschland/Polen statt. Wichtigster Punkt der Verhandlungen war die Vereinbarung über das weitere Vorgehen. Polens Ergebnisse einer Machbarkeits- studie lagen zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht vor. Am 14./15. Juni 1999 fand deshalb die 5. gemeinsame Sitzung der Arbeitsgruppe statt. Danach wurde eine aktualisierte Verkehrsstudie kurzfristig in Auftrag gegeben, deren Er- gebnisse Ende Oktober 2000 vorgelegt wurden. Diese Studie befindet sich derzeit in der Überprüfungsphase und wird im Frühjahr 2001 öffentlich gemacht. Neben den er- wähnten Hauptstrecken ist für den grenzüberschreitenden Güterverkehr – Entmischung der Verkehre – die wichtige Strecke Hoyerswerda–Herka–Wegliniec in die Tätigkeit der gemeinsamen Arbeitsgruppe einbezogen. Der ent- sprechende Abschluss einer Vereinbarung zwischen bei- den Ländern wird erst im Jahre 2001 möglich sein. Der Entwurf zu dieser Vereinbarung soll noch in diesem Jahr vorliegen. Trotz dieser noch ausstehenden gemeinsamen Vereinbarung wird von deutscher Seite bereits gehandelt. Im Investitionsprogramm 1999 bis 2002 sind für den Ausbau der Strecke auf eine Streckengeschwindigkeit von 160 km/h Finanzmittel in Höhe von 210 Millio- nen DM vorgesehen. Zur beschleunigten Fertigstellung werden davon 110 Millionen DM EFRE-Mittel verwen- det. Am 7. November 1997 wurde mit dem Ausbau der Strecke zwischen Fürstenwald und Frankfurt-Rosen- garten begonnen, davon sind circa 14 km – Berken- brück–Pillgramm – bereits unter Verkehr. Auf polnischer Seite sind bereits 80 Prozent der Gesamtstrecke Warschau und Reppen – Rzepin – für eine Streckengeschwindigkeit von 160 km/h realisiert. Für die Nebenstrecken in die ein- zelnen Regionen, insbesondere in dem nördlichen Teil, ist der polnische Staat allein verantwortlich. Dies richtet sich nach der Nachfrage und den finanziellen Mitteln des Staa- tes. Übrigens unterstützt Deutschland alle Entwicklungen der Korridore, die auf der 2. und 3. Paneuropäischen Ver- kehrskonferenz definiert wurden. Dazu gehören die Schienenverbindungen Berlin–Warschau–Minsk–Moskau sowie Berlin/Dresden–Breslau–Kattowitz–Krakau–Lem- berg–Kiew. Zum Inhalt des Antrages der PDS, eine direkte Verbin- dung zwischen den Bahnhöfen Berlin-Ostbahnhof und Berlin-Lichtenberg herzustellen, kann gesagt werden, es gibt vom Land Berlin dazu ein untersuchendes Vorhaben. Man muss abwarten, ob diese Verbindung über die so ge- nannte Wriezener Bahn berücksichtigt und gegebenenfalls eine Finanzierung erfährt. Nach den bisherigen Erkennt- nissen ist eine direkte Fernbahnverbindung zwischen die- sen Bahnhöfen nicht wahrscheinlich, weil die Kosten viel zu hoch sind und vom Bund in absehbarer Zeit keine Mit- tel dazu zur Verfügung stehen. Außerdem spielt er für den langfristigen Personenfernverkehr keine Rolle mehr. Nun muss man abwarten, was das Land Berlin als Konzepte für die weitere Planung als wichtig ansieht und wie dazu die Finanzierung erfolgt. Nach unserer Ansicht entsprechen – wie soeben darge- legt – beide Anträge nicht den tatsächlichen Realitäten. Aus diesem Grunde lehnen wir beide Anträge ab. Albert Schmidt (Hitzhofen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Die PDS stellt – insoweit sicher zu Recht und mitgetragen von den anderen Fraktionen – fest, dass ein neuer Bundesverkehrswegeplan überfällig ist. Der gel- tende Bundesverkehrswegeplan ist sowohl ökonomisch als auch ökologisch an die Wand gefahren. Als Konse- quenz hat die rot-grüne Bundesregierung binnen weniger Monate ein Investitionsprogramm für den Zeitraum bis 2002 vorgelegt, das finanziell darstellbar ist und Pla- nungssicherheit für alle Beteiligten gewährleistet. Damit hat sich die Regierung als voll handlungsfähig und kom- petent erwiesen. Illusorisch ist aber die Vorstellung der PDS, ein neuer Bundesverkehrswegeplan könne binnen kürzester Zeit er- stellt werden und dabei zudem eine völlig andere Ver- kehrspolitik verwirklichen, wie es der PDS vorschwebt. Die Bundesregierung ist durchaus für eine neue Ver- kehrspolitik mit einer Integration aller Verkehrsträger. Minister Klimmt hat gerade in dieser Woche die Vorstel- lungen der Regierung mit dem „Verkehrsbericht 2000“ konkretisiert. Der Verkehrsbericht macht allerdings auch deutlich, dass eine neue Bundesverkehrswegeplanung einen erheblichen Aufwand bei der Neukonzeption, bei der Erstellung der Szenarios und bei der Erarbeitung neuer Bewertungsinstrumente erfordert. Das kann man nicht übers Knie brechen, hier muss man gründlich und mit langem Atem an die Problematik herangehen. Die Forderung der PDS, möglichst rasch einen neuen Bun- desverkehrswegeplan aufzustellen, ist also zwar durchaus Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000 12685 (C) (D) (A) (B) nachvollziehbar und das Drängen der Opposition ist ver- ständlich – allein, wir müssen und wir werden die nächste Bundesverkehrswegeplanung solide erstellen. Insofern müssen wir heute den PDS-Antrag ablehnen. Erheblichen Beratungsbedarf sehen wir hingegen beim zweiten Antrag der PDS, zwischen den Bahnhöfen Berlin- Ostbahnhof und Berlin-Lichtenberg beim Ausbau des Ei- senbahnknotens Berlin eine direkte Fernbahnverbindung herzustellen. Diese Zielsetzung entspricht inhaltlich den Vorstellungen unserer Fraktion im Berliner Abgeordneten- haus, die zwei ähnliche Anträge bereits am 8. Septem- ber 1998 und am 11. Januar 2000 in die Debatte hier vor Ort eingebracht hat. Einen entsprechenden Beschluss hat das Berliner Abgeordnetenhaus sogar einstimmig am 28. Ja- nuar 1999 gefasst. Wichtig für eine durchgehende Fern- bahnverbindung ist ein zukunftsfähiger, künftigen Kapa- zitätsansprüchen genügender Ausbau des Ostkreuzes. Wir kennen allerdings die Probleme, welche die Deut- sche Bahn gegenwärtig im Netzbereich hat: Sie leidet unter den Folgen früherer Fehlentwicklungen, angefan- gen bei der falschen Schwerpunktsetzung von Investi- tionen zugunsten schöngerechneter Vorzeigeprojekte: Köln–Rhein/Main, der Knoten Berlin und Nürnberg–In- golstadt–München führen im Bauvollzug zu Mehrbelas- tungen von bis zu 6 Milliarden DM. Zudem hat das Duo infernale Waigel/Wissmann die Netzinvestitionen von jährlich rund 9 Milliarden DM zu Beginn der Bahnreform auf 5,8 Milliarden DM im Jahr 1998 heruntergekürzt. Ich muss hier anmerken, dass dieser nachprüfbare Sachver- halt von den Ministerpräsidenten Stoiber und Teufel, aber auch vom bayerischen Verkehrsminister Wiesheu bis heute offenbar nicht begriffen worden ist – oder, was schlimmer wiegt, sie versuchen immer noch, die Bürger in unserem Land bewusst zu täuschen, indem sie behaup- ten, Rot-Grün habe diese Kürzungen zu verantworten. Richtig ist: Wir haben sofort nach Regierungsübernahme das tatsächliche Investitionsniveau für die Bahn 1999 um 1,3 Milliarden DM erhöht und satteln in den Jahren 2001 bis 2003 aus den UMTS-Milliarden weitere 2 Milliar- den DM drauf. Schon heute ist klar, dass diese Investiti- onsmittel, die damit wieder das Niveau von über 9 Milli- arden DM erreichen, über das Jahr 2003 hinaus verstetigt werden müssen. Als Folge der falschen Investitionspolitik unter Waigel/Wissmann haben wir heute massive Probleme im Bestandsnetz, das inzwischen rund 2 500 Langsamfahr- stellen aufweist: Es ist klar, dass vor allem hier sofort mehr investiert werden muss. Die Vorstellungen der Traumtänzer Stoiber, Vogel und Teufel, man könne dem- nächst an den Neubau beispielsweise der Strecken Stutt- gart–Ulm–München und Nürnberg–Erfurt gehen, sind vor diesem Hintergrund völlig unrealistisch. Was wir brauchen, ist vorrangig die Sanierung des Schienennetzes, des Weiteren aber auch entsprechend dem DB-Konzept „Netz 21“ die Modernisierung des vor- handenen Schienennetzes, das in Teilen auf dem techni- schen Stand von 1930 verharrt. Im Rahmen dieser Über- legungen müssen wir in der Tat prüfen, inwieweit die Strecke zwischen Berlin-Ostbahnhof und Lichtenberg als zweigleisige Fernbahn ausgebaut werden kann. Hier schlägt der Antrag der PDS ein sinnvolles Projekt vor, über dessen Realisierungsmöglichkeit wir uns sehr ernst- haft mit der Deutschen Bahn unterhalten müssen. Das Er- gebnis dieser Gespräche wird in die Ausschussberatungen einfließen. Die beiden verbleibenden Anträge der PDS haben wir bereits im zuständigen Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen diskutiert und dabei festgestellt, dass sie durch aktuelle Vorgänge weitgehend überholt sind. Ent- sprechend hat der Ausschuss mit großer Mehrheit die Ab- lehnung der beiden Anträge empfohlen, an der wir heute hier festhalten. Horst Friedrich (Bayreuth) (F.D.P.): Zunächst Grundsätzliches vorweg: Die Anträge der PDS zur Bahn signalisieren aus liberaler Sicht ein falsches Verständnis – sie führen im Zweifel zurück zur Staatsbahn und konterka- rieren aus unserer Sicht deswegen die Festlegungen der Bahnreform 1994. Weder ist es politisch gewollt, der Bahn die Aufrechterhaltung bestimmter Fernverkehrsverbin- dungen zwingend vorzuschreiben, noch kann sie nach un- serer Rechtsauffassung gezwungen werden, Geräte und Fahrzeuge ihres Bestandes zu verkaufen und nicht zu ver- schrotten. Ob und inwieweit das jeweilige Handeln der Bahn insgesamt betriebswirtschaftlich sinnvoll ist, steht auf einem anderen Papier. Insofern ist der Verweis auf die der- zeit laufende Diskussion um die Bahn hilfreich! Offensichtlich macht in der Bahn jeder, was er will, und keiner, was er soll. Nur deshalb ist zu erklären, dass immer wieder neue Schreckensmeldungen über die Ticker der Ta- gespresse laufen und die Bahn von einem Entscheidungs- desaster in andere gezwungen wird. Kostenüberschrei- tungen bei Neubauprojekten, Verspätungen, schlechter Service und ungenügendes Wagenmaterial sowie zuneh- mend schlechter werdende Infrastruktur sind nur einige signifikante Kennzeichen dieses Zustandes. In diesem Zu- sammenhang den Weg zurück zur Staatsbahn einzuschla- gen, ist die falsche Richtung. Die F.D.P. hat die Fortsetzung der Bahnreform gefor- dert und mit ihrem Antrag auf Trennung von Netz und Be- trieb die entsprechenden parlamentarischen Grundlagen gelegt. Mittlerweile ist offensichtlich zwischen fast allen Fachleuten und Beteiligten ein breiter Konsens zur Tren- nung des Fahrweges vom Betrieb zu erzielen – außer bei der Bundesregierung und der Bahn. Ich bin allerdings si- cher, dass in diesem Zusammenhang das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. Bis zu diesem Zeitpunkt verlangen wir Liberale zunächst einen vorbehaltlosen Kassensturz und eine ungefärbte Bilanz der Deutschen Bahn AG so- wie zur Begleitung einen Unterausschuss des Verkehrs- ausschusses, der sich im Detail mit dieser Problematik be- fassen kann. Auch die Vorlage der PDS zur Neuauflage des Bun- desverkehrswegeplanes geht aus unserer Sicht an den tatsächlichen Problemen vorbei. Sicher ist es richtig, sich nach einer bestimmten Zeit über die Neugestaltung des Bundesverkehrswegeplanes zu unterhalten. Im § 2 des Bundesfernstraßenausbaugesetzes ist festgelegt, dass der Ausbau in Stufen erfolgt, der im Bedarfsplan festgelegt wird und nach Maßgabe der zur Verfügung stehenden Mittel auf die jeweilige Haushaltssituation eingeht. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 200012686 (C) (D) (A) (B) Aus Sicht der Liberalen werden auch mit dem jetzt im Verkehrsbericht 2000 genannten Umstellungskriterien des Bundesverkehrswegeplanes die eigentlich entschei- denden Fragen nicht ausreichend beantwortet. Zum einen ist vollkommen unklar, wie sich in der Zukunft eine ver- lässliche Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur darstel- len lässt und zum anderen bezweifeln wir, dass der neue Verkehrswegeplan rechtzeitig auf die Infrastrukturmaß- nahmen im Zusammenhang mit der EU-Osterweiterung eingeht. Die Liberalen fordern in diesem Zusammenhang ein Sonderprogramm von 3 Milliarden DM für die nächs- ten drei Jahre, um den von der EU-Kommission prognos- tizierten Verkehrszuwachs von 60 Prozent mit einer kom- binierten Lösung aller Verkehrsträger bewältigen zu können. Wir werden deshalb die vorliegenden Anträge der PDS ablehnen. Anlage 22 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Zweiundzwan- zigsten Gesetzes zur Änderung des Abgeordne- tengesetzes (Tagesordnungspunkt 23) Dr. Uwe Küster (SPD): Der vorliegende Gesetzent- wurf hat das Ziel, das Einkommen der Abgeordneten des Deutschen Bundestags – also unsere Diäten – für die nächsten Jahre preissteigerungsbereinigt zu sichern. Eine darüber hinausgehende materielle Erhöhung der Diäten findet nicht statt. Es wird sie für diese Legislaturperiode nach unserem Willen auch nicht geben. Ich schicke eins voraus: Der Entwurf ist das Ergebnis eines Kompromisses, einer Abwägung, einer Gratwande- rung. Einerseits berücksichtigen wir unsere Verpflich- tung, für eine angemessene Höhe der Diäten zu sorgen. Andererseits haben wir die gesamtgesellschaftliche Ent- wicklung im Auge behalten. Lassen Sie mich unseren Ent- wurf nun in aller Kürze skizzieren. Wir wollen die Entschädigung für die letzten sechs Mo- nate dieses Jahres um 0,6 Prozent anheben. Für das erste Halbjahr 2000 bleibt es bei einer Nullrunde. Für die Jahre 2001 bis 2003 sollen die Diäten um jeweils 1,9 Prozent an- gehoben werden. Diese Erhöhung entspricht ungefähr der zu erwartenden Preissteigerungsrate. Sie führt somit nicht zu einer materiellen Erhöhung der Entschädigung. Das Verfahren nach § 30 Abgeordnetengesetz wird für diese Wahlperiode ausgesetzt. Das ist bei diesem Verfahren nicht vermeidbar. Gesetzestechnisch ist das unproblema- tisch. Sie wissen das alle. Die Belange unserer ehemaligen Kolleginnen und Kol- legen werden durch die Erhöhung des fiktiven Bemes- sungsbetrages in § 35 a Abgeordnetengesetz um Dreivier- tel des Erhöhungsbetrages angemessen berücksichtigt. Ich halte dies für eine sachgerechte Regelung. Ich bin überzeugt, hier besteht ein breiter Konsens unter allen Fraktionen für eine faire Behandlung dieser Gruppe. Zusammenfassend stelle ich daher fest: Unser Gesetz- entwurf ist objektiv notwendig, weil er die Höhe der Diä- ten auf dem heutigen Stand sichert. Er ist subjektiv ange- messen, da er das für diese Regelung notwendige Augen- maß beweist. Und er ist sozial ausgewogen, weil er die Einkommenssituation des Mannes auf der Straße berück- sichtigt. Aber unsere Lösung ist natürlich nicht die einzig Mög- liche. Ich gebe das unumwunden zu. Es gibt andere Vor- schläge. Einige – wie der der F.D.P. – bieten eine interes- sante Perspektive. Andere aber, wie der Vorstoß des Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU, Herrn Kollegen Merz, von Anfang Oktober helfen uns in der gegenwärti- gen Situation nicht weiter. Ich möchte den heutigen Tag nicht dazu nutzen, vergangene Schlachten zu schlagen. Aber ich möchte auf sachlicher Ebene noch einmal zu die- sem Vorstoß Stellung nehmen. Ich glaube, es tut uns allen gut, wenn wir nach den entstandenen Aufgeregtheiten nun unsere Standpunkte klären. Herr Kollege Merz hat Anfang Oktober behauptet, un- ser Entwurf widerspreche dem Gesetz. Das Parlament sei an die Zielgröße R 6/B 6 – das Gehalt eines Richters an einem obersten Bundesgericht bzw. eines kommunalen Wahlbeamten – gebunden. Der Herr Bundestagspräsident hat dies in seinem Vorschlag vom 21. April 1999 konkre- tisiert. Hiernach hätten die Diäten bis zum Januar 2003 pro Monat auf 14 275 DM steigen müssen. Nach unserem Entwurf hat am 1. Januar 2003 die Entschädigung eine Höhe von 13 707 DM. Es geht also um eine Differenz von 568 DM brutto. Ich sage an dieser Stelle ausdrücklich brutto, damit jedem klar ist, dass es sich hier um Einkom- men vor Steuern handelt. Der Vorstoß des Kollegen Merz hat Ihnen, liebe Kolle- gen der CDU/CSU, nicht nur das Unverständnis der Öf- fentlichkeit eingebracht. Er hat auch mich irritiert. Sie ha- ben das für die Öffentlichkeit sensible Thema der Diäten unsensibel behandelt. Sie haben damit einen Flurschaden angerichtet. Sie haben uns als Abgeordnete wegen 568 DM brutto in der Öffentlichkeit in ein schiefes Licht gerückt. Das war unnötig, das war unsensibel, und das war für das Anliegen destruktiv. Wir haben Ihnen das damals öffentlich gesagt. Dem füge ich heute nichts mehr hinzu. Wir haben Ihnen immer – und das mache ich auch jetzt – die Hand zum offenen Gespräch gereicht. Wir möchten Sie und die anderen Fraktionen einladen, mit uns zusammen in einen konstruktiven Dialog zu treten. Ziel muss es sein, die Frage der Diätenhöhe in der öffentlichen Diskussion zu versachlichen. Wir als Parlamentarier müs- sen gemeinsam versuchen, die Meinungsführerschaft in unserer ureigenen Frage zurückzuerlangen. Diese darf nicht auf Dauer bei demokratisch nicht legitimierten und aus eigensüchtigen Motiven auf Sensationshascherei aus- gerichteten Verbänden liegen – und auch nicht bei einem bestimmten Teil der Presse. Wir als Parlamentarier müs- sen über uns selbst bestimmen. Wer soll es sonst? Wer kann es sonst? Wer sonst hat das Recht hierzu? Wir müssen gemeinsam zur einer angemessenen und von der Öffentlichkeit weitestgehend akzeptierten Lö- sung kommen. Dabei muss die Diätenhöhe in einem ver- nünftigen gesamtgesellschaftlichen Verhältnis stehen. Und mit der SPD wird es niemals zu überhöhten Fanta- sieeinkommen kommen. Der Weg zu diesem Ziel muss sachlich, rational und zukunftsorientiert sein. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000 12687 (C) (D) (A) (B) Wie könnte der Weg dorthin aussehen? Wie können wir ein angemessenes Ergebnis erreichen? Wie können wir das Vertrauen der Bürger in unser ernsthaftes und ehrli- ches Bemühen, eine angemessene Lösung zu erzielen, ge- winnen? Hierauf gibt es mehrere Antworten. Für manche, die der Diskussion ferner stehen, ist der Diskussionsstand unübersichtlich. Ich verstehe das. Daher nenne ich hier einmal die zurzeit aus meiner Sicht in der Diskussion be- findlichen Lösungsmodelle in meiner Diktion: Die sind das Kopplungsmodell, das Kommissionsmodell und das Indexierungsmodell. Ihnen allen ist gemeinsam, dass der Gesetzgeber nur noch eine begrenzte Entscheidungsmög- lichkeit hat. Dem Gesetzgeber sollen konkrete Vorgaben für sein Handeln an die Hand gegeben werden. Von der F.D.P. wird ein Kommissionsmodell vorge- schlagen. Wir hatten hierüber erst in der letzten Sitzungs- woche gesprochen, sodass ich mich kurz fassen kann. Sie möchten eine Kommission einsetzen, die konkrete Vor- schläge zur Diätenhöhe erarbeitet und festlegt. Der Bun- despräsident soll diese unabhängige Kommission beru- fen. Der Gesetzgeber selbst soll – wenn ich Sie richtig verstanden habe – keinen Einfluss mehr auf die Diäten- höhe haben. Wir werden uns in den zuständigen Ausschüssen noch intensiv mit diesen Vorschlägen auseinander setzen. Dem will ich hier nicht vorgreifen. Nur so viel sei gesagt: Ich halte es für nicht angemessen, wenn wir uns in einer An- gelegenheit, die uns alle persönlich betrifft, als Gesetzge- ber einer demokratisch nicht ausreichend legitimierten Sachverständigenkommission ausliefern. Wir alle kennen die Problematik aus den Anhörungen. Alle Sachverstän- digen haben aus ihrer Sicht Recht. Aber für die praktische politische Arbeit sind viele Ausführungen dennoch nicht hilfreich. Auch die von Ihrer Fraktion, Herr Kollege van Essen, vorgeschlagene Kommission wird nicht das leisten können, was Sie sich davon versprechen. Die Politik muss bei dieser Frage Einflussmöglichkeiten behalten. Ich bin der festen Überzeugung, dass Sachverständige nicht dazu berufen sind, Politik anstelle von Politikern zu gestalten. Hier wären sie überfordert. Das können Sachverständige nicht. Das müssen wir schon selber tun. Das ist unsere Aufgabe. Einen anderen Weg ist der Thüringer Landtag gegan- gen. Dort wurde ein Grundbetrag festgelegt, dessen Stei- gerung an einen Index gebunden ist. Dies hat zur Folge, dass das Thüringer Parlament als einfacher Gesetzgeber bei der Änderung der Diätenhöhe keine Kompetenz mehr hat. Die Diäten werden in einem für die Öffentlichkeit kaum wahrnehmbaren Verfahren angepasst. Wir hingegen wollen die wichtige Frage der Diätenhöhe transparent hal- ten. Es bleibt als Essenz der Diskussion der letzten Jahre aber noch eine andere, dritte Lösung. Das Kopplungsmo- dell. Wir hatten zusammen mit der Fraktion der CDU/CSU im Jahr 1995 vorgeschlagen – die meisten von Ihnen werden sich sicher noch daran erinnern –, den Be- griff der „Angemessenheit“ in Artikel 48 Abs. 3 Grund- gesetz zu konkretisieren. Maßstab sollte das Gehalt eines Richters an einem obersten Bundesgericht sein. Letztlich ist diese Bezugsgröße in das geltende Recht durch die Neufassung des § 11 Abs. 1 Abgeordnetengesetz aufge- nommen worden. Eine Konkretisierung des Begriffes der Angemessenheit scheiterte jedoch am Votum des Bundes- rates. Trotzdem bin ich persönlich nach wie vor der Mei- nung, dass wir damals einen richtigen Weg beschritten ha- ben. Der Bundesrat hatte sich damals einer auch von be- stimmten Medien geschürten Hysterie gebeugt. Das mag die Haltung des Bundesrates erklären. Vielleicht hatten die politisch Handelnden keine andere Wahl, als sich die- sem Druck zu beugen. Allerdings ist mir kein einziges Ar- gument gegen diese Grundgesetzänderung, das mich da- mals vielleicht überzeugt hätte, erinnerlich. Wir schaffen in unserer täglichen Gesetzgebungsarbeit ständig neue unbestimmte Rechtsbegriffe. Ebenso viele füllen wir durch Gesetz oder auf dem Verordnungswege aus. Ich kann nicht erkennen, dass das falsch sein sollte. Aber, wie gesagt: Ich möchte heute keine alten Schlach- ten nachzeichnen. Ich halte es allerdings für unverzicht- bar, sich den historischen Kontext vor Augen zu halten. Lassen Sie uns diesen früheren Vorschlag erneut beden- ken. Vieles wäre für die Zukunft denkbar. So könnte ich mir vorstellen, dass wir noch in dieser Wahlperiode zu einem fraktionsübergreifenden Lösungsansatz kommen. Auch eine Kombination von Elementen der genannten Modelle wäre denkbar. Ich selbst könnte mir einen „vierten Weg“ vorstellen. So könnte in Zukunft eine Kommission beim Bundestagspräsidenten und nicht mehr der Bundestags- präsident selbst die nötigen Anpassungsvorschläge ent- wickeln. Auch könnte der Maßstab für die Diätenhöhe – den ich, wie gesagt, bei dem Gehalt eines Richters an ei- nem obersten Bundesgericht sehe – verbindlicher als bis- her festgelegt werden. Letztlich sollte es möglich sein, ohne ein aufwendiges formelles Verfahren auch innerhalb der Wahlperiode wenigstens die Preissteigerungsrate auf- zufangen. Denn nach meiner Überzeugung sollte das Ge- setzgebungsverfahren mit all seinem Aufwand und mit seiner besonderen Stellung nur dann angestrengt werden, wenn dies sachlich geboten ist. Ich glaube nicht, dass es ein rechtsstaatliches Gebot gibt, jede Kleinigkeit unbe- dingt durch Gesetz regeln zu müssen. Hier müssen wir un- sere Phantasie einsetzen. Ich bitte Sie, die genannten drei Elemente einer Neu- ordnung zu überdenken. In der anstehenden Diskussion um den bereits angesprochenen Gesetzentwurf der F.D.P. werden wir nochmals Überzeugungsarbeit leisten. Wir werden versuchen, überfraktionell einen Modus vivendi für die zukünftigen Diätenanpassungen zu finden. Viel- leicht haben wir diesmal die Gelegenheit, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen. Ich würde mir einen Neuan- fang wünschen. Für die Zwischenzeit haben wir mit unserem Gesetz- entwurf sichergestellt, dass die Preissteigerungen der nächsten Jahre ausgeglichen werden. Das System der Ab- geordnetenentschädigung wird hierdurch nicht verändert. Dies gibt uns die Freiheit, langfristige Alternativen mit der nötigen Gründlichkeit zu prüfen. Lassen Sie mich zum Schluss noch dies sagen: Unser Entwurf ist ausgewogen. Er passt in die politisch-soziale Landschaft. Die Erhöhung beweist Augenmaß. Wir zei- gen damit soziale Sensibilität. Ich werbe daher um Ihre Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 200012688 (C) (D) (A) (B) Zustimmung. Geben Sie uns die gleiche Zustimmung, wie wir sie in der Öffentlichkeit erfahren. Und treten Sie mit uns im neuen Jahr in einen konstruktiven Dialog über die Abgeordnetenentschädigung. Lassen Sie uns die Chance nutzen. Eckart von Klaeden (CDU/CSU): In Art. 48 Abs. 3 des Grundgesetzes heißt es: „Die Abgeordneten haben Anspruch auf eine angemessene, ihre Unabhängigkeit si- chernde Entschädigung.“ Was aber ist angemessen? Diese Frage hat den Bundestag regelmäßig seit seinem Bestehen beschäftigt, in besonderem Maße in der letzten Legisla- turperiode, als die Parlamentsreform verabschiedet wurde, die unter anderem die Verkleinerung des Parla- ments, Reduzierungen bei der Altersversorgung und die innere Reform unter anderem mit der Einführung der Kernzeit, öffentlichen Ausschusssitzungen und erweiter- ten Ausschusssitzungen vorsah. In der Debatte vom 21. September 1995 führte der Kol- lege Dieter Wiefelspütz, SPD, aus: „Die Mitglieder des Deutschen Bundestages bekommen ein gehobenes Ge- halt; das ist richtig. Wir haben uns bei dieser schwierigen Gratwanderung gefragt: Was ist angemessen? – Das Jah- resgehalt eines Bundesrichters sollte der Maßstab sein. Wir können und wollen uns nicht an Spitzengehältern in der Wirtschaft oder auch im Staat orientieren. Auch in Zukunft werden wir nicht so bezahlt wie Vorstandsmit- glieder in der Wirtschaft oder Staatssekretäre bzw. Bun- desverfassungsrichter. Wir wollen einen vernünftigen, vertretbaren Maßstab wählen. Ich denke, wir können guten Gewissens sagen: Der Maßstab Bundesrichtergehalt ... ist eine solide Grundlage für die Zukunft; er wird uns allen viele unnötige und un- gute Diskussionen ersparen. Wir werden auf diese Weise auf Dauer den Vorwurf los, dass wir in eigener Sache ent- scheiden, dass wir uns selbst bedienen.“ Vorher führte er zum Maßstab der Angemessenheit weiter aus: „Im Jahre 1977, als das Abgeordnetengesetz erstmals verabschiedet wurde, stellte sich die Frage: Was ist bei der Entschädigung eines Abgeordneten angemes- sen? Dann sind Vergleichsmaßstäbe gesucht und gewählt worden. Es war die Rede von dem hauptamtlichen Land- rat in Süddeutschland oder dem Bürgermeister. Es war die Rede von dem Ministerialdirigenten, dem Unterabtei- lungsleiter in einem Bonner Ministerium. Es war auch vom Bundesrichter die Rede. Damals, im Jahre 1977, hat man eine zu versteuernde Bruttoentschädigung für Abge- ordnete von monatlich 7 500 DM gewählt. Das war in etwa das damalige Gehalt von Bundesrichtern. Dahin wollen wir zurück. Wir wollen wieder in die Kategorie des Bundesrichtergehalts, wo wir früher schon einmal waren ... Die Gehälter wurden in den letzten 17/18 Ja- hren“ – und hier muss man sagen, dass sich diese Ent- wicklung zulasten der Abgeordneten-Diäten in den letz- ten fünf Jahren weiter fortgesetzt hat – „natürlich angehoben, bei den Abgeordneten, aber auch bei den Bun- desrichtern – bei den Bundesrichtern prozentual in dop- pelter Höhe gegenüber den Abgeordneten des Deutschen Bundestages. Bei allen anderen Beamten war es ebenso.“ In derselben Debatte sagte der heutige Erste Parlamen- tarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Wilhelm Schmidt: „Um kurz noch auf die Diäten einzugehen: Die Punkte, die ich eben genannt habe, werden von der sehr vorder- gründigen Diätendebatte einer ganzen Reihe von Medien und auch Vertretern in diesem Hause unzulässig über- deckt. Ich kann es nicht ertragen, wenn wir dann so tun, als wenn wir hier alle in Sack und Asche gehen müssten, und dennoch unsere Arbeit in diesem Maße verrichten, wie das die Öffentlichkeit allerdings mit Recht von uns verlangt ... Über die Hälfte des Jahres sind wir hier im Par- lament ... durch Sitzungswochen festgenagelt. Wir haben darüber hinaus viele andere Aufgaben auch in den Nicht- sitzungswochen. Wenn wir dann am Freitagabend in un- sere Wahlkreise – man muss ab und zu fast sagen: gegen jede ökologische Vernunft – zurückrasen, dann ist es doch so, dass wir dort gleich das gesamte Wochenende mit Wahlkreisarbeit beschäftigt sind, und dies, wie ich finde, mit Recht. Dies kann der Bürger, dies kann der Wähler von uns verlangen. Dieses Pensum an Arbeit, das – wie ich finde, viel zu gering – auf 80 Stunden wöchentlich – im Jahresdurch- schnitt, wohlgemerkt – berechnet wurde, muss angemes- sen honoriert werden. Hierzu gehört – auch das haben wir betont –, dass wir den Vergleich mit hoch stehenden Be- amten, mit Richtern und auch mit Vertretern der Wirt- schaft und des öffentlichen Lebens durchaus aushalten können und ihnen sogar unter Hinweis darauf ganz deut- lich machen wollen, was wir 1975/1977 in diesem Hause schon einmal für richtig gehalten haben und wobei wir an manchen Stellen in den vergangenen Jahren immer wie- der vor der öffentlichen Reaktion eingeknickt sind.“ Auf der Grundlage dieser Debatte und den entspre- chenden Beschlüssen hat der Präsident des Deutschen Bundestages, der Kollege Wolfgang Thierse, unter dem 21. April 1999 an unseren damaligen Fraktionsvorsitzen- den geschrieben: „Ich halte es für angemessen, die Abgeordnetenentschä- digung in den nächsten Jahren in maßvollen Schritten stu- fenweise zu erhöhen. Wie Sie wissen, bestimmt § 11Abs. 1 des Abgeordnetengesetzes, dass sich die Abgeordneten- entschädigung an den Bezügen in den Besoldungsgrup- pen R6/B6 zu orientieren hat. Deren Entwicklung gibt also die Richtung an. Zwischen der aktuellen Abgeordne- tenentschädigung und der vom Abgeordnetengesetz vorgegebenen Orientierungsgröße besteht ungeachtet der letzten Steigerung immer noch ein Abstand von mehr als 1 600 DM. Besoldungserhöhungen, wie sie für dieses Jahr schon anstehen, werden den Abstand zunächst weiter ver- größern. Eine maßvolle Anpassung der Abgeordnetenent- schädigung trägt dem Gesetzesauftrag einer Orientierung der Abgeordnetenentschädigung an den Einkünften in den genannten Besoldungsgruppen Rechnung. Ich empfehle dazu, die Abgeordnetenentschädigung nach § 11 Abs. 1 des Abgeordnetengesetzes beginnend mit dem 1. Januar 2000 in vier Jahresschritten bis zum 2. Januar 2003 um jeweils 350 DM von 12 875 DM auf dann 14 275 DM zu erhöhen. Dies entspricht im ersten Schritt einer Erhöhung um 2,7 Prozent, im letzten um Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000 12689 (C) (D) (A) (B) 2,5 Prozent. Der erste Schritt liegt damit noch unterhalb des Betrages, der in der Besoldungsrunde für das Jahr 1999 im öffentlichen Dienst vereinbart wurde, wird uns also zunächst noch ein Stück von dem im Gesetz vorge- sehenen Ziel wegführen. Die vorgesehene Annäherung wird aber mit den Folgeschritten eingeleitet und später er- reicht werden können.“ Diese Ausführungen des Herrn Bundestagspräsiden- ten, der nun wirklich nicht für Verschwendungssucht oder Großspurigkeit bekannt ist, haben die Vorbildfunktion der Abgeordneten und die allgemeine Sparnotwendigkeit schon einbezogen. Selbst sie sahen schon ein Zurückblei- ben hinter dem selbstgesetzten Maßstab vor. Ihre Vorschläge bleiben selbst hinter den Vorschlägen des Bundestagspräsidenten vom Anfang dieser Legisla- turperiode zurück. Dahinter steckt mehr als die allge- meine Erkenntnis, dass Diätenerhöhungen immer unpo- pulär sind und niemals mit einhelliger Zustimmung zu rechnen ist. In der bereits erwähnten Debatte sagte dazu schon der Kollege Wiefelspütz: „Wann ist denn der rich- tige Zeitpunkt für solche Regelungen? Gibt es ihn über- haupt?“ Ihr Verhalten hat noch einen weiteren Grund, nämlich Ihr schlechtes Gewissen: Sie sind willkürlich von der Net- tolohnanpassung bei der Rente für zwei Jahre kurz nach dem Regierungswechsel abgegangen und haben stattdes- sen einen so genannten Inflationsausgleich eingeführt. Vor der Wahl haben Sie über diesen einschneidenden Schnitt kein Wort verloren, sondern unsere Rentenreform als „sozialen Kahlschlag“ und „Weg in die Altersarmut“ bezeichnet, die zu einer geringeren Belastung der Rent- nerinnen und Rentner geführt hätte. Ihre Willkür ist kein Maßstab, sie taugt nicht, noch nicht einmal als vermeint- liches Vorbild für die Beurteilung der Angemessenheit der Abgeordnetenentschädigung. In Wirklichkeit kann auch nicht von einem Inflations- ausgleich gesprochen werden, denn die Erhöhung der Ener- giepreise, die Ihre so genannte Ökosteuer mitverursacht hat, hat bereits in den letzten Monaten zu einem Über- schreiten der 2-Prozent-Marke der Inflationsrate geführt. Wir wissen, dass viele Kolleginnen und Kollegen mit geballter Faust in der Tasche Ihrem Vorschlag zustimmen werden. Das von uns zu erwarten, ist aber wirklich zu viel verlangt. Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die in der Beschlussempfehlung des Geschäftsordnungsaus- schusses vorgeschlagene Erhöhung unserer Einkommen fällt wahrlich nicht üppig aus. Mit 1,9 Prozent liegen wir in den kommenden Jahren auf dem zu erwartenden Ni- veau der Preissteigerungen. Trotz dieser Zurückhaltung werden wir auch diesmal mit Kritik zu rechnen haben. Diese schon zum Ritual geronnenen Anwürfe zielen letzt- lich auf unsere Arbeit. Sie machen sich auch das Erschei- nungsbild der Politik und unser unbefriedigendes Image insgesamt zunutze. Die Diätendebatte ist insoweit eine Ersatzdiskussion. Wir würden zu kurz greifen, wollten wir uns erneut durch demütige Null-Runden kasteien oder uns auf irgendwelche Kommissionsvorschläge verlassen. Wir haben seit 1977 bereits zehnmal auf eine Erhöhung der Diäten verzichtet. Vergleichbare Einkommensbezie- her sind den Abgeordneten längst davongezogen. Auch Kommissionen werden uns nicht wirklich helfen. Ob sie nun unmittelbar entscheiden oder nur Vorschläge unter- breiten: Unsere Dauerkritiker auf gut dotierten Lehr- und anderen Stühlen werden jede Veränderung unserer Be- züge als Selbstbedienung brandmarken. Man würde auch dann den Finger der Öffentlichkeit auf diese „habgieri- gen“ Abgeordneten richten. Wir müssen in zwei Richtungen mit der Schwierigkeit unserer Selbstrechtfertigung umgehen. Zuallererst gilt: Wir müssen Maß halten. Ich verwende diesen Begriff von Ludwig Erhard an dieser Stelle ganz bewusst an die Adresse der Union. Sie wollen eine deutlich stärkere An- hebung der Diäten. Wir sind hier für mehr Bescheiden- heit. Das ist der Unterschied. Die Öffentlichkeit hat mit vollem Recht ein sehr empfindliches Gespür dafür, ob wir hier Wasser predigen und Wein trinken. Rot-Grün hat hier durch die drastischen Einschnitte bei den Mehrfacheinkommen aus früherer und aktiver Tätig- keit einen wichtigen Schritt zum Abbau finanzieller Pri- vilegien von Politikern gemacht. Wenn uns in den Medien immer die Wirtschaft als Vorbild für Effektivität vorge- macht wird, dann wird wohlweislich verschwiegen, dass dort wirklich mit Millionen gehandelt wird. Im Gehalts- vergleich sind wir da Laufburschen. Die Wirtschaft kann und darf für uns kein Vorbild sein, im Gegenteil. Ich stehe dazu, dass wir uns hier für diese Legislaturperiode sehr zurückgehalten haben. Niemand kann uns ohne Böswil- ligkeit oder Unkenntnis Bereicherungsabsichten unter- stellen. Ich fordere unsere Kritiker aber auch ausdrücklich auf, dies öffentlich kund zu tun! Auch das gehört zu einer fairen Diskussion. Was uns Abgeordnete angeht, so ist auch unser Selbst- bewusstsein gefordert. Wir müssen viel deutlicher, als das bisher oft der Fall war, unsere Arbeit für die Demokratie deutlich machen. Das gilt für Regierung und Opposition gleichermaßen. Auch wir haben dafür das legitime Bedürf- nis nach einem angemessenen Einkommen. Wie jeder an- dere essen wir unser Frühstücksbrötchen auch nur einmal. Das alles ist übrigens nicht meine Privatmeinung. Das Grundgesetz bestimmt in Art. 48 Abs. 3, dass Abgeord- nete einen Anspruch auf angemessene Entschädigung ha- ben, die unsere persönliche Unabhängigkeit sichert. Man mag vieles an der Finanzierung unseres Poli- tikbetriebs kritisieren. Werfen wir hier nur einen Blick auf die Wahlen in den USA. Mit astronomischen Summen wird dort nicht allein um das Weiße Haus, sondern auch um jeden Sitz in Senat und Repräsentantenhaus gekämpft. Wenn ich mir diese Interessenkonflikte vor Augen halte, ist die Unabhängigkeit ein hoher Wert. Es lohnt sich, dafür auch öffentlich zu streiten. Ich bin davon überzeugt, dass wir hier die Menschen überzeugen können. Zur Überzeugungsarbeit gehört aber auch das Einge- ständnis von Defiziten. Wir haben zwar hier in diesem Ge- setz den Bemessungsbetrag angepasst. Es wurden zwar – auch hier öffentlich kaum zur Kenntnis genommen – in der 13. Wahlperiode erhebliche Einschnitte beschlossen. Das Missverhältnis von Diäten und Versorgungsbezügen ist aber nicht behoben. Wir müssen hier Abstriche vor- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 200012690 (C) (D) (A) (B) nehmen – möglicherweise sogar durch mehr private Vor- sorge. Was wir den Rentnerinnen und Rentnern und – wenngleich erst in Ansätzen – dem öffentlichen Dienst abverlangen, muss auch für uns gelten. Jörg van Essen (F.D.P.): Der Deutsche Bundestag hat sich schon oft mit Fragen der Abgeordnetenent- schädigung befasst. Wir haben immer wieder über unsere eigenen Diäten debattiert und sind dafür immer wieder von den Bürgerinnen und Bürgern kritisiert und missver- standen worden. Es ist daher längst überfällig, über Alter- nativen der bestehenden Form der Abgeordnetenentschä- digung nachzudenken. Wir müssen wegkommen von dem Bild der Selbstbedienung durch die Abgeordneten. Dies gelingt uns aber nur dann, wenn wir nicht selber über die Diäten entscheiden, sondern dies einem unabhängigen Gremium überlassen. Auch die PDS hat diesen Weg be- fürwortet und ich weiß, dass auch in den anderen Fraktio- nen des Hauses die Sympathien für diesen Vorschlag wachsen. Wir stimmen heute über den Gesetzentwurf der Koali- tion ab, der an dem alten Modell festhält und sicher nicht geeignet ist, den Stimmungen der Bevölkerung entgegen- zukommen. Der rot-grüne Entwurf orientiert sich an der im Abgeordnetengesetz festgeschriebenen Höhe der Be- züge für Richter an einem obersten Bundesgericht. Die F.D.P. hat dies immer für falsch gehalten. Abgeordnete sind weder Beamte noch sind sie im öffentlichen Dienst tätig. Sie sind eher zu behandeln wie Selbstständige. Die F.D.P. hat in ihrem Gesetzentwurf vorgeschlagen, dass eine unabhängige Kommission, die vom Bundesprä- sidenten eingesetzt wird, über die Höhe der Abgeordneten- entschädigung entscheidet. Darüber hinaus soll die Kom- mission auch Vorschläge für die Altersversorgung von Abgeordneten vorlegen. Ein Gutachten des Wissenschaft- lichen Dienstes hat unsere Auffassung bestätigt, dass eine Verfassungsänderung zulässig wäre, wenn die Entschei- dung über die Anpassung der Höhe der Diäten auf der Ba- sis gesetzlich vorgegebener Kriterien einer unabhängigen Kommission übertragen würde. Der Gesetzentwurf der F.D.P. wird zurzeit noch in den Gremien des Bundestages beraten. Ich lade Sie ein, sich an den Beratungen intensiv zu beteiligen und sich mit den Ideen der F.D.P. auseinander zu setzen. Wir haben jetzt die Chance, einen ganz neuen Weg zu gehen, für den wir in der Bevölkerung Akzeptanz und Verständnis erwarten werden. Nutzen wir gemeinsam diese Chance! Dr. Heidi Knake-Werner (PDS): Unabhängig davon, in welcher Höhe oder wie bescheiden auch immer die Diätenerhöhung ausfällt – dieses befreit uns nicht aus der peinlichen Lage, dass wir in der Öffentlichkeit als Selbst- bedienungsladen wahrgenommen werden. Wir gehören zu den wenigen privilegierten Berufsgruppen, die selber darüber entscheiden, was sie verdienen wollen. Gerade für uns Abgeordnete, die wir zu Recht unter großer öf- fentlicher Beobachtung stehen, ist genau dies ein unmög- licher Vorgang und gehört dringend geändert. Nun wird hier immer argumentiert, auch Abgeordnete müssten angesichts der Verantwortung und der Arbeitsbe- lastung angemessen bezahlt werden, wir müssten dazu selbstbewusst stehen und ein Gefühl zur eigenen Leistung entwickeln. Das mag ja alles stimmen. Aber, liebe Kolle- gen, man hört ja so manches, wie wir unsere jeweiligen Leistungen schon untereinander würdigen; so ist es doch erst recht außerhalb dieses Hauses. Unsere Stellung in der beruflichen Werteskala ist ja leider mehr als schlecht. Da- rüber müssen wir uns Gedanken machen und es ändern. Dazu gehört vor allem, dass das Verfahren um Diätener- höhungen verantwortungsvoll und transparent geregelt wird. Das heißt zuallererst: Dieser Vorgang muss unserer eigenen Entscheidung entzogen werden. Es müssen für alle transparente Kriterien für die Angemessenheit unse- rer Vergütung gefunden werden. Kriterien, die die Men- schen außerhalb des Parlaments nachvollziehen können und für die wir gesellschaftliche Akzeptanz bekommen. Im Moment ist die gesellschaftliche Akzeptanz nicht vorhanden und das kann man nicht damit abtun, dass die Zeiten für Diätenerhöhungen immer schlecht seien. Nein, sie sind besonders schlecht, wenn Ihnen der Ge- ruch der Selbstbedienung anhaftet. Deshalb vor allem stimmen wir heute gegen das Gesetz zur Diätenerhöhung. Wir unterscheiden uns damit von CDU/CSU, die ja mit der heute zu entscheidenden Diätenerhöhung ihre Leis- tungen nicht angemessen bedacht sieht – und ich unter- streiche, dass wir für die Zukunft Modelle unterstützen, die weniger Willkür und Zufall zulassen, sondern für die Besoldung von uns Abgeordneten nachvollziehbare Grundlagen schaffen. Anlage 23 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Zweiten Geset- zes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze (2. FGOÄndG) (Tagungs- ordnungspunkt 25) Alfred Hartenbach (SPD): Mit diesem Gesetz been- den wir ein 25 Jahre dauerndes Provisorium. Für die Zulassung der Revision zum Bundesfinanzhof galt bis 1975 ein Streitwert von 1 000 DM. Durch das Erste Gesetz zur Entlastung des Bundesfinanzhofes wurde dieser Streitwert auf 10 000 DM angehoben, im Jahr 1985 wurde die Streitwertrevision gänzlich suspen- diert und – damals als Übergangslösung angesehen – eine Zulassungsrevision eingeführt, nach der die Revision nur wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache, wegen Ab- weichung eines Urteils eines Finanzgerichts von einer Entscheidung des Bundesfinanzhofes oder bei Vorliegen eines entscheidungserheblichen Verfahrensmangels zu- lässig war. Dieses Entlastungsgesetz wurde mehrfach verlängert, die alte Regierung unter ihren verschiedenen Justizminis- terinnen und Justizministern fand nie die Kraft, sich für eine vernünftige Lösung zu entscheiden. Wir haben diese Erblast übernommen und deshalb vor einem Jahr noch einmal eine Verlängerung des Entlas- tungsgesetzes bis längstens 31. Dezember 2000 beschlos- sen. Würden wir nun dieses Gesetz auslaufen lassen, ohne Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000 12691 (C) (D) (A) (B) uns für eine Neuregelung zu entscheiden, würden wir auf den Zustand von 1975 zurückfallen, das heißt, jede Revi- sion ab 1 000 DM Streitwert wäre zulässig. Das Ende ei- ner geordneten Rechtsprechung bei dem Bundesfinanzhof wäre abzusehen. Die rot-grüne Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsparteien haben daher nach umfassenden Vorar- beiten eine sehr klare Linie beschlossen: Künftig sollen Revisionen – gleichgültig, in welcher Verfahrensart sie eingelegt werden – nicht mehr von einem Streitwert abhängig sein. Maßgebliche Richt- schnur wird für uns sein, die Zulassung einer Revision da- ran zu messen, ob das Verfahren von besonderer Bedeu- tung ist und der Fortbildung des Rechts dient, zur Wahrung der Rechtseinheit und zur Überprüfung von Ver- fahrensmängeln. In der Verwaltungsgerichtsordnung ist dieser Schritt bereits vollzogen worden, bei der Reform des Zivilprozesses haben wir diesen Schritt vor und bei der Reform der Finanzgerichtsordnung werden wir diesen Schritt nunmehr am heutigen Tage vollziehen. Dabei bleibt keineswegs die Einzelfallgerechtigkeit auf der Strecke, wie dies von einigen Kritikern behauptet wird. Nach wie vor wird das Gericht unter dem Gesichts- punkt der Wahrung der Einheit der Rechtsprechung, aber auch unter dem Gesichtspunkt der Bedeutung der Sache überprüfen können, ob ein Urteil falsch oder richtig ist, und entscheiden, ob es dieses Urteil einer erneuten Über- prüfung unterzieht. Damit haben wir eine – wenn auch vorsichtige, so doch klar erkennbare – Öffnung der Revi- sionsmöglichkeiten geschaffen, unabhängig von der Höhe des Streitwertes und damit einen mutigen Reform- schritt getan. Wir haben aber auch einen weiteren Reformschritt ge- tan: Wir werden nämlich zulassen, dass unter Beachtung datenschutzrechtlicher Bestimmungen und der Persön- lichkeitsrechte der Betroffenen Ton- und Bildaufzeich- nungen von den Vernehmungen von Zeugen und Sach- verständigen gefertigt und verwertet werden dürfen. Wir haben die Besonderheiten des finanzgerichtlichen Verfahrens beachtet, als wir den Wunsch des Bundesrates, Erklärungen und Beweismittel, die in der Abgabenordnung im Einspruchsverfahren nicht berücksichtigt wurden, auch im finanzgerichtlichen Verfahren auszuschließen, nicht entsprochen haben. Wir sind der Meinung, dass bei einer einzigen Tatsacheninstanz vor Gericht dem Grundgedan- ken des Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz Rechnung getragen werden muss und eine volle Überprüfung vorgebrachter Tatsachen und Behauptungen möglich sein muss. Wir begrüßen ausdrücklich, dass wir nun heute ein Ge- setz verabschieden, das von Fachleuten, nämlich einem ehemaligen Präsidenten des Bundesfinanzhofes, und noch aktiven Richterinnen und Richtern sowie den Be- rufsverbänden begleitet wurde. Es ist damit ein Gesetz aus der Praxis für die Praxis. Ich bedanke mich ausdrücklich bei dem Bundesminis- terium der Justiz, dass dieses Gesetz trotz des erheblichen Zeitdrucks noch rechtzeitig in die Beratungen gegeben werden konnte, sodass alle, die guten Willens waren, ein- gehend das Gesetz beraten durften. Dr. Susanne Tiemann (CDU/CSU):Am 31. Dezem- ber diesen Jahres, also in ein paar Wochen, läuft das Ge- setz zur Entlastung des Bundesfinanzhofs aus. Diese Tat- sache wurde nicht erst im Herbst dieses Jahres bekannt. Dennoch legt die Bundesregierung einen Gesetzentwurf erst jetzt vor. Die Folge ist wieder einmal höchste Eile, mit der das Gesetzgebungsverfahren durchgezogen werden muss, und wenig Gelegenheit zu sorgfältiger Prüfung und Beratung, geschweige denn zu eingehender Beratung mit den Betroffenen bzw. Beteiligten. Das ist höchst unbe- friedigend, und wir müssen froh sein, dass bei diesem Eil- verfahren zumindest einige unserer kleineren Verbesse- rungsvorschläge übernommen worden sind. Leider muss aber festgestellt werden, dass gerade in dem besonders sensiblen Bereich der Zulassungsgründe im Hinblick auf die Revision beim Bundesfinanzhof die von uns eingebrachten Verbesserungsvorschläge nicht be- achtet wurden, sodass ein derartiges Gesetz weiterhin eine Einschränkung des Individualrechtsschutzes der Bürger unseres Landes bewirken wird. Seit nunmehr 15 Jahren, also seit dem Jahr 1985, gibt es das Bundesfinanzhofentlastungsgesetz, das die so ge- nannte Streitwertrevision einstweilen suspendiert hat. Die dadurch bewirkte eingeschränkte Kontrolle der Recht- mäßigkeit von Entscheidungen der Finanzgerichte und die damit verbundene erhebliche Einschränkung des Indi- vidualrechtsschutzes konnten nur schweren Herzens hin- genommen werden. Damals türmten sich aber die Akten- berge beim Bundesfinanzhof, sodass die Gefahr bestand, dass ein Rechtsschutz in einigermaßen angemessener Zeit gar nicht mehr gewährt werden konnte. Dem Bundesfi- nanzhof musste deshalb unbedingt die Möglichkeit gege- ben werden, seine Rückstände abzubauen. Es bestand deshalb damals keine andere Möglichkeit, sollte nicht der in Art. 19 Abs. 4 GG garantierte effektive Rechtsschutz, wozu – so das Bundesverfassungsgericht – auch der Rechtsschutz in angemessener Zeit zählt, gefährdet wer- den. Dieser Abbau von Rückständen ist nach Auskunft des Bundesjustizministeriums, aber auch nach eigenen Aus- sagen des Bundesfinanzhofs, nun erfreulich weit voran- geschritten. Im Gegensatz zu anderen Gerichtszweigen ist die Fi- nanzgerichtsbarkeit nur zweistufig aufgebaut. Es gibt hier also im Einzelfall keine Revision; über dem Finanzgericht wölbt sich gewissermaßen nur noch der blaue Himmel. Und so gehört zu den primären Aufgaben des Bundesfi- nanzhofes als Revisionsgerichts zwar die Rechtsfortbil- dung und die Wahrung der Rechtseinheit. Es darf aber nicht vergessen werden, dass der Bundesfinanzhof eben wegen dieser Zweistufigkeit des Instanzenweges nicht aus der Aufgabe entlassen ist, Individualrechtsschutz zu gewähren und finanzgerichtliche Entscheidungen zu überprüfen. Der vorliegende Gesetzesentwurf erfüllte diese Auf- gabe jedoch nicht. Aufgrund der in § 115 Abs. 2 FGO ab- schließend und erschöpfend aufgezählten Zulassungs- gründe wird nur die Grundsatzrevision, also bei grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache, die Diver- genzrevision, also bei Abweichung der Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung, und die Verfahrensrevi- sion, also bei Verstößen des Gerichts gegen Verfahrens- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 200012692 (C) (D) (A) (B) grundsätze, möglich sein. Während die Grundsatzrevision in besonderem Maße der Rechtsfortbildung dient, geht es bei der Divergenzrevision um die Wahrung der Rechts- einheit. Damit werden die für eine Revisionsinstanz typi- schen Aufgaben erfüllt. Es fehlt demgegenüber aber an ei- ner effizienten Zugangsmöglichkeit mit dem Ziel, dem Individualrechtsschutz zu entsprechen und eine weiter ge- hende Rechtmäßigkeitskontrolle von Finanzgerichtsent- scheidungen herbeizuführen. Dieser Frage haben sich die Bundesregierung wie auch die Regierungsfraktionen nicht wirklich gestellt. Die CDU/CSU-Fraktion ist der Ansicht, dass eine Wiederein- führung der Streitwertrevision ein weniger geeignetes Auswahlkriterium für die Revision ist. Der Streitwert ist unabhängig davon, ob dem Revisionsverfahren eine oder zwei Tatsacheninstanzen vorausgegangen sind, kein Gradmesser für die Bedeutung der Sache. Ein Rechtsstreit mit einem geringen Streitwert kann erhebliche Bedeutung haben, gerade wenn man an die Streitverfahren aus dem Bereich der Lohnsteuer oder an die Streitfragen, die im Zusammenhang mit der Einkommensteuer, zum Beispiel bei der jährlichen Veranlagung, regelmäßig wiederkehren und somit eine Vielzahl von Steuerpflichtigen betreffen, denkt. Hingegen kann einem Rechtsstreit mit hohem Streitwert durchaus jede über den Einzelfall hinausge- hende Bedeutung fehlen. Der Individualrechtsschutz wäre hingegen besser ge- währleistet, wenn man als vierten Revisionsgrund einge- fügt hätte: „wenn überwiegende Zweifel an der Richtig- keit der Entscheidung bestehen“. Das war von uns vorgeschlagen worden und wurde von dem Vorsitzenden Richter am Bundesfinanzhof in einem Expertengespräch sehr intensiv unterstützt. Durch diesen weiteren Revisi- onszulassungsgrund hätte man nach unserer Ansicht zu- mindest einen gewissen Ausgleich zwischen der Wahrung des Individualrechtsschutzes einerseits und der Entlas- tung des Gerichts andererseits geschaffen. Zum einen würde hierdurch dem Bedürfnis des Bürgers nach Einzel- fallgerechtigkeit und weitgehender Kontrolle der Recht- mäßigkeit von Finanzgerichtsentscheidungen entspro- chen. Durch die Formulierung „überwiegende Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung“ wäre zum anderen aber auch sichergestellt worden, dass die ge- gen die Richtigkeit der Entscheidung sprechenden Gründe im Einzelfall tatsächlich überwiegen müssten. Es handelt sich somit um ein materiell-rechtliches Ab- wägungskriterium, welches bei der Frage, ob eine Revi- sion zugelassen wird, von den Finanzgerichten stets an- zustellen ist. Dieser weitere Revisionszulassungsgrund hätte hauptsächlich die „Ausreißer“ unter den finanzgerichtli- chen Entscheidungen betroffen, denen die Unrichtigkeit gewissermaßen auf der Stirn geschrieben steht, und auch solche Entscheidungen, bei denen bei summarischer Prü- fung angenommen werden kann, dass sie einer revisions- rechtlichen Überprüfung nicht standhalten werden. Es ist daher nicht anzunehmen, dass dieser weitere Revisions- grund zu einer Überlastung des Bundesfinanzhofes ge- führt hätte. Die Bundesregierung zeigt aber durch den von ihr vor- gelegten Gesetzesentwurf, dass sie offensichtlich nicht gewillt ist, den Bürgern unseres Landes auch im Bereich der Finanzgerichtsbarkeit den ihnen zustehenden Indivi- dualrechtsschutz zuzubilligen. Angesichts dieser Tatsache erscheint allerdings die im Gesetzesentwurf aufschei- nende Begründung, durch dieses Gesetz solle eine Ver- besserung des Rechtsschutzes erreicht werden, als Farce. Dieser Eindruck verstärkt sich, wenn man sieht, dass wei- tere von der CDU/CSU-Fraktion eingebrachte Verbesse- rungsvorschläge, die zu einer Verbesserung des Rechts- schutzes führen würden, von der Regierungskoalition nicht beachtet wurden. Als Beispiel sei hier nur der § 90 a Abs. 2 FGO ge- nannt. Wir wollten zur Verbesserung der Rechtssicherheit, dass die mündlichen Verhandlungen stets nur vor dem Vollsenat des Finanzgerichts vorgesehen sind, oder, wie jetzt in § 128 Abs. 2 FGO vorgesehen ist, dass Beschlüsse im Verfahren der Prozesskostenhilfe nicht mit der Be- schwerde angefochten werden können. Wir sind weiterhin der Ansicht, dass diese Vorschriften einschließlich der Be- schwerde zum BFH eine Ausprägung der verfassungs- rechtlichen Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes darstellen.Dieser Rechtsschutz ist schon von Verfassungs wegen auch Unbemittelten zu gewähren. Wir waren daher der Auffassung, dass die Möglichkeit der Beschwerde zum BFH keinerlei Einschränkung erfahren sollte. Aber wie man sieht, ist die Regierung auch hier der Auffassung, dass der Rechtsschutz der Bürger einzuschränken sei. Auch die Bemühungen der Regierungsparteien, die Ablehnung des weiteren Revisionszulassungsgrundes da- mit zu begründen, dass ja bereits die Finanzbehörden im Vorverfahren ihre eigene Entscheidung überprüfen, über- zeugen hier wenig. Auch wenn bereits bei den Finanz- behörden durch das Widerspruchsverfahren eine Über- prüfung stattfindet, so kann dies nicht den fehlenden Individualrechtsschutz im Revisionsrecht der Finanzge- richtsbarkeit ersetzen. Auch in Bezug auf die Verwal- tungs- oder Sozialgerichtsbarkeit gibt es verwaltungs- mäßige Vorverfahren und dennoch wird hier umfassender Rechtsschutz durch die Gerichte gewährt. Bürger, die sich gerade gegen einen Steuerbescheid des Finanzamts zur Wehr setzen wollen, darauf zu verweisen, dass ja die Fi- nanzverwaltung auf einen Einspruch hin das Ganze schon gründlich geprüft hätte, hieße im Rechtsstaat, ihnen Steine statt Brot zu geben. Ein Grundprinzip in unserem Staat ist noch immer die Gewaltenteilung, und die daraus resultierende Unabhängigkeit der Gerichte. Eine inner- behördliche Überprüfung durch ein Widerspruchsverfah- ren, so gut sie auch sei, kann somit niemals eine Ent- scheidung eines unabhängigen Gerichtes ersetzen. Wir können ja froh sein, dass die Bundesregierung nicht noch den Vorschlag des Bundesrates übernommen hat, wonach Präklusion eintreten sollte, der Bürger also im gerichtli- chen Verfahren nicht mehr Einwände vorbringen könnte, die er im Verwaltungsverfahren versäumt hat – vollends ein Schlag gegen die Gewaltenteilung! Dabei wäre gerade in der Finanzgerichtsbarkeit ein ef- fektiver Individualrechtsschutz von ganz besonderer Be- deutung. Denn insbesondere das Steuerrecht belastet die Bürger. Und gerade diese Bundesregierung und diese Re- gierungskoalition belasten mit immer neuen Steuererhö- hungen. Ich denke hier nur an die so genannte Ökosteuer. Gerade diese Bundesregierung will mit Steuern steuern Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000 12693 (C) (D) (A) (B) – siehe wiederum Ökosteuern –, und gerade diese Bun- desregierung verkompliziert das ohnehin beispiellos kom- plizierte und intransparente Steuerrecht auch noch immer weiter. Ich nenne hier nicht nur wieder die Ökosteuer, son- dern die gesamte Steuergesetzgebung dieser Legislaturpe- riode. Und jetzt soll den wirklich geplagten Steuerbürgern auch noch der Rechtsschutz im Hinblick auf den Bundes- finanzhof beschnitten werden! Das machen wir nicht mit. Das gegenwärtige Steuerrecht mit seinem offenbar un- stillbaren Drang, mit Mitteln der Besteuerung angeblich zugleich steuerliche und soziale Gerechtigkeit im Einzel- fall zu schaffen, führt unweigerlich zu einem ,,Arbeitsbe- schaffungsprogramm“ für die Finanzgerichte. Nur eine umfassende Vereinfachung des Steuerrechts würde zu- gleich die Prozessflut bei den Finanzgerichten dämmen können. Eine solche Vereinfachung vermissen wir bisher aber auch in Ansätzen schmerzlich. So wird die Flut der Verfahren bei der Finanzgerichtsbarkeit nicht abnehmen, solange nicht die Flut der steuerrechtlichen Normen ver- ringert und ihre Qualität verbessert wird. Der nun einge- schlagene Weg, einfach die Rechtsschutzmöglichkeiten des Bürgers zu beschneiden, damit die Finanzgerichte in der Lage bleiben, den Verfassungsauftrag des Art. 19 Abs. 4 GG einigermaßen zu erfüllen, ist sicher nicht hin- nehmbar. Die CDU/CSU-Fraktion hält weiterhin das Anliegen einer umfassenden Novellierung des Revisionsrechts und damit verbunden einer Verbesserung des Rechtsschutzes für grundsätzlich erstrebenswert. Es muss aber bei einer solchen Novellierung zu einem gerechten Ausgleich zwi- schen der Entlastung der Gerichte und dem Individual- rechtsschutz kommen. Dass ein solcher Ausgleich sehr viel besser angegangen werden könnte, wurde von uns deutlich aufgezeigt. Der vorliegende Gesetzesentwurf möchte für eine Ent- lastung der Gerichte auf Kosten des Individualrechts- schutzes sorgen. Dies ist nicht hinnehmbar. Aus den ge- nannten Gründen können wir nicht für diesen Gesetzesentwurf stimmen. Helmut Wilhelm (Amberg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Bekanntlich läuft das Gesetz zur Entlastung des Bundesfinanzhofes aus. Die Neuregelung übernimmt be- währte Regelungen dieses Gesetzes in die Finanzgerichts- ordnung und so in das Dauerrecht, fügt Neuregelungen zur Vereinheitlichung der einzelnen gerichtlichen Verfahrens- ordnungen ein und regelt insbesondere das Revisionsver- fahren völlig neu. Das ist allemal besser als eine bloße Ver- längerung des Entlastungsgesetzes. Ein ersatzloser Wegfall des Entlastungsgesetzes kam nicht in Betracht, weil dann beim Bundesfinanzhof Revisionen schon ab ei- nem Streitwert von 1 000 DM zulässig geworden wären, was dieses Gericht binnen kürzester Zeit lahmgelegt hätte. Ich begrüße an dieser Stelle nochmals ausdrücklich, dass die Neuregelung sich nicht in einer reinen Erhöhung des Revisionsstreitwerts erschöpft. Gerechtigkeit sollte nicht vom Streitwert abhängig sein. In den Berichterstat- terrunden hat sich gezeigt, dass hierbei über die Frakti- onsgrenzen hinweg Einigkeit besteht. In der Finanzge- richtsordnung findet nunmehr, wie auch bei der Regelung des Revisionsverfahrens der ZPO-Novelle, die Revision dann statt, wenn das Finanzgericht oder auf Beschwerde der Bundesfinanzhof sie zugelassen hat. Die Zulassung erfolgt nur bei Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeu- tung, Fortbildung des Rechts oder Sicherung einer ein- heitlichen Rechtsprechung oder bei Vorliegen eines Ver- fahrensmangels, auf dem die Entscheidung beruhen kann. Damit wird Abschied genommen von der Streitwertab- hängigkeit der Revision. Denn auch ein Rechtsstreit mit geringerem Wert kann erhebliche Bedeutung haben, zum Beispiel gerade im Bereich der Lohnsteuer. In die Revision sind damit alle Tatbestände einbezogen, in denen über den Einzelfall hinaus ein allgemeines Inte- resse an einer Korrigierung der Entscheidung des Bundes- finanzhofs besteht. Zugegeben: In meiner Rede vom 29. September habe ich angemerkt, dass für mein Dafür- halten daran zu denken wäre, ob nicht im Interesse einer Einzelfallgerechtigkeit und angesichts des Fehlens eines Berufsverfahrens als vierter Revisionsgrund auch „offen- sichtliche Fehler“ eine Revision begründen sollten. Im Berichterstattergespräch wurde ausgiebig auch über diesen Punkt debattiert, nicht zuletzt deshalb, weil der ge- schätzte Herr Kollege Funke ein Verfechter dieser Position ist. Auch ich sehe diese Notwendigkeit. Trotzdem aber habe ich mich nach reiflicher Überlegung davon überzeu- gen lassen, dass auf den neuen Revisionszulassungsgrund „wenn die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung ei- ner einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BFH erfordert“ – aus Gründen der Einzelfallgerechtigkeit durch den BFH auch dann Rückgriff genommen werden kann, wenn dies die Einzelfallgerechtigkeit gebietet. Diese Auffassung wird durch den Präsidenten des BGH gestützt. Er vertritt öffentlich die Rechtsmeinung, kein Obergericht dürfte gezwungen werden, sehenden Auges ein Fehlurteil gutzuheißen; ein Revisionsgericht müsse die Möglichkeit haben, sich bei offensichtlichen Fehlern einer Sache anzunehmen, auch wenn es um den Einzelfall gehe. Und weil davon auszugehen sei, dass BGH und BFH den Revisionsgrund nicht in unterschied- licher Weise auslegen werden, könne er dem Gesetzent- wurf so zustimmen. Es ist auch sinnvoll, im Gegensatz zur geltenden Fas- sung der Finanzgerichtsordnung auch im finanzgerichtli- chen Revisionsverfahren den Vertretungszwang durch An- wälte, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer einzuführen, so wie es in allen anderen Verfahrensordnungen seit alters her der Fall ist. Denn üblicherweise werden die Kläger an- gesichts der Komplexheit des Steuer- und Abgabenrechts nicht in der Lage sein, die Aussichten einer Revision rich- tig einzuschätzen und das Revisionsverfahren sachgerecht selbst zu führen. Da sich diese Regelung im Entlastungs- gesetz bewährt hat, sollen auch zukünftig Berufsgesell- schaften mit Befugnis zur Hilfe in Steuersachen vertre- tungsbefugt sein. Weil bei der Regelung des § 91 a, wonach Verfahrensbeteiligte nur am Bildschirm anwesend sein können, nun die Anregungen des Bundesdatenschutz- beauftragten voll in den Entwurf eingearbeitet wurden, habe ich auch hier keine Bedenken mehr. Meine Fraktion stimmt dem Gesetz zu. Rainer Funke (F.D.P.): Seit über zwei Jahren weiß die Bundesjustizministerin, dass am 31. Dezember 2000 die Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 200012694 (C) (D) (A) (B) Novelle zur Finanzgerichtsordnung im Bundesgesetzblatt stehen muss, weil Ende des Jahres das Gesetz zur Ent- lastung des Bundesfinanzhofs ausläuft. Demnach hat sie es unterlassen, rechtzeitig das Zweite Gesetz zur Ände- rung der Finanzgerichtsordnung vorzulegen. Es ist ja nicht nur ein einmaliges Versehen, sondern leider Stil und Arbeitsweise des Bundesjustizministeriums geworden, dass Gesetze in letzter Minute vorgelegt werden und dann durch den Bundestag und durch die Ausschüsse durchge- peitscht werden. Ich fürchte, hinter dieser Arbeitsweise steckt auch eine Methode, nämlich dass eine ord- nungsgemäße Beratung in den Ausschüssen und mit den Berichterstattern gar nicht erst ermöglicht werden soll. Dabei hätte sich eine breite Diskussion – auch wissenschaftlicher Art – bei der Novellierung der Finanz- gerichtsordnung angeboten. Denn bekanntlich gibt es in der Finanzgerichtsbarkeit nur zwei Instanzen, das Finanz- gericht und den Bundesfinanzhof. Wir begrüßen, dass durch die vorliegende Novelle, wenn auch in vorsichtiger Weise, die Revisionsmöglichkeiten etwas verbessert wer- den. Ob jedoch der individuelle Rechtsschutz des betrof- fenen Bürgers vor einem unrichtigen erstinstanzlichen Urteil verbessert worden ist, muss bezweifelt werden. Entgegen weit verbreiteter Auffassung in der Praxis, im Arbeitskreis und in der Wissenschaft ist der vierte Revisi- onsgrund, dass nämlich gegen offensichtlich unrichtige erstinstanzliche Urteile die Revision betrieben werden kann, nicht mit aufgenommen worden. Wir bedauern dies sehr. Eine vertiefte Diskussion hätte sich auch hinsichtlich der Frage der Präklusion von Beweismitteln angeboten. Dasselbe gilt für Fragen der Beweiserhebung, die durch- aus modern ausgestaltet sind, was ich einräume. Zeit für eine vertiefende Diskussion ist wegen des langen Zögerns und der großen Hast der Ministerin nicht geblieben. So kann man auf Dauer keine guten Gesetze machen. Das Parlament sollte sich solche Verfahrensweisen nicht ge- fallen lassen. Nicht umsonst war in den vergangenen Jahren die Finanzgerichtsordnung politisch höchst umstritten und das Gesetz zur Entlastung des Bundesfinanzhofs mehr- fach verlängert worden. Denn schließlich wollten Praxis und große Teile des Bundestages darüber diskutieren, ob analog der früheren Steuerausschüsse und der Wider- spruchsausschüsse in Verwaltungsgerichtsverfahren eine zusätzliche Filterwirkung vor Klageerhebung vor dem Fi- nanzgericht erzielt werden könnte. Eine solche Diskus- sion hat die Ministerin mit ihrer Vorgehensweise prak- tisch unmöglich gemacht. Wir werden diesen Gedanken jedoch nicht aufgeben und fordern unsere fachkundigen Mitkollegen auf, mit uns hierüber weiter nachzudenken. Dr. Evelyn Kenzler (PDS): Es gibt auf den ersten Blick eine Reihe guter Gründe, dem Gesetz zur Änderung der Finanzgerichtsordnung zuzustimmen. Das betrifft zum Beispiel die Vorschläge zur Verfahrenseffektivierung oder den Abschied von der Streitwertrevision. Am Ende ist es aber ein Grund, nämlich ein fehlender Zulassungs- grund, der für mich Grund genug ist, dem Gesetz nicht zu- stimmen zu können. Wenn nach der ersten Lesung noch Zweifel bestanden: Das Berichterstattergespräch mit den Sachverständigen – allen voran mit der Präsidentin des Bundesfinanzhofes und einem Vorsitzenden Richter dieses Gerichts – ergab schließlich breites Einverständnis mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung der Finanzgerichts- ordnung, allerdings mit einer entscheidenden Ausnahme, und zwar den Regelungen zur Revisionszulassung. Hier trennte Regierungs- und Oppositionsparteien vor allem die Frage nach der Auf- bzw. die Nichtaufnahme eines vierten Revisionsgrundes in den § 115 Abs. 2 FGO. Ge- rade von dem anwesenden Richter des Bundesfinanz- hofes wurde nicht nur die vorgesehene Neuregelung der Revisionszulassung begrüßt, sondern auch die Aufnahme eines weiteren Revisionszulassungsgrundes für den Fall befürwortet, dass „überwiegende Zweifel an der Richtig- keit des angefochtenen Urteils bestehen“. Dadurch würde der Rechtsschutz für die Steuerbürger erweitert und dem höchsten Finanzgericht die Möglichkeit gegeben, besser als bislang Einfluss auf eine einheitliche Rechtsprechung zu nehmen und rechtsfortbildend zu wirken, ohne dass je- doch die Einzelfallgerechtigkeit auf der Strecke bleibt. Auch die Präsidentin gestand eine bereits jetzt bestehende Praxis ein, die bei „überwiegenden Zweifeln“ an der Richtigkeit einer Entscheidung die Revision zulässt. Da auch die Regierungskoalition in dieser Frage nochmals ernsthafte Prüfung zusagte, ging man mit dem Gefühl aus- einander, dass die SPD es noch richten werde. Aber das war ein Irrtum und zeigt wieder einmal, dass man sich in der Politik nicht von Gefühlen leiten lassen darf. Gewiss gibt es ernsthafte Argumente für das Für und Wider eines vierten Revisionsgrundes. Dass unsinnige Verfahren vermieden werden müssen, darüber besteht Konsens. Doch wenn ein Richter des betroffenen Gerichts meint, die Richter des BFH könnten mit dem Problem umgehen, es beherrschen, dann verstehe ich diese Rechts- schutzbeschneidung wirklich nicht mehr. Der Grund dafür lässt sich dann nur noch mit Blick auf die weiter an- stehenden Verfahrensreformen unter dem Motto „Wehret den Anfängen“ erahnen. Das ist schlecht. Der Schutz eines Gerichts vor Überbelastung darf grundsätzlich nicht zulasten des Schutzes des einzelnen Bürgers, sprich der Gewährung von Individualgerechtig- keit gehen. Im Zweifel muss deshalb jeder Beschneidung des Rechtsschutzes der Bürger entgegengewirkt werden. Dies gilt gerade im Finanzgerichtsverfahren, in dem wir nur zwei Instanzen haben, und in einem Bereich, nämlich dem unübersichtlichen und komplizierten Steuerrecht, das bekanntlich nicht zu den einfachsten Rechtsmaterien zählt. Insbesondere hier ist doch ein erhöhter Rechts- schutz gefragt. Der Rechtsstaat darf nicht dicht machen. Im Übrigen bin ich auch gegen den Wegfall der Rege- lung, zugunsten eines Beteiligten für das Revisionsver- fahren Prozesskostenhilfe zu beantragen, wie es ursprüng- lich in § 120 Abs. 4 hieß. Ich bin keineswegs dafür, dass ungerechtfertigten Fristverlängerungen Tür und Tor ge- öffnet werden soll, aber bei qualifizierten Anträgen muss das im Interesse des Betroffenen möglich sein. Zum Schluss bleibt mir nur noch festzustellen: Was dem einen ein Grund zu wenig, ist dem anderen ein Grund zu viel. Bezogen auf den Rechtsschutz der Steuerbürger kann es meines Erachtens gerade in Anbetracht des über- aus komplizierten Steuersystems und seiner ohnehin be- schränkten Zweizügigkeit in unserem Lande keinen Grund zu viel für den Schutz der Bürger geben. Auch die Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000 12695 (C) (D) (A) (B) Schaffung der Möglichkeit des Einsatzes von Videokon- ferenzen – ein interessantes Novum in unserem Gerichts- wesen – verbessert am Ende nicht mein Gesamtbild von diesem Gesetz. Bleibt am Ende nur zu hoffen, dass die Richter am BFH in ihrer Zulassungspraxis großzügiger als der Gesetzgeber sind. Dr. Eckhart Pick, Parl. Staatsekretär bei der Bundes- ministerin der Justiz: Ich bedaure sehr, dass sich die Op- position bei den Ausschussberatungen nicht in der Lage gesehen hat, dem von der Bundesregierung vorgelegten Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung der Fi- nanzgerichtsordnung und anderer Gesetze zuzustimmen. Der Gesetzentwurf sieht im Verhältnis zu dem Entlas- tungsgesetz, das jetzt schon über 25 Jahre gilt und damit praktisch Dauerrecht ist, eine Vielzahl von Verbesserun- gen für den Rechtsschutz in Steuersachen vor, die von der Praxis auch einhellig begrüßt worden sind. Ich nenne hier an erster Stelle die Erweiterung des Zugangs zum Bun- desfinanzhof durch den neuen Revisionszulassungsgrund „Wenn die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung ei- ner einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs erfordert“. Damit können alle Urteile revisionsrechtlich überprüft werden, bei denen ein allge- meines Interesse an einer korrigierenden Entscheidung des Revisionsgerichts besteht. Das ist gerade auch dann der Fall, wenn der Bundesfinanzhof sieht, dass das Urteil des Finanzgerichts offenbar falsch ist. Damit haben wir – berechtigter – Kritik an den zu engen Revisionszulas- sungsgründen des alten Rechts Rechnung getragen. Die zu enge Auslegung der alten Zulassungsgründe hat ganz maßgebend dazu beigetragen, dass über 40 Prozent der bei dem Bundesfinanzhof eingehenden Verfahren un- zulässig sind, ein Zustand, der im Interesse einer umfas- senden Rechtschutzgewährung völlig unakzeptabel ist. Der Bundesfinanzhof hat sich mittlerweile schon fast von einem Revisions- zu einem Beschwerdegericht ent- wickelt, das aufgrund eng gefasster Zulassungsgründe und zusätzlich durch die enge Auslegung dieser Gründe den Großteil der Beschwerden abweist. Ich kann deshalb auch nicht nachvollziehen, dass die Opposition es lieber bei dem gegenwärtigen Zustand belassen möchte. Der Gesetzentwurf beseitigt – und damit komme ich zu weiteren Rechtsschutzverbesserungen, die von allen Experten befürwortet worden sind – das Nebeneinander von zulassungsbedürftiger und zulassungsfreier Revi- sion – ein verfahrensrechtlicher Spagat, der für manchen rechtssuchenden Steuerbürger und seinen Berater schon zur Rechtsmittelfalle geworden ist. Die viel zu kurze Frist für die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde – derzeit nur ein Monat – wird auf zwei Monate verlän- gert. Zusätzlich ist vorgesehen, dass sie um einen weite- ren Monat verlängert werden kann: insgesamt also bis zu drei Monate Begründung; das sollte ausreichen, um eine fundierte Begründung abzuliefern. Die erfolgreiche Nichtzulassungsbeschwerde soll künftig als Revisions- verfahren fortgesetzt werden. Die derzeit immer noch not- wendige zusätzliche Revisionseinlegung ist eine reine Formsache und damit verzichtbar. Im Interesse der Rechtssuchenden werden die Begründungspflichten bei Entscheidungen über die Nichtzulassungsbeschwerde und bei Beschlussentscheidungen über Revisionen ganz wesentlich erweitert. Der unterlegene Verfahrensbetei- ligte hat, wie ich meine, Anspruch darauf zu wissen, warum er kein Erfolg gehabt hat. Diesem Anspruch wird Rechnung getragen. Besonders hinweisen möchte ich auf den Zuwachs an Modernität im finanzgerichtlichen Verfahren. Wir machen die moderne Kommunikationstechnik für das gerichtliche Verfahren nutzbar. Die Beteiligten sollen die Möglichkeit bekommen, per Videokonferenz an der mündlichen Ver- handlung teilzunehmen. Es soll auch die Möglichkeit an- geboten werden, Zeugen und Sachverständige per Video- konferenz zu vernehmen. Wir haben uns auch noch nach dem Gespräch der Be- richterstatter mit den Experten aus der Praxis die Frage ge- stellt, ob das Revisionsrecht um einen weiteren Revisions- zulassungsgrund, den Revisionszulassungsgrund „Wenn überwiegende Zweifel an der Richtigkeit des angefochte- nen Urteils bestehen“ ergänzt werden kann. Wir haben uns dagegen entschieden, und zwar aus folgenden Gründen: Erstens. Der neue Revisionszulassungsgrund „Wenn die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer ein- heitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bun- desfinanzhofs erfordert“ gibt dem BFH die Möglichkeit, aus Gründen der Einzelfallgerechtigkeit auf jedes Verfah- ren Zugriff zu nehmen, also auch offenbar falsche Ent- scheidungen aufzuheben. Zweitens. Auf der anderen Seite dürfen wir nicht zu- lassen, dass beim BFH der Geschäftsanfall so drastisch steigt wie vor etwa 10 bis 15 Jahren. Die zusätzliche Be- lastung, die der neue Revisionszulassungsgrund und die erweiterten Begründungspflichten nach sich ziehen wer- den, wird der Bundesfinanzhof verkraften können. Eine weitere Öffnung der Revision sollte sorgsam überlegt werden; die Bundesregierung hält sie derzeit im Interesse der Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes nicht für angebracht. Ich versichere Ihnen aber: Wir werden die Entwicklung genau beobachten. Wir werden auch genau beobachten, ob und wie der Bundesfinanzhof mit dem neuen Revisionszulassungsgrund zurechtkommt. Unab- hängig davon meine ich aber auch: Ohne Not sollte der Zugang zu den obersten Bundesgerichten nicht unter- schiedlich geregelt werden. Ich bin für einheitliche Rege- lungen für alle obersten Bundesgerichte. Ich bitte Sie, dem Gesetzentwurf zuzustimmen. Anlage 24 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung einer Dienstleistungsstatistik und zur Änderung statistischer Rechtsvorschriften (Tagesordnungspunkt 26) Detlev von Larcher (SPD):Wir befinden uns auf dem Weg in die Dienstleistungsgesellschaft. Zwei Drittel der Erwerbstätigen arbeiten im Dienstleistungssektor, fast 70Prozent der Bruttowertschöpfung entfällt inzwischen auf diesen Bereich. Dienstleistungen sind also längst zum wichtigsten Faktor in unserer Wirtschaft geworden. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 200012696 (C) (D) (A) (B) Zugleich stehen aber die statistischen Informationen über den Dienstleistungssektor in einem krassen Missver- hältnis zu seiner wirtschaftlichen Bedeutung. Während wir über hoch differenzierte Informationen über das ver- arbeitende Gewerbe verfügen, sind die vielfältigsten Dienstleistungen oft in sehr summarischen Darstellungen verborgen, in denen man häufig nicht das findet, was man sucht. Dort, wo detaillierte Informationen vorliegen, sind diese häufig nicht uneingeschränkt vergleichbar oder ver- knüpfbar. Die Bedeutung der Dienstleistungen in der amt- lichen Statistik von heute entspricht der tatsächlichen Be- deutung dieses Sektors vor Jahrzehnten. Das gilt ganz besonders für viele unternehmensorientierte Dienstleis- tungen, die sich erst in letzter Zeit – unter dem Stichwort Outsourcing – als eigenständige Wirtschaftseinheiten in großem Umfang entwickelt haben. Hier gibt es also erheblichen Nachholbedarf, den wir mit dem Dienstleistungsstatistikgesetz decken. Dabei geht es nicht um ein Arbeitsbeschaffungsprogramm für die statistischen Ämter. Für Politik und Wirtschaft sind zuverlässige und präzise Daten unverzichtbar. Für eine wirkungsvolle Wirtschafts- und Finanzpolitik sind ver- lässliche Daten von herausragender Bedeutung. Gerade auch um Fehlentwicklungen in einzelnen Wirtschafts- bereichen beobachten und nötigenfalls gegensteuern zu können, reichen globale Zahlen nicht aus. Nicht zuletzt deshalb gibt es ja auch eine Verordnung des Europäischen Rates zum System Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnun- gen, mit der uns eine Modernisierung unserer wirt- schaftsstatistischen Rechtsvorschriften auferlegt wird. Aber nicht nur Parlamente und Regierungen brauchen verlässliche Statistiken, auch viele Unternehmen sind für die unterschiedlichsten Planungs- und Entscheidungspro- zesse auf zuverlässige und auch tatsächlich vergleichbare Informationen angewiesen. Deshalb wäre letztlich nie- mandem damit gedient, wenn wir die Statistiken minima- listisch anpassten. Bei Erhebungen von Kammern oder Verbänden ist eben nicht sichergestellt, dass die erhobe- nen Daten auch tatsächlich repräsentativ sind. Außerdem stellt sich bei Statistiken nach dem Subsidiaritätsprinzip die Frage, ob Abgrenzungen nach denselben Regeln vor- genommen werden. Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, sollten doch genau so gut wie ich wissen, dass genau wie bei Versicherungsverträgen auch bei Sta- tistiken das Wichtigste immer im Kleingedruckten steht. Deshalb steht es für mich außer Frage, dass es die amtli- che Statistik, ein einheitliches, auf einer gesetzlichen Aus- kunftspflicht der befragten Unternehmen basierendes System zur Erhebung von Strukturdaten geben muss. Er- gänzende Informationen auf freiwilliger Basis sind immer willkommen, aber sie können Statistiken in diesem Sinne nicht ersetzen. Es ist ja auch nicht so, dass mit dem vorliegenden Ge- setz eine ungeheure Datenflut ausgelöst würde. Wir wol- len die Datenerhebung auf jährlich 15 Prozent der Unter- nehmen beschränken. Für kleinere Unternehmen mit jährlichen Umsätzen unter 250 000 Euro – und das trifft für sehr viele Dienstleistungsunternehmen zu – wird die Erhebung wesentlich erleichtert. Zudem ermöglicht die Dienstleistungsstatistik es uns, zukünftig auf die Erhe- bung von Daten im Rahmen der Kostenstrukturstatistik zu verzichten. Dem zusätzlichen Aufwand für die Dienstleis- tungsstatistik stehen also sowohl in den Unternehmen als auch bei den statistischen Ämtern erhebliche Erleichte- rungen gegenüber. Alles in allem schaffen wir mit diesem Gesetz die Grundlage für eine verlässliche und konsistente Dienst- leistungsstatistik und bewahren dabei Augenmaß. Ich bitte Sie deshalb, diesem Gesetz zuzustimmen. Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk (SPD): Statistik ist keine Erbsenzählerei, sondern, wie die britische Regierung zu Recht in einem Grünbuch schrieb, „a matter of trust“ – eine Frage des Vertrauens. Dass wenigstens Wissenschaft und globale Unterneh- men weltweit die strategische Bedeutung der Erhebung und Analyse von Daten begriffen haben, macht die Ent- scheidung des Nobelpreiskomitees im Bereich Wirt- schaftswissenschaft in diesem Jahr für die Mikroökono- metriker McFadden und Heckman deutlich. Denn nur durch eine zuverlässige Datengrundlage kann der wirt- schaftliche und gesellschaftliche Wandel erfasst und von Ökonomen und Gesellschaftswissenschaftlern analysiert werden. Die daraus resultierenden Handlungsempfeh- lungen stellen die Entscheidungsbasis von Millionen Un- ternehmen, Privatpersonen und natürlich für die Politik dar. Ohne zuverlässige Informationen keine rationale Ent- scheidung – das wissen Investmentgesellschaften und Banken, multinationale Ölkonzerne und Produzenten von Konsumgütern. Nur die Politik in Deutschland hat das fast zwei Jahrzehnte anders gesehen und die deutsche Statis- tik ist weit hinter den Standard der USA und leider auch auf vielen Feldern deutlich hinter den unserer EU-Part- nerländer zurückgefallen. Es ist nachgerade peinlich, wenn die Bundesbank und die Europäische Zentralbank von der Politik mit deutli- chen Mahnungen eine Verbesserung der Datenbasis ein- klagen müssen und die europäischen Finanzminister – der Ecofin-Rat – am 29. September einen Aktionsplan be- schließen mussten mit detaillierten Angaben, welche Staaten in welchen Bereichen ihre Statistiken verbessern und anpassen müssen. Vierteljährlich wird es Berichte ge- ben, welche Staaten ihre Hausaufgaben gemacht haben und welche nicht. Ich hoffe, dass wir schnell aus der Pein- lichkeit herauskommen, in weiten Bereichen unter den Klassenletzten zu sein, und vielleicht auch einmal wieder unter den Klassenbesten sind. Das ist nicht nur wichtig, weil nur – wie Edelgard Bulmahn, unsere Bundesforschungsministerin richtig sagt – „eine genauere und innovative Erfassung und Ana- lyse des rapiden gesellschaftlichen Wandels durch ein en- ges Zusammenwirken von unabhängiger Wissenschaft und unabhängiger Statistik die Politik zielgenauer ma- chen. Nur so können die komplexen Wechselwirkungen zwischen Bevölkerungsentwicklung, Strukturänderungen der Wirtschaft, Ausbildungssystem, Beschäftigung und sozialer Sicherung richtig verstanden und aufbereitet wer- den, um darauf erfolgreiche Politik aufzubauen. Die Ver- fügbarkeit solcher zuverlässigen Datengrundlagen wird damit letztlich auch die Erfolgsmaßstäbe für Politik ver- ändern“. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000 12697 (C) (D) (A) (B) Das ist richtig und deswegen ist es absurd, wenn viele bei der Diskussion der Kosten der Statistik nicht gleich- zeitig sehen, dass wir Jahr für Jahr politisch über Haushalte, öffentliche Programme und Investitionen im Werte von Hunderten von Milliarden entscheiden bzw. diese wesent- lich beeinflussen, die Qualität der Daten, aufgrund derer wir entscheiden, zum Teil aber miserabel bzw. die Statistik so lückenhaft ist, dass man gelegentlich genauso gut die Dame mit der Kristallkugel konsultieren könnte. Bei den Informations- und Kommunikationstechnolo- gien ist mittlerweile der Spruch „Garbage in – Garbage out“ – also „gibt man Mist rein, kommt auch Mist raus“ – ein geflügeltes Wort. Bei der amtlichen Statistik werden wir in Zukunft nicht darum herumkommen, eine Be- standsaufnahme zu machen bzw. die vorhandenen Be- standsaufnahmen unter anderem der „Kommission zur Verbesserung der statistischen Infrastruktur“ zur Kenntnis zu nehmen. Dann werden wir auch feststellen müssen, dass wir um die Forderung der Europäischen Zentralbank, mehr Geld in die Datenproduktion zu stecken, nicht he- rumkommen. Verglichen mit dem, was auf dem Spiel steht, kostet es nicht viel: Eine fehlerhafte Prognose der Wirtschaftsent- wicklung ist für die Märkte viel teurer, eine öffentliche Fehlentscheidung, die Milliardeninvestitionen aller Transfers in den Sand zu setzen, ebenso. Und schließlich erleben wir derzeit, dass die Finanzmärkte die wirtschaft- liche Entwicklung des Euro-Raumes deutlich schwächer beurteilen als die der US-Wirtschaft. Ein nicht geringer Teil ist dem Unterschied zwischen den nach europäischen Standards systematisch „geschönten“ US-Statistiken ge- schuldet. Aber wenn aus dem Euro-Raum keine verlässli- chen Vergleichsdaten vorliegen, sollten wir uns nicht be- klagen, sondern besser mehr Geld in die Hand nehmen. Information ist schließlich keine Holschuld, sondern eine Bringschuld. Deswegen ist das heute von uns zu verabschiedende Dienstleistungsstatistikgesetz ein erster Schritt in die richtige Richtung – auch wenn es nicht die Voraussetzun- gen erfüllt, die für eine umfassende Analyse von Stand und Entwicklung des beschäftigungsträchtigen Sektors notwendig sind. Angesichts der Bedeutung des Dienstleistungssektors –1998 waren in Deutschland rund 66 Prozent aller Er- werbstätigen, nämlich 23,8 Millionen Menschen, dort tätig – war die Vernachlässigung und unvollständige Ab- bildung dieses Sektors unverständlich, erst recht, dass wir so spät dran sind mit der Umsetzung von EU-Ratsverord- nungen zum Europäischen System volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen und zur Unternehmensstrukturstatis- tik von 1996. Aber, wie gesagt, der erste Schritt ist getan; weitere müssen folgen. Mit diesem Gesetz ist auch zwei Anliegen Rechnung getragen, die uns im Parlament wichtig waren: erstens der stärkeren Beachtung der Bedeutung immaterieller Güter wie zum Beispiel Software und Lizenzen und zweitens der Analyse der Konzentration der Wirtschaft. Dem ersten Anliegen ist nun wenigstens mit der Erhe- bung der immateriellen Güter nach Arten Rechnung ge- tragen und wir wissen künftig besser über die Entwick- lung bei Software, Lizenzen und sonstigen Formen geis- tigen Eigentums Bescheid. Aber es ist nur ein Schrittchen im Vergleich zu den USA, wo auf Initiative des Vizeprä- sidenten Al Gore ein 1 Milliarde US-Dollar teures Projekt in Gang kam, um bessere Informationen über Internet-Zu- gang und -Nutzung Öffentlichkeit und Wirtschaft zur Ver- fügung zu stellen. Wer in Deutschland beklagt, dass wir auf vielen Feldern der so genannten New Economy hin- terherhinken, sollte nicht übersehen, dass Investitions- entscheidungen bei uns nicht nur deswegen riskanter bzw. weniger erfolgen, weil erstens die Märkte kleiner bzw. segmentierter sind, sondern auch deswegen, weil die In- formationen weit hinter den Erfordernissen bzw. anderen Ländern – USA, Skandinavien – herhinken. Das zweite Anliegen, politisch weit gewichtiger, ist die mit dem Dienstleistungsgesetz verbundene Novellierung des § 47 GWB; denn es handelt sich nicht um eine bloße formale Änderung statistikrechtlicher Vorschriften, son- dern um die Voraussetzung für die unabhängige Arbeit der Monopolkommission und dafür, der Wirtschafts-, Wettbe- werbs- und Mittelstandspolitik aussagekräftige, empi- rische Entscheidungsgrundlagen zur Verfügung zu stellen. Die neue, jetzt im Wege des Kompromisses gefundene Regelung ermöglicht eine realistischere Einschätzung des Verflechtungs- und Konzentrationsgrades der Unterneh- men, der Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs und erlaubt auch Rückschlüsse einerseits auf die Wettbewerbsfähig- keit der Wirtschaft auf den deutschen und internationalen Märkten, andererseits auf die Stellung mittelständischer Unternehmen. Der bisherige, völlig unbefriedigende Zustand, dass uns die amtliche Statistik den Konzentrati- onsgrad der zehn größten Anbieter beim Lebensmittel- handel mit 25 Prozent angab, während er in Wirklichkeit über 80Prozent betrug, dürfte jetzt der Vergangenheit an- gehören. Die Ausschüsse für Wirtschaft und Technologie und für Finanzen haben jedenfalls gemeinsam diesen Bereich ein- stimmig für so wichtig erachtet, dass wir uns nach einem Jahr berichten lassen, ob die von der Monopolkommis- sion zu Recht beklagten Probleme nun faktisch beseitigt sind, oder ob weitere Schritte der Politik nötig werden. Das Fazit der sozialdemokratischen Bundestagsfrak- tion ist deswegen: Wir alle im Deutschen Bundestag ha- ben der Statistik zu wenig Augenmerk geschenkt. Eine richtig angelegte amtliche Statistik ist keine Erbsenzähle- rei und Spielerei für Zahlenjongleure, sondern unabweis- bare Voraussetzung für jede rationale Entscheidung in Po- litik, Wirtschaft und Gesellschaft. Eine verlässliche Statistik ist nicht zum Nulltarif zu haben. Fehlentschei- dungen können milliardenschwere Kosten verursachen. Der EU-Aktionsplan, der im Ecofin-Rat beschlossen wurde, muss schnell umgesetzt werden. Unsere Statistik hat viele weiße Flecken. Warum haben wir beispielsweise weder eine Gründerstatistik noch eine Vermögensstatis- tik? Interessierte uns wirklich beides nicht? Eine Grund- satzdiskussion über die strategische Neuorientierung un- serer amtlichen Statistik ist deswegen notwendig und die Schlussfolgerungen und Umsetzung dürfen wir nicht in die nächste Legislaturperiode verschieben. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 200012698 (C) (D) (A) (B) Karl-Heinz Scherhag (CDU/CSU): Mit dem Gesetz zur Einführung einer Dienstleistungsstatistik schließen wir eine Lücke in der statistischen Erfassung der bundes- deutschen Wirtschaft. Entgegen der stark zunehmenden wirtschaftlichen Be- deutung des Dienstleistungssektors bildet die Bundessta- tistik diesen Bereich bisher nur sehr unvollständig ab. Dies zeigte sich schon bei einem kurzem Blick in das statisti- sche Jahrbuch. Während sich unter dem Stichwort Dienst- leistung nur Eintragungen auf fünf Seiten dieses über 700-seitigen Werkes finden, ist zum Beispiel der Bereich Landwirtschaft mit weit über 20 Seiten bis hinein in Ein- zelheiten der Düngemittelversorgung exzellent abgebildet. Hier besteht ein Ungleichgewicht, das im Interesse einer übersichtlichen Wirtschaftsstatistik nicht hingenommen werden kann. Die CDU/CSU-Fraktion unterstützt deshalb das Vorhaben, eine Dienstleistungsstatistik einzuführen, die von allen wirtschaftspolitischen Handlungsträgern ver- wendet werden kann. Gleichzeitig ist aber auch festzustellen, dass die Belas- tung besonders kleinerer Unternehmen mit staatlich auf- erlegter Bürokratie und mit Statistikpflichten schon jetzt das erträgliche Maß überschritten hat. Wir sollten deshalb die Dienstleistungsbranche, wo gerade viele kleine Start-up-Unternehmen tätig sind, nicht mit unzumutbaren weiteren Lasten quälen. Deshalb freue ich mich, dass die Koalitionsfraktionen entgegen dem Entwurf der Bundes- regierung zu der Erkenntnis gelangt sind, dass eine Redu- zierung der Zahl der Auskunftspflichtigen mit einer aus- sagefähigen Statistik vereinbar ist. So ist wenigstens eine kleine Last von den Betrieben des Dienstleistungssektors genommen. Dies reicht aber nicht aus. Die CDU/CSU-Fraktion hat deshalb sowohl in den Ausschussberatungen als auch jetzt im Plenum Änderungsanträge vorgelegt, mit denen wir erreichen wollen, dass Doppelzählungen vermieden wer- den und dass kleinere Unternehmen, weitergehend als von der Bundesregierung und den Koalitionsfraktionen vor- gesehen, von differenzierten statistischen Übermittlungs- pflichten entlastet werden. Ich will auf die Einzelheiten unser Anträge nicht näher eingehen, schließlich sind sie in den Ausschussberatun- gen eingehend beraten worden. Ich will nur soviel sagen: Wenn es nicht gelingt, im Dienstleistungssektor eine Ak- zeptanz für die neue Statistik zu erreichen, werden Sie schlechtere Ergebnisse bekommen als wir uns alle erhof- fen. Deshalb meine Bitte an Sie: Geben Sie sich einen Ruck und stimmen Sie unseren Anträgen zu. Das Ergeb- nis wird keine aufgeweichte, sondern eine aussagekräfti- gere Statistik sein, weil sie nur so auf Akzeptanz bei den beteiligten Wirtschaftskreisen stößt. Margareta Wolf (Frankfurt) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Die Belastung der Wirtschaft mit komplizier- ten bürokratischen Verfahren der öffentlichen Verwaltun- gen ist zu hoch. Die gesetzlichen Anforderungen an die Unternehmen zur Abgabe statistischer Daten sind we- sentlicher Teil dieser hohen Bürokratielasten. Besonders Selbstständige, kleine und mittlere Unternehmen leiden darunter. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen führt einen engen Dialog mit den mittelständischen Unternehmen über Möglichkeiten des Bürokratieabbaus. Wir haben eine Reihe von Vorschlägen gemacht. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie hat eine Projektgruppe eingerichtet, die Vorschläge zur Reduzierung der büro- kratischen Lasten erarbeitet und umsetzt. Einiges wurde bereits erreicht. Die Krankenkassen haben ihre Leistungsformulare vereinheitlicht. In einem Modellprojekt wird der Einsatz neuer Technologien zwischen Arbeitgeber und Kranken- kassen erprobt. Seit Sommer 2000 können Unternehmen das Internet im Rahmen der Auskunftspflichten gegen- über dem Statistischen Bundesamt einsetzen. Melde- pflichten werden überprüft und abgebaut. Im Rahmen des Multimediapilotprojektes „MEDIA@Komm“ wird die Nutzung neuer Kommunikationsmittel in den Kommunen vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie gefördert. Durch das „digitale Rathaus“ und „digitale Marktplätze“ werden alle Transaktionsprozesse, zum Bei- spiel Meldewesen, Bauanträge, öffentliche Ausschrei- bung, Wirtschaftsförderung, beschleunigt. Die Bundesre- gierung wird so schnell wie möglich die gesamte Kommunikation nach außen digital abbilden. Dazu wurde die Initiative „e-Government 2005“ gestartet. Die unternehmensnahen Dienstleistungen gehören zu den am schnellsten wachsenden Bereichen der Wirtschaft. Die Forderungen der Forschungsinstitute und der Wirt- schaft, die Dienstleistungen angemessen zu erfassen, wurden immer lauter. Zur Ermittlung exakter Daten in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung sehen auch wir die Notwendigkeit, hier verlässliche Daten zu gewinnen. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf setzen wir die Verpflichtungen der Richtlinien der EU aus dem Jahr 1996 um. Wir haben darauf geachtet, die Belastungen der Unternehmen so niedrig wie nur möglich zu halten. Vor- gesehen ist die Erhebung von Strukturdaten bei Unter- nehmen und Einrichtungen zur Ausübung einer freiberuf- lichen Tätigkeit, die überwiegend unternehmensnahe Dienstleistungen anbieten. Die Unternehmen nehmen ro- tierend an der jährlich stattfindenden Erhebung teil. Jähr- lich werden nur 15 Prozent der Unternehmen betroffen sein. Die Unternehmen dürften damit nur alle 6 bis 7 Jahre an statistischen Erhebungen teilnehmen. Der Gesetzentwurf enthält eine Mittelstandskompo- nente: Kleine und mittlere Unternehmen mit einem Jahres- umsatz kleiner als 250000 Euro werden mit einem verkürzten Katalog befragt. Zur Vermeidung von Doppel- erhebungen werden bestehende Statistiklasten im Be- reich der Verkehrsstatistik, Kostenstrukturstatistiken und Handwerkszählung reduziert. Die Wirtschaft hat sich positiv zu dem vorliegenden Gesetzentwurf geäußert und den Nutzen einer Vervoll- ständigung der Daten höher eingeschätzt als die bei den betroffenen Unternehmen entstehenden Kosten. Wir ha- ben, wie ich glaube, mit diesem Entwurf einen vernünfti- gen Interessenausgleich hinbekommen. Gudrun Kopp (F.D.P.): Mit dem vorliegenden Entwurf eines Dienstleistungsstatistikgesetzes muss im Rahmen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000 12699 (C) (D) (A) (B) von EU-Verordnungen auch die Bundesrepublik Deutsch- land künftig jährliche Strukturdaten für eine Dienst- leistungsstatistik erheben. Auskunftspflichtig sind dem- nach Firmen und Einrichtungen, die überwiegend unternehmensorientierte Dienstleistungen gegen Entgelt anbieten, wie in den Sparten Verkehr, Nachrichtenüber- mittlung, Grundstücks- und Wohnungswesen, Forschung und Entwicklung, um nur einige zu nennen. Soweit die Sachlage. Es ist völlig unlogisch, warum die Zuständigkeit für eine solche Wirtschaftsstatistik durch Änderungen beste- hender Rechtsvorschriften endgültig auf das Bundesminis- terium für Finanzen übertragen werden soll. An diesem Beispiel wird symbolisch und tatsächlich deutlich, welche Schlüsselrolle das Bundesfinanzministerium gegenüber dem Bundeswirtschaftsministerium in der Machtzuord- nung des Kanzlers hat. Der Bundeswirtschaftsminister hätte diesen originär wirtschaftsbezogenen Bereich in sei- nem Ministerium behalten müssen. Er aber schwieg und akzeptierte, was ihm vorgesetzt wurde, wie im Übrigen auch beim Verkauf der Deutschen Ausgleichsbank, DtA, an die Kreditanstalt für Wiederaufbau, KfW. Auch dabei führte der Bundesfinanzminister das Zepter. Zurück zum Dienstleistungsstatistikgesetz: Kosten entstehen dem Bund, den Ländern und auch der auskunftspflichtigen Wirtschaft. Während sich die Kosten des Bundes durch Einsparungen aufgrund von Arbeitser- leichterungen aufheben, entstehen den Ländern netto noch circa 4,3 Millionen DM Kosten, und zwar jährlich. Aber auch die Kosten für die Wirtschaft sind nicht uner- heblich. Sie werden mit circa 6,5 Millionen bis 13,5 Mil- lionen DM jährlich angegeben. Wer ein Unternehmen von innen kennt, weiß wie zeitraubend schon heute büro- kratische Lasten gerade für die mittelständischen Firmen sind, die keine eigenen Bearbeitungsabteilungen für die- sen Ballast finanzieren können. Die F.D.P. lehnt diesen Regierungsentwurf ab, mit dem Hinweis darauf, dass endlich Energien darauf verwendet werden müssen, wie EU-weit und national Bürokratielas- ten drastisch vermindert werden können. Ich vermisse zu- dem die Prüfung, ob die geforderten statistischen Daten nicht von den Kammern erhoben und weitergegeben wer- den können, zur Entlastung der besonders gebeutelten kleinen und mittelgroßen Firmen. Anlage 25 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Sechzehnten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes (Zusatzordnungspunkt 5) Erwin Marschewski (Recklinghausen (CDU(/CSU): „Das Einvernehmen in Wahlrechtsfragen hat in diesem Hause eigentlich eine gute Tradition“ so der Kollege Körper am 13. Februar 1998 hier in diesem Hohen Hause. Wenn der Kollege Körper jedoch „eigentlich“ sagt, lässt er sich ein Hintertürchen offen. Das Hintertürchen der SPD heißt: Wenn die SPD die Mehrheit hat, dann küm- mert sie sich erstens nicht mehr um ihre Konsensverspre- chen von gestern und hat zweitens auch keine Bedenken mehr gegen willkürliche Wahlkreiszuschnitte. Fangen wir mit dem schroffen Verhalten der Mehrheit gegenüber der Opposition an. Sie werden diesen Vorwurf sicher zurückweisen, weil wir, Herr Kollege Wiefelspütz, schon im Februar zusammengesessen haben. Aber schauen wir genau hin. Damals haben Sie mir fol- gende Zusage gemacht: Es werden nur jene Veränderun- gen vorgenommen, die wegen der Bevölkerungszahl un- abwendbar sind. Und es werden einige wenige Veränderungen vorgenommen, für die Sie politische, nicht aber wahlrechtliche Gründe genannt haben. Mit großer Aufmerksamkeit haben wir daher Ihren „Diskussionsentwurf“ gelesen, den Sie uns Mitte Oktober übermittelt haben. Wir sollten und wollten diesen Vor- schlag prüfen, damit vor Ihrem Fraktionsbeschluss die Möglichkeit besteht, unzumutbare Vorschläge im Kon- sens auszuräumen. Also haben wir Ihren „Diskussions- entwurf“ zur Diskussion an unsere Landesgruppen ver- schickt. Und jede Landesgruppe hat sich die entsprechenden Vorschläge angesehen und gegebenen- falls mit der SPD diskutiert. So habe ich für Nord- rhein-Westfalen mit Herrn Kollegen Wiefelspütz über ei- nige Unstimmigkeiten gesprochen und auf unserer Seite dabei auch die betroffenen Kollegen einbezogen. Dieter Wiefelspütz hatte mir persönlich zugesagt, dass er unsere Einwände gegen den „Diskussionsentwurf“ offen prüfen wolle. Wir waren für Mittwoch verabredet. Herr Wiefelspütz wollte mir das Ergebnis seiner Prüfung mit- teilen. Was aber passiert? Die SPD-Fraktion bringt ihren „Diskussionsentwurf“ am Dienstag unverändert ein. Nichts wurde geprüft, keines unserer Argumente berück- sichtigt! Und dann wird auch noch äußerst kurzfristig un- ser Gespräch am Mittwoch abgesagt, mit der Folge: Sechs Abgeordnete meiner Fraktion warteten vergebens auf das Ergebnis der zugesagten Prüfung. So viel zum Verfahren und zur Verlässlichkeit Ihrer Zu- sagen. Jetzt einige Sätze zu Ihren inhaltlichen Vorstellun- gen. Ich fange einmal mit den Vorhaben in meiner Heimat Nordrhein-Westfalen an, die auch der Kollege Wiefelspütz nicht so recht nachvollziehen konnte: Sie wollen die west- fälische Gemeinde Horstmar entgegen der Empfehlung der Wahlkreiskommission dem Wahlkreis 128 – Coesfeld- Steinfurt II – zuschlagen. Wer sich das auf der Landkarte einmal ansieht, kann bei so viel Willkür nur den Kopf schütteln. Es entstünde ein unmöglicher Wahlkreiszu- schnitt! Bis heute wollte mir auch noch niemand von der SPD sagen, ob und welche persönlichen Interessen hinter diesem Vorschlag stecken. Fachargumente können es je- denfalls nicht sein. Dem Ennepe-Ruhr-Kreis wollen Sie die Kreisstadt nehmen. Wenn es nach Ihnen geht, wird die Kreisstadt Schwelm dem Nachbarwahlkreis Hagen zugeschlagen. Hier, aber auch vor Ort, versteht das niemand! Ihr Vorschlag für Essen und Mühlheim scheint eben- falls am grünen Tisch entstanden zu sein. Nicht, dass das folgende Argument allein entscheidend wäre. Aber Ihr Vorschlag bedeutet auch, dass Rot-Weiß Essen demnächst Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 200012700 (C) (D) (A) (B) wahlkreismäßig zu Mühlheim gehört. Paradox! Zudem: Die westlichen Teile von Essen sind nach Mühlheim ori- entiert. Dann sollten sie auch dort im Wahlkreis bleiben. Ich denke, dass wir über diese Fragen noch offen reden werden. Ihr Vorhaben in Köln ist auch nicht nachzuvollziehen: Nach jetziger Gesetzeslage stimmen in Köln die Wahl- kreisgrenzen für Bundes-, Landes- und Kommunalwah- len überein. Sie wollen diese sinnvolle Lösung ändern, ohne dass die Bevölkerungsentwicklung Sie dazu zwingt. Allein diese Beispiele zeigen, dass Ihr Entwurf unsere Zu- stimmung nicht finden kann. Ein Blick auf die Vorschläge für andere Länder be- stätigt uns in dieser Einschätzung: In Sachsen setzen Sie sich in gut der Hälfte aller Wahlkreise über die Empfeh- lungen der Wahlkreiskommission hinweg. Das Votum der Landesregierung lassen Sie ebenfalls unberücksichtigt. Sie wollen 50 Prozent aller Empfehlungen der Fachex- perten übergehen. Hier muss man kein Schelm sein, um sich dabei Böses zu denken. Da Sie uns keine ausrei- chende Zeit für die Prüfung lassen, können wir angesichts Ihrer Vorschläge bislang nur parteipolitische Taktik in der SPD-Diaspora Sachsen vermuten. Auch in Niedersachsen machen Sie seltsame Vor- schläge: Auch hier wollen Sie eine Kreisstadt, nämlich Winsen an der Luhe, nicht ihrem Wahlkreis zuordnen. Und Ihre Vorschläge für Hannover-Land lassen historisch gewachsene Strukturen völlig unberücksichtigt. In Schleswig-Holstein setzen Sie sich nicht nur über die Empfehlungen der Wahlkreiskommission hinweg, sondern auch über die Vorschläge der rot-grünen Landes- regierung. So soll der Wahlkreis Segeberg regelrecht zer- stückelt werden. Uns bleibt auch hier nur ein Verdacht: Es werden persönliche Interessen von SPD-Bundespo- litikern bedient. Warum Frau Sonntag-Wolgast ihre schleswigholstei- nischen Genossen hier nicht gebremst hat, bleibt ihr Ge- heimnis. Als Parlamentarische Staatssekretärin im BMI sollte sie jedoch den fachlichen Argumenten zum Durch- bruch verhelfen. Für Baden-Württemberg hört man, dass Sie sogar zu Ihrem eigenen Gesetzentwurf schon wieder einen der berühmt-berüchtigten rot-grünen Nachbesserungsanträge stellen wollen. Ich schlage vor: Holen Sie Luft und wer- den Sie sich selbst erst einmal einig, bevor Sie uns unaus- gereifte Gesetzentwürfe vorlegen! Fazit: Angesichts Ihres Vorgehens und angesichts der unübersehbaren Mängel Ihres Entwurfs kann ich mir nicht vorstellen, dass wir zu einer Einigung kommen. Die letzte Reform in der Zeit unserer Verantwortung dagegen ist in einem anderen Stil erarbeitet worden: Wir haben ge- meinsam mit Ihnen in häufigen, langwierigen und inten- siven Gesprächen nach Lösungen gesucht. Und für über 90 Prozent aller Wahlkreise haben wir diese Lösung auch gefunden – und das, obwohl gleichzeitig die Zahl der Wahlkreise zu verringern war. Die Aufgabe damals war also wesentlich schwieriger als heute. Wir haben 1998 nur für einen ganz kleinen Teil keine Einigung erzielen können. Sie aber geraten schon bei der relativ einfachen Aufgabe der Umsetzung der Empfeh- lung der Wahlkreiskommission ins Schlingern. Warum? Weil Sie stumpf auf Mehrheit statt auf Argumente setzen: Es gibt keine ernsthaften Gespräche, keine ernsthafte Su- che nach Konsens. Stattdessen versuchen Sie es mit einer „Ordre de Mehrheit“ und verkünden das Ende der Durch- sage. Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass wir dies hin- nehmen werden. Und sind Sie sicher, dass Sie nicht erneut eine Abstimmung im Innenausschuss verlieren trotz ver- baler Bedrohung von Koalitionsabgeordneten durch ihren Parlamentarischen Staatssekretär? Ich hoffe, dass Sie die Beratungen im Innenausschuss nicht torpedieren. Kehren Sie zu einem geordneten Verfahren zurück. Es ist keine Zeitnot. Wenn Sie wollen, können wir in Ruhe und Ver- nunft beraten. Wir sind dazu bereit. Bleiben Sie aber bei Ihrer Strategie von Schnelligkeit statt Qualität, werden wir Ihre Vorschläge einer öffentlichen Anhörung unter- ziehen müssen. Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Auch schwere Geburten sind irgendwann einmal überstanden. Die Neueinteilung der Wahlkreise gehört sicher zu den besonders aufwendigen und schwierigen parlamentari- schen Projekten. DieVerkleinerungdesBundestagesvon656auf598Ab- geordnete wurde im Jahre 1996 mit Wirkung ab der 15. Wahlperiode beschlossen. Damit einher geht die Ver- kleinerung der Zahl der Wahlkreise von 328 auf 299. Die Einteilung der Wahlkreise muss vom Zuschnitt und von der Zahl der Wählerinnen und Wähler her den hohen Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts an die Gleichheit der Wahlchancen genügen. Daher ist aufgrund der Verschiebungen in der Bevölkerungsstruktur eine er- neute Korrektur der 1998 beschlossenen Neueinteilung notwendig geworden. Das alles ist für die Öffentlichkeit, auch für unsere Par- teigliederungen nicht immer leicht nachzuvollziehen. Wollen wir aber Wahlanfechtungen vermeiden, müssen wir den hier vorgeschlagenen Weg einer erneuten Kor- rektur gehen. Ich möchte hier für meine Fraktion den Kolleginnen und Kollegen, aber auch den zuständigen Beamtinnen und Beamten, für diese mühevolle Arbeit in den letzten Jahren danken. Sie haben eine schwierige und nicht immer dank- bare Aufgabe gemeistert. Wir sehen an der komplizierten Einteilung der Wahl- kreise, wie schwierig und vielschichtig gerade das Pro- blem der Parlamentsarbeit in der Region ist. Entgegen ei- ner landläufig gehegten Auffassung sind wir eben nicht nur hier im Reichstag anzutreffen, sondern auch in unse- rer Heimat, die wir hier zu vertreten haben. Manchmal sind jene Kritiker, die laut über angeblich zu viele Abgeordnete herziehen, die gleichen, die dann zu wenig Präsenz in den Regionen kritisieren. Genau um die- ses Problem geht es aber: das angemessene Verhältnis zwischen einem arbeitsfähigen Parlament hier in Berlin und unserer persönlichen Nähe zu den Bürgerinnen und Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000 12701 (C) (D) (A) (B) Bürgern. Wir müssen uns darüber klar sein: Je kleiner die Zahl der Abgeordneten in Berlin, umso großer werden die Wahlkreise und die Entfernung zu den Menschen. Bei allen Bemühungen um eine sachgerechte Auftei- lung: Nicht alle werden zufrieden sein. Das war 1998 so und das wird auch jetzt angesichts der neuen Veränderun- gen nicht ausbleiben können. Wenn ich mir die Probleme etwa im Wahlkreis Soltau-Fallingbostel-Winsen ansehe, wird das deutlich. Der Kreis liegt bei den Wählerinnen und Wählern mit 21,6 Prozent deutlich über der Toleranz- grenze. Hier muss ein Neuzuschnitt erfolgen. Ähnliches gilt auch für andere Regionen. Aufgrund der Bevölkerungsentwicklung verlieren ein- zelne Bundesländer Wahlkreise. Das betrifft leider in star- kem Umfang die neuen Bundesländer. Was schon 1998 festgelegt wurde, hat sich angesichts neuer Veränderung der Bevölkerungszahlen noch verstärkt. Bitter ist das für Sachsen, das nunmehr gegenüber der letzten Bundestags- wahl den Verlust von 4 Wahlkreisen zu verschmerzen hat und nur noch 17 Bezirke erhält. Sachsen-Anhalt verliert zusätzlich zu den beiden Wahl- kreisen noch einen weiteren. MecklenburgVorpommern muss sich mit 7 statt mit 9 Wahlkreisen begnügen; Thürin- gen verliert 2 Wahlkreise. Die Menschen in den neuen Ländern werden daher lei- der stärkere Veränderungen beim Zuschnitt ihrer gerade erst vertrauten Wahlkreise zu verkraften haben. Es werden in Zukunft proportional weniger Kolleginnen und Kolle- gen aus den neuen Ländern im Bundestag sitzen. Ich be- daure das außerordentlich – habe aber auch keine Lösung anzubieten, die dem Verfassungsgebot der Wahlgerech- tigkeit genügen könnte. Ein Blick über den Atlantik zeigt uns aber recht dras- tisch, welche Folgen mangelnde Chancengleichheit für aller Wählerinnen und Wähler haben kann. Während einige Länder schwächer im Bundestag ver- treten sein werden, bekommen andere eine – proportional zur verkleinerten Zahl der Abgeordneten – stärkere Ver- tretung. Länder mit steigender Bevölkerungszahl können die Zahl ihrer Wahlkreise halten. So bekommt Schleswig- Holstein nun doch noch seinen 11. Wahlkreis zurück, den es nach der ursprünglichen Planung 1998 verloren hatte. Die gleiche gute Nachricht gilt für mein Bundesland Ba- den-Württemberg, das sich über den Erhalt seiner gegen- wärtig 37 Wahlkreise freuen kann. Für Berlin war es nötig, sich an die neuen Bezirks- grenzen anzupassen. Auch dies konnte umgesetzt werden. Dennoch muss auch Berlin mit einem Wahlkreis weniger auskommen als bisher. Als Vertreter einer kleinen Partei bin ich mir der Nach- teile einer Verkleinerung des Parlaments sehr wohl be- wusst. Gerade in den kleinen Bundesländern werden die Probleme in der Bürgerarbeit vor Ort noch weiter steigen. Dennoch können wir das hier gefundene Ergebnis mit- tragen. Die maßvolle Verkleinerung des Parlaments und die durchaus vertretbaren Neuzuschnitte der Wahlkreise zeigen die Reformfähigkeit – auch in eigener Sache. Rolf Kutzmutz (PDS): Die Notwendigkeit einer Än- derung – der 16. – des Bundeswahlgesetzes ist in der Pro- blemstellung für diesen Entwurf klar beschrieben. Es ist die Bevölkerungsentwicklung in den Bundesländern und in einigen Wahlkreisen, die es erfordert, die Einteilung – den Zuschnitt der Wahlkreise – mit den Grundsätzen zu deren Bildung in Übereinstimmung zu bringen. Es ist – betrachtet man die beschlossene 15. Änderung des Bundeswahlgesetzes – eine Reform der Reform. Ein nicht zu leugnender Ausgangspunkt für all diese Überle- gungen ist natürlich die Verkleinerung des Bundestages, der eine umfassende Neueinteilung und Neuverteilung der Wahlkreise auf die Länder notwendig machte. Weniger Abgeordnete, das heißt größere Wahlkreise. Nun sind die eben erst neu eingeteilten Wahlkreis in Kon- flikt geraten mit der Bevölkerungsentwicklung, dem Gleichheitsgrundsatz bei der Wahl und in Einzelfällen auch mit kommunalen und regionalen Gebiets- und Ver- waltungsstrukturen. Bei der Wahlkreiseinteilung sollen die Grenzen von Gemeinden, Kreisen und kreisfreien Städten nach Mög- lichkeit eingehalten werden, sagt das Bundeswahlgesetz. Das wird zum Beispiel in Berlin mit dem jetzt vorliegen- den Gesetzentwurf deutlich. Hier wurden – das ist be- schrieben – bei Fortführung der gegenwärtigen Wahlkreis- einteilung sieben der zukünftig zwölf Berliner Bezirke durch Wahlkreisgrenzen zerschnitten. Durch den Vor- schlag der Wahlkommission werden jedoch künftig zehn von zwölf Bezirken einheitlich einem Wahlkreis zugeord- net. Die Berliner PDS hat diesem vernünftigen Verfahren zugestimmt, obwohl mancher uns nicht wohlgesonnener Zeitgenosse darin auch eine Chance auf Verhinderung ei- nes Direktmandatsgewinnes der PDS sieht. Darüber las- sen Sie uns reden und abrechnen, wenn der Wahlabend er- reicht ist. In Berlin ist das Konstrukt also nachvollziehbar, viel- leicht auch für eine Gemeinde wie Niedergörsdorf in Brandenburg, die bisher durch eine Wahlkreisgrenze ge- teilt war. Nur, die neue Lösung drittelt den relativ kleinen Landkreis Teltow-Fläming und schafft neue Probleme, indem eines überwunden wird. Ebenso problematisch ist es in Sachsen-Anhalt. Die Kreise werden zum Teil völlig zerrissen, so der große Landkreis Merseburg-Querfurt. 22 Gemeinden kommen zum Wahlkreis Mansfelder Land und 18 zum Burgenlandkreis. Richtig ist: Die Einteilung der Wahlkreise muss die Be- völkerungsgröße zur Grundlage haben, aber man kann das dazugehörige Territorium nicht einfach per Zirkelschlag festlegen. Es entstehen, besonders in Ostdeutschland, Wahl- kreise, deren territoriale Ausdehnung nicht nur die Arbeit der Abgeordneten erschweren wird. 110 km Wegstrecke von einem Ende des Wahlkreises zum anderen sind wahr- lich keine Kleinigkeit. Fristen zur Einberufung der Ver- sammlung der Vertreterinnen und Vertreter, die Rechte von Mitgliedern der Parteien, aber auch die Möglichkei- ten und Rechte von Kandidatinnen und Kandidaten müs- sen im Zusammenhang mit diesem Gesetz noch einmal geprüft werden. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 200012702 (C) (D) (A) (B) Ich will nicht lamentieren, aber klar sagen, dass es durchaus noch Beratungsbedarf gibt. Anlage 26 Amtliche Mitteilung ohne Verlesung Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mit- geteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden EU-Vorla- gen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Parla- ment zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat. Auswärtiger Ausschuss Drucksache 14/3576 Nr. 1.7 Drucksache 14/3576 Nr. 1.14 Drucksache 14/3723 Nr. 2.12 Drucksache 14/3859 Nr. 1.9 Drucksache 14/4170 Nr. 2.20 Innenausschuss Drucksache 14/3341 Nr. 2.48 Drucksache 14/4170 Nr. 1.13 Drucksache 14/4170 Nr. 2.73 Drucksache 14/4170 Nr. 2.91 Ausschuss fürWirtschaft und Technologie Drucksache 14/3723 Nr. 2.5 Drucksache 14/3723 Nr. 2.9 Drucksache 14/3723 Nr. 2.17 Drucksache 14/3723 Nr. 2.18 Drucksache 14/3859 Nr. 1.2 Drucksache 14/3859 Nr. 1.3 Drucksache 14/3859 Nr. 1.8 Drucksache 14/3859 Nr. 2.13 Drucksache 14/3859 Nr. 2.22 Drucksache 14/3859 Nr. 2.24 Drucksache 14/3859 Nr. 2.26 Drucksache 14/3859 Nr. 2.27 Drucksache 14/3859 Nr. 2.29 Drucksache 14/3859 Nr. 2.31 Drucksache 14/3859 Nr. 2.32 Drucksache 14/3859 Nr. 2.34 Drucksache 14/3859 Nr. 2.35 Drucksache 14/3859 Nr. 2.36 Drucksache 14/3859 Nr. 2.38 Drucksache 14/3859 Nr. 2.40 Drucksache 14/3859 Nr. 2.41 Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Drucksache 14/1936 Nr. 1.9 Ausschuss für Gesundheit Drucksache 14/4170. Nr. 1.6 Ausschuss für Verkehr, Bau und Wohnungswesen Drucksache 14/3859 Nr. 2.5 Drucksache 14/3859 Nr. 2.8 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Drucksache 14/3341 Nr. 2.30 Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Drucksache 14/4092 Nr. 1.4 Drucksache 14/4170 Nr. 2.24 Drucksache 14/4170 Nr. 2.69 Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Drucksache 14/3146 Nr. 2.6 Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksache 14/3576 Nr. 2.1 Drucksache 14/3859 Nr. 2.37 Drucksache 14/4170 Nr. 1.3 Drucksache 14/4170 Nr. 1.9 Drucksache 14/41 70 Nr.2.14 Drucksache 14/4170 Nr. 2.57 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000 12703 (C) (D) (A) (B) Druck: MuK. Medien-und Kommunikations GmbH, Berlin
Gesamtes Protokol
Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1413100000
Guten Morgen, liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.

Mir wird gerade gesagt, dass eine Debatte zur Ge-
schäftsordnung beantragt worden ist. Ich erteile das Wort
dem Kollegen Pofalla, CDU/CSU-Fraktion.


Ronald Pofalla (CDU):
Rede ID: ID1413100100
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Namens und im Auftrag der
Fraktion der CDU/CSU beantrage ich die Absetzung
der zweiten und dritten Lesung des Entwurfs eines Ge-
setzes zur Beendigung der Diskriminierung gleichge-
schlechtlicher Gemeinschaften der Koalitionsfraktio-
nen und der zweiten und dritten Lesung des Entwurfs
eines Eingetragene-Lebenspartnerschaften-Gesetzes
der F.D.P.-Bundestagsfraktion von der heutigen Tages-
ordnung des Deutschen Bundestages.

Es ist skandalös, wie die Koalitionsfraktionen von SPD
und Bündnis 90/Die Grünen mit ungeschriebenen guten
und richtigen Beratungsgepflogenheiten des Deutschen
Bundestages umgehen, nur um ein Gesetz im Deutschen
Bundestag durchzupeitschen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Und so was am frühen Morgen!)


Infolge des Lebenspartnerschaftsgesetzes müssen
122 andere Gesetze geändert werden.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Wahnsinn!)

Eine geordnete Beratung war am Mittwoch dieser Woche
im Rechtsausschuss nicht möglich, da nicht genügend
Zeit zur Verfügung stand, um eine qualifizierte Vorberei-
tung zu ermöglichen.

Am Dienstag dieser Woche ging um 14.00 Uhr der Än-
derungsantrag zum Lebenspartnerschaftsgesetz im Büro
des Rechtsausschussvorsitzenden ein. Am Dienstag dieser
Woche ging um 15.10 Uhr der Änderungsantrag zum Le-
benspartnerschaftsgesetzergänzungsgesetz im Büro des
Vorsitzenden des Rechtsausschusses ein. Um 15.20 Uhr des
gleichen Tages ging ein weiterer Änderungsantrag zum
Lebenspartnerschaftsgesetzergänzungsgesetz im Büro des
Rechtsausschussvorsitzenden ein und um 16.00 Uhr
schließlich ging die 55 Seiten umfassende Begründung zum

Lebenspartnerschaftsgesetz im Büro des Rechtsausschuss-
vorsitzenden ein.

Es gab 124 Änderungsanträge. Daran können Sie se-
hen, wie gut Ihre Ursprungsanträge waren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Margot von Renesse [SPD]: Bei 90 davon hieß es: „entfällt“!)


Die Änderungsanträge sind zudem fehlerhaft. Die nun-
mehr vorliegende Beschlussempfehlung des Rechtsaus-
schusses enthält an einer Stelle zwei sich widerspre-
chende Gesetzestexte.

Zur Verabschiedung in dieser Sitzungswoche bestand
und besteht kein Anlass. Eine geordnete parlamentarische
Beratung wäre nur möglich gewesen, wenn die zweite und
dritte Lesung der Gesetzentwürfe in der nächsten Woche
stattgefunden hätte. Dazu waren die Koalitionsfraktionen
ohne Begründung nicht bereit.

Deshalb haben die Mitglieder der CDU/CSU-Bundes-
tagsfraktion der Beratung im Rechtsausschuss am Mitt-
woch dieser Woche auch nicht beigewohnt. Gäbe es für
die Verabschiedung eine Frist, die man beachten müsste,
oder einen Bundesratstermin, den man unbedingt einhal-
ten müsste, so hätten wir dafür noch Verständnis gehabt.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sonst geht es immer zu langsam und jetzt sind wir zu schnell?)


Aber grundlos ein solches chaotisches Beratungsverfahren
zu wählen ist ein einmaliger Vorgang, der zudem die parla-
mentarischen Beratungsgepflogenheiten sträflich miss-
achtet.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen zwingt die

SPD-Bundestagsfraktion, die Gesetzgebungsberatungen
noch in dieser Woche abzuschließen. Meine Damen und
Herren der SPD-Bundestagsfraktion, lassen Sie sich das
nicht gefallen!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


12591


(C)



(D)



(A)



(B)


131. Sitzung

Berlin, Freitag, den 10. November 2000

Beginn: 9.00 Uhr

Zwar ist mir sehr wohl bewusst, dass die SPD-Bun-
destagsfraktion den Grünen einen zeitnahen Beratungsab-
schluss des Lebenspartnerschaftsgesetzes vor den Land-
tagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz
versprochen hat. Die Umsetzung des Versprechens könnte
aber auch in der nächsten Woche erfolgen. Im Gegenzug
haben die Grünen der SPD und der Bundesjustizministe-
rin die Verabschiedung der äußerst umstrittenen Zivil-
rechtsprozessreform versprochen. Aber in dieser Woche
muss die Beratung zum Lebenspartnerschaftsgesetz ange-
sichts der beschriebenen chaotischen Vorbereitung nun
wirklich nicht abgeschlossen werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Setzen Sie diesen Punkt von der heutigen Tagesord-

nung ab und ermöglichen Sie eine erneute, geordnete Be-
ratung am kommenden Mittwoch im Rechtsausschuss!
Die Qualität des Gesetzes würde dadurch sicher erhöht;
den parlamentarischen Beratungsgepflogenheiten würde
es entsprechen. Haben Sie wenigstens zu diesem parla-
mentarischen Minimalkonsens noch die Kraft!

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1413100200
Für die SPD-Fraktion
erteile ich das Wort dem Kollegen Alfred Hartenbach.


Alfred Hartenbach (SPD):
Rede ID: ID1413100300
Herr Präsident! Meine lie-
ben Kolleginnen und Kollegen! Herr Pofalla, wer um
9.02 Uhr morgens


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: 9.07 Uhr!)

das Wort „skandalös“ in den Mund nimmt, der sollte sich
einmal umdrehen und schauen, was wirklich skandalös
ist: erstens, dass Sie Ihre Leute bei Ihrem eigenen Ge-
schäftsordnungsantrag nicht aus dem Bett bekommen,


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


und zweitens, dass unsere parlamentarischen Geschäfts-
führer erst darauf hinweisen müssen, dass Sie einen Ge-
schäftsordnungsantrag gestellt haben; auch Ihre Ge-
schäftsführung schläft hier friedlich vor sich hin.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Was Sie heute hier wieder produzieren, ist ein weiterer
Beweis Ihrer Inhaltsleere, Ihrer Inhaltslosigkeit, Ihrer
Fantasielosigkeit, ja ich möchte sagen: Ihrer geistigen Ar-
mut in der Sachdebatte.


(Zuruf von der SPD: Sehr gut!)

Wenn Sie nicht die 20-Stunden-Woche pflegen würden,
was Sie offensichtlich tun,


(Heiterkeit bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


sondern Ihre Aufgaben als Parlamentarier ernst nehmen
und nicht Ihren Nebenbeschäftigungen nachgehen wür-
den, mit denen Sie das große Geld verdienen,


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Unverschämt! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Das ist beleidigend, was Sie sagen! Sehr beleidigend!)


dann hätten Sie sich mit dem Gesetzentwurf befassen
können. Am Freitag ist der gesamte Gesetzentwurf über
das Internet bei Ihnen angekommen; das weiß ich defini-
tiv. Sie hätten sich spätestens am Montag – ich will Ihnen
ja das Wochenende gönnen – damit befassen können. Der
Kollege Geis hat selbst gesagt, er hat es am Samstag per
Express zu Hause gehabt.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Die Hälfte des Gesetzes!)


– Das Gesetz war vollständig da. Die Begründung kam
nach.

Wenn Sie sich einmal die Mühe gemacht hätten, in die-
ses Gesetz hineinzuschauen und es auch nur oberflächlich
zu lesen, dann hätten Sie festgestellt, dass sich der jetzige
Gesetzentwurf vom dem, den wir im Sommer hier einge-
bracht haben, in fast überhaupt nichts unterscheidet.


(Ronald Pofalla [CDU/CSU]: Sie haben 124 Änderungsanträge eingebracht)


Anstatt giftige Bemerkungen in der „Bild“-Zeitung
und anderen Medien zu machen, hätten Sie das besser ge-
lesen. Hätten Sie die Zeit, die Sie gebraucht haben, um
dümmliche Interviews zu geben, verwandt, um das zu le-
sen, dann wäre dies alles hier nicht nötig.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/CSU – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Ein Fall für die Parlamentsärztin!)


Wir haben die Sorgfalt walten lassen, die erforderlich
ist, um auch die Kolleginnen und Kollegen der Opposition
an den Vorbereitungen des Gesetzes zu beteiligen.


(Ronald Pofalla [CDU/CSU]: Sie haben einen niedrigen Sorgfaltsmaßstab!)


Wir haben, mein lieber Kollege Pofalla, ein Berichter-
stattergespräch durchgeführt, an das ich mich noch erin-
nern kann: Da saß Kollege Geis und wandte den Blick
himmelwärts, als ob von dort Hilfe kommen könnte, an-
statt einmal in das Gesetz hineinzuschauen und vernünf-
tige Vorschläge zu machen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dann kommt als weiteres Zeichen geistiger Armut,
dass Sie aus einer Sitzung ausziehen. Sie haben nicht ein-
mal die Gelegenheit wahrgenommen, in eine Sachdebatte
einzusteigen, uns zu sagen, wo man etwas anders machen
könnte. Stattdessen ziehen Sie einfach aus. Das ist natür-
lich die einfachste Art und Weise, sich einer Beratung,
sich der Verantwortung zu entziehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Warum verabschieden wir das Gesetz heute? – Wir ha-
ben gestern 10 000 Unterschriften der Schwulen- und
Lesbenverbände erhalten, 10 000 Unterschriften von
Menschen, die darauf warten, dass sie endlich aus dem
Schatten der Diskriminierung herausgeholt werden, die
nicht länger auf Ihre leeren Versprechungen warten wol-
len.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)





Ronald Pofalla
12592


(C)



(D)



(A)



(B)


Sie haben 16 Jahre lang gesellschaftspolitisch über-
haupt nichts getan, nicht einen Strich, und wir gehen jetzt
eben schwierige Probleme an. Weil diese Menschen da-
rauf warten, dass diese schwierigen Probleme gelöst wer-
den, werden wir sie heute lösen und werden wir den Men-
schen, die darauf warten, etwas an die Hand geben, damit
sie künftig ganz normal mit uns in einer ganz normalen
Gesellschaft leben können.


(Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Damit sie künftig mit uns leben können?)


Ich hoffe, Sie haben gestern bei der Demonstration am
Brandenburger Tor sowohl dem Bundespräsidenten als
auch Paul Spiegel aufmerksam zugehört.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dann wissen Sie, dass wir als Parlamentarier in die Pflicht
genommen werden, etwas für Minderheiten zu tun. Mehr-
heiten helfen Minderheiten – schreiben Sie sich das hin-
ter die Ohren und schreiben Sie sich auch hinter die Oh-
ren, dass Sie als Partei, die das hohe C im Namen führt,
aufgerufen sind, in christlicher Verantwortung hier etwas
zu tun!

Wir werden heute jedenfalls darüber beraten.
Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1413100400
Für die F.D.P.-Frak-
tion erteile ich dem Kollegen van Essen das Wort.


(Klaus Haupt [F.D.P.]: Jetzt kommt endlich Sachlichkeit!)



Jörg van Essen (FDP):
Rede ID: ID1413100500
Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Trotz des heftigen Beifalls der Koaliti-
onsfraktionen für den Kollegen Hartenbach


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Berechtigt!)


glaube ich, wenn wir einmal etwas Abstand von der heu-
tigen Debatte haben werden, dann werden wir zu der Er-
kenntnis kommen, dass unser Umgang miteinander in die-
ser Geschäftsordnungsdebatte nicht für das Parlament
geworben hat.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Die Vorwürfe hinsichtlich der Arbeitszeit waren völlig
überflüssig.


(Zuruf von der CDU/CSU: So ist das!)

Ich denke, dass das Anliegen, das auch meiner Fraktion
sehr wichtig ist, dadurch nicht gefördert worden ist.

Wir unterscheiden uns von der CDU/CSU-Fraktion
ganz erheblich;


(Alfred Hartenbach [SPD]: Trotzdem seid ihr ein Anhängsel der CDU! – Zuruf von der PDS: Aber nur in Nuancen!)


denn wir als F.D.P. haben ebenfalls einen Gesetzentwurf
eingebracht, der Verantwortungsgemeinschaften stärken
soll.


(Zuruf von der SPD: Ihr hattet 16 Jahre lang Zeit dazu!)


Wir gehen da einen anderen Weg als die Koalition; aber
wir sind uns im Ziel einig. Deshalb hätten wir uns ge-
wünscht, dass die Beratungen im Rechtsausschuss in ei-
ner Weise, die diesem gemeinsamen Ziel


(Margot von Renesse [SPD]: Da hätten Sie mal einen Ton sagen sollen!)


– übrigens auch dem Ziel der PDS; ich gucke gerade die
Kollegin Schenk an – gedient hätte, durchgeführt worden
wären.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Sie wollten doch gar nicht debattieren!)


Sie als Koalition wissen, dass Sie in vielen Fällen der
Zustimmung des Bundesrates bedürfen. Von daher hätte
ich mir ein Verfahren gewünscht, das andere einbezieht,
damit man gemeinsam vorankommt.


(Margot von Renesse [SPD]: Sie haben sich doch verweigert, Herr van Essen!)


Aber genau das ist nicht getan worden.
Deswegen war die heutige Wortmeldung des Kollegen

Hartenbach auch symptomatisch. Genauso ist man mitei-
nander umgegangen. Deshalb werden wir nicht voran-
kommen. Meine Voraussage ist, dass zum Schluss ein
Rumpfgesetz übrig bleibt, Herr Kollege Hartenbach, das
niemandem dient. Genau das wollen wir als F.D.P. jedoch
nicht. Wir wollen, dass Verantwortungsgemeinschaften in
unserem Land gestärkt werden.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es hätte überhaupt nichts dagegen gesprochen, die Ver-
abschiedung um eine Woche zu verschieben,


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

denn der Bundesrat muss ja ohnehin erreicht werden. Die
abschließende Beratung in der nächsten Woche hätte
keine Verschiebung hinsichtlich eines möglichen In-
Kraft-Tretens bedeutet.

Nicht weil wir in der Sache mit der CDU/CSU über-
einstimmen – wie gesagt, auch wir als F.D.P. wollen eine
Stärkung von Verantwortungsgemeinschaften homosexu-
eller Menschen in diesem Land –, sondern weil wir in der
Kritik am Verfahren übereinstimmen, stimmen wir dem
Antrag zu.

Vielen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1413100600
Für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen erteile ich der Kollegin Steffi
Lemke das Wort.


Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1413100700
Werter
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich




Alfred Hartenbach

12593


(C)



(D)



(A)



(B)


begrüße auch die inzwischen Eingetroffenen bei der
CDU/CSU-Fraktion,


(Widerspruch bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


deren Reihen sich jetzt langsam füllen.
Wir werden die Beratungen über das Lebenspartner-

schaftsgesetz heute abschließen, weil die Beratungen im
parlamentarischen Verfahren nach der Geschäftsordnung
erfolgt sind. Sie können nicht darauf pochen, dass irgend-
welche Ihrer Minderheitenrechte verletzt worden sind,
weil es eine ausführliche Diskussion und eine ausführli-
che Anhörung im Ausschuss gegeben hat. Sie haben es
vorgezogen, diesen Beratungen im Ausschuss zumindest
teilweise lieber nicht beizuwohnen. Wir haben dafür ge-
sorgt, dass die Ausschussberatungen vernünftig ablaufen.


(Widerspruch bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Der Geschäftsordnungsausschuss hat sich bereits am
Mittwoch mit den von Ihnen vorgetragenen Argumenten
auseinander gesetzt. Er hat einstimmig gegen die CDU/
CSU-Fraktion entschieden, dass die Geschäftsordnung
nicht verletzt ist, weshalb ich es schon relativ albern finde,
heute noch einmal eine Geschäftsordnungsdebatte zu
führen, in der genau die gleichen Dinge noch einmal vor-
getragen werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich denke, dass Ihr Problem darin besteht, dass Sie mo-
mentan keine inhaltlichen Alternativen, keine inhaltlichen
Konzepte, weder bei diesem noch bei einem anderen
Thema, vorzuweisen haben und deshalb versuchen,


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Sie denken schon wieder schiefe Gedanken!)


den Bundestag permanent mit Geschäftsordnungsdebat-
ten, Sitzungsunterbrechungen und ähnlichen Dingen zu
beschäftigen. Wir wollen hier eine vernünftige Sacharbeit
in den Ausschüssen und im Plenum leisten


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Widerspruch bei der CDU/CSU)


und nicht ständig solche Auseinandersetzungen führen.
Ich habe Ihnen gesagt, wir haben das bereits im Ge-
schäftsordnungsausschuss debattiert.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Der war ja nicht zuständig, Frau Kollegin!)


Ich rufe Sie von daher auf, zur Sacharbeit zurückzu-
kehren und sich mit den inhaltlichen Dingen des Gesetz-
entwurfs auseinander zu setzen. Ich bin der Meinung, dass
Sie das Ganze nur inszenieren, weil Ihnen der Gesetzent-
wurf von seiner inhaltlichen Ausrichtung her einfach
nicht in den Kram passt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Zuruf von der F.D.P.: Das ist doch Blödsinn!)


Ich denke, Sie sollten zu den Sachdebatten zurückkeh-
ren, sich da wieder politisch einbringen und aufhören, das

Parlament ständig mit solchen Dingen zu beschäftigen.
Mischen Sie sich da wieder ein! Sie hatten ja mal einen
Fraktionsvorsitzenden, unter dem das sehr gut funktio-
niert hat, unter dem auch inhaltliche Konzepte entwickelt
worden sind. Kehren Sie zu dieser Arbeit zurück! Ansons-
ten werden wir es hier noch öfter auf Ihren Antrag hin mit
solchen Geschäftsordnungsdebatten zu tun haben.

Wir werden dafür sorgen, dass das Parlament in all die-
sen Punkten geschäftsordnungsmäßig entscheidet. Sie
können daran teilhaben oder nicht daran teilhaben. Das
müssen Sie selber wissen. Aber legen Sie Konzepte vor!
Beteiligen Sie sich an den Sachdebatten!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1413100800
Für die PDS-Fraktion
erteile ich das Wort der Kollegin Heidi Knake-Werner.


Dr. Heidi Knake-Werner (PDS):
Rede ID: ID1413100900
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die PDS-Fraktion wird
den Antrag der CDU/CSU ablehnen. Auch uns hat vieles
im Zusammenhang mit der Beratung dieses Gesetzent-
wurfs nicht gefallen. Das haben wir im Fachausschuss
auch deutlich gemacht. Aber wir sind der Auffassung, die
Geschäftsordnung ist nicht verletzt worden.

Die zweite und dritte Beratung des Gesetzentwurfs
wurden fristgerecht aufgesetzt. Es gab keine entspre-
chende Einrede. Die Beratung ist im Rechtsausschuss
ordnungsgemäß abgeschlossen worden. Auch das hat der
GO-Ausschuss gestern festgestellt.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Er hat sich mit Mehrheit für unzuständig erklärt!)


Insofern ist das Verfahren hier zunächst einmal überhaupt
nicht zu bemängeln.

Ich glaube, Sie haben eher inhaltliche Probleme mit
diesem Gesetzentwurf,


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)


die beispielsweise aus der Aufsplittung resultieren,

(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Deshalb wollen wir es anständig beraten!)

sicherlich auch aus den Änderungsanträgen, aber ganz si-
cher auch daraus, dass Ihnen die Richtung nicht passt. Das
alles aber ist unserer Auffassung nach kein Grund, hier
eine Geschäftsordnungsdebatte vom Zaun zu brechen.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Ein Grund für eine vernünftige Beratung ist das!)


Wenn Sie, Herr Pofalla, hier erklären, das sei ein ein-
maliger Vorgang, der am Mittwoch im Rechtsausschuss
stattgefunden hat, dann muss ich wirklich sagen: Ich ma-
che mir echt Sorgen um Ihr Kurzzeitgedächtnis.


(Beifall bei der PDS – Ronald Pofalla [CDU/CSU]: Sie waren noch nie im Rechtsausschuss!)





Steffi Lemke
12594


(C)



(D)



(A)



(B)


Das kann ich Ihnen aus meiner eigenen Erfahrung sagen.

(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Seit zwei Jahren ist es fast die Regel im Rechtsausschuss!)


Was uns im Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung teil-
weise zugemutet worden ist, ist wirklich unglaublich.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Das muss man leider sagen!)


Insofern ist es völlig daneben, von „einmalig“ zu reden.
Sie hätten am Mittwoch wirklich die Chance gehabt,

Ihre Probleme im Rechtsausschuss zu klären. Das haben
Sie nicht getan. Sie haben sofort den GO-Ausschuss an-
gerufen und sind dort ausgezogen.


(Ronald Pofalla [CDU/CSU]: Aus dem GO-Ausschuss nicht!)


Hier bestätigt sich aber die alte Weisheit: Wer raus geht,
muss auch wieder reinkommen. Die Geschäftsordnung ist
in diesem Fall ein ungeeignetes Mittel.

Wenn nach Ihrer Auffassung hier ein Gesetz verab-
schiedet wird, das der Zustimmung des Bundesrates be-
darf und deshalb keinen Bestand vor dem Bundesverfas-
sungsgericht haben wird, dann ist auch dies nicht per
Geschäftsordnung zu klären. Das muss dann vielmehr auf
einer anderen Ebene geklärt werden.

Ich erkläre abschließend: Auch uns gefällt das Vorge-
hen der Mehrheit nicht immer. Aber die Situation ist nun
einmal so. Auch die rechte Opposition muss sich daran
gewöhnen, dass jetzt diese Regierung und die sie tragende
Mehrheit das Heft des Handelns in der Hand hat. Mit Ge-
schäftsordnungsanträgen zum falschen Zeitpunkt und den
falschen Gegenstand betreffend wird sich diese Situation
ganz sicher nicht ändern lassen.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1413101000
Wir kommen damit
zur Abstimmung über den Geschäftsordnungsantrag der
CDU/CSU-Fraktion auf Vertagung des Tagesordnungs-
punktes 18. Wer dem Geschäftsordnungsantrag der
CDU/CSU zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. –
Wer stimmt dagegen? – Das Letztere ist die Mehrheit. Da-
mit ist der Geschäftsordnungsantrag der CDU/CSU-Frak-
tion abgelehnt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen damit
zu Tagesordnungspunkt 17:

a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Angelegenheiten der
neuen Länder (17. Ausschuss) zu dem Antrag der
Abgeordneten Dr. Michael Luther, Dr. Angela
Merkel, Vera Lengsfeld, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der CDU/CSU
Investitionsförderung verstetigen – regionale
Wirtschaftsstrukturen stärken
– Drucksachen 14/2242, 14/4330 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Paul Krüger
Dr. Mathias Schubert

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Angelegenheiten der
neuen Länder (17. Ausschuss) zu dem Antrag der
Abgeordneten Dr.-Ing. Rainer Jork, Katherina
Reiche, Günter Nooke, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der CDU/CSU
Lehrstellenmangel Ost mit wirksamen Rege-
lungen angehen
– Drucksachen 14/3185, 14/4177 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Ingrid Holzhüter
Katherina Reiche

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Mathias Schubert, SPD-Fraktion, das Wort.


(Unruhe)

– Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer den Saal verlas-
sen will, den bitte ich, das möglichst schweigend zu tun,
damit der Redner eine Chance hat, Gehör zu finden.


Dr. Mathias Schubert (SPD):
Rede ID: ID1413101100
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Es gehört schon ein gerüttelt
Maß an Chuzpe – das klingt vielleicht freundlicher als
„Dreistigkeit“, liebe Kolleginnen und Kollegen von den
Unionsfraktionen – dazu, dem Parlament einen solchen
Antrag zur Verstetigung von Investitionsförderung und
Stärkung regionaler Wirtschaftsstrukturen zur Abstim-
mung vorzulegen. Wie sehr das Sein das Bewusstsein be-
stimmt, wusste schon Altvater Marx. Aber dass Ihr Wech-
sel auf die Oppositionsbänke auch noch zu einem Anfall
partieller Amnesie geführt hat, lässt sich leider auch an
dem vorliegenden Antrag belegen.

Sie haben schlicht unterschlagen, dass die Regierung
Schröder mit dem Investitionszulagengesetz aus dem
Jahre 1997 ein von Ihnen zu verantwortendes Werk über-
nommen hat, das in wichtigen Teilen offensichtlich nicht
EU-kompatibel und somit nicht notifizierungsfähig war.
Die alte, CDU/CSU-geführte Bundesregierung hat also
allein zu verantworten, dass ein entsprechender Ände-
rungsbedarf in Bezug auf dieses Gesetz überhaupt not-
wendig wurde.

Diese notwendigen Änderungen, die Teile der betrieb-
lichen Förderungen betreffen, sind konsequenterweise im
Rahmen des Steuerbereinigungsgesetzes 1999 umgesetzt
worden, um die Vorgaben der Kommission zu erfüllen.
Die Fördermittel für so genannte Ersatzinvestitionen wur-
den gesenkt und die Fördersätze für Erstinvestitionen im
Gegenzug erhöht, um das Fördervolumen insgesamt nicht
zu gefährden und auf einem entsprechenden Niveau zu
halten. Das dürfte übrigens schon deshalb gelingen,
weil die Praxis zeigt, dass der Anteil an Erstinvestitionen
deutlich höher liegt, als ursprünglich erwartet. Selbst Sie,




Dr. Heidi Knake-Werner

12595


(C)



(D)



(A)



(B)


Kollege Krüger, haben während der Ausschussberatungen
eingeräumt, nur über Schätzzahlen zu verfügen. Gleich-
wohl schwingen Sie in Ihrer Antragsbegründung die
große Keule und unterstellen wieder einmal der Bundes-
regierung, 1 Milliarde DM auf Kosten des Aufbaus Ost
einsparen zu wollen.


(Cornelia Pieper [F.D.P.]: Tun Sie doch auch!)

Dieser inzwischen bekannte, kollektive Aufschrei frei

nach der Parole „Rot-grüner Ausstieg aus dem Aufbau
Ost“ entbehrt jeder Seriosität.


(Beifall bei der SPD)

Warten Sie doch erst einmal ab, was das Ifo-Institut Mün-
chen als Ergebnis des in Auftrag gegebenen Gutachtens
vorlegt. Dann haben wir eine konkrete Argumentations-
und – bitte schön – natürlich auch eine streitfähige Da-
tenbasis.

Leider gilt diese kritische Bemerkung auch für Ihre
locker formulierten Forderungen nach Kompensations-
möglichkeiten für den schlicht unterstellten Mittelausfall.
Sie wissen so gut wie ich, dass unmittelbare Förderungen
von Ersatzinvestitionen im Rahmen der von Ihnen ange-
führten Gemeinschaftsaufgabe gar nicht möglich sind.
GA-Förderung und Investitionszulage folgen anderen Re-
geln. Sie können also wirklich nicht erwarten, dass wir
dem vorliegenden Unionsantrag unsere Zustimmung ge-
ben.

Es gibt lediglich einen Aspekt Ihres Antrags, der das
gemeinsame Nachdenken lohnt – das habe ich bereits
während der Ausschussberatungen deutlich gemacht –,
nämlich den Solidarpakt II. Wir wollen und wir werden
ihn in der laufenden Legislaturperiode vereinbaren. Seine
Kernfrage heißt: Was brauchen wir in den etwa zehn Jah-
ren ab 2005 für die Gestaltung des Projektes „Zukunft
Ost“? Zunächst scheint die Antwort recht einfach zu sein,
weil niemand um die Erkenntnis umhinkommt: Auch ab
2005 werden die ostdeutschen Länder auf erhebliche Fi-
nanzhilfen angewiesen sein. Das wissen auch manche Po-
pulisten an westdeutschen Stammtischen oder in süddeut-
schen Staatskanzleien.

Schwieriger ist es schon, die konkrete Frage zu beant-
worten, wie knappe Mittel möglichst effizient einzusetzen
sind. Selbst Fachleute blicken bei dem Wust von Pro-
grammen, Subventionen, Ausgleichszahlungen oder Er-
gänzungszuweisungen kaum noch durch. Sündhaft teuer,
hochkompliziert und in ihren Wirkungen bisweilen um-
stritten, so lauten landauf, landab kritische Stimmen aus
der Wirtschaft, den wissenschaftlichen Instituten oder der
Politik. Ich bin daher sicher, als einer der entscheidenden
Faktoren wird sich in den vor uns liegenden Diskussionen
zum Solidarpakt II nicht allein die Frage herauskristalli-
sieren, wie viel Geld für den Osten vorhanden sein wird
– sie ist wichtig –, sondern auch die Frage, wofür es aus-
gegeben wird.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir erwarten dabei keinen ostdeutschen Bonus, wohl

aber durchaus einen ostdeutschen Fokus, um das Projekt
„Zukunft Ost“ in klar umrissenen Zielen, Zeitabschnitten
und finanziellem Aufwand berechenbar und überprüfbar

zu machen. Die notwendigen Schwerpunkte im Solidar-
pakt II sind dabei Finanzausgleich, Abbau der Infrastruk-
turdefizite, aktive Arbeitsmarktpolitik, Fortsetzung der
Gemeinschaftsaufgabe und Investitionen in das viel be-
schworene Humankapital.

Den Begriff „Stärkung regionaler Wirtschaftsstruktu-
ren“ nehme ich jetzt noch einmal kurz auf. Wir wissen
alle: Die ostdeutschen Länder bilden längst keine homo-
gene Landschaft mehr. Alle herkömmlichen Indikatoren
weisen ein teilweise erhebliches Regionalgefälle aus.
Legt man Einkommen, Arbeitslosenquote, Infrastruktur-
ausstattung, Forschungs- und Entwicklungsstandard und
wirtschaftliche Dynamik zugrunde, haben stärker ent-
wickelte Regionen Ostdeutschlands zumindest Anschluss
an westdeutsche Schlusslichter gefunden und sind zum
Teil sogar dabei, sie zu überholen.

Was eine gezielte regionale Förderung und die wir-
kungsvolle Unterstützung regionaler Kompetenzzentren
bewirken können, setzt durchaus sehr reale Hoffnungs-
zeichen. Ich nenne Pars pro Toto Jena, Dresden und Ros-
tock als Beispiele dafür, wie ökonomische Kompetenz er-
halten, selbsttragende Entwicklungen eingeleitet und
regelrechte Kompetenznetzwerke für Informationstech-
nologie, Biotechnik, Nanotechnik oder Medizintechnik
entstanden sind. Das heißt, unsere Strukturpolitik muss
sich auf regionale Potenziale konzentrieren und das Ge-
lingen von Projekten hängt von der Nutzung und Vernet-
zung dieser eigenen Potenziale sowie von Kooperationen
ab. Bei selbstkritischer Analyse unserer bisherigen Leit-
bilder und Konzepte für den Aufbau Ost kommen wir zu
dem Schluss, dass auf diesem Gebiet die entscheidenden
Akzente für Zukunftsinvestitionen gesetzt werden.

In Ostdeutschland entwickeln sich also mit erheblicher
Dynamik Wirtschaftsregionen, die zunehmend einen ent-
scheidenden Beitrag zur Stabilisierung unserer Zukunfts-
fähigkeit leisten. Um diesen Trend zu unterstützen, setzt
die Bundesregierung seit 1999 auf entsprechende Strate-
gien in ihrer Wirtschaftsförderungs- und Strukturpolitik.
Der Erfolg von Inno-Regio und Inno-Net zum Beispiel
macht Mut, dem einfachen „Weiter so!“ oder der sicher
gut gemeinten Forderung nach permanenter Verstetigung
neue Prioritäten entgegenzusetzen.

Das Schwergewicht der Förderung ist daher konse-
quent auf Regionen zu verlagern, die sich nicht allein geo-
graphisch, sondern durch ihre wirtschaftliche Struktur,
ihre Potenziale und wirtschaftlich-wissenschaftlichen
Kooperationsbeziehungen definieren. Wenn wir auf diese
Weise das Zukunfts- und Modernisierungsprogramm Ost,
Teil II, initiieren und realisieren, kann sich das Projekt
Zukunft Ost bei sich verändernden politischen, wirt-
schaftlichen und globalen Rahmenbedingungen durchaus
zu einer Erfolgsgeschichte entwickeln. Die Koalitions-
fraktionen werden daher selbstverständlich die Bundesre-
gierung bei der Umsetzung der entsprechenden, bereits
begonnenen Strategien nachhaltig unterstützen.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)





Dr. Mathias Schubert
12596


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1413101200
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Rainer Jork, CDU/CSU-Fraktion.


Dr.-Ing. Rainer Jork (CDU):
Rede ID: ID1413101300
Herr Präsident!
Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es wird Sie viel-
leicht verwundern, aber ich will mit Lob und Dank be-
ginnen. Zum einen ist es nämlich sinnvoll und notwendig,
die Lehrstellensituation in den neuen Bundesländern für
sich zu diskutieren. Angaben zu Trends, Tendenzen und
gesamtdeutschen Durchschnitten verkleistern die tatsäch-
lich schlimme Situation und blockieren, wie bewiesen,
notwendige Schlussfolgerungen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Zum anderen ist es logisch und notwendig, über die

Lage auf dem Lehrstellenmarkt und die wirtschaftliche
Situation gemeinsam zu beraten. Lehrstellen im dualen
System – vor allem in den kleinen mittelständischen Un-
ternehmen – entstehen nur zusammen mit der Wirtschaft.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wenn in den neuen Bundesländern etwa ein Drittel der Ju-
gendlichen außerbetrieblich, also außerhalb von Betrieben,
ausgebildet wird, muss das ein Alarmzeichen für uns sein.

Die beiden Anträge passen also gut zusammen und ver-
dienen unsere Zuwendung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Lassen Sie mich zunächst die Aussagen eines sehr ernst

zu nehmenden Begleiters der beruflichen Bildung in
Deutschland zitieren:

Zwei Jahre Ausbildungsplatzpolitik der rot-grünen
Bundesregierung – es ist eine dürftige Bilanz: Die
Ausbildungsgarantie ist … nicht eingelöst worden…

(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Ich habe auch nichts anderes erwartet! – Zuruf von der SPD: Wer sagt das?)


– Ich werde Ihnen gleich sagen, wer das sagte.
Für den Osten gibt es bislang keine neuen Impulse, …

Weiter heißt es:
In den neuen Bundesländern haben es die jungen
Menschen unverändert schwerer als im Westen, einen
betrieblichen Ausbildungsplatz zu bekommen …, bei
den Ausbildungsplätzen von den Betrieben gab es ein
mageres Plus von einem Prozent. Fast alle zentralen
Kennzahlen des Ausbildungsmarktes Ost sind nun-
mehr seit Jahren eklatant schlechter als im Westen.

Der Mann hat Recht. Wir müssen darüber reden.

(Renate Jäger [SPD]: Wer ist das?)


– Das kommt noch. Ich will die Spannung noch ein biss-
chen aufrechterhalten, Sie werden sich wundern, Frau
Jäger.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Allgemein gilt, dass die Arbeitslosenquote und beson-

ders die Quote der jugendlichen Arbeitslosen in den neuen

Bundesländern durchschnittlich doppelt so hoch liegt wie
in den alten Bundesländern. Konkret heißt das: 1999 lag
die Arbeitslosenquote bei Jugendlichen in den alten Bun-
desländern bei 9 Prozent, in den neuen Bundesländern bei
15,7 Prozent. Ein anderes Beispiel: In Bayern kamen auf
100 Bewerber 117 betriebliche Lehrstellen, in Sachsen 13.


(Zuruf von der SPD: So schlecht ist Sachsen?)

In Sachsen ist das Gesamtangebot an Ausbildungsstellen
stärker zurückgegangen als die Anzahl der Bewerber; das
Verhältnis liegt bei 1 : 1,86. Darin stecken betriebliche
und außerbetriebliche Stellen. Erfreulich ist übrigens,
dass die Zuwachsraten in den neuen Berufen erheblich
sind. Bei IT-Berufen liegen sie bei mehr als 50 Prozent,
bei Mechatronikern liegen sie bei fast 100 Prozent. Aber
Prozente sind keine absoluten Zahlen; wir kennen den
Unterschied. Ich darf darauf hinweisen, dass die Kohl-Re-
gierung genau diese Entwicklung schon auf den Weg ge-
bracht hat. Ebenso positiv ist die Entwicklung bei freien
Berufen. Allerdings macht das nur etwa 10 Prozent aus.

Nach dem Beschluss der Bundesregierung werden in
den neuen Bundesländern die außerbetrieblichen Aus-
bildungsplätze auf maximal 15 Prozent der durch das
Bund-Länder-Programm bereitgestellten begrenzt. Das
bedeutet, dass die früher teilweise abgebaute Bugwelle an
Bewerbern nun erneut im Anwachsen begriffen ist.

Die CDU/CSU-Abgeordneten aus den neuen Bundes-
ländern hatten – darüber habe ich hier bereits berichtet –
eine Anhörung in Dresden. Die Ergebnisse und die
Schlussfolgerungen habe ich hier vorgetragen. Ich habe
sie dem Staatsminister Schwanitz und der Ministerin
Bulmahn mitgeteilt. Ich darf an folgende Kernaussagen
erinnern: Erstens. Wir brauchen in den neuen Bundeslän-
dern besondere Methoden, weil besondere Bedingungen
vorliegen. Zweitens. Das Problem ist nur lösbar, wenn un-
sere Reaktion über Ressortgrenzen hinausgeht. Drittens.
Neue und unübliche Wege sind erforderlich. – Wir haben
all das in den Schlussfolgerungen zusammengestellt. Aus
Zeitgründen möchte ich das nicht weiter ausführen.

Hauptziel muss es sein, die Fähigkeit und die Bereit-
schaft der kleineren und mittleren Betriebe, Lehrlinge
auszubilden, zu erhöhen; denn dort werden die besten und
die meisten betrieblichen Lehrstellen bereitgestellt. Qua-
lität, Praxisnähe und auch die Chancen, später einen Ar-
beitsplatz zu finden, sind dort am höchsten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Das Ziel ist nur durch unmittelbar wirkende steuerliche
Begünstigungen und Anreize erreichbar. Sodann bedarf es
der Förderung der Verbundausbildung und der überbe-
trieblichen Lehrunterweisungen, aber auch der Förderung
im Sinne einer Anschubfinanzierung. In dem Zusammen-
hang darf ich auf Österreich hinweisen – es ist bereits an-
gesprochen worden –, wo es eine direkte Steuerentlas-
tung für ausbildende Betriebe gibt.


(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Sehr gutes Modell in Österreich!)







(C)



(D)



(A)



(B)


Ich bin mir bewusst, dass die Bundesregierung helfen
will. Ich vermeide Begriffe, die die frühere Opposition
selbst verwendet hat – zum Beispiel: Katastrophe, Taten-
losigkeit, Skandal –,


(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Das haben sie alles vergessen!)


obwohl die angekündigte Trendwende noch nicht erreicht
ist und vieles versprochen, aber nicht gehalten wurde. Die
Bundesregierung gab inzwischen Änderungen im JUMP-
Programm bekannt, die ich begrüße. Ich freue mich, dass
unsere Zuarbeit offenbar ernst genommen worden ist.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Die Mobilitätshilfe muss so gestaltet werden – ich sage
das, weil die Grünen daran heftige Kritik geübt haben –,
dass die Rückkehr an den Heimatort gefordert und geför-
dert wird. Dazu gehört aus meiner Sicht auch, dass die
Lehrlingswohnheime unterstützt werden.

Ich möchte auf Folgendes hinweisen, weil gerade ein
entsprechender Zwischenruf gemacht wurde: Die SPD
schlägt in der Drucksache 14/3331 vor, über die – ich zi-
tiere – „Standardisierung von Maßnahmen“ nachzuden-
ken. Das geht genau am Ziel vorbei. Wir haben spezielle
Bedingungen. Es gibt nichts zu standardisieren.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Regionalspezifische Maßnahmen müssen vorgenommen
werden.

Jetzt möchte ich auf Ihre Frage antworten: In der
„Frankfurter Rundschau“ erschien am 26. Oktober 2000
ein Beitrag des Leiters der Abteilung Berufsbildung – ich
rede bewusst langsamer – beim Vorstand der IG Metall in
Frankfurt am Main, Dr. Klaus Heimann,mit dem Unter-
titel: „Ein genauer Blick in die Lehrstellenbilanz 2000
zeigt schwerwiegende Lücken und Schwächen“. Aus die-
sem Artikel, in dem Dr. Klaus Heimann die ostdeutschen
Bedingungen beschreibt, stammt das erste Zitat. Da Sie so
interessiert sind, möchte ich mehr von dem zitieren, was
er berichtet:

Das Ziel, jedem Jugendlichen einen Ausbildungs-
platz anzubieten, wurde 1999 und auch in diesem
Jahr deutlich verfehlt. Obwohl sich dieses Jahr erst-
mals weniger Jugendliche bei den Arbeitsämtern als
Ausbildungsplatz Suchende registrieren ließen, ...
schafften auch diesmal den Sprung in die Ausbildung
nur etwas mehr als die Hälfte von ihnen, ... Die an-
deren wurden so wie in den Vorjahren auch schon in
mehr oder minder sinnvollen Ersatzmaßnahmen oder
offensichtlich unsinnigen Warteschleifen geparkt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Er geht noch auf JUMP ein; aus Zeitgründen möchte ich
das aber nicht vertiefen. Ich empfehle Ihnen sehr, sich das
anzuschauen, was Herr Heimann von der IG Metall dort
mit sehr viel Sachverstand und Basisnähe sagt. Er sagt un-
ter anderem übrigens auch, dass benachteiligte Jugendli-
che weiterhin schlecht dran sind, dass sich die Lage nicht
verbessert hat. Ich stimme seiner Bilanz zu und fordere

die Bundesregierung mit Blick auf die Situation in den
neuen Bundesländern dringend auf:

Erstens. Passen Sie das Sofortprogramm der Spezifik
Ost an. Nutzen Sie dazu das, was in unserem Antrag steht,
und die Erfahrungen, die wir in unserer Anhörung in Dres-
den im Juni dieses Jahres gewonnen haben.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Zweitens. Sorgen Sie – damit wende ich mich direkt an

Herrn Schwanitz – für die interministerielle Gesamtge-
staltung des Prozesses. Das ist nicht nur die Sache eines
Ministeriums, es muss interministeriell gearbeitet wer-
den. Für Sie als Staatsminister im Bundeskanzleramt ist
das Ihr Amt. Bitte tun Sie Ihre Pflicht in diesem Amt!


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Drittens. Fördern Sie kleine und mittelständische Un-

ternehmen, direkt und steuerlich.
Viertens. Starten Sie eine mittelstandsfreundliche

Steuerpolitik.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Fünftens. Beseitigen Sie die zusätzlichen Belastungen
der KMU durch die so genannte Ökosteuer.


(Zurufe von der SPD)

– Wenn Sie Fragen haben, sollten Sie sie stellen. Es gibt
durchaus Antworten auf solche Fragen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Tun Sie das aber bitte nicht auf chemisch-kaltem Wege,
um mich möglicherweise zu verwirren oder aus der Fas-
sung zu bringen.


(Dr. Mathias Schubert [SPD]: Sind Sie denn noch zu verwirren oder sind Sie es schon?)


Sechstens. Führen Sie Maßnahmen durch, die eine
nachhaltige Wirkung sichern. Es geht um eine Strukturar-
beit. Es geht nicht um Flickschusterei und auch nicht um
Schaufensterpolitik. Ich würde gerne in einem Jahr an die-
ser Stelle am Ende meiner Rede mit Lob und Dank für das
Gesamtverhalten im Sinne der jungen Leute in den neuen
Bundesländern schließen.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1413101400
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Werner Schulz, Bündnis 90/Die Grünen.

Werner Schulz (Leipzig) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es war
ganz freundlich, Herr Kollege Jork, dass Sie am Anfang
die Leistung der Bundesregierung anerkannt haben. Im
Laufe Ihrer Rede bekam ich dann aber den Eindruck, dass
Sie den Jahresbericht zum Stand der deutschen Einheit of-
fensichtlich nicht gelesen oder nicht zur Kenntnis genom-
men haben; denn das, was Sie fordern, wird vielfach be-
reits getan und schon im Moment erfüllt. Insofern




Dr.-Ing. Rainer Jork
12598


(C)



(D)



(A)



(B)


beschäftigen wir uns mit zwei völlig überflüssigen und für
meine Begriffe auch dürftigen Anträgen, die Sie hier ge-
stellt haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Diese Anträge stammen noch aus der „Lutherzeit“.

(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN und bei der SPD)

Das heißt zwar nicht, dass sie aus dem 16. Jahrhundert
stammen, aber immerhin aus der Zeit, als der Kollege
Michael Luther noch für die Ostbelange in Ihrer Fraktion
gesprochen hat. Jetzt ist ja der „Demokratische Auf-
bruch“ – mit Günter Nooke und Angela Merkel – an die
Spitze gedrungen.


(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Sie sind neidisch! Sehr neidisch!)


Es wäre wünschenswert, wenn man das auch in den An-
trägen zu spüren bekäme.


(Günter Nooke [CDU/CSU]: Reden Sie doch mal zur Sache!)


– Ich rede gerade über die Anträge, Günter Nooke.

(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Sie wären bei uns auch besser aufgehoben!)

Diese wären durchaus bearbeitungswürdig gewesen; denn
dort fehlt jegliche kritische Reflexion Ihrer eigenen Politik.


(Zuruf von der CDU/CSU: Wir gestalten die Zukunft! – Weitere anhaltende Zurufe von der CDU/CSU)


– Normalerweise sollten Sie mir zuhören, weil ich Sie im
Grunde genommen anspreche. Dann könnten Sie darauf
mit Zwischenfragen reagieren; ich bin gern bereit, darauf
einzugehen.

Wenn Sie in Ihrem Antrag schreiben, Sie hätten am
Ende der Regierungszeit von Helmut Kohl erkannt, dass
die Investitionszulage das eigentliche Förderinstrument
für den Aufbau Ost ist, dann muss ich sagen: Das ist lei-
der eine sehr späte Erkenntnis. Inzwischen haben wir ka-
pitale Fehlallokationen im Osten durch die progressions-
bedingten Steuerabschreibungen gehabt. Wir haben jede
Menge Fehlinvestitionen gehabt. Darüber sollten Sie ein-
mal reden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Cornelia Pieper [F.D.P.]: Wer hätte das Geld denn ohne die Steuerabschreibungen investiert?)


Es gibt im Osten Investruinen sondergleichen: Büroge-
bäude, Gewerbegebiete und Einkaufszentren auf der grü-
nen Wiese, Hotelbauten und dergleichen mehr. Sie haben
dazu beigetragen, dass Überkapazitäten in der Bauindus-
trie geschaffen wurden, die uns heute Probleme bereiten,
weil sie abgebaut werden müssen; denn wir brauchen sie
in diesem Umfang nicht. Wir haben einen schwierigen
Strukturwandel im Transformationsprozess.

Das ist doch das eigentliche Problem, das wir im Osten
momentan bewältigen müssen. Es ist ein massives Pro-
blem, das Sie uns hinterlassen haben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Noch dazu haben Sie ein Investitionszulagengesetz kon-
struiert, das noch nicht einmal von der EU-Kommission
notifiziert werden konnte, weil es nicht korrekt war. Also
mussten wir das, was Sie uns kopflastig angeboten haben,
auf die Füße stellen.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1413101500
Kollege Schulz, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Jork?

Werner Schulz (Leipzig) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Gern.


Dr.-Ing. Rainer Jork (CDU):
Rede ID: ID1413101600
Herr Kollege
Schulz, weil Sie mich dazu ermutigt haben, möchte ich
auf die Bemerkungen, die offenbar direkt an mich gerich-
tet waren, eingehen. Meine erste Frage: Nachdem Sie in-
zwischen zwei Jahre an der Regierung sind, meinen Sie
nicht, dass Sie vielleicht ein bisschen mehr in die Zukunft
schauen sollten, als die Vergangenheit zu pflegen?

Zweitens. Haben Sie eigentlich die Zahlen, die konkret
das Thema Lehrstellen betreffen, zur Kenntnis genom-
men, die ich Ihnen genannt habe? Sind Sie der Meinung,
sie sind falsch?

Drittens. Meinen Sie, dass der von mir zitierte Fach-
mann der IG Metall eine falsche Einschätzung – sowohl
hinsichtlich des Zahlenmaterials als auch dessen Inhalts –
gegeben hat? Dann sagen Sie das bitte hier!

Werner Schulz (Leipzig) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Kollege Jork, was die Zukunft anbelangt: Wir hat-
ten wirklich erst einmal mit den Altlasten zu tun und da-
mit, diese wegzuräumen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Grinsen Sie ruhig! – Sie fordern, die Investitionsförde-
rung zu verstetigen. Wir haben sie verstetigt, und zwar
erst einmal garantiert, und dann in qualitativ neuer Form
fortgesetzt. Dazu gehört nun einmal die Haushaltskon-
solidierung, ohne die wir gar keine Mittel für die Investi-
tionsförderung hätten.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Dazu gehört das Steuerreformkonzept; ohne die Steuerre-
form hätten wir diese Mittel nicht.

Zum JUMP-Programm muss ich Ihnen sagen: Es ist
ungehörig, wie Sie das diffamieren. JUMP ist ein Sprung
nach vorn. Was Sie hier anbieten, ist die Rolle rückwärts.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Sicherlich, die Ausbildungsplatzsituation ist noch
nicht zufrieden stellend. Es fehlt uns immer noch an
betrieblichen Ausbildungsplätzen. Das hat aber mit den




Werner Schulz (Leipzig)


12599


(C)



(D)



(A)



(B)


wirtschaftlichen Strukturen zu tun, die wir im Osten vor-
gefunden haben. Davon müssen wir ausgehen. Wir haben
in diesem Bereich eine enorme Intensivierung vorgenom-
men. Sie können das allein daran sehen, wie sich die Ju-
gendarbeitslosigkeit entwickelt hat, dass dieser Trend ge-
stoppt wurde: Die Jugendarbeitslosigkeit im Osten ist in
den letzten Jahren unter Ihrer Regierung von 120 000 ar-
beitslosen Jugendlichen im Jahre 1996 auf über 140 000
im Jahre 1998 gestiegen.


(Hartmut Büttner [Schönebeck] [CDU/CSU]: Wenn die jungen Leute in den Westen abwandern, ist das doch kein Wunder!)


Dass wir die Trendwende geschafft haben und heute vom
Abbau der Arbeitslosigkeit reden können, hat doch ein-
deutig mit den Maßnahmen dieser Bundesregierung zu
tun.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1413101700
Herr Jork möchte
noch eine Frage stellen, wenn Sie gestatten.

Werner Schulz (Leipzig) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Ich freue mich, dass ich Sie am frühen Morgen so
beleben kann.


Dr.-Ing. Rainer Jork (CDU):
Rede ID: ID1413101800
Kollege Schulz,
vielleicht können Sie uns einmal sagen, warum Sie auf die
Frage nach den Zahlen der Lehrstellen und auf die Frage
nach der Glaubwürdigkeit des Vertreters der IG Metall
nicht eingegangen sind. Aus meiner Sicht sollten wir doch
ein bisschen konkret werden. Sie werden sich erinnern:
„Tendenzaussagen“ und „Prozente der Planerfüllung“
hatten wir früher einmal.

Werner Schulz (Leipzig) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Ich weiß nicht, wo Sie bei der Planerfüllung stan-
den. Ich kenne Sie ja ein bisschen: Das Schießen von Ei-
gentoren überlasse ich Ihnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr.-Ing. Rainer Jork [CDU/CSU]: Ich war in der Produktion! Das ist anrüchig für Sie! Deshalb nicht konkret werden?)


Ich habe Ihnen doch gesagt, dass wir noch nicht in der
Situation sind, jedem Jugendlichen seinen Ausbildungs-
platz zur Verfügung stellen zu können. Das ist nach wie
vor ein Problem. Aber: Wir haben die Diskrepanz eindeu-
tig verringert. Wir haben eine bessere Bilanz – ich habe
den Jahresbericht hier nicht vorliegen, aber ich könnte Ih-
nen die Zahlen ganz konkret nennen; wir können beide in
den Bericht schauen –: Im Osten herrscht momentan eine
bessere Situation, als das 1998 der Fall war, als wir die
Regierung übernommen haben. Das ist eindeutig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Hartmut Büttner [Schönebeck] [CDU/CSU]: Weil anfangs die jungen Leute abgehauen sind! – Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Das ist doch nicht euer Verdienst! Das wissen Sie genauso gut wie wir!)


Gehen wir in medias res: Die Investitionsförderung hat
sich unter der jetzigen Bundesregierung eindeutig verbes-
sert. Vor allen Dingen haben wir die vielfältigen Förder-
programme, die wir vorgefunden haben, zu ziemlich über-
sichtlichen Bausteinen zusammengefügt. Wir haben uns
auf Innovationsförderung, Starthilfen für junge Unterneh-
men und Existenzgründer sowie auf Chancen- und Betei-
ligungskapital konzentriert. Das alles hat es zu Ihrer Zeit
nicht gegeben, wir haben es eingeführt bzw. ausgeweitet.
In der Wirtschaftsförderung ist eindeutig eine qualita-
tive Verbesserung eingetreten. Es ist absehbar, dass auch
die Arbeitslosigkeit – wenn auch noch nicht in einem
Maße, das uns befriedigen würde – klar zurückgeht. Im
Osten geht die Arbeitslosigkeit tendenziell zurück; junge
Leute finden verstärkt Arbeits- und Ausbildungsplätze.


(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Wie viele Arbeitsplätze haben Sie in den letzten zwei Jahren geschaffen?)


Wir haben die Mobilitätshilfe eingeführt und die Kritik,
die von Ihrer Seite kam, aufgenommen. Wir haben in die-
sem Katalog viele Qualifizierungsmaßnahmen anzubie-
ten, die junge Leute an Ausbildung und Arbeit heran-
führen. Im Grunde genommen muss man auch das
gesamte Vorfeld betrachten.

Ich finde, Ihre Kritik greift kräftig ins Leere. Ihre An-
träge sind von vorgestern, beinhalten keinerlei Selbstkri-
tik und bringen uns nicht weiter. Auch wenn Sie Ihre
Emotionen kaum dämpfen können und ständig Zwi-
schenrufe machen und Zwischenfragen stellen: Die Er-
folge, die wir sehen, sind die Erfolge der jetzigen Bun-
desregierung. Sie hat dafür in den letzten zwei Jahren hart
gearbeitet. Sie können sagen, was Sie wollen: Sie haben
damit nichts zu tun.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1413101900
Ich erteile das Wort
der Kollegin Cornelia Pieper, F.D.P.-Fraktion.


Cornelia Pieper (FDP):
Rede ID: ID1413102000
Verehrter Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Schulz hat die An-
träge der CDU/CSU-Fraktion zur Investitionstätigkeit in
den neuen Bundesländern und zur Jugendarbeitslosigkeit
als überflüssig bezeichnet.


(Zuruf von der F.D.P.: Hört! Hört!)

Ich halte es für skandalös,


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


wenn man es für überflüssig hält, über diese Themen, die
die brennendsten Fragen für die neuen Bundesländer be-
inhalten, zu diskutieren. Ich finde, so kann man das nicht
im Raum stehen lassen.

Herr Schulz, nach den Einschätzungen des Deutschen
Instituts für Wirtschaftsforschung wird der Bedarf an
Lehrstellen von rund 665 000 in diesem Ausbildungsjahr




Werner Schulz (Leipzig)

12600


(C)



(D)



(A)



(B)


bis zum Jahre 2006 um knapp 6 Prozent auf 704 000
steigen. In diesem Jahr haben aber insgesamt nur
400 000 junge Menschen einen Ausbildungsplatz gefun-
den. Aus dieser Diskrepanz wird deutlich, dass das Pro-
blem noch lange nicht gelöst ist. Die Ihnen bekannte Ge-
werkschaftsjugend sagt konkret zum JUMP-Programm,
dass von dem im letzten Jahr im Bündnis für Arbeit be-
schlossenen Ausbildungskonsens nur noch ein – ich zi-
tiere – „Ausbildungsnonsens“ übrig sei.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn Sie uns schon nicht glauben wollen, vielleicht glau-
ben Sie ja wenigstens den jungen Leuten, die in Ihrer Par-
tei oder der Gewerkschaft sind.

Wir haben heute die Gelegenheit, die Erfolge der Bun-
desregierung beim Aufbau Ost einer Qualitätsprüfung zu
unterziehen. Die vorliegenden Anträge sind eine gute Ge-
legenheit, die Chefsache Aufbau Ost zu bewerten. Die rot-
grüne Bundesregierung hat einen Gesetzentwurf – er wird
in erster Lesung beraten – eingebracht, der vorsieht, die
vorgesehenen Mittel für Ersatzinvestitionen in kleinen
und mittelständischen Betrieben um die Hälfte zu kürzen
und die Förderung bis zum Jahre 2001 ganz auslaufen zu
lassen.

Sie sind damit Ihren Versprechungen, die Förderung
für den Aufbau Ost bis zum Jahre 2004 nicht anzutasten,
nicht treu geblieben.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das wundert uns nicht. Auch wenn Sie im Gegenzug eine
verstärkte Förderung von Erstinvestitionen vorschlagen,
so geben Sie nach Ihrem Haushaltsentwurf statt der bisher
veranschlagten 3,5 Milliarden DM 1 Milliarde DM weni-
ger. Sie betreiben somit nach meiner Meinung eine Kon-
solidierung des Bundeshaushaltes zulasten des Aufbaus
Ost. Das muss ich so deutlich sagen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dass Sie dies aufregt, verstehe ich, aber: Wahrheit bleibt
Wahrheit.

Die Bundesanstalt für Arbeit hat in ihrem jüngsten Be-
richt auf die Problematik des ostdeutschen Arbeitsmark-
tes und der Ausbildungsplatzsituation hingewiesen. Die
Arbeitslosenzahlen im Osten sind noch immer drama-
tisch hoch. Sie, meine Damen und Herren von der
Regierungskoalition, stellen trotzdem in Frage, ob man
Unternehmen nach erfolgter Subventionierung der Erstin-
vestitionen überhaupt noch Ersatzinvestitionen finanzie-
ren solle. Wenn man dies infrage stellt, dann kennt man
die Situation von kleinen und mittelständischen Unter-
nehmen im Osten nicht gut. Sie wissen genau, dass die Ei-
genkapitaldecke der dortigen Unternehmen noch immer
zu dünn ist und dass man ganz gezielt Investitionen
fördern muss und sie nicht streichen darf, wie Sie es vor-
haben. Die Mehrheit der kleinen und mittelständischen

Firmen im Osten ist auf Hilfe angewiesen, auch um Aus-
bildungsplätze zu schaffen. Ich betone: Die beste Ausbil-
dungsplatzpolitik, die man machen kann, ist eine ordent-
liche Mittelstandspolitik.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Fehlanzeige bei RotGrün!)


Damit nicht genug: Wenn man sich den Haushalt für
2001 anschaut, dann stellt man fest, dass Sie die Mittel für
die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen
Wirtschaftsstruktur“ um 300 Millionen DM gekürzt ha-
ben. Die Mittel für wirtschaftsnahe Infrastrukturmaßnah-
men werden insgesamt um 12 Prozent gekürzt. Ich halte
es für gefährlich, wenn gerade dort, wo die Infrastruk-
turmaßnahmen gefördert werden können, gekürzt wird.

Damit nicht genug: Die Expertenkommission zum
Wohnungsleerstand im Osten, die Minister Klimmt ein-
berufen hat, hat heute mitgeteilt – das sind die neuesten
Nachrichten –: Die Eigenheimzulage im Osten soll hal-
biert werden. Als Ausgleich sollen die Zulagen für den
Kauf von Wohnungen in der Platte oder im Altbau ver-
doppelt werden und somit die Wirkung der staatlichen
Wohnraumlenkung verbessert werden. Das muss verhin-
dert werden; das ist ein Skandal! Wir alle wissen, dass die
Vermögensbildung in den neuen Ländern noch nicht den
Stand in den alten Ländern erreicht hat.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Das ist eine rot-grüne Murkspolitik!)


Angesichts dieser Politik hören wir – zu Recht – die
Alarmglocken läuten. Deswegen ist es wichtig, dass wir
über die Fragen der Investitionsförderung erneut debat-
tieren. Ich kann Sie namens meiner Fraktion nur auffor-
dern – mein Kollege Jork hat es schon gesagt –, für mit-
telstandsfreundliche Gesetze zu sorgen, die insbesondere
dem Osten Deutschlands nutzen. Stellen Sie in der Steuer-
gesetzgebung die Personalgesellschaften den Kapitalge-
sellschaften endlich gleich.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Schaffen Sie die Ökosteuer ab. Ermöglichen Sie In-
vestitionen in den neuen Ländern, indem Sie die 1 Milli-
arde DM in den Bereich Bildung, Forschung und Wissen-
schaft fließen lassen,


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


damit zukunftssichere Arbeitsplätze und Ausbildungs-
plätze in den Betrieben geschaffen werden können.
Darauf kommt es an. Ich finde es gut, dass es ein neues
Programm zur Förderung innovativer regionaler Wachs-
tumskerne in den neuen Bundesländern geben soll.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1413102100
Liebe Kollegin
Pieper, bitte kommen Sie zum Ende.


Cornelia Pieper (FDP):
Rede ID: ID1413102200
Sehr gern, Herr Präsident.




Cornelia Pieper

12601


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1413102300
Sie haben Ihre Rede-
zeit schon deutlich überschritten.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Das ist doch so interessant, was sie uns erzählt!)


– Das darf ich leider nicht bewerten. Ich schaue nur auf
die Uhr.


Cornelia Pieper (FDP):
Rede ID: ID1413102400
Deshalb schlage ich vor:
Lassen Sie uns einen Teil der Milliarde, die nach Ihrer An-
sicht zur Konsolidierung des Bundeshaushaltes verwen-
det werden soll, in das Programm zur Förderung innova-
tiver Wachstumskerne stecken. Damit würden wir mehr
erreichen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1413102500
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Gerhard Jüttemann, PDS-Fraktion.


Gerhard Jüttemann (PDS):
Rede ID: ID1413102600
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! „Der Arbeitsmarkt in den neuen Län-
dern kommt nicht voran, eher ist eine anhaltende Ver-
schlechterung festzustellen“, heißt es im jüngsten Mo-
natsbericht der Bundesanstalt für Arbeit. Bei anhaltender
Konjunktur ist dieser Offenbarungseid zuverlässiges In-
diz dafür, dass alle Versprechungen und alle Zeitpläne der
wechselnden Bundesregierungen im Hinblick auf den
Aufholprozess der neuen Bundesländer nicht eingehalten
worden sind.


(Beifall bei der PDS)

Im Herbstgutachten der sechs führenden Wirtschafts-

forschungsinstitute wird dazu festgestellt:
Der Aufholprozess kam somit nicht nur zum Still-
stand, sondern gemessen am Pro-Kopf-Einkommen
fiel der Osten sogar zurück. An diesem Befund hat
sich zu Beginn des neuen Jahrzehnts wenig geändert.
Der Anstieg des Bruttoinlandsprodukts in den neuen
Ländern verstärkt sich in diesem Jahr, er bleibt aber
niedriger als in Westdeutschland. So stockt der Auf-
holprozess das vierte Jahr in Folge, und die Produk-
tion je Einwohner verharrt bei 61 Prozent des Stan-
des in Westdeutschland.

Diese anhaltend hoffnungslose wirtschaftliche Situa-
tion verlangt natürlich eine verstärkte Investitionsför-
derung. Sie alleine bringt aber überhaupt nichts, wenn sie
– wie in der gängigen Praxis – zum größten Teil eine Sub-
ventionierung leistungsstarker Großunternehmen dar-
stellt. Demgegenüber müsste das Hauptziel der Förderung
von Wirtschaft die Entwicklung strukturschwacher Re-
gionen bis hin zu deren ökologisch-sozialen Wandel im
Interesse ihrer Bewohner sein.


(Beifall bei der PDS)

Eine solche Förderung müsste sich vor allem an der He-
bung von Einkommen und Beschäftigung, an einer grund-

legenden Verbesserung der Infrastruktur sowie an der Er-
haltung und des Schutzes der Umwelt orientieren.


(Rainer Fornahl [SPD]: Machen wir doch alles, Herr Jüttemann!)


Leider ist nicht zu sehen, dass die Regierung beabsich-
tigt, sich in diese Richtung zu bewegen.


(Rainer Fornahl [SPD]: Wir rennen schon!)

Das erfordert nämlich für die nächsten Jahre ein Auf-
stocken der Mittel für den Aufbau Ost.Die Bundesregie-
rung aber kürzt stattdessen: Sie kürzt indirekt, indem sie
Steuermehreinnahmen durch die Änderung des Inves-
titionszulagengesetzes nicht mehr dem Aufbau Ost zur
Verfügung stellt. Sie kürzt direkt, indem zum Beispiel die
Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe im kommenden
Haushaltsjahr um 300 Millionen DM magerer ausfallen
als noch in diesem Jahr.

Für unerträglich halte ich es auch, wenn staatliche För-
dermittel dazu missbraucht werden können, dass eta-
blierte Unternehmen aus dem Westen ihre Produktion in
den Osten verlagern, um per saldo Arbeitsplätze abzu-
bauen, sich der Zahlung von Tariflöhnen zu entziehen so-
wie die in langen Jahren und schweren Auseinanderset-
zungen errungene Mitbestimmung auszuhebeln. Die
PDS-Fraktion wird demnächst einen Antrag einbringen,
um solchen Missbrauch zu stoppen;


(Beifall bei der PDS)

denn diese Art und Weise von Wirtschaftsförderung trägt
dazu bei, dass die Lebensverhältnisse im Osten nach und
nach auf den Westen übertragen werden. Ursprünglich
war die Angleichung der Lebensverhältnisse in die andere
Richtung angekündigt worden – hauptsächlich von der
ehemaligen Regierung.

Lassen Sie mich noch ein Wort zur Lehrstellensitua-
tion in Ostdeutschland sagen. Auch hinsichtlich dieser
Problematik sind die Verhältnisse alles andere als ange-
glichen. Einige Wochen nach Beginn des neuen Lehrjah-
res sind Tausende von Jugendlichen ohne Ausbildungs-
platz. 40 Prozent der Jugendlichen im Osten müssen
außerbetrieblich ausgebildet werden.


(Dr. Mathias Schubert [SPD]: Die CDU sagte 30 Prozent! Was stimmt denn nun?)


Sie kennen die Qualität dieser Art von Ausbildung; Sie
wissen, was die Jugendlichen damit anfangen können.
Sehr viele junge Leute wandern deshalb in die alten Bun-
desländer ab. Das Problem wird uns aber erhalten bleiben;
denn die Gründe dafür fallen in absehbarer Zeit nicht weg:
Da ist zum einen der wirtschaftliche Rückstand im Osten
und zum anderen der allgemeine Trend, dass in besonde-
rem Maße große Unternehmen die Lehrausbildung als
überflüssigen Kostenfaktor ansehen.

Einziger Lichtblick dürfte die demographische Ent-
wicklung sein. Laut Deutschem Institut für Wirtschafts-
forschung wird der Bedarf an Ausbildungsplätzen im
Osten nur noch zwei Jahre lang steigen. Danach soll er
wegen rückläufiger Schulabgängerzahlen sinken. Das be-
deutet aber noch lange nicht, dass dann genügend
Lehrstellen vorhanden sind; denn auch deren Zahl sinkt ja






(C)



(D)



(A)



(B)


ständig. Das Institut jedenfalls konstatiert in seinem Wo-
chenbericht vom 19. Oktober die Notwendigkeit, das
Lehrstellenangebot in kleineren und mittleren Betrieben
auszuweiten, weil es nicht ausreichend ist.

Ich möchte in diesem Zusammenhang das SPD-Wahl-
programm zitieren. Ich habe es hier schon einmal zitiert;
ich tue das aber gerne noch einmal, weil Sie es ja offen-
sichtlich völlig verdrängt haben.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1413102700
Herr Kollege
Jüttemann, das ist aber Ihre letzte Bemerkung. Sie liegen
schon deutlich über Ihrer Redezeit.


Gerhard Jüttemann (PDS):
Rede ID: ID1413102800
Im SPD-Wahlprogramm
heißt es also:

Wirtschaft und öffentlicher Dienst müssen in eigener
Verantwortung für ein ausreichendes Lehrstellenan-
gebot sorgen. Anderenfalls wird auf gesetzlicher
Grundlage ein fairer bundesweiter Leistungsaus-
gleich zwischen ausbildenden und nicht ausbilden-
den Betrieben notwendig.


(Beifall bei der PDS)

Jetzt ist es nur noch notwendig, dass Sie Ihr Wahlpro-

gramm umsetzen.
Herzlichen Dank.


(Beifall bei der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1413102900
Ich erteile nun der
Kollegin Ingrid Holzhüter, SPD-Fraktion, das Wort.


Ingrid Holzhüter (SPD):
Rede ID: ID1413103000
Herr Präsident! Meine lie-
ben Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie mir am An-
fang meiner Rede, dass ich Herrn Jork frage, ob folgendes
Zitat Grundlage unseres Denkens sein soll – er hat ja ge-
sagt, die Vergangenheit solle uns nicht mehr interessieren
und wir sollten nur noch in die Zukunft schauen –: „Auf-
erstanden aus Ruinen und der Zukunft zugewandt.“

Lieber Herr Jüttemann – ich sehe Sie ja sonst nicht un-
gern –, Jammern aber hat noch nie geholfen. Jeder Arzt
sagt: Positives Denken fördert die Heilung. – Vielleicht
sollten wir diesen Satz auch einmal auf unsere Politik
übertragen und den Menschen in den neuen Ländern die-
ses Gefühl vermitteln.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Beratung in den Ausschüssen über den Antrag der

Opposition hat keine Gesichtspunkte zutage gefördert,
die uns überzeugt hätten, dass die Argumente, die wir
schon in der ersten Lesung angeführt haben, um die
Sinnlosigkeit dieses Antrages zu belegen, nicht richtig
sind. Es gibt keine andere geeignete Vorgehensweise des
Parlaments, als diesen Antrag abzulehnen. Die Zahlen, die
Sie hier genannt haben, lassen nämlich völlig außer Acht,
dass es neben dem BBiG und der Handwerkskammerord-
nung auch noch andere Informationen gibt, die in Ihre an-
scheinend nicht eingeflossen sind.

Die Maßnahmen der Bundesregierung stellen keine
Konkurrenz zu den Aktivitäten der Länder dar. Sie kön-
nen vielmehr kombiniert werden. Gerade die neuen Län-
der werden damit in ihren Bemühungen unterstützt. Da-
mit wird man der besonderen Situation, die in den neuen
Ländern durchaus noch besteht, gerecht.

Statt den Vorwurf der Konkurrenz an den Haaren her-
beizuziehen, sollten Sie, meine Damen und Herren von
der Opposition, zur Kenntnis nehmen, dass die Ausbil-
dungsförderung besonders für benachteiligte Jugendliche
eine große Bedeutung gewonnen hat. Denn diese jungen
Menschen bedürfen einer besonderen Betreuung und hät-
ten ohne diese Betreuung im Hinblick auf ihre Zukunft
und ihre Qualifikation wenig Chancen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Untergraben Sie bitte den vorsichtigen Optimismus dieser
Menschen nicht; denn ohne Optimismus kann man keine
vernünftige Lebensführung garantieren.

Das Sofortprogramm der Bundesregierung leistet ei-
nen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung des Rechtsex-
tremismus und reiht sich in die Initiativen ein, mit denen
sich die Bundesregierung diesem Problem widmet. Die
Bekämpfung des Rechtsextremismus ist nicht nur eine
politische und moralische Pflicht aufrechter Demokraten
gegenüber den Menschen, die von Rechtsextremisten be-
droht werden. Vielmehr ist sie auch Pflicht denjenigen
gegenüber, die aus emotionaler und ideologischer Orien-
tierungslosigkeit in die Gefahr geraten, Halt und Orien-
tierung bei diesen Gruppen zu suchen. Solche Menschen
gefährden nicht nur andere und die demokratische Grund-
ordnung. Sie zerstören auch ihre eigenen Zukunftschan-
cen.

Wir täten ihnen und uns einen Bärendienst, wenn wir
diese jungen Menschen mit dem Hinweis auf hohe Kos-
ten einfach sich selbst überlassen würden. Wir müssen
alle in diesem Zusammenhang möglichen Anstrengungen
unternehmen; denn nur so können wir gerade den neuen
Ländern helfen, die sich – zugegebenermaßen noch im-
mer – in einer relativ benachteiligten Lage befinden. Wir
haben aber auch die Erfahrung gemacht, dass die Ausbil-
dungskonferenzen auf dem Wege, eine verbesserte Si-
tuation zu erreichen, einen wichtigen Beitrag leisten.


(Beifall bei der SPD)

Mit dem Hinweis auf Kosteneffizienz wollen Sie,

meine Damen und Herren von der Opposition, den neuen
Ländern den Boden unter den Füßen wegziehen. Da hät-
ten wir uns die Bemühungen für die neuen Länder schon
immer sparen können. Sie waren noch nie billig. Klar ist
aber doch – von moralischen Gesichtspunkten einmal ab-
gesehen –, dass uns der Aufbau der neuen Länder, wenn
wir dies nicht auf diese Weise getan hätten, viel teurer
gekommen wäre. Wir werden den von Ihnen begonnenen
Aufbau Ost weiterführen, aber ohne die Fehler, die Sie da-
bei begangen haben.

Zu Ihrer Zeit sind die Themen der speziellen Ausbil-
dungsförderung und des Rechtsextremismus in den neuen
Ländern vernachlässigt oder sogar unter den Teppich




Gerhard Jüttemann

12603


(C)



(D)



(A)



(B)


gekehrt worden. Um das zu vertuschen, versuchen Sie
nun mit teilweise wirklich peinlichen Scheinargumenten
die erfolgreichen Maßnahmen der Bundesregierung
zu diskreditieren. Es ist zum Beispiel absurd, angesichts
dessen eine Überprüfung der Maßnahmen auf ihre
Wirksamkeit zu fordern, da diese Überprüfung ständig
vorgenommen und das Sofortprogramm sogar wissen-
schaftlich begleitet wird.

Ich möchte Ihnen nicht vorenthalten, welches neue
Zahlenmaterial diese wissenschaftliche Begleitung zu-
sammengestellt hat, nachdem wir die erste Aussprache zu
diesem Thema hatten. So haben im September dieses Jah-
res 10 998 Jugendliche begonnen, an Maßnahmen des So-
fortprogramms teilzunehmen. Das ist die höchste Zu-
gangszahl in diesem Jahr. Seit Jahresbeginn ergeben sich
damit 79 465 Zugänge. Für 25 000 davon – genauer ge-
sagt: für 24 965 – ist damit eine Eingliederung in den ers-
ten Arbeitsmarkt möglich. Die angestrebte Schwerpunkt-
setzung in Richtung Eingliederung in den ersten
Arbeitsmarkt mit Lohnkostenzuschüssen wurde also er-
reicht. Sie sehen, meine Damen und Herren von der Op-
position, ein beständiges Lernen aus den Programmen
und eine entsprechende kontinuierliche Anpassung müs-
sen gar nicht von Ihnen gefordert werden. Sie sind bei uns
in den besten Händen.

Mit Projekten zur Ausschöpfung und Erhöhung des be-
trieblichen Lehrstellenangebots konnten bislang über
20 000 zusätzliche betriebliche Ausbildungsplätze ge-
wonnen werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dies scheint aber die Kollegin Pieper nicht zu interessie-
ren, da sie mir ihr „besseres Teil“ zuwendet.

Seit Jahresbeginn wurden gegen nur 2 671 Jugendliche
wegen unbegründeter Ablehnung oder unbegründeten
Abbruchs von Maßnahmen Sperrzeiten verhängt. Die ge-
ringe Zahl der Ablehnungen zeigt, dass die Jugendlichen
diese Ausbildungsangebote durchaus positiv bewerten
und annehmen.

Die neuen Länder werden besonders gefördert.
146 Millionen DM nicht benötigter Ausgabemittel für
Strukturanpassungsmaßnahmen wurden zugunsten des
Sofortprogramms umgeschichtet. Davon kommen
113Millionen DM den neuen Ländern zugute. Damit ent-
fallen 42,6 Prozent der Mittel auf die neuen Länder.


(Beifall bei der SPD)

Bereits jetzt wird so der Empfehlung des Bündnisses

für Arbeit entsprochen, den Anteil der neuen Länder am
Sofortprogramm zu erhöhen. Im Jahre 2001 werden es
nämlich 50 Prozent sein. Ende September 2000 nahmen
in den neuen Ländern schon 35 687 Jugendliche am So-
fortprogramm teil. Dies sind 48,9 Prozent aller Teilneh-
mer. Das Sofortprogramm hat dazu geführt, dass die Ju-
gendarbeitslosigkeit in Ost- und in Westdeutschland im
Jahresdurchschnitt 1999 gegenüber dem Jahresdurch-
schnitt 1998 zurückgegangen ist. Der Schwerpunkt des
Programms ist auf die Integration der Jugendlichen in den
ersten Arbeitsmarkt verlagert worden. Meine Damen
und Herren von der Opposition, Sie können also ange-

sichts dieser Zahlen ruhig schlafen. Die Regierung wird
es schon richten.

Wir reden hier von Erfolgen, wie sie gerade in den
neuen Ländern dringend gebraucht werden. Es sollte nicht
sein, dass Sie ausgerechnet an dieser Stelle versuchen, der
Bundesregierung an den Karren zu fahren. Das ist Kritik
um der Kritik willen und das ist destruktiv.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Bundesregierung hat völlig zu Recht im Juni die-
ses Jahres beschlossen, dass das Sofortprogramm über das
Jahr 2000 hinaus verlängert wird. Wir sollten sie darin ge-
rade im Namen der Menschen in den neuen Ländern un-
terstützen.

Einen Schlüsselsatz hat für mich der Arbeitsamtsdirek-
tor von Neustrelitz gesagt – und damit will ich schließen –:

Wir sind nicht froh, dass es Arbeitsmarktprogramme
wie ABM und Co geben muss, aber, meine Damen
und Herren, was würden wir ohne diese Programme
in den neuen Ländern tun? Hier würde der Teufel auf
den Straßen tanzen!

Wer wollte das abstreiten?
Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1413103100
Ich erteile der Kolle-
gin Katherina Reiche, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.


Katherina Reiche (CDU):
Rede ID: ID1413103200
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist ohne Zweifel
wichtig, dass wir im Deutschen Bundestag regelmäßig
über die Konzepte für die Förderung der Wirtschaft in den
neuen Ländern debattieren. Es ist ohne Zweifel auch
wichtig, dass sich Wirtschaftswissenschaftler, Unterneh-
mer und Politiker Gedanken über die Effektivität der lau-
fenden Maßnahmen machen.

Es gibt jedoch einen stummen Debattenbeitrag und
eine sehr greifbare Form der Evaluierung: Ich spreche von
der hohen Abwanderungsrate gerade junger Menschen
aus den neuen Ländern. Hierbei handelt es sich um eine
Abstimmung mit den Füßen über die verfehlte Politik der
Bundesregierung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Widerspruch bei der SPD)


Der Aderlass ist immens. 1998 verließen knapp
200 000 Menschen die neuen Länder. 1999 waren es noch
einmal 13 000 Menschen mehr als 1998. Nach einer Pro-
gnose werden in den nächsten zehn Jahren 1Million Men-
schen die neuen Länder verlassen. Es ist nicht irgendwer,
der die neuen Länder verlässt, es sind die Jungen, die Leis-
tungsträger der Gesellschaft, die die Zukunft bestimmen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD – Dr. Mathias Schubert [SPD]: Am meisten ist es die Jugend in Sachsen! Das muss eine schlechte Regierung sein!)





Ingrid Holzhüter
12604


(C)



(D)



(A)



(B)


Wir alle, die wir uns mit Migration beschäftigen, wis-
sen, dass man seine Heimat und sein soziales Umfeld
nicht ohne Grund verlässt. Dahinter steckt gerade bei jun-
gen Menschen häufig Perspektivlosigkeit.

Die Veröffentlichung der Arbeitslosenzahlen gibt jeden
Monat Anlass zu Besorgnis. Die Arbeitslosigkeit in den
neuen Ländern ist mittlerweile zweieinhalb Mal so hoch
wie in den alten Ländern. Das wollte ich zur Realität der
Chefsache Aufbau Ost von Bundeskanzler Schröder sa-
gen.

Vonseiten der Bundesregierung wird auf diese Ent-
wicklung mit einem selbstgerechten Achselzucken rea-
giert, nach dem Motto: Wir tun doch alles, was wir kön-
nen. Das mag ja so sein, es ist aber bei weitem nicht
ausreichend und zeugt von Ihrem Selbstverständnis von
verantwortungsvoller Politik. Wir brauchen handfeste Ta-
ten statt lockerer Sprüche.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Widerspruch bei der SPD)


Nehmen wir zum Beispiel das Sofortprogramm
JUMP. Grundsätzlich begrüßen wir jede Maßnahme, die
dazu dient, die hohe Jugendarbeitslosigkeit in den neuen
Ländern abzubauen. Die Maßnahmen müssen aber nach-
haltig, effizient und bedarfsorientiert sein. Die Bundesre-
gierung preist JUMP vollmundig und offensichtlich vor-
eilig als vollen Erfolg. Aber selbst das Institut für
Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt für
Arbeit sagt zur Bewertung von JUMP– ich zitiere –, „dass
eine kausale Interpretation der Befunde zum derzeitigen
Zeitpunkt noch nicht vorgenommen werden kann“.

Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat deshalb mit
ihrem Antrag eine Zwischenbilanz von JUMP gezogen.
Mein Kollege Rainer Jork hat bereits auf die offensichtli-
chen Mängel dieses Programms aufmerksam gemacht.
JUMP bietet nur einem Bruchteil der Teilnehmer eine Per-
spektive. In Brandenburg sind beispielsweise gerade ein-
mal 2,5 Prozent der Jugendlichen aus einer JUMP-Maß-
nahme in ein festes Arbeitsverhältnis übernommen worden.
Weniger als 10 Prozent konnten eine reguläre Ausbildung
beginnen. Auf der anderen Seite sind in Brandenburg
20 Prozent der Jugendlichen vorzeitig aus der jeweiligen
Maßnahme ausgestiegen. Circa 30 Prozent wurden in einer
ABM geparkt und ein weiteres Drittel holte über das
JUMP-Programm seinen Hauptschulabschluss nach.


(Dr. Mathias Schubert [SPD]: Die Menschen werden „geparkt“!)


Es ist offensichtlich, dass dieses Programm ineffizient
und ineffektiv ist. Es ist umso ärgerlicher, dass die Bun-
desregierung die Kosten für JUMP – immerhin 2 Milliar-
den DM – auf die Sozialversicherung abgewälzt hat. Es
gibt keinen Gestaltungsspielraum für Beitragssenkungen,
obwohl diese wirklich zur Belebung des Arbeitsmarktes
beitragen würden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Die Kollegen von der SPD haben im Mai ein Loblied

auf die überbetriebliche Ausbildung gesungen, die ei-
nen großen Prozentsatz von JUMP ausmacht. Dort würde
man sich viel besser um die jungen Menschen kümmern

als in einem Betrieb, hieß es. Ich glaube, dass dies Ihre
Einstellung zum ersten Arbeitsmarkt ganz deutlich zeigt.
Überbetriebliche Ausbildung darf dagegen munter und
teuer weiter am Bedarf vorbei ausbilden. So kommen zum
Beispiel in den neuen Ländern weiterhin viele junge Mau-
rer auf den Arbeitsmarkt, die in der gebeutelten Baubran-
che im Osten momentan wirklich nicht gebraucht werden.

Wir sollten uns einig sein, dass der Erfolg von Maß-
nahmen wie JUMP letztlich daran gemessen werden
muss, wie viele Menschen auf dem ersten Markt eine
Chance erhalten. Wenn jedoch Bundesprogramme – sie
bringen für ein Jahr mehr Geld – den Landesprogrammen
dergestalt Konkurrenz machen, dass die Hälfte der Be-
rufsschulklassen in Brandenburg fluchtartig die Schulen
verlässt,


(Dr. Mathias Schubert [SPD]: Wo denn in Brandenburg?)


um ein Jahr lang mehr Geld zu haben, danach aber ohne
Ausbildung und ohne Arbeitsplatz dasteht, finde ich die
Maßnahmen völlig verfehlt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit sind weniger

die JUMP-Milliarden maßgeblich als eine Wirtschaftspo-
litik, die die Unternehmenslandschaft in Ostdeutsch-
land stabilisiert und für den Wettbewerb fit macht. Es gibt
Unternehmenslandschaften in Ostdeutschland, die her-
vorragend funktionieren. Ich nenne den Bereich um Dres-
den und den Speckgürtel um Berlin. An dieser Entwick-
lung jedoch hatte die jetzige Bundesregierung wirklich
keinen Anteil. Die Aufgabe der Bundesregierung besteht
darin, die strukturschwachen Regionen zu fördern. Dabei
versagt die Bundesregierung.

Ich möchte vier Beispiele nennen, für mehr reicht lei-
der die Zeit nicht. Erstens. Im Ausschuss für Angelegen-
heiten der neuen Länder haben wir sehr intensiv über die
Investitionsförderung und das Investitionszulagengesetz
diskutiert. Über Sinn und Zweck der unterschiedlichen
Behandlung von Erst- und Ersatzinvestitionen kann man
streiten. Ich möchte aber die Bundesregierung und die
Koalitionsfraktionen, insbesondere Herrn Schulz, darauf
hinweisen, dass wir mit der EU über die Sache gestritten
haben. Wir wollten nämlich, dass Erst- und Ersatzinvesti-
tionen nicht voneinander getrennt werden. Es hätte zur
politischen Fairness gehört, wenn Sie gesagt hätten, dass
Ihr Investitionszulagengesetz noch nicht notifiziert ist.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Unter dem Strich kommt durch die unterschiedliche Be-

handlung eine Steuerersparnis von knapp 1 Milliarde DM
heraus; Frau Pieper hat darauf bereits hingewiesen. Diese
könnten Sie getrost in die Gemeinschaftsaufgabe Aufbau
Ost stecken. Sie bezeichnen die Gemeinschaftsaufgabe als
„Herzstück“ Ihrer Wirtschaftspolitik in den neuen Ländern.
Doch das so genannte Herzstück kürzen Sie um 300 Milli-
onen DM. Mit traumwandlerischer Sicherheit kürzen Sie
bei all den Posten – bei der Infrastruktur und den Mitteln
für Forschung und Entwicklung –, die wirklich dazu
beitragen würden, die Wirtschaft in den neuen Ländern zu
stärken.




Katherina Reiche

12605


(C)



(D)



(A)



(B)


Zweitens: Ökosteuer. Die Ökosteuer ist Gift für die
Wirtschaft, gerade in den neuen Ländern.


(Beifall des Abg. Dr.-Ing. Rainer Jork [CDU/CSU])


Die Industrie im Osten wird überproportional belastet.
Nach wie vor sind im Osten gegenüber dem Westen 6 bis
10 Prozent höhere Energiekosten zu verzeichnen. Auch
der Stromverbrauch liegt, bezogen auf den Umsatz in Ost-
deutschland, höher als im Westen. Das liegt einerseits an
der relativ geringen Größe der Betriebe, andererseits am
derzeit noch geringeren Wirkungsgrad vieler eingesetzter
Maschinen.


(Dr. Mathias Schubert [SPD]: Ich denke, die hat die alte Bundesregierung gefördert wie verrückt!)


Die Ökosteuer gehört abgeschafft.

(Dr. Mathias Schubert [SPD]: Was denn nun? Es stimmt doch hinten und vorne nicht, was Sie sagen!)


– Herr Schubert, bitte beruhigen Sie sich doch wieder!
Drittens: Abschreibungstabellen. Es muss endlich

Schluss sein mit dem willkürlichen Geschachere um Ab-
schreibungszeiten, die nicht den betrieblichen Notwen-
digkeiten entsprechen. Es kann nicht angehen, dass Be-
triebe in ihrer Investitionstätigkeit durch unsinnige
Verwaltungsregelungen gehindert werden. Zudem müs-
sen die Regelungen über Abschreibungszeiten für die Be-
triebe verlässlich sein, weil ihre Investitionsplanungen
über Jahre gehen. Gerade für kapitalschwache Unterneh-
men in Ostdeutschland ist langfristige Planungssicherheit
wichtig. Der ursprüngliche Entwurf der Bundesregierung
sah zum Teil eine Verdoppelung bei den Abschreibungs-
zeiten vor, etwa bei Personalcomputern. Das ist völlig un-
sinnig.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Viertens: Betriebsverfassungsgesetz.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1413103300
Kollegin Reiche, Sie
müssen bitte zum Ende kommen.


Katherina Reiche (CDU):
Rede ID: ID1413103400
Ja, ich komme zum
Ende.

Als Payback für die Wahlkampfhilfe der Gewerkschaf-
ten bastelt Minister Riester an einer weit reichenden Aus-
dehnung der Mitbestimmung der Betriebsräte auf mittlere
und kleinere Inhaberbetriebe. Ganz besonders Inhaberbe-
triebe sind darauf angewiesen, ein gutes Verhältnis zu
ihren Mitarbeitern zu pflegen. Sie sind auf die Kompetenz
ihres Inhabers und den Teamgeist der Belegschaft ange-
wiesen.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1413103500
Kollegin Reiche, ich
hatte es ernst gemeint.


Katherina Reiche (CDU):
Rede ID: ID1413103600
Ja, ich komme zum
Schluss.

Wir fordern Sie auf, Minister Riester darin zu bestär-
ken, dieses Gesetz nicht umzusetzen. Ich hoffe, wir wol-
len alle nicht, dass zwischen Rügen und dem Erzgebirge
irgendwann das Altersheim der Bundesrepublik Deutsch-
land entsteht. Ich bitte Sie, daran mitzuarbeiten, dass das
nicht passiert.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1413103700
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen zu den Abstimmungen.
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Angelegen-

heiten der neuen Länder zu dem Antrag der Fraktion der
CDU/CSU mit dem Titel „Investitionsförderung versteti-
gen – regionale Wirtschaftsstrukturen stärken“. Der Aus-
schuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/2242 ab-
zulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Gegenprobe! – Enthaltungen? – Damit ist die Beschluss-
empfehlung mit den Stimmen von SPD und Bünd-
nis 90/Die Grünen bei Stimmenthaltung der PDS gegen
die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. angenommen.

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Angelegen-
heiten der neuen Länder zu dem Antrag der Fraktion der
CDU/CSU mit dem Titel „Lehrstellenmangel Ost mit
wirksamen Regelungen angehen“. Der Ausschuss emp-
fiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/3185 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegen-
probe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist
mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie soeben ange-
nommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 18 auf:
– Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-

neten Alfred Hartenbach, Margot von Rennesse,
Hanna Wolf (München), weiteren Abgeordneten
und der Fraktion der SPD sowie den Abgeordneten
Volker Beck (Köln), Marieluise Beck (Bremen),
Claudia Roth (Augsburg), weiteren Abgeordneten
und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Been-
digung der Diskriminierung gleichgeschlecht-
licher Gemeinschaften: Lebenspartnerschaften

(Lebenspartnerschaftsgesetz – LPartG)

– Drucksache 14/3751 –

(Erste Beratung 115. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Hildebrecht Braun (Augsburg), Rainer
Brüderle, Jörg van Essen, weiteren Abgeordneten
und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zur Regelung der Rechtsver-
hältnisse eingetragener Lebenspartnerschaften

(Eingetragene-Lebenspartnerschaften-Gesetz – ELPSchG)

– Drucksache 14/1259 –

(Erste Beratung 67. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Rainer Funke, Jörg van Essen, Hildebrecht
Braun (Augsburg), weiteren Abgeordneten und
der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs ei-




Katherina Reiche
12606


(C)



(D)



(A)



(B)


nes Gesetzes zur Änderung des Bürgerlichen

(Wohnrecht hinterbliebener Haushaltsangehöriger)

– Drucksache 14/326 –

(Erste Beratung 27. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Christina Schenk, Sabine Jünger, Christine
Ostrowski, weiteren Abgeordneten und der Frak-
tion der PDS eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Übernahme der gemeinsamen Woh-
nung nach Todesfall der Mieterin/des Mieters

(Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs)

– Drucksache 14/308 –

(Erste Beratung 27. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses

(6. Ausschuss)

– Drucksachen 14/4545, 14/4550 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Margot von Renesse
Alfred Hartenbach
Norbert Geis
Volker Beck (Köln)

Jörg van Essen
Christina Schenk

Der Rechtsausschuss hat in seine Beschlussempfeh-
lung die von der Fraktion der F.D.P. und von der Fraktion
der PDS eingebrachten Gesetzentwürfe zur Änderung des
Bürgerlichen Gesetzbuch betreffend das Wohnrecht hin-
terbliebener Haushaltsangehöriger einbezogen, über die
heute ebenfalls abschließend beraten werden soll. – Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann ist so beschlos-
sen.

Zum Entwurf des Lebenspartnerschaftsgesetzes liegt
ein Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Kollegin
Margot von Renesse, SPD-Fraktion.


Margot von Renesse (SPD):
Rede ID: ID1413103800
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Ich werde in der Zeit,
die mir zur Verfügung steht, zunächst etwas über das Ver-
fahren sagen, dann etwas über die vorliegenden Entwürfe
und zum Schluss über das Klima, in dem das Ganze ver-
handelt wird, insbesondere auch über die Aktivitäten, die
wir aus Agenturmeldungen auch heute kennen gelernt ha-
ben.

Zunächst einmal zum Verfahren. Wir haben heute
Morgen eine Geschäftsordnungsdebatte gehabt. Herr
Pofalla hat in ihr gesprochen und Vorwürfe erhoben, die
mir persönlich gegen die Ehre gehen.


(Beifall bei der SPD – Norbert Geis [CDU/CSU]: Mir aber auch! Ihr Verhalten ist ehrlos!)


Ich habe dazu Folgendes zu sagen, und ich möchte,
dass das unbedingt auch von Ihnen, Herr Geis, so gewür-
digt wird, wie es das meines Erachtens verdient.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Ich habe so etwas im Rechtsausschuss noch nicht erlebt!)


Wir kennen uns beide lange genug, um zu wissen, dass
wir beide die streitige Auseinandersetzung lieben. Ich
hätte Sie auch mit Ihnen gern geführt. Dazu ist es nicht ge-
kommen, und meines Erachtens lag das weder an der Ko-
alition noch an Herrn Beck noch an mir.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Ja, ja!)

Zunächst zur CDU/CSU.Wir hatten am Dienstag ver-

gangener Woche ein Berichterstattergespräch,

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Zehn Minuten!)


in dem nach stattgefundener Anhörung Sie das Wort nur
einmal ergriffen haben, nämlich um zu fragen, warum wir
die Stiefkindadoption nicht zulassen – eine wirklich ver-
blüffende Anregung von Ihnen,


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Dass Sie die Ironie nicht verstanden haben, Frau von Renesse!)


auf die Herr Beck dann mit der Äußerung reagiert hat, ei-
nem Änderungsantrag von Ihnen würden wir mit Inte-
resse entgegensehen. Dem konnte ich mich nur anschlie-
ßen.

Im Übrigen gab es keinen einzigen sachlichen Ein-
wand,


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Ja, ja!)

und ich weiß auch, warum: Ihnen geht das ganze Anlie-
gen gegen den Strich.

Nur, bei der Anhörung haben Ihre Sachverständigen
bis auf zwei gegen das Anliegen verfassungsrechtliche
Bedenken im Grundsatz nicht geltend gemacht.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Lesen Sie mal Schily!)


Zwei haben Bedenken geltend gemacht. Einer hat vorge-
tragen, dass es ein Verstoß gegen die Eheschließungsfrei-
heit, die nach Art. 6 des Grundgesetzes gewährt werden
muss, sei, wenn jemand, der in einer gleichgeschlechtli-
chen Lebenspartnerschaft sei, nicht heiraten dürfe. Das
war ein etwas merkwürdiges Argument. Ich kann Ihnen
sagen, dass wir mit diesem Problem aufgrund der gege-
benen Gesetzeslage ohne Schwierigkeiten fertig werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Er hat dieses Argument nicht mehr wiederholt – das wis-
sen Sie auch, denn Sie waren dabei –, weil es von vorn-
herein von der gesamten Zuhörerschaft mit ausgespro-
chener Verblüffung zur Kenntnis genommen wurde.

Ein zweites, sehr viel ernsteres Argument war das von
Professor Diederichsen, der die Befürchtung zum Aus-
druck gebracht hat, dass von der Existenz eines solchen
Instituts, wie wir es vorhaben, eine „Verführung“ zur Ho-
mosexualität ausgehen könne. Daraufhin ist ihm entgeg-
net worden, dass es wohl kaum mit der Verfassung




Präsident Wolfgang Thierse

12607


(C)



(D)



(A)



(B)


vereinbar ist, von vornherein die homosexuelle Neigung
eines Menschen als eine Neigung anzusehen, die es von
Verfassungs wegen zurückzudrängen gelte und die mög-
licherweise eben durch Schlechterstellung zu bekämpfen
sei. Die Verfassung ist insoweit neutral.

Diese Erfahrung im Berichterstattergespräch hat mich
dazu gebracht, davon auszugehen, dass Sie ein Gespräch
blockieren wollten, das ich gern auch gerade mit Ihnen geführt
hätte. Aber auch Herr Röttgen von der CDU hat geschwiegen.
Kein Wort kam von ihm im Berichterstattergespräch, und un-
ser Angebot, ein weiteres Berichterstattergespräch zu führen,
das wir gleich in der ersten Sitzung gemacht haben, ist von Ih-
nen mit keinem Signal, dass Sie überhaupt eines wollten, be-
antwortet worden.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Da hat ja das Gesetz noch gar nicht vorgelegen! – Sie müssen die Fakten richtig erklären!)


Ich habe gestern eine interessante Erfahrung gemacht,
Herr Geis. Ich war bei einer Tagung der Bundesnotar-
kammer. Dort kam ich zu einem Vortrag eines Mitarbei-
ters der Bundesnotarkammer über justament dieses Ge-
setz. Die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses
hatte er sich zwei Stunden vorher aus dem Internet herun-
tergeladen, und er war angesichts des Umfangs der Ände-
rungen, von denen 90 Prozent darin bestanden, dass da
schlicht und einfach stand: „entfällt“, in der Lage, dazu ei-
nen sachlich zutreffenden Vortrag zu halten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Norbert Geis [CDU/CSU]: Ich bin nicht ein solches Genie!)


Es ist eigentümlich, dass die CDU/CSU-Fraktion mit
ihren Mitarbeitern nicht in der Lage ist, zwischen Freitag
vergangener Woche und der Sitzung am Mittwoch im
Rechtsausschuss sich dazu ein ebenso sachlich fundiertes
Urteil zu bilden, wie das ein Mitarbeiter der Notarkammer
binnen zwei Stunden offensichtlich kann.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Norbert Geis [CDU/CSU]: Er hat bestimmte juristische Fähigkeiten! Die habe ich nicht!)


Zum Thema F.D.P., die sich ja diesem Geschäftsord-
nungsantrag angeschlossen hatte. Hierzu muss ich sagen,
dass ich in der Tat bis zur Selbsterniedrigung Ihnen hin-
terhergelaufen bin, Herr Westerwelle. Sie erinnern sich;
Wir haben dann, nachdem Sie einen Termin absagen
mussten, ein Gespräch geführt, in dem Sie mich im Vor-
feld dieser Erörterung – da war der F.D.P.-Antrag schon in
den Bundestag eingebracht – darauf verwiesen hatten, mit
einem Ihrer Mitarbeiter zu sprechen, was ich selbstver-
ständlich getan habe.

Nur, es kam von Herrn van Essen, der als Berichter-
statter tätig war, nach der Anhörung nicht ein einziges Si-
gnal, das auf Gesprächsbereitschaft schließen ließ.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: So kenne ich ihn gar nicht! – Zuruf von der F.D.P.: Stimmt nicht!)


Das Interessante war: Wir hatten dieses Gesprächs-
angebot noch im Berichterstattergespräch gemacht. Herr
Westerwelle, das weiß ich nun positiv. Ich pflege nicht zu
lügen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Van Essen hat das noch im Rechtsausschuss gemacht! – Norbert Geis [CDU/CSU]: Da war ich noch mit drin!)


Herr Beck und ich haben das Gesprächsangebot im Be-
richterstattergespräch am Dienstag der vergangenen Wo-
che gemacht. Noch am Montag saß ich mit Herrn van
Essen zusammen. Kein Wort, auch nicht das geringste
Sterbenswörtchen von ihm mit der Bitte um weitere Ge-
spräche.

Ich hätte zur Tages- und zur Nachtzeit zur Verfügung
gestanden. Für dieses Gesetz, mit dem ich mich seit Jah-
ren beschäftige, hätte ich alles möglich gemacht und je-
den Termin, den ich woanders habe, zurückgestellt. Jeder,
der mich kennt, wusste, dass ich das ernst meine.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Denn ich wiederhole: Ich pflege die streitige Ausei-
nandersetzung mit wahrer Leidenschaft, und gerade zu
diesem Punkt. Das zum Verfahren.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1413103900
Kollegin von
Renesse, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Westerwelle?


Margot von Renesse (SPD):
Rede ID: ID1413104000
Aber gerne.


Dr. Guido Westerwelle (FDP):
Rede ID: ID1413104100
Frau Kollegin, da
Sie mich selber angesprochen haben: Sind Sie mit mir – –


(Zuruf von der SPD: Wie war der Name?)

– Wie bitte?


(Alfred Hartenbach [SPD]: Wie war der Name? Der kam undeutlich durch! – Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Das ist vielleicht arrogant!)


– Was soll das? Verzeihen Sie.

(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: So überheblich und arrogant ist die rot-grüne Koalition! Inkompetent, überheblich und arrogant!)


Frau Kollegin, da Sie mich angesprochen haben,
möchte ich bei dieser Sache noch einmal nachfragen.
Zunächst einmal: Stimmen wir darüber ein, dass, als wir
uns im Sommer unterhalten haben, um zu sondieren, ob
wir zu einer gemeinsamen Lösung kommen, beabsichtigt
gewesen ist, vor allen Dingen auf Mitarbeiterebene
– bezüglich des Justizministeriums und unserer Mitarbei-
ter – zunächst einmal die einzelnen Fragmente und ein-
zelnen Spezifika abzuchecken?

Das Zweite ist: Stimmen wir darin überein, dass
unser Vertreter im Rechtsausschuss, nämlich Herr van
Essen, den Koalitionsfraktionen nicht nur einmal,
sondern mehrfach angeboten hat, in Richtung einer ge-
meinsamen Initiative zu gehen?




Margot von Renesse
12608


(C)



(D)



(A)



(B)



Margot von Renesse (SPD):
Rede ID: ID1413104200
Wir stimmen insoweit
überein, dass wir uns im Sommer getroffen haben, und
zwar aufgrund meiner Initiative.

Wir stimmen nicht darin überein, dass Sie mir gesagt
hätten, das Justizministerium sei einzuschalten, sondern
Sie haben mir gesagt, ich sollte mich an einen bestimm-
ten Fraktionsmitarbeiter wenden.

Wir stimmen schließlich nicht darin überein – weil ich
das mit Nichtwissen bestreiten muss –, dass sich Herr van
Essen an irgendjemanden in unserer Arbeitsgruppe ge-
wandt haben sollte. Denn an mich als Berichterstatterin
hat er sich nicht gewandt, obgleich wir uns noch am Mon-
tag dieser Woche getroffen haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Klaus Haupt [F.D.P.]: Wenn man es nicht weiß, sollte man keine Behauptungen aufstellen!)


– Ich habe mit Nichtwissen bestritten. Das ist in solchen
Fällen unter Juristen normal.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1413104300
Eine Nachfrage des
Kollegen Westerwelle?


Margot von Renesse (SPD):
Rede ID: ID1413104400
Gerne. Natürlich, Herr
van Essen. Immer.


(Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Nein, Westerwelle!)


– Herr Westerwelle.


Dr. Guido Westerwelle (FDP):
Rede ID: ID1413104500
Mit Nichtwissen be-
streitet man nur etwas unter ganz bestimmten Umständen
im Prozess. Deshalb möchte ich noch einmal ausdrücklich
nachfragen. Sind Sie bereit nachzulesen, dass Herr van
Essen der Koalition im Rechtsausschuss nicht nur einmal,
sondern mehrfach Gespräche angeboten hat, und ist nicht
der Rechtsausschuss auch der richtige Ort, um Gespräche
anzubieten?


Margot von Renesse (SPD):
Rede ID: ID1413104600
Wie Recht Sie haben!
Umso verblüffender war es, als wir vorgestern nach Aus-
zug der CDU/CSU den verbliebenen Abgeordneten der
Oppositionsfraktionen in der Sache zu diskutieren ange-
boten haben, dass von Herrn van Essen der Antrag kam,
ohne weitere Debatte über das Gesetz als Ganzes abzu-
stimmen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zuruf von der F.D.P.: Das stimmt doch überhaupt nicht!)


– Das war so. Jeder, der dabei war, ist mein Zeuge.

(Zurufe von der CDU/CSU und der F.D.P.: Nein! – Zuruf von der F.D.P.: Das stimmt nicht! Das ist Verdrehung von Tatsachen!)


Nun weiter. Kommen wir zu den Inhalten. Der Entwurf
der F.D.P. schafft ebenso – –


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1413104700
Kollegin von Renesse,
der Kollege Scholz möchte auch noch eine Zwischenfrage
stellen.


Margot von Renesse (SPD):
Rede ID: ID1413104800
Bitte.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Der Ausschuss vorsitzende!)


Dr. Rupert Scholz (CDU):
Rede ID: ID1413104900
Frau von Renesse, ich

bin, wie Sie wissen, als Ausschussvorsitzender nach dem
wegen der unerträglichen Verhandlungsgrundlagen berech-
tigten Auszug der Union im Saal geblieben. Deshalb frage
ich Sie, deutlich anknüpfend an das, was Herr Westerwelle
eben gefragt hat. Sie waren dabei und Sie müssten sich sehr
genau daran erinnern, dass Herr van Essen ausdrücklich ge-
sagt hat, man müsste und sollte über beide Dinge reden. Sie
müssten sich erinnern – sonst widersprechen Sie bitte –,
dass Herr van Essen mit Nachdruck darauf hingewiesen
hat, dass er sich mehrfach darum bemüht hat. Er hat es auch
in der Sitzung am Mittwoch getan. Und nicht von Herrn
van Essen, Frau von Renesse, kam die Geschichte, in einem
Zug durchzustimmen.

Die rot-grüne Koalition hat in dieser Frage deutlich ge-
macht, dass sie in dieser Geschichte entscheiden wolle.
Auf meine Frage als Vorsitzender: „Soll nach Artikeln ab-
gestimmt werden oder soll das ganz in toto abgestimmt
werden?“ – da die Abstimmungslage und die mangelnde
Verhandlungsbereitschaft eindeutig waren – ist es natür-
lich zu diesem Verfahren gekommen. Das ist die Wahr-
heit.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Margot von Renesse (SPD):
Rede ID: ID1413105000
Lieber Herr Scholz, ich
hätte von Ihnen gern, wie die Geschäftsordnung das vor-
sieht, eine Frage gehört statt einer Feststellung,


(Dr. Rupert Scholz [CDU/CSU]: Entschuldigung!)


aber es bleibt Ihnen überlassen, die Geschäftsordnung
besser auszulegen, als ich sie bisher kannte.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Rupert Scholz [CDU/CSU]: Das liegt beim Präsidenten!)


– Ich bin von unglaublicher Toleranz, was das angeht, so-
dass ich dem Präsidenten nicht vorgreifen möchte, und
sage, es wird wohl so stimmen, wenn der Vorsitzende des
Rechtsausschusses die Geschäftsordnung so auslegt. Ich
habe Ihnen da nichts zu erwidern.

Nur, eines ist klar: Von uns kam ausdrücklich der An-
trag – Herr Beck hat ihn gestellt –, artikelweise abzustim-
men.


(Joachim Stünker [SPD]: Richtig!)

Dann erklärte Herr van Essen, es solle insgesamt das
ganze Gesetz abgestimmt werden.


(Joachim Stünker [SPD]: So war es!)

Herr van Essen hat in der Tat gesagt, es wäre bes-
ser gewesen, wir hätten ausführlicher Zeit, darüber zu






(C)



(D)



(A)



(B)


diskutieren. Das ist richtig. Aber das war zu einem Zeit-
punkt im Rahmen der Ablehnung der Debatte gestern. Sie
wollten die Debatte verschieben auf ich weiß nicht wel-
chen Termin. Das war Ihre Vorstellung.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Eine Woche!)

Sie wollten an Ort und Stelle nicht diskutieren, obgleich
wir es Ihnen angeboten hatten. Wir hatten es – ich wie-
derhole es, Herr Scholz – im Berichterstattergespräch an-
geboten. Okay, wir waren offensichtlich auf verschiede-
nen Veranstaltungen.


(Zuruf von der F.D.P.: Das kann man so sagen!)


Ich pflege dieses im Plenum zu sagen und nicht in Inter-
views draußen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Zur Sache: Auch die F.D.P. schafft ein familienrechtli-
ches Institut, daran beißt keine Maus einen Faden ab. Nur
verschleiert sie dies etwas geschickter, als wir es tun, die
mit offener Stirn das sagen, was wir tun, und das tun, was
wir sagen.

Im Ergebnis ist der Entwurf der F.D.P. auch in der Sa-
che lückenhaft. Herr Braun, wie können Sie einem Ge-
setzentwurf angesichts der Tatsache zustimmen, dass Sie
hier viele Tränen über die unglücklichen Fälle der bina-
tionalen Partnerschaften vergossen haben, bei denen es
aufenthaltsrechtliche Probleme gibt, wenn Ihr Gesetzent-
wurf nicht ein einziges davon löst?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hildebrecht Braun (Augsburg)


Das Aufenthaltsrecht ist Voraussetzung dafür, dass eine
Lebenspartnerschaft eingegangen wird.


(Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Sie haben ihn ja gar nicht gelesen, nicht einmal gelesen!)


– Ich glaube, dass ich darauf nicht zu antworten brauche.

(Zuruf von der SPD: Nein, um Himmels wil len nicht!)

Ich pflege zu lesen, worüber ich spreche.


(Zurufe der Bundesministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin)


Im Übrigen hat unser Gesetzentwurf den Vorteil, dass
er in sich logisch ist, was der F.D.P.-Entwurf nicht ist. Er
besteht aus lauter Heuchelei, wenngleich mit dem Segen
der evangelischen Kirche, in dem Sie sich plötzlich son-
nen.


(Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Es geht nicht an, dass ich von der Regierungsbank angemacht werde, wenn ich Zwischenrufe mache! – Lachen bei der SPD – Norbert Geis [CDU/CSU]: Unglaublich! – Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zur Sache!)


– Ich weiß nicht, Herr Präsident, ob ich darauf reagieren
muss. Könnten Sie vielleicht dafür sorgen, dass ich
während meiner Redezeit in Ruhe sprechen darf?


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1413105100
Liebe Kolleginnen
und Kollegen!


(Fortgesetzte Zurufe der Bundesministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin – Zuruf von der F.D.P.: Die hört immer noch nicht auf! Was ist denn da los?)


Herr Geis, Sie geben mir Gelegenheit, an dieser Stelle
zwei Dinge zu sagen. Erstens will ich daran erinnern, dass
von der Regierungsbank keine Zwischenrufe gemacht
werden sollen.


(Beifall bei der F.D.P.)

Zweitens möchte ich Sie, Kollege Geis, bitten, in der

Art Ihrer Zwischenrufe, bezogen auf eine Person, und in
der Qualifizierung von Verhalten etwas zurückhaltender
zu sein.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Können Sie mir den Anlass nennen, Herr Präsident?)


– Sie haben vorhin das Verhalten einer Kollegin „ehrlos“
genannt.


(Dr. Herta Däubler-Gmelin [SPD]: So ist es!)

Ich weise dies ausdrücklich zurück; das ist kein parla-
mentarischer Ausdruck.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Norbert Geis [CDU/CSU]: Ich werde das klarstellen! Das ist nicht wahr!)


– Wir beide haben es vorhin gehört. Ich wollte nachher da-
rauf eingehen. Aber da Sie sich jetzt so erregen, tue ich es
jetzt.

Ich bitte sehr darum, sich auch bei diesem Thema in der
Art und Weise, in der wir uns auseinander setzen, zu mäßi-
gen. Das gilt für beide Seiten, auch und gerade für die Re-
gierungsbank – das sage ich ausdrücklich –, von der übli-
cherweise keine Zwischenrufe zu erfolgen haben.


Margot von Renesse (SPD):
Rede ID: ID1413105200
Jetzt zum Klima, in
dem diese Debatte leider stattfinden muss: Zunächst gehe
ich auf die Stimmungen und Meinungen hier im Parla-
ment ein, soweit ich sie erkunden konnte. Es gibt hier eine
Mehrheit – sie besteht nicht nur aus der Koalition – dafür,
dass die Beziehung zwischen zwei Männern bzw. zwei
Frauen endlich die Anerkennung und die rechtliche Stabi-
lisierung erfährt, die sie schon seit langem verdient.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es ist eine Frage der Menschenrechte und des Grundge-
setzes. Ich sage das in Richtung auf den Dom zu
Köln: Mag sein, dass der Katechismus der katholischen
Kirche homosexuelle Beziehungen aus ontologischen
Gründen oder aus theologischen Gründen als prinzipiell
ablehnungswürdig und – wie sagte der Kardinal? – „un-
sittlich“ ablehnt. Die Verfassung tut das nicht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie ist barmherziger als der Christ, der sich auf den Rabbi
von Nazareth beruft und Menschen, die niemandem etwas




Margot von Renesse
12610


(C)



(D)



(A)



(B)


zu Leide tun, und deren Eltern und Freunde erbarmungs-
los verurteilt.


(Dr. Klaus Grehn [PDS]: Sehr richtig!)

Gerade die Eltern von Homosexuellen brauchen – das ist
in der Anhörung mit großem Nachdruck gesagt worden –
genauso wie Eheleute, heterosexuelle Paare und Paare,
die ohne Trauschein zusammenleben, endlich ein gesetz-
liches Leitbild.


(Zuruf von der CDU/CSU: Haben Sie „Leitbild“ gesagt?)


Seien Sie froh, dass dies in einer Zeit geschieht, in der sich
eine Mehrheit im Bundestag an Werten orientiert und sich
von ihnen leiten lässt.

Was in zehn Jahren sein wird, wenn irgendwann ein
solches Gesetz kommen muss, und welche Möglichkeiten
dann auftreten, alldieweil der große Angriff sowohl auf
die Ehe als auch die Lebenspartnerschaften als bezopfte
und bemooste Institute aus dem 19. Jahrhundert geführt
wird, wissen Sie nicht. Darüber, dass es in der Gesell-
schaft noch Blockaden gegen den Verfall dessen gibt, was
wir als höchsten Wert zwischen den Menschen ansehen,
nämlich Verantwortung, können Sie sich freuen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wenn Menschen, die als Hirten und als Vorsitzende von
Kirchen eigentlich die Botschaft des Rabbi von Nazareth
zu verkünden hätten, meinen, sie müssten verurteilen, ob-
gleich in der Bergpredigt steht – das ist ein wichtiges Wort
für alle, die überhaupt irgendwo Autorität haben – „Rich-
tet nicht, auf dass ihr nicht gerichtet werdet“,


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


so sage ich Ihnen, der Sie mich angegriffen haben, Herr
Geis: Es ist mir eine Ehre, aufseiten derer zu stehen, die
darauf warten, dass ihnen endlich Gerechtigkeit wider-
fährt.


(Anhaltender Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Beifall bei der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1413105300
Ich erteile dem Kolle-
gen van Essen zu einer Kurzintervention das Wort.


Jörg van Essen (FDP):
Rede ID: ID1413105400
Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Ich bin in der Rede der Kollegin von
Renesse mehrfach namentlich erwähnt worden. Ich denke,
dass der Redebeitrag der Kollegin von Renesse leider ge-
nau das Klima gezeigt hat, in dem wir verhandeln mussten.
Wir hatten uns erhofft – ich stimme Ihnen in diesem Punkt
nachdrücklich zu, Frau Kollegin von Renesse –, dass das,
was in diesem Haus eigentlich vorhanden ist, nämlich die
Möglichkeit, mit einer Mehrheit über Fraktionsgrenzen
hinweg – SPD, Grüne, F.D.P. und PDS – zu einer Regelung
zu kommen, die breit trägt, von der Koalition durch die Art
des Verfahrens konterkariert worden ist.

Ihre Rede heute Morgen hat deutlich gemacht, warum
das so ist. Es ist unter anderem deshalb so, weil die Be-
hauptung, die Sie aufgestellt haben, ich hätte den Antrag
gestellt, nicht mehr zu debattieren, völlig falsch ist. Sie
wissen: Wir sind zu der Feststellung gekommen, dass es
offensichtlich bei Ihnen keine Bereitschaft gab, auf ir-
gendwelche Vorstellungen der Opposition einzugehen.


(Joachim Stünker [SPD]: Stimmt doch gar nicht!)


– Kollegin Schenk von der PDS nickt gerade. Das macht
deutlich, dass das nicht nur die Auffassung meiner Frak-
tion, sondern offensichtlich auch die der anderen Oppositi-
onsfraktionen ist, die ebenfalls etwas bewirken wollen.

Deshalb war es völlig klar, dass es überhaupt keinen
Sinn mehr machte, über jeden einzelnen Paragraphen ab-
zustimmen; denn das hätte die Bereitschaft vorausgesetzt,
sich darüber zu unterhalten. Diese war nicht vorhanden.
In diesem Fall war es klar, die Linien abzustecken, näm-
lich über die Gesetzentwürfe, die zur Abstimmung stan-
den, tatsächlich sofort abzustimmen. Das haben wir getan.
Es war völlig klar, wie diese Abstimmung ausfallen
würde: Sie hatten für Ihren Antrag die Mehrheit; wir, die
F.D.P.-Fraktion, haben für einen eigenständigen Weg
gekämpft, nämlich nur das zu regeln, was vom Staat zu re-
geln ist, und im Übrigen den Beteiligten ihre Freiheit zu
lassen, was eine typisch liberale Lösung ist. Auch die PDS
hat ihre Meinung zu den Gesetzentwürfen vorgetragen.

Von daher ist überhaupt nichts zu beanstanden. Im
Übrigen ist auch nichts bei der ausländerrechtlichen
Regelung zu beanstanden.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Genau so ist es!)


Insbesondere der Kollege Braun, den Sie angesprochen
haben, hat sich dafür eingesetzt, dass wir in unserem Ge-
setzentwurf hierzu eine vernünftige Regelung finden.
Eine solche haben wir gefunden.

Alle, die sich ein bisschen in Geschichte auskennen,
wissen, dass es gerade die F.D.P. war, die auch schon in
der alten Koalition dafür gesorgt hat, dass eine Regelung
gefunden wurde, die binationalen Paaren in vielen Fäl-
len geholfen hat. Dahinter gehen wir nicht zurück,
sondern – ganz im Gegenteil – wir wollen eine Absiche-
rung auch der binationalen Paare. Diese ist in unserem
Gesetzentwurf vorgesehen.

Sie sehen, wir, die F.D.P., bemühen uns weiter um eine
sachliche Debatte. Ihre Ausführungen, liebe Frau Kolle-
gin von Renesse, haben dazu leider nicht beigetragen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Margot von Renesse (SPD):
Rede ID: ID1413105500
Herr Kollege van
Essen, wir hätten darüber gestern im Rechtsausschuss de-
battieren können. Wir hatten uns auf eine lange Debatte
eingerichtet. Ich hätte es wirklich für gut befunden, wenn
wir das getan hätten. Sie haben sich dem von vornherein
verweigert.


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer)





Margot von Renesse

12611


(C)



(D)



(A)



(B)


Ihr Ziel war es, die Abstimmung zu verhindern. Das
war der einzige Grund, der Sie überhaupt noch dazu ver-
anlasste, von einer Möglichkeit, miteinander zu sprechen,
zu reden. Sie wollten keine Abstimmung und stattdessen
in der nächsten, der übernächsten Woche oder irgendwann
reden, aber nicht mit uns an Ort und Stelle darüber spre-
chen. Das war Ihnen vorgestern im Rechtsausschuss aus
irgendwelchen Gründen nicht wichtig. Ihnen kam es nur
darauf an, die Abstimmung zu verhindern, die wir in der
Tat wollten. Wir hätten mit Ihnen bis tief in die Nacht ge-
redet, wenn Sie es gewollt hätten; selbstverständlich.

Vorher – ich habe es erklärt: Diese Erfahrung habe ich
mit Ihnen gemacht – habe ich alles, was ich konnte, ver-
sucht, um mit Ihnen, der F.D.P., ins Gespräch zu kommen.
Das war nicht möglich. Es bestand bei Ihnen offensicht-
lich kein Wunsch, zu einem Kompromiss zu kommen.

Ich weiß gar nicht, ob Sie wirklich der Meinung sind,
dass ein familienrechtliches Institut kommen sollte.
Vorgestern waren Sie darüber im Zweifel, obwohl in
Ihrem Entwurf eindeutig eines vorgesehen ist, allerdings
ohne die entsprechenden Pflichten, die zu einem famili-
enrechtlichen Institut gehören. Solche ausländerrechtli-
chen Regelungen würden auch keinen Bestand haben. Sie
können nicht von der Bevölkerung oder vom Staat erwar-
ten, dass er eine ausländerrechtliche Regelung zulasten
Dritter trifft. Wenn keine Unterhaltsverpflichtung ein
Bleiberecht bzw. ein Eintrittsrecht in die Bundesrepublik
Deutschland trägt, benachteiligen Sie heterosexuelle
Paare, die nicht verheiratet sind. Diese müssen sich näm-
lich mit Haut und Haaren verpflichten und eine Ehe
schließen, die auch dann noch Folgen hat, wenn man sich
nicht mehr liebt.

Das alles machen Sie nicht. Sie trauen offensichtlich
der Verantwortungsbereitschaft von homosexuellen Paa-
ren nicht. Sie wollen vor allem nicht offen sagen, was Sie
vorhaben. Im Grunde genommen wollen Sie ein bisschen
schwanger sein, aber nicht mehr. Wir wehren uns dage-
gen, dass man auf diesem Gebiet heuchelt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1413105600
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Norbert Geis.


Norbert Geis (CSU):
Rede ID: ID1413105700
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin seit 1987 im
Rechtsausschuss. Ich habe ein solches Durcheinander und
eine solch konträre und geladene Stimmung noch nicht er-
lebt. Dabei haben wir schon viel schwierigere Themen zu
bewältigen gehabt.


(Widerspruch bei der SPD)

Es bestand aufseiten der SPD überhaupt keine Ver-

handlungsbereitschaft.Das ist Fakt. Das haben wir fest-
gestellt und das hat die F.D.P. genauso festgestellt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das können Sie doch gar nicht wissen, wenn Sie ausziehen!)


Ich will Ihnen auch sagen, warum: Sie hatten nämlich die
allergrößten Probleme, diesem Gesetz in Ihren eigenen
Reihen zu einer Akzeptanz zu verhelfen.


(Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wollen doch das Gesetz gar nicht! – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Die Union hat erklärt, sie will nichts machen!)


Schauen Sie sich doch nur einmal an, was Ihr Verfas-
sungsminister Ihrem Fraktionsvorsitzenden geschrieben
hat. Das war ja heute zu lesen. Das spricht Bände. Sie kön-
nen doch nicht behaupten, bei Ihnen hätte es darüber über-
haupt keine Diskussionen gegeben. Natürlich hat es bei
Ihnen weit reichende und tief greifende Diskussionen ge-
geben.


(Monika Ganseforth [SPD]: Das ist auch gut so!)


Es hat ständig zwischen Ihnen und den Grünen Verhand-
lungen gegeben. Sie kamen doch gar nicht zusammen.
Damit dieses Hin und Her in Ihren eigenen Reihen end-
lich ein Ende hat, haben Sie im Ausschuss am Mittwoch
dieses Gesetz mit der Brechstange durchgepeitscht und
peitschen es heute durch den Bundestag. Das halte ich für
unparlamentarisch, das halte ich für würdelos und für ehr-
los. Ich lasse mir das nicht nehmen: Das ist ein ehrloses
Verhalten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Das hat dieses Parlament nicht verdient und das haben die
Wähler nicht verdient, die Sie hier hergeschickt haben. So
kann man mit einem so wichtigen Gesetz nicht umgehen.
Sie sind mit dieser Sache völlig unparlamentarisch um-
gegangen. Ihr Verhalten war unkollegial und – ich wie-
derhole es – ehrlos.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Horst Kubatschka [SPD]: Aufhören! Ehrabschneider!)


– Sie müssen sich das schon anhören; ich bin ein frei ge-
wählter Abgeordneter. – Ihr Verhalten war ehrlos. So ver-
hält man sich unter frei gewählten Parlamentariern nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Was haben wir denn beantragt? – Wir haben lediglich

beantragt, dass die Abschlussberatung nicht heute statt-
findet; vielmehr sollte sie um eine Woche verschoben
werden. Es ging nur um eine einzige Woche und um sonst
nichts.


(Zuruf von der SPD: 16 Jahre haben Sie Zeit bekommen!)


Was wollten wir in dieser Woche?

(Volker Beck [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zur Sache!)

Wir wollten klären, ob die Aufteilung in einen zustim-
mungspflichtigen und einen nicht zustimmungspflichti-
gen Teil wirklich gelungen ist. Deswegen haben wir ein
Expertengespräch beantragt. Wir waren und sind der Mei-
nung, dass unser Minderheitenrecht insoweit nicht ver-
wirkt war, weil es um einen neuen Sachverhalt ging. Die-




Margot von Renesse
12612


(C)



(D)



(A)



(B)


ser Gedanke ist gar nicht weit hergeholt. Wir haben nicht
den Versuch unternommen zu blockieren.

Es handelt sich doch um eine ernsthafte Frage, ob die-
ser Torso am Ende nicht doch zustimmungspflichtig ist,
und zwar aus zwei Gründen: Sie verwenden statt des Be-
griffs „Standesbeamter“ den Begriff „Behörde“. Mit
„Behörden“ sind immer nur Landesbehörden gemeint. Es
gibt eine Auffassung, die besagt: Wenn Landesbehörden
in einem Bundesgesetz genannt werden, sind die Länder
gefragt. Deswegen ist ein solches Gesetz kein reines Bun-
desgesetz, sondern ein zustimmungspflichtiges Gesetz.


(Margot von Renesse [SPD]: Aber das geht den Bundestag nichts an! Das ist doch keine Bundestagsfrage!)


Wir müssen doch wissen, was für ein Gesetz wir erlassen
wollen. Darüber kann man sich ja noch unterhalten.

Meiner Meinung nach haben Sie einen zweiten gravie-
renden Fehler gemacht: Sie haben – lesen Sie es nach! –
bei der Regelung des Namensrechtes durch eine Verwei-
sung den Standesbeamten wieder ins Gesetz geholt. Da-
durch haben Sie dieses Gesetz nach meiner Auffassung
zustimmungspflichtig gemacht. Wie Sie richtig gesagt ha-
ben, werden sich der Bundesrat und am Schluss das Bun-
desverfassungsgericht darüber zu unterhalten haben.


(Margot von Renesse [SPD]: Und nicht der Bundestag!)


Dieser Punkt wäre wirklich der Überlegung wert ge-
wesen. Man hätte ein paar Experten holen können und wir
hätten diese Frage geklärt.


(Margot von Renesse [SPD]: Der Bundestag hat darüber nichts zu entscheiden gehabt!)


Das wollten Sie nicht. Sie haben an diesem Mittwoch
in einer für mich rücksichtslosen Weise Macht demons-
triert. Das gehört sich nicht, wenn es um ein Gesetz geht,
das so weit reichende Folgen hat.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Dieses Verhalten weise ich zurück. Das gilt im Übrigen
nicht nur für mich; es war auch Auffassung der F.D.P. und
der PDS. Wir alle waren der Auffassung, dass Ihr Verhal-
ten im Ausschuss unkorrekt ist und es so nicht geht.

Dieses Gesetz bringt einen tief greifenden Wandel in
das Rechtsbewusstsein unserer Bevölkerung. Damit
müssen wir rechnen. Aber es stellt sich doch die Frage, ob
anhand dieses Gesetzes ein solch tief greifender Wandel
notwendig ist, weil sich beispielsweise die gesellschaftli-
chen Verhältnisse geändert haben. Man muss sich einmal
die Zahlen vor Augen führen. Es ist doch nicht so, dass es
eine große Zahl von Homosexuellen gibt. Es ist inzwi-
schen unbestritten, dass zwischen 2 und 2,8 Prozent der
männlichen und 1,7 Prozent der weiblichen Bevölkerung
homosexuell sind.


(Christina Schenk [PDS]: Viel mehr! – Sabine Jünger [PDS]: In Bayern sind es vielleicht weniger! – Zuruf von der SPD: Wieviel Prozent in der CDU?)


Ich erinnere an die Aussagen von Professor Kötz in der
Anhörung. Er hat gesagt, dass in Schweden jährlich

14 Paare von dieser Möglichkeit – sie besteht dort seit län-
gerem – Gebrauch machen.


(Sabine Jünger [PDS]: Wovor haben Sie denn Angst, wenn es so wenig sind?)


Man kann also nicht von einer großen gesellschaftlichen
Notwendigkeit reden, um einen solch tief greifenden
Wandel herbeizuführen.

Ich würde selbst das noch akzeptieren, wenn Ihre Be-
hauptung richtig wäre, dass wir es mit einer Diskriminie-
rung zu tun hätten. Es wird immer gesellschaftliche Dis-
kriminierung geben. Diese Art des Zusammenlebens wird
von der Gesellschaft nicht akzeptiert werden.


(Hanna Wolf [München] [SPD]: Was? Die Mehrheit der Bevölkerung akzeptiert diese Beziehungen!)


Das werden auch Sie nicht verhindern können. Auch
das beste Gesetz kann das nicht leisten. Wer diese Vor-
stellung hat, der ist auf dem falschen Pfad.

Eine rechtliche Diskriminierung – darum geht es doch –
besteht ernsthaft nicht. Man kann sich Gedanken darüber
machen, ob man da oder dort Verbesserungen vornimmt.
Das ist möglich.


(Hanna Wolf [München] [SPD]: Das haben Sie bisher auch nicht gemacht!)


Aber eine wirkliche rechtliche Diskriminierung besteht
nicht. Das schreiben Sie übrigens selbst in der Begrün-
dung Ihres Gesetzentwurfs. Dort steht nämlich, dass sol-
che Partnerschaften den verfassungsrechtlichen Schutz
von Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes nicht haben. Das
steht wörtlich in der Begründung Ihrer Gesetzgebungs-
vorlage. Daher können Sie doch nicht behaupten, unsere
Rechtsordnung würde solche Partnerschaften diskrimi-
nieren. Es fehlt nach meiner Auffassung ein hinreichen-
der Grund für ein solches, in das Bewusstsein unserer Be-
völkerung tief hinein greifendes Gesetz. Dieser Grund
fehlt aus gesellschaftlichen Gründen, weil die Zahlen
dafür nicht gegeben sind, und er fehlt, weil keine rechtli-
che Diskriminierung vorhanden ist. Man kann sich – ich
habe es gesagt – Gedanken darüber machen, ob man in
Einzelfällen Regelungen treffen kann, aber um Himmels
willen nicht für den Besuch im Krankenhaus und auch
nicht – wie das oft, manchmal melodramatisch, genannt
worden ist – für den Besuch im Gefängnis; dafür gibt es
Regelungen.

Es gibt eine ernsthafte Diskussion über eine gesetzli-
che Änderung im Zeugnisverweigerungsrecht und in der
Mietrechtsnachfolge. Nur, wenn man das regeln will,
dann darf man es natürlich nicht nur für gleichge-
schlechtliche Paare regeln, sondern dann muss der Be-
griff der Nähe eine Rolle spielen. Deswegen kann eine
solche Regelung, wenn man sie treffen will, nicht nur für
gleichgeschlechtliche Paare gelten. Man muss eine gene-
relle Regelung für Personen treffen, die in besonderer
Nähe zueinander leben.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Das ist die einzige Möglichkeit. Alles andere, meine sehr
verehrten Damen und Herren, würde zugleich ein Pro-
blem bezüglich Art. 3 des Grundgesetzes aufwerfen.




Norbert Geis

12613


(C)



(D)



(A)



(B)


Das sagt auch Schily in seinem Brief an Herrn Struck.
Ich meine, darüber muss man einmal reden. Schily – so
eine Meldung in der „Welt“ von heute, in der der Brief zi-
tiert wird –, der Minister, der für die Wahrung der Verfas-
sung dieses Landes zuständig ist, schreibt – offenbar auch
nach einer Vorlage seiner Verfassungsabteilung; davon
gehe ich aus – einen Brief an den Vorsitzenden der SPD-
Fraktion und nennt drei wichtige Punkte – auf die ich
gleich noch eingehen werde – , weshalb er dieses Gesetz
für verfassungsrechtlich in höchstem Maße bedenklich
hält. Er sieht dieses Gesetz in Konflikt mit Art. 3, Art. 6
und Art. 14 Abs. 1 des Grundgesetzes. Das legt er in ei-
nem Brief an Herrn Struck dar.

Aber was passiert mit dem Brief, der nicht ins Konzept
passt? – Der Brief wird einfach zurückgezogen, weil Herr
Struck – vielleicht auch die Frau Ministerin; ich weiß
nicht, wer –


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt reden Sie schon über Briefe, die es gar nicht gibt!)


angerufen und gesagt hat: Das passt uns nicht in den
Kram; diese Diskussion über verfassungsrechtliche Be-
denken ist für uns jetzt kontraproduktiv, deswegen müs-
sen Sie diesen Brief zurückziehen. Und der Brief wurde
zurückgezogen, was ich sehr bedaure.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Aber was er schreibt, das bleibt!)


Wenn man sich schon zu einer solchen Entscheidung auf-
rafft und einen Brief schreibt, ihn dann aber zurückzieht
und den Brief damit zu einem Non-paper macht, passt das
nicht zur Arbeit eines Verfassungsministers. Das darf
nicht sein, er hätte dabei bleiben müssen.

Aber immerhin – das sei festgestellt – : Er hat ganz klar
auf die wunden Punkte dieses Gesetzes hingewiesen. Ich
sage es noch einmal: Ein solches Gesetz vor allen Dingen
mit Blick auf andere Verantwortungsgemeinschaften
– die es ja auch gibt – als die gleichgeschlechtlichen
Gemeinschaften ist nicht in Ordnung. Diese anderen Ge-
meinschaften werden in einem solchen Gesetz nicht mit
geregelt; sie bekommen nicht die gleiche gesetzliche
Grundlage. Darin sieht Schily – wie ich und viele andere
auch – einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz.


(Christine Schenk [PDS]: Richtig!)

Man muss Gleiches gleich behandeln. Wenn man es schon
behandeln will – ich bin nicht der Meinung, dass es not-
wendig ist –, dann muss man das Gleiche auch für viele
andere Verantwortungsgemeinschaften vorsehen, in de-
nen viel mehr Menschen leben als innerhalb von gleich-
geschlechtlichen Partnerschaften; denn 94 Prozent der
gleichgeschlechtlichen Partnerschaften – auch das sei er-
wähnt – bestehen nach der Meldung einer Zeitschrift
dieser Bewegung nur ein halbes Jahr. Dann gehen die
Partner wieder auseinander. Wer die Unterlagen der En-
quete-Kommission „Aids“ liest, die im Deutschen Bun-
destag 1987 bis 1990 existierte, weiß, dass die Zahl der
Partnerwechsel bei gleichgeschlechtlichen Partnerschaf-
ten sehr hoch ist.


(Zuruf von der SPD: Was Sie alles wissen! Das ist ja unglaublich!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1413105800
Herr Kollege
Geis, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin
Christina Schenk?


Norbert Geis (CSU):
Rede ID: ID1413105900
Ich will diesen Satz noch
zu Ende bringen, dann ja. Einen Augenblick, bitte.

Es gibt also – um es noch einmal auszuführen – viele
andere Verantwortungsgemeinschaften, die gleich behan-
delt werden müssen – wenn man das regeln will – wie eine
gleichgeschlechtliche Gemeinschaft. Sonst entsteht Dis-
kriminierung gegenüber diesen Verantwortungsgemein-
schaften, und es besteht die Möglichkeit der Verletzung
von Art. 3 des Grundgesetzes genau so, wie es der Ver-
fassungsminister Schily auch sieht und in seinem Brief an
Herrn Struck dargelegt hat.

Bitte.


Christina Schenk (PDS):
Rede ID: ID1413106000
Herr Kollege Geis, Sie kri-
tisieren – aus meiner Sicht völlig zu Recht – die nun ein-
tretende Ungleichbehandlung von homosexuellen Paaren
einerseits und heterosexuellen Paaren andererseits, die
unter vergleichbaren Bedingungen zusammenleben. Sie
bemerken auch, dass sich da eine Gerechtigkeitslücke
auftut, wenn es sich generell um Verantwortungsgemein-
schaften – egal welcher sexuellen Orientierung und Pro-
venienz – handelt. Die Frage an Sie: Wären Sie bereit, ei-
nen entsprechenden Gesetzentwurf mitzutragen, der alle
Formen von Verantwortungsgemeinschaften rechtlich
gleichstellt?


(Beifall des Abg. Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.] – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Gute Idee!)



Norbert Geis (CSU):
Rede ID: ID1413106100
Ich habe eingangs darge-
legt, dass ich kein Regelungsbedürfnis sehe. Dieses muss
man mir erst einmal nachweisen. Liebe Frau Schenk,
ich bin der Auffassung, dass unsere Rechtsordnung aus-
reichende Grundlage bietet, um all diesen Gemeinschaf-
ten gerecht zu werden. Nur, wenn man – da stimme ich
mit Ihnen überein – diese Sache besonders regeln will,
dann kann man sich nicht nur auf eine kleine Gruppe spe-
zialisieren, sondern muss alle mit in den Blick nehmen.


(Zustimmung bei der F.D.P. – Margot von Renesse [SPD]: Es ist nicht eine Gruppe, es ist ein Paar! Es gibt einen Unterschied zwischen Gruppe und Paar!)


Das Hauptargument ist die Verletzung des Art. 6 des
Grundgesetzes, was auch Schily in seinem Brief an
Struck ausführt. Das ist das Hauptargument. Warum? Wir
haben in der Verfassung geregelt: Ehe und Familie erhal-
ten einen besonderen Schutz, haben eine exklusive Stel-
lung in unserer Verfassung und damit eine besondere Stel-
lung in unserer gesamten Rechtsordnung. Das kommt in
vielen Einzelregelungen auch so zum Ausdruck.

Warum ist das so? Es mag viele Gründe geben, die vor
allen Dingen auch in unserer Kultur liegen. Es war aber
vor allem ein Grund, der aus der Nachkriegserfahrung der
Väter und Mütter unserer Verfassung resultierte: Als näm-
lich 1945 unser Land vollständig am Boden und in Trüm-




Norbert Geis
12614


(C)



(D)



(A)



(B)


mern lag, als der Staat nicht mehr funktionierte, als die
Einzelnen sich selbst überlassen waren, gab es ein Wun-
der: Die Familien haben zusammengehalten. Sie haben
dieses Land mit einer Vitalität ohnegleichen wieder auf-
gebaut. Der schnelle Wiederaufbau, das Wirtschaftswun-
der wäre ohne die Vitalität der Familien nicht möglich ge-
wesen.


(Beifall und Bravo-Rufe bei der CDU/CSU)

Deswegen hat der Verfassungsgeber den Schutz der Fa-
milie in einer solchen Weise in Art. 6 des Grundgesetzes
herausgestellt. Das wollen wir beibehalten.

Wenn aber nun ein anderes Institut gleichgewichtig da-
nebensteht – wie es in diesem Gesetzentwurf unzweifel-
haft der Fall ist –, dann besteht die Gefahr, dass eben diese
Einzigartigkeit verloren geht und dieser einzigartige
Schutz nicht mehr vorhanden ist.


(Zuruf von der SPD: Es wird doch niemandem etwas weggenommen!)


Ich kann die ganze Thematik nicht noch einmal wieder-
holen. Nehmen Sie es mir so ab, das ist meine Auffassung.
Wenn ein anderes Institut gleichberechtigt danebenge-
stellt wird, ist diese Einzigartigkeit verloren. Das wollen
wir nicht und das werden wir als CDU/CSU-Fraktion nie
zulassen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Im Übrigen sind wir da nicht allein. Ich wiederhole es

noch einmal und zitiere aus dem Brief von Minister
Schily. Er schreibt an Herrn Struck:

Das Gesetzesvorhaben ... stellt die gleichgeschlecht-
liche Lebenspartnerschaft weithin der Ehe gleich.
Das halte ich so mit Artikel 6 Abs. 1 GG nicht für
vereinbar. Dieser stellt die Ehe ausdrücklich unter
den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. An-
dere Lebensgemeinschaften dürfen daher ... nicht im
Ergebnis den gleichen Schutz wie eheliche Lebens-
gemeinschaften erhalten.

Wenn Sie es nicht glauben, lesen Sie es nach. Es steht
heute in der Zeitung. Ich gehe davon aus, dass es seine
Richtigkeit hat.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1413106200
Sie genehmigen
eine Zwischenfrage?


Norbert Geis (CSU):
Rede ID: ID1413106300
Ja.


Martin Hohmann (AfD):
Rede ID: ID1413106400
Herr Kollege Geis,
Sie haben eben die Gefährdung der Familien durch den
Gesetzesantrag der rot-grünen Regierungskoalition he-
rausgestellt. Teilen Sie mit mir ein anderes Bedenken, das
aus religiöser Anschauung kommt: Können Sie bestäti-
gen, dass in den Offenbarungsschriften aller drei großen
monotheistischen Religionen ein klares Unwerturteil über
Homosexualität als solche ausgesprochen wird?


(Unruhe bei der SPD und der PDS – Zurufe von der SPD: Das ist ja unerhört! – Sie sollten sich schämen! – Das ist ja kaum zu ertragen!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1413106500
Liebe Kollegin-
nen und Kollegen, wir müssen uns schon anhören, was die
Redner sagen.


Martin Hohmann (AfD):
Rede ID: ID1413106600
Können Sie bestäti-
gen, dass die rot-grüne Gesetzesinitiative daher im
Grundsatz mit der jüdischen, der christlichen und auch der
muslimischen Religion im Widerspruch steht?


(Widerspruch bei der SPD – Zuruf von der SPD: Da haben sich zwei gefunden!)



Norbert Geis (CSU):
Rede ID: ID1413106700
Das kann ich nur bestäti-
gen. Genau so ist es: Der Entwurf steht nicht nur zu unse-
rer Verfassung, sondern auch zu den Prinzipien der drei
großen Religionen im Widerspruch.


(Anhaltende Zurufe von der SPD)

Ich möchte eines noch hinzufügen: Ich bin nicht der

Auffassung – ich habe das schon in meiner ersten Rede
gesagt –, dass der Gesetzentwurf der F.D.P. gegen die Ver-
fassung verstößt. Das möchte ich ausdrücklich betonen.
Ich will um der Wahrheit willen sagen: Es gab bei uns eine
Diskussion, ob man nicht mithilfe eines solchen Gesetz-
entwurfes die Verabschiedung des vorgelegten Gesetzent-
wurfes verhindern könnte. Aber diese Möglichkeit be-
stand nicht; es musste dieser Gesetzentwurf sein.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sieht Herr Hohmann wohl ganz anders!)


Noch ein Wort zu Art. 14 des Grundgesetzes, der
ebenfalls berührt ist: Art. 14 Abs. 1 des Grundgesetzes
schützt Eigentum und Erbrecht. Das Erbrecht ist – man
kann das in den Kommentaren zum Grundgesetz nachle-
sen – ganz klar auf die Familie bezogen, und zwar auf
Ehe und Familie mit Blick auf Kinder. Man wollte si-
cherstellen, dass das Eigentum der Eltern auf die Kinder
übergehen kann. Das scheint mir bei dem vorliegenden
Gesetzentwurf nicht beachtet worden zu sein. Dieser
Punkt ist von Bundesinnenminister Schily auch erwähnt
worden.

Insgesamt meine ich: Der Gesetzentwurf ist nicht nur
nach unserer Auffassung, sondern auch nach der Auffas-
sung des für die Verfassung zuständigen Bundesministers
Schily verfassungsrechtlich höchst bedenklich. Deshalb
muss man für den Fall der Verabschiedung natürlich ernst-
haft den Gang nach Karlsruhe prüfen. Ich halte diesen Ge-
setzentwurf für einen Verstoß gegen unsere Kultur und für
den schlimmsten Angriff auf Familie und Gesellschaft.
Ich halte dieses geplante Gesetz für verfassungswidrig,
und deshalb muss es abgelehnt werden.


(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS – Zurufe von der SPD: So sieht also die Leitkultur aus! – Da wird wieder gezündelt, es ist doch unglaublich! – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Homosexualität widerspricht der CDU-Leitkultur!)





Norbert Geis

12615


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1413106800
Das Wort hat
jetzt die Fraktionsvorsitzende vom Bündnis 90/Die Grü-
nen, Kerstin Müller.


Kerstin Müller (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1413106900

Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kolle-
gen! Gestern sind mehr als 200 000 Menschen für Tole-
ranz und gegen Diskriminierung von Minderheiten auf
die Straße gegangen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der F.D.P. und der PDS)


Heute, Herr Geis und meine Damen und Herren von der
CDU/CSU, haben Sie die Gelegenheit, einer Minderheit,
die von diesem Staat viele Jahre missachtet wurde, end-
lich zu ihrem Recht zu verhelfen und ihre Diskriminie-
rung abzubauen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Man muss sich das einmal vorstellen: In den ersten
Jahrzehnten des Bestehens der Bundesrepublik Deutsch-
land war Homosexualität noch strafbar und bis vor
15 Jahren galt die gleichgeschlechtliche Lebenspartner-
schaft vor deutschen Gerichten noch als sittenwidrig.
Auch heute noch werden die Partner in gleichge-
schlechtlichen Lebensgemeinschaften vom Gesetz wie
Fremde behandelt, selbst wenn sie seit Jahrzehnten zu-
sammenleben, selbst wenn sie alles miteinander teilen
und selbst wenn einer für den anderen sorgt. Sie haben im
Krankenhaus noch kein Auskunftsrecht über die Situation
des Partners, der ausländische Partner bekommt noch kein
Aufenthaltsrecht, und sie haben auch keine Rechte, wenn
der Partner stirbt.

Ich möchte, dass Sie sich einmal in diese Situation hi-
neinversetzen. Tut man das, muss man feststellen, dass die
gegenwärtige Situation eine massive Diskriminierung,
eine Missachtung der Persönlichkeitsrechte – wie es auch
das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat – und ins-
gesamt ein unhaltbarer Missstand ist. Damit machen wir
heute ein für alle Mal Schluss: Die langen Jahre der Dis-
kriminierung sind zu Ende, Lesben und Schwule bekom-
men heute ihr Recht. Deshalb sollten wir hier eine wür-
dige Debatte führen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Mit der amtlichen Eintragung übernehmen Lebens-
partner umfassende Pflichten. Sie sind einander gesetz-
lich zum Unterhalt verpflichtet. Sie entlasten damit
öffentliche Kassen, etwa bei der Sozialhilfe, der Arbeits-
losenhilfe und beim Wohngeld. Sie erhalten im Gegen-
zug natürlich auch Rechte, beim Steuerrecht, im Erbrecht
und bei der Krankenversicherung. Das ist ein Gebot der
Gerechtigkeit, meine Damen und Herren von der
CDU/CSU. Sie behaupten immer – das haben Sie auch
heute wieder getan –, die eingetragene Partnerschaft
würde Ehe und Familie schädigen und die gesellschaftli-
che Werteordnung zerrütten. Aber, bitte schön, was nimmt
die eingetragene Partnerschaft der Ehe eigentlich weg?

Sie nimmt doch niemandem etwas weg. Deshalb stellt sie
die Ehe auch nicht infrage.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1413107000
Frau Kollegin,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wolf?

Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Ja, bitte schön.


Aribert Wolf (CSU):
Rede ID: ID1413107100
Frau Kollegin Müller, Sie
haben von Gerechtigkeit in der Krankenversicherung ge-
sprochen. Finden Sie es gerecht, wenn Sie zum Bundes-
kanzler marschieren und die finanzielle Schlechterstellung
von homosexuellen Paaren in der Krankenversicherung be-
klagen, woraufhin die beitragsfreie Mitversicherung von
Partnern, die eine eingetragene Lebensgemeinschaft einge-
gangen sind, ins Gesetz geschrieben wird, und wenn zu-
gleich der Parteirat der Grünen beschließt, dass die Mög-
lichkeit der beitragsfreien Mitversicherung für Ehepaare
zumindest eingeschränkt, wenn nicht sogar abgeschafft
werden soll? Ist das in Ihren Augen gerecht, wenn also
schwule oder lesbische Partner beitragsfrei mitversichert
werden, während die beitragsfreie Mitversicherung für
Ehepartner Ihrer Meinung nach abgeschafft werden soll?


(Zustimmung bei der CDU/CSU)


Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Natürlich ist unser Gesetz gerecht. Die Reformen,
die wir im Gesundheitswesen brauchen, sind das eine.


(Lachen bei der CDU/CSU)

– Entschuldigung, Sie haben doch die Reformen, die wir
im Gesundheitswesen durchführen wollten, verhindert.
Aber das ist heute nicht das Thema. Wir sind jetzt bei der
eingetragenen Partnerschaft.

Wir wollen, dass für homosexuelle Lebenspartner-
schaften das gleiche Recht wie für heterosexuelle Lebens-
partnerschaften gilt. Das wird auch nicht viel mehr kos-
ten. Es ist eine Frage der Demokratie unseres Landes, ob
wir dafür sorgen, dass homosexuelle und heterosexuelle
Partnerschaften in allen Rechtsbereichen gleichgestellt
werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es geht auch nicht um eine Privilegierung homosexu-
eller Beziehungen, wie es heute wieder von Teilen der ka-
tholischen Kirche zu hören war. Gott sei Dank ist das
nicht mehr die Mehrheitsmeinung; es gibt dort auch an-
dere Meinungen. Im Gegenteil: Es geht um den Abbau
von Diskriminierungen. Es geht darum, dass Menschen,
die füreinander einstehen wollen, durch die Möglichkeit,
eine eingetragene Partnerschaft einzugehen, unterstützt
werden.

Außerdem – noch ein weiteres Argument, warum ich
die These absurd finde, dass die Werteordnung durch die
eingetragene Lebenspartnerschaft infrage gestellt wird –:






(C)



(D)



(A)



(B)


Schauen Sie sich doch einmal unsere Nachbarstaaten an.
Dänemark, Norwegen, Schweden, Island und die Nieder-
lande haben bereits seit Jahren die eingetragene Partner-
schaft eingeführt. Auch in Frankreich werden homosexu-
elle Lebenspartnerschaften rechtlich anerkannt. In keinem
dieser Länder haben Ehe und Familie irgendeinen Schaden
genommen. In keinem dieser Länder wurden die öffentli-
chen Kassen belastet. Vor allem – das ist ja Ihre größte
Sorge –: Nirgendwo ist das christliche Abendland unterge-
gangen. Deshalb habe ich überhaupt kein Verständnis für
dieses Argument.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Stattdessen hat die eingetragene Partnerschaft in die-
sen Ländern den Gedanken der sozialen Verantwortung
und die Toleranz gegenüber Minderheiten gestärkt. Genau
das brauchen wir auch in der Bundesrepublik, und zwar
gerade jetzt. Gerade jetzt – angesichts der schrecklichen
Gewalttaten gegen Minderheiten in den letzten Wochen
und Monaten in unserem Land – müssen wir signalisieren,
dass wir die Diskriminierung von Minderheiten nicht
mehr hinnehmen.

Wir meinen, Verantwortung zählt! Wir wollen soziale
Bindungen da, wo sie vorhanden sind, stärken. Deshalb
macht die Koalition Politik für die Familie, mit einer Steu-
erreform, durch die Familien mit Kindern entlastet wer-
den, mit Erhöhung des Kinder- und des Erziehungsgeldes
und mit der Reform des Erziehungsurlaubes.

Familie – darüber besteht vielleicht der Dissens – er-
scheint heute in vielerlei Gestalt. Auch in schwulen und
lesbischen Lebensgemeinschaften wird füreinander ein-
gestanden und werden Werte gelebt, die für diese Gesell-
schaft wichtig sind. Wir tragen mit der eingetragenen
Lebenspartnerschaft dieser Realität Rechnung. Wir stär-
ken den Familiengedanken und schwächen ihn nicht.

Liebe Kollegen von der F.D.P., deshalb halten wir auch
nichts von Ihrer Miniregelung. Dort wird meines Erach-
tens Verantwortung klein geschrieben. Ihr Vorschlag ist
zwar gut gemeint, aber er ist meines Erachtens keinesfalls
gut gemacht. Er ist nur eine Schmalspurlösung. Es ist das
falsche Signal, wenn man sagt, Homosexuelle seien nicht
fähig, sich genauso eng zu binden wie Mann und Frau. Ein
solches Signal baut keine Diskriminierung ab. Im Gegen-
teil: Es schreibt die Diskriminierung fort. Das wollen wir
gerade nicht.

Die heutige Entscheidung des Bundestages ist ein his-
torisches Datum für Schwule und Lesben in Deutschland,
nicht nur für sie allein – Frau von Renesse hat schon da-
rauf hingewiesen –, sondern auch für ihre Eltern, Ge-
schwister und Freunde. Es ist ein historisches Datum für
alle, die mehr Gerechtigkeit in diesem Land wollen.

Ich möchte zum Schluss jemanden zitieren, der mit Si-
cherheit in Ihr Bild von der deutschen Leitkultur passt,
nämlich Johann Wolfgang von Goethe. Er hat gesagt: To-
leranz darf nur eine vorübergehende Gesinnung sein. Sie
muss zur Anerkennung führen. Dulden heißt letztlich be-
leidigen. – Darum geht es heute. Toleranz ist im 21. Jahr-
hundert zu wenig. Wir schaffen mit der eingetragenen
Partnerschaft die Anerkennung schwuler und lesbischer
Lebensgemeinschaften nicht nur in der Gesellschaft, son-

dern auch vor dem Gesetz. Ich hoffe, dass unser Gesetz
hier eine breite Zustimmung finden wird.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1413107200
Das Wort hat der
Fraktionsvorsitzende der F.D.P., Dr. Wolfgang Gerhardt.


Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP):
Rede ID: ID1413107300
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Es hat lange gedauert – das wis-
sen wir alle –, bis unsere aufgeklärte Gesellschaft die Kraft
gehabt hat, mit Menschen klarzukommen, die eine andere
Veranlagung haben. Alle Debatten zeigen – ich erinnere an
die Debatten im Rechtsausschuss und an die Schärfe der
Debatte vorhin –, dass wir anscheinend immer noch nicht
in ausreichendem Maße die notwendige Kraft haben. Die
entscheidende Herausforderung ist, dass die Gesellschaft
die Kraft aufbringt, Rahmenbedingungen dafür zu schaf-
fen, dass jeder Mensch gemäß unserer freiheitlichen Ver-
fassung seinen individuellen Lebensentwurf verwirkli-
chen kann, und dass wir gegenüber den Menschen mit einer
anderen Veranlagung Respekt entwickeln. Es geht darum,
ein Instrumentarium zu entwickeln, damit auch diese ande-
ren Lebensentwürfe verwirklicht werden können und einen
Verantwortungsrahmen vorfinden, den sie brauchen.

Wir kennen noch alle die Diskussionen, die in Deutsch-
land nötig waren, bis das Sexualstrafrecht geschlechts-
neutral formuliert war. Wir kennen die Diskussionen um
die Aufhebung des § 175 des Strafgesetzbuches. Selbst
bei der Verabschiedung des Gesetzes, mit dem Urteile aus
der NS-Zeit aufgehoben wurden, soweit sie homosexuelle
Menschen betrafen, haben wir zu lange Zeit gebraucht.
Dann wurden noch offene Fragen bezüglich Wohngesetz-
buch und Mietrechtsnachfolge geregelt. Der Abbau von
Diskriminierung in der Bundeswehr wurde erst behandelt,
nachdem ein entsprechender Antrag vorgelegt wurde.
Dies zeigt, welche Schwierigkeiten noch bewältigt wer-
den mussten.

Heute geht es aber um etwas anderes.

(Zuruf von der SPD: Ja, das meine ich auch!)


Ich muss der SPD und den Grünen folgenden Punkt ent-
gegenhalten: Ich bin der Überzeugung, dass ich für einige
Ihrer Kollegen spreche, die so denken wie die Freie De-
mokratische Partei. Es geht nämlich um die Frage einer
fairen und angemessenen Würdigung von gleichge-
schlechtlichen Partnerschaften. Ich sage Ihnen gleich
zu Beginn: Eine Kopie der Ehe, die die kulturell dichteste
Verantwortungsgemeinschaft ist und deshalb zu Recht
unter dem besonderen Schutz des Staates steht, kann nicht
die Lösung sein.


(Zuruf von der SPD: Das machen wir doch nicht!)


Darin liegt der Unterschied zwischen unseren Ge-
setzentwürfen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Die gleichgeschlechtlichen Partnerschaften sind Ver-

antwortungsgemeinschaften mit eigener Souveränität und




Kerstin Müller (Köln)


12617


(C)



(D)



(A)



(B)


Würde, die wir respektieren müssen. Sie sollten dafür sor-
gen, dass in Ihren Verbänden diese Gemeinschaften nicht
als eine Kopie der Ehe, sondern als eine eigene Form des
Zusammenlebens angesehen werden. In diesem Sinne
muss jetzt entschieden werden.


(Margot von Renesse [SPD]: Sie rennen offene Türen ein!)


Unser Gesetzentwurf sieht dies in überzeugender Form
vor, der Gesetzentwurf von Rot-Grün aber nicht.


(Beifall bei der F.D.P.)

Sie bieten diesen Lebensgemeinschaften – aus welchen
Beweggründen auch immer – im Grunde eine Kopie der
Ehe inklusive Formen, die einer standesamtlichen Zere-
monie ähneln, an. Sie sind gezwungen, in der Gesetzge-
bung 112 Folgerungen, die sich bis hin zu den Schornstein-
fegern, Diätassistenten und Kleingärtnern erstrecken,
anzuschließen. Das ist nicht die gesellschaftliche Frage,
deren qualitative Beantwortung hier ansteht.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deshalb bin ich der Überzeugung, dass es besser gewe-
sen wäre, Sie hätten bei Ihrer Gesetzgebung innegehalten
und noch einmal geprüft, ob es für diesen Personenkreis
aus politischen, gesellschaftlichen und parteiübergreifen-
den Überlegungen nicht sinnvoller gewesen wäre, über die
Grenzen der Koalition hinauszugehen und mit der Bun-
destagsfraktion der F.D.P. über gesetzgeberische Regelun-
gen zu sprechen, die notwendig sind, damit eingetragene
Partnerschaften nicht nur toleriert und geduldet, sondern
auch wirklich akzeptiert werden und damit ihnen ein fester
Rahmen gegeben wird.

Es ist nicht ausgeschlossen, dass Ihr Gesetzentwurf vor
Gericht noch scheitern wird.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Falls das geschehen würde, hätten Sie niemandem ein ge-
sellschaftliches Instrumentarium an die Hand gegeben.
Sie hätten das Gegenteil von dem erreicht, was gut ist. Ich
bin kein Jurist. Daher beziehe ich mich darauf, dass Ver-
fassungsminister Schily in diesem Zusammenhang nach
dem Motto „Wer schreibt, der bleibt“ an Herrn Struck
wahrscheinlich zu Recht einen Brief geschrieben hat.


(Klaus Haupt [F.D.P.]: Das wird seinen Grund haben!)


Diesen Brief können Sie für zurückgezogen erklären. Sie
können auch sagen: Den hat es nicht gegeben und durch
Willensakt des Verfassungsministers gelten die dort for-
mulierten Bedenken nicht mehr.

Aber die dort angeführten Argumente sind bestechend
stichhaltig. Sie sollten sich die Frage stellen, ob Sie den
Betroffenen, wenn Sie Ihr Vorhaben heute so wie geplant
durchziehen, nicht Steine statt Brot geben und ob ihnen
das vorgesehene Gesetz in wenigen Jahren überhaupt
noch hilft.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Vorhin wurde kritisiert, dass unser Gesetzentwurf nicht
ausreicht. Ich bin der Überzeugung, dass gerade unser Ge-

setzentwurf dem Lebensgefühl dieser Menschen ent-
spricht. Sie alle kennen die Studie der Universität Bam-
berg, die vom Bundesjustizministerium in Auftrag gege-
ben worden ist. Zwei Drittel der in diesem Umfeld
Befragten gaben an, sie befürworteten eine gesetzliche
Form, bei der das Paar die Bereiche selbst wählt, für die es
eine rechtliche Absicherung wünscht. Ein Minimum sol-
cher Bereiche ist in unserem Gesetzentwurf vorgesehen,
und zwar die Lebensbereiche, in denen es unumgänglich
ist, für solche Partnerschaften gesetzgeberisch tätig zu
werden. Sie haben weniger Vertrauen in diese Partner-
schaften als wir. Wir möchten diesen durch gemeinsame
Entscheidung selbst überlassen, für welche Bereiche sie
eine weitere Absicherung wünschen, was sie dann beim
Notar und bei der Verwaltung hinterlegen können.


(Beifall bei der F.D.P.)

Worauf ich hinaus will, ist, dass Sie eine gesellschaft-

liche Frage in einer Art und Weise angehen, die die Ak-
zeptanz eher verkleinert, den Betroffenen am Ende weni-
ger hilft, die verfassungsrechtliche Stellung von Ehe und
Familie nicht ausreichend beachtet und damit in Bezug
auf eine solche Regelung eher Gegnerschaft als Zustim-
mung provoziert. Wenn für einen gesellschaftlichen Be-
reich, bei dem eine solche Tabuschwelle überwunden
werden muss, eine Lösung gefunden werden soll, dann
kann diese den Betroffenen nur dann nutzen, wenn ihnen
nicht nur ein geschriebenes Gesetz an die Hand gegeben
wird, sondern wenn über dieses Gesetz und über die ei-
gene Partei hinaus eine breite gesellschaftliche Akzeptanz
erreicht wird. Denn im täglichen Leben werden solche
Partnerschaften nicht nur auf das geschriebene Gesetz
vertrauen können. Sie müssen sich vielmehr darauf ver-
lassen können, dass das gesellschaftliche Klima und die
gesellschaftliche Atmosphäre für Respekt gegenüber ihrer
Verantwortungsgemeinschaft sorgen.

Da sind Sie schmalspurig und kleinkariert geworden.
Sie haben nicht mehr die Courage, innezuhalten und einen
Weg zu gehen, der eine breitere politische und gesell-
schaftliche Grundlage schaffen würde. Das ist Ihr poli-
tisch-strategischer Fehler an diesem Vormittag.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie beeinträchtigen den verfassungsrechtlichen Sta-
tus von Ehe und Familie. Das wissen mehr unter Ihnen
als nur der Bundesinnenminister. Damit erwecken Sie den
Eindruck, als ob die neue Regelung auf Kosten der dich-
ten Verantwortungsgemeinschaft „Ehe“ ginge, was meine
Fraktion nicht akzeptieren würde. Wir sind der Überzeu-
gung, dass es in diesem Land neben der kulturell dichten
Verantwortungsgemeinschaft „Ehe“ ohne Frage neue For-
men der Partnerschaft gibt. Aber wir sind der Auffassung,
dass sie ihre eigene Würde haben, dass sie sich nicht an
der Ehe messen lassen müssen, dass sie ihre eigene per-
sönliche Verantwortung herausbilden, dass das Menschen
sind, die wir respektieren, tolerieren, dulden sowie neben
und unter uns akzeptieren und denen wir helfen müssen.
Aber wir sollten uns nicht gemeinschaftlich dazu verstei-
gen, ihnen ein Rechtsinstitut anzubieten, das verfassungs-
rechtlich gefährdet ist,


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Ihres ist von vorn bis hinten verfassungswidrig!)





Dr. Wolfgang Gerhardt
12618


(C)



(D)



(A)



(B)


das ihnen in Zukunft, wenn es vor Gericht zum Konflikt
kommt, wenig nutzt. Wir sollten ihnen vielmehr ein
Rechtsinstitut an die Hand geben, das der Würde und der
Souveränität dieser anderen Lebensbeziehungen gerecht
wird. Das ist das Ziel unseres Gesetzentwurfes. Sie ko-
pieren ein anderes Rechtsinstitut. Damit geraten Sie in
Gefahr, dass Sie den Menschen nicht helfen.

Wir streiten hier nicht darüber, ob die Fraktion der
Freien Demokratischen Partei weniger oder mehr Tole-
ranz gegenüber Ungewohntem als die Fraktionen der So-
zialdemokratischen Partei und der Grünen aufbringt. Wir
streiten vielmehr darüber, ob wir einen angemessenen
Weg beschreiten. Deshalb verwahre ich mich dagegen,
dass Sie in Ihren Diskussionsbeiträgen den Eindruck er-
wecken, als hätten Sie allein das Deutungsmonopol für
Toleranz, Gerechtigkeit und ein gesetzliches Angebot für
solche Menschen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Wir befinden uns als Fraktion der F.D.P. hier nicht in ei-
ner Lehrstunde, in der Sie uns das zu erzählen hätten. Wir
nehmen für uns in Anspruch, einen besseren, klügeren,
gesellschaftlich akzeptableren und moderneren Gesetz-
entwurf präsentiert zu haben. Dem werden wir zustim-
men. Ihren werden wir ablehnen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe vom BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1413107400
Jetzt hat die Ab-
geordnete Christina Schenk das Wort.


Christina Schenk (PDS):
Rede ID: ID1413107500
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Die Mehrheit der Fraktion der PDS
wird dem Gesetzentwurf von Rot-Grün zur eingetragenen
Lebenspartnerschaft nicht zustimmen. Eine Reihe von
Abgeordneten wird ihn ablehnen, darunter meine Kolle-
gin Sabine Jünger und ich, die wir die beiden einzigen of-
fen lesbisch lebenden Abgeordneten des Deutschen Bun-
destages sind.

Der Grund für die mehrheitliche Enthaltung meiner
Fraktion besteht darin, dass zum einen immerhin die Tat-
sache der rechtlichen Diskriminierung von Lesben und
Schwulen endlich in die öffentliche Debatte gekommen
ist und dass zum anderen durch diese Debatte und even-
tuell auch durch diesen Gesetzentwurf eine Bewegung in
der Sache zu erwarten ist.

Man kann der PDS – das wissen Sie alle hier im
Hause – nicht Konservativismus oder gar Homophobie
unterstellen. Meine Fraktion ist dafür bekannt, dass sie
seit Jahren eine aktive Politik zur Beseitigung jeglicher
Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer sexu-
ellen Orientierung betreibt.


(Beifall bei der PDS)

Wir können dem Gesetzentwurf jedoch nicht zustim-

men, weil ein schlechtes Verfahren zu einem nicht zu ak-
zeptierenden Ergebnis geführt hat. Die Grünen haben der
lesbisch-schwulen Klientel ein Rechtsinstitut verspro-
chen – Frau Müller hat das heute wiederholt –, das Les-

ben und Schwulen die gleichen Rechte und Pflichten wie
Eheleuten bringt und die Diskriminierung beseitigt. Ei-
nem solchen Rechtsinstitut hätten wir unsere Zustim-
mung aus Gerechtigkeitsgründen nicht versagen können.
Die Forderung nach gleichen Rechten für Menschen, un-
abhängig von ihrer sexuellen Orientierung, schließt die
nach der vollständigen Öffnung der Ehe für homosexu-
elle Paaremit ein. Es gibt keinen einzigen Grund, Lesben
und Schwulen die Rechte vorzuenthalten, die heterosexu-
elle Menschen haben.


(Beifall bei der PDS)

Herausgekommen ist jedoch ein Gesetz, das Homosexu-

elle zu Paaren zweiter Klasse stempelt. Lesbischen und
schwulen Paaren werden gegenüber Ehenleuten lediglich
reduzierte Rechte zugestanden. Es fehlen wichtige Kind-
schaftsrechte wie das Recht zur Adoption und zur gemein-
samen Sorge. Der Zugang zur Insemination bleibt Lesben
verwehrt. Die Hinterbliebenenrente ist genauso ausgeklam-
mert wie etliche Regelungen im Beamtenrecht. Damit der
Abstand zur Ehe groß genug bleibt, gibt es statt des Ehegat-
tensplittings eine eigens für lesbische und schwule Paare
kreierte steuerliche Absetzbarkeit von Unterhaltsleistungen.

Die Diskriminierung versteckt sich auch noch in einer
Reihe von Detailregelungen. Ich möchte hier nur eine
herausgreifen: Ich halte es schon für erklärungsbedürftig,
warum beim nachpartnerschaftlichen Unterhalt der
Ex-Lebenspartner dem Ex-Ehegatten nachgestellt wird,
ihm gegenüber also nachrangig behandelt wird. SPD
und Bündnis 90/Die Grünen erklären den Abstand
zur Ehe mit der Wesensverschiedenheit von homosexuel-
len gegenüber heterosexuellen Partnerschaften. Diese
Wesensverschiedenheit bestünde angeblich darin, dass
homosexuelle Paare biologisch keine gemeinsamen Kin-
der haben können. Ich frage Sie, meine Damen und Her-
ren: Was tut das zur Sache?

Damit wird negiert, dass es bereits heute mehr als
1 Million homosexuelle Eltern gibt. Es wird negiert, dass
sich immer mehr Lesben ihren gemeinsamen Kinder-
wunsch auf verschiedene Weise erfüllen, und es wird ig-
noriert, dass immer mehr Ehen gewollt kinderlos bleiben.
Es wird auch die Tatsache ignoriert, dass immer mehr
Kinder außerhalb von Ehen geboren werden und biolo-
gische und soziale Elternschaft auch bei Heterosexuellen
immer öfter auseinander fällt.


(Beifall bei der PDS)

Als Ergebnis präsentieren SPD und Grüne ein Sonder-

gesetz für Homosexuelle, das ihre Diskriminierung eher
festschreibt als beseitigt, und dies umso mehr, wenn nach
der zu erwartenden Ablehnung der zustimmungspflichti-
gen Teile im Bundesrat ein Torso mit einem extremen
Missverhältnis zwischen Rechten und Pflichten übrig
bleiben wird. Vor einem solchen Rechtsinstitut kann ich
Lesben und Schwule nur warnen.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann machen Sie lieber gar nichts! Alles soll so bleiben, wie es ist!)


Die eingetragene Lebenspartnerschaft ist auch kein
erster Schritt in die richtige Richtung, wie SPD und Grüne
behaupten, sondern einer in die Sackgasse. Denn die üb-
liche Auslegung von Art. 6 GG und die Interpretation der




Dr. Wolfgang Gerhardt

12619


(C)



(D)



(A)



(B)


Ehe als exklusiver Ort für Heterosexuelle verhindert auch
künftig eine vollständige Gleichstellung der eingetra-
genen Partnerschaft mit der Ehe.


(Margot von Renesse [SPD]: Abschaffung der Ehe!)


Wenn man also weiß, dass die Öffnung der Ehe für Ho-
mosexuelle aktuell in der Bundesrepublik nicht möglich
ist, dann stellt sich schon die Frage nach dem politisch
sinnvollen Weg.


(Margot von Renesse [SPD]: Aufhören mit dem Familienrecht!)


Ich werfe Ihnen, meine Damen und Herren von der Re-
gierungskoalition, vor, jede Diskussion über ein sinnvol-
les Handeln in der Politik regelrecht unterbunden zu ha-
ben. Ich meine vor allem Ihren Umgang mit den
außerparlamentarischen Lesben- und Schwuleninitiati-
ven. Es gab seitens des Bundesjustizministeriums meh-
rere Gespräche mit homosexuellen Interessenverbänden.
Es sind jedoch nur die Verbände und Gruppen zu den Ge-
sprächen zugelassen worden, von denen kein Widerstand
gegen Ihr Vorhaben zu befürchten war.

Dabei sind Lesben und Schwule selbst die Hauptkriti-
ker und Hauptkritikerinnen der eingetragenen Lebens-
partnerschaft; das wissen Sie genau. Lesben und Schwule
wollen eine rechtliche Gleichstellung und keine rechtliche
Sonderstellung, das belegen repräsentative Studien. Ein
Sachgespräch – das ist heute schon mehrfach angeklun-
gen – mit der Opposition in diesem Haus über bessere
Alternativen zu führen ist Ihnen gar nicht erst in den Sinn
gekommen.

Das Vorgehen von SPD und Grünen war und ist nicht
alternativlos. Unser Nachbarland Frankreich hat uns ge-
rade vorgemacht, wie man für homosexuelle Paare die
Möglichkeit der rechtlichen Gestaltung ihrer Beziehung
schafft, ohne sie in der Form zu diskriminieren, wie es
hier mit der eingetragenen Lebenspartnerschaft getan
wird. Der dortige Zivilpakt steht jeder Zweiergemein-
schaft, egal ob homo- oder heterosexuell, offen.


(Margot von Renesse [SPD]: Nach Abschaffung von Art. 6 GG!)


Auch hierzulande hätte ein solches Rechtsinstitut ne-
ben der Ehe die schwerwiegendsten Probleme sowohl für
homo- als auch für heterosexuelle Paare gleichermaßen
lösen können. Es wäre immerhin nicht dem Vorwurf aus-
gesetzt gewesen, Homosexuelle zu diskriminieren. Zu-
dem – das wäre der unvergleichliche Vorteil gewesen –
wäre ein solches Rechtsinstitut, das rechtliche Mindest-
standards regelt, schrittweise erweiterbar auf alle nur
denkbaren Verantwortungsgemeinschaften gewesen. Bis
dahin ist nicht zuletzt durch das Vorgehen von SPD und
Grünen der Weg in Deutschland länger als je zuvor.

Lesben und Schwule werden infolgedessen auch wei-
terhin vor die Gerichte ziehen müssen, um so ihre Gleich-
stellung einzuklagen. Ein solch rechtliches Flickwerk wie
das hier vorgelegte wird die Justiz geradezu herausfor-
dern. Es bleibt de facto der Rechtsprechung überlassen,
den gesellschaftlichen Fortschritt zu befördern. Meine
Damen und Herren von der Regierungskoalition, seien
Sie doch so konsequent und stellen Sie im Bundeshaus-

halt einen Hilfsfonds ein, um diejenigen zu unterstützen,
die mit ihren privaten Ressourcen die Aufgaben der Poli-
tik erledigen müssen!


(Beifall bei der PDS)

Im Übrigen wird unter Lesben und Schwulen schon

lange eine ganz andere Frage diskutiert, nämlich: Wann
kommt eigentlich die grundlegende Reform des Famili-
enrechts? Denn die Vielfalt der Lebensformen, die nicht
nur von Homosexuellen, sondern auch von einer zuneh-
menden Zahl von Heterosexuellen gelebt wird, wird von
Rot-Grün bisher völlig ignoriert. All diejenigen, die ver-
antwortlich zusammenleben, sich jedoch nicht in das Kor-
sett der Ehe oder der eingetragenen Lebenspartnerschaft
pressen lassen wollen oder können, bleiben weiterhin
rechtlos. Die rechtliche Gleichstellung aller Lebensweisen,
egal, ob hetero- oder homosexuell, ist lange überfällig.

Danke.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1413107600
Das Wort hat
jetzt die Kollegin Hanna Wolf.


Hanna Wolf (SPD):
Rede ID: ID1413107700
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin wie
Kerstin Müller der Meinung, dass wir heute hier eine
historische Entscheidung treffen. Ich möchte mich in mei-
nem Beitrag mit dem Vorwurf der CDU/CSU auseinander
setzen, den sie gerne ins Feld führt, unser Gesetzentwurf
zur eingetragenen Lebenspartnerschaft gefährde den
grundgesetzlichen Schutz von Ehe und Familie. Diesen
Vorwurf halte ich für vorgeschoben. Sie wollen nämlich
die Inhalte nicht und reden sich auf die Verfassung heraus.


(Beifall bei der SPD)

Wenn die Zeitung mit den großen Buchstaben „Homo-

Ehe“ schreibt, dann ist das eine schlagzeilenartige Ver-
kürzung. Erlauben Sie mir einen ironischen, saloppen
Einwand: Genauso wie der Leberkäs kein Käse ist, ist die
so genannte Homo-Ehe keine Ehe im Sinne des Grundge-
setzes, sondern eine eingetragene Lebenspartnerschaft.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


In der Titelzeile unseres Gesetzentwurfes steht, worum
es uns geht: um die Beendigung der Diskriminierung
gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften. Nach jahrhun-
dertelanger Diskriminierung ist dies ein längst überfälli-
ger Akt der Wiedergutmachung an lesbischen und schwu-
len Menschen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie haben ein Recht auf Selbstverwirklichung innerhalb
des Schutzes und des Regelwerks der Gemeinschaft wie
alle anderen.

Um nicht unsererseits für eine neue Diskriminierung zu
sorgen, mussten wir uns an jenem Institut der Ehe orien-
tieren, das gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften




Christina Schenk
12620


(C)



(D)



(A)



(B)


verwehrt ist. Ich gebe zu, dass die Ehe, wie sie heute noch
verfasst ist, nicht das modernste Modell für eine Part-
nerschaft darstellt. Sie birgt nach wie vor die Gefahr von
Abhängigkeiten und Rollenfixierung in sich; doch es war
nicht unsere Aufgabe, die Ehegesetzgebung auf dem Um-
weg der eingetragenen Lebenspartnerschaften zu moder-
nisieren. Das ist auch der Grund, warum sich gerade Femi-
nistinnen einen anderen Entwurf hätten vorstellen können.
Aus dem gleichen Grund, warum nicht alle heterosexuel-
len Paare die Ehe für sich wählen, werden auch nicht alle
homosexuellen Paare diese eingetragene Lebenspartner-
schaft in Anspruch nehmen.

Hätten wir dagegen für homosexuelle Paare eine Art
„Ehe light“ vorgesehen, wären wir in erhebliche verfas-
sungsrechtliche Schwierigkeiten geraten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Denn wir hätten nicht begründen können, warum wir
diese rechtliche Form heterosexuellen Paaren vorenthal-
ten. Der PACS, wie er in Frankreich existiert, wäre bei uns
verfassungsrechtlich nicht möglich; er würde tatsächlich
die „Ehe pur“, wie wir sie nun einmal haben, infrage stel-
len.

Unsere Gesetzentwürfe stützen die Familie:
Erstens. Eltern werden darin gestärkt, die Homosexua-

lität eines Kindes nicht als Unglück zu begreifen, sondern
ihr Kind so anzunehmen, wie es ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es wird ihnen leichter fallen, es gegen Diskriminierung
durch andere zu verteidigen.

Zweitens. Einem Elternteil kann das Sorgerecht für
das leibliche Kind nicht wegen Homosexualität abge-
sprochen werden und die soziale Elternschaft des schwu-
len Partners oder der lesbischen Partnerin wird durch das
„kleine Sorgerecht“ anerkannt. Somit können Kinder in
einer Partnerschaft ohne Heimlichkeiten aufwachsen.

Die gemeinsame Adoption von Kindern haben wir
nicht vorgesehen, auch wenn sie gerade in lesbischen
Partnerschaften ein Thema ist. Wir glauben, dass die Ge-
sellschaft hier noch nicht so weit ist, dies auch als dem
Kindeswohl entsprechend anzusehen.

So weit zum Thema der eingetragenen Lebenspartner-
schaften und dem grundgesetzlichen Schutz von Ehe und
Familie.

Nun zum Zusammenhang zwischen unseren beiden
Gesetzentwürfen. Sie bilden nach wie vor eine Einheit.
Wir wollen damit ein weiteres Wahlversprechen erfüllen,
diesmal für gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften.
Da uns die CDU/CSU daran hindern will – wir haben
heute Morgen sehr eindrucksvoll erlebt, wie sehr sie das
will –, müssen wir den zustimmungspflichtigen Teil ab-
trennen. Es ginge jedoch nicht an, dass der Staat Bürge-
rinnen und Bürgern einen rechtlichen Rahmen anbietet
und finanzielle Pflichten damit verbindet, ohne ihnen auf
der anderen Seite finanzielle Rechte zu geben. Dies wäre
zutiefst ungerecht und deshalb auch verfassungswidrig.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die CDU/CSU kann nicht einerseits behaupten, die
Zahl der von diesem Gesetz Betroffenen sei so gering,
dass sich ein Gesetz gar nicht lohne – Herr Geis, Sie ha-
ben das heute Morgen noch einmal ausführlich so darge-
stellt –, und andererseits die Kosten für den Staat ins
Astronomische rechnen. Meine Damen und Herren, kom-
men Sie sich da nicht selbst etwas kleinkariert vor? Von
der Logik einmal ganz zu schweigen!

Herr Kollege Singhammer hatte sich plötzlich so be-
sorgt gezeigt, wohin die Sozialabgaben des Ruhr-Kum-
pels in Zukunft gehen werden. Ich kann Ihnen versichern:
Der Oma ihr klein Häuschen bleibt unangetastet, aber die
Oma wird sich vielleicht eines Tages eher freuen können,
dass sich ihr schwuler Enkel gerade verliebt hat.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1413107800
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Ilse Falk.


Ilse Falk (CDU):
Rede ID: ID1413107900
Frau Präsidentin! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Als wir diesen Gesetzentwurf zum
ersten Mal diskutiert haben, habe ich mich in erster Linie
an meine Kollegen und Kolleginnen von der CDU/CSU
gewandt und um eine faire, sachgerechte Auseinanderset-
zung mit einem nicht leichten Thema geworben.


(Margot von Renesse [SPD]: Sie hat nicht stattgefunden!)


Heute könnte ich mich in ähnlicher Weise an die Kollegin-
nen und Kollegen der Koalitionsfraktionen wenden. Die
Art und Weise, wie hier ein Thema durch die abschließen-
den Beratungen gejagt wird, entspricht mitnichten meinen
Vorstellungen von einem fairen Umgang und ist schon gar
nicht dazu angetan, vielleicht doch noch Gemeinsamkeiten
zu finden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Schade, der Sache haben Sie damit keinen Gefallen getan.
Aber um die Sache haben wir in den zurückliegenden Wo-
chen nun wirklich in den eigenen Reihen gerungen und es
wurde uns manchmal nicht eben leicht gemacht.

So gilt es heute, nicht nur ein Resümee zu ziehen, son-
dern vielleicht auch einen Blick in die Zukunft zu wagen.
Für mich war es eine wichtige und gute Erfahrung, zu er-
leben, wie groß die Bereitschaft war, das Thema offen an-
zugehen, und bei vielen auch zu erleben, mit welcher Er-
leichterung sie die Dialogbereitschaft angenommen
haben. Natürlich hat es in der Debatte auch scharfe Töne
gegeben, aber eben auch versöhnliche und nachdenkliche,
und beides wird es sicher auch in Zukunft geben.

Als Ergebnis ist festzustellen, dass es zwar bei der Ab-
lehnung einer Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Part-
nerschaften mit der Ehe bleibt, weil sie, wie auch ich
selbst immer wieder betont habe, in der Sache weder lo-
gisch noch angemessen ist. Genauso bleibt es aber richtig,
dass es berechtigte Forderungen gibt, denen der Gesetz-
geber Rechnung tragen sollte.

Wenn hier die CDU/CSU-Fraktion in ihrem Ent-
schließungsantrag Prüf- und Berichtsaufträge an die




Hanna Wolf (München)


12621


(C)



(D)



(A)



(B)


Bundesregierung richtet, so mag man einwenden, dass
doch alles längst klar sei. Aber es geht eben nicht darum,
zu klären, was man alles machen könnte, sondern was
man wie machen sollte, um den Anliegen homosexueller
Menschen gerecht zu werden, ohne zugleich zu einer
Verwechselbarkeit mit der Ehe zu kommen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, es war schon inte-
ressant zu erleben, mit welch unterschiedlichen Erkennt-
nissen und Voraussetzungen Gesprächspartner dieses Ta-
buthema angehen; ein Tabuthema ist es für viele nach wie
vor. Eine Grundvoraussetzung gibt es allerdings, wenn es
darum geht, notwendiges Handeln anzuerkennen. Es
muss einen Konsens in der Beurteilung der Ursachen von
Homosexualität geben. Man muss bereit sein zu akzep-
tieren, dass Homosexualität keine Verirrung oder fehlge-
schlagene Erziehung oder gar mangelnde Selbstdisziplin
ist, sondern dass es sich, wie viele wissenschaftliche Ar-
beiten inzwischen belegen, um eine biologische Veranla-
gung handelt. Wer diesen Schritt nicht mitgehen kann,
weil bis heute noch nicht das dafür verantwortliche Gen
gefunden worden ist, der wird natürlich auch weitere
Schritte nicht nachvollziehen können. Grundlage gemein-
samen Handelns muss also zunächst die Entscheidung da-
rüber sein, welchen Argumenten man glaubt.

Ich gebe gerne zu, dass ich unter dieser Voraussetzung
wohl nicht mehr objektiv bin, sondern dass ich Partei er-
greife. Ich habe allerdings die Erfahrung gemacht, dass ei-
gentlich alle, die sich auf die unmittelbare und persönli-
che Auseinandersetzung mit Schwulen und Lesben
eingelassen haben, bereit waren, Partei zu ergreifen und
sich mit auf den Weg zu begeben, angemessene Antwor-
ten auf drängende Fragen zu suchen. Vielleicht ist es nach
diesen Begegnungen auch gelungen, Homosexuelle nicht
nur auf ihre Sexualität zu reduzieren, sondern zu erken-
nen, dass es sich um komplexe Persönlichkeitsstrukturen
handelt, auf deren Anerkennung schließlich jeder und jede
von uns als Mann oder Frau Anspruch erhebt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, vielleicht habe ich

inzwischen selber schon zu viele Gespräche geführt, um
noch die von manchen als notwendig empfundene Dis-
tanz bei diesem Thema einzuhalten. Als Politikerin müsse
ich – so wird mir vorgehalten – Angriffe auf die Stabilität
und Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft abwehren.
Aber ist es nicht gerade ein Beitrag zur Stabilisierung,
wenn ich dafür werbe, Vorurteile abzulegen und Men-
schen, die anders sind, als es unseren Normvorstellungen
entspricht, nicht aus der Gesellschaft auszugrenzen? Müs-
sen wir als Politiker nicht sogar Partei ergreifen?


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Homosexuelle werden in der Regel keinen generativen
Beitrag zur Gesellschaft leisten. Das liegt in der Natur der
Sache.


(Margot von Renesse [SPD]: Das tun auch viele Eheleute nicht!)


Aber lenken nicht gerade diejenigen, die nach verbindli-
chen Lebensformen suchen bzw. sie einfordern, unseren
Blick mit besonderem Nachdruck auf Werte, die in unse-
rer Gesellschaft viel zu oft vernachlässigt werden, aber
unverzichtbar sind? Gibt es nicht ganz andere Kräfte, die
die Stabilität unserer Gesellschaft wirklich gefährden?
Müssen wir uns nicht selbstkritisch fragen, ob wir nicht
die Auseinandersetzung mit denen suchen müssen, deren
oberste Devise es ist, Spaß zu haben, Unverbindlichkeit
zu leben


(Margot von Renesse [SPD]: Richtig! Genau da kommt die Gefahr her!)


und nichts und niemandem außer sich selbst verpflichtet
zu sein,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der F.D.P.)


die Kinder allenfalls noch bekommen wollen, wenn wir
Ihnen garantieren, dass Sie sie bei Nichtgefallen – sprich:
bei möglichen Defekten – zurückgeben können?

Soziale Sicherheitssysteme haben dazu geführt, dass
viele Menschen die ihnen vom Staat und unserer pluralis-
tischen Gesellschaft belassene Freiheit der privaten Le-
bensgestaltung in vielen unterschiedlichen Lebensfor-
men ausdrücken. Aber warum fürchten wir uns eigentlich
ausgerechnet bei der zahlenmäßig relativ kleinen Gruppe
der Homosexuellen, dass sie unsere Gesellschaft in Ge-
fahr bringen?


(Zuruf von der SPD: Da müssen Sie Herrn Geis fragen!)


Eine gute Ehe zwischen Mann und Frau ist nach mei-
ner Auffassung immer noch die allerbeste Lebensform für
das Aufwachsen von Kindern


(Margot von Renesse [SPD]: Und die beste Werbung für die Ehe!)


und deshalb ist es gut und richtig, dass die Ehe unter dem
besonderen Schutz unseres Grundgesetzes steht – mit al-
len rechtlichen Konsequenzen. Aber erwachsen daraus
nicht auch Pflichten für uns als Gesellschaft und gebietet
es nicht gerade unser Verständnis von Solidarität, dass wir
dann auch den Eltern zur Seite stehen, deren Kinder an-
ders, in diesem Fall schwul oder lesbisch, sind?


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der F.D.P.)


Gerade von Eltern habe ich bewegende Briefe bekom-
men, in denen sie schildern, in welche Konflikte oder per-
sönliche Krisen sie gestürzt sind, nachdem sich ihre Kin-
der geoutet hatten. Sie müssen nicht nur persönlich
verkraften, dass sie zum Beispiel auf Enkelkinder ver-
zichten müssen, sondern – was viel schlimmer ist – damit
leben, dafür verantwortlich gemacht zu werden, dass sie
offensichtlich nicht in der Lage waren, ihre Kinder vor
dem Schwul- oder Lesbisch-Sein zu bewahren.

Umgekehrt gibt es die Kinder, die sich als ungeliebt
oder lebensunwert empfinden, eben weil sie schwul oder
lesbisch sind. Gerade bei Jugendlichen – das muss uns
sehr zu denken geben –, die bei sich eine von der Norm




Ilse Falk
12622


(C)



(D)



(A)



(B)


abweichende sexuelle Orientierung erkennen, ist die
Selbstmordrate besonders hoch.


(Hanna Wolf [München] [SPD]: Sie müssten deswegen zustimmen!)


Eltern wollen doch stolz auf ihre Kinder sein, weil sie
liebenswert sind, und sie wollen sie zu lebenstüchtigen
Menschen erziehen und nicht leiden müssen, weil sie
„fehlerhaft“ sind. Kinder wollen nicht, dass ihre Eltern
sich ihretwegen schämen müssen. Ist es da nicht unsere
selbstverständliche Pflicht und Schuldigkeit, ihnen Mut
und Kraft zu geben?

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Wort zur Rolle
der Kirchen sei an dieser Stelle erlaubt. In vielen guten
Gesprächen mit Vertretern beider Kirchen bin ich mit mei-
ner Position auf großes Verständnis gestoßen. Allerdings
musste ich auch hinnehmen, dass es Christen gibt, die uns
als Partei bei einer derartigen Argumentation das „C“ im
Parteinamen absprechen wollen und die mir vorwerfen,
Gott für eine „großzügige“ Herangehensweise an die Ho-
mosexualität und entsprechende Partnerschaften in An-
spruch zu nehmen. Das hat mich sehr betroffen gemacht,
zumal gerne angeführte Bibelzitate mich nun wirklich
nicht überzeugen konnten.

Ich lasse mir im Übrigen – das habe ich auch schon in
der ersten Lesung gesagt – nicht meinen Glauben nehmen,
dass Gott uns gerade so, wie wir in unserer Unverwech-
selbarkeit und Einzigartigkeit sind, gewollt hat.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie bei der SPD, dem BÜNDNISS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)


Von Menschen, die zum Beispiel mit missgebildeten Bei-
nen auf die Welt kommen, verlangen wir doch auch nicht,
dass sie bitte schön gehen üben sollen, weil Gott den Men-
schen als aufrechtes Wesen geschaffen hat. Man muss
doch unterscheiden zwischen Veranlagungen, die eine
Gefahr für die Menschen oder die Gesellschaft darstellen,
und solchen, die allein ein Anderssein ausdrücken. An-
derssein zu akzeptieren und vielleicht sogar als Bereiche-
rung zu erfahren, gefährdet das wirklich unsere Gesell-
schaft?


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der F.D.P. und bei Abgeordneten der PDS)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bleibe dabei und
viele in meiner Partei mit mir, dass die Rechtsetzung in
den folgenden immer wieder genannten Punkten wichtig
ist: Zeugnisverweigerungsrecht, Regelung der Mietnach-
folge bei Tod des Partners, Auskunfts- und Besuchsrechte
bei Ärzten und in Krankenhäusern, eine Modifizierung
des Bestattungsrechts sowie Besuchsmöglichkeiten in
Strafvollzugsanstalten. Wünschenswert wäre die Rege-
lung des Erbrechts sowie von Fragen binationaler Part-
nerschaften und die Eintragung der Partnerschaft als si-
chere Basis zur Beanspruchung dieser Rechte.

Sie sehen, dass wir innerhalb der Union mit großen
Spannungen leben. Dennoch betone ich noch einmal: Ich
rede hier nicht der Gleichstellung das Wort; aber verbes-

serte Rechte, die das Einstehen füreinander erleichtern,
sind notwendig. Hinzu kommt ein wesentlicher Punkt:
Zuerkennung von Rechten bedeutet auch eine selbstver-
ständlichere Akzeptanz in der Öffentlichkeit. Das ist ge-
rade in einer Zeit verstärkter Übergriffe von Rechtsradi-
kalen auf Minderheiten von ganz besonderer Bedeutung.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)


Als gestern Tausende von Menschen auf die Straße ge-
gangen sind, um zu zeigen, dass sie für Menschlichkeit
und Toleranz eintreten, habe ich an meinem Schreibtisch
gesessen und mit mir gekämpft, wie viel ich denen zumu-
ten darf, die eine andere Meinung als ich vertreten. Ich
hoffe sehr, dass ich niemanden in seinen sehr persönlichen
Gefühlen verletzt habe. Aber ich bin in der Politik ange-
treten, weil ich die freie Meinungsäußerung und die Aus-
einandersetzung um den richtigen Weg für eines der wich-
tigsten Güter in unserer Demokratie halte.

Heute wird ein Gesetz von der Mehrheit dieses Hauses
verabschiedet werden, das wir als CDU/CSU in dieser
Fassung nicht gewollt haben, aber als Minderheit nicht
verhindern werden können. Der zustimmungsfreie Teil ist
damit endgültig beschlossen, ein weiterer wichtiger Teil
hat noch die Hürde des Bundesrates vor sich. Die, die für
dieses Gesetz gekämpft haben, werden heute eine große
Erleichterung empfinden, andere werden sich in hohem
Maße provoziert fühlen. Versuchen wir doch alle, An-
derssein und Andersdenken in gegenseitigem Respekt zu
ertragen.


(Beifall im ganzen Hause)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1413108000
Vielen Dank,
Frau Kollegin. – Das Wort hat jetzt der Abgeordnete
Volker Beck.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1413108100

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch ich
möchte mich für die nachdenklichen Worte von Frau Falk
bedanken, weil ich glaube, dass wir auch nach diesem Tag
zu einem Dialog in der Sache kommen und darum ringen
müssen, dass es Mehrheiten in beiden Häusern für eine
rechtliche Anerkennung homosexueller Partnerschaften,
wie wir sie vorgeschlagen haben, geben wird.

Ich habe heute eine gute Botschaft mitgebracht: Rot-
Grün wird dafür sorgen, dass es mehr freudige Ereignisse
in Deutschland gibt: mehr Polterabende, mehr Brautent-
führungen und mehr Familienfeiern.


(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Auch Sie, Herr Geis oder Herr Merz, werden im Sommer
Ihre Heimatzeitung aufschlagen und unter „Bekanntma-
chungen“ lesen: Ihre Eintragung geben bekannt: Peter
Müller und Klaus Meier oder Petra Grund und Annette
Düwel.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Den Peter Müller lassen Sie hier mal schön raus!)





Ilse Falk

12623


(C)



(D)



(A)



(B)


Sie werden sehen, dass das zum Alltag gehören wird, auch
in Ihrem Familien-, Bekannten- und Freundeskreis. Wir
holen – das wollte ich mit diesem Hinweis zeigen – die
homosexuellen Partnerschaften in die Mitte der Gesell-
schaft. Sie bleiben nicht mehr eine Randgruppe, sondern
werden Bürgerinnen und Bürger mit gleichen Rechten
und Pflichten. Wir erkennen ihre Lebensverhältnisse an
und das ist ein entscheidender Schritt für unsere Demo-
kratie.


(Beifall der Abg. Hanna Wolf [München] [SPD])


Der Gesetzentwurf von Rot-Grün gründet sich verfas-
sungsrechtlich, wie es der Kollege Gerhardt verlangt
hat, auf den eigenen Wert der gleichgeschlechtlichen Part-
nerschaft. Wir schaffen für homosexuelle Paare die
Möglichkeit, sich im rechtlichen Sinne umfassend zu ei-
ner Gemeinschaft der Verantwortung und des Fürei-
nandereinstehens zu bekennen. Dies soll auch rechtlich
gewürdigt werden, was unter anderem in den familien-
rechtlichen Unterhaltsverpflichtungen, die wir einführen,
zum Ausdruck kommt. Dies ist eine Ausgestaltung von
Art. 2 des Grundgesetzes hinsichtlich des Persönlich-
keitsrechts von homosexuellen Menschen, das entgegen
den Ausführungen von Herrn Hohmann in unserer Ver-
fassung den gleichen Schutz genießt wie das Persönlich-
keitsrecht anderer Menschen.

Wir übertragen dieser Partnerschaft Rechte und Pflich-
ten, die in der Unterhaltsverpflichtung oder im Schutz der
Privatsphäre dieser Partnerschaften ihre Begründung ha-
ben. Deshalb ist dieses Gesetz kein Angriff auf Ehe und
Familie. Es ist ein eigenständig begründetes Gesetz. Auch
greifen wir kein Rechtsprinzip von Ehe und Familie an.
Im Gegenteil, beim Leitbild stärken wir sogar die Werte,
die mit der Ehe gemeinhin verbunden werden: Verant-
wortung und Füreinandereinstehen. Wir beeinträchtigen
durch dieses Gesetz auch nicht die Freiheit der Ehe-
schließung. Sie glauben doch wohl nicht, dass sich ir-
gendjemand von der Eheschließung abhalten lässt, weil
sich homosexuelle Paare beim Standesamt eintragen las-
sen können. Wir respektieren in allen Bereichen das
Rechtsinstitut der Ehe, die durch unser Gesetz keinerlei
Benachteiligungen erfährt. Das unterscheidet unseren Ge-
setzentwurf vom Gesetzentwurf der Liberalen, die diesen
Punkt nicht berücksichtigen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es geht nicht nur um Verfassungsgerechtigkeit, es geht
auch um das wirkliche Leben. Ich will Ihnen einige Ge-
schichten erzählen, die das Leben schreibt: Carmen aus
Argentinien und Claudia aus Potsdam leben zusammen.
Sie studieren beide an der Universität in München. Nach
drei oder vier Jahren des gemeinsamen Studiums, der ge-
meinsamen Liebe und des gemeinsamen Lebens macht
Carmen ihre Abschlussprüfung und muss das Land ver-
lassen. Es gibt auf dieser Welt keinen Ort, wo diese Part-
nerschaft und diese Liebe nach dem gegenwärtigen Aus-
länderrecht legal fortgesetzt werden darf. Dies ist ein
Eingriff in die Persönlichkeitsrechte dieser Menschen.
Mit dieser Diskriminierung machen wir heute Schluss.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Auch wenn Lebenspartner jahrzehntelang füreinander
sorgen, wenn zum Beispiel ein an Aids erkrankter Partner
von dem anderen gepflegt worden ist, behandelt das Recht
diese Lebenspartner wie Fremde: beim Erbrecht, bei der
Totensorge, bei der Erbschaftsteuer und anderen Rechts-
gebieten. Auch damit wollen wir heute Schluss machen.
Ich glaube, die Menschen draußen im Lande haben es ver-
standen: Durch unser Gesetz wird niemandem etwas ge-
nommen, aber es beendet wirklich fürchterliche Dramen,
die sich in diesem Zusammenhang abspielen.

Ich fordere hier auch die Mitglieder des Bundesrates
auf: Wenn Sie darüber nicht nach parteipolitischen, son-
dern nach fachlichen Kriterien entscheiden wollen, dann
werden Sie auch beim zustimmungspflichtigen Teil nicht
darum herumkommen, sich hier zu bewegen. Es macht
keinen Sinn, eine andere Behörde als das Standesamt mit
Personenstandsfragen zu beauftragen. Das sagt auch die
F.D.P., in deren Gesetzentwurf es allerdings heißt, dass
der Standesbeamte den Homosexuellen nicht die Hand
geben soll. Aber auch in Ihrer Vorlage steht, dass der nota-
rielle Vertrag hinterher beim Standesamt abgegeben wer-
den muss. Das ist Augenwischerei und Kosmetik. Dies
zeigt, dass unsere Regelung sachgerecht ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die finanziellen Regelungen, die wir bei den Pflich-
ten und Rechten treffen, leiten sich alle von der Unter-
haltsverpflichtung ab. Auch deswegen muss sich der Bun-
desrat, wenn er von der Sache her entscheidet, bewegen.

Die Union sagt uns, wir machten zu viel, wir näherten
uns der Ehe zu sehr. Die PDS sagt das glatte Gegenteil,
nämlich wir seien von der Ehe zu weit entfernt und schaff-
ten angeblich Diskriminierungen. Beide gemeinsam kön-
nen nicht Recht haben. Das zeigt einfach: Dieser Gesetz-
entwurf ist ausgewogen. Er ist ein Kompromiss zwischen
dem Verfassungsrecht und den Notwendigkeiten, für die
Schwulen und Lesben eine angemessene Regelung zu fin-
den. Deshalb verdient er die Zustimmung des Hauses.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Zum Schluss: Das ist heute ein Tag für das Ge-
schichtsbuch. Es wird im Umgang des Staates mit seinen
homosexuellen Bürgern ein neues Kapitel aufgeschlagen.
Ab heute sind Schwule und Lesben nicht mehr Bürger
zweiter Klasse. Vor zehn Jahren war ich in dieser Debatte
mit einigen Freunden fast allein auf weiter Flur. Von
Bischöfen wurde ich für verrückt erklärt. Heute wird es
Wirklichkeit. Liebe Kolleginnen und Kollegen, an diesem
Tag möchte ich Ihnen ein kleines Geheimnis verraten: Ein
bisschen bin ich heute schon glücklich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1413108200
Das Wort hat
jetzt die Frau Bundesministerin Herta Däubler-Gmelin.

Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin der
Justiz: Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-
gen! Wir diskutieren heute nicht zum ersten Mal die




Volker Beck
12624


(C)



(D)



(A)



(B)


Frage, wie wir die Diskriminierung von Menschen mit
gleichgeschlechtlicher sexueller Orientierung abbauen
können. Wir haben vor mehreren Jahren damit begonnen.
Es war sehr gut, dass Sie, Frau Falk, darauf hingewiesen
haben, dass es neben all dem schrecklichen Streit, den wir
gerade erlebt haben und der wohl auch das Verfahren stark
und, wie ich finde, unnötig überlagert hat, auch Annähe-
rungen in der Sache gibt.

Es ist außerordentlich wichtig, festzuhalten, dass heute
viel mehr Menschen als zu Beginn der Diskussion wissen,
dass gleichgeschlechtliche Sexualität eine biologische
Gegebenheit ist und eben kein kriminelles Verhalten, eben
nicht eine Geschmacksverirrung oder etwas Unsittliches
darstellt. Es wäre gut, wenn die Diskussion um diesen
konkreten Gesetzentwurf noch mehr dazu beitragen
könnte, dass darüber in der Bevölkerung absolute Klarheit
herrscht. Wenn die Menschen dieses verstanden haben,
fällt es ihnen nämlich viel leichter, Menschen mit einer
andersartig orientierten Sexualität zu respektieren und,
wie es unser Grundgesetz ja vorschreibt,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

ihre Würde zu achten und nicht etwa infrage zu stellen.
Der Anspruch auf Würde muss jedem zukommen,
gleich welche sexuelle Orientierung er oder sie hat.

Lassen Sie mich auf einen weiteren Punkt eingehen;
hierbei wende ich mich besonders an den Kollegen
Gerhardt. Selbstverständlich kann niemand sagen – so
umstritten eine konkrete Maßnahme auch immer sein
mag –, nur die anderen haben Unrecht und er hat in jedem
einzelnen Punkt Recht. Das gilt aber für jede der betrof-
fenen Seiten, lieber Herr Gerhardt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir haben in der heutigen Diskussion erlebt, dass noch zu
viel durcheinander geht. Selbstverständlich kann man ein-
zelne Fragen unterschiedlich entscheiden.

Wir haben von Anfang an den Weg eines eigenen fa-
milienrechtlichen Instituts gewählt, also einer familien-
rechtlichen Einrichtung eigener Art. Damit haben wir von
Anfang an klargestellt, dass diese Partnerschaft, die unter
Einbeziehung der sexuellen Orientierung gelebt werden
soll und die in ihrer Andersartigkeit anerkannt werden
soll, weder das Gleiche wie die Ehe ist noch in diese Rich-
tung geht oder ihr in die Quere kommt und erst recht keine
Kopie ist. Sie, Frau Schenk, haben das im Übrigen, wenn
ich auch nicht jeder Ihrer Ausführungen folgen kann, sehr
nachdrücklich dargestellt.

Ich komme auf das zurück, was Sie gesagt haben. Sie
nannten das eigenständige familienrechtliche Institut mit
eigener Souveränität und Würde – genau das schaffen wir.
Ein Institut beinhaltet Rechte und Pflichten. Viele kriti-
sieren in diesem Punkt den Gesetzentwurf der F.D.P. Es
geht eben nicht darum, dass sich eine bestimmte Gruppe
Rechte à la carte wählen kann, sondern es geht um dauer-
hafte Bindung, um Rechte und Pflichten. Es geht um ein
Institut eigener Art. Wir sind der Meinung, dass eine ent-
sprechende Umsetzung in dem vorliegenden Gesetzent-
wurf der Koalition gelungen ist.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Lassen Sie mich noch einmal festhalten, worum es
geht: Es geht erstens um den Abbau von Diskriminie-
rung – dieses Gesetz ist ein wichtiger Schritt dahin –,
zweitens um die Anerkennung anderer Lebensformen un-
ter Einbeziehung der Sexualität und drittens um die För-
derung dauerhafter personaler Beziehungen. Dieser letzte
Aspekt ist für uns außerordentlich wichtig.

Ich darf einmal von mir persönlich sprechen. Ich bin
jetzt seit mehr als 31 Jahren verheiratet, und das bin ich
gern. Für mich ist diese dauerhafte persönliche Bindung
eine Lebensform, die ich nicht missen möchte. Wir wis-
sen aber: Es gibt Menschen mit einer andersartigen sexu-
ellen Orientierung, die diese Bindung zwar möchten, aber
nicht heiraten können. Was ist an diesem Wunsch
schlecht. Daran ist überhaupt nichts schlecht! Diese Bin-
dung erfüllt ein Grundbedürfnis der Menschen. Ich halte
es für eine besondere Notwendigkeit, sogar für eine
Pflicht der staatlichen Gemeinschaft, dauerhafte persönli-
che Beziehungen mit Rechten und Pflichten, in denen der
eine für den anderen einsteht, zu fördern.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Diese Möglichkeit wollen wir und wir schaffen sie mit ei-
nem eigenständigen familienrechtlichen Institut.

Alle Einwände, die von der einen oder anderen Seite
vorgebracht wurden oder werden, das sei mit unserer Ver-
fassung nicht in Einklang zu bringen, laufen ins Leere.
Wir wissen sehr wohl, dass die Ehe das eine – die Rege-
lungen haben wir entsprechend ausgestaltet – und dass
dieses familienrechtliche Institut das andere ist. Ich
glaube und hoffe, dass es in diesem Haus und in der Öf-
fentlichkeit überhaupt keinen Zweifel daran gibt, dass
man ungeachtet der sexuellen Orientierung der Eltern von
Familie – das heißt, Erwachsene mit eigenen oder mit an-
genommenen Kindern – spricht, der der besondere Schutz
unserer Verfassung zukommt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich möchte sehr deutlich sagen: Es ist falsch, anzuneh-
men, es sei unlogisch oder mit dem Gleichheitsgrund-
satz nicht in Einklang zu bringen, wenn man ein beson-
deres familienrechtliches Institut für Menschen schaffe,
die nicht heiraten können, ohne zugleich auch eine andere
Gruppe einzubeziehen, nämlich die Gruppe derjenigen,
die – aus Gründen, die wir hier nicht nachzuvollziehen ha-
ben – heiraten können, aber nicht wollen.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Oder auch nicht können!)


– Nein, diese Menschen sind im Gesetzentwurf mit Ab-
sicht nicht angesprochen.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Nein, es gibt auch welche, die auch nicht können!)


Sehr geehrter Herr Geis, stellen Sie sich einmal die
Konsequenzen vor. Wir haben es mit einer klar bestimm-
baren Gruppe zu tun, die durch ihre besondere sexuelle
Orientierung definiert ist. Wenn wir die Gruppe derjeni-
gen in eine solche Regelung einbezögen, die zwar hetero-
sexuell sind, aber nicht heiraten möchten, dann käme es




Bundesministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin

12625


(C)



(D)



(A)



(B)


zu einem Ergebnis, das einem „Trauschein zweiter
Klasse“ ungeheuer ähnlich wäre. Ich kann mir nicht vor-
stellen, dass das irgendjemand will, der so argumentiert.
Ich will das aus zwei Gründen nicht:

Erstens: Es würde die Ehe in hohem Maße beschädi-
gen, was ich für ganz falsch halte.

Zweitens – es handelt sich um einen ganz pragmati-
schen Grund –: Wir wissen gar nicht, warum die Men-
schen, die es zwar könnten, aber nicht wollen, nicht hei-
raten.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Sie könnten dann doch gegen Art. 3 verstoßen!)


Wir wissen also gar nicht, ob ein Instrument, wie es die
Franzosen haben, irgendjemandem in irgendeiner Weise
helfen würde.

Weil ich glaube, dass man, soweit möglich, mit ein
bisschen mehr Gemeinsamkeit, deren Mangel man in fa-
milienrechtlichen Fragen leider beobachten muss, vorge-
hen sollte, will ich Folgendes festhalten: Es kann bei
Menschen, die ohne Trauschein lange zusammenleben,
obwohl sie heiraten könnten, Regelungsnotwendigkeiten
geben. In solchen Fällen kann es zum Beispiel bei der
Trennung oder im Erbfall Ungerechtigkeiten geben. Die
damit verbundenen Fragen sollten wir aufgreifen, und
zwar gemeinsam, wenn es geht. Diese Menschen in den-
selben Topf wie eine ganz andere Gruppe zu werfen, bei
der es darum geht, Diskriminierungen abzubauen, andere
Lebensformen anzuerkennen und dauerhafte persönliche
Bindungen zu fördern, wäre ganz falsch.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Warum hat Herr Schily dann seinen Brief geschrieben?)


Was die Zustimmungsbedürftigkeit der vorliegenden
Gesetzentwürfe angeht, besteht, soweit sie in der Vorlage
nicht genannt wird, überhaupt kein Zweifel. Derjenige
Teil, der als nicht zustimmungsbedürftig vorgelegt wurde,
ist es auch nicht.

Lassen Sie mich am Schluss dieser jahrelangen De-
batte zusammenfassen: Es geht in der Tat darum, Diskri-
minierungen abzubauen. Es wäre schön, wenn Schritte
wie unsere nicht solche Verwerfungen auslösen würden,
wie wir sie heute hier erlebt haben. Es geht darum, Res-
pekt vor der Würde von anderen und auch vor anderen
Formen des Zusammenlebens nicht nur zu behaupten,
sondern auch praktisch zu dokumentieren. Es geht darum,
auch mit den Mitteln des Staates persönliche, auf Dauer
angelegte Beziehungen, die Rechte und Pflichten ein-
schließen sollen, zu stärken. Das tun wir.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1413108300
Zu einer Kurz-
intervention erhält Kollege Westerwelle das Wort.


Dr. Guido Westerwelle (FDP):
Rede ID: ID1413108400
Frau Präsidentin!
Frau Minister! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Ich will vorab eine Bemerkung machen, die mir persön-

lich sehr wichtig ist. Ich habe in den früheren Lesungen
dieser Debatte mehrfach zu diesem Thema gesprochen.
Es ist allgemein bekannt, dass – bei allem Respekt vor der
sonstigen Arbeit des Herrn Kollegen Geis – wir in diesem
Fall gegenteilige Auffassungen vertreten. Ich bin unver-
ändert der Auffassung – es ist mir wichtig, das zu sagen –:
Ich kann keinen Werteverlust darin erkennen, wenn Men-
schen gleichen Geschlechts füreinander Verantwortung in
der Gesellschaft übernehmen. Das ist ein Wertegewinn.


(Beifall bei der F.D.P. und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Deswegen will ich hier ausdrücklich erklären – Sie
werden verstehen, dass ich das tue – , dass ich das Anlie-
gen, eine Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Le-
bensgemeinschaften in unserer Realität, in unserer Ge-
sellschaft, in unserem Recht zu beseitigen, teile. Aber,
Frau Minister, Sie haben mit keinem Ton beispielsweise
auf die großen Komplikationen hingewiesen, die jetzt
durch die Aufspaltung des Gesetzentwurfes entstehen
werden. Wir werden erleben, dass der zustimmungs-
pflichtige Teil dieses Gesetzes im Bundesrat keine Mehr-
heit bekommt; denn wenn der eigene Verfassungsminister
sagt, das Gesetz sei nicht verfassungsgemäß, dann wird
der Bundesrat natürlich nicht zustimmen. Man wird dann
auch kaum eine Argumentation hören können.

Das bedeutet: Der zustimmungsfreie Teil, der heute be-
schlossen wird, wird Gesetz. Darin steht zum Beispiel,
dass nach einer Trennung eine gegenseitige Unterhalts-
verpflichtung besteht. Der zustimmungspflichtige Teil
wird nicht Gesetz. Darin steht zum Beispiel, dass Auf-
wendungen zum Unterhalt wie bei jeder heterosexuellen
Beziehung steuerlich abzugsfähig sind und geltend ge-
macht werden können. Wenn diese Aufspaltung von Ihnen
durchgezogen wird, dann werden Sie neue Pflichten für
gleichgeschlechtliche Partnerschaften begründen. Sie
werden aber nicht gleichzeitig neue Rechte schaffen. Das,
was Sie hier auf den Weg gebracht haben, bedeutet eine
klare Diskriminierung der gleichgeschlechtlichen Part-
nerschaften.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der PDS)


Sie haben keinen Ton dazu gesagt, dass hinsichtlich der
Frage, ob das Standesamt für gleichgeschlechtliche Part-
nerschaften zuständig sein soll, gar nichts beschlossen
werden wird; denn das ist ein zustimmungspflichtiger Teil.
Sie haben keinen Ton dazu gesagt, dass es Rechte im Be-
reich der Steuern nicht geben wird, Unterhaltsverpflich-
tungen dagegen schon. Sie haben keinen Ton dazu gesagt,
wie Sie im Bundesrat eine Mehrheit organisieren wollen,


(Zuruf von der SPD: Baden-Württemberg!)

wenn der eigene Verfassungsminister öffentlich – und
nicht nur heute in der Zeitung, sondern seit Wochen – er-
klärt, dieser Gesetzentwurf sei verfassungswidrig.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Das ist ein Redebeitrag, Frau Präsidentin!)


Deswegen bitte ich um Verständnis dafür, dass ich – so
sehr ich das Anliegen teile, das übrigens insbesondere
von Ihnen, Frau Falk, in einer bemerkenswerten Rede




Bundesministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin
12626


(C)



(D)



(A)



(B)


geäußert worden ist – diesem Gesetzentwurf, den Sie vor-
legen, nicht zustimmen werde.


(Beifall bei der F.D.P.)

Sie haben eine große Chance verpasst, hier im Hause ei-
nen Konsens über die Parteien hinweg herzustellen.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1413108500
Herr Kollege
Westerwelle, nur drei Minuten sind bei einer Kurzinter-
vention gestattet.


Dr. Guido Westerwelle (FDP):
Rede ID: ID1413108600
Letzter Satz, Frau
Präsidentin.

Es wäre möglich gewesen, in diesem Hause einen
Konsens, und zwar über alle Parteien hinweg, zu organi-
sieren. Das haben Sie nicht gewollt, weil einige von Ihnen
einen Erfolg in der Koalition wollten. Ich bedauere das,
weil es zulasten der Sache geht.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1413108700
Es gibt noch den
Wunsch nach einer Kurzintervention, und zwar des Kol-
legen Volker Beck. Sie wissen, dass Sie jetzt nicht einen
internen Dialog mit Herrn Westerwelle anfangen dürfen.


(Volker Beck NEN]: Ich kenne die Geschäftsordnung!)


Das sage ich nur vorbeugend vorweg.
Frau Däubler-Gmelin, Sie können dann auf beide Kurz-

interventionen zusammen antworten und bekommen dazu
auch entsprechend Zeit.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1413108800

Ich bin sehr dankbar, dass die Justizministerin noch ein-
mal so eindeutig und klar festgestellt hat, worin die ver-
fassungsrechtliche Begründung des Entwurfs eines Ge-
setzes zur eingetragenen Partnerschaft besteht und dass in
der Aufspaltung dieses Gesetzesentwurfes durchaus eine
Logik liegt. Es irren andere, die hier gesprochen haben,
insofern, als alle monetären Aspekte bezüglich der Unter-
haltspflicht im zustimmungspflichtigen Teil zu finden
sind; sie beziehen sich dann aber auf Rechte und Pflich-
ten gleichermaßen.

Die Regelungen zur Sozialhilfe und zum Wohngeld,
die den Paaren die Pflichten einer eingetragenen Partner-
schaft abverlangen – man muss nämlich für seinen Part-
ner aufkommen, bevor man vom Staat eine Leistung er-
warten kann –, sind zustimmungspflichtig. Das erspart
den Ländern und Kommunen Kosten. Die einkommen-
steuer- und erbschaftsteuerlichen Regelungen, die Rechte
beinhalten, sind ebenfalls zustimmungspflichtig. Wenn
der zustimmungspflichtige Teil nicht Gesetz würde – was
wir nicht glauben, weil wir denken, dass die Länder fach-
lich und politisch korrekt mit uns diskutieren werden –,
dann wäre der übrige Teil, das zustimmungsfreie Gesetz,
durchaus noch in sich ausgewogen. Er ist allemal sub-
stanzvoller als der Gesetzentwurf, den die F.D.P.-Fraktion
dem Bundestag vorgelegt hat.

Wir lösen Probleme bei der Krankenversicherung,
beim Ausländerrecht, beim Erbrecht, beim Mietrecht,
beim Familienrecht und bei einer Fülle von Rechtsgebie-
ten. Lediglich diese monetären Aspekte und die Frage, ob
die zuständige Behörde das Standesamt ist oder die Län-
der selber Regelungen treffen müssen, sind zustim-
mungspflichtig. Aufgrund der Sachargumente wird der
Bundesrat mit uns gemeinsam sicher eine vernünftige
Entscheidung aushandeln.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1413108900
Frau Ministerin,
Sie dürfen antworten.

Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin der
Justiz: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich
möchte auf das eingehen, was Herr Westerwelle sagte. Ich
habe darauf hingewiesen, dass wir seit langem über diese
Frage diskutieren. Dieses ist nicht der erste Gesetzentwurf
zu diesem Thema in diesem Haus, wie Sie wissen. Seit
langen Jahren – übrigens auch zur Zeit Ihrer Regierungs-
tätigkeit – haben wir immer wieder gehört, allgemein
wolle man das, aber konkret ist nie was daraus geworden.

Diese Situation beenden wir.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir möchten Diskriminierung abbauen. Wir möchten,
dass Respekt vor anderen Lebensformen Wirklichkeit
wird. Wir möchten persönliche Beziehungen fördern.

Nun sagen Sie, Sie hätten die Hoffnung, dass man Ver-
einbarungen über Zustimmungsbedürftiges und nicht Zu-
stimmungsbedürftiges über die Grenzen der Parteien im
Deutschen Bundestag und im Deutschen Bundesrat hi-
naus gemeinsam treffen könne. Ich würde gern Ihrer Mei-
nung sein. Aber wenn ich nicht ohnehin schon skeptisch
wäre, weil ich den jahrelangen Vorlauf kenne, dann wäre
ich es im Zuge der Behandlung dieses Gesetzentwurfes in
diesem Hause geworden, und zwar deshalb, weil nach
meiner Erfahrung alles dafür spricht, dass derartig heftige
Auseinandersetzungen über Verfahren meistens inhaltli-
che Auseinandersetzungen verdecken.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Mir hat sehr gefallen, was einige Kollegen aus ver-
schiedenen Fraktionen heute gesagt haben, weil ich daran
Anerkennung und Annäherung in der Sache ablesen kann.
Wie lange es dauern wird, zu einem Konsens zu kommen,
kann ich nicht beurteilen. Ich glaube, es ist Aufgabe der
Mehrheit dieses Hauses, nicht nur abzuwarten und für
Konsens zu werben – das tun wir auch –, sondern Schritt
für Schritt weiterzukommen. Deshalb werbe ich dafür,
dass wir uns alle daran beteiligen. Wenn auch Sie das tun,
sind wir insgesamt noch stärker.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1413109000
Das Wort hat
jetzt Kollege Hartenbach.




Dr. Guido Westerwelle

12627


(C)



(D)



(A)



(B)



Alfred Hartenbach (SPD):
Rede ID: ID1413109100
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Am vergangenen Wo-
chenende habe ich mit einer Vereinigung, die sich „Ho-
mosexuelle und Kirche“ nennt, eine sehr eingehende Dis-
kussion zu diesem Thema geführt. Ich habe dabei von
einem Repräsentanten der „Lesben und Schwulen in der
Union“, der die CDU/CSU-Bundestagsfraktion dort ver-
trat, inoffiziell den Satz gehört: Wir haben uns mit diesem
Thema bisher noch nicht befasst; deswegen ist es bei uns
in der Union schwierig, dieses Thema sachlich und ruhig
zu diskutieren. Heute Morgen hat mir ein von mir sehr ge-
schätztes Mitglied der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
Ähnliches gesagt und darauf hingewiesen, in welchen
Schwierigkeiten und Nöten manche in der Union sind.
Frau Falk, dies habe ich auch Ihrem Redebeitrag entnom-
men. Ich respektiere Ihren Redebeitrag und Ihre Meinung
in hohem Maße. Wenn Sie das Protokoll der Debatte vom
7. Juli nachlesen, werden Sie sehen, dass ich das auch da-
mals schon gesagt habe.

Deswegen habe ich es sehr bedauert, dass Sie, Frau
Falk, von Ihrer Fraktion nicht stärker in diese Debatte ein-
gebunden wurden,


(Widerspruch bei der CDU/CSU – Zurufe von der CDU/CSU: Was ist denn das? – Was soll das?)


um auf diese Weise unter Umständen zu anderen Lösun-
gen beizutragen. Leider waren Sie auch nicht bei dem Ge-
spräch der Berichterstatter dabei.


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Wem helfen Sie jetzt?)


Ich möchte diese Feststellung treffen, da ich mir vorstel-
len kann, dass die Diskussion in mancher Beziehung an-
ders gelaufen wäre, wenn nicht von vornherein durch die
Medien ein deutliches „Wir werden dem so überhaupt
nicht zustimmen“ verbreitet worden wäre, wenn nicht von
vornherein das, was wir mit großem Ernst, großer Gewis-
senhaftigkeit und unter Einschaltung aller gesellschaftli-
chen Kräfte unseres Landes gewollt haben, als Teufels-
werk, als unsittlich und mit der Gesellschaftsordnung
nicht vereinbar abgetan worden wäre.

Ich möchte hier in einer Weise reden, dass mich die
Menschen draußen, die im Land dieses Gesetz begreifen
sollen, am besten verstehen. Ich frage: Wem nehmen wir
mit diesem Gesetz etwas weg? Nehmen wir den Ehemann
der Ehefrau oder die Ehefrau dem Ehemann weg? – Nein!
Nehmen wir der Ehe die nach Art. 6 des Grundgesetzes
geschützte und durch die überwiegende Mehrheit der Ge-
sellschaft zuerkannte herausragende Position in der Ge-
sellschaft? – Nein!


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Nehmen wir den Kirchen das Recht, die vor dem Stan-
desamt geschlossene Ehe weiterhin als Sakrament zu be-
trachten und durch einen Akt in der Kirche noch beson-
ders hervorzuheben? – Nein!

Was aber tun wir? Wir folgen unserem verfassungs-
mäßigen Auftrag aus Art. 1 des Grundgesetzes: „Die
Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu
schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Wir

helfen Menschen, aus der Zone der Diskriminierung he-
rauszukommen und – Herr Gerhardt hat das eben ange-
sprochen – gleichberechtigt neben anderen zu stehen. Wir
tragen dazu bei, dass Menschen, die füreinander lebens-
lang Verantwortung übernehmen wollen, dies auch kön-
nen und dies auch geachtet wird. Wir tragen dazu bei, dass
der eine Partner für den anderen sorgen darf, nein, muss.
Wir tragen auch dazu bei, dass ein Partner – wir empfin-
den das als gesellschaftlich selbstverständlich – im
Krankenhaus oder in sonstigen Notfällen Auskunft über
die Situation des anderen Partners bekommt. Wir tragen
dazu bei, dass Kinder, die ein Partner aus einer früheren
Beziehung mitbringt, auch zu dem anderen Partner eine
Beziehung aufbauen können, indem wir es gestatten, dass
dieses „kleine Sorgerecht“ ausgeübt wird.

Wir helfen damit in deutlicher Weise, endlich normale
Lebensverhältnisse für Menschen, die genauso wertvolle
und gleichberechtigte Mitglieder unserer Gesellschaft
sind wie alle anderen Menschen auch, zu schaffen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die geplanten Änderungen sind auch nicht – viele meiner
Vorredner haben das bereits gesagt – verfassungswidrig,
im Gegenteil: Wir erfüllen hier ein Gebot aus Art. 3 unse-
rer Verfassung.

Lassen Sie mich, Herr Hohmann – da sich die Zeit dem
Ende zuneigt –, mit zwei Bibelzitaten enden:

Herr, ich danke dir, dass ich nicht so bin wie andere.
Das ist nicht meine Haltung. Meine Haltung ist:

Was ihr einem meiner geringsten Brüder getan habt,
das habt ihr mir getan.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1413109200
Wir sind jetzt
am Ende der vereinbarten Debatte. Der Vorsitzende der
Fraktion der CDU/CSU, Friedrich Merz, wünscht, einen
Geschäftsordnungsantrag einzubringen.


Friedrich Merz (CDU):
Rede ID: ID1413109300
Frau Präsidentin! Der
Bundesminister des Innern hat an der heutigen Debatte
nicht teilgenommen. Ich kenne den Grund nicht. Sie wis-
sen, dass jede Fraktion die Möglichkeit hat, nach § 42 un-
serer Geschäftsordnung jederzeit die Herbeirufung eines
Mitglieds der Bundesregierung zu beantragen. Ich möchte
das angesichts der fortgeschrittenen Zeit ausdrücklich
nicht tun.


(Unruhe bei der SPD – Zurufe von der SPD: Ah!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1413109400
Liebe Kollegin-
nen und Kollegen, ich bitte Sie, ruhig zu sein; denn ich
muss mitbekommen, welcher Geschäftsordnungsantrag
gestellt wird. Geben Sie mir also eine Chance!






(C)



(D)



(A)



(B)



Friedrich Merz (CDU):
Rede ID: ID1413109500
Da heute Morgen aus ei-
nem Brief des Bundesinnenministers, den dieser an den
Vorsitzenden der SPD-Fraktion geschrieben haben soll,
zitiert worden ist, möchte ich beantragen, dass wir Gele-
genheit bekommen, von der anwesenden Parlamentari-
schen Staatssekretärin beim Bundesminister des Innern
über zwei Sachverhalte informiert zu werden, bevor wir
in die Abstimmung eintreten.

Ich möchte Sie bitten, Frau Kollegin, dem Deutschen
Bundestag darüber Auskunft zu geben, ob Ihr Minister
tatsächlich einen solchen Brief geschrieben hat und
– wenn ja – ob darin die Bedenken hinsichtlich der Ver-
fassungsmäßigkeit des heute auf der Tagesordnung
stehenden und zu beschließenden Gesetzes seitens des
Verfassungsministers der Bundesrepublik Deutschland
aufrechterhalten werden oder nicht. Ich meine, der Deut-
sche Bundestag hat einen Anspruch darauf, dies zu erfah-
ren, bevor wir in die Schlussabstimmung eintreten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1413109600
Das ist ein Ge-
schäftsordnungsantrag in Form eines Verfahrensantrags.
Gibt es weitere Wortmeldungen zu diesem Geschäftsord-
nungsantrag? Wird eine Aussprache gewünscht? – Das ist
nicht der Fall. Dann lasse ich über diesen Verfahrensan-
trag abstimmen. Wer unterstützt den eingebrachten Ver-
fahrensantrag? –


(Ludwig Stiegler [SPD]: Das sind zu wenige!)

Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –


(Alfred Hartenbach [SPD]: Das war das Erbärmlichste, was Sie je geboten haben, Herr Merz! Wie ein Oberschüler benehmen Sie sich!)


Der Geschäftsordnungsantrag in Form eines Verfahrens-
antrags ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ge-
gen die Stimmen der CDU/CSU, der F.D.P. und der PDS
abgelehnt worden.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Das schlechte Gewissen von Rot-Grün!)


Es folgt jetzt eine Erklärung zur Abstimmung der Ab-
geordneten Sabine Jünger. Bitte.


Sabine Jünger (PDS):
Rede ID: ID1413109700
Frau Präsidentin! Meine Da-
men und Herren! Ich werde den Entwurf eines Gesetzes
zur Lebenspartnerschaft ablehnen. Ich habe dafür fol-
gende Gründe:

Erstens. Mit dem Gesetzentwurf werden Diskriminie-
rungen fortgeschrieben. Frau Däubler-Gmelin hat selbst
nur von einem Abbau der Diskriminierungen gesprochen.
Ich bin ihr dafür sehr dankbar. Lesbische und schwule
Paare werden qua Gesetz schlechter als heterosexuelle
Paare gestellt.

Zweitens. Die Situation von lesbischen und schwulen
Eltern und Koeltern bessert sich nicht. Frau Falk, ich bin
selbst eines der zahlreichen Beispiele für den – wie Sie es
nannten – regenerativen Beitrag von Lesben und Schwu-
len. Ich bin Komutter eines Sohnes, der übrigens, Herr
Hartenbach, nicht aus einer vorherigen Beziehung

stammt. Wie das funktioniert, kann ich Ihnen gerne unter
vier Augen erklären, falls Sie sich das nicht vorstellen
können.


(Heiterkeit und Beifall bei der PDS sowie des Abg. Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.])


Mein Sohn lebt mit meiner Lebensgefährtin und mir
sehr wohl in einer Verantwortungsgemeinschaft. Ich kann
einem Gesetz nicht zustimmen, das Lesben und Schwulen
bescheinigt, keine Eltern sein zu können, bzw. ihnen ver-
bietet, Eltern zu werden.

Nicht einmal eine Stiefelternadoption ist in Zukunft
möglich.


(Margot von Renesse [SPD]: Mutter eines Kindes ist diejenige, die das Kind geboren hat!)


– Ich bin eine Komutter. Hören Sie bitte genau zu, Frau
von Renesse! Eine Komutter ist diejenige, die das Kind
nicht geboren hat. – Was ist eigentlich für Sie das Pro-
blem, wenn sich zwei Menschen freiwillig und verant-
wortlich um ein Kind kümmern wollen?

Ein gemeinsames Sorgerecht oder ein gemeinsames
Adoptionsrecht wird es ebenfalls nicht geben. Einem sol-
chen Gesetz kann ich meine Zustimmung nicht geben.

Drittens. Zu dem Punkt Unterhalt und Steuern hat der
Kollege Westerwelle schon alles gesagt. Ich kann seine
Ausführungen nur unterstreichen.

Viertens. Auch wenn sich die Lebenssituation von bi-
nationalen Paaren bessert und der Staat erstmals Bezie-
hungen zwischen Schwulen und Lesben anerkennt, so
kann ich doch einem Gesetz mit solch gravierenden
Lücken nicht zustimmen.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1413109800
Wir kommen zu
den Abstimmungen, und zwar zunächst zur Abstimmung
über den von den Fraktionen der SPD und des Bündnis-
ses 90/Die Grünen eingebrachten Entwurf eines Lebens-
partnerschaftsgesetzes auf Drucksache 14/3751. Der
Rechtsausschuss empfiehlt auf Drucksache 14/4545 unter
Buchstabe a, die nicht der Zustimmung des Bundesrates
bedürfenden Teile des Gesetzentwurfs als Lebenspartner-
schaftsgesetz in der Fassung der Anlage 1 und die zu-
stimmungsbedürftigen Teile als Lebenspartnerschaftsge-
setzergänzungsgesetz in der Fassung der Anlage 2 der
Beschlussempfehlung anzunehmen.

Wir stimmen zunächst ab über das Lebenspartner-
schaftsgesetz in der Ausschussfassung auf Drucksache
14/4545, Anlage 1. Ich bitte diejenigen, die diesem Gesetz-
entwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von
CDU/CSU und F.D.P. und einigen Stimmen aus der PDS
bei mehrheitlicher Enthaltung der PDS und bei einer Ent-
haltung aus der F.D.P. angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer






(C)



(D)



(A)



(B)


stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist damit in dritter Lesung mit dem eben festgestellten
Stimmenverhältnis angenommen worden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir stimmen nun ab über den zweiten vom Rechtsaus-
schuss zur Annahme empfohlenen Gesetzentwurf, das Le-
benspartnerschaftsgesetzergänzungsgesetz auf Drucksa-
che 14/4545, Anlage 2. Ich bitte diejenigen, die diesem
Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wol-
len, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den
Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die
Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. und gegen drei Stim-
men aus der PDS bei sonstiger Enthaltung der PDS und
einer Enthaltung aus der F.D.P. angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist damit in dritter Lesung angenommen worden.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache
14/4551. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Entschließungs-
antrag ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen
von CDU/CSU abgelehnt worden.

Abstimmung über den Entwurf eines Eingetragene-
Lebenspartnerschaften-Gesetzes der Fraktion der F.D.P.
auf Drucksache 14/1259. Der Rechtsausschuss empfiehlt
auf Drucksache 14/4545 unter Buchstabe b, den Gesetz-
entwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz-
entwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Ge-
genstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist
mit den Stimmen des ganzen Hauses gegen die Stimmen
der F.D.P. bei Enthaltung der Kollegin Falk abgelehnt
worden. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung
die weitere Beratung.

Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes der
Fraktion der F.D.P. zur Änderung des Bürgerlichen Ge-
setzbuches – das betrifft das Wohnrecht hinterbliebener
Haushaltsangehöriger – auf Drucksache 14/326. Der
Rechtsausschuss empfiehlt auf Drucksache 14/4545 unter
Buchstabe c, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte die-
jenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um
das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –
Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der
F.D.P. bei Enthaltung von CDU/CSU und PDS abgelehnt
worden. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung
die weitere Beratung.

Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes der
Fraktion der PDS zur Übernahme der gemeinsamen Woh-
nung nach Todesfall des Mieters oder des Mitmieters auf
Drucksache 14/308. Der Rechtsausschuss empfiehlt auf
Drucksache 14/4545 unter Buchstabe d, den Gesetzent-
wurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent-

wurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegen-
stimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in
zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktio-
nen und der CDU/CSU gegen die Stimmen der PDS bei
Enthaltung der F.D.P. abgelehnt worden. Damit entfällt
die weitere Beratung und wir sind am Ende der Abstim-
mungen.

Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 19 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Ilse
Aigner, Werner Lensing, Dr. Gerhard Friedrich

(Erlangen), weiteren Abgeordneten und der Frak-

tion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines
Ersten Gesetzes zur Änderung des Aufstiegs-

(1. AFBG-Änderungsgesetz)

– Drucksache 14/4250 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Kein Wi-
derspruch? – Dann ist so beschlossen.

Da es hier größere Personenbewegungen gibt, warte
ich ein bisschen mit der Eröffnung der Debatte. Bitte ver-
lassen Sie den Plenarsaal, wenn Sie etwas zu besprechen
oder zu feiern haben.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Affiges Gehabe bei den Grünen!)


Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Abgeord-
nete Ilse Aigner.


Ilse Aigner (CSU):
Rede ID: ID1413109900
Sehr geehrte Frau Präsiden-
tin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Heute steht
die erste Lesung des Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur
Änderung des Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetzes
– besser bekannt unter Meister-BAföG – auf der Tages-
ordnung. Diesen hat die CDU/CSU-Bundestagsfraktion
erarbeitet und eingebracht, nachdem die Bundesregierung
trotz mehrfacher Ankündigungen bis heute untätig ge-
blieben ist. Im Sinne des Wirtschafts- und Bildungs-
standortes Deutschland halten wir dies für ein schwer-
wiegendes Versäumnis.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Zur Erinnerung die Historie: Am 1. Januar 1996 trat
das erste Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz, das
AFBG, in Kraft.


(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Die Geschichte fängt aber vor 1996 an!)


Im Herbst 1998 wurde der Haushaltsplanentwurf 1999
– damals noch unter Finanzminister Lafontaine – vorge-
legt. Es stellte sich heraus, dass die für das Meister-
BAföG vorgesehenen Haushaltsansätze von 167 Milli-




Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
12630


(C)



(D)



(A)



(B)


onen auf 80 Millionen DM gekürzt wurden. Die – wie ich
fast sagen muss – lapidare Begründung der rot-grünen
Bundesregierung und seitens der SPD und der Grünen
war, dass die in den Haushalt eingestellten Mittel nicht ab-
gerufen worden seien. Damals wäre es eine logische Kon-
sequenz gewesen, zu überprüfen, ob die Richtlinien viel-
leicht verbesserungsbedürftig wären. Aber nein, die
Mittelansätze wurden gekürzt.

Deshalb brachte die CDU/CSU-Bundestagsfraktion
am 16. März 1999 einen Antrag zum Ausbau der Förde-
rung der beruflichen Aufstiegsfortbildung auf den Weg,
der von der Regierungsseite natürlich abgelehnt wurde.
Am 11. Juni 1999 veröffentlichte die Bundesregierung ei-
nen Bericht über die Umsetzung und Inanspruchnahme
des AFBG, in dem festgestellt wurde, dass deutlicher Re-
formbedarf besteht. Die Reaktion darauf war, dass im
Herbst 1999 der Ansatz im Haushaltsentwurf für das Jahr
2000 wiederum, von 80 Millionen DM auf 78 Millio-
nen DM, gesenkt wurde.

Am 26. November 1999 legte der Bundesrat eine Stel-
lungnahme zum Bericht der Bundesregierung vor, die
deutliche Verbesserungsvorschläge beinhaltete. Wie-
derum war die Reaktion darauf in Bezug auf den Haus-
haltsentwurf für das Jahr 2001 – eingebracht im Septem-
ber 2000 –, dass die Mittel erneut, von 78 Millionen DM
auf 70Millionen DM, gekürzt wurden. Deshalb haben wir
von der CDU/CSU-Fraktion diesen Gesetzentwurf zur
Novellierung des AFBG am 10. Oktober 2000 beschlos-
sen und neu eingebracht.

Offensichtlich hat die Regierung aufgrund des durch
diesen Gesetzentwurf entstandenen Drucks am 29. Okto-
ber 2000 eine Reform angekündigt. Ich habe dies nur aus
der Presse erfahren und halte dies für ein etwas merkwür-
diges Verfahren.


(Werner Lensing [CDU/CSU]: Das kann man wohl sagen! Typisch!)


Es gibt angeblich einen Referentenentwurf, dessen ge-
naue Eckzahlen ich noch nicht kenne. Ich weiß nur, wie in
der Zeitung zu lesen war, dass es zu einer Aufstockung um
10 Millionen DM kommen soll. Dies ist während der
Haushaltsberatungen im Wirtschaftsausschuss wohl auch
so beschlossen worden. Aber ich erinnere daran: Durch
die Aufstockung um 10 Millionen DM wird – nach einer
Kürzung um über die Hälfte beim Haushaltsentwurf für
das Jahr 1999 – gerade das Niveau von 80 Millionen DM
erreicht.


(Werner Lensing [CDU/CSU]: Das muss man sich einmal anhören! Unglaublich! – Gegenruf von der SPD: Meine Güte!)


Aus unserer Sicht ist dies wahrlich kein Sieg, überhaupt
nicht im Sinne der Fortbildungswilligen und in keiner
Weise angemessen.

Die Ziele des AFBG in kurzen Stichworten: Angestrebt
wird die Sicherung des Zukunftsstandortes Deutsch-
land. Das AFBG soll zur Herstellung der Gleichwertig-
keit von beruflicher und akademischer Bildung führen.


(Werner Lensing [CDU/CSU]: Das war ein Meilenstein!)


Es ist als Gegenstück zum BAföG im akademischen Be-
reich anzusehen. Auch die Aufstiegswilligen in der berufli-
chen Bildung sollen die Möglichkeit erhalten, sich beruf-
lich weiterzuentwickeln, ohne aus finanziellen Gründen
daran gehindert zu sein.

Dem von der früheren Bundesregierung geschaffenen
AFBG kommt eine große Bedeutung zu. Es fördert den
Mittelstand und spielt gerade in diesem Bereich eine ent-
scheidende Rolle. Denn der Mittelstand ist und bleibt Ar-
beitgeber und Ausbildungsplatzgeber Nummer eins. Eine
Vielzahl selbstständiger beruflicher Existenzen ist die Vo-
raussetzung für den Erhalt und den Ausbau der Wettbe-
werbsfähigkeit der Wirtschaft. Das AFBG fördert die Her-
stellung der Gleichwertigkeit von akademischer und
beruflicher Bildung als zentrales bildungspolitisches Ziel.
Last but not least: Im Gegensatz zu der früheren AFBG-
Förderung ist es ein Leistungsgesetz und kein Kannge-
setz.


(Werner Lensing [CDU/CSU]: Das ist der wahre Fortschritt!)


Der Reformbedarf hat sich nach den Erfahrungen mit
dem AFBG in den ersten Jahren auch aufgrund von ver-
änderten Rahmenbedingungen ergeben. Es ist nach wie
vor ein Rückgang der Zahl von Betriebsnachfolgerinnen
und -nachfolgern zu erwarten. Das ist ein schwerwiegen-
des Problem, mit dem wir in Zukunft zu kämpfen haben
dürften.

Ferner gibt es – explizit im Mittelstand – einen stetig
steigenden Bedarf an qualifizierten Fachkräften. Auf
dem Ausbildungsstellenmarkt ist die Lage – insbesondere
in den neuen Ländern – noch immer angespannt. Schließ-
lich wollen wir natürlich auch einen Umbau in der Wirt-
schaft zu einer Kultur von mehr Selbstständigkeit in
Deutschland. Die Reform der AFBG ist ein wichtiges Zei-
chen in diese Richtung.

Als weiterer Punkt hat sich herausgestellt, dass die För-
derung für diejenigen, die gefördert werden sollen, noch
nicht attraktiv genug ist. Der Zuschussanteil bei der För-
derung erscheint vielen als zu gering, die Darlehensrück-
zahlungspflicht damit als zu hoch und der Existenzgrün-
dungsansatz als zu niedrig. Das wollen wir mit dem
vorliegenden Gesetzentwurf ändern.

Zur Steigerung der Attraktivität der Förderung haben
wir Folgendes vorgeschlagen: eine maßgebliche Er-
höhung des Förderbetrags, die Schaffung eines Zuschuss-
anteils beim Unterhalts- und beim Maßnahmebeitrag


(Werner Lensing [CDU/CSU]: Was dringend nötig ist!)


und eine Stärkung der Existenzgründerkomponente, das
heißt, höhere Erlassbeträge und längere Fristen, insbe-
sondere bei der Karenzzeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Ferner soll eine noch immer bestehende Ungleichbe-
handlung im Vergleich zur BAföG-Förderung korrigiert
werden. Es gibt gerade in der beruflichen Ausbildung in
diesem Bereich zusätzliche Kostenfaktoren, die bei der




Ilse Aigner

12631


(C)



(D)



(A)



(B)


akademischen Ausbildung nicht bestehen, nämlich Lehr-
gangs- und Prüfungsgebühren. Diese wollen wir zumin-
dest zu einem Teil als Zuschuss und zu einem Teil als
Darlehen mitfinanzieren.


(Werner Lensing [CDU/CSU]: Das ist eine Frage der Gerechtigkeit!)


Wir wollen den Zuschussanteil beim Unterhaltsbeitrag
– angeglichen an die entsprechende BAföG-Förderung –
erhöhen. 50 Prozent sollen als Zuschuss und 50 Prozent
als Darlehen gezahlt werden.

Ferner hat sich ein Nachbesserungsbedarf im Hinblick
auf ein zweites Fortbildungsziel ergeben. Es gibt be-
stimmte Ausbildungsgänge, die nicht die Möglichkeit zur
Selbstständigkeit und damit zur Schaffung von mehr
Ausbildungsplätzen eröffnen. In diesen soll die Förde-
rung der Erreichung eines zweiten Fortbildungsziels er-
möglicht werden.

Ein weiterer Punkt ist die Familienförderung. Insbe-
sondere im Hinblick auf Frauen hat sich herausgestellt,
dass eine Förderung von Teilnehmern in Teilzeitmaßnah-
men für diejenigen Frauen, die Kinder erziehen, eine
durchaus sinnvolle Angelegenheit sein könnte. Frauen er-
hielten so die Gelegenheit, anstatt einen Halbtagsjob zu
ergreifen, sich halbtags fortzubilden, um damit den Wie-
dereinstieg in den Beruf zu finden. Deshalb haben wir die
Ausdehnung der Zahlung eines Unterhaltsbeitrags auf er-
ziehende Maßnahmeteilnehmer in Teilzeitform und über-
dies die Erhöhung der Beiträge für den Gatten oder die
Gattin bzw. den Partner oder die Partnerin und die Kinder
sowie eine Erhöhung des Kinderbetreuungszuschusses in
den Reformansatz aufgenommen.

Ein weiterer wichtiger Kritikpunkt bezieht sich auf die
Frage der Verwaltungsvereinfachung. Wir haben die Ein-
stufigkeit des Antragsverfahrens und die Streichung der
Vermögensanrechnung vorgeschlagen. Es hat sich he-
rausgestellt, dass diejenigen, die man mit der Vermö-
gensanrechnung treffen will, nämlich die Kinder reicher
Eltern, gar nicht belastet werden, weil nicht das Vermögen
der Eltern, sondern das Vermögen des Betreffenden ein-
bezogen wird und dadurch der Kapitalstock, den der Be-
treffende später zur Existenzgründung gut brauchen
könnte, stark angegriffen wird.

Wir haben mit der Einbringung des Gesetzentwurfs im
Sinne der beruflichen Weiterbildung ein Zeichen gesetzt
und nicht nur vage Ankündigungen gemacht. Ich fordere
Sie, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Regie-
rungskoalition, auf, im Ausschuss und natürlich auch im
Plenum unserem Gesetzentwurf zuzustimmen und nicht
den eventuell irgendwann in Gesetzentwurfsform gegos-
senen, angeblich bestehenden Referentenentwurf abzu-
warten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1413110000
Das Wort hat
jetzt der Kollege Ernst Dieter Rossmann.


Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD):
Rede ID: ID1413110100
Frau Präsiden-
tin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Eine Opposition träumt von Idealvorstellungen,
weckt in verantwortungsloser Weise völlig unrealis-
tische Erwartungen und erhebt zugleich die höchsten
finanziellen Forderungen an den Bund.

(Werner Lensing [CDU/CSU]: Das muss aber begründet werden, Herr Kollege!)

Da hatte der ehrlich geschätzte Kollege Lensing von der
CDU doch wirklich Recht, als er vor fünf Jahren in der
Debatte zum Meister-BAföG diese Feststellung traf und
sinnigerweise anmerkte, dass für eine Opposition be-
kanntlich nichts einfacher sei als diese Politik der Verant-
wortungslosigkeit. Ihr Gesetzesvorschlag bewegt sich
heute auf dieser Linie.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Zugleich ist für eine Opposition, die vorher 16 Jahre
lang Regierung war, nichts schwerer, als ihrer eigenen Ge-
schichte auszuweichen und nicht mit ihren Fehlern kon-
frontiert zu werden. Deshalb kann und will ich Ihnen nicht
ersparen, Sie noch einmal an Folgendes zu erinnern: 1993
haben Sie die sehr effektive und zweckmäßige Förderung
nach dem AFG ersatzlos gestrichen. Drei Jahre lang hat
sich gar nichts getan, erst 1995 haben Sie das so genannte
Meister-BAföG durchgesetzt. Jahr für Jahr haben Sie zu-
gesehen, wie die hohen Erwartungen, die durch das Ge-
setz geweckt worden waren, nicht Wirklichkeit wurden.
90 000 angehende Meister sollten gefördert werden. Am
Ende waren es weniger als die Hälfte. Das Meister-
BAföG sollte eine runde Sache werden. Jetzt ist es mit
einer Fülle von Feststellungen evaluiert worden, die lau-
teten, dass es bürokratisch, wirklichkeitsfremd und unzu-
reichend ist.

Sie haben in Ihren Haushaltsplänen immer hohe fiktive
Zahlen eingesetzt, die die Leute aber nicht erreicht haben.
Wir haben es auch nur als Ausdruck Ihres schlechten Ge-
wissens werten können, dass Sie schon im März 1999, ge-
rade fünf Monate nach dem Regierungswechsel, mit
einem Vorschlag vorgeprescht sind, mit dem Sie 400 Mil-
lionen DM für Verbesserungen einbringen wollten. Auch
jetzt noch, im November 2000, präsentieren Sie Pläne, die
eine Steigerung des Finanzvolumens um mindestens
200 Prozent vorsehen. Obwohl Ihr Gesetz gerade dazu
führte, dass 60 Millionen DM abfließen, möchten Sie der
neuen Regierung mal eben ein Finanzierungsvolumen
von über 120 Millionen DM zusätzlich abverlangen.

Das halten wir für einen unseriösen Weg, den wir nicht
mitgehen wollen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir wollen uns an vier Eckpunkten orientieren:
Erstens. Wir wollen eine Reform des Gesetzes vorle-

gen, die wir auch wirklich finanzieren können.
Zweitens. Wir werden ein Gesetz machen, bei dem die

eingeplanten Mittel auch wirklich bei den Menschen an-
kommen.

Drittens. Wir wollen mit unserer Reform dafür sorgen,
dass die Förderung der beruflichen Fortbildung auf mehr
Berufsfelder ausgedehnt wird und sich nicht nur auf die




Ilse Aigner
12632


(C)



(D)



(A)



(B)


klassische Meisterausbildung bezieht. Sie soll moderni-
siert und entbürokratisiert werden.

Schließlich ist uns viertens klar, dass wir mit unserer
Gesetzesinitiative eine neue Richtung einschlagen müs-
sen, um dann Schritt für Schritt weitere Verbesserungen
hierauf aufbauen zu können.

Die Einbringung eines solchen Gesetzentwurfs erwar-
ten wir von der Regierung in der Form, dass die Reform
im Jahr 2001, wie versprochen, wirksam wird.

Wir freuen uns in der Tat und es ist gut, dass wir bei der
Verabschiedung eines solchen Gesetzes in etlichen Punk-
ten große Übereinstimmung in diesem Haus erleben wer-
den. Dafür spricht immerhin, dass die jetzige Opposition
frühere Fehler korrigieren möchte,


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


zum Beispiel in Bezug auf das Antragsverfahren nach dem
AFBG, das wir durch die Reduzierung der Zahl der An-
träge und ein erleichtertes Darlehensverfahren vereinfa-
chen wollen. Ein Fehler war auch, dass sich die Förderung
bisher nur auf die erste Fortbildung bezog. Wir wollen sie
auf eine sinnvolle Zweitfortbildung ausweiten. Auch den
Fehler, dass Familien, Frauen und Alleinerziehende in
Ihrem Gesetz ungenügend berücksichtigt worden sind,
wollen wir beheben, indem wir die Kinderzuschläge und
die Kinderbetreuungszuschüsse für Alleinerziehende er-
höhen wollen. Schließlich wollen wir, nachdem der Aus-
länderanteil in der Aufstiegsfortbildung in Ihrem Gesetz
nicht zum Tragen kommen konnte,


(Ilse Aigner [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht! Das ist auch bei uns drin!)


dafür sorgen, dass in Deutschland lebende ausländische
Fachkräfte und Handwerker bereits nach drei Jahren Be-
rufstätigkeit gefördert werden können.


(Ilse Aigner [CDU/CSU]: Sie haben unser Gesetz offensichtlich nicht gelesen!)


– Sie sagen, wir hätten es nicht gelesen. Aber hören Sie
doch bitte zu! Wir werden das jetzt gemeinsam korrigie-
ren. Sie wollen es korrigieren, wir wollen es korrigieren;
aber wir müssen doch Ihr Gesetz und nicht unser Gesetz
korrigieren. Das ist die kleine Differenz. Wir freuen uns,
dass Sie alle dabei mitmachen wollen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Auf der anderen Seite gibt es deutliche Unterschiede,
auch in der Ausrichtung des Reformbedarfs. Wir können
uns dabei des Eindrucks nicht erwehren, dass die Opposi-
tion unter Verstoß gegen eigene Grundsätze zu falschen
Vorschlägen kommt und radikal über das Ziel hinaus-
schießt.


(Zuruf von der CDU/CSU: „Eigene Grundsätze“? Das ist ein hartes Wort!)


Wo nach dem alten Gesetz noch eine Vermögensheran-
ziehung oberhalb der BAföG-Freibeträge für erforderlich
gehalten wurde, will die CDU/CSU diese Vermögensan-
rechnung jetzt vollkommen streichen. Die Freigrenzen
müssen sicherlich aus guten Gründen angehoben werden;

aber man muss doch fragen dürfen, ob es wirklich unzu-
mutbar ist, dass dann, wenn ein hohes Vermögen beim
jeweiligen Meister und Existenzgründer, aus welchen
Gründen auch immer, vorhanden ist, dieses berücksichtigt
werden soll, wenn es um Fortbildung und Existenzsiche-
rung geht. Ist die Anrechnung nicht eine zwingende Kon-
sequenz aus wohlverstandener Subsidiarität?

Vielleicht wird der Unterschied an einer anderen Stelle
noch klarer. Wir wundern uns, dass Sie die staatlich aner-
kannten Fortbildungen im Gesundheits- und Pflegebe-
reich und an staatlichen anerkannten Ergänzungsschulen
nicht mit einbeziehen wollen. Wir können das nicht ver-
stehen und es nur bedauern, dass die CDU/CSU diese Er-
weiterung des Fortbildungsanspruches in ihrem Gesetz-
entwurf nicht vorschlägt. Denn es ist doch ein Erfordernis
der Zukunft, dass Aufstiegsqualifizierungen in Gesund-
heits- und Pflegeberufen, in Wirtschaftsberufen und auch
in anderen Bereichen, zum Beispiel dem Kommunika-
tionsbereich, mit einbezogen werden. Wir wären ignorant,
wenn wir dies aus der Förderung ausklammern würden.

Neben viel Übereinstimmung und solchen grundsätzli-
chen Differenzen wird es sicherlich so sein, dass wir in der
Wirklichkeit kleinere Schritte gehen müssen, als die Op-
position jetzt leichthin machen möchte. Ich nenne hier als
Beispiel, dass das alte Gesetz von CDU/CSU und F.D.P.
bisher keinerlei Zuschüsse zum Maßnahmebeitrag,
sprich: den Lehrgangskosten, den Prüfungskosten und an-
deren Aufwendungen, vorsah, die CDU/CSU dafür jetzt
aber 50 Prozent dieser Aufwendungen erstatten möchte.
Das macht ja Ihrer Einschätzung nach auch nur die Klei-
nigkeit von 60 Millionen DM aus. Für die Betroffenen
wird gelten, dass wir schon viel erreicht haben, wenn wir
den Einstieg in eine 20-prozentige Bezuschussung des
Maßnahmebeitrages realisieren können, und zwar nicht
nur für die bislang privilegierte Vollzeitfortbildung, son-
dern auch für die Teilzeitfortbildung, was ein echter
Durchbruch für alle wird.

Ein zweites Beispiel. Während die CDU/CSU/F.D.P.-
Regierung noch einen Darlehenserlass für die Existenz-
gründung in Höhe von 50 Prozent des Maßnahmedar-
lehens als ausreichend ansah, wollen Sie diesen jetzt glatt
verdoppeln. Auch hier können wir nur sagen: Wenn wir
ihn auf 75 Prozent anheben können, haben wir für die be-
treffenden Menschen viel erreicht.

Ein drittes Beispiel. Während es bisher keinerlei Darle-
hen oder Zuschüsse zum teilweise aufwendigen Meister-
stück gibt – was Sie auch schon hätten ändern können –,
werden wir erstmals eine substanzielle Hilfe in das Gesetz
einbringen. Das wird eine echte Unterstützung für die Be-
troffenen sein.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Opposition sieht uns deshalb in großer Gelassen-
heit; denn wir wissen: Am Ende sind wir, SPD und Bünd-
nis 90/Die Grünen, es, die wirkliche Verbesserungen auf
den Weg bringen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Am Ende sind wir, SPD und Bündnis 90/Die Grünen, es,
die dafür sorgen, dass wir in Deutschland berufliche




Dr. Ernst Dieter Rossmann

12633


(C)



(D)



(A)



(B)


Fortbildung wieder voranbringen können, dass die quali-
fizierten Arbeitnehmer in vielen Berufsfeldern zusätzlich
motiviert werden und dass es auch neue Chancen für Exis-
tenzgründungen gibt.

Wir sind wirklich gelassen; wir freuen uns auf das Ge-
setz, das eingebracht werden wird, und darauf, dass wir
dann mit großer Mehrheit in diesem Parlament etwas ver-
abschieden können, was ein Baustein mehr ist nach dem
Muster: Versprochen, Reform gemacht und am Ende Wort
gehalten.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1413110200
Das Wort hat

jetzt Kollegin Cornelia Pieper.

Cornelia Pieper (FDP):
Rede ID: ID1413110300
Verehrte Frau Präsidentin!

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich sollten wir
uns über den vorliegenden Gesetzentwurf der Unions-
fraktionen, über den jetzt hier im Haus beraten wird,
freuen. Es liegt ein Gesetzentwurf vor, wir haben eine
Diskussion im Ausschuss vor uns und das ist doch etwas
ganz Wesentliches; denn von Ihnen liegt ja im Moment
noch nichts vor, trotz vieler Ankündigungen.


(Werner Lensing [CDU/CSU]: Seit Monaten nichts, gar nichts! – Lachen bei der SPD – Detlev von Larcher [SPD]: Das ist ja furchtbar! Das ist ja entsetzlich! Das ist ja geradezu haarsträubend!)


Herr Kollege Rossmann, ich will einmal Ihre Worte
dazu zitieren, was das Meister-BAföG kostet. Wir alle hier
im Haus wollen, dass die allgemeine und die berufliche
Bildung gleichgestellt werden. Wir wollen Gleichrangig-
keit. Der Bund bezahlt – im Haushaltsentwurf ist es so ent-
halten – 1,57 Milliarden DM BAföG an Studierende, und
im Haushaltsentwurf 2001 sind jetzt 70 Millionen DM für
das Meister-BAföG vorgesehen.

Die Mehrkosten bei Annahme des Gesetzentwurfs der
Unionsfraktionen würden für den Bund rund 115 bis
120 Millionen DM betragen. Ich glaube, bei Verwendung
der Zinsersparnisse, die aus der Schuldentilgung mithilfe
der UMTS-Erlöse resultieren und die ja immerhin 5 Mil-
liarden DM betragen, hätte man auch diese Finanzierung
leicht auf den Weg bringen und durchsetzen können.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Werner Lensing [CDU/CSU]: Müssen!)


Seit unserer Debatte am 25. März 1999 ließen Sie,
meine Damen und Herren von der Koalition, und auch
diese Bundesregierung keine Chance ungenutzt, um eine
umfassende Reform des Meister-BAföG anzukündigen.
Die Öffentlichkeit glaubte, es ist alles auf gutem Weg.


(Zuruf von der SPD: Ist es auch!)

In Wahrheit ist aber nichts geschehen.


(Werner Lensing [CDU/CSU]: Frau Pieper hat Recht!)


Nun gut, man kann sagen, das Meister-BAföG in sei-
ner heutigen Form hat einen gewissen Bezug zum Bun-

desausbildungsförderungsgesetz und solange dieses
nicht neu strukturiert ist, wie es die F.D.P.-Bundestags-
fraktion gefordert hat, bzw. bevor es nicht weiter repariert
ist, wie es die SPD nun letztendlich vorhat, ist es verfrüht,
dieses Thema zu diskutieren.

Doch wenn das so ist, dann kann ich der Bundesminis-
terin einen Vorwurf nicht ersparen: Sie haben wider bes-
seres Wissen die Leute landauf, landab an der Nase he-
rumgeführt.


(Beifall bei der F.D.P.)

Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die Pressekon-
ferenz und die Presseinformation vom 29. Oktober 1999
unter der Überschrift „Bundesregierung nimmt Reform
des Meister-BAföG in Angriff“, worin Staatssekretär
Catenhusen, der heute auch anwesend ist, bessere Chan-
cen für Existenzgründungen und Fortbildung versprach.
In der Debatte erklärte er uns, wie die rot-grüne Koalition
mit einem erneuerten Aufstiegsfortbildungsförderungsge-
setz die Gleichwertigkeit von beruflicher und Allgemein-
bildung stärken will und dabei die berufliche Aufstiegs-
förderung einen Schritt voranbringen möchte.

So schön, so gut. Herr Catenhusen äußerte sich damals
so zu den Initiativen der Union: Ihrer Anstrengungen, mit-
hilfe dieses Gesetzentwurfs eine Diskussion loszutreten,
bedarf es nicht.

Zwischen den Zeilen ließ er damals schon die Katze aus
dem Sack. Er sagte: Nach gründlicher Erörterung des Er-
fahrungsberichts über die Umsetzung und Inanspruch-
nahme des Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetzes im
Kabinett werden wir dem Parlament Veränderungen des
Aufstiegsfortbildungsrechts im sachlichen und zeitlichen
Zusammenhang mit der Reform des BAföG und in ge-
nauerer Kenntnis des Finanzbedarfs vorschlagen.


(Ilse Aigner [CDU/CSU]: Ja, wo ist es denn?)

Ich bin kritisiert worden, weil ich damals schon sagte:

Veränderungen beim BAföG, zu dem dem Parlament im
Übrigen bis heute kein Gesetzentwurf vorliegt, werden
auf die lange Bank geschoben.


(Werner Lensing [CDU/CSU]: Ganz typisch wieder! – Ilse Aigner [CDU/CSU]: Unerhört!)


Obwohl Frau Bulmahn Anfang des Jahres 1999 schon
wusste, dass die von ihr vorgeschlagene große Strukturre-
form des BAföG in einer weiteren Reparaturnovelle en-
den wird, verkündeten Sie weiterhin vollmundig, Sie wol-
len mehr Meister-BAföG verteilen. Meine Damen und
Herren, vor diesem Hintergrund scheint der Gesetzent-
wurf der Unionsfraktion tatsächlich eine Erleichterung zu
werden.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) – Zu-

ruf von der CDU/CSU: Eine objektive Darstel-
lung!)

Es bedarf wahrscheinlich einmal mehr eines Versuchs
der Opposition, die Diskussion über das am 1. März 1996
auch auf Antrag der F.D.P. vom Deutschen Bundestag
beschlossene Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz den
Erfordernissen der Zeit anzupassen.

Nun, die Unterrichtung durch die Bundesregierung
im Bericht über die Umsetzung und Inanspruchnahme




Dr. Ernst Dieter Rossmann
12634


(C)



(D)



(A)



(B)


des Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetzes vom 11. Ju-
ni 1996 kennen wir. Wir haben ausführlich darüber disku-
tiert. Die Knackpunkte – Sie erinnern sich – waren die
Forderung nach einer Verwaltungsvereinfachung des An-
tragsverfahrens, die Prüfungs- und Lehrgangsgebühren
den Meisterschülern im Rahmen des Darlehens zu erlas-
sen, die Karenzzeit bis zur Existenzgründung zu verlän-
gern, die Existenzgründung auch während der Meister-
ausbildung zu berücksichtigen, die Bedingung zur
Einstellung von mindestens zwei Mitarbeitern auf zwei
Jahre zu verlängern und vieles andere mehr.


(V o r s i t z: Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters)


Union und F.D.P. haben mit dem AFBG damals Neu-
land betreten, indem wir Grundforderungen aufstellten,
die Gleichwertigkeit zwischen der beruflichen und all-
gemeinen Bildung zu fördern und den Einzelnen bei der
beruflichen Aufstiegsfortbildung seinen Neigungen, Be-
gabungen und Fähigkeiten entsprechend zu unterstützen.
Vor dem Hintergrund sich abzeichnender Betriebsüber-
nahmen in mittelständischen Bereichen in den nächsten
Jahren haben wir bewusst die Existenzgründungskompo-
nente berücksichtigt. Aber gut, wir haben dieses Gesetz
auch an das Bundesausbildungsförderungsgesetz gekop-
pelt. Sie kennen unseren Vorschlag. Das ist in der Umset-
zung mit Ihnen in der Tat sehr kompliziert.

Herr Catenhusen sagte uns damals, die Bundesregie-
rung möchte mit der Novellierung des AFBG ebenfalls
die Gleichwertigkeit herstellen, die Familienkomponente
prüfen, mehr Chancen auf eine Aufstiegsfortbildung
schaffen und damit insgesamt eine bessere Förderung er-
reichen. Auch den Verfahrens- und Verwaltungsaufwand
wollte die SPD reduzieren. Bisher ist nichts passiert.

Genau das setzt der Gesetzentwurf der Union heute
um. Daher glaube ich, dass wir alle unter den gegenwär-
tig obwaltenden Umständen diesem Antrag auf Überwei-
sung zustimmen, ihn fleißig diskutieren und ihn natürlich
auch verabschieden werden.


(Lachen bei der SPD – Stephan Hilsberg [SPD]: Wie lange sind Sie eigentlich im Parlament?)


– Wenn es nach Ihnen ginge, würden Sie wahrscheinlich
am liebsten auch der Überweisung nicht zustimmen. Aber
Sie kommen ja leider nicht darum herum.


(Widerspruch bei der SPD)

Das schreibt ja zum Glück unsere Geschäftsordnung in
diesem Hohen Haus vor.

Also, meine Damen und Herren von der Regierungs-
koalition, leisten Sie Ihren Beitrag und diskutieren Sie
eifrig mit! Dann verabschieden wir einen ordentlichen
Gesetzentwurf. Ich denke, damit ist auch denjenigen ge-
holfen, die in der beruflichen Bildung weiterkommen
wollen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Werner Lensing [CDU/CSU]: Nahezu staatsmännisch!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1413110400
Ich gebe das
Wort der Kollegin Ekin Deligöz für die Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen.


Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1413110500
Herr
Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Liebe Kolle-
gen und Kolleginnen von der CDU/CSU, ich wäre mit
dem Klatschen nicht gar so voreilig. Meine Vorrednerin
hat nämlich nur davon gesprochen, dass sie der Überwei-
sung zustimmt. Sie hat nicht so richtig davon gesprochen,
dass sie Ihrem Gesetzentwurf zustimmt.


(Werner Lensing [CDU/CSU]: Aber sie war letztlich begeistert! – Cornelia Pieper [F.D.P.]: Sie haben nicht richtig hingehört!)


Das sind zweierlei Dinge. So wie wir die F.D.P. kennen,
kommt vielleicht noch ein Änderungsantrag. Ich an Ihrer
Stelle wäre also nicht voreilig.

Heute reden wir über das Gesetz zur Förderung der be-
ruflichen Aufstiegsfortbildung, das so genannte Meister-
BAföG, über das wir in dieser Wahlperiode schon debat-
tiert haben. Sie haben dieses Gesetz wieder hervorgeholt.
Das hat einen Grund. Wir haben damals gesagt, wir möch-
ten das Ganze noch einmal wissenschaftlich überprüfen.
Das Ergebnis liegt jetzt vor.

Sie haben bestimmte Punkte des Gesetzes aufgegrif-
fen – inhaltlich ändert sich letztlich nicht viel –, deren
Richtigkeit wir schon damals bejaht haben und denen wir
auch heute in dieser Form zustimmen.

In der Tat hat das Gesetz zur Förderung der beruflichen
Aufstiegsfortbildung, das Sie hier in der vergangenen Wahl-
periode verabschiedet haben, nicht die Quote an Existenz-
gründungen in Deutschland erbracht, die Sie sich erhofft ha-
ben. Ihr Gesetz war lange nicht so erfolgreich, wie Sie es
sich gewünscht hatten. Es gab Mängel in der Ausführung.
Es war zu bürokratisch. Allein das Antragsformular ist
25 Seiten lang. Das ganze Verfahren ist sehr langwierig.

Wir haben in Deutschland in der Tat gewisse Probleme.
Wir haben, verglichen mit dem europäischen Ausland,
eine geringere Quote an Selbstständigen und Existenz-
gründern. Ein Aufstieg in Deutschland zum Meister kos-
tet Geld. Viele können es sich nicht leisten, vor allem Per-
sonen, die eine Familie haben. Für sie handelt es sich bei
dem ganzen Aufwand um ein bedeutendes finanzielles
Volumen. Sie verzichten oft zugunsten ihrer Familie auf
den Aufstieg, auf den Meistertitel.

Wir haben in Deutschland in diesem Zusammenhang
noch ein drängendes Problem, über das wir reden müssen.
Das ist die Tatsache, dass der Generationenwechsel in den
Betrieben, der uns jetzt bevorsteht, sehr schleppend vor
sich geht.


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Das sollten Sie bei der Steuerreform berücksichtigen! Das wäre besser!)


– Das liegt nicht an der Steuerreform, Herr Kollege.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das liegt vor allem daran – die Steuerreform würde das
Ganze eher noch unterstützen –, dass der Erwerb des
Titels „Meister“ Voraussetzung dafür ist, Betriebe zu
übernehmen.


(Zuruf von der SPD: Sehr richtig!)





Cornelia Pieper

12635


(C)



(D)



(A)



(B)


Allein aufgrund dieser Vorschrift finden sehr viele kleine
und mittlere Betriebe keine Nachfolger. Es fehlt häufig
schlichtweg an diesen Formalqualifikationen. Ich sage
betont: Formalqualifikation – es ist nicht die Qualifika-
tion an sich, sondern die Erbringung dieses Titels. Oft ist
aber auch das notwendige Kapital für die Ablösung nicht
vorhanden, sodass aufgrund dessen eine Übernahme nicht
stattfindet. Die Bundesanstalt für Arbeit ist gerade da-
bei, das Problem intensiv anzugehen und darüber zu be-
raten, was wir diesbezüglich unternehmen können. Bei
der Lösung der Probleme, die ich hier vorgetragen habe,
ist das Gesetz zur Förderung der beruflichen Aufstiegs-
fortbildung nicht alles, sondern nur ein Segment des
Ganzen und soll auch als solches behandelt werden.

Aber Sie bringen ein wichtiges Anliegen vor, das wir
auch teilen. Allerdings müssen wir eines hier schon fest-
stellen: Das, was Sie heute hier präsentierten, ist gut ge-
meint; gut gemacht ist es aber nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Die auf der Grundlage Ihres alten Gesetzes eingestell-
ten Mittel wurden nur zu einem Bruchteil abgerufen.
Heute drehen Sie das Ganze um und werfen uns vor, dass
nur so wenig abgerufen wurde, weil wir die Mittel gekürzt
hätten. Richtig ist aber nun einmal, dass wenig abgerufen
wurde, weil das Gesetz zu bürokratisch ist. Es war – so
wurde es auch vom Mittelstand dargestellt – ein Flop.


(Werner Lensing [CDU/CSU]: Ein Flop? Das stimmt nicht! Das wurde nie gesagt! Das entspricht nicht der Wahrheit!)


– Es hat zumindest nicht die Wirkung gehabt, die Sie sich
vor allem im Wahlkampf versprochen haben. Sie sind ja
mit diesem Gesetz auch in den Wahlkampf gegangen.

Ein Punkt in Ihrem Gesetzentwurf ist aber sehr wich-
tig: Sie plädieren dafür, dass bei einer erfolgreichen Exis-
tenzgründung 50 Prozent des Darlehens erlassen wer-
den. Auch wir reden über Bonussysteme, auch wir reden
über Startvorteile vor allem für erfolgreiche Existenz-
gründer. Wir gehen aber viel weiter als Sie und sagen:
Wenn es tatsächlich erfolgreich sein soll, dann muss es ei-
nen 100-prozentigen Darlehenserlass geben. Wir wollen
auch den Förderungszeitraum generell strecken. Nicht
wollen wir aber, dass der Förderungszeitraum bis zur
Prüfung gestreckt wird. Denn man kann das Prüfungsda-
tum ja von der Ausbildung abkoppeln. Wir wollen des
Weiteren nicht, dass der Antrag nur einmal eingereicht
werden kann, weil dann eine Grundlage für Mitnahme-
effekte geschaffen wird. Es heißt ja nicht, dass sich zwi-
schenzeitlich an der finanziellen Lage der Antragsteller
nichts ändern könnte. Natürlich wollen wir zwi-
schendurch Überprüfungsmöglichkeiten haben, wie es
auch beim BAföG der Fall ist.

Dann haben Sie wieder die Familienförderung
hineingebracht. Dabei vergessen Sie aber die Familie an
sich: Was ist beispielsweise, wenn eine Ausbildung in
Teilzeitmaßnahmen möglich wäre? Warum heißt es bei
der Familienförderung, dass grundsätzlich nur Vollzeit-
maßnahmen gefördert werden können? Was ist mit den al-
lein erziehenden Frauen und Männern – meistens sind es

ja Frauen –, die auch solche Titel anstreben und deswegen
an einer Meisterfortbildung teilnehmen wollen?


(Werner Lensing [CDU/CSU]: Das wollen wir in der gemeinsamen Beratung nacharbeiten!)


Die Alleinerziehenden lassen Sie bei Ihrer Definition von
Familie leider hinten runterfallen. Auch das wollen wir
nicht.

Ich komme nun zu den Kosten der Prüfungsstücke.
Sie können in der Tat teuer werden; das wollen wir
berücksichtigen.

Zurzeit liegt der Zuschussanteil beim Meister-BAföG
bei 27 Prozent, während es beim studentischen BAföG
50 Prozent sind. Wir sollten hier über eine Änderung re-
den. Das gilt auch für eine völlige Zinsfreiheit über den
jetzigen Zweijahresrahmen hinaus. Das alles sind vor-
stellbare Fördermöglichkeiten. Die wissenschaftlichen
Auswertungen darüber liegen uns vor. Wir wollen an die-
sem Baustein des Meister-BAföG, wie ich es zu Beginn
erörtert habe, weiter arbeiten. Das darf aber nicht das Ein-
zige bleiben.

Wir müssen uns einmal grundlegend darüber unterhal-
ten, was der Meisterbrief in Anbetracht der Tatsache be-
deutet, dass wir die Europäische Union weiter öffnen und
voranbringen wollen: Was hat das hinsichtlich der euro-
päischen Harmonisierung für Auswirkungen? Was sind
zum Beispiel die Zugangsvoraussetzungen für den Meis-
terbrief? Darüber müssen wir debattieren. Das alles sind
noch ungeklärte Fragen.

Das ganze Gesetz ist reformbedürftig. Das haben wir
hier alle bestätigt. Was in diesem Bereich auf keinen Fall
herauskommen darf, ist Flickschusterei. Nichts anderes
schlagen Sie hier vor. Wir brauchen eine grundlegende
Reform.

Eines möchte ich noch zum Schluss zu Ihnen, Frau
Pieper, sagen. Sie haben gesagt – das ist mein letzter Satz,
Herr Präsident –, dass wir die Mittel „verteilen“. Wir ver-
teilen die Mittel nicht, sondern wir verwenden die Mittel,
um zu gestalten. Gestalten ist etwas grundlegend anderes
als Verteilen.

Was die UMTS-Lizenzen angeht, so glaube ich Ihnen
gerne, dass Sie das Geld auch hierfür genutzt hätten.


(Cornelia Pieper [F.D.P.]: Die Zinsersparnisse!)


– Ja, die Zinsersparnisse.
Wenn man sich die Anträge Ihrer Fraktion anschaut,

dann stellt man fest, dass Sie die 5 Milliarden DM nicht
nur einmal oder zweimal, sondern vielfach ausgeben.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Deswegen haben Sie sich in den 16 Jahren Ihrer Regie-
rungszeit darüber gewundert, wie es zu irgendwelchen
Haushaltslöchern kam. Wie sollen bei Ihrer Art des He-
rangehens keine Haushaltslöcher entstehen?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)





Ekin Deligöz
12636


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1413110600
Für die
Fraktion der PDS spricht die Kollegin Maritta Böttcher.


Maritta Böttcher (PDS):
Rede ID: ID1413110700
Herr Präsident! Sehr geehrte
Kolleginnen und Kollegen! Trotz knapp bemessener Re-
dezeit drängt es mich gerade bei dem heutigen Gegen-
stand der Debatte und seiner Geschichte – einiges ist
schon gesagt worden –, Folgendes voranzustellen: Mit
dem vorliegenden Gesetzentwurf präsentiert die
CDU/CSU-Fraktion heute Positionen, die sie bei Ein-
führung des AFBG unter ihrer Ägide strikt abgelehnt hat.


(Werner Lensing [CDU/CSU]: Das haben wir nicht abgelehnt! Das stimmt gar nicht!)


Die heutigen Regierungsparteien verhalten sich bei der
Umsetzung ihrer damaligen Kritik als Opposition mehr
als zögerlich. In Wechselspielen zwischen Regierungs-
partei und Opposition solcher Art sehe ich ein nicht
gerade seltenes Ritual, das meiner Meinung nach der Effi-
zienz und der Akzeptanz unserer Tätigkeit in der Bevöl-
kerung keineswegs zuträglich ist.

Nun aber zur Sache: Meines Erachtens muss die drin-
gend notwendige Reform des AFBG viel stärker in den
Kontext des lebenslangen Lernens und damit in die Ent-
wicklung der Weiterbildung als eines gleichwertigen Be-
standteils des gesamten Bildungssystems eingeordnet
werden.


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Da haben Sie Recht!)


Die PDS unterstützt, nicht zuletzt auch aus arbeitsmarkt-
politischen Gründen, durchaus die Intention des AFBG
hinsichtlich besserer Rahmenbedingungen für Existenz-
gründer. Aber für noch entscheidender halte ich den Aus-
bau der Ansätze im Gesetz, die es Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmern, unabhängig von einer späteren Existenz-
gründung und ohne erst arbeitslos zu werden, ermögli-
chen, ihre berufliche Qualifikation deutlich zu erhöhen,
sich so besser auf dem Arbeitsmarkt zu behaupten und da-
mit insgesamt an Lebensqualität zu gewinnen.


(Beifall bei der PDS)

Ein Ausbau des Gesetzes in diese Richtung muss mei-

ner Meinung nach auf zwei Grundsätzen basieren:
Erstens. Alle noch verbliebenen Einschränkungen,

mit denen bestimmte Gruppen vom Förderanspruch aus-
geschlossen werden – sei es etwa durch einen nicht ak-
zeptierten Berufsabschluss, sei es durch das Erfordernis
einer öffentlich-rechtlich geregelten Prüfung –, sollten
aufgehoben werden.

Zweitens. Die tatsächliche Wahrnehmung der Förder-
möglichkeiten darf nicht daran scheitern, dass die Förde-
rungswilligen sie einesteils für die Sicherung ihrer Le-
bensverhältnisse als nicht ausreichend und anderenteils
als ein nicht verantwortbares Risiko für sich und ihre Fa-
milie ansehen.


(Beifall bei der PDS)

Über die konkreten Veränderungen, die zur Durchset-

zung dieser Grundsätze am Gesetz notwendig sind, wird
noch gründlicher nachzudenken sein. Zwei Forderungen
halte ich allerdings im Moment für unabdingbar: Die Un-

terhaltsbeiträge müssen sich wieder dem Niveau nähern,
das dem Arbeitslosengeld entsprechen würde. Und das
dafür aufzunehmende Darlehen darf maximal die Hälfte
des erforderlichen Betrages ausmachen und muss als zins-
loses staatliches Darlehen gewährt werden.

Im Übrigen enthält der Gesetzentwurf der CDU/CSU-
Fraktion eine ganze Reihe von Vorschlägen, die ich für
richtig halte. Das betrifft vor allem die erweiterten Mög-
lichkeiten für Ausländerinnen und Ausländer sowie
Frauen, an den Fördermaßnahmen teilzunehmen, sowie
die Verbesserung der Bedingungen für Teilzeitformen bei
der Fortbildung.

Da unsere heutige Debatte zur beruflichen Aufstiegs-
fortbildung im Grunde parallel zur Debatte über die Rah-
menbedingungen des Hochschulstudiums verläuft, liegt
mir auch daran, Folgendes klarzustellen: Die Bemühun-
gen um die Durchsetzung und den Ausbau der Fortbil-
dungsförderung standen von Anfang an unter dem Motto
„Gleichwertigkeit von akademischer und beruflicher Bil-
dung“. Mit der Anbindung der beruflichen Fortbil-
dungsförderung an das studentische BAföG sollte die-
sem Motto Rechnung getragen werden.

Diese Anpassung an die Förderung im Hochschulbe-
reich ist jedoch äußerst einseitig erfolgt: Übernommen
wurde im Wesentlichen die bedenkliche Seite, nämlich
die Festsetzung des Unterhaltsbedarfs, die in keiner Weise
die im Vergleich zu den meisten Studierenden gänzlich
anderen Lebensumstände der Teilnehmer an Fortbil-
dungsmaßnahmen berücksichtigt. Dort, wo eine Anglei-
chung im Sinne der Fortbildungswilligen läge, hat man
das nicht aufgegriffen. Denn konsequente Gleichstellung
der Förderung von beruflicher Fortbildung mit der des
Hochschulstudiums hieße doch: gebührenfreie Teilnahme
an den Maßnahmen der beruflichen Fortbildung und eine
Unterhaltsregelung, die zur Hälfte aus Zuschuss und zur
anderen Hälfte aus einem zinslosen staatlichen Darlehen
besteht. Von einer solchen Regelung sind jedoch sowohl
das geltende Gesetz als auch der vorliegende Reformvor-
schlag der CDU/CSU weit entfernt. Offenbar soll die
Gleichwertigkeit in der Förderung von akademischer und
beruflicher Bildung sich auf dem niedrigeren Niveau öf-
fentlicher Verantwortung bewegen, wie sie im Bereich der
beruflichen Fortbildung gegeben ist.

Die PDS wird sich für den entgegengesetzten Weg ein-
setzen: Sicherung und Verbesserung der sozialen Rah-
menbedingungen des Hochschulstudiums und Heranfüh-
rung der beruflichen Fortbildung an die dort geltenden
bzw. auszubauenden Standards.


(Beifall bei der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1413110800
Der Kollege
Christian Lange spricht nunmehr für die SPD-Fraktion.


Christian Lange (SPD):
Rede ID: ID1413110900
Herr Präsident!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Für das Jahr
2001 haben wir 70 Millionen DM für das Meister-BAföG
bereitgestellt. Weitere 10 Millionen DM haben wir im
Rahmen der Novellierung des AFBG vorgesehen. Mit
diesen 80 Millionen DM haben wir die Voraussetzungen
für die Neuordnung des Meister-BAföG geschaffen, das






(C)



(D)



(A)



(B)


damit auch dem novellierten Studenten-BAföG gleichge-
stellt wird. Unser Ziel ist es, beide Novellen gleichzeitig
in Kraft treten zu lassen. Das ist ein wichtiger Punkt. Das
ist praktisch geübte soziale Gerechtigkeit, die an diesem
Beispiel zwischen gewerblichem Nachwuchs auf der ei-
nen Seite und akademischem auf der anderen Seite deut-
lich wird. Das ist ein Grund zur Freude.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, wir werden das Aufstiegs-
fortbildungsförderungsgesetz mit diesen zusätzlichen
Mitteln zügig novellieren können. Das ist auch dringend
nötig, da sich die hohen Erwartungen – wir haben es jetzt
mehrfach von allen Seiten des Hauses gehört – bisher in
keinster Weise erfüllt haben: Weder bei der Geförderten-
zahl – statt avisierten 90 000 Anträgen pro Jahr waren es
nur knapp 43 000 – noch bei den Existenzgründungen
ging es aufwärts. Das heißt, die Erwartungen sind nicht
erfüllt worden. Die geringe Akzeptanz des Meister-
BAföG wird durch gravierende Konstruktionsfehler her-
vorgerufen, die die damalige Regierung Kohl in ihrem
Gesetzentwurf begangen hat. Mit diesem Teil der Wahr-
heit, meine Damen und Herren von der Opposition, setzen
Sie sich äußerst ungerne auseinander.


(Werner Lensing [CDU/CSU]: Unser Antrag ist der Gegenbeweis!)


Stattdessen wird jetzt nach dem Motto „Wünsch dir was!“
ein neuer Gesetzentwurf zur Änderung des AFBG einge-
bracht.

Schon in der Vergangenheit – hier handelt es sich ja
zum Teil um eine historische Debatte – haben Sie sich
nicht mit Ruhm bekleckert, wenn man die Akzeptanz des
Meister-BAföG zum Maßstab nimmt. Das AFBG trat in
der Tat, Frau Kollegin Schriftführerin Aigner, am 1. Ja-
nuar 1996 in Kraft, nachdem die CDU/CSU und die F.D.P.
Anfang der 90er-Jahre –


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1413111000
Keine Dis-
kussionen mit dem Präsidium.


(Heiterkeit)



Christian Lange (SPD):
Rede ID: ID1413111100
– bei fliegendem
Wechsel sei es mir gestattet – das Meister-BAföG sogar
aus dem AFG gestrichen hatten. Daran lässt sich die
tatsächliche Wertschätzung, die Sie für den Nachwuchs
im Handwerk hegen, am besten messen.

Ich wiederhole: Gut drei Jahre hat die Regierung Kohl
die Meisteranwärter im Regen stehen lassen. Auch das ist
eine Wahrheit.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Erst auf Druck auch des Bundesrates, insbesondere der
Länder Niedersachsen, Bayern und Baden-Württemberg,
kam die Sache dann ins Rollen.


(Werner Lensing [CDU/CSU]: CDU-regiert, die meisten!)


– Nein, angeführt vom Bundesland Niedersachsen. Ich er-
innere mich ganz genau. Ich hatte nämlich damals die
Ehre, das Land Baden-Württemberg in der Sache zu ver-
treten. An der Spitze stand Ministerpräsident Schröder.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU)


Obwohl die geringe Inanspruchnahme auch den Abge-
ordneten der CDU/CSU bekannt war, haben Sie während
Ihrer Regierungszeit keine gezielten Maßnahmen zur Ver-
besserung des AFBG vorgenommen. Vergleicht man den
Jahresbeginn mit dem Oktober des Jahres 2000, stellt man
fest, dass es einen Abfluss von ungefähr 66,5 Prozent gab.
Einen derart geringen Abfluss gab es bereits in den ver-
gangenen Jahren. Sie hätten also durchaus tätig werden
können.

An dieser Stelle knüpft Ihr Gesetzentwurf an – aller-
dings, wie gesagt, nach dem Motto „Wünsch dir was!“.
Ihr Gesetzentwurf sieht zum Beispiel einen Unterhalts-
beitrag auch für Teilnehmer in Teilzeitform sowie einen
generellen Zuschuss von 50 Prozent vor. Der Maßnahme-
beitrag, der bisher als Darlehen vergeben wurde, soll nach
Ihren Vorstellungen ebenfalls zu 50 Prozent als Zuschuss
geleistet werden. Allein diese Maßnahme würde nach un-
seren Schätzungen zwischen 80 und 140 Millionen DM
Mehrbedarf erfordern.

Herr Kollege Lensing, was haben Sie zu solchen For-
derungen vor drei oder vier Jahren gesagt? Der Kollege
Dr. Rossmann hat Sie bereits zitiert. Ich will sein Zitat
wiederholen:

Bekanntlich ist für eine Opposition nichts einfacher
als dies: Sie träumt von Idealvorstellungen, weckt in
verantwortungsloser Weise völlig unrealistische Er-
wartungen, erhebt zugleich die höchsten finanziellen
Forderungen an den Bund.

So weit, so wahr.
In Ihrer damaligen Rede haben Sie noch etwas anderes

gesagt – erinnern Sie sich? –:
Gleichzeitig beweist die Opposition ihre finanzwirt-
schaftliche und finanzpolitische Inkompetenz.

Dem ist nichts hinzuzufügen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Durch die zusätzlich zur Verfügung gestellten 10 Mil-

lionen DM können wir diese wichtige Reform nun in
Gang setzen. Wir werden damit die Akzeptanz des Meis-
ter-BAföG gezielt und pragmatisch verbessern. Neben
Verfahrensvereinfachungen sowie einer verbesserten För-
derung für Familien, Frauen, Alleinerziehende und aus-
ländische Fachkräfte ist insbesondere die Verbesserung
der Existenzgründungskomponente bzw. der Mittelstand-
komponente wichtig. Dafür werden wir uns einsetzen.

Zur Verbesserung der Mittelstandskomponente stre-
ben wir eine Verlängerung der Fristen zur Unternehmens-
gründung und zur Einstellung von zwei Beschäftigten
beim Darlehenserlass an, damit Existenzgründer mehr




Christian Lange (Backnang)

12638


(C)



(D)



(A)



(B)


Zeit für die Gründung haben. Vor Ablegung der Prüfung
erfolgte Existenzgründungen wollen wir besonders berück-
sichtigen. Des Weiteren streben wir – ich möchte an die-
ser Stelle nur einige wenige Beispiele nennen – eine
Erhöhung des Vermögensfreibetrags sowie die Einbezie-
hung der Kosten des Meisterstücks an. Wir wollen damit
Mut machen, sich im Handwerk selbstständig zu machen.

Die notwendigen Novellierungen werden wir zügig
umsetzen. Durch die Verbesserung der Förderbedingun-
gen für das Meister-BAföG wird gerade für Existenz-
gründer ein wichtiges Zeichen gesetzt. Das brauchen wir
angesichts von 300 000 Betrieben, die zur Übernahme an-
stehen – davon allein 200 000 im Handwerk –, dringend.
Deshalb werden wir das AFBG novellieren: realistisch,
pragmatisch und praxisorientiert.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1413111200
Das Wort
hat nunmehr der Kollege Werner Lensing für die CDU/
CSU-Fraktion.


(Brigitte Wimmer [Karlsruhe] [SPD]: Die alte Rede kann er aber nicht mehr halten!)



Werner Lensing (CDU):
Rede ID: ID1413111300
Ich sollte an sich die
alte Rede halten, weil die vorgetragenen Zitate für ihre
Qualität sprechen; schließlich werden sie nach Jahren von
der anderen Seite aufgegriffen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen!

Meine Kollegen! Bei all den hier vorgetragenen Bewer-
tungen – ich meine nicht zuletzt diejenigen, die seitens der
SPD und der Grünen geäußert wurden – wird eines völlig
übersehen: die sensationelle Leistung, die darin bestand,
dass wir unter der Kohl-Regierung erstmals in der Ge-
schichte der Bundesrepublik Deutschland eine Auf-
stiegsfortbildungsförderungsgesetzgebung in Gang ge-
setzt haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Dr. Klaus Rose [CDU/CSU]: Richtig!)


Die SPD hat sich damit unglaublich schwer getan. Vorhin
ist Niedersachsen angesprochen worden. Ich glaube noch
genau in Erinnerung zu haben, dass der damalige Minis-
terpräsident Schröder kein Förderer dieser Idee war.

Außerdem ist es nach meinem Verständnis sehr wich-
tig, Herr Dr. Rossmann, auf Folgendes hinzuweisen: Es ist
nicht in Ordnung, von Fehlern zu sprechen. Das, was wir
neu geschaffen haben, war sensationell.


(Unruhe bei der SPD)

– Unruhe ist überhaupt kein Zeichen von Souveränität. –
Sie haben diesen Gesetzentwurf auf den Weg gebracht,
ohne in diesem Bereich über einen Erfahrungshorizont zu
verfügen. Beispielsweise hatten Sie keinerlei Rückmel-
dung seitens der Handwerkerschaft. Daher ist es selbst-
verständlich, dass es neue Anregungen gibt. Wir haben
prompt gehandelt. Wie Sie wissen, haben wir schon ganz

früh, nämlich kurz nachdem Sie die Regierung – aus
Gründen, die für mich nicht ganz durchschaubar sind –
übernommen haben,


(Heiterkeit bei der CDU/CSU, der SPD und der F.D.P.)


Änderungen vorgenommen, die nicht auf der Erkenntnis
von Fehlern, sondern auf der Erkenntnis von Erfahrun-
gen beruhen. Deswegen sage ich Ihnen: Die Opposition
von damals, der mein Zitat galt, und die Opposition von
heute unterscheiden sich eindeutig in den Ansprüchen,
die wir an uns selbst stellen, im Hinblick auf Qualität und
Niveau.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der F.D.P.)


Das eigentliche Ärgernis möchte und muss ich leider
auch ansprechen. Wir hatten damals die Idee gehabt. Wir
haben gemerkt: Nicht alles war von vornherein richtig.
Wir haben gelernt, Erfahrungen zu berücksichtigen, und
haben sehr früh detaillierte Verbesserungen eingebracht.
Man hätte erwarten können, dass die Bundesregierung die
wohl gemeinten und vernünftigen Empfehlungen, die sie
selbst in ihrem Bericht über die Umsetzung und Inan-
spruchnahme des Aufstiegsfortbildungsförderungsgeset-
zes eingebracht hat, jetzt auch umsetzen würde. Die trau-
rige Wirklichkeit besteht darin, dass in diesem Bereich
seit 17 Monaten nichts – wirklich gar nichts – getan
wurde. Seit immerhin 17 Monaten warten wir auf Initiati-
ven der Regierung, seit 17 Monaten! Ich muss das leider
sagen. Es tut mir für Sie Leid, zumindest ein bisschen:
kein Vorschlag, keine Initiative, keine Novelle! Von einer
Neuregelung also auf der ganzen Linie keine Spur.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Heute legt die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wie-

derum eine ganz konkrete Neuregelung vor, die erneut
alle relevanten Vorschläge aus dem Bericht der Bundes-
regierung – der Bundesregierung! – aufgreift. Ich finde,
es zeugt von geistiger und moralischer Reife der Opposi-
tion,


(Heiterkeit bei der CDU/CSU, der SPD, der F.D.P. und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


dass sie den Bundesratsbeschluss vom vergangenen
Herbst berücksichtigt und darüber hinaus die Anregun-
gen von verschiedenen regionalen Handwerkskammern,
der BDA und des DIHT aufgreift.

Über die Jahre hinweg hat sich gezeigt, dass viele Er-
wartungen schon erfüllt wurden. Es ist verständlich, dass
das Handwerk hier und da überrascht war, weil man noch
gar nicht wusste, in welchem Ausmaß die damalige Re-
gierung die Bestrebungen zum Meister-BAföG und zur
Anerkennung der Gleichwertigkeit von allgemeiner und
beruflicher Bildung nach vorne treiben würde. Ich muss
aber noch einmal deutlich sagen: All das, was Herr
Dr. Rossmann eben in – wenn ich das einmal so sagen
darf – vorauseilendem Gehorsam hier angeführt hat, war
inhaltlich mit unseren Vorschlägen konform: Ich will
nicht sagen, Sie hätten von dem abgekupfert, was wir
schon im Mai eingebracht haben,


(Lachen bei der SPD)





Christian Lange (Backnang)


12639


(C)



(D)



(A)



(B)


aber unsere Vorschläge haben bei Ihnen in der Tat Nach-
denklichkeit erregt. Deswegen freue ich mich, dass Sie sie
wahrscheinlich auch in Ihrer Gesetzgebung berücksichti-
gen wollen.

Warum das alles bisher gescheitert ist, ist an sich trau-
rig: Das liegt nämlich an den Verteilungs- und Gra-
benkämpfen innerhalb des Ministeriums, das im Moment
von Herrn Staatsekretär Catenhusen repräsentiert wird.
Schließlich blieb – nachdem man im Vorfeld gesagt hatte,
dass man das alles erhöhen bzw. geradezu verdoppeln
wolle – der finanzielle Nachschlag für den Bildungs- und
Forschungsbereich aus dem Verkauf der UMTS-Lizenzen
in der erhofften Höhe bisher aus.

Ich muss allerdings mit der mir schon immer eigenen
objektiven Betrachtungsweise auch sagen, dass meine
Kritik in gleichem Maße dem Bundesminister für Wirt-
schaft gilt. Abgesehen davon, dass aufgrund der zu Recht
immer wieder betonten Gleichwertigkeit von allgemeiner
und beruflicher Bildung und der dadurch naturgemäß ge-
gebenen Parallelität des Meister-BAföG zum Studenten-
BAföG die finanzielle Zuständigkeit für die Aufstiegs-
fortbildungsförderung ausschließlich im Bereich des
Bildungsministeriums liegen sollte – was leider nicht der
Fall ist –, fehlt es Minister Müller auch am notwendigen
politischen Willen zur unabdingbaren Novellierung des
AFBG. Ich könnte das an mehreren Beispielen kundtun,
muss jedoch an dieser Stelle nur sagen: Die logische
Folge dieses Streits zwischen den beiden Ministerien ist
das Scheitern der Absprachen zwischen beiden Ministern,
um gemeinsam die Eckwerte zu einer Reform des
Meister-BAföG festzulegen.


(Dr. Klaus Rose [CDU/CSU]: Da hat er Recht!)


In der Summe ergibt sich: Beide verantwortlichen
Minister lassen die der Novellierung des Meister-BAföG
angemessene Bedeutung vermissen. Eine Neuregelung
schien somit lange – ich habe es ja schon sagen müssen:
17 Monate lang – nicht in Sicht.

Doch siehe da – man könnte auch sagen: potztausend –,
am vorletzten Wochenende geschah etwas völlig Überra-
schendes: Laut Deutscher Presse-Agentur existiert im Bil-
dungsministerium doch tatsächlich nach eineinhalb Jahren
ein Referentenentwurf zur Neuregelung der Aufstiegsfort-
bildungsförderung. Darin hat die Bundesregierung in fast
wortwörtlicher Übereinstimmung mit dem, was wir seiner-
zeit vorgetragen haben, Eckpunkte zusammengetragen.


(Wolf-Michael Catenhusen, Parl. Staatssekretär: Schön, dass Sie ihn kennen!)


– Das ist unsere Informationsmöglichkeit, die wir sehen. –
Allerdings bleibt dieser Erkenntnisgewinn auf halbem
Wege stehen; denn es finden sich tatsächlich einige
abenteuerlich anmutende Änderungsvorschläge in diesem
Entwurf. Jetzt seien Sie nicht erschüttert, Herr
Catenhusen, aber ich muss sie einfach benennen und auch
bewerten. Die Festlegung der neuen Höchstgrenzen der
Maßnahmebeiträge auf 17 Prozent ist absolut beliebig.
Das Limit bei der Vergabe von Darlehen für die Kosten ei-
nes Meisterstücks bis zu 3 000 DM erscheint gänzlich
willkürlich. Die Nichtgewährung eines Unterhaltsbeitra-
ges bei Teilzeitmaßnahmen ist in jeder Beziehung famili-

enfeindlich. Schließlich: Der Verzicht auf die Streichung
der Vermögensanrechnung im Bewilligungsverfahren
verhindert eine dringend erforderliche und von uns schon
immer gewünschte Verfahrensvereinfachung.

Man merkt dem Referentenentwurf also sogleich die
politischen Vorgaben, die lediglich den Kostenfaktor im
Blick haben, deutlich an. Es ist allgemein bekannt, dass
einzig und allein finanzielle Erwägungen für die Verzöge-
rungstaktik verantwortlich sind.

Ich fasse zusammen:
Erstens. Eine Novellierung der Aufstiegsfortbildung

im Sinne unseres Antrages und eine damit verbundene
Bereitstellung zusätzlicher Mittel wären der entschei-
dende und wichtige Schritt auf dem Weg zur bereits lange
geforderten und dringend benötigten Existenzgründer-
tätigkeit.

Zweitens. Nehmen Sie die Äußerung Ihres Kollegen
Christian Lange – es tut mir Leid, dass ich sie erwähnen
muss – ernst, der noch am 29. Oktober in einem dpa-Ge-
spräch angekündigt hatte, die SPD wolle das Meister-
BAföG gleichzeitig mit dem Studenten-BAföG refor-
mieren. Ich bitte Sie – auch aufgrund Ihrer eigenen
Ausführungen und Appelle – um Zusammenarbeit. Ver-
weigern Sie sich nicht unserem Antrag. Wenn Sie das tun,
werden Sie sich später zu Recht fragen lassen müssen,
warum Sie weitere kostbare Zeit verschwendet haben, eine
dringende Reform zügig und angemessen umzusetzen.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und freue
mich, nun Frau Aigner im Präsidium ablösen zu dürfen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1413111400
Herr Kollege
Lensing, ich habe Ihre Redezeit etwas verlängert. Ich
dachte, die Koalitionsfraktionen seien damit einverstanden.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sind wir auch! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Es war ja atmosphärisch ein Genuss! Inhaltlich na ja!)


Ich gebe jetzt dem Parlamentarischen Staatssekretär im
Bundesministerium für Bildung und Forschung, Wolf-
Michael Catenhusen, das Wort.

W
Wolf-Michael Catenhusen (SPD):
Rede ID: ID1413111500
Herr
Präsident! Meine Damen und Herren! Die Debatte hat,
denke ich, zwei Dinge gezeigt.

Erstens. Es gibt ein hohes Maß an Übereinstimmung
zwischen der Bundesregierung und den Koalitionsfrak-
tionen sowie zwischen den Wirtschafts- und den Bil-
dungspolitikern in dieser Koalition darüber, was aus
bildungs- und aus wirtschaftspolitischer Sicht der Re-
formbedarf beim Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz
ist. Ich bedanke mich für die Bekundung dieser Überein-
stimmung. Denn damit ist klar, dass die Bundesregierung
das, was sie im letzten Jahr in der Debatte schon an-
gekündigt hat, einlösen wird.




Werner Lensing
12640


(C)



(D)



(A)



(B)


Zweitens. 2001 ist das Jahr, in dem die Reform des
BAföG von diesem Haus beschlossen werden wird, und
das Jahr, in dem die Reform des Meister-BAföG, des
AFBG, von diesem Parlament beschlossen werden wird.
Das waren meine Ankündigungen und das werden wir
einlösen. Wir lassen uns in unseren Vorhaben und Pla-
nungen auch nicht von den Fingerübungen der Opposition
beirren. Denn, lieber Kollege Lensing, bei allen Versu-
chen, jetzt wieder neue Mythologien über die Wunderta-
ten der Regierung Kohl aufzubauen – dahinter steckt nur
eines: Sie versuchen, schrittweise nachzubessern und der
Öffentlichkeit, die in den letzten 16 Jahren über die Ent-
wicklung in diesem Bereich abgrundtief enttäuscht war,
Ihre Lernfähigkeit zu demonstrieren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zur Kollegin Pieper nur einen Satz: Frau Kollegin
Pieper, ich habe in finanzpolitischen Fragen noch nichts
Unsolideres gehört als den Vorschlag der F.D.P., Leis-
tungsgesetze über UMTS-Erlöse finanzieren zu wollen.
Gehen Sie ein bisschen in sich und fragen Sie sich, ob ein
Finanzpolitiker Ihrer Fraktion, wenn er neben Ihnen säße,
Ihnen dies durchgehen lassen würde. Ich denke, dieses
Wolkenschieben und diese Showeffekte sollten Sie für die
Zukunft Herrn Möllemann überlassen. Ansonsten müsste
ich annehmen, dass Frau Pieper sozusagen in einen Show-
wettbewerb mit Herrn Möllemann eingetreten ist.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1413111600
Herr Staats-
sekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin
Pieper?


(Detlev von Larcher [SPD]: Nur wenn sie bis zum Schluss der Sitzung hier bleibt! – Heiterkeit!)


W
Wolf-Michael Catenhusen (SPD):
Rede ID: ID1413111700
Bitte
schön.


Cornelia Pieper (FDP):
Rede ID: ID1413111800
Ich sehe, Sie haben Freude
daran, dass ich eine Frage stelle. Ich mache es aber kurz.

Können Sie sich entsinnen, dass die Frau Ministerin zu
Beginn der Legislaturperiode gesagt hat, sie wolle die Zu-
kunftsinvestitionen verdoppeln, und sie sich dabei auf die
Ausbildungsförderung und demnach auch auf das
Meister-BAföG bezogen hat? Von einer Verdoppelung der
Ansätze im Haushalt Ihres Hauses kann man aber nichts
feststellen. Deshalb möchte ich Sie fragen: Warum ver-
folgen Sie dieses Ziel bei der Ausbildungsförderung nicht
intensiver?

W
Wolf-Michael Catenhusen (SPD):
Rede ID: ID1413111900
Ange-
sichts einer Etatsteigerung in Höhe von 1,2 Milliar-
den DM im nächsten Jahr für unser Haus nehme ich diese
Diskussion mit Ihnen gelassen auf. Die Zahlen sprechen
für unsere Erfolge.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Meine Damen und Herren, es gibt sechs Bausteine die-
ser BAföG-Reform, über die sich die Regierung mit den
Koalitionsfraktionen einig ist:

Erstens. Der Kreis der förderfähigen Fortbildungen ist
zu eng und muss erweitert werden. Dies gilt vor allem für
den Bereich der Gesundheits- und Pflegeberufe, für staat-
lich anerkannte Ergänzungsschulen sowie andere Berei-
che. Wir brauchen hier eine Öffnung des Gesetzes.

Zweitens. Wir müssen die Förderung für Fortbildungs-
teilnehmer mit Familie sowie für Frauen und Alleinerzie-
hende verbessern.

Drittens. Die Existenzgründungskomponente des Ge-
setzes – der Darlehenserlass – muss realistischer und at-
traktiver ausgestaltet werden.

Viertens. Wir müssen eine günstigere und umfassen-
dere Förderung der Fortbildungsmaßnahmen im Gesetz
verankern.

Fünftens. Die Begrenzung der Förderung auf eine erste
Fortbildung muss im Hinblick auf eine Öffnung auch für
sinnvolle und weiterführende Zweitfortbildungen über-
prüft werden.

Sechstens. Der viel zu geringe Anteil von Ausländern
an der Gesamtzahl der Geförderten muss durch erleich-
terte Fördervoraussetzungen gesteigert werden.

Ich denke, dass vor dem Hintergrund der im Kabinett
am 27. September 2000 verabschiedeten BAföG-Reform
– entgegen ihren eigenen Aussagen kennt Frau Pieper den
Gesetzentwurf – unter dem Gesichtspunkt der Gleichwer-
tigkeit von allgemeiner und beruflicher Bildung auch über
weitere Änderungen, wie etwa eine Modifizierung der
Darlehensbedingungen, eine stärkere Berücksichtigung
der Zeiten der Kindererziehung, eine Einbeziehung von in
Deutschland lebenden ausländischen Ehegatten deutscher
Staatsangehöriger sowie eine verbesserte Förderung von
Fortbildungen im Ausland nachgedacht werden muss.

Sie wissen, dass durch die Entscheidung des Wirt-
schaftsausschusses, für das Jahr 2001 eine erste Rate in
Höhe von 9 Millionen DM politisch zu befürworten,
haushaltsmäßig eine Basis dafür geschaffen ist, um im
laufenden Haushaltsjahr 2001 einen Einstieg in die No-
vellierung zu finden. Es ist uns allen klar, dass wir für die
nächsten drei Jahre über andere finanzielle Größenord-
nungen reden müssen. Darüber wird die Regierung mit
den Koalitionsfraktionen in den nächsten Wochen reden.
Der Gesetzgeber wird bei seinen Entscheidungen selbst-
verständlich die finanziellen Spielräume im Auge haben
müssen.

Zu diesem Punkt möchte ich ein paar Bemerkungen
zum Gesetzentwurf der CDU/CSU machen:

Erstens. Ihr Gesetzentwurf ist nicht seriös berechnet.
Unsere Schätzungen belaufen sich auf Mehrkosten von
150 bis 190 Millionen DM. Ich sage Ihnen ganz deutlich:
Wer versucht, die Fehler der Vergangenheit dadurch zu
kompensieren, dass er jetzt finanziell überzogene Forde-
rungen stellt, diskreditiert seine Glaubwürdigkeit auch bei
denjenigen, die die Lernfortschritte der Opposition durch-
aus konstatieren und zur Kenntnis nehmen.


(Beifall bei der SPD)





Parl. StaatssekretärWolf-Michael Catenhusen

12641


(C)



(D)



(A)



(B)


Zweitens. Ich glaube, dass Sie mit einer Reihe von Vor-
schlägen nicht dem Ziel dienen, eine Verwaltungsver-
einfachung zu realisieren, da nach Ihren Vorstellungen in
allen Fällen von Teilzeit eine Prüfung der Einkom-
mensverhältnisse des Teilnehmers einer Maßnahme so-
wie seines Ehegatten erforderlich würde. Ob das ein Bei-
trag zur Verwaltungsvereinfachung ist, wissen wir nicht.

Wir müssen daran festhalten, dass mit dem AFBG ein
erfolgreicher Abschluss der Fortbildung bezweckt wird.
Die Vergünstigungen des Darlehenserlasses können des-
halb nur bei bestandener Abschlussprüfung und nicht wie
in Ihrem Entwurf vorgesehen – vielleicht ist das unbeab-
sichtigt geschehen – allein bei einer Existenzgründung
gewährt werden. Beide Kriterien müssen erfüllt werden.
Orientieren Sie sich doch bitte an einem zukunftsweisen-
den Bild des Arbeitsmarktes und geben Sie Ihre aus-
schließliche Orientierung an potenziellen Existenzgrün-
dern aus dem Handwerksbereich auf; denn das AFBG
zielt auch auf Aufstiegsfortbildung von Technikern und
Betriebswirten ab.

Ich möchte zwei Abschlussbemerkungen machen. Die
erste richte ich vor allem an die Adresse der Kollegin von
der PDS. Wir sollten nie vergessen: Das AFBG ist ein Leis-
tungsgesetz, das sich an bildungspolitischen Zielen und
auch an der Förderung von Existenzgründern orientiert. Es
ist primär kein Gesetz, mit dem die Unterhaltsleistungen
für Familien verbessert werden sollen. Wir müssen bei un-
seren Reformmaßnahmen die Balance wahren. Diese Re-
gierung tut schon auf anderen Feldern viel für Familien mit
Kindern. Das muss hier berücksichtigt werden.

Zweitens. Kollege Lensing, Sie sollten sich genau
überlegen, wie Sie uns kritisieren wollen. Auf der einen
Seite behaupten Sie, die Regierung folge Ihren Vorschlä-
gen. Auf der anderen Seite streichen Sie heraus, dass Sie
sich auf unsere Positionen, die auf dem Erfahrungsbericht
der Bundesregierung und den von mir im letzten Jahr vor-
getragenen Eckpunkten basieren, zubewegen. Ich bin zu-
versichtlich, dass Sie uns dann, wenn die Bundesregie-
rung ihren Gesetzentwurf im kommenden Frühjahr
einbringt und hier zur Diskussion stellt, neidlos zugeste-
hen müssen, dass unser Gesetzentwurf ein rundum gelun-
gener Reformentwurf ist.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1413112000
Ich schließe
die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetz-
entwurfes auf Drucksache 14/4250 an die in der Tages-
ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. –
Anderweitige Vorschläge liegen nicht vor. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 a bis 20 c auf:
20 a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-

gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Ergänzung des Steuersenkungsgesetzes Steuer-
senkungsergänzungsgesetz – StSenkErgG)
– Drucksachen 14/4217, 14/4293 –


(Erste Beratung 124. Sitzung)

aa) Beschlussempfehlung und Bericht des

Finanzausschusses (7. Ausschuss)

– Drucksache 14/4547 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Nicolette Kressl
Hans Michelbach
Gerhard Schüßler


(8. Ausschuss)

– Drucksache 14/4562 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Hans Jochen Henke
Hans Georg Wagner
Oswald Metzger
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Uwe-Jens Rössel

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) zu
dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU
Mittelstand entlasten – Steuersenkungsgesetz
nachbessern
– Drucksachen 14/4285, 14/4547 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Nicolette Kressl
Hans Michelbach
Gerhard Schüßler

c) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen
SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung
der Bemessungsgrundlage für Zuschlagsteuern
– Drucksache 14/3762 –

(Erste Beratung 118. Sitzung)

aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Fi-

nanzausschusses (7. Ausschuss)

– Drucksache 14/4546 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dieter Grasedieck
Abgeordnete Jochen-Konrad Fromme
Abgeordnete Dr. Barbara Höll


(8. Ausschuss)

– Drucksache 14/4563 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Hans Jochen Henke
Abgeordnete Hans Georg Wagner
Abgeordnete Oswald Metzger
Abgeordnete Dr. Günter Rexrodt
Abgeordnete Dr. Uwe-Jens Rössel

Die Fraktionen haben sich auf eine Redezeit von
75 Minuten verständigt. – Ich höre keinen Widerspruch.
Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und gebe der Kollegin
Nicolette Kressl das Wort für die SPD-Fraktion.




Parl. StaatssekretärWolf-Michael Catenhusen
12642


(C)



(D)



(A)



(B)



Nicolette Kressl (SPD):
Rede ID: ID1413112100
Herr Präsident! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Durch zusätzliche Steuersenkungen
in Höhe von 6,8 Milliarden DM werden wir heute die im
Juli beschlossenen Vereinbarungen, die im Zusammen-
spiel von Bund und Ländern ermöglicht haben, dass die
Steuerreform Gesetz wird, in konkrete Gesetzesform um-
setzen. Damit steigt die Höhe der gesamten Steuerentlas-
tungen allein durch das Steuersenkungsgesetz und die
heutige Ergänzung auf 62,5 Milliarden DM an.

Der Spitzensatz der Einkommensteuer sinkt auf
42 Prozent. Unternehmer werden – das ist nur einmal im
Leben möglich – lediglich mit dem halben durch-
schnittlichen Steuersatz belastet, wenn sie ab dem Alter
von 55 Jahren oder bei Berufsunfähigkeit ihre Betriebe
veräußern.

Nicht nur diese zusätzlichen Entlastungen, sondern das
gesamte Paket der Steuersenkungen ist von zwei wichti-
gen Leitlinien geprägt, die wir einhalten wollen:

Zum einen verbinden wir seriöse Haushaltspolitik und
Steuerentlastungen miteinander. Diese beiden Ziele
gleichzeitig zu erreichen ist keine leichte Aufgabe. Das
zeigt sich schon daran, dass der CDU/CSU-F.D.P.-Regie-
rung genau dies nie gelungen ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Darauf, dass wir das trotzdem geschafft haben, können
wir zu Recht stolz sein.

Zum anderen entlasten wir die verschiedenen Gruppen
von Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern gleichmäßig.
Wir halten das nicht nur für sozial gerecht, sondern auch
für wirtschaftlich sinnvoll. Durch die starke Entlastung
der Arbeitnehmer, der Familien und der kleinen Perso-
nenunternehmen, die besonders durch die starke Senkung
des Eingangssteuersatzes und die Erhöhung des Grund-
freibetrags erreicht wird, sorgen wir dafür, dass zukünf-
tig aufgrund der höheren Nettoeinkommen mehr ausge-
geben werden kann und die Binnennachfrage gestärkt
wird.

In diesem Zusammenhang lässt sich durch diese De-
batte vielleicht der Irrtum aufklären, dem die CDU/CSU
immer wieder unterliegt. Es wird nämlich behauptet, Ar-
beitnehmer und mittelständische Unternehmer würden
benachteiligt.


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: So ist es aber!)


Herr Michelbach mit seinen Äußerungen im Finanzaus-
schuss und Herr Lensing mit seinen Äußerungen zur
BAföG-Förderung scheinen sich dem Kreis der Märchen-
erzähler angeschlossen zu haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Zunächst wird die Ausbildungsförderung von der alten
Regierung gestrichen. Dann sprechen Sie von einer neuen
Regelung, wenn Sie sie wieder einführen wollen. Ähnli-
ches erleben wir auch beim Thema Steuerreform. Es
könnte aber sein, dass diese Behauptungen, die wir immer
wieder hören, nicht auf einem Irrtum beruhen, sondern

dass wider besseres Wissen eine Legende aufgebaut wer-
den soll.


(Beifall bei der SPD – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Bei Herrn Michelbach ist es absoluter Vorsatz!)


Wir entlasten nicht nur im Bereich der mittelständi-
schen Unternehmen, sondern in allen Bereichen werden
die Entlastungen im nächsten Jahr deutlich zu spüren sein.
Diese Aussage stellen wir nicht einfach nur in den Raum,
sondern sie ist auch überprüft worden. So hat die Wirt-
schaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft Arthur
Andersen aus genauen Beispielrechnungen folgenden
Schluss gezogen – ich zitiere –:

Alle Unternehmen werden unabhängig von ihrer
Rechtsform durch das Steuersenkungsgesetz und
seiner Ergänzung deutlich entlastet.

Wenn Sie schon unseren Zahlen und denen des Finanzmi-
nisteriums nicht glauben, dann sollten Sie aber wenigs-
tens diese Rechnungen nachvollziehen.


(Detlev von Larcher [SPD]: Das können die nicht!)


Für eine Steuerreform ist auch die Tatsache entschei-
dend, dass Steuerentlastungen nur dann auf einer soliden
Basis stehen, wenn sie nicht durch unsolide Planungen auf
wacklige Füße gestellt werden. Wenn sie nämlich über
neue Schulden finanziert werden, dann würde das sehr
schnell zu neuen Belastungen – beispielsweise über Ge-
bühren und Abgaben oder aufgrund der belasteten Län-
derhaushalte – führen.

Mit dieser Steuerreform, jetzt sozusagen abgerundet
durch das heutige Gesetz,


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Abrundung?)

erreichen wir alle Steuerzahler; denn sie baut auf drei tra-
genden Säulen auf. Erste Säule: Mit der Senkung der Kör-
perschaftsteuer auf 25 Prozent entlasten wir Kapital-
gesellschaften. Zweite Säule: Mit der pauschalierten
Anrechnung der Gewerbesteuer entlasten wir die Perso-
nenunternehmen, die gewerbesteuerpflichtig sind. Dritte
Säule: Für die Personenunternehmen, die keine Gewerbe-
steuer zahlen, weil ihr Gewinn zu niedrig ist, und für die
Arbeitnehmer führen wir die Entlastung bei der Einkom-
mensteuer ein. Mit diesen drei Säulen ist es uns gelungen,
auf die verschiedenen Bedürfnisse der Steuerzahler einzu-
gehen und so Entlastungen für alle zu erreichen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich kann ja nachvollziehen, meine Damen und Herren
von der Opposition, dass es Ihnen nicht leicht fällt, diese
Leistung anzuerkennen; denn im Gegensatz zu Ihnen ist
es uns gelungen, diese Steuerentlastungen nicht nur ohne
Erhöhung der Nettoneuverschuldung, sondern auch ohne
Gegenfinanzierung durch eine Erhöhung der Mehrwert-
steuer, wie sie in Ihrem Konzept vorgesehen war, zu er-
reichen.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau daran muss man immer wieder erinnern! Das stimmt! – Gegenruf des Abg. Peter Rauen [CDU/CSU]: Ach du meine Güte!)







(C)



(D)



(A)



(B)


Indem wir die Steuerbelastung der Bürger verringern,
verbessern wir deren eigene Gestaltungsmöglichkeiten.
Gleichzeitig geben wir mit dem konsolidierten Haushalt
denjenigen Gestaltungsspielräume, die in der nächsten
Generation politisch verantwortlich sind. Es gibt also
Spielräume für den Einzelnen, aber auch für die Politik,
die die Gesellschaft gestalten will.

Wenn Sie so weiter gewirtschaftet hätten, hätten Sie
den Bürgern aufgrund der jährlichen Zinslasten in zwei-
stelliger Milliardenhöhe den Gestaltungsspielraum ge-
nommen. Man muss in diesem Zusammenhang schon die
Frage stellen dürfen, ob die jährliche Zinsbelastung nicht
bald in den dreistelligen Milliardenbereich gerückt wäre,
wenn die alte Regierung so weiter gemacht hätte.


(Peter Rauen [CDU/CSU]: Oh! – Detlev von Larcher [SPD]: Schuldenmacherpartei!)


Auch während der Beratungen zu diesem Gesetzent-
wurf haben wir nicht erkennen können, dass Sie diese
doppelte Aufgabenstellung überhaupt verstanden haben.
Wie leicht war es doch für Sie, einen Antrag nach dem an-
deren zu stellen, ohne sich um die Finanzierbarkeit zu
kümmern! Schon während der Beratungen zum Steuer-
senkungsgesetz schien Ihr Lieblingssport gewesen zu
sein, Steuerschlupflöcher wieder zu öffnen.


(Detlev von Larcher [SPD]: Sehr wahr! – Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Unsinn!)


Auch in diesem Gesetzgebungsverfahren ging es Ihnen
offensichtlich nicht darum, die Aspekte seriöser Haus-
haltspolitik zu berücksichtigen. Selbst die von Ihnen be-
fragten Sachverständigen bzw. Verbandsvertreter haben
in der Anhörung zu diesem Gesetzentwurf oft vorsichtig
argumentiert.


(Peter Rauen [CDU/CSU]: Bei welcher Anhörung waren Sie?)


Ich habe einmal das Protokoll dieser Anhörung nachgele-
sen, Herr Rauen. Ich zitiere einen der von Ihnen befragten
Sachverständigen:


(Peter Rauen [CDU/CSU]: War der vom DGB?)


Es stellt sich die Frage, ob die Absenkung des Tarifs
nicht ein bisschen spät ist.

Es ist doch klar, dass Verbandsvertreter Forderungen
über das hinausgehend stellen müssen, was auf dem Tisch
liegt. Diese Forderungen wurden sehr vorsichtig formu-
liert. Sie können nur deren Interessen wiederholen. Ich
halte es aber für entscheidend notwendig, dass wir, die wir
Politik machen, die Aufgabe wahrnehmen, die verschie-
denen Interessen abzuwägen und eine Balance zu finden.
Das haben Sie offensichtlich völlig vergessen.


(Beifall bei der SPD)

Diese Art des Handelns halten wir für wichtig. Diese Hal-
tung habe ich bei Ihnen während der Gesetzesberatungen
nicht erkennen können.

Wir sind sicher, dass wir uns bei dieser Steuerreform
im Hinblick auf die Balance richtig bewegen, was nicht
bedeutet, dass es nicht Themen gibt, die wir noch auf-
greifen werden. Wir haben deutlich gemacht, dass wir auf

die Frage der Alterssicherung beispielsweise von Han-
delsvertretern oder auch auf die Frage der Abfindung von
Arbeitnehmern, so es dabei um die Alterssicherung geht,
eingehen und Antworten finden werden.


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Das ist eine Ungleichbehandlung!)


Dieses Thema wird im Rahmen der Alterssicherung
berücksichtigt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/
CSU – die F.D.P. wird unserem Gesetzentwurf ja zustim-
men; das freut mich –, es wäre ein gutes Signal gewesen,
wenn auch Sie zugestimmt hätten. Denn wir haben uns ja
bei dem Gesetz, mit dem es den Kirchen ermöglicht wird,
Steuerausfälle, die aufgrund der Gewerbesteueranrech-
nung und des Halbeinkünfteverfahrens entstehen, zu ver-
meiden, auf eine gemeinsame Lösung verständigen kön-
nen. Ihre Zustimmung auch zum Steuerergänzungsgesetz
wäre gut gewesen.

Obwohl also ein gemeinsames Vorgehen nicht möglich
war, sind wir unabhängig von der Ablehnung der
CDU/CSU sicher, dass von diesem Steuerreformpaket die
notwendigen Impulse für die konjunkturelle Entwicklung
ausgehen werden. In jedem Fall gehen wir mit der heuti-
gen Entscheidung einen weiteren Schritt im Rahmen un-
serer solide finanzierten Reformpolitik. Auch dieser
Schritt wird der Weiterentwicklung in Deutschland gut
tun.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1413112200
Ich gebe für

die CDU/CSU-Fraktion dem Kollegen Hans Michelbach
das Wort.


Hans Michelbach (CSU):
Rede ID: ID1413112300
Sehr geehrter Herr
Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die
rot-grüne Steuerpolitik hat eine Teilung der Wirtschaft
vollzogen.


(Lachen des Abg. Detlev von Larcher [SPD])

Es ist eine Gerechtigkeitslücke entstanden.


(Detlev von Larcher [SPD]: Ach du liebe Zeit!)


Die Rechtsform der Unternehmen wird für eine steuerpo-
litische Ideologie missbraucht.


(Beifall bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Unsinn! – Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Käse!)


Es wird zwischen Unternehmen und Unternehmer unter-
schieden. Das ist ein falsches System.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Das ist ein Anschlag auf die Gleichmäßigkeit der Be-
steuerung.


(Lachen bei der SPD – Peter Rauen [CDU/CSU]: Genauso ist es! Das werdet ihr noch bitter spüren!)





Nicolette Kressl
12644


(C)



(D)



(A)



(B)


Eigentlich ist es Aufgabe der Steuerpolitik, Steuerzah-
lern kein Unrecht zuzufügen. Bei Ihrer Steuerreform müs-
sen Sie etwas verwechselt haben. Fakt ist doch, dass im
Unternehmensteuersenkungsgesetz die Kapitalgesell-
schaften im Vergleich zu den Personengesellschaften
massiv begünstigt werden.


(Beifall bei der CDU/CSU – Detlev von Larcher [SPD]: Das ist unwahr! – Jörg-Otto Spiller [SPD]: Er hat es immer noch nicht begriffen!)


Der heute vorliegende Entwurf eines Steuersenkungs-
ergänzungsgesetzes soll diese Ungleichbehandlung aus-
gleichen. Warum bringen Sie überhaupt einen solchen
Gesetzentwurf ein? Sie wollen damit versuchen, die Un-
gleichbehandlung, die Sie erkannt haben, wenigstens
zum Teil zu korrigieren.


(Detlev von Larcher [SPD]: Märchen!)

Diesem Ziel wird dieses Ergänzungs- und Korrekturge-
setz jedoch überhaupt nicht gerecht.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Chancengleichheit des Mittelstandes wird nicht

erreicht. Im Gegenteil: Es werden weitere Komplizierun-
gen in das Steuerrecht getragen und weitere Wettbe-
werbsverzerrungen erzielt.


(Detlev von Larcher [SPD]: Ach, herrje!)

Die Anwendung des halben durchschnittlichen Steuersat-
zes bei Betriebsveräußerungen und -aufgaben ist an
viel zu viele Voraussetzungen und Einschränkungen ge-
knüpft.


(Zuruf von der CDU/CSU: Jawohl! – Zuruf von der SPD: Genau richtig!)


Die Mindestbesteuerung mit dem Eingangssteuersatz
trifft – das ist besonders schlimm – gerade die kleinen und
mittelständischen Unternehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Detlev von Larcher [SPD]: Ach was! – Zuruf von der CDU/CSU: Genau das ist der Punkt!)


Durch diese Vorgabe wird nämlich bei einem Verheirate-
ten in einer Personengesellschaft ein Veräußerungsge-
winn bis 444 000 DM gar nicht unter die Begünstigung
des halben durchschnittlichen Steuersatzes fallen. Die Be-
troffenen meinen, dass sie jetzt den halben durchschnittli-
chen Steuersatz zu zahlen haben. Dann heißt es: Nein, das
ist falsch. Es besteht eine Mindestbesteuerung.


(Zuruf von der CDU/CSU: Mindeststeuer! Ja, richtig! 60,8 Prozent)


Das heißt, sie haben diesen halben durchschnittlichen
Steuersatz nicht. Sie haben Ihr Versprechen nicht gehalten.


(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

Es handelt sich um eine extrem mittelstandsfeindliche
Vorschrift,


(Detlev von Larcher [SPD]: Du liebe Zeit!)

die man nicht unterstützen kann.

Dieser halbe durchschnittliche Steuersatz soll auch nur
einmal im Leben Anwendung finden. Meine Damen und

Herren, was aber ist, wenn ein Unternehmer in den ver-
dienten Ruhestand gehen möchte, sein unternehmerisches
Engagement aber auf verschiedene Unternehmen verteilt
hat? Dann wird auf nur ein Veräußerungsgeschäft der
halbe durchschnittliche Steuersatz angewandt werden.
Auch das haben Sie nicht gesagt.


(Detlev von Larcher [SPD]: Diese arme Sau! – Peter Rauen [CDU/CSU]: „Diese arme Sau“, das muss festgehalten werden! Das verrät ihn!)


Das Fazit ist: Die Generationenbrücke funktioniert nicht.
Herr von Larcher, in Bezug auf Ihren Zuruf „Diese

arme Sau!“ möchte ich Ihnen nur sagen, dass es sich um
Leute handelt, die Arbeitsplätze zur Verfügung gestellt,
investiert und volkswirtschaftlich eine Leistung erbracht
haben. Diese Menschen können Sie so nicht bezeichnen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie wissen doch ganz genau, wie das gemeint war!)


Ebenso verhält es sich, wenn ein Einzelunternehmer
zwar nur ein Unternehmen besitzt, dieses jedoch an meh-
rere Erwerber veräußern möchte. In diesem Fall ist es be-
sonders schlimm. Er möchte seinen Betrieb veräußern, da-
mit dieser weitergeführt wird und damit die Arbeitsplätze
erhalten werden. Wenn er aber einen Erwerber findet, der
dies nur mit anderen zusammen leisten kann, dann unter-
liegt er mit lediglich einer Veräußerung an einen Erwerber
dem halben durchschnittlichen Steuersatz. Das heißt, auch
hier funktioniert das Ganze nicht. Die anderen Veräuße-
rungsgeschäfte unterliegen der Fünftelungsregelung. Das
heißt, es kommt bei dem Verkauf eines mittelständischen
Unternehmens zu einer Teilung. Das ist Irrsinn! Solch eine
Besteuerung bzw. Steuerpolitik ist Willkür. Hier ist weder
System noch sonst etwas vorhanden.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Besteuerung darf nicht von der Zahl der Erwerber

abhängen. Auch darf sie nicht davon abhängig sein, in wie
vielen Betrieben der Unternehmer sein unternehmeri-
sches Engagement verfolgt. Mit solchen Regelungen wer-
den ja nur missbräuchliche steuerliche Gestaltungen an-
geregt, die Sie dann wahrscheinlich wieder durch neue
– wahrscheinlich sogar unverhältnismäßige – Gesetze
eindämmen müssen. Durch solche aberwitzigen Gesetze
wird unser Steuersystem immer komplizierter und büro-
kratischer. Das heißt, es wird – sowohl für die Finanzver-
waltung als auch für die Steuerpflichtigen – kosteninten-
siver. Das Fazit ist: Der Steuerdschungel in Deutschland
wird durch Ihre Steuerpolitik immer undurchsichtiger.


(Zurufe von der SPD: Quatsch! Die Verwüster des Steuerrechts seid doch ihr!)


Auch die Umstrukturierungen bei den mittelständi-
schen Unternehmen, zum Beispiel wenn Personengesell-
schaften Anteile an Kapitalgesellschaften veräußern, wer-
den durch das Steuersenkungsergänzungsgesetz nicht
verbessert. Während die Kapitalgesellschaften ihre An-
teilsveräußerungsgewinne ab 2002 grundsätzlich völlig
steuerfrei vereinnahmen dürfen, müssen die mittelständi-
schen Unternehmen diese Gewinne nach dem Halbein-
künfteverfahren versteuern. Das Fazit ist: Chancenun-
gleichheit und Wettbewerbsverzerrungen zulasten der




Hans Michelbach

12645


(C)



(D)



(A)



(B)


Mittelstandsbetriebe werden in der deutschen Wirtschaft
immer größer.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die rot-grüne Bundesregierung hat bis heute keinen

objektiven Grund für diese Bevorteilung der Kapitalge-
sellschaften angeführt. Steuerexperten haben immer wie-
der bestätigt, dass eine Anteilsveräußerung keine Vollaus-
schüttung darstellt und sich die Steuerfreiheit somit nicht
aus dem System selbst erklärt. Die von der rot-grünen
Bundesregierung immer wieder genannte Begründung,
die thesaurierten Gewinne bei den Kapitalgesellschaften
würden geradezu zu Investitionen und Arbeitsplätzen im
Inland führen,


(Jörg Tauss [SPD]: Es hatte also doch einen Grund! Ich dachte, es gäbe keinen Grund!)


sind wohl eher ideologischer Natur, als dass sie auf ver-
lässlichen und nachvollziehbaren Daten beruhen. So hat
der Bundesfinanzhof in seinen vielen Entscheidungen
ausgeführt, dass jegliche Annahmen über zukünftige In-
vestitionen immer nur spekulativ sind. Das ist ein Vorge-
schmack darauf, wie die Gerichte Ihre völlig unsinnige
These auch in der Zukunft beurteilen werden.

Auch namhafte Verfassungsrechtler wie zum Beispiel
Professor Kirchhof haben die Bevorzugung der Kapitalge-
sellschaften bei den Anteilsveräußerungsgewinnen im-
mer wieder als stark verfassungsfragwürdig angesehen.


(Jörg Tauss [SPD]: Ein guter Zeuge, der Herr Kirchhof!)


Die CDU/CSU-Fraktion fordert die rot-grüne Bundes-
regierung deshalb auf, eine Gleichstellung der mittelstän-
dischen Unternehmen mit den Kapitalgesellschaften zu
erreichen und im eigenen Interesse einer Verfassungs-
klage vorzubeugen. Dies entspricht auch den Anträgen
der CDU/CSU, die wir zu diesem Gesetz eingebracht ha-
ben. Die mittelständische Wirtschaft wird die Dis-
kriminierung und Ungleichbehandlung nicht klaglos hin-
nehmen und sicher Verfassungsbeschwerden einreichen.

Weitere Benachteiligungen der mittelständischen Un-
ternehmen bei den Umstrukturierungen bestehen in fol-
genden Punkten:

Erstens. Keine vollständige Anwendung des Mit-
unternehmererlasses.

Zweitens. Die Senkung der Grenze für wesentliche
Beteiligungen im Rahmen des § 17 des Einkommensteu-
ergesetzes auf 1 Prozent macht es insbesondere den klei-
nen Kapitalgesellschaften und den Start-ups schwer, neue
Kapitalgeber zu finden.

Das Steuersenkungsergänzungsgesetz schafft nicht nur
im Rahmen der Umstrukturierungen keine Gleichheit mit
den Kapitalgesellschaften, sondern auch hinsichtlich des
Steuersatzes sind die Personengesellschaften und Einzel-
unternehmen weiterhin wesentlich benachteiligt. Die
Senkung des Spitzensteuersatzes bei der Einkommen-
steuer auf 42 Prozent im Jahre 2005 kommt für viele
Steuerzahler viel zu spät.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich möchte die rot-grüne Bundesregierung in diesem
Zusammenhang nochmals daran erinnern: Die Personen-
gesellschaften müssen die Gegenfinanzierung ab dem
Jahr 2001 voll mittragen, während die Kapitalgesell-
schaften ab 2001 mit dem Körperschaftsteuersatz von
25 v. H. einen Vorteil haben. Auch hier entstehen Wettbe-
werbsverzerrung und Ungleichbehandlungen. Ich glaube
auch, dass diese in den Betrieben Arbeitsplätze kosten
werden.


(V o r s i t z: Präsident Wolfgang Thierse)

Wir fordern die rot-grüne Bundesregierung auf, diese

Ungerechtigkeiten zu beseitigen und die mittelständi-
schen Unternehmen schon früher zu entlasten. Eine stär-
kere Steuerentlastung nicht nur der mittelständischen
Unternehmer, sondern aller Steuerzahler ist dringend ge-
boten.

Es ist die Wahrheit: In Ihrer Regierungszeit ist die
Steuerquote von 22 Prozent auf jetzt 22,6 Prozent gestie-
gen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wer die neueste Steuerschätzung ansieht – sie stammt
von heute –, muss dies ganz deutlich machen.


(Detlev von Larcher [SPD]: Es geht endlich aufwärts!)


Wir haben in den Jahren 2000 und 2001 14,8 Milliar-
den DM mehr eingenommen,


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wegen des Wirtschaftsaufschwungs!)


als die Steuerschätzung im Mai dieses Jahres vorausge-
sagt hat. Das ist eine Überraschung, über die vielleicht
Herr Eichel glücklich und zufrieden sein kann, es ist aber
eine Leistung der Steuerzahler. Damit nehmen Sie im
Jahre 2000 über 40 Milliarden DM mehr ein als im Vor-
jahr. Dazu sagen Sie, Sie könnten dem Steuerzahler keine
weitere Steuerentlastung geben. Ich sage Ihnen: Das
glaubt Ihnen niemand mehr in diesem Land.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie haben den Weg in den Steuer- und Abgabenstaat

eingeschlagen.

(Lachen bei der SPD)


Das ist die Wirklichkeit in Deutschland.

(Detlev von Larcher [SPD]: Steuererhöher und Schuldenmacher seid ihr doch!)

Zu den Steuermehrbelastungen muss ich Ihnen sagen:
Wenn Sie die Steuerquote auf 22,6 Prozent erhöhen, dann
ist Ihre Steuerreform die langsamste und zögerlichste aller
Zeiten. Für den Steuerzahler ist sie nichts anderes als eine
Mogelpackung. Das muss man ganz deutlich ausspre-
chen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Einkommensbelastungsquote im Jahre 2005

– also nach der Tarifsenkung bei der Einkommensteuer –
wird immer noch 55 Prozent betragen. Damit würde die
Belastung der Steuerpflichtigen mit Steuern und Abgaben




Hans Michelbach
12646


(C)



(D)



(A)



(B)


gegenüber dem Jahr 1999, in dem sie 56,8 Prozent betrug,
kaum sinken. Angesichts dieser Zahlen wirken die Aussa-
gen der rot-grünen Bundesregierung zur umfassendsten
Steuersenkung in der Geschichte der Bundesrepublik


(Beifall bei der SPD)

geradezu wie blanker Hohn.

Ihr Zynismus gegenüber dem Steuerzahler wirkt wie
eine Selbstbeschädigung. Der Steuerzahler in Deutsch-
land bleibt durch Ihre Steuerpolitik die Melkkuh der Na-
tion.


(Lachen bei der SPD)

Ich habe gestern die Leitplanken von Herrn Bundes-

finanzminister Eichel zur Kenntnis genommen. Daran
kann man erkennen, dass er bis zum Jahre 2009 keinerlei
weitere Steuerentlastungen einräumen will, obwohl das
Bruttoinlandsprodukt bis zu diesem Zeitpunkt um 40 Pro-
zent gestiegen ist. Das ist der Weg in den Steuer- und Ab-
gabenstaat, nichts anderes. Das gibt eine Staatsquote von
50 Prozent, und das ist der falsche Weg. Sie müssen end-
lich umkehren und den Weg in die richtige Richtung ge-
hen.

Die rot-grüne Unternehmensteuerreform ist angesichts
dieser Steuermehrbelastung


(Detlev von Larcher [SPD]: „Mehrbelastung“! Unglaublich!)


nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Das ist
die Situation.

Sie sollten zumindest den Mut haben, sofort auf eine
Verschlechterung der AfA-Tabellen zu verzichten und
den Firmen endlich Planungssicherheit für Investitionen
zu geben. Das wäre bei den Steuermehreinnahmen, die
Sie nach der heutigen Steuerschätzung haben, ein Signal
für die investierende Wirtschaft und die investierenden
Bürger, dass hier nicht nur abkassiert, sondern auch Frei-
raum für mehr Investitionen und mehr Arbeitsplätze ge-
staltet wird. Ich darf Sie herzlich bitten: Gehen Sie nicht
den Weg, den Sie hier eingeschlagen haben!


(Beifall bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Zu spät!)


Damit der Mittelstand überhaupt die Chance der Waf-
fengleichheit erhält, hat die CDU/CSU-Fraktion Anträge
in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht. Ich darf Sie
bitten, diesen Anträgen zur Entlastung der Steuerzahler
vor dem Jahr 2005, nämlich im Jahr 2003, zuzustimmen.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Zu spät! Das hätten Sie vor zwei Jahren machen sollen!)


Es müssen Änderungen beim halben durchschnittlichen
Steuersatz zugunsten des Steuerpflichtigen erfolgen. Zur
Schaffung der Chancengleichheit des Mittelstandes mit
den Kapitalgesellschaften wäre es der richtige Weg, eine
steuerfreie Rücklage zu 100 Prozent für die Anteilsver-
äußerungsgewinne der Personengesellschaften und Ein-
zelunternehmen einzuführen.


(Jörg-Otto Spiller [SPD]: Aber Ihre Leute wollen das nicht unterstützen! Sie sind gar nicht da!)


Ich darf Sie herzlich bitten, zur Steuervereinfachung,
Steuergerechtigkeit und Steuerentlastung einen neuen An-
lauf zu nehmen, der ein korrektes, gerechtes Steuersystem
in Deutschland zum Ziel hat. Was wir jetzt haben, ist eine
Steuerbelastung für die Steuerzahler


(Lachen bei der SPD)

und nicht eine Steuerentlastung, also nicht der Weg, den
wir in Deutschland brauchen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU – Detlev von Larcher [SPD]: Das ist ja nur peinlich, Herr Michelbach! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wie immer!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1413112400
Ich erteile das Wort
der Kollegin Christine Scheel, Bündnis 90/Die Grünen.


Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1413112500

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Manchmal
könnte man den Eindruck haben, Herr Michelbach, als ob
Sie sich in einer Selbstbeschwörungstruppe befänden.


(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Man muss leider auch den Eindruck haben, dass die Dis-
kussion, die in den letzten Monaten in der Fachwelt statt-
gefunden hat, an der CDU/CSU gnadenlos vorbeigegan-
gen ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Hans Michelbach [CDU/CSU]: Nein! Eben nicht!)


Frau Kressl hat es angesprochen: Wir haben ein Gut-
achten der Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsge-
sellschaft Arthur Andersen. Ich sage noch einmal – denn
anscheinend muss man es öfter sagen, bis es bei Ihnen an-
gekommen ist – :


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ja, er hat eine gewisse Blockade!)


Wir haben dieses Gutachten von Arthur Andersen, in dem
unmissverständlich festgestellt wird, dass es bei der lau-
fenden Besteuerung von Personengesellschaften keine
Nachteile gegenüber der Besteuerung von Kapitalgesell-
schaften gibt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Herr Michelbach, hören Sie einmal zu!)


Zweitens. Wenn die CDU/CSU meint, wir würden
nicht für Steuervereinfachung sorgen, dann muss man
an dieser Stelle einmal ganz klar sagen, dass der Punkt
Körperschaftsbesteuerung in der Zukunft eine – ich sage
es einmal positiv – hervorragende Vereinfachung des
Steuersystems bedeutet. Sie brauchen dann ganze Be-
wertungsbände nicht mehr. Die USA sagen: Ihr habt ein
klasse System auf den Weg gebracht. Die OECD sagt: Ihr
habt eine super Leistung vollbracht. Ich glaube, dass die




Hans Michelbach

12647


(C)



(D)



(A)



(B)


Wahrnehmung von außen realistischer ist als die inner-
halb der CDU/CSU.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Die Wähler sitzen in Deutschland, nicht in der OECD! – Gegenruf des Abg. Detlev von Larcher [SPD]: Die werden uns wieder wählen! Ihr werdet euch wundern!)


Punkt drei zu Ihren Ausführungen. Die CDU/CSU
macht Vorschläge. Danach wollen Sie auf der einen Seite
die Steuersätze noch weiter absenken – was man Ihnen
zugestehen sollte. Das würden auch wir gerne, wenn wir
es finanzpolitisch für verkraftbar hielten, was wir aber
nicht tun. Auf der anderen Seite – das ist das Abstruse an
dieser Diskussion – sind Sie aber nicht bereit, eine Ver-
breiterung der Bemessungsgrundlage zuzulassen. Im
Gegenteil, Sie wollen niedrige Steuersätze und gleichzei-
tig alle Steuervergünstigungen wieder einführen.


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Das ist doch nicht wahr! Das stimmt doch nicht! – Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Wo haben wir denn das beantragt?)


Das ist eine vollkommen falsche Politik, die zu Ergebnis-
sen führt, die wir finanzpolitisch und haushaltspolitisch so
niemals verantworten können.

Es ist leider so – das muss man einfach sagen; ich be-
daure es –: Sie haben auf der einen Seite in den letzten
Jahren nichts zustande gebracht, und jetzt nörgeln Sie
herum, ohne einen Hauch von Seriosität, und halten uns
noch vor, wir sollten auf die Entwicklung bei den AfA-Ta-
bellen verzichten. Ja, wer hat denn das damals, 1997/98,
versaubeutelt? Das war doch die alte Regierung, die ge-
nau diese Kriterien festgelegt hat, die wir heute aus juris-
tischen Gründen erst einmal umsetzen müssen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Und dann nehmen Sie bitte einmal zur Kenntnis, dass
die Summe, die wir veranschlagt haben, maximal für das
Entstehungsjahr mit der Summe identisch ist, die übrigens
auch im Gesetzentwurf der CDU/CSU zu finden ist.
Hier bitte ich um etwas mehr Ehrlichkeit statt einer so
scheinheiligen Diskussion, wie Sie sie wieder angezettelt
haben.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Wir setzen mit dem Gesetzentwurf etwas um, wovon
wir sagen können: Wir haben unseren Willen zur Entlas-
tung aller Steuerzahler und Steuerzahlerinnen bewiesen,


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Ihr repariert etwas; ihr setzt nichts um!)


und wir haben dies auch gegen sehr, sehr viele Wider-
stände durchgesetzt. Darüber sind wir sehr froh, denn dies
hat letztendlich auch dazu geführt, dass wir durch diesen
Reformschritt eine Entlastung für die breite Masse der
Steuerzahler und Steuerzahlerinnen bekommen.


(Dr. Barbara Höll [PDS]: Sozial ungerecht machen Sie das!)


Es ist sozial ausgewogen, Frau Dr. Höll, es ist finanz-
politisch vernünftig,


(Dr. Barbara Höll [PDS]: Nein!)

es ist fiskalpolitisch auch sinnvoll.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: 2005!)


Auch wenn Sie es nicht glauben wollen: Wir haben
eine Entlastung, weil wir jetzt durch die Bundesratsent-
scheidung, durch die Senkung des oberen Grenzsteuersat-
zes von 43 auf 42 Prozent, ja nicht nur den oberen Grenz-
steuersatz noch einmal um 1 Prozentpunkt gesenkt haben,
sondern wir haben den gesamten Tarif in der Breite ge-
senkt, sodass ab 25 000 DM zu versteuerndem Einkom-
men die Entlastung greift, die in einer Größenordnung
von über 5Milliarden DM an die Steuerzahler und Steuer-
zahlerinnen zurückgegeben wird.

Wir, das heißt Bund, Länder und Gemeinden, verzich-
ten – das muss man bitte auch immer wieder beachten –
durch die Steuerreform 2000 auf insgesamt 62,5 Milliar-
den DM.

Natürlich ist es so, dass uns die konjunkturelle Ent-
wicklung dabei hilft, den Ausfall überhaupt zu verkraften.
Die Steuerreform selbst wird durch die gewisse Eigendy-
namik, die in ihr steckt, auch dazu beitragen. Ich bin sehr
froh, wenn ich lesen kann, dass uns der IWF mit einer
Wachstumsprognose von 3,1 Prozent für das Jahr 2001
gerade jetzt erst bestätigt hat, dass wir mit unserer Steuer-
und Finanzpolitik erfolgreich Wachstumsimpulse setzen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Das ist genau der Punkt, weswegen man eine solche Poli-
tik macht.

Der Bundesfinanzminister hat gestern in der Hum-
boldt-Universität ganz klar gemacht, dass Rot-Grün den
Konsolidierungskurs weiter verfolgen wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir werden 2004 auf gesamtstaatlicher Ebene keine
neuen Schulden mehr aufnehmen. Wir werden 2006 auch
für den Bund keine Neuverschuldung mehr haben. Das
ist ein Riesenerfolg dieser Regierung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Danach – es geht ja noch weiter – geht es erst an den
Abbau des Schuldenberges. Wir haben immer noch die
1,5 Billionen DM Schulden, die letztendlich wir zu ver-
antworten haben. Das ist Ihre Hinterlassenschaft.


(Zuruf von der CDU/CSU: Die deutsche Einheit!)


Wir müssen jetzt einiges ausbaden, was diese alte Regie-
rung an falscher Steuer-, Finanz- und Haushaltspolitik ge-
macht hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)





Christine Scheel
12648


(C)



(D)



(A)



(B)


Das ist doch der Punkt; da müssen auch die Fakten auf den
Tisch.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Da muss man ja einmal fragen, wo das Geld geblieben ist!)


Die Schuldenquote soll 2012 nur noch 38 Prozent be-
tragen; jetzt liegt sie bei 60 Prozent. Ich denke, auch das
ist der Anerkennung wert. – Sie nicken ein bisschen von-
seiten der F.D.P.; ich glaube, an diesem Punkt sind wir uns
einig.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Jörg Tauss [SPD]: Er soll mal heftig nicken! – Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Gemach, gemach!)


Erst dieser strikte Konsolidierungskurs hat doch über-
haupt erst die Grundlage für die Senkung der Steuern und
Abgaben geschaffen. Wir werden ihn beibehalten, um auf
lange Sicht eine solide Finanzpolitik für die Bürger und
Bürgerinnen zu machen. Das heißt, dass die Steuer- und
Abgabenbelastung der Bürger und Bürgerinnen und die
Ausgaben des Staates im Gleichschritt zurückgeführt
werden, sodass die Abgabenquote bis 2012 auf 38 Pro-
zent sinken – das hat der Finanzminister gesagt – und die
Staatsquote von derzeit rund 47 Prozent auf 40 Prozent
verringert werden kann.

Das ist das Ziel, und es wäre klasse, wenn Sie zugeste-
hen würden, dass das auch in Ihrem Sinne ist und dass das
einfach ein Riesenerfolg dieser Regierung ist.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Ich will an dieser Stelle keine weiteren Ausführungen
zum CDU/CSU-Antrag machen. Ich kann nur sagen,
dass die Tatsache, dass der halbe durchschnittliche
Steuersatz – auch mit den Einschränkungen, die wir
vorgenommen haben – wieder eingeführt wird – was
wir heute beschließen wollen –, die im Unternehmen be-
triebene Altersvorsorge um rund 2 Milliarden DM
zusätzlich zu dem, was wir ursprünglich vorgesehen ha-
ben, entlastet.


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Ab 2001!)

Der Bundesrat selbst – daran darf ich Sie erinnern – hat

beantragt, die Begünstigung von Veräußerungsgewinnen
nur einmal im Leben zu gewähren. Das heißt, es kommt
den Unternehmern und Unternehmerinnen zugute, die
ihren Betrieb verkaufen und sich zur Ruhe setzen wollen.

Die Verknüpfung des halben Steuersatzes mit der Al-
tersvorsorge hat noch einen weiteren ganz entscheidenden
Vorteil. Das frühere Steuersparmodell – halber Steuer-
satz – wird so nicht wieder aufgemacht. Bei seiner Ab-
schaffung hatten wir 6,5 Milliarden DM, die wir jetzt
praktisch als Steuermehreinnahmen verbuchen können, in
die Senkung der Steuersätze gesteckt. Davon haben alle
Steuerzahler profitiert und nicht nur diejenigen, die die
Steuersparmodelle genutzt haben.

Wir sind angetreten, die Steuersätze nachhaltig zu sen-
ken. Wir sind angetreten, gleichzeitig Steuervergünsti-

gungen abzubauen. Beides haben wir erfolgreich umge-
setzt, sodass wir bei der Steuergesetzgebung, ausgehend
von der Übernahme der Regierungsverantwortung bis
zum Ende der Finanzplanung – wir haben die Umsetzung
der einzelnen Stufen der Steuerreform vorgelegt –, insge-
samt 93,5 Milliarden DM jährlich an Steuerentlastung an
die Bürger und Bürgerinnen zurückgeben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Das ist Ende 2005!)


Davon profitieren die privaten Haushalte mit 65,5 Milli-
arden DM, die mittelständischen Unternehmen mit rund
30 Milliarden DM


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: „Jährlich“ stimmt doch gar nicht!)


und die Großindustrie – das muss ich in diesem Zusam-
menhang auch erwähnen – wird aufgrund der Verände-
rungen bei den Abschreibungsbedingungen minimal be-
lastet.

Ich finde, das ist eine sehr ausgewogene und wunder-
bar faire und gute Politik, die eine Entlastung von unten
nach oben durchgibt, sodass man sagen kann: Das ist ein-
fach klasse gelungen.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1413112600
Kollegin Scheel,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Dautzenberg? –


(Zuruf von der SPD: Wir geben alle unsere Reden zu Protokoll, er verlängert die ganze Debatte! – Jörg Tauss [SPD]: Er muss es dem Michelbach erklären!)


Bitte schön.


Leo Dautzenberg (CDU):
Rede ID: ID1413112700
Habe ich das richtig
verstanden, Frau Kollegin Scheel, dass Sie ausgeführt ha-
ben, der Steuerzahler wird jährlich um 93 Milliarden DM
entlastet? Oder haben Sie sich da vertan, weil es der End-
punkt 2005 ist, an dem diese Entlastung ansteht?


Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1413112800

Ich habe gesagt: Wenn die letzte Stufe umgesetzt ist, hat
sich das Jahr für Jahr aufgebaut


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Das haben Sie nicht gesagt!)


und greift ab 2005 in dieser Größenordnung, in diesem
Volumen, das über die Folgejahre logischerweise entspre-
chend weitergeführt wird.


(Zuruf von der SPD: Das ist auch schön! Das ist auch etwas Gutes! – Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Das haben Sie nicht gesagt! Ich werde das im Protokoll nachlesen!)


Im Zusammenhang mit der Altersvorsorge haben wir
eine Diskussion. Wir meinen, was für Unternehmer gilt,
sollte aus Gerechtigkeitsgründen auch Arbeitnehmern
und Handelsvertretern nicht vorenthalten bleiben.


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Aha!)





Christine Scheel

12649


(C)



(D)



(A)



(B)


Auch ältere Arbeitnehmer oder Handelsvertreter über-
brücken mit ihren Abfindungen bzw. ihren Ausgleichs-
ansprüchen die Zeit bis zur Rente. Auch sie erhalten
diese Zahlungen dafür, dass sie ihre wichtigste Erwerbs-
quelle aufgeben.


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Warum haben Sie unserem Antrag nicht zugestimmt?)


Auch sie gehörten längere Zeit einem Unternehmen an.
Daher meinen wir, dass wir im Zusammenhang mit der

Reform der Altersvorsorge auch die Abfindungen der Ar-
beitnehmer entlasten sollten. Darüber sind wir uns einig.
Wir werden das in den nächsten Wochen zu diskutieren
haben und dazu einen vernünftigen Vorschlag im Zusam-
menhang mit der Altersvorsorge vorlegen. Das gilt, wie
gesagt, genauso für die Handelsvertreter. Bei den Han-
delsvertretern steht es auch in der Beschlussempfehlung
zu dem Gesetzentwurf. Da ist es zugesagt; Sie können es
nachlesen. Das ist sicherlich auch der richtige Weg.


(Gerda Hasselfeldt [CDU/CSU]: Jetzt wäre es zu entscheiden!)


Wir haben auch einen Erfolg vorzuweisen, was die ge-
sellschaftlichen Leistungen der Kirchen anbetrifft. Ich
bin froh – das sage ich Ihnen ganz ehrlich –, dass von al-
len anderen Fraktionen dieses Hauses die Überlegung
mitgetragen worden ist, den Kirchen wegen der System-
umstellungen in der Unternehmensteuerreform keine
Ausfälle zuzumuten,


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Wer hat das denn verursacht?)


und dass wir gemeinsam die Bemessungsgrundlagen für
die Kirchensteuer so geregelt haben, dass die finanzielle
Basis der Kirchen für ihre gesellschaftlichen Aufgaben
auch in Zukunft nicht geschmälert wird.


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Ihr mutet nur den Landwirten zuviel zu!)


Lassen Sie mich noch kurz etwas zur Steuerschätzung
sagen, weil Herr Michelbach es angesprochen hat.
Man kann doch ganz klar feststellen: Die erfreulichen
Ergebnisse der Steuerschätzung bestätigen unseren Re-
formkurs.


(Beifall bei der SPD)

Man kann auch ganz klar feststellen, dass die Konsoli-
dierungsmaßnahmen die wirtschaftlichen Rahmenbedin-
gungen stärken und damit zu höheren Einnahmen der öf-
fentlichen Haushalte führen. Das ist auch gut so. Man
kann ferner feststellen, dass wir bereits im nächsten Jahr
eine Entlastung in Höhe von 45 Milliarden DM und bis
einschließlich 2006 – das beinhalten die Unterlagen zur
Steuerschätzung auch – von insgesamt 250 Milliar-
den DM haben werden. Damit legen wir den Grundstein
für Wachstum und Beschäftigung.


(Gerda Hasselfeldt [CDU/CSU]: Nur merken die Leute nichts davon!)


Die konjunkturbedingten Steuermehreinnahmen dür-
fen uns aber nicht – das muss ich Ihnen und vor allen Din-
gen wieder einmal dem bayerischen Ministerpräsidenten

vorwerfen – von unserem schlüssigen und nachhaltigen
finanzpolitischen Kurs abbringen. Sobald Sie sehen, dass
irgendwo Mehreinnahmen zu verbuchen sind, kommt so-
fort ein Strauß von Vorstellungen, wie man sie wieder aus-
geben könnte. Das ist genau die falsche Politik, die Sie
jahrelang betrieben haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Lachen bei der CDU/CSU)


Jetzt wird diese Politik im Zusammenhang mit der Steu-
erschätzung wieder aufgelegt. Sie wollen die Steuermehr-
einnahmen verschleudern, anstatt sie in den Haushalt ein-
zuspeisen, damit beispielsweise die Haushaltsansätze für
Privatisierungen reduziert werden können und damit die
Nettoneuverschuldung im Jahre 2001 – das haben wir vor –
bei konstantem Ausgabevolumen auf unter 45 Milliar-
den DM festgesetzt werden kann.

Im Gegensatz zu unserer ausgewogenen Politik der
Steuersenkungen und des Abbaus der Staatsverschuldung
betreiben Sie nach wie vor einen gnadenlosen Populis-
mus. Sie würden den Schuldenberg für zukünftige Gene-
rationen wieder vergrößern. Deswegen bin ich froh, dass
wir und nicht Sie regieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1413112900
Ich erteile dem Kolle-
gen Hermann-Otto Solms, F.D.P.-Fraktion, das Wort.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1413113000
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte
noch einmal daran erinnern, dass wir hier ja gar nicht über
die Steuerreform zu debattieren haben, sondern über ein
Gesetz, das das Ergebnis eines Kompromissbeschlusses
des Bundesrates ist.


(Detlev von Larcher [SPD]: Das gehört zusammen!)


– Die Steuerreform als solche ist ja verabschiedet. –
Worum ging es bei diesem Beschluss? Es ging darum, die
Blockade aufzulösen, die zwischen Regierung und Oppo-
sition und den jeweiligen Parteien im Hinblick auf die
zukünftige Steuergesetzgebung entstanden war.


(Beifall bei der F.D.P.)

Wie Sie wissen, gab es viele Gründe für die Kritik an

dem Steuerreformkonzept der Koalition. Aber ein ganz
wesentlicher Grund lag darin, dass es mit der Reform eine
deutliche Diskriminierung mittelständischer Unterneh-
men und Einzelkaufleute gegenüber großen Kapitalge-
sellschaften gegeben hat.


(Detlev von Larcher [SPD]: Herr Solms, das stimmt nicht!)


Die Steuersenkung, die die Regierung beabsichtigt
hatte, wurde auch von uns begrüßt. Aber die Diskriminie-
rung wollten wir – jedenfalls in diesem Maße – nicht zu-
lassen. Deswegen haben wir, beteiligt über das Bundes-
land Rheinland-Pfalz, uns bemüht, diese Diskriminierung
abzubauen. Das ist nun in einem spürbaren Maße gelun-




Christine Scheel
12650


(C)



(D)



(A)



(B)


gen; denn durch den Kompromiss sind zusätzliche Steuer-
entlastungen in Höhe von 7 Milliarden DM freigegeben
worden.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: So ist es!)


Die Schlechterstellungen gerade bei den Veräußerungs-
gewinnen bei kleineren Personengesellschaften sind
durch die Wiedereinführung des halben durchschnittli-
chen Steuersatzes deutlich reduziert worden.


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Aber nur reduziert, nicht beseitigt!)


Deswegen bedanke ich mich ausdrücklich bei Hans-
Artur Bauckhage, dem stellvertretenden Ministerpräsi-
denten, und bei Rainer Brüderle, die auf unserer Seite die
Verhandlungen geführt haben, genauso wie bei Kurt
Beck, dem Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz. Ich
bedanke mich auch deshalb so sehr bei ihnen, weil sie sich
nicht wie die drei Länder mit großen Koalitionen, die an
dem Kompromiss ebenfalls mitgewirkt haben, nämlich
Berlin, Brandenburg und Bremen, nur um eine Verbesse-
rung ihrer Haushaltsposition bemüht haben. Vielmehr hat
dieses Bundesland dafür gesorgt, dass die Verbesserungen
ganz eindeutig den mittelständischen und kleinen Unter-
nehmen in der ganzen Bundesrepublik dienen.


(Beifall bei der F.D.P. – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Die Bremer Hafenpolitik dient auch dem Mittelstand! – Zuruf von der SPD: Für sie wäre die Fünftelung besser gewesen! Sie argumentieren für 4 Prozent der mittelständischen Unternehmen! Ich argumentiere für 96 Prozent!)


– Lassen Sie diese Spitzfindigkeiten. Damit kommen Sie
nicht weiter.


(Lachen bei der SPD)

Es geht um die mittelständischen Unternehmen insge-
samt. Es geht gerade um die kleinen Unternehmer, die aus
dem Berufsleben ausscheiden, ihr Unternehmen ver-
äußern oder aufgeben und damit einen Erlös erzielen, der
dann auch der Altersversorgung dient. Die Berücksichti-
gung dieser Tatsache ist ein ganz wesentlicher Anspruch,
dem zum Durchbruch verholfen worden ist.


(Beifall bei der F.D.P.)

Weil wir an diesem Kompromiss beteiligt waren – die

F.D.P.-Fraktion hat ihm unverzüglich zugestimmt –, wer-
den wir auch hier diesem Gesetzentwurf zustimmen. Das
ist nur konsequent. Wir werden uns beim Antrag der Uni-
onsfraktion enthalten. Wir sind bei den Punkten inhaltlich
der gleichen Meinung wie die Union, aber die Positionen
gehen deutlich über diesen Kompromiss hinaus. Es wäre
einfach unfair, nun diesen Kompromiss wieder aufzuwei-
chen.

Ich will einen zweiten Punkt nennen. Die Entschlie-
ßung des Bundesrates hat eine ganz einfache Formulie-
rung: Sie fordert die Wiedereinführung des halben Steuer-
satzes bei den Veräußerungsgewinnen. Ich hätte es für fair
und souverän gehalten, Frau Staatssekretärin – ich möchte
Sie bitten, dass Sie dies dem Herrn Bundesminister über-

mitteln –, wenn es dann genau so umgesetzt worden wäre,
wie es alle, die an dem Kompromiss beteiligt waren, nur
verstehen konnten. Das ist leider nicht geschehen. Die
selbstständigen Handelsvertreter sind von dieser Rege-
lung ausgenommen worden; sie waren bei der vorherigen
Regelung einbezogen. Der Betrag ist von 15 Millionen
auf 10 Millionen DM reduziert worden. Zudem ist eine
Mindestbesteuerung beim Eingangsteuersatz eingeführt
worden. Das ist im Bundesrat nie zur Sprache gekommen.
Solche Tricksereien sind nicht in Ordnung; denn dann
kann man sich nicht mehr aufeinander verlassen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das sage ich auch für die Zukunft. Es kann immer wie-
der zu einer solchen Situation kommen. Wenn man sich
auf Absprachen nicht verlassen kann, dann muss man im
Bundesrat bereits die Gesetzgebungstexte verabschieden.
Das würde die Verfahren enorm erschweren. Ich bitte da-
rum, dass solche Tricksereien in Zukunft nicht wieder
vorkommen. Das Gleiche gilt für die nur teilweise Wie-
dereinführung des Mitunternehmererlasses, der im
Bundesrat schon bei der vorherigen Sitzung beschlossen
worden war. Er ist aber nicht komplett umgesetzt worden.
Das sind nicht die gewichtigen Punkte, aber es geht um
die Fairness im Verfahren und um die Verlässlichkeit sol-
cher Verabredungen.


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: So ist es! Ausgesprochen ärgerlich!)


Deswegen sage ich noch einmal: Dieser Kompromiss
ist ein Schritt nach vorne. Die Steuerreform führt zu drin-
gend notwendigen Entlastungen. Die Diskriminierung
des Mittelstandes ist reduziert, aber sie bleibt in einem
ganz wesentlichen Punkt für einige Jahre erhalten: Die
Körperschaftsteuer wird ab dem 1. Januar 2001 auf
25 Prozent gesenkt, aber die entsprechenden Steuersen-
kungen bei der Einkommensteuer auf 42 Prozent werden
erst ab dem Jahre 2005 komplett vollzogen. Das ist für
viele Unternehmen eine lange Zeit, in der sie, wenn sie
mit Kapitalgesellschaften im Wettbewerb stehen, eindeu-
tig benachteiligt sind.

Nun haben wir die neue Steuerschätzung gehört. Ich
freue mich: Die Sanierung der Haushalte – das ist gut –
kommt voran. Aber wir sollten dann die Gelegenheit nut-
zen – das kann ich Ihnen, die Sie die Mehrheit haben, nur
empfehlen –, die zeitliche Spreizung – es steht jetzt mehr
Finanzmasse zur Verfügung – zu verkürzen, damit diese
Diskriminierung nicht so lange bestehen bleibt, die man-
ches kleine Unternehmen in Schwierigkeiten bringen
kann. Es wäre gut, wenn Sie das täten. Da Sie aller Vo-
raussicht nach vor den Wahlen 2002 noch einiges tun
werden, um die Stimmung im Lande zu verbessern,


(Detlev von Larcher [SPD]: Herr Solms weiß, wie das geht! – Gegenruf des Abg. Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Ihr nicht, ihr lernt es jetzt!)


kann ich Ihnen nur empfehlen, diese Maßnahme in dieses
Paket einzubauen. Das kann Ihnen nutzen; das kann auch
den Mittelständlern nutzen. Dieser Maßnahme würden
wir nicht widersprechen. Das kann ich Ihnen heute schon
zusagen.




Dr. Hermann Otto Solms

12651


(C)



(D)



(A)



(B)


Lassen Sie mich abschließend noch eine Bemerkung
zu der Grundsatzrede, die der Bundesfinanzminister ges-
tern an derHumboldt-Universität gehalten hat, machen.
Er hat sich dafür ausgesprochen, die Steuer- und Abga-
benlast zu senken, die Staatstätigkeit zu begrenzen,
Freiräume für private und unternehmerische Initiativen
zu schaffen, das Steuerrecht zu vereinfachen, Subventio-
nen abzubauen und Privatisierungspotenziale auszu-
schöpfen.


(Detlev von Larcher [SPD]: Das gefällt Ihnen doch gut!)


Das alles sind Positionen, denen wir gerne zustimmen.

(Beifall bei der F.D.P. und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es klingt so, als wäre es aus dem Grundsatzprogramm der
F.D.P., den Wiesbadener Beschlüssen, abgeschrieben.


(Widerspruch bei der SPD)

Die Botschaft hör’ ich wohl, allein, mir fehlt der

Glaube; denn wenige Tage zuvor hat der Bundesfinanz-
minister erklärt, bis zum Jahre 2006 kämen weitere Steu-
ersenkungen nicht infrage. Das ist einerseits schon ver-
messen, weil er gar nicht weiß, ob er 2006 noch im Amt
ist. Im Jahre 2002 hat ja der Wähler das Wort. Anderer-
seits widerspricht das auch seinen grundsätzlichen Über-
zeugungen.


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Hat der Grundsätze?)


Ich frage mich: Meint er es nun wirklich so? Dann muss
er natürlich den Weg einer weiteren steuerlichen Entlas-
tung gehen, aber auch die Sozialpolitiker dabei unterstüt-
zen, Rentenreform, Gesundheitsreform, Reform der
Pflegeversicherung und andere Dinge so voran zu brin-
gen, dass die Beiträge gesenkt werden können und damit
der Staatsanteil, so wie er es ja vorsieht, sinkt. Ich erkenne
noch nicht, dass Rot-Grün die hierfür notwendigen Maß-
nahmen ergriffen hätte. Da bleiben Sie einiges schuldig.
Deswegen kann ich Sie alle nur auffordern: Lesen Sie sich
noch einmal diese Grundsatzrede durch und entwickeln
Sie entsprechende Programme, aus denen hervorgeht,
dass diese Ziele wirklich verfolgt werden.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1413113100
Ich erteile jetzt das
Wort der Kollegin Barbara Höll, PDS-Fraktion.


Dr. Barbara Höll (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1413113200
Sehr geehrter Herr Präsident!
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die zweite und
dritte Lesung des Steuersenkungsergänzungsgesetzes
wurde von Frau Kressl und Frau Scheel weidlich ausge-
nutzt, um die eigene Steuerpolitik zu loben.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Die ist doch auch wirklich gut! – Detlev von Larcher [SPD]: Richtig so!)


Mein Sohn würde sagen: Es tropfte mächtig von der
Decke.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gute Sachen kann man gut darstellen!)


In der „Frankfurter Rundschau“ fand ich in einem
Kommentar zur Grundsatzrede des Finanzministers sehr
treffend das Problem aufgezeigt, welches Sie eben mit
Ihren Reden zu verschleiern suchten:

Zweifellos wird die Steuerreform, die unter Eichels
Federführung zustande kam, auch die nicht so klot-
zig Verdienenden entlasten.

Richtig.
Doch eine gerechtere Verteilung ist damit nicht
verbunden, weil Steuerzahler mit hohen Einkommen
überdurchschnittlich profitieren.

(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil es eine Steuerprogression gibt! Das ist doch logisch!)


Auch wenn Sie die Steuern für alle senken, haben Sie das
Verteilungsproblem noch nicht angepackt, sondern viel-
mehr noch verschärft.

Wer sich nun einbildet, mit dem Steuersenkungsergän-
zungsgesetz würde dem Einhalt geboten, der sieht sich
leider bitter enttäuscht, denn das wichtigste Anliegen des
Gesetzes ist ja die weitere Absenkung des Spitzensteu-
ersatzes von 43 auf 42 Prozent. Die weiteren Maßnahmen
werden den Bund und die Länder noch einmal 7 Milliar-
den DM kosten. Davon entfallen 3 Milliarden DM auf die
Länder, das heißt, sie werden hier zusätzlich wieder be-
lastet.

Dass mit Ihrer Steuersenkungspolitik die Länder an die
Grenze ihrer Belastbarkeit kommen, wird sich in einer ak-
tuellen Diskussion in der nächsten Woche zeigen, in der
es darum geht, wie sich die Länder daran beteiligen wer-
den, die andere Seite Ihrer Finanzpolitik wieder sozial ab-
zufedern, und zwar durch die Kompensation Ihrer Steuer-
erhöhungspolitik in Form der Ökosteuer über die
Heizkostenpauschale und durch die Ausweitung und Er-
höhung der Entfernungspauschale.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das hat ja noch nicht einmal die CDU ins Feld geführt!)


Das sollen ja die Länder wieder tragen. Mit Ihrer Politik,
einem Mix aus sozial ungerechter Steuersenkung und ei-
ner teilweisen Steuererhöhung, beschränken Sie natürlich
den finanziellen Spielraum, den Bund, Länder und Kom-
munen für wirklich wichtige Reformen benötigen.

Ich möchte hier in der allgemeinen Diskussion insbe-
sondere auf die Rente hinweisen. Das Argument, dass die
Finanzbasis der Rentenkassen nicht mehr ausreicht und es
notwendig ist, das Rentenniveau abzusenken, ist ja für Sie
offenbar eine unumstößliche Wahrheit. Andererseits ver-
zichten Sie als Regierungskoalition auf weitere Steuer-
einnahmen. Dann den Bürgerinnen und Bürgern die
private Vorsorge, mit der Sie die Absenkung des Lei-
stungsniveaus der gesetzlichen Rentenversicherung auf-
fangen wollen, mit 20 Milliarden DM in Form von steu-
erlicher Förderung großzügig schmackhaft zu machen, ist




Dr. Hermann Otto Solms
12652


(C)



(D)



(A)



(B)


Dummenfang und wird auch bei der Bevölkerung nicht
klappen. Es wird ganz interessant sein, zu sehen, wie Sie
im nächsten Jahr die Nettolohnanpassung der Renten vor-
nehmen werden. Wir sind gespannt, ob die steuerliche Fa-
milienentlastung dann auch bei Rentnerinnen und Rent-
nern ankommt.

Die Ungerechtigkeit Ihres Steuersenkungsgesetzes
setzt sich leider auch im Ergänzungsgesetz fort. Dies
betrifft nicht nur die weitere Absenkung des Spitzensteu-
ersatzes um einen Prozentpunkt, sondern auch die nach-
trägliche Anerkennung dessen, dass man auch für Perso-
nenunternehmen – genau wie für Kapitalgesellschaften –
etwas tun muss.

Dass Sie mit der Absenkung des Körperschaftssteuer-
satzes auf 25 Prozent als Definitivbesteuerung insgesamt
eine Systemumstellung vornehmen, kostet die Steuerzahle-
rinnen und Steuerzahler bis zum Jahre 2004 60 Milliar-
denDM. Unser Vorschlag lautete: Die Definitivbesteuerung
ist zwar möglich, aber wenn sie eingeführt wird, sollte sie
mit einem progressiven Körperschaftssteuersatz verbunden
werden, damit zumindest in diesem Fall eine Besteuerung
nach der Leistungsfähigkeit erfolgt. Das wäre gerecht.

Um diese Regelung, die kleine und mittelständische Be-
triebe, die Personenunternehmen tendenziell schlechter
stellt, im Nachhinein zu rechtfertigen, haben Sie dem
Druck nachgegeben und sagen jetzt mit Hinweis auf das
Argument der Altersvorsorge, dass Sie bei der Steuerfrei-
heit von Gewinnen aus Veräußerungen von Kapitalgesell-
schaften nachbessern wollen, indem Sie für Personenunter-
nehmen den halben Durchschnittssteuersatz in Bezug auf
Gewinne aus Betriebsveräußerungen und Betriebsauf-
gaben einführen wollen.

Selbst diese Regelung, die letztendlich eine nachträg-
liche Rechtfertigung für die Steuerfreiheit bei Kapitalge-
sellschaften ist, ist sozial ungerecht; denn der halbe
Durchschnittssteuersatz wird dann die Bezieher von
besonders hohen Gewinnen aus solchen Veräußerungen
überproportional entlasten. Deshalb halten wir diesen
Ansatz für das falsche Instrument. Es wäre notwendig
gewesen, weiter darüber nachzudenken, ob die bisherige
Form der Freibeträge und der Fünftelungsregelung weiter
auszubauen ist.

Eine alternative Lösung für eine tatsächliche Alters-
vorsorge auch von Unternehmerinnen und Unternehmern
wäre natürlich gegeben, wenn wir von neuem über eine
Rentenversicherungspflicht für alle diskutierten. Das ist
ein Feld, das wir auf alle Fälle noch beackern müssen.


(Beifall bei der PDS)

Zum Abschluss möchte ich folgenden Gedanken bei-

steuern: Zwar ist die Zielstellung der Gleichbesteuerung
von Kapitalgesellschaften und Personenunternehmen Ihr
ausdrückliches Anliegen; allerdings haben Sie damit die
große Gerechtigkeitslücke immer noch nicht geschlossen,
die im Vergleich zu den Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmern besteht, die steuerlich wesentlich höher belastet
werden, wenn sie Abfindungen erhalten, insbesondere in
höherem Lebensalter. Für diese Menschen sind solche
Abfindungen auch eine Altersvorsorge.


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: So ist das!)


An dieser Stelle sollten Sie nicht warten, sondern eben-
falls zum 1. Januar 2001 aktiv werden.


(Beifall bei der PDS)

Nehmen Sie Ihre Steuerpolitik und dieses Gesetzvor-

haben doch noch einmal im Hinblick auf eine sozial ge-
rechte Verteilung, die in der heutigen Zeit eine absolute
Notwendigkeit ist, unter die Lupe.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1413113300
Ich erteile der Parla-
mentarischen Staatssekretärin Barbara Hendricks das
Wort.

D
Dr. Barbara Hendricks (SPD):
Rede ID: ID1413113400
Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Leider ist Herr Michelbach nicht mehr
da, aber im Hinblick darauf, dass der Kollege
Dautzenberg nach mir sprechen wird, möchte ich zuvor
folgende Bemerkung machen: Diejenigen, die noch im-
mer – trotz all unserer Maßnahmen, inklusive des
Steuersenkungsergänzungsgesetzes – in diesem Hohen
Hause, in der Öffentlichkeit oder wo auch immer behaup-
ten, die Steuerreform 2000 benachteilige den Mittel-
stand, müssen sich irgendwie entschieden haben, nicht
schlauer werden zu wollen, als sie von Geburt aus sind.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das ist für diese Menschen eigentlich schade; denn man
kann auf sie weder politisch noch pädagogisch einwirken.


(Detlev von Larcher [SPD]: Richtig!)

Gleichwohl will ich diesen Versuch auch heute nicht auf-
geben, politisch und, falls nötig, auch pädagogisch einzu-
wirken.


(Detlev von Larcher [SPD]: Sie sind nun einmal Pädagogin!)


Die Zahlen sind eben objektiv so, und das kann man Ih-
nen auch ganz leicht vorrechnen.

Durch die Steuerpolitik der Koalition von SPD und
Grünen hat sich die Wahrnehmung Deutschlands in der
internationalen Öffentlichkeit sehr zum Positiven gewen-
det. „Der kranke Mann in Europa“ – so wurde Deutsch-
land aufgrund des früheren Reformstillstands genannt –
hat sich vom Krankenbett erhoben. Deutschland ist auf
dem Weg der Genesung – Gott sei Dank. Wir tragen dafür
die Verantwortung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir haben dem Patienten die Medizin verabreicht, die er
dringend brauchte: eine solide finanzierte, auf nachhaltige
Entlastung aller Steuerzahler gerichtete Steuerreform.

Die CDU/CSU-geführte Bundesregierung hat seiner-
zeit den Reformstau lediglich noch verwaltet. Dagegen
wird schon nach der ersten Halbzeit dieser Legislaturpe-




Dr. Barbara Höll

12653


(C)



(D)



(A)



(B)


riode deutlich: Rot-grün ist die Reformschmiede
Deutschlands.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

„Reformstau“ wäre ich lieber ruhig, nach dem,
was ihr in der letzten Legislaturperiode geboten
habt!)

Mit unseren Reformen geht es in Deutschland endlich
voran. Unsere Steuerreform 2000 erfährt weltweit von
Praxis, Politik und Wissenschaft Lob und Anerkennung.


(Detlev von Larcher [SPD]: So ist es!)

Die Kolleginnen Kressl und Scheel haben schon auf Arthur
Andersen hingewiesen. Ich kann auch auf den Deutsch-
land-Bericht des IWF oder auf den Monatsbericht der
Deutschen Bundesbank, also auf unabhängige Expertenur-
teile hinweisen, die uns hohe Anerkennung zollen.


(Beifall bei der SPD)

Heute soll dieses Reformwerk mit dem Steuersen-

kungsergänzungsgesetz einen Schlussstein mit einer wei-
teren mittelstandspolitischen Prägung erhalten. Deutsch-
land hat sein schlechtes internationales Image, reform-
unfähig zu sein, übrigens überraschend schnell verloren.
Im internationalen Standortwettbewerb ist das viel-
leicht wichtiger, als den niedrigsten Steuersatz weltweit
aufbieten zu können, aber auch da sind wir fast Spitze,
wenn nicht sogar ganz; ich werde darauf noch zurück-
kommen.


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Darum ist der Euro wohl so stark geworden!)


In den vergangenen Jahren haben eine ganze Reihe
von europäischen Ländern Steuerreformen durchgeführt.
Nicht zuletzt dadurch stieg der Handlungsdruck auf
Deutschland weiter an. Grundausrichtung der Reformen
in Europa war und ist die Absenkung der Steuersätze bei
einer Verbreiterung der Bemessungsgrundlage. Prinzipi-
ell sind wir uns da ja einig. Frau Kollegin Scheel hat
aber zu Recht darauf hingewiesen: Sie wollen immer nur
die eine Seite sehen. Sie wollen die Absenkung der Steu-
ersätze; alle Maßnahmen aber, die wir – auch schon im
vergangenen Jahr – zur Verbreiterung der Bemes-
sungsgrundlage ergriffen haben, wollen Sie rückgän-
gig machen. Sie müssen sich dazu auch einmal beken-
nen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Man kann nicht sozusagen das Ei essen und das Huhn zu-
gleich braten. Man muss sich schon entscheiden, wie man
vorgehen will.


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Es geht um die fehlende Gleichzeitigkeit!)


Wir haben uns der europäischen Linie angeschlossen.
Gleichzeitig haben wir das deutsche Steuersystem inter-
nationalen Anforderungen angepasst. Das international
unübliche Vollanrechnungsverfahren wird 2002 durch das
mit anderen Steuersystemen kompatible Halbeinkünfte-
verfahren ersetzt. Ich glaube, inzwischen hat sogar Herr

Kollege Merz verstanden, dass das nötig war. In den
90er-Jahren hat Deutschland den internationalen Steuer-
wettbewerb einfach nicht zur Kenntnis genommen. Das
deutsche Steuersystem geriet im internationalen Vergleich
immer weiter in Rückstand. Die Steuerreform 2000 hat
dies grundlegend verändert. Ab 2001 sinkt in Deutschland
die Steuerbelastung in einem großen, erheblichen Schritt.

Ich darf wegen Ihres Einwurfs, Herr Kollege
Heinrich – Sie haben gerade die Ungleichzeitigkeit be-
mängelt –, noch einmal sagen: Wir haben mit der Senkung
der Einkommensteuer schon im vergangen Jahr begonnen
und führen sie in diesem Jahr fort; im nächsten Jahr
kommt schon der dritte Schritt. Mit der Körper-
schaftsteuer fangen wir erst im nächsten Jahr an.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Diese Absenkung der Steuerlast erreichen wir in erster
Linie durch deutlich reduzierte Steuersätze.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1413113500
Frau Kollegin
Hendricks, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kolle-
gen Heinrich?

D
Dr. Barbara Hendricks (SPD):
Rede ID: ID1413113600
Ja. Bitte, Herr Kollege
Heinrich.


Ulrich Heinrich (FDP):
Rede ID: ID1413113700
Sie haben mich provoziert,
Frau Staatssekretärin. Ich habe eine ganz besondere Bran-
che im Auge, und zwar die Landwirtschaft. Bei der
Landwirtschaft haben Sie die Verbreiterung der Bemes-
sungsgrundlage bereits vorgenommen; sie wirkt bereits
ab dem nächsten Jahr. Die Entlastungswirkung setzt aber
erst in vier bis fünf Jahren ein.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Landwirte haben keinen Spitzensteuersatz!)


Wir haben hier also den Verzögerungseffekt, dass in den
nächsten Jahren etwa 100 Millionen DM jährlich zusätz-
liche Belastung entsteht – keine Entlastung. Der Aus-
gleich bzw. die Entlastung tritt erst im Jahre 2006 ein. Wie
bringen Sie das mit dem in Einklang, was Sie gerade ge-
sagt haben?

D
Dr. Barbara Hendricks (SPD):
Rede ID: ID1413113800
Herr Kollege Heinrich, die
ganz große Zahl der landwirtschaftlichen Unternehmen in
der Bundesrepublik Deutschland ist eben als Personenge-
sellschaft bzw. als Einzelunternehmen organisiert. Diese
profitieren schon seit dem vergangenen Jahr von der Ab-
senkung des Eingangssteuersatzes und in diesem Jahr von
einer weiteren Absenkung des Eingangssteuersatzes und
von der Erhöhung des Grundfreibetrages. Sie profitieren
auch in diesem Jahr schon von einer Absenkung des Spit-
zensteuersatzes. Alle Steuerzahler, die einkommensteuer-
pflichtig sind – zu denen gehört die überwiegende Zahl
der Landwirte –, profitieren also schon seit dem vergan-
genen Jahr. Sollten landwirtschaftliche Unternehmen sich




Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks
12654


(C)



(D)



(A)



(B)


als GmbHs organisiert haben, so werden sie erstmals im
nächsten Jahr profitieren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

ter dem Strich bleiben 100 Millionen DM Be-
lastung! – Gegenruf des Abg. Detlev von
Larcher [SPD]: Das ist bestreitbar!)

Mit dem Steuersenkungsänderungsgesetz wollen wir
die Entschließung des Bundesrates vom 14. Juli 2000 um-
setzen; Herr Kollege Solms hat darauf hingewiesen. Dazu
gehört die Absenkung des Spitzensteuersatzes bei der
Einkommensteuer in 2005 auf 42 Prozent.

Es gibt übrigens – ich bitte die Kolleginnen und Kolle-
gen von der Union, besonders aufmerksam zu sein – nur
noch zwei Länder, die dann niedrigere Höchststeuersätze
als Deutschland haben werden, nämlich das Vereinigte
Königreich und Portugal. Auch die Vereinigten Staaten,
Japan oder andere Industriestaaten, die außerhalb Europas
mit uns in Konkurrenz stehen mögen, haben nicht nied-
rigere, sondern höhere Steuersätze. Die beiden genannten
Staaten – also Großbritannien und Portugal – haben einen
oberen Grenzsteuersatz von jeweils 40 Prozent. Er greift
aber wesentlich früher: in Portugal bei einem Einkommen
von 60 000 DM und in Großbritannien bei einem Ein-
kommen von 66 000 DM. Bei dieser Größenordnung von
60 000 DM beträgt der obere Grenzsteuersatz bei uns in
der Bundesrepublik Deutschland 32,2 Prozent, nicht
40 Prozent. Bei einem Einkommen von 66 000 DM be-
trägt er 33,6 Prozent, nicht 40 Prozent. Bei uns greift
der obere Grenzsteuersatz von 42 Prozent erst bei
102 000 DM. Insgesamt gesehen haben wir damit auch
die niedrigste Spitzenbelastung in ganz Europa. Nehmen
Sie das bitte zur Kenntnis!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Aufgrund eines außerordentlich hohen steuerfreien
Existenzminimums von am Ende 15 000 DM – im Übri-
gen dem höchsten in ganz Europa – belassen wir den Bür-
gerinnen und Bürgern den im europäischen Vergleich
größten Anteil ihres Verdienstes zunächst unversteuert.
Hinzu kommt der sehr niedrige Eingangssteuersatz von
15 Prozent. Wir haben damit europaweit nicht nur die
günstigsten Bedingungen im unteren Einkommensbe-
reich, wir sind auch im oberen Bereich das Land mit der
niedrigsten Steuerbelastung. Das müssen Sie einfach ein-
mal zur Kenntnis nehmen.


(Detlev von Larcher [SPD]: Das wollen die doch nicht!)


Die zweite Erwartung, die der Bundesrat an sein zu-
stimmendes Votum zur Steuerreform 2000 geknüpft hatte,
war eine zusätzliche Mittelstandskomponente: die Ein-
führung des halben Steuersatzes bei Betriebsveräuße-
rungen und Betriebsaufgaben für aus dem Berufsleben
ausscheidende Unternehmer ab 2001.

Um daraus nicht erneut lukrative Steuersparmodelle
entstehen zu lassen – Frau Kollegin Scheel hat darauf hin-
gewiesen –, kann diese Regelung einmal pro Unterneh-
mer, und zwar ab dem 55. Lebensjahr, in Anspruch ge-
nommen werden. Das ist ein guter Kompromiss zwischen

den Wünschen des Mittelstandes, mit dem Betrieb eine
Altersvorsorge aufbauen zu können, und der Notwendig-
keit, Steuerschlupflöcher zu schließen.

Ich darf kurz auf das eingehen, was Kollege Michelbach,
der leider nicht mehr da ist, dazu gesagt hat.


(Zuruf von der CDU/CSU: Er konnte nicht mehr hier sein, weil er Termine hat!)


– Verständlich, das kann jedem von uns passieren.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wer so polemisch ist, sollte schon dableiben!)

Aber vielleicht können Sie es ihm ausrichten, damit er es
in Zukunft nicht wieder falsch behauptet.

Zum einen ist es so, dass 80 Prozent aller Veräuße-
rungserlöse in der Bundesrepublik Deutschland bei weni-
ger als 100 000 DM liegen. Die sind in Zukunft vollstän-
dig steuerfrei. Bisher waren bis 60 000 DM etwa
70 Prozent aller Veräußerungserlöse steuerfrei. Bei
100 000 DM steuerlichem Freibetrag sind etwa 80 Pro-
zent aller Veräußerungserlöse vollständig steuerfrei.


(Detlev von Larcher [SPD]: Hört! Hört!)

Danach setzt dann der halbe durchschnittliche Steuersatz
ein, den wir allerdings tatsächlich – wem soll man das ver-
übeln? – so angelegt haben, dass der Mindeststeuersatz
bei der Einkommensteuer gezahlt werden muss. Es ist
also keine neue Mindeststeuer eingeführt worden; viel-
mehr sollen auch bei Veräußerungsgewinnen mindestens
15 Prozent Steuern gezahlt werden,


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist doch wohl ganz normal!)


so wie jeder Arbeitnehmer mit jeder ersten Mark, die er
über den Grundfreibetrag hinaus verdient, 15 Prozent
Steuern zahlen muss. Was soll daran falsch sein?


(Beifall bei der SPD)

Zu dem Beispiel, das Kollege Michelbach gewählt hat:

Ein verheirateter Unternehmer mit 440 000 DM Veräuße-
rungsgewinn würde nicht vollständig vom halben durch-
schnittlichen Steuersatz profitieren, weil er 15 Prozent
Einkommensteuer zahlen muss. Richtig! Wenn Sie jetzt
davon ausgehen, dass ein Veräußerungsgewinn immer nur
etwa die Hälfte des Veräußerungserlöses ausmacht – das
andere stand ja sozusagen schon in den Büchern –, dann
können Sie davon ausgehen, dass ein verheirateter Unter-
nehmer mit 440 000 DM Veräußerungsgewinn im Schnitt
einen Erlös von rund 1 Million DM erzielt. Darauf muss
er dann rund 63 000 DM Steuern zahlen. Ist das unzu-
mutbar? Er bekommt 1 Million DM und muss rund
63 000 DM bezahlen, weil wir ihm 15 Prozent von
440 000 DM abknöpfen. Ist das unzulässig? Nehmen Sie
doch die Zahlen einfach zur Kenntnis und hören Sie auf,
gegen den Mittelstand in der Bundesrepublik Deutsch-
land Stimmung zu machen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir sind uns der Bedeutung des Mittelstandes für un-
ser Land bewusst. Wir haben genau in der Weise gearbei-
tet, wie der Mittelstand als Motor unserer Wirtschaft




Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks

12655


(C)



(D)



(A)



(B)


sowie als Motor für Beschäftigung und Ausbildung es
verdient. Der Mittelstand hat es aber nicht verdient, von
Ihnen noch länger mit falschen Behauptungen übers Ohr
gehauen zu werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir stärken mit der Steuerreform die Binnennach-
frage; alle Steuerzahler werden in der Zukunft mehr Geld
in der Tasche haben. Frau Kollegin Höll, die Steuerzahler
mit niedrigeren Einkommen werden relativ am stärksten
entlastet, natürlich nicht in absoluten Zahlen. Das ist die
Wirkung eines progressiven Steuertarifs. Aber der Anteil
ihres Einkommens, der zukünftig von Steuern freigestellt
wird, ist bedeutend höher als der entsprechende Anteil des
Einkommens Höherverdienender. Nur darum kann es ge-
hen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das müsste auch Frau Kollegin Höll von der PDS erken-
nen; ich nehme auch an, dass sie es eigentlich weiß, sie hat
es hier nur nicht gesagt.

Wir haben also ein Steuergesetz beschlossen, von dem
alle profitieren. Es wird für alle Bevölkerungskreise eine
Entlastung geben und es ist die höchste Steuerentlastung
in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.
Die Steuerschätzung weist für das nächste Jahr einen
Steuerzuwachs von 5,3 Milliarden DM auf und Finanz-
minister Eichel hat dazu gesagt: Trotz umfassender
Steuerentlastung ist die Finanzierung der wichtigen
Staatsausgaben nicht gefährdet. Daran sollten wir alle in-
teressiert sein. Zusätzliche Steuereinnahmen in Höhe von
5,3MilliardenDM im nächsten Jahr für Bund, Länder und
Gemeinden können aber keinen nennenswerten Spiel-
raum für weitere Steuersenkungen eröffnen. Das müsste
jedem Kundigen klar sein.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1413113900
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Leo Dautzenberg von der CDU/CSU-Frak-
tion.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Nun wird sich zeigen, ob Herr Dautzenberg ein Kundiger ist oder nicht!)



Leo Dautzenberg (CDU):
Rede ID: ID1413114000
Herr Schmidt, Sie
können ja zuhören.


(Detlev von Larcher [SPD]: Wir hören immer zu! Das merken Sie an unserer Reaktion!)


Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der
Vorlage des Steuersenkungsergänzungsgesetzes löst die
rot-grüne Bundesregierung nur teilweise ihre Zusagen aus
dem unechten Vermittlungsergebnis im Bundesrat vom
14. Juli dieses Jahres ein. Das nunmehr verabschiedete
Gesetz kann deshalb zu Recht als ein unzureichendes

Reparaturgesetz zur Unternehmensteuerreform und zur
Einkommensteuerreform bezeichnet werden.

Was jetzt repariert wird, war bereits im Mai bei der Ver-
abschiedung im Bundestag bekannt. Wir von der
CDU/CSU-Fraktion hatten damals den besseren und
sachgerechteren Alternativvorschlag unterbreitet:


(Jörg Tauss [SPD]: Doch der hat sich nicht durchgesetzt!)


Gleichbehandlung aller Einkunftsarten mit deutlich
niedrigeren Steuersätzen, und zwar sowohl in der Ein-
gangsbesteuerung mit 15 Prozent als auch in der Höchstbe-
steuerung mit 35 Prozent, und dies eben viel früher – näm-
lich bereits für das Jahr 2003 – als im Vorschlag von SPD
und Grünen, der dies erst zum 1. Januar 2005 vorsieht.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber leider nicht finanzierbar!)


Frau Kollegin Scheel, wenn ich höre, dass Ihre Vor-
schläge damals damit begründet wurden, das Finanzvolu-
men reiche nicht aus, diese Schritte zu vollziehen, muss
ich feststellen, dass durch das Herauskaufen mancher
Vorstellungen im Bundesrat tatsächlich das Volumen von
65MilliardenDM erreicht wurde, das auch Grundlage un-
serer Pläne zur Entlastung war.

Wir haben jetzt eine weitere Ungleichbehandlung zu-
lasten der Arbeitnehmer und der mittelständischen
Unternehmen. Frau Staatssekretärin, Sie können noch
hundertmal behaupten, dass das nicht so ist,


(Detlev von Larcher [SPD]: Schauen Sie sich doch die Zahlen an, Herr Dautzenberg!)


aber ich muss klar feststellen: Wir haben diese Unter-
schiede, wir haben diese Spreizung und haben durch die
Zeitverzögerungen bei der In-Kraft-Setzung mancher Ent-
lastungsmaßnahmen im Einkommensteuerbereich eine wei-
tere Mitfinanzierung der mittelständischen Wirtschaft und
vor allen Dingen auch der Arbeitnehmer für die Maßnah-
men, die Sie im Körperschaftsteuerbereich mit Ihrer De-
finitivbesteuerung im Umfang von 25 Prozent vollziehen.

Herr Kollege von Larcher, Sie wären der Anführer ei-
ner Revolution gewesen, wenn unter Helmut Kohl und
Theo Waigel beschlossen worden wäre, dass Kapitalge-
sellschaften ihre Beteiligungen im Grunde steuerfrei ver-
äußern können, während der Handwerksmeister, der sei-
nen Betrieb aufgibt, bei der Einkommensteuer weiterhin
mit seinem individuellen Steuersatz bis hin zum
Höchststeuersatz veranlagt wird.

Frau Kollegin Scheel, Ihre Äußerungen waren typisch
für Sie. Ich nehme an, dass Sie im Finanzausschuss
Stimmrecht haben.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


Das, was Sie eben angekündigt haben, hätten Sie bereits
am Mittwoch, im Zusammenhang mit den von uns vorge-
tragenen Vorstellungen, beschließen können. Sie hätten
auch heute noch die Möglichkeit, das zu verabschieden,
was Sie angekündigt haben.

Wenn etwas – das ist typisch für Sie – im Ausschuss be-
raten und im Plenum verabschiedet worden ist, führen Sie




Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks
12656


(C)



(D)



(A)



(B)


hinterher all diejenigen Ergänzungen des Steuerrechts
auf, die nach Ihrer Meinung auf jeden Fall noch vorge-
nommen werden müssten und für die Sie schon immer
eingetreten seien. Nehmen Sie Ihr Herz doch in beide
Hände und stimmen Sie einfach zu, wenn die Ent-
scheidung ansteht, und versuchen Sie nicht immer wieder,
nachher darauf hinzuweisen, was noch alles hätte besser
gemacht werden können.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man darf halt nicht nur die Backen aufblasen! Man muss auch gewährleisten, dass es im Bundesrat umgesetzt wird!)


Mit Ihren Regelungen zur Bemessungsgrundlage für
Zuschlagsteuern haben Sie im Grunde Ihr eigenes Un-
vermögen, eine vernünftige Steuerreform durchzuführen,
eingeräumt, weil Sie mit der Verbreiterung der kirchen-
steuerlichen Bemessungsgrundlage versuchen, genau das
rückgängig zu machen, was Sie im Rahmen eines steuer-
systematisch falschen Ansatzes selber verursacht haben.
Dazu werden wir eine Erklärung zur Abstimmung über
den von den Koalitionsfraktionen eingebrachten Entwurf
abgeben.

Wesentliche Regelungen des Steuersenkungsgesetzes
sind – das gesteht dieser Entwurf ein – steuersystematisch
verfehlt und mit dem Grundsatz der Besteuerung nach der
wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit unvereinbar. Die
Korrektur der Fehler, die bei der Festlegung der kirchen-
steuerlichen Bemessungsgrundlage gemacht worden
sind, ist nur unter Inkaufnahme zusätzlicher Belastungen
für die durch das Steuersenkungsgesetz bereits jetzt be-
nachteiligten Personengruppen möglich.

Die Rückgängigmachung der Gewerbesteueran-
rechnung verschärft die ohnehin zu große Spreizung zwi-
schen Kapitalgesellschaften und Personenunternehmen
und hat bis zum Jahre 2004 eine Erhöhung der kirchen-
steuerlichen Grenzbelastung gewerblicher Einkünfte zur
Folge.

Die Rückgängigmachung des Halbeinkünftever-
fahrens stellt eine besondere Härte für die schon durch
den körperschaftsteuerrechtlichen Systemwechsel be-
nachteiligten Kleinaktionäre dar.

Die CDU/CSU-Fraktion kann dem Gesetzentwurf des-
halb nur unter Zurückstellung schwerwiegender steuerpo-
litischer Bedenken zustimmen. Ausschlaggebend für un-
sere Zustimmung ist allerdings der Wunsch, die Finanz-
basis der Kirchen zu sichern und ihnen die Erfüllung ih-
res gesellschaftspolitisch unverzichtbaren Auftrages auch
in Zukunft zu ermöglichen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Kirchen dürfen nicht zu den Leidtragenden einer be-
reits im Ansatz verfehlten Steuerpolitik werden.

Das war die Erklärung zu unserem Abstimmungsver-
halten, die ich Ihnen, Herr Präsident, überreichen darf.

So viel zur Regelung der Bemessensgrundlage für Zu-
schlagsteuern.


(Jörg Tauss [SPD]: Schön herumgeeiert!)


Ich möchte jetzt – inhaltlich und formal – auf das Bera-
tungsverfahren zum so genannten Reparaturgesetz ein-
gehen.

Ich weiß nicht, was die Vertreter der Regierungsfrak-
tionen in der im Finanzausschuss durchgeführten An-
hörung wahrgenommen haben.


(Jörg Tauss [SPD]: Die Wirklichkeit!)

Nach meiner Wahrnehmung haben alle Sachverständigen
und Anzuhörenden, bis auf einen, nämlich den Vertreter
des DGB, Herrn Wehner, alles, was Sie vorgeschlagen ha-
ben, in Bausch und Bogen zurückgewiesen und für ver-
fehlt erklärt.


(Detlev von Larcher [SPD]: Das stimmt doch gar nicht!)


Wenn ich mir das Verhalten gerade der SPD-Kollegen
und der Grünen-Kollegen im Fachausschuss vor Augen
führe, dann muss ich feststellen: Ich habe selten erlebt,
dass sich ein Ausschuss frei gewählter Palamentarier zum
Abnickgremium entwickelt hat, wie es der Finanzaus-
schuss getan hat.


(Detlev von Larcher [SPD]: Sie haben keine Ahnung!)


All die Korrekturen, die Sie jetzt vornehmen, hatten
wir schon sowohl in der Anhörung als auch im Rahmen
des Gesetzgebungsverfahrens im Mai eingebracht. Sie ha-
ben im Grunde permanent gegen besseres Wissen be-
schlossen und müssen jetzt wieder reparieren. Das ist der
Tatbestand, um den es heute geht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Detlev von Larcher [SPD]: Ist doch al-
bern!)

Wir konnten uns darauf verständigen – dafür haben
wir gesorgt; das ist vielleicht das einzig positive Ergeb-
nis der Beratungen –, dass der Aktien- und Aktienderi-
vatehandel, den Sie zuerst im Zuschlagsteuergesetz re-
geln wollten – aus steuersystematischer Perspektive
wäre es wesentlich besser gewesen, wenn das im Steu-
ersenkungsergänzungsgesetz geregelt worden wäre –,
um keine anderen steuerrechtlichen Änderungen vor-
nehmen zu müssen – Sie haben es ja im Vermittlungs-
ausschuss Mitte dieses Jahres verschlimmbessert –, jetzt
im Investitionszulagengesetz geregelt wird. Damit wird
dem Wunsch der Kreditinstitute entsprochen, weiterhin
Verluste aus Aktiengeschäften verrechnen zu können,
und damit wird der Finanzplatz Deutschland in diesem
Bereich gesichert.

Den großen Wirtschaftsverbänden müssen wir deutlich
machen: Es kann nicht angehen, dass sie auf der einen
Seite der Definitivbesteuerung von 25 Prozent im Rah-
men der Körperschaftsteuer zustimmen,


(Jörg Tauss [SPD]: Das tut weh!)

– nein, das tut nicht weh –, dass sie aber auf der anderen
Seite sagen, die Opposition sei dafür zuständig, die Nach-
teile auszugleichen, die mit diesem System verbunden
sind. Die Verbände müssen akzeptieren, dass wir manche
Positionen, die die großen Wirtschaftsverbände in der An-
hörung vertreten haben, nicht übernehmen können, die




Leo Dautzenberg

12657


(C)



(D)



(A)



(B)


sich auf die andere Seite der Medaille, des Systemwech-
sels, beziehen.


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Anke Fuchs)

Dass die Steuerreform eine permanente Aufgabe sein

wird, sieht man daran, dass im „Handelsblatt“ vom 8. No-
vember zu lesen war, dass Teile der Steuerreform gegen
das Grundgesetz verstoßen, dass das Halbeinkünfte-
verfahren das verfassungsrechtliche Gebot der Besteue-
rung nach der Leistungsfähigkeit verletze. Warten wir ein-
mal die Entscheidungen des Verfassungsgerichts in Bezug
auf diese spannenden Fragen ab!

Die jetzigen Korrekturen sind halbherzig und unzurei-
chend. Wir haben die zukunftsweisenden Alternativen
vorgelegt und werden sie immer wieder neu vorlegen.
Dazu zählen die raschere und deutlichere steuerliche Ent-
lastung aller Einkommensteuerzahler und die Wiederein-
führung des halben durchschnittlichen Steuersatzes
entsprechend den Regierungsplänen, jedoch unter Einbe-
ziehung der Arbeitnehmerabfindungen und der Aus-
gleichszahlungen für die selbstständigen Handelsvertre-
ter. Dies darf nicht erst zum 1. Januar 2001 erfolgen,
sondern dies müsste – um den Vertrauensschutz zu wah-
ren – rückwirkend ab dem 1. Januar 1999 gelten;


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

denn zu diesem Zeitpunkt haben Sie mit Ihrem so ge-
nannten Steuerentlastungsgesetz diese Schwierigkeiten
verursacht.

Dass wir weitere Erleichterungen für Umstrukturie-
rungen von Personenunternehmen mithilfe einer besseren
Realteilung und des Mitunternehmererlasses brauchen,
möchte ich hier nur der Vollständigkeit halber erwähnen.

Was wir weiterhin brauchen, ist die Wiederheraufset-
zung der so genannten Beteiligungsgrenze nach § 17 des
Einkommensteuergesetzes. Sie wurde ja durch Ihr Steuer-
entlastungsgesetz auf 1 Prozent gesenkt. Wie wollen Sie
der New Economy verpflichtet sein, wie wollen Sie errei-
chen, dass sich junge Leute und die so genannten Busi-
ness Angels an diesen Unternehmen beteiligen, wenn Sie
gleichzeitig für den privaten Bereich die Beteiligungs-
grenze auf 1 Prozent herabsetzen? Das ist ein kontrapro-
duktiver Ansatz zu der von uns allen gewollten besseren
Grundlage für Existenzgründungen.

Eine Bemerkung zur kalten Progression. Frau Scheel,
Sie hatten behauptet, es gebe eine jährliche Entlastung
von 95 Milliarden DM. Diese Entlastung wirkt aber erst
ab 2005. Es liegen Berechnungen vor – der Kollege Rauen
hat in einer anderen Debatte zur Steuerreform schon da-
rauf hingewiesen –, die belegen, dass es im Jahr 2005 für
die Einkommensteuerzahler trotz der Senkung der Steu-
ersätze in den entsprechenden Schritten im Vergleich zur
heutigen Belastung zu einer Mehrbelastung von 0,5 Pro-
zent kommt. Das ist die Wirkung der kalten Progression.
Es muss also in Form eines so genannten Tarifs auf Rol-
len oder einer jährlichen Anpassung sowohl der unteren
als auch der oberen Proportionalzone eine Dynamisierung
erfolgen, damit die Bürger bei der Einkommensteuer
tatsächlich entlastet werden. Wenn das geschieht, kann
man sich im Rahmen von Steuerreformdiskussionen
tatsächlich auf eine Tarifreform konzentrieren.

Da die rot-grüne Regierung unseren Vorstellungen von
Steuerpolitik nicht gefolgt ist, wird es zwangsläufig wei-
tere Reparaturen geben müssen. Wir werden weiterhin für
eine moderne und zukunftsfähige Steuerreform eintreten


(Detlev von Larcher [SPD]: So wie in den 16 Jahren zuvor!)


mit deutlicher Nettoentlastung für alle, Gleichbehandlung
aller Einkunftsarten, rechtsformgerechter Besteuerung und
Besteuerung nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip. Die
Diskussion zur Steuerreform wird auch zukünftig auf der
politischen Agenda stehen.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1413114100
Ich erteile nun das
Wort dem Kollegen Detlev von Larcher, SPD-Fraktion.


Detlev von Larcher (SPD):
Rede ID: ID1413114200
Frau Präsidentin! Ver-
ehrte Kolleginnen und Kollegen! Heute ist ein schöner
Tag für die Sozialdemokraten, für die rot-grüne Koalition
und für die Bundesregierung:


(Beifall bei der SPD – Jörg Tauss [SPD]: Und für Deutschland! – Kurt J. Rossmanith [CDU/ CSU]: Ein peinlicher!)


Wir setzen heute den Schlusspunkt unter die größte Steu-
erreform in der Geschichte der Bundesrepublik, indem
wir die Entschließung des Bundesrates, die er am 14. Juli
dieses Jahres aus Anlass der Zustimmung zu unserem
Steuergesetz gefasst hat, in ein Gesetz umwandeln. Die-
ser 14. Juli war ein Freudentag für die Republik, für die
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, für die Familien,
für Klein- und Großunternehmer sowie für den Mittel-
stand.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Alle haben sich gefreut – bis auf die CDU/CSU. Ich

kann mich noch sehr gut an die blassen Gesichter der Mit-
glieder der CDU/CSU an jenem Freitagnachmittag erin-
nern, als wir anlässlich einer Delegationsreise unterwegs
waren.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Mit wem sprechen Sie denn? Doch nicht mit dem Mittelstand!)


Sie waren über die erste peinliche Blamage ihres Frakti-
onsvorsitzenden Merz und ihrer Parteivorsitzenden, Frau
Merkel, betrübt.

Es ist mir allerdings bis heute unverständlich, wieso
Herr Merz, Frau Merkel und mit ihnen die ganze
CDU/CSU-Fraktion nach der während der 16 Jahre ihrer
Regierung mit den Bundesländern gemachten Erfahrung
glaubten, die Länder würden nicht aufgrund ihrer eigenen
Interessen entscheiden. War alles vergessen? Litten Sie,
meine Damen und Herren der CDU/CSU, unter kollekti-
ver Verdrängung? Wissen Sie nicht, dass die Ministerprä-
sidenten in einem Eid geschworen haben, das Wohl ihres
Landes im Auge zu haben, und dass sie auf das Wohl der
CDU/CSU nicht eidlich verpflichtet sind? In den Tagen
danach kam es in Ihrer Partei zu einer sehr merkwürdigen




Leo Dautzenberg
12658


(C)



(D)



(A)



(B)


Debatte über die so genannten Abtrünnigen. Dies war ein
Sturm im Wasserglas, wie sich schnell herausstellte. Teil-
weise haben Sie sich wie Kinder benommen.

Herr Dautzenberg, Sie haben offensichtlich auch ver-
gessen, welchen Einfluss Sie als Parlamentarier und Mit-
glied der entsprechenden Arbeitsgruppe während Ihrer
Regierungszeit hatten. Ich sehe Sie noch im Ausschuss
sitzen. Da wussten Sie nicht, was Sie dürfen, bevor Ihnen
das Ihre Regierung nicht gesagt hatte. Jetzt sagen Sie, wir
in der Fraktion hätten keinen Einfluss. Wir haben auf die-
sen Gesetzgebungsprozess viel mehr Einfluss gehabt, als
Sie jemals während Ihrer Regierungszeit hatten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Insgesamt ist der Standort Deutschland heute attrak-
tiver als vor zwei Jahren beim

– rot-grünen –
Regierungsantritt. Die Investitionsbedingungen ha-
ben sich deutlich verbessert. Das hat nicht nur zu
mehr Investitionen durch einheimische Unterneh-
men geführt, sondern vor allen Dingen auch dazu,
dass sich ausländische Unternehmen verstärkt in
Deutschland ansiedeln.

Wer hat dies gesagt? Der Präsident des DIHT, Hans Peter
Stihl, in der „Welt“ vom 24. Oktober 2000.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Wo er Recht hat, hat er Recht!)


Auf die Frage nach dem Grund für diese Entwicklung
fügte Herr Stihl hinzu:

Die Steuerreform ist dafür verantwortlich, dass sich
die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft deutlich
gebessert haben.

So weit dieses Zitat.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Fragen Sie einmal den selbstständigen Handwerksmeister, nicht die Verbandsfunktionäre!)


– Warten Sie doch einmal ab!
Unbestritten ist es der Regierung Schröder in den ver-
gangenen zwei Jahren gelungen, verkrustete Struktu-
ren aufzubrechen und mit der Verabschiedung der
Steuerreform eine zentrale Weichenstellung für die
Zukunftsfähigkeit Deutschlands vorzunehmen. Diese
Reform bringt mit der Verwirklichung der Unterneh-
mensbesteuerung und deutlichen Entlastungen für
den Bürger durch die Senkung der Einkommensteuer
positive Wirkungen für Wachstum und Beschäfti-
gung. Damit ist ein erster großer Reformschritt zur
Modernisierung des Wirtschaftsstandortes Deutsch-
land erfolgt.

So der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes deut-
scher Banken, Manfred Weber.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Ihr umgebt euch mit sauberen Gesellen!)


Ich glaube, diese paar Sätze sprechen für sich. Geben
Sie endlich Ihre kleinkarierte und nur noch parteipolitisch
begründete Kritik an unserer Steuerreform auf!


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: SPD und Großbanken, bravo!)


Freuen Sie sich mit uns über diese gelungene Reform!
Freuen Sie sich mit uns, dass wir endlich wieder ein kräf-
tiges und stabiles Wirtschaftswachstum erreicht haben!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Freuen Sie sich mit uns, dass endlich wieder neue Arbeits-
plätze geschaffen werden und die Arbeitslosigkeit konti-
nuierlich zurückgeht!

Heute setzen wir, wie gesagt, mit der abschließenden
Beratung des Entwurfes eines Steuersenkungsergän-
zungsgesetzes den Schlusspunkt unter die größte Steuer-
reform in der Geschichte der Bundesrepublik.


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Das wird nicht der Schlusspunkt sein!)


Bereits im nächsten Jahr werden die Bürgerinnen und Bür-
ger sowie die Unternehmen um rund 45 Milliarden DM
entlastet und mit der letzten Stufe der Tarifsenkungen im
Jahr 2005 wird das Entlastungsvolumen auf circa 80 Mil-
liarden DM steigen.

Wie der Name schon sagt, handelt es sich hier um ein
Gesetz, das ein andere ergänzt. Deswegen möchte ich
kurz die wichtigsten Punkte des Steuersenkungsgesetzes,
um die es letztlich geht, nennen:


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Eine Lachnummer!)


Die Körperschaftsteuer wird drastisch gesenkt und
die Privilegierung ausgeschütteter Gewinne wird been-
det. Damit erhält Deutschland endlich ein modernes Un-
ternehmensteuerrecht, das den Anforderungen der euro-
päischen Integration und der Globalisierung gerecht
wird.

Für Personengesellschaften und Einzelunternehmer,
die nicht in den Genuss der Körperschaftsteuersenkung
kommen, sinkt nicht nur der allgemeine Einkommensteu-
ertarif deutlich, sondern bei ihnen wird zusätzlich die Be-
lastung durch die Gewerbesteuer pauschal mit der Ein-
kommensteuer verrechnet. Damit werden auch für diese
kleinen und mittelständischen Unternehmen hervorra-
gende steuerliche Rahmenbedingungen geschaffen.

Schließlich kommen alle Einkommensteuerzahler in
den Genuss weiterer Tarifsenkungen, mit denen wir den
Weg des Steuerentlastungsgesetzes konsequent weiterge-
hen. Ganz besonders wichtig ist für mich, dass das steu-
erfreie Existenzminimum schrittweise auf 15 000 DM an-
gehoben wird und der Eingangssteuersatz auf 15 Prozent
sinkt; er wird somit gegenüber dem Jahr 1998 fast hal-
biert. Der Spitzensteuersatz sollte schon ohne das Steuer-
senkungsergänzungsgesetz auf 43 Prozent sinken.

Eine solche Senkung der Steuersätze haben Sie, meine
Damen und Herren von CDU/CSU und F.D.P., zwar




Detlev von Larcher

12659


(C)



(D)



(A)



(B)


immer angekündigt, aber nie in einem ernst gemeinten
Gesetzentwurf auf den Weg gebracht.


(Beifall bei der SPD)

Das ist der Unterschied zwischen Ihnen und uns: Sie ha-
ben viel geredet, wir handeln.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ein durchschnittlich verdienender Arbeitnehmer, der

verheiratet ist und zwei Kinder hat, wird im kommenden
Jahr 2 930 DM weniger


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Das ist der beste Witz des Tages!)


und im Jahr 2005 sogar 4 056 DM weniger an Steuern
zahlen als im Jahre 1998, Ihrem letzten Regierungsjahr.
Da freuen sich die Eltern von Peggy und die Mutter von
Alex.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Peggy und Alex werden sich ebenso freuen, wenn sie ihr
Studium beendet haben und zur großen Gemeinde der ehr-
lichen Steuerzahler gehören. Mit ihnen freuen sich Milli-
onen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern.


(Zuruf des Abg. Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU])


– Schreien Sie doch nicht immer dazwischen. Ich werde
Ihnen gleich noch etwas sagen. Dann werden Sie hoffent-
lich stumm.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Das ärgert Sie! – Zuruf von der F.D.P.: Das macht uns alle sowieso schon sprachlos!)


So, wie es dem Bundesrat vorgelegt wurde, war das
Steuersenkungsgesetz für alle Steuerzahler, auch und ge-
rade für kleine und mittelständische Unternehmer, ein
großer Gewinn.


(Jörg Tauss [SPD]: Das ist wahr!)

Daran ändert auch nichts, dass das Handwerk und andere
mittelständische Unternehmen mit ihren Verbänden noch
nicht genug hatten.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Das ist natürlich eine Unverschämtheit, dem Handwerk so etwas vorzuwerfen!)


Herr Michelbach hat ja immer noch nicht genug. Er ist ja
wirklich der Lobbyist in eigener Sache. – Es ist ja nicht
ungewöhnlich und auch völlig legitim, dass gesellschaft-
liche Gruppen versuchen, noch mehr für sich herauszu-
holen.

Mit dem Steuersenkungsergänzungsgesetz, das wir
heute beschließen werden, kommen wir diesen Wünschen
weit entgegen. Der Spitzensteuersatz sinkt im Jahr 2005
auf 42 Prozent und damit wie der Eingangssteuersatz um
insgesamt 11 Prozentpunkte gegenüber 1998. Mit der
Neuregelung der Besteuerung von außerordentlichen Ein-
künften stellen wir sicher, dass diejenigen Unternehmer,
die für ihre Altersversorgung auf den Verkauf ihres Be-
triebes gesetzt haben, steuerlich nicht über Gebühr belas-
tet werden.

Dabei will ich auf zweierlei hinweisen: Erstens. Die
mit dem Steuerentlastungsgesetz geschaffene Fünfte-
lungsregelung wird für viele Unternehmer auch zukünf-
tig weitaus attraktiver sein als die Besteuerung mit dem
halben Steuersatz.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Zweitens. Mit der Beschränkung auf eine einmalige

Inanspruchnahme des Halbsteuersatzes und der Al-
tersgrenze stellen wir sicher, dass diese Regelung auch
tatsächlich nur ihrem Zweck entsprechend eingesetzt
wird. Das Scheunentor für professionelle Steuersparer,
das der alte § 34 ESAG war, bleibt geschlossen. Das kön-
nen Sie Herrn Solms, der leider weg musste, erzählen; er
hatte nämlich danach gefragt.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Fragen Sie doch einmal den Wirtschaftsund den Finanzminister, warum er nicht da ist! – Gegenruf von der SPD: Herr Michelbach ist auch nicht da!)


– Ich habe doch gesagt, er musste weg.
Nunmehr kann der Mittelstand nicht nur zufrieden

sein, nunmehr kann der Mittelstand jubeln. Und dies tut er
auch – anders, als Sie uns glauben machen wollen. In den
letzten Wochen habe ich in meinem Wahlkreis einige mit-
telständische Unternehmen besucht und auch intensive
Gespräche mit Vertretern des Handwerks geführt.


(Jörg Tauss [SPD]: Gute Wahlkreisarbeit! – Zuruf von der F.D.P.: Die haben Sie reingelassen?)


Sie alle schwanken zwischen Zufriedenheit und Begeiste-
rung darüber, dass wir den Reformstau endlich auflösen.
Sie alle haben sich sehr zufrieden über unsere Steuerre-
form geäußert.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Der Geschäftsführer meiner Kreishandwerkerschaft

hat mir erklärt, er kenne keinen Unternehmer in unserem
Landkreis, der mit unserem Reformpaket nicht einver-
standen sei.


(Beifall bei der SPD – Zuruf von der SPD: Guter Mann!)


Der jahrelange Stillstand in der Regierungszeit der Vor-
gängerregierung sei endlich überwunden. – Sie können
gerne nachfragen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Für die Menschen in unserem Land hat diese Koalition
in nur zwei Jahren mehr geschafft als Sie, meine Damen
und Herren von der Opposition, in 16 Regierungsjahren.
Darum sage ich noch einmal: Heute ist ein guter Tag für
die rot-grüne Koalition und – was viel wichtiger ist – ein
guter Tag für unser Land und seine Menschen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1413114300
Ich schließe die Aus-
sprache.




Detlev von Larcher
12660


(C)



(D)



(A)



(B)


Wir stimmen über den von der Bundesregierung ein-
gebrachten Gesetzentwurf zur Ergänzung des Steuersen-
kungsgesetzes, Drucksachen 14/4217, 14/4293 und
14/4547, Nr. 1, ab. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz-
entwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Gesetzentwurf ist gegen die Stimmen von
CDU/CSU und PDS in zweiter Beratung angenommen.

Wir kommen zur
dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer
stimmt dagegen? – Der Gesetzentwurf ist gegen die Stim-
men von CDU/CSU und PDS angenommen.

Wir kommen nun zur Beschlussempfehlung des Finanz-
ausschusses zum Antrag der CDU/CSU mit dem Titel
„Mittelstand entlasten – Steuersenkungsgesetz nachbes-
sern“, Drucksache 14/4547. Der Ausschuss empfiehlt un-
ter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung, den Antrag auf
Drucksache 14/4285 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stim-
men von CDU/CSU und PDS bei Stimmenthaltung der
F.D.P. angenommen.

Abstimmung über den von den Fraktionen der SPD
und des Bündnisses 90/Die Grünen eingebrachten Ge-
setzentwurf zur Regelung der Bemessungsgrundlage für
Zuschlagsteuern, Drucksachen 14/3762 und 14/4546. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschuss-
fassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist in zweiter Beratung angenommen.

Es gibt einige Erklärungen zur Abstimmung, die uns
schriftlich vorliegen.

Wir kommen zur
dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge-
genstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist
einstimmig angenommen.

Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 22 a bis d auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

richts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Woh-
nungswesen (15. Ausschuss) zu dem Antrag der
Abgeordneten Dr. Winfried Wolf, Christine
Ostrowski, Carsten Hübner, weiterer Abgeordne-
ter und der Fraktion der PDS
Für eine sozial, finanziell und ökologisch nach-
haltige Bundesverkehrswegeplanung
– Drucksachen 14/2262, 14/3904 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Horst Friedrich (Bayreuth)


b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Winfried Wolf, Gerhard Jüttemann, Rolf

Kutzmutz, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der PDS
Realisierung einer direkten Fernbahnverbin-
dung zwischen den Bahnhöfen Berlin-Ostbahn-
hof und Berlin-Lichtenberg beim Ausbau des
Eisenbahnknotens Berlin
– Drucksache 14/3783 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Woh-
nungswesen (15. Ausschuss) zu dem Antrag der Ab-
geordneten Dr. Winfried Wolf, Christine Ostrowski,
Dr. Gregor Gysi und der Fraktion der PDS
Überzählige Diesellokomotiven der DB AG
nicht verschrotten, sondern weiterverwenden
– Drucksachen 14/1930, 14/2788 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Klaus Hasenfratz

d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Woh-
nungswesen (15. Ausschuss) zu dem Antrag der Ab-
geordneten Dr. Winfried Wolf, Christine Ostrowski,
Rosel Neuhäuser, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der PDS
Beibehaltung der Reisezug-Verbindungen zwi-
schen Polen und Berlin
– Drucksachen 14/3191, 14/4121 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Wieland Sorge

Zu diesem Tagesordnungspunkt sind alle Reden bis
auf die Rede des Kollegen von der PDS zu Protokoll ge-
geben.1)

Ich erteile das Wort dem Kollegen Dr. Winfried Wolf.


Dr. Winfried Wolf (PDS):
Rede ID: ID1413114400
Sehr geehrte Frau Präsi-
dentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, dies
ist ein schlechter Tag für die Bahn, für die rot-grüne Re-
gierung wie auch für Herrn Klimmt und Herrn Mehdorn.
Wir haben die aktuellen Schreckensmeldungen über die
Bahn gehört: Bis letzte Woche hieß es, die Bahn würde in
den nächsten Jahren Gewinne machen. Seit dieser Woche
wissen wir, dass die Bahn in die Verlustzone fährt. Bis zur
letzten Woche hieß es, dass die Bahn für Schienen-
strecken zusätzliche Mittel aus UMTS-Erlösen erhalten
sollte. Jetzt wissen wir, dass eine Finanzierungslücke von
17 Milliarden DM existieren soll. Und jetzt sagen alle, sie
seien überrascht, dass Herr Mehdorn externen Sachver-
stand des Beratungsunternehmens McKinsey in sein Un-
ternehmen holten musste.




Vizepräsidentin Anke Fuchs

12661


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 21

In dieser Situation macht ein Blick ins Aktiengesetz
Sinn; dies gilt vor allen Dingen für die Parteien, die auf
diesem Gebiet versierter sind, nämlich für CDU/CSU und
F.D.P. Dort legen die §§ 93 und 116 fest, dass die Mitglie-
der von Vorstand und Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft
dazu verpflichtet seien, „bei ihrer Geschäftsführung die
Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Ge-
schäftsleiters anzuwenden“.

Ich behaupte, es ist nicht sorgfältig und nicht gewis-
senhaft, wenn hier Milliardenbeträge über Jahre hinweg
nicht in der Bilanz auftauchen. Ich glaube nicht, dass man
sich mit dem Hinweis entschuldigen kann, dass man das
erst jetzt erfahren hätte.


(Beifall bei der PDS)

Ich behaupte, dass die Bilanzen der Deutschen

BahnAG seit der Gründung des Unternehmens auf töner-
nen Füßen stehen. Im Jahr 1993 belief sich das Anlage-
vermögen von Reichsbahn und Bundesbahn noch auf
106 Milliarden DM. Im folgenden Jahr wurde das Anla-
gevermögen der Deutschen Bahn AG schlagartig nur
noch auf 27,2 Milliarden DM taxiert. Der Vater der Bahn-
reform, Professor Aberle, hat darauf hingewiesen, dass
damit zunächst einmal Luft für einige Jahre Gewinnaus-
weise geschaffen werde, dass dann aber die neuen Anla-
gen mit neuen Abschreibungen kommen würden und man
entsprechend in die Verlustzone fahren würde.

Mir liegt noch der Bericht des Bundesrechnungshofes
aus dem Jahr 1997, datiert auf den 21. Januar, vor. Darin
heißt es, dass

die von dem Unternehmen
– Deutsche Bahn AG –

dargestellten Erfolge im Wesentlichen ... auf erhöh-
ten Leistungen des Bundes oder auf Ausweisverän-
derungen der DBAG beruhen. Das Betriebsergebnis
zeigt eine deutliche Verschlechterung gegenüber
dem letzten Jahr vor der Bahnreform.

Was war die Folge? Man hat dem Bundesrechnungshof
verboten, die Bahnbilanzen in Zukunft weiter zu taxieren.
Er durfte nicht mehr eingeschaltet werden. Man hat all
diese Ergebnisse nicht zur Kenntnis genommen.

Wenn jetzt Mehdorn und Klimmt mit „neuen“ Vor-
schlägen kommen, sage ich: Das sind die alten Vor-
schläge; das heißt, hier wird neuer Wein in alte Schläuche
gegossen. Wenn jetzt wieder gesagt wird, der Verkehr
solle stärker „konzentriert“ werden und die Belegschaft
müsse weiter reduziert werden, während man die eigenen
Gehälter verdreifacht, stelle ich fest: Das ist genau der
falsche Weg, der Weg, der in die jetzige Misere geführt
hat.

Ich weise darauf hin, dass es, wenn die mittlere Trans-
portweite im Güterverkehr der Bahn bei 200 Kilometern
liegt, absurd ist, primär auf Züge über 400 Kilometer Ent-
fernung über ganz Deutschland hinweg zu setzen. Ich
weise darauf hin, dass es, wenn 90 Prozent des Personen-
verkehrsaufkommen im Nahverkehr registriert wird und
bezogen auf die insgesamt zugelegten Kilometer immer
noch 50 Prozent auf den Bereich unter 50 Kilometern ent-
fallen, völlig falsch ist, sich auf Korridore und Knoten zu

konzentrieren und damit das Hauptgeschäft der Bahn ab-
zuschreiben.


(Beifall bei der PDS)

Unser zentraler Antrag, der hier zur Debatte steht, for-

dert das Gegenteil. Wir setzen nicht auf Konzentration,
sondern wollen die Bahn als Flächenbahn erhalten und
weiter ausbauen. Wir sagen, dass keine Politik betrieben
werden darf, bei der jeweils am 31. Dezember des Jahres
festgestellt wird, dass die Straßenlänge in unserem Land
um 1 000 Kilometer erhöht wurde, während die Schie-
nenlänge um 500 Kilometer reduziert wurde; außerdem
sollen noch ein halbes Dutzend Flugbahnen hinzukom-
men. Dazu sagt der Sachverstand der Verkehrsinitiativen,
dass, wer Straßen sät, Straßenverkehr ernten, und wer
Flugbahnen baut, Flugverkehr ernten wird.

Ich meine, dass die Strafe von 27 000 DM, zu der Herr
Klimmt voraussichtlich wegen Beihilfe zur Untreue ver-
urteilt werden wird, Peanuts sind vor dem Hintergrund
der Bimbes-Affäre. Ich meine aber auch, dass die
Milliardensummen Verluste bei der Bahn, für die dieser
Verkehrsminister mit verantwortlich zeichnet, eine ein-
zige Bankrotterklärung für die Deutsche BahnAG und die
Verkehrspolitik des Bundes sind.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Jetzt ist, glaube ich, die Zeit abgelaufen!)


Nicht dem Aufsichtsratsvorsitzenden des FC Saarbrücken
Klimmt ist die rote Karte zu zeigen, sondern dem Verant-
wortlichen für diese verantwortungslose Verkehrspolitik
und Vertreter des Bundes als Eigentümer der Deutschen
Bahn AG.

Danke schön.

(Beifall bei der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1413114500
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen zu dem Antrag
der Fraktion der PDS „Für eine sozial, finanziell und öko-
logisch nachhaltige Bundesverkehrswegeplanung“, Druck-
sache 14/3904. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf
Drucksache 14/2262 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Bei Gegenstimmen der PDS ist die Beschluss-
empfehlung angenommen.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/3783 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussem-
pfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Woh-
nungswesen zu dem Antrag der Fraktion der PDS mit dem
Titel „Überzählige Diesellokomotiven der DB AG nicht
verschrotten, sondern weiterverwenden“, Drucksache
14/2788. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Druck-
sache 14/1930 abzulehnen. Wer ist für diese Beschluss-
empfehlung? – Wer ist dagegen? – Die Beschlussemp-




Dr. Winfried Wolf
12662


(C)



(D)



(A)



(B)


fehlung ist gegen die Stimmen der PDS-Fraktion ange-
nommen.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen zu dem Antrag
der Fraktion der PDS zur Beibehaltung der Reisezug-Ver-
bindungen zwischen Polen und Berlin, Drucksache
14/4121. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Druck-
sache 14/3191 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? –
Gegen die Stimmen der PDS-Fraktion ist die Beschluss-
empfehlung angenommen worden.

Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 23 auf.
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen
der SPD und BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
eingebrachten Entwurfs eines
Zweiundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung
des Abgeordnetengesetzes
– Drucksache 14/4241 –

(Erste Beratung 124. Sitzung)


a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäfts-
ordnung (1. Ausschuss)

– Drucksache 14/4560 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Uwe Küster
Eckart von Klaeden
Steffi Lemke
Jörg van Essen
Dr. Heidi Knake-Werner

b) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)

gemäß § 96 der Geschäftsordnung
– Drucksache 14/4564 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dietrich Austermann
Jürgen Koppelin
Dr. Christa Luft
Hans Georg Wagner
Antje Hermenau

Hierzu sind die Reden zu Protokoll gegeben worden.1)
Wir kommen daher zur Abstimmung über den von den
Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Abgeord-
netengesetzes auf Drucksache 14/4241. Der Ausschuss
für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung emp-
fiehlt auf Drucksache 14/4560, den Gesetzentwurf unver-
ändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz-
entwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? Gegen die Stimmen der
PDS-Fraktion der F.D.P.-Fraktion und von Teilen der
CDU/CSU-Fraktion bei Enthaltung eines Teils der
CDU/CSU ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung an-
genommen.

Wir kommen zur
dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf
ist bei einigen Gegenstimmen und einigen Enthaltungen
angenommen.

Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 24 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung des Soldatengesetzes
und anderer Vorschriften (SGÄndG)

– Drucksachen 14/4062, 14/4368 –

(Erste Beratung 124. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des
Verteidigungsausschusses (12. Ausschuss)

– Drucksache 14/4548 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Verena Wohlleben
Thomas Kossendey
Irmgard Karwatzki

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Damit sind
Sie einverstanden.

Ich eröffne die Aussprache. Zuerst gebe ich dem Parla-
mentarischen Staatssekretär Walter Kolbow das Wort.

Walter Kolbow, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi-

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1413114600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
bedanke mich für den freundlichen Empfang am Freitag
Nachmittag, ich weiß ihn zu würdigen.

Der heute zu behandelnde Gesetzentwurf zur Ände-
rung des Soldatengesetzes und anderer Vorschriften ist in-
tegraler Bestandteil der im Sommer dieses Jahres von der
Bundesregierung erfolgreich eingeleiteten Erneuerung
der Bundeswehr. Lassen Sie mich einige Neuerungen, die
mit dem vorliegenden Gesetzentwurf verbunden sind,
hervorheben.

Die erste wegweisende Neuerung ist die Öffnung aller
Bereiche der Streitkräfte für Frauen. Die Bundesregie-
rung verfolgt mit dem vorgelegten Gesetzentwurf das
Ziel, bis zum 1. Januar 2001 die gesetzlichen Regelungen
zu schaffen, die eine völlige Gleichbehandlung der
Frauen im täglichen Dienst sowie eine Einstellung und
Verwendung der Frauen allein nach den Kriterien der Eig-
nung, Befähigung und Leistung sicherstellen.

Wesentliches Anliegen des Gesetzentwurfes ist es, alle
Vorschriften aufzuheben, die bisher die Verwendung von
Frauen in den Streitkräften beschränkt haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der F.D.P.)





Vizepräsidentin Anke Fuchs

12663


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 22

Es soll künftig keinen Bereich der Streitkräfte mehr ge-
ben, der freiwillig Dienst leistenden Soldatinnen ver-
schlossen bleibt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der F.D.P.)


Ich bedanke mich beim Parlament für die konstruktive
und doch in den meisten Punkten übereinstimmende De-
batte zu diesem wichtigen Thema der Öffnung unserer
Bundeswehr für Frauen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich möchte einen zweiten Baustein erwähnen, und
zwar die klare Regelung für Soldatinnen und Soldaten, die
ein kommunales Mandat ausüben. Darüber ist im Vorfeld
intensiv diskutiert worden und dafür besteht auch Ver-
ständnis. Aber die Bundesregierung hat sich bei dieser
Neuerung davon leiten lassen, dass auch die Einsatzbe-
reitschaft der Streitkräfte Verfassungsrang besitzt. Darauf
mussten wir besonders hinweisen, nachdem wir den Wan-
del von der Verteidigungsarmee in der bipolaren Welt zur
Einsatzarmee zu vollziehen hatten. Es ändert sich auch
in Bezug auf die Gesellschaft manches, wenn nicht sogar
vieles.

Die Neuerung trägt damit den gewandelten Aufgaben
der Bundeswehr Rechnung. Diese Neuregelung wird
allein im Bereich der Streitkräfte Anwendung finden und
nur in ganz besonderen Ausnahmefällen zum Tragen
kommen. Die in den Gesetzentwurf aufgenommene For-
mulierung stellt dies auch unmissverständlich klar. Sie
schafft die rechtliche Voraussetzung, um eben in wenigen
Ausnahmefällen und lediglich, wenn ein geeigneter Er-
satz nicht zur Verfügung steht, Mandatsträgerinnen und
Mandatsträger im Soldatenstatus auch dann einsetzen
zu können, wenn sie sich auf eine kommunale Mandats-
tätigkeit berufen. Darüber hinaus entscheidet dies allein
das Bundesministerium der Verteidigung.


(Beifall bei der SPD – Dirk Niebel [F.D.P.]: Das haben wir beantragt! – Peter Zumkley [SPD]: Eine verbesserte Lage, die wir jetzt haben!)


Das Demokratieprinzip und das passive Wahlrecht der
Soldatinnen und Soldaten


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Das haben wir beantragt! Gut, dass Sie das mitmachen!)


werden hierdurch keinesfalls beeinträchtigt.

(Johannes Kahrs [SPD]: Gestärkt!)


Durch den absoluten Ausnahmecharakter wird es für
die derzeit rund 1130 kommunalen Mandatsträger, die
sich im Status eines Soldaten befinden, keine durchgrei-
fende Änderung der bisher geltenden Praxis geben. Die
Bundesregierung hat auch weiterhin größtes Interesse da-
ran, dass Soldatinnen und Soldaten durch Ausübung eines
kommunalen Mandates das politische Geschehen unmit-
telbar mitgestalten und so die Integration der Bundeswehr
in das gesellschaftliche Gefüge unter Beweis stellen.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P.)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1413114700
Herr Kolbow, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Rossmanith? –
Bitte sehr, Herr Kollege.


(Zuruf von der SPD: Er soll das Ganze hier nicht verlängern!)



Kurt J. Rossmanith (CSU):
Rede ID: ID1413114800
Herr Staatssekre-
tär, sind Sie tatsächlich der Meinung,


(Zuruf von der SPD: Ja!)

dass in einer Armee mit rund 320 000 Soldaten und
140 000 zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ein
einziger Fall, der hier bisher zutage getreten ist, sofort
eine Gesetzesänderung erforderlich macht?


(Beifall bei der PDS – Peter Zumkley [SPD]: Es gibt auch eine Grauzone!)


W
Walter Kolbow (SPD):
Rede ID: ID1413114900
Herr Kollege Rossmanith, diese
Frage hat ja in der Debatte nicht nur in den Ausschüssen,
sondern auch in der Öffentlichkeit eine Rolle gespielt.


(Zuruf von der SPD: Eine große Rolle!)

Wir haben uns selbstverständlich auch mit diesem Ar-

gument auseinander gesetzt und sind zu der Schlussfolge-
rung gekommen, dass wir, eben weil – das konstatiere
ich – 1995 nur ein Fall aufgetaucht ist und zu dem Be-
schluss eines Verwaltungsgerichtes geführt hat, diesen
Fall zum Anlass nehmen sollten, um für die Zukunft eine
Regelung zu treffen. Bei 8 000 Soldatinnen und Soldaten
im Einsatz können wir nie ausschließen, dass sich so et-
was wiederholt.


(Peter Zumkley [SPD]: So ist das! Was sich da in der Truppe abspielt!)


Sie lassen hier Folgendes anklingen. Ich als ehemaliger
Kommunalpolitiker kann das Argument von Kommunal-
politikern und Verbänden gut verstehen, wonach das kom-
munale Ehrenamt dadurch beschnitten werden solle.


(Zuruf von der SPD: Ist nicht der Fall!)

Das ist eben nicht der Fall. Es soll eher gestärkt denn ge-
schwächt werden


(Beifall bei der SPD)

durch diese Regelung, weil Rechtsklarheit hergestellt ist.


(Verena Wohlleben [SPD]: Genau das ist es! Es ist die Rechtsklarheit! – Peter Zumkley [SPD]: Gute Logik!)


Gestatten Sie mir eine Anmerkung eines ehemaligen
Stadtrates aus einer kleineren Großstadt: Es ist eben nicht
unbedingt so, dass in größeren Städten, gerade in Bal-
lungszentren, ein Ehrenamt ein reines Ehrenamt ist.


(Zuruf von der SPD: So ist es! Jawohl!)

Denn in großen Städten gehen die Anforderungen, die ein
Mandat mit sich bringt, schon in Richtung Hauptamtlich-
keit. Dies wird im Übrigen auch durch Aufwandsentschä-
digungen und Sitzungsgelder belegt.


(Beifall bei der SPD)





Parl. StaatssekretärWalter Kolbow
12664


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich meine, dass Regelungen in Bezug auf die Proble-
matik der Urlaubsversorgung für kommunale Mandats-
träger keinen Eingriff – ich darf das noch einmal unter-
streichen, weil uns wichtig ist, das deutlich zu machen –
in die kommunale Selbstverwaltung sind, wie es ver-
schiedentlich dargestellt worden ist. Hierzu – auch das
muss herausgestellt werden – kann sich die Bundesregie-
rung auch auf die Stellungnahme des Bundesrates zu dem
Gesetzentwurf der Bundesregierung berufen.


(Zuruf von der SPD: So ist es!)

Der Bundesrat verteidigt zweifellos die kommunalen In-
teressen mit aller Entschiedenheit. Als bayerischer Bun-
destagsabgeordneter weiß ich das doch auch von der in
diesem Fall zustimmenden Staatsregierung, Herr Kollege
Rossmanith, die


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Nein, in dem Fall nicht!)


in der Entschiedenheit der Verteidigung auch diese vorge-
sehene Regelung mitträgt.


(Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD])

Herr Kollege Rossmanith, im Ausschuss ist ja auch da-

rüber gesprochen worden, wie die Versagung einer
Tätigkeit nach Beendigung eines Dienstverhältnisses im
Zusammenhang mit § 20 a Soldatengesetz zu sehen ist.
Wir haben darauf hingewiesen, dass diese Regelung mit
dem vorliegenden Gesetzentwurf für Soldaten auf Zeit
bereits gelockert wird und dass es auch bisher schon
äußerst wenige Fälle gegeben hat, in denen ein Verbot
überhaupt ausgesprochen worden ist. Abgesehen davon
hat das Bundesverwaltungsgericht selbst die bisherige
stringentere Fassung des § 20 a Soldatengesetz als ver-
fassungsrechtlich unbedenklich bezeichnet. Gleichwohl
– das haben wir in den Ausschussberatungen zu diesem
Problembereich ebenfalls deutlich gemacht – werden wir
uns einem Dialog über die Auswirkungen dieser Vor-
schrift insbesondere auf Soldaten auf Zeit nicht ver-
schließen. Hierauf haben wir uns – ich wiederhole es, da-
mit wir das auch wieder aufnehmen können – in der
Sitzung des Verteidigungsausschusses am 8. Novem-
ber 2000 verständigt. Diese Problematik ist allerdings für
die Soldaten nur im Kontext des gesamten öffentlichen
Dienstes zu betrachten.

Als letztes bedeutsames Element des Gesetzentwurfes
erwähne ich die Neuregelungen, die zur Flexibilisierung
des Dienst- und Statusrechts der Soldatinnen und Sol-
daten beitragen sollen. Hierbei ist die Bundesregierung
von der Überlegung ausgegangen, dass angesichts der
notwendig werdenden Verschlankung der Streitkräfte
auch das Regelwerk zur Personalführung unserer Solda-
tinnen und Soldaten effizienter gestaltet werden muss.

So sollen die Vorschriften über die Zurruhesetzung der
Berufssoldaten dahin gehend geändert werden, dass auch
diese wie schon jetzt die Beamten nicht mehr lediglich zu
zwei bestimmten Terminen im Jahr, sondern monatlich in
den Ruhestand versetzt werden können. Auch sollen Be-
rufssoldaten, deren militärische Ausbildung mit einem
Studium oder einer Fachausbildung verbunden war, künf-
tig ihre Entlassung in bestimmten Fällen erst nach Ableis-
tung einer erhöhten Mindestdienstzeit, die studien- oder

ausbildungsbedingten Besonderheiten Rechnung trägt,
verlangen können. Schließlich sind neue Vorschriften vor-
gesehen, mit denen Berufssoldaten grundsätzlich zur Er-
stattung ausbildungsbedingter Kosten verpflichtet wer-
den. Von dieser Verpflichtung werden lediglich die
Berufssoldaten ausgenommen, die aus gesundheitlichen
Gründen entlassen werden müssen.

Der von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf ei-
nes Gesetzes zur Änderung des Soldatengesetzes und an-
derer Vorschriften ist, wie ausgeführt, sachgerecht und
notwendig. Er unterstützt die auf den Weg gebrachte Re-
form der Bundeswehr. Die beabsichtigten Neuerungen
belegen die Anpassung an wichtige gesellschaftliche Ent-
wicklungen ebenso wie das Bestreben nach mehr Flexibi-
lität und Effizienz. Die Bundesregierung stellt damit ihre
Bemühungen um fest in der Gesellschaft verankerte so-
wie zukunftsfähige Streitkräfte unter Beweis. Ich bitte da-
her um Ihre Zustimmung zu dem Gesetzentwurf.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dirk Niebel [F.D.P.])



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1413115000
Nun hat der Kollege
Paul Breuer, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Jetzt höre ich ein paar zustimmende Worte, etwas Kooperatives!)



Paul Breuer (CDU):
Rede ID: ID1413115100
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Mit der heutigen Beratung des Sol-
datengesetzes setzen wir einen vorläufigen Schlusspunkt
in der jahrelangen Diskussion um Frauen und Bundes-
wehr.


(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Arbeit fängt erst an!)


Wir, die CDU/CSU-Fraktion, haben der Änderung von
Art. 12 a des Grundgesetzes zugestimmt und damit deut-
lich gemacht, dass auch wir die Öffnung der Bundeswehr
für Frauen auf freiwilliger Basis sowie unter der Voraus-
setzung von Leistung, Eignung und Befähigung wollen.

Frauen werden in der Bundeswehr in Zukunft gleich-
berechtigt mit den Männern Dienst tun können. Ab dem
neuen Jahr heißt das, dass den Frauen in der Bundeswehr
die gleichen Aufstiegschancen wie den Männern eröffnet
werden müssen. Um in einem altbekannten Bild zu blei-
ben: Ab dem neuen Jahr werden auch die Frauen bei der
Bundeswehr den Marschallstab im Tornister haben.


(Peter Zumkley [SPD]: Gut so!)

Ich will darauf verweisen, dass wir ehrlicherweise den

Frauen und allen anderen sagen müssen, dass es in Zu-
kunft nicht nur Chancen, sondern auch Risiken geben
wird. Wir haben darauf zu verweisen, dass auch in den
Streitkräften unserer Partnerländer – in Armeen von De-
mokratien – Risiken für Frauen bestehen. Ich will nicht
verhehlen, dass bei uns in der Fraktion einige Kollegen
insbesondere hinsichtlich einer möglichen Verwicklung
von Frauen in Kampfeinsätze Bedenken haben.




Parl. StaatssekretärWalter Kolbow

12665


(C)



(D)



(A)



(B)


Wenn man sich hierzu die großen Diskussionen, bei-
spielsweise in unserem Partnerland Amerika anschaut,
dann wird man feststellen, dass es noch andere gesell-
schaftspolitische Risiken gibt, die auf die Frauen zukom-
men. Ich will deutlich sagen: Wir müssen das alles im
Auge behalten. Wir sollten vermeiden, die Fehler, die an-
dere gemacht haben, in der Bundeswehr im Hinblick auf
den freiwilligen Einsatz von Frauen zu wiederholen.

Ein weiterer Bereich, der in diesem Entwurf zur Ände-
rung des Soldatengesetzes angesprochen worden ist, ist
der Umgang mit Soldaten, die kommunale Mandatsträ-
ger sind. Das ist eine sehr sensible Frage. Jedem von uns
muss klar sein – Herr Kollege Kolbow, ich meine, bei Ih-
nen ist das nicht deutlich geworden –, dass ein wesentli-
ches Element des Staatsbürgers in Uniform – das ist das
Leitbild, das wir von unseren Soldaten in der Bundeswehr
haben – nicht nur das aktive, sondern auch das uneinge-
schränkte passive Wahlrecht ist.


(Beifall bei der CDU/CSU – Verena Wohlleben [SPD]: Absoluter Schwachsinn!)


Ich will nicht – das würde zu weit führen – die deut-
sche Geschichte bemühen, die zu betrachten gerade in
diesem Haus sehr wichtig wäre. Soldaten haben das
aktive wie das passive Wahlrecht. Es kommt nicht von un-
gefähr, dass auch sozialdemokratische Kolleginnen und
Kollegen im Innenausschuss darauf verwiesen haben, mit
dieser Änderung bestehe die große Gefahr, das passive
Wahlrecht könne für Soldaten in Bezug auf kommunale
Parlamente eingeschränkt werden.


(Peter Zumkley [SPD]: Sie haben die Vorlage nicht richtig gelesen!)


Dies wäre eine Attacke auf das Leitbild des Staatsbürgers
in Uniform.


(Beifall bei der CDU/CSU – Detlev von Larcher [SPD]: Das ist absoluter Unsinn! Das wissen Sie!)


– Wenn Sie sagen, das sei Unsinn,

(Detlev von Larcher [SPD]: Das ist es auch!)


dann will ich darauf verweisen, dass der Wehrbeauftragte
des Deutschen Bundestages, Ihr ehemaliger SPD-Kollege
Dr. Willfried Penner, von einer verfassungsrechtlichen
Bedenklichkeit gesprochen hat.


(Peter Zumkley [SPD]: Aber in einem anderen Zusammenhang!)


Ich sage Ihnen noch etwas dazu: Wir sollten einen
zweiten Gesichtspunkt betrachten, nämlich den, dass die
Bundeswehr eine Einsatzarmee ist. Die Frage der gesell-
schaftlichen Einbindung unter dem Gesichtspunkt, dass
die Bundeswehr jetzt eine Einsatzarmee ist, ist noch wich-
tiger als früher. Wenn Soldaten über lange Zeit hinweg
– vielleicht über Monate – in der Ferne Dienst tun müs-
sen, dann ist das Problem der gesellschaftlichen Einbin-
dung zu Hause – die Ausübung eines kommunalen Man-
dats gehört dazu – umso sensibler zu behandeln. Wenn Sie
unseren deutschen Soldaten, die heute auf dem Balkan
Dienst tun, das Signal geben, dass sie als Träger eines
kommunalen Mandats nicht mehr so wie früher er-

wünscht sind, dann ist dies hinsichtlich der Einbindung in
die Gesellschaft ein schlechtes Signal.


(Beifall bei der CDU/CSU – Peter Zumkley [SPD]: Das Signal ist doch in der jetzigen Regelung drin! Jetzt ist es so! – Weiterer Zuruf von der SPD: Das ist doch Quatsch!)


Noch absurder ist, dass Sie Ihren Gesetzentwurf dahin
gehend geändert haben, die gleiche Regelung für Beamte
nicht vornehmen zu wollen. Es war zunächst im Gesetz-
entwurf vorgesehen, dass dies auch für Beamte gelten
soll. Die Beamten sind ausgenommen. Wollen Sie jetzt
auch noch zu zweierlei Gesetzesgrundlagen für den öf-
fentlichen Dienst kommen? Beamte als kommunale
Mandatsträger erster Klasse und Soldaten als kommunale
Mandatsträger zweiter Klasse? Das ist absurd, meine Da-
men und Herren.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Umgekehrt!)


Das kommende Jahr 2001 soll ja das Jahr des Ehren-
amtes sein. Vor diesem Hintergrund möchte ich Sie ein-
mal fragen, wie sie mit einem solchen Signal junge Sol-
daten, die ja Menschen wie alle anderen sind und voller
und gleichberechtigter Bestandteil dieser Gesellschaft
sein sollen, für derartige Ehrenämter gewinnen wollen.
Ich finde, dass hier ein großer Fehler gemacht wird.

Eine letzte Feststellung zu diesem Punkt: Die Neure-
gelung, dass nicht die Dienstvorgesetzten über die Aus-
übung eines kommunalen Mandates, wenn Konflikte
beispielsweise aufgrund eines Einsatzes im Ausland auf-
treten oder die Urlaubsgewährung gefährdet ist, entschei-
den, sondern der Bundesverteidigungsminister,


(Johannes Kahrs [SPD]: Ist doch hervorragend!)


ändert doch grundsätzlich überhaupt nichts daran, dass
über ein kommunales Mandat, das von den Bürgern ver-
liehen wurde, von niemand anderem als vom Mandatsin-
haber verfügt werden darf. Es darf keinen Fremden geben,
der dieses Mandat in welcher Weise auch immer ein-
schränkt.

Ein weiterer Komplex, der im Soldatengesetz geregelt
wird, ist der Übergang ausgeschiedener Soldaten in zivile
Berufe, die in irgendeinem Zusammenhang mit der vor-
herigen Dienstausübung als Soldat stehen. Es ist
grundsätzlich wichtig, sich mit dieser Frage im Hinblick
auf die Gefahr des Missbrauchs von Wissen und der Kor-
ruption zu beschäftigen. Ich nehme die Anregung auf, die
der Kollege Kolbow hier gemacht hat – das war ja auch
Bestandteil der Beratungen im Verteidigungsausschuss –,
hier, obwohl wir nicht bei der alten Regelung bleiben kön-
nen, heute noch keinen Beschluss zu fassen. Andererseits
weist das aber auch darauf hin, dass der hier zu beratende
Gesetzentwurf nicht außerordentlich gut vorbereitet wor-
den ist.

Im Zusammenhang mit der Bundeswehrreform, die ja,
wie Sie ständig sagen, die größte Reform in der Ge-
schichte der Bundeswehr sein soll,


(Johannes Kahrs [SPD]: Ist!)





Paul Breuer
12666


(C)



(D)



(A)



(B)


– das werden wir noch sehen, Herr Kollege Kahrs; ich be-
zweifele das, ich befürchte eher, es wird eine Reformruine
sein –


(Johannes Kahrs [SPD]: Das haben wir ja die letzten 16 Jahre gesehen! Das war peinlich!)


wird von Ihrem Minister Scharping immer darauf hinge-
wiesen, dass eine stärkere Zusammenarbeit von Bundes-
wehr und Wirtschaft erfolgen solle.


(Johannes Kahrs [SPD]: Das ist gut so!)

Zu einer stärkeren Zusammenarbeit von Bundeswehr
und Wirtschaft gehört natürlich auch, dass Soldaten und
Menschen in der Wirtschaft stärker zusammenarbeiten.
Wenn man eine solche Konzeption propagiert, dann
müsste man beim Vorlegen von Gesetzentwürfen – das
merke ich kritisch an – doch vorher wissen, was man ei-
gentlich will. Wenn man nicht dazu in der Lage ist, in den
im Gesetzesvorschlag vorgesehenen Vorschriften darauf
Rücksicht zu nehmen, dann zeugt das nicht von konzep-
tioneller Planung, sondern im Gegensatz von ziemlichem
Chaos.

Ich kritisiere nicht, dass Sie jetzt einsehen, dass etwas
getan werden muss – da stimmen wir mit Ihnen überein –
und dass man Soldaten helfen muss, im Anschluss an ihre
soldatische Verwendung Möglichkeiten und Perspektiven
im zivilen Bereich zu finden.


(Johannes Kahrs [SPD]: Sie hatten 16 Jahre Zeit, Herr Breuer! – Gegenruf des Abg. Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Jetzt sind Sie dran!)


Meine Kritik lautet, dass Sie im Hinblick auf die Gesamt-
konzeption offenbar außerordentlich überhastet gehandelt
haben. Das lässt sich im Soldatengesetz auch an anderen
Dingen belegen.

Sie haben im Zusammenhang mit dem Soldatengesetz
dem Bundesrat falsche Gesetzentwürfe zugeleitet. Es sind
dadurch auch bei den Beratungen im Deutschen Bundes-
tag Verzögerungen eingetreten. In der Frage des freiwilli-
gen Einsatzes von Frauen in der Bundeswehr ist es sogar
dazu gekommen, dass Bewerberinnen ihre Bewerbung
deshalb zurückgezogen haben, weil es für sie sechs Wo-
chen vor geplantem Dienstantritt noch keine gesetzlichen
Grundlagen und keine Rechtssicherheit gab.


(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben in zwei Jahren geschafft, was sie in 16 Jahren nicht geschafft haben!)


Zusammenfassend möchte ich sagen: Das Chaos bei
der Vorbereitung von Gesetzentwürfen und die daraus fol-
gende Hast auch in der parlamentarischen Beratung sind
vermeidbar und müssen in Zukunft dringend vermieden
werden.

Ich bedanke mich.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1413115200
Nun erteile ich das
Wort der Kollegin Angelika Beer, Bündnis 90/Die Grünen.


Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1413115300
Frau
Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine
Fraktion begrüßt den Gesetzentwurf zur Änderung
des Soldatengesetzes, die wir heute zu verabschieden ha-
ben, ganz ausdrücklich. Diese Änderung schafft die
gesetzlichen Voraussetzungen für Frauen – Staatssekretär
Kolbow hat das ausgeführt –, nach Eignung, Leistung und
Befähigung zu allen Diensten in der Bundeswehr herange-
zogen zu werden oder sich freiwillig dafür zu entscheiden.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Das haben Sie ja bekanntlich schon immer gewollt!)


Diese Entscheidung wurde uns zwar vom Europä-
ischen Gerichtshof nahe gelegt; trotzdem wurde von mi-
litärischen Planern anfangs versucht, die eine oder andere
Ausgrenzung von Frauen zu manifestieren. Wir haben das
im parlamentarischen Verfahren kritisiert. Das Ergebnis
ist genau das, was wir brauchen, um eine Diskriminierung
von vornherein auszuschließen. Frauen, die sich freiwil-
lig für die Streitkräfte entscheiden, haben dort alle Rechte.
Das ist gut. Wir wollten es. Mit der Grundgesetzänderung
vor zwei Wochen haben wir es bestätigt.

In Zukunft haben Frauen, die sich für den Dienst in der
Bundeswehr entscheiden, die Verantwortung für einen
Einsatz in Krisen- oder sogar Kriegsgebieten zu tragen.
Die Diskussion darüber muss weitergeführt werden. Wir
stehen am Anfang und noch nicht am Ende, wie Sie eben
sagten, Herr Kollege Breuer. Wer sich dafür entscheidet,
Soldat zu werden, wird das auch verantworten. Wenn er
entschieden hat, dann wird er von seiner Entscheidung
nicht einfach zurücktreten.

Ich möchte unterstreichen, was die positiven Aspekte
dieser Entwicklung sind – ich weiß, dass gerade aus Ihrer
Fraktion einige darüber eher die Nase rümpfen –: Der
zukünftige Generalinspekteur kann eine Frau sein.


(Peter Zumkley [SPD]: Ja, so ist es!)

Ich fürchte, das wird etwas länger dauern und nicht der
nächste, sondern erst der übernächste Generalinspekteur
wird weiblich sein. Mit meiner Bemerkung will ich klar-
machen, dass es Frauen gibt, die sich entschieden haben,
ihr Recht in Anspruch zu nehmen und ihre Laufbahn in-
nerhalb der Streitkräfte durchzusetzen.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Wir haben ja schon eine Staatssekretärin!)


Für meine Fraktion will ich klar sagen: Wir sehen in der
Öffnung der Bundeswehr für die Frauen nicht die Gleich-
stellung der Frauen in der Gesellschaft per se. Es gibt nach
wie vor Diskriminierung, gerade im Erwerbsleben, insbe-
sondere wenn es um höher dotierte Beschäftigungen geht.
Dort werden die Frauen weiter kämpfen. Dieses Gesetz ist
ein Schritt hin zur Normalität, der von vielen jungen
Frauen längst erwartet worden ist.

Wir Grünen haben das Prinzip der Freiwilligkeit
– trotz früherer Bedenken – in den Vordergrund gestellt.
Das Prinzip der Freiwilligkeit, das für die Frauen jetzt gilt,
wird aus unserer Sicht über kurz oder lang – wir hoffen:
kurz – genauso für Männer gelten müssen; denn keiner
kann überzeugend erklären, warum Frauen ihren Dienst
an dem Auftrag, den wir als Parlament erteilen, freiwillig




Paul Breuer

12667


(C)



(D)



(A)



(B)


leisten können, während Männer dazu nach wie vor ge-
zwungen werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte noch etwas zu § 25 des Soldatengesetzes

sagen. Herr Kollege Breuer, ich glaube, dass hier etwas
unsauber argumentiert wird.


(Verena Wohlleben [SPD]: Das macht der immer! – Detlev von Larcher [SPD]: Das machen die alle!)


Faktisch ist es doch so, dass nach Weisungslage in der
Praxis der Disziplinarvorgesetzte das Recht hat, die kom-
munalpolitische Betätigung zu verweigern, weil er ei-
nen Anspruch für die Einsätze definieren kann.

Mit der Änderung des Soldatengesetzes sorgen wir
dafür, dass nicht mehr nur noch der Disziplinarvorge-
setzte nach Gutdünken entscheidet. Wenn ein Disziplinar-
vorgesetzter meint, er brauche einen bestimmten Mann
oder eine bestimmte Frau im Rahmen der Streitkräfteein-
satzplanung, dann muss das Bundesministerium der
Verteidigung entscheiden. Die Hürde dafür, dass kommu-
nalpolitische Betätigung versagt wird, legen wir weiter
nach oben. Das heißt, wir stärken das kommunalpoliti-
sche Engagement der Soldaten und Soldatinnen. Genau
das brauchen wir für die Stärkung der Idee des Staatsbür-
gers in Uniform.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dirk Niebel [F.D.P.]: Deswegen hat die F.D.P. das ja auch beantragt und Sie haben zugestimmt!)


– Nein, Sie sind nicht richtig informiert. Die gängige Pra-
xis ist, dass die kommunalpolitische Betätigung versagt
wird, ohne dass wir davon wirklich etwas mitbekommen
haben.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Ich stimme Ihnen zu, Frau Beer! Sie missverstehen mich! Ich lobe Sie sogar!)


Ich gehe davon aus, Herr Staatssekretär Kolbow, dass
nach der heutigen Verabschiedung des Gesetzentwurfs
auch die einschlägigen Weisungen geändert werden. Ent-
sprechende Erlasse müssen der heutigen Debatte und der
heutigen Änderung des Soldatengesetzes folgen. Ich
glaube, dass sowohl die Soldaten, die sich kommunal-
politisch engagieren, als auch diejenigen, die daran noch
kein Interesse gefunden haben, durch diese Diskussion
verstärkt motiviert werden, kommunalpolitische Verant-
wortung wahrzunehmen.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1413115400
Jetzt hat der Kollege
Dirk Niebel, F.D.P.-Fraktion, das Wort.


(Johannes Kahrs [SPD]: Lasst ihn! Der ist ganz nett!)



Dr. h.c. Dirk Niebel (FDP):
Rede ID: ID1413115500
Das sehen die Kollegen in mei-
nem Hauptausschuss ein bisschen anders. – Frau Präsi-
dentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die
Änderung des Soldatengesetzes bildet den Abschluss und
ist die endgültige Umsetzung dessen, was die F.D.P. seit
vielen Jahrzehnten gefordert hat.


(Johannes Kahrs [SPD]: Und wir machen es!)

– Auch Sie haben sich damals gesträubt, Herr Kollege. –
Es geht darum, dass Frauen freien Zugang zu allen Lauf-
bahnen in der Bundeswehr bekommen. Ich finde es doch
sehr befremdlich und geradezu heuchlerisch,


(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie mal was zur Zukunft!)


wenn ausgerechnet die Kollegin Beer hier so tut, als habe
sie das schon immer gewollt. Nach dem Magdeburger
Wahlprogramm sind Sie immer noch für die Abschaffung
der Bundeswehr.


(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Freiwilligkeit!)


Ungeachtet dieses Umstandes ist es dennoch gut, dass wir
mit der Umsetzung im Soldatengesetz die laufbahn-
rechtlichen Beschränkungen aufheben, sodass das
letzte geschlechtsspezifische Berufsverbot in der Bundes-
republik tatsächlich fällt. Die sprachlichen Anpassungen
sollten wir allerdings aufgrund der Erfahrungen mit ande-
ren, ähnlich revolutionären Ereignissen zumindest redak-
tionell begleiten. Ich kann mir vorstellen, dass noch das
eine oder andere Problem in der Umsetzung auf uns zu-
kommt.

Die Frage, inwieweit das passive Wahlrecht von Sol-
datinnen und Soldaten beschränkt werden kann, ist eine
ganz zentrale Frage in der Bundesrepublik Deutschland.
Die Bundeswehr als Parlamentsarmee lebt unter anderem
von der Verankerung in der Gesellschaft. Der Soldat als
Staatsbürger in Uniform ist Ausdruck des demokratischen
Selbstverständnisses der Streitkräfte. Aus diesem Grunde
wäre der vorgelegte Gesetzentwurf für uns eigentlich
nicht zustimmungsfähig gewesen, hätte nicht der Vertei-
digungsausschuss den von uns eingebrachten Änderungs-
antrag übernommen.


(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie bitte? Ihre Fraktion hat unserem Antrag zugestimmt!)


Die Verantwortung für den politischen Abwägungspro-
zess, ob der Einsatz Vorrang vor der Ausübung des
Mandates haben muss, soll vom Einheitsführer auf den
Bundesminister der Verteidigung verlagert werden. Der
Kollege Günther Nolting hat den Antrag gestellt, § 25
Abs. 3 Soldatengesetz entsprechend zu verändern. Das
macht auch Sinn, denn der Einheitsführer kann bei der
Entscheidung über die Frage, ob der Einsatz gefährdet
werden könnte, wenn eine bestimmte Person nicht dabei
wäre, selbstverständlich nicht völlig objektiv handeln. Er
muss ja immer das Gefühl im Hinterkopf haben, dass der
geschlossene Einsatz der Einheit womöglich gefährdet
werden könnte. Die Verlagerung auf den obersten
Dienstherren wird bei insgesamt 1 125 Betroffenen auch
nicht zu einer Überlastung des Bundesverteidigungsminis-
teriums führen.




Angelika Beer
12668


(C)



(D)



(A)



(B)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1413115600
Herr Kollege, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Beer?


Dr. h.c. Dirk Niebel (FDP):
Rede ID: ID1413115700
Nein, bei Frau Kollegin Beer ma-
che ich das nicht.


(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie Charmeur, Sie!)


Dies wird dazu führen, dass ein politischer Abwä-
gungsprozess stattfinden kann. Das ist fundamental
wichtig. Man muss – das kann der Einheitsführer im
Zweifelsfall nicht – schon unterscheiden, um welche
Mandatsträger es sich handelt; denn es ist ein Unter-
schied, ob ein Stadtrat einer derzeit vielleicht noch etwas
größeren Fraktion in den Auslandseinsatz gehen muss
oder ob der Stadtrat einer derzeit kleineren Fraktion, die
vielleicht nur ein Mandat hat, in den Auslandseinsatz ge-
hen muss. Letzteres hätte nämlich zur Folge, dass die Par-
tei, wenn sie im kommunalen Bereich weiterhin politisch
in Erscheinung treten wollte, auf dieses Mandat hätte ver-
zichten müssen. Ich traue dem Bundesministerium der
Verteidigung ohne weiteres zu, diesen Abwägungsprozess
durchzuführen. Deswegen war die Änderung, die wir
durchgesetzt haben, wichtig.


(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die haben wir durchgesetzt und Sie haben zugestimmt! Seien Sie doch einigermaßen realistisch! Die Fraktionen von SPD und Grünen haben den Gesetzentwurf geändert!)


Es ist ein guter Tag für die Frauen in diesem Land. Es ist
ein Tag der Verantwortung für die Soldatinnen und Sol-
daten, die sich in unserem Gemeinwesen engagieren. Wir
werden diesem Gesetzentwurf zustimmen.


(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil die SPD und die Grünen den Gesetzentwurf verbessert haben!)


Vielen Dank.

(Beifall bei der F.D.P.)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1413115800
Jetzt hat der Kollege
Johannes Kahrs, SPD-Fraktion, das Wort.


(Verena Wohlleben [SPD]: Stelle das bitte klar, dass das unser Antrag war und nicht der der F.D.P.!)



Johannes Kahrs (SPD):
Rede ID: ID1413115900
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Die Bundesregierung hat mit ihrem
Beschluss vom 14. Juni die grundlegende Neuausrichtung
der Bundeswehr eingeleitet. Mit der erforderlichen Zwei-
drittelmehrheit haben wir daraufhin in der vergangenen
Plenarwoche Art. 12 a Grundgesetz geändert. Es wurde
auch, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der
Opposition, insbesondere Herr Breuer, Ihren Wünschen
nach einer rechtlichen Klarstellung entsprochen. Eine
Wehrpflicht für Frauen ist mit der gefundenen Formulie-
rung ausdrücklich ausgeschlossen.

Die Änderung des Soldatengesetzes und anderer Vor-
schriften ist notwendig, damit die rechtlichen Vorausset-

zungen geschaffen werden, Frauen zum 1. Januar 2001
Zugang zu allen Teilstreitkräften der Bundeswehr zu er-
möglichen. Heute nun sind die gesetzlichen Vorausset-
zungen in der Folgegesetzgebung abschließend in zweiter
und dritter Lesung zu beraten und es ist darüber zu ent-
scheiden. Im Zusammenhang damit werden auch offene
Sachverhalte bereinigt, die eben dieser notwendigen Ein-
satzfähigkeit der Bundeswehr entgegenstünden.

Lassen Sie mich aufgrund meiner knappen Redezeit

(Dirk Niebel [F.D.P.]: Die ist viel länger als meine Redzeit!)

nur zwei Punkte des gelungenen Gesetzentwurfes unserer
Bundesregierung herausstellen: Erstens. Frauenwird der
ungehinderte Zugang in alle Bereiche der Streitkräfte ge-
währt. Die dafür vorgesehenen Änderungen im Soldaten-
gesetz sind gelungen und entsprechen den Notwendigkei-
ten voll und ganz.


(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Frauen müssen die gleichen Einstellungsvoraussetzungen
wie Männer erfüllen. Einzig Eignung, Leistung und Be-
fähigung entscheiden über das Einsatzspektrum der
Bewerberinnen; und nichts anderes.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Bislang haben sich 1 200 Frauen für den freiwilligen
Dienst in der Bundeswehr gemeldet. Das ist ein guter An-
satz und bestätigt unseren Reformkurs. Um die Zahl zu er-
höhen, müssen wir weiter aktiv Werbung betreiben und
die Attraktivität der Bundeswehr für Frauen – auch außer-
halb des Sanitätsdienstes – deutlicher in den Vordergrund
stellen.

Wir alle wissen auch, dass mit diesem Gesetz nicht alle
Probleme gelöst sind. Es wird natürlich eine Zeit dauern,
wir werden Probleme haben und gemeinsam daran arbei-
ten, aber am Ende wird sich alles regeln. Wichtig ist, dass
wir hier einen Anfang gemacht haben; es ist ein klarer, ge-
nauer und überfälliger Ansatz. Das möchte ich auch dem
Kollegen von der F.D.P. sagen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zweitens. Eine weitere, ganz wichtige Klarstellung be-
trifft § 25 Soldatengesetz. Meine Damen und Herren von
der CDU/CSU-Fraktion, die Änderung des § 25 Abs. 3
Soldatengesetz stellt für den betreffenden Soldaten bzw.
die betreffende Soldatin keine Gefährdung hinsichtlich
der Ausübung ihrer kommunalen Mandate dar.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das wollen wir auch gar nicht. Vielmehr begrüßen wir die
Übernahme kommunaler Mandate durch Soldaten und
Soldatinnen. Als Kommunalpolitiker kann ich das nur un-
terstützen.


(Beifall bei der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1413116000
Herr Kollege, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Rossmanith?






(C)



(D)



(A)



(B)



Johannes Kahrs (SPD):
Rede ID: ID1413116100
In Anbetracht der kurzen
Redezeit verzichte ich darauf. Danke.


(Beifall der Abg. Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: – Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Das ist kein schöner Zug!)


Die Übernahme kommunaler Mandate durch Soldatin-
nen und Soldaten ist Ausdruck der gewollten Einbindung
der Streitkräfte in den Staat und die Gesellschaft. Verfas-
sungsrechtliche Bedenken bestehen keineswegs; das hat
auch der Rechtsausschuss unzweideutig klargestellt. Je-
der, der die Stellungnahme gelesen und sie verstanden hat,
kann dies nachvollziehen.

Unser Entwurf führt daher mitnichten zu einer Aushöh-
lung des Demokratieprinzips oder des passiven Wahl-
rechts; denn Urlaub zur Ausübung eines kommunalen
Mandates kann nach unserem Entwurf nur versagt werden,
wenn nach einer eingehenden Abwägung den Interessen
des Dienstherrn gegenüber denjenigen der kommunalen
Selbstverwaltung ausnahmsweise der Vorrang einzuräu-
men ist.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Bis dahin ist die Sitzung längst beendet!)


Die hohe Bedeutung des Mandates der kommunalen
Selbstverwaltung wird somit besonders herausgestellt.
Durch die Formulierung „nur“, Herr Breuer, wird die Ab-
wägung verschärft und präzisiert.

Der Änderungsantrag der Regierungskoalition – –

(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN]: Nur in Ausnahmefällen!)

– Ich sagte: der Regierungskoalition, Frau Kollegin Beer;
dazu zählt nicht die F.D.P.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dirk Niebel [F.D.P.]: Schauen Sie einmal auf das Eingangsdatum, Herr Kollege!)


– Dass die F.D.P. vieles nachahmt, ist in Ordnung; sie ist
ja im Gegensatz zur CDU lernfähig.

Der Änderungsantrag der Regierungskoalition kodifi-
ziert eindeutig, dass die Höherbewertung des dienstlichen
Interesses nur die Ultima Ratio sein kann. Nur wenn der
Bundesminister der Verteidigung, unser Rudolf Scharping,


(Heiterkeit der Abg. Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Dirk Niebel [F.D.P.]: Das ist vielleicht euer Rudolf Scharping, meiner ist es nicht!)


keinen geeigneten Ersatz stellen kann, wird der Urlaub
versagt werden können. Hierdurch kann auch denjenigen
entgegengetreten werden, die befürchten, dass der ein-
zelne Disziplinarvorgesetzte vor Ort diese Interessenab-
wägung vornimmt. Der Bundesminister der Verteidigung
gewährleistet hier im Einzelfall die qualifizierte Ent-
scheidung.

Meine Damen und Herren von der Opposition, um es
für Sie nochmals ganz deutlich zu machen: Unser Entwurf
bedeutet eine klare Verbesserung der bisherigen Rechts-

lage. Die Ausübung des kommunalen Mandates wird ge-
stärkt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


In der Vergangenheit konnte der zuständige Disziplinar-
vorgesetzte selber aufgrund der damals geltenden Erlass-
lage des Bundesministers – Ihrer Erlasslage – den Urlaub
versagen.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Der entsprechende Passus bei den Beamten wird gestrichen!)


Jetzt kann er nur noch genehmigen oder ist gezwungen,
die Entscheidung dem Bundesverteidigungsminister vor-
zulegen.

Meine Damen und Herren, als Sie an der Regierung wa-
ren, haben Sie es ganz anders gehalten. Herr Dr. Wichert
hat doch an Herrn Bohl geschrieben, dass – im Auftrag
des Herrn Bundeskanzlers aus der Kabinettssitzung vom
18.Dezember 1995 – nach Möglichkeiten gesucht werden
soll, zu verhindern, dass sich Berufs- und Zeitsoldaten un-
ter Berufung auf ein kommunalpolitisches Mandat einem
Auslandseinsatz der Bundeswehr entziehen. Was Sie hier
veranstalten, ist doch heuchlerisch.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zurufe von der CDU)


Wir haben dafür gesorgt, zu einer vernünftigen Regelung
zu kommen, die das kommunalpolitische Mandat stärkt.
Damit verfolgen wir ein anderes Ziel als das, welches die
Damen und Herren von der CDU/CSU, als sie mit an der
Regierung waren, beabsichtigt haben. Mit unserer Rege-
lung wird das kommunalpolitische Mandat gestärkt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1413116200
Herr Kollege Breuer,
Sie wollten eine Zwischenfrage stellen, jetzt haben Sie
das Wort zu einer Kurzintervention.


Paul Breuer (CDU):
Rede ID: ID1413116300
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Machen Sie sich keine Sor-
gen, dass ich zu lange Ausführungen mache, aber ich
möchte die letzten Ausführungen von Herrn Kahrs zum
Anlass nehmen, auf eine Verantwortung hinzuweisen, die
Sie, meine Kolleginnen und Kollegen von den Fraktionen
von SPD und dem Bündnis 90/Die Grünen, in besonderer
Weise haben, nämlich nicht der Regierung bei jeder Frage
willenlos hinterher zu laufen. Notwendig ist, dass Sie Ihre
Verantwortung wahrnehmen und aktiv gestalten.


(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist unglaublich!)


Nehmen Sie sie doch wahr!
Herr Kollege Kahrs, ich bin fest davon überzeugt – ich

will in diesem Punkt auch meine Kollegen, auch die Kom-
munalpolitiker, mit in Anspruch nehmen –, dass es in der






(C)



(D)



(A)



(B)


CDU/CSU-Fraktion, wenn sie an Ihrer Stelle gewesen
wäre, keine Mehrheit für einen solchen Entwurf der Re-
gierung gegeben hätte, weil wir eine Partei sind, die kom-
munale Selbstverwaltung sehr hoch hält.

Ich halte es außerdem für problematisch, dass Sie hier
aus internen Vorgängen der alten Regierung zitieren. Dies
hat in keiner Zeitung gestanden; aber das ist eine andere
Frage. Wenn es so gewesen sein sollte, wie Sie es schil-
dern, bin ich davon überzeugt: Bei einer Regierungsmehr-
heit von CDU/CSU im Deutschen Bundestag wäre dies in
Wahrnehmung der Verantwortung des Parlamentes nicht
beschlossen worden.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1413116400
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, ich neige dazu, es dabei bewenden zu las-
sen und die Debatte über diesen Punkt hier abzuschließen,
da wir uns bemühen, den parlamentarischen Ablauf zu be-
schleunigen. Es ist unfair, wenn wir einige ermuntern,
ihre Rede zu Protokoll zu geben, und die Debatte dann
ungebührlich ausdehnen.


(Detlev von Larcher [SPD]: Das ist wahr!)

Deswegen lasse ich das hier so stehen und erteile der Kol-
legin Heidi Lippmann das Wort.


Heidi Lippmann-Kasten (PDS):
Rede ID: ID1413116500
Frau Präsidentin! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Die PDS-Fraktion wird ebenso
wie die CDU/CSU-Fraktion den vorliegenden Entwurf
zur Änderung des Soldatengesetzes ablehnen.


(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist die neue Koalition!)


Ginge es ausschließlich um die Anpassung einiger Para-
graphen angesichts der Gleichstellung von Frauen in der
Bundeswehr, würden wir uns – ebenso wie bei der Grund-
gesetzänderung – mehrheitlich enthalten, da es sich hier-
bei weder um einen Sieg der Gleichberechtigung noch um
den Wegfall des letzten Berufsverbots handelt.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Sie haben vorhin schon einmal mit der Union abgestimmt!)


Ob sich Frauen künftig an Kampfeinsätzen oder an Bom-
bardierungen von Zielen, wie zum Beispiel in Jugosla-
wien, beteiligen wollen, kann jede Einzelne freiwillig für
sich entscheiden; im Unterschied zu ihren männlichen
Kollegen, die sich entscheiden müssen. Das Festhalten an
den Zwangsdiensten für Männer bei gleichzeitiger Frei-
willigkeit für Frauen hat weder mit Gleichberechtigung
noch mit Gleichstellung zu tun,


(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber ein Schritt dahin!)


sondern dient lediglich – das wissen wir ja – der Verbrei-
terung der Rekrutierungsbasis. Schaffen Sie die Wehr-
pflicht ab, dann werden Sie wenigstens in Ihrer formalen
Argumentation glaubwürdiger.

Ausschlaggebend für unsere Ablehnung ist insbeson-
dere die geplante Änderung des § 25 Soldatengesetz, die
eben für so viel Aufruhr gesorgt hat. Es mutet schon
äußerst eigenartig an, dass eine Regelung, die den Ge-

danken des „Staatsbürgers in Uniform“ und seine Integra-
tion in die Gesellschaft besser verkörpert als kaum eine
andere, gerade von einer rot-grünen Regierung in Frie-
denszeiten derart beschränkt werden soll. Das dienstliche
Interesse der Bundeswehr – wenn auch nur ausnahms-
weise – höher zu bewerten als die freie Mandatsausübung
ist ein massiver Eingriff in ein Grundrecht, der weder in
Art. 17 a des Grundgesetzes noch in Art. 20 des Grund-
gesetzes vorgesehen ist. Ganz im Gegenteil: Er wider-
spricht dem Grundsatz, wonach die Exekutive die Legis-
lative nicht einschränken darf.

Nicht nur die Enquete-Kommission zum bürgerschaft-
lichen Engagement sieht dies ähnlich, auch der Rechts-
ausschuss hat uns aufgefordert, das Verhältnis zwischen
der Einsatzbereitschaft von Soldaten und der Beurlau-
bung zur Ausübung eines kommunalen Mandates unter
dem Aspekt einer – ich betone das – präziseren Güterab-
wägung zu überprüfen.


(Peter Zumkley [SPD]: Deswegen der Änderungsantrag!)


Auch der Bundeswehrverband und der Städte- und Ge-
meindetag, Herr Zumkley, lehnen die Gesetzesänderung
ab, da sie nicht nur eine Beschränkung bei der Mandats-
ausübung, sondern auch bei der Wählbarkeit von Solda-
ten befürchten.


(Zurufe von der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Regierungs-

koalitionen, die Einzigen, die daran glauben, dass es sich
bei dieser Ausnahmeregelung nicht um eine Beschrän-
kung handelt, sind Sie, einschließlich der Regierungsver-
treter. Kein Soldat nimmt an, die Änderung würde eine
Stärkung des kommunalen Mandats bewirken. Ganz im
Gegenteil.

Hinzu kommt, Kollege Kahrs, dass künftig auch Länder
und Gemeinden dem Beispiel des Verteidigungsministeri-
ums folgen können und nach Art. 137 Grundgesetz die
Wählbarkeit ihrer Beamten und Angestellten des öffentli-
chen Dienstes beschränken können. Dies gilt es ebenso zu
verhindern wie eine weitere Militarisierung der Gesellschaft
durch die Schaffung von Sondergesetzen für Soldaten, die
den Gedanken des Staatsbürgers in Uniform verletzen.

Danke schön.

(Beifall bei der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1413116600
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir stimmen über den von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Sol-
datengesetzes und anderer Vorschriften ab, Drucksa-
chen 14/4062, 14/4368 und 14/4548. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim-
men wollen, um das Handzeichen. – Gegenprobe! – Der
Gesetzentwurf ist gegen die Stimmen von CDU/CSU und
PDS in zweiter Beratung angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Ge-
setzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Gegen-




Paul Breuer

12671


(C)



(D)



(A)



(B)


probe! – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist gegen die
Stimmen von PDS und CDU/CSU-Fraktion angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 25 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten
Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsord-
nung und anderer Gesetze (2. FGOÄndG)

– Drucksachen 14/4061, 14/4450 –

(Erste Beratung 122. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)

– Drucksache 14/4549 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Alfred Hartenbach
Dr. Susanne Tiemann
Helmut Wilhelm (Amberg)

Rainer Funke
Dr. Evelyn Kenzler

Ich eröffne die Aussprache. Die Reden sind alle zu Pro-
tokoll gegeben.1) Deshalb schließe ich die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Ge-
setze, Drucksachen 14/4061, 14/4450 und 14/4549. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. –
Wer stimmt dagegen? – Stimmenthaltungen? – Der Ge-
setzentwurf ist gegen die Stimmen von PDS, F.D.P. und
CDU/CSU in zweiter Beratung angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Die
Gegenprobe! – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in
dritter Beratung angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 26 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Einführung einer Dienstleistungsstatistik und
zur Änderung statistischer Rechtsvorschriften
– Drucksache 14/4049 –

(Erste Beratung 121. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-
schusses (7. Ausschuss)

– Drucksache 14/4459 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Detlev von Larcher
Hansgeorg Hauser (Rednitzhembach)


Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der
CDU/CSU vor.

Ich eröffne die Aussprache. Die Reden sind alle zu Pro-
tokoll gegeben.2) Deswegen schließe ich die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Einführung einer Dienstleistungsstatistik und zur Ände-
rung statistischer Rechtsvorschriften, Drucksache 14/4049.
Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/
CSU auf Drucksache 14/4552 vor, über den wir zuerst ab-
stimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? – Wer
stimmt dagegen? – Der Antrag ist gegen die Stimmen von
CDU/CSU und F.D.P. abgelehnt.

Der Finanzausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Be-
schlussempfehlung die Annahme des Gesetzentwurfs
in der Ausschussfassung, Drucksache 14/4459. Wer
stimmt für den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung?
– Gegenprobe! – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist
gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. angenom-
men.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge-
genprobe! – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist gegen
die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. in dritter Bera-
tung angenommen.

Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 2 seiner
Beschlussempfehlung die Annahme einer Entschließung.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp-
fehlung ist angenommen.

Ich rufe Zusatzpunkt 5 auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen SPD und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent-
wurfs eines Sechzehnten Gesetzes zurÄnderung
des Bundeswahlgesetzes
– Drucksache 14/4497 –
Überweisungsvorschlag:Innenausschuss

Ich eröffne die Aussprache. Die Kollegen Harald
Friese und Dr. Max Stadler wollen reden. Die übrigen
Redner geben ihre Reden zu Protokoll.3) Dann gebe ich
jetzt dem Kollegen Friese das Wort.


Harald Friese (SPD):
Rede ID: ID1413116700
Frau Präsidentin! Meine sehr ge-
ehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich danke zunächst den
Kolleginnen und Kollegen, die an diesem späten Freitag-
nachmittag noch anwesend sind. Das ist ein gutes Zeichen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Iris Gleicke [SPD]: Das freut uns auch! – Dirk Niebel [F.D.P.]: Das ist ja wohl klar, wenn Sie mir meinen Wahlkreis zerschlagen wollen!)


Lassen Sie mich zu dieser Debatte eine Bemerkung
machen. Wir waren der Auffassung, dass im Rahmen der
ersten Lesung keine Debatte erforderlich sei. Die
CDU/CSU hat aber auf einer Debatte bestanden. Dann hat
sie erklärt, dass sie ihre Reden zu Protokoll gibt. Das ist
wirklich eine Pervertierung des Parlamentarismus. Parla-




Vizepräsidentin Anke Fuchs
12672


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 23
2) Anlage 24 3) Anlage 25

mentarismus bedingt nämlich Debatten und nicht den
Austausch von Reden, die zu Protokoll gegeben werden.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Das ändert nichts am Inhalt dieses schlechten Gesetzes!)


Aber damit muss man leben; wir können dies.
Lassen Sie mich kurz auf das Jahr 1998 zurückkom-

men. Der Deutsche Bundestag hat am 13. Februar 1998
eine komplette Wahlkreisreform beschlossen, die erfor-
derlich wurde, weil der Bundestag in der nächsten
Legislaturperiode verkleinert wird. Niemand rechnete vor
zweieinhalb Jahren damit, dass wir heute wieder über eine
Wahlkreisreform reden. Wir tun dies nicht aus Freude an
der Sache, sondern weil wir handeln müssen. Die Bevöl-
kerungsverteilung in Deutschland hat sich nämlich so
entwickelt, dass die gesetzliche Notwendigkeit besteht,
die Wahlkreise neu zuzuschneiden.

Erster Punkt. Wir haben eine Bevölkerungswande-
rung von den neuen in die alten Bundesländer, die dazu
führt, dass die neuen Bundesländer weitere zwei Wahl-
kreise verlieren. Die Zahl der Wahlkreise geht für das
Bundesland Sachsen von 21 bei der Bundestagswahl 1998
auf 17 zurück, für das Bundesland Sachsen-Anhalt ergibt
sich ein Rückgang von 13 auf 10 Wahlkreise. Zwei der
Wahlkreise, die jetzt zusätzlich verloren gehen, wachsen
Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg zu.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: So weit, so gut! Jetzt geht es um Details!)


Das heißt, es bestand die Notwendigkeit, die Wahlkreise
in diesen vier Bundesländern neu zuzuschneiden.

Wir ziehen die Konsequenzen aus der Bevölkerungs-
wanderung deshalb, weil wir ein hohes verfassungsrecht-
liches Risiko im Rahmen eines Wahlprüfungsverfahrens
eingehen würden, wenn wir dies nicht machen würden.
Denn das Bundeswahlgesetz ist im Jahr 1998 derart ver-
schärft worden, dass die Zahl der Wahlkreise nach Mög-
lichkeit dem Bevölkerungsanteil der Bundesländer ent-
sprechen muss und nicht soll, wie es früher war. Es
handelt sich also um eine Muss-Vorschrift. Die Folge da-
raus ist, dass die Zahl der Überhangmandate, die vom
Bundesverfassungsgericht nur geduldet werden, damit
zwangsläufig zurückgehen muss.

Die Folgen für die Arbeit der Abgeordneten aus den
neuen Bundesländern sind allerdings schwerwiegend. Es
wird sehr große Wahlkreise geben. Diesen Punkt werden
wir in der zweiten und dritten Beratung noch vertiefen
müssen. Die Wanderungsbewegung macht eines deutlich:
Wenn sie anhält, dann werden die neuen Bundesländer
noch sehr große strukturelle Probleme bekommen. Es ver-
lassen nämlich gerade die dynamischen und die jungen
Menschen die neuen Bundesländer, während die alten und
die sozial schwachen Menschen bleiben. Durch diese
Wahlkreisreform wird also ein gravierendes Problem für
den Aufbau Ost entstehen. Ich glaube, wir sind uns des
Problems in dieser Deutlichkeit noch gar nicht bewusst.

Zweiter Punkt. Es gibt eine Wanderungsbewegung
zwischen den Großstädten und Verdichtungsräumen und
dem Umland, also dem so genannten Speckgürtel. Auch
an dieser Stelle mussten wir Korrekturen vornehmen, weil
wir ansonsten in den Wahlkreisen eine Überschreitung der

gesetzlich zulässigen Abweichung von 25 Prozent gehabt
hätten. Man muss also die Konsequenzen in Form der Än-
derung des Bundeswahlgesetzes ziehen.

Wir wollen keine umfassende Reform. Wir beschrän-
ken uns in diesem Gesetzentwurf auf das, was wir tun
müssen, wobei wir die Wahlkreiskontinuität und die Ein-
haltung der Grenzen kommunaler Gebietskörperschaften
besonders berücksichtigt haben. Dieses war unsere Richt-
schnur.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Das mit der Kontinuität stimmt wohl nicht!)


Im Falle von Mannheim muss ich Ihnen sagen, Herr
Kollege Niebel: Wenn wir den Zuschnitt der Wahlkreise
in Baden-Württemberg so gelassen hätten, dann hätte der
alte Wahlkreis Mannheim eine Unterdeckung von
30,8 Prozent gehabt. Das ist vom Gesetz her schlicht und
einfach nicht zulässig.

Ich möchte noch einen weiteren Punkt anführen. Die
SPD-Fraktion hat am 13. Februar 1998 angekündigt, dass
sie die teilweise willkürlichen Wahlkreisentscheidungen,
die damals von der Mehrheit in diesem Hause getroffen
wurden, rückgängig machen wird, wenn sie in der nächs-
ten Legislaturperiode die Möglichkeit dazu hat. Die Mög-
lichkeit dazu haben wir nun. Deshalb wird mit diesem Ge-
setzentwurf die Rücknahme der von uns als willkürlich
zugeschnitten angesehenen Wahlkreise vorgenommen.
Ich nenne beispielsweise die Zuschnitte der Wahlkreise
München-Mitte, Mannheim, Köln, Essen-Mülheim und
Coesfeld-Steinfurt. Diese Regelung werden wir rückgän-
gig machen und auf Grundlage der Anträge, die wir 1998
gestellt haben, ändern.

Meine Damen und Herren, wir bieten der Opposition
offene und faire Gespräche an. Wir wollen an der alten
und guten Tradition dieses Hauses anknüpfen, Fragen des
Wahlrechts und des Wahlkreiszuschnittes einvernehmlich
zu regeln. Es wäre ein gutes Zeichen für den Deutschen
Bundestag, wenn die einstimmige Zustimmung Ausdruck
dieses Miteinander im Gesetzgebungsverfahren würde.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeodneten der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1413116800
Nun bitte ich um Auf-
merksamkeit für den Kollegen Dr. Max Stadler, F.D.P.-
Fraktion.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wo ist denn der Redner der CDU/CSU?)



Dr. Max Stadler (FDP):
Rede ID: ID1413116900
Frau Präsidentin! Meine
lieben Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen
und Herren! Auf den eigentlichen Grund, warum ich
mich am Ende dieser Plenarsitzung noch zu Wort melde,
werde ich am Schluss meiner kurzen Ausführungen zu
sprechen kommen. Zunächst einmal bleibt festzustellen,
dass wir vor vier Wochen schon einmal über das Wahl-
recht gesprochen haben und dass bei dieser Gelegenheit
von unserer Seite leider kritisiert werden musste, dass
die Regierungsfraktionen das, was die Bevölkerung im
Zusammenhang mit dem Wahlrecht eigentlich interessiert,




Harald Friese

12673


(C)



(D)



(A)



(B)


überhaupt nicht aufgreifen, nämlich die Frage, wie ange-
sichts des Vertrauensverlustes in Bezug auf die Parteien
mehr direkte Mitbestimmung der Bürgerinnen und Bürger
verwirklicht werden könnte, zum Beispiel durch Volks-
initiativen, Volksbegehren und Volksentscheide auch auf
Bundesebene und durch die Einführung halboffener Listen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der PDS)


Diese Kritik bleibt aufrechterhalten. Aber ich füge
hinzu: Es ist berechtigt, dass Sie in dem heute vorliegen-
den Gesetzentwurf nur ein Thema aufgreifen, nämlich die
Neugliederung der Wahlkreise. Denn dieses Thema ist so
schwierig, dass es in einem eigenen Entwurf abgehandelt
und nicht mit anderen Themen belastet werden sollte. Zu-
dem werden wir nächste Woche auf Antrag der PDS so-
wieso schon wieder über die strukturellen Fragen des
Wahlrechts sprechen.

Was die Neugliederung der Wahlkreise anbelangt, so
weiß jeder, dass es hier auch um Machtfragen geht. Da
wird danach geschielt, was für die einzelnen Parteien
günstig ist. Das betrifft natürlich insbesondere die großen
Parteien. Dennoch stelle ich für unsere Fraktion fest, dass
wir im Großen und Ganzen mit den gemachten Vorschlä-
gen einverstanden sein können.

Aber es gibt auch ernst zu nehmende Kritik. Der Kol-
lege Dirk Niebel hat mich zum Beispiel darauf aufmerk-
sam gemacht – das scheint mir überzeugend –,


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Der verfolgt wieder seine eigenen Interessen! – Gegenruf des Abg. Dirk Niebel [F.D.P.]: Nein, die der Bürger in meinem Wahlkreis!)


dass es in Bezug auf den Wahlkreis Heidelberg nicht hin-
genommen werden kann, dass 11 von 13 Gemeinden aus
dem bisherigen Wahlkreis herausgelöst werden sollen.
Das beträfe die Hälfte der Bevölkerung dieses Wahlkrei-
ses. Hier erscheint uns der Vorschlag der Landesregierung
Baden-Württemberg überzeugender, nämlich einen neuen
Wahlkreis im Bereich Enz-Kreis und Rastatt einzuführen.


(Beifall bei der F.D.P.)

Ähnliches gilt für Krefeld. Dort ist die noch von der al-

ten Regierungsmehrheit vorgenommene Neueinteilung
von der Bevölkerung nicht akzeptiert worden. Es läuft
eine Verfassungsbeschwerde. Ich finde, jetzt ist Gelegen-
heit, dieses Problem aufzugreifen. Denn es kann nicht
sein, dass eine Großstadt wie Krefeld keine eigene Ver-
tretung im Bundestag hat. Wir sind für einen Wahlkreis
Krefeld; das sollten wir korrigieren.


(Beifall bei der F.D.P. – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie können ja mal tragfähige Vorschläge im Ausschuss unterbreiten!)


Nun aber zu dem Grund, warum ich mich zu später
Nachmittagsstunde überhaupt noch zu Wort gemeldet
habe.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Eigentlich ist Ihre Redezeit schon vorbei!)


– Herr Kollege Schmidt, warten Sie ab. Ich will doch ge-
rade etwas Freundliches über die SPD sagen. Seien Sie
nicht so voreilig! – Es hat vonseiten der CDU/CSU im
Laufe des Verfahrens erhebliche Kritik an der Vorberei-
tung dieses Gesetzgebungsvorhabens gegeben. Für die
F.D.P. möchte ich ausdrücklich feststellen, dass wir kei-
nen Anlass haben, uns über das Verfahren, das Kollege
Friese im Vorfeld der Beratungen durchgeführt hat, zu be-
klagen.


(Beifall bei der F.D.P. und der SPD)

Wir sind vom Kollegen Friese zu jedem Zeitpunkt über

die geplanten Änderungen ausreichend informiert wor-
den. Es hat sich Gelegenheit ergeben, bei ihm im Vorfeld
kritische Anmerkungen anzubringen. Zum Beispiel sollten
ausgerechnet aus meinem Wahlkreis Passau vier Gemein-
den völlig systemwidrig in den Wahlkreis Deggendorf
umgegliedert werden. Meinen überzeugenden Gegen-
argumenten ist Kollege Friese gefolgt.

Man sieht, er ist zur Zusammenarbeit fähig. Ich hoffe,
dass sich das in den Ausschussberatungen fortsetzt, damit
wir auch bei anderen strittigen Punkten, von denen ich
hier zwei zur Diskussion gestellt habe, also Krefeld und
Heidelberg, in der Sache zu einer vernünftigen Lösung
kommen.


(Beifall bei der F.D.P. und der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1413117000
Damit schließe ich
die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfes
auf Drucksache 14/4497 an den in der Tagesordnung auf-
geführten Ausschuss vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesord-
nung.

Ich danke denjenigen, die hier geblieben sind, und be-
rufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf
Mittwoch, den 15. November 2000, 13 Uhr, ein.

Ich wünsche Ihnen allen ein schönes, terminarmes Wo-
chenende.

Die Sitzung ist geschlossen.