Gesamtes Protokol
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Sitzung ist eröff-net.Ich rufe zunächst den Tagesordnungspunkt 1 auf:Befragung der BundesregierungDie Bundesregierung hat als Thema der heutigen Ka-binettssitzung mitgeteilt: Gesetz zur Änderung desDritten Buches Sozialgesetzbuch.Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Berichthat der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung,Walter Riester.Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und So-zialordnung: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrtenDamen und Herren! Das Bundeskabinett hat heute denEntwurf eines Gesetzes zur Änderung des Sozialgesetz-buches III eingebracht. Wir gehen wichtige Maßnahmender Arbeitsförderung in einem Vorschaltgesetz an. Es istdeswegen ein Vorschaltgesetz, weil wir in einem zwei-ten Schritt die Reform der Arbeitsförderung vornehmenwollen.Mit diesem Gesetz verfolgen wir drei Ziele. Erstens:Einige aktive Arbeitsförderungsleistungen sollen ge-zielter als bisher auf arbeitsmarktpolitische Problem-gruppen ausgerichtet sein. Wir wollen damit die Ar-beitsmarktpolitik verstetigen, aber auch Fehlsteuerungenentgegenwirken.Zweitens: Vermeidbare sozialpolitische Härten fürArbeitslose sollen beseitigt werden.Drittens: Die Arbeitsämter sollen von überflüssigerVerwaltungsarbeit und Bürokratie entlastet werden.Zu den wichtigsten Maßnahmen gehören folgendePunkte.Erstens. Die Förderung älterer Arbeitnehmer durchEingliederungszuschüsse an Arbeitgeber soll künftig be-reits nach sechsmonatiger Arbeitslosigkeit einsetzenkönnen. Bisher war das im Regelfall erst nach zwölfmo-natiger Arbeitslosigkeit möglich. Mit dieser Verkürzungwollen wir, wenn es irgendwie geht, Langzeitarbeitslo-sigkeit erst gar nicht entstehen lassen. Die drohendeRückzahlungsverpflichtung, die bisher für Arbeitgebervorgesehen ist, die eine Weiterbeschäftigung nicht vor-nehmen können, wollen wir entfallen lassen, weil dieErfahrung in vielen Bereichen zeigt, daß es wegen dieserVerpflichtung erst gar nicht zu Einstellungen kommt.Zweitens. Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen können inZukunft nicht mehr nur von Langzeitarbeitslosen in An-spruch genommen werden, sondern auch von Arbeitslo-sen, die erst sechs Monate ohne Arbeit sind. Wie gesagt,wir wollen, wenn es irgendwie geht, Langzeitarbeitslo-sigkeit erst gar nicht entstehen lassen.Drittens. In den neuen Bundesländern und in Arbeits-amtsbezirken mit hoher Arbeitslosigkeit können Ar-beitslose und von Arbeitslosigkeit bedrohte Arbeitneh-mer, die das 55. Lebensjahr vollendet haben, bis zu fünfJahre in Strukturanpassungsmaßnahmen gefördert wer-den.Viertens. Die Förderfelder für Strukturanpassungs-maßnahmen werden bundeseinheitlich geregelt und umden Maßnahmenbereich „Verbesserung der wirtschafts-nahen Infrastruktur“ erweitert. Den Arbeitsämtern istdamit ein weiteres Instrument an die Hand gegeben, dasmit einer aktiven Wirtschafts- und Strukturpolitik ver-knüpft werden kann. Unser Ziel ist es, die vorhandenenInstrumente genauer einzusetzen. Deshalb konzentrierenwir die Förderung von Strukturanpassungsmaßnahmenin Wirtschaftsunternehmen in den neuen Bundesländernund Berlin stärker als bisher auf arbeitsmarkt-politische Zielgruppen.Das Gesetz enthält aber noch weitere wichtige Rege-lungen für Arbeitslose und Arbeitsämter, die ich kurzerwähnen möchte.Erstens. Die von der früheren Bundesregierung einge-führte Verpflichtung für Arbeitslose, ihre persönlicheArbeitslosenmeldung im Abstand von drei Monaten zuerneuern, hat in der Praxis lediglich zu ganz erheblichemVerwaltungsaufwand geführt. Die Bekämpfung des Lei-stungsmißbrauchs, die mit dieser Verpflichtung einmalbeabsichtigt war, wurde dadurch nicht erreicht. Die Ver-pflichtung zur regelmäßigen Meldung soll deswegen
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entfallen. Der Ermessensspielraum der Arbeitsämterwird gestärkt. Dadurch wird natürlich nicht das Rechtder Arbeitsämter beschränkt, den Arbeitslosen einzube-stellen.Zweitens. Die ebenfalls von der alten Bundesregie-rung eingeführte Verlängerung zumutbarer Pendelzeitenfür Vollzeitbeschäftigte und Teilzeitbeschäftigte wirdwieder in den alten Zustand zurückgeführt. Auch dies-bezüglich haben wir Meldungen, daß sich die Regelungnicht bewährt hat.Drittens. Der Anreiz für Arbeitslose, eine im Ver-gleich zur früheren Beschäftigung niedriger entlohnteArbeit aufzunehmen, soll verbessert werden. Arbeitslo-se, die, verglichen mit ihrer letzten Beschäftigung, eineniedriger entlohnte Arbeit annehmen, sind vor Nachtei-len bei der Bemessung des Arbeitslosengeldes geschützt,wenn sie ihren Arbeitsplatz innerhalb von drei Jahrenerneut verlieren.Das sind die wesentlichen Änderungen und Zielset-zungen, die wir mit dem Gesetz erreichen wollen. Ichbin überzeugt, daß das Vorschaltgesetz ein effizienteresVorgehen ermöglicht, um bürokratische Hindernisse, dievermeidbar sind, einzugrenzen und insbesondere Lang-zeitarbeitslosigkeit bei älteren Arbeitnehmern möglichstgar nicht entstehen zu lassen oder schneller zu beseiti-gen.Herzlichen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bitte, zunächst
Fragen zu dem Themenbereich zu stellen, der soeben
aufgerufen wurde. Die erste Fragestellerin ist die Kolle-
gin Birgit Schnieber-Jastram.
Herr Mi-
nister, Sie haben eben deutlich gemacht, daß Ihnen das
Vorschaltgesetz sehr wichtig ist. Ich möchte fragen:
Warum bringen Sie es erst jetzt ein? Es war doch im we-
sentlichen schon zu unserer Zeit fertig.
Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und
Sozialordnung: Bis zum jetzigen Zeitpunkt habe ich
nicht den Eindruck gehabt, daß das Parlament mit
Regierungseingaben zu wenig belastet war. Frau
Schnieber-Jastram, wir haben das Vorschaltgesetz zum
jetzigen Zeitpunkt eingebracht, weil wir es im Rah-
men breiter Befragungen und mit den Mitarbeitern der
Arbeitsämter abgestimmt haben. Damit ist das Vor-
schaltgesetz sozusagen ein Ergebnis der Praxisüberprü-
fung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Nachfrage.
Ich möchte
noch eine Frage zur Pendlerregelung stellen. Herr Mi-
nister, ich weiß nicht, ob Ihnen bekannt ist, daß die
letzte Bundesregierung die Pendlerregelung nicht einge-
führt hat, um irgendwen zu ärgern und ihm zuzumuten,
überlange Zeit unterwegs zu sein. Aber wenn ich mir
einmal vor Augen führe, wie lange Arbeitnehmer in
großen Ballungsräumen, beispielsweise in Berlin, un-
terwegs sind, um an ihren Arbeitsplatz zu gelangen,
dann muß ich die Effizienz der Rücknahme dieser Re-
gelung in Frage stellen. Stimmen Sie meiner Einschät-
zung zu?
Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und So-
zialordnung: Dem ersten Teil Ihrer Ausführungen stim-
me ich zu: Ich unterstelle, daß Sie die Pendlerregelung
nicht eingeführt haben, um Leute zu ärgern. Aber Sie
verhindern mit dieser Regelung die Aufnahme von Teil-
zeitarbeit, wenn Sie Teilzeitbeschäftigten, die noch
Pflege- oder Erziehungsaufgaben wahrnehmen müssen,
zusätzlich eine Pendlerzeit zumuten, die länger als die
Hälfte ihrer Beschäftigungszeit dauert. Dies besagen die
Berichte aus den Arbeitsämtern, die wir bekommen ha-
ben. Hier hat man sehr stark darauf gedrungen, zum al-
ten Zustand zurückzukehren.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Kollege Dirk Niebel,
Ihre Frage, bitte.
Herr Minister, Sie haben dieNeuregelung in bezug auf den Eingliederungszuschußfür ältere Arbeitnehmer angesprochen. Ich möchte dazuzwei Fragen stellen, wenn Sie erlauben: Erstens. DerEingliederungszuschuß soll nach sechsmonatiger Ar-beitslosigkeit gewährt werden. Dies wird einen finan-ziellen Mehrbedarf erforderlich machen. Haben Sie die-sen schon berechnet?Zweitens. Sie haben gesagt, daß die Nachbeschäfti-gungspflicht abgeschafft werden soll. Wenn ich an dieHaushaltsberatungen hier im Plenum und an die im Aus-schuß zurückdenke, dann wurde dort über Beschäfti-gungshilfen für Langzeitarbeitslose diskutiert. Ich meinemich daran zu erinnern, daß Sie die Auffassung vertre-ten haben, daß gerade durch die Nachbeschäftigungs-pflicht das Instrument des Eingliederungszuschusses be-sonders gut geeignet sei, um Personen im ersten Ar-beitsmarkt unterzubringen, weil durch den Förderungs-zeitraum und die Nachbeschäftigungspflicht insgesamtein relativ langer Zeitraum der Beschäftigung erreichtwerden kann. Ich verstehe nicht, warum Sie dieses In-strument zurücknehmen, obwohl es doch sinnvoll wäre,wenn 55- oder 56jährige Arbeitslose vor der Rente nocheinmal dauerhaft in den Arbeitsmarkt eingegliedert wer-den könnten.Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und So-zialordnung: Herr Abgeordneter Niebel, uns liegen Be-richte von Arbeitsämtern vor, die besagen, daß dieNachbeschäftigungsverpflichtung nicht nur bei Wirt-schaftsunternehmen, sondern auch bei Wohlfahrtsver-bänden, die einstellen wollen, aber gar kein Geld haben,um gegebenenfalls die Fördermittel zurückzuzahlen, da-zu führt, daß überhaupt keine Einstellungen vorgenom-men werden. Deswegen wollen wir auf die Nachbe-schäftigungsverpflichtung gerade für ältere Arbeitneh-mer verzichten.Bundesminister Walter Riester
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Sie haben auf einen Redebeitrag hingewiesen, den ichhier geleistet habe. Was Sie sagen, ist richtig. In diesemRedebeitrag habe ich die Lohnkostenzuschüsse bei denStrukturanpassungsmaßnahmen Ost für Wirtschaftsun-ternehmen kritisiert, die ohne jede Zielbindung gewährtwerden. Ich bezweifle aber, ob es richtig wäre, aus dengleichen Gründen eine Nachbeschäftigungsverpflichtungbeizubehalten. Ich denke, wir müssen eine zielgenauereRegelung schaffen, die Lohnkostenzuschüsse auf be-stimmte Gruppen ausrichtet. Diesem Anliegen haben wirim Vorschaltgesetz Rechnung getragen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Nachfrage, bit-
te.
Welche Maßnahmen haben Sie
vorgesehen oder zumindest angedacht, um eventuelle
Mitnahmeeffekte dadurch auszuschließen, daß in Zu-
kunft keine Nachbeschäftigungsverpflichtung mehr be-
steht? Die Wahrscheinlichkeit, daß jemand nur noch für
die Dauer des Förderzeitraums beschäftigt wird und dem
Arbeitsamt danach wieder zur Verfügung steht, ist mei-
nes Erachtens relativ hoch.
Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und So-
zialordnung: Ich schließe nicht aus, daß solche Mitnah-
meeffekte entstehen. Wenn das so ist – ich habe gerade
die Lohnkostenzuschüsse angesprochen –, dann sind
solche Mitnahmeeffekte bei anderen Maßnahmen aus-
geprägter. Wir müssen unsere Politik auf Zielgruppen
ausrichten. Gerade für ältere Arbeitnehmer haben wir
bewußt einen Förderzeitraum von bis zu fünf Jahren ge-
schaffen. Wir haben das getan, weil in Bereichen mit
hoher Arbeitslosigkeit ältere Mitarbeiter dann, wenn sie
langzeitarbeitslos sind oder gar Leistungseinschränkun-
gen haben, kaum noch vermittelbar sind. Wir haben hier
die Schwelle niedrig gehalten – auch ohne Rückzah-
lungsverpflichtung –, um diese Menschen überhaupt in
den ersten Arbeitsmarkt integrieren zu können.
Ich habe vergessen, eine Frage nach den Kostenwir-
kungen zu beantworten, die Sie vorhin gestellt haben.
Wir gehen davon aus, daß das Vorschaltgesetz insge-
samt kostenneutral ist. Aber ich muß Ihnen sagen: Es ist
aus den unterschiedlichen Praxiswirkungen heraus sehr
schwer, genaue Aussagen zu den Kosten zu machen.
Durch das gezieltere Ansetzen von Lohnkostenzuschüs-
sen können Einspareffekte erzielt werden. Wenn wir das
tun, was Sie angesprochen haben, kann es durchaus zu
höheren Ausgaben kommen.
Insgesamt gehen wir aber davon aus, daß es kosten-
neutral bleibt, weil wir zielgenauer fördern.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nächster Fragesteller
ist der Kollege Peter Dreßen.
Herr Bundesminister, nachdem
das 2-Milliarden-DM-Programm, das speziell auf Ju-
gendliche ausgerichtet ist, angesprochen worden ist –
das Programm kommt im übrigen sehr gut an und ist ein
großer Erfolg – , möchte ich Sie fragen, was dieser Ge-
setzentwurf speziell für ältere Arbeitslose leistet.
Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und So-
zialordnung: Ich habe gerade die besondere Problematik
von älteren Arbeitslosen angesprochen. Diese Proble-
matik besteht darin, daß sie zunehmend nicht mehr ver-
mittelbar sind. Das ist schlimm, insbesondere dort, wo
eine hohe Arbeitslosigkeit besteht. Erschwerend kommt
Langzeitarbeitslosigkeit hinzu. Noch erschwerender
kommen gesundheitliche Einschränkungen hinzu. Dar-
auf wird in dem Gesetzentwurf Rücksicht genommen.
Wir sehen folgendes vor:
Erstens. Es muß nicht erst Langzeitarbeitslosigkeit
mit einer Dauer von zwölf Monaten entstehen, damit die
Eingliederungszuschüsse für Ältere greifen können.
Zweitens. Gerade bei Menschen, die 55 Jahre alt oder
älter sind und arbeitslos sind oder von Arbeitslosigkeit
bedroht sind, soll bei Strukturanpassungsmaßnahmen
ein Förderzeitraum von bis zu fünf Jahren eröffnet wer-
den.
Es handelt sich um wichtige Gesichtspunkte, die wir
gerade für ältere Arbeitslose vorsehen. Wir möchten
somit den insbesondere in den neuen Bundesländern
vorzufindenden Zustand, daß ältere Arbeitssuchende
überhaupt nicht vermittelt werden können, wieder auf-
brechen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Dre-
ßen, Ihre Nachfrage.
Herr Minister, ist in diesem
Zusammenhang die Altersgrenze von 55 Jahren bei den
Eingliederungszuschüssen nicht zu hoch?
Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und So-
zialordnung: Im Prinzip ja. Wir möchten gleichzeitig,
parallel zum Gesetz, über eine Rechtsverordnung pro-
beweise über einen Zeitraum von zwei Jahren, um Er-
fahrungen zu sammeln, die Altersgrenze auf das 50. Le-
bensjahr absenken.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nächster Fragesteller
ist der Kollege Franz Thönnes.
Herr Minister, diese Regie-rung ist mit dem Versprechen angetreten, in der aktivenArbeitsmarktpolitik die Frauen ihrem Anteil an der Ar-beitslosigkeit entsprechend zu fördern. Inwieweit enthältdieser Gesetzentwurf Regelungen, die die besondereSituation von arbeitslosen Frauen betreffen?Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und So-zialordnung: Der Gesetzentwurf enthält hierzu Regelun-gen. Aber lassen Sie mich noch ganz kurz auf das ange-sprochene Sofortprogramm gegen Jugendarbeitslosigkeiteingehen. Nach den ersten Auswertungen dieses Pro-Bundesminister Walter Riester
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gramms, die jetzt vorliegen, sind 44,5 Prozent der in dasProgramm aufgenommenen Personen Frauen. Darüberfreue ich mich sehr.
Jetzt komme ich zu Ihrer konkreten Frage, was imGesetz steht:Erstens. Die vorhin angesprochenen Pendelzeiten be-treffen natürlich insbesondere Frauen, die als Teilzeitbe-schäftigte arbeiten wollen. Deswegen wollen wir dafürsorgen, daß die Pendelzeiten kürzer werden.Zweitens wollen wir Weiterbildungsmöglichkeiteneröffnen, ohne daß ein aktueller Leistungsbezug besteht.Auch durch diesen Punkt werden insbesondere Frauenbegünstigt.Als dritten Punkt stellen wir durch eine Definitionklar, daß insbesondere bei Unterbrechungen der Er-werbstätigkeit durch Pflegetätigkeiten oder Kindererzie-hungszeiten trotzdem Weiterbildungsmöglichkeitenwahrgenommen werden können.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat die
Kollegin Erika Lotz.
Herr Minister, Sie haben in Ihrem
Vorschlag auch eine Ausweitung der Weiterbildungs-
möglichkeiten für Teilzeitbeschäftigte vorgesehen. Wel-
che Erwartungen verbinden Sie damit?
Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und So-
zialordnung: Die Weiterbildungsmöglichkeiten sind jetzt
so angelegt – im Grundsatz ist das natürlich richtig –,
daß sie sich an Vollzeitbeschäftigte richten. Wir haben
aber insbesondere bei den Menschen große Probleme,
die wegen gesundheitlicher Einschränkungen überhaupt
nur einer Teilzeitbeschäftigung nachgehen können. Un-
ser Gesetz eröffnet diesen die Möglichkeit, an Weiter-
bildungsmaßnahmen teilzunehmen, so daß auch Men-
schen mit gesundheitlichen Einschränkungen leichter in
den Arbeitsprozeß integriert werden können.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Kop-
pelin, Ihre Frage, bitte.
Herr Minister, teilen Sie
meine Auffassung, nachdem eine ganze Reihe von Fra-
gen aus der SPD-Fraktion gekommen sind, die ja die
Bundesregierung wohl trägt, daß auch in dieser Frage
das Mannschaftsspiel noch nicht richtig klappt?
Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und So-
zialordnung: Diese Auffassung teile ich überhaupt nicht.
Schon die Tatsache, daß Sie uns ein Mannschaftsspiel
unterstellen, zeigt ja, daß es bei uns klappt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bitte doch darum,
beim aufgerufenen Themenbereich zu bleiben.
Nächster Fragesteller ist der Kollege Kurt Bodewig.
Herr Minister, ich würde gern
ein Detailproblem ansprechen, nämlich das Arbeitslo-
sengeld für entlassene Strafgefangene. Nach dem Ent-
wurf soll es neu geregelt werden. Was waren eigentlich
die Gründe dafür, die Bemessungsgrundlage für das Ar-
beitslosengeld entlassener Gefangener neu zu regeln?
Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und So-
zialordnung: Bisher richtet sich das Arbeitslosengeld für
Strafgefangene nach einer Bemessungsgrundlage von
gut 4 000 DM. Wir sind den Weg gegangen, die Bemes-
sung des Arbeitslosengeldes für Strafgefangene an den
Verdienstmöglichkeiten auszurichten, die er bei seiner
Entlassung auf dem Arbeitsmarkt hat. Wir gehen des-
halb nicht mehr von einem fiktiven pauschalen Ansatz
aus, der im Vergleich zu anderen Gruppen, aber mögli-
cherweise auch für den Strafgefangenen, Ungerechtig-
keiten mit sich bringt. Jetzt bemißt es sich an seiner
Qualifikation und den beruflichen Fähigkeiten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nächster Fragesteller
ist der Kollege Hans Büttner.
Herr Minister, dieKollegin Schnieber-Jastram hat ja vorhin schon daraufhingewiesen, daß etliche Vorschläge der alten Bundes-regierung, vor allem die falsche Entscheidung, die Mel-depflicht für 58jährige und Ältere einzuführen, nur zubürokratischem Aufwand geführt haben. Deswegen istes positiv, daß Sie mit Ihrem Schritt einen Beitrag zurEntbürokratisierung leisten.
In diesem Zusammenhang meine Frage: Werden Siediese Entscheidung auch rückwirkend auf Personen an-wenden, die mit dem 60. Lebensjahr in den Ruhestandgehen, aber deswegen keine Rente erhalten, weil sie denRentenversicherern nicht für alle Zeiträume ununterbro-chen Arbeitslosmeldungen vorlegen können? Wenn siezwar arbeitslos gemeldet waren, aber der dummen Be-stimmung, sich alle drei Monate zu melden, zum Teilaus Unkenntnis und zum Teil auch deswegen, weil dasArbeitsamt ihnen sagte, sie könnten nicht vermitteltwerden, nicht nachgekommen sind, erhalten sie nämlichkeine Rente. Werden Sie dafür sorgen, daß diese unsin-nige Vorschrift auch im Verwaltungsvollzug bei derRentenversicherung beseitigt wird?Bundesminister Walter Riester
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Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und So-zialordnung: Herr Abgeordneter Büttner, das will ichIhnen aus dem Bauch heraus nicht mit Ja oder Neinbeantworten. Da frage ich bei mir im Ministerium undlasse mir das genauer schildern, und dann wollen wirentscheiden. Aus dem Bauch heraus kann ich dazu nichtja oder nein sagen.
– Lassen Sie mich einmal sagen: Ich habe kein Interesseam Strecken. Fragen Sie!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nächster Fragesteller
ist der Abgeordnete Klaus Brandner.
Herr Minister, wir waren
gerade beim Thema Entbürokratisierung. Wir wissen
alle, daß die Regierung angetreten ist, bürokratische
Vorschriften, die sich nicht bewährt haben, abzuschaf-
fen. Gerade bei den Arbeitslosen gibt es eine Regelung,
die vorsieht, daß der Arbeitslose sich persönlich inner-
halb von drei Monaten beim Arbeitsamt melden muß,
um weiterhin Leistungen zu erhalten. Dadurch sollte an-
geblich der Kontakt zum Arbeitsamt aufrechterhalten
bleiben. Sehen Sie diese Regelung als überflüssig an?
Hat sie sich bewährt, oder sollte sie in der Tat gestrichen
werden, weil sie inhaltlich keine Bedeutung hat?
Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und So-
zialordnung: Ich mache es sehr schnell: Sie hat sich
nicht bewährt. Dazu liegen für mich interessante Briefe
vor, auch von der jetzigen Opposition, die das bürokrati-
sche Vorgehen zu Recht kritisiert hat. Man hat versucht,
das auf Zielgruppen zu reduzieren; man hat bei den Ar-
beitsämtern aber gemerkt, daß das letztendlich nur zu
einem riesigen Verwaltungsaufwand führt. Das Ziel,
Leistungsmißbrauch zu verhindern, wird damit nicht er-
reicht. Deswegen schaffen wir es ab.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin Dr.
Knake-Werner, Ihre Frage, bitte.
Herr Minister, ich
habe eine Frage zu den Strukturanpassungsmaßnahmen.
Zunächst einmal habe ich befriedigt zur Kenntnis
genommen, daß das, was Sie ursprünglich nur für die
ostdeutschen Bundesländer vorgesehen hatten, also die
Felder, auch auf die westdeutschen Bundesländer ausge-
dehnt wird.
Dann haben Sie gesagt – jedenfalls habe ich das dem
Referentenentwurf entnommen –, daß es eine Förderung
geben soll für ältere Arbeitnehmer ab 55 für eine Dauer
von fünf Jahren. Ich hätte gerne gewußt, wie das konkret
aussehen soll, welche Fördermaßnahmen da angewandt
werden sollen – gibt es einen Mix von Fördermaßnah-
men, um diese fünf Jahre zusammenzubringen? – und ob
Sie sich vorstellen können, daß das etwas ist, was sozu-
sagen auch Ihrem eigenen Anspruch auf Verstetigung
näherkommt, und zwar auch bezogen auf andere Be-
schäftigtengruppen?
Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und So-
zialordnung: Erst einmal ist es nur auf diese Altersgrup-
pe bezogen. Auf diese Altersgruppe ist es insbesondere
deswegen bezogen – das gilt vor allem für die Arbeits-
amtsbereiche ganz Ostdeutschlands und für die Arbeits-
amtsbereiche mit hoher Arbeitslosigkeit –, weil es für
viele dieser älteren Arbeitslosen fast entwürdigend ist,
wenn sie in Maßnahmen immer nur kurzfristig beschäf-
tigt werden und keine längerfristige Perspektive haben.
Daher möchten wir die Möglichkeit eröffnen, bis zu fünf
Jahre ein Leistungsangebot zu machen, durch das für
diese Arbeitslosen Beschäftigungsmöglichkeiten ge-
schaffen werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Nachfrage,
bitte!
Ich habe noch eine
Nachfrage. Sie wissen, Herr Minister, daß das Land
Mecklenburg-Vorpommern mit seinem Modellversuch
zum öffentlich geförderten Beschäftigungssektor ange-
peilt hat, diesen Bereich fünf Jahre lang zu fördern. Sie
tun sich damit sehr schwer, weil ihnen dazu Bundesre-
gelungen fehlen. Können Sie sich vorstellen, daß das,
was Sie jetzt hier einleiten, auch eine Möglichkeit wäre,
um einen solchen Modellversuch über diesen Zeitraum
zu fördern?
Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und So-
zialordnung: Inwieweit man das über einen Modell-
versuch machen kann, darüber muß man sprechen. Ich
habe mit dem Arbeitsminister von Mecklenburg-Vor-
pommern gerade vor kurzem ein Gespräch geführt. Er
sagte mir, ihm lägen sehr viele Anfragen in bezug auf
einen Modellversuch vor. Dafür sind die Mittel in dem
erforderlichen Umfang nicht da, weder in Mecklenburg-
Vorpommern noch insgesamt. Aber ich denke, wir müs-
sen – auch experimentell – einige Versuche machen, um
daraus zu lernen. Insgesamt gilt es aber, für diesen Kreis
älterer Arbeitnehmer, der im Kern merkt, daß er kaum
dauerhafte Beschäftigungsmöglichkeiten hat, entspre-
chende Beschäftigungsmöglichkeiten zu entwickeln.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weitere Wortmel-
dungen zu diesem Themenbereich liegen mir nicht vor.
Gibt es darüber hinaus sonstige Fragen an die Bundesre-
gierung? – Herr Kollege Hollerith, bitte.
Frau Präsidentin! Mei-ne sehr verehrten Damen und Herren! Ich frage aus ak-
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2090 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 26. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. März 1999
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tuellem Anlaß, nämlich der besonderen Art und Weisevon Fahnenflucht von Bundesminister Lafontaine, dieer dem deutschen Volk vorführte,
die Bundesregierung: Wann und in welcher Form hatBundesminister Lafontaine um seine Entlassung alsBundesminister der Finanzen gebeten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wer antwortet für die
Bundesregierung?
Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und So-
zialordnung: Damit Sie nicht annehmen, ich beginge
Fahnenflucht, will ich antworten. Mir ist bekannt, daß zu
diesem Thema offensichtlich – –
– Ich gebe die Frage an den Vertreter des Kanzleramtes
weiter.
Herr Kollege Stein-
meier, ich will meine Frage wiederholen; Sie waren
noch auf dem Weg hierher. Wann und in welcher Form
hat Herr Bundesminister Lafontaine um seine Entlas-
sung als Bundesminister der Finanzen gebeten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dr. Steinmeier, Ihre
Antwort bitte auf die Frage des Kollegen Hollerith.
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich glaube, die
Antwort ist inzwischen auf vielfältige Art und Weise
bekannt geworden.
– Lassen Sie mich bitte antworten! – Der Bundesmini-
ster der Finanzen hat am vergangenen Donnerstag
nachmittag durch einen Brief an den Bundeskanzler um
seine Entlassung gebeten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Holle-
rith, Sie haben die Möglichkeit zur Nachfrage.
Ich möchte folgende
Frage anschließen: Wann hat Bundeskanzler Schröder
dieser Bitte entsprochen?
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der Bundeskanzler hat diesen Brief,
der ihm am Donnerstag nachmittag durch einen Boten
überbracht wurde, entgegengenommen. Ich weiß jetzt
nicht, ob mit Ihrer Frage Weiteres insinuiert ist.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Holle-
rith, Sie haben nur zwei Fragen.
Nächster Fragesteller ist der Kollege Bartholomäus
Kalb.
Ich möchte nach-
fragen: Hat der Bundeskanzler dieser Bitte entsprochen?
Hat er dem Herrn Bundespräsidenten vorgeschlagen,
den Herrn Bundesfinanzminister zu entlassen? Ich darf
weiter fragen: Ist dem Herrn Bundesfinanzminister zwi-
schenzeitlich die Entlassungsurkunde übergeben wor-
den, oder wann wird er sie entgegennehmen?
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nachdem im Verlaufe des Nach-
mittags geklärt war, daß die Bitte um Entlassung unwi-
derruflich ist, hat der Bundeskanzler noch am selben
Abend eine kurze Pressemitteilung, die Ihnen bekannt
ist, abgegeben. Darin hat er dem Bundesfinanzminister
für seine bisherige Arbeit gedankt. Daraus können Sie
entnehmen, daß im Verlaufe dieses Nachmittags der
Entlassungswunsch vom Bundeskanzler akzeptiert wor-
den ist.
Auf Ihre zweite Frage, wann die Entlassungsurkunde
ausgehändigt wird, teile ich Ihnen mit, daß dies meines
Wissens morgen nachmittag um 16.15 Uhr durch den
Bundespräsidenten geschehen wird.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Nachfrage, bit-te, Herr Kollege Kalb.Josef Hollerith
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 26. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. März 1999 2091
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(D)
Darf ich nachfra-
gen, auf welcher gesetzlichen Grundlage oder auf wel-
cher Grundlage der Geschäftsordnung der Bundesregie-
rung das Bundesministerium der Finanzen seit Don-
nerstag letzter Woche, auch bei internationalen Ver-
handlungen, zum Beispiel beim Ecofin-Rat, offiziell
vertreten worden ist?
– Entschuldigung, ich habe nach der Grundlage gefragt.
Das wird die Bundesregierung doch wohl beantworten
können.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege, Sie
haben Ihre Frage gestellt, und jetzt kommt die Antwort
von seiten der Bundesregierung.
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nach der Geschäftsordnung der
Bundesregierung ist die Vertretung eines Ministers
durch ein anderes Kabinettsmitglied möglich. Sie wis-
sen, daß der Bundesminister der Finanzen durch den
Bundeswirtschaftsminister vertreten wird, der die Ver-
tretung, auch auf Sitzungen der internationalen Gremien,
seit der letzten Woche übernommen hat.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nächster Fragesteller
ist der Kollege Dietrich Austermann. Ich verweise dar-
auf, daß die ersten vier Fragesteller angemeldet worden
sind. Ich habe Sie auf der Liste eingetragen.
Herr Steinmei-
er, ich hätte gerne gewußt: Was ist denn die Grundlage
der Vertretung? Die Geschäftsordnung der Bundesregie-
rung geht von bestimmten Regularien aus. Ist der Grund
Krankheit, genehmigter Urlaub oder etwas anderes?
Normalerweise muß eine bestimmte Voraussetzung er-
füllt sein, damit eine rechtlich einwandfreie Vertretung –
ich spreche insbesondere das Thema Ecofin-Rat an – er-
folgen kann.
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, uns trifft diese
Frage natürlich nicht ganz unerwartet, und mit Blick auf
die Zuhörer und Zuschauer verstehe ich sie auch. Den-
noch haben Sie vielleicht Verständnis für unsere Hal-
tung, daß wir es in der gegenwärtigen Situation – einen
Tag vor Übergabe der Entlassungsurkunde – als unzu-
mutbar empfinden, den Finanzminister hierher zu zitie-
ren.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege
Austermann, eine Nachfrage, bitte.
Ich habe zwei
Fragen, und meine erste Frage ist noch nicht beantwor-
tet. Ich muß also darauf bestehen, daß zunächst die erste
Frage beantwortet wird. Herr Bundesminister Lafontaine
hat, wie andere auch – wenn auch ohne entsprechende
Formulierung –, einen Eid geleistet, der ihn verpflichtet,
Arbeit zu leisten und präsent zu sein. Deswegen haben
wir ihn auch für heute mittag in den Haushaltsausschuß
bestellt. Er ist noch im Amt. Auch der Parlamentarische
Staatssekretär sitzt noch da. Ich hätte gerne gewußt, auf
Grund welcher gesetzlichen Regelung und welchen
Sachverhaltes die Nichtanwesenheit beim Ecofin-Rat
und bei anderen Ereignissen zu rechtfertigen ist.
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich hatte auf Ihr Verständnis gehofft.
Wir sind Ihnen gegenüber offen. Ich habe in meiner
Antwort eben signalisiert, daß wir uns auf keinen der
bekannten Gründe, wie Auslandsaufenthalt, Urlaub oder
ähnliches, berufen. Sie haben recht, der Bundesminister
der Finanzen ist bis zur Übergabe seiner Entlassungsur-
kunde nach wie vor Kabinettsmitglied. Im übrigen habe
ich mich eben bemüht, Ihnen zur Frage der Zumutbar-
keit in aller Offenheit Auskunft zu geben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nächste Fragestelle-
rin ist die Kollegin Gerda Hasselfeldt.
Ich möchte gerne,
Frau Präsidentin, den Vertreter des Bundesfinanzmi-
nisteriums fragen: Von welcher Belastungsgrundlage für
die Energiewirtschaft im Rahmen des sogenannten
Steuerentlastungsgesetzes ging der Finanzminister bis
zum 9. März aus? – Soll ich die Frage noch einmal wie-
derholen?
Dr. Frank-Walter Steinmeier: Staatssekretär im
Bundeskanzleramt: An Herrn Diller?
Ich habe die Fragean den Vertreter des Bundesfinanzministeriums gerichtetund dies vorher auch ausdrücklich artikuliert. Ich gingdeshalb davon aus, daß Sie aufgepaßt haben, aber offen-sichtlich war das nicht der Fall.Ich möchte gerne wissen, von welcher Belastungs-wirkung für die Energiewirtschaft auf Grund des Steuer-entlastungsgesetzes der Bundesfinanzminister bis zu denKonsensgesprächen am 9. März ausging.
Metadaten/Kopzeile:
2092 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 26. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. März 1999
(C)
K
Verehrte Frau Kollegin, das können Sie
nachlesen.
Wenn Sie das nicht
beantworten können, will ich den Kern der Sache noch
einmal zum Ausdruck bringen. Sie wissen, Herr Staats-
sekretär, daß der Finanzminister zunächst von etwa 10
Milliarden DM ausgegangen ist und daß er dann nach
wenigen Tagen zugestanden hat, daß die Belastungswir-
kung für die Energiewirtschaft bis zum Jahr 2009 nicht
10 Milliarden DM, sondern über 20 Milliarden DM,
nämlich 21 Milliarden DM, betragen wird.
Nun frage ich Sie: Hat Bundeskanzler Schröder in
dem Treffen mit Vertretern der Energiewirtschaft auch
zugestanden, daß die bisherigen Gespräche zahlenmäßig
auf falschen Grundlagen und unter falschen Annahmen
geführt wurden? Ich bitte um eine konkrete Antwort.
K
Verehrte Frau Kollegin, soweit ich die
Diskussion mitverfolgt habe – im Bundesministerium
der Finanzen ist das nicht mein originärer Zuständig-
keitsbereich, sondern der der Kollegin Barbara
Hendricks –, ist festzustellen: Die Gespräche haben eine
Einigung dahin gehend erbracht, daß man im Lichte der
tatsächlichen Entwicklung prüfen wird, ob die Annah-
men des Bundesfinanzministeriums auch tatsächlich zu-
treffen, und daß man dann, wenn diese Annahmen nicht
zutreffen, in Gespräche eintritt und Lösungen entwik-
kelt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin Has-
selfeldt, Sie haben schon zwei Fragen gestellt. Ich
möchte noch einmal darauf hinweisen, daß es üblich ist,
daß man eine Frage und eine Nachfrage stellen kann.
Darauf haben wir uns in der Geschäftsordnung verstän-
digt.
Nächster Fragesteller ist der Kollege Koppelin.
Da uns das Bundes-
kanzleramt jetzt erfreulicherweise mitgeteilt hat, wann
der bisherige Bundesfinanzminister Lafontaine entlassen
wird, darf ich folgende Frage an die Regierung bzw. an
das Kanzleramt richten: Was hindert den Herrn Bundes-
kanzler, nachdem er uns den Nachfolger im Amt des
Bundesfinanzministers, nämlich Herrn Eichel, schon
präsentiert hat, daran, ihn hier im Hause in dieser Woche
vereidigen zu lassen, und warum läßt er ihn statt dessen,
wie ich heute den Nachrichtenagenturen entnommen ha-
be, in einer Sondersitzung am 8. April dieses Jahres ver-
eidigen, was zusätzliches Geld, also erhebliche Steuer-
mittel, kosten wird? Gibt es irgendwelche Gründe dafür?
Denn – ich sage das aus Sicht der F.D.P.-Fraktion – es
ist ja im Rahmen der deutschen EU-Präsidentschaft
nicht unbedeutend, einen amtierenden Finanzminister zu
haben.
– Nein, dies ist bei der Befragung der Bundesregierung
nicht nötig. Sie sollten sich einmal schlau machen. – Wir
sollten auch für die aktuellen Haushaltsberatungen einen
Finanzminister haben. Was hindert also den Bundes-
kanzler, Herrn Eichel in dieser Woche vereidigen zu las-
sen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär
Steinmeier, bitte.
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich kann nicht
beurteilen, inwieweit es in früheren Fällen bei Ernen-
nungen von Ministern im Laufe einer Legislaturperiode
nicht auch vorgekommen ist, daß Sondersitzungen des
Bundestages stattgefunden haben.
Im übrigen steht Herr Eichel vor dem 8. April dieses
Jahres nicht zur Verfügung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nächste Fragestelle-
rin ist die Kollegin Irmgard Schwaetzer. – Bitte.
Ich frage die
Bundesregierung: Sie haben uns nun mitgeteilt, daß der
jetzige Bundesfinanzminister morgen die Entlassungs-
urkunde ausgehändigt bekommt. Damit erlischt gleich-
zeitig die Amtszeit der Parlamentarischen Staatssekretä-
re.
Werden die Parlamentarischen Staatssekretäre für die
Zwischenzeit, also von morgen bis zum 8. April dieses
Jahres, ernannt? Dies würde voraussetzen, daß Herr
Müller ebenfalls einen Eid als Finanzminister leisten
müßte. Ist das so von der Bundesregierung geplant, bzw.
mit welchen anderen Konstruktionen gedenkt die Bun-
desregierung, die jetzigen Staatssekretäre im Amt zu
halten?
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Abgeordnete, ich gehe gegen-wärtig davon aus, daß es nach der Übergabe des Entlas-sungsschreibens an den bisherigen Bundesfinanzmi-nister zu einer Ernennung von zwei ParlamentarischenStaatssekretären kommen wird. Hinsichtlich des richti-gen rechtlichen Weges bin ich derzeit im Gespräch mit
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 26. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. März 1999 2093
(C)
(D)
dem Bundespräsidialamt. Ich möchte der Entscheidungdort im Augenblick nicht vorgreifen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Schwaetzer, Sie
können noch eine kurze Nachfrage stellen.
Herr Staatsse-
kretär, mit dieser Antwort kann ein Parlamentarier nicht
zufrieden sein. Denn aus Ihrer Antwort geht hervor, daß
Sie selber in diesem Zusammenhang rechtliche Schwie-
rigkeiten sehen. Vielleicht könnten Sie uns diese
Schwierigkeiten einmal beschreiben. Was veranlaßt Sie
eigentlich dazu, auf diese Weise bestehende rechtliche
Regelungen zu umgehen, statt, wie es möglich wäre –
darauf hat der Kollege Koppelin hingewiesen –, in die-
ser Woche den vorgesehenen Finanzminister vereidigen
zu lassen?
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die beiden rechtlichen Wege, die ich
eben angesprochen habe, sind mit keinem rechtlichen
Makel behaftet. Sie sind beide zulässig; darin bin ich mit
dem Bundespräsidialamt einer Meinung. Nur, das Bun-
despräsidialamt hat zur Zeit keine Möglichkeit, diese
beiden möglichen Wege mit dem Bundespräsidenten
selbst zu besprechen. Da der Bundespräsident hierzu ei-
ne Meinung hat, will das Bundespräsidialamt dem Ge-
spräch im Augenblick durch eine Auskunft mir gegen-
über – das verstehe ich – nicht vorgreifen. Dies wird im
Laufe des heutigen Nachmittags oder aber morgen früh
geklärt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der wirklich letzte
Fragesteller im Rahmen der Regierungsbefragung ist der
Kollege Fromme.
Ich frage
die Bundesregierung: Wenn die Zahlengrundlage ins-
besondere bei einem wichtigen Eckpfeiler, dem
Steuerentlastungsgesetz, sowohl qualitativ als auch
quantitativ so offen ist, wäre es dann nicht verantwor-
tungsbewußter, die Verabschiedung im Bundesrat auf-
zuschieben?
K
Herr Kollege, diese Auffassung kann ich
überhaupt nicht teilen. Die Bundesregierung ist bei ihrer
Schätzung, daß das Volumen 10 Milliarden DM beträgt,
von einem Zeitraum von 4 Jahren ausgegangen. Die
Wirtschaft ist bei ihrer Schätzung, daß es 25 Milliarden
DM betragen wird, von einem Zeitraum von 10 Jahren
ausgegangen. Insofern sind die beiden Zahlen im Prinzip
deckungsgleich.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Noch eine Nachfra-
ge, Herr Kollege.
Herr Staats-
sekretär, ich frage mich, wenn Sie die Zahlen doch wis-
sen, warum Sie dann der Kollegin Hasselfeldt eben nicht
geantwortet haben.
K
Weil ich mich wundere, daß eine so gut
informierte Kollegin wie Frau Hasselfeldt eine Frage
stellt, zu der sie die Antwort eigentlich kennen müßte.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Befragung der
Bundesregierung ist beendet.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
– Drucksache 14/512 –
Als erstes rufe ich den Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums der Finanzen auf. Zur Beantwortung
steht der Parlamentarische Staatssekretär Karl Diller be-
reit.
Ich rufe die Frage 1 des Abgeordneten Gerald Weiß
auf:
Wird die Bundesregierung dem Vorschlag der EuropäischenKommission, auf arbeitsintensive Endverbraucher-Dienst-leistungen – wie z. B. denen des Friseurhandwerks – versuchs-weise für die Dauer von drei Jahren einen ermäßigten Mehrwert-steuersatz anzuwenden, bis zum vorgesehenen Stichtag 1. Sep-tember 1999 zustimmen?
K
Herr Kollege Weiß, Ihre Frage möchte ichwie folgt beantworten:Die Kommission hat am 17. Februar dieses Jahresentschieden, im Rat einen Richtlinienvorschlag zurweiteren Umsatzsteuerharmonisierung vorzulegen. Die-sen Vorschlag hat sie am Montag in meiner Anwesen-heit im Ecofin-Rat vorgestellt.Wir haben zur Kenntnis genommen, daß nach demRichtlinienvorschlag der Kommission der Rat einenMitgliedstaat auf Vorschlag der Kommission einstimmigermächtigen kann, für die Jahre 2000, 2001 und 2002versuchsweise einen ermäßigten Satz auf bestimmte ar-beitsintensive Dienstleistungen anzuwenden. Nach die-sem Richtlinienvorschlag, den uns die Kommission amMontag präsentiert hat, müssen die betreffendenDienstleistungen folgende Bedingungen erfüllen: Siemüssen arbeitsintensiv sein. Sie müssen direkt gegen-über dem Endverbraucher erbracht werden. Sie müssenüberwiegend lokalen Charakter aufweisen und dürfenkeine Wettbewerbsverzerrungen hervorrufen. Durch dieAnwendung des ermäßigten Satzes darf das reibungsloseFunktionieren des Binnenmarktes nicht beeinträchtigtwerden.Staatssekretär Dr. Frank-Walter Steinmeier
Metadaten/Kopzeile:
2094 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 26. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. März 1999
(C)
Unter die Dienstleistungen, die die genannten Vor-aussetzungen erfüllen und nach Ansicht der Kommissi-on besonders gut zur Schaffung von Arbeitsplätzen ge-eignet sein dürften, fallen beispielsweise Reparaturar-beiten an beweglichen Gegenständen, Renovierungsar-beiten an Wohngebäuden und Pflegedienstleistungen zuHause.Ich habe zugesagt, daß wir die Beratungen zu demVorschlag noch während unserer Präsidentschaft im er-sten Halbjahr 1999 aufnehmen werden.Ob die Bundesregierung der Richtlinie in der vorge-schlagenen Fassung zustimmen kann, vermag ich derzeitnoch nicht zu beantworten. Wir müssen jetzt erst einmalden offiziellen Vorschlag, der uns am Montag vorge-stellt worden ist, prüfen. Erst danach kann die Haltungder Bundesregierung festgelegt werden.Ich möchte Sie aber schon jetzt darauf hinweisen, daßes nicht allein von unserer Haltung abhängt, ob eineRichtlinie im Bereich der Umsatzsteuerharmonisierungverabschiedet wird. Vielmehr müssen alle EU-Mitgliedstaaten einer solchen Richtlinie zustimmen.Im übrigen möchte ich daran erinnern, daß sich voreinem Jahr, nämlich im März und April, der DeutscheBundestag mit den Stimmen aller Fraktionen – ausge-nommen denen der PDS – gegen die versuchsweise Ein-führung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes für ar-beitsintensive Dienstleistungen ausgesprochen hat. Ichverweise in diesem Zusammenhang auf den Bericht desfederführenden Finanzausschusses; das ist die Bundes-tagsdrucksache 13/10058 vom 5. März 1998.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Weiß,
Sie haben eine Nachfrage? – Bitte.
Gerald Weiß (CDU/CSU): Ich bin et-
was erstaunt darüber, Herr Staatssekretär, daß es noch
keine endgültige Meinung der Bundesregierung in dieser
Frage gibt. Ist sie nicht insoweit positiv vorgeprägt, als
Gerhard Schröder, der jetzige Bundeskanzler, als Kanz-
lerkandidat im Mai 1998 in seinem sogenannten Mittel-
standsprogramm Sympathie für diesen Vorschlag eines
gespaltenen Mehrwertsteuersatzes für arbeitsintensive
Endverbraucherdienstleistungen hat erkennen lassen und
öffentlich zugesagt hat, diese europäischen Überlegun-
gen im Hinblick auf die Schaffung von zusätzlichen Ar-
beitsplätzen in diesen Wirtschaftssektoren zu prüfen?
Gehen Sie mit einer solchen positiven Grundeinstellung
– auch im Hinblick darauf, daß dadurch vielleicht Ar-
beitsplätze geschaffen werden können – an die Prüfung,
und wann wird diese abgeschlossen sein?
K
Herr Kollege, ich möchte noch einmal
daran erinnern, daß ich in meiner Funktion als amtieren-
der Präsident beim Ecofin-Rat zugesagt habe, daß wir
die Verhandlungen noch im ersten Halbjahr aufnehmen
werden, um zu einer abschließenden Meinung zu kom-
men. Die Bundesregierung muß sich jetzt auf Grund des
neuen, am Montag präsentierten endgültigen Kommissi-
onsvorschlags eine Meinung bilden.
Ich weise darauf hin, daß in der Begründung des
Kommissionsvorschlages durch die Kommission selbst
auf viele Schwierigkeiten hingewiesen wird. Ich möchte
einmal zitieren. Die Kommission selbst schreibt:
Es ist keineswegs sicher, daß sich eine Mehrwert-
steuerermäßigung positiv auf die Schaffung von
Arbeitsplätzen auswirkt.
Sie schreibt weiterhin:
Es ist äußerst schwierig, vorab ein erschöpfendes
Verzeichnis der Dienstleistungen aufzustellen,
auf die dieser ermäßigte Satz anwendbar wäre.
Sie schreibt ferner:
… muß die Kommission die Möglichkeit haben,
dem Rat geeignete Maßnahmen vorzuschlagen, um
nachteiligen Auswirkungen eines ermäßigten Sat-
zes auf den Wettbewerb sowohl innerhalb des be-
treffenden Landes als auch gegenüber anderen Mit-
gliedstaaten entgegenzuwirken.
Das bedeutet, die Kommission selbst ist in bezug auf ih-
ren Vorschlag der Meinung, daß es noch eine ganze
Menge Detailarbeit gibt. Das muß sorgfältig geprüft
werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine zweite Nach-
frage. Bitte, Herr Kollege.
Gerald Weiß (CDU/CSU): Herr
Staatssekretär, wie schätzen Sie das Meinungsbild im
Ministerrat hinsichtlich dieser Frage gegenwärtig ein?
K
Wenn ich mich richtig erinnere, hat außer
dem vortragenden Kommissar Monti niemand dazu das
Wort ergriffen. Vielmehr haben wir einmütig – meinem
Vorschlag folgend – beschlossen, den Ausschuß der
Ständigen Vertreter und die Gruppe Finanzfragen zu be-
auftragen, die Beratungen aufzunehmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich rufe die Frage 2des Kollegen Börnsen auf:Welche ordnungs-, fiskal- und europapolitischen Maßnah-men plant die Bundesregierung bereits in kurzer Frist sowohl aufnationaler Ebene sowie im Rahmen der Verhandlungen zurAgenda 2000 zu ergreifen, um dem Grundsatz der freien Mobi-lität, der bereits in den Römischen Verträgen vereinbart wordenist, und damit verbundenen freien Wahl des Wohn- und Arbeits-platzes für alle Bürgerinnen und Bürger innerhalb der Europäi-schen Union Rechnung zu tragen und infolgedessen Doppelbe-steuerungen in Grenzregionen, die zur Einschränkung zwischen-staatlicher Mobilität für mehr als 300 000 Grenzgänger bundes-weit führen, insbesondere aber auch zwischen Deutschland unddem Königreich Dänemark, wie das „Flensburger Tageblatt“vom 2. März 1999 berichtet, zu vermeiden bzw. abzuschaffen?Parl. Staatssekretär Karl Diller
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 26. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. März 1999 2095
(C)
(D)
K
Herr Kollege Börnsen, der Gesetzgeber
hat sich in der Vergangenheit mehrfach mit der Besteue-
rung der im Ausland ansässigen Grenzgänger mit deut-
schen Einkünften befaßt. Nachdem der Europäische Ge-
richtshof mit Urteil vom 14. Februar 1995 im Fall
Schumaker entschieden hatte, daß die Regelungen des
§ 50 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes in der Fas-
sung des Grenzpendlergesetzes dem Erfordernis der
Freizügigkeit in der EU nicht gerecht wurden, ist durch
das Jahressteuergesetz 1996 in § 1 Abs. 3 in Verbindung
mit § 1a Einkommensteuergesetz eine Regelung getrof-
fen worden, nach der im Ausland ansässige Personen
wie unbeschränkt Steuerpflichtige behandelt werden,
wenn ihre Einkünfte mindestens zu 90 vom Hundert der
deutschen Einkommensteuer unterliegen oder die nicht
der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Ein-
künfte nicht mehr als 12 000 DM – bei zusammenver-
anlagten Ehepaaren 24 000 DM – im Kalenderjahr be-
tragen.
Dabei kommen EU-Staatsangehörige bei Wohnsitz
innerhalb der EU im Falle der Zusammenveranlagung
insbesondere in den Genuß des Ehegattensplittings,
Steuerklasse III.
Die Regelungen entsprechen den Vorgaben des
EuGH. Die Bundesregierung hält sie nach wie vor für
sachgerecht und sieht keine Veranlassung, hieran etwas
zu ändern.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Zusatzfrage,
Herr Kollege Börnsen, bitte.
Herr
Staatssekretär, Sie wissen, es handelt sich um fast
300 000 Personen, die im Rahmen der Doppelbesteue-
rungsabkommen nicht, wie andere Bürger in der Bun-
desrepublik, Steuergerechtigkeit erfahren. Sehen Sie
nicht doch Handlungsbedarf bei dieser großen Anzahl
von Personen, deren Recht auf Reise- und Berufsfreiheit
in der EU immer noch eingeschränkt ist, weil die Steu-
ersätze nicht angeglichen worden sind bzw. weil es kei-
ne Regelung gibt, die eine Verringerung der Steuersätze
vorsieht, damit sie wie alle anderen Steuergerechtigkeit
erfahren?
K
Herr Kollege Börnsen, Doppelbesteue-
rungen werden durch die Doppelbesteuerungsabkom-
men ja gerade vermieden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine zweite Zusatz-
frage, bitte, Herr Kollege.
Herr
Staatssekretär, ist es nicht notwendig, daß man ange-
sichts der Tatsache, daß so viele Bürger – immerhin
300 000 – dieses Unrecht an sich spüren, mit den Spre-
chern der Organisationen zu einem Dialog kommt, um
festzustellen, ob es nicht doch Handlungsbedarf gibt?
K
Herr Kollege, ich habe in der Antwort auf
Ihre Frage beleuchtet, wie es sich bei Steuerpflichtigen
verhält, die im Ausland wohnen. Ich möchte den Aspekt
auch noch bezüglich der Personen beleuchten – dies
liegt Ihnen ja wohl besonders am Herzen –, die im In-
land wohnen und im EU-Ausland arbeiten.
Diese Personen unterliegen bereits auf Grund ihres
Wohnsitzes der unbeschränkten Steuerpflicht und kom-
men im Fall der Zusammenveranlagung ohne weiteres in
den Genuß des Splittingverfahrens und persönlicher Ab-
züge. Soweit Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit,
die im Ausland bezogen werden, nach dem Doppelbe-
steuerungsabkommen von der deutschen Steuer befreit
sind, werden sie allerdings im Rahmen des sogenannten
Progressionsvorbehaltes zur Ermittlung des Steuersatzes
für die weiterhin in Deutschland steuerpflichtigen Ein-
künfte berücksichtigt.
Dies hält die Bundesregierung nach wie vor für sach-
gerecht, da damit der steuerlichen Leistungsfähigkeit
Rechnung getragen wird. Der Steuersatz wäre nicht
niedriger, wenn die gesamten Einkünfte aus Deutschland
bezogen würden. Auch insoweit sieht die Bundesregie-
rung keinen Anlaß zu Änderungen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Fragen 3 und 4
zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirt-
schaft und Technologie sowie die Fragen 5 und 6 zum
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirt-
schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung werden
schriftlich beantwortet.
Deshalb rufe ich jetzt den Geschäftsbereich des Aus-
wärtigen Amtes auf. Zur Beantwortung steht Staatsmini-
ster Dr. Ludger Volmer zur Verfügung. Ich rufe die Fra-
ge 7 der Abgeordneten Sabine Leutheusser-Schnarren-
berger auf:
Welches Ziel verfolgt die Bundesregierung, die in ihrer Re-gierungserklärung die Menschenrechtspolitik zu einem besonde-ren Schwerpunkt ihrer Politik erklärt hat, als Präsidentschaft in-nerhalb der Europäischen Union in bezug auf die in den vergan-genen Monaten dramatisch zugenommenen Menschenrechts-verletzungen in China, und welchen Vorschlag wird sie demMinisterrat unterbreiten?
D
Frau Leutheusser-Schnarrenberger, der Schutz derMenschenrechte weltweit zählt zu den außenpolitischenSchwerpunkten der Bundesregierung. Teil dieser Politikist der Dialog über menschenrechtliche Fragen, den siemit wichtigen Partnern führt. Zu diesen Dialogpartnerngehört namentlich auch China.Der menschenrechtliche Dialog der EU mit China hatin den letzten Monaten erhebliche Rückschläge erfahren.Das Vorgehen gegen Dissidenten durch die chinesischeFührung im Dezember 1998 ist von der Bundesregie-rung und ihren europäischen Partnern sofort und un-
Metadaten/Kopzeile:
2096 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 26. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. März 1999
(C)
zweideutig in Erklärungen und Demarchen in Pekingverurteilt worden.Im Rahmen unserer EU-Ratspräsidentschaft habenwir die chinesische Seite durch Troika-Konsultationenin Berlin im Februar dieses Jahres in deutlicher Formvor allem auch auf die für uns nicht akzeptable Verfol-gung von Bürgerrechtlern hingewiesen und die Rück-nahme der Verfolgungsmaßnahmen verlangt. Die Men-schenrechtsverletzungen der letzten Zeit waren auchGegenstand einer hochrangigen Troika-Mission aufEbene der politischen Direktoren, die wir am 16. Märzin Peking durchgeführt haben.Auf der bevorstehenden 55. Tagung der Menschen-rechtskommission in Genf wird die Bundesregierung imRahmen ihrer Ratspräsidentschaft zu den Menschen-rechtsverletzungen in China erneut und unzweideutigStellung nehmen. In welcher Form dies konkret ge-schieht, wird gegenwärtig mit den EU-Partnern undwichtigen anderen westlichen Staaten abgestimmt. Da-bei ist es ein zentrales politisches Ziel der Bundesregie-rung, die Geschlossenheit der EU in ihrer Menschen-rechtspolitik gegenüber China zu wahren.Im übrigen bieten auch der anstehende Besuch vonAußenminister Tang und die für den 28. März vorgese-hene EU-Troika-Konsultation auf Ministerebene Gele-genheit, die Menschenrechtsverletzungen anzusprechen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin
Leutheusser-Schnarrenberger, Ihre Nachfrage, bitte.
Herr Staatsminister, teilt die Bundesregierung die Auf-
fassung des Menschenrechtsbeauftragten im Auswärti-
gen Amt, Herrn Poppe, daß eine Resolution der Euro-
päischen Union, gegebenenfalls auch allein von der
Bundesregierung in Genf initiiert, die die Menschen-
rechtsverletzungen in der Volksrepublik China verur-
teilt, der richtige Weg ist? Unterstützt sie dieses Vorha-
ben des Menschenrechtsbeauftragten?
D
Eine Resolution ist eine von mehreren denkbaren
Optionen. Der Bundesregierung kommt es, wie ich ge-
rade dargelegt habe, vor allen Dingen darauf an, die Ge-
schlossenheit der Europäischen Union zu wahren. Wir
wissen, daß die Idee einer Resolution nicht überall ge-
teilt wird. Wir suchen nach einer gemeinsamen Hand-
lungsoption, so daß der chinesischen Seite die Möglich-
keit verbaut ist, die europäischen Staaten gegeneinander
auszuspielen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Fragen 8 und 9
des Abgeordneten Koppelin werden schriftlich beant-
wortet.
Ich rufe die Frage 10 des Abgeordneten Andreas
Schmidt auf:
Hält die Bundesregierung die wiederholte Werbung vonBundesminister Joseph Fischer für die Brockhaus-Enzyklopädie(„Der Spiegel“ vom 23. November 1998, „Focus“ vom 1. März
1999) mit Artikel 66 GG in Verbindung mit § 5 Abs. 1 Satz 1des Bundesministergesetzes fürvereinbar?
D
Sorry, Sie haben eine andere Numerierung der
Fragen als ich.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es handelt sich um
die Frage 10 des Abgeordneten Andreas Schmidt.
D
Bei mir ist die Frage 10 die des Abgeordneten
Raidel. Deshalb muß ich die Antwort auf die Frage des
Abgeordneten Andreas Schmidt suchen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Vielleicht hilft es Ih-
nen, wenn ich Ihnen ein Stichwort gebe. Es geht um die
Brockhaus-Enzyklopädie.
D
Die Numerierung der Fragen bei der Frau Vorsit-
zenden und bei uns war unterschiedlich. Ich mußte sie
nun erst identifizieren.
Die zitierten Rechtstexte, Herr Schmidt, untersagen
lediglich die Ausübung eines anderen besoldeten Amtes,
eines Gewerbes oder Berufs durch die Mitglieder der
Bundesregierung. Gewerbe und Beruf sind auf Dauer
angelegte und auf Erwerb ausgerichtete Tätigkeiten. Bei
der fraglichen Werbung handelt es sich weder um eine
gewerbliche noch eine berufliche Tätigkeit im Sinne des
Art. 66 des Grundgesetzes und des § 5 Abs. 1 des Bun-
desministergesetzes. Es fehlt an dem Element einer auf
Dauer angelegten und auf Erwerb ausgerichteten Tätig-
keit. Ein wirtschaftlicher Vorteil wurde nicht erzielt.
Minister Fischer hatte schon in seiner Zeit als Abgeord-
neter, also vor dem Antritt des Ministeramtes, auf ein
Honorar zugunsten eines wohltätigen Zweckes verzich-
tet. Im Vordergrund steht damit ein ideeller, auf Bil-
dung bezogener Zweck. Vertragliche Grundlage ist eine
Vereinbarung zwischen dem Brockhaus-Verlag und
MdB Fischer vom Sommer 1998. Eine zeitliche Befri-
stung der Anzeigenkampagne war damals nicht vorge-
sehen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege
Schmidt, bitte Ihre Nachfrage.
Ich habeeine Zusatzfrage. In der Anzeige heißt es unter dem Bildvon Außenminister Fischer: „Wer keine Ahnung hat, hatauch keine Meinung.“
Staatsminister Dr. Ludger Volmer
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 26. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. März 1999 2097
(C)
(D)
Ist Ihnen bekannt, ob er damit irgendein bestimmtesRegierungsmitglied ansprechen wollte?D
Damals war, wie Sie wissen, eine andere Regie-
rung im Amt. Ich glaube, daß Fischer über die Höflich-
keit verfügte, sich bei lexikalischen Angaben über die
frühere Regierung zurückzuhalten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich rufe jetzt die
Frage 11 des Abgeordneten Hans Raidel auf:
Verstoßen nach Auffassung der Bundesregierung die soge-nannten Beneš-Dekrete, die als rechtliche Grundlage der völker-rechtswidrigen Vertreibung und entschädigungslosen Enteig-nung von Deutschen in der Tschechoslowakei dienten, sowie dastschechoslowakische „Amnestie-Gesetz“ vom 8. Mai 1946 ge-gen Grundsätze des Völkerrechtes und der Menschenrechte, undwenn ja, was unternimmt die Bundesregierung, um gegenüberder Tschechischen Republik auf die Aufhebung der Bene-Dekrete hinzuwirken?
D
Die Bundesregierung, Herr Raidel, hat die Vertrei-
bung der Deutschen und die entschädigungslose Enteig-
nung deutschen Vermögens immer als völkerrechtswid-
rig angesehen. Ungeachtet des insoweit bestehenden
Dissenses mit der tschechischen Regierung sind sich
beide Regierungen darin einig, daß die im Zusammen-
hang mit dem zweiten Weltkrieg stehenden und aus ihm
folgenden Ereignisse Teil einer abgeschlossenen histori-
schen Epoche bilden.
In Ziffer III der Deutsch-Tschechischen Erklärung
vom 21. Januar 1997 bedauert die tschechische Seite,
daß durch die nach dem Kriegsende erfolgte Vertreibung
sowie zwangsweise Aussiedlung der Sudetendeutschen
aus der damaligen Tschechoslowakei sowie durch die
Enteignung und Ausbürgerung unschuldigen Menschen
viel Leid und Unrecht zugefügt wurde, und dies auch
angesichts des kollektiven Charakters der Schuldzuwei-
sung.
Wenn Ministerpräsident Zeman am 8. März 1999
darüber hinaus erklärt hat, daß die Wirksamkeit einiger
Maßnahmen nach dem zweiten Weltkrieg wie der De-
krete des Präsidenten der Republik inzwischen erloschen
ist, zielt diese Formulierung auf die sogenannten Beneš-
Dekrete ab und stellt klar, daß diese in Zukunft nicht
mehr gelten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Nachfrage des
Kollegen Raidel.
Herr Staatssekretär, be-
stätigt die Bundesregierung die Auffassung, daß die so-
genannten Beneš-Dekrete eben nicht außer Kraft getre-
ten sind, vielmehr die Konfiskation deutschen Vermö-
gens durch ein Urteil des Verfassungsgerichts der
Tschechischen Republik vom 8. März 1995 bestätigt
worden ist und daß daraus der Schluß, den Sie gezogen
haben, eben nicht gezogen werden kann?
D
Die Bundesregierung – das ist eine Antwort auf
die zweite von Ihnen eingebrachte Frage, die mit Ihrer
jetzigen Nachfrage fast identisch ist – beobachtet die
interne Gesetzgebung in der Tschechischen Republik
sowohl hinsichtlich ihrer Konzeption als auch hinsicht-
lich des anschließenden Gesetzesvollzugs sehr genau auf
den Punkt hin, den Sie angesprochen haben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es gibt eine weitere
Zusatzfrage des Kollegen Raidel.
Herr Staatsminister, ver-
läßt die Tschechische Republik nach Auffassung der
Bundesregierung mit ihrer Restitutionspolitik gegenüber
den Betroffenen, deren Eigentum entschädigungslos
eingezogen worden ist, nicht nur die Rechtsstandards
der Europäischen Union, sondern auch die der OSZE
und des Europarates, von Institutionen, denen die
Tschechische Republik bereits angehört, und wenn ja,
was unternimmt die Bundesregierung, um gegenüber der
tschechischen Regierung auf eine völkerrechtskonforme
Änderung ihrer Restitutionspolitik zu drängen?
D
Ich kann nur wiederholen, was ich gerade sagte:
Wir beobachten die Vorgänge genau und werden in dem
Moment, in dem wir Anlaß haben, daran zu zweifeln,
daß sie mit internationalen Vereinbarungen in Überein-
stimmung stehen, den Sachverhalt im Dialog anspre-
chen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich rufe jetzt die
Frage 12 auf:
Wie bewertet die Bundesregierung die Äußerung des tsche-chischen Ministerpräsidenten Milos Zeman im Beisein des deut-schen Bundeskanzlers Gerhard Schröder am 8. März 1999 inBonn, „daß bei der Beibehaltung der Rechtskontinuität dertschechischen Rechtsordnung die Wirksamkeit einiger nach demJahre 1945 beschlossener Gesetze bereits erloschen ist“, vor demHintergrund der Tatsache, daß nach wie vor neben den heimat-vertriebenen Deutschen auch die Angehörigen der deutschenMinderheit in der Tschechischen Republik von der Rückübertra-gung entzogenen Eigentums ausgeschlossen sind?
Zur Beantwortung, Herr Staatsminister, bitte.
D
Herr Raidel, die Bundesregierung begrüßt die
Feststellung von Ministerpräsident Zeman, daß die neue
tschechische Regierung in ihrer Konzeption davon aus-
geht, daß die Wirksamkeit einiger nach dem Jahre 1945
beschlossener Gesetze bereits erloschen ist.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Raidel,bitte.Andreas Schmidt
Metadaten/Kopzeile:
2098 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 26. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. März 1999
(C)
Sind der Bundesregierung
Eingriffe oder Überprüfungsabsichten der tschechischen
Regierung in bezug auf laufende oder abgeschlossene
Gerichtsverfahren über die Restitution entzogenen
Eigentums ohne Entschädigung bekannt, und wenn ja,
hält die Bundesregierung diese Einwirkungs- oder Über-
prüfungsmaßnahmen der tschechischen Regierung für
einen Verstoß gegen das Prinzip der Unabhängigkeit der
Justiz? Das steht ja im Gegensatz zu den Erklärungen,
die Sie vorhin abgegeben haben.
D
Ich habe vorhin gesagt – dies kann ich nur wieder-
holen –, daß wir die Restitutionsgesetzgebung und den
anschließenden Gesetzesvollzug genau beobachten.
Wenn wir meinen, daß sie mit internationalem Recht
nicht zu vereinbaren sind, wollen wir dies im Dialog an-
sprechen. Ansonsten mischen wir uns nicht in die inter-
ne Gesetzgebung eines anderen Staates ein.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Kollege Raidel, Ihre
zweite Nachfrage, bitte.
Herr Staatsminister, wür-
den Sie mir bitte bestätigen, daß der Herr Bundeskanzler
dieses Thema sehr unsensibel angegangen ist und mehr
auf die Rechte der einheimischen Bevölkerung als auf
Befindlichkeiten der Tschechischen Republik zu schau-
en hätte und daß er, wenn er selbst Heimatvertriebener
wäre, manche dieser Fragen etwas sensibler beurteilen
würde?
D
Der Bundeskanzler hat neben der Befindlichkeit
der Menschen in der Bundesrepublik auch auf die
außenpolitischen Grundlinien und die Verpflichtungen,
die wir in der internationalen Politik haben, Rücksicht
zu nehmen. Letzteres betrifft insbesondere den Ver-
söhnungsauftrag, der auch im Deutschen Bundestag
breite Unterstützung findet. Der Bundeskanzler hat im
Sinne der Abwägung dieser beiden Güter optimal ge-
handelt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es gibt eine Nach-
frage des Kollegen Lippelt.
Herr Staatsminister, sind Sie mit mir der Meinung, daß
nicht nur von seiten der Regierung, sondern auch von
seiten früherer Regierungsparteien Beziehungen belastet
werden können und daß diese früheren Regierungspar-
teien den Text der Deutsch-Tschechischen Vereinba-
rung, die ja ihre Regierung abgeschlossen hat, vielleicht
nicht ganz im Kopf haben? Es heißt in dieser Vereinba-
rung nämlich – ich darf mit Genehmigung der Frau Prä-
sidentin zitieren –:
Beide Seiten erklären deshalb, daß sie ihre Bezie-
hungen nicht mit aus der Vergangenheit herrühren-
den politischen und rechtlichen Fragen belasten
werden.
D
Herr Kollege Lippelt, ich danke Ihnen für die Zi-
tierung. Dieses Zitat hatte ich mir für die Beantwortung
einer weiteren Frage bereits herausgesucht. Inhaltlich
stimme ich mit Ihnen völlig überein.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es gibt eine weitere
Nachfrage. Bitte, Herr Kollege.
Herr Staatsminister,
nachdem Herr Kollege Lippelt von der Deutsch-
Tschechischen Erklärung gesprochen und darauf hinge-
wiesen hat, daß die Deutsch-Tschechische Erklärung
unter der Bundesregierung von Helmut Kohl mit der
tschechischen Seite ausgehandelt worden ist, frage ich
Sie: Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß der
damalige Bundeskanzler Kohl, als er zur Unterzeich-
nung der Deutsch-Tschechischen Erklärung nach Prag
gereist ist, im Anschluß an die Unterzeichnung der Er-
klärung bei einer Presseerklärung auf Nachfrage von
Journalisten ausdrücklich gesagt hat, daß die Vermö-
gensfragen auch nach der deutsch-tschechischen Erklä-
rung offengeblieben sind? Herr Staatsminister, wie ver-
halten sich denn dann die Aussagen des Bundeskanzlers
zu der mir von Ihrem Kollegen im Auswärtigen Amt,
Herrn Staatsminister Verheugen, am 9. Februar dieses
Jahres mitgeteilten Antwort, daß auch die Deutsch-
Tschechische Erklärung an der Auffassung der Bundes-
regierung nichts geändert hat, daß die Vermögensfragen
offengeblieben sind und die Bundesrepublik gegenüber
Tschechien nicht auf Vermögensansprüche verzichtet
hat?
D
Erstens bin ich bereit, zur Kenntnis zu nehmen,
was Bundeskanzler Kohl einst gesagt hat. Zweitens
möchte ich Sie darauf hinweisen, daß Sie die Frage, die
Sie jetzt als Zusatzfrage formulieren, bereits als ordent-
liche Frage eingebracht haben. Sie wird dann in dem
von der Präsidentin vorgegebenen Zeitrahmen beant-
wortet werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dann rufe ich jetztdie Frage 13 des Abgeordneten Hartmut Koschyk auf:Wie steht die Aussage von Bundeskanzler Gerhard Schröderbeim Besuch des tschechischen Ministerpräsidenten Milos Ze-man am 8. März 1999 in Bonn, daß wir „weder heute noch inZukunft Vermögensfragen aufwerfen oder Forderungen stellen“,im Einklang mit der Antwort der Bundesregierung vom 9. Fe-bruar 1999 durch Staatsminister Günter Verheugen auf meineFrage 11 in Drucksache 14/373, „die deutsch-tschechische Er-klärung vom 21. Januar 1997“ hat „an dieser Auffassung derBundesregierung nichts geändert“, daß „die Vertreibung derDeutschen und die entschädigungslose Einziehung deutschenVermögens ... völkerrechtswidrig“ sei und die „Bundesregierung
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 26. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. März 1999 2099
(C)
(D)
auch nicht auf vermögensrechtliche Ansprüche Deutscher ge-genüber den genannten Staaten – Polen, Tschechische Republik– verzichtet hat“?D
Das ist die Frage, die Sie gerade wiederholt haben.
Die Aussage von Bundeskanzler Gerhard Schröder steht
zu der Antwort von Staatsminister Verheugen nicht im
Widerspruch. An der mit der zitierten Antwort vom 9.
Februar 1999 mitgeteilten Bewertung der Bundesregie-
rung hat sich nichts geändert.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Ko-
schyk, Ihre erste Nachfrage, bitte.
Herr Staatsminister,
welche Rechtsqualität hat denn dann die Aussage von
Bundeskanzler Schröder gegenüber dem tschechischen
Ministerpräsidenten Zeman gehabt? Im Völkerrecht gibt
es durchaus die Frage, ob mündliche Aussagen von Re-
gierungschefs gegenüber anderen Regierungschefs einen
rechtlich bindenden Charakter haben. Hat denn die Aus-
sage des Bundeskanzlers gegenüber seinem tschechi-
schen Amtskollegen die Qualität einer rechtlich binden-
den Aussage gehabt, oder war es eine politisch moti-
vierte, rechtlich völlig unbedeutende Äußerung?
D
Wenn wir, so wie Sie es gerade getan haben, zwi-
schen privatrechtlichen Ansprüchen und politischen Äu-
ßerungen der Bundesregierung unterscheiden, dann
möchte ich keine Diskrepanz und keinen Widerspruch in
der internen Politik der Bundesregierung konstruieren.
Eine Frage ist, ob es historisch begründete rechtliche
Ansprüche gibt. Die andere Frage ist die des politischen
Umgangs mit den heutigen Realitäten, die nicht nur die-
se Ansprüche beinhalten, sondern auch einen Versöh-
nungsauftrag. In diesem Zusammenhang hat die Bundes-
regierung einen weiten Spielraum, der ihr auch verfas-
sungsrechtlich zugebilligt wurde.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ihre zweite Nachfra-
ge. Bitte, Herr Kollege Koschyk.
Habe ich Sie, Herr
Staatsminister, dann richtig verstanden, daß Ihre Ant-
wort bedeutet, daß die Bundesrepublik Deutschland
auch weiterhin im völkerrechtlichen Umgang mit der
Tschechischen Republik auf die Offenheit der Vermö-
gensfragen verweisen wird und das auch so gegenüber
der Tschechischen Republik vertreten wird?
D
Die Bundesregierung wird sich gegenüber der
Tschechischen Republik in genau der Art verhalten, wie
es in dem Abkommen mit der Tschechischen Republik
vereinbart worden ist.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es gibt eine weitere
Zusatzfrage der Kollegin Dr. Antje Vollmer.
Herr Staatsminister Volmer, da Sie und ich die soeben
gestellten Fragen des Kollegen dahin gehend interpretie-
ren mußten, daß er meinte, die Äußerungen des Bundes-
kanzlers könnten eventuell so verstanden werden, daß
private Vermögensansprüche an die Bundesrepublik ge-
stellt werden könnten, möchte ich Sie fragen, ob auch
Ihnen das Gutachten des sehr angesehenen Völker-
rechtlers Tomuschat bekannt ist, der zu dem Schluß ge-
kommen ist, daß die Frage, ob solche Ansprüche gegen
die Bundesrepublik als Haftende möglicherweise vor
dem Bundesverfassungsgericht geltend gemacht werden
könnten, zu verneinen ist. Keine Regierung der Welt
kann genötigt werden, individuelle Eigentumsansprüche
auf Kosten eines friedlichen, freundschaftlichen und
versöhnlichen Verhältnisses zu den Nachbarn geltend zu
machen. Ist Ihnen dieses Gutachten bekannt? Schließen
Sie sich der dort vertretenen Auffassung an?
D
Uns ist diese Rechtsauffassung bekannt. Die Bun-
desregierung handelt in dem sicheren Gefühl, sich auf
rechtlich einwandfreiem Boden zu bewegen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es gibt eine weitere
Zusatzfrage der Kollegin Reinhardt.
Herr Staatsminister,
ich möchte hier kurz den Bundeskanzler zitieren, der
wörtlich gesagt hat:
Als Folge dessen werden die Regierungen beider
Staaten in diesem Zusammenhang weder heute
noch in Zukunft Vermögensfragen aufwerfen oder
Forderungen stellen.
Staatsminister Verheugen hat damals im gleichen Zu-
sammenhang auf eine schriftliche Frage geantwortet:
Hieraus folgt, daß die Bundesregierung auch nicht
auf vermögensrechtliche Ansprüche Deutscher ge-
genüber den genannten Staaten verzichtet hat.
Können Sie mir angesichts dieser Zitate einmal erklä-
ren, warum es hier keinen Widerspruch gibt, obwohl Sie
vorher behauptet haben, es gebe keinen Widerspruch?
D
Ich sehe keinen Widerspruch; denn zwischen kon-struierbaren Rechtsansprüchen auf der einen Seite unddem politischen Umgang mit Forderungen auf der ande-ren Seite darf man unterscheiden. Eine entsprechendeBilligung wurde sogar durch das Bundesverfassungsge-richt eingeräumt.Vizepräsidentin Petra Bläss
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2100 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 26. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. März 1999
(C)
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich rufe jetzt Fra-
ge 14 des Abgeordneten Hartmut Koschyk auf:
Hat Bundeskanzler Gerhard Schröder gegenüber dem tsche-chischen Ministerpräsidenten Milos Zeman bei dessen Besucham 8. März 1999 in Bonn die Auffassung gemäß der Antwortder Bundesregierung vom 9. Februar 1999 auf meine Frage 11 inDrucksache 14/373 deutlich gemacht, daß die „Bundesregierung... die Vertreibung der Deutschen und die entschädigungsloseEinziehung deutschen Vermögens als völkerrechtswidrig“ anse-he und daß „die deutsch-tschechische Erklärung vom 21. Januar1997 an dieser Auffassung der Bundesregierung nichts geän-dert“ habe und hieraus folge, daß „die Bundesregierung auchnicht auf vermögensrechtliche Ansprüche Deutscher gegenüberden genannten Staaten – Polen, Tschechische Republik – ver-zichtet hat“?
D
Herr Koschyk, Sie haben im Prinzip schriftlich die
gleiche Frage formuliert, die gerade von der Kollegin
mündlich gestellt worden ist. Deshalb kann ich meine
Antwort nur wiederholen: Hinsichtlich der von Ihnen
aufgeworfenen Fragen bleibt die Bundesregierung bei
ihrer Bewertung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Nachfrage, bit-
te, Herr Kollege Koschyk.
Herr Staatsminister,
stimmt die Bundesregierung der Auffassung zu, daß An-
sprüche deutscher Staatsangehöriger gegenüber anderen
Staaten, deren Rechtsordnung keine entsprechende An-
spruchsgrundlage bietet, nur dann Aussicht auf Erfolg
haben, wenn die Bundesrepublik Deutschland selbst als
Schutzstaat im Rahmen des diplomatischen Schutzes
diese Ansprüche geltend macht?
D
Ich verweise auf das, was ich mehrfach betont ha-
be, nämlich daß die Bundesregierung verschiedene
Rechtsgüter und politische Aufträge gegeneinander ab-
zuwägen hat und dabei einen breiten Ermessungsspiel-
raum besitzt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Ko-
schyk, Ihre zweite Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsminister,
inwieweit wird nach Ihrer Einschätzung dieser politische
Ermessungsspielraum gegeben sein, wenn man für die
Durchsetzung innerstaatlicher Entschädigungsansprüche
keinen diplomatischen Schutz gewähren will? Wo liegt
nach Ihrer Meinung hier die Grenze, auch im Hinblick
auf die Tatsache, daß die Tschechische Republik inzwi-
schen Mitglied des Europarates geworden ist und daß
die Menschenrechtskonvention des Europarates, die die
Tschechische Republik unterschrieben hat, eine aus-
drückliche Eigentumsgarantie enthält? Das heißt, daß
die offenen Eigentums- und Vermögensansprüche deut-
scher Staatsbürger gegenüber der Tschechischen Repu-
blik nicht nur das bilaterale Verhältnis zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen
Republik, sondern auch die Einhaltung der Europäischen
Menschenrechtskonvention betreffen.
D
Wie ich schon vorhin ausführte, fühlt sich die
Bundesregierung vor allen Dingen dem Versöhnungsge-
danken im internationalen Bereich verpflichtet. Wenn
man bei Partnerländern, mit denen wir Dialoge führen,
feststellen muß, daß sie gegen internationales Recht ver-
stoßen, dann können solche Verstöße im Rahmen des
Dialoges angesprochen werden. Zu Ihrer Behauptung,
daß es solche Verstöße gebe, will ich im Moment keine
Stellung nehmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die nächste Zusatz-
frage stellt die Kollegin Dr. Antje Vollmer.
Herr Staatsminister, ich möchte Bezug auf die Frage des
Kollegen Koschyk nehmen. In seiner Frage war von der
Notwendigkeit die Rede, daß sich die Bundesregierung
als Schutzstaat für individuelle Eigentumsansprüche
verstehen solle. Wie beurteilen Sie in diesem Zusam-
menhang die Tatsache, daß die vorige Bundesregierung
unter Leitung von Helmut Kohl individuelle Eigen-
tumsansprüche von Grundbesitzern in den neuen Bun-
desländern – ich spreche vom früheren Großgrundbesitz
– zurückgewiesen hat? Diese Ansprüche hätte sie sehr
wohl befriedigen können, wenn sie diese Rechtsauffas-
sung vertreten hätte; denn immerhin handelte es sich
nicht um Ansprüche auf fremdem, sondern auf eigenem
Territorium.
Die damalige Bundesregierung hat die Angelegenheit
offensichtlich rechtlich geprüft. Sie hat vor dem Bun-
desverfassungsgericht dafür recht bekommen, daß sie
sich genauso verhalten hat, wie es jetzt von ebendieser
Opposition moniert wird. Wie beurteilen Sie diesen Wi-
derspruch?
D
Die verfassungsrechtliche Lage scheint mir ohne-
hin klar zu sein. Ich nehme zustimmend zur Kenntnis,
daß auch die alte Bundesregierung die vorwärtsweisen-
den Aspekte ihrer Politik in dieser Frage in den Vorder-
grund gestellt hat. Diesem Beispiel folgen wir nun auch
im Bereich der internationalen Politik.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nächster Fragesteller
ist der Kollege Lippelt.
Herr Staatsminister, ist es falsch, von einem historischenZusammenhang zu sprechen, wenn ich behaupte, daßwir nach dem Wiedererstehen der Tschechoslowakeinach ihrer völligen Zerstörung durch das nationalsoziali-stische Deutschland einen Vertrag über gute Freund-schaft und Nachbarschaft geschlossen haben, der in ge-wisser Weise den ausstehenden Friedensvertrag ersetzthat?
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 26. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. März 1999 2101
(C)
(D)
Folgen Sie auch meiner Behauptung, daß privatrecht-liche Ansprüche im privatrechtlichen Bereich sehr wohlihre Legitimation haben? Wenn dies so ist, müssen sieallerdings vor den zuständigen Gerichten eingeklagtwerden. Aus der Fürsorgepflicht des Staates hinsichtlichseiner Bürger kann man nach einer solchen Katastropheaber nicht herleiten, daß dieser Staat auch für privat-rechtliche Ansprüche – die ja privat verfolgt werdenkönnen – eintreten muß, weil dazwischen immerhin dieZerstörung eines anderen Staates liegt.
– Ich frage, ob diese Meinung geteilt wird.
– Okay, wir reden nachher sowieso noch weiter. Dannkönnen wir weitersehen. – Sehen auch Sie diesen Zu-sammenhang? Finden Sie nicht, daß sich die hier vor-gelegten Fragen durch eine unglaubliche Unhistorizitätauszeichnen?D
Herr Kollege Lippelt, ich möchte als Antwort auf
Ihre Frage nun das zitieren, was ich mir eigentlich vor-
behalten hatte. Es faßt die Antwort der beiden Regierun-
gen in Vertragsform zusammen, ratifiziert durch den
Deutschen Bundestag. In dem entsprechenden Ab-
kommen steht unter Ziffer IV – ich erlaube mir zu zitie-
ren – :
Beide Seiten stimmen darin überein, daß das be-
gangene Unrecht der Vergangenheit angehört und
werden daher ihre Beziehungen auf die Zukunft
ausrichten. Gerade deshalb, weil sie sich der tragi-
schen Kapitel ihrer Geschichte bewußt bleiben,
sind sie entschlossen, in der Gestaltung ihrer Be-
ziehungen weiterhin der Verständigung und dem
gegenseitigen Einvernehmen Vorrang einzuräumen,
wobei jede Seite ihrer Rechtsordnung verpflichtet
bleibt und respektiert, daß die andere Seite eine an-
dere Rechtsauffassung hat. Beide Seiten erklären
deshalb, daß sie ihre Beziehungen nicht mit aus der
Vergangenheit herrührenden politischen und recht-
lichen Fragen belasten werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich rufe die Frage 15
des Abgeordneten Christian Schmidt auf:
Wie ist die Erklärung von Bundeskanzler Gerhard Schrödervom 8. März 1999 im Beisein des tschechischen Ministerpräsi-denten Milos Zeman, daß beide die „aus der Vergangenheit her-rührenden politischen und rechtlichen Fragen ... als abgeschlos-sen“ betrachten und „weder heute noch in Zukunft Vermögens-fragen aufwerfen oder Forderungen stellen“, mit der staatsrecht-lichen Verpflichtung der Bundesregierung zu vereinbaren, deneigenen Staatsbürgern bei der Verfolgung rechtmäßiger Interes-sen gegenüber fremden Staaten diplomatischen Schutz zu ge-währen?
D
Herr Schmidt, die von Ihnen zitierte Äußerung von
Bundeskanzler Gerhard Schröder enthält keinen Ver-
zicht auf eigentums- oder vermögensrechtliche Positio-
nen Vertriebener. Bei der Entscheidung darüber, ob und
gegebenenfalls wie die Bundesregierung gegenüber ei-
nem Drittstaat zugunsten eigener Staatsangehöriger tätig
werden soll, verfügt sie über ein weites politisches Er-
messen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege
Schmidt, Ihre Nachfrage bitte.
Meine Zu-
satzfrage steht, wenn Sie, Frau Präsidentin, es gestatten,
eher im Zusammenhang mit der Beantwortung der Frage
14. Herr Staatsminister, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu
nehmen, daß die von Ihnen zitierte Deutsch-Tschechi-
sche Erklärung vom 21. Januar 1997 keinen völker-
rechtlichen Vertrag darstellt, demzufolge entgegen Ihrer
Äußerung auch vom Deutschen Bundestag nicht im Sin-
ne von Art. 59 Abs. 2 des Grundgesetzes ratifiziert wor-
den ist und sich deswegen die völkerrechtliche Lage
nach dieser Erklärung nicht geändert hat?
D
Auch wenn es nicht zu einer Ratifizierung durch
den Bundestag gekommen ist, sondern zu einer überein-
stimmenden politischen Willenserklärung und diese im
völkerrechtlichen Sinne kein Vertrag ist, wie Sie sagen,
so hat sie dennoch als Vereinbarung eine Bindungswir-
kung und ist für die Politik der heutigen Regierung lei-
tend.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Kollege Schmidt, Ih-
re zweite Zusatzfrage.
Herr
Staatsminister, verstehe ich die Antwort in bezug auf das
Zitat von Bundeskanzler Schröder in meiner Frage 15,
daß die rechtlichen Fragen „als abgeschlossen“ betrach-
tet werden, in dem Sinne richtig, daß Bundeskanzler
Schröder davon ausgeht, daß die Beneš-Dekrete, auf die
offensichtlich Bezug genommen wurde, ex nunc nichtig
sind?
D
Ich kann nur noch einmal auf die Unterscheidung,
über die wir hier mehrmals gesprochen haben, zwischen
privatrechtlichen Ansprüchen und politischen Zielvor-
gaben verweisen, die man im Auge haben und gegenein-
ander abwägen muß. In der Konklusion führt das zu ei-
ner Politik, wie sie in dem für uns bindenden Vertrag
niedergelegt ist.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin Dr.
Vollmer, Ihre Zusatzfrage bitte.
Herr Staatsminister, ist Ihnen bekannt, daß diese Erklä-rung, von der der Kollege Schmidt eben sagte, daß sieDr. Helmut Lippelt
Metadaten/Kopzeile:
2102 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 26. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. März 1999
(C)
keinen Vertragscharakter habe, so lange wie kaum etwasanderes im Deutschen Bundestag diskutiert worden ist,nämlich zwei Jahre, am Ende vom ganzen Hause ge-meinsam angenommen worden ist, inklusive der Stim-men der CDU sowie – mit nur ganz wenigen Ausnah-men – der CSU, und sogar – das wissen Sie vielleichtnicht – der bayerische Ministerpräsident Stoiber persön-lich – ich war Zeuge dieser Begebenheit – vor der Su-detendeutschen Landsmannschaft diese Erklärung dan-kenswerterweise verteidigt hat?D
Wie ich vorhin schon sagte, ist nicht nur mir, son-
dern wahrscheinlich fast jedem hier im Hause bewußt,
daß der Prozeß so abgelaufen ist, wie Sie es dargestellt
haben. Es gab in der Tat eine breite politische Mehrheit,
und diese Entscheidung wurde von allen Fraktionen ge-
tragen. Deshalb hat dieser Vertrag, selbst wenn er im
völkerrechtlichen Sinne nicht ratifiziert wurde, dennoch
eine Bindungswirkung. Die jetzige Regierung erklärt
unmißverständlich, daß sie sich an ihn halten wird.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Auch der Kollege
Koschyk hat eine Nachfrage. Bitte schön.
Herr Staatsminister,
die Einlassung der Frau Vizepräsidentin und Kollegin
Vollmer veranlaßt mich doch zu der Frage, ob die in ei-
nem langen Prozeß in diesem Hause erreichte große po-
litische Gemeinsamkeit, an dem sich auch die
CDU/CSU-Fraktion und, wie Frau Vollmer es sagte, der
bayerische Ministerpräsident beteiligt haben, indem sie
bei den betroffenen sudetendeutschen Mitbürgerinnen
und Mitbürgern in Deutschland für eine politische Ak-
zeptanz der Deutsch-Tschechischen Erklärung warben,
nicht durch die völlig unnötige, rechtlich fragwürdige
und vom Bundeskanzler gegenüber Herrn Zeman neu
vom Zaun gebrochene Diskussion über die Eigentums-
fragen zerstört worden ist? In diesem Hause bestand ja
auch politische Gemeinsamkeit darüber, daß durch die
Deutsch-Tschechische Erklärung die Vertretung der Ei-
gentums- und Vermögensfragen durch die Bundesrepu-
blik Deutschland völkerrechtlich nicht ad acta gelegt
worden ist. Hat dieses erneute Aufwerfen jetzt nicht zu
neuen Diskussionen geführt, die der Deutsch-
Tschechischen Erklärung eher schaden als nützen?
D
Der Bundeskanzler hat nicht über die Eigentums-
fragen gesprochen, sondern über den politischen Um-
gang mit Eigentumsfragen. Er befindet sich mit diesen
Aussagen auf der Basis der Vereinbarung, die wir gera-
de besprochen haben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich rufe die Frage 16
des Abgeordneten Christian Schmidt auf:
In welchem rechtlichen Verhältnis steht die in Frage 15 ge-nannte Äußerung von Bundeskanzler Gerhard Schröder zu dem
begleitenden Briefwechsel zum Vertrag vom 27. Februar 1992zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechi-schen und Slowakischen Föderativen Republik, in dem überein-stimmend erklärt worden war, daß sich dieser Vertrag nicht aufVermögensfragen bezieht und daraus zu schließen ist, daß dieseFragen als offen angesehen worden waren?
D
Da wir diese Frage der Substanz nach in dem Fra-
ge-und-Antwort-Spiel gerade schon mehrmals behandelt
haben, kann ich nur auf meine Antwort zu Ihrer letzten
Frage verweisen. Das ist inhaltlich identisch.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ihre Zusatzfrage,
Herr Kollege Schmidt.
Herr
Staatsminister, gestatten Sie mir zur Einleitung eine
Bemerkung, bevor ich die Zusatzfrage wiederhole, die
ich zur Frage 15 gestellt habe; denn Sie haben sie ent-
gegen Ihrer Darstellung in der Substanz nicht beant-
wortet.
Wenn es ein Haus in der Bundesregierung gibt, das
sich intensiv mit Fragen des Völkerrechts auseinander-
zusetzen hat, dann ist es das Auswärtige Amt. Gerade
deswegen erwarte ich, daß das Auswärtige Amt völker-
rechtlich relevante Fragen völkerrechtlich präzise be-
antwortet. Die Frage nach ex tunc/ex nunc, nach Nich-
tigkeit von Anfang an, nach Nichtigkeit vom Zeitpunkt
der Erklärung der Unwirksamkeit an, hat ja erhebliche
Relevanz auch für die privaten Ansprüche.
Nachdem in der Erklärung vom 21. Januar 1997, die
von Ihnen zitiert worden ist, Frau Kollegin Vollmer, die
Berufung auf das jeweilige Verständnis der Rechtsord-
nungen der jeweiligen Partnerregierungen enthalten ist,
erhebt sich doch die Frage: Wie verstehen Sie das als
Vertreter des Auswärtigen Amtes? Sind sie zum Zeit-
punkt der Enteignung wirksam gewesen und nachher
nichtig geworden oder nicht? Wenn Sie diese Auffas-
sung nicht präzise darlegen, dann wird jemandem, der
individualrechtlich Ansprüche geltend macht, mögli-
cherweise die Rechtsmeinung der eigenen Regierung
entgegengehalten werden. Ganz so salopp und einfach
aus der Kaschmirtasche kann man diese Fragen nicht
beantworten.
Das mit der Kaschmirtasche war unsachlich; das nehme
ich zurück – Entschuldigung – und sage: aus der Stoffta-
sche.
D
Herr Kollege Schmidt, ich nehme nicht an, daß Sieeine Antwort der Bundesregierung provozieren wollen,die jeglichen individualrechtlichen Anspruch unmöglichmacht. Wenn Sie eine Diskussion über das Völkerrechtverlangen, kann ich Ihnen nur entgegenhalten: Das isterheblich breiter angelegt, als Sie es gerade angespro-Dr. Antje Vollmer
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 26. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. März 1999 2103
(C)
(D)
chen haben. Die wichtigste völkerrechtliche Verpflich-tung für die Bundesregierung ist die Friedenspflicht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Schmidt, eine
zweite Zusatzfrage, bitte.
Herr
Staatsminister, gehen Sie mit mir davon aus, daß diese
Berufung auf die allgemeine Friedenspflicht und damit
die Subsumierung allen Handelns, das man aus der eige-
nen Sicht politisch nicht als richtig definiert, eine äu-
ßerst fragwürdige Definition von völkerrechtlichen Ver-
pflichtungen ist?
D
Herr Schmidt, unter uns Nichtjuristen: Es war kei-
ne Subsumierung, sondern eine Güterabwägung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine weitere Zusatz-
frage, bitte, Herr Kollege.
Herr Staatsminister,
darf ich Sie so interpretieren, daß die Bundesregierung
dann, wenn individuelle Ansprüche geltend gemacht
würden, klipp und klar darlegen würde, daß sie solchen
Ansprüchen nichts in den Weg legen würde, bzw. kann
ich so weit gehen zu sagen, daß sie dann den Antrag-
steller oder Anspruchsteller unterstützen würde?
D
Die Bundesregierung wird – wie ich es mehrmals
dargestellt habe – in dem Moment, in dem solche An-
sprüche formuliert werden und auftreten, unter Einbe-
ziehung all der Kriterien handeln, die für ihre internatio-
nale Politik handlungsleitend sind.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sie haben leider kei-
ne zweite Frage, weil Sie nicht der Fragesteller waren,
Herr Kollege Lintner.
Frau Kollegin Dr. Vollmer, Ihre Frage bitte.
Herr Staatsminister, 16 Jahre lang hatten wir hier im
Hause andere Mehrheitsverhältnisse. Ist Ihnen irgendein
Akt der vorigen Bundesregierung bekannt, mit dem sie
sich zum Fürsprecher und Akteur hinsichtlich individu-
eller Eigentumsansprüche gegenüber der tschechoslo-
wakischen Republik und später der Tschechischen Re-
publik gemacht hat? Wenn indirekt gefordert wird, die
Bundesregierung solle zu einem Sprecher, ja sogar zu
einem Akteur in diesem Bereich werden, antworte ich,
daß 16 Jahre lang die Möglichkeit bestand, einen sol-
chen Prozeß, den ich für ungeheuer schädlich gehalten
hätte, in Gang zu setzen. Offensichtlich stand davor die
Weisheit der Regierung Kohl mit den Außenministern
Genscher und Kinkel, so daß es entsprechende Aktionen
nicht gegeben hat. Wie beurteilen Sie unter diesem Ge-
sichtspunkt die entsprechende Forderung der Kollegen?
D
Frau Kollegin, es hat sich mit der Politik der Bun-
desregierung bezüglich der rechtlichen Ansprüche so
verhalten, wie Sie es dargestellt haben. Als Vertreter der
Bundesregierung kann und will ich nicht verhindern,
daß Kollegen aus dem parlamentarischen Raum immer
mal wieder die verlorenen Schlachten von gestern schla-
gen wollen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Frage der Kol-
legin Baumeister.
Frau Präsidentin,
ich möchte keine Frage, sondern einen Antrag zur Ge-
schäftsordnung stellen. Nachdem dieser Fragenkomplex
unsererseits abgeschlossen ist und ich namens der
CDU/CSU-Fraktion feststellen darf, daß der Herr
Staatsminister die Fragen betreffend Irritationen bezüg-
lich der Äußerungen des Bundeskanzlers zum deutsch-
tschechischen Verhältnis nicht ausreichend beantwortet
hat, beantrage ich für meine Fraktion nach § 106 unserer
Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, Sie haben soeben vernommen, daß die
Fraktion der CDU/CSU zur Antwort der Bundesregie-
rung auf die beiden letzten Fragen eine Aktuelle Stunde
verlangt hat. Dies entspricht Nummer 1b der Richtlinien
für Aktuelle Stunden. Nach Nummer 2a der Richtlinien
muß die Aussprache unmittelbar nach Schluß der Frage-
stunde durchgeführt werden.
Ich rufe jetzt die Frage 17 des Abgeordneten Wolf-
gang Dehnel auf:
Wird die Bundesregierung die Hinterbliebenen der Opfer desSeilbahnunglücks von Cavalese vom 3. Februar 1998, bei dem20 Menschen ums Leben kamen, nach dem Freispruch des Pilo-ten in ihrem Kampf um Entschädigung und Gerechtigkeit unter-stützen, und wenn ja, in welcher Weise?
D
Herr Kollege Dehnel, die Bundesregierung unter-stützt die Hinterbliebenen der Opfer bei der Geltendma-chung ihrer Schadensersatzansprüche mit allen ihr zurVerfügung stehenden Mitteln. Bundesminister Fischerhat sich persönlich an die amerikanische Außenministe-rin und an seinen italienischen Amtskollegen mit derBitte gewandt, die materiellen Folgen des Unglücksschnell, fair, umfassend und unbürokratisch zu regeln.Gegenüber der Regierung der USA und der Regie-rung von Italien haben unsere Botschaften auf dieDringlichkeit einer befriedigenden Regelung hingewie-Staatsminister Dr. Ludger Volmer
Metadaten/Kopzeile:
2104 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 26. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. März 1999
(C)
sen. In Unterstützung der Hinterbliebenen hat der Ge-sandte unserer Botschaft in Washington am 10. März1999 mit den Angehörigen und ihren Rechtsvertreternausführlich erörtert, wie Anliegen der Hinterbliebenenweiter zum Erfolg verholfen werden kann.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Dehnel,
bitte Ihre Zusatzfrage.
Sind schon Ant-
worten der italienischen und der amerikanischen Regie-
rung eingegangen?
D
Nach unseren Informationen ist der Stand der Ent-
schädigungszahlungen folgender: Die Angehörigen der
Opfer haben von den USA eine erste Hilfe in Höhe von
5 000 US-Dollar erhalten. Italien hat an die Familien der
Opfer umgerechnet zirka 100 000 DM pro Opfer ausge-
zahlt, die auf eine spätere Entschädigung nicht ange-
rechnet werden. In fünf Fällen der deutschen Opfer hat
Italien Vorschläge für eine endgültige Regulierung der
materiellen Folgen des Unglücks gemacht. In drei Fällen
werden von der Landesversicherungsanstalt Sachsen
Witwenrenten im Vorgriff auf eine spätere Entschädi-
gung ausgezahlt.
Eine Entschädigung für die Region in Höhe von 20
Millionen US-Dollar wurde von den USA bisher nur im
Haushalt des Verteidigungsministeriums bereitgestellt,
jedoch noch nicht ausgezahlt. Wann eine Auszahlung er-
folgen wird, bleibt abzuwarten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ihre zweite Zusatz-
frage bitte, Herr Kollege Dehnel.
Wird die Bundesre-
gierung es bei diesen Briefen belassen, oder wird sie
weiter intervenieren, um den Hinterbliebenen der Opfer
bei der Entschädigung und auch bei der Rechtsprechung
zu helfen?
D
Die Bundesregierung wird alles tun, was sie leisten
muß und leisten kann, um den Geschädigten zu helfen.
Wir gehen auch davon aus, daß dies ein Vorgang ist, der
auf den normalen rechtlichen und konsularischen Bah-
nen zu bewerkstelligen ist, und daß es dazu keiner be-
sonderen politischen Intervention bedarf.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Damit rufe ich die
Frage 18 des Kollegen Hans-Dirk Bierling auf:
Was hat die Bundesregierung gegenüber der Regierung derVereinigten Staaten von Amerika unternommen, um eine ge-richtliche Aufklärung der Verantwortlichkeit für das Seil-bahnunglück von Cavalese durchzusetzen?
D
Herr Kollege Bierling, gemäß NATO-Truppen-
statut und bilateralen Zusatzabkommen mit Italien haben
die USA als Entsendestaat das Recht zur Ausübung der
Gerichtsbarkeit gegenüber dem für das Seilbahnunglück
verantwortlichen Piloten und dem Navigator. Das Be-
weismaterial befand sich entweder in den USA oder in
Italien.
Vor diesem Hintergrund gab es für die Bundesregie-
rung keine Möglichkeit, einen Beitrag zur gerichtlichen
Aufklärung der strafrechtlichen Beurteilung des Un-
glücksfalles zu leisten. Sollte die Bundesregierung im
Zuge weiterer strafrechtlicher Verfahren um Unterstüt-
zung gebeten werden, ist sie im Rahmen der ihr zur Ver-
fügung stehenden Mittel bereit, diese zu leisten.
Die USA haben sich uneingeschränkt zu ihrer zivil-
rechtlichen Verantwortung bekannt. Zivilgerichtliche
Verfahren sind noch nicht anhängig. Die Bundesregie-
rung unterstützt die Angehörigen der Opfer bei ihren
Bemühungen um eine rasche und umfassende Entschä-
digung. Der Bundesminister des Auswärtigen, Fischer,
hat sich hierfür persönlich mit großem Nachdruck einge-
setzt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Bier-
ling, Ihre Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsmini-
ster, nach Ihrer Antwort muß ich Sie fragen: Hält die
Bundesregierung – nach der Erfahrung mit dem Urteil,
im Sinne des Piloten und in Kenntnis der Tatsache, daß
gegen Entscheidungen amerikanischer Militärgerichte
keine Rechtsmittel möglich sind – ein amerikanisches
Militärgericht für geeigneter als ein Zivilgericht der
Vereinigten Staaten, diesen Unglücksfall strafrechtlich
aufzuarbeiten?
D
Die Bundesregierung greift nicht in die Rechtspre-
chung eines anderen Staates ein. Sie nutzt allerdings ihre
konsularischen Möglichkeiten, um Bundesbürger zu
unterstützen, wenn sie ihr Recht suchen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine zweite Zusatz-
frage, bitte, Herr Kollege.
Hat die Bundesre-
gierung Erkenntnisse darüber, ob es noch zu einem straf-
rechtlichen Verfahren vor anderen Gerichten der Verei-
nigten Staaten kommen wird?
D
Darüber haben wir im Moment keine Erkennt-
nisse.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es gibt eine weitereZusatzfrage, und zwar des Kollegen Schauerte.Staatsminister Dr. Ludger Volmer
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 26. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. März 1999 2105
(C)
(D)
Herr Staatsmini-
ster, sieht die Bundesregierung nach der Verhaltenswei-
se der Amerikaner die Notwendigkeit – möglicherweise
gemeinsam mit der italienischen Regierung –, die bishe-
rigen vertraglichen Regelungen im Rahmen des Trup-
penstatuts im Hinblick auf zukünftige Fälle zu überden-
ken, oder sieht sie diesbezüglich keinerlei Veranlas-
sung?
D
Die Bundesregierung hat die Entscheidung der Ju-
ry des amerikanischen Militärgerichts, die nicht begrün-
det werden muß, mit Erstaunen zur Kenntnis genom-
men. Selbstverständlich macht sie sich Gedanken dar-
über, wie, falls ähnliche oder anders gelagerte Proble-
matiken vor der amerikanischen Justiz zu verhandeln
sind, mit den Freunden in den USA geredet werden
kann. Allerdings bleiben wir dabei: Wir haben keine
Möglichkeiten, in die Urteilsfindung hineinzuregieren.
Es ist bedauerlich, daß es nicht möglich ist, Rechtsmittel
einzulegen. Aber dagegen können wir im Moment leider
nichts tun.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Damit rufe ich die
Frage 19 des Kollegen Bierling auf:
In welcher Weise unterstützt die Bundesregierung die An-sprüche der deutschen Hinterbliebenen der Opfer von Cavaleseund fordert die USA auf, ihr Versprechen einer unkompliziertenund angemessenen finanziellen Entschädigung umgehend zu er-füllen?
D
Herr Bierling, wie ich gerade schon ausgeführt ha-
be, unterstützt die Bundesregierung die Hinterbliebenen
der Opfer mit allen ihr politisch und rechtlich zur Verfü-
gung stehenden Mitteln bei der Geltendmachung ihrer
Schadensersatzansprüche. Gegenüber den Regierungen
der USA und Italiens haben unsere Botschaften eine zü-
gige und befriedigende Entschädigung gefordert. Der
Bundesminister des Auswärtigen, Fischer, hat sich per-
sönlich an die amerikanische Außenministerin und an
seinen italienischen Amtskollegen mit der Bitte ge-
wandt, die materiellen Folgen des Unglücks schnell,
fair, umfassend und unbürokratisch zu regeln.
In Unterstützung der Hinterbliebenen hat der Ge-
sandte unserer Botschaft in Washington am 10. März
1999 mit den Angehörigen der Opfer und ihren Rechts-
vertretern ausführlich erörtert, wie man den berechtigten
humanitären Anliegen der Hinterbliebenen zum Erfolg
verhelfen kann. Im gleichen Sinne war es bereits am
18. Januar dieses Jahres im Auswärtigen Amt, unter
Teilnahme des Bürgermeisters von Burgstädt, zu einem
Gespräch mit den Rechtsvertretern der Angehörigen ge-
kommen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Bierling, bitte.
Herr Staatsmini-
ster, ich bin im Grunde genommen mit Ihrer Antwort
zufrieden, habe aber trotzdem noch eine Nachfrage: Be-
urteilt die Bundesregierung – wie ich – die von Ihnen
vorhin erwähnte sehr rasche Einstellung von 20 Millio-
nen US-Dollar in den US-Haushalt zu dem Zweck, der
betroffenen Region zu helfen, als ein staatliches Schuld-
anerkenntnis?
D
Herr Kollege, wir begrüßen, daß dieser Betrag zur
Verfügung gestellt worden ist. Ich möchte das Verhält-
nis zwischen strafrechtlicher und zivilrechtlicher Wer-
tung dieses gesamten Falles in den USA nicht offiziell
kommentieren.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ihre zweite Zusatz-
frage, bitte, Herr Kollege.
Herr Staatsmini-
ster, dann muß ich konkreter nachfragen, ob Sie es – wie
ich – nicht für pervers halten, daß in den Haushalt der
USA unverzüglich 20 Millionen US-Dollar für den
Neubau einer Seilbahn in der betroffenen Region ein-
gestellt werden, die Hinterbliebenen aber zunächst mit
5 000 Dollar – und das erst nach Überwindung von
Schwierigkeiten – abgefunden werden.
D
Herr Kollege Bierling, Sie werden verstehen, daß
ich Ihre Wertung des amerikanischen Vorgehens mit
dem Begriff „pervers“ quasi regierungsamtlich nicht be-
stätigen kann.
Aber ich nehme zur Kenntnis, daß Sie diese Gelegenheit
nutzen, Ihre Auffassung sehr deutlich zur Sprache zu
bringen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Damit rufe ich nun-
mehr den Geschäftsbereich des Bundesministeriums des
Innern auf. Zur Beantwortung steht der Herr Parlamen-
tarische Staatssekretär Fritz Rudolf Körper zur Verfü-
gung.
Die Frage 20 des Abgeordneten Johannes Singham-
mer wird schriftlich beantwortet.
Dann rufe ich die Frage 21 des Abgeordneten Norbert
Hauser auf:
Gedenkt die Bundeszentrale für politische Bildung ihr um-fangreiches Angebot in der Besuchergruppenbetreuung auchnach dem Umzug des Deutschen Bundestages nach Berlin auf-rechtzuerhalten?
F
Diese Frage ist mit einem ein-deutigen Ja zu beantworten. Die Bundesregierung ge-denkt das umfangreiche Angebot der Bundeszentrale fürpolitische Bildung im Rahmen der Besuchergruppenbe-treuung auch nach dem Umzug des Deutschen Bundes-tages nach Berlin aufrechtzuerhalten.
Metadaten/Kopzeile:
2106 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 26. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. März 1999
(C)
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Hauser,
Ihre Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsse-
kretär, darf ich Ihrer Antwort entnehmen, daß dies so-
wohl für die Bundeshauptstadt Berlin als auch für die
Bundesstadt Bonn gilt?
F
Es wird auch in Zukunft so sein,
daß Besuchergruppen nach Bonn kommen. Auch dafür
steht das Angebot unserer Zentrale zu Verfügung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dann rufe ich die
Frage 22 des Abgeordneten Hauser auf:
Inwieweit wird die Bundeszentrale für politische Bildung mitihrer Außenstelle in Berlin ihr Angebot angesichts deutlich stei-gender Zahlen von Besuchergruppen der Abgeordneten und desPresse- und Informationsamtes der Bundesregierung ausbauen?
F
Herr Hauser, die Bundeszentrale
für politische Bildung ist personell und sächlich darauf
vorbereitet, Besuchergruppen der Abgeordneten des
Deutschen Bundestages und des Presse- und Informati-
onsamtes der Bundesregierung in ihrer Außenstelle in
Berlin über ihre Aufgabe und ihr Angebot im Rahmen
der politischen Bildung zu informieren.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Da der Kollege Sieg-
fried Helias nicht anwesend ist, können die Fragen 23
und 24 nicht beantwortet werden. Es wird verfahren, wie
in der Geschäftsordnung vorgesehen.
Dann rufe ich den Geschäftsbereich des Bundesmini-
steriums der Justiz auf. Zur Beantwortung steht der Par-
lamentarische Staatssekretär Dr. Eckhart Pick zur Ver-
fügung.
Ich verweise darauf, daß die Fragen 25, 26, 27 und 28
schriftlich beantwortet werden.
Deshalb rufe ich jetzt die Frage 29 des Abgeordneten
Dr. Martin Mayer auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß das uner-wünschte und unverlangte Zusenden von elektronischer Post zuWerbezwecken unterbunden werden soll?
D
Herr Kollege Dr. Mayer, das
unverlangte Zusenden von elektronischer Post ist bereits
nach geltendem nationalen Recht unzulässig, da es ge-
gen die Regeln des lauteren Wettbewerbs verstößt und
unter Umständen das allgemeine Persönlichkeitsrecht
verletzt. Der Betroffene hat einen Unterlassungsan-
spruch zur Abwehr solcher Werbung aus § 1 UWG, dem
Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, gegebenen-
falls auch aus § 823 BGB. Dies ist inzwischen gefestigte
und einhellige Rechtsprechung einer Reihe von Unterge-
richten und auch ganz herrschende Meinung in der juri-
stischen Literatur. Die Bundesregierung teilt diese
Rechtsauffassung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Zusatzfrage,
bitte? – Bitte, Herr Kollege.
Herr
Staatssekretär, teilen Sie die Auffassung, daß sich diese
Rechtsauffassung der Bundesregierung offenbar bei
bestimmten Nutzern nicht herumgesprochen hat, weil
noch in großem Umfang unverlangte und unerwünschte
Werbemails im Netz versandt werden?
D
Ich schließe nicht aus, daß es
Verstöße gegen die Rechtslage gibt. Die Bundesregie-
rung ist immer dankbar, wenn sie auf entsprechende
Verstöße hingewiesen wird, damit die Betreiber der
Netze informiert werden können.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine zweite Zusatz-
frage, bitte, Herr Kollege.
Herr
Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, daß es of-
fenbar trotz dieser aus Ihrer Sicht eindeutigen Rechtsla-
ge den Inhabern von Mailboxen bisher nicht gelingt, un-
erwünschte Mails abzuwehren?
D
Ich teile Ihre Auffassung, weil
das unverlangte Senden von Werbung zumindest eine
Belästigung der Nutzer ist und vor allen Dingen mit ei-
nem entsprechenden Aufwand verbunden ist, auch fi-
nanziell, zum Beispiel wenn sie sich telefonisch an den
Provider wenden.
Im übrigen ist uns bekannt, daß Versuche der Filte-
rung noch am Beginn der Entwicklung stehen; offen-
sichtlich kann eine solche Filterung auch überspielt wer-
den.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Damit rufe ich die
Frage 30 des Kollegen Dr. Mayer auf:
Wenn ja, welche Maßnahmen ergreift die Bundesregierungauf europäischer und internationaler Ebene, um unerwünschtesund unverlangtes Zusenden von elektronischer Post zu Werbe-zwecken zu verhindern?
D
Herr Kollege Dr. Mayer, zu-nächst ist darauf hinzuweisen, daß diese Frage Gegen-stand der Fernabsatz- und der sogenannten ISDN-Datenschutz-Richtlinie ist, wonach mindestens gewähr-leistet sein muß, daß der Betroffene das Recht hat, dieZusendung unverlangter Werbung per elektronischerPost abzulehnen. Die deutsche Rechtsprechung geht,wie ich Ihnen eben dargelegt habe, noch darüber hinaus,
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 26. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. März 1999 2107
(C)
(D)
da sie schon die Zusendung ohne vorherige Einwilligungdes Empfängers für unzulässig erachtet.Die Bundesregierung ist im übrigen auf der Ebene derEuropäischen Union an den Beratungen zum Vorschlagfür eine Richtlinie über bestimmte rechtliche Aspektedes elektronischen Geschäftsverkehrs im Binnenmarktbeteiligt, die eine Regelung zur unerbetenen kommer-ziellen Kommunikation vorsieht. Diese Regelung erfaßtauch unverlangt übersandte E-Mail-Werbung. Sie ent-hält jedoch lediglich eine Kennzeichnungspflicht. Esbleibt nach wie vor der Entscheidung der Mitgliedstaa-ten überlassen, ob derartige Werbung in ihrem Hoheits-gebiet zulässig ist oder nicht. Auch hier ist auf die be-reits skizzierte restriktive deutsche Rechtsprechung hin-zuweisen.Die Bundesregierung ist darüber hinaus auf interna-tionaler Ebene an den Beratungen über Leitlinien derOECD zum Verbraucherschutz im elektronischen Ge-schäftsverkehr beteiligt. Sie wird ihre Rechtsvorstellun-gen zur unerbetenen kommerziellen Kommunikation indie Diskussion auf EU-Ebene und internationaler Ebeneeinbringen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Dr.
Mayer, Ihre Zusatzfrage, bitte.
Herr
Staatssekretär, teilen Sie die Auffassung, daß sehr rasch
auf internationaler Ebene eine Regelung gefunden wer-
den muß, die die unerwünschte Zusendung von Werbe-
E-Mails verbietet, damit nicht das elektronische Nach-
richtenwesen nachhaltig geschädigt wird? Ich glaube,
auch die Bundesrepublik hat großes Interesse daran, daß
die E-Mail-Technik rasche Verbreitung findet.
D
Herr Kollege Dr. Mayer, ich
bin mit Ihnen der Auffassung, daß es wünschenswert
wäre, daß der deutsche Standard beim Rechtsschutz ge-
gen unerwünschte elektronische Reklame auch interna-
tional gilt. Aber bereits auf der EU-Ebene gibt es einen
geringeren Schutz. Das trifft uns nicht; unsere Rechts-
ordnung wird davon nicht berührt. Die Bundesrepublik
wird nachdrücklich darauf hinwirken, daß unsere Stan-
dards in dieser Form auch international und – wenn
möglich – in der EU Geltung haben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Dr. Mayer, bitte
Ihre zweite Zusatzfrage.
Herr
Staatssekretär, sind Sie mit mir der Auffassung, daß es
bei einem Verbot der unerwünschten Zusendung von
E-Mails für die Werbewirtschaft eine Möglichkeit geben
muß – sie muß hier ihre Phantasie einsetzen –, den
Empfänger dafür zu gewinnen, daß er bestimmte Werbe-
E-Mails freiwillig empfängt?
D
Es ist völlig richtig: Auch
nach unserem Recht ist die Zusendung solcher E-Mails
natürlich zulässig, wenn vorher die Zustimmung des
Betroffenen gegeben wurde. Insofern wenden wir uns
und wendet sich die Rechtsprechung gegen unverlangt
– also ohne Einwilligung des Betroffenen – zugesandte
E-Mails.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich möchte nachtra-
gen, daß die Frage 20 des Abgeordneten Johannes Sing-
hammer zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums
des Innern schriftlich beantwortet wird.
Nunmehr rufe ich den Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Arbeit und Sozialordnung auf. Zur Be-
antwortung steht Frau Parlamentarische Staatssekretärin
Ulrike Mascher zur Verfügung. Zunächst rufe ich die
Frage 31 des Kollegen Thomas Strobl auf:
Welche finanziellen Mehrbelastungen für den Haushalt derBundesanstalt für Arbeit im Bereich der Arbeitslosenhilfe er-wartet die Bundesregierung nach dem Urteil des Bundessozial-gerichts in Kassel , wonach Arbeitslose ihrVermögen nicht aufbrauchen müssen, das sie zur Aufrechter-haltung ihres Lebensstandards im Alter angespart haben?
U
Herr Kollege
Strobl, nach geltendem Recht ist im Rahmen der Be-
dürftigkeitsprüfung bei der Arbeitslosenhilfe Vermögen
nicht zu berücksichtigen, das „zur Aufrechterhaltung
einer angemessenen Alterssicherung bestimmt ist“. Das
Bundessozialgericht hat in dem von Ihnen angesproche-
nen Urteil dargelegt, unter welchen Voraussetzungen
davon auszugehen ist, daß Vermögen für die Alterssi-
cherung bestimmt ist, und in welcher Höhe eine zusätz-
liche Alterssicherung als angemessen anzusehen ist. Die
konkrete Streitsache hat das Gericht zur erneuten Ver-
handlung und Entscheidung an das Landessozialgericht
zurückverwiesen.
Die Auffassung des Bundessozialgerichts weicht von
der bisherigen Praxis der Bundesanstalt für Arbeit ab.
Das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung
prüft daher, ob das Urteil eine Einzelfallentscheidung ist
und Folgerungen für die Praxis erst bei Vorliegen einer
ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu
ziehen wären. Das Ministerium prüft außerdem, ob
durch eine Änderung der Arbeitslosenhilfe-Verordnung
eindeutig klarstellend eine der bisherigen Praxis ent-
sprechende vorläufige und ausdrückliche Regelung ge-
troffen werden sollte. Vor Abschluß dieser Prüfung läßt
sich nicht sagen, ob das von Ihnen angesprochene Urteil
über den konkreten Einzelfall hinaus finanzielle Aus-
wirkungen hat.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Strobl,
bitte Ihre Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin,können Sie mir darüber Aufschluß geben, wann IhrerMeinung nach Ihre Überprüfung der grundsätzlichenFrage abgeschlossen ist und wann Sie meine konkreteParl. Staatssekretär Dr. Eckart Pick
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2108 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 26. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. März 1999
(C)
Frage betreffend den Haushalt der Bundesanstalt für Ar-beit beantworten können?U
Es wird eini-
ge Wochen dauern, bis wir wissen, ob das Urteil des
Bundessozialgerichts eine konkrete Auswirkung auf die
Praxis der Bundesanstalt für Arbeit hat. Was die Ände-
rung der Arbeitslosenhilfe-Verordnung betrifft, denke
ich, daß wir Ihnen das in einigen Wochen mitteilen kön-
nen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich rufe jetzt die
Frage 32 des Kollegen Strobl auf:
Welche Konsequenzen dieses Urteils sieht die Bundesregie-rung für den Bereich der Sozialhilfe und anderer Sozialleistun-gen?
U
Sie fragen,
welche Auswirkungen dieses Urteil für den Bereich der
Sozialhilfe und für andere Sozialleistungen hat. Dazu ist
festzustellen: Das Urteil des Bundessozialgerichtes hat
keine präjudizierenden Auswirkungen für das Sozialhil-
ferecht. Das Sozialhilferecht unterliegt dem Rechtsweg
vor den Verwaltungsgerichten. Das ist für einen Laien
vielleicht etwas überraschend; aber es ist so. Formal
können daher nur Urteile des Bundesverwaltungsge-
richtes richtungweisend für die Auslegung des Bundes-
sozialhilfegesetzes sein. Das Bundesverwaltungsgericht
hat sich in mehreren Urteilen, auch in jüngster Zeit, zu
den hier relevanten Problemen geäußert. Eine Änderung
dieser Rechtsprechung ist nach unserer derzeitigen
Kenntnis in Zukunft nicht zu erwarten.
Das Nachrangprinzip des Sozialhilferechtes verlangt
regelmäßig den Einsatz des gesamten verwertbaren
Vermögens. Nur soweit dem Einsatz solchen Vermö-
gens in einem atypischen Einzelfall besondere Härte-
gründe entgegenstehen, hat der Sozialhilfeträger die
Möglichkeit, von einer Anrechnung abzusehen. Dies
entspricht der Natur der Sozialhilfe. Anders als die Ar-
beitslosenhilfe wird zum Beispiel Hilfe zum Lebensun-
terhalt auch im Rentenalter gewährt, so daß nicht – wie
bei der Arbeitslosenhilfe – auf eine auslaufende Lei-
stungsgewährung zu achten ist, die von einer dann vor-
aussichtlich kleineren Sozialleistung, nämlich der Rente,
abgelöst wird und Bedürftigkeit auslösen kann.
Eine Zusatzfrage,
Herr Kollege, bitte.
Frau Staatssekretärin,
verstehe ich Sie richtig, daß die Bundesregierung der
Auffassung ist, daß das Urteil des Bundessozialgerichts
keinerlei Auswirkungen auf den Bereich der Sozialhilfe
hat?
U
In der Tat:
Wir gehen davon aus, daß es keine Auswirkungen auf
den Bereich der Sozialhilfe hat.
Eine weitere Zusatz-
frage, bitte sehr, Herr Kollege.
Ist diese Grundsatz-
frage in Ihrem Hause abschließend geprüft?
U
Ja, soweit uns
das bisher möglich war, haben wir das abschließend ge-
prüft.
Wir kommen nun
zur Frage 33 des Abgeordneten Wolfgang Meckelburg:
Wie beurteilt die Bundesregierung die anhaltende Kritik, dasGesetz zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Siche-rung der Arbeitnehmerrechte erschwere für Existenzgründer denWeg in die berufliche Selbständigkeit und habe bereits jetzt zudeutlichen Auftragsrückgängen bei Freiberuflern geführt, weildie Auftraggeber befürchten, zur Zahlung von Sozialbeiträgenherangezogen zu werden?
Bitte sehr, Frau Staatssekretärin.
U
Ihre Frage
bezieht sich auf Kritik am Korrekturgesetz zur Siche-
rung der Arbeitnehmerrechte. Darauf kann ich Ihnen
folgende Antwort geben: Für Existenzgründer gibt es in
der Existenzgründungsphase besondere Beitragserleich-
terungen. Die danach verbleibende Beitragsbelastung ist
unter Berücksichtigung des Umstandes, daß auch der
Personenkreis der Existenzgründer Altersvorsorge be-
treiben muß, zumutbar. Befürchtungen von Auftragge-
bern, zur Zahlung von Beiträgen herangezogen zu wer-
den, sind unbegründet, soweit es sich bei den Auftrag-
nehmern um echte Existenzgründer handelt.
Eine Zusatzfrage,
Herr Kollege, bitte.
Frau Kollegin
Mascher, sind Ihnen die Briefe, die uns als Abgeordnete
ja in großen Mengen erreichen, völlig unbekannt, die
zum Inhalt haben, daß das Gesetz ein absoluter Schnell-
schuß ist, daß es verhindert, daß sich vor allem junge
Leute selbständig machen, und daß somit keine Arbeits-
plätze geschaffen werden?
U
Nein, solcheBriefe sind mir nicht unbekannt. Zur gleichen Zeit, wiewir hier diese Fragestunde durchführen, hat der Ar-beitsminister ein Gespräch mit den Sozialversiche-rungsträgern, um Befürchtungen, die in der Öffentlich-Thomas Strobl
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 26. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. März 1999 2109
(C)
(D)
keit entstanden sind, durch gezielte Informationen aus-zuräumen.Ich habe ja davon gesprochen, daß es Beitragser-leichterungen für Existenzgründer gibt. Man muß sichda einmal die Beträge vor Augen führen: In den erstendrei Berufsjahren sind auf Antrag nur Beiträge nach derHälfte des Durchschnittseinkommens – das sind imWesten 2 200 DM und im Osten 1 860 DM – zu leisten.Wenn das tatsächliche Einkommen des Betreffendennoch unter diesen 2 200 DM bzw. 1 860 DM liegt, dannkann der Beitrag weiter, bis zu einem Mindestbeitragvon 123 DM, ermäßigt werden. Dabei ist das zu versteu-ernde Einkommen maßgebend. Da bei den Existenz-gründern in den ersten Jahren hohe Abschreibungenganz typisch sind, kann man davon ausgehen, daß einExistenzgründer, der in einer schwierigen finanziellenLage ist, seine Altersvorsorge mit einem Mindestbeitragvon 123 DM sichern kann. Hinzu kommt die Möglich-keit, diese Beiträge zu stunden.Wenn man sich das konkret vor Augen führt, kannman, glaube ich, nicht sagen, daß den Existenzgründernhierdurch materiell der Garaus gemacht wird.
Eine weitere Zusatz-
frage, bitte sehr, Herr Kollege.
Frau Staatsse-
kretärin, welche Stellung nehmen Sie zu folgenden Äu-
ßerungen: Wir haben auf Grund der neuen Gesetzeslage
sofort entschieden, keine Aufträge mehr an Freiberufler
zu vergeben; wir wollen nicht riskieren, in einigen Jah-
ren nach einer Steuerprüfung Pflichtbeiträge für mehrere
Jahre nachzahlen zu müssen? – Auch das würde zu we-
niger Aufträgen und weniger Arbeit führen.
U
Wir haben
die Schwierigkeit, zwischen den Scheinselbständigen
und den arbeitnehmerähnlichen Selbständigen unter-
scheiden zu müssen. Von den Scheinselbständigen, bei
denen an Hand von vier Kriterien vermutet wird, daß sie
Sozialversicherungsbeiträge zu entrichten haben, wird
häufig die Sorge geäußert, daß auch für die Vergangen-
heit Nachzahlungen zu leisten sind. Da kann ich sie be-
ruhigen: Nachzahlungen für die Vergangenheit sind
nicht zu leisten. Aber wenn nach Inkrafttreten des Ge-
setzes Beiträge nicht ordnungsgemäß gezahlt werden,
dann ist eine solche Nachzahlungspflicht natürlich mög-
lich, allerdings nicht für vier Jahre zurück.
Zum drohenden Auftragsentzug für Freiberufler – das
würde auch die arbeitnehmerähnlichen Selbständigen
treffen –: Da frage ich mich immer, Herr Kollege Mek-
kelburg, was das für Aufgaben waren, die die Freibe-
rufler bisher übernommen haben. Ich gehe davon aus,
das waren Aufgaben, die für das Unternehmen, für den
Betrieb von Bedeutung waren. Es waren sicher nicht
Arbeitbeschaffungsmaßnahmen. Man hat also sicher
nicht gesagt: Der nette Freiberufler soll auch etwas tun.
Vielmehr waren es wichtige Aufgaben für das Unter-
nehmen. Da stellt sich für den Arbeitgeber, den Auf-
traggeber doch die Frage, ob er die Arbeiten durch neue,
fest einzustellende Arbeitnehmer erledigen läßt oder,
wenn er den Freiberufler nicht mehr beschäftigen will,
ob er die Arbeit an ein anderes Unternehmen weitergibt.
Dann muß er den Gewinn des anderen Unternehmers
bezahlen. Ich kann mir keinen rational agierenden Auf-
traggeber vorstellen, der Aufträge, die für sein Unter-
nehmen bisher von Bedeutung waren, nicht mehr aus-
führt.
Ich rufe die Frage 34
des Kollegen Meckelburg auf:
Wird die Bundesregierung auch im Hinblick auf Äußerungender wirtschaftspolitischen Sprecher der Fraktion der SPD undder Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Deutschen Bun-destag, Hans Martin Bury, MdB, und Margareta Wolf , MdB, eine Initiative zur Änderung des Gesetzes ergreifen?
Frau Staatssekretärin, bitte.
U
Herr Meckel-
burg, die Bundesregierung wird die Umsetzung des Ge-
setzes natürlich weiterhin aufmerksam verfolgen. Sie
wird vor allem darauf hinwirken, daß Anlaufschwierig-
keiten unbürokratisch, bürgernah und durch gute Infor-
mation der Betroffenen beseitigt werden. Ich habe schon
darauf hingewiesen, daß sich ein Großteil der Schwie-
rigkeiten offenbar durch Fehlinformationen und auf
Grund einer nicht sorgfältigen Trennung der Begriffe
„Scheinselbständigkeit“, „arbeitnehmerähnliche Selb-
ständige“ und „geringfügige Beschäftigung“ ergibt. Der
Arbeitsminister klärt im Moment mit den Sozialversi-
cherungsträgern, wie man diesen Falschinformationen
begegnen kann, wie man noch mehr Informationen über
den Inhalt der Neuregelungen verbreiten kann.
Sollten sich bei der Anwendung der Neuregelung auf
Grund der realen Gesetzeslage in der Praxis Hinweise
für Verbesserungsmöglichkeiten ergeben, werden wir
diese aufgreifen. Aber, ich denke, man sollte erst einmal
auf der Basis der vorhandenen Gesetze abwarten, wie
sich das in der Praxis entwickelt.
Damit ist der Be-reich des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialord-nung beendet. Ich danke der Frau Staatssekretärin fürdie Beantwortung der Fragen.Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeri-ums der Verteidigung auf. Zur Beantwortung steht derParlamentarische Staatssekretär Walter Kolbow zur Ver-fügung.Ich rufe die Frage 35 des Abgeordneten Harald Frieseauf:Ist der Bundesregierung bekannt, daß Rußland und die USAin Kürze wegen der veralteten russischen Computersysteme(Jahr-2000-Probleme) eine gemeinsame Frühwarnzentrale zumSchutz gegen irrtümlich abgefeuerte Atomraketen einrichtenwerden, und wie groß schätzt die Bundesregierung die Gefahrein, daß dies tatsächlich auf Grund veralteter russischer Rechnergeschehen könnte?Herr Staatssekretär, bitte.Parl. Staatssekretärin Ulrike Mascher
Metadaten/Kopzeile:
2110 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 26. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. März 1999
(C)
W
Frau Präsidentin, geschätzter
Kollege Friese, erlauben Sie mir, die Fragen 35 und 36
im Zusammenhang zu beantworten?
Dann rufe ich auch
die Frage 36 des Abgeordneten Friese auf:
Kann die Detonation einer irrtümlich abgefeuerten Nuklear-rakete nach Einschätzung der Bundesregierung verhindert wer-den, und, wenn nein, welche Folgen wären zu befürchten?
W
Herr Kollege Friese, der
Bundesregierung ist bekannt, daß auf dem russisch-
amerikanischen Gipfeltreffen im September 1998 in
Moskau die Präsidenten beider Staaten einen bilateralen
Informationsaustausch zu Raketenstarts und Frühwarn-
daten vereinbart haben. Zu diesem Zweck soll ein stän-
diges gemeinsames Frühwarnzentrum auf russischem
Territorium eingerichtet werden. Ziel ist es, Fehlein-
schätzungen auf Grund irrtümlicher Meldungen natio-
naler Frühwarneinrichtungen zu verhindern. Der Aufbau
dieses Zentrums, an dem sich künftig weitere Staaten
beteiligen sollen, ist nicht vor 2000 zu erwarten.
Insbesondere – danach fragen Sie – im Hinblick auf
das Jahr-2000-Problem soll unverzüglich ein gemeinsa-
mes russisch-amerikanisches Alarm- und Lagezentrum
beim US Space Command in Colorado eingerichtet wer-
den. Es ist durchaus möglich – wie es Kollegen aus dem
Verteidigungsausschuß schon getan haben –, sich vor
Ort zu informieren und die Wirksamkeit einer solchen
Lageeinrichtung im Hinblick auf unsere Interessenlage
zu überprüfen. Nach derzeitigem Erkenntnisstand liegen
keinerlei Hinweise vor, daß es auf Grund einer techni-
schen Fehlfunktion russischer Computersysteme – auch
nicht in Folge einer mangelhaften Jahr-2000-Anpassung
– zu einem unbeabsichtigten Raketenstart kommen
könnte.
Herr Kollege, eine
Zusatzfrage, bitte sehr.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen
bekannt, daß die russische Generalität in dieser Frage of-
fensichtlich eine andere Auffassung vertritt, wie die
„Neue Zürcher Zeitung“ auf Grund einer „dpa“-Mel-
dung schreibt, und tatsächlich befürchtet, daß wegen des
Jahr-2000-Problems zur Jahrtausendwende russische
Raketen irrtümlich abgefeuert werden?
W
Wir kennen diese Pressemel-
dungen. Nichtsdestotrotz haben wir den Sachverhalt
seriös geprüft und Ihnen deshalb die Auskunft, die Sie
erbeten haben, so gegeben.
Eine weitere Zusatz-
frage des Kollegen Friese, bitte sehr.
Herr Staatssekretär, wäre es
gegebenenfalls nicht sicherer, zu diesem Zeitpunkt die
steuernden Computer auszuschalten bzw. die Atom-
sprengköpfe auszubauen, um zu verhindern, daß auf
Grund dieses Computerproblems ein Fehlstart eingelei-
tet wird?
W
Herr Abgeordneter, wir sind
in dieser Frage äußerst sensibel und gehen mit diesem
Problem, auch was die Kontaktaufnahme mit Rußland
im Bündnis, im NATO-Kooperationsrat und sogar in der
OSZE angeht, sehr offensiv um und versuchen, dieses
Problem durch Informationsabgleichungen rechtzeitig
zu lösen.
Die Fragen 37 und
38 sind vom Fragesteller zurückgezogen worden.
Die Fragen 39, 40, 41, 42, 43 und 44 werden schrift-
lich beantwortet.
Damit ist der Geschäftsbereich des Bundesministeri-
ums der Verteidigung abgearbeitet. Ich danke dem
Herrn Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeri-
ums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen auf. Zur
Beantwortung der Fragen steht zunächst der Parlamenta-
rische Staatssekretär Siegfried Scheffler zur Verfügung.
Ich rufe Frage 45 der Kollegin Maritta Böttcher auf:
Will die Bundesregierung den Bundesverkehrswegeplan da-hin gehend fortschreiben, daß dem Anliegen des Kreises Teltow-Fläming im Land Brandenburg, die B 101 durchgängig bis Luk-kenwalde vierspurig auszubauen, Rechnung getragen wird?
Herr Staatssekretär, bitte.
S
Frau Präsidentin, wenn Sie und auch die Kollegin Bött-
cher gestatten, möchte ich die Fragen 45 und 46 im Zu-
sammenhang beantworten.
Die Fragestellerin ist
einverstanden. Dann rufe ich auch Frage 46 auf:
Ist die mögliche vorgesehene Form eines Staatsvertrageszwischen Bund, Land und Kreis die erforderliche rechtliche undauch finanzierbare Form der Umsetzung?
Bitte sehr.
S
Der Bundesverkehrswegeplan wird gemäß den Aussa-gen in der Koalitionsvereinbarung zügig überarbeitet.Das gilt auch und zunächst für die zu aktualisierendenStrukturdaten und Verkehrsprognosen, für die Bewer-tungsmaßstäbe und für die Sicherstellung der Finanzier-barkeit einschließlich der Folgekosten. Die Arbeiten da-zu sind eingeleitet.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 26. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. März 1999 2111
(C)
(D)
Die Bundesregierung wird, soweit das Land Bran-denburg die Aufnahme des vierstreifigen Ausbaus derB 101 in den Bedarfsplan beantragt, die Maßnahme indie anstehende Überprüfung einbeziehen. Weitergehen-de Aussagen sind zur Zeit nicht möglich. Die abschlie-ßende Festlegung über Bedarf und Dringlichkeit trifftder Deutsche Bundestag.Ergibt die Überprüfung den Bedarf eines vierstreifi-gen Ausbaus, so ist mit der Aufnahme in den Bedarfs-plan des Bundesverkehrswegeplans jedoch noch keineAussage zur Finanzierung und zur Kostenträgerschaftgetroffen. Vielmehr ist dann zu prüfen, ob eine Mit-finanzierung des Landes bei dem Vorhaben B 101 imBereich des Teltow-Fläming-Kreises in Betracht kommt.Bei zur Mitfinanzierung vorgesehenen Maßnahmen desBundes erfolgt die rechtliche Form der Umsetzungdurch eine Verwaltungsvereinbarung. Der Abschlußeines Staatsvertrages ist hier nicht erforderlich.Bei der Verwaltungsvereinbarung sind im wesentli-chen folgende Kriterien zu beachten: Mit dem Finanzie-rungsbeitrag muß das Land landeseigene Aufgaben ver-folgen, die Höhe der Landesbeteiligung muß dem Lan-desinteresse entsprechen, und die der Mitfinanzierungzugrunde gelegten Kosten müssen realistisch sein. Somuß zum Beispiel eine Klausel für Kostenerhöhungenvorgesehen sein; auch müssen die erhöhten Betriebs-und Unterhaltungskosten enthalten sein. Die Verwal-tungsvereinbarung wird seitens des Bundes nur mit Zu-stimmung des Bundesministers der Finanzen geschlos-sen. Die Vereinbarung wird von Bund und Land unterdem Vorbehalt abgeschlossen, daß die benötigten Haus-haltsmittel durch den Deutschen Bundestag und dasLandesparlament, in dem Fall den Landtag von Bran-denburg, bewilligt werden. Schließlich ist die Vereinba-rung unkündbar.
Eine Zusatzfrage,
Frau Kollegin, bitte sehr.
Ich möchte eine Nachfrage
zur Finanzierung stellen. Ist eine Mischfinanzierung, in
die auch private Mittel einfließen, aus juristischer Sicht
überhaupt möglich? Die Frage bezieht sich insbesondere
auf die sich daraus ergebende Rechtmäßigkeit des Bau-
lastträgers und auf die Folgekostenfinanzierung bei In-
standsetzung.
S
Mir ist natürlich bekannt, daß bei einzelnen Maßnahmen
Investoren dem Land unter die Arme greifen und sich an
der Finanzierung beteiligen wollen. Über eine solche
Mischfinanzierung ist dann aber eine Vereinbarung zwi-
schen dem Land Brandenburg und den Investoren zu
schließen. Die Mischfinanzierung gründet aber nicht auf
einer Vereinbarung zwischen den Investoren und dem
Bund.
Noch eine Zusatz-
frage, bitte sehr.
Wie Sie wissen, hat das
Land Brandenburg eine Wirtschaftlichkeits- und Mach-
barkeitsstudie in Auftrag gegeben, die inzwischen vor-
liegt. In diesem Zusammenhang möchte ich Sie fragen,
ob vorgesehen ist, die Kriterien für die Aufnahme in den
Bundesverkehrswegeplan auch auf die Strukturpolitik
von Regionen auszurichten und nicht, wie heute, nur
an wirtschaftlichen und ökologischen Kriterien zu mes-
sen.
S
Ih-
nen ist ja bekannt, daß der Bedarfsplan für die Bundes-
fernstraßen für die B 101 einen vierstreifigen Neubau
von der Landesgrenze Berlin-Brandenburg bis zur A 10
– Zubringer Großbeeren – beinhaltet und im weiteren
Verlauf insbesondere zweistreifige Ortsumgehungen bei
Luckenwalde und Jüterbog vorsieht. Insofern hat der
Bund dem Landesinteresse letztendlich entsprochen.
Wir werden auch bei unserer Überarbeitung des Bun-
desverkehrswegeplanes die Interessen des Landes Bran-
denburg in die gesamtwirtschaftliche Bewertung, in die
ökologische Beurteilung, auf die wir zukünftig größeren
Wert legen, sowie in die städtebauliche Beurteilung –
das ist gerade für Kleinprojekte von Bedeutung – einbe-
ziehen.
Keine weiteren Zu-
satzfragen? – Dann danke ich Herrn Scheffler für die
Beantwortung der Fragen.
Ich rufe nun die Frage 47 des Abgeordneten Wolf-
gang Dehnel auf. – Der Abgeordnete Dehnel ist nicht
anwesend. Es wird verfahren, wie in der Geschäftsord-
nung vorgesehen.
Dann rufe ich die Frage 48 des Kollegen Walter Hir-
che auf:
Wann wird die Bundesregierung unter Berücksichtigung derBeschlußlage im Petitionsausschuß des Deutschen Bundestagesdie notwendigen Gelder zur Lärmsanierung an der Eisenbahn-strecke Hannover–Berlin zur Verfügung stellen, damit u. a. dieAnwohner der Brücke am Brodweg in Braunschweig vor demunerträglichen Lärm geschützt werden?
Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staats-
sekretär Lothar Ibrügger zur Verfügung. Herr Staatsse-
kretär, bitte.
L
Herr
Kollege Hirche, die Bereitstellung von Haushaltsmitteln
des Bundes für Lärmsanierung setzt voraus, daß ein
Titel mit dieser Zweckbestimmung im Bundeshaushalt
eingestellt ist. Erstmals ist ein entsprechender Titel in
dem Entwurf der Bundesregierung für den Haushalt
1999 enthalten. Die vorgesehenen Bundesmittel können
erst bereitgestellt werden, wenn der Deutsche Bundes-
tag das Haushaltsgesetz für das Jahr 1999 verabschiedet
hat.
Eine Zusatzfrage,Herr Kollege, bitte sehr.Parl. Staatssekretär Siegfried Scheffler
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2112 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 26. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. März 1999
(C)
Herr Staatssekretär, wie
steht die Bundesregierung zu dem Vorschlag bzw. der
Forderung des Petitionsausschusses, das Entstehen eines
rechtsfreien Raumes im Hinblick auf Lärmschutzmaß-
nahmen durch die Schaffung neuer Gesetze zu verhin-
dern?
L
Herr
Kollege Hirche, aus eigener Mitarbeit im Petitionsaus-
schuß wie im Verkehrsausschuß des Deutschen Bun-
destages weiß ich, daß es auf Grund der Tausenden von
Beschwerden betreffend den Lärmschutz an Schienen-
wegen, die dem Petitionsausschuß vorliegen, ein breites
Anliegen des Parlamentes war, nicht nur Lärmschutz an
den neu gebauten Schienenwegen sicherzustellen, son-
dern auch an bestehenden Schienenwegen Lärmschutz
einzuführen. Es gibt es eine Vielzahl von Strecken, bei
denen es vordringlich ist, diese Maßnahme durchzu-
führen.
Die Deutsche Bahn AG – bzw. damals noch die
Deutsche Bundesbahn – hat Anfang der 90er Jahre eine
Schätzung vorgenommen. Danach bewegen sich die Ko-
sten in einer Größenordnung von 5 Milliarden DM. Wir
wollen 1999 als einen ersten Ansatz 100 Millionen DM
einstellen. Ob und in welcher Weise an den bestehenden
Strecken – Sie haben Braunschweig angesprochen –
Lärmschutz unmittelbar verwirklicht werden kann,
hängt natürlich von den dazu notwendigen Verfahren ab.
Diese Projekte müssen jeweils im einzelnen vorbereitet
werden. Ob und wie es in den einzelnen Orten gelingt,
den Lärmschutz sicherzustellen, wird sich im Vollzug
des Haushalts zeigen müssen. Es geht darum, welche
Projekte in welchen Bereichen des Bundesgebiets an-
gemeldet werden.
Sie sprachen vom rechtsfreien Raum. Ob auf Plan-
feststellungsverfahren verzichtet werden kann, wird sich
bei jedem Projekt einzeln zeigen müssen. Bewegt man
sich auf dem Gelände der Deutschen Bahn AG, wird das
leichter sein; werden andere Grundstücke in Anspruch
genommen, wird man notwendigerweise abgestimmt
vorgehen müssen. Deswegen kann ich Ihre Frage heute
nur generell beantworten. Es muß jeweils im Einzelfall
vor Ort entschieden werden, welches Instrumentarium
genommen wird, um den Lärmschutz sicherzustellen.
Ihre zweite Zusatz-
frage, Herr Kollege.
Darf ich aus Ihrer Antwort
schließen, daß die Bundesregierung gemeinsam mit der
Deutschen Bahn AG an einer Prioritätenliste arbeitet?
Oder wie ist das Verfahren vorstellbar? Gibt es schon
eine Einschätzung, an welcher Stelle der Prioritätenliste
die erwähnte Brücke liegen würde?
L
Herr
Kollege Hirche, was ich Ihnen vorgetragen habe, be-
ruhte auf einer Abschätzung der Deutschen Bahn AG
– wie gesagt, damals noch der Deutschen Bundesbahn –
vor der Bahnreform. Die Bahnreform selbst hat die Be-
dingungen grundlegend verändert. Daher ist in diesem
Fall zunächst einmal die Deutsche Bahn AG in ihrer
Verantwortung für das Netz unmittelbar gefordert, der
Bundesregierung Vorschläge zu machen, in welcher Art
und Weise – auch unter Maßgabe der angesprochenen
Mittel – Projekte in Angriff genommen werden können.
Eine exakte Antwort für einzelne Bereiche vorhandener
Schienenstrecken ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch
nicht möglich.
Nun rufe ich die
Frage 49 des Abgeordneten Hans-Joachim Otto auf:
Wird die Bundesregierung das Projekt Frankfurt 21 in den nächstenBedarfsplan Schiene des Bundesverkehrswegeplans aufnehmen?
Herr Staatssekretär, bitte.
L
Herr
Kollege Otto, entsprechend der Koalitionsvereinbarung
wird der Bundesverkehrswegeplan zügig überarbeitet.
Das gilt sowohl für die zu aktualisierenden Strukturda-
ten und Verkehrsprognosen als auch für die Bewer-
tungsmaßstäbe, für die verkehrsträgerübergreifenden
Integrations- und Substitutionseffekte und für die Si-
cherstellung der Finanzierbarkeit einschließlich der Fol-
gekosten. Die ersten Arbeiten dazu sind bereits einge-
leitet. Welche Schieneninfrastrukturvorhaben im Rah-
men dieser Überarbeitung näher untersucht werden, wird
noch zwischen der Deutschen Bahn AG und dem Bund
abgestimmt werden. Zu der Frage, ob auch ein Fern-
bahntunnel unter der Frankfurter Innenstadt zu diesen
Vorhaben zählen wird, sind daher zur Zeit noch keine
Aussagen möglich.
Eine Zusatzfrage,
Herr Kollege Otto.
Herr
Staatssekretär, nachdem die Machbarkeitsstudie abge-
schlossen ist und nachdem die Deutsche Bahn AG, die
Stadt Frankfurt und das Land Hessen bereits seit Mona-
ten positive Entscheidungen zu diesem Projekt getroffen
haben, frage ich Sie, wann denn endlich eine Entschei-
dung des Bundes und insbesondere Ihres Ministeriums
zu dieser Frage fallen wird.
L
HerrKollege Otto, auch in diesem Zusammenhang muß ichSie auf die grundlegenden Veränderungen durch dieBahnreform hinweisen. Die Deutsche Bahn AG und de-ren Vorstand sind für die Projekte und Maßnahmen ver-antwortlich, die sie selbst vorschlagen. Der Kern IhrerFrage zielt darauf ab, ob die Bundesregierung das Pro-jekt Frankfurt 21 in den nächsten Bedarfsplan Schienedes Bundesverkehrswegeplanes aufnehmen wolle. Dazukann ich Ihnen sagen: Es ist eine Entscheidung des Par-
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 26. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. März 1999 2113
(C)
(D)
lamentes, ob in das Schienenwegeausbaugesetz dieMaßnahme, auf die Sie mit Ihrer Frage abzielen, aufge-nommen werden soll. Deswegen kann ich Ihnen mitBlick auf die Zukunft zunächst nur antworten: Wederdas Bundeskabinett noch das Parlament können unmit-telbar über das Projekt Frankfurt 21 entscheiden; dar-über können vielmehr nur alle Beteiligten im Zusam-menwirken entscheiden.
Ihre zweite Zusatz-
frage, Herr Kollege.
Herr
Staatssekretär, wie erklären Sie sich dann die Äußerun-
gen des Sprechers Ihres Ministeriums, Volker Mattern,
der erklärt hat, die Entscheidung über das Projekt Frank-
furt 21 habe sich der Minister persönlich vorbehalten?
L
Ich
kenne nicht die Ausgangsfrage, auf die der Mitarbeiter
geantwortet hat. Deswegen will ich mich hier auch nicht
an Spekulationen beteiligen. Mein Ministerium selbst
befaßt sich mit einer Vielzahl von Projekten im Rahmen
des Bundesverkehrswegeplanes. Deswegen erwidere ich
Ihnen heute: Es gibt auch Erörterungen über andere
Projekte, zum Beispiel in Köln, Stuttgart und Leipzig.
Deswegen kann ich Ihnen heute weder im Namen der
Bundesregierung noch des Bundesverkehrsministeriums
eine Antwort darauf geben, wann und auf welche Art
und Weise die Entscheidungen getroffen werden. Sie
wissen, daß im Bundeshaushaltsrecht letzten Endes auch
für die Finanzierung einzelner Projekte im Rahmen der
Ressortverantwortlichkeiten ganz bestimmte Verfah-
renswege vorgeschrieben sind. Dies gilt auch für Groß-
projekte, die unmittelbar unter das Schienenwegeaus-
baugesetz fallen.
Der Kollege Wiese
hat eine Zusatzfrage, bitte sehr.
Herr Staatsse-
kretär, wenn man die älteste ICE-Strecke Deutschlands,
die von München über Stuttgart und Frankfurt nach
Hamburg führt, als Beispiel nimmt, glauben Sie dann
nicht auch, daß man dann den Gesamtzusammenhang
zwischen den einzelnen Ausbauphasen sehen muß, wenn
es darum geht, die im Schienenverkehrswegeplan vorge-
sehenen Maßnahmen für einen leistungsfähigen Ausbau
durchzuführen? Hier können also nicht einzelne Ab-
schnitte besonders betrachtet werden; vielmehr müssen
alle Projekte, die Sie gerade eben erwähnt haben, u.a.
Stuttgart 21 und Frankfurt 21, die alle an dieser großen
ICE-Strecke in Deutschland liegen, in einem Zusam-
menhang gesehen und gleich gewichtet werden.
L
Herr
Kollege, alle Vorhaben, die im Rahmen des Schienen-
wegeausbaugesetzes erfaßt sind und in den vordringli-
chen Bedarf eingestellt wurden, stellen den Maßstab für
das Handeln der Bundesregierung dar. Über die Projek-
te, die Sie angesprochen haben, insbesondere über den
grundlegenden Umbau großer Bahnhöfe und auch die
Veränderung von Trassenführungen, die in den jeweils
betroffenen Städten enorme Planungsverfahren auslösen
– Rechtssetzungspflichten, städtebauliche Entwick-
lungspläne, Bebauungspläne und vieles andere mehr –,
wird das Parlament im Zuge der Beratungen über das
Schienenwegeausbaugesetz entscheiden. Wir sehen dies
als Maßstab für unser Handeln und unsere Entscheidun-
gen an.
Ich danke dem
Herrn Staatssekretär Lothar Ibrügger dafür, daß er die
Fragen beantwortet hat.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktor-
sicherheit. Zur Beantwortung steht Frau Staatssekretärin
Simone Probst zur Verfügung.
Ich rufe Frage 50 der Kollegin Ulrike Flach auf.
Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung darüber, obdurch die Verwendung von Schneekanonen der Grundwasser-spiegel in den Skiregionen der Alpen absinkt, und welcheSchlußfolgerungen zieht die Bundesregierung aus diesen Er-kenntnissen?
Bitte sehr, Frau Staatssekretärin.
Si
Frau Kollegin Flach, uns liegen keine Infor-mationen vor, daß die Gewinnung von Wasser für diekünstliche Beschneiung von Skipisten zu einer Absen-kung des Grundwasserspiegels führt. Das ist eigentlichauch nicht zu erwarten; denn in der Regel werden Ober-flächengewässer oder eigens angelegte Speicherbeckendafür benutzt.Die davon betroffenen Regionen befinden sich meistin höheren Lagen. Gerade in diesen Lagen wird daraufverzichtet, Grundwasser zu nutzen, weil die vorhandeneMenge so gering ist oder weil der technische Aufwand,das Grundwasser zu nutzen, viel zu hoch ist.Dennoch impliziert Ihre Frage ein Problem, nämlichdaß immer mit geringfügigen Störungen des Wasser-haushaltes gerechnet werden muß, daß man also dieseStörungen nicht völlig ausschließen kann. Es gibt abereine hydrologische Situation in den Alpen, die eher dar-auf hindeutet, daß diese Phänomene zeitlich und räum-lich begrenzt sind: Es gibt eine extrem hohe Nieder-schlagsmenge. Sie liegt im Bereich von 2 000 bis 2 500Millimeter pro Jahr. Eine Auswirkung auf den Wasser-haushalt ist also zumindest räumlich und zeitlich sehreng begrenzt.Im Zusammenhang mit Ihrer Frage an die Bundesre-gierung möchte ich darauf hinweisen, daß in Deutsch-land die entsprechenden Wasserentnahmen dem Was-serhaushaltsgesetz unterliegen. Für den Vollzug desWasserhaushaltsgesetzes, für die Wasserwirtschaft undParl. Staatssekretär Lothar Ibrügger
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2114 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 26. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. März 1999
(C)
das Wasserrecht sind nach der Kompetenzverteilung dieLänder zuständig. In diesem Fall kann man sich aufBayern beschränken. Wir befinden uns im Kontakt mitder Bayerischen Staatsregierung. Nach Auskunft desBayerischen Staatsministeriums für Landesentwicklungund Umweltfragen wird die Erlaubnis zur Wasserent-nahme nur erteilt, wenn sichergestellt ist, daß die ökolo-gischen Funktionen des genutzten Oberflächenwassersnicht beeinträchtigt sind.
Frau Kollegin Flach,
eine Zusatzfrage, bitte.
Frau Staatssekretärin, gehe
ich recht in der Annahme, daß die Aussagen vom
BUND und auch vom NABU, die in diesem Zusam-
menhang immer wieder mit sehr starken Vorwürfen ver-
bunden werden, gegenstandslos sind?
Si
Sie sind nicht gegenstandslos. Ich habe ja ge-
sagt, daß es bei jedem Eingriff in die Natur eine Störung
des Wasserhaushaltes gibt. Selbstverständlich stellt sich
auch die Frage der qualitativen Beeinträchtigung des
Grundwasserspiegels. Ich halte es für ein großes Pro-
blem, daß Bakterien als Kristallisationskeime in diesen
Schneekanonen eingesetzt werden. Das ist zwar in
Deutschland verboten, aber in den Alpenregionen ande-
rer Länder durchaus denkbar.
Es liegen uns keine wissenschaftlich verifizierbaren
Informationen vor, daß der Grundwasserspiegel abge-
senkt wird. Ich habe versucht, zu erklären, daß es auch
im Bereich der Einflüsse zumindest eine räumliche und
zeitliche Begrenzung gibt. Nichtsdestotrotz sind alle Ar-
gumente zu prüfen. Vor allen Dingen in diesem Sinne
war der Hinweis zu verstehen, daß wir mit der Bayeri-
schen Staatsregierung in Kontakt stehen. Wir suchen das
Gespräch mit ihr, weil sie zuständig ist.
Die Fragen Nr. 51
und 52 werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 53 des Abgeordneten Kurt Ross-
manith auf. – Ich stelle fest, daß er nicht anwesend ist.
Ich rufe die Frage 54 desselben Kollegen auf. Ich
stelle fest, daß er wiederum nicht anwesend ist.
Ich danke Frau Staatssekretärin Simone Probst für die
Beantwortung der Fragen.
Die Fragestunde ist damit beendet.
Die Fraktion der CDU/CSU hat auf Grund der Ant-
worten der Bundesregierung auf die Fragen 11 bis 16
eine Aktuelle Stunde verlangt. Das entspricht der
Nr. 1b der Richtlinien für die Aktuelle Stunde. Die Aus-
sprache muß nach Nr. 2 a dieser Richtlinien unmittelbar
nach Schluß der Fragestunde durchgeführt werden, was
wir nunmehr tun.
Da wir ein bißchen früh dran sind, frage ich: Sind alle
Kombattanten da? – Das ist offensichtlich der Fall. Den-
ken Sie bitte daran, daß für die Aktuelle Stunde eine Re-
dezeit von fünf Minuten gilt.
Ich eröffne die Aussprache in der Aktuellen Stunde
und erteile das Wort dem Kollegen Hartmut Koschyk,
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die von Mitgliedernunserer Fraktion in der vorausgegangenen Fragestundegestellten Fragen bezüglich der Äußerungen des Bun-deskanzlers am 8. März gegenüber seinem tschechischenAmtskollegen Zeman wurden von der Bundesregierungnur unzureichend beantwortet. So blieb durch die Ant-worten der Bundesregierung unklar, welche rechtlicheQualität die Erklärung des Bundeskanzlers hat, manwerde in Zukunft gegenüber Tschechien keine Vermö-gensfragen mehr aufwerfen und betrachte politische undrechtliche Fragen der Vergangenheit als abgeschlossen,wohingegen der Staatsminister im Auswärtigen AmtGünter Verheugen mir auf eine Parlamentsanfrage nocham 9. Februar mitteilte, daß auch die Deutsch-Tschechische Erklärung am Standpunkt der Bundesre-gierung nichts geändert hat, wonach die Vertreibung derDeutschen und die entschädigungslose Einziehung deut-schen Vermögens völkerrechtswidrig sind und die Bun-desregierung auf vermögensrechtliche Ansprüche Deut-scher gegenüber der Tschechischen Republik eben nichtverzichtet hat. Die Bundesregierung hat uns auch keineAuskunft darüber geben können, ob die Erklärung desBundeskanzlers einen rechtlich bindenden Charakter hatoder ob es sich um eine rechtlich unbeachtbare politi-sche Äußerung handelte.Wir müssen hierzu feststellen: Mit seinen leichtferti-gen Äußerungen hat der Bundeskanzler Zweifel an derVertretung berechtigter Interessen deutscher Mitbürge-rinnen und Mitbürger aufkommen lassen. Er hat es auchgegenüber der Tschechischen Republik an Klarheit inbezug auf die Auffassung der Bundesregierung zu denoffenen Vermögensfragen fehlen lassen. Unklarheit inwichtigen Rechtsfragen gegenüber eigenen Mitbürge-rinnen und Mitbürgern, aber auch gegenüber ausländi-schen Partnern beschädigt Vertrauen und läßt die not-wendige Berechenbarkeit einer Regierung im In- wie imAusland vermissen.
Die Äußerungen des Bundeskanzlers waren auch recht-lich fragwürdig und politisch schädlich, politisch schäd-lich deshalb, weil er völlig unnötig jetzt die offenen Ei-gentums- und Vermögensfragen aufgeworfen und damitden deutsch-tschechischen Beziehungen geschadet hat.Die Aussagen des Bundeskanzlers lassen aber auchdie Frage nach dem Umgang der neuen Bundesregierungmit den deutschen Heimatvertriebenen aufkommen. Eswar ein guter Brauch der Vorgängerregierung unterParl. Staatssekretärin Simone Probst
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 26. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. März 1999 2115
(C)
(D)
Helmut Kohl, die Vertriebenen als wichtige Bevölke-rungsgruppe unseres Landes bei allen sie betreffendenFragen mit in die Entscheidungen einzubeziehen, zu hö-ren, zu konsultieren und den Dialog mit ihnen zu su-chen. Bundeskanzler Schröder hat sich beim Besuch destschechischen Premierministers beeilt, diesem zu versi-chern – ich zitiere mit Genehmigung der Frau Präsiden-tin –,daß gelegentlich geäußerte Wünsche der deutschenVertriebenenverbände nicht die deutsche Außenpo-litik beeinflussen.Ich frage, liebe Kolleginnen und Kollegen: Geht manso mit legitimen Anliegen deutscher Mitbürgerinnen undMitbürger um?
Den Vertriebenen geht es im Kern um elementareMenschenrechte, die, wie Außenminister Fischer amTag der Menschenrechte 1998 gesagt hat, den Schwer-punkt der deutschen Außenpolitik bilden. Auch paßt esnicht ins jetzige Bild, wenn der Bundeskanzler noch am24. Februar vor dem Hohen Haus erklärt hat, es sei rich-tig, unseren Partnern in Europa verständlich zu machen,daß auch die Deutschen ein Recht auf die Vertretung ih-rer Interessen haben. Dann, meine Damen und Herren,muß man im gesamtstaatlichen Interesse mit der gebote-nen Abwägung in der Außenpolitik aber auch dafürsorgen, daß berechtigte Interessen von Mitbürgerinnenund Mitbürgern nicht achtlos beiseite geschoben wer-den.Wenn Herr Steiner die Erklärung des Bundeskanzlersim Nachgang so interpretieren zu müssen meint, demBundeskanzler sei es nicht darum gegangen, auf Rechts-positionen zu verzichten, sondern er habe sich von baye-rischen Illusionen abgesetzt, dann sage ich dazu beson-ders an die Adresse der sozialdemokratischen Fraktion:Lesen Sie einmal nach, was Ihr Parteifreund VolkmarGabert als Sprecher der sudetendeutschen Sozialdemo-kraten zu den Äußerungen des Bundeskanzlers gegen-über Herrn Zeman erklärt hat. Herr Gabert hat zu Rechtangemahnt, daß der Bundeskanzler endlich einmal m i tden Sudetendeutschen über die sie bewegenden Fragenspricht und nicht mit Herrn Zeman ü b e r die Sudeten-deutschen.
Lesen Sie bitte auch nach – damit will ich zumSchluß kommen –, was nicht unbedeutende Kommen-tatoren in deutschen Tageszeitungen dazu geschriebenhaben. Thomas Schmid schrieb in der „Welt“:Auch in der Vertriebenenfrage gilt: Die Frage derMoral läßt sich nicht von der des Eigentums tren-nen. Lösungen werden, so oder so, schwer sein.Wer heute aber die Frage der Vertreibung in Semi-nare und Geschichtsbücher abschieben will, nimmtein großes Problem von Recht und Unrecht nichternst.Dem können wir nur zustimmen.
Wir bedauern, daß es zu diesen Aussagen des Bun-deskanzlers gekommen ist. Wir erwarten, daß er esanalog der Vorgängerregierung endlich einmal unter-nimmt, die Verantwortlichen der Sudetendeutschen zueinem Gespräch zu empfangen, daß er seine Äußerun-gen erklärt und nicht ständig gegenüber auswärtigen Gä-sten über diese Schicksalsgruppe redet, sondern mit ihrdie sie bewegenden Probleme diskutiert.
Liebe Kolleginnen
und Kollegen! In der Aktuellen Stunde sind auch die
längeren Schlußbemerkungen von einer halben Minute
im Rahmen der zur Verfügung stehenden fünf Minuten
zu machen.
Ich freue mich, daß zu dieser Debatte der ehemalige
Außenminister der früheren Tschechoslowakei, Herr
Jirí Dienstbier, auf der Ehrentribühne Platz genommen
hat. Wir begrüßen Sie sehr herzlich.
Nun erteile ich das Wort dem Kollegen Gert Weiss-
kirchen, SPD-Fraktion.
Liebe FrauPräsidentin! Es trifft sich gut, daß Jirí Dienstbier an die-ser Debatte teilnimmt. Was wird er, was werden diejeni-gen bei Charta 77 über diese Debatte denken, die dafürgesorgt haben, daß Deutschland jetzt wiedervereinigt ist,und die darauf gehofft haben, daß es eine Debatte imDeutschen Bundestag gibt, die nicht rückwärts gewandtFragen der Vergangenheit in den Mittelpunkt stellt?
Was wird er darüber denken?
Vielleicht darf ich noch einige Zitate anführen – ichmuß das einfach tun –, um Ihnen deutlich zu machen,wo und wie die Debatte in Charta 77 – da sitzt einer derhervorragenden Repräsentanten – geführt worden ist.Nehmen Sie zum Beispiel jemanden wie den uner-bittlichen Debattenredner Erazim Kohak, der gesagt hat:Als wir die Deutschen vertrieben, haben wir Tsche-chen uns aus Europa vertrieben.Das sagte ein tschechischer Historiker. Ich möchtenoch ein anderes Zitat anfügen:Eine Nation Masaryks– hat er gesagt –hätte es nicht gebraucht, sich der Methoden Hitlerszu bedienen; wenn sie dies getan hat, dann hatte sieihre edelsten Ideale verraten und sich dem künfti-gen Verderben ausgeliefert.Auch das ist ein Zitat dieses tschechischen Histori-kers. Es gibt eine intensive Debatte, die Tabus bricht in-nerhalb der Tschechischen Republik. Sie aber tun so, alsHartmut Koschyk
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2116 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 26. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. März 1999
(C)
wenn es diese Debatte nicht gäbe. Sie machen nichts an-deres, als eben jene Vergangenheit, die schlimm gewe-sen ist, wieder hervorzukramen.
Kolleginnen und Kollegen, wir hatten uns vor zweiJahren mit der Deutsch-Tschechischen Erklärung daraufverständigt, daß wir eine Tür öffnen für eine andere Zu-kunft, für eine Gemeinsamkeit der europäischen Zu-kunft, bei der wir Deutsche und Tschechen verantwor-tungsbewußte Partner sind.Lieber Kollege Koschyk, da geht es doch nicht dar-um, daß die Vergangenheit in die Geschichtsseminareverbannt werden soll. Sie nehmen doch an den Debattendes Deutsch-Tschechischen Gesprächsforums teil. Siewissen doch, wie intensiv und hart wir miteinander ge-rade jene Fragen, die uns berühren, ansprechen.Das, was sich von 1946 bis 1948 ereignet hat, wasdamals in der Tschechoslowakei zu diesen Vertreibun-gen geführt hat, konnte doch nur vor einem historischenHintergrund stattfinden. Haben wir denn alle vergessen,wie damals die NS-Diktatur mit den Tschechen umge-gangen ist? Ich will Ihnen einmal etwas aus der Redevorlesen, die Himmler am 4. Oktober 1943 in Posen ge-halten hat – Zitat:Ein Grundsatz muß für den SS-Mann absolut gel-ten: Ehrlich, anständig, treu und kameradschaftlichhaben wir zu Angehörigen unseres eigenen Bluteszu sein und zu sonst niemandem. Wie es den Rus-sen geht, wie es den Tschechen geht, ist mir totalgleichgültig.Das ist der Hintergrund: daß Deutsche Mörder warenund Lidice zustande gebracht haben, daß in Theresien-stadt und in vielen anderen Orten Hunderttausende vonTschechen ermordet worden sind. Darauf folgte die – si-cherlich von uns nicht geteilte – Antwort, die von 1946bis 1948 gegeben worden ist.Ich wende mich gegen jede Form von Kollektiv-schuld. Auch die Sudetendeutschen sind nicht kollektivschuldig gewesen. Genau diese Debatte wird in derTschechischen Republik heute geführt. Sie könnenStichworte finden wie die Vergleiche zwischen denVertreibungen und den – ich zitiere jetzt einen tschechi-schen Autor – ethnischen Säuberungen. In der Tschechi-schen Republik weiß man sehr wohl, was damals ge-schehen ist.Wir müssen politisch dazu beitragen, daß wir unsereGemeinsamkeit vom Januar 1997 fortsetzen und die Tü-ren aufmachen, damit die Tschechische Republik mituns gemeinsam in eine offene europäische Zukunft geht.Deswegen sind solche Debatten völlig überflüssig.
Das Wort hat nun
die Kollegin Antje Vollmer.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seitvergangenem Freitag ist Tschechien NATO-Mitglied.Diese kleine Republik gehört auch zum Kreis der Kan-didaten für die erste Erweiterungsrunde der EU.
Was das für dieses Land bedeutet, kann man nur ermes-sen, wenn man einen Blick auf die Geschichte wirft.Dieses Land ist zweimal von großen und mächtigenNachbarn überfallen worden, nämlich 1938/39 und1968. Man muß begreifen, was es für dieses Land be-deutet, jetzt endlich mit dem großen NachbarnDeutschland und mit den westlichen Demokratien, dieihm 1938 nicht zur Seite gestanden haben, in einemBündnis zu sein. Niemand in diesem Hause hat dasRecht, die Sicherheit für dieses Land, das sehr viel ge-litten hat, wieder in Frage zu stellen.
Wir und auch der Bundeskanzler verabschieden unsnicht von der historischen Wahrheit. Wir verabschiedenuns aber von innenpolitisch motivierten bayerischenIllusionen
und von nackten Verbandsinteressen. In diesem Fall hat– das muß man auch den Bayern sagen – europäischePolitik Vorrang vor durchsichtigen innenpolitischen In-teressen.
Für die historische Wahrheit haben die Präsidentenbeider Republiken, Richard von Weizsäcker, RomanHerzog und Vaclav Havel, im Namen ihrer Völker sehroffene Worte gefunden. Vaclav Havel hat sich für dieVerbrechen der Vertreibung entschuldigt. Er hat gesagt,daß die Vertreibung Unrecht gewesen sei und daß nie-mand von dieser Haltung abrücke. Genau diese Haltungist in den Erklärungen der beiden Parlamente ausge-drückt worden.Über die Deutsch-Tschechische Erklärung haben wirzwei Jahre lang mühseligst verhandelt. Sie wissen sehrwohl, daß wir auch mit den Sudetendeutschen diskutierthaben; sie wurden schon am Anfang in diese Debatteeinbezogen. Diese Debatte muß auch in Zukunft angst-frei geführt werden.
Angesichts der Ängste, die Sie wecken, muß mir einmaljemand erklären, wie diese Debatte angstfrei geführtGert Weisskirchen
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 26. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. März 1999 2117
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werden soll, wenn Sie zwei bis drei Millionen potenti-elle individuelle Eigentumsansprüche ins Feld führen.
Keine Regierung der Welt, auch nicht diese Regierung,ist gezwungen, private Eigentumsansprüche über dasfriedliche Verhältnis zu den Nachbarn zu stellen.
Im übrigen war genau das die Meinung der RegierungHelmut Kohl. Dieser Meinung hat sich damals – dies hatlange gedauert; ich habe schon erwähnt, daß ich persön-lich Zeuge war – der bayerische Ministerpräsident Stoi-ber in seiner Rede vor der Sudetendeutschen Lands-mannschaft angeschlossen. Auch er hat sich hinter dieseErklärung gestellt.Was machen die Bayern nun? Sie rudern ganz offen-sichtlich zurück, weil sie Angst haben, in diesem RaumKredit zu verspielen. – In dieser schwierigen Situationkönnen wir Ihnen nicht helfen. Wenn Sie falsche Illu-sionen geweckt haben, dann müssen Sie selbst dies inden entsprechenden Verbänden klarstellen; denn auchSie haben für Klarheit und dafür zu sorgen, daß die eu-ropäische Perspektive gerade in diesem Milieu nichtverwaschen wird.
Ich möchte auch den Landsmannschaften etwas sa-gen. Die Landsmannschaften müssen endlich in der Ge-genwart ankommen. Ich habe viele Gespräche mit ihnengeführt und habe die dringende Bitte an sie, ihren Mit-gliedern endlich den Spielraum zu geben, in der Gegen-wart anzukommen. Diese Gegenwart ist nicht dadurchgekennzeichnet, daß sie sozusagen den Rächer der Ent-erbten auf immer und ewig spielen können, sondern sieist dadurch gekennzeichnet, daß sie Brückenbauer zuunseren Nachbarn sein müssen.
Ein langgehegter Wunsch von mir ist, daß sich dieVertriebenenverbände endlich in Kulturvereinigungenumwandeln; denn von Kultur verstehen sie eine ganzeMenge, und genau das brauchen wir in Europa.
In Europa gilt es, die Erinnerung an die Heimat zu be-wahren. Die Vertriebenenverbände haben aber nicht dasRecht – letztendlich wissen das auch alle –, die europäi-sche Perspektive dieser sehr gebeutelten Region Europaszu zerstören, das Land zu beunruhigen und die Men-schen zu irritieren. Das ist die Meinung der Mehrheit derDeutschen. Diese Meinung hat der Bundeskanzler sehrdeutlich zum Ausdruck gebracht, und ich bin ihm ausge-sprochen dankbar dafür.
Das Wort hat nun
der Kollege Ulrich Irmer, F.D.P.-Fraktion.
Vielen Dank, Frau Präsiden-tin! Zunächst heiße ich Jirí Dienstbier herzlich will-kommen. Ich freue mich, daß Sie bei dieser Debatte hieranwesend sind.Allerdings muß ich die Kollegen von der CDU/CSU-Fraktion fragen, ob die Äußerungen des Bundeskanzlersin diesem Zusammenhang wirklich das wichtigste The-ma sind, das wir heute besprechen müssen.
Denn vor einer Woche ist der Bundesfinanzminister zu-rückgetreten; gestern ist die EU-Kommission zurückge-treten, und auch das hat wohl etwas mit unseren Bezie-hungen zur Tschechischen Republik zu tun.Umgekehrt muß ich mich natürlich an die Adresseder SPD und auch des Bundeskanzlers wenden und sa-gen: Sie haben damals diese Begegnung zwischen Ze-man und Schröder und das, was dort besprochen wurde,zum historischen Ereignis hochstilisiert. Das war etwasabenteuerlich, vor allem im Lichte dessen, was Staats-minister Volmer jetzt auf die Fragen aus der CSU ge-antwortet hat. Denn da hieß es, wenn ich den Staatsmi-nister richtig verstanden habe: Es bleibt alles beim alten;an der Rechtsposition hat sich nichts geändert.Ich hoffe, daß das so ist. Wir haben doch in der Ver-gangenheit – die Geschichte der deutsch-tschechoslowa-kischen/deutsch-tschechischen Beziehungen seit demUmbruch 1989 war wirklich kein Ruhmesblatt – bei derAusarbeitung der Verträge und der Erklärung die ver-mögensrechtlichen Fragen ganz bewußt ausgespart.
Und warum? Aus guten Gründen, zum einen nämlich,weil wir gesagt haben: Wenn wir hier vermögensrechtli-che Fragen ansprechen, dann machen wir die Bundesre-publik Deutschland zum Gegenstand reparationsrechtli-cher Ansprüche nicht nur seitens der Tschechischen Re-publik, sondern auch seitens anderer früherer Kriegs-gegner. Wir hätten doch hier ein Faß aufgemacht, wobeidie Konsequenzen nicht überschaubar gewesen wären.Auf der anderen Seite haben wir immer betont: Keinedeutsche Bundesregierung hat das Recht, auf privateAnsprüche von privaten Personen, die diese vielleichthaben, vielleicht auch nicht, zu verzichten. Das wäre ei-ne Äußerung zu Lasten Dritter.
– Nein, hat er nicht; das wurde heute hier klargestellt.Aber ich möchte, daß festgehalten wird, daß heute hierseitens der Bundesregierung erklärt worden ist: Damitist kein Verzicht auf privatrechtliche und vermögens-rechtliche Ansprüche verbunden gewesen. Das ist wich-tig, denn sonst würde sich diese Bundesregierung ge-genüber denen, deren Ansprüche aufgegeben wordenDr. Antje Vollmer
Metadaten/Kopzeile:
2118 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 26. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. März 1999
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wären, möglicherweise regreßpflichtig machen. Daskann wohl keiner von uns wollen.Lassen wir die Vergangenheit auf sich beruhen. Ichglaube – Frau Vollmer hat das dankenswerterweise an-gesprochen –, daß der Beitritt der Tschechischen Repu-blik zur NATO wirklich ein historisches Ereignis war.Wir sollten – das tue ich hiermit für meine Fraktion –die Tschechische Republik im Kreise der Verbündetenherzlich willkommen heißen.
Ich wünsche mir, daß die Vertriebenen und Flüchtlingeauch in der Zukunft, wie schon in der Vergangenheit,dazu beitragen, daß die Beziehungen zwischen Tsche-chen und Deutschen endgültig in Ordnung kommenkönnen. Ich habe immer darauf hingewiesen, daß dieFlüchtlinge und Vertriebenen gegenüber anderen deut-schen Mitbürgern ein Sonderopfer erbracht haben, ob-wohl sie nicht schuldiger und nicht weniger schuldigwaren als andere Deutsche. Dies dürfen wir nicht ein-fach beiseite fegen, sondern diese persönliche emotio-nale Betroffenheit müssen wir respektieren. Zum Teilteilen wir sie ja; auch in diesem Raum sind selbst Be-troffene. Das muß jede Bundesregierung, wenn sie mitdiesen schwierigen Problemen sensibel umgehen will,zur Kenntnis nehmen.Insofern sage ich: Das Hochstilisieren dieser Äuße-rungen bei dem Treffen zwischen Zeman und Schröderzu einem historischen Ereignis war bei weitem überzo-gen. Herr Außenminister Fischer, Sie haben früher ein-mal der alten Bundesregierung zugerufen: „Avanti Di-lettanti!“
Sie sollten sich öfter selbst zitieren, wenn es um die Au-ßenpolitik der neuen Bundesregierung geht. So kommenwir in der Frage der Versöhnung zwischen Deutschenund Tschechen jedenfalls nicht weiter. Wir müssen dar-auf bestehen, daß insbesondere diese alten Fragen nichtals Hinderungsgrund instrumentalisiert werden, wenn esdarum geht, die Tschechische Republik auch in die Eu-ropäische Union aufzunehmen. Wir sollten darauf hinar-beiten, daß dies alsbald geschieht. Gerade den Tsche-chen, aber auch anderen Nachbarn im Osten sind wirhier in besonderem Maße verpflichtet.Ich entschuldige meine Fraktion, daß sie nicht anwe-send ist. Das liegt nicht an mangelndem Interesse andem Thema, sondern daran, daß wir zur Zeit die Bun-despräsidentschaftskandidaten bei uns zu Gast habenund mit ihnen sprechen.Deshalb, Frau Präsidentin, komme ich jetzt zumSchluß, bitte Sie aber, den nächsten Redner nicht aufzu-rufen, ehe ich nicht meinen Platz erreicht habe, damitich mir selbst applaudieren kann und im Protokoll ver-merkt wird: rauschender Beifall bei der F.D.P.Ich danke Ihnen.
Herr Kollege, Sie
hatten den Beifall des ganzen Hauses. So tun wir das
jetzt immer, um den Beifall des ganzen Hauses zu er-
zielen.
Ich erteile nun das Wort dem Kollegen Fred Geb-
hardt, PDS-Fraktion. – Bitte.
Frau Präsidentin! MeineDamen und Herren! Es bedarf wahrlich keiner großenAnstrengungen, um festzustellen, daß die Beziehungenzwischen der Bundesrepublik Deutschland und derTschechischen Republik nicht die besten sind, um eseinmal sehr vorsichtig zu formulieren.
Dieser Zustand ist nichts Neues, und er überdauert of-fenbar auch solch einschneidende Ereignisse wie diegrundlegenden gesellschaftlichen und politischenWandlungen der letzten Jahre in Mittel- und Osteuropa.Von seiten der CDU/CSU hat es zu keinem Zeitpunkteine systematische, auf eine Verbesserung der Bezie-hungen hinarbeitende Politik gegeben. Es reicht nichtaus, die Anstrengungen allein auf die Einbindung derTschechischen Republik in die NATO zu richten unddabei das gesamte Spektrum der möglichen Beziehun-gen zu vernachlässigen. So konnte und so kann keinestabile Nachbarschaft wachsen.Noch schwerwiegender ist allerdings, daß die endlo-sen eigentumsrechtlichen Forderungen aus den Reihender CDU und der CSU bei der tschechischen Bevölke-rung den Eindruck erzeugen, deren Verständnis gut-nachbarschaftlicher Beziehungen erschöpfe sich darin.Und so ist es ja wohl auch. So kann kein Vertrauen ent-stehen. Jeder Schritt nach vorne, jede sich auch nur ab-zeichnende Verbesserung der Beziehungen zur Tsche-chischen Republik – die Erklärung des Bundeskanzlerswar ein Schritt in diese Richtung – wurde und wird vonseiten der CDU/CSU torpediert und mit einem neuenAffront gegen Tschechien quittiert.Die Deutsch-Tschechische Erklärung ist gewiß nichtein Erfolg der CDU/CSU-Politik, sondern einzig demBemühen der tschechischen Seite und dem öffentlichenDruck in unserem Lande geschuldet. Die Zustimmungder damaligen Bundesregierung erfolgte doch nur zäh-neknirschend. Daß Sie von der CDU und CSU diese Er-klärung bis heute nicht wirklich ernst nehmen, haben Siesoeben in der Fragestunde durch Ihre sechs eingereich-ten Fragen, aus denen im Rahmen von Nachfragenzwanzig Fragen wurden, wieder bewiesen.
Meine Damen und Herren, so schwer ist es doch garnicht: Wer an gutnachbarschaftlichen Beziehungen zurTschechischen Republik tatsächlich interessiert ist, dermuß auch den Satz der Deutsch-Tschechischen Erklä-Ulrich Irmer
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rung ernst nehmen, der da lautet – er wurde schon ge-nannt; ich wiederhole ihn –:Beide Seiten erklären deshalb, daß sie ihre Bezie-hungen nicht mit aus der Vergangenheit herrühren-den politischen und rechtlichen Fragen belastenwerden.
Heute demonstriert die CDU/CSU, was von ihrer Unter-schrift zu halten war, nämlich nichts. Heute demonstriertsie, wie ernst sie diese Erklärung nimmt, nämlich über-haupt nicht.
Es war lange überfällig, unmißverständlich klarzu-stellen, daß es gegenüber der Tschechischen Republikvon deutscher Seite keine Ansprüche gibt und daß diePolitik unseres Landes nicht mehr mit der Politik sude-tendeutscher Landsmannschaften, ähnlicher Gruppie-rungen und deren Befürworter in CDU und CSU zuverwechseln ist. Eine Verbesserung der Beziehungen zurTschechischen Republik ohne einen eindeutigen Ver-zicht auf Revanchismus und deutsche Ansprüche ist un-denkbar.Der Präsident der Tschechischen Republik, VáclavHavel, hat in seiner richtungweisenden Rede in der Pra-ger Karls-Universität erklärt, sein Land werde den heu-tigen Generationen in Deutschland keine Rechnungenfür das historische Unrecht ausstellen, das den Men-schen in der Tschechoslowakei vom nationalsozialisti-schen Deutschland widerfahren ist, genausowenig wiesein Land dies den Nachfolgestaaten der Sowjetuniongegenüber tun werde. Eine solche Haltung ist vorbild-lich und verlangt hohen Respekt. – Havel ergänzte:Und weil das so ist, halten wir all die Versuche,von uns entweder in materieller oder anderer FormErsatz für die Nachkriegsaussiedlung zu verlangen,für um so absurder.Dem ist im Grunde nichts hinzuzufügen
– außer, daß es schon überaus beschämend ist, einmalmehr mit dem kleinlichen und bornierten Insistieren aufEigentumsrückgabe und Rücknahme der Beneš-Dekreteseitens der CDU/CSU konfrontiert zu sein.Wir erwarten von der CDU/CSU bestimmt nicht dieGröße eines Vaclav Havel, wie er sie mit seinem groß-zügigen Angebot zum offenen Dialog und zu ehrlicherVersöhnung bewiesen hat. Aber ein gewisses Maß an-gemessener Zurückhaltung stünde ihr wirklich gut zuGesicht.
Ich erteile dem
Herrn Außenminister Fischer das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Diese De-batten berühren mich immer auf merkwürdige Weise. Inden vergangenen Tagen sind Polen, Tschechien und Un-garn Mitglieder der NATO geworden. Wir hoffen, mor-gen entscheidende Voraussetzungen für die Osterweite-rung der Europäischen Union zu leisten, so daß in über-schaubarer Zeit, möglichst schnell, Tschechien Mitgliedder Europäischen Union wird, das heißt: Bestandteil dessich vereinigenden Europas – genauso wie Ungarn.Meine Familie kommt aus Ungarn. Die Fischers wa-ren 200 Jahre lang Ungarn. Sie sind Mitte des 18. Jahr-hunderts ausgewandert – arme Bauern von der Schwäbi-schen Alb – und wurden 1946 im Viehwaggon wiederzurückgeschickt. Warum? – Dies war die unmittelbareFolge davon – das dürfen wir nicht vergessen, geradedie zweite Generation nicht –, daß unser Land 1933 ei-nen Teufelspakt mit Hitler eingegangen ist.Vielleicht erleben wir jetzt, mit Abstand, was dieserTeufelskreis damals nicht nur an Verbrechen und anVerantwortung – das war keine Kollektivschuld –, son-dern auch an Verlust bedeutet hat. An erster Stelle stehtdie Zerstörung dieser großartigen Symbiose vonDeutschland und den deutschen Juden. An zweiter Stellesteht die Zerstörung dieser für Deutschland so wichti-gen, so großartigen Symbiose von osteuropäischem Ju-dentum und deutscher Kultur; Elias Canetti steht dafür.Aber auch die Zerstörung des osteuropäischenDeutschtums, der Verlust eines Drittels des Gebietes desDeutschen Reiches und die Zerstörung des jahrhunder-telangen Zusammenlebens von Deutschen und Tsche-chen in Böhmen und Mähren gehören dazu.
Ich verstehe den Schmerz der Menschen:
nicht nur den über das individuelle Leid, über den Ver-lust von Heimat, sondern auch den über den unwieder-bringlichen Verlust von Kultur. Ich habe gestern ein Ge-spräch mit dem rumänischen Außenminister geführt. Diegroßartige, uralte Kultur der Siebenbürger Sachsen istebenfalls fast unwiederbringlich zerstört worden. Dasalles ist das Ergebnis des Teufelspakts mit Hitler, die-sem Massenmörder, der Deutschland fast völlig zerstörthat.Ich appelliere nochmals auch und gerade an die orga-nisierten Sudetendeutschen – um die geht es; es gehtnicht um die Sudetendeutschen generell –, endlich zubegreifen, daß wir, die zweite Generation, diejenigen,die von Eltern abstammen, die die Vertreibung zu erlei-den hatten, am gemeinsamen Europa bauen.Es waren immer die Unschuldigen, die vertriebenwurden. Meine Mutter hat mir gesagt: Die, die Dreck amStecken hatten, sind mit der deutschen Wehrmacht ab-gezogen. Die, die ausgewiesen wurden, respektive die,die umgebracht, also ermordet oder totgeschlagen, wur-den – all das hat es gegeben –, waren meist die Un-Fred Gebhardt
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schuldigen; sie sind mit bestem Gewissen zurückgeblie-ben. Insofern kann man an der Jahreszahl, zumindestwas unser Vertreibungsschicksal anbetrifft, erkennen –die deutsche Wehrmacht hat Ungarn 1944/45 verlas-sen –: Wer 1946 noch in Ungarn war, der wußte sich un-schuldig. – Zwangsarbeiterschicksale, die Verschlep-pung – das alles ist bekannt. Das ist Ergebnis die-ses Teufelspaktes. Es ist Teil unserer nationalen Ge-schichte.Auch uns Deutschen hat das vereinte Europa einegroße Chance geboten. Wir sind doch nicht nur mate-riell, sondern auch kulturell und historisch die großenGewinner des europäischen Einigungsprozesses. Daßdieses Deutschland heute wiedervereinigt ist mit Zu-stimmung aller unserer Nachbarn, daß es geachtet ist,eine zentrale, demokratische Macht in einem vereintenEuropa ist, ist ein unglaubliches Glück, das diejenigen,die 1945 überlebt haben, für nicht möglich gehalten ha-ben. Wenn das damals jemand beschrieben hätte – erwäre als Phantast bezeichnet worden. Das hat das ver-einte Europa für uns getan. Daher sollten wir doch denErfolg suchen und diesen Vereinigungsprozeß abschlie-ßen, und wir sollten nicht diese rückwärtsgewandtenDebatten führen, die nichts Gutes mit sich bringen wer-den. Deswegen lautet mein Appell, meine Damen undHerren, damit wirklich Schluß zu machen.
Sich der Geschichte zu erinnern heißt, sie nicht zu ver-gessen. Wir sollten aber keine Aufrechnungsdebatte füh-ren; aus ihr wird für unser Land nichts Gutes entstehen.
Gegenüber unseren Nachbarn in Mittel- und Osteuro-pa verfolgt die Bundesregierung eine Politik der gutenNachbarschaft und des zukunftsgerichteten Ausbaus un-serer Beziehungen, bilateral wie im europäischen Kon-text. Diese Politik stellt sich der besonderen historischenVerantwortung, und sie entspricht auch den deutschenInteressen.Die öffentlichen Erklärungen von BundeskanzlerSchröder und Ministerpräsident Zeman vom 8. Märzbuchstabieren Aussagen der Deutsch-Tschechischen Er-klärung vom 21. Januar 1997 weiter aus. Darin liegt derErfolg dieses Besuchs. Das bringt auch eine Verbesse-rung der deutsch-tschechischen Beziehungen.
– Ich kann Ihnen sagen, was „ausbuchstabieren“ ist.Ausbuchstabieren meint schlicht und einfach, daß maneinen Vertrag mit Leben erfüllt. Sie sollten sich endlichdaran beteiligen und nicht mit beiden Füßen auf derBremse stehen.
Herr Koschyk, wir sind beide Vertriebene, obwohl wirhier geboren sind. Der Unterschied zwischen Ihnen undmir ist allerdings, daß Sie als Vertriebenenfunktionärnach wie vor meinen, dies hochhalten zu müssen.
Das ist „ausbuchstabieren“. Ich hoffe, wir verstehen unsjetzt.
Die Aussage von Ministerpräsident Zeman, nach derdie Wirksamkeit einiger Maßnahmen nach dem zweitenWeltkrieg erloschen sei – hierunter sind die zitiertenBeneš-Dekrete zu verstehen –, kommt einer geradeauch von sudetendeutscher Seite geforderten „Ex-nunc“-Nichtigkeitserklärung sehr nahe. Die Bundesregierungbegrüßt diese Festlegung nachdrücklich und sieht in ihreinen wichtigen Schritt für die Fortentwicklung unsererBeziehungen zur Tschechischen Republik, und darübermüßten Sie sich eigentlich freuen.
Beide Regierungschefs waren sich darin einig, daßdie bilateralen Beziehungen nicht mit aus der Vergan-genheit herrührenden politischen und rechtlichen Fragenbelastet, sondern auf die Zukunft ausgerichtet werdensollen. Sie betrachten diese Fragen als abgeschlossenund werden weder heute noch künftig Vermögensfragenin diesem Zusammenhang aufwerfen. Diese politischeAussage
enthält keinen Verzicht auf eigentums- und vermögens-rechtliche Positionen Vertriebener. Sie bedeutet, daß dieBundesregierung derartige Forderungen nicht gegenüberder tschechischen Regierung geltend machen wird. Wirbewegen uns hier im Konsens mit der früheren Bundes-regierung. Auch der Kollege Lamers hat in der „NeuenOsnabrücker Zeitung“ festgestellt, daß auch die frühereBundesregierung keine Vermögensforderungen anTschechien gestellt hat. Recht hat er!
Die mit den Erklärungen der beiden Regierungschefsvollzogene Klarstellung wird sich positiv auf unsere Be-ziehungen zur Tschechischen Republik auswirken. Sieermöglicht uns einen unbefangeneren Umgang mitein-ander und wirkt noch vorhandenen Ängsten entgegen.Diese Ängste werden in der Tschechischen Republikvon ganz Rechts und ganz Links innenpolitisch ausge-beutet, zum Schaden der europäischen Integration undauch zum Schaden der Aussöhnung – das wissen Sie nurzu gut.Auch die Kritiker der Erklärungen sollten akzeptie-ren, daß die in Frage stehenden Forderungen ein halbesJahrhundert nach Krieg und Vertreibung in einemneuen, geeinten Europa nicht mehr die aktuelle PolitikDeutschlands bestimmen dürfen.Bundesminister Joseph Fischer
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Am vergangenen Freitag sind Tschechien, Polen undUngarn der Nordatlantischen Allianz beigetreten, ein hi-storischer Schritt für Europa und auch ein guter Tag fürDeutsche und Tschechen, die sich 50 Jahre als Feindegegenüberstanden. Der Bundeskanzler hat gegenüberMinisterpräsident Zeman deutlich gemacht, daßDeutschland auch den Beitritt der Tschechischen Re-publik zur Europäischen Union ohne Einschränkungen,ohne Wenn und Aber – so schnell es geht – unterstützt.Dies liegt wegen der mit dem Beitritt verbundenenWirksamkeit der europäischen Grundfreiheiten geradeauch im Interesse der Sudetendeutschen.Die Bundesregierung bedauert wie ihre Vorgängerre-gierung zutiefst das große Leid, das den Sudetendeut-schen durch Vertreibung und entschädigungslose Ent-eignung – wie auch allen anderen Vertriebenen; ich fügedies hier hinzu – zugefügt worden ist. Ihren Schmerzkann den Opfern niemand nehmen.Die Vertreibung und Enteignung auf der Grundlageder sogenannten Beneš-Dekrete betrachtet die Bundes-regierung unverändert als völkerrechtswidrig, sie re-spektiert aber – wie es schon in Ziffer IV der Deutsch-Tschechischen Erklärung heißt –, daß die tschechischeSeite eine andere Rechtsauffassung hat. Dies gilt auchfür das Strafvereitelungsgesetz vom Mai 1946, durchdas im Zuge der Vertreibung begangene Verbrechenstraffrei gestellt wurden. Dieses Gesetz und seine Folgensind im übrigen in Ziffer III der Deutsch-TschechischenErklärung auch von der tschechischen Regierung bedau-ert worden.Entscheidend aber ist: Politik darf sich nicht in dergegenseitigen Darstellung von Rechtsauffassungen er-schöpfen, schon gar nicht europäische Integrationspoli-tik. Unsere Aufgabe im Verhältnis zu unserem Partnerund neuen Verbündeten Tschechien ist die Gestaltungder gemeinsamen Zukunft im geeinten Europa. Die-sem Ziel sind Bundeskanzler Schröder und Ministerprä-sident Zeman am 8. März ein gutes Stück nähergekom-men.
Das Wort hat nun
der Kollege Karl Lamers, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Ver-ehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, Sie ha-ben sich in einer eindrucksvollen Weise von Ihrem Bun-deskanzler distanziert. Wenn dieser anläßlich des Besu-ches von Ministerpräsidenten Zeman eine ähnlich sensi-ble Einstellung gegenüber den Vertriebenen an den Taggelegt hätte, wie Sie das hier versucht haben, dann sähedie Sache anders aus, dann würden wir diese Debatteheute nicht führen.
– Ich weiß, Herr Minister, daß Ihnen das unangenehmist, obwohl ich nicht glaube, daß das unbewußt gesche-hen ist.Sie wissen sehr genau, daß der Bundeskanzler beidieser Gelegenheit ein weiteres Mal das angemesseneEmpfinden für sensible und delikate Themen vermissenließ. Sie wissen sehr genau, daß das Thema der Vermö-gensansprüche der Vertriebenen außerordentlich schwie-rig ist. Übrigens wird es, Herr Minister, noch schwieri-ger durch die Tatsache, daß es eine wahrscheinlichwachsende Zahl von Entschädigungsansprüchen gegendeutsche Unternehmungen und gegen Deutschland ge-ben wird.
– Damit kein falscher Eindruck entsteht: Ich begrüße essehr – das wissen Sie doch auch –, daß sich die Bundes-regierung dieser Sache annimmt.Sie haben hier erklärt – und Herr Volmer hat es heutewiederholt –, daß Sie die Beneš-Dekrete für völker-rechtswidrig halten. Wenn das so ist, dann stimmt dieRechtsordnung der Tschechischen Republik – das stehtja auch in der Deutsch-Tschechischen Erklärung – mitunseren Vorstellungen nicht überein. Dann stellt sichaber die Frage, ob die Rechtsordnung der TschechischenRepublik mit den Rechtsvorstellungen in der Europäi-schen Union übereinstimmt.
Wir wissen doch alle, daß EU-Recht in die nationalenRechtsordnungen hineinwirkt, etwa durch Entscheidun-gen des Europäischen Gerichtshofes, die für die Mit-gliedsländer bindend sind, und daß auf diesem Wege di-rekte Ansprüche der Bürger geltend gemacht werden.Wir alle wissen genau, wie delikat das Thema ist, dashier angerührt worden ist. Wenn das aber so ist, dannwäre es sehr angebracht gewesen, Herr Minister, someine ich, dieses Thema anders zu behandeln, als dieBundesregierung es getan hat.
Dies war, mit Verlaub gesagt, dämlich
und diente überhaupt nicht dem, was wir gemeinsamwollen – was wir gemeinsam wollen müssen –, nämlichdie Mitgliedschaft Tschechiens in der EuropäischenUnion auf der Grundlage einer wirklichen Versöhnungzwischen Tschechen und Deutschen.Sie wissen doch sehr genau, daß die Schwierigkeiten,die die Tschechen mit den Vertriebenen haben, imGrunde darin begründet liegen, daß sie Schwierigkei-Bundesminister Joseph Fischer
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ten mit sich selbst, mit ihrer eigenen Vergangenheit ha-ben.
Ich habe das auch schon in Tschechien gesagt und habedafür in manchen Gesprächen sehr viel Verständnis ge-funden. Daß Herr Zeman jemand ist, der damit ganz be-sondere Schwierigkeiten hat, weiß diese Seite des Hau-ses sehr genau.
Verehrte Kollegen, ich erinnere Sie daran, daß wir beider Deutsch-Tschechischen Erklärung sehr gut zusam-mengearbeitet haben. Ich habe übrigens die Haltung derSozialdemokraten in diesem Zusammenhang von dieserStelle aus – wie auch bei meinen Gesprächen in Tsche-chien – ausdrücklich anerkannt. Ich habe damals vieleGespräche geführt und kann nur sagen: Herr Klaus warschon schwierig, aber Herr Zeman übertrifft ihn leiderbei weitem.
Das alles wissen auch Sie. Mit Verlaub gesagt: Vor die-sem Hintergrund halte ich den dämlichen Umgang mitdiesem Thema für absolut kontraproduktiv.
Wenn Sie der Sache einen Gefallen tun wollen, dannanempfehlen Sie Herrn Schröder – das ist ein ziemlichaussichtsloses Unterfangen, ich weiß es – ein wenigmehr Sensibilität für schwierige historische Gegeben-heiten. Damit würden Sie vielleicht sogar der Regierungeinen Gefallen tun, zumindest aber der Politik diesesLandes und auch unserem Anliegen, nämlich der Ver-söhnung zwischen Tschechen und Deutschen, die nichtohne die Vertriebenen bewerkstelligt werden kann.
Herr Außenminister
Fischer, Sie können gerne noch einmal reden. Ich weise
nur darauf hin: Wenn der Wunsch besteht, noch einmal
zu reden, was ich angesichts des Themas richtig finde,
müßte ich die Aussprache dazu eröffnen. – Meine Da-
men und Herren, Sie können noch ein bißchen überle-
gen, die Aktuelle Stunde dauert ja noch an. Wenn Be-
darf besteht, sich noch auszutauschen, können wir mit-
einander vereinbaren, den Bundesminister erneut reden
zu lassen. Dann würde ich die Aussprache dazu eröff-
nen.
Zunächst einmal gebe ich aber der Kollegin Petra
Ernstberger das Wort.
Frau Präsidentin! MeineDamen und Herren! Herr Lamers, ich unterstelle jetzteinfach einmal, daß wir hier alle das Ziel haben, dieVerbindungen zu Tschechien, die Beziehungen zwi-schen Deutschland und der Tschechischen Republik zuverbessern und auf eine normale Ebene zu bringen. Dieheutige Veranstaltung trägt aber dazu nicht bei.
Die derzeitige Bundesregierung betrachtet ebenso wieihre Vorgängerin die Beneš-Dekrete, soweit sie sich aufdie Vertreibung, die Ausbürgerung und die Enteignungvon Deutschen in der ehemaligen Tschechoslowakei be-ziehen, nach wie vor als völkerrechtswidrig. Das hat sieimmer deutlich gemacht. Das ist auch der Deutsch-Tschechischen Erklärung zu entnehmen. Dort stehtnämlich in Ziffer IV: Jede Seite – die Tschechen habennämlich eine andere Vorstellung davon – bleibt ihrerRechtsordnung verpflichtet und respektiert, daß die an-dere Seite eine andere Rechtsauffassung hat. – Dies giltauch für die Vertreibung und die entschädigungsloseEinziehung des deutschen Vermögens. Das ist und bleibtvölkerrechtswidrig. An diesem Rechtsstandpunkt hatsich überhaupt nichts geändert, auch nicht durch den Be-such von Herrn Zeman und die Erklärungen unseresBundeskanzlers. Deutsche Bürger, die an tschechischenGerichten Klage erheben, werden weiterhin Unterstüt-zung erhalten; das hat auch Staatsminister Volmer heutedeutlich gemacht.Die Übereinkunft, die Herr Bundeskanzler Schröderund Ministerpräsident Zeman getroffen haben, stellt aufdem Weg zu guten Beziehungen zwischen Deutschlandund Tschechien einen ganz wichtigen Schritt dar. Wirmüssen nachhaltig versuchen, diese Verbindungen unddiese Beziehungen zu verbessern und einer positivenZukunft zuzuführen.
Dazu gehört auch, daß politische und rechtliche Fra-gen den Schmerz, den die Vergangenheit verursacht undhinterlassen hat, nicht negieren. Das Leid und die Wun-den, die die Menschen erlitten haben, die Menschen bei-der Länder zugefügt worden sind, sollten eine immer-währende Mahnung im Bewußtsein des deutschen undauch des tschechischen Volkes bleiben.Ich glaube, wir sollten auch die Verbände der Flücht-linge und Vertriebenen in Deutschland nutzen. Warumstellen die sich eigentlich nicht als Lobby für die Tsche-chische Republik dar?
Warum werden sie nicht Botschafter für uns Deutsche?
Sie sind diejenigen, die Tschechien kennen und den ent-sprechenden Sachverstand haben.
– Das müssen sie aber auch offiziell machen.Auch und gerade vor diesem Hintergrund in dendeutsch-tschechischen Beziehungen brauchen wir eineKarl Lamers
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Hinwendung zur Gegenwart, zur Realität, und wir brau-chen den Blick in die Zukunft.
Gerade jetzt, wo Tschechien – es ist schon dreimal er-wähnt worden – NATO-Mitglied geworden ist, sind wirnicht nur Partner, sondern auch Verbündete. Deswegenmüssen wir die Chance, die wir jetzt haben, nutzen undPartnerschaft und Freundschaft zum Wohle des deut-schen Volkes und natürlich auch zum Wohle des tsche-chischen Volkes entwickeln. Das ist unsere Aufgabe,nicht eine kleinkrämerische Diskussion über die Aussa-gen, die sowieso klar und deutlich waren.
Ich habe mich vor-
hin geirrt, meine Damen und Herren. Ich will Sie dar-
über informieren: In einer Aktuellen Stunde kann die
Bundesregierung bis zu dreimal jeweils 10 Minuten re-
den. Erst nach diesen 30 Minuten würde ein Anspruch
bestehen, die Redezeiten zu erweitern. Wenn die Bun-
desregierung reden möchte, so hat sie noch zweimal
10 Minuten, ohne daß ein Anspruch darauf bestünde, die
Aktuelle Stunde zu erweitern. Ich wollte dies nur klar-
stellen, damit wir wissen, worüber wir reden.
Das Wort hat nun Reinhard Freiherr von Schorlemer.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Her-ren! Herr Bundesaußenminister, Sie haben zu Recht dar-auf hingewiesen, daß in diesen Tagen Polen, Tschechienund Ungarn Mitglied der NATO geworden sind. Es warbewegend, als gestern im Fernsehen gezeigt wurde, wiedie drei Ministerpräsidenten Buzek, Zeman und VictorOrban in Brüssel dabei waren. Ich sage aber ganz offen:Ich habe dabei spontan an drei Namen gedacht: erstensHelmut Kohl, zweitens Volker Rühe und drittens KlausKinkel. Sie sind es nämlich gewesen, die den Beitrittdieser Länder zur NATO als Herzensanliegen, gleich-sam als Verpflichtung vertreten und ihn auch bei Zögernim Bündnis konsequent durchgesetzt haben. Ich könntejetzt, verehrter Herr Bundesaußenminister, einige Na-men von Mitgliedern der derzeitigen Regierung nennen,die damals gar nicht so freudig unterstützt und begleitethaben, daß die Länder, die Sie nun in der NATO begrüßthaben, Mitglied der NATO werden. Deshalb ist es völligunverständlich, daß der Herr Staatsminister Verheugendie Begegnung des Bundeskanzlers mit Ministerpräsi-dent Zeman als eine historische bezeichnete. Für michwar aber in der Tat historisch, daß die ehemaligen War-schauer-Pakt-Staaten Polen, Ungarn und Tschechien indiesen Tagen in die NATO aufgenommen worden sind.
Die Bundesregierung unter Helmut Kohl hat 1992den Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschlandund der Tschechischen – damals noch: und Slowaki-schen Föderativen – Republik über gute Nachbarschaftund freundschaftliche Zusammenarbeit geschlossen und1997 die gemeinsame Erklärung unterzeichnet. Damitwurde die Tür zur Erkenntnis geöffnet, wo wir gefehlthaben, wo im Namen Deutschlands gefehlt worden ist,wo das verbrecherische System Hitlers, der Nazis dieTschechen geknechtet, die Menschenrechte geknüppelthat und auf die Bürger gleichsam mit Steinen zugegan-gen ist. Die Tschechen bedauern in dieser gemeinsamenErklärung die Vertreibung, die Enteignung und Ausbür-gerung und auch die besonderen Exzesse. In der schonerwähnten „Neuen Osnabrücker Zeitung“ wird zum Be-such des Ministerpräsidenten Zeman hier in Bonn unteranderem kommentiert:Mit der gemeinsamen Erklärung von 1997 zwi-schen beiden Staaten ist ein Fundament geschaffenworden, das Nebeneinander zu einer gutgemeintenNachbarschaft zu entwickeln. Davon war nach denGesprächen jedoch weder in Schröders noch inZemans Äußerungen die Rede. Soll jetzt statt derAufarbeitung der Geschichte der Weg des Verdrän-gens beschritten werden?
Ausgerechnet an diesem neuralgischen Punkt ver-stößt der Kanzler gegen seine Zusage, außenpoliti-sche Kontinuität zu wahren.Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir habenimmer darauf hingewiesen und werden auch weiter dar-auf hinweisen, daß es trotz der bestehenden Verträge mitder Tschechischen Republik und der gemeinsamenDeutsch-Tschechischen Erklärung immer noch offeneFragen gibt, die nur im gegenseitigen Einvernehmen undauf der Basis der Wahrheit und der Wahrhaftigkeit ge-löst werden können.In der tschechischen Presse wird die Erklärung Ze-mans so gewertet, daß er nicht auf alle, sondern nur aufeinige Beneš-Dekrete verzichtet habe. Wir wollen genauwissen, welche es sind.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Außenpo-litik ist keine gute, sondern eine schlechte und nicht indie Zukunft gerichtete Außenpolitik, wenn sie populi-stisch, nur auf den Tag schauend, unkonkret und inter-pretierbar wird.
Lassen Sie mich abschließend sagen: Der Bundes-kanzler wird am 30. September nach Prag fahren.
In unserer Erinnerung ist, daß am 30. September 1989vom Balkon der deutschen Botschaft AußenministerGenscher und Kanzleramtsminister Rudolf Seiters Tau-senden von DDR-Bürgern verkünden konnten, siekönnten ausreisen. Es waren bewegende Szenen. DieseMenschen wollten aus der DDR, aus dem SED-Regimeheraus, dessen erster Mann Erich Honecker war.
Petra Ernstberger
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2124 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 26. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. März 1999
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– Einige werden sich daran noch erinnern; Sie beson-ders. – Über diesen Mann ist am 21. Dezember 1985 im„Vorwärts“ vom damaligen Oppositionsführer im Nie-dersächsischen Landtag gesagt worden, er sei „ein zu-tiefst redlicher Mann“. Der damalige Oppositionsführerist der heutige Bundeskanzler.
Nun hat der Kollege
Helmut Lippelt, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Leute aus derCDU/CSU, ich verstehe nicht, warum Sie hier heute ei-ne Debatte hochgezogen haben, die mir vorkommt, alsgehe es um die Klärung von Grundpositionen im Ver-hältnis zu unseren tschechischen Nachbarn und als stün-den wir auf dem Höhepunkt des kalten Krieges kurz vorder Verabschiedung der Ostverträge. Wo aber stehen wirwirklich? Am Freitag – das ist schon mehrfach erwähntworden – ist die Tschechische Republik Mitglied derNATO geworden, und am Montag abend gab es denEmpfang, auf dem alle NATO-Botschafter zugegen wa-ren und Tschechien, Polen und Ungarn als Freunde inder NATO willkommen hießen. Die Verhandlungenüber die Aufnahme Tschechiens in die EU sind auf gu-tem Wege. In wenigen Jahren werden wir ein ganz neu-es Kapitel des Zusammenlebens in Mitteleuropa begin-nen. Auf beiden Seiten sind wir schon jetzt dabei, unsauf diesen gemeinsamen wirtschaftlichen, politischenund sozialen Raum vorzubereiten.Wir, Bündnis 90/ Die Grünen, haben immer vertreten,daß ein offener und klarer Umgang mit der Vergangen-heit eine Bedingung dafür ist, daß sich die Vergangen-heit nicht wiederholt. Die Verurteilung der Verbrechendes nationalsozialistischen Deutschlands muß für dieBundesrepublik konstitutiv bleiben. Daß auch die tsche-chische Seite die Vertreibung der deutschen Minderheitinzwischen als Verbrechen ansieht, ist für uns ein ganzwichtiges Zeichen der demokratischen Erneuerung derTschechischen Republik.
Der Rechtsstreit, der uns von Ihnen wieder als einezentrale politische Frage im Verhältnis der beiden Län-der dargestellt wird, ist demgegenüber wirklich von un-tergeordneter Bedeutung. Es gibt in der Frage der Be-wertung der Enteignungen auf der Grundlage der Beneš-Dekrete verschiedene Rechtsauffassungen. Genau das istin der gemeinsamen Tschechisch-Deutschen Erklärungfestgeschrieben. Diese unterschiedlichen Auffassungenwerden auch noch längere Zeit bleiben.Aber es ist vom Kanzler nicht unsensibel gewesen,wenn er, nach vorne blickend, gesagt hat, diese Fragenseien im Verhältnis beider Staaten zueinander nichtmehr von zentraler Bedeutung.
Unsensibel aber ist Ihr permanentes Verlangen nachAufhebung der Beneš-Dekrete, weil diese konstitutiv fürdie Rechtsordnung eines Nachbarlandes gewesen sind.
Sie greifen in die Rechtsordnung eines Nachbarlandesein, als hätte es 1945 nie gegeben.Das wirkliche Problem ist meiner Ansicht nach, daßwir zwar mit Polen einen Grenzvertrag geschlossen ha-ben, weshalb im Verhältnis zu Polen Fragen der Vermö-gensverhältnisse überhaupt nicht aufkommen, aber einFriedensvertrag mit den vom nationalsozialistischenDeutschland genauso behandelten Ländern Tschechi-sche Republik und Slowakei fehlt. Statt dessen wurdegezögert – am Schluß wurde es nur eine Erklärung –,und jetzt fangen Sie an, über die Rechtsgültigkeit dertschechischen Grundordnung zu reden. Ich finde, das isteine schlimme Sache.Jetzt sage ich nur noch eines: Viele Fragen der Priva-tisierung, der Entschädigung und der Rückgabe sindauch für die tschechischen Bürgerinnen und Bürger nochnicht gelöst; auch Tschechien befindet sich nach demUmbruch des realsozialistischen Systems noch in einemTransformationsprozeß. Meiner Meinung nach zeugt esnur von Arroganz und Hartherzigkeit, jetzt von deut-scher Seite die Frage des Eigentums der deutschen Min-derheit aufzuwerfen. Wir sollten in der gegenwärtigenLage vielmehr Tschechien dabei helfen, sich als selb-ständiger Staat in der Mitte Europas politisch und wirt-schaftlich zu konsolidieren – und dies in guter Nachbar-schaft und in engem politischen Bündnis mit uns inNATO und EU.Lassen Sie mich noch eines sagen. Als Historiker, dersich besonders mit der Zwischenkriegszeit beschäftigthat, erschrecke ich zuweilen über die Leichtfertigkeit,mit der von der konservativen Seite in diesem HauseFragen gestellt werden, die gegenwärtig nur zu Destabi-lisierung und zu gegenseitiger Feindschaft beitragenkönnen.
Aus der Geschichte lernen heißt für mich auch, daßvon deutscher Seite nie wieder zur wirtschaftlichen undpolitischen Destabilisierung unserer kleineren mittel-europäischen Nachbarn beigetragen werden darf.Deshalb der Appell an Sie: Nehmen Sie die Deutsch-Tschechische Erklärung beim Wort, und orientieren sichan dem zentralen Satz, in dem beide Seiten erklären, daßsie ihre Beziehungen nicht mit aus der Vergangenheitherrührenden politischen und rechtlichen Fragen bela-sten wollen.
Reinhard Freiherr von Schorlemer
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Das Wort hat nun
die Kollegin Erika Reinhardt, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Dr. Lippelt,wenn Sie sagen, Sie verstünden diese Debatte nicht,dann kann ich wiederum verstehen, daß Sie sie nichtverstehen. Denn Sie gehörten zu denen, die die NATOabschaffen wollten.
Darum frage ich mich, warum Sie das jetzt so groß her-ausstellen.
Diese Debatte hat in erster Linie etwas damit zu tun,wie sich der Bundeskanzler geäußert hat. Ich lese Ihnendas gerne noch einmal zur Erinnerung vor, allerdingsnur einen Teil, denn sonst würde es zu lang:Als Folge dessen werden die Regierungen beiderStaaten in diesem Zusammenhang weder heutenoch in Zukunft Vermögensfragen aufwerfen oderForderungen stellen.Herr Verheugen hat auf eine Anfrage eine ganz an-dere Antwort gegeben. Er hat gesagt, daß die Vermö-gensfrage offenbleibe. Als man den Staatsminister Vol-mer heute in der Fragestunde darauf hingewiesen hat,daß es insofern einen Widerspruch gebe, hat er gesagt,es gebe keinen Widerspruch. Ich bitte, daß man einmalklarstellt, wie diese Regierung zu diesen Vermögensfra-gen steht. Sind sie nun offen, oder sind sie erledigt? Soeinfach kann man es sich nicht machen, wie Sie es tun.Schließlich und endlich hat der Bundeskanzler in ei-nem kurzen Statement auf elementare Rechte von3 Millionen Sudetendeutschen und 10 Millionen Ver-triebenen verzichtet. Der Bundeskanzler muß sich schonfragen lassen, wie sich diese Äußerungen mit seinemAmtseid vereinbaren lassen, der ihn verpflichtet, Scha-den vom deutschen Volk abzuwenden. Bisher haben alleBundesregierungen die unrechtmäßige Enteignung unddie Vertreibung der Sudetendeutschen als völkerrechts-widrig bezeichnet und darauf hingewiesen, daß die Ent-schädigungsfragen offenbleiben.Wenn heute von den Beneš-Dekreten die Rede ist,möchte ich schon bitten, daß man den Mut hat, zu for-dern, daß diese Dekrete zurückgezogen werden. Ichglaube, es ist an der Zeit.
Die Heimatvertriebenen haben ihren Teil zur Aus-söhnung beigetragen. Sie waren die ersten. Lieber HerrMinister Fischer, ich rate Ihnen: Lesen Sie einmal dieCharta der Heimatvertriebenen, die 50 Jahre alt ist!
Die Heimatvertriebenen waren die ersten, die nicht nurauf Gewalt verzichtet, sondern auch den Aufbau ganzmassiv und engagiert betrieben haben. Das sollten wirhonorieren. Wir sollten nicht so tun, als wären die Hei-matvertriebenen diejenigen, die nur am Vermögen hän-gen. Trotzdem können Sie es sich nicht so einfach ma-chen, indem Sie die Vermögensfrage zur Seite schiebenund den Vertriebenen sagen: Seid zufrieden, es wird sichschon irgendwie regeln.
– „Heilig's Blechle“, das mag schon sein.Ich möchte auch dem Bundeskanzler die Frage stel-len, mit welchem Maß er eigentlich mißt, wenn er sichfür eine Regelung zugunsten ehemaliger Zwangsarbeitereinsetzt, aber gleichzeitig die berechtigten Belange derSudetendeutschen ignoriert. Diese Haltung wurde vorherdamit begründet, daß man die Belange dieser beidenGruppen nicht vermischen dürfe. Aber man darf auf ei-nem Auge nicht blind sein. Entweder setzt man sich fürbeide Seiten ein oder für keine. Aber man kann nicht aufder einen Seite so und auf der anderen Seite so reagie-ren.
Lieber Herr Kollege Dr. Lippelt, Sie haben vorhin ge-sagt, die Tschechoslowakei habe viel Zerstörung erlebt.Ich stamme aus einer Region, die an die Tschechoslo-wakei grenzte. Ich habe einen großen Teil meiner Kind-heit und Jugend in der Tschechoslowakei verbracht.Man hat während des Krieges dort hervorragend einkau-fen können, weil es alles gab. Die Tschechoslowakeiwar das Aushängeschild Hitlers. Das war damals so. Erhat dieses Land zu Propagandazwecken verwendet.Deshalb können Sie sich jetzt nicht hier hinstellen undsagen, dort sei alles zerstört worden. Wir müssen esschaffen, daß die Menschen aufeinander zugehen.
Die Aufrechnung von Zerstörungen ist nicht entschei-dend. Das Zugehen aufeinander ist entscheidend; es istweit wichtiger.
– Liebe Frau Kollegin Vollmer, Sie haben vorher dieMöglichkeit gehabt, zu reden. Sie sollten Ihre Redezeitnutzen und keine Zwischenrufe machen, die nicht quali-fiziert sind.
Ich bitte Sie darum, dieser Sache den gebührendenErnst zukommen zu lassen. Sie sollten hier nicht so tun,als ob die CDU/CSU etwas einseitig hochspiele. Hoch-gespielt wurde es vom Kanzler, der sich hier unqualifi-ziert geäußert hat.
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2126 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 26. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. März 1999
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– Es ist so. – Die Linke sagt etwas anderes als dieRechte. Aber das sind wir von dieser Regierung inzwi-schen gewohnt.Vielen Dank.
Nun hat das Wort
der Kollege Markus Meckel, SPD-Fraktion.
Sehr verehrte Frau Präsi-dentin! Eigentlich war ich der Meinung, die heutige De-batte sei unnütz, weil andere Fragen, die schon ange-sprochen wurden, wie die Mitgliedschaft Polens, Un-garns und der Tschechischen Republik in der NATOund der europäische Erweiterungsprozeß, über den mor-gen diskutiert werden soll, wichtiger seien. Aber derletzte Beitrag hat mir deutlich gemacht, daß es offen-sichtlich noch eine ganze Menge Gesprächsbedarf in be-zug auf die eigene Geschichte und die eigene Identitätgibt.
Ich will nicht sagen, daß Ihre Rede ein starkes Stückgewesen ist. Es ist aber einfach schade, wenn jemand,der politische Verantwortung trägt, so wenig von dendifferenzierten Problemen, die in die Zukunft weisen,begriffen hat und sie nicht wirklich anerkennt. Die Ver-gleiche, die Sie heute gezogen haben, müssen in allerKlarheit zurückgewiesen werden.
Sie wissen vielleicht, daß auch ich mich mit histori-schen Fragen beschäftige und sie nicht nur als eine Sa-che der Vergangenheit betrachte, die man zugunsten derZukunft einfach vernachlässigen darf. Aber es ist etwasanderes, sich nur auf einen bestimmten Punkt zu fixierenund von ihm zu sprechen und gleichzeitig zu versuchen,historische Fragen mit rechtlichen Fragen zu vermi-schen. Wir wissen alle – jedenfalls wenn wir genau hin-sehen –, wie schwierig es ist, historische Prozesse recht-lich einzufangen. Genauso wie die Tschechen aus dengenannten Gründen natürlich Schwierigkeiten haben,einfach das zu tun, was Sie von Ihnen leichtfertig er-warten – was Herr Zeman jetzt deutlich gesagt hat, wareine wichtige Botschaft –, genausowenig konnten wirund konnte sogar ein Willy Brandt das Münchener Ab-kommen, das wahrhaftig ein Schandabkommen war, vonAnfang an für null und nichtig erklären.
So schwierig ist eben die Geschichte, und so schwierigist es, nachträglich mit Rechtsfragen umzugehen. Ichbitte Sie dringend, dies im Gedächtnis zu behalten.Wenn Sie heute wieder die Vermögensfrage anspre-chen, in der juristisch keinerlei Differenz zwischen unsbesteht, dann muß ich gleichzeitig deutlich machen, daßdiese Frage überhaupt nur deshalb aufkommt, weil wirbei der Vereinigung Deutschlands meines Erachtensgrundlegende Fehler gemacht haben.
Wer nämlich glaubte, das Prinzip „Rückgabe vor Ent-schädigung“ mit all den Schwierigkeiten, die es schoninnerdeutsch bedeutet hat, durchsetzen zu können, derhat übersehen, daß es entsprechende Begehrlichkeitenbei Generationen geweckt hat,
die uns in bezug auf die tschechischen oder polnischenFreunde und Gebiete nachträglich vor entsprechendeProbleme gestellt haben.
Lieber Kollege von Schorlemer, wenn Sie so tun, alswenn der Bundeskanzler oder die Bundesregierung einerVerdrängung von Geschichte das Wort reden wollten,dann kann ich Ihnen nur sagen: Genau das Gegenteil istder Fall. Sie merken doch – Sie selbst waren öfter inTschechien und in der Slowakei –, wie schwierig derProzeß der Aufarbeitung der Geschichte gerade in derTschechischen Republik gesellschaftlich gesehen ist.Warum ist er so schwierig? Natürlich hat das auchmit 40 Jahren kommunistischer Vergangenheit zu tun;natürlich hat es mit Verdrängung und mit zuwenig In-formation zu tun. Aber es hat auch etwas damit zu tun,daß diejenigen, die wie Vaclav Havel diese Dinge deut-lich ansprechen, befürchten müssen, aus der eigenen Ge-sellschaft Anfragen zu bekommen, was das Eingehenauf entsprechende Forderungen aus Deutschland, aus ei-ner bestimmten sudetendeutschen Ecke für Folgen hat.Ich muß sagen: Die Klarheit, die die Bundesregierungjetzt hergestellt hat, ist ausgesprochen wichtig, um einenoffenen Umgang mit der Vergangenheit in der Tschechi-schen Republik und bei unseren östlichen Nachbarn zufördern. Ich halte die von der Bundesregierung herge-stellte Klarheit für ausgesprochen wichtig.
Wenn ich soeben von einer „sudetendeutschen Ecke“gesprochen habe, dann möchte ich dazu sagen: Dies isteine Formulierung, die ich gleich wieder zurücknehme,weil ich keine Ausgrenzung der Sudetendeutschen ausder deutschen Geschichte und aus der deutschen Gesell-schaft betreiben will. Ich meine nur diejenigen, die dieseForderungen immer wieder ins Zentrum des deutsch-tschechischen Verhältnisses stellen. Ich weiß ganz ge-nau, daß sehr viele Sudetendeutsche – wie übrigensVertriebene überhaupt – diese Fragen auch ganz andersbehandeln und wirklich eine Verbindung, eine Brückezu unseren tschechischen, polnischen, slowakischen undanderen östlichen Brüdern anstreben. Das muß deutlichErika Reinhardt
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angesprochen werden. Wir selber sollten uns diese Ge-schichte deutlich ins Bewußtsein rufen.Hier ist eben der Name Volkmar Gabert dazwischen-gerufen worden. Ich schätze ihn sehr. Er ist Repräsen-tant einer Geschichte, die deutlich macht, daß die erstenOpfer Hitlers zum Beispiel die sudetendeutschen Sozi-aldemokraten waren, die in KZs gebracht wurden, die indie Emigration gegangen sind und die ein wesentlichesStück europäischer Demokratiegeschichte darstellen.Man muß die Vertreibung, die sie anschließend erfahrenhaben, natürlich als Unrecht bezeichnen, wobei ich hin-zufüge, daß das Verhalten von jemandem, der der Hen-lein-Partei angehörte und Hitler begrüßt hat – auch dasgab es; da kann ich manches nachvollziehen – ebenfallsunrechtmäßig ist. Die Perspektiven waren sehr unter-schiedlich.Ich hoffe, daß es uns gelingt, zu einer differenzierte-ren Betrachtung der Geschichte zu kommen, indem wirgerade nicht Rechtsfragen aufwerfen, sondern miteinan-der als europäische Völker versuchen, offen und ge-meinsam unsere Geschichte differenziert zu schreibenund sie uns nicht gegenseitig vorzuwerfen.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat jetzt
der Kollege Bötsch, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsiden-tin! Meine Damen und Herren Kollegen! Herr KollegeMeckel, Sie haben sehr viel vom Differenzieren gespro-chen. Sie haben – das muß ich anerkennen – auch ver-sucht zu differenzieren. Aber als Meister des Differen-zierens ist Herr Bundeskanzler Schröder in dieser Fragesicherlich nicht aufgefallen.
– Aber Herr Meckel, ich sage es ja. – Herr Schröder istganz im Gegenteil mit seinen Pferdelederschuhen mittenin den Fettnapf hineingetreten.
Worum geht es eigentlich? Es geht um eine freund-schaftliche und zukunftsorientierte Beziehung zwischenzwei Ländern, die eine lange, schicksalhafte, zeitweisesich gegenseitig befruchtende Vergangenheit, aber leiderauch eine viel Leid und Elend verbreitende jüngere Ge-schichte haben. Ich brauche dem, was von allen Seitendazu ausgeführt wurde, nichts hinzuzufügen.Es geht jetzt in der Tat um die Aussöhnung von Deut-schen und Tschechen. Es geht um die gemeinsame Zu-kunft unserer beiden Völker. Zukunft gewinnen bedeutetaber auch, die Vergangenheit ehrlich zu bewältigen.
Das ist keine Einbahnstraße. Zu den Verbrechen der Na-zis haben wir uns bekannt. Das ist selbstverständlich. Dagibt es nichts wegzudiskutieren. Entsprechendes sollteaber auch für die andere Seite gelten. Ein kurzes Me-dienspektakel mit Friede, Freude, Eierkuchen kann dochdie wahren Probleme nicht verdecken. Diese Problemeexistieren, ob es der Kanzler nun wahrhaben will odernicht. Gute Laune verbreiten und lächeln ist bei diesemThema nicht angebracht.
Die überflüssige Aufgabe von Rechtspositionen – es istja heute hier relativiert worden; das will ich durchausanerkennen – verdrängt vielleicht vorübergehend dieseVergangenheit, aber kann diese Probleme nicht lösen.Dem Kanzler fehlen die außenpolitischen Konturen.Warum hat er denn kein Wort zu den Beneš-Dekretengesagt, welche die Vertreibung und Enteignung von et-wa 3 Millionen Deutschen rechtfertigten? Es gab keineStellungnahme zu dem sogenannten Amnestiegesetz.Das Rätselraten, was Herr Zeman mit seiner Äuße-rung zu den Beneš-Dekreten gemeint hat, kann ich ohneweiteres beenden. Er selber hat CTK ein Interview ge-geben, in dem er nach der Übersetzung des Bundespres-seamtes gesagt hat:Wenn wir sagen, daß die Wirkung gewisser nach1945 ergriffener gesetzlicher Maßnahmen erlo-schen ist, meinen wir, daß man z. B. den Besitzeines deutschen Geschäftsmannes, der in derTschechischen Republik investiert hat, nicht auf derGrundlage der Beneš-Dekrete konfiszieren kann.Die Dekrete waren gedacht als einmalige Maßnah-me in einer spezifischen historischen Situation, diewir nicht ändern können. Da sich die historischeSituation jedoch geändert hat, besagt unser Kon-zept, daß die Wirkung gewisser gesetzlicher Maß-nahmen erloschen ist. Ich denke, daß es eine abso-lut realistische Erklärung ist, die die Tatsache nichtleugnet, daß diese Gesetze Teil unserer Rechtsord-nung bleiben.Er hat sie also ausdrücklich – einschließlich ihrer dama-ligen Wirkung – bestätigt.Meine sehr verehrten Damen und Herren, natürlichbegrüßen wir jetzt mit allen anderen die Aufnahme derTschechischen Republik in die NATO. Nur wenn Sie,Herr Außenminister, das heute so emphatisch begrüßen,dann gestatten Sie mir auch, darauf hinzuweisen, daßSie noch an ganz anderen Stellschrauben gedreht haben.Als wir die NATO verteidigt haben, waren Sie nochunter den 310 000 Menschen im Bonner Hofgarten, diedie damaligen Maßnahmen der NATO nicht begrüßten,sondern etwas ganz anderes im Sinne hatten. Sie werdensich auch noch erinnern, auf welcher Seite Sie bei dentagelangen Debatten im Herbst 1983 standen – jeden-falls nicht auf der Seite der NATO –, ganz zu schweigenvon der damaligen Haltung Ihres Staatsministers, derheute in der Fragestunde ähnliches ausgeführt hat.Meine Damen und Herren, der EU-Beitritt Tsche-chiens steht bevor. Ich will jetzt keinen Zeitraum nen-nen. Das ist eine höchst erfreuliche Entwicklung im lan-ge durch den Eisernen Vorhang getrennten Europa. Aberdie Europäische Union ist mehr als eine Wirtschaftsge-Markus Meckel
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meinschaft. Sie ist auch eine Wertegemeinschaft. Dar-über kann man sich nicht mit ein paar flotten Äußerun-gen hinwegsetzen.
Das muß man vor allen Dingen ernsthafter betreiben alsmanche Vorstellung beispielsweise in der Zeitschrift„Gala“. Mit solchen lockeren Auftritten dient man nichtder deutsch-tschechischen Aussöhnung; vielmehr mußman es anders anfassen, wenn man der Zukunft unsererVölker gerecht werden will.Vielen Dank.
Nun hat das Wort
der Kollege Gernot Erler, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolle-ginnen und Kollegen! Ich möchte zum Abschluß derAktuellen Stunde den Versuch einer politischen Einord-nung dieser Debatte machen.
Es hat nach den großen Ereignissen von 1989/90 dreiherausragende Schritte in dem deutsch-tschechischenVerhältnis auf dem Weg zur Aussöhnung und zurFreundschaft gegeben. Das erste war der Vertrag zwi-schen der Bundesrepublik Deutschland und der Tsche-chischen und Slowakischen Föderation über gute Nach-barschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit vomFebruar 1992.Ich erinnere Sie daran: Schon gegen diesen erstenSchritt gab es damals Protest und Kritik aus dem außer-parlamentarischen Raum. Einer der Unterzeichner warHelmut Kohl. Ein anderer – ich möchte nochmals meineFreude darüber zum Ausdruck bringen, daß er heuteunter uns ist – war der damalige Außenminister JiríDienstbier. Helmut Kohl hat dann als Unterzeichner aufdem Hradschin in Prag eine Antwort auf diesen Protestgegeben. Er hat zu diesen Protesten gesagt, nicht allewürden diesen Prozeß begreifen. Er hat hinzugefügt:Man muß nur an einem Tag und in einer Zeit den Muthaben, damit zu beginnen. – Dem kann man heute nochzustimmen.Es gab dann einen zweiten Schritt. Das ist die schonoft zitierte Deutsch-Tschechische Erklärung über diegegenseitigen Beziehungen und deren künftige Ent-wicklung vom Januar 1997. Da gab es ein klares Wortzur Vergangenheit. Herr Kollege Bötsch, ich darf Sieerinnern: Etwas Klareres zu der Frage der Amnestiege-setze kann man nicht mehr sagen als das, was in dieserErklärung schon festgehalten wurde. Das war eine klareDistanzierung.
Dann kam in dem schon mehrfach zitierten Ab-schnitt IV die Erklärung, man wolle sich auf die Zukunftkonzentrieren. Man habe verschiedene Rechtsstand-punkte. Aber man wolle nicht, daß diese den Weg derAussöhnung belasten. Auch hierzu gab es wieder Kritikaus dem außerparlamentarischen Raum. Wir gemeinsam– Sie, wir und der Bundeskanzler – haben diese Kritikim Deutschen Bundestag in einer nachlesenswertenDebatte am 30. Januar 1997 zurückgewiesen.Kürzlich folgte der dritte Schritt, der Besuch vonZeman am 8. März in Deutschland. Herr von Schorle-mer, man kann sich darüber unterhalten, ob das einhistorisches Ereignis war. Ich meine, der Atem der Ge-schichte weht überall, wo der deutsche Bundeskanzlerist.
– Ja, man kann das auch anders ausdrücken. Entschei-dend aber ist: Die Ergebnisse stehen voll in der Konti-nuität der anderen beiden wichtigen Schritte. Was kön-nen Sie denn dagegen haben, daß nun gesagt worden ist,die Beneš-Dekrete seien nicht mehr wirksam, sie seienerloschen?
Was können Sie denn dagegen haben, daß der Bundes-kanzler das wiederholt hat, was in der Erklärung steht,nämlich daß man sich auf die Zukunft konzentriert?Was die Erklärung betrifft, daß die Vermögensfragenstaatlicherseits nicht mehr aufgeworfen werden, so hatIhre Regierung doch 16 Jahre lang das gleiche getan. Siehaben diese Vermögensfragen nicht ein einziges Malaufgeworfen. Jetzt ist das nur erklärt worden. Das hateine positive Wirkung auch bei unseren Freunden ge-habt.
Meine Damen und Herren, Sie haben die Kontinuitätund den Konsens dadurch verlassen, daß Sie jetzt imBundestag Kritik üben. Wir haben diesen Prozeß alsParlamentarier immer gemeinsam begleitet. Das habenSie nicht getan. Da muß man sich schon fragen, warum.
Das hat doch nichts mit Verdrängung der Geschichte zutun, wie hier gesagt worden ist. Die Vertreibung der Su-detendeutschen 1945 war ein Verbrechen, das anderenVerbrechen folgte. Die Opfer mußten für Verbrechenzahlen, die von Deutschland bzw. Adolf Hitler damalsausgegangen waren.Wir verbeugen uns hier gemeinsam vor dem Schick-sal der Opfer, der Betroffenen. Ganz besonders erkennenwir an, daß viele von denen, die gelitten haben, die Kraftaufgebracht haben, in diesem deutsch-tschechischenVersöhnungsprozeß die Hand zu reichen.Aber ein Faktum ist auch: Die Mehrheit der deut-schen Bevölkerung möchte ein Verhältnis von Freund-schaft und Zusammenarbeit mit dem Volk Vaclav Ha-vels haben und möchte dieses Verhältnis weiterentwik-keln. Das heißt, es kann kein Vetorecht, das gegen die-sen Wunsch gerichtet ist, für die Sprecher der Opfer von1945 geben.Dr. Wolfgang Bötsch
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Insofern hoffe ich, daß diese Debatte nur ein Zwi-schenspiel war und daß Sie zu der Gemeinsamkeit zu-rückkehren, die uns bisher im Zuge des Vorantreibensdes Aussöhnungsprozesses mit diesem Nachbarn ausge-zeichnet hat, der sich voll zu der westlichen Wertege-meinschaft von EU und NATO bekennt.Ich fordere Sie auf: Kehren Sie zu dieser Gemein-samkeit zurück! Dieses wichtige Ziel ist es wert.Vielen Dank.
Die Aktuelle Stunde
ist beendet.
Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tages-
ordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Donnerstag, den 18. März 1999,
9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.