Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um weitere Zusatzpunkte zu erweitern. Die entsprechende Zusatzpunktliste liegt Ihnen vor:23. Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz zur Neuregelung des Fracht-, Speditions- und Lagerrechts (Transportrechtsreformgesetz - TRG) - Drucksachen 13/8445, 13/10014, 13/10292, 13/10873-24. Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts sowie weiterer Vorschriften (Betreuungsrechtsänderungsgesetz - BtÄndG) - Drucksachen 13/7158, 13/10331, 13/10709, 13/10874 -25. Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz zur Anpassung der technischen und steuerlichen Bedingungen in der Seeschiffahrt an den internationalen Standard (Seeschiffahrtsanpassungsgesetz) - Drucksachen 13/9722, 13/10271, 13/10710, 13/10875-26. Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz zur Änderung der Rechtsgrundlagen für die Vergabe öffentlicher Aufträge (Vergaberechtsänderungsgesetz - VgRAG) - Drucksachen 13/9340, 13/10328, 13/10711, 13/10876-27. Weitere Überweisungen im vereinfachten VerfahrenErste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung der Patentanwaltsordnung - Drucksache 13/10764 -28. Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprachea) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Beschränkung der Haftung Minderjähriger - Drucksachen 13/5624, 13/10831-b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Rechtspflegergesetzes - Drucksachen 13/ 10244,13/10871-c) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 29. November 1996 über den Beitritt der Republik Österreich, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden zu dem Übereinkommen von 1980 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht sowie zu dem Ersten und dem Zweiten Protokoll über die Auslegung des Übereinkommens durch den Gerichtshof - Drucksachen 13/9954, 13/10877 -d) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 29. November 1996 über den Beitritt der Republik Österreich, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden zum Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil-und Handelssachen sowie zum Protokoll betreffend die Auslegung dieses Übereinkommens durch den Gerichtshof - Drucksachen 13/9955, 13/10878 -Von der Frist für den Beginn der Beratung soll, soweit erforderlich, abgewichen werden. Außerdem mache ich auf eine nachträgliche Ausschußüberweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam:Der in der 238. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Rechtsausschuß zur Mitberatung überwiesen werden.Gesetzentwurf der Bundesregierung über die Anpassung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern 1998 - Drucksache 13/10722 -überwiesen:Innenausschuß
RechtsausschußFinanzausschußHaushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GOSind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann verfahren wir so.Ich rufe den Zusatzpunkt 23 auf:Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz zur Neuregelung des Fracht-, Speditions- und Lagerrechts (Transportrechtsreformgesetz - TRG)- Drucksachen 13/8445, 13/10014, 13/10292, 13/10873 -Berichterstattung:Abgeordneter Ulrich IrmerWird das Wort zur Berichterstattung gewünscht?
- Das Wort wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung.
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22024 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 239. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Mai 1998
Präsidentin Dr. Rita SüssmuthDer Vermittlungsausschuß hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, daß im Deutschen Bundestag über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 13/10873? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung einstimmig angenommen worden ist.Ich rufe den Zusatzpunkt 24 auf:Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts sowie weiterer Vorschriften (Betreuungsrechtsänderungsgesetz - BtÄndG)- Drucksachen 13/7158, 13/10331, 13/10709, 13/10874 -Berichterstattung:Abgeordneter Wolfgang Vogt
Wird hier das Wort zur Berichterstattung gewünscht?
- Nein. Wir kommen zur Abstimmung.
Der Vermittlungsausschuß hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, daß im Deutschen Bundestag über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 13/10874? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlußempfehlung mit Zustimmung der Fraktionen von CDU/CSU, F.D.P., Bündnis 90/ Die Grünen und SPD gegen die Stimmen der PDS angenommen.* )Ich rufe den Zusatzpunkt 25 auf:Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz zur Anpassung der technischen und steuerlichen Bedingungen in der Seeschiffahrt an den internationalen Standard (Seeschiffahrtsanpassungsgesetz)Drucksachen 13/9722, 13/10271, 13/10710, 13/ 10875 -Berichterstattung:Abgeordneter Dr. Peter StruckWird das Wort zur Berichterstattung gewünscht?
- Ich bedanke mich sehr. Wir kommen zur Abstimmung.Der Vermittlungsausschuß hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, daß ims) siehe Anlage 2Deutschen Bundestag über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 13/10875? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der CDU/CSU, der F.D.P., des Bündnisses 90/Die Grünen und der SPD bei Enthaltung der PDS angenommen.Ich rufe den Zusatzpunkt 26 auf:Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz zur Änderung der Rechtsgrundlagen für die Vergabe öffentlicher Aufträge (Vergaberechtsänderungsgesetz - VgRÄG)Drucksachen 13/9340, 13/10328, 13/10711, 13/ 10876 -Berichterstattung:Abgeordnete Ulla Schmidt
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht?
- Das ist nicht der Fall. Wir kommen zur Abstimmung.Der Vermittlungsausschuß hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, daß im Deutschen Bundestag über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 13/10876? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen.Ich rufe den Zusatzpunkt 27 auf:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung der Patentanwaltsordnung— Drucksache 13/10764 —Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuß
Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und TechnikfolgenabschätzungEs handelt sich um eine Überweisung im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Dann ist es so beschlossen.Wir kommen nun zu den Zusatzpunkten 28 a bis d. Es handelt sich um die Beschlußfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.Zusatzpunkt 28 a:Zweite und Dritte Beratung des von derBundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Beschränkung der HaftungPräsidentin Dr. Rita SüssmuthMinderjähriger
- Drucksache 13/5624 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
- Drucksache 13/10831 – Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Wolfgang Götzer Dr. Eckhart PickDr. Wolfgang Freiherr von StettenIch bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung von allen Fraktionen und der Gruppe bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen.Wir kommen zurdritten Beratungund Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD, F.D.P. und PDS bei Enthaltung von Bündnis 90/ Die Grünen angenommen.Zusatzpunkt 28 b:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Rechtspflegergesetzes- Drucksache 13/10244 –
Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
- Drucksache 13/10871 – Berichterstattung:Abgeordnete Ronald Pofalla Alfred HartenbachDetlef Kleinert
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und F.D.P. bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen.Wir kommen zurdritten Beratungund Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und F.D.P. bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen.Zusatzpunkt 28 c:Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 29. November 1996 über den Beitritt Österreich, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden zu dem Übereinkommen von 1980 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht sowie zu dem Ersten und dem Zweiten Protokoll über die Auslegung des Übereinkommens durch den Gerichtshof- Drucksache 13/9954 –
Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
- Drucksache 13/10877 – Berichterstattung:Abgeordnete Peter Altmaier Dr. Jürgen Meyer
Der Rechtsausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/ 10877, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen und Enthaltungen gibt es nicht; der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.Zusatzpunkt 28 d:Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 29. November 1996 über den Beitritt der Republik Österreich, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden zu dem Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen sowie zum Protokoll betreffend die Auslegung des Übereinkommens durch den Gerichtshof- Drucksache 13/9955 –
Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
- Drucksache 13/10878 - Berichterstattung:Abgeordnete Peter Altmaier Dr. Jürgen Meyer
Der Rechtsausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/ 10878, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen und Enthaltungen gibt es keine. Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 sowie die Zusatzpunkte 16 und 17 auf:15. Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P.Präsidentin Dr. Rita SüssmuthVertriebene, Aussiedler und deutsche Minderheiten sind eine Brücke zwischen den Deutschen und ihren östlichen NachbarnDrucksache 13/10845 -ZP16 Beratung des Antrags des Abgeordneten Cem Özdemir und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENIntegrationsbemühungen für Aussiedlerinnen und Aussiedler verstärken- Drucksache 13/10787 -ZP17 Beratung des Antrags der Fraktion der SPDFür eine verantwortungsvolle Aussiedlerpolitik- Drucksache 13/10862 -Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen.- Dazu höre ich keinen Widerspruch. Wir verfahren so.Ich eröffne die Aussprache. Es beginnt der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Dr. Wolfgang Schäuble.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Verlust kann auch Gewinn bedeuten, -
Einen Moment, bitte. - Es leuchtet unentwegt das Zeichen „Präsident" .
Herr Thierse ist doch gar nicht im Saal.
- Aber Herr Struck, es ist doch nett, wenn man einen Spaß machen kann, solange die Mikrophonanlage nicht funktioniert.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich will mit einem Zitat von Fritz Stern beginnen:
Verlust kann auch Gewinn bedeuten, einen neuen Ansporn, Verantwortung wecken, in einem neuen Leben, zwar das alte Erbe zu pflegen, aber dem Unrecht einen Nutzen abzutrotzen, kann dazu führen, daß man in der Verpflichtung lebt, jedem neuen Unrecht Widerstand zu leisten.
Diese Sätze von Fritz Stern, der selbst 1938 von den Nationalsozialisten zur Emigration aus seiner Heimatstadt Breslau gezwungen wurde, könnten auch über dem Wirken unserer Heimatvertriebenen seit 1945 stehen.
Die Heimatvertriebenen haben auf vorbildliche Weise dazu beigetragen, daß Wiederaufbau und Wirtschaftswunder in Deutschland nach dem Krieg gelangen. Nicht Gefühle des Revanchismus und des Zorns, sondern der Wille zur Versöhnung und das Bekenntnis zur Demokratie, zu den unveräußerlichen Rechtsprinzipien und zur europäischen Einigung bestimmten nach 1945 ihr politisches Handeln. Durch ihren Einsatz haben die Heimatvertriebenen wesentlich zur Verwirklichung der Vision eines Europas, in dem die Völker ohne Furcht und Zwang leben können, beigetragen. Diese Vision haben die Heimatvertriebenen bereits 1950 in ihrer Stuttgarter Charta formuliert.
Die Kühnheit dieses Entwurfs erschließt sich, wenn wir uns die Situation des Jahres 1950, die Ruinen, das materielle Elend, den geistigen Verlust und die Schwierigkeiten des Neuanfangs, ins Gedächtnis rufen und diese Situation mit dem Maß an Wohlstand, Gerechtigkeit und Stabilität vergleichen, das wir heute in ganz Europa verwirklichen.
Freiheit, Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit waren auch die Grundsätze, für die die Menschen 1989/1990 auf die Straße gegangen sind. Nun bietet sich mit der Erweiterung der Europäischen Union die Chance, daß diese Grundsätze in ganz Europa dauerhaft verankert werden. So eröffnen sich auch den Heimatvertriebenen und Aussiedlern neue Perspektiven. Mit ihren Erfahrungen, ihren Kenntnissen und ihren Verbindungen sind sie beim Zusammenwachsen dieses größeren Europas von unschätzbarem Wert.
Wir sind heute vormittag zusammengekommen, um das Erreichte zu würdigen und zugleich die Perspektive aufzuzeigen. Deshalb steht an erster Stelle der Dank an die Aussiedler und Heimatvertriebenen, Dank, daß sie sich treu geblieben sind, daß sie den Verführungen zur Demagogie widerstanden haben und daß sie den Weg der Versöhnung und des demokratischen Miteinanders gegangen sind,
Dank auch der Bundesregierung und unserem Bundeskanzler, Helmut Kohl, die durch ihre Grundsatztreue, ihr Verhandlungsgeschick und ihre Weitsicht die Vertriebenenpolitik der Bundesregierungen von Konrad Adenauer, Ludwig Erhard und Kurt Georg Kiesinger fortgesetzt haben und die nicht den abwegigen Pfaden derjenigen gefolgt sind, die einer Anpassung an die angeblichen Realitäten das Wort geredet haben. Die Bundesregierung hat großen Anteil am Erreichten. Wir, die Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion, wollen, daß diese Politik auch in Zukunft dafür sorgt, daß Vertriebene und Aussiedler ihren Platz in unserem deutschen Vaterland und eine Perspektive in Europa behalten.
Wir haben viel erreicht, vielleicht nicht soviel, wie einige sich erhofft hatten, aber doch weitaus mehr, als die meisten noch vor wenigen Jahren für möglich
Dr. Wolfgang Schäuble
gehalten hätten. Vielleicht können wir am ehesten ermessen, was in Bewegung gekommen ist, wenn wir einmal im Kleinen das Symbolhafte betrachten.
Ich erinnere an den denkwürdigen Augenblick, als wir hier im Deutschen Bundestag im März über die Zustimmung zur Unterzeichnung der Protokolle über den Beitritt Polens, Tschechiens und Ungarns zur Nordatlantischen Allianz debattiert hatten und als auf der Tribüne neben einer Abordnung des polnischen Sejm eine Delegation der deutschen Minderheit saß und applaudierte.
Wir können das Ausmaß dessen, was in Bewegung gekommen ist, auch daran ermessen, wie heute in Ostmitteleuropa über Vertreibung debattiert wird. Es war der damalige polnische Außenminister Bartoszewski, der hier im Deutschen Bundestag am 28. April 1995 von der Tragödie der Zwangsumsiedlung sprach und das individuelle Schicksal und die Leiden der unschuldigen Deutschen, die von den Kriegsfolgen betroffen wurden und ihre Heimat verloren haben, ins Gedächtnis rief.
Auch in den deutsch-tschechischen Beziehungen ist mehr auf den Weg gebracht worden, als viele für möglich gehalten haben. Es ist wahr: Der Weg zur Gemeinsamen Erklärung war nicht einfach. Manche Diskussionen in dem Umfeld haben gezeigt, daß beim Bild vom jeweils anderen bisweilen altes Denken durchbricht - wer wollte das nicht verstehen? - und daß wir noch einen langen Weg zurückzulegen haben. Aber alles in allem ist das Tor in eine bessere Zukunft aufgeschlagen worden.
Wir haben es uns nicht leichtgemacht mit der Erklärung; aber sie gilt, und sie gilt in allen ihren Teilen. Der Zukunftsfonds hat seine Arbeit aufgenommen, und das Gesprächsforum trifft sich am 4. und 5. Juli in Pilsen zur konstituierenden Sitzung.
Es ist richtig, daß die Sudetendeutschen in die Arbeit mit einbezogen sind. Ich danke dem Bundeskanzler ganz persönlich, daß er mit großer Zähigkeit und Beharrlichkeit daran festgehalten und dies durchgesetzt hat.
Wer sonst, wenn nicht die Betroffenen, ist denn geeignet, echte Versöhnung auf den Weg zu bringen und eine wirkliche Verständigung zu erreichen?
Wenn wir - um Präsident Havel zu zitieren - in der Wahrheit leben wollen, müssen wir uns der ganzen Wahrheit stellen, so bitter sie in ihren einzelnen Teilen auch sein mag. Unrecht läßt sich niemals gegen Unrecht aufrechnen. Wenn wir die Gräben der Vergangenheit überwinden wollen, müssen wir mit dem Mut zur Wahrheit das Ganze in den Blick nehmen. Deshalb entspricht es meinem Verständnis vom Umgang mit der Vergangenheit, daß der Zukunftsfonds unter den Projekten des gemeinsamen Interesses auch Vorhaben zugunsten sudetendeutscher Vertreibungsopfer berücksichtigt.
Noch einmal: Es geht nicht um das Aufrechnen von Schuld. Aber wer mit zweierlei Maß mißt, braucht sich nicht zu wundern, wenn dies Enttäuschungen und Unverständnis hervorruft.
Es ist übrigens auch unterhalb der offiziellen Ebene vieles in Bewegung gekommen. Den Iglauer Symposien und vielen anderen wegweisenden Projekten der Ackermann-Gemeinde, dem Franzensbader Kolloquium der deutschen und tschechischen Bischöfe im vergangenen Jahr, der Arbeit der parteinahen Stiftungen und vor allem dem selbstlosen Einsatz einzelner, einem Einsatz, der sich nicht immer in regierungsamtlichen Dokumenten wiederfinden läßt und von dem wir manchmal vielleicht nur durch Zufall erfahren, dem allen ist Entscheidendes zu verdanken.
Wer hätte es zum Beispiel noch vor wenigen Jahren für möglich gehalten, daß ein tschechischer Senatspräsident im Verlag eines führenden Vertreters der Sudetendeutschen über die europäischen Wurzeln seiner böhmischen Heimat schreibt? Oder wer hätte es vor ein paar Jahren für möglich gehalten, daß Herbert Hupka, der Bundesvorsitzende der Landsmannschaft Schlesien, mit Vertretern der ostdeutschen Landsmannschaften der Oberschlesier, Pommern, Westpreußen sowie Danziger zu offiziellen Gesprächen in Warschau, wie erstmalig im vergangenen März, empfangen wird?
Bei allen unseren östlichen Nachbarstaaten hat sich die Lage der deutschen Minderheit entscheidend verbessert. Die baltischen Staaten, Ungarn und auch Rumänien sind dabei mit gutem Beispiel vorangegangen. In vielen Grenzregionen findet eine länderübergreifende Zusammenarbeit statt, die zu Schüleraustausch, gemeinsamen Kulturfesten, Verkehrsprojekten und einer Vielzahl von Begegnungen geführt hat. Die Euregio Egrensis im Dreiländereck Bayern-Sachsen-Böhmen ist ein solches Beispiel für gelebte Zusammenarbeit.
Wer dies nicht zur Kenntnis nehmen will und wer vor allem den wesentlichen Beitrag der Heimatvertriebenen, der Schlesier, der Sudetendeutschen, der Siebenbürger Sachsen oder der Banater Schwaben, nicht würdigt, der verschließt seine Augen vor der Wirklichkeit.
Tradition, das Bewußtsein für Zugehörigkeit, mit anderen Worten: Identität, und die Bedeutung der Pflege von Kultur, Sprache und Geschichte, also dessen, was unser Land zusammenfügt, sind die Voraussetzungen für Solidarität. Heimatvertriebene und Aussiedler leben diese Solidarität. Sie haben immer um ihre Wurzeln gewußt. Die Grundsätze unserer Vertriebenenpolitik, die Pflege des kulturellen Erbes der deutschen Vertriebenen und Aussiedler sind durch die Entwicklungen der letzten Jahre bestätigt worden. Deshalb begrüße ich es, daß die Bundesregierung auch für den Haushalt 1998 die Mittel für die Pflege der deutschen Kultur im Osten beibehalten
Dr. Wolfgang Schäuble
hat. Nichts dokumentiert die Bereitschaft zur Unterstützung der Heimatvertriebenen besser als die Tatsache, daß diese Mittel im Vergleich zum Jahre 1990 mit 20 Millionen DM mehr veranschlagt sind.
Solidarität darf auch keine Angelegenheit für sonntägliche Lippenbekenntnisse bleiben. Wir wissen, daß ohne Solidarität die Bindekräfte in unserer Gesellschaft nachlassen. Ich wünschte mir, daß Solidarität mit den Vertriebenen von allen Bundesländern, auch von den sozialdemokratisch regierten Bundesländern, gelebt wird.
Wie meistens bildet Niedersachsen unter der Führung seines Ministerpräsidenten ein trauriges Beispiel.
- Ja, Entschuldigung, ich sage nur die Tatsachen. Das Land Niedersachsen hat zwischen 1994 und 1996 seinen Anteil an der Pflege der deutschen Kultur im Osten um ein Viertel auf 432 000 DM gesenkt. Herr Schröder sollte auch ein Wort der Erklärung finden, warum die Schlesier heute immer noch in Bayern, Herr Ministerpräsident Stoiber, um Gastrecht bitten müssen, weil sich das Patenland Niedersachsen verweigert, und vielleicht sollte Niedersachsen auch erklären, warum es der Landsmannschaft Ostpreußen auf Grund der Ausschreitungen rotgrüner Gewaltdemonstranten schier unmöglich ist, ihre Versammlungen in Göttingen abzuhalten.
Die CDU/CSU-Fraktion steht fest zu den Vertriebenen und Aussiedlern. Wir halten auch daran fest, daß das Tor nach Deutschland auch für die deutschen Spätaussiedler, vor allem die aus Kasachstan und Rußland, weiterhin offen bleibt. Wir werden nicht vergessen, daß es unsere Landsleute im Osten waren, die unter den Folgen des zweiten Weltkrieges und Hitlers am meisten und am längsten gelitten haben. Natürlich fällt die Eingliederung der Spätaussiedler in die deutsche Gesellschaft nicht immer leicht, und die Probleme sind dort naturgemäß am größten, wo die Kenntnisse der deutschen Sprache am meisten zurückgegangen sind.
Mit gezielten Maßnahmen der Sprachförderung - ich nenne hier als Beispiel den Garantiefonds des Familien- und Jugendministeriums, mit dem die soziale Integration junger Spätaussiedler unter 30 Jahren in Schule und Beruf sprachlich gefördert wird - setzt die Bundesregierung den Hebel an der richtigen Stelle an.
Aber die Integration der Spätaussiedler bleibt gemeinsame Aufgabe von Bund, Ländern und Kommunen. Unser Dank gilt besonders allen aus den Landsmannschaften, aus dem Bund der Vertriebenen, aus kirchlichen und karitativen Verbänden sowie allen einzelnen Personen, die sich seit Jahren im Alltag immer und immer wieder und beständig um die Eingliederung unserer Landsleute bemühen.
Es ist auch richtig, daß die Bundesregierung mit ihren Sprachprogrammen in den Herkunftsgebieten der Spätaussiedler ansetzt, was übrigens eine beispiellose Kulturinitiative ist. Das ermöglicht wieder ein kulturelles Eigenleben der deutschen Minderheit und erleichtert zum anderen denen, die zu uns kommen, ihre Eingliederung bei uns. Zusammen mit der Sprachförderung und den Möglichkeiten des Garantiefonds trägt der Bund damit erheblich zur sozialen Integration gerade der jungen Spätaussiedler bei.
Die Integration der Aussiedler, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ist letztlich eine Frage gelebter Solidarität und ein Testfall, was die Bekenntnisse zur Nation wirklich wert sind. Deshalb sehe ich auch mit großer Sorge, daß aus Reihen der SPD immer wieder eine Regelung mit Zuzugsquoten für Aussiedler in einem Einwanderungsgesetz gefordert wird und daß der Bundesrat mit seiner Mehrheit der SPD-regierten Länder Änderungen des Bundesvertriebenengesetzes beantragt hat, die de facto zum Abschied vom Aussiedlerstatus führen würden.
Der Wähler hat ein Anrecht darauf, zu erfahren, was gilt, was von der SPD in der Vertriebenenpolitik zu erwarten ist. Er hat auch ein Recht darauf, zu erfahren, warum Herr Schröder schweigt - er möchte gern Kanzler werden - und warum der gestern vorgelegte Antrag der SPD-Fraktion mit keiner Silbe auf diese schäbige Bundesratsinitiative eingeht, die zur Zeit im Innenausschuß beraten wird und über die die Rußlanddeutschen zu Recht entsetzt sind. Es ist im übrigen dann allzu durchsichtig, daß die SPD die Erhöhung der Integrationsmittel für diejenigen fordert, die, wenn es nach Oskar Lafontaine geht, gar nicht mehr zu uns kommen dürfen. Es macht ja keinen Sinn,
eine Erhöhung der Mittel für solche zu fordern, die man gar nicht mehr kommen lassen will.
Wir haben mit unserer Politik - und das war nie einfach - das Tor immer offengehalten, aber wir haben zugleich dafür gearbeitet, daß der Zuzug verstetigt werden konnte. Wir haben beides, Horst Waffenschmidt, gemeinsam gemacht. Wir haben das Tor offen gehalten und gesagt: Wir wollen nicht, daß möglichst viele zu uns kommen, sondern wir wollen, daß möglichst viele dort, wo sie leben, in solchen Verhältnissen leben können, daß sie nicht den Zwang spüren, ihre Heimat verlassen zu müssen.
Das war Leitlinie unserer Politik. Das haben wir schon seit 1990 mit dem Aussiedleraufnahmegesetz, das am 1. Juli 1990 in Kraft getreten ist, und mit den Maßnahmen zur Erhaltung der Integrationsmöglichkeiten in unserem Land konsequent betrieben. Das Verständnis der schon lange hier lebenden Bevölkerung für die Schwierigkeiten der Integration wachzuhalten war gegenüber mancher, auch demagogisch verkürzter Versuchung, die Bevölkerung in ihren verschiedenen Teilen auseinanderzutreiben, auch nicht
Dr. Wolfgang Schäuble
leicht. Wir haben das Tor offen gehalten. Wir werden es auch in Zukunft offen halten. Aber wir werden den Zuzug verstetigen.
Daß die Zahlen der Zuwanderung deutlich zurückgegangen sind, ohne Zwangsmaßnahmen und ohne das Tor zu schließen, ist der beste Beweis dafür, daß diese Politik erfolgreich war und daß sie konsequent fortgesetzt werden muß.
Noch einmal, verehrte Kolleginnen und Kollegen: Die Aussiedler, diejenigen, die länger als alle anderen unter den Folgen des zweiten Weltkriegs gelitten haben, haben ein Recht, einen Anspruch auf unsere Solidarität. Solidarität und Verantwortung, diese Grundsätze haben unsere Politik bestimmt, mit der wir im übrigen auch dazu beitragen, daß die Erweiterung der Europäischen Union kommt. Solidarität und Verantwortung bestimmen unsere Europapolitik, mit der wir uns für einen zügigen Abschluß der Verhandlungen mit den EU-Beitrittskandidaten einsetzen.
Die Notwendigkeit von Solidarität und Verantwortung gilt aber genauso für die Heimatvertriebenen und Aussiedler, die wesentlich dazu beitragen können, daß die Erweiterung der Europäischen Union gelingt, und für die zugleich sichergestellt werden muß, daß die Erweiterung der Europäischen Union ihre Erwartungen und Perspektiven auch erfüllt. Das ist genau das, was wir unter einem Europa, in dem Grenzen nicht mehr trennen, verstehen und was wir davon erwarten. Dazu können die Heimatvertriebenen und die Aussiedler einen entscheidenden Beitrag leisten.
Zur Logik unseres Europas - und noch mehr eines größeren Europas - zählt der Grundsatz, daß kulturelle Vielfalt, daß sprachliche, landsmannschaftliche und lokale Eigenheiten - kurz: das Farbige - auch in der Europäischen Union erhalten bleiben müssen und daß Europa dort, wo die gemeinsamen Aufgaben dies erfordern, seine Kräfte bündelt und mit seiner Stimme spricht.
Das Bewußtsein für dieses europäische Bauprinzip der Vielfalt in der Einheit und damit auch für die Bedeutung der Minderheiten ist in den letzten Jahren gewachsen. Mit der Rahmenkonvention zum Schutz nationaler Minderheiten und der Europäischen Charta der Regional- und Minderheitensprachen des Europarates sind wir gute Schritte vorangekommen. Wir verdanken diese Entwicklung nicht zuletzt dem stetigen Beitrag der Heimatvertriebenen und Aussiedler, die im zusammenwachsenden Europa ein ganz neues Verhältnis zu ihrer angestammten Heimat gewinnen. So bestätigt sich auch hier der tiefe Sinn der Erkenntnis, die über der Geschichte der europäischen Einigung steht: Der Friede ist das Werk der Gerechtigkeit.
Herzlichen Dank.
Es spricht jetzt der Kollege Fritz Rudolf Körper.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kultur, Kulturarbeit und Kulturförderung vermitteln, sie schlagen Brücken und verbinden Menschen. Deshalb ist Kulturförderung, wie sie bei uns im Rahmen des Bundesvertriebenengesetzes vorgesehen ist, wichtig und notwendig. Die durchgeführten Projekte müssen transparent und sachgerecht sein. Sie sollen Brücken bauen zwischen uns und unseren östlichen Nachbarn. Damit bewahren wir auch gemeinsam unsere Geschichte als europäisches Gut.
Die bevorstehende Erweiterung der Europäischen Union bringt für uns alle große Chancen.
Ein gemeinsames kulturelles Erbe in einem vereinten Europa, geprägt von Friedfertigkeit und gegenseitiger Hilfsbereitschaft, ist das Ziel. Dazu haben auch die Heimatvertriebenen und ihre Verbände und Organisationen in den letzten Jahren beigetragen.
Willy Brandt sagte einmal: „Nur wo Friede ist, kann auch Heimat sein. " Ich denke, dieser Zielsatz ist nach wie vor oberstes Gebot unserer Politik.
Meine Damen und Herren, ich hoffe, daß man sieht, daß ich der jüngeren Politikergeneration angehöre.
:
Das werden wir einmal prüfen! - Ulrich
Irmer [F.D.P.]: Nicht mehr lange!)
- Herr Irmer, Sie haben recht: Mit jedem Tag, der vergeht, wird das ein bißchen weniger der Fall sein. -
Als Angehöriger dieser Generation sage ich: Es ist eine großartige Leistung gewesen, nach 1945 über 12 Millionen Flüchtlinge in unser Land zu integrieren.
Dieser historischen Leistung sind wir uns viel zu selten bewußt.
Ich sage auch Ihnen, Herr Hörster und Herr Schäuble: Solche Debatten wie heute und die entsprechenden Papiere sollte man nicht nur im Hinblick auf bestimmte Wahltermine produzieren.
Diese Debatte gibt die Möglichkeit, Bilanz zu ziehen, ob der Anspruch, den Sie äußern, mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Was die Frage der Aussiedlerpolitik in unserem Land betrifft, so ist sie unumstritten. Es war und ist politisch gewollt, daß Aussiedlerinnen und Aussiedlern, die Vertreibung und Flucht erleben mußten, und deren Kindern und Kin-
Fritz Rudolf Körper
deskindern nach wie vor die Rückkehr nach Deutschland ermöglicht wird.
Eingliederung und Integration dürfen aber nicht nur auf dem Papier stehen.
Eingliederung und Integration müssen durch aktive Solidarität gelebt werden.
Ich will auf das eingehen, was Herr Schäuble beispielsweise zu dem Thema Bundesratsinitiative gesagt hat - Stichwort: Kriegsfolgenbereinigungsgesetz. Dazu sage ich ganz deutlich: Wir in der SPD-Bundestagsfraktion sehen keinen Handlungsbedarf. Im übrigen sollte es bei dem im Jahre 1992 gefundenen Konsens bleiben.
Wir haben seinerzeit eine Differenzierung vorgenommen zwischen deutschen Volkszugehörigen aus der ehemaligen Sowjetunion einerseits und solchen aus anderen Aussiedlungsgebieten andererseits. Dabei sollte es bleiben.
- Herr Koschyk, wir reden vor dem 27. September nicht anders als nach dem 27. September.
Ich will noch den Aspekt hervorheben, daß wir uns entschieden haben, Deutschstämmigen in ihren Siedlungsgebieten zu helfen. Ich glaube, daß es in diesem Bereich geeignete Maßnahmen gibt, um ihnen das Leben dort zu erleichtern und - vor allen Dingen - um ihnen Perspektiven für eine gute Zukunft zu geben. Dazu ist es natürlich notwendig, daß es gezielte und aufeinander abgestimmte Maßnahmen gibt. Vor allem sind Fördermaßnahmen wichtig, die letztlich die wirtschaftliche und soziale Lage der Betroffenen verbessern. Darum geht es!
Diese von uns angesprochenen Fragen werden auch in der Bevölkerung diskutiert. Ich glaube, der Erfolg unserer Politik hängt davon ab, ob sie auf einen breiten Grundkonsens in unserer Bevölkerung stößt, also davon, ob unsere Politik akzeptiert wird. Dazu gehört es, sachgerecht und objektiv zu informieren und zu diskutieren und keine falschen Dinge in die Welt zu setzen. Der Erfolg wird auch davon abhängen, ob eine wirksame Integration in unsere Gesellschaft gelingen wird.
Ich sage ganz deutlich: Eine Zuwanderung, die Randgruppen in unserer Gesellschaft produziert, können wir unmöglich wollen.
Und ich füge hinzu: Eine vernünftige Integration und Eingliederung muß auch den Versuch unternehmen, vorhandene Enttäuschungen aufzunehmen und abzubauen. Unterhalten Sie sich doch einmal mit Aussiedlerinnen und Aussiedlern hier in Deutschland. Ich glaube, Sie haben viel zu sehr abgehoben, als daß Sie deren Probleme vor Ort noch kennen.
Wenn Menschen zu uns kommen, dann geht es auch um ihre Perspektiven, um ihre Möglichkeiten und Startchancen, die ihnen in Bereichen wie Arbeit, Schule und Wohnen gegeben werden. - Diese Aufzählung ließe sich noch fortsetzen. - Die Bundesregierung muß sich hier an ihren Taten messen lassen. Sie haben die Instrumente der Integration doch nicht verbessert, Sie haben sie verschlechtert! Das hinzuzufügen ist ja wohl erlaubt. Die Integrationshilfen des Bundes sind abgebaut worden. Damit ist insbesondere auch die Integration der vermehrt zu uns kommenden jungen Aussiedlerinnen und Aussiedler gefährdet.
Schauen Sie doch einmal, wie die tatsächliche Situation vor Ort aussieht:
Arbeitslose Spätaussiedler erhalten kein Eingliederungsgeld mehr, sondern eine geringer bemessene und auf sechs Monate beschränkte Eingliederungshilfe. Auch die Dauer der über das Arbeitsförderungsgesetz angebotenen Deutschlehrgänge wurde abgesenkt. Ich will auch an Kürzungen bei der Eingliederungshilfe für jugendliche Aussiedler deutlich machen, daß es in diesem Bereich Verschlechterungen gegeben hat. Das sind doch Tatsachen! Ich weiß nicht, ob sich das alles mit der Rede, die soeben gehalten worden ist, in Einklang bringen läßt.
Wir müssen mit Sorge festhalten, daß die junge Aussiedlergeneration häufig über nur ganz wenige oder über gar keine Deutschkenntnisse mehr verfügt. All jene, die sich damit beschäftigen, wissen, daß Eingliederung und Integration ganz entscheidend von Sprachkenntnissen abhängen. Sie sind der entscheidende Schlüssel.
Sie sind immer relativ schnell dabei, wenn es um Kürzungen im Bundeshaushalt geht. Aber man sollte überlegen, inwieweit man die zurückgehenden Zuzugszahlen auch dafür nutzt, die Integrationsleistungen pro Kopf zu erhöhen. Dies wäre ein Weg zu mehr Eingliederung und Integration.
Fritz Rudolf Körper
Ich will für meine Fraktion deutlich herausstellen, daß die Aussiedlergenerationen, die bereits zu uns gekommen sind und noch zu uns kommen werden, ein Gewinn für unser Land sind. Ihre Kenntnisse und Erfahrungen aus den Herkunftsländern können zwischen Ost und West vermitteln und in einem gemeinsamen Europa Brücken bauen. Auch an diese Möglichkeiten sollte man denken und sie positiv zum Ausdruck bringen.
Ich möchte einige Dinge klarer beim Namen nennen. Ich weiß, daß das Wohnortezuweisungsgesetz bei Aussiedlerverbänden und auch bei den Aussiedlerinnen und Aussiedlern selbst heftige Diskussionen hervorgerufen hat. Aber es bestand die schwierige Situation der sehr stark konzentrierten Unterbringung in 15 bis 20 Schwerpunkten unseres Landes - mit all den Folgen, die damit verbunden waren. Dies hat - auch das muß man hinzufügen dürfen - für die betroffenen kommunalen Gebietskörperschaften erhebliche Belastungen mit sich gebracht, die einseitig verteilt waren.
Deswegen war es richtig, ein Wohnortezuweisungsgesetz durchzusetzen, welches zu einer gleichmäßigeren Verteilung geführt hat. Im Sinne der Betroffenen war somit eine gezieltere Integration und Integrationshilfe möglich. Damit ist im Grunde genommen allen geholfen. Der Hinweis sei erlaubt: Aussiedler, die keine staatlichen Hilfen in Anspruch nehmen, können ihren Wohnsitz nach wie vor frei wählen.
Wie Anspruch und Wirklichkeit bei Ihnen auseinanderklaffen, will ich an dem Beispiel des vor Ort durchzuführenden Sprachtests deutlich machen. Er zeigt immer stärkere Auswirkungen und scheint zur unüberwindbaren Hürde zu werden. Über 30 Prozent derjenigen, die sich dem Sprachtest unterziehen, erreicht den entsprechenden Abschluß nicht. Ein Drittel der zum Sprachtest eingeladenen Personen erscheint überhaupt nicht. Damit ist der Sprachtest vor Ort zu einem Faktor geworden, der die Zuwanderung von Spätaussiedlern stärker beeinflußt als jegliche administrative Maßnahme zuvor.
Ich will noch auf einen Punkt eingehen, der mir eine gewisse Sorge bereitet. Von Sozialträgern, Kirchen und anderen Organisationen, die sich dankenswerterweise um unsere Aussiedlerinnen und Aussiedler sehr gut kümmern, gibt es in letzter Zeit folgende alarmierende Nachricht: Wegen mangelnder Sprachkenntnisse erhöht sich die Zahl der Mitteilungen über einen Widerruf der Aufnahmebescheide, und die Betroffenen werden zur Ausreise aufgefordert. Ein solches Verfahren führt nach meinem Dafürhalten zu unmenschlicher Härte. Denn die Aussiedlerinnen und Aussiedler haben in der Regel ihr Hab und Gut im Herkunftsgebiet verschenkt oder oft unter Wert veräußert, die Wohnung bzw. das Haus aufgegeben und die Arbeitsstelle gekündigt. Bei einer erzwungenen Rückkehr stehen sie damit vor dem absoluten Nichts. Ich denke, ein solches Verfahren ist unmenschlich und unwürdig und sollte geändert werden.
Der Antrag der Koalitionsfraktionen macht deutlich, daß Handlungsbedarf besteht. Deutschlands Angebote für Spätaussiedler müssen in den Herkunftsgebieten harmonisiert werden. Die notwendigen Integrationshilfen für junge Aussiedler müssen verstärkt werden. Die Aussage, das Tor bleibe offen, genügt nicht, ohne in der neuen Heimat die Türen zum Arbeits- oder Ausbildungsmarkt zu öffnen.
Im Interesse eines gutnachbarlichen Zusammenlebens und der Akzeptanz müssen sich Zuwanderungen und Integrationsmöglichkeiten sowie -hilfen ergänzen und die Waage halten. Denn der innere Frieden in unserem Land ist ein wichtiges Gut und wird ganz entscheidend über unsere Zukunft in einem gemeinsamen Europa mitentscheiden.
Schönen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Cem Özdemir.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist morgens manchmal ganz spannend, einen Blick in den Ticker zu werfen. Da liest man doch manche interessante Nachricht. Ich habe zwei herausgefischt, die ich Ihnen nicht vorenthalten möchte. Die erste: Der Bremer Innensenator ist überrascht von mondänen türkischen Frauen. - Ich möchte Ihnen den weiteren Inhalt dieser Nachricht nicht vorlesen, weil das nicht Gegenstand der Debatte ist. Aber die zweite Meldung ist etwas passender angesichts des Gegenstandes der heutigen Debatte. Da sagt nämlich mit Bezug auf die deutsch-tschechische Versöhnungserklärung von 1997 Frau Erika Steinbach - Ihnen allen als Mitglied dieses Hauses bekannt -, die seit kurzem auch Präsidentin des Bundes der Vertriebenen ist - ich zitiere -: Das Dokument sei eine unglaubliche Torheit. Weiter heißt es in der Meldung: Die CDU-Bundestagsabgeordnete forderte ferner Zugeständnisse von Polen, Tschechien und der Slowakei an die Vertriebenen, bevor diese Staaten in die EU aufgenommen werden könnten. - Ich wußte nicht, daß die CDU/CSU-Fraktion eine neue außenpolitische Sprecherin hat.
Ich kann Ihnen zu dieser außenpolitischen Sprecherin nur gratulieren. Deutschland allerdings muß ich deswegen bedauern, daß es von einer solchen Dame außenpolitisch vertreten wird.
Cem Özdemir
Aber ich will Ihnen ein weiteres Zitat nicht vorenthalten; denn der eigentliche Hammer kommt noch. Hören Sie gut zu, weil man sich das auf der Zunge zergehen lassen sollte: Nach Ansicht von Frau Steinbach haben die Tschechen unter der deutschen Herrschaft fast nicht gelitten. -
Zu dem außenpolitischen Flurschaden, der dadurch angerichtet wurde, mehr zu sagen erübrigt sich wohl. Ich erwarte von Frau Steinbach nicht, daß sie Einsicht zeigt, daß sie mit solchen Stellungnahmen Deutschland außenpolitischen Schaden zufügt. Ich erwarte von der Union nicht, daß man dort erkennt, daß man auch in Wahlkampfzeiten bestimmte Spielregeln in der Außenpolitik einhalten sollte.
Was ich aber sehnlichst erwarte, ist der 27. September, damit diese Politik endlich beendet werden kann, damit wir zu vernünftigen Regelungen sowohl in der Innen- wie in der Außenpolitik zurückkehren.
Der Deutsche Bundestag bekennt sich in seiner großen Mehrheit - über alle Fraktionsgrenzen hinweg - zur deutsch-tschechischen Versöhnungserklärung. Wir sind stolz darauf, daß wir sie zustande gebracht haben.
Wir werden diese Versöhnungserklärung verteidigen. Wir stehen zu ihr, weil auch wir in einer außenpolitischen Kontinuität stehen. Ich wünsche mir, daß sich auch die Union zu dieser außenpolitischen Kontinuität bekennt.
In Sonntagsreden und Festreden - der heutige Tag ist für Sie wohl zu einem Sonntag geworden - stehen die Aussiedler immer im Mittelpunkt; sie werden als Gewinn bezeichnet. Das Tor bleibt offen, so heißt es in Ihren Reden. Die Realität sieht anders aus; wir wissen es. Wenn man mit Aussiedlerinnen und Aussiedlern redet, dann weiß man, was sie von Ihrer Politik mittlerweile halten. Wir reden mit den Rußlanddeutschen. Wir haben erst kürzlich Rußlanddeutsche empfangen. Wir haben sehr gute Kontakte zu ihnen. Es würde sich sicherlich lohnen, auch einmal Magazine von ihnen zu lesen; wenn Sie das täten, würden Sie merken, welcher Unmut mittlerweile dort über Ihre Politik herrscht.
Der Kollege Körper hat bereits auf folgendes hingewiesen: Daraus, daß die Sprachkenntnisse der Menschen schlechter werden, haben Sie die Konsequenz gezogen und die Dauer der Sprachkurse auf ein halbes Jahr gekürzt. Auf der einen Seite gibt es also Menschen, deren Deutschkenntnisse schlechter werden, auf der anderen Seite gibt es eine Regierung, die die Mittel für Sprachkurse zusammenstreicht. Mittel für Integrationshilfen werden zusammengestrichen; Mittel für Eingliederungshilfen werden zusammengestrichen. So sieht Ihre Politik in der Realität aus. Sie nehmen diesen Menschen das weg, was sie brauchen, damit sie in dieser Gesellschaft nicht scheitern und sich in ihr zurechtfinden. Andererseits halten Sie Sonntagsreden und tun so, als ob Sie sich noch für Aussiedler einsetzen würden. Das, was Sie hier verkünden, hat mit der Realität längst nichts mehr zu tun. Seien Sie in dieser Debatte doch bitte etwas ehrlicher!
Ich möchte jetzt noch einmal zur Außenpolitik zurückkehren. Die gleiche Regierung, die hier das Hohelied auf die Aussiedler singt, hat in den letzten Jahren immer höhere Hürden errichtet, die Aussiedler überwinden müssen, wenn sie in dieses Land kommen wollen. Sie haben die Anforderungen in den Sprachtests verschärft; Sie haben weitere Regelungen eingeführt, die in der Realität bewirken, daß immer weniger Aussiedler zu uns kommen. Ihr Bundesaussiedlerbeauftragter, Herr Waffenschmidt, feiert doch jeden Monat die Zahlen, wonach immer weniger Aussiedler zu uns kommen. Gleichzeitig stellen Sie sich in Veranstaltungen der Verbände hin und tun so, als ob Ihnen noch etwas daran liegt, daß Aussiedler zu uns ins Land kommen. Ich nenne eine solche Politik unehrlich; sie hat mit der Realität längst nichts mehr zu tun.
Ich möchte jetzt noch einmal auf das Bild vom Brückenbauen eingehen. Zu Recht wurde dieses Bild mehrfach bemüht, und es wurde gesagt, daß Aussiedlerinnen und Aussiedler ein Gewinn für unser Land sind, daß sie helfen, Brücken zu bauen - in die Herkunftsländer, aber auch in dieser Gesellschaft. Dem stimmt meine Fraktion zu. Nur wünsche ich mir, daß wir dann, wenn wir von „Brücken" reden, alle Menschen nichtdeutscher Herkunft mit einbeziehen, die in dieser Gesellschaft leben. Brücken können die Aussiedler, die 2 Millionen Türkinnen und Türken bei uns im Land, aber auch die anderen Nichtdeutschen, die in unserem Land leben, bauen.
Für uns sind die einen nicht besser und die anderen nicht schlechter. Wir bekennen uns zur interkulturellen Realität dieser Gesellschaft. Wir wollen keine Bevölkerungsgruppe gegen die andere ausspielen.
Wenn hier von Ehrlichkeit geredet wurde, dann gehört meines Erachtens auch dazu, daß wir uns - ich glaube, das wird dieser Bundestag nicht mehr schaffen; dazu fehlt dieser Regierung die Kraft; aber wir werden uns irgendwann darüber unterhalten müssen -, darauf verständigen, daß das Kriegsfolgenbereinigungsgesetz von 1992 - viele Ihrer Landespolitiker sagen das mittlerweile sehr offen - mittelfristig zur Disposition gestellt werden muß. Genauso wird das Bundesvertriebenengesetz in dieser Form mit Sicherheit nicht das nächste Jahrtausend erleben. Wir brauchen endlich moderne Regelungen, mit denen wir das Zusammenleben von Deutschen und Nichtdeutschen zukünftig regeln können.
Cem Özdemir
Meine Fraktion hat eine Vorlage gemacht. Nach einer großzügigen Übergangsregelung, mit der der Vertrauensschutz für Aussiedlerinnen und Aussiedler ehrlich gewährt wird, wollen wir ein Einwanderungsgesetz durchsetzen, nach dem die Abstammung nicht mehr das entscheidende Kriterium ist. Aber Aussiedlerinnen und Aussiedler werden - über verwandtschaftliche Beziehungen - bei der Zuwanderung in die Bundesrepublik Deutschland nach wie vor eine relevante Rolle spielen.
In diesem Sinne danke ich Ihnen.
Als nächster spricht der Kollege Dr. Max Stadler.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die heutige Debatte gibt uns die Gelegenheit, den Blick nach vorne zu richten und eine kurze Zwischenbilanz zu ziehen über die Erfolge, die die deutsche Außenpolitik bei der Neugestaltung des Verhältnisses zu unseren östlichen Nachbarstaaten bereits erzielt hat. Gleichzeitig ist für die F.D.P.-Fraktion klar, daß wir stets das schwere Schicksal der Vertriebenen und deren berechtigte Interessen im Auge behalten werden.
Die Tragik des persönlichen Schicksals der Heimatvertriebenen, von der der Bundeskanzler in der Debatte am 1. Juni 1995 gesprochen hat, bleibt auch uns bewußt. Viele Vertriebene haben sich ja in der Freien Demokratischen Partei engagiert, zum Beispiel auch mein Vorgänger als F.D.P.-Landesvorsitzender in Bayern, Josef Grünbeck. Wir wissen auch von daher, daß manche Entscheidungen, die in der deutschen Ostpolitik zu treffen waren, von Vertriebenen nur schwerer akzeptiert werden konnten als von anderen.
Maus Kinkel hat in einem Interview mit dem „Kölner Stadtanzeiger" vom 12. Mai 1998 sein Verständnis dafür zum Ausdruck gebracht, daß - ich zitiere wörtlich - „gerade bei den Vertriebenen immer noch bittere Erinnerungen und tiefe Wunden geblieben sind". Wir wissen aber auch, daß die Vertriebenen, zumal die jüngere Generation - und womöglich jeder einzelne etwas schneller, als dies den verbandsoffiziellen Meinungsäußerungen möglich war -,
die Realitäten und Notwendigkeiten der deutschen Ostpolitik gesehen haben und im Rückblick bestätigen, daß diese erfolgreiche Politik ohne Alternative gewesen ist.
Somit können wir heute feststellen: Die deutschen Heimatvertriebenen, die bei uns lebenden Aussiedler, aber auch die deutschen Minderheiten in Mittel-und Osteuropa haben sich mit großem Engagement für die Überwindung der durch den kalten Krieg entstandenen Gegensätze zwischen Ost- und Westeuropa und für die Schaffung eines großen europäischen Raums friedlicher Partnerschaft eingesetzt. Schon 1950, auf dem Höhepunkt des kalten Krieges, haben sich die deutschen Heimatvertriebenen in ihrer Charta zu einem Europa bekannt, in dem die Völker ohne Furcht und Zwang zusammenleben können. Heute hat sich dieser Traum für fast alle europäischen Völker verwirklicht.
Deutschland als das Land mit den meisten Nachbarn in Europa profitiert zugleich am meisten von dieser neuen Stabilität. Sie ist das Ergebnis einer verläßlichen, vertrauensbildenden Außenpolitik, maßgeblich gestaltet durch die liberalen Außenminister Scheel, Genscher und Kinkel.
Die Erweiterung der NATO und der Europäischen Union bildet den krönenden Abschluß dieser Entwicklung, an deren Ende ein geeintes, friedliches und prosperierendes Europa stehen wird, in dem nationale Minderheiten ein nie zuvor gekanntes Maß an Entfaltungsmöglichkeiten haben werden.
Um so bedauerlicher ist es - man kann dies in einer solchen Debatte nicht verschweigen -, daß sich just in dieser historischen Aufbruchphase einzelne Stimmen zu Worte melden - leider auch die neue Vorsitzende des Bundes der Vertriebenen,
der ich im übrigen zu ihrer Wahl gratuliere und für die schwierige Amtsführung eine glückliche Hand wünsche -, die den europäischen Einigungsprozeß verzögern und damit die deutsche Außenpolitik desavouieren wollen. Mit solchen Äußerungen wird das Vertrauen unserer europäischen Partner, das in langen Jahren durch die deutsche Außenpolitik mühsam aufgebaut worden ist, unnötig aufs Spiel gesetzt.
Die Gestaltung vertrauensvoller Beziehungen zu den Nachbarstaaten ist die wichtigste Konsequenz, die Deutschland aus seiner Geschichte gezogen hat. Diese Politik hat zur Überwindung der Teilung Europas und damit zugleich zur Herstellung der deutschen Einheit beigetragen. Mit unseren östlichen Nachbarländern haben wir Nachbarschaftsverträge mit verbindlichen Regelungen zugunsten der Minderheiten abgeschlossen. Diese Verträge geben den deutschen Minderheiten weitgehende kulturelle, wirtschaftliche, aber auch politische Entfaltungsmöglichkeiten.
Mit der Konvention des Europarates zum Schutz nationaler Minderheiten, die kürzlich - übrigens unter deutscher Präsidentschaft - verabschiedet worden ist, wurde ein zusätzlicher Rahmen geschaffen, der die Rechte der deutschen Minderheiten in Mittel-und Osteuropa weiter stärkt. Die Konvention ergänzt das jahrzehntelange nachhaltige Engagement der Bundesregierung für die Rechte der deutschen Minderheiten in Europa und für die Pflege ihres Kulturguts.
Dr. Max Stadler
Auch mit der lange umstrittenen deutsch-tschechischen Erklärung hat sich die deutsche Außenpolitik unter Klaus Kinkel mit großem Engagement ihrer Verantwortung gestellt.
Was in schwierigen Verhandlungen erreicht wurde, hat den Weg in eine gemeinsame deutsch-tschechische Verantwortung und in eine bessere Zukunft frei gemacht. Jetzt kommt es - übrigens auch im Interesse der Vertriebenen - darauf an, den europäischen Erweiterungs- und Einigungsprozeß zügig voranzubringen.
Weder unsere EU-Partner noch die Beitrittskandidaten werden Verständnis dafür haben, wenn wir noch offene bilaterale Fragen mit dem Erweiterungsprozeß verknüpfen wollen.
Es ist selbstverständlich, daß bei den Verhandlungen nur die alle gemeinsam betreffenden Interessen berücksichtigt werden können. Wäre die Lösung bilateraler Fragen Voraussetzung für Neuaufnahmen gewesen, dann würde die Europäische Gemeinschaft wahrscheinlich heute noch aus lediglich sechs Mitgliedstaaten bestehen.
Die Erfahrung zeigt jedoch, daß die Erweiterung und Vertiefung der EU immer auch eine heilsame Wirkung auf die Lösung noch offener bilateraler Fragen ausgeübt hat. So würde sich die Herstellung der Freizügigkeit in einem erweiterten Europa automatisch positiv auf das Recht auf freie Niederlassung der Vertriebenen auswirken. Dies kann allerdings nicht nur einseitig gelten. Auch den Bürgern der Beitrittsländer darf die Freizügigkeit nicht verwehrt werden.
Unabhängig davon gilt für uns: Offene Fragen aus der Vertreibung bleiben selbstverständlich weiter offen. Die Bundesregierung und der deutsche Außenminister haben nie einen Zweifel daran gelassen, daß die offenen Fragen noch gelöst werden müssen. Wer hierfür jedoch sofortige Verhandlungen fordert, muß zur Kenntnis nehmen, daß sich seit Ende des Zweiten Weltkriegs kein einziges Land, das Opfer der nationalsozialistischen Aggression war und zum Kriegsende Deutsche aus ihrer Heimat vertrieben hat, be-reitgefunden hat, auf derartige Anliegen einzugehen. Man muß auch sehen, daß die Bereitschaft hierzu über 50 Jahre nach Kriegsende auch in der Zukunft sicherlich nicht steigen wird.
Wir müssen jetzt gemeinsam den Blick auf die Zukunft richten. Die Debatte gibt mir Gelegenheit, Sie über den aktuellen Stand der Arbeit des Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds, dessen Verwaltungsrat ich angehöre, zu informieren. Jeder kennt die Vorgeschichte und weiß, daß es etwas mühsam war. Die tschechische Seite hatte zunächst Bedenken hinsichtlich der personellen Zusammensetzung des Verwaltungsrates. Diese Bedenken konnten in der Zwischenzeit vollständig zerstreut werden.
Die Sudetendeutschen sind im Verwaltungsrat prominent vertreten. Mit dem früheren Vorsitzenden der bayerischen SPD, Volkmar Gabert, und dem Präsidenten des Bayerischen Landtages, Johann Böhm von der CSU, sind zwei außerordentlich honorige und kompetente Persönlichkeiten aus den Reihen der Sudetendeutschen in diesen Verwaltungsrat berufen worden. Unser früherer Bundestagskollege Herbert Werner, CDU, ebenfalls Sudetendeutscher, ist Geschäftsführer des Verwaltungsrates. Damit ist die Mitwirkung der Sudetendeutschen in diesem für die Zukunft der deutsch-tschechischen Beziehungen so wichtigen Gremium hervorragend gesichert.
Entgegen ursprünglichen Befürchtungen hat sich im Verwaltungsrat in den vier Monaten seiner bisherigen Tätigkeit ein sehr kollegiales Arbeitsklima entwickelt. Damit konnte auch die erste Aufgabe gelöst werden. Diese bestand darin, ein Sozialwerk zugunsten der Opfer nationalsozialistischer Gewalt als eine humanitäre Geste zu errichten. Zu Recht hat es in der tschechischen Öffentlichkeit die Erwartung gegeben, daß diese Entscheidung, auf die man so viele Jahre warten mußte, vom Verwaltungsrat rasch getroffen wird. Dies ist am 11. März 1998 bereits in der zweiten Sitzung dieses Gremiums geschehen. Es gab eine einstimmige Entscheidung hierzu, woraus sich die konstruktive Mitwirkung der Vertreter der Sudetendeutschen im Verwaltungsrat belegen läßt. Umgekehrt hat die tschechische Seite selbst vorgeschlagen, auch deutsche Staatsangehörige, die auf dem Gebiet der heutigen Tschechischen Republik Opfer des NS-Gewaltregimes geworden sind, in das Sozialwerk einzubeziehen. - Ich glaube, das ist in der Öffentlichkeit noch viel zu wenig bekannt. - Dies sollte in der heutigen Debatte aber als ein ermutigendes Zeichen für die künftige weitere Zusammenarbeit gewürdigt werden.
Als nächstes geht der Verwaltungsrat nun daran, sogenannte Zukunftsprojekte zu fördern. Darüber wird am nächsten Mittwoch in Prag beraten werden. Im Vorfeld dieser Sitzung konnte erfreulicherweise mit der tschechischen Seite bereits Einigkeit erzielt werden, unter anderem über Zuschüsse für folgende Projekte: erstens Jugendbegegnungen der jungen Aktion der Ackermann-Gemeinde und ihrer tschechischen Partner, zweitens Renovierung der Wallfahrtskirche in Reichenau bei Mährisch-Trübau, drittens Förderung einer Ausstellung über böhmische Graphik christlichen Inhalts im Regensburger Diözesanmuseum.
Meine Damen und Herren, ich finde es beachtlich und erwähnenswert, daß unsere tschechischen Partner nicht gezögert haben, gerade diese Projekte, die für die Sudetendeutschen von großem Interesse sein dürften, zu fördern. Im übrigen wird der Zukunftsfonds selbstverständlich einen Schwerpunkt auf deutsch-tschechische Jugendbegegnungen legen, um dem Leitmotiv unserer heutigen Debatte zu ent-
Dr. Max Stadler
sprechen, nämlich den Blick in die Zukunft zu richten.
Meine Damen und Herren, zum Thema Spätaussiedler möchte ich aus Zeitgründen nur einen Punkt aufgreifen; denn Herr Schäuble hat ja die Position der Koalition bereits ausführlich dargestellt. Aus gegebenem Anlaß darf ich aber einen einzigen Satz aus dem Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen zitieren und damit ins Gedächtnis zurückrufen. Er lautet:
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, die Initiativen für die Integration junger Aussiedler weiter zu verstärken!
Meine Damen und Herren, dies ist nicht etwa nur ein finanzielles Problem. Wenn aber von Sprachkursen gesprochen wird, Herr Kollege Özdemir, dann sollte man auch erwähnen, daß die Sprachkurse von Deutschland in die Herkunftsländer verlagert werden, sonst ergibt sich doch ein schiefes Bild der gegenwärtigen Politik der Bundesregierung.
Meine Damen und Herren, unser Ziel ist die gemeinsame Gestaltung eines freien, demokratischen und vereinten Europas. Eine Buchhaltung der Vergangenheit hilft nicht der Zukunft, hat Wolfgang Gerhardt einmal formuliert. Man kann die Zukunft nicht liegenlassen, weil man sich über die Vergangenheit nicht einigen konnte. Unsere gemeinsame Aufgabe ist es, eine neue Kultur des Zusammenlebens in Europa zu entwickeln. Dies erkennen auch die Vertriebenenverbände an.
Die deutschen Heimatvertriebenen sind in besonderer Weise dazu aufgerufen, an der Einigung Europas mitzuwirken. Sie haben als Mittler zwischen den Kulturen zur Aussöhnung mit unseren Nachbarn beigetragen und bilden damit eine Brücke zwischen den deutschen und den östlichen Nachbarn. Sie wirken mit an der Schaffung eines Europas der Vielfalt, der Staaten und Regionen, der Völker und Volksgruppen. Dafür gebührt ihnen unser Dank.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Gerhard Zwerenz, PDS.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach den toleranten, verständnisvollen Worten von F.D.P.-Seite fällt es nicht besonders schwer, die Linie der Toleranz und Liberalität fortzusetzen.
Betrachten wir rückwirkend die Debatte über die Situation und Stellung der Vertriebenen in der Bundesrepublik Deutschland, so darf und kann ich mir nicht ersparen, mit einer Kritik an der Linken zu beginnen. Aufgeschreckt durch die Tatsache, daß vielerlei Vertriebenenverbände sehr oft revanchistische Gebietsforderungen aufstellten, ist es insgesamt gesehen der Linken nur unzulänglich gelungen, zwischen der Kritik an diesen chauvinistischen Forderungen und dem schweren tragischen Schicksal der Vertriebenen insgesamt deutlich zu unterscheiden.
Dabei wissen wir sehr genau, daß am Schicksal der Vertriebenen ein verderblicher Wesenszug nationaler und nationalistischer Politik deutlich wird. Die Herrschenden aller Länder der Vergangenheit trafen ihre Entscheidungen; diese Entscheidungen und ihre Folgen hatten die einfachen Leute auszubaden. Das heißt für uns in Deutschland übersetzt: Die Machthaber des Hitler-Regimes lösten den zweiten Weltkrieg aus, sie überfielen zahlreiche europäische Länder, die angrenzenden Länder blieben bis auf die Schweiz davon nicht unbetroffen, und als Deutschland diesen zweiten Weltkrieg - glücklicherweise für die Menschheit - verloren hatte, verständigten sich die Siegermächte, wie es in diesen Fällen traditionell üblich ist, auf eine Verkleinerung des deutschen Territoriums. Auszubaden hatten dies in erster Hinsicht jene Deutschen, die dadurch ihre Heimat verloren und unter lebensgefährdenden Bedingungen umgesiedelt wurden.
Leicht wurde ihr Schicksal auch danach nicht. Sie wurden häufig als unerwünschte Eindringlinge behandelt. Es ist festzustellen, daß die Linke insgesamt diesem schweren Schicksal zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet hat. Allerdings war dies auch eine Folge der Haltung der Konservativen, die nie an einer wirklichen Integration dieser ausgesiedelten Menschen interessiert waren.
Sie wollten, daß sie sich in Verbänden organisieren; sie wollten ein Verlustgefühl am Leben halten, um die Forderungen aus den Vertriebenenverbänden außenpolitisch nutzen zu können. So ist diese Politik gelaufen. Jahrelang wurde das Schicksal der Vertriebenen benutzt, um der Oder-Neiße-Grenze die Anerkennung zu verweigern. Selbst heute noch gibt es Diskussionen darüber, ob die Anerkennung dieser Grenze 1990 endgültig gewesen sei oder nicht.
Ich kann es mir nach meinen Vorrednern ersparen, Zitate von Frau Steinbach hier anzuführen. Sie sind vorhanden - sowohl als eigene Zitate als auch als Berichte über Ihre Auftritte. Ich verstehe eigentlich nur schwer, weshalb Sie Ihrer eigenen Regierung so in den Rücken fallen. Ich kann mir nur vorstellen, daß Sie Ihrer kommenden Oppositionsrolle vorgreifen. Dann können wir uns vorstellen, meine vielen Herren und wenigen Damen, wie national oder gar nationalistisch Ihre Oppositionspolitik ausfallen wird. Das sehen wir vorweggenommen an den Zitaten der Frau Steinbach.
Wir erinnern uns - wir brauchen dabei gar nicht weit
zurück zu denken - an den erheblichen Widerstand
Gerhard Zwerenz
von Ihrer Seite gegen die deutsch-tschechische Erklärung. Es ist offensichtlich so, daß Teile Ihrer Partei nicht bereit sind, die Niederlage des Dritten Reiches im zweiten Weltkrieg und die damit verbundenen Konsequenzen zu akzeptieren.
- Ihr Lachen, Herr Stoiber, spricht Bände.
Ich erkläre es ausdrücklich und stelle fest, daß sich in Vertriebenenverbänden - ich konkretisiere allerdings: meist an ihren Rändern - rechtsextremistisches Gedankengut sammelte; in Publikationen wie „Der Schlesier" kam das fatal zum Ausdruck. Das hinderte Ihre Bundesregierung nicht, solche Publikationen zu unterstützen, zu fördern und zu finanzieren. Noch nie konnte diese Bundesregierung die Frage beantworten, weshalb sie mit aller Macht gesetzlich dafür sorgte, daß dann auch noch die zweite und dritte Vertriebenengeneration den Status der Vertriebenen beibehalten sollte; denn diese Menschen lebten ja nun auf dem Territorium der Bundesrepublik, sie waren hier geboren und sind Bundesdeutsche geworden. Ich bin der letzte, der nicht akzeptiert, was sie da an politischer und kultureller Leistung aufzuweisen haben.
Mit dem 3. Oktober 1990 stand nun die Bundesregierung vor der Frage, wie man den Vertriebenen aus der früheren DDR begegnen solle. Zu keinem Zeitpunkt bestand die Absicht, sie materiell mit den Vertriebenen aus den alten Bundesländern gleichzustéllen. Dies hält die PDS, für die ich hier spreche, für verwerflich, weil es nicht den geringsten Grund dafür gibt, zwischen Vertriebenen erster und zweiter Klasse zu unterscheiden, so wie Sie es zum Nachteil der Vertriebenen tun. Da die Bundesregierung andererseits nicht müde wird, zu erklären, daß es die Vertriebenen in der früheren DDR viel schwerer hatten als jene, die gleich in die Bundesrepublik gekommen sind, ist es noch unerklärlicher, weshalb sie nicht materiell mit diesen gleichgestellt werden.
Wenn von Kritikern gelegentlich darauf hingewiesen wurde, daß das Schicksal der Deutschen - Ich danke Ihnen für die wiederhergestellte Ruhe.
Ich darf feststellen, daß Ihr großes Herz für die Aussiedler, das ich sehr akzeptiere, durch die Entwicklung Ihrer Politik nicht mehr schlägt; denn schon wird zwischen diesen und jenen Aussiedlern und Spätaussiedlern unterschieden. Ich möchte in der Kürze der Zeit nur mein Bedauern darüber aussprechen, daß insbesondere die Aussiedler aus der früheren Sowjetunion so behandelt werden, daß es einem in der Seele weh tut.
Ich habe mich um die Schicksale dieser stets gekümmert, weil ich Verbindungen zu diesen Menschen habe.
Ich bin gern bereit, auch darüber zu sprechen, verehrte Kollegin. Im übrigen habe ich darüber schon geschrieben, als Sie sich noch nicht darum gekümmert haben,
als ich noch dort war und als es gefährlich war, sich so zu äußern.
Es ist durchaus akzeptabel, wenn die Bundesregierung deutschen Minderheiten in anderen Ländern materielle und ideelle Hilfe zukommen läßt und sich um ihre Identität sorgt. Dies wird von uns unterstützt. Eine solche Politik ist aber nur dann glaubwürdig, wenn die Bundesregierung zumindest gleiche Anstrengungen hinsichtlich der Minderheiten im eigenen Land, in der Bundesrepublik Deutschland, unternimmt.
Davon kann im Ernst keine Rede mehr sein. Es ist vielmehr eine Politik der Diskreditierung von Menschen anderer Nationalität geworden, insbesondere derer, die keinen deutschen Paß haben.
Ich möchte deshalb in Erinnerung rufen, daß es in unserem Grundgesetz am Anfang heißt: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. " Dort steht nicht: Die Würde des Deutschen ist unantastbar. Das ist ein beziehungsvoller Unterschied, der bei Ihnen verlorengeht.
Das Wort hat Herr Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber, Bundesrat.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Debatte heute hier gibt mir Gelegenheit, als Ministerpräsident des Landes, in dem die meisten Heimatvertriebenen in Deutschland eine neue Heimat gefunden haben, einige Anmerkungen zu machen, auch zu dem, was die Länder in unterschiedlicher Weise für die Eingliederung dieser Menschen weiterhin tun.
Die Heimatvertriebenen sind die Gruppe unseres Volkes - ich glaube, da stimmen wir alle überein -, die unter den Folgen der Kriegs- und Expansionspolitik Hitlers am nachhaltigsten zu leiden hatte. Je östlicher die Menschen geboren wurden, desto mehr haben sie für Adolf Hitler bezahlen müssen.
Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber
Die Heimatvertriebenen haben sich über 50 Jahre hinweg stets zum Grundgesetz und zur repräsentativen Demokratie bekannt,
im Gegensatz zu vielen anderen Kräften in unserem Lande, denen das Etikett „extrem" oder „radikal" leider nicht angeheftet wird, welches man aber den Vertriebenen immer wieder anzuheften versucht hat.
Den Heimatvertriebenen gebührt für ihren Integrationswillen, für ihre Aufbauleistung - das hat Herr Kollege Schäuble anerkannt - und für ihre politische Haltung Dank und Respekt.
Dafür dürfen sie zu Recht erwarten, daß demokratische Parteien, die Bundesregierung, aber auch die Landesregierungen in Deutschland ihre legitimen Anliegen unterstützen.
Für meine Regierung möchte ich feststellen: Wir nehmen die berechtigten Anliegen der Heimatvertriebenen außerordentlich ernst. Als gewählte Repräsentanten unseres Volkes haben wir uns stets zu fragen: Wo besteht Unrecht aus den Jahren von Flucht und Vertreibung fort? Was können und was müssen wir tun, damit dieses fortdauernde Unrecht geheilt werden kann?
Das ist keine rückwärtsgewandte Politik, wie es immer heißt.
Ich will hier einmal deutlich machen: Es gibt kein Land in Deutschland, das so viel für Verbindungen zwischen deutschen und tschechischen Hochschulen tut.
Wir haben in der Zwischenzeit die meisten Schulpartnerschaften: Es bestehen 200 Schulpartnerschaften zwischen bayerischen und tschechischen Schulen. Ich wünsche mir, daß andere Länder ähnlich verfahren; das möchte ich hier einmal deutlich zum Ausdruck bringen.
Wir finanzieren jedes Jahr, daß 50 Gastschüler aus der Tschechischen Republik ein Jahr lang in Bayern zur Schule gehen, damit natürlich unser Land kennenlernen und vielleicht auch das eine oder andere Vorurteil abbauen können.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, weil der Vertreter der SPD-Bundestagsfraktion
- es tut mir leid, daß ich Sie nicht mit Namen kenne -
hier beklagt hat, daß die Bundesregierung das eine oder andere beim Sprachunterricht und in anderen Bereichen einspart, erlaube ich mir, das in eine Relation zu bringen: Wir leisten uns in unserem Land 750 zusätzliche Lehrer für die Eingliederung von ausländischen Kindern, vor allem für den Deutschunterricht. Wir haben die meisten Förderkurse. Dort, wo Sie regieren - ich verweise aktuell auf Hamburg, Nordrhein-Westfalen oder Niedersachsen -, werden die Förderkurse nicht nur nicht ausgebaut, sondern sogar reduziert und Lehrerstellen gestrichen.
Ich sage das nur, weil wir uns in Deutschland in einem demokratischen Wettbewerb befinden. Angesichts dessen kann man hier nicht mit dem Finger auf andere zeigen, wenn man eigentlich auf sich selbst zeigen müßte.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben die intensivsten wirtschaftlichen Kontakte mit der Tschechischen Republik. Das Volumen des Außenhandels mit der Tschechischen Republik ist gegenüber 1990 auf etwa das Neunfache gewachsen. Wir haben auch die meisten Erfahrungen auf diesem Gebiet. Daher erlaube ich mir, hier einige Anmerkungen zu machen.
Ich habe bereits deutlich gemacht, daß es keine rückwärtsgewandte Politik ist, wenn wir für die Heimatvertriebenen eintreten; denn Unrecht verjährt nicht. Wir müssen immer wieder deutlich machen, was Unrecht war, was Unrecht ist und was zur Heilung des Unrechts getan werden muß.
Dies ist vielmehr eine nach vorne gerichtete Politik, eine Politik für gutnachbarschaftliches Zusammenleben in einem gemeinsamen europäischen Haus. Eine solche Politik liegt im deutschen und im europäischen Interesse. Das ist ein Auftrag für die deutsche Politik.
Seit wenigen Jahren erst besteht die Möglichkeit, die aus dem Vertreibungsgeschehen herrührenden offenen Fragen mit den östlichen Nachbarstaaten im Dialog und mit Aussicht auf Erfolg anzugehen. 45 Jahre lang stand zwischen den Heimatvertriebenen und ihrer alten Heimat und deren neuen Bewohnern der Eiserne Vorhang. 45 Jahre lang verschanzte sich dahinter ein kommunistisches System, das die Geschichte verdrehte und gerade in den Deutschen nicht nur Kapitalisten und Klassenfeinde sah, sondern auch Gegner und Revanchisten.
Dank der Wende in Europa hat sich diese Situation grundlegend verändert. Natürlich knüpfen sich unsererseits Erwartungen an diese veränderte Situation: Erwartungen hinsichtlich stabiler demokratischer Verhältnisse, Erwartungen hinsichtlich einer prosperierenden sozialen Marktwirtschaft. Beides sind die östlichen Nachbarstaaten bislang mit Elan angegangen. Um die Probleme und Schwierigkeiten dabei wissen wir aus eigener Erfahrung. Diese Entwicklungen begrüßen wir alle hier in Deutschland;
Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber
denn dadurch gibt es Stabilität in Mitteleuropa, und nur dadurch wird das Wirtschaftsgefälle an unserer Ostgrenze eingeebnet. Nur so entwickelt sich ein tragfähiges gesamteuropäisches Fundament. Das liegt im deutschen Interesse.
Auch ist es nur dadurch möglich, daß die deutschen Minderheiten ihre Sprache und Kultur pflegen können, so daß das deutsche Kulturerbe im Osten auf Dauer erhalten werden kann. Deutschland unterstützt diesen Prozeß mit erheblichen finanziellen Mitteln, und die Heimatvertriebenen selbst helfen in ihren alten Heimatorten, wo sie nur können. So werden viele Brücken zu den heute dort lebenden Menschen gebaut.
Wo aber bleibt - so ist zu fragen - die Dynamik im Verständigungsprozeß mit den Vertriebenen, zumal NATO- und EU-Beitritt näherrücken? Wo sehen wir Signale zur Überwindung des Vertreibungsunrechtes, meine sehr verehrten Damen und Herren?
Ich wiederhole: Das Vertreibungsunrecht verjährt nicht. Ein freies Europa, das im ehemaligen Jugoslawien erst vor wenigen Jahren wieder Massenvertreibungen erlebt hat, muß daher auch nach einem Abstand von mehr als 50 Jahren Überlegungen anstellen, wie das Vertreibungsunrecht überwunden werden kann. Solchen Überlegungen darf sich kein Rechtsstaat entziehen.
Ungarn, Rumänien, die Slowakei und die baltischen Staaten, sie alle pflegen seit langem politische Kontakte zu den Repräsentanten der jeweiligen Landsmannschaften. Einzelne Länder haben über diese Gespräche hinaus die Heimatvertriebenen eingeladen, ihnen ganz konkrete Vorschläge unterbreitet und sie sogar zur Rückkehr in ihre alte Heimat aufgefordert. Herr Kollege Schäuble hat auf den Besuch von Herr Hupka in Polen hingewiesen. Ich brauche das nicht weiter zu kommentieren.
Diese Haltung - darum geht es mir - erwarte ich auch von Prag. Gesprächsforum und Zukunftsfonds sind ein Schritt in die richtige Richtung. Auch in diesen beiden Gremien sind die Sudetendeutschen gut vertreten. Aber trotz des Gesprächsforums und des Zukunftsfonds ist der direkte Dialog zwischen Prag und den Sudetendeutschen längst überfällig.
Was Budapest und Warschau möglich ist, das muß auch Prag möglich sein.
Der EU-Beitrittsprozeß tritt in seine entscheidende Phase. Für uns ist dabei klar: Die Europäische Union ist nicht nur eine Wirtschaftsgemeinschaft, sondern auch eine Wertegemeinschaft. Auch das müssen wir ernst nehmen. Die Europäische Union versteht sich als Hort des Völkerrechts und der Menschenrechte.
Die Bundesrepublik Deutschland hat immer klargestellt, daß die Vertreibung der Deutschen völkerrechtswidrig und daher ein Unrecht war; deshalb ist es richtig und im Sinne einer glaubwürdigen, von den Menschen akzeptierten europäischen Rechtsordnung notwendig, daß wir in diesem Punkt hohe Erwartungen an die Beitrittskandidaten richten.
In einer Europäischen Union, die Vertreibung ächtet und die das Heimatrecht einfordert, können keine Gesetze und Dekrete Bestand haben, die diesen eindeutigen Menschenrechtsgrundsätzen widersprechen.
Wenn Sie hier Einwendungen erheben, dann sollten Sie sich auf den europäischen Einigungsprozeß anders vorbereiten. Der Gipfel von Kopenhagen 1993 hat genau das für die Beitrittskandidaten zur Europäischen Union festgesetzt. 1993 sind die klaren rechtsstaatlichen Kriterien als Voraussetzungen für den Beitritt festgelegt worden. Wir erwarten daher, daß die Rechtsordnung der Beitrittskandidaten von der Europäischen Union sehr sorgfältig im Hinblick auf die Übereinstimmung mit den EU-Rechtsstandards - dazu zählt insbesondere das Diskriminierungsverbot des Art. 6 des EG-Vertrags - überprüft wird.
Ich wundere mich über manche Beiträge hier, die im Grunde genommen die Interessen der Vertriebenen weniger würdigen als die Europäische Union selber. Ich freue mich außerordentlich, daß die Europäische Union am 15. Juli 1997 die Tschechische Republik gefragt hat: Was ist mit den Beneš-Dekreten los? Die Europäische Union hat festgestellt, daß Vertreibungen stattgefunden haben. Wenn die Tschechische Republik behauptet, daß diese Gesetze weiterhin Gültigkeit hätten, dann wird es für sie vor dem Hintergrund dessen, was die Europäische Union selber sagt, schwierig werden, in die Europäische Union aufgenommen zu werden.
Einige der Damen und Herren, die sich hier zu Wort gemeldet haben, sollten den Deutschen und vor allem den Vertriebenen erklären, wieso die Europäische Kommission in den Verhandlungen letzten Endes klarere Positionen hinsichtlich der Rechtsstaatlichkeit als einige hier im Hohen Hause einnimmt.
Ich will noch auf etwas anderes hinweisen: Hier ist von dem Vertreter der F.D.P. gerade gesagt worden, man könne bilaterale Probleme im Prozess des Beitritts zur Europäischen Union in keiner Weise deutlich machen. Die anderen Länder machen das aber völlig anders. Als die Frage behandelt wurde, ob die Slowenen in das Assoziierungsabkommen aufgenommen werden sollen, haben die Italiener dieses Vorhaben natürlich so lange blockiert, bis ihre eigenen Probleme mit den Slowenen gelöst waren.
Das ist nichts Einmaliges. Ich kann mich auch erinnern, daß die Franzosen außerordentlich hartnäckig
Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber
sind, wenn es um die Rechtsangleichung ihrer überseeischen Gebiete geht. Sie nerven in dieser Frage die Mitgliedstaaten der Europäischen Union außerordentlich, bis ihren Interessen endlich Rechnung getragen ist. Die Menschen in Deutschland erwarten, daß wir die Interessen unserer Leute genauso vertreten, wie dies die Franzosen für ihre Leute tun.
Ich sage Ihnen ebenfalls: Auch die Österreicher stellen gegenwärtig einige kritische Fragen, und zwar an ihre ungarischen Nachbarn. Deswegen weise ich das Vorgehen zurück, daß man offene Fragen - ich möchte diese Fragen gar nicht konditionieren - erst im Rahmen eines Beitrittsprozesses erörtert. Je frühzeitiger diese offenen Fragen ausgeräumt werden, um so leichter wird es fallen, das gemeinsame europäische Haus zu bauen.
Ich will auf die Charta der Heimatvertriebenen von 1950 verweisen. Wenn eine freie Demokratie die Hand der Heimatvertriebenen nicht ergreift, ist das ein Anachronismus im Zuge des europäischen Einigungsprozesses. Gerade nach der deutsch-tschechischen Erklärung sollte sich die Tschechische Republik in breitem Umfang mit der jüngeren Geschichte auseinandersetzen, damit mehr Dynamik in das Verhältnis zu den Sudetendeutschen kommt.
Schon anläßlich der Debatte um den deutsch-tschechoslowakischen Nachbarschaftsvertrag hat der Bundesaußenminister an dieser Stelle eben diese Hoffnung ausgesprochen. Das war vor fast genau sechs Jahren, am 20. Mai 1992.
Ich komme zur Schlußbetrachtung. Diese Politik ist keine Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Länder. Viele, auch in diesem Haus, müssen sich daran gewöhnen, daß es sich bei dieser Politik schon um europäische Innenpolitik handelt.
Es ist völlig klar: Wenn die osteuropäischen Länder unserer Wertegemeinschaft beitreten wollen - das liegt auch in unserem Interesse -, dann ist es logisch, daß sie an uns die eine oder andere Frage richten. Es ist aber genauso logisch, daß wir an sie die eine oder andere Frage richten. Schließlich werden wir sozusagen in einem europäischen Inland zusammengehören und müssen daher viel mehr gemeinsam gestalten, als wir dies in der Vergangenheit getan haben.
In diesem Sinne bleibt meine Ausgangsfrage bestehen: Wie können wir Unrecht und Vertreibung heilen? Die EU-Erweiterung und der europäische Einigungsprozeß öffnen für beide Seiten weit die Tore. Diese Chancen werden wir nutzen. Wir werden immer versuchen, unsere Interessen, die deutschen Interessen und die Interessen der Vertriebenen - sie sind ein Teil unseres Volkes, und damit sind die Interessen identisch -, intensiv zu wahren. Die Menschen können sich auf uns verlassen.
Danke schön.
Das Wort hat der Kollege Jochen Welt, SPD.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn fünf Monate vor der Bundestagswahl die CDU eine Hochglanzbroschüre für Spätaussiedler auflegt, dabei den Titel „Wir sind an Ihrer Seite" wählt und den lieben Landsleuten verspricht, daß das Tor nach Deutschland offen bleibt, dann erkennt man, daß die Union sehr wohl gemerkt hat, daß sich bei Vertriebenen und Spätaussiedlern ein durchaus gespanntes Verhältnis zur CDU entwickelt hat. Man erkennt auch: Die Nerven der Union liegen blank, weil einige Vertreter der Spätaussiedler inzwischen offen auf Distanz zur Union gehen und klipp und klar erklären, daß bei der kommenden Bundestagswahl politische Alternativen sehr wohl denkbar und wählbar sind.
Wie viele Bürgerinnen und Bürger im Lande sind auch die Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler die leeren Versprechungen von den blühenden Landschaften hinter den offenen Toren leid.
Sie wollen endlich Arbeit; sie wollen eine Lebensperspektive und keine blumigen Formulierungen in Hochglanzbroschüren.
Hinter den so oft beschriebenen offenen Toren nach Deutschland machen sich für die Spätaussiedler Angst, Einsamkeit, Armut und Verlorenheit breit. Arbeitslosenquoten bei Spätaussiedlern von 40 Prozent sind keine Seltenheit. Bei Jugendlichen sind teilweise ganze Jahrgänge ohne Arbeit. Isolation in Übergangsheimen, fehlende Kontakte zur übrigen Bevölkerung, Vorurteile und Konkurrenzsituationen gegenüber einheimischen und ausländischen Bevölkerungsgruppen, Konflikte mit den Ordnungsbehörden, verstärkte Meldungen über die Gefährdung insbesondere der jugendlichen Spätaussiedler, alles das spielt sich hinter den weiter offenen Toren ab, von denen die Union so gerne redet.
Wer Menschen auffordert, zu uns zu kommen, der muß auch sicherstellen, daß diese bei uns menschengerecht untergebracht werden.
Die Koalition scheint allerdings inzwischen erkannt zu haben, daß es gefährlich ist, diese Probleme vor der Bundestagswahl zu ignorieren. Mit dem jetzt vorliegenden Antrag fordert sie - wie wir seit Jahren - eine Verstärkung der Eingliederungshilfen. Aber
Jochen Welt
leider kommt diese Forderung für den laufenden Haushalt zu spät. Wenn Sie es, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, mit dieser Forderung ernst gemeint hätten, hätten Sie sie bereits bei der Beratung des Haushalts 1998 stellen können und müssen. Dann hätten Sie nämlich den Verbänden und Spätaussiedlern geholfen. Dieser ist ein reiner Schauantrag und Augenwischerei.
Zuwanderer und insbesondere Spätaussiedler werden nicht selten als lästige Konkurrenten um den gleichen Arbeitsplatz und um die gleiche Wohnung angesehen. Das schürt Vorurteile, das nährt Neid und Mißgunst und schaukelt sich hoch bis zum Haß. Solche bereits erkennbaren Entwicklungen müssen wir gemeinsam aufhalten. Eine erfolgreiche Integration auch von Spätaussiedlern setzt eine aktive Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik voraus.
Die zunehmenden Integrationsprobleme, die Resignation, die bei einzelnen zur Rückkehr führt, betrachten wir mit sehr großer Sorge. Deshalb arbeiten wir seit Jahren neben einer aktiven Arbeitsmarkt-und Beschäftigungspolitik an einem Gesamtkonzept für Zuwanderung, das die Zuwanderung steuert, die Zahlen der Zuwanderer und - gemäß dem Bundesvertriebenengesetz - auch die Zahl der Spätaussiedler festlegt, sich an sozialen und ökonomischen Rahmenbedingungen orientiert und die bislang willkürlich geleistete Eingliederungshilfe der Bundesregierung zu einem verbindlichen Bestandteil einer erfolgreichen Eingliederungspolitik macht.
Die Gruppe der Spätaussiedler spielt bei diesem Konzept nicht alleine wegen ihrer Abstammung und grundgesetzlichen Bindung eine ganz besondere Rolle. Wir brauchen ein solches Konzept, weil wir nicht zulassen dürfen, daß Spätaussiedler wie Zuwanderer zu ungeliebten Minderheiten in Deutschland und damit zu Prügelknaben für die verfehlte Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik dieser Bundesregierung werden.
Ich gestehe durchaus ein, daß der Kontakt mit den Spätaussiedlern für uns Sozialdemokraten in der Vergangenheit über viele Jahre hinweg sehr schwierig war.
Das lag sicherlich auch an Vorbehalten bei uns. Es lag aber auch daran, daß die feste Anbindung der Interessenverbände an die CDU/CSU einen Dialog grundsätzlich erschwert hat.
Seit einigen Jahren beobachten wir allerdings gerade hier ganz entscheidende Veränderungen. Wir haben Kontakt mit fortschrittlichen, mit jungen Kräften beim Bund der Vertriebenen und anderen Verbänden, aber auch bei der Vertretung der Rußlanddeutschen. Es gibt hier im Blick auf die schwierige Situation für die Zielgruppen ein gemeinsames Bewußtsein, daß die Probleme angegangen und gelöst werden müssen.
Dabei will ich an dieser Stelle nicht vergessen, daß wir mit Walter Haak und Volkmar Gabert von der Seeliger-Gemeinde in München zwei außergewöhnliche Persönlichkeiten in unseren Reihen haben, die immer wieder mit Erfolg versucht haben, den Kontakt zwischen Aussiedlern und Vertriebenen einerseits und der SPD andererseits herzustellen, zu entwickeln und zu verbessern.
Ihnen und den vielen demokratisch engagierten Vertretern der Interessenverbände, ihnen und den Vertriebenen und Aussiedlern für ihre geleistete Integrationsarbeit, aber auch für die Aufbauarbeit, die sie in unserem Land geleistet haben, will ich von dieser Stelle aus ganz herzlich danken.
Wir werden auch in Zukunft - auch in Regierungsverantwortung - die so gut begonnene Zusammenarbeit mit den Betroffenen fortsetzen, in ehrlicher Zusammenarbeit mit allen Gruppen die Probleme bearbeiten und Lösungen angehen. Eine solche Zusammenarbeit ist notwendig, weil viele Deutschstämmige von den Versprechungen der jetzigen Bundesregierung bitter enttäuscht sind. Da gab es die Fiktion einer Wolgarepublik Anfang bis Mitte der 90er Jahre - ein Traum für viele Menschen in Rußland, der durch eine unsensible Politik dieser Regierung genährt wurde, aber nie verwirklicht werden konnte. Da gibt es die Versprechungen von den offenen Türen, der Aufnahmebereitschaft und den Eingliederungsmöglichkeiten in Deutschland, Versprechungen, die von den meisten, die inzwischen hier sind, anders und viel dramatischer erlebt werden. Da gibt es die Projektförderung des Innenministeriums in den Herkunftsländern, umstritten in örtlicher Präsenz und Wirkung. Da gibt es die Querelen um den VDA. Da gibt es die anhaltende Kritik des Bundesrechnungshofes an der Förderpraxis in den deutschen Siedlungsgebieten usw.
Wer eine solche Politik zu vertreten hat, dem helfen weder Anträge noch blumige Hochglanzbroschüren.
Die Realität und die Reaktion der Betroffenen zeigen: Die Spätaussiedlerpolitik ist nicht nur unzureichend, sie ist bei den Konflikten in den Städten und Gemeinden am Siedepunkt angekommen. Sie grenzt aus und schafft so neue Minderheiten in Deutschland. Allein diese Tatsache macht mir deutlich, daß
Jochen Welt
die Spätaussiedlerpolitik dieser Regierung gescheitert ist.
Wir haben frühzeitig bei den jährlichen Streichkonzerten auf die Probleme bei den Eingliederungshilfen hingewiesen und Aufstockung verlangt, alternativ eine Senkung der 1992 vereinbarten Zuwanderungszahlen für Spätaussiedler. Die Union hat uns dafür beschimpft. Sie hat uns verleumdet, weil wir die Probleme benannt haben und weil wir die Wahrheit gesagt haben.
Seit fast zwei Jahren macht diese Regierung das, was wir gefordert haben, wofür man uns beschimpft hat. Sie senkt die Zuwanderungszahlen für Spätaussiedler, allerdings nicht offen und erkennbar, sondern nach dem Motto: Wir wollen ja aufnehmen; wenn ihr nicht könnt, liegt es an euch. Sprachtests werden hier zu einem obskuren Aufnahmekriterium. Es ist ein alles in allem unwürdiges Verfahren. Klarheit und Wahrheit sind notwendig. Heuchelnde Aufnahmebereitschaft und Zuzugssteuerung durch die Hintertür haben die Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler nicht verdient.
Wann endlich nimmt die Regierung in Deutschland die Zuwanderung zur Kenntnis und handelt entsprechend? Das gelingt nicht dadurch, daß der Bundesinnenminister oder daß Unionspolitiker erklären, Deutschland sei kein Einwanderungsland. Die Behauptung, Deutschland sei kein Einwanderungsland, ist genauso falsch wie die Behauptung, Wasser sei nicht naß.
Seit den 50er Jahren sind zirka 4 Millionen Aussiedler allein aus Mittel- und Osteuropa nach Deutschland gekommen. Sie sind vielfach mit ihren nichtdeutschen Familienangehörigen zugewandert.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das sind Fakten. Wenn man Probleme lösen will, dann muß man erst einmal diese Fakten zur Kenntnis nehmen und akzeptieren.
Warum nutzt denn die Bundesregierung nicht die ausgezeichneten Chancen, die Zuwanderer aus Osteuropa mit sich bringen? Warum nutzt man nicht das Potential der jungen Menschen, die Russisch gelernt haben, die die Kultur kennen, die Mentalität in Osteuropa, in Rußland, in Sibirien, in Kasachstan? Warum will die Regierung nicht die Chance sehen, die die jungen Menschen auf dem gigantischen osteuropäischen Markt der Zukunft beim Aufbau der Wirtschaftsstrukturen als Brückenbauer zwischen Mittel- und Osteuropa hätten?
Wer sagt denn, daß es richtig ist, den vielen arbeitslosen Jugendlichen hier bei uns über Jahre hinweg Sozialhilfe auszuzahlen, während sie mit einem deutschen Paß und einem Beschäftigungsprojekt in Osteuropa Entwicklungsprojekte und Hilfen vorantreiben könnten?
Wo sind denn die von der Bundesregierung geforderten Unternehmen, die in Osteuropa, in Kasachstan ihre Geschäfte nicht nur bei der Rohstoffvermarktung machen wollen? Wo sind die Betriebe, die die große Zahl von Deutschstämmigen in diesen Herkunftsgebieten qualifizieren und sie für den ökonomischen Aufbau in diesen Ländern einsetzen können? Wir haben das Personal quasi schon vor Ort und müssen damit klotzen und nicht weiter mit vielen kleinkarierten Hilfen kleckern, die wir in den Herkunftsländern leisten.
An Angeboten für Aktivitäten in den ausgewiesenen Sonderwirtschaftszonen in Kasachstan scheint man, wie mir deutschstämmige Bürgermeister berichten, gar nicht erst interessiert zu sein. Viele andere Staaten sind uns hier um Jahre voraus. Sie haben ökonomisch Fuß gefaßt, während die Bundesregierung über Hilfe in den Herkunftsländern, Villen für Verbandsfunktionäre, überdimensionierte Kulturzentren und deplazierte Brot- und Fleischfabriken nachdenkt.
Nein, die Spätaussiedler sollen wissen und wir alle müssen begreifen, daß richtig angewandte und vernetzte Eingliederungspolitik für Spätaussiedler, daß richtig angewandte Hilfe in den Herkunftsländern keine Belastung, sondern eine Chance für die Zukunft Deutschlands und Europas sind.
Was wir also brauchen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ist ein abgestimmtes, auf Zukunft gerichtetes Konzept für die Steuerung der Zuwanderung, das in Verbindung mit den relevanten gesellschaftlichen Gruppen die Zuwanderungszahlen festlegt, zielgenaue Eingliederungshilfen definiert und eine Vernetzung der Bildungs-, Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik gewährleistet. Wenn man aber Zuwanderung nicht zur Kenntnis nimmt, dann kann man solche Konzepte nicht erarbeiten.
Wir brauchen endlich Verläßlichkeit. Wir brauchen kurzfristige Maßnahmen, mobile, aufsuchende Jugendarbeit in den bekannten Problemregionen. Wir brauchen für die betreffenden Jugendlichen sprachunterstützende Berufsvorbereitung und -qualifizierung. Wir brauchen Anregungen und Informationen
Jochen Welt
zur Freizeitgestaltung. Wir brauchen auch Informationen zum Umgang in und mit unserer Demokratie.
Wir dürfen die Menschen nicht einfach hierherholen und sie dann allein lassen.
Zuwanderung von Spätaussiedlern kann für unser Land eine Chance sein. Falsch angepackt, wie durch die Bundesregierung, wird sie zu einer Gefahr, zu einem Pulverfaß. Deswegen brauchen wir in der Spätaussiedlerpolitik auch so schnell wie möglich einen Politikwechsel.
Das Wort hat die Kollegin Erika Steinbach, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn es heute vormittag einen ersten Preis für Heuchelei geben würde,
dann müßte er dreigeteilt werden: Die SPD, die Grünen und die PDS könnten jeweils ein Drittel dieses ersten Preises für Heuchelei für sich in Anspruch nehmen.
Herr Zwerenz, was die DDR und die Leistungen für Vertriebene anbelangt: Es hat in der DDR keine Leistungen für Vertriebene gegeben. Die Vertriebenen durften sich nicht einmal zusammenschließen, ihr Schicksal miteinander bereden. Sie wurden schlicht und einfach als nicht existent betrachtet. Aber heute wollen Sie uns hier vorschreiben, wie wir mit dem Thema umzugehen haben. Sie haben überhaupt kein Anrecht darauf.
An die drei verbliebenen Grünen hier im Saale: Das Thema Vertreibung war für Sie nie ein Thema.
Nur eines habe ich heute vermißt: ihr Trojanisches Pferd im Vertriebenenbereich - Antje Vollmer.
daß ich vertrieben wurde?)
Entschuldigen Sie, Frau Steinbach. Herr Kollege Fischer, ich möchte Sie gerne darauf hinweisen, daß es in der Geschäftsordnung heißt: Zwischenrufe sind zulässig - aber nicht Dauerrufe. Ich bitte Sie darum, das zu beachten.
- Das kann schon sein. Gleichwohl müssen Sie sich auf Zwischenrufe beschränken und dürfen keine Dauerrufe machen.
Deshalb ist er auch schon ganz heiser.
Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen
- insbesondere die CDU/CSU - haben die Anliegen der deutschen Heimatvertriebenen bis zum heutigen Tag sehr nachdrücklich unterstützt
und sich deutlich zu ihnen bekannt.
Bei der Regierungsübernahme durch diese Bundesregierung im Jahre 1982 - das gehört zu Geschichte und Entwicklung - betrug die Förderung für Vertriebene auf Bundesebene ganze 4,2 Millionen DM. Heute sind es 43,1 Millionen DM. Daran mag man ermessen, wie wichtig uns dieses Anliegen in all den Jahren gewesen ist.
In den meisten Bundesländern sieht es leider völlig anders aus. Ministerpräsident Schröder hat nach seinem Amtsantritt dem Bund der Vertriebenen in Niedersachsen alle, aber auch alle Mittel schlicht und ergreifend gestrichen.
Die große Landsmannschaft der Schlesier mußte für ihre Bundestreffen „Asyl" in Bayern suchen und hat es dort erhalten.
Ich danke Ihnen, Herr Ministerpräsident Stoiber, dafür, daß Bayern immer ein Land gewesen ist, das sich den Vertriebenen gegenüber offen gezeigt hat.
Wer unter dem Kanzlerkandidaten Schröder gefördert werden will, hat dann gute Chancen, wenn er ein Chaot ist. Er hat aber überhaupt keine Chancen, wenn er ein deutsches Vertriebenenschicksal erlitten hat. Das kann man deutlich merken.
Erika Steinbach
In nahezu allen rotgrün oder rot regierten Bundesländern ist die Entwicklung leider ähnlich verlaufen.
Das ist nicht nur eine sehr bedauerliche, sondern auch eine - ich sage es ganz eindringlich - tragische Entwicklung.
Die SPD hat hinsichtlich der Frage des Schicksals unserer vertriebenen Bevölkerungsteile schon vor langer Zeit den Konsens der Demokraten aufgekündigt. Die Vertriebenen sind aber ein wichtiger, ein wesentlicher Teil des deutschen Volkes. Der Konsens war notwendig; und in den ersten Jahren nach 1945 war er auch vorhanden.
Die großen Sozialdemokraten Kurt Schumacher - Westpreuße wie ich - oder Wenzel Jaksch - einer meiner Vorgänger im Amte des Präsidenten des Bundes der Vertriebenen - hätten die SPD längst verlassen, wenn sie diese Entwicklung hätten miterleben müssen -,
genauso wie Herbert Hupka unter Schmerzen die SPD verlassen hat. Ein solcher Schritt ist schließlich kein leichter; ihm geht vieles voran.
Bei der Gedenkfeier der SPD für Carlo Schmid im Wasserwerk im vorigen Jahr - die ich selbstverständlich besucht habe, denn Carlo Schmid war ein wichtiger Politiker der deutschen Nachkriegsgeschichte -
war folgendes bemerkenswert: Die Teilnehmer hörten beim Eintritt in den Raum eine Rede Carlo Schmids im Originalton. Es war Zufall, daß Carlo Schmid gerade in dem Moment, in dem ich eintrat, den Satz sagte: „Und die Sudetendeutschen müssen in ihre Heimat zurück." - Das war Carlo Schmid, meine Damen und Herren.
15 Millionen deutsche Vertriebene - Deportierte und Verschleppte in der UdSSR noch gar nicht eingerechnet - sind mehr Menschen, als Norwegen und Schweden heute zusammen an Einwohnern haben. Das war und ist eine gesamtdeutsche Katastrophe - sowohl in bezug auf die menschlichen Schicksale als auch kulturell.
- Nein, im Moment möchte ich keine Zwischenfrage beantworten.
Deutschland hat Schuld auf sich geladen. Diese Vertreibungsaktionen widersprachen schon damals
dem Völkerrecht und allen Menschenrechten. Es widersprach den Menschenrechten, daß in der UdSSR und in vielen MOE-Ländern Menschen deutscher Abstammung deportiert wurden, jahrelang Zwangsarbeit leisten mußten und ihrer Muttersprache beraubt wurden. Sie durften die deutsche Muttersprache nicht mehr sprechen. Deshalb beherrschen auch heute die meisten der Spätaussiedler die deutsche Sprache nicht mehr. Wir haben die Aufgabe, ihnen dabei behilflich zu sein, diese Sprache in ihren alten Wohngebieten zu erlernen.
Die Deutschen, die ihrer Abstammung wegen jahrelang östlich des Eisernen Vorhanges in quälender Unterdrückung leben mußten, hatten und haben bei uns in Deutschland ein Aufnahmerecht, damit sie als Deutsche unter Deutschen leben können.
Oskar Lafontaine hat das noch vor kurzer Zeit völlig anders gesehen, und weite - wichtige - Teile der SPD auch. „Ein Asylbewerber aus Schwarzafrika ist mir allemal lieber als ein Rußlanddeutscher. " Wer so etwas von sich gibt, entlarvt sich als herzlos, unsolidarisch und geschichtslos.
Ich begrüße, daß es in der SPD in dieser Frage wenigstens teilweise einen Sinneswandel gegeben hat. Aber tragfähig scheint er mir nicht zu sein, denn das Spannungsverhältnis innerhalb Ihrer Partei ist allzugroß. Zunächst hörte man nur die Parole: Schotten dicht! Jetzt hört man nur Anklagen, von der Bundesregierung werde nicht genug getan. - Irgendwann müssen Sie sich einmal entschließen, was Sie für richtig halten. Beides können Sie ja nicht gleichzeitig vertreten.
- Da haben Sie auch wieder recht.
Meine Damen und Herren, Vertriebene, Aussiedler, deutsche Minderheiten in den Heimatgebieten sind eine Brücke zwischen Deutschen und ihren östlichen Nachbarn; das ist wohl richtig. Sie sind aber auch eine sehr beständige Mahnung gegen millionenfach verletzte Menschenrechte. Diese menschliche Brücke wird am Ende nur dann tragfähig sein können, wenn die Stützpfeiler heißen: Menschenrechte, Völkerrecht und Minderheitenrechte.
Eine Osterweiterung der Europäischen Union liegt im deutschen Interesse. Auch die Vertriebenenorganisationen haben das ja von Anfang an gesagt. Die immer wieder zitierte Charta der deutschen Vertriebenen, in der Europa als ein Ziel, als ein Wunschgedanke mit enthalten war, hat dies deutlich gemacht. Auch der Versöhnungsgedanke wurde immer offensiv nach außen getragen. Aber die Osterweiterung der Europäischen Union kann kein Selbstzweck sein. Eine Erweiterung um der Erweiterung willen, ohne zuvor offene Fragen zu klären, macht keinen
Erika Steinbach
Sinn. Alle Beitrittskandidaten müssen Menschen-und Völkerrecht konsequent umsetzen, bevor sie Mitglied in der Union werden.
Denn auch das Europa der Zukunft soll und muß eine Wertegemeinschaft und nicht nur eine Wirtschaftsgemeinschaft sein.
Daß die Heilung des Vertreibungsunrechtes möglich ist - das wurde schon angesprochen -, haben Estland, Litauen, Ungarn und Rumänien deutlich gemacht. Diese Länder haben von sich aus Entschädigungsregelungen, Rückkehrregelungen auf die Tagesordnung gesetzt und beschlossen. Darüber waren die Vertriebenen sehr froh; sie waren dankbar dafür.
Daß es auch möglich ist, die Menschenrechtsverletzungen an Deutschen zu heilen, wenn nur der Wille dazu vorhanden ist, haben uns diese Länder ebenfalls plastisch vor Augen geführt. Manchem gefällt das nicht. Aber ich sage: Wenn diese Länder es schaffen, dann müssen auch Polen und die Tschechische Republik es schaffen.
Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit auch eine Anmerkung in Richtung unserer Koalitionsfreunde von der F.D.P. machen. Unter Freunden muß man auch einmal ein offenes Wort sagen können.
Das Einfordern der Menschenrechte für Deutsche zerstört doch nicht Vertrauen, sondern es schafft Vertrauen, nämlich nach innen. Wenn das Vertrauen nach innen gestärkt wird, nützt es am Ende auch dem Vertrauen zu unseren östlichen Nachbarn, dann ist es auch tragfähig. Wir brauchen für diese Verhandlungen die Akzeptanz des eigenen Volkes.
Man kann als Deutscher nicht von China oder der Türkei die Einhaltung der Menschenrechte einfordern und am Ende die Menschenrechte der Deutschen ignorieren und in der Abstellkammer ablegen. Das, meine lieben Freunde, geht nicht.
Im übrigen entspricht dieser Appell nicht nur dem einstimmigen Votum der UNO-Menschenrechtskommission, die sich erst vor wenigen Monaten mit der Thematik auseinandergesetzt und unsere Positionen bestätigt hat. Es gibt vielmehr eigene hochaktuelle Beschlüsse dieses Hauses dazu. Ich will sie Ihnen in Erinnerung rufen. Am 23. Juni 1994 haben wir beschlossen:
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, über die Durchsetzung des Rückkehrrechts in die Heimat hinaus Möglichkeiten zu prüfen, wie Wiedergutmachung und Entschädigungspflichten der Vertreiber geregelt werden können.
Am 28. Februar 1997 beschloß dieses Haus:
Jeder Akt der Vertreibung ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Sie muß international geächtet und sowohl völkerrechtlich wie strafrechtlich auch geahndet werden.
Das sind unsere eigenen hochaktuellen Beschlüsse.
Frau Kollegin, achten Sie bitte auf die Zeit.
Ich danke Ihnen. Ich bin gleich fertig. - Das sind die Rahmenbedingungen, unter denen eine Osterweiterung der Europäischen Union möglich wird. Ich fordere diese Beschlüsse ein - nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Das Wort zu einer Kurzintervention hat die Kollegin Monika Ganseforth.
Frau Steinbach, nehmen Sie zur Kenntnis, daß Sie hier nicht für die 17 Millionen Vertriebenen mit ihrem schweren Schicksal gesprochen haben!
Ich selber bin aus Oberschlesien, bin in Gleiwitz geboren worden. Ich distanziere mich von dem, was Sie hier gesagt haben. Sie tun damit vielleicht einigen Vertriebenenorganisationen bzw. Teilen dieser Organisationen,
aber nicht den Vertriebenen einen Gefallen. Sie leisten mit dieser Auffassung vielmehr einen Bärendienst.
Frau Kollegin Steinbach, Sie können antworten.
Frau Kollegin Ganseforth, das ist Ihre höchstpersönliche Meinung. Die Mehrheit der Vertriebenen hat eine andere Auffassung.
Aber es gibt auch sehr unterschiedliche Meinungen
bei den Nichtvertriebenen. Ein erheblicher Teil der
Nichtvertriebenen empfindet sich als solidarischer
Erika Steinbach
Partner derer, die vertrieben wurden. Am Ende wollen sie miteinander ihr Recht einfordern.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Annelie Buntenbach, Bündnis 90/ Die Grünen.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Reden, die wir heute von den Regierungsfraktionen gehört haben, und ebenso der Antrag, den sie vorgelegt haben, sind wieder einmal eine verpaßte Chance. Da kann ich mich dem, was die Kollegin Ganseforth in ihrer Kurzintervention gesagt hat, nur anschließen. Dies ist eine verpaßte Chance mit einer darin enthaltenen Klientelpolitik, die sich wohl kaum an Aussiedler, Minderheiten und Vertriebene richtet, sondern lediglich an einige Vertriebenenorganisationen.
Statt sich wirklich um die Integration von Aussiedlern zu bemühen, statt die Minderheitenförderung in den Rahmen einer Verständigungspolitik zu stellen, funktionalisieren Sie diese Gruppen und auch den Gedanken der europäischen Einigung für die Eigentumsrückforderungen und die großdeutschen Ambitionen der Hardliner im Bund der Vertriebenen. Eben die sind ja wohl am ungeeignetsten, Brücken zwischen den Menschen zu schlagen. Denn wieviel zerstören solche Äußerungen, die ich nur beschämend finden kann, wie die, die der Kollege Özdemir eben zitiert hat - Frau Steinbach, das richtet sich noch einmal an Sie; Sie haben sie nicht zurückgenommen bzw. zurückgestellt; Sie hätten hier jede Gelegenheit der Welt gehabt -, nämlich daß die Tschechen unter deutscher Herrschaft fast nicht gelitten hätten. Ich erwarte von Ihnen, daß Sie diese Äußerung hier zurücknehmen.Denn wir können nicht dahin kommen, daß im Wahlkampf auf Grund der Konkurrenz um eine möglichst autoritäre und restriktive Innenpolitik im Hinblick auf das Wählerpotential von rechtsextremen Parteien auf dem Rücken von Migranten und Migrantinnen Politik gemacht und daß im Werben um die Vertriebenenlobby außenpolitisch, gerade im sensiblen Verhältnis zu unseren östlichen Nachbarn, großer Schaden angerichtet wird.
In diesem Zusammenhang möchte ich einfach klarstellen: Es geht hier nicht um eine Kontroverse darüber, ob die Vertreibung ein Unrecht war. Das war sie eindeutig. Die Menschen, die das Unrecht der Vertreibung als Folge des NS-Regimes und des grausamen, von Deutschland begonnenen Krieges erleben mußten und in der Bundesrepublik Deutschland ihre Kreativität und Energie eingebracht haben, sind natürlich Teil unserer deutschen Geschichte und auch Teil unserer Gegenwart. Das wird hier niemand abstreiten wollen.
Aber selbstverständlich handelt es sich dabei um etwas ganz anderes, als das, was heute hier geschehen ist, nämlich Eigentums- und Rückkehrrechte zum Thema zu machen und deren Verwirklichung dann auch noch als Voraussetzung für die Erweiterung der Europäischen Union zu fordern. Das wäre ein schlichter Erpressungsversuch des Stärkeren. Ich erwarte, daß wir das eindeutig zurückweisen und deutlich machen, daß das nicht der Fall sein kann.Die Vertriebenenlobby ist mit riesigen Mitteln in den letzten Jahren aufgebläht worden, eine Lobby, die gar keinen Rückhalt bei denen hat, die sie behauptet zu vertreten.
Die Auseinandersetzung um die deutsch-tschechische Versöhnungserklärung hat auch folgendes gezeigt: Wir brauchen die Brücken zwischen den Menschen - das ist keine Frage -, aber genau dazu sind die Hardliner der Vertriebenenverbände des BDV nicht bereit.Ich will nur ein Beispiel nennen: Die Betreuung der Begegnungszentren in Tschechien durch die sudetendeutsche Landsmannschaft hatte nicht etwa die Funktion einer Brücke zwischen den Völkern, sondern sie wurde dazu mißbraucht, brückenkopfartige Positionen einzunehmen. Daraus mußten sie dann auch Konsequenzen ziehen.Diese Kritik, wie viele andere Kritikpunkte, stammt nicht von mir, sondern von einem führenden Vertreter der deutschsprachigen Minderheit in Tschechien. Auch die Vertreter der deutschstämmigen Minderheit in Polen haben sich gegen Einflußnahme und Vereinnahmung durch die Landsmannschaft gewehrt.Mich wundert, daß die F.D.P. - auch Sie, Herr Stadler - im Gegensatz zu ihrem liberalen und weltoffenen Image, das sie hier pflegt, diesen Antrag mit unterstützt hat. Denn was in Ihrem Antrag als berechtigte Anliegen der Vertriebenen oder als offene Fragen im bilateralen Verhältnis zu Polen und Tschechien bezeichnet wird, sind ja keine unbekannten Positionen, sondern der BDV hat sehr deutlich formuliert, was damit gemeint ist, nämlich Eigentumsrückgabe und weitgehende Autonomierechte für zurücksiedelnde Deutsche in den ehemals deutschen Ostgebieten.Einzelne Funktionäre stellen dann gleich die deutsche Ostgrenze in Frage. Der Außenminister hat solche Äußerungen zu Recht als unrealistisch und wenig verantwortungsvoll bezeichnet und bemerkt, diese Forderungen zerstörten Vertrauen in den Beziehungen zu den östlichen Nachbarn.Mit dem Antrag, der jetzt vorliegt, betreiben Sie aber eine doppelte und zweideutige Außenpolitik. Jenseits der offiziellen Äußerungen Ihres Außenministers vertreten Sie praktisch die Forderungen einer
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22046 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 239. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Mai 1998
Annelie BuntenbachOrganisation, deren Vorstellungen über Deutschland über die bestehenden Grenzen weit hinausgehen.
Die Beziehungen zu den östlichen Nachbarn, die historisch belastet sind, erfordern aber eine besondere Sensibilität.Wir entscheiden uns darum für eine eindeutige und nachvollziehbare Außenpolitik, und wir entscheiden uns darum gegen diesen Antrag.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. „Vertriebene, Aussiedler und deutsche Minderheiten sind eine Brücke zwischen Deutschen und ihren östlichen Nachbarn." Das ist die Drucksache 13/10845. Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS angenommen worden. Die SPD hat sich enthalten.Abstimmung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Verstärkung der Integrationsbemühungen für Aussiedlerinnen und Aussiedler, Drucksache 13/10787. Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS abgelehnt worden. Die SPD hat sich enthalten.Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD zu einer verantwortungsvollen Aussiedlerpolitik, Drucksache 13/10862. Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der gesamten Opposition abgelehnt worden.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 16a bis 16z sowie Zusatzpunkte 18 bis 21 auf:16. Umweltdebattea) Beratung der Unterrichtung durch die BundesregierungUmweltbericht 1998Bericht über die Umweltpolitik der 13. Legislaturperiode— Drucksache 13/10735 —Überweisungsvorschlag :Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
FinanzausschußAusschuß für WirtschaftAusschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismusb) Beratung der Unterrichtung durch die BundesregierungUmweltgutachten 1998 des Rates von Sachverständigen für UmweltfragenUmweltschutz: Erreichtes sichern - Neue Wege gehen— Drucksache 13/10195 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismusc) Beratung der Unterrichtung duch die BundesregierungSondergutachten des Rates von Sachverständigen für UmweltfragenFlächendeckend wirksamer GrundwasserschutzEin Schritt zur dauerhaft umweltgerechten Entwicklung- Drucksache 13/10196—Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebaud) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu der Unterrichtung durch die BundesregierungSondergutachten„Konzepte einer dauerhaft-umweltgerechten Nutzung ländlicher Räume" des Rates von Sachverständigen für Umweltfragen- Drucksachen 13/4109, 13/9707 - Berichterstattung:Abgeordnete Wilhelm Dietzel Ulrike MehlUlrike HöfkenGünther Bredehorne) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Jürgen Rochlitz, Franziska Eichstädt-Bohlig, Gerald Häfner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Umweltinformationsgesetzes- Drucksache 13/3906 –
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
- Drucksache 13/10580 –Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Renate Hellwig Dietmar Schütz
Dr. Jürgen RochlitzBirgit Homburger
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Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 239. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Mai 1998 22047
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmerf) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 24. Oktober 1996 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Tschechischen Republik über die Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Umweltschutzes- Drucksache 13/10129 –
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
- Drucksache 13/10704 – Berichterstattung:Abgeordnete Christa Reichard Georg PfannensteinMichaele HustedtDr. Rainer Ortlebg) - Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 7. November 1996 zum Übereinkommen über die Verhütung der Meeresverschmutzung durch das Einbringen von Abfällen und anderen Stoffen von 1972- Drucksache 13/10430 –
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ausführung des Protokolls vom 7. November 1996 zum Übereinkommen über die Verhütung der Meeresverschmutzung durch das Einbringen von Abfällen und anderen Stoffen von 1972- Drucksache 13/10364 –
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
- Drucksache 13/10833 – Berichterstattung:Abgeordnete Kurt-Dieter Grill Dietmar Schütz Dr. Jürgen RochlitzBirgit Homburgerh) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 16. Juni 1995 zur Erhaltung der afrikanisch-eurasischen wandernden Wasservögel- Drucksache 13/10431 –
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
- Drucksache 13/10826-Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Norbert Rieder Ulrike MehlGünther BredehornUlrike Höfkeni) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Jürgen Rochlitz, Gila Altmann , Franziska Eichstädt-Bohlig, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNENSchutz vor krebsverdächtigen, mineralischen Dämmaterialien- Drucksache 13/8900 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuß für WirtschaftAusschuß für Arbeit und SozialordnungAusschuß für GesundheitAusschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebauj) Beratung des Antrags der Fraktion der SPDÄnderung des „Sommersmog-Gesetzes"
— Drucksache 13/8320 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuß für Verkehrk) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
- zu dem Antrag der Fraktion der SPDÄnderung des „Sommersmog-Gesetzes"
- zu dem Antrag der Abgeordneten Gila Altmann und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENVerschärfung der Maßnahmen gegen die fortschreitende Gefährdung der menschlichen Gesundheit und der Umwelt durch bodennahes Ozon- Drucksachen 13/4974, 13/4727, 13/6150 -Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Peter Paziorek Christoph MatschieDr. Jürgen RochlitzBirgit Homburger1) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach), Wilhelm Dietzel, Herbert Frankenhauser, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Birgit Homburger, Gün-Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmerther Bredehorn, Dr. Rainer Ortleb und der Fraktion der F.D.P.Keine neuen bürokratischen Verfahren auf EU-Ebene- Drucksachen 13/7060, 13/9944 - Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Klaus W. Lippold
Dietmar Schütz
Michaele HustedtBirgit Homburgerm) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten Michaele Hustedt, Dr. Uschi Eid, Wolfgang Schmitt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENUmwelt- und Entwicklungspolitik auf dem Weg ins 21. Jahrhundert - Nachhaltigkeit global umsetzen- Drucksachen 13/7783, 13/10166 -Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Klaus W. Lippold
Michael Müller
Michaele HustedtBirgit Homburgern) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten Michaele Hustedt, Dr. Jürgen Rochlitz, Franziska Eichstädt-Bohlig, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNENErstellung eines nationalen Umweltplans- Drucksachen 13/7884, 13/10167 -Berichterstattung:Abgeordnete Kurt-Dieter GrillMarion Caspers-MerkMichaele HustedtBirgit Homburgero) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Angelica Schwall-Düren, Antje-Marie Steen, Lilo Blunck, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDVerbot des Einsatzes von Pyrethroiden in Textilien und Innenräumen- Drucksachen 13/1478, 13/4187 -Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Harald Kahl Dr. Angelica Schwall-Düren Dr. Jürgen RochlitzBirgit Homburger Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Dr. Jürgen Rochlitz, Michaele Hustedt, Gila Altmann , Albert Schmidt (Hitzhofen) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENAluminium - ökonomische, ökologische und soziale Folgen- Drucksachen 13/5247, 13/6833 -p) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Behrendt, Marion Caspers-Merk, Dr. Liesel Hartenstein, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDSchutz der stratosphärischen Ozonschicht und Bekämpfung des anthropogenen Treibhauseffektes durch Beendigung von Produktion und Einsatz teilhalogenierter FCKW- Drucksachen 13/5806, 13/7469 - Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Peter Paziorek Wolfgang BehrendtDr. Jürgen RochlitzDr. Rainer Ortlebr) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten Vera Lengsfeld, Gila Altmann (Aurich), Steffi Lemke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENÖkosystem Watt vor Dauerbelastung schützen- Drucksachen 13/5199, 13/8959 – Berichterstattung:Abgeordnete Kurt-Dieter Grill Ulrike MehlUlrike HöfkenGünther Bredehorns) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dietmar Schütz , Annette Faße, Konrad Kunick, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDSchutz vor Öltankerunfällen und Umweltschäden in europäischen Gewässern- zu dem Antrag der Abgeordneten Dietmar Schütz , Annette Faße,Vizepräsidentin Dr. Antje VollmerKonrad Kunick, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDSchutz der Nordsee durch Schiffsölentsorgung in Seehäfen- Drucksachen 13/5155, 13/5756, 13/7467 -Berichterstattung:Abgeordnete Kurt-Dieter Grill Dietmar Schütz Dr. Jürgen RochlitzGünther Bredehornt) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr
- zu dem Antrag der Abgeordneten Gila Altmann , Ulrike Höfken, Michaele Hustedt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENBedrohung der Meere und Zerstörung der Küsten durch Ölkatastrophen- zu dem Antrag der Abgeordneten Gila Altmann , Angelika Beer, Kristin Heyne, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENSofortmaßnahmen gegen die Verseuchung der Meere durch illegale Öleinleitungen - Maßnahmen zur überwachten Entsorgung von Altölen und Ölschlämmen an Land- Drucksachen 13/3884, 13/4237, 13/7481 – Berichterstattung:Abgeordneter Heinz-Günter Bargfredeu) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
- zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus Lennartz, Dr. Marliese Dobberthien, Susanne Kastner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDMinimierung hormonell wirkender Chemikalien, die ins Wasser gelangen- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Jürgen Rochlitz, Gila Altmann , Franziska Eichstädt-Bohlig, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENMaßnahmen gegen eine Umweltgefährdung durch hormonell wirksame Chemikalien- Drucksachen 13/4786, 13/6146, 13/9689 –Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Norbert Rieder Klaus LennartzDr. Jürgen RochlitzGünther Bredehorny) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten Michael Müller (Düsseldorf), Ernst Schwanhold, Hermann Bachmaier, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDInformationspflicht der Chemischen Industrie über Zwischenprodukte- Drucksachen 13/3787, 13/9690 -Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Harald Kahl Dr. Angelica Schwall-Düren Dr. Jürgen RochlitzDr. Rainer Ortlebw) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
- zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU und F.D.P.zu der Abgabe einer Erklärung durch die BundesregierungMoto - Erfolg und weitere Verpflichtung im weltweiten Klimaschutz- zu dem Antrag der Fraktion der SPD Klimagipel in Moto:Ein neuer Anlauf zum Schutz des Mimas- zu dem Antrag der Fraktion der SPDDie Ergebnisse der Klimakonferenz in Moto weiterentwickeln und notwendige Maßnahmen durchsetzen- zu dem Antrag der Abgeordneten Michaele Hustedt, Gila Altmann , Franziska Eichstädt-Bohlig, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENKonsequenzen aus den Ergebnissen der Klimakonferenz in Moto für die deutsche und europäische Umweltpolitik- Drucksachen 13/9600, 13/8969, 13/9602, 13/9411, 13/10753Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Klaus W. LippoldDr. Liesel Hartenstein Michaele Hustedt Birgit Homburgerx) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Liesel Hartenstein, Ulrike Mehl, MichaelVizepräsidentin Dr. Antje VollmerMüller , weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDKennzeichnung von Holz und Holzprodukten- Drucksachen 13/5212, 13/9708 -Berichterstattung:Abgeordnete Wilhelm Dietzel Dr. Liesel HartensteinUlrike HöfkenGünther Bredehorny) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Liesel Hartenstein, Michael Müller (Düsseldorf), Wolfgang Behrendt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDRegelung der Sonderabfallentsorgung- Drucksachen 13/7562, 13/10553 - Berichterstattung:Abgeordnete Steffen Kampeter Dr. Liesel HartensteinDr. Jürgen RochlitzBirgit Homburgerz) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Gila Altmann , Dr. Jürgen Rochlitz und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENBelastungen durch bodennahes Ozon- Drucksachen 13/4504, 13/6391 -ZP18 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P.4. Vertragsstaatenkonferenz in Buenos Aires im November 1998 - Weitere Schritte zu mehr Klimaschutz -- Drucksache 13/10805 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Auswärtiger AusschußAusschuß für WirtschaftAusschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten HaushaltsausschußZP19 Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Monika Ganseforth, Michael Müller (Düsseldorf), Elke Ferner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD zu der Großen Anfrage der Abgeordneten Monika Ganseforth, Michael Müller (Düsseldorf), Elke Ferner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDUmsetzung der Selbstverpflichtungserklärung deutscher Wirtschafts- und Industrieverbände zum Klimaschutz- Drucksachen 13/3988, 13/6704, 13/7258, 13/ 10827 -Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Klaus W. Lippold Michael Müller (Düsseldorf)Michaele HustedtBirgit HomburgerZP20 Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschuses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
- zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung- zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Michaele Hustedt, Albert Schmidt , Dr. Jürgen Rochlitz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu der Unterrichtung durch die BundesregierungBeschluß der Bundesregierung zum Klimaschutzprogramm der Bundesrepublik Deutschland auf der Basis des Vierten Berichts der Interministeriellen Arbeitsgruppe „CO2-Reduktion"
- Drucksachen 13/8936, 13/8993, 13/10828 - Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Peter Paziorek Christoph MatschieDr. Jürgen RochlitzBirgit HomburgerZP21 Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
- zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Horst Kubatschka, Michael Müller , Klaus Barthel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD zu der Großen Anfrage der Abgeordneten Horst Kubatschka, Michael Müller (Düsseldorf), Edelgard Bulmahn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDElektrosmog- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Manuel Kiper, Michaele Hustedt, Matthias Berninger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENZehn-Punkte-Programm gegen Elektrosmog- Drucksachen 13/3184, 13/5256, 13/6728, 13/ 3365, 13/10829-Berichterstattung:Abgeordnete Kurt-Dieter GrillHorst Kubatschka Michaele Hustedt Dr. Rainer OrtlebZum Umweltbericht 1998 liegen Entschließungsanträge der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. sowie der Fraktion der SPD vor.Vizepräsidentin Dr. Antje VollmerNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der Abgeordnete Dr. Paul Laufs.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Umweltbericht 1998 zieht die Bilanz der bemerkenswert erfolgreichen Umweltpolitik der Bundesregierung in der 13. Wahlperiode.
Wir beglückwünschen die Bundesumweltministerin zu ihrer ebenso effizienten wie kreativen Amtsführung. Die Umweltqualität in Deutschland wird immer besser. Die meßbaren Fortschritte, die wir in den Schaubildern des Umweltberichtes dargestellt finden, sind beeindruckend und ermutigend in einer Zeit, in der umweltpolitische Anliegen nicht mehr im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses stehen.
Besonders erfreulich sind die ökologischen Erfolge in den neuen Bundesländern. Trinkwasserversorgung, Abwasserbehandlung, Zustand der Gewässer, insbesondere der Elbe, Altlastensanierung, Abfallwirtschaft, Luftreinhaltung - in allen Bereichen sind beträchtliche Verbesserungen eingetreten. Im Jahr der Wiedervereinigung gab es, um nur ein Beispiel zu nennen, im Chemiedreieck 20 000 atemwegerkrankte Kinder. Heute ist keine Rede mehr davon.
Die Erfolge sind beachtlich, aber sie reichen nicht aus. Es bleibt noch gewaltig viel zu leisten, bis die Vision von der nachhaltig umweltverträglichen Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft zur Wirklichkeit wird, die sich auch global ausbreiten kann, ohne ihre natürlichen Existenzgrundlagen selbst zu zerstören.
Ich teile die Ansicht des Sachverständigenrates für Umweltfragen, daß angesichts der globalen Herausforderungen für den Wirtschaftsstandort Deutschland die deutsche Umweltpolitik unter dem Druck steht, noch effizienter werden zu müssen, und daß dies als Chance zu begreifen ist. Heute geht es darum, Umweltstandards mit deutlich verringertem finanziellen Aufwand zu halten und zu verbessern. Dafür gibt es erhebliche technische und organisatorische Potentiale - zum Beispiel im Gewässerschutz -, die erschlossen werden müssen. Dafür liegt es auch nahe, Umweltpolitik jenseits der ordnungsrechtlichen Gebote und Verbote mit marktkonformen Mitteln zu betreiben, also die Marktkräfte im Wettbewerb für ökologische Zielsetzungen wirken zu lassen.
Der Umweltrat weist in seinem Gutachten 1998 zu Recht kritisch darauf hin, daß beispielsweise die im Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz angelegte Öffnung der Abfallwirtschaft für den Markt nicht dazu geführt hat, Entsorgungsleistungen von öffentlichen Trägern auf private zu übertragen. Die Aufrechterhaltung der kleinräumigen Entsorgungsautarkie und der Verzicht auf Wettbewerb treiben die Kosten. Hier sind Länder und Kommunen gefordert, endlich Bewegungsfreiheit für Marktakteure zu schaffen.
Staatliche Anreizpolitik muß weitergeführt werden, etwa durch Deregulierung und Substitution, die den Marktakteuren angeboten werden sollten. Ich meine, daß Unternehmen, die sich freiwillig der ÖkoAudit-Disziplin unterwerfen, von Berichts-, Melde-und Nachweispflichten entlastet werden können. Dafür sind die bundesgesetzlichen Voraussetzungen zu schaffen.
Wir begrüßen es außerordentlich, daß sich die Bundesumweltministerin im Dialog mit der Wirtschaft und gesellschaftlichen Kräften um neue umweltpartnerschaftliche Lösungsansätze bemüht.
Wenn wir nicht alles mit einem letztlich kontraproduktiven Regelungsdickicht überziehen wollen, müssen wir neue Wege suchen, auf denen wir Produzenten und Konsumenten zu einem nachhaltig umweltverträglichen Verhalten anregen und verpflichten können. Dazu müssen wir ihnen auch verständliche und anschauliche Zielsetzungen an die Hand geben, die in einer verwirrenden Vielfalt von Umweltdaten und ökologischen Prozessen Leitlinien sein können.
Frau Merkel hat vor kurzem den Entwurf eines umweltpolitischen Schwerpunktprogramms vorgelegt, das für die wichtigsten Handlungsfelder Schlüsselindikatoren, Umweltziele, Zeitvorgaben und Maßnahmen konkretisiert. Über die Jahre hinweg sollen die Veränderungen in einem Umweltbarometer sichtbar und damit leicht verständlich gemacht werden, in welchem Ausmaß wir die langfristig gesetzten Ziele auf dem Weg zur nachhaltigen Entwicklung erreichen. Ich finde diesen Ansatz sehr interessant und hilfreich. Die Einzelheiten müssen natürlich noch diskutiert werden.
Umweltpolitik ist mühsam und muß Schritt für Schritt mit allen zur Verfügung stehenden vernünftigen Mitteln vorangebracht werden. Patentrezepte gibt es nicht. Viele Menschen sehnen sich allerdings nach einfachen, durchgreifenden Lösungen. Diese werden von der Opposition angeboten: Abschaltung aller Kernkraftwerke, rigorose Tempolimits, Totalumbau des Steuersystems durch die Ökosteuer. Die wirklichen Probleme sind damit nicht zu lösen.
In ihrem heutigen Antrag bietet die SPD wieder einmal ihr aus früheren Wahlkämpfen wohlbekanntes Bündnis für Arbeit und Umwelt an, zu dem - wie wir lesen - auch ein europäischer Beschäftigungspakt und die Festlegung von sozialen Mindeststandards in der EU gehören. Sie werden doch nicht ernsthaft erwarten, daß wir neuen gigantischen Staatsprogrammen zustimmen werden, die der Umwelt herzlich wenig nützen, aber uns Deutschen gewaltige Transferleistungen aufbürden würden.
Dr. Paul Laufs
Lassen Sie mich noch eine Bemerkung zur ökologischen Steuerreform machen, welche im Zentrum der umweltpolitischen Absichten von SPD und Bündnis 90/Die Grünen steht. Wir müssen sie von der ökologisch orientierten Umgestaltung einzelner Steuern, wie zum Beispiel der aufkommensneutralen Spreizung von Mineralöl- und Kraftfahrzeugsteuer, unterscheiden, wie wir sie als umweltpolitisches Instrument selbstverständlich seit langem erfolgreich nutzen.
Ökosteuerreform bedeutet den grundlegenden Umbau des Steuersystems durch progressive Verteuerung der Rohstoffe, insbesondere von Mineralöl, bei gleichzeitiger Entlastung der Volkswirtschaft von der Finanzierung sozialer und anderer Aufgaben. Wir lehnen diese Form der Ökosteuer ab, weil sie alle Marktbeteiligten undifferenziert trifft und ihre Struktur- und Substitutionseffekte in kompliziert verflochtenen Volkswirtschaften unkalkulierbar sind: Verlegung von Emissionen und Arbeitsplätzen ins Ausland, Schwächung des ländlichen Raums, Überbelastung bestimmter Bevölkerungsgruppen. Es werden Ausgleichsregelungen notwendig, die einen enormen Verwaltungsaufwand, Umgehungstatbestände und Mitnahmeeffekte zur Folge haben. Wir lehnen diese Ökosteuer ab, weil sie nicht unmittelbar umweltorientiert ist.
Moderate Benzinpreiserhöhungen ändern das Fahr- und Verbrauchsverhalten - wie wir aus Erfahrung wissen - überhaupt nicht. Bei 5 DM pro Liter Benzin - was die Grünen bekanntlich fordern -, sind allerdings starke Verbrauchsrückgänge zu erwarten, was dann aber zum Konflikt mit der vorgesehenen Finanzierung zum Beispiel von Renten- und Arbeitslosenversicherungen führt. Die Ökosteuerschraube muß dann bis zur Erdrosselung weitergedreht werden.
In der SPD gibt es Stimmen, die wegen der schwer abschätzbaren Allokationsänderungen bei Arbeit, Kapital und Rohstoffen vorschlagen, Ökosteuern mit mäßigen Steigerungen einzuführen, das hieße, mit unbekannten, allenfalls marginalen Folgen für die Umwelt. Es wäre dann nur eine neue, zusätzliche Steuer.
Meine Damen und Herren, wir werden unsere bewährte und erfolgreiche Umweltpolitik ohne den ökologischen Totalumbau unseres Steuerrechtes fortsetzen.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Ulrike Mehl.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum Ende der Legislaturperiode werden auch die Umweltdebatten immer hektischer und kurzatmiger. Vor vier Jahren hatten wir wenigstens nur 21 Tagesordnungspunkte in verbundener Debatte, diesmal sind es 26. Das Alphabet reichte gerade zur Aufzählung aus. Darin sind eine Reihe von Punkten enthalten, die es wert gewesen wären, eine oder anderthalb Stunden intensiv darüber zu debattieren. Das geht nicht.
Deswegen werde ich mich heute auf einige Punkte des Umweltberichtes der Bundesregierung beschränken; denn da steht ja alles drin - sollte man meinen. Aber statt einer umfassenden Analyse der Umweltpolitik ist hier eine reine Fleißarbeit vorgelegt worden, die wieder nur ausschnittsweise Problembeschreibungen mit sorgfältig eingearbeiteten Schönfärbereien darstellt. Fortschrittliche Umweltpolitik findet in Deutschland so gut wie nicht statt.
Versucht die Umweltministerin einmal partiell fortschrittlich zu sein, wird notfalls der Handlungsspielraum des Umweltministeriums unter der Regie des Kanzleramtes durch andere Ressorts bis zur völligen Unbeweglichkeit eingeschränkt. Wir vermissen nach wie vor - bei allem Zugeständnis, daß Sie sich selbst auch einmal loben dürfen - eine ehrliche Gesamtschau der Fehlentwicklung und vor allem die Beschreibung langfristiger strategischer Lösungsansätze. Die Ministerialbeamten können einem richtig leid tun, weil sie immer dazu aufgefordert werden, gebetsmühlenartig Berichterstattungen vorzunehmen, aber nicht in die Lage versetzt werden, ihre Kreativität für zukunftsweisende Konzepte zu nutzen.
Ich will ein paar Beispiele nennen. Die Bundesregierung ist jetzt schon froh, daß die CO2-bedingten Verkehrsemissionen in den vergangenen Jahren nicht in dem Maße zugenommen haben, wie es vorhergesagt war. Sie ist schon fast erstaunt darüber, daß die Pkw-Leistungen in den neuen Bundesländern „trotz der sprunghaften Motorisierung" - so steht es im Bericht - nicht in gleichem Maße zugenommen haben. An einer gezielten Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf die Bahn und einer Förderung des ÖPNV kann das wohl kaum liegen.
Dazu fehlt es dieser Regierung nämlich an geeigneten Konzepten und am nötigen Willen. Statt dessen ist es dringend notwendig, die Wettbewerbsverzerrungen, die zu Lasten der Bahn gehen, abzubauen, mehr Geld in den Ausbau des Schienenwegenetzes und weniger Geld für die Bundesfernstraßen fließen zu lassen.
Die Bundesregierung spricht in ihrem Bericht von einer sprunghaften Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Energieverbrauch und führt dies vor allem auf Modernisierungsmaßnahmen im Osten zurück. Galant wird verschwiegen, daß diese Entkoppelung vor allem auf den Zusammenbruch der maroden, umweltgefährdenden DDR-Wirtschaft zurückzuführen ist. Dann wird das Ganze auch noch als aktive Klimaschutzpolitik verkauft: Klimaschutz made by Kohl, kann ich da nur sagen.
Um das Klima zu schützen, die Wälder, Gewässer und Ökosysteme insgesamt nicht weiter schleichend zu vergiften, brauchen wir aber neben einer anderen
Ulrike Mehl
Verkehrspolitik auch einen konsequenten Gewässer-und Emissionsschutz für eine echte Energiewende.
Windenergie, Solarenergie, Kraft-Wärme-Kopplung, effiziente Energienutzung und regenerative Energiequellen sind die Strategie der Zukunft. Die müssen gefördert werden, nicht die Kernenergie.
Zur Nitratbelastung des Grundwassers behauptete die Bundesregierung, daß seit Ende der 80er Jahre teilweise eine Stagnation und an einigen Meßstellen sogar eine rückläufige Tendenz festzustellen sei. Die Länderarbeitsgemeinschaft Wasser stellt dagegen eine steigende Nitratbelastung des Grundwassers fest und rechnet mit dem Anstieg. Um Abhilfe für die anhaltende Verschmutzung von Nordsee und Nordostatlantik zu schaffen, fordert die Bundesregierung ein international abgestimmtes Vorgehen - ein klassisches Beispiel für die Strategie dieser Regierung.
Natürlich muß auf internationaler Ebene etwas getan werden, aber dann muß man das Beschlossene auch umsetzen.
Internationale Vereinbarungen und die Fehler in anderen Ländern dürfen keine Ausrede für die eigene Untätigkeit sein. Tatsache ist doch - das gibt die Bundesregierung auch zu -, daß entgegen internationaler Vereinbarung - ich meine damit das Nordseeschutzprogramm von Herrn Töpfer - die Stickstoffeinträge in das Wasser in den alten Ländern lediglich um 25 Prozent reduziert wurden. Geplant war schlicht das Doppelte, nämlich 50 Prozent. Vor allem gegen die diffusen Quellen aus Landwirtschaft und Verkehr wird so gut wie nichts getan. Diese Bereiche müßten dringend angepackt werden, aber davor drücken Sie sich.
Auch die mehrfach erwähnte Absenkung der Schadstoffbelastung der Flüsse ist noch kein Grund zum Jubeln. Denn neben der biologischen und chemischen Bewertung der Gewässergüte ist dringend auch eine Beurteilung der ökologischen Gewässerstruktur und der Verunreinigung der Sedimente erforderlich. Die starke chemische Verunreinigung von Baggergut und Sedimenten, die wie Abfall regelrecht entsorgt werden müssen, zeigt ja an, daß die Wasserqualität der Flüsse noch reichlich zu wünschen übrigläßt.
Wenn ich dann noch lese, daß mit dem Bundesbodenschutzgesetz ein vorsorgender Umgang mit dem Boden sichergestellt sei, kann ich mich nur noch wundern; denn gerade der Vorsorgegedanke kommt in diesem auf dem Kompromißwege ausgehandelten Gesetz eindeutig zu kurz.
Statt das Bundesnaturschutzgesetz vernünftig zu novellieren, kommt unter dem Druck der Landwirtschaftslobby und der Grundbesitzerverbände nur die zwingende, aber viel zu späte Anpassung an das Europarecht zustande, um vom Europäischen Gerichtshof nicht zu Zwangsgeldzahlungen verurteilt zu werden.
Jetzt ist mit der im Schnellverfahren durchgepeitschten dritten Novelle auch noch die von den Bundesländern abgelehnte Verpflichtung zu Ausgleichszahlungen an die Landwirtschaft auf den Weg gebracht worden. Dieses Negativbeispiel einer Naturschutzpolitik wird zum Symbol für das Flickwerk Umweltpolitik dieser Bundesregierung.
Obwohl die Bundesregierung keine Anstrengungen zur umweltgerechten Umstrukturierung der Landwirtschaft unternimmt, brüstet sie sich damit, daß 1,8 Prozent der Anbaufläche ökologisch bewirtschaftet werden
und daß sich diese Tendenz durch das gesundheitsorientierte Einkaufsverhalten der Bevölkerung weiter fortsetzen werde. Eine Bundespolitik, die eine Ökologisierung der gesamten Landwirtschaft vorantreibt, sucht man vergebens. Der Markt wird es schon richten, heißt die Devise. Das scheint die einzige langfristige Orientierung der Bundesregierung in der Umweltpolitik zu sein. Aber freiwillige Vereinbarungen mit Wirtschaft und Industrie sind nur begrenzt einsetzbar und sind eben kein Allheilmittel in der Umweltpolitik. Die jüngsten Beispiele aus den letzten Tagen brauche ich hier nicht weiter zu erwähnen.
- Doch, die müßten wir eigentlich erwähnen. Du hast recht.
Die Bundesregierung will offenbar keine konkreten Ziele und Anforderungen formulieren. So bleiben viele Regelungen zu schwach, zu schwammig oder zumindest interpretierbar oder einfach schlaff. Im Abfallrecht bleibt die Abgrenzung zwischen Abfällen zur Verwertung und Abfällen zur Beseitigung genauso unklar wie bei den früheren Begrifflichkeiten. Die Folge ist eine willkürliche Festlegung durch die Abfallbesitzer und ein Öko-Dumping. Die Produktverantwortung steht nur auf dem Papier, zum Beispiel bei der Altautoregelung. Die Elektronikschrott-verordnung wird seit sechs Jahren angekündigt; damit das Versäumnis nicht so fürchterlich auffällt, soll nächste Woche noch in letzter Sekunde schnell ein kleiner Teilbereich, nämlich die IT-Verordnung, durch das Parlament gepaukt werden.
Wir wollen klare Vorgaben, damit Kreislaufwirtschaft tatsächlich Wirklichkeit wird. Unsere Priorität gilt der Abfallvermeidung. Die stoffliche Verwertung ist an verbindliche Vorgaben zu knüpfen. Wichtig ist uns eine ökologisch und ökonomisch sinnvoll ausgestaltete Kreislaufwirtschaft und nicht das Chaos von heute.
Die Bundesregierung betreibt in Sachen Umwelt lediglich eine reine Ankündigungs- und Verzöge-
Ulrike Mehl
rungspolitik. Sie besitzt nicht einmal mehr die Kraft, in kleinen Schrittchen auf die selbstgesteckten Ziele im Umwelt- und Naturschutz zuzuschleichen. Bundeskanzler Kohl ist unfähig, seinem eigenen Bekenntnis zur Verantwortung für die Schöpfung gerecht zu werden. Deshalb müssen auch hier spätestens im September die Weichen neu gestellt werden.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Michaele Hustedt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Laufs, Sie behaupten ebenso wie die Ministerin Merkel immer wieder, die Umweltsituation in Deutschland habe sich verbessert. Das steht in eklatantem Widerspruch zu der Einschätzung der UNO, die bezogen auch auf die Industrienation Deutschland sagt: In diesem Jahrzehnt hat sich die Umweltsituation verschlechtert.
Viele Regierungen und Firmen waren allzuschnell bereit, die Umwelt kurzfristigen Gewinn- und Sonderinteressen zu opfern.
Sie verharmlosen und reden schön, was nicht schönzureden ist. Ein Beispiel dafür ist, daß Sie die erbärmliche Klimaschutzpolitik dieser Bundesregierung als erfolgreich darstellen. Trotz der Verminderung der CO2-Emissionen, die aus der ungewollten Deindustrialisierung resultieren, verzeichnen wir einen Zuwachs an Treibhausemissionen von 2,5 Prozent. Das Klimaschutzziel von minus 25 Prozent ist mit dieser Politik nicht erreichbar.
In bestimmten Bereichen gibt es gewiß einige Teilerfolge, wie bei der Luftverschmutzung und der Gewässerbelastung, also dort, wo die Auswirkungen direkt wahrnehmbar sind. Es gibt wieder blauen Himmel über der Ruhr, und auch der Rhein ist sauberer, wobei diese Erfolge weit vor Ihrer Zeit erzielt wurden, Frau Merkel.
Im Osten gibt es weniger Pseudokrupp. Dafür aber ging mit den westlichen Konsummustern ein rapider Anstieg von Allergien einher. Ihre Schönfärberei ist völlig unakzeptabel, weil Sie damit die Herausforderung, vor der wir stehen, kleinreden.
Sie haben zum Beispiel noch einen Castor-Transport nach Stade passieren lassen, obwohl Sie schon von der Verstrahlung wußten, Frau Merkel.
Das Umweltministerium sagte darauf auf Nachfrage, man wäre sich nicht über die Bedeutung der Information bewußt gewesen. Genau das meine ich. Wer Atomkraft mit Kuchenbacken vergleicht, ist nicht f ähig, diese Atomindustrie zu kontrollieren.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Grill?
Ja.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Hustedt, würden Sie das, was Sie gesagt haben, auch für die Amtsführung des Grünen- Staatssekretärs Bulle im niedersächsischen Umweltministerium gelten lassen?
Herr Grill,
- das stimmt; es ist immer derselbe Blödsinn von Mister Gorleben -, dieser platte Versuch
- Sie sind jetzt nicht dran; Sie haben Ihre Frage gestellt und können sich gleich zu Wort melden -, von der Schuld abzulenken, indem man auf die Länder verweist, ist absolut durchsichtig.
Ich sage Ihnen folgendes: Sie glauben doch wohl selber nicht, daß wir Grüne, wenn wir von dieser Belastung, die von den Castor-Transporten ausgeht, gewußt hätten, dieses Wissen nicht sofort genutzt hätten, um diese Transporte zu stoppen.
Ich sage Ihnen noch etwas: Wir - zum Beispiel in Hessen - verlassen uns nicht auf die Kontrolle der Stromkonzerne. Wir setzen vielmehr unabhängige Sachverständige ein, die die Meßwerte überprüfen.
Drittens sage ich Ihnen folgendes: Die Bundesregierung hat die Hauptverantwortung, weil sie die Castor-Transporte genehmigt.
- Aber hallo. - Sie genehmigen die Castor-Transporte. Das heißt, daß Sie für den gesamten Prozeß verantwortlich sind. Die Länder sind lediglich für die Messungen verantwortlich, wenn der Castor rausgeht, und dafür haben wir unabhängige Gutachter eingesetzt.
Michaele Hustedt
Wenn wir von dieser Belastung gewußt hätten, hätten wir dieses Wissen in der Tat genutzt.
Das kann ich Ihnen versprechen. Das wissen Sie auch.
Sie verharmlosen nicht nur die Gefahren der Atompolitik. Sie verharmlosen auch die Gefahren des Treibhauseffektes, des Ozonlochs, des Sommersmogs, der zunehmenden Chemisierung und der Belastung des Grundwassers, wovor die Sachverständigen für Umweltfragen in ihrem Gutachten besonders warnen. Mit dieser Verharmlosung leisten Sie einen Beitrag zur Verdrängung des Umweltbewußtseins. Das werfe ich Ihnen vor, Frau Merkel.
Sie hatten in dieser Koalition aus Verweigerern der ökologischen Modernisierung und neoliberalen Wirtschaftslobbyisten einen denkbar schlechten Stand. Das wissen Sie selbst am besten. Als Sie sich einmal getraut haben, neue Ideen einzubringen, hat man Sie im Kabinett auflaufen lassen: bei der jahrelang verzögerten Novellierung des Bundesnaturschutzgesetzes, aus dem am Ende ein Bauernschutzgesetz wurde, oder bei der Besteuerung des Flugbenzins, die im Koalitionsvertrag steht. Erinnern Sie sich noch? Als Sie sie eingefordert haben, hat Kanzler Kohl Sie sofort zurückgepfiffen. Nicht anders erging es Ihnen bei der Sommersmogverordnung, bei der Sie an Ihren Kabinettskollegen gescheitert sind. Ihre Vorschläge zur Ökosteuer, über die Sie im Gegensatz zu den Aussagen von Herrn Laufs ja verfügen, liegen in der Schublade und haben nie das Tageslicht erblikken dürfen.
Daß Sie einen so schlechten Stand hatten, Frau Merkel, will ich Ihnen gar nicht vorwerfen. Das geht uns ja mit der SPD - allerdings auf wesentlich höherem Niveau - auch häufig so. Ich werfe Ihnen aber vor, daß Sie nicht versucht haben, neue Allianzen gegen diese Zukunftsverweigerer aus Ihren Reihen zu schmieden, daß Sie sich immer wieder mit den falschen Leuten wie etwa der Atomlobby verbündet haben, die Ihnen als Dank dafür die größte Krise in Ihrer politischen Karriere beschert hat.
Die Wirtschaft ist nur auf den ersten Blick ein monolithischer Block. Gott sei Dank sind nicht alle so wie Olaf Henkel; es ist nicht nur eine Betonfraktion von Ewiggestrigen. Es gibt in der Wirtschaft Blockierer und Innovateure. Leider schreit aber das Alte immer lauter als das Neue. Deswegen müssen die Umweltpolitikerinnen und Umweltpolitiker das Neue gegen diese Beharrungskräfte stärken. Hier muß man genau wissen, wo man steht. Da mache ich Ihnen zum Vorwurf, daß Sie nicht differenzieren können, wer Sie stärkt und wer Sie schwächt. Ihnen fehlt einfach die notwendige Distanz.
Ich möchte dafür ein Beispiel bringen. Die Stromkonzerne bekämpfen den Einstieg ins Solarzeitalter mit allen Mitteln, auch mit ungesetzlichen Mitteln. Da hilft auch kein bitte, bitte an die Adresse der Stromkonzerne, Frau Merkel; die lachen sich dann doch ins Fäustchen. Die starken Verbündeten sind in diesem Zusammenhang statt dessen der VDMA, der größte Unternehmensverband Deutschlands, und die IG Metall, die in den regenerativen Energien eine große Zukunft sehen, die Shell AG, die mittlerweile erkannt hat, daß ihre Zukunft in der Solartechnologie liegt, oder auch der Bauernverband, denn die Landwirte werden die Ölscheichs von morgen sein. Mit diesen Gruppen hätten Sie sich zusammentun müssen. Dann hätten Sie auch das dringend erforderliche Gegengewicht zu Helmut Kohl gehabt; dafür muß man ja wirklich etwas auf die Platte bringen.
Frau Merkel, wo waren Sie denn zum Beispiel während der Demonstration für den Erhalt und den Ausbau des Stromeinspeisungsgesetzes? Warum mußte der VDMA mit mir und nicht mit Ihnen eine gemeinsame Pressekonferenz gegen die Pläne von Rexrodt machen? Hier hätten Sie gegen ein Leichtgewicht einmal ordentlich punkten können.
Wo bleibt die Kampagne mit der IG BAU und der Bauindustrie für ein Altbausanierungsprogramm, das diesen Namen auch verdient? Norbert Blüm und Klaus Töpfer hätten da auf Ihrer Seite gestanden. Warum haben Sie nicht längst einen lautstarken Beirat für ökologisch innovative Unternehmen gegründet? Wenn der VCI gegen die Ökosteuer mobil macht, warum geben Sie einfach klein bei, anstatt die Gewinnerbranchen für eine ökologisch-soziale Steuerreform ins Feld zu führen?
Zusammengefaßt: Sie haben sich immer wieder von den Bremsern in Beschlag nehmen lassen, die die Chancen der Zukunftsmärkte für ökologische Innovationen nicht sehen können oder wollen. Sie verhelfen zudem noch diesen Rückständigen zu einem Öko-Alibi, indem Sie sie öffentlich für ihr Nichtstun mit Lorbeeren auszeichnen. Beispielsweise erreichen Sie durch Ihren Umgang mit dem Instrument der Selbstverpflichtung nichts über das hinaus, was sich ohnehin betriebswirtschaftlich für die Unternehmen rechnet.
Sie waren nicht nur zu vertrauensselig gegenüber der Atomindustrie. Nehmen wir das Beispiel Klimaschutz: Pünktlich zur Klimakonferenz in Kioto hat der Verband der Autoindustrie verkündet, den Ausstoß der CO2-Emissionen nur um 6 Prozent statt der versprochenen 25 Prozent zu reduzieren. Die Automobilindustrie hat Sie hinsichtlich ihrer Selbstverpflichtung eiskalt im Regen stehenlassen. Wer dieses Instrument ernst nimmt, hätte auf diesen Rückzieher mit ganz scharfen Konsequenzen antworten müssen. Nur zu sagen, es sei eigentlich schade, ist außerordentlich erbärmlich. Damit offenbaren Sie nur Ihre Zahnlosigkeit.
Sie sind kein umweltpolitischer Animateur, sondern Sie müssen Verbindlichkeit bei der Umsetzung umweltpolitischer Ziele durchsetzen.
Die Antwort auf den Rückzug der Automobilindustrie hätte auf dem Fuße folgen müssen: mit einem Katalog von politischen Maßnahmen, von Vorgaben und marktwirtschaftlichen Anreizen. Wichtiger ist aber noch: Um weitergehende Selbstverpflichtungserklä-
Michaele Hustedt
rungen zu bekommen, müssen Sie die Rahmenbedingungen ändern, so daß sich Energieeinsparung lohnt und ökologische Pionierunternehmen auch Absatzmärkte finden. Ökologisch innovative Unternehmen und Betriebe, die sich umweltfreundlich verhalten, werden doch durch Ihre Politik bestraft; denn sie haben keinerlei Vorteile gegenüber denjenigen, die weiterwurschteln wie bisher.
Es gibt keinen Anreiz für Häuslebauer, Niedrigenergiehäuser zu bauen. Es gibt keinen Anreiz, Autos mit geringerem Benzinverbrauch zu kaufen. Es gibt keinen Anreiz für mehr Wärmedämmung und solare Warmwassererzeugung. Es gibt keinen Anreiz für energieeffiziente Produktionstechniken und energiesparende Haushaltsgeräte. Es gibt keinen Anreiz, die Reparatur von Produkten gegenüber der Wegwerfpraxis attraktiv zu machen.
Jetzt, am Ende der Legislaturperiode, legen Sie ein Schwerpunktprogramm vor. Ich kann dazu nur sagen: Wer soll ernsthaft glauben, daß Sie dieses jemals umsetzen? Sie hätten das schon am Anfang der Legislaturperiode vorlegen müssen; aber wahrscheinlich wäre dieses Programm vom Kabinett nicht gebilligt worden. Am Ende ist es einfach nur Wahlkampfgeplänkel.
Umweltpolitik verlangt Konfliktbereitschaft, auch gegenüber den Beharrungskräften dieser Gesellschaft. Diese Konfliktbereitschaft haben Sie nicht, und auch in der Zukunft ist nicht damit zu rechnen, daß Sie sie haben werden; denn der Stellenwert der Umweltpolitik in diesem Kabinett Kohl ist kaum meßbar. Umweltschutz wird von der Regierung Kohl nicht als das gesehen, was er ist, nämlich eine gewaltige Chance für die ökologische und ökonomische Modernisierung; vielmehr wird sie nur als eine Last, als ein Störfall in der Kohlschen Philosophie des „Weiter so! " behandelt.
Umweltpolitik à la Merkel ist Umweltpolitik auf dem Rückzug: das Richtige andenken, sich dann deckeln lassen, wegtauchen, das Gegenteil erreichen und am Ende schönreden. Daß Kohl sich beim Castor-Skandal noch einmal vor Sie gestellt hat, um sich selbst zu schützen, mag Sie vorerst gerettet haben; aber am 27. September hat der Wähler das Wort, und dann wird Ihnen auch kein Kohl mehr nützen.
Mit dieser Bundestagswahl werden die Weichen gestellt: für einen Einstieg in eine neue Reaktorgeneration oder für den Ausstieg aus der Atomkraft. Wir werden den Einstieg ins Solarzeitalter auch gegen die Stromkonzerne durchsetzen. Wir wollen ein Altbausanierungsprogramm für die Umwelt und für die Bauwirtschaft. Wir wollen eine Sommersmogverordnung, die die Menschen und nicht die Autos schützt. Wir wollen einen nationalen Umweltplan, und wir werden den Einstieg in die ökologisch-soziale Steuerreform durchsetzen, die gleichzeitig die erdrükkenden Sozialabgaben senkt und damit für mehr Beschäftigung sorgt.
Herr Laufs, wenn Sie hier die ökologisch-soziale Steuerreform - im Gegensatz zu Tausenden von Beschlüssen, die Sie gefaßt haben - inzwischen ablehnen, dann müssen Sie klarstellen, wie Sie die Sozialabgaben senken wollen, wo wir Deutschen den nationalen Alleingang in Europa doch schon lange machen. Wir haben die höchsten Sozialabgaben und europaweit die höchste Belastung auf dem Faktor Arbeit. Sie müssen sagen, wie Sie die Senkung um vier Prozentpunkte, so wie wir sie in einer Legislaturperiode anstreben, erreichen wollen. Legen Sie die Wahrheit auf den Tisch!
Die Arbeitgeber haben die Alternative vorgestellt, nämlich die Absenkung des Rentenniveaus auf das einer Mindestrente, die Kürzung der Krankenkassenausgaben um 20 Prozent und eine drastische Kürzung des Arbeitslosengelds. Das ist die Alternative zu einer ökologisch-sozialen Steuerreform, die zudem hilft, unsere Lebensgrundlage zu bewahren.
Wir werden mit dieser falschen Kumpanei mit der Industrie Schluß machen. Die Unternehmen, die wir stärken und stützen wollen, sind die Ökopioniere - Unternehmen, die eben noch etwas unternehmen. Made in Germany wird in Zukunft nicht nur für gute Qualität, sondern auch für clevere Konzepte stehen,
die es Verbraucher und Industrie ermöglichen, Ressourcen und Energie einzusparen und dadurch Kosten zu minimieren. Dieses Land hat Ideen. Es bedarf freilich einer Regierung, die den Weg für Innovationen freimacht.
Ich danke.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Birgit Homburger.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die heutige Umweltdebatte ist ein guter Anlaß für eine Bilanz in der Umweltpolitik. Die Umweltpolitik der Koalition und der F.D.P. ist erfolgreich. Der Umweltbericht belegt die positive Entwicklung mit Zahlen, die die grüne Weltuntergangsstimmung Lügen strafen.
Die Luftqualität hat sich gewaltig verbessert. Von 1990 bis 1995 wurden die SO2-Emissionen um 60 Prozent und die Staubemissionen um 90 Prozent verringert. Deutschland hat das höchste Abwasserreinigungsniveau in Europa. Mehr als 90 Prozent der Haushalte sind an biologische Kläranlagen angeschlossen. 80 Prozent der häuslichen Abwässer durchlaufen schon die dritte Reinigungsstufe. Auch die Abfallmengen im Zeitraum zwischen 1990 und heute sind deutlich rückläufig.
Birgit Homburger
Heute klagt man nicht mehr über Müllberge; heute klagt man über nicht ausgelastete Kapazitäten bei den Müllverbrennungsanlagen und bei den Deponien. Der jährliche Verpackungsverbrauch ist um 12 Prozent gesunken. Da Sie immer ständig kritisieren, daß nichts passiert, müssen Sie sich diese Zahlen schon sagen lassen.
Kein Land hat so viele öko-auditierte Betriebe wie Deutschland, keines eine so hohe Mehrwegquote wie wir. Deutschland hat den höchsten Anteil von Katalysatoren bei Pkws in Europa. In keinem Land Europas gibt es schon so viele Pkws, die die Euro-3Abgasnorm einhalten. Bei der Produktion von Strom aus Windenergie liegt Deutschland weltweit an der Spitze, inzwischen sogar noch vor den USA. Am Weltmarkt für Umwelttechnologien nimmt Deutschland, gemeinsam mit den USA, mit einem Anteil von 18,7 Prozent den Spitzenplatz ein.
Das sind Zahlen, die unsere erfolgreiche Umweltpolitik belegen.
Es gibt also überhaupt keinen Grund für Schwarzmalerei der Grünen. Die F.D.P. ist in dieser Wahlperiode - das unterscheidet uns eben - stets für eine möglichst marktwirtschaftliche Ausrichtung der Umweltpolitik eingetreten, für mehr Umweltschutz bei - gleichzeitig - mehr Freiheit, für Kostensenkung und weniger Bürokratie.
Die Umweltpolitik der Grünen dagegen steht für mehr Bürokratie, für mehr Bevormundung und für Abkassieren.
Hätten die Grünen das Sagen gehabt - das kann man aus ihren Anträgen und teilweise aus ihren eingebrachten Gesetzentwürfen in dieser Legislaturperiode folgern -, dann hätte die Verwirklichung ihrer umweltpolitischen Vorstellungen Deutschland zum Stillstand gebracht, die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie gefährdet und die Arbeitslosigkeit gefördert.
Die Verwirklichung dieser Vorstellungen hätte nicht zuletzt die Bürger durch horrende Abgaben massiv zusätzlich belastet. Dieses Kontrastprogramm können wir an allen wichtigen Umweltvorhaben dieser Koalition, die wir immer im einzelnen diskutiert haben, belegen.
Beispielsweise hat die Koalition 1995 mit dem Umweltauditgesetz den Rahmen für ein freiwilliges, integriertes betriebliches Umweltmanagement gesetzt. Gleichzeitig wurde das Berufsbild des Umweltgutachters geschaffen. Das Gesetz ist ein Erfolg: Mittlerweile wurde die Zahl von 1300 registrierten Standorten, die sich am Öko-Audit beteiligen, überschritten. Jetzt muß den auditierten Betrieben endlich eine Entlastung von staatlicher Überwachungsbürokratie eingeräumt werden.
Diese Forderung haben wir immer wieder erhoben. Aber was wollten Sie von den Grünen? Sie verlangten eine neue staatliche Zulassungsbürokratie beim Umweltbundesamt und eine Sperrminorität der Umweltverbände. So hätten Sie die Akzeptanz dieses freiwilligen Instruments bei der Wirtschaft auf Null gefahren. Aber gerade das Instrument des freiwilligen Öko-Audits ist ein neues Instrument, das Potentiale erschließt, die Sie mit staatlichen Vorgaben gar nicht erreichen können, und das Dynamik in den Bereich der Umweltpolitik bringt. Das wäre nicht zu erreichen gewesen, wenn Sie Ihre Politik durchgesetzt hätten.
Durch die sogenannten Beschleunigungsgesetze haben wir dafür gesorgt, daß Investitionen in Deutschland wieder schneller durchgeführt werden - ohne Abstriche am Umweltschutzniveau und ohne Einschränkung der Öffentlichkeitsbeteiligung. Der Beitrag der Grünen: Ablehnung. Sie haben keinerlei Handlungsbedarf gesehen. Ich frage mich manchmal: Hat noch nie jemand von Ihnen mit Unternehmern, auch mit Unternehmern aus dem Bereich der Umwelttechnologie, gesprochen?
Sonst müßten Sie etwas über den Behördenhindernislauf derjenigen, die in Deutschland investieren und Arbeitsplätze schaffen wollen, wissen.
Zum Glück hören wir jetzt wieder von einigen Betrieben, daß wir mit Hilfe der Beschleunigungsgesetze in diesem Bereich wieder Anschluß an die Praxis der Mitbewerber gefunden haben.
Mit der Novellierung des Wasserhaushaltsgesetzes hat die Koalition die Weichen in Richtung Kostensenkung gestellt. Die Voraussetzungen für kostengünstigere dezentrale Konzepte der Abwasserbeseitigung wurden verbessert. Ebenso wird die Privatisierung durch die Möglichkeit der vollständigen Pflichtenübertragung auf Privatunternehmen gefördert. Die Position der Grünen: Ablehnung des Gesetzes, Ablehnung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, Ablehnung der Flexibilisierungs- und Privatisierungsansätze. Das heißt: Ablehnung aller Ansätze, um auf diesem wichtigen Feld - auch bundespolitisch - die Signale auf Kostensenkung zu stellen und dies rechtlich zu flankieren. Sie stehen auch auf diesem umweltpolitischen Feld für Gebührenerhöhung und für Gefährdung von Arbeitsplätzen. Wenn man sich vor Ort in den Kommunen anschaut, wie sich die Abwassergebühren entwickelt haben, dann kann man feststellen: Das werden die Bürgerinnen und Bürger nicht mehr weiter akzeptieren.
In der Abfallpolitik haben wir die Produktverantwortung ausgebaut. Die rückläufigen Abfallmengen - ich habe die entsprechenden Zahlen schon genannt - belegen die Wirksamkeit unserer Politik.
Birgit Homburger
Inzwischen gibt es freiwillige Selbstverpflichtungen für das Recycling von Altpapier, Altautos, Bürotechnik, Baustellenabfälle und schadstoffarme Batterien. Mit der Altauto-Verordnung und der Batterieverordnung haben wir im Deutschen Bundestag und im Bundesrat die notwendigen Begleitverordnungen geschaffen. Für Büro- und Kommunikationstechnik ist das derzeit in Vorbereitung.
Die F.D.P. setzt sich auch weiterhin für die Privatisierung im Abfallbereich ein, denn dadurch schaffen wir Wettbewerb und letztlich auch Kostendämpfung für die Bürger.
Aus dem gleichen Grund wollen wir mit der Novelle der Verpackungsverordnung, die zu diesem Zeitpunkt wieder einmal den Bundesrat beschäftigt, mehr Wettbewerb ermöglichen. Ich hoffe sehr, daß der Bundesrat heute zu einem Ergebnis kommt.
Die Forderung der Grünen: Sie wollen das genaue Gegenteil, eine Rekommunalisierung der Abfallwirtschaft, also Vorrang für öffentliche Unternehmen zu Lasten der mittelständischen privaten Entsorgungswirtschaft. Damit es richtig teuer wird, verlangen die Grünen auch noch eine Sonderabfallabgabe und eine Verpackungsabgabe. Garniert wird diese Politik dann noch mit Verboten für bestimmte Verpackungsarten, spezifischen Mehrwegquoten für alle möglichen Getränke und staatlichen Produktionsvorgaben zur Recyclingfähigkeit für Autos. Glauben Sie denn wirklich, daß grüne Umweltpolitiker und Umweltminister die besseren Autoingenieure sind? Und wer soll das alles vollziehen, überwachen und zum Schluß dann auch bezahlen? Haben Sie sich das überhaupt irgendwann überlegt?
Mit dem Bodenschutzgesetz hat die Koalition nun auch das wichtige Medium Boden in einem eigenen Gesetz geschützt, die Altlastensanierung erleichtert, vereinfacht und preiswerter gemacht. Damit fördern wir Investitionen auf Altstandorten und die Benutzung von Brachflächen. Durch bundeseinheitliche Sanierungs- und Nutzungsgrenzwerte haben wir Rechtssicherheit für Investoren, Kommunen und Planer geschaffen.
Durch differenzierte Sanierungsvorgaben je nach geplanter Nutzung verhindern wir unnötige „Luxussanierungen". All diejenigen, die sich an der Debatte beteiligt haben, wissen, was ich damit meine. Das komplizierte bürokratische Sanierungsverfahren wird durch einen Sanierungsplan, der alle anderen Erlaubnisse umfaßt, ersetzt.
Die Forderungen der Grünen: Sie lehnen die Vollregelungen des Bundes ab. Sie wollten mit 16 zusätzlichen Landesgesetzen den Grenzwertewettlauf der Bundesländer und der Behörden fortsetzen. Natürlich muß wieder eine Abgabe her, diesmal die Versiegelungsabgabe, damit Bauen noch teurer wird. Die
Sanierungsanforderungen wollten Sie hochschrauben, womit Investitionen verhindert worden wären. Dazugekommen wären überzogene Anordnungsbefugnisse der Behörden. Schließlich sollte, quasi durch die Hintertür, der Straßenbau in Deutschland unterbunden werden.
Das alles ist nachzulesen im Gesetzentwurf der Grünen. Das ist der grüne Totalitarismus mit noch mehr Regelungsdichte, noch mehr Bürokratie und höheren Abgaben.
Die F.D.P. hat im Steuerreformpaket der Koalition ihren Vorschlag eines dritten höheren Mehrwertsteuersatzes auf Energie einbringen können. Damit wollen wir den Verbraucher zu einem sparsameren Umgang mit dem „Rohstoff" Energie veranlassen, und zwar genau an der Stelle, an der die CO2-Minderungspotentiale vorliegen - allerdings ohne die Steuerlast zu erhöhen; die direkten Steuern sollen gleichzeitig und in stärkerem Maße gesenkt werden. Ziel ist hier eine Nettoentlastung der Bürgerinnen und Bürger.
Gefährlich ist dagegen das Ökosteuerkonzept der Grünen. Im Augenblick sind sie da beim Zurückrudern, aber sie haben schriftlich festgelegt, was sie im Laufe dieser Legislaturperiode alles gefordert haben. In ihrem Energiesteuergesetzentwurf fordern sie eine Energiesteuer, die jährlich um 7 Prozent bis auf 111 Milliarden DM im zehnten Jahr steigen soll. Zusätzlich wollen die Grünen, daß die Mineralölsteuer auf 5 DM angehoben wird - oder sind es jetzt 4,80 DM oder 4,60 DM? Auch diese Zahlen sind in Anträgen aufgetaucht. Bei dem Preis sind 20 Pfennig mehr oder weniger eigentlich egal, denn sozial Schwächere werden sich das Autofahren in keinem Fall mehr leisten können. Mehreinnahmen: 124 Milliarden DM. Das alles summiert sich zu einer steuerlichen Nettomehrbelastung im zehnten Jahr von 56 Milliarden DM,
die für staatliche Subventionsprogramme ausgegeben werden sollen. Dazu kommt noch die Schwerverkehrsabgabe und die Nahverkehrsabgabe. Leider habe ich nicht mehr nachgucken können, was noch alles an Abgaben in Ihrem Programm steht.
Diese Pläne sind ein gigantisches, gefährliches Experiment mit unseren Arbeitsplätzen. Das können Sie auch nicht wegdiskutieren, Frau Hustedt. Das ist politisches Monopoly. Herr Fischer, es wird Ihnen nicht gelingen, die Anträge der letzten vier Jahre und das grüne Wahlprogramm vor den Wählern zu verstecken und sie über diesen steuerlichen Großangriff zu täuschen. Die Wähler werden das merken, und Sie werden die Quittung bekommen.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Eva Bulling-Schröter.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das umweltpolitische Thema der letzten Tage und auch heute ist der Eklat um die Castor-Transporte. Die Tickermeldungen überschlagen sich auch heute wieder, und am Montag werden wir im „Spiegel" lesen, wer was wann gewußt hat. Vielleicht erzählen Sie uns nachher etwas dazu.
Castor - ein strahlendes Symbol für Nichtnachhaltigkeit nicht nur beim Transport, sondern auch gegenüber kommenden Generationen. Die Dümmsten in diesem Land merken jetzt, wie gefährlich diese Atomenergie ist. Da, denke ich, sind wir durch diese Skandale im Bewußtsein der Bevölkerung inzwischen ein ganzes Stück weitergekommen.
Doch nicht nur dieser Skandal, sondern auch das Umweltgutachten des Sachverständigenrates sollten Anlaß zum Rückblick auf die letzten vier Jahre christlich-liberaler Umweltpolitik bieten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Vor dem Hintergrund der oben beschriebenen Entwicklungen und gemessen am Regelungsbedarf fällt die umweltpolitische Bilanz der Bundesregierung in der Berichtsperiode eher bescheiden aus.
Dies ist keine Einschätzung meiner Gruppe, sondern ein Zitat aus dem Gutachten. Die vom Sachverständigenrat kritisierten Entwicklungen werden unter anderem folgendermaßen beschrieben:
Umweltpolitik ist zunehmend nur genehm, wenn sie nur geringe Kosten verursacht.
Oder an anderer Stelle:
Demgegenüber wird aber mancherseits gegenwärtig im Grundsatz der Nachhaltigkeit zuallererst eine Chance für den Abbau des Umweltschutzes zur Stärkung des Wirtschaftsstandortes Deutschland gesehen.
„Mancherseits" ist wohl eine vornehme Umschreibung für die Chefetagen von Banken und Konzernen.
Und was die Stärkung des Wirtschaftsstandortes angeht, so läßt sie sich in den Bilanzkurven an den Wänden der Chefetagen ablesen: Gewinne nach oben, Zahl der Arbeitsplätze nach unten.
Nach den Beschleunigungsgesetzen im letzten Jahr sind die Unternehmen nun auch vielfach von lästiger Bürgerbeteiligung in Genehmigungsverfahren befreit worden. Ein „Dank" an die Bundesregierung, aber auch an die SPD, die das ja mitgetragen hat.
Wenn Frau Merkel gegenwärtig wegen des Gastors im Feuer steht, so kann man ihr die Verantwortung für das umweltpolitische Rollback in dieser Legislaturperiode nur teilweise zuschreiben. Alle anderen Ressorts haben kräftig mitgeschoben: Wirtschaft, Bau, Landwirtschaft, Finanzen und andere - eben so, wie sich die entsprechenden Wirtschaftslobbys ihren Durchmarsch durch die Institutionen organisieren.
Nun hat das BMU zu einem vermeintlichen Befreiungsschlag ausgeholt: ein umweltpolitisches Schwerpunktprogramm „Nachhaltige Entwicklung in Deutschland" . Nicht daß ein solches Programm grundsätzlich abzulehnen wäre - im Gegenteil, es wird ja von seiten der Opposition immer angemahnt -, doch es wird am Ende der Amtszeit abgeliefert und nicht zu deren Beginn. Deshalb wirkt es mehr als Wahlkampftreibstoff, weniger als Dokument des Aufbruchs.
Doch ein Aufbruch ist nötig. Denn wie schreibt der Sachverständigenrat? Er formuliert, der Wechsel von einer überwiegend emissions- und technikbezogenen Umweltpolitik hin zu einer stärker qualitätsorientierten Umweltpolitik sei in Deutschland nicht vollzogen worden. Und weiter schreibt er, eine auf Dauer akzeptable Umweltqualität könne nicht allein durch die in Deutschland erfolgreich betriebene Politik der Emissionsminderung erreicht werden.
Auf dem Papier hat dies auch das BMU begriffen. Sowohl die Studie des Umweltbundesamtes „Nachhaltiges Deutschland" als auch das Schwerpunktprogramm der Umweltministerin greifen Themen wie wachsenden Ressourcenverbrauch, Flächenversiegelung oder Umweltschäden des Verkehrs auf. Deshalb solle nachhaltige Entwicklung zur Aufgabe aller Politikbereiche werden, kann man lesen. - Ein großer Anspruch! Doch wer einen Blick in den Bundeshaushalt oder in die Verkehrsprogramme von Bund und Ländern wirft, sieht sofort, wie gering der Einfluß des Umweltressorts auf die Wirtschafts-, Finanz-, Verkehrs- oder Landwirtschaftspolitik ist.
Der schwindende Einfluß manifestiert sich auch in der Gesetzgebung und schreibt sich somit in die Zukunft fort. So haben sich die gesetzlichen Grundlagen für die eng mit dem Umweltschutz verbundene Raumordnung in dieser Legislaturperiode zu Lasten des Umweltschutzes verschlechtert. Auch die Chancen, die das neue Bundesbodenschutzgesetz geboten hätte, wurden verspielt.
Wir können alle gespannt sein, auf welchem Wege die Bundesregierung ihr Ziel, den zusätzlichen täglichen Flächenverbrauch von gegenwärtig 106 Hektar auf 30 Hektar zu reduzieren, erreichen will. Eine Versiegelungsabgabe ist genauso wenig Bestandteil des Bodenschutzgesetzes wie eine umfassende Entsiegelungspflicht.
Zum Trauerspiel um die gescheiterte Novellierung des Bundesnaturschutzgesetzes schreibt der Umweltrat:
Es ist nicht hinnehmbar, daß die nur noch wenigen schutzwürdigen Biotope in Deutschland dem Streit um Ausgleichszahlungen für die Landwirte zum Opfer fallen. Der Umweltrat wiederholt zudem seine Forderung, auch die „ordnungsgemäße Landwirtschaft" konkret anhand der ökologischen Erfordernisse zu definieren. Der Umweltrat fordert die Bundesregierung erneut auf, dem Naturschutz größeres Gewicht zukommen zu lassen und die überfällige grundlegende Novellie-
Eva Bulling-Schröter
rung des Bundesnaturschutzgesetzes nicht an den gegenläufigen Interessen von Landwirtschaft, Verkehr und Industrie scheitern zu lassen.
Ich denke, dies ist eine deutliche Sprache.
Noch eines: Sie führen mit den Ausgleichszahlungen an die Bauern Wahlkampf. Darüber wurde schon damals in dieser Debatte diskutiert. Nur, ich meine, diese Bauernfängereien glauben Ihnen auch die Bauern nicht mehr. Wir werden im Wahlkampf in Bayern sehen, ob sich die führenden Kräfte Ihrer Parteien bei Veranstaltungen immer noch durch den Hintereingang heraus- und hineinbegeben müssen, weil vorn die Bauern stehen.
Im Umweltprogramm der Bundesregierung wird festgestellt, daß Effizienzsteigerungen in der Wirtschaft nicht automatisch zu einem absoluten Rückgang des Ressourcenverbrauchs führen. Vielfach werde der technische Fortschritt durch wachsende Produktions- und Verbrauchsmengen wieder aufgezehrt. Dieses Dilemma der auf Wachstum programmierten Profitwirtschaft - aus stofflicher Sicht eines der wesentlichen Probleme der Nichtnachhaltigkeit - wird aber geradezu läppisch mit dem Verweis auf die Stärkung der Eigenverantwortung von Bürgerinnen und Bürgern, gesellschaftlichen Gruppen und Unternehmen aufgelöst. Auf wundersame Weise soll so die Materialproduktivität bis 2020 auf das Zweieinhalbfache erhöht werden, die Energieproduktivität soll sich verdoppeln. Alles soll innovativ werden; in dem Punkt überschneiden sich auch die Auffassungen des BMU und der SPD.
Es mutet übrigens schon etwas verwirrt an, daß zwei Jahre nach den verheerenden Beschneidungen der Bürgerbeteiligung durch die letzte Welle der berüchtigten Beschleunigungsgesetze im vorliegenden Programm die Stärkung der Eigenverantwortung von Bürgerinnen und Bürgern und allen gesellschaftlichen Gruppen gefordert wird. Der Text läuft folgerichtig auch nur verbal auf eine Stärkung nichtstaatlicher Kräfte hinaus. Konkret werden nur die Instrumente benannt, welche Unternehmen mittels Selbstverpflichtungen oder Kooperationen von verbindlichen und sanktionsbewehrten staatlichen Vorgaben befreien.
Nach den Vorstellungen der Bundesregierung soll die Lokale Agenda 21 den Bürgerinnen und Bürgern Möglichkeiten zur Gestaltung ihres unmittelbaren Umfeldes geben. Doch Agendaprozesse können wohl keinesfalls eine juristisch abgesicherte Bürgerbeteiligung in Verwaltungsverfahren ersetzen.
Meine Redezeit ist leider zu Ende. Ich wollte noch etwas zu den überdimensionierten Müllverbrennungsanlagen sagen, die jetzt auch in den neuen Bundesländern entstehen sollen. Ich meine, diese Dinge sind kontraproduktiv. Deswegen brauchen wir am 27. September eine neue Regierung.
Das Wort hat jetzt die Frau Bundesministerin Angela Merkel.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir beraten heute über den Umweltbericht, den wir im Kabinett vor zehn Tagen verabschiedet haben. Ich halte diese Debatte zum jetzigen Zeitpunkt, zum Ende einer Legislaturperiode, für außerordentlich wichtig.
Als erstes möchte ich ein Wort an Frau Hustedt richten. Frau Hustedt, wenn Sie uns unterstellen, wir hätten durch Verharmlosung der Umweltgefährdungen einen Beitrag dazu geleistet, daß das Umweltbewußtsein in Deutschland nicht mehr so hoch sei, wie wir es uns vielleicht gemeinsam wünschen, dann kann ich Ihnen nur sagen: Mit Ihrem Beschluß über einen Benzinpreis von 5 DM haben Sie die seit langem schlimmste Attacke gegen jegliches aufkeimendes Umweltbewußtsein in der deutschen Gesellschaft geritten, die ich kenne.
Sie haben dem Umweltschutz schweren Schaden zugefügt, haben das selber erkannt und versuchen jetzt, sich vor Ihren eigenen Beschlüssen zu drücken und davon abzulenken,
indem Sie uns Verharmlosung der Umweltgefährdungen vorwerfen. Das zeigt genau Ihre Art, an die Lösung der Probleme heranzugehen: Das Befinden der Menschen interessiert Sie überhaupt nicht. Sie wollen Ihre Vorstellungen durchsetzen; ob es Mehrheiten oder Minderheiten dafür gibt, interessiert Sie nicht. Damit haben Sie der Bereitschaft der Menschen, sich für Umweltfragen zu engagieren, schweren Schaden zugefügt.
Frau Hustedt, Sie haben gebeten, daß wir Allianzen bilden. Frau Hustedt, wir haben mit unserem Diskussionsprozeß - auf Anregung des Sachverständigenrates für Umweltfragen -
Umweltziele definiert und ein Instrument - ein Umweltbarometer - für das Messen von Umwelterfolgen und -mißerfolgen entwickelt.
In Deutschland wird die Umweltverantwortung von vielen wahrgenommen. Dazu gehört der Staat, der vor allen Dingen die Gefahrenabwehr und die Vorsorge zu gewährleisten hat, aber auch die Akzeptanz der gesellschaftlichen Gruppen. Deshalb haben wir mit 130 gesellschaftlichen Gruppen - mit fortschrittlichen, mit weniger fortschrittlichen, mit solchen, die Bedenken haben, und mit solchen, die zu
Bundesministerin Dr. Angela Merkel
produzieren und Arbeitsplätze zu schaffen haben - im Sinne des Auftrags der nachhaltigen Entwicklung gesprochen, um einen Dreiklang von Ökonomie, sozialen Anliegen und Umweltanliegen zu schaffen. Das ist nämlich die Aufgabe in diesem Lande.
Wir sind sowohl im Bereich des Regierungshandelns - natürlich auch durch die Unterstützung des Parlaments - sowie im internationalen Bereich als auch im Bereich des freiwilligen Engagements der Wirtschaft vorangekommen. Wir haben das Bundes-Bodenschutzgesetz verabschiedet. Das hat gedauert; aber zum Schluß haben wir in Bundestag und Bundesrat ein wichtiges • Gesetzeswerk verabschiedet und damit das dritte Medium, den Boden, geschützt. Ich glaube, das ist ein Meilenstein zum Abschluß der Umweltgesetzgebung zu Boden, Wasser und Luft. Darauf können wir stolz sein.
Bei der Novellierung des Bundesnaturschutzgesetzes haben wir - das ist wahr - in zwei Schritten vorgehen müssen. Die Ursache dafür war, daß es auf seiten der Opposition keinerlei Bereitschaft gab, sich mit uns über Fragen des Ausgleichs bei Naturschutzmaßnahmen zu verständigen. Das hat der Akzeptanz des Naturschutzes in den Bereichen, in denen er stattfindet, nämlich in den ländlichen Räumen, wiederum schweren Schaden zugefügt.
Wir haben uns oft und ausführlich darüber unterhalten. Der Vorwurf, es gehe dabei nur um Interessen der Bauern - wobei daran nichts Schlechtes ist, denn die Menschen leben von der Bewirtschaftung des Bodens -, ist einfach nicht wahr. Jeder von Ihnen weiß, daß die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie im Augenblick leider - ich betone: leider - mehr als ein Instrument zur Verhinderung von Infrastrukturvorhaben verwendet wird als dazu, wozu sie in Wirklichkeit da ist, nämlich zum Schutz von Biotopen in ganz Europa. Deshalb hoffe ich, daß der zweite Teil der Novellierung des Bundesnaturschutzgesetzes, der heute im Bundesrat beraten wurde, ebenfalls ein Erfolg wird.
Wir haben bei der Weiterführung unserer Maßnahmen zum Klimaschutz erhebliche Fortschritte gemacht. Frau Hustedt, ich finde es ein bißchen unfair - das muß man einmal ganz klar sagen -, wenn Sie mich fragen, wo ich bei den Demonstrationen für das Stromeinspeisungsgesetz war. Soll ich Ihnen sagen, wo ich war? Ich war dort, wo ich hingehöre: Ich habe das Stromeinspeisungsgesetz vernünftig an das Energiewirtschaftsgesetz angepaßt.
Zum Schluß haben Sie gemeinsam mit Frau Höhn den Eindruck erweckt, daß Sie das Gesetz gemacht hätten.
Dazu muß ich Ihnen sagen: Wir haben das, was wir als Regierung und als parlamentarische Mehrheitsfraktion als Auftrag haben, gemacht. Wir haben dieses Stromeinspeisungsgesetz ganz vernünftig an das
Energiewirtschaftsgesetz angepaßt; wir haben die Biomasse zusätzlich gefördert.
Im übrigen haben wir uns für das Ganze - soviel zum Thema Distanz zu den EVU - von Herrn Harig und der Preussenelektra beim Bundesverfassungsgericht verklagen lassen. So ist das mit unserer Gesetzgebungstätigkeit.
Denn wir halten die Förderung von regenerativen Energien für richtig und für außerordentlich wichtig.
Sie, Frau Hustedt, waren wahrscheinlich dabei - ich weiß es nicht genau, Herr Fischer war es jedenfalls -, als für die Erhaltung der Steinkohlesubventionen demonstriert wurde. Damals habe ich mich wirklich gewundert, inwieweit sich das mit den CO2-Minderungen verträgt. Ich fand es außerordentlich komisch, gegen die Braunkohle und für die Steinkohlesubventionen zu sein - wobei man sich dabei auch fragen kann, wozu man das Geld noch verwenden kann - und dann auch noch so zu tun, als ob Sie das Stromeinspeisungsgesetz novelliert hätten. Ich hoffe, Sie stehen uns dann wenigstens bei der Klageschrift gegen die Preussenelektra geistig zur Seite, auch wenn wir sie natürlich auch alleine hinbekommen werden.
Wir haben den Umweltschutz mit einer ganzen Anzahl von Programmen über die Kreditanstalt für Wiederaufbau gestärkt. Im Berichtszeitraum haben wir beinahe 4 Millionen Wohnungen wärmetechnisch saniert. Dieses Programm ist 1996 über die neuen Bundesländer hinaus auf die gesamte Bundesrepublik ausgeweitet worden. Dies halte ich für ganz wichtig, zumal die Kredite hier auch sehr gut angenommen werden.
Zur Förderung der Stromerzeugung aus Sonnenenergie haben wir das 50000-Dächer-Programm der Deutschen Ausgleichsbank auf den Weg gebracht. Seit 1990 stieg die Zahl der installierten Anlagen von 138 auf 11260. In Gelsenkirchen entsteht derzeit die weltgrößte Produktionsanlage für Solarzellen, und es zeichnet sich ab, daß Deutschland beim Anbruch des Solarzeitalters keineswegs, wie noch vor wenigen Jahren befürchtet, hinter Japan und den USA zurückstehen wird. Auch der Bundesforschungsminister hat es durch seine Maßnahmen geschafft, daß Solarproduktion in Deutschland wieder stattfindet.
- Nehmen Sie dies doch zur Kenntnis, und freuen Sie sich mit uns darüber.
Bundesministerin Dr. Angela Merkel
Meine Damen und Herren, wir haben auch das Atomgesetz novelliert, und zwar so, daß Nachrüstungen für mehr Sicherheit in den Kraftwerken möglich bleiben und daß auch technische Neuerungen und Neuentwicklungen weiter durchgeführt werden können. Ich sage Ihnen nur, daß unser Engagement in dieser Frage in Mittel- und Osteuropa außerordentlich wichtig ist und daß wir mit ihm einen praktischen Beitrag dazu leisten, daß mittel- und osteuropäische Kraftwerke nicht mit veralteter Technologie weiterlaufen, sondern daß sie mit vernünftigen, neuen Sicherheitsanlagen nachgerüstet werden.
Auch bei der Kreislaufwirtschaft sind wir vorangekommen. Im Oktober 1996 ist das Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz in Kraft getreten. Ich muß an dieser Stelle sagen: Es ist ein absolutes Manko, daß bis zum heutigen Tage mit den Ländern keine Übereinstimmung darüber erzielt werden konnte, wie „Abfall zur Beseitigung" begrifflich von „Abfall zur Verwertung" getrennt wird. Sie müssen sich einmal ansehen, in welcher Art und Weise diese Verhandlungen stattfinden und wie die verschiedenen Länder - hier habe ich insbesondere die A-Länder im Blick - versuchen, Verwertungsmöglichkeiten zu minimieren, um weiter auf Beseitigung zu setzen, weil man offensichtlich glaubt, dadurch Kosten senken zu können. Damit vergibt man aber Verwertungskapazitäten.
Ich kann Ihnen mitteilen, daß die Verpackungsverordnung soeben im Bundesrat in einer Form beschlossen wurde, von der ich hoffe, daß sie die Akzeptanz der Bundesregierung und des Parlamentes findet.
Was wir uns auf diesem Gebiet wegen völliger Uneinigkeit der Länder drei bis vier Jahre lang auf dem Rücken der Menschen, die mit einem hohen Umweltbewußtsein Verpackungen trennen und in die verschiedenen Systeme einspeisen, geleistet haben, spottet jeder Beschreibung. Ich bin sehr dankbar, daß dieser Beschluß heute endlich gefaßt worden ist.
Es ist auch vernünftig, daß wir inzwischen die Altautoverordnung verabschiedet haben.
Das ist ein großer Erfolg beim Recycling der Autos. Frau Hustedt, Sie werden sehen: Alle unsere Umweltvorgaben, die wir in dieser Altautoverordnung niedergelegt haben, sind jetzt Vorbild für die Richtlinie, die in der Europäischen Kommission erarbeitet wird.
Unsere 95 Gewichtsprozent Recycling bis zum Jahre 2015 sind genau der Standard, den sich auch die Europäische Kommission vorgenommen hat.
Mit der Batterieverordnung sind wir vorangekommen. Wir haben - wie Frau Mehl schon gesagt hat - die TT-Verordnung vor kurzem in einer schmalen Variante im Kabinett beraten. Damit bin ich nicht zufrieden; das muß ich der Ehrlichkeit halber sagen. Wir wollen sie nicht durchpeitschen. Wir denken uns nur, da Sie schon so lange darauf warten, werden Sie mit Wohlwollen versuchen, sie noch zu verabschieden. Es wäre doch schön, wenn wir uns darüber nicht zu streiten brauchten.
Wir haben im Bereich der Mobilität erhebliche Fortschritte machen können, insbesondere durch die emissionsbezogene Kfz-Steuer. In Europa sind wir in Richtung der Vereinbarung von Euro-3- und Euro-4Normen auf einem guten Wege. Deutschland ist an dieser Stelle vorangeschritten und verlangt auch verbindliche Werte bezüglich der Euro-4-Norm für das Jahr 2005. Wir werden ein Vermittlungsverfahren im Europäischen Parlament haben. Ich hoffe, der parlamentarische Druck trägt dazu bei, daß das, was wir brauchen, nämlich definierte Normen für die Zukunft, auch durchgesetzt werden kann.
Mit folgendem Punkt können wir nicht zufrieden sein - hier wurde ja Shell als ein Konzern gewürdigt, der alles, was Umwelt anbelangt, voll erkannt hat -: Die Mineralölwirtschaft verweigert sich leider noch in einem für mich nicht ganz nachvollziehbarem Maße den neuen Treibstoffqualitäten. Die Automobilindustrie braucht diese Treibstoffqualitäten. Wenn Sie, Frau Hustedt, eine Allianz mit Shell eingehen wollen, dann könnten Sie sich vielleicht einmal für den schwefelarmen Kraftstoff einsetzen. Dieser wäre bitter nötig.
Wir haben im Rahmen der emissionsbezogenen Kfz-Steuer eine Förderung für das Fünf- und das Dreiliterauto eingebaut, weil wir glauben, daß diese Autos auf den Markt kommen müssen.
Wir haben mit der Bahnreform - das ist eines der größten Projekte, um in der Zukunft eine bessere Auslastung der Bahn zu erreichen -
und der Regionalisierung des öffentlichen Personennahverkehrs - Sie wissen genau, daß Teile des Mineralölsteueraufkommens zur Förderung des öffentlichen Personennahverkehrs verwendet wurden; auch dies ist ein Beitrag dieser Koalition - die Grundlage dafür gelegt, daß eine Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf die Schiene unter marktwirtschaftlichen Bedingungen überhaupt stattfinden kann.
Sie werden es in einer modernen Industriegesellschaft niemals schaffen, daß Verlagerungen stattfinden, wenn Sie nicht auch effiziente Technologien einsetzen.
Bundesministerin Dr. Angela Merkel
Meine Damen und Herren, wir haben in unserem Umweltbericht gezeigt, daß in einer Vielzahl von Fällen Indikatoren für den Aufbau nachhaltiger Strukturen gefunden wurden, mit denen wir die Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Umweltbelastung feststellen konnten. Frau Bulling-Schröter, Sie sagen, an vielen Stellen werde der geringere Ressourcenverbrauch durch eine höhere Summe von Inanspruchnahmen wieder aufgefressen. Hierzu ist zu sagen, daß sich die Bevölkerungszahl in Deutschland seit 1990 um 2,4 Millionen erhöht hat. Das ist eine Tatsache, der wir uns offensiv stellen müssen, die aber nicht gerade eine Voraussetzung dafür ist, daß der Umweltverbrauch reduziert wird.
Wir haben Reduktionen beim Ausstoß von Schwefeldioxid um zwei Drittel, von Stickstoffoxid um ein Drittel, von Kohlenwasserstoffen um 40 Prozent und von Staub um 74 Prozent. Das sind Ergebnisse, die vor allen Dingen die neuen Bundesländer betreffen. Hier muß man aber einmal ganz klar sagen: Es gab nicht nur eine Wirtschafts- und Währungsunion. Es gibt mittlerweile zwischen den neuen und den alten Bundesländern auch eine weitgehend vollendete Umweltunion. Dies ist ein Erfolg dieser Bundesregierung und dieser Parlamentsmehrheit.
Wir haben in den neuen Ländern 700 Kläranlagen sowie Abwasserleitungen in einer Länge von 13 000 Kilometern neu aufgebaut. Infolge der Sanierungsmaßnahmen haben sich Luft- und Gewässerqualität deutlich verbessert. Sie sehen das an der Elbe: Quecksilber minus 81 Prozent, Kupfer minus 57 Prozent und Chrom minus 54 Prozent.
Auch ich möchte noch darauf eingehen, daß der Umweltschutz ein Standortvorteil für den Industriestandort Deutschland ist und bleiben muß. Es geht deshalb darum, diesen Punkt immer wieder in die öffentliche Debatte zu bringen.
Leider wird immer wieder versucht, Umweltschutz und wirtschaftliche Entwicklung gegeneinander auszuspielen.
Wir sind uns völlig einig, daß wir dies nicht tun werden.
- Frau Matthäus-Maier, ich muß wirklich sagen: Mit den Aussagen des Herrn Schröder in relativ allgemeiner Art über die „unsinnige Umweltbürokratie", die er im vergangenen Sommer, wenn ich mich recht erinnere, getätigt hat, hat er nicht gerade den Eindruck verstärkt, daß der Umweltschutz erstens klarer staatlicher Überwachungsregeln bedarf und daß er
zweitens mit Wirtschaftswachstum einhergehen kann, wenn man es denn vernünftig macht. Es kommt ja auch immer auf den allgemeinen Eindruck an, und dieser war verheerend.
- Da werden wir einmal Wähleranalysen machen.
Für uns gilt: Wir sind im Export von Umwelttechnologien wieder Weltspitze geworden.
Wir liegen gemeinsam mit Amerika - in den USA 18,5, bei uns 18,7 Prozent - an der Spitze. Wir haben inzwischen ungefähr 1 Million Beschäftigte in den Bereichen des Umweltschutzes. Wir wollen dies voranbringen, zumal wir wissen, daß Deutschland immer von einem starken Export abhängig sein wird; in der Vergangenheit mit 22 Prozent. Da werden die Umwelttechnologien auch zukünftig eine große Rolle spielen.
Es besteht kein Zweifel: Die Zukunftstechnologien werden für die Frage, ob die Umweltprobleme auf globaler Ebene gemeistert werden können, von entscheidender Bedeutung sein. Schlüsseltechnologien müssen in den Industrieländern weiterentwickelt werden. Deshalb brauchen wir eine offensive Einstellung und ein Klima, das die Ansiedlung von Unternehmen der Solartechnologie und der Gentechnologie und von solchen Unternehmen ermöglicht, die neue und ressourcensparende Technologien anwenden. Deshalb kann ich nur sagen: Die Offenheit des Standortes Deutschland gegenüber neuen Entwicklungen ist eine zwingende Voraussetzung dafür, daß wir die Entkoppelung von Ressourcenverbrauch und Wirtschaftswachstum weltweit hinbekommen. Deshalb ist es so wichtig, daß wir in Deutschland innovationsfreundlich sind; deshalb ist es so wichtig, daß wir mit den Entwicklungsländern kooperieren.
Frau Hustedt und andere, an Ihre Adresse sage ich: Sie wissen genau, daß es nicht richtig ist, wenn Sie behaupten, daß Deutschland für den Klimaschutz national ein schwaches Programm habe und daß wir im internationalen Rahmen nicht das Nötige täten. Auf beiden Ebenen sind wir stark. Die Selbstverpflichtung der deutschen Wirtschaft zur CO2-Minderung
und das Monitoring von RWI belegen ganz deutlich, daß dies weltweit seinesgleichen sucht. Das wissen Sie doch auch.
Die Selbstverpflichtung der deutschen Automobilindustrie, den Treibstoffverbrauch bis zum Jahre
Bundesministerin Dr. Angela Merkel
2005 um 25 Prozent, bezogen auf die Werte des Jahres 1990, zu senken,
ist jetzt Grundlage dafür, daß wir im europäischen Umweltministerrat wahrscheinlich noch im Juni über eine Selbstverpflichtung der europäischen Automobilindustrie diskutieren werden.
Allerdings wird sie gegenüber der deutschen zeitlich etwas verschoben sein. Auch hier hat wieder eine deutsche Selbstverpflichtung Pate gestanden.
Ob Ihnen, Herr Schmidt, das paßt oder nicht: Das muß man sich wirklich einmal vor Augen führen. Dort sitzen grüne Umweltminister; dort sitzen sozialistische Umweltminister; es gibt eine dänische Kommissarin. Das, was wir in Deutschland gemacht haben, ist Vorbild für das, was jetzt in Europa diskutiert werden soll. Ich wundere mich wirklich darüber, daß einige in diesem Parlament die Neigung haben, unsere eigenen Leistungen immer wieder schlechtzureden.
Das ist der schlechteste Beitrag zur Sicherung des Standortes Deutschland, auch im Hinblick auf zukunftsfähige Technologien.
Herzlichen Dank, meine Damen und Herren.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Liesel Hartenstein.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bilanz zu ziehen ist ein notwendiges und legitimes Anliegen in der letzten Umweltdebatte einer Legislaturperiode. Daß diese Bilanz bei Ihnen, Frau Ministerin, und den Sprechern der Koalition anders ausfällt als bei den Sprechern der Opposition, das liegt auf der Hand.
Aber noch wichtiger, als Bilanz zu ziehen, erscheint mir die zweite Aufgabe, nämlich der Blick nach vorn, der Ausblick darauf, was in Zukunft getan werden muß. Da stelle ich fest: Die Hauptarbeit liegt noch vor uns. Sechs Jahre nach Rio sind wir kaum vorangekommen; eine wirkliche Kursänderung hat es leider nicht gegeben. Das muß deutlich gesagt werden.
Wir kennen zwar den Auftrag von Rio. Sie selbst, Frau Ministerin, haben ein Nationales Komitee für Nachhaltige Entwicklung berufen. Ein Bericht liegt vor, aber die politische Umsetzung ist gleich Null. Hier herrscht Stagnation, die beendet werden muß.
Da ich heute zum letztenmal die Gelegenheit habe,
im Deutschen Bundestag zu sprechen,
mögen Sie mir nachsehen, daß ich schnurstracks auf mein Hauptanliegen zugehe, nämlich die ökologische Erneuerung unserer Wirtschaft und Gesellschaft. Denn dies wird nach meiner festen Überzeugung die eigentliche Reformaufgabe für das nächste Jahrhundert sein. Da gibt es kein Ausweichen und kein Drumherumreden mehr.
Das gilt um so mehr, lieber Herr Hirche - vielleicht interessiert Sie das -, als das drückendste Problem unserer Zeit, die Massenarbeitslosigkeit, unmittelbar damit in Verbindung steht, daß Reformen unterlassen wurden. Denn ökonomische wie ökologische Weichenstellungen haben ja immer auch ihre sozialen Auswirkungen. In einer Mitteilung der EU-Kommission vom November letzten Jahres steht der aufschlußreiche Satz:
Die Entwicklung der Volkswirtschaften in der EU ist nicht nachhaltig. Sie sind nach wie vor durch eine Unterbeanspruchung des Arbeitskräftepotentials und eine Überbeanspruchung der Umweltressourcen gekennzeichnet.
Soweit die Kommission.
Genau so ist es. Ebendieses Mißverhältnis muß endlich korrigiert werden. Wir dürfen uns eine energieverschwendende, ressourcenverbrauchende, natur- und flächenfressende Wirtschaft nicht länger leisten, eine Wirtschaft, die gleichzeitig die Menschen wegrationalisiert und die Lebensgrundlagen für die nächste Generation rücksichtslos untergräbt. Bisher war Fortschritt stets mit Erhöhung der Arbeitsproduktivität verbunden. Wir holen heute zwanzigmal mehr Wohlstand aus einer Stunde menschlicher Arbeit heraus als im Jahre 1840. Das hat das Wuppertal-Institut ausgerechnet. Deswegen die Frage: Ist eine weitere Produktivitätssteigerung volkswirtschaftlich noch sinnvoll, zumal dann, wenn sie auf Kosten eines immer höheren Naturverbrauchs geht?
An dieser Stelle, lieber Herr Kollege Laufs, ist das Wort von der ökologischen Steuerreform fällig. Man sollte hier keine Mißinterpretationen verbreiten. Un-
Dr. Liesel Hartenstein
sere zentrale Forderung lautet: Faktor Arbeit entlasten, Faktor Umweltverbrauch belasten!
Wir befinden uns hier in bester Übereinstimmung mit der Europäischen Kommission.
Ich zitiere noch einmal die Kommission:
Wenn der Faktor Umwelt stärker geschont und der Faktor Arbeit stärker genutzt werden sollen, sollten zuallererst die Preisstrukturen angepaßt werden.
Das heißt wörtlich: Arbeit muß billiger und die Nutzung des Faktors Umwelt teurer werden.
Wir sollten den Mut haben, darüber ohne ideologische Scheuklappen miteinander zu reden und auch eine breite Bürgerdiskussion zu führen. Natürlich wissen wir alle, daß solche Lösungen langfristig angelegt sein müssen. Aber daß Energiekosten und Transportkosten im Vergleich zu den Arbeitskosten heute zu niedrig sind, das sehen die Leute selber. Sie halten es mit Recht für absurd, wenn zum Beispiel Textilien bloß wegen des Einziehens von ein paar Nähten von Süddeutschland nach Litauen transportiert werden und wieder zurück, weil dort die Löhne billiger sind und der Transport quasi nichts kostet. Eine vernünftige, eine maßvolle, stufenweise angelegte ökologische Steuerreform würde aus dem Kostenfaktor Umweltschutz einen Nutzenfaktor machen.
Das gilt auch für den umstrittenen Benzinpreis. Dann nämlich käme das Dreiliterauto schneller.
1992 hat Maurice Strong, der Generalsekretär der Rio-Konferenz, unter dem Beifall der Delegierten gesagt, die UNCED-Konferenz sei die letzte Chance, das Steuer herumzuwerfen. Ein ökonomisches System, das sich nicht um ökologische Kosten und Schäden kümmere, sondern ungebremstes Wachstum als Fortschritt betrachte, könnte das Ende unserer Zivilisation bedeuten. Deshalb seien grundlegende Veränderungen in unserem Wirtschaftsleben und in den internationalen Wirtschaftsbeziehungen notwendig. Recht hat er.
Nur, von diesen grundlegenden Veränderungen ist in der Politik der Bundesregierung bislang nichts in Sicht. Aber auch Bundeskanzler Kohl hat die Deklaration von Rio unterschrieben. Wie lange wollen wir noch warten?
Betrachten wir die Resultate der auslaufenden Legislaturperiode unter dem Blickwinkel des Imperativs von Rio, Herr Hirche, dann nehmen sie sich ziemlich kümmerlich aus.
Das trifft auf den Bodenschutz, auf die Abfallwirtschaft und leider auch auf den Klimaschutz zu. Deutschland hat lange das legendäre 25-Prozent-Ziel vor sich hergetragen und sich dafür bewundern lassen. Der Beschluß war richtig, aber das Ziel rückt in immer weitere Ferne.
Der offizielle Umweltbericht 1998 weist aus, daß es zwischen 1990 und 1996 lediglich gelungen ist, 100 Millionen Tonnen CO2 von mehr als 1 Milliarde Tonnen - einzusparen, und zwar unter Einbeziehung der Folgen des Zusammenbruchs der ostdeutschen Industrie. Vor diesem Hintergrund wirkt es wenig überzeugend, wenn die Bundesregierung versichert, man werde in den kommenden Jahren eine Reduktion um 250 Millionen Tonnen jährlich durchsetzen. Emsige Geschäftigkeit im Auflisten von Detailmaßnahmen ersetzt leider noch keine durchgreifende Konzeption.
Ich sehe mit großer Sorge, daß heute wieder zwei Vorstellungen durch die Köpfe geistern, von denen ich glaubte, sie seien überwunden. Die erste lautet, zuerst müsse eine florierende Wirtschaft die finanziellen Mittel bereitstellen, mit denen dann nachträglich Umweltschutzmaßnahmen bezahlt werden können. Die zweite lautet: Umweltschutz und Arbeitsplätze seien unvereinbare Gegensätze, Umweltschutz vernichte letztendlich Arbeitsplätze. Beide Thesen sind falsch. Das Gegenteil ist richtig.
Die erste Vorstellung beruht auf einem längst überholten Reparaturdenken, wonach es Aufgabe der Umweltpolitik sei, Schäden zu beseitigen, die man vorher angerichtet hat. Wir haben längst gelernt, daß wir bei dieser Methode hoffnungslos hinter Umweltverschmutzung und Umweltzerstörung herlaufen und daß Schadensbeseitigung allemal teurer kommt als Schadensvermeidung. Allein die Sozialkosten, die jährlich durch Luftverschmutzung und Lärmbelastung entstehen, belaufen sich auf viele Milliarden DM. Das ist wahrlich eine verrückte Welt. Das Fazit ist klar: Umweltschutz als Reparaturbetrieb rechnet sich nicht. Er führt in eine Sackgasse.
Im übrigen wissen wir heute, daß diejenigen Schäden, die durch schleichende Umweltverschmutzung entstehen, irreparabel sind. Es gibt nämlich nichts mehr zu reparieren, wenn die tropischen Regenwälder vernichtet sind, wenn Millionen Pflanzen und Tierarten bereits ausgerottet sind und wenn das Klima wirklich umkippt. Es ist nicht verantwortbar, diese ökologischen Hypotheken auf den Schultern der kommenden Generationen abzuladen. Sie würden dafür nicht nur mit ihrem Wohlstand, sondern mit ihrem puren Existenzrecht bezahlen.
Arbeit und Umwelt zusammenzubringen; das ist schon seit Beginn der 80er Jahre eines unserer vorrangigen Ziele gewesen. Wir haben dabei einiges erreicht. Der ökologische Umbau eröffnet dafür neue Chancen. EU-weit sind derzeit im Umweltbereich 3,5 Millionen Arbeitsplätze vorhanden. Aber es könnten weitaus mehr sein, wenn es zum Beispiel
Dr. Liesel Hartenstein
ein umfassendes Programm zur Wärmesanierung von Altbauten gäbe, wenn die Nutzung und Entwicklung regenerativer Energien eine Schwerpunktaufgabe der nationalen und europäischen Förderpolitik wäre - sie ist es nicht -, wenn endlich mit dem Bau eines europaweiten Hochleistungsschienennetzes Ernst gemacht würde. Hier liegt politisches Handlungskapital brach.
Industrieproduktion herkömmlicher Art ist hochrationalisiert und kapitalintensiv. Wir wissen das. Angepaßte und umweltverträgliche Technologien und Produktionsformen dagegen sind vorrangig arbeitsintensiv. Ich frage: Warum zieht die Politik keine Schlüsse daraus?
Vieles muß angepackt werden, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wir müssen von der Trägheit des „Weiter so! " Abschied nehmen. Der Zeitpunkt ist gekommen.
Die Verantwortung der Bundesrepublik Deutschland schrumpft nicht, sondern wird in Zukunft noch wachsen, auch auf internationaler Ebene - darin stimme ich mit Ihnen überein, Frau Ministerin -, auch im Bereich der Ökologie. Wir sind insbesondere mitverantwortlich dafür, welchen Weg Europa künftig einschlagen wird, ob es ein Europa der Massenarbeitslosigkeit und der Naturausbeutung sein wird oder ob wir miteinander ein Modell „Nachhaltiges Europa" schaffen, in dem Arbeit für alle, hohe Lebensqualität, soziale Gerechtigkeit und umweltverträgliches Wirtschaften beispielhaft realisiert werden. Hier hätte Deutschland eine Chance, sich in eine wirkliche Vorreiterrolle hineinzuarbeiten.
Ich denke, Deutschland hat auch die Verpflichtung
dazu.
Die Länder des Nordens, die sogenannten reichen Länder, müssen bei der Umsteuerung von Produktion und Konsum aus drei wesentlichen Gründen vorangehen - ich habe schon eine Minute überzogen und muß die Frau Präsidentin fragen, ob ich das noch vortragen darf; danke schön -: erstens, weil wir die Hauptverursacher der globalen Umweltkrise sind - wir verbrauchen drei Viertel der Weltenergieproduktion und produzieren 80 Prozent der klimaschädlichen Gase, obwohl nur 20 Prozent der Menschheit auf der Nordhalbkugel leben -; zweitens, weil wir das technische Know-how und die finanziellen Mittel haben, um neue Wege einzuschlagen; und drittens, weil das Modell der westlichen Industriegesellschaften auch zum Leitbild für die dritte Welt geworden ist.
„In der dritten Welt wird sich nichts ändern, wenn sich in den Industrieländern nichts ändert" , sagt José Lutzenberger, der brasilianische Umweltschützer und Träger des alternativen Nobelpreises.
Das heißt, wer eine dezentrale Versorgung mit regenerativen Energien an Stelle von Großkraftwerken aufbauen will, wer in den Entwicklungsländern sanfte statt harte Technologien durchsetzen will, wer den Schienentransport statt den motorisierten Straßenverkehr fördern will, der kann nur erfolgreich sein, wenn er selbst vorexerziert, daß dieser Weg gangbar und zugleich ökologisch sinnvoll ist.
Das ökologisch Notwendige ist auf Dauer auch das ökonomisch Vernünftige.
Das habe ich gelernt. Es ist ein Wort von Erhard Eppler, das heute noch gilt. Wenn wir alle die Wahrheit dieses Wortes gelernt haben, dann wird sich die falsche Vorstellung von selbst verflüchtigen, der Umweltschutz sei nur ein Dekorationsstück, das man in Schönwetterzeiten ans Revers heftet, in Notzeiten aber eilends ablegt. Dann ist nämlich Ökologie ein integraler Bestandteil unseres Denkens, unseres Wirtschaftens und unserer Lebenswirklichkeit.
Dafür habe ich 20 Jahre lang gekämpft. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Mein Wort zum Abschied, liebe Kolleginnen und Kollegen, soll ein Wort des Dankes sein, des herzlichen Dankes an alle, mit denen ich gut zusammengearbeitet habe, und an alle, mit denen ich mich gestritten habe. Denn Streit, Auseinandersetzung über verschiedene Meinungen ist ein Lebenselexier der Demokratie. Es belebt und bereichert uns ja auch selber.
Am positivsten habe ich dies während der siebenjährigen Arbeit in der Enquete-Kommission „Schutz der Erdatmosphäre" erfahren. Mein Wunsch ist: Vergessen Sie unsere großen Ziele nicht. Es ist noch eine Herkulesarbeit zu leisten. Ich wünsche gute Beschlüsse und viel Erfolg zum Nutzen der Menschen.
Danke schön.
Liebe Frau Kollegin Hartenstein, Sie haben schon an dem Beifall und an dem kleinen Blumenstrauß der paar Minuten, die wir Ihnen mehr geben konnten, gemerkt, daß Sie eine große Anerkennung in diesem Haus gefunden haben für ihr Engagement für diesen Bundestag, für Ihre Wählerinnen und Wähler und vor allen Dingen für das Thema des Umweltschutzes. Dafür möchte ich mich bei Ihnen herzlich bedanken.
Seit 1976 - also eine wirklich sehr lange Zeit - waren Sie Abgeordnete des Deutschen Bundestages, vielfach auch in verantwortlicher Führung des Ausschusses. Wir wünschen Ihnen für die Zukunft, daß Sie sich auch einmal ein bißchen ausruhen können. Danke schön!
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Max Straubinger.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es fällt mir natürlich schwer, Kritik zu üben, nachdem Frau Hartenstein am Ende eines Parlamentarierlebens uns auch für die Umweltpolitik viel Glück gewünscht hat und auch angemahnt hat, daß wir die Ziele nicht aus dem Auge verlieren sollen. Trotzdem, Frau Hartenstein: Sie haben in Ihrer Rede von Stagnation der Umweltpolitik gesprochen. Das kann man auf alle Fälle hier nicht feststellen.
Im Gegenteil: Die Bundesumweltministerin, Frau Angela Merkel, und natürlich die Parlamentarier der CDU/CSU- und der F.D.P.-Bundestagsfraktion, die sie mittragen in ihrer Politik, haben - das zeigt der Umweltbericht sehr deutlich - eine hervorragende Arbeit geleistet, natürlich auch im Sinne des Umweltschutzes in Deutschland.
Das sei mir auch noch als Bemerkung erlaubt: Sie stellen die zukünftige Notwendigkeit von Produktivitätssteigerungen in Frage, weisen gleichzeitig aber darauf hin, daß die Arbeitslosigkeit bekämpft werden soll. Seit 1848 wurde die Produktivität um das 20f ache gesteigert. Dadurch ist aber auch mehr soziale Sicherheit für die Menschen und für die Lebensverhältnisse der breiten Bevölkerung insgesamt entstanden. Das, glaube ich, sollte man hier nicht in Frage stellen, weil zukünftiger Umweltschutz beinhaltet, daß über Produktivitätssteigerungen auch Ressourcenschutz betrieben wird.
Verehrte Damen und Herren, der Umweltbericht, den die Frau Bundesministerin vorgestellt hat, ist ein Erfolgsbericht; ein Erfolgsbericht unserer Politik, die wir mitgestaltet haben und die wir auch als Parlamentarier mitgetragen haben. Wir gratulieren Ihnen, Frau Bundesministerin, zu diesem Bericht.
Ich gratuliere an dieser Stelle - wenn ich schon bei Gratulationen bin - auch unserem Parlamentskollegen Dr. Peter Paziorek, der sich hier insbesondere für die Umweltpolitik einsetzt und auch am heutigen Tag an der Debatte teilnimmt, zu seinem 50. Geburtstag.
Verehrte Damen und Herren, es ist bei der politischen Auseinandersetzung wichtig, Prioritäten zu setzen. Daß wir dies in der Vergangenheit getan haben, zeigt der Umweltbericht der Bundesregierung. Ich möchte kurz auf einzelne Bereiche eingehen, die meines Erachtens hier noch nicht intensiv so behandelt und gewürdigt wurden. Da ich selber auch Landwirt bin, möchte ich natürlich den Anteil der Landwirtschaft am Umwelt- und Naturschutz herausstellen. Die Bundesregierung und wir als Parlamentarier haben zum Ausdruck gebracht, daß Umweltschutz nicht gegen die Landwirte betrieben werden kann, sondern nur mit den Landwirten. Nur in Zusammenarbeit mit den Landwirten kann ein tragfähiges Fundament für den Umweltschutz in Deutschland geschaffen werden.
Dies zeigt sich auch sehr deutlich in den Ergebnissen in verschiedensten Bereichen, in denen großartige Fortschritte erzielt wurden. Ich darf nur daran erinnern, daß zum Beispiel beim Handelsdünger im Zeitraum von 1988/89 bis 1995/96 die Abgabemengen der Phosphate um 60 Prozent und der Stickstoffe um 25 Prozent zurückgegangen sind. Auch die Umweltverträglichkeit der Pflanzenschutzmittel wurde wesentlich verbessert, und es wurden pro Hektar 30 Prozent weniger Pflanzenschutzmittel ausgebracht. Dies zeigt ebenfalls sehr deutlich, daß die Landwirtschaft ihren Beitrag leistet.
Frau Kollegin Mehl, Sie haben einerseits dargestellt, daß es uns darum geht, die Landwirte zu unterstützen, andererseits aber erkennen lassen, daß SPD und auch Grüne den notwendigen Ausgleich, den die Landwirte bekommen müssen, wenn von der Gesellschaft weitere Naturschutzauflagen bei der landwirtschaftlichen Produktion gefordert werden, verweigern.
Letztendlich ist die Novellierung des Bundesnaturschutzgesetzes an diesem Umstand gescheitert.
Dies zeigt sehr deutlich, daß SPD und Grüne den Zusammenhang zwischen Landbewirtschaftung und Umwelt- und Naturschutz nicht richtig erkennen.
Auch ein weiterer Punkt ist es wert, intensiver beleuchtet zu werden. Die Frau Bundesministerin hat schon darauf hingewiesen. Es geht um den Bereich der Abfallpolitik. 1990 noch haben wir hier vielfach noch über Abfallberge und anderes gesprochen. Es hat sich mittlerweile sehr deutlich gezeigt, daß durch die verschiedenen gesetzlichen Grundlagen, die wir geschaffen haben, insbesondere durch das Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz, das seit 1996 in Kraft ist, die Abfallmengen immer mehr gesenkt und die Verwertungsquoten angehoben werden konnten.
Es zeigt sich sehr deutlich, Herr Schmidt, daß das insbesondere in Bayern gelungen ist. Betrachten wir einmal die Zahlen: 1990 lag die Verwertungsquote des Hausmülls bei 30 Prozent; bis 1995 stieg sie auf 65,7 Prozent. In konkrete Zahlen gefaßt heißt das, daß das Restmüllaufkommen 1990 pro Einwohner 445 Kilogramm und 1995 pro Einwohner 241 Kilogramm betrug. Dies zeigt sehr deutlich, daß wir in Bayern der Reduzierung der Abfallmengen stark Rechnung getragen haben.
Es ist auch festzustellen, daß der Anstieg der Wirtschaftsleistung vom Ressourcenverbrauch entkoppelt
Max Straubinger
wurde. Auch dies ist ein wichtiges Ergebnis unserer Umweltpolitik.
Mir ist es auch noch wichtig, auf die Ökosteuer einzugehen, der auch im Entschließungsantrag der SPD besondere Aufmerksamkeit gewidmet wird. Ich glaube, daß „5 DM je Liter Benzin" vor allen Dingen ein Abkassiermodell ist. Es kann kein Ökosteuermodell sein; denn - auch Herr Kollege Laufs hat das schon ausgeführt - wenn nicht mehr gefahren wird - und dann kann nicht mehr gefahren werden -, wird es auch keine Steuereinnahmen geben, mit denen irgendwo Entlastungen finanziert werden könnten. Letztendlich würden nur die Rentner und die Arbeitslosen die Leidtragenden sein, insbesondere aber natürlich die Menschen, die auf dem flachen Land wohnen.
Auch eine weitere Rationierungspolitik, wie die Grünen sie vorgeschlagen haben, können wir nicht mitmachen, nämlich indem die Mobilität der Menschen dahin gehend eingeschränkt wird, daß sie sich nur noch alle fünf Jahre eine Ferienreise per Flugzeug genehmigen können. Ich glaube, das ist falsche Politik, die hier betrieben wird.
Deshalb ist es wichtig - auch die Bürgerinnen und Bürger werden erkennen, daß das richtig ist -, am 27. September wieder Helmut Kohl zum Bundeskanzler zu wählen und Angela Merkel weiterhin die Verantwortung für die Umweltpolitik in Deutschland tragen zu lassen.
Besten Dank für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Michael Müller.
Meine Damen und Herren! Um dem entgegenzuwirken, daß gesagt wird, das sei nur Oppositionsgerede, will ich zwei Stellen zitieren, zum einen aus der „Süddeutschen Zeitung" und zum anderen aus dem Gutachten der Sachverständigen für Umweltfragen.
Der Artikel in der „Süddeutschen Zeitung" ist überschrieben: Umweltpolitik ohne Saft und Kraft in der Bundesrepublik.
Dort heißt es, die Umweltpolitik in Deutschland befinde sich in einem Zustand der Lähmung. Auf der einen Seite mache sie sich überflüssig, weil sie die Verantwortung durch die Selbstverpflichtungen immer mehr auf die Wirtschaft verlagere. Auf der anderen Seite verliere sie sich in Detailregelungen. Das steht,
wie gesagt, in der „Süddeutschen Zeitung" - nur, damit es gleich nicht wieder heißt, dies seien lediglich Wahlkampfübungen.
Der Sachverständigenrat für Umweltfragen fordert die Bundesregierung auf, in der Umweltpolitik aus der Krisenfalle herauszukommen.
Man kann also wirklich nicht sagen, daß die Beobachter der Umweltpolitik der Bundesregierung auf Ihrer Seite sind. Das ist nun wirklich nicht der Fall.
Trotzdem möchte ich sagen: Es wäre viel zu einfach, die Debatte über die ökologische Modernisierung jetzt auf die Umweltpolitik der Ministerin oder auf die Tätigkeit der Umweltpolitiker im Parlament zu reduzieren. Ich glaube, daß es darauf ankommt, ob man die Tragweite der Herausforderungen, vor denen wir stehen, der Aufgabe, die wir haben, wirklich begreift. Dies ist aus meiner Sicht der eigentliche Punkt.
Ich glaube, es gab in diesem Jahrhundert eine entscheidende Weichenstellung, die uns lange Zeit Wohlstand, Demokratie und Fortschritt gebracht hat. Das war die Verbindung von Wirtschaftspolitik und sozialen Leistungen. Das war also vor allem die Entwicklung in den westlichen Industriestaaten zu einem Interessenausgleich zwischen Kapital und Arbeit.
Aus meiner Sicht hatte dieser Interessenausgleich zwei wesentliche Säulen. Die eine Säule war die Funktionsfähigkeit der Erwerbsgesellschaft, also die Vollbeschäftigung, die andere war die Funktionsfähigkeit des Wachstums.
Was jetzt passiert ist, ist, daß beides nicht mehr trägt. Wir erleben auf der einen Seite, daß die Arbeitsgesellschaft in ihren klassischen Formen nicht mehr existiert, daß sie also die Vollbeschäftigung nicht mehr garantieren kann. Wir erleben auf der anderen Seite, daß Wachstum kein Mittel mehr ist, die Gesellschaft zu befriedigen bzw. Wohlstand für alle zu garantieren.
Wir müssen also - das ist der eigentliche Punkt bei der Ökologie - darüber diskutieren, ob nicht die Ökologie eine Chance ist, aus dieser tiefen Krise unserer gesellschaftlichen Entwicklung, daß wir also weder den gesellschaftlichen Zusammenhalt über Wachstum garantieren können noch in der Lage sind, die Erwerbsgesellschaft zu sichern, herauszukommen. Das ist eine Diskussion, die ich für ganz zentral halte. Hier geht es um mehr als nur um Umweltschutz.
Wenn wir Umweltpolitiker uns auf die Frage reduzieren ließen, ob wir in diesem oder jenem Bereich, so wichtig das auch ist, ein Umweltgesetz durchbringen, sprängen wir zu kurz. Worum es wirklich geht, ist, zu prüfen, ob der ökologische Ansatz eine Chance für ein neues Fortschrittsmodell bzw. einen
Michael Müller
neuen gesellschaftlichen Zusammenhalt ist. Das ist aus meiner Sicht die Kernfrage.
Ich würde diese Frage so auf den Punkt bringen, wie es auch der Sachverständigenrat getan hat: Wir haben in der Politik über Jahrzehnte davon gelebt, weder Rücksicht auf die Vergangenheit noch Rücksicht auf die Zukunft zu nehmen. Wir haben also die Ressourcen der Vergangenheit verschleudert und die der Zukunft aufgezehrt.
Ökologisches Denken geht weit über Umweltschutz hinaus und bedeutet, die Zeitdimension in unsere Entscheidungen einzubeziehen. Das ist aus meiner Sicht die Grundlage eines neuen Wohlstands-und Fortschrittsmodells. Aber ich befürchte - das sieht man auch an dieser Debatte, und ich sage es selbstkritisch an alle -, daß das Verständnis der Tragweite dieser Frage in allen Fraktionen noch unterentwickelt ist. Das ist sehr bedauerlich.
Aus meiner Sicht stehen wir vor vier großen Herausforderungen. Die erste große Herausforderung ist: Wie reagieren wir auf die globale Epoche, also auf die Auflösung von Raum und Zeit, die bisher die Strukturen unserer Gesellschaft und unserer Politik geprägt haben? Ich gehe davon aus, daß das Modell der Nachhaltigkeit die erste große Chance darstellt, auf diese globale Epoche eine Antwort zu geben, weil Nachhaltigkeit im Kern wieder mehr Dezentralität, Stärkung wirtschaftlicher Kreisläufe vor Ort und Stärkung der menschlichen Fähigkeiten anstatt der abstrakten Weltmarktzwänge bedeutet. Nachhaltigkeit ist eine große Chance, um im Zeitalter der Globalisierung Politik wiederherzustellen und wieder soziale und gesellschaftliche Sicherheit zu garantieren. Diese Chance dürfen wir nicht verspielen.
Der zweite wichtige Punkt ist aus meiner Sicht - ich habe es bereits gesagt - die gegenwärtige Auflösung der Arbeitsgesellschaft. Über Jahrzehnte haben wir Vollbeschäftigung durch zwei Faktoren erreicht: einerseits durch die Befriedigung des großen Nachholbedarfes, der industriegeschichtlich vorhanden gewesen war, und andererseits durch eine gigantische Ausbeutung der Natur. Am Ende dieses Jahrhunderts sehen wir, daß beide Instrumente nicht mehr greifen. Zum einen verläuft der technologische Fortschritt so schnell, daß die Nachfrage nicht mitkommt, was zu immer mehr Arbeitslosigkeit führt, weil die technologische Entwicklung die Arbeit ersetzt. Zum zweiten darf die Zerstörung der Natur nicht mehr hingenommen werden, weil die Folgekosten dieser Entwicklung die Vorteile des Wachstums bei weitem überwiegen.
Mit anderen Worten: Am Ende dieses Jahrhunderts vermischen sich die beiden zentralen Fragen der Naturzerstörung und der Arbeitslosigkeit zu einem Problembündel. Wenn wir hier Konsens hätten, daß wir Umweltpolitik nicht gegen Sozialstaat, Arbeitslosigkeit oder Wachstum ausspielen dürfen, dann hätten wir den ersten Schritt getan, um die Probleme lösen zu können. Diese Botschaft müssen wir überall verkünden.
Die Lösung kann nicht darin bestehen, im Interesse kurzfristiger wirtschaftlicher Erfolge beispielsweise weiterreichende umweltpolitische Aufgaben zurückzustellen; denn das würde in Zukunft um so härter auf uns zurückschlagen. Wir müssen begreifen, daß wir auch das Problem Arbeitslosigkeit nur lösen werden, wenn wir zu einer anderen Umwelt-und Wirtschaftspolitik kommen, wenn wir alles miteinander verzahnen und nicht weiterhin in die Philosophie der 20er Jahre zurückfallen, die besagt, durch Laissez-faire sei wirtschaftlicher Erfolg zu erreichen. Dies ist eine schlichte Illusion.
Vorhin wurde gesagt - ich weiß nicht mehr, wer es gesagt hat -, die SPD halte nur an den alten ordnungsrechtlichen Maßnahmen fest. Sie sagen, es gehe um neue Instrumente. Aber wo waren Sie denn bei der ökologischen Steuerreform?
Haben Sie nicht im Zusammenhang mit dem Klimaschutz die ökologische Steuerreform für ein Linsengericht an die Wirtschaft verkauft? Es ist doch dokumentiert, daß Sie sie für die freiwillige Selbstverpflichtung zurückgestellt haben. Das ist doch wahr!
Außerdem ist der Denkansatz falsch. Richtig ist, daß die Regulierungsansätze des 19. Jahrhunderts, die auf dem traditionellen preußischen Ordnungsrecht beruhen, nicht in der Lage sind, die Aufgaben zu lösen, vor denen wir heute stehen. Im Grunde genommen ist unser Ordnungsrecht im wesentlichen ein erweitertes Polizeirecht, das auf der Logik einer engen Ursache-Wirkung-Beziehung aufbaut. Damit können wir ökologische Probleme nicht lösen.
Aber das kann doch nicht zur Schlußfolgerung führen, daß wir die Verantwortung der Institutionen und des Staates völlig aufgeben.
Im Gegenteil: Es geht doch eher um die Modernisierung des Staates und seiner Ordnungsinstrumente. Bauen Sie doch keine falsche Alternative auf!
Die These der Deregulierung ist schlicht falsch. Die These der Neuregulierung - sozusagen im intelligenten, transparenten Sinne - ist richtig. - Am wenigsten steht es der F.D.P. zu, dagegen etwas zu sagen; denn aus meiner Sicht ist sie die Hauptbetreiberin einer für die Umwelt und für die Menschen schrecklichen Deregulierungspolitik, deren Folgen leider immer schwieriger zu reparieren sind.
Ich gehe davon aus, daß die eigentliche Hürde, vor der wir stehen, eine Neuordnung unseres Entwicklungsmodells ist. Dieses Projekt geht weit über die Bewältigung ökologischer Probleme hinaus. Es geht
Michael Müller
darum, insgesamt zu einem neuen Fortschritts- und Entwicklungskonzept zu kommen.
Wenn wir zurückblicken, dann müssen wir in dieser Hinsicht allerdings feststellen, daß die vergangene Legislaturperiode aus vier verlorenen Jahren bestand.
Die Hauptschuld dafür gebe ich nicht allein der Umweltministerin; vielmehr war es so, daß sie bei den meisten Konflikten in der Umweltpolitik - auch im Kabinett - allein war. Auch im Bundestag hätte ich mir von ihrer Fraktion sehr viel mehr Unterstützung gewünscht.
Der Punkt ist, daß Frau Merkel im wesentlichen isoliert war.
Wir hätten im Bundestag große Mehrheiten gehabt und große Einigkeit erzielt, wenn die Bundesregierung ernsthafte Schritte in Richtung Nachhaltigkeit gemacht hätte. Daß dies nicht geschehen ist, lag nicht an der Opposition; vielmehr lag es daran, daß in der Regierung viel über Nachhaltigkeit in der Umweltpolitik geredet worden ist, dann aber, wenn es darauf ankam, nichts geschehen ist:
Erst hat der Wirtschaftsminister blockiert, dann hat der Landwirtschaftsminister blockiert, dann hat der Verkehrsminister blockiert - das ist doch die Wahrheit. Das Ergebnis war eine völlig unzureichende Politik. Diese dann auch noch zu verteidigen verschärft die Probleme nur noch.
- Das ist klar. Ich kann Ihnen auch sagen: Mit vielen Ländern würde ich Deutschland in diesem Punkt nicht vergleichen. Im übrigen ist die Betrachtung falsch. Die eigentlich richtige Betrachtung besteht darin, zu sehen, erstens, was notwendig ist, und, zweitens, was möglich gewesen wäre. Das sind die beiden Faktoren, um die es geht. Ich wünsche mir sehr, daß die Bundesrepublik ein wirklicher Vorreiter wird. Aus meiner Sicht haben wir beispielsweise im Bereich der ökologischen Steuerreform deutlich den Anschluß verloren. Sie wissen ganz genau: Andere, auch europäische Länder sind wesentlich weiter als wir. Wir sind diejenigen, die hinterherlaufen.
- Man kann auch darüber reden, wie sich manche Preisfaktoren auf den Strompreis auswirken. Ich glaube, daß diese Debatte gerade vor dem Hintergrund mancher Scheinsubvention, die wir zahlen, höchst problematisch ist.
Wir sind am Ende einer Legislaturperiode. Für die neue Legislaturperiode wünsche ich mir etwas, und zwar nicht nur den Regierungswechsel. Das wäre jetzt nur eine Pflichtübung; allerdings ist der Regierungswechsel für mich nicht nur eine Pflichtübung, sondern auch eine Kür. Ich wünsche mir vor allem, daß die nächste Bundesregierung erkennt, daß das Thema Ökologie die große Chance zur Zukunftsgestaltung beinhaltet. Es ist kein Thema neben vielen anderen, das der jeweiligen Konjunktur, der jeweiligen Stimmung unterliegt; vielmehr enthält dieses Thema die große Chance, unsere Gesellschaft auf einen neuen Konsens zu bringen und insgesamt voranzubringen.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Klaus Lippold.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Müller, Sie haben davon gesprochen, wir müßten die Ökologie als umfassende Aufgabe begreifen. Ich sage deutlich - auch wenn Sie es immer wieder leugnen und nicht zur Kenntnis nehmen wollen -: Die ganze Welt ist über das, was von dieser Bundesregierung für den Umweltschutz geleistet wurde, erstaunt und lobt die Umweltschutzsituation in dieser Bundesrepublik Deutschland.
Diese Resonanz ist weltweit; das ist die Wahrheit.
Wir sind diejenigen, die die Entwicklung dahin vorantreiben, daß Umweltschutz nicht sektoral betrieben, sondern in größere Einheiten eingebaut wird. Wir sind diejenigen, die sich auf ihrem Parteitag nicht nur zu einer sozialen, sondern zu einer ökologisch orientierten sozialen Marktwirtschaft bekannt haben. Wir haben dafür gesorgt, daß ökologische Managementsysteme in den Unternehmen verankert werden. Wir sind, was die Anzahl der Umweltmanagementsysteme in Unternehmen angeht, führend in der Europäischen Union. Überall kann man nichts anderes als Beweise für unsere Erfolge in der Umweltpolitik entdecken. Die Schadstoffe in der Luft und im Wasser sind zurückgegangen. Obgleich wir heute wesentlich mehr Verkehr und wesentlich mehr Industrie insgesamt haben, ist der Zustand unserer Umwelt vergleichbar mit dem um die Jahrhundertwende.
Wer das leugnet, wer zum Beispiel nicht den innovativen Charakter neuer Instrumente anerkennen will, der übersieht folgendes: Die Selbstverpflichtungen - wir sind zirka 100 eingegangen - hatten eine Treffgenauigkeit von 99 Prozent. Nur eine einzige
Dr. Klaus W. Lippold
Selbstverpflichtung hat nicht funktioniert. So zielgenau wird hier gearbeitet; das muß man anerkennen. Frau Kollegin Hustedt, es gibt eine Ihnen nahestehende Landesregierung, die das langsam begreift. Sie sollten diesen Lernprozeß nachvollziehen. Das wäre wirklich angemessen.
Herr Müller, aus den gerade genannten Gründen kann ich sagen, daß es keine verlorenen Jahre sind. Ich möchte aber noch eines hinzufügen, weil ich Ihre Verlautbarungen sorgfältig lese: Wenn Sie jetzt den Eindruck erwecken wollen, in Sachen Castor sei ein Untersuchungsausschuß kaum möglich oder werde wenig bringen, dann muß ich Ihnen ganz offen sagen: Noch ist Ihre Fraktion groß genug, um einen Untersuchungsausschuß zu beantragen und seine Einrichtung durchzusetzen. Hören Sie doch auf, darauf hinzuweisen, Sie diskutierten in Ihren Reihen noch das Vorgehen! Herr Müller, bei Ihnen wird immer nur diskutiert, aber nicht gehandelt und entschieden.
Wenn Sie von der Notwendigkeit eines Untersuchungsausschusses überzeugt sind, dann beantragen Sie ihn doch! Ich freue mich darauf.
- Nein, Herr Schmidt. - Dann können wir endlich einmal aufklären, was zum Beispiel in Schleswig-Holstein und in Niedersachsen läuft.
- Herr Schmidt, ich halte es für einen Skandal, hier auf der einen Seite mit Untersuchungsausschüssen ablenken zu wollen, ohne sie selbst zu beantragen, während auf der anderen Seite Ihr Umweltminister in Niedersachsen noch nicht einmal in die Sitzung des entsprechenden Ausschusses geht und sich dort den Fragen stellt, wenn das Thema Castor auf der Tagesordnung steht. Aber heute nachmittag um 15 Uhr hält er eine Pressekonferenz ab. Das ist die Art, wie Sie parlamentarisch arbeiten. Es geht doch nicht um das Abhalten von Pressekonferenzen, meine Herren von der Sozialdemokratie, sondern es geht darum, daß sich Ihre verantwortlichen Minister den Ausschüssen des Parlaments stellen.
Ein weiterer Punkt. Jetzt heißt es, die Preussenelektra habe Verfehlungen begangen und nicht informiert. Ich ziehe noch einmal die Schlußfolgerungen, die ich schon am Mittwoch gezogen habe: Wenn die Meßprotokolle der Preussenelektra fehlerhaft waren, dann müßte diese Tatsache der von Ihrer Partei gebildeten Landesregierung bekannt gewesen sein. Wenn der Landesregierung diese Tatsache aber nicht bekannt gewesen ist, dann nehmen Sie die Verantwortung auf sich und sagen: Wir haben gepennt. Wahrscheinlich haben Sie das getan. Die andere
Möglichkeit ist, daß die Preussenelektra die fehlerhaften Meßprotokolle unterbreitet hat. Dann frage ich mich aber, wie eine Gesellschaft, in deren Aufsichtsrat früher maßgebliche Sozialdemokraten saßen, das nicht erkennen konnte oder es zugelassen hat.
In diesem Zusammenhang ist manchmal von „Kumpanei" die Rede. Damit die ausgeschlossen wird, darf zunächst einmal der oberste Zuständige für die Aufsicht im Lande Niedersachsen, Ihr Kanzlerkandidat Schröder, nicht weiter Aufsichtsratsmitglied in diesem Unternehmen sein. Wenn die entsprechenden Sachverhalte der niedersächsischen Landesregierung schon seit Jahren bekannt waren, dann muß Ich fragen: Welche Maßnahmen der niedersächsischen Landesregierung hat Herr Schröder veranlaßt? Was hat er getan, und wo hat er gehandelt? Fordern Sie ihn einmal zur Rechenschaft! Jemand, der in Niedersachsen die Dinge nicht in Ordnung bringt, ist für den Bund völlig ungeeignet.
Prüfen Sie doch einmal, ob es zulässig ist, daß jemand die oberste Aufsicht über ein Unternehmen hat und gleichzeitig im Aufsichtsrat dieses Unternehmens sitzt. Ich frage Sie: Was hat Herr Schröder im Aufsichtsrat getan? Hat er Protokolle angefordert? Hat er die Unternehmensleitung zur Änderung ihrer Politik aufgefordert? Wenn Sie diese Fragen beantwortet haben, werden wir hier die Konsequenzen ziehen. Ich fordere hier ganz klar, Herr Schröder möge sich von diesem Aufsichtsratsmandat trennen, denn es ist mit seiner Position unvereinbar. Ich fordere genauso klar, daß auch der schleswig-holsteinische Energieminister dieses Aufsichtsratsmandat niederlegt. Diese Form der Kumpanei muß beendet werden, damit die Sachverhalte aufgeklärt werden können.
So einfach ist das. Von diesen Zusammenhängen können Sie hier nicht ablenken. Das lassen wir Ihnen in dieser Form nicht durchgehen.
Schattenminister sind manchmal wirklich die Schatten ihrer selbst. Aber wenn Sie schon ein Schattenkabinett aufstellen, dann muß ich fragen: Warum sind die Verantwortlichen für den Umweltbereich oder die, die Sie später dafür in die Verantwortung bringen wollen, heute bei der zentralen Debatte nicht anwesend? Ich finde es nicht gut, zwar mit neuen Namen Schlagzeilen zu machen, aber nicht präsent zu sein, wenn es um die Diskussion von Inhalten und um die Sache geht. Das kann ich nicht verstehen. Ankündigungen auf der einen Seite, aber kein Interesse an Umweltpolitik auf der anderen Seite - das paßt nicht zusammen. Auch das sagen wir Ihnen ganz deutlich.
Wir betrachten alle Seiten von Wirtschaft und auch alle Seiten von Energiegewinnung. Aber wenn Sie uns vorwerfen wollen, wir würden Solarenergie
Dr. Klaus W. Lippold
nicht hinreichend fördern, warum verschweigen Sie dann, daß gerade jetzt in Gelsenkirchen die modernste Solaranlage der Welt entsteht, gefördert zum Beispiel vom Bundesforschungsminister mit ganz erheblichen Mitteln? Das ist doch der Punkt. Wir sind in den verschiedensten Bereichen aktiv. Ich habe immer die Forderung von Ihnen vermißt, in den Bereich der regenerativen Energie auch die Biomasse einzubeziehen. Diese Ministerin und diese Koalitionsmehrheit haben das gemacht.
Ich halte das für richtig.
Das heißt, wir brauchen nicht irgendwelche Diskussionen. Bevor Sie Ihre Diskussionen zu Ende geführt haben, haben wir gehandelt. So werden wir es auch in Zukunft tun. Deshalb haben wir - dafür danke ich Ministerin Merkel noch einmal ganz ausdrücklich - nicht nur den Bericht vorgelegt, sondern Ihnen auch das Schwerpunktprogramm für Umweltpolitik zur Kenntnis gegeben, um deutlich zu machen: Das, was wir erreicht haben - was sehr viel ist und was international vorbildlich ist -, werden wir fortschreiben und um weitere wichtige Punkte ergänzen. Wir haben die Perspektiven für eine nachhaltige Umweltpolitik für das nächste Jahrhundert aufgezeigt, die umfassend ist, Herr Kollege Müller, weil wir natürlich wissen, daß eine solche Politik nur Erfolg haben kann, wenn sie ganzheitlich angelegt ist.
Ganz herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Albert Schmidt.
Herr Kollege Lippold, Sie haben ein flammendes, fulminantes Plädoyer für einen Untersuchungsausschuß gehalten, haben gegen die SPD agitiert, haben sie damit zu überzeugen versucht, daß sie sowohl die nötige Anzahl der Stimmen hätte als auch das nötige Interesse haben müßte. Sie haben sich sogar zu der Äußerung verstiegen, daß Sie sich auf diesen Untersuchungsausschuß freuten.
Herr Kollege Lippold, ist Ihnen bewußt, daß Sie es viel einfacher haben können? Wenn Sie sich wirklich auf diesen Ausschuß freuen, nehmen Sie einfach das Angebot an, das gestern Joschka Fischer hier gemacht hat: Wir untersuchen Merkel, Sie untersuchen Fischer oder wen immer Sie wollen. Sie haben - im Gegensatz zu uns - sowohl die nötige Anzahl von Abgeordneten als auch - wie Sie soeben gesagt haben - große Lust darauf. Also, lieber Herr Lippold, warum beantragen Sie die Einsetzung dieses Untersuchungsausschusses nicht selbst, warum unterstützen sie nicht wenigstens diesen von uns geforderten Untersuchungsausschuß? Können Sie mir das sagen?
Herr Kollege Lippold, es gibt einen weiteren Wunsch nach einer Kurzintervention. Ich gebe Ihnen dann vier Minuten zum Antworten.
Frau Kollegin Mehl.
Herr Kollege Lippold, Sie haben eben dem Energieminister von Schleswig-Holstein Kumpanei vorgeworfen, weil er im Aufsichtsrat der HEW sitzt. Das möchte ich entschieden zurückweisen. Vielleicht denken Sie auch einmal darüber nach, wie viele Politikerinnen und Politiker in anderen Aufsichtsräten sitzen. Man kann sich ja darüber streiten, ob das so gelungen ist. Aber ihnen Kumpanei zu unterstellen setzt voraus, daß sie dieses Spiel mitmachen, und das weise ich entschieden zurück.
Bitte, Herr Kollege Lippold.
Herr Präsident! Meine sehr geehrte Damen und Herren! Zum ersten, Herr Schmidt: Sie wie ich wissen, daß die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zuvörderst Instrument der Opposition ist. Ich kann hier und heute belegen, daß dies für meine Ministerin nicht erforderlich ist. Ich habe gesagt, ich stimme Ihnen in jeder Form zu, wenn die Opposition, die den gegenteiligen Anschein erweckt, diesen Untersuchungsausschuß will. Dann bin ich gerne bereit, dort mitzuarbeiten und mich dem zu stellen, denn das muß dann sein. Aber ich will doch einmal sehen, ob die auf der anderen Seite sich trauen. Sie wissen doch wie ich - deshalb Ihr verschmitztes Lächeln -, in welcher Falle die sitzen und weshalb sie diskutieren. Sie wissen doch, weshalb sie so verschmitzt lächeln: weil es genauso ist, wie ich sage. Die Jungs spitzen den Mund, aber sie trauen sich nicht, zu pfeifen. Das ist das eine.
Und das zweite, Frau Kollegin Mehl: Wer hat denn die Stichworte „liebedienerische Umarmung", „über den Tisch ziehen" usw. in die Diskussion eingeführt? Das war doch Ihr Kanzlerkandidat. Der heißt Gerhard Schröder. Wenn es denn schon darum geht, jemanden liebedienerisch über den Tisch zu ziehen, dann liegt der Anschein von Kumpanei doch am nächsten bei denen, die gemeinschaftlich am Aufsichtsratstisch sitzen, aber gleichzeitig Aufsichtsfunktionen haben. Frau Merkel sitzt in keinem Aufsichtsrat, der ein Unternehmen kontrollieren soll. Frau Merkel führt ihre Aufsichtsbefugnisse gegenüber den Ländern durch. Und wenn Herr Jüttner sich weigert, hier nach Bonn zu kommen, um Rechenschaft zu legen, dann wirft doch auch das Fragen auf, die wir hier einmal diskutieren müssen. Vor die Presse gehen - ja, aber sich dem niedersächsischen Umweltausschuß verweigern; vor die Presse gehen - ja, aber nicht nach Bonn zur Ministerin kommen, um Rechenschaft zu legen - das ist Ihre Form von Politik.
Dr. Klaus W. Lippold
Ich sage ganz deutlich: Das tragen wir nicht mit, und das machen wir auch öffentlich.
Damit schließe ich die Aussprache.Ich mache darauf aufmerksam, daß wir jetzt eine längere Passage Abstimmungen haben, etwas über 40 Seiten in der Vorlage.Tagesordnungspunkt 16 a: Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Umweltbericht 1998 auf Drucksache 13/10735 zu überweisen, und zwar zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und zur Mitberatung an den Finanzausschuß, den Ausschuß für Wirtschaft, den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau sowie den Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus.Die Entschließungsanträge der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. sowie der Fraktion der SPD auf Drucksachen 13/10797 und 13/10819 sollen an dieselben Ausschüsse überwiesen werden.Gibt es dazu noch andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.Tagesordnungspunkte 16 b und 16 c: Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/10195 und 13/10196 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie auch damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.Tagesordnungspunkt 16 d: Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Sondergutachten „Konzepte einer dauerhaft umweltgerechten Nutzung ländlicher Räume" des Rates von Sachverständigen für Umweltfragen; es handelt sich um die Drucksachen 13/ 4109 und 13/9707 Nr. 1. Der Ausschuß empfiehlt Kenntnisnahme. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen.Der Ausschuß empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 13/9707 die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist bei Stimmenthaltung der gesamten Opposition mit den Stimmen der Koalition angenommen.Tagesordnungspunkt 16 e: Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Änderung des Umweltinformationsgesetzes auf Drucksache 13/3906. Der Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt auf der Drucksache 13/10580, den Gesetzentwurf abzulehnen.Ich lasse über den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/3906 abstimmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - DieGegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/ Die Grünen und PDS bei Stimmenthaltung der SPD abgelehnt.Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.Tagesordnungspunkt 16 f: Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem Abkommen mit der Tschechischen Republik über die Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Umweltschutzes, Drucksache 13/10129. Der Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt auf Drucksache 13/10704, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Stimmt jemand dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.Tagesordnungspunkt 16 g: Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zum Übereinkommen über die Verhütung der Meeresverschmutzung durch das Eindringen von Abfällen und anderen Stoffen; das ist die Drucksache 13/10430. Der Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt auf Drucksache 13/ 10833 Nr. 1, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Wer zustimmen will, möge sich erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit bei Stimmenthaltung der Gruppe der PDS mit den Stimmen des Hauses im übrigen angenommen.Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Ausführung des Protokolls zum Übereinkommen über die Verhütung der Meeresverschmutzung; das sind die Drucksachen 13/10364 und 13/10833 Nr. 2. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die Grünen mit den Stimmen des Hauses im übrigen angenommen.Dritte Beratungund Schlußabstimmung. Wer zustimmen will, möge sich bitte erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit angenommen, Mehrheitsverhältnisse wie vor.Der Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt unter Nr. 3 seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 13/10833 die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist bei Enthaltung der Gruppe der PDS mit den Stimmen des Hauses im übrigen angenommen.Tagesordnungspunkt 16 h: Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem Abkommen zur Erhaltung der afrika-Vizepräsident Hans-Ulrich Klosenisch-eurasischen wandernden Wasservögel, Drucksache 13/10431.
- Das steht hier. - Der Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt auf Drucksache 13/10826, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, sich zu erheben. - Stimmt jemand dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit einstimmig angenommen.Tagesordnungspunkte 16 i und 16j: Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/8900 und 13/8320 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.Tagesordnungspunkt 16 k: Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Fraktion der SPD zur Änderung des „Sommersmog-Gesetzes"; das ist die Drucksache 13/6150 Nr. 1. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/4974 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition insgesamt angenommen.Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Verschärfung der Maßnahmen gegen die fortschreitende Gefährdung der menschlichen Gesundheit und der Umwelt durch bodennahes Ozon, Drucksache 13/6150 Nr. 2. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/4727 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS bei Stimmenthaltung der SPD-Fraktion angenommen.Tagesordnungspunkt 161: Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. mit dem Titel „Keine neuen bürokratischen Verfahren auf EU-Ebene", Drucksache 13/9944. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/7060 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen.Tagesordnungspunkt 16m: Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen zur Umwelt- und Entwicklungspolitik auf dem Weg ins 21. Jahrhundert, Drucksache 13/ 10166. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/7783 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen.Tagesordnungspunkt 16 n: Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen zur Erstellung eines nationalen Umweltplans, Drucksache 13/10167. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/7884 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Stimmenthaltung der SPD-Fraktion und der PDS angenommen.Tagesordnungspunkt 16 o: Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Fraktion der SPD zum Verbot des Einsatzes von Pyrethroiden in Textilien und Innenräumen, Drucksache 13/4187. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/ 1478 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen.Tagesordnungspunkt 16 q: Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Fraktion der SPD zum Schutz der stratosphärischen Ozonschicht und Bekämpfung des anthropogenen Treibhauseffektes durch Beendigung von Produktion und Einsatz teilhalogenierter FCKW, Drucksache 13/7469. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/5806 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen.Tagesordnungspunkt 16 r: Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen zum Schutz des Ökosystems Watt vor Dauerbelastung, Drucksache 13/8959. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/5199 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen.Tagesordnungspunkt 16 s: Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Fraktion der SPD zum Schutz der europäischen Gewässer vor Öltankerunfällen und Umweltschäden. Es handelt sich um die Drucksache 13/7467 Nr. 1. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/5155 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition insgesamt angenommen.Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Fraktion der SPD zum Schutz der Nordsee durch Schiffsölentsorgung in Seehäfen, Drucksache 13/Vizepräsident Hans-Ulrich Klose7467 Nr. 2. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/5756 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Keine. Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen.Der Ausschuß empfiehlt unter Nr. 3 seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 13/7467 die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Stimmenthaltung der gesamten Opposition angenommen.Tagesordnungspunkt 16 t: Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Bedrohung der Meere und Zerstörung der Küsten durch Ölkatastrophen, Drucksache 13/7481 Nr. 1. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/3884 abzulehnen. Wer stimmt für diese Empfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen.Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu Sofortmaßnahmen gegen die Verseuchung der Meere durch illegale Öleinleitungen, Drucksache 13/ 7481 Nr. 1. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/4237 abzulehnen. Wer stimmt für diese Empfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen.Der Verkehrsausschuß empfiehlt unter den Nrn. 2 bis 4 seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 13/ 7481 die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen.Tagesordnungspunkt 16u: Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Fraktion der SPD zur Minimierung hormonell wirkender Chemikalien, Drucksache 13/9689 Nr. 1. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/4786 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen.Beschlußempfehlung des Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu Maßnahmen gegen eine Umweltgefährdung durch hormonell wirksame Chemikalien, Drucksache 13/9689 Nr. 2. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/6146 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stirnmen der Opposition angenommen.Tagesordnungspunkt 16v: Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Fraktion der SPD zur Informationspflicht der chemischen Industrie über Zwischenprodukte, Drucksache 13/9690. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/3787 abzulehnen. Wer stimmt für diese Empfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen.Tagesordnungspunkt 16 w: Beschlußempfehlung des Ausschusses zu dem Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. zur Regierungserklärung zur Klimakonferenz in Kioto, Drucksache 13/10753 Nr. 1. Der Ausschuß empfiehlt, den Entschließungsantrag auf Drucksache 13/9600 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen.Beschlußempfehlung des Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD zum Klimagipfel in Kioto. Das ist die Drucksache 13/10753 Nr. 2. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/8969 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen.Beschlußempfehlung des Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD zur Weiterentwicklung der Ergebnisse der Klimakonferenz in Kioto, Drucksache 13/10753 Nr. 3. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/9602 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und SPD bei Stimmenthaltung der PDS angenommen.Beschlußempfehlung des Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu Konsequenzen aus den Ergebnissen der Klimakonferenz in Kioto, Drucksache 13/10753 Nr. 4. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/9411 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen.Tagesordnungspunkt 16x: Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Fraktion der SPD zur Kennzeichnung von Holz. Es handelt sich um die Drucksache 13/9708. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/5212 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der SPD bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen.Tagesordnungspunkt 16 y: Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Fraktion der SPD zur Regelung der Sonderabfallentsorgung, DrucksacheVizepräsident Hans-Ulrich Klose13/10553. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/7562 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen.Zusatzpunkt 18: Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 13/10805 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.Zusatzpunkt 19: Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zur Großen Anfrage zur Umsetzung der Selbstverpflichtung deutscher Wirtschafts- und Industrieverbände zum Klimaschutz, Drucksache 13/10827. Der Ausschuß empfiehlt, den Entschließungsantrag auf Drucksache 13/7258 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition bei einer Stimmenthaltung aus der PDS angenommen.Zusatzpunkt 20: Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Beschluß der Bundesregierung zum lUimaschutzprogramm der Bundesrepublik Deutschland, Drucksachen 13/8936 und 13/10828 Nr. 1. Der Ausschuß empfiehlt Kenntnisnahme. Wer schließt sich dieser Empfehlung an? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist bei Nichtbeteiligung der PDS mit den Stimmen des Hauses im übrigen angenommen.Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Beschluß der Bundesregierung zum Klimaschutzprogramm, Drucksache 13/10828 Nr. 2. Der Ausschuß empfiehlt, den Entschließungsantrag auf Drucksache 13/8993 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen.Zusatzpunkt 21: Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zur Großen Anfrage zum Elektrosmog, Drucksache 13/10829 Nr. 1. Der Ausschuß empfiehlt, den Entschließungsantrag auf Drucksache 13/6728 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen.Beschlußempfehlung des Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu einem Zehn-Punkte-Programm gegen Elektrosmog, Drucksache 13/10829 Nr. 2. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/3365 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS bei Stimmenthaltung der SPD-Fraktion angenommen.Interfraktionell ist vereinbart worden, die heutige Tagesordnung um die erste Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zur Änderung versicherungsrechtlicher Vorschriften im Eisenbahnbereich zu erweitern. Sind Sie mit der Erweiterung der Tagesordnung einverstanden? - Das ist der Fall.Ich rufe also Zusatzpunkt 29 auf:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung versicherungsrechtlicher Vorschriften im Eisenbahnbereich- Drucksache 13/10867 -Der Gesetzentwurf soll jetzt gleich ohne Aussprache zur federführenden Beratung dem Ausschuß für Verkehr und zur Mitberatung dem Rechtsausschuß überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist auch der Fall. Dann ist das so beschlossen.Dann rufe ich jetzt die Tagesordnungspunkte 17 a und 17b auf:a) Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der EG-Einlagensicherungsrichtlinie und der EG-Anlegerentschädigungsrichtlinie- Drucksache 13/10188, 13/10736-
Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses
- Drucksachen 13/10846-Berichterstattung:Abgeordnete Wolfgang Steiger Lydia Westrichb) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umwandlung der Deutschen Genossenschaftsbank
- Drucksache 13/10366-
Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses
- Drucksache 13/10786 -Berichterstattung:Abgeordnete Friedrich Merz Dr. Barbara HendricksChristine ScheelGisela FrickDr. Uwe-Jens RösselEs war nach einer interfraktionellen Vereinbarung für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Mir ist aber mitgeteilt worden, daß alle Redner ihre
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 239. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Mai 1998 22077
Vizepräsident Hans-Ulrich KloseBeiträge zu Protokoll geben möchten.*) Ich gehe davon aus, daß das Haus damit einverstanden ist. - Dann ist das so beschlossen.Ich schließe die Aussprache. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/ CSU und der F.D.P. sowie der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der EG-Einlagensicherungsrichtlinie und der EG-Anlegerentschädigungsrichtlinie. Das sind die Drucksachen 13/10188, 13/10736 und 13/10846. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen.Damit kommen wir zurdritten Beratungund Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Stimmt jemand dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Umwandlung der Deutschen Genossenschaftsbank. Das ist die Drucksache 13/10366. Der Finanzausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/10786, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.Wir kommen zurdritten Beratungund Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, sich zu erheben. - Stimmt jemand dagegen? - Enthält sich jemand? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 18 auf:Erste Beratung des von den Abgeordneten Gerald Häfner, Joseph Fischer , Kerstin Müller (Köln) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung von Volksantrag, Volksbegehren und Volksabstimmung im Grundgesetz— Drucksache 13/10261—Überweisungsvorschlag:Innenausschuß
RechtsausschußAusschuß für Wahlprüfung, Immunität und GeschäftsordnungNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Gerald Häfner, Bündnis 90/Die Grünen.*) Anlage 3
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie, die Sie noch bis zu dieser vorgerückten Stunde ausgehalten haben. Auch wenn wir jetzt nur wenige sind: Es ist gut, wenn wir neben dem Streit, den wir hier im Haus oft über Sachfragen haben - ob es sich nun um Rentenpolitik, Finanzpolitik, Energiepolitik, Umweltpolitik, über die wir heute vormittag gesprochen haben, oder um andere Themen handelt -, uns gelegentlich auch einmal Zeit nehmen, um über grundlegende Fragen nachzudenken, etwa darüber, was die Aufgabe von Politik, unsere eigenste Aufgabe ist, sowie über das Wesen und den Zustand der Demokratie, über die Arbeit des Parlamentes, über die Rolle der Parteien, über die Art und Weise, wie Gesetze zustande kommen, und über die Weichenstellungen, die die Gegenwart und Zukunft unseres Landes prägen. Denn Politik findet ja nicht um ihrer selbst willen, sondern um der Bürger willen statt. Tua res agitur - es handelt sich bei all dem, was wir hier verhandeln, nicht um unser eigenes Interesse, nicht um unsere Angelegenheiten, sondern um die der Bürgerinnen und Bürger.
Demokratie - ich denke, darüber sollten wir uns einig sein - lebt von der Beteiligung und dem Engagement der Bürger. Die Frage ist: Was tun wir dafür? Wenn ich im Land herumhöre, dann mache ich mir - in den letzten Jahren zunehmend - ernstlich Sorgen. Denn immer verbreiteter ist die Stimmung „Wir können ja eh nichts machen; die da oben machen doch sowieso, was sie wollen! ". Im übrigen: Leere, nie eingehaltene Versprechungen ebenso wie leere Rituale haben in den letzten Jahren das Ihre dazu beigetragen, daß diese Stimmung angewachsen ist. Immer mehr Menschen koppeln sich innerlich ab von der Demokratie.
Gerade unter jungen Menschen - das bitte ich sehr ernst zu nehmen: das sind nicht die schlechtesten unter ihnen, bei denen das so ist - wird das Verhältnis von Mitteleinsatz und Wirkung heute sehr viel realistischer kalkuliert, als das etwa noch in meiner Generation der Fall war. Die Folge ist, daß sich, anders als in den Jahren vorher, kaum noch jemand für ein politisches Engagement entscheidet.
Ich glaube im übrigen, daß die Situation in den neuen Bundesländern noch dramatischer als hier ist. Denn beim Zustandekommen der deutschen Einheit hat jedes Verständnis dafür gefehlt, daß es notwendig ist, den Menschen die Möglichkeit zu geben, die für sie geltende Rechtsordnung, die für sie geltende Verfassung mitzubestimmen, ihnen das Empfinden zu geben, daß sie etwas zu sagen haben - und ihnen nicht das Empfinden zu geben, daß ihnen einfach etwas vorgesetzt wird, was sie dann unverändert so annehmen müssen. Deshalb glaube ich, daß auch die Wahlergebnisse der DVU in den neuen Bundesländern nicht vom Himmel fallen.
Wir stehen an einem sehr ernsten Punkt in unserem Land, wo es um eine Weichenstellung geht, nämlich darum, ob es uns gelingt, die Demokratie zu kräftigen, zu stärken, zu erneuern, sie wieder interessant zu machen für die Bürger, so daß diese das Gefühl haben, es lohnt sich, sich zu engagieren, oder ob
Gerald Häfner
sich mehr und mehr Menschen abmelden und die Fiktion des starken Mannes, der den Knoten durchhaut und dann die Entscheidungen trifft, verstärkt um sich greift. Der Ruf nach dem starken Mann ist die eine Gefahr. Die andere Gefahr ist die Anonymisierung; die andere Gefahr ist, daß Entscheidungen immer mehr dem Zugriff der Bürgerinnen und Bürger entzogen werden und in Apparaten gefällt werden - sei es im ökonomischen Bereich, sei es in der Brüsseler Bürokratie oder anderswo.
In dieser Situation ist es, so glaube ich, dringend notwendig, daß wir uns zu einer Stärkung der Demokratie und zu einer stärkeren Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger entschließen. Zumal angesichts der großen Umbrüche, in denen unsere Gesellschaft steht - Stichwort: Individualisierung und Globalisierung -, ist es dringender denn je, dem Zerfall sozialer Makrostrukturen und der sich der nationalen Steuerung immer mehr entziehenden Wirtschaft die Konstitution einer modernen demokratischen Bürgergesellschaft entgegenzusetzen, in der die Bürgerinnen und Bürger unmittelbar die Möglichkeit haben, die für sie geltenden Gesetze mit zu beeinflussen.
Wir haben deshalb ein ganzes Demokratiepaket vorgelegt, das ich in dieser Legislaturperiode erarbeitet habe. Aber heute geht es hier um das Kernstück, die Einführung von Volksantrag, Volksbegehren und Volksentscheid.
Es gibt ja in unserem Land ein ganz merkwürdiges spezifisches Mißtrauen gegenüber dem Volk, das mir aus unserer Geschichte heraus ebenso verständlich erscheint, wie ich es für falsch und fatal halte. Denn es zieht genau die falsche Konsequenz aus den Lehren der Vergangenheit. Der Nationalsozialismus war mitnichten eine plebiszitäre, eine direktdemokratische Veranstaltung. Der Nationalsozialismus war das exakte Gegenteil: die Übergabe aller Staatsgewalt an eine Person. „Ein Volk, ein Reich, ein Führer" hieß es damals. Der Akt - dies sei hier noch einmal in Erinnerung gerufen - mit dem dies geschehen ist, war kein Wahlakt, sondern war eine parlamentarische Entscheidung.
Es war die Entscheidung zum sogenannten Ermächtigungsgesetz. Einige Parlamentarier hatten den Mut, ihm zu widerstehen. Aber der - dies sei hier deutlich ausgesprochen -, der nach 1945 - bis heute wirksam - die falsche Behauptung gestreut hat, Weimar sei an zu viel Beteiligung des Volkes untergegangen, nämlich Theodor Heuss, hat das Ermächtigungsgesetz nicht abgelehnt, er hat sich nicht der Stimme enthalten, sondern hat dem Ermächtigungsgesetz damals zugestimmt.
Deswegen hat Christian Graf von Pestalozza, ein bekannter Staatsrechtler aus Berlin, gesagt: Weimar ist eben nicht an zu viel Demokratie und Bürgerbeteiligung untergegangen. Von Pestalozza sagt: Vielmehr lag der Grund - wenn man einen Verantwortlichen in der Rechtsordnung sucht - im Parlamentarismus. Das hat uns zu Recht nicht veranlaßt, nach 1945 zu sagen: „Wir wollen keinen Parlamentarismus mehr", sondern: „Wir wollen dieselbe Sache besser machen. " Allein dies - so von Pestalozza - wäre die richtige Entscheidung gewesen, auch zu Volksbegehren und Volksentscheid.
Bis heute, fast 50 Jahre nach dem Zustandekommen des Grundgesetzes, ist das Versprechen „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt" - erst fast zum Schluß kommen wir vor, vorher kommt das Volk vor: „in Wahlen und Abstimmungen" - des Parlamentarischen Rates, das der Umsetzung durch ein Bundesabstimmungsgesetz, wie wir es vorschlagen, bedarf, nicht eingelöst worden.
Ich meine, daß es höchste Zeit ist, aus diesen Erfahrungen aus unserer eigenen Geschichte die Konsequenzen zu ziehen und jetzt den Mut zu diesem Schritt zu haben. Lassen Sie mich deshalb zum Schluß sagen: Das Angebot, das die Koalition unserem Land derzeit macht, das man in zwei Worten zusammenfassen kann, nämlich „Weiter so! ", empfinde ich als die schlimmste Drohung für unser Gemeinwesen und für die Demokratie. Ich kann deshalb nur hoffen, daß ein notwendiger Machtwechsel die Republik aus ihrer Lähmung befreit und daß eine - ich habe die Hoffnung darauf keineswegs aufgegeben - rotgrüne Bundesregierung dann nicht nur das Was, sondern auch das Wie der Politik in diesem Land ändert. Dann könnten wir endlich einlösen, was Willy Brandt vor fast 30 Jahren nur versprochen hat, nämlich mehr Demokratie wagen.
Ich wäre trotz manch Unerfreulichem glücklich und zufrieden - das möchte ich zum Schluß sagen -, wenn es mir gelungen wäre, diese Veränderung hier zumindest anzustoßen. Eines ist klar: Heute kann darüber nicht entschieden werden. Wir werden gründliche Beratungen brauchen, und wir werden diese Beratungen in der kommenden Legislaturperiode fortsetzen müssen. Ich gebe mich nicht der Illusion hin, daß wir das noch vor der Sommerpause beschließen können. Aber es ist mir um so wichtiger, dies heute eingebracht zu haben, damit es bei künftigen Koalitionsverhandlungen - auf die ich hoffe - für die Gestaltung der künftigen Republik ganz oben auf dem Tisch liegt und vielleicht dazu führt, daß sich nicht nur das Was, sondern auch das Wie der Politik in diesem Land verändert und wir den Weg in eine moderne, demokratische Bürgergesellschaft gehen.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Kollege Erwin Marschewski, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Kollege Häfner, ich meine, .daß Ihre und die in den Gesetzentwürfen liegende Behauptung, daß die Menschen in unserem Land durch unsere mittelbare repräsentative Demokratie zunehmend von der Willensbildung ausgeschlossen würden, zu kurz gefaßt und deswegen falsch ist.
Erwin Marschewski
Nur durch das Aufwerfen des Wortes „Politikverdrossenheit" wird der Versuch, unmittelbare Demokratie in Deutschland einzuführen, nicht legitimiert. Was ist denn Politikverdrossenheit überhaupt? Ist es nicht oft ein Verdecken eigener Zurückhaltung, ein Begründungsversuch für eigenes Nichtengagement, für Es-lieber-den-anderen-Überlassen, obwohl man es selber tun könnte und müßte?
Unsere Grundgesetzregeln haben Geschichte und sind Geschichte. Mit seinem strikten Bekenntnis zur parlamentarisch-repräsentativen Demokratie hat der Parlamentarische Rat - hier bin ich völlig anderer Meinung als Sie - die entscheidenden Konsequenzen aus dem Scheitern der Weimarer Republik gezogen.
Ich weiß genau wie Sie, Herr Kollege Häfner, daß damals relativ wenig plebiszitäre Entscheidungen getroffen wurden. Aber ich weiß, daß die Demokratie in Weimar unter dem permanenten Druck plebiszitärer Entscheidungsmöglichkeiten, manchmal sogar Entscheidungszwängen stand. Dies hat zur Schwächung der Weimarer Demokratie beigetragen.
Auf dieser Grundlage, auf Grundlage der historischen Erfahrung, ist für das Grundgesetz, für den Bund auf Formen der unmittelbaren Demokratie bewußt verzichtet worden - mit Ausnahme im Bereich der kommunalen Selbstverwaltung und im Bereich der Neugliederung des Bundesgebietes. Ich meine, diese richtige Entscheidung des Parlamentarischen Rates muß auch heute noch richtungsgebend sein, weil sich das System der parlamentarisch - repräsentativen Demokratie bewährt hat. Deswegen sagen wir: Was sich bewährt hat, soll auch Bestand haben. Darum: Weiter so, weil es die Entwicklung in diesem demokratischen Land, Bundesrepublik Deutschland, ausmacht. Es gibt daher keine überzeugenden Gründe, warum wir dieses bewährte System verändern sollten.
Die Einführung plebiszitärer Elemente trägt - so meine ich - die Gefahr einer schleichenden Abwertung des Parlamentes in sich. Der Anschein einer höheren Legitimität des unmittelbaren Volksgesetzes gegenüber dem „Nur-Parlamentsgesetz" führt dazu, daß das Parlament lediglich in wenigen und dann nicht mehr sehr wichtigen Fragen entscheidet. Gerade die Entscheidungsfähigkeit und die Verantwortungsbereitschaft dieses Parlaments dürfen nicht so beeinträchtigt werden, daß in politisch sensiblen Fragen Plebiszite dem parlamentarischen Entscheidungsträger die Flucht aus der Verantwortung ermöglichen können.
Ich meine auch, meine Damen und Herren, Plebiszite werden der modernen pluralistischen Gesellschaft und Demokratie nicht gerecht. Gerade die pluralistische Demokratie fordert Entscheidungs- und Gesetzgebungsverfahren, die ein Höchstmaß an Kompromißfindung und -suche voraussetzen. Angesichts der Komplexität politischer Entscheidungen besteht die Gefahr, daß sich die Bürger eben nicht von objektiven Kriterien, sondern von der subjektiven Betroffenheit oder von durch Medien geprägten
Stimmungen leiten lassen. Dies kann sicherlich zu einer Entrationalisierung von Entscheidungen führen. Es kann dazu führen, daß Tagesstimmungen die Politik beeinflussen. Deswegen, meine Damen und Herren, ist die Einführung von Volksantrag auf Bundesebene, von Volksbegehren und Volksabstimmung im Grundgesetz nicht gut. Ich denke, daß gerade die Vertreter partikulärer Einzelinteressen in diesem Land Oberhand gewinnen könnten.
Daneben meine ich auch, daß diese Entwürfe fernab jeder politischen Praktikabilität liegen. Sie wissen doch auch, wie schwer es ist, ein Gesetzgebungsverfahren auf den Weg zu bringen. Wir leben heute in einer Zeit, in der die Wissenschaft und die Technik sowie die Gesellschaft rasante Entwicklungen vollziehen. Die Politik und die Entscheidungsträger der Demokratie müssen dynamisch bleiben, um differenziert und entsprechend auf diese Entwicklungen zu reagieren. Eine solche Dynamik kann doch ein Volksentscheid niemals haben.
Man überlege sich nur, meine Damen und Herren, wir hätten vor der Wiedervereinigung unseres Vaterlandes in einer so wesentlichen und elementaren Frage einen oder mehrere Volksentscheide durchführen müssen. Es wäre nicht nur zu zeitaufwendig gewesen; hätte dies womöglich nicht sogar die Wiedervereinigung letzten Endes gefährden können? Jeder, der die unmittelbare Geschichte kennt, muß zumindest diese Fragen stellen.
- Sie wollten die Wiedervereinigung ja gar nicht, deswegen sind Sie da natürlich unmittelbar betroffen.
Ein anderer Aspekt, meine Damen und Herren, der gegen die Einführung einer unmittelbaren Demokratie auf Bundesebene spricht, ist, daß Politik langfristig denken und planen muß. Bei Volksentscheiden besteht die Gefahr, daß nicht die Sache selbst Ausschlag für den Entscheid gibt, sondern Stimmungen. Wie leicht der Bürger durch Populismus und Polemik zu beeinflussen ist, das hat auch Sachsen-Anhalt gezeigt.
Man kann diese Variante auch so sehen, Herr Kollege Häfner: Wie es die Straße mit sich brachte, ist mit perfiden Hetzkampagnen unter dem Einsatz beträchtlicher Mittel der Einzug der DVU gelungen. Auch das ist natürlich ein Element, das es zu berücksichtigen gilt. Ich meine, dies sollte Warnung sein.
Was die von Ihnen behauptete mangelnde Teilhabe und Mitwirkungsmöglichkeit für Bürger anbetrifft: Ich würde es mir sehr wünschen, wenn alle Bürger in der Bundesrepublik Deutschland die ihnen zur Verfügung stehenden Teilhabe- und Mitwirkungsmöglichkeiten nutzten. Ich rufe dazu auf. Gerade als Kommunalpolitiker weiß ich doch, welche Instrumente dem Bürger in diesem Land zur Verfügung stehen: Einwohnerantrag, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, das Anbringen von Beschwerden und Anregungen oder die Teilnahme an Ratssitzungen. Das sind beträchtliche Rechte. Nur, meine Damen
Erwin Marschewski
und Herren - deswegen rufe ich ja dazu auf, diese Rechte wahrzunehmen -, alle diese Möglichkeiten werden viel zu selten und leider oft gar nicht genutzt. Teilhabe und Mitgestaltung, Herr Kollege Häfner, fangen im kleinen an. Das ist das Wesen unserer Demokratie. Deswegen bedarf es keiner von oben nach unten verordneten Unmittelbarkeit in diesen Entscheidungsmechanismen.
Abschließend noch diese Bemerkung: Die PDS, die ja auch einen Antrag gestellt hat, will ihr Vorhaben durch Etatkürzungen beim Verfassungsschutz, beim Bundesnachrichtendienst und bei der Gauck-Behörde finanzieren.
- Sie sagen zum letzten Punkt, zur Gauck-Behörde: „Sehr gut!" Was wollen Sie dadurch erreichen, daß Sie den Etat der Gauck-Behörde beschneiden wollen? Sie wollen keine Aufklärung; Sie wollen die Morde an der Mauer, Bautzen und Stasi verdecken und vertuschen.
Da sagen Sie: „Sehr gut! " Ich schäme mich für Sie, Herr Kollege. Das wird es mit uns keinesfalls geben. Das kann ich Ihnen sagen.
In bezug auf das Amt für Verfassungsschutz und den Bundesnachrichtendienst stelle ich fest: Unsere Demokratie bleibt wehrhaft. Der Verfassungsschutzbericht hat recht, meine Damen und Herren. Er sagt, Sie von der PDS bieten tatsächliche Anhaltspunkte dafür, daß sie die freiheitlich-demokratische Grundordnung überwinden wollen. Sie sind linksextrem und verfassungsfeindlich. Auch deswegen beschämt es mich und macht mich betroffen, daß in Sachsen-Anhalt Sozialdemokraten mit Ihnen zusammenarbeiten und daß Herr Müntefering dieses Vorhaben auch noch als Modellvorhaben bezeichnet. Ich folge hier einem Wort Theo Waigels: Es ist ein Modellvorhaben für die neue Linke, für die alte Volksfront.
Was diese verbrochen hat, Frau Kollegin, zeigt uns die deutsche Geschichte.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Michael Bürsch, SPD.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es sind noch drei Tage vor Pfingsten. Ich schließe mich ausdrücklich Herrn Häfner an: Es gibt Gegenstände, über die wir hier debattieren, die sich nicht für polemische Auseinandersetzungen eignen.
Bitte keine Dialoge von Bank zu Bank, wenn hier jemand redet. Das ist zu laut. - Bitte.
Ich denke, der Gegenstand, über den wir heute debattieren, eignet sich nicht für Polemik.
Er eignet sich auch nicht für die immerwährenden und so beliebten Hinweise auf Sachsen-Anhalt und andere tagesaktuelle Belange.
Herr Marschewski, ich glaube, wenn Sie das einmal mit der gebotenen Sachlichkeit betrachteten, könnten Sie Herrn Häfner zustimmen. Demokratie lebt von der Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger. Das ist Grundkonsens bei uns im Land und hat sich in den letzten 50 Jahren eigentlich auch immer als Konsens herausgestellt. Von diesem Grundverständnis geht auch Art. 20 des Grundgesetzes aus. In der Formulierung:
Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen ... ausgeübt.
kommt genau dies zum Ausdruck.
Wie weit das Volk wirklich mitwirken darf, darüber gibt es bei uns offensichtlich noch keinen Konsens. Aus meiner Sicht ist das zu bedauern. Mindestens dreimal ist in den vergangenen 50 Jahren der ernsthafte Versuch unternommen worden, im Grundgesetz Elemente der direkten Bürgerbeteiligung zu verankern. Alle drei Versuche sind gescheitert:
1948 lehnte der Parlamentarische Rat aus den schon geschilderten Gründen die Einführung von Volksbegehren und Volksentscheid ab. Statt dessen entschied man sich für eine fast lupenrein repräsentative, parlamentarische Ausgestaltung der neuen deutschen Demokratie. Zu den prominenten Gegnern der Bürgerbeteiligung gehörte damals übrigens auch der später hochgeachtete Liberale Dr. Theodor Heuss. Insofern bin ich gespannt, wie die Liberalen heute über dieses Thema denken.
Der zweite Anlauf für eine verbesserte Bürgerbeteiligung scheiterte 1976. Die damals vom Bundestag eingesetzte Enquete-Kommission „Verfassungsreform" lehnte erneut die Einführung von Elementen direkter Demokratie ab, obwohl, Herr Marschewski, fast alle europäischen Nachbarn damit schon sehr positive Erfahrungen gesammelt hatten. Wenn so
Dr. Michael Bürsch
viele europäische Staaten positive Erfahrungen damit gemacht haben, kann man ja fragen: Können sie alle irren? Kann das die repräsentative Demokratie wirklich so in Frage stellen?
Der dritte große Versuch, die politische Bürgerbeteiligung in Deutschland zu fördern, führte 1992/93, also nach der deutschen Einigung, ebenfalls nicht zum Erfolg. Die Gemeinsame Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat konnte sich nicht mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit auf die Übernahme von Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid verständigen, obwohl bis dahin fast alle Länderverfassungen in Ost und West schon Elemente der direkten Bürgerbeteiligung enthielten
und sogar die Befürworter einer solchen Bürgermitwirkung, Herr Hirche, davon ausgingen, daß dadurch das Verfassungsprinzip der repräsentativen Demokratie nicht ersetzt - das hat keiner behauptet, das lese ich auch nicht in den Entwürfen von Bündnis 90/Die Grünen;
es soll nicht ersetzt werden, was wir seit 50 Jahren durchaus mit Erfolg praktizieren -, sondern nur ergänzt werden sollte.
Da nehme ich sehr gerne Ihr Wort von der Dynamik auf, Herr Marschewski. Es entwickelt sich in der Tat alles weiter: Wirtschaft, Gesellschaft und Politik befinden sich in einem Prozeß. Warum sollte die Demokratie dann statisch sein? Das kann auf Grund der Logik, die Sie selber hier ins Gespräch gebracht haben, nicht richtig sein. Auch die Demokratie ist ein dynamischer Prozeß, auch Demokratie muß sich weiterentwickeln.
Nach 50 Jahren der Fehlversuche, Bürgerbeteiligung einzuführen, stellt sich die Frage: Lohnt ein neuer Versuch, wie die Grünen und die PDS ihn forcieren? Wir Sozialdemokraten meinen im Prinzip: Die Mühe lohnt sich. Es gibt Ideen, für die die Zeit reifen muß. Nach unserer Meinung ist in der Tat am Ende dieses Jahrhunderts die Zeit reif für eine verstärkte Bürgerbeteiligung am politischen Geschehen. Wir wollen mit Willy Brandt - er ist hier schon zitiert worden - wirklich „mehr Demokratie wagen". Wir trauen uns das auch.
Die guten Gründe, die für eine verstärkte Bürgerbeteiligung sprechen, sind in den letzten 50 Jahren bereits in vielen Erörterungen vorgetragen worden. Es gab Anhörungen, es wurde genug Sachverstand eingebracht. Ich nenne diese Gründe in drei Punkten zusammengefaßt:
Erstens. Der Wille der Bevölkerung, sich aktiv für Staat und Gesellschaft einzusetzen, wird durch Formen der direkten Mitwirkung nachhaltig unterstützt.
Das belegen auch die Beispiele aus den deutschen Ländern und den Nachbarstaaten.
Bürgerbeteiligung als sinnvolle Ergänzung zur parlamentarischen Demokratie wirkt dem Gefühl der Ohnmacht gegenüber der Politik und auch dem Gefühl der Entfremdung zwischen Politikern und Bürgern, zwischen Repräsentanten und Repräsentierten entgegen. Dadurch kann die Bereitschaft von Bürgerinnen und Bürgern gefördert werden, sich in die Politik einzumischen und den Tendenzen zur Zuschauerdemokratie entgegenzuwirken.
Zweitens. Die letzten 50 Jahre haben die Demokratie in Deutschland stabilisiert. Ich verstehe nicht, Herr Marschewski, welchen Mangel an Selbstbewußtsein Sie uns als Demokraten unterstellen, wenn Sie die Schreckgespenster an die Wand malen, was geschehen könnte, wenn es an einigen Stellen zusätzlich zur repräsentativen Demokratie die Bürgerbeteiligung gäbe. Wir haben inzwischen genügend demokratisches Selbstbewußtsein entwickelt, um eine verstärkte Bürgermitwirkung zuzulassen.
Drittens. Ich glaube, durch Möglichkeiten der Rückkoppelung zwischen Parlament und Gesellschaft läßt sich die Qualität von Politik, insbesondere ihr Alltags- und Realitätsbezug, verbessern. Damit steigt wiederum die Zustimmung, die die' Menschen der Politik entgegenbringen.
Es spricht sehr viel dafür, bei wichtigen Entscheidungen, so über den Regierungssitz, die Verfassung, den Euro und die europäische Einigung, diejenigen mitbestimmen zu lassen, die dies letztlich ertragen und damit leben müssen. Die Menschen in anderen Ländern haben die Weisheit, die Klugheit und die Übersicht besessen - das ist an die Adresse der CDU gerichtet -, dies mitzutragen. Auch in Ländern wie jetzt gerade in Dänemark wird darüber abgestimmt, und da gibt es Zustimmung.
Die Erfahrung zeigt, daß die Akzeptanz der Entscheidung nach einer Beteiligung der Bürger und Bürgerinnen erheblich steigt. Das ist ein stabilisierendes Element für unsere Demokratie. Insofern ist diese Form der Ergänzung nicht nur sinnvoll; sie ist durchaus wünschenswert.
In diesem Sinne hat vor kurzem zu Recht auch Bundespräsident Roman Herzog beim Festakt für die Paulskirchen-Verfassung betont:
Der Wunsch der Menschen nach Mitbestimmung ist das Herzstück der Demokratie. Wir müssen alle wieder das Gefühl bekommen: Politik ist machbar.
Ich möchte einige wenige Worte zu den heute debattierten Entwürfen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS sagen. Die SPD sieht in beiden Vorlagen durchaus richtige Ansätze, die unseren dargelegten Grundvorstellungen sehr nahe kommen. Wir befürworten allerdings nicht in jeder Beziehung die darin enthaltenen Vorschläge; manche der Vorstellungen bedingen nach unserer Ansicht zu weitreichende Änderungen der Verfassung. Das gilt insbesondere für den Entwurf der PDS, die das Recht auf politische Teilhabe durch „vielfältige Gestaltungs- und Kon-
Dr. Michael Bürsch
trollrechte des einzelnen" sowie Erweiterungen des Petitionsrechts in Art. 17 des Grundgesetzes ausdehnen will. Wir werden uns deshalb in der heutigen Abstimmung über die beiden Gesetzentwürfe enthalten, im übrigen auch im Blick darauf, Herr Häfner, daß die Vorlage von Gesetzentwürfen solcher Tragweite zum Ende der Legislaturperiode zumindest vom Zeitpunkt her nicht unbedingt überzeugen kann.
Für uns Sozialdemokraten ist immer noch das Berliner Grundsatzprogramm maßgeblich, das die Einführung der Bürgerinitiative, des Bürgerbegehrens und des Bürgerentscheids unter klaren verfassungsrechtlichen Voraussetzungen vorsieht. Darauf basiert auch unser Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes aus der letzten Legislaturperiode, der nichts an Aktualität verloren hat. Wir werden in der kommenden Legislaturperiode auf dieses Anliegen in der Hoffnung zurückkommen, dann auch bei CDU/CSU und F.D.P. zumindest mehrheitlich Zustimmung für die sinnvolle Weiterentwicklung unserer Verfassung zu finden.
Ein letztes Wort auch im Blick auf das, was Herr Häfner hier zu Recht gesagt hat: Jugend und Demokratie ist auch für mich ein sehr wichtiger Gesichtspunkt. Viele von uns waren im vergangenen Jahr über das Ergebnis der jüngsten Shell-Jugendstudie erschrocken. Darin kam die Ansicht vieler Jüngerer zum Ausdruck, etablierte Politik sei für sie von sehr geringem Nutzen. Politik und ihre Repräsentanten haben bei jungen Menschen offensichtlich viel an Glaubwürdigkeit verloren. Deshalb fordert der Jugendforscher Klaus Hurrelmann aus meiner Sicht zu Recht: „Wir müssen neue, ehrlich gemeinte Beteiligungsformen für die Jugendlichen finden" , um die nachfolgende Generation zum Mitmachen in der Politik zu motivieren.
Ich meine, gerade auch die Jüngeren in unserer Gesellschaft müssen wir davon überzeugen, daß Demokratie von der Mitwirkung des einzelnen lebt. Wer immer nur über die Ohnmacht der Politik klagt und vorhandene Mitwirkungsmöglichkeiten nicht nutzt, trägt selbst entscheidend zum Stillstand bei. Es wird der Zeitpunkt kommen, zu dem die Jüngeren den Stab in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft mit allen Rechten und mit allen Pflichten übernehmen müssen. Mit mehr Bürgerbeteiligung bereiten wir unsere Jugend auf diese Übernahme von Verantwortung besser vor. Darüber hinaus liegt in der sinnvollen Fortentwicklung solcher Demokratieformen auch das beste Mittel gegen die Politikverdrossenheit oder, mit Herrn Marschewski gesprochen, gegen die Teilnahmslosigkeit, gegen die wir alle etwas tun wollen.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Kollege Dr. Max Stadler, F.D.P.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zutreffend ist aus dem Grundgesetz zitiert worden, daß die Staatsgewalt „vom Volke in Wahlen und Abstimmungen ... ausgeübt" wird.
Herr Kollege Catenhusen, Unterhaltungen von Bank zu Bank sind einfach zu laut für den Redner. Das geht nicht. - Bitte, Herr Dr. Stadler.
Danke, Herr Präsident. - Auf Grund der eben beschriebenen Verfassungslage gibt es seit langem quer durch die Parteien eine Diskussion darüber, ob die repräsentative Demokratie durch plebiszitäre Elemente ergänzt werden soll. Genau darum geht es im Kern auch in den Gesetzentwürfen der Bündnisgrünen und der PDS.
Die vorgeschlagenen Institute Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid sind keineswegs neu. Sie sind dem deutschen Staatsrecht auch keineswegs fremd. Der Bundespräsident - das ist zitiert worden - hat öffentlich Sympathie dafür bekundet. Länder wie etwa der Freistaat Bayern können auf eine lange Tradition von Volksbegehren und Volksentscheiden zurückblicken. Plebiszitäre Elemente sind neuerdings zum Beispiel in Bayern auch im kommunalen Bereich mit Bürgerbegehren und Bürgerentscheid eingeführt worden.
Demgemäß gab es natürlich auch bei den Liberalen immer wieder Überlegungen, die überwiegend positiven Erfahrungen aus den Ländern auf den Bund zu übertragen. Im Rahmen der umfassenden Grundgesetzreform in der letzten Legislaturperiode hat sich die F.D.P. etwa für die Möglichkeit der Volksinitiative eingesetzt.
Auf den unterschiedlichsten Parteiebenen gab es bei uns immer wieder Diskussionen und Beschlüsse, auch Volksbegehren und Volksentscheid im Grundgesetz zu verankern.
In der breiten Öffentlichkeit ist in der Diskussion um die Einführung des Euro eine starke Sympathie dafür erkennbar geworden, zumindest bei essentiellen Fragen unseres Staatswesens den Volksentscheid einzuführen.
Gleichwohl lassen sich zu dem vielfach erörterten Pro und Kontra neue Argumente in einer Debatte wie der heutigen kaum mehr nachtragen.
Alles ist vielfach hin und her gewendet worden. Demgemäß bleibt es offenkundig, daß Volksentscheide auf Bundesebene auch gewichtige Nachteile mit sich bringen. Am Ende kommt niemand umhin, in einem Abwägungsprozeß zu bewerten, ob er die Chancen oder die Risiken höher einschätzt.
Dr. Max Stadler
In der F.D.P.-Bundestagsfraktion hat diese Abwägung in der Vergangenheit immer dazu geführt, gegen die Einführung des Volksentscheids zu stimmen.
Was die Bundesebene angeht, bleiben wir bei dieser Meinung, und zwar in Übereinstimmung mit dem Wahlprogramm unserer Partei zur Bundestagswahl 1994. Diese Form des Plebiszits hat einen entscheidenden Konstruktionsmangel, wie er sich auch schon bei Volksentscheiden in den Ländern, also in der Praxis, gezeigt hat: Die Fragestellung muß so formuliert werden, daß die Bevölkerung mit Ja oder Nein stimmen kann. Eine solche Zuspitzung ist gerade bei komplizierten Gesetzesmaterien nicht angemessen. Es muß in einem Gesetzgebungsverfahren möglich sein, Änderungen gegenüber dem Ausgangsentwurf vorzunehmen, Verbesserungen anzubringen, Erkenntnisse aus Sachverständigenanhörungen aufzugreifen und auch politische Kompromisse im Gesetzgebungsverfahren zu schließen. Deswegen ist das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren dynamisch;
so habe ich den Kollegen Marschewski verstanden. Es ist nämlich für Veränderungen von Gesetzentwürfen offen.
Der Volksentscheid erscheint dagegen in dem Sinne statisch, daß ein einmal eingebrachter Entwurf vom Volk unverändert angenommen oder abgelehnt werden kann. Im Freistaat Bayern gab es oft die Schwierigkeit, daß die Antragsteller selber im Laufe eines Diskussionsprozesses mit ihrem Ursprungsentwurf nicht mehr zufrieden waren, der aber - gezwungenermaßen - zum Volksentscheid vorgelegt werden mußte. Dieses Problem zu lösen ist schwierig. Schon aus diesem Grund, um wegen der Kürze der Zeit nur ein einziges Argument aus den vielen früheren Debatten zu wiederholen, lehnen wir den Volksentscheid für die Bundesebene ab.
Ich sage aber auch: Damit sollte die Diskussion über andere Möglichkeiten direkter Demokratie nicht beendet sein. Die von mir gerade skizzierten Nachteile wären zum Beispiel bei einem Referendum vermeidbar. Bei dieser Form der Volksabstimmung würde das Parlament das Recht erhalten, grundlegende Fragen von entscheidender politischer Bedeutung der Bevölkerung zur Befragung oder sogar zur Entscheidung vorzulegen. Eine ähnliche Wirkung würde auch erzielt werden, wenn das Parlament das Recht auf Selbstauflösung, was es jetzt nach dem Grundgesetz nicht hat, erhielte. Dann könnte zur Abstimmung über grundlegende, im Parlament kontroverse Fragen etwa mit vorgezogenen Neuwahlen eine Entscheidung durch die Bevölkerung herbeigeführt werden, die indirekt einen plebiszitären Charakter hätte.
Man braucht kein Prophet zu sein, um in der heutigen Debatte festzustellen: Die Diskussion über diese Fragen der Verfassung ist noch lange nicht abgeschlossen.
Dem vorliegenden Gesetzentwurf kann die F.D.P.-Fraktion allerdings nicht zustimmen.
Das Wort hat der Kollege Professor Dr. Ludwig Elm, PDS.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die gegenwärtigen Rückblicke auf das Jahr 1848 erinnern daran, daß Demokratie nicht etwa ein für allemal Gegebenes oder gar Fertiges ist. „Demokratie hat sich geschichtlich entwickelt und muß sich weiterentwickeln" stellen zu Recht Wissenschaftler, Künstler und Politiker in einem „Aufruf für mehr Demokratie" fest, der vor zwei Wochen erging und bis zum 50. Jahrestag der Annahme des Grundgesetzes am 23. Mai 1999 für Unterstützer offen ist.
Der vorliegende Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist ein notwendiger und guter Beitrag für die Weiterentwicklung des Demokratieprinzips, ebenso wie unser Gesetzentwurf zur Ergänzung der parlamentarischen Demokratie durch unmittelbare Demokratie, der im Immunitätsausschuß noch zu beraten ist. Im einzelnen gibt es dazu eine Reihe von Differenzen. Es gibt Diskussionsbedarf, zum Beispiel zum Verständnis der Begriffe „Volksabstimmung" bzw. „Volksentscheid", zu unterschiedlichen Quoren, zu verschiedenen Regelungen zur Unzulässigkeit von Volksbegehren bis hin zu Fragen der Finanzierung; aber insgesamt sehen wir in dem vorliegenden Entwurf von Bündnis 90/Die Grünen einen durchdachten und praktikablen Regelungsvorschlag.
Wir betrachten die grundgesetzliche Regelung von Volksentscheid, Volksabstimmung und Volksbegehren als eine der wichtigsten zu lösenden Verfassungsfragen im vereinigten Deutschland. Das Problem unserer Demokratie - so heißt es in einer Studie des Wissenschaftszentrums Berlin - ist „nicht ein Mangel an Engagement, sondern seine weitgehende Wirkungslosigkeit" .
Das Volk, die Bürgerinnen und Bürger, sind nach Art. 20 des Grundgesetzes Quelle der Macht. In diesem Artikel - es wurde schon darauf verwiesen - ist die Rede davon, daß diese Macht vom Volke „in Wahlen und Abstimmungen" ausgeübt wird. In der Realität gibt es jedoch, bedingt durch die unzureichende Ausgestaltung der zweiten Säule der unmittelbaren Demokratie, eine Art plebiszitäre Quarantäne, die nunmehr endlich beseitigt werden sollte.
Wir sollten auch beachten, daß die direkte Bürgerbeteiligung mittels Plebisziten ein Verfassungsproblem ist, dessen Lösung von einer wachsenden Mehrheit in der Bevölkerung gefordert wird. Mehrheiten zwischen 65 und 80 Prozent sprechen sich bei
Dr. Ludwig Elm
Meinungsumfragen für die Möglichkeit solcher Weiterentwicklungen der Demokratie und der eigenen Mitwirkung aus. In den Jahren 1992 und 1993 haben sich etwa 230 000 Bürgerinnen und Bürger mit entsprechenden Forderungen an die Gemeinsame Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat gewandt.
Wir sind der Meinung, daß sich hier zwei Bewegungen vereinen: die Bewegung, die sich in der Bundesrepublik seit den 80er Jahren für einen bundesweiten Volksentscheid einsetzt, und die Demokratiebewegung aus der Schlußphase der DDR - mit höheren Erwartungen der Ostdeutschen an mehr direkte Einflußnahme auf die politische Ausgestaltung der Gesellschaft.
Die weitgehende Übereinstimmung unserer Position mit den Vorschlägen im Gesetzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen wie auch mit anderen Vorschlägen und Diskussionsbeiträgen betrachten wir als einen Ausdruck dafür, daß sich in wichtigen Fragen dieser Entwicklung der Demokratie ein immer breiterer Konsens abzeichnet. Wir appellieren an alle, die sich dieser Entwicklung der Demokratie in der Bundesrepublik anschließen wollen, sich am Beispiel erfahrener westeuropäischer Demokratien zu orientieren und sich diesem Bekenntnis und diesen Bemühungen anzuschließen.
Danke schön.
Es werden noch zwei Kurzinterventionen zu dem Beitrag des Kollegen Marschewski gewünscht. Zunächst der Kollege Gerhard Häfner und dann der Kollege Rolf Köhne. Herr Marschewski, können wir uns so verständigen, daß Sie - wenn Sie antworten wollen - auf beide zusammen antworten?
Ja. Ich höre mal, was die Kollegen zu sagen haben.
Gut. - Bitte, Herr Kollege.
Herr Marschewski, ich wollte vor allen Dingen auf einen Punkt Ihres Beitrages eingehen. Sie haben erklärt, der Parlamentarische Rat habe eindeutig die Konsequenzen aus den Erfahrungen von Weimar gezogen und Volksentscheide auf Länderverfassungen und Neugliederungen des Bundesgebietes beschränkt. Ich kann Ihnen nicht übelnehmen, daß Sie diese Auffassung vertreten, denn sie war jahrelang herrschende Meinung in der Staatsrechtslehre. Sie ist aber längst widerlegt. Deswegen würde ich sie nur ungern unkommentiert stehenlassen.
Wenn Sie in den Protokollen des Parlamentarischen Rates nachlesen, dann werden Sie feststellen, daß es bei der Beratung des Art. 20 des Grundgesetzes, der Wahlen und Abstimmungen beinhaltet, nie einen Bezug auf den Art. 29 gab, der die Neugliederung des Bundesgebietes umfaßt. Im Gegenteil: Man war sich einig, daß dies eine Fundamentalnorm ist, die der Ausgestaltung durch den späteren Gesetzgeber bedarf.
Ich will Ihnen die Fundstelle nennen, die wir seinerzeit herausgefunden haben. Es handelt sich um die Sitzung des zuständigen Ausschusses des Parlamentarischen Rates vom 14. Oktober 1948. Das Protokoll dieser Sitzung ist nicht veröffentlicht worden. Ich habe dieses Protokoll im Bundesarchiv in Koblenz gefunden. Es liegt aber heute auch in der Bibliothek des Deutschen Bundestages.
In der entsprechenden Debatte sagte zum Beispiel Ihr Parteimitglied und Vorsitzender dieses Ausschusses:
So darf der Entwurf nicht bleiben,
- damals hieß es: „Wahlen und durch besondere Organe" -
denn sonst wären die Volksabstimmungen ja ausgeschlossen.
Carlo Schmid, SPD, schlug dann vor, zu ergänzen: „Wahlen und Abstimmungen". Er begründet das folgendermaßen:
Wir wollen doch nicht das Monopol für die repräsentative Demokratie.
Es scheint mir wichtig, daß wir deutsche Geschichte und deutsches Verfassungsrecht zutreffend darstellen. Trotzdem bleibt festzuhalten, daß das Grundgesetz immer noch keine konkrete Regelung vorsieht. In diesem Punkt wurde es offengehalten. Es ist die Aufgabe des späteren Gesetzgebers geblieben, zu entscheiden, ob - wenn ja - wann und wie er diese Frage regeln möchte. Ich meine, daß es 50 Jahre nach Zustandekommen des Grundgesetzes höchste Zeit wäre, das zu tun.
Jetzt kurz noch zu ein paar anderen Argumenten von Ihnen. Sie haben gesagt, da würden subjektive Betroffenheit, Medienbeeinflussungen und Tagesstimmungen entscheiden. Wenn Sie das ernst meinten, müßten Sie auch die politischen Wahlen abschaffen, denn mehr Medienbeeinflussung als bei Wahlen ist kaum denkbar. Ich finde diese Form der Mißtrauenserklärung den Bürgern gegenüber nahezu beleidigend; das muß ich offen sagen. Volksbegehren und Volksentscheide - es gibt bis heute über 2 700 solche Vorgänge in anderen Ländern - haben einen langen Vorlauf. Da entscheidet gerade nicht die subjektive Tagesstimmung, sondern da wird über Jahre diskutiert, bis am Ende eine Abstimmung erfolgt.
Das gilt auch für den anderen Punkt, den Sie genannt haben, nämlich daß es viel zu schwer sei, ein solches Gesetzgebungsverfahren auf den Weg zu bringen. Ich selbst habe mehrfach daran mitgewirkt. Ich habe zum Beispiel den Entwurf für die Einführung von Bürgerentscheiden in Bayern mit formuliert. Es gibt in der Bevölkerung ungleich viel mehr Sachverstand und Kompetenz, als Sie dies offenbar für möglich halten. Es ist ja nicht so, daß aus einer momentanen Stimmung heraus eine Abstimmung
Gerald Häfner
stattfindet, sondern da sind viele Hürden zu durchlaufen, und da müssen sich viele Menschen zusammenfinden.
Herr Kollege Häfner, bei der Kurzintervention kann ich nicht gnädig sein. Drei Minuten sind um.
Habe ich meine Zeit schon ausgeschöpft? Dann bitte ich um Nachsicht.
Einen Satz noch.
Der letzte Satz ist: Wenn wir zur deutschen Einheit eine Volksabstimmung durchgeführt hätten, wäre dies nicht, wie Sie meinen, eine Katastrophe gewesen, sondern ein großartiger Beitrag dazu, daß an der Wiege dieses neuen gemeinsamen Staates nicht nur Regierungen und Funktionäre, sondern auch das Volk selbst gestanden hätte. Ich glaube auch, daß die Identifikation mit dem Gemeinwesen damit wesentlich größer wäre, als sie heute ist.
Danke schön.
Das kann man als einen Satz durchgehen lassen. - Herr Kollege Köhne, bitte.
Herr Kollege Marschewski, Ihren Vorwurf der Verfassungsfeindlichkeit in unsere Richtung weise ich ganz entschieden zurück. Es sind die Linken in diesem Lande, die die Verfassung gegen teilweise erhebliche Änderungen verteidigt haben. Wir waren und sind für das Asylrecht, und wir waren und sind für das Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung. Es sind die Linken in diesem Lande, die dafür eintreten, daß die bürgerlichen Freiheiten, zu denen wir uns ausdrücklich bekennen, durch soziale Rechte, wie das Recht auf Arbeit, auf Wohnung und auf Bildung, ergänzt werden. Es ist offensichtlich die CDU, die in diesem Wahlkampf vom längst totgeglaubten kalten Krieg nicht lassen möchte.
Herr Kollege Marschewski, Sie haben sechs Minuten Zeit für Ihre Antwort, wenn Sie wollen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn manche die Wörter Demokratie, Volk, Volksmeinung und Beachtung von Volksmeinung in den Mund nehmen, müßte ihnen die Zunge abfallen. Ich habe manchmal den Eindruck, daß Sie die deutsche Geschichte vergessen haben, daß Sie vergessen haben, was Sie alles gemacht haben. Sie haben noch nichts gelernt. Wenn Sie in Ihrem Antrag sagen, Sie wollen die Mittel für die Gauck-Behörde streichen oder beträchtlich verringern, zeigt sich - ich wiederhole, was ich gerade gesagt habe -: Sie haben nichts gelernt, Sie wollen keine Aufklärung der Morde an der Mauer, Sie wollen keine Aufklärung bezüglich Bautzen, Sie gebrauchen Begriffe, die Sie gar nicht so meinen.
Herr Kollege Häfner, ich weiß auch, daß im Grundgesetz steht - das ist unsere Grundlage -: Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Das ist richtig. Aber wir sind der Auffassung, daß plebiszitäre Elemente Probleme in sich bergen. Der Parlamentarische Rat hat diese Bestimmung natürlich offengelassen; da bin ich mit Ihnen völlig einer Meinung. Er hat aber gesagt, dies sei zum Beispiel im Bereich der Neugliederung der Bundesrepublik möglich, zum Beispiel in Art. 29 des Grundgesetzes. Das ist auch richtig so. Der Parlamentarische Rat wollte die Flucht des Parlamentes eindeutig unterbinden. Das Parlament sollte sich abgewogen selbst entscheiden. Das war die Verhandlungsbasis des Parlamentarischen Rates.
Ja, Tagesstimmungen spielen eine Rolle. Das wissen doch auch Sie; ich brauche es nicht dauernd zu wiederholen. Wir haben in der Verfassungskommission sehr lange darüber geredet. Wenn Sie nach einem scheußlichen Sexualverbrechen dem deutschen Volk, das durch die aktuelle Stimmungslage beeinflußt ist - so sind alle Menschen, auch ich bin so, und das deutsche Volk ist ebenfalls so -, die Frage nach der Todesstrafe vorlegen, stimmt die Mehrheit für die Einführung der Todesstrafe. Diese und andere problematische Entscheidungen soll man sine ira et Studio treffen - deswegen mittelbare Demokratie, deswegen parlamentarische Demokratie in dieser Form.
Ich bin - das möchte ich zum Schluß sagen - mit dem Kollegen Stadler einer Meinung - darüber können wir uns auch unterhalten -, daß wir die Demokratie fortentwickeln müssen. Das ist richtig. Wir müssen aber auch die Warnungen gerade der deutschen Geschichte berücksichtigen.
Herzlichen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 13/10261 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung soll beim Innenausschuß liegen. Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 19 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Arbeit und So-
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
zialordnung zu dem Antrag der Gruppe der PDS
Soziale Grundsicherung gegen Armut und Abhängigkeit, für mehr soziale Gerechtigkeit und ein selbstbestimmtes Leben
- Drucksachen 13/3628, 13/10607 - Berichterstattung:
Abgeordnete Birgit Schnieber-Jastram
Für die Aussprache ist eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Gruppe der PDS fünf Minuten erhalten soll. - Widerspruch höre ich nicht. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Heidi Knake-Werner.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen in dieser trauten Runde! Mit unserem heute zur Debatte stehenden Grundsicherungsantrag befinden wir uns interessanterweise mitten in einer Diskussion, die Walter Riester in seiner Rolle als Arbeitsminister im Wartestand neulich ganz forsch losgetreten hat und so schnell auch nicht wieder los wird. Man kann Walter Riester mit seinem Vorschlag für eine steuerfinanzierte Mindestsicherung mißverstehen, man muß es aber nicht. Aber natürlich läßt die Koalition in dieser Situation keine Gelegenheit aus, Riester in die Nähe des Biedenkopfschen Grundrentenmodells oder des Bürgergeldkonzepts, das einstmals von der F.D.P. propagiert wurde, zu rücken.
Ich denke, Walter Riester hat mit seinem Vorstoß vor allem eines im Sinn: Er will dazu beitragen, daß alten Menschen, die ein arbeitsreiches Leben hinter sich haben, der Gang aufs Sozialamt erspart bleibt, und das ist doch das wenigste, was man tun kann, wenn man die Lebensleistung von Männern und Frauen in dieser Gesellschaft ernst nimmt.
Altersarmut, die vor allem Frauen betrifft, hat uns schon seit den 70er Jahren beschäftigt, und schon damals waren daraus strukturelle Probleme des sozialen Sicherungssystems erkennbar. Minirenten im Alter sind doch unbestritten die Folge eines Rentensystems, das vor allem die lebenslange männliche Erwerbsbiographie honoriert und andere Lebensverläufe, wie die von kindererziehenden und -pflegenden Frauen, nur unzureichend anerkennt.
Armut ist aber längst in allen Altersgruppen verbreitet. Besonders bedrückend ist dabei die wachsende Zahl von Kindern und Jugendlichen, die in Armutsverhältnissen aufwachsen.
Die Sozialhilfe begegnet diesem Problem völlig unzureichend - auch deshalb, weil immer mehr Menschen den entwürdigenden Gang aufs Sozialamt scheuen. Wenn auf 100 Menschen, die Sozialhilfe erhalten, heute noch einmal 110 Menschen kommen, die aus Scham diese Hilfe erst gar nicht in Anspruch nehmen, dann ist das für uns, für die PDS, Grund genug für die Einführung der sozialen Grundsicherung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, um vor allem verdeckte Armut und Abhängigkeit im Alter sowie in allen anderen Lebensphasen zu verhindern, ist ein Konzept notwendig, das das bestehende soziale Sicherungssystem nicht zur Disposition stellt, sondern es sinnvoll ergänzt. Das will die PDS. Wir wollen das Leistungsprinzip der beitragsbezogenen sozialen Sicherung erhalten und das Solidarprinzip durch die Einführung einer steuerfinanzierten, am Bedarf orientierten Grundsicherung stärken. Ein solcher Grundsicherungssockel in allen Zweigen des sozialen Sicherungssystems bedeutet konkret, daß niedrige Renten und das geringe Arbeitslosengeld aus Steuermitteln aufgestockt werden. Das bedeutet aber auch, daß Familienarbeit aufgewertet und anerkannt wird, Studierende ohne materiellen Druck studieren können, Unterhaltsabhängigkeit zwischen Ehegatten sowie zwischen Kindern und Eltern abgeschafft wird.
Bei dem von uns vorgeschlagenen Grundsicherungsbetrag von 1425 DM orientieren wir uns an der europaweit definierten Armutsschwelle und wissen sehr wohl, daß das nur eine Hilfsgröße sein kann, die wir gern durch eine Kommission aus Expertinnen und Experten überprüft hätten, um zu einem echten, bedarfsgerechten Mindesteinkommen in der Bundesrepublik zu kommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen mit der Grundsicherung das soziale Sicherungssystem armutfest machen, aber wir wollen dieses System gleichzeitig an die neuen Herausforderungen, die sich aus dem Umbau der Arbeitsgesellschaft ergeben, anpassen.
Die PDS geht nach wie vor davon aus, daß allen Menschen, die arbeiten wollen und können, eine sinnvolle, existenzsichernde Arbeit ermöglicht werden muß.
Aber wir haben natürlich keine Illusionen. Diese Chance wird vielen Menschen noch auf lange Zeit vorenthalten werden.
Bei rund 8 Millionen fehlenden Arbeitsplätzen und einer zunehmenden Zahl von Menschen, deren Erwerbsbiographie unterbrochen ist, die in Teilzeit arbeiten oder ehrenamtlich tätig sind, muß es zu einer teilweisen Entkopplung von Erwerbsarbeit und sozialer Sicherung kommen. Dafür tritt die Grundsicherung ein. Kombilohnmodelle, wie von Regierung und Arbeitgebern vorgeschlagen, werden die Krise des Beschäftigungssystems durch einen weiteren Abbau sozialer Standards nur noch verschärfen; denn schon heute schützt auch Vollzeiterwerbsarbeit nicht vor Armut, wie viele Zahlen belegen. Mit der sozialen Grundsicherung denken wir den notwendigen Umbau unserer Arbeitsgesellschaft sozial absichern zu können.
Dr. Heidi Knake-Werner
Natürlich ist das alles nicht zum Nulltarif zu haben. Soziale Sicherheit kostet Geld. Wir haben in unserem Antrag eine Fülle von Finanzierungsvorschlägen gemacht. Bundesminister Waigel hat nach Riesters Vorstoß dankenswerterweise gleich ausrechnen lassen, was die Grundsicherung für Rentnerinnen und Rentner eigentlich kosten würde. Er hat dabei festgestellt, daß das 3 Milliarden DM ausmachen würde. Ist das nicht ein lächerlicher Betrag angesichts der Tatsache, daß für ein Kampfflugzeug, das niemand außer der Rüstungslobby braucht, 23 Milliarden DM bereitgestellt werden?
Mehr soziale Gerechtigkeit verlangt eine andere Prioritätensetzung. Eine solche will die PDS.
Die weiteren gemeldeten Redner in dieser Debatte, Matthäus Strebl, Ulrike Mascher, Andrea Fischer und Uwe Lühr, geben ihre Beiträge zu Protokoll.*) Ich gehe davon aus, daß Sie damit einverstanden sind. - Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu dem Antrag der Gruppe der PDS zu einer sozialen Grundsicherung gegen Armut und Abhängigkeit, Drucksache 13/10607. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/3628 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist gegen die Stimmen der PDS mit den Stimmen des Hauses im übrigen angenommen.
Ich rufe auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Gruppe der PDS
Haltung der Bundesregierung zu den Äußerungen der Bundesminister Blüm und Kanther zum Abbau und zur Bezahlung von Überstunden
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die PDS hat die Kollegin Heidi Knake-Werner.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit langem wird die Debatte um die Abschaffung bzw. Einschränkung von Überstunden geführt. Nun haben sich auch die Minister Kanther und Blüm eingeschaltet.
Während der eine mit dem Schlachtruf „Einstellen ist das Gebot der Stunde" die Unternehmen zum Abbau von Überstunden auffordert und für Neueinstellungen wirbt, will der andere, Innenminister Kanther, nicht die Überstunden abschaffen, sondern deren Bezahlung. Während der eine also nur aus dem Mustopf kommt, was für einen Arbeitsminister schon ziemlich peinlich ist, droht der andere mit dem dicken Rotstift
*) Anlage 4
und provoziert die Beschäftigten im öffentlichen Dienst auf unerträgliche Weise.
Bleiben wir aber zunächst beim Bundesarbeitsminister. Es ist gewiß nicht darüber zu meckern, wenn Norbert Blüm den Arbeitgebern, die keine Neueinstellungen wollen, ihre dummen Ausreden vorwirft. Ich nehme sogar mit Befriedigung zur Kenntnis, daß nun auch der Minister vorrechnet, wie viele neue Arbeitsplätze durch Überstundenabbau entstehen könnten, und daß nun Unternehmen und Betriebsräte gefragt seien. Schließlich ist es nicht verboten, daß auch ein Minister schlauer wird.
Was ich allerdings für politisch verantwortungslos halte, ist die vertane Zeit. Bereits vor zwei Jahren nämlich hat das Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung in seiner Studie „Wege zu mehr Beschäftigung " umfangreiche Berechnungen zu den Beschäftigungseffekten von Überstundenabbau vorgelegt. Dort hieß es schon damals, daß allein ein Abbau von 40 Prozent der jährlich geleisteten Überstunden zu 442 000 neuen Arbeitsplätzen führen könnte - eine grandiose Chance also, sich der damals versprochenen Halbierung der Arbeitslosenzahlen wenigstens anzunähern. Aber passiert ist im Hause Blüm nichts. Zwei Jahre vertan im Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit: Das ist der eigentliche Skandal.
Jede von uns eingeforderte Initiative in diese Richtung haben Sie mit dem Hinweis auf die Zuständigkeit der Tarifparteien plattgemacht. Dort, wo Sie die Tarifparteien samt Regierung hätten an einen Tisch bekommen können - nämlich beim Bündnis für Arbeit - haben Sie das Ganze mutwillig platzen lassen.
Heute wieder nichts als Appelle! Aber Appelle allein reichen schon lange nicht mehr - genauso wenig wie das Schielen auf die Tarifparteien. Trotz millionenfachen Arbeitsplatzdefizits nimmt die Zahl der Überstunden nämlich nicht ab. Auch 1997 waren es wieder 1,8 Milliarden Überstunden. Rein rechnerisch entspricht das 1,2 Millionen Vollzeitarbeitsplätzen. Um wenigstens einen Teil dieser möglichen neuen Arbeitsplätze zu realisieren, ist der Gesetzgeber gefordert, die dafür geeigneten Rahmenbedingungen zu schaffen. Das heute geltende Arbeitszeitgesetz mit seinen Gummiparagraphen und der Möglichkeit, die Wochenarbeitszeit auf 60 Stunden auszudehnen, ist dafür absolut ungeeignet. Dieses Gesetz braucht dringend eine Novellierung, wie sie von der PDS gefordert wird.
Nun zu den Vorschlägen von Bundesminister Kanther, die deutlich im Widerspruch zu denen des Kollegen Blüm stehen. Minister Kanther will im öffentlichen Dienst nämlich weder Arbeitszeitverkürzung noch Überstundenabbau und schon gar keine Neueinstellungen. Er will die Überstundenzuschläge sparen und dazu - gegen alle Vernunft - die Regelarbeitszeit ausdehnen. Was heißt das denn konkret? Konkret heißt das: Krankenschwestern, Busfahrern, Polizistinnen und Müllmännern wird die Arbeitszeit verlängert und das Einkommen gekürzt. Es sind aber gerade die Beschäftigten des unteren und mittleren Dienstes, die die Überstunden fahren und das teilweise auch wollen, weil es ihnen auf Grund der Real-
Dr. Heidi Knake-Werner
lohnverluste der letzten Jahren nur so möglich ist, ihren Lebensstandard zu halten.
- Es tut mir leid, ich rede nicht über die Schweiz. Ich rede im Moment über die Verhältnisse in der Bundesrepublik; das muß Ihnen entgangen sein. - Oder diese Beschäftigten wählen lieber bezahlte Überstunden, weil der Freizeitausgleich wegen Personalknappheit nicht funktioniert, wie es gerade bei Lokführern und Polizisten immer wieder beklagt wird. Trotzdem bin ich generell für den Freizeitausgleich bei Überstunden. Die Vorschläge Minister Kanthers gehen allerdings an all diesen Problemen vorbei; sie sind unsozial und beschäftigungspolitisch kontraproduktiv.
Wenn vom Überstundenabbau wirklich neue Arbeitsplätze in einer nennenswerten Größenordnung zu erwarten sind, dann hat, meine ich, der öffentliche Dienst dabei eine Vorreiterfunktion wahrzunehmen. Bei allen neuen Vorschlägen muß zweierlei gewährleistet sein: Erstens müssen Überstundenabbau und Arbeitszeitverkürzung sozial abgefedert werden, damit sich auch Geringverdienende die hinzugewonnene Freizeit wirklich leisten können, und zweitens muß bei der Arbeitszeitgestaltung der Gedanke der Zeitsouveränität durch Mitbestimmungsregelungen der Beschäftigten verankert werden, damit der Freizeitausgleich nicht immer wieder aus betrieblichen Gründen ausfällt.
Nur so, liebe Kolleginnen und Kollegen, kann verhindert werden, daß eine unsoziale Sparmaßnahme als beschäftigungspolitische Initiative verkauft wird, wie es Bundesminister Kanther offenbar beabsichtigt hat.
Das Wort hat der Bundesminister Dr. Blüm.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe den Ratschlag bekommen, schlauer zu werden. Selbst wenn ich mich anstrenge, kann ich nicht so schlau werden, um den Sinn dieser Aktuellen Stunde zu begreifen.
Manfred Kanther ist kein Förderer der Überstunden, ich bin kein Förderer von Überstunden -
was wollen Sie eigentlich? Manfred Kanther erfüllt einen Auftrag der Tarifgemeinschaft Bund, Länder und Gemeinden. Gegen Angriffe, wie sie jetzt gestartet werden, muß ich die SPD-regierten Länder einmal
in Schutz nehmen. Das gilt selbst für Sachsen-Anhalt, wo Sie von der PDS mit in der Regierung sind.
Es geht darum, den Regelungswirrwarr zu beseitigen, was Überstunden- und Mehrarbeitsregelungen im öffentlichen Dienst anbelangt. Beamte, Angestellte und Arbeiter werden unterschiedlich behandelt. Es muß definiert werden, was eigentlich Mehrarbeit und Überstunden sind. Auf der Ebene der Arbeiter beginnt die Überstundenzählung bei den einen bei der Tagesarbeit und bei den anderen bei der Wochenarbeit. Was also ist an dem Vorhaben, für das Manfred Kanther steht, verwerflich?
Sie sagen, ich hätte nichts gemacht. Warum schimpfen Sie dann über das Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz? Das ist ein Teil dessen, was Einstellungen erleichtern soll. Wenn ich nichts gemacht hätte, hätten Sie gar keinen Grund zu schimpfen. Dann schimpfen Sie gegen nichts. Das verstehe ich auch nicht.
Was mir nur auffällt: Wann immer in Deutschland ein Problem entsteht, was fällt der PDS ein - leider sind auch die Sozialdemokraten nicht von dieser Versuchung freizusprechen -: Gesetz und Staat. Darauf beschränkt sich der Einfallsreichtum der PDS, geübt in der Staatswirtschaft. Aus diesen Klamotten kommt man natürlich nicht heraus.
Nun will ich etwas zum Thema Überstunden sagen. Im übrigen habe ich die Zahlen, die hier genannt worden sind, vor zwei Jahren nicht nur gekannt, sondern ich habe sie vor zwei Jahren auch schon genauso vorgetragen. Erst einmal will ich klarmachen: Sie werden Überstunden niemals ganz abschaffen können. Sie sind bei unvorhergesehenen Fällen unverzichtbar. Oder soll ein Meister, der einen Anruf bekommt, daß ein Wasserrohr gebrochen ist, wenn Feierabend ist, das Arbeitsamt anrufen und einen Installateur anfordern? In der Zwischenzeit ist die Wohnung überflutet. Also müssen Überstunden gemacht werden. Oder soll ein Abschleppdienst plötzlich stehenbleiben, weil die Normalarbeitszeit abgelaufen ist? Über solche unvorhergesehenen Fälle sind wir uns wohl einig.
- Ich weiß noch ein paar Sachen.
Mit Ihnen kritisiere ich die Fälle, in denen Überstunden nicht die Ausnahme sind, sondern zur Regel werden, in denen Sonderschichten auf Teufel komm raus gefahren werden. Im übrigen ist das auch mitbestimmungspflichtig. Deshalb richtet sich mein Appell nicht nur an die Arbeitgeber, sondern auch an die Betriebsräte. Wenn Überstunden zur Regel werden, so ist dies eine Rücksichtslosigkeit gegenüber den Arbeitslosen.
Allerdings habe ich mich nicht auf Appelle beschränkt, sondern ich habe auch eine Lösung ange-
Bundesminister Dr. Norbert Blüm
boten. Traditionell hinkt doch der Aufschwung auf dem Arbeitsmarkt dem Aufschwung der Konjunktur hinterher. Das hängt damit zusammen, daß bei den ersten Zeichen der Besserung, beim ersten Mehrauftrag zunächst einmal die Kapazitäten ausgelastet und Überstunden gemacht werden. Deshalb sage ich: Arbeitet in unsicheren Zeiten mit einem befristeten Arbeitsvertrag! Befristet Arbeit zu haben ist besser, als unbefristet arbeitslos zu sein.
Aus einem befristeten Arbeitsvertrag kann ja ein unbefristeter werden, wenn sich aus dem ersten Auftrag Daueraufträge entwickeln.
Was ist daran überhaupt zu kritisieren und gar einer Aktuellen Stunde wert? Ich sage, meine Damen und Herren: Das ist ein Rohrkrepierer. Jedenfalls ist dies keine brauchbare Munition für eine Aktuelle Stunde.
Das Wort hat die Kollegin Erika Lotz, SPD.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Am heutigen Tage muß ich einmal festhalten, daß der Bundesarbeitsminister die SPD in Schutz nimmt.
Das sind wir gar nicht mehr gewohnt. Zur Zeit erleben wir pausenlos das Gegenteil. Das muß man sich auf der Zunge zergehen lassen. Aber zum Schluß hat er es auch schon wieder eingeschränkt.
Weshalb reden wir heute über das Thema Überstunden? Ich denke, das hängt damit zusammen, wie sich die Situation auf dem Arbeitsmarkt insgesamt darstellt. Trotz der extremen Lohnzurückhaltung der Gewerkschaften ist ein Anstieg der Beschäftigung derzeit nicht in Sicht. Wir haben die höchste Arbeitslosigkeit, und der Beschäftigungsabbau ist lediglich zum Stillstand gekommen.
Herr Bundesarbeitsminister, wenn Sie sagen, hinsichtlich der Überstunden seien auch die Betriebsräte gefordert, wenn Sie also das Thema Mitbestimmung ansprechen, muß ich Ihnen sagen: Ich habe viele Jahre als Betriebsrätin gearbeitet. Ich war Betriebsratsvorsitzende und weiß um die Schwierigkeit, sich in diesem Bereich der Mitbestimmung durchzusetzen.
Denn machen wir uns nichts vor - auch Sie wissen das ganz genau -: Angesichts einer solch hohen Arbeitslosigkeit und der von Ihnen verursachten hohen Belastungen der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen machen auf Grund der geringen Nettoentgelte die Kolleginnen und Kollegen in den Betrieben natürlich gerne Überstunden, und unter dem Gesichtspunkt, daß es dem Betrieb wieder schlechtergehen könnte, haben sie die Befürchtung: Wenn sie Überstunden ablehnen, wird der Arbeitgeber dies im Rahmen der Beurteilung zum Anlaß nehmen, festzulegen, von welcher Arbeitnehmerin bzw. welchem Arbeitnehmer er sich trennt. Es besteht also die Angst, daß man, lehnt man Überstunden ab, eher zu diesem Kreis gehört. All das, was von Ihnen im letzten Jahr mit durchgesetzt worden ist - zum Beispiel die Lokkerung des Kündigungsschutzes -, trägt doch nicht dazu bei, daß Betriebsräte, an der Stelle von ihrer Belegschaft getragen, Überstunden ablehnend gegenüberstehen. Das muß man einfach einmal zur Kenntnis nehmen.
Es waren doch diese Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen, die das Arbeitsrecht, wie es Minister Rexrodt einmal gefordert hat, gelenkiger gemacht haben. All Ihre Versprechungen im Rahmen der gesamten Deregulierungen, Kürzungen, Einschränkung der Lohnfortzahlung usw. - man müßte hier eine halbe Stunde sprechen, um dies alles aufzuzählen - haben nicht dazu geführt, daß es mehr Arbeitsplätze gegeben hat. Die Zahl der Arbeitslosen hat sich vielmehr erhöht.
Die SPD-Bundestagsfraktion hat bereits im letzten Jahr einen Antrag eingebracht, der sich mit einem Sofortprogramm zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit beschäftigt. Dieser Antrag hatte zwei Schwerpunkte, nämlich die Umwandlung von Überstunden in Arbeitsplätze und die Förderung von mehr Teilzeitarbeit. Das wäre der richtige Weg gewesen.
Bezüglich des Bereiches Überstunden will ich daran erinnern, daß Sie, Herr Minister Blüm, es waren, der 1994 das Arbeitszeitgesetz - aus meiner Sicht negativ - verändert hat. Die Betriebsräte würden sich mit einem anderen Gesetz leichter tun. Es wäre, da Sie das so angesprochen haben, nur konsequent, im Arbeitszeitgesetz entsprechende Änderungen vorzunehmen, es zu novellieren, damit die Betriebsräte in diesem Bereich mehr Einfluß haben.
Ich will noch etwas zum öffentlichen Dienst sagen. Im Ergebnis der Tarifrunde 1998 wurde zwischen den Tarifvertragsparteien vereinbart, der Tarifrunde Verhandlungen folgen zu lassen. Dazu sind die Themen festgelegt worden: Arbeitszeitkonten, Jahresarbeitszeit und auch eine Definition der Überstunden. Ich denke, es ist eine gute Übung dieses Parlaments, sich nicht in Tarifangelegenheiten einzumischen. Der Bundestag hat in der Vergangenheit die Tarifautonomie stets respektiert und davon abgesehen, Tarifverhandlungen und Tarifergebnisse bzw. die Positionen der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite in Debatten zu kommentieren oder gar durch Beschlüsse zu bewerten. Dieser Übung will auch ich folgen.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat die Kollegin Annelie Buntenbach, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Das Signal, das Herr Kanther öffentlich gegeben hat, ist arbeitsmarktpolitisch klar und aus meiner Sicht grundfalsch.
Statt Arbeitszeitverkürzung heißt es: länger arbeiten für weniger Geld.
Herr Blüm, dabei geht es nicht darum - darin sind wir uns alle einig -, einen Regelungswirrwarr zu vereinheitlichen; das ist nicht das Problem. Es geht vielmehr darum, daß längere Arbeitszeiten wieder zum Normalfall werden sollen. Statt Überstunden abzubauen und dadurch natürlich dann auch Zuschläge einzusparen, soll im öffentlichen Dienst jetzt wieder länger gearbeitet werden.
Gerade im öffentlichen Dienst - das meine ich jetzt nicht als Einmischung in die Tarifverhandlungen, sondern als einen Hinweis, der unseren Handlungsspielraum betrifft - haben wir Handlungsmöglichkeiten, die nicht von all den Problemen, von Eingriffen in die freie Wirtschaft, auf die sich gerade die Damen und Herren von den Regierungsfraktionen so gerne zurückziehen, behindert werden. Auch hier, wo Sie freiere Hand hätten, gehen Sie in die völlig falsche Richtung, wenn es um das Ziel der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit geht.
Wir alle wissen, daß, offiziell registriert, inzwischen viereinhalb Millionen Menschen erwerbslos sind und daß mehr als sieben Millionen Jobs fehlen. Das heißt doch eindeutig: Wir müssen Arbeit umverteilen, Arbeitszeiten radikal verkürzen, wenn wir die Menschen wieder von der Straße holen wollen.
Der Vorstoß von Herrn Kanther zur billigen Arbeitszeitverlängerung spricht allen Versuchen Hohn, die aus den Gewerkschaften heraus immer wieder zur Verkürzung der Arbeitszeit unternommen worden sind und die sich mit Namen wie Zwickel oder Mai verbinden. Der Versuch der Gewerkschaften, Überstunden in Neueinstellungen umzuwandeln, war doch ein Kernstück des Bündnisses für Arbeit, das diese Regierung mit ihrer Absenkung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall zum Scheitern gebracht hat. Hier, bei der Umwandlung von Überstunden in Neueinstellungen, liegt nach wie vor ein riesiges Arbeitsplatzpotential. Wenn wir nämlich von den zirka 1,8 Milliarden Überstunden, die 1997 in der Bundesrepublik geleistet worden sind - Kollegin Knake-Werner hat das vorhin schon gesagt -, auch nur die Hälfte, Herr Blüm - das ist ja durchaus realistisch -, abbauen und davon wiederum die Hälfte in Neueinstellungen umwandeln würden, dann wären das 300 000 bis 400 000 neue Jobs. Auf sie können wir doch nicht verzichten.
Da ist doch auch die Regierung gefragt - und das nicht nur in Appellen, Herr Blüm -, den ordnungspolitischen Rahmen zu ändern. Um nur ein Beispiel zu nennen: Ein Arbeitszeitgesetz, das bis zu 60 Arbeitsstunden in der Woche zuläßt, ist doch völlig kontraproduktiv.
- Und bei der Hebamme, ich weiß. Mit den Einzelbeispielen kommen wir doch nicht weiter. Es geht um die politische Rahmensetzung.
Die politische Rahmensetzung muß im Arbeitszeitgesetz und bei den anderen Weichenstellungen in Richtung auf Arbeitszeitverkürzung und die Umverteilung von Arbeitszeit gehen und nicht in Richtung Arbeitszeitverlängerung.
Aber von dieser Bundesregierung ist offensichtlich nichts zu erwarten.
Sie stehen offensichtlich für Arbeitszeitverlängerung. Auch die Arbeitgeber halten die Initiativen der Gewerkschaften für nicht erforderlich. Die BDA sagt: Das muß lokal und flexibel geregelt werden.
- Ja. Was das bedeutet, ist die Frage. Das könnte zum Beispiel bedeuten, daß man Überstunden nicht in Neueinstellungen umwandelt, sondern Überstunden Zeitkonten gutschreibt, weil das Zuschläge spart.
Ich möchte hier kein Mißverständnis aufkommen lassen: Wir sind selbstverständlich für Zeitkonten. Zeitkonten sind sinnvoll, aber nur dann, wenn sie grundsätzlich auf Arbeitszeitverkürzung ausgerichtet sind und nicht auf Arbeitszeitverlängerung und wenn sie an den Interessen der Beschäftigten ausgerichtet sind. Schließlich liegt eine unglaubliche Flexibilität auch darin - vielleicht ist es das, was Sie meinen -, wenn große Kaufhäuser ihre Beschäftigten nach dem Wetterbericht für den nächsten Tag bestellen. Aber diese „Arbeitszeit aus der Tube" - meist noch ohne Sozialversicherungspflicht und in Minijobs - stellt einen unzumutbaren Zugriff des Arbeitgebers, der sich seinerseits von jedem Risiko entlastet, auf die Lebens- und Arbeitszeit der Angestellten dar.
Diese Art der Flexibilisierung wollen wir nicht; diesem Mißbrauch muß der Gesetzgeber endlich durch eine vernünftige Rahmensetzung einen Riegel vorschieben.
Annelie Buntenbach
Die Interessen der Beschäftigten müssen viel stärker auch bei der Lage der Arbeitszeiten berücksichtigt werden. Dafür brauchen wir mehr handlungsfähige Betriebs- und Personalräte, aber auch individuelle Rechte, die das sicherstellen. Ich meine zum Beispiel: Rückkehrrechte dann, wenn jemand bereit ist, eine Zeitlang kürzer zu arbeiten; Sabbatjahre, deren Ansparen erleichtert werden muß.
Wenn man ernst nimmt, was die Bundesregierung auf eine Große Anfrage der SPD-Fraktion geantwortet hat, nämlich daß 2,5 Millionen Menschen gern ihre Arbeitszeit verkürzen würden - und zwar freiwillig -, dazu aber zur Zeit praktisch gar keine Möglichkeit haben, obwohl wir doch auf jeden neuen Arbeitsplatz dringend angewiesen sind, dann ist doch klar, was hier politisch zu passieren hat und daß hier ein riesengroßes Arbeitsplatzpotential liegt, wenn man denn den Menschen die Chance bietet, ihre Arbeitszeit entsprechend kürzer zu gestalten.
Es gibt eine ganze Menge bürokratischen Mülls - gerade im öffentlichen Dienst -, den Herr Kanther schon lange hätte aus dem Weg räumen können und müssen. Ich glaube, die Weichen müssen endlich in Richtung auf Arbeitszeitverkürzung gestellt werden.
Das Wort hat der Kollege Uwe Lühr, F.D.P.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die PDS hat in ihrem Antrag zu dieser Aktuellen Stunde zusammengeschrieben, was nicht so richtig zusammengehört. Wir haben den Appell des Bundesarbeitsministers vom Wochenende an die Arbeitgeber, den konjunkturellen Aufschwung zu unterstützen und Überstunden durch die Einstellung von Arbeitnehmern mit befristeten Arbeitsverträgen abzubauen. Sollte sich die Konjunkturlage, wie erwartet, stabilisieren, könnten sie in unbefristete Arbeitsverhältnisse umgewandelt werden.
Allerdings halten wir den Abbau von Überstunden nicht für den alleinigen Schlüssel zur Halbierung der Arbeitslosigkeit. Die anscheinend so plausible Argumentation, die rund 1,8 Milliarden Überstunden müßten nur abgebaut werden und schon sei das Ziel, die Zahl der Arbeitslosen bis zum Jahr 2000 zu halbieren, in greifbare Nähe gerückt, ist leider nicht zwingend.
Denn erstens geht die Zahl der Überstunden bereits seit 1995 zurück, zweitens fallen die Überstunden von Branche zu Branche in unterschiedlicher Höhe an und sind oft konjunkturbedingt, und drittens werden Überstunden schon jetzt in Unternehmen mehr und mehr durch flexible Arbeitszeitmodelle einschließlich Zeitkonten abgebaut.
Will man also Arbeitslosigkeit wirklich wirksam verringern, dann sind endlich Entscheidungen zur
Senkung von Steuern notwendig sowie die Senkung der Sozialabgaben,
die Reduzierung der Staatsquote unter 50 Prozent, die Öffnung der Tarifverträge bzw. ihre Konzentration auf wenige Kernelemente, Entbürokratisierung, Investitions- und Innovationsförderung, Existenzgründungs- und Marktzugangserleichterungen erforderlich - Maßnahmen, die in wesentlichen Teilen aus wahltaktischen Gründen von der Opposition im Bundesrat boykottiert wurden.
Was die Äußerung des Bundesministers Kanther zum Abbau und zur Bezahlung von Überstunden angeht, stützen sich die Agenturmeldungen auf eine Meldung der „Bild"-Zeitung, die Tageszeitungen auf die Agenturmeldungen und wir uns auf die Tageszeitungen.
Der Appell, Überstunden abzubauen, gilt natürlich auch für die öffentliche Verwaltung. Wir unterstützen die Bundesregierung auf ihrem Weg zum schlanken Staat. Weniger Staat und mehr Freiräume für Private sind für die Erschließung neuer Beschäftigungs- und Wachstumspotentiale und die Stärkung des Standortes Deutschland von entscheidender Bedeutung.
Die Bundesregierung hat seit Beginn dieser Legislaturperiode eine Vielzahl von Maßnahmen ergriffen, mit denen die Bundesverwaltung die Anforderungen der Zukunft meistern kann. Umfassende Organisationsuntersuchungen in allen Bundesministerien, die Reform des öffentlichen Dienstrechtes, Gesetze zur Vereinfachung und Beschleunigung von Planungs-und Genehmigungsverfahren, Reduzierung der Statistikflut, die erfolgreichen Privatisierungen von Post, Bahn und Telekom sind durchaus relevante Aktivposten auf der Habenseite.
Der Personalbestand der Bundesverwaltung ist rückläufig. Im Vergleich zum Vorjahr ist die Zahl der Beamten geringfügig, die der Angestellten um 3000 und die der Arbeiter um 4000 zurückgegangen.
Die Zahl der Beschäftigten bei Bund, Ländern und Gemeinden ist von 1991 bis 1996 von 5,3 auf 4,7 Millionen gesunken. Dieser Personalabbau darf aber nicht, wie der Deutsche Beamtenbund zu Recht kritisiert, zu wachsender Arbeitsverdichtung und einem ständig größeren Überstundenberg führen, was schließlich in die Forderung nach Einstellung zusätzlich benötigten Personals mündet, sondern muß nach kritischer Überprüfung des Aufgabenbestandes zu dessen drastischer Reduzierung führen.
Wir unterstützen den Beamtenbund bei seiner Forderung, die starren Arbeitszeiten der Bundesverwaltung zu lockern und den Beschäftigten die Möglichkeit zu eröffnen, ihre Arbeitszeit flexibler zu gestalten, etwa auch durch Einführung von Arbeitszeitkonten. Für den Trick, durch Festlegung einer 45-Stunden-Rahmendienstzeit für tatsächlich geleistete Überstunden keinen Geldausgleich gewähren zu müssen, kann sich in meiner Fraktion, der F.D.P.-Fraktion, niemand begeistern. Leistung muß sich loh-
Uwe Lühr
nen. Wer also mehr leistet, indem er Überstunden macht, muß dafür entsprechend be- bzw. entlohnt werden. Alles andere wirkt kontraproduktiv und demotivierend.
Die F.D.P. war eine treibende Kraft für die Verabschiedung des Dienstrechtsreformgesetzes. Mit uns wird es daher keine Regelungen geben, die Inhalt und Geist dieses Gesetzes konterkarieren.
Schönen Dank.
Das Wort hat der Kollege Matthäus Strebl, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Schaffung von Arbeitsplätzen ist und bleibt das oberste Ziel der Regierung und damit auch der Bundesminister Blüm und Kanther. Viele Maßnahmen sind in diesem Bereich bereits erfolgreich ergriffen worden. Ich nenne hier nur das Beschäftigungsförderungsgesetz,
das mit Wirkung vom 1. Oktober 1996 die arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen geschaffen hat. Damit soll die Bereitschaft von kleineren Betrieben gestärkt werden, auch bei ungesicherter Auftragslage zusätzliche Arbeitnehmer einzustellen. Die Vorschläge, durch den Abbau von Überstunden neue Stellen zu erschließen, werden sowohl von den Gewerkschaften als auch von allen Parteien befürwortet.
Die Frage ist nur, wie dieses Vorhaben in die Praxis umgesetzt werden kann. Mehr als die Hälfte der anfallenden Überstunden - 63 Prozent - werden - das muß man wissen - in kleineren und mittleren Betrieben geleistet. Ursache für diese Mehrarbeit sind saisonale Schwankungen des betrieblichen Nachfrage-und Produktionsvolumens sowie vorübergehende Engpässe im Produktionsablauf. Teilweise sind diese vorhersehbar und kalkulierbar, teilweise treten solche Mehrbelastungen überraschend auf.
Zwei wesentliche Gründe sprechen gegen die Forderung einer gesetzgeberischen Maßnahme in dieser Situation:
Erstens. In Deutschland herrscht nach wie vor Tarifautonomie. Die bestehenden Tarifverträge sind von einem Verbot der Überstunden noch weit entfernt, so daß das Gesetz schon aus diesem Grund nur geringe praktische Wirkung hätte.
Zweitens. Eine gesetzliche Regelung könnte auf die branchen- und betriebsspezifischen Besonderheiten nicht eingehen. Gefordert sind in dieser Situation die Tarifvertragsparteien sowie die Arbeitgeber und Betriebsräte. Sie verfügen über die notwendigen flexiblen Instrumentarien. Sie können die gebotene Rücksichtnahme ausüben und auf die betrieblichen Gegebenheiten im Einzelfall eingehen.
Betriebe selbst entfalten zahlreiche variable Lösungen, um Überstunden abzubauen. An erster Stelle rangieren mit 68 Prozent die Maßnahmen zur Erhöhung der Arbeitsproduktivität, und an zweiter Stelle steht die Einstellung von zusätzlichen Vollzeitkräften - wie es Minister Blüm ausgeführt hat - in unbefristete Arbeitsverhältnisse.
Wir finden eben maßgeschneiderte Lösungen besser als die Einheitsware von der Stange. Gerade im Arbeitsrecht sind die Werkzeuge, die die Tarifpartner besitzen, viel effizienter als die gesetzgeberischen Mittel. Das können Arbeitszeitkorridore oder auch Jahresarbeitszeiten sein.
Auch der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Dieter Schulte, äußerte sich in der „Welt" vom 22. Mai 1998 in dieser Hinsicht. Ich zitiere - mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident -:
Der Gesetzgeber sollte sich bei den Überstunden zuerst einmal raushalten. Das Problem der Überstunden ist nicht mit Politikern im Rahmen eines neuen Bündnis' für Arbeit zu klären, sondern die Tarifpartner müssen das unter sich ausmachen.
Daran halten wir uns auch. Warum sollten wir uns in interne Angelegenheiten der Tarifvertragspartner einmischen, wenn diese selbst ihre Regelungskompetenz schon erkannt haben? Halten wir uns heraus und überlassen das Maßschneidern denen, die die besseren Nadeln und die besseren Fäden haben!
Das, verehrte Kolleginnen und Kollegen, war der letzte Redner. Die Aktuelle Stunde ist beendet. Wir sind damit auch am Schluß der Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 17. Juni 1998, 13 Uhr ein.
Ich wünsche Ihnen allen, die Sie bis zum Schluß ausgehalten haben, frohe Pfingsten und ein schönes Wochenende.
Die Sitzung ist geschlossen.