Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet. Ich freue mich, daß Sie nach wenigen Stunden der Unterbrechung schon wieder im Plenarsaal sind.
Ich wünsche uns, daß wir uns heute morgen frisch an die Arbeit machen können.
Wenn Sie gestatten, möchte ich gerne zu Beginn der Sitzung anläßlich eines besonderen Jubiläums unseres Patenschafts-Programms mit den USA einige Bemerkungen machen.
Ich möchte auf der Ehrentribüne den Botschafter der Vereinigten Staaten von Amerika, John C. Kornblum, und mit ihm 200 amerikanische Stipendiaten des Parlamentarischen Patenschafts-Programms herzlich begrüßen.
Heute ist ein besonderer Tag, denn das Parlamentarische Patenschafts-Programm, das Herzstück des deutsch-amerikanischen Jugendaustausches, wurde vor nunmehr 15 Jahren durch den Deutschen Bundestag und den Kongreß der Vereinigten Staaten auf seinen erfolgreichen Weg gebracht, um damals des 300. Jahrestages des Beginns der Einwanderung deutscher Bï}rgerinnen und Bürger in die Vereinigten Staaten zu gedenken.
Sie, liebe Stipendiaten, vertreten heute über 11000 junge Amerikaner und Deutsche, die an diesem Programm seitdem teilgenommen haben. Bereits in jungen Jahren sind Sie, liebe amerikanische Stipendiaten, neugierig und wollen wissen, wie es in Deutschland ist - umgekehrt wollen unsere Stipendiaten wissen, wie es in den USA ist -, um außerhalb des eigenen Landes Erfahrungen zu sammeln. Kein Buch und kein Film ersetzen den unmittelbaren persönlichen Kontakt, die Erfahrung im anderen Land und das Zusammenleben mit den dort lebenden Menschen.
Ich danke all denjenigen, die wie Sie, Herr Botschafter Kornblum, am Zustandekommen und Erhalt dieses Programms mitwirken. Wir haben als Parlamentarier in diesen Monaten - ich kann fast sagen: in den letzten zwei Jahren - dafür geworben, daß das Programm fortgesetzt wird. Ich glaube, wir sind am Ziel.
In diesem Jahr bekunden zwischen 500 und 600 Mitglieder des Deutschen Bundestages, daß sie gern bereit sind, einen jungen amerikanischen Gast in ihrem Wahlkreis zu betreuen. Darin sehe ich ein höchst eindrucksvolles Votum und Symbol für die Fortsetzung der freundschaftlichen Beziehungen zwischen unseren beiden Völkern. Das Ende des kalten Krieges bedeutet für uns alle hier im Parlament nicht ein Weniger an Austausch und Zusammenarbeit, sondern noch eher ein Mehr.
Wir grüßen heute alle Mitglieder des Kongresses, besonders auch die Mitglieder der Congressional Study Group an Germany. Wir sind stolz auf die jährlichen Begegnungen zwischen seinen Mitgliedern und der Deutsch-Amerikanischen Parlamentarier-Gruppe, den traditionellen Mitarbeiteraustausch zwischen dem Deutschen Bundestag, dem Bundesrat und dem US-Kongreß, auf das Praktikanten-Programm des Bundestages für junge amerikanische Hochschulabsolventen und natürlich auf unser gemeinsames Parlamentarisches Patenschafts-Programm.
Präsident Clinton erklärte in seiner Rede am 14. Mai 1998 in Berlin-Tempelhof aus Anlaß der Gedenkveranstaltung „50 Jahre Luftbrücke" - ich zitiere in Deutsch -:
Wir werden verstärkt auf die Unterstützung des Parlamentarischen Patenschafts-Programms zwischen dem US-Kongreß und dem Deutschen Bundestag hinarbeiten.
Der Deutsche Bundestag dankt Präsident Clinton für diese Erklärung.
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
Herzlichen Dank allen, die in beiden Ländern an diesem Programm mitwirken: den Parlamentariern, den Gasteltern, den Gastgeschwistern, den Austauschorganisationen, den zahlreichen ehrenamtlichen Helfern und Helferinnen und ganz besonders den Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Bundestages, die sich engagiert um die jungen Menschen im Patenschafts-Programm kümmern.
Aus Anlaß des 15jährigen Jubiläums dieses Programms bekräftigt der Deutsche Bundestag am heutigen Tag seine Entschlossenheit zur Fortsetzung dieser wichtigen und ausgezeichneten Zusammenarbeit zwischen unseren beiden Parlamenten und zwischen unseren beiden Ländern.
Den Kolleginnen und Kollegen im US-Repräsentantenhaus und im US-Senat versichere ich an dieser Stelle: Die Mitglieder des Deutschen Bundestages stehen auch künftig hinter dem Parlamentarischen Patenschafts-Programm und freuen sich auf eine weiterhin gute Zusammenarbeit.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, interfraktionell ist vereinbart, die heutige Tagesordnung um die Beratung der Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses zu dem Gesetz zur Änderung des Eisenbahnkreuzungsgesetzes zu erweitern. Die Vorlage soll jetzt gleich aufgerufen werden. Sind Sie mit dieser Erweiterung der Tagesordnung einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe jetzt also den Zusatzpunkt 16 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz zur Änderung des Eisenbahnkreuzungsgesetzes (EKrG)
- Drucksachen 13/1446, 13/8537, 13/9840, 13/11085 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Heribert Blens
Die PDS möchte eine Erklärung zur Abstimmung abgeben. Es spricht Uwe-Jens Rössel.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte nach § 31 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages mein Abstimmungsverhalten zu dem Ergebnis des Vermittlungsausschusses über das Gesetz zur Änderung des Eisenbahnkreuzungsgesetzes - das Ergebnis wurde in der vergangenen Nacht erreicht, deutlich machen.
In diesem Gesetz geht es darum, wer die Kosten für die Instandsetzung und Instandhaltung von Bahnübergängen und Bahnbrücken trägt. Nach der bisherigen Regelung soll die Hauptlast bei den Kommunen abgeladen werden. Besonders zur Ader gelassen werden sollen mit den Regelungen ostdeutsche Städte, Gemeinden und Landkreise. Die Deutsche Bahn AG, die oftmals über Jahre hinweg auch im Altbundesgebiet die Instandhaltung vernachlässigt hat, soll dagegen entlastet werden.
Ich werde mich bei der Abstimmung über das Ergebnis des Vermittlungsverfahrens enthalten, weil mit ihm zwar ein Teilerfolg bei der Entlastung der Kommunen erreicht worden ist, dieser Teilerfolg aber nicht ausreicht, das Problem zufriedenstellend zu lösen.
Die Kommunen in Ostdeutschland erhalten nunmehr durch Änderungen des Investitionsförderungsgesetzes und des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes Zuschüsse und Fördermittel für die Grunderneuerung von Brücken über Schienenwege im Bereich der ehemaligen Deutschen Reichsbahn. Überwiegend werden diese Mittel jedoch von den Haushalten der Länder und nicht von dem Haushalt des Bundes getragen. Diese Regelung gilt bis zum 31. Dezember 2003.
Derartiges war bisher nicht so klar geregelt und stellt zweifelsohne einen gewissen Fortschritt dar. Doch ich frage trotzdem: Erstens. Sollen die ostdeutschen Kommunen auf den bisher aufgelaufenen Rechnungen sitzenbleiben? Das würde das Ergebnis des Vermittlungsausschusses zur Folge haben. Zweitens. Was wird mit den auflaufenden Rechnungen nach dem Jahre 2003? Dazu ist keine zufriedenstellende Regelung im Vermittlungsverfahren erreicht worden. Daher meine Enthaltung.
Während die bis zum 1. Januar 1994 aufgelaufenen Unterhaltungsrückstände an Straßenüberführungen im Altbundesgebiet hundertprozentig von der Bahn AG übernommen werden, wird auch infolge des Ergebnisses des Vermittlungsausschusses eine vollständige Gleichbehandlung ostdeutscher Kommunen nach wie vor nicht vorgenommen. Das ist sehr kritikwürdig. Auch daher meine Enthaltung.
Ich werde mich auch deshalb bei der Abstimmung über das Ergebnis des Vermittlungsverfahrens enthalten, weil noch immer keine Regelung für eine garantierte Restnutzungsdauer von mindestens zehn Jahren für Bahnüberführungen bei Übergang der Unterhaltungslast an die Kommunen im Gesetz enthalten ist. Die Fachleute haben dies ausdrücklich gefordert, auch um hier Lasten von den Kommunen, die sie nicht zu verantworten haben, abzuwenden. Eine solche Forderung, wäre sie im Zuge des Vermittlungsverfahrens aufgenommen worden, würde die Rechtssicherheit stärken. Sie würde den Kommunen langwierige Rechtsstreitigkeiten gegen die Deutsche Bahn AG ersparen.
Ich werde mich also bei der Abstimmung über das Ergebnis des Vermittlungsverfahrens enthalten, obgleich einige der die Kommunen bewegenden Probleme angesprochen und gelöst worden sind; denn Grundprobleme bleiben nach wie vor ungelöst. Ich erwarte, daß eine künftige Bundesregierung bei einer dringend notwendigen weiteren Novellierung des unsäglichen Eisenbahnkreuzungsgesetzes den arg gebeutelten Kommunen und insbesondere den Städten, Gemeinden und Landkreisen in Ostdeutschland mehr Beachtung zukommen läßt.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Da der Berichterstatter nicht mehr das Wort wünscht, kommen wir jetzt zur Abstimmung.
Der Vermittlungsausschuß hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, daß im Deutschen Bundestag über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 13/11 085? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und F.D.P. bei Enthaltung der PDS angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 17 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung
Deutsche Beteiligung an der von der NATO geplanten Operation zur weiteren militärischen Absicherung des Friedensprozesses im früheren Jugoslawien über den 19. Juni 1998 hinaus
- Drucksachen 13/10977, 13/11012 -Berichterstattung:
Abgeordnete Karl Lamers
Karsten D. Voigt
Gerd Poppe Ulrich Irmer Andrea Gysi
Es liegen Entschließungsanträge der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P., der Fraktion der SPD sowie der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Ich weise darauf hin, daß wir im Anschluß an die Aussprache mindestens drei namentliche Abstimmungen durchführen werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist dies so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Es beginnt der Bundesminister des Auswärtigen, Klaus Kinkel.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der UNO-Sicherheitsrat hat am vergangenen Montag das Mandat für SFOR um ein weiteres Jahr verlängert. Dies ist eine wichtige Entscheidung für die Sicherung des Friedens in Bosnien und Herzegowina. Schon vorher hatten die Konfliktparteien der Verlängerung des Mandats zugestimmt und die Außen- und Verteidigungsminister der NATO nach Abstimmung mit den anderen SFOR-Partnern die Operationspläne gebilligt.
Das Bundeskabinett hat am vergangenen Mittwoch beschlossen, zur weiteren Absicherung des Friedensprozesses in Bosnien und Herzegowina über den 19. Juni 1998 hinaus Streitkräfte als Beitrag zur multinationalen Friedenstruppe unter Führung der NATO zu entsenden. Heute bittet die Bundesregierung den Deutschen Bundestag um seine Zustimmung zu diesem Beschluß.
Zweieinhalb Jahre nach Dayton haben wir Anlaß zu vorsichtigem Optimismus. Bosnien und Herzegowina ist militärisch stabil. Die Flüchtlinge kehren langsam zurück, und die wirtschaftliche Erholung macht Fortschritte.
Aber das Land ist noch längst nicht über den Berg. Internationales Engagement und die militärische Absicherung des Friedensprozesses bleiben leider unverzichtbar, bis selbsttragende Stabilität erreicht ist. Der Hohe Repräsentant, die OSZE, zivile Institutionen und Nichtregierungsorganisationen brauchen auch weiterhin ein sicheres Umfeld. Dafür ist die Präsenz von SFOR unabdingbar.
Der bisherige deutsche SFOR-Beitrag beruht auf einem breiten Konsens in diesem Haus und in der Bevölkerung - zu Recht. Bundeswehr und SFOR helfen mit, den leidgeprüften Menschen in Sarajevo, in Mostar, in Brcko eine Zukunft in Frieden zu sichern.
An der Festnahme eines mutmaßlichen Kriegsverbrechers am vergangenen Montag waren auch deutsche Soldaten beteiligt - ein weiterer Erfolg. Wir können auf unsere Soldaten stolz sein. Ich habe sie - so wie Volker Rühe natürlich auch - mehrfach besucht.
Für ihren Friedensdienst haben sie wahrlich Dank und Anerkennung verdient.
Als Außenminister erfahre ich draußen von unseren Partnern und Freunden immer wieder hohe Anerkennung für die Leistungen der Bundeswehr in Bosnien. Ich sage das vor allem an die Adresse all jener, die bei dem feierlichen Gelöbnis in der vergangenen Woche in Berlin unsere Soldaten mit Geschrei, mit Pfiffen und mit unsäglichen Reden herabgewürdigt haben. Das lassen wir nicht zu.
Die Soldaten der Bundeswehr erfüllen einen schwierigen, im übrigen einen von diesem Parlament gewollten Friedensdienst. Sie tun das mit Bravour und müssen wissen: Der Deutsche Bundestag steht hinter ihnen und unterstützt sie ohne Wenn und Aber.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich auch einmal den deutschen Nichtregierungsorganisationen, allen humanitären Organisationen und all denen danken, die im privaten Bereich in schwerster Zeit und zum Teil heute noch in Bosnien eine wirklich anerkennswerte Leistung vollbracht haben. Ich habe erlebt, daß es dort kein Wasser und keine Elektrizität gab; ich habe die schreckliche, ganz schlimme Situation in dem Kosovo-Krankenhaus erlebt. Wir können
Bundesminister Dr. Klaus Kinkel
stolz darauf sein, daß insbesondere deutsche Nichtregierungs- und humanitäre Organisationen in Bosnien in den vergangenen Jahren außerordentlich viel geleistet haben. Dafür gebührt ihnen auch der Dank des Parlaments.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Bosnien darf nicht dauerhaft am Tropf der internationalen zivilen und militärischen Hilfe hängen. Es liegt im ureigensten Interesse der Bosnier selbst, daß sie ihr Schicksal wieder in die eigenen Hände nehmen. Es ist ein gutes Zeichen, daß sich die Regierung der Republika Srpska - Präsidentin Plavsic und Ministerpräsident Dodik - eindeutig zu Dayton bekennt. Dies war, wie Sie wissen, in der Republika Srpska nicht immer so, und das macht Hoffnung.
Eine zentrale Aufgabe bleibt natürlich die Rückkehr der Flüchtlinge. Herr Kollege Schlee hat da gerade in den letzten Monaten Außerordentliches geleistet. Vielen Dank!
Auch Minderheiten müssen ohne Angst um Leben und Gesundheit in ihre angestammte Heimat zurückkehren können. Es bleibt das Problem der wirtschaftlichen Erholung. Nur wenn die Flüchtlinge eine wirtschaftliche Perspektive und ein sicheres Umfeld haben, werden sie nach Bosnien zurückkehren.
Alle Kriegsverbrecher müssen nach Den Haag - freiwillig oder unfreiwillig. Die letzte Festnahme mit deutscher Hilfe zeigt, daß für einige der Herren die Uhr abgelaufen ist und die Luft dünner wird. Inzwischen befinden sich 28 von den 58 offen Gesuchten in Haft.
Wir müssen die mafiosen Strukturen auflösen, Mittelmißbrauch und Korruption konsequent bekämpfen. Deutschland unterstützt ausdrücklich den Hohen Repräsentanten beim Aufbau einer Antikorruptionseinheit.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die SFOR-Mission ist nicht befristet. Sie soll aber in dem Maße zurückgefahren und beendet werden, wie sich die Sicherheitslage in Bosnien bessert und die Konfliktparteien eigene Verantwortung für das Land übernehmen können. Deshalb wird der NATO-Rat erstmals nach den Wahlen im Herbst halbjährlich die Fortschritte bei der Umsetzung der Dayton-Abkommen überprüfen und entsprechend über weitere Reduzierungen entscheiden.
Selbstverständlich werden der Kollege Rühe und ich die umfassende Unterrichtung des Bundestages in bewährter und enger Zusammenarbeit fortsetzen.
Die Situation im Kosovo zeigt leider: Der Balkan kommt nicht zur Ruhe. Zehntausende Kosovo-Albaner sind bislang vor dem brutalen Vorgehen der serbischen Sicherheitskräfte geflohen, Hunderte mußten sterben. Wir haben in Deutschland inzwischen über 140 000
Asylbewerber aus dem Kosovo; in den letzten Monaten betrug der monatliche Zulauf zwischen 1 500 und 2 500. Eine weitere Eskalation der Gewalt muß verhindert werden. Das zeigen allein diese Zahlen.
Die verantwortungslose Politik Belgrads destabilisiert die gesamte Region weit über den Kosovo hinaus. Was im Kosovo passiert, betrifft ganz Europa. Kosovo darf nicht zum zweiten Bosnien und zur Lunte für den gesamten Balkan werden.
Bei dem Treffen der Kontaktgruppe am 12. Juni und beim Europäischen Rat in Cardiff haben wir deshalb unmißverständlich klargemacht, was wir jetzt von der Belgrader Führung erwarten: die sofortige Beendigung der Gewalt gegen die Zivilbevölkerung und den Abzug der ganz offensichtlich zur Repression eingesetzten Streitkräfte, die Rückkehr der Flüchtlinge, die Zulassung internationaler Beobachter und den ungehinderten Zugang für humanitäre Hilfe sowie einen substantiellen Dialog mit den Kosovo-Albanern.
Die internationale Staatengemeinschaft, auch Rußland, vertritt diese Linie geschlossen und handelt auch. In der vergangenen Woche hat die EU zusätzlich zu den bereits bestehenden Sanktionen ein Verbot von Investitionen in Serbien und die Sperrung serbischer Auslandsguthaben beschlossen. In Cardiff haben wir darüber hinaus ein Flugverbot für jugoslawische Fluglinien verhängt, für dessen praktische Umsetzung allerdings noch etwas Zeit benötigt wird.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Menschen- und Minderheitenrechte sind nicht, wie er immer wieder behauptet, eine innere Angelegenheit Serbiens. Wir werden alles tun, um der Gewalt im Kosovo ein Ende zu bereiten. Deshalb haben Kontaktgruppe und Europäischer Rat der Belgrader Führung für den Fall der Verweigerung weitere Maßnahmen angedroht, einschließlich solcher, für die eine Zustimmung des UN-Sicherheitsrates erforderlich ist.
Großbritannien hat bei den Vereinten Nationen eine entsprechende Sicherheitsresolution eingebracht, die wir unterstützen.
Übungsflüge über Albanien und Mazedonien waren eine erste Warnung. Die NATO prüft militärische Optionen mit unmittelbarer Auswirkung auf den Kosovo und die gesamte Bundesrepublik Jugoslawien. Solche Maßnahmen bedürfen einer sicheren Rechtsgrundlage. Das kann auf Grund der Umstände nur ein Mandat des Sicherheitsrates sein.
Das Ergebnis des Moskauer Treffens zwischen Präsident Jelzin und Milosevic - dieses Treffen wurde übrigens beim deutsch-russischen Gipfel angeregt und verabredet - hat deutlich gemacht: Geschlossenheit zeigt Wirkung. Unser Dank gilt der russischen Regierung für die geführten Gespräche. Sie hat durchaus einiges erreicht - nicht alles; aber das war auch nicht zu erwarten. Offengeblieben ist die Erfüllung der Forderung nach einem sofortigen und be-
Bundesminister Dr. Klaus Kinkel
dingungslosen Rückzug der Truppen. Völlig unbefriedigend ist insbesondere, daß Belgrad weiterhin eine internationale Beteiligung bei den Verhandlungen mit den Kosovo-Albanern ablehnt.
Den Ankündigungen von Herrn Milosevic in Moskau müssen jetzt allerdings Taten folgen. Besonders wichtig ist die Zulassung von internationalen Beobachtern im gesamten Kosovo. Die beschlossenen Maßnahmen müssen aufrechterhalten werden, bis Belgrad die Forderungen der Kontraktgruppe erfüllt. Belgrad muß wissen, daß wir auf leere Versprechungen nichts geben und uns auf ein Zeitspiel nicht einlassen.
Was der jugoslawische Außenminister Jovanovic gestern in Brüssel nach den Gesprächen mit den Russen gesagt hat, ist übrigens ein tolles Stück und völlig unannehmbar.
Unser oberstes Ziel für den Kosovo muß natürlich eine politische Lösung sein, also die Sicherung der Menschen- und Minderheitenrechte der Kosovo-Albaner durch eine umfassende Autonomieregelung, die die legitimen Interessen der Kosovo-Albaner statusrechtlich sichert. Ich habe bei meinem Treffen mit Rugova am vergangenen Freitag in London allerdings unmißverständlich und deutlich gesagt, daß auch die Gewalt, die von der UCK, also von seiten der Kosovo-Albaner, angewandt wird, aufhören muß. Wir brauchen einen Gewaltverzicht auf beiden Seiten. Wir appellieren an alle gemäßigten Kräfte in der Bundesrepublik Jugoslawien, sich für eine friedliche Lösung einzusetzen. Deshalb unterstützen wir auch den gemäßigten Kurs des montenegrinischen Präsidenten Djukanovic.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Kosovo-Konflikt betrifft die gesamte Region. Deshalb prüft die NATO für Albanien und Mazedonien unterstützende Maßnahmen im Rahmen der Partnerschaft für den Frieden, die zur Stabilisierung der gesamten Region beitragen sollen. Die Belgrader Führung muß wissen: Bis hierher und nicht weiter!
Albanien ist dringend auf internationale Hilfe angewiesen. 12 000 Flüchtlinge befinden sich in Albanien. Deshalb brauchen wir ein Regionalkonzept, das sicherstellt, daß die Flüchtlinge dort bleiben können. Der UNHCR, dem wir mit einer halben Million DM geholfen haben - im übrigen ist das Geld dort im Augenblick Gott sei Dank nicht das Problem -, die Kommission der Europäischen Union und die anderen Hilfsorganisationen arbeiten an diesem Konzept. Wir müssen dafür sorgen, daß es möglichst bald in Kraft tritt.
Die Lage in Bosnien und Herzegowina gibt Anlaß zur Hoffnung; ich wiederhole es. Aber es bleibt noch viel zu tun. Eine breite Mehrheit im Deutschen Bundestag für die Verlängerung des SFOR-Mandats wäre ein klares Signal, daß Deutschland seine Verantwortung für den Frieden in Bosnien und Herzegowina weiterhin entschlossen wahrnimmt.
Vielen Dank.
Es spricht jetzt der Kollege Günter Verheugen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion wird der Verlängerung des SFOR-Mandats der Bundeswehr zustimmen - so wie schon dem ersten SFOR-Mandat und dem vorangegangenen IFOR-Mandat -, weil sich gezeigt hat, daß der friedenssichernde Charakter dieses Einsatzes über jeden Zweifel erhaben ist.
Es ist richtig, daß der Friedensprozeß in BosnienHerzegowina eine militärische Absicherung braucht. Es ist richtig, daß durch die Anwesenheit dieser Friedenstruppen der politische Prozeß, der Demokratisierungsprozeß und der Prozeß des Wiederaufbaus überhaupt erst möglich geworden sind. Ich freue mich, feststellen zu können, daß die militärische Aufgabe erfüllt werden konnte, ohne daß es in den Jahren, die bereits vergangen sind, ein einziges Mal zu etwas gekommen ist, was auch nur entfernt an Kampfhandlungen erinnern würde. Es ist und bleibt ein friedenssichernder Auftrag.
Die Bundeswehr hat sich im Rahmen dieses Auftrages hervorragend bewährt. Ich hatte mit anderen Kolleginnen und Kollegen unserer Fraktion häufig Gelegenheit, die Arbeit der Bundeswehr in Sarajevo und Umgebung zu beobachten. Ich kann wirklich sagen: Es ist schön zu erleben, mit welchem Einfühlungsvermögen, mit welcher Sensibilität und auch mit welcher Kenntnis der Probleme die Offiziere und Soldaten ihre Aufgabe dort erfüllen.
Aber der militärische Anteil an der Friedenssicherung in Bosnien-Herzegowina ist eben nur ein Anteil; er schafft nur den Rahmen. Das eigentliche Problem ist - Herr Kinkel hat darauf hingewiesen -: Wie bringen wir den politischen Prozeß voran? - Ich teile den vorsichtigen Optimismus des Außenministers: Es gibt ohne jeden Zweifel Fortschritte. Es sieht heute wesentlich besser aus als vor zwei Jahren.
Aber das Grundübel ist unverändert da, nämlich die Stärke der nationalistischen Parteien, die die Menschen zum Krieg aufgehetzt haben und die es jetzt nicht dulden, daß sie wieder friedlich zusammenleben. Diese nationalistischen Parteien definieren sich eben nicht durch ein politisches Programm oder ein politisches Ziel. Sie haben kein konstruktives politisches Programm, sondern sie definieren sich allein durch die Tatsache: Wir sind Serben; wir sind Kroaten; wir sind Muslime. Daraus ergibt sich - wie jeder leicht erkennen kann -, daß ihre Existenz davon abhängig ist, daß sie Angst vor den anderen verbreiten.
Wer versucht, diese Angst zu überwinden, wer die ethnischen Grenzen, die von den nationalistischen Parteien in den Köpfen und Herzen aufgerichtet werden, überschreiten will, dem widerfährt etwas, was wir auch aus der eigenen Geschichte kennen: Er muß sich mit dem Vorwurf des Verrats an nationalen Interessen, an der nationalen Sache auseinandersetzen. - Darum verdienen diejenigen in Bosnien-Herzegowina, die dennoch den Versuch machen, diese
Günter Verheugen
engstirnigen chauvinistischen Grenzen zu überwinden, nicht nur unseren Respekt; sie brauchen vielmehr vor allem auch die Unterstützung der Fraktionen des Deutschen Bundestages und der Parteien, die bei uns arbeiten.
Die Fortschritte in der Föderation sind erkennbar, insbesondere was den wirtschaftlichen Aufbauprozeß angeht. Weit zurückgeblieben ist die Republika Srpska. Fortschritte sind bei den Medien erkennbar, aber immer noch ist der staatliche Einfluß auf die Medien zu stark, immer noch stehen sie zu stark unter dem Einfluß dieser verhängnisvollen nationalistischen Ideologie. Auch hier sind weitere Bemühungen notwendig.
Ich begrüße es auch außerordentlich, daß die Rolle der internationalen Polizei verstärkt werden wird. Es gibt in diesem Land eine Sicherheitslücke, und es bleibt eine ganze Reihe von großen Aufgaben übrig.
Das Entscheidende ist nach wie vor die politische Stabilisierung. In diesem Jahr wird es wieder Wahlen geben. Die OSZE hat die Wahlperiode auf zwei Jahre verkürzt, wohl in der Annahme, daß auch diesmal das Rückgrat der Macht der nationalistischen Partei noch nicht gebrochen werden kann, aber ich will doch darauf hinweisen, daß wir es in der Republika Srpska erreicht haben - ich sage ganz bewußt „wir", weil die internationale Gemeinschaft und auch die internationale Sozialdemokratie und die deutsche Sozialdemokratie daran mitgewirkt haben -, durch Wahlen den eisernen Zugriff der Karadzic-Clique auf diesen Teil des Landes zu beenden. Jetzt geht es darum, die demokratische Mehrheit in der Republika Srpska zu halten und auszubauen.
Ich bitte wirklich alle Fraktionen, obwohl wir selber im Wahlkampf sind, sich der Mühe zu unterziehen, dort in den nächsten zehn Wochen präsent zu sein. Es ist ungeheuer wichtig, daß Mitglieder des Deutschen Bundestages auch in diesem sehr schwierigen Landesteil einfach da sind und den Menschen sagen, daß wir bereit sind, ihnen zu helfen, daß niemand etwas gegen sie hat, weil sie Serben sind, sondern daß sie deshalb in Schwierigkeiten geraten sind, weil sie einer verhängnisvollen, ja verbrecherischen Politik aufgesessen waren, verführt und aufgehetzt, und daß sie es in der Hand haben, die Situation zu verändern.
Die Bundesregierung muß man auffordern - vielleicht muß man es auch nicht; sie weiß es sicherlich -, noch stärker im internationalen Dialog dafür zu werben, daß das Verständnis dafür wächst, daß Frieden und Demokratie als Grundlagen für Stabilität der Region nicht in Bosnien-Herzegowina allein hergestellt werden können. Wir werden dort einen dauerhaften Frieden nur haben, wenn auch in beiden Nachbarstaaten - in Jugoslawien und in Kroatien - die Einsicht wächst, daß auch diese Staaten eine Verantwortung haben. Ich sage ganz bewußt „beide". Das Verhalten Kroatiens in der zentralen Frage der Flüchtlingsrückkehr ist alles andere als befriedigend - das muß deutlich gesagt werden -, und unbefriedigend ist auch die Mitwirkung der Staaten der Region in der weitgehend ungelösten Frage der Kriegsverbrecher.
Herr Kinkel hat es gesagt, und ich unterstreiche es: Die Kriegsverbrecher müssen vor das Internationale Tribunal. Es muß ein für allemal gezeigt werden, daß die Staatengemeinschaft es nicht duldet, daß Völkermord, daß massenhafte Vertreibungen, massenhafte Vergewaltigungen in der Form, wie es dort geschehen ist, einfach so hingenommen werden.
Die Menschen werden auch nicht zurückkehren; sie können jedenfalls nicht mit dem Gefühl zurückkehren, in Sicherheit zu leben, wenn diejenigen immer noch frei herumlaufen, die für das massenhafte Morden verantwortlich sind.
Ich möchte denjenigen danken, die am Wiederaufbau in Bosnien-Herzegowina in hervorragender Weise beteiligt sind, und auch daran erinnern, daß unser deutscher Beitrag für den Wiederaufbau dieses Landes auch schon schwere Opfer gefordert hat. Besonders möchte ich an Botschafter Wagner und seine Mitarbeiter erinnern, die im vergangenen Jahr bei diesem schrecklichen Hubschrauberunglück ums Leben gekommen sind. Sie haben ihr Leben verloren, weil sie sich für etwas eingesetzt haben, was wir, der Deutsche Bundestag, gewollt haben. Es ist gut, daß wir diese Arbeit in ihrem Geiste fortsetzen.
Ich schließe mich ausdrücklich dem Dank an, den Herr Kinkel gegenüber dem Kollegen Schlee ausgesprochen hat. Das, was dort geschieht, ist wichtig, daß nämlich in beiden Landesteilen sichtbar gemacht wird, daß Kooperation mit der internationalen Gemeinschaft zu einer Verbesserung der Lebenssituation der Menschen führt. Ich wünschte mir sehr - darauf, Herr Kinkel, sollten Sie vielleicht in Brüssel etwas achten -, daß die Europäische Union ein bißchen mehr Energie, Aktivität und Engagement in dieser Sache zeigen würde. Ich muß mich jetzt etwas zurücknehmen, um nicht allzu scharf zu werden. Ich gewinne mehr und mehr den Eindruck, daß wir es in Brüssel nicht nur mit Unfähigkeit zu tun haben, sondern teilweise auch mit dem Unwillen, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß die Flüchtlinge in Bedingungen sicheren Lebens zurückkehren können.
Die finanziellen Möglichkeiten sind gegeben; wir müssen sie nutzen.
Es gibt eine unmittelbare Verbindung des Problems Bosnien mit dem Problem Kosovo, das Herr Kinkel angesprochen hatte. Wir wissen, daß Milosevic natürlich versucht, seinen Einfluß in der Republika Srpska auszuüben, um von dem Kosovo-Problem abzulenken. Wir müssen in der Tat aus den Erfahrungen von Bosnien eine klare und eindeutige Lehre ziehen. Darum ist es richtig, daß die internationale Gemeinschaft gegenüber Belgrad eine ent-
Günter Verheugen
schiossene, harte Haltung einnimmt und klarstellt, daß ein zweites Bosnien nicht geduldet werden wird.
Ich weiß nicht, ob das entstehen wird. Ich weiß auch nicht, ob es sehr schnell möglich sein wird, eine politische Lösung zu finden. Es wächst die Besorgnis, daß sich dort eine Situation wie in Nordirland aufbaut. Es muß auch die Besorgnis wachsen, daß auf der albanischen Seite kaum noch eine Autorität vorhanden ist, die die Regelung, die wir gemeinsam für richtig halten, überhaupt noch abschließen kann. Wir sind - wohl übereinstimmend - der Auffassung, daß eine weitreichende Autonomieregelung für Kosovo innerhalb Serbiens die Lösung ist, die wir anstreben müssen.
Bevor wir darüber reden, wie man so etwas erzwingt, muß ganz klar sein, was wir eigentlich politisch wollen. Wir müssen uns auch darüber klar werden, was wir zu tun bereit sind, um das, was wir politisch wollen, zu erreichen und zu sichern. Bosnien lehrt ja auch das eine: Es reicht nicht aus, in einem solchen Land für ein oder zwei Jahre präsent zu sein. Das war am Anfang der große Irrtum, als man dachte, das sei in einem Jahr erledigt. Wir wissen jetzt, daß es noch Jahre dauern wird und daß wir uns erst aus diesem Land zurückziehen können, wenn dieser Prozeß irreversibel geworden ist. Dasselbe wird auch im Kosovo gelten. Das müssen wir beachten.
Ich halte es für richtig, Druck auszuüben auf die Belgrader Regierung, auch in der Weise, wie es geschehen ist. Wir begrüßen die vermittelnde Rolle, die die russische Regierung übernommen hat. Wir raten dazu, sehr, sehr vorsichtig zu sein mit der Diskussion über militärische Optionen, solange die politischen Möglichkeiten nicht wirklich ausgeschöpft sind, und noch sind die politischen Möglichkeiten nicht ausgeschöpft. Es liegt in unserem gemeinsamen Interesse, dafür zu sorgen, daß das geschieht. Frieden und Stabilität auf dem Balkan, das ist für uns nicht eine zweitrangige Sorge. Es ist für uns ein erstrangiges Problem, es ist für uns ein nationales Problem - nicht nur wegen der Flüchtlingsfrage, nicht nur deswegen, weil noch mehr Flüchtlinge zu uns kommen könnten, sondern vor allen Dingen deshalb, weil es uns alle in Europa unmittelbar betrifft, wenn in einem Teil Europas Unsicherheit und Krieg herrschen.
Vielen Dank.
In der Debatte ergreift das Wort jetzt der Kollege Rudolf Seiters.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßt den Beschluß der Bundesregierung. Er steht in der Kontinuität der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik, unterstreicht unsere Verantwortung im Rahmen der Völkergemeinschaft, beweist Solidarität mit unseren Verbündeten, und vor allem: Er dient dem Frieden,
Der SFOR-Einsatz in Bosnien und Herzegowina war erfolgreich. Er hat die Lage stabilisiert. Es kommt jetzt darauf an, den Friedensprozeß durch die Fortsetzung der militärischen Präsenz der internationalen Gemeinschaft abzusichern, bis eine Stabilität erreicht wird, die sich selbst trägt und den Abzug erlaubt, ohne das Erreichte zu gefährden. Deshalb stimmen wir der Verlängerung des Einsatzes bewaffneter Streitkräfte mit dem entsprechenden deutschen Beitrag zur weiteren Absicherung des Friedensprozesses im früheren Jugoslawien zu.
Wenn wir - wir schauen auch auf den Kosovo - etwas aus den Fehlern des Bosnien-Konflikts gelernt haben sollten, dann im übrigen dieses: Die Völkergemeinschaft darf sich nicht wieder durch leere Versprechungen von Präsident Milosevic hinhalten lassen.
Deshalb muß Jugoslawien alle Forderungen der Kontaktgruppe erfüllen: nicht nur die Beendigung der Gewalt, die Wiederaufnahme echter politischer Verhandlungen mit Vertretern der albanischen Volksgruppe und die Bereitschaft zu politischen Reformen, die dem Kosovo einen neuen Status gewähren, sondern auch Rückzug der Sondereinheiten der serbischen Polizei und des serbischen Militärs. Wenn das nicht geschieht, wenn Unterdrückung, Vertreibung und Morde in Kosovo weitergehen - leider müssen wir das befürchten -, dann muß dem auf einer gesicherten und ausreichenden rechtlichen Grundlage, notfalls mit militärischer Gewalt, ein Ende gesetzt werden. Deshalb ist es dringend erforderlich, die notwendigen Vorbereitungen der NATO fortzusetzen.
Zurück zu dem Antrag der Bundesregierung auf Verlängerung des SFOR-Mandats: Die breite parlamentarische Zustimmung zu dieser Vorlage der Bundesregierung, die wir ausdrücklich begrüßen, darf, liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht darüber hinwegtäuschen, daß es in der Außen- und Sicherheitspolitik nach wie vor tiefgreifende Meinungsverschiedenheiten zwischen dieser Koalition und einem rotgrünen Bündnis gibt, die die Berechenbarkeit und Verläßlichkeit der deutschen Außenpolitik in Frage stellen.
Erstens. Für die Grünen ist die Aussage von Magdeburg nach wie vor gültig: „Militärische Friedenserzwingung und Kampfeinsätze lehnen wir ab. " Das SFOR-Mandat, dem Sie heute zustimmen wollen, ist aber mehr als eine „friedenserhaltende Maßnahme", wie es die Grünen seit Godesberg in einer Art Selbstbetrug, aber auch zur Täuschung der deutschen Öffentlichkeit umzudefinieren versuchen.
- Herr Kollege Fischer, Sie sprechen gleich, und ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie dazu Stellung nehmen würden. - Es ist ein robustes Mandat, das notfalls friedenserzwingende Militäreinsätze ein-
Rudolf Seiters
schließt, die auch weiterhin keinesfalls auszuschließen sind. Ich frage Sie: Was machen Sie dann? Ziehen Sie Ihre Zustimmung dann wieder zurück?
Das zeigt doch die ganze Unglaubwürdigkeit und Unberechenbarkeit Ihrer Position.
Zweitens. Wir begrüßen nachdrücklich die am Montag erfolgte Verhaftung eines serbischen Kriegsverbrechers durch französische und deutsche Soldaten. Das ist ein großer Erfolg für das erst seit kurzem bestehende Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr.
Dafür sagen wir unseren Soldaten Dank und Anerkennung.
Herr Kollege Fischer, ginge es aber nach den Beschlüssen der Grünen von Magdeburg und auch von Godesberg
- das ist das Thema -, dann wären die Krisenreaktionskräfte und das Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr aufgelöst;
dann hätte es diese Festnahme eines Kriegsverbrechers durch Bundeswehrsoldaten nicht geben können. Und da sagen Sie von der SPD mit diesem dümmlichen Zwischenruf, ich solle zum Thema sprechen! Wir sprechen zum Thema. Sie weichen ihm offenbar mit Rücksicht auf die Grünen aus. Das ist der Punkt.
Herr Kollege Fischer, würde die Position der Grünen deutsche Politik, dann wäre es nicht einmal mehr möglich, Rettungsaktionen für deutsche Staatsbürger durchzuführen, wie sie die Bundeswehr in Albanien erfolgreich durchgeführt hat.
Das zeigt, wie ideologisch verbohrt, wirklichkeitsfremd und voller Risiken deutsche Außenpolitik mit den Grünen sein würde.
Abschaffung der Krisenreaktionsstreitkräfte, Reduzierung der Bundeswehr in vier Jahren auf 150 000 Mann und in weiteren vier Jahren auf unter 100 000 Mann sowie Abschaffung der Wehrpflicht - das ist die Politik, die Sie im Bündnis mit anderen durchsetzen möchten. Wir sagen: Eine solche Politik schadet Deutschland, schadet Europa und schadet dem Bündnis.
Herr Seiters, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lippelt?
Bitte schön.
Herr Kollege Seiters, da Sie eben im Zusammenhang mit Kosovo von der notwendigen rechtlichen Grundlage im Falle eines möglicherweise weitergehenden Eingreifens sprachen, frage ich Sie: Weichen Sie der Kontroverse zwischen dem Außenminister und dem Verteidigungsminister - ich hatte gehofft, daß die Regierung bei diesem Thema per Regierungsbeschluß endlich einmal zu einer klaren Äußerung kommt - aus, oder stellen Sie sich auf die Seite des Verteidigungsministers?
Machen Sie sich keine Sorgen. Wir von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion unterstützen den klaren Beschluß, den die Bundesregierung getroffen hat.
Meine Kollegen von den Grünen, ich will in diesem Zusammenhang noch auf etwas anderes zu sprechen kommen.
Wenn Ihr unsäglicher Sprecher Trittin
nach den Beschlüssen von Magdeburg und Godesberg noch einen derart schauderhaften Auftritt wie bei der Krawallveranstaltung gegen das öffentliche Gelöbnis unserer Wehrpflichtigen in Berlin absolviert, und dies Arm in Arm mit der PDS und Gysi,
zeigt das Ihre Grundhaltung: Mit Ihnen ist eine verantwortungsbewußte Außen- und Sicherheitspolitik nicht zu machen.
Ich möchte Sie, Herr Kollege Fischer, bitten, dazu ein Wort zu sagen. Das ist Ihr Sprecher, den haben Sie gewählt.
Rudolf Seiters
Diesen Auftritt muß sich die gesamte Fraktion zurechnen lassen.
Für die Koalition will ich nachdrücklich betonen, was auch in unserem Entschließungsantrag steht: Gelöbnisse in der Öffentlichkeit sind selbstverständlich und notwendig. Sie sind Ausdruck der Integration der Bundeswehr in die Gesellschaft und der Anerkennung für unsere Soldaten, insbesondere für die Wehrpflichtigen, denen wir abverlangen, ihren Auftrag notfalls unter Inkaufnahme von Gefahren für Leib und Leben zu erfüllen. Das Gelöbnis ist kein verstaubtes militaristisches Relikt einer vergangenen Zeit, sondern Teil unserer demokratischen Kultur.
Sie mögen sich darüber beklagen, daß wir in dieser Debatte auch über die Unterschiede miteinander sprechen. Aber es hat keinen Sinn, hier auf „Friede, Freude, Eierkuchen" zu machen. Wir begrüßen die übereinstimmende Zustimmung, aber es gibt eben Unterschiede in der Beurteilung. Sie sind auch zu klaren Aussagen verpflichtet. Wir finden es besorgniserregend, daß die SPD mit dieser grünen Truppe koalieren will, notfalls sogar mit einer Stimme Mehrheit; das wäre dann die Stimme von Herrn Trittin. Darauf will ich einmal hinweisen.
- Warten wir einmal ab.
Eine Zeitung hat in diesen Tagen geschrieben:
Trittin hat nach unserer Verfassung das Recht, die Bundeswehr zu hassen. Schröder aber hat die Pflicht, die Bürger vor solchen Politikern zu schützen.
Was sollen wir von einem Kanzlerkandidaten halten, der zu diesen Entgleisungen schweigt?
- Nein, nein. Als Trittin stellvertretender Ministerpräsident von Niedersachsen war, hat er die skandalöse Äußerung von sich gegeben:
Wir haben den Verfassungsschutz an die Kette gelegt.
Er wurde von Schröder dafür nicht gerügt. Dies muß doch in der politischen Auseinandersetzung mit uns eine Rolle spielen dürfen. Das hat doch nichts mit Polemik zu tun. Das sind doch Ihre Aussagen!
Was sollen wir von einem Kanzlerkandidaten halten, der zu diesen Entgleisungen schweigt, der sich trotz dieser skandalösen Vorgänge einen grünen Außenminister wünscht,
der sich permanent um jede konkrete und präzise außen- und sicherheitspolitische Aussage drückt und dem, wenn er sich denn einmal außenpolitisch outet, alle internationalen und nationalen Empfehlungen egal sind? Ich zitiere Schröder nach seinem Treffen mit dem ebenfalls unsäglichen weißrussischen Diktator Lukaschenko:
Mich hat die Frage, wer, wann, wo, was beschlossen hat - ich kannte die Beschlüsse - in der Tat nicht so sehr interessiert.
Wer internationale Beschlüsse, Empfehlungen und Grundsätze vorsätzlich mißachtet und sie in die Beliebigkeit seines Kalküls stellt, der zerstört die Glaubwürdigkeit und Berechenbarkeit deutscher Außenpolitik.
Der heutige Beschluß zur SFOR-Folgeoperation und unsere Bereitschaft zu den notwendigen Maßnahmen im Kosovo sind im Interesse von Stabilität und Frieden zwingend notwendig. Aber ich bleibe dabei: In den Grundfragen der Außen- und Sicherheitspolitik und in der parteipolitischen Auseinandersetzung hier in der Bundesrepublik Deutschland geht es um noch viel mehr, nämlich um die Glaubwürdigkeit, die Berechenbarkeit, die Stetigkeit und die Verläßlichkeit deutscher Politik auch in der Zukunft unter der richtigen politischen Führung.
Es spricht jetzt der Fraktionsvorsitzende des Bündnisses 90/Die Grünen, Herr Abgeordneter Joseph Fischer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Was sich in der Debatte gestern schon abgezeichnet hat, ist heute eingetreten. In der Tat, Kollege Seiters: Zu der entscheidenden Frage, wie Sie es denn nun mit der Mandatisierung eines möglichen oder vielleicht sogar leider notwendigen Militäreinsatzes im Kosovo halten, haben Sie hier nichts gesagt.
Dagegen setzen Sie sich, was ich Ihnen überhaupt
nicht vorwerfen will - das würde ich an Ihrer Stelle
genauso machen, ich würde es nur in einer Extrade-
Joseph Fischer
batte tun und nicht mit dem sehr ernsten Thema einer Verlängerung des SFOR-Mandates verbinden -,
mit Äußerungen unseres Parteisprechers auseinander, der wußte, daß er sich damit in scharfe Kritik begeben wird, auch in eine sehr kritische Debatte innerhalb unserer Partei. Dies bringen Sie leider in unmittelbare Verbindung mit einer Entscheidung, bei der unsere Soldaten - bei einer Verlängerung des SFOR-Mandates - auf eine breite Zustimmung hier im Hause angewiesen sind.
Kollege Seiters, Sie wissen nur zu gut, daß ich genauso wie die Obleute im Verteidigungsausschuß und im Auswärtigen Ausschuß von den beiden Ministern vor dem Tirana-Einsatz informiert wurde. Der Tirana-Einsatz damals war der erste Einsatz, bei dem Bundeswehreinheiten dann auch von der Waffe Gebrauch machen mußten.
Wir haben diesen Einsatz ohne vorherigen Beschluß - deswegen war die Vorgehensweise völlig richtig; wir haben sie nicht kritisiert - nicht nur mitgetragen, sondern gebilligt, wir alle. Das wissen Sie so gut wie ich. Wenn Sie das hier in Zweifel ziehen, dann betreiben Sie Brunnenvergiftung, Herr Kollege Seiters. Das wissen Sie nur zu gut.
Deswegen sage ich nochmals: Mein Kollege Trittin weiß nur zu gut, daß er sich in Kritik, in scharfe Kritik begeben hat und daß wir im Wahljahr sind. Ich sage gleich etwas dazu.
Aber, meine Damen und Herren, die CDU muß wissen, was sie tut. Daß Sie das scharf kritisieren, daß Sie es attackieren, daß Sie es politisch zu benutzen versuchen, ist klar. Das würde ich an Ihrer Stelle genauso machen. Aber wenn ich heute eine Anzeige in der „Bild-Zeitung" lese, mit der Sie die Kategorie des Hasses in den Wahlkampf einführen, dann müssen Sie wissen, was Sie tun: „Der Grüne Trittin haßt die Bundeswehr" .
Sie müssen wissen, was Sie damit in der innenpolitischen Auseinandersetzung tun. Ich sage Ihnen: Harte Kritik an der Bundeswehr, falsche Kritik an der Bundeswehr darf nicht dazu führen, daß wir hier im Wahlkampf wieder zu innerstaatlichen Feinderklärungen kommen - mit fatalen Konsequenzen!
Ich teile diese Kritik, wie sie vorgetragen wurde, nicht. Und damit hier überhaupt kein Zweifel besteht, hat meine Fraktion heute einen Entschließungsantrag eingebracht, den wir in namentlicher Abstimmung zur Entscheidung stellen werden. Darin erklären wir unter Punkt 1:
Der Deutsche Bundestag würdigt mit Dankbarkeit die riskante Arbeit, die Soldaten der Bundeswehr, Polizeibeamte, Angehörige ziviler Hilfsorganisationen und - von der Öffentlichkeit viel zuwenig wahrgenommen - Freiwillige verschiedener Friedensdienste bei der Friedenssicherung und dem Aufbau ziviler Strukturen im ehemaligen Jugoslawien geleistet haben. Er dankt allen Helferinnen und Helfern für ihr Engagement und die geleistete Hilfe.
Ich möchte ausdrücklich das hinzufügen, was auch der Kollege Verheugen gesagt hat: Die Erinnerung an die Diplomaten, die in ihrem Dienst, im Auftrag von Bundesregierung und Parlament, in Bosnien gestorben sind, muß für ein demokratisches Parlament Verpflichtung sein. In dieser Verpflichtung, dachte ich, wissen wir uns auf einer gemeinsamen Grundlage.
Herr Kollege Fischer, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lassen Sie mich, Frau Präsidentin, bevor ich die Zwischenfrage beantworten darf, den Gedanken noch zu Ende führen.
Unter Punkt 3 fügen wir hinzu, damit auch hier kein Zweifel besteht:
Der Deutsche Bundestag würdigt die Bundeswehr als erste deutsche Armee, die als Parlamentsarmee und mit dem Leitbild des Staatsbürgers in Uniform in der Demokratie verankert ist. Weder die Bundeswehr noch deren Soldaten können mit Reichswehr, Wehrmacht oder NVA auf eine Stufe gestellt werden.
Herr Kollege Seiters.
Herr Kollege Fischer, wie würden Sie denn das Verhältnis von Herrn Trittin zur Bundeswehr kennzeichnen? Er hat ja das Gelöbnis als perverses Ritual bezeichnet und hinzugefügt, auch die Nazis hätten ja mit Enthusiasmus solche Veranstaltungen durchgeführt. Wenn Sie sich davon distanzieren - das hoffe ich -: Wie soll sich denn in Zukunft das Verhältnis von Herrn Trittin gegenüber der Bundeswehr gestalten, wenn er Sprecher Ihrer Partei bleibt?
Herr Seiters, ich möchte zunächst auf das Wort „Haß" eingehen. Kann man denn sagen, daß ein Mensch, der eine Position vertritt - Sie haben das gerade vorgetragen -, die ich nicht teile, Haß gegenüber der Bundeswehr empfindet, wenn er noch vor zwei Wochen zur Bundeswehr eingeladen wurde und mit den Soldaten sehr kritisch diskutiert hat? Ich hätte eine andere Bezeichnung gewählt.
Aber es fällt natürlich auf, Herr Kollege Seiters, daß in diesem Wahljahr - es gab diese Debatte ja auch, von den Kollegen von der Sozialdemokratischen Partei sehr engagiert geführt, bei dem ursprünglichen Termin in Berlin - verstärkt öffentliche Gelöbnisse stattfinden
und daß dahinter natürlich auch Politik steht. Kollege Rühe ist doch kein Lämmerschwänzchen! Es kann doch niemand annehmen, er wüßte nicht, was er damit tatsächlich tut. Es ist doch ganz offensichtlich. Man muß ja nur das Interview in der heutigen Ausgabe der „Süddeutschen Zeitung" lesen, um zu wissen, daß wir es hier mit einem Vollblutpolitiker zu tun haben.
Was mich an der gegenwärtigen Debatte ärgert, ist, daß auf der einen Seite zweifelsfrei klar ist, daß die Bundeswehr als Institution und ihre Soldaten nicht in der Kontinuität einer vordemokratischen Tradition stehen
und daß die Bundeswehr eine Parlamentsarmee ist, daß es aber auf der anderen Seite Ihnen so leichtgemacht wird, den Fragen der Tradition, des Traditionserlasses, der rechtsradikalen Tendenzen, die es bei einzelnen in der Bundeswehr verstärkt gibt, und der Funktion von solchen Gelöbnissen und Zapfenstreichen auszuweichen. Das ärgert mich an dieser Sache; das sage ich hier offen.
Doch nun zum eigentlichen Thema. Die Mehrheit der Abgeordneten von Bündnis 90/Die Grünen stimmt dem Antrag auf Verlängerung des SFOR-Mandats für Einheiten der Bundeswehr zu. Wir tun dies deshalb, weil völlig klar ist, daß ein Abzug der internationalen Friedenstruppen die Kriegsgefahr in Bosnien sofort wieder aufflammen lassen würde - eine Kriegsgefahr, die in der Vergangenheit dazu geführt hat, daß Hunderttausende von Menschen auf brutalste Art und Weise ermordet wurden, daß es zu „ethnischen Säuberungen", zu Völkermord, zu Massenvertreibungen und zu Vergewaltigungen gekommen ist. Der Frieden in Bosnien-Herzegowina ist noch lange nicht wiederhergestellt. Die Präsenz der internationalen Streitkräfte ist die Voraussetzung für eine friedliche Entwicklung. Wir sehen - das erfüllt uns nach wie vor mit Hoffnung -, wie sich langsam unter Anleitung der internationalen Staatengemeinschaft wieder zivile Strukturen entwickeln; wir sehen, daß Bosnien Schritt für Schritt zu einer staatlichen und gesellschaftlichen Normalität zurückkehren kann. Das setzt aber voraus, daß der Frieden weiterhin gesichert wird.
Der Friedensvertrag von Dayton war zwar wichtig. Wir werden ja in einem anderen Zusammenhang darüber zu reden haben. Herr Kollege Verheugen, ich stimme Ihnen nachdrücklich zu, was die Festnahme der Kriegsverbrecher betrifft. Nur, das große Problem, das wir doch haben, ist die Person des jugoslawischen Staatspräsidenten. Das wissen Sie so gut wie ich. Wenn wir heute auch über Kosovo diskutieren, dann meinen wir nicht Serbien oder die Bundesrepublik Jugoslawien, sondern einen aggressiven serbischen Nationalismus, der der Hauptquell der Instabilität und auch der Gewalt in dieser Region ist. Gerade wir Deutsche wissen, welche verderbliche, auch selbstzerstörerische Funktion ein aggressiver, blutiger Nationalismus, ja Faschismus für das eigene Land haben kann.
Deswegen sage ich: Der Friedensvertrag von Dayton hatte den Nachteil - es ging nicht anders; ich kritisiere das nicht, aber wir müssen das feststellen -, daß er teilweise mit den Kräften, die man als Hauptkriegsverbrecher bezeichnen muß, abgeschlossen wurde. Dennoch muß ich sagen: Er bildet die Grundlage - deswegen muß er militärisch weiter abgesichert werden - für eine zivile, eine friedliche Perspektive in der Region.
Nur, die Frage, die wir uns damals gestellt haben, stellt sich auch heute. Es ist die Frage nach der Dauer des Mandats. Es zeichnet sich doch ab, daß wir in dieser Region ein dauerhaftes Engagement der europäischen Staatengemeinschaft, des Westens dringend brauchen. Die Perspektive in dieser Region wird ein massives ziviles, also auch ein dauerhaft ökonomisches und politisches Engagement der westlichen Staatengemeinschaft und vor allen Dingen der Europäischen Union erfordern, und zwar nicht erst dann, wenn es militärisch notwendig ist. Auch das ist eine Lehre, die aus Bosnien zu ziehen ist. Deswegen finde ich die gegenwärtige Debatte um die Osterweiterung - auch unter den Gesichtspunkten, die in der Innenpolitik eine Rolle spielen - fatal.
Ich möchte in der verbleibenden Zeit noch auf die aktuelle Situation im Kosovo eingehen. Herr Kollege Seiters, ich bedaure, daß wir diese Debatte nicht mit dem gebotenen Ernst führen. Wir hätten aus Bosnien nichts gelernt, wenn wir zuließen, daß sich Bosnien wiederholt. Zuzulassen, daß sich Bosnien wiederholt, heißt auch zuzulassen, daß derselbe blutige Eskalationsprozeß wieder beginnt und daß sich der Westen wieder zerlegt wie zu Beginn der Bosnien-Krise, als er faktisch nicht mehr existierte. Das war eines der Hauptprobleme, die sich in mangelnde Handlungsfähigkeit umgesetzt haben.
Joseph Fischer
Der Druck auf Belgrad ist richtig. Wir müssen von Belgrad fordern, daß es auf Gewalt verzichtet. Wir müssen von Belgrad fordern, daß die Sondertruppen zurückgezogen werden und daß es zu einem friedlichen Verhandlungsprozeß kommt. Es ist richtig, nicht auf einen unabhängigen Staat Kosovo zu setzen, sondern auf Autonomie. Nur, das alles erklären wir hier im Deutschen Bundestag. Die Frage, die sich stellt, ist: Wird denn die albanische Seite im Kosovo mit Autonomie noch zufrieden sein?
- Gut, „sein müssen", Herr Bundesaußenminister. Ich möchte mit Ihnen in diesem Punkt gar nicht streiten. Nur taucht doch dann, wenn sie das nicht ist, sofort die Gefahr auf, daß wir in eine Nordirlandsituation hineinlaufen - mit fatalen Konsequenzen in der gesamten Region. Ich behaupte nicht, daß ich Ihnen eine Lösung anbieten kann, und ich erwarte von Ihnen jetzt auch keine überzeugende politische Antwort. Das ist keine Kritik; vielmehr beschreibe ich die objektive Problematik, mit der wir es dort zu tun haben, die allerdings, wenn man sie in militärische Eskalationskategorien umdenkt, in bezug auf beide Eskalationsmuster hoch riskant ist. Deswegen: So richtig es auf der einen Seite ist, glaubhaft zu versichern: Bosnien darf und wird sich nicht wiederholen, so notwendig ist es auf der anderen Seite, klar die Unterschiede zwischen Bosnien und Kosovo herauszuarbeiten, damit man diesmal nicht in andere Fallstricke gerät.
An erster Stelle ist hier die Unklarheit des politischen Ziels zu nennen, die ich unserer Bundesregierung oder der Staatengemeinschaft nicht vorwerfe; vielmehr ergibt sie sich aus der Situation vor Ort. Ich betone nochmals: Das Schlimmste ist in der Tat ein aggressiver serbischer Nationalismus, der die albanische Mehrheit im Kosovo unterdrückt und der dort erst die sezessionistischen Tendenzen zum gewaltsamen Widerstand bestärkt. Deswegen wird es so wichtig sein, daß wir hier zu einem unmittelbaren Friedensprozeß kommen - mit all den Fragezeichen, die damit einhergehen.
Die Unklarheit des politischen Ziels macht natürlich auch die äußerste Gefährlichkeit des Einsatzes von Militär deutlich. In diesem Punkt liegt ein großer Unterschied zu der Situation in Bosnien. Das wissen Sie nur zu gut. Dies zu betonen scheint mir eine Pflicht auch gegenüber den im Kosovo einzusetzenden Soldaten zu sein.
Autonomie steht gegen den Wunsch nach Unabhängigkeit auf albanischer Seite. Das ist für uns eine sehr schwierige Frage; denn ohne jeden Zweifel handelt es sich beim Kosovo um jugoslawisches Territorium. Und ohne jeden Zweifel handelt es sich bei Jugoslawien um einen Staat in anerkannten Grenzen. Und ohne jeden Zweifel ist es so, daß die Grundlage des friedlichen Zusammenlebens in Europa die nicht gewaltsame Veränderung von Grenzen ist. Das ist seit der KSZE-Konferenz die Grundlage des friedlichen Zusammenlebens.
Herr Bundesaußenminister, auch Sie haben zu der Mandatsfrage geschwiegen. Die Mandatsfrage bei einem möglichen Militäreinsatz ist angesichts der politischen Unterschiede zu Bosnien, angesichts der vorhandenen Risiken die zentrale Frage. Damit Sie mich richtig verstehen: Es geht mir nicht um ein verklausuliertes Nein. Vielmehr geht es um folgendes: Wenn diese Mandatsfrage nicht geklärt ist, dann bleibt offen, wie Sie eine negative Eskalation in die falsche Richtung ausschließen können. Ich halte eine klare Mandatierung für notwendig. Der Bundeskanzler wird heute in der „Süddeutschen Zeitung" dahin gehend zitiert, daß er ebenfalls für ein klares Mandat des UN-Sicherheitsrates ist. Der Bundesaußenminister spricht sich dafür aus. Der Bundesverteidigungsminister wird heute vermutlich noch sprechen und sich gegen ein klares Mandat des UN-Sicherheitsrates aussprechen.
- Ja, gut. Das können Sie heute korrigieren. - Ich sage Ihnen: Wir, die Mitglieder des Deutschen Bundestages, haben ein Anrecht darauf, daß die Bundesregierung hier und heute eine klare Position bezieht.
- Das ist sehr wohl das Thema des heutigen Tages und gehört dazu, wenn wir über den Kosovo reden.
Ein Weiteres: Es ist wichtig, angesichts der Erfahrungen mit Bosnien Belgrad gegenüber deutlich zu machen, daß sich Bosnien nicht wiederholen darf; deshalb bin ich nachdrücklich dafür, entsprechenden Druck ausüben. Dennoch räume ich zivilen Mitteln Vorrang ein. Dabei hat für mich nicht nur die Ausnutzung der Verhandlungsspielräume, sondern auch die Ausübung massiven Drucks über Boykottmaßnahmen und ähnliches mehr absolute Priorität. Wenn ich allerdings einerseits höre, daß sich der Bundesinnenminister in einem Interview mit dem Deutschlandfunk heute morgen gegen einen generellen Abschiebestopp nach Bosnien ausspricht, und andererseits die Lagebewertung seitens des zuständigen Außenministers hier im Deutschen Bundestag vernehme, dann frage ich mich in der Tat, wie das denn noch zusammengeht. Können wir es in der gegenwärtigen Situation verantworten, immer noch Menschen nach Bosnien abzuschieben?
- Entschuldigung, das war ein Versprecher. - Schieben wir denn jetzt immer noch Menschen in den Kosovo ab? Es darf doch nicht wahr sein, daß sich der Bundesinnenminister, während wir von der Möglichkeit ethnischer Säuberungen und von der Gefahr einer Eskalation à la Bosnien sprechen, wegen der von der Innenpolitik geprägten Wahlkampfsituation und mit Blick auf den rechten Wählerrand immer noch weigert, einen generellen Abschiebestopp zu
Joseph Fischer
unterstützen. Das wäre das mindeste, was Sie tun müßten.
Deswegen legen wir Ihnen hier noch einen Entschließungsantrag vor. Wir halten es für selbstverständlich - wir hoffen hierbei vor allen Dingen auf die Unterstützung der F.D.P. -, daß wir heute im Bundestag angesichts der von uns allen geteilten Bedrohungs- und Gefährdungsanalyse einen generellen Abschiebestopp beschließen.
Ich darf mich bedanken.
Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Friedbert Pflüger.
Herr Kollege Fischer, Sie haben bestritten, daß es einen Zusammenhang zwischen der Beschimpfung der Bundeswehr durch Jürgen Trittin und der Verlängerung des SFOR-Mandates gibt. Die Soldaten, die wir jetzt losschicken oder die schon dort sind, sind weit von ihren Familien entfernt, haben es schwer und leben dort auch nicht ungefährdet. Diese Soldaten haben einen Anspruch darauf - das genau ist das Thema -, daß wir, die wir Verantwortung in der Politik tragen, es nicht zulassen, daß ihnen von Teilen dieses Hauses unterstellt wird, sie hätten irgend etwas mit rechtsradikalen oder nationalsozialistischen Ideen zu tun.
Unsere Gelöbnisse verpflichten die Soldaten dazu, genau das Gegenteil von dem zu machen, was die Nazis von ihnen verlangten; sie verpflichten die Soldaten nämlich zum Schutz der Demokratie, zum Schutz der Freiheit und der Menschenrechte. Sie sind dort in Bosnien, um Völkermorde, wie sie in Srebrenica geschehen sind, zu verhindern. Deshalb ist die Vorgehensweise von Herrn Trittin pervers. Das müssen wir in diesem Haus zurückweisen.
Herr Kollege Fischer, ich nehme Ihnen persönlich Ihr Bekenntnis zur Bundeswehr ab. Daß Sie selbst mit Herrn Trittin nicht glücklich sind, glaube ich inzwischen auch. Sie müssen sich dennoch fragen lassen, wenn Sie sich anschicken, zusammen mit Herrn Schröder Regierungsverantwortung zu übernehmen, wie Sie sich das vorstellen, wenn Sie irgendwann einmal als Außenminister im NATO-Rat sitzen und sich immer erst bei Herrn Trittin telefonisch erkundigen müssen, was Sie tun dürfen und was Sie nicht tun dürfen, da Ihre Partei ja nach wie vor für die Ablösung der NATO eintritt. Das ist eine Horrorvorstellung für uns.
Herr Kollege Fischer, ich glaube, daß eine solche Situation ein Sicherheitsrisiko für unser Land wäre, weil es dann nicht mehr berechenbar wäre. Wir haben die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, den Soldaten, die wir nach Bosnien schicken, klarzumachen, daß niemand in diesem Hause und auch niemand, der in Deutschland sonst Verantwortung übernimmt, ihnen unterstellt, sie hätten irgend etwas mit Nazi-Ideologie zu tun.
Herr Kollege Fischer.
Herr Kollege Pflüger, ich haben Ihnen den Entschließungsantrag meiner Fraktion auszugsweise vorgetragen. Ich sage noch einmal - ich kann ihn auch ganz vortragen, wenn Sie wollen -: Für uns ist die Bundeswehr die Parlamentsarmee der bundesrepublikanischen Demokratie. Sie bedeutet wie die bundesrepublikanische Demokratie einen Bruch mit unserer autoritären vordemokratischen Geschichte. Sie bricht - das ist für uns sehr wichtig - mit der Kontinuität zu vordemokratischen oder gar diktatorischen Armeen und ihrer Traditionspflege. Daß die Bundeswehr endlich den Schritt getan hat, sich etwa bei der Benennung von Kasernen von Generälen, die mit demokratischer Traditionspflege überhaupt nichts zu tun haben, zu distanzieren, das nehmen wir anerkennend zur Kenntnis. Das hat eines langen Kampfes bedurft.
Ich bin im Gegensatz zu Ihnen alt genug, um die Genesis der Bundeswehr und auch viel Zweideutiges in diesem Bereich - um es einmal ganz milde zu formulieren - zu kennen. Aber ich möchte heute diese Debatte, die eine historische geworden ist, nicht mehr aufmachen.
Für mich geht es um etwas anderes. Für mich geht es darum, zweifelsfrei klarzustellen, daß es hier keine Kontinuität gibt. Insofern geht Ihr Vorwurf ins Leere.
Zweitens. Herr Kollege Pflüger, Sie sind ein junger Mann, und Horrorvisionen halten Sie noch gut aus. Daß es für Sie eine Horrorvision ist, wenn Sie in die Opposition müssen, das weiß ich. Ich frage mich aber, ob der Horror nicht größer wird, wenn Helmut Kohl Kanzler bleibt,
und zwar nicht nur für Sie, sondern für das ganze Haus.
Drittens. Ich nehme anerkennend zur Kenntnis, daß Sie fest damit rechnen, daß es eine rotgrüne Regierung geben wird. Daß Sie mit allem, was Ihnen zu Gebote steht - das ist nicht viel, und es ist nicht immer sehr geschmackvoll -, dagegen kämpfen, das verstehe ich gut. Aber ich kann Ihnen nur eines sagen: Sie haben völlig recht, Sie können von Rotgrün ausgehen; Ihre „Horrorvision" wird Wirklichkeit werden.
Wir fahren in der Debatte fort. Das Wort hat der Kollege Günther Nolting.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Fischer, ich denke, der Aspekt der politischen Berechenbarkeit ist, gerade wenn es um die Fortsetzung des SFOR-Einsatzes geht, für unsere Soldatinnen und Soldaten wichtig. Herr Kollege Fischer, es reicht eben nicht aus, wenn Sie sich hier heute hinstellen und versuchen, staatstragende Ausführungen zu machen, Ihre Partei und Ihr Bundesvorsitzender aber eine völlig andere Position einnehmen. Ich denke, es ist richtig und wichtig, daß das hier im Hause so offen angesprochen wird.
Ich kann verstehen, daß Sie ablenken wollen, daß Sie sogar ablenken müssen, so wie die Godesberger Beschlüsse alles übertünchen sollen. Aber die Magdeburger Beschlüsse stehen, und Herr Trittin, Ihr Bundesvorsitzender, hat ja gesagt, Herr Kollege Fischer: „Davon wird nichts revidiert." Das müssen Sie sich hier heute anhören.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat dem Deutschen Bundestag auf der Grundlage der UN-Resolution vom 15. Juni 1998 den Antrag auf eine weitere Beteiligung Deutschlands an der militärischen Absicherung des Friedensprozesses im früheren Jugoslawien vorgelegt. Diese Maßnahme wird von der F.D.P.-Bundestagsfraktion als notwendig betrachtet. Die F.D.P.-Bundestagsfraktion stimmt dem Antrag zu.
Herr Kollege Fischer, es geht hier heute - auch das will ich noch einmal sagen - nicht um ein KosovoMandat, sondern es geht um die Fortsetzung des SFOR-Einsatzes. Auch in dieser Frage sollten Sie nicht ablenken.
Meine Damen und Herren, ich will daran erinnern: Der deutsche Außenminister Klaus Kinkel hat die mitentscheidenden Impulse für die Lösung des BosnienKonfliktes durch eine gemeinsame Initiative mit seinem damaligen Amtskollegen Juppé gegeben, die zum Ausgangspunkt für den Vertrag von Dayton wurde. Das Beenden des Leids und das berechtigte Interesse, das Deutschland und die Europäische Union am Frieden in einer unmittelbar benachbarten Region haben, sind eine Verpflichtung darauf, sich auch weiterhin für den Friedens- und Stabilisierungsprozeß zu engagieren. SFOR und - vorher - IFOR haben hierfür großartige Leistungen vollbracht. Ich möchte namens der F.D.P.-Fraktion den Soldatinnen und Soldaten für ihre Arbeit in der Region danken.
Meine Damen und Herren, wesentlich für unsere heutige Entscheidung muß sein, daß wir das Erreichte weiterhin sichern und fortentwickeln, zumal die zivile Implementierung der Dayton-Bestimmungen leider noch nicht das Niveau erreichen konnte, das die militärischen Sicherheitsmaßnahmen bieten. Auch hier besteht eine Verpflichtung für Europa und die NATO, weiterhin für Fortschritte zu sorgen. Diese Fortschritte des zivilen Wiederaufbaus bedingen eine weitere Friedensstabilisierung durch SFOR. Hierzu gehört übrigens auch - Außenminister Kinkel hat darauf hingewiesen -, daß SFOR Kriegsverbrecher weiterhin dingfest macht und an den Haager Strafgerichtshof überstellt, wie Anfang dieser Woche geschehen.
Wir hoffen, daß sich heute die überwältigende Mehrheit der Abgeordneten für die Fortsetzung der SFOR-Friedensmission ausspricht. Unsere Soldatinnen und Soldaten, die in diesem Einsatz stehen, brauchen für die notwendige Fortsetzung der Erfüllung ihrer Aufträge einen breiten Rückhalt aus dem Parlament. Aber wir haben gerade gehört: Es wird kein hundertprozentiger Konsens sein, weil es nach wie vor Kräfte gibt, die die Realität negieren. Daran ändert auch der Umstand nichts, Herr Kollege Fischer, daß die Grünen versuchen, die katastrophale Entscheidung ihres Magdeburger Parteitages durch einen weichgespülten Bosnien-Beschluß des Bundesvorstandes und Länderrates zu ersetzen.
Meine Damen und Herren von den Grünen, Sie täuschen die Menschen auf diese Weise nicht darüber hinweg, daß Ihre Partei in zentralen Fragen - nicht nur in der Steuerpolitik, sondern eben auch in der Außen- und Sicherheitspolitik - mehrheitlich politikunfähig ist.
Sie mögen sich noch so abmühen, die Bürger hierüber zu täuschen: Es wird Ihnen nicht gelingen. Selbst wenn sich der Altlinke Trittin neuerdings in bezug auf die Bundeswehr bemüht - wir haben das Beispiel vorhin hier gehört -, zeigt sich hinter dieser Maskerade immer wieder das wahre Gesicht der unbelehrbaren linken Ideologen. Dieses wahre Gesicht zeigte sich auch, als der Bundesvorsitzende der Grünen, Trittin - auch das ist schon gesagt worden -,
kurze Zeit nach seinem Truppenbesuch gemeinsam mit gewaltbereiten Chaoten gegen einen öffentlichen Auftritt der Bundeswehr grölte. Wir verurteilen die diskriminierenden und beleidigenden Äußerungen, die Vertreter der Grünen im Zusammenhang
Günther Friedrich Nolting
mit dem feierlichen Gelöbnis von Soldaten der Bundeswehr in Berlin gemacht haben.
Herr Kollege Fischer, ich frage noch einmal - Sie sind das schon von anderen gefragt worden -: Warum sagen Sie dazu nichts?
Schließlich geht es Ihnen auch - die Magdeburger Beschlüsse zeigen dies - um die Abschaffung der Bundeswehr und der NATO. Herr Kollege Fischer, Sie sollten einmal auf das gespaltene Verhältnis Ihrer Partei zur Bundeswehr und zur NATO und das skandalöse Auftreten Ihres Parteivorsitzenden Trittin eingehen. Auch dazu haben Sie nichts gesagt.
Zu den Magdeburger Beschlüssen sagte Ihr Bundesvorsitzender Trittin: „Da wird nichts revidiert. " Herr Kollege Seiters hat darauf hingewiesen, daß in Ihrem Programm steht: „Militärische Friedenserzwingung und Kampfeinsätze lehnen wir ab." Ich frage Sie, Herr Kollege Fischer, was denn IFOR und SFOR für Einsätze sind, wenn nicht unter Umständen auch solche zur militärischen Friedenserzwingung.
In Ihrem Programm steht weiter: Die NATO „programmiert bewaffnete Abenteuer" . Weiter heißt es in Öko-Deutsch:
Die langfristig angelegte Strategie von Bündnis 90/Die Grünen zielt darauf ab, Militärbündnisse und nationale Armeen in eine gesamteuropäische Friedens- und Sicherheitsordnung aufzulösen. Sie muß auch die NATO ablösen ...
Dazu nochmals Trittin: „Da wird nichts revidiert."
- Sie werden sich diese Zitate anhören müssen, Herr Kollege Fischer. - Weiter heißt es im Magdeburger Programm:
Mit der Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht und der schrittweisen Umstellung auf eine Freiwilligenarmee soll schrittweise der Abbau der Bundeswehr beginnen.
Was heißt denn nun im Klartext „Auflösung", „Ablösung" und „Abbau"? Ich sage es Ihnen. Das heißt, daß Sie immer noch auf der unsinnigen Forderung nach Abschaffung von Bundeswehr und NATO beharren.
In Ihrem Programm heißt es weiter:
Die Krisenreaktionskräfte und insbesondere das
„Kommando Spezialkräfte" sind aufzulösen.
Da müssen Sie, Herr Kollege Fischer, dem staunenden Zuhörer doch einmal erklären, wie Sie denn zukünftig den geschundenen Menschen - wie im Falle Bosnien - helfen wollen, wenn Sie nicht mehr über
Krisenreaktionskräfte verfügen, die doch ein wesentlicher Bestandteil unserer Bosnien-Mission sind.
Am gestrigen Tag sagte der Vorstandssprecher der Grünen, Trittin, die Bundesregierung entsende für militärische Interventionen gedrillte Krisenreaktionskräfte nach Bosnien; damit wolle sie die Akzeptanz einer militärisch gestützten Außenpolitik bis zur Teilnahme an Kriegsaktionen fördern. Warum sagen Sie auch dazu nichts?
Herr Kollege Fischer, Sie müssen erklären, wie Sie die auch von Ihnen immer wieder erhobene Forderung nach Festnahme von Kriegsverbrechern umsetzen wollen, wenn Sie nicht mehr über Spezialkräfte verfügen. Wer so etwas fordert, wie Sie in Ihren Parteitagsbeschlüssen, muß die Schwelle zum Realitätsverlust bereits weit überschritten haben.
Wer die Abschaffung der Bundeswehr und der NATO fordert und den Bosnien-Einsatz letztlich ablehnt, ist international nicht handlungsfähig und national nicht regierungsfähig und auch nicht wählbar. Eine solche Partei darf in diesem Lande keinen Außenminister stellen, und sie darf auch nicht an der Regierung beteiligt werden. Wir werden dies zu verhindern wissen.
Vielen Dank.
Der nächste Redner in der Debatte ist der Abgeordnete Gerhard Zwerenz.
Warum rufen Sie „oje, oje"? Sie wissen doch noch gar nicht, was ich sagen will. - Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Balkan spielte in zwei Weltkriegen eine - von Großmächten provozierte - eskalierende unheilvolle Rolle. Der unprofessionelle, leichtfertige Umgang mit dem Balkan setzt sich leider bis heute fort. Alle haben Angst vor einem explodierenden Unruheherd; dennoch fuchteln zu viele mit Lunten herum.
Es gibt eine Differenz zwischen dem Bonner Außen- und dem Verteidigungsminister. Sie ist ausdeutbar - das ist heute wieder deutlich geworden - als Erkenntnis des Außenamtes, das die voreilige Anerkennung Sloweniens und Kroatiens im nachhinein mindestens skeptisch beurteilt und das seinerzeitige Vorprellen durch heutige Zurückhaltung auszugleichen trachtet.
Ich glaube nicht, daß der gegenwärtige Noch-Verteidigungsminister Rühe wie ein kriegsspielzeugverliebtes Kind nur darauf brennt, seine Tornados von der Leine zu lassen, gemäß der Devise des ewigen Jagdfliegers Rüdiger Proske, der, gegen die Wehrmachtsausstellung gewandt, riet, doch lieber „auf die wachsende Beliebtheit unserer Tornados" zu setzen. Dieser ewige Jagdflieger, der einst über der Nordsee abgeschossen wurde, hat dabei offenbar zu
Gerhard Zwerenz
kalt gebadet. Der Minister müßte wissen: Seine bombenwerfenden Tornados wären selbst mit UN-Mandat ein Menetekel - möglicherweise wenigstens -, ohne Mandat aber ein Bruch internationalen Rechts. Dies verpflichtet zu äußerster Vorsicht.
Ich frage mich: Wie geht das eigentlich zusammen? Da verlangt die NATO von Milosevic, er solle Truppen aus dem Kosovo abziehen, sagt aber nicht, wie er ohne Truppen die Untergrundarmee vom bewaffneten Aufstand abhalten könne. Sucht er aber die Grenzen gegen Waffenhandel und eindringende Aufständische zu schließen, wird ihm auch dies verübelt. Fragt sich, wie Belgrad dem Kosovo die früher fatalerweise genommene Autonomie zurückgeben kann, wenn die Kosovaner und ihre Untergrundarmee völlige Lostrennung wollen, was nun wiederum UNO und NATO so wenig möchten, wie sie im zweiten Golfkrieg wollten, daß Bagdads zweitem Hitler, gegen den sie Krieg führten, dessen Ende widerfuhr. Warum wohl? Hier ist eine Parallele.
Kosovos Untergrundarmee als Befreiungsfront anzuerkennen - wozu uns manchmal auch von eigener Seite geraten wird - würde zu kriegerischen Situationen auf dem ganzen Balkan führen, wo revolutionäre, religiöse und nationalistische Konflikte losbrechen und zu einem neuerlichen großen Balkankrieg eskalieren können. Dies wissen wir sehr genau.
Was wir von der Bundesregierung statt dessen fordern, ist ein vernünftiges Einwirken auf beide Seiten und die Übernahme einer wirklich hilfreichen Rolle im Konflikt. Hier haben Sie bisher, Herr Außenminister - das muß ich Ihnen sagen -, nicht alle Register gezogen. Die Bundesregierung tut die Initiative des russischen Präsidenten, um die sie ihn ja gebeten hat, etwas zu kalt ab; denn dieser Mann hat wenigstens den Versuch unternommen, auf Milosevic einzuwirken. Dies war ein Versuch. Versuche sind aber nicht immer erfolgreich. Es ist erstaunlich und bedauerlich, daß zum Beispiel der Text der russisch-jugoslawischen Erklärung zu diesem Treffen in den deutschen Medien vernachlässigt bzw. verschwiegen wurde.
Warum wirkt die Bundesregierung nicht auf die separatistischen Kräfte im Kosovo ein, damit sie ihrerseits von Vorbedingungen abrücken, die faktisch einer Aufgabe des Kosovo durch Serbien gleichkommen? Wenn die Bundesregierung nicht mit Milosevic sprechen will, warum nimmt sie dann nicht Kontakte mit der serbischen Opposition auf, zum Beispiel mit Zoran Djindjic, dem in Deutschland gut bekannten Vorsitzenden der Demokratischen Partei. Er war dieser Tage in Deutschland und wäre zu Kontakten konkreter Art durchaus bereit gewesen, was nicht genügend wahrgenommen worden ist.
- Das freut mich, Herr Außenminister. Da sind Sie auf dem richtigen Weg.
Offensichtlich ist in dieser Frage internationale Vermittlung unabdingbar. Die bisherigen Vorschläge wurden jeweils von der anderen Seite nicht akzeptiert, weil sie oft im Verdacht der Parteilichkeit standen. Ich frage mich nun, warum die linke Seite dieses Hauses nicht bei der Sozialistischen Internationale nachfragt. Denn in Serbien wie in Albanien stehen sozialistische Parteien in der Regierungsverantwortung. Unserer Meinung nach darf auch dies nicht unversucht bleiben. Es geht um die Verhinderung eines weiteren Blutvergießens auf dem Balkan.
Was den Antrag der Bundesregierung zur SFOR-Nachfolgeoperation anbetrifft, so wird ihn die Gruppe der PDS - nicht ganz einheitlich, aber mehrheitlich - ablehnen. Wir trafen diese Entscheidung keineswegs mit leichter Hand. Wir mußten zwischen verschiedenen Aspekten abwägen. Wir widersetzen uns aber aus prinzipiellen Erwägungen einer Logik, die lautet: Wenn die Bundeswehr im Einsatz ist, gibt es keine Parteien mehr, sondern nur noch Patrioten.
Als Oppositionspartei haben wir nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, Kritik zu üben und diese Kritik im Abstimmungsverhalten zur Geltung zu bringen. Wir setzen deshalb auf Zivilisierung und Entmilitarisierung in der internationalen Politik. Wir wollen, daß dies auch bei der Bewältigung des Bosnien-Konflikts konsequent umgesetzt wird. Wir bleiben dabei, daß sich deutsche Außenpolitik vorrangig diesem Ziel verschreibt, statt sich überall als normal werdende Großmacht mit der sich einstellenden Hybris einzumischen.
Unser Realismus steht gegen die Fortschreibung einer kriegerischen Geschichte dieser Welt, die durch immer wiederkehrende Gewalt- und Haßeskalationen geprägt wird. Wir fordern einen konsequenten Bruch mit der bisher dominierenden Militärkultur. Wir wissen: Das geht nicht über Nacht. Aber man muß es heftig beginnen wollen.
Nach der Meinung der Herren Rühe, Naumann und Bagger stellt der SFOR-Einsatz diesen Bruch bereits dar. Soldaten würden künftig vor allem schützende, helfende Funktionen ausüben und damit Voraussetzungen für die politische Gestaltung des Friedens schaffen. Das ist nicht grundsätzlich falsch und wird auch von der PDS-Gruppe akzeptiert. Es ist aber auch nicht konkret genug. Dies ist eher eine Blume auf dem Gewehr. Die Einlassungen des früheren Generalinspekteurs Naumann, deutsche Truppen hätten 1900 und 1902/03 erfolgreich Krisen im fernen Ausland bewältigt, sind nicht vergessen. Dies halten wir für ein falsches Vorbild.
Wir sind der Meinung, daß man den Frieden so weit stärken muß, daß die alte Losung, nach der im gesamten zurückliegenden Jahrtausend Politik betrieben worden ist, wonach die Macht allein aus den Gewehren komme - modernisiert: aus Flugzeugen heraus abgeworfen werde -, nicht für das 21. Jahrhundert und das dritte Jahrtausend gilt. Ich vermisse auf Ihrer Seite gar nicht so sehr den guten Willen dazu. Aber ich vermisse, daß Sie sich dem wenigstens mit so viel Energie, Intelligenz und Phantasie widmen, wie Sie sich bisher der militärischen Durch-
Gerhard Zwerenz
setzung von Interessen gewidmet haben. Darum geht es!
Das Wort hat jetzt der Bundesminister der Verteidigung, Volker Rühe.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung bittet heute den Deutschen Bundestag, der Verlängerung des Einsatzes deutscher Streitkräfte zur weiteren militärischen Absicherung des Friedensprozesses in Bosnien und Herzegowina förmlich zuzustimmen.
Schon die Beratungen in den Ausschüssen haben gezeigt, daß dieser Antrag inzwischen von der überwältigenden Mehrheit des Deutschen Bundestages unterstützt wird. Ich möchte am Anfang auch mit großem Ernst und großer Dankbarkeit betonen, wie wichtig dieser breite Konsens ist. Das war nicht immer so. Im Grunde genommen war es - ich habe es so empfunden - eine Zumutung für unsere Soldaten, daß wir sie in wichtige internationale Einsätze schikken mußten, ohne daß sie von zu Hause den nötigen Rückenwind und Konsens spüren konnten, weil damals ein Teil der deutschen Politik versagt hat. Hätten wir aber mangels eines Konsenses darauf verzichtet, die Soldaten einzusetzen, dann hätten wir nicht nur Deutschland international handlungsunfähig gemacht, wir hätten gleich Europa handlungsunfähig gemacht. Deswegen muß am Beginn stehen: Es war richtig, diesen Weg zu beschreiten, auch wenn Sie zunächst nicht bereit waren, uns zu folgen. Um so dankbarer sind wir, daß heute die Richtigkeit unseres Vorgehens von allen anerkannt wird und unsere Soldaten von einem breiten Konsens in Deutschland und im Parlament getragen werden.
Herr Kollege Verheugen, ich bedanke mich ausdrücklich für das, was Sie über die deutschen Soldaten gesagt haben. Es ist völlig richtig, sie sind nicht nur militärisch sehr professionell, sondern Sie haben zu Recht auch von dem großen Einfühlungsvermögen unserer Soldaten gesprochen. Das habe ich auch immer im Zusammenhang mit der inneren Führung angesprochen. In Somalia haben sie sich für die Kultur dieses Landes interessiert, und das hat ihnen zusätzliche Sicherheit gegeben. In Bosnien interessieren sie sich ohne Befehl für die Kultur und die Menschen dieses Landes, ob Offizier, Unteroffizier, Mannschaftsdienstgrad oder Wehrpflichtiger. Ein besseres Zeugnis als das, was hier gesagt worden ist, kann man den Soldaten der Bundeswehr gar nicht ausstellen: Professionalität und Einfühlungsvermögen.
Ich möchte nicht allzuviel Rückschau betreiben. Aber welche Rolle das Militärische in unserer Welt spielt, ist etwas, woran sich die Geister vielfach noch scheiden. Sie werden sich an die Massaker in Srebenica im Sommer 1995 erinnern. Herr Fischer, ich muß Ihnen sagen: Wir haben nicht nur die politische Debatte gewonnen, wir haben die moralische Debatte gewonnen. Heute weiß jeder, daß es sehr unmoralisch sein kann, Soldaten nicht einzusetzen, wenn dies die einzige Möglichkeit ist, Krieg und Massaker zu stoppen.
An diesem Punkt hat Rudi Seiters völlig recht.
Würde mich jemand fragen, wer vor einer Reihe von Jahren am häufigsten bei mir auf der Hardthöhe war, um eine Intervention in Bosnien zu fordern, wer im Auswärtigen Ausschuß am häufigsten sagt, daß die Kriegsverbrecher gefangen werden müßten, dann sind es, Herr Poppe, immer Abgeordnete der Grünen gewesen. Aber dann wird, Herr Fischer, das KSK, das Kommando Spezialkräfte, das diesen Kriegsverbrecher gefangen hat, im Verteidigungsausschuß von Frau Beer als eine ganz schlimme internationale Interventionstruppe von Rambos und Legionären abgetan. Wir brauchen das Instrumentarium, um moralische Positionen durchzusetzen. Das ist Ihr Problem in der deutschen Politik.
Rudi Seiters hat völlig zu Recht darauf hingewiesen, daß Sie zu der Rettung in Tirana im nachhinein ja gesagt haben. Aber die Soldaten, die die Rettung durchführen konnten, wären gar nicht in der Region gewesen,
weil Sie dem Einsatz dort nicht zugestimmt haben. Wenn Sie also dafür sind, daß wir deutsche Staatsbürger irgendwo auf der Welt retten und daß auch deutsche Truppen Kriegsverbrecher gefangennehmen können, dann müssen Sie auch ohne Abstriche zu dem Instrumentarium, nämlich der Bundeswehr, j a sagen.
Herr Fischer, Ihr Antrag ist ein Fortschritt - gleichwohl ich längst nicht mit allen Teilen einverstanden bin.
Ich habe aber einen ganz einfachen Vorschlag: Bringen Sie ihn doch auf Ihrem Parteitag ein, und setzen Sie ihn gegen Herrn Trittin, Herrn Ströbele und die anderen durch!
Dort nämlich wird die eigentliche Auseinandersetzung geführt.
Ich will gleich auch noch etwas zu dem Gelöbnis sagen. Wo ist die Verbindung? Das meine ich sehr ernst; sie ist nicht gesucht. Wenn wir unsere Soldaten in den Einsatz schicken - dies tun wir jetzt wieder; und auch in Bosnien sind die Gefahren für die Solda-
Bundesminister Volker Rühe
ten keineswegs vorbei, sie gibt es ganz konkret, von einer möglichen Mission im Kosovo ganz zu schweigen -, dann schulden wir ihnen eine hervorragende Ausbildung und die beste Ausrüstung; deswegen muß man im Deutschen Bundestag auch der Ausrüstung zustimmen. Wir schulden den Soldaten aber auch Respekt und Unterstützung, Herr Fischer.
Und deswegen paßt es nicht zusammen, in Berlin gegen die jungen Rekruten zu pöbeln, dann aber bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik im Nadelstreifenanzug den Einsatz der Bundeswehr im Kosovo zu fordern.
Das ist doch in Wirklichkeit Ihr Problem. Die Damen und Herren in der Deutschen Gesellschaft waren von Ihrem Anzug und Ihren vernünftigen Ansichten begeistert. Aber das ist eine Mogelpackung. Wenn ich auf den Markt gehe und frisches Obst kaufen will, eine Kiste mit phantastischen Pfirsichen sehe, aber nur in der obersten Reihe, und darunter faules Obst mit vielen Würmern ist, dann spiegelt genau dies die Rolle wider, die Sie im Hinblick auf die Grünen in der deutschen Politik zu spielen versuchen.
Im übrigen, Herr Fischer, in Turnschuhen fand ich Sie viel glaubwürdiger als im Nadelstreifenanzug.
Wenn ich Sie sprechen höre, habe ich manchmal Angst, daß Sie die sofortige Bombardierung Bagdads fordern, nur um im Rennen der Realpolitiker weiter vorn zu sein. Wir erwarten von Ihnen, daß Sie einmal in der eigenen Partei gegen die Leute kämpfen, die gegen die Bundeswehr im eigenen Land sind. Dann sind Sie in der internationalen Politik und auch hier zu Hause glaubwürdig.
Meine Damen und Herren, nur durch unsere Soldaten - über 40 000 sind dort - konnte der Friedensprozeß gewahrt werden.
- Bitte schön. Trauen Sie sich, sich zu melden?
- Ich komme noch zu dem Mandat. Zunächst aber möchte ich noch auf Ihren Parteivorsitzenden eingehen.
Die „Neue Zürcher Zeitung" hat zu seinem Auftreten in Berlin unter der Überschrift „Chaoten und Helfershelfer" folgendes festgestellt:
Der Vorstandssprecher der Grünen, Trittin, war sich nicht zu schade, das Berliner Gelöbnis mit den öffentlichen Vereidigungen in der Zeit des „faschistischen Terrors" zu vergleichen.
Damit hatte Trittin schon fast das Niveau jener Chaoten erreicht, die seit Wochen primitivste Drohungen gegen die „Nazisoldaten" und das „Mörderheer" der Bundeswehr ausgestoßen hatten.
Ist es nicht berechtigt, hier von einem Haß auf Soldaten zu sprechen, wie es heute in der „Bild"-Zeitung geschehen ist?
Es muß Schluß sein mit dieser verlogenen Doppelstrategie. Sie haben sich hier zu Rotgrün bekannt - Herr Scharping wurde ganz blaß; denn von der SPD hört man diese Bekenntnisse immer seltener -, und dafür bin ich Ihnen dankbar.
Das deutsche Volk muß doch wissen, daß das die Alternative ist. Ich sage Ihnen eines: Wer ein so gestörtes Verhältnis zu den Soldaten seines eigenen Landes hat, der kann und darf in diesem Lande niemals Regierungsverantwortung übernehmen.
Das wissen auch die Sozialdemokraten.
- Ja, er wird nicht Verteidigungsminister, mein lieber Karsten Voigt. Das aber reicht ja wohl nicht aus. Er würde nämlich eine maßgebliche Rolle in dieser Koalition spielen. Deswegen haben Sie sich doch von den Grünen distanziert. Diese Gesellschaft ist Ihnen peinlich. Das ist die Achillesferse Ihrer strategischen Ausrichtung Rotgrün.
Sie sind abhängig von Leuten wie Trittin; das ist Ihr Problem.
Vorletzte Bemerkung: Wer bei der Vereidigung der jungen Rekruten in Berlin war und Trittin erlebt hat, der wird meiner Würdigung folgen: Es ist dumm und würdelos, dort - zusammen übrigens mit Herrn Gysi - in dieser Weise aufzutreten.
Bundesminister Volker Rühe
Was die Rolle des Militärischen betrifft: Wir leben leider nicht in einer Welt, in der man Kriege und Massaker nur mit Diplomatie stoppen kann.
- Auch nicht ohne! Natürlich! Es war doch der Verteidigungsminister, der immer auf den Dreiklang hingewiesen hat: Wir müssen erst alle politischen und auch alle ökonomischen Sanktionen ausschöpfen.
Ich habe sehr deutlich gesagt: Wenn die Luftverbindungen im zivilen Bereich weiter so durchgeführt werden, als ob nichts passiert wäre, dann ist es eine Zumutung zu sagen, daß dort Soldaten eingreifen müssen. Das muß die Ultima ratio bleiben. Darauf kann sich jeder verlassen.
Ich kenne im übrigen niemanden, der vorsichtiger ist als Verteidigungsminister und Generäle, was den Einsatz von Soldaten angeht. Das ist etwas, was ich in diesen sechs Jahren sehr deutlich begriffen habe. Niemand ist vorsichtiger als die Generäle, der Generalinspekteur. Die Verantwortlichen der Bundeswehr wissen ganz genau, was es bedeutet, einen militärischen Einsatz durchzuführen.
Ich sage noch einmal: Die politischen und ökonomischen Möglichkeiten müssen ausgeschöpft werden, und der militärische Einsatz ist die Ultima ratio. Deswegen gibt es die Vorbereitungen der NATO,
und zwar auf gesicherter rechtlicher Grundlage, Herr Fischer.
Natürlich ist - ich habe es von Anfang an gesagt - der Königsweg der Weg über den UN-Sicherheitsrat. Aber was machen Sie, wenn Sie dort kein Ergebnis bekommen? Deswegen haben sich alle Verteidigungsminister der NATO darauf geeinigt. Wir handeln auf einer gesicherten Rechtsgrundlage. Darauf kann sich jeder verlassen. Dann werden wir in den Deutschen Bundestag kommen. Ich hoffe, daß wir dann auch die Zustimmung finden, wie es heute der Fall ist.
Ich bedanke mich.
Das Wort zu einer Kurzintervention hat Herr Kollege Schulz.
Herr Bundesverteidigungsminister, Sie haben mit Empörung die Rede von Jürgen Trittin zum öffentlichen Bundeswehr-Gelöbnis in Berlin angesprochen.
Diese Rede war in etlichen Passagen falsch und mißverständlich, der Auftritt unangemessen.
Die Bundeswehr ist eine demokratisch legitimierte Armee, die in die Gesellschaft eingebunden ist. Schon deswegen ist es sehr wichtig, auf welche Vorbilder und Traditionen sich diese Armee stützt. Ich meine, die Kritik an den öffentlichen Gelöbnissen ist in diesem Zusammenhang berechtigt.
Die Bundeswehr mit „Mörder"-Rufen aber zu diffamieren ist unsäglich und übel. Wenn Soldaten zu Mördern werden, dann ist die Politik dafür verantwortlich; denn die Politik entscheidet über den Einsatz der Soldaten. Leider sind zum Beispiel Angehörige der Grenztruppen der NVA zu Mördern geworden. Wenn die Auseinandersetzung der Union mit der PDS außer plakativ wirklich ernst gemeint wäre, dann würden Sie sich damit auseinandersetzen, daß diese Partei Egon Krenz heute noch verteidigt, einen Freispruch für angemessen hält und es als Siegerjustiz bezeichnet, daß man diesen Mann, einen Befehlsgeber der Grenztruppen, zur Rechenschaft zieht.
Wie gesagt, Jürgen Trittin hat nicht für mich gesprochen und, ich glaube, auch nicht für das Gros meiner Fraktion und Partei. Es kommt wohl vor, daß Sprecher manchmal mehr für sich selbst sprechen. Wir hatten gerade gestern den Fall Hauser.
Ich hätte mir gewünscht, auch da zumindest einen Hauch von Kritik zu hören, weil das etwas über den Charakter und den demokratischen Zustand in einer Partei aussagt.
Aber nicht das ist mein Punkt, Herr Bundesverteidigungsminister, sondern mein Punkt ist das Ungleichgewicht der moralischen Empörung, das hier besteht. Es ist nicht sonderlich mutig, den Vorsitzenden einer anderen Partei zu kritisieren; das gehört zum politischen Alltagsgeschäft. Mutig und glaubwürdig wird die Geste, wenn man auch den Vorsitzenden der eigenen Partei kritisiert. War es denn nicht Helmut Kohl, der aus wirtschaftlichen Interessen seine Ehre dem chinesischen Militär erwiesen hat, einer Armee, die zum Mörder am eigenen Volk geworden ist?
War es denn nicht Helmut Kohl, der sich sehr freundschaftlich mit Suharto getroffen hat, dem Mörder in Ost-Timor? Ist es nicht Helmut Kohl, der überaus freundlich Boris Jelzin empfängt? Einmal abgesehen davon, daß ich dieses Abgeschmatze von sowjetischen Nomenklaturkadern schon zu DDR-Zeiten widerlich fand; aber es sei einmal dahingestellt, daß es da plötzliche Männerfreundschaften gibt.
Werner Schulz
Aber ist es denn nicht Boris Jelzin, der die slawische Brüderschaft betont, der Milosevic mit Waffen versorgt, der Grosny in Schutt und Asche gelegt hat? Da hätte ich mir von Ihnen den Ruf gewünscht: „Nie wieder Sarajevo!" Ist es denn nicht Boris Jelzin, der Milosevic eigentlich vormacht, wie man mit Autonomiebestrebungen im eigenen Land umgeht?
Wissen Sie, Moral und Menschenrechte sind nicht teilbar. Glaubwürdig wäre ihr moralischer Protest, wenn er nicht einseitig wäre.
Herr Verteidigungsminister.
Herr Kollege Schulz, Sie wissen, daß Sie meinen persönlichen Respekt und übrigens auch den von vielen in unserer Fraktion für das haben, was Sie als Bürgerrechtler und auch in früheren Debatten gemacht haben, in denen Sie sich für die Notwendigkeit eingesetzt haben, auch die Bundeswehr einzusetzen. Man konnte ja an den Mienen des Realpolitikers Fischer und des Herrn Scharping erkennen, was das, was Sie da gesagt haben, für die Außenpolitik einer rotgrünen Koalition bedeuten würde. Aber wenn Sie hier den russischen Präsidenten Jelzin in einen Zusammenhang mit der sowjetischen Nomenklatura bringen, einen Mann, der große Verdienste für die Entwicklung in Rußland hat
und von dem wir hoffen, daß er im Hinblick auf den Kosovo in dem politischen Prozeß eine ganz wichtige Rolle spielt, dann kann ich das nur in aller Entschiedenheit zurückweisen.
Hier vergleichen Sie völlig unvereinbare Dinge.
- Ja, das, was hier von der PDS gekommen ist, ist natürlich besonders interessant. Sie standen doch dabei, als das früher immer stattgefunden hat.
Ich muß Ihnen schon sagen: In dieser Weise kann man weder das würdigen, was Jelzin tut, noch finde ich das angemessen, wenn der amerikanische Präsident, der deutsche Bundeskanzler, der französische Staatspräsident, der englische Ministerpräsident natürlich die Kontakte zu China nutzen, um dieses Land auf dem Weg ins 21. Jahrhundert in die internationale Gemeinschaft einzubinden.
Das heißt, das, was sie vertreten, ist moralischer Rigorismus. Das mag persönlich liebenswürdig sein, aber es würde uns völlig unfähig machen, Außenpolitik durchzuführen.
Das letzte. Das, was Herr Trittin in Berlin gemacht hat - das waren nicht nur Demonstrationen, sondern es waren Pöbeleien und der Versuch, in einer Stunde zu stören, in der den Rekruten die Ehre erwiesen werden sollte -, war nicht „unangemessen" , wie Sie das gesagt haben. Ich sage noch einmal: Das war dumm und würdelos und eine Schande für die deutsche Politik.
Das Wort hat jetzt der Fraktionsvorsitzende der SPD, Herr Abgeordneter Rudolf Scharping.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich denke, wir würdigen das Engagement der Soldaten, der humanitären Organisationen, der vielen Freiwilligen in Bosnien zur Sicherung eines gewaltfreien Aufbaus in diesem gequälten Land am besten, wenn wir uns zunächst einmal auf den Hauptgegenstand der Diskussion konzentrieren. Das ist die Frage: Was können wir mit Hilfe der Bundeswehr, mit Hilfe von Nicht-Regierungsorganisationen und anderen dazu beitragen, daß aus den gemachten Fehlern die richtigen Konsequenzen gezogen werden und daß der friedliche, der gewaltfreie, der zivile Aufbau in Bosnien gefördert und vorangebracht wird?
Ich habe sehr viel Verständnis dafür, daß man im übrigen versucht, andere Gegenstände in die Debatte mit einzubeziehen. Das darf aber nicht dazu führen, daß wir den Soldaten, den Hilfsorganisationen, den vielen anderen signalisieren, eigentlich sei ihr Engagement nur ein wohlfeiler Anlaß, um anderes auszutragen. Das ist nicht gut.
Deswegen will ich zunächst auch in einer Korrektur einer Bemerkung, die der Bundesverteidigungsminister gemacht hat, sagen: Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat alle Einsätze der Bundeswehr in Bosnien mitgetragen und ihnen zugestimmt. Das wird auch so bleiben. Denn wir sind sehr damit einverstanden, daß die Bundesrepublik Deutschland ihre Möglichkeiten konsequent, verantwortungsbewußt und umfassend nutzt, um Morden zu verhindern, Menschen eine bessere Perspektive zu geben und in einem solchen Land den zivilen Aufbau zu ermöglichen.
Es ist eine Wahrheit, daß überall im Westen, - auch in Deutschland, hier und da auch in meiner Partei -, bezüglich der Einschätzung der Lage dieses Landes und seiner Entwicklung Fehler gemacht wurden. Es ist eine Wahrheit, daß man aus diesen Fehlern Konsequenzen ziehen muß, auch im Interesse dessen, was sich - hoffentlich auf eine friedliche Weise weiterentwickeln wird.
Rudolf Scharping
Deswegen ist beides notwendig: der Blick auf die militärische Absicherung einer zivilen, einer gewaltfreien Entwicklung in Bosnien-Herzegowina und der Blick auf die Hilfe, die bei diesem zivilen Prozeß eben außerhalb des Militärischen - mit Hilfe des Staates, mit Hilfe von Nicht-Regierungsorganisationen, mit Hilfe von Freiwilligen - gegeben wird. Es gibt leider, sowohl in der öffentlichen Debatte als auch hier und da in der tatsächlichen politischen Aufmerksamkeit, eine schwer auszuhaltende Differenz zwischen dem, was auf der militärischen Seite, auf der Seite der Absicherung des Zivilen geschehen muß - und mit unserer Unterstützung weiter geschehen wird -, und dem, was auf der zivilen Seite notwendig ist.
Ich will deshalb sagen, daß Namen wie Hans Koschnick, Christian Schwarz-Schilling, Günter Verheugen und Organisationen wie „Schüler Helfen Leben" sehr gute Hinweise darauf sind, daß wir vielleicht beides in den Blick nehmen könnten und beides mit demselben Engagement voranbringen müßten. Denn sonst könnte sich die militärische Seite der Absicherung eines zivilen Aufbauprozesses als nutzlos oder als unvollständig erweisen, weil auf der zivilen Seite nicht mit genügend Nachdruck gearbeitet worden ist.
Meine Damen und Herren, ich finde, daß es ganz gut wäre, dann, wenn man einen solchen, zum Teil sehr schwierigen Prozeß hinter sich gebracht hat, in einer solchen Debatte auch einmal zu sagen, daß wir auf die sich entwickelnde Einigkeit in diesem Hause, auf die gemeinsame Unterstützung beider Seiten - des militärischen Absicherns wie des zivilen Rufbauens - in einem gewissen Sinne stolz sein können. Daraus kann man dann eine weitere Schlußfolgerung ziehen, nämlich daß sich Fehler, die gemacht worden sind - von der internationalen Staatengemeinschaft, von Parteien und innerhalb von Parteien -, besser nicht wiederholen sollten.
Ich sage das auch mit Blick auf ein anderes Thema, das den Balkan berührt - ich fürchte, daß wir uns darüber an anderer Stelle noch intensiver werden unterhalten müssen -, nämlich was den Kosovo angeht. Auch da gilt dieselbe Regel im Umgang mit diktatorischen Regimen. Man braucht beides: die glaubwürdige militärische Drohung und das intensive und konsequente politische Bemühen. Anders - das lehrt alle Erfahrung - kommt man in solchen Konflikten leider nicht zu einem zivilen und friedlichen Ziel. Das politische Ziel sollten wir nicht vergessen, nämlich die Gewalt zu beenden, das Überschwappen der Gewalt in andere Staaten zu verhindern - was gerade dort, nicht nur wegen der albanischen Minderheit in Mazedonien, ein außerordentlich ernstes Problem ist - und auf diesem Wege die Autonomie der KosovoAlbaner zu erreichen.
Letzteres ist nicht so ganz einfach; denn Milosevic ist nur ein Teil des Problems; man soll ihn nicht mit Serbien verwechseln. Es kommt auch noch die griechisch-orthodoxe Kirche hinzu. Genauso kann man auf der Seite der Kosovo-Albaner leider nicht mehr - das ist der Preis verlorener Zeit - von einer unbestrittenen Führung durch Herrn Rugova reden, sondern muß auch die UCK und deren gewaltsame Aktionen im Blick haben.
Ich vermute, wir werden über diese Fragen noch reden müssen. Ich hoffe sehr, daß das nicht wieder zu einem Spiel wird nach der Methode: Herr Milosevic hat in Moskau etwas zugesagt, was sein Außenminister dann wieder - wie schon jetzt - zum Teil zurücknimmt.
Der Westen darf nicht wieder auf die Zusagen hoffen, ohne den notwendigen Druck zu entwickeln, damit aus den Zusagen auch Realitäten werden.
Mit Blick auf einen anderen Teil der Debatte - ich verstehe, daß er dazugehört - will ich, nur sehr kurz, sagen: Wenn man der Bundeswehr Dank und Anerkennung ausspricht, zum Beispiel wegen ihrer Hilfe an der Oder oder wegen ihres Einsatzes in Bosnien, dann ist es völlig unangemessen und in keiner Form akzeptabel - es wird übrigens auch nicht Inhalt irgendwelcher Regierungspolitik -, was die Herren Trittin und Ströbele im Zusammenhang mit diesem Gelöbnis gesagt haben.
Wenn sich in diesem Haus diesbezüglich Einigkeit einstellt,
dann können Sie, Herr Rühe, doch diesen Teil Ihrer Reden auf den Marktplätzen halten oder sonstwo; es muß nicht hier im Deutschen Bundestag passieren.
- Entschuldigung. Es darf nicht der Eindruck erweckt werden, als müsse bei breiter Übereinstimmung über die Frage Bosnien, bei breiter Übereinstimmung über die Rolle der Bundeswehr und bei breiter Übereinstimmung über die Rolle von öffentlichen Gelöbnissen ein Streit vom Zaun gebrochen werden, der nicht im Zentrum der Debatte steht und der dem Engagement und der Bedeutung der Wehrpflichtigen und der Soldaten insgesamt in keiner Weise gerecht wird.
Lassen Sie mich im übrigen noch hinzufügen: Es wäre ein deutlicher Hinweis auf ein Minimum an Souveränität, wenn diese parteipolitischen Angstreaktionen nicht alles bestimmen würden, was man in dieser Debatte erlebt hat. Das wäre ganz gut. Deswegen sage ich noch einmal zusammenfassend:
Erstens. Beides muß zusammengehalten werden: die militärische Absicherung des Friedensprozesses in Bosnien-Herzegowina und das Engagement auf der zivilen Seite durch Nicht-Regierungsorganisationen, einzelne Persönlichkeiten, Freiwillige und viele
Rudolf Scharping
andere. Die Europäische Union und übrigens auch Deutschland wären gut beraten, in der internationalen Staatengemeinschaft und selbst etwas mehr zu tun.
Zweitens.
Ihre Redezeit.
Wenn ich den Gedanken gerade noch zu Ende führen darf?
Ja.
Im Zusammenhang mit dem Kosovo gilt die Erfahrung, die wir in BosnienHerzegowina und an anderer Stelle gemacht haben.
Drittens. Wir sollten deshalb nicht der Versuchung erliegen, einen Streit über die Bundeswehr zu führen, der kein wirklicher Streit ist. Ich sehe, die Grünen sind auf einem Weg, und will sie deswegen nicht weiter kritisieren, weil sie einen Parteisprecher haben, der sich unverantwortlich äußert.
Herr Zwerenz, ich sehe, Sie haben noch eine Frage.
Bitte sehr, Herr Zwerenz.
Herr Scharping, ich bin dankbar, daß Sie mich bemerken. Ich registriere, daß das nach vier Jahren das erste Mal ist. Vielleicht beruht das aber auch auf Gegenseitigkeit.
- Nun, wir kennen uns aus seiner Juso-Zeit. Ich muß mich sowieso wundern, welche Differenzen es zwischen damals und heute gibt.
Ich habe zwei Fragen an Sie. Habe ich richtig gelesen - oder war das ein Druckfehler -, daß Sie sich vor einigen Tagen der Position des Verteidigungsministers so weit angenähert hatten, daß Sie der Meinung waren, notfalls müsse man im Kosovo ohne UN-Sicherheitsrats-Mandat eingreifen können? Wenn ich das richtig gelesen haben sollte, dann bitte ich um eine Erklärung.
Die zweite Frage betrifft Ihre gesamte Rede. Allerdings frage ich Sie insoweit stellvertretend für das ganze Haus. In Deutschland hat es eigentlich immer Pazifisten gegeben. Im Dritten Reich sind sie mit dem Tode bestraft worden. Es gab sehr viel mehr Todesurteile gegen absolute Pazifisten - Waffendienstablehner, Kriegsablehner -, als wir bisher wissen. Herkömmlich war Ihre Partei sehr pluralistisch und hat auch die Interessen dieser Kriegsverweigerer, dieser direkten Pazifisten vertreten. Ich möchte Sie einmal fragen: Ist das noch der Fall, oder ist es jetzt so, daß nur noch wir von der PDS die Interessen der Pazifisten vertreten dürfen?
Herr Zwerenz, wenn Sie Interviews lesen, dann könnten Sie bezogen auf Äußerungen von mir nicht zu Fragen wie der ersten kommen.
Zu der zweiten Frage. Pazifismus ist eine von mir sehr geschätzte, im übrigen in der SPD vertretene und von mir - soweit notwendig - nicht nur respektierte, sondern verteidigte Grundhaltung. Ich persönlich bin allerdings davon überzeugt, daß sie nicht Maßstab für staatliches Handeln werden kann. Vielmehr ist sie als individuelle Einstellung außerordentlich ehrenwert.
In der Welt, in der wir leben und arbeiten müssen, ist sie als Maßstab für staatliches Handeln allerdings untauglich.
Schließlich. Wenn Sie - das richtet sich nicht gegen Sie als Person - als Vertreter einer Gruppe, die es bisher nicht fertiggebracht hat, sich von staatlicher Gewalt, von staatlich verordnetem Mord und anderem zu distanzieren,
dem Pazifismus das Wort reden, dann finde ich das unglaubwürdig.
Als nächster spricht der Kollege Paul Breuer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist sicher wichtig, festzustellen, daß wir in diesem Parlament in der heutigen Debatte über die Verlängerung des SFOR-Mandats in Bosnien-Herzegowina eine gute, breite Mehrheit haben werden.
Herr Kollege Scharping, ich möchte in diesem Zusammenhang auf Ihre Rede eingehen. Ihre Feststellung, daß die SPD - zumindest die Mehrheit Ihrer Fraktion - in den letzten Jahren den Einsätzen in Bosnien-Herzegowina zugestimmt hat, trifft sicher zu. Es ist aber auch wichtig, festzustellen - ich will das nicht unterlassen -, daß am Anfang des Prozesses in der deutschen Politik ein harter Streit stand.
Sie werden zugeben müssen, daß ohne die klare Orientierung der Bundesregierung hin zur Kontrolle des Flugverbots durch den AWACS-Einsatz - gegen diesen haben Sie beim Bundesverfassungsgericht Klage eingereicht -, daß ohne die klare Orientierung der Bundesregierung hinsichtlich der Beteiligung an der Blockade in der Adria die Akzeptanz unserer
Paul Breuer
Politik heute auch durch Ihre Fraktion nicht zustande gekommen wäre.
Ich bringe dies in Zusammenhang mit dem Streit, den wir heute über die Äußerungen des grünen Parteivorsitzenden Trittin zum öffentlichen Gelöbnis in Berlin führen. Es ist notwendig, einen orientierenden Streit auszutragen, weil davon die Politik insgesamt profitiert.
Herr Scharping, Sie haben gesagt - darin stimme ich Ihnen zu -: Die Äußerungen von Herrn Trittin sind inakzeptabel.
Nun wird man die Grünen, das heißt Ihren potentiellen Koalitionspartner fragen müssen, wie sie nach den Äußerungen von Herrn Trittin deutlich machen wollen, eine glaubwürdige Sicherheitspolitik für unser Land zu betreiben.
Herr Fischer,
Sie haben sich nicht klar von Herrn Trittin distanziert.
Das haben Sie nicht.
- Ja, das stimmt. Dem stimme ich zu. Sie haben sich hier unklar geäußert. Wenn Herr Trittin - ich will seine Äußerungen noch einmal zitieren - gesagt hat, daß ein öffentliches Gelöbnis der Bundeswehr auf einer Linie mit den öffentlichen Vereidigungen in der Nazizeit stünde, einer Zeit, die wir hinsichtlich ihrer Qualität gleich bewerten, und dann der Bundeswehr unterstellt, auf einer Linie mit blankem faschistischem Terror zu stehen, ist das
unglaublich. Davon sollten Sie sich, Herr Fischer, in aller Klarheit distanzieren
und nicht versuchen, den Eindruck zu erwecken, daß Sie trotz solcher Äußerungen Ihres Parteivorsitzenden auf öffentlichen Plätzen hier zu seriöser Politik fähig sind.
Herr Kollege Fischer, dazu will ich Ihnen noch etwas sagen: Das, was eigentlich zu diskutieren ist, ist die Tatsache, daß Sie insgeheim wissen, daß Sie Herrn Trittin benötigen. Sie benötigen Herrn Trittin für Ihre Doppelstrategie, um den Teil Ihrer Wählerklientel zu binden, der mit der Politik, die Sie hier vertreten, nichts zu tun hat.
Im Kern benötigen Sie Herrn Trittin. Deswegen ist diese Politik janusköpfig.
Dies werfe ich Ihnen auch in Zusammenhang mit Ihrer Bundestagsfraktion vor.
Wir haben zur Kenntnis genommen, daß im Verteidigungsausschuß des Deutschen Bundestages
- im Verteidigungsausschuß sind drei Vertreter der Grünen - nur ein Vertreter der Grünen der Verlängerung des SFOR-Mandats zugestimmt hat.
Zwei haben sich der Stimme enthalten. Das heißt, daß eine Mehrheit der Vertreter Ihrer Fraktion im Verteidigungsausschuß des Deutschen Bundestages dieser Verlängerung des SFOR-Mandats nicht zugestimmt hat.
Das macht deutlich, daß die Fassade, die Sie Ihrer Außen- und Sicherheitspolitik zu geben versuchen, von Ihren eigenen Fachpolitikern im Verteidigungsausschuß in Frage gestellt wird.
Das muß deutlich gesagt werden.
Wenn Sie mit wohlfeilen Erklärungen wie Ihrem Beschlußvorschlag heute versuchen, in der Öffentlichkeit die Bundeswehr als demokratische Armee herauszustellen, dann steht das im Gegensatz zu dem, was Ihre verteidigungspolitische Sprecherin Frau Beer in der Öffentlichkeit und auch im Verteidigungsausschuß des Deutschen Bundestages tut. Ich darf eine Pressemitteilung der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen - keine private Erklärung von Frau Beer - vom 23. Januar dieses Jahres zitieren, in der es heißt, daß die eigentlichen Probleme der Bundeswehr der Rechtsextremismus und das nationalautoritäre Denken seien. Das ist eine Erklärung von Frau Beer Frau Beer, die haben Sie sicher nicht vergessen -, die Sie kennen.
Dort wird unter dem Kopf Ihrer Fraktion, Herr Fischer,
das Gegenteil dessen vertreten, was Sie heute in Ihrem Entschließungsantrag hier im Deutschen Bun-
Paul Breuer
destag einbringen. Das kann man nicht zulassen, das muß diskutiert werden. Es zeigt, daß Ihre Außen- und Sicherheitspolitik nach wie vor von großen Brüchen geprägt ist und wie unberechenbar Sie in der Außen- und Sicherheitspolitik sind.
Meine Damen und Herren, die Frage, wie man mit der Bundeswehr umgeht und welchen Geist man ihr attestiert - wie das in Ihrer Fraktion gesehen wird, habe ich am Beispiel von Frau Beer, immerhin Ihrer verteidigungspolitischen Sprecherin, deutlich gemacht -, hat etwas damit zu tun, welche Unterstützung die Soldaten der Bundeswehr als wichtige Botschafter unseres Landes in einem Konfliktgebiet wie Bosnien-Herzegowina erfahren. Die Soldaten der Bundeswehr haben besser, als viele vermutet haben, und besser, als manche befürchtet haben, in diesem Krisengebiet Einfühlungsvermögen gegenüber allen Ethnitäten bewiesen.
Das könnte wohl nicht so sein, wenn sie den Charakter hätten, der ihnen von Frau Beer in ihren Presseverlautbarungen oder anderen Verlautbarungen unterstellt wird.
- Was das angeht, werden wir in der nächsten Woche im Zusammenhang mit dem Untersuchungsausschuß wieder erleben, daß auf Briefbögen Ihrer Fraktion nach wie vor von rechtsextremen Tendenzen in der Bundeswehr gesprochen wird,
während Sie aber auf der anderen Seite in der Erklärung, die Sie heute hier einbringen, eine andere Sprache finden. Es ist janusköpfig von vorne bis hinten. Meine Bitte an Sie, Herr Fischer, ist: Beschäftigen Sie sich, wenn Sie glaubwürdig sein wollen, bitte auf der Arbeitsebene Ihrer Fraktion mit den Kollegen, die das Gegenteil dessen vertreten, was Sie hier glauben zu machen versuchen!
Meine Damen und Herren, die SFOR-Mission der Bundeswehr zusammen mit 30 Nationen im ehemaligen Jugoslawien, in Bosnien-Herzegowina, muß als höchst erfolgreich angesehen werden. Ich denke, daß nicht allein die Bundeswehr, sondern unser ganzes Volk an Erfahrung gewonnen hat. Es ist die Erfahrung, daß der Beitrag der deutschen Demokratie, der Beitrag der Bundesrepublik Deutschland in der Gemeinsamkeit mit anderen europäischen und internationalen Demokratien ein Beitrag zur Stabilisierung ist, daß ein militärischer Beitrag ein Beitrag zur Stabilisierung ist. Die Erfahrung, die wir gemacht haben, ist die, daß die öffentliche Akzeptanz eines solchen Beitrages, die öffentliche Akzeptanz eines solchen Einsatzes notwendig ist, um dabei erfolgreich zu sein.
Herr Kollege Breuer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lippelt?
Bitte schön.
Herr Kollege Breuer, Sie haben zu Recht darauf hingewiesen - Sie haben es uns auch sehr nahegebracht -, daß ein Streit, der zur Orientierung beiträgt, sehr wichtig sei. Ist Ihnen denn nicht aufgefallen - als Sie sich an den parteiinternen Streitigkeiten der Grünen abarbeiteten -, daß es für dieses Haus viel wichtiger wäre, wenn man uns über den Streit innerhalb des Bundeskabinetts orientierte, vor allem nachdem Herr Rühe gesagt hat, daß es eine rechtlich hinreichende Grundlage für einen eventuellen Einsatz schon gebe, und nachdem der Außenminister nach wie vor zu Recht darauf besteht, daß wir ein UN-Mandat brauchen? Der Bundeskanzler ist - wie ich es jetzt sehe - derselben Meinung.
Können Sie nicht dafür sorgen, daß wir Informationen über den Streit innerhalb der Koalition bekommen? Das wäre für die Orientierung der Nation und dieses Hauses viel wichtiger. Ich weise nur darauf hin: Was würde denn geschehen, wenn wir - soweit es geht - eine rechtliche Grundlage für einen solchen Einsatz zusammenzimmerten und die russische Minderheit in Lettland einen humanitären Einsatz forderte? Wo kämen wir da, bitte sehr, hin?
Herr Kollege, ich bin fest davon überzeugt, daß die Bundesregierung - so, wie das in der Vergangenheit gewesen ist - überhaupt keinen Zweifel an der Handlungsfähigkeit unserer deutschen Außen- und Sicherheitspolitik aufkommen lassen wird. Sollte es dazu kommen, daß ein militärischer Einsatz notwendig oder unvermeidbar wäre, dann wird die Bundesregierung - davon bin ich überzeugt - auf geeigneter rechtlicher Grundlage in Kooperation mit den anderen freien Nationen, insbesondere auch mit der NATO, handlungsfähig sein. Das war weder in der Vergangenheit zweifelhaft, noch wird es in der Zukunft zweifelhaft sein.
Ich gebe der Abgeordneten Angelika Beer das Wort für eine Kurzintervention.
Herr Präsident! Ich beziehe mich auf den Beitrag des Bundesverteidigungsministers Volker Rühe. Sie, Herr Rühe, hätten heute eigentlich die Aufgabe gehabt, zusammen mit diesem Parlament eine sehr schwierige Entscheidung darüber zu treffen, ob die Bundes-
Angelika Beer
wehr sich weiterhin an einem internationalen Einsatz im Rahmen von SFOR beteiligen soll. Sie sind - so ist es jedenfalls festgeschrieben - IBUK. Das heißt, Sie haben die Befehls- und Kommandogewalt in Friedenszeiten.
Was Sie hier bisher gemacht haben, ist weder eine Wahrnehmung von Aufgaben eines Verteidigungsministers noch eine Unterrichtung des Parlaments zur Vorbereitung einer Entscheidung über den Bundeswehreinsatz außerhalb des NATO-Gebietes. Vielmehr haben Sie durch pauschale Diffamierung einzelner Abgeordneter verschiedener Fraktionen versucht, darüber hinwegzutäuschen, daß Sie in den letzten Monaten und Jahren gezielt Ihre Kompetenzen immer weiter ausgedehnt haben. Es ist nicht Ihre Aufgabe als Verteidigungsminister, falsche Aussagen und Zitate aus dem Verteidigungsausschuß zu bringen. Vielmehr haben Sie als Verteidigungsminister die Pflicht, dafür zu sorgen, daß die parlamentarische Kontrolle durch den Verteidigungsausschuß in jeder Form gewährleistet ist. Durch Ihre Weigerung im Ausschuß, das Parlament über den Einsatz des Kommandos Spezialkräfte im Rahmen der bereits vorgenommenen Verhaftungen der Kriegsverbrecher als auch weiterer Personen zu unterrichten, verweigern Sie dem Parlament seine Kontrollrechte, obwohl dies in einer geheimen Sitzung des Verteidigungsauschusses jederzeit möglich wäre.
Sie tun alles, um die Vereinten Nationen zu marginalisieren, anstatt einen Friedensauftrag der Bundesrepublik Deutschland international zu festigen. Sie sind dafür verantwortlich, daß die Öffentlichkeit auf einen Kampfeinsatz im Kosovo vorbereitet werden soll, ohne daß es ein dafür erforderliches Mandat der Vereinten Nationen gibt.
Sie sind dafür verantwortlich, daß diese Debatte durch Ihren Antrag zu einer Schlammschlacht wird, die auf dem Rücken der Rekruten ausgetragen wird. Das machen Sie alles nur, um Ihre Gelöbniskampagne zu rechtfertigen. Sie diskreditieren Friedensorganisationen, die sich für ziviles Engagement in Krisenregionen, wie zum Beispiel Bosnien-Herzegowina, einsetzen. Ihnen fällt nicht einmal auf, daß es auch im Kosovo und in Serbien demokratische Organisationen gibt, die jetzt unsere Unterstützung brauchen.
Frau Kollegin Beer, darf ich Sie einen Augenblick unterbrechen. Eine Kurzintervention muß nach der Geschäftsordnung frei gehalten werden, weil sie eine Antwort auf eine Rede sein soll. Ich habe den Eindruck, daß Sie eine vorbereitete Rede halten wollen. Ich möchte Sie also bitten, sich an die Regeln der Geschäftsordnung zu halten.
Herr Präsident, wenn ich, wie ich beantragt hatte, nach dem Minister an der Reihe gewesen wäre, dann hätte ich mir keine Stichworte aufgeschrieben. Da zwischendurch aber zwei Redebeiträge waren, habe ich mir erlaubt, die Punkte, die anzusprechen sind, hier auch zu nennen.
Ich diskutiere nicht über die Handhabung der Geschäftsordnung. Ich bitte Sie, sich an sie zu halten.
Ich komme zum Schluß. Was ich sagen möchte, betrifft den Kollegen Breuer, der deutlich gemacht hat, wie wenig es dieser christlichen Partei darum geht, heute über SFOR zu diskutieren. Ich erwarte, daß Sie Ihre öffentlichen Äußerungen, die Grünen betrieben Volksverhetzung - Sie beziehen sich dabei auf Äußerungen von Trittin -, hier zurücknehmen.
Dann gebe ich das Wort zu einer Kurzintervention - nun allerdings zur Rede des Kollegen Breuer - der Abgeordneten Uta Zapf.
Herr Kollege Breuer, ich habe diese Kurzintervention auf Grund der letzten Sätze Ihrer Rede angemeldet. Sie haben davon gesprochen, daß ein Einsatz der Bundeswehr im Kosovo - wir sollten da ganz beruhigt sein - schon auf einer geeigneten rechtlichen Grundlage stattfinden werde. Ich möchte daran erinnern, daß es eine ernsthafte Frage ist, auf welcher Grundlage wir Soldaten der Bundeswehr in einen Einsatz schicken. Dieser Einsatz wird sicherlich noch problematischer als der Einsatz, der im Moment in Bosnien stattfindet, sein können.
Wenn Sie hier etwas nebulös von der „geeigneten Grundlage" sprechen, dann möchte ich ganz gerne wissen, welche Grundlage Sie damit meinen. Es gibt ja gar nicht so viele Möglichkeiten. Ich erinnere Sie, Herr Kollege Breuer, daran, daß ich vorgestern im Ausschuß Herrn Außenminister Kinkel ganz deutlich danach gefragt habe, weil nämlich auch er diese Grundlage nicht zitiert hat, obwohl die europäischen Außenminister in Cardiff übereingekommen sind, daß dafür ein UN-Sicherheitsratsmandat erforderlich sei.
Wir verfügen über keine große Skala an rechtlichen Grundlagen. Ich denke, es wäre besser, sich jetzt nicht, wie der Kollege Rühe und Sie, hinter eine nebulöse Formulierung zurückzuziehen, sondern zu sagen, was Sie außer einem UN-Mandat noch als ausreichende rechtliche Grundlage bezeichnen. Ich halte es für extrem verantwortungslos, sich nicht sehr genau darauf zu verständigen, was im Sinne des Völkerrechts eine Grundlage für den Einsatz unserer Bundeswehr darstellt. Wir alle hier sind mittlerweile soweit, daß - das ist nicht immer so gewesen; das ist hier vorgetragen worden - unter uns Einigkeit darüber besteht, die Bundeswehr bei solchen Konflikten einsetzen zu können, um Mord und Totschlag zu verhindern. Darüber, daß sie nur auf einer ganz sauberen, einwandfreien völkerrechtlichen Grundlage eingesetzt werden kann, sollte in diesem Hause heute Klarheit entstehen.
Uta Zapf
Wir entscheiden im Moment auf einer ganz sauberen Grundlage, und ich will nicht, daß das irgendwo verwischt wird, auch im Hinblick auf zukünftige Einsätze.
Dann gebe ich das Wort dem Abgeordneten Walter Kolbow.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In dieser Debatte hat sich klar herausgestellt, daß uns der große Dank und der Respekt für das von unseren Soldaten Geleistete eint. Auch das, was von den zivilen Einrichtungen dort geleistet worden ist, ist gewürdigt worden. Wir gedenken der toten Diplomaten und Soldaten, die bei ihrem Einsatz ihr Leben verloren haben.
Es hat sich bei der Rückschau, die meines Erachtens, insbesondere was die Beiträge der Redner der Koalitionsfraktionen und auch den Beitrag des Bundesverteidigungsministers angeht, zu kurz gekommen ist, gezeigt, daß wir zwei Dinge festhalten sollten, die meiner Meinung nach gerade der Arbeit, der Haltung und dem Diskussionsprozeß der Oppositionsparteien des Deutschen Bundestages zu verdanken sind. Ich meine, daß an Hand dieser komplizierten, ja gefährlichen Fälle, in die wir unsere Bundeswehr haben schicken müssen, der Unterschied zwischen dem respektierten und erlaubten individuellen Pazifismus und dem politischen Pazifismus, der keine Mehrheit irgendwelcher Art in unserem Lande bekommen darf, deutlich herausgearbeitet worden ist.
Damit haben wir diesem Rechtsstaat Bundesrepublik einen unschätzbaren Dienst erwiesen; das gilt auch für unsere Leistungen, zum Beispiel für die innerparteilichen Diskussionen in der SPD.
Ein zweiter Punkt, der mit allen zukünftigen Einsätzen in Zusammenhang zu bringen ist, ist, daß wir für eindeutige Rechtsgrundlagen Sorge getragen haben. Rechtssicherheit ist dadurch geschaffen worden, daß als unverzichtbarer Maßstab für Einsätze eine Beteiligung im Rahmen der Charta der Vereinten Nationen festgelegt worden ist. Dieser Maßstab ist einmal durch das Richterrecht des Bundesverfassungsgerichts gefunden worden, das die Wehrverfassung des Grundgesetzes fortgeschrieben hat, indem es die Beteiligung unserer Streitkräfte an internationalen Einsätzen akzeptiert hat, und zum zweiten dadurch, daß dieses Richterrecht Bundestagsbeschlüsse über den Einsatz unserer Soldatinnen und Soldaten im internationalen Bereich vorschreibt.
Das bedeutet, daß wir die Maßstäbe, so wie wir sie erarbeitet und im Parlament beschlossen haben, auch bei den Einsätzen nachvollziehen können, bei denen wir nur im nachhinein, Herr Rühe, informiert werden können, wie zum Beispiel beim Einsatz des Kommandos Spezialkräfte in Albanien, der dem Parlament vorher nicht bekanntgegeben werden konnte, um den Schutz und den Erfolg der Mission zu gewährleisten.
Wir haben im Verteidigungsausschuß mit großer Genugtuung festgestellt, daß gerade der letzte Einsatz des Kommandos Spezialkräfte zur Festnahme und Überführung eines mutmaßlichen Kriegsverbrechers, dem ungeheure Vorwürfe gemacht werden, an das Tribunal führte. Im Zusammenhang mit den internationalen Rechtsgrundlagen, die für das Tribunal gelten, gab es auch bei diesem Einsatz eindeutige Rechtssicherheit für die in die SFOR-Gruppe integrierten Soldaten des Kommandos Spezialkräfte; der Einsatz geschah auf der Basis des Sicherheitsratsbeschlusses 1088, des Dayton-Vertrages und des Bundestagsbeschlusses vom 13. Dezember 1996.
Unabdingbar ist hierbei die zeitnahe, das heißt unverzügliche Informierung des Parlaments; das ist durch Berichterstattung im Verteidigungsausschuß und auch heute durch den Beitrag des Bundesverteidigungsministers geschehen. Damit wird die Sache auch rund für mögliche, von uns nicht gewünschte Einsätze, die wir durchführen müssen, nachdem wir vorher aus der Sicht des Parlaments alles versucht haben, sie mit den Mitteln präventiver Diplomatie und anderen politischen Präventionsmöglichkeiten zu vermeiden. Gerade durch die Entwicklungen im Zusammenhang mit dem SFOR-Mandat, das wir heute verlängern müssen, ist die Bundeswehr zu einem Parlamentsheer geworden, für das letztlich der Deutsche Bundestag allein Verantwortung trägt. Für uns ist deswegen der Weg über die Vereinten Nationen, aus deren Sicherheitsratsbeschluß wir die entsprechenden Schlußfolgerungen gezogen haben, das maßgebliche Element.
Ich glaube schon, daß es die Leistungsbilanz unserer Soldatinnen und Soldaten verdient, daß wir an dieser Stelle verdeutlichen, auf wie vielfältige Weise beim militärischen Einsatz Menschen geholfen worden ist. Wir erörtern das im Verteidigungsausschuß ja in jeder Sitzung miteinander; darauf haben die im Einsatz befindlichen Soldaten auch Anspruch. Deshalb spreche ich mit großem Respekt von der CIMIC, der zivil-militärischen Zusammenarbeit, die zu einer Erfolgsstory der Bundeswehr geworden ist.
Was den Umfang des Kontingents angeht, so haben wir in dieser Zeit 30 000 Soldaten in Bosnien gehabt.
Hier muß dann auch davon gesprochen werden, daß dieser Einsatz häufig die Leistungsfähigkeit unserer Soldatinnen und Soldaten so sehr in Anspruch nimmt, daß man im Hinblick auf die tägliche Beanspruchung durchaus von einer Überdehnung des Auftrages sprechen kann. Wir müssen dies in alle Überlegungen zu Einsätzen einbeziehen, die uns politisch auch durch die internationale Völkergemeinschaft nahegebracht werden.
Ich glaube, daß der schleichende Fortgang des zivilen Stabilisierungs- und Wiederaufbauprogramms, von dem Günter Verheugen hier eindrucksvoll gesprochen hat, die Stimmung der Soldaten vor Ort belastet. Wir hören, daß das Feldlager kaum verlassen
Walter Kolbow
wird und daß man weniger ins Land geht als vorher. Ich meine, wir sollten versuchen dagegenzusteuern.
Andererseits ist für unsere Soldaten beeindrukkend, wie sich der militärische Einsatz und der zivile Wiederaufbau in der gesamten Bandbreite darstellen und bedingen. Die Bundeswehr weiß, daß im Ergebnis bisher ihr Einsatz das Zusammenleben der Menschen in der Region und den Wiederaufbau des Landes weiterhin ermöglicht. Gerade dies ist die Rechtfertigung dafür, das Mandat zu verlängern, um die Möglichkeiten der militärischen Begleitung möglichst eindrucksvoll und erfolgreich dem zivilen Wiederaufbau zufließen zu lassen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Mandatsverlängerung wird auch in der Bevölkerung mit breiter Zustimmung gesehen. Deshalb wird dem, was der Deutsche Bundestag heute dazu beschließt, auch von der großen Mehrheit der Bevölkerung zugestimmt. Dies ist an erster Stelle ein Verdienst derer, die dort als Soldatinnen und Soldaten sowie als zivile Beschäftigte der Bundeswehr gewirkt haben.
Deshalb Glück auf für die Zeit der Verlängerung und eine gesunde Rückkehr für all diejenigen, die jetzt dort hingeschickt werden müssen, um BosnienHerzegowina und den Menschen vor Ort zu helfen, um ihnen den Frieden endgültig zurückgeben zu können!
Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Christian Schmidt.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dem letzten Satz, lieber Kollege Kolbow, schließe ich mich vollständig an. Es ist wichtig, daß wir all den Soldaten der Bundeswehr, die bereits im Einsatz in Bosnien sind oder die Ende Juni im neuen Kontingent dort hingehen werden und die das nächste Jahr mithelfen werden, eine gesunde Rückkehr und viel Erfolg bei ihrer Friedensmission wünschen sowie die volle Unterstützung von seiten des Deutschen Bundestages zusagen. Das ist das Wichtigste.
Es ist genügend über die Äußerungen von Herrn Trittin und anderen gesagt worden; ich will darauf nicht weiter eingehen. Ich will nur noch sagen: Genau das verwirrt und irritiert die Soldaten, die Rekruten und die Berufssoldaten. Sie sagen nämlich: Wir gehen dort hin, wir sind bereit, das zu tun, was uns das Parlament, was uns die Bundesregierung, was uns die internationale Gemeinschaft aufträgt, und dann kommen welche, die die Regierungsverantwortung übernehmen wollen, und erzählen uns, daß wir eigentlich schlimme Kerle sind und daß wir bestenfalls in den Kasernen hinter dem Schutz von dicken Mauern bleiben sollten!
Der Geist, der sich dahinter verbirgt, hängt vielleicht auch damit zusammen, daß Herr Trittin früher bei den K-Gruppen gewesen ist oder daß Herr Trittin gemeinsam mit Herrn Gysi in Berlin-Mitte redet. Zu Zeiten, als Herr Honecker noch aktiv war und regiert hat - Herr Gysi war ja in dieses System mit verstrickt -, gab es immer den Satz, die NATO wolle den Warschauer Pakt angreifen, da die Bundeswehr mit klingendem Spiel durch das Brandenburger Tor ziehen möchte. Genau in diesem Geiste sind die Reden, die von Herrn Trittin gehalten worden sind.
Wenn es sich bei Herrn Trittin um den Schatzmeister des Ortsverbandes der Grünen von Hintertupfing handeln würde, dann könnte man ja noch sagen: Na gut, da hat mal wieder einer über das Ziel hinausgeschossen. Aber es ist der Vorturner der Grünen. Deswegen müssen wir über seine Äußerungen reden.
Ich will betonen, daß wir keine Freude daran haben, heute den Entsendebeschluß mitzutragen. Wir haben eine Einsicht in dessen Notwendigkeit. Die Bundeswehr - ich danke, daß das der Verteidigungsminister sehr deutlich gemacht hat - wird nicht leichtfertig in Einsätze geschickt, in denen sie sich bewähren muß und in denen der einzelne den Gefahren für Leib und Leben ausgesetzt ist. Es ist eine Einsicht in die Verantwortung, die sich nicht mit Gesinnungspazifismus verträgt. Diese Einsicht in die Verantwortung bedeutet auch, daß wir hinsichtlich des anderen Konflikts, des Kosovo-Konflikts, den wir seit Jahren aufkommen sehen und der sich immer mehr verschärft, rechtzeitig reagieren.
Lassen Sie mich, Frau Kollegin Zapf, noch auf Ihre Kurzintervention eingehen. Sie haben den Kollegen Breuer angegangen, wie das denn wäre. Manche bei den Grünen vermerken mit Freude: Der Verteidigungsminister sagt so und der Außenminister so. Auch bei der SPD: Scharping so, der andere wieder so. Wenn wir für den Frieden im Kosovo etwas Gutes tun wollen, dann reicht es gegenwärtig, zu sagen: Wenn wir zu Entscheidungen kommen müssen, zu denen wir noch nicht gekommen sind, dann müssen sie auf gesicherter Rechtsgrundlage entstehen. Wichtig ist jetzt, daß Wir den einheitlichen politischen Willen gegenüber Herrn Milosevic dokumentieren, nämlich das zu tun, was jetzt notwendig ist.
Wir neigen in Deutschland dazu - entsprechende Erfahrungen haben wir in den letzten Jahren machen können -, Dinge vor dem Gericht austragen zu wollen. Jawohl, es ist wichtig und richtig, daß die rechtlichen Grundlagen in Ordnung sind. Aber genauso wichtig und richtig ist, daß wir uns in dieser Diskussion um rechtliche Grundlagen nicht verfransen und nicht verzetteln dürfen, sondern daß wir die politische Linie und die politische Zielsetzung beibehalten und deutlich machen müssen. Darum - und um nichts anderes - geht es gegenwärtig.
Herr Jelzin, der heute mit Herrn Milosevic von einigen aus Mangel an Politikfähigkeit auf eine Ebene
Christian Schmidt
gestellt worden ist, kann und muß für die Weltgemeinschaft einen wichtigen Dienst in dieser Frage leisten. Ich möchte alle warnen, die meinen, man könnte allein mit Kraftworten die schwierige Situation Rußlands und auch die sicherheitspolitische Schlüsselposition Rußlands so einfach beiseite schieben. Der Bundeskanzler tut sehr gut daran - er ist einer der wenigen gewesen, vielleicht sogar der einzige, der Herrn Jelzin zu einer Zeit politisch ins Vertrauen gezogen hat, als noch 300 000 Soldaten der Roten Armee in Deutschland stationiert waren, die am 31. August 1994 mit klingendem Spiel und einem deutschen Lied auf den Lippen durchs Brandenburger Tor abgezogen sind -,
ihn jetzt in die Verantwortungsgemeinschaft der westlichen Welt einzubeziehen. Insofern glaube ich, daß all das, was in Cardiff, was vom Außenminister und vom Verteidigungsminister gesagt worden ist, in keiner Weise ein Widerspruch ist. Vielmehr wird von allen und nicht zuletzt vom Bundeskanzler deutlich gemacht, wohin die Reise geht, wenn Herr Milosevic meint, er könne im Kosovo mit den Menschen umgehen - morden, brandschatzen, töten und vertreiben -, so wie es ihm gerade paßt.
Wir werden Herrn Milosevic auch nicht insofern entgegenkommen, indem wir sagen: Kein Albaner darf mehr in den Kosovo hinein. Das ist übrigens auch eine sehr sensible Frage im Zusammenhang mit der Rückführung. Man darf nicht den Eindruck erwecken, man wolle ethnischen Säuberungen Vorschub leisten.
Man muß auch klar sagen, daß wir auf Ebene der Europäischen Union ein politisches Ziel verfolgen, nämlich: keine neuen Splitterstaaten in Europa entstehen zu lassen, sondern handlungsfähige, aber sich auch den völkerrechtlichen Regeln und den Regeln des Europarates - ich spreche die Minderheitenkonvention an - unterwerfende Staaten zu haben. Das heißt, kein selbständiger Kosovo, aber ein autonomer Kosovo.
Geht uns das eigentlich etwas an? Ich weiß, viele fragen uns: Habt ihr denn nichts anderes zu tun, als euer Geld in solche Initiativen, in solche Missionen wie jetzt in Bosnien zu stecken? Auch der Kosovo kostet uns Geld. Ich verstehe das. Trotzdem finde ich, das ist zu kurz gedacht. Es geht darum, den Frieden und die Stabilität in ganz Europa zu erhalten. Wenn es uns gelingt, den Menschen die Möglichkeit eines Lebens in ihrer eigenen Heimat zu belassen, stimmt nicht nur die menschliche und politische, sondern auch die fiskalische Rechnung. Deswegen ist das Geld, das wir hier investieren müssen, auch aus diesen Gründen gut angelegt. Es ist übrigens im Verhältnis zu anderen Beträgen ein geringer Betrag, den wir hier zahlen.
Allerdings muß eines klar sein: Wir können und wollen das nicht alleine schaffen. Wir haben auch von den anderen zu erwarten, daß sie sich im politischen, finanziellen und gegebenenfalls im Bereich der Flüchtlingsaufnahme so beteiligen, wie wir das in den letzten Jahren getan haben. Die Bundesrepublik Deutschland hat hier eine wichtige Rolle gespielt. Deshalb muß sie sich auf die Solidarität der Europäischen Union verlassen können und erwarten dürfen, daß hier gemeinsam gehandelt wird.
Das heißt übrigens auch, daß das Thema Euro heute eine wichtige Rolle spielt. Was hat der Euro mit Bosnien zu tun? Ich bin der festen Überzeugung, daß die gemeinsame Währung auch die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik befördern wird, weil es anders nicht möglich sein wird. Wir können nicht zwar in Paris und Berlin mit dem Euro bezahlen, aber in Paris und Berlin unterschiedliche Außenpolitik betreiben.
Auf uns wird die Verpflichtung zukommen, mit dem Kapital einer gemeinsamen europäischen Währungsunion, das wir geschaffen haben, die von uns ebenso geförderte politische Union zu befördern. Ich denke, daß der Kosovo die erste Nagelprobe sein wird. Ich gehe davon aus, daß die Bundesregierung bei ihrer Vorbereitung der deutschen Präsidentschaft in der ersten Jahreshälfte 1999 auf die Verbesserung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik nachhaltig einwirken wird.
Abschließend zu den Anträgen. Wir haben den Antrag der Bundesregierung vorliegen. Die CDU/CSU-Fraktion wird diesem Antrag selbstverständlich zustimmen. Er ist klar und eindeutig und verdient unsere volle Unterstützung. Insbesondere die Soldaten verdienen unsere Unterstützung.
Wir haben des weiteren einen Entschließungsantrag der Koalition zu unserer Position gegenüber den Soldaten und zur Würdigung der Rolle der Bundeswehr. Auch diesem werden wir selbstverständlich zustimmen.
Nun haben wir - wenn ich darauf hinweisen darf, Herr Präsident - in diesem Antrag noch einen kleinen Grammatikfehler. In Ziffer 3 heißt es:
Der Deutsche Bundestag spricht der Bundeswehr als den Streitkräften unseres demokratischen Rechtsstaates ihr uneingeschränktes Vertrauen aus.
Das muß natürlich heißen: „sein uneingeschränktes Vertrauen".
Daß die SPD zwar nicht ideenträchtig, aber immerhin im Abkupfern gut ist, erkennt man daran, daß ihr Antrag den nahezu gleichen Wortlaut hat wie unser Antrag - offensichtlich, um in der Debatte etwas besser dazustehen. Sie haben, Herr Catenhusen, sogar
Christian Schmidt
den Fehler mit übernommen. Vielleicht können Sie ihn auch für Ihre Seite entsprechend korrigieren.
Ein Vorschlag: Stimmen Sie einfach unserem Antrag zu, dann ist die Sache erledigt, und wir haben eine gemeinsame Position.
Was den Antrag der Grünen betrifft, würde ich eigentlich vorschlagen, daß wir diese Rechtfertigungsschrift zur politischen Selbstreinigung, wenn es denn ginge, an den Parteitag der Grünen zurückverweisen.
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Dort würde er wohl keine Mehrheit mehr erhalten. Sie werden für diesen Antrag, so sympathisch er in manchen Sätzen formuliert ist und so klar seine Intention ist, auch in diesem Bundestag keine Mehrheit erhalten.
Ich bedanke mich.
Herr Kollege, Ihre germanistische Anregung ist in das Protokoll aufgenommen worden. Ich glaube, wir brauchen dann später nicht mehr darauf zurückzukommen.
Damit gebe ich das Wort dem Abgeordneten Karsten Voigt.
Lieber Kollege Schmidt, da Wahlkampf ist, haben wir es nicht geschafft, eine gemeinsame Resolution zu verfassen. Wenn kein Wahlkampf gewesen wäre, hätten wir dies geschafft. In dieser Debatte, die ja wesentlich vom Wahlkampf geprägt ist, ist weitgehend verlorengegangen, daß in Wirklichkeit die überwiegende Mehrheit des Parlaments in Grundsatzfragen der Außen- und Sicherheitspolitik ähnliche Auffassungen vertritt.
Diese vom Wahlkampf geprägte Debatte hat aber einen Vorteil gehabt: Ich konnte mein ursprüngliches Manuskript zur Seite legen und mir in fünf Punkten notieren, was meiner Meinung nach in der bisherigen Debatte zu kurz gekommen ist. Das sind Punkte, von denen ich meine, die deutsche Politik, das deutsche Parlament, habe in den letzten fünf Jahren hinzugelernt.
Der erste Punkt betrifft das Verhältnis zwischen Zivilem und Militärischem. Zu Beginn dieser Legislaturperiode gab es noch den Streitpunkt, ob das Zivile als Alternative für das Militärische gelten könne. Am Ende dieser Legislaturperiode, in der heutigen Debatte, geht es um das richtige Mischungsverhältnis. Denn alle, die einen Militäreinsatz befürwortet haben und ihn jetzt befürworten, sagen, daß die wesentlichen Defizite nicht im Militärischen liegen, sondern im Zivilen und daß es nicht zu einer dauerhaften Befriedung in Bosnien kommen kann, wenn die zivile Seite nicht dominiert, das heißt, das Militärische überflüssig macht.
Umgekehrt ist es so, daß der überwiegende Teil derjenigen, die zu Beginn dieser Legislaturperiode Militäreinsätze noch abgelehnt und gesagt haben, zivile Optionen müßten an deren Stelle gesetzt werden, jetzt Militäreinsätze hier mit unterstützen, aber nicht deshalb, weil sie ihr Denken und Handeln militarisiert haben, sondern deshalb, weil sie wissen, daß es in bestimmten konkreten Konfliktlagen auf das Mischungsverhältnis zwischen diesen beiden Bereichen ankommt, damit wieder eine friedliche Politik betrieben werden kann und damit das Militärische und Gewalt nicht dominieren.
Wenn es aber um ein neues Mischungsverhältnis zwischen Zivilem und Militärischem geht, dann hat das auch Konsequenzen für die Administration. Da möchte ich auf Aufgaben der nächsten Legislaturperiode hinweisen. Ich meine, daß die Abstimmung zwischen der EU und der NATO auf der internationalen Ebene und zwischen Außenministerium, Innenministerium und Verteidigungsministerium bei uns zu Hause noch nicht genügend funktioniert. Ich glaube, daß der Bundessicherheitsrat, der eine solche Koordinierung eigentlich übernehmen müßte, einen Dornröschenschlaf hält und angesichts seiner bisherigen Arbeitsweise untauglich ist, diese Aufgaben zu übernehmen. Er müßte sie aber übernehmen, wenn er der neuen Rolle Deutschlands und den neuen Problemen Rechnung tragen will. Das bleibt also eine Aufgabe.
Zum zweiten Punkt. Das neue Verhältnis zwischen innen und außen stellt auch die Frage nach dem Völkerrecht neu. Das traditionelle Völkerrecht ist auf den Konflikt zwischen Staaten abgestellt. Wir haben es aber sowohl bei dem Problem in Bosnien als auch bei dem Problem im Kosovo wie auch bei einer Reihe von anderen Problemen mit innerstaatlichen Konflikten zu tun, die andere Staaten in ihrer Stabilität zum Beispiel im Rahmen der Flüchtlingsproblematik direkt oder indirekt berühren, die aber nach den klassischen Regeln des Völkerrechts - mein Kollege Eberhard Brecht guckt mich dabei an - über die UNO-Charta nicht leicht zu beheben sind, zumindest nicht mit Zwangsmaßnahmen.
Man kann darauf reagieren, indem man das Völkerrecht etwas kreativ interpretiert. Das ist der Vorschlag von einigen. Man kann auch einfach sagen: Man darf nicht eingreifen, weil das Völkerrecht das nicht zuläßt. Ich glaube, wir müssen hier schlicht und ergreifend eine Weiterentwicklung des Völkerrechts vornehmen.
Karsten D. Voigt
Es gibt dafür im europäischen Kontext bereits Hinweise. Denn in Wirklichkeit haben wir mit der Charta von Paris und den OSZE-Beschlüssen bereits Normen, die nicht nur auf zwischenstaatliche Konflikte hinweisen, sondern auf die Kategorie der Verletzung von Menschenrechten, Demokratie usw.
Ich glaube, daß wir im Rahmen dieses Denkens weitere Normen verfestigen müssen, die bei einer wesentlichen Verletzung von Demokratie und Menschenrechten ein Eingreifen der Staatengemeinschaft in die innerstaatliche Souveränität ermöglichen. Das ist bisher noch nicht der Fall. Das ist eine bleibende Aufgabe.
Zum dritten Punkt, zur Geschichte. Zu Beginn dieser Legislaturperiode haben die meisten Abgeordneten einen möglichen Militäreinsatz vor. dem Hintergrund der deutschen Geschichte beurteilt und gesagt: Wir Deutsche dürfen nie wieder tun, was Deutsche einmal getan haben. Es geht aber im wesentlichen nicht nur darum, nicht zu wiederholen, was Deutsche getan haben. Wir müssen vielmehr darauf achten, daß wir gemeinsam mit unseren Nachbarn aus deren Geschichte - zum Beispiel von den Holländern - lernen, daß man Diktatoren und Aggressoren entsprechend unserer Geschichte zusammen mit unseren Nachbarn frühzeitig verhindern muß.
Entsprechend dem, was wir da gemeinsam mit unseren europäischen und transatlantischen Partnern gelernt haben, haben wir zwar das, was wir aus unserer eigenen Geschichte gelernt haben, nicht verdrängt, sind jetzt aber so weit, uns mit ihnen zu integrieren und mit ihnen gemeinsam Antworten auf Menschenrechtsverletzungen und auf Gefahren der Friedensbedrohung, zum Beispiel in Bosnien und im Kosovo, zu geben. Damit ist die Frage nach einem deutschen Sonderweg nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch erledigt.
Damit bin ich beim vierten Punkt: Die Bundeswehr ist naturgemäß ein Instrument, das der besonderen Kontrolle unterliegt. Es gibt kein Parlament - das ist unsere Lehre aus der Geschichte -, das rechtlich eine so intensive Kontrollmöglichkeit hat und von ihr auch faktisch Gebrauch macht, wie es beim Bundestag der Fall ist. Deshalb sind wir in manchen Bereichen auch Vorbild für Staaten, die sich frisch demokratisiert haben oder gerade demokratisieren. Aber die Bundeswehr war - das ist vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte verständlich - in ihrem Handeln, in ihrem Image und in ihren symbolischen Gesten immer umstritten. Sie wird auch weiterhin umstritten sein. Die heutige Debatte verschleiert jedoch zum Teil, daß die Bundeswehr noch nie so wenig umstritten war, wie sie es zur Zeit ist. Viele derer, die 1968 aus einem ganz bestimmten Bereich des Protestpotentials unserer Gesellschaft kamen - das gilt zum Beispiel für Joschka Fischer, aber auch für mich -, stehen heute zur Bundeswehr. Das bedeutet, daß sich etwas im Verhältnis zwischen gesellschaftlichen
Gruppen und Bundeswehr getan hat, und zwar positiv und von beiden Seiten.
Ich habe mir als Juso-Vorsitzender nicht vorstellen können, jemals ein Gelöbnis abzunehmen, wie ich es in der vergangenen Woche getan habe.
Daß Herr Trittin das noch anders sieht, liegt einfach daran, daß er Lernunfähigkeit mit Prinzipientreue verwechselt.
Seine Prinzipientreue besteht darin, daß er stolz darauf ist, in den letzten 30 Jahren nichts dazugelernt zu haben, obwohl es Revolutionen gegeben hat.
Auf solche Revolutionäre, die, nachdem sich Revolutionen wie die von 1989 vollzogen hatten, stolz darauf sind, sich nicht verändert zu haben, kann ich pfeifen, und auf die können die Grünen hoffentlich auch pfeifen.
Damit bin ich beim fünften Punkt; das betrifft den Deutschen Bundestag. Natürlich war heute Wahlkampfdebatte. Aber das überlagert ein bißchen, welche wesentliche Rolle der Bundestag in dieser Entwicklung gespielt hat. Es ist schon erwähnt worden, daß Kollegen des Bundestages wie Hans Koschnick, Schwarz-Schilling, Freimut Duve, Günter Verheugen, Gerd Poppe, Jupp Vosen und Schlee sich engagiert mit der Bosnien-Frage und der Kosovo-Frage beschäftigt haben. Es gibt kein anderes Parlament, in dem man innerhalb einer halben Stunde zu jedem Ort im ehemaligen Jugoslawien einen Spezialisten finden kann, weil jemand dort war, sich damit beschäftigt hat und die Konfliktlage kennt. Ungefähr 50 Prozent nicht der Tagesordnungspunkte, aber der Sitzungsdauer des Auswärtigen Ausschusses in dieser Legislaturperiode bezogen sich auf Bosnien oder auf die Probleme im ehemaligen Jugoslawien. Fast alle politischen Führer aus den konfliktträchtigen Bereichen waren entweder hier, oder man hat sie dort besucht. Das heißt, der Deutsche Bundestag hat nicht nur hinsichtlich der Abstimmung über die militärische Frage, die wir jetzt im großen Konsens entscheiden werden, sondern auch in den Bereichen, in denen es um die konkreten zivilen, ökonomischen, menschlichen, humanitären und parteipolitischen Aspekte geht, in den letzten Jahren Großartiges geleistet. Da das normalerweise die Presse nicht von sich aus sagt, möchte ich es wenigstens gesagt haben.
Danke.
Herr Kollege Voigt, Sie haben heute Ihre letzte Rede vor dem Deutschen Bundestag gehalten.
Mit Ihnen scheidet ein weiteres verdienstvolles Mitglied aus dem Hause aus, dem Sie seit 1976, also seit 22 Jahren, angehören. Sie haben einen langen politischen Weg innerhalb und außerhalb dieses Hauses zurückgelegt, bis Sie Ihr Thema, die nordatlantische Zusammenarbeit, gefunden haben. Sie waren von 1992 bis 1994 Vizepräsident der Nordatlantischen Versammlung und haben sich wirklich große Verdienste erworben. Ich möchte Ihnen den Dank des Hauses für Ihre parlamentarische Arbeit aussprechen.
Damit gebe ich dem Abgeordneten Ulrich Irmer das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich möchte mich bei Karsten Voigt bedanken. Wir haben im Auswärtigen Ausschuß über die Jahre hinweg erstklassig konstruktiv und freundschaftlich zusammengearbeitet. Ich glaube, ich werde im Namen mancher Kollegen aus dem Auswärtigen Ausschuß sprechen können, wenn ich sage: Wir werden dich vermissen. Wir wünschen dir alles Gute. Wir bedanken uns für das, was wir gemeinsam tun konnten.
Jetzt muß ich allerdings Herrn Scharping fragen, ob er die Äußerungen von Herrn Trittin nicht ein bißchen heruntergespielt hat.
Herr Scharping, Sie haben so getan, als sei das, was Trittin in Berlin abgelassen hat, ein Ausrutscher gewesen und nicht weiter ernst zu nehmen.
Ich lese hier in einer Pressemeldung von gestern: ... warf Trittin der Bundesregierung vor,
- das bezieht sich auf den Beschluß, den wir heute zu fassen haben -
sie entsende für militärische Interventionen gedrillte Krisenreaktionskräfte nach Bosnien.
Es geht weiter:
Damit wolle sie die Akzeptanz einer militärisch gestützten Außenpolitik bis zur Teilnahme an Golfkriegsaktionen fördern.
Herr Scharping, Sie müssen noch dazu Stellung nehmen, ob Sie es sich wirklich so leicht machen können, zu sagen: Das war ein Ausrutscher eines etwas undisziplinierten und, wie Karsten Voigt gesagt hat, nicht mehr lernfähigen Chaoten. Er ist der Sprecher der Partei Bündnis 90/Die Grünen.
Volker Rühe hat recht, obwohl die Vorstellung von Joschka Fischer als rosigem Pfirsich zumindest für mich noch sehr gewöhnungsbedürftig ist: Nach außen wird eine Art Window-Dressing betrieben. Herr Fischer versucht, den seriösen Staatsmann zu spielen, und es wird gesagt: Nur darauf kommt es an. Was die paar Chaoten machen, spielt keine Rolle. - Nein, meine Damen und Herren. Weshalb sagt Herr Trittin dies denn? Doch deshalb, weil er eine ganz bestimmte Wählerschicht an sich binden will. Hier wird doch an diejenigen appelliert, die die Bundeswehr, die NATO und auch die NATO-Öffnung nicht wollen
und die deswegen letzten Endes friedensunfähig sind.
Eines ist auch bei dem Beschluß, den wir heute zu fassen haben, klargeworden: Es geht in der Welt eben nicht nur idyllisch zu. Die schönsten Worte, die schönsten Beteuerungen und auch die intensivsten Verhandlungen machen es leider oft nicht überflüssig, daß im Interesse des Friedens mit Gewalt nachgeholfen werden muß.
Ich unterstütze all diejenigen, die hier gesagt haben, die zivile Komponente sei mindestens ebenso wichtig, sei unerläßlich, und wenn die zivile Komponente keinen Erfolg habe, dann werde auch jeder militärische Einsatz sinnlos bleiben. Ich will aber betonen, daß es auch in diesem Hause Kollegen gibt - Karsten Voigt hat das bereits gesagt -, die in unermüdlichem Einsatz dort tätig sind. Ich will nur einmal erwähnen, daß der Kollege Christian Schwarz-Schilling mühevoll von Dorf zu Dorf zieht und mit den Bürgermeistern Verhandlungen über die Rückführung von Flüchtlingen führt. Das möchte ich hier ausdrücklich würdigen;
denn ohne diese Arbeit wäre der Beschluß, den wir heute fassen, nicht zu vertreten.
Meine verehrten Damen und Herren, über das in der Tat verwandte Problem im Kosovo ist hier bereits gesprochen worden. Karsten Voigt hat in nachdenklicher Art darauf hingewiesen, daß wir das Völkerrecht weiterentwickeln müssen. Zur Diskussion über die Rechtsgrundlage möchte ich aber ganz klar sagen: Wir haben dies noch einmal sorgfältig geprüft.
Ulrich Irmer
Als Rechtsgrundlage für einen etwaigen militärischen Einsatz im Kosovo steht heute nur ein Mandat des UN-Sicherheitsrats zur Verfügung;
denn der Fall des Art. 51 der UN-Charta, der vorsieht, daß die Staatengemeinschaft im Falle eines bewaffneten Angriffs eines Landes auf ein anderes Land dem angegriffenen Land zu Hilfe eilen kann, ist nicht gegeben. Der Fall ist vorgesehen, aber er wird hier Gott sei Dank nicht eintreten. Herr Milosevic wird den Teufel tun und Übergriffe auf Mazedonien oder Albanien riskieren; denn er weiß genau, dann hat er die geballte Militärmacht der NATO am Halse. Das wird er meiden wie der Teufel das Weihwasser. Insofern sollten wir hier doch realistisch sein. Auch ich bin der Meinung, daß wir die Diskussion politisch führen sollten.
Ich möchte der Bundesregierung ausdrücklich meine Anerkennung dafür aussprechen, daß sie sich in der Frage des Kosovo so sehr um Rußland bemüht.
Daß Jelzin mit Milosevic gesprochen hat, ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, daß Bundeskanzler Kohl mit Boris Jelzin und Klaus Kinkel mit seinem Kollegen Primakow fast täglich über die Situation sprechen und auch um diese Vermittlung gebeten haben. Die Tatsache, daß Russen Seite an Seite mit der NATO in Bosnien tätig sind, zeigt doch auch, daß hier ein Vertrauensverhältnis zu Rußland aufgebaut worden ist, das schon in Teilen funktioniert, aber es muß noch besser werden.
Ich will noch eines sagen: Wir sollten auch nicht so kleinmütig sein und von Anfang an so tun, als ob die Vereinten Nationen unbedingt zahnlos sein müßten. Wenn Milosevic seine Zusagen gegenüber Jelzin nicht einhält, dann besteht doch die Chance, daß dieser davon absieht, wenn es zu der Frage kommt, im Sicherheitsrat ein Veto einzulegen. Hierauf müssen die diplomatischen Bemühungen zielen. Ich plädiere nachhaltig dafür, daß wir von uns aus alles tun, um die Rolle der Vereinten Nationen weiter zu stärken.
Ich möchte dem von mir ansonsten sehr geschätzten Josef Joffe widersprechen, der heute in der „Süddeutschen Zeitung" ausführt, wir machten das Thema der Rechtsgrundlage nur deshalb zu einem Problem, weil wir nicht wüßten, ob wir eigentlich wirklich wollen sollten.
Lieber Herr Joffe, meine Damen und Herren, wir wollen uns für den Frieden einsetzen. Wir wollen Verhandlungslösungen im Kosovo haben. Die Welt muß aber wissen: Rechtsbrecher, Störenfriede, Verbrecher und blutrünstige Diktatoren müssen damit rechnen, daß sie nicht ungeschoren davonkommen, wenn sie sich dem Frieden in der Welt widersetzen.
Ich danke Ihnen.
Damit schließe ich die Aussprache.
Ehe wir in die Abstimmungen eintreten, möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, daß es sich um sechs namentliche Abstimmungen handelt. Ich hoffe, daß Sie sich ausreichend mit Stimmkarten versorgt haben.
Es liegt eine Reihe von Erklärungen nach § 31 der Geschäftsordnung vor, und zwar eine gemeinsame Erklärung der Abgeordneten Volker Beck und Andrea Fischer, eine weitere gemeinsame Erklärung von Ursula Schönberger und Halo Saibold, einzelner Erklärungen von Kurt Neumann, Dr. Jürgen Rochlitz, Christian Sterzing, Winfried Nachtwei, Margitta Terborg und der Kollegin Monika Knoche. Eine weitere gemeinsame Erklärung liegt vor von den Abgeordneten Ludger Volmer, Angelika Beer, Gila Altmann, Amke Dietert-Scheuer, Marina Steindor, Annelie Buntenbach, Dr. Jürgen Rochlitz und Kerstin Müller. *)
Ich nehme an, daß das Haus damit einverstanden ist, daß diese Erklärungen zu Protokoll genommen werden. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann wird so verfahren.
Wir treten in die Abstimmungen ein. Ich lasse zunächst über die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zum Antrag der Bundesregierung zur deutschen Beteiligung an der von der NATO geplanten Operation zur weiteren militärischen Absicherung des Friedensprozesses im früheren Jugoslawien auf Drucksache 13/11012 abstimmen. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/ 10977 anzunehmen.
Es ist namentliche Abstimmung verlangt. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen.
Sind alle Urnen besetzt? - Ich eröffne die Abstimmung. -
Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? - Sind alle Stimmen abgegeben? - Das ist der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung.
Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird später bekanntgegeben werden.* * )
Ich mache darauf aufmerksam, daß wir die noch folgenden fünf Abstimmungen nacheinander durchführen können. Wir brauchen dafür nicht das Ergebnis der Auszählung abzuwarten.
Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. auf Drucksache 13/11065. - Die Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. haben auch in diesem Fall namentliche Abstimmung beantragt. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die dafür vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind alle Urnen ordnungsgemäß besetzt? - Dann eröffne ich die Abstimmung. -
*) Anlage 5 im Nachtrag zu diesem Plenarprotokoll **) Seite 22451 A
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat, aber mitstimmen möchte? - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung.
Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis wird später bekanntgegeben. *)
Wir fahren fort. Zunächst bitte ich Sie aber, Ihre Plätze einzunehmen, da nun eine Erklärung zur Abstimmung in mündlicher Form abgegeben werden soll. ,
Ich gebe zunächst das von den Schriftführern und Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt. Es handelt sich um die Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zum Antrag der Bundesregierung „Deutsche Beteiligung an der von der NATO geplanten Operation zur weiteren militärischen Absicherung des Friedensprozesses im früheren Jugoslawien über den 19. Juni 1998 hinaus ". Das sind die Drucksachen 13/10977 und 13/11012. Abgegebene Stimmen 576. Mit Ja haben gestimmt 528, mit Nein 37. Es gab 11 Enthaltungen. Damit ist die Beschlußempfehlung angenommen. * * )
Wir kommen nun zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/11077. Zur Abgabe einer Erklärung zur Abstimmung erteile ich der Abgeordneten Uschi Eid das Wort.
Herr Präsident! Ich möchte eine Erklärung zu meinem Abstimmungsverhalten abgeben. Bei der Abstimmung über den Entschließungsantrag der SPD werde ich mich enthalten, weil unter Punkt 4 Äußerungen von Vertretern von Bündnis 90/Die Grünen pauschal verurteilt werden. Dieser pauschalen Formulierung kann ich nicht zustimmen.
Mir persönlich liegt jedoch daran, festzustellen, daß ich die Äußerungen des Sprechers meiner Partei bei dem öffentlichen Gelöbnis der Bundeswehr in Berlin nicht billige.
Er hat dort nicht in meinem Namen gesprochen. Ich lege Wert auf die Feststellung, daß die Bundeswehr nicht in der Tradition der nationalsozialistischen Wehrmacht steht und keinesfalls mit ihr auf die gleiche Stufe gestellt oder mit ihr gleichgesetzt werden kann.
*) Seite 22 451D
* *) Endgültiges Ergebnis und Namensliste siehe Anlage 6 im Nachtrag zu diesem Plenarprotokoll
Die Bundeswehr ist neu gegründet, ist demokratisch legitimiert und auf eine demokratische Verfassung vereidigt. Das ist ein konstituierender Unterschied zur Wehrmacht. Denn „jeder Soldat der Wehrmacht war auf einen Verbrecher vereidigt", wie es Freimut Duve in seiner beeindruckenden Rede vom 13. März 1997 in diesem Hause formulierte, als er auf die Rede von Alfred Dregger zur Wehrmachtsausstellung reagierte. Ich lege Wert auf die Feststellung, daß der zunehmende Rechtsradikalismus und Rechtsextremismus viele Ursachen hat und daß öffentliche Gelöbnisse nicht als Erklärungsmuster dafür herangezogen werden können.
Danke schön.
Wir treten nun in die Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/11077 ein. Die Fraktion der SPD verlangt namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Darf ich fragen, ob die Urnen besetzt sind? - Das ist der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung. -
Darf ich fragen, ob ein Mitglied des Hauses anwesend ist, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? - Nachdem auch Herr Fischer seine Stimme abgegeben hat, schließe ich die Abstimmung.
Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung gebe ich später bekannt. )
Wir können fortfahren. Ich gebe zunächst das von den Schriftführern und Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. zum Antrag der Bundesregierung zur SFOR-Folgeoperation - das sind die Drucksachen 13/10977 und 13/11065 - bekannt. Abgegebene Stimmen 570. Mit Ja haben gestimmt 302. Mit Nein haben gestimmt 78. Es gab 190 Enthaltungen. Damit ist der Entschließungsantrag angenommen.* * )
Wir fahren mit den Abstimmungen fort. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/11083. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen verlangt namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind die Urnen besetzt? - Ich eröffne die Abstimmung. -
Haben alle Mitglieder des Hauses ihre Stimme abgegeben? - Das ist der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung.
*) Seite 22452A
* *) Endgültiges Ergebnis und Namensliste siehe Anlage 7 im Nachtrag zu diesem Plenarprotokoll
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Auch in diesem Fall wird das Ergebnis später bekanntgegeben. *)
Dann kommen wir zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. auf Drucksache 13/11093. Die Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. verlangen namentliche Abstimmung.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind alle Urnen besetzt? - Dann eröffne ich die Abstimmung. -
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis wird später bekanntgegeben. * * )
Ich gebe das von den Schriftführern und Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zum Antrag der Bundesregierung zur SFOR-Folgeoperation - das sind die Drucksachen 13/10977 und 13/11077 - bekannt. Abgegebene Stimmen 569. Mit Ja haben gestimmt 186. Mit Nein haben gestimmt 359. Es gab 24 Enthaltungen. Damit ist der Entschließungsantrag abgelehnt.* * * )
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/11087. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat namentliche Abstimmung verlangt. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind die Urnen besetzt? - Ich eröffne die Abstimmung. -
Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? -
Ich schließe die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis gebe ich sobald wie möglich bekannt.* * * *) - Ich bitte Sie, Platz zu nehmen.
Ich gebe das von den Schriftführern und Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum SFOR-Antrag der Bundesregierung - Drucksachen 13/10977 und 13/11083 - bekannt. Abgegebene Stimmen: 563. Mit Ja haben gestimmt: 38. Mit Nein haben gestimmt: 499. Es gab 26 Enthaltungen. Damit ist der Entschließungsantrag abgelehnt. * * * * *)
Damit sind wir, bis auf die letzte Auszählung, am Ende dieses Punktes der Tagesordnung.
*) Seite 22452B * *) Seite 22454 A * * *) Endgültiges Ergebnis und Namensliste siehe Anlage 8
im Nachtrag zu diesem Plenarprotokoll
* * * *) Seite 22454 A
* * * * *) Endgültiges Ergebnis und Namensliste siehe Anlage 9
im Nachtrag zu diesem Plenarprotokoll
Ich kann Ihnen mitteilen, daß zum Tagesordnungspunkt 21 alle Reden zu Protokoll gegeben worden sind. Es handelt sich um die Reden der Kolleginnen und Kollegen Maria Eichhorn, Klaus Hagemann, Jörg Tauss, Rezzo Schlauch, Sabine LeutheusserSchnarrenberger und Rosel Neuhäuser.*) Ich nehme an, daß Sie damit einverstanden sind.
Dann rufe ich den Tagesordnungspunkt 19 auf:
Beratung des Endberichts der Enquete-Kommission
„Sogenannte Sekten und Psychogruppen" - Drucksachen 13/10950 -
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort der Abgeordneten Ortrun Schätzle.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach nur zweijähriger Arbeit legt die Enquete-Kommission „Sogenannte Sekten und Psychogruppen" heute ihren Abschlußbericht vor. Er stellt quantitativ und qualitativ die bisher intensivste Analyse des Sektenphänomens im deutschsprachigen Raum dar. In 49 Sitzungen, zahlreichen Anhörungen und Gesprächen und unter Auswertung umfangreichen Materials wurden die Konfliktfelder bearbeitet, die Bürgerinnen und Bürger im Zusammenhang mit sogenannten Sekten und Psychogruppen beunruhigten und die zu zahlreichen Petitionen an den Deutschen Bundestag geführt hatten.
Von Beginn an stand die Arbeit der Kommission in einem öffentlichen Meinungsstreit und unter erheblichem Rechtfertigungsdruck. Einerseits wurde argumentiert, von sogenannten Sekten und Psychogruppen gingen keinerlei Gefahren aus; die Kommission sei unnötig. Andere meinten, der Staat solle sich nicht einmischen; schließlich könne jeder in unserer Gesellschaft nach seiner Fasson glücklich werden. Wieder andere befürchteten, die Arbeit der Kommission entwickle sich zur Gesinnungsschnüffelei oder gar zur Verteufelung von religiösen und weltanschaulichen Minderheiten.
Die Petitionen, die zur Einsetzung der EnqueteKommission „Sogenannte Sekten und Psychogruppen" geführt hatten, sprachen eine klare Sprache. Sie berichteten von Menschen, die durch physische und psychische Schädigung, durch Ausbeutung, Erpressung und den Einsatz manipulativer Techniken zu Opfern geworden waren. Diese Opfer und ihre Angehörigen begleiteten die Arbeit der EnqueteKommission mit hohen Erwartungen und forderten, der Staat müsse die Bürgerinnen und Bürger vor Gefahren schützen, warnen und vor allen Dingen Menschenrechtsverletzungen verhindern. Die bestürzen-
*) Siehe Nachtrag zu diesem Plenarprotokoll Anlage 9
Ortrun Schätzle
den Vorgänge zum Beispiel um die Sonnentempler, die Aum-Sekte in Japan oder die Scientology-Organisation unterstützten diese Forderungen.
Unsere Enquete-Kommission hat sich in ihrer Arbeit immer an den Konfliktfeldern orientiert und nicht einzelne Gruppen oder gar deren Glaubensüberzeugung bewertet. Wir haben uns stets vom Gebot staatlicher Neutralität und Toleranz im Sinne des Art. 4 unseres Grundgesetzes leiten lassen. Diese Grundhaltung ist im Abschlußbericht in eindrucksvoller Weise dokumentiert. Andere Aussagen, die ohne Kenntnis des Abschlußberichtes das Gegenteil behaupten, weisen wir entschieden zurück.
Einige wesentliche Ergebnisse unserer Kommission möchte ich kurz darlegen. Sogenannte Sekten und Psychogruppen sind eine Antwort auf die Folgen tiefgreifender gesellschaftlicher Veränderungen. Seit dem Ende der 60er Jahre erleben wir, daß ehemals klare Vorgaben zur Lebensführung, Werthaltung und Sinnstiftung zunehmend unverbindlicher werden. Gleichzeitig werden dem einzelnen hohe Leistungskraft sowie ein großes Maß an Flexibilität, Mobilität und Entscheidungsbereitschaft abverlangt. Diese Umbrüche verunsichern die Menschen und verstärken den Wunsch nach Hilfe, nach Orientierung und vor allen Dingen nach Lebenshilfe. Um diese Bedarfslücke zu schließen, ist nun eine unüberschaubare Zahl von Gruppierungen und Anbietern entstanden, die alternative Lebenswelten, einfache Heilsmuster oder die Steigerung und Stärkung individueller Leistungskraft anbieten. Der Lebenshilfemarkt boomt, und in der Welt des technisch Machbaren blühen Mythos und Magie.
Als konfliktträchtig, liebe Kolleginnen und Kollegen, kann aber nur ein kleiner Teil dieser Gruppierungen angesehen werden. Sofern es Konflikte gibt, bewegen sie sich zumeist im sozialen Umfeld des einzelnen. Dabei ist kein verallgemeinerbares Muster erkennbar. Ein von der Enquete-Kommission in Auftrag gegebenes Forschungsprojekt hat erbracht, daß Menschen, die sich zu sogenannten Sekten und Psychogruppen hingezogen fühlen, in der Regel keine passiven Opfer sind. Vielmehr suchen sie ihre Wünsche und Erwartungen mit passenden Gruppenangeboten zu befriedigen. Die Angebote der Gruppe können für den einzelnen einen großen Zugewinn bedeuten; sie können aber auch zu erheblichen und schweren Konflikten führen, für deren Bewältigung intensive Hilfestellung nötig ist.
Staatliches Handeln ist dann notwendig, wenn gegen die Grundrechte verstoßen wird, gegebenenfalls sogar unter dem Schutzschild der Religionsfreiheit. Aber auch unterhalb der Schwelle zwingend notwendigen staatlichen Handelns sollte der Staat Bürgerinnen und Bürger mit den notwendigen Mitteln versehen, um sie vor Übervorteilung und Schädigung zu schützen.
Deshalb hat unsere sorgfältige Arbeit in der Enquete-Kommission zu sehr differenzierten Empfehlungen geführt. Wir schlagen zum Beispiel vor, den pauschalen und stigmatisierenden Begriff der „Sekte" nicht mehr zu verwenden, sondern statt dessen den Begriff „neue religiöse und ideologische Gemeinschaften" anzuwenden.
Wir empfehlen die Einrichtung einer Bundesstiftung. Sie soll unterschiedliche Aspekte im Umgang mit neuen religiösen und ideologischen Gemeinschaften und Psychogruppen bündeln durch die Koordination von Information und Aufklärungsarbeit, durch Qualifizierung und Förderung von Beratung, durch verstärkte internationale Zusammenarbeit und vor allem durch Forschungsförderung, die dringend notwendig ist. Außerdem muß der Verbraucherschutz durch ein Gesetz zur gewerblichen Lebensbewältigungshilfe verbessert werden.
Ein Letztes: Hinsichtlich der Scientology-Organisation, die nach Auffassung der Enquete-Kommission keine religiöse Gemeinschaft, sondern eine politisch-extremistische Bestrebung ist, empfehlen wir, die Beobachtung durch den Verfassungsschutz fortzusetzen.
Meine Damen und Herren, Hilfestellungen zur Orientierung und Lebensbewältigung kann der Staat aber nicht allein leisten. Die gesellschaftlichen Gruppen und die Bürgerinnen und Bürger selbst tragen hohe Mitverantwortung.
Schließlich sind wir alle gemeinsam gefordert, uns für das Gemeinwohl, den demokratisch-freiheitlichen Staat und seine Wertordnung einzusetzen.
Um insbesondere junge Menschen vor der Hinwendung zu problematischen Gruppierungen zu schützen, sind Information und Aufklärung, mehr gelebte Toleranz und Solidarität notwendig, aber ich meine, auch Kritik- und Konfliktfähigkeit.
Der erfolgreiche Abschluß unserer Arbeit in der Enquete-Kommission wäre ohne den hohen Einsatz der Mitglieder nicht geglückt. Ich danke allen für die gute, engagierte Zusammenarbeit - trotz mancher Meinungsverschiedenheiten, die wir hatten. Mein Dank gilt auch den Obleuten der Fraktionen, vor allem für die Bereitschaft, immer wieder aufeinander zuzugehen.
Renate Rennebach, unserer Kollegin, die diese Parlamentsdebatte leider nicht mitverfolgen kann, lasse ich von dieser Stelle aus herzliche Genesungswünsche zukommen.
Für ihren außergewöhnlichen Einsatz danke ich natürlich auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Fachsekretariats und auch meines Abgeordnetenbüros.
Danken möchte ich allen, die in vielfacher Weise unsere Arbeit konstruktiv begleitet und unterstützt haben. Dieser Dank gilt auch der Bundesregierung. Mit der Berichtspflicht übergebe ich ihr unser, aber auch mein persönliches großes Anliegen zur weiteren Bearbeitung. Auch wenn ich dem neuen Deutschen Bundestag nicht mehr angehören werde,
Ortrun Schätzle
werde ich die Umsetzung unserer Handlungsempfehlungen mit größtem Interesse verfolgen.
Ich danke Ihnen.
Frau Kollegin Schätzle, Sie haben mich eben mit der Nachricht überrascht, daß Sie dem nächsten Deutschen Bundestag nicht mehr angehören werden. Ich möchte auch Ihnen für Ihre parlamentarische Arbeit herzlich danken und Ihnen den Dank des Hauses aussprechen.
Ehe wir in der Debatte fortfahren, gebe ich die Ergebnisse der beiden letzten namentlichen Abstimmungen bekannt.
Zunächst das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. auf Drucksache 13/11093: Abgegebene Stimmen: 563, mit Ja haben gestimmt: 311, mit Nein: 82; es gab 170 Enthaltungen. Damit ist die Beschlußempfehlung angenommen.*)
Nun das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/ 11087: Abgegebene Stimmen: 562, mit Ja haben gestimmt: 261, mit Nein: 298; es gab 3 Enthaltungen. Damit ist der Antrag abgelehnt.* * )
Ich gebe weiterhin bekannt, daß die Abgeordnete Rosel Neuhäuser ihre Rede zu Protokoll gibt * * *) -Ich sehe, daß Sie damit einverstanden sind.
Ich gebe nun der Abgeordneten Angelika Mertens das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir heute den Endbericht der EnqueteKommission „Sogenannte Sekten und Psychogruppen" diskutieren, dann ist dies gleichermaßen Anlaß wie Gelegenheit, ein Resümee zu ziehen. Dabei möchte ich zunächst festhalten, daß nach Auffassung der SPD die Enquete-Kommission allen Grund hat, zufrieden und selbstbewußt auf die von ihr geleistete Arbeit zurückzublicken.
Das Thema und die damit verbundene Aufgabenstellung hat, wie auch bei anderen gesellschaftlichen Konflikten, die Kritik herausgefordert. In unserem Fall reichte diese von „Inquisition" und „Hexenjagd" bis „Verharmlosung". Wer sich die Mühe macht, den
*) Endgültiges Ergebnis und Namensliste siehe Anlage 10 im Nachtrag zu diesem Plenarprotokoll
* *) Endgültiges Ergebnis und Namensliste siehe Anlage 11 im Nachtrag zu diesem Plenarprotokoll
* * *) Anlage 12 im Nachtrag zu diesem Plenarprotokoll Endbericht zu lesen - was auch einigen Professoren und Journalisten ganz gut anstehen würde -
und wer vorurteilsfrei bewertet, wird feststellen, daß wir uns weder von der einen noch von der anderen Seite haben leiten lassen. Wir sind vielmehr einen eigenen Weg gegangen,
der sowohl das staatliche Neutralitätsgebot strikt einhält wie auch andererseits dort Lösungsvorschläge zur Diskussion und zur Entscheidung stellt, wo der Staat unseres Erachtens aufgefordert ist zu handeln.
Der Enquete-Kommission ist es gelungen, nach nur zweijähriger Arbeit einen Bericht vorzulegen, der breit - wenn auch leider nicht einstimmig - getragen wird. Ich möchte deshalb, wie auch meine Vorrednerin, an dieser Stelle für meine Fraktion viele Dankesworte aussprechen. Das erste Dankeswort gilt Ihnen, Frau Schätzle. Sie haben mit einem bemerkenswerten Maß an Geduld - gerade auch in den Anhörungen - und mit sehr viel Einfühlungsvermögen die Sitzungen geleitet. Dafür unseren ganz herzlichen Dank!
In gleichem Maße gilt mein Dank der Initiatorin der Enquete-Kommission, meiner Fraktionskollegin Renate Rennebach, die auf Grund eines Unfalls heute leider nicht hiersein kann. Ich weiß, wieviel ihr das ausmacht. Daher von meiner Fraktion und von uns allen herzliche Genesungswünsche und von dieser Stelle auch meine Wertschätzung für ihre Arbeit und ihr Engagement. Ich hoffe, daß ich mit meinem Beitrag so weit wie möglich auch für sie sprechen kann.
Ausdrücklich danken möchte ich im Namen meiner Fraktion den Sachverständigen, ohne deren ausgezeichnetes Fachwissen es diesen Bericht nicht geben würde. Die Unterschiedlichkeit der Fachgebiete, aber auch der Temperamente hat - im Rückblick betrachtet - zu einer enormen Produktivität geführt.
Anlaß zum Dank gibt es reichlich gegenüber den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowohl im Sekretariat als auch bei den Fraktionen und in den Abgeordnetenbüros und natürlich auch gegenüber den Kolleginnen und Kollegen, die diese Arbeit zusätzlich zum eigentlichen Aufgabengebiet geleistet haben, wobei man die Obleute besonders deutlich hervorheben muß.
Nicht vergessen möchte ich schließlich die zahlreichen Personen und Institutionen, die im Rahmen der vielen Anhörungen oder auf schriftlichem Wege ihre Kenntnisse, ihre Erfahrungen oder Auffassungen eingebracht und somit eine ganz wichtige Grundlage für unsere Arbeit geliefert haben.
Angelika Mertens
Wenn ich davon spreche, daß der Endbericht der Ausweis einer erfolgreichen Arbeit ist, dann schließt dies auch ein positives Ergebnis der Überprüfung der Erwartungen ein. Neben den zu Recht mehrfach als Anlaß für die Einsetzung der Enquete-Kommission erwähnten Petitionen gab es für die SPD einen weiteren gewichtigen Grund, die Enquete-Kommission zu beantragen, nämlich die Notwendigkeit, das Thema als ein gesellschaftliches und in der Folge auch politisches Thema zu begreifen.
Damit möchte ich auch einen Unterschied zur Position der Grünen deutlich machen. Sie sagen in ihrem Sondervotum:
Die Mehrzahl dieser Konflikte liegt nach den vorliegenden Ergebnissen allerdings im Bereich dessen, was in einer pluralistischen Gesellschaft an gesellschaftlichen Konflikten üblich ist.
Sie folgern dann:
Soziale Konflikte lassen sich nicht durch Gesetze vermeiden oder beilegen.
Ich halte das für eine schwerwiegende Fehleinschätzung und letztlich für eine Forderung, die gesellschaftlichen Kräfte sich selbst zu überlassen. Wenn ich mir heutige gesellschaftliche oder sozialen Konflikte in anderen grundrechtlich geschützten Bereichen anschaue, zum Beispiel die sozialen Konflikte um das Thema Arbeit, die Beschneidung von Lebensentwürfen, die Gleichberechtigung von Mann und Frau, die Gleichstellung Homosexueller oder im Bereich der Migration, muß ich doch feststellen, daß man nicht allen Ernstes sagen kann: Gesetze sind unnötig; die Gesellschaft regelt das selbst.
Natürlich können Sie niemanden durch Gesetz verbieten, zum Beispiel zu denken, daß Frauen an den Herd gehören. Wir verbieten aber per Gesetz einem Ehemann, seiner Frau das Arbeiten zu verbieten. Einem Arbeitgeber nehmen wir das Recht, bei der Besetzung einer Stelle seine privaten Auffassungen durchzusetzen. Ob eine betroffene Frau davon Gebrauch macht, ist unwichtig. Wichtig ist, daß sie es kann, wenn sie will, weil ein Gesetz besteht.
Sie sagen, es gebe kaum Forschungsergebnisse in diesem Bereich und diese gäben nur wenig her. Das trifft aber auch auf andere Bereiche zu. Zum Beispiel in der Gentechnik sind die Forschungsergebnisse nicht sehr zahlreich. Trotzdem fordern Sie dort - wie ich finde, sehr zu Recht - eine Kennzeichnung dieser Lebensmittel. Das ist ein Verbraucherschutz, der richtig ist. Das sollten Sie auch bedenken, wenn Sie Ihr Sondervotum begründen.
Die Grünen plädieren statt dessen für Dialog und Selbstkontrolle. Das sind zwar löbliche Ansätze; in der Praxis aber - das wissen auch Sie - funktioniert das selten und besonders dort nicht, wo Geld im Spiel ist. Ich bin gespannt, ob Frau Merkel demnächst Applaus statt Kopfschütteln von Ihnen bekommt, wenn sie wieder einmal Appelle an das Umweltbewußtsein und die Selbstkontrolle der Wirtschaft richtet.
Die Arbeit der Enquete-Kommission sowie der vorliegende Endbericht belegen deutlich, wie falsch die Annahme ist, daß es sich bei dem Thema ausschließlich um eine Konkurrenzproblematik im Zuge eines zunehmenden religiösen und weltanschaulichen Pluralismus handelt, bei der es deshalb per se keinen staatlichen Handlungs- und Interventionsbedarf gibt. Der Staat und damit auch die Politik haben in keiner Weise religiöse Inhalte zu bewerten. Dies ist und bleibt Privatsache. Folglich hat auch die EnqueteKommission klar und deutlich empfohlen, Art. 4 des Grundgesetzes weder zu ändern noch zu ergänzen.
Nicht im Widerspruch dazu steht allerdings die staatliche Verpflichtung zur Gefahrenabwehr. Staatlicher Handlungs- und gegebenenfalls Interventionsbedarf besteht nämlich sehr wohl im Bereich der verschiedenen Konflikte, die sich aus dem Entstehen und Wirken einiger Gruppen ergeben. So definiert die Enquete-Kommission sehr deutlich:
Die Konflikte, die durch die sozialen Handlungen im Zusammenhang mit neuen religiösen und weltanschaulichen Gemeinschaften und Psychogruppen, in Einzelfällen auch nur von Individuen, ausgehen, lassen sich insbesondere in drei Bereiche unterteilen:
a) Verstöße gegen geltendes Recht,
b) Machtmißbrauch bei der Ausnutzung von rechtsfreien Räumen, durch die es zu einer Rechtsgütergefährdung kommt. Hier besteht staatlicher Regelungsbedarf,
c) Verstöße gegen die aus der Grundwerteordnung abgeleiteten guten Sitten und sozialen Verpflichtungen.
In diesem Bereich ist staatliches Handeln nötig und möglich. Diese Konflikte sind Gegenstandsbereich der Enquete-Kommission.
Die von der Enquete-Kommission erarbeitete Analyse sowie die vorgeschlagenen Handlungsempfehlungen orientieren sich folglich strikt an dieser Maßgabe. Sie greifen nicht in die religiöse Sphäre einzelner Menschen oder Gemeinschaften ein. Neben den bereits bestehenden rechtlichen Grenzen befürworten sie jedoch staatliche Intervention dort, wo Gefahren für den einzelnen oder für die Gesellschaft bestehen.
Nicht zuletzt im Rahmen der Delegationsreise der Enquete-Kommission in die USA ist klargeworden, daß diese Sichtweise dort nicht verstanden wird. Der oft exemplarisch angeführte Vergleich insbesondere mit den USA hinkt jedoch gleich mehrfach, und zwar vornehmlich auf Grund der kulturellen und historischen Unterschiede. In den USA ist der Staat nicht nur zur Neutralität im vorhin genannten Sinne verpflichtet. Er hat sich vielmehr streng laizistisch zu verhalten und folglich keine Religionsgemeinschaft zu fördern oder zu kritisieren. So sind dann beispielsweise auch religiöse Aktivitäten an staatlichen Schu-
Angelika Mertens
len tabu. Eine Unterscheidung zwischen Glaubensgemeinschaft und Gewerbebetrieb ist für die USA nicht nachvollziehbar. In den USA zielen die Verfassung und das Rechtssystem darauf ab, die Rechte des einzelnen zu hüten, vor allem vor dem Staat. Prävention wäre ein Eingriff in diese Freiheitsrechte. Wir können gerade miterleben, wie schwer sich die US-Amerikaner damit tun, das Problem von Waffen in Kinderhand zu diskutieren. Das hat damit zu tun.
Unsere Verfassung und unsere Rechtsprechung gehen - wie in den meisten europäischen Ländern auch - nicht nur davon aus, daß durch Reglementierungen der Schwächere vor dem Stärkeren zu schützen ist. Er kümmert sich vielmehr auch aktiv um die Rechte des einzelnen. Insofern sind die Handlungsempfehlungen der Enquete-Kommission eine Konsequenz aus unserem Verfassungs- und Rechtsprechungsempfinden. Sie sollen die Schwächeren vor den Stärkeren schützen, und sie schützen damit in der Folge auch die vielen Gruppierungen, die ohne größere Konflikte oder völlig ohne Konflikte zur Pluralität von Religion und Weltanschauung in der Bundesrepublik beitragen.
Ich appelliere folglich an alle Adressaten und insbesondere an den nächsten Deutschen Bundestag sowie an die nächste Bundesregierung, anders als bisher das Thema auch als eine politische Aufgabe zu begreifen und die Umsetzung der Handlungsempfehlungen schnellstmöglich in Angriff zu nehmen.
Herzlichen Dank.
Ich gebe der Abgeordneten Angelika Köster-Loßack das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Johannes Rau hat in den Tagen seines Abschieds aus der Landespolitik den Sozialphilosophen Theodor W. Adorno zitiert. Von diesem stammt der Satz:
Mein Ideal ist eine Gesellschaft, in der die Menschen ohne Angst anders sein können!
Dies gilt insbesondere für das Grundrecht auf Religions- und Glaubensfreiheit, und zwar gerade auch für diejenigen, deren religiöse und weltanschauliche Überzeugungen von denen der Mehrheit abweichen.
Der von CDU/CSU, SPD und F.D.P. verabschiedete Mehrheitsbericht betont zwar, daß religiöse Minderheiten weder Staat noch Gesellschaft bedrohen. Das ist wichtig und richtig. Der Mehrheitsbericht vertritt diese Position jedoch nicht durchgängig. Beispiele sind die Abschnitte über Wirtschaft und rechtliche Auseinandersetzungen. Dort werden weiterhin nicht belegte Behauptungen aufgestellt. Dort werden Gefahren neuer religiöser Bewegungen beschrieben, die durch die Gutachten und durch unsere Anhörungen nicht gedeckt sind.
Die von der Kommission beauftragten Gutachter kommen eindeutig und übereinstimmend zu dem Ergebnis, daß von religiösen und weltanschaulichen Gemeinschaften im allgemeinen keine Gefahren für den einzelnen, die Gesellschaft und den Staat ausgehen. Das ist vor dem Hintergrund der emotionalisierten öffentlichen Debatte über angeblich generell gefährliche Sekten, wie sie in den Medien geführt worden ist, der entscheidende Befund.
Trotzdem werden in dem Mehrheitsbericht eine Fülle problematischer gesetzgeberischer Initiativen vorgeschlagen. Deshalb habe ich zusammen mit Professor Hubert Seiwert, unserem Sachverständigen, dem Mehrheitsbericht nicht zugestimmt und ein Sondervotum vorgelegt. Ich möchte in diesem Zusammenhang Professor Seiwert für seine außerordentlich kenntnisreiche und produktive Arbeit danken.
Die Kommissionsmehrheit fährt hier schwere Geschütze auf: Sie will mit einem Gesetz zur Lebensbewältigungshilfe den sogenannten Psychomarkt regulieren. Sie will den Wucherparagraphen verschärfen. Sie will im Vereins- und Steuerrecht verankern, daß Religionsgemeinschaften verfassungs- und rechtstreu zu sein haben, so als handle es sich schon um potentielle Verfassungsfeinde. Die Mehrheit will auch eine öffentlich finanzierte Stiftung schaffen, die private Beratungsstellen mitfinanzieren soll und in der religiöse Minderheiten nicht erkennbar vertreten sind. Das würde dem staatlichen Neutralitätsgebot widersprechen.
Durch die Fülle der Handlungsempfehlungen wird der Eindruck erweckt, daß Gefahr im Verzuge sei. Es gibt jedoch keine Erkenntnisse, daß in diesem Bereich in Deutschland Gesetzesverletzungen oder moralisch unvertretbares Verhalten gehäuft auftreten. Aus den Ergebnissen unserer Arbeit läßt sich gesetzgeberischer Aktionismus nicht begründen. Es wird zwar betont, daß das Gebot staatlicher Neutralität und Toleranz gelten soll. Doch betrachtet man die Initiativen zu Gesetzen, so wird den religiösen und weltanschaulichen Minderheiten, aber vor allem den Anbietern auf dem Psychomarkt die Faust gezeigt.
Nicht wenige Kommissionsmitglieder hätten die vorliegenden wissenschaftlichen Gutachten am liebsten in der Versenkung verschwinden lassen, weil sie nicht in ihr Bild paßten. Zum Beispiel ist in den Gutachten zu lesen, was schon von der Kollegin Mertens angesprochen wurde: Wer sich religiösen und weltanschaulichen Minderheiten zuwendet, kann im allgemeinen nicht als Opfer einer sogenannten Gehirnwäsche betrachtet werden.
In keinem Fall sind gewalttätige Vereinnahmungsversuche von Menschen festgestellt worden. Die Mitgliedschaft in neuen religiösen Bewegungen ist demnach im allgemeinen nicht schädlich. Das heißt aber nicht, daß die für den einzelnen oder auch für Familien oder Gruppen unter Umständen bestehenden Probleme vernachlässigt werden dürften. Natürlich muß - genau wie in allen anderen Bereichen auch - den Opfern professionelle Hilfe geleistet werden.
Dr. Angelika Köster-Loßack
Die Stiftung, die wir auch vorschlagen, hat die Aufgabe, religiöse Konflikte einzudämmen und für Toleranz und gegenseitiges Verständnis einzutreten. Nicht nur die großen Kirchen, sondern auch Repräsentanten religiöser und weltanschaulicher Minderheiten sowie beispielsweise Elterninitiativen, Juristen, Psychologen und Religionswissenschaftler sollten in der Stiftung und in einzurichtenden Mediationsstellen vertreten sein.
Was die sogenannte Lebensbewältigungshilfe angeht, so plädieren wir dafür, daß die Anbieter in diesem Bereich über Standesorganisationen selbständig Qualitätsstandards analog zur Ärzteschaft, analog zu den Heilpraktikern und analog zum Verband deutscher Psychologen und zu vielen anderen Gruppen entwickeln. Im Gegensatz zur Mehrheit der Enquete-Kommission lehnen wir ein Gesetz zur Lebensbewältigungshilfe ab, weil es keine Belege dafür gibt - das hat die Bundesregierung in ihrer Antwort auf unsere Große Anfrage auch gesagt -, daß mißbräuchlich angewandte manipulative Techniken für diesen Bereich charakteristisch wären. Der dazu vorliegende Gesetzentwurf des Bundesrates ist nicht nur von den betroffenen Anbietern und von uns, sondern auch von der Bundesregierung und den Spitzengremien der katholischen und der evangelischen Kirche kritisiert worden.
Ich möchte noch bemerken, daß wir damit, daß wir den Anbieterinnen und Anbietern im Psychomarkt sagen, sie mögen diese Dinge selbst regulieren, nicht meinen, daß der Staat ein Nachtwächterstaat sein solle und alle gesellschaftlichen Konflikte nur von den Betroffenen selbst geregelt werden könnten. Natürlich sind das Grundrecht der Religionsfreiheit und das Grundrecht der Berufsfreiheit in diesem Zusammenhang nicht zu vergleichen. Insoweit ist die Kennzeichnung von Lebensmitteln, die mit gentechnischen Methoden hergestellt sind, gewiß etwas anderes, und hier werden ganz verschiedene Dinge in einen Topf geworfen.
Auf einen Punkt möchte ich noch gesondert kommen: Die Enquete-Kommission ist insbesondere deshalb entstanden, weil besorgte Bürgerinnen und Bürger an den Petitionsausschuß geschrieben haben. Im Vordergrund der öffentlichen Debatte standen die problematischen Aktivitäten von Scientology. Keine Organisation hat eine derart ausgeprägte Neigung, Konflikte äußerst konfrontativ auszutragen, und keiner anderen Organisation wird wie Scientology vorgeworfen, in den USA, in Großbritannien und in Dänemark straflagerähnliche Einrichtungen zu unterhalten.
Wir sind der Überzeugung, daß unser rechtsstaatliches Instrumentarium eingesetzt werden muß, wenn Mitglieder von Scientology in Deutschland Rechtsverletzungen begehen. Dazu bedarf es nach unserer Auffassung auch weiterhin nicht des Einsatzes des Verfassungsschutzes. Scientology ist insgesamt aber weder repräsentativ noch typisch für den von uns untersuchten Gegenstandsbereich.
Bei zahlreichen Organisationen und Personen hat die Arbeit der Enquete-Kommission Irritationen und Kritik ausgelöst. Ich hoffe, daß die Mehrheit in diesem Hause das, was an dieser Kritik seriös ist, ernst nimmt. Was wir brauchen, hat der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für religiöse Fragen, Professor Amor, formuliert:
Der Staat muß eine aktive Rolle spielen, um ein Bewußtsein für die Werte der Toleranz und Nichtdiskriminierung im Bereich von Religion und Glauben zu entwickeln.
Zum Abschluß möchte ich der Vorsitzenden der Enquete-Kommission, Frau Schätzle, herzlich danken. Ich wünsche ihr alles Gute für die Zeit nach ihrem Ausscheiden aus dem Bundestag.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Roland Kohn, F.D.P.-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Enquete-Kommission „Sogenannte Sekten und Psychogruppen" hat vor wenigen Tagen nach zweijähriger intensiver Arbeit ihren Abschlußbericht fertiggestellt und gestern der Frau Bundestagspräsidentin überreicht. Die heutige kurze Debatte kann nach meinem Verständnis nicht viel mehr sein als der Versuch, ein sachliches - die Betonung liegt auf „sachlich" - öffentliches Gespräch über die Themen unserer Kommission anzustoßen.
Zunächst liegt es mir jedoch am Herzen, Ihnen, liebe Frau Kollegin Schätzle, für die hervorragend faire und menschliche Art und Weise zu danken, mit der Sie unserer Kommission vorgesessen haben.
Mein Dank gilt den Kolleginnen und Kollegen, den Obleuten der Fraktionen - viele Genesungswünsche an Frau Kollegin Rennebach - und vor allem Ihnen, Herr Kollege Pofalla, für das exzellente Zusammenwirken innerhalb der Koalitionsarbeitsgruppe.
Nicht zuletzt möchte ich mich jedoch bei den Sachverständigen bedanken, deren Mitarbeit, ich will es so sagen: den intellektuellen und auch gruppendynamischen Charme einer solchen Enquete-Kommission ausmacht.
Deshalb möchte ich noch ein Wort des Dankes an Herrn Professor Helsper richten für die vertrauensvolle Zusammenarbeit in den letzten Jahren.
Diese Dankesworte wären unvollständig, wenn nicht das Sekretariat erwähnt und seine Leiterin gerühmt würde. Ich glaube mir ein Urteil anmaßen zu können: Frau Dr. Wettengel ist eine absolute Spitzen-
Roland Kohn
kraft. Ohne sie wären diese Ergebnisse nicht möglich gewesen. Recht schönen Dank!
Meine sehr verehrten Damen und Herren, genau betrachtet hat sich die Enquete-Kommission mit zwei Phänomenen unserer gesellschaftlichen Entwicklung befaßt: zum einen mit der immer bunter werdenden religiösen und weltanschaulichen Vielfalt in unserem säkularisierten Gemeinwesen, zum anderen aber auch mit dem Boom auf dem Psycho- und Esoterikmarkt. Zwischen diesen beiden Themen bestehen zwar Verbindungslinien und auch Schnittmengen; sie sind aber nicht identisch. Dies spiegelt sich auch in der umständlich-verlegenen Begrifflichkeit wider, die wir benutzt haben: „Sogenannte Sekten und Psychogruppen". Wahrscheinlich wären manche Vorurteile gegenüber unserer Arbeit nicht aufgetreten, wenn schon im Einsetzungsbeschluß diese Unterscheidung vorgenommen worden wäre.
Welches sind die wesentliche Ergebnisse unserer Arbeit? Neue religiöse und weltanschauliche Gemeinschaften bilden keine grundsätzliche Gefahr für Staat und Gesellschaft in Deutschland. Unsere Gesellschaft muß aber weiter daran arbeiten, mit dieser religiösen Vielfalt tolerant und in gegenseitigem Respekt umzugehen. Wenn vor Synagogen und Moscheen Bewachungen notwendig sind, ist dies ein klares Indiz dafür, wo die Probleme in der Zukunft liegen werden.
Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, daß die vorhandenen gesetzlichen Vorschriften in aller Regel ausreichend sind, um häufig vorkommende Konflikte im sozialen Nahbereich unseres Untersuchungsgegenstandes zu regeln.
Da der Begriff „Sekte" einen negativen Beiklang hat, sollte der Staat ihn künftighin vermeiden. Auch in der öffentlichen Diskussion sollten pauschalisierende oder stigmatisierende Urteile über die neue religiöse Vielfalt vermieden werden.
Wir Liberalen haben uns mit der Haltung durchgesetzt, daß unsere Verfassung bezüglich der Art. 4 und 140 des Grundgesetzes, die die Religionsfreiheit, aber auch die Stellung der Kirchen in unserem Staat gewährleisten, weder ergänzt noch geändert werden soll.
Das Sondervotum der SPD bezüglich eines Prüfauftrages halten wir für falsch; denn eine Änderung des Grundgesetzes im Hinblick auf den Status von Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts könnte mit der ausdrücklichen Forderung nach Loyalität gegenüber dem Staat unserer Auffassung nach eine unvertretbare Einmischung in die Angelegenheiten der Religionsgemeinschaften bedeuten. Dies sollte nicht geschehen.
Lassen Sie mich an dieser Stelle eines deutlich sagen: Die grundsätzliche Fragestellung nach dem Verhältnis von Staat und Kirche, wie es in unserer Verfassung geregelt ist, war nicht Bestandteil des Arbeitsauftrages unserer Enquete-Kommission. Das wäre eine andere gesellschaftliche Diskussion, die wir heute nicht führen.
Weiter: Eine unabhängige und staatsferne Stiftung soll durch Information und Beratung zur Aufklärung auf dem Psycho- und Esoterikmarkt beitragen. Ein Gesetz über Verträge auf dem Gebiet der gewerblichen Lebensbewältigungshilfe soll im Sinne des Verbraucherschutzes für Transparenz auf diesem Markt sorgen.
Im Fall der Scientology-Organisation ist nach unserer Auffassung die Beobachtung durch den Verfassungsschutz weiterhin erforderlich, da laut Verfassungsschutzberichten Hinweise auf politisch bestimmte, ziel- und zweckgerichtete Verhaltensweisen vorliegen, die mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung unvereinbar sind. Bei dem Scientology-Gründer heißt es - ich zitiere einen Satz -:
Vielleicht werden in ferner Zukunft nur dem
Nichtaberrierten die Bürgerrechte verliehen.
Der „Nichtaberrierte" ist der bedingungslose Anhänger dieser Organisation.
Es wäre übrigens nicht falsch, wenn sich unsere amerikanischen Freunde vor diesem Hintergrund einmal mit Doktrin und Wirklichkeit dieser Organisation hinter der Hollywood-Leinwand beschäftigen würden.
Die Enquete-Kommission setzt sich des weiteren für einen interdisziplinären Forschungsverbund ein, der sich mit den Themen neue religiöse Bewegungen, Psychogruppen und Psychokulte, neuzeitliche Esoterik und freie Spiritualität der Gegenwart befaßt. Hier gibt es noch zu wenig gesicherte empirische Erkenntnisse.
Wir Liberalen haben dem Abschlußbericht zugestimmt und den erreichten Grundkonsens begrüßt, auch wenn man sich in einem 600seitigen Dokument natürlich nicht in jeder einzelnen Formulierung, in jedem Detail oder in jedem Akzent wiederfindet.
Über die konkreten Handlungsempfehlungen hinaus sollte sich aber nicht nur das Parlament, sondern die politisch interessierte Öffentlichkeit insgesamt mit der zentralen Fragestellung befassen, die in unserem Bericht aufscheint: Wohin entwickelt sich unsere Gesellschaft?
Nach meinem Verständnis erleben wir in unserem Gemeinwesen unter dem Einfluß weltweiter Entwicklungsprozesse ein Auseinanderfallen traditioneller, meist homogener sozialer Milieus. Das bedeutet: Jeder einzelne muß seine Rolle in der Gesellschaft individuell definieren und sozusagen neu erfinden. Hergebrachte Orientierungsmuster tragen nicht mehr weit.
Roland Kohn
Empirisch nachweisbar ist: Mehr als die Hälfte der Großstadthaushalte in Deutschland sind SingleHaushalte. Ein Drittel aller Ehen endet vor dem Scheidungsrichter. Die großen gesellschaftlichen Organisationen, die - wie man sagt - intermediären Gruppen, verlieren Mitglieder und ihre Bindungskraft. Um es in den Worten Dahrendorfs zu sagen: Die moderne Gesellschaft hat die Optionen, also die Handlungsspielräume der Menschen - und damit auch die Last der Eigenverantwortung - dramatisch erweitert.
Wie steht es aber mit den Ligaturen, mit den Bindungen, mit den Werten, die eine Gesellschaft zusammenhalten? Größere Optionen und schwächere Ligaturen - dieses Ungleichgewicht scheint mir der Boden zu sein, auf dem die Phänomene erwachsen, mit denen wir uns in unserer Enquete-Kommission befaßt haben. Ein vorurteilsfreier Blick auf neue religiöse und weltanschauliche Gemeinschaften und auf den Esoterik- und Psychomarkt ist deshalb notwendig. Konflikte, die es insbesondere im sozialen Nahbereich gibt, dürfen nicht ignoriert werden.
Wir müssen aber andererseits auch zur Kenntnis nehmen, daß mancher in solchen Gemeinschaften findet, was ihm die Gesellschaft oft nicht bietet, nämlich Nähe und Orientierung.
Dem Liberalen, der sich mit solchen Fragen beschäftigt, gibt ein weiterer Aspekt zu denken: Die moralisch-politische Kraft des europäischen Welt- und Menschenbildes beruht auf der Einsicht in die Fehlbarkeit des Menschen und deshalb auf der bewußten Toleranz gegenüber dem anderen. Kritische Rationalität ist das Medium, das wir entwickelt haben, um in diesem Sinne ein adäquates Problemlösungsverhalten zu ermöglichen.
Der Philosoph Hans Albert hat darauf hingewiesen - diesen Satz möchte ich gern zitieren -:
Eine Ordnung der fehlbaren Vernunft muß schon deshalb in erheblichem Umfange eine Ordnung der Freiheit sein, weil diese Freiheit erforderlich ist, um das konstruktive und kritische Potential der menschlichen Vernunft für die Verbesserung von Problemlösungen aller Art auszunutzen ... denn ohne sie ist die erforderliche Mobilisierung von Initiative und schöpferischer Phantasie nicht zu erreichen.
Wie kommt es aber dann dazu, daß kritische Rationalität heutzutage keine Konjunktur mehr zu haben scheint? Sind dies Vorboten irrationaler, doktrinärer, vielleicht sogar fundamentalistischer Tendenzen? Was folgt daraus für das friedliche Zusammenleben in einer Gesellschaft, zwischen den Gesellschaften und den Kulturen?
Ich wünsche mir, daß sich unser Gemeinwesen solchen Fragestellungen zuwendet, spätestens dann, wenn sich die multimedialen Nebelschwaden des Bundestagswahlkampfes verzogen haben werden. Die Beantwortung dieser Fragen nämlich entscheidet darüber, ob wir es schaffen, mit kritischer Vernunft zu einer rationalen Praxis zu kommen, wie ich es in meiner ersten Rede in diesem Hohen Haus vor fast 16 Jahren gesagt habe.
Das Verhältnis zwischen individuellen Freiheitsrechten und dem sozialen Zusammenhalt in einer offenen Gesellschaft muß angesichts weltweiter Entwicklungen neu austariert werden. Toleranz auch und gerade gegenüber anderen, neuen religiösen und weltanschaulichen Gemeinschaften ist hierbei aus liberaler Sicht ein wesentliches Element.
Das Verlangen nach Freiheit, das Bekenntnis zu Aufklärung und Vernunft schließen Verantwortung und Bindung, auch Transzendenz nicht aus. Im Gegenteil!
Ich glaube, daß das niemand besser formuliert hat als Friedrich Hölderlin, der in seinem Gedicht „Lebenslauf" am Schluß sagt:
Alles prüfe der Mensch, sagen die Himmlischen, Daß er, kräftig genährt, danken für Alles lern', Und verstehe die Freiheit,
Aufzubrechen, wohin er will.
Lieber Herr Kollege Roland Kohn, ich habe gehört, auch bei Ihnen ist dies heute die letzte Rede. Ich darf mich bei Ihnen ganz herzlich bedanken. Sie sind ja, wie Sie selbst gesagt haben, seit 16 Jahren im Bundestag. Sie waren lange Zeit der Sprecher der F.D.P.-Fraktion für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und haben jetzt auch in dieser Kommission wertvolle Arbeit geleistet. In diesen 16 Jahren im Bundestag haben Sie vieles miterlebt. Ich wünsche Ihnen für Ihren weiteren Lebensweg alles Gute, viel Glück. Behalten Sie uns in guter Erinnerung.
Ich gebe jetzt dem Abgeordneten Ronald Pofalla, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will mich etwas von den Vorrednern unterscheiden, weil ich glaube, daß es wichtig ist, hier die Dinge zurechtzurücken, die Frau Köster-Loßack aus ihrer Sicht dargestellt hat und die zumindest nach der Beschlußlage in der Enquete-Kommission nicht Meinung der Mehrheit der Koalitionsfraktionen und der SPD in diesem Gremium sind. Die Grünen haben hier sicherlich eine falsche Akzentsetzung vorgenommen.
Zunächst will ich auf die Eingangsbehauptung von ihr eingehen, hier gebe es nicht belegte Behauptungen, und dennoch habe man Konsequenzen gezogen. Ich könnte das im Detail belegen: An den Stellen, an denen die Kommission in der Tat Schwierigkeiten hatte, auf vorhandenes Datenmaterial zurückzugreifen, oder bei denen das vorhandene Datenmaterial Interpretationsmöglichkeiten zuließ, haben wir - anders als die Grünen - nicht die Behauptung aufgestellt - die können Sie übrigens nicht aufrechterhalten -, wir hätten keine belegten Daten, sondern
Ronald Pofalla
wir haben dann eben geschrieben - das kann man in diesem Endbericht an x Stellen nachweisen -, daß das Datenmaterial nicht ausreichend sei, und haben in der Regel sehr präzise beschrieben, wo die Informationslücken bestehen. Wir haben uns dann auch sehr vorsichtig hinsichtlich möglicher Schlußfolgerungen geäußert.
Insofern glaube ich, daß das, was Sie hier festgestellt haben, daß es nämlich eine Vielzahl von nicht belegten Behauptungen gebe, so nicht aufrechterhalten bleiben kann und deshalb auch einen Widerspruch erfahren muß.
Das zweite ist folgendes. Sie haben hier die Behauptung aufgestellt: Obwohl wir festgestellt hätten - darin stimme ich Ihnen allerdings zu; das haben wir -, daß von den sogenannten Sekten- und Psychogruppen derzeit keine Gefahr für Staat und Gesellschaft ausginge, hätten wir auf der anderen Seite aber ein Bündel von gesetzgeberischen Initiativen gefordert. Sie haben formuliert, daß Sie dazwischen einen Widerspruch sehen. - Diesen Widerspruch kann man, so glaube ich, ganz einfach klären. Ich wundere mich, daß sich Grüne da schwertun. Wir wollen Verbraucherschutz. Wir wollen, daß Menschen zum Beispiel dann geschützt werden, wenn sie möglicherweise im Bereich der Lebensbewältigung finanziell ausgenommen werden, wenn vorhandene Zwangssituationen auch zur Beeinträchtigung ihrer eigenen Entscheidungsfreiheit führen. Wir wollen Mindeststandards, und wir denken dabei zum Beispiel an die Schriftlichkeit von Verträgen, die derzeit nicht geregelt ist. Daß Sie das im Bereich der Handlungsempfehlungen als eine Überreaktion ansehen, muß wirklich zur Verwunderung führen, und dem muß hier auch widersprochen werden.
Hier geht es um Menschen, die im Einzelfall erhebliche finanzielle Schäden erleiden, bis hin zum totalen finanziellen Ruin, weil es gesetzgeberische Lücken gibt, die verhindern, daß diesen Menschen Mindeststandards gesichert werden.
Jetzt kommen die Grünen auf ein Instrumentarium - ich freue mich darüber; ich werde Frau Merkel davon berichten -, das sie ansonsten immer für falsch halten, nämlich auf die Selbstverpflichtung der Lebensbewältiger. Diese sollten ihrerseits Standards festlegen, um diesen - von Ihnen in der Sache nicht bestrittenen - Problem begegnen zu können. Ich sage Ihnen offen: Ich sehe überhaupt gar kein Problem, eine solche Forderung in bezug auf die seriösen Anbieter zu unterstützen. Diese würden in der Tat durch Selbstbindung zu Standards beitragen, die den Schutz geben, den die Menschen benötigen. Aber es gibt eben auch Hasardeure; es gibt eine ganze Reihe von Anbietern, die unseriös arbeiten. Diese werden sich doch nicht im Rahmen von Selbstverpflichtungen zurücknehmen und denen, die sie im Grunde finanziell ausnehmen wollen, einen
Schutz bieten, den sie ihnen vorher nicht gegeben haben.
Deshalb lautet das Votum der Koalitionsfraktionen und der SPD: Der nächste Deutsche Bundestag möge sich bitte mit diesem Problem befassen und auf der Basis des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfes zu Entscheidungen kommen. In der Diskussion ist deutlich geworden, daß dieser Gesetzentwurf zwar noch einer Weiterentwicklung bedarf, aber auch bestehende Lücken offenbart, die wir gesetzgeberisch - nicht im Wege freier Vereinbarungen - schließen müssen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Köster-Loßack?
Bitte schön.
Bitte schön, Frau Abgeordnete.
Herr Kollege Pofalla, würden Sie mir zustimmen, daß es nicht nur im Bereich der Anbieter von Lebensbewältigungshilfe, sondern auch in anderen wirtschaftlichen Bereichen solche gibt, die nicht seriös sind, und daß unsere allgemeine Gesetzgebung zum Beispiel bezüglich Wucher oder mangelndem Verbraucherschutz greifen müßte? Wir haben uns nur dagegen gewandt, daß ein besonderer Bereich herausgegriffen wird, der geregelt werden soll. Denn dieses Problem ist ja nicht auf diesen Bereich beschränkt.
Ich stimme Ihnen ausdrücklich nicht zu. Die vorhandenen Gesetze reichen eben nicht aus. Deshalb fordern wir auch, an anderen Stellen, beispielsweise im Strafrecht, zu überprüfen, ob nicht eine Präzisierung des einen oder anderen im Wege einer klareren Formulierung einschlägiger Straftatbestände erfolgen sollte. Ich stimme Ihnen ausdrücklich nicht darin zu, daß die vorhandenen Gesetze ausreichen. Ganz im Gegenteil: Wir waren der Auffassung, daß durch Gesetzesinitiativen Lükken geschlossen werden müssen.
Ich kann ein anderes Beispiel nennen, das Beleg ist für das eigentlich nicht verständliche, von Ihnen hier begründete Abstimmungsverhalten der Grünen. Ziel und Inhalt der Vorstellungen von Scientology sind - das hat hier im Haus bisher keiner bestritten - eindeutig verfassungsfeindlich. In unserem Zwischenbericht haben wir deshalb den Beschluß der Länderinnenminister und des Bundesinnenministers begrüßt, nach dem eine Überprüfung durch den Verfassungsschutz vorgenommen werden sollte.
Nach den Erfahrungen, die auch Sie bei Ihrer Amerikareise und auf Grund unserer Anhörungen machen konnten, sind wir vor dem Hintergrund der nach wie vor verfassungsfeindlichen Ziele von Scien-
Ronald Pofalla
tology zu dem Ergebnis gekommen, daß die Beobachtung von Scientology durch den Bundesverfassungsschutz und durch die Landesämter für Verfassungsschutz weiter erfolgen sollte. Diesem Beschluß haben Sie nicht zugestimmt. Ich finde es außerordentlich merkwürdig, wenn wir ausdrücklich einheitlich feststellen, daß die Ziele von Scientology verfassungswidrig sind, Sie aber andererseits nicht den Mumm haben, dafür die Organe in der Bundesrepublik einzusetzen, die notwendig sind, um den gebotenen Schutz der Menschen zu sichern, die von Scientology manchmal in übelster Weise - auch finanziell - ausgenommen werden.
Ein letztes Beispiel für ein, wie ich finde, falsches Verständnis von Neutralität und Toleranz: Sie haben vorhin beklagt, daß nach Ihrer Überzeugung Neutralität und Toleranz in dieser Kommission vor dem Hintergrund der Empfehlungen keine ausreichende Gewichtung erfahren hätten. Ich lege - nicht nur für meine Arbeitsgruppe, sondern für die Mehrheit der Kommission - Wert auf zwei Feststellungen: Erstens. Wir haben allesamt festgestellt, daß wir keine Grundgesetzänderung brauchen. Art. 4 des Grundgesetzes bleibt unangetastet. Zweitens. Wir haben eine hohe Schwelle für gesetzgeberische Initiativen aufgestellt, nämlich folgende: Wenn Leute in ihrem Persönlichkeitsrecht verletzt worden sind, sehen wir in einzelnen Bereichen Handlungsbedarf. Sie haben das anders gesehen. Das ist Ihr gutes Recht; aber Sie müssen dann auch mit dem Widerspruch, der durch mich erfolgt ist, leben.
Abschließend möchte ich mich den Dankesworten, die bereits ausgesprochen worden sind, anschließen. Zwei Personen möchte ich besonders herausgreifen. Damit möchte ich nicht die Arbeit der anderen Kolleginnen und Kollegen und der Sachverständigen schmälern, aber mit diesen beiden habe ich am engsten zusammengearbeitet. Ich möchte mich bei Ortrun Schätzle, der Vorsitzenden, bedanken. Ich sage es einmal so: Ortrun, mit welcher sozialen Kompetenz du diese Enquete-Kommission geleitet und auch in unserer Arbeitsgruppe mitgewirkt hast, hat mich beeindruckt. Herzlichen Dank!
Ich möchte mich ausdrücklich beim Kollegen Kohn bedanken. Auf der Ebene der Koalition gibt es Tage, die besonders freudig sind, und andere, die noch freudiger sind. Wir haben diese unterschiedlichen Tage nicht erlebt. Das liegt vor allem an Ihnen. Ich habe mit Ihnen in einer Weise vertrauensvoll zusammenarbeiten können, die ich in meinen acht Jahren im Deutschen Bundestag so ganz selten erlebt habe. Herzlichen Dank, Herr Kohn! Ich wünsche Ihnen, Ortrun Schätzle, und Ihnen, Herr Kohn, in den nächsten Jahren persönlich alles Gute.
Herzlichen Dank.
Zu einer Kurzintervention erteile ich der Abgeordneten Angelika Köster-Loßack, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Ich wollte ganz kurz etwas zur Frage von Scientology und der Beobachtung durch den Verfassungsschutz anmerken. Die Erfahrungen, die wir in den USA mit Demonstrationen gegen uns gemacht haben - -
Ich nehme an, Sie beziehen sich auf Herrn Pofalla?
Ja, auf Herrn Pofalla. - In den Gesprächen, die wir dort mit hochrangigen Aussteigern und mit Rechtsanwälten, die Opfer von Scientology vertreten, geführt haben, waren wir uns einig, daß eine verfassungsschutzmäßige Beobachtung gegenüber dieser Organisation gar nicht hilft. Vielmehr hilft es nur, sich mit dieser Organisation in der öffentlichen Debatte, im öffentlichen gesellschaftlichen Diskurs, in einer Auseinandersetzung zu befassen, alle Informationen, die bekannt sind, nach außen zu tragen, mit den Leuten darüber zu diskutieren und Straftaten, wenn sie begangen werden, zu ahnden. Das ist eigentlich ein pragmatisches Vorgehen und wurde von den Aussteigern gestützt.
Zum Schluß möchte ich noch einmal sagen: Es gibt verschiedene Gewichtungen. Wir haben uns davon leiten lassen, daß in diesem besonders brisanten Feld keine Maßnahmen angeordnet werden sollten, die nicht auch in anderen Bereichen, wo ähnliche Konfliktfelder bestehen, angeordnet werden müßten. Das bezieht sich auf die Präzisierung und Verschärfung von Gesetzen und von Ausführungsbestimmungen. Ich glaube, es darf für den gesamten Bereich keine Sondergesetze geben. Das käme in einen gewissen Ruch, den wir doch alle nicht wollen.
Ganz versöhnlich gesprochen: Die Arbeit in dieser Enquete-Kommission war insgesamt so kollegial, wie ich mir das in einer überfraktionellen Kommission vorher gar nicht hätte vorstellen können. Das war eine sehr gute Erfahrung.
Danke schön.
Herr Pofalla, möchten Sie antworten? - Das ist nicht der Fall.
Dann erteile ich der Abgeordneten Gisela Schröter, SPD-Fraktion, das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Als erstes möchte ich mich natürlich den Dankesworten meiner Vorrednerinnen und Vorredner an das Sekretariat, an die Vorsitzende, an alle Kollegen und an die Sachverständigen anschließen.
Dann möchte ich aber zum Thema kommen. Es kann gar nicht oft genug betont werden: Ansatz für die Arbeit der Enquete-Kommission waren die Kon-
Gisela Schröter
flikte, die von ideologischen Gemeinschaften und Psychogruppen ausgehen können. Dies läßt sich auch im Einsetzungsbeschluß nachlesen.
Erwartet wurden Handlungsempfehlungen auf der Basis einer substantiellen Analyse als Grundlage für die Politik und andere staatliche Stellen, für Forschung und Wissenschaft, für Betroffene, für deren Interessenvertretungen sowie für andere gesellschaftliche Institutionen und interessierte Bürgerinnen und Bürger. Auch ich denke, daß die EnqueteKommission dem Parlament sowie der Öffentlichkeit einen Bericht übergibt, der diese Erwartungen zweifelsfrei erfüllt.
Ich möchte in meinem Beitrag auf einige Aspekte eingehen, die mir sowie meiner Fraktion ganz besonders wichtig sind. Besonders hervorheben möchte ich die Beratungs- und Informationsarbeit. Die Enquete-Kommission geht richtigerweise davon aus, daß Prävention, also Information und Aufklärung, das beste und wirksamste Mittel ist. Leider wird jedoch gerade dieser Aspekt in der öffentlichen Diskussion viel zu häufig in den Hintergrund gedrängt und in der Praxis vernachlässigt.
Bedauerlicherweise sind das Vorhandensein und die Effizienz staatlicher Informations- und Aufklärungsarbeit regional sehr unterschiedlich. Demzufolge hat sich die Enquete-Kommission deutlich für eine Intensivierung der staatlichen Informationsarbeit ausgesprochen. Dies bedeutet Information und Aufklärung der Öffentlichkeit: zum einen in bezug auf besonders konfliktträchtige Gruppen, zum anderen aber auch über den großen Bereich des sogenannten Psycho- und Lebenshilfemarktes. Meine Vorredner haben bereits unterschiedlich darauf Bezug genommen.
Ziel ist dabei nicht eine Bevormundung, sondern vielmehr eine Hilfestellung für die Bürgerinnen und Bürger. Damit soll auch ein Kontrapunkt zur gezielten Desinformation durch eine Reihe von Gruppen und Psychomarktanbietern gesetzt werden. Wir brauchen aber auch Selbstaufklärung bei den staatlichen Stellen. Notwendige und zureichende Maßnahmen von Justiz und Verwaltung werden weniger durch fehlende gesetzliche Möglichkeiten als vielmehr durch mangelnde Kenntnisse verhindert. Deshalb sollten zukünftig interne Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen besonders in der Rechtspflege, bei den Ermittlungsbehörden, den Jugendämtern und den anderen mit dem Jugendschutz befaßten Stellen sowie bei den Gesundheitsbehörden verstärkt werden. Schließlich gehören zur staatlichen Informations- und Aufklärungsarbeit auch die schulische Bildung sowie Forschung und Lehre.
Der Endbericht weist eine Fülle von Forschungsdefiziten auf, die ohne eine gezielte Forschungsförderung nicht zu beseitigen sein werden. Ich denke, Frau Kollegen Köster-Loßack, in dem Bereich sind wir uns einig. Hier geht der Appell an die Verantwortlichen, die notwendigen Ressourcen zur Verfügung zu stellen und die entsprechenden Forschungen zu initiieren.
Die aus Sicht der SPD in ganz besonderer Weise bedeutsame Handlungsempfehlung betrifft die Errichtung einer öffentlich-rechtlichen Stiftung von Bund und Ländern gemeinsam. Die Aufgaben sind im Vorfeld schon genau beschrieben worden und sind auch in unserem Endbericht nachzulesen.
Für uns ist gerade die Unterstützung der privaten Initiativen und Beratungsstellen ein zentraler Aspekt. Viele Hilfesuchende wenden sich ganz bewußt nicht an kirchliche oder staatliche Stellen. Deshalb müssen die Privaten im Interesse der Betroffenen endlich die notwendige Unterstützung erhalten.
In diesem Zusammenhang freut es mich ganz besonders, daß die Koalitionsfraktionen den im Zwischenbericht noch als Sondervotum der SPD formulierten Vorschlag nunmehr mit unterstützen und sich ebenfalls für die längst überfällige Einführung einer gesetzlichen Regelung zur staatlichen Förderung privater Beratungs- und Informationsstellen einsetzen.
Ich möchte zwei weitere Handlungsempfehlungen besonders hervorheben - meine Vorredner sind auch darauf schon eingegangen -, und zwar einmal das Gesetz zur gewerblichen Lebensbewältigungshilfe. Nach dem Zwischenbericht hat man sich nun zum zweitenmal deutlich für dieses Gesetz ausgesprochen. Es wurde auch darauf hingewiesen, daß wir es besonders für den Verbraucherschutz auf dem Psychomarkt brauchen. In diesem Zusammenhang geht es auch - hier wurde schon darauf eingegangen - um die Präzisierung des Wucherparagraphen. Meine dringende Bitte und Aufforderung an den nächsten Deutschen Bundestag ist es, die Gesetzesinitiative unmittelbar wieder aufzugreifen und das Gesetz zur gewerblichen Lebensbewältigungshilfe schnellstmöglich zu verabschieden.
Zum anderen möchte ich die Empfehlung hervorheben, die Beobachtung der Scientology-Organisation fortzusetzen. Ich kann mich hier im Auftrag meiner Fraktion meinen Vorrednern nur anschließen. Wir sind also dafür, die Beobachtung der Scientology-Organisation durch die Verfassungsschutzbehörden fortzusetzen.
Die SPD hat ein Sondervotum hinsichtlich Art. 140 des Grundgesetzes abgegeben. Gestatten Sie mir, darauf noch kurz einzugehen. Gegenwärtig bestehen große Rechtsunsicherheiten im Hinblick auf die Anerkennung von Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts. Ich verweise hier auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts im Präzedenzfall der Zeugen Jehovas. Hier heißt es:
Rechtstreue und Loyalität gegenüber unserem demokratisch verfaßten Staat müssen Voraussetzungen sein, damit eine Religionsgemeinschaft den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts erhält.
Nach unserer Auffassung muß dieser Grundsatz
auch in Zukunft gelten. Hierin sind wir uns einig. Die
SPD plädiert also für eine Überprüfung - für nicht
Gisela Schröter
mehr, aber auch nicht weniger -, ob Art. 140 des Grundgesetzes insoweit präzisiert werden sollte oder nicht.
Beim zweiten Sondervotum der SPD hinsichtlich der gesellschaftlichen und politischen Bedeutung des Gesamtphänomens möchte ich auf die Ausführungen meiner Kollegin Angelika Mertens verweisen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Schluß sei mir gestattet, hier ein paar ganz persönliche Anmerkungen zu machen. Ständiger Bezugs- und Ausgangspunkt für meine Arbeit in der Kommission war - ich denke, damit spreche ich auch für alle anderen Kommissionsmitglieder - die Glaubens- und Religionsfreiheit, wie sie in Art. 4 des Grundgesetzes festgeschrieben ist. Um so mehr haben mich die Erfahrungen geschmerzt, die ich als Delegationsmitglied auf unserer Reise in die USA machen mußte. Es war die Unterstellung lautstarker Demonstrationen, daß wir es in Deutschland in der Enquete-Kommission mit der Glaubensfreiheit nicht so genau nehmen würden.
Ich bin in einer atheistischen Gesellschaft groß geworden. Aber es war mir immer wichtig, mich - trotz aller drohenden Nachteile - zu meiner religiösen Bindung zu bekennen. Mein Einsatz für Glaubens- und Religionsfreiheit war immer ein Grundpfeiler meines individuellen Freiheitsverständnisses. Von daher können Sie bei mir eine ganz besondere Sensibilität voraussetzen, wenn die Gefahr entsteht, daß dieses Grundrecht für einzelne oder Gruppen beschnitten wird. Auf der anderen Seite bin ich aber genauso hellwach, wenn dieses Grundrecht mißbraucht werden sollte.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Helmut Jawurek, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In Deutschland hat sich in den letzten 20 Jahren ein Psychomarkt für unzählige Heilmethoden entwickelt. Unserer Kommission sind in den zwei Jahren ihrer Arbeit mehr als tausend verschiedene Ansätze, Methoden, Verfahren und Techniken bekanntgeworden. Das Angebot reicht von Heilung von psychischen oder psychosomatischen Störungen über Hilfe bei der Bewältigung von Lebenskrisen und Steigerung der Durchsetzungsfähigkeit bis hin zu Seminaren für Persönlichkeitstraining. Eingebürgert hat sich der Begriff Lebensbewältigungshilfe, der auch heute schon verschiedentlich verwendet worden ist.
Genauso unterschiedlich wie die Angebote sind auch die Anbieter auf diesem Markt. Daher ist gerade auch für die Kunden auf diesem Markt eine Orientierung in finanzieller und inhaltlicher Hinsicht notwendig. Es ist notwendig, daß die Verbraucher vom Anbieter bereits vor Vertragsabschluß über Dauer, Methoden und Kosten eines Angebots informiert werden oder daß zumindest die Möglichkeit besteht, sich zu informieren. Es ist mehr Transparenz notwendig. Daher ist die Handlungsempfehlung unserer Kommission notwendig und richtig, in der nächsten Legislaturperiode möglichst bald ein Gesetz über Verträge auf dem Gebiet der gewerblichen Lebensbewältigungshilfe zu verabschieden. Das, meine liebe Kolleginnen und Kollegen, ist dringend notwendig.
In der vergangenen Woche wurde uns in der Presse vorgeworfen, daß unser Bericht keine Studie über Scientology enthalte. Die Scientology-Organisation, so hieß es in dieser Berichterstattung, profitiere davon. Aber wer unseren Endbericht gelesen hat, der muß festgestellt haben, daß es eben nicht unser Ziel war, hier irgendeine schwarze Liste zu erstellen. Unser Ansatz war und ist ein problem- und konfliktbezogener. Probleme und Konflikte, die im Zusammenhang mit neuen religiösen und ideologischen Gemeinschaften auftreten, wurden von uns - soweit möglich - untersucht und analysiert.
Natürlich wurde auch die Scientology-Organisation in unserem Bericht behandelt. Ich denke, daß wir die Gefahren, die durch die Betätigung von Scientology auf verschiedenen Feldern entstehen, gesehen und sie in unserem Bericht auch sehr klar benannt haben. Ich will auch deutlich machen, daß dieser Bericht keineswegs als ein Signal zur Entwarnung hinsichtlich Scientology zu verstehen ist, im Gegenteil: Wie Vertreter der Bayerischen Staatsregierung und Innenminister Beckstein denke auch ich, daß es richtig ist, daß wir konsequent gegenüber Scientology auftreten und daß einige Bundesländer hier eine Vorreiterrolle einnehmen.
Ich möchte ausdrücklich betonen, daß dieser entschlossene Umgang mit einer Organisation, die auf vielfältige Weise im Widerspruch zu unserem Wert- und Rechtssystem sowie zu unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung steht, das einzig Richtige und Gebotene ist.
Es bestehen deutliche Anhaltspunkte dafür, daß die Scientology-Organisation die demokratische Rechtsordnung unterwandern und vielleicht sogar gänzlich abschaffen will. Im Zwischenbericht haben wir deshalb ihre Beobachtung durch den Verfassungsschutz - das wurde in der jetzigen Debatte verschiedentlich erwähnt - explizit begrüßt. Liebe Kollegin Köster-Loßack, die Arbeit des Verfassungsschutzes ist streng reglementiert und definiert. Wir halten es für nötig, die Maßnahmen der Beobachtung konsequent durchzuführen, damit wir eben nicht - wie Sie selber zu Recht gesagt haben - zu einem Nachtwächterstaat verkommen. Ich halte es für richtig, daß wir auch das in unserem Bericht deutlich zum Ausdruck bringen.
Helmut Jawurek
Lassen Sie mich Ihnen am Schluß meiner Redezeit - als letzter Redner in dieser Debatte - für das gute Arbeitsklima danken, das in der Enquete-Kommission über Fraktionsgrenzen hinweg herrschte. Ich möchte mich bei unserer Vorsitzenden, Frau Ortrun Schätzle, bedanken. Ich möchte mich auch ganz herzlich bei unseren Sachverständigen bedanken. Wir alle haben unsere unterschiedlichsten Charaktere in vielen - teilweise bis tief in die Nacht andauernden - Sitzungen eingebracht. Ich glaube, daß ich im Namen von Ihnen allen sagen darf, daß wir von unseren Sachverständigen noch das eine oder andere gelernt haben.' Es war eine bereichernde Erfahrung.
Vielen herzlichen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9a bis 9c auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Christian Lenzer, Werner Lensing, Dr. Martin Mayer und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann, Dr. Karlheinz Guttmacher, Horst Friedrich und der Fraktion der F.D.P.
Biotechnologie - entscheidender Faktor einer zukunftsorientierten Innovationspolitik
- Drucksache 13/10 808 -
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Marina Steindor, Annelie Buntenbach, Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Das Innovationspotential der modernen
Bio- und Gentechnologie nutzen
- Drucksache 13/10 983 -
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem Bundesminister für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie, Dr. Jürgen Rüttgers.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute über die Biotechnologie in Deutschland. Aber wir haben nicht nur Anlaß, uns mit biotechnologischen Fragen zu beschäftigen. Vielmehr gibt es auch einen Anlaß, sich mit einer biographischen Frage zu beschäftigen. Es ist die letzte forschungspolitische Debatte, in der unser Kollege Christian Lenzer das Wort ergreifen wird. Christian Lenzer ist seit fast 30 Jahren Mitglied des Deutschen Bundestages und hört am Ende dieser Legislaturperiode auf.
Seit mehr als 25 Jahren bestimmt er die forschungspolitischen Positionen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion maßgeblich mit. Deshalb ist diese Debatte Anlaß und Gelegenheit, ihm auch ganz persönlich ein herzliches Wort des Dankes und der Anerkennung für diese große Leistung als Parlamentarier auszusprechen. Ich sage das auch deshalb, weil ich seit mehr als 10 Jahren mit Christian Lenzer im Bereich der Forschungspolitik zusammenarbeite und ganz persönlich erleben durfte, mit wieviel Liebe, mit wieviel Einfühlsamkeit und auch Herzblut er sich auf diesem Gebiet engagiert hat.
Ich erinnere mich noch gut an unser erstes Gespräch über forschungspolitische Fragen, als ich neu in den Deutschen Bundestag kam. Es ist nicht immer überall so, liebe Kolleginnen und Kollegen, daß jemand, der Sprecher ist, Neulingen von Anfang an die Möglichkeit gibt, mitzumachen. Auch dafür, Christian Lenzer, ein ganz persönliches Wort des Dankes.
Christian Lenzer hat sich in all diesen Jahrzehnten mit vielen Themen sehr engagiert beschäftigt. Ich erinnere mich an sein großes Engagement im Bereich der Energietechnologien, der Raum- und Luftfahrt und auch der Biotechnologie. Er hat in den letzten Jahren das Auf und Ab hier in Deutschland mitbekommen. Er war seinerzeit dabei, als wir in Deutschland in Sachen Biotechnologie und Gentechnik fast ausschließlich über Risiken diskutiert haben. Er war dabei, als die große Angst umging, auf diesem Gebiet werde etwas passieren, was nicht beherrschbar ist. Das hat sich inzwischen fundamental geändert, und auch an dieser Veränderung hat Christian Lenzer maßgeblichen Anteil.
Sie wissen, daß ich von Montag abend bis Mittwoch ganz früh für wenige Stunden in New York auf der größten Biotechnologieveranstaltung der Welt gewesen bin, der BIO '98. Ich empfand ein Gefühl des Stolzes, daß sich diese BIO '98 schwerpunktmäßig mit der Entwicklung in Deutschland beschäftigt
Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers
hat, nachdem Deutschland in diesem Bereich über viele Jahre hinweg überhaupt keine Rolle gespielt hat. Die Botschaft war „Germany is back", „Deutschland ist wieder da". Die Biotechnologie in Deutschland boomt. Wir sind auf dem Weg zum Biotechnologiestandort Nummer eins in Europa. Ich bin ganz sicher, daß wir auch dieses Ziel bis zum Jahr 2000 erreicht haben werden.
Europa insgesamt wird zum Herausforderer der USA in der Biotechnologie. Wie Wissenschaftler jetzt festgestellt haben, gibt es einen Kontinental-Shift in der Biotechnologie von Amerika nach Europa, allerdings auch von Großbritannien auf den Kontinent. All das, was über viele Jahre diskutiert worden ist und worüber wir uns geärgert haben - daß junge Forscher ins Ausland gingen, daß deutsche Unternehmen im Ausland investiert haben und nicht in Deutschland -, hat sich in den letzten Jahren fundamental verändert.
Ich freue mich, daß ich den Deutschen Bundestag auch über eine neue Entscheidung informieren kann: Die US-Firma Ribozyme wird noch in diesem Jahr in Berlin eine neue Firma mit dem Namen Atugen Biotechnology GmbH gründen und in den nächsten fünf Jahren 90 Millionen DM in die Biotechnologie in Deutschland investieren.
Es wird Kooperationsbeziehungen zu der Firma Clondiag Chiptechnologies in Jena geben, wo ein BioChip gemeinsam erarbeitet wird, was übrigens wiederum ein Beweis für die exzellente Qualität des Forschungs- und Technologiestandortes neue Bundesländer ist. Auf diesem Gebiet haben wir inzwischen internationales Niveau erreicht. Die rechtlichen Rahmenbedingungen stimmen.
Mit dem BioRegio-Wettbewerb haben wir die Dynamik entfacht. Die Anzahl der Biotechfirmen hat sich von 1995 auf 1996 und noch einmal von 1996 auf 1997 verdoppelt. Wir sind gerade dabei, von 1997 auf 1998 die Anzahl - trotz des höheren Niveaus - ein weiteres Mal zu verdoppeln.
Um die Dynamik in diesem Bereich zu unterstützen, wollen wir jetzt auch seitens der Bundesregierung mit einem neuen Wettbewerb die Grundlagen festigen und ausbauen. Dieser neue Wettbewerb hat den Namen „BioFuture". Er soll die biowissenschaftliche Grundlagenforschung neu beleben. Dahinter steckt die Idee, daß bereits junge Wissenschaftler - unabhängig davon, ob sie habilitiert sind oder nicht - Forschergruppen bilden können, in einer Hochschule, in einer Firma oder anderswo arbeiten und eigenständige Forschung betreiben können. Ich halte das für eine gute Idee.
442 kleinere und 23 größere Biotechnologie-Unternehmen sind eine gute Ausgangsbasis für Deutschland. Der Umsatz der Biotechnologie-Branche hat inzwischen 4,4 Milliarden DM erreicht. Die Aufwendungen für Forschung und Entwicklung betragen 3,3 Milliarden DM. Forschungsintensiver kann keine Branche sein. Insofern können wir am Ende dieser Legislaturperiode feststellen, daß sich die Lage fundamental gewandelt hat. Deutschland ist in der Biotechnologie auf dem Weg zur Weltspitze. Das ist, lieber Christian Lenzer, auch Dein Verdienst.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Wolf-Michael Catenhusen, SPD-Fraktion.
Meine Damen und Herren! Der Abschied von Christian Lenzer ist auch für mich ein Abschied, weil ich mit ihm 14 Jahre lang gemeinsam in einem Ausschuß gearbeitet habe. Ich habe mit ihm oft politisch die Klinge gekreuzt, weil wir beide von vergleichbarem Engagement in der Sache getrieben waren. Wer sich nämlich mit Forschung und Technologie beschäftigt, mit einem der zentralen Felder der Politik der Zukunft, der entwickelt in der Regel eine intensive Beziehung zu diesem Sachgebiet und ein großes inneres Engagement. Deshalb bedanke ich mich, Herr Lenzer, für diese jahrelange, gute Zusammenarbeit, auch wenn wir uns angesichts unseres Engagements nicht immer einig in der Sache waren; aber das ist, so glaube ich, für die Politik das Fruchtbarste.
Wer dem hochentwickelten Industrieland Deutschland eine gute ökonomische, soziale und ökologische Perspektive geben will, muß intelligent und verantwortungsbewußt die Potentiale neuer Technologien entwickeln und nutzen. Das gilt auch für unseren Umgang mit der Bio- und Gentechnik, der bislang innovativsten Methode im Spektrum moderner biologischer und medizinischer Forschung.
Es gibt auch aus Sicht der SPD keinen Grund - ich denke, wir sollten diese Debatten in Deutschland einmal beenden, da wir zwar gut im Debattieren sind, aber dabei nicht zu praktischen Ergebnissen kommen -, die Gentechnik schlechthin zur Risikotechnologie zu erklären und ihren Einsatz grundsätzlich für unverträglich zu erklären oder ethisch grundsätzlich in Frage zu stellen.
Deshalb wollen wir, daß der Standort Deutschland eine gute Perspektive für bio- und gentechnische Forschung, Entwicklung und Anwendung auf höchstem Niveau bietet.
Wir wollen durchaus, daß Deutschland ein attraktiver Standort für die Produktion innovativer Diagnostika, Medikamente und Impfstoffe ist und bleibt.
Natürlich bleibt es auch Aufgabe der Politik, den Schutz von Mensch und Umwelt vor - im Einzelfall möglichen - Gefahren zu gewährleisten. Mit dem derzeit existierenden Gentechnikgesetz haben wir ein Gesetz mit hohem Sicherheitsniveau geschaffen, das auch in der Praxis handhabbar ist und mit dem wir im Einzelfall mögliche Gefahren für Mensch und Umwelt ermitteln und Vorkehrungen, falls erforderlich, treffen können. Es ist für uns auch klar, daß die Bundesrepublik Deutschland konstruktiv an der An-
Wolf-Michael Catenhusen
passung des deutschen und europäischen Gentechnikrechts auf hohem Schutzniveau mitarbeitet. Wir haben das größte Interesse daran, daß unser Schutzniveau in Europa - und möglichst auch über Europa hinaus - der Standard für einen verantwortlichen Umgang mit der Gentechnik ist.
Es bleibt natürlich unsere Aufgabe, ethisch gebotene Grenzen für den Einsatz der Gentechnik, insbesondere am Menschen, zu ziehen, Grenzen die sich am Ziel des Schutzes der Menschenwürde orientieren. Wir haben hier in den letzten 15 Jahren in manchen Bereichen durchaus weltweit die Vorreiterrolle übernommen. Das wird von einem breiten Konsens im Hause getragen. Ich wäre froh, wenn das so bleibt.
Es lohnt aber durchaus den politischen Streit um die Bilanz einer Regierung, die jetzt seit 16 Jahren regiert und nicht erst seit 1996, Herr Rüttgers, und um eine intelligente und vor allem dauerhaft tragbare Innovationsstrategie für die verantwortbare Weiterentwicklung der Bio- und Gentechnik am Standort Deutschland. Mit der Ausschreibung des BioRegioWettbewerbs hat diese Bundesregierung nach 13 Jahren faktischer Untätigkeit auf dem Gebiet der Innovation begonnen, sich den Anforderungen einer intelligenten Innovationsstrategie zu stellen, nachdem viele SPD-geführte Bundesländer, auch solche, in denen Grüne an der Regierung beteiligt sind, diesen Impuls vorbereitet und auch aktiv aufgenommen haben. Sie wissen alle, daß das Konzept einer der Siegerregionen, nämlich des Rheinlands, unter aktiver Beteiligung von Ministerpräsident Wolfgang Clement erarbeitet, auch hier in Bonn präsentiert worden ist.
Ich habe mich vor wenigen Tagen in Heidelberg davon überzeugen können, welche positiven Impulse die Idee von BioRegio für die Gründung junger, kreativer Unternehmen ausgelöst hat. Ich denke, wir sind froh über jedes Unternehmen, das auf einem sinnvollen Arbeitsgebiet in Deutschland entsteht. Wir sind auch froh über jeden Arbeitsplatz, der in diesem Bereich entsteht. Darüber gibt es keinen politischen Streit.
Man sollte aber auch deutlich sagen: Daß dort jetzt die hohen Zuwachszahlen erreicht werden, Herr Rüttgers, ist vielleicht die Kehrseite dessen, daß Ihre Regierung von 1983 bis 1996 im innovationspolitischen Tiefschlaf verharrt hat und deshalb ein Innovationsstau entstanden ist, der Gott sei Dank jetzt langsam aufgearbeitet wird.
Denn Sie müssen sich doch einmal die Frage stellen, warum in Amerika Anfang der 80er Jahre dieses Netzwerk von weit über 1 000 innovativen, risikokapitalfinanzierten Gentechnikfirmen entstanden ist. Wir sind jetzt in Deutschland im Abstand von gut 13 Jahren Gott sei Dank dabei, diese, so sage ich einmal, Fehlentwicklung zu korrigieren. Da können Sie viel über Stimmungslagen, über Skepsis und Kritik reden.
Meine erste Rede an die Bundesregierung in dieser Zusammensetzung, in der ich sie aufgefordert habe, auf die Entwicklung junger, innovativer Firmen in den USA einzugehen, habe ich 1984 in diesem Parlament gehalten. Da gab es Forschungsminister, die in diesem Bereich nichts getan haben. Daß Sie jetzt etwas tun, Herr Rüttgers, kritisiere ich nicht. Man muß auch richtige Dinge, die spät getan werden, begrüßen und sich darüber freuen, daß überhaupt etwas getan wird.
Daß Sie heute einen Antrag zur Bio- und Gentechnik vorlegen, dient natürlich dem kräftigen Selbstlob. Das ist kurz vor der Wahl okay; das würden wir wahrscheinlich auch tun. Aber Sie rühmen dann besonders die Anstrengungen Deutschlands im Bereich der Genomforschung. Auch dazu wieder ein zarter Hinweis: 1989 begannen die USA ihr Programm zur Entschlüsselung der Erbanlagen des Menschen und verschiedenster Organismen. Im gleichen Jahr, 1989, schlugen erstmals prominente deutsche Wissenschaftler ein deutsches Genomforschungsprogramm vor - bei der Bundesregierung Sendepause bis 1996.
- Nein, nein. Sie haben das Pech, daß Sie meine Reden und die anderer nachlesen können. Das erspart Ihnen vielleicht von wenig Sachkenntnis getragene Zwischenfragen.
- Ich rede für die SPD, keine Sorge.
Sieben Jahre später nimmt die Bundesregierung endlich die strategische Bedeutung dieses Forschungszweiges zur Kenntnis, allerdings mit einem Programm, das nach der Auffassung prominenter Genforscher in Kümmerform entstanden ist und sich in keiner Weise an dem messen kann, was etwa in Großbritannien oder den USA im Bereich der Genomforschung stattfindet.
Sie haben einen - mit bestimmten Einschränkungen - vernünftigen Schritt mit der Berufung des Technologierates getan. Der gewollte angenehme Nebeneffekt dabei ist, daß die mitentscheidenden Minister dafür sorgen, daß Kritik an dem, was bisher war, in den Empfehlungen des Technologierates nicht zur Sprache kommt. Aber die Empfehlungen für die Zukunft sind in manchen Bereichen durchaus sehr vernünftig. Wir haben einige davon in unserem Antrag aufgegriffen.
Allerdings, die Forderung des Technologierates, etwa ein ressortübergreifendes Programm „moderne Biologie" vorzulegen, mit dem der Querschnittsbedeutung der Lebenswissenschaften endlich auch durch die Bundesregierung Rechnung getragen wird, eine solche Kraftanstrengung können Sie in Ihrer Regierung offenkundig nicht realisieren.
Der Bericht des Technologierates spricht im übrigen offen aus, warum wir bis heute Akzeptanzpro-
Wolf-Michael Catenhusen
bleme beim Einsatz der Gentechnik im Bereich der Landwirtschaft und Lebensmittelverarbeitung haben. Es heißt nämlich in dem Bericht: Die meisten der bisher im Bereich der Landwirtschaft und der Lebensmittelverarbeitung diskutierten Vorteile beziehen sich nicht unmittelbar auf das Produkt, für das der Verbraucher ein gewisses Interesse hat. Der Verbraucher empfindet gentechnisch hergestellte Produkte zur Zeit nicht als persönlichen Nutzen. - Das ist trotz aller PR-Kampagnen das Hauptproblem. Nur wenn die Industrie diese Zielsetzung ändert, werden sich Verbraucher in Deutschland für Gentechnik im Bereich der Landwirtschaft interessieren.
Meine Damen und Herren, Sie können sich vorstellen, an der Regierungsbejubelung in Ihrem Antrag beteiligen wir uns aus guten Gründen nicht. Wir fragen uns im übrigen, was Aufforderungen des Bundestages heute an die Bundesländer sollen, nachdem noch am 18. März in Berlin die Regierungschefs von Bund und Ländern eine sehr vernünftige Erklärung zur Förderung der Biotechnologie verabschiedet haben, in der es beispielsweise heißt - das hätten Sie doch in Ihrem Antrag übernehmen können -:
Die Bundesrepublik Deutschland als Industrienation ist angewiesen auf ein verantwortungsbewußtes Abwägen der Chancen und Risiken der Biotechnologie, um ihre verantwortbaren Potentiale zu identifizieren und diese unter Beachtung eines umfassenden Gesundheits-, Umwelt- und Verbraucherschutzes systematisch zu entwickeln und auszubauen - zum Wohle des ökologischen und ökonomischen Fortschritts.
Einen solchen Text hätten wir heute gemeinsam verabschieden können. Es hätte sich gelohnt, auf dieser Grundlage in den Ausschüssen zu beraten. Diese Erklärung ist aber nicht für eine Beratung verfaßt worden.
Daß übrigens auch rotgrün regierte Länder eine verantwortungsbewußte und innovative Politik im Bereich der Bio- und Gentechnik betreiben, zeigt Nordrhein-Westfalen, Frau Steindor. Diese Politik hat auch das Land Niedersachsen unter Gerhard Schröder in der Phase rotgrüner Zusammenarbeit gezeigt. In Niedersachsen hat es - neben einigen anderen Bundesländern - nie Kritik der Industrie an der Genehmigungspraxis gegeben.
Wir werden die beiden Anträge der Grünen heute ablehnen. Wir nehmen ökologische und ethische Verantwortung sehr ernst. Natürlich muß bei der gezielten Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen auch nach 3 000 Freisetzungen bedacht werden, daß es hier nicht rückholbare Eingriffe in Ökosysteme mit Langfristfolgen geben kann. Die Frage, wie wir Vorsicht wahrnehmen, ist eine wichtige Frage. Wir brauchen deshalb Risikoforschung, Risikovorsorge und ein von Vorsicht getragenes Step-byStep-Verfahren.
Wir unterstützen durchaus das Anliegen der Grünen - das ist auch unser Anliegen -, über das Zusatzprotokoll zu Rio auch weltweit Sicherheitsstandards im Umgang mit der Gentechnik zu etablieren - das aber nicht, um das bewährte Schutzniveau des deutschen und europäischen Gentechnikrechts auszuhebeln.
Unter Punkt 17 Ihres zweiten Antrags kommen Sie mit der Forderung eines weltweit befristeten Verbotes für die Herstellung und für die Nutzung gentechnisch veränderter Organismen. Wir wissen nicht genau, was Sie mit Ihren Anträgen wirklich bezwekken.
Ich bin - wie viele von uns - durchaus für eine rotgrüne Koalition, aber auf klarer Geschäftsgrundlage. Deshalb, Frau Steindor und andere Kollegen von den Grünen, sage ich zum Schluß im Klartext: Mit der SPD in Bonn ist eine Politik nicht zu machen, die vom Ziel eines schrittweisen Verbots der Gentechnik generell oder bezogen auf die Landwirtschaft getragen wird,
die den Einsatz der Gentechnik grundsätzlich für ethisch nicht verantwortbar hält und die gleich einem Eiertanz nach der Melodie des Wahlprogramms der Grünen formuliert:
Bündnis 90/Die Grünen lehnen die Gentechnik in der Medizin weiterhin im Grundsatz ab ...
- was immer das auch heißen mag -
Das mit der Gentechnik verbundene Menschenbild gefährdet die Menschenwürde.
Nehmen Sie zur Kenntnis: Geschäftsgrundlage für eine Zusammenarbeit mit der SPD werden diese Zielsetzungen nicht sein.
Schönen Dank.
Das Wort hat die Abgeordnete Marina Steindor, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir sind am Ende der Legislaturperiode, und wir befinden uns im Wahlkampf. Herr Lenzer, ich hatte nicht das Vergnügen, mit Ihnen in einem Ausschuß zu sitzen.
Ich respektiere aber die Beweggründe für Ihre Rede: Außer Wahlkampf gibt es für die Regierungsparteien keinen konkreten Anlaß, hier noch einmal Jubelveranstaltungen durchzuführen und Jubelanträge für die Gentechnologie einzubringen.
An die Adresse der SPD möchte ich gleich am Anfang sagen, daß ich Sie - ehrlich gesagt - taktisch für ein bißchen klüger gehalten hätte. Ich werde nicht anfangen, mit Ihnen hier Koalitionsvereinbarungen auszuhandeln. Ich hatte auch den Eindruck, daß Sie bei Ihren Ausführungen gar nicht die Art der Befassung mit dem von uns gestellten Antrag reflektiert haben. Es gibt heute nämlich nichts abzulehnen, son-
Marina Steindor
dern unser Antrag wird überwiesen. Bei der Abstimmung über das Bio-Safety Protokoll gestern abend, Herr Catenhusen, hat sich Ihre Fraktion enthalten.
Wir legen hier kein geflissentliches Bekenntnis wie die großen Parteien zur Gentechnologie ab. Wir beschränken uns vielmehr auf die Einbringung eines Antrages, der sich ausschließlich mit der Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen beschäftigt. Wir sind der Auffassung, daß die Ablehnung der Gentechnologie nicht nur aus ökologischen, gesundheitlichen und sozialen Problematiken herrührt, sondern in hohem Maße eine moralische und ethische Wertefrage ist.
Wir sind ferner der Auffassung, daß Umweltschutz, Naturschutz, Respekt und Ehrfurcht vor der Schöpfung - ob religiös oder säkular ausgedrückt - eigentlich nur verschiedene Seiten einer einzigen Medaille sind. Bündnis 90/Die Grünen stehen für eine werteorientierte ökologische und soziale Modernisierung der Industriegesellschaft. Das, Herr Catenhusen, halten wir für intelligent, und dafür werden wir streiten.
Bündnis 90/Die Grünen halten - das ist bekannt - die Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen seit Jahren weder für ökologisch vertretbar noch für moralisch-ethisch verantwortbar.
Wir wollen im Gegensatz zu Ihnen allen den Bürgerinnen und Bürgern in diesem Land, die in einem hohen Maße diese Auffassung teilen, ihre Ablehnung und ihre Werte nicht ausreden und sie nicht mit Akzeptanzkampagnen aus ihren Köpfen vertreiben, sondern wir wollen diese Bürgerinnen und Bürger ernst nehmen und die Werte politisch umsetzen.
Deshalb bringen wir heute hier unseren Antrag ein, mit dem wir die Richtlinie der Europäischen Union weiterentwickeln wollen. Sie befindet sich derzeit in einem Novellierungsprozeß. Wir knüpfen an die richtigen Schritte, die im Entwurf enthalten sind, an und entwickeln sie weiter, sicherlich mit der Zielsetzung, die Freisetzung zu minimieren und sie schließlich zu beenden. Das ist unser politisches Ziel.
Natürlich konnte ich mich schon im Vorfeld meiner Rede darauf einstellen, daß es hier Versuche geben würde, die Position von Bündnis 90/Die Grünen zu diffamieren, zu isolieren und in eine Ecke zu stellen. Aber durch die gestrige Lektüre der internationalen Zeitungen - „Daily Telegraph" , „New York Times" und „Le Monde" - fühle ich mich äußerst gelassen; denn ich kann Ihnen mitteilen, daß Monsanto in den USA wegen der gentechnisch veränderten Baumwolle, die nicht funktioniert hat, Millionen US-Dollar Schadenersatz zahlen muß, daß in England auf Grund der Intervention von Prince Charles mehrere Naturschutzberatergruppen der Regierung - nicht solche Claqueure, wie Sie sie hier haben,
sondern ernsthafte Wissenschaftler, die sich um den Naturschutz bemühen wollen - ein Moratorium gefordert haben und daß dort jetzt neue Studien durchgeführt werden. Die Ablehnung der Gentechnik nimmt in England zu. In Frankreich wird an diesem Wochenende eine Konsensuskonferenz stattfinden, auf der es um ein Moratorium für die Freisetzung gentechnisch veränderter Nutzpflanzen geht.
Bündnis 90/Die Grünen sind sich voll und ganz darüber im klaren, daß wir uns in diesem Kontext auf ein zähes, langes Ringen einstellen müssen und daß wir im europäischen Kontext an Gesetze gebunden sind. Wir haben unsere Vorschläge, wie man die Richtlinie 220 weiterentwickeln sollte, vorgelegt. Dieser Antrag wird heute hier überwiesen, weil es ein Projekt ist, das bis in die nächste Legislaturperiode hineinreicht.
Der Abgeordnete Dr. Karlheinz Guttmacher, F.D.P., hat darum gebeten, seine Rede zu Protokoll geben zu dürfen. *) Sie sind sicherlich damit einverstanden. - Das ist der Fall.
Ich gebe jetzt das Wort dem Abgeordneten Wolfgang Bierstedt, PDS.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit den vorliegenden Anträgen von CDU/CSU und F.D.P. sowie der SPD erreicht der anscheinend im Wahlkampffieber ausgebrochene Wettbewerb, wer in diesem Land der beste Innovator in Sachen Bio- und Gentechnologien ist,
wohl den vorläufigen Höhepunkt. Das hat sich auch in den Reden gezeigt.
Wenn es um das zumindest in diesem Bereich zweifelhafte Argument des Zuwachses an neuen Arbeitsplätzen geht, ist die Regierungskoalition anscheinend bereit, sich über alle Bedenken hinsichtlich bisher noch nicht vollständig erforschter Gefahrenpotentiale hinwegzusetzen. Da hilft auch nicht der leicht zu überlesende Nebensatz in der diesbezüglichen Presseerklärung des Kollegen Lenzer, dem ich übrigens auch ganz persönlich alles Gute wünschen möchte.
Warum sagen Sie nicht offen, daß es Ihnen eigentlich darum geht, die Möglichkeiten, in diesem Sektor Geld zu verdienen, zu verbessern? Schieben Sie nicht immer solche großen Parolen wie die von der nur mit Hilfe der Gentechnologie zu lösenden Welternährungssituation vor das argumentative Loch, und benutzen Sie bitte nicht die zweifelhafte Hoffnung von Menschen auf Erfolge im Bereich der gentechnischen medizinischen Forschung für Ihre wirtschaftlichen Interessenlagen.
Sie verweisen in Ihrem Antrag auf die wissenschaftliche Kompetenz des vom Kanzler inthronisier-
*) Anlage 13 im Nachtrag zu diesem Plenarprotokoll
Wolfgang Bierstedt
ten Rates für Forschung, Technologie und Innovation, dem es, weil handverlesen, wahrlich an jeglicher kritischen und nicht interessengeleiteten Stimme mangelt. Das halte ich für eine zweifelhafte Begründung für Ihre Haltung.
Die Kollegen von der SPD beziehen sich in ihrem Antrag auf das Umweltgutachten, in dem eigentlich jeder lesen kann, daß der Teil über Gentechnik und Freisetzung auf Stellungnahmen von Wissenschaftlern beruht, die selbst ein Interesse an der Zulässigkeit von Freisetzungen haben. Ich führe beispielsweise Herrn Professor Pühler an. In solcher Weise wird keine offene und faire Diskussion über die Vor- und Nachteile von Bio- und Gentechnologien geführt. Dies läßt Ihren Antrag, meine Damen und Herren von der SPD, über Ihre bisher so nicht formulierte unkritische Gesamthaltung hinaus in einem etwas zweifelhaften Licht erscheinen.
Ich bin relativ beruhigt darüber, daß die massiven Formen der Beeinflussung der Bevölkerung anscheinend nicht die gewünschte Wirkung haben, auch wenn Herr Minister Rüttgers das anders sieht. Ich verweise auf das TAB-Monitoring zur Technikakzeptanz vom Dezember 1997. Die zurückhaltende und kritische Haltung vieler Menschen zur Gentechnologie hat wohl eher zu- denn abgenommen,
vielleicht auch deshalb, weil die Menschen nicht nur den Versprechungen nicht glauben, sondern auch Informationen zur Kenntnis nehmen wie die über die aufgebrachten südostasiatischen Reisbauern und Umweltschützer, deren seit Jahrhunderten angebaute Reissorten von Chemie- und Gentechnikunternehmen patentiert und ihrer Nutzung und damit der Nahrungsversorgung sukzessive entzogen werden. Indem eine solche Meldung in das Bild von Bio- und Gentechnologien integriert wird, vollzieht sich eine Gesamtwahrnehmung von Technologien, die nicht selektiv-trennend verfährt und ein realistischeres Bild vermittelt als das der leider vorliegenden Anträge von Koalition und SPD.
Konsequent in der Berücksichtigung auch der Risiken der Gentechnologie verfährt der Antrag der Grünen, den wir unterstützen, zumal er inhaltlich unserem Antrag zu Drucksache 13/4933 nahekommt. Dem Druck von Industrie, Wissenschaft und Politik - hier insbesondere auch demjenigen der Bundesregierung in Europa - auf Absenkung von gesetzlichen Anforderungen an gentechnologische Arbeiten und Freisetzungen darf nicht nachgegeben werden.
Danke schön.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Christian Lenzer, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst einmal - das ist selbstverständlich - möchte ich mich ganz herzlich bei allen Kolleginnen und Kollegen für die lobenden Worte, die Sie an meine Adresse gerichtet haben, bedanken. Ich kann nur sagen: Ich habe das alles hier sehr gern gemacht. Mit vielen, die hier gesprochen haben - ob Jürgen Rüttgers, den ich als Lehrling, wenn ich das respektvoll betonen darf, in meiner Arbeitsgruppe willkommen heißen durfte und aus dem auch etwas geworden ist, ob das WolfMichael Catenhusen oder auch andere sind -,
hatte ich in der Tat oft freundschaftliche Auseinandersetzungen.
Einen möchte ich ganz besonders erwähnen, und zwar Karl-Hans Laermann, der zwar heute in dieser Debatte nicht das Wort ergriffen hat, der aber bereits seit Anfang der 70er Jahre in dem Bereich der Forschungs- und Technologiepolitik mitgewirkt hat.
Es war eine schöne Zeit. Ich werde Sie mit Sicherheit vermissen.
Die moderne Biotechnologie und Gentechnik ist eine Herausforderung und ebenso eine große Chance für den Standort Deutschland. Sie schafft zukunftssichere Arbeitsplätze und Wissen, das für die Menschheit von größter Bedeutung ist. Deutschland nutzt die Chance. Die biotechnologische Branche boomt.
Allein 443 kleinere Unternehmen und 23 größere Unternehmen arbeiten heute als Anbieter von Verfahren, Produkten und Dienstleistungen in der deutschen Biotech-Branche. Das ist doppelt soviel wie 1996.
Diese Unternehmen beschäftigen rund 11000 Menschen. Insgesamt arbeiten bereits 200 000 Menschen in der Biotechnologie.
Deutsche Unternehmen engagieren sich mit biotechnologischer Forschung nicht mehr nur im Ausland, sondern - das ist wichtig - wieder in Deutschland, wie jüngste Beispiele zeigen.
Die Zahl der strategischen Allianzen zwischen deutschen und amerikanischen Unternehmen sowie die Zahl der Auslandsinvestitionen in Deutschland nimmt zu. Die Investitionen auf dem deutschen Biotechnologiesektor sind von 1996 bis 1998 von 75 Millionen auf rund 425 Millionen DM emporgeschnellt.
Sie werden inzwischen - das ist wichtig - zu 91 Prozent mit Eigenkapital finanziert. Das heißt, privates
Christian Lenzer
Risikokapital engagiert sich zunehmend im BiotechBereich. Das ist eine wirklich stolze Bilanz.
Unser ehrgeiziges Ziel, in Europa die Nummer eins auf dem Gebiet der Biotechnologie zu werden, rückt näher. Spät, aber offensichtlich nicht zu spät konnte der Rückstand auf diesem Gebiet behoben werden.
Deutschland war in der biotechnischen Grundlagenforschung schon immer Weltklasse. Aber es haperte deutlich an der Umsetzung der Ergebnisse in Innovationen, in marktfähige Produkte. Andere Länder waren hier schneller. Mit der Novellierung des Gentechnikgesetzes im Jahre 1993 wurde die Voraussetzung für die entscheidende Wende in der Biotech-Branche geschaffen. Den Zündfunken für den jetzt zu verzeichnenden dynamischen Aufschwung bildete der von unserem Bundesminister Jürgen Rüttgers geschaffene BioRegio-Wettbewerb.
Der Standort Deutschland erweist sich inzwischen als äußerst fruchtbarer Boden für die Biotech-Branche. So bestätigt zum Beispiel der Rat für Forschung, Technologie und Innovationen beim Bundeskanzler, daß die Forschungs- und Innovationsbedingungen in Deutschland wieder hervorragend sind. Wir müssen diesen Weg zielgerichtet und konsequent weitergehen. Das ist nach meiner Auffassung erfolgreiche Innovationspolitik.
Dem dient auch der von uns eingebrachte Antrag, auf den ich gar nicht im einzelnen eingehen will, weil man es nachlesen kann. Ich möchte aber nachdrücklich darauf hinweisen, welch große Hoffnungen und Chancen für die Menschheit sich mit der Biotechnologie im Hinblick auf Fortschritte in der Medizin und bei der Lösung globaler Umwelt- und Ernährungsprobleme verbinden. Wenn wir die großen Volkskrankheiten Krebs, Aids, Parkinson, Rheuma und Alzheimer erfolgreich bekämpfen wollen, dann führt nach heutigem Kenntnisstand kein Weg mehr an der modernen Biotechnologie vorbei.
In diesem Zusammenhang erwähne ich das bekannte amerikanische Human Genome Project nur am Rande; es würde zu weit führen, heute auf seine Bedeutung einzugehen.
An der Schwelle zum nächsten Jahrtausend sind die Biotechnologie und im übrigen auch die Informationstechnik die Schlüsseltechnologien, die unsere Gesellschaft revolutionär verändern werden. Beide Technologien beinhalten ein erhebliches Potential für Wachstum und Beschäftigung, das heißt für zukunftssichere Arbeitsplätze. Wir haben beste Chancen, hier in vorderster Linie weltweit mitzumachen. Es gilt, diese Chancen verantwortungsvoll zum Wohle Deutschlands zu nutzen.
Meine Damen und Herren, die wesentliche Leitlinie der zukunftsorientierten Innovationspolitik, wie wir sie betreiben, besteht darin, die Chancen neuer Technologien zu nutzen, mögliche Risiken frühzeitig zu erkennen und zu beherrschen. Das gilt in besonderem Maße für die Biotechnologie. Transparenz, frühzeitige Aufklärung und Information der Bevölkerung über Chancen und Risiken sind dabei oberstes Gebot. Aber nicht alles, was der Mensch kann, darf er auch. In diesem Zusammenhang verweise ich auf das Embryonenschutzgesetz, die Bioethik-Konvention und die mit ihr verbundene, teilweise sehr kontroverse Debatte sowie auf die Kennzeichnungspflicht bei Lebensmitteln.
Die Chancen im Bereich der Biotechnologie sind immens. Es kommt aber entscheidend darauf an, das richtige Produkt zum richtigen Zeitpunkt auf den richtigen Märkten zu plazieren. Die in vielen Fällen zu beobachtende rotgrüne Verhinderungspolitik bei der gentechnischen Insulinproduktion - ich bin ja hessischer Abgeordneter und weiß, wovon ich in diesem Zusammenhang spreche - ist ein Lehrbeispiel dafür, wie man Chancen verspielen kann. Machen wir uns nichts vor, zeitlicher Verzug im weltweiten Wettbewerb ließe uns mit allen Konsequenzen für Arbeitsplätze und Wohlstand drittklassig werden. Wir müssen an der Spitze des technischen Fortschritts sein. Nur so können wir verantwortungsvoll mitgestalten.
Warum mußten erst so viele Chancen in Deutschland im High-Tech-Bereich durch die SPD-Blockade behindert oder verpaßt werden? Ich möchte zitieren, was in den „VDI-Nachrichten" vom 29. Mai dieses Jahres über den Auftritt Ihres Kanzlerkandidaten Gerhard Schröder auf einem Kongreß der FriedrichEbert-Stiftung berichtet wird:
... die Sozialdemokraten, so gestand der Kanzlerkandidat Schröder, hätten die Technikdebatte in den vergangenen Jahrzehnten zu sehr unter dem Aspekt der möglichen Risiken geführt, statt über die Chancen zu sprechen. Das müsse und werde sich ändern, versprach Schröder, „wir müssen die Debatte wieder vom Kopf auf die Füße stellen" .
Na schön, dann warten wir darauf;
dann wollen wir gemeinsam daran arbeiten.
Beim selben Kongreß hat Herr Schröder gefordert, daß der Staat lediglich die Ziele für die Entwicklung neuer Techniken vorgeben müsse, die Umsetzung aber der Industrie überlassen solle. Angesichts dessen frage ich mich, woher der Staat eigentlich weiß, welches die richtigen Ziele sind. Die Politik muß im konstruktiven Dialog mit der Wirtschaft und Wissenschaft die Ziele definieren, wie es zum Beispiel im Technologierat für die Schlüsseltechnologien Biotechnologie und Informationstechnik geschehen ist. Der Staat sollte dabei primär die erforderlichen gesetzlichen und administrativen Rahmenbedingungen schaffen, auf entsprechende internationale Grenz-
Christian Lenzer
werte und Normen hinwirken und, wenn nötig, finanzielle Unterstützung leisten. Ansonsten tut er aber ein gutes Werk, wenn er das kreative Potential der Forscher sich frei entfalten läßt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, nach nunmehr 29 Jahren Zugehörigkeit zum Deutschen Bundestag und fast ebenso langem Engagement in der Forschungs- und Technologiepolitik möchte ich mit einem ganz kurzen Rückblick schließen. Ich könnte viel zur Diskussion über die friedliche Nutzung der Kernenergie beitragen, wenn ich mich an deren Anfänge erinnere. Bio-/Gentechnik, Multimedia, Datenautobahn und Wissensgesellschaft waren damals Begriffe, die man am forschungspolitischen Horizont nur erahnen konnte. Es war alles viel handfester. Es bestand auch noch ein hohes Maß an gemeinsamer Überzeugung und an gemeinsamem Durchsetzungswillen. Das energiepolitische Szenario hat sich überhaupt nicht verändert, so daß ich glaube, daß die Nutzung der Kernenergie, wenn man sie so sicher wie möglich machen will, in Zukunft nicht an diesem Land und seiner wissenschaftlichen Leistung vorbeiführt.
Ich könnte noch auf eines meiner Lieblingsthemen eingehen - jeder, der mich kennt, weiß, welche dies sind -, zum Beispiel auf die Luft- und Raumfahrt. Hier haben wir enorme Fortschritte erzielt. Man konnte sich bei der Ausstellung in Berlin wieder davon überzeugen, daß wir in diesem Bereich auf einem guten Weg sind.
Man braucht sich nur einmal anzusehen - ich möchte nur einige Beispiele nennen -, was bei Dresden, dem neuen Silicon Valley unseres Landes, oder, um bei den neuen Bundesländern zu bleiben, in Jena, dem Fokus der optischen Industrie, oder in der Wissenschaftsstadt Adlershof heranwächst. Dies sind glänzende Aushängeschilder für die Leistungsfähigkeit der deutschen Forschung und Technologie. Darauf können wir alle mit Recht stolz sein.
Meine Damen und Herren, herzlichen Dank allen, die mich auf meinem langen, sehr interessanten, zwar nicht immer einfachen, aber doch mit vielen positiven persönlichen Erlebnissen verbundenen politischen Weg begleitet haben. Ich verlasse die Bonner Bühne mit dem Wunsch, daß viele Freundschaften, die sich dabei gebildet haben, auch über den Tag hinaus Bestand haben werden.
Herzlichen Dank.
Lieber Herr Lenzer, auch ich möchte Ihnen im Namen des Hohen Hauses ganz herzlich für Ihren großen Einsatz danken. Ich habe nachgesehen: Im Kürschner stehen acht Sterne vor Ihrem Namen. Sie haben also eine lange Zeit im Bundestag verbracht.
Sie waren lange Jahre unser Vorsitzender in der Arbeitsgruppe für Forschung und Technologie. Ohne
Sie ging in der Forschung gar nichts. Ich selber habe das lange verfolgt.
Ihr Wort hat in der Fraktion immer sehr großes Gewicht gehabt. Ich bedanke mich - ich glaube, das kann ich im Namen des ganzen Hauses sagen - ganz herzlich für Ihren großartigen Einsatz. Ich wünsche Ihnen für den weiteren Lebensweg alles Gute und viel Glück.
Ich schließe jetzt die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. zur Biotechnologie als entscheidenden Faktor einer zukunftsorientierten Innovationspolitik auf Drucksache 13/10 808. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist der Antrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur sozialökologischen Weiterentwicklung des Richtlinienvorschlags der Europäischen Union über die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt auf Drucksache 13/10 951 zu überweisen, und zwar zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Gesundheit und zur Mitberatung an den Rechtsausschuß, den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, den Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, den Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung sowie den Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD zur Nutzung des Innovationspotentials der modernen Bio- und Gentechnologie auf Drucksache 13/ 10 983. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Dann ist der Antrag mit den Stimmen des Hauses außer der SPD, die zustimmt, abgelehnt.
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 20a bis 20c auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des § 42 Abs. 2 des Wohngeldgesetzes und des § 9 Abs. 3 und 4 des Eigenheimzulagengesetzes
- Drucksache 13/10792 - (Erste Beratung 238. Sitzung)
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
- Drucksache 13/11036 -Berichterstattung:
Abgeordnete Achim Großmann Norbert Otto
Dr. Michael Meister
Vizepräsidentin Michalea Geiger
bb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 13/11040 -Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Rolf Niese
Oswald Metzger Dieter Pützhofen Dr. Wolfgang Weng
- Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Franziska Eichstädt-Bohlig, Helmut Wilhelm und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Eigenheimzulagengesetzes (Eigenheimzulagenänderungsgesetz 1998 - EigZulÄndG 1998)
- Drucksache 13/10788 -
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
- Drucksache 13/11036 -Berichterstattung:
Abgeordnete Achim Großmann Norbert Otto
Dr. Michael Meister
bb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 13/11039 - Berichterstattung:
Abgeordnete Dieter Pützhofen Dr. Wolfgang Weng Dr. Rolf Niese
Oswald Metzger
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zu dem Antrag der Abgeordneten Joachim Poß, Achim Großmann, Ingrid Matthäus-Maier, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Verlängerung der ökologischen Komponente bei der Eigenheimzulage
-Drucksachen 13/10619, 13/11036-Berichterstattung:
Abgeordnete Achim Großmann Norbert Otto
Dr. Michael Meister
c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus-Jürgen Warnick, Dr. Barbara Höll, Dr. Uwe-Jens Rössel, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS
Novellierung des Eigenheimzulagengesetzes
- Drucksachen 13/10295, 13/11013 -Berichterstattung:
Abgeordnete Johannes Selle
Horst Schild
Christine Scheel
Dr. Barbara Höll
Dazu liegt ein Änderungsantrag der Gruppe der PDS vor.
Für die Aussprache war eine Stunde vorgesehen. Mittlerweile aber wurde vereinbart, daß die Redebeiträge zu Protokoll genommen werden.*) Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann verfahren wir so.
Wir kommen zu den Abstimmungen, und zwar zunächst zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. zur Änderung des Eigenheimzulagengesetzes auf Drucksache 13/ 10792 . Der Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau empfiehlt auf Drucksache 13/ 11036, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen.
Es liegt ein Änderungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/11064 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag der PDS? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist der Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalition und der SPD gegen die Stimmen der PDS bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.
Wer stimmt für den Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen?
- Dann ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen des gesamten Hauses angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen des gesamten Hauses angenommen.
Beschlußempfehlung des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zu dem Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Änderung des Eigenheimzulagengesetzes auf Drucksache 13/11036 Nr. 2. Der Ausschuß empfiehlt, den Gesetzentwurf auf Drucksache 13/10788 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung?
- Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen des gesamten Hauses angenommen.
Beschlußempfehlung des Bauausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD zur Verlängerung der ökologischen Komponente bei der Eigenheimzulage auf Drucksache 13/11036 Nr. 3. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/10619 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen des gesamten Hauses angenommen.
Beschlußempfehlung des Finanzausschusses zu dem Antrag der Gruppe der PDS zur Novellierung des Eigenheimzulagengesetzes auf Drucksache 13/ 11013. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/10295 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen?
*) Anlage 14 im Nachtrag zu diesem Plenarprotokoll
Vizepräsidentin Michalea Geiger
- Wer enthält sich? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition und der SPD bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der PDS angenommen.
Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 21 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Maria Eichhorn, Dr. Maria Böhmer, Monika Brudlewsky, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und der Fraktion der F.D.P.
Jugendmedienschutz national und international sichern
- Drucksache 13/10798 -
Es war eine Aussprache von einer halben Stunde vorgesehen. Mittlerweile ist vereinbart worden, die Redebeiträge zu Protokoll zu geben.*) Ich nehme
*) Anlage 15 im Nachtrag zu diesem Plenarprotokoll
an, Sie sind damit einverstanden. - Dann verfahren wir so.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. zum nationalen und internationalen Jugendmedienschutz. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der SPD und der PDS bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Damit, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, sind wir am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Dienstag, den 23. Juni 1998, 13 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.