Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröff-
net.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes
zur Änderung des Rindfleischetikettierungs-
gesetzes
– Drucksache 14/3648 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Eine Aussprache ist für heute nicht vorgesehen. Inter-
fraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf
Drucksache 14/3648 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu ander-
weitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Ka-
binettssitzung mitgeteilt: Verwaltungsvereinbarung zwi-
schen der Bundesregierung und der Bundesanstalt für Ar-
beit über die Durchführung des Sonderprogramms zur
Erprobung von Modellansätzen zur Förderung der
Beschäftigung von Geringqualifizierten und Langzeit-
arbeitslosen, mitfinanziert aus Mitteln des Europäischen
Sozialfonds und aus Mitteln der beteiligten Länder. Das
Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht hat der
Parlamentarische Staatssekretär Gerd Andres.
G
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Angesichts der hohen
Arbeitslosigkeit und der schwierigen Arbeitsmarktlage
Geringqualifizierter und Langzeitarbeitsloser haben sich
die Beteiligten des Bündnisses für Arbeit, Ausbildung und
Wettbewerbsfähigkeit beim vierten Spitzengespräch am
12. Dezember 1999 darauf verständigt, Modellprojekte
zur Förderung von Beschäftigungsmöglichkeiten gering
qualifizierter Arbeitnehmer und Langzeitarbeitloser in je
einem ost- und westdeutschen Bundesland in ausgewähl-
ten Arbeitsmarktregionen durchzuführen.
Erprobt werden sollen ein Vorschlag der Saar-Gemein-
schaftsinitiative sowie ein Vorschlag des rheinland-pfälzi-
schen Arbeitsministers Florian Gerster, das so genannte
Mainzer Modell. Zur Umsetzung diesen Beschlusses hat
die Bundesregierung nunmehr die notwendigen adminis-
trativen Grundlagen geschaffen. Richtlinien zur Durch-
führung des Sonderprogramms zur Erprobung von Mo-
dellansätzen zur Förderung der Beschäftigung von Ge-
ringqualifizierten und Langzeitarbeitslosen sowie der
Entwurf einer Verwaltungsvereinbarung mit der Bundes-
anstalt für Arbeit wurden heute, am 28. Juni 2000, im
Bundeskabinett beraten.
Die Leistungen des Sonderprogramms dienen den Zie-
len, die Eingliederung gering qualifizierter Arbeitnehmer,
Langzeitarbeitsloser sowie gering verdienender Arbeit-
nehmer insbesondere mit Kindern in den ersten Arbeits-
markt zu erleichtern und Anreize für die Schaffung zu-
sätzlicher Arbeitsplätze zu bieten.
Die wichtigsten Inhalte dieses Sonderprogramms sind:
Erstens. Beim Saar-Modell soll durch die Gewährung ei-
nes Zuschusses zu den Sozialversicherungsbeiträgen an
Arbeitgeber ein Anreiz für die Schaffung zusätzlicher
Arbeitsplätze für Geringqualifizierte und Langzeitarbeits-
lose geboten werden. Zudem soll durch zweckmäßige
Qualifizierungsmaßnahmen den Geringqualifizierten und
Langzeitarbeitslosen eine langfristige Beschäftigungsper-
spektive eröffnet werden.
Zweitens. Beim Mainzer Modell sollen durch die Ge-
währung eines Zuschusses zu den Sozialversicherungs-
beiträgen und/oder eines Kindergeldzuschlages an Ar-
beitnehmer Anreize zur Aufnahme einer sozialversiche-
rungspflichtigen Beschäftigung geschaffen werden.
Das Modell der Saar-Gemeinschaftsinitiative wird im
gesamten Saarland und in Sachsen im Arbeitsamtsbe-
zirk Chemnitz erprobt. Das Mainzer Modell wird in
Rheinland-Pfalz in den Arbeitsamtsbezirken Montabaur,
10365
110. Sitzung
Berlin, Mittwoch, den 28. Juni 2000
Beginn: 13.01 Uhr
Koblenz, Neuwied und Mayen sowie in Brandenburg in
den Arbeitsamtsbezirken Eberswalde und Neuruppin er-
probt. Die Modellversuche sollen im zweiten Halbjahr
dieses Jahres starten. Neueintritte werden bis Ende 2002
möglich sein. Die individuelle Förderdauer liegt bei ma-
ximal 18 Monaten und endet somit spätestens am 30. Juni
2004.
In den Ländern werden Projektbeiräte eingerichtet, die
die Durchführung der Modelle begleiten und durch die
alle Beteiligten vor Ort eng eingebunden werden sollen.
Auf Bundesebene wurde bereits ein Begleitausschuss zur
Begleitung und Evaluierung aller Modellversuche einge-
richtet. Alle Modellprojekte werden bis ein Jahr nach
ihrem Abschluss wissenschaftlich begleitet und evaluiert.
Die Durchführung vor Ort erfolgt durch die Bundesanstalt
für Arbeit. Die Arbeitsämter haben mit den Sozialämtern
zusammenzuarbeiten. Nur so kann gewährleistet werden,
dass das Sonderprogramm auch die Zielgruppe der So-
zialhilfeempfänger wirksam erreicht.
Dieses Sonderprogramm zeigt: Das Setzen auf ein
Bündnis aller gesellschaftlichen Kräfte macht sich be-
zahlt. Der ideologische Streit über die Wirksamkeit und
die unbeabsichtigten Nebeneffekte von Reformvorschlä-
gen zur Förderung der Beschäftigungsmöglichkeiten für
Geringqualifizierte und Langzeitarbeitslose ist vom
Tisch. Modelle, die Menschen eine realistische Erwerbs-
perspektive bieten, sind es wert, erprobt zu werden.
Mögliche Risiken einer direkten flächendeckenden
Einführung werden durch das Ausprobieren in Form von
Modellprojekten begrenzt. Gleichwohl wird jede Chance
genutzt, um Beschäftigungsmöglichkeiten für Geringqua-
lifizierte zu erschließen sowie Langzeitarbeitslose und er-
werbsfähige Bezieher von Sozialhilfe wieder in das Ar-
beitsleben zu integrieren.
Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Herr
Staatssekretär. Zu diesem Thema gibt es Wortmeldungen.
Als erster hat sich Herr Kollege Dirk Niebel gemeldet.
Herr Staatssekretär, ich freue
mich sehr, dass die Bundesregierung das Problem des so
genannten Niedriglohnsektors in ihre politische Arbeit
aufgenommen hat. Ich hätte mir das sehr viel früher ge-
wünscht und möchte nun eine Frage an Sie stellen.
Die von Ihnen vorgestellten Modelle zielen alle darauf
ab, Arbeitsplätze oder Lohnnebenkosten zu subventionie-
ren. Sie dienen aber nicht dazu, die Menschen als solche
zu fördern. Befürchten Sie nicht ebenso wie ich bei einer
Subventionierung von Lohnkosten oder Lohnnebenkos-
ten Mitnahmeeffekte? Wäre es nicht Ihrer Ansicht nach
sinnvoller, durch einen direkten Zuschuss an die betroffe-
nen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ein zusätzli-
ches Beschäftigungspotenzial im Niedriglohnsektor zu
erschließen?
G
Herr Abgeordneter
Niebel, ich könnte Ihre Frage schlicht mit einem Nein be-
antworten. Ich will es aber nicht tun.
Erstens. Sie sehen aus der unterschiedlichen Anlage
dieser beiden Modelle, dass wir auf der einen Seite ein
Modell gewählt haben, bei dem unmittelbar der Arbeitge-
ber bezuschusst wird, und auf der anderen Seite ein sol-
ches, bei dem der betroffene Arbeitnehmer bezuschusst
wird. Durch dieses Vorgehen wollen wir beide Wirkungs-
weisen ausprobieren.
Zweitens. Wir haben in einem Modell, dem Saar-Mo-
dell, gewissermaßen keine finanzielle Förderung des Ar-
beitnehmers. Diese Förderung läuft über Qualifizierungs-
maßnahmen.
Drittens. Auch ich hätte mir das alles viel früher ge-
wünscht. Es hat viele Gelegenheiten gegeben, solche
Maßnahmen früher zu verwirklichen und sinnvoll auszu-
probieren. Wir sehen das vor dem Hintergrund der
Schwierigkeiten, bestimmte Schwellen zu überwinden,
um damit Anreize zu einer zusätzlichen und wenn mög-
lich langfristigen Erwerbsarbeit im ersten Arbeitsmarkt
zu schaffen.
Ich will kein Prophet sein: Man macht Modellversu-
che – diese heißen deswegen auch so –, um bestimmte Er-
fahrungen zu sammeln. Wir gehen davon aus, dass wir mit
den beiden Modellversuchen – zweimal in einem alten
Bundesland und zweimal in einem neuen Bundesland –
die entsprechenden Erfahrungen sammeln können, um
daraus Schlussfolgerungen für eine mögliche Verände-
rung von Gesamtsystemen ziehen zu können.
Sie haben eine Zu-
satzfrage, Herr Niebel? – Bitte sehr. Die anderen Fra-
gesteller habe ich notiert. Bitte kommen Sie miteinander
ins Gespräch.
Herr Staatssekretär, die von Ih-
nen vorgestellten Modelle und Ihre Ausführungen zu
meiner Frage gehen davon aus, dass in dem bestehenden
System von Entlohnung und Arbeitsproduktivität ein Pro-
blem darin besteht, dass Personen mit geringer Qualifika-
tion nicht in die untersten Lohngruppen hineinkommen.
Ich denke, das Problem besteht vielmehr darin, dass
Arbeitsproduktivität und Entlohnung der untersten Lohn-
gruppen nicht deckungsgleich sind. Würden Sie dem zu-
stimmen bzw. aus welchen Gründen sehen Sie das anders?
Müsste der Ansatz daher nicht vielmehr dahin gehen,
durch einen direkten Zuschuss an Arbeitnehmer einen
Lohn existenzsichernd zu gestalten, der im Augenblick in
den untersten Lohngruppen nicht vorgesehen ist? Würden
Sie mir auch darin zustimmen? Könnten Sie mir weiter sa-
gen, inwiefern Sie die Modellversuche des Landes Baden-
Württemberg, die seit einem guten Jahr in diesem Bereich
laufen, in Ihre Entscheidungsfindung einbeziehen?
G
Zunächst muss ich sa-gen: Es gibt selbstverständlich einen Zusammenhangzwischen Lohnhöhe und Produktivität, und es gibt einen
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. Juni 2000
Parl. Staatssekretär Gerd Andres10366
Zusammenhang zwischen Beschäftigungsproblemen imniedrig produktiven Bereich. Die spannende Frage ist,wie man damit umgeht. Das Problem einer Direktsubven-tionierung würde natürlich sofort flächendeckend zu Er-gebnissen führen, die kein Mensch wollen kann.Wir haben auch heute schon ganz normale Beschäfti-gung in – so würde ich es bezeichnen – gering entlohntenSektoren, die solche Niedriglohnsektoren sind. Wenn mandazu übergeht, hier Subventionierungen vorzunehmen,bekommt man sofort flächendeckende Mitnahmeeffekte,die kein Mensch wollen kann.Deswegen noch einmal der Hinweis darauf, dass wirmit zwei unterschiedlich gelagerten Modellen, die wirauch in größeren Regionen ausprobieren, genau untersu-chen wollen, ob es denn zu entsprechenden Beschäfti-gungseffekten kommt. Das kann man vorher nicht pro-gnostizieren – ich sage das noch einmal –, deswegenführen wir Modellprojekte durch und deswegen gibt esdie unterschiedlichen Wirkungsmechanismen, die wirhier ausprobieren wollen.Auf Ihren Hinweis auf ein Modell von Baden-Würt-temberg kann ich erwidern, dass es auch andere Landes-modelle gibt. Beispielsweise in Sachsen gibt es ein ande-res Konzept. Man hat sich im Bündnis für Arbeit und auchin den Folgegesprächen ausdrücklich für das MainzerModell und das Saar-Modell entschieden. Diese Modellewollen wir nun ausprobieren, ohne damit andere Modelleirgendwie qualifizieren oder bewerten zu wollen. Sie wer-den mir auch nachsehen, dass ich das hier nicht öffentlichtun will.
Nun fragt Herr Kol-
lege Schemken.
Herr Staatssekretär,
diese Maßnahme in der Verzahnung zwischen den Kom-
munen und der Arbeitsverwaltung ist sicherlich zu be-
grüßen. Nur verweise ich aus der jahrzehntelangen Erfah-
rung vor Ort darauf, dass es hier recht kompliziert ist. Es
ist sicherlich zu erklären, dass Arbeitslosenhilfe plus So-
zialhilfe, wenn beide greifen, was bei Langzeitarbeitslo-
sen oft der Fall ist, in die Betriebe mitgenommen wird.
Dadurch wird der Betrieb bei dem Bemühen entlastet,
diese Brücke zu bauen. Ich verstehe dies so. Wie soll das
vor Ort geschehen? In der Vergangenheit haben sich auch
die kommunalen Spitzenverbände sehr dagegen gewehrt.
Ist dies abgeklärt, und wie geschieht der Datenaustausch?
Der spielte bei diesen Fragen immer auch eine Rolle,
wenn man zu einer Abklärung oder zu einem Abgleich
kommen wollte.
Die weitere Frage: Mit welchem Programm wird dann
die Qualifizierung begleitet? Es handelt sich weitgehend
um Menschen, die länger aus dem Arbeitsprozess heraus
sind und bestimmt nicht direkt nach einer Maßnahme
nach dem Berufsförderungsgesetz bzw. nach F- und
U-Maßnahmen in eine Umschulungsmaßnahme von klas-
sischem Charakter überführt werden können, weil hier si-
cherlich Trainingsmaßnahmen nötig sind. Kann man dies
dem Betrieb zumuten, und wie wird dieser Konfliktfall im
Alltag geregelt?
G
Herr Kollege Schemken,
was die erste Fragestellung angeht, habe ich versucht, bei
meiner Einführung schon darauf hinzuweisen, dass das
natürlich nur Sinn macht, wenn man die Beteiligten zu-
sammen an einen Tisch bekommt. Das wird auch durch
eine entsprechende Organisation gewährleis-tet, dass
nämlich sowohl Arbeitgeber als auch Gewerkschaften als
auch die Arbeitsämter und die Sozialämter unmittelbar
vor Ort eingebunden werden. Es wird auch nur auf Antrag
Maßnahmen geben, die von beiden Seiten getragen wer-
den. Das ist der eine Punkt.
Der zweite Punkt ist, dass wir ja schon laufende Pro-
jekte der Kooperation zwischen örtlichen Arbeitsämtern
und Sozialämtern haben. Hier ist es in der Tat so, dass wir
durch die Schaffung gesetzlicher Grundlagen – einerseits
im SGB III und andererseits im BSHG – sicherstellen
müssen, dass die Kooperation auf andere Grundlagen ge-
stellt wird. Dazu ist besonders wichtig, dass es zu einem
Datenaustausch kommt; darauf haben Sie schon hinge-
wiesen. Aber Sie stoßen beispielsweise auch auf ein Pro-
blem, wenn Sie Leistungen aus einer Hand gewähren wol-
len. Wenn beispielsweise das Arbeitsamt nun die gesamte
Leistungsabwicklung übernimmt, dann gibt es dafür
keine rechtlichen Grundlagen. Wir werden in Kürze –
wahrscheinlich in der nächsten Woche – in diese Richtung
auch entsprechende gesetzliche Vorstöße unternehmen.
Hinsichtlich der Qualifizierung möchte ich darauf hin-
weisen, dass bei dem Saar-Modell nur der Arbeitgeber be-
zuschusst wird. Der Zuschuss für den Arbeitnehmer soll
in Form von Qualifizierungsgutscheinen gewährt werden.
Dies hängt natürlich von den Fragen ab: Wo befindet sich
die Stelle? Um welche Beschäftigung handelt es sich?
Wie muss der Arbeitnehmer für eine entsprechende Stelle
qualifiziert werden? Die Auswahl bleibt zunächst einmal
den Projekten vorbehalten, die am 1. September starten
und bei denen die Anträge entsprechend bearbeitet und
genehmigt werden müssen.
Ich bitte um Verständnis, dass wir erst im weiteren Ver-
lauf dieser Projekte und unter Begleitung der örtlichen
Stellen, die das machen, darüber berichten können. Ich
möchte im Vorfeld dazu nichts sagen. Es ist auch nicht al-
les vorgeplant. Hinsichtlich der Qualifizierung stehen uns
bestimmte Instrumentarien im SGB III zur Verfügung.
Aber vielleicht sind auch andere Maßnahmen möglich,
die man sich allerdings genau anschauen und diskutieren
muss.
Jetzt hat das Wort der
Kollegen Dreßen.
Herr Staatssekretär, vielleichtkönnen Sie die Zweifel, die aus den beiden vorausgegan-genen Fragen zu hören waren, zerstreuen, wenn Sie diebeiden Modellansätze – das Mainzer Modell und das Mo-dell der Saar-Gemeinschaftsinitiative – etwas detaillierter
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. Juni 2000
Parl. Staatssekretär Gerd Andres10367
beschreiben und klarmachen, was eigentlich hinter diesenModellen steckt. Vielleicht sind Herr Niebel und HerrSchemken, die Zweifel hatten, dann etwas besänftigt.G
Im Rahmen des Saar-
Modells wird dem Arbeitgeber ein Zuschuss gewährt –
darauf habe ich schon hingewiesen –, der degressiv ge-
staltet sein soll und der sich nach der Einkommenshöhe
richtet. Vorgesehen ist, dass bei einem Stundenlohn von
etwa 10 DM der volle Zuschuss gewährt wird. Die Zu-
schüsse werden degressiv bis zu einem Stundenlohn von
18 DM für sozialversicherungspflichtige zusätzliche Be-
schäftigungsverhältnisse gewährt. Sie sehen also, dass
wir schon hier Sicherungsinstrumente eingebaut haben,
weil wir Mitnahmeeffekte vermeiden möchten. Deswe-
gen muss es sich um zusätzliche Beschäftigung handeln.
Es ist im Bündnis für Arbeit auch verabredet worden, dass
es sich um sozialversicherungspflichtige Beschäftigung
handeln muss. Der Zuschuss zum Arbeitnehmeranteil an
den Sozialversicherungsbeiträgen wird dem Arbeitneh-
mer nicht bar ausgezahlt; vielmehr kommt ihm dieser Zu-
schuss in Form von Qualifizierungsmaßnahmen zugute.
Beim Mainzer Modell erhalten nur die Arbeitnehmer
einen Zuschuss. Der Hintergrund, der hierbei eine Rolle
spielt – ich versuche, das ein bisschen zu erläutern –,
ist, dass es eine Beschäftigungslücke zwischen den
630-Mark-Arbeitsverhältnissen und den darüber liegen-
den Einkommen gibt. Die Situation ist folgende: Bei
630-Mark-Arbeitsverhältnissen zahlt der Arbeitgeber die
Renten- und die Krankenversicherung. Der geringfügig
Beschäftigte zahlt 7 Prozent wahlweise nur dann hinzu,
wenn er zusätzliche Leistungen haben möchte.
Ab 631 DM beginnt aber die volle Sozialversiche-
rungspflicht. Dadurch entsteht – wenn man es unter dem
Strich zusammenrechnet – eine Lücke. Auch hier soll ein
degressiv verlaufender Zuschuss realisiert werden, dessen
Gewährung bei Einzelpersonen beim Zweieinhalbfachen
und bei Verheirateten beim Doppelten der Geringfügig-
keitsgrenze endet. Dadurch werden die Sozialversi-
cherungsbeiträge subventioniert. Bei einem Einkommen
von 631 DM bis 1 575 DM muss der Arbeitnehmer den
vollen Sozialversicherungsbeitrag leisten. Arbeitnehmer
dieser Einkommensgruppe erhalten einen Zuschuss für
ihren Beitrag. Der Sozialversicherungsbeitrag von Ver-
heirateten wird bis zu Bruttolöhnen von 1 260 DM voll
und zwischen 1 260 DM und 3 150 DM abnehmend be-
zuschusst.
Zusätzlich sieht das Mainzer Modell einen degressiven
Zuschlag zum Kindergeld für erwerbstätige Geringver-
diener – in Abhängigkeit vom Einkommen – in Höhe von
maximal 150 DM monatlich vor.
Über die Bezuschussung sollen also entsprechende An-
reize geschaffen werden, beständige Beschäftigung anzu-
nehmen.
Jetzt kommt der Kol-
lege Gerald Weiß.
Gerald Weiß (CDU/CSU): Herr Staats-
sekretär, es ist sicherlich erwägenswert, im Zuge eines
Unterstützungsmodells Angebot und Nachfrage in einem
schwierigen Segment des Arbeitsmarktes zusammenbrin-
gen zu wollen. Sie sagten: Wir wissen auch, wo die
Tücken liegen. Sie selber haben das Stichwort „Mitnah-
meeffekte“ genannt. Habe ich es richtig verstanden, dass
die Absicherung gegen den Missbrauch durch Mitnah-
meeffekte nur durch das Kriterium „zusätzliche Arbeits-
plätze bei niedrigen Löhnen“ erfolgen soll? Haben Sie
also objektive Kriterien des Arbeitsplatzes – niedrige
Produktivität, Unterversorgung mit Arbeitskräften; es
gibt weitere denkbare Sicherheitskriterien – ins Modell
nicht eingeführt?
Zweite Frage: Es gibt ein gewisses Zahlengerüst und in
einem gewissen Umfang stehen Haushaltsmittel verschie-
dener Ebenen zur Verfügung. Haben Sie Vorstellungen
darüber, wie viel gering qualifizierte oder langzeitarbeits-
lose Arbeitnehmer Sie mit diesem Programm in den
nächsten Jahren erreichen wollen?
Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundesminis-
ter für Arbeit und Sozialordnung.
Zur ersten Frage. Wir ziehen als Sicherheitskriterium
ein, dass beim Mainzer Modell nur derjenige gefördert
wird, der nicht schon vorher bei demselben Arbeitgeber
beschäftigt war. Das Sicherheitskriterium wird bei sechs
Monaten liegen. Im Saar-Modell muss es sich um eine zu-
sätzliche Beschäftigung handeln. Wir werden die Einhal-
tung sehr genau beurteilen können, da wir die Projekte un-
mittelbar vor Ort begleiten.
Schon die Grenzen der Einkommenshöhen – ich habe
sie genannt – zeigen, dass das Kriterium, es handele sich
um Jobs für gering Qualifizierte, ein bestimmtes Sicher-
heitspotenzial enthält. Ich sage ausdrücklich: Wir haben
etwas größere Regionen – ich erinnere an Rheinland-
Pfalz mit vier Arbeitsamtsbezirken – nach dem Beschäf-
tigungspotenzial ausgewählt. Es ist lange über den Anteil
von gering qualifizierten Langzeitarbeitslosen und das
damit zusammenhängende Beschäftigungspotenzial dis-
kutiert worden.
Ich habe die Globalzahlen genannt. Wir werden für
dieses Jahr 60 Millionen DM zur Verfügung stellen. Wir
gehen davon aus, dass durch die jeweiligen Bundesländer
eine Kofinanzierung von 20 Prozent vorgenommen wird.
Wir werden mit den zur Verfügung gestellten Mitteln im
Rahmen der vorgegebenen Zeit insgesamt etwa 36 000
Förderfälle jährlich finanzieren können. Das ist ein Po-
tenzial, mit dem man eine Menge anfangen kann. Ein Mo-
dell mit kleineren Größenordnungen würde keinen Sinn
machen. Nimmt man auf der Grundlage von jährlich
36 000 Fällen eine Hochrechnung bis zum Jahr 2004 vor,
dann stellt man fest, dass ein ganz schönes Potenzial zu-
sammenkommt. Man sollte sich das im Einzelnen an-
schauen.
Noch einmal der Kol-lege Weiß, bitte sehr.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. Juni 2000
Peter Dreßen10368
Gerald Weiß (CDU/CSU): Herr Staats-sekretär, Sie haben im Ausschuss berichtet, dass die ers-ten Projekte im zweiten Halbjahr des Jahres 2000 bezu-schusst werden könnten. Da das zweite Halbjahr in weni-gen Tagen beginnt, sind Sie – das ist mein Eindruck –nicht ganz im Zeitplan. Oder ist es so, dass Anfang Juli dieersten Projekte bewilligt werden können?G
Ich finde, dass wir sehr
gut im Zeitplan sind. Es ist natürlich jeder Opposition un-
benommen, die Regierung dahin gehend zu kritisieren,
dass sie ihren Zeitplan nicht einhält.
Wir haben im laufenden Haushaltsjahr für diesen Ge-
samttitel 100 Millionen DM zur Verfügung gestellt. Für
diesen speziellen Bereich stehen 60 Millionen DM zur
Verfügung, die entsprechend kofinanziert werden. Wir
mussten eine Reihe von Abstimmungen vornehmen, weil
ausdrücklich festgehalten worden ist, dass die Bünd-
nispartner, die Sozialämter und die Arbeitsämter einbezo-
gen werden. Es ging darum, das Vorhaben konzeptionell
vorzubereiten. Wir gehen davon aus, dass wir ganz zügig
starten können.
Nun kommt die Kol-
legin Irmgard Schwaetzer, bitte sehr.
Herr Staatssekre-
tär, wenn ich Sie richtig verstanden habe, dann werden zu-
mindest in dem Modellversuch, der im Saarland läuft,
Löhne gezahlt, die unterhalb der tariflich vereinbarten
Mindestlöhne liegen. Ich habe Sie also richtig verstanden,
dass Sie davon ausgehen, dass es ein Beschäftigungspo-
tenzial in dem Bereich der Entlohnung auch unterhalb der
Tarifverträge gibt.
Wäre es dann nicht sinnvoll, diesen Beschäftigungs-
sektor in etwas breiterer Form zu erschließen, zum Bei-
spiel dadurch, dass der Abschluss entsprechender Anstel-
lungsverträge zugelassen würde und man gleichzeitig
aber, um sicherzustellen, dass für den Lebensunterhalt an-
gemessene Einkommen erzielt werden, die Höhe der An-
rechnung auf die Sozialhilfe und die Arbeitslosenhilfe
möglichst zusammenfasste – das war ja auch der Plan die-
ser Bundesregierung –, diese also nur zu einem bestimm-
ten Anteil anrechnete?
Sind Sie nicht mit mir der Meinung, dass dies bes-
ser geeignet wäre, die Beschäftigungslücke zwischen
630 DM und 1 500 DM oder aber 2 500 DM, je nachdem,
welche Maßstäbe man anlegt, zu schließen, als jetzt diese
Lohnzuschüsse oder aber Zuschüsse zu den Sozialversi-
cherungskosten, wie das jetzt angelegt ist, zu zahlen?
G
Frau Schwaetzer, ichwill ausdrücklich noch einmal sagen: Wir zahlen keineLohnzuschüsse, sondern wir bezuschussen die Sozialver-sicherungsbeiträge. Das ist der eine Punkt.Der zweite Punkt. Wenn Sie aus den Stundenlöhnenvon 10 DM bis 18 DM ableiten, dass das Löhne seien, dieunter Tarif lägen, dann muss ich Ihnen widersprechen. Esgibt die prinzipielle Vereinbarung, dass nicht unter Tarif-lohn gezahlt wird. Wir kennen faktisch nur einen Min-destlohn, der in einer bestimmten Höhe definiert ist, näm-lich den im Bereich der Bauwirtschaft; ansonsten kennenwir nur das, was tarifvertraglich verabredet oder fürallgemeinverbindlich erklärt worden ist. Wenn Sie sichaber bestimmte Tarife anschauen – schauen Sie einmal inden Bereich der Gastronomie, in den Bereich der Fein-keramik, in den Bereich des Einzelhandels –, dann wer-den Sie dort Löhne vorfinden, die in einer Größenordnungvon nur 10 DM bis 18 DM liegen.Dort etwas zu tun macht also Sinn, aber das ist natür-lich an eine bestimmte Ausganglage gekoppelt. Es musssich nämlich um Menschen handeln, die vor allem entwe-der Langzeitarbeitslose oder Sozialhilfeempfänger sind,weil wir ja genau erproben wollen, ob wir damit sozusa-gen Schwellen beseitigen können, wodurch diese Ziel-gruppen deutlicher und sofort in den ersten Arbeitsmarktgelangen.Da hinter Ihrer Fragestellung unausgesprochen eineandere Frage steckt, was ich weiß, weil wir uns ein biss-chen kennen, möchte ich Ihnen jetzt noch eine zweite Ant-wort geben: Es hat schon längere Auseinandersetzungenüber die Frage gegeben, ob man beispielsweise den Ei-genbehalt bei Arbeit im Falle von Sozialhilfebezug oderArbeitslosenhilfebezug nicht erhöhen sollte. Ich erinneremich noch gut daran, dass die alte Regierungskoalition,beispielsweise in der Person des damals für Sozialhilfe-angelegenheiten zuständigen Ministers, den Versuchunternommen hat, den Eigenbehalt bei Sozialhilfebezugum 50 DM zu erhöhen. Da stößt man allerdings ganzschnell auf ein Problem, das mit der unterschiedlichenSystematik zusammenhängt. Das ist das Problem, dassman, wenn man den Eigenbehalt erhöht, automatischauch die Zahl der Sozialhilfeberechtigten und die Kostender Sozialhilfe erhöht. Da wir uns hier in einer freundli-chen Gemengelage zwischen Bund und Ländern befin-den, brauche ich Ihnen die Weiterungen wohl nicht zunennen.Jedes Modell muss scheitern – das sage ich von vorn-herein für diese Bundesregierung –, das dazu führt, dassder Kreis der Anspruchsberechtigten für den Bezug vonSozialhilfe erweitert wird. Das können wir einfach nichtmittragen. Das wollen wir nicht. Das wäre auch kontra-produktiv zu dem, was wir mit den Modellen erreichenwollen. Wir wollen damit nämlich gerade erreichen, dassdurch anders konstruierte Anreize Menschen aus dem Be-zug von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe herausgeführtwerden. Die etwas schwierige Systemdebatte, die dahin-ter steckt, will ich aber jetzt nicht weiter vertiefen.Wenn Sie sich das anschauen, dann werden Sie alsofeststellen, dass sich dann, wenn man den Eigenbehalt um50 DM erhöht, auch die Zahl der Bezugsberechtigten fürSozialhilfe und die Sozialhilfekosten insgesamt erhöht.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. Juni 2000 10369
Frau Schwaetzer.
Herr Staatssekre-
tär, Sie haben sicherlich zu Recht die Diskussionen aus
der letzten Legislaturperiode angeführt. Dennoch ist Ihr
Modell – so wichtig das ist – möglicherweise nur dazu
geeignet, Menschen, die derzeit Sozialhilfe oder Arbeits-
losenhilfe beziehen, aus dieser Situation herauszuführen.
Es ist kein Instrument, das der Prävention dient. Genau
darauf zielte allerdings meine Bemerkung, was angestellt
werden müsste, um den Bereich zwischen 630 DM und
1 500 DM zu schließen, das heißt den Bereich der gering
Qualifizierten, die ja nach den im Moment angedachten
Lösungen – das wird sicherlich nicht das Ende sein – erst
einmal langzeitarbeitslos werden müssen, ehe sie die
entsprechende Hilfe bekommen.
Sie könnten aus der Systemdebatte herauskommen,
wenn Sie das Modell der Negativsteuer wählen. Damit
könnte eine Ablösung der Systemdebatte eingeleitet
werden.
G
Frau Schwaetzer, Sie
wissen selbst, dass wir heftige Debatten über die
Neuregelung der 630-Mark-Beschäftigungsverhältnisse
geführt haben. Wir haben diese Regelung durchgesetzt.
Wir sind sehr froh darüber, dass sich diese Regelung in der
Zwischenzeit als außerordentlich erfolgreich erwiesen
hat.
Das ist so, und es muss auch der Bundesregierung, wenn
die einen sozusagen ihr Modell einbringen, gestattet sein,
aufzuzeigen, wo sie erfolgreich ist.
Entgegen allen vorherigen Prognosen sind in der Zwi-
schenzeit über 4 Millionen ordentliche Beschäftigungs-
verhältnisse von Personen, die ausschließlich einer ge-
ringfügigen Beschäftigung nachgehen und für die diese
kein Zusatzverdienst ist, registriert worden.
Man könnte fragen, wie denn die besagte Lücke ent-
steht. Sie entsteht dadurch, dass es auf der einen Seite Un-
terstützung gibt und auf der anderen Seite nicht, dass also
derjenige, der mehr als 630 DM verdient, netto sofort we-
niger herausbekommt als der, der weniger verdient. Wir
wollen aber probieren, ob das mit unserem Modell zu än-
dern ist. Es gibt andere, die sagen, dass man die Grenzen
deutlich erhöhen muss. Das schließt aber diese Lücke
nicht.
Dem Modell der Negativsteuer will sich diese Bundes-
regierung, wie Sie wissen, nicht nähern.
Jetzt kommt die Kol-
legin Erika Lotz.
Herr Staatssekretär, Sie hatten aus-
geführt, dass schon in vier verschiedenen Ländern Mo-
dellversuche stattfinden, und hatten auch schon etwas zur
Finanzierung seitens des Bundes gesagt. Auch die Länder
haben ja, wie ich denke, ein Interesse daran, dass die
Menschen aus der Sozialhilfe bzw. der Langzeitarbeits-
losig-keit herauskommen. Mich würde interessieren, ob
die Finanzierung nur vonseiten des Bundes geschieht oder
ob sich daran auch die Länder beteiligen und, wenn ja, in
welcher Höhe.
G
Wir erwarten eine Ko-
finanzierung von den beteiligten Ländern in Höhe von
20 Prozent. Das macht bei einem vom Bund vorgesehenen
Volumen von 60 Millionen DM in diesem Jahr eine fi-
nanzielle Beteiligung der Länder in Höhe von 12 Millio-
nen DM nötig. So betragen die Gesamtmittel, die dieses
Jahr zur Verfügung stehen, 72Millionen DM. Für die Fol-
gejahre wird das entsprechend aufgeschlüsselt. Eine Ko-
finanzierung der beteiligten Länder ist also Vorausset-
zung. Dass es diese gibt, ist sichergestellt.
Nun kommt die Kol-
legin Frau Dr. Knake-Werner. Bitte sehr.
Herr Staatssekretär,
ich nehme an, dass es Sie nicht wundern wird, wenn ich
jetzt sage, dass ich im Gegensatz zu einigen meiner Vor-
rednerinnen überhaupt nicht froh darüber bin, dass nun
die Ausweitung des Niedriglohnsektors in der Bundesre-
publik noch durch Modellversuche der Bundesregierung
befördert wird.
Nun komme ich zu meiner Frage: Sie haben ja vorhin
bemerkt, dass man Modellversuche deshalb macht, weil
man Erfahrungen sammeln will, ehe man etwas in eine
breitere Praxis überführt. Wenn ich das Ganze bisher rich-
tig verstanden habe, schlagen Sie für den Modellversuch
Modelle vor, die es bereits im Saarland und in Rheinland-
Pfalz gibt. Was bitte ist jetzt das Neue, das Sie aus diesen
Modellen, die sich exakt an diesen Vorgaben orientieren,
erfahren wollen?
G
Frau AbgeordneteKnake-Werner, ich kann verstehen, dass Sie nicht begeis-tert sind. Ich verstehe das gut, weil ich Ihre Grundeinstel-lung zu diesem Bereich kenne, die ich aber nicht ändernkann und die Ihnen unbenommen bleibt.
Ich möchte aber heftig Ihrer Position widersprechen,wir würden flächendeckende Versuche zur Einführungdes Niedriglohns durchführen. Es geht uns um etwas ganzanderes. Es geht uns nämlich darum, zu erproben, ob esmithilfe von bestimmten Instrumentarien Möglichkeitengibt, Langzeitarbeitslose und Sozialhilfeempfänger imersten Arbeitsmarkt dauerhaft in Arbeit zu bringen.Ich will Sie darauf hinweisen – auch das mag Ihnenmöglicherweise nicht gefallen –, dass sich die Bünd-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. Juni 200010370
nispartner daran beteiligen. Es handelt sich also um einModell, das mit den Arbeitgeberverbänden, mit den Ge-werkschaften und mit der Bundesregierung gemeinsamaufgestellt worden ist. Die Saar-Initiative ist in diesemRahmen entwickelt worden. Wir werden sie jetzt auf einebreitere Grundlage stellen und in größeren Zusammen-hängen überprüfen. Ich habe schon die entsprechendenZahlen genannt. Bestimmte Modelle müssen flächen-deckend erprobt werden. Da Sie vorhin die Gesamtzahlenzur Kenntnis genommen haben, sollte Ihnen klar sein,dass es sich um ein recht gutes Verfahren handelt.Wir müssen alles tun – das ist die Position der Bundes-regierung –, um die Systeme Sozialhilfe und Arbeitslo-senhilfe daraufhin zu überprüfen, dass es nicht zu einemVerharren in diesen Systemen kommt. Wir müssen mög-licherweise zusätzliche Instrumente nutzen, um die Ver-sorgungssysteme zu öffnen und um damit deutlich zu ma-chen, dass man aus diesen Systemen in einer vernünftigenArt und Weise in Beschäftigung kommen kann. DiesesZiel wollen wir damit erreichen. Wir schauen uns an, wasdaraus wird. Wir können vorab keine Schlussfolgerungenziehen. Vorher muss es Modellversuche geben.
Frau Knake-Werner,
bitte.
Herr Staatssekretär,
ich habe schon verstanden, dass Sie diese Modellversuche
mit den Bündnispartnern abgesprochen haben. Ich finde
dieses Vorgehen so weit in Ordnung. Ich hätte mir nur eine
parlamentarische Debatte zu solch gravierenden Fragen
gewünscht.
Daher lautet meine zweite Frage: Habe ich Sie richtig
verstanden, dass der Titel „Modellversuche zur Erpro-
bung neuer Wege in der Arbeitsmarktpolitik“, den wir bei
den letzten Beratungen zum Haushalt 2000 verabschiedet
haben und der 100 Millionen DM – diese Zahl haben Sie
selbst eben genannt – enthält, 60 Millionen DM sozusa-
gen für die Erprobung zur Etablierung von Niedriglohn-
bereichen ausweist?
G
Sie können es ruhig
zehnmal wiederholen; ich widerspreche Ihnen trotzdem.
Es geht nicht um die Erprobung von Niedriglohnsektoren.
Es geht um etwas anderes.
Im Übrigen will ich Sie darauf hinweisen, dass wir die-
ses im Rahmen der Haushaltsberatungen bereits mehrfach
deutlich gemacht haben.
– Doch, das haben wir deutlich gemacht; Sie werden es
gleich erkennen. – Ich will Ihnen verdeutlichen, worum es
bei diesem Titel geht. Unter der alten Bundesregierung
lautete ein Titel „Erprobung neuer Wege der Beschäfti-
gung“. Damit wurden Modelle einerseits durch die Bun-
desanstalt für Arbeit oder andererseits durch den Bundes-
arbeitsminister gefördert. Wir haben diesen Titel ge-
schlossen. Wir führen einen Teil dieser Modellprojekte
fort. Es sind 10 Millionen DM für einzelne innovative
Modellprojekte vorgesehen. Dafür haben wir den Titel
ausdrücklich geschlossen. 60Millionen DM mit Kofinan-
zierung der beteiligten Länder werden genutzt, um diese
beiden Modelle erproben zu können.
Als dritter Punkt fallen unter diesen Titel die Modell-
projekte zur Erprobung der Zusammenarbeit von Arbeits-
verwaltungen mit Sozialämtern. Dafür sind aus diesem
Gesamttitel von 100 Millionen DM 30 Millionen DM zur
Verfügung gestellt. Diese Aufteilung ist von uns deutlich
dargestellt worden.
Angesichts Ihrer Bemerkung zur fehlenden parlamen-
tarischen Debatte will ich darauf hinweisen: Das Arbeits-
ministerium hat einen schriftlichen Bericht vorgelegt. So-
weit wir in der Lage sind, werden wir laufend darüber be-
richten und diskutieren.
Es ist nun einmal so, Frau Knake-Werner: Auch bei den
anderen Projekten, die bisher finanziert worden sind,
müssen Modelle aufgestellt werden, für die es Richtlinien
der Bundesregierung oder des beteiligten Ministeriums
gibt. Dann erfolgt eine Ausschreibung und die Projekte
werden gemäß der Richtlinien gestartet. Dann kann man
sie entsprechend begleiten.
Das, was der Bundesregierung bisher an entsprechen-
der parlamentarischer Begleitung möglich war, hat sie ge-
tan. Wir werden das in den nächsten Wochen auch wei-
terhin tun.
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, wir sind schon ein bisschen über die Zeit.
Das macht aber nichts. Ich möchte nur darauf hinweisen.
Mir liegen noch drei Wortmeldungen vor. Danach können
wir die Befragung abschließen. Das ist noch im Rahmen
dessen, was wir am heutigen Nachmittag leisten können.
An sich sind wir aber schon ein bisschen über die Zeit.
Konrad Gilges stellt die nächste Frage.
Herr Parlamentarischer Staats-sekretär Andres, meine Frage geht in eine Richtung, diebereits eingeschlagen worden ist. Sie haben vier Modelleangesprochen, aber daneben gibt es auch noch weitereModellversuche. Zum Beispiel im ArbeitsamtsbezirkKöln hat der Verwaltungsausschuss einen Pluslohn be-schlossen. Hierbei geht es um diejenigen, die eine beson-ders niedrige Tarifentlohnung haben. Sie wissen, dass esTarifverträge gibt, die für Landarbeiter einen Stundenlohnvon 9,60 DM vorsehen. Im Reinigungsgewerbe gibtes einen Stundenlohn von 14,48 DM. Das macht bei165 Stunden ein Bruttoeinkommen von rund 2 400 DM.Nach Abzügen verbleibt den Betroffenen – Frau oderMann – bei einer 40-Stunden-Woche ein Nettomonatsent-gelt von etwa 1 600 DM.Der Verwaltungsausschuss des Arbeitsamtes vertrittdie Auffassung, dass es sinnvoll wäre, diesen Betroffenen,damit sie überhaupt einen Anreiz zur Arbeit beziehungs-weise zur Arbeitsaufnahme haben, auf diesen Lohn nochetwas draufzulegen, damit sie einen Mindestnettolohnvon 2 000DM haben, was nach unserer Einschätzung eine
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. Juni 2000
Parl. Staatssekretär Gerd Andres10371
Ebene ist, bei der es sich lohnt zu arbeiten. Ein Einkom-men von netto weniger als 2 000 DM bei 40 Stunden proWoche kann man – das sage ich Ihnen – einem Arbeit-nehmer nicht zumuten, weil das in der Nähe des Sozial-hilfebezuges liegt.Halten Sie es für notwendig, dass man diese Modelleparallel zu den von Ihnen dargestellten auswertet, damitwir einmal einen Vergleich haben, ob ein solches Modelldes Pluslohnes vielleicht genauso sinnvoll ist wie das Mo-dell der Subventionierung von Sozialversicherungsbeiträ-gen und so weiter und so fort?G
Herr Gilges, wir wollen
das auswerten, und das soll auch begleitet werden. Das ist
der erste Punkt.
Der zweite Punkt ist – das habe ich in meinem Einlei-
tungsvortrag schon gesagt –, dass es quer durch die Bun-
desrepublik schon Modelle der Zusammenarbeit zwi-
schen Arbeitsämtern und Sozialämtern gibt. Köln ist ein
solches.
Der dritte Punkt, um den es in diesem Zusammenhang
geht – auch das habe ich schon angekündigt –, ist, dass wir
faktisch die rechtlichen Grundlagen schaffen müssen, um
solche experimentellen Modelle durchführen zu können.
Das wollen wir tun.
Noch einmal: Es geht zum einen um die beiden in
größerem Maßstab auszuprobierenden Modelle, die ich
geschildert habe. Zum anderen geht es darum, dass in der
Bundesrepublik weitere Modelle – auf Orte begrenzt –
gefahren werden können und dass wir diese durch Insti-
tute wissenschaftlich entsprechend begleiten lassen und
auswerten wollen.
Anfang Juni hat der Präsident der Bundesanstalt für Ar-
beit einen Runderlass an die Arbeitsämter herausgegeben,
in dem die Arbeitsämter ausdrücklich aufgefordert wer-
den, sich an solchen Modellen zu beteiligen, damit die
entsprechenden Grundlagen zur Verfügung stehen.
Nun hat das Wort der
Kollege Julius Louven.
Herr Parlamentarischer
Staatssekretär, wir stimmen sicherlich darin überein, dass
nichts unversucht bleiben sollte, um zu mehr Arbeits-
plätzen zu kommen. Sie haben auf die Frage des Kollegen
Niebel beklagt, dass es nicht schon früher Modellprojekte
gegeben habe.
Ich darf Sie daran erinnern, dass die vorherige Bun-
desregierung Modellprojekte aufgelegt hat, beispiels-
weise das Projekt „Neue Wege“. Ich darf Sie in diesem
Zusammenhang fragen: Haben sich diese Projekte, die
teilweise noch laufen, nicht bewährt, beziehungsweise
warum schließen Sie diese Projekte? Ich darf Sie weiter
fragen, ob die Ergebnisse dieser Projekte, die wissen-
schaftlich begleitet wurden, in die neuen Projekte ein-
fließen.
G
Ich habe schon darauf
hingewiesen, dass wir diese Modellprojekte fortsetzen
wollen. Dafür ist ein bestimmter Finanzierungsanteil
vorgesehen, weil es nämlich keinen Sinn macht, Projekte
zu starten und sie dann irgendwann zu kappen. Ein Teil
der Projekte läuft noch. Sie werden auch entsprechend
evaluiert. Wir haben bei den Projekten ganz unter-
schiedliche Erfahrungen gemacht. Teilweise waren wir
der Auffassung, sie könnten noch nicht abschließend be-
wertet werden. Deswegen finanzieren wir sie weiter und
führen eine entsprechende Evaluation durch.
Um Ihnen das konkret zu sagen: Wir haben einen Teil
geschlossen, weil uns die Vergabemaßstäbe – es gibt ei-
nerseits den Strang Arbeitsverwaltung, andererseits den
Strang Bundesarbeitsministerium – nicht sinnvoll schie-
nen. Wir haben die Aufgaben des zweiten Stranges, des
Bundesarbeitsministeriums, komplett an die Bundesan-
stalt für Arbeit weitergegeben, um uns bestimmten
Diskussionen, die Sie aus der letzten Legislaturperiode
kennen, zu entziehen. Es gibt jetzt klarere Verfahren. Wir
können zwar bestimmte Modellprojekte befürworten,
aber die Durchführung, die Abwicklung usw. werden von
der Bundesanstalt für Arbeit übernommen; deswegen gibt
es auch das Verwaltungsabkommen, das hier eine Rolle
spielt. Wir setzen die Projekte also fort und werten sie aus.
Ich will aber auf einen Zusammenhang hinweisen,
Herr Kollege Louven: Wenn man auf der einen Seite fest-
stellt – was wir ja alle gemeinsam gemacht haben –, dass
die Verantwortung für aktive Arbeitsmarktpolitik und
auch für das Ausprobieren bestimmter Dinge, dass die Ar-
beitsämter selber Mittel einsetzen können, um vernünf-
tige Wege auszuprobieren – ich nenne § 10 –, ein sinn-
voller Weg zu sein scheint, der auch von sehr vielen Ar-
beitsämtern genutzt wird, dann muss man auf der anderen
Seite ebenso sehen, dass dadurch ein zusätzliches Instru-
ment für anders geartete Modellprojekte auf Bundesebene
nicht mehr nötig ist.
Aus all diesen Gründen sind wir so verfahren, wie wir
es gesagt haben. Die Projekte, die angelaufen sind, wer-
den zu Ende geführt und entsprechend finanziert. Sie wer-
den wissenschaftlich begleitet und ausgewertet. Wir wer-
den selbstverständlich den Deutschen Bundestag und den
entsprechenden Fachausschuss über alle Erfahrungen in
diesem Zusammenhang informieren. Sie wissen selbst,
dass es in bestimmten Fällen zum Beispiel Mahnungen
des Bundesrechnungshofs gegeben hat und wir dem nach-
gehen.
Nun folgt als Letzter
der Kollege Niebel.
Herr Staatssekretär, ich habemich noch einmal zu Wort gemeldet, weil Sie vorhin sovehement die Negativsteuer von sich gewiesen haben. Siewissen sicher, dass Bundesarbeitsminister Riester bei derFinanzierung der Eigenvorsorge in der Rente ein durch-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. Juni 2000
Konrad Gilges10372
gängiges Negativsteuersystem vorgeschlagen hat, das inBereichen, in denen ein höheres Einkommen erzielt wird,als Freibetrag und in Bereichen, in denen ein geringeresEinkommen erzielt wird, als direkter Zuschuss wirkt.Weil Sie so vehement verneint haben, dass man in die-sem Bereich ein Negativsteuersystem einführen könnteund wir Brutto-Netto-Umkehrungen verhindern wollen,indem wir Anreize schaffen, frage ich Sie – auch bei derGreen-Card-Diskussion haben Sie im Januar noch vehe-ment verneint, dass hier Regelungsbedarf bestünde –: Wielange werden Sie noch bei der Ablehnung der Negativ-steuer bleiben und wann können wir damit rechnen, dassdie Bundesregierung diesen Schritt auch im Bereich desArbeitsmarktes gehen wird?G
Herr Abgeordneter
Niebel, wir könnten jetzt eine treffliche Diskussion
darüber führen, was Negativsteuer bedeutet und was
nicht. Ich habe die konkrete Frage von Frau Schwaetzer,
ob es nicht sinnvoller wäre, in dem Zusammenhang, den
wir hier diskutieren, auf dieses Modell überzugehen, ver-
neint und ich denke, dass das auch richtig ist.
Ich danke dem Herrn
Parlamentarischen Staatssekretär für die Beantwortung
der Fragen.
Gibt es weitere Fragen an die Bundesregierung? – Das
ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Regierungsbe-
fragung.
Ich rufe nun die Fragestunde auf:
Fragestunde
– Drucksache 14/3653 –
Wir kommen zunächst zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi-
cherheit. Zur Beantwortung ist die Parlamentarische
Staatssekretärin Gila Altmann anwesend.
Ich rufe die Frage 1 des Abgeordneten Werner Siemann
von der CDU/CSU-Fraktion auf:
Welche Folgerungen zieht die Bundesregierung aus der per
Dekret durch den russischen Präsidenten Wladimir Putin erlasse-
nen Lockerung der Regelungen für die Ausfuhr nuklearer Mate-
rialien?
Frau Staatssekretärin, bitte sehr.
G
Herr Kollege Siemann, Sie fragen nach einem Dekret des
russischen Präsidenten Putin. Von diesem Dekret ist die
Bundesregierung bislang nicht unterrichtet. Sie bemüht
sich zurzeit jedoch darum, Kenntnis darüber zu erlangen.
Unabhängig davon bedarf es für eine Einfuhr nu-klearer
Materialien aus Russland in die Bundesrepublik Deutsch-
land einer deutschen Einfuhrgenehmigung nach § 3 des
Atomgesetzes. Die Modalitäten hierfür sind unverändert.
Weitere Fragen zu
diesem Geschäftsbereich gibt es nicht. Vielen Dank, Frau
Staatssekretärin.
Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Bundeskanzler-
amtes auf. In diesem Fall steht zur Beantwortung Staats-
minister Dr. Michael Naumann zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 2 des Abgeordneten Hartmut
Koschyk auf:
Welche kritischen Einwände und Änderungsvorschläge haben
die Länder und die betroffenen Einrichtungen bei einer Bespre-
chung am 19. Juni 2000 über eine überarbeitete Fassung der Kon-
zeption zur Kulturförderung des Bundes nach § 96 Bundesver-
triebenengesetz gegenüber der Bundesregierung vorgetragen, und
wie wird die Bundesregierung diesen Vorschlägen und Einwänden
Rechnung tragen?
Herr Staatsminister, bitte.
D
Mit dieser Konzeption kommt die Bundes-regierung einem seit langem vom Deutschen Bundestagund vom Bundesrechnungshof geäußerten Wunsch nachÜbersichtlichkeit und Straffung der institutionellenFörderungen und nach Verbesserung der Effizienz der Ar-beit der Zuwender und Empfänger nach § 96 des Bundes-vertriebenengesetzes nach, und dies insbesondere unterBerücksichtigung der veränderten politischen Lage in Ost-europa und speziell in unseren östlichen Nachbarstaaten.Es sind jetzt inhaltliche und finanzielle Entscheidun-gen zugunsten einer Entwicklungsperspektive für diekontinuierliche Kulturarbeit zu treffen, die schon vor Jah-ren hätten getroffen werden müssen. Dabei ist es notwen-dig, festzustellen, dass sich aus Grundentscheidungenhinsichtlich der Museen und Institute schmerzhafte Fol-gerungen für einige wenige Einrichtungen ergeben. Es istverständlich, dass einige mitfördernde Länder und vor al-lem die betroffenen Einrichtungen ihr Interesse artikulie-ren. Hier sind weitere Gespräche mit den betroffenen Län-dern beabsichtigt.Das neue Konzept der kulturpolitischen Fördermaß-nahmen gemäß § 96 des Bundesvertriebenengesetzes warschon in seiner ersten Fassung in der am 27. Oktober 1999stattgefundenen Anhörung des Kulturausschusses desDeutschen Bundestages alles in allem positiv aufgenom-men worden. Eine endgültige Fassung wird dem Deut-schen Bundestag nach Abwägung der in der Besprechungam 19. Juni 2000 ausgetauschten Argumente kurz nachder Sommerpause zugeleitet werden.Grundsätzlich ist festzustellen, dass die kulturpoliti-schen Zuwendungen des Bundes nach § 96 des Bundes-vertriebenengesetzes zwischen 1983 und 1998 von4,3Millionen auf 43,1Millionen DM gestiegen sind. Zwi-schenzeitlich waren es sogar 55 Millionen DM. Währendder Amtszeit der vorigen Regierung bzw. ein halbes Jahr-hundert nach Kriegsende hat sich diese Förderung alsoum das Zehnfache erhöht.Ich will nicht verhehlen, dass ich versucht habe, in denAkten des Bundeskanzleramtes nach Quellen für dieseneue Politik zu suchen. Eine solche Suche erübrigt sich imGrunde genommen aufgrund des skandalösen, strecken-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. Juni 2000
Dirk Niebel10373
weise offenkundig auch kriminellen Tatbestandes der Ver-nichtung von Akten – über 1 Million Seiten sind ver-schwunden – jedenfalls so lange, bis dieser Vorgang ge-klärt ist.Die jetzt vorgesehenen Korrekturen sind auch im Zu-sammenhang mit der Haushaltssanierung zu sehen. DieKulturförderung nach § 96 des Bundesvertriebenengeset-zes wird im Jahre 2001 bei rund 35 Millionen DM liegen.
Ihre erste Zusatz-
frage, Herr Kollege, bitte.
Herr Staatsminister,
hat die Bundesregierung denn nicht beeindruckt, dass ihr
im Zuge der von Ihnen erwähnten Besprechung am
19. Juni 2000 laut Pressemeldungen ein einstimmig
gefasster Beschluss der Landesarbeitsgemeinschaft für
Flüchtlingsfragen und Integration, also ein Beschluss
aller Bundesländer, zur Kenntnis gebracht wurde, in dem
mit Enttäuschung festgestellt wird, dass die Erwartung,
die die Länder an die Bundesregierung hatten, nämlich zu
einem einvernehmlichen Konzept unter Mitwirkung der
betroffenen Länder und Institutionen zu gelangen, nicht
erfüllt wurde, in dem ferner festgestellt wird, dass die in
§ 96 des Bundesvertriebenengesetzes formulierte Forde-
rung nach einem verantwortungsvollen Umgang sowohl
mit den historisch begründeten Kulturlandschaften als
auch mit der gewachsenen Vielfalt unbeachtet geblieben
ist, und in dem die Länder Grundsätze formuliert haben,
die sich in der überarbeiteten Konzeption Ihres Hauses
nicht wiederfinden?
Glaubt die Bundesregierung angesichts eines solchen
kulturpolitisch nicht unbedeutenden Feldes wirklich, eine
Konzeption durchsetzen zu können, die auch nach deren
Überarbeitung auf den einhelligen Widerstand aller Bun-
desländer – auch der sozialdemokratisch regierten Bun-
desländer – gestoßen ist?
D
Herr Abgeordneter, was den Widerstand der
sozialdemokratisch regierten Bundesländer betrifft, bin
ich der Meinung, dass es sich hier nicht um parteipoliti-
sche, sondern um kulturpolitische Auseinandersetzungen
handeln sollte.
Ich bin natürlich widersprüchliche Signale gewöhnt,
was die Kulturhoheit der Länder angeht. Jedes Mal, wenn
es um Zuwendungen des Bundes geht, die möglicher-
weise infrage gestellt werden, scheint die Kulturhoheit
nicht mehr das heiligste Gut der Verfassung zu sein. Um-
gekehrt aber bleibt es bei der unbestrittenen Verfassungs-
praxis der Kulturhoheit der Länder für Kulturfragen jeg-
licher Art. Um aber auf Ihre Frage präzise zu antworten:
Es gibt einen Beschluss der Länderarbeitsgemeinschaft
für Flüchtlingsfragen vom 14. Juni 2000, wonach die Län-
der insbesondere an Entscheidungen des Bundes mitwir-
ken möchten und unter anderem die Förderungsvielfalt
des Bundes im Rahmen eines noch aufzunehmenden Dia-
logs aufrechterhalten wollen.
Es ist verständlich, dass sich eine vielfältige Bundes-
förderung auch finanziell entlastend auf die Länder aus-
wirken kann. Im Vordergrund der Bundesförderung muss
aber die Zukunftssicherung – auch die wissenschaftliche
Zukunftssicherung – der Arbeit mit einer überschaubaren
und effizienten Förderungsstruktur stehen, verbunden mit
Professionalität und Vernetzung mit anerkannten musea-
len und wissenschaftlichen Einrichtungen.
Herr Koschyk, wenn Sie wüssten, wie viele Fahrten zu
Kirchweihen ich nicht genehmigt habe, die in der Vergan-
genheit ganz offenkundig dazugehörten, dann würden Sie
gerade diese Ausführungen verstehen.
Ausführliche Gespräche mit den betroffenen Ländern
waren aber schon im Juni, September und Oktober letzten
Jahres geführt worden, sodass nach der erneuten Erörte-
rung am 19. Juni 2000 der Dialog zu einem Abschluss ge-
bracht werden sollte und Entscheidungen auch auf unse-
rer Seite zu treffen sind.
Noch eine Zusatz-
frage? – Herr Kollege Koschyk, bitte sehr.
Mir scheint ein
Widerspruch zwischen Ihrer ersten und Ihrer zweiten
Antwort zu bestehen. Sie haben in Ihrer Antwort auf
meine Ausgangsfrage gesagt, dass Sie mit den Ländern
darüber weiterhin einen Dialog führen wollen. Nun habe
ich Sie so verstanden, dass Sie nach der Befassung am
19. Juni unbeeindruckt von der Entschließung aller Bun-
desländer zu einer Entscheidung kommen wollen und den
Vorbehalten aller Bundesländer gegen Ihre überarbeitete
Konzeption nicht Rechnung tragen wollen.
D
Herr Abgeordneter, mein Respekt vor den
Verfassungsorganen ist viel zu hoch, als dass Sie dies an-
nehmen dürften. Ich habe in meiner Antwort auf Ihre Aus-
gangsfrage darauf hingewiesen – das können Sie nachher
im Protokoll nachlesen –, dass wir eine veränderte,
angepasste Konzeption nach der Sommerpause vorlegen
wollen. Diese Bundesregierung arbeitet auch im Sommer.
Jetzt stellt Herr Kol-
lege Fromme eine Frage. Bitte sehr.
Herr
Staatsminister, halten Sie als Regierungsmitglied die Ver-
wendung des Wortes „kriminell“ vor Abschluss eines
Strafverfahrens mit Ihrem Amtseid für vereinbar?
D
Selbstverständlich.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. Juni 2000
Staatsminister Dr. Michael Naumann10374
Damit haben wir den
Geschäftsbereich des Bundeskanzlers erledigt und kom-
men zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Zur
Beantwortung steht Herr Staatsminister Dr. Zöpel zur
Verfügung.
Ich rufe die Frage 3 des Abgeordneten Koschyk auf:
Ist der Bundesregierung die Studie eines an der London School
of Economics and Political Science tätigen Politikwissenschaft-
lers bekannt, der hinsichtlich der Rückgabe des konfiszierten
sudetendeutschen Eigentums vorgeschlagen hat, eine Regelung
zu verwirklichen, jene sudetendeutschen Alteigentümer, deren Ei-
gentum nicht mehr rückübertragen werden kann, aus den
zurückzuzahlenden Lastenausgleichsmitteln begünstigter Altei-
Seite einen derartigen Verfahrensweg zu prüfen?
Bitte sehr.
D
Frau Präsidentin! Herr Kollege, der Bundesre-
gierung ist die zitierte Studie nicht bekannt. Im Übrigen
wird auf die Gemeinsame Erklärung der Bundesrepublik
Deutschland und der Tschechischen Republik von 1997
verwiesen, die bilateralen Beziehungen nicht mit aus der
Vergangenheit herrührenden politischen und rechtlichen
Fragen zu belasten.
Zusatzfrage, Herr
Kollege Koschyk.
Herr Staatsminister,
wie verträgt sich Ihre Antwort mit der von der Bun-
desregierung mehrfach bekundeten Rechtsauffassung,
dass die Konfiskation sudetendeutschen Eigentums im
Rahmen der Vertreibung von der Bundesrepublik als
völkerrechtswidrig angesehen wird und dass sowohl im
Deutsch-Tschechischen Nachbarschaftsvertrag als auch
in der deutsch-tschechischen Erklärung diese Frage aus-
drücklich offen gehalten wird? Wie verträgt sich die
Antwort, die Sie mir gerade gegeben haben, mit dieser
auch von der jetzigen Bundesregierung bei Parlaments-
anfragen immer wieder bekundeten Rechtsauffassung?
D
Im zweiten Teil meiner Antwort habe ich das Wort
„belasten“ erwähnt. Nicht belastende Regelungen im
Sinne Ihrer Frage sind damit nicht gemeint.
Herr Kollege
Koschyk noch einmal, bitte sehr.
Heißt das, dass sich
die Bundesregierung Kenntnis über die von mir genannte
Studie der doch immerhin renommierten London School
of Economics and Political Science verschaffen wird und
bereit ist, nach Begutachtung dieser Studie eine Bewer-
tung vorzunehmen?
D
Die Beamten des Auswärtigen Amtes haben sich
schon bemüht – bisher ist dies nicht von Erfolg gekrönt
gewesen –, die von Ihnen genannte Studie zu bekommen.
– Ja, dafür wäre ich Ihnen dankbar. Ich gebe offen zu: Ich
persönlich wäre auf die Idee gekommen, Sie anzurufen.
Aber ich bin für die Vorbereitung meiner Antworten nicht
zuständig.
Jetzt komme ich zu der Antwort: Wann immer die Bun-
desregierung zusätzliche Erkenntnisse erlangt, die vor al-
lem zu das deutsch-tschechische Verhältnis nicht belas-
tenden Regelungen offener Fragen führen, ist sie darüber
erfreut.
Nun freuen wir uns,
denn der Kollege Koschyk überreicht dem Herrn Staats-
minister jetzt die Studie der London School of Economics
zu dieser Frage. Wir sind gespannt auf die Antwort der
Bundesregierung.
Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des
Auswärtigen Amtes und kommen nun zum Geschäftsbe-
reich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Techno-
logie. Frage 4 wird schriftlich beantwortet, ebenso
Frage 5.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Ju-
gend. Zur Beantwortung der Fragen steht Frau Parlamen-
tarische Staatssekretärin Dr. Edith Niehuis zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 6 des Kollegen Dirk Niebel auf:
Plant die Bundesregierung, Erkenntnisse aus Modellprojekten
der Jugendsozialarbeit in die weitere Konzeption dergestalt ein-
fließen zu lassen, dass sichergestellt ist, statt der Förderung immer
neuer gleicher oder sehr ähnlicher Modellprojekte die bereitste-
henden Mittel einer dauerhaften Förderung der Jugendsozialarbeit
zur Verfügung stellen zu können?
Frau Staatssekretärin, bitte sehr.
D
Herr Kollege Niebel, Modellprojekte im Kinder- und Ju-gendplan des Bundes werden durchgeführt, um Erkennt-nisse zur Verbesserung von Konzeptionen und Methodender Praxis oder für die Gesetzgebung zu gewinnen. DieFörderung der Jugendsozialarbeit dient dem Abbau derJugendarbeitslosigkeit als vorrangigem Ziel der Bundes-regierung. Sie trägt dazu bei, jungen Menschen, die zumAusgleich sozialer Benachteiligung oder zur Überwin-dung individueller Beeinträchtigung in erhöhtem Maß aufUnterstützung angewiesen sind, Hilfen anzubieten, dieihre schulische und berufliche Ausbildung und Eingliede-rung in die Arbeitswelt sowie ihre soziale Integration för-dern.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. Juni 2000 10375
Die im Rahmen des seit 1976 mit unterschiedlichenSchwerpunkten laufenden Modellprogramms „Arbeits-weltbezogene Jugendsozialarbeit“ geförderten Projektemit wissenschaftlicher Begleitung sind darauf gerichtet,innovative Problemlösungen zu entwickeln, umzusetzen,zu verstetigen und zu verallgemeinern. So wird zu einerReform lokaler Politik an der Schnittstelle von Bil-dungs-, Berufsbildungs-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitikbeigetragen. Über Beiräte, aktuelle Publikationen, Fach-veranstaltungen und regelmäßige Kommunikation sowieüber laufende Koordination der Arbeit der Ressorts wirdder Erkenntnistransfer gewährleistet, kann Doppelförde-rung vermieden und können Synergieeffekte genutzt wer-den.
Zusatzfrage, Herr
Kollege Niebel?
Frau Staatssekretärin, Sie haben
angedeutet, dass dies seit 1976, auch unter den unter-
schiedlichsten Regierungskonstellationen, so gehandhabt
wird. Das halte ich für gut und richtig. Finden Sie es aber
nicht ebenso wie ich außerordentlich schade, dass, wenn
ein Modellprojekt ausläuft, das ergeben hat, dass das, was
damit ausprobiert worden ist, sinnvoll ist, trotzdem die
Mittel nicht ausreichen, um diese sinnvollen Erkenntnisse
im Bereich der Jugendsozialarbeit in ein dauerhaftes In-
strument überzuleiten, und dass stattdessen die Träger
dieser Modellprojekte versuchen müssen, neue Modelle –
meistens sind es die alten Modelle mit leichten Verände-
rungen, um das Innovative herauszustellen und wieder
förderungswürdig zu sein – zu entwickeln? Sollten nicht
stattdessen die gewonnenen Erkenntnisse im täglichen
Leben umgesetzt werden können, und zwar über die
Dauer von drei Jahren hinaus?
D
Herr Kollege Niebel, politisches Handeln basiert auf
rechtlichen, haushaltsrechtlichen und auch sonstigen
Rahmenbedingungen. Wir seitens des Bundes dürfen nur
innovative modellhafte Projekte fördern; das wissen Sie
auch. Wir bemühen uns, über Publikationen und über
Fachveranstaltungen das, was sich bei der wissenschaftli-
chen Begleitung als gut erwiesen hat, weiterzugeben in
der Hoffnung, dass eine Anschlussfinanzierung stattfin-
det. Es ist leider nicht möglich, diese Anschlussfinanzie-
rung als eine Dauerfinanzierung für lokale Projekte ein-
zurichten. Das geht aus haushaltsrechtlichen Gründen
nicht; Sie wissen dies. Wir haben nur zwei Möglichkeiten:
Entweder verzichten wir auf innovative Projekte in die-
sem ganz wichtigen Bereich – solange wir junge Arbeits-
lose haben, sollten wir aber versuchen, das Unsrige zur
Lösung dieses Problems beizutragen –, weil wir die
Anschlussfinanzierung nicht sicherstellen dürfen, oder
wir machen weiter, wie es seit 1976 Praxis ist. Sie wissen,
wir haben je nach Zeitraum des Programms unterschied-
liche Schwerpunkte, sodass verschiedene Bereiche er-
probt werden.
Zweite Zusatzfrage,
Herr Kollege Niebel.
Frau Staatssekretärin, Ihrer Ant-
wort entnehme ich, dass auch Sie mit der geübten Praxis
der letzten 24 Jahre nicht übermäßig glücklich sind. Sie
regieren nun seit anderthalb Jahren. Was haben Sie denn,
seit Sie regieren, unternommen, um auf die Länder einzu-
wirken und die Anschlussfinanzierung solcher Projekte
sicherzustellen?
D
Ich weiß nicht, ob wir jetzt über meinen Glückszustand
urteilen sollten. Außerdem interpretieren Sie mich falsch.
Eigentlich wollte ich deutlich machen, dass wir als Bund
eben nur zwei Möglichkeiten haben: Entweder stoßen wir
Innovatives an oder wir lassen es, weil wir im Nachhinein
nicht für die Verstetigung der Finanzierung zuständig
sind. Ich habe Ihnen gesagt: Ich bin für weitere innovative
Anstöße, gerade auch in diesem auf die Arbeitswelt bezo-
genen Bereich.
Insofern: Das hat nichts mit meinem Glückszustand zu
tun. Ich finde es vernünftig, dass seit 1976 arbeitsbezo-
gene Jugendsozialarbeit gemacht wird.
– Keine Bundesregierung kann über Länderhaushalte be-
stimmen. Das ist nun einmal so.
Jetzt hat Frau Kolle-
gin Dr. Höll eine Frage. Bitte sehr.
Frau Staatssekretärin, in der
Tat können Bundespolitiker nicht über die Länderhaus-
halte bestimmen. Aber sie können natürlich statistisch er-
fassen, inwieweit Modellprojekte in einem gewissen Zeit-
raum fortgeführt werden. Es wäre interessant, wenn Sie
uns solche Zahlen – vielleicht für die letzten 10, 15 Jahre –
mitteilen könnten und wenn wir erführen, inwieweit Mo-
dellprojekte in anderen Regionen aufgegriffen und ver-
wirklicht werden.
D
Wir reden hier über ein Programm, das seit 1976 läuft. In-sofern können Sie, so glaube ich, nicht von mir erwarten,dass ich Ihnen aus dem Stand mitteilen kann, wie viele derModellprojekte – im Moment laufen 23 Modellprojekteim Rahmen dieses Programms; seit 1976 gab es also sehrviele Einzelprogramme – erfolgreich waren. Ob Modell-projekte übernommen werden, hängt zunächst davon ab,ob das Projekt erfolgreich gewesen ist; andernfalls lohnt
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. Juni 2000
Parl. Staatssekretärin Dr. Edith Niehuis10376
sich eine Verstetigung der Förderung nicht. Ich kann Ih-nen auch nicht sagen, wie viele in diesem langen Zeitraumerfolgreich gewesen sind.Ich werde mich einmal erkundigen, ob in unseremHause untersucht wurde, wie viele der Programme in ir-gendeiner Weise fortgeführt werden. Wenn ich dann dieAntwort habe, stelle ich sie Ihnen zur Verfügung.
Kollege Dr. Seifert.
Frau Staatssekretärin, die ur-
sprüngliche Frage war ja, ob eine Verstetigung der lau-
fenden Modellprojekte stattfindet. Sie haben darauf ge-
antwortet, dass das nicht in der Verantwortung des Bun-
des liege. Wäre es dann nicht an der Zeit, gesetzliche
Regelungen dergestalt zu treffen, dass die institutionelle
Förderung solcher Jugendeinrichtungen zur Selbstver-
ständlichkeit wird, auf Bundes-, Landes- und kommuna-
ler Ebene – insbesondere natürlich auf den unteren Ebe-
nen?
D
Herr Kollege, Sie bieten uns eine sehr fragwürdige Aus-
sicht an. Wenn wir jetzt sagen würden, dass wir all das,
was auf kommunaler Ebene in der Jugendarbeit stattfin-
det, zentral führen, dann bedeutete dies eine Aufgabe der
guten Arbeitsteilung, die wir in der Bundesrepublik
Deutschland haben. Es ist, so glaube ich, nicht vorstellbar,
dass eine „Zentralregierung“ – wenn ich uns einmal so be-
zeichne – von Berlin aus all das beurteilen kann, was in
den Kommunen der Bundesrepublik Deutschland Sinn-
volles geschieht. Dieser Ansatz wäre prinzipiell nicht der
richtige. Aber Haushalts- und Verfassungsrecht lassen das
im Moment auch nicht zu.
Nun rufe ich die
Frage 7 des Kollegen Jochen-Konrad Fromme auf:
Welchen Rechtscharakter haben die seitens des Bundesminis-
teriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Rahmen des
Modellprojekts „Entwicklung neuer Kooperations- und Koordi-
nationsstrukturen – Aktives Wohnen älterer Menschen“ an die je-
weiligen Projekte übergebenen 20 Förderurkunden?
Frau Staatssekretärin, bitte.
D
Herr Kollege Fromme, ich gehe davon aus, dass sich Ihre
Frage auf das bundesweite Modellprogramm „Altenhilfe-
strukturen der Zukunft“ bezieht. Die zwanzig aufgrund
der Ausschreibung des vergangenen Jahres für das Pro-
gramm ausgewählten Projekte werden jeweils durch Ver-
waltungsakt in Form eines Zuwendungsbescheides
gemäß den §§ 23 und 44 der Bundeshaushaltsordnung ge-
fördert.
Zusatzfrage, bitte
sehr.
Frau Staats-
sekretärin, geben Sie mir Recht, dass das Anfertigen von
Verwaltungsakten einschließlich der notwendigen Veröf-
fentlichung Aufgabe der Regierung und nicht des Parla-
mentes ist?
D
Ja, natürlich. Die Zuwendungsbescheide werden ausge-
stellt und dem jeweiligen Träger zugestellt.
Herr Kollege, zweite
Frage.
Wenn Sie sa-
gen, dass das Aufgabe der Regierung ist, geben Sie mir
dann Recht, dass das Aushändigen eines Bescheides über
die Förderung im Rahmen dieses Programmes durch den
Abgeordneten Wilhelm Schmidt am 14. Mai dieses Jahres
ein Verstoß gegen die Gewaltenteilung ist? Oder steht die-
ser neuerdings als bezahlter Mitarbeiter im Dienste der
Bundesregierung?
D
Lieber Herr Kollege, dieses ist nie passiert. Ich weiß nicht,
worauf Sie sich beziehen.
– Eben. Damit ich Ihre Frage, in der die Modellpro-
gramme falsch bezeichnet waren, überhaupt nachvollzie-
hen konnte, habe ich mir die Mühe gemacht, zu sehen, aus
welchem Wahlkreis Sie kommen und worauf sich die
Frage überhaupt beziehen kann. Ich bin so auf Salzgitter
gekommen und habe den Zeitungsartikel gefunden, den
Sie meinen.
Nun ist die Bundesregierung nicht für das verantwort-
lich, was örtliche Journalistinnen und Journalisten schrei-
ben. Ich stelle hier nur fest, dass wir am 4. Mai 2000 sei-
tens der Bundesregierung den Zuwendungsbescheid zu-
gestellt haben. Es gibt dazu keine Förderurkunden,
Plaketten oder irgendetwas. Es geht hier schlichtweg um
einen Zuwendungsbescheid und dieser wurde von uns zu-
gestellt.
Damit haben wir die-sen Geschäftsbereich abgearbeitet. Ich danke der FrauStaatssekretärin für die Beantwortung der Fragen.Ich komme zum Geschäftsbereich des Bundesministe-riums für Bildung und Forschung. Zur Beantwortungder Fragen steht der Parlamentarische StaatssekretärWolf-Michael Catenhusen zur Verfügung.Die Frage 8 der Abgeordneten Ulrike Flach wirdschriftlich beantwortet.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. Juni 2000
Parl. Staatssekretärin Dr. Edith Niehuis10377
Dann rufe ich die Frage 9 der Abgeordneten MarittaBöttcher auf:Möchte die Bundesregierung der auf den bundesweiten De-monstrationen des Aktionsbündnisses gegen Studiengebühren am7. Juni 2000 artikulierten Forderung nach einer bundeseinheitli-chen Studiengebührenfreiheit ohne Wenn und Aber Rechnung tra-gen, und wenn ja, in welcher Weise?Herr Staatssekretär, bitte.W
Frau
Kollegin Böttcher, die Bundesregierung begrüßt die in
dem Beschluss der Kultusministerkonferenz vom
25. Mai 2000 über die Gebührenfreiheit des Hochschul-
studiums enthaltene Vereinbarung, das Studium bis zum
ersten berufsqualifizierenden Abschluss und bei konseku-
tiven Studiengängen bis zum zweiten berufsqualifizieren-
den Abschluss – also Masters – grundsätzlich gebühren-
frei zu halten. Wir sehen darin einen wichtigen Schritt zur
Erreichung des Zieles, das auch die Bundesministerin
Bulmahn wiederholt öffentlich ausgesprochen hat, näm-
lich Studiengebührenfreiheit bis zu einem ersten berufs-
qualifizierenden Abschluss und bei konsekutiven Studi-
engängen bis zu einem zweiten Abschluss sicherzustellen.
Nun rufe ich die
Frage 10 der Abgeordneten Maritta Böttcher auf:
Welche Folgerungen zieht die Bundesregierung aus der Wei-
gerung der Regierungschefs der Länder, der Kultusministerkonfe-
renz einen Auftrag zur Erarbeitung eines Staatsvertrages zur
Regelung der Studiengebührenfrage zu erteilen, und sieht sie nach
dieser Weigerung die Notwendigkeit einer verbindlichen bundes-
gesetzlichen Regelung?
Herr Staatssekretär, bitte.
W
Frau
Böttcher, die Bundesregierung begrüßt es sehr, dass die
Ministerpräsidenten in der Sache die Vereinbarung der
Kultusministerkonferenz der Länder, das Studium bis
zum ersten berufsqualifizierenden Abschluss und bei kon-
sekutiven Studiengängen bis zum zweiten berufsqualifi-
zierenden Abschluss grundsätzlich gebührenfrei zu hal-
ten, unterstützen. Das ist eine wichtige politische Ent-
scheidung.
Es ist daran zu erinnern, dass sowohl das Schul- wie
auch das Hochschulwesen der Bundesrepublik Deutsch-
land in weiten Bereichen auf derartigen Vereinbarungen
der Kultusministerkonferenz der Länder beruhen. Dies
hat sich in jahrzehntelanger Staatspraxis auch unter dem
Gesichtspunkt der Verlässlichkeit staatlichen Handelns
für den Bürger bewährt. Die Bundesregierung sieht des-
halb zurzeit keinen Handlungsbedarf für den Bundesge-
setzgeber.
Im Übrigen beteiligen wir uns natürlich auch nicht an
öffentlichen Spekulationen über zukünftig theoretisch
mögliche Änderungen der Beschlusslage der Kultusmini-
sterkonferenz. Wenn in Zukunft ein Regelungsbedürfnis
auftreten sollte, wird der Bundesgesetzgeber natürlich auf
seine Regelungskompetenzen im Bereich des Hochschul-
rahmenrechtes zurückgreifen.
Auch diese Frage ist
beantwortet. Dann verlassen wir den Geschäftsbereich
des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Wir
danken dem Herrn Staatssekretär für die Beantwortung
der Fragen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesmini-
steriums des Innern. Zur Beantwortung der Fragen steht
der Parlamentarische Staatssekretär Fritz Rudolf Körper
zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 11 der Abgeordneten Angelika
Volquartz auf:
Welche Gründe führten zur Ablösung des Präsidenten der
Bundeszentrale für politische Bildung und wie ist es vor diesem
Hintergrund zu erklären, dass die Arbeitsweise des Präsidenten in-
nerhalb des kontrollierenden Kuratoriums nie Gegenstand kriti-
scher Auseinandersetzung war?
Herr Staatssekretär, bitte.
F
Frau Vizepräsidentin, zur Frage 11
folgende Antwort: Der vorgesehene Wechsel im Amt des
Präsidenten der Bundeszentrale für politische Bildung ist
ebenso wie die vorgesehene Veränderung der Leitungs-
struktur Bestandteil der fachlichen und der organisatori-
schen Neuausrichtung der Bundeszentrale für politische
Bildung.
Über den grundlegenden Erneuerungsbedarf bei der
Bundeszentrale für politische Bildung besteht weiterhin
und weithin eine parteiübergreifende Übereinstimmung.
Das Reformkonzept des Bundesministeriums des Innern
sieht unter anderem notwendige neue Themenschwer-
punkte, eine verstärkte Ansprache der jungen Generation
und der Zielgruppen in den neuen Ländern sowie einen
Ausbau der neuen Medien vor. Der inhaltliche Neubeginn
wird durch den vorgesehenen personellen Neubeginn an
der Spitze der Bundeszentrale für politische Bildung we-
sentlich gefördert.
Zusatzfrage, Frau
Kollegin.
Herr Staatssekre-
tär, ist das Ministerium also der Meinung, dass die einge-
leiteten Neuerungen unter der Leitung des jetzigen Präsi-
denten Dr. Reichert nicht auf dem richtigen Weg sind und
dass Herr Dr. Reichert nicht in der Lage ist, die vom Ku-
ratorium begleiteten und befürworteten Neuerungen
durchzuführen?
F
Frau Kollegin, Sie wissen, dassmit der inhaltlichen Veränderung auch eine organisatori-sche Veränderung notwendig ist. Die organisatorischeVeränderung ist nur durch personelle Erneuerungen um-setzbar.Im Übrigen muss man ganz deutlich sagen, dass vordiesem Erneuerungsprozess, vor Einbringung der verän-derten Themenschwerpunkte, die wir jetzt verfolgen wol-len, und vor der Veränderung der Arbeit natürlich eine
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. Juni 2000
Vizepräsidentin Anke Fuchs10378
Analyse durchgeführt wurde, die gewisse Mängel mehrals deutlich gemacht hat. Diese Mängel sind zu verant-worten, auch von dem bisherigen Präsidenten.
Zweite Zusatzfrage,
bitte sehr.
Herr Staatssekre-
tär, warum ist das in dem erforderlichen Maße nie im Ku-
ratorium erörtert und dort diese Kritik nicht deutlich an-
gebracht worden? Warum ist es dem jetzigen Präsidenten
in persönlichen Gesprächen vorher nicht erläutert wor-
den?
F
Sie wissen, Frau Kollegin, dass
mit dem bisherigen Präsidenten Gespräche geführt wor-
den sind, auch was seine zukünftige Verwendung anbe-
langt. Das hat auch Akzeptanz gefunden. Ich weiß, dass
die Frage der Qualität der Arbeit der Bundeszentrale für
politische Bildung im Kuratorium nicht nur in dieser, son-
dern auch in der vergangenen Legislaturperiode Gegen-
stand der Diskussionen und Beratungen gewesen ist. Sie
können sich daran nur nicht erinnern, weil Sie damals die-
sem Kuratorium noch nicht angehört haben. Insofern,
denke ich, gibt es einen Zusammenhang zwischen dem
Thema Personalführungsspitze und dem, was bisher als
Ergebnis zu verzeichnen war.
Das hat nun zwei Kol-
legen der CDU auf den Plan gerufen. Wer von Ihnen will
zuerst fragen? – Bitte sehr, Herr Kollege Wolf.
Sie haben gerade die Tat-
sache geschildert, dass mit dem Präsidenten der Bundes-
zentrale für politische Bildung jetzt Gespräche über seine
Nachfolgeverwendung geführt worden sind. Wenn man
Kritik an seiner Amtsführung hat, warum hat man mit ihm
nicht rechtzeitig, bevor diese Entscheidung getroffen
worden ist, Gespräche darüber geführt, was er gegebe-
nenfalls an der Bundeszentrale für politische Bildung
hätte verändern sollen? Diese Gespräche sind ja nicht ge-
führt worden.
F
Herr Kollege, Sie wissen, dass mit
dem Präsidenten, Herrn Reichert, nicht nur jetzt, sondern
auch vorher Gespräche geführt worden sind. Ich denke,
das ist korrekt so.
Eine zweite Frage
dürfen Sie nicht stellen.
Nun hat Kollege Holetschek eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär,
wie können Sie mir Ihre Äußerungen im Zusammenhang
damit erklären, dass der Bundesinnenminister im Kurato-
rium ausdrücklich die Arbeit des jetzigen Präsidenten ge-
lobt und für gut befunden hat? Warum ist vor diesem Hin-
tergrund ein Wechsel notwendig?
F
Zur Arbeit des Präsidenten kann
ich im Grunde genommen nur das sagen, was wir vorge-
funden haben – dies hat der Präsident nicht alles allein zu
verantworten, das wäre auch zu vereinfachend –: mini-
male Akzeptanz und minimale Nutzung von als Flagg-
schiffe ausgebenen Publikationen, deutlich zu wenige
oder verspätete Angebote bei aktuellen politischen The-
men, völlig überalterte Teilnehmerschaft bei Seminar-
angeboten etc. Ich könnte diese Analyse noch weiter fort-
setzen. Sie können dabei nicht behaupten, dass das nichts
mit dem Thema Personal und Führung zu tun hätte.
Deswegen halte ich es für richtig, deutlich zu machen,
dass die Vergangenheit mit dem Thema Personal im Zu-
sammenhang steht und dass die Neustruktur auch mit Per-
sonal in Verbindung zu bringen ist. Sie wissen, dass wir
die Struktur und somit auch die Leitungsstruktur verän-
dern. Das hat seinen guten Sinn.
Ich rufe die Frage 12
der Abgeordneten Angelika Volquartz auf:
Wird angesichts der Verpflichtung der Bundeszentrale für po-
die Position des Präsidenten – wie bei vergleichbaren anderen Po-
sitionen auch – öffentlich ausgeschrieben, und wenn nein, warum
nicht?
F
Frau Kollegin Volquartz, nach
§ 8Abs. 2 des Bundesbeamtengesetzes besteht für die Lei-
ter der den Bundesministerien unmittelbar nachgeordne-
ten Behörden, wie zum Beispiel der Bundeszentrale für
politische Bildung, keine Ausschreibungspflicht. Es war
bisher die Praxis keiner Bundesregierung – ich betone:
keiner Bundesregierung –, diese Funktionen öffentlich
auszuschreiben. Die Verpflichtung der Bundeszentrale für
politische Bildung zu Ausgewogenheit und überparteili-
cher Haltung kann, wie es die Vergangenheit gezeigt hat,
auch dann erfüllt werden, wenn ein Präsident amtiert, der
ohne Ausschreibung ins Amt gekommen ist.
Ich möchte weiter ausdrücklich betonen: Zukünftig
wird die Besetzung des Amtes des Präsidenten der Bun-
deszentrale für politische Bildung auf fünf Jahre befristet
erfolgen. Nach § 6 Abs. 1 des Erlasses über die Bundes-
zentrale für politische Bildung kontrolliert das parlamen-
tarische Kuratorium die politisch ausgewogene Haltung
und die politische Wirksamkeit der Arbeit der Bundes-
zentrale.
Eine Zusatzfrage,
Frau Kollegin Volquartz?
Herr Staatssekre-tär, hält es die Bundesregierung nicht für erforderlich, beidieser wichtigen Personalentscheidung und bei den von
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. Juni 2000
Parl. Staatssekretär Fritz Rudolf Körper10379
der Bundesregierung beabsichtigten Strukturentscheidun-gen bei der zu Überparteilichkeit verpflichteten Bundes-zentrale für politische Bildung die Entscheidung auf eineparteiübergreifende Vertrauensbasis zu stellen? Solltedies der Fall sein: Warum hat es dann die Bundesregie-rung unterlassen – wenn sie die Stelle schon nicht aus-schreiben will –, die Opposition rechtzeitig zu informie-ren und in die Entscheidungsfindung einzubinden, um ei-nen Konsens, wie er in der Vergangenheit üblich war,herzustellen?F
Was die Frage der personellen Be-
setzung anbelangt, so ist diese Ihnen bekannt. Ich bin vor
allen Dingen von den Qualitätsmerkmalen der ausge-
wählten Person im Rahmen dieser Personalentscheidung
überzeugt. Insofern hält die Bundesregierung ihre getrof-
fene und Ihnen bekannte Entscheidung für richtig.
Eine zweite Zusatz-
frage?
Herr Staatssekre-
tär, ist Ihnen bekannt, dass wir als CDU/CSU-Fraktion –
im Gegensatz zur Regierungskoalition – von den struktu-
rellen und personellen Veränderungen erstmalig am Tag
der möglichen Entscheidung im Kuratorium erfahren ha-
ben? Geben Sie mir insofern Recht, dass das eben von Ih-
nen Ausgeführte deshalb nicht zutreffen kann?
F
Der Zeitpunkt, zu dem Sie die ent-
sprechenden Informationen erhalten haben, entzieht sich
meiner Kenntnis. Sie wissen, dass es im Kuratorium auch
Diskussionen über die Art und Ausgestaltung der Bun-
deszentrale für politische Bildung gegeben hat. An diesen
Diskussionen haben auch Sie sich beteiligt. Ich sehe hier
deshalb keinen Mangel.
Herr Kollege Wolf,
Sie haben eine Zusatzfrage? – Bitte sehr.
Ich möchte etwas über die
besondere Qualifikation der auserwählten Person, deren
Berufung wir aus der Presse erfahren mussten, wissen:
Was qualifiziert den neuen Mann, dessen Stelle Sie nicht
ausschreiben wollen, im Vergleich zum bisherigen Präsi-
denten so sehr, dass Sie diesen personellen Wechsel an-
streben? Wenn die Presseberichte stimmen – davon gehe
ich einmal aus –, handelt es sich bei der zu berufenden
Person um einen früheren SPD-Bundestagsabgeordneten,
der nicht mehr gewählt worden ist. Inwieweit hat denn das
bei der Qualifikation, die Sie jetzt in den Vordergrund
stellen, eine besondere Rolle gespielt?
F
Herr Kollege Wolf, erstens muss
ich Sie dahin gehend korrigieren, dass dieser Betroffene
von sich aus auf eine Kandidatur für den Deutschen Bun-
destag verzichtet hat. Insofern ist Ihre Aussage falsch,
dass er nicht mehr gewählt worden ist.
Ich sage ganz deutlich: Es muss auch in Ihrem Interesse
sein, dass eine solche berufliche Vergangenheit, also die
Vergangenheit als Bundestagsabgeordneter, kein Hinder-
nis sein sollte und sein darf, beispielsweise eine solche
Position zu übernehmen. Das Gegenteil sollte eigentlich
der Fall sein. Deswegen sage ich noch einmal nachdrück-
lich: Auch das ist ein Qualitätsmerkmal, das für diese Per-
sonalentscheidung spricht.
Herr Kollege
Holetschek hat eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär,
können Sie mir einen Widerspruch erklären? Sie haben
vorhin auf die Frage der Abgeordneten Volquartz geant-
wortet, wir seien rechtzeitig informiert gewesen, und
dann haben Sie weiterhin gesagt, es würde sich Ihrer
Kenntnis entziehen, dass wir erst am Tag der Kuratori-
umssitzung die Information erhalten haben. Das wider-
spricht sich ja wohl.
F
Welche Information Sie jetzt mei-
nen und an welcher Stelle sie Ihnen zugänglich gemacht
worden ist, das können wir gern detailliert aufarbeiten.
Ich weiß jedenfalls auch von einer Kuratoriumssitzung, in
der Sie durch eine Vorlage genauestens darüber informiert
worden sind, wie beispielsweise die neue Struktur dieser
Bundeszentrale aussehen soll. Interessanterweise ist es ja
so, dass Sie im Grunde genommen keine Kritik daran
üben, dass die Veränderungen mit den notwendigen neuen
Schwerpunkten herbeigeführt werden, sondern Sie ziehen
sich jetzt an einer Frage hoch – so will ich es sehr vor-
sichtig sagen –, die ganz woanders anzusiedeln ist. Des-
wegen muss man sie so bewerten, wie wir sie bewerten.
Nun hat der Kollege
von Klaeden eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekre-tär, Sie haben aus der Untersuchung der Arbeit der Bun-deszentrale für politische Bildung zitiert und sicherlichden einen oder anderen kritischen Punkt genannt. Abermeinen Sie nicht, dass es auch zu Ihrer Fürsorgepflichtgehört, zu sagen, dass die Untersuchung unter anderemdurch das Meinungsforschungsinstitut Allensbach erge-ben hat, dass das Ansehen der Bundeszentrale für politi-sche Bildung außerordentlich hoch ist, dass die Qualitätder Materialien, die dort erstellt werden, nicht nur von derÜberparteilichkeit her, sondern auch von dem wissen-schaftlichen Stand her außerordentlich hoch ist? Müsstedas nicht vielleicht auch, wenn hier schon auf diese WeiseBegründungen gesucht werden, warum Herr Reichertnicht weiter beschäftigt wird, im Parlament eine entspre-chende Erwähnung finden? Und können Sie sich vor die-sem Hintergrund auch vorstellen, dass, wenn man meint,an seiner Person Kritik üben zu müssen, und wenn man
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. Juni 2000
Angelika Volquartz10380
meint, dass tatsächlich ein derart großer qualitativer Un-terschied zwischen dem vorherigen und dem jetzt neuenoder avisierten Präsidentschaftskandidaten vorliegt, esuns doch ein wenig seltsam vorkommt, dass man bei derNeuberufung nicht den Weg einer Ausschreibung gegan-gen ist?F
Es ist unstreitig, dass die Gutach-
ten und auch die Beschäftigung mit der Arbeit der Bun-
deszentrale für politische Bildung ergeben haben, dass es
Korrekturbedarf gibt, insbesondere um die Aufgaben für
die Zukunft zu gestalten. Wenn die bisherige Arbeit trotz-
dem ein hohes Ansehen in der Öffentlichkeit genießt,
spricht das für die Bundeszentrale, aber es spricht nicht
dafür, dass man keine Veränderungen herbeiführt. Diese
sind dringend notwendig.
Ich sage Ihnen noch einmal ganz deutlich: Wir brau-
chen eine organisatorische Veränderung, die auch eine
personelle Veränderung zur Folge hat. Deswegen – das
sage ich Ihnen noch einmal ausdrücklich –, ist es auch
notwendig, diese Veränderung herbeizuführen. Im Übri-
gen ist Herr Reichert nicht beschäftigungslos. Er hat mit
seiner Zustimmung eine Weiterbeschäftigung im Ge-
schäftsbereich des Bundesinnenministeriums gefunden.
Jetzt hat der Kollege
Enders eine Frage, bitte sehr.
Herr Staatssekretär, stimmen
Sie mir zu, dass zwischen der Beurteilung der qualitativen
Arbeit in der Vergangenheit und dem Mengenproblem,
das Allensbach klar gemacht hat, also einer geringen
Akzeptanz in der Abnahme der Produkte, ein großer Un-
terschied zu sehen ist und dass gerade dies auch ein Teil
der Kritik des Kuratoriums ist?
F
Herr Kollege Enders, dem stimme
ich zu und füge hinzu: Das beste Produkt taugt nichts,
wenn es keine Abnehmer findet. Deswegen muss man
auch darüber nachdenken, wie man beispielsweise die
Produkte an Mann und Frau bringt, und zwar genau dort,
wo man sie absetzen möchte und wo es notwendig ist. Das
ist ein Aspekt, der ebenfalls deutlich geworden ist und der
verändert werden muss.
Frau Kollegin Janz,
bitte sehr.
Herr Staatssekretär, können Sie mir
sagen, ob die Stelle des Präsidenten in der Vergangenheit
überhaupt schon einmal ausgeschrieben worden ist, und
ist Ihnen bekannt, welche politische Funktion der jetzige
Leiter der Bundeszentrale für politische Bildung früher
ausgeübt hat?
F
Frau Kollegin Janz, ich habe in ei-
ner meiner Antworten deutlich gemacht, dass diese Stelle
bisher noch nie ausgeschrieben worden ist. Ich möchte Ih-
nen auch deutlich sagen: Von 1952 bis 1974 wurde die
Bundeszentrale für politische Bildung von CDU-Direkto-
ren geleitet, ohne dass ein ähnlicher Vorwurf wie jetzt er-
hoben worden wäre. Bis 1992 gab es dann ein Dreierdi-
rektorium, das sich in der Arbeit eher blockiert als gegen-
seitig gefördert hat. – Ich will das nicht fortsetzen.
Ich sage Ihnen deutlich – das sollten insbesondere die
Kolleginnen und Kollegen der Union zur Kenntnis neh-
men –, dass wir durch die Befristung der Amtszeit des
Präsidenten eine Veränderung herbeiführen. Die Amtszeit
des Präsidenten beträgt jetzt fünf Jahre. Genau das zeigt,
was wir wollen: Wir wollen Leistung und Qualität für die
zukünftige Bundeszentrale für politische Bildung.
Frau Kollegin, Sie ha-
ben Ihr Kontingent an Zusatzfragen ausgeschöpft.
Ich rufe jetzt die Frage 13 des Abgeordneten Aribert
Wolf auf:
Warum plant die Bundesregierung für die künftige Leitungs-
struktur der Bundeszentrale für politische Bildung eine nicht plu-
rale politische Zusammensetzung – anders als dies bei den Lan-
deszentralen für politische Bildung der Fall ist –, und wie begrün-
det sie dies?
F
Es tut mir Leid, wenn ich mich bei
der Beantwortung dieser Frage wiederhole; denn sie be-
trifft den gleichen Komplex.
Ein wesentlicher Bestandteil des Konzepts zur fachli-
chen und organisatorischen Neuausrichtung der Bundes-
zentrale für politische Bildung ist die organisatorische
Straffung der Behörde. Hiervon kann die Leitungsstruk-
tur der Behörde nicht ausgenommen werden. Die politi-
sche Ausgewogenheit der Arbeit der Bundeszentrale für
politische Bildung wird durch die Gesamtheit der Mitar-
beiterinnen und Mitarbeiter garantiert und durch ein par-
lamentarisches Kuratorium überwacht.
Eine plurale politische Zusammensetzung der Leitung
der Bundeszentrale für politische Bildung hätte zur Folge,
dass alle Fraktionen des Deutschen Bundestages in der
Leitung der Bundeszentrale vertreten sein müssten. Eine
derartige Ausweitung des Leitungsbereichs widerspräche
völlig den Grundsätzen einer effizienten Organisations-
struktur.
Herr Kollege Wolf,
Sie haben eine Zusatzfrage? – Bitte schön.
Die Auffassung, dass Plu-ralität immer mit dem Vertretensein aller Parteien gleich-zusetzen ist, vermag ich nicht nachzuvollziehen. Wirmüssen nur unser eigenes Präsidium anschauen: Dort
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. Juni 2000
Eckart von Klaeden10381
sitzen momentan ein Schriftführer von der Oppositionund einer von der Regierung. Das ist eine plurale Zusam-mensetzung.
Aber wir wechseln
alle zwei Stunden, Herr Kollege.
Aber es wird immer so ge-
wechselt, dass stets einer von der Regierung und einer von
der Opposition im Präsidium vertreten ist.
Herr Staatssekretär, die wissenschaftlichen Untersu-
chungen über die Arbeit der Bundeszentrale für politische
Bildung, auf die Sie sich bezogen haben, besagen eindeu-
tig, dass die Bundeszentrale einen hohen Akzeptanzgrad
hat, weil sie als parteipolitisch neutrale Ausbildungsein-
richtung angenommen wird. Ich frage Sie – vor allem vor
dem Hintergrund, dass jetzt ein ausgewiesener Parteipoli-
tiker der SPD an die Spitze der Bundeszentrale berufen
wird –: Wäre es eigentlich so schwierig gewesen, zumin-
dest einen Präsidenten und einen Vizepräsidenten zu in-
stallieren, um die parteipolitische Neutralität zu wahren?
F
Ich könnte Ihnen jetzt die Gegen-
frage stellen, wie der berufliche Werdegang des bisheri-
gen Präsidenten, Herrn Reichert, gewesen war und wie
seine Verbindungen insbesondere zur Parteipolitik aussa-
hen. Ich stelle Ihnen diese Frage nicht, weil ich nicht mit
gleicher Münze heimzahlen möchte.
Lieber Herr Wolf, wenn Sie über Pluralität reden, habe
ich den Eindruck: Die Pluralität ist immer dann herge-
stellt, wenn Sie von der CDU/CSU sich als Partei und
Fraktion wiederfinden. Ansonsten ist Ihnen die Pluralität
ziemlich egal. Das kann nach meiner Meinung keine Hal-
tung sein.
Ich verwahre mich dagegen – ich nenne jetzt den Na-
men –, Herrn Krüger als Parteipolitiker zu bezeichnen.
Sie müssten seinen Werdegang berücksichtigen. Gerade
weil er einen Werdegang hat, der sehr stark in Verbindung
mit den neuen Bundesländern steht, und wir dort einen
Schwerpunkt setzen wollen, ist das eine ausgezeichnete
Personalentscheidung.
Zweite Zusatzfrage,
Herr Kollege.
Wenn Sie einen Schwer-
punkt bei den neuen Ländern setzen wollen, wie erklären
Sie sich dann, dass Sie parallel zur Neuordnung den
Rückzug der Bundeszentrale für politische Bildung von
ihrer Außenstelle Berlin festgelegt haben?
F
Sie wissen, dass wir bei der
Außenstelle Berlin eine Veränderung vornehmen. Sie
bleibt allerdings in Berlin – es verbleiben dort Aufga
ben – präsent. Ich denke, das ist richtig, gut und notwen-
dig. Wir sollten keine – so nenne ich es einmal – perso-
nellen Wasserköpfe erhalten, wo sie nicht notwendig sind.
Insofern trifft Ihr Vorwurf nicht zu.
Sie merken, dass wir
uns ein bisschen im Kreis bewegen? Deswegen bitte ich
Sie, bevor Sie weitere Zusatzfragen stellen, sich die
nächsten Fragen anzusehen.
Jetzt hat die Kollegin Ostrowski eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär
Körper, geben Sie mir angesichts der umfangreichen De-
batte über das wichtige Problem der Leitungsstruktur der
Bundeszentrale für politische Bildung Recht, dass es da-
rüber hinaus zentrale gesellschaftliche Probleme in der
Bundesrepublik gibt?
F
Frau Kollegin, ich kann Ihnen
überhaupt nicht widersprechen; ich kann Ihnen nur zu-
stimmen. Es ist ganz wichtig, dass die Bundeszentrale für
politische Bildung ihre Arbeit in diesem gesellschaftli-
chen Kontext effektiv und effizient leistet; deswegen ha-
ben wir die notwendigen Veränderungen herbeigeführt.
Dazu war ein Stück politischen Muts erforderlich. Aber
gerade in dem von Ihnen geäußerten Sinne war dieser
Schritt richtig.
Wir sind noch bei der
Frage 13. Der Kollege Enders hat eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär Körper, ich
habe eine Frage zu den Landeszentralen. Ist es richtig,
dass zum Beispiel in Baden-Württemberg ein ehemaliger
Staatssekretär der CDU die Landeszentrale nach dem Or-
ganisationsmuster der Bundeszentrale leitet? Ist es richtig,
dass ein ehemaliger Minister der CDU die Landeszentrale
in Sachsen leitet? ImÜbrigen leitet in Niedersachsen nach
meiner Kenntnis – ich bitte um Bestätigung – ein ehema-
liger Bürgermeister der CDU die Landeszentrale. Stim-
men diese Informationen?
Äußert sich die Neutralität nicht viel stärker in den ein-
zelnen Beiträgen, die die Bundeszentrale herausgibt?
Wird die Neutralität nicht viel stärker dadurch gewahrt,
dass bestimmte Themen von unterschiedlichen Blickrich-
tungen aus angegangen werden?
F
Herr Kollege Enders, das ist allesrichtig.Was die Ausrichtung bzw. die Neutralität der Arbeit an-geht, ist es notwendig, dass wir die Fähigkeit erhalten, aufneue Entwicklungen einzugehen. Die Bundeszentrale fürpolitische Bildung kann einen sehr wichtigen Beitrag beider Bekämpfung der leider vorzufindenden rechtsextre-mistischen Erscheinungen leisten, die bestimmte regio-nale Schwerpunkte haben. Gerade für die Bundeszentrale
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. Juni 2000
Aribert Wolf10382
für politische Bildung ist es notwendig, solche Entwick-lungen aufzunehmen und in der gebotenen Neutralität undObjektivität zu bearbeiten.Ich komme noch einmal zu Ihrer ersten Frage nach derLeitung der Landeszentralen für politische Bildung. Dievon Ihnen gewählten Beispiele sind völlig richtig.
Nun kommt die Kol-
legin Volquartz, bitte sehr.
Herr Staatssekre-
tär, ich möchte nur eine kurze Anmerkung machen. Ihre
Behauptung Niedersachsen betreffend trifft nicht zu.
F
Was trifft nicht zu?
Es stimmt einfach
nicht, dass ein ehemaliger Bürgermeister die Landeszen-
trale leitet.
F
Bis unlängst war das so. Das ist
richtig.
Ich habe noch eine
Frage zur Außenstelle. Sie haben gesagt, der Wasserkopf
solle abgebaut werden. Ist es richtig, dass Herr Krüger be-
absichtigt, mehrere neue Mitarbeiter mitzubringen, wäh-
rend gleichzeitig ein massiver Personalabbau in der Bun-
deszentrale für politische Bildung geplant ist?
F
Was die Personalentwicklung bei
der Bundeszentrale für politische Bildung anbelangt, sind
Ihnen die Zahlen und Fakten bekannt. Sie sind bei den
Haushaltsberatungen deutlich geworden. Inwieweit Herr
Krüger neue Akzente, beispielsweise bei dem von Ihnen
angesprochenen Personal, setzen will, das müssen Sie ihn
und nicht mich fragen.
Ich rufe die Frage 14
des Kollegen Aribert Wolf auf:
Ist die Tatsache, dass ein Parteipolitiker an die Spitze der Bun-
deszentrale für politische Bildung treten soll, in Übereinstimmung
zu bringen mit zahlreichen öffentlichen Äußerungen von Regie-
rungsvertretern?
Herr Staatssekretär, bitte.
F
Für die beabsichtigte Berufung
des künftigen Präsidenten der Bundeszentrale für politi-
sche Bildung spielt es keine Rolle, ob dieser einer Partei
angehört; entscheidend ist allein fachliche und persönli-
che Qualifikation. Der künftige Präsident garantiert – aus
den Erfahrungen seiner bisherigen politischen und beruf-
lichen Laufbahn – eine enge Verbindung zu den künftigen
Schwerpunkten der politischen Bildungsarbeit der Bun-
deszentrale, insbesondere der in den neuen Bundeslän-
dern sowie der in Bezug auf die junge Generation. Auch
das ist wichtig.
Leider, Frau Vizepräsidentin, wiederholt sich das jetzt
ein bisschen. Dafür kann ich nicht.
Erste Zusatzfrage.
Ich will jetzt nicht Faust zi-
tieren: „Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der
Glaube“, sondern ich möchte die Bundesregierung fra-
gen, was für sie eigentlich wichtiger ist, eine möglicher-
weise effizientere, weil monolithische Spitze oder die par-
teipolitische Neutralität der von der Bundesebene aus be-
triebenen politischen Bildung.
F
Ihre Frage verstehe ich so, dass
ich wie folgt darauf antworten möchte: Wichtig ist, dass
die Bundeszentrale für politische Bildung insbesondere
für die Herausforderungen, die aufgrund neuer Entwick-
lungen entstehen, gewappnet ist und entsprechende Arbeit
leistet.
Die zweite Zusatz-
frage.
Dann frage ich noch ein-
mal, um das deutlicher zu machen: Wie wichtig ist es für
die Bundesregierung, dass die politische Bildung, die von
der Bundesebene aus betrieben wird, parteipolitisch neu-
tral abläuft?
F
Diese Frage können Sie wohl nurdeshalb stellen, weil sich Ihr Verständnis von einer par-teipolitischen Orientierung darauf bezieht, wie Sie dasvielleicht machen; aber das dürfen Sie nicht anderen un-terschieben.
Was Sie hier unterschwellig behaupten, das hätten anderejahrelang, jahrzehntelang umgekehrt behaupten können.Ich sage es noch einmal ganz deutlich: Wer den Le-bensweg des bisherigen Präsidenten vom persönlichen
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. Juni 2000
Parl. Staatssekretär Fritz Rudolf Körper10383
Referenten bis hin zu verschiedenen politischen Verwen-dungen kennt, der kann eine solche Frage eigentlich nichtstellen.Nach meiner Auffassung ist es also notwendig, bei ei-ner Personalentscheidung die Qualifikation in den Vor-dergrund zu stellen. Insofern – das sage ich noch einmalmit aller Deutlichkeit – ist an der gefundenen Entschei-dung überhaupt nichts zu kritisieren.
Die Frage 15 wird
schriftlich beantwortet.
Ich rufe nun die Frage 16 des Kollegen Klaus
Holetschek auf:
Was hat die Bundesregierung dazu bewogen, ursprünglich die
Schließung der Außenstelle der Bundeszentrale für politische Bil-
dung in Berlin durchsetzen zu wollen, obwohl im Abschlussbe-
richt zur Evaluation der Behörde ein solches Vorgehen nicht an-
geraten wurde, und welche konzeptionellen Veränderungen plant
die Bundesregierung augenblicklich bei der Außenstelle?
Da wir mit dieser Frage beim Thema bleiben, hoffe ich,
dass nicht allzu viele Zusatzfragen gestellt werden.
F
Die Bundeszentrale für politische
Bildung wird ihre Aufgaben auch künftig in Bonn und
Berlin wahrnehmen. Es entfällt vor allem die Bezeich-
nung „Außenstelle“ im Bereich von Berlin mit den damit
verbundenen organisatorischen Konsequenzen. Auch
dazu habe ich vorhin schon etwas gesagt.
In Berlin bleibt eine Informations- und Kontaktstelle
bestehen. Eine eigenständige Außenstelle ist nicht mehr
erforderlich, da ein Teil der Aufgaben der Außenstelle ent-
weder weggefallen ist oder anderweitig wahrgenommen
wird. So bestehen nicht nur in Berlin, sondern inzwischen
auch in den neuen Ländern funktionsfähige Landeszen-
tralen für politische Bildung, deren Fehlen im Jahre 1992
eine wesentlicher Grund für die Errichtung der Außen-
stelle in Berlin war. Außerdem ist die Lehrerfortbildung,
die im Einvernehmen mit den Kultusministern der neuen
Länder eingerichtet worden war, inzwischen eingestellt
worden, da der Bedarf nunmehr von den neuen Ländern
selbst gedeckt werden kann.
Ferner hat sich herausgestellt, dass der Besucherdienst
der Bundeszentrale für politische Bildung in Berlin nur in
geringem Umfang angenommen wird, da Besuchergrup-
pen in Berlin vielfältige andere attraktive Angebote vor-
finden.
Schließlich ist zu berücksichtigen, dass Veranstaltun-
gen der politischen Bildung in Berlin und in den neuen
Ländern, soweit sie mit Bundesmitteln gefördert werden,
in erster Linie von den Einrichtungen der politischen Bil-
dung vor Ort in den neuen Ländern durchgeführt werden,
um dem Bedarf der Menschen besser gerecht zu werden.
Eine Zusatzfrage,
Herr Kollege Holetschek.
Herr Staatssekretär,
erläutern Sie mir bitte, was unter einer Informations- und
Kontaktstelle zu verstehen ist.
F
Das heißt, dass die Bundeszen-
trale nach wie vor in Berlin präsent sein wird und dass,
wie es der Name schon sagt, hier Kontakte gepflegt wer-
den können. Diese Arbeit kann durchgeführt werden.
Ich habe ja auch versucht, Ihnen zu erklären, dass ein
Teil der Arbeit der bisherigen Außenstelle schlichtweg
weggefallen ist. Diese Umorganisation entspricht dem,
was für die Arbeit hier in Berlin erforderlich und notwen-
dig ist.
Noch eine Frage? –
Bitte sehr.
Herr Staatssekretär,
mit wie viel Personal wird diese Informations- und Kon-
taktstelle besetzt sein? Oder ist es so zu verstehen, dass
hier ein besserer Prospektständer installiert werden soll?
F
Diese Kontaktstelle in Berlin wird
auch personell besetzt sein. Es wird sich also nicht nur um
einen, wie Sie es gerade sagten, Prospektständer handeln.
Nun kommt die
Frage 17 des Kollegen Klaus Holetschek:
Wie will die Bundesregierung vor dem Hintergrund einer
künftig stärkeren Ausrichtung der Bundeszentrale für politische
Bildung auf die neuen Länder sicherstellen, dass die von der Ber-
liner Außenstelle aufgebauten Verbindungen innerhalb Berlins in
den neuen Ländern und Osteuropa aufrechterhalten werden, und
durch wen soll in Zukunft die Betreuung der monatlich rund 3 000
Einzelbesucher erfolgen, die die Außen-
stelle derzeit verzeichnet, insbesondere in Anbetracht der völligen
Auslastung des Besucherdienstes des Deutschen Bundestages?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
F
Zur Betreuung der zahlreichen
Einzelbesucher, die vor allem an den Publikationen der
Bundeszentrale für politische Bildung interessiert sind,
wird eine Informations- und Kontaktstelle in Berlin fort-
geführt. Im Übrigen verweise ich auf meine Antwort zu
der vorherigen Frage.
Eine Zusatzfrage? –
Bitte sehr.
Herr Staatssekretär,werden dadurch anderen Institutionen erhebliche Mehr-kosten dadurch entstehen, dass sie Aufgaben übernehmenmüssen, die bis jetzt, zum Beispiel im Rahmen der Be-treuung von Besuchergruppen, von der Bundeszentralewahrgenommen wurden? Gibt es hierzu Zahlen oderÜberlegungen?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. Juni 2000
Parl. Staatssekretär Fritz Rudolf Körper10384
F
Herr Kollege Holetschek, das
kann ich mir nicht vorstellen. Ich kann Ihnen jetzt zwar
nichts zum Thema Zahlen sagen; ich denke aber, dass es
sich hierbei um einen unerheblichen Tatbestand handelt.
Zweite Frage.
Wurde einmal be-
rechnet, ob Mehrkosten dadurch entstehen, dass es diese
Außenstelle nicht mehr gibt? Es könnte ja ein höherer
Aufwand durch Dienstreisen und vieles andere mehr ent-
stehen.
F
Nein, weil diese Veränderung der
Organisation keine verstärkte Reisetätigkeit verursacht.
Vielmehr entspricht der Zuschnitt der Kontaktstelle Ber-
lin damit eher den dann zu erledigenden Aufgaben. Es
wäre völlig falsch anzunehmen, dass dadurch die Reiserei
von Beschäftigten der Bundeszentrale für politische Bil-
dung gefördert würde. Das ist nicht in unserem Sinne. Ge-
rade deshalb haben wir ja den neuen Aufgabenzuschnitt
vorgenommen.
Frau Kollegin
Volquartz hat noch eine Frage, bitte sehr.
Bezüglich der per-
sonellen Veränderungen, die ja auch die Außenstelle be-
treffen, möchte ich fragen, ob es an der Spitze als Vize-
präsident einen Vertreter einer anderen Partei geben wird
oder ob das ebenfalls ein SPD-Mitglied sein wird?
F
Welche personelle Besetzung
meinen Sie?
Sie nehmen doch
personelle Umstrukturierungen vor, indem Sie beispiels-
weise die Außenstelle verkleinern und weitere Überle-
gungen zum Personalabbau anstellen. Meine Frage lau-
tete also: Werden Sie eine Umsetzung einer der jetzigen
führenden Persönlichkeiten an der Spitze vornehmen oder
wird es einen Neuen oder eine Neue geben und, wenn ja,
welcher Partei wird der- oder diejenige angehören?
F
Wenn es das, was wir mit der
Kontaktstelle Berlin vorhaben, notwendig macht, auch
personelle Konsequenzen folgen zu lassen, werden wir
diese ziehen. Im Übrigen – das gilt für den gesamten Be-
reich der Bundeszentrale für politische Bildung – steht die
Qualifikation der Bewerber für zu besetzende Ämter an
vorderster Stelle und nicht die Frage der parteipolitischen
Zugehörigkeit. Das ist Ihre Denke, nicht unsere.
Die Fragen 18 und 19
werden schriftlich beantwortet.
Damit verlassen wir den Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums des Innern. Wir danken Herrn Staatssekretär
Körper für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums
der Finanzen auf. Zur Beantwortung steht Frau Parla-
mentarische Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks zur
Verfügung.
Ich rufe die Frage 20 des Kollegen Dr. Heinrich Kolb
auf. – Wo ist Herr Kolb?
– Dann müssen Sie die Frage nicht beantworten. Das
Gleiche gilt auch für die Frage 21. Es wird verfahren, wie
in der Geschäftsordnung vorgesehen.
Ich rufe die Frage 22 des Kollegen Hans Michelbach
auf:
Wie lauten die Bedingungen der bis zum 31. März 2002 befris-
tet erteilten Genehmigung für die Ermäßigungen der Energiesteu-
ersätze für das produzierende Gewerbe bei der Ökosteuer durch
die EU-Kommission im Februar 2000 im Wortlaut, und warum
wurde der genaue Wortlaut dem Finanzausschuss und der Öffent-
lichkeit bisher nicht zugänglich gemacht?
Frau Staatssekretärin, bitte sehr.
D
Bei den ermäßigten Ener-giesteuersätzen für das produzierende Gewerbe handelt essich um staatliche Beihilfen im Sinne des Europarechts.Die EU-Kommission hat die gesetzlichen Regelungen fürdas produzierende Gewerbe in der Form genehmigt, wiesie notifiziert worden sind und wie sie nach der Geneh-migung in Kraft getreten sind.Die Bundesregierung hat sich verpflichtet, sämtlichebeihilferechtlich relevanten Tatbestände der ökologischenSteuerreform vor dem 31. März 2002 der EU-Kommis-sion erneut zur Genehmigung vorzulegen. Darüber hinaussind keine Bedingungen mit der beihilferechtlichen Ge-nehmigung verbunden.Die EU-Kommission hat in den beiden vorliegendenGenehmigungsschreiben angekündigt, die Entscheidun-gen im Internet zu veröffentlichen. Die EGKS-Entschei-dung wurde bereits ins Internet eingestellt. Für die denEG-Vertrag betreffende Genehmigung ist dies bislangnoch nicht geschehen. Dies ist vermutlich darauf zurück-zuführen, dass noch eine Teilentscheidung zur steuerli-chen Begünstigung von GuD-Kraftwerken aussteht.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. Juni 2000 10385
Im Übrigen habe ich veranlasst, dass die bereits vor-liegenden Genehmigungsschreiben dem Finanzausschussdes Deutschen Bundestag zugeleitet werden.
Eine Zusatzfrage,
Herr Kollege, bitte sehr.
Frau Staatssekretä-
rin, Sie bestätigen also, dass für die GuD-Kraftwerke
noch keine Ausnahmegenehmigung veröffentlicht wurde.
Sehen Sie nach den Aussagen, die der zuständige EU-
Kommissar Monti gemacht hat, überhaupt noch eine
Chance, nach dem 31. März 2002 eine erweiterte Aus-
nahmegenehmigung für all diese Ausnahmetatbestände
zu erreichen?
D
Herr Kollege Michelbach,
die Genehmigungsfähigkeit von staatlichen Beihilfen
zum Beispiel in Ökosteuergesetzen richtet sich nach dem
Gemeinschaftsrahmen für staatliche Umweltschutzbeihil-
fen. Dieser Umweltrahmen wird zurzeit von der EU-
Kommission überarbeitet. Die Bundesregierung hat auf-
grund von intensiven Verhandlungen mit der Kommission
Anlass zu der Annahme, dass der neue Umweltrahmen ihr
die Möglichkeit eröffnet, ermäßigte Energiesteuersätze
für die Unternehmen des produzierenden Gewerbes auch
weit über den 31. März 2002 hinaus zu realisieren.
Noch eine Zusatz-
frage, bitte sehr.
Frau Staatssekretä-
rin, wie hoch ist die zusätzliche Belastung durch die Öko-
steuer für die Wirtschaft, wenn Ihre Annahme nicht ein-
tritt und die Ausnahmeregelungen hinsichtlich der produ-
zierenden Betriebe von der EU-Kommission nicht
verlängert werden? Jetzt beträgt die Belastung durch die
Ökosteuer für diese Betriebe nur ein Drittel. Dann aber
würden diese Betriebe mit zusätzlichen Kosten belastet
werden.
D
Herr Michelbach, die Ant-
wort auf Ihre Frage hätte spekulativen Charakter. Ich
möchte eine solche Antwort für die Bundesregierung
nicht geben.
Ich rufe die Frage 23
des Abgeordneten Hans Michelbach auf:
Wie wird das Ökosteueraufkommen nach dem Jahr 2003 Ver-
wendung finden?
Frau Staatssekretärin, bitte.
D
Mit den Gesetzen zur Ein-
führung und Fortführung der ökologischen Steuerreform
wurden die Stufen der Reform bis zum Jahre 2003 festge-
legt. Die aus diesen Reformstufen fließenden Einnahmen
werden nach den Vorstellungen der Regierungskoalition
auch über das Jahr 2003 hinaus für eine Absenkung der
gesetzlichen Lohnnebenkosten verwendet.
Eine Zusatzfrage.
Frau Staatssekretä-
rin, Ihre Botschaft höre ich wohl. Aber ich kann der Ta-
gespresse entnehmen, dass Ihr Koalitionspartner, die Grü-
nen, dieses Ökosteueraufkommen für andere Zwecke ein-
setzen möchte, insbesondere für Umweltaufgaben im
Verkehrsbereich. Inwieweit besteht nach Ihrer Meinung
die Möglichkeit, dass diese Intention Ihres Koalitions-
partners umgesetzt wird, dass ab dem Jahre 2003 die Öko-
steuer nicht zur Gänze für die Senkung der Lohnneben-
kosten eingesetzt wird?
D
Herr Kollege Michelbach,
es gibt einzelne Stimmen in beiden Koalitionsfraktionen,
die eine Änderung der Zweckbestimmung für die Zukunft
wünschen. Es handelt sich aber in beiden Koalitionsfrak-
tionen um Einzelstimmen. In ihrer Gesamtheit sind sie
entschlossen, auch in Zukunft das Aufkommen aus der
Ökosteuer für die Senkung der Lohnnebenkosten zu ver-
wenden.
Zweite Zusatzfrage,
bitte sehr.
Frau Staatssekretä-
rin, Sie sagen, dass die Einnahmen durch die Ökosteuer
voll für die Senkung der Lohnnebenkosten verwendet
werden. Wenn im Jahr 2003 das Ökosteueraufkommen
etwa 32 Milliarden DM betragen wird, dann müsste dem-
nach – die Richtigkeit Ihrer Aussage vorausgesetzt – der
Rentenversicherungsbeitrag nur 18 Prozent betragen. In-
wieweit wollen Sie im Jahre 2003 den Rentenversiche-
rungsbeitrag mithilfe der Ökosteuer auf 18 Prozent sen-
ken?
D
Herr Kollege Michelbach,Ihnen dürfte aus früheren Diskussionen bekannt sein, dassdie Ökosteuer dazu dient, den Rentenversicherungsbei-trag zu senken, was in zwei Stufen schon um insgesamt1,1 Prozentpunkte geschehen ist. Sie wird aber auch inZukunft zur Stabilisierung der Rentenversicherungs-beiträge beitragen müssen, die anderenfalls weiter wach-sen müssten. In diesem Fall würde es sich im Prinzip umdie gleiche Operation handeln wie jene, die die alte Bun-desregierung im April 1984 vorgenommen hat, als sie denMehrwertsteuersatz um einen Punkt erhöht hat, was aus-schließlich dazu gedient hat, den Rentenversicherungs-beitrag nicht über die damalige Rekordhöhe von 20,4 Pro-zent steigen zu lassen. Immerhin ist es uns mittlerweilegelungen, den Rentenversicherungsbeitrag auf 19,3 Pro-zent zu senken. Wir werden mit dem Aufkommen aus der
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. Juni 2000
Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks10386
Ökosteuer auch noch weitere Senkungsschritte herbei-führen können. Aber rein rechnerisch wird es wegen derBelastung der Rentenversicherung unter anderem auf-grund der demographischen Entwicklung sicherlich nichtzu einer Absenkung auf 18 Prozent kommen können.
Nun haben Sie wei-
tere Zusatzfragen provoziert. Die erste Zusatzfrage stellt
der Kollege Storm.
Frau Staatssekretärin,
trifft es zu, dass die aufgrund der Erkenntnisse aus den Be-
rechnungen, die im Zusammenhang mit den Rentenkon-
sensgesprächen angestellt worden sind, im Jahreswirt-
schaftsbericht angekündigte weitere Beitragssatzsenkung
in der gesetzlichen Rentenversicherung durch die Öko-
steuer um 0,8 Prozentpunkte bis zum Jahre 2003 nicht
mehr realisierbar ist?
D
Herr Kollege Storm, ich
kann aus den Rentenkonsensgesprächen von mir aus
keine Mitteilungen machen. Ich habe nur einmal an den
Rentenkonsensgesprächen auf der Ebene der Partei- und
Fraktionsvorsitzenden teilgenommen, als es insbesondere
um die steuerliche Förderung der zukünftigen privaten
Altersvorsorge ging. Im Übrigen bin ich über den Stand
der Rentenkonsensgespräche aus eigener Kenntnis nicht
informiert.
Das war auch scharf
an der Grenze, ob das noch zur Frage passt. Aber ich lasse
hier fast alle Fragen zu. – Jetzt hat der Kollege Niebel das
Wort.
Vielen Dank für die Vorbemer-
kung, Frau Präsidentin. Das erleichtert mir die Fragestel-
lung.
Frau Staatssekretärin, sehen nicht auch Sie die große
Gefahr, dass durch die Absenkung der Rentenversiche-
rungsbeiträge aufgrund der Mittel aus der so genannten
Ökosteuer die Notwendigkeit, strukturelle Veränderungen
im Rentenversicherungssystem durchzuführen, gemin-
dert wird, dass also quasi der Leidensdruck nicht groß ge-
nug ist, um schnell zu handeln?
D
Herr Kollege Niebel, ich
weiß nicht, welchen Leidensdruck Sie sich vorstellen. Sie
tun so, als ob der bestehende Leidensdruck nicht groß ge-
nug sei. Die Bundesregierung ist in der Tat mit einem sehr
mutigen Reformkonzept vorangeschritten, das in sehr vie-
len gesellschaftlichen Gruppen auf Widerstand stößt.
Dass man vor diesem Hintergrund von mangelndem Lei-
densdruck spricht, zeugt schlechterdings – so sage ich ein-
mal – von einer etwas beschränkten Wahrnehmung.
Nun hat der Kollege
Tauss noch eine Frage.
Frau Staatssekretärin, würden Sie
freundlicherweise, wenn ich Sie darum bitten dürfte, den
wissbegierigen Kolleginnen und Kollegen auf der ande-
ren Seite erläutern, dass das Aufkommen aus der Öko-
steuer in einem ganz erheblichen Maße auch dazu einge-
setzt wurde, die Herausnahme versicherungsfremder
Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung zu
finanzieren, wozu die alte Regierung zu keinem Zeitpunkt
Mut und Kraft fand?
D
Herr Kollege, das ist so
richtig. Dadurch, dass die Mittel aus der Ökosteuer die
Bundesregierung in die Lage versetzen, den Bundeszu-
schuss um dieselbe Summe zu erhöhen, sind die versi-
cherungsfremden Leistungen in der Tat – insbesondere
die Auffüllbeträge für die Renten der Rentner in den
neuen Bundesländern, aber auch das, was nach Definition
als versicherungsfremde Leistung gilt, nämlich die An-
rechnung von Kindererziehungszeiten – aus der Renten-
versicherung herausgenommen worden.
Nun rufe ich die
Frage 24 des Kollegen Klaus Hofbauer auf:
Ist die Bundesregierung bereit, ein Aktionsprogramm aufzule-
gen zur Abmilderung strukturpolitischer Auswirkungen im ost-
bayerischen Raum durch den zu erwartenden Abbau von öffentli-
chen Dienststellen im Rahmen der EU-Osterweiterung beim Zoll,
bei der Bundeswehr einschließlich Standortverwaltungen, bei der
Bahn, der Post und in der Wirtschaft?
Frau Staatssekretärin, bitte.
D
Herr Kollege Hofbauer, die
Bundesregierung hält ein gesondertes Aktionsprogramm
für den ostbayerischen Raum nicht für erforderlich. Der
ostbayerische Grenzraum ist Fördergebiet der Bund-Län-
der-Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen
Wirtschaftsstruktur“ bzw. EU-Ziel-2-Fördergebiet. Die-
ses förderpolitische Instrumentarium reicht aus, um einen
Strukturwandel wirksam flankieren zu können.
Frau Staatssekretärin,teilen Sie meine Auffassung, dass durch die angesproche-nen Maßnahmen insbesondere im Bereich des Zolls undder Bundeswehr einschließlich der Standortverwaltungensowie durch die bereits beschlossenen Maßnahmen beider Bahn in ganz erheblichem Umfang Stellen abgebautwerden müssen, was erhebliche strukturelle Auswirkun-gen für die Region hat, die die Region aus sich herausnicht bewältigen kann? Die Programme, die Sie ange-sprochen haben, gelten bereits jetzt. Aber es kommen zu-sätzliche Eingriffe auf die Region zu. Deswegen besteht
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. Juni 2000
Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks10387
hier eine besondere Situation hinsichtlich der Beitrittslän-der, der man gerecht werden muss. Können Sie diese Auf-fassung teilen?D
Nein, Herr Kollege
Hofbauer. Die förderpolitischen Instrumentarien, die
schon jetzt gelten, sind die Fördermöglichkeiten, die in
der Europäischen Union überhaupt zur Verfügung stehen.
Ich darf darauf hinweisen, dass die Erfahrung des Abbaus
von Bundesbehörden oder auch Standorten der Bundes-
wehr nicht neu ist und dass dieser auch schon in vielen an-
deren Bundesländern stattgefunden hat. Ich darf daran er-
innern, dass mit der Öffnung der Binnengrenze nach Wes-
ten im Jahre 1993 in ganz erheblichem Maße zum
Beispiel Stellen beim Zoll an den Westgrenzen weggefal-
len sind. Obwohl Hunderte von Stellen weggefallen sind,
haben diese Gebiete häufig nicht einmal die Kriterien für
die Förderung nach Ziel 2 oder nach der Gemeinschafts-
aufgabe erfüllt. Ein zusätzliches Aktionsprogramm außer-
halb des bestehenden Förderrahmens, der sowohl auf
deutscher Seite wie auch nach den EU-Richtlinien mög-
lich ist, ist also nicht vorstellbar.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege
Hofbauer, Sie haben eine zweite Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin,
besteht nicht ein Unterschied zwischen der Öffnung der
Westgrenze damals und der Öffnung der Ostgrenze heute,
bei der es sich um ganz andere Dimensionen handelt?
Hier geht es um die Öffnung des Grenzgürtels zu den Ost-
blockländern – Gott sei Dank; ich möchte diese Entschei-
dung nicht kritisieren –, durch die sehr große Einschnitte
erfolgen und ganz andere Dimensionen zu erwarten sind.
Es geht dabei nicht um ein paar Hundert Stellen, sondern
beim Zoll geht es nach meinen Informationen allein im
Grenzgürtel in Ostbayern um 3 500 bis 4 000 Stellen.
D
Herr Kollege Hofbauer, ich
bin jetzt etwas überfragt, wie viele Stellen es im ost-
bayerischen Raum sind. Wir haben jedoch an den Gren-
zen zu Polen und Tschechien zusammen, also zu unseren
Nachbarn, die wir demnächst in die EU werden aufneh-
men können, zurzeit etwa 5 500 Bedienstete des Zolls im
so genannten Grenzaufsichtsdienst. Das heißt, die Zahl
von 3 500 Bediensteten im ostbayerischen Raum ist viel-
leicht etwas zu hoch angenommen. Aber das will ich nicht
mit Sicherheit sagen, da ich es nicht genau weiß.
Natürlich werden die genannten 5 500 Stellen im Grenz-
aufsichtsdienst nicht auf Dauer erhalten werden können.
Andererseits werden sie auch nicht vollständig ersatzlos
abgebaut werden; denn aus Gründen der Sicherheit wer-
den gleichwohl ins Hinterland verlagerte Kontrollen statt-
finden. Es wird also niemand mehr an der Grenze stehen,
sondern es werden, um die Sicherheit aufrechtzuerhalten,
im Hinterland Kontrollen durchgeführt werden, jedoch
nicht in dieser großen Anzahl, wie das auch an den West-
grenzen der Fall war.
Im Übrigen, Herr Kollege Hofbauer, ist es für den ost-
bayerischen Raum an der tschechischen Grenze vielleicht
eine Chance – das Gleiche gilt natürlich für den sächsi-
schen und den brandenburgischen Raum im Hinblick auf
die Grenze zu Polen –, dass wir Mitgliedsländer für die
Europäische Union gewinnen, die als Handelspartner von
besonderem Interesse sein können, da die Märkte dort
nicht so gesättigt sind, wie sie bei unseren westlichen
Nachbarn gesättigt waren.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir kommen damit
zur Frage 25 des Abgeordneten Klaus Hofbauer:
In welchem Umfang werden bei den in Frage 24 genannten In-
stitutionen in dieser Region Dienstposten in Zukunft wegfallen,
und wo wird das gegebenenfalls der Fall sein?
D
Herr Kollege Hofbauer, bei
der Bundeswehr einschließlich Standortverwaltungen
und der Bundeszollverwaltung kann ein möglicherweise
auf die ostbayerischen Regionen entfallender Dienstpos-
tenabbau derzeit nicht beziffert werden. Die Deutsche
Bahn AG und die Deutsche Post AG sind keine öffentli-
chen Dienststellen, sondern dem Gesellschaftsrecht ver-
pflichtete Aktiengesellschaften, die zwar zu 100 Prozent
im Eigentum des Bundes stehen, auf deren unternehmeri-
sche Einzelentscheidungen der Bund jedoch keinen un-
mittelbaren Einfluss hat. Weder die Deutsche Bahn AG
noch die Deutsche Post AG planen im Zusammenhang
mit der EU-Osterweiterung den Abbau von Arbeits-
plätzen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es gibt keine Zusatz-
fragen.
Damit schließe ich diesen Geschäftsbereich und danke
der Frau Parlamentarischen Staatssekretärin Dr. Barbara
Hendricks.
Ich rufe nunmehr den Geschäftsbereich des Bundesmi-
nisteriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
auf. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staats-
sekretär Dr. Gerald Thalheim zur Verfügung.
Ich rufe zunächst die Frage 26 des Abgeordneten
Dr. Michael Meister auf:
Aus welchen Gründen ist die seit der Einführung der Kran-
kenversicherung der Landwirtschaft gesetzlich geregelte Finan-
zierung der Altenteilerleistungen aus dem Agrarhaushalt geändert
worden?
D
Herr Kollege Meister, mit einem Betrag von rund 2 Mil-liarden DM pro Jahr gehören die Zuschüsse zur land-wirtschaftlichen Krankenversicherung zu den größtenAusgabeposten des Einzelplanes 10. Sie konnten deshalbim Rahmen der zur Haushaltssanierung notwendigenMaßnahmen nicht unberücksichtigt bleiben.Ursprünglich war für das Jahr 2001 in der landwirt-schaftlichen Krankenversicherung eine Änderung derBeitragsbemessungsgrundlagen vorgesehen. Um die mit
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. Juni 2000
Klaus Hofbauer10388
dieser Umstellung verbundenen Schätzrisiken auffangenzu können, hatten die landwirtschaftlichen Krankenkas-sen ihr Vermögen in den letzten Jahren erheblich aufge-stockt, und zwar um ein Vielfaches der bei den übrigenKrankenkassen im Durchschnitt vorhandenen Finanzre-serven.Im Rahmen der Gesundheitsreform 2000 wurde aberaus praktischen Erwägungen heraus auf diese Umstellungverzichtet. Im Rahmen der Umsetzung des Zukunftspro-gramms 2000 der Bundesregierung wurde beschlossen,dass sich die aktiven Mitglieder der landwirtschaftlichenKrankenversicherung im Jahre 2000 einmalig mit einemBetrag von 250 Millionen DM an der Finanzierung derLeistungsaufwendungen für die Altenteiler beteiligen.Der Bundeszuschuss verringert sich entsprechend. Im Re-gelfall ist hierfür eine Beitragserhöhung nicht erforder-lich. Diese Mittel können vielmehr aus dem ange-sammelten Vermögen der landwirtschaftlichen Kranken-kassen erbracht werden.Nach Kenntnis der Bundesregierung hat zum 1. Januar2000 nur eine der 20 landwirtschaftlichen Krankenkassenihre Beiträge nennenswert erhöht. Für die Zeit ab demJahr 2001 ist vorgesehen, dass der Bund die durch dieBeiträge nicht gedeckten Leistungsaufwendungen für dieAltenteiler wieder uneingeschränkt übernimmt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zu einer ersten Zu-
satzfrage, bitte, Herr Kollege Meister.
Herr Staatssekre-
tär, aus welchem Grund ist man, wenn, wie Sie darstellen,
von der Landwirtschaft ein Sonderopfer verlangt werden
muss, nicht so vorgegangen, wie man das bei den allge-
meinen Krankenkassen tut? Dort gibt es den Risikostruk-
turausgleich, mit dem versucht wird, geeignete Anhalts-
punkte für einen Verteilerschlüssel zu definieren, indem
die Zahl der Versicherten in Bezug auf Alter und Ge-
schlecht, also die Versichertenstruktur, Berücksichtigung
findet. Aus welchem Grund ist man bei dem Sonderopfer,
das man mit diesen 250Millionen DM der Landwirtschaft
auferlegt, nicht nach einem Verteilungsmaßstab vorge-
gangen, der sich zum Beispiel an der Zahl der aktiven
Mitglieder, die ja letztlich aus ihrem Betriebseinkommen
die Beiträge finanzieren müssen, in der jeweiligen
landwirtschaftlichen Krankenkasse orientiert?
D
Herr Kollege, es handelt sich hier um kein Sonderopfer.
Denn bei den Krankenkassen der Landwirte besteht die
Sonderregelung – sie gilt bei den gesetzlichen Kranken-
kassen nicht –, dass der Bund die durch eigene Beiträge
nicht gedeckten Aufwendungen der Altenteiler über-
nimmt. Bei der gesetzlichen Krankenversicherung leistet
das die Versichertengemeinschaft.
Dieser Bundeszuschuss richtet sich nach dem Umfang
der Leistungsaufwendungen für die Altenteiler. Daher
war es sozial gerechtfertigt, die einzelnen Kassen in dem
Maße, wie sich der Bund an der Finanzierung ihres Defi-
zits beteiligt, auch beim Abzug in Höhe von 250 Milli-
onen DM zu belasten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zu einer zweiten Zu-
satzfrage, bitte, Herr Kollege Meister.
Ich möchte noch
einmal dahin gehend nachfragen, ob die Bundesregierung
beabsichtigt, an der nach meiner Auffassung nach wie vor
ungeeigneten Art und Weise des Verteilungsschlüssels
Veränderungen vorzunehmen, um zumindest für die Zu-
kunft, also über den August dieses Jahres hinaus, Ände-
rungen im Interesse der aktiven Landwirte durchzu-
führen.
D
Diese Frage habe ich vorhin schon mit beantwortet. Wie
Sie wissen, handelt es sich um eine einmalige Maßnahme,
die das Jahr 2000 betrifft. Ab dem Jahr 2001, also ab
nächstem Jahr, werden, wie im Gesetz fixiert, die durch
eigene Beiträge nicht gedeckten Leistungsaufwendungen
für die Altenteiler durch den Bund in vollem Umfang
übernommen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Damit kommen wir
zur Frage 27 des Abgeordneten Michael Meister:
Wie begründet die Bundesregierung den Verteilungsmaßstab,
der sich nach den Ausgaben der Altenteiler und nicht nach Anzahl
der Mitglieder oder nach den Einnahmen der aktiven Landwirte
richtet, was im Ergebnis zu überproportionalen Belastungen ein-
zelner landwirtschaftlicher Krankenkassen führen könnte?
D
Herr Kollege Meister, die Höhe der auf jede landwirt-
schaftliche Krankenkasse entfallenden Bundesmittel rich-
tet sich nach ihren Leistungsaufwendungen für Altentei-
ler, vermindert um die von den Altenteilern entrichteten
Beiträge und sonstigen Einnahmen. Je höher der Anteil
der Altenteiler an der Zahl der Versicherten und den Leis-
tungsausgaben einer landwirtschaftlichen Krankenkasse
ist, desto höher ist auch der rechnerisch auf jedes aktive
Mitglied entfallende Bundesmittelbetrag. Deshalb ist es
sachgerecht, den Anteil der einzelnen landwirtschaftli-
chen Krankenkassen an der einmalig im Jahr 2000 zu
erbringenden Bundesmitteleinsparung in Höhe von
250Millionen DM nach ihrem Anteil an diesem Defizit in
der Altenteilerkrankenversicherung zu bemessen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zur ersten Nachfrage
des Kollegen Meister, bitte.
Herr Staatssekre-tär, ich gehe davon aus, dass der Bundesregierung bekanntist, dass die landwirtschaftlichen Krankenkassen regionaleine sehr unterschiedliche Struktur haben; ich nenne zumBeispiel den Anteil der Nebenerwerbslandwirte. Im Be-reich der Krankenkassen herrscht ja Wettbewerb; es istalso auch die Möglichkeit gegeben, die Krankenkasse zu
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. Juni 2000
Parl. Staatssekretär Dr. Gerald Thalheim10389
wechseln. Deshalb ist auch bei einmaligen Belastungen,von denen Sie sprechen, bereits die Frage zu stellen, obnicht etwa in Ballungsräumen, in denen der Anteil vonNebenerwerbslandwirten relativ hoch ist, davon auszuge-hen ist, dass gerade diejenigen, die hohe Beiträge zahlenund wenig Leistungen in Anspruch nehmen, diese Kran-kenkassen verlassen, während die anderen, die eher Lei-stungsbezieher sind, dort verbleiben, wodurch ein zu-sätzliches Ungleichgewicht in die landwirtschaftlichenKrankenkasse hineingetragen würde. Beabsichtigt dieBundesregierung, dagegen Vorkehrungen zu treffen?D
Nein. Bei der Mitgliedschaft in der landwirtschaftlichen
Krankenkasse handelt es sich um eine Pflichtmitglied-
schaft ohne Kassenwahlrecht. Man kann die Kranken-
kasse nicht ohne weiteres verlassen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es gibt eine zweite
Frage des Kollegen Meister, bitte.
Ich habe mich
zwar eben auf die Nebenerwerbslandwirte bezogen, was
bedeutet, dass sie einen Hauptberuf haben; aber ich
denke, dass wir das stehen lassen können.
Ich habe noch eine zweite Frage, die sich auf das Aus-
maß der Betroffenheit bezieht. Sie haben in Ihrer ersten
Antwort dargestellt, dass nur eine landwirtschaftliche
Krankenkasse ihre Beiträge erhöhen musste. Dennoch
möchte ich nachfragen, ob Sie nicht ein Ungleichgewicht
etwa darin sehen, dass in Hessen eine doppelt so hohe Be-
lastung für das einzelne in der landwirtschaftlichen Kran-
kenkasse versicherte Mitglied im Vergleich zum Bundes-
durchschnitt besteht. In Hessen entfällt auf das einzelne
Mitglied ein Beitrag von etwa 1 600 DM, während es im
Bundesdurchschnitt nur etwa 800 DM sind. Glauben Sie
vor diesem Hintergrund nicht, dass der Verteilungs-
schlüssel infrage gestellt werden sollte?
D
Nein. Ich nehme auf meine Antwort auf die erste Frage
Bezug. Es war für uns sozial ausgewogen und sachge-
recht, dass die einmalige Kürzung im Jahr 2000 in der Re-
lation erfolgen musste, in der in der Vergangenheit auf-
grund des prozentualen Anteils der Altenteilerlasten die
Bundeszuwendungen erfolgten. Da es sich, wie gesagt,
um eine einmalige Aktion handelt und im Übrigen auf die
Rücklagen der Krankenkassen verwiesen werden konnte,
hielten wir in diesem Punkt die Entscheidung für sachge-
recht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es gibt eine weitere
Zusatzfrage. Bitte, Herr Kollege.
Herr Staatssekretär,
so wie ich die Diskussion eben verstanden habe, gibt es
regionale Unterschiede. Nach welchen Kriterien begrün-
den sich denn diese Unterschiede?
D
Die Beiträge der Landwirtschaft zur Krankenkasse wie
auch zur Unfallversicherung hängen in den einzelnen Re-
gionen von der Struktur der Betriebe ab und sind am Ende
ein Solidarausgleich innerhalb des jeweiligen Kassenge-
bietes, aber nicht darüber hinaus.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Damit kommen wir
zur Frage 28 des Kollegen Andreas Storm:
Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass die Ände-
rungen im Zuschussrecht der landwirtschaftlichen Alterssiche-
rung etwa in den höchsten Zuschussklassen zu Beitragssteige-
rungen von 111 Prozent führen und damit existenzbedrohende
Ausmaße annehmen?
D
Sehr geehrter Herr Kollege Storm, die Bundesregierunghat bei ihrem Amtsantritt eine Schuldenlast von 1,5 Billio-nenDM vorgefunden. Deshalb gibt es zur Politik der Bun-desregierung, Maßnahmen zur Konsolidierung der Staats-finanzen zu ergreifen, keine Alternative. Um den not-wendigen Gesamtsparbetrag aufzubringen, müssen dieHaushalte aller Bundesressorts einen Einsparbeitrag er-bringen, der ihrem Anteil am Bundeshaushalt entspricht.Der Anteil der Bundesmittel für die Agrarsozialpolitik amAgrarhaushalt des Bundes beträgt rund zwei Drittel. Des-halb konnten sie bei den notwendigen Einsparungen nichtausgenommen werden.Bei der Ausgestaltung der Sparmaßnahmen wurde je-doch darauf geachtet, soziale Härten und insbesondereeine übermäßige Belastung einzelner Personengruppen zuvermeiden. Deshalb ist im Haushaltssanierungsgesetz un-ter anderem eine maßvolle Anhebung des Einheitsbeitra-ges vorgenommen worden. Damit werden alle Beitrags-zahler in der Alterssicherung der Landwirte an den un-ausweichlichen Einsparungen beteiligt.Neben der Anhebung des Einheitsbeitrages und einerReihe weiterer Maßnahmen mussten allerdings auch beimBeitragszuschuss Einschnitte vorgenommen werden. Derauf die Alterssicherung der Landwirte entfallende Ein-sparbetrag hätte anders nicht erbracht werden können.Durch diese Änderungen beim Beitragszuschuss ergibtsich eine effektive Mehrbelastung gegenüber 1999, die imEinzelfall bis zu 111 Prozent betragen kann. Das ist be-dauerlich. Angesichts des zwingenden Bedarfs der Kon-solidierung des Bundeshaushaltes, den diese Bundesre-gierung nicht zu verantworten hat, ist dies aber leiderunabänderlich.Aus dieser Beitragsmehrbelastung in der Alterssiche-rung ergibt sich keine Existenzbedrohung für die land-wirtschaftlichen Betriebe. Jedoch verlangen die in derjüngeren Zeit beschlossenen Reformmaßnahmen, alsodas Zukunftsprogramm 2000 und die ökologische Steuer-reform, der deutschen Land- und Forstwirtschaft insge-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. Juni 2000
Dr. Michael Meister10390
samt eine erhebliche Anpassungsleistung ab, die durch dieBundesregierung unterstützt werden soll.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es gibt eine erste Zu-
satzfrage des Kollegen Storm. Bitte.
Herr Staatssekretär,
nachdem Sie in Ihrer Antwort bestätigt haben, dass Bei-
tragssteigerungen bis zu 111 Prozent zu erwarten sind,
möchte ich Sie fragen: Es war ja erklärtes Ziel der
Bundesregierung, die Beiträge für die sozialen Siche-
rungssysteme zu reduzieren. Habe ich Sie richtig verstan-
den, dass die Bundesregierung die Erwerbstätigen bzw.
Versicherten im Bereich der Landwirtschaft hiervon aus-
nehmen will?
D
Nein, sie nimmt sie nicht aus. Bei der Darstellung des
Sachverhalts ist natürlich darauf hinzuweisen, dass trotz
dieser Maßnahmen das Beitrags-Leistungs-Verhältnis in
der landwirtschaftlichen Alterskasse noch immer günsti-
ger ist als in der gesetzlichen Rentenversicherung. Das ist
etwas, auf das man nicht genug hinweisen kann. Vor die-
sem Hintergrund erschien uns die Entscheidung an dieser
Stelle noch vertretbar, zumal es hier wie in keinem ande-
ren Bereich auch zu Beitragszuschüssen kommt. Im
Jahr 2000 gibt es zum Beispiel bei der untersten Beitrags-
klasse – darauf nehmen die 111 Prozent Bezug – einen
monatlichen Zuschuss in Höhe von 205 DM. Das gibt es
in keinem anderen vergleichbaren System.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Auch der Kollege
Meister hat eine Zusatzfrage. Bitte.
Herr Staatssekre-
tär, ich möchte noch einmal nachfragen. Sie haben eben
in Ihrer Antwort auf die Frage des Kollegen Storm gesagt,
dass auch die Landwirtschaft für den Konsolidierungs-
beitrag herangezogen werden muss, zum einen im Be-
reich der Sozialversicherung, zum anderen durch die
Ökosteuer. Und Sie haben erwähnt, dass die Bundesregie-
rung den Landwirten helfen will, diese Inanspruchnahme
zu bewältigen. Könnten Sie einmal konkret sagen, in wel-
chen Bereichen die Bundesregierung der Landwirtschaft
Hilfe gewährt, um diese Belastungen zu kompensieren?
D
Die gesamte Agrarpolitik der Bundesregierung ist in die
Zukunft weisend. Ich nenne die Agenda 2000 und ähnli-
che Entscheidungen. Wir gehen davon aus, dass die Wett-
bewerbsfähigkeit der Landwirtschaft insgesamt besser
wird.
Auf der anderen Seite habe ich in meiner Antwort ein-
geräumt, dass es in einigen Bereichen zu Belastungen
kommt. Allerdings ist mir nicht bekannt, dass es seitens
der Opposition zu den Sparmaßnahmen der Bundesregie-
rung alternative Vorschläge gegeben hätte, zum Beispiel
die, bei anderen Haushaltspositionen, etwa bei Positionen
im Haushalt des Bundesverteidigungsministers, zu strei-
chen, bei den Renten stärker einzusparen oder die Mehr-
wertsteuer deutlich zu erhöhen, um das strukturelle Defi-
zit des Bundeshaushaltes abzubauen. Von solchen Vor-
schlägen ist mir nichts bekannt.
Eines wäre nicht gegangen, nämlich so weiterzuma-
chen wie in der Vergangenheit. Dann hätten wir einen mit
der Verfassung nicht konformen Bundeshaushalt vorlegen
müssen. Das hat sich von selbst verboten. Aus diesem
Grunde musste auch der Agrarbereich an den Sparmaß-
nahmen beteiligt werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es gibt eine weitere
Zusatzfrage des Kollegen Steiger.
Herr Staatssekretär,
verstehe ich Ihre Antwort auf die Frage des Kollegen
Meister richtig, dass die Hilfsmaßnahmen, die Sie an-
führen, nur Rhetorik sind?
D
Nein, Sie verstehen das völlig falsch. Das Problem ist,
dass die Agrarpolitik der alten Bundesregierung seit lan-
ger Zeit – man muss schon fast sagen: seit 1982 – darauf
ausgerichtet war, das, was am Markt weniger verdient
wurde, durch öffentliche Gelder auszugleichen. Diese Po-
litik aufrechtzuerhalten ist der alten Bundesregierung in
den letzten Jahren immer schwerer gefallen. Sie war jetzt
einfach nicht mehr fortzusetzen. Insofern hat es eine
Neuausrichtung der Agrarpolitik gegeben. Dies wird den
Bauern auf längere Zeit gesehen mehr helfen als schaden.
Natürlich ist das eine Umorientierung. Unser Ziel ist, dass
die Bauern zukünftig am Markt mehr Geld verdienen –
anstatt Hilfen aus öffentlichen Kassen zu beziehen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Auch Herr Kollege
Storm hat noch eine Zusatzfrage. Ihm stehen als Fra-
gesteller selbstverständlich zwei Zusatzfragen zu.
Herr Staatssekretär, Sie
haben in Ihrer Antwort auf die Frage des Kollegen Meister
eben beklagt, dass es keine alternativen Einsparvor-
schläge gebe. Nun ist es ja so, dass die landwirtschaftli-
chen Alterskassen schon vor Jahresfrist einen Vorschlag
gemacht haben, mit dem erhebliche Einsparungen bei den
Verwaltungskosten möglich sind, nämlich wenn hinsicht-
lich der Einkommen ein Datenabgleich mit den Finanz-
behörden stattfindet. Es sind deshalb erhebliche Ein-
sparungen möglich, weil die Widerspruchsquote in die-
sem Bereich bei 70 Prozent liegt, also ganz beachtlich ist.
Ich frage Sie deshalb: Warum ist die Bundesregierung auf
diese Anregung der landwirtschaftlichen Alterskassen
bisher überhaupt nicht eingegangen?
D
Weil wir als Bund in dem Bereich auf die Verwaltung
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. Juni 2000
Parl. Staatssekretär Dr. Gerald Thalheim10391
keinen Einfluss haben. Die Aufsicht über die landwirt-schaftlichen Alterskassen obliegt den Ländern. Wir alsBund sind bemüht, im Rahmen einer Neustrukturierungim gesamten Sozialbereich unseren Einfluss zu stärken.Dies ist bisher an dem Widerstand der Länder gescheitert.Ich interpretiere Ihre Frage aber so, dass wir bei demBemühen, in dem Bereich zu einer Neustrukturierung zukommen – um am Ende damit viel Geld einzusparen –,auf Ihre Unterstützung bauen können.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Damit kommen wir
zur Frage 29 des Abgeordneten Andreas Storm:
Beabsichtigt die Bundesregierung, diese Belastungen rück-
gängig zu machen, etwa durch eine Zuführung von Mitteln aus der
Ökosteuer, wie dies in der gesetzlichen Rentenversicherung ge-
plant ist?
D
Sehr geehrter Herr Kollege Storm, zunächst will ich da-
rauf hinweisen, dass im Gesetz über die Alterssicherung
der Landwirte Regelungen enthalten sind, aufgrund deren
der Beitrag der Landwirte mit dem Beitragssatz in der ge-
setzlichen Rentenversicherung verknüpft ist. Infolge ei-
nes höheren Bundeszuschusses – aus den Einnahmen der
Ökosteuer – konnte dieser Beitragssatz zum 1. Januar
2000 gesenkt werden. Diese Verknüpfung hat also dämp-
fend auf den Beitragsanstieg in der Alterssicherung der
Landwirte gewirkt.
Es ist nicht vorgesehen, die in der Alterssicherung der
Landwirte vorgenommenen Einsparmaßnahmen wieder
rückgängig zu machen. Der Bundesregierung ist bewusst,
dass ihre haushalts- und finanzpolitischen Beschlüsse der
Land- und Forstwirtschaft erhebliche Anpassungsleistun-
gen abverlangen. Gerade wegen der besonderen Belas-
tung durch die Ökosteuer soll ein besonderer Steuersatz
für den in Betrieben der Land- und Forstwirtschaft ver-
wendeten Dieselkraftstoff eingeführt und damit die Wett-
bewerbsfähigkeit der deutschen Landwirtschaft gestärkt
werden. Der notwendige Prozess einer Anpassung an den
stärkeren Wettbewerb im Rahmen der EU-Agrarpolitik
soll so erleichtert werden.
Der Steuersatz beträgt 0,57 DM pro Liter Dieselkraft-
stoff. Dies entspricht einer Begünstigung von 23 Pfennig
pro Liter Dieselkraftstoff im Jahr 2001. Die Begünstigung
wird mit den weiteren Stufen der Ökosteuer bis zum Jahr
2003 auf 35 Pfennig pro Liter anwachsen, was Minder-
einnahmen bei der Mineralölsteuer in einem Volumen von
rund 700 Millionen DM zur Folge haben wird. Dies wird
zu einer Entlastung der Landwirtschaft führen.
Im Energiebereich bestehen zwischen den EU-Mit-
gliedstaaten aufgrund unterschiedlicher Steuersätze für in
der Land- und Forstwirtschaft verwendeten Dieselkraft-
stoff erhebliche Wettbewerbsunterschiede. Als grundsätz-
liche Lösung strebt die Bundesregierung deshalb weiter-
hin eine EU-weite Harmonisierung der Besteuerung von
Dieselkraftstoff für Arbeiten in der Landwirtschaft, im
Gartenbau, in der Fischzucht und in der Forstwirtschaft
an.
Die durch den Wegfall der Gasölverbilligung ab dem
Jahre 2002 frei werdenden Mittel bleiben dem Agrar-
haushalt in vollem Umfang erhalten. Sie sollen eingesetzt
werden, um die Bundesmittel für die Gemeinschaftsauf-
gabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küsten-
schutzes“ auf bisherigem Niveau zu verstetigen. Damit
kann die Gemeinschaftsaufgabe einen nachhaltigen Bei-
trag zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit landwirt-
schaftlicher Betriebe und zur Schaffung von Arbeitsplät-
zen im ländlichen Raum leisten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine erste Zusatz-
frage, bitte, Herr Kollege Storm.
Herr Staatssekretär,
wenn ich Ihre umfangreiche Antwort im Hinblick auf die
Frage auf ihren Kern reduziere, haben Sie ausgeführt,
dass hier nicht wie in der gesetzlichen Rentenversiche-
rung ein Teil der durch die Ökosteuer erzielten Mittel zu-
geführt wird und dies auch nicht beabsichtigt ist. Ich frage
Sie deshalb im Hinblick auf die Verteilungsgerechtigkeit,
auf die Verteilungswirkungen, die die Bundesregierung
angeblich im Auge hat: Wie können Sie es für sozial ver-
tretbar halten, wenn einerseits die Landwirtschaft durch
die Ökosteuer überdurchschnittlich belastet wird, ande-
rerseits aber die Beitragszahler aus der Landwirtschaft
nicht durch eine direkte Beitragssatzminderung bedingt
durch das Ökosteueraufkommen entlastet werden?
D
Auf den ersten Teil Ihrer Frage möchte ich antworten: Der
Vorwurf ist insofern nicht gerechtfertigt, als der Beitrag
der landwirtschaftlichen Alterskasse vom Beitragssatz der
gesetzlichen Rentenversicherung abgeleitet ist und sich
damit in der landwirtschaftlichen Alterskasse die Entlas-
tungswirkung analog zur Rentenversicherung ergibt. Al-
lerdings wird das am Ende durch die Sparmaßnahmen bei
der Alterskasse nicht wirksam. Bei der vorangegangenen
Beantwortung der Fragen habe ich dargelegt, aus welchen
Gründen auch im Agrarsozialbereich gespart werden
muss. Denn dieser umfasst mittlerweile 70 Prozent des
Einzelplanes 10.
Trotzdem – das ist die Frage nach der sozialen Ge-
rechtigkeit – ist das Beitrags-Leistungs-Verhältnis der
landwirtschaftlichen Alterskasse immer noch deutlich
günstiger als das der gesetzlichen Rentenversicherung.
Die Besserstellung betrug früher etwa 20 Prozent. Als
Konsequenz dieser Maßnahmen verringert sich diese Ver-
günstigung auf etwa 10 Prozent, aber es bleibt noch eine
Besserstellung. Das Negative daran ist, dass eine Besser-
stellung der Landwirtschaft hinsichtlich des Beitrag-Leis-
tungs-Verhältnisses um 20 Prozent natürlich besser ist als
eine um 10 Prozent und dies in Einzelfällen auch zu Här-
ten führte. Aber hier muss ich auf die Begründung der
Sparmaßnahmen verweisen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es gibt eine weitereZusatzfrage des Kollegen Meister. Bitte.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. Juni 2000
Parl. Staatssekretär Dr. Gerald Thalheim10392
Herr Staatssekre-
tär, zunächst haben Sie darauf hingewiesen, dass die den
Landwirten durch die Ökosteuer entstehenden Belastun-
gen zum Teil durch die Gasölbeihilfe kompensiert wer-
den. Diese haben Sie expressis verbis genannt. Dazu
möchte ich nachfragen: Ist es nicht vielmehr so, dass die
ursprüngliche Dieselrückvergütung den Landwirten mehr
als die jetzige Ökosteuererhöhung und die damit verbun-
dene Lohnnebenkostenentlastung, von der insbesondere
Familienbetriebe kaum profitieren, gebracht hätte? Jetzt
haben sie Mineralölsteuer plus Ökosteuer minus die redu-
zierte Gasölbeihilfe. Dies führt zu keiner Entlastung, son-
dern zu einer zusätzlichen Belastung der Landwirtschaft.
D
Man muss den Sachverhalt in zwei Teile trennen. Auf der
einen Seite stehen die Auswirkungen der Haushaltskon-
solidierung. Diese bewegen sich in dem Rahmen, den ich
dargestellt habe, einschließlich der Kürzungen im Bereich
der Gasölbeihilfe. Auch hier ist darauf zu verweisen, dass
es zu Zeiten der alten Bundesregierung zwischen 1990
und 1995 Mineralölsteuererhöhungen bei Diesel um
17 Pfennig pro Liter gegeben hat, ohne dass im gleichen
Zeitraum die Gasölrückerstattung angehoben worden ist.
Also hier sind in der Vergangenheit ähnliche Entschei-
dungen getroffen worden.
Wenn wir jetzt diese Änderung im Mineralölsteuerge-
setz vornehmen wollen und damit die Landwirtschaft teil-
weise von den Auswirkungen der Ökosteuer entlasten,
dann hat das den Grund, dass die Anteile der Energiekos-
ten an der Erzeugung im landwirtschaftlichen Bereich im
Vergleich zu anderen Volkswirtschaftszweigen unverhält-
nismäßig hoch sind und nicht überwälzt werden können.
Am Ende wird das Ganze dazu führen, dass die Land-
wirtschaft um etwa 700 Millionen DM entlastet wird.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Kollege Storm macht
von seiner Chance Gebrauch, die zweite Frage zu stellen.
Herr Staatssekretär, Sie
hatten in der Antwort auf meine erste Nachfrage ausge-
führt, die Versicherten in der landwirtschaftlichen Alters-
kasse würden dadurch entlastet, dass die Rentenanpas-
sung in der landwirtschaftlichen Alterskasse an die Ren-
tenanpassung in der gesetzlichen Rentenversicherung
gekoppelt ist. Nun haben Sie in diesem und im nächsten
Jahr die Rentenformel ausgesetzt. Die Rentner bekom-
men nur Rente nach Kassenlage,
also eine Rentenanpassung, die sich nicht an der Net-
toeinkommensentwicklung der Beitragszahler orientiert.
Herr Staatssekretär, das bedeutet doch, dass die Rent-
ner auch an dieser Stelle einen Verlust erleiden und an kei-
ner Stelle, wie Sie es darstellen, einen Gewinn erzielen.
Denn die Rentenanpassung ist doch niedriger, als sie es
wäre, wenn die Rentner an der allgemeinen Einkom-
mensentwicklung teilhaben würden.
D
Wir haben soeben über die Beitragsseite diskutiert, nicht
über die Gewährung der Rente oder der Altersbezüge der
Landwirte. Auf der Beitragsseite gilt selbstverständlich,
dass aus dem Aufkommen der Ökosteuer auch der Beitrag
zur landwirtschaftlichen Alterskasse in dem gleichen
Maße abgesenkt wird wie der Beitrag zur gesetzlichen
Rentenversicherung. Davon bleibt die Frage der Er-
höhung der Rente und der Alterskassenbezüge unberührt.
Das heißt, das Entscheidende ist, dass die Landwirtschaft,
was die Absenkung der Beiträge durch die Ökosteuer an-
belangt, in gleicher Weise berücksichtigt wird.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir kommen zur
Frage 30 des Abgeordneten Wolfgang Steiger
:
Trifft es zu, dass das strukturwandelbedingte Defizit in der
landwirtschaftlichen Unfallversicherung bei jährlichen Gesamt-
aufwendungen von rund 1,7 Milliarden. DM deutlich über 700
Millionen. DM beträgt?
D
Frau Präsidentin, die Fragen 30 und 31 stehen in sachli-
chem Zusammenhang. Deshalb bitte ich darum, diese bei-
den Fragen gemeinsam beantworten zu können.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dann rufe ich auch die
Frage 31 des Abgeordneten Wolfgang Steiger
auf:
Wenn ja, warum werden die Bundesmittel zur Beitragsentla-
stung dennoch erheblich gekürzt?
D
Sehr geehrter Herr Kollege Steiger, für die Gewährungvon Bundeszuschüssen zur landwirtschaftlichen Unfall-versicherung ist ein wie auch immer begründetes undquantifiziertes strukturwandelbedingtes Defizit nie sach-liche Rechtfertigung oder Anlass gewesen. Die zweckge-bundenen Bundeszuschüsse zur landwirtschaftlichen Un-fallversicherung sind dafür bestimmt, eine Senkung derUnternehmerbeiträge und damit eine kostenmäßige Ent-lastung landwirtschaftlicher Betriebe herbeizuführen.Diese Zielsetzung ist den Erläuterungen des Bundeshaus-haltsplanes und den jährlichen Zuwendungsbescheidendes Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaftund Forsten zu entnehmen.Der Begriff des strukturwandelbedingten Defizitesgeht auf ein Gutachten des Ifo-Instituts für Wirtschafts-forschung aus dem Jahre 1983 zurück. Der Inhalt des Gut-achtens war seit Erstellung nicht Grundlage für die Höheder Bundesmittelgewährung. Die Fortschreibung einesvom Ifo-Institut berechneten strukturwandelbedingtenDefizites anhand des in diesem Gutachten entwickeltenVerfahrens würde bei Berücksichtigung der neuen Länder
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. Juni 2000 10393
für das Jahr 2000 einen Betrag von 728 Millionen DM er-geben.Auch die Bundeszuschüsse zur landwirtschaftlichenUnfallversicherung mussten im Rahmen der Haushalts-konsolidierung gegenüber 1999 um 50 Millionen DM aufnunmehr 500 Millionen DM abgesenkt werden. Nur sokonnte gewährleistet werden, dass das BML seinen Bei-trag zu den dringend notwendigen Maßnahmen zur Haus-haltskonsolidierung leisten konnte. Für den Zeitraum dermittelfristigen Finanzplanung soll diese Höhe der Bun-desmittel beibehalten werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine erste Nachfrage,
bitte, Herr Kollege Steiger.
Herr Staatssekretär,
wenn man den gesamten Fragenkomplex von der Frage
26 bis zu dieser Frage sieht, muss man doch zu dem
Schluss kommen, dass unter dem Stichwort Ökosteuer,
sowie durch die Belastungen aus der Agenda 2000 und
aus dem jetzt diskutierten Problemkreis auf die Landwirt-
schaft enorme Belastungen zukommen. Es stellt sich dann
doch die Frage, ob mit Ihrer Politik nicht ein Struktur-
wandel herbeigeführt werden soll, durch den die bäuerli-
chen Kleinbetriebe und vor allem die Nebenerwerbsbe-
triebe beseitigt werden sollen. Teilen Sie diese Auffas-
sung?
D
Nein, diese Auffassung teile ich nicht. Ich will zur Be-
gründung meine Antworten auf die vorangegangenen Fra-
gen anführen: Es stimmt nicht, dass die Agenda 2000 so
negative Auswirkungen haben wird, wie immer behauptet
wurde. Dies wird angesichts der aktuellen Preisentwick-
lung in einigen Bereichen auch von niemandem mehr an-
geführt. Ganz abgesehen davon hat die Agenda 2000 die
Europäische Union in die Lage versetzt, bei den WTO-
Verhandlungen gut dazustehen und die Osterweiterung zu
meistern.
Ich habe aber auch deutlich gemacht, dass es keine Al-
ternative zu der Entscheidung gab, die Kompensation von
Einkommensverlusten aus öffentlichen Geldern nicht
weiter fortzusetzen. Dies bedeutet natürlich Belastungen
und Härten. Auf längere Sicht wird es aber zu einer bes-
seren Zukunftsorientierung der Landwirtschaft führen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine zweite Nach-
frage, Herr Kollege Steiger.
Wie begründen Sie
denn Ihre optimistische Sicht auf die Zukunft?
D
Sie müssen nur einmal mit jungen Landwirten diskutie-
ren. Diese sagen Ihnen eindeutig, sie wollten nicht mehr
diese Abhängigkeit vom Staat, wie sie in der Vergangen-
heit üblich war; sie wollen vielmehr am Markt ihr Geld
verdienen. Man muss einmal unterscheiden: Will man un-
ternehmerisch tätig sein, kann man nicht bei jedem Pro-
blem sofort fragen, wie viel Geld man aus öffentlichen
Mitteln erhält.
Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass die Landwirt-
schaft auch vonseiten der Europäischen Union unterstützt
wird. Allein die Ausgleichszahlungen im Rahmen der
Agenda 2000 belaufen sich für die Landwirtschaft in
Deutschland auf 12 Milliarden DM pro Jahr. Wenn man
die diversen Zahlungen aus dem Agrarhaushalt, die trotz
der eben diskutierten Kürzungen noch verbleiben, hinzu-
nimmt, dann fließen aus dem europäischen Haushalt so-
wie dem Bundeshaushalt öffentliche Gelder in Höhe von
knapp 20 Milliarden DM. Vor diesem Hintergrund läuft
die Behauptung ins Leere, die rot-grüne Regierung tue
nicht genug für die Landwirtschaft.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es gibt eine Zusatz-
frage des Kollegen Peter Dreßen.
Herr Staatssekretär, wenn Sie
diese Debatte verfolgen und dabei den Antrag der Oppo-
sition zum Agrarbericht berücksichtigen, in dem sehr
viele Steuervergünstigungen gefordert werden: Würden
Sie mir darin zustimmen, dass wir, wenn alle Bereiche so
handeln würden, einen Gesamthaushalt in Höhe nicht von
480 Milliarden DM, sondern von 800 Milliarden DM
bräuchten, um diese Wünsche überhaupt zu erfüllen? Hal-
ten Sie es in diesem Zusammenhang nicht für richtiger,
einmal der alten Regierung vorzuwerfen, wie zergliedert
die Sozialversicherungssysteme im Bereich der Land-
wirtschaft sind und dass in diesem Bereich etwas hätte ge-
tan werden müssen?
D
Ich kann Ihnen an dieser Stelle nur zustimmen. Ich sehe
regelmäßig Kopfnicken in den Bauernversammlungen,
wenn ich die Landwirte mit der Tatsache konfrontiere,
dass eine Weiterführung der bisherigen Politik bedeuten
würde, mit Kreditaufnahmen eine Konsumtion im land-
wirtschaftlichen Bereich zu finanzieren, deren Lasten die
Kinder der heutigen Bauernfamilien in der Zukunft zu tra-
gen hätten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nun eine Zusatzfrage
des Kollegen Meister.
Herr Staatssekre-tär, ich entsinne mich, dass diese Bundesregierung ange-treten ist, die Situation am Arbeitsmarkt durch Senkungder Lohnnebenkosten zu verbessern. Wir haben jetzt überdrei Versicherungsbereiche – Krankenkasse, Unfallversi-cherung und Altersversicherung – diskutiert. Für alle dreiBereiche haben Sie dargelegt, dass die Beitragssätze – ineinem Bereich sogar um bis zu 111 Prozent – steigen wer-den. Glauben Sie, dass das von Ihnen Vorgetragene imEinklang mit den Zielen dieser Bundesregierung und der
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. Juni 2000
Parl. Staatssekretär Dr. Gerald Thalheim10394
Koalitionsvereinbarung steht, nämlich die Lohnneben-kosten zu senken und damit mehr Arbeit in Deutschlandzu schaffen?D
Herr Kollege, wir sind auch angetreten, für mehr Gerech-
tigkeit zu sorgen. Ich habe deutlich gemacht, dass das Bei-
trags-Leistungs-Verhältnis in der Landwirtschaft trotz der
Maßnahmen immer noch günstiger ist als in der gesetzli-
chen Rentenversicherung, um ein Beispiel zu bringen.
Das Gleiche gilt für die Krankenversicherung mit der
Übernahme der Altenteilerleistungen durch den Bund und
es gilt auch für die Unfallversicherung. Nur im landwirt-
schaftlichen Bereich gibt es einen Zuschuss; in den ande-
ren Bereichen lediglich das Gemeinlastverfahren, bei dem
die Belastungen zwischen den einzelnen Sektoren ausge-
glichen werden. Insofern geht der Vorwurf ein Stück ins
Leere.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Damit ist dieser Ge-
schäftsbereich ab geschlossen.
Sämtliche Fragen zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Arbeit und Sozialordnung werden
schriftlich beantwortet. Deshalb kommen wir jetzt zum
Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidi-
gung. Zur Beantwortung steht Frau Parlamentarische
Staatssekretärin Brigitte Schulte zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 35 des Abgeordneten Karl-Josef
Laumann auf:
Trifft es zu, dass künftig nur noch vier Wehrbereichsverwal-
tungen vorgesehen sind, und wenn ja, wie werden diese dann
räumlich aufgeteilt?
Ich verweise darauf, dass nur noch reichlich drei Mi-
nuten zur Beantwortung zur Verfügung stehen.
B
Ja, ich will mich bemühen, das
schnell zu klären. Herr Kollege Laumann, Sie stellen eine
Frage, die viele Kollegen, die Standorte in ihrem Wahl-
kreis haben, jetzt stellen. Ich kann Ihnen ausdrücklich sa-
gen: Gemäß dem Eckpfeilerpapier „Die Bundeswehr si-
cher ins 21. Jahrhundert“ von Anfang Juni dieses Jahres
wird die territoriale Wehrverwaltung im Gleichklang mit
der territorialen Wehrorganisation gestrafft. Hierzu wird
die Zahl der Wehrbereichsverwaltungen von sieben auf
vier reduziert. Die Zuständigkeitsbereiche und die Stand-
orte der verbleibenden Wehrbereichsverwaltungen wer-
den im Rahmen der Feinausplanung festgelegt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege
Laumann, bitte eine Zusatzfrage.
Frau Staatssekre-
tärin, Ihre Kabinettskollegin Frau Wieczorek-Zeul hat in
einer Pressemitteilung in Wiesbaden veröffentlicht, dass
die Wehrbereichsverwaltung Wiesbaden erhalten bleibe
und die Wehrbereichsverwaltung Düsseldorf aufgelöst
werde. Wie stehen Sie zu dieser Pressemitteilung Ihrer
Kabinettskollegin, und glauben Sie, dass Sie dann allen
Ernstes hier im Parlament sagen können, dass Sie noch
keine Planungen in dem Bereich haben?
B
Lieber Herr Kollege Laumann,
erstens – das muss ich freundlicherweise sagen – steht es
jedem frei gewählten Parlamentarier dieses Landes, auch
Ihnen, zu, sich für seine Standorte einzusetzen. Dass die
Abgeordnete von Wiesbaden, die zufällig auch noch Mi-
nisterin ist, diese Behauptung aufgestellt hat, höre ich von
Ihnen. Sie hat es uns weder in irgendeiner Weise mitge-
teilt noch gibt es irgendwelche ernst zu nehmenden Über-
legungen. Wir sind zu diesem Zeitpunkt wirklich noch
nicht so weit. Ich könnte mir vorstellen, dass es andere
Kollegen – sehen wir uns nur die Kampagnen an, die im
Moment die CSU in Bayern macht – ähnlich tun. Nein,
wir können es Ihnen zu diesem Zeitpunkt wirklich nicht
sagen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt rufe ich die Fra-
ge 36, des Kollegen Karl-Josef Lauman auf:
Ist bei den Privatisierungsabsichten im Bereich der Standort-
verwaltungen auch ein Market Testing, ähnlich wie beim Geräte-
hauptdepot in Rheine-Kanalhafen, vorgesehen, um auch den Be-
schäftigten des öffentlichen Dienstes eine faire Chance zur Opti-
mierung einzuräumen?
Ich bitte wiederum um eine kurze Antwort.
B
Aber selbstverständlich werdeich auch die zweite Frage schnell beantworten. – HerrKollege Laumann, die territoriale Wehrverwaltung befin-det sich in einem Prozess der Optimierung und Rationali-sierung. Das klingt gut, darum bemühen wir uns ja ei-gentlich, aber jetzt wollen wir wirklich auch Ernst ma-chen. Was heißt das? Wir versuchen wirklich intensiv, dieAufwendungen für den Betrieb zugunsten neuer Investi-tionen zu verringern.Es ist klar, dass die Bundeswehr schon immer nach § 7der Bundeshaushaltsordnung verpflichtet ist, Organisa-tion, Betrieb und Verfahren strikt an den KriterienWirtschaftlichkeit und Effizienz zu orientieren. DieseGrundsätze verpflichten jede Verwaltung, auch die Bun-deswehrverwaltung, zur Prüfung, ob die Aufgaben kos-tengünstig privatisiert werden können oder ob sie über-haupt noch notwendig sind; auch das halte ich für einenganz wesentlichen Punkt.Das Programm der internen Optimierung bei denStandortverwaltungen ist angelaufen. Wir wollen es fort-führen, aber letztendlich wollen wir Kostenvergleiche ha-ben, bei denen klar wird, dass wir auch unsere öffentli-chen Aufgaben wirtschaftlicher gestalten können.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. Juni 2000
Dr. Michael Meister10395
Auf Ihre konkrete Frage nach dem Market-Testing-Verfahren kann ich Ihnen sagen, dass es zurzeit nichtdurchgeführt wird.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine kurze Nachfrage,
bitte, Herr Kollege Laumann.
Frau Staatssekre-
tärin, könnten Sie sich denn vorstellen, dass die Bundes-
regierung den Standortverwaltungen die Möglichkeit
gibt, wie es etwa in dem Depot im Rheine-Kanalhafen ge-
schehen ist, ihre Leistungsfähigkeit gegenüber der priva-
ten Wirtschaft zu beweisen? Ja oder nein?
B
Ausdrücklich kann ich mir das
vorstellen, und ich muss Ihnen auch ehrlich sagen: Vor al-
len Dingen kann ich mir vorstellen, dass alle unsere
öffentlichen Verwaltungen sich an zwei Grundsätze hal-
ten, indem sie sich zwei Fragen stellen Erstens: Ist die
Aufgabe heute noch notwendig? Zweitens: Kann ich sie
wirtschaftlicher gestalten? Das gilt auch für alle zivilen
Verwaltungen der Bundeswehr. Es gilt eigentlich für jede
öffentliche Verwaltung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bedanke mich, vor
allem für die Kürze der Antworten, Frau Parlamentarische
Staatssekretärin.
Die noch offenen Fragen 37 bis 41 zum Geschäftsbe-
reich des Bundesministeriums der Verteidigung werden
auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die
noch ausstehenden Fragen zum Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Wohnungswe-
sen werden ordnungsgemäß schriftlich beantwortet. Da-
mit ist die Fragestunde beendet.
Ich rufe den Zusatztagesordnungspunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU
Haltung der Bundesregierung zur Reduktion
der Investitionen im Bundeshaushalt 2001 und
zu den sich aus geringeen Aufträgen ergeben-
den Wirkungen auf den Mittelstand
Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner für die Frak-
tion der CDU/CSU ist der Kollege Dietrich Austermann.
Frau Präsiden-tin! Meine Damen und Herren! Wir haben die heutige Ak-tuelle Stunde aus Sorge um die Entwicklung der Wirt-schaft und insbesondere des Mittelstandes in unseremLand beantragt. Wir leiten unsere Sorge aus dem Entwurfdes Bundeshaushalts für das kommende Jahr ab. Ich freuemich deswegen, dass auch der zuständige Staatssekretäraus dem Wirtschaftsressort hier ist, weil es ihn besondersangeht, wenn Veränderungen vorgenommen werden sol-len, die ziemlich erschreckend für die wirtschaftliche Ent-wicklung unseres Landes sind.
Ich erinnere an das, was der Bundesfinanzminister aufder Veranstaltung des BDI noch gestern Abend gesagt hat:Er sprach von Budgetkonsolidierung, von der Sicherungsozialer Systeme und davon, dass Wachstum und Investi-tionen deutlich gefördert werden sollten.
Von all dem ist im Haushaltsentwurf für das kom-mende Jahr nichts zu erkennen:
Die Ausgaben für Investitionen werden kräftig zusam-mengestrichen; sie sinken im Vergleich zu diesem Jahr um3 Milliarden DM und im Jahr 2004 um 5,5 Milliar-den DM.
Damit erreicht die Investitionsquote einen traurigen Ne-gativrekordwert von 10,3 Prozent, der nur noch vonSchleswig-Holstein übertroffen wird.Noch bitterer wäre es allerdings geworden, wenn dasBundesverwaltungsgericht heute nicht entschieden hätte,dass die Verträge über den Verkauf der Eisenbahnerwoh-nungen in Ordnung seien. Dies lässt die Kampagnen, dieSie in Bezug auf dieses Geschäft lange vorbereitet unddurchgeführt haben, endlich in sich zusammenfallen.Mit dem Bundeshaushalt 2001 und dem Finanzplanwerden ökonomisch eindeutig falsche Signale gesetzt.
Das hängt wohl damit zusammen, dass die Popökonomenin der Bundesregierung weiterhin das Sagen haben. Ab-sichtsvoll schlecht wird der Mittelstand behandelt. Ge-messen an Ihren eigenen Forderungen – Förderung desMittelstandes, Voranbringen des Technologie- und For-schungsstandortes, Verdoppelung der Forschungsinvesti-tionen – muss man leider feststellen:
überall Fehlanzeige; es geht an der Realität vorbei.Die Leistungs- und die Wettbewerbsfähigkeit kleinerund mittlerer Unternehmen wurden unter unserer Regie-rung 1998 mit 1,3 Milliarden DM gefördert. Im kommen-den Jahr sind es nur noch 508 Millionen DM. Das ist fastnur noch ein Drittel. Daran wird deutlich, dass es dieseRegierung insgesamt nicht gut mit dem Mittelstand in un-serem Lande meint. Das hat Folgen für die Arbeitsplätze,für die wirtschaftliche Entwicklung und für die Beschäf-tigung.Gleiches gilt im Übrigen auch für die zur Chefsache er-klärte Angelegenheit Aufbau Ost.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. Juni 2000
Parl. Staatssekretärin Brigitte Schulte10396
– Ja, so kann man es verstehen. – Die Ausgaben für For-schung und Entwicklung in den neuen Bundesländernwerden um 30 Millionen DM zurückgefahren. Die Aus-gaben für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung derregionalen Wirtschaftsstruktur“ werden sogar um300 Millionen DM zurückgefahren. Die Ausgaben für dieanderen Förderbereiche gehen um 300 Millionen DMzurück. Dann bleibt noch eine globale Minderausgabevon 250 Millionen DM. Angesichts dieser Entwicklungbleibt dem Beauftragten der Bundesregierung für dieneuen Bundesländer, Herrn Schwanitz, eigentlich nichtsanderes übrig, als zurückzutreten, wenn er es mit seinerAufgabe, die Interessen der neuen Bundesländer zu ver-treten, ernst meint.
Der Haushalt des Bundesministeriums für Wirtschaftund Technologie wird brutal zusammengestrichen: Von16,8 Milliarden DM im Jahre 1998 bleiben im nächstenJahr nur noch 10,8 Milliarden DM übrig. Wie Sie damitwirkungsvolle Mittelstands- und Technologieförderungbetreiben wollen, bleibt Ihr Geheimnis. Herr Mosdorf undHerr Diller, ich hätte den Bundesfinanzminister hier gernepersönlich anwesend gesehen, um ihm das deutlich zumachen. Aber ich bin überzeugt, Sie tragen das weiter.Wenn man berücksichtigt, dass noch eine globale Min-derungsausgabe vorgesehen ist, und die Entwicklung beider Deutschen Ausgleichsbank einbezieht, dann wird ei-nem klar, dass die Mittel für die mittelständischen Be-triebe – das heißt für die Betriebe, die Ausbildungs- undArbeitsplätze zur Verfügung stellen – immer geringerwerden. Das ist deshalb so bedeutsam, weil das Wachstumin Deutschland, das etwa dem des Jahres 1998 entspricht,einseitig exportorientiert ist und weitgehend am Mittel-stand, an der inländischen Stabilität und an der Nachfrageim Inland vorbeigeht. Es wird also deutlich: ZwischenAnspruch und Wirklichkeit rot-grüner Politik klaffenWelten.Bezogen auf die Steuerpolitik findet das eine entspre-chende Ergänzung. Im nächsten Jahr wird die Ökosteuernoch einmal 8 Pfennig mehr betragen.
Drei mal 8 Pfennig mehr Ökosteuer sind dann insgesamtschon 24 Pfennig.
Man versucht, diese Feststellung zurückzuweisen, indemman sagt, dafür seien ganz andere verantwortlich. Gleich-zeitig bringt man eine Steuerreform auf den Weg, dieebenfalls am Mittelstand vorbeigeht.Dies geschieht, obwohl der Bundesfinanzminister, wiewir mehrfach nachgewiesen haben, im Geld schwimmt.Er stellt sich hier her, als hätte er ausgefranste Hosen an.In Wirklichkeit ist aufgrund von Entscheidungen frühererJahre – Privatisierungserlöse und anderes mehr – die Si-tuation so, dass er zweifelsohne dazu beitragen könnte,wesentlich mehr zu einer Steuerreform, die diesen Namenauch verdient, beizutragen und Mittel für eine kräftigeAnschubfinanzierung zur Verfügung zu stellen; zumal dieKritik an der Steuerreform aus vielen Bereichen – selbstvon den SPD-Ländern, vom Handwerk, von den Bauern,von der BDI und von der BDA – immer größer wird.Eine andere Geschichte – die Kollegen werden nochdarauf hinweisen – sind die Ausgaben für Verkehrsinves-titionen. Im Bereich Verkehrs- und Bauwesen werdenKürzungen im Bereich der notwendigen Infrastrukturfortgesetzt. Ein Anti-Stau-Programm wird angekündigt;dennoch gibt es innerhalb der nächsten zwei, drei Jahrekein einziges neues Projekt. Die Ausgaben im Ver-kehrsetat gehen um 5Milliarden DM zurück. Der KollegeKalb wird dazu noch etwas sagen.Frau Kollegin Schulte, Sie wissen es am besten: Für dieFinanzausstattung der Bundeswehr reicht das Geld hintenund vorne nicht. Für die Reform, für die natürlich zu-nächst einmal mehr Geld zur Verfügung gestellt werdenmuss, gibt es keine zusätzlichen Mittel. Unter Einbezie-hung des Kosovo-Einsatzes heißt das: Scharping stehenim nächsten Jahr 500 Millionen DM weniger zur Verfü-gung.Das Fazit: Der Rückgang des nominalen Investitions-volumens ergänzt sich mit Preiseffekten zu einemschmerzhaften Auftragsrückgang mit zwangsläufigemKapazitäts- und verstärktem Arbeitsplatzabbau.Wir reden heute über den Haushaltsentwurf des Jahres2001. Nach dem, was ich gesagt habe, ist klar: Dieser Ent-wurf ist in einer Weise gestaltet, dass er für die weitereökonomische Entwicklung unseres Landes unbrauchbarist.
Dies kann nur bedeuten: Wir fordern den Bundesfinanz-minister auf, diesen Etat zurückzuziehen und einen neuenvorzulegen,
der die ökonomischen Notwendigkeiten in diesem Landeaufgreift und dafür sorgt, dass nicht der Konsum, sonderndie Investitionen steigen –
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege
Austermann, Sie müssen zum Schluss kommen.
– und dass mehr
für Wachstum und Beschäftigung getan wird.
Ich bedanke mich für das Zuhören.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die SPD-Fraktion
spricht jetzt der Kollege Hans Georg Wagner.
Frau Präsidentin! MeineDamen und Herren! Die Wirtschaft boomt, die Arbeitslo-sigkeit geht zurück, die Jugendarbeitslosigkeit wird er-folgreich bekämpft,
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. Juni 2000
Dietrich Austermann10397
das Kindergeld ist erhöht worden und das Erziehungsgeldwird im nächsten Haushalt erhöht. In diesem Haushalts-planentwurf stehen lauter gute Dinge drin; deswegen be-grüßen wir nachdrücklich die Vorlage der Bundesregie-rung und sagen ihr unsere Unterstützung zu.
Der Haushalt bewegt sich im Rahmen der Eckwerte,die wir im Bundestag mit Mehrheit beschlossen haben.Davon wird auch im weiteren Verfahren nicht abgewi-chen. Deshalb bin ich zuversichtlich, dass wir im No-vember zu einem guten Abschluss kommen. Die heutigevorgezogene Debatte wäre eigentlich unnötig gewesen.Herr Kollege Austermann, ich möchte auf einigePunkte eingehen, die Sie immer wieder vorbringen. Sievergleichen unsere Haushalte immer mit dem verfas-sungswidrigen Haushalt des Jahres 1996. In Karlsruheliegt eine Klage vor, über die noch nicht entschieden wor-den ist. Der damalige Haushalt war verfassungswidrig;Sie selbst haben im Bundestag die Störung des gesamt-wirtschaftlichen Gleichgewichts festgestellt. Ziehen Siealso bitte keinen Vergleich mit dem, was nicht sein soll;denn unsere Haushalte sind alle verfassungsgemäß. Wennman die Zahlen bis 2004 sieht, dann sind sie nochverfassungsgemäßer, weil wir dann bei einem Unter-schied von 48 Prozent zwischen der Nettokreditaufnahmeund den dann zu tätigenden Investitionen liegen.
Das heißt, wir bewegen uns absolut im Rahmen der Ver-fassung. Es ist ein Haushalt, wie er besser nicht sein kann.Wir sind stolz, die Verfassungsmäßigkeit des Haushal-tes – es ist der dritte, den wir voll zu verantwortenhaben – feststellen zu können. Wir erfüllen alle zugesag-ten Aufgaben.Wenn Sie sagen, die Forschungsmilliarde fehle, dannbitte ich Sie, doch einmal in den Haushaltsplan hineinzu-schauen. Es ist schrecklich, dass Sie einfach immer wie-der durch nichts bewiesene Behauptungen aufstellen. Be-reits ein einfacher Blick in den Haushalt zeigt Ihnen:500 Millionen DM mehr bei Frau Bulmahn und 500 Mil-lionen DM mehr bei dem Wirtschaftsminister ergeben zu-sammengezählt 1 Milliarde DM mehr an Forschungsgel-dern. Allein für Mittelstandsforschung werden im Haus-halt etwa 70 Millionen DM mehr veranschlagt. Siemüssen sich dies nur einmal ansehen!
Wenn Sie sagen, die Privatisierungserlöse müssten an-ders verwendet werden, wir verwendeten sie falsch, dannsage ich Ihnen: Sie haben alle Privatisierungserlöse zurSchließung Ihrer Haushaltslöcher verbraucht und sie nie-mals für konstruktive Politik verwendet. Wir machen dasvöllig anders. Wenn Erlöse eintreten sollten, dann ver-wenden wir sie dafür, dass endlich auch einmal positiveDinge gemacht werden, das heißt, dass damit nicht nur dieHaushaltslöcher, die Sie verursacht haben, geschlossenwerden müssen.Jetzt noch etwas zur Nettokreditaufnahme und zur Ver-schuldung insgesamt. Man muss ehrlich sein, Herr Kol-lege Austermann: Die Nettokreditaufnahme bedeutetmehr Schulden. Wenn im Haushaltsentwurf 2001 eineNettokreditaufnahme von 46,1 Milliarden DM vorgese-hen ist, dann sind das also 46,1 Milliarden DM mehrSchulden. Wir bauen diese Schulden bis spätestens zumJahre 2006 ab, das heißt, wir führen die Nettokreditauf-nahme bis zum Jahre 2006 auf Null zurück. Erst danachbeginnen wir damit, Ihren Schuldenberg abzubauen. Erstim Jahre 2006 wird es uns möglich sein, Ihren Schulden-berg von 1,5 Billionen DM und die 82 Milliarden DMZinsen im Jahr abzubauen. Denken Sie daran: Das ist IhrSchuldenberg, der dann nach acht Jahren Regierung vonSPD und Grünen abgebaut werden kann.
Ein Wort noch zum Verteidigungshaushalt. BegreifenSie denn nicht, dass wir hier das von Ihnen hinterlasseneabsolute Chaos in der Verteidigungspolitik beseitigen?
Die technologische Ausrüstung der Bundeswehr ist dochso, dass sie nirgendwo eingesetzt werden kann. Das ist Er-gebnis Ihrer Verteidigungspolitik. Wir sind dabei, dies zukorrigieren,
um die Bundeswehr auch für die Einsätze fit zu machen,für die sie im Rahmen der NATO und der Vereinten Na-tionen gebraucht wird.Sie haben gesagt, im Verkehrshaushalt sänken dieInvestitionsausgaben. In der Tat, wenn man das so rech-net wie Klein Fritzchen, dann stimmt das auch, Herr Kol-lege Austermann. Man muss dabei allerdings berücksich-tigen, dass von den insgesamt 6,1 Milliarden DM für denTransrapid, der nun nicht von Hamburg nach Berlin, son-dern möglicherweise irgendwo sonst in der Bundesrepu-blik gebaut wird, nur bis zu 1Milliarde DM benötigt wird,und zwar für die Ertüchtigung der Eisenbahnstrecke zwi-schen Hamburg und Berlin. Das ist natürlich eine Redu-zierung bei den Investitionen.Wenn ich noch andere Maßnahmen wie etwa die Ak-tualisierung des Bundesverkehrswegeplans betrachte,dann stelle ich fest, dass Sie auch dort ein Chaos hinter-lassen haben. Der Bundesverkehrswegeplan war dasLügenbuch der Nation,
war das Lügenbuch der alten Koalition, mit dem Sie derBevölkerung draußen vorgegaukelt haben, diese Ortsum-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. Juni 2000
Hans Georg Wagner10398
gehung werde gebaut, jener Autobahnabschnitt werde ge-baut, diese Schienenstrecke werde gebaut,
– Herr Kollege, Sie haben davon keine Ahnung –, obwohlder Bundesverkehrswegeplan bis zum Jahre 2050 unterfi-nanziert ist. Die letzten Maßnahmen des Bundesverkehrs-wegeplans bis zum Jahre 2012 könnten frühestens imJahre 2050 umgesetzt werden.Das war Ihre Politik. Die haben wir beendet. Deshalbist dies ein guter Haushaltsentwurf, den wir unterstützenwerden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die F.D.P.-Frak-
tion spricht jetzt der Kollege Dr. Günter Rexrodt.
Frau Präsidentin! MeineDamen und Herren! Herr Kollege Wagner, ich wolltediese Diskussion eigentlich der anstehenden Generalde-batte über den Haushaltsentwurf überlassen, aber nunmuss ich Sie fragen, warum Sie hier damit anfangen, unsgegenüber von „Ihren Schulden, die wir übernommen ha-ben und mit denen wir aufräumen mussten“ zu reden. Ob-wohl wir es alle wissen, muss ich es mit Blick auf die Zu-schauer hier doch sagen: Was heißt hier „Ihre Schulden“?Wir alle wissen, weshalb die Schulden entstanden sind.Wir haben x-mal darüber diskutiert, dass es nie eineAlternative zu dem gab, was wir in der Finanzpolitik ge-macht haben.
Fahren Sie doch einmal durch die neuen Länder undschauen Sie sich dort die Infrastruktur an!
Da fehlt vielleicht noch das eine oder andere, aber dagibt es Autobahnen, da gibt es neue Bundesstraßen, neueLandstraßen, da gibt es eine Telekommunikationsinfra-struktur.
Das ist sozusagen eine Explosion, die dort finanziert wor-den ist.
Da ist das Geld hingeflossen und das ist gut für die Men-schen in den neuen Ländern und das ist gut für unser ge-meinsames Vaterland.
Da ist das Geld hingeflossen und da haben wir richtig in-vestiert. Kommen Sie also nicht mit den alten Hüten an!
– Herr Wagner, nun einmal langsam! – Dann kommen Sieher und sagen – hierüber werden wir, wie gesagt, die Klin-gen noch in der Generaldebatte kreuzen –, Sie hätten auf-räumen müssen, Sie müssten es tilgen. Ich sage Ihnen: Siemüssen es tilgen mit dem Geld, das Sie aus Privatisierun-gen bekommen, die Sie bis aufs Messer bekämpft haben.
Sie haben die Privatisierung bekämpft in der Telekom-munikation, Sie haben sie bekämpft im Energiebereich,Sie haben sie bekämpft, als es um die Post ging und umvieles andere mehr. Ich könnte das alles aufzählen. Heutefließen da die Milliarden. Darüber sollten wir froh sein.Das ist okay. Ob das die Lizenzen sind, ob das die Ver-äußerungen aus der Telekommunikation und bei der Postsind – ein dreistelliger Milliardenbetrag! Es ist okay, dassSie das vornehmlich für den Abbau der Schulden ver-wenden. Diese Politik tragen wir ja auch mit. Aber stellenSie sich hier nicht hin und sagen Sie hier nicht: „IhreSchulden“ und „Unser Geld, mit dem wir aufräumen“.Das ist nicht zutreffend. Wir haben richtig investiert. Siehätten es nicht anders machen können. Sie hätten viel-leicht noch mehr in den Konsum fließen lassen.
Damit bin ich auch bei meinem Stichwort: Der Grundfür die Debatte, die wir heute führen, ist der erschre-ckende Niedergang der Investitionsquote. Die Investiti-onsquote ist der Teil des Haushalts, der sich in einer Ver-mehrung des Volksvermögens niederschlägt. 90 Prozentwerden im Jahre 2004 verfressen, konsumiert werden.
Das ist ein historisches Tief. Wenn man mit so hohen An-sprüchen einen Haushalt aufstellt, dann muss man aucheiner solchen Diskussion im Parlament standhalten.Warum geht das Geld in den Konsum? Weil Sie mit denLeistungsgesetzen nicht klarkommen. Ich sage ja nunnicht, dass wir das in der Vergangenheit mit einem großenWurf gemeistert hätten. Auch wir haben uns bei den Leis-tungsgesetzen schwer getan. In alter Verbundenheit mitden Kollegen von der CDU/CSU sage ich: Die haben sichdamit besonders schwer getan. Wir von der F.D.P. sindzwar wenige, aber wir sind gut.
Wir haben vor dem Aus-dem-Ruder-Laufen der Leis-tungsgesetze immer gewarnt und den Finger immer in dieWunde gelegt. Das war schon damals so. Sie aber, meineDamen und Herren, haben nur verteilt. Sie, Herr KollegeWagner, verbraten auch einen Teil des Geldes, das Sie mitder so genannten Ökosteuer einnehmen, im Konsum. DieÖkosteuer – das wissen wir alle – ist gar keine Ökosteuer,
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. Juni 2000
Hans Georg Wagner10399
sondern eine Rentensteuer. Einen Teil der Rentensteuerverbraten Sie über den Haushalt im Konsum. Das ist nichtgut!Heute Morgen, Herr Kollege Metzger, habe ich lesenkönnen, dass Sie gesagt haben, das werde in Zukunft bes-ser. Wenn Sie sagen, es werde in Zukunft besser, gebenSie damit zu, dass es zumindest für 2001 und für den Fi-nanzplanungszeitraum bis 2004, wie Sie ihn ausgewiesenhaben, über alle Maßen kritisch ist.
Es trifft vor allem den Mittelstand, Herr Kollege Mosdorf.Die Mittelstandsförderung des Bundeswirtschaftsminis-teriums und anderer Ministerien ist enorm herunterge-fahren worden. Sie stagniert jetzt bei 1,5 Milliarden DM.Das ist ein Rückgang gegenüber 1998 um 40 Prozent.
Das trifft die kleinen und mittleren Unternehmen, diejeni-gen, die auf die Dispositionen des Staates angewiesensind.Wenn die Investitionsquote heruntergeht, dann betrifftdas den Mittelstand in doppelter Hinsicht: nicht nur inso-fern, als er unter den Kürzungen im Haushalt des Wirt-schaftsministeriums leidet, sondern auch dadurch, dassdieser zugleich der potenzielle Auftragnehmer von Auf-trägen wäre, die jetzt im Straßen-, Eisenbahn- und Was-serstraßenbau und auf anderen Gebieten nicht mehr ver-geben werden. Sie setzen im Haushalt falsche Akzente.Wenn man sich ihn vornimmt und sachverständig die ein-zelnen Positionen durchgeht, dann kann man die Pro-bleme nicht mehr damit abtun, dass man pauschal sagt:Wir tilgen eure Schulden mit unserem Geld. Dann mussman sich an dem messen lassen, was da wirklich schwarzauf weiß steht. Da sehen Sie in der rot-grünen Koalitionschlecht aus.
Deshalb sollten Sie den Mund angesichts dieses Haus-halts nicht so voll nehmen. Er muss an dem gemessenwerden, was drinsteht.Ich sage noch einmal: Wir werden darauf achten unddarauf drängen, dass Investitionen und damit die Vermeh-rung des Volksvermögens wieder den Stellenwert imHaushalt bekommen, den sie verdienen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der Kollege Oswald
Metzger.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kol-lege Rexrodt, Sie sind klein und haben den Finger immerin die Wunde gelegt? Wer 29 Jahre am Stück Regierungs-verantwortung innehatte, und zwar in zwei Koalitionen
– nicht Sie persönlich, sondern Ihre Fraktion –, und in die-ser Zeit zwei Höhepunkte der staatlichen Neuverschul-dung mit zu verantworten hatte, nämlich in jüngster Ver-gangenheit nach der Wiedervereinigung und davor in den70er-Jahren, sollte nicht den Mund spitzen, sich hinstel-len und die heutige Regierung dafür attackieren, dass sieschon in den letzten zwei Jahren mit Konsolidierung ernstgemacht hat. Nach allen harten Parametern – da brauchenSie nur die Ihnen nahe stehende Wirtschaftspresse zu le-sen – machen wir doch unsere Hausaufgaben gut: Wirsenken systematisch die Nettoneuverschuldung; dabei lie-gen wir genau im Plan. Wir halten die Investitionen auf re-lativ hohem Niveau.Weil der Kollege Austermann durch die Lande ziehtund immer darauf hinweist, dass in der letzten Legislatur-periode das Ausgabevolumen des Bundes unter der altenKoalition, relativ gesehen, stagnierte habe, sage ich Ih-nen, Herr Kollege Fuchtel: Der Mann vergisst, dass 1996eine Umstellung des Kindergeldes stattgefunden hat.Plötzlich stellte das Kindergeld anstatt einer Ausgabenpo-sition in Höhe von fast 23 Milliarden DM pro Jahr eineEinnahmeverkürzung dar.Wenn Sie mit dieser Argumentation der deutschen Be-völkerung klarmachen wollen, dass wir nicht sparen, weilunser Haushalt steigt – der Anstieg liegt allein schon inder volkswirtschaftlichen Entwicklung und in der Zu-nahme der – wenn auch niedrigen – Inflationsrate be-gründet –, dann sage ich: Wir sind, relativ gesehen, bes-ser. Wenn Sie den Haushalt des Jahres 1998 mit dem Etatdes Jahres 2001 vergleichen, dann werden Sie feststellen,dass – bereinigt um die Sonderfaktoren Postunterstüt-zungskassen, deren Ausgaben 1998 im Bundeshaushaltnoch nicht eingestellt waren, und bereinigt um die Zu-schüsse an die Rentenversicherung für Kindererziehungs-zeiten, die über 23Milliarden DM ausmachen – die Inves-titionsquote 1998 bei 12,8 Prozent und 2001 bei 12,9 Pro-zent liegt. Das sind die Fakten.Die Koalitionsfraktionen, Sozialdemokraten wieGrüne, werden natürlich Acht geben – dies ist unser ge-meinsames Begehren –, dass sie im investiven Bereichnicht nachlassen. Das ist keine Frage. Sie können sich da-rauf verlassen, dass wir im Rahmen des parlamentari-schen Verfahrens im Herbst in den Koalitionsfraktionengenau prüfen werden, ob wir nicht in dem einen oder an-deren Fall – beispielsweise im Bereich des Verkehrs, derAltbausanierung und des Wohnungsbaus – durch Um-schichtung Mittel im Bundeshaushalt zur Verfügung stel-len können.Eines ist für uns auf jeden Fall klar: Wir werden dieEckpunkte des Etats einhalten, weil wir mit dem Marschaus dem Verschuldungsstaat Ernst machen wollen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. Juni 2000
Dr. Günter Rexrodt10400
Das hat höchste Priorität für diese Koalition. Nur dieserKonsolidierungskurs macht es überhaupt möglich, dasswir derzeit im Vermittlungsausschuss zwischen Regie-rung und Opposition über die größte Steuerentlastung derletzten Jahrzehnte in dieser Republik diskutieren können.Es geht nur noch um die Frage, wie hoch die Entlastungsein wird und ob die Union und die F.D.P. in diesem Ver-mittlungsverfahren im Bremserhäuschen sitzen oder obsie tatsächlich den Aufschwung der deutschen Volkswirt-schaft mittragen, der sich – wie Herr Kollege Wagnereben richtig gesagt hat – auch an den niedrigeren Arbeits-losenzahlen und an höheren Steuereinnahmen ablesenlässt. So weit zum Thema Solidität.Eine weitere Bemerkung zu den Lizenzgebühren, dieSie, Herr Kollege Rexrodt, zu Recht angesprochen haben.Aus Ihrem politischen Lager gab es vor zwei, drei Mona-ten die Versuchung, das Geld für Steuersenkungen einzu-setzen.
Dieser Vorschlag entspricht der Politik, die Sie unter demFinanzminister Theo Waigel mit zu vertreten hatten, alsEinnahmeerlöse aus dem Postbereich als Einmalerlöse imBundeshaushalt eingestellt werden mussten, um über-haupt einen verfassungsgemäßen Haushalt vorzulegen.Wenn Sie diese Einmalerlöse nicht eingesetzt hätten, hätteder damalige Etat nicht im Einklang mit dem Grundgesetzgestanden.Die heutige Koalition will – seriöserweise – mit denEinmalerlösen aus dem Postunternehmensbereich Schul-den tilgen, weil wir genau wissen – und die Verantwor-tung dafür tragen –, dass die Bundesregierung, unabhän-gig davon, welche Partei sie in den nächsten Jahrzehntenstellen wird, für die früheren Mitarbeiterinnen und Mitar-beiter die Pensionen in den nächsten 40 bis 45 Jahren zah-len muss. Versicherungsmathematisch abgezinst kommtnach der Barwertmethode eine Last von über 170 Milliar-den DM auf den Bund zu.Wenn wir heute mithilfe der Einmalerlöse die Schul-den tilgen und dadurch die Zinsausgaben der Zukunftbremsen, dann ist genau das der langfristige Deckungs-beitrag, um dem Obligo des Bundes gegenüber den frühe-ren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Postunterneh-men gerecht zu werden. Auch das ist Seriosität und Soli-dität.Wenn man diese Solidität, die trotzdem eine, relativ ge-sehen, hohe Investitionsquote ermöglicht, beibehaltenkann, wenn sich die Koalitionsfraktionen im Herbst in denparlamentarischen Beratungen noch damit auseinandersetzen werden, die Investitionsquote anzuheben, dannbrauchen wir uns nicht zu genieren und können sagen:Gute Leistung der Regierung beim Aufstellen der Regie-rungsvorlage. Im Haushaltsausschuss werden wir sienoch weiter verbessern.Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die PDS-Fraktion
spricht jetzt die Kollegin Dr. Christa Luft.
Frau Präsidentin! Liebe Kol-leginnen und Kollegen! Das ist zweifelsohne ein volks-wirtschaftlich außerordentlich wichtiges Thema, das dieUnion hier zum Gegenstand einer Aktuellen Stunde ge-macht hat. Aber irgendwie – das muss ich auch sagen – istdas auch ein wenig schizophren – diejenigen, die unszuhören und zuschauen, werden das ebenfalls so empfin-den –: Das, was die Unionsparteien, als sie noch Regie-rungsparteien waren, gemacht haben, kritisieren sie heute.Das, was die heutigen Koalitionsparteien früher kritisierthaben, machen sie jetzt. Es muss doch richtig bleiben,Kollege Austermann, dass sich die investiven Ausgabenim Bundeshaushalt in den Jahren 1996 bis 1998, also nochunter der Regie der Union, von 61 Milliarden auf57,1 Milliarden DM, also beträchtlich, wie ich finde,reduziert haben. Was nun allerdings nach den Vorstellun-gen des rot-grünen Haushalts für das Jahr 2001 geschehensoll, nämlich eine Absenkung innerhalb eines Jahres um2,9 Milliarden DM, ist schon ein starkes Stück und einebittere Fortsetzung des Trends, den Sie in den vergange-nen Jahren eingeschlagen hatten,
wobei die Zahlen, die Investitionen betreffend, im Haus-haltsentwurf für das Jahr 2001 auch noch geschönt sind.Darin sind, wie der Kollege Metzger in einer Pressemit-teilung ausgeführt hat, Gewährleistungen enthalten, dieweiß Gott nicht als Investitionen zu werten sind.Was bis 2004 geschehen soll, nämlich eine weitere Ab-senkung der Investitionsquote auf 10,3 Prozent, bedeutetden Tiefststand seit dem Jahre 1990. Nicht nur in Schles-wig-Holstein ist das möglicherweise heute so, sonderndas war auch zu Unionszeiten im Jahre 1990 so. Damalshatten wir auch 10,3 Prozent.Also, ich möchte nur darum bitten, ein bisschen fairermit diesen Dingen umzugehen und sich sachlich dazu zuäußern.Die Bundesregierung, speziell der Bundeskanzler per-sönlich, wollte sich am spürbaren Abbau der Massenar-beitslosigkeit messen lassen. Herr Kollege Wagner, Siedürfen, wenn Sie von einem rasanten Abbau der Arbeits-losigkeit sprechen, nicht immer nur die alten Bundeslän-der im Blick haben. In den neuen Bundesländern ist dieArbeitslosigkeit zur Stunde genauso hoch, wie sie 1991war. Das, so finde ich, ist im Haushaltsentwurf für 2001völlig ungenügend berücksichtigt.
Wenn der Abbau der Massenarbeitslosigkeit nicht vorran-gig über demographische Effekte, über eine Bereinigungder Arbeitsmarktstatistik, durch Einrichtung von Nied-riglohnsektoren erfolgen soll, dann ist ein Investitions-schub notwendig. Das haben die Haushälter der Bündnis-grünen und der SPD vor Jahren ebenso gesehen als sie inder Opposition waren.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. Juni 2000
Oswald Metzger10401
Ich zitiere einmal aus der Rede von Oswald Metzgervom 2. September 1998. Er rügte, dass die von CDU/CSUund F.D.P. getragene Regierung die Investitionsausgabenseit Jahren zurückgefahren habe. Wörtlich sagte er:Verflixt noch mal, es ist doch nicht nur die Höhe dernominalen Staatsquote entscheidend, sondern auchihre Zusammensetzung. Sie müssen den Investitio-nen wieder Vorrang geben.Richtig, sage ich, aber leider wohl vergessen.Hans Georg Wagner entgegnete mir vor knapp einemJahr, nämlich am 15. September 1999, an diesem Pult aufmeine Kritik, im Bundeshaushalt 2000 sinke die Investi-tionsquote, wörtlich – ich zitiere –:In Wirklichkeit aber bleibt es bei den 58 Milliar-den DM, die wir in der mittelfristigen Finanzplanungzur Finanzierung der Investitionen jährlich vorgese-hen haben. Daran wird nichts geändert. Wir werdenjedem Versuch widerstehen, etwas daran zu ändern.Dazu kann ich nur sagen: Dann ist der Widerstand recht,recht schlaff ausgefallen.
Mit semantischen Klimmzügen, von denen man hierund dort hört, von der Art, Bildungsausgaben, die in derTat ein wenig angehoben werden, seien Zukunftsinves-titionen – das sind sie selbstverständlich –, darf man denInvestitionsbegriff nicht verwässern. Tatsache ist, dassinsbesondere die vor allem im Osten, aber auch in den al-ten Bundesländern Not leidende Bauwirtschaft auf nochweniger Aufträge hoffen kann als bisher. Die Zahl der Fir-meninsolvenzen in diesem Bereich wird steigen, qualifi-zierte Menschen bleiben arbeitslos. Dabei ist der Nach-holbedarf in der Infrastruktur insbesondere in den neuenBundesländern trotz aller Fortschritte gerade in den letz-ten Monaten von verschiedenen Instituten auf dreistelligeMilliardenbeträge beziffert worden.Es geht auch darum, dass ein Zurückfahren öffentlicherInvestitionen weniger private Investitionen anschiebt. Esgeht auch darum, dass die ostdeutschen Länder undKommunen aufgrund ihrer Finanzschwäche den Rück-gang der Investitionen im Bundeshaushalt nicht ausglei-chen können. Ganz im Gegenteil: Die Steuerreform derRegierung belastet die Gemeinden überproportional.Die PDS, meine Fraktion, wird in den Haushaltsbera-tungen keine Erhöhung der Neuverschuldung fordern.Aber wir werden uns mit dem Umfang und dem Tempodes Abbaus der Neuverschuldung nicht einverstanden er-klären. Wir werden darauf bestehen, dass man einen Ver-gleich anstellt, was wichtiger und volkswirtschaftlichsinnvoller ist: im Interesse kurzfristiger Effekte, nämlicheiner größtmöglichen Zinsersparnis, unkalkulierbarelangfristige Negativwirkungen stagnierender oder redu-zierter Ausgaben in Zukunftsbereichen hinzunehmen oderaber im Bereich von Bildung, Forschung, Infrastrukturund Umwelt etwas draufzulegen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin, Sie
müssen bitte zum Schluss kommen.
Ich komme zum Schluss.
Wir lehnen es auch ab, Einmalerlöse aus der Versteige-
rung der Mobilfunklizenzen komplett zur Schuldentil-
gung einzusetzen. Hier sehen wir Spielraum, um insbe-
sondere Investitionen im Bereich der Schiene, aber auch
im Wohnungsbau vorzunehmen.
Danke.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nächster Redner ist
der Kollege Manfred Hampel, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! MeineDamen und Herren! Neues Spiel, neues Glück. Dieser Ge-danke ist mir gekommen, als ich von der Ankündigungdieser Aktuellen Stunde gehört habe, die von derCDU/CSU-Fraktion beantragt worden ist. Genau vor ei-nem Jahr, im Sommer 1999, hat uns die Opposition mitsehr viel Theaterdonner nachweisen wollen, dass wir ers-tens das Sparvolumen von 30 Milliarden DM nie errei-chen würden
– natürlich haben wir es erreicht, schauen Sie sich dochden Haushalt an – und dass es zweitens gar nicht so vielsei, dass es nur 7,5 Milliarden DM seien. Heute kräht keinHahn mehr danach; das ist längst vergessen. Und was ma-chen Sie jetzt? – Jetzt versuchen Sie, ein neues Kaninchenaus dem Zylinder zu zaubern; jetzt entdecken Sie auf ein-mal fehlende Investitionen.Darauf gehe ich noch ein, aber vorab möchte ich etwaszum Kollegen Rexrodt sagen; aber er ist nicht mehr da.
– Ja, der muss jetzt Geld verdienen. – Es wird immer ge-sagt, die neuen Bundesländer seien an der hohen Ver-schuldung schuld. Das kann man nicht unwidersprochenhinnehmen; das stimmt nur zu einem gewissen Teil.Schauen Sie sich an, wie wir im vergangenen Haushalt dieNettoneuverschuldung abgebaut haben und wie wir das indiesem Haushalt tun. Trotzdem werden die Leistungen fürdie neuen Bundesländer auf hohem Niveau fortgeführt.Das hätte die alte Regierung genauso gut leisten können.
Also stimmt es nur zum Teil, was der Kollege Rexrodthier ausgeführt hat.Noch ein Wort zu den Investitionen: Nominell – das istrichtig – fehlen 2,9 Milliarden DM; 2000 waren es57,5 Milliarden DM, 2001 sind es 54,6 Milliarden DM.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. Juni 2000
Dr. Christa Luft10402
Aber wenn Sie versuchen, die Summe aufzugliedern,dann werden Sie feststellen, dass 600 Millionen DM da-von Mittel für Strukturanpassungsmaßnahmen sind, dieSie immer als investive Maßnahmen in den Haushalt ein-gestellt haben und die bei uns zur Bundesanstalt für Ar-beit übergehen und von ihr geleistet werden. Diesen Pos-ten können Sie schon einmal abhaken.
Zweitens gibt es 400 Millionen DM Einsparungen beiden Baumaßnahmen hier in Berlin. Dagegen können Siedoch auch nichts haben! Sie können doch nichts dagegenhaben, wenn wir sagen, der Umzug von Bonn nach Ber-lin wird um 400 Millionen DM billiger.Der nächste Punkt – der Kollege Wagner hat schon da-rauf hingewiesen –: Einsparungen von rund 1 Milli-arde DM beim Transrapid. Dann sind Sie schon bei 2 Mil-liarden DM.
– Die Industrie wollte doch nicht mitspielen; das liegtdoch nicht an der Politik!
Ich möchte noch auf ein paar andere Dinge eingehen,zunächst auf die nicht investiven Zukunftsausgaben, dienatürlich in einem erheblichen Maße investiven Charak-ter haben bzw. Investitionen nach sich ziehen. Der Be-reich Forschung, Entwicklung, Innovation im Mittel-standsbereich, Existenzgründungen wird um 35 Milli-onen DM auf fast 900 Millionen DM aufgestockt. DieseMittel sind zwar nicht in den Investitionshaushalt einge-stellt, ziehen aber Investitionen nach sich. Das sind Mit-tel – Herr Kollege Austermann, Sie haben ja vor allem aufden Mittelstand hingewiesen –, die die kleinen und mitt-leren Unternehmen dringend benötigen und die sie so be-kommen.Nächster Punkt: Förderung erneuerbarer Energien. Siewissen selber, wie wir in der letzten Zeit mit den Solar-programmen rumgemacht haben.
Das wird fortgesetzt, ebenso wie andere Maßnahmen.Auch das steht im Haushalt nicht als Investition, hat aberin erheblichem Maße investiven Charakter.Die Mittel für das Programm Inno-Regio werden um20Millionen DM aufgestockt und die für die Forschungs-zusammenarbeit von Unternehmen werden von 262 auf280Millionen DM erhöht. Das alles sind Maßnahmen, diesich auf das Investitionsgeschehen bei kleinen und mittle-ren Unternehmen positiv auswirken und die ein positiverBeitrag zu diesem Haushalt sind.Ich denke, wir sollten uns nicht vor der Sommerpause,sondern während der ersten Lesung des Haushaltes 2001mit diesem Problem auseinander setzen.
Sie haben vergangenes Jahr und auch in diesem Jahr im-mer wieder versucht, im Vorhinein Haushaltsdebatten zuführen. Diese Debatten sind völlig sinnlos und überflüs-sig wie ein Kropf.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nächster Redner ist
der Kollege Bartholomäus Kalb, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Staatssekre-tärin, ich spreche über den Bundeshaushalt und nicht überden bayerischen Haushalt. Denn der ist so hervorragend,dass man sich daran ein Beispiel nehmen sollte. – FrauPräsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Esist bereits angedeutet worden, dass insbesondere bei denVerkehrsinvestitionen massiv gespart wird. Der Haushaltdes Bundesministers für Verkehr, Bau- und Wohnungs-wesen wird massiv zurückgefahren, der Verkehrsbereichsogar überproportional.
Der zuständige Fachminister selber stellt fest, dass in sei-nem Haushalt die Investitionen um 2 Milliarden DM sin-ken. Das ist nur die Hälfte der Wahrheit. In Wirklichkeitist es noch sehr viel mehr; ich werde gleich darauf ein-gehen.Herr Kollege Wagner, man wird die Probleme, die sichaus einer mangelnden Finanzausstattung im Hinblick aufVerkehrsinvestitionen ergeben, nicht lösen können, indemman, wie Sie es soeben dargestellt haben, sagt: Man mussdaher noch weniger Mittel in den Haushalt einstellen. Siesparen am falschen Platz. Sie gefährden die Zukunft unddie bereits getätigten Investitionen. Das führt zu einemSubstanzverlust, zu einer Gefährdung der Entwicklungwirtschaftsschwacher Regionen und letztlich auch – di-rekt und indirekt – zu Gefährdungen von Arbeitsplätzen.Zudem enthalten Sie den entsprechenden Regionen bzw.Menschen mit dem Ausbleiben von Investitionen dieSchaffung neuer Arbeitsplätze vor.Die Verkehrsinvestitionen – um es deutlich zu sagen –sinken auf einen historischen Tiefstand. Da ist nicht mehrvon Modernisierung – ein Schlagwort, das Sie gerne inden Mund nehmen – die Rede. Das ist ein Substanzver-lust, eine Vernichtung von volkswirtschaftlichem Vermö-gen und, wie es Kollege Rexrodt genannt hat, die Weige-rung, neues volkswirtschaftliches Vermögen zu schaffen.
Beim Straßenbau schaffen Sie es, innerhalb von zweiJahren nochmals um 600 Millionen DM zu kürzen. Dasbedeutet nach Auskunft des zuständigen Ministeriums,
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. Juni 2000
Manfred Hampel10403
dass im Grunde genommen in den alten Bundesländernkeine einzige neue Maßnahme mehr gestartet werdenkann.
Es kann also keine neue Ortsumgehung gebaut werdenund es kommt zu keiner Entlastung der Bürger bzw. derStädte und Dörfer, geschweige denn zu Anbindungen vonWirtschaftsregionen. Das alles kann nicht erreicht wer-den, weil Sie dafür keine Mittel zur Verfügung stellen.Völlig inakzeptabel ist Ihr Verhalten beim Kapitel„Ausbau der Schienenwege der Bundeseisenbahnen“.Hier weisen Sie zwar vorsichtig nach, dass Sie im Haus-halt 2001 eine geringfügige Steigerung der Mittel vorse-hen. Vorhin war jedoch die Rede vom Transrapid. Der Bauder Transrapidstrecke Hamburg–Berlin ist gestrichenworden. Die dafür vorgesehenen Mittel haben Sie – bisauf einen kleinen Restbetrag – einkassiert. Das sind über800 Millionen DM pro Jahr. Sie wissen aber ganz genau,dass Sie jetzt wegen des Streichens der Transrapidstreckedie Schienenstrecke Hamburg–Berlin neu ausbauen müs-sen, wofür Sie im nächsten Jahr 1 Milliarde DM benöti-gen. Das Streichen der Mittel für die Transrapidstreckegeht also zulasten des Schienenwegeausbaus.
– Nein, das ist kein Quatsch. Diese Mittel benötigen Sieschon im nächsten Jahr für den Ausbau dieser Strecke.
Herr Kollege Metzger nickt zustimmend; der weiß das.
Zum Zweiten: Für das Bundeseisenbahnvermögen se-hen Sie wider besseres Wissen einen Betrag vor, der deut-lich unter dem Bedarf liegt, nämlich um rund 4,3 Milliar-den DM. Das heutige Urteil ermöglicht Ihnen, die Ein-nahmen aus dem Verkauf der Eisenbahnerwohnungen zukassieren. Aber ich hoffe, dass Sie diese Einnahmen,wenn man schon Zinslasten einsparen muss, auch in die-sem Jahr noch realisieren werden. Also ist das, was imHaushalt 2000 steht, Makulatur. Sie bräuchten eigentlich11Milliarden DM, haben aber nur 6,8Milliarden DM ein-gesetzt. Das heißt, hier gibt es eine Lücke.Nun haben die Experten mittels Buchungstricks etwasganz Schlaues gemacht: Sie haben beim Titel 891 01„Baukostenzuschüsse für Investitionen in die Schienen-wege der Eisenbahnen des Bundes“ einen neuen Haus-haltsvermerk aufgenommen: „Einsparungen dienen biszur Höhe von 1,15 Milliarden DM zur Deckung vonMehrausgaben bei folgendem Titel: 634 01.“ Damit nochnicht genug: Gleichzeitig haben sie einen Deckungsver-bund zu den anderen Investitionstiteln im Bereich derSchienenwege hergestellt und eine Sperre in Höhe von1,35 Milliarden DM beim Titel 861 01 und eine Sperrevon 1 Milliarde DM beim Titel 891 02 verfügt. Damit er-laubt sich der Finanzminister, das Geld, das er vorherbeim Titel 634 01 nicht bereitstellen wollte, hier zu er-wirtschaften. Da es aber bereits einkassiert war, wird nochmehr an Investitionen gefährdet, als es vorher schon ganzoffenkundig war. Das ist nicht hinnehmbar. Sie verhöhnendamit all die Menschen, die mobil sein müssen, weil sienur so ihrer Erwerbstätigkeit nachkommen können.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Kalb,
Sie müssen zum Schluss kommen.
Sie kassieren bei
ihnen durch die Ökosteuer und andere Maßnahmen im-
mer mehr ab und enthalten ihnen zugleich die notwendi-
gen Investitionen vor. In den alten Bundesländern passiert
auf diesem Gebiet praktisch nichts mehr.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nächster Redner ist
der Kollege Matthias Berninger für die Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich betreibeHaushaltspolitik erst seit annähernd zwei Jahren.
Gleichwohl sind mir Debatten in der Form, in der sie zumTeil von der Opposition geführt werden, einfach deshalbzuwider, weil Sie wider besseres Wissen Behauptungenaufstellen, die man so nicht aufstellen darf. Herr Kollege„Barthel“ Kalb hat hier über Verkehrsinvestitionen gere-det. Das ist ein außerordentlich wichtiges und sensiblesThema, bei dem die Bundesregierung etwas tun muss.Aber Sie dürfen die Leute nicht an der Nase herumführen.
Sie haben es aufgrund der Transrapid-Diskussion, diedas Investitionsrisiko voll zulasten der Bahn hätte gehenlassen, über Jahre versäumt, die Verbindung zwischenHamburg und Berlin schnell zu machen.
Den Menschen in Berlin und Hamburg ist es doch völligegal, mit welchem öffentlichen Verkehrsmittel sie vonA nach B kommen; Hauptsache ist, sie können dieseStrecke möglichst schnell zurücklegen.Diese Bundesregierung hat zusammen mit der Wirt-schaft und der Bahn AG eine klare Entscheidung getrof-fen: Wir werden die Schienenstrecke so ausbauen, dassman in vertretbarer Zeit von Hamburg nach Berlin undumgekehrt fahren kann. Nun wissen Sie ganz genau, dassman nach einer solchen Entscheidung nicht in einem Jahr1 Milliarde DM ausgeben kann.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. Juni 2000
Bartholomäus Kalb10404
Der Bundesverkehrsminister wird in diesem Jahr undauch in den Folgejahren jeweils 250 Millionen DM aus-geben, damit diese Strecke möglichst schnell ertüchtigtwerden kann. Damit ist den Menschen gedient. Das isteine sehr gute Investition. Sie aber irren völlig, wenn Sieglauben, dass hier keine Anstrengungen unternommenwürden. Wir tun so viel, wie möglich ist, begeben uns abernicht in das Wolkenkuckucksheim, in dem Sie sich offen-bar immer noch befinden.
Eine Aktuelle Stunde verdient dieses Thema in der Tat;denn vor ein paar Stunden hat das Bundesverwaltungsge-richt eine sehr wichtige Entscheidung getroffen, als es ur-teilte, dass der Bund die Eisenbahnerwohnungen, die bis-her zum Bundeseisenbahnvermögen gehören, tatsächlichveräußern kann. Das macht den Weg für Investitionen imVerkehrsetat frei.
Jetzt kommt der entscheidende Punkt, den Sie überdenkenmüssen: Ihre Bundesregierung wollte die Eisenbahner-wohnungen um 1 Milliarde DM unter Marktwert an eineFirma namens WCM verhökern, die allein in einem JahrIhrer Partei 3,6 Millionen DM gespendet hat.
Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen an dieserStelle Ihre alte Position überdenken, wenn Ihnen Investi-tionen so wichtig sind.
Ich halte es für wichtig, dass die Bundesregierung auf-grund der Entscheidung des Gerichts den Mieterinnenund Mietern letzten Endes zweierlei sagt: dass man beider Privatisierung der Eisenbahnerwohnungen erstens diesozialen Interessen aller Mieter wahrt und zweitens amMarkt den maximal erreichbaren Ertrag erzielen will.Dieser liegt im Moment bei 5,5 und nicht bei 4,5 Milliar-den DM. Diese 1 Milliarde DM mehr wollen wir vomBündnis 90/Die Grünen für Investitionen im Verkehrsbe-reich einsetzen. Sie können dies unterstützen. Sie könnenvon Ihrem alten Fehler Abstand nehmen und ihn wiedergutmachen, indem Sie diese Linie unterstützen. Dannkann tatsächlich mehr Geld für Investitionen im Ver-kehrsetat mobilisiert werden. Herr Austermann hat aberschon angedeutet, dass er das nicht will. So schlecht gehtdie CDU mit ihren alten Spendern nun wirklich nicht um.
– Herr Kollege, ich rede die ganze Zeit zum Thema. Daswissen Sie auch. Der entscheidende Punkt ist, dass ich mirhinsichtlich dieses Themas in anderer Form Gedankenmache als Sie. Dieses Blabla und das Operieren mitfalschen Zahlen, wie Sie es tun, halte zumindest ich fürnicht akzeptabel.
Ich will auf einen weiteren Punkt zu sprechen kom-men. Ihre Darstellung im Zusammenhang mit den Inves-titionen ist eine Milchbubenrechnung. Jede Mark, die wirmehr für Investitionen ausgeben, ist gut für Arbeitsplätze.Jede Regierung, egal ob es Ihre war oder ob es diese ist,hat natürlich das Ziel, möglichst viel für Investitionenauszugeben. Auch wir werden in den Haushaltsbe-ratungen versuchen, dieses Ziel zu verwirklichen.Es gibt aber einen Unterschied zu Ihrer Politik – neh-men Sie das bitte endlich zur Kenntnis! –: Ihre Politik wareine Politik des Schuldenmachens. Investitionen hattenbei Ihnen nur eine Funktion. Sie mussten möglichst sohoch sein, dass sie Ihre Neuverschuldung einigermaßenabgedeckt haben. Das war der Grund.
Ob sie sinnvoll waren, ob es Buchungstricks waren oderob sie tatsächlich stattgefunden haben, war nicht der ent-scheidende Punkt. Entscheidend war: Die Schulden belie-fen sich auf eine bestimmte Höhe und dann wurde, weildas Grundgesetz es so vorschreibt, gewaigelt und gewai-gelt, bis die Investitionen dieses Niveau erreicht hatten.
Dennoch lag Ihre Investitionsquote nicht höher als diedieser Bundesregierung. Es gibt aber einen Unterschied:Ihre Sorgen haben wir nicht; denn wir senken Jahr für Jahrdie Nettoneuverschuldung. Unser Ziel für das Jahr 2006ist nicht nur, dass Deutschland die Weltmeisterschaft aus-richtet, sondern auch, dass wir einen ausgeglichenenHaushalt haben.Entlang unserer beiden Leitplanken, nämlich mehrGeld für Investitionen einzusetzen und nicht weiter neueSchulden zu machen, also nicht immer auf Pump zu in-vestieren, sondern den Haushalt ins Gleichgewicht zubringen, werden wir unsere Politik aufbauen. Das solltenSie loben und unterstützen, statt hier zu blockieren, wieetwa bei der Unternehmensteuerreform oder der Sanie-rung der Rentenkassen, und damit den Kurs der Bundes-regierung weiter zu gefährden. Vor allen Dingen solltenSie aufhören, Schauveranstaltungen wie die am heutigenNachmittag zu organisieren, bei denen Sie am Ende oh-nehin den Kürzeren ziehen.Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nächster Redner istder Kollege Steffen Kampeter für die Fraktion derCDU/CSU.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. Juni 2000
Matthias Berninger10405
Frau Präsidentin!Meine sehr verehrten Damen und Herren! DieCDU/CSU-Bundestagsfraktion hat diese Aktuelle Stundebeantragt, weil in der Haushaltspolitik der rot-grünen Re-gierung so ziemlich alles schief läuft, was schief laufenkann.
Deswegen müssen wir heute über die Fehlentwicklungenreden, die es bei den öffentlichen Finanzen gibt.Die Auswirkungen auf die Beschäftigung sind ja dra-matisch. Seit der Regierungsübernahme der rot-grünenSchröder-Truppe haben wir 730 000 sozialversicherungs-pflichtig Beschäftigte weniger, also weniger Menschen,die Beiträge und Steuern zahlen, und das, obschon durchdie 630-Mark-Regelung eine ganze Reihe von Leuten zu-sätzlich sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind.Diese dramatische Entwicklung ist Auswirkung der rot-grünen Haushaltspolitik, die sich in dem Entwurf für denBundeshaushalt 2001 weiter fortsetzt. Wir beklagen ins-besondere, dass der Teil der öffentlichen Ausgaben, diedauerhaft für Wachstum und Beschäftigung im privatenSektor sorgen können, also die Investitionen, zurückgeht.Hätte es einer Begründung für die Aktuelle Stunde be-durft, die über unsere guten Argumente hinausgeht, so hatder Kollege Metzger, der haushaltspolitische Sprecher derGrünen, der hier vorhin geredet hat, sie heute mit seinemInterview in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ ge-liefert. Dort steht nämlich:Die Kritik der Union, im nächsten Bundeshaushaltgebe es zu wenig Investitionen, hält Metzger für be-rechtigt.Hört, hört, für berechtigt hält er das, was wir hier kritisie-ren.
Problematisch sei auch, dass rund 5 Milliarden DMder knapp 55 Milliarden DM Investitionsausgabennur Gewährleistungen darstellten, also Gelder, diefür Bürgschaften bereitstünden und damit nicht fürechte Investitionen.Schattenbuchung, Falschinformationen – und dies be-stätigt vom haushaltspolitischen Sprecher einer der Re-gierungsfraktionen. Eine bessere Steilvorlage für dieRichtigkeit unserer Argumente konnte heute doch nichtgeliefert werden.
Was Sie machen – die Neuverschuldung durch Redu-zierung der Investitionen senken zu wollen –, ist ebenfalsch. Sie müssen endlich einmal den politischen Mut ha-ben, auch den staatlichen Konsum zu senken, um damitdie Investitionsquote zumindest relativ wieder zu stei-gern.Angesichts der Rahmenbedingungen müsste diese Ko-alition vor Kraft kaum laufen können. Denn wie der Kol-lege Rexrodt zu Recht darauf hingewiesen hat, stellt sichdie Einnahmeseite nicht aus eigener politischer Leistungso gut dar. Der Finanzminister handelt eher als „Hans imGlück“. Er profitiert von politischen Entscheidungen, diedie von F.D.P. und Union geführte Bundesregierung, ins-besondere im Bereich Privatisierung und Deregulierung,durchgesetzt hat. Wenn wir heute darüber reden, dass120 Milliarden DM zusätzlich in die Staatskasse fließen,ist dies das Ergebnis einer Entscheidung im Zuge derLiberalisierung der Telekommunikationsmärkte, dieCDU/CSU und F.D.P. herbeigeführt haben
und die Sie bis zuletzt immer bekämpft haben. Ich habemanchmal den Eindruck, Herr Kollege Wagner, dass es,wenn es nach Ihnen gegangen wäre, Mobiltelefone nur fürsozialdemokratische Funktionäre gegeben hätte und dieübrige Bevölkerung hätte zugucken sollen. Wir wollten,dass Telekommunikation nicht zu einem Luxusgut wird.Wir haben diese Märkte liberalisiert. Das einzig Ärgerli-che daran ist, dass jetzt der „Hans im Glück“ 120 Milliar-den DM zusätzlich in seine Schatulle bekommt.Sie hätten auch die Möglichkeit gehabt, mit der Steu-erreform Ihre miese Haushaltspolitik ein bisschen auszu-bügeln und Investitionssignale zu setzen: Unsere Forde-rung: stärkere Senkung des Spitzensteuersatzes! Wir for-dern, diese blödsinnige Unterscheidung von guten undschlechten Gewinnen aufzugeben und nicht weiter zwi-schen Unternehmern und Unternehmen zu trennen. Wirhoffen, dass im Vermittlungsausschuss durch unsere Ini-tiativen endlich eine investitionsfreundliche, bessere Al-ternative in der Steuerpolitik durchgesetzt wird.
Das ist ein zentraler Unterschied zwischen Ihrer und un-serer Politik: Sie wollen nur Ihre Ideologie durchsetzen;wir wollen kooperativ mitarbeiten.
Mit einer Mär muss endlich Schluss sein: bei Bildungund Forschung gebe es eine Investitionsoffensive. Das istfalsch. Das Volumen des Entwurfs für den Bildungsetatim Jahre 2001 liegt unter dem Gesamtvolumen des Bil-dungsetats von 1998. Sie haben versprochen, in dieser Le-gislaturperiode eine „Zukunftsmilliarde“ in Bildung undForschung zu investieren – ein bisschen beim Wirt-schaftsetat und ein bisschen beim Forschungsetat. Wennich die Ausgaben dieser beiden Haushalte aber zusam-menzähle – Herr Kollege Mosdorf, Sie wissen es genausogut wie ich –, ergibt sich für 2001 eine Summe, die knappeine Viertelmilliarde unter dem Ansatz für das Jahr 2000liegt. Auch in diesen beiden Etats gibt es also keine Stei-gerung der Investitionen. Ihre „Zukunftsmilliarde“ ist eingroß angelegter Wählerbetrug. Ihr Versprechen wird nichtumgesetzt. Dieser Haushalt belegt es.
Angesichts der Tatsache, dass der Etat für Bildung undForschung früher Ausdruck dessen war, wie viel fürkleine und mittlere Unternehmen, den Technologiemotor
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. Juni 200010406
unserer Volkswirtschaft, ausgegeben wurde, habe ich mireinmal die Erklärung der Frau Forschungsministerin zudiesem Thema durchgelesen. Da ist viel die Rede von denMilliardeninvestitionen und den großen Summen, diesie bewegt, aber es gibt kein einziges Wort zu speziell mit-telstandsorientierten Forschungsprogrammen. Die sindnämlich alle herausgefallen.
Sie interessieren sich nur noch für Großforschungsein-richtungen. Das mag ein wichtiger Impuls sein, aber dievielen anderen Bereiche, die kleinen und mittelstän-dischen Unternehmen, vergessen Sie einfach. Bei Ihnenstehen die Großen an der ersten Stelle.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege
Kampeter, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.
Deswegen war es
wichtig, auf einige dieser Fehlentwicklungen im Haus-
haltsentwurf 2001 hinzuweisen. Wir werden dies beherzt
herausstellen und Herrn Metzger beim Wort nehmen, der
vor der Presse immer etwas anderes erklärt, als er durch
Abstimmungen im Ausschuss bekundet hat. Mal gucken,
wo seine Anträge zur Steigerung der Straßenver-
kehrsinvestitionen sind, wie er es heute in der „Frankfur-
ter Allgemeinen Zeitung“ angekündigt hat!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es spricht jetzt für die
SPD-Fraktion die Kollegin Jelena Hoffmann.
Frau Präsiden-tin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Entwurf derBundesregierung zum Haushalt 2001 ist gerade fertig ge-stellt worden, da trommeln die Oppositionskollegen be-reits zum Aufstand. Man muss sich schon fragen, was hin-ter Ihrem Aktionismus steckt.
Unterschätzen Sie Ihre Wählerinnen und Wähler nicht!Sie sind nämlich nicht dumm. Sie werden mit der Zeit ver-stehen, dass Sie sich mit uns nicht in der Sache auseinan-der setzen wollen, sondern reinen Populismus betreiben.
Anstatt eine solche Aktuelle Stunde zu beantragen, hät-ten Sie lieber eine Nachhilfestunde bei Hans Eichel neh-men sollen.
Liebe Oppositionskollegen, Sie denken sehr oft be-triebswirtschaftlich und versuchen, volkswirtschaftlichzu handeln. Aber das geht nicht. Das müssen auch Sieendlich einmal verstehen. Sie betrachten den Haushalts-plan einseitig, ohne die volkswirtschaftlichen Auswirkun-gen auf unsere zukünftige gesamte Politik in Betracht zuziehen.
Herr Kollege, Sie vergessen die gesamtwirtschaftlicheEntwicklung im Lande und auch die finanzpolitischeAusgangslage.Doch unsere Strategie zeigt erste Erfolge: Sie von derOpposition werden das natürlich nicht gerne hören, aberdie Konjunktur erlebt einen kräftigen Aufschwung. Nachder Asienkrise hat sich die deutsche Exportwirtschaft sta-bilisiert, auch die Binnenkonjunktur befindet sich im Auf-schwung. Die Arbeitslosigkeit sinkt. Ich weiß nicht, wo-her Sie, Herr Kampeter, die Zahlen nehmen, aber die Zahlder Erwerbstätigen hat sich im ersten Quartal dieses Jah-res um 115 000 erhöht.Wenn wir davon ausgehen, dass der Mittelstand inDeutschland durch unsere Steuervorhaben um fast15 Milliarden DM entlastet wird, dann können Sie dochnicht sagen, dass wir den Mittelstand in seiner Entwick-lung behindern, es sei denn, Sie behindern unsere Mittel-standspolitik, indem Sie zum Beispiel die Steuerreformblockieren.
Auch auf die privaten Haushalte entfallen steuerlicheEntlastungen in Höhe von 23 Milliarden DM. Das ist einenicht gering zu schätzende Spritze für die Binnennach-frage, für die Binnenkonjunktur. Dies kommt natürlichauch den kleinen und mittleren Unternehmen – auch imOsten, Frau Pieper – zugute, weil sie im Wesentlichen re-gional agieren.Ich denke manchmal, dass Sie selber überhaupt nichtverstehen, was Sie fordern. Einerseits wollen Sie hiermehr öffentliche Investitionen, andererseits verlangt HerrMerz tagein, tagaus eine drastische Senkung des Spitzen-steuersatzes. Dies bedeutet – das müssen Sie endlich ein-mal begreifen – Steuermindereinnahmen.
– Moment einmal! – Sie müssen sich erst einmal unter-einander darauf verständigen, was Sie wollen, bevor Siesolche Aktuelle Stunden veranlassen. Davon abgesehensoll und will der Mittelstand das Geld auf dem Markt er-wirtschaften.Mehr Schulden zulasten unserer Gesellschaft, zulastenunserer Kinder sind mit uns und vor allem mit HansEichel nicht zu machen.
Endlich müssen auch Sie verstehen: Je weniger Schuldenwir haben, umso mehr Freiräume bleiben uns für die Ge-staltung anderer staatlicher Aufgaben, zum Beispiel dieFörderung des Mittelstandes. Das, liebe Kolleginnen undKollegen von der Opposition, können Sie in den Tabellen,in den Unterlagen, die auch Ihnen zur Verfügung stehen,
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. Juni 2000
Steffen Kampeter10407
nicht übersehen haben. Sehen Sie sich einmal die Titel-gruppe 05 – Forschung und Entwicklung, Innovationenim Mittelstand – an! Herr Hampel ist schon darauf einge-gangen. Wir fördern wirklich das, was zu fördern ist. Wirmachen eine ganz gezielte Förderung des Mittelstandes.Ich gehe auf die Zahlen jetzt nicht ein, aber diese könnenSie nachlesen.Die entsprechenden Ausgaben in diesem Haushalt stei-gen vom Jahr 2000 auf das Jahr 2001 um etwa 5 Prozent.Dies steht dort auch. Dies ist keine Einmalaktion. SehenSie sich die Verläufe bis 2004 an! Fast 1 Milliarde DMwird die Förderung des Mittelstandes in diesem Bereichbetragen. Nur so können wir die Zukunft unseres Mittel-standes gestalten.Ich bitte Sie herzlich: Hören Sie auf mit diesem Aktio-nismus! Das bringt nichts. Lassen Sie uns ganz sachlichund konkret über die Haushaltsvorhaben unserer Regie-rung diskutieren!Danke.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nächster Redner ist
der Kollege Hans-Joachim Fuchtel, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsiden-tin! Meine Damen und Herren! Eines ist heute interessant,nämlich dass die Grünen die Situation realistischer ein-schätzen als die Roten. Das will etwas heißen.
Das habe ich schon lange nicht mehr erlebt.Herr Kollege Wagner, ich halte es schon für ein Pro-blem, wenn einerseits dem Steuer- und Beitragszahler sohohe Lasten aufgebürdet werden und andererseits, bei-spielsweise bei mir im Schwarzwald, in den nächsten Jah-ren kein einziger Quadratmeter Straße gebaut wird. DieBürger haben damit langsam ein Problem. Unter unsererRegierung war es wenigstens noch so, dass immer ir-gendwo irgendetwas gegangen ist. Das schaffen Sie ebennicht mehr.
Bei Ihnen sollten die Alarmglocken läuten, wenn jetztdarüber gesprochen wird, dass die Investitionsquote im-mer weiter sinkt. Man muss sich auch mit dem befassen,was dieses Jahr stattfindet. Es ist nicht viel wert, immerdarüber zu reden, was unter anderen Bedingungen gewe-sen wäre. Vielmehr müssen wir jetzt feststellen: Die In-vestitionsquote sinkt. Das ist schädlich für unsere Wirt-schaft
und es schafft natürlich auch nicht die Arbeitsplätze, diewir brauchen, schon gar nicht beim Mittelstand. Hiermuss mehr geschehen. Darum setzen wir uns dafür ein,dass die Investitionsquote gesteigert wird.
Sie müssten bei der Konsumquote entsprechende Ein-schränkungen zustande bringen. Dann kommen Sie aufeinen Nenner, der vernünftig ist, aber nicht so.Kollege Hampel schließlich rechtfertigt das Ganzeauch noch, wenn der Verschiebebahnhof zu den Sozial-kassen weiter fortschreitet. Das ist ebenfalls eine völligfalsche Linie. Einer der zentralen Vorwürfe der CDU/CSU ist, dass Sie in diesem Haushalt wieder eine Politikder Verschiebebahnhöfe erster Güte betreiben. Das mussganz deutlich gesagt werden; denn das wird langsam zurMethode.Im letzten Jahr haben Sie die Beiträge zur Rentenver-sicherung für die Arbeitslosenhilfeempfänger drastischgekürzt. Im Haushalt 2001 sollen die Beiträge zurKrankenversicherung der Arbeitslosenhilfeempfänger inMilliardenhöhe gekürzt werden. Hier wurde zwar derMinister etwas abgebügelt, aber ich sage Ihnen: Wenn eszu unserer Regierungszeit so gewesen wäre, dass 1,2 Mil-liarden DM plus wahrscheinlich 400 Millionen DM glo-bale Minderausgaben in diesem Bereich gekürzt wordenwären, dann hätten Sie den Untergang des Sozialstaatesausgerufen.
Das hat entsprechende Auswirkungen auf die Kranken-versicherungsbeiträge. Die Krankenkassen sprechenschon davon, dass sie die Beiträge um 0,1 bis 0,4 Prozenterhöhen müssen. Das wiederum schlägt sich auf die Lohn-zusatzkosten nieder.
Eine solche Politik, die dem Mittelstand das Lebenschwerer macht, wollen wir nicht. Wir sollten die Zusatz-kosten abbauen und nicht durch solche Maßnahmen derVerschiebung wieder aufbauen.
Das ist eine kontraproduktive Politik für den Mittel-stand. Es ist natürlich auch für die aktuelle gesundheits-politische Diskussion äußerst schädlich. Schon jetzt erle-ben die Patienten ein ständiges Spießrutenlaufen im La-byrinth der Budgets.
Sie brauchen sich überhaupt nicht zu wundern, wenn dasGanze weiter eskaliert, falls Sie bis zur dritten Lesungnicht etwas Vernünftiges auf die Beine stellen.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Thema Ar-beitsmarktpolitik. Es ist der größte Witz, wenn die Sachejetzt so dargestellt wird, als sei es Ihre Leistung, dass dieArbeitslosenquote sinkt. Sie wissen genauso gut wie wir,
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. Juni 2000
Jelena Hoffmann
10408
dass hier die Demoskopie den wesentlichen Beitragleis-tet.
Die Aufblähung der Arbeitsmarktpolitik, die Sie betrei-ben, tut ihr Übriges. Ich sage Ihnen: Hätten Sie den Mut,zu sagen, wir lassen das, was wir politisch gewollt haben,im Bundeshaushalt, das andere kommt in den Arbeitslo-senversicherungshaushalt und dann senken wir dieBeiträge, so hätten Sie mit Sicherheit etwas Vernünftigesauf den Weg gebracht. Aber dazu sind Sie leider nichtfähig.Was erleben wir jetzt im Augenblick? In meinem Wahl-kreis haben wir 3,9 Prozent Arbeitslose, im Erzgebirge25 Prozent. Sie wenden aber die gleichen arbeitsmarktpo-litischen Instrumente an wie früher, obwohl sich die Be-schäftigungssituation vollständig geändert hat.
Hätten Sie doch jetzt den Mut und würden für Leute, dieaus den neuen Bundesländern kommen und arbeitslossind, eine Sonderaktion machen! Sie sollten für drei Jahrezum Arbeiten in die alten Bundesländer gehen. Dannbekämen wir eine Entwicklung, die uns etwas Vernünfti-ges beschert, nicht so, wie Sie die Sache angehen. Alleineinen Verschiebebahnhof zu gestalten ist alte und nichtneue Politik. Damit werden Sie keine guten Ergebnisse er-zielen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die Bundesregie-
rung spricht der Parlamentarische Staatssekretär beim
Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, Siegmar
Mosdorf.
S
Lieber Herr Kol-lege Fuchtel, Sie haben eben von „Demoskopie“ gespro-chen, meinten aber wahrscheinlich „Demographie“. IhrBeitrag war insgesamt von diesem Niveau.
Es erstaunt mich, dass Sie noch nicht einmal zwischen„Demographie“ und „Demoskopie“ unterscheiden konn-ten. Ich verstehe aber: Sie wohnen in der Nähe von Al-lensbach und da ist man natürlich geneigt, immer nur von„Demoskopie“ zu reden. Außerdem haben Sie sowiesonur die Umfragezahlen im Kopf.Wir dagegen haben die Wirtschaftsdaten im Kopf unddie sind gut und werden immer besser.
Wir haben in den Neunzigerjahren ein Wirtschaftswachs-tum von 1,4 Prozent gehabt und werden in diesem Jahr einWachstum von 3 Prozent haben. Der Aufschwung ist daund wir können sagen: Das wirtschaftliche Ankurbe-lungsprogramm der Bundesregierung zeigt Wirkung. Dasollten eigentlich auch Sie, Herr Fuchtel, klatschen.
Es gibt den berühmten Satz von Philipp Rosenthal:„Wer zu spät an die Kosten denkt, ruiniert Unternehmenund Volkswirtschaften. Wer zu früh an die Kosten denkt,tötet Kreativität.“ Sie haben beides fertig gebracht. Sie ha-ben zum einen überhaupt nicht an die Kosten gedacht –diese sind galoppiert und entsprechend ist die Verschul-dung auf das jetzige Niveau gestiegen – und zum anderenhaben Sie den Etat für Forschung und Technologie realum 30 Prozent gesenkt.Wir drehen dies gerade um, indem wir versuchen, dieVerschuldung massiv zu begrenzen. In diesem Zusam-menhang treffen wir, Herr Austermann, auch Entschei-dungen, die nicht vergnügungssteuerpflichtig sind.
Wir machen richtig große Sparanstrengungen, die auchungemütlich sind. Wir machen das, weil wir der Meinungsind, das Land brauche Luft, um sich wieder bewegen zukönnen. Deshalb wollen wir bis zum Jahre 2006 auf eineNettoneuverschuldung von Null kommen. Ich bin mir si-cher, dass trotz dieser ungemütlichen Entscheidungen dieWähler sagen werden: Es ist verantwortungsvoll, dieseEntscheidung jetzt zu treffen. Deshalb ist der Konsolidie-rungskurs des Bundesfinanzministers vollständig richtig.
Herr Austermann, ich kann nichts dafür, dass Sie inSchlewig-Holstein nichts geworden sind. Das ändertnichts daran, dass Sie bei uns Hospitant werden. Sie sindein kluger und interessanter Mann. Das ist keine Frage.Seien Sie doch einmal fair, Herr Austermann – wir beidesitzen zusammen im Verwaltungsrat der Deutschen Aus-gleichsbank –: Sie wissen genauso gut wie ich – wir kön-nen das den Kollegen ja zusammen mitteilen –, was sichim Augenblick im Bereich der Existenzgründer und desVenture Capital abspielt, ist unglaublich positiv für unserLand.
– Ja, das ist sowieso ein ganz kluger Kopf. Karl Dillerkönnte ohne ihn im Haushaltsausschuss gar nicht aus-kommen. Das ist gar keine Frage.Ich lese Ihnen einmal vor, was der Ifo-Report morgenals neueste Umfrage vorlegen wird:Von den großen Industriebereichen verzeichnen inerster Linie die Investitionsgüterhersteller, die so-wohl von der lebhaften Weltkonjunktur als auch vonder regen inländischen Investitionstätigkeit profitie-ren, die deutlichsten Verbesserungen.Das ist der Punkt, um den es geht: Sie – obwohl Sie ei-gentlich keine Etatisten sein wollen – konzentrieren sich
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. Juni 2000
Hans-Joachim Fuchtel10409
auf einen Haushalt; gleichzeitig schreitet die konjunktu-relle Entwicklung voran, die Investitionsneigung nimmtzu und die Mittelständler investieren. Dabei sagen wirganz im Sinne einer sinnvollen Philosophie: Es mussnicht alles vom Staat ausgehen, vielmehr müssen die Rah-menbedingungen so sein, dass die Investitionskonjunkturin Gang kommt; und sie kommt in Gang. Deshalb ist es inOrdnung, dass man diesen Spagat macht, nämlich denHaushalt zu konsolidieren, die Steuern zu senken undtrotzdem Mittel für Investitionen in Zukunftsbereiche –vor allem Forschung und Technologie, die uns besonderswichtig sind – zu mobilisieren.Zu dem Bereich Forschung und Technologie möchteich noch etwas sagen: Wir haben genau aus dem Grund,weil Sie den Forschungs- und Technologieetat um real30 Prozent gekürzt haben, während andere Länder aufge-holt haben, entschieden, jedes Jahr eine Innovationsmilli-arde draufzulegen.
– Herr Kampeter, Sie haben eine sehr laute Rede gehalten,aber Sie waren nicht überzeugend.
Das war nett gemeint, aber es ist wahr: sehr laut, abernicht überzeugend.Ich erläutere Ihnen das noch einmal anhand der Zahlen.Wir setzen die Innovationsmilliarde – Sie können uns da-bei helfen – in wichtigen Hochschulbereichen ein. FrauBulmahn – Herr Austermann weiß dies auf jeden Fall – ar-beitet jetzt die Warteschleifen bei Hochschulprogrammender Fachhochschulen, Universitäten und Hochschulen ab,da in diesem Bereich über Jahre nichts passiert ist. Wirsind jetzt dabei zu investieren, und zwar massiv zu inves-tieren.
Ich finde es richtig, gerade jetzt, wenn man weiß, dasswir bei Informatiklehrstühlen eine zehnfache Überzeich-nung – das gibt es ja nicht nur an der Börse – von Stu-denten haben, die keine Studienplätze finden.
– Jetzt hören Sie doch auf mit dieser alten Geschichte!Erwin Teufel hat 1996 und 1997 in Karlsruhe an der bes-ten Informatik-Universität, die wir in Deutschland haben,die Mittel gekürzt.
– Erkundigen Sie sich erst einmal genau nach dem Sach-verhalt! Das ist immer ganz hilfreich.Jetzt sage ich Ihnen noch einmal: Wir engagieren unsbesonders stark bei Forschung, Entwicklung und Innova-tion im Mittelstandsbereich. Wir werden die Mittel fürForschung, Entwicklung und Technologie im KMU-Be-reich von 849 Millionen DM im Jahr 2000 auf 1 Milli-arde DM im Jahr 2004 erhöhen. Das ist eine ganze Mengeangesichts der Tatsache, dass wir ansonsten sparen. Dasist eine gezielte Investitionsförderung in ganz gezieltenBereichen.Ich lese es Ihnen noch einmal vor: Erhöhung des Be-teiligungskapitals Technologieunternehmen in unseremHaus von 60 Millionen DM im Jahr 2000 auf 145 Milli-onen DM im Jahr 2004. Im Multimediasektor – ganzwichtig – erhöhen wir von 47Millionen DM im Jahr 2000auf 70 Millionen DM im Jahr 2004. Bei Forschungs-kooperation, Innovationskompetenz – Herr Wagner hatdarauf hingewiesen – steigern wir von 262 Millionen DMauf 300 Millionen DM im Jahr 2004.Wir reden nicht nur über Investitionen, wir reden nichtnur über Forschung und Technologie,
sondern wir machen große Anstrengungen. HerrKampeter, wenn Sie uns dabei helfen wollen, sind wir Ih-nen ja dankbar dafür. Wir brauchen natürlich immer Un-terstützung.Ich habe mir die Zahlen gerade geben lassen und sagejetzt noch eines. Ihr Einzelplan 30 sah folgende Entwick-lungskurve vor: Im Jahr 2000 hatten Sie für den Einzel-plan 30, Forschung und Bildung, einen Anteil am Ge-samthaushalt von 3,10 Prozent vorgesehen und Sie woll-ten auf 2,97 Prozent im Jahr 2002 heruntergehen.
Wir gehen von 3,05 Prozent auf 3,28 Prozent hoch undstärken enorm das, was in Forschung und Bildung not-wendig ist.
Ich will Ihnen noch eines sagen: Wir versteigern jetztdie UMTS-Lizenzen. Herr Rexrodt weiß, wovon ich rede.Ich will ich gar nicht darüber reden, welche Diskussionwir darüber hatten – Sie selber gehörten nicht dazu –, obwir überhaupt versteigern sollten.
– Ich rede jetzt nicht vom Auktionator. – Es gab viele, diegesagt haben, Lizenzen könne man auch so vergeben. Wirhaben schon damals gesagt: Guckt euch mal an, wie diedas in Amerika gemacht haben! In Chicago und Los An-geles hat man schon auf regionaler Ebene versteigert, alsolasst uns das auch machen.Ich will nicht über 120 Milliarden DM reden. Das sindFantasiezahlen, die nicht realistisch sind. Aber der Bun-desfinanzminister hat jetzt 20 Milliarden DM in denHaushalt eingestellt und ganz getreu seiner Linie gesagt:Die werden systematisch zur Schuldentilgung verwendet.Aber von den frei werdenden Zinsmitteln in Höhe von
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. Juni 2000
Parl. Staatssekretär Siegmar Mosdorf10410
1 Milliarde DM nimmt er 500 Millionen DM für Verkehrund 500 Millionen DM für Forschung und Technologie.Das ist genau die Linie, um die es geht.Ich finde, meine Damen und Herren, Sie sollten dieseLinie unterstützen. Dann wird der Aufschwung sich ver-stetigen und dann wird Deutschland eine positive Ent-wicklung nehmen.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die CDU/CSU-
Fraktion spricht jetzt der Kollege Hans Jochen Henke.
Frau Präsidentin!Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Auf die Ausführun-gen von Herrn Staatssekretär Mosdorf entgegne ich miteiner Fragestellung. Die Verabschiedung des Haushalts-entwurfs 2001 erfolgte zu Beginn der Fußball-Euro-pameisterschaft. Was haben Deutschland und Italien ge-meinsam, Herr Mosdorf? Bei der Fußball-Europameister-schaft nicht so viel – die Italiener sind nämlich noch drin,wir sind draußen –, aber bei der Wirtschafts- und Struk-turpolitik haben wir, denke ich, sehr viel gemeinsam. Dasind wir beide nämlich auf den hintersten Plätzen.
Ich meine, dass diese regierungs- und koalitionsamtli-che Freude darüber, dass es derzeit konjunkturell aufwärtsgeht, eigentlich stark gedämpft werden müsste, wenn Sieintensiv darüber nachdenken würden, welche struk-turpolitischen Maßnahmen Sie ergreifen müssten, umtatsächlich originär, und zwar bei uns zu Hause, Wachs-tumsimpulse zu generieren.Das schlägt sich durchaus in den Daten und in der Kon-zeption des Haushalts 2001 nieder. An zwei Stellen ist erbemerkenswert: Erstens. Der Haushaltsentwurf ist recht-zeitig verabschiedet worden. Zweitens. Sie haben in derTat – das bestreiten wir gar nicht – Sparziele verfolgt, dieihren Niederschlag im Entwurf gefunden haben. Nur,Herr Mosdorf und Herr Diller, ich sage Ihnen: Das hättenwir unter den jetzt bestehenden Rahmenbedingungenauch geschafft. Wahrscheinlich wären wir sogar hier undin anderen Bereichen sehr viel weiter als Sie.
Nur, das Problem liegt ganz woanders:
Ihre Politik ist von den Rahmenbedingungen her, die Siesetzen, überhaupt nicht kalkulierbar. Die Unternehmenund insbesondere der Mittelstand, um dessen Interessenim Zusammenhang mit den daraus resultierendenArbeitsplätzen es in der heutigen Debatte vorrangig geht,haben – Gott sei es geklagt – nicht nur mit den Risiken desMarktes, sondern in den letzten beiden Jahren in zuneh-mendem Maße – das ist an zahllosen Beispielen ables-bar – auch mit dem wirtschafts-, sozial- und finanzpoliti-schen Zickzackkurs dieser Regierung zu kämpfen.
Wenn ich mir den Haushaltsentwurf 2001 anschaueund ihn an dem messe, was Finanzminister Eichel ständigerklärt, nämlich dass er in Einklang mit den Steuerre-formzielen umgesetzt werden solle, dann muss ich fest-stellen, dass er und die mittelfristige Finanzplanung einevöllig andere Sprache sprechen. 75 Milliarden DM anEntlastungen sind bis 2005 in Aussicht gestellt. Wenn Siesich im Haushaltsentwurf 2001 die mittelfristige Finanz-planung für die Steuereinnahmeentwicklung anschauen,dann werden Sie eine erstaunliche Entdeckung machen:Sage und schreibe 160 Milliarden DM Mehreinnahmen –unter Berücksichtigung der 75 Milliarden DM an so ge-nannten Steuervergünstigungen – werden im Jahre 2005zu gewärtigen sein. Da kann von Entlastung keine Redesein. Für Freude ist nach meiner Meinung überhaupt keinPlatz.Diejenigen, die Verantwortung tragen, sollten darübernachdenken, wie sie mit der steuer- und strukturpoliti-schen Kritik solide und seriös umgehen, die von 68 Wis-senschaftlern – leider Gottes etwas spät; aber in der Sacheumso mehr berechtigt – geübt worden ist.
Wenn der Bundesfinanzminister auf der gestrigen Ver-anstaltung des BDI erklärt, es gehe im Wesentlichen da-rum, die nächste Generation vor einer Schuldenfalle zubewahren, dann meine ich: Darüber sind wir längst hi-naus. Die Weichen – das ist wiederholt ausgeführt wor-den – haben wir rechtzeitig gestellt.
Es geht um etwas anderes. Es geht darum, die nächste Ge-neration, die Wirtschaft und vor allen Dingen den Mittel-stand vor Fallen zu bewahren, die Sie, der Bundesfinanz-minister und sein Vorgänger Lafontaine gestellt haben,dessen falsche Weichenstellungen Sie beibehalten haben.
Der Haushalt 2001, werte Kolleginnen und Kollegen vonder Koalition, trägt nach wie vor sehr viel mehr die Hand-schrift von Oskar Lafontaine, als Ihnen lieb ist. SeineWeichenstellungen finden nach wie vor in allen Berei-chen, vor allem im konsumtiven Bereich, ihren nachhalti-gen Niederschlag. Weder der Finanzminister noch derWirtschaftsminister und auch nicht die Koalition hat esgeschafft, die Weichen in wesentlichen Bereichen andersund neu zu stellen.Wo sind denn die bemerkenswerten Veränderungen imBundeshaushalt, die Ihre Regierung angeblich durchge-setzt hat? Wo haben Sie denn wirklich strukturelle Verän-derungen herbeigeführt? Die Ausgaben für Investitionenwaren nie so niedrig wie heute. Die Zuschüsse an die
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. Juni 2000
Parl. Staatssekretär Siegmar Mosdorf10411
Sozialversicherungen waren nie so hoch wie heute. DieZahl der Steuern wurde durch die ungerechte Ökosteuererhöht, die sich heute immer mehr als falsch und über-flüssig erweist. Was ist mit Ihrem feierlichen Verspre-chen, die zweite Stufe der Ökosteuer erst bei entspre-chendem Mitziehen der europäischen Partner im Interesseder Unternehmen und der Steuerzahler umzusetzen? Ausdiesem Versprechen ist nichts geworden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Henke,
kommen Sie bitte zum Schluss!
Erlauben Sie mir
eine letzte Anmerkung:
Der Kollege Kampeter hat meinen Namensvetter, Hans
Eichel, als „Hans im Glück“ bezeichnet. Am Anfang
wurde Hans Eichel „Der blanke Hans“ genannt; jetzt ist er
der „Hans im Glück“. Mir fällt ein Vergleich ein, der heute
wahrscheinlich sehr viel besser passt, nämlich der Ver-
gleich mit Hänsel und Gretel.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Henke,
zum Märchenerzählen fehlt jetzt wirklich die Zeit; wir
sind in einer Aktuellen Stunde.
Er ist relativ gut
genährt und hält ein dünnes Hölzchen heraus, um der
rot-grünen Koalition vorzumachen, wie vermeintlich
schlecht es ihm geht. Ihm geht es besser, als Sie denken
und als er Ihnen glauben machen möchte.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Letzter Redner in der
Aktuellen Stunde ist der Kollege Christian Lange, SPD-
Fraktion.
Frau Präsiden-
tin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kol-
legen von der Opposition, wir sind im Herbst 1998 mit der
Vorgabe angetreten, uns daran messen zu lassen, ob wir
die Arbeitslosigkeit senken oder nicht. Schauen Sie sich
bitte einmal die Tatsachen an: Die Arbeitslosenquote lag
im Oktober 1998 – es geht um die Bilanz am Ende Ihrer
Regierungszeit – bei 11,2 Prozent; im Mai 2000 lag sie bei
9,3 Prozent. Ist das nicht ein Erfolg?
Es wäre doch einmal ein Grund, der Bundesregierung zu
gratulieren. Die Jugendarbeitslosigkeit lag im Oktober
1998 bei 10,8 Prozent und im Mai 2000 bei 8,3 Prozent.
Das sind die Messwerte, die uns interessieren.
Bei den Haushaltsberatungen wurde der Schwerpunkt
auf die Förderung der Erneuerungsfähigkeit der Wirt-
schaft gelegt. Sie haben es gehört: Ziel ist es, durch Inno-
vationen und Existenzgründungen die Arbeitslosigkeit
weiter zu senken. Frau Kollegin Hoffmann hat auf die
115 000 neuen Stellen hingewiesen. Die „Financial Ti-
mes“ sprach sogar von 155 000 neuen Arbeitsplätzen.
Auch das ist doch einmal ein Grund zur Freude. Man
könnte doch einmal sagen: Herzlichen Glückwunsch,
liebe Bundesregierung!
Gleichzeitig sind wir dabei, den Haushalt zu sanieren.
Wir haben vor, im Jahre 2006 keine Nettoneuverschul-
dung mehr vorzunehmen. 1,5 Billionen DM Schulden
heißt: Mehr als 150 000 DM Zinsen pro Minute. Ich habe
einmal nachgerechnet: Während dieser segensreichen Ak-
tuellen Stunde gibt die Bundesrepublik Deutschland sage
und schreibe 9 Millionen DM an Zinsen aus. Damit ist
noch keine einzige müde Mark an Tilgung gezahlt. Das ist
das Ergebnis Ihrer Politik. Es wurde Zeit, dass wir diesen
Schutt aufräumen. Dabei sind wir auf einem guten Weg.
Hinzu kommt, dass wir einen kräftigen Aufschwung
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Prognosen – sie sind so günstig wie schon lange nichtmehr – liegen bei 2,8 bis 3 Prozent. Ganz erfreulich ist da-bei, dass auch die Binnenkonjunktur anzieht. Davon pro-fitiert besonders das Handwerk.Lassen Sie uns an dieser Stelle einen tieferen Blick inden Bundeshaushalt werfen, zum Beispiel in den Haushaltdes Bundeswirtschaftsministeriums – Herr KollegeHenke, Sie haben die Rahmenbedingungen angespro-chen –, etwa in den Bereich kleinerer und mittlerer Un-ternehmen. Bei der Förderung von Lehrgängen und beider überbetrieblichen beruflichen Bildung im Handwerkkann von Kürzungen keine Rede sein.
Sie können nicht davon sprechen, dass bei der Innovati-onsförderung Investitionen zurückgefahren wurden.
Innovationsförderung als Schwerpunkt der Fördermaß-nahmen begründet sogar die Erhöhung von Investitionenfür den Ausbau und die Ausrüstung der Technologie-transferstellen. Der Haushaltsplan gibt für das Jahr 20008,7 Millionen DM und für das Jahr 2001 10,5 Milli-onen DM an. Diese Investitionen kommen den kleinenund mittleren Unternehmen ganz besonders zugute.Ich bitte zu beachten, dass die Mittel für die Bera-tungsförderung im Handwerk, einem ganz wichtigen Be-reich – wir wollen ja Existenzgründungen fördern –, diebisher auf verschiedene Titel verteilt waren, ebenfalls
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. Juni 2000
Hans Jochen Henke10412
nicht gekürzt – davon kann überhaupt keine Rede sein –,sondern weiterhin massiv gefördert werden. Das ist gutso; denn davon werden Existenzgründer in großem Um-fang profitieren.Die Mittel für Bildung und Forschung steigen – das isterwähnt worden – um 5,4 Prozent. Davon werden nichtnur die Studierenden durch etwas mehr BAföG, sondernindirekt auch die Bezieher von Meister-BAföG profitie-ren. Dasselbe gilt also auch für den gewerblichen Bereich,dass sich die Erhöhung des Darlehens und der Zuschüsseentsprechend auswirken wird. Es ist doch ein Grund zurFreude, dass wir für die Studierenden und die gewerblicheWirtschaft etwas tun. Ich hätte mir gewünscht, dass Siedazu einmal etwas Positives sagen. Das hätte zur Wahr-heit gehört.
Ich habe noch überhaupt kein Wort zur Steuerreformgesagt.
Die Bilanz zeigt, dass die Steuerreform in großem Um-fang gerade kleine und mittlere Unternehmen entlastet.Von 2001 bis 2005 liegt die Gesamtentlastung bei44,9 Millionen DM.
Das macht für die Privathaushalte eine Entlastung von23,3 Milliarden DM, für den Mittelstand von 14,8 Milli-arden DM und für die Großunternehmen von 6,8 Milliar-den DM aus.Das Jahr 2001 wird für Familien, aber auch für kleineund mittlere Unternehmen die größte Nettoentlastung inder Geschichte der Bundesrepublik bedeuten. Das ist einGrund zur Freude, meine Damen und Herren.
Da sollten Sie doch einmal applaudieren und sollten dasnicht am laufenden Band mies machen.Wenn ich mir dann noch die Gesamtbilanz anschaue,76 Milliarden DM Entlastung von 1999, Antritt dieserBundesregierung, bis 2005, davon allein 20,8 Milliar-den DM für den Mittelstand, dann komme ich zu dem Er-gebnis, dass der Mittelstand in der Tat der Schrittmacherder Konjunktur in unserem Lande ist. Das wird auch sobleiben, und zwar wegen der erfolgreichen Haushalts-,Steuer- und Wirtschaftspolitik dieser Bundesregierung.Herzlichen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Aktuelle Stunde
ist beendet. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen
Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tags auf morgen, Donnerstag, den 29. Juni 2000, 9 Uhr,
ein.
Die Sitzung ist geschlossen.