Gesamtes Protokol
Guten Tag, liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabi-
nettssitzung mitgeteilt: Entwurf eines Gesetzes über Teil-
zeitarbeit und befristete Arbeitsverträge und zur
Änderung und zur Aufhebung arbeitsrechtlicher Bestim-
mungen.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesmi-
nister für Arbeit und Sozialordnung, Gerd Andres. Bitte
schön.
G
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Heute hat die Bundes-
regierung den Gesetzentwurf über Teilzeitarbeit und be-
fristete Arbeitsverträge beschlossen. Wir setzen damit eu-
ropäische Richtlinien um, die auf Vereinbarungen der
europäischen Sozialpartner über Teilzeitarbeit und befris-
tete Arbeitsverträge basieren.
Ein erstes wichtiges Anliegen ist die weitere Förderung
der Teilzeitarbeit. Rund 3 Millionen Menschen wollen
eine Teilzeitbeschäftigung, aber es gibt nicht genügend
Teilzeitarbeitsplätze. Freiwillige Anstrengungen reichen
nicht aus. Die Möglichkeit, durch mehr Teilzeitbeschäfti-
gung das Arbeitsplatzangebot auszuweiten, bleibt unge-
nutzt. Die Benchmarking-Gruppe im Bündnis für Arbeit
hat festgestellt, dass Deutschland im internationalen Ver-
gleich zu wenig auf die Arbeitszeitbedürfnisse der Be-
schäftigten eingeht. Mit unserem Gesetzentwurf folgen
wir guten Beispielen europäischer Nachbarn.
Ein Teilzeitanspruch, wie er nun im Gesetzentwurf for-
muliert ist, kommt dem Wunsch nach Zeitsouveränität
entgegen. Das steigert die Motivation. Ohne motivierte
Mitarbeiter ist Wettbewerbsfähigkeit nicht machbar. Die
ersten Reaktionen in der Öffentlichkeit bestärken uns. Der
Anspruch auf Teilzeitbeschäftigung ist überwiegend posi-
tiv aufgenommen worden. Selbst der bayerische Minis-
terpräsident hat sich nach einem Bericht im „Spiegel“ in
diese Richtung geäußert. Er hat ebenfalls einen Rechtsan-
spruch auf Teilzeitarbeit in der freien Wirtschaft gefor-
dert.
Eines will ich betonen: Wir vermeiden eine Überforde-
rung der Arbeitgeber. Der Arbeitnehmer, der seine Ar-
beitszeit verringern will, muss dies dem Arbeitgeber spä-
testens drei Monate vorher mitteilen. Beide sollen in
einem Gespräch einen vernünftigen Interessenausgleich
finden. Wir wollen also, dass sich der Arbeitgeber auf die
neue Situation durch organisatorische oder personelle
Maßnahmen rechtzeitig einstellen kann. Er kann den
Wunsch auf Verringerung der Arbeitszeit ablehnen, wenn
anderenfalls die Organisation, der Arbeitsablauf oder die
Sicherheit im Betrieb wesentlich beeinträchtigt würden
oder unverhältnismäßig hohe Kosten entstünden. Wichtig
ist auch: In Kleinbetrieben mit bis zu 15 Beschäftigten be-
steht der Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit nicht. Auszu-
bildende zählen dabei nicht als Beschäftigte.
Mit diesen Regelungen wollen wir eine spürbare Aus-
weitung von Teilzeitarbeit erreichen, ohne das Interesse
der Arbeitgeber an einem reibungslosen Betriebsablauf zu
beeinträchtigen. Wir setzen darauf, dass Arbeitgeber und
Arbeitnehmer freiwillige Vereinbarungen schließen und
sich dabei auf den vorliegenden Gesetzentwurf stützen.
Entsprechend den Vorgaben der EG-Teilzeitrichtlinie soll
unser Gesetz die Akzeptanz für Teilzeitarbeit erhöhen. Es
soll eine Diskriminierung von Teilzeitarbeit verhindern
und den Wechsel von einem Vollzeit- in ein Teilzeitver-
hältnis oder umgekehrt erleichtern. Dadurch werden be-
stehende Arbeitsplätze gesichert und neue geschaffen.
Nicht zuletzt unterstützt diese Teilzeitinitiative auch die
Gleichstellung von Frauen und Männern in der Arbeits-
welt.
Auch bei den befristeten Arbeitsverträgen mussten wir
handeln. Ausgangspunkt ist ebenfalls eine EG-Richtlinie,
die auf einer Vereinbarung der europäischen Sozialpartner
beruht. Diese betonen, dass unbefristete Arbeitsverträge
die Regel sein sollen, räumen aber ein, dass befristete Be-
schäftigungen unter bestimmten Bedingungen den Be-
dürfnissen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern eher ent-
sprechen. Notwendig sei ein ausgewogenes Verhältnis
11485
120. Sitzung
Berlin, Mittwoch, den 27. September 2000
Beginn: 13.00 Uhr
zwischen flexibler Beschäftigung und sozialer Sicherheit
der Arbeitnehmer.
Wir teilen diese Position und sagen ja zur Flexibilität,
aber nein zu Heuern und Feuern. Mit unseren Regelungen
zur Befristung von Arbeitsverträgen erreichen wir dieses
Ziel. Wir schaffen eine zusammenhängende und vor allem
auf Dauer angelegte, verständliche gesetzliche Regelung
über Abschluss, Inhalt und Rechtsfolgen befristeter Ar-
beitsverträge. Das schafft Rechtssicherheit für Arbeitneh-
mer und Arbeitgeber auf diesem wichtigen arbeitsrechtli-
chen Gebiet.
Wie bisher ist die Befristung zulässig, wenn sie sach-
lich gerechtfertigt ist. Im Gesetzentwurf stehen beispiel-
haft Sachgründe, die aus der Rechtsprechung des Bun-
desarbeitsgerichtes entwickelt wurden. Ganz wichtig ist,
dass auch in Zukunft eine Befristung im Anschluss an eine
Ausbildung möglich bleibt. Damit respektieren wir die
Bemühungen jener Arbeitgeber, die über Bedarf ausbil-
den. Befristete Arbeitsverhältnisse können eine Brücke
zur Dauerbeschäftigung sein und den Start ins Berufsle-
ben erleichtern.
Es bleibt möglich, Arbeitsverträge ohne sachlichen
Grund zu befristen. Das erleichtert Unternehmen Neuein-
stellungen bei unsicherer Auftragslage und wechselnden
Marktbedingungen, sonst würden sich Ausweichreaktio-
nen wie Überstunden, Leiharbeit oder Verlagerung von
Tätigkeitsfeldern aus dem Betrieb oder Unternehmen hi-
naus verstärken. Mehr als die Hälfte aller befristeten Ar-
beitsverhältnisse münden in Dauerbeschäftigung. Diese
Brücke brauchen wir weiterhin.
Was wir aber endlich verhindern, sind so genannte Ket-
tenverträge; denn diese bedeuten nichts anderes als einen
Missbrauch der Befristungserleichterung. Nach der der-
zeitigen Regelung können Kettenbefristungen entstehen,
weil befristete Arbeitsverträge mit und ohne Sachgrund
unbegrenzt nacheinander geschlossen werden können.
Dem wollen wir einen Riegel vorschieben: Künftig ist die
Befristung eines Arbeitsvertrages ohne Sachgrund nur bei
einer Neueinstellung zulässig. Sie ist ausgeschlossen,
wenn mit demselben Arbeitgeber schon ein unbefristeter
oder befristeter Arbeitsvertrag bestanden hat. So werden
weiterhin Neueinstellungen erleichtert, aber jahrelange
Befristungsketten verhindert.
Gibt es Nach-
fragen? – Bitte schön, Herr Kolb.
Herr Staatssekretär, Sie
haben uns vorgetragen, dass die Bundesregierung jetzt
– ich sage, zum Glück – einen Schwellenwert in die ge-
setzliche Regelung aufgenommen hat. Das ist zu be-
grüßen. Der Bundeswirtschaftsminister hat sich mit sei-
nen Bedenken offensichtlich im Kabinett durchgesetzt.
Meine Frage ist: Welche Gründe haben dazu geführt, mit
der Zahl von 15 Beschäftigten jetzt einen weiteren
Schwellenwert in das ohnehin schon mit zahlreichen
Schwellenwerten belegte deutsche Sozial- und Arbeits-
recht einzuführen? Gibt es sachliche Erwägungen, bei be-
fristeten Arbeitsverhältnissen einen anderen Schwellen-
wert vorzusehen als etwa im Kündigungsschutzrecht?
G
Nein, wir haben die
Schwelle von 15 Beschäftigten auch in anderen gesetzli-
chen Vorhaben, wie Sie wissen. Es gab im Anhörungsver-
fahren eine Diskussion um die Frage, ob man Betriebe mit
einer geringen Zahl von Beschäftigten nicht von dieser
Regelung ausnehmen sollte. Wir haben uns dann darauf
verständigt, diese 15er-Regelung einzuführen.
Sie haben eine
weitere Nachfrage? – Bitte.
Ich wollte noch einmal
zur sachlichen Erwägung fragen: Wenn der Schwellen-
wert von 15 Beschäftigten jetzt Schule macht, das heißt –
aus welchen Erwägungen auch immer –, der richtige
Schwellenwert zu sein scheint, ist die Bundesregierung
dann bereit, auch im Kündigungsschutzrecht eine Anhe-
bung von derzeit fünf Beschäftigten auf richtigerweise
15 Beschäftigte vorzunehmen?
G
Nein, diese Absicht ha-
ben wir nicht.
Eine Nachfrage
des Kollegen Meckelburg.
Herr Staatsse-
kretär, die Unternehmen haben die Möglichkeit der Ab-
lehnung – ursprünglich hieß es: bei vorliegendem drin-
genden Grund. Sehen Sie nicht die Gefahr, dass diese
Möglichkeit – wie auch immer sie formuliert ist – dazu
führen wird, dass es im Zweifelsfalle zur sehr vielen ge-
richtlichen Verfahren kommt, wenn ein Arbeitnehmer den
Rechtsanspruch hat, aus Teilzeitarbeit einen Dauer-
arbeitsplatz zu machen?
G
Nein, das glauben wir
nicht. Wir setzen beispielsweise wie die Niederlande, die
ein ganz ähnliches Gesetz gemacht haben, darauf, dass
sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer verständigen. Wir ha-
ben eine ganze Reihe von Regelungen eingebaut, die ei-
nerseits verhindern sollen, dass der Arbeitgeber überfor-
dert wird, es aber auf der anderen Seite dem Arbeitnehmer
ermöglichen sollen, diesen Rechtsanspruch notfalls
durchzusetzen. Wir setzen aber darauf, dass weitgehend
Regelungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern
zustande kommen.
Zu einer weite-ren Nachfrage, bitte.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. September 2000
Parl. Staatssekretär Gerd Andres11486
Geringfügig
Beschäftigte sind ja auch Teilzeitarbeitnehmer. Wie wird
das Ganze gehandhabt, wenn nach diesem Gesetzentwurf
der Rechtsanspruch auch für diese Personen gelten soll?
Sehen Sie nicht insbesondere hier die Gefahr vieler ge-
richtlicher Verfahren?
G
Nein, wir haben ja be-
stimmte Kriterien festgesetzt. Der Arbeitnehmer kann
nicht willkürlich irgendeine Arbeitszeit fordern, sondern
nur eine Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit. Für
geringfügig Beschäftigte gibt es also bestimmte Bedin-
gungen; sie werden davon meiner Meinung nach nicht er-
fasst.
Jetzt hat der
Kollege Grehn das Wort.
Herr Staatssekretär, mit dem
Entwurf folgen Sie ja wohl der Aufforderung der Europä-
ischen Union, das Diskriminierungsverbot stärker durch-
zusetzen. Sie sind dem auch nachgekommen. Nur, in § 4
Abs. 2 ist festgelegt, dass es sachliche Gründe geben
kann, die eine Ungleichbehandlung von Arbeitnehmern
mit befristeten und unbefristeten Verträgen rechtfertigen.
Ich hätte gerne einmal gewusst: Welche sachlichen
Gründe sind das, oder obliegt es den Arbeitgebern zu ent-
scheiden, wen sie ungleich behandeln?
G
Sie meinen die sachli-
chen Gründe, die in § 4 Abs. 2 aufgeführt sind. Es kann
natürlich auch sachliche Gründe geben, die in der Person
des Arbeitnehmers liegen. Wir haben ja bestimmte Aus-
schlussgründe aufgenommen; sie sind explizit dargelegt.
Diese müssen gewürdigt werden. Dann kann es dazu
kommen, dass dies nicht entsprechend greift.
Möchten Sie
noch eine Nachfrage stehen?
Ja. Ich würde gerne fragen,
wie Sie hinsichtlich der Handhabung Rechtssicherheit
herstellen wollen, wenn es eine so allgemeine Aussage zu
den Gründen gibt, die beim Arbeitnehmer liegen? Die Ar-
beitgeber haben damit doch ein Instrument in der Hand,
die gewollte Gleichbehandlung nicht durchzusetzen.
G
Ich denke, dass wir mit
diesem Gesetz sehr umfassend Rechtssicherheit schaffen.
Ihre Frage geht ja in etwa in die gleiche Richtung wie die
Frage eben, dass man vermutet, dass ganz viele Fälle vor
Arbeitsgerichten landen. Die gesetzliche Konstruktion ist
so gewählt, dass wir sehr darauf setzen, dass es jenseits
der Bedingungen, die in § 4 Abs. 2 genannt sind, zu ver-
nünftigen Regelungen zwischen dem Arbeitgeber und
dem Arbeitnehmer kommt. Ich denke, das wird sich auch
weitgehend durchsetzen.
Jetzt hat der
Kollege Niebel das Fragerecht.
Herr Staatssekretär, Sie schrei-
ben in Ihrem Gesetzentwurf, dass die Ausweitung der
Teilzeitarbeit erhebliche beschäftigungspolitische Bedeu-
tung habe. Könnten Sie Ihre Erwartung konkretisieren,
was die Quantität der zu erwartenden beschäftigungspoli-
tischen Bedeutung anbetrifft, die Sie sich von dem
Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit erhoffen, und sagen,
um welchen Zeitraum es sich handelt?
G
Herr Niebel, es gibt eine
Reihe von Untersuchungen. Die letzte Untersuchung ist
vom IAB durchgeführt worden. Ich denke, dass sie Ihnen
als Abgeordnetem vorliegt. Es wird geschätzt, dass bis zu
1 Million zusätzliche Beschäftigungsverhältnisse ge-
schaffen werden könnten, wenn es in unserem System
– ich habe ja vorgetragen, dass rund 3 Millionen Arbeit-
nehmer den Wunsch äußern, ihre Arbeitszeit zu reduzie-
ren – zu einer großen Umsetzung eines solchen Anspruchs
kommt.
Über einen Zeitrahmen kann ich Ihnen nichts sagen.
Ich denke, man muss erst einmal schauen, wie die neue
rechtliche Regelung wirkt.
Bitte, Herr
Niebel.
Herr Staatssekretär, selbstver-
ständlich ist mir die Untersuchung des Instituts für Ar-
beitsmarkt- und Berufsforschung bekannt.
– Das sehe ich auch so. – Allerdings beantwortet das nicht
meine Frage. Denn wenn Sie eine solche gesetzliche Ini-
tiative auf den Weg bringen, dann werden Sie sich ja Ge-
danken gemacht haben, wie viel dieses Potenzials Sie
durch diese Initiative tatsächlich werden erreichen kön-
nen. Da würde mich die Vorstellung der Regierung schon
interessieren.
Oder gehen Sie davon aus, dass Sie es zu 100 Prozent aus-
schöpfen, dass also jeder, der einen Teilzeitwunsch hegt,
aufgrund dieses Gesetzes dann auch tatsächlich eine Teil-
zeitbeschäftigung bekommen wird?
G
Nein, das wird schondeshalb nicht funktionieren, weil der Wunsch nicht immerzu realisieren ist. Das hängt mit dem zusammen, was ichschon den vorherigen Fragestellern gesagt habe.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. September 2000 11487
Aber vielleicht darf ich einen Vergleich ziehen: Wir ha-ben in der Bundesrepublik Deutschland eine Teilzeitquotevon 19,5 Prozent. In den Niederlanden beträgt sie gegen-wärtig 39 Prozent. – Wenn es so ist, dass es bei den Be-schäftigten doch erhebliche Wünsche gibt, ihre Arbeits-zeit flexibler zu gestalten und zu reduzieren, und es inanderen, vergleichbaren Ländern eine deutlich höhereTeilzeitquote gibt, die auch entsprechend rechtlich unter-legt ist, dann wird unser Gesetz doch sicherlich dazuführen, dass die Teilzeitquote in unserem Lande steigt.Und wenn sie steigt, gibt es auch zusätzliche Beschäfti-gungsmöglichkeiten.Was das IAB und andere Institute dazu sagen, habe ichangeführt. Ich nehme an, Sie haben das vorher schonnachgelesen und es ist Ihnen somit bekannt. Es wäre si-cherlich Spekulation, zu sagen, in welcher Frist man dasumsetzen kann. Man wird die Entwicklung abwartenmüssen.
Jetzt hat die
Kollegin Baumeister das Wort.
Herr Staatssekre-
tär, sind Sie mit mir darin einig, dass sich sowohl im Be-
reich der Teilzeitarbeit als auch bei befristeten Arbeits-
verhältnissen für Kleinbetriebe eine relative Verschärfung
ergibt, die Sie mit einer Kleinstbetriebsklausel abmildern
könnten? Wären Sie bereit, sich das Problem mit den be-
fristeten Arbeitsverhältnissen noch einmal genauer an-
zusehen? Die Regelung stellt doch gerade für Kleinbe-
triebe – wir hatten gestern eine Diskussion mit den
Gewerkschaften – ein relativ großes Hemmnis dar. Befris-
tete Arbeitsverhältnisse sind zum Ausgleich von Schwan-
kungen für sie notwendig.
G
Nein, ich teile Ihre Ein-
schätzung überhaupt nicht. Kleinbetriebe sind schon von
daher nicht betroffen, weil wir im Geltungsbereich des
Gesetzes ausdrücklich Betriebe mit weniger als 15 Be-
schäftigten – dazu kommen noch die Auszubildenden –
ausgenommen haben. Im Übrigen müssen Sie wissen,
dass bei Betrieben bis zu fünf Beschäftigten das Kündi-
gungsschutzgesetz sowieso nicht greift. Die Beurteilung,
Kleinbetriebe würden besonders benachteiligt, kann ich
nicht teilen.
– Wenn Sie es von der Rechtssystematik her sehen, wurde
das Gesetz so gefasst, dass jede Befristung eines sachli-
chen Grundes bedarf. Wir schaffen dann sozusagen Zu-
satzregelungen für Neueinstellungen; da soll eine Befris-
tung ohne sachlichen Grund bis zu zwei Jahren mit
dreimaliger Verlängerung möglich sein. Insofern ist dies
eine gute Regelung. Der sachliche Grund für den Betrieb
muss nicht entfallen.
Ich sehe, dass es
keine weiteren Fragen zu diesem Thema mehr gibt. Gibt
es andere Fragen an die Bundesregierung? – Herr
Koppelin, wollen Sie zu diesem Thema oder zu einem
anderen Thema fragen?
Zu einem anderen Thema.
Herr Koppelin,
bitte.
Ich hätte gerne von der
Bundesregierung gewusst, ob man sich heute im Kabinett
mit dem Verstoß gegen die Bundeshaushaltsordnung
beschäftigt hat. Der Bundeshaushalt liegt jetzt dem Parla-
ment zur Beratung vor. Zum Einzelplan 14 sieht die Si-
tuation so aus, dass den entsprechenden Berichterstattern
sowie dem Haushaltsausschuss die notwendigen Fakten
und Unterlagen zur Beratung bisher nicht zur Verfügung
gestellt wurden. Das Finanzministerium hat dem Haus-
haltsausschuss nichts zugeleitet, sodass wir nicht erken-
nen können, was die Bundeswehr tatsächlich beschaffen
will. Das ist ein eindeutiger Verstoß gegen die Bundes-
haushaltsordnung.
Darf ich fragen, ob sich das Kabinett mit diesem Ver-
stoß gegen die Bundeshaushaltsordnung beschäftigt hat?
Wenn ich es
richtig sehe, sind wir jetzt schon beim Bereich der sonsti-
gen Fragen, also nicht bei Themen, die im Kabinett be-
handelt worden sind. Wer möchte vonseiten der Bundes-
regierung antworten? – Herr Staatsminister Bury, bitte.
H
Herr Kollege Koppelin, dieses Thema hat heute im
Kabinett keine Rolle gespielt.
Herr Koppelin,
bitte.
Herr Staatsminister, darfich Sie dann fragen, wie Sie diesen Verstoß gegen dieBundeshaushaltsordnung beurteilen? Der Haushalt liegtnun beim Parlament und nicht mehr bei der Regierungund damit sind nach der Bundeshaushaltsordnung sämtli-che Unterlagen zur Beratung zur Verfügung zu stellen.Das Finanzministerium ist bis heute nicht in der Lage, dieUnterlagen zum Verteidigungshaushalt zur Verfügung zustellen. Das heißt, Sie müssen damit rechnen, dass meineFraktion gegebenenfalls verlangen wird, die Beratungenfür den Verteidigungsetat um eine Woche zu verschieben,was letztendlich Auswirkungen auf die Haushaltsberatun-gen insgesamt haben würde. Sie können unsere Arbeitnicht in dieser Weise blockieren. Nicht Sie haben denHaushalt, sondern das Parlament hat ihn.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. September 2000
Parl. Staatssekretär Gerd Andres11488
Wenn ich es
richtig sehe, möchte jetzt Herr Staatssekretär Kolbow ant-
worten.
W
Herr Kollege Koppelin, die An-
gelegenheit hat heute auch im Verteidigungsausschuss
eine Rolle gespielt. In dieser Sitzung war der Herr Bun-
desminister der Verteidigung anwesend und hat auf Fra-
gen von Abgeordneten erklärt, dass zu den Beratungen im
Haushaltsausschuss und im Verteidigungsausschuss die
Unterlagen zur Verfügung stehen werden.
Jetzt gebe ich
der Frau Kollegin Hasselfeldt das Wort.
Die Bundesregie-
rung hat heute auch Entscheidungen im Zusammenhang
mit der Ökosteuer, nämlich eine Umwandlung der Kilo-
meterpauschale in eine Entfernungspauschale sowie ei-
nen Heizölkostenzuschuss, getroffen. Damit ist eine Min-
dereinnahme für die Länder verbunden. Wie hoch ist diese
Mindereinnahme und wie gedenkt die Bundesregierung
diese Mindereinnahme für die Länder und auch für die
Kommunen zu kompensieren, insbesondere vor dem Hin-
tergrund, dass die Einnahmen aus der Ökosteuer, die in
diesem Zusammenhang anfallen, ausschließlich dem
Bund zustehen?
Bitte schön,
Frau Staatssekretärin Hendricks.
D
Die Bundesregierung ge-
denkt nicht, diese Mindereinnahmen der Länder und der
Kommunen zu kompensieren. Bei der Entfernungspau-
schale handelt es sich um eine Verteilung nach dem Ein-
kommensteuerrecht. In der Finanzverfassung ist geregelt,
dass sowohl bei Mehr- als auch bei Mindereinnahmen
Bund und Länder mit jeweils 42,5 Prozent und die Kom-
munen mit 15 Prozent beteiligt sind. Das gilt im Guten
wie im Bösen; da können wir die Finanzverfassung nicht
außer Kraft setzen.
Beim einmaligen Heizölkostenzuschuss handelt es
sich um einen Zuschuss im Rahmen des Wohngeldgeset-
zes und des Bundesausbildungsförderungsgesetzes. Aus-
gaben im Zusammenhang mit diesen Gesetzen sind von
Bund und Ländern hälftig zu finanzieren. Das wird si-
cherlich auch so geschehen. Wie Sie wissen, spielt die
Ökosteuer dort überhaupt keine Rolle. Im Wesentlichen
geht es auch nicht um eine Kompensation einer Ökosteu-
erstufe, sondern um die Begegnung der weltweiten Öl-
preiskrise. Dies ist eine gesamtstaatliche Aufgabe.
Gibt es noch
eine weitere Frage an die Bundesregierung? – Das ist
nicht der Fall. Dann beende ich diese Befragung.
Wir kommen jetzt zu Tagesordnungspunkt 2:
Fragestunde
– Drucksache 14/4122 –
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums
für Bildung und Forschung auf. Zur Beantwortung der
Fragen ist Herr Kollege Catenhusen bereit.
Ich rufe die Frage 1 der Abgeordneten Maritta Böttcher
auf:
Welchen Stellenwert hat für die Bundesregierung gegenwärtigdie in der Koalitionsvereinbarung verankerte Zielsetzung einerAbsicherung der verfassten Studierendenschaft durch eine Weiter-entwicklung des Hochschulrahmengesetzes, insbesondere vordem Hintergrund der Überlegungen in Niedersachsen, die verfass-te Studierendenschaft im Landeshochschulgesetz abzuschaffen?
W
Frau
Kollegin Böttcher, auf Ihre Frage 1, welchen Stellenwert
für die Bundesregierung die Zielsetzung einer Absiche-
rung der verfassten Studierendenschaft im Hinblick auf
angebliche Überlegungen in Niedersachsen hat, antworte
ich Ihnen wie folgt: Wie in der Koalitionsvereinbarung
angekündigt, wird die Bundesregierung das Hochschul-
rahmengesetz in Abstimmung mit den Ländern fortent-
wickeln. Ab Oktober wird eine vom Bundesministerium
für Bildung und Forschung eingesetzte Bund-Länder-
Arbeitsgruppe auf Ministerebene die Beratungen über
notwendige Änderungen des Hochschulrahmengesetzes
aufnehmen. Dabei wird auch die Frage der Absicherung
der verfassten Studentenschaft einbezogen werden.
Bitte, Ihre Zu-
satzfrage.
Sie haben gesagt, das werde
ab Oktober beginnen. Können Sie etwas näher sagen,
wann wir mit einer HRG-Novelle zu rechnen haben? Ist
eventuell angedacht, das im Zusammenhang mit der Re-
form des Dienstrechtes zu tun?
W
Das ist
eine der Möglichkeiten. Diese Arbeitsgruppe wird noch in
diesem Jahr ihre Beratungen abschließen. Dann wird die
Bundesregierung auch diese Frage entscheiden. Sie kön-
nen davon ausgehen, dass wir uns nach dem bisherigen
Beratungsstand bemühen werden, bis etwa Ostern einen
Gesetzentwurf zu erstellen.
Ich rufe nun dieFrage 2 der Abgeordneten Böttcher auf:Sieht die Bundesregierung angesichts der anerkannten Not-wendigkeit des Engagements auch von Hochschulen und For-schungseinrichtungen gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassis-mus und Rechtsextremismus den Bedarf einer Erweiterung derAufgaben der verfassten Studierendenschaft nach dem Hoch-schulrahmengesetz?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. September 2000 11489
W
Frau
Böttcher, Ihre Frage nach dem Bedarf einer Erweiterung
der Aufgaben der verfassten Studierendenschaft nach dem
Hochschulrahmengesetz beantworte ich wie folgt: Die
verfasste Studentenschaft ist eine Körperschaft öffentli-
chen Rechts und insoweit ein Zwangszusammenschluss
von Studierenden. Nach § 41 des Hochschulrahmengeset-
zes umfasst die landesrechtlich zu regelnde Aufgaben-
stellung der verfassten Studentenschaften die Wahrneh-
mung der hochschulpolitischen, sozialen und kulturellen
Belange der Studierenden, die Pflege der überregionalen
und internationalen Studentenbeziehungen sowie die
Wahrnehmung studentischer Belange in Bezug auf sämt-
liche Aufgaben der Hochschulen nach dem Hochschul-
rahmengesetz.
Deshalb hat beispielsweise das Land Nordrhein-West-
falen in Ausfüllung der Handlungsspielräume des Hoch-
schulrahmengesetzes in seinem Universitätsgesetz als
Aufgaben der verfassten Studentenschaft festgelegt, dass
sie unter anderem an der Erfüllung der Aufgaben der
Hochschulen insbesondere durch Stellungnahmen zu
hochschul- oder wissenschaftspolitischen Fragen mitzu-
wirken hat und auf der Grundlage der verfassungsmäßi-
gen Ordnung die politische Bildung, das staatsbürgerliche
Verantwortungsbewusstsein und die Bereitschaft zur akti-
ven Toleranz ihrer Mitglieder fördern soll. Die Studieren-
denschaft und ihre Organe können in Nordrhein-West-
falen für die genannten Aufgaben Medien aller Art nutzen
und in diesen Medien auch die Diskussion und Veröffent-
lichung zu allgemein gesellschaftspolitischen Fragen er-
möglichen.
Die Bundesregierung geht davon aus, dass mit diesem
Gesetz der Handlungsspielraum des § 41 Hochschulrah-
mengesetz auf beispielhafte Weise präzisiert ist. Für uns
ist das Engagement der verfassten Studentenschaft gegen
Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Rechtsextremis-
mus durch den Spielraum des § 41 Hochschulrahmen-
gesetz abgedeckt.
Haben Sie noch
eine Zusatzfrage?
Ja, ich habe noch eine
Frage. – Was Sie gesagt haben, ist mir bekannt. Ich
möchte erweitert die Frage stellen: Wie steht die Bundes-
regierung rechtspolitisch zu dem Sachverhalt, dass bei
behaupteten Kompetenzüberschreitungen von Studieren-
denschaftsorganen durch Wahrnehmung des allgemein-
politischen Mandats eine Art Popularklage erhoben wer-
den kann, die dem Verwaltungsrecht im Übrigen fremd
ist?
W
Wir ha-
ben das Problem, dass zu unserem großen Bedauern seit
einigen Jahren die Frage der Auslegung des Handlungs-
spielraums des § 41 Hochschulrahmengesetz Gegenstand
von Klagen geworden ist, was zu einer sehr einschnei-
denden Bedrohung der Situation engagierter Funkti-
onsträger der verfassten Studentenschaft geführt hat.
Wir sehen auf der anderen Seite das Problem, dass wir
durch den Charakter des Hochschulrahmengesetzes als
Rahmengesetz des Bundes über Bestimmungen des Rah-
mengesetzes nicht die notwendige Präzision erreichen
können, die wir eigentlich für die Rechtssicherheit auf
diesem Gebiet gerade im Interesse der engagierten Stu-
denten und Studentenschaftsvertreter dringend bräuchten.
Trotz Ihres Hinweises sehen wir große Schwierigkei-
ten, jetzt über eine Novellierung des Hochschulrahmen-
gesetzes diese notwendigen Klarheiten zu schaffen. Wir
vertreten die Auffassung, dass auch andere Bundesländer
– etwa nach dem Beispiel von Nordrhein-Westfalen –
dort, wo solche Rechtsfälle anhängig werden, die not-
wendigen Präzisierungen über die eigenen Landeshoch-
schulgesetze vornehmen sollten. Das ist möglich und
kann auch zur Sicherheit des Umgangs mit dieser schwie-
rigen Materie auf allen Seiten beitragen.
Weitere Zusatz-
fragen liegen nicht vor. Ich danke Ihnen, Herr Staatsse-
kretär.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Wirtschaft und Technologie. Die Fragen
wird der Parlamentarische Staatssekretär Mosdorf beant-
worten.
Ich rufe die Frage 5 des Abgeordneten Koppelin auf:
Teilt die Bundesregierung die Meinung des Bundesministersder Verteidigung, Rudolf Scharping, dass die Genehmigung fürden Export einer Munitionsfabrik für die Türkei nur hätte abge-lehnt werden können, wenn gleichzeitig ein erheblicher Vertrau-ensschaden „in Kauf genommen worden wäre“ ?
S
Frau Präsiden-
tin, Herr Koppelin, ich würde ganz gern die Fragen 5
und 6 zusammenhängend beantworten.
Dann rufe ich
außerdem die Frage 6 des Abgeordneten Koppelin auf:
Teilt die Bundesregierung die Meinung des Bundesministersder Verteidigung, Rudolf Scharping, dass die Genehmigung fürden Export einer Munitionsfabrik für die Türkei erteilt werdenmusste, da „die Türkei NATO-Partner ist und schon wegen ihrergeografischen Lage von enormer strategischer Bedeutung ist“?
S
Die Bundes-regierung hat vor Erteilung der Ausfuhrgenehmigungdurch das Bundesausfuhramt den Fall sorgfältig geprüftund die Ausfuhr gebilligt. Dabei wurden die Einzelas-pekte des Falls untersucht. Hierbei spielten auch bündnis-politische Aspekte und vorangegangene positive Be-scheide auf Voranfragen eine Rolle.Im Übrigen kommentiert die Bundesregierung nichtdie Äußerungen von Bundesministern in Zeitungsinter-views.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. September 200011490
Herr Staatssekretär darf
ich Sie zu Ihrer letzten Bemerkung fragen, ob es eine neue
Entscheidung der Bundesregierung ist, dass sie Äußerun-
gen von Bundesministern nicht mehr kommentiert?
S
Ich glaube, es
gibt kein Amt der Bundesregierung, das regelmäßig die
Äußerungen und Interviews von Bundesministern kom-
mentiert. Davon ist mir nichts bekannt.
Ich bin gern bereit, Ihnen
da behilflich zu sein, und nenne zum Beispiel den Staats-
sekretär im Bundespresseamt.
S
Der kommen-
tiert keine Interviewäußerungen vom Verteidigungsmi-
nister oder von anderen Ministern.
Kommen wir zu den Fra-
gen!
Zwei haben Sie
schon verbraucht.
Das weiß ich. Ich weiß
auch, dass von dieser Regierung kaum Antworten zu be-
kommen sind. Wir versuchen es trotzdem.
Herr Staatssekretär, können Sie mir einmal den Unter-
schied erklären zwischen einer Munitionsfabrik und der
Lieferung von Panzern? Sie lehnen ja die Lieferung von
Panzern ab, weil man befürchtet, dass sie gegen Kurden
eingesetzt werden. In Bezug auf Munition haben Sie diese
Befürchtung nicht?
S
Ich kann die
Frage nicht nachvollziehen, weil wir keinen Antrag für
eine Panzerlieferung vorliegen haben.
Da es um Vertrauens-
schutz geht, darf ich Sie weiter fragen: Behaupten Sie,
dass eine Zusage bereits durch die alte Bundesregierung,
also vor dem Regierungswechsel, erfolgt ist? Das würde
bedeuten, dass solche Anträge über drei Jahre bearbeitet
werden müssen, bis darüber entschieden wird. Oder ist
meine Information richtig, dass diese Regierung die An-
frage bekommen und darüber entschieden hat? Wie beur-
teilen Sie in diesem Zusammenhang die Äußerungen Ih-
res grünen Koalitionspartners?
S
Verehrter Herr
Kollege Koppelin, ich darf Sie darauf hinweisen, dass die
Firma Fritz Werner Industrie-Ausrüstungen GmbH
langjährige Geschäftsbeziehungen in die Türkei hat, dass
sie seit langem Munition des älteren NATO-Standards lie-
fert und dass sie jetzt dabei ist, die bestehende Struktur zu
erweitern, um auch Munition des neuen Standards liefern
zu können, dessen Produktion entsprechende Technolo-
gieanlagen erfordert. Die deutsche Firma ist als Führer ei-
nes deutsch-belgisch-französischen Konsortiums aufge-
treten. In der Tat – da haben Sie völlig Recht – gab es alte
Anfragen und viele Voranfragen, die bindend waren. Die
Bundesregierung betrachtet diesen Fall als Altfall.
Eine Zusatz-
frage des Kollegen Kolb.
Herr Staatssekretär, Sie
haben gesagt, es gebe keine aktuelle Notwendigkeit, die
Lieferung einer Munitionsfabrik mit der Lieferung von
Panzern zu vergleichen. Ein Antrag sei nicht gestellt. Ich
frage deshalb nach, ob Sie über einen entsprechenden An-
trag, wenn er gestellt würde, analog entscheiden würden,
das heißt, ob Sie aus bündnispolitischen Gründen die Not-
wendigkeit der Lieferung einer Munitionsfabrik bejahen
würden. Wie gedenken Sie mit einem solchen Antrag um-
zugehen?
S
Herr Kollege
Kolb, wir haben, wie Sie sich sicherlich erinnern werden,
am 19. Januar dieses Jahres Grundsätze verabschiedet, die
eine genaue Prüfung aller Aspekte verlangen. Das wird
auch für neue Anträge gelten. Aber es gibt im Moment
keine Anträge. Sie werden verstehen – das haben Sie,
glaube ich, nicht anders gehandhabt –, dass ich mich hier
zu noch nicht gestellten Anträgen nicht hypothetisch
äußern möchte.
Eine Zusatz-
frage des Kollegen Niebel.
Herr Staatssekretär, Sie haben
eben zum Ausdruck gebracht, dass die Bundesregierung
in diesem Fall von einem Altfall ausgeht. Können Sie mir
erklären, weshalb die Bundesregierung drei Jahre bzw.
zumindest mehr als zwei Jahre benötigt hat, um über die
Lieferung der Munitionsfabrik zu entscheiden, wenn Sie
tatsächlich von einer rechtlichen Verpflichtung zur Liefe-
rung ausgegangen sind? Welche verwaltungstechnischen
Probleme haben dafür gesorgt, dass dieser Entschei-
dungsprozess nicht schneller abgeschlossen werden
konnte?
S
Herr KollegeNiebel, ich habe nicht gesagt, dass es drei Jahre gedauerthat. Das hat Ihr Kollege Koppelin behauptet.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. September 2000 11491
– Nein, Sie haben von drei Jahren geredet. Es wäre natür-lich besser für das Land, wenn wir schon drei Jahre regie-ren würden. Aber das ist eine andere Sache.
– Herr Koppelin, Sie haben doch nicht einmal einenLKW-Führerschein.
– Herr Niebel, das ist vorbildlich: Bundeswehr und Füh-rerschein Klasse II!Zurück zu Ihrer Frage, Herr Kollege Niebel: Es wur-den ganz offensichtlich schon frühzeitig, also schon unterder alten Bundesregierung – insofern haben Sie mit dendrei Jahren nicht ganz Unrecht –, Voranfragen und An-träge gestellt, weil sich die Hersteller in einem schwieri-gen Prozess befanden, nämlich einerseits der Erweiterungeiner bestehenden Fabrik und andererseits der Bildung ei-nes deutsch-belgisch-französischen Konsortiums. Unslag der entsprechende Antrag erst in diesem Frühjahr vor.Über diesen ist dann sehr rasch entschieden worden.
– Das ist doch nichts Neues. Rechtsbindungen bestandenschon vorher. Das war die Antwort auf die Frage vonHerrn Koppelin.
Es gibt keine
weiteren Zusatzfragen zu den Fragen 5 und 6. Der Voll-
ständigkeit halber sage ich, dass die Fragen 3 und 4
schriftlich beantwortet werden.
Wir kommen jetzt zu Frage 7 des Abgeordneten
Hartmut Koschyk. – Er ist nicht anwesend. Es wird ver-
fahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Arbeit und Sozialordnung. Zur Beant-
wortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin
Ulrike Mascher zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 8 des Abgeordneten Dirk Niebel auf:
Ist die Bundesregierung der Meinung, dass die Bearbeitungs-frist für die Erteilung von Arbeits- und Aufenthaltsgeneh-migungen, die für ausländische Computerexperten per Verord-nung innerhalb einer Woche abgewickelt werden – die sogenannte Green Card –, auch für ausländische Arbeitskräfte, diein Deutschland an Projekten beteiligt sind und den Regelungender Anwerbestoppausnahmeverordnung unterliegen, ebenfalls aufeine Woche verkürzt werden könnte, und, wenn nein, warumnicht?
Bitte, Frau Parlamentarische Staatssekretärin
Mascher.
U
Herr Abgeordne-
ter Niebel, die Bundesregierung beabsichtigt gegenwärtig
nicht, die in § 7 Abs. 1 der Verordnung über die
Arbeitsgenehmigung für hoch qualifizierte ausländische
Fachkräfte der Informations- und Telekommunikations-
technologie getroffene Regelung, nach der die Arbeits-
ämter innerhalb einer Woche über die Erteilung der Ar-
beitserlaubnis für ausländische IT-Fachkräfte bzw. deren
Zusicherung entscheiden sollen, auf andere Ausnahmen
vom Anwerbestopp zu übertragen.
Ziel der besonderen Regelung für Computerexperten
ist es, die Unternehmen durch ein beschleunigtes Verfah-
ren für die Erteilung der Arbeitserlaubnis im internationa-
len Wettbewerb um die besten IT-Fachkräfte zu unterstüt-
zen. Eine Verkürzung des Bearbeitungsverfahrens ist in
diesen Fällen deshalb möglich, weil es sich um einen klar
und einfach definierten sowie – im Gegensatz zu den Fäl-
len der Anwerbestoppausnahmeverordnung – von vorn-
herein auch zahlenmäßig begrenzten Personenkreis han-
delt. Dagegen wurden von den Arbeitsämtern im Rahmen
der Ausnahmen vom Anwerbestopp allein im vergange-
nen Jahr über 300 000 Arbeitserlaubnisse erteilt.
Eine Zusatz-
frage des Kollegen Niebel, bitte.
Frau Staatssekretärin, die
Anwerbestoppausnahmeverordnung regelt Ausnahmen
vom generellen Anwerbestopp. Diese Ausnahmen sind
selbstverständlich in der selbigen Verordnung klar umris-
sen und genau geregelt, weil sie sonst nicht handhabbar
wären. Was spricht dagegen, dass diese Kräfte, für die ex-
tra eine Ausnahme geschaffen worden ist, in der deut-
schen Wirtschaft ebenso dringend gesucht werden wie
Fachkräfte in der IT-Branche?
U
Bei der
IT-Branche ist eine zahlenmäßige Abgrenzung möglich,
die Sie bei den anderen – ohne Zweifel klar definierten –
Ausnahmen der Anwerbestoppausnahmeverordnung so
nicht vornehmen können.
Eine weitere Zu-
satzfrage des Kollegen Niebel.
Frau Staatssekretärin, es ist lo-
benswert, dass im Rahmen der so genannten Green Card
die Arbeitsverwaltung offenkundig in der Lage ist, inner-
halb einer Woche zumindest über die Zusicherung der Ar-
beitserlaubnis zu entscheiden. Aus welchem Grund ist es
so viel schwieriger, über einen Arbeitserlaubnisantrag bei
Ausländern, die sich bereits im Inland befinden, zu ent-
scheiden, wenn – das wissen wir doch alle – eine Min-
destprüffrist von vier Wochen vorgeschrieben ist?
U
Herr Niebel, auchSie wissen, dass die Prüffrist festgelegt wurde, weil essich um eine Arbeitsmarktprüfung handelt. Angesichtsder noch immer sehr hohen Arbeitslosigkeit – im Momentgeht sie glücklicherweise zurück – halte ich es im Rahmeneiner verantwortlichen Politik für notwendig, dass wir un-tersuchen, ob auch inländische Arbeitssuchende infragekommen und wie die Auswirkungen auf inländische Ar-beitssuchende sind.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. September 2000
Parl. Staatssekretär Siegmar Mosdorf11492
Ich rufe jetzt die
Frage 9 des Abgeordneten Klaus Hofbauer auf:
Wie viele Arbeitsgenehmigungen sind für tschechische Bür-
gerinnen und Bürger im Rahmen der Grenzgängerregelung in der
ostbayerischen Region – möglichst aufgeteilt nach Arbeitsamts-
bezirken – erteilt worden und welche Erfahrungen liegen im Zu-
sammenhang damit vor?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
U
Herr Kollege
Hofbauer, im Jahre 1999 wurden für tschechische Bürge-
rinnen und Bürger im Landesarbeitsamtsbezirk Bayern
796 Arbeitsgenehmigungen für die erstmalige Beschäfti-
gung, 4 135 für die Fortsetzung der Beschäftigung und
1 794 für eine erneute Beschäftigung erteilt. Eine Diffe-
renzierung der Zahlen nach Arbeitsamtsbezirken der ost-
bayerischen Region war kurzfristig leider nicht möglich.
Die Arbeitsgenehmigungserteilung erfolgt durch das ört-
lich zuständige Arbeitsamt nach einer Einzelfallprüfung.
Herauszuhebende Erfahrungen mit der Grenzgängerrege-
lung gibt es nicht.
Möchten Sie
eine Zusatzfrage stellen? – Bitte.
Frau Staatssekretärin,
es wundert mich etwas, dass es im Rahmen der Grenz-
gängerregelung keine Erfahrungswerte gibt. Diese Grenz-
gängerregelung gibt es eigentlich schon seit zehn Jahren.
Ich komme aus der Region in unmittelbarer Nähe zur
tschechischen Grenze. Wir haben dort zum Teil sehr posi-
tive Erfahrungen mit der Grenzgängerregelung gemacht.
Im Zuge der Osterweiterung müssen wir uns Gedanken
machen, wie es mit dem Arbeitsmarkt, insbesondere mit
den Übergangsregelungen, weitergeht. Deshalb frage ich
Sie: Wie soll eine Übergangsregelung zur Bekämpfung
des sehr starken Lohngefälles zwischen deutscher und
tschechischer Seite konkret aussehen? Können Sie sich
Instrumente vorstellen, mit denen wir bereits jetzt die
grenzüberschreitende Zusammenarbeit auf dem Gebiet
des Arbeitsmarktes verstärken? Wir könnten zum Beispiel
in Teilbereichen, wo deutsche Jugendliche nicht zur Ver-
fügung stehen, tschechische Jugendliche nach unseren
Grundsätzen ausbilden, um in den nächsten Jahren, also
nach der Osterweiterung, Fachkräfte von dort zu bekom-
men.
Ich weiß nicht, mit welcher Strategie, mit welchem
konkreten Konzept die Bundesregierung ans Werk geht.
Ich glaube, es handelt sich um eine für die Menschen in
dieser Grenzregion sehr wichtige Frage. Es handelt sich
aber auch um ein wirtschaftliches Problem, weil Fach-
kräfte auf beiden Seiten der Grenze gefragt sind. Es geht
darum, die Zusammenarbeit vor Ort zu praktizieren.
U
Herr Abgeordne-
ter Hofbauer, es gibt ohne Zweifel positive Erfahrungen.
Ich habe Ihnen auch gesagt, dass wir – jedenfalls so kurz-
fristig – keine differenzierten Ergebnisse hinsichtlich der
Arbeitsgenehmigungen mitteilen können. Ich denke aber,
dass wir Ihnen das aufgeschlüsselt geben können, wenn
Sie uns noch ein bisschen Zeit lassen. Wir führen derzeit
die Diskussion über eventuelle Übergangsregelungen für
die Freizügigkeit der Arbeitnehmer. Das Arbeitsministe-
rium ist der Meinung, dass wir solche Übergangsregelun-
gen brauchen, aber wir befinden uns im Moment noch in
einem Diskussionsprozess darüber, wie diese Übergangs-
regelungen auch unter Berücksichtigung der Interessen
der Beitrittskandidaten – Polen, Tschechien, Ungarn und
der anderen Länder – aussehen können.
Eine Zusatz-
frage des Kollegen Niebel.
Frau Staatssekretärin, Sie haben
eben zum Ausdruck gebracht, dass allein im Rahmen der
tschechischen Grenzgängerregelung insgesamt 6 725 Ar-
beitserlaubnisse erteilt worden sind; das ist die Summe
der von Ihnen genannten Zahlen. Auf meine vorhin ge-
stellte Frage haben Sie festgestellt, dass nach der Anwer-
bestoppausnahmeverordnung über 300 000 Arbeitser-
laubnisse erteilt worden sind. Im Rahmen der so
genannten Green Card wird von bis zu 20 000 Arbeitser-
laubnissen gesprochen. Nun wissen wir, dass es Grenz-
gängerregelungen auch mit anderen Nachbarn der Bun-
desrepublik Deutschland und Fachkräftemangel auch in
anderen Branchen als in der IT-Branche gibt. Aus wel-
chem sachlich nachvollziehbaren Grund sind Sie der An-
sicht, dass es nicht sinnvoller wäre, Arbeitsmigration im
Rahmen einer gesetzlichen Zuwanderungsregelung zu re-
geln, sodass Transparenz und Rechtssicherheit für die
deutsche Wirtschaft und die wandernden Menschen be-
stehen?
U
Zum einen zeigen
die Zahlen – sie sind nicht für die Grenzgänger allein aus-
gewiesen, sondern betreffen Genehmigungen des Landes-
arbeitsamtes Bayern –, dass wir durchaus flexibel auf den
Arbeitskräftebedarf reagieren. Darüber hinaus ist ange-
sichts der hohen Arbeitslosigkeit in unserem eigenen
Land immer sorgfältig zu prüfen, wieweit wir Arbeitssu-
chenden in Deutschland durch Qualifizierung und durch
bessere Vermittlungschancen wieder eine Eingliederung
in den Arbeitsmarkt ermöglichen. Darüber hinaus wissen
wir ja, dass wir mit der Osterweiterung – wie auch immer
die Übergangsregelungen aussehen werden – ein erhebli-
ches Arbeitskräfteangebot aus den Beitrittsstaaten dazu-
bekommen. Ich denke, hier muss man sorgfältig und be-
hutsam vorgehen, um die Arbeitsmarktsituation zum
Beispiel für ältere deutsche Arbeitslose nicht dramatisch
zu verschlechtern.
Eine Zusatz-
frage des Kollegen Dr. Seifert.
Frau Kollegin Staatssekretärin,ich darf vielleicht zunächst einmal davon ausgehen, dassSie nicht nur dem Kollegen Hofbauer die detaillierten
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. September 2000 11493
Zahlen für Bayern, sondern uns allen oder wenigstens mirauch die Zahlen für Thüringen und Sachsen zukommenlassen können. Meine Frage lautet aber: In welcher Formfindet denn Zusammenarbeit auf Regierungsebene statt,um das Lohngefälle und sonstige Gefälle an der Grenzeabzubauen und zwar auf beiden Seiten? Es wäre für unssicherlich sehr nützlich, wenn auf der tschechischen Seitedie Löhne steigen würden, damit dieses Gefälle nicht sogroß ist. Ich freue mich, dass gerade heute eine Delega-tion des Sozial- und Gesundheitsausschusses des tsche-chischen Parlaments hier bei uns ist. Vielleicht gibt esähnliche Kontakte auch auf Regierungsebene, die unshierbei etwas voranbringen.U
Herr Seifert, wir
alle gehen nach den Erfahrungen mit den Beitritten der
südeuropäischen Länder davon aus, dass sich durch den
Beitritt zur EU die wirtschaftliche Entwicklung und damit
auch die Lohn- und Gehaltssituation der Menschen in den
Beitrittsländern verbessern wird. Die Erfahrungen haben
das gezeigt. Wir gehen davon aus, dass sich das Lohn- und
Gehaltsgefälle – sicher nicht rasch, aber doch in einem ab-
sehbaren Zeitraum – verbessern wird.
Ich sage Ihnen zu, dass Sie die Zahlen für Thüringen
und Sachsen bekommen.
Damit kommen
wir zur Frage 10 des Abgeordneten Klaus Hofbauer.
Sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, im Hinblick auf
die EU-Osterweiterung die geltende Grenzgängerregelung als
Übergangsregelung nach dem Beitritt Tschechiens zur Europä-
ischen Union für einen noch festzulegenden Zeitraum beizube-
halten?
U
Herr
Hofbauer, im Rahmen der Osterweiterung hat sich die
Bundesregierung für angemessene Übergangsregelungen
bis zur Herstellung der Arbeitnehmerfreizügigkeit ausge-
sprochen, um wirtschaftliche und soziale Brüche zu ver-
meiden. Darüber haben wir ja gerade geredet. Wie solche
Übergangsregelungen konkret mit den mittel- und osteu-
ropäischen Kandidatenländern auszugestalten sind, ist
derzeit noch nicht Gegenstand der Beratungen auf EU-
Ebene.
Möchten Sie
eine Zusatzfrage stellen, Herr Kollege Hofbauer?
Frau Staatssekretärin,
ich bin angesichts der Tatsache, dass es sich um ein
Thema handelt, das die Menschen brennend interessiert
und das bald akut wird, schon ein bisschen enttäuscht da-
rüber, dass man noch keine Strategie entwickelt und keine
Überlegungen darüber angestellt hat, wie dieses konkret
umgesetzt werden soll. Gibt es einen Zeitplan bzw.
Überlegungen dazu, wann die Bundesregierung hierüber
Gespräche anfangen wird? Bis wann wird man intern eine
Strategie festlegen, wie man das umsetzen kann? Vor al-
len Dingen interessiert mich, wann wir mit der konkreten
Zusammenarbeit beginnen können. Wir sollten nicht war-
ten, bis die Osterweiterung erfolgt, denn dann stehen wir
hilflos da und wissen nicht, wie es weitergeht; das sage ich
jetzt ein bisschen überspitzt.
U
Herr
Hofbauer, Sie haben doch gerade selber sehr anschaulich
beschrieben, welche Formen der Zusammenarbeit es
schon gibt und dass wir nicht dastehen und warten, bis der
Beitritt vollzogen ist, sondern dass gerade in den Regio-
nen die Zusammenarbeit immer mehr ausgeweitet wird.
Ich bitte aber angesichts der Sensibilität dieses Themas –
sowohl für die Beitrittsländer als auch für die Bundesre-
publik Deutschland – um Verständnis, dass wir uns mit ir-
gendwelchen Ankündigungen sehr zurückhalten, bevor
wir darüber nicht mit den anderen EU-Partnern eine Ver-
ständigung erreicht haben. Alles andere wäre wirklich
kontraproduktiv.
Eine Zusatz-
frage des Kollegen Singhammer.
Frau Staatsse-
kretärin, trifft es zu, dass es bei der Grenzgängerregelung
eine entsprechende Zielvorgabe der Bundesregierung
gibt, aber nicht bei der so genannten Übergangsregelung?
U
Ich kann Ihnen
dazu jetzt nichts sagen. Ich habe darüber keine präzisen
Informationen. Aber wenn Sie möchten, kann ich Ihnen
die Frage gerne schriftlich beantworten.
Gerne!
Es gibt keine
weiteren Zusatzfragen.
Die Fragen 11 und 12 werden auf Wunsch der Abge-
ordneten Heidi Knake-Werner schriftlich beantwortet.
Das Gleiche gilt für die Fragen 13 und 14.
Wir kommen jetzt zur Frage 15 des Abgeordneten
Dr. Ilja Seifert:
Wie ist nach Ansicht der Bundesregierung ein Bericht im
„Gelben Dienst“ 17/2000 vom September 2000 zu bewerten, dass
die Erarbeitung eines Sozialgesetzbuches IX gestoppt worden sei,
weil der vorliegende Referentenentwurf auf Druck der Fraktion
der SPD zurückgezogen werden musste, und wie beabsichtigt sie,
die Arbeit an diesem Gesetzesvorhaben weiterzuführen?
U
Ich möchte gerne
die Fragen 15 und 16 gemeinsam beantworten.
Ist der Fra-gesteller damit einverstanden? – Ja. Dann rufe ich auchdie Frage 16 auf:
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. September 2000
Dr. Ilja Seifert11494
Trifft es außerdem zu, dass die „zuständigen Autoren“ des Re-ferentenentwurfs für ein SGB IX sich geweigert hätten, politischeVorgaben der Koalitionsparteien bei der Erarbeitung einesSGB IX umzusetzen, und wenn ja, welche praktischen Konse-quenzen zieht die Bundesregierung hieraus?Bitte schön, Frau Staatssekretärin.U
Herr Dr. Seifert,
Sie beziehen sich auf eine Darstellung im „Gelben
Dienst“ über die Erstellung des SGB IX, also der Zusam-
menführung des Rehabilitationsrechtes. Meine Antwort,
Herr Dr. Seifert, lautet: Die von Ihnen zitierte Darstellung
im „Gelben Dienst“ entbehrt zum Glück jeder Grundlage.
Die Erarbeitung eines Neunten Buches des Sozialgesetz-
buches, also des SGB IX, geht zügig voran. Alle Speku-
lationen, die im „Gelben Dienst“ angestellt worden sind,
haben überhaupt keine sachliche Grundlage.
Bitte, Sie kön-
nen Zusatzfragen stellen.
Frau Staatssekretärin, das kann
man ja vielleicht als positive Nachricht auffassen, obwohl
der „Gelbe Dienst“ gewöhnlich durchaus gut informiert
ist. Es lässt sich aber nicht leugnen, sondern es ist viel-
mehr deutlich zu erkennen, dass die Bundesregierung bei
ihrer Prioritätensetzung deutliche Veränderungen vorge-
nommen hat. Ursprünglich hieß es immer: SGB IX, SGB
IX, SGB IX. Jetzt wurde zunächst einmal die Novellie-
rung des Schwerbehindertengesetzes vorgezogen. Zurzeit
ist von einem Gleichstellungsgesetz die Rede. Vom
SGB IX wird momentan eigentlich kaum geredet. Wie
kommt das und wie kann man diese veränderte Schwer-
punktsetzung erklären?
U
Es gibt keine ver-
änderte Schwerpunktsetzung. Nach wie vor werden die
Arbeiten am Referentenentwurf für das SGB IX intensiv
vorangetrieben. Aber es ist vielleicht auch für Sie nach-
vollziehbar, dass die Zusammenführung der Regelungen
von – ich glaube, neun – unterschiedlichen Rehabi-
litationsträgern eine Menge Abstimmungsbedarf und sehr
viele Gespräche nach sich zieht und dass das kein ganz
einfaches Unterfangen ist. Aber wir werden den Referen-
tenentwurf bis zum Ende dieses Jahres – das sind noch
drei Monate – fertig stellen.
Wir werden allerdings auch die Arbeiten an einem
Gleichstellungsgesetz mit Nachdruck voranbringen. Dies
müsste an sich auch von Ihnen gewünscht sein.
Selbstverständlich bin ich für
das Gleichstellungsgesetz. Das ist gar keine Frage. Ich
hoffe nur, dass es gut ausgestaltet wird.
Zurück zum SGB IX: Wollen Sie bis Ende des Jahres
einen fertigen Referentenentwurf oder einen Kabinettsbe-
schluss haben? Das ist ein kleiner Unterschied. Immerhin
darf ich darauf hinweisen, dass schon mindestens fünf
oder sieben Referentenentwürfe im Umlauf sind. Sie ha-
ben sich immer wieder sehr schnell verändert. Es gab sehr
viel Kritik von den betroffenen Organisationen, sowohl
von den Rehaträgern als auch von den Behindertenorga-
nisationen.
U
Herr
Dr. Seifert, was im Umlauf ist und wovon auch Sie
Exemplare haben, sind Arbeitsentwürfe, die intensiv dis-
kutiert worden sind. Es geht hier um sehr komplizierte
und detailreiche Regelungen, die man nicht nur mit Über-
schriften diskutieren kann. Vielmehr braucht man Formu-
lierungen. Wenn ein solcher Arbeitsprozess nicht mehr
möglich ist, wenn er immer mit dem Verdikt versehen
wird, hier werde nachgebessert, dann ist eine vernünftige
Gesetzgebungsarbeit gerade bei einer so komplexen Ma-
terie nicht mehr möglich.
Ich denke, dass es wichtig ist, mit allen Beteiligten
– den Betroffenenverbänden, den Rehabilitationsträgern,
den Anbietern in diesem Bereich – intensive Gespräche
aufgrund konkreter Formulierungen zu führen, die Erfah-
rungen auszuwerten und dann die Formulierungen zu än-
dern und zu ergänzen. Ich empfinde das als einen positi-
ven Prozess. Ich bedaure, wenn das mit negativen
Vorzeichen geschieht.
Ein solcher Prozess dauert. Das geht nicht von heute
auf morgen. Aber Sie können versichert sein, dass die
Bundesregierung nach wie vor einen Schwerpunkt ihrer
Gesetzgebungsarbeit im Bereich der Sozialpolitik im
SGB IX sieht.
Frau Staatssekretärin, die breite
Diskussion dieses Prozesses in vielen Gremien und mit
sehr vielen Betroffenen halte ich für positiv. Das ist über-
haupt kein Verdikt. Das will ich ganz ausdrücklich sagen.
Dennoch möchte ich noch einmal nachfragen, wie es
nach gegenwärtigem Stand um die inhaltliche Ausgestal-
tung bestellt ist. Die Eckpunkte, die im vergangenen
Herbst vorgestellt wurden, sind in weiten Kreisen durch-
aus positiv aufgenommen worden. Aber alle darauf fol-
genden – wie Sie jetzt sagen – „Arbeitsentwürfe“ sind
keine Nachbesserungen, sondern eher „Nachschlechte-
rungen“ gewesen. Deswegen würde mich interessieren,
wie verbindlich die Eckpunkte jetzt noch für diejenigen
sind, die an diesen Entwürfen arbeiten. Haben sich da Ver-
änderungen ergeben, die inhaltliche Akzentverschiebun-
gen mit sich bringen?
U
HerrDr. Seifert, Eckpunkte sind sozusagen Behälter, die aus-gefüllt, sind Überschriften, die konkretisiert werden müs-sen. Ich will gar nicht abstreiten, dass sich mit den Eck-punkten hohe Erwartungen verbunden haben, die jetzt inder Konkretisierung vielleicht nicht vollständig erfülltwerden. Aber nach wie vor sind die Eckpunkte die Orien-tierung für das SGB IX. Sie sind nach wie vor die gültigeBeschlusslage der Koalitionsfraktionen. An ihnen orien-tiert sich das Arbeitsministerium bei der Erarbeitung
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. September 2000
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer11495
dieses Gesetzentwurfes. Sie sind nicht außer Kraft gesetztoder in die Schublade gelegt worden. Sie sind nach wievor das Raster, an dem sich die konkrete Ausgestaltungdes SGB IX orientiert.
Sie gehen also davon aus, dass
sich die dann vorliegenden Texte an den Vorgaben der
Eckpunkte messen lassen können. Anders ausgedrückt:
Wenn sie weit hinter diesen Vorstellungen zurückbleiben,
dann wundern Sie sich also nicht über die zu erwartende
Kritik.
U
Herr
Dr. Seifert, ich hoffe, dass wir dann, wenn der Gesetzent-
wurf vorliegt, nicht nur eine Diskussion darüber haben
werden, welche Erwartungen vielleicht nicht voll erfüllt
sind, sondern auch darüber, was wir an Positivem in dem
SGB IX erreicht haben. Ich bin davon überzeugt, dass das
Positive, das wir hinsichtlich der Verbesserung der Situa-
tion der Betroffenen erreichen, gegenüber dem weit über-
wiegt, was sich nicht ganz so leicht realisieren lässt.
Herr Kollege
Kolb.
Frau Staatssekretärin,
die Komplexität der Materie des Behindertenrechts ist, so
glaube ich, auch schon zu Beginn der Arbeiten allen Be-
teiligten bekannt gewesen. Nachdem jetzt anderthalb
Jahre Arbeit am Referentenentwurf hinter Ihnen liegen –
nach Ihren Angaben liegen nur noch drei Monate vor Ih-
nen –, müsste doch allmählich ein Umriss des Re-
ferentenentwurfs sichtbar sein. Ich sage das vor dem Hin-
tergrund, dass die SPD in der Opposition immer den
Eindruck vermittelt hatte, sie wisse, auf was es ankomme
und was dann geschehen solle.
Kann es sein, dass sich Ihre hehren Ankündigungen,
die Sie damals gemacht haben, heute nicht mit den Spar-
anforderungen des Finanzministers in Einklang bringen
lassen? Insbesondere frage ich: Wie sieht es mit der Nach-
rangigkeit der Sozialhilfe aus? Dieser Punkt müsste doch
auch wegen der Auswirkung auf die Finanzen allmählich
klargestellt werden: Wird sie beseitigt oder nicht?
U
Herr
Dr. Kolb, wir wollen die sehr schmerzhafte Erfahrung der
alten Regierungskoalition vermeiden. Damals hat zwar
ein Referentenentwurf vorgelegen, aber alle Verbände ha-
ben gesagt: Legt diesen Referentenentwurf bitte wieder in
die Schublade! Dieses Gesetz hilft uns nicht weiter.
Wir wollen versuchen, mithilfe intensiver Gespräche
auch mit den örtlichen und überörtlichen Sozialhilfeträ-
gern einen Referentenentwurf und dann einen Gesetzent-
wurf vorzulegen, der den Betroffenen hilft, der die un-
übersichtliche Materie des Behindertenrechts vernünftig
ordnet und der die Zeit zwischen Antragstellung auf Maß-
nahmen zur Rehabilitation und dem Beginn dieser Maß-
nahmen signifikant verkürzt. Es gibt Antragszeiten, die
über ein Jahr hinausgehen. Herr Niebel, es wäre sehr
schön, wenn Sie bei diesem Punkt einmal nachbohren
würden.
Wir werden einen Gesetzentwurf vorlegen, dessen
Umrisse nicht nebelhaft, sondern deutlich sichtbar sind.
Sie haben aber in der Tat einen schwierigen Punkt ange-
sprochen. Wir müssen zu einer vernünftigen Regelung
kommen. Ich denke, wir haben sie jetzt gefunden. Sie
können das alles nachlesen.
– Herr Niebel, Sie haben es erkannt.
Es ist schade, dass Sie
auf diesen Zwischenruf so reagiert haben, Frau Staatsse-
kretärin. Ich wollte nämlich gerne wissen, ob Sie viel-
leicht sozusagen ein bisschen die Decke lupfen und sagen
könnten, in welche Richtung die Regelung geht. Was ist
also mit der Nachrangigkeit?
U
Ich kann Ihnen lei-
der nicht die Freude machen, es als Erster zu erfahren. Sie
werden das im Gesetzentwurf nachlesen können, so wie
es im parlamentarischen Verfahren üblich ist.
Gibt es zu die-
sem Punkt weitere Zusatzfragen? – Das ist nicht der Fall.
Wir verlassen damit diesen Geschäftsbereich. Ich danke
Ihnen, Frau Staatssekretärin Mascher.
Ich rufe jetzt den Geschäftsbereich des Bundesminis-
teriums der Verteidigung auf. Die Fragen wird der Parla-
mentarische Staatssekretär Walter Kolbow beantworten.
Ich rufe zunächst die Frage 17 des Abgeordneten
Günther Friedrich Nolting auf:
Sind nach Auffassung der Bundesregierung die Verwen-
dungsoptionen von Gewehrmunition und Kampfpanzern bei
eventuellen Einsätzen der türkischen Armee gegen Kurden gleich
oder teilt sie meine Meinung, dass Kampfpanzer eher für rein mi-
litärische Auseinandersetzungen geeignet sind?
W
Frau Präsidentin, wenn Sie ge-
statten, möchte ich die beiden Fragen des Kollegen
Nolting zusammen beantworten, da sie in einem Zusam-
menhang stehen.
– Aber selbstverständlich, Herr Kollege.
Sie können dannbis zu vier Zusatzfragen stellen. Ich rufe also noch dieFrage 18 des Abgeordneten Günther Friedrich Noltingauf:
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. September 2000
Parl. Staatssekretärin Ulrike Mascher11496
Wie beabsichtigt die Bundesregierung die von ihr möglicher-weise befürchteten Einsätze von Kampfpanzern der türkischenArmee gegen Kurden zu verhindern, wenn diese von Drittstaatengeliefert werden, oder ist sie nicht vielmehr meiner Meinung, dassein derartiger Einsatz am ehesten durch eine mit vertraglichenAuflagen verbundene Lieferung von Leopard 2 zu vermeidenwäre?W
Zu Ihrer ersten Frage, lieber Kol-
lege Nolting. Handwaffen und Kampfpanzer haben ver-
schiedene Verwendungsmöglichkeiten. Da ihr Einsatz
durch eine Vielzahl von Faktoren – wie beispielsweise
Witterung, Tageszeit und Geländebedeckung – beein-
flusst wird, lässt sich die Frage nicht generell be-
antworten, sondern bedarf der Betrachtung der jeweiligen
Situation.
Zu Ihrer zweiten Frage. Auf die Lieferung von Rüs-
tungsgütern durch Drittstaaten hat die Bundesregierung,
wie Sie wissen, keinen Einfluss.
Ihre eigenen rüstungspolitischen Entscheidungen wer-
den im Bundessicherheitsrat – auch das ist bekannt – auf
der Grundlage der neu gefassten politischen Grundsätze
für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüs-
tungsgütern vom 21. Januar 2000 getroffen. Bei diesen
Entscheidungen würdigt die Bundesregierung die Situa-
tion im Empfängerland, insbesondere die Menschen-
rechtslage. Grundsätzlich stehen der Bundesregierung
rechtliche Instrumente zur Verfügung, um beispielsweise
den Endverbleib im Empfängerland zu sichern. Wie bei
den Fragen 5 und 6 in dieser Fragestunde schon gesagt
worden ist, stellt sich diese Frage im Augenblick nicht, da
kein Antrag der Türkei vorliegt.
Herr Staatsse-
kretär, hat denn die Bundesregierung eine Lieferung von
1 000 Kampfpanzern Leo 2 in die Türkei bereits abschlä-
gig beschieden? Sie wissen, dass es eine entsprechende
Aussage des Fraktionsvorsitzenden der SPD gegeben hat.
Sie sind davon wahrscheinlich genauso überrascht wor-
den wie ich.
W
Da ich nicht Mitglied des Bun-
dessicherheitsrates bin,
kann ich aus meiner Informationssituation heraus diese
Frage nicht beantworten. Da aber – das ist logisch – kein
Antrag vorliegt, ist auch im Bundessicherheitsrat noch
nicht darüber entschieden worden. Im politischen Raum
gemachte Äußerungen möchte ich als Mitglied der Bun-
desregierung nicht kommentieren.
Aber, Herr
Staatssekretär, beabsichtigt denn die Bundesregierung,
das Parlament in der Zukunft mit solchen Fragen zu be-
schäftigen, wenn es um die Genehmigung von Rüstungs-
exporten oder deren Versagung geht, wie es vom grünen
Koalitionspartner gefordert wird?
W
Wenn die laut Verfassung der
Exekutive obliegenden Entscheidungen gefällt sind, wird
die Bundesregierung das Parlament selbstverständlich in-
formieren.
Das Parlament
wird informiert, aber nicht damit befasst. Habe ich das
richtig verstanden?
W
Das richtet sich nach den in un-
serer Verfassung getroffenen Festlegungen bezüglich der
Gewaltenteilung.
Das war es.
Eine Zusatz-
frage des Kollegen Rossmanith.
Herr Staatssekre-
tär, sind Sie mit mir der Meinung, dass generell die Ex-
portrichtlinien für wehrtechnisches Material und Gerät
europaweit harmonisiert werden müssten? Welche Initia-
tiven ergreift die Bundesregierung, um dem nachzukom-
men?
W
Europaweite Harmonisierungen
sind immer gut und auch notwendig. Obwohl ich lieber
mit Ihnen übereinstimme als nicht mit Ihnen überein-
stimme – schon aus persönlichen Gründen, lieber Kollege
Rossmanith –, möchte ich in diesem Zusammenhang
deutlich machen, dass wir aus unserer nationalen Verant-
wortung heraus für Rüstungsexporte der Bundesrepublik
mit gutem Grund die Richtlinien vom 21. Januar gefasst
haben und uns auch danach verhalten.
Sie können zwei
Zusatzfragen stellen; es waren zwei Fragen.
Dann möchte ich
diese Möglichkeit wahrnehmen. – Herr Staatssekretär,
sind Sie ebenfalls mit mir der Meinung, dass der NATO-
Partner Türkei über ein halbes Jahrhundert hinweg ein
treuer, verlässlicher Verbündeter war und dass dieser
NATO-Partner deshalb wie die anderen NATO-Partner
behandelt werden sollte, was den Export von Verteidi-
gungs- und Wehrtechnik anbelangt?
W
Die Türkei ist ein bewährter stra-tegischer und sicherheitspolitischer, aber auch politischerPartner, der jedoch den Ansprüchen, die weltweit an Men-schenrechte gestellt werden, gerecht werden muss unddeshalb auch unseren Exportbestimmungen, die daraufsehr viel Wert legen, unterliegt.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. September 2000
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer11497
Als Nächster der
Kollege Singhammer.
Herr Staatsse-
kretär, spielt es bei dem Abwägungsprozess der Bundes-
regierung zur Vorbereitung dieser Entscheidung eine
Rolle, dass dann, wenn der Export zustande kommt, mehr
als 6 000 Arbeitsplätze dauerhaft gesichert bzw. neu ge-
schaffen werden, oder ist die Arbeitsplatzfrage für Sie
völlig ohne Belang?
W
Solche Abwägungsprozesse, Herr
Kollege Singhammer, sind immer sehr umfassend. Letzt-
lich spielen aber die bestehenden Exportrichtlinien die
entscheidende Rolle.
Eine Zusatz-
frage des Kollegen Niebel.
Herr Staatssekretär, Sie haben
mehrfach ausgeführt, dass eine Anfrage für eine Liefe-
rung von 1 000 Panzern, von der man immer wieder liest
oder hört, bisher nicht vorliegt. Stimmen Sie mir zu, dass
das mit dem Vorlauf zusammenhängen könnte, den ich
mit folgendem Vergleich beschreiben möchte: Das ist ge-
nauso, als wenn ich mir ein Auto kaufen möchte und in ei-
nen Autoladen gehe und mir der Verkäufer sagt: Selbst-
verständlich erhältst du ein Auto zur Probefahrt; aber auch
wenn es dir gefällt, werde ich es dir nicht verkaufen. –
Könnte das der Grund dafür sein, dass noch keine Anfrage
für die Lieferung von 1 000 Panzern bei Ihnen eingegan-
gen ist, obwohl bereits ein Panzer zur Ansicht geliefert
worden ist?
W
Herr Kollege Niebel, wenn ein
Antrag in Bezug auf Rüstungsexporte bei uns eingegan-
gen ist, beschäftigt sich die Bundesregierung mit dem je-
weiligen Antrag oder der Anfrage und entscheidet dann in
dem von mir bereits dargestellten Abwägungsprozess auf
der Grundlage der Exportrichtlinien.
Herr Staatssekretär, können Sie
mir irgendwie das Gefühl nehmen, dass es nach die-
sen Äußerungen für die Bundesregierung offenkundig
NATO-Partner erster und zweiter Klasse gibt?
W
Es gibt keine NATO-Partner ers-
ter und zweiter Klasse. Alle Partner haben sich unseren
Ansprüchen, die wir bezüglich der Menschenrechte ha-
ben, zu stellen. Das gilt auch für jede antragstellende Na-
tion, die von uns Exportgüter beziehen will.
Es gibt eine Zu-
satzfrage des Kollegen Kolb.
Herr Staatssekretär,
nach den rüstungsexportpolitischen Grundsätzen spielen
bündnis- und sicherheitspolitische Interessenlagen eine
herausragende Rolle. Wären Sie bereit, wenigstens zu be-
stätigen, dass der Export von Kampfpanzern zur Siche-
rung und Verteidigung der Südostflanke des NATO-
Bündnisses in erheblichen Maße im bündnispolitischen
Interesse liegt?
W
Die Ausrüstung zur Wahrneh-
mung der sicherheitspolitischen Aufgaben im Rahmen
des Bündnisses durch jeden Bündnispartner liegt selbst-
verständlich im sicherheitspolitischen Interesse der
NATO und spielt auch im Rahmen des Abwägungspro-
zesses, der bei jedem Rüstungsexport stattfindet, eine
Rolle.
Eine Zusatz-
frage des Kollegen Dr. Müller.
Herr Staatssekretär, ist
Ihnen bekannt, dass bei dem zukünftigen EU-Mitglied
Türkei – die Bundesregierung unterstützt die Mitglied-
schaft – eine solche Exportdiskriminierung nicht mehr
möglich sein wird?
W
Uns sind die Grundlagen des EU-
Vertrages selbstverständlich bekannt. Mir ist aber auch
bekannt, dass die gegenwärtige Opposition, insbesondere
die gegenwärtig stärkste Oppositionspartei, die Türkei
nicht als europäisches Land bezeichnet.
Es gibt keine
weiteren Zusatzfragen. Ich rufe jetzt die Frage 19 des Ab-
geordneten Werner Siemann auf:
Welche konkreten Maßnahmen hat die Bundesregierung bis-
her erarbeitet, um die strukturellen Überhänge und den damit
einhergehenden Verwendungs- und Beförderungsstau im militäri-
schen Personalkörper zu beseitigen und wie sollen diese Maßnah-
men innerhalb der vom Bundesminister der Verteidigung, Rudolf
Scharping, vorgegebenen Zweijahresfrist umgesetzt werden?
W
Herr Kollege Siemann, der Bun-desregierung ist bekannt, dass der militärische Personal-körper durch Unwuchten im Altersaufbau gekennzeichnetist. Dies behindert seit Jahren strukturgerechte Einstel-lungen und führt zur Überschreitung von Grenzaltern, zurÜberalterung auf einsatzwichtigen Dienstposten sowiezum Motivationsverlust Betroffener und ist eine der Ur-sachen des vorhandenen Beförderungsstaus. Deshalb be-darf es des von Bundesminister Scharping mehrfach an-gekündigten Abbaus der strukturellen Personalüberhängebei den Berufsoffizieren und Unteroffizieren.Die Prüfung, wie diese Absicht zugleich effektiv undsozial verträglich umgesetzt werden kann, ist noch nichtabgeschlossen. Wie Sie aber aus der heutigen Sitzung desVerteidigungsausschusses wissen, hat Bundesminister
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. September 200011498
Scharping dieser Aufgabe Priorität zuerkannt. Er hat ihreLösung in die Überlegungen für den Haushalt 2001 ein-bezogen.
Herr Staatssekretär,
da Sie sich auf Einzelheiten nicht eingelassen haben,
meine Nachfrage dazu.
Sie kennen doch sicher die Ministervorlage vom 7. Au-
gust 2000 unter dem Titel „Abbau personeller Über-
hänge“ und hierin die Entscheidungen über das weitere
Vorgehen. Können Sie etwas Näheres dazu sagen, unter
welchen Konditionen und in welcher Weise nach dieser
Ministervorlage die Überhänge bei Berufssoldaten und
Soldaten auf Zeit abgebaut werden sollen?
W
Herr Kollege, wie der Bundesmi-
nister der Verteidigung heute in Ihrer Anwesenheit im
Verteidigungsausschuss festgestellt hat, gibt es einen be-
stimmten Zeitplan für die Grobplanung und für die Fein-
planung der Strukturreform der Bundeswehr. In diese Pla-
nungen werden auch die von Ihnen angesprochenen
Fragen einbezogen. Dazu wie auch zu anderen Fragen ist
noch keine Ministerentscheidung erfolgt.
Sie werden, wie der Bundesminister der Verteidigung
heute im Verteidigungsausschuss mitgeteilt hat, nach die-
sen Entscheidungen unverzüglich, das heißt zeitnah, in-
formiert.
Eine Zusatz-
frage des Kollegen Nolting.
Herr Staatsse-
kretär, können Sie denn bestätigen, dass es in Ihrem Hause
Überlegungen gibt, Lösungen zu finden, die in solche für
diejenigen Soldaten, die über 50 Jahre alt sind, und in sol-
che für diejenigen, die unter 50 Jahre alt sind, aufgesplit-
tet sind?
W
Herr Kollege Nolting, in diesen
Zeiten, da wir Lösungen für vielfältige Probleme aus dem
Verteidigungsbereich, die wir von der Vorgängerregie-
rung übernommen haben, zu finden haben, gibt es natür-
lich auch vielfältige Überlegungen. Eine davon mag die
von Ihnen angesprochene beim Beförderungs- und Ver-
wendungsstau sein; aber dazu ist noch keinerlei Entschei-
dung getroffen.
Es gibt auch andere Überlegungen hierzu und zu ande-
ren Problembereichen.
– Ja, der Berg ist mächtig, den Sie hinterlassen haben.
Weitere Nach-
fragen zu diesem Geschäftsbereich gibt es nicht. Ich
danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich rufe jetzt den Geschäftsbereich des Bundesminis-
teriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf. Die
Fragen wird die Parlamentarische Staatssekretärin Frau
Niehuis beantworten. Die Fragen 20 und 21 werden wie
beantragt schriftlich beantwortet.
Wir kommen zur Frage 22 der Abgeordneten Ina
Lenke:
Worin sieht die Bundesregierung die Ursache für den im Ver-gleich mit anderen Ländern geringen Einsatz von Mifegyne beiSchwangerschaftsabbrüchen?
D
Frau Kollegin Lenke, bei einer Interpretation der Zahl von
Schwangerschaftsabbrüchen, die medikamentös mit dem
Präparat Mifegyne vorgenommen werden, ist zu berück-
sichtigen, dass das Präparat erst seit einem verhältnis-
mäßig kurzen Zeitraum in der Bundesrepublik als Arznei-
mittel zugelassen ist. Zur Erinnerung: Die Zulassung
erfolgte im August 1999. Ende November 1999 wurde der
Sondervertriebsweg eingeführt.
Wie Sie wissen, wird an der Leistungsbewertung der
medikamentösen Abbruchmethode durch die Selbstver-
waltung, die Kassenärztliche Bundesvereinigung, nach-
haltig Kritik geübt, auch seitens der Ärzteschaft. Insofern
ist ein Zusammenhang zwischen der Bewertung dieser
vertragsärztlichen Leistung und dem geringen Einsatz
von Mifegyne zu vermuten.
Frau Staatssekretärin, Sie haben
gewiss wie ich auch gehört, dass die Firma den Vertriebs-
weg nach Deutschland einstellen will. Sind Ihnen diese
Überlegungen bekannt und was machen Sie dagegen?
D
Sie wissen, dass die Bundesregierung in einem markt-
wirtschaftlich geprägten Land keine Firma, kein Privat-
unternehmen, zwingen kann, ein Präparat zu vertreiben.
Was die Firma im Einzelnen bewegt, dieses Präparat
nicht mehr zu vertreiben, kann ich nur vermuten. Ich
denke, dass der tatsächliche Absatz den Erwartungen der
Firma vor Beginn des Vertriebs nicht entsprochen hat.
Sie können sich, Frau Staatssekre-tärin, wahrscheinlich genau wie ich vorstellen, dass Ge-setze und Verordnungen, die diese Vertriebswege undauch die Bezahlung der Leistung derer, die solche Ein-griffe an den Patientinnen vornehmen, regeln, auch Ein-fluss auf den Verkauf haben oder für ihn ausschlaggebendsein könnten; denn es ist doch – wenn ich das zu meinerFrage noch bemerken darf – recht seltsam, dass nur4,5 Prozent der Schwangerschaftsabbrüche in der Bun-desrepublik Deutschland medikamentös vorgenommenwerden, während dieser Anteil in unseren Nachbarländernhöher ist.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. September 2000
Parl. StaatssekretärWalter Kolbow11499
D
Vielleicht darf ich Sie korrigieren. Die Zahl liegt nicht bei
etwa 4 Prozent, sondern der Anteil der medikamentösen
Abbrüche beträgt nur 2 Prozent und ist damit noch gerin-
ger als Sie vermutet haben. In Frankreich liegt die Quote
bei ungefähr 30 Prozent.
Nun entnehme ich Ihrer Frage, dass Sie unterstellen,
die Gesetze könnten für den Vertrieb zu kompliziert sein.
Dies meine ich nicht. Wir haben, als wir die Verfügbarkeit
dieser medikamentösen Abbruchmethode damals in Er-
wägung gezogen haben, ganz bewusst gewollt, dass es ein
sehr kontrollierter Abgabeweg ist. Das soll auch so blei-
ben.
Zweitens meinen Sie, dass man eventuell gesetzgebe-
risch etwas an der Bewertung der vertragsärztlichen Leis-
tung machen könnte. Dies ist nicht so, weil die Bewertung
der vertragsärztlichen Leistung der Selbstverwaltung
durch die Kassenärztliche Bundesvereinigung obliegt und
insofern nicht der staatlichen Einflussnahme unterliegt.
Deshalb glaube ich nicht, dass wir hier eingreifen dürfen.
Allenfalls wäre dies über die Ausübung der Aufsichts-
pflicht möglich; aber dann müssen die Vorgänge schon
dermaßen gravierend sein, dass man dieses Instrument
einsetzen darf.
Ich denke, dass wir so weitermachen sollten, wie wir es
im Moment tun. Das Bundesministerium für Gesundheit
wie auch unser Ministerium ist im ständigen Gespräch mit
dem Bewertungsausschuss. Wir hoffen, dass die Argu-
mente für eine höhere Bewertung der vertragsärztlichen
Leistungen bei der Selbstverwaltung irgendwann einmal
auf fruchtbaren Boden fallen werden.
Ich rufe die
Frage 23 der Abgeordneten Lenke auf:
Welche Erfahrungen hat die Bundesregierung mit dem vomBundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ge-förderten Projekt „Begleitende Maßnahmen zur Einführung desmedikamentösen Schwangerschaftsabbruchs“ gemacht und wel-che weiteren Maßnahmen sind zur Erhöhung der Akzeptanz fürden Einsatz von Mifegyne geplant?
D
Das vom Bundesministerium für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend beim Bundesverband Pro Familia ge-
förderte Projekt wird Ende 2000 abgeschlossen sein. Die
endgültige Fassung der Projektdokumentation liegt ge-
genwärtig noch nicht vor. Nach den bisherigen Er-
gebnissen wird jedoch die Vermutung eines unmittelbaren
Zusammenhangs zwischen der Leistungsbewertung und
dem geringen Einsatz von Mifegyne durch die im Rah-
men des Projekts durchgeführten Befragungen von
medizinischen Einrichtungen, Beratungsstellen und Kli-
entinnen bestätigt.
Am 28. Oktober 2000 findet in Berlin eine Fachkonfe-
renz statt, die Bestandteil des Projekts ist und auf der un-
ter anderem empirische Befunde zur Versorgungssi-
tuation vorgestellt werden. Nach Auswertung der
Ergebnisse wird darüber zu entscheiden sein, ob und ge-
gebenenfalls welche Maßnahmen zu ergreifen sind.
Die Bundesregierung beabsichtigt, die Gespräche mit
den Spitzenverbänden der Krankenkassen und der Kas-
senärztlichen Bundesvereinigung, die noch nicht abge-
schlossen sind, wie ich Ihnen schon sagte, fortzuführen.
Sie wird sich im Rahmen ihrer Befugnisse mit allen ihr
zur Verfügung stehenden und geeigneten Mitteln für eine
sachgerechte Lösung der Problematik einsetzen.
Frau Staatssekretärin, wir haben
für die Einführung auch politisch gekämpft. Von daher ist
mir Ihr Einwand nicht verständlich, dass wir dann, wenn
das Medikament auf dem Markt ist und wieder vom Markt
genommen werden könnte, politisch keinen Einfluss ha-
ben. Dazu habe ich eine ganz unterschiedliche Auffas-
sung.
Ich möchte Sie fragen, ob die Bundesregierung der
Überzeugung ist, dass Frauen bei einem Schwanger-
schaftsabbruch aus gesundheitlichen Gründen wirklich
die Wahl haben müssten zwischen dem chirurgischen Ein-
griff und dem medikamentösen Schwangerschaftsab-
bruch. Würden Sie sich vehement dafür einsetzen, damit
dafür auch politisch – Sie sind schließlich Teil der Regie-
rung – gestritten wird?
D
Frau Kollegin, ich bestätige Ihnen wirklich gerne, dasswir gemeinsam politisch dafür gekämpft haben, damitauch deutschen Frauen dieses Medikament zur Verfügungsteht. Aber was Sie als Zweites schlussfolgern, stimmteinfach nicht. Wir haben ein Arzneimittelgesetz. Darinwird die Zulassung von Arzneimitteln bei uns geregelt.Sie wissen ganz genau, dass damals RU 486 bei uns nichtzugelassen wurde, weil der Hersteller überhaupt keinenAntrag gestellt hat, da die damalige Bundesregierungnicht das politische Signal gegeben hatte, dass sie an die-sem Medikament in der Bundesrepublik Deutschland In-teresse hätte.Ihre weitere Schlussfolgerung, dass wir irgendetwasper Gesetz tun könnten, um die Verabreichung dieses Arz-neimittels anders zu bewerten, trifft nicht zu. Es unterliegtder Selbstverwaltung durch die Kassenärztliche Bundes-vereinigung. Sie bewertet eigenständig die kassenärztli-chen Leistungen. Das ist so und daran können wir im Mo-ment auch nichts ändern, weil die Gesetzeslage so ist.Allerdings, so denke ich, muss man dem Bewertungs-ausschuss doch sehr deutlich machen, dass es hier nichtnur um die Bewertung einer ärztlichen Leistung geht, son-dern auch darum, dass die Gesetze, die wir verabschiedethaben, eingehalten werden müssen. In die Bewertungmüsste eingehen, dass eine Praxis die operativen Mög-lichkeiten vorhalten sollte, falls die medikamentöse Ab-bruchmethode versagen sollte. Dieses Vorhalten von ope-rativen Möglichkeiten sollte man zur Erhöhung derSachkostenpauschale mit in die Bewertung hineinneh-men.Dieses ist meine Meinung und auch Meinung der Bun-desregierung. Nichtsdestotrotz bleibt es in unserer Repu-blik bei der Selbstverwaltung. Wir können nichts anderes
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. September 200011500
tun als das, was wir schon tun und auch weiterhin tun wer-den: uns mit dem Bewertungsausschuss zusammensetzenund für unsere Argumente kämpfen.
Danke schön,
Frau Staatssekretärin. Ihr Geschäftsbereich ist für heute
beendet.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums
für Gesundheit auf. Die Parlamentarische Staatssekretärin
Christa Nickels wird die Fragen beantworten. Wir kom-
men zunächst zur Frage 24 des Abgeordneten Dr. Kolb:
Ist der Bundesregierung bekannt, dass die ParlamentarischeStaatssekretärin bei der Bundesministerin für Gesundheit undDrogenbeauftragte der Bundesregierung, Christa Nickels, im Julidieses Jahres über einen Link ihrer Homepage Drogenrezepte mitAnwendungshinweisen angeboten hat, und welche Haltungnimmt die Bundesregierung hierzu ein?
C
Herr Kollege Kolb, es ist
der Bundesregierung bekannt, dass in der Zeitung „Bild
am Sonntag“ vom 30. Juli 2000 behauptet wurde, die Par-
lamentarische Staatssekretärin bei der Bundesministerin
für Gesundheit und Drogenbeauftragte der Bundesregie-
rung, Christa Nickels, habe auf ihrer Abgeordneten-Inter-
netseite Haschischrezepte veröffentlicht. Das stimmt aber
so nicht. Ich stelle klar: Es trifft zu, dass durch einen Link
auf dieser Homepage eine Verbindung zur Homepage von
„Flohs Cannabis Archiv“ hergestellt wurde, welche An-
leitungen zum Herstellen und Verzehren von Cannabis-
produkten enthielt. Der Link ist allerdings ohne mein Wis-
sen und Einverständnis installiert worden. Er wurde
unverzüglich von meiner Homepage entfernt.
Die über den genannten Link erreichbaren Anleitungen
zum Herstellen und Verzehren von Cannabisprodukten
sind nicht mit den Vorstellungen der Drogenbeauftragen
der Bundesregierung über eine Präventionspolitik zur
Verhinderung von Sucht- und Drogenproblemen verein-
bar. Das habe ich nachdem ich es der „Bild“-Zeitung ent-
nommen hatte, so auch unverzüglich erklärt.
Eine Nachfrage
des Kollegen Kolb.
Ihrer Erklärung, Frau
Staatssekretärin, entnehme ich zumindest ein gewisses
Bedauern. Nachdem Sie selbst einräumen, es sei nicht mit
den Dienst- und Amtspflichten einer Drogenbeauftragten
der Bundesregierung zu vereinbaren: sehen Sie denn eine
politische Verantwortung in diesem Fall, die von Ihnen
wahrgenommen werden könnte und müsste?
C
Herr Kollege Kolb, ich
glaube, Sie haben meinen Ausführungen ganz klar ent-
nommen, dass auf meiner Homepage ein Link vorhanden
war, der meiner Meinung nach nicht korrekt ist. Ich habe
aber gleichzeitig gesagt, dass er ohne mein Wissen und
ohne meine Zustimmung eingefügt wurde. Selbstver-
ständlich werde ich dafür Sorge tragen, dass so etwas
nicht mehr passiert. Ich werde diese Homepage jetzt er-
heblich öfter kontrollieren. Wir haben bisher immer das
Gästebuch und das, was dort eingetragen wird, gut kon-
trolliert.
Aber: so etwas kann passieren. Es wäre politisch bri-
sant, wenn der Link tatsächlich gewollt gewesen wäre;
dann würde ich Ihnen zustimmen. Allerdings habe ich von
mir nie behauptet, dass ich völlig fehlerfrei bin. Es ist pas-
siert. Ich habe nicht herausbekommen können, wie es pas-
siert ist. Aber es geschah ohne meine Zustimmung. Ich
habe auch ausdrücklich gesagt, was ich von dem Inhalt
halte. Das ist alles, was man machen kann. Schönreden,
Rausreden oder Aufbauschen liegt mir fern. Ich darf hin-
zufügen – das haben wir auch mit dem Kanzleramt erör-
tert, es ist nicht meine Privatmeinung; Sie fragen mich ja
hier als Vertreterin der Bundesregierung; es ist auch wich-
tig für Sie zu hören –, dass es abgestimmt ist.
Ich möchte, Frau
Staatssekretärin, nachfragen: Sicherlich ist das Internet
noch ein relativ junges Medium. Aber wer mit einer eige-
nen Homepage – Sie haben mir ja bestätigt, dass es Ihre
eigene Homepage gewesen ist – ins Internet geht, muss
eine redaktionelle Verantwortung im Allgemeinen über-
nehmen. Diese erweitert sich nach meinem Dafürhalten
bei einer politischen Funktionsträgerin zu einer politi-
schen Verantwortung. Es genügt unter Umständen nicht
zu sagen: Es waren ja Mitarbeiter und ich wusste nichts
davon. Es war Ihre Homepage.
Vor diesem Hintergrund muss ich noch einmal nach-
fragen: Sehen Sie nicht die Notwendigkeit, auch politisch
verantwortlich zu zeichnen?
C
Herr Kollege Kolb, ichglaube, ich habe ganz klar gesagt, dass ich eine solcheVerantwortung hier nicht zurückweise. Allerdings sinddie Möglichkeiten, die wir durch das Internet haben, neu.Ich als Abgeordnete nutze diese Möglichkeiten ausdrück-lich. Ich übernehme die vollständige redaktionelle Ver-antwortung für sämtliche Textbestandteile, die ich ins In-ternet gestellt habe.Beim Ins-Netz-Stellen habe ich die Links kontrolliert.Wie dieser Link hineingekommen ist, haben wir bis heutenicht herausbekommen können. Er ist von mir weder au-torisiert noch veranlasst. Ich schiebe das auch nicht aufMitarbeiter. Wir wissen nicht, wie es passiert ist.Ich habe diesen Vorgang zum Anlass genommen, ver-schärft zu kontrollieren, damit so etwas nicht mehr pas-siert. Es betraf keine Textbestandteile, sondern die Link-liste. Ich weiß bis heute nicht, wie es passiert ist. Wirkontrollieren jetzt auch die Linkliste verschärft.Bisher haben wir das Gästebuch bearbeitet. Wenn dieTexte hineingestellt werden, sind sie selbstverständlichvon mir geschrieben bzw. mitgeschrieben und autorisiert.Da haben Sie vollkommen Recht. Man hat eine Verant-wortung, auch als Abgeordnete. Noch größer ist diese
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. September 2000
Parl. Staatssekretärin Dr. Edith Niehuis11501
Verantwortung, wenn man in einem Regierungsamt ist.Darüber hinaus kann ich nicht mehr tun. Ich habe aus die-sem Vorgang die Lehre gezogen, dass ich die Linklisteverstärkt kontrolliere, ob nicht irgendein Link hinzuge-kommen ist, den ich nicht haben möchte und der von mirnicht autorisiert ist.
Eine Nachfrage
der Kollegin Bonitz.
Frau Staatssekretärin,
darf ich Ihren Ausführungen von eben entnehmen, dass
dieser Link ja offensichtlich ohne Ihr Wissen und Wollen
und ohne das Wissen und Wollen Ihrer Mitarbeiter dort
eingesetzt worden ist? Haben Sie demzufolge gegebenen-
falls Strafanzeige gegen Unbekannt erstattet, weil offen-
sichtlich jemand zu Unrecht auf Ihrer Homepage ein Ele-
ment untergebracht hat, das Sie so nicht wollten?
C
Frau Kollegin, es liegt mir
immer fern – das war schon früher nicht meine Art und
heute ist sie es auch nicht –, mit Kanonen auf Spatzen zu
schießen. Das halte ich für nicht angebracht.
Das habe ich nicht getan. Das beabsichtige ich auch nicht.
Eine Nachfrage
des Kollegen Niebel.
Frau Staatssekretärin, die „Berli-
ner Zeitung“ vom 24. September dieses Jahres berichtete
mit unterschiedlichen Fotos, auf denen leider auch meine
Kunstbegießung zu sehen war – da ich dieser Koalition
nicht angehöre, gehörte ich nicht in diese Reihe –, dass of-
fenkundig zwei Abgeordnete der rot-grünen Koalition im
Kunstwerk im Innenhof Cannabis- bzw. Hanfsamen aus-
gesät hätten.
Wie würden Sie in Ihrer Funktion als Drogenbeauf-
tragte der Bundesregierung den Zielkonflikt auflösen, der
sich in der Beschädigung eines Kunstwerkes, somit eines
grundgesetzlich geschützten Gutes, und der Entfernung
dieser bisher in Deutschland illegalen Pflanze auftut?
C
Herr Kollege Niebel, ich
bin nicht die Präsidentin des Deutschen Bundestages und
darum nicht für dieses Kunstwerk verantwortlich. Als
Drogenbeauftragte der Bundesregierung bin ich für die
Präventions- und Drogenpolitik der Bundesregierung ver-
antwortlich. Dieses Vorgehen ist von den in der Bundes-
tagsverwaltung dafür Zuständigen entsprechend zu wür-
digen. Das bin nicht ich.
Zum anderen ist es so, dass Sie dies mit den Kollegin-
nen und Kollegen, die dies gegebenenfalls getan haben
– falls es wirklich stimmt; das ist noch gar nicht klar –, zu
erörtern haben und nicht mit mir.
Herr Kollege
Niebel, ich glaube, dass der Zusammenhang mit der Aus-
gangsfrage jetzt ein sehr ausgedehnter ist. Darauf möchte
ich nur hinweisen.
Zu Frage 24 gibt es keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe Frage 25 auf:
Welche Konsequenzen wird die Bundesregierung aus diesem
Vorfall für ihre zukünftige Drogenpolitik ziehen?
C
Herr Kollege Kolb, ich
glaube, aus meinen Antworten ist schon ersichtlich, dass
die Bundesregierung diesen „Vorfall“, wie Sie ihn nen-
nen, nicht zum Anlass nimmt, irgendetwas an der Dro-
genpolitik zu verändern. Wir haben einen Koalitionsver-
trag. Auf dem Boden dieses Koalitionsvertrages mache
ich die Drogen- und Suchtpolitik der Bundesregierung.
Das, was mit dem Link passiert ist, beeinträchtigt bzw.
verändert in keiner Weise die Drogenpolitik der Bundes-
regierung.
Frau Staatssekretärin,
das Nachfragen wird ja auch dadurch etwas erschwert,
dass Sie heute quasi in eigener Sache hier antworten. Es
wäre denkbar gewesen, dass das zuständige Ministerium
heute ausnahmsweise einen beamteten Staatssekretär zur
Beantwortung der Fragen geschickt hätte. Ich möchte Sie
deswegen nicht in einen Interessenkonflikt bringen.
– Ja, aber möglicherweise können Interessenkonflikte
auftreten, Frau Staatssekretärin. Ich wollte nämlich fra-
gen: Glauben Sie denn, von Ihrer Person abgesehen, dass
der Vorfall mit diesem Link und auch die öffentliche Wür-
digung dieser Tatsache zu einer Beschädigung des Amtes
des Beauftragten der Bundesregierung für Drogenpolitik
geführt haben?
C
Herr Kollege Kolb, ichhabe Ihnen schon in der Beantwortung der vorherigenFrage dargelegt, dass ich meine Antwort selbstverständ-lich mit der Bundesregierung abgeklärt habe und dass ichdas Bundeskanzleramt – nachdem die „Bild“-Zeitung dieMeldung gebracht hat unverzüglich – von mir aus einge-schaltet und um Würdigung gebeten habe, vor allen Din-gen auch vor dem Hintergrund, dass ja Ihr Kollege Zöllerdie Abberufung der Drogenbeauftragten gefordert hat.Das Bundeskanzleramt hat mir unmissverständlich zuverstehen gegeben, dass es darin keinen Anlass sieht,mich von meinem Amt abzuberufen. Es sieht darin auch
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. September 2000
Parl. Staatssekretärin Christa Nickels11502
keine Beschädigung des Amtes der Bundesdrogenbe-auftragten.Wenn Sie das gerne schriftlich von Herrn KollegenSteinmeier oder aus unserem Haus von dem beamtetenStaatssekretär, Herrn Jordan, haben möchten, reiche ichIhnen das gerne nach.
Danke schön. –
Herr Kollege Kolb, ich möchte ausnahmsweise selbst
dazu Stellung nehmen. Ich glaube, im Interesse der Le-
bendigkeit von Fragestunden nutzt es uns allen, wenn die-
jenigen, denen Fragen gestellt werden, diese auch selbst
beantworten können. Das sage ich im Sinne der parla-
mentarischen Kultur. Es wäre schön, wenn Sie das ähnlich
sehen würden.
Ich rufe die Frage 26 des Abgeordneten Singhammer
auf:
Aus welchen Gründen erarbeitet die Bundesregierung derzeitden Entwurf eines Festbetragsneuordnungsgesetzes und wie siehtder Zeitplan für die parlamentarische Beratung aus?
C
Herr Kollege Singhammer,
die Festbeträge sind von Zivilgerichten in mehreren Ur-
teilen aus kartellrechtlichen Gründen infrage gestellt wor-
den. Das Bundesministerium für Gesundheit hat deshalb
den Entwurf eines Festbetragsneuordnungsgesetzes erar-
beitet, der eine rechtlich einwandfreie Grundlage für die
Festbeträge schaffen soll. Der Arbeitsentwurf eines sol-
chen Festbetragsneuordnungsgesetzes ist mit den Betei-
ligten und auch zwischen den Koalitionsfraktionen inten-
siv diskutiert worden. Da beim Bundesverfassungsgericht
konkrete Normenkontrollverfahren zu Arzneimittel-Fest-
beträgen anhängig sind und dem Ausgang dieser Verfah-
ren grundsätzliche Bedeutung für die künftigen Kompe-
tenzen der Selbstverwaltung zukommt, haben die
Koalitionsfraktionen entschieden, die Arbeit am Festbe-
tragsneuordnungsgesetz bis zu einer Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichtes zurückzustellen.
Herr Kollege
Singhammer, Sie haben eine Zusatzfrage. Bitte schön.
Ist die Bun-
desregierung immer noch der Ansicht, dass eine im Früh-
jahr – wie Sie es angesprochen haben – zu erwartende
Entscheidung des obersten Gerichtes für ein solches Ge-
setz abgewartet werden soll, obwohl zwischenzeitlich so-
wohl das Landgericht als auch das Oberlandesgericht
Düsseldorf sowie das Bundessozialgericht die derzeitigen
Festsetzungen bereits für verfassungswidrig erklärt ha-
ben?
C
Herr Kollege, die Bundes-
regierung ist der Auffassung – ich habe das schon darge-
legt –, dass hier grundsätzliche Fragen der Kompetenzen
der Selbstverwaltungsgremien berührt sind und dass hier
in der Tat das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes ab-
gewartet werden muss. Das Bundesverfassungsgericht
hat die Regierung bereits um eine Stellungnahme gebeten,
die zurzeit zwischen den Ressorts abgestimmt wird.
Herr Kollege
Wolf, Sie möchten eine Zusatzfrage stellen. Bitte.
Frau Staatssekretärin, was
erwarten Sie eigentlich von dieser Entscheidung des Bun-
desverfassungsgerichtes? Es ist im Prinzip klar, worum es
geht, nämlich um die formale Frage, ob ein Gremium
ohne demokratische Legitimation berechtigt ist, Ent-
scheidungen zu treffen, die allgemeinverbindlichen Cha-
rakter haben. Wir kennen das auch aus vielen anderen
Rechtsgebieten. Worin liegt also die besondere Bedeu-
tung dieses Verfassungsgerichtsurteils? Das Bundesver-
fassungsgericht kann zu dieser Frage entweder Ja oder
Nein sagen und dann die Verfassungswidrigkeit feststel-
len. Für die politischen Entscheidungen, die Sie zu treffen
haben, hat dieses Bundesverfassungsgerichtsurteil doch
keine Bedeutung.
C
Herr Kollege, das sieht die
Bundesregierung vollkommen anders. Hier wird die
Frage aufgeworfen, ob Selbstverwaltungsgremien solche
Entscheidungen treffen können, die unter Umständen
auch Auswirkungen auf Dritte haben, oder ob dies nur der
Volksvertretung zusteht. Es war ja auch diskutiert worden,
ob man es eventuell über eine Behörde, die dem Bundes-
gesundheitsministerium nachgeordnet ist, machen kann.
Das sind grundsätzlich – auch verfassungsrechtlich – ver-
schiedene Herangehensweisen und darum handelt es sich
auch um ein Normenkontrollverfahren, über das im Au-
genblick beraten und entschieden werden muss. Wir hal-
ten dies in der Tat für so gravierend – und zwar in Über-
einstimmung mit dem Bundesjustizministerium und dem
Bundesinnenministerium –, dass wir das Urteil abwarten
wollen.
Kann ich eine weitere
Frage stellen?
Nein, leider
nicht, weil Sie nicht der Fragesteller sind. Aber es gibt ja
noch eine weitere Frage des Abgeordneten Singhammer.
Vielleicht passt es dann.
Ich rufe die Frage 27 des Abgeordneten Singhammer
auf:
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. September 2000
Weitere Zusatz-
fragen liegen nicht vor. Frau Staatssekretärin, ich bedanke
mich bei Ihnen, dass Sie die Fragen beantwortet haben.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen. Der
Parlamentarische Staatssekretär Siegfried Scheffler wird
die Fragen beantworten.
Ich rufe zunächst die Frage 28 des Abgeordneten
Werner Wittlich auf:
Wie werden die im Bundeshaushalt 2000 für Lärmschutz an
bestehenden Bahntrassen vorgesehenen 100 Millionen DM ver-
teilt und in welcher Höhe werden die Bewohner an der Bahntrasse
im Rheintal im Landkreis Neuwied an den Lärmschutzvorhaben
beteiligt?
S
Frau
Präsidentin, lieber Kollege Wittlich, wenn Sie gestatten,
werde ich die Fragen 28 und 29 im Zusammenhang be-
antworten. Ihnen stehen dann ja vier Nachfragen zu.
Dann rufe ich
auch die Frage 29 des Abgeordneten Wittlich auf:
In welcher Höhe sind in den Haushaltsplanungen für 2001
Mittel für Lärmschutz an bestehenden Bahntrassen vorgesehen
und wie sollen die Mittel verteilt werden?
S
Die
im Bundeshaushalt 2000 für Lärmschutz in Härtefällen
an bestehenden Bahntrassen bereitgestellten 100 Milli-
onen DM werden entsprechend den Kriterien eingesetzt,
die der damalige Parlamentarische Staatssekretär beim
Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen,
Lothar Ibrügger, mit Schreiben vom 13. Dezember 1999
an alle Mitglieder dieses Hauses anlässlich der Verteilung
der Dringlichkeitsliste mitgeteilt hat.
In den hier angesprochenen Streckenabschnitten wer-
den sowohl aktive als auch passive Lärmschutzmaßnah-
men durchgeführt. Letztere umfassen als Lärmschutz an
der Einwirkungsstelle, also in den vom Lärm beeinträch-
tigten Wohngebäuden, den Einbau von Schallschutzfens-
tern und Lüftungseinrichtungen. Dies erfordert die
aktive Mitwirkung und finanzielle Beteiligung der betrof-
fenen Hauseigentümer. Deren individuelle Zwänge kön-
nen durchaus dazu führen, dass dieses Angebot nicht al-
len Berechtigten zugute kommt. Insofern ist eine Aussage
darüber, in welcher Höhe Mittel für die Lärmsanierung in
den Landkreis Neuwied fließen, definitiv noch nicht
möglich.
Zur Frage 29. In den Haushaltsplanungen für 2001 ist
beabsichtigt, für Lärmschutz an bestehenden Bahntrassen
wieder einen Betrag von 100 Millionen DM zur Verfü-
gung zu stellen. Auch dann wird sich die Verteilung die-
ser Mittel ausschließlich nach den hierfür festgelegten
Kriterien richten.
Ihre erste Zu-
satzfrage, Herr Kollege Wittlich.
Herr Staatssekretär,
wie sieht denn generell die zeitliche Perspektive für die
Abwicklung der gesamten Lärmschutzmaßnahmen ent-
lang der Bahntrasse im Mittelrheintal aus?
S
Grundsätzlich muss ich Ihnen in diesem Zusammenhangsagen, dass die gravierenden Versäumnisse früherer Zei-
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Parl. Staatssekretärin Christa Nickels11504
ten, zum Beispiel auch Ihrer Regierung, mit einem Schlagnicht auszugleichen sind. Zwar wird seit 1978 dieLärmsanierung an Bundesfernstraßen praktiziert. Eineentsprechende Regelung für die Bundeseisenbahnenkonnte bis zum Regierungswechsel 1998 aber nicht ge-funden werden. Erst die jetzige Bundesregierung hat denEinstieg in die Lärmsanierung an Schienenwegen von Ei-senbahnen des Bundes vollzogen. Der immense Nachhol-bedarf führt zwangsläufig dazu, dass Abhilfemaßnahmenvorerst nur in den gravierendsten Härtefällen ergriffenwerden können, weshalb es seitens der Bundesregierungnicht möglich ist, einen Zeitrahmen zu nennen, zumal esauch eine enge Abstimmung mit der DBAG geben muss.
Zweite Zusatz-
frage.
Noch eine konkrete
Nachfrage, Herr Staatssekretär: Welche Maßnahmen sind
zum jetzigen Zeitpunkt vor Ort eingeleitet?
S
Die
Umsetzung des Lärmsanierungsprogramms erfolgt nach
einer sorgfältigen Vorbereitung. Damit Sie einmal eine
Vorstellung von den zeitlichen Abläufen bekommen,
weise ich darauf hin, dass für die Planung und Genehmi-
gung von Lärmschutzwänden und -wällen mindestens ein
Jahr zu veranschlagen ist. In der Regel dauert das einein-
halb Jahre, oft aber auch länger.
Bei den passiven Lärmschutzmaßnahmen müssen
zunächst die berechtigten Hausbesitzer ermittelt, schall-
technische Untersuchungen und schließlich die eigentli-
chen Arbeiten in Abstimmung mit den Betroffenen durch-
geführt werden. Nennenswerte Mittelabflüsse sind
trotzdem bereits zum Jahresende zu erwarten.
Zu Ihrer konkreten Frage, die das Rheintal, den Land-
kreis Neuwied, betrifft: Die Deutsche Bahn AG prakti-
ziert bereits in den betreffenden Abschnitten das Verfah-
ren „Besonders überwachtes Gleis“, bei dem gegenüber
durchschnittlich unterhaltenen Gleisen eine bessere
Gleisqualität und damit auch eine geringere Schallab-
strahlung sichergestellt werden.
Je nach Örtlichkeit könnten möglicherweise andere
Maßnahmen in Betracht kommen wie zum Beispiel die
Errichtung von Lärmschutzwänden oder -wällen. Aller-
dings erfordert das enge Mittelrheintal ein behutsames
Vorgehen, um dieser einzigartigen Kulturlandschaft keine
Schäden zuzufügen, etwa durch Unterbrechung traditio-
neller Sichtverbindungen zwischen dem Strom und den
Ortschaften.
Haben Sie wei-
tere Fragen?
Herr Staatssekretär, ist
vorgesehen, dass auf diesen Strecken im Rheintal vor-
dringlich auch Güterwagen eingesetzt werden, die weni-
ger Lärm emittieren?
S
Die
Bundesregierung ist natürlich entsprechend der Koaliti-
onsvereinbarung vom 20. Oktober daran interessiert,
Maßnahmen zu ergreifen, die für die betroffene Bevölke-
rung Lärmminderung bewirken. Sie hat dies auch immer
wieder in Gesprächen und Schreiben gegenüber der
DB AG deutlich gemacht. Aber letztendlich – das ist Ih-
nen bekannt – entscheidet die DB AG nach den entspre-
chenden Kriterien über die Maßnahmen.
Ich rufe jetzt die
Frage 30 des Abgeordneten Rossmanith auf:
Wie verfolgt die Bundesregierung im Allgäu und in Schwabendas vom Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen,Reinhard Klimmt, formulierte Ziel, bis 2015 den Gütertransportper Bahn zu verdoppeln?
S
Die
Bundesregierung verfolgt weiterhin das Ziel, Kollege
Rossmanith, einen erheblichen Anteil des Verkehrszu-
wachses von der Straße auf die Schiene zu verlagern.
Hierzu werden im Rahmen einer integrierten Verkehrspo-
litik die erforderlichen ordnungs-, und investi-
tionspolitischen Maßnahmen ergriffen, ebenso wie darauf
ausgerichtete Maßnahmen der Eisenbahnunternehmen
selbst. Dies wird mit einer deutlichen Erhöhung der Inves-
titionsmittel, die der Bund für die Sanierung und einen ge-
zielten Ausbau des Schienennetzes einsetzen wird, unter-
stützt. Aussagen hinsichtlich einzelner Regionen für das
Jahr 2015 sind derzeit nicht möglich.
Haben Sie eine
Zusatzfrage?
Herr Staatssekre-
tär Scheffler, die Bundesregierung und Bundesminister
Klimmt haben ein „Zukunftspaket Schiene“, das bis 2015
geht, vorgelegt. Aber dennoch ist es doch erforderlich, die
derzeitige Situation und das Aufkommen zu würdigen
und in die Überlegungen einzubeziehen.
Ich habe die Frage gestellt, was konkret für gerade von
der Schiene nicht bevorzugte Regionen wie zum Beispiel
das Allgäu jetzt getan wird, um eben diese Verdoppelung
des Güteraufkommens für die Schiene zu ermöglichen.
Damit wird ja auch für Industrieansiedlungen in dieser
Region und für die Verbesserung der Arbeitsplatzsituation
ein entsprechender Beitrag geleistet.
S
Sieheben ab auf Aussagen des Bundesministers bei derHaushaltsdebatte, wo von dieser Verdoppelung geredetwurde. Allerdings hat er die Verdoppelung der Verkehrs-leistung von gegenwärtig etwa 72,8 auf 148 Milliar-den Tonnenkilometer im Kontext mit dem „PaketSchiene“ genannt. Wir wollen ja in Abstimmung mit dem
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Parl. Staatssekretär Siegfried Scheffler11505
Bundeskanzler und dem Bundesfinanzminister aus denErlösen bei der Versteigerung der UMTS-Lizenzen undden damit erzielten Zinseinsparungen der DeutschenBahnAG, beginnend mit dem Jahr 2001, zusätzliche Mit-tel zur Verfügung stellen.Der Prozess der Abstimmung mit der Deutschen BahnAG darüber, ob der Ausbau bzw. der Neubau oder ob dieErtüchtigung des vorhandenen Netzes im Bereich derStraße bzw. der Schiene vorgenommen werden soll,konnte aufgrund des kurzen Zeitraums natürlich nochnicht abgeschlossen werden.
Eine Zusatz-
frage, Herr Rossmanith.
Bei allem Ver-
ständnis dafür, dass auch die Bundesregierung entspre-
chende Öffentlichkeitsarbeit zu leisten hat, stellt sich
doch die Frage, ob nicht derartigen elementaren Äuße-
rungen wie der über die Verdoppelung des Gütertranspor-
tes innerhalb von 15 Jahren – das ist sicherlich sehr lang
gefasst – auch konkrete Pläne bzw. ein konkreter Unter-
bau zugrunde liegen muss.
S
Bei
allem Verständnis auch für Sie persönlich, der Sie die In-
teressen einer bestimmten Region vertreten, muss ich da-
rauf hinweisen, dass auch andere Bundestagskolleginnen
und -kollegen – egal, ob sie aus den alten oder den neuen
Bundesländern kommen – die Interessen ihrer jeweiligen
Region vertreten. Der Prozess der Abstimmung sowohl
mit der Deutschen Bahn AG als auch mit den entspre-
chend beteiligten Regierungsfraktionen konnte in der
Kürze der Zeit noch nicht abgeschlossen werden, sodass
ich Ihnen für Ihre Region keine konkreten Zahlen über die
Höhe der in etwa zur Verfügung stehenden Mittel nennen
kann.
Zusatzfrage des
Kollegen Wiese.
Herr Staatsse-
kretär, wenn Sie davon ausgehen, dass in dem besagten
Zeitraum die Möglichkeit besteht, mehr Schwerverkehr
von der Straße auf die Schiene zu verlagern, glauben Sie
dann nicht auch, dass man gezielte Maßnahmen rechtzei-
tig vorlegen muss? Die Weichen sind gerade in Richtung
des kombinierten Verkehrs so zu stellen, dass eine ausrei-
chende Zahl an Containerbahnhöfen und Umschlagplät-
zen im Süden vorhanden ist. Zu berücksichtigen ist natür-
lich auch die internationale Anbindung an die neuen
Alpentransversalen, gerade in unserem Raum, in Schwa-
ben, im Raum Bodensee und zwischen Stuttgart und Mün-
chen. Sind diesbezüglich schon irgendwelche Weichen
gestellt worden?
S
Im
Grunde genommen sind Weichen gestellt worden, zuletzt
auch mit dem Brief des Bundesministers an den Staatsmi-
nister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten des
Freistaates Bayern, Herrn Josef Miller – er ist Ihnen si-
cherlich bekannt – , vom 22. September, in dem die Ver-
teilung der Verkehre im Rahmen des Alpentransits – ob
nach Österreich oder in die Schweiz – und die Prämissen
detailliert dargestellt wurden und in dem die Bundesre-
gierung die Einhaltung ihrer gemachten Zusage, mehr
Verkehr von der Straße auf die Schiene – übrigens auch
auf die Wasserstraßen – zu verlagern, als Teil des Regie-
rungshandelns bekräftigt hat.
Letztendlich zeigt das auch die Verteilung der Mittel
aus den Zinseinsparungen, die durch den Verkauf der
UMTS-Lizenzen möglich wurden. Es sind die zwei Be-
reiche Bildung und Forschung sowie der Aus- und Neu-
bau bzw. die Ertüchtigung der Verkehrsinfrastruktur in
das Regierungsprogramm einbezogen worden. Wir ver-
folgen das Ziel, mehr Verkehr von der Straße auf die
Schiene zu verlagern, nicht nur mit diesem Programm,
sondern auch mit dem Investitionsprogramm 1999 bis
2002 und mit dem Anti-Stau-Programm bzw. dem Eng-
passbeseitigungsprogramm, deren Mittel etwa hälftig für
den Ausbau bzw. die Ertüchtigung der Schiene bereitge-
stellt werden.
Ich rufe die
Frage 31 des Abgeordneten Rossmanith auf:
Ist die Bundesregierung bereit, den zweigleisigen Ausbau und
die Elektrifizierung der Bahnstrecke München über Buchloe und
Memmingen nach Zürich in den vordringlichen Bedarf aufzuneh-
men, und welche sonstigen Planungen bestehen?
S
DieBundesregierung misst einer Verbesserung der Bahnver-bindung München–Lindau–Zürich hohe Bedeutung bei.Dies dokumentiert die Aufnahme des Projektes „Aus-baustrecke München–Lindau“ als hoch prioritäre Maß-nahme in das laufende Investitionsprogramm bis 2002 fürden Ausbau der Bundesschienenwege, der Bundesfern-straßen und der Bundeswasserstraßen. Es wurde dort mitdem Vorbehalt versehen, dass die Finanzierung des Vor-habens im Verlauf des Geltungszeitraumes des Investi-tionsprogramms geprüft wird. Für vorbereitende Maß-nahmen sind 1 Million DM in das Programm eingestellt.Vorgesehen ist die Anpassung der Strecke an den Ein-satz von Dieselneigetechnikzügen. Der Einsatz dieserZüge wird zu einer Reisezeitverkürzung von etwa 30 Mi-nuten zwischen München und Lindau bzw. Zürich führenund damit die Attraktivität des Schienenverkehrs steigern.Untersuchungen des Korridors München–Lindau bele-gen derzeit nicht die Notwendigkeit und die Wirtschaft-lichkeit eines durchgängigen zweigleisigen Ausbaus desStreckenabschnitts Buchloe–Memmingen–Hergatz–Lin-dau sowie einer Elektrifizierung der Strecken über Mem-mingen und Kempten. Die verkehrliche Entwicklung derStrecke wird regelmäßig beobachtet. Weitere Planungenfür Fernverkehrsprojekte in diesem Korridor bestehenderzeit nicht.
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Parl. Staatssekretär Siegfried Scheffler11506
Eine Zusatz-
frage, bitte.
Herr Staatssekre-
tär, welche Ergebnisse hat diese von Ihnen soeben darge-
stellte Überprüfung gebracht? Wie begründen Sie die
Aussage im zweiten Teil Ihrer Antwort, dass ein zwei-
gleisiger Ausbau nicht erforderlich ist? Es handelt sich
immerhin – dieser Zusatz sei mir noch gestattet – um eine
internationale Strecke.
S
Der
Alpentransit Schiene aus bzw. nach Deutschland verteilt
sich gemäß unseren Prognosen von Gutachtern zu einem
Drittel auf Österreich – über Brenner/Tauern – und zu
zwei Dritteln auf die Schweiz, wovon 88 Prozent über Ba-
sel, 7 Prozent über Singen und 5 Prozent über Lindau lau-
fen. Mit diesen Daten aus der Prognose ist die Strecke
München–Lindau im Rahmen der Arbeiten zum Ab-
schluss des Abkommens mit der Schweiz zur Sicherung
der Leistungsfähigkeit des nördlichen Zulaufs entspre-
chend untersucht worden. Dabei hat sich kein zweigleisi-
ger Ausbaubedarf ergeben.
Parallel dazu ist es aber Ziel der Bundesregierung, ge-
meinsam mit der Deutschen Bahn AG durch den Einsatz
von Neigetechnikfahrzeugen zunächst die Attraktivität
der Strecke für den Personenverkehr zu steigern. Für den
Zeitraum des Investitionsprogramms bis 2002 – ich sagte
das bereits – streben wir eine Fahrzeitverbesserung von
rund einer halben Stunde zwischen München und Zürich
an. Im Rahmen der Klärung der Finanzierung wird auch
das dazu vorliegende Vorfinanzierungsangebot des Frei-
staates Bayern geprüft.
Eine weitere
Zusatzfrage des Abgeordneten Rossmanith.
Im Gegensatz zu
Ihrer Antwort auf die vorige Frage, in der von einem Zeit-
raum von 15 Jahren gesprochen wurde, ist in diesem Falle
der Zeitraum bis 2002 – wir stehen am Beginn der Bera-
tungen des Haushalts 2001 – genannt worden und er ist
sehr begrenzt. Wann werden die ersten Mittel für den Aus-
bau dieser Strecke fließen? Der Zeitrahmen für die Inves-
titionen – bis 2002 – ist relativ eng. Es ist erforderlich, ent-
sprechende Vorarbeiten zu leisten, um mit dem Ausbau
rechtzeitig beginnen zu können.
S
Hier
ist grundsätzlich auszuführen, dass diese Mittel für vor-
bereitende Maßnahmen aufgrund der hoch prioritären
Einstufung der Maßnahme in das Investitionsprogramm
bis 2002 eingestellt wurden. Deshalb sind auch die Kos-
ten der von Ihnen genannten vorbereitenden Maßnahmen
abgedeckt – unabhängig davon, was die Deutsche Bahn
AG mit der Bayerischen Staatsregierung vereinbart, um
zu einer weiteren Ertüchtigung der Strecke zu kommen.
Eine Zusatz-
frage des Kollegen Holetschek.
Herr Staatssekretär,
gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang die etwas all-
gemeinere Frage: Mit welchen Mitteln gedenkt die Bun-
desregierung in Zukunft sicherzustellen, dass die Deut-
sche Bahn AG ihrem Auftrag gerecht wird, auch die
Bedienung in der Fläche und die Anbindung peripherer
Landesteile an das Fernverbindungsnetz zu gewährlei-
sten?
S
Ich
kann Ihnen hier einmal die Bugwelle hinsichtlich der Un-
terfinanzierung des Investitionsprogramms von etwa
80 bis 100 Milliarden DM vorbeten. In Bayern haben wir
gegenwärtig eine erhebliche Investitionsschleppe zu ver-
zeichnen, die wir im vorgesehenen Zeitraum nicht finan-
zieren können. Das ist eine Erblast, die wir 1998 von der
alten Bundesregierung übernommen haben.
Die neue Bundesregierung, die Koalitionspartner und
insbesondere der Finanzminister haben im Investitions-
programm, im Anti–Stau–Programm, aber auch mit dem
Schienenpaket erstmals dafür gesorgt, dass zur Ertüchti-
gung der Schiene erheblich mehr Mittel als durch irgend-
eine andere Bundesregierung zuvor über einen längeren
Zeitraum zur Verfügung gestellt werden. Die Deutsche
Bahn AG wird in der Lage sein, sowohl den Aus- und
Neubau von Hauptmagistralen als auch – in enger Ab-
stimmung mit den Ländern – die Ertüchtigung vorhande-
ner Strecken in der Fläche zu sichern.
Eine Zusatz-
frage des Kollegen Kalb.
Herr Staatssekre-
tär, ist Ihnen bekannt, dass Mitte der 90er-Jahre mehr
Haushaltsmittel für den Schienenwegeausbau zur Verfü-
gung standen, als – zumindest in einem Jahr war das sehr
signifikant – die Bahn überhaupt verbauen konnte? Die
Größenordnungen haben zum Teil über 1 Milliarde DM
gelegen.
S
Lie-
ber Kollege Kalb, mir sind die Aussagen bekannt – ich
möchte sie jetzt natürlich nicht kommentieren –, die da-
mals in der Verantwortung der DB AG gemacht wurden.
Sie wissen ja, dass wir – wir waren schon damals ge-
meinsam im Verkehrsausschuss mit der Bahnreform und
mit der Privatisierung der Bahn befasst – hier im Deut-
schen Bundestag bzw. auch die alte Bundesregierung
nicht diese Verantwortung hatten. Was den Mittelabfluss
betrifft, könnte man einiges dazu sagen. Das steht mir
aber, denke ich, nicht zu.
Ich rufe dieFrage 32 des Abgeordneten Dr. Müller auf:
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. September 2000 11507
Welche Gründe werden für die Verzögerung des Vertragsab-schlusses zum Ausbau der Strecke München–Memmingen–Lin-dau zwischen der Bundesregierung, der Deutschen Bahn AG unddem Land Bayern angeführt?S
Herr
Kollege Müller, die Ausbaustrecke München–Lindau ist
in das Investitionsprogramm für den Ausbau der Bundes-
schienenwege, Bundesfernstraßen und Bundeswasser-
straßen 1999 bis 2002 aufgenommen worden, wie ich
schon bei der Beantwortung der vorangegangenen Fragen
ausgeführt habe. Es wurde dort mit dem Vorbehalt verse-
hen, dass die Finanzierung des Vorhabens im Verlauf des
Geltungszeitraumes des Investitionsprogramms geprüft
wird. Für vorbereitende Maßnahmen sind 1 Million DM
in das Programm eingestellt. Da bisher keine über das In-
vestitionsprogramm hinausgehenden weiteren Haushalts-
mittel zur Verfügung standen, konnte auch keine Finan-
zierungsvereinbarung abgeschlossen werden.
Eine Zusatz-
frage des Kollegen Dr. Müller.
Herr Staatssekretär, es
ist umso verwunderlicher, dass Sie noch einmal unterstri-
chen haben – was ich mit großem Bedauern zur Kenntnis
nehme –, dass Sie nicht bereit sind, die Finanzierung die-
ser dringlichen Maßnahme jetzt vorzunehmen. Ich frage
Sie, warum Sie nicht bereit sind, auf das Angebot Bayerns
zur Vorfinanzierung dieses Streckenabschnittes mit
80 Millionen DM einzugehen. Der Entwurf eines trilate-
ralen Vertrags zwischen dem Bundesverkehrsminister,
der DB AG und dem Freistaat Bayern bietet die Voraus-
setzung, um im Zuge der Vorfinanzierung mit bayerischen
Mitteln jetzt zu bauen. Was sind die konkreten Gründe
dafür, dass der Bund die Unterzeichnung dieses trilatera-
len Vertrags verhindert – mit dem Vertrag könnte jetzt mit
dem Bau begonnen werden –, wenn Sie schon bis 2002
nicht finanzieren?
S
Herr
Kollege Müller, Sie greifen jetzt schon in den Bereich der
Frage 33 vor. Frau Präsidentin, lieber Kollege Müller,
sind Sie damit einverstanden, wenn ich jetzt die Antwort
zur Frage 33 gebe und dann auf Ihre Zusatzfrage eingehe?
Ja.
Dann rufe ich
die Frage 33 des Kollegen Dr. Müller auf:
Zu welchem Zeitpunkt ist der Bund bereit, die notwendigenMittel in Höhe von 80 Millionen DM für den Ausbau der StreckeMünchen–Memmingen–Lindau für Neigetechnikbetrieb nach § 8Abs. 1 Bundesschienenwegeausbaugesetz zur Verfügung zu stel-len?
S
Die
Gespräche zwischen dem Freistaat Bayern, der Deut-
schen BahnAG und dem Bund über die Finanzierung der
Maßnahmen konnten noch nicht abgeschlossen werden,
sodass über den Zeitpunkt der Finanzierung noch keine
abschließenden Aussagen möglich sind.
Ich möchte zunächst Ihre Behauptung zurückweisen,
dass der Bund hier blockiert. Ihnen ist sicherlich ein
Schreiben unseres Ministeriums vom 1. September dieses
Jahres an die DB Netz AG und nachrichtlich an das Ei-
senbahn-Bundesamt bekannt, das die Ausbaustrecke
München–Lindau und die weitere Strecke über die deut-
sche Grenze in die Schweiz, nach Zürich, betrifft. Ich zi-
tiere:
Aus der Sicht des Bundes besteht Bereitschaft zum
Abschluss einer Finanzierungsvereinbarung für die
Ausbaustrecke München–Lindau. Grundlage für
diese Finanzierungsvereinbarung wäre bei geschätz-
ten Gesamtbaukosten von 80Millionen DM in Über-
einstimmung mit dem Investitionsprogramm 1999
bis 2002 ein Mittelabfluss in den Jahren 2001/02 von
je einer halben Million DM und in den Jahren
2003/04 von je 39,5 Millionen DM.
Insofern stimmt das mit meiner Aussage: „1 Milli-
onen DM stehen im Investitionsprogramm hierfür bereit.“
überein.
Eine gegenüber diesem Zeithorizont schnellere Reali-
sierung des Projektes in Absprache mit dem Land Bayern
begegnet keinen grundsätzlichen Bedenken. Diesbezügli-
che Absprachen mit dem Land werden jedoch nicht Be-
standteil einer mit dem Bund abzuschließenden Finanzie-
rungsvereinbarung sein. Sie wissen natürlich, dass eine
Finanzierungsvereinbarung mit diesen Inhalten nur die
DB AG mit dem Freistaat Bayern abschließen kann.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Dr. Müller, bitte
eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär,
können Sie mir eine Hilfestellung dabei geben, wie ich
dem Bürger zu Hause dieses Schwarzer-Peter-Spiel zwi-
schen dem Bund, dem Freistaat und der Bahn erklären
soll? Bayern ist bereit, dieses Projekt bis 2002 vorzufi-
nanzieren, während der Bund nur große Erklärungen ab-
gibt, mehr Geld in die Schiene zu stecken. Das Geld ist
vorhanden, die 80 Millionen DM werden vom Freistaat
vorfinanziert. Die Technik ist geklärt. Die Deutsche Bahn
AG sagt: Okay, es ist alles in Ordnung. Es scheitert aber
an dem Vertragsabschluss zwischen Bahn, Bund und Bay-
ern. Sagen Sie doch heute: Okay, ihr könnt starten.
Die Finanzierung ist gesichert. Was sind die Gründe
dafür, dass Sie diesen trilateralen Vertrag nicht unter-
zeichnen?
S
Ichbitte Sie, Ihre Ausführungen präzise zu beenden. Es gehtnicht um einen Vertrag zwischen Bayern, Bund undDB AG. Der Bund hat, wie erwähnt, eine Finanzierungs-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. September 2000
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer11508
vereinbarung angestoßen, die zwischen der DB AG unddem Bund geschlossen wird. Wir haben auch gegenüberdem Eisenbahn-Bundesamt deutlich gemacht, dass wirgrundsätzlich einer positiven Entscheidung überhauptnicht entgegenstehen. Ich denke, nach der Prüfung durchdas Eisenbahn-Bundesamt wird es dann auch einen posi-tiven Entscheid geben. Über die Vorfinanzierungsmoda-litäten muss aber ein Vertrag zwischen der DB AG unddem Freistaat Bayern geschlossen werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Kollege Müller, bitte
eine nächste Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär,
eine Fragestunde soll ja auch dazu dienen, Licht in eine
solche Sache zu bringen. Sagen Sie doch mir und den Bür-
gern: Woran liegt das? Wer verhindert diese Unterschrift?
Mir liegt hier ein Schriftverkehr vor, aus dem hervorgeht,
dass Sie nun seit über einem Dreivierteljahr – die Finan-
zierung ist sicher, ich sage es noch einmal – miteinander
verhandeln. Wie lange wollen Sie denn noch verhandeln?
Woran liegt das? Wann kommt die Unterschrift? Wann
können die Züge fahren? Wann wird endlich der Schie-
nenverkehr in der Fläche gestärkt?
Ich möchte noch eine Ergänzung zu dem machen, was
der Kollege vorhin gesagt hat. Wie wollen Sie es denn in
Zukunft überhaupt noch sicher stellen, dass neben dem
Fernverkehr auch die Fläche, das Land bedient werden?
Wir haben da große Sorgen. Sie stellen Bahnverbindun-
gen ein, erhöhen die Mineralölsteuer. Sollen die Men-
schen, die auf dem Land wohnen, zu Fuß zu ihrer Regie-
rung laufen, um zu protestieren?
S
Nun
könnten wir uns lang und breit darüber unterhalten, wer
für die Regionalisierung verantwortlich ist. Mit ihr einher
ging ja eine Änderung des Grundgesetzes, da die Länder
gefordert hatten, die Verantwortung hierfür vom Bund auf
die Länder zu übertragen. Insofern ist es das regionale In-
teresse des Freistaates Bayern, hier zu einer Finanzie-
rungsvereinbarung zu kommen. Ich wundere mich schon,
dass Sie hier fragen, was diese Regierung tut, um die Bahn
in der Fläche zu ertüchtigen. Ich könnte Ihnen aus allen
Haushalten aus den zehn Jahren vor November 1998 vor-
tragen, was jeweils getan wurde, um die Bahn zu ertüch-
tigen. Diese Bundesregierung dagegen hat ja bewiesen
– das habe ich vorhin ausgeführt –, dass sie hier etwas tun
will: Sie hat jetzt in enger Abstimmung mit der Deutschen
Bahn AG ein zusätzliches Paket für die Bahn auf den Weg
gebracht, damit auch der Schienenverkehr in der Fläche
ertüchtigt wird.
Sie können natürlich von mir keine Antwort auf die
Frage bekommen, wann der Finanzierungsvertrag zwi-
schen Bayern und der DBAG unterschriftsreif sein wird.
Sie wissen, dass das Eisenbahn-Bundesamt eine unab-
hängige Behörde ist. Es ist nun einmal nicht so, dass die
Vertreter der Bundesregierung sagen können: Ihr habt das
und das zu machen. Vielmehr prüft die Behörde sehr ge-
wissenhaft, wie ich denke, den finanziellen Teil.
Nach der Prüfung werden Sie den Bürgern in Ihrer Region
sagen können, dass die Strecke ertüchtigt wird.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Müller
hat noch eine letzte, aber wirklich allerletzte Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär,
kann ich zumindest davon ausgehen, dass Sie morgen
oder in den nächsten Tagen in dieser Angelegenheit Druck
machen, damit die Prüfung nicht weitere Jahre dauert,
sondern wir in den nächsten sechs Wochen eine Entschei-
dung bekommen?
S
Die
Bundesregierung hat das in den vergangenen Wochen und
Monaten angeschoben und wird das auch zukünftig tun.
Sie hat mit dem Schreiben vom 1. September 2000 noch
einmal deutlich gemacht, dass vonseiten der Bundesre-
gierung grundsätzlich keine Bedenken bestehen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt gibt es eine Zu-
satzfrage des Kollegen Rossmanith.
Herr Staatssekre-
tär, ist die Bundesregierung bereit, wenn es trilateral nicht
geht, – mit dem Freistaat Bayern eine bilaterale, verbind-
liche Vereinbarung zu treffen, die festschreibt, – wann der
vom Freistaat Bayern vorfinanzierte Betrag von 80 Milli-
onen DM durch den Bund erstattet wird?
S
Ich
denke, ich habe den Verhandlungs- und Sachstand klarge-
macht. Jetzt müssen die Verträge zwischen dem Bund und
der DB AG bzw. zwischen dem Freistaat Bayern und der
Deutschen Bahn AG abgeschlossen werden. Wir sind mit-
ten in der Prüfungsphase. Die Bundesregierung hat dieses
Verfahren mit Nachdruck angeschoben. Aber sie kann
natürlich nicht – das werden Sie verstehen – politischen
Druck auf eine unabhängige Behörde ausüben, die Prü-
fung in fachlicher oder fiskalischer Sicht zu beschleuni-
gen. Eine solche Abkürzung könnte nachher der DB AG
oder dem Bund auf die Füße fallen. Insofern hat die Bun-
desregierung ihre Hausaufgaben gemacht.
Herr Staatssekre-tär, ist die Bundesregierung der Meinung, dass geradeder Strecke München–Buchloe–Memmingen–Lindau–Zürich oberste Priorität einzuräumen ist, alldieweil paral-lel die A 96 verläuft, von der noch 3,8 Kilometer fehlen,die aber nicht mehr gebaut werden können, da die Bun-desregierung hierfür beim besten Willen kein Geld findenkann, und die, wenn sie doch einmal fertig werden sollte,die Verlagerung des Personenverkehrs auf die Straße ver-stärken würde, und es schwierig wäre, diesen Personen-kreis zurück auf die Schiene zu führen?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. September 2000
Parl. Staatssekretär Siegfried Scheffler11509
S
Sie
konstruieren hier einen Sachzusammenhang, der so nicht
besteht. Das wissen Sie auch.
Ich wundere mich über Ihre Ausführungen auch insofern,
als diese hoch prioritäre Maßnahme, die von der Bundes-
regierung anerkannt wird – sonst wäre sie nicht in das
Investitionsprogramm 1999 bis 2002 aufgenommen wor-
den –, von der alten Bundesregierung nicht vorangetrie-
ben wurde. Sie wissen, dass wir erst im November 1998
die Verantwortung in diesem Lande übernommen haben.
Sie hatten doch zudem den Finanzminister, der die Mittel
in den Haushalt eingestellt hat, in der CSU-Landes-
gruppe.
Das Schienenpaket der neuen Bundesregierung bedarf
der Konsultation mit dem Freistaat Bayern und der Deut-
schen Bahn AG. Denn diese Strecke ist eine der hoch pri-
oritären Maßnahmen im Freistaat Bayern. Die Prioritä-
tenreihung wird die Bundesregierung nicht von oben
herab, sondern in enger Konsultation mit dem Freistaat
Bayern festlegen. Er hat in dieser Frage, wie auch schon
in der Vergangenheit, ein Mitwirkungsrecht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die weiteren Fragen
zu diesem Geschäftsbereich, die Fragen 34 bis 37, werden
sämtlich schriftlich beantwortet.
Ich rufe jetzt den Geschäftsbereich des Bundesminis-
teriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
auf. Zur Beantwortung steht Frau Parlamentarische
Staatssekretärin Gila Altmann zur Verfügung.
Da die Fragen 38 und 39 des Kollegen Brinkmann
schriftlich beantwortet werden, kommen wir zur Frage 40
des Kollegen Dr. Klaus Rose:
Welche Schritte hat die Bundesregierung bisher unternom-
men, um das in der Tschechischen Republik geplante Kernkraft-
werk Temelin zu verhindern?
G
Ich beantworte die Frage von Dr. Rose, welche Schritte
die Bundesregierung bisher unternommen hat, um die In-
betriebnahme von Temelin zu verhindern, wie folgt:
Die Bundesregierung hat an der Ablehnung der Inbe-
triebnahme des Atomkraftwerkes Temelin nie einen
Zweifel gelassen. Seit Regierungsantritt wurden alle sich
bietenden Möglichkeiten genutzt, um in diesem Sinne auf
die Entscheidung der tschechischen Regierung zur Fer-
tigstellung und Inbetriebnahme Einfluss zu nehmen. Die
Zuständigkeit für Errichtung und Betrieb sowie für die Si-
cherheit nuklearer Anlagen liegt aber allein bei dem Staat,
auf dessen Gebiet sich die Anlage befindet. Insofern hat
die Bundesregierung keine rechtlichen Mittel, die Inbe-
triebnahme des Atomkraftwerks Temelin zu verhindern.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Dr. Rose, bitte
Ihre erste Zusatzfrage.
In einer dpa-Meldung
vom 14. September 2000 steht geschrieben, dass Bürger
bei einer Demonstration gesagt haben, sie wollten nicht
blind in eine Katastrophe laufen. Meinen Sie, dass Sie mit
Ihrer Antwort diese Bürger beruhigen können?
G
Die Bundesregierung ist verpflichtet, die rechtlichen Rah-
menbedingungen zu beachten. Wie ich schon gesagt habe,
hat sie in den letzten zwei Jahren alles Erdenkliche getan,
um unterhalb dieser Schwelle, auf diplomatischem Wege,
etwas zu erreichen.
Darüber hinaus möchte ich darauf hinweisen, dass die-
ser Konflikt nicht erst seit zwei Jahren, sondern schon seit
zehn Jahren existiert. Wenn man sich einmal die Chrono-
logie der Aktivitäten der alten Bundesregierung an-
schaut – ich habe eine entsprechende Liste vorliegen; ich
bin gerne bereit, Ihnen Auszüge aus dieser Liste auf
schriftliche Anfrage zukommen zu lassen –, dann wird
klar, dass die Aktivitäten zwischen 1998 und 2000 die Ak-
tivitäten zwischen 1990 und 1998 schon rein quantitativ
um ein Vielfaches übersteigen.
In der Bauphase, in der es eventuell noch erfolgver-
sprechende Eingriffsmöglichkeiten gegeben hätte, in der
also ein Abbruch der Bauaktivitäten, noch möglich war,
ist aus Sicht der neuen Bundesregierung seitens der alten
Bundesregierung sehr zurückhaltend verfahren worden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Rose,
bitte Ihre zweite Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin,
haben Sie Verständnis für eine weitere Frage: Wenn ich
nämlich die Begeisterung sehe, mit der Umweltminister
Trittin in Frankreich gegen bereits bestehende Anlagen
agitiert hat, dann muss ich fragen, ob er mit der gleichen
Begeisterung in Tschechien gehandelt hat.
Wie ich bereits sagte, ist sogar schriftlich dokumen-
tiert, mit welcher Begeisterung – man sollte bei diesem
Thema besser sagen: mit welcher Leidenschaft und Ein-
deutigkeit – der Bundesminister Trittin hier agiert hat.
Nichtsdestotrotz muss ich betonen, dass wir keine weite-
ren
Eingriffsmöglichkeiten haben, weil Tschechien entspre-
chende Eingriffe zu Recht als Einmischung ansehen und
sich verbitten würde. Wir hätten uns auch nicht hineinre-
den lassen wollen, als wir den Beschluss zum Ausstieg
aus der Atomenergie gefasst haben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr KollegeKubatschka, Sie haben ebenfalls eine Zusatzfrage. Bitte.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. September 200011510
Frau Kollegin Altmann,
Temelin hätte in diesem Monat bereits ans Netz gehen sol-
len. Die Betreiber haben schon zur Riesenfete eingeladen.
Es ist also schon fünf Sekunden vor zwölf. Deswegen
möchte ich Sie fragen: Was hat die CDU/CSU-F.D.P.-Re-
gierung unternommen, um den Weiterbau von Temelin zu
einer Zeit zu verhindern, als noch die Chance dazu be-
standen hat?
G
Wie ich bereits gesagt habe – dies ist auch dokumentiert –,
ist in einer Phase, in der aus unserer Sicht noch größere
Möglichkeiten bestanden haben, zu einer anderen Ent-
scheidung zu kommen, sehr zurückhaltend verfahren
worden. Wir befinden uns jetzt auf der Zielgeraden. Da ist
es natürlich schwierig, noch Entscheidendes zu ändern.
Nichtsdestotrotz nehmen wir die Bedenken der Bevölke-
rung sehr ernst. Auch die gegnerischen Aktivitäten, die
sich rund um die Inbetriebnahme vor Ort abspielen, be-
trachten wir mit Verständnis.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir kommen jetzt zur
Frage 41 des Kollegen Dr. Klaus Rose:
Sieht die Bundesregierung eine Chance in bilateralen Ver-handlungen zwischen Deutschland und Tschechien, um den Sor-gen und Befürchtungen der ostbayerischen Bevölkerung vor demKernkraftwerk Temelin abhelfen zu können?
G
Die Frage beantworte ich wie folgt:
Die Bundesregierung hat seit Mitte der 90er-Jahre bi-
lateral mit der zuständigen atomrechtlichen Genehmi-
gungs- und Aufsichtsbehörde in Tschechien verhandelt,
um ausreichende Informationen zur Sicherheit und zu den
Risiken des Atomkraftwerks Temelin zu erhalten. Im
Rahmen dieser Zusammenarbeit wurden generelle Infor-
mationen zur sicherheitstechnischen Auslegung sowie zu
Sicherheitsanforderungen und zur Durchführung des Ge-
nehmigungsverfahrens bereitgestellt. Außerdem hat die
tschechische Seite zugesagt, zu Einwendungen bayeri-
scher Bürger aus der Grenzregion schriftlich Stellung zu
nehmen.
Bei dem Atomkraftwerk Temelin handelt es sich um
ein Kraftwerk des sowjetischen Typs WWER 1000, das
unter Einbeziehung US-amerikanischer Technologie im
Bereich des Reaktorkerns und der digitalen Leittechnik
fertig gestellt worden ist. Die Bundesregierung hat zu die-
sem Reaktortyp eigene generische Untersuchungen zu si-
cherheitstechnischen Defiziten und Schwachstellen
durchgeführt und hierbei auch die Sicherheitsfragen der
Leittechnik einschließlich der Wechselwirkung mit der
Anlagentechnik russischer Herkunft bewertet.
Die daraus resultierenden Sicherheitsfragen sind der
tschechischen Genehmigungsbehörde vorgetragen wor-
den. Die deutsche Seite hat darüber hinaus darauf ge-
drängt, dass sich deutsche Experten anhand von Unterla-
gen aus dem Genehmigungsverfahren ein eigenständiges
Bild von den in Temelin vorgesehenen Lösungen wichti-
ger ausgewählter Sicherheitsfragen verschaffen können.
Die Ergebnisse dieser vertieften Sicherheitsbewertung
sind der tschechischen Genehmigungsbehörde im Au-
gust 2000 übermittelt worden. Am 5. September 2000
fand eine Erörterung der Ergebnisse dieser Bewertung
zwischen tschechischer Genehmigungsbehörde, Vertre-
tern des BMU und der Bayerischen Staatsregierung in
Prag statt. Die von deutscher Seite aufgezeigten Sicher-
heitsbedenken sollen zwischen Fachleuten weiter abge-
klärt und in Kürze abschließend bewertet werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Rose,
Ihre erste Zusatzfrage, bitte.
Darf ich Sie darauf hin-
weisen, verehrte Frau Staatssekretärin, dass Sie gerade ei-
nen Widerspruch gebracht haben, weil Sie nämlich vorhin
gesagt haben, die vorherige Bundesregierung hätte nichts
getan, in Ihrer jetzigen Antwort aber darauf verwiesen ha-
ben, dass seit Mitte der 90er-Jahre durchaus einiges ge-
schehen ist, woraus ich schließe, dass Sie mit dem, was
geschehen ist, einverstanden sind, da Sie es ähnlich fort-
führen?
G
Herr Kollege, da haben Sie mich missinterpretiert. Ich
habe nicht gesagt, dass die alte Bundesregierung nichts
getan hat. Ich habe gesagt, dass sie sich im Verhältnis zu
dem, was die neue Bundesregierung getan hat, zurückhal-
tend verhalten hat.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Kollege Rose, bitte
die zweite Frage.
Frau Staatssekretärin,
es hat sich vor wenigen Tagen eine eigene Kommission
zwischen den Tschechen und den Österreichern gebildet,
die einen Untersuchungsbericht über das Streitobjekt vor-
legen wollen. Kann ich davon ausgehen, dass sich die
Deutschen an dieser dann nicht bilateralen, sondern trila-
teralen Kommission beteiligen werden?
G
Sie wissen – ich habe das gerade auch mitgeteilt –, dass es
diese bilateralen Abkommen gibt. Die letzte Sitzung der
tschechisch-deutschen Gruppe dazu hat am 5. Septem-
ber 2000 stattgefunden.Dabeiwurdenweitere sicherheits-
technische Fragen aufgeworfen. Wir werden natürlich
alles tun, was auf politischer Ebene möglich ist, um die In-
betriebnahme von Temelin zu verhindern.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Zusatzfrage des
Kollegen Kubatschka.
Frau Kollegin Altmann,die CSU-Mehrheit im Bayerischen Landtag hat einen An-trag der Grünen auf sofortigen Baustopp von Temelin am16. Februar 1995 abgelehnt. War diese Ablehnung hilf-reich, um den Befürchtungen der ostbayerischen Bevöl-kerung entgegenzutreten?
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. September 2000 11511
G
Herr Kollege Kubatschka, es steht mir hier natürlich nicht
zu, Länderbeschlüsse zu kommentieren oder zu interpre-
tieren. Nichtsdestotrotz sei mir gestattet, zu sagen, dass
ich als Ostfriesin diese Logik nicht verstehe. Sie als ge-
lernter bayerischer Staatsbürger können das, so denke ich,
eher leisten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es gibt noch eine Zu-
satzfrage vom Kollegen Max Straubinger.
Frau Staatssekretärin,
Sie haben vorhin in Ihrer Antwort darauf hingewiesen,
dass die vorige Bundesregierung angeblich mehr Mög-
lichkeiten gehabt hätte, den Bau von Temelin zu verhin-
dern, als die jetzige Bundesregierung Möglichkeiten hat,
die Inbetriebnahme von Temelin zu verhindern. Wie stel-
len sich diese Möglichkeiten dar?
G
Ich möchte nicht falsch interpretiert werden. Sie haben
das gerade wieder einmal getan.
Ich habe eine fünfseitige Liste vor mir liegen, mit der
ich einen rein quantitativen Vergleich anstellen kann: Die
Aktivitäten der alten Bundesregierung zwischen 1990
und 1998 lassen sich auf einer Seite festhalten, während
die Aktivitäten der neuen Bundesregierung zwischen
1998 und 2000 vier Seiten umfassen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege
Straubinger, Sie können nur eine Zusatzfrage stellen. Im
Übrigen ist die für die Fragestunde vorgesehene Zeit ab-
gelaufen. Deshalb ist die Fragestunde jetzt beendet. Wie
üblich werden die übrigen Fragen – das sind die Fragen 42
bis 44 sowie 46 bis 64 – schriftlich beantwortet. Die
Frage 45 wurde vom Fragesteller zurückgezogen.
Ich rufe Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU
Haltung der Bundesregierung zur wirtschaftli-
chen Lage des Transportgewerbes
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die Fraktion
der CDU/CSU hat der Kollege Dr. Klaus Lippold.
FrauPräsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren!Dem Güterkraftverkehrsgewerbe steht das Wasser biszum Hals und die Bundesregierung schaut tatenlos zu.Mehr als die Hälfte der Unternehmen dieses Verbandesschreibt rote Zahlen. Rund 40 000 Unternehmen sind inihrer Existenz bedroht und 400 000 Arbeitnehmer müssenum ihren Arbeitsplatz fürchten. Ich sage es ganz deutlich:Die Bundesregierung schaut in diesem Fall tatenlos zuund tut nichts. Sie tut absolut nichts. Die Arbeitnehmer indiesem Gewerbe sind für sie offensichtlich ohne jedes In-teresse.
Ich will ganz deutlich sagen: Es ist eine Schande, dassdie Arbeitnehmer und die Fuhrunternehmer auf die Straßegehen müssen, damit ihre Interessen von den Regierungs-verantwortlichen überhaupt wahrgenommen werden. Fürnoch schlimmer halte ich es, dass der Innenminister die-ser Bundesregierung im Vorfeld bereits die Absicht zurDemonstration halbwegs kriminalisiert hat, nach demMotto: Bei Straftaten wird Bundesgrenzschutz eingesetzt.Es ist eine Schande, dass ein Innenminister mit einer sol-chen Vergangenheit,
von dem ich noch nie ein klares Wort zum Thema Gewaltgegen Sachen gehört habe, jetzt Arbeitnehmer diskrimi-niert.
Ich will ja gar nicht einmal davon reden, dass er Terroris-ten verteidigt hat. Das war seine Aufgabe. Aber: Damalsbeim Thema Gewalt gegen Sachen nicht eindeutig Stel-lung zu beziehen, jetzt aber Arbeitnehmer, die, wie siegestern bewiesen haben, friedlich demonstrieren, in die-sen Verdacht zu rücken – das ist schon schandbar und daskönnen wir Ihnen nicht durchgehen lassen. Ich sage das inaller Deutlichkeit. Sie können nicht einfach so tun, als obArbeitnehmer ihre berechtigten Interessen nicht mehr ver-treten dürften.Wenn ich den Fraktionsvorsitzenden der Grünen höre,Herrn Rezzo Schlauch – nebenbei bemerkt: starke Beset-zung bei den Grünen heute hier im Hause! –,
der ankündigt, Sie ließen sich durch Demonstrationennicht unter Druck setzen, dann sage ich: Er hat Recht.Warum? – Wenn es um seine Klientel geht, dann brauchtes keine Demonstration, sondern dann genügt ein Anrufund schon wird das Gesetz geändert.Hier aber geht es um Arbeitnehmer, die zwölf Stundenund mehr am Tage arbeiten. Für deren Anliegen hat einGrüner natürlich kein Verständnis, insbesondere wenn erPorsche fährt und davon ausgehen kann, dass die Straßenbald etwas freier sind.
Leute, so geht es nicht!
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. September 200011512
Ich könnte Ihnen Beispiele nennen: Beim KWK-Ge-setz, bei Lubmin wurden auf Zuruf Gesetze geändert, weilIhre Herren Scheer und andere Interessen geltend ge-macht haben. Aber bei diesem Sachverhalt, bei dem es umArbeitnehmer aus dem Straßenverkehrsgewerbe geht, dahaben Sie kein Verständnis.
– Artikulieren Sie es doch deutlicher, Herr Schmidt. Dannkann ich darauf eingehen.Der Bundesverkehrsminister, kündigt ständig etwasNeues an. Erst spricht er von Erleichterungen bei der Kfz-Steuer – ich lasse einmal völlig außer Acht, dass er die Mi-neralölsteuer zugunsten des Bundes erhöhen und die Kfz-Steuer zulasten der Länder senken will – aber 14 Tagespäter ist von diesem Vorschlag schon nicht mehr dieRede. Dann kommen andere Positionen auf und werdendiskutiert. 14 Tage später ist auch davon nicht mehr dieRede.Dann wiederum sagt er, wir müssen in Brüssel Harmo-nisierungen erreichen. Er geht nach Brüssel, aber was istdas Ergebnis? – Er kommt zurück als gescheiterter Ver-kehrsminister, der sagt, dieses Mal habe es nicht geklappt,aber man versuche es beim nächsten Mal erneut. Wir müs-sen endlich einmal eine Bundesregierung erleben, die sichin solchen Fragen in Brüssel auch wirklich durchsetzt an-statt eine Ankündigung nach der anderen zu machen, de-ren Umsetzung allesamt scheitern.
Machen wir uns nichts vor: Alle Ihre Versuche, mitEinzelmaßnahmen jetzt etwas zu bewirken, treffen abso-lut nicht den Kern der Sache.
Was Sie nicht wollen, ist, das einzig Richtige zu tun unddie Ökosteuer abzuschaffen. Warum nicht? – Sie habenIhrem Koalitionspartner mehrfach das Rückgrat gebro-chen. Es gibt nahezu kein Wahlversprechen mehr, das dieGrünen gehalten haben. Jetzt glauben Sie, ausgerechnet indieser Frage, bei der es um die Interessen deutscher Ar-beitnehmer geht, müssten Sie Ihrem grünen Koalitions-partner beistehen. Das ist falsch; das sage ich Ihnen ganzklar. Korrigieren Sie Ihre Haltung in dieser Frage!Ich habe Ihnen schon in der letzten Diskussion hierzugesagt: Wenn die nächsten Debatten vor den Wahlen inRheinland-Pfalz und in Baden-Württemberg anstehen,dann wird Ihr Kanzler, der bisher noch jeder Pressionnachgegeben hat, umfallen. Überlegen Sie sich Ihre Ar-gumentation heute! Wir werden Sie an Ihre Argumenta-tion von heute erinnern, wenn er wieder einmal umgefal-len ist.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist ja nichtso, dass nur das Verkehrsgewerbe betroffen ist, dass nurdie Lastwagenfahrer betroffen sind. Taxifahrer sind be-troffen, Bauern sind betroffen; sämtliche Gartenbaube-triebe leiden unter einer existenziellen Bedrohung. Undwas tun Sie? Sie tun nichts, Sie schweigen. Sie nehmen le-diglich Maßnahmen in Aussicht, aber wann Sie sie reali-sieren, wissen wir nicht.So einfach können Sie es sich nicht machen. Das las-sen wir Ihnen auch nicht durchgehen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Lippold,
Sie müssen zum Schluss kommen. Es ist eine Aktuelle
Stunde, und Sie wissen, dass die Redezeit auf fünf Minu-
ten begrenzt ist.
Die
letzten anderthalb Sätze: Wenn in solchen Situationen die
arrogante Ministerriege, die bei Ihnen auf den Bänken
sitzt, statt die Ökosteuer abzuschaffen, sagt, die Leute sol-
len nicht nach Mallorca fahren, die sollen auf ihren Urlaub
verzichten, dann muss ich ganz deutlich sagen: Das kön-
nen wir nicht akzeptieren. Denken Sie einmal an die Be-
völkerung, denken Sie einmal an die Leute, denen Sie in
die Tasche greifen! So jedenfalls ist Ihr Weg falsch.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die SPD-Fraktion
spricht jetzt die Kollegin Angelika Mertens.
Frau Präsidentin! MeineDamen und Herren! Herr Lippold, zu Ihrem Versuch, hierals Retter der Witwen und Waisen aufzutreten und sichwie der Wolf im Märchen eine weiße Pfote zu machen, umdamit beim Straßengüterverkehrsgewerbe gut anzukom-men, kann ich Ihnen nur sagen: So ein kurzes Gedächtnishat das Gewerbe nicht. Sie haben vielleicht gemerkt, dasssich einige nicht vor Ihren Karren haben spannen lassen.Dafür gebührt ihnen mein Respekt.Sie haben nämlich nicht vergessen, was vor einigenJahren passiert ist, als Sie die Kabotage freigegeben ha-ben. Das Gewerbe hat gegen Ihr Vorhaben einen erbitter-ten Widerstand geführt. Wir haben Sie immer gewarnt.
Ihre Maxime „Liberalisierung vor Harmonisierung“ rächtsich jetzt. Es ist das Ergebnis Ihrer Politik, wenn die Leutejetzt auf die Straße gehen.
Die Entwicklung der Energiepreise ist besorgniserre-gend. Das bagatellisiert wirklich niemand. Wenn man mitdem Gewerbe in Ruhe redet – das haben wir getan –, dannsagen sie – das werden sie auch Ihnen gesagt haben –, dasses nicht die Ökosteuer ist, die dem Gewerbe und denTransporteuren die Luft abdrückt. Insofern ist die Kam-pagne, die Sie jetzt starten und an die sich die F.D.P. an-scheinend anhängt, wirklich die reinste Volksverdum-mung.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. September 2000
Dr. Klaus W. Lippold
11513
Die Situation ist doch folgende: Jährlich gibt es in die-sem Gewerbe Zuwachsraten von 5 bis 6 Prozent. Darüberwürden sich andere Bereiche sehr freuen.
Trotzdem kämpfen vor allen Dingen viele kleine und mitt-lere Unternehmen um ihre Existenz. Es gibt aber auch– das darf man nicht verschweigen – Unternehmen, denenes durchaus gut geht.
Wir haben in diesem Land desolate Wettbewerbsbe-dingungen. Ein großer Teil dieses Gewerbes – das neh-men wir sehr ernst; Sie wissen, was wir hierzu unterneh-men – wird zweifach in die Zange genommen, zum einenim Inland wegen völlig zusammengebrochener Wettbe-werbsbedingungen: durch Billiganbieter aus Drittstaaten,die mehr oder weniger legal sind, Billiganbieter durch So-zialdumping und Selbstausbeutung, und zum anderen vorallen Dingen durch einen völligen Verfall der Preise.Wenn ich ein sparsamer Mensch wäre, dann würde ichmir, um zum Bahnhof oder sonst wohin zu gelangen, statteines Taxis einen 40-Tonner-LKW bestellen; denn er istpreiswerter als ein Taxi. Wenn ich für einen 40-Tonner-LKW 1,70 DM pro Kilometer bezahle, dann können Siesehen, dass die Preise wirklich im Keller sind.
Die Preise können nicht an die Verlader weitergegebenwerden. Es wird unter Kosten gefahren. Das bringt dasGewerbe immer mehr unter Druck und verschlimmert dieSituation. Es ist mein Appell, dass die Kosten an die Ver-lader weitergegeben werden. Die Verlader sind übrigensmittlerweile so frech, dass sie dem Endverbraucher Trans-portkosten in Rechnung stellen, die das Transportgewerbenie sieht.Zum anderen wird das Gewerbe durch die Situation inEuropa in die Zange genommen. Wir haben hinsichtlichEuropa sicherlich alle irgendwie unsere Leichen imKeller. Im Verkehrsbereich – das kann ich Ihnen sagen –ist dies zum Massengrab geworden. So geht es nicht wei-ter. Die SPD-Fraktion und, wie ich denke, auch der Ko-alitionspartner erwarten von der Bundesregierung, dass esnicht wie in Ihren 16 Jahren bei Worten belassen wird,sondern dass Abmachungen eingehalten werden und nichtdiejenigen die Angeschmierten sind, die sich an sie halten.
Wenn die EU in der Welt ernst genommen werden will,dann kann sie keine Politik nach dem Motto machen:Rette sich, wer kann. Diesen Wettlauf gewinnt nämlichniemand.
Unsere Politik wird sich daran ausrichten, strukturelleProbleme zu lösen, das heißt, illegale Praktiken zu been-den, die entfernungsabhängige LKW-Gebühr schnellst-möglich einzuführen und den Subventionswettlauf zu be-enden. Es könnte zum Beispiel ein erster Schritt sein, hierwirklich einmal Transparenz herzustellen.Daraus ergeben sich zwei Schlussfolgerungen, auchhinsichtlich Ihrer Aktuellen Stunde. Sie müssen kapieren,dass ein Transport wieder seinen Preis hat. Ich sage Ihnen:Ihre dümmliche Ökosteuerkampagne zeigt, dass Sie vonVerkehrspolitik nichts begriffen haben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der nächste Redner
für die Fraktion der F.D.P. ist der Kollege Horst Friedrich.
Frau Präsiden-tin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen!Wie ernst diese Bundesregierung die Debatte heute unddie Lage des Gewerbes tatsächlich nimmt, zeigt die Prä-senz auf der Regierungsbank. Er kommt zwar gerade inaller Eile, der Kollege Bodewig, aber ein Haus mit einemMinister und fünf Staatssekretären braucht sage undschreibe bis zehn Minuten nach Beginn der Plenardebatte,um hier bei diesem wichtigen Thema überhaupt zu er-scheinen.
Was muss denn eigentlich noch passieren, wie vieleDemonstrationen müssen noch abgehalten werden? Baldist es so weit, dass dem Gewerbe das Wasser nicht nur biszum Hals steht, sondern dass es bereits unter Wasser ist.Die einzige Alternative, die Herrn Klimmt dazu einfällt,ist, dass er KfW-Kredite ausreicht. Das ist ungefähr so, alswenn Sie einem Ertrinkenden, damit er tatsächlich unter-geht, noch einmal einen Schluck Wasser in der Bade-wanne geben, damit er endgültig ersäuft.
Jemandem, der rote Zahlen schreibt, mit neuen Kredi-ten weiterzuhelfen zeigt, dass das Problem nicht erkanntworden ist, Frau Kollegin Mertens – ganz abgesehen da-von, dass Sie dem GüKG, in dem die Kabotagesituationgeregelt worden ist, zugestimmt haben.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. September 2000
Wenn Sie jetzt nicht dem deutschen Gewerbe signalisie-ren, dass kurzfristig, unmittelbar morgen geholfen werdenkann, ist für einen Teil der deutschen Unternehmer derWettlauf vorbei. Sie sterben dann, weil man sich in Eu-ropa nicht geeinigt hat.
Sie wissen nicht, wie die Situation ist. Ich kann Ihneneinmal vorlesen, wie die Realität draußen ausschaut. Mirhat ein befreundeter Unternehmer aus meiner Heimat ei-nen Brief geschrieben und mich gebeten, ihm zu helfen.Er hat einen Brief beigelegt, in dem einer seiner Kunden– eine Firma Schott aus Spanien – erklärt hat: Sehr ge-ehrter Herr Maisel, wir haben großes Verständnis für IhreReaktion auf die gestiegenen Treibstoffkosten, dass Sienämlich mehr Geld für die Transporte wollen. Aber wirhaben natürlich auch unseren eigenen Kostenrahmen zusehen. Deswegen werden wir unsere Sendungen nachDeutschland und in die Schweiz ab Oktober mit spani-schen Spediteuren abfertigen, was wir auch bereits mitunseren Sendungen nach Frankreich machen.
Um ein Beispiel zu nennen: Ein spanischer LKW nachSankt Gallen kostet uns 33 Prozent weniger. Rechnet mandie unterschiedliche Auslastung dazu, bleiben immernoch 26 Prozent.
Da sagen Sie immer noch: Es darf sich national nichtsändern, es muss so weitergehen wie bisher. Was wollenSie eigentlich noch an Unterlagen haben, um Ihre Politikendlich zu verändern, um die Beratungsresistenz aufzu-geben?
Dann kommt noch der Strohhalm: Die Eisenbahn wirddas Ganze schon richten.
Das höre ich ja nun immer wieder. Aber es ist ein Irr-glaube. 10 Prozent dessen, was heute auf der Straße rolltund morgen auf die Eisenbahn verlagert wird, bedeutetdort Verdopplung der Kapazitäten. Wer sich in der Weltwirklich umschaut, wird sehen, dass 10 Prozent desStraßengüterverkehrs, verlagert auf die Eisenbahn, nichtspürbar sind, weil es ungefähr dem Zuwachs eines Jahresentspricht. Die Bahn hat aber große Probleme, 100 Pro-zent Zuwachs überhaupt auf die Reihe zu bekommen. Sieist mittlerweile zusätzlich mit 2,5 Milliarden DM aus denZinsersparnissen im Zusammenhang mit den Erlösen ausder Versteigerung der UMTS-Lizenzen gesegnet worden.Herr Mehdorn bedankt sich dafür und fordert zusätzlich,die Mineralölsteuer müsse aber auch noch abgeschafftund die Umsatzsteuer am besten halbiert werden.
Dass er in seinem Haus selber noch Hausaufgaben zu er-ledigen hat, dass er die Bahn erst einmal leistungsfähigmachen muss, um den Logistikanforderungen zu genü-gen, das sagen Sie nicht. Meine Damen und Herren vonder Regierung, dass Sie so laut schreien, zeigt eigentlich,dass ich Sie genau da getroffen habe, wo ich Sie treffenwollte.
Im Endeffekt haben Sie kein Konzept für die Problemedes Gewerbes. Sie werden damit leben müssen – dass istdann Ihre Verantwortung –, dass bei Ihrer sturen Verwei-gerungshaltung unter Umständen die Gefahr besteht, dassbisher friedliche Demonstrationen aus nackter Existenz-angst der Betroffenen unter Umständen ausfransen kön-nen.
Das ist dann Ihre politische Verantwortung, die Sie nie-mandem mehr auf die Schultern laden können.Danke sehr.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die FraktionBündnis 90/Die Grünen hat jetzt der Kollege AlbertSchmidt das Wort.Albert Schmidt (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Zunächst einmal will ich ganz klar und un-missverständlich sagen: Es ist selbstverständlich legitimund aus der Betroffenensituation durchaus nachvollzieh-bar, dass Branchen auch in Demonstrationen und Aktio-nen ihre Sorgen und Forderungen vortragen und ihremÄrger über gestiegene Kosten in ihrer Branche Luft ma-chen. Das ist überhaupt nicht der Streitpunkt. Deshalb binich sogar in gewisser Weise dankbar, dass die AktuelleStunde, die Sie beantragt haben, vielleicht den Einstieg ineine Debatte ermöglicht, die wirklich auf die Problemedes Gewerbes eingeht und nicht Scheinprobleme aufbläst,
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. September 2000
Horst Friedrich
11515
von denen wir alle wissen, dass wir sie nicht lösen kön-nen.
Ich möchte Ihnen zunächst einmal Folgendes sagen:Der Straßengüterverkehr – das bestreitet in diesem Landniemand – hat eine hervorragende Auftragslage. Es gibtkaum eine Branche im Land, die derartige Wachstumsra-ten aufweist. Die Zuwachsprognosen für den Straßengü-terverkehr für die nächsten Jahre sind nicht nur gut; siesind geradezu erschreckend gut. Das würde bedeuten,dass eine beachtliche Steigerung – bis zu einer Verdoppe-lung – des LKW-Verkehrs in den nächsten 20 Jahren aufuns zurollen würde. Das wird uns veranlassen umzusteu-ern. Es ist nicht das Problem, dass niemand mit dem LKWtransportieren möchte, sondern dass niemand den Trans-port mit dem LKW ordentlich bezahlen will. Das ver-schweigen Sie, wenn Sie immer auf die Ökosteuer ein-schlagen.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kol-legen, wenn heute ein Kilometer Transport mit dem LKWin bestimmten Relationen – die Kollegin AngelikaMertens hat es angesprochen – 1,70 DM, weniger als einTaxi, kostet, dann zeigt das, dass der interne Markt auf derStraße total aus den Fugen geraten ist. Das hat nichts mitder Ökosteuer zu tun. Das geben übrigens alle Spediteurezu, mit denen ich in diesen Tagen im Gespräch bin. Spä-testens nach fünf Sätzen sagen sie: Natürlich ist es nichtdie Ökosteuer.Die Kolleginnen und Kollegen, die gestern demons-triert haben, kämpfen an der falschen Front.
– Selbstverständlich war ich vor Ort und habe diskutiert.Ich war schon in der Frühe um acht Uhr dort. Da habenSie noch geschlafen.
Wenn heute ein bulgarischer Fahrer auf DeutschlandsStraßen 2 DM Stundenlohn bekommt, der deutsche Kol-lege aber 16 DM oder 18 DM verlangen muss, dann istdies der Unterschied, der wirklich wehtut. Das sind dieProbleme, über die wir sprechen sollten – nicht über einpaar Pfennige Mineralölsteuer.
Fahrer ohne Ausbildung, die im deutschen Straßennetzunterwegs sind, Fahrer ohne jeglichen sozialen Schutzund Fahrer ohne Verantwortung sind das Ergebnis einergnadenlosen Liberalisierung auf dem Markt, die nichtsanderes gebracht hat als ein Preisdumping, das den klei-nen und mittelständischen Unternehmen das Lebenschwer macht. Das ist übrigens das Ergebnis Ihrer gna-denlosen Liberalisierungspolitik, meine sehr verehrtenHerren von der F.D.P.
Nun verlangen Sie, dass der Staat Steuerverzicht übenund den Diesel subventionieren soll. Sie verweisen aufFrankreich, wo der Dieselpreis sogar nach der Zusage, dieMineralölsteuer um 6 Pfennige zu senken, immer nochhöher sein wird als bei uns. – Übrigens: In Frankreich gibtes die LKW-Streckenmaut längst, die wir erst einführenwollen. – Sie glauben doch nicht im Ernst, dass dies eineinziges Problem lösen wird? Das Gegenteil ist der Fall.Erstens. Eine solche Steuersubvention für den Dieseldurch Steuerverzicht, den wir üben würden, wäre ein kla-res Signal an die Ölmultis: Dreht fröhlich weiter an derPreisschraube! Die reichen Finanzminister der westeu-ropäischen Industriestaaten subventionieren dann, damites immer noch bezahlbar bleibt.Zweitens. Keine sechs Monate später würden Sie denSubventionskonter aus den europäischen Nachbarländerneinfangen, die Sie geradezu ermuntern, auf diesem Wegfröhlich weiterzumachen. Es wäre ein Aufruf zur nächs-ten Runde des Preisdumpings, dass das Problem nur ver-schiebt und verschärft, weil die Handlungsspielräume im-mer geringer werden.Wir müssen etwas ganz anderes tun: Wir müssen un-sere Anstrengungen vervielfachen, um garantierte Min-destlöhne zu bekommen, um sozialen MindeststandardsGeltung zu verschaffen und um endlich – als Nachweisfür eine legale Beschäftigung – eine europäische Fahrer-lizenz zu bekommen.
Diese Festlegungen – das sage ich in aller Freundschaftauch an unsere osteuropäischen Nachbarn – müssen auchfür diejenigen Staaten gelten, die Mitgliedsländer der Eu-ropäischen Union werden wollen. Denn es kann nichtsein, dass jemand zwar die Vorteile des Marktes nutzen,sich aber nicht an die zivilisatorischen Standards haltenwill.
Wir müssen auch die Kontrollen verstärken. Im letztenJahr konnten bei jedem fünften kontrollierten LKW, HerrKollege Lippold, Verstöße gegen Lenk- und Ruhezeitensowie gegen Bestimmungen über Fahrerlizenzen nachge-wiesen werden. Das sind Dinge, bei denen wir dieschwarzen Schafe greifen und zur Rechenschaft ziehenmüssen.Letzter Punkt, Frau Präsidentin: Wenn der Weltmarktinfolge einer erkennbaren Verknappung des Rohöls undgleichzeitig verstärkter Nachfrage hohe Preise hervor-bringt, kommt die F.D.P. und ruft nach dem Staat. Dasist Ihr Verständnis, das Verständnis der Hohepriester der
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. September 2000
Albert Schmidt
11516
Marktwirtschaft. Staatssubventionismus, Sozialismus,das ist das, was Sie im Grunde wollen.
Sie wollen, dass der Staat in die Kasse greift und denMarkt außer Kraft setzt. In diesem Punkt war Ihr Wirt-schaftsminister Günter Rexrodt viel konsequenter. Als esdamals um die DASAging, hat er gesagt: Jetzt ist Schluss.Wir wissen, dass der Dollarkurs schlecht ist, und wir wis-sen, dass die DASA Probleme hat, aber ihr müsst sie auseigener Kraft lösen. Das war liberal.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege
Schmidt, jetzt ist wirklich Schluss.
Albert Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Was Sie jetzt machen, ist eine Volksbetrüge-
rei.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort für die PDS-
Fraktion hat der Kollege Rolf Kutzmutz.
Frau Präsidentin! Meine Da-men und Herren! Herr Schmidt, was man in einer solchenAktuellen Stunde alles lernen kann, ist ungeheuer.
Ich komme auf den Sozialismus zurück.– Ach ja, Herr Schmidt, nicht alles passt zusammen, waszusammengehört.
Eines möchte ich vorausschicken: Wir sollten in einersolchen Debatte vermeiden, die Demonstranten von ges-tern genau so wie die Demonstranten vor drei oder vierJahren in Bonn zu instrumentalisieren.
Die einen sagen, sie dürften nicht, die anderen sagen, essei ihr gutes Recht. Wir sollten dies nicht von Fall zu Fallentscheiden. Demonstrieren gehört – darin sollten wir unseinig sein – zum guten Recht derjenigen, die sich politischeinmischen, die sich ungerecht behandelt fühlen,
egal, wen es zu welcher Zeit trifft, Herr Lippold. Der Ti-tel der Aktuellen Stunde stammt von Ihnen; ich finde ihnetwas unredlich. Ich finde auch unredlich, was bisher ge-sagt worden ist.
Es geht ja nicht allgemein um das Transportgewerbe.Sonst müssten wir auch über die Ungleichbehandlung, dieDiskriminierung von Schienen- und Wasserwegen reden.
– Selbstverständlich ist das das Thema, Sie solltenzuhören anstatt dazwischenzureden.
Sie sollten einfach sehen, welche Wettbewerbsbedingun-gen bestehen. Sie wissen mindestens so gut wie ich, dassdiese ungleich sind.
Ich will Ihnen und den Kollegen von der CDU/CSUauch sagen: Gestern hat ein ehemaliger Umwelt- undStraßenbauminister der CDU/CSU etwas gesagt, was ichhier nicht höre. Er hat gesagt, eine richtig ausgestatteteÖkosteuer sei keine K.o.-Steuer, sondern ein notwendigesInstrument für global wichtige Ziele wie etwa den Klima-schutz.
Er hat dies nicht vom Adenauer-Haus aus gesagt, sondernvon Nairobi aus. Dort war er vor Ihrer Kritik sicher.
Auch das ist doch wahr: Für die Spediteure ist nachvielen Bekundungen von gestern – wie Sie war auch ichbei den Demonstrationen – die Ökosteuer nicht die größteSorge.
Dies ist bei aktuell 21 Pfennig mehr Steuern auf den LiterDiesel gegenüber März 1999 auch nicht verwunderlich.Es geht ihnen vielmehr um den Subventionswettlauf, umdie Wettbewerbsverzerrungen im europäischen Raum, diesich pro Laster auf mehrere Tausend Mark belaufen kön-nen.
Deshalb wende ich das Töpfer-Zitat auch in Bezug auf dieKoalitionskollegen an. Es geht um eine – da war der Zu-ruf richtig – richtig ausgestattete Ökosteuer.
Darin besteht das tatsächliche Problem der aktuellenLage. Darauf haben meine Fraktion und auch ich seit Be-ginn der Wahlperiode immer wieder hingewiesen.Um es noch einmal klarzustellen: Wir sind nicht gegeneine ökologische Besteuerung, wir wollten und wollenaber eine andere. Ökosteuern müssen von vornherein in
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. September 2000
Albert Schmidt
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ein entsprechendes sozial-, wirtschafts- und verkehrspoli-tisches Umfeld eingebettet werden. Mit dem Rezept vonRegierung und Koalition erntet man keine doppelte Divi-dende – Umwelt und Arbeit –, sondern eine einfache Ka-tastrophe. Ökologische Lenkungswirkung von Steuern ei-nerseits und gleichzeitig Orientierung beispielsweise derBahninvestitionen allein in einen Berliner Knoten odereine schnelle Flughafenverbindung am Rhein andererseitsstehen sich diametral gegenüber.
Sie dürfen angesichts der Lage nicht bis zur nächstenWahl warten, um dann vielleicht die Einnahmen aus derÖkosteuer in einen ökologischen Umbau zu lenken. Siedürfen auch nicht mit konkreten Maßnahmen gegenLohn- und Sozialdumping sowie gegen illegale Praktikenim Transportbereich warten. Herr Schmidt, Sie haben ge-sagt, wir müssten und sollten etwas tun. Es gibt eine Re-gierung und die muss auch in der EU aktiv werden unddarf nicht warten, bis von anderen etwas geleistet wird.
Sie sollten auch eine entfernungsabhängige Straßenmautnicht bis 2002 oder 2003 hinauszögern. Bis dahin hättenwir keinen Truck weniger auf den Autobahnen, nur wärenes dann fast ausschließlich west- oder osteuropäische undkeine einheimischen mehr.Ich habe sehr wohl vernommen, dass der Bundeskanz-ler und der Verkehrsminister gestern über alle Fernseh-kanäle Initiativen für europäische Führerscheine undStandards bei den Arbeitsbedingungen ankündigten.Richtig, aber eben auch unredlich; denn solche Problemesind seit Jahren bekannt – es gab sie übrigens auch schonunter der alten Regierung –, sie wurden nur nicht ernsthaftangegangen.
Wenn sie jetzt angegangen werden, dann aber leidernicht auf Initiative dieser Regierung. Womit sich Kanzlerund Minister schmücken, das kann jeder seit Anfang Mai– also lange vor der aktuellen Treibstoffpreisexplosion –in der Mitteilung der EU-Kommission „Überprüfung derBinnenmarktstrategie 2000“ nachlesen. Ich zitiere ausdem Arbeitsplan: auf Dezember 2000 verschobenes Pro-jekt, aber Priorität: Legislativpaket für den Schienenver-kehr; neues Projekt, bis Dezember 2000: Richtlinie Inter-operabilität des konventionellen Eisenbahnsystems; neu,bis Dezember 2000: Richtlinie Arbeitszeiten im Straßen-verkehr; neu, bis Dezember 2000: Verordnung über Kon-trollen von Berufskraftfahrern.Sicher, die Kommission ist weit weg und vor ihr sitzennoch 15 nationale Regierungen, die das alles noch ausge-stalten können. Aber eine politische Philosophie, wie siediese Vorhaben verdeutlichen, hätten wir uns auch vondieser Bundesregierung gewünscht, und zwar seit Ende1998 und nicht erst andeutungsweise in den letzten Tagen.Wer PKWs und LKWs fast alternativlos lässt, darf dieKosten ihrer Nutzung nicht einseitig ins Unerträglichesteigern. Verkehrsalternativen und gerechte Ökosteuerngehören einfach zusammen, sonst funktionieren sie nicht.Danke schön.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat jetzt der
Parlamentarische Staatssekretär Kurt Bodewig.
K
Sehr ge-ehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!Zunächst ein Wort der Entschuldigung: Ich hatte mich aufdas ursprüngliche Zeitraster verlassen und war verlassen.Ich bitte um Nachsicht.Nach dem, was ich bisher gehört habe, sage ich Ihnensehr deutlich, dass die LKW-Fahrer und Spediteure ei-gentlich etwas anderes als das verdienen, was Sie, HerrFriedrich, hier vorgetragen haben. Sie verdienen, dassman sie in ihrem Anliegen ernst nimmt. Das ist der ganzentscheidende Punkt.
– Es macht kein gutes Bild für unsere Gäste auf derTribüne, wenn Sie noch nicht einmal zuhören wollen.
Polemik und Scheinlösungen führen nicht weiter. DieSpediteure und LKW-Fahrer, denen das Wasser zum Teilbis zum Hals steht, haben es verdient, dass wir ihr Anlie-gen ernst nehmen und mit dem gnadenlosen Populismusaufhören, wie ich ihn in den letzten Tagen gehört habe.
Nicht die Ökosteuer ist das Problem dieser Debatte,sondern die Wettbewerbsverzerrung.
Das gilt umso mehr, als es nicht allen Unternehmen glei-chermaßen gut oder schlecht geht. Es gibt große Spediti-onsketten, die auch in diesem Jahr trotz des Preisdruckssehr gute Ergebnisse erzielen. Wir haben andererseitskleine Unternehmen, die davon abhängig sind, dass esformulierte Standards gibt und dass sie Wettbewerbs-chancengleichheit erhalten. Genau an diesem Punktarbeiten wir. Der Normalfall darf nicht ein deutsches Spe-ditionsunternehmen mit Filialen in Portugal und ukraini-schen Fahrern sein. Von diesen geht nämlich der Wettbe-werbsdruck aus, mit dem sich zurzeit die kleinenSpediteure auseinander setzen.Deswegen führt unser Ministerium mit dem Gewerbeeinen Dialog. Gerade Bundesminister Reinhard Klimmthat dies von Anfang an getan. Nicht zuletzt deswegenwurden in der vergangenen Woche vier Punkte vereinbart.Der erste Punkt betrifft die Einführung einer EU-Fahrer-lizenz. Sie ist notwendig, um zu verhindern, dass überLohn- und Sozialdumping kleine Spediteure aus dem
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. September 2000
Rolf Kutzmutz11518
Markt gemobbt werden. Der zweite Punkt betrifft die Än-derung des Güterkraftverkehrsgesetzes: Wir wollen denUnternehmen die Pflicht auferlegen, nur Fahrer einzuset-zen, die eine Arbeitsgenehmigung im Original mit eineramtlich beglaubigten Übersetzung mit sich führen.
Wenn Sie nun sagen, das sei eine kleine Maßnahme, halteich Ihnen entgegen, dass dies eine für die Wettbewerbssi-tuation der deutschen Spediteure ganz entscheidendeMaßnahme ist, die man auch schon vor einigen Jahrenhätte ergreifen können. Wir reden nicht, wir tun es.
Diese Verpflichtung wollen wir auch auf die Verlader aus-dehnen, da diese das zweite Glied in der Kette der Wett-bewerbsverzerrung darstellen. Auch hier müssen wirdeutlich arbeiten. Deswegen auch die Verantwortung, beiden Verladern nur Unternehmen einzusetzen, die genauüber diese Genehmigung oder Gemeinschaftslizenz ver-fügen. Wir werden den Bußgeldrahmen weiter erhöhen.Das ist ebenfalls notwendig; denn nur mit Sanktionenkönnen wir es durchsetzen.Ich sage Ihnen jetzt einen weiteren Punkt: Ich glaube,dass wir in Bedrängnis geratenen Unternehmen mit kurz-fristigen Überbrückungshilfen jetzt helfen müssen. Wirmüssen ihnen jetzt dieses Stück Spielraum schaffen, indem sie sich bewegen können. Da werden wir alle beste-henden Möglichkeiten nutzen. Wir werden sie verbessernund mit Beratungsangeboten – wirklich mit konkretenHilfen, nicht mit Sprüchen – verbinden.
Das KfW-Programm für Mittelstandsförderung wirdhier spezifiziert. Wir werden genau an diesem Punkt wei-terkommen. Wir werden nicht Scheindebatten führen,sondern wir werden Maßnahmen einführen, die konkretwirken.
Ich sage zum Letzten: Auch eine LKW-Gebühr zurVermeidung von Wettbewerbsnachteilen gehört dazu. In-teressant ist ja, dass der BGL genau diese Maßnahme be-grüßt, wenn er sie auch für den deutschen Speditions-bereich ausschließen will. Das geht europäisch nicht.Aber eines kann ich Ihnen deutlich sagen: Wenn wirdie Kosten internalisieren, wenn wir sie an den Verursa-cher bringen, dann werden Transitverkehre aus derUkraine nach Portugal zumindest reduzierter sein. Dannwird die Schiene eine Chance haben. Aber auch die deut-schen Speditionen, die gerade im nahen und mittleren Be-reich tätig sind, haben dann endlich wieder eine vernünf-tige Chance.
Jetzt sage ich noch etwas zur Ökosteuer. Wir kennen jadie Forderung: Ökosteuer runter, dann gehen die Preiserunter.
Da kann ich jedem nur die Empfehlung geben, sich in Eu-ropa sehr genau den Anteil der Steuer und des Treibstoffsam Marktpreis anzuschauen. Interessanterweise hat Por-tugal den niedrigsten Steueranteil und den höchstenTreibstoffpreisanteil. Das, was Sie vorschlagen, ist dieEinladung an die Mineralölkonzerne, die Preisspiraleweiter hochzutreiben.
Die Verantwortung dafür hätten Sie, wenn wir einen sol-chen verantwortungslosen Schritt machen würden.Ich will aber auch etwas Gutes sagen. Ich appelliere ge-rade an die Union, die ja heute einen bemerkenswertenFortschritt gezeigt hat. Ich appelliere an Sie, gemeinsammit uns den Kampf gegen illegale und graue Kabotageweiterzuführen. Die Ankündigung von heute Morgen,dass Sie dem Antrag von SPD und Grünen beitreten wol-len, war genau der richtige Schritt. Verzichten Sie zukünf-tig auf Polemik. Helfen Sie, Probleme zu lösen, und wirkommen am Standort Deutschland einen gehörigenSchritt weiter.Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nächster Redner ist
der Kollege Eduard Oswald für die Fraktion der
CDU/CSU.
Frau Präsidentin!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Staatssekretär, dasdeutsche Verkehrsgewerbe braucht keine tröstendenWorte, sondern rasche Hilfe, jetzt und sofort.
Es braucht Ergebnisse und keine Vertröstungen. Ich er-warte von der Bundesregierung, dass sie sich für die deut-schen Unternehmen ebenso einsetzt wie es bei unsereneuropäischen Nachbarn für ihr Gewerbe eine Selbstver-ständlichkeit ist. Die Bundesregierung muss handeln, be-vor es zu spät ist. Es geht um die Arbeitsplätze in unseremLande. Das ist der Punkt, meine sehr verehrten Damenund Herren.
Für mich ist klar: Jede Kostenerhöhung treibt weiteremittelständische Unternehmen des Transportgewerbes inden Ruin. Heute stehen viele deutsche Transportunter-nehmer mit dem Rücken an der Wand. Das deutscheTransportgewerbe braucht faire Wettbewerbsbedingun-gen und keine Wettbewerbsverzerrungen.
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Parl. Staatssekretär Kurt Bodewig11519
Es kann doch nicht sein, dass der Straßenverkehr derDukatenesel der Nation ist.
Anstatt die Unternehmen nach den kräftig gestiegenenKraftstoffpreisen zu entlasten, wird nochmals draufgesat-telt, und zwar durch die am 1. Januar nächsten Jahreswirksam werdenden Erhöhungen der Ökosteuer und derLKW-Vignette.Tatsache ist, dass das Mineralölsteueraufkommen desGüterkraftverkehrs bis zum Jahr 2003 mehr als ein Drit-tel der von den Unternehmen zu erwirtschaftenden Um-sätze betragen wird. Diese Mehrbelastung wird lediglichzu 10 Prozent durch die Absenkung der Rentenversiche-rungsbeiträge kompensiert. Nehmen Sie doch diese Fak-ten zur Kenntnis.
Angesichts des Missverhältnisses zwischen Mehrbe-lastung und versprochener Entlastung werden die Ge-samtkosten im Güterkraftverkehrsgewerbe so steigen,dass bei vielen Betrieben die Umsatzrendite aufgezehrtwird. Das kann doch nicht wahr sein!
Deswegen wir haben wir diese Aktuelle Stunde beantragt;denn es ist uns nicht gleichgültig, was mit diesem Ge-werbe in Deutschland passiert.
Es kann doch nicht wahr sein, dass der deutsche LKWim Wettbewerb auf dem europäischen Transportmarkt im-mer mehr auf der Strecke bleibt, da in einigen Ländern dieKraftstoffsteuer teilweise erstattet wird. Es kann dochnicht wahr sein, dass ein 40-Tonner in Deutschland jähr-lich mit Abgaben in Höhe von 40 600 DM belastet wird,während das gleiche Fahrzeug beispielsweise in Frank-reich oder in Belgien um rund 10 000 DM billiger unter-wegs ist.
Hinzu kommt, dass immer mehr osteuropäische LKW-Unternehmer auf den Markt drängen, die mit Niedrig-löhnen zu weiteren Wettbewerbsverzerrungen beitragen.Dies ist jedenfalls nicht das Europa, an dem wir gemein-sam bauen wollen.
Erkennen wir doch gemeinsam, dass der LKWbenötigtwird, weil ohne ihn in einer arbeitsteiligen Wirtschaft so-gar die Versorgung mit dem tagtäglichen Bedarf nichtmöglich ist. 80 Prozent aller Fahrten eines LKW sind un-ter 100 Kilometern. Hier kann doch nichts auf die Schieneverlagert werden. Auch dies gehört zu den Realitäten inDeutschland.
Wir wissen auch, welch wichtige und unverzichtbareVerkehrsleistungen der Omnibus in unserem Lande er-bringt. Auch dies gehört zu den Realitäten.Meine Forderungen lauten: Erstens. Heben Sie dieÖkosteuer auf!
Zweitens. Die Einführung einer streckenbezogenen,nutzungsabhängigen LKW-Gebühr muss für das deutscheGüterkraftverkehrsgewerbe wettbewerbsverträglich ge-staltet werden.
Drittens. Die Harmonisierung der Wettbewerbsbedin-gungen im Bereich des europäischen Güterkraftverkehrsdarf nicht weiter verschleppt werden.Viertens. Im Rahmen der EU-Osterweiterung müssendie Interessen des deutschen Güterkraftverkehrsgewerbesbeachtet werden. Dies ist eine Aufgabe der ganzen Bun-desregierung, die dem Verkehrsminister nicht alleineüberlassen werden darf.
Fünftens. Nehmen Sie sich der Probleme des alpen-querenden Verkehrs intensiver an als bisher!Sechstens. Bekämpfen Sie die graue und illegale Ka-botage wie die illegale Beschäftigung im EU-Straßengü-terverkehr. Wir brauchen eine Harmonisierung der Sozi-alstandards und müssen gegen Sozialdumping kämpfen.Das ist unser Auftrag.
– Wenn Sie uns in diesem Punkt folgen, dann sind wir da-mit einverstanden.Siebtens. Verfolgen Sie die Pläne zur Verlängerung derAbschreibungsfristen für LKW von sieben auf zehn Jahrenicht weiter.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Koalitions-fraktionen und von der Bundesregierung, nehmen Sie dieSorgen des deutschen Güterkraftverkehrsgewerbes undder Omnibusunternehmer ernst und sichern Sie die Wett-bewerbsfähigkeit und damit die Arbeitsplätze in unseremLande!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nächste Rednerin indieser Debatte ist die Kollegin Franziska Eichstädt-Bohlig für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Kollegen! Wir sollten nicht länger über die Frage dis-kutieren, ob die LKW-Fahrer und die Fuhrunternehmer zu
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. September 2000
Eduard Oswald11520
Recht oder zu Unrecht protestiert haben und das Demons-trationsrecht missbraucht haben. Ich habe viel Verständ-nis für die wirtschaftlichen Probleme vieler kleinerTransportunternehmen, vor allem für die der Fuhrunter-nehmen in Ostdeutschland, die nach der Wende sehr vielGeld investiert haben, um überhaupt ihr Unternehmenaufbauen zu können.
Das eigentliche Problem ist eine harte Konkurrenzsi-tuation, in der die großen Unternehmen versuchen, diekleinen durch Dumping vom Markt zu verdrängen. Eineähnliche Situation gibt es auch in der Bauwirtschaft. Wirhaben bereits im Rahmen der Steuerreform einen sehrwichtigen Baustein beschlossen, um den kleinen Unter-nehmen wirklich zu helfen: Die kleinen Unternehmenwerden im Rahmen der Unternehmensteuerreform durchdie Möglichkeit, sich die Gewerbesteuer auf die Einkom-mensteuer anrechnen zu lassen, ab Januar kommendenJahres steuerlich deutlich entlastet.
– Wenn Sie das nicht ernst nehmen wollen, dann ist dasIhr Problem. Ich weise nur darauf hin, dass die Regierungund die sie tragenden Koalitionsfraktionen auch solcheBausteine schon längst auf den Weg gebracht haben, dieSie nur nicht in Rechnung stellen wollen.
Ich muss auch ganz deutlich sagen: Die Probleme, diedie LKW-Unternehmen – wie gesagt: die kleinen, nichtdie großen – heute haben, sind das Ergebnis von jahrelangvorgenommenen falschen politischen Weichenstellungen,die diejenigen zu verantworten haben, die heute die Sor-gen der LKW-Unternehmen instrumentalisieren wollen.Sie, Ihre beiden Fraktionen, haben das zu verantworten.Ich finde, es ist ein ganz gefährlicher Populismus, wennman erst die Probleme schafft und hinterher fragt: Warumkönnt ihr diese Probleme nicht innerhalb von Stunden ausder Welt schaffen?
Wir müssen doch ganz eindeutig sehen: Der Güterver-kehr auf der Straße macht heute 80 Prozent des gesamtenGüterverkehrsaufkommens aus. 7,2 Prozent entfallen aufden Luftverkehr, nur noch 6,8 Prozent auf die Bahn und5,4 Prozent finden per Schiff statt. Eine solche Ungleich-heit ist bedrohlich. Wenn es mit dem LKW-Verkehr so wiebisher weitergeht, dann werden diese Zustände vor demBrandenburger Tor normal sein. Das kann doch nicht IhrZiel sein. Ich bitte Sie ernsthaft, eine verantwortliche Po-litik zu betreiben.
Ihr Problem ist, dass Sie die Straße jahrelang bevorzugtund Investitionen in die Bahn aufgeschoben haben.
Wir müssen das heute ausbaden.Ein Problem des Güterverkehrs ist die Ungleichheitzwischen Bahn und Straße hinsichtlich der Kostenlast.Die LKW-Vignette macht 2 500 DM im Jahr aus. Damitkann gerade einmal ein Güterwagen der Bahn von Ham-burg nach Frankfurt fahren, weil die Trassenpreise vollauf dem Güterverkehr der Bahn lasten. Dies verdeutlichtdie Ungleichheit zwischen Bahn und LKW. Die Bundes-regierung und die Koalition werden diese Ungleichheitschrittweise austarieren und ins Lot bringen, nachdem Siejahrelang eine falsche Richtung eingeschlagen haben.Ein zentrales Problem – mehrere Kollegen haben esschon vor mir angesprochen – ist das europaweite Lohn-und Sozialdumping. Wir brauchen eine europäische Fah-rerlizenz – es freut mich, dass das von Ihrer Seite unter-stützt wird; auch der Kanzler hat entsprechende Ankün-digungen gemacht; wir halten das für einen zentralenPunkt –, in der soziale Mindeststandards für alle, diedurch Deutschland fahren, ganz klar festgehalten sind.Das ist genauso wichtig wie die LKW-Maut, damit Eu-ropa auf einem sozialen Regelwerk aufbauen kann. DieseHarmonisierung brauchen wir als Allererstes.
Die von Ihnen angestrebte Harmonisierung in Rich-tung Subventionsdumping nach unten – Sie haben ebenungefähr gesagt, wenn wir sämtliche Steuern streichen,dann braucht demnächst niemand mehr Preise zu zahlen,weil nichts mehr etwas kostet – ist ein Traum von Markt-wirtschaft, den ich ganz sensationell finde.
– Doch, das wurde hier am Rande erklärt. – Bisher hatteich es so verstanden, dass Sie eine Harmonisierung in dieandere Richtung wollen. Ich dachte, dass Sie eine Öko-steuer vor dem Hintergrund einer europäischen Harmoni-sierung sehr wohl für sinnvoll halten. Aber jetzt verspre-chen Sie den Bürgern, den LKW-Fahrern und denLKW-Fuhrunternehmern das Gegenteil.Sie argumentieren hier nicht fair. Uns werfen Sie vor,unsere Ökosteuer sei noch nicht treffsicher und ökolo-gisch genug, ihre Lenkungswirkung reiche noch nichtaus. Sie behaupten, Sie könnten alles viel ökologischerund besser. Gleichzeitig erklären Sie den Betroffenen inder Öffentlichkeit, Sie seien dafür, die Ökosteuer kom-plett abzuschaffen. Sie spielen mit gezinkten Karten. Ichfordere Sie auf, den Bürgern und den LKW-Fuhrunter-nehmen reinen Wein einzuschenken, damit sie sehr genauwissen: Das Klima wird sich nur verbessern, wenn wir aufeine Ökosteuer setzen und den zweiten Schritt, die euro-päische Harmonisierung der Ökosteuer, vorantreiben. Wirdürfen nicht in die umgekehrte Richtung gehen.
Last not least: Wir wissen sehr genau, dass sich unsereRegierung und unser Verkehrsminister sehr wohl für eineeuropäische Harmonisierung der Steuern und Abgaben
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Franziska Eichstädt-Bohlig11521
– inklusive Ökosteuer – einsetzen. Mit falschen populisti-schen Versprechungen ist uns nicht geholfen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nächster Redner ist
der Kollege Dirk Fischer, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsiden-tin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Dem deutschenTransportgewerbe muss umgehend geholfen werden. Ge-werbevertreter haben gesagt, dass sonst 90 Prozent dermittelständischen Unternehmen das Jahresende nichtüberleben werden.
Die gestrige Protestfahrt Tausender Lastwagen, Busseund Taxen zeigt, dass vielen Unternehmen das Wasser be-reits bis zum Halse steht.Minister Klimmt hat heute im Ausschuss ein Bild völ-liger Hilflosigkeit geboten, und das in der tiefsten Exis-tenzkrise unseres nationalen Transportgewerbes. Ichfinde das Versagen des Ministers dramatisch.
Er hat rasche Hilfe durch die Sondersitzung des Ver-kehrsministerrates in der letzten Woche in Luxemburg an-gekündigt. Es ist ein völliger Fehlschlag geworden. Er hatdem Gewerbe kurzfristige Harmonisierungserfolge ver-sprochen. Er hat versprochen zu verhindern, dass denWettbewerbsländern Frankreich, Niederlande, Belgienund Italien Beihilfegenehmigungen der EU-Kommissionerteilt werden. Nichts hat er erreicht. Der Bericht, derheute gegeben wurde, war deprimierend.Was geschieht demgegenüber? Die Straßenbenut-zungsgebühr, also die Vignette, wird zum 1. Januar um10 Prozent verteuert; das haben Sie heute beschlossen.Wir haben gesagt: Das passt jetzt unter keinen Umständenin die Landschaft, das ist das völlig falsche Signal. Sie ha-ben sich darüber hinweggesetzt und gesagt: Sie wird ver-teuert. Sie erhöhen die Mineralölsteuer zum 1. Januar2001 um weitere 7 Pfennig je Liter. Der Minister kündigtdem Gewerbe für 2003 eine Verfünffachung der Straßen-benutzungsgebühr an, um dem LKW wohl endgültig denGaraus zu machen.
Dann werden den Unternehmen zynischerweise KfW-Kredite bis 5 Millionen DM als Überbrückungshilfen an-geboten. Das heißt also, Unternehmen, die bis untersDach verschuldet sind und bei denen die Kosten-Ertrags-Situation überhaupt nicht stimmt, sollen sich jetzt weiterverschulden. Dadurch wird die Lage nicht verbessert,sondern verschlimmert.Das Ergebnis ist also: Es wird nicht nur keine Hilfe ge-währt, sondern es wird sogar eine Verschlimmerung derKrise betrieben. Rot-Grün macht die Betriebe kaputt,treibt deutsche Unternehmen ins Ausland, vernichtet Ar-beitsplätze. Das ist der Skandal.
Ich habe in der Öffentlichkeit gesagt – ich wiederholedas –: Klimmts Programm ist ein Vernichtungsprogramm,nichts anderes.
– Die Wahrheit ist, Herr Schmidt: Sie und die Grünen –Sie insbesondere – jubeln klammheimlich, weil Sie oh-nehin den LKW fertig machen wollen, genau wie denLuftverkehr und den Transrapid.
Wo bleibt in dieser Lage Schröder? Was macht derBundeskanzler à la Philipp Holzmann? Tony Blair, seinVorbild, hat auf dem Labour-Parteitag in Brighton zu sei-ner Benzinsteuer gesagt – ich zitiere –:... es ist kein Wunder, dass die Regierung eins auf denDeckel bekommen hat.
Ich übernehme die Verantwortung dafür. Wir habenDinge getan, die die Leute wütend gemacht haben,und wir sollten so offen sein, das zuzugeben.Da ich kann ich nur sagen: Schröder, endlich ran!
Was macht Schröder? Er hat keine Einsichtsfähigkeit,sondern verteuert die Steuern auf Benzin in den nächstendrei Stufen der Ökosteuer um weitere 21 Pfennig je Liter.Am 6. September 1998, im Bundestagswahlkampf, hat erwörtlich gesagt: „Sechs Pfennig teurer, dann ist das Endeder Fahnenstange!“. Beim Bundeskanzler gilt das gebro-chene Wort.
Durch diese Preisexplosion sind die Gesamtkosten derTaxiunternehmen innerhalb kürzester Zeit um 5 bis10 Prozent gestiegen. Viele Kleinunternehmer habenschon aufgeben müssen. Fixkosten und Sozialabgaben la-gen sowieso an der Schmerzgrenze. Das Fahrtenaufkom-men ging zurück. Die Treibstoffpreiserhöhungen durchdie Ökosteuer sind nicht mehr zu verkraften gewesen.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen von den Grünenund von der SPD: Das rot-grüne Konzept ist gescheitert.Da helfen keine Reparaturen, sondern da hilft nur eines:Die Ökosteuer muss weg, ersatzlos!
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Franziska Eichstädt-Bohlig11522
Wenn Sie sie nicht abschaffen, werden Sie auch nichtmit kleiner Kosmetik, Herr Bodewig, die steuerlichen Be-dingungen für einen fairen internationalen Wettbewerb inEuropa schaffen können. Um uns herum wird konkret ge-holfen. Bei uns wird draufgesattelt, draufgesattelt, drauf-gesattelt. Das kann doch nicht gut gehen. Die Bundesre-gierung muss endlich zur Vernunft kommen. Andernfallshaben Sie politisch eine katastrophale Konkurswelle imStraßengüterverkehr zu verantworten. Wir werden Siestellen und treiben. Sie kriegen keine Ruhe. Sie werdensich dieser Verantwortung draußen beim Bürger stellenmüssen.Tony Blair hat erkannt: Die britischen Bürger sind wü-tend geworden. Der deutsche Bürger verhält sich noch re-lativ gelassen und manierlich.
Sie aber machen ihn mit Ihrer Beratungsresistenz undIhren Wahrnehmungsdefiziten jeden Tag wütender. Wirwerden als Opposition unsere Pflicht tun, nämlich zu ar-tikulieren, was die Bürger berechtigterweise von dieserRegierung verlangen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat die Kol-
legin Angelika Graf für die SPD-Fraktion.
Lieber Herr Kol-lege Fischer, ich weiß nicht, warum Sie hier so herum-schreien müssen. Ich glaube, das Thema bedarf einer ver-nünftigen und sachlichen Auseinandersetzung und nichtso vieler Emotionen.
Herr Oswald hat gesagt: Die Bundesregierung musshandeln. Ich darf Ihnen vielleicht ein paar Bereiche nen-nen, in denen die Bundesregierung bereits gehandelt hat.Wir haben nämlich nicht zugewartet, wie Sie esoffensichtlich während Ihrer Regierungszeit gemacht ha-ben.Die Tatsache, dass zumindest in der Vergangenheitviele produzierende Betriebe, die vorher selbst einenFuhrpark unterhalten haben, ihre bisher fest angestelltenFahrer auf die Straße gesetzt bzw. outgesourct haben, so-dass sie fortan als Einzelunternehmer tätig sein mussten,hat unter anderem zu Überkapazitäten und Wettbewerbs-verzerrungen am Markt geführt. Diese Fahrer haben sichselbst ausgebeutet und haben damit eine Konkurrenz fürviele mittelständische Betriebe dargestellt, die mit der aufSelbstausbeutung beruhenden Preisgestaltung derKleinstbetriebe eben nicht haben mithalten können. Ge-gen diese Praxis hat die Bundesregierung 1999 das Gesetzgegen die Scheinselbstständigkeit verabschiedet. Sie ha-ben sich heftig dagegen gewehrt. Das war ein Gesetz fürdas Fuhrgewerbe.
Ein weiterer Punkt, der heute schon öfter angesprochenwurde, ist die Aufhebung des Kabotageverbotes 1998. Ichfrage Sie: Warum haben Sie denn nicht, als damals dieAufhebung des Kabotageverbotes ausgehandelt wurde,Ihre Zustimmung davon abhängig gemacht, dass zugleichHarmonisierungsdefizite in diesem Bereich beseitigt wer-den? Warum haben Sie das nicht getan?
– Das Kabotageverbot ist, zu Ihrer Information, im Juli1998 gefallen. Da waren wir noch nicht an der Regierung.
Ich möchte ein weiteres Problem ansprechen, an demich genau zeigen kann, wieso es zu dieser Situation ge-kommen ist. Das ist das Problem der grauen bzw. illegalenKabotage. Viele von Ihnen werden nicht wissen, worumes dabei geht; deswegen möchte ich es kurz erklären. Esist die Praxis von Fuhrunternehmen, nicht nur einen Fir-mensitz im Inland bzw. im EU-Ausland zu haben, sondernauch einen in den Staaten des ehemaligen Ostblocks. AufFahrzeugen, die im EU-Ausland zugelassen sind, lassensie Fahrer aus diesen MOE-Staaten ohne die entsprechen-den Arbeitspapiere unter ausbeuterischen Bedingungenfahren. Die Fahrer kommen als Touristen oder als Fahrervon MOE-Fahrzeugen nach Deutschland. Es lässt sichnicht kontrollieren, wie sie einreisen.
Das führt zu Problemen bei der Überwachung.Die Kontrolle dieser grauen Kabotage ist sehr schwie-rig. Wir haben festgestellt, dass es, selbst wenn ein Ver-stoß gegen das Ausländergesetz in diesem Zusammen-hang festgestellt werden kann, immer nur den Fahrer undselten den Halter dieser Fahrzeuge trifft. Der Fahrer wirdausgewiesen, der Halter kann weiter fahren lassen. Vieleder großen Fuhrunternehmen in unserem Land, die sichmehrere Firmensitze innerhalb und außerhalb der EU leis-ten können, machen deshalb von dieser Praxis Gebrauchund drücken damit kleine und mittelständische Unterneh-men vom Markt. Die Branche kennt dieses Problem schonlange. Sie wissen das vielleicht auch. Der BGLwar leidernicht imstande, auf die Mitglieder des eigenen Verbandeseinzuwirken und diese Praxis zu unterbinden.Ich kann mich nicht erinnern, dass die Regierung Kohlirgendetwas gegen diese Dinge unternommen hätte. WennSie, Herr Oswald, jetzt sagen, wir sollten da endlich etwasunternehmen, muss ich Ihnen darauf antworten: Sie sindzu spät dran. Wir haben bereits etwas unternommen. Wirhaben eine Anhörung zu diesem Thema durchgeführt
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. September 2000
Dirk Fischer
11523
und einen Antrag eingebracht, der Ihnen vorliegt.
Sie sollten sich vielleicht ein bisschen darüber informie-ren, wie die Situation wirklich aussieht.
Ihre Aufforderung, in diesem Sinne tätig zu werden, brau-chen wir also nicht.Sie sehen, die Probleme des Fuhrgewerbes – ich führeviele Gespräche mit den Vertretern des Fuhrgewerbes –werden von dieser Regierung aufgenommen; und dasnicht erst seit gestern.
Ich bin sicher, dass die Besonnenen unter den Fuhrunter-nehmern und den Verbandsvertretern das wissen und dieProbleme gemeinsam mit uns lösen. Mit Geschrei und Po-pulismus – da bin ich mir ganz sicher – werden wir diesesProblems nicht Herr werden. Das bedeutet harte Arbeit;die haben Sie offensichtlich in der Vergangenheit nichtgeleistet.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nächste Rednerin in
dieser Debatte ist die Kollegin Elke Wülfing für die
CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsi-dentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe FrauGraf, Sie haben nach dem Motto argumentiert: Wenn eseinem schon schlecht geht, dann hauen wir noch einmaldrauf, damit er ganz am Boden liegt.
– Wollen Sie es sehen? Ich habe das geschrieben, als hiergeredet wurde.Die Grünen sagen es genau andersherum – insofern istdiese Argumentation schizophren –: Je höher die Steuern,desto froher die Menschen. Irgendwie habe ich das Ge-fühl, Sie – gerade Herr Schmidt – sitzen immer noch aufeinem Baum.
Dieser Baum steht auf einer einsamen Insel. Diese ein-same Insel ist irgendwo im Ozean, aber nicht in dem har-ten europäischen und außereuropäischen Wettbewerb.
Herr Grewer, der Präsident des Bundesverbandes Gü-terkraftverkehr, hat gestern sehr deutlich gemacht, dass100 000 Arbeitsplätze im Transportgewerbe gefährdetsind, wenn die Steuer- und Sozialbelastung so bleibt undwenn der Subventionswettlauf in Europa so weitergeht.Er hat deutlich gemacht, dass ein Großteil der Betrieberote Zahlen schreibt und nicht, wie Sie, Herr Schmidt,meinen, schwarze Zahlen. Wenn die nächste Stufe derÖkosteuer kommt, bedeutet das das Aus für viele kleineund mittlere Betriebe.Die Grünen und große Teile der SPD, die sich das Autound den LKW zum Lieblingsfeind auserkoren haben,
glauben ja immer noch an die Mär, dass der Güterkraft-verkehr auf die Schiene zu verlagern sei. Bei aller Liebe:Jeder vernünftige und realistische Mensch weiß doch,dass dafür überhaupt keine zusätzlichen Kapazitäten vor-handen sind.Die Steuer- und Sozialbelastung, der verschärfte Wett-bewerb und vor allen Dingen der galoppierende Subven-tionswettlauf anderer europäischer Staaten haben deshalbnur eine Schwächung des deutschen Transportgewerbeszur Folge, nicht aber eine Verlagerung auf die Schiene.Das ist Illusion und das wissen Sie auch ganz genau.Die 17 Milliarden DM Sonderabgaben, die der deut-sche Kraftverkehr zahlen muss, sind doppelt so hoch wieder Betrag, den der Bund für den Straßenbau ausgibt.Wenn sich da nichts ändert und Sie aus ideologischer Ver-bohrtheit immer noch etwas gegen Straßenbau haben– Straßenbau jetzt, heute, in dieser Situation –, werden wirim Baubereich 100 000 Arbeitsplätze zusätzlich verlieren.Sie sind jetzt schon am Schlingern; das wissen Sie ganzgenau.
Ich gebe zu, dass ich als Münsterländerin auch sehrgerne mit dem Fahrrad fahre.
Aber ich mache wenigstens keine Strampelideologie da-raus, wie Sie es tun.
Sie schaden mit Ihrer grünen oder rot-grünen – daran sindauch einige von der SPD beteiligt – Fahrradfahrerphilo-sophie dem Standort Deutschland und den Menschen.
Geben Sie doch endlich zu, dass Sie sich mit dieserblödsinnigen Ökosteuer verrannt haben. Sie wissen ganzgenau, dass auch Herr Eichel überhaupt nichts von ihrhält. Sonst hätten die Grünen nicht zusammen mit Herrn
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Angelika Graf
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Eichel darüber nachgedacht, ob die Ökosteuer für etwasanderes als für die Rente verwendet werde könnte.Eines wollen wir festhalten: Wenn Sie die Rentenre-form so gelassen hätten, wie wir sie gemacht haben, wennSie den demographischen Faktor gelassen hätten, wie erwar,
hätten Sie die Ökosteuer zur Finanzierung der Rentenver-sicherung überhaupt nicht gebraucht.
Sie machen zurzeit – das wissen Sie ganz genau unddeswegen sind Sie so unsicher – auf fast allen politischenFeldern Fehler, wie das „Politbarometer“ deutlich aus-weist: immerhin minus 9 Prozentpunkte von August bisSeptember.Wenn ich mir vorstelle, mit welcher Kraftanstrengungwir während unserer Regierungszeit den Energiemarkt li-beralisiert haben,
und wenn ich mir dann die jetzige Situation angucke, dannkommen mir wirklich die Tränen.
50 Prozent der Preissenkungen, die durch die Liberalisie-rung des Energiemarktes erreicht werden konnten, sindjetzt durch die hohen Rohstoffpreise und die darauf lie-genden Steuern und Sozialabgaben wieder aufgesogenworden.
Ein Kaufkraftentzug in Deutschland von 60 Milliar-den DM bei einer Inflationsrate von inzwischen 2,4 Pro-zent – in Nordrhein-Westfalen liegt sie noch ein bisschenhöher: 2,6 Prozent – führt dazu, dass das zarte PflänzchenBinnenkonjunktur
auf diese Weise nicht nur nicht begossen – wie Sie es ei-gentlich tun sollten –, sondern mit Elefantenfüßen totge-trampelt wird.
Wie wollen Sie eigentlich Ihren immer weniger wer-denden Wählern noch erklären,
dass Sie die Ökosteuer nur aus ideologischer Sturheit auf-rechterhalten, gleichzeitig die Mehrwertsteuer als Wind-fall Profit mitnehmen und damit Hunderttausende Ar-beitsplätze im Transportgewerbe, im Baugewerbe und inanderen Bereichen gefährden? Wie wollen Sie das IhrenWählern erklären, die es bald nicht mehr gibt?
Ihre Ökosteuer hat ihre Lenkungswirkung verfehlt. Siehat zusätzlich eine Wettbewerbsverzerrung im europä-ischen Transportgewerbe geschaffen, weil die verspro-chene Aufkommensneutralität für das deutsche Transport-gewerbe bei weitem nicht erreicht wird. Sie haben es aberversprochen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin
Wülfing, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.
Das mache ich; ich bin mit
meiner Rede fast am Ende.
Ich denke, dass es vernünftig wäre, den LKW-Fahrern,
den Omnibusunternehmen, den deutschen Automobilun-
ternehmen, den Taxifahrern, dem Gartenbau, der Land-
wirtschaft, den Bauern und der ganzen Bevölkerung für
diesen Winter Luft zu verschaffen.
Sie können dafür sorgen. Tun Sie es!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die SPD-Fraktion
spricht jetzt die Kollegin Karin Rehbock-Zureich.
Sehr verehrte FrauKollegin Wülfing, das von Ihnen für Ihre gute Politikwährend Ihrer Regierungszeit angeführte Beispiel von derLiberalisierung auf dem Energiemarkt war ein Beispielfür eine Katastrophe. Diese Katastrophe hat sich ergeben,weil diese Liberalisierung nicht sinnvoll mit anderenMaßnahmen begleitet wurde. Die Folgen konnten wirGott sei Dank 1998 noch auffangen. Genau diese Art vonKatastrophe müssen wir jetzt verhindern, weil für denMarkt des Transportgewerbes keine Harmonisierungstattgefunden hat.
Herr Kollege Fischer, Sie müssen es doch eigentlichbesser wissen – Sie wissen es auch –: Das Fahraufkom-men auf der Straße bezüglich der Transporte ist nicht ge-sunken. Im Gegenteil: Die Zahl der Transporte hat sich er-höht und wird sich weiter erhöhen.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. September 2000
Elke Wülfing11525
– Sie sagten, die Zahl der Fahrten würde sinken. Dies istabsolut nicht der Fall.
Deswegen hat das Gewerbe einen Anspruch darauf, dassdas Problem nicht in solchen Beiträgen behandelt wird,wie es meine Vorrednerin getan hat, sondern dass wir inangemessener Weise darüber diskutieren und dass wir dieSorgen ernst nehmen.Die Zahl der Fahrten hat zwar zugenommen, aber dereinzelne Spediteur hat immer weniger davon. Hier istdoch ein Markt völlig aus den Fugen geraten. Sie aber in-strumentalisieren die Ökosteuer, indem Sie sagen, HerrFriedrich: Die Spanier fahren 33 Prozent billiger. WollenSie diesen Zustand mit Abschaffung der Ökosteuer besei-tigen?
Sie beklagen zu Recht diesen Zustand. Wir aber bekla-gen diesen Zustand nicht nur, sondern wir haben – dieKollegin hat es bereits ausgeführt – Initiativen ergriffen,um den Zustand zu beseitigen, dass Fahrer aus osteuro-päischen Staaten für 2 DM die Stunde auf den Böcken sit-zen und die Waren transportieren. Da wollen Sie uns dochnicht erzählen, dass dieser Zustand durch die Abschaffungder Ökosteuer beseitigt werden kann.
Wir müssen realistisch darüber diskutieren, wie wirdiesem Gewerbe helfen können.
Die SPD hat mehrere Maßnahmen auf die Tagesordnunggesetzt. Wir haben den EU-Führerschein auf die euro-päische Tagesordnung gesetzt. Mithilfe dieses Führer-scheins kann EU-weit festgestellt werden, welche Be-dingungen die Fahrer einhalten müssen.
Der unfaire, ungleiche Wettbewerb innerhalb Deutsch-lands und innerhalb der EU macht die mittelständischenUnternehmen kaputt.
Wir müssen die Harmonisierung im Steuerbereich aufdie Tagesordnung bringen. Sie haben es in den letzten16 Jahren versäumt, den Abbau der Harmonisierungsde-fizite voranzubringen; vielmehr haben Sie die Fahne derLiberalisierung hoch gehalten, allen voran die F.D.P., dieheute am lautesten klagt.
Der Preisdruck der Firmen durch graue oder illegaleKabotage ist mit einer Ökosteuerbeseitigung nicht zu be-enden; hierfür benötigen wir vielmehr einen fairen Wett-bewerb in ganz Europa. Dies kriegen wir nur zustande,wenn wir europaweit Initiativen für eine Harmonisierungergreifen.Sie haben auch darauf hingewiesen, Herr KollegeOswald – ich schätze Sie sonst sehr; aber in dieser Aus-sage schätze ich Sie gar nicht, das will ich gleich voraus-schicken –, dass es Zeit wird, europaweit den alpenque-renden Verkehr auf die Tagesordnung zu bringen. Wirhaben dies längst getan. Es wird in Rücksprache mit demBGL eine Lösung für den alpenquerenden Verkehr nachÖsterreich gefunden werden.Zweitens haben wir es in Angriff genommen – auch dasist eine wichtige Botschaft –, dass auch der alpenquerendeVerkehr Richtung Schweiz – neue Alpentransversale – aufdie Schiene gebracht werden kann. Deswegen wird – dashat der Minister bereits gesagt – auch das dritte bzw. vierteGleis, das den Zulauf zu diesem alpenquerenden Verkehrauf deutscher Seite absichert, auf die Tagesordnung ge-bracht werden.
Dies wird mit einem Teil der zusätzlichen Milliarden be-zahlt werden, die wir haben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin, achten
Sie bitte auf Ihre Redezeit.
Ich komme zum
Schluss. – Es ist erstens erforderlich – wir sind dies ange-
gangen –, die Harmonisierungsdefizite zu beseitigen.
Zweitens benötigen wir dringend auch europaweit eine
Energiepolitik, die sich auf Energieeffizienz, Energie-
einsparung und neue Technologien auch im Verkehrsbe-
reich gründet,
damit wir von der Abhängigkeit von den Mineralölkon-
zernen wegkommen. Dies sollte eigentlich unser gemein-
sames Anliegen sein, um dem Verkehrsgewerbe unter die
Arme zu greifen.
Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es spricht jetzt derKollege Georg Brunnhuber für die Fraktion derCDU/CSU.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. September 2000
Karin Rehbock-Zureich11526
Frau Präsidentin!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es war schon sehr ent-täuschend, was wir hier heute vonseiten der Regierungund der Regierungskoalition erlebt haben.
Wie wenig das Thema diese Regierung interessiert, wirdauch daran deutlich: Hier sitzen zwei mit dem Schlafkämpfende Staatssekretäre. Wo ist der Minister bei die-sem wichtigen Thema?
Zusammenfassend kann man heute eines festhalten:Diese Regierung ist bei diesem Thema hilflos. Sie ist kon-zeptionslos und gegenüber den Betroffenen auch nochherzlos. Das muss man Ihnen ins Stammbuch schreiben.
Wie hilflos Sie sind, wird auch an Folgendem deutlich:Da reisen alle Verkehrsminister nach Brüssel undschwören, dass alle in Europa hart bleiben und gegenüberdem Gewerbe auf gar keinen Fall nachgeben. Kaum sindsie zu Hause, da sagen die Franzosen, die Belgier und dieNiederländer: Es ist uns völlig wurscht, was wir da be-schlossen haben. Runter mit dem Dieselpreis! Wir helfendem Gewerbe. – Die Italiener ziehen nach. Unser Minis-ter aber kommt heim und erklärt, er habe die Kommissiongebeten zu prüfen, ob das rechtens ist. Liebe Freunde, daswar das Geld, was die Reise nach Brüssel gekostet hat,nicht wert.
Da braucht man sich doch nicht zu wundern, dass die„Stuttgarter Zeitung“ heute die Äußerung eines Genossenaus der Regierung, der nicht genannt werden will, ab-druckt: Unser Verkehrsminister ist der Berti Vogts der Po-litik. Dem kann man wirklich nur zustimmen.
Meine lieben Freunde, die Regierung ist konzeptions-los.
Heute hätten wir die Gelegenheit gehabt, zu hören, wel-che Konzepte diese Regierung wirklich hat. Vor kurzemhaben wir im Fernsehen den Umweltminister gesehen, dergrinsend erklärt hat, man solle halt weniger Gas geben.Heute sagt die Regierung: Wir haben eine Patentlösung;ab dem neuen Jahr erhalten alle, die Probleme haben,eventuell günstige Kredite von der KfW. Liebe Kollegin-nen und Kollegen, am 1. Januar brauchen sie keine Kre-dite mehr, weil die meisten von ihnen bis dahin pleite sind.
Das ist Ihre Politik, von der Sie glauben, dass das Ge-werbe mit ihr zufrieden sein kann.Es geht hier um Zehntausende von Arbeitsplätzen undExistenzen. Ich kann nur sagen: Das sind Steine; das istnicht das Brot, das die Leute brauchen. Sie haben absolutkeine Konzeption. Sie versuchen, sich davonzustehlen inder Hoffnung, irgendwie werde es sich schon wieder ge-ben.
Dieses Mal werden Sie Pech haben.Sie haben gestern Ihre Herzlosigkeit gezeigt. Ich frageSie: Wo waren Sie, als zehntausend Menschen demons-triert haben? Da hätten Sie Ihre Politik, die doch so gut ist,verteidigen können.
Nein, feige haben Sie hinter diesen Mauern gehockt undzum Fenster hinausgeschaut.
Es gibt in dieser Regierung offensichtlich zweierleiMaß. Vor wenigen Jahren noch sind Sie Arm in Arm mitden streikenden Kumpeln durch die Bonner Bannmeilegezogen und haben Milliardensubventionen gefordert. Zuden demonstrierenden Arbeitnehmern des Philipp-Holz-mann-Konzerns kam der Kanzler abends – natürlich me-dienwirksam – mit einigen 100Millionen DM. Das Trans-portgewerbe braucht nur ein paar Millionen und Sietrauen sich nicht einmal, mit denen zu diskutieren. Dasieht man doch, wie schwach Ihre Argumente sind, sonstwären Sie mannhaft hingegangen und hätten Ihre idioti-sche Politik erklärt.
Wer wie Sie eine solche Politik weiterbetreibt, musssich darüber im Klaren sein, dass die Menschen noch wü-tender werden, weil Sie alle ihre Argumente nicht akzep-tieren. Wer Politik so betreibt, dass am Schluss aus WutRadikalität wird, der kann nicht die Opposition beschul-digen, weil sie solidarisch mit den Sorgen dieser Men-schen ist.
Sie müssen das auf Ihre eigene Kappe nehmen.Sie haben zum ersten Mal in der Geschichte im Ver-kehrsgewerbe eine Situation herbeigeführt, die Ihnen amSchluss noch um die Ohren fliegen wird.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. September 2000 11527
Sie haben ein Chaos angerichtet und Sie werden Sturmernten. Das kann ich Ihnen garantieren.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die letzte Rednerin in
dieser Aktuellen Stunde ist die Kollegin Margit Wetzel für
die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! HerrFischer, die Scheinheiligkeit, mit der Ihre Seite hier de-battiert, ist nicht mehr zu überbieten.
Die Aktuelle Stunde hat einen aktuellen Anlass, näm-lich die gestiegenen Mineralölpreise. Dafür gäbe es eineaktuelle Abhilfe: Die gesunkenen Preise für das BarrelRohöl könnten sofort von den Mineralölkonzernen an dieVerbraucher weitergegeben werden.
Alle Maßnahmen, die wir einleiten können, helfen nichtdirekt. Ihre Debatte um die Ökosteuer ist scheinheilig,weil sie von den eigentlichen Problemen ablenkt; das istder Punkt.Der BGL fordert zu Recht eine entfernungsabhängigeStraßenbenutzungsgebühr, aber leider braucht es noch un-gefähr zwei Jahre, bis wir tatsächlich die technischenVorkehrungen treffen können, um dies umzusetzen.Warum? Wir brauchen diese Zeit, weil die ausländischenLKW an den Kosten, die sie hier verursachen, beteiligtwerden sollen. Und warum brauchen wir noch zweiJahre? – Wir brauchen zwei Jahre, weil Ihre Regierungkeinerlei Vorarbeiten geleistet hat. Wir haben dies zehnJahre vergeblich gefordert.
– Das ist nicht unwahr. Gucken Sie in die alten Proto-kolle! – Wir können den Betroffenen nicht mit einer Kurz-fristmaßnahme helfen.Aber sehen wir uns doch einmal an, wer die Betroffe-nen sind. Das sind nicht die großen Speditionsketten, son-dern – das ist mehrfach gesagt worden – die zehntausendkleinen und mittelständischen Unternehmen. Aber derVerdrängungswettbewerb, in dem sie sich befinden, dieWettbewerbsverzerrung, unter der sie existenziell leiden,– das nehmen wir ernst –, haben sich über Jahre aufge-baut. Das wissen Sie ganz genau.
Die Dieselpreise sind über die letzten Jahre in den eu-ropäischen Ländern immer unterschiedlich gewesen. DasGleiche gilt für die Kraftfahrzeugsteuern, für die Abgabenund für die Lohnkosten.
– Sie haben in der Zeit die Mineralölsteuer angehoben.Erinnern Sie sich bitte einmal an den Anfang der 90er-Jahre. Damals folgten Ihren Steuererhöhungen Ausflag-gungswellen. Wir haben Anfang der 90er-Jahre Standort-debatten zum Ausflaggen der Unternehmer geführt. Unswurden damals in der Opposition exakt die gleichen Zah-len bezüglich der Steuerausfälle und der Kosten durchArbeitslosigkeit vorgelegt, wie sie jetzt vorliegen. Daswar genau die gleiche Diskussion. Damals, Anfang der90er-Jahre, sind Dependancen in Portugal, in Luxemburg,in Holland und Belgien gegründet worden. Das war dochder Kern.
– Aber natürlich waren das Ausflaggungen.
Von da an hat der Verdrängungswettbewerb seinen Laufgenommen. Inzwischen haben wir täglich mehr als100 000 gebietsfremde LKWs auf unseren Straßen. VierFünftel des grenzüberschreitenden Straßengüterverkehrskommen aus dem Ausland, mit ausländischen LKWs.
– Das ist kein Transitverkehr.
– Im Moment habe ich noch das Wort. – Die Spediteureverweisen doch zu Recht darauf, dass der Verkehr auf aus-ländische LKWs verlagert wird. Uns geht es um die80 Prozent der Güterverkehrstransporte, die sich in Be-reichen von unter 100 Kilometern abspielen.
– Das sind die, die wir keineswegs auf die Schiene verla-gern können; das wissen wir auch, alle, die wir hier sind.Aber das sind die Transporte, die wir eben nicht an aus-ländische LKWs weitergeben wollen.Wenn Sie sich vielleicht noch einmal erinnern: DasAushandeln der Kabotagefreiheit war die erste Amts-handlung des damaligen Verkehrsministers Wissmann.Und was brachte er als Trostpflästerchen mit? – Die Vi-gnette. Wir hingegen hatten gehofft, dass wir endlich einevernünftige Straßenbenutzungsgebühr bekommen.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 120. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. September 2000
Georg Brunnhuber11528
Das alles scheinen Sie vergessen zu haben. Nichts ist kür-zer als Ihr Gedächtnis, wenn es darum geht, hier schein-heilige Debatten zu führen.
– Wir waren nicht in Brüssel, Ihr Minister war in Brüssel.
Das Kernproblem ist das in der EU durch die Kabota-gefreiheit bestehende Sozialdumping. Es ist bereits er-klärt worden, weshalb dieses Sozialdumping besteht.Kein deutscher Spediteur kann mithalten, wenn auf einemanderen Bock zwei osteuropäische Fahrer für’n Appelund‘n Ei arbeiten, sich gegenseitig ablösen und dadurchrund um die Uhr fahren können.
Sie stehen so im Wettbewerb zu unseren kleinen Trans-portunternehmern.Es gibt also keine anderen Möglichkeiten als die hierbereits erwähnten. Die eine Möglichkeit besteht darin,sich in der EU stark zu machen, damit das Sozialdumpingverhindert wird. Die EU-Fahrerlizenz ist mehrfach ge-nannt worden. Auch das Güterkraftverkehrsgesetz ist er-wähnt worden.Die zweite Möglichkeit ist, den wirtschaftlichen Vor-teil, der durch diesen unlauteren Wettbewerb entsteht, zukassieren. Wir brauchen hohe Bußgelder. Es kann nichtangehen, dass diejenigen, die etwas Illegales tun, auchnoch einen wirtschaftlichen Vorteil dadurch haben.
Das heißt, meines Erachtens müssten wir, wenn tat-sächlich Missbräuche entdeckt werden, die LKWs solange festsetzen, bis endlich ein legaler Fahrer da ist. Dasmerken die Unternehmer dann schon.Ich meine aber auch, dass die kleinen Unternehmensich ein bisschen selbst helfen müssen, indem sie ge-meinsam stärker auftreten; denn sie sollen in diesemMarkt, der ja expandiert, bestehen. Das heißt, sie müssendie Vorteile nutzen können, die für die großen Un-ternehmen selbstverständlich sind: Logistik, Vermeidungvon Leerfahrten, Internet. Sie müssen zu dem, was es al-lein in diesem Bereich an neuem Handel gibt, Zugang ha-ben. Deshalb ist es wichtig, dass wir diesen kleinen Un-ternehmen kurzfristig die Möglichkeit geben, ihreLiquiditätsengpässe zu überwinden, bis unsere Maßnah-men greifen. Anders geht es nicht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin, auch
Sie muss ich ermahnen. Bitte denken Sie an Ihre Redezeit.
Mein letzter Satz: 50 Pro-
zent der Transportunternehmer haben kein Eigenkapital
mehr. Das müssen wir ernst nehmen, weil sie bei jedem
Rating durchfallen würden. Deshalb ist es nicht zu unter-
schätzen, dass sich der Verkehrsminister dafür einsetzt,
dass die KfW diese Liquiditätsengpässe durch das Mittel-
standsförderungsprogramm beseitigt. Das ist das Beste,
was wir im Moment machen können.
Außerdem wünsche ich mir, dass unsere Regierung in
Europa ordentlich mit der Faust auf den Tisch haut, damit
den Transportunternehmern endlich geholfen wird; denn
die Folgen, die wir jetzt auszubaden haben, haben Sie ver-
ursacht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich schließe die Aus-
sprache. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Ta-
gesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen
Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 28. September
2000, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.