Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren, ich eröffne die Sitzung und bitte Sie, sich zu erheben, weil ich unserer Toten gedenken möchte.
In dieser Woche sind zwei ehemalige Mitglieder des Deutschen Bundestages verstorben, die beide der Kriegsgeneration angehörten und den zweiten Weltkrieg mit seinen furchtbaren Schrecken, Vernichtungen und Verlusten als Soldaten erlebt haben. Sie waren beide nach dem Krieg in herausgehobenen politischen Positionen aktiv und haben auf unterschiedliche Weise einen jeweils eigenständigen Beitrag zum Aufbau der Bundesrepublik Deutschland geleistet.
Am Montag dieser Woche ist der ehemalige Bundesminister für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte, Theodor Oberländer, im Alter von 93 Jahren gestorben. Er stammte aus Meiningen in Thüringen. Theodor Oberländer war von 1953 bis 1965 Mitglied des Deutschen Bundestages, zunächst als Vertreter des Bundes der Heimatvertriebenen und Entrechteten, später als Abgeordneter der CDU. Theodor Oberländer hat sich jahrzehntelang für die Eingliederung von Millionen Heimatvertriebenen und Umsiedlern eingesetzt und so wichtige Integrationsarbeit geleistet. 1960 trat er wegen des Vorwurfs, Kriegsverbrechen begangen zu haben, zurück. Gegen diesen Vorwurf hat er sich in vielen Gerichtsverfahren zur Wehr gesetzt und erfolgreich um seine Rehabilitation gekämpft.
Der Deutsche Bundestag gedenkt eines Parlamentariers, der in der schwierigen Phase des Neubeginns einen weithin geachteten politischen Beitrag geleistet hat.
In der Nacht zum Donnerstag verstarb unerwartet das langjährige Mitglied des Deutschen Bundestages, der ehemalige Bundesminister und Vizekanzler Dr. Erich Mende, im Alter von 81 Jahren.
Er wurde 1916 in Großstrelitz in Oberschlesien geboren. Nach seiner Rückkehr aus dem zweiten Weltkrieg und aus Kriegsgefangenschaft, nach Abschluß des Studiums der Rechtswissenschaft und der Politischen Wissenschaft trat er bereits 1946 der F.D.P. bei. 1949 wurde Dr. Erich Mende für die F.D.P. in den Deutschen Bundestag gewählt, dem er ununterbrochen bis 1980 angehörte. Sein enormes organisatorisches Talent und seine rhetorischen Fähigkeiten
brachten ihn in rascher Abfolge in die Ämter des Geschäftsführers, des zweiten stellvertretenden Vorsitzenden und des Fraktionsvorsitzenden. 1960 wurde er Bundesvorsitzender der Partei.
Bundeskanzler Ludwig Erhard berief Erich Mende im Jahr 1963 als Bundesminister für Gesamtdeutsche Fragen und Vizekanzler in sein Kabinett. Erich Mende war ein einfallsreicher Deutschlandpolitiker, ein Kämpfer für die deutsche Einheit, die er mit seinem Konzept der „kleinen und mittleren Schritte" voranzubringen suchte. 1965 sagte er in einem Interview: Des Deutschen Vaterland ist das ganze Deutschland. Europa wird entstehen in der Vielfalt seiner Landschaften, seiner geschichtlichen Werte, seiner Lebensart.
Nach der Bildung der sozialliberalen Koalition 1969 wechselte der konservative Liberale 1970 zur CDU, für die er bis 1980 im Deutschen Bundestag arbeitete.
Erich Mende steht für eine Generation von Politikern, die nach den bitteren und leidvollen Kriegsjahren mit ungebrochenem Elan an den politischen und staatlichen Wiederaufbau unseres Gemeinwesens ging. Er war ein leidenschaftlicher und streitbarer Liberaler und hat entscheidenden Anteil am Aufbau der F.D.P. Sein Einsatz im Bundestag galt insbesondere den Kriegsgefangenen und der Rehabilitierung der Soldaten.
Der Deutsche Bundestag wird beiden Verstorbenen ein würdiges Gedächtnis bewahren. Ich spreche den Angehörigen beider Familien unsere tiefe Anteilnahme aus.
Meine Damen und Herren, Sie haben sich aus Anlaß des Todes der beiden Verstorbenen erhoben. Ich danke Ihnen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 a bis 7 c auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierzehnten Gesetzes zur Änderung des Wehrsoldgesetzes
- Drucksache 13/9960 -
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Verteidigungsausschusses
- Drucksache 13/10544 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Jürgen Augustinowitz Dieter Heistermann
bb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 13/10583 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dietrich Austermann
Jürgen Koppelin Ernst Kastning Oswald Metzger
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses
zu dem Antrag der Fraktion der SPD
Wehrsolderhöhung
- Drucksachen 13/10191, 13/10544 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Jürgen Augustinowitz Dieter Heistermann
c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses
zu dem Antrag der Abgeordneten Winfried Nachtwei, Angelika Beer, Christian Sterzing, Antje Hermenau und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Beseitigung von Ausbildungshindernissen und Benachteiligungen im Rahmen der Wehrpflicht
- Drucksachen 13/8706, 13/9727 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Jürgen Augustinowitz Walter Kolbow
Zum Gesetzentwurf liegen ein Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. sowie ein Entschließungsantrag und ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Die Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen hat ebenfalls einen Entschließungsantrag eingebracht.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Wir verfahren so.
Ich eröffne die Aussprache. Es beginnt der Kollege Paul Breuer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eigentlich wollten wir in dieser Debatte allein über die Themen Wehrsolderhöhung und Weiterentwicklung der Wehrpflicht sprechen.
Aber am vergangenen Mittwoch mußten wir mit völligem Unverständnis - ich betone: völligem Unverständnis - zur Kenntnis nehmen, daß der Hauptausschuß der Stadt Frankfurt mit der Mehrheit der Stimmen von SPD, PDS und Bündnisgrünen den
Antrag der Bundeswehr abgelehnt hat, ein öffentliches Gelöbnis in Frankfurt im Oderbruch am 15. August 1998 abzuhalten.
Die Menschen in unserem Land mußten gestern in der auflagenstärksten deutschen Tageszeitung
in großen Lettern die Schlagzeile lesen: „Undank" . Was wird den Menschen in unserem Land angesichts dieser Schlagzeile durch den Kopf gegangen sein?
Vor kaum neun Monaten hat die ganze Nation - ich betone: die ganze Nation - mit den Menschen im Oderbruch mitgefiebert.
Die Soldaten der Bundeswehr, junge Leute aus allen Bundesländern, vom anderen Ende Deutschlands, aus dem Saarland, aus Baden-Württemberg, aus Niedersachsen, aus dem hohen Norden - alle haben mit angepackt, um die Menschen vor den Fluten zu retten.
Die Bundeswehrsoldaten waren in aller Munde. Sie hatten mit ihrem Einsatz Wesentliches für das Empfinden der inneren Einheit unseres Landes getan. Das war beispielhaft.
' Sie haben ein Gefühl der inneren Einheit ausgelöst, das sich auf vieles andere auswirkte.
- Ich bin fest davon überzeugt, daß Sie von der inneren Einheit nichts verstehen. Das wissen wir. Sie tragen nicht zur inneren Einheit bei, sondern eher zur Spaltung.
Diese innere Einheit, dieses Gefühl hat sich auf viele Menschen in ganz Deutschland übertragen. Ich bin davon überzeugt, daß die große Spendenbereitschaft etwas mit dem Empfinden der Solidarität, die dieser Einsatz der Bundeswehrsoldaten im Oderbruch zeigte, zu tun hatte. Die Dankbarkeit der Menschen im Oderbruch äußerte sich in vielen spontanen Reaktionen. Heute ist das alles bei den Repräsentanten der SPD, der PDS und der Grünen vor Ort vergessen.
Mit Hilfe von fadenscheinigen Argumenten werden altbekannte ideologische Gräben wieder aufgeworfen. Das feierliche öffentliche Gelöbnis wird als überkommenes, antiquiertes und sogar als martialisches Zeremoniell gebrandmarkt. Dabei verkennen diese angesprochenen - ich sage - unverantwortlichen Politiker von SPD, PDS und den Bündnisgrünen eines: Sie sollten sehen, daß zum einen das feierliche öffentliche Gelöbnis, dieses Zeremoniell, der jungen
Paul Breuer
Soldaten aus dem Oderbruch und anderen Regionen ein Ausdruck der Verbundenheit der Bevölkerung in der Region mit den Soldaten ist und daß es sich zum anderen um ein Gelöbnis handelt, das die Soldaten auf die freiheitlichste und friedlichste Grundordnung und Verfassung ablegen, die dieses Land jemals gehabt hat.
Diese markante Mehrheit - ich sage das ganz bewußt; darüber sollte sich insbesondere die SPD einmal Gedanken machen - aus SPD, PDS
und Bündnisgrünen nimmt nicht zur Kenntnis, was der Einsatz im Oderbruch an Gefühlen in bezug auf die Einheit und Solidarität in diesem Lande ausgelöst hat. Damit legen diese Unverantwortlichen vor Ort, die Sie noch in Schutz zu nehmen versuchen, die Axt an das Gefühl der inneren Einheit in unserem Land.
Dankenswerterweise haben mehrere Gemeinden aus dem Oderbruch, darunter die Gemeinden Wriezen, wo das Gelöbnis auch stattfinden wird, Neutrebbin und Eisenhüttenstadt, die Bundeswehrsoldaten spontan dazu eingeladen, das öffentliche feierliche Gelöbnis bei ihnen abzuhalten. Ich bedanke mich ausdrücklich bei diesen Gemeinden.
Sie zeigen damit ihre tiefe Verbundenheit gegenüber unserer Bundeswehr, die mit ihrem Einsatz unter Leitung von General von Kirchbach zur Zeit der Flutkatastrophe für das Überleben einen entscheidenden Beitrag geleistet hat.
Bei einigen unverantwortlichen Politikern in Frankfurt dagegen scheint die ideologische Prägung im Vordergrund dessen zu stehen, was sie zur Leitlinie ihrer politischen Entscheidung machen.
- Frau Kollegin, mir ist schon klar, warum Sie da nervös werden. - Es ist hochinteressant zu sehen, wer daran beteiligt ist. Der Fraktionsvorsitzende der SPD ist ein DGB-Funktionär, der nicht etwa aus der Region stammt, sondern aus dem Westen kommt.
Ich erinnere mich an andere Auseinandersetzungen in meinem Wahlkreis, in dem Gewerkschaftsfunktionäre eines Betriebes, der mit einem Betrieb im Osten hätte kooperieren können, im Westen Forderungen stellten, die sich gegen die im Osten richteten. Und im Osten wurden Forderungen gestellt, die sich gegen die Menschen im Westen richteten. Das ist keine Einheit, sondern das ist eine tiefe Spaltung und ein Teil der Politik, die Sie leider immer noch betreiben.
Einmal mehr klaffen die öffentlichen Bekenntnisse zur Bundeswehr von Teilen der SPD und die tatsächliche Politik vor Ort weit auseinander. Wissen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, wenn ich Ihren Entschließungsantrag lese, stelle ich fest: Einerseits schämen Sie sich - dafür haben Sie allen Grund -, aber andererseits gehen Sie auf die fadenscheinigen Argumente, die vor Ort - ob das in Hamburg, in Bremen oder in Berlin war - vorgebracht werden, immer noch ein. Wann und wo kann denn eigentlich ein feierliches öffentliches Gelöbnis stattfinden?
Ihre Argumente lauten: Im Sommer ist es zu heiß, im Winter zu kalt und im Frühjahr zu naß. Aber daß das Gelöbnis als Selbstverständlichkeit überall auf öffentlichen Plätzen stattfinden kann, weil sich die jungen Soldaten der Bundeswehr zu unserer Grundordnung bekennen und weil sich die Bevölkerung - dazu kann ich Ihnen etwas aus meinem eigenen Wahlkreis erzählen - dazu bekennen möchte, ist Ihnen nicht klar. Sie bleiben in den alten ideologischen Prägungen.
- Frau Beer, bei Ihnen wundert mich gar nichts.
Wer die Bundeswehr abschaffen will, wer die Zerstörung der NATO betreiben will,
der muß notwendigerweise auch gegen feierliche öffentliche Gelöbnisse sein. Das ist mehr als konsequent.
Ich fordere die SPD dringend auf, sich mehr um ihre Parteibasis zu kümmern.
Ich stelle immer mehr fest, daß Ihre tollen Bekundungen hier im Deutschen Bundestag mit dem tatsächlichen Handeln eines Teils der von Ihren geführten Landesregierungen und der SPD-Politiker vor Ort in den Kommunen wenig oder gar nichts zu tun haben.
Paul Breuer
Bei der Gelöbnisfeier in meinem Wahlkreis in Siegen am 24. April 1998, also vor wenigen Wochen,
konnte ich feststellen, daß die Honoratioren der SPD beim öffentlichen Gelöbnis und beim offiziellen Empfang ganz stark vertreten waren. Unter den Tausenden von Menschen waren im übrigen auch Sozialdemokraten, aber die vor Ort ansässigen SPD-Parteifunktionäre, im Hintergrund als Drahtzieher bei einem Aktionsbündnis gegen das Gelöbnis,
und die Jusos mit den Trillerpfeifen marschierten mit den 200 Demonstranten. Das war im übrigen allerdings ein klägliches Völkchen gegenüber den Tausenden von Menschen, die mitfeierten.
Diese Doppelstrategie, die Sie an den Tag legen, ist höchst fragwürdig. Beschäftigen Sie sich damit, sonst ist Ihre Entschließung hier nicht glaubwürdig.
In das Bild der Scheinheiligkeit passen auch die Äußerungen Ihres Fraktionsvorsitzenden Scharping aus den letzten Tagen.
Er hat im Prinzip die Katze aus dem Sack gelassen: Immer offener spricht er von einer mittel- und langfristigen Personalverringerung und von Standortveränderungen bei der Bundeswehr. Er fordert eine Wehrstrukturkommission. Er kann sich das Aussetzen der Wehrpflicht vorstellen.
Wer sich das Aussetzen der Wehrpflicht vorstellen kann, der schafft die Wehrpflicht ab. Schauen Sie in unser Nachbarland Belgien und fragen Sie dort den Verteidigungsminister Poncelet. Er sagt heute: In Belgien hätte man darüber eine tiefgreifendere Diskussion führen müssen; diejenigen, die damals dafür plädiert haben, die Wehrpflicht auszusetzen, haben etwas getan, was nie wieder - zumindest unter diesen Umständen - rückholbar ist.
Was Sie hier betreiben, ist nicht nur ein Drahtseilakt, sondern das ist ein gefährliches Tun, das die Axt an die Wurzeln nicht nur des Traditionsverständnisses, sondern auch des Grundverständnisses von unserer Bundeswehr als voll integrierten Teil unserer Gesellschaft legt.
Da Sie schon an die Aussetzung der Wehrpflicht denken, frage ich mich, ob Ihr Antrag auf Wehrsolderhöhung um 2 DM täglich wirklich ernst gemeint ist.
Oder dient er nur dem vermeintlichen Stimmenfang? Im Bundestag entdecken Sie Ihr Herz für die Wehrpflichtigen, und draußen in den Städten und Dörfern sorgen Sie dafür, daß sie sich auf öffentlichen Plätzen nicht zur freiheitlichen Grundordnung bekennen dürfen.
Sie begründen den Antrag damit, daß sich die Koalition nicht genügend um die Wehrpflichtigen gekümmert habe, was das Finanzielle angeht.
Die Koalition hat die Wehrpflicht belastungsgerecht weiterentwickelt und in den letzten vier Jahren erhebliche finanzielle Verbesserungen für die Wehrpflichtigen von bis zu 63 Prozent erreicht, die im übrigen von den sachkundigen Mitgliedern Ihrer Fraktion gar nicht bestritten werden.
Herr Breuer, denken Sie an das Ende Ihrer Rede?
Frau Präsidentin, ich bin, was die Rede angeht, gleich am Ende - ansonsten nicht.
Rund 85 Prozent der Grundwehrdienstleistenden haben durch das von der Koalition geschnürte Maßnahmenpaket Soldsteigerungen von 4,10 DM bis 9,10 DM täglich. Dagegen muten die 2 DM, die Sie vorschlagen, lächerlich an.
Nehmen Sie die Realitäten, auch was diese Frage angeht, zur Kenntnis! Dann werden Sie feststellen: Wir haben über die Wehrpflicht nicht nur pathetische Reden gehalten. Wir haben sie weiterentwickelt und etwas für die Wehrpflichtigen getan. Das wird deutlich, wenn Sie sich mit der Politik der Koalition in diesem Teil, aber auch in anderen Teilen der Sicherheitspolitik substantiell beschäftigen.
Ihr Antrag zur Wehrsolderhöhung trifft den Kern dessen, was belastungsgerecht ist, nicht, und Ihr Antrag im Hinblick auf das Gelöbnis in Frankfurt ist der Versuch der Ablenkung, weil Sie sich schämen und betroffen fühlen. Aber er löst die Probleme in der Struktur der SPD vor Ort leider nicht.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Zu einer Kurzintervention hat jetzt die Abgeordnete Enkelmann das Wort.
Die Koalition mußte ja schon einige Verrenkungen machen, um mit dieser
Dr. Dagmar Enkelmann
Debatte über die Erhöhung des Wehrsolds, über die wir uns ja im wesentlichen einig sind, eine Debatte über öffentliche Gelöbnisse und insbesondere über eine mögliche Entscheidung in Frankfurt zu verbinden. Dies ist eindeutig ein Mißbrauch dieser Debatte, ein Mißbrauch des Parlaments.
Man muß dazu sagen: Es ist schon ein ungeheuerlicher Vorgang, wie sich dieses Parlament in eine kommunalpolitische Entscheidung einmischt.
Es lag keine Beschlußvorlage im Hauptausschuß der Stadt Frankfurt vor. Es lag lediglich ein Brief von Kirchbach an den Oberbürgermeister vor, über den beraten worden ist.
Es gibt keine Entscheidung. Hier soll Druck auf eine Stadt ausgeübt werden.
Nun ist es - ich denke, auch hier im Parlament - kein Geheimnis, daß über öffentliche Gelöbnisse, unter anderem über Fahnenweihe, über Zapfenstreich - ich kann mich zum Beispiel an eine Diskussion Bonn betreffend erinnern -,
in der Öffentlichkeit diskutiert wird, und zwar nicht nur in Frankfurt , sondern auch in Hamburg, in Bremen und Berlin. Es gibt Diskussionen darüber, ob das noch zeitgemäß ist, ob das nicht Relikte aus der Vergangenheit sind.
Das will ich Ihnen ganz ernsthaft sagen: In Frankfurt spielte auch eine Rolle, ob dies nicht Relikte aus der DDR-Vergangenheit sind. Vielleicht setzen Sie sich auch damit einmal auseinander.
Das Ganze hat aber mit dem Hochwasser überhaupt nichts zu tun.
Die PDS hat in der Debatte im August des vergangenen Jahres und im übrigen immer wieder deutlich gesagt, daß sie Achtung vor der Leistung der Soldaten, der Angehörigen der Bundeswehr und des Technischen Hilfswerkes sowie anderer Einrichtungen hat. Das ist deutlich gesagt worden, und daran machen wir bis heute keine Abstriche. Es waren Mitglieder der PDS, die neben den Soldaten gestanden
haben, die sich gegenseitig die Sandsäcke zugereicht haben.
- Darüber können Sie sich lustig machen; das sind aber Tatsachen.
Aber heißt das gleichzeitig, daß damit Kritik an der Bundeswehr tabu ist, daß man deswegen über Militärspektakel und beispielsweise über eine weitere Nutzung von Truppenübungsplätzen wie der Colbitz-Letzlinger Heide oder der Heide bei Wittstock nicht mehr reden darf? Heißt das gleichzeitig, daß man keine Kritik mehr an Auslandseinsätzen der Bundeswehr üben darf? Ich denke, das hat nichts miteinander zu tun. Die Absicht ist ziemlich durchsichtig: Sie führen einen miesen Wahlkampf, und das Schlimme daran ist, daß Sie diesen Wahlkampf auf dem Rücken von Bundeswehrangehörigen führen.
Ich denke, wir haben im Bundestag Wichtigeres zu tun.
Auch eines will ich Ihnen ganz deutlich sagen. Die Bürgerinnen und Bürger, auch in Frankfurt(Oder), haben ein anderes, ein wesentlich gravierenderes, existentielles Problem, und das ist das Problem der Arbeitslosigkeit. Daß Sie versuchen, mit dieser Debatte von diesem Problem abzulenken, ist, denke ich, sehr durchschaubar. Das wird Ihnen letzten Endes am 27. September die Quittung bringen.
Möchten Sie antworten, Herr Breuer? - Nein.
Als nächster spricht Kollege Kurt Palis.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ursprünglich sollte diese Debatte einem wichtigen Thema dienen, nämlich der Frage, ob wir mehr als sechs Jahre warten wollen, um den Wehrsold der Wehrpflichtigen zu erhöhen oder nicht. Diese Frage steht nach wie vor im Mittelpunkt meines Redebeitrags. Aber gestern ist nun über das Medium der „Bild"-Zeitung mit Macht eine kommunalpolitische Problematik in diesen Bundestag eingebrochen.
Kurt Palis
- Das ist eine zunächst kommunalpolitische Problematik. Zu dieser Frage ist auch von unserer Seite einiges zu sagen. Herr Kollege, das ist wahr. Das wird mein Kollege Peter Zumkley tun.
Ich konzentriere mich auf den vereinbarten Gegenstand: Wehrsolderhöhung und in welcher Weise.
Ich will nur einen Satz zu meiner persönlichen Einstellung zu dem ganzen, neu aufgetauchten Komplex sagen. Ich habe wie viele meiner Kolleginnen und Kollegen als Sicherheitspolitiker Gelegenheit gehabt, bei Gelöbnissen zu sprechen. Ich habe dies gerne getan und habe solche Gelegenheiten gerne genutzt. Ich bin auch stolz darauf und freue mich darüber, daß man in dieser Weise den jungen Soldaten für ihren Einsatz danken kann.
Meine Damen und Herren, ich hätte mir gewünscht, daß wir in den Beratungen im Verteidigungsausschuß doch noch parteiübergreifend zu einer gerechten Anpassung des Wehrsoldes an die gestiegenen Lebenshaltungskosten gekommen wären. Diese Chance wurde von Ihnen, meine Kolleginnen und Kollegen der Regierungskoalition, vertan. Dabei hätten Sie aus der Not, in die Sie geraten waren, weil der Haushaltsausschuß unseren Antrag auf Wehrsolderhöhung um 2 DM zum 1. Januar 1998 angenommen hatte, durchaus eine Tugend machen können. Es wäre für die Wehrpflichtigen und die Zivildienstleistenden ein wichtiges Zeichen gewesen, wenn den hehren Worten auch entsprechende Taten gefolgt wären. Hier hätten wir uns von der SPD auf seiten der Koalitionsfraktionen viel mehr Mut gewünscht.
Denn die letzte Wehrsolderhöhung um 2 DM wird bei Inkrafttreten Ihrer Gesetzesvorlage mehr als sechs Jahre zurückliegen; das ist Fakt. Seitdem ist die Preisentwicklung nicht stehengeblieben. In allen übrigen Bereichen wurde zumindest eine Anpassung der Einkommen an die gestiegenen Lebenshaltungskosten erreicht. Auch bei den Berufs- und Zeitsoldaten ist dies geschehen, auch beim Bundesverteidigungsminister, selbst bei den Abgeordneten ist dies passiert. Nur den Grundwehrdienstleistenden, die einen Ehrendienst für unser Land leisten, einen Dienst, der auch dadurch gekennzeichnet ist, daß er nicht mit einem vollen Lohn besoldet wird, ist durch die Mehrheitsfraktionen in diesem Hause eine gerechte Wehrsolderhöhung immer wieder verweigert worden. Die SPD hat in dieser Wahlperiode bereits mehrfach den Antrag auf Erhöhung des Wehrsoldes gestellt, zuletzt in den Beratungen zum Bundeshaushalt 1998. Diese Anträge scheiterten immer wieder am Widerstand der Regierungsfraktionen.
Dieser Umgang mit berechtigten Interessen der Wehrpflichtigen ist aus der Sicht der SPD-Fraktion unzumutbar.
Nun kommt der Vorschlag von Ihnen, eine Erhöhung um 1 DM, und dann nicht einmal zum nächstmöglichen Termin, sondern erst zum 1. Januar 1999. Ein Schelm, wer im Wahljahr Böses dabei denkt.
Diese Anpassung ist zu niedrig. So fordert der Bundeswehrverband sogar eine sofortige Erhöhung um mindestens 3,50 DM. Im übrigen kommt Ihre Anpassung auch zu spät. Eine angemessene materielle Grundsicherung ist für die Akzeptanz der Wehrpflicht, die eine Mehrheit in diesem Hause über Parteigrenzen hinweg befürwortet, aber unerläßlich; denn es handelt sich - dies hat mein Kollege Heistermann in der ersten Lesung dieses Gesetzentwurfes bereits betont - beim Wehrsold für Grundwehrdienstleistende eben nicht um einen Lohn, sondern um ein hinreichendes Taschengeld für die private Lebensführung als Anerkennung und Entschädigung für staatsbürgerliche Pflichterfüllung.
Wer die Wehrpflicht in unserem Lande wirklich erhalten will, der muß für Akzeptanz in der Bevölkerung sorgen. Eine wesentliche Rolle spielen dabei die sozialen und finanziellen Rahmenbedingungen für Grundwehrdienstleistende, für Reservisten und deren Familien. Hier hat die Koalition ihre Chance verpaßt.
Wenn von seiten der Koalition darauf verwiesen wird - Herr Breuer hat das am Schluß seines Redebeitrages wieder getan -, daß die Summe der seit 1995 ergriffenen Maßnahmen zur Steigerung der finanziellen Attraktivität des Wehrdienstes die Forderungen der SPD doch bei weitem übertreffe und gar zu Verbesserungen um bis zu 63 Prozent geführt habe,
so ist das, Herr Breuer, noch nicht einmal die halbe Wahrheit. Die ganze Wahrheit lautet: Trau keiner Statistik, die du nicht selber gefälscht hast!
Warum beginnen Sie bei Ihren statistischen Überlegungen immer mit dem Jahr 1995 und nicht beispielsweise mit dem Jahr 1992, dem letzten Jahr einer linearen Wehrsolderhöhung?
Ich sage Ihnen, warum Sie das tun: Sie müßten dann einräumen, Herr Breuer, daß zum Beispiel durch das Gesetz zum föderalen Konsolidierungsprogramm 1993 unsere Wehrpflichtigen zunächst erhebliche Einbußen hinnehmen mußten. So wurde das Entlassungsgeld von 2500 DM auf 1800 DM reduziert.
Kurt Palis
- Nein, Sie irren sich, Herr Breuer. Als die Reduzierung der Wehrdienstzeit einsetzte, wurde das Entlassungsgeld erneut verringert, und zwar auf 1500 DM.
Seit der zehnmonatigen Wehrdienstzeit liegt es eben bei 1 500 DM. Darüber hinaus wurde das doppelte Verpflegungsgeld, das 1989 eingeführt worden war, ab Juni 1993 nur noch für die Zeit des Erholungsurlaubs gezahlt. Erst ab Oktober 1995 - seltsamerweise beginnt Ihre Statistik immer erst da -, wurde die alte Regelung wieder auf Wochenenden und dienstfreie Tage ausgedehnt.
Ihre Masche, die Rücknahme von vorher erfolgten Kürzungen als Wohltat der Regierung darzustellen, wird nach den Erfahrungen von 16 Jahren konservativ-liberaler Regierung in der Bevölkerung und von den Soldaten voll durchschaut.
Diese Haltung der Regierungskoalition macht deutlich, daß die Interessen der Wehrpflichtigen in Ihren Reihen schlecht aufgehoben sind.
Daran ändert auch die im Gesetzentwurf vorgesehene weitere Differenzierung des 1996 eingeführten Mobilitätszuschlags nichts. Hierdurch wird das Grundproblem nicht gelöst, und es ist auch kein Ersatz für eine angemessene Wehrsolderhöhung. Die Staffelung des Mobilitätszuschlags führt in letzter Konsequenz dazu, daß nicht der Wehrdienst, sondern die Entfernung vom Heimat- zum Dienstort vergütet wird.
Grundwehrdienstleistende, die in relativer Heimatnähe stationiert sind, gehen dabei leer aus.
Wir werden diesen Vorschlag der Regierung trotzdem nicht ablehnen; denn er ist letztlich besser als nichts. Das geben wir zu. Aber wir bleiben dabei: Der Mobilitätszuschlag ist kein Ersatz für die von uns geforderte Wehrsolderhöhung. Diese ist uns wichtiger als eine weitere Differenzierung beim „Mobzuschlag" .
Der im gesamten Gesetzentwurf deutlich gewordene Kurs der Regierungsparteien geht an den tatsächlichen Erfordernissen vorbei. Wir bleiben daher bei unserer Forderung nach einer Anhebung des Wehrsoldes in allen Wehrsoldgruppen um 2 DM täglich ab dem 1. Januar 1998 und werben um Zustimmung für unseren Änderungsantrag.
Zum Abschluß ein kurzes Wort zum Antrag der Bündnisgrünen: Bei der Abstimmung über diesen Antrag wird sich meine Fraktion der Stimme enthalten. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom Oktober 1997 hat im Verhältnis der Wehrpflicht zur Berufsausbildung eine Konkretisierung der Zurückstellungsmöglichkeiten gebracht, die - so die Zusage des BMVg - auch in den Entscheidungen der Wehrersatzbehörden berücksichtigt wird. Durch diese Entscheidung sowie durch weitere bereits erfolgte administrative Maßnahmen zur Verbesserung der Einberufungspraxis scheinen aus Sicht der SPD unlösbare Ausbildungshindernisse nicht mehr zu bestehen.
Es bleibt allerdings dabei - ich komme zum Schluß -, daß in Konfliktsituationen zwischen Wehrpflicht und Erhalt des Ausbildungsplatzes der vorhandene Entscheidungsspielraum vor Ort jeweils zugunsten des Erhalts des Ausbildungsplatzes genutzt werden muß.
Meine persönlichen Erfahrungen der letzten Monate mit der Arbeit des für meine Heimatregion zuständigen Kreiswehrersatzamtes in Lüneburg zeigen mir in einer ganzen Reihe von Fällen sehr deutlich, daß dies vor Ort auch schon seit längerem umgesetzt wird.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Es spricht jetzt der Kollege Winfried Nachtwei.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Kosovo brennt die Lunte.
Dieses brennende Thema mußte hier in der letzten Nacht behandelt werden. Das Randthema eines Gelöbnisstreites
wird hier zu bester Zeit behandelt. Ich denke, daß das schon die völlig verkehrten und verrückten Maßstäbe der Mehrheit dieses Hauses deutlich macht.
Niemand bestreitet, daß die Bundeswehr zusammen mit Feuerwehr, Polizei, Bundesgrenzschutz und einer Unzahl freiwilliger Helfer beim Kampf gegen die Oderflut Großartiges geleistet hat. Dafür wurde den Soldaten mehrfach und wiederholt von der gesamten Bevölkerung gedankt, in Frankfurt/Oder zum Beispiel durch ein Stadtfest im letzten September.
Es ist doch aber absurd, aus der unverändert weiterbestehenden Dankbarkeit eine Zustimmungspflicht
zu allen Bundeswehraktivitäten, ja, einen regelrech-
Winfried Nachtwei
ten Bekenntniszwang zur Bundeswehr allgemein ableiten zu wollen.
Mit der Gelöbniszeremonie werden Wehrdienstleistende feierlich an ihre Grundpflichten gemäß Soldatengesetz erinnert. Das geschieht nie versteckt hinter Kasernenmauern, sondern immer öffentlich, in Anwesenheit von Verwandten und Repräsentanten des öffentlichen Lebens. Da die wesentlichen Zwecke eines feierlichen Gelöbnisses offenbar auch in Kasernen erreichbar sind, stellt die Zentrale Dienstvorschrift 10/8 ganz nüchtern fest:
Vereidigungen und feierliche Gelöbnisse sind im Regelfall innerhalb militärischer Anlagen durchzuführen.
Wenn der Regelfall inzwischen mehr und mehr zur Ausnahme gemacht wird, wenn die Bundeswehr inzwischen kampagneartig auf die zentralen Plätze der Städte zieht, so steht dem selbstverständlich vom Gesetz her nichts entgegen. Es muß aber erlaubt sein festzustellen, daß damit weitere Botschaften und Ansprüche in die allgemeine Öffentlichkeit transportiert werden. Demonstriert wird damit nämlich, daß das Militärische etwas Besonderes und Einmaliges ist, daß der Wehrdienst der Gemeinschafts- und Friedensdienst überhaupt sei.
Polizisten und Feuerwehrleute setzen sich mit erheblichem persönlichen Risiko für die Gemeinschaft ein.
In der Kranken- und Altenpflege und in der Betreuung von Schwerbehinderten wird physisch und psychisch Enormes geleistet. Kein anderer Dienst aber und keine andere Institution praktizieren diese Selbstdarstellung und bekommen diese öffentliche Zuwendung. Demonstriert wird mit diesen Gelöbnisveranstaltungen der Vorrang des Militärischen in der Friedens- und Sicherheitspolitik, obwohl doch alle inzwischen wissen, wie elementar gerade die nichtmilitärische Dimension von Friedens- und Sicherheitspolitik ist. Wer solches in der Öffentlichkeit demonstrieren will, muß Widerworte, Kritik und gewaltfreien Protest in Kauf nehmen.
Wenn Sie von der Koalition Protestierende pauschal als „Pöbel" bezeichnen oder wenn die Mehrheitsentscheidung des Hauptausschusses der Stadt Frankfurt/Oder von Herrn Breuer als „Kampfansage an eine sich zu freiheitlich-demokratischen Grundwerten bekennende Gesellschaft" diffamiert wird,
dann ist Ihnen im laufenden Heiligsprechungsverfahren für die Bundeswehr offenbar jedes Verständnis von Pluralismus und demokratischer Streitkultur abhanden gekommen.
Daß Sie dafür die Soldaten der Bundeswehr instrumentalisieren, sehen inzwischen auch viele Bundeswehrangehörige mit großem Unwillen.
Nun aber endlich zum eigentlichen und wichtigeren Thema, Stichwort: Wehrsolderhöhung. Ich kann es nur wiederholen: Die angebliche Wehrsolderhöhung ist in Wirklichkeit nur eine Verlangsamung der realen Wehrsoldabsenkung. Wehrpflichtige sind eben keine Rüstungsgüter, bei denen Preissteigerungen ganz selbstverständlich eingeplant und gezahlt werden.
Stichwort: Ausbildungshindernisse. Der Mangel an Berufsausbildungsplätzen ist ein brennendes Problem, von allen verbal beschworen. Aber daß die Koalition unseren Antrag ablehnt, die durch die Einberufungspraxis verursachten Ausbildungshindernisse zu beseitigen, ist ein Skandal. Es bleibt nach Ihrem Willen also dabei, daß zirka 5000 dringend benötigte Ausbildungsplätze nicht besetzt werden können, weil es der Bundesregierung nicht gelingt, die Wehrpflichtigen vor Beginn der Ausbildung einzuberufen.
Ein letztes Stichwort: die Benachteiligung im Rahmen der Wehrpflicht. Nach § 14 b des Zivildienstgesetzes können anerkannte Kriegsdienstverweigerer auch einen mindestens 15 Monate dauernden Dienst im Ausland leisten, der dem friedlichen Zusammenleben der Völker dienen soll. Wer solchen jungen Männern im Auslandsdienst begegnet ist, weiß, was hier von einzelnen, die oft auf sich allein gestellt sind, geleistet wird. Es sind wahrhaftig Vorbilder an sozialem Engagement und Pioniere der Völkerverständigung.
Daß die Koalition zum wiederholten Male den Antrag ablehnt, die sogenannten anderen Dienste im Ausland, die bisher keinerlei Unterstützung und Absicherung erhalten, den freiwillig längerdienenden Grundwehrdienstleistenden gleichzustellen, ist unbegreiflich und vor allem ignorant.
Ich fasse zusammen. Die Versäumnisse Ihrer realen Politik gegenüber den Wehrpflichtigen machen deutlich, warum Sie so sehr in die symbolische Politik ausweichen. Tarnen und Täuschen ist beim Militär eine übliche Taktik. Diese Taktik in der Politik fortzusetzen bedeutet allerdings, die Glaubwürdigkeit von Politik weiterhin zu beschädigen.
Danke.
In der Debatte spricht jetzt der Abgeordnete Günther Nolting.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Soldaten der Bundeswehr und hier insbesondere die Grundwehrdienstleistenden verdienen unsere Anerkennung.
Die heutige Bundeswehr ist ohne Grundwehrdienstleistende nicht denkbar. Sie leisten Pflichtdienst für unseren Staat. Es ist unser aller Aufgabe, ihre Leistungen anzuerkennen und auch angemessen zu honorieren. Dies hat in finanzieller Sicht, aber auch in ideeller Weise zu geschehen. Anerkennung von Leistung ist nicht nur eine Frage des Geldes; Dank ist auch eine Sache des Herzens. Ich werde darauf später noch einmal zurückkommen.
Wenn heute die Verbesserung des Mobilitätszuschlages zum 1. Juli 1998 und die Anhebung des Wehrsoldes zum 1. Januar 1999 beschlossen werden sollen, so trägt dies sowohl den gesamtwirtschaftlichen Verhältnissen als auch der Verbesserung der Wehrgerechtigkeit Rechnung. Unser Entwurf ist - wie sollte es auch anders sein? - sinnvoll und in finanzieller Hinsicht solide begründet, ganz im Gegensatz zum SPD-Entwurf. SPD-Kanzlerkandidat Schröder stellt bekanntlich ohnehin alles unter finanziellen Vorbehalt, ganz nach dem Motto: alles versprechen, nichts halten.
Herr Kollege Palis, wir haben den differenzierten Mobilitätszuschlag ganz bewußt eingeführt. Wir wollen eine individuelle Regelung, die den Grundwehrdienstleistenden gerecht wird. Dazu werden wir auch in Zukunft stehen.
Die Wehrpflichtigen haben ihre Schuldigkeit getan. An der Oder, bei der Hochwasserkatastrophe im Juli und August des letzten Jahres, haben sie aufopferungsvoll und häufig unter Lebensgefahr bis zur Erschöpfung für die Rettung des Oderbruchs und der Stadt Frankfurt gekämpft.
Die Wehrpflichtigen haben zwar ihre Schuldigkeit getan; aber jetzt können sie gehen. Ihr feierliches Gelöbnis des treuen Dienens - auch des Dienens in Katastrophenfällen - will die Mehrheit der Stadtverordneten im Hauptausschuß der Stadt Frankfurt an der Oder aus SPD, PDS und Bündnisgrünen ganz im Gegensatz zur Bevölkerung nicht hören.
Frau Kollegin von der PDS, Ihr Redebeitrag dazu war in dem Sinne bemerkenswert,
daß man ihn als Aufheulen bezeichnen konnte, weil wir mit der heutigen Debatte genau diesen Punkt getroffen haben.
Die sozialdemokratischen Kommunalfunktionäre haben offensichtlich das gleiche Verhältnis zu den Bürgern wie der SPD-Kanzlerkandidat zu seiner Bundestagsfraktion. Die Botschaft dieser interessant zusammengesetzten Mehrheit - wie gesagt, es sind Stadtverordnete aus SPD, PDS und Bündnisgrünen - lautet: Wehrpflichtige, geht, kommt nicht nach Frankfurt an der Oder, geht am besten in eure Kaserne. - Da frage ich: Wo bleibt der Dank? Es bleibt nur herzlose Kälte.
Das ist also die Botschaft auch der SPD. Dazu sage ich Ihnen: Sie wird nicht ungehört verhallen. Wo bleibt der Widerspruch des Shooting-Stars der SPD Brandenburgs, des Umweltministers Platzeck? Während der Hochwasserkatastrophe bemühte er sich vor laufenden Kameras stets um die Nähe von General von Kirchbach.
Wo ist er jetzt? Offensichtlich in Deckung. Dazu ist festzustellen: Courage ade, Zivilcourage eh, Opportunismus pur!
Meine Damen und Herren, es ist schon seltsam: Auf der einen Seite fordert die SPD-Fraktion im Bundestag eine unfinanzierbare Wehrsolderhöhung; auf der anderen Seite aber sind bei der SPD feierliche Gelöbnisse in der Öffentlichkeit offensichtlich unerwünscht. Dies betrifft ja nicht nur Frankfurt an der Oder. Dies betrifft genauso Berlin, Bremen, Hamburg und viele andere Städte.
- Dazu können Sie, Herr Kollege Zumkley, gleich etwas sagen.
Zuerst lud Bürgermeister Scherf die Bundeswehr zum feierlichen Gelöbnis für den 9. Juni dieses Jahres auf den Bremer Marktplatz ein. Jetzt folgte die Ausladung. Ist das etwa Zufall, Herr Kollege Zumkley?
Oder passen etwa die öffentlichen Gelöbnisse nicht
mehr in die Terminplanung der SPD-Wahlkampfzentrale? Wann sagt Herr Scharping seine Gelöbnisrede
Günther Friedrich Nolting
in Höxter ab? Wann sagt Herr Voigt seine in Neumünster ab?
Ich nenne dieses Verhalten der SPD doppelbödig. Einerseits wird der Bundeswehr hier in Bonn der Hof gemacht. Generale und Admirale in Bonn werden am letzten Mittwoch zu einem pompösen Essen eingeladen.
- Ich komme darauf zurück. - Wehrpflichtige erhalten die Versprechung einer Wehrsolderhöhung um 60 DM im Monat. Das ist wahlkampfgeprägt und unfinanzierbar.
Andererseits will Herr Scharping die Wehrpflicht aussetzen, also abschaffen, und die Bundeswehr drastisch reduzieren. Wir sagen dazu: zu durchsichtig, Herr Scharping. Erst Henkersmahlzeit, dann Schafott!
Die „Süddeutsche Zeitung" hat zweifelsfrei recht mit ihrer Aussage, daß die SPD-Sozialpolitiker von gestern sind und der Arbeitsministeranwärter Riester gar von vorgestern. Diese Beurteilung sollte sie konsequenterweise auch auf die Finanz- und Verteidigungspolitiker der SPD übertragen. Sie läge damit goldrichtig. Wie schrieb doch die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" in bezug auf Riester: „Sechs, setzen! ". Gleiches gilt heute für die SPD: Sechs, setzen! Die SPD gerät durch ihr Verhalten gegenüber der Bundeswehr mehr und mehr in das Fahrwasser der Bündnisgrünen und in Ostdeutschland - siehe Magdeburg und jetzt Frankfurt an der Oder - auch in das Fahrwasser der PDS.
- Ich weiß ja, daß Sie das nicht gerne hören. Aber darauf muß doch hier in aller Öffentlichkeit einmal hingewiesen werden.
Ich habe mich bei meinen Ausführungen - dies auf Ihren Zwischenruf, Herr Kollege Nachtwei -, bewußt nicht mit den Vorstellungen der Bündnisgrünen beschäftigt.
Während ich der SPD, Frau Kollegin, noch immer die Fähigkeit zur Umkehr zugute halte, vermag ich sie bei den Grünen nicht mehr zu erkennen. Ihre abstrusen Forderungen - die Benzinpreiserhöhung auf 5 DM, die Beschränkung auf zwei Flugreisen in zehn
Jahren, die Ablehnung der NATO-Öffnung, die Beendigung des Friedenseinsatzes in Bosnien, die Auflösung bzw. Ablösung der NATO und die Abschaffung der Bundeswehr - sprechen für sich.
Die Bündnisgrünen sind international nicht handlungsfähig; sie sind national nicht regierungsfähig. Ich sage dazu: Sie sind national auch nicht wählbar.
So sieht der gewünschte Koalitionspartner der SPD aus. Das Gebälk ist brüchig. Der Lack blättert; bis zum Herbst ist er ab.
So ein Gespann darf nicht ins Geschirr genommen werden. Die Achsenbrüche sind vorprogrammiert.
Geradezu wohltuend steht dem die Koalition aus CDU/CSU und F.D.P. gegenüber.
- Nein, hören Sie gut zu. - Wir Liberale stehen ein für die Wehrpflicht, für die Wehrgerechtigkeit, für einen finanzierbaren Wehrsold und für die Durchführung feierlicher Gelöbnisse an allen Orten und auf allen Plätzen dieser Republik. Kurz gesagt: Wir Liberale stehen zu unseren Soldaten und unserer Parlamentsarmee, der Bundeswehr.
Herr Kollege Palis, als ehemaliger Kommunalpolitiker sage ich Ihnen: Die Entscheidungen, die in Frankfurt an der Oder und in anderen Städten wie Berlin, Hamburg und Bremen getroffen wurden - ich habe schon darauf hingewiesen -, sind eben nicht ausschließlich kommunalpolitische Entscheidungen.
Herr Kollege Nachtwei, es ist auch kein Randthema, wie Sie gesagt haben.
Herr Palis und liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, es reicht eben nicht, sich in Sonntagsreden pro Bundeswehr und pro Soldaten der Bundeswehr zu äußern. Hier geht es um Grundsatzfragen. Ich erwarte von Ihnen, daß Sie sich zu diesen Grundsatzfragen auch in diesem Parlament äußern. Der Kollege Zumkley wird dazu noch Gelegenheit haben.
Vielen Dank.
Ich erteile jetzt das Wort dem Abgeordneten Heinrich Graf von Einsiedel.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Man hat ja volles Verständnis dafür, daß Sie angesichts der katastrophalen Umfrageergebnisse und des Wahlergebnisses der Koalitionsparteien in Sachsen-Anhalt - es sind ja präterpropter seit der Bundestagswahl 300 000 Stimmen verlorengegangen - aus einer solchen Naturkatastrophe - der Jahrestag liegt ja für Sie glücklicherweise sechs Wochen vor der kommenden Bundestagswahl - einen großen Wahlschlager machen wollen. Ich habe dafür volles Verständnis.
Wenn Sie aus dem Jahrestag der Oder-Hochwasserkatastrophe mit einem öffentlichen Gelöbnis und Zapfenstreich einen Wahlschlager machen wollen, dann sage ich Ihnen: Ich glaube, Sie irren sich. Sie halten den Wähler für zu dämlich. Naturkatastrophen gibt es in allen Staaten: in demokratischen, in undemokratischen, in kommunistischen und in faschistischen. Überall in der Welt ist es eine Selbstverständlichkeit, daß die Armeen, die mit riesigen Mitteln unterhalten werden, in diesen Fällen helfend eingreifen. Das ist die normalste und selbstverständlichste Angelegenheit. Das wird hier aber so hochgespielt, als ob es sich um eine Entscheidungsschlacht im Zweiten Weltkrieg handeln würde. Das ist ja absolut lächerlich.
Ich schlage Ihnen vor, diesen peinlichen Vorgang und dieses entwürdigende Schauspiel - Sie instrumentalisieren die Opfer der Naturkatastrophe und die Helfer, als ob es das Verdienst Ihrer Regierung sei, daß dort geholfen wurde - zu beenden. Ich schlage Ihnen für das feierliche Gelöbnis einen anderen Tag vor - er liegt ebenfalls kurz vor der Wahl -: Nehmen Sie den 2. September, den Sedan-Feiertag! Das wäre doch ein schönes Traditionsverständnis.
Damit umgehen Sie all die Probleme, die Sie mit der Tradition und mit Traditionszimmern haben. Feiern Sie Moltke, Bismarck und Napoleon III.! Dann kann sich Kohl zusammen mit Jospin und Chirac auf eine Bank setzen und die neue Verbrüderung feiern.
Graf Einsiedel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Pflüger?
Immer gerne.
Graf Einsiedel, ich möchte Sie gerne fragen, ob Sie es eigentlich angemessen finden, den Einsatz der Bundeswehr hier auch nur ansatzweise mit dem pflichtgemäßen Einsatz - wie Sie es gesagt haben - von Armeen in aller Welt, auch in faschistischen und kommunistischen Diktaturen, zu vergleichen. Ist das wirklich Ihre Auffassung, daß dort nichts anderes gemacht worden ist als Pflichterfüllung? Oder finden Sie nicht auch, daß da unzählige Leute und gerade auch die Soldaten der Bundeswehr weit mehr als ihre Pflicht getan haben und daß wir ihnen dankbar sein sollten, anstatt ihnen an dieser Stelle zu sagen, es sei alles selbstverständlich, die Faschisten und die Kommunisten hätten das auch gemacht?
Lieber Herr Dr. Pflüger, Sie sind ein geschickter Polemiker.
Daß ich es für eine Selbstverständlichkeit überall in der Welt halte, heißt ja nicht, daß ich den Soldaten Dank abspreche. Ich finde es vielmehr würdelos gegenüber den Opfern der Katastrophe und gegenüber denen, die unter Einsatz ihres Lebens rettend und helfend eingegriffen haben, daß Sie das sechs Wochen vor der Wahl zu einem Wahlkampfschlager für Ihre Regierung machen wollen. Das ist würdelos. Wenn ich in Ihrer Partei wäre, würde ich das ablehnen, weil ich finde, daß es eine Beleidigung der Soldaten ist, sie im Wahlkampf zu instrumentalisieren. Sie sind ja auch nicht auf die Idee gekommen, den Einsatz der Bundeswehr bei der Hochwasserflut am Rhein dermaßen hochzuspielen. Ihr Verhalten ist lächerlich, würdelos und beschämend.
Meine Ausführungen in der ersten Lesung zur Änderung des Wehrsoldgesetzes kann ich nur bekräftigen: Die Wehrpflichtigen erwarten zu Recht einen angemessenen Ausgleich der gestiegenen Lebenshaltungskosten. Fundamentale Pazifisten mögen das für überflüssig halten. Wir sind aber der Auffassung, daß sich eine linke Opposition mit nicht weniger Nachdruck als dem, mit dem sie die Vision einer Welt ohne Armeen anstrebt, für die berechtigten Anliegen von Wehrpflichtigen, von Soldaten der Bundeswehr einsetzen muß.
Neben der Erhöhung des Wehrsolds stehen heute Probleme im Zusammenhang mit der schwierigen Ausbildungssituation zur Debatte, mit denen sich viele junge Wehrpflichtige konfrontiert sehen. Auch in der vorgestrigen Fragestunde wurde darauf hingewiesen. Wir stimmen den Forderungen im Antrag der Bündnisgrünen zu, weil dadurch Benachteiligungen im Rahmen der allgemeinen Wehrpflicht beseitigt werden könnten.
Lassen Sie mich aber noch etwas grundsätzlicher werden. Warum - so frage ich Sie - kann fast ein Jahrzehnt nach dem Verschwinden des Warschauer Paktes die Wehrpflicht nicht abgeschafft werden? Wäre damit die Sicherheit Deutschlands gefährdet? Würden sich unsere französischen, holländischen und dänischen Nachbarn oder gar die neuen NATOMitglieder Polen, Tschechien und Ungarn davon beunruhigt fühlen? Würde dies den Fortgang der konventionellen Abrüstung in Europa behindern?
Heinrich Graf von Einsiedel
Könnte die Bundesregierung, wenn es denn schon unumgänglich sein sollte, sich an Friedensmissionen der Völkergemeinschaft zu beteiligen, dann nicht ein Kontingent stellen wie derzeit für die SFOR? Könnte eine Freiwilligenarmee bei Naturkatastrophen nicht helfend und rettend eingreifen?
Das sind alles Argumente ohne Hand und Fuß. Die Mannschaftsstärke der Bundeswehr könnte ohne weiteres herabgesetzt werden. Das entscheidende Hindernis ist die Wehrpflicht. Bei unseren europäischen Nachbarn fällt sie wie Dominosteine. Aber der Bundestag klammert sich an sie.
Ohne Wehrpflicht erübrigt sich auch die Diskussion über Ungleichbehandlung von Wehr- und Zivildienstleistenden, über Wehrgerechtigkeit und Wehrpflichtausnahmen, über Ausbildungshindernisse und andere Benachteiligungen.
Im übrigen bin ich der festen Überzeugung, daß die oft beschworene Einbettung der Bundeswehr in die Gemeinschaft durch die Wehrpflicht zu einem großen Teil gerade die Probleme schafft, mit denen wir uns im Untersuchungsausschuß befaßt haben: mit dem Eindringen von rechtsradikalen Tendenzen in die Bundeswehr.
Eine Freiwilligenarmee wäre nicht nur militärisch besser ausgebildet, sie könnte auch einen besseren staatsbürgerlichen Unterricht erhalten. Sie könnte besser gegen Fremdenhaß, Extremismus und Gewaltbereitschaft immunisiert werden. Das ist das eigentliche Problem, um das es geht.
Ich sage es Ihnen noch einmal: Es ist würdelos, wie Sie diese schreckliche Katastrophe an der Oder für Ihre Wahlkampfzwecke instrumentalisieren wollen. Sie beleidigen Opfer und Retter.
Das Wort erhält jetzt der Kollege Peter Zumkley.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als gäbe es derzeit nichts Wichtigeres in unser politischen Arbeit, beschäftigen wir uns auf Initiative der Koalition in einer Plenardebatte nunmehr zum drittenmal innerhalb ganz kurzer Zeit mit dem Thema des feierlichen Gelöbnisses in unserer Bundeswehr.
Dadurch, Herr Kollege, wird kein Arbeitsplatz zusätzlich geschaffen,
die katastrophale Finanzlage des Bundes nicht gebessert, der Einsatz unserer mit großem Erfolg in Bosnien eingesetzten Soldatinnen und Soldaten nicht
unterstützt und erst recht nicht die auf Sand gebaute Bundeswehrplanung gefestigt.
Ich warne davor, die Gelöbnisfrage, die im Kern keine Probleme aufwirft und von einem breiten Konsens getragen ist,
im Zusammenhang mit einer mißlungenen kommunalpolitischen Entscheidung unverhältnismäßig hochzustilisieren.
Die Koalition unternimmt heute den ebenso verzweifelten wie untauglichen Versuch, sich mit der Gelöbnisfrage aus ihrer allgemein desolaten politischen Verfassung zu befreien und von den wirklich wichtigen politischen Themen abzulenken.
Für mich ist das Mattenflucht, in diesem Fall in die Kommunalpolitik.
Die mehrheitliche Entscheidung des aus elf Personen bestehenden Hauptausschusses als Unterausschuß der Stadtverordnetenversammlung von Frankfurt , ein öffentliches Gelöbnis in der Stadt abzulehnen, bedauern wir.
Es ist zu hoffen - und es gibt dafür Signale -, daß die Stadtverordnetenversammlung diese Entscheidung korrigiert und die Angelegenheit durch geeignete Gespräche mit der Bundeswehr zu einem zufriedenstellenden Ergebnis geführt wird.
Ich nehme den kommunalen Vertretern ab, daß sie sich mit ihrem Beschluß, den ich nicht teile, nicht gegen die Bundeswehr wenden wollten.
Dafür spricht nicht zuletzt, daß die Bundeswehr im vergangenen Sommer durch die Stadt mit Dank verabschiedet wurde. Wie man in den Zeitungen lesen konnte, ist es zu dieser - es sei noch einmal gesagt: nach meiner Auffassung unglücklichen - Entscheidung gekommen, weil einige Ausschußmitglieder die Frage gestellt haben, ob das öffentliche Gelöbnis mit Zapfenstreich noch zeitgemäß sei. Das ist eine Diskussion, der wir uns mit sachlicher Überzeugungskraft und abgewogenem sensiblen Handeln im Vorfeld derartiger Vorhaben stellen müssen.
Peter Zumkley
Für mich ist das gelegentlich stattfindende öffentliche Gelöbnis, zusammen mit anderen Möglichkeiten des Auftretens der Bundeswehr in der Öffentlichkeit - gerade in der jetzigen Zeit, wo es nach wie vor um Bindung und Integration der Streitkräfte in die Gesellschaft geht -, richtig und sehr wohl zeitgemäß.
Dieses Prinzip folgt konsequent der Konzeption des Staatsbürgers in Uniform.
Im vorliegenden Fall hat sich die Bundeswehr, vertreten durch den kommandierenden General des 4. Korps, Generalleutnant von Kirchbach, ganz offensichtlich korrekt per Brief unter Darlegung der genauen Absichten an die Stadt gewandt
und gebeten, eine derartige Veranstaltung in Frankfurt durchführen zu können - um so bedauerlicher die hoffentlich nur vorläufige Absage.
Ganz anders, Herr Kollege Breuer - ich wollte es ursprünglich auf sich beruhen lassen, aber Sie haben es, auch in Ihrem Antrag, erneut angesprochen -, verhält es sich zum Beispiel im Fall Hamburg, wo der Verteidigungsminister die Angelegenheit verkorkst hat, weil er die parteipolitische Schiene aktiviert hat,
um ein öffentliches Gelöbnis auf dem Rathausmarkt durchzusetzen.
Richtig wäre es gewesen, sich in Vorgesprächen oder Sondierungen, zuletzt aber wenigstens offiziell an den Ersten Bürgermeister der Stadt mit einer entsprechenden Bitte zu wenden.
Von einer Absage, wie Sie in Ihrem Antrag schreiben, kann keine Rede sein.
Nein, meine Damen und Herren, der Parteienstreit wurde auf dem Rücken der Bundeswehr entfacht, und dies lehnen wir entschieden ab.
Mit öffentlichen Gelöbnissen, insbesondere in einem Wahljahr, darf man nicht wie ein Elefant im Porzellanladen umgehen.
Dies gilt auch für die überflüssige Auseinandersetzung um das Gelöbnis in Berlin.
Wir freuen uns, daß die politischen Vertreter der Stadt Wriezen das öffentliche Gelöbnis nunmehr in ihrer Stadt veranstalten werden und - nach Angaben der Bundeswehr - die Vertreter der sozialdemokratischen Landesregierung Brandenburg zusammen mit hoffentlich vielen Bürgerinnen und Bürgern dieser Region daran teilnehmen werden.
Ich wiederhole, was ich bereits in der Debatte vom 5. Februar 1998 ausgeführt habe:
Das gesetzlich verankerte Gelöbnis von Wehrpflichtigen ist grundsätzlich unter Beteiligung der Öffentlichkeit innerhalb und außerhalb von Kasernen und im Prinzip an fast jedem Ort und zu jedem Zeitpunkt möglich.
Zum Schluß appelliere ich an Sie, die Kolleginnen und Kollegen der Koalition, mit der Frage des Gelöbnisses, zudem gelegentlich auch in verzerrter Form, keinen Wahlkampf zu betreiben.
Dies könnte zu Lasten der Bundeswehr gehen und den Konsens in der Gesellschaft gefährden. Wir wollen dies nicht.
Ich danke Ihnen.
Es spricht jetzt der Kollege Ulrich Junghanns.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich ist all das für mich unfaßbar, ja unbegreiflich. Vor neun Monaten habe ich hier vor Ihnen gestanden, habe geschildert, was an der Oder geschieht und um Beistand gebeten. Wir haben gemeinsame Sorgen gehabt und haben gemeinsam dafür geradegestanden.
- Ich komme noch auf die Bundeswehr und in dem Zusammenhang natürlich auch auf den Wehrsold zu sprechen, wenn Sie wollen. - Wir alle haben Hoffnung gehabt, weil die Bundeswehr an der Oder war.
In der Tat kann man die Leistung der Bundeswehr gar nicht überbewerten. Wenn die Bürger heute zurückschauen - das muß an dieser Stelle gesagt werden dürfen -, dann drückt sich ihre Wertschätzung in Zitaten wie diesen aus: Wenn die vor Ort Verantwortlichen die Bundeswehr rechtzeitig geholt hätten, wäre auch die Ziltendorfer Niederung nicht Land unter gegangen.
Nicht einmal ein Jahr später schreibt uns in Frankfurt an der Oder Generalleutnant von Kirchbach, ein Mann, der sich mit dieser Stadt zutiefst verbunden fühlt, und macht diesen Vorschlag aus Wertschätzung für die Stadt und die Region - und dann diese Absage. Sie sagen, daß man Kritik üben müsse. Sie wollten gar keine Diskussion um dieses Thema. Sie
Ulrich Junghanns
wollten klammheimlich im Hauptausschuß der Stadt Ihre Mehrheit dafür nutzen, das nicht zu thematisieren.
Sie haben sich nicht getraut, damit an die Öffentlichkeit zu gehen.
Die Enttäuschung besteht aber nicht darin. Die Enttäuschung richtet sich eigentlich an die Sozialdemokraten. Warum hat man nicht instinktiv dagegengehalten? Warum hat man nicht instinktiv gesagt: Das sind unsere Soldaten; denen haben wir zur Seite zu stehen?
Ich selber bin stellvertretendes Mitglied in diesem Hauptausschuß. Es geht nicht darum, hier in eine kommunalpolitische Entscheidung einzugreifen, sondern darum, durch diese Debatte das Wort der Bürger zum Ausdruck zu bringen. Und das stimmt in dieser Frage nicht mit der Meinung der PDS- und SPD-Mehrheit im Hauptausschuß der Stadt Frankfurt überein.
- Erzählen Sie nicht solches Zeug!
Ich schäme mich für die Entscheidung dieses Parlaments. Es wäre eine wichtige und schöne Gelegenheit gewesen, ein Jahr danach danke zu sagen.
In einem Land, in dem man frei entscheiden kann, ob man Grundwehrdienst oder Zivildienst leistet, in einem Land, in dem Kritik geübt werden kann, auch an dem, was Sie gesagt haben, in einem solchen Land muß es möglich sein, auf allen öffentlichen Plätzen das Gelöbnis abzulegen.
Wer das nicht zuläßt, beschneidet die Freiheit zum Schaden des einzelnen und der Gemeinschaft.
Es gibt zwei Gesichtspunkte, auf Grund deren ich diese Situation bewerte, die mich in der Diskussion mit den Bürgern umtreiben. Der erste Gesichtspunkt ist ein ganz persönlicher. Wie das Leben so spielt: Am 2. Juli wird mein Sohn von der Bundeswehr gezogen. Er hat sich das nicht leichtgemacht. Nach der Standortwahl stünde er höchstwahrscheinlich in den Reihen derer, die in Frankfurt das Gelöbnis ablegen würden, in der Stadt, die er mag, wo er zu Hause ist, wo er tanzt, wo er Sport treibt, wo er Freunde hat, wo er heute sein Abi macht. In dieser Stadt wird ihm verwehrt, das Gelöbnis auf einem öffentlichen Platz abzulegen.
Herr Zumkley, ich frage Sie, wie Sie damit umgehen würden, wenn Ihnen das verwehrt würde. Wie gehen wir mit unserer Jugend um? Müssen wir uns noch wundern, wenn wir damit selbst Distanzen unter den Jugendlichen erzeugen?
Den zweiten Gesichtspunkt führe ich ganz bewußt in die Debatte ein, weil das in unserer Gegend natürlich eine große Rolle spielt. Wir diskutieren ja den
Ungeist in manchen Kasernenstuben. Wir tun dabei aber dann das Falsche, wenn wir so mit der Bundeswehr umgehen und sie aus der Öffentlichkeit verbannen.
Das Gegenteil ist richtig: Wir müssen die Bundeswehr, die Wehrpflichtigen in unsere Mitte holen.
Öffentlichkeit erzieht zu demokratischem Verhalten und beschneidet den Raum für dunkle Machenschaften und rechtsextremen Ungeist.
Die Gelöbnisse auf öffentlichen Plätzen stehen nicht in der unheilvollen Tradition diktatorischer Militäraufmärsche. Wer sie bei uns erlebt hat, der weiß, daß sie nach Inhalt und Ablauf viele Zeichen der Verbundenheit von Bevölkerung und Soldaten setzen. Wenn es uns ernsthaft darum geht, in der Bundeswehr den Geist von friedfertigem Pflichtbewußtsein für die Verteidigung und den Schutz der Menschen zu befördern, dann können wir das nirgends besser als dort tun, wo sich die Soldaten in dieser Frage schon einmal bewiesen haben. In Orten wie Frankfurt wird das nachhaltig getragen und transportiert.
Einen wichtigen Gedanken möchte ich an das Ende meiner knappen Rede stellen. Mir begegnet überall der Vorwurf, die Frankfurter seien undankbar. Das kann so undifferenziert nicht stehenbleiben.
Diese Entscheidung ist von PDS und SPD getroffen; sie sind für diese Entscheidung allein verantwortlich.
Es schadet der Stadt landesweit, als so undankbar abgestempelt zu werden und von einem solchen Beschluß gegeißelt zu sein.
Die Bürger von Frankfurt haben ein anderes Verhältnis zur Bundeswehr. Gerade weil wir eine so komplizierte wirtschaftliche Lage haben, wissen wir die Rolle der Bundeswehr in unserer Stadt zu schätzen. Es denkt niemand so wie Sie, daß wir die wirtschaftliche Lage auf die eine Seite und die Bundeswehr auf die andere Seite stellen. Die Bundeswehr trägt den Ruf der Region über manche wirtschaftliche Schwierigkeit hinweg.
Wir haben die Bundeswehr entgegen früherer Erfahrungen als eine offene und aufgeschlossene Institution in unserer Stadt kennengelernt. Obristen wie Fuchs, von Stüntzner und jetzt auch Herr Wille sind
Ulrich Junghanns
Kommandeure, die mit ihren Soldaten in unserer Stadt und in unserer Region sehr konstruktiv agieren. Die Bundeswehr bietet den Rahmen für strittigen politischen Dialog. Die Bundeswehr schlägt Brücken über die Oder für ein intensives friedvolles Miteinander mit unseren polnischen Nachbarn. Die Bundeswehr ist auch für Leistungssport in und aus Frankfurt engagiert; das Stichwort Olympiastützpunkt sei hier genannt. Man müßte noch viel mehr sagen, um die Dankbarkeit zum Ausdruck zu bringen, die in Frankfurt für die Bundeswehr empfunden wird.
Vor diesem Hintergrund wende ich mich auch von dieser Stelle gegen diesen Beschluß im Hauptausschuß. Ich nehme Gelegenheit, der Bundeswehr Dank zu sagen. Sie muß wissen, daß sie in Frankfurt von der Mehrheit der Bevölkerung, von CDU und Bürgerbündnis, empfangen und gewünscht wird.
Sie muß wissen, daß wir in Frankfurt dafür eintreten werden, daß es Gelegenheit gibt, auf öffentlichem Platz das Gelöbnis vielleicht im nächsten Jahr durchzuführen. Wir Frankfurter werden am 15. August nach Wriezen fahren und dort unsere Dankbarkeit bezeugen.
Danke schön.
Ich rufe jetzt den Kollegen Walter Kolbow auf.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Selbstgerechtigkeit war noch nie ein guter politischer Ratgeber, und Hochmut kommt vor dem Fall.
Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, nach dem 27. September ihre Reden von heute noch einmal nachzulesen. Wenn Sie das tun, werden Sie eine Reihe von Gründen erfahren, warum Sie jetzt so schlecht in den Meinungsumfragen dastehen.
Herr Kollege Junghanns, ich habe Ihnen sehr aufmerksam zugehört, nicht nur, weil Sie als Kollege in diesem Haus das verdienen, sondern auch, weil Ihre Argumente für mich wichtig sind, der ich nicht so nahe an Frankfurt bin.
- Warten Sie es bitte ab, Herr Kollege.
Aber ich bemühe mich, das nachzuvollziehen. Ich will mich mit Ihrer Rede, Herr Junghanns, auseinandersetzen. Mein erster Eindruck ist, daß die plakative
Anlage Ihrer Rede die deutsche Wirklichkeit auch in dieser Frage nicht widerspiegelt.
Uns stünde jetzt eher Nachdenklichkeit an, als aufeinander einzuschlagen.
Ich habe mich gestern den ganzen Tag - auch telefonisch - mit meinen Parteifreunden
unterhalten und mich mit ihnen auseinandergesetzt. Ich habe festgestellt, daß von den drei Mitgliedern der Sozialdemokratischen Partei in Frankfurt an der Oder, die im Hauptausschuß votiert haben - einer hat sich enthalten; zwei haben diese, wie ich meine, falsche Entscheidung getroffen, im Hauptausschuß gegen das Gelöbnis zu votieren -, zwei Bausoldaten waren, die für die Gewissensentscheidung, die sie gegenüber der NVA getroffen haben, den Respekt eines jeden Bürgers der alten Bundesländer gehabt hätten.
Diese Gewissensentscheidung von damals ist für mich ein wichtiger Grund, mich heute sehr intensiv mit denen, die das gemacht haben, mit meinen Parteifreunden, auseinanderzusetzen. Ich sage Ihnen an dieser Stelle, daß es in der linken Volkspartei SPD im Westen auch solche Ansichten gibt.
- Hören Sie doch einmal zu und brüllen nicht immer undifferenziert, weil Sie nicht nachdenken können, dazwischen!
Wenn Sie wissen, daß es um drei Leute im Hauptausschuß geht, dann sprechen Sie doch bitte nicht von „Teilen der SPD", sondern seien Sie intellektuell redlich und sprechen von Teilen von Teilen von Teilen.
Ich sage Ihnen noch etwas: Das individuelle Recht auf Kriegsdienstverweigerung garantiert auch die Ausübung eines individuellen Pazifismus, für den sich die zwei Kollegen, die Bausoldaten waren, damals, auch in der Diktatur, entschieden haben. Dieses persönliche Grundrecht in unserer Verfassung strahlt in das Politische aus. Dann, wenn man das meiner Meinung nach auf unzulässige Weise in das Politische überträgt, trifft es die Bundeswehr, ein konstitutives Element unserer Verfassung. Die Entscheidung des Grundgesetzes ist nicht Ausdruck von politischem Pazifismus. Deshalb ist das Nein der Kollegen im Hauptausschuß falsch; denn sie haben sich politisch-pazifistisch entschieden.
Walter Kolbow
Das ist nicht angebracht - auch im Zusammenhang mit den Leistungen der Bundeswehr an der Oder.
Das ist meine Begründung an die Adresse der Kolleginnen und Kollegen m Frankfurt an der Oder.
Ich werbe für diese meine politische Überzeugung, wo ich gehe und stehe. Dafür werbe ich im ganzen Land, an die Adresse von Stadträten und auch von Hauptausschüssen.
Auch über folgendes werden wir uns auseinanderzusetzen haben: Sie unterschlagen natürlich die Äußerungen von Herrn Stolpe. Ich habe mit der stellvertretenden Landesvorsitzenden, Frau Förster, gesprochen, die Mitglied des Stadtrates in Frankfurt ist und natürlich ebenfalls für ein feierliches Gelöbnis eintritt.
Ich habe auch mit dem Bürgermeister Ewert geredet, der Unterbezirksvorsitzender ist und die Meinung der Mehrheit der SPD in Frankfurt repräsentiert. Wenn ein Parteitag über diese Frage zu entscheiden gehabt hätte, dann hätte sich in Frankfurt an der Oder eine Mehrheit für das Gelöbnis ergeben.
Deswegen wird es am 18. Mai eine interessante Auseinandersetzung - im kooperativen Sinne - mit dem Abgesandten der Bundeswehr, der ja in den Hauptausschuß oder den Stadtrat kommen soll, geben, und dann wird dieses Votum korrigiert werden.
Es wird 1999 auch in Frankfurt an der Oder ein Gelöbnis geben, wenn die Bundeswehr die Einladung noch einmal ausspricht. Ich bin mir sicher, sie wird sich nicht zurückziehen.
Herr Kolbow, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Junghanns?
Nein.
Herr Bundesminister der Verteidigung, Sie haben in der Frage des Gelöbnisses in Berlin - da haben viele mitgewirkt, auch prominent in diesem Hause - die richtige, vernünftige Entscheidung getroffen und das Gelöbnis am 13. August aufgegeben.
Wir werden am 10. Juni miteinander in Berlin das Gelöbnis erleben. Das ist die Realität über Gelöbnisse in Deutschland, nicht das, was Sie hier konstruieren wollen und wo Sie uns ans Zeug flicken wollen, was ich in aller Form zurückweisen muß.
Ich möchte abschließend den Bundesminister der Verteidigung bitten, die Taktik, die Sozialdemokratie über das Thema der Gelöbnisse ins Abseits stellen zu wollen - was Ihnen nicht gelingt -, zu unterlassen und zum Konsens der Demokratinnen und Demokraten in der Gelöbnisfrage zurückzukehren.
Wir werden arbeiten, wo wir zu arbeiten haben. Aber arbeiten auch Sie als Demokrat, wo Sie zu arbeiten haben.
Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Junghanns.
Herr Kolbow, da Sie mich angesprochen haben, mache ich zwei kurze Bemerkungen. Was Sie vom politischen Pazifismus und vom Pazifismus generell gesagt haben, teile ich zu hundert Prozent. Das ist überhaupt keine Frage für mich. Das habe ich auch gesagt. Doch wo Kritik besteht, muß sie ausgesprochen werden können.
Das Problem ist, daß die Diskussion, die wir beide höchstwahrscheinlich gemeinsam wollen, gar nicht geführt wurde, daß mit dem Entscheid und der Mehrheitssituation im Stadtparlament gesagt wurde: Strich darunter und weg!
Ich hätte die Diskussion gerne geführt. Sie muß auch geführt werden. Die SPD hatte in diesem Fall die Möglichkeit, das, was Sie gesagt haben, vier Tage später im Stadtparlament auf den Weg zu bringen. Sie hätte die Möglichkeit gehabt, zu diesem Thema einen Parteitag durchzuführen.
- Herr Küster, er hat das Stichwort gegeben.
Weil es mir um die Bundeswehr in Frankfurt an der Oder geht, meine ich, daß wir diese Diskussion zu Ende führen müssen, auch mit der Sozialdemokratie; das ist überhaupt keine Frage. Aber stellen Sie das jetzt nicht so dar, als hätte die Sozialdemokratie keine Chancen gehabt, das sauber in der Öffentlichkeit auszutragen. Mir wäre daran gelegen gewesen. Sie haben die Chance vertan.
Zum Abschluß dieser Debatte hat der Bundesminister der Verteidigung, Volker Rühe, das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, daß die Rede des Kollegen Junghanns deswegen besonders eindrucksvoll war,
weil hier ein Abgeordneter aus Frankfurt , der vielleicht noch am ehesten das Recht gehabt hätte, über Kommunalpolitik zu sprechen, am Beispiel seines Sohnes deutlich gemacht hat, worum es geht, nämlich um den Umgang mit der jungen Generation
Bundesminister Volker Rühe
dieses Landes, die bereit ist, in den Streitkräften dieses Landes zu dienen.
Alle, die hier von seiten der Sozialdemokratie nur über Kommunalpolitik gesprochen haben, unterschätzen dieses Thema gewaltig. Die Deiche an der Oder sind auch nicht von Kommunalpolitikern gehalten worden, sondern von jungen Soldaten und von Helfern des THW und der Feuerwehr und Freiwilligen aus ganz Deutschland. Das hat Deutschland vereinigt. Deswegen interessieren sich die Deutschen dafür, wie man heute mit den Soldaten in Frankfurt an der Oder umgeht. Das ist doch völlig in Ordnung.
Herr Kollege Kolbow, Sie haben gesagt, daß ich eine Taktik verfolge, um Sozialdemokraten ins Abseits zu stellen.
Jetzt muß ich Ihnen einmal erklären - Herr Zumkley ist besser informiert -, wie sich die Vorgeschichte von Frankfurt an der Oder zugetragen hat. Seit Wochen - ohne jegliche Unterstützung durch Öffentlichkeitsarbeit - haben die Vertreter der Bundeswehr zunächst mit dem Ministerpräsidenten des Landes Brandenburg verhandelt.
Er hat darauf geantwortet: Das ist eine phantastische Idee, ein Gelöbnis und einen Zapfenstreich in Frankfurt an der Oder abzuhalten. Er war genauso bereit, an diesen Veranstaltungen teilzunehmen, wie die Minister und fast das ganze Kabinett des Landes. Dann haben wir - ohne Einschaltung der Öffentlichkeit - mit der Führung der Stadt Frankfurt an der Oder Gespräche geführt. Auch dort war die Meinung: eine phantastische Idee. Die Bundeswehr ist willkommen.
Das alles geschah ohne Öffentlichkeit. Und das soll eine Taktik sein, Sie ins Abseits zu stellen? - Nein, wir haben dort die Gemeinsamkeit gesucht, weil wir wissen, wie die Bevölkerung an der Oder denkt und fühlt. Deshalb wollten wir gemeinsam mit allen Demokraten ein solches Gelöbnis begehen. Erst nachdem der Hauptausschuß dort getagt hat, sind diese Sachverhalte an die Öffentlichkeit gelangt.
Es ist dabei klargeworden, daß die Leute, die dort SPD und PDS repräsentieren, nicht die Mehrheit der Bevölkerung in der Stadt vertreten.
Eines muß ich noch hinzufügen: Die Menschen an der Oder sind dankbar. Nehmen Sie zum Beispiel die Thälmann-Siedlung, deren Name ja schon einiges aussagt. Ich weiß, wie ich dort das erste Mal empfangen wurde, nachdem der Deich gebrochen war, nämlich sehr skeptisch, genauso wie die Bundeswehr. Ich weiß auch noch, wie wir uns gegenseitig unterstützt und gemeinsam aufgeräumt haben. In jedem Haus wurden acht Soldaten einquartiert, die wie eigene Söhne behandelt wurden. Wir sind vom dortigen Bürgermeister eingeladen worden - ich weiß gar nicht, ob er der PDS angehört; die Parteizugehörigkeit hat auch gar nicht interessiert -, der gesagt hat: Wir haben ein völlig neues Verhältnis zur Bundeswehr begründet.
Wie ist es möglich, daß Vertreter von SPD und PDS in Frankfurt an der Oder so borniert auftreten und nicht begreifen wollen, daß sie diesen Teil Deutschlands auch zu vertreten haben? Das ist doch der Skandal von Frankfurt an der Oder.
Ich bin sehr dankbar dafür, wie die Menschen in dieser Region und viele Vertreter der dortigen Städte reagiert haben. Daß die Sozialdemokraten hier noch ein Problem haben, Herr Kollege Kolbow und Herr Scharping, den ich hier auch ansprechen darf, zeigt wieder einmal Ihr Antrag.
Zum einen beklagen Sie sich darüber, daß wir zu viele öffentliche Gelöbnisse durchführten und dies angeblich gegen die Bestimmungen sei. Wir haben im Jahr über 600 Gelöbnisse. Die Mehrheit wird natürlich in den Kasernen durchgeführt. Aber wir können doch gar nicht genug öffentliche Gelöbnisse haben!
Es entspricht meiner Erfahrung, daß viele Vertreter von Städten zu uns kommen und sagen: Gerade weil die Bundeswehr in den letzten Monaten zu Unrecht angegriffen worden ist, möchten wir uns öffentlich zu unseren Soldaten bekennen und ein öffentliches Gelöbnis mit ihnen durchführen.
Ich bin sehr dankbar dafür, daß Herr Scharping eine Gelöbnisrede hält.
Ich werde zusammen mit dem Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz, Herrn Beck, mitten in der Stadt Mainz an einem öffentlichen Gelöbnis teilnehmen. Wo ist denn da die Taktik, jemanden ins Abseits zu stellen? Herr Genscher nimmt auch an einem großen öffentlichen Gelöbnis in Sachsen-Anhalt teil. Die verteidigungspolitischen Sprecher aller Fraktionen sind bei solchen Veranstaltungen zugegen.
Jetzt kommen Sie mit Ihrem Entschließungsantrag und sagen, daß dies eigentlich zu viele öffentliche Gelöbnisse seien. Das spiegelt nicht die Stimmung in diesem Lande wider. Die Mehrheit der Bevölkerung möchte, daß die Bundeswehrsoldaten mitten unter
Bundesminister Volker Rühe
den Menschen ihr Gelöbnis ablegen. Das müssen Sie begreifen.
Jetzt sage ich noch ein Wort zu Bremen. Die Bundeswehr ist eingeladen worden, mitten in Bremen ein öffentliches Gelöbnis abzuhalten, um die schlimmen Auseinandersetzungen in den 80er Jahren ein für alle Mal vergessen zu machen. Daraufhin hat es eine kritische Diskussion in der SPD gegeben. Ich habe deshalb mit dem Bürgermeister der Stadt Bremen gesprochen. Dieser sagte mir: Ich möchte, daß das öffentliche Gelöbnis im Saal des Rathauses stattfindet. Ich habe ihm darauf entgegnet, daß das wirklich eine Zumutung sei; das sei ja das Gegenteil eines öffentlichen Gelöbnisses. Im Rathaus mag man vielleicht Justizreferendare vereidigen, aber junge Rekruten der Bundeswehr - das ist immer noch eine besondere Sache - kann man nicht in einem Saal des Bremer Rathauses vereidigen. Das geht nur unter Beteiligung von vielen Zehntausenden von Bürgern mitten in der Stadt. Das war die Diskussion, die wir dort geführt haben.
Nachdem das nicht möglich war, haben wir gesagt: Dann verzichten wir lieber darauf.
Bei Hamburg dagegen bleibe ich dabei. Als Hamburger bin ich hier vielleicht besonders engagiert. Die wichtigsten Einrichtungen der Bundeswehr wie die Führungsakademie und die Bundeswehrschule sind in Hamburg.
- Haben Sie etwas gegen die Führungsakademie? Sie müssen einmal die Hamburger danach fragen, wie stolz sie darauf sind. Sie haben gar keine Ahnung.
In Hamburg ist eine Brigade stationiert, obwohl Brigaden sonst kaum in einer Großstadt sind. Ich habe sie dort nur für den Fall einer Hochwasserkatastrophe. Das ist der Kern der Begründung. Sonst haben wir sie in die Fläche verlegt. Mit dem Undank, daß die Soldaten dieser Stadt nicht mitten in der Stadt vor dem Rathaus ein Gelöbnis abhalten können, werde ich mich nicht abfinden. Das ist und bleibt ein Skandal.
Ich denke, daß die Debatte auch ein Gutes gehabt hat. Ich gehe davon aus, daß die Diskussion so, wie sie geführt worden ist, dazu führt, daß wir im nächsten Jahr eingeladen werden, in Frankfurt an der Oder ein Gelöbnis durchzuführen. Natürlich werden wir dann dazu bereit sein.
Jetzt aber danken wir erst einmal der Stadt Wriezen und für die überwältigende Bekundung von Sympathie für die Bundeswehr, wie wir sie überall im Oderbruch oder auch in Brandenburg finden. 80 Prozent der Brandenburger - das haben die Umfragen ergeben - stehen hinter den öffentlichen Gelöbnissen. Da sehen Sie einmal - es sind linke Gewerkschaftler aus Westdeutschland, die dort für die SPD sprechen -, wohin diese Sie gebracht haben. Wenn das mit dieser Debatte vorbei ist, ist das eine gute Sache.
Es geht darum, ein klares Bekenntnis für die Bundeswehr abzulegen, die Tag für Tag unsere Freiheit und unseren Frieden verteidigt,
für die Bundeswehr, die wie kaum eine andere Armee eine Tradition der Hilfe in Not bei Hochwasser, bei Schnee, bei Hunger und Dürre in anderen Teilen der Welt, bei der Luftbrücke für die notleidenden Menschen in Sarajevo begründet hat. 83 Prozent der deutschen Bevölkerung stehen heute zur Bundeswehr so, wie sie ist. Das ist die größte Unterstützung, die wir jemals gehabt haben. Die Bürger der neuen Bundesländer nennen die Bundeswehr heute an zweiter Stelle, wenn sie gefragt werden, welche Institutionen des öffentlichen Lebens Vertrauen verdient haben. Dabei schneiden alle anderen Institutionen sehr viel schlechter ab.
Daß die öffentlichen Gelöbnisse kein Tick des deutschen Verteidigungsministers sind, werde ich im August beweisen. Wenn Sie dann „Wahlkampf" schreien, tun Sie mir wirklich leid, dann haben Sie nichts von der europäischen Geschichte begriffen. Am 22. August dieses Jahres werde ich zusammen mit meinem polnischen Kollegen Janusz Onyszkiewicz zwei öffentliche Gelöbnisse an der deutsch-polnischen Grenze durchführen, eines zunächst auf der polnischen Seite in Gubin. Dann werden Sie einmal erleben, was ein wirkliches militärisches Zeremoniell ist. Dann werden Sie sehen, daß das Gelöbnis der Bundeswehr im Vergleich zu dem Zeremoniell, wie man in Polen junge Rekruten auf Polen vereidigt, ein sehr unterkühltes Zeremoniell ist. Es wird eine Kompanie Soldaten der Bundeswehr anwesend sein.
Dann werden wir gemeinsam, deutsche und polnische Soldaten, über die Oder-Brücke ziehen und auf der deutschen Seite in Guben ein öffentliches Gelöbnis von Soldaten der Bundeswehr im Beisein einer Kompanie polnischer Soldaten durchführen.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Beer?
Bitte.
Herr Minister, wir haben hier verschiedene Male Debatten gehabt, die zu einem anderen Thema angesetzt waren, die aber zu einer Gelöbnisdebatte instrumentalisiert worden sind. Sie haben in der letzten Auseinandersetzung einen Satz gesagt, den ich unterstrichen
Angelika Beer
habe und richtig fand, und zwar zur Frage der SPD in Hamburg, ob es richtig ist, ein öffentliches Gelöbnis auf dem Boden der Gedenkstätte Neuengamme zu machen. Sie haben das wie wir auch abgelehnt, weil wir meinen, daß es Plätze der Ruhe und Würde gibt, auf denen Soldaten nicht in dieser Form auftreten sollten.
Ich frage Sie, wie Sie dazu kommen, am 21. August in Schleswig-Holstein
- können Sie bitte einmal ruhig sein? -,
in Hohwacht - das ist eine Außenstelle des KZ Neuengamme -, ein öffentliches Gelöbnis abzuhalten, obwohl Ihre politischen Kollegen dort seit Jahren verhindern, daß auch nur ein Gedenkstein für dieses Außenkommando von Neuengamme errichtet wird, obwohl man verhindert, an die Opfer zu erinnern, und dann auch noch versucht, mit einer konservativen Mehrheit ein Gelöbnis durchzusetzen.
Frau Beer, ist das eine Kurzintervention oder eine Frage?
Nein. Ich möchte wissen, wie denn diese Scheinheiligkeit - man kann auch sagen: Sie laufen wie ein Elefant durch den Porzellanladen -,
die Bundeswehr auf der einen Seite zu instrumentalisieren und auf der anderen Seite das Gedenken an die Opfer des Naziregimes zu verhindern, zu erklären ist. Dies unterstreicht den Vorwurf, daß Sie hier Wahlkampf untersten Niveaus betreiben.
Ich glaube, diese Frage richtet sich selbst.
Ich muß Ihnen sagen: Ich bin stolz darauf, wie die Soldaten der Bundeswehr, die jungen Offiziere, die nach Israel gegangen sind,
in Yad Vashem aufgetreten sind und wie sie heute
mit den Menschen in Israel zusammenarbeiten. Ich
muß Ihnen sagen: Wenn das in Israel anerkannt wird
- mein Kollege wird noch in diesem Jahr zu mir kommen -, dann sollten Sie als Vertreterin der Grünen - ebenso Herr Fischer - auch Respekt vor dem Verhalten und der Leistung unserer Soldaten haben.
Glauben Sie denn im Ernst, wir könnten ein solches Verhältnis mit Polen haben,
deutsche und polnische Soldaten könnten ein gemeinsames Gelöbnis durchführen, wenn das
stimmte, was Sie an schlimmen Klischees verbreiten?
Tatsache ist doch: Polnische und deutsche Soldaten bezeugen einander 50 Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkrieges in einzigartiger Weise Respekt und Anerkennung. Die Teilnahme unserer polnischen Freunde zeigt auch, wieviel Vertrauen in die Bundeswehr in den letzten Jahren gewachsen ist.
Das muß ich nun auch einmal sagen: Hinter dieses Vertrauen sollte kein deutsches Parlament, kein deutscher Politiker, auch kein Regionalparlament, zurückgehen. Wenn diese Debatte ein Gutes gehabt hat, so hat sie - da bin ich sicher - diejenigen in Deutschland mobilisiert, die sagen: Wir wollen zu unseren Soldaten stehen; wir wollen das mitten in der Stadt und überall in Deutschland machen.
Ich bedanke mich.
Weil er vom Bundesminister angesprochen wurde, hat der Vorsitzende der SPD-Fraktion Scharping das Wort zu einer Kurzintervention.
Erstens. Herr Kollege Rühe, daß die Bundeswehr zur Sicherheit unseres Landes, zur Integration in Europa und zu einem guten Bild Deutschlands beiträgt, sowohl mit dem Einsatz an der Oder als auch beispielsweise in Bosnien oder an anderer Stelle,
ist völlig unumstritten.
Ich finde an dem, was Sie gesagt haben, nur bedenklich, daß Sie den Eindruck erwecken wollen, als könnte es umstritten sein.
Rudolf Scharping
Zweitens. In Ihrer Zentralen Dienstvorschrift 10/8 steht doch bezüglich der öffentlichen Gelöbnisse ausdrücklich das, was wir in dem Antrag zitiert haben. Wenn uns Ihre Vermutungen in ein Gespräch darüber führen könnten, die Dienstvorschrift im Zweifel so zu ändern, daß öffentliche Gelöbnisse die Regel werden,
dann haben Sie in der SPD-Bundestagsfraktion sogar offene Gesprächspartner.
Drittens. Ich bin hierhergekommen, weil ich dachte, der Deutsche Bundestag redet über das Wehrsoldgesetz und über die Wehrsolderhöhung als ein wichtiges Element des respektvollen Umgangs mit Wehrpflichtigen.
Es ist leider so, daß ein Bundesverteidigungsminister, der einen völlig inakzeptablen Beschluß im Hauptausschuß der Stadt Frankfurt an der Oder zum Gegenstand einer solchen Rede macht und kein Wort zur Wehrsolderhöhung sagt, indirekt auch etwas über sein Verständnis von Wehrpflichtigen zu erkennen gibt.
Deswegen, Herr Bundesverteidigungsminister, will ich Ihnen ganz deutlich sagen: Ich habe sehr viel Verständnis dafür, daß man fast verzweifelt nach solchen Situationen sucht, um sie dann so zu nutzen wie Sie. Aber wir sollten sehr darauf achten - ich finde, das könnte zwischen der Koalition und jedenfalls uns unumstritten bleiben -, daß die Sorge für die Bundeswehr, die Akzeptanz und die Verankerung und ihr Ansehen zwischen uns auch in Wahlkampfzeiten nicht künstlich umstritten gemacht werden.
Herr Bundesminister.
Frau Präsidentin! Herr Kollege Scharping, wir haben mit der Vorlage zum Wehrsoldgesetz gehandelt. Es ist richtig, wir können leider nur um 1 DM anheben, was den Wehrsold insgesamt angeht. Aber ich halte es für ein Gebot der Gerechtigkeit und belastungsgerecht, daß wir sagen: Unter all denjenigen, die die Wehrpflicht erfüllen, wollen wir denen, die die weitesten Wege zur Kaserne haben, besonders viel Unterstützung geben. Deswegen erfolgt die Erhöhung des
Mobilitätszuschlags schon in diesem Jahr. Ich finde, es ist ein überzeugender Vorschlag, den wir vorgelegt haben.
Jetzt komme ich noch einmal zu der Verbindung. Ich bin dankbar, daß Sie das angesprochen haben. Sie ahnen gar nicht, wie dankbar ich bin.
Natürlich ist das arg wenig. Es ist hier auch gesagt worden, am Wehrsold können Sie erkennen, daß das nicht ein Beruf wie jeder andere ist, daß die Bundeswehrrekruten keine Arbeitnehmer sind. Gerade deswegen muß, wenn es um öffentliche Gelöbnisse, um Respekt und Anerkennung geht, deutlich gemacht werden, daß man das nicht mit Geld abgelten kann, sondern mit Zuwendung. Das ist der Punkt.
Das ist auch das, was ich dem Bremer Bürgermeister gesagt hatte, der Gelöbnisse mit Vereidigungen anderer Anwärter verglichen hat. Aber zum Beispiel Justizanwärter bekommen ein Referendargehalt.
Es gibt überhaupt nichts mit der Wehrpflicht Vergleichbares, die finanziell überhaupt nicht angemessen ausgeglichen wird. Es ist kein berufliches Entgelt; die Wehrpflicht ist schon etwas ganz Besonderes. Deswegen ist es so wichtig, daß die Dinge auch im emotionalen Bereich stimmen. Wir können nur 1 DM hier und 1 DM dort zulegen. Selbst wenn wir 5 DM zulegen würden, würde es keine Besoldung. Deswegen müssen Sie begreifen, Herr Scharping, wie wichtig es ist, daß wir die Rekruten dieses Landes in einer Form behandeln, wie sie das wegen ihres besonderen Einsatzes wirklich verdient haben.
Jetzt müssen Sie sich wieder einmal entscheiden. Auch Ihr Name steht unter diesem grünen Zettel, Herr Scharping.
Wir machen im Laufe des Jahres über 600 Gelöbnisse. Die meisten werden immer noch in der Kaserne stattfinden; das kann man gar nicht anders organisieren.
Aber in den letzten Monaten - das ist richtig - haben wir mehr öffentliche Gelöbnisse durchgeführt als bisher. Warum? Es gibt eine riesige Warteliste. Als ich in Celle ein öffentliches Gelöbnis durchgeführt habe, sind fünf, sechs Bürgermeister zu mir gekommen und haben gesagt: Seit Jahren bemühen wir uns um ein öffentliches Gelöbnis in unserer Stadt. - Das ist die Realität in Deutschland. Wenn wir mehr Gelöbnisse
Bundesminister Volker Rühe
in der Öffentlichkeit durchführen, weil sich viele zur Bundeswehr bekennen sollen, dann sollten Sie sich zusammen mit dem Verteidigungsminister darüber freuen.
Die letzte Kurzintervention von Herrn Klaus-Jürgen Warnick.
Ich habe lange überlegt, ob auch ich zu diesem Thema etwas sagen soll. Die Schwarzweißmalerei, die ich hier gehört habe, kann ich nur schwer ertragen.
Ich bin christlich und pazifistisch erzogen. Trotzdem bin ich zu Zeiten der DDR fünfmal bei der Armee gewesen.
Dies geschah nicht freiwillig und nicht mit Freuden. Ich mußte viermal zur Reserve. Beim letztenmal, als ich zur Reserve mußte, 1986, war ich selbst in Frankfurt .
Ich möchte die Gegensätze meiner persönlichen Situation damals klarmachen: Man wollte mich wegen Wehrkraftzersetzung vor den Militärstaatsanwalt stellen, weil ich mit dem, was in der DDR und in der NVA vor sich ging, nicht einverstanden war. Auf der anderen Seite war ich im Ernteeinsatz und bin dort Aktivist geworden. Dies war möglich, weil das eine mit dem anderen nichts zu tun hat. Man kann gegen das Militär sein und trotzdem bei militärischen Einsätzen sein Bestes geben. Hätte es damals in Frankfurt eine solche Katastrophe gegeben, dann wäre es für mich völlig klar gewesen, daß ich 24 oder 36 oder 48 Stunden hintereinander gearbeitet hätte, um dort Menschenleben zu retten.
Der Freund meiner 23jährigen Tochter ist bei der Armee und war beim Einsatz der Bundeswehr in Frankfurt dabei. Mein Neffe, der bei der Armee ist, hat am Odereinsatz der Bundeswehr zwar nicht selbst teilgenommen, war aber in Bereitschaft. Damit will ich nur sagen, daß man das eine von dem anderen wirklich trennen kann und auch trennen muß. Diese Schwarzweißmalerei - auf der einen Seite, damals, die böse NVA; auf der anderen Seite, heute, die gute Bundeswehr - wird von der Bevölkerung nicht angenommen. Diese Trennung entspricht überhaupt nicht den Tatsachen.
Es ist eher so, daß ein Teil der Menschen damals von der NVA gelebt hat, jetzt von der Bundeswehr lebt - in der auch Arbeitsplätze geschaffen worden sind - und den Übergang von der einen Armee zur anderen mehr oder weniger neutral sieht. Es ist nicht so, daß die Armee jetzt glorifiziert wird, die Menschen mit Freude zu einer solchen Vereidigung gehen und darauf hoffen, dort werde endlich eine solche Zeremonie stattfinden. Diese Vorstellung entspricht einfach nicht den Realitäten.
Ich war und bin gegen das Militär; folglich bin ich auch gegen solche Zeremonien. Doch ich bin noch lange nicht undankbar für das, was Soldaten und viele andere - das Technische Hilfswerk, das Deutsche Rote Kreuz, Feuerwehrleute - dort an Hilfe geleistet haben. Man muß und kann das eine von dem anderen trennen.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Wehrsoldgesetzes, Drucksachen 13/ 9960 und 13/10544 Nr. 1. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 13/10621? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Änderungsantrag mit den Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. gegen die Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS abgelehnt.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS bei Enthaltung der SPD angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf mit gleichem Stimmenverhältnis wie zuvor angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionen von CDU/CSU und F.D.P. auf Drucksache 13/10645. Wer stimmt für den Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist der Entschließungsantrag mit den Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. gegen die Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/10658. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist der Entschließungsantrag mit den Stimmen von CDU/ CSU, F.D.P., Bündnis 90/Die Grünen und PDS abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/10659. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Entschließungsantrag mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und F.D.P. gegen die
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS abgelehnt.
Beschlußempfehlung des Verteidigungsausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD zur Wehrsolderhöhung auf Drucksache 13/10544 Nr. 2. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/ 10191 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. gegen die Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen.
Beschlußempfehlung des Verteidigungsausschusses zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Beseitigung von Ausbildungshindernissen und Benachteiligungen im Rahmen der Wehrpflicht auf Drucksache 13/9727. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/8706 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der CDU/CSU und F.D.P. bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS und bei Enthaltung der SPD angenommen.
Dann rufe ich die Tagesordnungspunkte 17 a und 17b auf:
a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu dem Antrag des Abgeordneten Gunnar Uldall und der Fraktion der CDU/ CSU sowie des Abgeordneten Paul K. Friedhoff und der Fraktion der F.D.P.
Investieren in Deutschland
- Drucksachen 13/8047, 13/10182-Berichterstattung:
Abgeordnete Margareta Wolf
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Beschäftigungspolitischer Aktionsplan der Bundesrepublik Deutschland
- Drucksache 13/10 510 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Finanzausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Zum beschäftigungspolitischen Aktionsplan liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache drei Stunden vorgesehen. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Wir verfahren so.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Gunnar Uldall.
Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Nur wer es bewußt ignoriert, kann übersehen, daß die positiven Wirtschaftsmeldungen in den letzten Wochen von Tag zu Tag zunehmen. Fast täglich melden Branchen, daß sie in diesem Jahr die Zahl ihrer Mitarbeiter kräftig aufstocken wollen. Gestern gratulierte uns die internationale Wirtschaftspresse zur Fusion von DaimlerBenz mit Chrysler. Wenn sich zwei Spitzenkonzerne der Welt - Daimler in Deutschland, Chrysler in den USA - nach einer Prüfung, wo sie ihre Konzernzentrale errichten sollen, nicht für die USA, sondern für Deutschland entscheiden,
dann zeigt das, daß wir in Deutschland als Wirtschaftsstandort wieder erste Klasse geworden sind.
Das ist zugleich ein Beweis dafür, wie wichtig und wie richtig unsere Politik für Europa und für den Euro ist. Nationale Grenzen und nationale Währungen haben in der Wirtschaftspolitik längst ihre Bedeutung verloren. Ohne Europa und ohne Euro könnten unsere Unternehmen im weltweiten Wettlauf nicht mehr mithalten.
Herr Uldall, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Matthäus-Maier?
Bitte.
Sie sprachen an, Herr Uldall, daß man sich für den Sitz Deutschland entschieden habe. Würden Sie bitte hinzufügen, daß Schrempp auf der Pressekonferenz gesagt hat, dies geschehe aus steuerlichen Gründen? Ich verbinde das mit der Frage: Wollen Sie damit nicht endlich zugeben, daß das ununterbrochene Gejammere, die Unternehmensbesteuerung in Deutschland sei so entsetzlich, daß keiner hier hin wolle, dadurch widerlegt ist?
Zwei Bemerkungen dazu, Frau Matthäus-Maier. Erstens. Die große Steuerreform in Deutschland ist noch nicht durchgeführt. Sie muß kommen und würde dem Standort Deutschland noch einmal einen wesentlichen Schub versetzen und zusätzliche Arbeitsplätze schaffen.
Zweitens. Sie sehen, daß wir trotz Ihres massiven Widerstandes gegen alle diese Dinge in den letzten vier Jahren auch beachtliche steuerliche Verbesserungen durchsetzen konnten, zum Beispiel durch die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer.
Gunnar Uldall
Es ist nicht vorstellbar, daß Unternehmen hierhergekommen wären, wenn diese Steuer nicht abgeschafft worden wäre.
Ich möchte noch einen dritten Punkt hinzufügen, Frau Matthäus-Maier. Es wäre eine Katastrophe, wenn die Sozialdemokraten ihre steuerlichen Vorschläge umsetzen könnten und in Deutschland wieder zusätzliche Vermögensabgaben einführen würden. Das wäre das beste Mittel, um Arbeitsplätze aus Deutschland rauszutreiben.
Die positive Entwicklung ist nicht von allein gekommen. Sie ist das Ergebnis einer nicht immer leichten Umstrukturierung, die wir vor zwei Jahren mit unserem 50-Punkte-Programm eingeleitet haben. Bevor eine Besserung auf dem Arbeitsmarkt eintritt, müssen sich bestimmte Grunddaten bessern. Seit ein bis zwei Jahren können wir beobachten, daß sich diese wirtschaftlichen Grunddaten positiv entwikkeln. Heute können wir mit Freude feststellen, daß sich diese Entwicklung auch auf dem Arbeitsmarkt niederschlägt. Aber bevor ich mich dahin gehend äußere, möchte ich zunächst einen Blick auf diese Grunddaten werfen.
Wir haben als Hauptmaßstab für die Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft die Lohnstückkosten. Über viele Jahre sind die Lohnstückkosten in Deutschland von Jahr zu Jahr gestiegen. Jetzt haben wir seit drei Jahren eine umgekehrte Entwicklung. Die Lohnstückkosten in Deutschland sinken: 1996 minus 0,3 Prozent, 1997 minus 1,9 Prozent, 1998 minus 1,0 Prozent. Das zeigt, daß wir hier eine Kehrtwendung erreicht haben.
Nun könnte man sagen: Wahrscheinlich sind die Lohnstückkosten überall in der Welt zurückgegangen. Deswegen lassen Sie uns einen Blick auf unsere Nachbarländer werfen. Da sieht es bei den Lohnstückkosten ganz anders aus: Großbritannien plus 0,5 Prozent, Frankreich plus 1,0 Prozent, Italien plus 2,5 Prozent. Bei uns sinken die Lohnstückkosten, in den Nachbarländern steigen sie. Die Schere schließt sich eindeutig zu unseren Gunsten.
Ein negativer Faktor für die Kostensituation in Deutschland war bis vor zwei bis drei Jahren die mangelnde Arbeitszeitflexibilität. Durch das neue Arbeitszeitgesetz von 1994 konnten wir hier entscheidende Fortschritte erzielen. Fachkenner sprechen sogar von einer Kulturrevolution auf diesem Sektor. Das bringt unmittelbar positive Effekte.
Ich will ein Beispiel bringen. Bei den zehn größten amerikanischen Unternehmen in Deutschland wurde eine Umfrage durchgeführt, wie sich diese Flexibilität auf die Arbeitsplätze ausgewirkt hätte. Das Ergebnis ist erfreulich und überraschend; man kann es wirklich nur mit Zustimmung zur Kenntnis nehmen: Über 45 000 Arbeitsplätze konnten in diesen zehn befragten amerikanischen Unternehmen in Deutschland neu geschaffen oder gesichert werden. Das ist wirklich eine positive Entwicklung, über die wir uns alle freuen sollten.
Schließlich: Deutschland wird in diesem Jahr mit 3,0 Prozent die höchste Wachstumsrate aller OECD-Länder erzielen. Wer das bezweifelt, mag in den letzten OECD-Wirtschaftsausblick sehen, in dem dies beschrieben wird. Auch das ist ein Zeichen für eine positive Entwicklung bei uns.
Die SPD kann diese positiven Erfolge nicht mehr bestreiten. Allerdings ist festzustellen: Die Opposition hat in den vergangenen zwei Jahren ihre gesamte Kreativität dafür aufgewendet, die notwendige Anpassung der deutschen Wirtschaftsstruktur zu verhindern.
Sie, meine Damen und Herren, wollten sich durch Behinderungen und Verzögerungen bessere Ausgangspositionen für den nächsten Wahlkampf schaffen. Das ist Ihnen aber nicht gelungen. Die Daten zeigen nach oben. Die Rechnung der SPD ist nicht aufgegangen.
Inzwischen schlägt die Verbesserung der Grunddaten auch auf den Arbeitsmarkt durch.
Wir sind mit der Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt bei weitem noch nicht zufrieden. Aber man kann nicht verkennen, daß sich auch hier sehr deutliche Verbesserungen abzeichnen. Im April sank die Zahl der Arbeitslosen gegenüber dem Vormonat um 200000. Das ist eine Leistung. Man muß schon sehr lange zurückblicken, um einen Monat zu finden, in dem es in gleichem Maße zu einer Verbesserung auf dem Arbeitsmarkt gekommen ist.
Besonders deutlich wird diese Entwicklung in bezug auf die Arbeitslosigkeit in Westdeutschland, wenn man bei den Monatszahlen einen Vergleich zum entsprechenden Monat des Vorjahres vornimmt. Fast 30 Monate lang stieg in Westdeutschland die Arbeitslosigkeit von Monat zu Monat im Vergleich zum Vorjahr an. Seit Anfang dieses Jahres, also in den letzten vier Monaten, ist diese Entwicklung umgekehrt. Die Arbeitslosigkeit sinkt im Vergleich zum Vorjahresmonat. Sie steigt nicht mehr. Auch das ist eine positive Kehrtwendung.
Auch wenn die Arbeitslosenzahlen in Ostdeutschland im Vorjahresvergleich noch nicht sinken, kann man doch für Gesamtdeutschland eine interessante Beobachtung machen, wenn man sich die Zahlen genau ansieht. Wenn man die Zahl der Arbeitslosen mit der Zahl derjenigen zusammenzählt, die sich in Beschäftigungs- und Weiterbildungsmaßnahmen befin-
Gunnar Uldall
den, so betrug diese Summe im März 1998 5,1 Millionen. Ein Jahr vorher ist diese Zahl um über 100 000 höher gewesen. Das heißt, auch dieser Parameter entwickelt sich positiv. Dies ist ein Erfolg, mit dem wir bei weitem noch nicht zufrieden sind, aber den wir uns von Ihnen auf keinen Fall kleinreden lassen.
Ein Blick auf die Kurzarbeiter: Im Jahresvergleich sind über 100 000 Menschen weniger in Kurzarbeit. Die Zahl ist um 50 Prozent niedriger, das heißt, halbiert worden. Dagegen erhöhte sich die Zahl der offenen Stellen massiv. Vor einem Jahr wurden 370 000 Stellen auf dem Arbeitsmarkt angeboten. Diese Zahl ist jetzt um 20 Prozent höher und liegt bei 450 000.
Auch hier gilt: Noch nie ist in einem Quartal eine so kräftige Erhöhung der Zahl der offenen Stellen zu verzeichnen gewesen wie in diesem ersten Quartal des Jahres 1998. Ich meine, das sind positive und erfreuliche Signale, die wir über die Fraktionen hinweg begrüßen müssen.
Die Daten zeigen: Der Aufschwung ist da. Die Kehrtwendung ist vollzogen.
Der Turnaround ist geschafft. Wir sind aber noch nicht am Ziel. Wer dies bezweifelt, den wird vielleicht folgendes Zitat überzeugen:
Es herrscht Aufbruchstimmung. Die deutsche Wirtschaft läßt die Muskeln spielen. Die Hannover-Messe zeigt das in diesen Tagen deutlich. In Deutschland setzen die ersten auf Zukunft und Wachstum.
Diese Worte stammen nicht aus dem Bundespresseamt und auch nicht aus dem Konrad-AdenauerHaus. Sie stammen vielmehr von Gerhard Schröder aus einer Anzeige in der „Bild"-Zeitung. Die positive Entwicklung ist ganz offensichtlich so deutlich, daß sie auch von der Opposition nicht mehr geleugnet werden kann.
Wer wirtschaftlich erfolgreich sein will, muß zwei Dinge haben: ein gutes Produkt und eine gute Verkaufsabteilung. Unser gutes Produkt ist der Standort Deutschland. An diesem Produkt haben wir in den letzten Jahren gearbeitet. Die Bedingungen für die Investoren in Deutschland sind jetzt wieder gut. Sie können aber noch weiter verbessert werden. Denn Standortverbesserungen sind ein kontinuierlicher Prozeß.
Wir können aber bereits heute feststellen, daß Unternehmen, die aus Deutschland abgewandert sind, inzwischen wieder zurückkommen. Beispiel: Varta holt seine Produktion von Spezialbatterien aus Singapur zurück nach Deutschland. - Bravo, kann ich nur sagen. Weiteres Beispiel: Die Deutsche Bank ruft den Wertpapierhandel von London zurück nach Frankfurt. Das bringt 750 zusätzliche Arbeitsplätze. - Bravo, kann ich nur sagen.
Diese Beispiele zeigen: Wir sind wieder wettbewerbsfähig geworden. Jetzt müssen wir uns aber daranmachen, unseren guten Standort Deutschland und sozusagen unser Produkt Deutschland durch eine gute Verkaufsabteilung zu vermarkten.
Heute gibt es in Deutschland 16 verschiedene Wirtschaftsförderungsgesellschaften der Länder. Was wir brauchen, ist eine zentrale Agentur, die den Investoren den Standort Deutschland insgesamt anbietet, aktiv Verbindungen zu potentiellen Investoren aufbaut und dann die Kontakte zu den Wirtschaftsförderungsgesellschaften in den einzelnen Ländern weitergibt.
Wir sind froh, daß es nunmehr eine „Invest in Germany"-Agentur mit Sitz in Berlin geben wird, die ohne einen großen Apparat zielgerichtet Akquisitionen für Deutschland betreiben wird. Mein Kollege Christian Ruck wird dieses gleich noch ausführlich darstellen. Aber eines möchte ich schon einmal festhalten: Mit dieser neuen Agentur kann Deutschland seine Chancen auf dem Weltmarkt wesentlich verbessern.
Die wirtschaftlichen Daten zeigen: Unsere Politik ist auf dem richtigen Weg. Die Erfolge stellen sich ein. Der einzige Vorwurf, den man uns machen und über den man diskutieren könnte, wäre, daß wir mit unseren Strukturmaßnahmen zu spät begonnen hätten. Aber ich bitte zu berücksichtigen, daß wir Anfang der 90er Jahre ganz andere Probleme in Deutschland zu lösen hatten. Da galt es zunächst, die Wiedervereinigung zu vollziehen.
Diesen möglichen Vorwurf eines verspäteten Beginns kann man aber auf gar keinen Fall erheben, wenn man, wie die SPD, all diese Maßnahmen gebremst hat.
Man kann diesen Vorwurf erst recht nicht erheben, wenn man unsere Reformschritte, die wir jetzt erfolgreich durchgesetzt haben, im Falle eines Falles wieder zurücknehmen möchte.
Das gilt zum Beispiel für die Rentenreform, für die Verrechnungsmöglichkeit von Urlaubs- mit Krankheitstagen und für die Flexibilisierung im Arbeitsrecht. Das sind Versprechungen, die süß schmecken mögen, aber in Wirklichkeit Gift für den Arbeitsmarkt sind.
Die Union bleibt bei ihrem Kurs, den Menschen ehrlich zu sagen, was getan werden muß, auch wenn es kurzfristig unpopulär erscheinen mag. Aber so sichern wir den Aufschwung, geben ihm einen zusätzlichen Schub und schaffen mehr Beschäftigung in Deutschland.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Siegmar Mosdorf.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Kollege Uldall, da Sie Gerhard Schröder zum Aufschwung in Deutschland so schön zitiert haben, muß ich Ihnen sagen: Wenn es jetzt ein Aufatmen bei den Menschen gibt, dann liegt es daran, daß sie endlich Licht am Ende des Tunnels sehen. Die Regierung ist bald am Ende, und wir fangen neu an.
Das ist der Grund, warum es eine positive Stimmung gibt.
Es gibt natürlich ein paar Dinge, die man sich trotzdem genau ansehen muß. Vor kurzem wurde eine Studie des Institute for Management Development aus Lausanne über die Wettbewerbsfähigkeit der großen Volkswirtschaften vorgelegt. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" hat unter der Überschrift „Schlechte Noten für Regierung Kohl belasten Standort Deutschland" die Studie dargestellt und geschrieben:
Der Wirtschaftsstandort Deutschland und seine internationale Wettbewerbsfähigkeit sind nicht mehr erstklassig.
Es gibt Vorteile in einer ganzen Reihe von Feldern, aber wir haben ökonomische und technologische Vorsprünge verloren. Das ist eine Sache, die uns sehr beschäftigen muß.
Sie schreiben dann weiter:
Der Grund für den Abstieg liegt in den schlechten Bewertungen nach den Kriterien Regierung ... , Management ...
Nach Ansicht der befragten Manager - die dieser Studie zugrunde liegt -
erweist sich vor allem die Regierung als negativer Standortfaktor.
Das schreibt die „FAZ" über die Studie.
Während die Bundesregierung bei der jüngsten Bundestagswahl 1994 noch Rang 10 im internationalen Vergleich erreichte, ist sie seitdem stetig auf Rang 36 abgerutscht. Allein gegenüber dem vergangenen Jahr verlor die Regierung Kohl 11 Plätze im internationalen Ansehen der Unternehmensführer.
Das ist der Punkt - der Satz ist durchaus richtig -: Wirtschaft findet in der Wirtschaft statt. Die Wirtschaft muß Arbeitsplätze schaffen. Es gibt eine ganze Reihe von Veränderungen. Aber Regierung muß auch in der Regierung stattfinden. Da gibt es Defizite, die Sie geschaffen haben, die Sie hinterlassen und die wir dringend ändern müssen.
Herr Uldall, lassen Sie mich noch einen Satz zu der wichtigen Entscheidung hinsichtlich Daimler Benz und Chrysler sagen, die gestern getroffen wurde. Ich habe sie begrüßt. Auch Sie haben sie eben begrüßt. Ich halte sie für eine wichtige und zentrale Entscheidung: Es ist die erste große Fusion, die von einem großen deutschen Haus ausgeht.
Die Unternehmen werden im Globalisierungsprozeß gegenwärtig neu aufgestellt. Daß Daimler Benz jetzt durch die Fusion, durch die Partnerschaft mit Chrysler zum fünftgrößten Unternehmen der Welt wird und daß dies keine Sanierungsfusion, sondern eine Wachstumsfusion ist, erfreut uns, macht uns ein Stück weit stolz.
Es ist übrigens auch gut für die Region, aus der ich komme, für die Region Stuttgart, weil dort der zentrale Sitz von Daimler ist und auch der zentrale Sitz dieses neuen Hauses sein wird. Das ist eine wichtige Entscheidung.
Aber eines ist doch ganz klar: Das hat überhaupt nichts mit Ihrer Politik zu tun. Das wissen Sie genausogut wie ich.
Ich erinnere mich noch an die Situation, als Jürgen Schrempp 1994 anfing; damals kam die S-Klasse von Mercedes auf den Markt. Ich weiß nicht, ob Sie sich daran noch erinnern.
- Oh Gott, was ist das denn? Herr Apotheker, ich bitte Sie! - Die S-Klasse wurde auf dem amerikanischen Markt für 85 000 Dollar angeboten. Damals machte Toyota folgende Werbung: Für 85 000 Dollar bekommen Sie bei uns einen Lexus Sechszylinder, einen Lexus Achtzylinder und eine Wochenendreise mit Ihrer ganzen Familie mit der Concorde nach Paris.
Damals war Daimler Benz in den USA in einer ganz schwierigen Wettbewerbssituation. In den letzten vier Jahren ist in dem Unternehmen selber eine ganze Menge verändert worden, und zwar von dem Management mit den Betriebsräten und mit den führenden Gewerkschaftern. Dazu gehören Gerhard Zambelli als Bezirksleiter und das Aufsichtsratsmitglied Walter Riester.
Da wurden eine ganze Reihe von Entscheidungen getroffen, die übrigens sehr kompliziert waren. Frau Baumeister, Sie müßten sich eigentlich dafür interessieren. Daß wir zum Beispiel das Motorenwerk bekommen haben, geht auf schwierige Entscheidungen zurück, die intern getroffen worden sind. Daran ha-
Siegmar Mosdorf
ben nicht Sie, sondern die Betriebsräte einen Anteil. Daran hat auch das Management einen Anteil.
Diese Entscheidungen waren sehr wichtig.
Jetzt, nach vier Jahren Umbau des Unternehmens - einem fundamentalen Umbau -, hat Daimler Benz wieder eine Kraft an Wettbewerbsfähigkeit erreicht, die eine solche Fusion überhaupt erst möglich macht.
Das hat mit Ihrer Politik null Komma nichts zu tun.
In der Wirtschaft finden im Moment Änderungen ganz grundlegender Art statt. Ich finde, wir sollten jetzt nicht so tun, als seien diese wichtigen Änderungen von der Regierung ausgelöst oder befördert worden. Da überheben Sie sich. Dem ist nicht so. Es gibt da wirklich andere Gründe.
Meine Damen und Herren, wir reden heute über einen speziellen Punkt, den wir im Wirtschaftsausschuß lange beraten haben, nämlich über die Frage der Vielschichtigkeit, der Besonderheit des Globalisierungsprozesses, der nicht nur darin besteht, daß deutsche Unternehmen auf ausländische Märkte gehen, sondern auch darin, daß nordamerikanische Unternehmen, daß asiatische Unternehmen auf die größten Binnenmärkte der Welt und vor allem auf den großen Binnenmarkt Europa kommen. Das ist ein wichtiger Punkt, über den wir lange geredet haben.
Wir reden heute über ein zentrales Defizit der Bundesregierung, das wir hoffentlich gemeinsam beheben können. Herr Uldall hat das angesprochen. Ich komme darauf gleich zurück.
Der entscheidende Punkt ist, daß wir den Standort Deutschland unter dem Aspekt der enorm zunehmenden Direktinvestitionen in der Welt - das heißt, daß man nicht mehr von einem großen Standort aus die ganze Welt bedient, wie es Tradition der großen Exportnationen war, sondern daß man dezentral produziert, daß man zentral steuert und quasi in transnationalen Unternehmen operiert - so fördern, daß solche Direktinvestitionen nicht um uns herum, sondern möglichst am Standort Deutschland getätigt werden.
Gleich zu Beginn dieses Abschnitts will ich sagen - ich glaube, da sind wir uns auch einig -: Das Schlimmste für solche Direktinvestitionsentscheidungen von Ausländern für den Standort Deutschland sind Wahlergebnisse wie in Sachsen-Anhalt. Wer heute in Deutschland rechtsradikal wählt, der belastet den Standort Deutschland in massiver Weise, gerade unter dem Aspekt der Globalisierung.
- Ich glaube, Sie sind alarmiert durch die 13 Prozent
der DVU. Ich kann Ihnen zeigen, daß sich die amerikanischen Zeitungen am Montag nach der Wahl von Sachsen-Anhalt nicht nur mit der schweren Niederlage von Helmut Kohl befaßt haben, sondern auch mit den Wahlergebnissen, die die Rechtsradikalen in Sachsen-Anhalt erzielt haben. Ich sage Ihnen: Das ist schlimm für unsere Visitenkarte.
Man muß es auch den Menschen sagen: Wer heute rechtsradikal wählt, verbessert seine Situation nicht, sondern verschlechtert die ökonomischen Rahmenbedingungen in Deutschland. Deshalb ist es wichtig, daß wir diesbezüglich einen Aufklärungsbeitrag leisten.
Ein weiterer Punkt kommt hinzu: Wir müssen den Menschen wieder stärker in das Zentrum der Wirtschaftspolitik stellen. Denn viele haben bei dieser Wahl auch aus Protest so gewählt, weil sie sich vernachlässigt fühlen. Wir müssen die Sorgen der Menschen wieder ernst nehmen. Unsere Kritik an der Bundesregierung ist, daß sie Wirtschaftspolitik nicht mehr für den Menschen macht, daß sie nicht mehr daran denkt, daß in manchen Gemeinden Ostdeutschlands jeder dritte arbeitslos ist, daß sie trotz dramatischer Entwicklungen nur noch in ökonometrischen Modellen argumentiert und die Menschen dabei völlig vergißt.
Unsere Aufgabe ist es, deutlich zu machen, daß Wirtschaftspolitik nicht für irgend jemanden gemacht wird, sondern für die Menschen, und daß wir es schaffen wollen, wieder mehr Menschen in Arbeit zu bringen.
Denn keine Gesellschaft der Welt hält auf Dauer fünf Millionen Arbeitslose aus. Diese Spannung halten wir nicht aus.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Kehrseite der Globalisierung ist, daß amerikanische und asiatische Unternehmen nach demselben Mechanismus Fertigungen an andere Standorte verlegen, wie wir es tun. Ich finde es richtig und habe es immer begrüßt, daß Daimler-Benz in Tuscaloosa und Siemens in China Fabriken baut, um dort kunden- und marktnah zu produzieren. Das sind richtige Entscheidungen; wir haben das auch nie kritisiert. Man muß das Erfordernis vermitteln und darstellen.
- Der ist ja auch da, das ist ja wunderbar. Ich finde es prima, daß Sie in Avignon neben dem Bundeskanzler stehen durften. -
Wir haben das, wie Sie wissen, nicht kritisiert. Wo ist
bei der heutigen wichtigen Debatte eigentlich Herr
Wissmann? Ich habe ihn schon gestern bei der wich-
Siegmar Mosdorf
tigen Debatte über, wie es Ludwig Erhard einmal gesagt hat, das „Grundgesetz der Wirtschaft" vermißt.
- Das ist kein treffender Vergleich, lieber Hartmut Schauerte.
Der entscheidende Punkt ist - Gunnar Uldall hat darauf hingewiesen -: Die Verteilung der ausländischen Direktinvestitionen sagt erstens etwas über die Finanzkraft der Investorenländer und zweitens etwas über die Standortbedingungen in den Investitionsländern aus. Beide Aspekte müssen wir bedenken. Im Durchschnitt gehen 70 bis 75 Prozent der ausländischen Direktinvestitionen in Übernahmen oder Beteiligungen. Das sind Investitionen, die ökonomisch und arbeitsmarktpolitisch mittelfristig wirksam werden. Etwa 25 bis 30 Prozent werden in neue Fabriken, neue Produkte oder andere Innovationen gesteckt und erzielen somit direkte Wirkung auf dem Arbeitsmarkt.
Deutschland hat nun in den letzten zehn Jahren nicht gut abgeschnitten bei den ausländischen Direktinvestitionen. Will man Ende dieser 90er Jahre Bilanz ziehen, was in Deutschland in Sachen ausländischer Direktinvestitionen passiert ist, dann wird man zur Kenntnis nehmen müssen, was dieser Tage zusammengestellt worden ist: In die USA sind im letzten Jahrzehnt ausländische Direktinvestitionen in Höhe von 500 Milliarden Dollar gegangen. Dann kommt Großbritannien mit 200 Milliarden Dollar, dann China und Frankreich. Wir kommen an 14. Stelle.
- Darauf komme ich gleich. Warten Sie doch ab! Sie haben doch die Ruhe des Bodensees im Kreuz. Eigentlich müßten Sie doch abwarten können, bis ich darauf komme.
Es muß Sie doch beunruhigen - ich weiß auch, daß dies der Fall ist -, daß wir bei ausländischen Direktinvestitionen erst an 14. Stelle stehen - ein Ergebnis der Entwicklungen der letzten zehn Jahre Ihrer Regierungszeit. Ich rede ja nicht von dem Zeitraum eines Jahres. Ich rede davon, daß wir in den letzten zehn Jahren deutliche Defizite in diesem Bereich hatten.
Der weltweite Bestand ausländischer Direktinvestitionen hat 1997 einen Wert von mehr als 6 Billionen DM erreicht. Die weltweiten Direktinvestitionen selber nahmen im letzten Jahr um 500 Milliarden DM zu. Das heißt: Wir müssen uns auf diese wichtige Zukunftsentwicklung einstellen und auf diesem Feld unbedingt den Anschluß schaffen.
Selbstverständlich treffen Investoren ihre Standortentscheidungen nach harten Benchmarking-Kriterien. Dabei spielen die geographische und die verkehrslogistische Lage, die Arbeitskosten, die Steuer- und Abgabenquoten und die Genehmigungsbürokratie, also harte wie sanfte Standortfaktoren, eine große Rolle. Wenn Deutschland mehr Arbeitsplätze durch ausländische Direktinvestitionen schaffen oder sichern will, müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden, die uns helfen, für ausländische Investoren interessant zu sein.
Wir haben die Situation, daß sich die Bundesregierung in den letzten Jahren um die ausländischen Investoren eigentlich nicht direkt gekümmert hat. Viele Menschen sind doch verwirrt: Sie sehen im Fernsehen, wie pausenlos Ministerpräsidenten, Wirtschaftsminister und auch der Bundeskanzler Flugzeuge mit Unternehmern vollpacken, mit ihnen irgendwo hinfliegen, sagen: „Guckt einmal, hier könnt ihr schön investieren.! ", und wir das nicht kritisieren. Wir sollten einmal den anderen Weg gehen: Wir sollten einen leeren Airbus in die USA schicken und Investoren hierherholen, uns systematisch um ausländische Investoren am Standort Deutschland kümmern. Das passiert nicht.
Weil diese Lücke besteht, haben die Länder enorme Anstrengungen unternommen. Man kann klar sagen, daß Nordrhein-Westfalen, Bayern, Niedersachsen und andere Länder sich in den letzten Jahren besonders um ausländische Investoren bemüht haben und dabei auch mit Industrieansiedlungen Erfolg hatten. - Allein durch ausländische Investitionen in den USA sind dort 1 Million Jobs geschaffen worden. Das ist also ein Faktor, der für die Arbeitsmarktentwicklung in Deutschland sehr wichtig ist.
Wir haben im Etat des Wirtschaftsministeriums 50 Millionen DM für die Tourismuswerbung in der ganzen Welt. Ich finde es auch sehr schön, daß man im Rockefeller-Center einen Film über die Nordsee sehen kann. Es gibt aber nicht eine einzige D-Mark für die Ansprache von Investoren, für Investorenkonferenzen und für ein systematisches Standortmarketing. Dies muß nun erfolgen.
Deshalb haben wir vorgeschlagen - Herr Kollege Uldall hat im Wirtschaftsausschuß die Initiative ergriffen -, eine Agentur zu schaffen, im Wirtschaftsministerium angesiedelt, die sich um ausländische Investoren kümmert. Wir bitten den Wirtschaftsminister seit einigen Wochen, uns im Mai - das war so verabredet, deswegen ist das korrekt - einen Vorschlag zu unterbreiten, wie man dies umsetzen kann. Der Wirtschaftsminister hat angekündigt, daß er dies tun will.
Auf diesem Sektor gibt es seit vielen Jahren eine Lücke, die jetzt ausgefüllt werden muß. Damit lösen wir nicht die Standortprobleme insgesamt, auch nicht die Arbeitsmarktprobleme. Wir könnten aber im Globalisierungsprozeß einen wichtigen Beitrag dazu leisten, auch auf dem Arbeitsmarktsektor voranzukommen.
Ich bin sehr froh darüber - das soll mein letzter Satz sein -, daß die Amtschefskonferenz der Wirtschaftsminister in den letzten Tagen diese Initiative einvernehmlich begrüßt hat. Sie hat nämlich für die bevorstehende Wirtschaftsministerkonferenz beschlossen:
Die Wirtschaftsministerkonferenz bekräftigt ihren Beschluß, das Standortmarketing zu verbessern. Sie begrüßt die Absicht der Bundesregie-
Siegmar Mosdorf
rung, das Standortmarketing für Deutschland zu verstärken, die Vorteile des Standorts Deutschland deutlich herauszustellen, sich um internationale Investoren zu kümmern.
Das heißt: Nach einer bitteren Erfahrung von zehn Jahren, in denen viele ausländische Investoren nach Holland, Frankreich, Schweden und England gegangen sind, aber nicht nach Deutschland, sind wir in der Situation, die Lücke in der Wirtschaftspolitik dringend schließen zu müssen. Dies wird wichtig sein, um etwas für den Arbeitsmarkt am Standort Deutschland zu tun. Es wird aber vor allem wichtig sein, um im Globalisierungsprozeß den Standort Deutschland fit zu machen; denn da gibt es Defizite. Das sind Defizite dieser Bundesregierung.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Margareta Wolf.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Mosdorf hat das Notwendige zu der wirklich erfreulichen Fusion von Daimler und Chrysler gesagt. Auch wir glauben, daß die Chancen die Risiken überwiegen. Aber die Gründe, Herr Uldall, warum die Holding in Stuttgart angesiedelt wird, sind erstens die Stärke von Daimler, die Börsenkapitalisierung von Daimler, und zweitens die Tatsache, daß Chrysler auf den europäischen Markt will.
Herr Uldall, Sie haben sich heute hier als Rechenkünstler verdingt. Das ist löblich; ich kannte Sie so noch nicht. Aber schauen Sie sich die Arbeitslosenzahlen einmal an. Wir sind bei einer Arbeitslosenquote von 11,4 Prozent. Das bedeutet einen Nachkriegshöchststand für den Monat April, und das können Sie hier auch nicht einfach wegrechnen.
Ich hätte mich auch gefreut, Herr Kollege Uldall, Sie hätten einmal etwas zu der dramatischen Rückentwicklung der ausländischen Direktinvestitionen in Deutschland gesagt. Irgendeine Ursache muß Ihr Antrag, den Sie vor einem Jahr stellten und den wir dann im Ausschuß interfraktionell übernommen haben, doch gehabt haben. Die ausländischen Direktinvestitionen in Deutschland gehen seit Jahren zurück. Wir liegen am absolut untersten Ende im Vergleich aller europäischen Länder, nämlich, wie Herr Mosdorf richtig gesagt hat, auf Platz 14.
Daß diese interfraktionelle „Invest in Germany"-Offensive hier viereinhalb Monate vor der Bundestagswahl nicht auf der Grundlage eines Finanzkonzeptes, Herr Minister, wozu wir Sie aufgefordert haben, und auch nicht auf der Grundlage eines Strukturkonzeptes diskutiert werden kann, ist doch nichts anderes als eine Ohrfeige. Es macht deutlich, daß Sie es in den letzten dreieinhalb Jahren versäumt haben,
Strategien zu entwickeln, um die Investitionsnachteile für Ausländer in Deutschland aufzufangen.
Meine Damen und Herren, wir haben nicht vorrangig ein Marketingproblem in Deutschland. Vielmehr haben wir vorrangig ein Politikproblem. Ich möchte Ihnen vorlesen, was am 21. April anläßlich der Hannover-Messe im „Handelsblatt" stand:
Die Diagnose über den Patienten Standort Deutschland stellte der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Norbert Walter, auf dem Wirtschaftsforum des Handelsblattes „Standort Deutschland unter Reformdruck" anläßlich der HannoverMesse. Kurz vor dem Start des Euros, so Walter, bestehe kein Zweifel darüber, daß es so nicht weitergehen könne. Der Befund sei äußerst schmerzlich: In Deutschland gebe es nahezu 5 Millionen Arbeitslose, das Staatsdefizit werde immer noch zu leicht genommen, die anhaltende Investitionsdürre im Land werde nicht ernst genommen, das Auslandskapital mache weiterhin einen Bogen um Deutschland und das Bildungssystem sei keineswegs besser als sein Ruf ...
Als Therapie rief Walter zu neuen Koalitionen auf: Kinder und Eltern müßten sich vereinigen, um Druck auf die gegenwärtig Politik machende Generation zu machen. Auch der Mittelstand, die kleinen innovativen Unternehmen sollten sich zusammenschließen.
Frau Kollegin, Herr Kollege Schauerte möchte Ihnen eine Zwischenfrage stellen.
Bitte schön, Herr Kollege.
Frau Kollegin Wolf, können Sie mir zustimmen, daß es hier nicht um ein Strukturproblem, sondern vor allem um die Frage geht, welche abschreckende oder einladende Wirkung das nationale Steuerrecht hat? Es scheint das interessanteste und wichtigste Signal für Abwanderungen und Zuwanderungen von Investitionen zu sein. In diesem Zusammenhang hätte eine vernünftige Steuerpolitik mit einer Senkung der Unternehmensteuern den Standort weiter nach vorn gebracht. Aber gerade weil Sie diese Veränderungen blockiert haben, müssen wir jetzt trotz der immer noch nicht zufriedenstellenden Steuersituation eine besondere Initiative zur Einladung von Investoren auf den Weg bringen. Dies alles geschieht vor dem Hintergrund, Frau Kollegin, daß in den Ländern - davon hat ja auch Herr Kollege Mosdorf gesprochen -, in denen Rotgrün regiert, die Ansiedlung von ausländischen Unternehmen, bezogen auf die Bevölkerungszahlen, die schlechtesten Werte in der Bundesrepublik Deutschland aufweist.
Zusatzfrage, Herr Kollege Mosdorf.
Frau Wolf, würden Sie bitte Herrn Schauerte fragen, warum sich die größte Zahl von ausländischen Direktinvestoren in Hessen angesiedelt hat?
Ich bedanke mich für die Zusatzfrage und werde beide Fragen zusammen beantworten.
Herr Kollege Schauerte, Sie wissen, daß meine Fraktion ein Einkommensteuerkonzept vorgelegt hat, das sich aus der Verbreiterung der Bemessungsgrundlage heraus selbst finanziert. Wir haben ein Steuerkonzept vorgelegt, das den Spitzensteuersatz bei der Einkommensteuer auf 45 Prozent und bei der Körperschaftsteuer auf 39 Prozent festschreibt.
- Herr Repnik, lassen Sie mich doch bitte ausreden, wenn ich eine Frage beantworte. Wir haben gleichzeitig gesagt, daß wir die Einnahmen, die im Rahmen der ökologischen Steuerreform entstehen, zu einer Anpassung des Spitzensteuersatzes verwenden und daß wir zu einer Einkommensteuer- und Körperschaftsteuerreform kommen wollen. Unser Konzept sieht keine Nettoneuverschuldung von 30 Milliarden DM vor. Sie wissen ganz genau, daß Ihr Konzept im Bundesrat deshalb gescheitert ist, weil die Vorschläge des Kollegen Schäuble - Stichwort: Mineralölsteuererhöhung - nicht die Zustimmung der F.D.P. gefunden haben
und weil die SPD-Mehrheit im Bundesrat genauso wie wir nicht der Meinung war, daß wir die nachfolgenden Generationen mit einer zusätzlichen Verschuldung von 30 Milliarden DM belasten können. Herr Kollege, auch Sie wissen, daß die Haushaltsverschuldung einen historischen Höchststand erreicht hat.
Zur Frage des Kollegen Mosdorf: Es verhält sich in der Tat so, daß in Hessen im Vergleich zu manch anderen Ländern die Arbeitslosenquote überproportional niedrig und die Quote für ausländische Direktinvestitionen überproportional hoch ist. Ich habe die Zahlen im Moment nicht dabei. Aber ich weiß, daß Hessen in dieser Beziehung sehr weit vorn liegt.
- Ja, gut; weswegen auch immer. Auch Sie, Herr Kollege, wissen genau, daß zum Beispiel Herr Santer die
Bundesregierung seit Jahren auffordert, einen Risikokapitalfonds aufzulegen, daß sie seit Jahren aufgefordert wird, entsprechende Rahmenbedingungen zu setzen, um Risikokapital ins Land zu holen, weil die mangelnde Ausstattung von Unternehmen mit Eigenkapital das Problem ist. Hessen hat jetzt einen solchen Fonds aufgelegt. Dadurch wird das Land noch attraktiver, gerade für ausländische Investoren, und darauf bin ich auch stolz.
Meine Damen und Herren, ich weiß ja, daß Herr Rexrodt vor allen Dingen davon lebt, daß Herr Stihl und Herr Henkel ihn nach wie vor lieben. Allerdings geben auch diese Herren seit Jahren ähnliche Kommentare zu seiner Wirtschaftspolitik ab, wie das eben in dem zitierten Satz von Herrn Walter zum Ausdruck kam. Verantwortlich für den Tiefstand der ausländischen Direktinvestitionen ist, daß wir es tatsächlich mit einem Problemstau in diesem Land zu tun haben. Es gibt offensichtliche Fehlentwicklungen, die in den Zeiten globalisierter Märkte immer stärker und immer schonungsloser aufgedeckt werden. Darauf macht Sie auch seit Jahren der Bundesverband der Privaten Banken aufmerksam; darauf machen Sie sämtliche Wirtschaftsredaktionen aufmerksam. Diese Fehlentwicklungen sind aber nicht von der Globalisierung verursacht worden; diese Fehlentwicklungen sind von einer Politik verursacht worden, die seit Jahren mit dem Motto „Weiter so! " und mit dem Satz arbeitet, den Sie, Herr Kollege Uldall, auch gerade benutzt haben - ich kann mir nicht vorstellen, daß die Bevölkerung ihn noch hören kann - und der da lautet: Wir sind auf einem guten Wege. Ich frage mich, wie lang der Weg eigentlich noch sein soll. Sie haben den Höchststand der Staatsverschuldung, den Höchststand an Abgaben und Steuern, einen historischen Höchststand der Arbeitslosigkeit zu verantworten. Dazukommt, daß es bei uns eine überbordende Bürokratie gibt. Und Sie stellen sich hier hin und sagen, daß Sie auf einem guten Wege seien.
Gleichzeitig haben wir in diesem Land sich rasant erhöhende Steuermindereinnahmen zu verzeichnen. Herr Walter hat darauf hingewiesen. Ich habe mir jetzt anläßlich dieser Debatte - wir haben ja jetzt 29 Jahre Regierungsbeteiligung der F.D.P., und in der meisten Zeit dieser 29 Jahre hat die F.D.P. den Wirtschaftsminister gestellt -, verehrter Herr Kollege Rexrodt, einmal Ihr Wirtschaftsprogramm angeschaut, weil ich denke, daß die Bevölkerung und wir Parlamentarier doch wissen sollten, was auf uns zukommen wird, wenn Sie weiter regieren sollten.
Sie schreiben: Unser Steuersystem ist ungerecht. - Das ist richtig.
Margareta Wolf
Sie schreiben weiter, daß Sie Subventionen abbauen wollen. - Auch das ist richtig.
Weiter schreiben Sie - Zitat -, daß „ein gewaltiger Staatsapparat und eine wuchernde Sozialbürokratie vom mittleren Einkommen die Hälfte und mehr auffressen" . Das steht alles in Ihrem Programm. Doch Sie gerieren sich in Ihrer Schwäche - und das finde ich verantwortungslos -
als Oppositionspartei. Sie haben diese überbordende Steuer- und Abgabenbelastung zu verantworten, stellen sich hier aber hin und sagen: Wir wollen Entlastung; wir waren schon immer dafür.
Sie sagen mit keinem einzigen Wort, wie Sie das bezahlen wollen.
Sie machen eine Politik, die zu radikal hohen Ausfällen im Haushalt führt. Das wissen Sie auch; das sagen Sie aber nicht. Wenn Ihr Programm umgesetzt werden würde - wir hoffen, daß das nicht der Fall sein wird -, würde das bedeuten, daß Sie eine Politik verwirklichen könnten, wie sie die Reagan-Administration 1981 gemacht hat. Sie wissen, wohin das geführt hat. Das hat nicht zu neuen Arbeitsplätzen geführt;
das hat nicht zu einer Zunahme des Wachstums geführt. Es hat zu einem Anstieg der Staatsverschuldung geführt. Das Programm, das Sie hier vorgelegt haben, ist eine Anleitung zu Entsolidarisierung und Staatsversagen in diesem Land. Ich kann wirklich nur davor warnen. Sie haben da ihre geballte Inkompetenz aufgeschrieben. Es ist einfach atemberaubend.
Meine Damen und Herren, Deutschland macht heute im Ausland, anders als in der Vergangenheit, mit Reformunfähigkeit Schlagzeilen. Das Ausland blickt irritiert auf Rekordarbeitslosigkeit, auf explodierende Staatsschulden und auf überbordende Sozialkosten. Wo wird denn heute investiert? Investiert wird in reformfreudigen Ländern: in den Niederlanden, in Schweden, in Großbritannien, in den USA. Die haben geschafft, wovon Deutschland derzeit nur träumt. Dort gibt es Millionen neuer Arbeitsplätze. Firmen investieren dort in Zukunftstechnik.
Die heute hier zur Beratung vorliegende Initiative „Invest in Germany" wird von meiner Fraktion ideell unterstützt. Wir können uns heute aber leider nur enthalten, verehrter Herr Minister, weil wir überhaupt noch nicht wissen - Sie versäumen seit einem Jahr, uns das zu sagen -, durch welche Umschichtung Sie das finanzieren wollen.
Ich fand es, als ich den Antrag von Herrn Uldall gelesen habe, schockierend, daß trotz der nunmehr hinlänglich bekannten Globalisierung der Märkte das Bundeswirtschaftsministerium bis heute nicht in der Lage war, einen einheitlichen Werbeauftritt zwischen Bund, Ländern, den AHKen und allen anderen Wirtschaftsfördergesellschaften, die im Ausland tätig sind, zu organisieren; daß es nach wie vor keine Vernetzung zwischen den unterschiedlichen Ebenen gibt; daß wir Sie, Herr Minister, heute, viereinhalb Monate vor der Wahl, dahin drücken müssen, in Zeiten von neuen Technologien endlich einen einheitlichen Werbeauftritt zu organisieren. Ich finde das mehr als beschämend und muß Ihnen sagen: Ich bin gespannt auf Ihre Rede.
Letzter Punkt. Ich glaube, die beste Strategie, um mehr ausländische Direktinvestitionen in Deutschland zu bekommen, ist ein Wechsel der Regierung. Wir müssen endlich zu einer wirklichen Reformpolitik kommen. Für diese Reformpolitik stehen Rotgrün. Sie sind nur noch in sich gefangen. Sie sind gelähmt. Sie sind überhaupt nicht mehr in der Lage, so etwas wie Reformen in diesem Land zu evozieren. Anders ist das in England. In England gibt es jetzt mehr Direktinvestitionen als vorher. Ein Regierungs- und Politikwechsel wäre der beste Anreiz für ausländische Investoren, nach Deutschland zu kommen. Dann bekommen wir auch neue Arbeitsplätze. Dann geht es uns in diesem Land wieder besser.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Paul Friedhoff.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der von Bundeswirtschaftsminister Rexrodt erarbeitete beschäftigungspolitische Aktionsplan der Bundesrepublik Deutschland unterstreicht, daß die Koalition von ihrem wettbewerbspolitischen Kurs nicht abweichen wird. Zum Konzept, durch verbesserte Wettbewerbsfähigkeit mehr Arbeitsplätze zu schaffen, gibt es keine seriöse Alternative.
Die Reformpolitik der Koalition wird die Wende auf dem Arbeitsmarkt schaffen. Das ist auch die klare Botschaft, die wir heute aus Nürnberg gehört haben. Das geht aus den Zahlen hervor; ich will das hier nicht im einzelnen wiederholen. Über 200 000 Menschen mehr - daran kann man nicht vorbeidiskutieren - waren im April in Lohn und Brot. Der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit spricht von einer außergewöhnlich starken Abnahme der Arbeitslosigkeit. Ich denke, er hat recht.
Herr Mosdorf, Frau Wolf, Sie haben hier darauf hingewiesen, wie schlecht es uns in Deutschland gehe. Ich habe Herrn Uldall auch nicht so verstanden, daß wir in Deutschland schon alles getan hätten, was wir tun müssen. Aber wir haben - trotz Ihrer
Paul K. Friedhoff
Blockade - schon eine ganze Menge erreicht; wenn wir allerdings bei den Dingen, die Sie uns vorwerfen, das gemacht hätten, was Sie uns vorgeschlagen haben, dann wären wir wirklich in einem Stillstandsland. Da sind wir aber Gott sei Dank nicht.
Die von uns eingeleiteten Reformen müssen weitergeführt werden. Deswegen dürfen wir nach dem 27. September keine Rolle rückwärts erleben. Ich bin sicher, die Wähler werden das genauso sehen.
Die Konjunktur in Deutschland gewinnt immer mehr an Dynamik. Die Arbeitslosigkeit in Deutschland wird in den nächsten Monaten weiter abnehmen. Daran wird auch das Weltuntergangsgeschrei von Frau Engelen-Kefer, das sie jeden Monat von sich gibt, nichts ändern. Ich fand es allerdings bemerkenswert, daß sie in ihrer heutigen Stellungnahme einige Fortschritte nicht mehr geleugnet hat. Das läßt aufhorchen.
Der DGB hat sich darüber hinaus zu einer Wahlkampftruppe für Rotgrün degradieren lassen. Er hat damit dem Ansehen der Gewerkschaften schweren Schaden zugefügt.
Der Gewerkschaftsbund auf der Seite derjenigen, die den Leuten das Autofahren vermiesen und die Flugreisen rationieren wollen - es gibt schon merkwürdige Allianzen in diesem Land.
Meine Damen und Herren, der Aktionsplan der Bundesregierung betont die nationale Verantwortung für die Beschäftigungspolitik, und das ist gut so. Wir Freien Demokraten waren immer Vorkämpfer für Europa, aber für ein Europa der Vielfalt und des Wettbewerbs. Wir wollen keinen europäischen Interventionsstaat; wir wollen kein Europa der Gleichmacherei à la Lafontaine. Fragen Sie doch einmal Tony Blair, was der von einer europaweit vereinheitlichten Tarif- und Sozialpolitik hält!
„Neue Beschäftigungsfelder" - so heißt es im Aktionsplan der Bundesregierung sehr zu Recht - „werden im marktwirtschaftlichen Wettbewerb gewonnen." Wir erleben das gerade im Telekommunikationsbereich, den diese Koalition liberalisiert hat. Der Wettbewerb ist dort voll entbrannt. Neue Unternehmen, die es vor Jahresfrist noch gar nicht gab, machen Furore. Der Markt boomt. Tausende von neuen, zukunftssicheren Arbeitsplätzen entstehen. Es geht voran in Deutschland; das ist doch gar nicht wegzudiskutieren.
Die Chancen für mehr Arbeitsplätze in Deutschland liegen im Wettbewerb. Der Versuch, Wettbewerb auf EU-Ebene auszuschalten, wie SPD und Grüne das wollen, wäre verheerend für die Arbeitsplätze. Rotgrün würde dann bedeuten, Vielfalt durch Einfalt zu ersetzen.
Meine Damen und Herren, in der Wirtschafts- und Währungsunion liegen gerade für unsere deutschen Unternehmen alle Chancen. Aber Sachverständigenrat und Internationaler Währungsfonds haben ausdrücklich darauf hingewiesen, daß Löhne und Gehälter flexibler werden müssen. Nationale Verteuerungen der Produktionsfaktoren konnten früher durch Wechselkursanpassungen aufgefangen werden. Diese Möglichkeit wird in der Währungsunion versperrt sein. Also müssen sich die Arbeitsmärkte geänderten Bedingungen anpassen.
Was passiert, wenn man diesen Zusammenhang ignoriert, mußten wir in den neuen Bundesländern erleben. Die Arbeitslosigkeit in den neuen Ländern ist vor allem die Folge unangepaßter, also nicht der Produktivität entsprechender Löhne. Der Sachverständigenrat warnt Jahr für Jahr davor - und auch die Deutsche Bundesbank stellt dies immer wieder fest -, daß die schnelle Lohnangleichung in den neuen Ländern Arbeitsplätze vernichtet. Wenn die Lohnstückkosten im Durchschnitt immer noch um fast 23 Prozent höher liegen als in Westdeutschland, dann bedeutet Lohnangleichung Arbeitsplatzzerstörung. Ohne die verfehlteTarifpolitik der Vergangenheit hätte die Jobkrise in Deutschland niemals dieses Ausmaß angenommen.
Die Lohnpolitik der Gewerkschaften in den neuen Ländern war ein gigantischer Vernichtungsfeldzug gegen Arbeitsplätze. Das ist die Realität, ob man sie nun hören mag oder nicht. Da ist es schon mehr als dreist, wenn der DGB der Koalition Untätigkeit beim Kampf gegen die Arbeitslosigkeit vorwirft. 8 Millionen DM gibt der DGB für seine Kampagne für Rotgrün aus, 8 Millionen DM aus Mitgliedsbeiträgen! Zugleich werden beim DGB selbst Arbeitsplätze abgebaut. Der DGB prozessiert gegen seinen Betriebsrat über die Höhe von Abfindungen, weil angeblich kein Geld vorhanden ist.
Zu solchen Methoden würde kein verantwortungsbewußter Unternehmer greifen.
Die Gewerkschaften sollten sich besser darauf konzentrieren, die längst überfällige Reform der Flächentarifverträge voranzubringen. Eine nachhaltige Flexibilisierung der Flächentarifverträge könnte mehr Arbeitsplätze schaffen als jede denkbare Form staatlicher Ausgabenpolitik.
Meine Damen und Herren, das Fundament unserer Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik bleibt die stabile Währung, in Zukunft ein stabiler Euro. Die Bür-
Paul K. Friedhoff
ger vertrauen darauf, daß die Stabilität unserer Deutschen Mark richtungsweisend für den Euro ist. Da ist es sehr bemerkenswert, welche Angriffe der SPD-Vorsitzende gegen die Stabilitätspolitik der Bundesbank richtet, so noch vor wenigen Tagen beim Sparkassentag in Leipzig.
- Ich habe mir das angehört.
- Er ist von seinem Text abgewichen und hat andere Passagen gebracht. Sie müssen das einmal genau nachsehen.
Lafontaine hat dabei zum wiederholten Male die Geldpolitik unter den Vorbehalt einer aktiven Konjunkturpolitik gestellt. Die widersprüchlichen Äußerungen seines Kanzlerkandidaten zum Euro sind ja hinlänglich bekannt. Ein Finanzminister Lafontaine, der den angeblich verengten Stabilitätsbegriff der Bundesbank kritisiert, zusammen mit einem Marionettenkanzler Schröder - das wäre wohl das größte Stabilitätsrisiko für die gemeinsame europäische Währung.
Meine Damen und Herren, es gibt nur einen Weg, um Investitionen und Jobs in unser Land zu holen: den Standort Deutschland wettbewerbsfähiger machen. Diese Koalition hat in den 80er Jahren unter Beweis gestellt, daß das Konzept „Arbeitsplätze durch verbesserte Wettbewerbsfähigkeit" erfolgreich ist. Wo immer möglich, blockiert Rotgrün heute diese Politik.
Von 1983 bis 1990 sind in den alten Bundesländern durch diese Politik weit über 2 Millionen zusätzliche Arbeitsplätze entstanden. Jetzt, wo die Talsohle in den neuen Ländern durchschritten ist, wird es auch dort am Arbeitsmarkt aufwärts gehen. Bei der Privatisierung in Ostdeutschland konnten Beschäftigungszusagen für 1,5 Millionen Arbeitnehmer erreicht werden. Nach Ansicht des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung wird die Industrieproduktion in den neuen Ländern in diesem Jahr um 10 Prozent zunehmen. Besonders erfreulich ist die Entwicklung des Mittelstandes. Über 500 000 Selbständige sowie kleine und mittlere Betriebe gibt es inzwischen in den neuen Ländern mit insgesamt 3,2 Millionen Beschäftigten. Bundesweit stellen kleine und mittlere Betriebe 65 Prozent der Arbeitsplätze und 80 Prozent der Ausbildungsplätze.
Diese Betriebe hätten in besonderem Maße von der großen Steuerreform profitiert, die der Deutsche Bundestag mit den Stimmen der Koalition beschlossen hat. Die SPD hat diese Steuersenkungsreform im Bundesrat blockiert. Warum? Weil sie die Bundestagswahl nur gewinnen kann, wenn sich die Lage am Arbeitsmarkt nicht verbessert: Wahltaktik auf dem Rücken der Arbeitslosen, das ist die Politik der SPD.
Die Koalition wollte Bürger und Unternehmen um jährlich 30 Milliarden DM entlasten. Rotgrün im Bundesrat hat das verhindert. Hier, Herr Mosdorf, hätten Sie etwas für die Menschen tun können. Hier hätten Sie die Menschen in den Mittelpunkt Ihrer Politik stellen können. Dies haben Sie nicht getan.
Wir wollten den Eingangssteuersatz für Niedrigverdiener von heute 25,9 Prozent auf 15 Prozent senken. Mehr als 21,9 Prozent hält die SPD dagegen bis auf weiteres für nicht möglich. Wenn die SPD die Steuersenkungsreform nicht blockiert hätte, hätten gerade die kleinen Leute schon längst erheblich mehr Geld in der Tasche.
Meine Damen und Herren, der schwierige Transformationsprozeß in den neuen Ländern wird - das ist keine Frage - noch Jahre brauchen. Deswegen sind flankierende, aber befristete arbeitsmarktpolitische Maßnahmen, wie sie im Aktionsplan der Bundesregierung enthalten sind, ein geeignetes Mittel. Die F.D.P. begrüßt vor allem die Schwerpunktsetzung bei der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit. Als flankierende Maßnahme ist auch die Einrichtung einer Agentur „Invest in Germany" zu verstehen, die von der Koalition angeregt worden ist. Sie soll die Vorteile des wiedererstarkten Wirtschaftsstandortes Deutschland systematischer nach außen tragen. Sie soll Aktivitäten bündeln und für ausländische Investoren als Anlaufstelle dienen.
Entscheidend bleibt aber letztlich: Für Arbeitsplätze braucht man Unternehmen, die Aufträge bekommen. Aufträge bekommt man nur, wenn man konkurrenzfähig ist. Dazu müssen die Rahmenbedingungen stimmen, gerade für die Betriebe, die ihre Produkte mit einem hohen Arbeitskostenanteil herstellen. Unsere Reformpolitik für mehr Arbeitsplätze durch Wettbewerbsfähigkeit ist der einzig sinnvolle Weg zu mehr Beschäftigung.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Christa Luft.
- Liebe Kollegen, hören Sie bitte der nächsten Rednerin zu.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Bei den jüngsten Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt und vorher in Niedersachsen haben die Koalitionsparteien, wie ich finde, die verdiente Quittung für die miserable Beschäftigungspolitik der Bundesregierung und für die von ihr verschuldete Hoffnungslosigkeit junger Menschen erhalten.
Dr. Christa Luft
Heute, an diesem herrlichen Maitag, müssen wieder Zehntausende arbeitsloser Frauen, Männer und Jugendlicher auf die Straße gehen, um ihrer Hoffnungslosigkeit Ausdruck zu verleihen, in die sie in dieser Bundesrepublik Deutschland durch das neoliberale Wirtschaftskonzept geraten sind. Sind die alle nur ignorant gegenüber den „Fortschritten", Herr Uldall, die Sie hier aufgezeigt haben? Sind die alle nur unfähig, diese „Fortschritte" zur Kenntnis zu nehmen, oder gibt es dafür nicht vielleicht andere Ursachen? - Nein, die betroffenen Menschen sind meiner Meinung nach nicht ignorant.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, es nützt Ihnen gar nichts, wenn Sie neuerdings sogar Anleihen beim Sprachgebrauch der Oberen in den DDR-Führungsetagen machen. Dort hieß es auch immer: Das Erreichte ist noch nicht das Erreichbare. Das hing uns damals schon zum Halse heraus, und ich glaube, das ist heute nicht anders.
Im ganzen Lande gibt es 1,3 Millionen junge Leute zwischen 15 und 25 Jahren, die ihr Leben ohne Arbeit und zum Teil ohne Berufsausbildung fristen müssen. Für die reiche Bundesrepublik Deutschland ist das eine nationale Schande. - Das ist kein drastisches Wort von mir, sondern dies hat Bundeskanzler Kohl festgestellt, und ausnahmsweise kann ich ihm voll zustimmen.
Diesen Jugendlichen hilft auch die pathetische Feststellung in Ihrem Aktionsprogramm nichts. Dort sagen Sie, die Jugendarbeitslosigkeit in anderen europäischen Ländern sei noch viel höher als in der Bundesrepublik. Ich jedenfalls werde mich davor hüten, arbeitslosen jungen Männern und Frauen, die in meine Wahlkreissprechstunde kommen, auf diese Weise Trost spenden zu wollen. Das halte ich für viel zu wenig, und das halte ich in diesem Zusammenhang auch für absurd.
Nun machen Regierung und Koalitionsabgeordnete plötzlich Silberstreifen am Horizont des Arbeitsmarktes aus. Aber, lieber Kollege Uldall, lieber Kollege Friedhoff - Sie haben es ja auch gesagt -, für den Osten Deutschlands gilt das leider überhaupt nicht. Das Firmensterben geht dort weiter, inzwischen vielfach schon lautlos. Wer spricht denn noch davon, wenn ein kleines oder ein mittleres Unternehmen im Osten Konkurs anmeldet? Das kommt überhaupt nicht mehr in die Presse. Das wird von der Öffentlichkeit gar nicht mehr wahrgenommen.
Im Februar dieses Jahres lag die Zahl der Konkursanmeldungen im Osten um 16 Prozent höher als Ende 1997, und da waren es schon, auf das ganze Jahr bezogen, weit über 8 000. Die Bauwirtschaft - auch das ist keine PDS-Zahl, sondern das kann man in allen Fachzeitschriften und in allen Statistiken nachlesen - rechnet in diesem Jahr mit weiteren 40000 Entlassungen. Banken und Versicherungen kündigen einen drastischen Personalabbau an. Neueinstellungen gibt es fast nirgends. Unzählige weitere Frauen, Männer und Jugendliche fallen also in die Perspektivlosigkeit.
Angesichts solcher Entwicklungen ist es schon erstaunlich, daß die Bundesregierung die Vorlage eines in Luxemburg verabredeten Aktionsplanes zur Umsetzung beschäftigungspolitischer Leitlinien als reine Pflichtübung abgehandelt hat. Das ist, finde ich, unter den Umständen, unter denen wir in diesem Lande leben, einer verantwortungsvollen Politik unwürdig.
Nach dem Motto „Weiter so!" hat die Bundesregierung alles aufgelistet, was sie bisher schon beschlossen hatte, was aber, wie die Fakten leider zeigen, das gesellschaftliche Hauptübel, also Massenarbeitslosigkeit und Ausbildungsnotstand, nicht an der Wurzel packte. Die neue Verpackung der alten Hüte wird daran nichts ändern.
In diesem Ihrem Aktionsplan sucht man innovative, neue Ideen vergeblich. Selbst eine niedrigere Mehrwertsteuer für arbeitsintensive Dienstleistungen, mit der insbesondere das Reparaturhandwerk Arbeitsplätze halten und vielleicht auch neue schaffen könnte, wird abgelehnt. Arbeitszeitverkürzung ist für Sie ein Tabuthema. Von öffentlichen Beschäftigungsprogrammen kann bei Ihnen sowieso keine Rede sein.
Damit bleibt diese Bundesregierung - das muß man deutlich sagen - hinter dem zurück, was in anderen europäischen Ländern bereits auf den Weg gebracht worden ist. Ich erinnere an Frankreich, an Italien und an Schweden. Auch dies alles sind Länder mit einer marktwirtschaftlich verfaßten Ordnung. Warum ist dort möglich, was hier für völlig unmöglich gehalten wird?
Die Bundesregierung verharrt in ausgefahrenen Gleisen und verkündet die Heilsbotschaft des freien Marktes. Ihre Wirtschaftspolitik erschöpft sich in Gewinnpflege und in Gesundbeterei. Sie setzt auf Schrumpfkurs bei den öffentlichen Ausgaben, auf weitere Steuersenkungen für Unternehmen, auf Abbau von Sozialstandards und auf Flexibilisierung der Arbeitsmärkte.
Kürzlich stand in der „Frankfurter Rundschau" zu lesen, daß nach Ansicht von Bundesminister Rexrodt weniger Urlaub mehr Jobs bringen kann. Also, die Dinge werden immer absurder. Das reiht sich in das ein, was wir von Ihnen schon gehört haben, daß zum Beispiel die Erhöhung des Renteneintrittsalters für Frauen oder die Abschaffung der Ladenschlußzeiten mehr Jobs schaffe.
- 5 000? Sie müssen einmal die Statistiken aus Berlin lesen, die ich mir ja nicht ausdenke; die sehen ganz anders aus.
Sie müssen sich, nachdem es nun zu der Fusion von Chrysler und Daimler gekommen ist, genau überlegen, wie oft Sie noch über die angeblich zu hohen Steuern für Unternehmen in Deutschland sprechen wollen. Durch eine Zwischenfrage ist schon darauf aufmerksam gemacht worden, daß die Rechtsform einer deutschen Aktiengesellschaft steuerliche Vorteile hat. Im übrigen gehört Daimler zu den Kon-
Dr. Christa Luft
zernen, die sich seit Jahren sogar öffentlich damit brüsten, daß sie keine Mark in den Steuertopf gezahlt haben. Der Steuerzahler dieses Landes hat also auch noch dazu beigetragen, daß sich diese beiden großen Konzerne nun rühmen können, welchen Giganten sie inzwischen abgeben.
Ein wirtschaftspolitischer Kurswechsel in diesem Lande ist dringend erforderlich. Wirtschaftspolitik ist in Deutschland nur dann - ich unterstreiche das - verfassungskonform, wenn sie eine soziale, also auch eine auf die Beschäftigung ausgerichtete Komponente enthält und nicht zu einer immer stärkeren Ausgrenzung immer größer werdender Bevölkerungsgruppen führt. Meine Damen und Herren, es darf doch nicht ein Modell in die Zukunft getragen werden, in dem sich ein Teil der arbeitsfähigen Bürgerinnen und Bürger sozusagen totschuften muß und sich ein anderer Teil der arbeitsfähigen Bürgerinnen und Bürger völlig unfreiwillig in dem Freizeitpark von Herrn Kohl aufhalten muß. Ich glaub, das ist kein Modell, das man in die Zukunft tragen darf.
Wir fordern zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit die Aufnahme eines Rechts auf Erstausbildung ins Grundgesetz. Wir fordern ein Sofortprogramm „berufliche Erstausbildung" für alle Jugendlichen in Ost und West und eine zumindest befristete Übernahmegarantie nach Lehrabschluß.
Die Umlagefinanzierung für Ausbildungsplätze muß endlich durchgesetzt werden. Wir können uns doch nicht bis zum Jahr 2007 oder 2008 nur von Monat zu Monat hangeln und immer wieder irgendwelche Strohfeuer anzünden, um die Jugendlichen, die auf einen Ausbildungsplatz warten, nur notdürftig zu versorgen. Wir brauchen für die Familien, für die Jugendlichen Sicherheit auf diesem Gebiet. Das können wir nur durch ein mittelfristiges Sofortprogramm erreichen.
Auch werden Sie weder die Langzeit- noch überhaupt die Arbeitslosigkeit mit den Mitteln durchgreifend bekämpfen können, die Sie in Ihrem Aktionsplan offerieren. Das können höchstens flankierende Maßnahmen sein. Initialzündungen werden davon nicht ausgehen. Notwendig sind Überstundenabbau und Arbeitszeitverkürzung. Auch brauchen wir im Osten die Förderung des Aufbaus und des Ausbaus regional vernetzter Wirtschaftsstrukturen, damit dort Arbeitsplätze erhalten und neue geschaffen werden können. Nur dadurch werden regionale Ressourcen und Potentiale überhaupt nutzbar gemacht und unnötige, umweltschädliche Transporte über große Entfernungen vermieden. Nur so könnten kleine und mittlere Unternehmen in den neuen Bundesländern ein Fundament für ihre Entwicklung erhalten. Ein neuerliches Firmen-Ranking in Ostdeutschland hat ergeben, daß es dort noch ganze 77 Unternehmen gibt, die einen höheren Jahresumsatz als 250 Millionen DM haben. Meine Damen und Herren, Sie wissen genau, das ist in den alten Bundesländern die Größenordnung eines mittelständischen Unternehmens. Das, was im Osten passiert, ist das Ergebnis der Treuhandprivatisierung, der Sie hier zugeschaut haben.
Tätigkeitsfelder für den Aufbau eines zusätzlichen öffentlichen Beschäftigungssektors wären zu erschließen. In ihm sollten gemeinwohlorientierte Arbeiten geleistet werden, für die es im herkömmlichen Sinne keine Marktnachfrage gibt. Wie lange wollen Sie eigentlich noch hinnehmen, daß wir uns die Arbeitslosigkeit 180 Milliarden DM im Jahr kosten lassen und daneben ein Gebirge von gesellschaftlich notwendigen, am Markt aber leider nicht nachgefragten Arbeiten entsteht? Eine zivilisierte Gesellschaft muß doch eine Idee haben, wie man diesem Problem beikommen kann.
Betreuung und Beratung im schulischen, sozialen, ökologischen und kulturellen Bereich, also Jugendhilfe, Qualifizierungsprojekte, Sportbetreuung oder psychosoziale Beratung, sind notwendige Arbeiten, die finanziert werden müssen. Zu 80 bis 90 Prozent könnten solche Projekte ihre Kosten selbst finanzieren. Im übrigen haben wir dazu einen ausführlichen Antrag vorgelegt, der über weitere Finanzierungsquellen Auskunft gibt.
Ich meine, daß auch die Förderpolitik in diesem Lande schnell der Reformierung bedarf.
Frau Kollegin, jetzt müssen Sie einmal auf die Zeit achten.
Ich nehme die sonstige Zeit, die unserer Gruppe zusteht, in Anspruch.
- Ich denke, daß das doch möglich ist.
- Das ist nicht möglich? Entscheiden Sie das, Frau Baumeister?
- Frau Präsidentin?
Reden Sie jetzt in Ruhe weiter.
Danke schön. Ich rede in Ruhe weiter.
Ich meine, daß die Förderpolitik in diesem Lande reformiert werden muß. Es kann doch nicht sein, daß Gelder in dreistelliger Milliardenhöhe in jedem Jahr für die Wirtschaftsförderung ausgegeben werden, ohne daß an diese Ausgaben ein Beschäftigungseffekt gebunden ist. Es handelt sich schließlich um öffentliche Gelder, also zum großen Teil um Steuergel-
Dr. Christa Luft
der abhängig Beschäftigter, die in diese Wirtschaftsförderung hineinfließen. Es steht den abhängig Beschäftigten zu, daß durch diese Gelder für sie selbst und für andere, die heute noch auf Arbeit warten, Arbeitsplätze entstehen.
Zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit in Deutschland brauchen wir natürlich auch mehr Investitionen. Es ist keine Frage, daß dazu auch Investitionen aus dem Ausland zählen. Lieber Kollege Uldall, lieber Kollege Friedhoff, wenn man sich Ihren diesbezüglichen Antrag, über den wir heute abstimmen sollen, anschaut, dann erkennt man, daß die Wörter Arbeitsplätze und Beschäftigung darin überhaupt nicht auftauchen. Ist Ihnen das einmal aufgefallen? Ich finde das bezeichnend.
- Wenn in einem fünf Seiten langen Antrag das Wort Beschäftigung oder das Wort Arbeit auch nur einmal aufgetaucht wäre, dann wäre das nicht übertrieben gewesen.
Ich fürchte, daß diese aufgeblähte Werbekampagne um Auslandsinvestoren ohne Rücksicht darauf gestartet wird, ob ihr Ergebnis vielleicht nicht nur in Rationalisierungsinvestitionen besteht mit der Folge, daß der Personalabbau noch verschärft werden könnte. Zumindest in bezug auf den Osten Deutschlands vermute ich, daß sich das Interesse ausländischer Investoren wegen fehlender Werbeaktivitäten in Grenzen hält.
Glauben Sie wirklich, daß eine zu gründende Agentur „Investieren in Deutschland" oder die Benennung eines Standortbeauftragten oder der Ausbau des Zentrums für Auslandinvestoren den entscheidenden Durchbruch bringen wird? Ich denke, daß wir noch mehr teure Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen solcher Art für unterzubringende Manager wirklich nicht brauchen.
Der Osten Deutschlands ist doch eher wegen fehlender Binnennachfrage für Auslandsinvestoren nicht attraktiv genug. Auch sind die Industriestrompreise im Osten um durchschnittlich 10 Prozent höher als im Westen. Ähnliches trifft hinsichtlich der Tarife für Wasser und Abwasserversorgung zu. Die Politik sollte sich lieber darum kümmern, im Wettbewerb um Investoren diese Nachteile zu beseitigen.
Es hat sich in den letzten Jahren gezeigt, daß man allein über das Wirken der Marktkräfte Wirtschaftsstandorte vernichten kann; Ostdeutschland ist dafür ein plastisches Beispiel. Ihr Neuaufbau verlangt jedoch politische Gestaltung, erst recht, wenn in der Vergangenheit bei der Privatisierung des öffentlichen Eigentums im Osten ausländische Investoren als unliebsame Konkurrenz betrachtet wurden und nur schwer Fuß fassen konnten. Ich erinnere Sie an die Jahre nach 1990. Sie können in der Statistik nachlesen, daß ausländische Interessenten mit knapp 10 Prozent an dem Kuchen beteiligt worden sind, der dort zur Privatisierung anstand. Ich glaube, daß diese Ziffer für sich spricht.
Es ist höchste Zeit, daß die neoliberale Politik
dieser Regierung nach den Landtagswahlen nun auch am 27. September 1998 auf Bundesebene auf den Prüfstand kommt und eine Quittung erhält.
Danke schön.
Ich möchte folgendes klarstellen, Frau Kollegin: Es ist richtig, daß ich über die Änderung von Redezeiten entscheide. Wenn allerdings andere Regeln vereinbart worden sind, dann muß man mit mir über eine Änderung dieser Regeln wenigstens vorher reden. Man kann nach Ablauf der eigenen Redezeit seine Rede nicht einfach fortsetzen, ohne mit mir Rücksprache genommen zu haben. Sie haben jetzt die Redezeit Ihres Kollegen mit in Anspruch genommen. Ich sage das, damit es für alle klar ist.
Als nächster hat das Wort Herr Bundesminister Rexrodt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich ein Wort zum Arbeitsmarkt sagen. Heute sind die neuen Arbeitsmarktzahlen bekanntgegeben worden: 4,42 Millionen Arbeitslose. Ich habe nicht vor, diese absolute Zahl schönzureden. Es ist und bleibt eine bedrückende Zahl. Nur, diese Zahl läßt auch erkennen, daß wir zumindest in den alten Ländern eine Trendwende am Arbeitsmarkt erleben. Auch das muß und soll gesagt werden. Wir haben einen Rückgang bei der Arbeitslosigkeit, wie wir ihn seit langem nicht mehr hatten, um 200 000.
Bundesminister Dr. Günter Rexrodt
Das ist kein Durchbruch am Arbeitsmarkt. Ich sage das ganz deutlich. Keiner hat dafür ein Konzept, Sie auch nicht. Sie haben immer zugegeben, daß Sie dieses Patentrezept nicht haben. Vielmehr müssen wir unsere Politik des langen Atems weiterverfolgen. Ich komme darauf noch zu sprechen.
Der Aufschwung ist ganz klar erkennbar. Wir werden in diesem Jahr, 1998, 2,5 bis 3 Prozent Wachstum haben; eher 3 Prozent. Die Industrie hat im ersten Quartal 7,5 Prozent zugelegt. Die Auftragseingänge zeigen, daß auch die Inlandsnachfrage, die bisher eine Schwachstelle war, anzieht. Die ostdeutsche Industrie - ich habe das schon gesagt - hat sogar um 16 Prozent zugelegt. Man schaue genau hin: Auch die ausländischen Investitionen haben sich im Jahre 1997 gegenüber dem Vorjahr 1996 verdoppelt. Sie sind noch nicht auf dem Stand, den wir erreichen wollen. Sowohl in der subjektiven Wahrnehmung als auch faktisch, insbesondere im Steuersystem, bestehen Nachteile gegenüber Ländern, die mit uns in Konkurrenz stehen. Die ausländischen Investitionen haben sich aber 1997 verdoppelt.
Wenn ich mir die Geschäftserwartungen und die Indikatoren ansehe, auf die wir zu Recht immer viel Gewicht legen, stelle ich fest, daß die deutsche Industrie die Geschäftslage im Frühjahr dieses Jahres genauso günstig wie im Boomjahr 1991 beurteilt. Das sind Anzeichen und Indikatoren, die sich sehen lassen können. Der Aufschwung in Deutschland ist auf dem Weg, und er beschleunigt sich.
Das ist zu weiten Teilen auch ein Ergebnis der Arbeit der Koalition. Wir machen keine Politik - wie sie immer wieder gefordert wird -, die Strohfeuer entfacht und flüchtige Erfolge und flüchtigen Beifall erzielt. Unsere Reformpolitik zielt auf eine Umorientierung der Bedingungen für Investitionen und Arbeitsplätze in Deutschland. Das ist eine Korrektur dessen, was in diesem Land über Jahrzehnte gewachsen war. Daran haben wir alle mitgewirkt, auch die Koalition. Wir müssen da manches neu einstellen und korrigieren. Das geschieht nicht von heute auf morgen.
Wir sind zumindest diejenigen, die das angehen.
Zu Ihren Äußerungen, Frau Wolf: Wenn wir Ihre Anträge, die auf eine Ausweitung der Leistungen abzielten, befürwortet hätten und ihnen zugestimmt hätten,
wenn wir Ihren Vorschlägen für neue Kommissionen, Konzepte, Bürokratie und vieles andere mehr nachgegeben hätten und ihrer Umverteilungsphilosophie gefolgt wären, wäre dieses Land vor die Wand gefahren.
Ich habe Probleme, Frau Wolf, nachzuvollziehen, wenn Sie sich hier hinstellen und sagen, in diesem Lande gebe es einen Reformstau
und die Dinge kämen nicht voran, da die Steuern, die Sozialabgaben und die Lohnnebenkosten zu hoch sind.
Jeder vernünftige Vorschlag, der von uns kommt, wird von Ihnen blockiert, indem Sie dagegenhalten.
Dazu gehört eine Menge, Frau Wolf. Ich glaube aber, die Menschen draußen nehmen Ihnen das nicht ab.
Ihre Reform- und Technikfeindlichkeit und Ihre Staatsgläubigkeit - all das läßt jeder Antrag, den Sie hier vorlegen, erkennen - wird draußen erkannt. Deshalb sind Sie in der Krise, in der Sie sich nun befinden. Das ist das Faktum.
Die Arbeit der Koalition trägt Früchte. Wir haben vor zwei Jahren ein 50-Punkte-Programm vorgelegt. Dieses 50-Punkte-Programm, das alle Reformen umfaßt, ist nahezu vollständig umgesetzt. Eine Reform fehlt, das ist die Steuerreform. Wer diese Steuerreform blockiert hat, wissen wir alle.
Wir haben dennoch die Staatsquote auf 48 Prozent zurückgeführt. Wir haben in großem Umfang privatisiert, und wir haben die Besteuerung der Unternehmenssubstanz beseitigt. Wir haben die Reform der sozialen Sicherungssysteme in Gang gesetzt. Da sind wir noch nicht, wo wir sein wollen, aber wir haben sie in Gang gesetzt. Am Risikokapitalmarkt in Deutschland herrschen jetzt Rahmenbedingungen - das ist ja ein privater Markt, deshalb Risikokapital -, die sehr viel besser sind als in anderen Ländern, zumindest anderen kontinentaleuropäischen Ländern. Was sich bei der Liberalisierung von Post und Telekommunikation sowie auf den Strom- und Gasmärkten vollzieht, sind stille Revolutionen. Dort entstehen Arbeitsplätze. Da sind im internationalen Vergleich Rahmenbedingungen verbessert worden.
Last, but not least: Wir haben ein mittelfristiges Förderkonzept für die neuen Bundesländer vorgelegt, im übrigen in Zusammenarbeit mit den Ländern, gerade den neuen Ländern, was die Förderung Ost für sechs Jahre auf eine berechenbare, eine kalkulierbare Grundlage stellt. Die Förderung wird auf hohem Niveau fortgesetzt. Ist das nicht ein klares Be-
Bundesminister Dr. Günter Rexrodt
kenntnis zum Aufbau Ost, und zwar nicht nur mit Worten, sondern auch mit sehr viel Geld?
Frau Luft, wenn Sie sich hier hinstellen und von Firmenpleiten und Zusammenbrüchen sprechen, dann ist das alles richtig. Ich sage sogar: Ich schließe nicht aus, daß die Pleiten an Zahl noch zunehmen werden. Aber Faktum ist, daß viele sehr früh in die Selbständigkeit gegangen sind, ohne die notwendigen Kapitalmittel und die Erfahrungen zu haben. So können sie sich am Markt nicht durchsetzen. Das Entscheidende ist jedoch, ob der Saldo zwischen Unternehmensgründungen und Unternehmensschließungen positiv ist. Und er ist seit 1990 positiv. Es werden mehr Unternehmen gegründet als ausscheiden. Daß dieser positive Saldo rückläufig ist, ist selbstverständlich. Wenn wir das extrapolieren würden, wären ja sonst nach kurzer Zeit alle selbständig.
Entscheidend ist, daß es mehr kleine und mittlere Unternehmen und Existenzgründer gibt. Diese haben in den neuen Ländern mittlerweile 3,3 Millionen Beschäftige. Wer will denn das leugnen? Malen Sie doch nicht solche Horrorgemälde! Das ist doch auch die Realität in den neuen Ländern. Dort gibt es Beschäftigung und sichere Arbeitsplätze.
Wir wollen aber nicht nur reparieren, sondern wir wollen auch die Weichen dafür stellen, daß in diesem Land in Ost und West neue Beschäftigungsfelder erschlossen werden. Sie können vornehmlich im Dienstleistungsbereich entstehen. Zwei Bereiche sind dabei von prinzipieller Bedeutung: einerseits Information und Kommunikation und andererseits die Biotechnologie. Im Informations- und Kommunikationsbereich sind in 1996 und 1997 im Saldo jeweils 50 000 zusätzliche Arbeitsplätze entstanden.
- Da gibt es gar nichts zwischenzuschreien. Das sind Zahlen, Fakten, die auf dem Tisch liegen.
Ich habe doch eben gesagt, daß das der positive Saldo zwischen Wegfall und Zuwachs ist. Bitte hören Sie doch zu, Herr Kollege.
1998 werden 100 000 zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen.
In der Biotechnologie werden sich - das ist nicht Gesundbeten oder Wahlkampf, sondern das sind Zahlen von renommierten Instituten - die Arbeitsplätze bis 2000 auf 110 000 verdoppelt haben.
- Was gibt es da zu schreien? Was gibt es gegen die Fakten einzuwenden?
- Die 5 Millionen Arbeitslosen kommen daher, daß wir uns in einem strukturellen Wandel befinden, für dessen Bewältigung wir im internationalen Vergleich zwei Dinge tun müssen - die betreiben wir auch -: eine Integration unserer Wirtschaft in die Weltwirtschaft und eine Reformpolitik. Wenn wir für Investitionen keine besseren Bedingungen schaffen - die Sie auf Grund Ihrer Blockadehaltung ja nicht mittragen -, dann werden wir mit der Arbeitslosigkeit nicht fertig. Das sind die Fakten.
Wir wollen also neue Beschäftigungsfelder erschließen. Lassen Sie mich folgendes sagen: Wir werden Ende dieses Jahres 200 000 Arbeitslose weniger haben als Ende des Jahres 1997. Die Entlastung auf dem Arbeitsmarkt ist damit ein Ergebnis der besonnenen Lohnpolitik, die es spätestens seit 1996 gibt. Es ist eine gute Nachricht für die Arbeitslosen, wenn diese besonnene Tarifpolitik auch in den künftigen Jahren fortgesetzt wird. Es ist eine schlechte Nachricht für die Arbeitslosen, wenn Herr Zwickel und die IG Metall ihre Forderung nach der 32-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich aufrechterhalten. Das ist unmöglich.
Selbst ohne vollen Lohnausgleich würde das höhere Arbeitskosten und damit weniger Arbeitsplätze bedeuten. Das Ende der Bescheidenheit wäre zugleich das Ende der Hoffnung für viele Arbeitslose. Ich glaube, dazu wird es nicht kommen.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schwanhold?
Ja, bitte, Herr Kollege.
Herr Minister, warum beteiligen Sie sich jetzt durch einseitige Schuldzuweisungen im Vorfeld von Verhandlungen daran, einen sich über einen langen Zeitraum entwickelnden Prozeß der Zusammenarbeit zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu zerstören? Wir brauchen mehr Konsens, um Flexibilität zu erreichen. Diesen Weg ist die IG Metall über eine lange Zeit mitgegangen. Sonst wären die geringfügigen Erfolge in einzelnen Unternehmen überhaupt nicht erreicht worden und nicht nachvollziehbar. Zerstören Sie diesen Kompromiß nicht leichtfertig!
Ich habe gerade eben, Herr Kollege Schwanhold, ge-
Bundesminister Dr. Günter Rexrodt
sagt, daß es eine tarifpolitische Vernunft gibt. Ich bestreite nicht, daß es bei vielen Gewerkschaften - auch in Teilen der IG Metall - eine Veränderung gegeben hat, die im Sinne dessen ist, was wir brauchen, nämlich mehr Flexibilität. Das ist gar keine Frage. Es gibt Gewerkschaften, die mehr, und andere, die weniger bereit sind, Vereinbarungen bezüglich dieser Flexibilität zu treffen. Der Vorsitzende der IG Metall, Herr Zwickel, hat allerdings vor wenigen Tagen die Forderung nach einer 32-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich erneuert. Dies, Herr Kollege Schwanhold, ist Gift für diejenigen, die Arbeit suchen. Das ist eine Botschaft, die Arbeitsuchende nicht gerne hören.
Das hat aber nichts mit meinem Interesse zu tun, daß sich die insgesamt gewandelte Haltung der Gewerkschaften und der Arbeitgeber - die begrüße ich - fortsetzen soll.
Ich möchte daran mit dem Hinweis auf die Regelung der Urlaubstage anschließen. Die Bundesregierung bzw. der Bundeswirtschaftsminister hat nicht die geringste Absicht - sie sind weit davon entfernt -, an den gesetzlichen Regeln des Urlaubs herumzudrehen. Das wollen wir nicht. Aber diese gesetzlichen Regeln geben viel Spielraum für tarifvertragliche Vereinbarungen. Auch in diesem Bereich möchte ich Flexibilität, die einzelbetriebliche Vereinbarungen zuläßt. Da kann es mehr oder auch weniger Urlaub geben.
Diese Flexibilität ist im Interesse der Erhaltung und Schaffung von Arbeitsplätzen. Das ist angesagt und nichts anderes, wenn es um die Diskussion über den Urlaub geht.
Meine Damen und Herren, wir haben unsere Politik klar umschrieben. Es ist eine angebotsorientierte Politik oder anders ausgedrückt: eine Politik, die darauf zielt, Bedingungen in diesem Land zu haben, die Investitionen lohnend machen und damit Arbeitsplätze erhalten oder schaffen. Wir haben dies auch im nationalen Beschäftigungspolitischen Aktionsprogramm so niedergelegt. Dieses Programm - wir haben darüber in diesem Hohen Hause diskutiert - besteht aus zwei Teilen, nämlich erstens aus einem klaren Bekenntnis zur Fortsetzung dieser Politik, von der wir meinen, daß sie ohne Alternative ist, und zweitens aus Aussagen in Form von 19 Leitlinien zu konkreten Handlungsfeldern, die durch die Beschlüsse von Luxemburg vorgegeben sind.
Ich bin sehr froh, daß dieses Aktionsprogramm auf drei Pfeilern ruht: erstens auf dem Pfeiler der Stabilität, weil eine gesunde Währung und solide Finanzen Voraussetzung für mehr Beschäftigung sind; zweitens auf dem Pfeiler der Subsidiarität - europäische Koordinierung ist gut, wir müssen aber zunächst Beschäftigungspolitik zu Hause machen; wir sind verantwortlich dafür, und erst dann können wir koordinieren -; drittens auf dem Pfeiler der Tarifautonomie. Die beschäftigungspolitische Verantwortung der Tarifpartner hat zugenommen, seit das Instrument der Wechselkurskorrekturen und der Zinspolitik nicht mehr in nationaler Verantwortung liegt. Diese drei Pfeiler wollte ich herausstellen.
Was ABM angeht, kann ich nur sagen: Wir können Brücken zum ersten Arbeitsmarkt schlagen und Härten abwenden. Das ist aber immer nur ein Herumkurieren an den Symptomen der Arbeitslosigkeit. Das allein kann nicht Inhalt unserer Politik sein. Darauf möchte ich aber - auch aus zeitlichen Gründen - nicht weiter eingehen.
Was die Handlungsfelder und die quantitativen Zielvorgaben bezüglich des Aktionsprogramms von Luxemburg und unserer Antwort darauf angeht, stehen wir im europäischen Vergleich gar nicht schlecht da. Sowohl bei Maßnahmen gegen die Jugendarbeitslosigkeit als auch bei den notwendigen Maßnahmen, die den Arbeitslosen innerhalb eines bestimmten Zeitraumes angeboten werden müssen, stehen wir besser als andere da. Das gilt jedoch nicht für die Langzeitarbeitslosigkeit. Wir haben also keinen Grund, uns zurückzulehnen. Wir haben aber auch keinen Grund, unser Haupt mit Asche zu bestreuen.
Ich möchte einen Sprung machen und noch ein paar Worte zu dem sogenannten Standortbeauftragten der Bundesregierung sagen. Ich habe - ich darf das einmal so sagen; ich konnte in diesem Bereich eine Menge Erfahrung auf Grund meiner Tätigkeit in der Landespolitik von Berlin sammeln; der Kollege Dreher und ich haben teilweise zusammengearbeitet - eine Menge Erfahrung mit Wirtschaftsförderung und Wirtschaftsförderungsgesellschaften. Die Wirtschaftsförderungsgesellschaften auf Landesebene werben vor Ort Investoren an und betreuen sie. Es gibt eine investitionsbegleitende Betreuung, die niemand den Landeswirtschaftsförderungsgesellschaften abnehmen kann.
Wenn es darum geht, um große Investitionen zu werben, sind aber auch immer die Politiker, Bundes-und Landespolitiker, gefragt. Sie müssen entsprechende Gespräche führen. Es gibt aber bei der Anwerbung von Investoren Situationen, in denen die Entscheidungsträger im Ausland neben den Politikern und neben den Verantwortlichen für die investitionsbegleitende Betreuung vor Ort auch einen Gesprächspartner suchen, von dem sie sagen: Er muß einer von uns sein, er muß in denselben Kategorien wie wir denken, er muß unternehmerische Erfahrung haben und schon Ergebnisverantwortung getragen haben, einen solchen Gesprächspartner brauchen wir. Diesbezüglich gibt es ein Defizit bei der Anwerbung von Investoren. Mit dem Standortbeauftragten der Bundesregierung wollen wir diese Lücke schließen.
Es ist hier zu Recht gesagt worden: Von dieser Aktivität können wir nicht erwarten, daß damit der große Durchbruch geschafft wird. Mit den großen Durchbrüchen ist es immer so eine Sache. Aber diese
Bundesminister Dr. Günter Rexrodt
Aktivität ist ein wichtiger und wesentlicher Schritt. Ich bin sehr dankbar dafür, daß die Fraktionen, auch über die klassischen Grenzen hinweg, dazu beigetragen haben - auch was die Finanzierung dieses Beauftragten und die Ausstattung seines Arbeitsstabes angeht -, die Weichen dafür zu stellen, daß wir eine solche Persönlichkeit, die für die Ausübung ihrer Tätigkeit einen personellen und administrativen Unterbau braucht, finanzieren können.
Ich führe in diesem Zusammenhang Gespräche. Jeder wird verstehen, daß man diese Gespräche vertraulich führen muß. Wir werden sie aber in kürzester Zeit, wie ich hoffe, erfolgreich - auch im Hinblick auf die personelle Besetzung - abschließen. Wir schließen damit eine große Lücke, nicht mehr und nicht weniger. Dieser Mann oder diese Frau wird dann für den Standort Deutschland werben und unsere Standortvorteile, die wir ja zweifellos haben, auch herausstellen.
Ich sage zum Abschluß: Diese Persönlichkeit wird Rahmenbedingungen vorfinden, um diese Standortvorteile herausstellen zu können. Wir werden Gelegenheit haben, diese konsequente Reformpolitik, also die Politik, die auf die Verbesserung der Standortbedingungen in Deutschland gerichtet ist, fortzusetzen.
Viele Unternehmen - Kollege Uldall hat das schon gesagt - besinnen sich wieder auf den Standort Deutschland. Die Fusion von Chrysler und Daimler, die ich ebenfalls begrüße, ist neben vielem anderen Ausdruck einer positiven Umorientierung. Meine Damen und Herren, eine so schlechte Wirtschaftspolitik machen wir offenbar nicht, wenn sie zu einer solchen Umorientierung führt.
Ich habe nie den kurzfristigen Erfolg auf dem Arbeitsmarkt oder sonstwo versprochen. Ich habe aber versprochen - dieses Versprechen können wir auch halten -, daß diese Politik über kurz oder lang greifen wird. Die Anzeichen für erste Ergebnisse sind da: im Unternehmensverhalten und jetzt sogar auf dem Arbeitsmarkt. Deshalb lassen wir uns nicht davon abbringen, diese Politik fortzusetzen.
Das Wort hat jetzt der Herr Minister für Wirtschaft, Mittelstand und Technologie des Landes Brandenburg, Dreher.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Aus der Sicht der ostdeutschen Bundesländer ist der beschäftigungspolitische Aktionsplan der Bundesregierung ein Papiertiger, eine Fleißarbeit - gewiß -, aber eben doch ein Papiertiger. Das ist kein Aktionsplan, das ist eine Aufzählung von Verwaltungsvorgängen. Wir wissen, woher das kommt.
Nachdem der Bundesrat die Bundesregierung im letzten Jahr wiederholt dazu aufgefordert hatte, der miserablen Arbeitsmarktlage etwas entgegenzusetzen, und nachdem selbst der Europäische Rat ein Beschäftigungsprogramm gegen den erklärten Willen der Bonner Koalition beschlossen hatte, konnte die
Bundesregierung nicht anders als Aktivität zeigen. Anders als versprochen, wurden die Länder daran nicht beteiligt, obwohl die meisten von ihnen von den Maßnahmen unmittelbar betroffen sind. Das ist kein Ruhmesblatt politischer Kultur. So ist aus dem Aktionsplan wenig mehr als Aktionismus geworden. Ich sagte es schon: ein Papiertiger.
Statt zu kleinen Tigerländern, die wir im Osten einmal werden wollten, haben uns acht Jahre Aufbauarbeit der Bonner Koalition von CDU/CSU und F.D.P. zu handzahmen Hauskatzen gemacht.
Aber Vorsicht, meine Damen und Herren: Auch schnurrende Kater haben Krallen. Das häßliche Gesicht dieser Krallen hat sich in Sachsen-Anhalt im Debakel am rechten Rand gezeigt.
Als verantwortlicher Wirtschaftsminister für ein neues Bundesland kann ich Ihnen in aller Ernsthaftigkeit nur sagen: Ein „Weiter so wie bisher!" reicht nicht!
Die Situation im Osten stellt sich so dar: In den letzten Jahren ist viel erreicht worden. Brandenburg war im letzten Jahr Spitzenreiter beim Wirtschaftswachstum, und zwar unter allen deutschen Ländern, nicht nur unter denen im Osten. Wir haben damit die Reihe fortgesetzt, die schon im Jahre 1996 begann.
Aber wahr ist auch: Die durchschnittliche Arbeitslosigkeit verharrt seit nunmehr sechs Monaten auf dem gleichen Niveau. Daran ändern auch die aktuellen Zahlen nichts:
Über 22 Prozent der Menschen in Ostdeutschland sind arbeitslos. Auf ganz Deutschland umgerechnet wären das über 7 Millionen Arbeitslose.
In etwa in einem Viertel des Gebietes der neuen Bundesländer liegt die Arbeitslosigkeit sogar bei 30 Prozent. Das heißt, es gibt ganze Landstriche, in denen jeder dritte arbeitsfähige Mensch auf Stütze angewiesen ist. Ganz wesentlich liegt das - Sie fragten danach - an der Rückführung der aktiven Arbeitsmarktpolitik in Ostdeutschland.
1997 wurden 300 000 weniger Arbeitsplätze öffentlich gefördert und weniger Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung durchgeführt als im Jahr davor. Statt Umschulung, statt Fortbildung, statt Eingliederungshilfe und statt Lohnkostenzuschüssen haben wir bei den Betroffenen jetzt die nackte Arbeitslosig-
Minister Dr. Burkhard Dreher
keit und das Abdriften in die Sozialhilfe. Statt Arbeit wird Arbeitslosigkeit finanziert.
Das jetzt aufgelegte Programm, das ABM-Sonderprogramm, ändert daran nichts. Es ist ein Strohfeuer im Wahljahr, um die Statistik kurzfristig zu verbessern.
Auf diese Maßnahmen gründet sich auch die Prognose, daß es bis zum Jahresende 200 000 Arbeitslose weniger in der Statistik geben wird. Schuld an dieser kurzsichtigen Politik ist im wesentlichen die harte Linie der Konsolidierung des Bundeshaushaltes.
Herr Minister, gestatten. Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Blüm?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich möchte gerne erst einmal zum Ende kommen, und dann können wir weiter sehen.
Wir im Osten sind europafreundlich und wir schätzen die Vorteile, die uns nicht zuletzt über die Hilfen aus Brüssel zukommen. Aber man muß es klar sagen: Auf dem Altar der Maastricht-Kriterien wurde geopfert, was nun auf dem Rücken der Bürger im Osten ausgetragen wird. Die Folge dieses Tuns sehen wir im Osten sehr deutlich. Jedes Jahr fehlen einige 10 000 Ausbildungsplätze. Einer ganzen Generation wird der Weg in die Zukunft abgeschnitten.
Die technologische Erneuerung ist schleppender, als sie sein könnte, weil Technologieförderung und Investitionsförderung des Bundes kaum verzahnt sind. Der Ausbau der öffentlichen Infrastruktur droht auf halbem Wege steckenzubleiben. Gleichzeitig sind 45 000 Bauarbeiter allein in Berlin und Brandenburg arbeitslos. Mit einigen Prestigeprojekten versucht Bonn, Flagge zu zeigen, auch mit Projekten aus dem Fonds Deutsche Einheit. Aber die Sorgen und die Nöte der Menschen auf dem Lande werden ignoriert.
- Kommen Sie zu uns. Schauen Sie es sich an. Ich führe Sie in unseren Dörfern gerne herum.
Die Signale für die Wirtschaft sind seit 16 Jahren - das sollte man nicht vergessen - ein einziges Hü und Hott: mal beim Solizuschlag draufsatteln - wie in den letzten Jahren -, mal ihn wieder kürzen; mal die Steuerreform ankündigen - Graf Lambsdorff hat das
schon zu Zeiten von Helmut Schmidt angekündigt - und dann wieder einknicken;
mal die Technologieförderung hochdrehen und sie dann wieder abschneiden. Das sind keine Schlaglichter mehr. Das sind Schlagschatten, die hier die Bundesregierung wirft.
- Was mich dabei am meisten beunruhigt, Herr Abgeordneter Hirche, und zwar mit Blick auf die mittlere und lange Frist, ist, daß das Wirtschaftswachstum in Ostdeutschland insgesamt - Brandenburg nehme ich dabei aus - heute niedriger als im Westen ist. Es freut uns, daß es im Westen besser ist. Aber das Fatale daran ist, daß Ostdeutschland auf diese Weise bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag warten muß, bis es im ganzen an das wirtschaftliche Leistungsvermögen des Westens aufgeschlossen hat. Das ist das volkswirtschaftliche Einmaleins: Wer zurückliegt, braucht ein deutlich höheres Wachstum als derjenige, der vorne liegt, um aufzuschließen.
- Wir sind in Brandenburg an der Spitze. Das habe ich Ihnen doch gesagt.
- Ich spreche jetzt für ganz Ostdeutschland, Frau Abgeordnete.
In der DDR hieß es früher einmal: Der Sozialismus wolle den Kapitalismus überholen, ohne ihn einzuholen. Sie kennen das. Nicht nur im Westen hat man darüber gelacht. Die Bundesregierung will das gesamtdeutsche Wählervolk jetzt in den Schlummerglauben versetzen, der Osten könne beschleunigen, ohne Gas zu geben. Das ist wundersam; denn das geht nicht.
Der Aufbau Ost ist und bleibt eine Generationenaufgabe. Alle Maßnahmen zum Beschäftigungsaufbau müssen deshalb langfristig angelegt sein und dürfen keine Strohfeuer sein. Sie müssen einen langen Atem haben. Es darf keinen Fadenriß geben. Was also ist nötig?
- Das haben wir doch schon. Ich sagte schon: Wir haben bei uns 3 Prozent Wachstum. Machen Sie das doch einmal in Ihrem Bundesland nach!
Wir brauchen ganz dringend ein günstiges Innovationsklima für einen neuen Stamm an Forschern und Entwicklern in den Unternehmen, Leute, die nicht nur etwas erfinden, sondern die auch in den Stand
Minister Dr. Burkhard Dreher
gesetzt werden, ihre Produkte am Markt zu verkaufen. Dazu brauchen wir eine Technologiepolitik des Bundes, die bei den Leitprojekten Zukunft auch die sich rappelnden Regionen Ostdeutschlands flächendeckend mitbedenkt.
Wir brauchen darüber hinaus eine Investititionsförderung, die so flexibel ist, daß wir nicht Jahr für Jahr, einem planwirtschaftlichen Gremium gleich - das wollen wir hinter uns lassen und haben dies auch getan -, Rahmenpläne beschließen müssen, die den eigentlichen Bedürfnissen der Industrie immer nur hinterherhinken. Die Europäische Union macht das mit ihren langfristigen Programmen besser. Nur so wird es uns gelingen, den eingeschlagenen Weg der Reindustrialisierung erfolgreich fortzusetzen.
Wir haben im Osten die modernsten Fabriken, aber wir brauchen auch einen Bodensatz an Mittelständlern, der so etwas auf Dauer trägt. Hilfreich kann hier der Standortbeauftragte sein. Jedenfalls aus Sicht der ostdeutschen Länder ist dies eine begrüßenswerte Einrichtung.
Wir, die ostdeutschen Länder und der Bund, haben das Internationale Investitionszentrum gegründet, allerdings mit 53 Millionen DM aus dem Parteienvermögen finanziert. Ich kann Sie nur ermuntern, nicht bei diesem plakativen Titel stehenzubleiben, sondern ernst zu machen - dann auch mit der Finanzausstattung für eine solche Einrichtung.
Wir brauchen auch eine Ablösung der TreuhandNachfolgegesellschaft, der BvS, die - ein nicht hinnehmbares Verhalten - Milliardenbeträge an den Bundesfinanzminister zurücküberwiesen hat, obwohl noch immer - der Kollege Rexrodt hat die Insolvenzraten nur angedeutet - falsch privatisierte Betriebe in Konkurs gehen. Die Länder haben nicht die Kraft, die Fehler des Bundes wettzumachen. Das ist auch nicht unsere Aufgabe.
Wir brauchen ein Infrastrukturprogramm für Ostdeutschland, um Straßen und Brücken, um Städtebilder und Schulen rasch instand zu setzen und damit den Standort Ostdeutschland langfristig auch ohne Sonderkonditionen für Investoren attraktiv zu machen und die Menschen in dieser Region zu halten. Das würde obendrein Zehntausende arbeitslose Bauarbeiter wieder in Arbeit bringen.
Wir brauchen dringend eine Arbeitsmarktpolitik, die die Wiedereingliederung von Arbeitslosen in den ersten Arbeitsmarkt zum zentralen Inhalt hat, und zwar langfristig und für die Unternehmer berechenbar, nicht Jahr für Jahr wechselnd.
Schließlich brauchen wir eine Bundespolitik, die neben der Fixierung auf eine geldpolitische Wirtschafts- und Finanzpolitik im vereinten Europa Ihre Versäumnisse der letzten 16 Jahre aufarbeitet und eine Politik gegen Sozialdumping, gegen Umweltdumping und gegen Steuerdumping betreibt,
eine Politik nicht nur für die eine Währung in Europa, sondern auch für soziale Mindeststandards, für nachhaltige Entwicklung und für einen Staat, der als leistungsfähiger Dienstleister der Wirtschaft und als Schutzmacht der kleinen Leute auftreten kann. Auch das ist eine Botschaft aus Sachsen-Anhalt.
Beschäftigungspolitik für Ostdeutschland heißt, ein Mezzogiorno zu verhindern. Mezzogiorno ist eine schöne Region. Sie hat jede Menge große Industriewerke hingestellt bekommen. Da das aber eine einseitige Politik war, ist sie auch ein Hort einer nicht ganz so schönen Kriminalität.
Ich glaube nicht, daß Sie wollen, daß aus Ostdeutschland irgendwann einmal, wenn auch kein Mezzogiorno, so doch ein Transpadanien wird, das weite arme Land hinter der Elbe.
Ich danke Ihnen fürs Zuhören.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Christian Ruck.
Das ist mein Stichwort, Herr Schwanhold.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zuerst, wie Kollege Uldall angedroht hat, einige Worte zu unserem Antrag „Investieren in Deutschland" sagen. Auch die schönste Braut wird noch attraktiver durch ein schönes Brautkleid. Deswegen will der Antrag versuchen, einige Schwächen in dem gemeinsamen Standortwerbungsbemühen von Bund und Ländern, Kommunen und Kammern im Ausland zu beheben.
Es ist richtig, daß mit ungeheurem Fleiß und einer Fülle von Ideen inzwischen alle Ebenen der Bundesrepublik für kommunale, regionale und Länderstandorte, für die neuen Bundesländer und für den Standort Deutschland als Ganzes werben: mit einer gewaltigen Vielfalt an Publikationen, Videos, Werbeveranstaltungen, Messen usw. Das ist gut und verdient Anerkennung. Dies betrifft auch die erhöhten Anstrengungen, die der Bund in letzter Zeit unternommen hat.
Herr Mosdorf, ich darf Ihnen an dieser Stelle in Erinnerung rufen, was zum Beispiel am Potsdamer Platz in Berlin durch die Japaner entstanden ist, die durch eine Werbetour Kohls geworben wurden. Ich möchte auch die Werbetouren, die die Treuhand durchführt, erwähnen und das, was der Bundeskanzler durch seinen persönlichen Einsatz für das Chemiedreieck Bitterfeld erreicht hat: 3 Milliarden DM an Investitionen. Auch das Engagement von Motorola in Dresden ist durch eine zentrale Aktion des
Dr. Christian Ruck
Bundes hervorgerufen worden. Das sollte an dieser Stelle einmal gesagt werden.
Aber natürlich führt es zu Schwierigkeiten, wenn die bunte Vielfalt aller Werbeanstrengungen bei möglichen Interessenten und Ansprechpartnern im Ausland für Unübersichtlichkeit, ja manchmal sogar für Verwirrung sorgt, die letztendlich allen Standortwerbern schadet. Der im Antrag geforderte Standortbeauftragte und die Agentur „Investieren in Deutschland" sollen diesem Durcheinander natürlich nicht noch eines daraufsetzen. Vielmehr sollen sie versuchen, das werbetechnische Erscheinungsbild für den Standort Deutschland im Ausland für das erste Interesse und die erste Aufmerksamkeit übersichtlicher und damit durchschlagkräftiger zu machen,
sowie leicht identifizierbare erste Anlaufstelle für dieses geweckte Grundinteresse möglicher ausländischer Investoren sein.
Wichtig ist, daß keine neue Bürokratie entsteht. Deswegen muß die fachliche Unterstützung der Agentur aus dem Bundeswirtschaftsministerium vor allem mit einer internen Stärkung des Zentrums für Auslandsinvestoren einhergehen und auch über unsere Auslandshandelskammern erfolgen. Wichtig ist auch, daß die konkreten Ansiedlungsverhandlungen und Projektangebote, die spezifische Standortwerbung und natürlich auch die finanziellen Förderungsmaßnahmen weiterhin den Ländern oder den Kommunen überlassen bleiben.
Wir erwarten nicht, daß die im Antrag vorgeschlagenen Maßnahmen mit einem Schlag und über Nacht zu einer fehlerfreien Werbung aus einem Guß führen. Aber ich glaube, sie sind ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung und allemal einen Versuch wert. Ich möchte uns daher ermuntern, diese Idee jetzt zügig umzusetzen und auch finanziell, zum Beispiel durch einen neuen Titel „Standortwerbung Deutschland", abzusichern. Ich möchte ferner die Bundesländer ermutigen, auf der in der nächsten Woche stattfindenden Bund-Länder-Wirtschaftskonferenz ihr Plazet zu geben. Schließlich möchte ich auch nicht unerwähnt lassen, Herr Kollege Mosdorf, in welcher konstruktiven, sachlichen Atmosphäre die Vorstellungen von Koalition und SPD in diesem kleinen Bereich zusammengeführt werden konnten.
Meine Damen und Herren, ich möchte aber die Gelegenheit nutzen, nicht nur etwas zur Verpakkung, sondern auch zur Braut selbst zu sagen. Es ist natürlich richtig, daß die gewaltigen Herausforderungen der Globalisierung und der deutschen Einheit die strukturellen Schwächen des Standortes Deutschland offengelegt haben, zum Beispiel die im internationalen Vergleich hohen Kosten, die hohe Regelungsdichte für alle Lebensbereiche, aber auch den teilweisen Verlust unserer unternehmerischen Tatkraft, unserer Risikobereitschaft, Einsatzfreude und Flexibilität. Die Folgen, nämlich der Zwang zur Produktivitätssteigerung um jeden Preis im Exportbereich, der Einbruch der ausländischen Investitionstätigkeit in Deutschland und die hohe Arbeitslosigkeit, haben Reformbedarf in unserem Land geschaffen, wie übrigens bei vielen europäischen Nachbarn auch.
Die Bundesregierung und die Koalition haben in dem gewaltigen Marathonlauf der letzten Jahre Reform um Reform in Deutschland durchgekämpft, oft mit schmerzlichen Eingriffen in liebgewonnene Gewohnheiten und soziale Leistungen, oft auch mit schwierigen Kompromissen und leider fast immer gegen eine destruktive Opposition im Bundestag und die SPD-Mehrheit im Bundesrat. Herr Mosdorf, ich finde es nicht richtig und auch nicht gut, wenn Sie uns unterstellen, wir seien Zahlenfetischisten und hätten all dies getan, ohne an die Menschen zu denken.
Soviel Masochismus dürfen Sie uns nicht zutrauen, daß wir diese schmerzlichen Eingriffe nur der Zahlen wegen vornähmen. Wir denken sehr wohl an die wohlverstandene Zukunft der Menschen in unserem Lande.
Vieles hätte schneller kommen können, ja schneller kommen müssen, etwa die große Steuerreform oder in diesen Tagen die Hochschulreform. Beide sind dringend notwendig und werden von Ihnen blockiert. Da Sie das internationale Ranking angesprochen haben, kann ich Ihnen nur sagen, Herr Mosdorf, daß wir besser dastünden, wenn wir Sie, die SPD, nicht hätten.
Die Verantwortung für Ihre Verzögerungs-, Hinhalte- und Verhinderungstaktik auf dem Rücken deutscher Arbeitsplätze werden wir Ihnen natürlich auch im Wahlkampf unter die Nase reiben, ebenso Ihre verwirrenden steuerpolitischen Visionen, Ihre leistungsfeindliche Grundrente, Ihre Ankündigung, wichtige Reformen wieder einzukassieren, wenn Sie denn nun endlich an die Regierung kämen.
Natürlich ist es auch ein Wahlkampfthema, Herr Landesminister Dreher, daß wir Sie im Hinblick auf den Spielraum, den der Föderalismus den Landesregierungen gegeben hat, fragen, was Sie denn in Ihrer Verantwortung mit den gewaltigen Summen in Ihrem Land gemacht haben, die vom Bund oder auch aus dem Länderausgleich an Brandenburg gegangen sind.
Ich darf Sie daran erinnern, wie groß dieser Spielraum ist. Ich sage Ihnen als Bayer: Wir waren nach dem Krieg die letzten und sind jetzt die ersten. Machen Sie es nach; es liegt in Ihrer Verantwortung.
Wenn Sie beklagen - was übrigens auch wir tun -,
daß der Mittelstand zuwenig Spielraum habe,
möchte ich entgegnen: Ich kann mich nicht erinnern,
Dr. Christian Ruck
daß das Land Brandenburg uns zur Seite stand, als es um die große Steuerreform ging.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Schöne aber ist, daß wir trotz Ihrer politischen Knüppel dabei sind, die Herausforderungen zu meistern und durch die verabschiedeten Reformen den Tanker Bundesrepublik wieder auf Kurs zu bringen. Die Korrekturen greifen; der Aufschwung hat eingesetzt. Die Kostenfront bröckelt - nicht nur bei den Lohnstückkosten übrigens, sondern auch bei den Energiekosten, den Kosten im Gesundheitswesen. Die Staatsquote sinkt. Die Selbständigenquote steigt wieder an. Der deutsche Markt für Wagniskapital ist heute führend in Europa.
Wir sind wieder, was Technologie angeht, an der Spitze - auch im Gegensatz zu dem, was Sie, Herr Mosdorf, sagten. Bei den weltmarktrelevanten Patenten nimmt Deutschland inzwischen vor den USA und Japan wieder den ersten Rang ein; auch in der Umwelttechnik haben wir mit einem Welthandelsanteil von fast 20 Prozent den Spitzenplatz zurückerobert. Die chemische Industrie beispielsweise spricht von einem Comeback des Standortes Deutschland in der Biotechnologie. Vor allem aber haben sich die ausländischen Direktinvestitionen in Deutschland mit 4,2 Milliarden DM im Vergleich zum vorherigen Jahr verdoppelt. Die Zahl der Arbeitslosen, vor allem im Westen, sinkt endlich wieder spürbar.
Wir wissen auch, daß wir noch längst nicht alles erreicht haben.
Ich meine Strukturverbesserungen, Entbürokratisierung, auch die Neuorganisation unserer Sozial- und Bildungssysteme. Wir wissen auch, daß Investieren und Wachstum in Deutschland kein Allheilmittel zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit sind. Aber gegen das Platitüdengejammere der Grünen und der PDS möchten wir in dieser Debatte und mit unserer Arbeit in den nächsten Monaten auch dokumentieren, daß Deutschland unverändert ein ausgezeichneter Standort für Investitionen, für Wirtschaft und Arbeit ist, ein Standort, der durch unsere Reformen weiter an Kraft gewinnt, dessen Menschen wieder Selbstbewußtsein tanken. Unsere Botschaft über die Grenzen hinaus ist: Deutschland hat aufgehört zu jammern, die Ärmel hochgekrempelt und die Herausforderungen angenommen.
Wer bei uns investiert, trifft die richtige Entscheidung für morgen.
Es spricht jetzt die Abgeordnete Marieluise Beck.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Verehrter Herr Minister Rexrodt, liebe Kollegen und Kolleginnen von der CDU/CSU-F.D.P.-Koalition, Sie müssen sich jetzt, vier Wochen vor dem Ende unserer Debatten in diesem Hause
- wir werden im September noch einmal tagen, gut -, vier Wochen vor der Sommerpause - ich sage es so -, gefallen lassen, daß eine Debatte, in der Sie vom Trend sprechen, nicht ausreicht. Sie müssen sich gefallen lassen, daß es hier um Bilanzen geht, und zwar um die Bilanzen jener 16 Regierungsjahre, in denen Sie die Möglichkeit hatten zu gestalten. Sie können nicht drei Minuten vor Toresschluß ankommen und sagen:
Jetzt wird aber wirklich alles besser. Gebt uns doch die Gelegenheit, so weiter zumachen wie bisher.
Das ist nicht überzeugend; das wirkt offensichtlich auch nicht bei der Bevölkerung. Denn daß man Ihnen immer weniger Kompetenz zuschreibt, das bleibt auch Ihnen ja nicht verborgen.
Deswegen sage ich: Es geht um eine Bilanz und nicht um die Trends.
Deswegen ist es auch wichtig, sich noch einmal die Strukturen der Bilanz anzuschauen. Es bestreitet ja niemand, daß Sie in bezug auf das Wachstum in gewisser Weise erfolgreich gewesen sind, weil es immer ein gewisses Wachstum gegeben hat, mal 2,5 Prozent, mal 3 Prozent - mal mehr, mal weniger. Parallel dazu ist aber eine dramatische Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt eingetreten. Das ist doch die eigentlich zentrale Frage, um die es geht. Es geht doch nicht um die Frage, ob die Zahlen für April saisonbedingt ein kleines bißchen günstiger sind als im Vorjahr.
Welche Antwort haben Sie im Rahmen der Politik - Sie lassen das inzwischen auch selbst immer durchschimmern, wenn Sie sagen, Wachstum allein reiche nicht - auf die Bilanz, daß trotz einer Wachstumspolitik, die Sie gestaltet haben, von Jahr zu Jahr und von Krise zu Krise der Sockel der Arbeitslosigkeit, mit dem man dann rechnen mußte, immer höher wurde? Das ist die eigentliche zentrale Herausforderung, mit der wir uns auseinandersetzen müssen. In diesen Bereichen gibt es viele verschiedene Faktoren, zu denen auch die Aufgabe zu zählen ist, zusätzliche Menschen in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Es gibt einen Zuwachs des Angebotes auf dem Arbeitsmarkt, der sich nie wird rückgängig machen lassen: weil die
Marieluise Beck
Frauen nicht mehr zu Hause bleiben werden, sondern berufstätig sein wollen, weil es - ob Sie wollen oder nicht - Migrationsströme gibt, weil die demographische Entwicklung zusätzliche Nachfrage mit sich bringt.
Jetzt ist das spannende Problem, daß wir trotz Wachstums ein faktisch gleichbleibendes Erwerbsniveau bei gleichzeitiger Zunahme der Zahl an Menschen haben, die zu Recht ihre eigene Existenz auf dem Arbeitsmarkt sichern wollen. Das Drama, mit dem wir uns auseinanderzusetzen haben, besteht darin, daß Sie mit Ihrer Politik nicht in der Lage gewesen sind, diese Prozesse so zu gestalten, daß jeder Mann und jede Frau in diesem Land den Anspruch auf sozialen Zusammenhalt, auf Integration und auf Teilhabe hat einlösen können. Es geht heute wirklich nicht um Trends.
Ihre ökonomische Antwort darauf besteht nun in der angebotsorientierten Politik. Herr Rexrodt hat noch einmal dafür geworben, diesen Kurs möglichst lupenrein weiterführen zu dürfen. Sie sagen: Unsere Misere ist deshalb zustande gekommen, weil wir nicht so „richtig" angebotsorientierte Politik machen konnten. In diesem Zusammenhang verweisen Sie dann auf die USA. Es bestreitet niemand von uns, daß es in der Tat auch in den USA einen Zuwachs an Arbeitsplätzen gegeben hat - in unterschiedlichen Segmenten, sowohl im Bereich der besser qualifizierten Arbeitnehmer als auch im Bereich der schlechter qualifizierten Arbeitnehmer. Das bestreitet niemand.
Aber wir müssen uns doch auch über den sozialen Preis dieser ökonomischen Strategie unterhalten. Die in den USA betriebene Politik der massiven Desintegration hat dazu geführt, daß der Teil der amerikanischen Gesellschaft, der schlichtweg abgehängt worden ist, der vergessen wird, der noch nicht einmal stillgestellt wird und sich in den Suppenküchen der Großstädte wiederfindet, gewachsen ist, genauso wie die Kinderarmut.
Unser Plädoyer zielt darauf ab, weiterhin den europäischen Weg zu gehen, in dessen Rahmen man immer auf soziale Integration gesetzt hat, um dieses Auseinanderdriften der Gesellschaft nicht zuzulassen. Diese Richtung hat man unter anderem auch deshalb eingeschlagen - das hat Kollege Mosdorf angesprochen -, weil man hier Erfahrungen mit einer Politik gesammelt hat, die anfällig für Tendenzen der Radikalisierung ist. Diese können dann ungemütlich und gefährlich für die Gesellschaft werden.
Das ist die zentrale Auseinandersetzung, um die es geht. Deswegen kann unsere Antwort nicht zu einem Plädoyer für den amerikanischen Weg bestehen. Die Herausforderung stellt sich vielmehr so dar: Integration, Teilhabe für alle, keine Spaltung der Gesellschaft. Zusammenhalt im Rahmen einer Sozialpolitik mit ökonomischem Erfolg zu verbinden, das ist die eigentliche Herausforderung.
Offensichtlich sind Sie dieser Herausforderung auf der politisch gestaltenden Seite nicht gewachsen gewesen. Denn diese Zahl von 4,4 Millionen - die Zahl ist von Jahr zu Jahr höher geworden; im Augenblick nimmt sie ein kleines bißchen ab - ist nicht zu übersehen; jeder hat sie registriert. Wir wissen, daß die Zahl der Menschen, die auf den Arbeitsmarkt gehen möchten und die keine Chance dazu haben, faktisch noch größer ist, im Osten sowieso, aber auch durch die stille Reserve.
Nun, Herr Rexrodt, haben Sie noch einmal ein Plädoyer gegen einen grundlegenden Ansatz gehalten, der sich um die Frage der Verteilung von Arbeit dreht, indem Sie Herrn Zwickel angegriffen haben. Wenn es stimmt, daß trotz Wachstum das Erwerbsvolumen gleichgeblieben ist, wenn die Zahl der Menschen, die auf den Arbeitsmarkt drängen, größer geworden ist, wenn Teilhabe gewollt ist, dann geht es neben Innovationspolitik in der Ökonomie auch und vor allem um Strategien der Verteilung von Arbeit -
in ganz unterschiedlichen Formen, nicht in statischer Form; da gebe ich Ihnen recht. Aber es geht um gesellschaftliche Anstrengungen, Arbeit gerecht zu verteilen.
Das hat die Europäische Union offensichtlich kapiert; denn sie hat - gegen die Weigerung der Bundesrepublik - gesagt: Wir brauchen eine europäische Zusammenführung der Beschäftigungspolitik, wobei die Idee des Verteilens, des sozialen Gestaltens aus der Politik heraus mit im Zentrum steht, indem man Angebote für die macht, die draußen stehen, vor allen Dingen für die Jugendlichen. Sie haben sich lange überhaupt gegen diesen Ansatz gewehrt. Sie haben dann, als er nicht mehr zu verhindern war, ihre Kraft vor allen Dingen darin gesetzt, die europäischen Leitlinien möglichst unkonkret zu halten. Sie haben jetzt als nationale Antwort ein Papier vorgelegt, das mir als Arbeitspolitikerin nun wirklich bekannt ist; denn ich kenne inzwischen das SGB III, das sogenannte Arbeitsförderungsgesetz. Wir haben früher mit der Schere unsere Flugblätter erstellt. Nichts anderes, Herr Minister Blüm, tun Sie: Sie schneiden das SGB auseinander, kleben es ein und sagen: Das ist unsere Antwort auf die Vorgaben, die uns von europäischer Seite gemacht worden sind. So geht es wirklich nicht!
Ich will einen zentralen Punkt herausgreifen. Im Zentrum sollte als Leitlinie Nummer eins die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit stehen. Hier hat die Europäische Union sich klar geäußert: Kein Jugendlicher in Europa soll länger als sechs Monate ohne Angebot einer Tätigkeit sein. Das ist unter sozialen, unter Integrationsgesichtspunkten, auch unter politischen Gesichtspunkten - ich erinnere an Sachsen-Anhalt; man könnte auch Bremerhaven nennen; wir haben das Problem des Rechtsradikalismus auch im Westen, vor allen Dingen in den Krisengebieten - dringend erforderlich: Wir legen uns darauf fest, daß kein Jugendlicher länger als sechs
Marieluise Beck
Monate ohne Angebot einer Tätigkeit bleiben darf, sei es eine Ausbildung, sei es eine Beschäftigung, sei es eine öffentlich geförderte Beschäftigung, was auch immer.
Sie sind nicht bereit, sich auf diese Festlegung wirklich einzulassen. Vielmehr wird herumschwadroniert. Es gibt hier ein Progrämmchen, es gibt da ein Progrämmchen. Eigentlich, heißt es, liegen wir an der Spitze; eigentlich haben wir gar keine Probleme.
500 000 Jugendliche unter 25 aber sind in diesem Land ohne Beschäftigung. Davon sind 125 000 länger als sechs Monate ohne Tätigkeit. Wenn Sie Europa wirklich ernst nehmen würden, wenn Sie damit über den Euro hinaus etwas zu tun haben wollten - Sie wollen doch auch politisch Europa; das sagen Sie jedenfalls immer -, hätte das bedeutet: In diesem Programm müßten Maßnahmen für 125000 junge Menschen stehen, um diese Festlegung - länger als sechs Monate soll in Europa kein Jugendlicher ohne Angebot sein - zu erfüllen.
Sie haben das nicht getan. Sie haben das alte SGB III eingesetzt und gemeint, das reiche. Das geht nicht. Ich finde, es ist gerade im Bereich der Jugendarbeitslosigkeit eine durch und durch unverantwortliche Politik, die nachwachsende Generation, auf die wir setzen müssen, die wir brauchen, so unversorgt zu lassen.
Da lobe ich mir die Aussage eines Herrn Riester, der sagt: Wir brauchen ein Bündnis für Arbeit, auch ein Bündnis zwischen Jung und Alt. Auch da geht es um Verteilen.
Wir werden sowohl die öffentlich geförderten Programme als auch eine Veränderung der Strukturen auf dem ersten Arbeitsmarkt brauchen, um den jungen Menschen eine Chance geben zu können.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Dietrich Sperling.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich am Anfang mit einigen Bemerkungen möglichst ruhig mit Äußerungen auseinandersetzen, die hier im Verlauf der Debatte gefallen sind. Ich wende mich zuerst dem verehrten Kollegen Friedhoff zu.
Herr Friedhoff, wenn Sie wie ich Gewerkschaftsmitglied wären, zum Beispiel - anders als ich - Metallarbeiter bei Opel, wie es einst Kollege Blüm war, oder bei den Farbwerken Hoechst beschäftigt, wie würden Sie das Verhalten der DGB-Funktionäre gegenüber der Politik Ihrer Bundesregierung wohl betrachten?
Mir ist völlig verständlich, daß Sie, Herr Friedhoff, dort, wo Sie Zwangsmitglied einer Kammer sein könnten, erwarten, daß sich dieser Zwangsmitgliedschaftsverband zur Politik der von Ihnen getragenen Regierung äußert, und zwar möglichst positiv. Das kann ich gut nachvollziehen. Aber daß Sie nicht nachvollziehen können, daß Gewerkschaftsmitglieder über das Verhalten der von Ihnen getragenen Bundesregierung empört sind, finde ich merkwürdig.
Deswegen haben Sie nach meinem Empfinden kein Recht, den DGB zu kritisieren.
Dessen Mitglieder können freiwillig ein- und austreten.
Sie haben eigentlich - das war der Eindruck meiner Kolleginnen und Kollegen im Gewerkschaftsbereich - sehr geduldig zugeschaut, wie die Gewerkschaftsführungen versucht haben, mit ihnen gemeinsam etwas Vernünftiges für die Zukunft zu tun. Das ist an dieser Regierung und an diesem Minister gescheitert.
Daß dann die Gewerkschaftsführung dem Willen der Mitglieder folgend, Kritik übt, findet - da gebe ich zu, ich bin Partei, ich bin selber Gewerkschaftsmitglied - meine volle Billigung.
Ich kann ja verstehen, daß Sie diese Kritik mißbilligen.
- Natürlich. Das sind Gewerkschaftsbeiträge, die haben Sie nicht mitbezahlt. Die Mitglieder können sich dagegen wehren, wenn sie das Geld für falsch ausgegeben halten. Wenn eine andere Politik gemacht wird, kommen die 8 Millionen DM zu den Mitgliedern zurück. Auch das ist Investieren in Deutschland. Darüber reden wir.
Ich wollte das gar nicht so erregt sagen, Herr Friedhoff. Ich wollte eigentlich nur an Ihre Nachdenklichkeit appellieren, daß man die Interessen von Men-
Dr. Dietrich Sperling
schen berücksichtigen muß, wenn man über Wirtschaft redet. Tun Sie nicht so, als hätten Sie nicht auch Interessen und als würden Sie sie nicht auch vertreten.
- Wenn Sie unbedingt wollen, versuchen wir es. Das wird hoffentlich auf die Redezeit nicht angerechnet.
Sie sind also mit der Zwischenfrage einverstanden?
Ja.
Bitte schön, Herr Hirche.
Grün drücken, rot leuchten lassen!
Herr Kollege Sperling, ich bedanke mich für Ihre Geduld.
Ich wollte Sie fragen - ich habe hier einen Aufsatz von Ihnen zu dem Thema „Schein und Sein in der SPD " mit dem Untertitel „ Schröder will die Welt von vorgestern mit den Konzepten von gestern reformieren", der in der „Frankfurter Rundschau" veröffentlicht worden ist -, wie Sie zu dem Satz in dem von Ihnen geschriebenen Artikel stehen:
Da will er die Welt von vorgestern zurückhaben, um sie mit den Konzepten von gestern zu reformieren. Mit den Problemen von heute, die mit den Konzepten für morgen gelöst werden müssen, hat das aber nichts zu tun.
Ich frage Sie, was Sie davon heute halten, weil Sie ja in eine Erörterung über bestimmte Positionen eintreten wollen. Hier in diesem Artikel schreiben Sie:
Nun genießt Gerhard Schröder den Ruf wirtschaftspolitischer Kompetenz. Kann man das erklären? Aber ja: Wer wirtschaftspolitische Kompetenz bescheinigt bekommen möchte, muß sie nur der SPD absprechen.
Sehen Sie?!
Dafür bekommen Sie als erstes von mir ein Lob für Ihre Archivhaltung.
Ich denke auch gar nicht daran, zu bestreiten, daß ich mit meinem Kanzlerkandidaten nicht immer einer
Meinung bin. Das tut im übrigen meiner Partei, mir und - wie ich glaube - auch dem Kanzlerkandidaten gut. Denn eine streitlose Partei wollen Sie für sich selber auch nicht. Warum kritisieren Sie dann uns, wenn wir uns streiten, und zwar nach einem Vorbild, das bei Ihnen wirklich ordentlich mißbraucht wird?
Zweitens, zu dem Text: Nach meinem Eindruck hat mein Kanzlerkandidat erheblich hinzugelernt.
Er hatte eine Reihe von Äußerungen - wenn Sie den Artikel durchlesen, werden Sie das merken - unter Bezug auf einen amerikanischen Arbeitsminister und die Regierung Clinton gemacht. Ich habe in dem Artikel nachgewiesen, daß diese Regierung Clinton selber einen anderen Argumentationszusammenhang im internationalen Bereich verfolgt, als dies Herr Schröder damals getan hat.
Nun, lieber Kollege, ich glaube, man kann in diesem Land kein erfolgreicher Kanzlerkandidat werden, ohne hinzuzulernen. Ich bescheinige meinem Kanzlerkandidaten, daß er das getan hat. Und darauf bin ich stolz.
- Man soll die Hoffnung nicht aufgeben, liebe Ingrid. Ich rede hier jedenfalls nicht ganz ohne Hoffnung, daß sie doch noch etwas lernen. Sonst bräuchten wir uns hier gar nicht mehr zu unterhalten. Dann wäre es das Deklamieren von Hoffnungslosigkeiten. Das sollten wir seinlassen.
Herr Friedhoff, ich möchte mich Ihnen noch weiter zuwenden und in meine Bemerkungen auch Herrn Rexrodt einbeziehen.
Sie haben - nach meiner Ansicht zu Recht - darauf verwiesen, daß die Arbeitslosenzahlen in Westdeutschland sinken. Das Problem, das wir eigentlich haben, besteht aber nicht in der Frage, ob dann, wenn die Schwalben wiederkommen und sich der Sommer tatsächlich abzeichnet - was wir in diesem schönen Glaspalast auch gut erkennen können -, die Arbeitslosenzahlen sinken. Unser Problem ist vielmehr - dies gilt für die letzten 20 Jahre -, daß, wann immer sich ein Konjunkuraufschwung ankündigt, dieser auf einem erhöhten Sockel von Arbeitslosigkeit beginnt und mit einem noch höheren Sockel von Arbeitslosigkeit endet und daß auch dies ein Strukturproblem ist. Sobald wir diese Tatsache ernst nehmen, müssen wir sagen: Die jetzt gemeldete Arbeitslosenzahl deutet auf dieses Strukturproblem hin, auch wenn sie auf 4,4 Millionen gesunken ist. Sie ist der Sockel, die Ausgangsposition der Arbeitslosigkeit, und sie ist wiederum erhöht. Frau Beck hat - wie ich glaube, völlig zu Recht - auch darauf hingewiesen.
Dr. Dietrich Sperling
Ich wollte, auf ihre Lernfähigkeit und auf die Lernfähigkeit ihrer Kollegen vertrauend, darauf verweisen: Diesem Problem müßten wir eigentlich mit einem Antrag „Investieren in Deutschland" nachgehen, wenn es sich nicht nur darum handeln soll, Schwalbennester für einen kurzen Sommer zu bauen, sondern darum, für eine lange Zeit einen Aufschwung zu bewirken, der tatsächlich etwas anderes schafft als bisher, nämlich nicht nur eine kurzfristige Erholung, die nachher wieder in höherer Arbeitslosigkeit endet.
- Zur Steuerreform komme ich noch.
Ich möchte mich jetzt dem Kollegen Ruck zuwenden, der ja vorgeführt hat, daß ein Ruck durch die jammernden Koalitionsmitglieder gegangen ist. Er hat gesagt, Deutschland habe aufgehört zu jammern. Nun, Herr Ruck, das haben wir auch festgestellt. Aber ich behaupte: Diejenigen, die im Namen Deutschlands gejammert haben, haben aufgehört zu jammern. Das waren Gott sei Dank nicht alle. Ich habe nicht die ganze Zeit gejammert; ich habe immer geglaubt, der Zustand der deutschen Wirtschaft sei eigentlich etwas besser, als es das Jammergeschrei der Regierung dargelegt hat.
Sie haben mit dem Jammergeschrei Verteilungspolitik gemacht. Sie haben Sozialkürzungen vorgenommen, weil Sie gesagt haben, es werde alles noch schlimmer, als es jetzt schon sei. Das Jammern war für eine bestimmte sozialpolitische Ausrichtung Ihrer Regierungspolitik nötig. Deswegen haben Sie gejammert. Nun entdecken Sie: Es stehen Wahlen vor der Tür. Da geht ein Ruck durch die Koalition, und es wird verkündet: Das Jammern muß aufhören.
Nur, es war nicht Deutschland, das gejammert hat. Es waren die Regierungsparteien.
- Und diejenigen, die die Regierungsparteien stützen.
Herr Ruck, das Jammern hat sich natürlich auch auf Argumente gestützt. Wir tun ja nicht so, als hätten Sie das Jammern nicht unterfüttert. Aber wenn wir uns das jetzt unter dem Stichwort „Investieren in Deutschland" ansehen, dann können wir feststellen, daß das Jammern auf Argumente gestützt war, die reichlich fragwürdig waren.
Erinnern Sie sich an die Debatte über Direktinvestitionen? Ich habe allen Kolleginnen und Kollegen im Wirtschaftsausschuß ein Papier dazu zukommen lassen, weil ich die Zeit im Wirtschaftsausschuß nicht dafür in Anspruch nehmen wollte, auf das hinzuweisen, was sich dort neu getan hat. Ich weiß nicht, ob Sie das Papier gelesen haben. Ich will auf jeden Fall hier zu Protokoll geben, daß die Debatte über Direktinvestitionen, die in der Vergangenheit geführt
wurde, auf sehr windigen statistischen Grundlagen beruhte,
die die Bundesbank anschließend beseitigt hat. Ich bescheinige auch Herrn Hans-Olaf Henkel Lernfähigkeit. Er hat aufgehört, das Thema „Direktinvestitionen" so zu behandeln, als handelte es sich um die Abstimmung mit den Füßen über das Investitionsklima in Deutschland, als würde bei diesem Thema die Abwanderung von Arbeitsplätzen zu behandeln sein. So hat er das eine Weile getan. Er hat es aufgegeben, nachdem er darauf hingewiesen wurde, daß die Statistiken dies alles nicht hergeben.
Meine Damen und Herren, ich möchte die Bemerkung zu Bemerkungen nun beenden und ein bißchen im Zusammenhang zu dem Thema sprechen, das ich über lange Frist für das Strukturproblem unserer Wirtschaft halte und das mit Investieren und Steuerreform zu tun hat. Ich werde versuchen, das relativ kurz zu machen, denn allzuviel Zeit habe ich nicht.
Es ist das Thema, ob denn Wohlstand und Reichtum in unserem Land noch zusammengeführt werden. Reichtum läßt sich in Geld messen, Wohlstand besteht in Arbeitsplätzen, auf denen Güter und Dienstleistungen erzeugt werden, und zwar auf eine naturverträgliche Art und Weise. Meine These ist: Wir haben eine ständige Reichtumssteigerung in Deutschland, der keine Wohlstandssteigerung mehr entspricht.
Die Frage ist: Wie bekommen wir es hin, daß die Reichtumssteigerung, meßbar am täglichen Börsenbericht, auch wieder ein Indikator für Wohlstandssteigerung wird?
Nehmen wir das ernst, dann müssen wir sagen: Der gegenwärtige Börsenaufschwung - nachzulesen im „Handelsblatt"; Sie können aber auch in andere Zeitungen schauen - zeigt, daß investiert wird. In der Umgangssprache nennen das die Investmentgesellschaften „Investitionen". Es wird von deutschen Anlegern in enormem Ausmaß, schreibt heute die „Süddeutsche Zeitung", sogar in ausländische Aktien investiert. Auch Daimler-Benz hat, wenn man es so ausdrücken will, gerade enorm investiert. Es gibt noch mehr Vorgänge, die zeigen, daß in enormem Ausmaß investiert wird. Nur, um was für Investitionen handelt es sich? Um Investitionen, die nichts anderes sind als der Kauf von schon bestehenden Vermögenswerten, aber nicht um Investitionen, die selber wiederum die Produktion von Gütern und Dienstleistungen - unter Bewahrung der Natur - bewirken.
Wir haben also einen doppelten Investitionsbegriff, den umgangssprachlichen der Investmentgesellschaften und den der eigentlichen Volkswirtschaftslehre, die sagt: Investitionen sind nur solche, die neue Maschinerie, Anlagen und Gebäude für die neue, erweiterte Produktion von Gütern und Dienstleistungen mit sich bringen. Mit der doppelten Ver-
Dr. Dietrich Sperling
wendung des Wortes „Investition" verschleiern wir das, was vor sich geht, nämlich daß an den Märkten für Vermögenswertehandel enorme Investitionen vorgenommen werden, die für Güter und Dienstleistungen, die Beseitigung von Not, Hunger und Elend auf der Erde nichts, aber auch gar nichts bringen. Reichtumssteigerung und Wohlstandsmehrung sind auseinandergeraten.
Wenn man jetzt genau hinsieht, was das mit Steuern zu tun hat, kann man feststellen: Weltweit wird der erste Typ von Investitionen, der der Reichtumssteigerung dient, nicht oder fast nicht mit Steuern und Abgaben belastet. Weltweit finden wir inzwischen Artikel in Zeitungen, die besagen: Was wir an den Börsen erleben, ist eine Inflation der Vermögenswerte. Die Volkswirte wieder werden sagen: Wie könnt ihr da den Ausdruck „Inflation" verwenden? Aber selbst der seriöse „Economist" ist inzwischen dabei und spricht davon, daß wir „asset inflation" haben. Wir haben also eine Inflation der Vermögenswerte, und keine Zentralbank tut etwas dagegen; es ist nicht ihre Aufgabe. Dennoch: Die dort stattfindende Inflation der Vermögenswerte ist dauernd reichtumssteigernd. Es ist egal, ob das Bilder alter Meister oder Aktien sind. Nur 1 Prozent der Steigerung der Aktienkurse an den Börsen ist durch die Menge an neuen Investitionen gerechtfertigt, die anderen 24 Prozent Steigerung im Jahr resultieren schlicht aus Preissteigerungen an den Börsen.
Dies hat alles damit zu tun, daß darauf keine Steuern und Abgaben liegen. Diejenigen, die heute in Deutschland in ausländische Aktien einsteigen, tun das, ohne irgendwo Steuern und Abgaben zahlen zu müssen. Geldverwendung für diese Art, ich sage dazu jetzt: spekulativer Anlage von Geld bleibt steuer- und abgabenfrei. Deswegen sind diejenigen, die das Geld haben, daran interessiert, damit die höchste Reichtumssteigerung zu erzielen. Was machen wir im Vergleich dazu - diese Vorgänge sind international fast gleich - mit Realinvestitionen im volkswirtschaftlichen Sinn an den Orten, wo Güter und Dienstleistungen erzeugt werden und dadurch auch Arbeitsplätze vorhanden sind? - Diese besteuern wir vergleichsweise hoch.
Wenn wir uns jetzt Deutschland anschauen, dann stellen wir fest, daß nicht nur spekulative Geldverwendungen fast steuerfrei sind. Vielmehr werden die Verwendungen von Geld, das zu Arbeitsplätzen führt, besonders hoch besteuert; denn Arbeit ist der Faktor der Produktivkräfte, der am höchsten besteuert wird. Herr Friedhoff, Sie merken, wie friedlich ich dies eigentlich anspreche: In den vergangenen 25 Jahren, also auch noch in einer Zeit, in der meine Partei regiert hat, haben wir kontinuierlich den Fehler begangen, Arbeit immer höher zu belasten und - im Vergleich dazu - die Produktionsfaktoren Kapital und Natur zu entlasten.
- Das ist ja fast gar nicht belastet.
Wenn wir uns diesen Sachverhalt einmal im internationalen Vergleich angucken, dann stellen wir fest, daß die Schweiz und Deutschland in dieser - ich würde sagen: idiotischen - Belastung der Produktionsfaktoren zu Lasten von Arbeit bei gleichzeitiger Begünstigung des Kapitals an der Spitze liegen.
- Was tun wir dagegen? - Wir ändern hoffentlich das Steuersystem.
Es wird Sie vielleicht verblüffen, wenn ich sage, daß das nach meiner Ansicht sogar im amerikanischen Sinne geschehen sollte. Die Kapitalbesteuerung ist dort wesentlich höher. Das heißt, daß das Thema einer Steuerreform, die wir dringend brauchen, unter dem Gesichtspunkt behandelt werden muß, was zu mehr Beschäftigung führt.
Dieses Thema darf nicht unter dem Gesichtspunkt behandelt werden, wie wir Reichtum steigern. Eine Steuerreform, die Reichtumssteigerungen bewirkt, ohne die Verwendung des Reichtums für mehr Beschäftigung mit anzureizen, ist falsch.
Hierin liegt meine Hauptkritik an der Steuerreform, die Gott sei Dank gescheitert ist;
denn sie hätte nur reichtumssteigernde Wirkungen bei gleichzeitiger Verringerung der Nachfrageeffekte erzielt.
Volkswirtschaftlich war die von Ihnen geplante Steuerreform falsch. Die Länder haben gut daran getan, zugunsten der Konjunktur und im Interesse der Beschäftigten in Ostdeutschland auf diese Steuerreform zu verzichten.
Herr Abgeordneter Sperling, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Rossmanith?
Ja, Herr Rossmanith, wenn es denn sein muß.
Das entscheiden Sie.
Herr Dr. Sperling, ich bemühe mich um eine kurze Frage. Herr Kollege, ist Ihnen vielleicht entgangen, daß die Spanne vom Eingangssteuersatz bis zum Höchststeuersatz mit der
Kurt J. Rossmanith
Steuerreform, die wir im Deutschen Bundestag mit den Stimmen der Koalition schon beschlossen hatten, insgesamt - sowohl was den unteren als auch was den oberen Grenzwert angeht - enger werden sollte?
Nein, das ist mir gar nicht entgangen, Herr Rossmanith. Sie dürfen mich ja für beschränkt halten. Aber es wäre unzulässig zu vermuten, daß ich überhaupt nicht wahrnehmungsfähig sei.
Vielleicht ist Ihnen entgangen, daß die Senkung dieses Eingangssteuersatzes für denjenigen, der wenig verdient und wenig Steuern zahlt, möglicherweise sogar keine Steuern zahlt, gar nichts bringt, während ein jeder, der viel verdient, von dieser Senkung des Eingangssteuersatzes tatsächlich erhebliche Vorteile hat. Auch das ist nur eine Form von Reichtumsproduktion. Wenn man auf diesem Gebiet in diesem Sinne - ich hoffe, Sie können ihn nachempfinden - etwas zum Besseren verändern wollte, dann müßten Sie die Steuerreform anders anlegen.
Mit der Beantwortung Ihrer Frage bin ich jetzt am Ende und versuche noch einmal, der Frage der Investitionen nachzugehen. Ich richte meinen Blick dabei insbesondere auf Herrn Friedhoff, weil uns eine Reihe von persönlichen Gesprächen verbindet. Wie, Herr Friedhoff, verfährt denn ein Unternehmer, wenn er neue Investitionen tätigen will? - Zunächst einmal schaut er sich doch die Kosten der Produktionsfaktoren - Arbeit, Kapital und, sofern er Fläche in Anspruch nimmt, Natur - an. Wenn er dies tut, dann stellt er fest: Siehe da, das Einstellen von Arbeitnehmern ist durch die Lohnkosten unglaublich hoch belastet; die Löhne meiner Arbeitnehmer habe ich zu tragen, ihre Löhne sind meine Kosten. Arbeit ist also ein teurer Produktionsfaktor, und folglich werde ich versuchen, die Kosten durch möglichst viel Maschinerie zu senken. Das heißt, wir haben durch das Steuersystem, das die Arbeitgeber und Unternehmer vielleicht noch zum Investieren verlocken könnte, von vornherein eine Grundhaltung produziert, die darauf aus ist, wenig Arbeitskräfte einzustellen und viel Maschinerie zu benutzen.
Nun kann man über einen Zeitraum von 25 Jahren tatsächlich feststellen, daß die Kapitalmenge, die investiert werden muß, um überhaupt einen Arbeitsplatz zu schaffen, in Deutschland schneller als fast überall sonst auf der Welt gewachsen ist. Ich glaube, die einzige Ausnahme ist die Schweiz. Ansonsten ist die Kapitalintensität in anderen Ländern bei weitem nicht so gewachsen wie in Deutschland. Das heißt, wenn Unternehmer in Deutschland investiert haben, haben sie nicht beschäftigungswirksam in die Schaffung neuer Arbeitsplätze, sondern in die intensive Nutzung von Maschinen investiert. Das führte dazu, daß bei uns die Produktivitätssteigerungen relativ hoch sind. Sie ahnen, Produktivitätssteigerungen sind nicht immer beschäftigungsfreundlich, sondern im Gegenteil, sie ersparen Beschäftigung.
Das ist ganz anders in Ländern, deren Beschäftigungswunder uns manchmal vorgehalten wird und in denen die Produktionsfaktoren Kapital, Arbeit und Natur in der Tat anders als in Deutschland belastet werden; dazu gehören auch die USA. Ich sage nicht, wir sollten alles nachmachen. Nur, es lohnt, darüber nachzudenken, ob ein Steuer- und Abgabensystem, das Arbeit so teuer und Kapital so billig macht, nicht den Prozeß herausfordert, den wir Substituierung von Arbeitskraft durch Kapital nennen. Dies fördert in der Tat die Arbeitslosigkeit.
Das bedeutet, daß wir unter dem Gesichtspunkt „Investieren in Deutschland" das Steuer- und Abgabensystem viel gründlicher durchdenken müssen, als Sie es tun, wenn Sie sagen: Wir wollen auf jeden Fall die Steuerlastquote senken. Nein, die Frage lautet, welche Steuern gesenkt und welche gegebenenfalls sogar erhöht werden sollten. Erst das macht ein Projekt „Beschäftigungswirksame Steuerreform" aus. Dies hat - Herr Uldall, es freut mich, daß Sie nicken - ganz wesentlich damit zu tun, daß man dafür sorgt, daß sich die Investitionen von Unternehmern auf die Beschäftigung neuer Arbeitskräfte auswirken
und nicht bloß den Reichtum derjenigen steigern, die als Aktionäre oder als Kreditgeber für diesen Investitionsprozeß gesorgt haben.
Investieren und Besteuern haben in der Tat sehr viel miteinander zu tun. Das gehört grundsätzlich anders durchdacht, als dies in den vergangenen 16 Jahren der Fall war. Wir werden uns daran orientieren müssen, ein in dieser Hinsicht anderes System der Besteuerung zu schaffen, das sehr viel mit der Verringerung der Belastung von Arbeitskosten zu tun hat, aber ruhig etwas mit der Belastung von Kapital zu tun haben darf. Es wird ausländische Investoren nicht abschrecken, wenn man an den Investitionen deshalb gut verdienen kann, weil das Produzierte absetzbar ist.
Das hat etwas mit Nachfrage zu tun. Wir müssen weg von einem angebotspolitischen Fundamentalismus
und einer Orthodoxie, die man nur noch bei der deutschen Regierung findet. Alle anderen europäischen Regierungen haben sich davon abgewendet. Wim Kok in den Niederlanden ist ein Beispiel dafür, wie auf jede Orthodoxie der einen oder der anderen Art verzichtet wird.
- Nein, es ist viel schlimmer. Wenn Sie sich die präzisen Wahlergebnisse anschauten, würden Sie einen Schrecken bekommen. Die linke Wählerschaft hat in Holland noch mehr zugelegt als die in der Mitte. Gucken Sie sich das genau an. Dann finden Sie erstaunliche Ergebnisse.
Der Erfolg von Wim Kok ist auf einen pragmatischen Umgang mit den Instrumenten von Sozialpolitik und Wirtschaftspolitik zurückzuführen.
Dr. Dietrich Sperling
Dem Vorbild würde ich mich gerne anschließen.
Ich würde sagen, dies hat auch etwas mit der andersartigen Besteuerung von Investitionen zu tun.
Nun noch einmal zum Mittelstand und zur Steuerreform. Sie wollten den Mittelstand erreichen. Dies ist auch nötig, denn im Mittelstand ereignet sich - wenn überhaupt - ein potentielles Beschäftigungswunder für Deutschland. Das sind nicht die Großunternehmen. Der meiste Zuwachs an Beschäftigung ist in kleineren und mittleren Unternehmen erreichbar. Diese sind im Regelfall personalintensiver als die großen. Das hat zum Ergebnis, daß die Belastung von Arbeit für sie besonders teuer kommt. Will man Mittelständler zum Investieren verlocken, muß man die Kosten für die von ihnen beschäftigten Arbeitskräfte möglichst senken.
Nun sagen Sie immer, das sei Sache der Tarifpartner. Nein, bei einer Staatsquote von auch nur 48 Prozent, die im wesentlichen, nämlich zu 68 Prozent, vom Faktor Arbeit getragen wird, ist dies auch Sache des belastenden Staates.
Wer die Staatsquote so finanziert, wie wir das hier getan haben und wie es aus Ihrer Sicht immer noch fraglos richtig zu sein scheint, erzielt keine Beschäftigungseffekte und hat dann die Grausamkeiten im Sozialsystem zu verantworten, weil die Beitragszahler schlicht fehlen.
Deswegen, Herr Friedhoff, geht mein Appell an diejenigen - ich hoffe, nicht mehr an Sie, weil Sie, so sympathisch Sie persönlich sind, im nächsten Bundestag hoffentlich überflüssig geworden sind -, die dann die Opposition stellen werden. Denken Sie darüber nach! Führen Sie, wenn es denn geht, einen etwas nützlicheren Wahlkampf, der über die tatsächlich wirkenden Instrumente von Steuerpolitik aufklärt,
nicht aber einen Wahlkampf mit den Mutmaßungen dogmatischer Art, mit denen Sie uns hier ansonsten gerne belastet haben. Lassen Sie es sein, die anderen schlechtzureden! Auch wir werden uns dann bemühen, das umgekehrt genauso zu machen. Noch haben Sie die Mehrheit, und der Klügere sollte nachgeben, in diesem Fall der Stärkere das Vorbild sein. Noch scheinen Sie Vorbildfunktion zu haben. Nutzen Sie sie!
Das wäre sehr dienlich, damit mehr Wohlstand in
Deutschland entsteht. Den brauchen wir. Die Verkettung von Reichtum und Wohlstand ist das Kernstück
der Instrumente von Wirtschaftspolitik, die wir hier gescheiterweise diskutieren sollten.
Herr Abgeordneter Dr. Sperling, ich habe erfahren, daß das eben Ihre letzte Rede im Bundestag war.
- Das hat Ihr Geschäftsführer gesagt.
Wenn es so sein sollte, möchte ich Ihnen doch ganz herzlich danken. Sie sind seit 1969 im Bundestag, also acht Legislaturperioden, und gehören damit zum Urgestein in unserem Parlament. Sie waren in Ihren Reden immer temperamentvoll und, wie wir heute gemerkt haben, engagiert bis zum Schluß. Ganz herzlichen Dank!
Ich erteile jetzt das Wort der Abgeordneten Dr. Gisela Babel, F.D.P.-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich fand vieles, Herr Sperling, was Sie ausgeführt haben, sehr interessant. Aber lassen Sie mich wenigstens den einen Satz dazu sagen: Eines haben Sie bei Ihrer Analyse völlig ausgeblendet, und das sollte man in Zukunft redlicherweise anders handhaben. Wenn Sie davon reden, daß die Arbeit teuer ist und hoch belastet, wissen wir schon, daß der Staat seine Hand mit im Spiel hat. Aber wir wissen auch, daß es in der Verantwortung der Tarifpartner liegt, Löhne zu vereinbaren, und daß auch von den Gewerkschaften Arbeitskosten hoch vereinbart werden, ohne Rücksicht auf Produktivitätsfortschritte, wie wir in der Vergangenheit gesehen haben. Deswegen ist Ihr Bußepredigen vielleicht auch in diese Richtung angezeigt.
Schwerpunkt meiner sehr kurzen Ausführungen werden mehr die arbeitsmarktpolitischen Instrumente sein, bei denen ich immer den Eindruck habe, daß die Opposition sie zum Kernstück der Bekämpfung von Arbeitslosigkeit machen will. Denn wenn Sie, Frau Beck, von Jugendarbeitslosigkeit und Langzeitarbeitslosigkeit sprechen, dann frage ich natürlich zurück: Was soll man denn machen? Darauf ist, soweit ich mich erinnere, von Ihnen nie ein anderer Vorschlag gekommen als der, daß man den Einsatz der arbeitsmarktpolitischen Instrumente verstärken soll, daß ihre Rücknahme oder Kürzung falsch sei und daß man damit den wesentlichen Ansatzpunkt habe.
Nun will ich zunächst einmal sagen: Wir haben für aktive Arbeitsmarktpolitik immerhin einen Betrag
Dr. Gisela Babel
von 40,8 Milliarden DM zur Verfügung gestellt. Das ist nun nicht ganz wenig.
Frau Dr. Babel, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich möchte erst noch zwei Sätze dazu sagen. - Wir haben unzweifelhaft auch immer gesehen, daß die arbeitsmarktpolitischen Instrumente wie AB-Maßnahmen sowie Fortbildung und Umschulung eine wichtige sozial flankierende Funktion wahrnehmen müssen. Ich habe nie gesagt, daß wir darauf verzichten können. Aber Skepsis in der Hinsicht, daß dieser Einsatz das bringt, was Bekämpfung von Arbeitslosigkeit im Kern bedeuten muß, nämlich die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen, und daß er den Strukturwandel verbessert, beschleunigt und in die richtige Richtung bringt, ist angebracht. Daß sie das bringen, kann man von diesen arbeitsmarktpolitischen Instrumenten nämlich nicht behaupten.
Bitte schön.
Bitte schön, Frau Beck. Sie können jetzt Ihre Zwischenfrage stellen.
Liebe Frau Kollegin Babel, darf ich Sie darauf hinweisen, daß meine Kollegin Margareta Wolf zur selben Fraktion gehört wie ich und wir eine gewisse Aufteilung vorgenommen haben.
Sie hat zu der Notwendigkeit der Wertschöpfung in der Ökonomie gesprochen. Das ist mir als Arbeitsmarktpolitikerin sehr wohl bekannt.
Dann sind wir uns vielleicht auch darüber einig, daß wir nicht auf Knopfdruck Beschäftigung schaffen können.
Man könnte allenfalls staatliche Beschäftigungsprogramme schaffen. Aus den Erfahrungen vergangener Jahrzehnte wissen wir mittlerweile, daß das nur ein Strohfeuer ist. Ich halte es deswegen für wichtig, daß wir auch auf die Argumente eingehen, die gegen den Einsatz von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen sprechen, und sie ernst nehmen. Das hat zum Beispiel der Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks klargemacht - nachzulesen im „Handelsblatt" vom 6. Mai dieses Jahres -: „Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen führen zu Wettbewerbsverzerrungen. " Gerade in den neuen Ländern - das ist ja sehr bedauerlich -, wo uns - jedenfalls in großen Dimensionen - nicht sehr viel mehr möglich war als der Einsatz von Arbeitsmarktinstrumenten, ist diese Wettbewerbsverzerrung fühlbar. Deswegen mutet es geradezu gefährlich an, wenn die SPD am selben Tag - übrigens auch in derselben Zeitung - verkündet, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen müßten als Dauermaßnahmen in den neuen Bundesländern
fest installiert werden. Das kann nicht funktionieren. Man kann nur immer wieder auf die Vorläufigkeit - etwas genauer ausgedrückt und etwas leiser ausgesprochen: auf die Hilflosigkeit - dieser Arbeitsmarktinstrumente hinweisen, weil sie nicht Arbeitsplätze schaffen, sondern nur eine Zwischenlösung sind, bis sich Strukturverbesserungen ergeben.
Kommen Sie bitte zum Schluß. Ihre Redezeit ist um.
Die Koalition ist entschlossen, diesen Reformweg weiter zu beschreiten. Die heutigen Zahlen und auch die heutige Debatte zeigen, daß sich, wenn auch langsam, eine Besserung abzeichnet.
Ich bedanke mich.
Ich erteile dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Dr. Norbert Blüm, das Wort.
Frau Präsidentin! Auch ich möchte meinem vertrauten Kollegen Sperling einen Gruß zum Abschied nachrufen.
- Zum Abschied aus dem Parlament. - Wir kennen uns seit vielen Jahrzehnten. Wir sind uns trotz unterschiedlicher Standpunkte in dem Ziel einig, für den Sozialstaat zu kämpfen. Ich habe an ihm immer die hohe Bereitschaft, dem anderen zuzuhören und im Dialog stärker zu werden, sowie seine Fairneß in Verbindung mit engagierter Vertretung des eigenen Standpunktes geschätzt. Das will ich hier ausdrücklich zu Protokoll geben.
Herr Dreher, da Sie vorhin meine Frage nicht zugelassen haben, will ich sie zu Beginn meiner Rede stellen. Erstens. Wie erklären Sie sich, daß Ihre Kollegin, Frau Ministerin Hildebrandt, gesagt hat, sie werde mit ABM-Mitteln zugeschüttet, wenn wir, wie Sie gesagt haben, angeblich alles zerschlagen? Wie erklären Sie sich, daß das Land Brandenburg zwei Monate gebraucht hat, um die Kofinanzierung für ABMMittel sicherzustellen? Zwei Monate haben Sie verloren! Deswegen stelle ich fest: Sie sollten die Zeit besser dafür nutzen, die Mittel, die angeblich zuwenig sind, schneller an den Mann oder an die Frau zu bringen.
Zweitens. Wenn Sie schon davon sprechen, die ABM-Mittel würden kurz und klein geschlagen, dann sollten Sie mir auch noch erklären, wieso im letzten Jahr Lohnkostenzuschüsse in Höhe von
Bundesminister Dr. Norbert Blüm
3,7 Milliarden DM nicht abgeholt wurden. Ich komme darauf noch einmal zurück.
Heute ist festzuhalten: Der Wind hat sich gedreht. Es gibt keinen Gegenwind mehr für den Arbeitsmarkt, sondern Rückenwind.
Die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland hat sich in diesem April um 202 700 außergewöhnlich stark verringert. „Das ist die stärkste Abnahme in einem April im wiedervereinigten Deutschland", so die Bundesanstalt für Arbeit. Im April der Vorjahre waren es nicht 200000 wie in 1998. Es waren von 1995 bis 1997 im Durchschnitt 124 000. Wer das nicht für eine gute Nachricht hält, der ist ein Miesepeter.
- Er kann auch Ottmar heißen. Es kann auch eine Frau sein, Ursula heißen und beim DGB beschäftigt sein. Er bleibt trotzdem ein Miesepeter.
Für die neuen Länder gibt das Statistische Bundesamt für Februar erstmals seit langem keinen Rückgang der saisonbereinigten Beschäftigung an. Im Westen gab es sogar eine Zunahme der Beschäftigung.
Ein weiterer Pluspunkt - ich will ihn in Erinnerung rufen - ist: Die Zahl der offenen Stellen ist emporgeschnellt. Es gab 341 000 Angebote im April. Das sind 26 Prozent mehr als vor einem Jahr.
Es gab 314 000 Vermittlungen der Bundesanstalt. Das sind 10,6 Prozent mehr. Die Zunahme war in den neuen Ländern wesentlich stärker als in den alten Ländern. Die Kurzarbeit ist zurückgegangen.
Ich interpretiere diese Zahlen nicht als einen Durchbruch und sage schon gar nicht - damit wir uns nicht mißverstehen -, das sei ein Grund zum Ausruhen. Ich sage nur: Der Wind hat sich gedreht.
- Die Richtung stimmt. - Die Gründe sind: Belebung der Konjunktur und Beitrag der Arbeitsmarktpolitik,
allerdings nur mit einem Anteil von 15 Prozent. Das
sage ich, damit Sie diese Zunahme nicht mit dem
Aufschwung auf dem zweiten Arbeitsmarkt erklären.
Siemens hat 10 000 Neueinstellungen angekündigt, Daimler Benz 5000, BMW 1000, Lufthansa 3500, Saab 3000, VW 3000, Commerzbank 1000, Aral 1000,
Rewe 4500. Damit bekommen Sie zwar die 4 Millionen Arbeitslosen nicht von der Straße, aber diese Zahlen sind ein Zeichen dafür, daß es nach einer Welle von Entlassungen, die ich so wie Sie bedaure, jetzt zu Einstellungen kommt. Das Handwerk hat Einstellungen angekündigt. Firmen - darüber ist heute morgen gesprochen worden - kehren aus dem Ausland zurück.
Ich halte auch die Vereinigung von Daimler-Benz mit Chrysler für einen Pluspunkt für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Im übrigen geschieht das nach dem deutschen Aktienrecht, also auch mit der Mitbestimmung; sie hat sich nicht als Standortnachteil erwiesen.
Kooperatives Management erkennt auch die Befriedungsfunktionen der Mitbestimmung an. Ein Miteinander ist mit Sicherheit nicht nur besser, sondern auch profitabler als ein Gegeneinander.
Die Reformen greifen, wenn auch - das gebe ich zu - mit großer Ungeduld meinerseits begleitet. Aber wenn ich sage, die Reformen greifen, muß ich auch erwähnen, daß manche noch gar nicht zur Wirkung gekommen sind. Beispielsweise bewirkt die Rentenreform eine Entlastung des Rentenbeitrags erst zu einem späteren Zeitpunkt.
- Herr Schreiner, Sie reizen mich wirklich. Ihr Kanzlerkandidat kündigt an: Zurücknahme der Reformen und Senkung der Beiträge. Herr Schreiner, erklären Sie mir einmal, wie Sie das machen wollen, mit weniger Geld mehr auszugeben!
Das klingt doch wie das Märchen vom Sterntaler: Gerhard Schröder in einem kurzen Hemdchen sammelt die Sterne auf und verwandelt sie in Gold. So können Sie Ihre Politik vertreten: Gerhard, der Sterntalersammler. Das ist doch wirklich unter Niveau!
Heute morgen habe ich gelesen: Scharping kündigt an, die Zumutbarkeitsregeln müßten verschärft werden. Die Zumutbarkeitsregelung haben Sie, Herr Schreiner, an dieser Stelle als den Untergang des Abendlandes bezeichnet, als wir das AFG beschlossen haben. Meinen Sie, Sie könnten uns für dumm verkaufen, Sie könnten hier mit Nein stimmen und draußen eine andere Meinung vertreten? Ich lasse mich nicht gerne auf den Arm nehmen.
Bundesminister Dr. Norbert Blüm
Sie können nicht auf zwei Hochzeiten tanzen: Schröder marschiert zu den Unternehmern, kündigt die größten Entlastungen an, und Schreiner schreit hier herum, wir wären der Sozialstaatkiller. Sie müssen sich schon entscheiden.
- Schreiner schreit nie. Gut, ich nehme meinen Satz zurück.
Der Arbeitsmarkt war ja auch das Thema auf dem europäischen Beschäftigungsgipfel. Herr Dreher, Sie sollten sich noch einmal Ihre Aussage, das, was wir zum Arbeitsmarkt vorgeschlagen haben, sei nur Papier, überlegen. Sechs Punkte, die wir für den Arbeitsmarkt vorschlagen - nach Gesprächen mit den Ländern; da müssen Sie Ihre Aussage korrigieren - sind das Ergebnis gemeinsamer Gespräche mit dem DGB, der DAG, der BDA und dem ZDH. Ich muß den DGB vor diesen Angriffen der SPD Brandenburg, man habe nur Papier produziert, ausdrücklich in Schutz nehmen. Sechs Punkte schlagen wir für den Arbeitsmarkt vor. Diese sind nicht - wie Frau Beck behauptet hat - vom SGB abgeschrieben. Ich komme gleich darauf zurück.
Zunächst einmal komme ich zu den europäischen Vorgaben. Als Meßlatte war vorgegeben, 20 Prozent der Arbeitslosen durch aktive Arbeitsmarktpolitik zu unterstützen. Bei uns waren es im letzten Jahr 28 Prozent. In diesem Jahr werden es noch mehr sein.
Für die Arbeitsmarktpolitik sind 40 Milliarden DM vorgesehen. Die Hälfte davon ist für die neuen Länder. Herr Dreher, sagen Sie es in Brandenburg weiter.
Wir verteilen die Arbeitsmarkthilfen im Verhältnis 1:1, obwohl das Verhältnis der Arbeitslosenzahlen 2 : 1 beträgt. Ich unterstütze diese Verteilung sehr; denn die Arbeitnehmer, Frauen wie Männer, haben es in Problemregionen ganz besonders schwer.
Ich sehe hier einige meiner Kollegen: Ich möchte mich für das Engagement der Abgeordneten aus der Koalition für die neuen Länder ausdrücklich bedanken. Sie waren Sprecher auch für diejenigen, die es ganz besonders schwer haben.
Wir unterstützen die ABM mit 600 Millionen DM für Sachkosten.
- Das steht nicht im SGB. Diese 600 Millionen DM
sind neu. Frau Beck, regen Sie sich nicht auf; das
steht nicht im SGB. Es sind 600 Millionen DM zusätzlich. Herr Dreher, wenn das nichts ist, dann verzichten Sie doch darauf. Dann tut es ja nicht weh. Es ist kein Verzicht, auf nichts zu verzichten. 600 Millionen DM für Sachkosten werden hier von Brandenburg zu nichts erklärt.
1,4 Milliarden DM stammen von der Kreditanstalt für Wiederaufbau.
Meine Damen und Herren, richtig ist, daß wir die Arbeitslosigkeit mit diesen Arbeitsmarktmaßnahmen nicht beseitigen. Immerhin werden mit Hilfe dieser Maßnahmen 1,28 Millionen Arbeitnehmer vor Arbeitslosigkeit bewahrt. Das sind 120 000 mehr als im letzten Jahr. Darüber sollten Sie nicht einfach hinweggehen und es zum Papiertiger erklären. Das sind Hilfen für 120 000 Arbeitnehmer, die sonst arbeitslos wären.
Wir stocken die Mittel - Frau Beck, auch das steht nicht im SGB - für schwer vermittelbare Jugendliche von 2,5 Milliarden DM auf 2,8 Milliarden DM auf. 350 Millionen DM mehr gehen in die neuen Länder. Zählen Sie einmal zusammen, was Sie mit großer Geste zu nichts erklärt haben.
Ich will hinzufügen: 850 Millionen DM zahlen wir zum großen Teil, damit Jugendliche den Weg zum Hauptschulabschluß mit Hilfe der Bundesanstalt für Arbeit geebnet erhalten. Das halte ich für einen Offenbarungseid der Schulpolitik der Länder. Ich will Bayern und Baden-Württemberg ausdrücklich ausnehmen.
Daß solche Maßnahmen notwendig sind, ist ein Armutszeugnis für die Länder. 110 000 Jugendliche benötigen Hilfe der Bundesanstalt, weil der normale Weg bei ihnen versagt. Das ist das Ergebnis einer ideologischen Politik, die die Hauptschule hat verkümmern lassen, die sie zum Stiefmütterchen erklärt hat.
Wir unterstützen mit dem DGB, mit der DAG, mit den Handwerkern, mit der BDA ein Programm für noch nicht ausbildungsfähige Jugendliche, und zwar nach dem Modell - in Hamburg von uns unterstützt -„Qualifikation und Arbeit für Schulabgänger". Wir wollen sozialversicherte Praktikantenstellen. Es geht darum, Jugendlichen, die nicht ausbildungsfähig, manchmal vielleicht auch nicht ausbildungswillig sind, die Brücke in das Erwerbsleben zu bauen. Die Alternativen dazu sind Drogen oder Kriminalität. Dieses Programm wird von uns mit 40 Millionen DM unterstützt.
Es ist kein Trost für uns - das wurde heute morgen schon gesagt -: Aber die Arbeitslosigkeit der deutschen Jugendlichen liegt bei 10,3 Prozent, während sie in Europa bei 20,9 Prozent, in Frankreich bei fast 30 Prozent, in Spanien bei fast 40 Prozent liegt.
Ich komme zum Langzeitarbeitslosenprogramm. Alles, was angeblich nichts ist, wird bis 2001 verlängert. Ich habe gerade gehört, Sie wollen das alles als
Bundesminister Dr. Norbert Blüm
Wahlkampf abtun. Das Jahr 2001 liegt hinter dem 27. September 1998. Wir machen keine Politik nur für 1998. Wir wollen denen helfen, die es ganz besonders schwer haben. Ausgabenreste von fast 300 Millionen DM werden eingesetzt. Wir können damit zusätzlich rund 25 000 Langzeitarbeitslosen helfen.
Ich komme zur Kooperation zwischen Sozialhilfe und Arbeitsverwaltung. Auch die Vermittlung wird unterstützt. Das Arbeitsamt zahlt für die Vermittlung schwer Vermittelbarer durch Dritte, beispielsweise Sozialämter, eine Prämie.
Die Existenzgründung wird insofern unterstützt, als ein Überbrückungsgeld für Arbeitslose gezahlt wird, die sich selbständig machen wollen, weil sich herausgestellt hat, daß es ein großes Hemmnis ist, aus dem sozialen Schutz herauszutreten, sich selbständig zu machen, dann nach kurzer Zeit zu scheitern und mit nichts dazustehen.
Es ist ein höchst erfolgreiches Programm. 169 000 waren es in den letzten zwei Jahren, dieses Jahr sollen es 100 000 sein, die gefördert werden. 83 Prozent waren auch nach einem Jahr noch selbständig.
Ein anderer Aspekt ist die Weiterbildung im Betrieb. Greifen Sie dies nicht an, sonst muß ich den DGB schützen. Alle diese Maßnahmen werden zusammen mit dem DGB durchgeführt, zum Beispiel die Weiterbildung im Betrieb auch für Ungelernte.
- Ist es gut oder nicht? Ist es nur Papier, wie Herr Dreher gesagt hat? Ist es nichts, wie Sie heute den ganzen Morgen erklären? Sind es sechs konkrete Punkte, die Sie unterstützen oder nicht?
Ich sehe auch am Ende dieser Woche, daß uns Europa hilft, auch auf dem Arbeitsmarkt. Ich habe den Anfang der Woche noch in Erinnerung. In 30 Jahren
- da bin ich sicher - wird niemand mehr wissen, wer der erste Präsident der Europäischen Zentralbank war. Wir werden auch nicht wissen, wie lange er amtiert hat. Aber man wird wissen, daß am 2. Mai 1998 ein neuer Zeitabschnitt für Europa begonnen hat.
Geld - ganz trivial - überwindet Grenzen. Das ist mir lieber, als 1000 Jahre Erfahrung mit Grenzüberwindung durch Gewehre, Panzer und Waffen.
Auch sehe ich, daß Europa eine soziale Funktion hat. Europa ist eine Stabilitätsgemeinschaft. Wir hatten Anfang der 80er Jahre 13 Prozent Inflation in Europa. Im letzten Jahr haben wir 1,6 Prozent Inflation mit sinkender Tendenz gehabt. In Deutschland beträgt sie 1,2 Prozent. Wir hatten einmal 7 Prozent Inflation im Jahre 1973/74. Fragen Sie einmal, wer damals regiert hat.
7 Prozent Inflation bedeuten 126 Milliarden DM Kaufkraftverlust, die den kleinen Leuten aus den Portemonnaie geholt wurden. 1 Prozent Lohnsteigerung bedeuten übrigens nur 10 Milliarden DM. Das ist ganz leicht erklärbar. Beim Preis besteht Stabilität zwischen brutto und netto. Bei der Lohnsteigerung liegen zwischen brutto und netto die Abgaben.
Um 7 Prozent Preissteigerung auszugleichen, brauchen Sie eine Lohnerhöhung von 12 Prozent. Ich sage - auch Theo Waigel verdient meinen Dank und Anerkennung -, daß wir eine soziale Politik betrieben haben, und zwar eine ganz geräuschlose und stille; denn die Inflation ist der Taschendieb der kleinen Leute.
Ich fasse meinen Beitrag, Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, zusammen:
Erstens. Der Wind hat sich gedreht. Er kommt als Rückenwind auf den Arbeitsmarkt. Wir sind noch lange nicht am Ziel.
Zweitens. Die Reformen greifen. Wir helfen, und zwar handfest, Jugendlichen und Langzeitarbeitslosen mit einem neuen Programm in Übereinstimmung mit den Sozialpartnern.
Drittens. Europa ist auch eine arbeitsmarktpolitische Chance.
Viertens. Die Stabilität ist ein großer sozialer Erfolg ohne viele Worte, Paragraphen und Gesetze.
Das Wort hat der Abgeordnete Ottmar Schreiner, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Beim Kollegen Blüm war wieder eine ordentliche Portion Demagogie im Spiel.
- Es ist richtig, daß die Arbeitsämter zur Zeit mehr Geld zur Verfügung haben, als dies noch im vorigen Jahr der Fall war. Es ist aber auch richtig, daß am 27. September in diesem Jahr Bundestagswahlen sind und daß die Beschlüsse der Bundesregierung eindeutig wahlkampftaktische Gründe haben.
Sie haben, Herr Blüm, in den letzten Jahren die Bedingungen für eine aktive Arbeitsmarktförderung so verschlechtert, daß wir allein in Ostdeutschland innerhalb eines Jahres auf Grund dieser verschlechterten Bedingungen der aktiven Arbeitsmarktinstrumente über 200 000 Arbeitslose mehr als vorher zu beklagen hatten. Jetzt machen Sie wieder das genaue Gegenteil, nämlich zickzack. Es sind Wahlen. Sie haben ganz schlechte Karten.
Ihre Beschäftigungsbilanz ist verheerend. Jetzt pumpen Sie kurzfristig aus wahltaktischen Gründen wieder Geld in die aktiven Arbeitsmarktinstrumente hinein.
So ist doch die Lage.
Ottmar Schreiner
- Fragen Sie doch die Fachleute der Bundesanstalt für Arbeit! In den letzten Jahren sind in großem Umfang Trägerstrukturen zusammengebrochen, weil Hunderttausende Menschen weniger durch die Instrumente des aktiven Arbeitsmarkts beschäftigt worden sind. Sie können doch nicht über Nacht diese weggebrochenen Trägerstrukturen wieder aufbauen. Das bedarf einer gewissen Zeit. Deshalb lautete die Kritik der Bundesanstalt an der Bundesregierung immer: Diese Stop-and-go-Politik macht eine vernünftige, auf lange Sicht ausgerichtete Arbeitsmarktpolitik völlig unmöglich.
Sie sind der Held dieser Stop-and-go-Politik. Sie erschweren die Arbeitsbedingungen der Arbeitsämter in einem nicht mehr nachvollziehbaren Maße. Und dann stellen Sie sich hierher und heucheln in Ihren Reden, wie Sie es eben getan haben.
Herr Minister, das paßt wirklich nicht zusammen.
- Nein, ich versuche, mich auf die Fakten zu konzentrieren.
Sie haben gemeinsam mit der F.D.P. in Anlehnung an den Beitrag des Kollegen Sperling als Ziel formuliert, den Gesamtsozialversicherungssatz auf unter 40 Prozent zu drücken. Wir haben hier immer wieder gesagt: Dabei finden Sie uns an Ihrer Seite.
Der Gesamtsozialversicherungssatz liegt inzwischen bei weit über 40 Prozent. Das heißt: Wenn es beim Kostenfaktor Arbeit Probleme gibt, dann hängt das doch damit zusammen, daß die Regierung dem Faktor Arbeit Finanzierungsprobleme an den Hals gebunden hat, mit denen er überhaupt nichts zu tun hat. Das ist der Grund.
Wir finanzieren so beispielsweise die deutsche Einheit. Ich habe zu denen gehört, die von Anfang an und immer wieder Solidarität mit den Menschen in Ostdeutschland eingefordert haben.
Herr Abgeordneter Schreiner - -
Ich möchte den Satz noch zu Ende führen, damit er weiß, was er fragen soll.
Mir hat aber bis zur Stunde niemand erklärt, warum wir seit dem Frühjahr 1991, möglicherweise auf Grund der Wahlkampflüge des Bundeskanzlers
von 1990- „Im Westen wird niemand auf etwas verzichten müssen" war der zentrale Inhalt -,
die größeren Lasten der deutschen Einheit über massiv gestiegene Lohnnebenkosten, sprich: Sozialversicherungsbeiträge, zahlen. Dadurch haben Sie den Faktor Arbeit belastet. Der Grund war nicht die Lohnentwicklung, die von den Gewerkschaften durchgesetzt worden ist. Wir hatten 1997 einen niedrigeren Reallohn als 1990. Das hängt wesentlich mit den zusätzlichen Belastungen zusammen, die der Faktor Arbeit über die Mehrheit in diesem Hause erfahren hat.
Bitte schön.
Das waren jetzt doch mehrere Sätze. - Bitte schön, Herr Bundesminister.
Herr Schreiner, ist Ihnen bekannt, daß der größere Teil der Verschiebung der Finanzierung von sozialen Ausgaben von der Steuer zu den Beiträgen von 1973 bis heute in der Zeit zwischen 1973 und 1980 stattgefunden hat? Es ist eine Verschiebung, von der ich genauso wie Sie glaube, daß man ihr entgegensteuern muß. Deshalb haben wir gemeinsam die Entlastung des Bundeszuschusses durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer beschlossen. Ist Ihnen bekannt, daß der größere Teil der Verschiebung in den sieben sozialliberalen Jahren erfolgt ist?
Man müßte zunächst einmal die F.D.P. zu Rate ziehen, wie sie die Frage beantworten würde.
Selbst wenn es so wäre, machte das die Sache nicht besser. Sie sind doch damals angetreten, um alles besser zu machen.
- Das sehe ich ja. Der Arbeitnehmer und die Arbeitnehmerin verzichten auf 42 Prozent ihres Bruttoeinkommens; denn so hoch ist der Gesamtsozialversicherungssatz.
- Ja, ja. - Diese dramatische Höhe hat er unter dem Bundesarbeitsminister Blüm erreicht.
Alle Ihre Zielvorgaben, ihn wieder unter 40 Prozent zu drücken, sind in den letzten Jahren ins genaue Gegenteil verkehrt worden.
Ottmar Schreiner
Sie haben zuallerletzt Grund, sich über diesen Zustand zu beschweren. Sie sind zentral ursächlich und verantwortlich für diese Entwicklung, Herr Bundesarbeitsminister.
Nun zum nächsten Punkt. Hier sind regelrechte Hurrareden auf die Entwicklung des Arbeitsmarktes in diesem Jahr gehalten worden. Sehen wir uns das Ganze etwas ruhiger an: Der Bundeswirtschaftsminister hat davon gesprochen, daß wir in diesem Jahr mit einer gesamtwirtschaftlichen Wachstumsrate von etwa 2,5 bis 3 Prozent zu rechnen haben. Wenn diese Prognose zutrifft, haben wir in diesem Jahr nicht mehr Beschäftigung, sondern weniger.
Die Beschäftigungsschwelle des Wachstums liegt in Deutschland bei knapp 3 Prozent. Und die Prognosen, die ich bisher vom DIW in Berlin und anderen gehört habe, sprechen auch für das Jahr 1998 im Schnitt, gemessen am Jahr 1997, von einem weiteren Anstieg der Arbeitslosigkeit. Es gibt also überhaupt nicht den geringsten Anlaß für Hurrarufe.
Wenn man eine Bilanz der beschäftigungspolitischen Arbeit dieser Bundesregierung zieht, so muß man feststellen, Herr Bundesarbeitsminister, daß die Bundesrepublik Deutschland innerhalb der Europäischen Union das einzige Land ist, in dem die Arbeitslosigkeit in den letzten Jahren von Jahr zu Jahr angestiegen ist. Der Anstieg von Arbeitslosigkeit ist keine Naturgesetzlichkeit. Die anderen Länder haben gezeigt, daß man Arbeitslosigkeit sehr wohl in deutlichen Schritten zurückführen kann. Die Holländer sind bei unter 5 Prozent, die Dänen sind von vormals 13 Prozent bei unter 7 Prozent angelangt. Nur in Deutschland ist sie von Jahr zu Jahr angestiegen. Also muß etwas mit den Rezepten nicht stimmen, die hier von der Bundesregierung angewandt worden sind.
Damit bin ich bei den Rezepten: Wenn Sie jemals eine Konzeption zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit gehabt hatten, dann waren es die berühmten 50 Punkte des Jahres 1996, also im wesentlichen Abbau von sozialen Schutzrechten der Arbeitnehmerschaft, Verschlechterung der sozialen Leistungen usw. Das war im Kern Ihr neoliberales Beschäftigungskonzept aus dem Jahr 1996.
Dieses Beschäftigungskonzept allerdings ist jämmerlich gescheitert. Kein anderes Land in Europa hat eine derart rigide neoliberale Angebotspolitik gemacht wie die Bundesrepublik Deutschland.
Sie haben damit die Beschäftigung in Deutschland an die Wand gefahren.
Nun möchte ich Ihnen als Beispiel etwas aus dem „Handelsblatt" zitieren; es ist ja nun wahrlich nicht verdächtig, sozialdemokratisches Gedankengut zu verbreiten.
Da heißt es am 3. April dieses Jahres unter der Überschrift „Lockerung des Kündigungsschutzes hat den Arbeitsmarkt nicht beflügelt":
Einstellungsbarrieren bei kleinen Betrieben wollte der Gesetzgeber 1996 durch die Lockerung des Kündigungsschutzes beseitigen. Der erhoffte Beschäftigungszuwachs blieb vor allem wegen der schwachen Binnennachfrage aus.
Das war immer unser Argument hier im Hause: Die Binnennachfrage ist zu schwach; wir müssen dazu beitragen, daß die Kaufkraft der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und ihrer Familien gestärkt wird.
- Das ist ein zentrales Projekt jeder großen Steuerreform. Das haben wir in diesem Hause immer wieder vorgetragen.
Jetzt sehen wir uns durch das „Handelsblatt" ausdrücklich bestätigt.
Im „Handelsblatt" heißt es weiter:
Mit einer Milchmädchenrechnung untermauerte die Bundesregierung auch 1996 die gegen den Widerstand der Gewerkschaften durchgesetzte Lockerung des Kündigungsschutzes. 500 000 Arbeitsplätze sollten allein im Handwerk dadurch entstehen, daß der Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes drastisch eingeschränkt wurde.
Ein paar Zeilen weiter heißt es:
Die 500 000 neuen Jobs im Handwerk jedenfalls hat es nicht gegeben. Statt dessen gingen 1996 und 1997 rund 135 000 Arbeitsplätze dort zusätzlich verloren.
Das ist die Bilanz, jetzt aus dem „Handelsblatt" zitiert.
Von daher kann ich jetzt resümieren: Eine ökonomisch-soziale Politik, die ausschließlich auf den Abbau sozialer Schutzrechte und auf weitere drastische Einschnitte in die sozialen Netze gesetzt hat, hat die Beschäftigung in Deutschland nicht nur nicht gefördert, sondern ihrerseits eine wesentliche Ursache für die hohe Arbeitslosigkeit geschaffen. Das ist die Bilanz Ihrer Regierungsarbeit in dieser Legislaturperiode.
- Nein. Herr Rexrodt hat eben auch den IG-MetallVorsitzenden Zwickel wegen seiner Überlegungen zur 32-Stunden-Woche kritisiert.
Ottmar Schreiner
- Seien Sie vorsichtig! Ich habe das Jahr 1985 sehr genau im Kopf. Damals hat die IG Metall den Einstieg in die 35-Stunden-Woche vorgeschlagen. Die Antwort des Bundeskanzlers war: „töricht, absurd und dumm" . Heute kann Ihnen jeder, der bis drei zählen kann, vorrechnen,
daß wir in Deutschland zusätzliche 1,5 Millionen Arbeitslose hätten, wenn es nicht zu den Arbeitszeitverkürzungen seit 1985 gekommen wäre.
- Das kann Ihnen jeder vorrechnen. Als Regierung wäre ich angesichts der Erfahrungen der letzten zehn Jahre außerordentlich zurückhaltend, wenn es darum geht, gewerkschaftliche Überlegungen im Bereich der Arbeitsumverteilung kritisch zu bewerten.
Ich habe die Beschäftigungsschwelle des Wachstums genannt; sie liegt bei knapp 3 Prozent. Wir liegen damit weit über den Beschäftigungsschwellen der anderen europäischen Länder. Sie können die Beschäftigungsschwelle in Deutschland entweder durch eine andere Arbeitszeitpolitik, durch Arbeitszeitverkürzungen und die Bereitstellng von mehr Teilzeitarbeitsplätzen, durch Zurückdrängung der sozialversicherungsfreien Minibeschäftigungsverhältnisse, die dramatisch zugenommen haben, oder auf der anderen Seite durch ein vermehrtes Angebot von personenbezogenen Dienstleistungen absenken, die sich einer Steigerung der Arbeitsproduktivität aus der Natur ihrer Tätigkeit heraus entziehen. Das sind die beiden denkbaren Strategien zur Absenkung der Beschäftigungsschwelle. Keiner der beiden Strategien bedienen Sie sich. Im Gegenteil, Sie reden gegen beide Strategien an.
Mein letzter Punkt sind die europäischen Beschäftigungsleitlinien. Die Regierung hat einen nationalen Aktionsplan vorgelegt, der - ich würde nicht von einem Papiertiger reden, sondern in diesem Punkt die Aussage des Kollegen Dreher zuspitzen - ein „Papiertigerchen" ist.
- Der DGB hat sich - wie ich das gesehen habe - öffentlich sehr wohl kritisch zu dem, was Sie präsentiert haben, geäußert.
Als oberstes Primat der Leitlinie, die auf dem Beschäftigungsgipfel in Luxemburg verabschiedet wurde, ist die Selbstverpflichtung der Regierungen der Mitgliedsländer anzusehen, innerhalb einer bestimmten Zeit dafür zu sorgen, daß jeder junge Mensch - ob Mann oder Frau - einen Ausbildungsoder Arbeitsplatz erhält. Das ist eine, wie ich finde, sehr ambitionierte Selbstverpflichtung. Das kommt nicht ganz von ungefähr. Wenn in Europa 5 Millionen Menschen unter 25 Jahren keinen Arbeitsplatz haben, wenn sie vom Zentrum gesellschaftlicher Aktivitäten ausgegrenzt werden, dann darf man sich nicht wundern, wenn der europäische Einigungsgedanke Schaden nimmt.
Also bietet es sich geradezu an, der jungen Generation ein neues europäisches Identifikationsprojekt zu geben, das lauten könnte: Wir, die europäischen Länder, trauen uns zu, mit dem Krebsgeschwür der Jugendarbeitslosigkeit fertig zu werden. Das ist der Inhalt der in Luxemburg verabschiedeten Leitlinie.
Herr Minister, es gibt in Deutschland 700 000 junge Leute unter 25 Jahren, die ausweislich der Untersuchungen des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung der Nürnberger Bundesanstalt weder einen Ausbildungsplatz noch einen Arbeitsplatz haben. Das sind knapp 18 Prozent der entsprechenden Jahrgänge. Also fast jeder fünfte junge Mensch in Deutschland hat weder einen Ausbildungsplatz noch einen Arbeitsplatz. Das sind die neuen Zahlen. Das sind dramatische Entwicklungen.
Die Analysen der Wahl in Sachsen-Anhalt haben jedenfalls ein Ergebnis gehabt: Der typische Wähler der rechtsradikalen Deutschen Volksunion verfügt in der Regel über drei Attribute: jung, männlich, arbeitslos. Damit bewahrheiten sich alle Analysen der Vergangenheit, die besagten: Soziale Ausgrenzung ist der Anfang von Armut; Armut ist immer auch die Mutter oder der Vater von Gewalt; soziale Ausgrenzung bedeutet rechtsradikale Gefahren. Die 6 Millionen Arbeitslosen des Deutschen Reiches von 1932 waren der soziale Anfang vom politischen Ende der Weimarer Republik.
Vor diesem Hintergrund muß ich sagen, daß Sie in der Tat ein Papiertigerchen anbieten. Sagen Sie uns, mit welchen Maßnahmen Sie in welcher Zeit wie viele hunderttausend junge Leute in Deutschland aus der Arbeitslosigkeit herausführen wollen. Das werden Sie nicht können, weil Sie es in Ihrem nationalen Aktionsprogramm nicht formuliert haben. Das ist die zentrale Schwäche dessen, was Sie uns hier vorgelegt haben.
Ich habe zu denen gehört, die in den letzten Jahren das Bemühen der Bundesregierung, die Stabilitätskriterien von Maastricht einzuhalten, verfolgt haben. Anfang der 90er Jahre hieß es: Die Stabilitätskriterien sind sehr ambitioniert. Die meisten Länder werden sie möglicherweise gar nicht einhalten können. Die Schlußbilanz hat gezeigt: Alle Länder haben sie eingehalten. Nun stellt sich für einen Sozialpolitiker - nicht nur für einen sozialdemokratischen - die Frage, ob nicht die großen Anstrengungen, die in Europa im Bereich des Geldes hinsichtlich der Stabilitätskriterien möglich gewesen sind, auch für arbeitslose junge Menschen möglich sind.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter?
Wir machen das noch; dann haben wir es hinter uns. Bitte schön, Herr Kollege.
Herr Kollege Schreiner, ich bedanke mich zunächst für Ihre Großzügigkeit. - Sie haben ja auf Europa abgehoben und haben dann das Thema Wochenarbeitszeit angesprochen. Wie erklären Sie sich eigentlich das Phänomen, daß in allen anderen europäischen Staaten die Wochenarbeitszeit länger als in Deutschland ist und daß in all diesen Staaten zugleich die Arbeitslosigkeit geringer ist? Gibt es denn überhaupt den Zusammenhang, den Sie so monokausal herstellen wollen?
Der Zusammenhang, den Sie suggerieren wollen, ist ebenso falsch wie der Zusammenhang, der von einem Ihrer Parteikollegen vor wenigen Tagen in bezug auf die Urlaubsregelung hergestellt worden ist. Er hatte gewissermaßen formuliert: Weniger Urlaub gleich mehr Beschäftigung. Wenn dieser Grundzusammenhang richtig wäre, hätten wir in den letzten Jahren in Deutschland eine von Jahr zu Jahr steigende Beschäftigung haben müssen. Denn die Arbeitskosten sind gesunken.
Im übrigen geht die Arbeitszeit genauso wie die Urlaubsregelung in die Lohnstückkosten ein. Heute morgen ist einleitend vom Kollegen Uldall vorgetragen worden, daß wir das einzige Land in Europa seien, in dem in den letzten Jahren die Lohnstückkosten gesenkt worden sind - im Gegensatz zu allen anderen Ländern. Deshalb stellt sich natürlich die rhetorische Gegenfrage: Was will uns der Meister lehren?
Nochmals: In den letzten Jahren hatten wir gesunkene Lohnstückkosten und steigende Arbeitslosigkeit. In allen anderen Ländern Europas war es umgekehrt. Das drückten die Zahlen des Kollegen Uldall heute morgen aus. Insoweit sollten Sie in sich gehen und versuchen, darüber noch einmal nachzudenken.
Ich will zum Schluß kommen und sagen: Eine Selbstverpflichtung der europäischen Mitgliedsländer, allen jungen Menschen wieder eine Lebens- und Arbeitsperspektive zu geben, wäre das mindeste, was man im weiteren Prozeß des europäischen Zusammenwachsens erwarten kann. Die Bundesregierung erweckt in der Tat zu Recht den Eindruck, daß
für sie das Geld wichtiger ist als die Menschen. Die Menschen werden Ihnen das verübeln.
Das Wort hat der Abgeordnete Karl-Josef Laumann, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, daß zunächst einmal alle hier im Hause froh sein sollten, daß in den letzten vier Wochen 200 000 Menschen in Deutschland einen sozialversicherungspflichtigen Job gefunden haben. Das ist doch eine gute Sache.
Auf diesem Weg müssen wir einfach weitergehen. Der Streit geht sicherlich darum, was wir verstärkend tun können, damit es auf diesem Weg noch schneller vorangeht. Meine Besorgnis ist - ich verfolge das hier seit acht Jahren -, daß zwischen dem, was allgemein bei der Opposition geredet wird, und Ihrem Verhalten, das Sie in den letzten acht Jahren in Abstimmungen gezeigt haben, ganz große Unterschiede liegen.
Wir haben 1993 hier im Deutschen Bundestag ein Arbeitszeitgesetz verabschiedet. Ich war bei diesem Gesetz damals Berichterstatter für die CDU/CSU-Fraktion. Wir haben uns damals entschieden, unter bestimmten Voraussetzungen eine leichte Öffnung der Sonntagsarbeit vorzunehmen. Vor allen Dingen hatten wir dabei die Textilindustrie im Kopf, in der wir hochkapitalisierte Arbeitsplätze haben, in der es Maschinenlaufzeiten von 144 Stunden in der Woche gibt.
Damals - ich habe es nicht vergessen - hat Ottmar Schreiner in der Debatte wegen dieser leichten Öffnung der Sonntagsarbeit gesagt, der KAB-Mann Laumann sei ein „Sonntagsschänder". Stellen Sie sich einmal vor, wir wären damals der SPD gefolgt. Wir hätten heute in Deutschland keine Textilindustrie mehr. Wir hätten heute in Deutschland keine Reifenindustrie mehr. Heute ist es so, daß selbst die Sozialdemokraten durch die Lande laufen und sagen, das, was damals beschlossen wurde, sei in Ordnung und sei ein Beispiel für die Flexibilisierung der Arbeitsmarktpolitik. Gerade Herr Clement in Nordrhein-Westfalen betreibt das ja in einer besonderen Schärfe.
Ich nenne ein weiteres Beispiel. Da wird von Ottmar Schreiner, auch in seiner heutigen Rede, der Anstieg der Lohnnebenkosten beklagt. Natürlich: Wiedervereinigung. Im nachhinein könnte man sagen - das gebe ich zu -, daß das eine oder andere vielleicht zu sehr über Sozialversicherungen finanziert worden ist. Wenn man das allerdings beim Thema Rente diskutiert, muß man schon sehen, daß auch alle jungen Leute in Ostdeutschland in unsere Rentenversicherung einzahlen
Karl-Josef Laumann
und daß wir ein Umlagesystem haben. Sie aber haben die hohen Lohnnebenkosten beklagt. Wir sind bei jedem Schritt, den wir in den letzten acht Jahren - solange ich hier bin - gegangen sind, wo wir umgeschichtet haben, wo wir auch eingespart haben, auf euren energischen Widerstand gestoßen.
Ich nenne einmal ein Beispiel. Wir haben uns entschieden, zu sagen: Wir müssen Zuzahlungen bei den Krankenkassen erhöhen, um Krankenkassenbeiträge zu stabilisieren und langfristig zu senken. Wir haben gesagt, daß Alleinstehende in Westdeutschland mit einer Rente unter 1 736 DM und Verheiratete mit einer Rente unter 2 387 DM überhaupt nichts zuzahlen müssen.
Im Osten sind die Grenzen bei 1 456 DM für Alleinstehende und 2 002 DM für Verheiratete. Man hat also - aus meiner Sicht sozialpolitisch richtigerweise - dafür gesorgt, daß arme Leute, Leute mit einer kleinen Rente, einer Witwenrente nicht zuzahlen müssen. Die anderen müssen zuzahlen. Wir sehen doch jetzt, daß wir zum erstenmal in Deutschland erleben, daß die Ausgaben für Arzneimittel bei den gesetzlichen Krankenkassen zurückgehen. Das hat damit zu tun.
In diesem Jahr werden gesetzliche Krankenkassen zum erstenmal die Beitragssätze senken können.
Und dann lese ich in Ihrem Warenhauskatalog, den Sie für den 27. September anbieten, daß man auch die Erhöhung der Zuzahlungen, die dies ermöglicht, wieder rückgängig machen will.
Dann sind da die Überlegungen zur Rente. Sie wissen doch genau so gut wie ich, daß die Lebenserwartung steigt; es ist etwas Schönes, daß die Menschen heute länger leben. Sie wissen genau so gut wie ich, daß im Jahre 2022 fast jeder Dritte über 65 ist. Dazu schreiben Sie in Ihrem Wahlprogramm, darauf mit einer demographischen Formel zu reagieren sei Quatsch; das bräuchten wir nicht.
Darauf will ich hinaus: Wenn Sie am 27. September die Wahlen gewinnen sollten, werden Sie, wenn Sie Ihr Wahlprogramm ernst nehmen, schon in den ersten Wochen Ihrer Regierungstätigkeit eine Erhöhung der Lohnnebenkosten herbeiführen.
Sie werden damit erreichen, daß Arbeit teurer wird, daß Schwarzarbeit zunimmt. Sie werden erleben, daß dann der positive Arbeitsmarkteffekt, den wir jetzt haben, wieder in sich zusammenfällt.
Letzter Punkt. Der große Unterschied in der Philosophie der Sozialpolitik, die wir in der Union machen, und der, die Sie machen, besteht darin, daß wir uns entschieden haben, nach bestem Wissen und Gewissen eine Politik unter dem Motto „Sozial ist, was Beschäftigung schafft" zu machen, während Sie das nicht akzeptieren wollen.
Ich will das an einem letzten Beispiel deutlich machen. Ich lese im Wahlprogramm der SPD, man wolle das Kindergeld um 30 DM erhöhen. Das kostet 5,5 Milliarden DM.
- Oder 4,5 Milliarden DM. - Sie schreiben nirgends, woher Sie das Geld nehmen wollen. Nun weiß ich wirklich, Frau Matthäus-Maier, daß es viele Familien mit Kindern gibt, die das Geld gut brauchen können. Ich würde auch mancher Familie diese Finanzspritze sehr gerne gönnen. Aber in der Abwägung bin ich der Meinung, wir sollten die Spielräume in den nächsten Jahren nutzen, um Steuern zu senken und Beiträge zu senken. Denn das Verteilungsproblem dreht sich nicht um die Frage, ob die Familien, wo Mann und Frau arbeiten, 30 DM mehr Kindergeld bekommen. Vielmehr muß ich mich jetzt um Familien kümmern, wo Vater oder Mutter oder, noch schlimmer, beide arbeitslos sind.
Das ist, finde ich, jetzt das sozialpolitisch Wichtige.
Es ist meine Auffassung, daß wir deswegen im konsumtiven Bereich zur Zeit leider nichts Neues machen können. Ich bin froh, wenn ich die Dinge halten kann, wie sie sind, und vielleicht in den bestehenden Haushalten Umschichtungen vornehmen kann, um zielgenauer vorzugehen. Eigentlich müssen wir entlasten - für mehr Investitionen, für mehr Arbeitsplätze auf dem ersten Arbeitsmarkt. Über diese Grundsatzfrage werden wir im Wahlkampf miteinander streiten. Es geht nicht nach dem Motto, der eine sei sozialer als der andere. Vielmehr kommt es jetzt sehr darauf an, dafür zu sorgen, daß die Menschen, die in unserem Land Arbeit suchen, auch einen Arbeitsplatz finden.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, wir machen jetzt keine Zwischenfrage mehr. Ich weiß, daß viele ihre Züge erreichen müssen.
Ich glaube, daß wir uns da als Union gut sehen lassen können. Denn Sie wissen genau so gut wie ich, daß die Probleme nicht über einen Sozialstaat zu lösen sind, sondern nur dadurch, daß man dafür sorgt, daß die Menschen auskömmliche Arbeit im eigenen Land finden, damit sie den Unterhalt ihrer Familien selber in die Hand nehmen können. Das ist Ziel unserer Politik.
Ich bin sehr damit zufrieden, daß in dieser Woche zum erstenmal 200 000 Menschen mehr Arbeit gefunden haben, darunter wahrscheinlich viele Väter und
Karl-Josef Laumann
Mütter von kleinen Kindern. Davon geht ein gutes Signal aus. Ich hoffe sehr, daß es im Mai, im Juni, im Juli, im August und im September so weitergeht. Dann sprechen wir uns im Oktober hier wieder.
Schönen Dank.
Ich erteile das Wort zu einer Kurzintervention der Abgeordneten Frau Ingrid Matthäus-Maier, SPD.
Herr Laumann, Sie haben mich in bezug auf die SPD-Forderung nach einer Anhebung des Kindergeldes für das erste und das zweite Kind von 220 auf 250 DM angesprochen. Sie haben gesagt, wichtiger als eine Kindergelderhöhung sei eine Steuersenkung.
Ich möchte erstens klarstellen: Die Anhebung des Kindergeldes ist technisch - so ist das in Deutschland - eine Steuerentlastung für die Familien mit Kindern. Bei uns werden etwa 95 Prozent der Familien mit Kindern über das Kindergeld und etwa 5 Prozent über den Kinderfreibetrag entlastet. Das ist also keine willkürliche Sozialleistung. Wer in Deutschland die Familien mit Kindern steuerlich entlasten will, muß dies durch die Anhebung des Kindergeldes tun.
Zweitens. Sie sagen, wichtiger als das Kindergeld sei für die Eltern, daß sie Arbeit haben. Eben hat Ottmar Schreiner aus dem „Handelsblatt" vorgelesen, das weiß Gott keine SPD-Postille ist. Darin steht, daß ein entscheidendes Problem in Deutschland die heimische Nachfrage sei. Der Export boomt, bei den Investitionen geht es auch. Das Hauptproblem ist, daß wir eine zu geringe Nachfrage haben.
Aber wenn ich den Familien mit Kindern Geld in die Hand gebe, können sie einkaufen. Diese haben noch sehr viele Bedürfnisse, die sie heute nicht stillen können, weil sie kein Geld in der Hand haben. Deswegen ist dies auch gut für die Schaffung von Arbeitsplätzen.
Bitte schön, zur Antwort, Herr Abgeordneter Laumann.
An Ihrer Intervention wird noch einmal der große Gedankenunterschied zwischen uns und Ihnen deutlich.
In der Beurteilung, daß viele Familien mit Kindern das Geld gut brauchen können, sind wir uns einig. Ich bin aber der Meinung, daß die größte soziale Ungerechtigkeit darin liegt, daß es zum einen Familien gibt, die es Gott sei Dank geschafft haben, in der unter Umständen sogar Vater und Mutter Arbeit haben, die damit ein gutes Einkommen erzielen und sich einen relativ hohen Lebensstandard erlauben können, und zum anderen Familien, die wenig oder kein Einkommen haben, weil ein oder beide Elternteile arbeitslos sind. Wenn ich einer solchen Familie helfen will, brauche ich einen Menschen in Deutschland - den nennt man Unternehmer -, der einen Arbeitsplatz schafft, damit diese Familie ein Einkommen erzielt.
- Dafür braucht er Nachfrage, aber in einer exportorientierten Wirtschaft auch Rahmenbedingungen, damit diese Nachfrage nicht nur durch ausländische Produkte befriedigt wird, sondern auch durch Produkte, die hier bei uns in Deutschland hergestellt werden.
Darüber können wir gerne streiten. Der Punkt ist nicht das Kindergeld. Das hält auch unsere Fraktion - auch ich - für wünschenswert. Das werden wir auch in einigen Jahren machen. Aber jetzt müssen wir erst die Probleme auf dem Arbeitsmarkt lösen. Wenn wir den wieder richtig am Dampfen haben - hier wird sich jetzt etwas tun -, werden sich die anderen Probleme viel leichter lösen lassen. Glauben Sie es mir!
Der Abgeordnete Gerhard Schulz hat darum gebeten, seinen Redebeitrag zu Protokoll geben zu dürfen. *) Sind Sie damit einverstanden? - Dann ist das in Ordnung, und wir können so verfahren.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. zu Investitionen in Deutschland, Drucksache 13/10182. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/8047 in der Ausschußfassung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und SPD gegen die Stimmen von PDS bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Interfraktionell ist vereinbart, den beschäftigungspolitischen Aktionsplan der Bundesrepublik Deutschland auf Drucksache 13/10510 an die in der Tagesordnung genannten Ausschüsse zu überweisen. Die Federführung ist jedoch strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. wünschen Federführung beim Ausschuß für Wirtschaft, die Fraktion der SPD wünscht Federführung beim Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union.
Ich bitte diejenigen, die dem Überweisungsvorschlag der Fraktion der SPD - Federführung beim Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen
') Anlage 2
Vizepräsidentin Michaela Geiger
Union - zustimmen wollen, um das Handzeichen. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist der Überweisungsvorschlag der SPD mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt.
Wer stimmt für den Überweisungsvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P.? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist der Überweisungsvorschlag mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung des übrigen Hauses angenommen.
Damit liegt die Federführung beim Ausschuß für Wirtschaft.
Der Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen auf Drucksache 13/10616 soll an dieselben Ausschüsse überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist auch diese Überweisung beschlossen.
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 18a und 18b auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Zerlegungsgesetzes
- Drucksache 13/10152 -
- Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes
- Drucksache 13/10151 -
Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses
- Drucksache 13/10636 -Berichterstattung:
Abgeordnete Heinz-Georg Seiffert Detlev von Larcher
Christine Scheel
Gisela Frick
Dr. Uwe-Jens Rössel
b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Datenermittlung für den Verteilungsschlüssel des Gemeindeanteils am Umsatzsteueraufkommen
- Drucksache 13/10343 -
Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses
- Drucksache 13/10635 - Berichterstattung:
Abgeordnete Heinz-Georg Seifert Volker Kröning
Christine Scheel
Gisela Frick
Dr. Uwe-Jens Rössel
Es wurde vereinbart, die Redebeiträge hierzu zu Protokoll zu geben. *) Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen, und wir kommen zur Abstimmung über die vom Bundesrat eingebrachten Entwürfe zur Änderung und Ergänzung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes und eines Zerlegungsgesetzes. Das sind die Drucksachen 13/10151 und 13/10152.
Der Finanzausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/ 10636, die Gesetzentwürfe zusammenzuführen und unter der Überschrift „Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Zerlegungsrechts und zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuerrechts" in der Ausschußfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und bei Enthaltung von SPD und PDS angenommen.
Dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Somit ist der Gesetzentwurf mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Datenermittlung für den Verteilungsschlüssel des Gemeindeanteils am Umsatzsteueraufkommen, Drucksache 13/10343.
Der Finanzausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/ 10635, den Gesetzentwurf unter der Bezeichnung „Entwurf eines Gesetzes zur Datenermittlung für den Verteilungsschlüssel des Gemeindeanteils am Umsatzsteueraufkommen und zur Änderung steuerlicher Vorschriften" in der Ausschußfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen des gesamten Hauses angenommen.
Dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen des gesamten Hauses angenommen.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 21 auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Wolfgang Börnsen , Ulrich Adam, Dietrich Austermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Paul K. Friedhoff, Jürgen Koppelin, Dr. Rainer Ortleb, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Wirtschaftliche Entwicklung des Ostseeraumes - Drucksachen 13/8674, 13/10140 -
') Anlage 3
Vizepräsidentin Michaela Geiger
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Gruppe der PDS vor.
Es wurde vereinbart, die Redebeiträge hierzu zu Protokoll zu geben. *) Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann können wir so verfahren.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/10660. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? -
*) Anlage 4
Damit ist der Entschließungsantrag mit den Stimmen der Koalition und der SPD bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und gegen die Stimmen der PDS abgelehnt.
Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind wir am Schluß der heutigen Tagesordnung angelangt.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 27. Mai 1998, 13 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.