Protokoll:
14100

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 14

  • date_rangeSitzungsnummer: 100

  • date_rangeDatum: 14. April 2000

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 13:56 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Begrüßung der Botschafter der Vereinigten Staaten und Polens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9372 D Tagesordnungspunkt 3: Erste Beratung des von den Abgeordneten Bernd Reuter, Dieter Wiefelspütz, Dr. Peter Struck und der Fraktion SPD, den Abgeordneten Wolfgang Bosbach, Friedrich Merz, Michael Glos und der Fraktion CDU/CSU, den Abgeordneten Volker Beck (Köln), Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN, den Abgeordneten Dr. Max Stadler, Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion F.D.P. sowie den Abgeordneten Ulla Jelpke, Dr. Gregor Gysi und der Fraktion PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung einerStiftung „Erinnerung, Ver- antwortung und Zukunft“ (Drucksache 14/3206) . . . . . . . . . . . . . . . . . 9371 A Gerhard Schröder, Bundeskanzler . . . . . . . . . . 9371 B Otto Graf Lambsdorff, Beauftragter des Bun- deskanzlers für die Stiftungsinitiative Deut- scher Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9373 A Friedrich Merz CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 9375 C Bernd Reuter SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9377 B Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9379 B Dr. Max Stadler F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9381 C Dr. Gregor Gysi PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9382 D Dieter Wiefelspütz SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9384 C Wolfgang Bosbach CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 9386 A Markus Meckel SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9388 B Tagesordnungspunkt 15: Wahlvorschlag der Fraktionen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, F.D.P. und PDS: Wahl des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages (Drucksache 14/3160) . . . . . . . . . . . . . . . . 9389 B Dank an Frau Claire Marienfeld für ihre Ar- beit im Deutschen Bundestag und als Wehrbe- auftragte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9389 B Wahl des Abgeordneten Dr. Willfried Penner (SPD) zum Wehrbeauftragten . . . . . . . . . . . . 9389 C Tagesordnungspunkt 17: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Verkehr, Bau- und Wohnungs- wesen zu dem Antrag der Abgeordneten Eduard Oswald, Dirk Fischer (Hamburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion CDU/CSU: Zukunft sichern – Verkehrs- infrastrukturinvestitionen verstärken (Drucksachen 14/2360, 14/3199) . . . . . . . 9390 C b) Antrag der Abgeordneten Klaus Hofbauer, Dirk Fischer (Hamburg), weiterer Abgeord- neter und der Fraktion CDU/CSU: A 6 als wichtige europäische West-Ost-Straßen- verbindung vorrangig fertig stellen (Drucksache 14/2910) . . . . . . . . . . . . . . . . 9390 C c) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Verkehr, Bau- und Wohnungs- wesen zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Faire Preise für die Infrastruktur- benutzung: Ein abgestuftes Konzept für einen Gemeinschaftsrahmen für Plenarprotokoll 14/100 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 100. Sitzung Berlin, Freitag, den 14. April 2000 I n h a l t : Verkehrs-Infrastrukturgebühren in der Weißbuch EU (Drucksachen 14/74 Nr. 2.109, 14/1545) 9390 D d) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht zum Ausbau der Schienenwege 1999 (Drucksache 14/2176) . . . . . . . . . . . . . . . . 9390 D e) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Straßenbaubericht 1999 (Drucksache 14/2488) . . . . . . . . . . . . . . . . 9390 D f) Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen zu dem Bericht des Ausschusses für Bildung, Wis- senschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung gemäß § 56 a der Geschäftsordnung Technikfolgenabschätzung hier: Ent- wicklung und Analyse von Optionen zur Entlastung des Verkehrsnetzes und zur Verlagerung von Straßenverkehr auf umweltfreundlichere Verkehrsträger (Drucksachen 13/11447, 14/272 Nr. 144, 14/2429) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9391 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 4: Antrag der Abgeordneten Angelika Mertens, Hans-Günter Bruckmann, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion SPD sowie der Abgeordneten Albert Schmidt (Hitzhofen), Franziska Eichstädt-Bohlig, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Anti-Stau-Programm (Drucksache 14/3179) . . . . . . . . . . . . . . . . 9391 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 5: Antrag der Abgeordneten Dr. Winfried Wolf, Christine Ostrowski, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion PDS: Beibehal- tung der Reisezug-Verbindungen zwi- schen Polen und Berlin (Drucksache 14/3191) . . . . . . . . . . . . . . . . 9391 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 6: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Verkehr, Bau- und Wohnungs- wesen zu dem Antrag der Abgeordneten Horst Friedrich (Bayreuth), Hans-Michael Goldmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion F.D.P.: Straßenbau statt Auto- stau (Drucksachen 14/2582, 14/3198) . . . . . . . 9391 B Eduard Oswald CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 9391 C Heide Mattischeck SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 9393 C Dr. Michael Meister CDU/CSU . . . . . . . . 9395 A Jürgen W. Möllemann F.D.P. . . . . . . . . . . . . . 9395 D Albert Schmidt (Hitzhofen) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9398 A Dr. Winfried Wolf PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 9400 A Reinhold Strobl SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9401 D Horst Friedrich (Bayreuth) F.D.P . . . . . . . 9402 C Norbert Königshofen CDU/CSU . . . . . . . . . 9403 B Franziska Eichstädt-Bohlig BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9405 C Reinhard Klimmt, Bundesminister BMVBW 9407 A Dirk Fischer (Hamburg) CDU/CSU . . . . 9408 C Klaus Hofbauer CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 9410 D Reinhard Klimmt, Bundesminister BMVBW 9411 A Dirk Fischer (Hamburg) CDU/CSU . . . . . . . 9411 B Hans-Günter Bruckmann SPD . . . . . . . . . . . 9414 A Tagesordnungspunkt 19: Antrag der Abgeordneten Horst Seehofer, Birgit Schnieber-Jastram, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion CDU/CSU: Für eine gerechte Rentenanpassung (Drucksache 14/2991) . . . . . . . . . . . . . . . . 9416 C Tagesordnungspunkt 20: Antrag der Abgeordneten Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, Jörg van Essen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion F.D.P.: Durchführung eines Strafverfahrens we- gen Verletzung einer besonderen Ge- heimhaltungspflicht nach § 353 b StGB (Drucksache 14/2110) . . . . . . . . . . . . . . . . 9416 D Tagesordnungspunkt 22: Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Evelyn Kenzler, Petra Bläss, weiterer Abgeordneter und der Fraktion PDS einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Än- derung des Gesetzes über die politischen Parteien (Drucksache 14/2719 . . . . . . . . . . . . . . . . . 9417 A Dr. Gregor Gysi PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9417 B Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9419 C Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. April 2000II Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 9421 A Anlage 2 Erklärung der Abgeordneten Jella Teuchner (SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Staatsziel Tierschutz) (99. Sitzung, Seite 9279 A) . . . . . . . . . . . . . . 9422 A Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Antrags: Neue Belastungen für ehrenamtlich Tätige zurücknehmen (99. Sitzung, Tagesord- nungspunkt 14) Max Straubinger CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 9422 B Anlage 4 Namensverzeichnis der Mitglieder des Deut- schen Bundestages, die an der Wahl des Abge- ordneten Dr. Willfried Penner (SPD) zum Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages teilgenommen haben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9423 A Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Für eine gerechte Rentenanpas- sung (Tagesordnungspunkt 19) Erika Lotz SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9425 B Heinz Schemken CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 9426 D Andreas Storm CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 9427 C Katrin Dagmar Göring-Eckardt BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9429 A Dr. Irmgard Schwaetzer F.D.P. . . . . . . . . . . . 9429 D Dr. Ilja Seifert PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9430 B Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Durchführung eines Strafverfah- rens wegen Verletzung einer besonderen Ge- heimhaltungspflicht nach § 353 b StGB (Tagesordnungspunkt 20) Joachim Stünker SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9431 A Dr. Jürgen Gehb CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 9432 A Angelika Beer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 9433 B Jörg van Essen F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9433 D Heidi Lippmann PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9434 B Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die politischen Parteien (Tages- ordnungspunkt 22) Dr. Joseph-Theodor Blank CDU/CSU . . . . . 9435 A Cem Özdemir BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 9436 C Dr. Max Stadler F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . 9437 A Anlage 8 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9437 D Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. April 2000 III Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. April 2000
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    Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. April 2000 Dr. Gregor Gysi 9419 (C) (D) (A) (B) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. April 2000 9421 (C) (D) entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht(A) (B) Beck (Bremen), BÜNDNIS 90/ 14.04.2000 Marieluise DIE GRÜNEN Bernhardt, Otto CDU/CSU 14.04.2000 Bierling, Hans-Dirk CDU/CSU 14.04.2000* Dr. Bötsch, Wolfgang CDU/CSU 14.04.2000 Dr. Eckardt, Peter SPD 14.04.2000 Eichhorn, Maria CDU/CSU 14.04.2000 Eymer (Lübeck), Anke CDU/CSU 14.04.2000 Fischer (Frankfurt), BÜNDNIS 90/ 14.04.2000 Joseph DIE GRÜNEN Frick, Gisela F.D.P. 14.04.2000 Friedrich (Altenburg), SPD 14.04.2000 Peter Gebhardt, Fred PDS 14.04.2000 Hinsken, Ernst CDU/CSU 14.04.2000 Ibrügger, Lothar SPD 14.04.2000 Imhof, Barbara SPD 14.04.2000 Irmer, Ulrich F.D.P. 14.04.2000* Jünger, Sabine PDS 14.04.2000 Jung (Düsseldorf), SPD 14.04.2000 Volker Dr. Kahl, Harald CDU/CSU 14.04.2000 Kauder, Volker CDU/CSU 14.04.2000 Kirschner, Klaus SPD 14.04.2000 Koppelin, Jürgen F.D.P. 14.04.2000 Kors, Eva-Maria CDU/CSU 14.04.2000 Kossendey, Thomas CDU/CSU 14.04.2000* Kumpf, Ute SPD 14.04.2000 Lehn, Waltraud SPD 14.04.2000 Leidinger, Robert SPD 14.04.2000 Maaß (Wilhelmshaven), CDU/CSU 14.04.2000 Erich Michelbach, Hans CDU/CSU 14.04.2000 Mogg, Ursula SPD 14.04.2000 Müller (Berlin), PDS 14.04.2000 Manfred Ohl, Eckhard SPD 14.04.2000 Dr. Pfaff, Martin SPD 14.04.2000 Pflug, Johannes SPD 14.04.2000 Dr. Pick, Eckhart SPD 14.04.2000 Probst, Simone BÜNDNIS 90/ 14.04.2000 DIE GRÜNEN Raidel, Hans CDU/CSU 14.04.2000* Rauber, Helmut CDU/CSU 14.04.2000* Dr. Rexrodt, Günter F.D.P. 14.04.2000 Dr. Ruck, Christian CDU/CSU 14.04.2000 Scherhag, Karl-Heinz CDU/CSU 14.04.2000 Schily, Otto SPD 14.04.2000 Schindler, Norbert CDU/CSU 14.04.2000 Schmidt-Zadel, Regina SPD 14.04.2000 Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 14.04.2000 Hans Peter Dr. Schockenhoff, CDU/CSU 14.04.2000 Andreas Schultz (Everswinkel), SPD 14.04.2000 Reinhard Seehofer, Horst CDU/CSU 14.04.2000 Sehn, Marita F.D.P. 14.04.2000 Simm, Erika SPD 14.04.2000 Spranger, Carl-Dieter CDU/CSU 14.04.2000 Dr. Freiherr von Stetten, CDU/CSU 14.04.2000 Wolfgang Strebl, Matthäus CDU/CSU 14.04.2000 Stünker, Joachim SPD 14.04.2000 Thiele, Carl-Ludwig F.D.P. 14.04.2000 Dr. Thomae, Dieter F.D.P. 14.04.2000 Volquartz, Angelika CDU/CSU 14.04.2000 Dr. Waigel, Theodor CDU/CSU 14.04.2000 Wieczorek-Zeul, SPD 14.04.2000 Heidemarie Wissmann, Matthias CDU/CSU 14.04.2000 Wolf (Frankfurt), BÜNDNIS 90/ 14.04.2000 Margareta DIE GRÜNEN Zapf, Uta SPD 14.04.2000 Zierer, Benno CDU/CSU 14.04.2000 Dr. Zöpel, Christoph SPD 14.04.2000 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versamm- lung der OSZE Anlage 2 Erklärung der Abgeordneten Jella Teuchner (SPD) zur na- mentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Staatsziel Tierschutz) (99. Sitzung, Seite 9279A) Ich erkläre, dass ich an der namentlichen Abstimmung „Staatsziel Tierschutz“ teilgenommen habe. Ich habe mit Ja gestimmt. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Antrags: Neue Belastungen für ehrenamtlich Tätige zurücknehmen (99. Sit- zung, Tagesordnungspunkt 14) Max Straubinger, (CDU/CSU):Das Ehrenamt zu för- dern und das Engagement der Bürgerinnen und Bürger für unsere demokratische und soziale Gesellschaft zu stärken haben sich alle politisch verantwortlichen Kräfte in unse- rem Land an die Fahne geheftet. Dies ist auch richtig, da die ehrenamtliche Tätigkeit in den sozialen Diensten, bei der Feuerwehr, in Kirchen, bei Sportverbänden, beim Ro- ten Kreuz und vielen anderen Einrichtungen ein Dienst an Mitmenschen ist. Wenn dieses Engagement der Bürger von der Politik und von kommunalen Gebietskörper- schaften erledigt werden müsste, wäre dies nur mit einem unverhältnismäßig großen Kostenaufwand möglich. Aber – was für mich noch wichtiger ist – es wäre mit weit weniger Einfühlungsvermögen und Engagement der dann Tätigen verbunden, da diese Bürgerinnen und Bürger ihren Einsatz als normale Arbeit begreifen würden und da kann es schon mal „Dienst nach Vorschrift“ geben. Deshalb sind wir, die politischen Entscheidungsträger, gut beraten, dieses ehrenamtliche Engagement zu stärken. Der Wille, ein Ehrenamt zu übernehmen, wird jedoch zu- sehends geschmälert. Was ist geschehen? Die Bundesregierung und die Koalitionsparteien SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben mit Wirkung zum 1. April 1999 das bis dahin geltende 630-Mark-Gesetz, welches die pauschale Versteuerung bei geringfügiger Entlohnung ermöglichte, abgeschafft und durch eine neue bürokratische Regelung ersetzt. Zusätzlich wurde im Steuerbereinigungsgesetz eine steuerliche Begünstigung nur noch für Übungsleiter und pflegende Einsätze zuge- lassen. Diese Änderungen führten dazu, dass die Spitzenver- bände der Sozialversicherungsträger am 16./17. Novem- ber 1999 bei einer gemeinsamen Sitzung feststellten, dass Aufwandsentschädigungen für ehrenamtlich tätige Feuer- wehrdienstleistende und andere ehrenamtlich Tätige wie zum Beispiel als Vorstand einer Sportorganisation, wofür eine Aufwandsentschädigung gezahlt wird, steuer- und sozialversicherungspflichtig werden. Dies führt dann zu folgenden Auswirkungen: Feuerwehrwesen: Die geringste Aufwandsentschädi- gung für einen Feuerwehrkommandanten beträgt in Bay- ern 57,80 DM monatlich. Dieser Feuerwehrkommandant ist verantwortlich für das Feuerwehrhaus, die Feuerwehr- fahrzeuge, den Ausbildungsstand und die Einsatzfähig- keit der Feuerwehrleute, die Begleitung und Ordnungssi- cherung bei örtlichen Festen und Veranstaltungen und auch für die würdige Umrahmung eines Trauergottes- dienstes für einen verstorbenen Kameraden. Da nach dem bayerischen Feuerwehrgesetz nur arbeitsfähige Personen bis zum sechzigsten Lebensjahr aktiven Dienst in der Feu- erwehr leisten können, steht ein Kommandant in der Re- gel in einem Arbeitsverhältnis. Da ab dem 1. April 1999 Haupt- und so genannte Ne- benbeschäftigungen zusammengezählt werden, haben die gesetzlichen Änderungen nachfolgende Konsequenzen: Der Feuerwehrmann braucht eine zweite Lohnsteuer- karte. Der darauf eingetragene Lohn unterliegt dann der Lohnsteuerklasse VI oder man wird der pauschalen Be- steuerung unterworfen. Eine monatliche Aufwandsent- schädigung in Höhe von 50,- DM oder ein Drittel, höchs- tens aber 300,- DM monatlich, sind steuerfrei und damit auch sozialversicherungsfrei. Es müssen bei vorhin genannter Aufwandsentschädi- gung in Höhe von 57,80 DM somit 7,80 DM monatlich versteuert und die entsprechenden Sozialversicherungs- beiträge abgeführt werden. Dies bedeutet, dass ein Gesamtbeitrag von 2,70 DM, den der Kommandant und die Gemeinde je zur Hälfte in Höhe von 1,35 DM tragen, und 1,50 DM Pauschalsteuer im Monat anfallen. Daneben fällt aber auch zusätzlicher Verwaltungsauf- wand an: Anmeldung bei der Krankenkasse, monatliche Meldung, Jahresmeldung und Summenabgleiche mit der Krankenkasse. Ist die Gemeinde der Anstalt für kommu- nale Datenverarbeitung Bayern (AKDB) angeschlossen, ist dann für einen Personalfall eine monatliche Pauschale in Höhe von 13,- DM plus Portoaufwand und Buchungs- kosten zu entrichten. Sie sehen, meine Damen und Her- ren, dies ist ein riesiger bürokratischer Aufwand, um 57,80 DM monatlich richtig zu verbuchen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. April 20009422 (C) (D) (A) (B) entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich Zudem ergibt die neue Regelung eine zusätzliche große Belastung für die Kommunen. Wollen, wie bereits vielfach zum Ausdruck gebracht, die Kommunen die Dienstleistenden im Nettoergebnis so stellen wie vor der Neuregelung, fallen bei einem Landkreis bzw. einer kreis- freien Stadt in Bayern Mehrkosten in Höhe von circa 16 000,- DM pro Jahr an, was bei 71 Landkreisen und 25 kreisfreien Städten einen Mehraufwand in Höhe von circa 1,5 Millionen DM bedeutet. In dieser Regelung sind die Mehrkosten bei 2 031 kreisangehörigen Städten, Märkten und Gemeinden noch gar nicht berücksichtigt. Ein weiteres Beispiel: Die Kreisvorsitzenden des Bayerischen Landessportverbandes in meinem Wahlkreis erhalten zu Recht für ihren ehrenamtlichen Einsatz 100,- DM monatlich an pauschaler Aufwandsentschädi- gung. In dieser Funktion ist der Vorsitzende des Land- kreises Rottal-Inn Repräsentant von 141 angeschlossenen Vereinen in 31 Städten, Märkten und Gemeinden bei einer Gebietsgröße von circa 1 300 Quadratkilometer. Nicht minder belastet ist sein Kollege aus dem Landkreis Din- golfing-Landau. Er vertritt 137 Vereine in 16 Kommunen in einer Gebietsgröße von circa 900 Quadratkilometern. Neben den repräsentativen und organisatorischen Aufga- ben haben diese engagiert Tätigen für den Breitensport vielfach die Ehre, Schirmherrschaften bei Vereinsfesten, verbunden mit einer Pokalspende, zu übernehmen. Sie se- hen, geschätzte Kolleginnen und Kollegen, dass diese Kreisvorsitzenden sicherlich noch mehr Geld in ihr Eh- renamt einbringen, als die gewährte Aufwandsentschädi- gung beträgt. Trotzdem fällt bei einem versicherungs- pflichtig Beschäftigten wiederum dieselbe bürokratische Prozedur wie vorhin bei den Feuerwehrdienstleistenden beschrieben an. Diese Beispiele ließen sich unendlich fortsetzen. Sie sehen, verehrte Damen und Herren, es besteht Handlungsbedarf, da viele nicht bereit sind, diesen über- zogenen bürokratischen Aufwand bei Ausübung eines Ehrenamtes zu überwinden. Es besteht auch Handlungs- bedarf, da vielen Organisationen und Vereinen die Gesetzeslage nicht bewusst ist, aber die Sozialversiche- rungsverbände rückwirkend für mehrere Jahre die fälligen Beiträge eintreiben können. Bessern Sie deshalb, verehrte Damen und Herren der Regierungskoalition, ihre Regelung zum 630-Mark-Ge- setz und das Steuerbereinigungsgesetz nach, damit die Ausübung des Ehrenamtes gestärkt wird. Wir werden Sie dabei sachkundig und kenntnisreich unterstützen im Sinne der Intension unseres Antrages. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. April 2000 9423 (C) (D) (A) (B) Anlage 4 Namensverzeichnis der Mitglieder des Deutschen Bundestages, die an derWahl derAbgeordneten Dr. Willfried Penner (SPD) zum Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages teilgenommen haben SPD Brigitte Adler Gerd Andres Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Hermann Bachmaier Ernst Bahr Doris Barnett Dr. Hans Peter Bartels Eckhardt Barthel (Berlin) Klaus Barthel (Starnberg) Ingrid Becker-Inglau Wolfgang Behrendt Dr. Axel Berg Hans-Werner Bertl Friedhelm Julius Beucher Petra Bierwirth Rudolf Bindig Lothar Binding (Heidelberg) Kurt Bodewig Klaus Brandner Anni Brandt-Elsweier Willi Brase Dr. Eberhard Brecht Rainer Brinkmann (Detmold) Bernhard Brinkmann (Hildesheim) Hans-Günter Bruckmann Ursula Burchardt Dr. Michael Bürsch Hans Martin Bury Hans Büttner (Ingolstadt) Marion Caspers-Merk Dr. Peter Danckert Dr. Herta Däubler-Gmelin Christel Deichmann Karl Diller Peter Dreßen Rudolf Dreßler Detlef Dzembritzki Dieter Dzewas Sebastian Edathy Ludwig Eich Marga Elser Peter Enders Gernot Erler Annette Faße Lothar Fischer (Homburg) Gabriele Fograscher Iris Follak Norbert Formanski Rainer Fornahl Hans Forster Dagmar Freitag Lilo Friedrich (Mettmann) Harald Friese Anke Fuchs (Köln) Arne Fuhrmann Monika Ganseforth Konrad Gilges Iris Gleicke Günter Gloser Uwe Göllner Renate Gradistanac Dieter Grasedieck Monika Griefahn Achim Großmann Wolfgang Grotthaus Karl-Hermann Haack (Extertal) Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Manfred Hampel Christel Hanewinckel Alfred Hartenbach Anke Hartnagel Klaus Hasenfratz Nina Hauer Hubertus Heil Reinhold Hemker Frank Hempel Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Monika Heubaum Reinhold Hiller (Lübeck) Stephan Hilsberg Gerd Höfer Jelena Hoffmann (Chemnitz) Walter Hoffmann (Darmstadt) Iris Hoffmann (Wismar) Frank Hofmann (Volkach) Ingrid Holzhüter Eike Maria Hovermann Christel Humme Lothar Ibrügger Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate Jäger Jann-Peter Janssen Ilse Janz Dr. Uwe Jens Johannes Kahrs Ulrich Kasparick Sabine Kaspereit Susanne Kastner Hans-Peter Kemper Marianne Klappert Hans-Ulrich Klose Walter Kolbow Fritz Rudolf Körper Karin Kortmann Anette Kramme Nicolette Kressl Volker Kröning Angelika Krüger-Leißner Horst Kubatschka Ernst Küchler Helga Kühn-Mengel Konrad Kunick Dr. Uwe Küster Werner Labsch Christine Lambrecht Brigitte Lange Christian Lange (Backnang) Detlev von Larcher Christine Lehder Robert Leidinger Klaus Lennartz Dr. Elke Leonhard Eckhart Lewering Götz-Peter Lohmann (Neubrandenburg) Christa Lörcher Erika Lotz Dr. Christine Lucyga Dieter Maaß (Herne) Winfried Mante Dirk Manzewski Tobias Marhold Lothar Mark Ulrike Mascher Christoph Matschie Heide Mattischeck Markus Meckel Ulrike Mehl Ulrike Merten Angelika Mertens Dr. Jürgen Meyer (Ulm) Christoph Moosbauer Siegmar Mosdorf Michael Müller (Düsseldorf) Jutta Müller (Völklingen) Christian Müller (Zittau) Franz Müntefering Andrea Nahles Volker Neumann (Bramsche) Gerhard Neumann (Gotha) Dr. Edith Niehuis Dietmar Nietan Günter Oesinghaus Leyla Onur Manfred Opel Holger Ortel Adolf Ostertag Kurt Palis Albrecht Papenroth Dr. Willfried Penner Georg Pfannenstein Dr. Eckhart Pick Joachim Poß Karin Rehbock-Zureich Dr. Carola Reimann Margot von Renesse Renate Rennebach Bernd Reuter Dr. Edelbert Richter Reinhold Robbe Gudrun Roos René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth (Heringen) Birgit Roth (Speyer) Marlene Rupprecht Thomas Sauer Dr. Hansjörg Schäfer Gudrun Schaich-Walch Rudolf Scharping Bernd Scheelen Siegfried Scheffler Horst Schild Dieter Schloten Horst Schmidbauer (Nürnberg) Ulla Schmidt (Aachen) Silvia Schmidt (Eisleben) Dagmar Schmidt (Meschede) Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Heinz Schmitt (Berg) Dr. Emil Schnell Olaf Scholz Karsten Schönfeld Fritz Schösser Ottmar Schreiner Gerhard Schröder Gisela Schröter Dr. Mathias Schubert Richard Schuhmann (Delitzsch) Brigitte Schulte (Hameln) Volkmar Schultz (Köln) Ewald Schurer Dr. R. Werner Schuster Dietmar Schütz (Oldenburg) Dr. Angelica Schwall-Düren Bodo Seidenthal Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Wieland Sorge Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Dr. Ditmar Staffelt Ludwig Stiegler Rolf Stöckel Rita Streb-Hesse Reinhold Strobl Dr. Peter Struck Joachim Tappe Jörg Tauss Jella Teuchner Dr. Gerald Thalheim Wolfgang Thierse Franz Thönnes Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Rüdiger Veit Simone Violka Ute Vogt (Pforzheim) Hans Georg Wagner Hedi Wegener Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Reinhard Weis (Stendal) Matthias Weisheit Gert Weisskirchen (Wiesloch) Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker Jochen Welt Dr. Rainer Wend Hildegard Wester Lydia Westrich Inge Wettig-Danielmeier Dr. Margrit Wetzel Dr. Norbert Wieczorek Jürgen Wieczorek (Böhlen) Helmut Wieczorek (Duisburg) Dieter Wiefelspütz Heino Wiese (Hannover) Klaus Wiesehügel Brigitte Wimmer (Karlsruhe) Engelbert Wistuba Barbara Wittig Dr. Wolfgang Wodarg Verena Wohlleben Hanna Wolf (München) Waltraud Wolff (Zielitz) Heidemarie Wright Peter Zumkley CDU/CSU Ulrich Adam Ilse Aigner Dietrich Austermann Norbert Barthle Günter Baumann Brigitte Baumeister Meinrad Belle Dr. Sabine Bergmann-Pohl Dr. Joseph-Theodor Blank Renate Blank Peter Bleser Dr. Norbert Blüm Friedrich Bohl Dr. Maria Böhmer Sylvia Bonitz Jochen Borchert Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Wolfgang Bosbach Klaus Brähmig Dr. Ralf Brauksiepe Paul Breuer Georg Brunnhuber Klaus Bühler (Bruchsal) Hartmut Büttner Schönebeck) Cajus Caesar Manfred Carstens (Emstek) Peter H. Carstensen (Nordstrand) Leo Dautzenberg Wolfgang Dehnel Hubert Deittert Albert Deß Renate Diemers Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Rainer Eppelmann Dr. Hans Georg Faust Ulf Fink Ingrid Fischbach Dirk Fischer (Hamburg) Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) Herbert Frankenhauser Dr. Gerhard Friedrich (Erlangen) Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Erich G. Fritz Jochen-Konrad Fromme Dr. Jürgen Gehb Norbert Geis Dr. Heiner Geißler Georg Girisch Dr. Reinhard Göhner Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Hermann Gröhe Manfred Grund Horst Günther (Duisburg) Gottfried Haschke (Großhennersdorf ) Gerda Hasselfeldt Klaus-Jürgen Hedrich Helmut Heiderich Ursula Heinen Manfred Heise Siegfried Helias Hans Jochen Henke Peter Hintze Klaus Hofbauer Martin Hohmann Klaus Holetschek Dr. Karl-Heinz Hornhues Siegfried Hornung Joachim Hörster Hubert Hüppe Georg Janovsky Dr.-Ing. Rainer Jork Irmgard Karwatzki Eckart von Klaeden Ulrich Klinkert Dr. Helmut Kohl Manfred Kolbe Norbert Königshofen Hartmut Koschyk Rudolf Kraus Dr. Martina Krogmann Dr.-Ing. Paul Krüger Dr. Hermann Kues Karl Lamers Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg) Dr. Norbert Lammert Helmut Lamp Dr. Paul Laufs Karl-Josef Laumann Vera Lengsfeld Peter Letzgus Ursula Lietz Walter Link (Diepholz) Eduard Lintner Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) Dr. Michael Luther Erwin Marschewski (Recklinghausen) Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn) Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz Meinolf Michels Dr. Gerd Müller Bernward Müller (Jena) Elmar Müller (Kirchheim) Bernd Neumann (Bremen) Günter Nooke Franz Obermeier Friedhelm Ost Eduard Oswald Dr. Peter Paziorek Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. April 20009424 (C) (D) (A) (B) Anton Pfeifer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff Dr. Bernd Protzner Dr. Peter Ramsauer Peter Rauen Christa Reichard (Dresden) Katherina Reiche Erika Reinhardt Hans-Peter Repnik Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose Kurt J. Rossmanith Norbert Röttgen Volker Rühe Anita Schäfer Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Heinz Schemken Dietmar Schlee Christian Schmidt (Fürth) Dr.-Ing. Joachim Schmidt Halsbrücke) Andreas Schmidt (Mülheim) Michael von Schmude Birgit Schnieber-Jastram Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr von Schorlemer Dr. Erika Schuchardt Clemens Schwalbe Dr. Christian Schwarz- Schilling Rudolf Seiters Bernd Siebert Werner Siemann Johannes Singhammer Bärbel Sothmann Wolfgang Steiger Andreas Storm Dorothea Störr-Ritter Max Straubinger Michael Stübgen Dr. Susanne Tiemann Edeltraut Töpfer Dr. Hans-Peter Uhl Gunnar Uldall Arnold Vaatz Andrea Voßhoff Peter Weiß (Emmendingen) Gerald Weiß (Groß-Gerau) Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese (Ehingen) Hans-Otto Wilhelm (Mainz) Klaus-Peter Willsch Willy Wimmer (Neuss) Werner Wittlich Dagmar Wöhrl Aribert Wolf Elke Wülfing Peter Kurt Würzbach Wolfgang Zeitlmann Wolfgang Zöller BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Gila Altmann (Aurich) Volker Beck (Köln) Angelika Beer Matthias Berninger Grietje Bettin Annelie Buntenbach Ekin Deligöz Dr. Thea Dückert Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Uschi Eid Hans-Josef Fell Andrea Fischer (Berlin) Katrin Dagmar Göring- Eckardt Rita Grießhaber Winfried Hermann Antje Hermenau Kristin Heyne Ulrike Höfken Michaele Hustedt Monika Knoche Dr. Angelika Köster-Loßack Steffi Lemke Dr. Helmut Lippelt Dr. Reinhard Loske Oswald Metzger Kerstin Müller (Köln) Winfried Nachtwei Christa Nickels Cem Özdemir Claudia Roth (Augsburg) Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Rezzo Schlauch Albert Schmidt (Hitzhofen) Werner Schulz (Leipzig) Christian Simmert Hans-Christian Ströbele Jürgen Trittin Dr. Antje Vollmer Dr. Ludger Volmer Sylvia Voß Helmut Wilhelm (Amberg) F.D.P. Hildebrecht Braun (Augsburg) Ernst Burgbacher Jörg van Essen Ulrike Flach Horst Friedrich (Bayreuth) Rainer Funke Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Joachim Günther (Plauen) Dr. Karlheinz Guttmacher Klaus Haupt Dr. Helmut Haussmann Ulrich Heinrich Walter Hirche Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Dr. Klaus Kinkel Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Ina Lenke Sabine Leutheusser- Schnarrenberger Jürgen W. Möllemann Dirk Niebel Günther Friedrich Nolting Hans-Joachim Otto (Frankfurt) Detlef Parr Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Gerhard Schüßler Dr. Irmgard Schwaetzer Dr. Hermann Otto Solms Dr. Max Stadler Jürgen Türk PDS Petra Bläss Maritta Böttcher Eva Bulling-Schröter Roland Claus Heidemarie Ehlert Dr. Heinrich Fink Dr. Ruth Fuchs Wolfgang Gehrcke Dr. Gregor Gysi Uwe Hiksch Carsten Hübner Ulla Jelpke Gerhard Jüttemann Dr. Evelyn Kenzler Dr. Heidi Knake-Werner Rolf Kutzmutz Heidi Lippmann Ursula Lötzer Dr. Christa Luft Heidemarie Lüth Angela Marquardt Kersten Naumann Rosel Neuhäuser Christine Ostrowski Petra Pau Christina Schenk Gustav-Adolf Schur Dr. Ilja Seifert Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. April 2000 9425 (C) (D) (A) (B) Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Für eine gerechte Rentenanpassung (Tagesordnungspunkt 19) Erika Lotz (SPD): Warum ersparen Sie sich und uns nicht endlich dieses unwürdige Schauspiel? Am 22. März haben Sie nicht nur die Staatssekretärin zu genau diesem Thema befragt, Sie haben auch eine Aktuelle Stunde dazu einberufen. Heute müssen wir über einen ihrer Gesetzes- anträge entscheiden, in dem nur eins steht: Wir sollen nicht tun, was dringend nötig ist und woran kein Weg vor- beiführt. Was bei den zahlreichen Auftritten zum Thema Renten- anpassung herauskommen wird, die Sie, meine sehr ver- ehrten Damen und Herren von der Union, inszenieren, ist ganz klar. Selbstverständlich werden die Renten in diesem und im nächsten Jahr nach der Preissteigerungsrate er- höht, ganz gleich, wie viele Aktuelle Stunden, Gesetzes- änderungen oder was Sie sonst dazu beantragen. Natür- lich ist es in unserer Demokratie Ihr gutes Recht, auch noch das letzte Mittel auszuschöpfen, um Ihre Wünsche durchzusetzen. Dieses Recht will ich Ihnen auch gar nicht nehmen. Aber in Ihrem Vorgehen gibt es einige Dinge, über die ich mich schlicht ärgere. Eins davon ist, dass Sie es in der ganzen Diskussion bisher nicht einmal geschafft haben, bei der Wahrheit zu bleiben. Selbst in dem Antrag, über den wir heute beraten, scheuen Sie nicht vor haltlosen Prognosen zurück. Wie die Preissteigerungsrate in diesem Jahr insgesamt ausfallen wird, das weiß ich nicht. Und Sie können das auch nicht wissen, wenn Sie nicht über prophetische Ga- ben verfügen. Ich weiß, dass es ihnen schwer fällt, das zu verstehen, deshalb erkläre ich es ihnen heute noch einmal: Der Maßstab für die Rentenerhöhung in diesem Jahr ist die Preissteigerungsrate des vergangenen Jahres. Die müssen wir zugrunde legen, weil wir die Preissteige- rungsrate in diesem Jahr noch nicht kennen – genauso we- nig wie Sie. Sie unterstellen einfach, dass die Preise das ganze Jahr über so stark steigen, wie sie im Februar gestiegen sind. Das ist aber eine unseriöse Unterstellung. Sollten die Preise in diesem Jahr aber tatsächlich so stark ansteigen, wie Sie glauben, dann profitieren die Rentner im nächsten Jahr auch davon. Von einer Benachteiligung kann also gar keine Rede sein. In den vergangenen Jahren – zur Zeit der Kohl-Regie- rung – lagen die Rentenanpassungen immer unter der In- flationsrate: 1995 wurden die Renten um 0,5 Prozent er- höht; die Inflationsrate lag bei 1,6 Prozent. 1996 betrug die Rentenanpassung 0,95 Prozent, die Preissteigerungs- rate 1,3 Prozent. 1997 gab es 1,65 Prozent mehr Rente, die Preise stiegen um 1,9 Prozent. 1998 betrug die Rentenan- passung 0,44 Prozent, die Preissteigerung 0,9 Prozent. Das verschweigen Sie. Ebenso scheuen Sie auch den direkten Vergleich in Mark und Pfennig zwischen dem, was wir bisher gemacht haben, und dem, was Sie gern tun würden – den demographischen Faktor wieder einführen. Sie klagen zwar lauthals darüber, wie schlecht es den Rentnern dank Rot-Grün angeblich geht. Dürfte aber die Union den Weg in der Rentenpolitik bestimmen, hätten die Rentner gleich eine ganze Reihe von Kröten zu schlucken. Für die zweimalige Anpassung nach der Preis- entwicklung versuchen Sie uns zu schelten; im Ergebnis unterscheidet sich das erst einmal in den beiden nächsten Jahren nicht von Ihrem demographischen Faktor. Die Dif- ferenz beträgt für die Durchschnittsrente genau 2,58 DM. Wir kehren danach aber zur Anpassung an die Nettolöhne zurück, während der demographische Faktor über die nächsten Jahre immer weiter gewirkt hätte und das Ren- tenniveau immer weiter gesenkt hätte. Die Rente mit 70 und die volle Besteuerung der Ren- ten – das sind die beiden einzigen anderen Ideen zur Ren- tenreform, die die CDU bis jetzt beigesteuert hat. Das lässt sich aber weder als tragfähiges Rentenkonzept noch als durchdachter Beitrag zur politischen Diskussion ins- gesamt bezeichnen. Rente mit 70? Auf welchen Arbeitsplätzen sollen die Senioren denn ihre fünf zusätzlichen Jahre abarbeiten, bitte schön? Und wer sollte das sein? Krankenschwestern und Bauarbeiter beispielsweise können mit 70 einfach nicht mehr arbeiten. Und die volle Besteuerung der Renten zu fordern war genauso unüberlegt, Herr Merz. Schon das Rentenre- formgesetz 1999 hätte uns viele weitere Sozialhilfeemp- fänger beschert, wenn wir die entscheidenden Teile nicht ausgesetzt hätten. Die vollständige Besteuerung der Ren- ten hätte denselben Effekt. Die Rentenanpassung für zwei Jahre von den Net- tolöhnen abzukoppeln ist der Beitrag der Rentnerinnen und Rentner zur Konsolidierung des Bundeshaushalts. Erst jedem alles zahlen, und dann schauen, wo gespart werden kann, wie Sie das in Ihrem Antrag vorschlagen, ist nämlich nicht möglich. Die Rentnerinnen und Rentner waren und sind gern be- reit, ihren Beitrag zu leisten wie alle anderen auch. Aber sie haben auch mehr Angst als die meisten anderen, von der Politik verschaukelt zu werden. Deshalb nehme ich es Ihnen besonders übel, dass Sie die Debatte nutzen, um die Rentner zu verunsichern. Mit ihrer Taktik, nie die ganze Wahrheit zu sagen und oft einfach dreist zu lügen, haben Sie es geschafft, dass heute wieder ein großer Teil der Rentner und auch ein großer Teil der Beitragszahler die Rente für unsicher hält. Warum Sie das tun, ist für meine Kollegen und mich leicht zu durchschauen. Sie tun es, um davon abzulenken, dass die Union kein wirklich schlüssiges Konzept für eine Rentenreform hat. Sie tun es, um davon abzulenken, dass Ihnen die Ideen für eine wirklich zukunftsfähige Renten- politik fehlen. Sie tun es, um davon abzulenken, dass Ih- nen einfach nichts Vernünftiges einfällt, womit Sie in Nordrhein-Westfalen Wahlkampf machen können. Das durchschaue ich, das durchschauen viele andere Menschen in diesem Land. Aber es gibt eben auch viele, die das nicht durchschauen, die bei der Inszenierung, die Sie hier und in der Öffentlichkeit abziehen, Angst be- kommen, ob ihnen im nächsten Monat noch ihre Rente in voller Höhe ausgezahlt wird. Und genau das verabscheue ich: dass Sie deren Unsicherheit ausnutzen, um Öffent- lichkeit für sich und gegen uns zu schaffen. Und ich kann es auch nicht verstehen. Schließlich treffen sich doch re- gelmäßig die Fachleute der Fraktionen, um in Überein- stimmung eine vernünftige Rentenstrukturreform hinzu- bekommen. Dass es in den „Konsensgesprächen“ tatsächlich je- mals zum Konsens kommt, kann sich aber kaum jemand vorstellen, so wie Sie momentan in der Öffentlichkeit da- gegen wettern. Deshalb appelliere ich hier noch einmal eindringlich an Sie: Kehren Sie zurück zu einem sachli- chen Umgangston! Hören Sie auf ihre Parteichefin, Herr Merz: Erst denken, dann reden! Heinz Schemken (CDU/CSU): Am 12. November 1999 hat der Deutsche Bundestag mit der Mehrheit von Rot-Grün gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen den Entwurf des Gesetzes zur Sanierung des Bundes- haushalts beschlossen. Für den Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung regelt das Gesetz, dass die Rentenan- passungen für die Jahre 2000 und 2001 von der Nettolohn- entwicklung abgekoppelt und nur in Höhe der Inflations- rate vorgenommen werden. Obwohl die Rentenformel nun wirklich nichts mit dem Bundeshaushalt zu tun hat, ist dieser Schritt gemacht worden. Die Rentenformel mit der nettolohnbezogenen Variante hat mit der Angleichung an die Einkommensver- hältnisse und diesem Wachstum zu tun. Deshalb die dy- namische Rente, aber verlässlich und nicht nach Kassen- lage. Die CDU/CSU lehnt deshalb die Rentenanpassung entsprechend der Inflationsrate ab, da die Abkopplung der Rentenanpassung von der Nettolohnentwicklung dazu führt, dass die Rente nicht mehr auf der Grundlage der ge- zahlten Beiträge gezahlt wird. Rentner und Beitragszahler werden hierdurch verunsi- chert und die Glaubwürdigkeit des Systems der gesetzli- chen Rentenversicherung insgesamt beschädigt. Durch Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. April 20009426 (C) (D) (A) (B) solche Maßnahmen wird der Grundsatz der Generati- onensolidarität gefährdet. Mit diesem Beispiel werden wir die jungen Menschen nicht für die gesetzliche Rente begeistern; denn ohne Vertrauen zum Generationenver- trag wird man sicher nicht in das System einsteigen, son- dern vielleicht sogar kündigen. Dies ist die eigentliche Frage, wenn wir für eine gerechte Rentenanpassung ein- treten. Die Rentenanpassung entsprechend der Inflationsrate verstößt auch gegen das Versprechen von Bundeskanzler Gerhard Schröder, das er im Februar 1999 gegeben hat: „Ich stehe dafür, dass auch in Zukunft die Rente so stark steigt wie die Nettolöhne.“ In der Rechtsverordnung zur Festsetzung der Renten- anpassung zum 1. Juli 2000 geht die Bundesregierung von einer Rentensteigerung in Höhe von 0,6 Prozent aus. Die Preissteigerungsrate in diesem Jahr liegt allerdings, auch bedingt durch die Einführung der Ökosteuer durch die Bundesregierung, erheblich über der geplanten Rentenan- passung für das Jahr 2000. Der Kaufkraftverlust der Rent- ner in diesem Jahr wird durch die Rentenanpassung zum 1. Juli nicht ausgeglichen. Die Rentner müssen vielmehr einen Kaufkraftverlust von zwischen 1 und 2 Prozent hin- nehmen. Das macht für den Eckrentner einen Verlust von circa 240 DM im Jahr aus. Hier wird deutlich, dass die Be- schleunigung des Preisanstiegs auch auf die von der Bun- desregierung zu verantwortende Einführung der Öko- steuer zurückzuführen ist. Die Rentenanpassung lediglich in Höhe von 0,6 Pro- zent zum 1. Juli 2000 widerspricht dem Versprechen des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung, Walter Riester, aus dem vergangenen Jahr. Am 10. September 1999 hatte er angekündigt: „Die Rentenanpassungen ent- sprechend der Preissteigerungsrate in den Jahren 2000 und 2001 bedeuten nichts anderes als die Sicherung der Kaufkraft der Rentner.“ Dieses Versprechen wird von der Bundesregierung gebrochen. Die Rentenanpassung zum 1. Juli 2000 wird deutlich geringer ausfallen, als die Ver- braucherpreise steigen. Hinzu kommt, dass das Rentenniveau von 70 Prozent innerhalb von zwei Jahren auf unter 67 Prozent sinkt. Dies hat nichts mit der demographischen Variante der vorheri- gen Formel zu tun, denn dieser Bruch mit der nettolohn- bezogenen Formel ist nicht mehr rückholbar. Wir fordern daher die Bundesregierung auf, die Rege- lung über die Rentenanpassung entsprechend der Inflati- onsrate in § 255 c SGB VI außer Vollzug zu setzen. Auch darf die entsprechende Rechtsverordnung zur Höhe der Rentenanpassung zum 1. Juli 2000 nicht in Kraft gesetzt werden. Die Bundesregierung ist vielmehr gehalten, im konstruktiven Dialog mit allen Beteiligten eine bessere Lösung für diesen Bereich zu erarbeiten. Um die Verunsicherung der Betroffenen zu beheben, muss schnell und klar gehandelt werden. Statt eines aus fi- nanzieller Not geborenen Systemwechsels bedarf es einer langfristigen und für die Betroffenen kalkulierbaren Stra- tegie für eine Rentenreform und – davon getrennt – ent- sprechender Konsolidierungsmaßnahmen der öffentli- chen Haushalte. Hierfür stehen wir und wir sind auch be- reit, an einer Rentenlösung für einen gerechten Genera- tionenvertrag mitzuwirken. Andreas Storm (CDU/CSU): Mit dem von der CDU/CSU-Fraktion vorgelegten Antrag „Für eine ge- rechte Rentenanpassung“ hat der Deutsche Bundestag zum letzten Mal die Gelegenheit, eine schlimme Fehlent- wicklung gerade noch rechtzeitig abzuwenden. Worum geht es? Es geht schlicht und ergreifend darum, in wel- chem Umfang die Renten der 17 Millionen Rentnerinnen und Rentner zum 1. Juli dieses Jahres erhöht werden sol- len. Das ist vordergründig nur die Frage nach der Ausset- zung der so genannten Rentenformel. Doch diese Renten- formel ist nicht irgendeine Formel. Die Rentenformel ist vielmehr das Herzstück des Generationenvertrages; sie entscheidet darüber, ob die berechtigten Ansprüche der Rentnerinnen und Rentner erfüllt werden. Sie entscheidet aber ebenso darüber, ob die Beitrags- belastung der jungen Generation in Grenzen gehalten werden kann. Es geht hier um einen fairen Ausgleich zwi- schen den Generationen. Und genau dieser faire Aus- gleich ist durch die Rentenpolitik dieser Bundesregierung in den beiden kommenden Jahren nicht mehr gewähr- leistet. Eineinhalb Jahre rot-grüne Politik sind durch eine Kette gebrochener Versprechen gekennzeichnet. Verspre- chen Nr. 1: In der Koalitionsvereinbarung haben Sie fest- geschrieben, dass der demographische Faktor in der Ren- tenformel ausgesetzt wird. Begründung: Eine Absenkung des Rentenniveaus müsse vermieden werden, dies sei un- sozial. Heute gilt: Wie versprochen, so gebrochen. Der Erste Direktor des Verbandes Deutscher Renten- versicherungsträger (VDR) in Frankfurt am Main, Prof. Franz Ruland, erklärte anlässlich der 10. Speyerer Sozial- rechtstage am 21. März diesen Jahres zu den Auswirkun- gen der rot-grünen Sparmaßnahme bei den Rentenanpas- sungen wörtlich: „Sie wird das Rentenniveau bis etwa 2006 stärker absenken, als es der demographische Faktor getan hätte.“ Versprechen Nr. 2: Am Aschermittwoch 1999 verkün- dete der Bundeskanzler vollmundig: „Ich stehe persönlich dafür ein, dass die Renten auch in Zukunft so steigen wie die Nettolöhne der Arbeitnehmer.“ Nur drei Monate spä- ter konnten wir alle erleben, was dieses Kanzlerwort wert war – nämlich noch nicht einmal das Papier, auf dem es gedruckt worden war. Auch hier gilt: Wie versprochen, so gebrochen! Versprechen Nr. 3: Wir setzen zwar die Rentenformel für zwei Jahre aus, dafür erhalten die Rentner aber einen vollen Kaufkraftausgleich. So sagte der Bundeskanzler auf dem ordentlichen Gewerkschaftstag der IG Metall am 6. Oktober 1999 wörtlich: „Nun noch ein Wort zur An- passung der Renten in den nächsten beiden Jahren nach der Preisentwicklung. Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit das hier klar ist: Es handelt sich hier nicht um Kür- zungen, sondern um den Erhalt der Kaufkraft.“ Soweit der Bundeskanzler. Meine Damen und Herren, auch hier erneut ein gebro- chenes Versprechen, denn die Renten sollen in diesem Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. April 2000 9427 (C) (D) (A) (B) Jahr noch im Ausmaß der Inflationsrate des Vorjahrs, das heißt um 0,6 Prozent angehoben werden. Die aktuelle In- flationsrate hingegen liegt im März nach Angaben des Statistischen Bundesamtes bei 1,9 Prozent. Mit anderen Worten: Das Inflationstempo in Deutschland hat sich in den vergangenen Monaten massiv beschleunigt, die Rent- ner erleiden somit einen spürbaren Kaufkraftverlust. Ein absehbarer Kaufkraftverlust von etwa 1 Prozent bedeutet für den so genannten Eckrentner eine tatsächliche Real- einkommenseinbuße von etwa 240 DM im Jahr. Das Fatale daran ist jedoch: Die massive Beschleuni- gung des Inflationstempos ist ganz wesentlich auf die Re- gierungspolitik zurückzuführen. So hat der Parlamentari- sche Staatssekretär beim Bundesfinanzministerium, Kol- lege Karl Diller, am 22. März dieses Jahres meine Anfrage „Wie hoch veranschlagt die Bundesregierung den auf die Ökosteuer zurückzuführenden Einfluss auf die Inflationsrate?“ wie folgt beantwortet: „Nach Berechnun- gen des Statistischen Bundesamtes dürfte sich der Preis- index für die Lebenshaltungskosten aller privaten Haus- halte aufgrund der am 1. April 1999 in Kraft getretenen 1. Stufe der ökologischen Steuerreform rechnerisch um 0,4 bis 0,5 Prozentpunkte und aufgrund der zum Jahres- beginn 2000 eingeführten 2. Stufe rechnerisch um 0,2 Prozentpunkte erhöht haben.“ Das bedeutet im Klartext: In den ersten drei Monaten dieses Jahres ist die Inflationsrate gegenüber dem Vorjah- resmonat alleine durch die Einführung der Ökosteuer in der Summe um 0,6 bis 0,7 Prozentpunkte angestiegen. Es ist deshalb eine Dreistigkeit sondergleichen, dass den Rentnern zunächst ein voller Kaufkraftausgleich verspro- chen wird, ihnen dann aber durch die Steuerpolitik der Bundesregierung ein massiver Kaufkraftverlust zugemu- tet wird. So kann man mit den Menschen nicht umgehen. Doch damit nicht genug: Immer wieder hat der Ar- beitsminister wider besseres Wissen verkündet, man werde im Jahr 2002 und dann wohl dauerhaft zur rein net- tolohnbezogenen Anpassung zurückkehren. Dass diese Aussage so nicht haltbar ist, muss jedem klar sein, der ein bisschen was von der Schieflage der Alterspyramide bei den Rentenfinanzen versteht. Deshalb sagen sie ja jetzt: Zum Sparen gibt es keine Alternative, auch nicht in der gesetzlichen Rentenversicherung. Und: Auch die Rentner müssen sich daran beteiligen. Noch vor eineinhalb Jahren haben sie uns wegen solcher Aussagen in Bausch und Bo- gen verdammt! Der demographische Faktor, der die Rentner angemes- sen an den Kosten ihrer steigenden Lebenserwartung be- teiligt, sei ungerecht und unsozial, so etwas könne man den Menschen nicht zumuten – so Rot-Grün damals. Heute versucht der Bundesarbeitsminister krampfhaft, die finanziellen Wirkungen des demographischen Faktors nachzuahmen. Und weil er einen Korrekturfaktor bei der Rentenformel scheut wie der Teufel das Weihwasser, müssen eben willkürliche und unsystematische Eingriffe dazu dienen, den gleichen Effekt zu erzielen. Der erste Versuch war die Aussetzung der Netto- lohnanpassung für dieses und für das kommende Jahr. Die aktuellen Überlegungen des Bundesarbeitsministers sind aber noch viel dreister. Sie laufen nämlich darauf hinaus, einfach die Statistik zu ändern, um bei den Rentnern zu sparen, ohne dass die es merken. Der Weg: Der Nettolohn soll neu definiert werden, sprich: die Berechnungsgrund- lage für die Rente soll massiv gekürzt werden. Damit kann der Arbeitsminister drei Fliegen mit einer Klappe schla- gen: Wenn man den Anstieg der Nettolöhne einfach durch statistische Tricks bremst, kann man erstens bei den Ren- tenausgaben sparen, zweitens scheinbar das Versprechen halten, die Renten an die Nettolöhne zu koppeln, und da- mit drittens formal das Rentenniveau konstant halten. Weit sind Sie damit allerdings nicht gekommen, denn mittlerweile durchschaut die Öffentlichkeit dieses Schau- spiel. Der „Spiegel“ berichtete Ende März über Riesters Rechentricks, und der Rentenberater des Bundesarbeits- ministers und Wirtschaftsweise Professor Bert Rürup be- zeichnete in der „FAZ“ vom 1. April die vom Bundesar- beitsministerium angestellten Überlegungen für eine mo- difizierte Berechnung des Nettolohns gar als Eti- kettenschwindel! Die Rentenpolitik der gebrochenen Versprechen muss ein Ende haben! Nur dann eröffnet sich eine echte Chance für einen langfristig angelegten Rentenkonsens. Für eine neue Rentenformel im Zuge einer großen Rentenstruktur- form müssen fünf Grundsätze gelten: Erstens darf die Rentenanpassungsformel nicht willkürlich nach der je- weiligen Kassenlage des Bundeshaushaltes oder der Ren- tenversicherungsträger ausgesetzt werden. Dieses hat ei- nen nachhaltigen Vertrauensverlust bei Rentnern und Bei- tragszahlern zur Folge. Zweitens brauchen wir eine neue Rentenformel, die ei- nen verlässlichen, nachvollziehbaren Regelmechanismus beinhaltet. Eine fallweise Festsetzung der Rentenanpas- sungen ist inakzeptabel. Drittens gibt es in Deutschland einen breiten Konsens dahin gehend, dass die Rentner an der tatsächlichen Ein- kommensentwicklung der aktiven Generation teilhaben sollen. Deshalb muss auch in Zukunft die Nettoeinkom- mensentwicklung der Beitragszahler die Basis für die jährliche Rentenanpassung bleiben. Dabei gilt es viertens zu berücksichtigen, dass die junge Generation in den nächsten Jahren einen Teil ihres Einkommenszuwachses zum Aufbau eines zweiten Standbeins der Altersvorsorge verwenden muss. Wenn so- mit der tatsächliche Einkommensspielraum der Beitrags- zahler durch den Aufbau der „Sparrente“ begrenzt wird, muss dies auch Konsequenzen für das Tempo der jährli- chen Rentenanpassungen haben. Fünftens müssen wir angesichts der dramatischen Schieflage unserer Alterspyramide die demographische Entwicklung in der Rentenformel berücksichtigen. Dabei ist zu prüfen, ob lediglich der Anstieg der Lebenserwar- tung und die damit verbundene Verlängerung der Renten- laufzeiten erfasst werden sollen, wie dies beim demogra- phischen Faktor der Fall war. Denkbar wäre auch, darüber hinaus noch die Geburtenentwicklung in der Rentenfor- mel zu berücksichtigen. Ein solcher „Generationenfak- tor“, den einige Kollegen aus der Grünen Bundestags- fraktion vorgeschlagen haben, sollte durchaus ernsthaft erwogen und geprüft werden. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. April 20009428 (C) (D) (A) (B) Meine Damen und Herren, es ist höchste Zeit, dass auch die Regierung in der Rentenpolitik wieder zu einer verlässlichen Grundlage zurückkehrt. Nur so kann sie ver- loren gegangenes Vertrauen zurückgewinnen. Folgen Sie der Aufforderung des Präsidenten des größten deutschen Sozialverbandes, Walter Hirrlinger. Der VdK-Präsident hat am 21. März erklärt: „Riester muss zur Nettolohnfor- mel mit Demographiefaktor zurückkehren.“ Dieser Vorschlag, wäre eine gute Grundlage für eine erfolgreiche Fortsetzung der Suche nach einem Renten- konsens. Springen Sie über Ihren Schatten! Die Renten- anpassung nach Kassenlage muss vom Tisch! Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was bedeutet hier eigentlich „gerecht“? Ist eine hohe Belastung der jungen Beitragszahler denn ge- recht? Mithilfe der Aussetzung der Anpassung der Renten an die Nettolohnentwicklung und mit dem Aufkommen der Ökosteuer haben wir erreicht, dass der Beitragssatz auf 19,3 Prozent gesenkt werden konnte. Wir machen eine ehrliche und realistische Rentenpolitik, die den Interessen der Jungen gerecht wird und nicht die Probleme in die Zu- kunft verschiebt, um dann den jungen Leuten zu sagen: Nun arbeitet mal bis 70! Ein wahrhaft unrealistischer Vor- schlag, bedenkt man, dass heute nur 39 Prozent der 55- bis 65-Jährigen noch arbeiten. Ich frage mich also, ob dass Ihre Auffassung von Ge- rechtigkeit ist: Soll es eine höhere Anpassung der Renten geben und damit zweifellos entweder höhere Beiträge oder Steuern, oder sollen wir längere Lebensarbeitszeit in Kauf nehmen, soll also das Ganze nur zulasten der jungen Beitragszahler gehen? Ich denke, dass es nicht besonders ehrlich und für die Zukunft des Alterssicherungssystems nicht förderlich ist, mit Halbwahrheiten die Bürgerinnen und Bürger zu ver- unsichern. Dass die Anpassung jedes Jahr im Nachhinein seit mehr als 15 Jahren zum 1. Juli des folgenden Jahres erfolgt, das wissen Sie und das haben Sie von der CDU/CSU genauso während Ihrer Regierungszeit getan. Man muss schon genauer hinsehen, wenn man mit Zahlen um sich wirft. Der von Ihnen dargestellte Kauf- kraftverlust ist in der von Ihnen bezifferten Höhe von 240 DM schlicht falsch. Sie legen für Ihre Behauptung eine Preissteigerungsrate von 1,6 Prozent zugrunde. Die Inflationsraten wirken sich jedoch auf unterschiedliche Bevölkerungsgruppen unterschiedlich aus. Die Preisstei- gerungsrate für einen Rentnerhaushalt im Osten beträgt 1,0 Prozent, im Westen 1,5 Prozent laut den neuesten Zah- len des Statistischen Bundesamts, weil sie einen anderen Warenkorb konsumieren. Die geringere Preissteigerungs- rate ist auf die niedrigeren Kosten für Gesundheitsausga- ben zurückzuführen, die auf die von der rot-grünen Re- gierung vorgenommenen Gesetzesrücknahmen, zum Bei- spiel bei den Zuzahlungen, zurückzuführen sind. Die Preissteigerungsraten der Rentnerhaushalte lagen unter der alten Regierung durchweg über der gesamten Inflati- onsrate. Ihre Politik war es, die das Einkommen der Rent- nerhaushalte in der Vergangenheit stärker belastet hat. Außerdem unterliegt eine Inflationsrate immer auch Schätzfehlern. Folgt man Herrn Hoffmann von der Bun- desbank, betragen diese sogar drei Viertel Prozent. Das könnte bedeuten, wir hätten statt 0,6 Prozent eine Inflati- onsrate von 0,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahr mit ei- ner negativen Tendenz gehabt. Ich habe den Eindruck, dass mit Zahlen viel Heuchelei betrieben wird. Es handelt sich hier, sachlich betrachtet, um einen geringen Verzicht, der, wie ich finde, vertretbar ist. Außerdem wird in dieser Scheindebatte vergessen, dass in den vergangenen Jahren fast durchweg, insbeson- dere von 1959 bis 1989 die Rentner immer Kaufkraftge- winne zu verzeichnen hatten, während in derselben Zeit die Beitragssätze kontinuierlich gestiegen sind. Vor die- sem Hintergrund ist es zu vertreten und wünschenswert, dass gerade die Einführungsgeneration, die von dem Um- lageverfahren am meisten profitiert hat, auch ihren Teil für eine sinnvolle Rentenreform beiträgt. Ich denke, dass es an der Zeit ist, Vorteile und Lasten gleichmäßig zu ver- teilen. Sie sprechen von der Gefährdung der Generationenso- lidarität. Generationensolidarität erreicht man bestimmt nicht, indem man von den Jungen immer mehr nimmt. Die Generationensolidarität der jungen Generation darf nicht überstrapaziert werden, denn von ihrer Solidarität den Al- ten gegenüber und ihren Erwartungen, was sie selbst ein- mal aus diesem System erhalten werden, hängt das Fort- bestehen der umlagefinanzierten gesetzlichen Rentenver- sicherung ab. Die Rentenanpassung in Höhe der Inflationsrate be- deutet auch keine Aushöhlung des Beitragsprinzips, da die jährliche Anpassung der Renten sowieso nicht das Beitragsprinzip betrifft, sondern nur die Erhöhung der Rente. Die Ansprüche an sich sind nicht betroffen. Unstrittig ist es erfreulicher, allen mehr zu geben. Aber wir müssen an die Zukunft denken und jede Maßnahme auch solide finanzieren. Wir haben in dem Haushaltssa- nierungsgesetz mit der Rentenanpassung entsprechend der Inflationsrate einen Schritt getan, der uns nicht leicht- gefallen ist, aber dazu beiträgt, eine dauerhafte und ver- nünftige Rentenreform auf den Weg zu bringen, die das Vertrauen der jungen Generation in ihre Rente wiederge- winnt. Sie suggerieren den Wählerinnen und Wählern, ihre er- arbeiteten Rentenansprüche seien nun nicht mehr sicher, nachdem Sie jahrelang gepredigt haben, die Renten seien sicher. Ich stimme Ihnen zu: Die Renten werden, wenn al- les so bleibt, wie es ist, nicht mehr sicher den Lebenstan- dard gewährleisten. Dagegen müssen wir etwas tun. Wir müssen das System modernisieren und die Gewichte der Alterssicherung neu verteilen und damit von den Wahl- kampfpolemiken aller Seiten frei machen. Ich denke, dass die Konsensgespräche zeigen, dass wir uns in der Analyse weitgehend einig sind, vielleicht auch die junge Generation nicht noch weiter mit steigenden Beiträgen belasten zu wollen. Deshalb sollten wir den vorliegenden Antrag als das behandeln, was er ist: ein bloßes Wahlkampfgetöse. Dr. Irmgard Schwaetzer (F.D.P.): Die Ungerechtig- keit gegenüber den Rentnern, die Sie, Herr Riester, mit Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. April 2000 9429 (C) (D) (A) (B) dem Haushalt 2000 entschieden haben, wird Sie hier im Deutschen Bundestag und in der Öffentlichkeit immer wieder einholen. Sie haben die Rentner getäuscht. Sie ha- ben Ihnen erklärt, dass die Rentenanpassung des Jahres 2000 keine Einbußen für sie bringen wird, weil sie ja den Inflationsausgleich bekommen. Aber nun steht fest: Die Rentner werden im Jahre 2000 empfindliche Einbußen ihres verfügbaren Einkommens und damit ihres Lebensstandards hinnehmen müssen. Ei- ner Rentenanpassung von nur 0,6 Prozent steht eine Preis- steigerungsrate von 1,8 Prozent im Jahre 2000 gegenüber. Das Schlimmste daran ist: Sie hätten wissen können und eigentlich auch wissen müssen, dass es so kommt; denn vor allen Dingen durch die Einführung der Öko-Steuer war klar, dass die Preisspirale in diesem Jahr wieder an- ziehen würde. Warum, Herr Riester, warum, meine Damen und Her- ren von der Regierungskoalition, geben Sie nicht endlich zu, dass die Opposition Recht hatte, Sie für Ihre Ent- scheidung zu kritisieren, die Rentner in den Jahren 2000 und 2001 von der Nettolohnentwicklung der Arbeitneh- mer abzukoppeln. Es war ein Fehler, den Sie noch da- durch verschlimmert haben, dass Sie die Rentner über das wahre Ausmaß ihres Sparopfers getäuscht haben. Sie soll- ten deshalb die Rentenanpassung entsprechend der Infla- tionsrate, wie Sie es mit dem Haushaltsgesetz 2000 be- schlossen haben, außer Vollzug setzen. Sie sollten die Rechtsverordnung zur Höhe der Rentenanpassung zum 1. Juli 2000, die den Rentnern eine magere Anpassung von 0,6 Prozent zumuten würde, nicht in Kraft setzen. Wir werden in der nächsten Runde der Rentenge- spräche auch über die Anpassungsformel für die Renten in der Zukunft reden. Das Sonderopfer der Rentner für die Jahre 2000 und 2001 könnte überflüssig werden, wenn die Regierungskoalition in diesem Gespräch endlich akzep- tieren würde, dass Rentenversicherung in Zukunft ohne eine demographische Kompetente nicht auskommt. Eb- nen Sie den heutigen Rentnern den Weg zur Teilhabe an der allgemeinen Einkommensentwicklung. Nehmen Sie die unsystematische Rentenkürzung, die Rente nach Kas- senlage, für das Jahr 2000 zurück. Dr. Ilja Seifert (PDS): Das 1999 beschlossene Haus- haltssanierungsgesetz regelt, dass die Rentenanpassungen für die Jahre 2000 und 2001 von der Nettolohnentwick- lung abgekoppelt und nur in Höhe der Preissteigerungs- rate vorgenommen werden. Damals wie heute lehnen wir ein solches Vorgehen ab. Denn es trifft vor allem die Be- zieher niedriger Renten, darunter viele Rentner wegen Er- werbs- und Berufsunfähigkeit. Besonders betroffen sind auch viele Rentner und Rent- nerinnen in den neuen Bundesländern, da der „Renten- wert Ost“ erst 86,8 Prozent vom Niveau der alten Bun- desländer beträgt. Außerdem bewirkt die zweijährige Ab- kopplung von der Nettolohnentwicklung ein Absinken des Rentenniveaus auf circa 67 Prozent. Selbst bei einer Rückkehr zur Nettolohnanpassung würde sich das Ren- tenniveau auf niedrigerem Level einpendeln. Die so ge- nannte Standardrente wird somit immer mehr zu einer fik- tiven Größe. 45 Prozent der Männer und 95 Prozent der Frauen in den alten Bundesländern erreichen nicht einmal diese Standardrente. Das Statistische Bundesamt geht für das Jahr 2000 von einer geschätzten Preissteigerungsrate von 1,6 bis 1,8 Prozent aus. Dagegen hat die Bundesregierung eine Rentensteigerung von lediglich 0,6 Prozent zum 1. Juli 2000 beschlossen. Wenn die Prognose des Statistischen Bundesamts eintrifft, wird also allein durch das Abgehen von der nettolohnbezogenen Rentenanpassung ein Kauf- kraftverlust von circa 1 Prozent in Kauf genommen. An- ders gesagt: Faktisch kommt dies einer Rentenkürzung gleich, und dies vor dem Hintergrund der zusätzlichen Be- lastungen durch eine unsozial angelegte Ökosteuerre- form. So wird zum Beispiel eine geplante Erhöhung der Preise von Bus und Bahnen in Berlin ab 1.August bei vie- len Rentnern die zum 1. Juli erfolgte Rentenerhöhung wieder auffressen. Daher fordern wir, dass die Aussetzung der Netto- lohnanpassung der Renten für die Jahre 2000 und 2001 umgehend wieder rückgängig gemacht wird. Übrigens ist es doch paradox, wenn die Nettolohnan- passung der Renten mit der Begründung ausgesetzt wird, dass dies für die Sanierung des Bundeshaushalts erforder- lich sei, aber der Bundesarbeitsminister gestern erklärt, dass die private Altersvorsorge künftig mit 3 Milliarden DM aus dem Bundeshaushalt bezuschusst werden soll. Eine solche Schwächung sozialer Sicherungssysteme zu- gunsten von Banken und Versicherungen machen wir nicht mit. Die PDS ist dafür, den gesetzlichen Stand von 1998 für die Anpassung der Renten beizubehalten. Die jährliche Dynamisierung des Rentenniveaus entsprechend der Net- tolohnentwicklung ist ein Kernelement unseres Renten- versicherungssystems. Diese Rentenformel bietet am ehesten einen Ausgleich zwischen Beitragszahlern und Rentnern, um die steigenden Ausgaben für die gesetzliche Alterssicherung gleichmäßig auf Beitragszahler und Rentner zu verteilen und eine angemessene Beteiligung an der durchschnittlichen Lebensstandardentwicklung zu ermöglichen. Natürlich müssen die Renten langfristig gesichert wer- den. Die PDS hat dazu erst kürzlich eigene Vorschläge vorgelegt, die gestern hier von meiner Kollegin Monika Balt erläutert wurden. Die Versuche von Koalition und CDU/CSU, einen de- mographischen Faktor einzuführen, lehnen wir ab. Es ist doch paradox: Die CDU/CSU bringt hier einen Antrag für eine „gerechte Rentenanpassung“ ein. Zugleich aber kun- gelt sie mit den Regierungsparteien in Konsensrunden über einen Eingriff in die Rentenanpassungsformel, dem- zufolge die private Altersvorsorge auf den Nettolohn an- gerechnet werden soll und damit das Niveau der gesetzli- chen Rente gesenkt wird. Überhaupt ist es schon erstaunlich, wie besorgt sich CDU/CSU einvernehmlich mit F.D.P. und Regierungs- parteien der privaten Altersvorsorge annehmen. Ich werde den Eindruck nicht los, dass es CDU/CSU eher um das Wohl der Versicherungskonzerne und Banken geht und nicht um das der Rentner, bei denen man sich schon heute Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. April 20009430 (C) (D) (A) (B) um die Wählerstimmen von morgen bemüht – ob in NRW oder im Bund. Deshalb ist es höchste Zeit, dass eine Rentenreform eben nicht in Kungelrunden vorbereitet wird, sondern vor allem die heute und morgen Betroffenen Gehör finden und langfristig in die Vorbereitung eines so grundlegen- den Zukunftsvorhabens vernünftig einbezogen werden. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Durchführung eines Strafverfahrens wegen Verletzung einer beson- deren Geheimhaltungspflicht nach § 353 b StGB (Tagesordnungspunkt 20) Joachim Stünker (SPD): Der uns vorliegende Antrag der F.D.P.-Fraktion macht beim ersten Hinsehen in der Tat einen gewichtigen Eindruck: Ist da doch von einem Straf- verfahren, der Verletzung einer besonderen Geheimhal- tungspflicht und dem angeblichen Nichthandeln der Bun- desregierung die Rede. Alles klingt schön juristisch kor- rekt und scheint sauber recherchiert. Nur, wer sich auskennt mit der Juristerei, der weiß, dass sich allzu häufig hinter ausgeklügelten Formulierun- gen nichts anderes als gähnende Leere verbirgt. Und so verhält es sich vorliegend auch mit diesem Antrag der F.D.P.-Fraktion vom 10. November 1999. Aus strafver- fahrensrechtlicher Sicht muss ich hierzu feststellen: Der Antrag ist eine reine „Luftnummer“. Wie komme ich zu diesem vernichtenden Urteil? Der Antrag impliziert, Mitglieder der Bundesregierung hätten im Zusammenhang mit Entscheidungen des Bundes- sicherheitsrates im Herbst 1999 die Verletzung eines Dienstgeheimnisses begangen oder gegen besondere Ge- heimhaltungspflichten verstoßen. Derartiges Verhalten bzw. derartige Handlungen sind gemäß § 353 b StGB un- ter Strafe gestellt. Die Bundesregierung sollte daher die Ermächtigung zur Durchführung eines Strafverfahrens er- teilen. Wer sich auskennt im deutschen Strafprozessrecht, weiß allerdings, die zuständige Behörde zur Einleitung eines Strafverfahrens ist die Staatsanwaltschaft und es gilt das Legalitätsprinzip. Das heißt, allein die zuständige Staatsanwaltschaft ist verpflichtet, wegen aller verfolgba- ren Straftaten einzuschreiten, sofern zureichende tatsäch- liche Anhaltspunkte vorliegen. Dieser so genannte An- fangsverdacht ist gegeben, wenn Tatsachen vorliegen, die bei objektiver Betrachtungsweise die Möglichkeit eines strafrechtlich relevanten Verhaltens erkennen lassen Für den Fall nun, dass die Staatsanwaltschaft tatsächli- che Anhaltspunkte für die Verletzung des Dienstgeheim- nisses oder einer besonderen Geheimhaltungspflicht sieht, besteht die Besonderheit, dass diese Straftat nur mit Ermächtigung verfolgt wird – § 353 b Abs. 4 StGB. Für diese Fälle bestimmt dann Nr. 212 der RiStBV wörtlich Folgendes: Wird dem Staatsanwalt eine Straftat nach §§ 353 a oder 353 b StGB bekannt, so holt er unter Mitteilung des bekannt gewordenen Sachverhalts, jedoch in der Regel vor weiteren Ermittlungen, über das Bundes- ministerium der Justiz ... die Entscheidung ein, ob die Ermächtigung zur Strafverfolgung erteilt wird. Damit setzt die Erteilung der Ermächtigung zur Durch- führung des Strafverfahrens denknotwendig den entspre- chenden Antrag der zuständigen Staatsanwaltschaft nach Bejahung eines Anfangsverdachtes voraus. Ich habe mich nun beim zuständigen Bundesministerium der Justiz erkundigt und die Auskunft erhalten, dass wegen der im Antrag der F.D.P.-Fraktion bezeichneten Umstände ein Antrag der zuständigen Staatsanwaltschaft auf Erteilung der Ermächtigung für die Durchführung eines strafrechtli- chen Ermittlungsverfahrens gemäß § 353 b StGB gar nicht vorliegt. Damit kann eine Ermächtigung auch gar nicht er- teilt werden. Und deshalb ist der vorliegende Antrag nichts anderes als „eine Luftnummer“. Das Antragsbegehren enthält aber noch einen weiteren Fehler, indem als Adressat für die Erteilung der Ermäch- tigung die Bundesregierung genannt ist. Zuständig für die Ermächtigung zur Strafverfolgung nach § 353 b Abs. 4 StGB ist aber die oberste Bundesbehörde, in deren Be- reich der Täter bei Erlangung des Geheimnisses tätig war. Auf die Herkunft des Geheimnisses oder die Dienst- herreneigenschaft zurzeit der Tat kommt es dabei nicht an. Damit wäre nach der genannten gesetzlichen Vorschrift die oberste Bundesbehörde für die Erteilung der Ermäch- tigung zuständig und nicht die Bundesregierung als sol- che. Dieses ist ein weiterer Beweis für die Luftnummer des vorliegenden Antrages. Letztendlich besteht, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP-Fraktion, gegenüber diesem Antrag ein wei- teres nicht unerhebliches rechtliches Bedenken. Ein „Er- mächtigungserfordernis“ kennt das Strafrecht nur in Fäl- len, die in besonderer Weise mit politischen Fragen und staatlichen Geheimhaltungsinteressen verknüpft sind und deren Erörterung vor Gericht und damit in der Öffentlich- keit dem Gemeinwohl schaden kann. Es geht dabei um die politisch sinnvolle Handhabung der Strafrechtspflege. Eine Ermächtigung stände daher zu Recht im politischen Ermessen der zuständigen obersten Bundesbehörde, die bei ihrer Bewertung der Vorgänge auch politische Krite- rien anlegen müsste. Dies ist Prärogative der jeweiligen Bundesbehörde und fällt damit in den Kernbereich exe- kutiver Eigenständigkeit, in den das Parlament aufgrund des Gewaltenteilungsprinzips nicht eingreifen sollte. Der vorgelegte Antrag ist daher auch verfassungsrechtlich zu- mindest äußerst bedenklich. Damit wird dann auch deutlich, dass der vorliegende Antrag nichts anderes ist als ein vordergründiges politi- sches Schaugefecht. Mithilfe von Unterstellungen und haltlosen Verdächtigungen sollen Mitglieder der Bundes- regierung diskreditiert werden. Dieses nur zu durchsich- tige Unterfangen werden wir nicht mitmachen; wir wer- den dem vielmehr entgegentreten und weisen diese infame politische Schaumschlägerei mit Entschiedenheit zurück. Die zuständige Strafverfolgungsbehörde sieht keine Ver- anlassung zur Annahme eines Anfangsverdachtes gemäß Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. April 2000 9431 (C) (D) (A) (B) § 353 b StGB. Die F.D.P.-Fraktion des Deutschen Bun- destages sollte sich daher hüten, die rechtstaatlichen Grundsätze der Gewaltenteilung in unserem Land infrage zu stellen oder auch nur diesen Anschein zu erwecken. Missbrauchen Sie nicht länger das Strafrecht für durch- sichtige politische Attacken! Damit bleibt im Ergebnis nur die Aufforderung an die FDP-Fraktion: Ziehen Sie Ihren Antrag zurück! Dr. Jürgen Gehb (CDU/CSU): Seit vielen, vielen Wochen liegt in diesem Hause die Messlatte hoch, wenn es um den Respekt vor Wortlaut und Geist deutscher Ge- setze geht. Aus den Reihen der Regierungsfraktionen wird mit Ei- fer – manchmal allerdings auch unerträglich eifernd – das Hohelied des Respekts vor den geschriebenen und unge- schriebenen Regeln angestimmt. Dies geschieht nicht im- mer uneigennützig und ab und zu kommt es auch schon mal zu einer Verwirrung der Geister. Beispielsweise hat der Abgeordnete Ströbele keine Probleme damit, gewisse Gesetzesverstöße zukünftig auch mit einer Kürzung von Altersbezügen zu ahnden und so nebenbei – und dies geradezu lüstern, aber völlig sys- temwidrig – locker mal ein politisches Rentenstrafrecht einzuführen. Ich will Wirrheiten dieser und manch anderer Art von dieser Stelle gar nicht weiter kommentieren. An den Aus- gangspunkt will ich aber nochmals erinnern: In diesem Hause liegt die Messlatte hoch, wenn es um den Respekt vor dem Wortlaut und dem Geist deutscher Gesetze geht. Und, liebe Kolleginnen und Kollegen aus den Regie- rungsfraktionen, Sie können heute den Beweis dafür an- treten, ob Sie diese Messlatte unabhängig von der Person akzeptieren. Gilt diese Messlatte auch für Bundesminister der rot-grünen Koalition? Gilt dieser hohe moralische An- spruch auch für den Herrn Bundesaußenminister? Falls nicht, müssen Sie sich schon den Vorwurf der Doppelmo- ral gefallen lassen. Aber beschäftigten wir uns zuerst einmal mit dem Sachverhalt als solchem: Als Kabinettsausschuss trifft der Bundessicherheitsrat Entscheidungen nach dem KWKG und dem AWG über Exporte von Kriegswaffen und sons- tigen Rüstungsgütern. Leitlinie für Exportentscheidungen sind die „Politischen Grundsätze“, die auch in ihrer Neu- fassung vom 19. Januar 2000 – und ich zitiere jetzt den Parlamentarischen Staatssekretär Siegmar Mosdorf – „ei- nen notwendigen Kompromiss der zum Teil widerstrei- tenden außen-, sicherheits-, wirtschafts-, entwicklungs- und menschenrechtspolitischen Vorstellungen der Bun- desregierung darstellen“. Es gilt also bei Entscheidungen im Bundessicher- heitsrat eine Vielzahl von Aspekten abzuwägen. Entge- gen manchen irreführenden Äußerungen gerade aus Rei- hen der Grünen ist die Lage der Menschenrechte auch nicht das alleinige Kriterium einer Entscheidung, sonst bräuchte man halt nur mechanisch in den Berichten von amnesty international nachzuschlagen, um zu einer Ent- scheidung zu gelangen. Dies könnte dann auch ein Sach- bearbeiter erledigen und die Creme des Kabinetts müsste nicht zu einer Geheimsitzung zusammenkommen. So naiv kann man eigentlich nicht sein. Allerdings be- schleicht mich manchmal der Eindruck, das die Welt ge- nau so naiv – und damit im Grunde unverantwortlich – von manchen aus den Reihen der Grünen und der SPD be- trachtet wird. Aus guten Gründen wird also im Bundessicherheitsrat über alle Aspekte – und diese können manchmal recht hei- kel sein – gesprochen, gewogen und schließlich entschie- den. Und dies geschieht aus guten Gründen geheim. Dies war in unserer Regierungszeit so und auch unter Kanzler Schröder ist dies nicht anders – jedenfalls im Prinzip. Nun wird allerdings aus Sitzungen des Bundessicher- heitsrates geplaudert. Geradezu genüsslich werden Fakten aus dem geheim tagenden Gremium vor den Augen der deutschen – aber nicht nur der deutschen – Öffentlichkeit ausgebreitet. Der Außenminister entpuppt sich als Plau- dertasche; sein Haus – so berichtet die „Welt“ am 8. No- vember des vergangenen Jahres – habe „erstmals offiziell die Vertraulichkeit des Bundessicherheitsrates gebrochen, um damit die eigene Glaubwürdigkeit zu wahren“. Da haben wir unter Rot-Grün jetzt eine schöne, neue Welt. Herr Staatssekretär Körper aus dem Innenministe- rium stellt fest, „dass Sitzungen des Bundessicherheits- rates (…) der Geheimhaltung unterliegen und dass daher Verstöße gegen die Geheimhaltungspflicht nach § 353 b Strafgesetzbuch strafbar sein können“. Unter Hinweis auf die Geheimhaltungspflicht bleiben alle Fragen der Kollegen Geis, Klaeden, Hörster, Polenz, Koppelin, Schwaetzer – um nur einige zu nennen – faktisch unbe- antwortet und laufen völlig ins Leere. Ritualhaft verkün- det Staatssekretär Mosdorf: „Die Sitzungen des Bundes- sicherheitsrates sind geheim. Dies gilt auch für die im Bundessicherheitsrat verhandelten Tagesordnungspunkte und das Abstimmungsverhalten einzelner Mitglieder“. Der Abgeordneten Beer verweigert die Bundesregierung selbst Auskunft über die Sitzungstermine des Bundessi- cherheitsrates, denn die Einstufung „Geheim“ schließt auch die Termine ein, so belehrt uns der Kollege Mosdorf. All dies, was wir in diesem Hohen Haus nicht erfahren, können wir aber in dieser schönen, neuen Welt in den Zei- tungen nachlesen oder im Radio hören. Wer es mag, kann auch das Fernsehen einschalten. Denn die Verpflichtung zur Geheimhaltung endet für einige Plaudertaschen aus dem Bundessicherheitsrat offensichtlich in dem Moment, in dem ihnen ein Mikrofon vors Gesicht gehalten wird oder ihnen ein Stenoblock unter die Augen kommt. All dies ist völlig unerträglich. Die notwendige und in der Sache begründete Geheimhaltung wird missachtet. Die wichtigen öffentlichen Interessen werden gefährdet. Und nicht zuletzt wird das Vertrauen in die Integrität des Kabinetts und des Bundessicherheitsrates erschüttert. All dies sind keine Petitessen. Die CDU/CSU-Fraktion unterstützt daher den Antrag der Liberalen. Wir fordern die Bundesregierung ebenfalls auf, der zuständigen Strafverfolgungsbehörde endlich die Ermächtigung zur Durchführung eines Strafverfahrens nach § 353 b StGB zu erteilen. Ich fordere auch die Regierungsfraktionen auf, sich diesem Antrag der Liberalen anzuschließen. Wenn Sie es Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. April 20009432 (C) (D) (A) (B) ernst meinen, dass – unabhängig von der Person, unab- hängig von der Prominenz eines Amtsträgers – jederzeit dem Geist eines deutschen Gesetzes Respekt zu zollen ist, dann dürfen Sie sich diesem Appell nicht verschließen. Es kann nicht angehen, dass Sie aus opportunistischen Gründen über die Verletzungen der Geheimhaltungs- pflicht hinwegsehen. Eröffnen Sie einer unabhängigen Strafverfolgungsbehörde die Möglichkeit zu handeln. Sie haben es in der Hand, dem deutschen Volke zu beweisen, dass der Respekt vor den geschriebenen und ungeschrie- benen Regeln unseres Staates auch für Mitglieder der Bundesregierung gilt und dass, wenn eine Verletzung von Geheimhaltungspflichten vorliegt, dies auch ohne Anse- hen der Person geahndet wird. Sollten Sie all dies aber aus opportunistischen Gründen zur Seite schieben, sollte der Fall eintreten, dass Sie dem Koalitionsfrieden einen höheren Stellenwert einräumen als dem Respekt vor den Regeln, dann müssen Sie sich den Vorwurf der Doppelmoral und der Heuchelei aller- dings gefallen lassen. Ich hoffe sehr, dass Sie dem vorliegenden Antrag zu- stimmen und auch Mitglieder der Bundesregierung nicht aus der Pflicht zum Respekt vor den Regeln und Vor- schriften entlassen. Sicher bin ich mir allerdings nicht. Wenn ich mir bei- spielsweise den Abgeordneten Ströbele ansehe, der sich seit Wochen als Vertreter von Recht und Ordnung ge- riert, ist doch eine sehr spezifische Form von Doppel- moral unübersehbar. Wenn Herr Ströbele mit morali- schem Augenaufschlag fordert, dass bei gewissen Ge- setzesverstößen ein Abgeordneter sein Mandat verlieren solle, dann kann ich Herrn Ströbele nur auffordern, dem geneigten Publikum zu berichten, dass er selbst wegen Unterstützung einer kriminellen Vereinigung – vulgo Baader-Meinhof-Bande genannt – rechtskräftig zu 10 Monaten Haft verurteilt wurde. Wenn Herr Ströbele Forderungen nach Mandatsverzicht bei gewissen Geset- zesverstößen propagiert, mag er erst einmal in sich gehen und dann gegebenenfalls für sich selbst Konsequenzen ziehen. Ich hoffe jedoch sehr, dass diese völlig überzogene Art und Weise der Doppelmoral und Heuchelei wahrlich die Ausnahme bleibt. Ich appelliere an die Regierungsfraktionen, den ge- schriebenen und ungeschriebenen Regeln die notwendige Hochachtung zu erweisen, auch wenn Personen aus den eigenen Reihen davon betroffen sind. Stimmen Sie dem vorliegenden Antrag zu! Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ver- ehrte Kollegen und Kolleginnen von der F.D.P.! Ich frage mich, was Sie sich für ein Ei ins Nest gelegt haben mit diesem Antrag. Sie bezichtigen in Ihrer Begründung eine Absichtserklärung über zukünftiges Verhalten des Ge- heimnisverrats. Das kann ich nun beim besten Willen nicht nachvollziehen. Aber um zum Kern Ihres Antrages zu kommen, in dem sie minutiös vermeintliche Verfeh- lungen auflisten. Ich unterstütze Sie gerne und liefere Ih- nen gerne weitere Übeltäter. Machen wir einen Sprung zurück in die Zeit: Am 6. Januar 1987 bestätigte ein Sprecher des BMWi eine „Voranfrage“ von MBB zur Genehmigung des Transall- Verkaufs an den Iran – so ddp. Aber viel interessanter ist die nächste Geschichte: In der deutschen Presse wurde Ende Januar 1989 berichtet, dass es im Bundessicher- heitsrat zu einer heftigen Auseinandersetzung zwischen dem damaligen Bundeskanzler Kohl und dem Vizekanz- ler Genscher über die Zulieferung von acht Tornados an Jordanien gekommen sei. Genscher habe laut „Welt“ be- hauptet, es wäre im Bundessicherheitsrat kein Beschluss gefasst worden. Berichte gab es neben der „Welt“ auch in der „Süddeutschen“ und der „Frankfurter Rundschau“, die Informationen sollten aus Regierungskreisen stam- men. Aber die Story und der damalige Koalitionskrach gin- gen noch weiter: Dabei soll ein Regierungsmitglied dem „Express“ gesagt haben: „Genscher wollte nachträglich aus der Zustimmung im Bundessicherheitsrat eine Ableh- nung machen.“ Und die „FAZ“ hat zu allem Überfluss auch noch aus dem Protokoll des Bundessicherheitsrates vom 29. Juni 1988 zitiert. Ich übergehe das lieber, damit ich nicht des Geheimnisverrats verdächtigt werde. Aber zurück zur „never ending story“: Tags darauf lässt Theo Waigel laut ddp und dpa Informationen aus dem BSR über die F.D.P. raus, sie habe sich widersprüchlich und unfair verhalten, weil sie im Bundessicherheitsrat keinen Wider- spruch gegen die Kredite erhoben hätte. – Sie sehen, Ihr Antrag behandelt ein Problem, das schon länger besteht. Ein anderes Beispiel für die Standhaftigkeit des ehe- maligen Bundesaußenministers Kinkel. Er soll laut „Stuttgarter Zeitung“ vom 17. Februar 1993 im Bundessi- cherheitsrat der Einzige gewesen sein, der Exporten von Schiffen und Raketen nach Taiwan widersprochen haben soll, sei aber überstimmt worden. Da muss wohl eine un- dichte Stelle gewesen sein. Als einen kleinen Nachschlag zum Menü möchte ich kurz erwähnen, dass in der „Berliner Morgenpost“ vom heutigen Tag der CDU-Abgeordnete Helmut Kohl von seinem Büro erklären ließ, dass die Genehmigung des Bundessicherheitsrates vom 27. Februar 1991 für die Pan- zerlieferung nach Saudi-Arabien „ausschließlich nach außensicherheits- und bündnispolitischen Erwägungen“ angesichts der Golfkrise erfolgt sei. – No comment! Die Presse – das möchte ich bewertend und ab- schließend feststellen – trägt durch ihre Berichterstattung seit Jahren, wie festgestellt werden konnte, wesentlich zur Transparenz bei. Jörg van Essen (F.D.P.): Im Oktober letzten Jahres begann eine Entwicklung, die sich bis heute konsequent fortgesetzt hat. Da wurde plötzlich in den Medien in brei- ter Darstellung über die geplanten Panzerlieferungen an die Türkei berichtet. Dies ist an sich nichts Besonderes. Im konkreten Fall handelte es sich aber um Details aus dem geheim tagenden Bundessicherheitsrat. Nach § 22 Abs. 3 der Geschäftsordnung der Bundesregierung sind die Sitzungen der Bundesregierung mindestens ver- traulich. Insbesondere sind Mitteilungen über Ausführun- gen einzelner Bundesminister, über das Stimmenverhältnis Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. April 2000 9433 (C) (D) (A) (B) und über den Inhalt der Niederschrift ohne besondere Er- mächtigung des Bundeskanzlers unzulässig. Eine beson- dere Ermächtigung durch den Bundeskanzler ist nicht be- kannt. Demzufolge wurde offensichtlich gegen die Ge- heimhaltungsvorschrift des § 22 Abs. 3 verstoßen. Angesichts mehrfacher Veröffentlichungen von In- terna aus den Beratungen des geheim tagenden Bundessi- cherheitsrates fordern wir, dass künftig die Geheimhal- tung im Bundessicherheitsrat gewährleistet wird. Man kann beinahe täglich in der Zeitung nachlesen, wie wer wo und warum in welchem Regierungsgremium abge- stimmt hat. Es wird fleißig geplaudert. Seit Rot-Grün die Regierungsverantwortung übernommen hat, sind Ge- schwätzigkeit und gezielte Indiskretionen zum Marken- zeichen ihrer Politik geworden. Dies schadet den Interes- sen unseres Landes. Insbesondere der Bundesaußenminister und das Aus- wärtige Amt scheinen sich konsequent über die Vertrau- lichkeit hinwegzusetzen. Im Oktober 1999 kündigte der Außenminister sein Abstimmungsverhalten über die Frage der Panzerlieferungen an die Türkei sogar schon vor der Sitzung des Bundessicherheitsrates öffentlich an. Das Auswärtige Amt gibt selbstverständlich Stellungnah- men ab zu den Entscheidungen des Bundessicherheitsra- tes. Aber auch der Bundeskanzler und der Bundesvertei- digungsminister haben sich in der Öffentlichkeit zum Ex- port des Leopard-Panzers in die Türkei oder von Panzerteilen nach Pakistan gegenüber der Presse geäußert und damit die Vertraulichkeit des Bundessicherheitsrates gebrochen. Ebenso war das Abstimmungsverhalten des Bundeswirtschaftsministers und der Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit nachlesbar. Dies ist ein unhaltbarer Zustand, der dem Ansehen der Bundesrepu- blik Deutschland im Ausland schadet. In keiner Bundes- regierung zuvor hat es etwas auch nur annähernd Ver- gleichbares gegeben. Dieser Verstoß erfüllt zugleich den Straftatbestand der Verletzung des Dienstgeheimnisses und einer beson- deren Geheimhaltungspflicht. Die Tat wird nur mit Er- mächtigung verfolgt. Da im vorliegenden Falle die Ver- letzung der Geheimhaltungspflicht innerhalb der Bun- desregierung erfolgte, kann nur die Bundesregierung selbst die Ermächtigung gemäß § 353 b Abs. 4 StGB er- teilen. Das Verhalten von einigen Mitgliedern der Bun- desregierung erfüllt eindeutig den Straftatbestand des § 353 b StGB. Die Ermächtigung ist an keine Frist ge- bunden und kann daher noch bis zum Eintritt der Ver- jährung erklärt werden. Wir wollen, dass hier ermittelt und strafrechtlich vorgegangen wird, um weiteren Scha- den zu verhindern. Auch die Bundesregierung ist an Recht und Gesetz ge- bunden. Es ist bedauerlich und bezeichnend zugleich, dass eine Fraktion des Bundestages gezwungen ist, da- ran zu erinnern. Wir fordern die Bundesregierung auf, zur Durchsetzung von Recht und Gesetz in ihren eigenen Rei- hen die erforderliche Ermächtigung zu erteilen. Heidi Lippmann (PDS): Böse Zungen behaupten, die PDS werde den vorliegenden F.D.P.-Antrag unterstützen, in der Hoffnung, dass ein Mitglied des Bundessicher- heitsrates, vielleicht der Außenminister, im Rahmen eines Strafverfahrens zu fünf Jahren Haft verurteilt werden könnte. Aber ich muss Sie leider enttäuschen. Nicht der mögliche Geheimnisverrat ist ein Skandal, sondern die Lieferung eines Leopard-II-Panzers zu Testzwecken an die Türkei! Es ist ja lobenswert, verehrte Kollegen von der F.D.P., dass Sie die Rechtsstaatlichkeit so hoch halten, doch Ihr Antrag bezieht sich auf ein Gremium, das so geheim ist, dass es noch nicht einmal in der Geschäftsordnung der Bundesregierung erwähnt wird, so geheim, dass sogar meine Anfrage in einer geschlossenen Sitzung des Vertei- digungsausschusses, wann der Sicherheitsrats das nächste Mal tage, als „unzulässig, da geheim“ zurückgewiesen wurde. Worum geht es tatsächlich? Ein Gremium, das sich aus Mitgliedern der Bundesre- gierung zusammensetzt, entscheidet hinter verschlosse- nen Türen über den Export oder Nichtexport von Rüs- tungsgütern und Dual-use-Gütern. Aus „sicherheitspoli- tischen Gründen“ nimmt man Rücksicht auf die Rüstungsproduzenten und natürlich die importwilligen Länder. Rechtliche Grundlagen sind das Außenhandels- gesetz und das Kriegswaffenkontrollgesetz. Hinzu kom- men internationale Vereinbarungen und die neuen Rüs- tungsexportrichtlinien. Grundlage ist natürlich auch das Grundgesetz, Art. 26 Abs. 2, wonach „Zur Kriegsführung bestimmte Waffen ... nur mit Genehmigung der Bundes- regierung hergestellt, befördert und in Verkehr gebracht werden“ dürfen. Aber müsste nicht auch Art. 26 Abs. 1 zur Grundlage erklärt werden, worin es heißt: „Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das fried- liche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig“ und unter Strafe zu stellen? Darüber sollten wir streiten und uns die Frage stellen, ob Rüstungsexporte etwa nicht geeignet sind, das friedli- che Zusammenleben der Völker zu stören. Nehmen wir zum Beispiel die mögliche Lieferung von 1 000 Leopard- 2-Panzern an die Türkei. Aufgrund des Bedrohungspo- tenzials, das sie darstellen, sind sie durchaus geeignet, das friedliche Zusammenleben der Völker zu gefährden. Nun will natürlich niemand der Bundesregierung unterstellen, dass sie eine derartige Absicht verfolgt, und die Entschei- dung hierüber ist ja auch nicht gefallen, doch sollte schon die Möglichkeit ausgeschlossen werden, das friedliche Zusammenleben von Völkern zu bedrohen. Ein anderer Aspekt ist die Geheimhaltung. Ich finde es absurd, dass in einem freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat wie der Bundesrepublik Deutschland die Ent- scheidung über Rüstungsexporte, die von so weitreichen- der Bedeutung für den internationalen Frieden und die Si- cherheit sind, ausschließlich der Exekutive überlassen wird und nicht vom Bundestag direkt getroffen wird. Wer für mehr Transparenz und Demokratie eintritt, meine Da- men und Herren von Bündnis 90/Die Grünen, sollte ein- fordern, dass künftig alle Entscheidungen über Rüstungs- und Dual-use-Exporte, über militärische Zusammenarbeit Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. April 20009434 (C) (D) (A) (B) und Militärhilfe direkt vom Parlament getroffen werden und dass nicht nur im Nachhinein von der Bundesregie- rung ein Rüstungsexportbericht vorgelegt wird. Genauso, wie die Abgeordneten des Bundestages über den Einsatz deutscher Soldaten im Ausland ent- scheiden, sollten sie künftig im Interesse der internatio- nalen Sicherheit über Rüstungsexporte entscheiden. Dies wäre ein tatsächlicher Fortschritt, denn dann kann jeder einzelne Abgeordnete verantwortungsvoll darüber entscheiden, welche Aspekte ihm oder ihr wichtig sind, zum Beispiel ob es die Menschenrechtssituation in dem jeweiligen Land ist, das Spannungsverhältnis zu den Nachbarsstaaten oder etwa die Auftragslage eines be- stimmten Rüstungsunternehmens in seinem Wahlkreis. Dann werden wir uns auch nicht mehr über die straf- rechtliche Relevanz von Geheimnisverrat des Bundes- sicherheitsrates unterhalten müssen. Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die politischen Par- teien (Tagesordnungspunkt 22) Dr. Joseph-Theodor Blank (CDU/CSU):Diskussio- nen über Parteienfinanzierung sind so alt wie das Partei- engesetz. Seit den 50er-Jahren gestalten Gesetzgeber und Rechtsprechung und begleiten die Medien die verschie- densten Varianten der Parteienfinanzierung. Allein das Bundesverfassungsgericht befasste sich in acht Entschei- dungen mit der rechtlichen Stellung der Parteien und der Parteienfinanzierung. Der jüngste Spendenskandal stei- gerte wieder einmal die öffentliche Sensibilität für dieses Thema. Eins klar und deutlich vorweg: Parteien brauchen Geld. Sie brauchen es zur Finanzierung ihrer Arbeit, zur Finanzierung ihres Personals, sie brauchen es zur Finan- zierung ihrer Wahlkämpfe. Die Parteienfinanzierung hat mehr zu leisten, als lediglich für eine Deckung der Aus- gaben zu sorgen. Die Parteienfinanzierung in Deutsch- land soll die Verwurzelung der Parteien in unserer Gesell- schaft, die Chancengleichheit und die Unabhängigkeit der Parteien von staatlicher Einflussnahme gewährleisten. Dabei soll die staatliche Unterstützung der Parteien auf das für die Funktionsfähigkeit der Parteien Unerlässliche begrenzt sein. Von diesen Grundsätzen ausgehend, hat der Gesetzge- ber die aktuelle Finanzierung der Arbeit der Parteien auf drei Säulen gestellt: Mitgliedsbeiträge, Spenden und staatliche Zuwendungen. Mitgliedsbeiträge machen bei den Parteien ein Drittel bis die Hälfte der Einnahmen aus. Diese Beiträge werden von Bürgern geleistet, die sich dauerhaft mit einer Partei, mit deren Inhalten und Zielen, verbunden fühlen. Die Mit- gliedsbeiträge reichen allerdings bei weitem nicht aus für die Deckung der notwendigen Ausgaben der Parteien. Eine Parteienfinanzierung nur über Mitgliedsbeiträge wäre auch nicht gerecht, weil sie zum einen mitglieder- starke gegenüber mitgliederschwachen Parteien bevor- teilt und zum anderen die politische Bedeutung einer Par- tei aus dem Zuspruch ihrer Wähler und nicht aus der Zahl ihrer Mitglieder folgt. Die zweite Säule der Parteienfinanzierung in Deutsch- land besteht in der Möglichkeit der Parteien, Spenden ent- gegenzunehmen. In diesen Tagen ist es offensichtlich not- wendig, darauf hinzuweisen, dass Spenden nichts Unan- ständiges, sondern dringend erforderlich sind, will man die Unabhängigkeit der Parteien von staatlicher Einfluss- nahme durch übermäßige Zuwendung staatlicher Finan- zierung sicherstellen. Spenden an politische Parteien för- dern die gesellschaftliche Verwurzelung der Parteien. Viele Bürger wollen sich eben nicht über den Status einer Mitgliedschaft dauerhaft an eine Partei binden, aber trotz- dem einer Partei mehr geben als alle paar Jahre nur eine Stimme. Diejenigen, die eine Partei unterstützen möch- ten, aber kein Mitglied werden wollen und aus zeitlichen oder anderen Gründen beim Plakatekleben, Flugblätter- verteilen usw. nicht helfen können oder wollen, sollen sich auch in Zukunft in Form von Spenden, von Geld- spenden einbringen dürfen. Zahlung einer Geldspende statt langfristige Bindung durch Mitgliedschaft, eine Ent- wicklung, die nicht nur in Bezug auf die Parteien, sondern in unserer Gesellschaft immer stärker geworden ist. Jeder von uns kennt dies aus seiner Arbeit vor Ort. Die dritte Säule der Parteienfinanzierung – die Ge- währung staatlicher Mittel an die Parteien – findet ihre Rechtfertigung in Art. 21 Grundgesetz und zeigt, dass die Parteienfinanzierung in Deutschland auf einem sehr wohl ausgewogenen Fundament beruht. Mit staatlichen Mitteln in Form der Zahlungen nach Wähleranteil werden die Wettbewerbsnachteile ausgeglichen, die Parteien entste- hen, weil ihre Mitgliederzahl eher klein und/oder ihr Spendenaufkommen gering ist. Das System der Parteienfinanzierung in Deutschland ist im Grundsatz nach meiner Auffassung gut und richtig. Doch wie jedes Gesetz ist auch das Parteiengesetz vor Manipulationen oder Verstößen nicht gefeit. Es handeln eben Menschen; übrigens in jeder oder auch für jede Par- tei. Über Detailregelungen kann man diskutieren. Der vor- liegende Gesetzentwurf der PDS enthält eine Reihe von Vorschlägen, auf die ich kurz eingehen möchte. Der Vor- schlag, dass staatliche Finanzmittel, die aufgrund eines nicht vorschriftsmäßigen Rechenschaftsberichts nicht ausgezahlt oder zurückerstattet wurden, in den Bundes- haushalt einzustellen und nicht wie bisher an die anderen Parteien auszuzahlen sind, wird von uns begrüßt. Es ist nicht richtig, dass in Konkurrenz stehende Parteien von den Fehlern einer Partei finanziell profitieren, und es ist auch systematisch korrekt, diese Beträge an den zu leis- ten, aus dessen Kasse sie gekommen sind, nämlich an den Staat selbst. Der Vorschlag, die Parteien zu verpflichten, die von ih- nen beauftragten Wirtschaftsprüfer alle fünf Jahre zu wechseln, ist ebenfalls zu begrüßen. Das von der PDS vorgeschlagene Verbot von Aus- landskonten ist vielleicht populär, jedoch nicht zu Ende Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. April 2000 9435 (C) (D) (A) (B) gedacht. Ein Auslandskonto an sich ist – und auch das soll deutlich angemerkt werden – nichts Unanständiges. Ent- scheidend ist allein, ob die Parteien alle Geldeingänge verbuchen und alle Konten in dem jeweiligen Rechen- schaftsbericht enthalten sind. Ist dies der Fall, ist gegen ein Auslandskonto prinzipiell nichts einzuwenden. Die CDU hätte mit einem Verbot von Auslandskonten je- doch keine Probleme; auf dem soeben stattgefunde- nen Bundesparteitag ist in die Finanzordnung der Union im Rahmen der Selbstbeschränkung ein Passus aufgenommen worden, der genau dieses beinhaltet. Bei weitem noch nicht ausdiskutiert ist die Frage, ob Verstöße gegen das Parteiengesetz durch Vorstandsmit- glieder, Beauftragte oder Verantwortliche für die Einhal- tung der parteiinternen Finanzordnung strafrechtlich sanktioniert werden sollen. Hier stellt sich die bisher vom Gesetzgeber noch nicht behandelte bzw. entschiedene Frage, welche konkreten Anforderungen parteiinterne Fi- nanzordnungen zu erfüllen haben und ob die betreffenden Regelungen in allen Parteien gleichlautend gefasst wer- den müssten und einer externen Genehmigung bedürfen sollen. Zu berücksichtigen ist außerdem, dass an die vielen eh- renamtlichen Funktionsträger, die weder von ihrer Aus- bildung noch von ihrer etwaigen beruflichen Tätigkeit her Erfahrung im Finanzwesen haben und deren unverzicht- bares Engagement in den vielen tausend Städten und Ge- meinden für die Parteien unverzichtbar ist, andere Anfor- derungen zu stellen sind als an „Geldprofis“ etwa einer Bundes- oder Landespartei. Das von der PDS vorgeschlagene Verbot von Einzel- spenden natürlicher Personen aus Privatvermögen über ei- nen Betrag von 30 000 DM im Jahr hinaus ist mit Blick auf die Größenordnung der bisher von der PDS erhaltenen Spenden natürlicher Personen erklärbar. Ein solches Ver- bot würde jedoch das bisher durch das System der Partei- enfinanzierung hergestellte Gleichgewicht zerstören. Die von der PDS vorgeschlagene Höchstgrenze ist willkürlich und untauglich zugleich, da Beträge abhängig von der Ver- mögenslage des Spenders und der Größe des Haushalts- volumens der jeweiligen Partei relativ groß oder klein sein können. Bereits mit der Entscheidung über die steuer- rechtliche Behandlung von Spenden hat das Bundesver- fassungsgericht die Beibehaltung der Chancengleichheit für die verschiedenen Parteien ausreichend abgesichert. Auch über das von der PDS vorgesehene Verbot von Spenden juristischer Personen sowie Personenvereini- gungen, die nicht juristische Personen sind, muss gründ- lich nachgedacht werden. Die hierzu von der PDS vorge- legte Begründung, die allein darauf abstellt, dass nur Wahlrechtsinhaber das Recht haben sollen, an Parteien zu spenden, ist unzureichend. Unsere Demokratie lebt nicht nur von dem Spannungsverhältnis zwischen Abgeordne- ten und Wählern, sondern auch von der Auseinanderset- zung mit dem Zusammenschluss von Wählerinteressen in Interessensverbänden und weiteren von politischen Ent- scheidungen betroffenen Institutionen. Die Änderung des Parteiengesetzes wird Gegenstand der Beratungen der zuständigen Ausschüsse des Bundes- tages sein. Wir wollen die Vorschläge der PDS zur Ände- rung des Parteiengesetzes in diese Beratungen einfließen lassen, um das gemeinsame Ziel einer zeitgemäßen und effektiven Parteienfinanzierung zu erreichen. Cem Özdemir (BÜNDNIS/90 DIE GRÜNEN): Die CDU mag nach Ihrem Parteitag in Essen vielleicht glau- ben, die Debatte über ihre Filzaffäre sei beendet. Sollte sie diesen Eindruck weiter verbreiten, hat sie die Tragweite des von ihr verursachten Debakels gründlich missver- standen. Will sie wirklich einen Neuanfang, muss sie sich ihrer Vergangenheit stellen. Gleichzeitig muss sie sich mit ihren Strukturen befassen, die ein solches illegales Regi- ment erst möglich gemacht haben. Mit wohlfeilen Entschuldigungsfloskeln ist es nicht getan. Wenn die CDU wirklich geläutert aus ihrem Skan- dal hervorgehen will, reichen neue Köpfe nicht aus. Sie muss sich vielmehr einer umfassenden Demokratie- und Transparenzdebatte stellen. Hier warten wir noch immer auf verbindliche Antworten. Demokratie – das heißt für uns in erster Linie Volks- initiative, Volksbegehren und Volksentscheide. Hier muss die Union Farbe bekenne, damit eine Zweidrittelmehrheit für eine Grundgesetzänderung zustande kommt. Wir wer- den sie an ihren vorsichtigen Ankündigungen messen. Frau Merkel und Herr Merz werden sich nicht mehr lange um konkrete Antworten herumdrücken können. In Essen habe ich hier nichts gehört – hier im Parlament kommen sie nicht so leicht davon. Was die Reformen im Finanzgebaren angeht, so müs- sen die Parteien völlig neue Wege gehen. Mit dem Fi- nanzskandal ist das Vertrauen in alle Parteien so weit er- schüttert, dass es fast nur noch besser werden kann. Das Gebot der Stunde ist die Schaffung von mehr Transpa- renz, vor allem beim Umgang mit den Spenden und der Rechenschaftslegung. Die von der PDS heute vorgeschlagenen Maßnahmen sind ein Beitrag in dieser Diskussion. Wir Bündnisgrünen haben hier schon vor einiger Zeit ein Eckpunktepapier vorgestellt. Auf unserem Parteitag wurde ein umfangrei- cher Antrag in dieser Richtung fast einstimmig verab- schiedet. Unsere Position ist klar und eindeutig. Wer sich – wie die PDS – dem anschließt, ist herzlich zum Diskurs eingeladen. In der Tat müssen Spenden von über 6 000 DM ent- sprechend dem Freibetrag bei der Steuer veröffentlicht werden. Das ist auch unsere Forderung. Wir wollen aber darüber hinaus auch mehr Transparenz bei den persönli- chen Spenden an Abgeordnete! Mich macht hier stutzig, dass dieser Punkt in dem PDS-Gesetzentwurf fehlt. Die Partei spekuliert hier wohl auf eine Schonung ihrer Di- rektkandidaten, gerade in Berlin. Während Sie bei allen anderen Spenden eine strenge Regelung verlangen, soll es hier bei der geltenden Regelung bleiben, derzufolge der Bundestagspräsident erst ab einer Spende für Direktkan- didaten ab 20 000 DM veröffentlichen muss. Ich muss an dieser Stelle deutlich sagen, dass diese auf- fällige Unterlassung dem Vorhaben viel an Glaubwürdig- keit nimmt. Wer hier weitere Spekulationen anstellen will, hat dazu allen Grund. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. April 20009436 (C) (D) (A) (B) Erhebliche Bedenken habe ich auch gegen die vorge- schlagenen Strafbarkeitsregelungen. Hier sind Sie mit ei- ner volkseigenen Keule zu Werke gegangen. Bis zu 10 Jahren Haft verlangen Sie – das ist ein maßloser Ge- brauch des Kriminalstrafrechts. Er verrät mehr über das staatsfixierte Autoritätsbild der PDS als über die eigentli- che Lösung des Problems. Merkwürdigerweise fehlt aber in Ihrem bombastischen Straftatenkatalog ein durchformulierter Vorschlag über die Aberkennung von Parlamentsmandaten. Das ist aber der eigentliche Ansatz, notorische Rechtsbrecher aus der Politik zur Gesetzestreue zu motivieren. Hier hätten Sie an § 47 des Bundeswahlgesetzes herangehen müssen, der aber einen Beschluss des Ältestenrates voraussetzt. Dieser Hinweis auf eine schwere, handwerkliche Lücke im vorgelegten Gesetzentwurf zeigt, dass – trotz der äußeren Form des Gesetzes – das Vorhaben insgesamt wenig ausgegoren ist. Das gilt auch für andere Formulie- rungen. Dennoch müssen wir als Parlament auch die hier vor- gelegten Vorschläge sorgfältig prüfen. Wir stehen ge- meinsam in der Pflicht, bald zu handeln und mehr Trans- parenz bei der Parteienfinanzierung zu schaffen. Damit können wir nicht bis zum Abschluss des Untersuchungs- ausschuss-Berichts warten. Die Mängel liegen auf dem Tisch und müssen zügig behoben werden. Dr. Max Stadler (F.D.P.): Der so genannte CDU-Par- teispendenskandal hat nicht nur rege Aufklärungs- bemühungen des entsprechenden Untersuchungsaus- schusses in Gang gesetzt, sondern auch eine Diskussion ausgelöst, in der nach Meinung der F.D.P. Antworten auf folgende drei Fragen gefunden werden müssen: Erstens. Besteht Anlass, die gesetzlichen Regeln über die Parteienfinanzierung zu ändern? Zweitens. Soll die repräsentative Demokratie verstärkt durch Elemente unmittelbarer Mitentscheidung der Bür- gerinnen und Bürger ergänzt werden? Drittens. Bildet das Parteiengesetz noch einen zeit- gemäßen Rahmen für die Weiterentwicklung der inner- parteilichen Demokratie? Alle drei Fragestellungen – Parteienfinanzierung, ple- biszitäre Elemente, innerparteiliche Demokratie – stehen unter einem Leitgedanken: Wie kann verlorenes Ver- trauen in die Parteien und in das politische System der Bundesrepublik Deutschland zurückgewonnen werden? Hinsichtlich der Parteienfinanzierung gibt es ja Ver- suche, durch Selbstbindung eine Wiederholung der skandalösen Vorgänge aus der Vergangenheit zu verhin- dern. Der CDU-Parteitag dieser Woche hat dazu durch- aus beachtliche Regelungen getroffen. Die F.D.P. meint, dass es entscheidend darauf ankommt, durch mehr Transparenz und bessere Kontrolle die Glaubwürdigkeit des Finanzgebarens der Parteien wiederherzustellen. Man muss wohl in die Richtung denken, dass es über die bestehenden Kontrollmechanismen hinaus noch eine zu- sätzliche, unabhängige Kontrolle der Parteifinanzen ge- ben sollte. Die ewig junge Diskussion über die richtige Ausfül- lung des Grundgesetzartikels, welcher eine Mitbestim- mung der Bevölkerung nicht nur durch Wahlen, sondern auch durch Abstimmungen verheißt, hat selbstverständ- lich durch den Parteispendenskandal neue Nahrung be- kommen. F.D.P.-Generalsekretär Guido Westerwelle hat mit seinem Aufsatz „Wider die Verkastung“ einen wichti- gen Denkanstoß gegeben. Die Stärkung der Bürgerbetei- ligung auf kommunaler und regionaler Ebene nach bayerischem Vorbild durch Direktwahl von Oberbürger- meister und Landrat, Einführung und Vereinfachung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden, Übertragung der erfolgreichen Modelle von Volksbegehren und Volksent- scheid auf alle Bundesländer sind nahezu selbstverständ- liche Forderungen. Aber auch eine vorsichtige Auswei- tung der direkten Demokratie auf Bundesebene darf kein Tabu mehr sein. Als Stichworte wären zu nennen: Volks- initiative, fakultatives Referendum nach Schweizer Mo- dell, Direktwahl des Bundespräsidenten. Schließlich muss die Mitarbeit in politischen Parteien attraktiver werden, indem die Regeln für die innerpartei- liche Demokratie ausgebaut werden. Dies ist freilich in erster Linie eine Aufgabe, die jede Partei unmittelbar für sich selbst lösen muss. Es gibt ja Erfahrungen mit Institu- ten wie Urwahl von Parteivorsitzenden, Begrenzung von Amtszeiten, Trennung von Ämtern und Mandaten. Nicht alle, die dies schon praktiziert haben, wollen solche Re- gelungen auf Dauer beibehalten. Das Parteiengesetz sollte so gestaltet sein, dass in einzelnen Parteien ein möglichst großer Gestaltungsspielraum bleibt, je nach den eigenen Erfahrungen und Wünschen die innerparteiliche Demo- kratie auszugestalten. Ob es insofern wirklich einer Än- derung der bestehenden gesetzlichen Bestimmungen be- darf oder ob das Parteiengesetz nicht ohnehin in dem von uns gewünschten Sinne offen genug ist, mag aus Anlass des vorliegenden Gesetzentwurfs in den Ausschussbera- tungen näher untersucht werden. Anlage 8 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner 750. Sitzung am 7. April 2000 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzu- stimmen, bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 Grundgesetz nicht zu stellen: – Gesetz zur Änderung des Ausländergesetzes – Gesetz zur Änderung des Übergangsgesetzes aus Anlass des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Handwerksordnung und anderer hand- werksrechtlicher Vorschriften – Gesetz zur Verlängerung der Geltungsdauer des Internationalen Kaffee-Übereinkommens von 1994 – Viertes Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Festlegung eines vorläufigen Wohn- ortes für Spätaussiedler Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. April 2000 9437 (C) (D) (A) (B) – Gesetz zur Änderung des Pass- und Personal- ausweisrechts – Gesetz zur Stabilisierung des Mitgliederkreises von Bundesknappschaft und See-Krankenkasse – Gesetz zum Schutz der Stromerzeugung aus Kraft-Wärme-Kopplung (Kraft-Wärme-Kopp- lungsgesetz) Zu dem letztgenannten Gesetz hat der Bundesrat die als Anlage beigefügte Entschließung gefasst. Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mit- geteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden EU-Vorla- gen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Parla- ment zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat. Ausschuss für Verkehr, Bau und Wohnungswesen Drucksache 14/272 Nr. 146 Drucksache 14/1276 Nr. 1.1 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- heit Drucksache 14/2609 Nr. 1.20 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. April 20009438 (C)(A) Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin 53003 Bonn, Telefon: 02 28/3 82 08 40, Telefax: 02 28/3 82 08 44 20
Gesamtes Protokol
Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1410000000
Guten Morgen, liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.

Interfraktionell ist vereinbart worden, die zweite und
dritte Beratung des Seuchenrechtsneuordnungsgesetzes
abzusetzen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Bernd
Reuter, Dieter Wiefelspütz, Dr. Peter Struck und
der Fraktion der SPD, den Abgeordneten
Wolfgang Bosbach, Friedrich Merz, Michael Glos,
und der Fraktion der CDU/CSU, den Abgeordne-
ten Volker Beck (Köln), Kerstin Müller (Köln),
Rezzo Schlauch und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN, den Abgeordneten Dr. Max
Stadler, Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion
der F.D.P. sowie den Abgeordneten Ulla Jelpke,
Dr. Gregor Gysi und der Fraktion der PDS einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung
einer Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und
Zukunft“
– Drucksache 14/3206 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Kultur und Medien

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache im Anschluss an die Redebeiträge des Bun-
deskanzlers, Gerhard Schröder, und des Beauftragten des
Bundeskanzlers, Otto Graf Lambsdorff, eineinviertel
Stunden vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann
ist es so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Bundes-
kanzler der Bundesrepublik Deutschland das Wort.


Gerhard Schröder (SPD):
Rede ID: ID1410000100
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem Ge-
setzentwurf, den wir heute in erster Lesung beraten, geben

wir endlich eine Antwort auf eine seit mehr als 50 Jahren
ungelöste Frage. Wir kommen damit einer Verantwortung
nach, die die deutsche Geschichte uns allen ganz unmiss-
verständlich aufgegeben hat. Es geht um die zunächst ganz
praktische Aufarbeitung eines der dunkelsten Kapitel un-
serer jüngeren Vergangenheit. Die Frage der Zwangsar-
beiter steht nicht etwa am Rande jenes furchtbaren Ge-
schehens, das unter dem Namen Holocaust weltweit zu ei-
nem Symbol für menschliche Barbarei geworden ist. Nein,
die Verschleppung und die Misshandlung von Zwangsar-
beitern stehen mit im Zentrum jener Verbrechen.

Bereits bevor die Nationalsozialisten den industriellen
Massenmord an den europäischen Juden und den An-
gehörigen von Minderheiten grausam vollzogen, waren
die Sklaven- und Zwangsarbeit schon Stützpfeiler der
Wirtschaftspolitik im NS-Staat. Denken wir daran, dass
viele Vernichtungslager, für die der Name Auschwitz stell-
vertretend steht, zunächst als Lager für Zwangsarbeiter
konzipiert waren, Lager, in denen Menschen durch Arbeit
vernichtet werden sollten. Wie es den Zwangsarbeitern in
den Lagern und Fabriken erging, wissen wir aus erschüt-
ternden Berichten derer, die die Qual überlebt haben: Hun-
ger, Misshandlungen, ja willkürliche Tötungen waren an
der Tagesordnung.

Wir müssen festhalten: Ohne Zwangsarbeit wäre das
verbrecherische NS-System nicht denkbar gewesen.
Schon deshalb ist es uns Deutschen eine historische Ver-
pflichtung, endlich eine gerechte finanzielle Regelung in
Kraft treten zu lassen,


(Beifall im ganzen Hause)

zumal es sich bei der großen Mehrzahl der NS-Zwangsar-
beiter um Menschen aus Mittel- und Osteuropa handelt,
um Menschen, die aufgrund der Teilung Europas anders
als die NS-Opfer in der westlichen Welt nie eine Mög-
lichkeit hatten, Leistungen nach unseren Wiedergutma-
chungsgesetzen zu erhalten.

Wir alle wissen, dass die finanziellen Hilfen das be-
gangene Unrecht, das zugefügte unermessliche menschli-
che Leid niemals wieder gutmachen können. Dennoch:
Wir sind moralisch verpflichtet, den Opfern zu helfen.
Das ist und war Konsens in Deutschland seit 1945. Dieser

9371


(C)



(D)



(A)



(B)


100. Sitzung

Berlin, Freitag, den 14. April 2000

Beginn: 9.00 Uhr

Konsens hat auch heute noch Bestand. Ich freue mich dar-
über, dass alle Fraktionen im Deutschen Bundestag den
Gesetzentwurf mittragen.


(Beifall im ganzen Hause)

Meine Damen und Herren, es geht aber nicht nur um

das Finanzielle. Es geht vor allem um das Wachhalten der
Erinnerung mit dem Ziel, eine Wiederholung der Verbre-
chen der Vergangenheit auf alle Zeit zu verhindern.

Der Name der Stiftung, die wir mit diesem Gesetzent-
wurf auf den Weg bringen wollen, ist ganz bewusst ge-
wählt: „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“. Es ist
dieser Dreiklang, der uns Leitmotiv sein muss beim Um-
gang mit unserer Geschichte. Verantwortung nehmen wir
wahr gegenüber den Opfern und ihren Angehörigen, aber
eben auch gegenüber künftigen Generationen.

„Erinnerung“ wurde gewählt, weil wir nie vergessen
dürfen, dass Auschwitz und die Barbarei des Nationalso-
zialismus keine Naturkatastrophe waren. Sie waren das
Werk gewöhnlicher Menschen, die Zug um Zug die ver-
brecherischen Pläne eines unmenschlichen Regimes um-
setzten. Wir können und wir dürfen uns nicht auf das ver-
bale Bekenntnis beschränken, solche Barbareien nicht
wieder geschehen zu lassen. Nein, wir müssen etwas da-
gegen tun, meine Damen und Herren.


(Beifall im ganzen Hause)

Das Wort Zukunft schließlich steht ebenfalls im Stif-

tungsnamen. Nur mit einem klaren Bewusstsein von der
Vergangenheit gibt es eine Zukunft, in der Menschlichkeit
und Zivilcourage das Miteinander bestimmen. Mit der Er-
richtung dieser Stiftung wollen wir also gerade keinen
Schlussstrich unter die Geschichte ziehen, ganz im Ge-
genteil.


(Beifall des Abg. Wolfgang Gehrcke [PDS])

Zu der überfälligen humanitären Geste der Gerechtigkeit
an die Opfer gehört auch das Versprechen, ihr Schicksal
nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.


(Beifall im ganzen Hause)

Dazu gehört ebenso die Verpflichtung, Hass, Rassismus
und Intoleranz in unserer Gesellschaft niemals wieder auf-
keimen zu lassen.


(Beifall im ganzen Hause)

Meine Damen und Herren, dass Holocaust und

Zwangsarbeit mitten in der so genannten zivilisierten Welt
möglich waren, zeigt uns: Eine aufgeklärte, eine freie, ei-
ne friedlich-tolerante Gesellschaft ist nie selbstverständ-
lich. Wir müssen sie immer und immer wieder aufs Neue
erringen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Das ist die zentrale Aufgabe der Stiftung „Erinnerung,
Verantwortung und Zukunft“.

Die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Arbeit der
Stiftung sind geschaffen. Bund und Wirtschaft stellen ei-
nen abschließenden Betrag von je 5Milliarden DM bereit,

insgesamt also 10 Milliarden DM. Ansprüche und Leis-
tungen können nur noch gegen die Stiftung geltend ge-
macht werden. Die US-Regierung wird in die laufenden
US-Klagen mit einem Statement of Interest eingreifen
und auch für die Beendigung der administrativen Maß-
nahmen Sorge tragen. Diese Positionen sind im vorlie-
genden Gesetzentwurf aufgenommen bzw. werden im ge-
planten deutsch-amerikanischen Regierungsabkommen
geregelt. Ich möchte in diesem Kontext übrigens unter-
streichen, dass Reparationsfragen für mich kein Thema
mehr sein können.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)


Lassen Sie mich auch den an der Stiftungsinitiative be-
teiligten Unternehmen meinen Respekt sagen. Es sind
mittlerweile über 1 000 Unternehmen. Zum Teil wurden
sie erst nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet und waren
daher in die Geschehnisse nicht verstrickt. Ich rufe im
Übrigen alle deutschen Unternehmen auf, sich an diesen
positiven Beispielen zu orientieren


(Beifall im ganzen Hause)

und als Folge dessen sich an der gemeinsamen Initiative
der deutschen Wirtschaft zu beteiligen.

Ich bin dankbar, dass der von der Bundesregierung am
22. März beschlossene Gesetzentwurf eine breite Mehr-
heit gefunden hat und zur Beschleunigung des Gesetzge-
bungsverfahrens von allen Fraktionen des Hauses auf den
Weg gebracht wird.

Ich danke allen beteiligten Personen, Organisationen
und Regierungen, die zur Lösung beigetragen haben. Al-
len voran danke ich meinem Beauftragten Otto Graf
Lambsdorff,


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der PDS)


der diese Aufgaben mit wirklich beispiellosem Einsatz,
mit untadeliger moralischer Integrität und durch eine klu-
ge und beharrliche Verhandlungsführung bewältigt hat.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der PDS)


Lassen Sie mich es so sagen: Damit haben Sie sich, ver-
ehrter Graf Lambsdorff, bleibende Verdienste für unser
Land erworben. Wir alle sind Ihnen dafür dankbar.


(Beifall bei der SPD, CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1410000200
Bevor ich dem nächs-
ten Redner das Wort erteile, möchte ich gerne die Bot-
schafter der Vereinigten Staaten und Polens, die an un-
serer heutigen Debatte teilnehmen, sehr herzlich be-
grüßen. Herzlich willkommen!


(Beifall)





Bundeskanzler Gerhard Schröder
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Nun erteile ich dem Beauftragten des Bundeskanzlers,
Otto Graf Lambsdorff das Wort.

Otto Graf Lambsdorff, Beauftragter des Bundes-
kanzlers für die Stiftungsinitiative Deutscher Unterneh-

(von Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P. mit Beifall begrüßt)

men! Meine Herren! Herr Bundeskanzler, vielen Dank für
Ihre anerkennenden Worte. Sie haben mich im Juli des
vergangenen Jahres beauftragt und ich habe diesen Auf-
trag ohne Zögern angenommen. Ich gehöre noch zu der
Generation, die die Nazizeit und den Krieg mitgemacht
hat. Es gibt im Leben Situationen, denen man sich stellen
muss, und diese gehörte für mich dazu.

Der Bundesminister der Finanzen hat mich gebeten, Ih-
nen diese ungewöhnliche Vorlage vorzustellen. 55 Jahre
nach dem Zweiten Weltkrieg und zum Ausklang des Jahr-
hunderts wird die Errichtung der Stiftung ein historischer
Schritt sein, weil sie zwischen den heute noch lebenden
ehemaligen Sklaven und Zwangsarbeitern und den Deut-
schen ein öffentliches Zeichen der Versöhnung setzen will.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P. sowie des Abg. Dr. Gregor Gysi [PDS])


Das Gesetzesvorhaben ist deshalb ungewöhnlich, weil
einerseits eine deutsche öffentlich-rechtliche Stiftung er-
richtet werden soll, andererseits parallel die Ergebnisse in-
tensiver internationaler Verhandlungen, vor allem zum
Thema Rechtsfrieden in den USA, umgesetzt werden
müssen. Herr Kollege Penner hat gestern in einem Inter-
view befürchtet, das Parlament werde nur noch als Notar
tätig sein können. Das ist – das wissen wir – ein ehren-
werter Beruf, Herr Penner. Aber ich denke, Ihre Rolle geht
schon ein bisschen weiter und muss auch ein bisschen
weiter gehen. Auf der anderen Seite haben Sie damit die
Besonderheit dieses Vorgangs hinsichtlich der parlamen-
tarischen Beratungen angesprochen. Das ist schon richtig.

Uns allen liegt am Herzen, dass noch Lebende in den
Genuss unserer Zuwendungen kommen. Etwa 1 Prozent
von ihnen stirbt in jedem Monat.

An den Verhandlungen haben Abgeordnete des Innen-
ausschusses dieses Hauses mitgewirkt. Sie haben die In-
teressen des Deutschen Bundestages aktiv zum Ausdruck
gebracht. Ich bedanke mich an dieser Stelle für diese hilf-
reiche Begleitung.


(Beifall im ganzen Hause)

Am 17. Dezember 1999 – in der siebten Verhandlungs-

runde – haben wir hier in Berlin eine erste Vereinbarung
erzielt: Bund und deutsche Unternehmen werden je zur
Hälfte die Bundesstiftung „Erinnerung, Verantwortung
und Zukunft“ mit einem Stiftungskapital von 10 Milliar-
den DM ausstatten. In der elften Verhandlungsrunde am
23. März 2000 – ebenfalls hier in Berlin – haben wir uns
auf die Aufteilung des Stiftungskapitals verständigt. Sie
können sich vorstellen, wie schwierig dies alles war.

Um so erfreulicher ist es, dass sowohl die Gesamthöhe
als auch das Verteilungsergebnis von allen Gesprächsteil-

nehmern ausdrücklich begrüßt und akzeptiert und nicht
nur – wie ich pessimistischerweise vorausgesagt hatte –
mit gleichmäßiger Unzufriedenheit hingenommen wurde.
Der größte Teil, nämlich etwa 8,1 Milliarden DM, aufge-
stockt um 50 Millionen DM durch Zinsen und – mögli-
cherweise – um 100 Millionen DM aus dem Schweizer
Bankenvergleich, ist für unmittelbare humanitäre Leis-
tungen an ehemalige Zwangsarbeiter bestimmt. Die Emp-
fänger leben mehrheitlich in Ost- und Mitteleuropa, aber
auch in anderen Teilen der Welt. Zu ihnen gehören auch
die KZ-Arbeiter, die dem Programm „Vernichtung durch
Arbeit“ unterlagen: Juden, Sinti, Roma und viele andere.

Die Stiftung wird mit jeder der sieben Partnerorgani-
sationen ein Abkommen schließen. Partnerorganisatio-
nen sind die Versöhnungsstiftungen in Warschau, Moskau,
Kiew und Minsk sowie der deutsch-tschechische Zu-
kunftsfonds in Prag, die Jewish Claims Conference in New
York und schließlich – wir sind in Gesprächen darüber –
das Internationale Komitee vom Roten Kreuz in Genf.
Darin werden die Leistungskriterien, die Auszahlungsmo-
di, die Kontrollen sowie die Verwaltungskosten eindeutig
festgelegt. Diese Bindungen sind selbstverständlich, weil
es auch um öffentliche Zuwendungen, um Mittel deut-
scher Steuerzahler geht.

Bei den für die Partnerorganisationen festgelegten Be-
trägen handelt es sich um Höchstbeträge, die nicht über-
schritten werden können. Verbleiben Restmittel, so unter-
liegt deren Aufteilung wiederum der Entscheidung des
Kuratoriums.

Der Betrag für Vermögensschäden in Höhe von 1Mil-
liarde DM – aufgestockt durch 50 Millionen DM Zinsen
aus den Unternehmensbeiträgen – hat mehrere Empfän-
ger: erstens eine neu zu bildende Kommission, die über
Einzelansprüche befinden wird, zweitens die Internatio-
nale Kommission für Holocaust-Versicherungsschäden
für unbezahlte und auch erbenlose Versicherungen und
schließlich drittens die Claims Conference für erbenlose
Arisierungsforderungen.

Ferner werden Mittel in Höhe von 700 Millionen DM
für den Fonds „Erinnerung und Zukunft“ bereitgestellt.
Damit sollen Projekte der Erinnerung an die Bedrohung
durch totalitäre Systeme, Völkerverständigung und
Jugendaustausch gefördert werden. Dieser Zukunfts-
fonds – der Herr Bundeskanzler hat das unterstrichen – ist
von besonderer Bedeutung für die deutsche Wirtschaft, für
die Bundesregierung, aber zum Beispiel auch für die Re-
gierung des Staates Israel. Mit ihm sollen Projekte geför-
dert werden, die an die Vergangenheit anknüpfen und über
unsere deutsche und europäische Vergangenheit hinaus in
die Zukunft weisen. Wer wollte angesichts der großen
Konflikte im Kosovo, in Tschetschenien sowie vieler klei-
nerer Konflikte an den Nahtstellen Europas bestreiten,
dass die Lehren aus dem letzten Jahrhundert europäischer
Geschichte an die nächsten Generationen weiterzugeben
sind?


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der PDS)





Präsident Wolfgang Thierse

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Ein ukrainischer Zwangsarbeiter, der in Norwegen oder
im Elsass gearbeitet hat, soll, falls er dies wünscht, die Ge-
legenheit erhalten, seine alte Arbeitsstelle zu besuchen
und mit möglichst vielen Menschen dort zu sprechen.

Aber schon wegen der in Amerika anhängigen Verfah-
ren müssen auch die konkreten Bedürfnisse der Überle-
benden und ihrer Erben besonders berücksichtigt werden.

Schließlich sind 200 Millionen DM für Verwaltungs-
kosten, aber auch für angemessene Zahlungen an die US-
Anwälte bestimmt, die unmittelbar an den Verhandlungen
beteiligt waren. Es gibt keine – wie gelegentlich befürch-
tet – Erfolgshonorare.

Meine Damen und Herren, die Stiftung hat eine histo-
rische Dimension: Wir können das Leid der ehemaligen
Sklaven und Zwangsarbeiter nicht wieder gutmachen. Wer
kann denn überhaupt sagen, welche Summe Geldes für ei-
nen KZ-Aufenthalt angemessen wäre? Aber wir können
mit der Errichtung der Stiftung zum Ausdruck bringen,
was Bundespräsident Rau am 17. Dezember 1999 sagte –
ich zitiere –:

... dass ihr Leid als Leid anerkannt und dass das Un-
recht, das ihnen angetan worden ist, Unrecht genannt
wird.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der PDS)


Meine Damen und Herren, es waren die NS-Organisa-
tionen der Reichsregierung, die so genannte „Fremdarbei-
ter“ für die NS-Kriegswirtschaft rekrutierten. Welche Rol-
le auch immer die deutsche Wirtschaft in der Zeit des Na-
tionalsozialismus spielte: Bei der Zwangsarbeit handelte
es sich primär um staatlich veranlasstes Unrecht. Die
Zwangsarbeiter dienten als Ersatz für Arbeitnehmer, die
zum Wehrdienst eingezogen worden waren. Es ist daher
richtig, dass sich Wirtschaft und öffentliche Hand ge-
meinsam an der Finanzierung der Stiftung beteiligen.

Ich halte es für eine gute Überlegung des Bundesfi-
nanzministers, zur Finanzierung des Bundesanteils an der
Stiftung auf solches Vermögen des Bundes zurückzugrei-
fen, das schon in der Vergangenheit durch frühere
Generationen erarbeitet worden ist. Es ist nicht einzuse-
hen, dass nur die Steuerzahler der heutigen Generation die-
se Last schultern.


(Beifall bei der SPD, der F.D.P. und der PDS sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich weiß mich mit der Bundesregierung und sicher auch
mit dem Bundestag darin einig, dass mehr als 55 Jahre
nach Kriegsende die Frage der Reparationen nicht mehr
neu gestellt wird. Der Bundeskanzler hat dazu das Nötige
gesagt.

Die Stiftung hat eine politische Dimension. Bei den Be-
troffenen handelt es sich zum überwiegenden Teil um
Menschen aus Ost- und Mitteleuropa: aus Polen, aus Russ-
land, aus der Ukraine, aus Weißrussland, aus der Tschechi-
schen Republik und aus anderen Ländern, also vor allem
um unsere osteuropäischen Nachbarn.

Die Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiter ist –
wie fälschlicherweise oft zu lesen war – keine nur jüdische
Überlebende betreffende Frage. Wir wollen mit den ost-
europäischen Ländern – wie auch mit der Jewish Claims
Conference – eine friedliche Zukunft gestalten und si-
chern. Es sollte daher auch unser politisches Interesse sein,
alle Hürden aus dem Wege zu räumen und den Überle-
benden eine humanitäre Geste des guten Willens und des
Friedens entgegenzubringen.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P. sowie des Abg. Dr. Gregor Gysi [PDS])


Die dritte, die wirtschaftliche Dimension betrifft in ers-
ter Linie unser Verhältnis zu den Vereinigten Staaten, un-
serem großen Handels- und Investitionspartner. Ich will
hier nicht auf die möglichen Folgen von Sammelklagen
oder Boykotts für unsere Wirtschaft eingehen, wenn wir
keine Lösung gefunden hätten oder fänden. Amerikani-
schen Anwälten fällt auf diesem Gebiet ziemlich viel ein.
Die deutsche Wirtschaft erhält auf der Grundlage der Stif-
tung die für ihre Aktivitäten in den USA erforderliche
Rechtssicherheit. Diese Rechtssicherheit berührt unmit-
telbar deutsche Exporte und Investitionen in Amerika. Da-
mit werden auch Arbeitsplätze in Deutschland gesichert.
Sie schützt schließlich auch die durch die Sammelklagen
gefährdeten deutsch-amerikanischen Beziehungen.

Die US-Regierung wird bei allen laufenden und künf-
tigen Verfahren gegen deutsche Unternehmen, die sich auf
die Verstrickung in NS-Unrecht beziehen, gegenüber den
Gerichten mit einem so genannten Statement of Interest
die Klageabweisung empfehlen. Sie wird den Gerichten
schreiben, dass es dem außenpolitischen Interesse der Ver-
einigten Staaten widerspricht, Sachverhalte gerichtlich zu
behandeln, die durch die Stiftung fair und angemessen ge-
regelt sind.

Eine hundertprozentige Rechtssicherheit wird es nicht
geben; aber im amerikanischen Rechtssystem hat die Be-
rufung der Regierung auf die Gewaltenteilung, auf ihre
„executive power“, für die Richter weitgehend bindende
Wirkung. Selbstverständlich erwarten wir auch von den
Regierungen der beteiligten mittel- und osteuropäischen
Staaten entsprechende rechtliche Zusicherungen.

Meine Damen und Herren, in den sehr schwierigen Ver-
handlungen war mein Partner der stellvertretende ameri-
kanische Finanzminister Stuart Eizenstat. Wir kennen
und schätzen uns seit vielen Jahren. Das hat geholfen. Er
ist ein Mann von hoher Kompetenz. Er hat zu dieser Lö-
sung entscheidend und ergebnisorientiert beigetragen. Wir
waren und sind uns darin einig, dass die Verteidigung der
Menschenwürde unser gemeinsames Fundament der
deutsch-amerikanischen Beziehungen und tragendes Mo-
tiv für die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zu-
kunft“ ist.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der PDS)


Deshalb haben wir zu keinem Zeitpunkt der Verhandlun-
gen die Überlebenden aus dem Blick verloren. Ich bin zu-
versichtlich, dass wir für die noch offenen Punkte eine




Otto Graf Lambsdorff
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faire Lösung finden. Ich bin auch zuversichtlich, dass uns
der hier anwesende Botschafter der Vereinigten Staaten,
John Kornblum, wie in der Vergangenheit – wofür ich
mich herzlich bedanke – dabei helfen wird.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)


Die deutsche Wirtschaft unternimmt eine respektable
Anstrengung. Ich danke dem Vorsitzenden des Lenkungs-
ausschusses der Stiftungsinitiative, Dr. Manfred Gentz,
für seinen engagierten Einsatz.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P. sowie des Abg. Dr. Gregor Gysi [PDS])


Es ist ärgerlich, dass auch Unternehmen, die sich an
der Stiftungsinitiative nicht beteiligen wollen, den von der
Stiftungsinitiative erreichten Rechtsfrieden erlangen. Lei-
der gibt es keine rechtlich durchsetzbaren Möglichkeiten,
die Problematik der so genannten Trittbrettfahrer befrie-
digend zu beantworten.

Ich will mich aber nicht nur beklagen. Ich will aus-
drücklich sagen, dass ich es höchst eindrucksvoll finde,
dass junge Unternehmen, die überhaupt nichts mit der Zeit
des Zweiten Weltkrieges zu tun haben, die erst vor weni-
gen Jahren gegründet worden sind, mir geschrieben haben
und gefragt haben: Wohin können wir etwas zahlen? Auch
wir wollen helfen.


(Beifall im ganzen Hause)

Es gibt viele Bürger im Lande, die mir positiv ge-

schrieben haben. Sie kennen es alle – ich habe es 26 Jah-
re lang erlebt –: Meistens bekommt man nur kritische
Briefe. Hier überwiegt bei weitem die Zahl der positiven
Briefe. Es sind handgeschriebene Briefe; mit einer Büro-
klammer ist ein 10-DM-Schein daran geheftet, mit der
Bemerkung: Das ist mein Beitrag. – All das ist eindrucks-
voll und erfreulich und sollte nicht übersehen werden.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der PDS)


Umso mehr appelliere ich an alle Unternehmen – die
deutsche Wirtschaft besteht eben nicht nur aus 1 000, die
sich jetzt beteiligen, sondern aus sehr viel mehr Unter-
nehmen –, ihre Gesamtverantwortung anzuerkennen und
sich der Stiftungsinitiative anzuschließen.


(Beifall im ganzen Hause)

Dieser Appell gilt besonders für die – von einigen bemer-
kenswerten Ausnahmen abgesehen – reichlich zögerliche
deutsche Bauindustrie.

Ich habe mich für die unterstützende Begleitung durch
die deutschen Medien zu bedanken. Ich bin befremdet
über die finanzielle Zurückhaltung der Medienkonzerne.


(Heiterkeit und Beifall)

Offenbar liest man in deren Vorständen die Kommentare
der eigenen Zeitungen nicht.


(Heiterkeit)


Meine Damen und Herren Abgeordneten, ich bitte Sie,
die Beratungen zügig vorzunehmen und der Gesetzesvor-
lage mit den eventuell noch erforderlichen Korrekturen –
die eine oder andere Korrektur wird sicherlich noch kom-
men – zuzustimmen. Eine breite, überparteiliche Zustim-
mung wird auch von allen betroffenen Staaten als politi-
sches Signal gesehen. Dann könnten noch in diesem Jahr
die Zuwendungen an diejenigen beginnen, um deren
Schicksal es hier schließlich geht. Die ehemaligen
Zwangsarbeiter werden es Ihnen danken.

Ich bedanke mich für Ihr Zuhören.

(Beifall im ganzen Hause)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1410000300
Sehr geehrter Graf
Lambsdorff, ich möchte Ihnen namens des ganzen Hauses
für Ihre geleistete Arbeit sehr herzlich danken.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der PDS)


Nun erteile ich dem Kollegen Friedrich Merz,
CDU/CSU-Fraktion, das Wort.


Friedrich Merz (CDU):
Rede ID: ID1410000400
Sehr geehrter Herr Prä-
sident! Meine Damen und Herren! Die Fraktionen des
Deutschen Bundestags bringen heute den Entwurf des Ge-
setzes zur Errichtung einer Stiftung „Erinnerung, Verant-
wortung und Zukunft“ auf den Weg der parlamentarischen
Beratung. Diese Stiftung ist ein Gemeinschaftswerk von
Politik und Wirtschaft in Deutschland. Wir alle, die Bun-
desrepublik Deutschland, vertreten durch ihre Gesetzge-
bungsorgane, und die deutsche Wirtschaft, stellen uns da-
mit einem außergewöhnlich schwierigen Thema und einer
Aufgabe, die zu lösen uns allen eine moralische Pflicht
und Verantwortung ist.

Ich möchte zunächst im Namen der CDU/CSU-Frakti-
on dem Verhandlungsführer auf deutscher Seite, dem
langjährigen Kollegen Dr. Otto Graf Lambsdorff, für sei-
ne Arbeit und für seine umsichtige und erfolgreiche Ver-
handlungsführung danken.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)


Seitdem Sie, Graf Lambsdorff, diese Aufgabe übernom-
men haben, wussten wir die Verhandlungen in guten Hän-
den.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Unser Dank gilt auch unserem Kollegen Wolfgang

Bosbach, der bei diesen Verhandlungen unsere Fraktion
vertreten hat.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, die CDU/CSU-Fraktion –

ich spreche hier ganz ausdrücklich auch im Namen unse-
res Kollegen Michael Glos, unseres ersten stellvertreten-
den Vorsitzenden – betrachtet das Anliegen der zu errich-
tenden Stiftung als notwendig und berechtigt. Es geht da-
rum, eine abschließende finanzielle Regelung zugunsten




Otto Graf Lambsdorff

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derjenigen zu treffen, die als ehemalige Zwangsarbeiter in
der Zeit des Nationalsozialismus und als Opfer von ande-
rem Unrecht Betroffene eines unmenschlichen Systems
waren, dessen Machthaber jeden Respekt vor der Würde
des Menschen verloren hatten. Wir alle wissen, dass die
Verletzungen an Leib und Seele, die erniedrigende Be-
handlung und die Missachtung der Menschenwürde, die
mit Zwangsarbeit, der Heranziehung von Kindern zu
schwerer körperlicher Arbeit, mit Deportationen sowie der
Bildung von Gettos und Konzentrationslagern verbunden
waren, mit Geld nicht wieder gutgemacht werden können.
Es kann uns deshalb heute auch nur um eine abschließen-
de finanzielle Regelung, nicht aber um einen Schlussstrich
unter die moralische Verantwortung gehen.


(Beifall im ganzen Hause)

Die Errichtung der Stiftung gibt uns Gelegenheit, gera-

de den jungen Menschen in unserem Land zu sagen, dass
zu ihrem Leben auch die Geschichte unseres Landes zählt.
Die großartigen Leistungen in Wissenschaft und Technik,
in Literatur und Philosophie, der wirtschaftliche Wohl-
stand und die umfassende soziale Sicherung gehören zu
unserer Geschichte, aber eben auch die dunklen Seiten der
Missachtung, Entrechtung und Entwürdigung von Men-
schen in der totalitären Diktatur des Nationalsozialismus.
Geschichte ist nicht teilbar. Keine Generation kann eine
Epoche der eigenen Geschichte für beendet erklären. Es
gibt eine Verantwortung aus der Geschichte, die für jede
Generation fortbesteht und die nicht vergehen darf, wenn
wir die Grundlagen unseres freiheitlichen Rechtsstaates,
nämlich Freiheit und Würde des Menschen, auch für die
Zukunft sichern und bewahren wollen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD und der PDS)


Dieser Verantwortung hat sich die Bundesrepublik
Deutschland seit ihrer Gründung im Jahre 1949 gestellt.
Seit der ersten Bundesregierung unter Konrad
Adenauer hat die Bundesrepublik Deutschland bis heute
mehr als 100 Milliarden DM Wiedergutmachungsleis-
tungen an rassisch, religiös oder weltanschaulich Ver-
folgte des NS-Regimes bereitgestellt, eine Leistung, die,
wie ich finde, in der Öffentlichkeit nicht immer ausrei-
chend wahrgenommen wird. Aber nicht zuletzt aufgrund
der Spaltung Europas haben die Betroffenen in den mittel-
und osteuropäischen Ländern bisher zu wenig Hilfe er-
halten. Dies gilt auch für diejenigen, die bis 1990 in der
DDR gelebt haben. Die Machthaber der DDR haben es
immer abgelehnt, auch für diesen Teil der gemeinsamen
deutschen Geschichte Verantwortung zu übernehmen.


(Markus Meckel [SPD]: So ist es!)

Die Regierung unter Helmut Kohl hat deshalb nach der
Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands
Wiedergutmachung geleistet, vor allem mit dem Ent-
schädigungsrentengesetz. Sie hat über die Versöhnungs-
stiftung bereits 1,5 Milliarden DM zur Verfügung gestellt,
die den Opfern in einigen mittel- und osteuropäischen
Staaten zugute gekommen sind.

Bei der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zu-
kunft“ geht es – wie es im Namen der Stiftungsinitiative

zum Ausdruck kommt – um Erinnern, um Verantwortung,
aber eben auch um einen wichtigen Beitrag für die Zu-
kunft. Neben der Entschädigung soll mit der Stiftung eine
dauerhafte Aufgabe begründet werden, die darin besteht,
dass insbesondere Projekte der Völkerverständigung, des
Jugendaustausches und der internationalen Zusammenar-
beit auf humanitärem Gebiet gefördert werden. Wir be-
grüßen dieses Anliegen der Stiftung in besonderer Weise
und hoffen, dass wir vor allem Jugendliche in Deutschland
gewinnen können, an den durch die Stiftung finanzierten
Projekten teilzunehmen und sich auf diese Weise der deut-
schen Geschichte zu stellen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich will nicht verhehlen, dass es in der CDU/CSU-
Bundestagsfraktion eine Reihe von Vorbehalten beim jet-
zigen Stand der Regelungen gibt, die im Laufe des Ge-
setzgebungsverfahrens ausgeräumt werden müssen. Es
gibt bis heute erheblichen Unmut in unserer Fraktion auch
deshalb, weil die Bundesregierung entgegen ihrer ur-
sprünglichen Zusage uns an der Abfassung des Gesetzes
eben nicht von Anfang an beteiligt hat, eine Form des Um-
gangs, Herr Bundeskanzler, die nicht in Ordnung war und
nicht in Ordnung ist.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Es sind eine Reihe von Fragen offen geblieben, die die

Bundesregierung in ihrer Verantwortung für das Gesetz
jetzt noch klären muss. Ich stelle diese Fragen: Wie kann
der Rechtsschutz vor weiteren Klagen tatsächlich
sichergestellt werden? Graf Lambsdorff, Sie haben auf
das deutsch-amerikanische Regierungsabkommen hinge-
wiesen. Ich schließe mich auch Ihrer Bewertung, Herr
Bundeskanzler, ausdrücklich an: Die Frage der Repara-
tionen ist nicht gestellt. Sie ist mit dem Londoner Schul-
denabkommen und letztendlich auch mit dem Zwei-plus-
Vier-Vertrag abgeschlossen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie des Abg. Markus Meckel [SPD])


Weitere Fragen lauten: Wie können Zwangsarbeiterin-
nen und Zwangsarbeiter aus Ländern, die nicht an den Ent-
schädigungsverhandlungen beteiligt waren, einbezogen
werden? Welche international tätige und auch internatio-
nal vertrauenswürdige Organisation kann für die Auszah-
lung der Entschädigungsleistungen an die Opfer gewon-
nen werden? Wie können wir schließlich sicherstellen,
dass die auszuzahlenden Stiftungsmittel auch tatsächlich
die Betroffenen erreichen, vor allem dann, wenn sie hoch-
betagt und in ärmlichen Verhältnissen leben? Diese und
weitere Fragen sind offen. Sie sehen, es gibt noch eine
ganze Reihe klärungsbedürftiger Punkte, die einer ab-
schließenden Regelung bedürfen.

Erlauben Sie mir zum Schluss, dass ich den Unterneh-
men in Deutschland, die sich der Stiftungsinitiative bisher
angeschlossen haben, auch von unserer Seite ein herzli-
ches Wort des Dankes sage.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Es sind Unternehmen dabei, die Zwangsarbeiter des eige-
nen Unternehmens bereits entschädigt haben und trotzdem




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der Initiative beigetreten sind. Es sind Unternehmen dabei,
die – darauf ist bereits hingewiesen worden – zum Teil erst
lange nach 1949 gegründet worden sind. Darunter sind
ganz junge Unternehmen mit ganz jungen Inhabern, Un-
ternehmen modernster Technologien und neuer Branchen,
die sich gleichwohl dem Anliegen der Stiftung, den Inte-
ressen unseres Landes und der historischen Verantwortung
verpflichtet fühlen.

Schließlich gibt es mittlerweile eine Vielzahl von Städ-
ten und Gemeinden sowie eine große Zahl von Einzelper-
sonen, die bereits größere und kleinere Beträge zur Verfü-
gung gestellt haben. Ihnen allen gilt unser herzlicher Dank.
Sie alle geben ein gutes Beispiel für diejenigen, die der Ini-
tiative noch nicht beigetreten sind.

So können wir gemeinsam zeigen, dass Deutschland
auch nach der Wiederherstellung der Einheit unseres Lan-
des und jetzt eben von Berlin aus unverändert in der mo-
ralischen Pflicht gegenüber denjenigen steht, die gelitten
haben und denen solches Unrecht widerfahren ist.

Ich habe zu Beginn gesagt: Wir stimmen dem Grund-
anliegen der Stiftung zu. Deshalb bringen wir den Gesetz-
entwurf mit ein. Ich stelle aber auch fest: Eine Reihe von
wichtigen Fragen – ich habe sie genannt – ist noch nicht
ausreichend geklärt ist. Die Verhandlungen, insbesondere
mit den Vereinigten Staaten von Amerika, dauern in eini-
gen wichtigen Punkten noch an; deswegen kann die ge-
meinsame Einbringung nicht schon jetzt unsere Zustim-
mung zur endgültigen Regelung bedeuten. Es geht uns
darum, dass die Ziele der Stiftung tatsächlich erreicht wer-
den.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Diese Stiftung, dieses Gesetz und die mit diesem Gesetz
noch abzuschließenden Verträge müssen einen wirklichen
Beitrag zu Frieden und Freiheit in Europa und darüber hi-
naus zur Versöhnung im 21. Jahrhundert leisten.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord neten der SPD und der F.D.P.)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1410000500
Ich erteile dem Kolle-
gen Bernd Reuter, SPD-Fraktion, das Wort.


Bernd Reuter (SPD):
Rede ID: ID1410000600
Herr Präsident! Meine sehr ver-
ehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst einmal
die drei im Stiftungsnamen enthaltenen Begriffe aufgrei-
fen: „Erinnerung, Verantwortung, Zukunft“. Die Erinne-
rung an das Unrecht, das in der NS-Zeit begangen wurde,
darf nicht mit denen sterben, die diese schreckliche Zeit
persönlich erlebt haben.

Verantwortung zu übernehmen bedeutet mehr als
schöne Worte in Sonntagsreden. Es bedeutet, aktiv Beiträ-
ge zur Versöhnung zu leisten, den Dialog zu suchen und
aufzuklären.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Verantwortung zu übernehmen bedeutet auch, Lehren aus
der Geschichte zu ziehen und sich für die Opfer von heu-
te einzusetzen. Unser Anliegen für die Zukunft muss sein,
dass die Opfer von gestern nicht in Vergessenheit geraten
und dass die uns nachfolgenden Generationen das Wissen
um deren Schicksal immer wieder zum Leitfaden ihres
Handelns machen. Mit der Entschädigung der NS-
Zwangsarbeiter nehmen wir unsere historische Verant-
wortung ernst. Entschädigung ist eine humanitäre Geste
der Entschuldigung an die Opfer und ein Zeichen an ihre
Herkunftsländer und an die Welt, dass sich Deutschland
für die eigene Vergangenheit verantwortlich zeigt.

Die Bundesregierung hat ihr Versprechen eingelöst.
Endlich liegt der Entwurf eines Gesetzes zur Errichtung ei-
ner Stiftung zur Entschädigung der NS-Zwangsarbeiter
vor. Damit wird eine langjährige Forderung der SPD
realisiert, die seit der 11. Legislaturperiode von der dama-
ligen Mehrheit im Deutschen Bundestag blockiert wurde.
Unser Hauptanliegen ist es, den noch lebenden ehemali-
gen Zwangsarbeitern – Schätzungen gehen von über
1 Million Menschen aus – schnellstmöglich eine Entschä-
digung zukommen zu lassen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der F.D.P. und der PDS)


Es geht uns auch darum, für deutsche Firmen Rechts-
frieden zu erlangen; das heißt, dass eventuelle Klagen ge-
gen deutsche Firmen nicht mehr von den Gerichten ange-
nommen werden. Den Firmen, die sich mit der Beteiligung
an der Stiftung ihrer historischen Verantwortung stellen,
möchte ich ausdrücklich den Dank der SPD-Bundestags-
fraktion aussprechen.


(Beifall bei der SPD)

Zugleich schließe ich mich auch dem Appell von Graf
Lambsdorff und des Bundeskanzlers an, dass die Firmen,
die noch abseits stehen, sich jetzt auch beteiligen und end-
lich das tun, wozu sie moralisch verpflichtet sind.

Bis zum Ende des Gesetzgebungsverfahrens Mitte die-
ses Jahres sollten die von der Industrie zugesagten 5 Mil-
liarden DM eingezahlt sein.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Entschädigung von NS-Zwangsarbeitern 55 Jahre
nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges ist überfällig. Sie
betrifft hochbetagte Opfer, von denen, statistisch be-
trachtet, jeden Monat ein Prozent sterben. Es ist also drin-
gend geboten, die zur Verfügung stehenden Mittel zügig
und unbürokratisch an die Opfer auszuzahlen.

Graf Lambsdorff hat schon darauf hingewiesen, dass es
bei diesem Gesetzgebungsverfahren aussergewöhnlich ist,
dass die Parlamentarier noch weniger als vielleicht sonst
Gestaltungsmöglichkeiten haben. Aber wir sind gehal-
ten, die Ergebnisse schwierigster Verhandlungen nun in
ein Gesetzgebungsverfahren einzubringen. Ich will aus-
drücklich auch denen danken, die bei den Verhandlungen
mitgewirkt haben, insbesondere auch meinen Kollegen
der anderen Fraktionen dieses Hauses, und ich will hier
auch meinen Kollegen Wolfgang Bosbach nennen, weil




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ich davon ausgehe, dass die breite Mehrheit, die heute bei
der Einbringung dieses Gesetzentwurfes festzustellen ist,
auch auf sein Engagement zurückzuführen ist. Schönen
Dank.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P.)


Meine Damen und Herren, wir haben zur Kenntnis zu
nehmen, dass 10 MilliardenDM die im Stiftungsvolumen
genannt sind, jeweils zur Hälfte vom Bund und von den
deutschen Unternehmen aufzubringen sind. Ich zitiere aus
einer Erklärung der an der Stiftung beteiligten Unterneh-
men:

Die Stiftungsmittel sollen als Geste der Versöhnung
am Ende dieses Jahrhunderts eingesetzt werden, um
zum einen Opfern des NS-Unrechts humanitär zu hel-
fen, zum anderen um Projekte zu fördern, die der
Völkerverständigung, der sozialen Gerechtigkeit, der
internationalen Zusammenarbeit auf humanitärem
Gebiet und dem Jugendaustausch dienen oder die die
Erinnerung an die Bedrohung durch totalitäre Un-
rechtsstaaten und Gewaltherrschaft wach halten.

Die Aufteilung der Mittel ist von Graf Lambsdorff
schon vorgestellt worden. Ich bin darüber erfreut und bin
der Meinung, dass es sich sehen lassen kann, dass
8,25 Milliarden DM unmittelbar und direkt den ehemali-
gen Zwangsarbeitern zugute kommen.

Auch die 700MillionenDM des Zukunftsfondsmöch-
te ich in den Blickpunkt rücken, weil ich der Auffassung
bin, dass hier – wie der Name schon sagt – für die Zukunft
ein Fonds eingerichtet wird, der segensreiche Wirkungen
entfalten soll, um solche Vorkommnisse, wie wir sie alle
nicht mehr erleben wollen, zu vermeiden, meine Damen
und Herren.


(Beifall bei der SPD, der und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei den Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Mitte dieser Woche waren bereits 1 123 Firmen der
Stiftung beigetreten und ich erwarte auch, dass sich die
Bundesländer hier engagiert beteiligen und mithelfen,
diesen Fonds auszugestalten. Auch wenn heute die Bun-
desratsbank etwas spärlich besetzt ist, gehe ich davon aus,
dass die Länder trotzdem willens und bereit sind, sich hier
zu engagieren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der Kollege Merz hat zu Recht auf die Leistungen hin-
gewiesen, die die Bundesrepublik bereits seit 1947 er-
bracht hat. Es sind über 100 Milliarden DM. Man muss
natürlich diese riesige astronomische Summe auch einmal
ins Verhältnis zu den unsäglichen, unbeschreiblichen Fol-
gen eines verbrecherischen Regimes setzen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Walter Hirche [F.D.P.])


Ich will noch ganz kurz einige Anmerkungen zur Ge-
schichte dieser Stiftung machen. Der Anstoß kam ja
durch eine Klage von 21 Zwangsarbeiterinnen vor dem

Landgericht Bonn im Jahr 1997 und den Sammelklagen
gegen führende deutsche Unternehmen in den USA. Dann
wurde am 16. Februar diese Stiftungsinitiative der deut-
schen Wirtschaft ins Leben gerufen. Ich will hier auch
deutlich hervorheben, meine Damen und Herren, dass
Bundeskanzler Gerhard Schröder der Initiator und Motor
dieses Prozesses war.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Auch ihm gebührt Dank für sein Engagement, denn ohne
seine zupackende Art wären wir heute nicht in der Lage,
hier im Deutschen Bundestag einen solchen Gesetzent-
wurf zu debattieren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des (BÜNDNISES 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)


Es war vernünftig und klug, dass diese Verhandlungen
von Anfang an durch Parlamentarier des Deutschen Bun-
destages begleitet wurden. Ich verstehe, Herr Kollege
Merz, eigentlich Ihre Kritik nicht ganz, wenn Sie sagen,
dass hier im Gesetzgebungsverfahren die CDU/CSU-
Fraktion benachteiligt wurde.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Wir sind nicht beteiligt gewesen, anders als zugesagt!)


Ich bin der Meinung, dass das, was bisher gemacht wur-
de, zum Beispiel die Beteiligung derParlamentarier, bei
früheren Regierungen in dieser Form nicht üblich war.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir haben deshalb jetzt die Möglichkeit, Ihre Probleme
und Bedenken in die Beratungen einzubeziehen.

Nicht zuletzt dank des großen Verhandlungsgeschicks
von Otto Graf Lambsdorff sind wir nach vielen, oft zähen
Gesprächsrunden nun endlich dem Ziel greifbar nahe. Ich
will für die SPD-Bundestagsfraktion die Gelegenheit nut-
zen, dem ehemaligen Kollegen Otto Graf Lambsdorff
noch einmal herzlich zu danken. Ich bin überzeugt davon,
dass nur er mit der ihm eigenen Art manche Wahrheiten
sagen konnte, die man einem sozialdemokratischen Ver-
handlungsführer vielleicht angelastet hätte.


(Beifall bei der SPD und der F.D.P.)

Der nun vorliegende Gesetzentwurf beinhaltet das Ergeb-
nis dieser Verhandlungen.

Ich möchte an dieser Stelle auch meine Freude darüber
zum Ausdruck bringen, dass der Bundestag bei der Lösung
dieser schwierigen Problematik hier Einigkeit demons-
triert. Nachdem sich nun auch die CDU/CSU-Fraktion am
Mittwoch dieser Woche dazu entschlossen hat mitzuwir-
ken und damit alle Fraktionen gemeinsam diesen Gesetz-
entwurf einbringen, appelliere ich an Sie, Herr Merz, und
Ihre Fraktion: Helfen Sie mit, dass auch bei der Schluss-
abstimmung hier eine gemeinsame Entscheidung getrof-
fen wird und wir dieses Gesetzeswerk mit breiter Mehrheit
vollenden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der F.D.P. und der PDS)





Bernd Reuter
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(C)



(D)



(A)



(B)


Ich appelliere an uns alle, die Beratungen in den Aus-
schüssen nun zügig voranzubringen, damit wir das Ge-
setzgebungsverfahren noch vor der Sommerpause ab-
schließen können. Denn es muss unser aller Ziel sein, dass
die Opfer noch in diesem Jahr Entschädigungszahlungen
erhalten.

Unsägliche Leiden und unsägliches Unrecht wurde von
Deutschen Millionen Menschen zugefügt. Eine wirkliche
Wiedergutmachung kann es nicht geben. Wie sollten Tod,
Folter, Hunger und Erniedrigung je wieder gutgemacht
werden können? Diese Stiftung hat nicht den Zweck, un-
ser Gewissen endgültig freizukaufen. Sie dient dazu, das
Leid der Opfer anzuerkennen.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der F.D.P. und der PDS sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Mit der Errichtung der Stiftung „Erinnerung, Verant-
wortung und Zukunft“ setzen wir heute nochmals ein Zei-
chen der Wahrnehmung unserer moralischen Verantwor-
tung für die schrecklichen Geschehnisse während der NS-
Zeit. Sie kann und darf jedoch nur eine von vielen
Bemühungen sein, mit denen wir unsere Verantwortung
für das, was gestern geschah, heute aktiv wahrnehmen.

Schönen Dank.

(Beifall im ganzen Hause)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1410000700
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Volker Beck, Bündnis 90/Die Grünen.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1410000800

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Auseinan-
dersetzung mit der Periode des Nationalsozialismus lässt
uns, den Deutschen Bundestag, und die Bevölkerung nicht
los. Trotz zahlreicher Schlussstrichversuche, trotz des Ver-
suches in den 60er-Jahren, mit dem BEG-Schlussgesetz
das Kapitel Entschädigungen für NS-Unrecht abzu-
schließen, beschäftigt sich der Bundestag immer wieder
mit der Frage: Haben wir alles Unrecht auch wirklich als
Unrecht verurteilt und erkannt? Haben wir allen Opfern
des Nationalsozialismus durch Entschädigungszahlungen
wenigstens geholfen? Es handelt sich um einen schmerz-
haften, nicht abgeschlossenen Prozess der Erkenntnis.

Versöhnung kann nur auf der Basis der Anerkenntnis
von Schuld und der Übernahme der Verantwortung für die-
se Schuld erwachsen. Deshalb ist der heutige Tag ein
wichtiger, ein historischer Tag. Der Bundestag erkennt das
verbrecherische nationalsozialistische Zwangsarbeiter-
programm als Unrecht an. Wir legen heute den Grundstein
für materielle Hilfe für die noch lebenden Zwangsarbei-
ter – für viele Opfer, die in den letzten Jahrzehnten ver-
storben sind, leider zu spät.

Unsere Fraktion kämpft nun schon seit 15 Jahren da-
rum, gerechte Lösungen für alle NS-Opfer zu finden, die
in den letzten Jahrzehnten durch die großen Maschen des
deutschen Entschädigungsrechtes gefallen sind. Die größ-
te Gruppe dieser Opfer sind die ehemaligen Zwangsarbei-
ter und die NS-Opfer, die hinter dem vormals Eisernen
Vorhang leben. Nun haben wir es erreicht, dass auch für

diese Opfer endlich eine angemessene Lösung in Sicht ist.
Der Kampf darum war lang und hart – vor allem für die
Organisationen und die Opfer. Als Gegner einer finanziel-
len Regelung dieser Fragen hatte man jahrzehntelang nicht
bloß eine zahlungsunwillige und verantwortungslos agie-
rende Industrie, auch die früheren Bundesregierungen und
die deutschen Gerichte wiesen Rechtsansprüche der Op-
fer und auch nur eine moralische Verantwortung Deutsch-
lands zurück. Fast alle Klagen wurden abgewiesen.

In dieser Wahlperiode hat der Bundestag die Chance,
die Zwangsarbeit als das anzuerkennen, was sie war:
schweres nationalsozialistisches Unrecht. Millionen von
Menschen wurden deportiert, wie Tiere gehalten, in KZs
und Lager gepfercht, ausgebeutet, unzureichend ernährt,
geschlagen und mit einem fürchterlichen Strafsystem
überzogen. Gerade bei den vom NS-Regime als „Unter-
menschen“ bezeichneten Juden, Sinti und Roma und den
Angehörigen der slawischen Völker hat sich das NS-Re-
gime ein grausames Konzept von Ausbeutung, Diskrimi-
nierung und nicht selten Vernichtung durch Arbeit ausge-
dacht. Nur wenn wir dieses Unrecht als NS-Unrecht aner-
kennen, geben wir diesen Menschen ihre Würde wieder.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS sowie des Abg. Ulrich Heinrich [F.D.P.])



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1410000900

Ich gedenke heute aller, die unter deutscher Herr-
schaft Sklavenarbeit und Zwangsarbeit leisten muss-
ten, und bitte im Namen des deutschen Volkes um
Vergebung. Ihre Leiden werden wir nicht vergessen.

Mit diesem Gesetz macht sich der Deutsche Bundestag
diese Auffassung zu Eigen. Wir von Bündnis 90/Die Grü-
nen haben nie akzeptiert, dass sich Deutschland so lange
geweigert hat, das Unrecht der Zwangsarbeit als NS-Un-
recht anzuerkennen. Wir konnten uns auch nicht damit ab-
finden, dass die vom NS-Regime deportierten und ausge-
beuteten Menschen mit dem Hinweis auf Reparationsfra-
gen auf den Sankt-Nimmerleins-Tag vertröstet wurden.
Mit dem heutigen, gemeinsam von allen Fraktionen des
Deutschen Bundestages getragenen Gesetzentwurf stellen
wir fest: Zwangsarbeit war NS-Unrecht, und die Opfer ha-
ben einen Anspruch auf eine materielle Genugtuung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Erst mit Rot-Grün wurde eine Neuorientierung der Po-
litik der Bundesregierung eingeleitet. Unsere Fraktion hat
erreicht, dass in der Koalitionsvereinbarung folgender
Satz aufgenommen wurde:

Die neue Bundesregierung wird eine Bundesstiftung
„Entschädigung für NS-Unrecht“ für die „vergesse-
nen Opfer“ und unter Beteiligung der deutschen In-
dustrie eine Bundesstiftung „Entschädigung für NS-
Zwangsarbeit“ auf den Weg bringen.

Wir sind nun dabei, dieses zweite, wichtigste Projekt un-
seres Versprechens an die NS-Opfer umzusetzen. Mit der
Entschädigung der Zwangsarbeiter und Sklavenarbeiter
kommen Staat und Industrie ihrer historischen Ver-
pflichtung nach. Wenn wir ehrlich sind, müssen wir




Bernd Reuter

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(C)



(D)



(A)



(B)


festhalten, dass die deutsche Industrie – ich sehe von eini-
gen Betrieben wie VW bewusst ab, die sich in den letzten
Jahren vorbildlich verhalten haben – ohne politisch und fi-
nanziell motivierten Druck, ohne die in den USA einge-
reichten Sammelklagen kollektiv nicht bereit gewesen wä-
re, ihre moralische Verantwortung zu erkennen und danach
zu handeln. Eine rechtliche Verantwortung, eine Pflicht
zur Zahlung an die ehemaligen Zwangsarbeiter lehnt die
Industrie ja weiterhin ab. An dieser Stelle darf ich wenigs-
tens am Rande vermerken, dass unsere Fraktion diese
Rechtsposition stets anders beurteilt hat.

Festzuhalten bleibt gleichwohl: Die nun geplante Bun-
desstiftung erfüllt moralische, nicht im strengen Sinne
rechtliche Ansprüche - aus der Sicht vieler Opfer ist das
aber zumeist auch egal –, und nicht nur das: Durch die Öff-
nung der Stiftung über etwaige Rechtsverpflichtungen
hinaus wird es gelingen, auch diejenigen Opfer zu berück-
sichtigen, die bei Arbeitgebern beschäftigt waren, die heu-
te gar nicht mehr existieren. Das ist eine außerordentlich
wichtige Regelung, die vielen Opfern überhaupt erst er-
möglicht, eine Leistung zu erhalten. Deshalb ist die Soli-
daraktion der deutschen Wirtschaft und des deutschen
Staates auch in moralischer Hinsicht sehr zu begrüßen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der F.D.P.)


Die Konzeption dieses Stiftungsgesetzes steht am En-
de langer Verhandlungen und langer Auseinanderset-
zungen. Nicht selten drohte zwischenzeitlich ein Schei-
tern dieses Projektes. Ich bin froh, dass wir alle zusammen
durchgehalten haben – um der Opfer willen. Unser Dank
geht auch an Otto Graf Lambsdorff, der geholfen hat, vie-
le Stolpersteine aus dem Weg zu räumen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Wenn wir uns an die Ausgangsposition von 1998 erin-
nern – Ausschluss der osteuropäischen Opfer, finanzielles
Angebot von 1 Milliarde DM –, dann müssen wir sagen,
dass wir wirklich gut vorangekommen sind. Heute ist völ-
lig klar: Es gibt keine Diskriminierung nach Wohnsitz in
Ost oder West, keine Diskriminierung aufgrund der Reli-
gionszugehörigkeit. Entschädigung erfolgt allein aufgrund
der Schwere des Verfolgtenschicksals. Das ist eine faire
und gerechte Lösung.

Ich bin zufrieden, dass wir, die viele Vorschläge und
Vorentwürfe auch aus den Reihen unserer eigenen Regie-
rung kritisiert hatten –, nun sagen können: Wir stehen hin-
ter diesem Gesetzentwurf. Er wird im Laufe des
Gesetzgebungsverfahrens vielleicht noch einige kleine
technische Korrekturen erfahren, aber er wird der histori-
schen Wahrheit und der historischen Schuld gerecht. Die
Ergebnisse der internationalen Verhandlungen über die
Mittelverteilung werden in diesen Entwurf ebenfalls
noch eingearbeitet werden. Ich komme darauf später
zurück.

An dieser Stelle möchte ich festhalten: Der Gesetzent-
wurf sieht entgegen früheren Vorlagen vor, dass die An-
rechnung von bereits nach dem Bundesentschädigungs-

gesetz erhaltenen Leistungen für Gesundheitsschäden ent-
fällt, dass die Beschränkung aufgehoben wird, wonach
nur die Opfer von Zwangsarbeit, die nach Deutschland in
den Grenzen von 1937 deportiert worden sind, Entschädi-
gungen erhalten. Heute reicht es aus, dass man in einen
von Deutschland besetzten Staat verschleppt wurde.

Ich stelle weiterhin fest, dass das wirklichkeitsfremde
Haftkriterium entfallen ist. Auch Menschen, die unter
haftähnlichen Bedingungen oder unter vergleichbar
schweren Bedingungen leben mussten, haben einen
Leistungsanspruch. Die Opfer von Arbeitserziehungsla-
gern werden entweder wie Konzentrationslagerhäftlinge
behandelt oder sie erhalten zumindest die gleichen Leis-
tungen wie die Industriezwangsarbeiter.

Es ist uns gelungen, durch eine Kompromissformel
auch die Zwangsarbeiter in der Landwirtschaft einzube-
ziehen, wenn auch mit einem niedrigeren Betrag und
durch die Partnerorganisation administriert. Wir stellen
fest, dass die Deportation von Zwangsarbeitern in die
deutsche Landwirtschaft ebenfalls Unrecht war. Wenn
man sich die rassistischen Begleitgesetze dieser Zeit an-
schaut, dann ist klar, dass man sich für dieses Unrecht ge-
nauso entschuldigen und die Schuld anerkennen muss wie
bei den anderen Zwangsarbeitern auch.

Es ist uns gelungen, die Vertreter der Sinti und Roma
in das Kuratorium zu integrieren und deutlich zu machen,
dass dieses kein Schlussstrichgesetz für alle weiteren For-
derungen im Zusammenhang mit dem NS-Unrecht ist. Die
individuelle Verzichtserklärung der Opfer, die hier Ent-
schädigungen bekommen, erstreckt sich nicht auf zukünf-
tige gesetzliche Neuregelungen.

Es ist uns weiterhin gelungen, in dem Prozess der Ver-
handlungen und in den Diskussionen über den Gesetzent-
wurf die Priorität eindeutig auf die Entschädigung für die
Opfer zu legen. Bei aller Verantwortung für die Zukunft,
die wir auch außerhalb dieses Stiftungsprojektes wahr-
nehmen müssen, muss klar sein: Das Geld, das hier zur
Verfügung steht, steht zuallererst den Opfern des Zwangs-
arbeiterprogrammes zu.

Trotz aller deutschen Gründlichkeit werden wir eine
wenig bürokratische Regelung haben. Es ist richtig, dass
wir festgestellt haben: Zum Nachweis der Zwangsarbeit
sollen Einträge aus dem Archiv von Bad Arolsen ausrei-
chen. Wir werden keine komplizierten Anerkennungsver-
fahren haben.

Wir stellen in unseren Gesprächen mit den Opferver-
bänden, den internationalen und den in unserem Land täti-
gen, fest, dass der Gesetzentwurf nun vielfach Unterstüt-
zung findet, auch wenn im Detail Nachbesserungen ge-
fordert werden. Wir werden fraktionsübergreifend ein
Verfahren finden, wie wir im Rahmen der Ausschussbera-
tungen weiterhin den Sachverstand dieser Verbände nut-
zen können, um das Gesetz wirklich in all seinen Bestim-
mungen und Verfahren zu optimieren. Dabei ist Gerech-
tigkeit die Grundlage und zügige Auszahlung an die
Betroffenen das Ziel.

Nach den Verhandlungen kommt die Mühe des Geset-
zes, nach dem Gesetz die Mühe der Verteilung der Mittel
an die Opfer. Hier bestehen nach wie vor ernst zu




Volker Beck (Köln)

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(C)



(D)



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(B)


nehmende Probleme, die wir im Rahmen des Gesetz-
gebungsverfahrens lösen müssen. Ich nenne hier nur drei
zentrale Problembereiche.

Erstens, Verhandlungen haben es manchmal an sich,
dass man sich einigt, manchmal auch zulasten Dritter. Es
ist die Aufgabe des Parlaments, Gerechtigkeit für alle
Opfer in gleicher Lage ohne Ansehen des Wohnsitzes si-
cherzustellen. Wir haben mittlerweile die ernste Sorge, ob
die für den „Rest der Welt“ vorgesehenen Mittel in Höhe
von 800 Millionen DM aus der Industrie und dem öffent-
lichen Sektor für die nicht jüdischen KZ-Häftlinge und die
deportierten Zwangsarbeiter wirklich ausreichen. Wir
müssen verhindern, dass sich nun das von Graf Lambs-
dorff gelöste Problem erneut stellt, dieses Mal aber in um-
gekehrter Lesart. Wir können nicht zulassen, dass KZ-
Häftlinge im Westen eine geringere Leistung als die Be-
troffenen im Osten erhalten.

Zweitens, die Verhandlungen mit den USA über ein
Abkommen zur Herstellung von Rechtssicherheit sind
alles andere als in trockenen Tüchern. Wir können uns aber
nicht leisten, dass es noch ein Aufsatteln bei den
Vermögensansprüchen gibt, und erst recht nicht, dass wir
ein Präjudiz für Reparationsansprüche schaffen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Wenn die Stiftung solche Ansprüche befriedigen soll, wird
dies zunehmend zulasten der KZ-Häftlinge und Zwangs-
arbeiter gehen. Das findet unsere Unterstützung definitiv
nicht.


(Markus Meckel [SPD]: So ist es!)

Die Frage der Rechtssicherheit ist der Schlussstein zu

diesem Entschädigungswerk. Ich fordere die amerikani-
sche Seite auf, hier schnell ihren Teil zu diesem Entschä-
digungswerk zu leisten und nicht durch komplizierte
Rechtsdiskussionen den Abschluss weiter hinauszuzö-
gern. Die deutsche Bundesregierung und die deutsche In-
dustrie haben alles getan, was möglich ist, damit es zu ei-
ner schnellen Leistung an die Opfer kommt. Auch der
Bundestag ist, denke ich, bereit, das Notwendige zu tun.
Nun ist es an der amerikanischen Seite, den letzten Bau-
stein einzubringen, damit wir noch in diesem Jahr zur Aus-
zahlung an die Opfer kommen.

Wir müssen uns sehr genau überlegen, wie die Verfah-
ren optimiert werden können, damit bei den Partnerorga-
nisationen nicht das Problem entsteht, dass unterschiedli-
che Beträge ausbezahlt werden.

Ein letzter Appell noch an die deutsche Industrie:Wir
danken alle gemeinsam den Unternehmen, die hier Ver-
antwortung übernommen haben. Aber das Ansehen der
deutschen Industrie hängt auch daran, dass die zugesagten
5Milliarden DM auf den Tisch kommen. Wir sind erst bei
einem Betrag zwischen 2 und 3 Milliarden DM; es fehlen
noch über 2 Milliarden DM. Ich fordere die Industrie auf,
alles dafür zu tun, dass vor Beendigung des Gesetz-
gebungsverfahrens das Geld zur Verfügung steht, damit
wir es umgehend an die Opfer auszahlen können. Ich glau-

be, es ist unsere gemeinsame Verantwortung, dass es hier
keine weitere Verzögerung gibt.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der F.D.P. und der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1410001000
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Max Stadler, F.D.P.-Fraktion.


Dr. Max Stadler (FDP):
Rede ID: ID1410001100
Herr Präsident! Meine sehr
geehrten Damen und Herren! Mit dem Prädikat „histori-
sches Ereignis“ sollte man sparsam umgehen. Aber es ist
doch zu erwarten, dass diesem Gesetzgebungsverfahren
zur Errichtung einer Stiftung „Erinnerung, Verantwortung
und Zukunft“ einmal ein solcher Rang zugemessen wer-
den wird.

Alle Fraktionen des Deutschen Bundestages bekennen
sich mit einem gemeinsamen Gesetzentwurf zur ge-
schichtlichen Verantwortung. Endlich wird es eine hu-
manitäre Geste in Form finanzieller Zuwendungen an die
vom nationalsozialistischen Deutschland geknechteten
und versklavten Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter
geben. Zugleich wird mit einem Zukunftsfonds dazu bei-
getragen werden, dass sich ein solches Unrecht nie mehr
wiederholen möge.

Entscheidend dafür, dass dieser Gesetzentwurf hier ein-
gebracht werden konnte, ist nach meiner Auffassung die
Tatsache, dass endlich eine rein juristische Betrachtungs-
weise verlassen worden ist.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)


Der jahrzehntelange Streit um die Frage, ob es wirklich
rechtlich und nicht nur moralisch begründete Ansprüche
gebe, ob dafür die öffentliche Hand oder die private Wirt-
schaft hafte, ob schon Verjährung eingetreten sei oder
nicht – all diese juristischen Streitpunkte drohten die In-
teressen der Opfer endgültig in den Hintergrund treten zu
lassen. Diese Blockade musste überwunden werden.

Der Bundeskanzler und die neue Koalition waren daher
gut beraten, mit der Stiftungsinitiative der deutschen
Wirtschaft den Verhandlungsprozess in Gang zu setzen.
Dies ist ausdrücklich anzuerkennen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD und BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Fraktionen des Deutschen Bundestages waren gut
beraten, die Verhandlungen positiv zu begleiten. Dies ist
bei den ausländischen Verhandlungspartnern mit großer
Aufmerksamkeit registriert worden, weil dadurch zum
Ausdruck gebracht worden ist, dass es nicht nur um ein
Anliegen der Bundesregierung oder der Wirtschaft geht,
sondern um eines des gesamten deutschen Parlamentes.

Im Zuge dieser Verhandlungen gab es mit den Kolle-
ginnen und Kollegen, die daran beteiligt waren, wie
Dieter Wiefelspütz, Bernd Reuter, Wolfgang Bosbach,




Volker Beck (Köln)


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(C)



(D)



(A)



(B)


Volker Beck und Ulla Jelpke, ein gemeinsames, kollegia-
les, informelles Arbeiten und Diskutieren an den jeweili-
gen Zwischenentwürfen. Dies hat den Entwürfen aus mei-
ner Sicht gut getan. Das jetzige Ergebnis weist gegenüber
den Ursprungsansätzen viele Verbesserungen auf.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der Bundeskanzler schließlich war sehr gut beraten, als
er Graf Lambsdorff beauftragt hat, für die deutsche Sei-
te die schwierigen und komplizierten Verhandlungen zu
führen. Graf Lambsdorff, Ihnen sind heute von den ande-
ren Rednern schon viele Lorbeeren für Ihren großen per-
sönlichen Einsatz geflochten worden. Dem schließt sich
die F.D.P.-Fraktion selbstverständlich an.


(Beifall bei der F.D.P. und der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich möchte noch eine persönliche Bemerkung an-
schließen. Wer bei den Verhandlungen dabei war, hat ge-
spürt, dass es Graf Lambsdorff – vielleicht entgegen sei-
nem landläufigen Image – nicht nur um wirtschaftliche In-
teressen, sondern auch und vor allem um die Interessen der
Opfer gegangen ist.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, niemand verkennt – dies
muss auch gar nicht verschwiegen werden –, dass der in
den USA durch Sammelklagen erzeugte Druck, der dro-
hende Imageverlust für die deutsche Wirtschaft, die nicht
unbegründete Furcht vor administrativen Hindernissen bei
wirtschaftlicher Betätigung auf dem amerikanischen
Markt unmittelbarer Anlass dafür gewesen sind, nach so
langer Zeit die Frage der Zwangsarbeiterentschädigung
endgültig lösen zu wollen. Es ging bei diesen Verhand-
lungen um Exportchancen für die deutsche Wirtschaft und
damit um Arbeitsplätze im Inland. Dies zu erwähnen ist le-
gitim.

Umso mehr ist es die Aufgabe der Politik, die huma-
nitäre Dimension des Vorgangs herauszustellen. Eine
wirkliche Entschädigung für das erlittene Leid ist nicht
möglich. Wenigstens gegenüber den Überlebenden mit ei-
ner kleinen humanitären Geste zum Ausdruck zu bringen,
dass sich Deutschland der Schuld und der Verantwortung
bewusst ist, das ist der entscheidende Aspekt dieses unge-
wöhnlichen Gesetzgebungsverfahrens.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Ungewöhnlich ist das Gesetzgebungsverfahren auch,
weil der wesentliche Inhalt des Stiftungsgesetzes in inter-
nationalen Verhandlungen schon vorgegeben worden ist.
Der Deutsche Bundestag ist gleichwohl souverän bei der
endgültigen Ausgestaltung des Stiftungsgesetzes. Die am
23.März in Berlin erzielte Einigung wird aber unverändert
Kerninhalt dieses Gesetzes sein.

Es gibt jedoch noch Gestaltungspielraum im Detail. Es
besteht auch noch Bedarf an einer gründlichen Erörterung
der Einzelheiten, nach Meinung der F.D.P.-Fraktion auf

der Grundlage einer Anhörung im federführenden Innen-
ausschuss. Die gemeinsame Einbringung des Gesetz-
entwurfs bedeutet ja nicht, dass damit jede einzelne Be-
stimmung bereits unveränderlich feststünde. Ich nenne
beispielhaft folgende Fragen, über die in den Aus-
schussberatungen noch gesprochen werden muss.

Erstens. Wie kann das Volumen für die Opfer aus dem
so genannten Rest der Welt – damit bezeichnet man
Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus den Staaten,
die bei den Verhandlungen nicht unmittelbar vertreten wa-
ren, wie etwa Ungarn, Jugoslawien, Slowenien oder Slo-
wakei – so verwertet werden, dass es keine neuen Be-
nachteiligungen gibt?

Zweitens. Es wird über die Besetzung des Kuratori-
ums zu sprechen sein. Man muss dabei auch die Frage
stellen, ob es denn klug ist, nach der ersten Amtszeit die-
ses Aufsichtsgremiums, also nach vier Jahren, eine Rege-
lung vorzusehen, die bedeuten würde, dass die Vertreter ei-
niger Staaten, die an den Verhandlungen beteiligt waren,
ausscheiden werden. Über solche Details muss man sich
noch einmal Gedanken machen.

Drittens. Mir erscheint auch wichtig, eine gerechte Lö-
sung dafür zu finden, dass es eine Gleichbehandlung der
Opfer beim Ersatz derAnwaltskosten gibt.

Viertens. Schließlich wollen wir eine flexible Lösung
bei den Abschlagszahlungen, damit so rasch wie möglich
mit diesen Zahlungen begonnen werden kann.

All diese Detailfragen ändern aber nichts an der Zu-
stimmung der F.D.P.-Fraktion zu diesem Gesetzentwurf.
Es ist unser Ziel, das Gesetzgebungsverfahren gründlich,
aber auch so rasch wie möglich durchzuführen, damit das
Stiftungsgesetz noch vor der Sommerpause abschließend
beraten werden kann. Die ersten Auszahlungen an die Op-
fer müssen noch in diesem Jahr erfolgen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Erst wenn das gelungen ist, wird man mit Fug und Recht
von einem historischen Vorgang sprechen können.


(Beifall im ganzen Hause)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1410001200
Nun erteile ich das
Wort dem Kollegen Gregor Gysi, PDS-Fraktion.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1410001300
Herr Präsident! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Zwangsarbeit und Sklavenarbeit in
der NS-Zeit, das war schlimmes, bösartiges und die Men-
schenwürde in jeder Hinsicht verletzendes NS-Unrecht.
Die Menschen wurden gequält, sie wurden in Lager ge-
pfercht, sie wurden geschlagen, sie waren unterernährt, sie
mussten härteste Arbeit leisten und sie hatten überhaupt
keine Rechte sowie keine Möglichkeiten zu irgendwel-
chen Interessenvertretungen. Deshalb sage ich: Ich hätte
mir gewünscht, dass wir diese Debatte zunächst mit einer
Entschuldigung bei diesen Menschen begonnen hätten,




Dr. Max Stadler
9382


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(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


mit der Übernahme der – das sage ich ausdrücklich – ge-
meinsamen Verantwortung und auch mit der Feststellung,
dass wir es im höchsten Maße bedauern, dass ihnen so et-
was Ähnliches wie Wiedergutmachung erst 55 Jahre nach
Beendigung des Zweiten Weltkrieges zugute kommen
soll. Dies ist zu spät; wir können es nicht leugnen. Es ist
sehr spät; zu spät ist es natürlich nicht für diejenigen, die
noch leben. Deshalb unterstützen wir den vorliegenden
Gesetzentwurf.

Herr Merz, Sie haben diesbezüglich etwas zur DDR ge-
sagt. Das ist im Prinzip richtig, aber doch etwas differen-
zierter zu betrachten. Nach ihrer Gründung hat die DDR
für immerhin 90 Milliarden Mark Reparationen an die
Sowjetunion geleistet oder – besser gesagt – leisten müs-
sen. Auch das muss man sehen. Das war in der damaligen
Zeit und nach den damaligen Werten eine gewaltige Leis-
tung. Es hat auch Entschädigungen für NS-Opfer, die in
der DDR lebten – leider mit Ausnahmen; das muss man
hinzufügen –, gegeben. Aber es hat nie Entschädigungen
für Menschen gegeben, die nicht in der DDR lebten und
die Opfer des NS-Regimes waren. Das war nicht in Ord-
nung. Ich kann hier nicht für alle Parteien sprechen, aber
ich kann für meine Partei sprechen und stelle daher fest,
dass wir das zutiefst bedauern und uns dafür entschuldi-
gen, in der Vergangenheit diesbezüglich zu wenig getan zu
haben.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich finde es bedauerlich, dass es gestern hier im Deut-
schen Bundestag keine Mehrheit dafür gab, den 8. Mai
entsprechend unserem Antrag zum Tag der Befreiung zu
erklären. Glauben Sie mir, die Sklavenarbeiterinnen und
die Sklavenarbeiter, die Zwangsarbeiterinnen und die
Zwangsarbeiter, die noch leben, die hätten das verstanden.
Für sie war es ein Tag der Befreiung.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich halte es für sehr wichtig, dass alle Fraktionen den
vorliegenden Gesetzentwurf einbringen. Ich will auch sa-
gen, weshalb: nicht etwa deswegen, weil man mit jedem
Detail übereinstimmen müsste – das tun auch wir nicht –,
sondern deswegen, weil damit im Grunde genommen die
gegenseitige Verpflichtung verbunden ist, die – auch in un-
serer Bevölkerung – bestehenden Ressentiments, die wir
alle doch kennen, nicht zu nutzen und zu schüren. Diese
damit verbundene Verpflichtung halte ich für sehr wichtig.


(Beifall bei der PDS, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)


Das heißt, wie gesagt, nicht, dass wir in diesem Ge-
setzentwurf nicht auch Mängel sehen. Ich will das kurz er-
läutern – ich hoffe, dass es uns im Laufe der Beratungen
gelingt, noch einige Verbesserungen zu erreichen –: Wir
meinen zum Beispiel, dass Sklaven- und Zwangsarbeit
auch als solche bezeichnet und nicht mit Worten wie „Ge-

schehnisse“ und „Verstrickungen“ überdeckt werden soll-
ten, dass man sich also nicht um eine klare Ausdrucks-
weise herummogeln sollte. Wir meinen, dass man auch an
ehemalige Landarbeiter aus den mittel- und osteuropä-
ischen Staaten denken sollte, die zur Zwangsarbeit ver-
pflichtet wurden und die bisher praktisch ausgenommen
sind bzw. nur Almosen erhalten sollen.

Wir meinen auch, dass die Forderung an die Industrie,
ihre Archive für die Opfer und zur Geschichtsforschung
zu öffnen, in diesem Gesetz Platz haben sollte. Wir mei-
nen nach wie vor, dass darauf verzichtet werden muss, ge-
gen deutsche Unternehmen, die sich an dieser Stiftung be-
teiligen, künftig Klagen zu erheben. Wir sehen aber über-
haupt nicht ein, auch die deutschen Unternehmen, die von
der Zwangsarbeit profitiert haben und nicht bereit sind,
sich an dieser Stiftung zu beteiligen, freizustellen.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir sind dafür – hier stimmen wir mit Ihnen überein,
Herr Kollege Stadler –, dass es eine Gleichbehandlung
hinsichtlich der Anwalts- und Prozesskosten geben
muss. Die NS-Opfer, die das Ganze mit angeschoben ha-
ben, aber nicht unmittelbar an den Verhandlungen betei-
ligt sind, sollen die Anwaltskosten nicht erstattet bekom-
men; dies sehen wir nicht ein.

Wir sind auch dafür, dass die Entschädigungen so
schnell wie möglich ausgezahlt werden müssen und dass
das Auszahlungsverfahren deshalb zu modifizieren ist.
Auch die Antragsfrist sollte verlängert werden, damit spä-
ter kommende NS-Opfer noch die Chance haben, einen
Antrag zu stellen.

Wir meinen, dass schneller entschädigt werden könnte.
Vielleicht könnte hinsichtlich der vorgesehenen Entschä-
digungen für die so genannten sonstigen Opfer – dabei
handelt es sich um Roma, Sinti und Personen aus den bal-
tischen Staaten, aus Ungarn, Jugoslawien, der Slowakei
und anderen Ländern –, um zumindest eine Teillinderung
zu erreichen, ein Schwerpunkt des Projektes „Zukunfts-
fonds“ die Entschädigung genau dieser Personengruppen
werden. So wäre eine schnellere Entschädigung möglich.

Wir sind auch dafür, dass die Opfer viel stärker im Ku-
ratorium der zu bildenden Stiftung vertreten sein müss-
ten, als es bisher vorgesehen ist. – Dies nur, um einige Bei-
spiele zu nennen.


(Beifall bei der PDS)

Ich will noch etwas zur deutschen Wirtschaft sagen.

Den Unternehmen ist oft gedankt worden; ich möchte das
aber differenzieren: Bei den Unternehmen, die in der NS-
Zeit von – allerdings staatlich angeordneter – Zwangsar-
beit profitiert haben und sich jetzt an dem Fonds beteili-
gen, möchte ich mich nicht ausdrücklich bedanken; denn
das halte ich für eine Selbstverständlichkeit.


(Beifall bei der PDS)

Den Unternehmen aber, die damit gar nichts zu tun hatten,
die sich erst neu gegründet haben, die sich also ohne jede
persönliche, auch historische Schuld unserer gemeinsa-
men Verantwortung für unsere Geschichte stellen,




Dr. Gregor Gysi

9383


(C)



(D)



(A)



(B)


möchte ich ausdrücklich danken; denn das ist keine Selbst-
verständlichkeit.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Bei jenen Unternehmen, die von der Zwangsarbeit profi-
tiert haben und bis heute nicht bereit sind, sich an diesem
Fonds zu beteiligen, möchte ich es nicht bei bloßer Kritik
belassen; die verurteile ich moralisch schwer. Ich möchte,
dass der öffentliche Druck gegenüber diesen Unternehmen
deutlich erhöht wird.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Für mich ist das gesellschaftspolitisch ein wichtiger
Nachweis, der belegt, wie wichtig es ist, Herr Bundes-
kanzler, dass das Primat der Politik über die Wirtschaft be-
stehen bleibt. Hätten wir dieses Primat nicht, gäbe es auch
dieses Gesetz nicht.


(Beifall bei der PDS)

Lassen Sie mich noch eine tiefe Sorge ansprechen: Ich

möchte die NPD nicht überbewerten. Ich hatte mir vorge-
nommen, sie hier nie zu erwähnen. Aber ich komme nicht
um Realitäten herum. Die NPD plant in meinem Wahl-
kreis, in Berlin-Hellersdorf, zum 1. Mai eine Großdemo,
bundesweit organisiert. Unter anderem geht es ihr darum,
dieses Gesetz zu verurteilen. Sie will sozusagen die Mär
aufbauen, dass die Deutschen für alles in der Welt zahlen
müssen etc.; Sie kennen all das. Ich wünsche mir, dass wir
als Bundestag insgesamt eine viel deutlichere Sprache da-
gegen finden und dass ganz klar wird, dass, wie groß die
Unterschiede zwischen uns ansonsten auch sein mögen,
dies etwas ist, was wir alle in Deutschland nie wieder zu-
lassen. Das muss ganz deutlich werden.


(Beifall bei der PDS, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich sagen Ihnen noch etwas: Die Demonstration der
NPD durch das Brandenburger Tor zur Feier des An-
schlusses von Österreich an das Deutsche Reich 1938, lie-
be Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU-
Bundestagsfraktion, war die eigentliche Beleidigung
Österreichs aus Deutschland, nicht die Kritik des Bundes-
kanzlers an den Verhältnissen in Österreich im Zusam-
menhang mit der Wahl der Haider-Partei. Auch das müs-
sen wir einmal ganz deutlich sagen.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben also noch Vorschläge zur Änderung dieses
Gesetzes. Ich hoffe, dass wir in den Beratungen das eine
oder andere davon umsetzen können.

Lassen Sie mich schließen, indem ich sage: Erstens.
Wenn wir gemeinsam mit anderen einen Gesetzentwurf
einbringen, dann natürlich, um ihm zuzustimmen, und
nicht, um uns die Zustimmung vorzubehalten.

Zweitens. Ich möchte allen, die daran mitgewirkt ha-
ben, dass es zu einer Lösung gekommen ist, danken.

Ganz ausdrücklich danke ich auch Otto Graf
Lambsdorff, wie es andere getan haben, sowie allen aus
den Fraktionen, die daran mitgewirkt haben, bei uns spe-
ziell der Abgeordneten Ulla Jelpke, aber auch den weite-
ren Politikern und den Verantwortlichen in der Wirtschaft,
die sich wirklich aktiv darum bemüht haben, hier zu einer
Lösung zu kommen.

Ich will aber auch die andere Verhandlungsseite nicht
vergessen, die Anwälte und die Politiker aus den anderen
Ländern, die sich mit darum bemühen mussten, dass wir
zu einer Lösung kommen. Hätten sie dies nicht getan,
dann wären wir nicht zu einer Lösung gekommen. Lassen
Sie uns also nicht der deutschen Seite allein danken, son-
dern lassen Sie uns bitte auch den Vertretern der anderen
Seite danken, die daran mitgewirkt haben, dass wir heute
so weit sind, dass man schon fast hoffen kann: Wir schaf-
fen die Lösung im Jahre 2000 – sehr spät, aber immerhin
schaffen wir sie.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1410001400
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Dieter Wiefelspütz, SPD-Fraktion.


Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD):
Rede ID: ID1410001500
Herr Präsident! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Wir reden heute über eines der
wichtigsten Gesetze dieser Legislaturperiode. Ich glaube,
dass dies heute ein besonderer Tag im Deutschen Bundes-
tag ist. Das gilt sicherlich für viele auf der Regierungs-
bank, für viele hier im Plenum und auf den Zuhörerrängen
sowie für viele Menschen, die die Debatte im Fernsehen
verfolgen. Es ist wohl auch ein bewegender Tag insbe-
sondere für viele Menschen, die weltweit verstreut sind
und als ehemalige Zwangs- und Sklavenarbeiter überlebt
haben. Sie sind der Grund dafür, dass wir heute zusam-
mengekommen sind.

Dieses Gesetz kommt sehr spät, aber es kommt, liebe
Kolleginnen und Kollegen, mit der Zustimmung aller
Fraktionen dieses Hauses. Das ist ein ungewöhnlicher,
bemerkenswerter Vorgang, für den ich allen Fraktionen
ausdrücklich danke. Viele von uns haben vor der Notwen-
digkeit gestanden, über ihren Schatten zu springen, und sie
haben es getan: Sie sind über ihren Schatten gesprungen
und haben Vorbehalte zurückgestellt, die da und dort legi-
timerweise durchaus geltend zu machen sind. Ich meine,
dies ist eine eindrucksvolle Leistung des gesamten Hau-
ses. Dafür bin ich außerordentlich dankbar.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der F.D.P. und der PDS)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wären heute nicht
hier und würden nicht über dieses Gesetz reden, wenn
nicht der Bundeskanzler Gerhard Schröder in einer
Zeit, als er dieses Amt noch nicht innehatte, ganz persön-
lich die Initiative ergriffen hätte. Er hat bis heute mit
großem persönlichen Engagement alle wichtigen Details
der Verhandlungen mitverfolgt. Dies ist eine ganz beson-




Dr. Gregor Gysi
9384


(C)



(D)



(A)



(B)


dere Leistung, die an dieser Stelle hervorzuheben ist und
die, so denke ich, unser aller Respekt verdient.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Das, was heute möglich ist, war früher nicht möglich. Es
ist heute nur deshalb möglich, weil der Bundeskanzler
diese Sache zu seiner eigenen gemacht hat. Herzlichen
Dank dafür!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Graf Lambsdorff, Sie sind heute sehr viel gelobt wor-
den. Noch nie sind Sie so intensiv von Sozialdemokraten
gelobt worden.


(Heiterkeit bei der SPD – Markus Meckel [SPD]: Das stimmt auch nicht!)


Jeden Punkt und jedes Komma an Dank, Graf
Lambsdorff, haben Sie sich in dieser Angelegenheit ver-
dient.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und der F.D.P.)


Ich persönlich habe großen Respekt davor, dass Sie diese
Aufgabe geschultert haben. Es ist sicherlich eine der
schwierigsten Aufgaben in Ihrem langen politischen Le-
ben. Sie können sicher sein: Diese Leistung, Graf
Lambsdorff, wird bleiben. Herzlichen Dank! Ich spreche
Ihnen meinen großen Respekt vor Ihrer ganz persönlichen
Leistung bei diesen schwierigen Verhandlungen aus.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich möchte ausdrücklich auch Herrn Dr. Gentz, den
Sprecher der Wirtschaft, nennen, der diesem Projekt einen
wesentlichen Teil seiner Arbeitskraft und Arbeitszeit ge-
widmet hat.

Es ist hier zu Recht darauf hingewiesen worden, dass
man über die deutsche Wirtschaft in diesem Zusammen-
hang nicht pauschal urteilen sollte. Es gibt Männer und
Frauen, die sich sehr engagiert und sehr glaubwürdig für
dieses Projekt eingesetzt haben – allen Respekt vor ihrer
Leistung! –, es gibt andere, die in eine Nische getreten
sind, die sich nicht angesprochen gefühlt haben. An diese
Firmen, vor allem die großen Aktiengesellschaften, sollte
von hier aus noch einmal das ganze Haus appellieren, dass
sie ihrer Verantwortung gerecht werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der F.D.P. und der PDS)


Wir, das deutsche Volk, können aus unserer eigenen Ge-
schichte nicht aussteigen. Das ganze Haus gemeinsam will
diese Verantwortung tragen.

Auch die deutsche Wirtschaft kann aus ihrer Geschich-
te nicht aussteigen. Wir bitten nachdrücklich darum, dass
sie gemeinsam auch ihre Verantwortung trägt. Es ist doch
kein Vorwurf gegenüber den Firmen heute oder deren Mit-
arbeitern, dass vor 60, 70 Jahren unrühmliche Ver-
strickungen vorhanden waren. Wir müssen heute unsere

moralisch-ethische Verantwortung wahrnehmen. Das gilt
für den Bundestag – wir wollen diese Verantwortung
wahrnehmen –, das gilt aber auch für die Wirtschaft. Den
Teil, der diese Verantwortung noch nicht wahrnimmt, bit-
te ich nachdrücklich, bei dieser wichtigen Initiative mitzu-
machen.

Ich will darauf hinweisen, dass die Beratungen heute
nicht ohne Grund begleitet werden: vom Botschafter
der Vereinigten Staaten von Amerika, Seiner Exzellenz
Kornblum, und vom Botschafter der Republik Polen, Sei-
ner Exzellenz Byrt.

Herr Eizenstat hat die Verhandlungen für die amerika-
nische Seite geführt. Er hat sich den großen Respekt der
deutschen Verhandler erworben. Ich bin ganz sicher, dass
diese mehr als ein Jahr dauernden Verhandlungen die
deutsch-amerikanischen Beziehungen weiter vertieft ha-
ben. Viele, die dort verhandelt haben, sind sich auch
menschlich näher gekommen. Wir haben ja viele, viele Ta-
ge deswegen miteinander verbracht, in zum Teil schwieri-
gen Gesprächen.

Es ist ein ganz besonderes Verdienst der polnischen
Seite, dass es ihr gelungen ist, aufseiten der Beteiligten in
Mittel- und Osteuropa gemeinsame Haltungen zu erarbei-
ten. Ohne diesen besonderen Beitrag der polnischen Seite
wären wir, glaube ich, heute nicht da, wo wir sind. Einen
ganz herzlichen Dank an die polnische Regierung! Ich
glaube, dass die Verhandlungen, die wir geführt haben,
auch die Beziehungen zu unserem Nachbarn Polen vertie-
fen und stärken.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der F.D.P. und der PDS)


Es hat im Laufe dieser Verhandlungen immer wieder
Situationen gegeben, die sehr schwierig waren. Ohne
den besonderen Einsatz von Bundesfinanzminister
Eichel und ohne die eine oder andere Chefentscheidung
des Bundeskanzlers wären wir nicht kurz vor dem Ziel.
Solche Entscheidungen waren da und dort notwendig und
sind dann auch stets getroffen worden. Ich muss nicht
näher darauf eingehen, wie schwierig das sein kann, wenn
man ganz bestimmte haushaltspolitische Ziele hat und das
Geld ohnehin knapp ist. Mit großem Respekt will ich da-
rauf hinweisen, dass es immer wieder möglich war, die
nötigen Entscheidungen zu treffen, damit die Verhandlun-
gen erfolgreich abgeschlossen werden konnten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Graf Lambsdorff, Ihre Arbeit ist noch nicht ganz zu En-

de. Wir werden noch einige wichtige, auch völkerrechtlich
schwierige Fragen zu klären haben. Aber scheitern darf
das – da sind wir alle einer Meinung – nicht mehr. Wir wer-
den Ihren Rat bis zum Ende des Gesetzgebungsverfahrens
dringend benötigen, Graf Lambsdorff. Ich bin ganz sicher,
dass wir Ende Juni die zweite und dritte Lesung dieses Ge-
setzes abhalten werden. Wir, der Deutsche Bundestag,
werden unserer Verantwortung gerecht werden.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P.)





DieterWiefelspütz

9385


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1410001600
Ich erteile dem Kolle-
gen Wolfgang Bosbach, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.


Wolfgang Bosbach (CDU):
Rede ID: ID1410001700
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Über 200 000 deutsche Frauen wurden nach dem En-
de des 2. Weltkrieges zur Zwangsarbeit gen Osten
verschleppt, von ihnen sind über 70 000 armselig ver-
storben. Diese noch lebenden Zeitzeugen müssen sich
gedemütigt fühlen, weil sich für ihre Leiden bislang
kein Politiker, keine Regierung, geschweige denn die
Presse, jemals interessiert hätten.

Dies ist ein kleiner Auszug aus einem bewegenden
Brief, in dem eine deutsche Mitbürgerin ausführlich schil-
dert, unter welchen Umständen sie am Ende des Zweiten
Weltkrieges zur Zwangsarbeit nach Sibirien deportiert
wurde, wie grausam dort die Lebens- und Arbeitsbedin-
gungen waren und dass ihr nur äußerst glückliche Um-
stände die Rückkehr nach Deutschland und ein Leben in
Sicherheit, Freiheit und Wohlstand ermöglichten. Viele
andere, die ein ähnliches Schicksal erleiden mussten, sind
nicht zurückgekommen.

Die Absenderin fährt fort, dass sie sich von Herzen
freue, dass endlich, 54 Jahre nach dem Ende der Nazibar-
barei, ehemalige ausländische Zwangsarbeiterinnen und
Zwangsarbeiter eine Entschädigung erhalten sollen. Sie
persönlich erwarte keine materielle Entschädigung, aber
auf eine Geste, auf ein Wort der Entschuldigung der ehe-
maligen Peiniger warte auch sie, aber vermutlich verge-
bens. Dennoch solle man nicht Leid mit anderem Leid auf-
rechnen und es sei richtig, dass sich unser Land zu Beginn
eines neuen Jahrhunderts auch beim Thema „Entschädi-
gung für Zwangsarbeit“ seiner besonderen historischen
Verantwortung stelle.

Wir alle wissen, dass man die Opfer von Verbrechen
mit Geld nicht wirklich entschädigen kann. Wir alle
wissen, dass das Leid, das Millionen Frauen und
Männern zugefügt wurde, nicht wieder gutgemacht
werden kann.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Sklaven- und Zwangsarbeit bedeutete nicht nur das
Vorenthalten des gerechten Lohnes. Sie bedeutete
Verschleppung, Heimatlosigkeit, Entrechtung, die
brutale Missachtung der Menschenwürde. Oft war
sie planvoll, darauf angelegt, die Menschen durch Ar-
beit zu vernichten. Für alle, die damals ihr Leben ver-
loren haben, kommt die Entschädigung genauso zu
spät wie für alle, die inzwischen gestorben sind. Um-
so wichtiger ist es, dass jetzt alle Überlebenden mög-
lichst bald die … vereinbarte humanitäre Leistung be-
kommen.

Diesen Worten des Bundespräsidenten folgend wollen
wir gemeinsam auf der Basis der Stiftungsinitiative der
deutschen Wirtschaft, der bisherigen Verhandlungsergeb-
nisse und des Gesetzentwurfes folgende Ziele erreichen:
Die hochbetagten, oft kranken und gebrechlichen Opfer
sollen rasch und so unbürokratisch wie möglich eine Ent-

schädigung erhalten. Gleichzeitig soll aber auch den deut-
schen Unternehmen dauerhafter Rechtsschutz vor weite-
ren Klagen und damit Rechtsfrieden garantiert werden.
Dies soll nicht nur in der Bundesrepublik selber gelten,
sondern auch in den USA und in den übrigen Staaten, aus
denen Zwangsarbeiter deportiert wurden oder in denen sie
heute noch leben.

Mit der Stiftungsinitiative wollen wir gleichzeitig auch
den Blick nach vorn, in die Zukunft, richten. 55 Jahre nach
dem Ende des Zweiten Weltkrieges und fast 50 Jahre nach
dem Beginn der ersten Wiedergutmachungsleistungen, die
bereits heute ohne die neue Initiative ein Volumen von
über 100Milliarden DM erreicht haben und in deren Rah-
men in den nächsten Jahren schon nach geltendem Recht
noch etwa 20 Milliarden DM zu zahlen sein werden, wol-
len wir das Kapitel der finanziellen Entschädigung für
NS-Unrecht mit diesem Fonds abschließen.

Einen Schlussstrich unter das dunkelste Kapitel unse-
rer Geschichte – die Verbrechen der Nazityrannei und die
sich daraus ergebende besondere historische Verantwor-
tung unseres Landes, insbesondere gegenüber den noch
lebenden Opfern des Naziterrors –, kann und darf es nicht
geben. Von einer besonderen historischen Verantwortung
kann man sich nicht lösen, nicht befreien – weder durch
Worte noch durch Geld.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der F.D.P.)


Aber dies kann nicht bedeuten, dass wir Jahr für
Jahr neue Entschädigungsdebatten beginnen, in neue
Entschädigungsverhandlungen eintreten und dadurch
zwangsläufig in vielen Ländern der Welt und bei vielen
Menschen Hoffnungen erwecken, die wir nicht erfüllen
können. Deswegen ist es wichtig und richtig, dass es in der
Begründung zu dem vorliegenden Gesetzentwurf heißt:

Am Ende dieses Jahrhunderts wollen daher die
Bundesrepublik Deutschland und deutsche Unter-
nehmen mit der Bundesstiftung „Erinnerung, Verant-
wortung und Zukunft“ – die bisherigen umfangrei-
chen Widergutmachungsregelungen ergänzend – ein
Zeichen ihrer moralischen Verantwortung für diese
Geschehnisse setzen. Abschließend kann dies nur in
finanzieller Hinsicht sein.

Gerade weil wir den Blick nach vorne richten müssen,
in eine gute, gemeinsame Zukunft, ist der noch zu etablie-
rende Zukunftsfonds von überragender Bedeutung. Aus-
gestattet mit einem Vermögen von 700 Millionen DM
muss er jetzt mit Leben erfüllt werden, mit konkreten Pro-
jekten, von denen vor allem junge Menschen profitieren
sollten. Bei allem Respekt vor der Wissenschaft und den
Disziplinen Forschung und Lehre: Bitte kein Fonds von
Professoren für Professoren, sondern für Völkerverständi-
gung, für die Pflege der Beziehungen zu überlebenden Op-
fern, für den Austausch von Schülern und Studenten und
für den Kampf gegen extremistisches und rassistisches
Gedankengut und gegen totalitäre Systeme aller Art.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Gerade weil der Zukunftsfonds auf Dauer angelegt ist,

kann und wird er in den kommenden Jahren für ein fried-






(C)



(D)



(A)



(B)


liches Miteinander der Menschen von besonderer Bedeu-
tung sein.

Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund dieses wichtigen
Projektes ist die derzeit mangelnde Bereitschaft vieler Un-
ternehmen, sich an der Aufbringung des Fondsvermö-
gens zu beteiligen, milde formuliert, sehr enttäuschend.
Etwa 200 000 Unternehmen aller Branchen wurden von
den Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft aufgefor-
dert, der Initiative beizutreten. Wenn es stimmt, dass bis-
lang erst knapp 1 100 Firmen dieser Aufforderung gefolgt
sind, dann ist das für die deutsche Wirtschaft kein Ruh-
mesblatt. Dies muss für die Opfer, aber auch für diejeni-
gen Unternehmen besonders enttäuschend sein, die durch
die Gründung der Stiftungsinitiative für die gesamte deut-
sche Wirtschaft Verantwortung übernommen haben.

Hier geht es um eine gesamtstaatliche Initiative und
Verantwortung, der sich mehr als nur 0,5 Prozent der Un-
ternehmen stellen müssen. Vornehme Zurückhaltung kann
manchmal geboten sein, hier ist sie völlig fehl am Platz,
insbesondere deshalb, weil der Rechtsschutz für alle Un-
ternehmen Geltung haben soll.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es ist unser gemeinsamer Wille, das heute beginnende
Gesetzgebungsverfahren zügig zu betreiben, aber gleich-
zeitig müssen wir auch sehr sorgfältig arbeiten, um neue
Ungerechtigkeiten und neuen Streit zu vermeiden.

Stichwort: Rest der Welt. Diejenigen Opfer, die heute
in Ländern leben, die an den Verhandlungen nicht betei-
ligt waren, dürfen nicht benachteiligt werden. Das ent-
scheidende Kriterium muss das erlittene Leid sein, die
Schwere des Schicksals. Dabei kann der Wohnort keine
Rolle spielen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg. Walter Hirche [F.D.P.])


Tagtäglich erhalten wir aus vielen Ländern der Erde ei-
ne Fülle von Briefen mit zum Teil völlig unterschiedlichen
Forderungen an den Gesetzgeber, die er im Zuge der Be-
ratung bitte alle berücksichtigen möge. Dies werden wir
wohl nicht können. Aber wir müssen und werden alle Ar-
gumente sorgfältig prüfen und abwägen und werden Be-
troffene bzw. ihre Organisationen in die Beratungen ein-
beziehen. Insoweit, lieber Max, stimme ich dir ausdrück-
lich zu: Eine intensive Beratung mit denjenigen, die sich
bislang überhaupt nicht beteiligen können, ist eine Vor-
aussetzung für ein Gesetz mit höchstmöglicher Akzep-
tanz.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)


Unverständnis muss auch hervorrufen, dass derjenige,
der von einem amerikanischen Anwalt vertreten wurde,
deshalb eine Entschädigung in voller Höhe erhält, weil die
Vergütung des amerikanischen Anwaltes aus dem Fonds-
vermögen bezahlt wird, während der Mandant eines
deutschen Anwaltes dessen Kosten und Gebühren
zu tragen hat, weil eine vergleichbare Regelung für
deutsche Rechtsanwälte fehlt. Hierüber muss noch ge-
sprochen werden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der F.D.P. und der PDS)


200 Millionen DM für Anwaltshonorare und Verwal-
tungskosten reichen. Von den Entschädigungsleistungen
selber darf keine einzige Mark bei irgendwelchen Behör-
den oder Organisationen versickern. Dies sind wir nicht
nur den Stiftern und dem deutschen Steuerzahler schuldig,
sondern auch und vor allem den noch lebenden Opfern.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der PDS)


Bei aller Freude über die schon erreichten Teileinigun-
gen dürfen wir hier und heute nicht den Eindruck er-
wecken, als seien schon jetzt alle Probleme gelöst. Viel-
leicht liegt der schwierigste Teil der Verhandlungen noch
vor uns.

Die Bundesregierung muss in den noch laufenden Ver-
handlungen sicherstellen, dass der notwendige Schutz vor
weiteren Klagen und damit ein wirklich dauerhafter
Rechtsfrieden erreicht wird. Die erst vor wenigen Tagen in
Los Angeles gegen die Firma Hochtief und ihre beiden
amerikanischen Tochterunternehmen eingereichte Klage
verdeutlicht exemplarisch die Dimensionen des Problems
und die Bedeutung eines wirklich umfassenden Rechts-
friedens. Dieser ist nicht nur für die deutsche Wirtschaft
von großer Bedeutung, sondern auch für die Bundesrepu-
blik und unsere Beziehungen zu den Staaten der Welt.

Lieber Graf Lambsdorff, Sie und Ihre Verhandlungs-
führung sind heute schon mehrfach und zu Recht gelobt
worden. Ohne Ihr unermüdliches Engagement wären die
bisherigen Einigungen wohl nicht zu erzielen gewesen. Ih-
nen war keine Entfernung zu weit, kein Tag zu lang, kein
Problem zu kompliziert. Sie waren zur richtigen Zeit der
richtige Mann am richtigen Ort. Die Opfer und unser Land
haben Ihnen viel zu verdanken. Die Union dankt Ihnen
ganz ausdrücklich.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der F.D.P.)


Aber auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Ihres
Arbeitsstabes – beispielhaft erwähne ich die Herren
Westdickenberg, Geier und Löffler – haben Großartiges
geleistet und viel mehr als nur ihre Pflicht getan.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der F.D.P.)


Danken darf ich auch den Kolleginnen und Kollegen
aus den anderen Fraktionen, aber auch – das mag unge-
wöhnlich sein, der Grund dürfte bekannt sein – ganz herz-
lich den Kolleginnen und Kollegen aus der eigenen Frak-
tion, insbesondere Michael Glos und den Kolleginnen und
Kollegen aus der CSU. Ich bin froh und glücklich, dass
meine Fraktion diesen Gesetzentwurf mit unterschrieben
hat.


(Beifall des Abg. Dieter Wiefelspütz [SPD])

Wenn wir auch bei der einen oder anderen Regelung un-

terschiedliche Akzente gesetzt haben und die eine
oder andere Meinungsverschiedenheit in Detailfragen hat-
ten, so darf ich mich doch bei dir, lieber Bernd
Reuter, und bei den anderen Kolleginnen und Kollegen für




Wolfgang Bosbach

9387


(C)



(D)



(A)



(B)


die gute Atmosphäre und die gute Zusammenarbeit bei den
Verhandlungen bedanken. Es war anstrengend, aber es hat
auch Spaß gemacht und wir haben auch viel gelernt. Lie-
ber Graf Lambsdorff, sollten Sie noch einmal in ähnlicher
Mission unterwegs sein und uns brauchen: Wir fünf kom-
men.


(Heiterkeit)

Lieber Bernd, an dieser Stelle noch ein Hinweis: An den

Verhandlungen waren wir beteiligt. An der Erarbeitung
des Gesetzentwurfes sind wir leider nicht beteiligt worden.
Deswegen unsere herzliche Bitte: Wenn wir uns verabre-
den, um hier etwas gemeinsam zu beraten und zu verab-
schieden, dann sollten wir uns auch verabreden, die Texte
gemeinsam zu erarbeiten. Das hilft, eine breite Mehrheit
im Parlament herzustellen.


(Beifall bei der CDU/CSU, sowie bei Abgeordneten der PDS)


Wenn wir in den kommenden Wochen trotz noch nicht
gelöster Probleme und trotz einiger Meinungsverschie-
denheiten in Detailfragen so wie in den vergangenen
14 Monaten über Fraktionsgrenzen hinweg eng und ver-
trauensvoll zusammenarbeiten, dann werden wir die ge-
steckten Ziele auch erreichen. Dies wäre nicht nur für je-
den noch lebenden ehemaligen Zwangsarbeiter und jede
Zwangsarbeiterin gut und wichtig, denen spät ein wenig
Gerechtigkeit widerfahren soll, sondern auch für das An-
sehen und die Zukunft unseres Landes.

Danke fürs Zuhören.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der F.D.P.)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1410001800
Als letzten Redner zu
diesem Tagesordnungspunkt erteile ich dem Kollegen
Markus Meckel, SPD-Fraktion, das Wort.


Markus Meckel (SPD):
Rede ID: ID1410001900
Verehrter Herr Präsident! Mei-
ne Kolleginnen und Kollegen! Die Frage der historisch-
moralischen Verantwortung der Deutschen aufgrund der
Verbrechen in der Zeit des Nationalsozialismus ist eine
lange strittige Geschichte. Von dieser langen Geschichte,
die wahrhaftig wichtige Ergebnisse gebracht hat – darüber
ist heute schon gesprochen worden – waren wir Ostdeut-
schen ausgesondert. Auch darüber hat man hier schon ge-
sprochen.

Aber vor ziemlich genau 10 Jahren, am 12.April 1990,
hat sich die frei gewählte Volkskammer mit einer Er-
klärung sehr deutlich in den gesamtdeutschen Kontext ge-
stellt und diese nationale Verantwortung auf sich genom-
men. Sie hat damit etwas getan, was in meinen Augen ei-
ne ganz zentrale Dimension dieses Beginns von
Demokratie in ganz Deutschland war. Da diese Erklärung
relativ unbekannt ist und ziemlich selten zitiert wird,
möchte ich etwas daraus zitieren:

Durch Deutsche ist während der Zeit des Nationalso-
zialismus den Völkern der Welt unermessliches Leid
zugefügt worden. Nationalismus und Rassenwahn
führten zum Völkermord insbesondere an den Juden

aus den europäischen Ländern, an den Völkern der
Sowjetunion, am polnischen Volk, am Volk der Sinti
und Roma. Diese Schuld darf niemals vergessen wer-
den. Aus ihr wollen wir unsere Verantwortung für die
Zukunft ableiten.

Diese Erklärung war damals nicht nur für uns Beteilig-
te wichtig, sondern auch eine wesentliche Voraussetzung
für den folgenden Einigungsprozess. Wie überhaupt der
deutsche Einigungsprozess und seine europäische und
internationale Anerkennung ganz wesentlich mit der Art
und Weise zu tun hatten, wie wir Deutsche uns mit unse-
rer Vergangenheit auseinander gesetzt haben.

Vor zehn Jahren wurde der Zwei-plus-Vier-Vertrag
abgeschlossen. Er war kein traditioneller Friedensvertrag.
Es war sehr wichtig, dass die Frage der deutschen Einheit
nicht mit Fragen der Reparationszahlungen verbunden
wurde und dass nicht versucht wurde, mit allen ehemali-
gen Kriegsgegnern ein Vertragswerk zu schließen. Es wä-
re außerdem etwas merkwürdig gewesen, wenn eine ge-
wachsene Demokratie wie die alte Bundesrepublik nach
40 Jahren und – darauf muss man hinweisen – die DDR,
die ihre Freiheit selbst erkämpft hatte, plötzlich so da-
gestanden hätten, als wäre es unmittelbar nach 1945. Dies
war damals nicht möglich. Es war sinnvoll und gut, darü-
ber im Rahmen der Zwei-plus-Vier-Gespräche zu verhan-
deln.

Gleichwohl war uns auch damals bewusst, dass es eine
offene Frage der historisch-moralischen Verantwortung
gibt. Dieser Verantwortung wollten wir gerecht werden.
Darüber gab es im Deutschen Bundestag nach 1990 viele
Diskussionen. Erste Früchte hat dieses Bewusstsein in den
bilateralen Stiftungen mit Polen und – am Anfang – auch
mit der Sowjetunion sowie mit anderen Ländern getragen.
Aber das Ganze blieb sehr unbefriedigend, nicht nur in Be-
zug auf die Höhe der Summen für die Betroffenen, son-
dern auch deshalb, weil manche Opfergruppen aus den Re-
gelungen völlig herausgefallen sind. Zu diesen gehörten
auch viele Zwangsarbeiter. Aber unbefriedigend war auch
die Situation in Deutschland, weil die deutsche Wirtschaft
in keiner Weise ihre Verantwortung übernommen hat.

Durch Klagen der Opfer entstand dann die Bereitschaft
in der Wirtschaft, sich ihrer Verantwortung zu stellen, ei-
ne Bereitschaft, die es vorher so nicht gab. Deshalb ist an
dieser Stelle dem Bundeskanzler zu danken, dass er dies
aufgriff, wohlgemerkt – das ist schon erwähnt worden –
schon vor seiner Wahl zum Bundeskanzler, und erklärte,
dass er sich, falls er gewählt würde, der Verantwortung
stellen werde. Er griff damit eine Erklärung des Deut-
schen Bundestages auf, die von der heutigen Regierungs-
koalition damals eingebracht worden ist. Der in dieser Er-
klärung enthaltene Auftrag bezüglich der deutschen Wirt-
schaft fand zwar damals eine Mehrheit, wurde aber von
der damaligen Bundesregierung nicht erfüllt.

Wichtig ist, dass mit der heutigen Lösung in Form der
Stiftung die verschiedenen Opfergruppen angemessen
berücksichtigt werden. Dies gilt wahrhaftig nicht in glei-
chem Maße für alle. Es ist wichtig, dies auch heute deut-
lich auszusprechen. Man kann nicht mit allem glücklich
und zufrieden sein. Die Vereinbarung stellt einen Kom-
promiss dar, aus dem wir das Beste machen müssen. Da-




Wolfgang Bosbach
9388


(C)



(D)



(A)



(B)


her danke ich den mittel- und osteuropäischen Partnern,
Polen, der Ukraine, Russland, Tschechien und Weißruss-
land, für ihre Zustimmung. Dennoch möchte ich mein Be-
dauern ausdrücken, dass man sich zunächst gegen die Ein-
beziehung der Zwangsarbeiter aus der Landwirtschaft ge-
sträubt hat. Ich hoffe, dass es den für die Auszahlung
zuständigen Partnerorganisationen durch die Öffnungs-
klausel gelingen wird, auch diese Gruppe, die ich für sehr
wichtig halte, trotz der Beschränkungen angemessen zu
berücksichtigen.

Es ist viel über die 700 Millionen DM – ursprünglich
war es 1MilliardeDM– diskutiert worden, die für den Zu-
kunftsfonds gedacht sind. Wir müssen uns darüber klar
sein, dass es heute einen Generationswechsel gibt: 55 Jah-
re nach Kriegsende sterben die Zeitzeugen von damals, die
unmittelbaren Opfer. Es ist uns wichtig, dass die Verant-
wortung für die Vergangenheit nicht mit ihnen stirbt, son-
dern dass sie in die Zukunft getragen wird, dass das Wis-
sen um diese Zeit und die Erinnerung an diese Zeit wei-
terhin erhalten bleiben und dass sich auch die neue
Generation in dieser Verantwortung weiß.

Deshalb glaube ich: Es ist international wichtig, dass
wir heute nicht nur dieses Gesetz auf den Weg bringen,
sondern dass wir auch in der Bundestagssitzung zur zwei-
ten und dritten Lesung in diesem Hause gemeinsam eine
Entschließung zu unserer historischen Verantwortung ver-
abschieden, in der die Worte des Bundespräsidenten Rau,
die hier schon angesprochen worden sind, aufgenommen
werden. Wir wollen damit den Opfern ihre Würde zurück-
geben. Es geht darum, dass wir das Unrecht Unrecht nen-
nen und dass wir unsere Verantwortung und Schuld ihnen
gegenüber bekennen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der F.D.P. und der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1410002000
Ich schließe die Aus-
sprache.

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfes zur Errichtung einer Stiftung „Erinnerung, Verant-
wortung und Zukunft“ der Fraktionen von SPD,
CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen, von F.D.P. und PDS
auf Drucksache 14/3206 an die in der Tagesordnung auf-
geführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu ander-
weitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:
Wahlvorschlag der Fraktionen SPD, BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN, F.D.P. und PDS
Wahl des Wehrbeauftragten des Deutschen
Bundestages
– Drucksache 14/3160 –

Unser Dank gilt zunächst der scheidenden Wehrbeauf-
tragten, Frau Claire Marienfeld.


(Beifall im ganzen Hause)


Liebe Frau Marienfeld, vorgestern hatte ich bereits die Ge-
legenheit, bei einem Abschiedsempfang ausführlich zu Ih-
nen zu sprechen. Anlässlich der heutigen Wahl Ihres Amts-
nachfolgers möchte ich Ihnen im Plenum des Deutschen
Bundestages noch einmal für Ihr Wirken zum Wohle der
Bundeswehr und ihrer Soldaten danken.

Sie haben sich seit nunmehr zehn Jahren – zunächst als
Mitglied des Verteidigungsausschusses und seit 1995 als
Wehrbeauftragte – insbesondere für die sozialen Probleme
der Soldaten und Wehrpflichtigen mit Nachdruck einge-
setzt. In Ihre Amtszeit fiel eine erhebliche Aufga-
benerweiterung der Bundeswehr. Sie waren in dieser Zeit
sehr häufig bei der Truppe und haben Ihre dort gewonne-
nen Eindrücke in die Arbeit des Verteidigungsausschusses
und des Bundestages insgesamt eingebracht.

Für die Soldaten, die sich vertrauensvoll an Sie ge-
wandt hatten, setzten Sie sich mit hohem persönlichen En-
gagement ein. Die Umsetzung berechtigter Forderungen
und Anregungen haben Sie stets nicht nur eingefordert,
sondern auch weiterverfolgt. Wir möchten Ihnen von hier
aus auch im Namen der Soldaten noch einmal ganz herz-
lich für Ihre Arbeit im Deutschen Bundestag und als Wehr-
beauftragte danken.


(Beifall im ganzen Hause)

Wir kommen jetzt zur Wahl. Die Fraktionen von SPD,

Bündnis 90/Die Grünen, F.D.P. und PDS haben den Ab-
geordneten Dr. Willfried Penner vorgeschlagen.

Ich gebe einige Hinweise zum Wahlverfahren: Zur
Wahl sind die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des
Bundestages, das heißt mindestens 335 Stimmen, erfor-
derlich. Nach unserer Geschäftsordnung wird der Wehr-
beauftragte mit verdeckten Stimmzetteln, also geheim,
gewählt. Sie benötigen eine Stimmkarte mit Wahlum-
schlag sowie Ihren Wahlausweis. Die Stimmkarten mit
Umschlag erhalten Sie hier oben links und rechts neben
den Wahlkabinen. Den Wahlausweis entnehmen Sie bitte,
soweit Sie das noch nicht getan haben, Ihrem Schließfach.

Da die Wahl geheim ist, dürfen Sie die Stimmkarte nur
in einer der Wahlkabinen ankreuzen und dort in den Wahl-
umschlag legen. Die Schriftführer sind verpflichtet, jeden
zurückzuweisen, der seine Stimmkarte außerhalb der
Wahlkabine angekreuzt oder in den Umschlag gelegt hat.
Die Wahl kann in diesem Falle jedoch vorschriftsmäßig
wiederholt werden. Gültig sind nur Stimmkarten mit ei-
nem Kreuz bei „Ja“, „Nein“ oder Enthaltung. Ungültig
sind Stimmen auf nicht amtlichen Stimmkarten sowie
Stimmkarten, die mehr als ein Kreuz, andere Namen oder
Zusätze enthalten.

Bevor Sie die Stimmkarte in eine der vor dem Steno-
graphentisch aufgestellten Urnen werfen, übergeben Sie
bitte Ihren Wahlausweis einem der Schriftführer an der
Wahlurne. Der Nachweis der Teilnahme an der Wahl kann
nur durch die Abgabe des Wahlausweises erbracht werden.

Ich bitte noch um Aufmerksamkeit für einen prakti-
schen Hinweis. Um einen reibungslosen Ablauf der Wahl
zu gewährleisten, bitte ich Sie, sich auf folgenden Wegen
zu den Wahlkabinen und von dort später zu den Wahlur-
nen zu begeben. – Ich sehe schon, es hat nicht viel Sinn,




Markus Meckel

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(C)



(D)



(A)



(B)


diesen Hinweis zu geben, ich will es trotzdem tun. Zu den
Wahlkabinen nehmen Sie den Weg von der Seite her, das
heißt über die Gänge zwischen Ihren Sitzreihen. Von den
Wahlkabinen können Sie dann direkt hinunter zu den
Wahlurnen vor dem Stenographentisch kommen.

Ich bitte jetzt die Schriftführerinnen und Schriftführer,
die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Ich vermute, dass
das inzwischen geschehen ist. Ich bitte, zum Empfang der
Stimmkarten zu den Ausgabetischen zu gehen.

Die Wahl ist eröffnet. –

(V o r s i t z: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)


Vizepräsisdent Dr. Hermann Otto Solms: Haben
alle Mitglieder des Hauses und auch die Schriftführerin-
nen und Schriftführer ihre Stimmkarte abgegeben? – Das
scheint der Fall zu sein. Ich schließe die Wahl und bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung
zu beginnen.

Für die Auszählung unterbreche ich die Sitzung für et-
wa 10 Minuten.


(Unterbrechung von 11.11 bis 11.33 Uhr)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1410002100
Die unter-
brochene Sitzung ist wieder eröffnet.

Ich gebe das Ergebnis der Wahl bekannt: Es wurden ins-
gesamt 545 Stimmen abgegeben, davon 543 gültige und
zwei ungültige. Mit Ja haben gestimmt 424,


(Beifall)

mit Nein haben gestimmt 77, Enthaltungen 42. Herr Ab-
geordneter Dr. Willfried Penner hat die erforderliche
Mehrheit erhalten und ist zum Wehrbeauftragten des Deut-
schen Bundestages gewählt.

Ich darf Sie fragen, Herr Penner: Nehmen Sie die Wahl
an?


Dr. Willfried Penner (SPD):
Rede ID: ID1410002200
Jawohl, Herr Präsident,
ich nehme sie sehr gerne an.


(Beifall – Gratulation durch eine Reihe von Abgeordneten)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1410002300
Ich bitte
darum, dass die Gratulationscour etwas beschleunigt ab-
geschlossen wird.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Weitermachen, Herr Präsident! Es geht Richtung Ostern!)


Herr Dr. Penner, ich möchte Ihnen auch von hier aus im
eigenen Namen sowie im Namen des ganzen Hauses gra-
tulieren. Ich wünsche Ihnen für die Führung des Amtes
viel Mut, Kraft und eine gute Hand. Herzlichen Glück-
wunsch!


(Beifall)

Die Vereidigung von Herrn Dr. Penner findet in der

nächsten Sitzungswoche am 11. Mai 2000 statt.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 17 a bis 17 f sowie
die Zusatzpunkte 4 bis 6 auf:

7 a) Beratung der Beschussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen (15. Ausschuss) zu dem Antrag
der Abgeordneten Eduard Oswald, Dirk Fischer

(Hamburg), Dr.-Ing. Dietmar Kansy, weiterer

Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Zukunft sichern – Verkehrsinfrastrukturin-
vestitionen verstärken
– Drucksachen 14/2360, 14/3199 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Angelika Mertens

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus
Hofbauer, Dirk Fischer (Hamburg), Dr.-Ing.
Dietmar Kansy, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
A 6 als wichtige europäische West-Ost-
Straßenverbindung vorrangig fertigstellen
– Drucksache 14/2910 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
Haushaltsausschuss

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen (15. Ausschuss) zu der Unter-
richtung durch die Bundesregierung
Faire Preise für die Infrastrukturbenutzung:
Ein abgestuftes Konzept für einen Gemein-
schaftsrahmen fürVerkehrs-Infrastrukturge-
bühren in der EU
Weißbuch
– Drucksachen 14/74 Nr. 2.109, 14/1545 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Karin Rehbock-Zureich
Renate Blank
Albert Schmidt (Hitzhofen)

Horst Friedrich (Bayreuth)

Dr. Winfried Wolf

d) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung
Bericht zum Ausbau der Schienenwege 1999
– Drucksache 14/2176 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für Tourismus

e) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung
Straßenbaubericht 1999
– Drucksache 14/2488 –




Präsident Wolfgang Thierse
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(C)



(D)



(A)



(B)


Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für Tourismus

f) Beratung für Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

(15. Ausschuss) zu dem Bericht des Ausschusses

für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technolo-

(19. Ausschuss)

Technikfolgenabschätzung
hier: Entwicklung und Analyse von Optionen
zur Entlastung des Verkehrsnetzes und zur
Verlagerung von Straßenverkehr auf umwelt-
freundlichere Verkehrsträger
– Drucksachen 13/11447, 14/272 Nr. 144,
14/2429 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Peter Wilhelm Danckert

ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Angelika Mertens, Hans-Günter Bruckmann, Dr.
Peter Danckert, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Albert
Schmidt (Hitzhofen), Franziska Eichstädt-
Bohlig, Winfried Hermann, weiterer Abgeordne-
ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN
Anti-Stau-Programm
– Drucksache 14/3179 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Winfried Wolf, Christine Ostrowski, Rosel
Neuhäuser, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der PDS
Beibehaltung der Reisezug-Verbindungen
zwischen Polen und Berlin
– Drucksache 14/3191 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

ZP 6 Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Verkehr,
Bau-und Wohnungswesen (15. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Horst
Fr iedr ich (Bayreuth) , Hans-Michael
Goldmann, Dr. Karlheinz Guttmacher, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Straßenbau statt Autostau
– Drucksachen 14/2582, 14/3198 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Angelika Mertens

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat das
Wort der Kollege Eduard Oswald von der CDU/CSU-
Fraktion.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1410002400
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Unser Jahrzehnt wird ein Jahr-
zehnt der Mobilität. Die schnelle Raumüberwindung von
Personen, Gütern und Nachrichten wird ganz entschei-
dend für den wirtschaftlichen Erfolg sein. Die arbeitsteili-
ge und weltoffene Gesellschaft lässt ein Bedürfnis nach
zusätzlicher Mobilität entstehen.


(Jörg Tauss [SPD]: Siehe Inder!)

Wie ist die Realität zu Beginn dieses Jahrzehnts?

Deutschlands Straßen sind zunehmend verstopft. In den
letzten fünf Jahren hat die Zahl der PKWs auf deutschen
Autobahnen um 13 Prozent zugenommen. Die Zahl der
LKWs legte um ein Viertel zu. Diese Entwicklung sprengt
sämtliche Prognosen. Der Verkehrswegeplan von 1992
ging noch davon aus, dass im Jahre 2000 im Güterverkehr
150 Milliarden bis 200 Milliarden Tonnenkilometer über
die Schiene transportiert würden. Tatsächlich sind es nicht
einmal halb so viele. Stattdessen war allein der Zuwachs
beim Straßengüterfernverkehr in diesem Zeitraum fast so
groß wie der gesamte Aufkommensbestand an Schie-
nengüterverkehr.

Auf all diese Herausforderungen und Fakten muss die
Verkehrspolitik die richtigen Antworten finden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wer die Zukunft sichern will, muss die Verkehrsinfra-
strukturinvestitionen verstärken. Das, was bisher von
dieser Regierung auf den Weg gebracht worden ist, ist un-
zureichend.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Was machen Sie? – Sie belasten den Autofahrer und bit-

ten ihn zur Kasse. Gleichzeitig aber kürzen Sie bei den
Ausgaben für die Verkehrsinfrastruktur.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Sie verschieben die notwendigen Maßnahmen auf das Jahr
2003 und kündigen sie jetzt erwartungsvoll an. Sie täu-
schen Handlungsfähigkeit vor, indem Sie Programme auf-
stellen und sie gleichzeitig in die nächste Legislaturperi-
ode verschieben. Sie nehmen hin, dass der Dauerstau auf
unseren Straßen zu einer Vergeudung von jährlich 33Mil-
lionen Liter Kraftstoff führt und einen Zeitverlust von täg-
lich 13 Millionen Stunden sowie einen volkswirtschaftli-
chen Schaden von 550 Millionen DM Tag für Tag verur-
sacht. Für uns heißt aktiver Umweltschutz: weniger Stau!


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Das ist eine Stauregierung!)


Was ist zu tun? Erstens. Wir müssen in die Verkehrsin-
frastruktur investieren. Denn die Qualität der Verkehrsin-
frastruktur bestimmt die Qualität des Standortes Deutsch-
land. Zweitens. Wir brauchen ein schlüssiges und
umfassendes Konzept zur Finanzierung der Verkehrs-
infrastruktur. Bis 2003 steigt die Mineralölsteuer




Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

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(C)



(D)



(A)



(B)


einschließlich der Mehrwertsteuer um 21 Pfennig je Liter;
auf den Autofahrer kommen damit glatte 1 000 DM zusätz-
lich zu, die der Staat mit der Ökosteuer dem Durchschnitts-
fahrer aus der Tasche zieht. Heute zahlen die Auto-
fahrer 85 Milliarden DM an Steuern, während nur
32MilliardenDM für den Straßenbau ausgegeben werden.


(Angelika Mertens [SPD]: Und wie war das früher? – Zuruf des Abg. Jörg Tauss [SPD])


– Lautstärke ist kein Argument.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Um die Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur,
insbesondere den Ausbau des Bundesfernstraßennetzes,
auf eine vernünftige Grundlage zu stellen, müssen Vo-
raussetzungen geschaffen und Fragen geklärt werden. Ich
darf in diesem Zusammenhang sechs Fragen stellen.

Erstens. Wie hoch müssen denn die verkehrsspezifi-
schen Abgaben des Verkehrsträgers LKW insgesamt sein,
damit sie die vom LKW verursachten Wegekosten wider-
spiegeln?

Zweitens. Wie soll denn die entfernungs- und leis-
tungsbezogene Straßenbenutzungsgebühr für schwere
LKWgenau ausgestaltet werden? Lässt Ihnen denn der Fi-
nanzminister noch etwas? In diesem Zusammenhang muss
geklärt werden, wie die Kompensationsmöglichkeiten für
das inländische Güterkraftverkehrsgewerbe aussehen und
wie die Harmonisierung im internationalen Wettbewerb
weiter vorangebracht wird.

Drittens. Die Bundesregierung muss ein Konzept vor-
legen, wie die Verkehrssteuern und deren Aufteilung neu
geordnet werden sollen, wenn mit einer Finanzierung der
Verkehrswege über Gebühren Änderungen im bisherigen
System notwendig werden.

Viertens. Es muss die Zweckbindung eines Anteils an
der Mineralölsteuer für den Bundesfernstraßenbau erfol-
gen.


(Angelika Mertens [SPD]: Warum haben Sie das alles früher nicht gemacht? Nichts haben Sie da gemacht!)


Eine Erhöhung der Mineralölsteuer um einen Pfennig
bringt über 700 Millionen DM.

Fünftens. Die Investitionsquote muss entsprechend der
im Bundesverkehrswegeplan zugrunde gelegten Bedarfs-
fortschreibung erhöht werden.

Sechstens. Es ist eine verstärkte Nutzung des Einsatzes
privaten Kapitals im Rahmen des Fernstraßenbauprivatfi-
nanzierungsgesetzes vorzusehen. Dazu müssen auch Ge-
spräche auf EU-Ebene geführt werden, um die Möglich-
keiten auszuweiten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Umfang rechts-

kräftig planfestgestellter, also baureifer Straßenbaupro-
jekte beträgt inzwischen bundesweit über 5 Milliarden
DM, für die keine Finanzierung besteht. Denken Sie dabei
immer daran, dass gerade bei den notwendigen Ortsum-

gehungen Straßenbau Menschenschutz ist. Und denken
Sie dabei auch daran, dass durch Ihre Mineral-
ölsteuererhöhungen unsere Bürgerinnen und Bürger auf
dem flachen Land um bis zu 30 Prozent stärker belastet
werden als die Stadtbewohner.


(Angelika Mertens [SPD]: Die zahlen auch mehr Miete!)


Wir werden bei unserer Verkehrspolitik die große Zahl der
Menschen nicht aus dem Auge verlieren, die tagtäglich auf
das Auto angewiesen sind.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Rot-Grün vergisst die normalen Leute!)


Wir wissen, dass der Ausbau der Verkehrswege nicht
unbegrenzt möglich ist. Die Verkehrsprobleme müssen
vor allem auch durch eine Verbesserung der Leistungs-
fähigkeit, der Effizienz, der Sicherheit und der Nutzer-
freundlichkeit des bestehenden Verkehrssystems gelöst
werden.

In der deutschen Verkehrspolitik war man sich immer
einig, dass es Ziel bleiben muss, die zusätzlich entstehen-
den Verkehre von der Straße auf die Schiene zu verlagern.
Deshalb verwundert es mich schon, dass sich die Bahn ge-
rade beim kombinierten Verkehr zurückziehen will, ge-
plante Güterverkehrszentren nicht realisiert und somit der
Verkehr auf die Straße getrieben wird. Das kann nicht die
richtige Politik sein. Sie, meine sehr verehrten Damen und
Herren, dürfen so etwas nicht mitmachen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Man kann nicht draußen verkünden, man wolle die Ver-
kehre von der Straße auf die Schiene verlagern, und
gleichzeitig erklären, man werde eine solche Politik der
Bahn akzeptieren.


(Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sie haben es bisher doch auch immer gemacht!)


Wir werden alle Vorschläge der Bahn und auch der
Bundesregierung sorgfältig hinterfragen. Die erste Frage
lautet: Gelingt es, wieder mehr Verkehr auf die Schiene zu
bringen? Wir wollen eine Stärkung des Rad-Schiene-Sys-
tems.


(Angelika Mertens [SPD]: Wir auch!)

Der Schienenverkehr muss attraktiver werden.


(Jörg Tauss [SPD]: Sehr gut!)

Zweitens: Uns geht es um die Zufriedenheit der Bahn-

kunden. Die Sicherheit bei der Nutzung ist unverzichtba-
re Voraussetzung für den Erfolg des Unternehmens und
seiner Mitarbeiter.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P. – Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Hundertprozentig richtig!)





Eduard Oswald
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(C)



(D)



(A)



(B)


Wir wollen eine Bedienung der Fläche. Jede Region
muss an das Schienennetz angeschlossen sein. Ein Rück-
zug aus der Fläche würde der Bahn auf ihren Hauptmagi-
stralen auf Dauer Verluste bringen. Denn jeder Kunde, der
sich erst ins Auto setzen muss, um zur Hauptstrecke zu ge-
langen, verzichtet womöglich ganz auf die Nutzung der
Bahn.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Wir wollen, dass die Bundesregierung ihre Eigentü-
merverantwortung für das Schienennetz ernst nimmt. Wir
wollen, dass der Bund die Rahmenbedingungen für die
Bahn verbessert und die Bahn nicht weiter belastet. Die
Ökosteuer und die Gebühr für den Bundesgrenzschutz be-
lasten die Bahn und damit die Bahnfahrer mit 650 Millio-
nen DM jährlich. Wir wollen eine leistungsfähige Bahn
und auch ein zukunftsfähiges Schienennetz. Wir wollen
Wettbewerb auf der Schiene. Wenn manche Konzepte, die
von der Bahn vorgelegt werden, bedeuten, dass die Bahn
entscheidungsnäher beim Bürger ist, dann ist dies ganz si-
cher der richtige Weg. Wir wollen mehr Güter auf die
Schiene bringen. Die Bahn muss flexibler, schneller und
kostengünstiger werden.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: In der Tat!)

Wir wollen, dass die Bahn auch beim grenzüberschrei-

tenden Verkehr wieder leistungsfähig wird.

(Beifall des Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Dies muss wieder ein wichtiges europäisches Thema wer-
den. Es muss von der gesamten Bundesregierung getragen
und darf nicht allein dem Verkehrsminister überlassen
werden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Beifall der Abg. Angelika Mertens [SPD] und des Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Wir wollen, dass unsere Bahnhöfe wieder attraktiver
und sicherer werden, aber nicht nur die in den Zentren,
sondern auch die auf dem flachen Land.

Unser politisches Ziel ist es, deutlich zu machen, dass
Verkehr und Mobilität kein Selbstzweck, sondern die
Grundlagen für das soziale Miteinander des Menschen, für
die Erschließung der Lebensräume und für fast jede wirt-
schaftliche Tätigkeit sind. Also bestrafen Sie Mobilität
nicht.


(Angelika Mertens [SPD]: Das tut keiner!)

Wirtschaftliche und verkehrliche Entwicklung sind

miteinander verknüpft. Es kann auf keinen Verkehrsträger
verzichtet werden. Verkehrspolitik muss man ideologiefrei
betreiben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Denn die Verkehrspolitik entscheidet über die Zukunfts-
fähigkeit des Landes. Deshalb sind Investitionen in die
Verkehrsinfrastruktur Zukunftsinvestitionen. Das haben

wir mit unseren Anträgen dokumentiert. Stimmen Sie al-
so unseren Anträgen, die den richtigen Weg aufzeigen, zu.

Ich möchte diese Debatte aber nicht schließen, liebe
Kolleginnen und Kollegen,


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sie hat erst begonnen!)


ohne dem bisherigen Parlamentarischen Staatssekretär
Lothar Ibrügger, der diese Debatte hier unter uns ver-
folgt, sehr herzlich für seine Arbeit gedankt zu haben.


(Beifall im ganzen Hause)

Er stand uns fachkundig mit Rat und Tat zur Seite – natür-
lich manchmal mit anderen politischen Zielsetzungen,
aber er war immer ein liebenswürdiger Kollege. Wir hof-
fen, dass er dies nicht nur war, sondern auch ist und bleibt.
Wir wissen dies und freuen uns auf weitere herzliche Be-
gegnungen mit ihm hier im Parlament und auch außerhalb.
Alles Gute und vielen herzlichen Dank.


(Beifall im ganzen Hause)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1410002500
Das Wort
hat nun die Kollegin Heide Mattischeck von der SPD-
Fraktion.


Heide Mattischeck (SPD):
Rede ID: ID1410002600
Herr Präsident! Meine lie-
ben Kolleginnen und Kollegen! Ich kann mich zumindest
den letzten Worten des Kollegen Oswald anschließen.


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Den anderen auch!)


– Nein. Ich kann mich nur ganz wenigen Sätzen an-
schließen. Aber dies werden wir als Verkehrsausschuss si-
cherlich auch noch an einem anderen Tag und zu einem an-
deren Anlass diskutieren.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich schätze den Kollegen Oswald als guten Vorsitzen-

den sehr, wie wir es alle im Ausschuss tun. Aber heute hat
er etwas heftig aufgetragen.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Die Wahrheit tut weh! Sehr sachlich! Keine Polemik!)


Die wenigen Minuten, die mir zur Verfügung stehen,
möchte ich für das Thema Bahn nutzen, weil es in der au-
genblicklichen Situation sehr wichtig ist. Ich möchte auf
das, was mein Vorredner sagte, reagieren; das macht eine
Debatte aus. Ich weiß, dass Sie uns sehr viel zutrauen, Herr
Oswald. Aber was wir in eineinhalb Jahren herunterge-
wirtschaftet haben sollen! Das haben wir wirklich nicht
geschafft. Wir sind nicht daran Schuld, dass die Bahnhö-
fe in einem solch schlechten Zustand sind, Herr Oswald.


(Zuruf des Abg. Eduard Oswald [CDU/CSU])

– Wenn Sie Zurufe haben, melden Sie sich; ich werde die
Fragen gerne beantworten. Wir sollten uns gemeinsam
dieser Aufgabe stellen.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Über Ostern werden wir sie alle renovieren!)





Eduard Oswald

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(C)



(D)



(A)



(B)


Wenn Sie immer wieder von den zusätzlichen Belas-
tungen sprechen – darauf muss man eingehen –, die die
rot-grüne Regierung den Autofahrern aufbürdet,


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Völlig richtig, stimmt doch!)


so kann ich Ihnen nicht ersparen, an die Erhöhung von
50 Pfennig zu erinnern, die Sie vorgenommen haben. Das
ist in irgendwelchen Löchern, die Sie gestopft haben,
verschwunden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Welche Löcher stopfen Sie denn damit?)


Mit der ökologischen Steuerreform entlasten wir die
Arbeitgeber sowie die Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmer, entlasten bei der Rentenversicherung, weil
Sie die Lohnnebenkosten in den 16 Jahren Ihrer Regie-
rungszeit in eine ungeahnte Höhe getrieben haben. Sie ha-
ben uns eine hohe Schuldenlast hinterlassen. Das muss
man immer wieder sagen: 1,5 Billionen DM Schulden,
über 80 Milliarden DM Zins und Tilgung in jedem Jahr.
Was könnten wir von diesem Geld investieren, wenn wir
es nur hätten!


(Beifall bei der SPD – Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Ach Gott, ach Gott!)


– Der liebe Gott hat damit überhaupt nichts zu tun.
Sie haben gesagt, wir würden etwas in die nächste Le-

gislaturperiode verschieben. Sie haben die Probleme, die
Sie nicht nur in der Verkehrspolitik übrig gelassen haben,
sogar auf die nächste Regierung verschoben. Damit haben
Sie etwas Gutes gemacht. Wir werden diese Probleme
nicht weiter verschieben, sondern wir werden alles, was in
unserer Kraft steht, tun, um diese Probleme zu lösen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Wie denn? Jetzt kommen Sie zur Lösung!)


Wir haben zurzeit eine breite öffentliche Diskussion
über die Zukunft der Bahn. Diese Diskussion begrüßen
wir. Die eine oder andere Schreckensmeldung, die jeden
Tag oder zumindest jede Woche in den Zeitungen zu lesen
ist, ist dabei nicht so hilfreich. Dies hat nicht immer etwas
mit sachlicher Politik zu tun. Wir brauchen keine aufge-
regte Diskussion über die Bahn, sondern wir brauchen ei-
ne sachliche Diskussion. Denn die Bahn hat in der Tat Pro-
bleme.

Herr Mehdorn hat unmittelbar nach seinem Amtsantritt
die Dinge beim Namen genannt. Wir fanden das sehr hilf-
reich. Dies war eine gute Ausgangsbasis für eine gemein-
same Strategie von Regierung, Mehrheitsfraktionen und
Bahn. Wenn die Opposition dabei mitmachen möchte, ist
sie herzlich dazu eingeladen, an der Lösung der Probleme
mitzuarbeiten.

Ich sage an die Adresse der Bahn und des Vorstandes
aber auch: Man kann eine Firma kaputtsparen. Das ist
nicht unser Ziel. Es hat hier keinen Sinn, nur über Kos-
teneinsparungen zu reden, sondern wir müssen die Bahn

in Qualität und Quantität verbessern. Das muss vor allem
unsere Strategie sein. Das entspricht – daran darf ich erin-
nern – den Intentionen der Bahnreform, und das entspricht
der Gemeinwohlverpflichtung aus dem Grundgesetz.

Deutschland ist Transitland Nummer eins in Europa.
Die erwarteten Verkehrszuwächse – Kollege Oswald hat
darauf hingewiesen – können nur mit einer leistungsfähi-
gen Bahn bewältigt werden: ob es der Personennah- oder
-fernverkehr oder ob es der Güterverkehr ist. Das gilt auch
im Hinblick auf die anstehende Osterweiterung der Eu-
ropäischen Union.

Die Bahn muss sagen, wohin sie will – im wahrsten Sin-
ne des Wortes. Die Politik muss für die erforderlichen
Rahmenbedingungen bei den Investitionen und den Wett-
bewerbsbedingungen sorgen. Wir werden das Unsere da-
zu tun. Wir haben entsprechende Schritte eingeleitet. Un-
seren Willen haben wir im Übrigen im Koalitionsvertrag
zum Ausdruck gebracht.

Nach sechsjähriger Erfahrung mit der Bahnreform und
den daraus resultierenden Veränderungen ist es an der Zeit,
eine erste Bilanz zu ziehen. Wir haben deshalb gemeinsam
mit dem Koalitionspartner eine Große Anfrage zur Bahn-
politik an die Bundesregierung gestellt. Wir werden im Ju-
ni die Antwort darauf bekommen und werden daraus un-
sere Schlüsse ziehen. Unausgegorene Schnellschüsse sind
unseres Erachtens nicht zielführend.


(Beifall bei der SPD – Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: Gibt es ausgegorene Schnellschüsse?)


Es mag objektiv zu wenig sein, was in den letzten Jah-
ren bei der Bahn im investiven Bereich gemacht worden
ist. Wir müssen – ich will auf die Zahlen jetzt nicht näher
eingehen – mit den Ergebnissen der Politik der
CDU/CSU und der F.D.P. leben. All das, Herr
Oswald, was Sie zugunsten der Bahn vorgeschlagen ha-
ben – Harmonisierungsschritte, der Ausgleich von Nach-
teilen gegenüber anderen Verkehrsträgern und vor allen
Dingen gegenüber den Bahnen der anderen europäischen
Ländern –, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass Sie
16 Jahre lang Zeit gehabt haben, solche Vorschläge um-
zusetzen. Sie haben aber nichts getan, wovon wir heute
zehren könnten und worauf wir aufbauen könnten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie sind aber trotzdem noch immer herzlich eingeladen,
hier mitzumachen.


(Klaus Hasenfratz [SPD]: Die sind im Schlafwagen gefahren!)


– Ja, sie sind im Schlafwagen gefahren.
Aufgabe des Unternehmens Deutsche Bahn ist es,

durch Effizienzsteigerung zu größerer Leistungsfähigkeit
zu gelangen. Hierzu gehört eine optimale Organisations-
form. Herr Mehdorn hat eine ganze Reihe von Vorschlä-
gen gemacht, mit denen wir uns anfreunden können und
die wir unterstützen können, wenn es konkretere Formen
annimmt. Auch wir sind der Meinung, dass nicht nur, wie
es in den letzten Jahren oft zur Diskussion gestellt wurde,
die großen Magistralen – –




Heide Mattischeck
9394


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1410002700
Frau Kol-
legin Mattischek, erlauben Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Dr. Meister?


Heide Mattischeck (SPD):
Rede ID: ID1410002800
Aber gerne, ja.

Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1410002900
Herr

Meister.


Dr. Michael Meister (CDU):
Rede ID: ID1410003000
Frau Kollegin
Mattischeck, Sie laden uns ja dazu ein, an einem Zu-
kunftskonzept für die Deutsche BahnAG konstruktiv mit-
zuwirken. Ist das Konzept, das Sie ansprechen, das Kon-
zept, das der Vorstandsvorsitzende der Bahn AG, Herr
Mehdorn, vorgelegt hat, oder meinen Sie ein anderes Kon-
zept? Wenn Sie uns einladen, daran mitzuwirken, müssen
wir natürlich wissen, an welchem Konzept wir mitwirken
sollen.


Heide Mattischeck (SPD):
Rede ID: ID1410003100
Ich habe gesagt, dass wir
uns mit dem Konzept von Herrn Mehdorn, soweit wir es
bisher in Umrissen kennen, gut anfreunden können. Da
muss aber noch Fleisch an die Knochen; darüber werden
wir noch diskutieren. In diesem Zusammenhang habe ich
auch unsere Große Anfrage genannt, die eine Reihe von
Fragen an die Bundesregierung hinsichtlich der Konkur-
renzfähigkeit der Bahn gegenüber den anderen Verkehrs-
trägern innerhalb Deutschlands und gegenüber den ande-
ren europäischen Eisenbahnen enthält. Wir werden die
Antwort der Bundesregierung auf diese Große Anfrage ab-
warten und dann darüber diskutieren, welche Konsequen-
zen wir daraus ziehen müssen.

Wir wissen aber heute schon einiges, was wir machen
müssen


(Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: Verraten Sie mal!)


und was Sie leider nicht gemacht haben. Faire Trassen-
preise sind ein ganz wesentlicher Faktor


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


für die Konkurrenzfähigkeit der Deutschen Bahn hin-
sichtlich der europäischen Eisenbahnen und der verschie-
denen Verkehrsträger in Deutschland. Sie haben viel Zeit
gehabt, dies zu regeln, aber Sie haben es nicht geregelt.
Wir packen diese schwere Aufgabe jetzt an.

Da Sie mich nach dem fragten, was wir von der Bahn
wollen, sage ich Ihnen: Wir wollen eine „Flächenbahn“,
die im Nahverkehr präsent ist und möglichst viele Regio-
nen bedient. Selbstverständlich wird es immer Ergänzun-
gen durch Busse geben müssen. Das gibt es heute schon
und das ist auch nicht besonders neu. Wir wollen schnelle
Hochgeschwindigkeitsverbindungen


(Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: Langsame Hochgeschwindigkeitsverbindungen gibt es nicht!)


zwischen den Zentren. Vor allen Dingen wollen wir – das
klappt überhaupt nicht; Sie haben auch das nicht in Angriff

genommen – die Verbindungen im europäischen Schie-
nenverkehr ausbauen. Hier hat unser Verkehrsmi-
nister erste erfolgreiche Verabredungen mit Frankreich ge-
troffen. Wir wollen optimale Verbindungen. Wir wollen
gute Taktzeiten. Wir wollen die Öffnung des Bahnnetzes
auch für Dritte; das funktioniert ebenfalls überhaupt noch
nicht. In diesem Zusammenhang dürfen wir nicht verges-
sen, dass die Sicherheit der Bahn weiterhin an oberster
Stelle stehen muss. Schließlich geht es um den Service,
den wir von der Bahn erwarten: Sauberkeit, Pünktlichkeit,
Schnelligkeit, Zuverlässigkeit.

Wir sind auf einem guten Wege. All das, was wir und
der Verkehrsminister in diesen eineinhalb Jahren ange-
packt haben, ist der richtige Weg.


(Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: Er hat den richtigen Weg angepackt?)


Wir werden ihn ganz in Ruhe und Gelassenheit weiterge-
hen und werden uns durch aufgeregte Schnellschüsse nicht
aus der Ruhe bringen lassen. Wir werden dieses Ziel wei-
ter verfolgen. Wir werden dabei einen guten Erfolg haben,
und zwar schneller als in 16 Jahren. Sie hatten in 16 Jah-
ren gar keinen Erfolg.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1410003200
Als näch-
stem Redner gebe ich das Wort dem Kollegen
Jürgen Möllemann von der F.D.P.-Fraktion


Jürgen W. Möllemann (FDP):
Rede ID: ID1410003300
Herr Präsident! Lie-
be Kolleginnen und Kollegen! Ich habe in diesem Parla-
ment über die Jahre hinweg schon eine Menge interessan-
ter Sprachbilder vorgetragen bekommen. Aber das Bild
„schnelle Schnellschüsse“, die man nicht will, sondern
nur etwas langsamere, gefällt mir besonders gut. Auch der
Satz, dass die alte Regierung – das werden Sie wahr-
scheinlich noch in zehn Jahren erzählen; dann allerdings
in der Opposition –


(Widerspruch bei der SPD)

Ihnen nach 16 Jahren nichts hinterlassen habe, wovon Sie
noch heute zehren könnten, ist ein gelungenes Sprachbild.

Jeden Tag muss sich der Westdeutsche Rundfunk aufs
Neue überlegen – um die verkehrspolitische Lage einmal
auf das Land Nordrhein-Westfalen herunterzubrechen, wo
sie besonders interessant ist –,


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist auch ein geglücktes Bild: „die verkehrspolitische Lage herunterbrechen“!)


ob er nur noch Staus ab 6 Kilometern melden soll, weil die
Staumeldungen sonst, wenn auch kürzere Staus berück-
sichtigt werden, länger dauern als die Nachrichten-
sendungen.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wir wollen unseren Friedrich wiederhaben!)







(C)



(D)



(A)



(B)


Die Autofahrer in Deutschland stehen im Jahr circa
4,4 Milliarden Stunden im Stau. Sie verbrauchen im Stau
mehr Sprit als im rollenden Verkehr, verschwenden im
Stau ihre Arbeitszeit und zahlen dafür, dass sie im Stau ste-
hen dürfen, Jahr für Jahr – Stichwort Ökosteuer – mehr
Steuern. Wenn der ADAC und wichtige Verbände der Ver-
kehrswirtschaft unter dem Motto „Jetzt reicht’s“


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das war ein Rohrkrepierer! Das war eine Altherrenveranstaltung!)


eine Kampagne gegen Abzockerei und Investitionskür-
zungen starten, dann müssten eigentlich quer durch alle
Fraktionen die Alarmglocken klingeln.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Angesichts dieser Kampagne reicht es nicht aus, sich
selbstherrlich über die vermeintlich einseitige Ausrich-
tung auf die Straße zu mokieren oder einäugig das finanz-
politische Prinzip hochzuhalten, dass es grundsätzlich kei-
ne Zweckbindung von Steuereinnahmen und deshalb auch
keinen Anspruch der Autofahrer auf Gegenleistungen
gebe.

Wir verstehen die „Jetzt reicht’s“-Kampagne als politi-
sches Signal, Herr Kollege Klimmt; denn die Verkehrspo-
litik, Abteilung Straßenbau, ist unter der rot-grünen Ko-
alition aus derBalance geraten,weil Ihr grünerKoalitions-
partner das, was Sie und andere sozialdemokrati-
sche Verkehrspolitiker – ich nenne zum Beispiel Herrn
Steinbrück oder Herrn Schwanhold in Nordrhein-Westfa-
len – für notwendig erachten, nämlich den massiven Aus-
bau der Verkehrswege, damit die Autofahrer nicht dauernd
im Stau stehen, durch seine Betonpolitik diskreditiert.
Deswegen können Sie das, was Sie eigentlich für notwen-
dig erachten, nicht umsetzen. Das ist das Dilemma für die
Autofahrer.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der Ausbau der Verkehrswege – Sie, meine Damen
und Herren von den Grünen, können sich ruhig darüber
mokieren; aber es ist gut, wenn die Autofahrerinnen und
Autofahrer das wissen – ist zwingend notwendig, weil das
Verkehrsaufkommen auf den Straßen drastisch wachsen
wird – alle Prognosen besagen das –, allein schon deshalb,
weil unsere osteuropäischen Nachbarn durch die Integra-
tion in den europäischen Wirtschaftsraum den gleichen
Motorisierungsgrad wie wir erreichen werden und weil sie
mit ihren Autos, die sie hoffentlich in Deutschland kaufen
werden, nicht nach Sibirien, sondern in das Herz Europas
fahren werden. Das heißt, der Dauerstau wird dann ein
Dauerphänomen. Da hilft kein Ablenkungsmanöver. Es ist
nicht in Ordnung, die Autofahrer bis zum Gehtnichtmehr
abzuzocken, ihnen aber die Straßen, die sie brauchen, vor-
zuenthalten. Man muss nicht ADAC-Mitglied sein, um zu
dieser Erkenntnis zu gelangen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Ich habe vor ein einigen Tagen eine Ausbildungsein-

richtung des Dachdeckerhandwerks im Sauerland besucht.


(Lachen bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


– Machen Sie sich ruhig über solche Berufe lustig. – Die
Ausbildung der Dachdecker ist im Sauerland konzentriert.
Die jungen Leute aus ganz Nordrhein-Westfalen müssen,
um dorthin und von dort wieder zu ihren Arbeitsplätzen zu
kommen, mit dem Auto fahren. Wissen Sie, was Sie von
Ihnen halten, wenn sie von Ihnen mitgeteilt bekommen,
dass der Sprit Jahr für Jahr um 6 Pfennig, Stichwort „Öko-
logie“ – weder „öko“ noch „logisch“ –, verteuert wird und
dass Sie von diesem Geld Jahr für Jahr weniger für den
Straßenbau ausgeben wollen? Diese jungen Leute aus
Nordrhein-Westfalen haben davon ein sehr klares Bild.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie bestrafen damit nämlich nicht die Dienstwagen-
liebhaber Trittin und Höhn, die jede Kröte zu schlucken
bereit sind, um ihre Dienstwagen zu behalten. Diese Per-
sonen können gerne von 5 DM pro Liter Sprit reden. Sie
bestrafen vielmehr die kleinen Leute, die Schüler, die Stu-
denten, die Auszubildenden, die Rentner, diejenigen, die
weite Strecken mit dem Auto fahren müssen und keine
Ausweichmöglichkeiten haben.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


– Auch wenn Sie versuchen, hier mit Zwischenrufen, mit
lachhaften Bemerkungen davon abzulenken: Sie können
es nicht. Die Menschen spüren jeden Tag, dass Ihre Poli-
tik nicht in Ordnung ist.

Wie ist denn der Mechanismus? Die Menschen stehen
im Stau – trotzdem bauen Sie die Straßen nicht aus –, ver-
brauchen noch mehr Sprit – das ist so, wenn man im Stau
steht – und verpesten die Umwelt noch mehr als im rol-
lenden Verkehr. Dafür dürfen sie dann vom nächsten Jahr
an noch einmal 6 Pfennig pro Liter mehr Steuern zahlen.
Das ist nicht in Ordnung!


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich bin ganz sicher, meine Kollegen Steinbrück und
Schwanhold, aber auch Herrn Klimmt richtig verstanden
zu haben, dass sie eigentlich mehr für den Ausbau der
Straßen tun wollen; aber sie dürfen es nicht, weil die Grü-
nen das als Beton- und Blockadepolitik diskreditieren.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Klimmt will davon gar nichts wissen!)


– Herr Kollege, das passt Ihnen nicht. Stehen Sie doch zu
Ihrer Verweigerungspolitik! Geben Sie doch zu, dass Ihr
Vormann Trittin vor der Bundestagswahl erklärt hat – ich
nehme an, er muss ernst genommen werden –, das Ziel sei-
en 5 DM für den Liter Sprit!


(Widerspruch des Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])





Jürgen W. Möllemann
9396


(C)



(D)



(A)



(B)


–Wollen Sie sich distanzieren? Herr Trittin hat erklärt, das
sei das Ziel.

Wir kennen die grünen Methoden, den Menschen für ir-
gendwelche rot-grünen Projekte das Geld aus der Tasche
zu ziehen und es eben nicht denjenigen zukommen zu las-
sen, die es brauchen. Wir brauchen Mobilität in Deutsch-
land.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Wir müssen die Chance eröffnen, dass sich die Menschen
zu ihren Arbeitsplätzen, zu ihren Studienplätzen und zu
ihren privaten Zielen bewegen können.


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Richtig!)

Das geschieht mit Ihrer Verkehrspolitik nicht!


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Mobile Kastrationspolitik ist das!)


Ich möchte gern zu dem zweiten Punkt kommen, der in
diesem Zusammenhang von Bedeutung ist: Es ist ganz
schön, wenn Sie hier sagen: Natürlich reicht Straßenbau
allein nicht; auch die Bahn muss besser werden. Das ent-
spricht ganz genau unserer Meinung. Aber warum hängen
Sie dann am Monopol? Sie wissen doch ganz genau – zu
meiner Zeit als Wirtschaftsminister haben wir in diesem
Hause darüber debattiert –, wie Ihre Haltung war, als es
darum ging, das Telekommunikationsmonopol der Post zu
brechen. Damals ist hier gesagt worden: Dann bricht die
Telekommunikation zusammen; es werden Tausende von
Arbeitsplätzen abgeschafft usw. – Horrorvisionen!

Heute sehen wir: Durch den Wettbewerb auf diesem
Sektor ist das Telefonieren preiswerter geworden und
Abertausende neue Arbeitsplätze sind entstanden. Genau-
so muss es bei der Bahn sein:


(Beifall bei der F.D.P.)

Wir brauchen eine private Gesellschaft, die die Schienen-
wege und die Bahnhöfe managt und vermarktet, und wir
brauchen konkurrierende Anbieter von Transportleistun-
gen für Personen und Güter auf diesem Schienennetz;
sonst werden wir nicht bekommen, was wir benötigen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


In der Bevölkerung verbreitet ist heute das Ärgernis:
Die Bahn ist teuer, unpünktlich und serviceunfreundlich.
Das wird sich nicht dadurch ändern, dass Herr Mehdorn
das Monopol behält und jetzt mitteilt, welche Strecken
stillgelegt werden sollen. Er kann umso unbefangener
stilllegen, je weniger Wettbewerb es gibt. Wir wollen eine
preiswerte, eine servicefreundliche Bahn, die pünktlich ist.
Die werden wir nur bekommen, wenn es Wettbewerb gibt;
deswegen müssen Sie Ihre Ideologie in diesem Punkt kor-
rigieren.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der dritte Punkt, den ich ansprechen will, betrifft den
Transrapid.


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


– Ich weiß schon, warum ich das hier anspreche. – Es ist
schön, dass der Bundesverkehrsminister noch vor einigen
Wochen erklärt hat, das sei eine hochmoderne Technolo-
gie, die wir in Deutschland brauchten. Noch schöner ist es,
dass der Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfa-
len erklärt, er wolle den Transrapid in Nordrhein-Westfa-
len einsetzen. Es ist eher unterhaltsam, wenn die Grünen,
die in Nordrhein-Westfalen und auch hier erklärt haben,
das sei eine absolut überflüssige Technologie, die sich
nicht rechne, plötzlich, vier Wochen vor der Landtagswahl
in Nordrhein-Westfalen, erklären: Na ja, ob zehn Zenti-
meter oberhalb oder unterhalb des Streckennetzes,


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Millimeter, nicht Zentimeter!)


das ist nicht so entscheidend.
Meine Damen und Herren, wir brauchen diese

hochmoderne Technologie. Bundeskanzler Gerhard
Schröder reist in der Welt umher und macht Werbung für
den Export dieses Projektes. Das finde ich verdienstvoll
und gut. Aber wissen Sie, wie die potenziellen Kunden in
diesen Ländern das sehen? – Die fragen: Herr Bundes-
kanzler, wo wenden Sie diese Technologie denn in Ihrem
eigenen Land an?


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Als die Strecke Berlin–Hamburg in Angriff genommen
werden konnte, war es Grün-Rot, das die Durchführung
dieses Projekts mit immer neuen Blockaden erschwert hat.


(Zuruf von der SPD: Und nun nimmt Herr Stoiber ihn!)


Wir wollen den Transrapid. Wir halten die Erklärungen
von Herrn Clement für einen nordrhein-westfälischen Me-
trorapid so lange für unglaubwürdig, wie er sich nicht auf
Bundesebene dafür einsetzt, dass eine Technologie, die an-
geblich für NRWdas Beste ist, in ganz Deutschland ange-
wandt werden kann.


(Beifall bei der F.D.P.)

Es ist allmählich wirklich beschämend: Wir entwickeln

eine der modernste Verkehrstechnologien der Welt und
dann hindern die grünen Bürokraten Sie, die Sozialdemo-
kraten, daran, sie anzuwenden.


(Lachen und Widerspruch bei den GRÜNEN)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, so und nicht anders
ist es: Ihr Ministerpräsident Clement sagt, in Nordrhein-
Westfalen wollen wir die Technologie, aber die Grünen
hier hindern Sie daran. Sie kommen nicht darum herum,
sich eines Tages entscheiden zu müssen, ob Sie Ihren Wor-
ten in der Verkehrspolitik Taten folgen lassen wollen. An-
gesichts dieser merkwürdigen Gemengelage werden Sie
allerdings das, was notwendig ist, nicht hinbekommen,
meine Damen und Herren.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)





Jürgen W. Möllemann

9397


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1410003400
Als näch-
ster Redner hat der Kollege Albert Schmidt vom Bünd-
nis 90/Die Grünen das Wort.

Albert Schmidt (Hitzhofen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kol-
legen! Herr Kollege Möllemann, zu Ihrer Rede möchte ich
eigentlich nur eines sagen


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Gratulieren! – Heiterkeit – Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Es war seine letzte Rede hier im Bundestag!)


– schön wär’s, aber daran glaube ich nicht –: Überschät-
zen Sie unseren Einfluss nicht! Ich wäre froh, wir hätten
den Einfluss, den Sie uns zutrauen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU: Oh, oh!)


Was Sie uns alles zutrauen, was wir verhindern und be-
wirken können – großartig! Also, ich fühle mich geehrt,
Herr Möllemann. Einigen wir uns auf diesen Satz.


(Zuruf des Abg. Hans-Michael Goldmann [F.D.P.])


– Ja, ich habe mich heute sehr nach Horst Friedrich ge-
sehnt. Aber das ist ein anderes Thema.


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Zur Sache jetzt!)


Ich möchte für meine Fraktion einen Gedanken vor-
wegstellen: Das Leitbild einer zukunftsfähigen Verkehrs-
politik ist für uns nachhaltige Mobilität. Das bedeutet,
drei große, gleich wichtige Ziele in Einklang zu bringen:
einerseits die Mobilitätsansprüche, die – so möchte ich so-
gar sagen – die Mobilitätsgarantie für die Menschen und
für den Gütertransport, andererseits die Umweltschonung
und Umwelteffizienz sowie drittens den unabweisbaren
Zwang zur Konsolidierung der öffentlichen Haushalte.
Diese drei Ziele in Übereinstimmung zu bringen ist eine
ungeheuer schwierige Aufgabe; das grenzt an die Quadra-
tur des Kreises.


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Weil sie unvereinbar sind!)


Vor diesem Hintergrund – lassen Sie mich das so deut-
lich und so selbstbewusst sagen – ist es der Bundesregie-
rung in einem beispiellosen Kraftakt gelungen, die Infra-
strukturinvestitionen für diese Legislaturperiode auf ho-
hem Niveau sicherzustellen – trotz Sparpakets und trotz
ernsthafter und glaubhafter Bemühungen zur Konsolidie-
rung des Bundeshaushaltes.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir haben – ich muss das noch einmal in Erinnerung ru-
fen, weil es die schlichten Tatsachen sind – im Investi-
tionsprogramm für die vier Jahre dieser Legislaturperi-
ode sichergestellt: 32 Milliarden DM für den weiteren
Aus- und Neubau des Straßennetzes,


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Weniger als früher!)


3,6 Milliarden DM für den Wasserstraßenausbau,

(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Weniger als früher!)

28 Milliarden DM aus Mitteln des Bundeshaushaltes, des
Einzelplans 12, für den Schienenausbau.


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Weniger als früher!)


Hinzu kommen 3,8MilliardenDM privates Kapital für die
ICE-Strecke über Ingolstadt, 1,2 Milliarden DM für
S-Bahn-Programme im Rahmen des GVFG, 400 Mil-
lionen DM für das Lärmschutzprogramm Schiene – das
gab es vorher überhaupt nicht –, 3,6 Milliarden DM Ei-
genmittel der Deutschen Bahn AG, 800 Millionen DM
nach dem Eisenbahnkreuzungsgesetz und jetzt noch 1 Mil-
liarde DM für den beschleunigten Ausbau der Hochge-
schwindigkeitsverbindung Hamburg–Berlin anstelle des
unrentablen Transrapids. Das alles macht summa summarum
über 70 Milliarden DM, die in das Verkehrswegenetz
investiert werden. Das ist eine Leistung, auf die wir stolz
sein können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Sie bringen Jahre und Beträge durcheinander!)


Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang eine kleine
Randbemerkung machen. Heute Morgen lief eine Mel-
dung des „Focus“ über die Ticker, dass Investitionen in
den Bestand des Netzes und Reparaturen akut gefährdet
seien. Der „Focus“ hatte einmal mit Dirk Horstkötter ei-
nen sehr fähigen Bahnjournalisten. Seit er zur Zeitschrift
„Capital“ gewechselt ist, verbreitet der „Focus“ über die
Bahn nur noch kalten Kaffee. Was in der Meldung steht,
ist spätestens seit letzter Woche überholt. Der Auftrags-
vergabestopp wurde beendet. Die Mittel des Bundeshaus-
halts – 6,8Milliarden DM–, aber auch die Eigenmittel der
Bahn in Höhe von über 5 Milliarden DM zum Substanz-
erhalt des Netzes stehen uneingeschränkt zur Verfügung.
Die Meldung ist insoweit substanzlos.

Über das Investitionsprogramm hinaus, das ich ein-
gangs angesprochen habe, ist es dem neuen Minister – das
ist ein super Einstand in sein Amt und war bestimmt nicht
einfach – gelungen, für die Jahre nach Ablauf dieser Le-
gislaturperiode zusätzliche Investitionsmittel zu mobili-
sieren


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Mal abwarten! – Weitere Zurufe von der F.D.P.)


– hören Sie doch einmal zu –, nämlich 7,4Milliarden DM,
die aus dem Anti-Stau-Programm stammen und
über die Schwerverkehrsabgabe aufgebracht werden. Die-
se Leistung finde ich beachtlich. Das einzige, was mir an
diesem Programm nicht gefällt, ist die Überschrift, denn
der Begriff „Anti-Stau-Programm“ suggeriert dem nor-
malen Menschen immer, es handele sich um ein reines
Straßenbauprogramm, da man mit dem Begriff „Stau“ Au-
tos verbindet. Das ist es nun gerade nicht. Zwar kommt die






(C)



(D)



(A)



(B)


Hälfte der Mittel aus diesem Programm den Straßen zu-
gute, indem dort Engpässe beseitigt werden, aber es wer-
den eben auch 40 Prozent der Mittel für die Beseitigung
von Engpässen auf der Schiene und 10 Prozent für den
Ausbau der Wasserstraßen zur Verfügung gestellt. Diese
beiden Verkehrsträger sind gerade als Alternativen für den
Güterverkehr von größter Bedeutung.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Das Wesentliche an dieser Leistung ist, wie ich finde,

(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Dass Sie kürzen!)

Folgendes: Jeder im Land, übrigens auch die Landesver-
kehrsminister – merken Sie es sich, Herr Möllemann, falls
Sie das einmal werden sollten –, weiß, dass mit diesem An-
ti-Stau-Programm eine hohe Schwerverkehrsabgabe und
LKW-Maut verbunden sind und dass er, wenn er sagt, man
dürfe keine LKW-Maut oder auch nur eine symbolische
Abgabe einführen, Investitionen gefährdet. Das ist ein sehr
beachtlicher Nebenaspekt der LKW-Maut.

Lassen Sie mich noch auf einen wesentlichen Punkt zu
sprechen kommen, der aus bündnisgrüner Sicht
substanziell ist, weil Verkehrspolitik nicht nur Infrastruk-
turpolitik ist, nämlich auf die Chancengleichheit. Die
Schwerverkehrsabgabe als streckenbezogene elektronisch
erhobene Benutzungsgebühr ist ein zentraler Schritt, um
endlich – verursachergerecht, weil kilometergenau, dis-
kriminierungsfrei, weil auch ausländische Fahrzeuge be-
zahlen müssen, und kompatibel mit anderen europäischen
Systemen Chancengleichheit herzustellen, indem die We-
gekosten Straße und Schiene im schweren Güterverkehr
gleichermaßen angelastet werden. Das ist ein zentraler
strategischer Schritt. Wenn wir sie dann auch noch in der
Höhe beschließen, wie die Fachkommission unter
Pällmann sie vorschlägt,


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Das kostet Sie Kopf und Kragen, Herr Schmidt!)


dann sind wir ein ganzes Stück weiter bei der Herstellung
von Chancengleichheit auf dem deutschen Verkehrsmarkt.


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Dann sind alle ökologischen Verkehrsträger weg vom Markt, Herr Schmidt!)


Zur Chancengleichheit, deren Herstellung damals von
der Regierungskommission Bundesbahn als Vorausset-
zung für den dauerhaften Erfolg der Bahnreform bezeich-
net wurde, gehört aber auch die Verstetigung und dau-
erhafte Zusicherung gleich hoher Investitionsmittel.
Dies ist, wie ich dargestellt habe, gelungen. Für uns bein-
haltet das aber auch die Verstetigung der Mittel in der
Größenordnung jener 6,8 Milliarden DM, wie sie heute in
der mittelfristigen Finanzplanung veranschlagt sind, über
die Folgejahre hinweg, statt eines plötzlichen Abbrechens
ab 2003, wenn der formale Grund, die Sanierung des Ost-
netzes, wegfällt.


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Herr Schmidt, Sie haben gekürzt!)


Zur Chancengleichheit gehört aber auch die Frage der
Steuern- und Abgabenbelastung. Dazu möchte ich ganz
deutlich sagen, unser Vorschlag, in dieser Frage die Para-
meter für die Bahn zu verändern, kann und darf in keiner
Weise die Bemühungen im Unternehmen Deutsche Bahn
Aktiengesellschaft ersetzen, zwischen den Tarifpartnern
ernsthafte Schritte zur weiteren Sanierung und Verbesse-
rung der Produktivität zu vereinbaren. Wenn dies gelingt,
ist nach unserer Auffassung sehr wohl auch der Bund ge-
fordert, klar zu machen, dass an dem heutigen Modell,
nach dem die Bahn über die Trassenpreise direkt die We-
gekosten sowie Mineralölsteuer und Mehrwertsteuer in
vollem Umfang, was in Europa sonst nirgendwo der Fall
ist, zahlen muss, etwas geändert werden muss, um die
Wettbewerbsbedingungen der Schiene deutlich zu verbes-
sern. Die Bahnen befinden sich zunehmend im europä-
ischen Wettbewerb. Deswegen ist der Blick über die Gren-
zen durchaus hilfreich.

Ich möchte diese Diskussion jedoch sehr gelassen
führen, denn wir befinden uns erst am Anfang der Debat-
te. Ich denke, wir werden Zeit haben, uns zu verständigen.
Unsere Vorschläge beziehen sich ohnehin auf mittelfristi-
ge Wirksamkeit. Unser mittelfristiges Ziel der Bahnre-
form – um das deutlich zu sagen – war und ist nicht der
Börsengang. Das Ziel der Bahnreform ist, mehr Verkehr
auf die Schiene zu holen. Dabei soll und muss es bleiben.
Dazu ist aber Voraussetzung, dass ein gesundes, ein sa-
niertes Unternehmen in die Lage versetzt wird, aus eige-
ner Kraft auf den Kapitalmarkt zu gehen, dort Kapital auf-
zunehmen und die Mittel für die Refinanzierung, also Til-
gung und Zinszahlungen, aus eigenen Kräften zu
verdienen, am Markt zu erwirtschaften.


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Welcher Betrag schwebt Ihnen denn vor?)


Das ist der Punkt, um den es geht, nicht um den Börsen-
gang als solchen.

Ich komme zum letzten Punkt: Die eigentliche Groß-
baustelle in der Infrastrukturplanung – und die Infrastruk-
tur ist heute unser eigentliches Thema – ist der neue Bun-
desverkehrswegeplan. Wir müssen feststellen, dass der
alte Verkehrswegeplan nicht mehr aktuelle Daten auf-
weist, dass eine ökologische Neubewertung dringend er-
forderlich ist und dass wir vor allem eine neue Ehrlichkeit
brauchen. Man hat damals alles allen versprochen, ohne es
halten zu können. Diese Politik der leeren und haltlosen
Versprechungen werden wir nicht fortsetzen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Deswegen geht es auch nicht an, was dieser Tage in
Bayern geschehen ist, Herr Kollege Oswald: dass die Bun-
desländer, wenn sie aufgefordert werden, ihre Projekte für
den neuen Verkehrswegeplan anzumelden, wieder den
ganzen Bauchladen ihrer Altplanungen abliefern und noch
zehn bis zwanzig neue Projekte draufsatteln. Das Ge-
samtvolumen der angemeldeten Projekte beträgt allein für
Bayern 25 Milliarden DM.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]:Alle notwendig!)





Albert Schmidt (Hitzhofen)


9399


(C)



(D)



(A)



(B)


Für wie dumm halten Sie denn die Leute? Glauben Sie
denn im Ernst, dass der Bund das finanzieren kann? Die
Hauptbauquote für Bayern liegt bei ungefähr 250 Millio-
nen DM. Für 100 Jahre müsste man einen Plan aufstellen,
um die 25MilliardenDM zu mobilisieren! Das ist der Ver-
zicht auf Gestaltung durch die Bundesländer. Die wollen
uns nur den Schwarzen Peter zuschieben, dass wir aus-
wählen müssen. Diese „Wunschzettel ans Christkind“
kann man aber nicht ernst nehmen; die muss man zurück-
weisen. Dann werden wir eben die Prioritäten setzen,
wenn die Bundesländer es nicht aus freien Stücken tun.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1410003500
Das Wort
hat jetzt der Kollege Dr. Winfried Wolf von der PDS-Frak-
tion.


Dr. Winfried Wolf (PDS):
Rede ID: ID1410003600
Sehr geehrter Herr Präsi-
dent! Werte Kolleginnen und Kollegen! Auch wenn die
PDS ebenfalls in Nordrhein-Westfalen kandidiert, möch-
te ich mich doch – anders als der vorletzte Redner – auf
das Thema konzentrieren. Die Anträge, die heute zur De-
batte stehen und die von den Parteien CDU/CSU und
F.D.P. vorgelegt wurden, weisen in die bekannte Rich-
tung: Der Straßenverkehr soll weiter gefördert werden. In
der liberalen Lyrik heißt das: „Straßenbau statt Autostau!“
Kollege Möllemann zieht dazu als Verkehrspolitiker die
Reißleine und singt frei nach Reinhard Mey: „Hinter den
Abgaswolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein“.
Unser werter Kollege Oswald, dessen Fairness als Aus-
schussvorsitzender ich schätze, bekennt in der „Verkehrs-
Rundschau“ Farbe. Als dort der entsprechende
CDU/CSU-Antrag mit den Worten „Das sind die Argu-
mente des ADAC.“ kommentiert wurde, bekannten Sie,
Herr Oswald, tapfer:

Ja und? Da bin ich seit dreißig Jahren Mitglied ...

(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Dafür schäme ich mich nicht!)

Das Geld ist da. Das muss man jetzt für die Straße ein-
setzen.

Die Regierungsparteien haben ihrerseits einen Antrag
eingebracht, der das Thema mit einem „Anti-Stau-Pro-
gramm“ aufgreift. „Bild“, Klimmt und vox populi wissen,
dass es dabei vor allem um Straßen geht. Für die grüne Kli-
entel darf das Ganze dann als Programm zur Beseitigung
von Verkehrsengpässen im Allgemeinen umtituliert wer-
den. Dabei gibt es eine Alternative, die heute ebenfalls zur
Debatte steht. Diese findet sich in einer wissenschaftlichen
Studie – nicht im PDS-Antrag – mit dem Titel „Optionen
zur Entlastung des Verkehrsnetzes und zur Verlagerung
von Straßenverkehr auf umweltfreundliche Verkehrsträ-
ger“, über die indirekt abgestimmt werden soll.

Die Beschlussempfehlung zu dem letztgenannten Be-
richt begrüßt diesen Bericht einerseits – dem schließen wir
als PDS uns natürlich an –, verbindet damit aber anderer-
seits eine Entschließung, mit welcher der Bericht meines
Erachtens für eine falsche Politik instrumentalisiert wird.

Wahrscheinlich haben nur wenige diesen Bericht gele-
sen. Ich habe deswegen für uns kollektiv Hausaufgaben
gemacht, den Bericht studiert und mit den Anträgen kon-
frontiert.


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Oh!)

– Sie, Herr Goldmann, haben diesen Bericht sicher
ebenfalls gelesen. Ich weiß es.


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Das habe ich nicht gesagt!)


– Gut, dann nicht.
Ich möchte drei Aspekte herausgreifen:
Erstens. Zur Bedeutung des Verkehrs für die individu-

elle Mobilität. Der CDU/CSU-Antrag zur Verstärkung
der Verkehrsinfrastrukturinvestitionen formuliert: „Mobi-
lität ist ein Grundbedürfnis der Menschen ...“. Der Antrag
betont also die erhöhte Mobilität. Sie wissen, dass ich das
Thema Mobilität gerne bemühe. Ich kann heute – statt auf
das große Latinum – auf die genannte Studie zu-
rückgreifen. Dort heißt es – ich zitiere –:

Die Entwicklung der Mobilitätskennziffern der letz-
ten 40 Jahre erlaubt die folgenden Feststellungen: Die
Zahl der pro Person und Tag zurückgelegten Wege hat
sich kaum verändert.

Ich zitiere weiter:
Die Verkehrsdauer pro Person und Tag hat geringfü-
gig zugenommen; ... sie beträgt etwa eine Stunde. Die
pro Person und Tag zurückgelegte Entfernung ist je-
doch deutlich gewachsen.

Das heißt: Die Menschen wurden kaum mobiler. Sie
verfügen nur über schnellere Verkehrsmittel, vor allem
PKW. Sie fahren längere Distanzen, befriedigen damit je-
doch die gleichen Mobilitätsbedürfnisse in einer ungefähr
gleichen, täglich für Mobilität aufgewandten Zeit.

Die Studie weist auch darauf hin, dass es zu stark ver-
änderten Siedlungsstrukturen kam, nicht zuletzt aufgrund
des Straßenbaus, und dass der größte Teil der zusätzlichen
Kilometer, die wir zurücklegen, diesem geschuldet ist. Im
Verkehrs-Deutsch: Vieles davon ist „erzwungener Ver-
kehr“, ist „künstliche Mobilität“.

Zweitens. Die CDU/CSU-Fraktion bezieht sich in
ihrem Antrag positiv auf einen zukünftigen Nachfrage-
zuwachs, wie er im Bundesverkehrswegeplan 1992 pro-
gnostiziert wurde. Daraus abgeleitet werden dann ver-
stärkte Investitionen in die Straße gefordert. Die Studie
stellt demgegenüber fest, dass so gut wie alle Studien zur
zukünftigen Verkehrsentwicklung von interessierter Seite
stammen: Sie wurden von staatlichen Institutionen, die er-
heblich dem Straßenbau frönen, und von Mineralölgesell-
schaften in Auftrag gegeben. Zudem heißt es dort, dass all
diese Studien „die Dynamik der realen Prozesse regel-
mäßig und zum Teil erheblich unterschätzt haben“.

Die Entwicklung sah so aus, dass vor allem der Straßen-
und der Luftverkehr schneller wuchs als prognostiziert
und dass der Schienenverkehr und die Binnenschifffahrt
stagnieren, anstatt – wie es zur Beruhigung prognostiziert
wird – zu wachsen.




Albert Schmidt (Hitzhofen)

9400


(C)



(D)



(A)



(B)


Dies gilt besonders krass für den Bundesverkehrswe-
geplan 1992. Wer sich heute auf dieses Zahlenwerk posi-
tiv bezieht, der ist meines Erachtens verkehrswissen-
schaftlich nicht mehr ernst zu nehmen. Laut Bundes-
verkehrswegeplan sollte der Schienengüterverkehr we-
sentlich wachsen, er sackte aber förmlich in sich zusam-
men. Der PKW- und LKW-Verkehr und vor allem der
Flugverkehr aber erreichen bereits heute Werte, die sie erst
im Jahre 2010 oder 2015 erreichen sollten. Das heißt: Die-
ser Plan ist völlig aus dem Gleis geraten. Leider nimmt die
Bundesregierung diese Tatsache nur unzureichend zur
Kenntnis.

Drittens. Alle hier vorliegenden Anträge gehen davon
aus, dass in der einen oder anderen Form eine Verlage-
rung von Verkehr hin zur Schiene notwendig wäre, dass
dies auch zukünftig stattfinden würde, wenn Einzelmaß-
nahmen mit fairen Preisen für alle Verkehrsträger realisiert
würden. Die Studie unterstreicht zunächst sehr überzeu-
gend, dass der öffentliche Verkehr im Allgemeinen und die
Schiene im Besonderen erheblich umweltverträglicher als
Straßen- und Luftverkehr sind. Exemplarisch sei hier nur
auf die „Vergleichende Zusammenstellung“ der Schad-
stoffemissionen der unterschiedlichen Verkehrsträger auf
Seite 37 hingewiesen. Danach liegt die CO2-Belastung aufder Straße dreimal höher als im ICE-Verkehr; im Luftver-
kehr ist sie sogar viermal höher.

Besonders zu erwähnen ist hier noch die Feststel-
lung der Studie, dass der PKW-Kraftstoffverbrauch je
100Kilometer nicht gesunken ist, was vor allem dem stän-
dig stärker werdenden Motoren geschuldet sei. Ich bitte,
vor allem zur Kenntnis zu nehmen, dass die Studie die
Gründe für diesen „verkehrten Verkehr“ präzise anführt:
Die Kostenbelastung der privaten Haushalte durch den
PKW-Verkehr sank kontinuierlich – im Fall eines ausge-
wählten, repräsentativen Haushaltstyps „von 16 Prozent
im Jahr 1965 auf inzwischen etwa 12 Prozent 1995.“

Die Studie schlussfolgert dann in deutlichem Gegensatz
zu allen hier debattierten Anträgen:

Die vorliegenden Rahmenbedingungen der Ver-
kehrsentwicklung werden ohne gegensteuernde Maß-
nahmen zu einer weiteren erheblichen Zunahme von
Verkehrsleistung führen und deren negative Auswir-
kungen

– die die Studie in erster Linie dem PKW- und Luftverkehr
zuspricht – verstärken.

Sie fordert demgegenüber Maßnahmen zur Entlastung
des Verkehrsnetzes, im Wesentlichen des Straßenver-
kehrsnetzes. Die Vorschläge der Grünen, die Albert
Schmidt hier vorgetragen hat, finden natürlich unsere
Zustimmung; aber sie stehen heute nicht zur Abstimmung.

In der Studie finden Sie kein Wort dazu, dass mehr
Straßen gebaut werden müssten.

Zur Telematik, die hier im Raum hochgejubelt wird,
heißt es dort wörtlich, diese ergebe bei einem Milliarden-
aufwand „nur geringe Verlagerungswerte von unter 2 Pro-
zent“. Da brächte jedes kostenfreie Tempolimit wesent-
lich größere Verlagerungen.

Kein Wort schließlich in der Studie, wonach ein Anti-
Stau-Programm eine Verkehrsperspektive weisen würde.
Dazu merkt die „Verkehrs Rundschau“ sublim an:

Albert Schmidt beeilte sich, dem Verkehrsminister
Klimmt seine Unterstützung

– für das Anti-Stau-Programm
zu versichern ... Schmidt überließ es dem ökologisch
orientierten VCD, Bedenken gegen die Klimmt-Plä-
ne vorzubringen.

Und wie hat der VCD argumentiert? Er argumentierte,
dass das Anti-Stau-Programm den Sinn der LKW-Abgabe
völlig konterkariere. Es sei verkehrt, diese Einnahmen zu
einem großen Teil wieder in Straßenbau zu investieren.
Der VCD-Geschäftsführer stellte dazu fest – was auch
meine Meinung zu diesem Thema ist und ebenso immer
die Meinung der Grünen war –: „Wer Straßen sät, wird
langfristig mehr Verkehr ernten.“


(Lachen des Abg. Hans-Michael Goldmann [F.D.P.])


Mit dieser Debatte ist die Verkehrswissenschaft tat-
sächlich in den Bundestag eingekehrt. Schade ist nur, dass
SPD und Grüne meiner Ansicht nach nur einen unzurei-
chenden Nutzen daraus ziehen wollen und dass CDU/CSU
und F.D.P. versuchen, sie für eine entgegengesetzte Poli-
tik zu vereinnahmen. Sie gehen stillschweigend davon
aus, dass die Studie nicht gelesen worden ist. Ich empfeh-
le uns allen ernsthaft die Lektüre dieser Studie außerhalb
des Wahlkampfgetümmels, vielleicht nach den NRW-
Wahlen.

Danke schön.

(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1410003700
Das Wort
hat jetzt der Kollege Reinhold Strobl von der SPD-Frakti-
on.


Reinhold Strobl (SPD):
Rede ID: ID1410003800
Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Die CDU/CSU beklagt hartnäckig die
angeblich unzureichende Finanzierung beim Ausbau der
Verkehrsinfrastruktur.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: So ist es! Aber das Wort „angeblich“ muss gestrichen werden!)


Sachdienliche Kritik ist dabei mit zunehmendem Abstand
zum Ende Ihrer Regierungszeit immer stärker einer nicht
fundierten und bisweilen leider billigen Polemik gewi-
chen.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Durchgängig fehlen seriöse Vorschläge. Das kommt
nicht von ungefähr, sondern weil auch in den Reihen der
früherenRegierungsfraktionenbekannt ist,dasserstensder
in 16 JahrenKohl-Regierung ruinierteStaatshaushalt nicht
mehr hergibt und dass zweitens der Bundesgesetzgeber




Dr. Winfried Wolf

9401


(C)



(D)



(A)



(B)


Prioritäten für den Aufbau der Infrastruktur in den neuen
Bundesländern gesetzt hat.

Drittens scheint der Unionsfraktion der Blick für die re-
gionale Ausgewogenheit der Finanzierung im Bereich des
Bundesfernstraßenbaus abhanden gekommen zu sein.
Bayern erhält unter allen alten Bundesländern – das sage
ich als Bayer – die meisten Investitionsmittel.


(Angelika Mertens [SPD]: Ja, so was!)

Der entscheidende Punkt ist, dass die Bundesregierung
trotz der desolaten Haushaltslage, die von CDU/CSU und
F.D.P. zu verantworten ist, alle begonnenen Bauprojekte
weiterführt oder, anders gesagt, keine Investitionsruinen
hinterlässt.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.]: Wer hat Ihnen denn den Unsinn aufgeschrieben, Herr Strobl?)


Am Beispiel der Autobahn A 6, die ebenfalls Gegen-
stand dieser Debatte ist, möchte ich Ihrer Polemik ein we-
nig auf den Zahn fühlen. Die A 6 gehört zu den großen
West-Ost-Verbindungen in der alten Bundesrepublik, die
nach Öffnung der Grenzen nach Osteuropa einen erhebli-
chen Verkehrszuwachs zu bewältigen haben, insbesonde-
re was den Güterfernverkehr betrifft. Nur einer Minderheit
der Bürger unseres Landes, nämlich den Betroffenen in der
Oberpfalz, ist jedoch bewusst, dass diese inzwischen zur
europäischen Magistrale erklärte Verbindung bis heute ein
Torso geblieben ist. Zwischen dem oberpfälzischen Am-
berg und dem fertigen Grenzabschnitt Lohma-Waidhaus
klafft eine 55 Kilometer lange Lücke, mit dem Ergebnis,
dass der paneuropäische Transitverkehr sich vorwiegend
über die Bundesstraße 14 wälzt, mit teilweise schlimmen
Folgen für die Anwohner.

Dieser Zustand ist seit Anfang der 90er-Jahre bekannt
und die seitdem eingetretene Zunahme des Transitver-
kehrs war absehbar. Die damalige Bundesregierung hat
diese Entwicklung schlichtweg verschlafen.


(Beifall bei der SPD)

Wir erwarten, dass jetzt endlich der Planfeststellungsbe-
schluss für das Teilstück Amberg-Pfreimd herbeigeführt
wird. Es ist einfach unredlich, für Teilstücke Gelder zu for-
dern, die der Bund mangels Baureife noch gar nicht in sei-
nen Haushalt einstellen darf.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Die Dringlichkeit des Lückenschlusses auf der A 6 ist
seit Jahren bekannt; der Tschechischen Republik wurde
die Fertigstellung sogar vertraglich zugesichert. Aber bis
zum Abtritt der Kohl-Regierung wurde gerade einer von
fünf Bauabschnitten realisiert.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1410003900
Herr Kol-
lege Strobl, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Friedrich?


Reinhold Strobl (SPD):
Rede ID: ID1410004000
Auch wenn es die erste Rede
ist, bitte schön, gerne.


Horst Friedrich (FDP):
Rede ID: ID1410004100
Herr Kollege
Strobl, ich bitte um Entschuldigung, weil es Ihre erste Re-
de ist. Mir ist es aber damals genauso gegangen – seiner-
zeit zufälligerweise von der SPD.


(Zuruf von der SPD: Das macht doch nichts!)

Das gleicht sich wieder aus.

Sie sind – wenn ich das richtig weiß – für den Kollegen
Verheugen in den Deutschen Bundestag nachgerückt. Sie
verbreiten hier große Forderungen zur A 6. Herr Kollege
Strobl, ist Ihnen bewusst,


(Zuruf von der F.D.P.: Nein!)

dass die SPD den Bundesverkehrswegeplan 1992, in den
die A 6 aufgenommen worden ist, abgelehnt hat?


(Jürgen Möllemann [F.D.P.]: Das ist unglaublich, was hier rauskommt! – Susanne Kastner [SPD]: Sie hatten alles unterfinanziert! – Weitere Zurufe von der SPD)



Reinhold Strobl (SPD):
Rede ID: ID1410004200
Meine damalige Fraktion
wird sicherlich gewusst haben, warum sie das abgelehnt
hat.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Meine Damen und Herren, ich möchte fortfahren. Ich
habe heute schon so viel gehört. Ich habe mir heute die Re-
de von Herrn Möllemann angehört, der wieder davon ge-
sprochen hat, wie stark die Bürger belastet werden. Dage-
gen muss man ehrlichkeitshalber – vielleicht sollte das
auch einmal von Ihrer Seite eingestanden werden – sagen,
dass die Bürger durch die Erhöhung des Kindergeldes usw.
bis zum Zehnfachen entlastet werden.


(Zuruf von der F.D.P.: Was? Autofahrer! – Zuruf von der SPD: Sie sollen zuhören!)


Ich möchte jetzt fortfahren.

(Beifall bei der SPD)


Der Bund darf sich nämlich freuen. In dieser Woche – das
wurde vorhin schon einmal gesagt – hat Bayern seine
Wunschliste für die Fortschreibung des Bundesverkehrs-
wegeplanes angemeldet: 14 Schienen- und 360 Fern-
straßenprojekte mit einer Gesamtsumme von 25 Milliar-
den DM.

Hätte Theo Waigel eine verantwortliche Haushalts-
führung betrieben, könnten wir wahrscheinlich alle Fi-
nanzierungssorgen begraben. Allein mit der Zinslast des
Bundes im Zeitraum von drei Tagen wäre die Fertigstel-
lung der A 6 vollständig zu bezahlen.


(Beifall der Abg. Horst Kubatschka [SPD] und Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])





Reinhold Strobl
9402


(C)



(D)



(A)



(B)


In diesem Zusammenhang darf ich Sie an die Aussagen
des früheren Bundesfinanzministers im oberpfälzischen
Vilseck erinnern, der dort einem staunenden Publikum –
das war vor etwa sechs Jahren – erklärte, für den Weiter-
bau der A6 sei das Geld vorhanden. Bei unseren Nachfra-
gen war das Geld dann nicht mehr auffindbar.


(Susanne Kastner [SPD]: Alles in schwarzen Koffern!)


Ich darf zusammenfassen. Mit viel Polemik und wenig
sachdienlich strickt die Unionsfraktion an einer Legende.
Dass der Bundesverkehrswegeplan mit rund 90 Milliar-
den DM unterfinanziert ist, hat sie erfolgreich verdrängt.
Dass sie die A6 bis 1998 nur im Schneckentempo vorwärts
gebracht hat, geriet ebenfalls in Vergessenheit. Dass die
neue Bundesregierung volle Planungssicherheit garantiert,
will sie nicht zur Kenntnis nehmen. Während die alte Re-
gierung in 16 Jahren nur Spatenstiche und Versprechungen
gemacht hat,


(Widerspruch bei der F.D.P.)

werden wir für eine Verbesserung der Verkehrsinfrastruk-
tur sorgen.


(Beifall bei der SPD)

Schaufensteranträge seitens der CDU/CSU helfen uns hier
aber nicht weiter.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Rolf Kutzmutz [PDS])



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1410004300
Herr Kol-
lege Strobl, ich gratuliere Ihnen zu Ihrer ersten Rede im
Deutschen Bundestag. Herzlichen Glückwunsch!


(Beifall)

Das Wort hat jetzt der Kollege Norbert Königshofen

von der CDU/CSU-Fraktion.

(Zuruf von der F.D.P.: Jetzt wird es was!)



Norbert Königshofen (CDU):
Rede ID: ID1410004400
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Schade, dass der Ver-
kehrsminister, Herr Klimmt, nicht mehr bei uns sein kann.


(Zuruf von der CDU/CSU: Er kommt schon wieder!)


– Er kommt wieder. – Ich wollte ihm gerade sagen, dass
wir vor den Trümmern rot-grüner Verkehrspolitik stehen.


(Widerspruch bei der SPD)

Dabei fing das ja eigentlich sehr gut an. Nicht groß genug
konnte der Zuständigkeitsbereich des neuen Ministeriums
sein. Bau und Verkehr wurden zusammengelegt. Der fixe
Franz – so nennt man Herrn Müntefering ja im bedäch-
tigen Westfalen –


(Anke Fuchs wurde neuer Superminister und Herr des größten Investitionsetats Europas. Nun hätten Sie einlösen können, was Sie vor der Wahl versprochen haben: Sie wollten ja nicht alles anders, aber vieles besser machen. (Zuruf von der SPD: Das tun wir auch! – Gegenruf von der F.D.P.: Daran glaubt aber auch nur ihr!)


Dann war das aber plötzlich vorbei. Die Wahlgeschenke
mussten wieder eingesammelt werden.


(Zuruf von der SPD: Was für Wahlgeschenke?)

Herr Schröder war mit seiner rot-grünen Truppe in der

Wirklichkeit angekommen. Jetzt war Sparen angesagt.
Natürlich, Sparen ist notwendig. Aber Sie sparen an der
falschen Stelle. Sie sparen an der Infrastruktur und damit
an den Zukunftsinvestitionen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Zuruf von der SPD: Sie wissen gar nicht, was Sie sagen!)


So kürzen Sie im Investitionsprogramm 1999–2002 im
Vergleich zu den Planungen der vorherigen Bundesregie-
rung rund 5 Milliarden DM bei den Mitteln für den
Straßenbau. Wir wissen, Herr Klimmt hat dieses Investi-
tionsprogramm von seinem Vorgänger geerbt. Er hat
aber rein gar nichts getan, um dem Infrastrukturausbau ei-
ne neue Priorität zu geben. Dafür gibt es keine Entschul-
digung.


(Angelika Mertens [SPD]: Das ist ja totaler Quatsch! – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Gegenteil ist richtig!)


Allein in Nordrhein-Westfalen führt das rot-grüne In-
vestitionsprogramm zu Einschnitten in Höhe von 1,2 Mil-
liarden DM.


(Angelika Mertens [SPD]: Was ist mit dem Anti-Stau-Programm?)


Das hat auch die SPD in Nordrhein-Westfalen gemerkt.
Der damalige Verkehrsminister des Landes Nordrhein-
Westfalen, Herr Steinbrück, hat daraufhin im Oktober des
letzten Jahres Herrn Klimmt einen Brief geschrieben.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das habe ich schon so oft gehört!)


Zunächst einmal gratuliert er Herrn Klimmt artig zu sei-
ner Amtsübernahme und dann gesteht er, dass er seine
„Gratulation mit einem ernsten Thema befrachten muss“,
weil er auf die „fatale Weichenstellung“ der rot-grünen
Verkehrspolitik hinweisen muss.

Dann wird Herr Steinbrück ganz konkret und zeigt an
Beispielen die Folgen auf: keine Realisierung wichtiger
Teilabschnitte des sechsstreifigen Ausbaus des Ruhrge-
bietsdreiecks, Zurückstellung des Ausbaus der A 2 zwi-
schen Kamener Kreuz bis Oelde, keine Realisierung des
Ausbaus der A4 zwischen Autobahnkreuz Köln-West und
Kerpen, kein Ausbau des Kölner Rings, Zurückstellung
wichtiger Ortsumgehungen – ich zitiere immer aus dem
Brief von Herrn Steinbrück – und keine Umsetzung der
Fernstraßenkonzeption „Mittleres Ruhrgebiet“. Bei dieser
Konzeption hatten wir uns ja besondere Mühe gegeben:




Reinhold Strobl

9403


(C)



(D)



(A)



(B)


Unter der Federführung unseres damaligen Staatssekretärs
im Verkehrsministerium, Norbert Lammert, hatten sich ja
der Bund, das Land und die betroffenen Städte nach vie-
len schwierigen Verhandlungen geeinigt. Das alles ist nun
Makulatur.

Ich verstehe, dass nach diesem Brief bei Ihnen alle
Alarmglocken läuteten.


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Das kann man wohl sagen!)


Die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen immer fest vor
Augen wurden Sie plötzlich kreativ und präsentierten das
Anti-Stau-Programm.


(Horst Kubatschka [SPD]: Sie haben es Jahre nicht geschafft, kreativ zu sein!)


Herrn Klimmt, eines muss man der SPD und Ihren Helfern
lassen: Sie erfinden positive Begriffe und beschäftigen die
Fantasie der Menschen. Darin sind Sie in der Tat Welt-
meister.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Es gibt schlimmere Vorwürfe!)


Dieses Programm, mit dem 37 bundesweit dringliche
Straßenbaumaßnahmen mit 3,7 Milliarden DM finanziert
werden sollen, krankt aber an zwei Geburtsfehlern: Zum
einen soll Geld ausgegeben werden, das der Bund noch
lange nicht hat.


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Richtig! – Susanne Kastner [SPD]: Gerade Sie müssen das erzählen!)


So soll das Programm aus der streckenbezogenen Auto-
bahngebühr für LKWs finanziert werden. Diese LKW-
Maut ist aber noch lange nicht beschlossen und daher so-
wohl in der Höhe als auch vom Zeitrahmen her äußerst
fraglich,


(Beifall des Abg. Hans-Michael Goldmann [F.D.P.])


abgesehen davon, dass die Ausschreibung für das dazu
notwendige elektronische Erhebungssystem erst vor kurz-
em erfolgt ist. Dessen Einführung wird übrigens rund
600Millionen DM kosten, also so viel, wie pro Jahr in die-
ses Programm fließen soll.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Woher wissen Sie denn das? Das ist doch gerade erst ausgeschrieben worden! So ein Quatsch!)


Herr Minister, da müssen wir doch fragen: Wie hoch
soll diese Maut sein? Wollen Sie sich an den Empfehlun-
gen der so genannten Pällmann-Kommission orientieren?


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Warum nicht!)


Um aus der LKW-Maut Gesamteinnahmen in Höhe von
rund 4 Milliarden DM zu erzielen, von denen dann aber
jährlich lediglich eine Dreiviertelmilliarde DM in das An-
ti-Stau-Programm fließen soll, müssten Sie die jetzige Be-
lastung der LKWs verfünffachen. Laut Pällmann-Kom-

mission müssten Sie als Maut durchschnittlich 25 Pfennig
je Fahrzeugkilometer erheben, was die durchschnittlichen
spezifischen Transportkosten auf den Bundesautobahnen
um rund 10 Prozent erhöhen würde.


(Christine Ostrowski [PDS]: Ohne die Mehrwertsteuer!)


Dazu kommen – da haben Sie Recht – noch Kosten auf-
grund der Erhebung der Mehrwertsteuer.

Das alles müssen Sie natürlich erst einmal politisch
durchsetzen, im Parlament beschließen und mit den eu-
ropäischen Nachbarn vertraglich absichern. Vorher, Herr
Minister Klimmt, ist all das, was Sie versprechen, nur
politische Wechselreiterei.


(Beifall bei der CDU/CSU – Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Wunsch und Wolke, würde Müntefering sagen!)


Zum anderen ist ja ein Großteil der in diesem Pro-
gramm enthaltenen Projekte noch lange nicht baureif.
Nordrhein-Westfalen soll mit 16 von 37 Maßnahmen
den Löwenanteil erhalten. Von diesen 16 ist aber erst bei
zwei Projekten die Planung abgeschlossen, während bei
11 Projekten die Planung gerade erst begonnen hat.


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Pech gehabt, Herr Minister!)


Auch Sie, Herr Minister Klimmt, wissen, wie lange sich
Planungen bei Autobahnen und Bundesstraßen hinziehen
können.


(Zuruf von der SPD: Was wollen Sie denn jetzt?)


So jedenfalls beseitigen Sie keine Engpässe und so lösen
Sie auch keinen einzigen Stau auf.

Abgesehen davon muss man einmal feststellen, dass
das Anti-Stau-Programm mit den vielen Projekten in
Nordrhein-Westfahlen eine schallende Ohrfeige für den
amtierenden Ministerpräsidenten Clement ist, der lange
Zeit Verkehrsminister in diesem Land war und daher auch
für den übergroßen Nachholbedarf verantwortlich ist. Er
ist der Hauptschuldige für das tagtägliche Chaos auf den
nordrhein-westfälischen Straßen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt habe ich verstanden: Clement ist schuld!)


– Herr Schmidt, Sie sind nicht an allem schuld.
Seit kurzem gibt es ein neues Highlight rot-grüner Ver-

kehrspolitik, den so genanntenMetrorapid. Jahrelang ha-
ben die Grünen gegen die Transrapid-Strecke Ham-
burg–Berlin gekämpft. Nachdem sich alle ökologischen
Einwände als gegenstandslos erwiesen hatten, ist es Ihnen
und Ihren Hilfstruppen in der SPD letztlich doch noch ge-
lungen, das Projekt an den Kosten scheitern zu lassen. Der
Anstieg der Kosten für den Fahrweg von 6,1 Milliarden
DM auf rund 8 Milliarden DM gab Ihnen den Vorwand,
das Bauvorhaben kaputtzumachen.

Sicherlich spielt bei dieser unglaublichen Fehlent-
scheidung der neue Bahn-Chef Mehdorn eine unrühmliche




Norbert Königshofen
9404


(C)



(D)



(A)



(B)


Rolle. Aber wir wollen uns nicht mit Herrn Mehdorn auf-
halten. Die wahren Schuldigen sitzen hier, auf der Regie-
rungsbank und in den Reihen von SPD und Grünen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Hans-Michael Goldmann [F.D.P.] – Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: So ist es! Das ist die Wahrheit!)


Um den katastrophalen Eindruck, den dieses Beispiel
rot-grüner Regierungskunst hinterließ, abzumildern – wir
haben ja am 14. Mai die Wahl in Nordrhein-Westfalen –,
präsentieren nun die Herren Klimmt und Clement eine
neue Version: Metrorapid in Nordrhein-Westfalen. So neu
ist die Idee aber nicht. Sie geisterte bereits vor über zehn
Jahren durch die Gazetten. Damals sollte die Strecke von
Essen nach Bonn führen. Nur, gebaut wurde der Transra-
pid auch damals nicht; es scheiterte an der Finanzierung.
Jetzt soll es der Metrorapid sein, wieder an Rhein und
Ruhr, allerdings zusätzlich mit einer bergischen Achse
über Düsseldorf, Wuppertal und Dortmund.

Die Beratergruppe „Magnetschwebebahn Nordrhein-
Westfalen“, vom Verkehrsministerium in Nordrhein-West-
falen einberufen, schlägt 11 Stationen mit Abständen zwi-
schen acht und 40 Kilometern vor, insgesamt gut 210 Kilo-
meter – und zwar als Regionalverkehrssystem, neben
einem bereits ausgebauten und gut funktionierenden Ei-
senbahnnetz, neben ICE und S-Bahn. Die Beratergruppe
sagt auch, was das kosten soll: 15,6 Milliarden DM.


(Zurufe von der CDU/CSU und der F.D.P.: Oh!)


8 Milliarden DM für die Strecke Hamburg–Berlin
waren zu viel; das war nicht finanzierbar. 15,6 Mil-
liarden DM für den Metrorapid in Nordrhein-Westfalen
aber lassen Klimmt und Clement keinen Moment zögern
und zaudern. Nur Herr Steinbrück – auf diesen Mann müs-
sen Sie aufpassen, Herr Klimmt – gießt wieder ein wenig
Wasser in den Wein. So sagte er am Ersten dieses Monats
in der „Westfälischen Rundschau“: „Das Land wird nicht
Mitfinanzierer des Projekts“.

Ganz hellhörig muss man werden, wenn Frau Ministe-
rin Höhn – grüne Bannerträgerin in Nordrhein-Westfa-
len – ihre Zustimmung signalisiert.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das hat sie nicht getan! – Gegenruf des Abg. Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Doch, hat sie!)


Da wird schlagartig klar, um was es geht: Es handelt sich
um einen plumpen Täuschungsversuch der Wähler in
Nordrhein-Westfalen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Herr Minister Klimmt, Ihre Verkehrspolitik wird den

tatsächlichen Problemen, die wir tagtäglich auf den
Straßen beobachten, nicht gerecht. Wir hören es halb-
stündlich in den Verkehrsnachrichten; aber es ändert sich
nichts. Das ist keine solide und sauber finanzierte Ver-
kehrspolitik, sondern – entschuldigen Sie, wenn ich das so
deutlich sage – politische Hochstapelei.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Und damit, meine Damen und Herren, werden Sie
scheitern.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1410004500
Als näch-
ste Rednerin hat die Kollegin Franziska Eichstädt-Bohlig
von Bündnis 90/Die Grünen das Wort.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

legen! Herr Kollege Königshofen, die Art, wie Sie gerade
Wahlkampf gemacht haben


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Das war eine gute Rede, Frau Kollegin!)


– das bezieht sich auch auf den Kollegen Möllemann –,
war so wunderbar unter Niveau,


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Nein, er hat zur Sache gesprochen!)


dass ich mir, wenn das in NRW genauso läuft, um Rot-
Grün in Nordrhein-Westfalen überhaupt keine Sorgen ma-
che.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Hochmut kommt vor dem Fall!)


Wenn Sie meinen, Herr Clement hätte für den Straßen-
bau in Nordrhein-Westfalen nicht genügend Geld auf den
Tisch gelegt, dann kann ich nur sagen: Angesichts der
Steuerpolitik und der Staatsverschuldungspolitik, die Sie,
Schwarz-Gelb, in den letzten Jahren betrieben haben, kön-
nen Sie nicht verlangen, dass Clement den dicken Sack
neben seinem Arbeitsplatz stehen hat und ständig Geld
verteilt. Das ist eine Politikvorstellung, die wirklich unter
allem Niveau ist. Ich muss deutlich sagen: Sie ist auch un-
ter dem Niveau, auf dem wir in unserem Ausschuss auch
mit Ihren beiden Fraktionen üblicherweise über verkehrs-
politische Fragen diskutieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Peter Ramsauer [CDU/ CSU]: Unter Ihrem Niveau! Von welchem Niveau reden Sie denn?)


– Kommen Sie einmal in unseren Ausschuss; dann merken
Sie, dass wir da wirklich schon ein bisschen weiter sind,
Herr Ramsauer.

Lassen Sie mich lieber zur Sache kommen; denn ich
glaube, wir sind nicht hier, um so primitiv Wahlkampf zu
machen. Ich möchte konkret auf den Bericht des Büros für
Technikfolgenabschätzung zur Telematik und zur Verla-
gerung von Straßenverkehr – es geht um eine Verlagerung
von Straßenverkehr und nicht um eine ständige Auswei-
tung – auf umweltfreundliche Verkehrsträger eingehen.
Ich muss sagen: Es ist interessant, dass Ihre Koalition
seinerzeit einen so guten Bericht auf den Weg gebracht hat,
dass sie aber offenbar nicht in der Lage war, nach solchen
Kriterien zu handeln. Insofern fände ich es schon gut,
wenn Sie zuhören würden, damit Sie erfahren, was zu




Norbert Königshofen

9405


(C)



(D)



(A)



(B)


Ihrer Zeit in Bezug auf eine moderne, integrierte Ver-
kehrspolitik gefordert worden ist.

Als erstes ist ganz klar gesagt worden, Telematik dürfe
nicht nur der Verflüssigung von Individualverkehr und
von Güterverkehr auf der Straße dienen, sondern sie müs-
se in den Städten und Siedlungsräumen gezielt zur Verla-
gerung des Verkehrs auf den öffentlichen Nahverkehr ei-
nerseits und auf die Schiene andererseits genutzt und ent-
sprechend organisiert werden. Das sollten Sie sich
durchaus merken; denn dieses simple Beispiel macht deut-
lich, dass es falsch ist, zu meinen, man könne mit Ver-
kehrsverflüssigung die Probleme lösen. Sie wissen ganz
genau, dass man damit nur für weitere Staus sorgt, im Hin-
blick auf die wir wirklich Entlastung brauchen.

Daher ist die erste Aussage in dem Bericht, den Sie ha-
ben machen lassen, richtig. Man darf von der Telematik
keine verkehrstechnischen Wunder erwarten. Im Gegen-
teil, sie muss integriert werden und mit anderen verkehrs-
politischen Zielen und Maßnahmen, wie Rot-Grün sie ein-
geleitet hat und durchführt, nämlich Maßnahmen im ord-
nungsrechtlichen und im finanziellen Bereich, kombiniert
werden.

Hören Sie gut zu! Sie haben hier wieder dauernd gegen
die Ökosteuer geredet. Herr Möllemann hat die Leier rauf
und runter gespielt. Wir können es schon fast nicht mehr
hören.


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Eben! Das ist es!)


In dem Bericht, den Sie haben machen lassen, steht sehr
genau drin, dass die Ökosteuer, das heißt die Verteuerung
der Mineralölsteuer und die Verteuerung des Autover-
kehrs, ein wichtiges Instrument ist, um in unseren Städten
wirklich ein Stück Verkehrsberuhigung, die wir dringend
nötig haben, zu erreichen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: Nein, Abzockerei! Dem kleinen Mann in die Tasche fassen!)


Das Gutachten sagt des Weiteren – das haben Sie nicht
geschafft –, dass wir dringend eine LKW-Maut brauchen,
um die Straßen endlich vom LKW-Verkehr zu entlasten.
Kurzum: Sie haben davon geredet. Wir haben gehandelt.
Daher sollten Sie sich klarmachen, dass es wirklich nichts
bringt, große Sprüche zu klopfen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1410004600
Frau Kol-
legin, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dirk
Fischer?


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

wir gleich noch ausführlich hören. Herr Kollege, wir dis-
kutieren es im Ausschuss. Ich glaube, wir sollten besser
zusehen, dass wir den Tagesordnungspunkt bald zu Ende
bringen.


(Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: Sie haben Angst!)


– Ach nein. Wenn Sie meinen, dass ich vor Herrn
Fischer Angst habe, dann täuschen Sie sich ein bisschen.

Lassen Sie mich noch auf einen wichtigen Punkt ein-
gehen. Bei der Diskussion über die Verkehrsproblematik
werden die Städte, die dazugehören, und die Siedlungs-
räume zu wenig berücksichtigt. Der Bericht gibt sehr
wichtige und gute Empfehlungen zur Integration von Ver-
kehrspolitik und Städtebau. Er fordert nicht nur, dass
wir als Leitbild der Verkehrspolitik verkehrstechnische
Aspekte sehen, sondern verlangt, dass wir endlich auch die
Verbesserung der Umweltqualität und der städtischen Le-
bensqualität ernst nehmen und integrieren. Das bedeutet
weniger Autoverkehr in den Städten und nicht ständig
mehr. Ich halte diesen Aspekt nicht nur aus Umwelt-
schutzgesichtspunkten, für deren Berücksichtigung wir
Grüne eintreten, für wichtig, sondern auch um der anhal-
tenden Stadtflucht, die in hohem Maße mit den unerträg-
lichen Verkehrsbelastungen in unseren Städten, mit der zu-
nehmenden Lärmbelastung, mit den Unfallgefahren zu-
sammenhängen, Einhalt zu gebieten und neue Strategien
zu entwickeln.

Insofern fordert dieser Bericht – das sollten wir ernst
nehmen und dazu in dieser Legislaturperiode Initiativen
ergreifen – auch Mut zu einer Bauleitplanung, die auf den
ÖPNV ausgerichtet ist, Mut zum Carsharing und Mut zu
städtischen Mobilitätskonzepten, die integriert entwickelt
werden und nicht konkurrierend, wie Sie das bisher immer
getan haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dieser Bericht, der unter Schwarz-Gelb verfasst wor-

den ist, ist wunderbar – aber Rot-Grün handelt: Wir haben
die Ökosteuer eingeführt, vor der Sie nach wie vor solche
Panik haben, dass Sie ständig schreien, das sei das Böse
schlechthin. Wir werden darüber hinaus die Schwerver-
kehrsabgabe zur Diskussion stellen und sie einführen.
Wir werden ein Konzept zur Stärkung des öffentlichen
Nahverkehrs vorlegen. Unsere Fraktion hat hierzu bereits
wichtige Eckpunkte beschlossen.


(Abg. Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU] meldet sich erneut zu einer Zwischenfrage)


– Herr Fischer, und wenn Sie es noch so charmant machen:
Ich lasse Ihre Zwischenfrage jetzt nicht zu. Sie können
gleich alles in Ihrer Rede vortragen, was Sie zu sagen ha-
ben.

Ich komme zum Schluss. Sie hatten die Chance zur Re-
form. Schwarz-Gelb hat gute Berichte schreiben lassen,
Rot-Grün handelt für einen nachhaltigen stadt- und um-
weltverträglichen Verkehr. Wenn Sie dem zustimmen, sind
wir uns wieder einig. Aber dann sollten Sie Ihre jetzigen
Diskussionsbeiträge überdenken und Verkehrspolitik ein-
mal zukunftsorientiert denken – und nicht einfach nur
stauorientiert.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)





Franzika Eichstädt-Bohlig
9406


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1410004700
Als nächs-
ter Redner hat das Wort der Bundesminister
Reinhard Klimmt.

Reinhard Klimmt, Bundesminister für Verkehr, Bau-
und Wohnungswesen: Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Ich bedanke mich dafür, dass zumindest eines in
allen Reden klar war: welche Bedeutung die Infrastruktur
für unsere Gesellschaft hat, nicht nur für das ökonomische
Vorankommen, sondern selbstverständlich auch hinsicht-
lich der sozialen und ökologischen Begleiterscheinungen,
die für uns, wenn wir politisch verantwortlich handeln
wollen, ebenso große Bedeutung haben müssen wie die
Sorge um das Ökonomische.

Von den Investitionen, die wir im Verkehrssektor täti-
gen, hängt zunächst einmal eine ganze Menge von Ar-
beitsplätzen direkt ab, nämlich in der Bauwirtschaft. Der
eine sagt, es seien 15 000, der andere, es seien 12 000. Wie
viel es letztendlich auch immer sind: Die Tatsache, dass
die Zahl von allen in dieser Größenordnung geschätzt
wird, macht deutlich, welch enorme Bedeutung die Infra-
strukturpolitik hat, wenn es darum geht, die uns immer
noch plagende Arbeitslosigkeit konsequent zu bekämpfen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Hans-Michael Goldmann [F.D.P.])


Denn neben der direkten Wirkung, die erzielt wird, gibt es
selbstverständlich eine indirekte Wirkung. In welcher
Weise sich Menschen von A nach B bewegen, wie Güter
von A nach B bewegt werden, interessiert jeden, der wirt-
schaftlich tätig ist. Insofern sollten wir den hohen Stan-
dard, den wir im Vergleich zu vielen anderen Ländern
zweifellos haben, erhalten und vorantreiben.


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Also haben wir doch einen hohen Standard, Herr Minister?)


Der Kollege Möllemann hat sicher vollkommen Recht:
Die EU-Erweiterung bringt uns den Vorteil, dass sich ein
weiterer Bereich erschließt, der uns dann ökonomisch – als
Kunde – zur Verfügung steht. Allerdings bedeutet dies
auch, dass diese Länder stärker als Konkurrenten auf den
Weltmärkten auftauchen und dazu beitragen, dass wir als
Transitland – wir liegen nun einmal in der Mitte Europas –
weiteren Verkehr bekommen, der sich, so hoffe ich, nicht
nur auf der Straße, sondern vor allem auf der Schiene voll-
ziehen wird.

Unter diesem Gesichtspunkt müssen wir darauf achten,
dass wir bei den Bundesländern, aber vor allem auch dort,
wo wir als Bund zuständig sind, die entsprechenden Haus-
haltsmittel zur Verfügung stellen, um den notwendigen
Ausbau zu gewährleisten.


(Beifall der Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und HansMichael Goldmann [F.D.P.])


Darüber darf jedoch der ökologische Ansatz nicht ver-
gessen werden. Wir haben uns alle gemeinsam verpflich-
tet – das war noch zu Ihrer Zeit –, die CO2-Minderung inAngriff zu nehmen. Dies betrifft neben vielen anderen Be-
reichen selbstverständlich auch den Verkehr. Insofern darf

zum Beispiel die Telematik nicht nur als ein Instrument für
schnelleres Vorankommen gesehen werden, sondern muss
auch einen Beitrag dazu leisten, dass durch vernünftige
Verkehrsflüsse die Schadstoffausstöße gemindert werden.
Auch das ist ein wichtiger Punkt unserer Verkehrspolitik.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Hans-Michael Goldmann [F.D.P.])


Es ist völlig richtig, wenn wir auch um einen sozialen
Ansatz kämpfen und fragen: Ist das erschwinglich? Was
bedeutet das für die Menschen, die Auto fahren wollen, die
Bahn fahren wollen? Zu welchen Konditionen, zu welchen
Preisen ist das realisierbar? Ihre Klagen, die Belastung für
die Autofahrer sei zu hoch, die Sie momentan erheben, ist
in mancherlei Hinsicht natürlich heuchlerisch.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Gerade was die Fernpendler angeht möchte ich Ihnen
vorhalten, dass Sie vorschlagen, die Kilometerpauschale
auf 50 Pfennig pro Kilometer zu senken und erst ab dem
15. Kilometer zu zahlen. Das ist eine Beeinträchtigung ge-
rade für die vielen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer,
die von ihrem Wohnsitz zu ihrer Arbeitsstätte pendeln
müssen. Denen greifen Sie mit Ihrem Vorschlag in die Ta-
sche.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Der Verdacht ist nicht unangemessen, wenn ich sage,
dass Sie auf diese Art und Weise noch einmal den Spit-
zensteuersatz für hohe Einkommen senken wollen. Das
wird bedeuten, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmer dadurch zusätzliche Einkommenseinbußen haben.
Dies gilt zum Beispiel für eine Krankenschwester in einem
Krankenhaus, die ein geringeres Einkommen hat, damit
der Chefarzt noch ein wenig mehr als bis dato ohnehin
schon verdienen kann.


(Beifall bei der SPD – Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Das ist wohl nicht Ihr Ernst!)

Zweitens muss ich im Zusammenhang mit der Öko-

steuer noch sagen, dass wir von unserer Seite aus auf die-
se Art und Weise keine zusätzlichen Belastungen schaffen.


(V o r s i t z: Vizepräsident Rudolf Seiters)

Vielmehr geben wir das Geld an die Unternehmen wei-

ter, an die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zurück,
indem so die Lohnnebenkosten dauerhaft gesenkt werden
und die Beiträge zur Rentenversicherung weiterhin unter
20 Prozent bleiben. Das ist eine ganz andere Motivation
als die, die Sie gehabt haben, als Sie mehr als 50 Pfennig
draufgepackt haben, nur um Ihre Haushaltslöcher zu stop-
fen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Das war die Bahnreform!)







(C)



(D)



(A)



(B)


Daher ist auch die jetzt noch einmal – Herr Oswald, es
tut mir Leid, das sagen zu müssen – von Ihnen erhobene
Forderung nach einer Zweckbindung bei der Mineralöl-
steuer insofern heuchlerisch, als Sie diese Forderung in der
Vergangenheit nie erfüllt haben. Sie hätten es machen kön-
nen.


(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Da war die Haushaltsausstattung noch besser!)


Sie haben immer wieder die entsprechende Grundlage im
Haushalt aufgehoben.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das heißt, wir haben in dieser Frage die gleichen Verfah-
rensweisen wie Sie. Insofern dürfen Sie darüber nicht
jammern. Sie haben es in der Vergangenheit selber so prak-
tiziert.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Das hängt mit dem Haushalt zusammen! Das ist ein Unterschied!)


Wenn ich schon bei dem Stichwort „Haushaltslöcher“
bin, wegen deren Stopfung in der Vergangenheit von Ih-
nen entsprechende Mineralölsteuererhöhungen vorge-
nommen worden sind, sage ich Ihnen auch: Dadurch ist
natürlich der Finanzrahmen für uns ruiniert worden. Die
Haushaltskonsolidierung ist nun einmal unvermeidlich.
Mein Kampf – hierbei hoffe ich auf die Unterstützung des
ganzen Hauses – geht in die Richtung, möglichst viele
Mittel zur Verfügung zu haben, um den notwendigen In-
frastrukturausbau wirklich gewährleisten zu können.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Eduard Oswald [CDU/CSU]: Also Zweckbindung!)


Dazu muss man sich etwas anderes – auch über die
Zweckbindung hinaus, Herr Kollege Oswald – einfallen
lassen. Ich bedanke mich übrigens für die Komplimente,
die wir für das Anti-Stau-Programm bekommen haben.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Welche Komplimente? Haben Sie geträumt?)


Dies haben wir bewusst so geplant, dass auf diese Art und
Weise zusätzlich – heute sagt man offensichtlich on top –
zu dem, was ohnehin für die Infrastruktur, für die Bahn, für
die Wasserstraßen und die Autobahnen, geplant war, Mit-
tel zur Verfügung gestellt werden, dass es also keine Ver-
rechnung gibt, um notwendige Entscheidungen auch wirk-
lich in praktische Verbesserungen der Infrastruktur um-
setzen zu können.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie haben gesagt: Die LKW-Gebühr kommt ab 2003.
Das ist richtig. Wir versuchen, eine ehrliche Politik zu ma-
chen. Ich hätte sie gern früher. Wenn wir sie aufgrund der
technischen Vorläufe, die gewährleistet sein müssen,

schon ab dem Jahre 2002 bekommen, ist es umso besser.
Dagegen wäre nichts einzuwenden.

Wir von unserer Seite wollen – das halte ich für durch-
aus legitim und machbar – die entsprechenden Vorausset-
zungen bis zum Jahre 2003 getroffen haben, damit dann
die entfernungsbezogene LKW-Gebühr erhoben werden
kann.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1410004800
Herr Bundesminister,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten
Fischer?

Reinhard Klimmt, Bundesminister für Verkehr, Bau-
und Wohnungswesen: Ja, auch wenn ich weiß, dass das
nicht aus einem echten Informationsbedürfnis heraus, son-
dern in dem Bemühen geschieht, noch einmal eine Hinter-
hältigkeit los zu werden.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Trotzdem bin ich gern bereit, das zu ertragen. Sie haben
das Wort, Herr Kollege.


Dirk Fischer (CDU):
Rede ID: ID1410004900
Herr Minister,
es ist immer problematisch, das Vorurteil zu haben, bevor
man die Frage gehört hat.

Reinhard Klimmt, Bundesminister für Verkehr, Bau-
und Wohnungswesen: Ich lasse mich gerne überraschen.


Dirk Fischer (CDU):
Rede ID: ID1410005000
In diesem Fall
geht Ihre Spekulation sehr daneben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich möchte Sie bezogen auf den Antrag Ihrer Fraktion –

Sie sind Teil der Fraktion –, den sie in diese Debatte ein-
gebracht hat, fragen.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ist er nicht!)


– Er ist Mitglied der SPD-Fraktion, das wird ja wohl nicht
bestritten.


(Zurufe von der SPD: Doch!)

– Entschuldigung, ich habe mich in Ihrem Fall geirrt.

Ihre Fraktion hat zu dieser Debatte einen Antrag einge-
bracht, mit dem über das Ihnen zur Verfügung stehende Fi-
nanzvolumen Verwirrung gestiftet wurde. Dort steht:

... das Aufkommen aus der Maut – soweit es über die
Einnahmen aus der jetzigen zeitbezogenen LKW-
Vignette hinausgeht –

– bekanntermaßen etwa 800 Millionen DM –
ist gezielt für das Anti-Stau-Programm und zum Aus-
bau und zur weiteren Verbesserung des integrierten
Verkehrssystems zu verwenden.




Bundesminister Reinhard Klimmt
9408


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich war bisher dahin gehend informiert – das ist mir un-
klar, das möchte ich fragen –, dass in der mittelfristigen Fi-
nanzplanung und nach einer Vorlage des Finanz-
ministeriums, das heute vertreten ist, abgesprochen mit
Ihnen, das Doppelte dieses Betrages, also 1,5 Milliar-
den DM, nicht dem Zweck Straßenbau oder Infrastruktur,
sondern dem allgemeinen Finanzhaushalt zugeführt wer-
den soll. Wie beurteilen Sie, dass die SPD-Fraktion und
die Fraktion der Grünen heute einen Antrag vorlegen, nach
dem der Deutsche Bundestag entscheiden soll, dass gegen
MifriFi und gegen die Absprache der Häuser künftig nur
ein Betrag von 800 Millionen DM in den allgemeinen
Finanzhaushalt eingestellt werden darf?

Reinhard Klimmt, Bundesminister für Verkehr, Bau-
und Wohnungswesen: Sehr geehrter Herr Fischer, ich
glaube, dass der Antrag so zu verstehen ist, dass die Mit-
tel, die vom Finanzminister beansprucht werden – das sind
erst 750 Millionen DM, dann 800 Millionen DM und in
der mittelfristigen Finanzplanung eine Verdoppelung auf
die Größenordnung von 1,5 Milliarden DM –, vor-
ausgesetzt werden. Die MifriFi ist jedem bekannt. Es geht
darum, dass damals festgelegt wurde – übrigens eine Hin-
terlassenschaft Ihrer Regierungszeit –, dass die jetzigen
durch die Vignette erzielten Einnahmen für die Bahnre-
form verwendet werden sollen. Das ist damals von Ihnen
so beschlossen worden. Das ist von Hans Eichel entspre-
chend weitergeführt worden. Deswegen vereinnahmt er
das. In der mittelfristigen Finanzplanung, die wir im letz-
ten Haushalt beraten haben, stand, dass im Jahre 2002 die
entsprechende Verdoppelung erfolgen soll. Dieses werden
wir verkraften können. Das, was für das Anti-Stau-Pro-
gramm vorgesehen ist – das sind 7,4 Milliarden DM be-
zogen auf fünf Jahre: 3,7 Milliarden DM für die Fern-
straßen und 3,7 Milliarden DM für Schienen und Wasser-
straßen –, lässt sich sehr wohl in einem Spielraum, ohne
sich auf die von Pällmann genannte Zahl festlegen zu müs-
sen, finanzieren. Insofern sehe ich keinen Widerspruch zu
dem, was wir festgelegt haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Hier steht etwas anderes!)


Wir haben für die fünf Jahre 7,4 Milliarden DM vorge-
sehen. Davon gehen 3,7Milliarden DM in die Fernstraßen
und 3,7 Milliarden DM, mit einem Schwerpunkt auf der
Schiene, in Schiene und Wasserstraße. Ich will noch ein-
mal deutlich sagen, weil sich mancher darüber mokiert,
dass die Schiene bedacht wird, wenn über ein Anti-Stau-
Programm gesprochen wird. Jede Tonne, die auf der Was-
serstraße oder auf der Schiene transportiert wird und nicht
mehr auf unseren Autobahnen, ist selbstverständlich ein
Beitrag zum Anti-Stau-Programm für unsere Fernstraßen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Zur Frage, in welcher Größenordnung die Gebühr er-
hoben werden soll, kann ich sagen, dass von der Päll-
mann-Kommission vorgeschlagen wurde, dass 30 Pfen-
nig berechtigt sind. Es werden 5 Pfennig aus dem Mi-
neralölsteueraufkommen abgezogen. Somit landet die

Kommission bei 25 Pfennig. Ich halte diese Zahl für plau-
sibel. Es ist aber nicht die endgültige Festlegung. Darüber
werden wir auch mit den betroffenen Unternehmen reden
müssen. Dabei darf man nicht vergessen: Sie trifft jeden,
egal wer bei uns fährt – ob es die eigenen Unternehmen,
ob es die Holländer sind. Jeder muss für den gefahrenen
Kilometer dasselbe bezahlen. Deswegen ist dies wettbe-
werbsneutral und es ist wichtig, dass wir das von unserer
Seite aus so anlegen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir wollen in dieser Frage die Rahmenbedingungen in
der EU weiter harmonisieren. Wir müssen darüber reden,
in welcher Form und an welcher Stelle Kompensationen
notwendig sein könnten.

Ein Hinweis sei mir im Zusammenhang mit der
Vignette erlaubt. Sie kennen die Diskussion. Die EU hat
gesagt, Steuersenkungen mit einer solchen Verknüpfung
würden von ihr nicht genehmigt. Das ist ein Punkt, auf den
man hinweisen muss.

Man muss – zweitens – erwähnen: Wo setzt man an,
falls man in irgendeiner Weise kompensieren will? Wenn
es die Kfz-Steuer betrifft, so glaube ich, dass wir uns da-
rauf schnell verständigen könnten.
Aber ich glaube nicht, dass die Länder, gleich welcher
Couleur, hierbei mitmachen würden.

Meine Damen und Herren, als Nächstes wurde von Ih-
nen die verstärkte Nutzung privaten Kapitals gefordert.
Auch das halte ich für richtig und notwendig. Wir haben
im entsprechenden gesetzlichen Rahmen einige Projekte
entwickelt und zwei konkret auf den Weg gebracht, für die
die Verträge abgeschlossen worden sind. Wir werden das
weiterverfolgen.

Wir wollen aber nicht das Modell der Vorfinanzie-
rung, das in der Vergangenheit praktiziert wurde. Zwar hat
auch das Land, aus dem ich komme, davon profitiert. Trotz-
dem müssen wir gemeinsam zu dem Ergebnis kommen,
dass dieses Modell wegen der hohen Kapitalkosten – die-
se Art der Vorfinanzierung beschneidet unsere Investiti-
onsmöglichkeiten um 500MillionenDM – unökonomisch
und unvernünftig ist. Es wird daher von unserer Seite nicht
weitergeführt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Davon ausgenommen sind selbstverständlich die gelten-
den Verträge.

Gleichwohl muss weiterhin – auch regierungsintern –
über Vorfinanzierungsmodelle geredet werden. Hier gibt
es unterschiedliche Interessen. Wir haben jetzt ein Projekt,
die A 31 in Niedersachsen, zu für den Bund wirklich ver-
tretbaren Bedingungen auf den Weg gebracht. Ich bin
der Auffassung, dass wir auch in anderen Bereichen so et-
was tun sollten, soweit es für uns keine zusätzlichen Kos-
ten mit sich bringt und zukünftige Bewegungsspielräume
in den Haushalten erhalten bleiben; auch das darf man
nicht aus dem Auge verlieren. Insofern muss auch die




Dirk Fischer (Hamburg)


9409


(C)



(D)



(A)



(B)


Vorfinanzierung der Länder gedeckelt werden; dieses Ins-
trument darf nicht uferlos eingesetzt werden.

Herr Oswald, Sie haben im Zusammenhang mit der
Überarbeitung des Bundesverkehrswegeplanes dann noch
die Tatsache genannt, dass Projekte mit Kosten von 5Mil-
liarden DM planfestgestellt sind. Dazu muss man aller-
dings sagen, dass die Hälfte auf das Konto eines einzigen
Landes geht. Es kann nicht sein, dass man sagt, weil die
Projekte planfestgestellt seien, müssten sie nun auch fi-
nanziert und umgesetzt werden. Es wäre völlig außerhalb
jeder Symmetrie, dass derjenige, der seine ganze Kraft und
sehr viel Geld in solche Vorplanungen steckt, die Maß-
nahmen bezahlt bekommt, während alle anderen Länder in
die Röhre gucken.


(Renate Blank [CDU/CSU]: Wir machen eben eine gute Politik in Bayern!)


Würden alle in gleicher Weise vorgehen, hätten wir am En-
de Projekte mit Kosten in Höhe von 20 oder 30 Milliar-
den DM, die planfestgestellt wären, aber in einem Jahr
oder in zwei Jahren überhaupt nicht umgesetzt werden
könnten. Insoweit ist dieser Weg nicht zu empfehlen und
ich bedauere es, dass für die Planungen so viel Geld auf-
gewandt worden ist, dessen Wirkung sich als äußerst zwei-
felhaft darstellt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Als wichtige Aufgabe steht für uns demnächst selbst-
verständlich die Bahnreform an. Es gibt ein hohes finan-
zielles Engagement des Bundes für die Bahn. Wir wollen
die Wirtschaftlichkeit der Bahn; das bedeutet Produkti-
vitätssteigerung. Das müssen in erster Linie die Bahn und
die Gewerkschaften miteinander abklären. Im Hinblick
auf die Rahmenbedingungen sind wir natürlich bereit, al-
les zu tun, um ihnen zu helfen. Aber die eigentliche Ver-
antwortlichkeit ist durch die Bahnreform ja bewusst in die
Hände des Vorstandes gelegt worden.

Eines müssen die für die Bahn Verantwortlichen aller-
dings wissen: Wir wollen keine „Schrumpfbahn“. Wir
wollen mehr Verkehr auf der Bahn sowohl in den Regio-
nen als auch auf den Fernstrecken und den europäischen
Strecken. Wenn es darum geht, mit mehr Flexibilität und
mehr mittelständischen Strukturen in der Region bessere
Verkehrsangebote zu erzielen, so findet das zumindest un-
sere Zustimmung. Wir sind bereit, das entsprechend zu un-
terstützen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Lassen Sie mich noch ein Wort zum Thema Transra-
pid sagen. Ich bedanke mich, Herr Königshofen, dass Sie
gesagt haben, der Metro-Rapid sei ein Highlight. Er soll
es erst einmal werden; wir sind mittlerweile in der Prü-
fung. Im Übrigen wissen wir, dass vier Länder Interesse
am Transrapid haben: Bayern, Hessen zusammen mit
Rheinland-Pfalz, Niedersachsen und Nordrhein-Westfa-
len. Die Anträge werden noch auf ihre Plausibilität zu prü-
fen sein. Aber sicherlich ist die Plausibiliät für die Strecke,
die in Nordrhein-Westfalen vorgesehen ist, auf den ersten
Blick durchaus erkennbar. Mittlerweile habe ich nach Ge-

sprächen mit den Niederländern und den Amerikanern –
ich setze diese Gespräche fort – die Erfahrung gemacht,
dass dort ein Interesse vor allem an kürzeren Strecken be-
steht. Das gilt sogar für die Strecke Amsterdam–Gronin-
gen in den Niederlanden, auf der acht Haltepunkte vorge-
sehen sind. Dadurch soll auch der regionale Verkehr auf-
genommen werden. Wir wollen abwarten, wie wir das bei
uns realisieren können. Aber eines möchte ich auch noch
sagen: Wir erwarten von der Industrie, dass sie sich, wenn
sie Vertrauen in das Projekt hat, an der Finanzierung be-
teiligt und nicht sagt: Das alles soll vom Bund bezahlt wer-
den.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Mir geht es um einen möglichst hohen Finanzrahmen
für die Infrastruktur, die natürlich sozial und ökologisch
verantwortlich flankiert und legitimiert sein muss. Wir
wollen die Bahnreform vollenden, damit wir mehr Verkehr
auf die Schiene bekommen und damit wir zumindest in der
Zukunft die Bahn wieder am Wachstum beteiligen, von
dem sie schon abgehängt war. Das sind Ziele, die wir wei-
terhin energisch und mit Fantasie angehen werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1410005100
Zu einer Kurzinter-
vention gebe ich das Wort dem Kollegen Klaus
Hofbauer.


Klaus Hofbauer (CSU):
Rede ID: ID1410005200
Herr Präsident! Meine
sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Erlauben Sie mir
die Bewertung, dass die Verkehrspolitik der letzten zehn
Jahre von den Verkehrs-Projekten „Deutsche Einheit“
geprägt war. Dies war notwendig und politisch gewollt. Es
steht außer Zweifel, dass wir dies auch uneingeschränkt
unterstützen. Die Verkehrs-Projekte „Deutsche Einheit“
werden auch in Zukunft oberste Priorität haben.

Ich möchte nur darauf hinweisen, dass es nicht nur die
deutsche Einheit, sondern auch eine Grenzöffnung zwi-
schen Deutschland und Tschechien gegeben hat.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1410005300
Herr Kollege
Hofbauer, ich muss Sie darauf hinweisen, dass das Mittel
der Kurzintervention dazu dient, direkt und sehr konkret
auf den Vorredner zu antworten.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Das macht er!)

Ich bin gehalten, Sie darauf hinzuweisen. Sie müssen

sich sehr konkret auf den Vorredner beziehen und auch an
die Zeitvorgabe halten.


Klaus Hofbauer (CSU):
Rede ID: ID1410005400
Herr Präsident, ich
möchte gerade angesichts der jetzigen Situation den Herrn
Bundesminister ansprechen und ihn auf ein Problem hin-
weisen.

Durch die Öffnung der Grenze zwischen Deutschland
und Tschechien hat sich der Verkehr geradezu explosions-
artig entwickelt. Deswegen hat die CDU/CSU-Fraktion




Bundesminister Reinhard Klimmt
9410


(C)



(D)



(A)



(B)


den Antrag gestellt, die Verkehrsverbindung A 6 und B 85
den Verkehrs-Projekten „Deutsche Einheit“ gleichzustel-
len. Nachdem der Herrr Minister darauf nicht eingegangen
ist, möchte ich ihn ganz konkret fragen, ob er unseren An-
trag unterstützen kann und wird. Wir sind der Meinung,
dass diese Verbindung in die Liste der Verkehrs-Projekte
„Deutsche Einheit“ aufgenommen werden muss, weil sie
von europäischer Bedeutung ist.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Nicht ein einziges Mal angesprochen!)


Herr Minister, nur noch eine Feststellung: Sie haben
dem Freistaat Bayern unter anderem vorgeworfen, dass es
zu viele planfestgestellte Maßnahmen habe. Ich halte den
Vorwurf zu vieler planfestgestellter Maßnahmen für un-
fair; denn Bayern hat nur seine Hausaufgaben erledigt und
spielt deswegen eine gewisse Vorreiterrolle.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir haben unseren Antrag nicht zum Schein gestellt;

vielmehr ist es eine wichtige Aufgabe, das zentrale Projekt
A 6 und B 85 voranzutreiben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1410005500
Zur Erwiderung gebe
ich das Wort dem Bundesverkehrsminister.

Reinhard Klimmt, Bundesminister für Verkehr, Bau-
und Wohnungswesen: Ich möchte einen Punkt klarstellen:
Ich habe nicht Bayern, sondern Baden-Württemberg ge-
meint, als ich von einem Land sprach, das 2,5 Milliar-
den DM für Vorplanungen ausgegeben hat.

Zu dem Projekt A 6: Selbstverständlich gibt es eine
ganze Reihe wichtiger und bedeutender Verkehrsprojekte,
die wir gerne realisiert sehen würden. Ich habe überhaupt
nichts gegen die Sinnfälligkeit des Lückenschlusses, der
notwendig ist, um die Achse in Mitteleuropa, also, insbe-
sondere nach Prag, herzustellen.

Es muss allerdings auch gesagt werden, dass Bayern zu
den Bundesländern gehört, die mit Mitteln für die Durch-
führung der Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ am al-
lerstärksten bedacht worden sind. Man kann an diesem
Punkt nicht noch draufsatteln. Die A 6 gehört in den nor-
malen Vollzug des Programms und wir werden uns
bemühen, sie so schnell wie möglich zu realisieren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1410005600
Nun gebe ich dem
Kollegen Dirk Fischer für die CDU/CSU-Fraktion das
Wort.


Dirk Fischer (CDU):
Rede ID: ID1410005700
Herr Präsident!
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir brau-
chen eine hochwertige Verkehrsinfrastruktur. Je höher die
Qualität, desto attraktiver und konkurrenzfähiger wird der
Wirtschaftsstandort Deutschland. Ein gut funktionieren-

des Verkehrssystem ist das Schwungrad einer positiven
Wirtschaftsentwicklung.

Wir wollen Ihnen, meine Damen und Herren von der
Koalition, mit unserem Antrag pro Verkehrsinvestitionen
klarmachen: Ohne Mobilität kein Wirtschaftswachstum.
Ihre Politik des Zusammenstreichens der Investitions-
ansätze schadet Land und Leuten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Heute sind einige Wortspiele gekommen. Ich sage deut-
lich: Diese Regierung ist das größte Stauprogramm; ihre
Abwahl ist das größte Anti-Stau-Programm. Das ist die
Wirklichkeit.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Die von Minister Klimmt eingesetzte Pällmann-Kom-
mission muss Sie doch in Wahrheit wachrütteln. Sie hat
sich zusammengesetzt und festgestellt: Erstens. Verkehrs-
infrastruktur ist Schlüsselfaktor unserer Volkswirtschaft.
Zweitens. Die derzeitige Form der Finanzierung im Be-
reich der Bundesverkehrswege ist ungeeignet, die not-
wendigen Maßnahmen zeitgerecht umzusetzen. Drittens.
Bei der Aufstellung Ihres Investitionsprogramms 1999 bis
2002 – hören Sie gut zu – wird die Zunahme der Defizite
in der qualifizierten Substanzerhaltung und beim bedarfs-
und umweltgerechten Ausbau der Verkehrsinfrastruktur
in Kauf genommen.

Das ist doch wirklich eine schallende Ohrfeige durch
die von Ihnen selbst einberufene Kommission.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Die Kommission hat Recht: Das Programm taugt
nichts, der Name ist bewusst irreführend und es steht fi-
nanziell auf schwachen Beinen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

In Wahrheit ist dieses Programm ein Investitionskür-

zungsprogramm. Investitionsmittel für den Straßenbau
für den Zeitraum von 1999 bis 2002 sind in Höhe von
18 Milliarden DM vorgesehen. Damit sind die Straßen-
bauinvestitionen gegenüber dem Ansatz der alten Bun-
desregierung um rund 5 Milliarden DM gekürzt worden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das Vorhaben ist in Wahrheit ein Investitionstäu-

schungsprogramm, da der Vollzug des Programms gar
nicht bis 2002, sondern bis 2012 läuft; insoweit ist der Na-
me von vornherein – das wissen Sie genau – falsch ge-
wählt worden. Der größere Teil der Straßenbaumaßnah-
men in Höhe von 22 Milliarden DM – 4 Milliarden DM
mehr als ursprünglich geplant – ist erst nach dem für Sie
besonders wichtigen Jahr 2003 vorgesehen. Bei Schiene
und Binnenwasserstraße vollzieht sich das Programm zu
drei Vierteln erst ab 2003. Ich komme auf das für Sie
großartige Jahr 2003 – das stellt man immer wieder fest –
gleich zurück.

Dieses Programm ist in Wahrheit ein Investitionsopfer-
programm. Es sieht eine globale Minderausgabe für die




Klaus Hofbauer

9411


(C)



(D)



(A)



(B)


Jahre 2001 und 2002 in Höhe von 2,6 Milliarden DM vor
und geht damit ebenfalls ganz zulasten der Infrastruktur.
Das heißt, es kommen weitere Kürzungen der Projekte.

Es ist in Wahrheit ein Investitionsrücknahmepro-
gramm, da die vorgesehene globale Minderausgabe
für das Jahr 2003 in Höhe von noch einmal 2,4 Milliar-
den DM wiederum fast vollständig zulasten der Infra-
strukturinvestitionen gehen wird. Die Folge wird ein tota-
ler Investitionskahlschlag sein.

Deshalb fordern die Länder, die Geltungsdauer
rechtskräftiger Planfeststellungsbeschlüsse von 10 auf
15 Jahre zu verlängern, damit die Planungsaufwendungen
nicht im Mülleimer landen. Das ist eine Not- und Ret-
tungsmaßnahme für rechtskräftige Planfeststellungsbe-
schlüsse.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Herr Minister, dem Bundesland Baden-Württemberg hier
den Vorwurf zu machen, es habe mit Zustimmung zur und
Freigabe der Planung gemäß Bundesverkehrswegeplan
und Bundesfernstraßenausbauänderungsgesetz punktge-
nau und zeitgleich den Ausbau vorangetrieben, ist wirklich
ein tolles Stück.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Nur, das Problem von Baden-Württemberg ist, dass es auf
die Fortsetzung guter Politik gehofft hat und dann Steine
statt Brot bekommen hat. Das ist die traurige Wahrheit.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P. – Lachen bei Abgeordneten der SPD)


Das Drama ist aber noch nicht zu Ende: Auch bei der
Ankündigung seines so genannten Anti-Stau-Pro-
gramms hat Minister Klimmt nach dem Motto „Pro-
gramme statt Taten“ gehandelt. An sich ist ein Anti-Stau-
Programm eine gute Sache.


(Beifall bei der SPD)

Besonders ist in diesem Zusammenhang zu begrüßen, dass
die Grünen endlich ihre Liebe zum Straßenbau entdeckt
haben.


(Zuruf von der CDU/CSU: Was? – Walter Hirche [F.D.P.]: Da bin ich mir nicht so sicher!)


Aber ein Programm als reiner Propagandatrick für die
Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen ohne solide Finan-
zierung und seriöse Sachbasis wird sich bald als eine ge-
platzte Seifenblase entlarven.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Über Ihre Verfünffachung der LKW-Straßenbenut-

zungsgebühr haben Sie noch mit keinem anderen eu-
ropäischen Land gesprochen und verhandelt. Mir sagen
die Holländer doch heute schon: Ihr braucht doch nicht zu
glauben, dass wir euch, die wir das alles mitbezahlen sol-
len – oder die Italiener, die Franzosen oder die Spanier –,
eine Gebührenverfünffachung bei einem Folgeabkommen
zum Vignetten-Abkommen erlauben werden. Natürlich

wird erst über das Geld geredet und dann wird das Ab-
kommen gemacht, nicht umgekehrt.

Das heißt also, Sie haben überhaupt kein grünes Licht
auf europäischer Ebene, aber Sie tun hier so, als läge das
Geld in der Kasse. Das ist der Skandal der Täuschung der
deutschen Öffentlichkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P – Widerspruch bei der SPD)


Meine Damen und Herren, außerdem ist das Programm
in Wahrheit ein Investitionsverzögerungsprogramm. Fi-
nanzmittel, die im Investitionsprogramm gestrichen wur-
den, werden plötzlich ab 2003 wieder eingesetzt – natür-
lich in einem sehr viel geringeren Umfang.

Es ist unverantwortlich. Die Finanzierung wird in völ-
lig überzogener Weise dem gewerblichen Straßengüter-
verkehr aufgebürdet, der schon Jahr für Jahr durch die
Ökosteuer im europäischen Wettbewerb zurückgeworfen
wird. So macht man Unternehmen und Arbeitsplätze ka-
putt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Rund 20 000 Arbeitsplätze in den Führerhäusern deut-
scher LKWs sind durch Ihre Politik massiv bedroht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Die Verfünffachung der Erlöse aus der heutigen LKW-
Vignette bedeutet 4 Milliarden DM pro Jahr anstatt
800 Millionen DM wie im Moment. Herr Minister
Klimmt, Sie können diesen Antrag der SPD doch nicht
schönreden, wenn es hier heißt


(Zuruf von der SPD: Er ist schön!)

„Einnahmen aus der jetzigen zeitbezogenen LKW-Vig-
nette“. Das sind 800 Millionen DM und wenn Sie das bis
2003 fortrechnen, sind das im Jahr 2003 immer noch kei-
ne 1,5 Milliarden DM. Der Antrag ist in dem Punkt ganz
klar und kontrovers zur MifriF und zur Politik der Regie-
rung. Ich erwarte, dass die SPD-Kollegen in diesem Be-
reich im Ausschuss und dann bei der Abstimmung im Ple-
num zu ihrem Antrag stehen,


(Zuruf von der SPD: Drohen Sie doch Beugehaft an!)


damit wir mehr haben, einen Spielraum von weiteren
700 Millionen DM, um die Gebühr geringer ausfallen zu
lassen oder aber für Investitionen mehr Geld zur Verfü-
gung zu haben. Das macht Sinn. Also stehen Sie doch bit-
te zu Ihrem Antrag.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, von den 1,5 Milliarden DM,

die von den 4 Milliarden DM übrig bleiben sollen, sollen
ganze 750 Millionen DM für den Bundesfernstraßenbau
ausgegeben werden. Der Betrag ist geringer als das, was
heute durch die Vignette hereinkommt. Das ist keine
Verbesserung der Investitionssituation, im Gegenteil.

Anti-Stau-Programm vor allem als Wahlkampftäu-
schung für NRW, wo rot-grüne Straßenbauverweige-




Dirk Fischer (Hamburg)

9412


(C)



(D)



(A)



(B)


rungspolitik täglich besonders viel Stau produziert. Wir
haben doch die Lage, dass die Radiosender in Nordrhein-
Westfalen wegen der hohen Zahl nur noch Staus von über
5 km Länge melden. Sie müssten Sondersendungen von
mehreren Stunden machen, um alle kürzeren Staus über-
haupt noch über den Sender bringen zu können. Das ist die
Lage in Nordrhein-Westfalen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Walter Hirche [F.D.P.] – Lachen bei der SPD)


Es ist bezeichnend, dass von den insgesamt 37 Straßen-
baumaßnahmen des Anti-Stau-Programms 16 in NRWlie-
gen. 1,2 Milliarden DM sollen investiert werden.


(Zuruf von der SPD: Der Engpaß wird dort beseitigt, wo er auftritt!)


Das ist exakt der Betrag, den Sie in Nordrhein-Westfa-
len im Investitionsprogramm 1999 bis 2002 gekürzt ha-
ben. Das heißt, wir nehmen es weg, dann geben wir es wie-
der hin. So können Sie jedes Jahr Programme machen.
Verschiebebahnhof und die Leute haben nicht mehr.

Jetzt begreife ich zum ersten Mal richtig,

(Beifall bei der SPD – Zurufe von der SPD: Bravo!)

was Sie als Koalition mit dem Begriff „null Fortschritt“
meinen. Ich habe heute verstanden, was „null Fortschritt“
ist. Das ist das, was Sie hier machen. Wachen Sie endlich
auf, hören Sie auf, mit undurchdachten Programmen un-
verantwortliche Investitionskürzungen zu verschleiern!


(Lachen bei der SPD)

Frau Mattischeck, da zählen nicht mehr Ausreden, sondern
nur noch Ergebnisse.

Was wir brauchen, ist eine klare Akzeptanz der Bedeu-
tung von Straßenbauinvestitionen; denn gut 85 Prozent des
Personen- und Güterverkehrs in Deutschland werden auf
der Straße abgewickelt. Da können wir keine ideologi-
schen Antipositionen und Grabenkriege gebrauchen, son-
dern es muss gehandelt, es muss investiert werden. Des-
wegen brauchen wir jetzt die Zweckbindung eines Anteils
der Mineralölsteuer.


(Beifall des Abg. Eduard Oswald [CDU/CSU])

Deshalb brauchen wir verstärkten Einsatz privaten Kapi-
tals.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Aufhören!)

Minister Müller hat ja Recht – ich stimme ihm darin zu –,

nur hat er nicht gewusst, dass Müntefering und Klimmt
überhaupt noch nichts dafür getan haben, das enge eu-
ropäische Recht aufzubohren, von dem die nationale Ge-
setzgebung doch abhängt.


(Beifall des Abg. Walter Hirche [F.D.P.])

Ich habe den Minister aufgefordert, das zu tun. Sie haben
das nicht geleistet.


(Zustimmung bei der CDU/CSU)


Natürlich brauchen wir die streckenbezogene LKW-
Maut, wir brauchen aber auch ein Konzept der Bundesre-
gierung zur Neuordnung der Verkehrsabgaben und zu ih-
rer Aufteilung. Hier herrscht dringender Handlungsbedarf.
Wir brauchen eine ergebnisorientierte Verkehrspolitik und
kein Erklärungswirrwarr. Sie müssen die Finanzmittel im
Verkehrsbereich dem tatsächlichen Bedarf anpassen und
nicht alles durch einen ganz simplen Trick auf 2003 ver-
schieben.


(Zuruf von der SPD: Aufhören!)

Das ist doch durchsichtig: Entscheidungen werden auf die
Zeit nach der Bundestagswahl 2002 verschoben, da-
mit die Erfüllung Ihrer Versprechen durch den
deutschen Wähler nicht demokratisch kontrolliert werden
kann. Das ist doch Ihr billiger Trick.


(Beifall bei der CDU/CSU – Matthias Berninger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn Sie so laut reden, brauchen wir eine Lärmschutzwand!)


Meine Damen und Herren, ich glaube, dass wir jetzt end-
lich handeln müssen.

Zum Transrapid möchte ich eigentlich gar nichts sa-
gen.


(Zuruf von der SPD: Ist auch besser!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1410005800
Herr Kollege
Fischer, Sie haben Ihre Redezeit schon überschritten. Ich
muss Sie bitten, zum Schluss zu kommen.


Dirk Fischer (CDU):
Rede ID: ID1410005900
Abschließend
möchte ich, Herr Präsident, nur darauf hinweisen, dass
Schröder im Bundestagswahlkampf 1998


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Bundeskanzler Schröder! So viel Zeit muss sein!)


der Belegschaft von Thyssen-Henschel in Kassel bezüg-
lich der Transrapid-Strecke Hamburg–Berlin wörtlich er-
klärt hat: Wir werden diesen Zug bauen; da wird uns nichts
aufhalten. Seid beruhigt um eure Arbeitsplätze! – Auch
hier gilt wieder, wie so oft bei Schröder,


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Bundeskanzler Schröder!)


das gebrochene Wort.
Wir brauchen Worte, an die man sich hält. Deshalb bit-

te ich Sie: Stimmen Sie unserem Antrag zu!

(Widerspruch bei der SPD)


Kehren Sie um, damit in Deutschland in die Zukunft in-
vestiert werden kann.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1410006000
Nun gebe ich das
Wort für die SPD-Fraktion dem Kollegen Hans-Günter
Bruckmann.




Dirk Fischer (Hamburg)


9413


(C)



(D)



(A)



(B)



Hans-Günter Bruckmann (SPD):
Rede ID: ID1410006100
Meine Damen und
Herren! Herr Präsident! Ich werde nicht so laut wie Herr
Fischer sprechen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Eines ist klar: Wir wollen ein Verkehrssystem – da-
rüber sind sich viele Menschen in diesem Raum einig –,
das die Mobilität aller Menschen flächendeckend und auch
umweltverträglich gewährleistet. Dabei wollen wir die
Balance zwischen Ökonomie auf der einen Seite und
Ökologie auf der anderen Seite einhalten. Darin unter-
scheiden wir uns, Herr Fischer – vielleicht könnten Sie ei-
nen Moment zuhören, statt zu telefonieren –, sehr deutlich
von Ihnen.


(Jörg Tauss [SPD]: Der muss jetzt die Lokalzeitung anrufen!)


Wir wissen, dass Investitionen in eine leistungsfähige
Infrastruktur von zentraler Bedeutung für unsere Wettbe-
werbsfähigkeit sind und dass sie in ein umfassendes und
nachhaltiges Verkehrskonzept eingebunden sein müssen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir wissen auch, dass es in der Debatte am 27. Januar die-
ses Jahres ebenso wie heute hinsichtlich der Weiterent-
wicklung der Verkehrsinfrastrukturen zwei wesentliche
Übereinstimmungen in der Problembeschreibung gab und
gibt. Wir waren und sind uns in diesem Hohen Hause da-
rüber einig, dass Deutschland erstens zu einem der wich-
tigsten Transitländer und zur Drehscheibe in der Mitte
Europas geworden ist und dass zweitens alle früheren Ver-
kehrsprognosen auf deutscher oder europäischer Ebene
zu reiner Makulatur geworden sind. Das ist, Herr Oswald,
keine ideologische Feststellung, sondern das sind Fakten.

Darüber hinaus haben wir festzustellen, dass die Re-
gierung Kohl den Schwerpunkt auf die Förderung des
Straßenverkehrs gelegt hatte. Sie tat dies vermutlich in
der Hoffnung, dass die Straße allein in der Lage wäre, den
anfallenden Verkehr zu meistern.


(Walter Hirche jemand geglaubt!)


Heute wissen wir, meine Damen und Herren, dass die-
se Hoffnung getrogen hat.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Das ist nicht nur der alten Regierung anzulasten, sondern
dem liegt auch ein Prozess bei der arbeitsteiligen Organi-
sation von Wirtschaft an sich zugrunde. Die Unterneh-
menslogistiker haben nämlich über das Just-in-time-Prin-
zip im Grunde die Lagerhaltung kostenmäßig optimiert,
sie von den Unternehmen auf die Verkehrsträger,
hauptsächlich auf die Straße, abgewälzt und auf diese Art
und Weise sich selbst entlastet.

Durch die nicht ausreichende parallele Förderung der
Schiene stehen jetzt nur begrenzte Kapazitäten zur Verfü-
gung – und das noch nicht einmal zu wirtschaftlich trag-
fähigen Konditionen. Der kombinierte Verkehr und das
Binnenschiff haben nicht den hohen Stellenwert in der

Verkehrspolitik, um neben dem Verkehrsträger Straße
gleichermaßen wettbewerbsfähig zu sein. Das ist etwas,
was Sie, meine Damen und Herren auf der Seite der alten
Regierung, zu vertreten haben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Stagnation der Marktanteile beim Verkehrsaufkom-
men dieser Verkehrsträger zeigt das eindeutig.

Der Bundesverkehrswegeplan mit den vielen
wissmannschen Spatenstichprojekten


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

war mit über 90 Milliarden DM – das wissen Sie – chro-
nisch unterfinanziert.


(Beifall bei der SPD)

Es ist fast eine Heuchelei, wenn Sie sich hier und heute
hinstellen und uns sagen, dass wir mit dem, was wir auf
die Reise bringen, nicht auf dem richtigen Weg seien.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Warum kürzen Sie weiter, wenn das zu wenig war? – Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Auf Unterfinanzierung mit Kürzungen zu reagieren! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)


– Entschuldigung, wenn Sie bitte zuhören würden! Ich ha-
be Ihnen auch zugehört. Die heutige Opposition kann sich
nicht daran erinnern. Auch Herr Möllemann kann sich
nicht daran erinnern.


(Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: Doch! Ich kann mich schon erinnern! Woran denn jetzt?)


Die Konsequenz lag auf der Hand: Der Bundesverkehrs-
wegeplan wird überarbeitet.

Bei der Lösung der Probleme und beim Einsatz von ge-
eigneten Instrumenten wird der Unterschied zwischen al-
ter und neuer Bundesregierung deutlich.


(Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: Die neue Regierung sieht alt aus!)


Die neue Bundesregierung und die sie tragende Koalition
verfahren nicht nach dem Motto: Planung ersetzt den Irr-
tum durch den Zufall. – Das machen wir nicht.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Walter Hirche [F.D.P.]: Die hat sich verfahren!)


Dass die Regierung Schröder nichts dem Zufall überlässt

(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Die macht lieber gar nichts! – Walter Hirche [F.D.P.]: Die bessert nach!)


und seriös und realitätsnah arbeitet, wird mit dem Inves-
titionsprogramm in der Zeitperspektive 1999 bis 2002
und dem Anti-Stau-Programm deutlich. Wenn man sich
einmal überlegt, dass wir eine ganze Menge an Mitteln auf
den Weg gegeben haben


(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Das werden wir noch sehen!)







(C)



(D)



(A)



(B)


und in der Zeitprognose bis 2007 über 70 Milliarden DM
in die Verkehrsinfrastruktur investieren, dann erkennt
man, dass das der richtige Weg ist.


(Beifall bei der SPD – Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: Das Motto der Regierung lautet: Wir machen das Chaos griffiger!)


Was ich besonders gut finde, ist, dass das Anti-Stau-
Programm nicht mit den normalen Haushaltsmitteln auf
den Weg gebracht wird. Das bedeutet für diejenigen, die
Planungen machen und etwas auf den Weg bringen wol-
len – das sind die Länder, das ist auch der Bund –, ein
Stückchen Planungssicherheit. Das ist ein nicht zu un-
terschätzender Wert.


(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Kein Pfennig Finanzierung ist gesichert! – Walter Hirche [F.D.P.]: Wenn man das nicht mit Haushaltsmitteln macht, ist das Planungssicherheit?)


Wenn wir zum Gebot von Ehrlichkeit und Wahrheit
zurückkommen und dazu Kriterien wählen wollen, dann
sage ich: Die Vorteile liegen auf der Hand. Denn durch die
strenge Anwendung der Auswahlkriterien für die ver-
schiedenen Verkehrsträger, Herr Fischer, werden die Fi-
nanzmittel dahin geleitet, wo der größte verkehrs- und
volkswirtschaftliche Nutzen ist. Investitionen werden dort
getätigt, wo die gravierendsten Engpässe zu beseitigen
sind.


(Norbert Königshofen [CDU/CSU]: Auch da gilt: Ohne Moos nichts los!)


Bei den Bundesautobahnen, lieber Norbert
Königshofen, geht es um die Vierstreifigkeit und dann,
wenn das Verkehrsaufkommen über 65 000 Bewegungen
pro Tag hinausgeht, wenn wir in einem Streckenbereich ei-
nen hohen LKW-Anteil haben und wenn entsprechende
Ausbauvarianten nicht vorhanden sind, um den Ausbau.

Wenn es um die Bundesschienenwege geht, dann geht
es um die eingeschränkte Geschwindigkeit aufgrund ma-
roder Bausubstanz und auch um die Frage, wo wir so ge-
nannte Flaschenhälse haben, die abgebaut werden müssen.

Bei den Bundeswasserstraßen ist es so, dass die Aus-
wahlkriterien dahin gehen, dass wir Strecken mit Sper-
rungen wegen schlechter Bausubstanz und Sicherheits-
mängeln berücksichtigen müssen.

Die Heranziehung der künftigen entfernungsabhängi-
gen LKW-Abgabe ist ein richtiger Schritt. Auf diese Art
und Weise schaffen wir es, dieses Anti-Stau-Programm so-
lide zu finanzieren. Herr Möllemann, mit Abzocken hat
das überhaupt nichts zu tun.


(Beifall bei der SPD)

Wir fordern deshalb die Bundesregierung mit unserem
Antrag auf, die bisherige LKW-Vignette in eine entfer-
nungsabhängige Maut umzuwandeln. Die Pällmann-
Kommission hat einen Vorschlag für die Höhe der Maut
gemacht. Darüber kann man diskutieren. Diese Maut soll
sowohl für die inländischen als auch für die ausländischen
Fahrzeuge gelten. Dass man sich mit der EU darüber zu
verständigen hat, welches der richtige Weg zu fairen Prei-
sen ist, steht außer Frage.

Durch die Einführung der Auswahlkriterien wird die
Bedarfsorientierung gerechter, ohne dass Ungerechtigkei-
ten im Ländervergleich entstehen. Gestatten Sie mir, für
Nordrhein-Westfalen zu sagen: Mit dem Mittelansatz von
25 Prozent für Maßnahmen hinsichtlich unterschiedlicher
Verkehrsträger ist erstmals der richtige Ansatz für Pro-
blemlagen in den Ballungsräumen gefunden worden. Da-
durch werden auch die speziellen Belange der großen Län-
der berücksichtigt. Das ist ein Erfolg; denn in diesem
Punkt arbeiten Bund und Land Hand in Hand.


(Beifall bei der SPD)

Das ist ein Akzent in die richtige Richtung. Dies trifft

besonders auf die großen Ballungsräume Köln, Nieder-
rhein, Ruhrgebiet und Münsterland zu. Herr Möllemann,
Sie sind sicher sehr glücklich darüber, dass auch das
Münsterland einbezogen ist. Die Belange Baden-Würt-
tembergs und Bayerns werden dabei genauso berücksich-
tigt. Wir richten uns nämlich nach festgelegten Kriterien,
die unbestechlich in der Sache sind.

Was uns weiter positiv stimmt, ist, dass Mobilität und
Verkehr im Forschungsprogramm der Bundesregierung
gut positioniert sind. Darüber hat heute noch keiner gere-
det. Ich möchte Sie aber an diesen Punkt gern erinnern.
Denn am 15. März wurde das neue Forschungspro-
gramm „Mobilität und Verkehr“ vom Kabinett verab-
schiedet.


(Beifall bei der SPD)

Die Bundesregierung misst also dem Verkehrssektor große
Bedeutung bei der Sicherung der wirtschaftlichen Leis-
tungsfähigkeit und der Bewältigung der ökologischen Pro-
bleme zu. Dieses Programm soll die Nachhaltigkeit unse-
rer Mobilität sichern, die Leistungsfähigkeit verdeutlichen
und nutzerfreundlich sein. Damit haben wir ein Zeichen
gesetzt, dass wir international wettbewerbsfähig sind.

Für dieses Programm müssen natürlich auch Finanz-
mittel zur Verfügung gestellt werden. Wir werden in den
nächsten vier Jahren 500 Millionen DM dafür ausgeben.
Ich denke, das ist ein richtiger Schritt in die richtige Rich-
tung. Ich bitte Sie, unserem Antrag zuzustimmen. Denn:
Nur wer sich bewegt, kann etwas bewegen.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1410006200
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen zu den Abstimmungen.
Tagesordnungspunkt 17 a: Beschlussempfehlung des

Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen zu
dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel
„Zukunft sichern – Verkehrsinfrastrukturinvestitionen ver-
stärken“ auf Drucksache 14/3199. Der Ausschuss emp-
fiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/2360 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenpro-
be! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit
den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS




Hans-Günter Bruckmann

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(C)



(D)



(A)



(B)


gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. ange-
nommen.

Tagesordnungspunkt 17 c: Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen zu
der Unterrichtung durch die Bundesregierung zu einem
abgestuften Konzept für Verkehrs-Infrastrukturgebühren
in der EU auf Drucksache 14/1545. Der Ausschuss emp-
fiehlt, in Kenntnis der in der Beschlussempfehlung ge-
nannten EU-Vorlage eine Entschließung anzunehmen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenpro-
be! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit
den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen von
CDU/CSU und F.D.P. bei Enthaltung der Fraktion der PDS
angenommen.

Tagesordnungspunkt 17 f: Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen zu
dem Bericht des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft,
Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
zu dem Thema „Entwicklung und Analyse von Optionen
zur Entlastung des Verkehrsnetzes und zur Verlagerung
von Straßenverkehr auf umweltfreundlichere Verkehrsträ-
ger“ auf Drucksache 14/2429. Der Ausschuss empfiehlt
unter Nummer 1 seiner Beschlussempfehlung, den Be-
richt zur Kenntnis zu nehmen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen.

Der Ausschuss empfiehlt unter Nummer 2 seiner
Beschlussempfehlung die Annahme einer Entschließung.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenpro-
be! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit
den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS
gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. angenom-
men.

Zusatzpunkt 6: Beschlussempfehlung des Ausschusses
für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen zu dem Antrag der
Fraktion der F.D.P. mit dem Titel „Straßenbau statt Auto-
stau“,


(Lachen bei der SPD)

Drucksache 14/3198. Der Ausschuss empfiehlt, den An-
trag auf Drucksache 14/2582 abzulehnen.


(Jörg Tauss [SPD]: Schon wegen der Überschrift!)


Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenpro-
be! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit
den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS
gegen die Stimmen der F.D.P. bei Stimmenthaltung der
CDU/CSU-Fraktion angenommen.

Wir kommen zu den Überweisungen, zunächst zu Ta-
gesordnungspunkt 17 d und 17 e. Interfraktionell wird
Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 14/2176
und 14/2488 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus-
schüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? –
Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so be-
schlossen.

Tagesordnungspunkt 17 b: Interfraktionell wird vorge-
schlagen, die Vorlage auf Drucksache 14/2910 zur feder-

führenden Beratung an den Ausschuss für Verkehr, Bau-
und Wohnungswesen und zur Mitberatung an den Aus-
schuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit,
den Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder, den
Ausschuss für Tourismus, den Ausschuss für die Angele-
genheiten der Europäischen Union und an den Haushalts-
ausschuss zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vor-
schläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Zusatzpunkt 4: Die Vorlage auf Drucksache 14/3179
soll zur federführenden Beratung an den Ausschuss für
Verkehr, Bau- und Wohnungswesen und zur Mitberatung
an den Ausschuss für Wirtschaft und Technologie sowie an
den Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktor-
sicherheit überwiesen werden. – Keine anderweitigen
Vorschläge. Die Überweisung ist so beschlossen.

Zusatzpunkt 5: Es wird vorgeschlagen, die Vorlage auf
Drucksache 14/3191 an den Ausschuss für Verkehr, Bau-
und Wohnungswesen zu überweisen. – Auch darüber be-
steht Übereinstimmung. Die Überweisung ist so be-
schlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 19 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst
Seehofer, Birgit Schnieber-Jastram, Rainer
Eppelmann, weiterer Abgeordneter und der Frakti-
on der CDU/CSU
Für eine gerechte Rentenanpassung
– Drucksache 14/2991 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f)

Haushaltsausschuss

Es ist vereinbart, die Reden zu Protokoll zu geben.*)
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage auf

Drucksache 14/2991 zur federführenden Beratung an den
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung und zur Mitbe-
ratung an den Haushaltsausschuss zu überweisen. –
Einverständnis liegt vor. Die Überweisung ist so be-
schlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 20 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr.
Edzard Schmidt-Jortzig, Jörg van Essen, Rainer
Funke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
F.D.P.
Durchführung eines Strafverfahrens wegen
Verletzung einer besonderen Geheimhaltungs-
pflicht nach § 353 b StGB
– Drucksache 14/2210 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsord-
nung (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Verteidigungsausschuss




Vizepräsident Rudolf Seiters
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(C)



(D)



(A)



(B)


*) Anlage 5

Auch hier ist vereinbart, die Reden zu Protokoll zu ge-
ben.*)

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/2110 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen, wobei die Feder-
führung – abweichend von der Tagesordnung – beim In-
nenausschuss liegen soll. – Auch damit ist das Haus ein-
verstanden. Die Überweisung ist so beschlossen.

Ich rufe nunmehr Tagesordnungspunkt 22 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten
Dr. Evelyn Kenzler, Petra Bläss, Roland Claus,
Dr. Gregor Gysi und der Fraktion der PDS ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung des Gesetzes über die politischen Parteien
– Drucksache 14/2719 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäfts-
ordnung (f)

Rechtsausschuss
Haushaltsausschuss

Die Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen,
CDU/CSU und F.D.P. haben vereinbart, dass die Reden ih-
rer Sprecher zu Protokoll gegeben werden. **)

Ich gebe für den Antragsteller dem Kollegen Gregor
Gysi das Wort.


(Zuruf von der SPD: Nein! – Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Sie Quälgeist!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1410006300
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Erstens hätte ich meine Rede schon deshalb
nicht zu Protokoll geben können, weil ich gar kein Ma-
nuskript habe.


(Heiterkeit bei der PDS – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Dann sollten Sie es vielleicht ganz sein lassen!)


Da ich in der Regel frei spreche, ist mir diese Möglichkeit
nicht gegeben.

Zweitens fände ich das aber auch falsch. Ich will das
begründen: Noch vor wenigen Wochen haben alle Partei-
en ganz heiß diskutiert, wie nötig es ist, in Auswertung des
Spendenskandals der CDU eine Änderung des Par-
teiengesetzes vorzunehmen, um zu klareren Regelungen
zu kommen. Heute scheint das durch die anderen Parteien
schon wieder von der Tagesordnung abgesetzt zu sein.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Nein!)

Bei den Grünen hat sogar ein Landesverband einen großen
Antrag beschlossen, aber nichts wird in den Bundestag
eingebracht. Das ist die Realität. Der einzige Entwurf, den
es – zumindest bisher – zur Änderung des Parteienge-
setzes gibt, stammt von der PDS-Bundestagsfraktion.


(Beifall bei der PDS)

Wir sind gerne bereit, in den Ausschüssen über die ei-

ne oder andere Frage zu diskutieren. Es ist ein Entwurf und
man kann daran etwas verändern. Aber Sie können sich
doch nicht hier hinstellen und ernsthaft gegenüber der Öf-
fentlichkeit den Eindruck vermitteln, als ob am Parteien-
gesetz nichts zu ändern wäre und die Dinge so weiterlau-
fen könnten, wie es bisher der Fall war.


(Beifall bei der PDS – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wir müssen doch erst die Ergebnisse vonUntersuchungen abwarten, Herr Gysi! Wir können hier doch nicht mit Schnellschüssen arbeiten!)


– Wenn Sie die Ergebnisse des Untersuchungsausschus-
ses – der ja ein ganz anderes Thema hat und sich auf das
geltende Recht stützen muss – abwarten wollen, heißt das,
Sie wollen die Änderung des Parteiengesetzes auf den
Sankt-Nimmerleins-Tag verschieben.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Völliger Unsinn!)


Sie wissen doch selber, dass dieser Untersuchungsaus-
schuss die gesamte Legislaturperiode benötigt.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Da bauen Sie aber einen Popanz auf!)


Sie wissen darüber hinaus, dass die Änderung eines Ge-
setzes gerade in Finanzfragen eines Vorlaufs bedarf. Sie
können Buchhalter nicht innerhalb einer Woche zu verän-
dertem Verhalten zwingen. Da braucht es einen Vorlauf.
Deshalb sage ich Ihnen: Nur wenn wir in Kürze ein Än-
derungsgesetz verabschieden, können wir ab Beginn des
neuen Jahres auch diesbezüglich über neue Regelungen
verfügen, die dann auch angewandt werden.


(Beifall bei der PDS)

Lassen Sie mich deshalb ein paar Dinge zu den wich-

tigsten, nach unserer Auffassung erforderlichen Änderun-
gen sagen. Der erste Punkt bezieht sich darauf, dass bis-
her die Rechenschaftslegung gegenüber dem Präsidenten
sehr allgemein ist. Wir wollen das konkreter gefasst haben.
Wir wollen dort auch mehr Kontrollmechanismen haben.
Wir wollen auch sicherstellen, dass das Parlament anders
als bisher in diese Rechenschaftslegung einbezogen wird.
Das heißt mehr Transparenz, auch mehr parlamentari-
sche Kontrolle.

Wir wollen zweitens natürlich die Bedingungen verän-
dern. Sehen Sie, wir haben gegenwärtig eine Situation, in
der ständig über Großspenden diskutiert wird. Jetzt frage
ich Sie: Was macht denn eigentlich den Charakter einer
Volkspartei aus? Dass man Abendessen gibt und danach
dafür sorgt, dass Spenden von 100 000 DM oder 1 Milli-
onDM durch bestimmte Unternehmen fließen? Oder wür-
de den Charakter einer Volkspartei nicht in erster Linie
ausmachen, dass man millionenfach kleine Spenden orga-
nisiert? Ich sage immer: Lieber tausendmal 100 DM sam-
meln als einmal 100 000 DM. Damit bringt man Volks-
verbundenheit zum Ausdruck.


(Beifall bei der PDS – Zuruf von der SPD: Ihr ganzer Stasi-Apparat lebt von Spenden!)





Vizepräsident Rudolf Seiters

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(C)



(D)



(A)



(B)


*) Anlage 6
**)Anlage 7 Der Redebeitrag des Abgeordneten Harald Friese (SPD)

erscheint als Anlage zum Protokoll der 101. Sitzung

Deshalb wollen wir die zulässige Höhe von Spenden pro
Jahr auf 30 000 DM beschränken. Das scheint uns eine
wichtige Regelung zu sein, um zu einem anderen Charak-
ter zu kommen.

Drittens wollen wir gern auch den Kreis der Spender
verändern. Sehen Sie: Die Verdächtigungen, die jetzt auf-
kommen, haben doch genau mit diesen Regelungen im
Parteiengesetz zu tun. Ich will niemandem etwas un-
terstellen. Wenn jemand eine Spende in Höhe von 1 Mil-
lion DM von einem Unternehmen bekommt, unterstelle
ich ihm doch nicht, dass er deshalb seine Politik wirklich
danach ausrichtet. Aber dass dieser Verdacht im Raum
steht, ist doch klar.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Sie Moralist!)


Wir alle kennen einfache marktwirtschaftliche Rege-
lungen. Eine lautet: Keiner gibt 100 000 DM, wenn er
nicht etwas erwartet, und keiner nimmt 100 000DM, wenn
er nicht auch etwas dafür gibt.


(Beifall bei der PDS – Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Sie Pseudomoralist! Woher haben Sie denn Ihre PDS-Millionen?)


– Dann ändern Sie es doch! Ändern Sie es doch! Wir schla-
gen doch die Änderung vor.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Wo hat denn die PDS ihr Geld her?)


Das geht doch auch zu unserem Nachteil. Das müsste Sie
doch gerade zusätzlich animieren.


(Zuruf von der PDS: Ja!)

Ich sage Ihnen: Deshalb ist die Beschränkung auf
30 000 DM im Jahr ebenso richtig wie unsere Forderung,
juristische Personen als Spender auszuschließen.

DieFinanzbeziehungenderParteienmüssenzweiAdres-
saten haben, zum einen die Bürgerinnen und Bürger –
und genau nicht die Unternehmen, Konzerne und Banken –
und zum anderen den Staat. Lieber – auch wenn das nicht
populär ist – wäre ich damit einverstanden, die staatliche
Finanzierung zu erhöhen, als weiterhin zuzulassen, dass
die Parteien von der Wirtschaft abhängig sind. Das ist die
gegenwärtige Situation. Dabei darf man es nicht belassen.
Ob Sie es wollen oder nicht, es wirkt sich auch auf die Po-
litik der Parteien aus. Genau deshalb wollen wir es ändern.


(Beifall bei der PDS)

Die nächste Bemerkung: Wir wollen ja auch eine Än-

derung zum Vorteil der Parteien. Bisher ist es nämlich so,
dass die Parteien bei der Deklarierung von Spenden ab ei-
ner bestimmten Höhe Name und Adresse angeben müssen.
Die praktischen Erfahrungen zeigen: Das mit der Adresse
ist wahnsinnig schwierig. Oft spenden Leute durch Über-
weisung einfach auf das Konto der Partei, und die Banken
geben die Adresse nicht bekannt. Man weiß dann zwar, wo
derjenige wohnt, man weiß auch, wie er heißt, aber die ge-
naue Adresse ist nicht bekannt. Das führt sofort zur Ab-
führungspflicht. Deshalb haben wir vorgeschlagen, statt

der Adresse den Wohnort zu nehmen, was diese Dinge we-
sentlich erleichtern würde.

Was uns noch besonders wichtig ist, sind Fragen, die
auch mit diesem Skandal zusammenhängen. Wozu – so
habe ich mich immer gefragt – brauchen Parteien Aus-
landskonten?


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Die Frage müssten Sie am besten beantworten können!)


Es konnte mir kein einziger Grund genannt werden, wozu
das erforderlich ist


(Walter Hirche [F.D.P.]: War da nicht was mit Millionen in Wien?)


im Sinne der Erfüllung des Auftrages der Parteien aus dem
Grundgesetz. Das einzige, was mir gesagt worden ist, ist,
dass im Ausland oft die Zinsen günstiger sind. Nur, meine
Damen und Herren, mit so einer Begründung machen wir
uns doch lächerlich. Wir sind mitverantwortlich für die
Zinspolitik in diesem Land.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Nicht die Parteien! Nur damit das klar ist!)


Und dann weichen die Parteien mit ihren Konten ins Aus-
land aus, weil es dort bessere Zinsbedingungen gibt.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Denken Sie an Ihre eigenen Konten! Österreich lässt grüßen!)


– Also sind Sie für Auslandskonten? Verstehe ich das rich-
tig?


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Im Gegenteil, aber dass gerade Sie das sagen, macht mich stutzig!)


– Das sollte Sie nicht stutzig machen. Das sollte Sie gera-
dezu begeistern! Aber dass Sie als alter Kalter Krieger
nicht in der Lage sind, nach 10 Jahren irgendetwas dazu-
zulernen, Herr Küster,


(Beifall bei der PDS – Zurufe von der SPD)

das haben wir hier inzwischen alle mitbekommen. Des-
halb sage ich Ihnen: Wir müssen Auslandskonten verbie-
ten.

Eine weitere Regelung ist dringend erforderlich, wenn
wir denn Glaubwürdigkeit erlangen wollen: In jedem Ge-
setz, mit dem wir etwas verbieten, legen wir für diejeni-
gen, die diese Verbote verletzen, Sanktionen fest, nur im
Parteiengesetz nicht! Da haften die Parteien kollektiv nur
im Rahmen ihrer Finanzen; aber es gibt keine persönliche
Verantwortlichkeit. Das kennen wir nicht im Bilanzrecht
und bei keinem anderen Recht, nur beim Parteiengesetz.

Deshalb schlagen wir vor, künftig für diejenigen, die
persönlich für die Verletzung dieses Gesetzes verantwort-
lich sind, Strafbestimmungen vorzusehen. Wenn wir das
nicht tun, erzielen wir keine neue Glaubwürdigkeit in der
Öffentlichkeit, und die, so meine ich, brauchen alle Par-
teien in diesem Hause. Wenn Sie sich in diesen Fragen
nicht bewegen, dann dürfen Sie sich beim nächsten




Dr. Gregor Gysi
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(C)



(D)



(A)



(B)


Skandal nicht darüber wundern, dass die Glaubwürdigkeit
der Parteien noch weiter und tiefer sinkt.


(Beifall bei der PDS – Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Mit vollen Hosen lässt sich gut stinken, Herr Gysi! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ihre Nachhilfe ist völlig unangebracht!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1410006400
Ich schließe die Aus-
sprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/2719 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Fraktionen sind
damit einverstanden? – Dann ist die Überweisung so be-
schlossen.

Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesord-
nung.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wünsche Ihnen,
den Mitgliedern und Mitarbeitern der Bundesregierung,
den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Hauses und
unseren Gästen auf den Tribünen ein schönes und fried-
volles Osterfest.


(Beifall – Zurufe: Danke gleichfalls! – Ihnen auch, Herr Präsident!)


Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf Mittwoch, den 10. Mai 2000, 13 Uhr, ein.

Die Sitzung ist geschlossen.