Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die verbundene Tagesordnung um die Ihnen mit einer Zusatzpunktliste vorgelegten Punkte erweitert werden:
3. Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
a) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Verträge auf dem Gebiet der gewerblichen Lebensbewältigungshilfe - Drucksache 13/9717 -
b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege - Drucksache 13/10484 -
4. Weitere abschließende Beratung ohne Aussprache
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Gemeinsamer Standpunkt Nr...../98 des Rates vom 12. Februar 1998 im Hinblick auf den Erlaß der Richtlinie 98/.../EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über Werbung und Sponsoring zugunsten von Tabakerzeugnissen - Drucksachen 13/10487 Nr. 3.1, 13/10634 -
5. Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Vierten Gesetz zur Änderung des Hochschulrahmengesetzes - Drucksachen 13/8796, 13/9070, 13/9351, 13/ 9822, 13/10094, 13/10638-
6. Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz zur Reform des Güterkraftverkehrsrechts - Drucksachen 13/9314, 13/9437, 13/10037, 13/10291, 13/ 10639-
7. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der CDU/ CSU und F.D.P.: Haltung der Bundesregierung zur Rentendiskussion in der SPD vor dem Hintergrund der jüngsten Äußerungen des stellvertretenden IG Metall-Vorsitzenden Riester
8. a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Beförderung gefährlicher Güter - Drucksachen 13/10158, 13/ 10637 -
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr
- zu dem Antrag der Abgeordneten Gila Altmann , Albert Schmidt (Hitzhofen), Helmut Wilhelm (Amberg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Gefährdung durch Gefahrguttransporte minimieren
- zu dem Antrag der Abgeordneten Gila Altmann , Albert Schmidt (Hitzhofen), Helmut Wilhelm (Amberg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Gefährdung durch Gefahrguttransporte minimieren - Drucksachen 13/ 9449, 13/9849, 13/10637-
Von der Frist für den Beginn der Beratung soll, soweit erforderlich, abgewichen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Wir verfahren
SO.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 e auf: Wohnungspolitische Debatte
a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Wohngeld- und Mietenbericht 1997 - Drucksache 13/10384 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
Rechtsausschuß
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Gesundheit
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung über Maßnahmen zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit
- Drucksache 13/10141 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Gesundheit
c) Zweite und dritte Beratung des von dem Abgeordneten Klaus-Jürgen Warnick und der Gruppe der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung der wohngeld-
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
rechtlichen Regelungen - Wohngeldanpassungsgesetz
- Drucksache 13/8961 -
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
- Drucksache 13/9847 - Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Otto Wolfgang Spanier
bb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 13/10446 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dieter Pützhofen
Jürgen Koppelin Dr. Rolf Niese
Oswald Metzger
d) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zu dem Antrag der Abgeordneten Franziska Eichstädt-Bohlig, Andrea Fischer (Berlin), Gerd Poppe und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN
Änderung der Wohngeldverordnung zur
Neueinstufung Berlins in Mietenstufe IV
- Drucksachen 13/9664, 13/10379 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Otto Achim Großmann
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Achim Großmann, Wolfgang Behrendt, Marion Caspers-Merk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Verbrauchsabhängige Wasserkostenabrechnung
- Drucksache 13/8761—Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Zum Wohngeld- und Mietenbericht liegen Entschließungsanträge der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P., der Fraktion der SPD sowie der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Es beginnt Bundesminister Oswald.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir können eine hervorragende Bilanz unserer Wohnungs- und
Städtebaupolitik ziehen. Die Fakten im Wohngeld- und Mietenbericht 1997 belegen nachdrücklich: Die Wohnungsknappheit Ende der 80er/Anfang der 90er Jahre ist überwunden. Seit 1989 sind mehr als 3,4 Millionen Wohnungen neu errichtet worden.
Die Wohnraumversorgung in Deutschland, in Ost wie in West, ist so gut wie nie zuvor. Die Wohnfläche pro Kopf hat erheblich zugenommen, im Westen auf knapp 40 Quadratmeter, im Osten in nur sieben Jahren von 28 auf heute fast 34 Quadratmeter. Der Wohnungsmarkt hat sich vom Vermieter- zum Mietermarkt gewandelt. Der Mietanstieg in Westdeutschland hat sich gegenüber 1993 mehr als halbiert.
Die Wohneigentumsbildung ist weiter vorangekommen. In den alten Ländern wohnen 42 Prozent der Haushalte in Wohneigentum, in den neuen Ländern inzwischen schon rund 31 Prozent. Diese positiven Entwicklungen auf den Wohnungsmärkten wären ohne die Beiträge und Impulse der Bundesregierung nicht möglich gewesen.
Dank und Anerkennung verdient aber auch die Wohnungswirtschaft. Der gemeinsame Erfolg der Wohnungspolitik und Wohnungswirtschaft bestätigt: Die soziale Wohnungsmarktwirtschaft ist der beste Garant für eine gute Wohnungsversorgung.
Die Bundesregierung setzt mit Erfolg auf investitionsfreundliche und verläßliche Rahmenbedingungen für einen funktionierenden Wohnungsmarkt und auf eine sozial und wirtschaftlich wirkungsvolle Förderung für die am Markt Benachteiligten.
Die Wohnungspolitik für die neuen Länder ist das Erfolgskapitel der deutschen Einheit. Jeder zweite in den neuen Ländern lebt heute in einer besseren Wohnung als zur Zeit vor der Wende.
Die Überführung des ostdeutschen Wohnungswesens in die soziale Wohnungsmarktwirtschaft wurde reibungslos bewältigt. Der Übergang in das Vergleichsmietensystem vollzog sich erfolgreich. Eine Mietenpolitik mit Augenmaß und die soziale Flankierung durch umfangreiche Mittel im Rahmen des Sonderwohngeldes haben sichergestellt, daß besseres Wohnen in den neuen Ländern bezahlbar blieb und bleibt.
Meine Damen, meine Herren, die Einführung einer marktwirtschaftlichen Eigentumsordnung, die Altschuldenhilfe, die vielfältigen Förderprogramme des Wohnungs- und Städtebaus und die steuerlichen Erleichterungen brachten einen Investitionsboom von real über 360 Milliarden DM allein für die Wohnungsversorgung. Der Bund hat in den neuen Ländern bis einschließlich 1997 umfangreiche Hilfen an die Hand gegeben: zur Förderung des sozialen Wohnungsbaus knapp 7 Milliarden DM und für die Städtebauförderung fast 6 Milliarden DM. Im MW-Wohn-
Bundesminister Eduard Oswald
raummodernisierungsprogramm stehen jetzt zinsverbilligte Darlehen in Höhe von 70 Milliarden DM zur Verfügung. Die Ergebnisse sind beeindruckend.
- Tue Gutes und sprich darüber.
Mit knapp 620000 neu gebauten, rund 4,2 Millionen voll- und teilmodernisierten Wohnungen und einer Steigerung der Wohneigentumsquote von 24 Prozent auf nunmehr rund 31 Prozent haben sich die Wohnbedingungen und das Lebensumfeld seit Vollendung der deutschen Einheit grundlegend verbessert. Dies ist mehr, als selbst Optimisten vor dem Hintergrund der schweren Erblast von vier Jahrzehnten Planwirtschaft innerhalb weniger Jahre erwarten konnten.
Dies gilt auch für den Städtebau. Die Fortschritte in der Stadterneuerung sind für jedermann sichtbar. Das baukulturelle Erbe wurde weitreichend gesichert. In den Städten und Gemeinden entsteht eine lebendige Mischung von Wohnen, Handel, Dienstleistungen und Gewerbe, von Kultur- und Freizeitangeboten. Die Bürger in den neuen Ländern sowie die Wohnungs- und Bauwirtschaft haben in den vergangenen Jahren Großes geleistet. Dieser Aufbauleistung ist hoher Respekt zu zollen.
Umfassende direkte und indirekte Fördermaßnahmen der Bundesregierung haben in den neuen Ländern einen beispiellosen Bauboom mit hohen Beschäftigungseffekten ausgelöst. Wir alle wissen, daß dieser Bauboom natürlich nicht auf Dauer anhalten kann und Kapazitätsanpassungen unvermeidlich sind. Der Aufbau Ost wird beharrlich und mit Nachdruck weiter vorangebracht. Dafür hat die Bundesregierung mit einem zielgenauen Förderkonzept die Weichen gestellt.
Diese Legislaturperiode brachte für Deutschland durch unsere auf Angebotsausweitung gerichtete Förderpolitik, durch unsere Politik für eine nachfragegerechte Baulandausweisung und -mobilisierung, durch unsere Politik für mehr selbstgenutztes Wohneigentum, für Kostensenkung im Wohnungsbau, für Privatisierung und Deregulierung sowie durch unsere Politik für eine soziale Sicherung des Wohnens, für Fördergerechtigkeit, Fördereffizienz und für den sozialen Frieden eine positive Bilanz.
Die Eigenheimzulage ist in Ost und West wohnungs- und vermögenspolitisch ein großer Erfolg. Hinzukommen die erheblich verbesserte Bausparförderung, erhebliche Mittel für den sozialen Wohnungsbau und für das neuaufgelegte MW-Programm zur Förderung des Wohneigentums für junge Familien. Hier habe ich ganz persönlich Akzente gesetzt.
Die Genehmigungen stiegen in 1997 gegenüber dem Vorjahr um 10,6 Prozent, die Fertigstellungen
sogar um 14,3 Prozent. Sie sehen also: Der Bauminister steht nicht mit leeren Händen da.
Dem kosten- und flächensparenden Bauen haben wir erfolgreich zum Durchbruch verholfen. Die durchschnittlichen Kosten für ein Eigenheim beispielsweise sind um 7 Prozent gesunken. Der Markt ist angesprungen. Mieterschichten, die es sich bisher nicht leisten konnten, werden in die Lage versetzt, Wohneigentum zu bilden. Das ist eine großartige Sache.
Mit der Novelle des Baugesetzbuchs und des Raumordnungsrechts haben wir ein vereinfachtes, investitionsfreundliches, für ganz Deutschland einheitliches modernes Bau- und Planungsrecht geschaffen, das der Innenentwicklung der Städte Vorrang einräumt. Für die notwendige Mietrechtsvereinfachung haben wir wichtige Vorarbeiten geleistet,
die eine gute Grundlage für einen erfolgreichen Abschluß in der nächsten Legislaturperiode darstellen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, bei meiner Arbeit setze ich - auch dies will ich hier sagen - auch das von Klaus Töpfer Begonnene fort. Ich möchte ihm auch bei dieser Gelegenheit für seine Arbeit und für seine Leistungen sehr herzlich danken.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, diese Weichenstellungen von Bundesregierung und Koalition sind in manchen Teilen auch in konstruktiver Zusammenarbeit und im Einvernehmen mit Ihnen erfolgt. Um so mehr bedauere ich es, daß wir durch das Verhalten der Opposition bei Wohngeldreform und Wohnungsgesetzbuch nicht weiterkommen. Es ist ganz offensichtlich, daß Sie hier der Bundesregierung im Wahljahr keinen Erfolg gönnen, und dies, obwohl die Notwendigkeit und die Ziele dieser Reformvorhaben von niemandem bestritten werden, auch von Ihnen nicht.
Sie alle wissen, daß ich nach meinem Amtsantritt im Januar alle notwendigen Maßnahmen ergriffen habe, um die so dringend erforderliche gesamtdeutsche Wohngeldnovelle noch in dieser Legislaturperiode umzusetzen. Ich habe dazu Eckpunkte vorgelegt, die von der Koalition beschlossen wurden. Die Tabellenwohngeldempfänger wären dadurch spürbar bessergestellt worden. Um zumindest eine Anschlußregelung für das Ende 1998 auslaufende Sonderwohngeld in den neuen Ländern sicherzustellen, habe ich einen entsprechenden Verordnungsentwurf auf den Weg gebracht, und das Bundeskabinett wird ihn noch im Mai verabschieden.
Bundesminister Eduard Oswald
Wir haben den sozialen Wohnungsbau zu einem zukunftsweisenden Konzept der sozialen Wohnraumversorgung weiterentwickelt
und den Entwurf eines Wohnungsbauänderungsgesetzes vorgelegt. Eine stetige finanzielle Beteiligung des Bundes an der sozialen Wohnraumförderung ist sichergestellt.
Meine Damen, meine Herren, wir brauchen die Konzentration der Förderung auf bedürftige Haushalte anstelle einer Förderung breiter Schichten der Bevölkerung.
Wir müssen den vorhandenen Wohnungsbestand stärker zur Versorgung bedürftiger Haushalte nutzen.
Das starre Kostenmietrecht muß durch ein flexibles System der vereinbarten Förderung als Regelförderung ersetzt werden. Eine konsequente einkommens- und marktorientierte Ausgestaltung der Wohnkostenentlastung ist notwendig. Wir müssen die Stellung der Kommunen in diesem Bereich stärken. Dies sind nur einige Beispiele aus dem Konzept, das wir vorgelegt haben.
Wir werden uns von keiner dieser Zielsetzungen verabschieden. Wir werden die Reform des Wohnungsbaurechts und die Reform des Wohngelds in der nächsten Legislaturperiode neu einbringen und auch durchsetzen.
Mit diesen Reformvorhaben geben wir die Antworten auf die Herausforderungen der Zukunft. Unsere Leistungsbilanz bietet hierfür eine hervorragende Grundlage. Die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land können sich darauf verlassen: Bei uns ist die Wohnungspolitik in guter Hand.
Meine Damen, meine Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte die wohnungspolitische Bilanz dieser Legislaturperiode nicht schließen, ohne dem Kollegen Werner Dörflinger, der dem nächsten Deutschen Bundestag nicht mehr angehören wird, für seine verdienstvolle Arbeit als Vorsitzender des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zu danken.
Lieber Werner Dörflinger, Sie haben die Fachberatung im Ausschuß stets fair, konstruktiv und mit großem Geschick geführt und damit wesentlich zum Erfolg der Wohnungspolitik, auch zu der, die ich heute hier vorgetragen habe, beigetragen. Dafür sage ich
Ihnen, sicherlich im Namen aller, herzlichen Dank. Alles Gute.
Als nächster spricht der Kollege Achim Großmann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Kollege Oswald, Sie haben nach fünf Monaten schon die Hälfte Ihrer Amtszeit hinter sich. Deshalb sind wir etwas nachsichtig mit Ihnen, obwohl Sie heute sehr dick aufgetragen haben.
Eine zweite Vorbemerkung: Herr Dörflinger, Sie haben schon an unserem Applaus gemerkt, daß auch wir Ihnen sehr herzlich für die Zeit danken, in der Sie Vorsitzender des Bauausschusses waren. Sie haben diesen Ausschuß hervorragend geleitet und immer für eine faire Zusammenarbeit gesorgt. Auch von dieser Stelle: Herzlichen Dank!
Herr Oswald, in zwei Punkten kann ich Ihnen zustimmen; aber dann endet das Konsenspotential für heute morgen schon. Wir haben in der Tat zwei gute Reformen auf den Weg gebracht, und zwar das Eigenheimzulagengesetz und die Novellierung des Baugesetzbuches, obwohl wir bei letzterem sicherlich nicht das durchgesetzt haben, was wir durchsetzen wollten. Ich finde aber, es ist fair, hier anzumerken - es entspricht auch der Wahrheit -, daß das Eigenheimzulagengesetz zu 90 Prozent der Programmatik der SPD entsprochen hat und wir zehn Jahre gebraucht haben, ehe Sie den Weg mit uns gegangen sind und eine vernünftige Eigentumsförderung durchgesetzt haben.
Die wohnungspolitische Bilanz dieser Regierung ist beschämend. Wie vor vier Jahren hinterlassen Sie einen großen Reformstau:
neues Mietrecht: Fehlanzeige; Städtebauförderung: ein Torso; Fehlsubventionierungen im freifinanzierten Mietwohnungsbau: keine Initiativen der Regierung; sozialer Wohnungsbau: kaputtgespart und Reform verschenkt; Wohngeld: Wortbruch. - Das ist die nüchterne Bilanz Ihrer Regierungszeit.
- Da Sie diese Bilanz hinterfragen, sage ich Ihnen
einmal, was Ihr Kollege Kansy dazu in der „Hanno-
Achim Großmann
verschen Allgemeinen Zeitung" gesagt hat; dem glauben Sie vielleicht mehr als mir. Der Artikel macht auf: Es gibt Bilanzen, die lassen sich nicht schönen. Dann kommt das wörtliche Zitat von Herrn Kansy:
Wenn wir tatsächlich am Ende nur zwei von fünf Reformvorhaben umgesetzt haben, sieht die Bilanz der Wohnungspolitik nicht gut aus.
Das sagt ein Vertreter der Regierungskoalition.
Herr Großmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich möchte wie auch Herr Kollege Oswald im Zusammenhang reden.
Sie haben vier Redner; Sie haben hinreichend Gelegenheit, darauf einzugehen.
- Zu diesem angeblichen Vorwurf werde ich noch ausreichend Stellung nehmen, Herr Kansy. Deswegen brauchen Sie keine Zwischenfragen zu stellen.
Die Städte haben große Probleme; Konversionsflächen müssen zu Wohn- und Gewerbestandorten entwickelt werden. Wir brauchen eine sensible Stadtsanierung, um das Auseinanderfallen der Städte in arm und reich zu verhindern. Investitionen in eine ökologische Stadtentwicklung sind nötig, um das Ziel der Nachhaltigkeit zu erreichen. Die Städte sind alleine finanziell nicht in der Lage, diese Zukunftsaufgaben zu bewältigen.
Die Bundesregierung läßt die Städte alleine. Seit Jahren verweigert sie die notwendige Aufstockung der Städtebaufördermittel,
obwohl diese Mittel nicht nur fachlich geboten sind, sondern auch ökonomisch Sinn machen. 1 DM an öffentlichen Fördermitteln ergibt 7 bis 8 DM an privaten Investitionen. Dadurch entstehen Arbeitsplätze. Dadurch helfen wir der Bauwirtschaft, und sehr große Teile dieser Fördermittel fließen in Form von Abgaben und Steuern an den Staat zurück. Die Budgetinzidenz ist also sehr groß. Man faßt sich an den Kopf, warum Sie die Städtebaufördermittel in Westdeutschland mit 80 Millionen DM dahindümpeln lassen.
Das ist ein Beleg für die Bewegungsunfähigkeit Ihrer Regierung.
Meine Damen und Herren, groß angekündigt haben Sie eine Mietrechtsnovelle. Sie wollten den Vermietern und Mietern helfen, indem Sie das Mietrecht übersichtlicher und einfacher gestalten wollten. Auch diese Reform haben Sie nicht zu Ende gebracht. Die F.D.P. wollte kräftig draufsatteln und den Schutz der Mieterinnen und Mieter abbauen. Nach den Wünschen der F.D.P. gäbe es keinerlei Schutz vor Mieterhöhungen mehr, Umwandlungsfristen wären verkürzt, die Sozialklausel bei Eigenbedarfskündigungen aufgehoben worden.
Ihren internen Koalitionsstreit darüber haben Sie bis heute nicht beigelegt. Der Gesetzentwurf verstaubt in der Schublade.
Die steuerliche Förderung im Mietwohnungsbau treibt die Baupreise hoch und führt dazu, daß zuviel teure und zuwenig preiswerte Wohnungen gebaut werden.
Viele verdienen an diesem System: der Architekt durch ein höheres Honorar, der Bauunternehmer durch bessere Gewinne, der Makler durch eine höhere Courtage und der Käufer durch höhere steuerliche Abschreibungen. Verlierer sind die Mieter und die Steuerzahler. Unsere Versuche, den Unsinn zu beenden, mit Luxussubventionen Luxusbauten mitzufinanzieren, haben Sie immer abgewehrt.
Die Reform des sozialen Wohnungsbaus haben Sie in den Sand gesetzt. Selten ist ein Gesetzgebungsverfahren so tölpelhaft eingeleitet worden. Im ersten Entwurf wollte der Bauminister die Mieten für 2,5 Millionen Sozialwohnungen anheben. Im zweiten Entwurf will der Bund die Hauptlast der finanziellen Verantwortung den Ländern und Kommunen zuschieben. Zusätzlich wird der Versuch unternommen, die Länder in unerträglicher Weise zu gängeln. Obwohl die Länder 85 Prozent der Mittel für den sozialen Wohnungsbau bereitstellen, sollen Förderwege verboten werden, die sich aus Sicht einiger Länder sehr gut bewährt haben. Wer über die Köpfe der Länder hinweg regieren will, der darf sich nicht wundern, wenn diese nicht mitspielen. Wer wie Sie die Mittel für den sozialen Wohnungsbau mehr als halbiert, der darf sich nicht wundern, wenn sich die SPD querlegt.
Eine Reform des sozialen Wohnungsbaus ist ohne Wohngeldreform nicht durchzuführen. Bis heute gibt es keinen Gesetzentwurf für eine bundeseinheit-
Achim Großmann
liche Wohngeldnovelle, obwohl Sie das seit vier Jahren immer wieder versprochen haben.
Um so lächerlicher ist der Versuch, den Schwarzen Peter der SPD zuzuschieben. Wer hindert Sie eigentlich daran, frage ich die Mehrheitskoalition in diesem Hause, einen Gesetzentwurf für eine Wohngeldnovelle in den Deutschen Bundestag einzubringen? - Keiner hindert Sie daran - nur Sie selbst!
Sie allein tragen dafür die Schuld. Sie haben es bis heute nicht geschafft, diesem Hause einen Gesetzentwurf vorzulegen.
Seit Jahren streiten sich bei Ihnen - das ist die Realität - der Bauminister und der Finanzminister darüber, ob es überhaupt eine Wohngeldreform geben soll und wie sie denn finanziell auszustatten sei. Deshalb würde für den Wohngeldbericht, den Sie heute vorlegen, ein einziger Satz genügen: Das Wohngeld ist entgegen den Versprechungen von CDU/CSU und F.D.P. nicht angehoben worden; der Entwurf einer bundeseinheitlichen Wohngeldnovelle liegt bis heute nicht vor.
Für Ihren Finanzminister - das wissen wir - ist das Wohngeld eine finanzielle Spielmasse, die nach Belieben gekürzt oder erhöht wird. So haben Sie beispielsweise gegen besseres Wissen im Haushalt 1998 die Mittel für das Wohngeld deutlich zu niedrig angesetzt, nur um die Defizitkriterien des Maastricht-Vertrages erfüllen zu können.
Vor vier Jahren hat der damalige Bundesbauminister Töpfer den Finanzbedarf für eine Wohngeldreform auf zusätzlich 1,8 Milliarden DM Bundesmittel geschätzt. Im letzten Jahr hat er sich gar nicht mehr getraut, eine Zahl zu nennen. Herr Kansy hat noch im März 400 Millionen DM gefordert. Jetzt schlägt Herr Oswald eine Minireform in Höhe von 250 Millionen DM vor. Die Wohnungspolitiker von CDU/CSU und F.D.P. haben sich noch nicht einmal mit dieser Mindestsumme, die für eine Härtefallregelung gedacht wäre, gegenüber ihren Finanzpolitikern durchgesetzt.
An dieser Stelle möchte ich etwas zur Glaubwürdigkeit sagen. Wer wie die Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU und F.D.P. auf Fachtagungen immer das große Wort führt, aber hier im Parlament nicht überkommt, der macht sich auf Dauer unglaubwürdig.
Herr Oswald hat, weil er ja keinen vom Kabinett abgesegneten Gesetzentwurf hat, den Länderfinanzministern Eckwerte zugeschickt. Von den Bauministern wäre er mit diesem Papierchen gleich wieder nach Hause geschickt worden. Das Papier weist schwere Mängel auf. Nicht nur der Deutsche Mieterbund, sondern auch der Gesamtverband der Wohnungswirtschaft und die kommunalen Spitzenverbände haben diese Mängel offengelegt. Während die Bundesregierung noch so tut, als ob die Städte und Gemeinden damit nicht zusätzlich belastet würden, rechnen uns die kommunalen Spitzenverbände vor, daß es bei den Städten und Gemeinden bereits im ersten Jahr Mehrausgaben von 300 bis 400 Millionen DM geben wird. Also wieder keine Reform, wieder nur ein finanzieller Verschiebebahnhof.
Die Eckwerte sind so schlecht und weisen derartige Defizite auf, daß es keinen wundert, daß selbst die Koalitionsspitzen für diesen Vorschlag nicht gekämpft haben. In allen Interviews Ihrer Vorturner war die Rede vom wahrscheinlichen Scheitern dieses Vorschlages. Vielleicht haben Sie, Herr Bauminister Oswald, gutgläubig wie Sie sind, nicht gemerkt, daß Ihre eigene Regierung und Ihre eigene Koalition Sie mit dem untauglichen Verhandlungsvorschlag im Regen stehenlassen wollte. Mit ein bißchen Aktenstudium hätten Sie gleich feststellen können, daß Ihr Vorgänger bereits den gleichen Verhandlungsauftrag hatte. Die Länder sind verhandlungsbereit. Das belegt der Brief des Vorsitzenden der Finanzministerkonferenz, Herrn Minister Starzachers. Im Schreiben vom 28. April 1998 an den Bauminister heißt es, daß die Finanzminister -man höre und staune - bereits am 5. Dezember 1996 dem Bundesfinanzminister ihre Verhandlungsbereitschaft signalisiert haben. Dann heißt es weiter - ich zitiere das wörtlich -:
Der Bundesfinanzminister hat in den zurückliegenden 16 Monaten auf die Gesprächsbereitschaft der Finanzministerkonferenz nicht reagiert.
Das ist eine Tatsache.
Dann kommt ein weiterer entscheidender Hinweis:
Im übrigen käme eine Befassung der Länderfinanzministerinnen und Länderfinanzminister auf der Grundlage eines etwaigen von der Bundesregierung einzubringenden Gesetzentwurfs im Finanzausschuß des Bundesrates in Betracht.
Das wäre auch der normale Weg. Aber einen Gesetzentwurf gibt es bis heute nicht.
Wenn Sie heute behaupten, morgen könnten die Menschen mehr Wohngeld bekommen, dann ist das definitiv falsch.
Ihr Vorschlag zielt erst auf das Jahr 1999. Wahr ist: Die Menschen bekommen immer weniger Wohngeld, und das ist Ihre Schuld. Eine SPD-geführte Bundesregierung wird deshalb mit Nachdruck in kürzester Zeit eine wirkliche Wohngeldstrukturnovelle vorlegen. In unserem Regierungsprogramm heißt es dazu:
Wir werden das Wohngeld reformieren und es zu einem treffsicheren und familiengerechten Instrument einer sozialen Wohnungspolitik machen.
Achim Großmann
Diese Reform greift zu einem sehr frühen Zeitpunkt, so daß die wohngeldberechtigten Familien nur gewinnen können. Unser Gesetz wird den Namen „Reform" wirklich verdienen. So werden wir beispielsweise die Ermittlung des Einkommens im Bereich der Wohnungspolitik vereinheitlichen und vereinfachen, um Verwaltungsabläufe zu straffen. Wir werden die Zahl der Baualtersklassen verringern und die Mietenstufen überarbeiten. Beim Einkommen und den Höchstmietbeträgen werden wir die Entwicklung der letzten Jahre einarbeiten. Die Menschen können sich also darauf verlassen: Wir werden nach der Regierungsübernahme sehr schnell eine wirkungsvolle Strukturnovelle für das Wohngeld vorlegen, die den Menschen und den Familien wirklich hilft.
Der Wohngeld- und Mietenbericht 1997 zeigt, wie notwendig die Anpassung des Wohngeldes ist. In den neuen Bundesländern besteht die Gefahr von Mietpreiserhöhungen wegen Modernisierung insbesondere nach dem Wegfall der Kappungsgrenze von 3 DM. Der Mietenanstieg insgesamt liegt nach wie vor weit über der Inflationsrate. 1997 lag der Mietenindex 44,7 Prozent über der Inflationsrate. Der Index für Altbauwohnungen, die vor 1948 gebaut wurden, liegt noch deutlich über diesem hohen Durchschnittsindex. Das heißt nichts anderes, als daß die überdurchschnittlichen Preissteigerungen gerade bei preiswertem Wohnraum weitergehen.
Die Mietbelastung schließlich, Herr Braun, ist in den alten Bundesländern mit 25,1 Prozent auf Rekordniveau. Das ist ein Durchschnittswert. Wir alle wissen, daß die unterschiedlichen Haushalte unterschiedlich belastet sind. So haben zum Beispiel Haushalte mit einem Nettoeinkommen bis 2200 DM eine Mietbelastungsquote von rund 35 Prozent. Es ist leider so, daß diejenigen, die wenig verdienen, auch noch die höchste Mietbelastungsquote haben. Daran haben Sie nichts geändert, im Gegenteil. Wir wollen einmal kurz in die Vergangenheit schauen. Die Mietbelastungsquote lag im Jahr 1968 bei 13,1 Prozent, 14 Jahre später, im Jahre 1982, bei 13,5 Prozent. Heute, nach 16 Jahren Kohl-Regierung, liegt diese Quote mit 25,1 Prozent auf einem absoluten Rekordniveau.
Spätestens an dieser Stelle kommt der Hinweis auf die Nebenkosten, insbesondere die Gebühren. Ich bin froh, daß das Landesamt für Datenverarbeitung und Statistik des Landes Nordrhein-Westfalen seit drei Jahren sowohl einen Index für die Miete als auch einen Index für die Miete plus Nebenkosten ohne Heizung berechnet. Danach stand 1997 dem Anstieg der Nettokaltmiete um 2,9 Prozent ein Anstieg der Miete um 3 Prozent gegenüber. Das heißt nichts anderes, als daß der Anstieg der „kalten Nebenkosten" im vergangenen Jahr gerade einmal 0,1 Prozentpunkte des Mietenanstiegs ausgemacht hat. Mietpreistreiber Nummer eins sind deshalb nicht die Nebenkosten, sondern die Steigerungsraten bei den Mieten.
Natürlich wollen auch wir, daß die Nebenkosten nicht so stark steigen wie in den letzten Jahren und sich zu einer zweiten Miete ausweiten. Deshalb stellt die SPD - dies beraten wir heute auch - einen Antrag zur verbrauchsabhängigen Wasserkostenabrechnung. Kosteneinsparungen sind in erster Linie dann zu erzielen, wenn es unmittelbar verbrauchsabhängige Abrechnungen gibt. Dann kann jeder seine eigenen Kosten individuell beeinflussen.
Die SPD wird in den nächsten vier Jahren dafür sorgen, daß es wieder mehr bezahlbare Wohnungen gibt und daß die Lebensqualität in unseren Städten und Gemeinden steigt.
Wir werden neue Akzente setzen. Kostensparendes Bauen, der Abbau überflüssiger Subventionen, die Förderung genossenschaftlicher Wohnformen und eine stärkere Berücksichtigung von Umweltschutz und Energieeinsparungen stehen im Vordergrund. Mit einem Sonderprogramm werden wir die speziellen Probleme der Großsiedlungen angehen. Eine spürbare Verbesserung der Wohnsituation ist notwendig, um Kindern und Jugendlichen das Gefühl der Geborgenheit zu geben und die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger in diesen Wohnquartieren zu erhöhen. Für den frei finanzierten Mietwohnungsbau wollen wir verläßliche und berechenbare steuerliche Rahmenbedingungen. Aber Luxusförderungen werden wir beenden.
Das Wohneigentum in den Ballungsgebieten muß besser gefördert werden. Mit einer neuen Städtebauförderung werden wir dafür sorgen, daß die Wohnsituation der Menschen in ihren Stadtteilen verbessert wird. Wir wollen lebendige Zentren und Stadtviertel mit guten Einkaufs-, Dienstleistungs-, Freizeit- und Kulturangeboten. Eine SPD-geführte Bundesregierung wird dafür sorgen, daß die Zahl der Sozialwohnungen wieder steigt. Wir werden das soziale Mietrecht im Interesse der Mieterinnen und Mieter gegen alle Angriffe verteidigen sowie - ich habe das schon ausgeführt - das Wohngeld reformieren und zu einem treffsicheren, familiengerechten Instrument der sozialen Wohnungspolitik machen.
Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, Sie haben Ihre Chance auf weitreichende Reformen im Wohnungsbau leider nicht genutzt. Die SPD wird ihre Chance nutzen und dafür sorgen, daß sich Innovation und soziale Gerechtigkeit auch in der Wohnungspolitik durchsetzen.
Vielen Dank.
Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Dr. Dietmar Kansy.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Sache wird gleich Werner Dörflinger antworten.
Ich finde es schon absurd, nach dem, was der Minister hier vorgetragen hat, als Opposition eine Bilanz des Erfolges ziehen zu wollen, obwohl wir die beste Wohnungsmarktsituation seit vielen, vielen Jahren haben.
Herr Kollege Großmann, Sie haben mich dreimal persönlich angesprochen. Es gibt viele Zeugen, und zwar nicht nur in diesem Saale, sondern auch in der Fachwelt - beispielsweise die Fachjournalisten -, die belegen können: Wir haben zum Anfang dieser Legislaturperiode in einer hervorragenden Atmosphäre gemeinsam Gesetze erarbeitet - ich will sie nicht alle aufzählen -, die uns eine ganze Menge hätten voranbringen können.
- Frau Matthäus-Maier, es ist absurd, zu argumentieren, auch die SPD sei dafür, daß zwei plus zwei gleich vier ist.
Wir haben vom Bereich der Eigenheimzulagen bis zum Bereich der Mietenüberleitung in den neuen Bundesländern alles gemacht. Es lief hervorragend, die anderen Vorhaben waren auf dem Weg - bis zu dem Tag, als Herr Lafontaine beschlossen hat: In diesem Lande hat nichts mehr zu laufen, bis wir die Wahlen gewonnen haben.
Die rotgrüne Mehrheit im Bundesrat hat sich geweigert, überhaupt in die Detailberatung einzutreten bei einem Gesetzesvorhaben, an dem früher noch SPD-Fachminister mitgearbeitet haben und über das sämtliche Verbände gesagt haben, man müsse zwar noch über das eine oder andere Detail reden, aber das sei ein hervorragender Ansatz.
Als das Gesetz in den Bundestag zurückverwiesen wurde, sagte Herr Großmann: Auch wir verweigern uns einer Detailberatung. Die Bundesregierung muß erst einmal Eckpunkte für das Wohngeld vorlegen. - Dann haben Minister Oswald und Minister Bohl - und damit die Bundesregierung - Eckpunkte für das Wohngeld vorgelegt, und trotzdem haben Sie sich einer Beratung wiederum verweigert.
Stillstand in der Wohnungspolitik. Lafontainesche Ergebnisse auch bei Mieten und Wohnen. Das ist die Wahrheit, und nichts anderes.
Herr Großmann.
Ich glaube, die Reaktion unseres Kollegen Kansy hat gezeigt, daß wir mit unserer Kritik voll ins Schwarze getroffen haben.
Es gibt wirklich nichts Absurderes, Herr Kollege Kansy - um einmal Ihren Begriff aufzunehmen -, als jetzt von Lafontainescher Blockadepolitik zu reden. Ich habe Ihnen in meiner Rede vorgehalten, daß Sie die Novellierung des Mietrechtes nicht hinbekommen haben - Sie haben das selber blockiert; das liegt noch heute bei Ihnen in der Schublade -,
daß Sie die Mittel für die Städtebauförderung nicht aufgestockt haben. Letzteres war sogar ein Vorschlag von Herrn Repnik, den er nicht durchgesetzt hat - sozusagen auf der Zielgeraden -, ein Vorschlag, um noch einmal Investitionen anzuschieben.
Ich werfe Ihnen vor, daß Sie im frei finanzierten Mietwohnungsbau weiterhin Luxussubventionen für Luxuswohnungen zulassen. Sie wollen doch nicht ernsthaft behaupten, daß das auf Blockade der SPD zurückzuführen ist. Sie versagen in der Wohnungspolitik. Dafür tragen Sie völlig allein die Verantwortung, Herr Kansy.
Keine Angst, Herr Schäuble: Ich habe mir meine Antworten nicht aufgeschrieben.
Ich will nur zwei Journalisten zitieren. Die „Süddeutsche Zeitung" schreibt zur „Wohngeld-Show":
Die Koalition will eine große Reform, schafft aber nicht einmal den ersten Schritt auf dem Weg dorthin.
Das sagen die Fachjournalisten. Sie sagen nicht, daß wir blockieren.
Die „Frankfurter Rundschau" schreibt in einem Kommentar:
Auf dem Programm dieser Legislaturperiode
stand auch die Reform des sozialen Wohnungs-
Achim Großmann
Baus. Ohne verbessertes Wohngeld bleibt sie stecken. Die Koalition hat ihr Pensum nicht geschafft.
Das schreiben die Fachjournalisten.
Da das auch die Menschen draußen erkennen, werde ich überhaupt kein Problem haben, ihnen in den nächsten Wochen und Monaten klarzumachen, daß eine vernünftige, sozial gerechte Wohnungspolitik, in der es wieder Reformen geben kann, nur mit einer SPD-geführten Regierung möglich ist.
Vielen Dank.
Es spricht jetzt die Kollegin Frau Eichstädt-Bohlig.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister Oswald! Ich will mich mit meinem Beitrag auf das Mietenproblem beschränken. Aber lassen Sie mich vorab angesichts des aktuellen Schlagabtauschs eine Bemerkung machen.
Die Sicherung bezahlbaren und menschenwürdigen Wohnraums gehört zu den Kernaufgaben eines Sozialstaats.
Wie die Arbeitsmarkt-, Renten- und Gesundheitspolitik braucht unsere Wohnungspolitik wirklich grundlegende Reformen und nicht nur quantitative Angebotsausweitung. Insofern spricht die eine Seite dieses Saales von einer ganz anderen Wohnungspolitik als die andere.
Sie von der Koalition beschäftigen sich mit quantitativer Wohnangebotsausweitung und mit den Wohnproblemen derer, die eine überdurchschnittliche Miete zahlen können.
Unser Problem ist, daß wir preiswerte Wohnungen erhalten und sichern müssen für die Schichten, die unterdurchschnittliche Einkommen haben. Um diese Wohnungspolitik müssen wir angesichts der Einkommensentwicklung - stagnierende und sinkende Realeinkommen - und angesichts der hohen Arbeitslosigkeit ringen. Ich bitte Sie dringend, dieses Thema ernst zu nehmen.
Es wird in der nächsten Legislaturperiode neben der Arbeitslosigkeit ein zentrales Problem sein, daß die Menschen nicht eine Wohnung anmieten können, die 15 oder 16 DM pro Quadratmeter Miete
kostet. Es reicht nicht, daß die Miete von 20 DM auf 16 DM pro Quadratmeter sinkt. Die Menschen brauchen Wohnungen, deren Miete bei 8 DM pro Quadratmeter oder sogar darunter liegt. Das ist die Aufgabe, die sich uns stellt und die wir lösen müssen.
Insofern muß ich ganz deutlich sagen, Herr Minister Oswald: Sie haben das eben alles als Erfolgsstory dargestellt. Mich erschreckt es, daß Sie das als Erfolg darstellen. Mir ist völlig klar: Wir haben eine quantitative Ausweitung des Wohnangebots; das will ich nicht bestreiten. Im Gegenteil: Das ist sehr gut; das hat im oberen Preissegment deutliche Entlastungen gebracht. Aber es hilft nicht den Menschen, die auf Mieten im unteren Preissegment angewiesen sind.
Wir haben Überangebote, wir haben Leerstand. Das wissen wir alles; das steht im Mietenbericht. Aber im Endeffekt bedeutet das, daß jetzt das Ende der Fahnenstange erreicht ist, daß Sie den Menschen nicht noch mehr Miete aus der Tasche ziehen können. Von daher müssen wir uns den ernsten Botschaften des Mietenberichts zuwenden. Das sind drei zentrale Aussagen.
Die erste Aussage ist, daß die Mietbelastungsquote in Westdeutschland von 20,5 Prozent im Jahre 1990 auf 25,1 Prozent im Jahre 1996 gestiegen ist. Inzwischen liegt die Quote noch höher. Das heißt, allein in diesen wenigen Jahren ist die Quote um ungefähr 5 Prozent gestiegen.
Auch in Ostdeutschland liegt die Quote schon bei knapp 20 Prozent. Diese Mietbelastung - und das ist nur der Durchschnitt - geht an die Grenze der Belastbarkeit der Menschen.
Bei Einpersonenhaushalten liegt die Quote bei über 28 Prozent. Einpersonenhaushalte, die Wohngeld empfangen, haben eine durchschnittliche Belastung von 33 Prozent nach Wohngeld. Was denken Sie eigentlich, wie es den Leuten geht, deren Belastung über dem Durchschnitt und deren Einkommen unter dem Durchschnitt liegt?
Über welche Menschen reden wir denn hier? Ich denke: Diese Zahlen sollten Sie ernst nehmen.
Die zweite Aussage ist: Die durchschnittlichen Bruttokaltmieten liegen in Westdeutschland bei 10,95 DM pro Quadratmeter. Das sind praktisch 11 DM. Das ist für die Durchschnittsverdiener zuviel. Im Osten liegen die Warmmieten - für den Osten gibt es die andere Zahl nicht - bei 9,90 DM, also bei praktisch 10 DM. Das ist für die Ostdeutschen zuviel. Wenn es jetzt nicht zu Problemen beim Übergang ins Vergleichsmietensystem in Ostdeutschland gekommen ist, liegt das ganz einfach daran, daß den Menschen eine höhere Miete überhaupt nicht zumutbar ist, da diese sonst aus den Plattenbauten in die Neu-
Franziska Eichstädt-Bohlig
bauten im Umland ziehen, die durch den Bevölkerungsrückgang insgesamt auch leerstehen. Insofern kann man das nicht als großartigen Erfolg bezeichnen, sondern muß endlich die dahinterstehenden Probleme anerkennen.
Die dritte Aussage, die politisch von Bedeutung ist, ist: Seit 1983 liegt die Mietenentwicklung regelmäßig deutlich über der Inflationsentwicklung. Das Problem, über das wir hier reden müssen und für das wir die Verantwortung tragen liegt im Mietrecht. Das Mietrecht ist so, wie es konstruiert ist, praktisch ein Mieteninflationsgesetz. Es ist absurd, daß wir einen Bundeskanzler haben, der ständig „Stabilität" predigt, aber wir als Parlament ein Gesetz vorgeben, das die Mieteninflation regelrecht zum sich selbst immer weiter antreibenden Mechanismus macht.
Nein - nicht nur! Dieser Mechanismus ist an seine Grenzen gekommen. Deswegen fordere ich - nicht von Ihnen, Herr Kansy, von Ihnen erwarte ich gar nichts, nachdem Sie die Mietrechtsreform in dieser Legislaturperiode praktisch nicht zustande gebracht haben - von der Opposition und hoffentlich künftigen Regierung, vor allem von der SPD, in der nächsten Legislaturperiode ein Mietrecht auf den Weg zu bringen, das nicht nur Vereinfachungen bringt, sondern das den Ausgleich zwischen Mieter- und Vermieterinteressen neu definiert. Das heißt, wir müssen von der Kappungsgrenze von jetzt 30 Prozent in drei Jahren herunter. Die Mieter verkraften eine derartige Weiterentwicklung der Mieten nicht.
Daher werbe ich bei der SPD und auch dem Mieterbund, in diese Richtung wirklich aktiv und engagiert zu wirken. Beim Wohngeld sind wir uns weitgehend einig, auch wenn wir unterschiedliche Vorstellungen über die Finanzierung haben. Auch bei der Wohnungsbaureform sind wir uns an vielen Stellen einig. Aber ich denke, daß es auch beim Mietrecht sehr wichtig und sinnvoll wäre, daß die SPD an der Dämpfung der Mietenentwicklung aktiv mitwirkt. Das brauchen wir bei den Einkommen, die nach den Lohnabschlüssen auch in Zukunft zu erwarten sind.
Danke schön.
Als nächster spricht der Kollege Hildebrecht Braun.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Großmann, Sie zeichnen ein so düsteres Bild von der Realität in unserem Land, daß ich mich frage, ob wir noch vom selben Land Deutschland sprechen.
Wie kann es sein, daß ein Oppositionssprecher, der die Situation der letzten vier und acht Jahre beobachtet, zu einem derartig falschen Ergebnis, zu einer solch falschen Bewertung der Ist-Situation kommt?
Richtig ist doch, daß Herr Oswald heute bei der Präsentation seiner Eröffnungsbilanz die Chance hatte, von großen Erfolgen zu berichten, wie übrigens auch sein Vorgänger vor vier Jahren.
Nur wenige Minister haben die Chance, schon in ihrer Eröffnungsrede von großen Erfolgen zu berichten. Die meisten müssen erst einige Jahre etwas leisten, bevor sie davon reden können.
Wohnungspolitik gehört nicht mehr zu den wichtigsten Politikfeldern. Als Wohnungspolitiker könnte man darüber traurig sein. Aber in Wirklichkeit ist das ein gutes Ergebnis. Die Wohnungspolitik dieser Koalition und ihrer Regierung seit 1990 war und ist so erfolgreich, daß sich das zentrale Thema für alle Menschen aus der Zeit der 80er Jahre und der 90er Jahre, nämlich die Angst um die eigene Wohnung und die Angst davor, die Wohnung nicht mehr bezahlen zu können, bundesweit verflüchtigt hat.
Es ist so, daß wir nur allzuleicht Negatives vergessen und uns an Erfolge gewöhnen. Noch 1989 bis 1991 stiegen die Mieten bei Neu- und Wiedervermietung um je 10 Prozent. Dann kam die ,, Schwaetzer-Kur" , die zwar zu Protesten von Mieterverbänden und der SPD führte, die aber wirkte, und zwar zugunsten der Mieter.
Jetzt verzeichnen wir überall in Deutschland sinkende Mieten. Das ist Marktwirtschaft, die leider von vielen immer noch nicht verstanden und von manchen auch bewußt mißverstanden wird.
Noch 1992 mußten wir bei den Mietertagen in München Karten ausgeben, zuteilen, weil die Räumlichkeiten die Massen nicht bewältigt haben, die zu diesen Tagen kamen. Jetzt kommen nur noch alte Kämpfer, die aus Solidarität mit dem Mieterbeirat die ersten drei Reihen besetzen. Das ist auch ein Erfolg vernünftiger Wohnungspolitik.
Seit 1990 wurden in Deutschland etwa 4 Millionen neue Wohnungen gebaut, sicherlich nicht von der Bundesregierung, aber auf Grund der Anreize, die von dieser Koalition beschlossen wurden. Wenn jemand weiß, wie teuer das Gut Wohnung ist und wie gering auch die Rendite für den Investor ist, der eine neue Wohnung baut und sie vermietet, so ist das ein schier unglaubliches Ergebnis. Wenn man weiter bedenkt, daß der Investor für eine Mietwohnung eine Rendite von 2,5 Prozent bis 3 Prozent erlöst und dann diese sehr kleine Verzinsung noch nicht einmal - wie auf dem Sparbuch oder beim Kauf festverzinslicher
Hildebrecht Braun
Papiere - ruhig und unproblematisch, gesichert und ohne Aufwand einstreichen kann,
sondern statt dessen Mieter zu betreuen hat, die um Mitternacht anrufen, weil der Nachbar Trompete bläst oder die Toilette verstopft ist oder eine Tür quietscht, dann verwundert dieser Boom im Wohnungsbau noch mehr.
Unser Konzept war und ist es, daß wir den Wohnungsbau so attraktiv wie möglich machen wollen, damit genügend gebaut wird. Denn genügend Wohnungen auf dem Markt sind der beste Mieterschutz.
Über sechs Jahre haben die Investitionsanreize ausgereicht. Ob dies allerdings weiter so sein wird, erscheint zweifelhaft. Der Einbruch beim Neubau von Mietwohnungen im Westen Deutschlands signalisiert nicht nur eine Marktsättigung, sondern auch, daß immer mehr Investoren vor den Risiken des Mietwohnungsbaus zurückschrecken. Der Rückgang ist auch eine Folge der Verschlechterung der Abschreibungssätze, der Abschaffung der Einheitswerte bei der Erbschaftsteuer und der höheren Grunderwerbsteuer. Noch verkraftet der Markt diese Veränderung. Ich warne aber davor, zu glauben, daß auch in Zukunft genügend Wohnungen zu einem erschwinglichen Preis in guter Qualität zu haben sein werden, wenn wir den Bau von Wohnungen, wenn wir die Immobilie insgesamt weniger attraktiv machen.
Ich erinnere daran, daß wir auch ohne Bevölkerungszuwachs jedes Jahr 40 Millionen Quadratmeter neuen Wohnraums benötigen, um den seit Jahrzehnten im wesentlichen unveränderten Anstieg der Nachfrage nach Wohnraum befriedigen zu können. Wenn wir auch in der Zukunft keine Wohnungsnot haben wollen, brauchen wir somit zirka 470 000 Wohnungen à 80 Quadratmeter jährlich.
Die Entscheidung, eine Mietwohnung zu bauen, hat aber nicht nur mit steuerlichen Dingen zu tun. Sie hat sehr wohl auch mit den Erfahrungen zu tun, die ein Vermieter mit dem geltenden Mietrecht macht. Dieses Mietrecht ist nicht nur unglaublich schwierig für Mieter und Vermieter geworden, so daß ohne Rechtsberatung kaum ein Mietvertrag abgeschlossen werden kann; das Mietrecht greift auch in das Verfügungsrecht des Eigentümers in nicht hinnehmbarer Weise ein.
Wenn der Bundesgerichtshof entschieden hat, daß Erben eines verstorbenen Mieters, die noch nicht einmal am Ort wohnen, die er noch gar nicht kennt, das Recht haben, in den Mietvertrag einzutreten, und sofort den vollen Mieterschutz für sich in Anspruch nehmen können, so stimmt mit dem geltenden Mietrecht etwas nicht mehr.
Wenn der Begriff der ortsüblichen Vergleichsmiete bisher noch so unklar ist, daß im Einzelfall nicht erkannt oder nur mit großem finanziellen Aufwand ermittelt werden kann, wie hoch die ortsübliche
Miete für eine ganz bestimmte Wohnung ist, andererseits aber der Gesetzgeber in § 5 des Wirtschaftsstrafgesetzbuches eine Bußgelddrohung von bis zu 100 000 DM für die Überschreitung dieses unklaren Wertes um 20 Prozent vorsieht, so werden hierdurch anständige Vermieter speziell von Altbauwohnungen nur allzuleicht kriminalisiert.
Wenn es der Gesetzgeber zuläßt, daß ein zwischen erwachsenen Bürgern unseres Landes geschlossener Mietvertrag einseitig durch Erklärung des Mieters in einen Vertrag von unbestimmter Dauer, die über mehrere Generationen gehen kann, umgewandelt werden kann, so ist das Privateigentum an Mietwohnungen in seinem Kernbereich ausgehöhlt. Eigentum ohne Verfügungsbefugnis hat mit Eigentum nicht mehr sehr viel zu tun.
Wir wollten dies ändern; das steht auch in unserer Koalitionsvereinbarung.
Die Koalition hat sich nach mehrmonatigen Beratungen einer Arbeitsgruppe im wesentlichen auf eine grundlegende Reform des Mietrechts verständigt. Daß diese Mietrechtsänderung dennoch nicht kam, hat der bayerische Ministerpräsident Stoiber zu verantworten, der, ohne Mitglied des Bundestages zu sein, offensichtlich einen erheblichen Einfluß auf das Verhalten eines Koalitionspartners hat. So wurde nicht nur der Koalitionsvertrag von der CSU in einem wichtigen Punkt gebrochen
und den Vermietern eine bedeutsame Verbesserung versagt. Zugleich wurde auch den Mietern die Chance genommen, überfällige erhebliche Verbesserungen zu ihren Gunsten zu bekommen, die nicht nur der Mieterbund, sondern auch der Bundesrat gewünscht hatte.
Nur allzuoft verweisen wir zu Recht auf die Opposition, insbesondere auf die SPD, die als Blockierer notwendiger Reformen dasteht.
Wir müssen aber zur Kenntnis nehmen, daß auch die CSU dann notwendige und richtige Reformen zugunsten von Mietern und Vermietern verhindert, wenn Stoiber und Beckstein wieder einmal deutlich machen wollen, wer in dieser bayerischen Partei das Sagen hat.
In einem Punkt, der für uns Liberale besonders wichtig ist, haben wir einen großen Erfolg gehabt, nämlich mit der Reform der Wohneigentumsförderung von 1995. Das war wahrhaftig ein großer Wurf, der dazu beigetragen hat, daß in den vergangenen Jahren und auch in diesem Jahr wieder der Neubau
Hildebrecht Braun
von selbstgenutzen Häusern und Wohnungen mit einer erheblichen Rate angestiegen ist.
Dies kommt nicht nur der Bauwirtschaft und den vielen Menschen zugute, die dort ihren Arbeitsplatz haben, sondern auch unserem Land, in dem die Eigentumsquote gesteigert werden konnte. Das ist ein gesellschaftspolitisches Ziel von großer Priorität.
Ich erinnere daran, daß wir auf Wunsch der F.D.P. das Baukindergeld von 800 DM auf 1500 DM angehoben und daß wir das Bausparen wieder attraktiv gemacht haben. Durch die Zulage, die nichts mehr mit der Höhe der zu zahlenden Steuern zu tun hat, geben wir den privaten Bauwilligen klare Kalkulationsgrundlagen. Das ist gerade in Zeiten großer Arbeitslosigkeit von ganz besonderer Bedeutung.
Daß auch in den neuen Bundesländern die Eigentumsquote gewachsen ist, freut uns besonders.
Hier haben nicht nur die steuerlichen Förderprogramme und das Eigenheimzulagengesetz geholfen; auch das Altschuldenhilfe-Gesetz hat sich hier positiv ausgewirkt. Hinzu kamen natürlich die niedrigen Zinsen, die wiederum Ausdruck einer soliden Wirtschaftspolitik sind.
Alte Bausubstanz zu bewahren und wiederherzustellen ist gerade für unsere Städte sehr wichtig. Hier hat die seit 1992 wieder mögliche Aufteilung von Miet- in Eigentumswohnungen geholfen, weil sie enorme Modernisierungsinvestitionen ausgelöst hat. Sie hat auch der Tendenz zu immer unausgewogenerer Zusammensetzung der Wohnbevölkerung in Innenstädten entgegengewirkt. Mittel der Städtebauförderung, die in den vergangenen Jahren ganz besonders und aus gutem Grund auf die neuen Bundesländer konzentriert wurden, haben die Kernstädte wieder strahlen lassen. Wer heute durch Leipzig, Dresden, Halle, Erfurt und viele andere Städte in den neuen Bundesländern geht, sieht, daß jedenfalls aus den alten Städten mit Hunderttausenden von Altbauten und wunderschönen Fassaden nach einer Zeit, die nur noch Chaos verhieß, wirklich wieder blühende Landschaften geworden sind.
Wer diese Veränderung nicht zur Kenntnis nehmen will, ist blind.
Hatten noch 1990 mehr als die Hälfte der Bürger in Ostdeutschland keine Toilette in der Wohnung, so hat mittlerweile die Mehrzahl der Wohnungen in diesen Ländern Bad, Heizung und Wärmeschutzfenster und damit einen Standard, der in vielen Westwohnungen noch nicht selbstverständlich ist. Im Wohnbereich zeigt sich der Aufschwung Ost mehr und besser als in den meisten anderen Bereichen.
Meine Damen und Herren, besonders hervorzuheben ist, daß diese Verbesserung für Millionen von
Menschen in den neuen Bundesländern ohne große Mietanstiege, sondern in verkraftbaren Schritten möglich war.
Das ist das Ergebnis einer Politik, die besagt, man müsse genügend Wohnungen auf den Markt bringen, damit es die Mietanstiege nicht gibt, vor denen viele zu Recht Angst haben. Wir sind auf diese Veränderungen stolz, und wir haben allen Grund dazu.
Ich möchte noch einiges zu den beiden Themen sagen, die uns gegenwärtig ganz besonders bedrängen, nämlich zur Wohngeldreform und zur Reform des sozialen Wohnungsbaus. Jeder Kundige weiß, daß die Mietobergrenzen des geltenden Wohngeldrechts viel zu niedrig sind. Dies gilt insbesondere in den teuersten Städten, wo die Mietobergrenzen zum Teil grotesk wirken. Wenn zum Beispiel jemand in München das Glück hat, eine Wohnung zu mieten, deren Quadratmeter 10,50 DM kostet - dies könnte man auch als das „große Los der Woche " bezeichnen -, dann bekommt er bei gleichem Einkommen und gleicher Familiensituation das gleiche Wohngeld wie derjenige, der auf dem Markt trotz heftigen Suchens keine Wohnung zu einem Preis von unter 17 DM pro Quadratmeter finden kann. Kann es richtig sein, daß wir bei der Wohngeldförderung - die wir im Prinzip loben, weil sie punktgenau und ohne Fehlsubventionierung fördert - demjenigen, der 70 Prozent mehr für seine Wohnung ausgeben muß, nicht auch mehr Wohngeld zahlen als demjenigen, der für seine Wohnung eine sehr günstige Miete zu zahlen hat? Der Reformbedarf ist überdeutlich.
Jedermann weiß auch, daß die Idee des Jahres 1991, ein pauschaliertes Wohngeld einzuführen und Berechnungskosten zu sparen - -
Herr Braun, Ihre Redezeit ist beendet.
Ich möchte zum Schluß kommen und folgendes deutlich machen: Die Wohngeldreform wird von der Opposition blockiert.
Ebenso wird die Reform des sozialen Wohnungsbaus von der Opposition blockiert. Erzählen Sie Ihren Wählern und auch den Mietern, wie Sie es rechtfertigen wollen, daß Sie selbst längst notwendige Veränderungen zugunsten genau dieser Wähler verhindern.
Es spricht jetzt der Abgeordnete Klaus-Jürgen Warnick.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn ich ohne zusätzliches fachliches Hintergrundwissen den Wohngeld- und Mietenbericht der Bundesregierung lesen und
Klaus-Jürgen Warnick
dazu die heutigen Debattenbeiträge der Regierungskoalition hören würde, dann bliebe mir nur eine Erkenntnis: Die Wohngeld- und Mietenpolitik der Bundesregierung ist eine einzige Erfolgsstory in Ost und West.
Wenn man Herrn Oswald zuhört, dann könnte man den Eindruck gewinnen, daß wir alle demnächst in einem wohnungspolitischen Paradies leben werden. Diese Schönfärberei kann ich nicht unwidersprochen hinnehmen.
Der Wohngeld- und Mietenbericht beschreibt noch eine Schönwetterlage, obwohl sich die Wolken der zyklisch wieder einsetzenden Verschärfung der Wohnungssituation mit wachsendem Wohnungsmangel und generell steigenden Mieten schon am Himmel zeigen. Darauf weist auch der Ring Deutscher Makler hin.
Ich möchte einiges von dem wiederholen, was meine Kollegin Eichstädt-Bohlig gesagt hat, weil es sowohl richtig als auch wichtig ist. Auch in den vergangenen Jahren ist die Wohnkostenbelastung der Bevölkerung erneut schneller gestiegen als die Kosten der Lebenshaltung im übrigen. Auch wenn dieser Anstieg im Vergleich zu den Vorjahren abgeschwächt ist, wird die unheilvolle Spirale nicht durchbrochen. Die Mietkostenbelastung liegt mittlerweile bei durchschnittlich 25 Prozent im Westen und bei 20 Prozent der Nettoeinkommen im Osten.
Der Prozeß der weiter steigenden Differenzierung der Bevölkerung in Arm und Reich, in oben und unten wird durch die aufgezeigte Entwicklung nur bestätigt. Es ist richtig, daß die Mieten im sehr hohen Bereich, die nur gut verdienende Menschen zahlen können, zum Teil beträchtlich gefallen sind. Was nützt dies aber den Mieterinnen und Mietern am unteren Ende der Einkommensskala, deren Mieten permanent weiter steigen? Herzlich wenig!
Das Wohngeld hat seine entlastende Funktion längst verloren. Im Westen ist es - das ist völlig unhaltbar - seit 1990 nicht mehr angehoben worden. 70 Prozent der wohngeldfähigen Haushalte zahlen deshalb wesentlich mehr Miete, als bei der Berechnung zugrunde gelegt wird. Koalition und SPD blokkieren sich mit gegenseitigen Schuldzuweisungen.
Das Verhalten der SPD läuft dabei nach folgendem Schema ab - auch wenn ich es nicht gerne tue, muß ich Herrn Kansy in diesem Punkt recht geben -: Mann meckert auf Bundesebene laut und beständig gegen die böse Bundesregierung, die den Menschen in Westdeutschland ein höheres Wohngeld verweigert, und die Finanzminister der SPD-regierten Länder sagen hinter vorgehaltener Hand: Aber bitte nicht so laut, daß wir tatsächlich eine Reform bekommen und diese dann zu 50 Prozent mitfinanzieren müßten.
Wir bleiben dabei: Wie schon in mehreren Anträgen gefordert, treten wir für eine gesamtdeutsche Wohngeldreform ein und sind gegen eine bloße Verlängerung des Sonderwohngeldes Ost.
Leider wird hier verschwiegen, daß diese Verlängerung bei Arbeitslosen und Geringverdienern trotzdem zu einer Kürzung führen wird.
Nach dem Einigungsvertrag sollte der Übergang Ostdeutschlands ins bundesdeutsche Vergleichsmietensystem unter Berücksichtigung der Einkommensentwicklung erfolgen. Das Ergebnis: Die Lebenshaltungskosten dort sind um 138 Prozent gestiegen, die Einkommen sind auf 157 Prozent gestiegen, dagegen sind die Mieten, Herr Braun, auf 469 Prozent gestiegen.
Der Bericht der Bundesregierung sagt aus, daß der Anstieg der Mietpreise von hohen Einkommenssteigerungen begleitet war.
Einkommenssteigerungen für die Arbeitslosen, deren Zahl von 1995 zu 1997 um 1 Million gestiegen ist?
Bei der ständig steigenden Zahl von Sozialhilfeempfängern und Dauerarbeitslosen hellen Durchschnittszahlen wenig. Wie ist sonst die im Osten enorm gewachsene Anzahl von Mietschuldnern, Räumungsklagen und Wohnungslosen zu erklären? Die Zahl der Wohnungslosen ist allein 1997 um 25 Prozent auf 66 000 gestiegen; 400 000 Haushalte haben Mietschulden; 15 000 Räumungsklagen sind bei den Gerichten anhängig. Alles Erfolgsstory Ost?
Der Leerstand in Ostdeutschland ist auf über 600 000 Wohnungen angewachsen. Hier wirkt vor allem die Kausalkette: Vernichtung von Millionen Industriearbeitsplätzen, dadurch erzwungener Wegzug von 1,3 Millionen Menschen, daraus resultierender Leerstand. Das ist keine Erfolgsstory der Bundesregierung.
Auch das verheerende Prinzip Rückgabe vor Entschädigung hat seinen Anteil an dieser unheilvollen Entwicklung. Wegen blockierter Instandhaltung ist Wohnraum in einer erheblichen Größenordnung weiter verfallen und unbewohnbar geworden. Alles Aufschwung Ost, Herr Braun?
Nach wie vor stimmen die Proportionen der staatlichen Förderung von Mieterinnen und Mietern auf der einen Seite und Eigenheimbauern und -käufern
Klaus-Jürgen Warnick
sowie Kapitalanlegern auf der anderen Seite nicht im geringsten.
Lassen wir die Fakten sprechen. Den Ausgaben des Bundes für Wohngeld, in diesem Jahr 3,5 Milliarden DM, und für den sozialen Wohnungsbau, 1,37 Milliarden DM als Verpflichtungsrahmen des Bundes im Jahre 1998, stehen über 5,5 Milliarden DM an Verlusten aus Vermietung und Verpachtung, also für die staatliche Subventionierung von Leerstand, gegenüber. Dazu kommen zwischen 14 und 15 Milliarden DM für die im Subventionsbericht versteckte Finanzierung des Eigenheimzulagengesetzes. Wenn ich zu den wohnungspolitischen Ausgaben für dieses Jahr die zirka 40 bis 50 Milliarden DM für die noch Jahre nachwirkenden Verpflichtungen aus der Sonder-AA Ost hinzurechne, komme ich auf das völlig unhaltbare Verhältnis von 5 Milliarden DM zu 70 Milliarden DM.
Ich habe hier die Erträge aus der Einkommensteuer in Deutschland für die letzten Jahrzehnte vorliegen: 1963 waren es 13 Milliarden DM, 1970 16 Milliarden DM, 1980 36 Milliarden DM, 1991 41 Milliarden DM. Dann kam die Sonder-MA Ost. Die Erträge betrugen 1993 noch 33 Milliarden DM, 1994 noch 25 Milliarden DM. 1995 waren wir wieder auf dem Stand von 1963 mit 13 Milliarden DM. 1996 waren es noch 11 Milliarden DM, für das vergangene Jahr werden 4,7 Milliarden DM geschätzt - es wurden also im vergangenen Jahr schon 40 Milliarden DM verschenkt -, und für dieses Jahr rechnen wir mit mehr Ausgaben als Einnahmen bei der Einkommensteuer. Da bekommen diejenigen, die sehr viel verdienen, noch etwas vom Staat geschenkt.
Das sind die Fakten. Jetzt können Sie verstehen, was ich mit falscher Prioritätensetzung meine. Das kann man mit Zahlen belegen.
Unser Antrag, das Eigenheimzulagengesetz endlich gerechter zu machen, indem Familien mit 20 000 DM steuerpflichtigem Monatseinkommen und mehr, die ja nun weiß Gott keine staatliche Förderung benötigen, endlich von der Förderung ausgenommen werden, ist erst gestern im Ausschuß von allen Fraktionen wieder abgeschmettert worden. Dies verwundert vor allem bei den Bündnisgrünen, die ähnliche Vorschläge schon seit längerem vorbringen,
und bei der SPD, der selbsternannten Mieterpartei, die Forderungen des Mieterbundes selbst nicht ernst nimmt bzw. nicht bereit ist, sie umzusetzen. Unsere Forderungen nach der Reduzierung der Kappungsgrenze bei der Eigenheimzulage auf 160 000 DM für Verheiratete und 80 000 DM für Alleinstehende ist, wie so oft, identisch mit den langfristigen Forderungen des Deutschen Mieterbundes. Dieses gestrige Verhalten läßt traurige Aussichten für Rotgrün im Herbst erwarten.
Ich habe mit nichts anderem gerechnet, als daß die Regierungsfraktionen weiterhin auf der Verschwendung von Steuermitteln für Besserverdienende bestehen. Dafür sitzen Sie hier; dies ist Ihre Aufgabe. Das Gesamtfazit Ihrer wohnungspolitischen Arbeit in dieser Legislaturperiode - Herr Großmann hat es ja schon gesagt - kann man nicht schönreden. Von fünf selbstgestellten Aufgaben haben Sie gerade einmal zwei erfüllt. Das war die Einführung des Eigenheimzulagengesetzes sowie die Reform des Bau- und Raumordnungsrechts. Beim Wohngeld, beim Mietrecht und beim Wohnungsbaureformgesetz war Fehlanzeige.
Ich habe bei meinem Sohn zu Hause nachgefragt: Gemäß den Kriterien für die Notenvergabe auf dem Gymnasium gibt es ganz klare Beurteilungen, Herr Kansy: 40 Prozent gleich vier von 15 möglichen Punkten ergibt als Note „Vier minus". „Setzen!", würde ich da sagen, oder hier sinnbildlich: Bei der nächsten Wahl abwählen!
Vielen Dank.
Es spricht jetzt der Kollege Werner Dörflinger.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meinungsforscher fragen die Bürger unseres Landes in regelmäßigen Abständen: Wo drückt Sie der Schuh, und auf welchen politischen Handlungsfeldern sehen Sie die Notwendigkeit, schnell etwas zu tun?
In der April-Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen aus Mannheim taucht unter allen genannten Themen das Thema Wohnungsversorgung nicht auf - übrigens seit Monaten nicht. Das bedeutet ja nichts anderes als: Die Bürger unseres Landes bestätigen, daß die Wohnungspolitik dieser Bundesregierung erfolgreich ist
und daß die Koalition trotz schwieriger finanzieller Rahmenbedingungen ihre Hausaufgaben erfüllt hat.
Die Zahlen und Fakten, die der Minister vorhin vorgetragen hat, bestätigen das. Ich schließe mich dem Dank an Klaus Töpfer an und sage dem neuen Bundesbauminister ausdrücklich unsere Unterstützung zu.
Zahlen und Fakten entschärfen aber auch die Nebelkerzen der Opposition, denn ihre Forderung nach mehr Geld ist nicht nur phantasielos, sondern
Werner Dörflinger
angesichts ihres Verhaltens in den Bundesländern auch doppelbödig.
- Frau Kollegin Fuchs, die Bundesländer haben in den Jahren von 1993 bis 1997 die Mittel für den Wohnungsbau um 7,36 Milliarden DM zurückgefahren.
Das ist das Vierfache dessen, was der Bund im Rahmen seiner Sparbemühungen kürzen mußte.
Herr Kollege Großmann, was die Städtebauförderung angeht, sage ich Ihnen: Als ich vor 18 Jahren in diesem Ausschuß tätig wurde, traf ich einen tüchtigen, von der SPD gestellten Bauminister, Dieter Haack, an, dem der Bundesfinanzminister soeben in einer konjunkturell außerordentlich schwierigen Situation ein Drittel der gesamten Städtebauförderungsmittel gekürzt hatte.
Die finanzielle Situation von damals ist angesichts dessen, was wir im Rahmen der Wiedervereinigung zu leisten haben, mit der heutigen Situation nicht vergleichbar. Also Vorsicht mit Vorwürfen angesichts der Tatsache, daß wir uns in bezug auf die Städtebauförderungsmittel bewußt darauf geeinigt hatten, sie auf die neuen Länder mit ihren riesigen Problemen zu konzentrieren! Das war eine Notwendigkeit.
Herr Dörflinger, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Eichstädt-Bohlig?
Ja.
Herr Dörflinger, darf ich Sie fragen, ob Sie mitbekommen haben, daß zumindest unsere Fraktion, meines Wissens in etwas anderer Form auch die SPD-Fraktion, nicht mehr Geld fordert, sondern die Umschichtung von Geldern, im wesentlichen die Umschichtung von derzeitigen Steuervorteilen und Begünstigungen im Bereich der Steuerpolitik zugunsten direkter Förderungen oder Bauzulagen? Insofern betreiben die Oppositionsparteien in Verbindung mit ihrer Wohnungspolitik eine sehr sorgfältige Sparpolitik.
Ungedeckte Wechsel auf die Zukunft sind keine sorgfältige Sparpolitik. Ich habe manchmal das Gefühl, daß die Wohnungspolitiker einer ähnlichen Versuchung erliegen wie die Frau Kollegin Ingrid Matthäus-Maier, die den
Eurofighter schon zehnmal vervespert hat, ohne daß sich daraus eine Perspektive ergibt.
Wir können über Sparvorschläge reden.
Ich erinnere mich aber an die Anträge, die im Rahmen der Haushaltsberatungen unserem Ausschuß vorlagen und in denen Forderungen ohne Deckungsvorschläge erhoben worden waren. Das ist ein entscheidender Punkt.
- Selbstverständlich. Ich komme gleich darauf zurück.
Die Wohnungspolitik hat einen notwendigen Beitrag zur Konsolidierung der Staatsfinanzen geleistet.
- Nicht überdurchschnittlich. - Sie hat - das ist heute noch gar nicht erwähnt worden - trotz des Zuzugs von Millionen von Menschen dafür gesorgt, daß ausreichend Wohnungen zur Verfügung stehen. Wir können nun in einen Wettstreit in puncto soziale Gerechtigkeit eintreten, der sich immer lohnt. Aber den Mietern nützt es nichts, wenn wir den Mangel verwalten. Wir müssen in erster Linie dafür sorgen, daß wir ein ausreichendes Angebot auf dem Wohnungsmarkt bekommen, weil durch den Sickereffekt das Preisniveau positiv beeinflußt wird.
Der Wohngeld- und Mietenbericht signalisiert, daß eine Trendwende insbesondere bei den Erst- und Wiedervertragsmieten eingetreten ist. Wir wären weiter, wenn wir nicht die wachsende Hypothek der zweiten Miete hätten. Ich finde es etwas oberflächlich, sich in der bisherigen Form mit dem Problem der zweiten Miete und der Gebührenpolitik in manchen Gemeinden und Städten auseinanderzusetzen. Das bedrückt die Mieter. Da muß man vor Ort schauen, ob das eine oder andere nicht übertrieben wird.
Ganz ohne Zweifel - da bestreite ich den Anteil der Opposition am Zustandekommen überhaupt nicht - ist ein Glanzlicht dieser Legislaturperiode das neue Eigenheimzulagengesetz. Die zweistelligen Zuwachsraten sind genannt worden. Aber wir sollten darauf sehen, daß wir diesem Eigenheimzulagengesetz durch eine bessere Verzahnung mit den Förderinstrumenten der Länder wirklich eine breite Dynamik sichern. Wir sollten unser eigenes Bemühen auch nicht konterkarieren, indem wir aus bestimmten ideologischen Ansätzen mit dem Stichwort „Land- und Flächenverbrauch" gegen das polemisie-
Werner Dörflinger
ren, was wir selber wollen, nämlich die Steigerung der Wohneigentumsraten.
Wir sollten vor allem darauf sehen, daß wir die Instrumente des neuen Bau- und Raumordnungsgesetzes für eine ausreichende Bereitstellung von Bauland nutzen. Es sind keine zusätzlichen Instrumente notwendig. Kommunale Phantasie ist gefragt.
Wir sollten auch daran erinnern, daß Wohneigentum für die Alterssicherung zunehmend an Bedeutung gewinnt.
Es wäre wünschenswert, ja dringend notwendig gewesen, die Reformen, die wir durchgeführt haben, durch eine grundlegende Reform des gesamten Wohnungsbaurechts abzuschließen und zu ergänzen; denn - das hat auch die Anhörung gezeigt - der Reformbedarf ist unbestritten. Wohnungsbau im Jahre 1998 ist etwas anderes als vor 40 Jahren. Wir haben es mit differenzierten Märkten zu tun. Wir haben die Problematik der Kostenmiete. Wir stehen vor der Notwendigkeit, die öffentlichen Mittel noch konzentrierter als bisher einzusetzen. Wir brauchen, weil wir differenzierte Märkte haben, eine stärkere Mitwirkung der Kommunen. Eigentlich war ein Angebot gemacht, auch seitens des Bundes; die Beteiligung des Bundes an den finanziellen Lasten war fixiert.
Angesichts dieser Tatsache - ich blicke jetzt auf die Bundesratsbank - halte ich das Verhalten der Mehrheit des Bundesrats für unglaublich, nämlich daß man sich bei einem Reformwerk weigert, überhaupt in die Detailberatungen einzutreten, und einfach sagt, das sei sozial ungerecht und darüber verhandele man nicht. Das ist ein schlechter Umgang mit dem anderen Verfassungsorgan; das muß ich ganz deutlich sagen.
Wenn sich das wiederholt, dann ist das ein Zeichen dafür, daß ein Verfassungsorgan umfunktioniert werden soll, und zwar in einen parteipolitischen Streit. Das ist schade für das Ansehen der Demokratie insgesamt.
- Ich komme gleich darauf! - Unsere Kolleginnen und Kollegen im Bauausschuß haben die Frage des Reformwerks mit der Frage Wohngeld verknüpft.
- Dazu komme ich gleich.
Obwohl es keinen sachlichen Zusammenhang gibt
- keinen formalen; Entschuldigung -, haben wir dieser Argumentation ein Stück weit Rechnung getragen; im Prinzip sind wir derselben Meinung. Wir sollten uns aber nicht davon abhalten lassen, den Blick darauf zu richten, daß es um dieses Reformwerk
geht, von dem Staatsminister Huonker a. D., SPD-Mann, gesagt hat, bei gutem Willen wäre eine Einigung in ein oder zwei Ausschußsitzungen möglich gewesen.
Wir haben für die Verknüpfung mit der Frage Wohngeld ein gewisses Maß an Verständnis gehabt und haben es heute noch. Ich sage: Die Verbindung ist nicht zwingend; aber sie wird auch von uns so gesehen. In der damaligen Anhörung ist auf eine konkrete Frage des Kollegen Großmann an die Runde der Sachverständigen der Zusammenhang betont worden; das ist völlig unbestritten.
Aber jetzt ist es dem Bundesbauminister in einer schwierigen Auseinandersetzung gelungen, vom Bundesfinanzminister 250 Millionen DM loszueisen, was bedeutet hätte, daß wir sowohl eine Reform in der Struktur als auch, was die Mittel angeht, hätten durchführen können. Das stößt nun auf die Totalverweigerung der SPD in Gestalt der Länderfinanzminister. Das ist unbegreiflich.
- Doch! Es stößt auch auf das starre Nein aus der Fraktion.
Das ist nicht sachgerecht. Das hat vielleicht etwas mit Wahlkampf zu tun nach dem Motto: Der Regierung wollen wir keinen einzigen Pluspunkt mehr gönnen. Denn es geht ja nicht nur um mehr Geld, zumal die Ausgaben für Wohngeld ohne Reform seit Jahren kontinuierlich steigen,
sondern es geht auch um Strukturen. Es geht um die Beseitigung von Verwerfungen zwischen pauschaliertem Wohngeld und Tabellenwohngeld. Zwei Drittel der Ausgaben - das betrifft 55 Prozent der Empfänger von Wohngeld - entfallen inzwischen auf pauschaliertes Wohngeld, mit steigender Tendenz.
Es geht auch darum, dafür zu sorgen, daß bei Bezug von pauschaliertem Wohngeld auf die preiswerteste Form der Unterbringung vor Ort zurückgegriffen wird. Auch das wäre ein Ziel gewesen.
Herr Dörflinger, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Iwersen?
Ja.
Herr Dörflinger, Sie wissen sicherlich, daß 250 Millionen DM in diesem Fall kaum eine Lösung bringen können. Ich frage Sie
Gabriele Iwersen
ganz konkret: Ist uns vielleicht entgangen, daß es irgendwo einen Kabinettsbeschluß gibt? Meines Wissens gibt es weder einen Kabinettsbeschluß noch ein Papier, das man als Gesetzentwurf bezeichnen könnte und mit dem man bei den Ländern um eine solche Veränderung des Wohngeldes werben könnte.
Frau Kollegin Iwersen, mein Informationsstand ist der, daß das Angebot von 250 Millionen DM mit dem Bundeskabinett abgestimmt ist und daß man auf dieser Grundlage vernünftige Sachberatungen hätte einleiten können. Sie haben sie verweigert, und gerade das ist mein Ansatz. Hätten wir das Angebot angenommen und im Ausschuß im Detail beraten, dann wären wir weitergekommen.
250 Millionen DM - der Bundesbauminister hat es vorhin gesagt - sind da. Wenn 250 Millionen DM von den Bundesländern hinzugekommen wären, hätten wir etwas erreicht.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Eichstädt-Bohlig?
Ja.
Franziska Eichstädt-Bohlig BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Dörflinger, ist Ihnen bekannt, daß die 250 Millionen DM nur die Hälfte des Geldes sind, das auf Bundesebene sowieso nötig wäre, um die Umsetzung des geltenden Wohngeldrechts in diesem Jahr überhaupt finanzieren zu können,
daß wir also praktisch insgesamt 1 Milliarde DM -500 Millionen DM vom Bund und 500 Millionen DM von den Ländern - allein dafür bräuchten, die geltenden rechtlichen Grundlagen voll erfüllen zu können, und daß insofern die 250 Millionen DM das Problem, das wir de facto haben, überhaupt nicht tangieren?
Frau Kollegin Eichstädt-Bohlig, zunächst einmal gehe ich davon aus, daß die 250 Millionen DM als zusätzliche Masse für eine Reform des Wohngeldes zur Verfügung gestanden hätten.
- Frau Eichstädt-Bohlig, wir wissen doch ganz genau,
wie sich das Wohngeld in den letzten Jahren über
überplanmäßige Ausgaben, insbesondere bei pauschaliertem Wohngeld, entwickelt hat.
Wir gehen davon aus, daß die 250 Millionen DM zur Verfügung gestanden hätten und wir darüber wegen Ihrer Verweigerungshaltung nicht diskutieren konnten.
Von der Forderung nach mehr haben doch die Wohngeldempfänger im Augenblick gar nichts. Bei uns hätten sie die konkrete Perspektive gehabt, daß die Wohngeldleistungen ab einem bestimmten Zeitpunkt um durchschnittlich 40 DM erhöht worden wären.
Im übrigen, Herr Kollege Großmann: Ihnen persönlich nehme ich das ab, wenn Sie sagen, Sie wollten dies tun. Aber Ihr Kanzlerkandidat hat doch alles unter Finanzierungsvorbehalt gestellt. Wer gibt Ihnen denn die Garantie, daß Wohngeld in einer riesigen Liste von Versprechungen ganz oben landet und als erstes realisiert wird?
Außerdem ist die Position der Länder gar nicht geklärt.
Herr Dörflinger, es gibt den Wunsch nach einer weiteren Zwischenfrage, und zwar von der Kollegin Rönsch.
Ja.
Herr Kollege Dörflinger, könnte es vielleicht ganz einfach daran liegen, daß die SPD-geführten Länder die Kofinanzierung von 250 Millionen DM nicht aufbringen wollen und sich deshalb verweigern? Erstaunt es Sie nicht auch, daß sich die Kollegen von der Opposition offensichtlich relativ wenig mit dem konkreten Vorschlag des Bauministers befaßt haben? Denn sonst hätten die Fragen, die eben gestellt worden sind, nicht kommen dürfen.
Ich stimme dem zu. In der Zeit zwischen Dezember 1996 und heute habe ich nicht den Eindruck gewonnen, daß sich die Länderfinanzminister gegenüber dem Bundesfinanzminister unwahrscheinlich abgestrampelt hätten, um Mittel loszumachen. Denn welcher Landesfinanzminister gibt im Augenblick schon gern Geld aus? Das
Werner Dörflinger
sollte man fairerweise hinzufügen. Insofern treffen Ihre Bemerkungen zu.
Meine Damen und Herren, eingeklemmt zwischen der personifizierten Unverbindlichkeit in Hannover und dem Crash-Spezialisten in Saarbrücken hat sich die SPD für den Geist entschieden, der stets verneint. Das entspricht nicht unserer Verantwortung. Herr Kollege Großmann, es entspricht aber auch nicht dem Geist unseres Ausschusses - das darf ich zum Schluß meiner Rede und auch zum Schluß meiner Tätigkeit hier in diesem Parlament sagen -, den Sie und Ihre Fraktion in der Zeit meiner Ausschußtätigkeit sehr positiv beeinflußt haben. Dafür will ich Ihnen trotz aller Meinungsverschiedenheiten danken, genauso wie ich dem gesamten Ausschuß für eine freundschaftliche und konstruktive Zusammenarbeit danken will. Die Erinnerung daran gehört zu den sehr positiven Seiten meiner 18jährigen Tätigkeit im Deutschen Bundestag.
Ich danke Ihnen herzlich.
Herr Dörflinger, ich möchte Ihnen auch von dieser Stelle aus ganz persönlich und im Namen des Hauses herzlich für die Arbeit danken, die Sie im Deutschen Bundestag und speziell in dem von Ihnen geleiteten Ausschuß geleistet haben. In aller Regel ist in der Öffentlichkeit wenig darüber bekannt, wieviel parlamentarische Arbeit - nämlich die entscheidende - gerade in den Ausschüssen geleistet wird. Es wird alles immer nur am Plenum festgemacht. Herzlichen Dank für Ihr Mitwirken.
Es folgt der Bausenator aus Hamburg, Eugen Wagner.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der vorgelegte Wohngeld- und Mietenbericht enthält einige grundsätzliche Feststellungen, von denen ich glaube, daß wir aus Ländersicht einiges dazu beitragen können, um die Dinge ins richtige Licht zu rükken. Unter anderem stellen Sie fest, daß die auf einzelnen Teilmärkten eingetretene Entspannung nicht mit einer generellen Marktsättigung gleichgesetzt werden darf. Sie gehen davon aus, daß die Nachfrage auch mittelfristig hoch bleiben wird. Wie wahr, aber diese Aussage sollte etwas differenzierter getroffen werden, so meine ich.
Seit Mitte der 80er Jahre haben sich zwar die Einwohnerzahlen der großen Städte stabilisiert; die Struktur der Bevölkerung aber hat sich dabei infolge der wirtschaftlichen und 'sozialen Entwicklung erheblich verändert. Die Städte und Ballungsräume
trifft die soziale Spaltung der Gesellschaft mit besonderer Härte.
Gerade in dem Segment des preiswerten Wohnungsmarktes sind die Anstrengungen des Bundes weiterhin unverzichtbar. Nur, der Rückgang der Wohnungsbauförderungsmittel von 3,7 Milliarden im Jahre 1994 auf 1,3 Milliarden DM im laufenden Jahr ist denkbar ungeeignet, um die Versorgung einkommensschwacher Haushalte mit bezahlbarem Wohnraum auf Dauer zu sichern.
Das ist ein weiterer Beweis dafür, daß sich die jetzige Bundesregierung in Wahrheit aus der Verantwortung seitwärts in die Büsche stiehlt.
Die Probleme, die sich aus dieser Entwicklung auf städtischen bzw. verdichteten Wohnungsmärkten ergeben, sind hinreichend bekannt. Um so mehr ist man über die von einigen liberalen Instituten zusammengetragenen Reformvorstellungen der Bundesregierung zum sozialen Wohnungsbau verwundert. Ihr Konzept der sozialen Wohnraumförderung begründen Sie vor allem mit der höheren Treffsicherheit und Förderungsgerechtigkeit.
Sie berufen sich dabei darauf, daß angeblich im Laufe der Zeit 40 Prozent der Bewohner von Sozialwohnungen über die Einkommensgrenzen hinausgewachsen sind. Falsch ist schon, daß diese Zahl auch jene zu Fehlbelegern stempelt, die nur wenige Mark über der Einkommensgrenze liegen. Vor allem aber, wenn man die Einkommensgrenzen viele Jahre lang nicht anpaßt, zuletzt vor vier Jahren - davor waren sie zwölf Jahre unverändert -, wächst man schon wegen der Geldentwertung über die Grenze hinaus,
ohne daß man tatsächlich mehr verdient.
Meine Damen und Herren, auf diese Art machen Sie Stimmung gegen die Fehlbeleger, die als Beweis für eine geringe Treffsicherheit bei der gegenwärtigen Förderung herhalten müssen.
Sie tun so, meine Damen und Herren, als gäbe es in Ihrer sogenannten sozialen Wohnraumförderung eine Fehlbelegung gar nicht mehr, und decken damit einen Grundwiderspruch Ihres Konzeptes zu.
Die Konzentration der Förderung auf die Allerbedürftigsten läßt sich eben nicht zusammenbringen mit der sozialen Mischung in den bestehenden und neuen Wohngebieten.
Dies haben Ihnen in der wünschenswerten Deutlichkeit auch die Vertreter und Verbände der Wohnungswirtschaft in allen ihren Stellungnahmen gesagt, jene also, die in der Praxis als allererste mit den Problemen einer schwierigen Bewohnerstruktur zu kämpfen haben.
Senator Eugen Wagner
Meine Damen und Herren, ich versage mir, auf das Wohnungsbaureformgesetz näher einzugehen, und verweise auf die Stellungnahme des Bundesrates, obwohl ich es schon für ziemlich frivol halte, wenn hier jemand sagt, die Länder hätten sich verweigert. Offensichtlich hat dieser Kollege aus dem Hause nicht mitbekommen, daß dafür immer Begründungen geliefert wurden. Wer sich hier verweigert hat, das ist offensichtlich nicht der Bundesrat. Die Unbeweglichkeit der Bundesregierung in den Grundsätzen ist Ursache dafür, daß es nicht weitergehen konnte.
Meine Damen und Herren, der Entwurf des Wohnungsbaureformgesetzes wird in seiner generellen Zielrichtung der wichtigen Rolle des sozialen Wohnungsbaus im Rahmen einer sozialen Marktwirtschaft nicht gerecht. Er ist in sich widersprüchlich und verfehlt die selbstgesetzten Ziele.
Ein Wort möchte ich zu dem Thema Genossenschaft sagen. Die Genossenschaftszulage, die an eine Eigentumsorientierung der Genossenschaft geknüpft ist, ist aus meiner Sicht eine eindeutige Fehlkonstruktion.
Mit der eigentumsorientierten Genossenschaft spalten Sie die in Jahrzehnten gewachsenen und wohnungspolitisch bewährten Wohnungsbaugenossenschaften.
Was wir heute brauchen, ist das wohnungspolitische Engagement von bestehenden und neuen Genossenschaften, die sich zu einer dauerhaften Vermögensbindung des genossenschaftlichen Eigentums bekennen. Gerade die Genossenschaften mit ihrer Mitgliederorientierung können einen zentralen Beitrag zur Stabilisierung der Wohnungsquartiere leisten.
Nicht eine falsche Eigentumsorientierung, sondern die Stärkung der Genossenschaften durch eine ihren Besonderheiten Rechnung tragende Förderung ist eine der wohnungspolitischen Zukunftsaufgaben.
Meine Damen und Herren, der Bund schaut sich die durchschnittliche Lage an und argumentiert mit Durchschnittsgrößen. Damit redet er den Anstieg der Mieten herunter, beschönigt die Entlastungswirkung des Wohngelds und verharmlost die sozialen Probleme in Großsiedlungen. Mit den tatsächlichen Aufgaben und Problemen läßt der Bund die Länder und die Kommunen allein.
Es ist so; das ist jederzeit beweisbar.
Die Länder haben den Bund wiederholt aufgefordert, eine vereinfachende und leistungsverbessernde
Wohngeldnovelle vorzubereiten, um die geschwundene Bedeutung des Tabellenwohngelds wieder zu stärken und die Ungleichbehandlung der Empfänger von Tabellenwohngeld und der Empfänger von pauschaliertem Wohngeld zu beseitigen. Ich darf daran erinnern, daß das Wohngeld die Mietzahlungsfähigkeit der wohngeldberechtigten Haushalte gewährleisten soll.
Meine Damen und Herren von der Regierung, es geht eigentlich darum, den kleinen Leuten zu helfen. Das ist aber offensichtlich bei Ihnen noch nicht angekommen. Inzwischen erfüllt das Wohngeld die ihm gestellte Aufgabe längst nicht mehr, wie hier verschiedentlich gesagt wurde. Die letzte Anpassung der Wohngeldleistungen an die Einkommens- und Mietentwicklung hat im Oktober 1990 stattgefunden. Das war vor genau acht Jahren. Vorher waren Anpassungszeiträume von drei bis vier Jahren üblich. Seit 1990 sind die Mieten im Durchschnitt um über 30 Prozent gestiegen. Seit der letzten Wohngeldnovelle in den alten Ländern hat sich die durchschnittliche Mietbelastung der Wohngeldempfänger in Stadt und Land von 21 auf 25 Prozent erhöht. Die Heizkosten kommen noch hinzu - nur damit Sie das nicht übersehen.
Ihr Bericht spricht so einfühlsam von dem Herauswachsen der Wohngeldempfänger durch Einkommen oberhalb der Einkommensgrenze. Meine Damen und Herren, mit solcher Schönfärberei kommen wir nicht weiter. Auf gut deutsch heißt das nämlich: Kleinverdiener sind aus dem Kreis der Wohngeldbezieher herausgeflogen, weil Sie die Bedingungen für den Bezug nicht an die Mieten- und Einkommensentwicklung angepaßt haben. Das haben Sie versäumt.
Meine Damen und Herren, ich bin mir nicht sicher, ob sich die Bundesregierung vorstellen kann, in welchem Ausmaß die Lebensführung der Schlechterverdienenden durch solch hohe Belastungen eingeschränkt wird. In Wirklichkeit kommt es aber noch dicker. Haben Sie, Herr Kollege Oswald, eigentlich eine Vorstellung davon, wer nach Ihren seit 1990 unveränderten Wohngeldtabellen in den großen Städten und Ballungsräumen heute noch wohngeldberechtigt ist und wie hoch die Mietbelastung dort nach Abzug des Wohngeldes ausfällt?
Gestatten Sie mir, am Beispiel eines Zwei-Personen-Arbeitnehmerhaushaltes vorzurechnen, wie hoch die Mietbelastung nach Abzug der Wohngeldzahlung in den Großstädten tatsächlich ausfällt und was für den Lebensunterhalt übrigbleibt. Einem Zwei-Personen-Arbeitnehmerhaushalt mit einem monatlichen Bruttoeinkommen von 2670 DM verbleiben nach Abzug der Sozial- und Krankenversicherungsbeiträge rund 2120 DM. Sein wohngeldfähiges Einkommen beläuft sich auf 1750 DM monatlich. Für seine 66 Quadratmeter große freifinanzierte Mietwohnung des Baujahres 1960 muß er monatlich 924 DM an Gesamtmiete, inklusive Betriebs- und Heizkosten, bezahlen. Nach dem geltenden Wohn-
Senator Eugen Wagner
geldrecht hat er einen Anspruch auf ganze 13 DM Wohngeld. - Und Sie stellen sich hier hin und kommen mit Ihren 250 Millionen!
- Was heißt „mal zwei"? Natürlich immer mal zwei!
- Die Länder wollen zahlen. Sie müssen nicht einen solchen Mist reden. Entschuldigen Sie, wenn ich das in aller Offenheit so sage.
- Ach, Sie sind es, die „a.D.". Ich bin froh, daß Sie nicht mehr Ministerin sind, um das einmal in aller Klarheit zu sagen. Ich habe ja erlebt, was für eine Wohnungs- und Baupolitik Sie betrieben haben.
Meine Damen und Herren, die Mietbelastung des Haushalts beträgt nach Abzug des „großzügigen" Wohngeldes rund 43 Prozent. Für den Lebensunterhalt verbleiben diesem Zwei-Personen-Haushalt rund 1200 DM. Das ist Folge Ihrer sozialen Wohnungspolitik.
Das ist kein Extrembeispiel mit einer willkürlich gegriffenen, exorbitant hohen Miete. Vielmehr entspricht die von diesem Haushalt zu zahlende Nettokaltmiete der ortsüblichen Vergleichsmiete - in Hamburg in Höhe von 9,50 DM pro Quadratmeter monatlich zuzüglich der durchschnittlichen Betriebs- und Heizkosten.
Meine Damen und Herren, ich hätte noch mehr zu sagen, möchte jetzt aber eigentlich auf die Debattenbeiträge eingehen.
Ich unterbreche also insofern meine vorbereitete Rede.
Wenn ich sehe, daß sich jemand hier hinstellt und sagt, der Bundesrat sei nicht bereit, seinen Teil beizutragen, dann sage ich ihm: Das, was Sie mit diesem Weg beschritten haben, daß sich nämlich der Bundesbauminister an die Länderfinanzminister wendet, ist doch pure Trickserei.
Sie haben diesen Weg doch eingeleitet in der Hoffnung, daß die Länderfinanzminister Ihnen das Alibi verschaffen, nach dem Sie seit Jahren hungern. Es kommt aber nicht in Frage, daß die Länderfinanzminister an ihren Kabinetten vorbei - zumindest in
Hamburg ist das nicht möglich - in einer so grundsätzlichen Frage eigenständige Politik betreiben. Sie haben geglaubt, den einen Landesministerkollegen gegen den anderen ausspielen zu können.
Wenn ich von der F.D.P., die die Marktwirtschaft gesundbetet, höre, daß im Bereich der Wohnungspolitik Marktwirtschaft hilft, dann kommt mir das wie eine Geisterdebatte vor, um das einmal mit aller Klarheit zu sagen. Wer, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der F.D.P., Marktwirtschaft im Bereich der Wohnungspolitik fordert, der fordert, daß die Bezieher unterer und mittlerer Einkommen unter die Räder kommen sollen. Das ist die Wahrheit.
Ich fordere die CDU/CSU-Fraktion ausdrücklich auf, sich endlich aus dieser Gefangenschaft durch die Liberalen zu befreien, damit das Neben-derReihe-Tanzen aufhört.
Es ist hier auf die Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen eingegangen worden, die zum Ergebnis gehabt haben soll, daß die Befragten überhaupt kein Problem in der Wohnungspolitik sähen. Nein, diese Antwort ist nur ein Indiz dafür, daß die Forschungsgruppe Wahlen die im Sinne der Bundesregierung richtigen Fragen gestellt hat - um mehr handelt es sich dabei nicht.
Erzählen Sie mir doch nicht, daß diese Leute keine Überlegungen dahin gehend anstellen, was als Ergebnis der Befragung herauskommen soll.
Weil hier immer von Blockade gesprochen wird: Der eigentliche Blockierer ist die Bundesregierung. Tragen Sie endlich den sozialen Realitäten durch Taten Rechnung, und lassen Sie die Trickserei und Taktiererei! Das ist zum Schaden dieses Landes.
Danke schön.
Ich rufe jetzt den Kollegen Norbert Otto auf.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es mag
Norbert Otto
zwar für Hamburg zutreffen - aber im Deutschen Bundestag wird kein „Mist" geredet.
Wenn unsere Arbeit in dieser Weise diffamiert wird, finde ich das schon sehr bezeichnend, Herr Senator. Sie sollten Ihre Art, zu reden, etwas korrigieren.
- Das hat nichts mit „Getroffene Hunde bellen" zu tun; das hat etwas damit zu tun, daß wir in diesem Haus einen bestimmten Stil pflegen sollten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Mieter sollten zu Tausenden unter den Brücken schlafen, raffgierige Hausbesitzer würden die Mieten zur Explosion bringen, und ausreichender Wohnraum wäre nur noch für die Reichen da: So in etwa hörte sich das Szenario der PDS mit seiner trüben Voraussicht der Wohnungssituation in den neuen Ländern an. Daß diese Horrorvision nicht eingetreten ist, beweist der heute zur Diskussion stehende Wohngeld- und Mietenbericht. In kaum einem anderen Bereich ist so viel geleistet und erreicht worden wie im Wohnungssektor. Ich kann mich noch gut an die Wohnungsziele der DDR erinnern: Warm, sicher, trocken - kurz und knapp -, so lautete die Hauptaufgabe, die dann so umgesetzt wurde: industrieller Wohnungsbau auf der grünen Wiese, verfallende Altstadtkerne, Wohneigentumsbildung eher ein Fremdwort. Das war DDR-Realität und -Perspektive.
Das war die Ausgangssituation im Jahr 1990 in den neuen Ländern.
- Ja, natürlich habe ich in der DDR gewohnt.
Der vorgelegte Bericht zieht insbesondere für die neuen Länder eine positive Bilanz. Wohnungsangebote stehen in allen Preissegmenten bedarfsgerecht zur Verfügung. Durch das Mietenüberleitungsgesetz und die spätere Einführung des Vergleichsmietensystems wurden Wohnungsunternehmen Spielräume für Modernisierung und Sanierung eingeräumt. Allein in Thüringen gibt es jetzt ein rechnerisches Überangebot von 35 000 Wohnungen. Erstmals können sich die Mieter aussuchen, welche Wohnung sie haben wollen, und ihnen werden nicht Wohnungen zugewiesen. Selbst der Mieterbund in Thüringen muß bestätigen, daß eine Entspannung und eine positive Entwicklung auf dem Wohnungsmarkt eingetreten ist. Seit 1994 wurden über 500 000 neue Wohnungen in den neuen Bundesländern gebaut. Der Bedarf ist weitestgehend gedeckt. Insofern ist
die Senkung der Sonderabschreibung von 50 auf 25 Prozent absolut richtig.
Herr Otto, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Larcher?
Nein.
Die gewaltigen Leistungen auf dem Wohnungssektor waren nur durch den enormen Mitteltransfer von West nach Ost möglich. Das kann man als Selbstverständlichkeit mit Schulterzucken abtun. Ich dagegen sage den westdeutschen Steuerzahlern Dank, die mit ihren Steuergroschen diesen Mitteltransfer in die neuen Länder geleistet haben.
Im Vordergrund stehen jetzt die Erhaltung und Modernisierung des vorhandenen Wohnraums. Hierfür steht wie bisher eine ganze Palette von Fördermöglichkeiten wie Altschuldenhilfe, zinsgünstige KfW-Kredite und die Städtebauförderung zur Verfügung. Ich finde es schon eine schäbige Prozedur, daß man hier eine Neidkampagne entfacht, nur weil in den westdeutschen Städten vielleicht manch ein Marktplatz nicht neu gestaltet oder der Kirchturm nicht das dritte Mal vergoldet wird, weil 520 Millionen DM für Aufbauarbeiten in die neuen Länder fließen.
Demgegenüber beläuft sich die Bruttowarmmiete in den alten Ländern auf rund 12,50 DM und in den neuen Ländern auf 9,90 DM. Allerdings halte ich solche Vergleiche zwischen Ost und West für hinkend. Auch hier müßten Spareinlagen, Eigentumsquote und Einkommenshöhe einbezogen werden.
Welche Erfolge wir bei der Sanierung zum Beispiel von Heizungsanlagen erreicht haben, zeigt, daß im Vergleich von 1994 und 1997 die Kosten sanken. Die Warmbetriebskosten sanken von durchschnittlich 2,21 DM auf 1,94 DM. Grund hierfür waren umfangreiche Sanierungen, Wärmedämmung, neue Heizsysteme und der Einbau von Regeltechnik. Die Wohnraumtemperatur wurde nun nicht mehr nach dem Motto „Fenster auf, Fenster zu" geregelt, vielmehr wurden ökologisch optimal wirkende Regelsysteme eingesetzt.
Sorgen macht eine andere Entwicklung. Wir müssen feststellen, daß die kommunalen Gebühren, die sich letztlich als zweite Miete niederschlagen, unverhältnismäßig stark gewachsen sind. Im Vergleich zwischen 1994 und 1997 stiegen in den neuen Ländern die Wassergebühren um 30 Prozent, die Abwassergebühren um 50 Prozent, die Müllgebühren beispielsweise um 45 Prozent. Hinzu kommt die Belastung der Grundstücke und Gebäude durch Ausbaumaßnahmen an den Leitungsnetzen und an den Stra-
Norbert Otto
Ben. Ich sehe in diesem Bereich noch erhebliche Einsparreserven. Der richtige Weg wäre eine echte Privatisierung von Dienstleistungen, der zeitgemäße Ausbau der Infrastruktur und die Vermeidung von Luxuslösungen im Straßenbau. Es ist falsch, daß man die Entwicklung dieser Kosten einfach mit der Mietentwicklung in einen Topf wirft und die Gesamtentwicklung der Wohnungspolitik anlastet.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, 1996 gab es in den neuen Ländern 630 000 Wohngeldempfänger. Durch das Sonderwohngeld Ost lag der Zahlbetrag um rund 30 DM pro Monat im Vergleich zu den alten Bundesländern höher. Mit der Verlängerung der Zahlung des Sondergeldes Ost werden die Haushalte in den neuen Ländern weiter auf einem erhöhten Niveau unterstützt. Natürlich hätten wir beim Wohngeld lieber eine gesamtdeutsche Lösung gesehen. In den Beiträgen der Regierungskoalition ist die Ursache dargelegt worden, warum sie nicht zustande gekommen ist.
Meine Damen und Herren, zum Schluß muß ich noch feststellen: Es ist ein Stück aus dem Tollhaus, wenn von der SPD die gemeinsamen Erfolge, die wir in der Wohnungspolitik erreicht haben - zweifellos haben wir eine ganze Reihe gemeinsam erreicht -, aus wahltaktischen Erwägungen in Abrede gestellt werden. Ich halte das für unehrlich und Verdummung hier im Parlament.
Danke schön.
Das Wort zu einer Kurzintervention hat die Kollegin Barbara Hendricks.
Herr Kollege Otto, Sie haben davor gewarnt, es möge Neid geschürt werden zwischen West und Ost. Das finde ich in der Zielrichtung auch völlig richtig. Aber wenn Sie das zugleich mit dem Halbsatz verbinden - ich zitiere aus dem Kopf - „nur weil im Westen ein Kirchturm nicht zum drittenmal vergoldet werden kann", so dient dies wiederum nicht der Befriedung des Verhältnisses zwischen West und Ost. Ich bitte Sie, diesen Satz zurückzunehmen.
Darüber hinaus haben Sie - sicherlich zu Recht - von der negativen Wohnungsbaupolitik in der ehemaligen DDR gesprochen. Ich darf das Haus darauf aufmerksam machen, daß Sie als Stadtrat von Erfurt 20 Jahre lang - von 1970 bis 1990 - daran beteiligt gewesen sind.
Und im übrigen darf ich darauf hinweisen, daß Sie
nach dem Ende der staatlichen Existenz der DDR die
Gelegenheit genommen haben, ein Grundstück zum Preis von 10 DM pro Quadratmeter zu erwerben.
Aus öffentlichen Quellen ist nachvollziehbar, daß der Verkehrswert 70 DM betrug und Sie nunmehr aufgefordert sind, die Nachzahlung plus Zinsen zu leisten.
Herr Otto hat Gelegenheit zur Antwort.
Meine Damen und Herren, ich habe das unterschiedliche Niveau in der Städtebauförderung angesprochen. Wenn Sie ehrlich sind, dann sehen Sie - stellt man einen Vergleich der Städte in Ost und West an - mit Sicherheit, welche Anstrengungen in den Städten der neuen Länder unternommen werden. Sie bemerken aber auch den noch erheblichen Niveauunterschied zwischen Ost und West. Jetzt einzuklagen, das Niveau der Städtebauförderung auf den Stand anzuheben, der nun Gott sei Dank in den neuen Ländern festzustellen ist, ist aus meiner Sicht unredlich. Wir müssen in den Städten der neuen Länder erst aufholen, um auf das Niveau des Westens zu kommen. Dann können wir wieder auspegeln.
Ein zweiter Punkt. Ich nehme es einem Abgeordneten aus den alten Ländern nicht übel, wenn er die Realität in der DDR nicht kannte. Es war Realität in der DDR, daß die führende Rolle der SED in der Verfassung der DDR festgeschrieben war.
- Da können Sie ruhig lachen. Das war so.
Die führende Rolle der SED war in der Verfassung der DDR festgeschrieben, und alle Entscheidungen wurden unter der Führung der Partei der Arbeiterklasse getroffen. So wurde Politik gemacht.
Wenn Sie die DDR-Realitäten gekannt hätten, wüßten Sie, welche begrenzten Möglichkeiten die anderen Parteien hatten und daß wir versucht haben, den Wohnungsbau auf der grünen Wiese zu verhindern.
Norbert Otto
Aber die Leute da drüben haben sich darüber hinweggesetzt,
haben die Innenstädte verfallen lassen und dafür den Wohnungsbau auf der grünen Wiese vorangetrieben. Mit dieser Erblast müssen wir uns heute herumschlagen, damit die Leute, die dort zu Hause sind, menschenwürdig wohnen können.
Ich finde es schon sehr seltsam, wenn statt politischer Argumentation in plumper, primitiver Wahlkampftaktik hier im Bundestag ein Verfahren angesprochen wird, von dem Sie überhaupt keine Sachkenntnis haben, das Sie nur aus „Bild" -ZeitungsÜberschriften und derartigen Schlagzeilen kennen. Ich bin gern bereit, über die Situation hier im Bundestag zu berichten - aber, bitte schön, nicht in dieser Art und Weise, wie Sie das hier darzustellen versucht haben. Das ist schäbig und ein mieser Stil.
Danke.
Wir fahren in der Debatte fort. Ich gebe das Wort dem Bauminister Nordrhein-Westfalens, Dr. Michael Vesper.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch ich möchte gerne auf die Debatte zur Wohnungspolitik zurückkommen.
Als Mitglied des Bundesrates lernt man immer gern dazu. Eben sind wir von Herrn Otto belehrt worden, wie vornehm der Stil in diesem Hause ist. Er selbst hat gerade ein beredtes Beispiel dafür geliefert, wie der Stil in diesem Hause wirklich ist.
Wir wollen heute die Wohnungspolitik dieser Bundesregierung bilanzieren. Ich finde es schon absurd, was Sie sich hier teilweise an die Fahnen heften. Ich finde es fast noch absurder, was Sie dabei übersehen, nämlich daß es einen gespaltenen Wohnungsmarkt gibt und daß Entspannungstendenzen in bestimmten Segmenten des Wohnungsmarktes noch längst nicht signalisieren, daß das eigentliche Problem der Wohnungsnot gelöst sei. Ich kann also eine positive Bilanz nicht ziehen.
Ich sehe eigentlich nur eine einzige Rekordmarke - das ist es dann aber auch -, und das ist die Zahl der Bauministerinnen und Bauminister dieser Bundesregierung: in den letzten zehn Jahren fünf Ministerinnen und Minister.
- Die meisten sind ja längst vergessen.
Das zeigt, daß weder von politischer Kontinuität noch von wirklich wohnungspolitischem Engagement mit Herzblut die Rede sein kann;
denn wer so oft die Hemden wechselt, der will ja gar nicht erkannt werden. Wie versprochen, so gebrochen - nach diesem Grundsatz haben Sie auch in dieser Wahlperiode gehandelt.
Herr Oswald, Sie tun mir richtig leid. Haben Sie einmal gezählt, mit wie vielen Ankündigungen Ihr geschätzter Herr Vorgänger uns und die Öffentlichkeit beglückt hat? Es grenzt schon an Gemeinheit - in Bayern sagt man, glaube ich, es ist schofelig -,
Ihnen zuzumuten, in acht Monaten das einzulösen, was Herr Töpfer in den drei Jahren davor versprochen hat.
Da gebührt Ihnen unser aufrichtiges Mitleid.
Von daher verstehe ich auch die gutmütigen pädagogischen Bemühungen von Herrn Braun und anderen, die Herrn Oswald nach dem Motto behandeln: loben, aufbauen, Selbstbewußtsein stärken. Das verstehe ich; das hat meine volle Sympathie.
Die Versäumnisse der Bundesregierung sind aber offensichtlich: die ausgebliebene Reform des Wohnungsbaurechtes, die gescheiterte Vereinfachung des Mietrechtes, die nun endgültig begrabene Novelle des Wohngeldes. In allen drei Fällen - das will ich hier noch einmal deutlich sagen - haben wir, haben die Länder der Bundesregierung die Hand gereicht; denn der Reformbedarf ist so dringend,
daß es gemeinsam getragener Entscheidungen bedurft hätte. Aber Herr Töpfer hat leider immer wieder versucht, an der Bundesratsmehrheit vorbei Fakten zu setzen und uns vorzuführen. Das lassen wir uns nicht gefallen. Damit ist er gescheitert; damit mußte er scheitern.
Beim Wohngesetzbuch fällt es so schön ins Auge: Der Bund trägt noch 11 Prozent zur Finanzierung der Wohnungsbauförderung bei; 89 Prozent der Mittel zahlen wir, die Länder. Trotzdem meint er, er könne uns zu 100 Prozent vorschreiben, was wir zu tun haben.
Minister Dr. Michael Vesper
Das Beispiel Wohngeld: Praktisch vom ersten Tag seiner Tätigkeit als Bauminister an hat Herr Töpfer die Vorlage der überfälligen Wohngeldnovelle angekündigt. Er hat sogar Zahlen genannt: Je 1,8 Milliarden DM vom Bund und von den Ländern brauche man schon, um eine angemessene Reform zu finanzieren. Er hat Daten genannt, keine Rede ohne ein solches Datum. Keines dieser Daten ist Wirklichkeit geworden.
Erst zum Schluß machte er die Kehrtwendung: Da sollten plötzlich die Länder vorlagepflichtig sein. Nachdem Herr Töpfer jahrelang versprochen hatte, die Bundesregierung werde die Novelle vorlegen, sollten plötzlich wir, die Länder, dazu verpflichtet sein. Das grenzt doch an absurdes Theater. Das kann man doch nicht ernst nehmen.
Darum habe ich es auch sehr begrüßt, daß Sie, Herr Oswald, von Anfang an klargestellt haben: Handeln muß ich, handeln muß der Bundesbauminister.
Auch wenn die zwei mal 250 Millionen DM sicher nur ein Tropfen auf den heißen Stein sind und obwohl nicht einmal klar ist, auf welcher Basis sie dazukommen sollen - auf der Basis der Wohngeldausgaben 1997, 1998 oder 1999 -, erkenne ich diese Initiative an. Aber Sie sind steckengeblieben. Sie haben sie ohne den erkennbaren Willen eingestielt, sie zum Erfolg zu führen; sonst hätten Sie zuerst den Schulterschluß mit den Bauministern der Länder gesucht. Diese hätten dann in ihren Kabinetten über Finanzierungsspielräume verhandelt und, wenn nötig, auch gestritten.
Sie aber sind erst zu den Kassenwarten gegangen, ohne über ein Konzept zu verfügen, wie das Geld ausgegeben werden sollte. Das ist ein völlig unübliches, ein einmaliges Vorgehen.
Ein einseitiges Eckpunktepapier reicht eben nicht aus, um über dreistellige Millionenbeträge zu verhandeln. Dazu bedarf es eines Gesetzentwurfes. Mein Sohn hat bei mir auch schlechte Karten, wenn er 100 DM mehr Taschengeld haben möchte und nicht sagt, wofür.
- Nein, ich habe auch noch einen älteren Sohn. Das müssen Sie einmal nachlesen. Er ist 18 Jahre alt. Er hat gerade den Führerschein gemacht.
Natürlich haben auch wir finanzielle Probleme, weil die Koalition unsere Spielräume verengt hat. Aber die Länder haben noch jede Wohngelderhöhung mitgemacht. Sie hätten auch diese Novelle mitgetragen, wenn sie denn irgendwann einmal den Bundesrat oder den Bundestag erreicht hätte. Schade, daß beide Reformvorhaben zerplatzt sind. Unsere Aufgabe wird dadurch nach dem 27. September dieses Jahres nicht leichter. Darüber mache ich mir keine Illusionen. Aber wir werden es dann anpacken.
Auf Wiedersehen im nächsten Bundestag!
Das Wort hat der Kollege Josef Hollerith, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch die heutige wohnungspolitische Debatte offenbart die Lafontainisierung der SPD. Nicht der Showman aus Hannover, sondern der Bankrotteur aus dem Saarland bestimmt die SPD-Politik.
Kennzeichen dieser Politik sind Verweigerung, Blockade und Verneinung, zum Schaden des deutschen Volkes und zu Lasten des kleinen Mannes.
- Das ist die Wahrheit.
Beispiel eins, Wohngeld: Wir haben 250 Millionen DM angeboten. Dazu kämen 250 Millionen DM von den Ländern. Dies hätte bedeutet, daß die Tabellenwohngeldempfänger im Durchschnitt 40 DM Wohngeld mehr im Monat erhalten hätten. Tabellenwohngeldempfänger sind die kleinen Leute, die arbeiten, die anständigen Menschen in diesem Lande. Sie haben die Verbesserungen von deren Situation durch Ihre Politik des Neinsagens, des Nichtbefassens in der Sache verweigert.
Auch der Vorwurf, die Wohngeldstrukturnovelle belaste die Kommunen bereits im ersten Jahr mit zusätzlich 300 bis 400 Millionen DM, ist falsch. Leistungsverbesserungen, die auch den vormaligen Pauschalwohngeldempfängern zugute gekommen wären und insoweit die Gemeinden bei der Sozialhilfe entlastet hätten, waren so dimensioniert, daß den Kommunen insgesamt keine Mehrkosten entstanden wären. Die entsprechenden Berechnungen des Bundesbauministers sind durch ein unabhängiges Forschungsinstitut bestätigt worden.
Beispiel zwei, Wohnungsgesetzbuch: Das Wohnungsgesetzbuch sichert dauerhaft die Beteiligung des Bundes an der Wohnungsbauförderung, stärkt die Rolle der Kommunen, verbessert die Förderung des selbstgenutzten Wohneigentums, fördert das ge-
Josef Hollerith
nossenschaftliche Wohnen, verankert Grundsätze des kosten- und flächensparenden Bauens und berücksichtigt ökologische Anforderungen besser als das geltende Recht.
Mit Ihrer durch nichts zu rechtfertigenden Verweigerungshaltung verhindern Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, aus durchsichtigen taktischen Erwägungen die überfällige Anpassung der rechtlichen Grundlagen an die geänderten wohnungswirtschaftlichen Verhältnisse. Sie, die rotgrüne Mehrheit im Bundesrat, tragen die Verantwortung dafür, daß es in dieser Legislaturperiode nicht möglich ist, das Kostenmietrecht mit seinen geradezu grotesken Auswirkungen durch ein Förderinstrumentarium zu ersetzen, das Effizienz und Zielgenauigkeit sichert, den Wohnungsbestand besser zu nutzen, weil auch Modernisierung und Sanierung förderfähig sein sollten, und damit die Voraussetzungen für die Wohnraumversorgung bedürftiger Haushalte zu verbessern, die Bundesbeteiligungen am sozialen Wohnungsbau auf eine verläßliche, dauerhafte Grundlage zu stellen und nicht zuletzt einen Beitrag zur Rechtsbereinigung und Rechtsvereinfachung zu leisten.
Gerade das Ziel, ausgewogene Bewohnerstrukturen als Förderziel materiell festzuschreiben, würde helfen, zu verhindern, daß Stadtteile umkippen, würde unterstützen, daß Kriminalität besser bekämpft werden kann. Sie verweigern sich dieser Herausforderung.
Drittes Beispiel: Der soziale Wohnungsbau, Herr Senator Wagner, ist ein besonderes Beispiel für die Scheinheiligkeit und Verlogenheit der SPD-Politik. Die Länder führten ihre Fördermittel im sozialen Wohnungsbau von 1993 bis 1997 um 7 Milliarden DM zurück. Der Bund hat die Mittel im selben Zeitraum nur um 1,94 Milliarden DM zurückgeführt.
Das heißt, die Länder haben sich im Vergleich zum Bund etwa viermal so schnell aus dem sozialen Wohnungsbau zurückgezogen.
Ein besonders signifikantes Beispiel ist der Stadtstaat Hamburg, dessen Vertreter ich hier eher als Schlaftablette erlebt habe. Aber das ist meine persönliche Einschätzung.
Der Stadtstaat Hamburg hat die Mittel im sozialen Wohnungsbau von 1,931 Milliarden DM im Jahre 1995 auf 1,669 Milliarden DM im Jahre 1997, also um 262 Millionen DM, zurückgeführt und damit 14 Prozent weniger Geld für den sozialen Wohnungsbau zur Verfügung gestellt. Ich bezeichne es als scheinheilig, sich hier hinzustellen und den Bund wegen Untätigkeit anzuprangern. Das Gegenteil ist der Fall.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es bleibt dabei: Die Wohnungspolitik dieser Bundesregierung ist eine Erfolgsstory:
Wir haben entspannte Mietmärkte, wir haben stagnierende und fallende Kaltmieten. Wir haben die Wohnungsversorgung von Millionen zuwandernder Menschen bewältigt.
Der Bau eigengenutzter Wohnungen ist mittlerweile eine Säule der Bauwirtschaft, und zwar dank der Gesetze dieser Bundesregierung und dieser Koalitionsmehrheit.
Das Eigenheimzulagengesetz, die Initiative „Junges Haus" mit Baukostensenkung - eine Erfolgsstory. Daß 1600 DM pro Quadratmeter Wohnfläche mittlerweile Standard für qualitativ hochwertigen Wohnungsbau geworden sind, ist ein Erfolg dieser Bundesregierung. Das Wohnungsgesetzbuch - eine Erfolgsstory. Es sichert den Vorrang für Investitionen und stärkt die Verantwortung der Kommunen. Ich denke, wir können uns sehen lassen.
Dies alles ist für die Menschen, für die kleinen Leute genauso wie für die Leistungsstarken in diesem Land, eine positive Bilanz. Die Förderung des sozialen Wohnungsbaus, das Baugesetzbuch, die Förderung eigengenutzter Wohnungen, der Weg hin zu einer Eigentumsquote von 50 Prozent, das sind Erfolge dieser Bundesregierung, die sich sehen lassen können.
In den Reden der Opposition offenbaren sich wieder einmal deren Konzeptlosigkeit und Verweigerungshaltung, die nicht zur Mehrheit in diesem Lande geeignet sind.
Herzlichen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/10384 und 13/10141 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Entschließungsanträge der Fraktionen von CDU/CSU und F.D.P. auf Drucksache 13/ 10620, der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/ 10622 sowie der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/10623 sollen an dieselben Ausschüsse überwiesen werden wie der Wohngeld- und Mietenbericht. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Damit sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Gruppe der PDS zur Anpassung der wohngeldrechtlichen Regelungen auf Drucksache 13/8961. Der Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
und Städtebau empfiehlt auf Drucksache 13/9847, den Gesetzentwurf abzulehnen.
Ich lasse über den Gesetzentwurf der PDS auf Drucksache 13/8961 abstimmen und bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist gegen die Stimmen der Gruppe der PDS bei Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit den Stimmen des Hauses im übrigen in zweiter Beratung abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Beschlußempfehlung des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Änderung der Wohngeldverordnung zur Neueinstufung Berlins in Mietenstufe IV auf Drucksache 13/10379: Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/9664 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen.
Interfraktionell wird Überweisung des Antrags der Fraktion der SPD zur verbrauchsabhängigen Wasserkostenabrechnung auf Drucksache 13/8761 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich habe folgende Mitteilung zu machen: Interfraktionell ist kurzfristig für die verbundene Tagesordnung noch folgendes vereinbart worden: Die für heute vorgesehene Wehrsolddebatte soll auf Freitag, 9 Uhr, verschoben und auf eine Stunde verlängert werden. An ihrer Stelle soll bereits heute die Beratung zur Fortschreibung des Montanunion-Vertrages stattfinden. Darüber hinaus soll die ursprünglich ebenfalls für Freitag vorgesehene Beratung zur Tobin-Steuer heute nach der Debatte über die Gefahrguttransporte erfolgen. Sind Sie damit einverstanden? - Widerspruch höre ich nicht. Dann verfahren wir so.
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 4 a bis c auf:
a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Elke Ferner, Michael Müller , Wolfgang Behrendt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Stauvermeidung und Umweltschonung durch
Effizienzsteigerung im Straßenverkehr
- Drucksachen 13/5869, 13/8627 -
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Elke Ferner, Wolfgang Behrendt, Marion Caspers-Merk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Stauvermeidung und Umweltschonung durch eine effizientere Verkehrspolitik
- Drucksache 13/10267 -
c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr
- zu dem Antrag der Abgeordneten Gila Altmann , Albert Schmidt (Hitzhofen), Helmut Wilhelm (Amberg) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Für eine zukunftsfähige Verkehrspolitik I: Eine umfassende Revision des Bundesverkehrswegeplans ist dringend erforderlich
- zu dem Antrag der Abgeordneten Gila Altmann , Albert Schmidt (Hitzhofen), Helmut Wilhelm (Amberg) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Für eine zukunftsfähige Verkehrspolitik II: Verkehr gestalten statt Verkehrschaos verwalten
- Drucksachen 13/7526, 13/7527, 13/10591-
Berichterstatter
Abgeordneter Horst Friedrich
Zur Großen Anfrage liegen Entschließungsanträge der Fraktionen von CDU/CSU und F.D.P., der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sowie der Gruppe der PDS vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Widerspruch höre ich nicht. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Elke Ferner, SPD.
Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Im Mittelpunkt der heutigen Debatte steht die Forderung meiner Fraktion nach einer besseren, effizienteren und damit auch intelligenteren Verkehrspolitik. In der heutigen Zeit sind in der Verkehrspolitik neue Wege und nicht alte, längst überholte Rezepte gefragt. Virtuell, wie es neuerdings heißt, haben Sie, Herr Wissmann, das ja scheinbar verinnerlicht; in der Realität ist aber alles beim alten geblieben. Ich werde das an einigen Beispielen belegen.
Es ist hier im Hause sicherlich unbestritten, daß ein leistungsfähiges Verkehrssystem ein zentraler Standortfaktor ist; denn für fast alle Arbeitsplätze haben Verkehr und Mobilität eine wichtige Funktion. Wir haben allerdings heute andere Rahmenbedingungen als noch vor 20 Jahren zu beachten. Die öffentlichen Kassen sind von der Bundesregierung geplündert worden, und die Akzeptanz von Großprojekten in der Bevölkerung nimmt rapide ab.
Es stellt sich also die Frage, wie wir unser Verkehrssystem für das 21. Jahrhundert fit machen können.
Elke Ferner
Mit den Rezepten von gestern sind die Probleme der Zukunft aber nicht zu lösen. Im Gegenteil, sie werden nur noch verschärft.
Wir setzen in erster Linie auf andere Prioritäten bei den Verkehrsinvestitionen, auf eine effizientere Nutzung der vorhandenen Kapazitäten und auf eine gerechtere Anlastung der Transportkosten insbesondere im Güterverkehr.
Das Ziel heißt, Wirtschafts- und Verkehrswachstum voneinander zu entkoppeln. Bisher hat der Zuwachs an Verkehrsleistungen immer wieder das Wirtschaftswachstum übertroffen. Wenn nicht intelligentere Wege gefunden werden, liebe Kollegen und Kolleginnen, die die Leistungsfähigkeit des Verkehrssystems verbessern, wird das auch so bleiben.
Die augenfälligsten Engpässe und zeitweiligen Verkehrszusammenbrüche gibt es sicherlich im Straßenverkehr. Wir wissen aber alle, daß dem weiteren Straßenneubau aus finanziellen, aus stadtplanerischen und nicht zuletzt auch aus ökologischen Gründen enge Grenzen gesetzt sind. Wir brauchen also intelligentere Lösungen gegen die Verkehrsinfarkte: Lösungen, die langfristig zur Entlastung von Mobilitätsengpässen beitragen und gleichzeitig die Umwelt und die öffentlichen Kassen schonen.
- Nein, die interessiert sowieso nichts mehr, weil sie ohnehin bald am Ende ihrer Regierungszeit ist.
Mobilität für alle ohne mehr Verkehrsleistungen ist möglich. Mit unserem Antrag machen wir eine Reihe von Vorschlägen, die wir nach dem 27. September auch umsetzen werden.
Das erste Ziel heißt: neue Prioritäten bei den Verkehrsinvestitionen. Wir brauchen so rasch wie möglich einen neuen Bundesverkehrswegeplan.
Darin müssen nicht nur alle Verkehrsträger ebenso wie die Schnittstellen einbezogen werden; vielmehr müssen sie auch aufeinander abgestimmt werden. Liebe Kollegen und Kolleginnen von der Koalition, vor allem ist Ehrlichkeit angesagt. Das heißt: Es muß ein realistischer und ein finanzierbarer Bundesverkehrswegeplan sein, der in einer überschaubaren Zeit abgearbeitet werden kann.
Der derzeitige Bundesverkehrswegeplan, den Sie 1993 mit Ihrer Mehrheit beschlossen haben, ist nichts weiter als ein Märchenbuch. Dieser Verkehrswegeplan setzt die falschen Prioritäten, er ist überdimensioniert und er ist - vor allem - unterfinanziert. Mittlerweile geben ja auch Sie selbst das zu. Deshalb greifen Sie nach jedem Strohhalm, um die Illusion zu bewahren, alles, was wünschenswert ist, sei auch finanzierbar. So wurde in der vergangenen Wahlperiode die private Vorfinanzierung zum Einkaufen von Zeit erfunden. Nun, ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl, wird man nach etwas Suchen im Bundeshaushalt plötzlich fündig und findet 900 Millionen DM an Verpflichtungsermächtigungen, um damit weitere 15 solcher Projekte auf den Weg zu bringen, und zwar zu Lasten künftiger Haushalte und künftiger Investitionsquoten.
Mit diesen ungedeckten Schecks verteilen Sie Wahlgeschenke in ausgewählten Regionen. Um das vor Ort auch noch richtig zu vermarkten, liefert das Ministerium den CDU-Abgeordneten gleich auch noch die Pressemitteilungen mit.
Das Parlament erfährt davon aus der Presse,
noch bevor im Haushaltsausschuß die entsprechenden Entscheidungen getroffen worden sind.
Diese Aktion macht zweierlei deutlich:
Erstens. Eine seriöse Finanzplanung findet nicht mehr statt, weil im Wahljahr - koste es künftige Generationen, was es wolle - eher blinder Aktionismus als ehrliche Politik angesagt ist.
Zweitens. Das Ministerium betreibt ganz ungeniert Wahlkampfhilfe für die Unionsabgeordneten.
- Ja, natürlich.
Auch die angebliche Schienenvorrangpolitik zerplatzt bei näherem Hinsehen wie eine Seifenblase. Damit bin ich beim zweiten Punkt unserer Forderungen: Wir wollen mit der Schienenvorrangpolitik wirklich Ernst machen. Zwar reden Sie von Schienenvorrangpolitik, doch in der Realität erfolgt das glatte Gegenteil. Sie wissen genau, daß Sie damit den Erfolg der Bahnreform aufs Spiel setzen.
Die Bahn ist und bleibt ein wichtiger Standortfaktor, weil weder der Personen- noch der Güterverkehr der Zukunft ohne eine effiziente und leistungsfähige Bahn denkbar ist. Aber anstatt dem grundgesetzlich verankerten Infrastrukturauftrag nachzukommen, mißbraucht der Bund die privatisierte Bahn als Sparbüchse. Die Mittel für den Schienenneu- und -ausbau wurden seit dem Inkrafttreten der Bahnreform mehr als halbiert. Im Jahr 1994 waren noch 6,4 Milliarden DM im Haushalt vorgesehen, 1998 sind es gerade noch 3 Milliarden DM.
Damit die Optik stimmt, werden schnell noch die Eigenmittel, besser gesagt: die Kreditaufnahmen der Bahn, und auch die Mittel für investive Altlasten ad-
Elke Ferner
diert, und schon sieht es für die Schiene günstiger als für die Straße aus.
Wenn man es gut meint, dann kann man das als „kreative Buchführung" bezeichnen;
wenn man es weniger gut meint, dann kann man dazu sagen, daß es sich um eine Milchbubenrechnung handelt. Seriös ist das Ganze in jedem Fall nicht.
Um unser Verkehrssystem für die Zukunft fit zu machen, müssen wir jetzt dringend neue Prioritäten in der Bahnpolitik setzen. Das bedeutet, daß auch die Haushaltsfinanzierung des Neu- und Ausbaus des Netzes endlich angegangen wird; das bedeutet, daß die vorhandenen Netze für schnelle Neigetechnikzüge ertüchtigt werden müssen und daß auch die Langsamfahrstrecken, die es noch immer zuhauf gibt, beseitigt werden müssen; das bedeutet, daß die überalterte Signaltechnik modernisiert und auch die Entmischung von Personen- und Güterverkehrsnetz endlich angegangen wird; das bedeutet auch, daß leistungsfähige Schnittstellen aufgebaut werden, damit die Vernetzung mit den anderen Verkehrsträgern besser als bisher erfolgt.
Mit diesen Maßnahmen kann nicht nur die Kapazität, sondern auch die Wettbewerbsfähigkeit der Bahn deutlich gesteigert werden. Die Bahn kann dann größere Anteile des Straßengüterverkehrs aufnehmen, und es werden Arbeitsplätze bei der Bahn, bei den Bauunternehmen und bei der Bahntechnik gesichert und geschaffen. Die Bahn könnte die eigenen Mittel, die sie im Moment für Bundesaufgaben ausgeben muß, für die Anschaffung besserer und attraktiverer Fahrzeuge oder für die Sanierung der Bahnhöfe nicht nur in den Großstädten, sondern auch in der Fläche verwenden.
Da aber Ausbau und Erweiterung der Straßen- und Schieneninfrastruktur in den nächsten Jahren deutlich hinter dem erwarteten Wachstum des Verkehrsaufkommens zurückbleiben werden, heißt die zukünftige Aufgabe - damit bin ich bei unserem dritten Punkt -: Die vorhandene Verkehrsinfrastruktur muß effizienter genutzt werden. Die vorhandenen Kapazitätsreserven von Straße, Schiene und Wasserweg müssen mobilisiert werden. Durch Telematik kann man zum Beispiel zusätzliche Kapazitätsreserven auf der Schiene, aber auch bei der Binnenschiffahrt mobilisieren. Dazu muß der Bund aber auch das Seine tun. Er muß zum Beispiel bei der Schiene die notwendigen Leit- und Steuerungstechniken finanzieren. Bei Ampelanlagen an Bundesfernstraßen steht das überhaupt nicht zur Diskussion. Ich verstehe gar nicht, warum man sich gerade an diesem Punkt so zurückhaltend verhält.
Auch beim Güterverkehr fehlt Ihnen ein Konzept. Die Folgen können wir alle sehen: endlose Lkw-Kolonnen und verstopfte Straßen. Während der Anteil
des Straßengüterverkehrs wächst, sinkt der Anteil der Schiene am Gesamtgüterverkehrsaufkommen. Das ist nicht naturgegeben, sondern das ist das Ergebnis Ihrer falschen Politik.
Auch der dringend notwendige Bau von KV-Terminals kommt nur schleppend in Gang. Für Projekte privater Dritter steht lediglich ein Leertitel zur Verfügung. Hier könnten aber doch in erheblichem Umfang auch private Investitionen mobilisiert werden. Das Angebot für den kombinierten Verkehr könnte verbessert werden, so daß der kombinierte Verkehr wirtschaftlicher wird. Aber mehr als einen Leertitel war Ihnen die Sache bei den letzten Haushaltsberatungen nicht wert.
Insgesamt wird mit wirtschaftlichen Betrachtungen im Hause Wissmann eher sparsam umgegangen. 1997 rügte der Bundesrechnungshof das unsolide Finanzierungskonzept für den Transrapid. Mit diesem Konzept wurden die privaten Investoren aus dem gesamten Betriebsrisiko entlassen, während Bahn und Bund letztendlich für alle Risiken geradestehen müssen. Vor dem Hintergrund der Gründung der Transrapid-Finanzierungsgesellschaft in Berlin möchte ich dringend auch an die Kollegen und Kolleginnen von der Koalition im Parlament appellieren: Es liegt allein in Ihrer Verantwortung, ob die Bahn als künftige Betreiberin oder der Bund als Finanzier des Fahrwegs auf den Verlusten dieses Projekts sitzenbleibt oder nicht. Stellen Sie also sicher, daß der Bund und die DB AG keinerlei Verluste aus dem Transrapidgeschäft übernehmen müssen. Sorgen Sie dafür, daß die Bahn nicht unter dem Deckmantel der Betriebskosten zur Übernahme von Aufgaben der Systemhersteller gezwungen wird. Andernfalls bereiten Sie hier den nächsten Sargnagel für die Bahnreform vor.
Ich könnte sicherlich noch weitere Beispiele anführen; das geht aber wegen der knappen Zeit nicht. Sie hätten allerdings alle eines gemeinsam: Von wirtschaftlich kompetenter Vorgehensweise im Ministerium des wirtschaftspolitischen Sprechers der CDU kann keine Rede sein.
Wir haben auch vorgeschlagen, angesichts der Probleme in den Ballungsräumen einiges zu tun. Wir wissen, der Stauanteil auf den Autobahnen beträgt insgesamt nur knapp 2 Prozent, aber er konzentriert sich eben im wesentlichen auf die Ballungsräume. Dort können Verkehrsleitsysteme an den neuralgischen Stellen sicherlich etwas Abhilfe schaffen; die Probleme jedoch lösen sie natürlich nicht. Wichtig ist, daß diese Systeme der Straße mit den Telematik-Systemen beim ÖPNV verknüpft werden, die ja zum Teil auch im Aufbau begriffen sind, damit die vorhandenen Alternativen zum Auto besser genutzt werden können und sich Auto und ÖPNV in den Ballungsräumen sinnvoll ergänzen. Dazu brauchen wir in den Ballungsräumen, aber auch in der Fläche ein attraktives, abgestimmtes und finanzierbares ÖPNV-Angebot.
Elke Ferner
Damit kommen wir wieder zur nächsten Worthülse: ÖPNV-Vorrang und -Förderung ist das eine, das andere ist, daß die Bundesregierung anstrebt, die Regionalisierungsmittel zu kürzen und anders als bisher zu verteilen.
Da kann ja nun wirklich nicht von einer Stärkung des ÖPNV die Rede sein, sondern es ist eine Schwächung des ÖPNV, und es ist glatter Wortbruch gegenüber den Ländern.
Der liebe Kollege Friedrich, der jetzt so unwirsch dazwischenruft, hat vorgestern die Katze aus dem Sack gelassen. Er will nämlich mit Hilfe der Kürzung der ÖPNV-Mittel, die den Gemeinden und Ländern entzogen werden sollen, die Mineralölsteuer absenken. Ich kann Ihnen, liebe Kollegen und Kolleginnen von der CDU/CSU-Fraktion, nur sagen: Mit diesem Koalitionspartner kann man Ihnen in den verbleibenden fünf Monaten wirklich nur noch viel Spaß wünschen.
Es müssen aber auch Maßnahmen ergriffen werden, um den Auslastungsgrad der Pkws von derzeit 1,4 Personen pro Fahrzeug zu verbessern. Dazu gehören viele Maßnahmen. Ich will nur zwei nennen: die Beibehaltung der Steuerfreiheit für Job-Tickets und die Umwandlung der Kilometerpauschale in eine verkehrsmittelunabhängige Entfernungspauschale.
Was Sie im Steuerreformgesetz 1998 vorgeschlagen haben, nämlich die Kilometerpauschale praktisch abzuschaffen und ab dem 15. oder 16. Kilometer eine deutlich reduzierte Pendlerpauschale einzuführen, ist der falsche Ansatz.
Wir wollen außerdem - damit bin ich beim letzten Punkt - die Effizienz des Verkehrssystems durch gerechtere Anlastung der Transportkosten steigern. Wenn Kartoffeln zum Waschen oder Krabben zum Pulen über Tausende von Kilometern transportiert werden, ist das ein Indiz für Fehlsteuerungen unseres Wirtschafts- und Verkehrssystems.
Im Jahr 1995 war auf knapp 500 Millionen Fahrten fast jeder zweite Lkw ohne Ladung unterwegs. Das ist nicht nur verkehrspolitisch ein Ärgernis; das ist auch ein wirtschaftspolitisches Armutszeugnis. Diese Leerfahrten müssen verhindert werden. Das senkt die Kosten der Transportunternehmen, schont die Straßen und hilft den lärmgeplagten Bürgern.
Die Ursache für die Leerfahrten ist klar: Es ist die verzerrte Preisstruktur. Anstatt eine Verdreifachung oder Verdopplung der Gebühr für die Vignette zu fordern - man wußte von vornherein, daß das nicht durchsetzbar war -, hätten wir es lieber gehabt, von Anfang an auf eine streckenabhängige Gebühr mittels elektronischer Systeme, Truck pricing genannt, zu setzen. Auch hier haben Sie im europäischen Kontext versagt.
Zum Thema der Trassenpreise kann ich in Anbetracht der Kürze der Zeit nicht mehr viel sagen. Klar ist: Die Trassenpreise müssen herunter, damit die Wettbewerbsfähigkeit der Schiene gestärkt wird.
Insgesamt kann man sagen: Nach 16 Jahren konservativ-liberaler Politik muß man auch bei der Verkehrspolitik feststellen, daß Sie mit Ihrem Latein am Ende sind. Sie arbeiten nicht mehr an der Lösung der Probleme, sondern Sie schieben sie nur noch vor sich her und versuchen, Ihr Versagen und Ihre internen Streitereien so gut es geht zu vertuschen. Wenn es in Ihrem Antrag nicht die Beweihräucherung der Regierung gäbe, könnte man fast glauben, Sie hätten mit der Regierungspolitik der letzten 16 Jahre nichts zu tun gehabt.
Die Wählerinnen und Wähler bemerken das sehr wohl. Sie wissen genauso gut wie wir: Wahltag ist Zahltag. Wir werden nach dem 27. September die Gelegenheit haben, unsere Vorstellungen umzusetzen.
Das Wort hat der Kollege Georg Brunnhuber, CDU/CSU.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Kollegin Ferner, „errare humanum est" heißt auf deutsch: Irren ist menschlich. Nachdem Sie meinten, wir seien mit unserem Latein am Ende, sage ich Ihnen: Wir beginnen jetzt erst mit unserem Latein.
Frau Kollegin Ferner, zum Thema haben Sie eigentlich relativ wenig gesagt. Heute geht es um Effizienzsteigerung und um Vermeidung von Staus. Sie haben aber nur eine Entschuldigungsrede gehalten,
Georg Brunnhuber
denn all das, was Sie hier angesprochen haben, haben Sie immer abgelehnt.
Deshalb ist mir klar: Sie konnten zu dem Thema nicht viel sagen, denn Sie sind ja fast immer gegen alles, was moderne Verkehrspolitik anbelangt. Ich bedaure also, daß Sie zum eigentlichen Thema nichts gesagt haben.
Sie haben insbesondere zum Einsatz modernster Technik nichts gesagt. Den Begriff Telematik habe ich in Ihrer Rede überhaupt nicht gehört,
obwohl das die Voraussetzung für eine erfolgreiche Verkehrspolitik ist, die wir seit Jahren praktizieren. Durch den Einsatz der Telematik können Staus vermieden und der Verkehrsfluß beschleunigt werden.
Als wir 1993 hier über die Telematik diskutierten und ein Strategiepapier entwickelten, haben Sie noch erklärt, es sei ein Papier für technologiefreundliche Abgeordnete und würde nie realisiert. Heute, 1998, können wir festhalten: Wir sind in der Telematik weltweit absolute Spitze. Wenn von Telematik gesprochen wird, dann ist von „Made in Germany" die Rede. Das ist unsere Technologiepolitik.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben natürlich eine enorme Vorarbeit leisten müssen. Es war nicht leicht, alle zusammenzubringen, die diese Dienste nutzen können, weil wir eines als Philosophie hatten: Wir müssen als Staat politische Rahmenbedingungen schaffen, aber wir wollen den Betrieb von Telematik-Einrichtungen den Privaten überlassen.
Ich kann heute festhalten: Der Weg, den das Verkehrsministerium unter Führung unseres Verkehrsministers Matthias Wissmann eingeschlagen hat, war erfolgreich; denn allein durch das Telematik-Forum im Verkehrsministerium wurden alle diese Bedingungen erfüllt. Wir haben die öffentliche Hand, die verschiedenen Verkehrsträger, die Industrie und die Dienstleister zusammengebracht. Mehrere 100 Millionen DM wurden von privater Seite investiert, so daß wir heute sagen können, daß Telematik-Dienste für private Nutzer von privaten Firmen angeboten werden und abgerufen werden können.
Was uns noch ein bißchen stört - das möchte ich heute ansprechen -, ist, daß wir enorm viele Daten bei der Vernetzung im öffentlichen Personennahverkehr haben, die aber derzeit von den Kommunen nicht so zur Verfügung gestellt werden, wie es notwendig wäre, um eine bessere Verknüpfung zu erreichen. Ich begreife eigentlich auch nicht, daß unsere kommunalen Verantwortlichen als Dienstleister ihre Systeme im ÖPNV nicht dadurch besser an den Kunden bringen, daß sie diesen privaten Informationsfirmen die Daten, die vorhanden sind und jederzeit ins System eingespeist werden können, zur Verfügung stellen,
so daß derjenige, der überlegt, ob er mit dem Auto, dem Zug oder dem Omnibus fährt, die Daten bekommt, die er benötigt.
Mich persönlich freut, daß wir den Anbietern wohl am 17. Juni im Ausschuß nochmals die Möglichkeit geben, öffentlich zu demonstrieren, was es alles schon an Möglichkeiten gibt, damit sich die privaten Kunden, die Verbraucher und wir alle uns einen Überblick darüber verschaffen können, was man kaufen kann und welche Dienste schon auf dem Markt sind.
An dem SPD-Antrag hat mich etwas fasziniert, daß die SPD zum Teil dort Dinge hineingeschrieben hat, die auch von der CDU sein könnten.
So wurde in dem Antrag unter anderem erwähnt, daß Telematik in Verbindung mit dem Ausbau der Fernstraßen zu einer besseren Verkehrsführung beiträgt. Das ist etwas, was wir seit Jahr und Tag predigen.
Allerdings kommt auf der nächsten Seite des Antrages dann gleich wieder die Kritik. Sie versuchen eigentlich - auch die Grünen, die Opposition insgesamt -, die Telematik dazu zu benutzen, den Autofahrer zu bremsen und ihm zu schaden.
Dafür ist die Telematik zu schade.
Wir verwenden die Telematik intelligent, nämlich um tatsächlich eine höhere Verkehrsfrequenz zu erreichen.
Noch interessanter ist, daß Sie von der Bundesregierung fordern, mehr flexible Leitsysteme auf der Autobahn einzurichten. Da haben Sie offensichtlich geschlafen. Ich kann nur sagen: Guten Morgen, SPD! Seit vier Jahren werden diese Dinge eingebaut. In den nächsten Jahren werden nochmals für 1,1 Milliarden DM Telematiksysteme auf der Autobahn als Verkehrsbeeinflussungsmaßnahmen geschaffen,
so daß dann mehr als 1100 Kilometer Autobahn damit versehen sein werden. Hier sehen wir eine große Chance. Eine solche flexible Verkehrsführung ist auch bis hinein in die Innenstädte wichtig. Es ist durchaus eine Möglichkeit, nicht starr zu sagen:
Georg Brunnhuber
„Hier ist Tempo 30", „hier ist Tempo 50", „hier ist Tempo 60",
sondern dies der Tageszeit angepaßt zu organisieren. Ich glaube, daß dies der richtige Weg ist.
Wir sind auf jeden Fall dankbar, daß unsere Regierung, daß der Verkehrsminister entsprechend handelt.
Abschließend möchte ich festhalten: Telematik führt dazu, daß in Deutschland in diesen Tagen, Wochen und Monaten Zigtausende neue Arbeitsplätze geschaffen werden.
Man schätzt den Markt für Telematik-Technik allein in Europa auf 200 Milliarden DM. Da es bundesdeutsche Firmen sind, die schon heute zum Beispiel mit die größte Stadt der Welt, nämlich Tokio, mit einem Telematik-System ausgerüstet haben, und Tokios Verkehrsleitsystem von deutschen Firmen organisiert wird, ist das eine große Zukunftsperspektive für die deutsche Industrie und für unsere Politik eine Bestätigung.
Deshalb möchte ich ganz speziell der Bundesregierung, aber hier besonders unserem Verkehrsminister Matthias Wissmann, einen herzlichen Dank dafür aussprechen,
daß er Kurs gehalten hat. Wenn er nämlich auf Sie gehört hätte, hätten wir von all den Systemen noch gar keines; denn Sie haben sie bisher immer kategorisch abgelehnt
nach dem Motto: Wir sind entschieden unentschlossen. Das war Ihre Haltung.
Lassen Sie mich zum Abschluß auch noch einen Dank an den scheidenden Staatssekretär Johannes Nitsch richten, der heute seine letzte große Rede vor dem Deutschen Bundestag hält.
Lieber Johannes Nitsch, im Namen der CDU/CSU-Fraktion, im Namen aller Kolleginnen und Kollegen möchte ich mich für die ausgezeichnete Zusammenarbeit ganz herzlich bedanken. Wir bedauern, daß
Sie ausscheiden, aber wir wünschen Ihnen weiterhin alles Gute.
Für künftige Redner, die den Bundesminister Wissmann suchen: Er sitzt im Augenblick in seiner Eigenschaft als Abgeordneter Wissmann auf den Bänken der Koalition.
Das Wort hat die Kollegin Gila Altmann, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Brunnhuber, wenn Sie sagen, Sie fangen jetzt erst an, dann muß ich Sie einmal fragen, ob das die neue Langsamkeit der Bundesregierung ist. Wenn Sie glauben, daß wir Ihnen diese Zeit noch lassen, dann kann ich nur sagen: Errare masculinum est - Irren ist männlich.
Soviel zu dem Wahlkampfgetöse.
Ich möchte aber zum Thema der Debatte zurückkommen: Effizienzsteigerung im Verkehr. Da hat die SPD ein sehr schönes Verkehrsprogramm vorgelegt, das wir in ihrem Wahlprogramm vermissen. Effizienz heißt nämlich, mit dem geringstmöglichen Aufwand die zuvor definierten Ziele zu erreichen. Da mittlerweile alle zukunftsfähig sein wollen, heißt das: unter ökologischen und ökonomischen Gesichtspunkten.
Werfen wir doch einmal einen Blick auf unser liebstes Verkehrsmittel, das Auto, ein Gefährt, das im Schnitt gerade einmal 1,3 Personen transportiert und dafür eine Tonne Blech bewegt, dessen Durchschnittsverbrauch heute wieder wie 1960 bei 8,8 Liter auf 100 Kilometer liegt, weil die Autos immer schwerer und immer PS-stärker werden. Seit 1990 sinkt der Verbrauch zwar pro Jahr um 0,1 Liter - da kann man sagen: Bravo -, aber bei diesem Tempo bräuchten wir 35 Jahre, um das Fünfliterauto zu bekommen.
Dieses Fahrzeug, das in erster Linie ein Stehzeug ist, verspricht allgemeine Mobilität, steht aber für soziale Ungleichheit: für viele Frauen, für Alte und Kinder, für sozial Schwache, für - inzwischen - ein Drittel der Gesellschaft. Soviel zur sozialen Effizienz. Zugleich macht dieses Verkehrsmittel alle CO2-Reduktionsziele zunichte, wie das Ifo-Institut bestätigt hat, weil Sie von der Koalition sich nicht trauen, hier endlich gegenzusteuern.
Mit einem Wort: Unser derzeitiges Verkehrssystem ist ineffizient in der Energienutzung, ineffizient in seiner Umweltbilanz und ineffizient in seiner sozialen Gerechtigkeit. Trotzdem setzen Sie betonköpfig weiter auf den ungehemmten Ausbau des Straßen-
Gila Altmann
netzes, obwohl klar ist, daß wir so im Totalstau enden werden.
Diese Politik verschlingt Milliarden, die wir nicht haben und die keine Lösung der Verkehrsprobleme bringen werden.
Was wir statt dessen brauchen, ist eine intelligente Verkehrspolitik von intelligenten Verkehrspolitikerinnen und Verkehrspolitikern, eine Politik, die die negativen Folgen des Verkehrs minimiert, eine Politik der kurzen Wege, die effizient mit Geld umgeht und die Verkehrsträger vernetzt, und eine Politik, die die Mobilität aller Bürgerinnen und Bürger sichert, statt Verkehrszuwächse zu bedienen.
Dazu gehören vor allem Kostenwahrheit und Kostengerechtigkeit. Es ist hier schon angesprochen worden: Die Bahn wird wirtschaftlich noch immer massiv benachteiligt. Neben der Mineralölsteuer muß sie noch immer viel zu hohe Trassenpreise nach dem Vollkostenprinzip zahlen. Im Gegenzug wird der Straßenverkehr massiv subventioniert. Das gilt ganz besonders für den Lkw-Verkehr.
Wir sind - ungeachtet aller ADAC-Lyrik - weit davon entfernt, die externen Kosten von mindestens 80 Milliarden DM pro Jahr für Unfälle und Umweltschäden dem Straßenverkehr anzulasten - und das, obwohl im Rahmen der Bahnreform die Herstellung fairer Wettbewerbsbedingungen sogar gesetzlich festgeschrieben wurde. Aber davon ist weit und breit nichts zu sehen. Die Bundesregierung hat die letzten 16 Jahre dazu genutzt, die Weichen konsequent falsch zu stellen. Sie drückt sich weiterhin vor einer ökologisch-sozialen Steuerreform, die diese Kostenwahrheit schaffen könnte.
Auch sonst hat sie die Flächenbahn systematisch vernachlässigt. Tausende Kilometer Gleise sind schon stillgelegt worden bzw. sollen noch stillgelegt werden. 90 Prozent der Fahrgäste aber sind im Nahverkehr unterwegs. Diese wie auch die Unternehmen in der Fläche werden abgehängt. Die Bahnreform hat diese Entwicklung zwar verlangsamt; der Trend zur Schrumpfbahn nach der Devise „Klein, aber fein" ist jedoch ungebrochen. Die Effizienz eines Verkehrsmittels - Herr Brunnhuber, das sollten Sie vielleicht einmal akzeptieren - ergibt sich aber gerade aus seiner Vernetzung. Die Regierungskoalition verharrt leider weiter in einem isolierten Streckendenken.
Hier ist der von der CDU/CSU und F.D.P. vorgelegte Entschließungsantrag in der Tat eine Offenbarung: Das verkehrspolitisch unsinnige Milliardengrab Transrapid als „stauvermeidend" zu verkaufen ist schon eine heiße Nummer. Meinen Sie wirklich allen Ernstes, die erträumten Fahrgäste aus halb Norddeutschland werden zu Fuß nach Hamburg wandern?
Mit diesem Riesenspielzeug für unerfüllte Männerträume produzieren Sie weitere Verkehrszuwächse in den Großstädten mit den Folgen: Stau, Lärm und Flächenversiegelung.
Als Krone des Ganzen wollen Sie jetzt Ende Juni die Verträge am Parlament vorbei auf leisen Sohlen in trockene Tücher bringen. Dazu muß ich sagen: Ich würde mir mehr Einsatzfreude auch von seiten der SPD wünschen, daß dies eben nicht geschieht.
Mit einem attraktiven und effizienten Verkehrssystem hat das alles nichts mehr zu tun.
Dann der letzte Punkt: Ausgang allen Übels ist der Bundesverkehrswegeplan. Dieses Monstrum ist schon lange nicht mehr finanzierbar und setzt einseitig auf den Ausbau des Straßennetzes und auf weniger Bahnmagistralen. Für die Zukunft brauchen wir etwas ganz anderes: Wir brauchen eine Gesamtplanung, die alle Projekte zeitnah unter Netzgesichtspunkten auswählt. Dazu gehören ein verbindlicher Finanzierungsplan und konkrete Klima- und Umweltschutzziele. Solch eine integrierte Verkehrsplanung muß sich um die Mobilität von Menschen und Gütern kümmern. Sie muß Umweltbelastungen reduzieren und die Verkehrssicherheit verbessern.
Dazu gehören auch die effiziente Nutzung der Verkehrsinfrastruktur und der Einsatz effizienter Fahrzeuge. Ihr eigenes Beratergremium, das TAB, hat es Ihnen gerade bestätigt: Durch optimale Nutzung der schon vorhandenen Kapazitäten im Schienenfernverkehr könnten allein durch mehr Wagen und durch Doppelstockwagen 70 bis 110 Prozent mehr Personen befördert werden.
In diesem Zusammenhang sind wir auch für den Einsatz der Telematik. Denn die kann im ÖPNV beim Takt, bei Ampelvorrangschaltungen und Kundeninformation für mehr Attraktivität sorgen. Im Güterverkehr können unter Einbeziehung der Binnenschiffahrt entsprechende Leerfahrten vermieden und vorhandene Kapazitäten genutzt werden.
Das Umwelt- und Prognoseinstitut bestätigt es Ihnen: Tempolimits verbessern die Straßennutzung zusätzlich und erhöhen die Sicherheit.
Greenpeace hat mit dem Smile gezeigt, daß das alltagstaugliche Dreiliterauto möglich ist, wenn es auf überdimensionierte Motoren und technischen Schnickschnack verzichtet. VW und Audi haben ein Dreiliterauto angekündigt. Jetzt muß aber die Politik die Rahmenbedingungen schaffen, damit es nicht zu einem Nischenprodukt verkommt. Das geht nur mit einer schrittweisen Erhöhung der Mineralölsteuer, damit dieses Auto gesellschaftsfähig wird.
Gila Altmann
Der Beitrag von Herrn Brunnhuber hat gezeigt: Diese Bundesregierung kann man endgültig als lernunfähig abhaken.
Bitte achten Sie auf die Zeit.
Ich komme zum Schluß. - Immer noch wollen Sie uns weismachen, Staus seien die Umweltbelastung schlechthin und könnten durch mehr Straßenbau behoben werden. Sie sollten einmal Ihre eigenen Antworten auf die Große Anfrage genauer lesen. Nach Studien von Prognos und UBA betragen die möglichen Entlastungen maximal 1 Prozent.
So stellt sich zum Schluß die Frage nach der Effizienz der Bundesregierung. Sie läßt sich leider nicht mit einer Großen Anfrage beantworten, dafür aber am 27. September.
Danke schön.
Das Wort hat Kollege Horst Friedrich, F.D.P.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Debatte trägt zumindest nach dem Antrag der SPD die Überschrift „Stauvermeidung und Umweltschonung durch eine effizientere Verkehrspolitik". Sie gibt Gelegenheit, die Unterschiede in der Auffassung über die Verkehrspolitik in Deutschland rechtzeitig vor dem 27. September aufzuzeigen. Dann wird die Frage für mich sein, ob aus dem Slogan der SPD „Ich bin bereit" am Ende ihres Programmes nicht wird: „Flasche leer, ich habe fertig. "
Ich fürchte, das werde ich an einigen Punkten erklären können.
Ich will mit einem Antrag Ihres Wunschkoalitionspartners beginnen. Sie haben vorhin gesagt, der Koalitionspartner F.D.P. sei schwierig. Nun hat die grüne Fraktion gestern im Finanzausschuß entgegen allen ihren Behauptungen folgenden Antrag zur Abstimmung gestellt: Verdoppelung des Benzinpreises in Deutschland innerhalb von vier Jahren, 5 DM pro Liter Benzin in zehn Jahren.
Sie machen einen nationalen Alleingang beim Einstieg in eine CO2- Energiesteuer.
Sie wollen eine Abschaffung der steuerlichen Vergünstigung von Flugbenzin und damit eine drastische Verteuerung von Flugreisen. Sie planen eine 7 prozentige Erhöhung pro Jahr für Heizöl, Erdgas und Strom und, was für den Verkehrshaushalt besonders wichtig ist, eine Kürzung der Neubaumittel beim Bundesfernstraßenbau von derzeit 4,5 um 3 Milliarden DM.
Meine Damen und Herren, in Kenntnis der Ausbaumittel für die Verkehrsprojekte Deutsche Einheit, insbesondere was den Aufbau der neuen Bundesländer angeht, der bei 2,4 Milliarden DM liegt, würde dies das Ende der Ausbaumaßnahmen in den neuen Ländern bedeuten. Wenn das Ihr Wunschkoalitionspartner ist, kann ich Ihnen dazu wirklich nur gratulieren, meine Damen und Herren von der SPD.
Wie die neuen Länder zu dieser Aussage stehen, will ich den Wählerinnen und Wählern am 27. September überlassen. Ich könnte mir vorstellen, daß es da das eine oder andere Problem geben könnte, wenn man tatsächlich der Meinung ist, wie Sie gesagt haben, Kollegin Ferner, daß eine entsprechend ausgebaute Infrastruktur tatsächlich ein wichtiger Standortfaktor und für die Ansiedlung von Arbeitsplätzen notwendig ist. Darin sind wir uns noch einig. Die Frage ist dann aber: Was machen Sie daraus, und an welchen Parametern kann ich das messen?
Die Streichung von Straßenbaumitteln und die Verstärkung der Investitionen in die Schiene ist eine Forderung, die immer wieder erhoben wird. Sie haben sie bei den letzten Haushalten nicht mehr ganz so intensiv erhoben, aber der Duktus Ihres Antrages ist entsprechend. Allerdings frage ich mich dann, wie ich all den Wünschen der SPD-regierten Länder und SPD-Bürgermeister nachkommen soll, die zur Verwirklichung ihrer Ortsumgehungsstraße bei uns Eingaben machen und uns händeringend anflehen, ihnen dafür auch die Mittel zur Verfügung zu stellen.
Das Ganze findet vor dem Hintergrund statt, daß es noch nie soviel Geld für die Bahn aus dem Bundeshaushalt gegeben hat wie derzeit - mehr als 30 Milliarden DM jedes Jahr.
Es findet allerdings auch vor dem Hintergrund einer Forderung einer anderen Oppositionspartei statt, die sich tatsächlich erdreistet, in einen Gesetzesantrag hineinzuschreiben, man solle für bestimmte Transporte einen Schienenzwang vorschreiben. Wer das tut, negiert einfach die Notwendigkeit eines wirtschaftlichen Arbeitsprozesses. Was würde es denn bedeuten, wenn man Gefahrgüter nur noch auf der Schiene transportieren könnte? Hieße das, daß jemand, der nicht an einer Schienenverbindung wohnt, nicht mehr in der Lage ist, Gefahrgüter zu empfangen oder zu transportieren? Muß er dann zwangsweise an die Schienenverbindung umsiedeln? Welche Arbeitsplatzkonsequenzen und sonstige Konse-
Horst Friedrich
quenzen hätte das denn? Daß dieser Ansatz von der PDS kommt, zeigt eigentlich, daß sie noch immer nicht gelernt hat, was auch für den Zusammenbruch des Wirtschaftssystems in der ehemaligen DDR verantwortlich war.
Es kann nicht per Gesetz vorgeschrieben werden, wie transportiert wird. Das muß dem arbeitsteiligen Prozeß überlassen bleiben. Vor allen Dingen muß berücksichtigt werden, wie die tatsächliche Verteilung der Verkehrsströme ist und welche Verlagerungspotentiale von der Bahn akzeptiert werden. Es ist notwendig, sich einmal zu fragen: Über welche Entfernungen werden Güter transportiert? Wie sind die Verteilungsströme? Welchen Anteil kann die Bahn davon ableiten?
Im übrigen: Ich habe die Bilanzen der DB Cargo der letzten Zeit gelesen. Darin ist nicht von einem Rückgang des Güterverkehrs die Rede, sondern von einer Steigerung. Natürlich könnte es sein, daß wir im letzten Jahr verschiedene Bilanzen erhalten haben. Ich kann mir das aber nicht vorstellen, da die Veröffentlichung gleichzeitig erfolgt ist.
Zum Thema Transrapid. Liebe Kollegen von der SPD, in Ihrem Antrag steht dazu ein entschiedenes „Jein".
Öffentlich bekennen Sie, daß Sie zu dieser Technik stehen. In Ihrem Antrag steht dezidiert: Wir sind für eine kurze Referenzstrecke.
Das ist aber nichts anderes als die vornehme Aussage, sich von dieser Technik zu verabschieden.
Das ist wieder ein beredtes Beispiel für Ihre Aussage „Ich bin bereit", die im Widerspruch zu „Ich habe fertig" steht.
Im Jahr 2000 findet die Expo in Hannover statt. Wir werden zu Beginn der Expo 2000, wenn Sie die Chance haben sollten, die bisher getroffenen Entscheidungen zum Transrapid zu ändern, feststellen, daß wir den Transrapid beerdigt haben. Das paßt zu dem von der SPD propagierten neuen innovativen Aufbruchprozeß Deutschlands wie die Faust aufs Auge.
Glauben Sie ernsthaft, jetzt noch eine neue Planfeststellung, eine neue Raumordnung, eine neue Wirtschaftlichkeitsuntersuchung vornehmen und vor allen Dingen zwei neue Städte finden zu können, die
nicht weit auseinanderliegen? Das alles hatten wir schon in Nordrhein-Westfalen.
Das ist doch, wenn ich mich recht erinnere: mit Unterstützung der SPD, gekippt worden. Die Vorschläge gab es schon alle.
Ich bleibe dabei: Wer meint, den Transrapid als Vorortzug vergewaltigen zu müssen, der hat den Sinn und die Vorteile dieser Technik nicht verstanden und traut sich nur nicht, den Leuten ehrlicherweise zu sagen, daß man diese Technik nicht will.
Das schließt doch nicht aus, liebe Kollegin Ferner,
daß die Zahlen, die von der Industrie auch für die Planungen der Bahn Ende Juni dieses Jahres vorzulegen sind, so belastbar sein müssen, daß es keine unwägbaren Risiken gibt. Das heißt doch noch lange nicht, daß wir sehenden Auges auf Risiken zugehen, die wir nicht beherrschen können. Aber man muß doch das eine vom anderen trennen.
Sie machen einen Eiertanz. Sie trauen sich nicht, zu sagen: Wir wollen den Transrapid nicht! Statt dessen versuchen sie jetzt, das Ganze durch einige Anträge so zu verschleiern, daß Ihr Ministerpräsident Eichel in Hessen keine Angst wegen der Arbeitsplätze in Kassel bekommt.
Zum Thema ÖPNV: Es ist schon starker Tobak, was die Kollegin Ferner hier geboten hat. Ich habe den Eindruck, sie hat das Regionalisierungsgesetz überhaupt nicht gelesen. Ein Blick in dasselbe würde aber deutlich machen: Die Länder haben eine Revisionsklausel eingebaut. Man hat sich sogar auf eine gemeinsame Gutachterfirma geeinigt.
- Das Ergebnis war offen, liebe Frau Kollegin. - Die Gutachteruntersuchung kommt zu dem Ergebnis, daß die Transfermittel, die der Bund zahlen muß,
zu hoch sind, weil man für den vorhandenen Verkehr auch weniger Mittel einsetzen könnte.
Ich gehe jede Wette ein, daß wir, wenn das Ergebnis andersherum ausgefallen wäre, wenn der Bund also hätte mehr zahlen müssen, den Gesetzentwurf schon lange auf dem Tisch hätten. Dann wäre nicht mehr von Unverschämtheit die Rede. Nein, meine Damen und Herren, wenn man wirklich effizient handeln will, dann muß man auch bereit sein, zu
Horst Friedrich
dem zu stehen, was man selbst beschlossen hat. Ansonsten wird das Ding nicht rund zu bekommen sein.
Es hat noch nie soviel Geld für den öffentlichen Personennahverkehr in Deutschland gegeben wie derzeit. Das ist richtig. Es kommt allerdings darauf an, was man daraus macht. Selbst das DIW hat geschrieben, daß eine bessere ÖPNV-Struktur nicht nur vom Geld abhängig ist, sondern auch von mehr Wettbewerb, und kommt zu dem Schluß, daß die jetzigen Gesetze zunächst einmal dazu geführt haben, daß die bisherigen Platzhirsche und Konzessionshalter gar nicht daran denken, darüber nachzudenken, ob nicht durch etwas mehr Öffnung, also auch durch Private, die gleichen Leistungen bei mindestens gleicher Qualität zu insgesamt günstigeren Bedingungen für den Steuerzahler erbracht werden können. Solange es diesen Druck nicht gibt, werden wir keine Veränderung der Struktur haben.
Vor allen Dingen die Denkweise muß geändert werden. Es darf insofern kein Vorteil bestehen, als gesagt wird: Ich biete Ihnen einen Fahrplan an. Sie können die Verkehrsmittel nutzen oder nicht. - Das Angebot muß auf die Bedürfnisse der Kunden abgestimmt werden. Das geht im Wettbewerb sehr viel besser als im Monopol.
Es ist auch immer gesagt worden, die Schiffahrt brauche neue Wettbewerbsbedingungen. Diese Regierungskoalition hat unter nicht unwesentlicher Beteiligung der F.D.P. vor kurzem die Tonnagebesteuerung für die deutsche Schiffahrt beschlossen. Sie hat gleichzeitig einen Lohnsteuereinbehalt für Reedereien vorgesehen, und sie hat die Schiffssicherheitstechnik internationalen Standards angepaßt. Sie hat bei den Regelungen, die die Schiffsbesatzungen betreffen, Änderungen vorgenommen, über die jetzt wieder gestritten werden kann. Andere Länder haben diese Änderungen ebenfalls vorgenommen und sie umgesetzt. Das hat dazu geführt, daß in den Niederlanden, in Norwegen, in Dänemark und anderswo mehr einheimische Kapitäne, Offiziere und auch Matrosen auf den einheimischen Schiffen mitfahren. Das Resultat war auch, daß Arbeitsplätze neu geschaffen wurden, weil die Tendenz, wieder unter die jeweilige heimische Flagge zurückzuflaggen, sehr viel größer war, als man gemeinhin vermutet hatte. Ich frage: Warum soll das, was für Holland, für Norwegen und für andere Länder gilt, nicht auch für Deutschland gelten - dies um so mehr, als wir ja nicht nur vorgesehen haben, daß der Kapitän ein deutsches Patent haben muß, sondern auch, daß er Deutscher sein muß. Das bedeutet auch die Verpflichtung, auszubilden - das wird gemeinhin immer negiert.
Zur Infrastruktur: Sie gehen davon aus, daß die Bahn mit einer Hypothek belastet ist, weil sie eine Vollkostendeckung erzielen muß. Ich darf in diesem Zusammenhang den Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bahn AG, Dr. Johannes Ludewig, zitieren, der öffentlich immer wieder zweifelsfrei erklärt, er denke überhaupt nicht daran, vom Prinzip der Vollkostendeckung abzugehen. Denn nur so - so Ludewig - gibt es einen Zwang für seine Aktiengesellschaft und ihre Abteilungen, kosteneffizient und kostenbewußt zu arbeiten. Ich weiß nicht, warum Sie immer wieder Betroffene - gegen ihren Willen - mit bestimmten Vorschlägen beglücken wollen. Lassen Sie doch die Bahn - deswegen haben wir sie ja privatisiert - ihre eigenen wirtschaftlichen Entscheidungen treffen!
Sie wollen ja nicht die Leistungsfähigkeit der Bahn und ihren Anteil am Gesamtverkehrsaufkommen erhöhen. Vielmehr zielen Sie ja in Ihren Vorschlägen unter der Überschrift „Internalisierung externer Kosten" darauf ab, den Straßenverkehr einseitig zu verteuern - und zwar so lange, bis es entweder keinen nationalen deutschen Straßenverkehr mehr gibt
oder aber die Bahn irgendwann doch den Punkt erreicht, daß sie zumindest in preislicher Hinsicht am Markt leistungsfähig ist. Ob sie das in bezug auf die Logistik schafft, ist eine ganz andere Frage.
Der Prüfstein hinsichtlich der Bahn wird für mich sein, ob diese neue Firma, zu der sich die Deutsche Post AG und United Parcel Service zusammengetan haben, die im Güterfernverkehr für den Postbereich ein ernstzunehmender, leistungsfähiger Konkurrent auf der Schiene sein will, tatsächlich einen diskriminierungsfreien Zugang zu den Trassen und den entsprechenden „slots" erhält. Daran wird die Politik der Bahn zu messen sein.
Von der F.D.P. und auch von dieser Bundesregierung ist,
soweit ich das sehe, nicht zu erwarten, daß ein Verkehrsträger drastisch bestraft und besteuert wird, so daß ihm die Luft zum Atmen genommen wird. Und Sie können schon gar nicht erwarten, daß wir die Wirtschaftsströme und ihre Verteilung negieren. Wir werden das Ganze durch die Förderung entsprechender Technik und durch entsprechende Rahmenbedingungen flankieren.
Ich glaube, daß wir für das deutsche Transportgewerbe und für den deutschen Autofahrer das bessere Gesamtkonzept anbieten.
Einer Abstimmung darüber stelle ich mich gern.
Das Wort hat der Kollege Dr. Winfried Wolf, PDS.
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! In allgemeinen Verkehrsdebatten macht es durchaus Sinn, sich die Rahmendaten noch einmal zu vergegenwärtigen. Diese werden am besten durch die Anteile am Verkehrsmarkt wiedergegeben, wie das die Kollegin Ferner auch schon gesagt hat. Danach ist in der ablaufenden Ära Kohl der Anteil des Pkw-Verkehrs am Personenverkehr von 79,2 Prozent im Jahre 1982 auf 81,6 Prozent im Jahre 1996 weiter gestiegen.
Herr Wissmann hat an dieser Stelle öfters behauptet, hier habe es in den letzten Jahren eine Trendwende gegeben. Doch auch die ersten Zahlen für 1997, vorgelegt vom Ifo-Institut und von der Deutschen Bahn AG, weisen in die entgegengesetzte Richtung. Dort wird belegt: 1997 gab es einen absoluten Rückgang bei allen öffentlichen Verkehrsmitteln und bei der DB AG im Fernverkehr. Gleichzeitig wuchs aber der Verkehrsmarkt weiter an. Im Klartext heißt das: Der Anteil von Straße und Luft nahm erstmals wieder deutlich zu. Nur im Schienennahverkehr scheint sich ein leichter positiver Trend fortzusetzen. Daß sich hier die Streckenstillegungen, die die Kollegin Altmann schon erwähnt hat, erst jetzt - und zwar in eine entgegengesetzte Richtung - auswirken und damit den allgemeinen Trend bestätigen, haben wir mehrfach in den Debatten ausgeführt.
Nochmals krasser ist die Entwicklung im Güterverkehr. Bei Antritt der Regierung Kohl, Herr Friedrich, hatte die Schiene einen Anteil von 24,2 Prozent, 1990 waren es 20,1 Prozent. Gerade ab diesem Zeitpunkt, dem Beginn der Bahnreform, ging es steil bergab auf zuletzt für 1996 ausgewiesene 15,9 Prozent. Damit hat sich der Marktanteil der Schiene im Güterverkehr unter der Regierung Kohl um 35 Prozent reduziert. Es sind dann billige Taschenspielertricks, wenn als Antwort auf diese nüchternen Zahlen der lang- und mittelfristigen Entwicklung eine Trendwende behauptet wird, indem sogenannte aktuelle Zahlen - gerade die vom letzten Jahr, Herr Friedrich - aus der Tasche gezaubert werden.
Es ist schon so: Die Verkehrspolitik dieser Bundesregierung hat in erster Linie den Straßen- und Luftverkehr gefördert. Sie dient vor allem den Interessen der Beton- und der Autolobby, die gerade mit der Fusion von Daimler und Chrysler noch einmal unterstützt wird. Sie hat damit die Schäden, die der Umwelt und den Menschen zugefügt werden, massiv gesteigert. Es ist eine Verkehrspolitik, die sich gegen diejenigen richtet, die in unserer Gesellschaft - unter anderem durch einen derart ausgerichteten Verkehrsmarkt - „schwach" gemacht werden: Kinder, Jugendliche, die Mehrheit der Frauen und Menschen mit Behinderungen.
Dieser Tage kann jeder in den Anzeigen der „Aktion Grundgesetz " nachlesen, was die Behindertenverbände dieser Bundesregierung ins Stammbuch schreiben: Obgleich im Jahre 1994 ins Grundgesetz der Satz „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden" eingefügt wurde, hat sich in den letzten Jahren „die Lebenssituation der Betroffenen verschlechtert". Dabei nennen diese Verbände
bei den Barrieren und Hindernissen, vor denen Behinderte stehen, als erstes öffentliche Verkehrsmittel.
Außer der Dominanz des motorisierten Individualverkehrs, die sich gegen die erwähnten Menschengruppen richtet, werden Menschen auch durch die Art und Weise behindert, wie sich öffentliche Verkehrsmittel präsentieren: Abbau der Bahn in der Fläche und Setzen auf Hochgeschwindigkeit, die einer kleinen Klientel dient, Schaffung vollendeter Tatsachen noch vor der Bundestagswahl beim Transrapid, bei dem im übrigen Behinderte, wenn die Magnetbahn auf der Strecke auf Stelzen hängenbleibt, mit dem Kran evakuiert werden müssen, Präsentation auch der zweiten ICE-Generation in einer technischen Ausstattung, bei der Behinderte nur mit entwürdigenden Hilfsmitteln und nur in geringer Zahl an Bord gelangen können. Dazu haben wir soeben einen Entschließungsantrag eingebracht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die SPD hat ihre Große Anfrage auf die letzten 15 Jahre konzentriert. Wahr ist allerdings, daß Kanzler Kohl nahtlos an sozialdemokratische Vorgaben anknüpfen konnte, Transrapid inklusive. Deshalb wird der ehemalige SPD-Verkehrsminister Georg Leber immer wieder als „special guest" durchgereicht, so vor vier Tagen in Berlin, als die neue Transrapid-Gesellschaft aus der Taufe gehoben wurde. Zu fragen ist: Werden nach dem 27. September die guten Passagen, die sich im SPD-Antrag und bei der Kollegin Ferner finden, verwirklicht? Hier ist Skepsis angesagt. Sollte die SPD den nächsten Kanzler stellen - bekanntlich wird das an der PDS-Fraktion im Bundestag nicht scheitern -, dann werden die Richtlinien in der Verkehrspolitik nicht von Elke Ferner bestimmt werden.
Sicher, Herr Küster, lesen nicht alle den italienischen „Corriere de la Sera". Der Bericht über den Auftritt von Gerhard Schröder gestern in Rom fand sich aber auch in der „Süddeutschen Zeitung". Schröder gab einen Empfang in der deutschen Botschaft in Rom. „Noch nie", so geruhte Seine Exzellenz, der deutsche Botschafter, mitzuteilen, habe er eine „so illustre Gesellschaft" begrüßen können. Das klingt so, als setze das Diplomatische Corps bereits auf den Regierungswechsel. Doch wen begrüßte Gerhard Schröder besonders? Etwa den wichtigsten Gewerkschaftsführer dieses Landes, Sergio Cofferati? Nein, Schröder begrüßte den Fiat-Boss Giovanni Agnelli, und zwar explizit mit den Worten „von Automann zu Automann " . Das ist nun wirklich ein Kontrastprogramm. Auf der einen Seite sprechen heute nachmittag die SPD-Abgeordneten Hiksch und Müller in der Parlamentarischen Gesellschaft über die „Kreativität der Langsamkeit" . Auf der anderen Seite stimmt die SPD bereits heute und überall, wo Siemens und Daimler/ Adtranz mit der Stelze winken, nachgerade magnetisch für den Transrapid.
Werte Kolleginnen und Kollegen, auch in der Verkehrspolitik gilt: Ein Regierungswechsel allein bringt keinen Politikwechsel. Die dringend erforderliche Verkehrswende ist in den zwei Anträgen der Grünen gut skizziert. Wir haben bereits vor einem Jahr einen
Dr. Winfried Wolf
vergleichbaren Antrag für die Verkehrswende eingebracht. Wir haben heute unseren Antrag für eine alternative Güterverkehrspolitik eingebracht. Die PDS wird in vier Wochen, im Juni, einen durchgerechneten Alternativen Verkehrsplan für den Bund und konkretisiert für vier Ost- und zwei Westländer vorstellen. Für uns alle gilt doch: All dieses Papier ist geduldig. Es muß schon so etwas wie ein Ruck durch unsere Verkehrsgesellschaft gehen, aber in die entgegengesetzte Richtung, wie Herr Bundespräsident Herzog es meinte:
weg von der Standortideologie, die von den Attributen „schneller" und „mehr" geprägt ist, hin zu einer Gesellschaft, in der das Sich-Besinnen und der Mensch im Mittelpunkt stehen.
Das ist auch der tiefere Sinn des Streiks in Dänemark. Der läuft doch völlig gegen die gängige Ideologie: Gefordert wird mehr Urlaub, mehr Muße. Und warum, so wird dort gefragt - und entsprechend gehandelt -, dann nicht einmal ein Land eine Woche lang lahmlegen und dabei doch lebendig werden und vor allem Solidarität entdecken? Was für Dänemark gilt, Herr Friedrich, könnte auch einmal für uns gelten.
Ich glaube, die Autoindustrie und die Werbefuzzis haben oft einen guten Riecher. Ich habe hier eine große Anzeige von BMW vor mir: ein Kanal in Frankreich, ein romantisches „Café de l'écluse" - Cafe zur Schleuse -, mit Brücke, Menschen, ohne Autos; ein Wohnboot naht - ein Bild von Ruhe und Beschaulichkeit. Darüber der Hinweis: „Eine Empfehlung unseres Navigationssystems", also eine Werbung für Telematik.
Deutlicher läßt sich der Widerspruch dieser Gesellschaft kaum abbilden. Telematik - so wie Herr Brunnhuber, Herr Friedrich, BMW und Herr Wissmann sie verstehen - heißt doch: Es wird überall, auf Straßen und in der Luft, enger, also werden - elektronikgesteuert, satellitengestützt - die Blechlawinen in die letzten Lücken gesteuert. Die Public-RelationYuppies wissen, wie abschreckend diese Realität ist. Daher präsentieren sie das Gegenteil: Beschaulichkeit, Ruhe, eine ausdrücklich autofreie Landschaft.
Der erste Satz im Textteil dieser Werbung von BMW heißt: Unser Navigationssystem ist „ein unfehlbarer Wegweiser". Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns das Bild und den Text ernst nehmen, lassen wir uns - „unfehlbar" - in diese Richtung, Richtung Verkehrswende, steuern!
Danke schön.
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Johannes Nitsch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach fast acht Jahren als Abgeordneter des Deutschen Bundestages
und nach fast neun Jahren als Mitglied eines frei gewählten Parlaments geht meine Parlamentszeit nun zu Ende.
Ich kann auf eine Zeit zurückblicken, die mich mit Dankbarkeit und Stolz erfüllt. Stolz bin ich auf das gemeinsam Erarbeitete, dankbar bin ich dafür, daß ich in einem frei gewählten Parlament für die Bürgerinnen und Bürger unseres wiedervereinigten Vaterlandes arbeiten konnte.
Ich danke Ihnen allen für die gute Zusammenarbeit und für die konstruktive Begleitung.
Bundesverkehrsminister Wissmann bin ich ebenfalls sehr dankbar, daß er mir heute seine Redezeit in der verkehrspolitischen Debatte zur Verfügung gestellt hat, um mir die Gelegenheit zu meiner wahrscheinlich letzten Rede im Deutschen Bundestag zu geben.
Dankbar bin ich allerdings auch den Damen und Herren der SPD-Fraktion, daß sie der Bundesregierung mit dem Wunsch nach einer verkehrspolitischen Debatte die Möglichkeit geben, wenige Monate vor der Bundestagswahl eine erste Bestandsaufnahme einer erfolgreichen Verkehrspolitik der Bundesregierung vorzunehmen.
Diese Bilanz gibt den Bürgerinnen und Bürgern sowie den Unternehmen in Deutschland allen Grund, sich für eine Fortsetzung der zukunftsgewandten und innovativen Verkehrspolitik einzusetzen. Wir haben die richtigen Akzente für ein leistungsfähiges und modernes Verkehrssystem gesetzt. Wir haben dabei dem Umweltschutz und der Sicherheit bei der Gestaltung unserer Verkehrssysteme höhere Priorität eingeräumt als jede Bundesregierung zuvor. So war es diese Bundesregierung, die zum Beispiel mit der Einführung der emissionsorientierten Kfz-Steuer einen entscheidenden Anreiz zur umweltfreundlichen Modernisierung des Fahrzeugbestandes gegeben
und kraftstoffsparenden Fahrzeugen den Weg auf den Markt geebnet hat.
Daß vor wenigen Tagen das erste Brennstoffzellenauto vorgestellt wurde - auch ohne den Druck eines Benzinpreises von 5 DM je Liter -, zeigt, daß unser Ansatz, moderate ordnungspolitische Akzente für den Umweltschutz zu setzen, auf mehr Akzeptanz stößt und eher zu zukunftsfähigen Problemlösungen anregt als Dirigismus und Zwang.
Parl. Staatssekretär Johannes Nitsch
Die Basis für ein zukunftsfähiges Verkehrskonzept bilden nach wie vor leistungsfähige Verkehrswege. Wir haben für eine Infrastruktur gesorgt, die international höchste Anerkennung findet. Es gibt kein zweites Land in Europa, das über Jahre hinweg einen so hohen Investitionsaufwand für den Verkehr betrieben und zudem so eindeutig den Schienenwegen und Wasserstraßen den Vorrang gegeben hat.
Seit dem Sommer 1990 haben sich unsere Investitionen in die Verkehrswege in Deutschland auf rund 176 Milliarden DM addiert.
Mit 43 Prozent oder 76 Milliarden DM wurden die neuen Bundesländer deutlich überproportional bedacht - eine Entscheidung, die auch für die nächsten Jahre gelten muß, denn in Ostdeutschland müssen weitere Voraussetzungen geschaffen werden, damit sich die Wirtschaft dort weiterentwickelt und damit es dort neue Arbeitsplätze gibt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das möchte ich Ihnen für Ihre Arbeit in den nächsten Jahren ganz besonders ans Herz legen.
Neben den notwendigen Ersatz- und Erhaltungsmaßnahmen haben wir 5300 Kilometer Schienenwege und insgesamt 11500 Kilometer Straßen neu-und ausgebaut. Von den Verkehrsprojekten Deutsche Einheit, in die wir bisher 26 Milliarden DM investiert haben, sind vier Schienenprojekte vollständig fertig. Im September wird mit der Schienenverbindung Hannover-Berlin das nächste VDE-Projekt in Betrieb genommen.
Unser Grundsatz lautet: Sparen, wo immer dies möglich ist, aber nicht bei den Investitionen im Verkehr; denn sie sind die Basis für die wirtschaftliche Entwicklung in unserem Land.
Aus der Notwendigkeit, auch seitens des Verkehrsbereichs zur Konsolidierung des Haushaltes beizutragen, haben wir daher produktive Strategien entwikkelt.
Zum einen haben wir Modelle zur Nutzung privaten Kapitals für die Infrastrukturfinanzierung entwikkelt und inzwischen wichtige positive Erfahrungen gesammelt. Wir haben uns entschieden, über die ursprünglich vereinbarten zwölf Straßenprojekte mit einem Investitionsvolumen von 4,6 Milliarden DM hinaus 15 weitere kleine Vorhaben mit einem Investitionsvolumen von 550 Millionen DM privat vorfinanzieren zu lassen, um insbesondere dem Arbeitsmarkt im Bereich der Bauindustrie zusätzliche Impulse zu geben.
Mit dem Fernstraßenbauprivatfinanzierungsgesetz haben wir zudem die Grundlage für eine echte Privatfinanzierung im Straßenbau gelegt. Bei zwei Maßnahmen, nämlich der Warnow-Querung in Rostock und der Trave-Querung in Lübeck, wird das Betreibermodell angewandt, das private Kapitalgeber in die Verwirklichung des gesamten Projektes
einbindet, das heißt von der Planung über den Bau und die Finanzierung bis hin zum Betrieb dieser Vorhaben.
Dies ist das eigentlich innovative und auf Dauer angelegte Finanzierungsinstrument.
Ich gehe davon aus, daß auf der Grundlage unserer den Ländern unterbreiteten Vorschläge und einer bis zu zirka 20prozentigen Anschubfinanzierung in Zukunft weitere Projekte auf diese Weise verwirklicht werden können.
Dieser Bundesregierung ist es auch gelungen, einen Einstieg in eine gerechtere Wegekostenanlastung in Europa zu finden, die für die Infrastrukturfinanzierung auf Dauer von Bedeutung ist. Wenn wir zu Beginn des nächsten Jahrzehnts die jetzt zeitbezogene Straßenbenutzungsgebühr für schwere Lkw durch eine streckenbezogene Gebühr ablösen, eröffnet sich auch für die private Streckenfinanzierung eine völlig neue Perspektive.
Schließlich haben wir den Bundeshaushalt durch eine Reihe wichtiger Privatisierungsmaßnahmen spürbar entlastet. Das entspricht natürlich in erster Linie unserer ordnungspolitischen Überzeugung, Aufgaben, soweit es eben geht, Privatunternehmen zu überlassen. Die Bahnreform mit der Regionalisierung des ÖPNV als größtes Modernisierungsprogramm für den öffentlichen Personennahverkehr, das es je gegeben hat, ist hierfür das beste Beispiel.
Lassen Sie mich aber hinzufügen, daß der Bund die Länder weiterhin bei der optimalen Gestaltung des ÖPNV in größtmöglicher Weise unterstützt. Lassen Sie mich zwei Länder als Beispiel nennen: Sachsen erhält in diesem Jahr 750 Millionen DM an Regionalisierungsmitteln und Finanzhilfen nach dem GVFG. Nordrhein-Westfalen, das an der Spitze steht, bekommt 2,6 Milliarden DM. Insgesamt erhalten die Länder 1998 vom Bund für diese OPNV-Aufgaben 15,7 Milliarden DM gegenüber 15,4 Milliarden DM im letzten Jahr. Ich denke, mit dieser attraktiven Ausstattung kann man einiges für den ÖPNV tun.
Ein Vorzeigemodell für eine erfolgreiche Privatisierung ist auch die Privatisierung der Lufthansa. Daß das Unternehmen heute die Spitzenstellung auf dem internationalen Luftverkehrsmarkt einnimmt, ist nicht zuletzt auch unserer seit Jahren konsequent betriebenen Privatisierungsstrategie zuzurechnen.
Unsere Investitionsstrategie findet ihre Ergänzung in der Verknüpfung und Vernetzung der Verkehrsträger. Sie erst ermöglichen es, die Verkehrswege optimal zu nutzen und zu einer wirtschaftlich effizienten wie ökologisch sinnvollen und ausgewogenen Arbeitsteilung zwischen den Verkehrsträgern zu kommen.
Wir haben zum Beispiel mit der Deutschen Bahn AG zwei Sammelfinanzierungsvereinbarungen für den Ausbau von KV-Terminals abgeschlossen, die für insgesamt 13 Standorte ein Investitionsvolumen
Parl. Staatssekretär Johannes Nitsch
von 570 Millionen DM umfassen. Damit ist der für den KV so wichtige Terminalausbau endlich in Gang gekommen. Dazu kommt, daß wir seit diesem Jahr auch private Investoren beim Bau und Ausbau von KV-Terminals finanziell unterstützen können.
Unsere Strategie zur verstärkten Nutzung der Telematik im Verkehr übernimmt bei der Vernetzung der Verkehrsträger eine ganz besondere Rolle. Auch hier haben wir uns dank der gelungenen Zusammenarbeit zwischen Industrie, Anwendern und Politik eine weltweite Spitzenstellung erarbeitet.
Angesichts des bereits genannten Umsatzvolumens in der Größenordnung von 150 bis 200 Milliarden DM bis zum Jahr 2010, das wir für Europa erwarten, wird deutlich, welche wirtschaftlichen Chancen sich hier für unsere Industrie erschließen.
Vielfältige Telematikanwendungen, die wir heute nicht nur im Straßenverkehr kennen, sondern die längst auch im Schienenverkehr, insbesondere im Schienenpersonennahverkehr, im Luftverkehr und in der Schiffahrt Einzug gehalten haben, zeigen, daß wir die für den Aufbau von Telematikdienstleistungen erforderlichen Rahmenbedingungen weitgehend geschaffen haben. Wir sind aber auch dabei, diese weiterzuentwickeln, soweit es erforderlich ist. Hierzu hat der Abgeordnete Brunnhuber entsprechende Ausführungen gemacht.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß sagen, welche Vorstellung über den Verkehr ich für das 21. Jahrhundert habe - ich hoffe, daß Sie sich mir weitgehend anschließen können -: Es muß im nächsten Jahrhundert ein integriertes Verkehrssystem aus gleichberechtigten und gleich leistungsfähigen Verkehrsträgern geben. Deren Aufgabe wird es zunehmend sein, auf der Basis von Kooperation, infrastruktureller Verknüpfung und informationstechnischer Vernetzung ganz neue Transport- und Beförderungskonzepte zu entwickeln, die den zukünftigen Herausforderungen für umweltverträgliche Verkehrssysteme gerecht werden. Die Politik muß und - da bin ich sicher - wird hierbei auch künftig mit der Schaffung der erforderlichen Rahmenbedingungen hilfreich zur Seite stehen. Ich jedenfalls wünsche Ihnen, die Sie diese Aufgabe zu leisten haben, eine glückliche Hand.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Das Wort hat jetzt der Kollege Siegfried Scheffler, SPD.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zog die Koalition bei den vorangegangenen Wahlkämpfen noch mit dem Slogan „Weiter so, Deutschland!" in die politische Auseinandersetzung, so würde sie jetzt, denke ich, mit dem gleichen Ausruf Panik in Deutschland
erzeugen. Weiter so kann und darf es insbesondere in der Verkehrspolitik nicht gehen. Leider hat Staatssekretär Nitsch die Fortführung dieser Politik empfohlen. Aber am 27. September werden die Weichen anders gestellt.
Seit Jahr und Tag behauptet der Verkehrsminister, eine Politik zu betreiben, bei der im Interesse aller die Stärkung der umweltverträglichen Verkehre, der Verkehrsträger Bahn und Wasserwege, im Mittelpunkt stehen.
Er betreibt jedoch in der Realität eine Politik, die den Verlautbarungen genau entgegengesetzt ist. Wir erleben nach wie vor, wie eine Politik zugunsten der die Allgemeinheit am stärksten belastenden Verkehrsträger Pkw und Lkw betrieben wird. Statt der versprochenen Verkehrswende kommen wir als Folge dieser Politik dem Verkehrsinfarkt immer näher.
Ich erkenne an, daß Pkw und Lkw Bestandteil eines integrierten Verkehrssystems sein müssen.
Doch treten immer deutlicher auch die Schattenseiten dieses Verkehrssystems hervor, das primär über die Straße versucht, die Verkehrszuwächse zu kanalisieren.
Es wird Zeit, daß das alte, nicht funktionierende und das Problem verschärfende Konzept über Bord geworfen und durch echte, strukturelle Reformen der Verkehrspolitik ersetzt wird.
Mir ist ein Rätsel, wie man öffentlich erklären kann, man betreibe eine Schienenvorrangpolitik - das haben wir eben wieder gehört -, wenn man auf der anderen Seite, wie von der Kollegin Ferner schon angesprochen, den Schienenbautitel von 6,7 Milliarden DM im Jahre 1994 auf nominal 3 Milliarden DM im Jahre 1998 kürzt. Dadurch, daß die Bahn den Infrastrukturauftrag des Bundes immer mehr mit Eigenmitteln finanzieren muß, daß zudem die Bundeszuschüsse an das Bundeseisenbahnvermögen um weitere 550 Millionen DM gekürzt wurden, nehmen die Regierung und die sie tragenden Parteien bewußt in Kauf, daß die Bahn keine Chance hat, gegenüber dem Verkehr auf der Straße konkurrenzfähig zu werden.
Siegfried Scheffler
Verkehrsinvestitionen sind aber nun einmal das wichtigste Steuerungsinstrument für Verkehrsströme. Hierdurch besteht die Möglichkeit, Verkehre im Sinne eines effizienten Verkehrssystems aktiv zu gestalten. Natürlich müssen auch diese Investitionen eine effiziente und attraktive Vertaktung aller Verkehrsträger - auch ÖPNV, auch Schienenpersonennahverkehr - beinhalten. Was nützen die größten Investitionen, wenn viel zu hohe Trassenpreise bzw. viel zu wenig Wettbewerb beim Trassenzugang in Europa einen negativen Einfluß auf die Fahrpreise haben?
Nein, meine Damen und Herren von der Koalition, wir brauchen integrierte Verkehrslösungen, bei denen die Schiene in Europa - mehr als in der bisherigen Politik - als tragende Säule Beachtung findet.
Stellvertretend für viele andere möchte ich einige Beispiele tragender Säulen in den neuen Bundesländern aufzählen. Jeder in diesem Hause wird sich noch an das Versprechen bezüglich der blühenden Landschaften erinnern. Doch das, was blüht, ist Arbeitslosigkeit und das Unkraut auf vielen Eisenbahnüberführungen.
Die Kommunen dort müssen nicht nur für den Erhaltungsaufwand, sondern auch für den teilweise gravierenden Erhaltungsrückstand 'an Eisenbahnkreuzungen aufkommen. Für die betroffenen Kommunen sind diese Kosten nicht aufzubringen.
So, wie Sie jetzt reagieren, haben leider auch Ihre Ost-Abgeordneten in den Ausschußberatungen reagiert. Sie haben unseren Antrag zur Hilfe für die Kommunen in den neuen Bundesländern abgelehnt.
Das ist schlimm, und ich frage mich, wie Sie das Ihren Wählerinnen und Wählern in den neuen Bundesländern erklären können.
Es gibt Kommunen, die bei einem Haushalt von insgesamt 1 Million DM 2,5 Millionen DM für die Instandsetzung ihrer Eisenbahnüberführungen zahlen sollen.
Gerichtliche Auseinandersetzungen sind hier an der Tagesordnung. Diese absurde Situation hat mittlerweile dazu geführt, daß Bahnübergänge gesperrt und Gemeinden somit durch den Schienenstrang quasi geteilt wurden. Das ist schlimm. Es geht hier um den Aufbau Ost und nicht um eine neue Teilung.
Erschwerend kommt hinzu, daß den Ländern bisher die Mittel aus dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz nicht entsprechend ihrem Bedarf zugeteilt wurden. Als Folge verfügen die Kommunen hier über keinerlei finanzielle Spielräume.
- Das hat überhaupt nichts mit den Ministerpräsidenten zu tun, das hat etwas mit dem Haushalt des Bundes zu tun. - Deshalb hat die SPD-Fraktion auch diesen Antrag gestellt.
Weitere negative Beispiele für die neuen Bundesländer können wir bei den Verkehrsprojekten Deutsche Einheit aufzählen. Ich gebe zu, daß vieles getan wurde. Aber es ist auch vieles nicht getan und unterlassen worden. Wir sprechen ja davon, daß die Bahn als effizienter Verkehrsträger überhaupt eine Chance als Alternative zur Straße haben soll.
Wie sieht es zum Beispiel - fangen wir gleich oben an - in Mecklenburg-Vorpommern beim Verkehrsprojekt Deutsche Einheit 1 aus?
- Hervorragend? Die Fertigstellung der Eisenbahnstrecke Lübeck-Stralsund steht in den Sternen. Lieber Kollege Kuhn, das müßten Sie doch wissen.
Wollte Verkehrsminister Krause diese Strecke noch zweigleisig und vor allen Dingen elektrifiziert ausbauen, so ist heute davon überhaupt keine Rede mehr. Von den zugesagten Geldern sind tatsächlich erst 40 Prozent geflossen. Bis über das Jahr 2000 hinaus dürfte dort gar nichts mehr passieren.
Ein weiteres Beispiel ist das Verkehrsprojekt Deutsche Einheit 13, die Autobahn A 48 Halle-Göttingen. Hier ist es weniger das fehlende Geld, hier ist es der Verkehrsminister selber, der - jetzt verwende ich einmal Ihr Wort - blockiert, weil ihm die endgültige Linienführung noch völlig unklar ist.
Konsequenterweise muß als erstes der völlig unterfinanzierte Bundesverkehrswegeplan überarbeitet und neu erstellt werden.
- Ich möchte weiterreden; ich habe nur ein paar Minuten Redezeit. - Wenn Herr Staatssekretär Johannes Nitsch hier eben die Warnow-Querung in Rostock anführte, dann ist gerade das ein ganz negatives Beispiel für ein Finanzierungsvorhaben.
- Aber natürlich. Kollege Röhl, Sie wissen das am besten.
Siegfried Scheffler
Dieser neue Bundesverkehrswegeplan muß sich an den tatsächlichen Möglichkeiten orientieren und in seiner Prioritätensetzung auf die umweltfreundlichen Verkehrsträger Schiene und Wasserwege in jeweiliger Verknüpfung mit dem ÖPNV zugeschnitten sein.
Daß bisher der Lkw Sieger im Kampf um Transportanteile geworden ist und daß es nicht zu einem fairen Wettbewerb der Verkehrsträger gekommen ist, hat seine Ursachen auch darin, daß die Transportkosten falsch verteilt sind. In Relation zum Schienenverkehr und zum Schiffstransport ist der Straßenverkehr hier doch zu billig. Die im Vergleich zur Schiene zu niedrigen Transportpreise haben eine Explosion der Straßengüterverkehrsleistung zur Folge gehabt.
Die zeitabhängige Lkw-Vignette zeitigt keinerlei Wirkung. Wir wollen, daß sie durch ein System des fahrleistungsabhängigen Truck-Pricing ersetzt wird. Mit Hilfe satellitengestützter Systeme - es wurde heute schon angesprochen - können dann Wegekosten so angelastet werden, daß Nutzfahrzeuge strekkenabhängig zu Abgaben herangezogen werden. Parallel dazu müssen natürlich auch die Trassenpreise der Bahn abgesenkt werden. Wichtig ist zudem - ich sprach es bereits kurz an -, daß es zu einer Vereinheitlichung der Mineralölsteuer kommt. Diese muß wettbewerbsneutral für Schienen-, Luft- und Schiffsgüterverkehr geregelt werden.
Auch müssen attraktive Alternativen zum Pkw geboten werden. Dazu muß es nicht nur in den Ballungsgebieten ein vernünftiges, bezahlbares und attraktives SPNV- und ÖPNV-Angebot geben. Auch in diesem Sektor verhindert die Präferierung des Straßenausbaus seitens der Bundesregierung eine entsprechende Entwicklung.
Nur eine echte Schienenvorrangpolitik kann den infrastrukturellen Nachholbedarf der Bahn befriedigen. Neben dem Erhalt des Schienenpersonennahverkehrs in der Fläche, dem Auf- und Ausbau eines leistungsfähigen Hochgeschwindigkeitsnetzes und der Ertüchtigung des bestehenden Netzes für schnelle Neigetechnikzüge, wie schon von der Kollegin Ferner angesprochen, können durch den Einsatz von Telematik und durch die Entmischung des Personen- und Güterverkehrsnetzes die Kapazität und die Attraktivität der Bahn deutlich gesteigert werden.
Abschließend möchte ich noch auf ein Beispiel der gegenwärtigen Verkehrspolitik aus meiner Heimatstadt Berlin eingehen. Anfang der Woche gab der Verkehrsminister in Berlin das Startsignal für den Bau des Transrapid zwischen Berlin und Hamburg.
Johannes Ludewig, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bahn AG, meinte anläßlich dieses Ereignisses,
daß durch den Transrapid zwei Weltstädte im S-Bahn-Takt miteinander verbunden werden.
Der Verkehrsminister ist aus uns bekannten Gründen nicht anwesend. Er hat es bisher nicht geschafft, die Zusagen für die Finanzierung der mauerbaubedingten Lückenschlüsse bei S-Bahn und bei Regionalverkehr einzuhalten. Nicht finanzierte Zusagen, für die bereits vollendeten Lückenschlüsse Betriebskostenzuschüsse zu zahlen, haben dazu geführt, daß das Land Berlin bei der S-Bahn GmbH sowie der DB-Regionalbahn derartig in der Kreide steht, daß keinerlei Spielräume mehr für weitere Investitionen bestehen.
Achten Sie bitte auf die Zeit.
Es wird Zeit, daß jemand die richtigen Signale auf Grün für eine vernünftige Verkehrspolitik, für eine Verkehrspolitik mit Vorrang für Bahnen, die Wasserwege und den ÖPNV stellt.
Herr Staatssekretär, abschließend möchte ich noch ein persönliches Wort sagen. Auch wenn wir uns sehr kontrovers streiten: Was die Ziele der Verkehrspolitik angeht, so möchte ich Ihnen doch danken, daß Sie immer bereit waren, vor Ort zu erscheinen, wenn es Probleme in der Kommune gab. In diesem Bereich gab es eine konstruktive Zusammenarbeit. Ich wünsche Ihnen für Ihren weiteren Weg alles Gute.
Vielen herzlichen Dank.
Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Friedrich.
Herr Präsident, da der Kollege Scheffler keine Zwischenfrage zugelassen hat, muß ich meine Äußerung auf diesem Wege machen.
Herr Kollege Scheffler, sind Sie nicht der Meinung, daß das, was Sie dargestellt haben, eine grobe Verzerrung der Tatsachen ist, insbesondere was den Schienenverkehr in den neuen Bundesländern angeht? Von neun Verkehrsprojekten „Deutsche Einheit Schiene" sind vier komplett fertiggestellt und übergeben, ein fünftes ist im wesentlichen fertiggestellt, alle anderen sind im Bau. Halten Sie es nicht für ein krasses Mißverhältnis, ausgerechnet das einzige Projekt, bei dem selbst die Bahn in bezug auf den weiteren Ausbau Bedenken hat - die Bahn ist privatisiert, wohlgemerkt -, als Grund für Mißtrauen gegenüber der jetzigen Politik anzuführen?
Im übrigen möchte ich auf folgendes hinweisen: Die kurze Fertigstellungs- und Übergabezeit ist dadurch erreicht worden, daß diese Regierung die Planungsbedingungen und -vorschriften geändert hat. Sie waren dagegen; wenn es nach Ihnen gegangen
Horst Friedrich
wäre, dann hätten wir noch nicht einmal ein Projekt fertiggestellt.
Gegenrede.
Lieber Herr Kollege Friedrich, ich gehe zuerst auf Ihren letzten Punkt ein. Da Sie mich persönlich angesprochen haben, kann ich Ihre Behauptung „Sie waren in Abstimmung mit den neuen Bundesländern, dagegen", zurückweisen. Ich war Berichterstatter. Heute muß ich der Fraktion danken, daß sie sehr viel Verständnis für unsere Lage in den neuen Bundesländern hat. Ich habe mich für die Verlängerung genau dieses Planungsbeschleunigungsgesetzes im Deutschen Bundestag ausgesprochen; insofern hätten Sie sich diese Berner-kung sparen können.
Ich habe hier von den Verkehrsprojekten Deutsche Einheit und vorn Bundesverkehrswegeplan gesprochen. Ich bleibe bei meiner Meinung: Es ist keine Verzerrung zu behaupten, daß die Verkehrspolitik der Bundesregierung nicht zum Vorteil der Bahn ist; vielmehr trägt sie zur Wettbewerbsverzerrung und damit zum Nachteil der Bahn bei.
Bevor ich der nächsten Rednerin das Wort gebe, komme ich auf die letzte Debatte zurück. Wir haben eben das Plenarprotokoll durchgesehen. Wir haben festgestellt, daß der Kollege Hollerith den Ministerpräsidenten des Saarlandes einen „Bankrotteur" genannt hat. Das ist jenseits der Regeln. Das möchte ich im Protokoll festhalten.
- Ich will nicht pingelig sein, aber es macht wenig Sinn, wenn ich einen solchen Hinweis gebe und dieser dann durch bestimmte Erklärungen aufgegriffen wird. Dafür bekommt man normalerweise einen Ordnungsruf. Also lassen Sie das bitte!
Das Wort hat jetzt die Kollegin Renate Blank.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eigentlich betrachtete ich die heutige Debatte als Chance dafür, so manchen ideologischen Stau im Kopf aufzulösen. Nach den Reden der Opposition gebe ich aber jegliche Hoffnung auf.
Die Verkehrspolitik hat in den vergangenen Jahren, insbesondere seit der deutschen Einheit, sehr viel geleistet. Zum Beispiel sind seit dem Sommer 1990 in ganz Deutschland rund 170 Milliarden DM in
die Verkehrswege investiert worden. Damit sind wir in Europa einsame Spitze.
Derzeit brauchen wir keine Fortschreibung des geltenden ersten gesamtdeutschen Bundesverkehrswegeplanes, der bis zum Jahre 2012 Gültigkeit besitzt. Ein größeres Maßnahmenvolumen ist abzuarbeiten. Der Vorrat an bisher nicht realisierten, aber volkswirtschaftlich sehr rentablen Maßnahmen ist groß. Seine Abarbeitung wird noch längere Zeit in Anspruch nehmen. Wie oft, meine Damen und Herren, soll ich eigentlich noch klarstellen, daß der Bundesverkehrswegeplan ein Bedarfsplan und kein Finanzplan ist?
Hoffentlich begreifen Sie das endlich.
Der Etat für die Verkehrsinvestitionen ist nicht gekürzt, sondern trotz Haushaltskonsolidierungsmaßnahmen sogar leicht erhöht worden.
Was wäre denn aus den Verkehrsinvestitionen im Haushalt geworden, wenn wir in den vergangenen Jahren Ihren Anträgen auf Kürzung der Ausgaben für den Straßenbau gefolgt wären, meine Damen und Herren von der Opposition? Auch Ihr Ministerpräsident aus Niedersachsen hätte keine neuen Zufahrten nach Hannover erhalten.
Im April monierten die Verkehrsminister der Länder, daß jährlich rund 4 Milliarden DM, davon 3 Milliarden DM für Investitionen und 1 Milliarde DM für den Erhalt und die Erneuerung, fehlten. Wenn der Etat für die Bundesfernstraßen nicht aufgestockt werde, drohe Schaden für die Volkswirtschaft und den Standort Deutschland, so die Ausführungen der Verkehrsminister der Länder. Der Clou dabei ist allerdings, daß auch die rotgrün regierten Länder diese Forderungen vehement unterstützten. Das ist schon eine erstaunliche Entwicklung bei den Verkehrsministern in den rotgrün regierten Ländern. Oder schlägt der Wahlkampf bereits rotgrüne Kapriolen? Ich glaube, daß hier bereits gnadenlos „geschrödert" wird.
Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie müßten angesichts dieses Sachstandes schon noch eine totale Kehrtwende vornehmen, um eine einheitliche Position zu beziehen.
Wer das Auto dämonisiert, einen Benzinpreis von 5 DM einfordert und Urlaubsreisen per Flugzeug nur noch auf Bezugsschein alle fünf Jahre zulassen oder einen autofreien Sonntag einführen will wie Sie vom Bündnis 90/Die Grünen, auch wenn Sie es in Ihrem Wahlprogramm schamhaft verschweigen, der gefähr-
Renate Blank
det wissentlich den Wirtschaftsstandort Deutschland und eine bezahlbare Mobilität.
Ich denke dabei auch an die Konsequenzen für den ÖPNV. Nach Auskunft der VAG Nürnberg würden allein bei einer Erhöhung des Benzinpreises um 10 Pfennig pro Liter Mehrkosten in Höhe von fast 600000 DM jährlich auf die Verkehrsbetriebe zukommen. Das würde letztlich zu einer Anhebung der Fahrpreise führen. Sie sollten einmal darüber nachdenken, daß gerade der öffentliche Personennahverkehr, der ja aus Steuermitteln subventioniert wird, einigermaßen bezahlbar bleiben muß.
Ich erinnere auch daran, daß die SPD in den vergangenen Jahren ständig eine Erhöhung der Mineralölpreise gefordert hat. Solche unsozialen Anträge haben wir stets abgelehnt. Mobilität muß nämlich für alle bezahlbar bleiben. Mit einer drastischen Erhöhung des Benzinpreises könnte aus Ihrer Sicht sicher mancher Stau vermieden werden. Aber daß Sie Autofahren nur für Reiche wollen und anderen Sparsamkeit verordnen und selbst in Luxus leben, lehnen wir ab.
Das ist nicht das Ziel unserer Verkehrspolitik.
Kollege Scheffler, Sie sollten einmal über Ihre Forderung, die Mineralölsteuerbefreiung für die Binnenschiffahrt aufzuheben, ein wenig nachdenken. Wir können das nicht alleine; denn auf Grund der Mannheimer Akte sind wir nicht nur innerhalb der EU, sondern auch mit der Schweiz gebunden. Vielleicht sollten Sie einmal darüber nachdenken, daß es völkerrechtliche Probleme gäbe, wenn wir so etwas ändern würden.
Meine Damen und Herren von der SPD, ich bin, gelinde gesagt, sehr überrascht, daß sich der SPD-Antrag für den Bau von Ortsumgehungen zur Entlastung der Bürger einsetzt. Denn es ist ja gerade Ihre Partei, die in den Wahlkreisen zusammen mit Bürgerinitiativen und Umweltgruppen diesen Ausbau zu verhindern versucht.
Beispielhaft erwähne ich nur den dringend notwendigen Lückenschluß der B 2 a zwischen Nürnberg und Schwabach. Sie verfolgen eine Doppeltaktik auf Kosten der Bürgerinnen und Bürger vor Ort. Das werden wir immer deutlich machen.
Durch Staus entsteht jährlich ein enormer volkswirtschaftlicher Schaden, von der Umweltbelastung ganz zu schweigen. Dieser Schaden wird laut EU-Verkehrskommissar Kinnock mit zirka 1 Prozent des Bruttosozialproduktes eines Landes beziffert. Das wären also bei uns rund 30 Milliarden DM; eine hohe
Summe, die sich aber nicht mit Hilfe der Anträge von SPD und Bündnis 90/Die Grünen reduzieren läßt, sondern nur mit Hilfe unseres Entschließungsantrags, mit dem der erfolgreiche Weg zur Sicherung einer umweltschonenden und leistungsfähigen Verkehrsinfrastruktur für die Bürgerinnen und Bürger in den Ballungsräumen wie in den ländlichen Regionen unseres Landes auch im nächsten Jahrhundert fortgesetzt werden kann.
Die Kollegin Elke Ferner hat um das Wort zu einer Kurzintervention gebeten. Ich erteile ihr das Wort. Aber ab jetzt lasse ich keine Kurzinterventionen mehr zu, weil wir die Zeit schon erheblich überschritten haben und die Tagesordnung weit über Mitternacht hinausreicht. Wir müssen jetzt ein bißchen auf die zeitliche Ökonomie achten. - Bitte, Frau Kollegin.
Vielen Dank, Herr Präsident.
Erstens. Frau Kollegin Blank hat soeben aus dem Beschluß der letzten Verkehrsministerkonferenz zitiert, aber nach meiner Meinung falsch.
Als erster Punkt stand in dem Beschluß der Konferenz - nicht in der Begründung -, daß
die Mittel des Bundes zur Finanzierung der notwendigen Bundesfernstraßeninvestitionen nicht ausreichen.
In einem zweiten Punkt wurde festgestellt, daß „zusätzliche Einnahmen" über die Lkw-Gebühr
zweckgebunden für die Verkehrsinfrastruktur verwendet werden müßten.
Der dritte Punkt behandelte weitere Untersuchungen in bezug auf die Pkw-Vignette.
Sie haben dann unterschlagen, daß die VMK in einem weiteren Punkt feststellte,
daß der BMV unbeschadet von Übereinstimmungen noch keine substantiellen Vorschläge zur unverzüglichen Behebung der kritischen Situation im Bundesfernstraßenbau gemacht hat.
Das kann man nicht unbedingt als Lob für den Verkehrsminister bezeichnen.
Im letzten Punkt erwartete die VMK - das fordert unsere Fraktion seit mehreren Haushaltsberatungen -,
daß der Kapitaldienst für die Refinanzierung der Pilotprojekte nach dem Modell der privaten Vorfinanzierung künftig außerhalb des Einzelplans 12 erfolgt.
Das ist bisher von Ihrer Fraktion immer abgelehnt worden.
Elke Ferner
Zweitens. Sie haben behauptet, die SPD mache sich hier für den Bau von Ortsumgehungen stark, aber vor Ort gründe sie Bürgerinitiativen dagegen.
Dazu will ich Ihnen sagen: Wenn beispielsweise die Bayerische Staatsregierung eine Trasse auswählt, die in der Bevölkerung sehr umstritten ist und man sich dagegen engagiert, dann heißt das ja nicht, daß man gegen eine Ortsumgehung als solche ist, sondern daß man gegen die ausgesuchte konkrete Streckenführung ist. Ich bitte Sie der Ehrlichkeit halber, in diesem Punkt zu unterscheiden.
Ich könnte Ihnen sehr wohl auch aus anderen Bereichen Bürgerinitiativen nennen, die auch von CDU-Mitgliedern initiiert worden sind und die sich nicht gegen die Ortsumgehung als solche, sondern gegen die konkrete Trassenführung wenden. Wir sollten daher ein Stück ehrlicher miteinander umgehen.
Frau Kollegin Blank, Ihre Gegenrede.
Frau Kollegin Ferner, Ihre lange Begründung macht Ihre Aussagen nicht wahrer. Fakt ist: Rotgrün regierte Länder kritisieren, daß im Haushalt zuwenig Geld für den Fernstraßen- aus- und -umbau zur Verfügung steht. Das erwähne ich auch deshalb, weil die Grünen und auch Sie noch vor kurzem ständig Kürzungen im Verkehrshaushalt beantragt haben. Sowohl die Roten als auch die Grünen im Bundestag müssen in diesem Punkt noch etwas umdenken. Kollege Schmidt, Sie haben für den letzten Haushalt Kürzungen beantragt.
Frau Kollegin Ferner, es stimmt, daß Sie im Bundestag - ich habe das Beispiel aus meinem Wahlkreis genannt; ich könnte Ihnen noch eine Menge anderer Beispiele aufzählen - gegen den Bau von Ortsumgehungen waren. In Ihrem Antrag stellen Sie allerdings fest, daß zur Entlastung der Bürger Ortsumgehungen sinnvoll sind. Draußen vor Ort sagen Sie aber weiterhin: Wir wollen diese Ortsumgehungen nicht.
Das ist scheinheilig.
Das Wort hat jetzt der Kollege Albert Schmidt, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrter Herr Staatssekretär, ich möchte Ihnen auch namens unserer Fraktion für den fairen Umgang miteinander und für die ordentliche Informationspolitik, die Sie gemacht haben, herzlich danken und möchte Ihnen alles Gute für die Zukunft wünschen, einen - wenn es denn sein muß - produktiven Unruhestand, eine gute Zeit jedenfalls.
Ich möchte einen Satz aufgreifen, mit dem Sie geschlossen haben, als Sie Ihre Vision für das nächste Jahrhundert ein bißchen skizziert haben. Sie haben ausgeführt, wir brauchen vor allem ein integriertes System von - dann sagten Sie - gleichberechtigten Verkehrsträgern. Genau das ist der Punkt, der mich in den letzten Wochen und Monaten am meisten umtreibt. Die Herstellung von gleichen Rechten, von gleichen Chancen für die unterschiedlichen Verkehrsträger - Automobil, Schiene, Luftverkehr, Binnenschiff und Seeschiff - ist die unerledigte Kernaufgabe der Ära Wissmann in der Verkehrspolitik. Genau das ist das zentrale Versäumnis, das diese Bundesregierung zu verantworten hat;
denn bis zum heutigen Tag wird ausgerechnet der umweltfreundlichste Verkehrsträger, nämlich die Schiene, massiv benachteiligt. Die Folgen, Herr Kollege Friedrich, sind ablesbar. Sie dürfen nicht nur die Bahnbilanz des letzten Jahres heranziehen. Der Kollege Wolf hat es ausgeführt: In den letzten Jahren ist der Anteil des Schienengüterverkehrs dramatisch zurückgegangen. Im letzten Jahr war zum erstenmal auch der Schienenpersonenverkehr rückläufig. Dies sind Folgen einer Benachteiligung der Schiene, die vielen Punkten geschuldet ist. Ich kann angesichts der Kürze der Zeit nur zwei ansprechen.
Erster Punkt: Wegekostendeckung. Deutschland ist der einzige Staat Europas, in dem die Eisenbahn nach einem fiktiven Vollkostenprinzip Kilometer für Kilometer für den Erhalt ihres Fahrweges zur Kasse gebeten wird. Hier macht diese Bundesregierung einen nationalen Alleingang, den sie bei der Ökosteuer wie der Teufel das Weihwasser scheut.
Auf der Straße hingegen gibt es keine Trassenpreise. Deshalb gibt es auch keine Stillegungen von Straßen wegen mangelnder Rentabilität. Bei der Schiene ist man von dem Trassenpreis bisher nicht abgegangen. Nun höre ich neuerdings aber - das will ich fairerweise sagen -, daß in der Bundesregierung die Dinge in Bewegung gekommen sind. Man nähert sich unserem Konzept an. Man sieht endlich ein: Trassenpreise auf der Schiene sind politische Preise. Das zeigen die Beispiele Schweden, Schweiz und andere, wo die Preise halb so hoch sind wie bei uns. Daran sollten wir uns im Interesse einer fairen Wettbewerbschance für die Bahn gegenüber dem
Albert Schmidt
Auto, aber auch für die Deutsche Bahn AG gegenüber ausländischen Bahnen orientieren.
Zweiter Punkt: Umweltkosten. An dieser Stelle möchte ich auch den von Ihnen zitierten Bahnchef, Dr. Johannes Ludewig, zu Wort kommen lassen. Er hat im „Spiegel"-Interview am 3. November 1997 ausgeführt - ich zitiere -:
... hat enorme Kostenvorteile, die uns - der Bahn -
das Geschäft schwermachen. Der Straßenverkehr wird heute noch nicht mit den volkswirtschaftlichen Kosten belastet, die das Autofahren, etwa durch Umweltschädigungen und durch Unfälle, verursacht. Hier muß die Politik für vergleichbare Rahmenbedingungen sorgen.
Der Mann hat recht. Er hat aber vergessen hinzuzufügen, daß er jahrelang als Mitglied dieser Bundesregierung für dieses Versäumnis Mitverantwortung getragen hat; das aber nur am Rande.
Was sind denn die Instrumente, um im Wettbewerb der Verkehrsträger auch die Umweltkosten zu berücksichtigen? Eines hat die Kollegin Ferner angesprochen, nämlich die leistungsbezogene Schwerverkehrsabgabe, elektronisch erhoben. Das zweite ist die schrittweise und berechenbare Erhöhung der Mineralölsteuer mit dem Effekt, daß sie unmittelbar mit einer Senkung der Abgaben für die Sozialkassen verknüpft ist, so daß die Sozialkassen und die Unternehmen entlastet werden und mehr Arbeitsplätze entstehen können. Diesen Vorteil verschenkt die Bundesregierung bis zum heutigen Tage.
Herr Kollege, es tut mir sehr leid, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Ich komme zum letzten Satz, Herr Präsident.
Wir können uns alle Sonntagsreden im Hinblick auf Effizienz und Stauvermeidung so lange schenken, wie wir nicht ernst machen mit dem fairen Wettbewerb der Verkehrsträger. Der Grund für den Stau auf der Straße ist vor allem der Reformstau, den diese Bundesregierung in den letzten vier Jahren verursacht hat.
Das Wort hat der Kollege Roland Richter, CDU/CSU.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Schmidt, Ihre Milchbubenrechnung, um die Ausführungen von Frau Ferner aufzugreifen, was die Kosten und die Trassenpreise bei der Bahn angeht, geht natürlich am Ende nicht auf. Im Hinblick auf eine Beurteilung der Kosten des Straßenverkehrs und der Bahn ist die Tatsache sehr viel stärker zu berücksichtigen, als das in Ihren Ausführungen zum Tragen kommt, daß der Straßenverkehr durch die Mineralölsteuer und Kfz-Steuer sehr viel mehr Geld als die Bahn erwirtschaftet, wobei es auch noch eine Quersubventionierung in Richtung Schiene gibt.
Die Einnahmen im Bundeshaushalt aus dem Straßenverkehr belaufen sich auf 90 Milliarden DM. Im Haushalt des Bundesverkehrsministers sind aber für den Straßenverkehr insgesamt nur 50 Milliarden DM vorgesehen. Das heißt, daß durch den Straßenverkehr sehr viel mehr Geld erwirtschaftet wird, als für ihn aufgewendet wird. Deswegen ist Ihre Milchbubenrechnung an dieser Stelle falsch.
Herr Kollege Richter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schmidt?
Ja. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Bitte.
Herr Kollege Richter, ist Ihnen entgangen, daß es das Umweltbundesamt war und nicht die Grünen oder sonstwer, das präzise berechnet hat, daß der Straßenverkehr - alle Unfall- und Umweltfolgekosten eingerechnet, die ungedeckt sind - ungedeckte Kosten in Höhe von zwischen 70 und 80 Milliarden DM pro Jahr verursacht, und daß das Umweltbundesamt deshalb gefordert hat, es müßten hier richtige Preissignale gesetzt werden, und die ungedeckten Kosten müßten Stück für Stück endlich in den Preis eingerechnet werden?
Diese Berechnung des Umweltbundesamtes ist mir natürlich bekannt. Allerdings darf nicht außer acht gelassen werden, daß diese sogenannten externen Kosten des Straßenverkehrs dem Nutzen, den der Straßenverkehr insgesamt für die Volkswirtschaft bedeutet, gegenübergestellt werden müssen.
Herr Kollege Schmidt, Sie wissen wie ich, daß zwei Drittel des Güterverkehrs auf der Straße absolviert werden müssen. Wir wissen beide gemeinsam, daß dieser Güterverkehr im Grunde genommen die Arterien unserer Volkswirtschaft darstellt. Das heißt, wenn Sie hier versuchen, den Blutfluß durch Arterienverkalkung zu verlangsamen, werden Sie dramatische Folgen für die Volkswirtschaft haben. Aus diesem Grund können wir uns diese Politik nicht leisten.
Roland Richter
Die Fragen des kombinierten Ladungsverkehrs wurden von verschiedenen Kollegen schon angesprochen. Hier müssen wir zur Kenntnis nehmen, daß der kombinierte Ladungsverkehr nicht stärker und nicht schneller wachsen kann, als das die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in dieser Republik zulassen.
Wir haben zur Kenntnis zu nehmen, daß die Öffnung der Grenzen dazu geführt hat, daß die Preise, die im Güterverkehr erzielt werden können, enorm zurückgegangen sind. Das hat sich in den letzten Monaten zwar etwas gebessert, aber trotzdem sind die Preise in diesem Bereich auf einem Tiefstand.
Wir müssen zur Kenntnis nehmen, daß der kombinierte Ladungsverkehr, der erhebliche zusätzliche Mittel erwirtschaften muß, etwa nur halb so stark wie der Lkw auf dem Markt operieren kann.
Wir müssen erfreut zur Kenntnis nehmen, daß der kombinierte Ladungsverkehr trotz dieser schlechten wirtschaftlichen Ausgangsvoraussetzungen im letzten Jahr enorm gewachsen ist. Sie wissen wie ich, daß der Güterverkehr, den die Bahn absolviert hat, stärker gewachsen ist als der Güterverkehr insgesamt. Sie wissen, daß der Güterverkehrsmarkt um etwa 5 Prozent gewachsen ist. Der Güterverkehr auf der Schiene ist im letzten Jahr um 7,5 Prozent angewachsen, und der kombinierte Ladungsverkehr ist in diesem Segment noch stärker gewachsen. Die genauen Zahlen werden wohl erst in den nächsten Tagen bekannt werden. Aber es ist in jedem Fall klar, daß hier die Privatisierung der DB AG und insbesondere die Umstrukturierung in die DB Cargo ganz hervorragende Erfolge in diesem Bereich erwarten lassen.
Die Partner im kombinierten Ladungsverkehr sagen voraus, daß sie in den nächsten Jahren mit Zuwachsraten von etwa 50 Prozent rechnen können. Die Bahn, die ihr Angebot vor allem durch verstärkte Pünktlichkeit und durch zusätzliche Trassen verbessern kann, wird diesen Bereich sicher aufgreifen, wobei ich davon ausgehe, daß die Bahn in ihrem Bemühen, wirtschaftlicher zu arbeiten, auch in diesem Sektor neue Angebote und Produkte entwickeln wird.
Im Moment stellt die Bahn so wie beim Personennahverkehr ihre Züge bereit und hofft dann, daß jemand seine Güter auf der Schiene transportiert. Künftig muß es so sein, daß derjenige, der Transporte veranlaßt, der Bahn im vorhinein sagt: „Ich brauche eine Strecke von A nach B", damit die Bahn in der Lage ist, wirtschaftlich und rationell zu handeln. Ich glaube, hier gibt es noch erhebliche Möglichkeiten, die wir in den nächsten Tagen und Wochen umsetzen müssen.
Die Infrastruktur Schiene hat meines Erachtens in der Bundesrepublik Deutschland durch die Privatisierung der DB AG einen ganz erheblichen Schub nach vorne bekommen. Die Vollkostenrechnung, die hier kritisiert worden ist, wird natürlich im internationalen Vergleich so nicht überall durchgeführt.
Dies ist aber ein Weg, der vom Prinzip her in die richtige Richtung führt.
Dies ist ein Weg, den wir im Straßenbereich - das wurde historisch leider versäumt - so speziell nicht umsetzen können, wobei ich hinzufüge, daß der Weg einer streckenbezogenen Vignette, den die Bundesregierung und die Koalition in diesem Bereich in den nächsten Jahren gehen, dem Ziel der Vollkostenrechnung nahekommt.
- Frau Ferner, Sie wissen doch so gut wie ich, daß diese streckenbezogene Vignette vor allem wegen der europäischen Rahmenbedingungen nicht so ohne weiteres umsetzbar ist.
Wir sind gemeinsam bemüht - darüber gab es im Verkehrsausschuß Diskussionen; Sie haben sich ja bereit erklärt, auf der europäischen Ebene über Ihre Parteigenossen entsprechende Möglichkeiten durchzusetzen -, diese streckenbezogene Vignette in Deutschland einzuführen.
Daß das auf Grund technischer Gegebenheiten nicht von heute auf morgen geht, ist doch eine Tatsache, über die wir nicht streiten müssen.
Die Bahn hat mit zahlreichen Maßnahmen den kombinierten Ladungsverkehr ausgebaut. Sie wird in den nächsten Monaten neue Vorschläge machen, um hier weitere Impulse zu setzen.
- Nein. Sie wird neue Vorschläge machen, um diesen Bereich auszubauen.
Ich bin mir sicher, daß wir das Ziel eines stärkeren Wachstums des Schienenbereichs als des Straßenbereichs so wie im letzten Jahr auch in den nächsten Jahren gemeinsam erreichen können. Ich hoffe, daß wir nach dem 27. September dieses Jahres hier in diesem Bundestag dazu die notwendigen Mehrheiten haben.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Berthold Wittich, SPD.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als Herr Brunnhuber seine Rede mit dem lateinischen Sprichwort „Errare humanum est" eingeleitet hat, ist mir dazu lediglich eingefallen: Sie sind mit Ihrem Latein am Ende und stehen vor dem Scherbenhaufen einer gescheiterten Politik.
Eine Anmerkung zum Transrapid: Wir haben stets eine kurze Referenzstrecke gefordert. Eine kurze Strecke hätte ausgereicht, um diese faszinierende Technologie unter Ernstfallbedingungen zu präsentieren.
Bedenken Sie bitte: Sie setzen diese überdimensionierte Strecke zwischen Hamburg und Berlin gegen den Sachverstand renommierter Verkehrswissenschaftler sowie gegen die Bedenken des Bundesrechnungshofes und auch des Wissenschaftlichen Beirates beim Verkehrsministerium durch.
Deshalb besteht die Gefahr - ich erinnere an das, was Verkehrsminister Wissmann in Berlin gesagt hat -, daß von Berlin keine Erfolgsstory ausgeht, sondern daß sich dieses Projekt möglicherweise zu einem Milliardengrab ausweitet wie der Schnelle Brüter.
Warum ist eine neue Weichenstellung auf der Grundlage unseres Antrages eine existentielle Frage? Die Antwort liefert die verkehrspolitische Realität: Auf den Straßen in Europa verdichtet sich der Verkehr immer mehr und treibt in den totalen Kollaps hinein. Die Bevölkerung wird mit unzumutbaren Belastungen konfrontiert: mit kilometerlangen Staus, mit verpesteter Luft, mit schleichender Vergiftung des Bodens und unerträglichem Lärm. Eine grundlegende Neuorientierung ist nicht nur aus werkehrlicher Sicht ein Akt der Vernunft. Die Daten und Fakten der Klimakonferenzen in Rio, Berlin und Genf, die Berichte der Enquete-Kommission „Schutz der Erdatmosphäre" und nicht zuletzt die Warnungen des Umweltbundesamtes - das müssen wir uns vergegenwärtigen - signalisieren unmißverständlich: Es ist fünf vor zwölf.
- Möglicherweise schon später. - Diese Nachrichten erinnern uns in dramatischer Weise daran, daß die Natur zurückschlägt, wenn sie vergewaltigt wird.
Angesichts dieser unermeßlichen Risiken für die Gesundheit der Menschen und den Kreislauf der Natur stelle ich fest: Wer die Lebensgrundlagen unserer Kinder, Enkelkinder und zukünftiger Generationen bewahren und die verkehrspolitische Katastrophe abwenden will, darf die umweltverträglichen Verkehrsträger nicht aufs Abstellgleis schieben und zu Tode rationalisieren.
Hier wird Ihr Versagen offenkundig. Der Bundesregierung und den Regierungsparteien fehlen Mut und Entschlossenheit, die Reform des Verkehrswesens gegen den Widerstand einer mächtigen Lobby durchzusetzen. Anstatt die überbordenden Straßen zu entlasten und die Schienen zu stärken, haben die Bundesregierung sowie CDU/CSU und F.D.P. in den letzten Jahren eine Streichorgie zu Lasten der Bahn realisiert.
- Sie haben die Mittel für Investitionen in die Schienenwege im Haushalt 1998 auf 3 Milliarden DM heruntergefahren. Das ist der Unsinn, der von Ihnen gekommen ist, Herr Friedrich.
Dies ist ein verkehrspolitischer Offenbarungseid. Das macht folgendes deutlich: Sie setzen weiter auf Beton und Asphalt und schreiben den Vorsprung der Straße fest.
Das heißt weiter: Sie setzen die Akzente falsch und halten konservativer denn je an der Maxime „Freie Fahrt für freie Bürger" fest. Weil die Bahn im Spannungsfeld zwischen den Erfordernissen des Verkehrs und dem Schutz der Umwelt eine positive Sonderstellung einnimmt - das gilt für die Faktoren Energieverbrauch, Flächenbedarf, Verkehrslärm, Luftverschmutzung und Verkehrssicherheit -, ist das Zusammenstreichen der Mittel für Schieneninvestitionen kontraproduktiv und gegen eine menschen- und umweltgerechte Verkehrspolitik gerichtet.
Wer der Bahn die notwendigen Mittel abzieht, ist auch nicht in der Lage, Strecken für den Güterverkehr auszubauen, Netze zu entmischen und das brachliegende Potential des kombinierten Verkehrs auszuschöpfen. Sie haben den Ausbau eines flächendeckenden Netzes von Terminals sträflich vernachlässigt und auf die lange Bank geschoben. Das ist ein verhängnisvolles Versäumnis zu Lasten der überfälligen Verkehrswende.
Wir Sozialdemokraten machen uns für eine gezielte Förderung des kombinierten Verkehrs stark. Primäres Ziel muß es sein, durch die Bereitstellung eines eigenen Haushaltstitels auch die Investitionen Dritter zu fördern, damit Güterverkehrszentren als Schnittstellen zwischen der Binnenschiffahrt, der Straße und der Schiene und „Road-to-sea-Konzepte" schneller als bisher umgesetzt werden können.
Berthold Wittich
Meine Damen und Herren, unser Land braucht Investitionen für den Aufbau integrierter Transportketten,
für den Infrastrukturausbau, für den Bau von Terminals, für Umschlagtechniken, für die Anschaffung modernen Wagenmaterials. Das wäre ein gewaltiger Investitionsschub und ein entscheidender Beitrag zur Entschärfung der brisanten Lage auf dem Arbeitsmarkt. Dieses qualitative Wachstum würde den Menschen Arbeit und Brot, eine berufliche Perspektive und damit Vertrauen in die Zukunft geben
Erlauben Sie mir, wegen der begrenzten Zeit nur noch ein Thema aufzugreifen, nämlich das Thema Tempolimit, weil es heute in der Debatte kaum angesprochen wurde. Ich darf einmal aus einer überregionalen Tageszeitung zitieren:
Ein Tempolimit von 120 km/h auf Autobahnen, 90 km/h auf Landstraßen und 30 km/h innerhalb geschlossener Ortschaften würde mehr Sicherheit im Straßenverkehr bringen und der Umwelt zugute kommen.
Das ist die zentrale Aussage einer Studie des früheren Abteilungsleiters Straßenbau im Bundesverkehrsministerium, Philipp Nau.
Niedrigere Spitzen- und Höchstgeschwindigkeiten
- so heißt es in dieser Tageszeitung weiter -
vermindern nicht nur die Anzahl, sondern auch die Schwere der Unfälle. Entgegen anderer Behauptungen erhöht ein Tempolimit die Leistungsfähigkeit der Autobahnen. Der Verkehr würde zwar langsamer, aber auch gleichmäßiger laufen.
Das wollen wir Sozialdemokraten.
Und wie hat sich diese Bundesregierung gegenüber diesem Abteilungsleiter verhalten? Sie hat ihn in die Wüste geschickt. Das ist ein mieser politischer Stil.
Weil wir dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit im weitesten Sinne Vorrang einräumen, unterstützen wir die Forderung nach einer Geschwindigkeitsbegrenzung. Unbestritten und wissenschaftlich erwiesen ist, daß ein Tempolimit zur Verstetigung und Verlangsamung des Verkehrs führt. Eine Geschwindigkeitsbegrenzung würde die Anzahl und Schwere der Unfälle reduzieren, den Kraftstoffverbrauch senken und die Umwelt schonen. Wer die Gesundheit der Menschen sichern und die Umwelt schützen will, der muß sich für ein Tempolimit einsetzen.
Meine Damen und Herren, wir stehen an einem Scheideweg: Wir werden entweder das Ozonloch reparieren, unsere Wälder retten, unsere Gewässer und Meere entgiften und den Autoverkehr zurückdrängen - nicht abschaffen; es geht nicht um die Verteufelung des Autos - oder aber in eine Sackgasse treiben, an deren Ende die Vernichtung der Lebensgrundlagen unserer Kinder und Enkelkinder steht.
Meine Damen und Herren, zu dieser Verkehrswende sind die Regierungsparteien und die Regierung nicht mehr fähig. Wir Sozialdemokraten stehen für den Neuanfang bereit, für den Neuanfang im Bereich einer umwelt- und menschengerechten Verkehrspolitik.
Ich gebe dem Abgeordneten Wolfgang Gröbl das Wort. Bitte schön.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Wittich, Sie können doch nicht einmal die Oppositionsrolle gescheit. Wie wollen Sie denn dann regieren? Übernehmen Sie noch einmal für vier Jahre die Oppositionsrolle, und lernen Sie hinzu!
- Nein, Sie sind bei der Uhrzeit noch eine Stunde hintendran. In der Zwischenzeit haben wir aber Sommerzeit und nicht Winterzeit. Genauso hintendran ist das, was Sie zur Verkehrspolitik gesagt haben.
Nun zu dieser Großen Anfrage, meine Damen und Herren. Das Beste daran ist die Überschrift; sie ist verheißungsvoll. Vom Besten sind auch die klare und deutliche Antwort der Bundesregierung - sie ist sachlich und fachlich richtig -
und der Antrag der Koalition, der den politischen Weg zur Lösung der Verkehrsprobleme aufzeigt, ihn logisch begründet und den politischen Willen zur Durchsetzung bekräftigt.
Die SPD verwendet in ihrem Antrag eine vergleichbare Gliederung,
unterscheidet sich aber inhaltlich in wesentlichen Punkten von dem der Koalition.
Nun zu den Grünen. In Ihrem Antrag, Herr Schmidt, finden sich zwei richtige Sätze; aber die
Wolfgang Gröbl
Konsequenzen daraus werden von Ihnen nicht gezogen.
Erster Satz:
Mit einem Oldtimer kann man nicht erfolgreich an einem Formel-1-Rennen teilnehmen.
Das ist richtig. Aber Ihr Bekenntnis zum technischen Fortschritt fehlt. Kein Wort zum Transrapid! Lieber Rechenmaschinen mit roten und grünen Kugeln als Computer!
Entlarvend ist Ihre Erkenntnis zur Bahnpolitik. Sie schreiben:
Um diesen Weg zu gehen, brauchen wir den Bau neuer Gleise und die Modernisierung und Instandsetzung der vorhandenen Gleise.
Nur, wenn wir neue Bahnstrecken bauen, von München über Ingolstadt nach Nürnberg oder von Nürnberg nach Erfurt, dann legen Sie sich quer,
bremsen und verzögern, wenn Ihnen das Verhindern schon mißlingt.
Ich darf mich jetzt dem SPD-Antrag zuwenden.
Also: Durch Senkung des Baustandards, geringere Regelquerschnitte im Straßenbau und Verzicht auf Autobahnneubauten wollen Sie dem Autofahrer das Geschäft und die Freude verderben. Dazu kommen noch die Aussagen von Herrn Wittich über die Geschwindigkeitsbegrenzung.
Ein Wort zu Ihnen, Herr Scheffler, bevor Sie telefonieren.
Ich war schon erstaunt, daß Sie als gelernter Straßenbauer die Investitionen, die wir alle miteinander für die Infrastruktur der neuen Bundesländer beschlossen haben, und die Leistungen, die damit verbunden sind, so heruntermachen.
Ich glaube, es hätte auch einem Oppositionspolitiker gut zu Gesicht gestanden, diese Leistung - das ist ja nicht nur unsere Leistung, sondern das ist die Leistung der gesamten deutschen Bevölkerung - sowohl für die Straßen- als auch die Bahninvestitionen in den neuen Bundesländern zu würdigen.
Sie wissen ganz genau, welch großer Betrag gerade für die Bahninvestitionen im heurigen Haushalt vorgesehen ist.
Mit Ihren Forderungen zum ÖPNV hinken Sie ebenso hinter der Wirklichkeit her. Längst haben wir durch Bahnstrukturreform, durch das Regionalisierungsgesetz und das GVFG enorme Mittel des Bundes den Ländern zur Verfügung gestellt. Diese Förderung ist dynamisch angelegt. Was die Länder mit dem Geld machen, hängt von den Prioritäten der Landesregierungen ab. In Bayern sind wir mit dieser Staatsregierung zufrieden.
Erst diese Woche hat der Bundesfinanzminister zusammen mit dem Ministerpräsidenten den ersten Spatenstich für den weiteren Ausbau der Eisenbahnstrecke Augsburg-München getan - zum Nutzen der Pendler und der Fernreisenden.
Ein hervorragendes Beispiel für den Schienenpersonennahverkehr wird die Inbetriebnahme der Oberlandbahn ab November dieses Jahres sein. Dann werden im Stundentakt modernste Züge
von Bayrischzell, von Tegernsee und von Lenggries aus über Holzkirchen nach München fahren.
Elektronische Fahrtkostenberechnung, elektronische Fahrkarten und abgestimmte Busfahrpläne runden das Angebot ab. Wenn Sie, Frau Ferner, diese Gegend noch nicht kennen, lade ich Sie zu einem vierwöchigen Bildungsurlaub im bayerischen Oberland ein.
Da wird Ihnen vielleicht sogar Frau Saibold zustimmen.
Noch eine Bemerkung zum Transrapid. Was die SPD in diesem Zusammenhang gesagt hat - die Grünen schweigen sich ja unter dem Motto „Technikfeindlichkeit" ganz aus -, ist ein Ausdruck für typi-
Wolfgang Gröbl
sche Halbherzigkeit, Unentschlossenheit und Wischiwaschi. Sie sollten sich ein Beispiel an Georg Leber nehmen. Er hat als Verkehrsminister im Kabinett Kiesinger der Transrapid-Technik den politischen Schub verliehen. Vor drei Tagen hat er es sich nicht nehmen lassen, in Berlin bei der Gründung der Transrapid International dabeizusein und sich zu dieser Verkehrstechnik zu bekennen.
Georg Leber ist allerdings mit seinen 77 Jahren heute noch jugendlicher, fortschrittlicher und moderner als viele seiner Genossen mit halb so vielen Jahresringen.
Nun haben Sie gesagt, Herr Wittich: Die Referenzstrecke Hamburg-Berlin ist überdimensioniert. Ist sie Ihnen zu lang?
Ist Ihnen der Transrapid zu schnell? Oder sind Ihnen die Stelzen des Fahrwegs zu hoch?
Wir brauchen doch eine Strecke für die Anwendung, die den Menschen dient. Verweigern Sie doch den Menschen in Hamburg, in Berlin, in Schleswig-Holstein, in Mecklenburg-Vorpommern, in Brandenburg und in den anderen Ländern
den praktischen Nutzen dieser modernsten Verkehrstechnik nicht.
Nehmen Sie den Menschen nicht die Aussichten auf viele neue und hochinteressante Arbeitsplätze.
Das müßte doch auch für Sie in Nordhessen ein Thema sein. Sie wollen statt dessen eine kurze Referenzstrecke haben, die auf Dauer keinen praktischen Nutzen hat, kein Geld verdient, sondern nur etwas kostet. So ein bisserl Transrapid, das möchten Sie. Darüber würden sich die Japaner - jetzt sage ich es einmal bayerisch - einen Kropf lachen, weil das die sicherste Garantie dafür ist, daß die Japaner den jetzigen technischen Vorsprung der deutschen Ingenieure aufholen, ihr Produkt auf einer echten Anwendungsstrecke zeigen und dann für viele Milliarden in alle Welt verkaufen.
Sie sind dann stolz darauf, unsere Landschaft vor einem Transrapid geschützt zu haben, weil Ihnen jemand erzählt, daß sein verstorbener Großvater im vorgesehenen Trassengebiet einen Wachtelkönig pfeifen gehört hat.
In Wirklichkeit ist der Transrapid auf Grund seiner Technik ein geringerer Eingriff in die Natur als fast alle konkurrierenden Systeme.
Nein, meine Damen und Herren, es sind konkrete Lösungen möglich und nötig. Ein klares Bekenntnis zum technischen Fortschritt ist im Interesse der Umwelt, im Interesse der Wirtschaft und vor allem im Interesse der Menschen in unserem Land. Es reicht nicht, durchs Land zu ziehen, so etwa nach dem Motto eines beliebten Schlagerstars „Gerhard und auch der Oskar haben uns alle lieb, piep, piep".
Sie müssen schon ein wenig konkreter werden. Deshalb empfehle ich Ihnen: Schließen Sie sich unserem Antrag an!
Vielen Dank.
Damit schließe ich die Aussprache.
Wir kommen nun zu den Abstimmungen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. auf Drucksache 13/10617. Ich lasse über diesen Entschließungsantrag abstimmen. Wer dem Entschließungsantrag der beiden Fraktionen zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Entschließungsantrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen worden ist.
- Wir haben im Präsidium Einigkeit über die Mehrheitsverhältnisse.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/10624. Wer dem Entschließungsantrag der Grünen zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Entschließungsantrag mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion der SPD gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt worden ist.
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/10646. Ich gebe zunächst zu einer Erklärung zur Abstimmung dem Abgeordneten Dr. Wolf das Wort.
Eine Erklärung zur Abstimmung: Ich stimme für diesen Entschließungsantrag, weil er sehr kurz und für alle hier im Raum nachvollziehbar für die Interessen der Behinderten Stellung nimmt. Ich stimme für diesen Entschließungsantrag, weil er im Rahmen einer allgemeinen verkehrspolitischen Debatte vor allem zum Thema Mobilität behinderter Menschen Stellung nimmt. Ich stimme für diesen Antrag in der Erwartung, daß dies alle anwesenden verehrten Kolleginnen und Kollegen auch tun, weil der Antrag sehr deutlich so formuliert ist, daß er allgemein die Interessen der Behinderten verteidigt und sich positiv auf die „Aktion Grundgesetz" bezieht, die in diesen Tagen bundesweit angelaufen ist.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/10646. Wer diesem Entschließungsantrag der Gruppe der PDS zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Entschließungsantrag abgelehnt worden ist mit den Stimmen der Koalition bei Stimmenthaltung der Fraktion der SPD gegen die Stimmen des Hauses im übrigen.Dann kommen wir zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD zur Stauvermeidung und Umweltschonung durch eine effizientere Verkehrspolitik; das ist die Drucksache 13/10267. Wer dem Antrag der Fraktion der SPD zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Antrag abgelehnt worden ist mit den Stimmen der Koalition bei Stimmenthaltung der Gruppe der PDS gegen die Stimmen des Hauses im übrigen.Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu einer umfassenden Revision des Bundesverkehrswegeplans, Drucksache 13/10591 Nr. 1. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/7526 abzulehnen. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung des Ausschusses angenommen worden ist mit den Stimmen der Koalition bei Stimmenthaltung der Fraktion der SPD gegen die Stimmen des Hauses im übrigen.Damit kommen wir zur Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Gestaltung des Verkehrs; das ist die Drucksache 13/10591 Nr. 2. Der Verkehrsausschuß empfiehlt, auch den Antrag auf Drucksache 13/7527 abzulehnen. Wer der Beschlußempfehlung des Verkehrsausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! -Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung des Verkehrsausschusses angenommen worden ist mit den Stimmen der Koalition bei Stimmenthaltung der Fraktion der SPD gegen die Stimmen des Hauses im übrigen.Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 22 a bis 22 e sowie die Zusatzpunkte 3 a und 3 b auf:22. Überweisungen im vereinfachten Verfahrena) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches , des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch (Artikel 293) und der Strafprozeßordnung (§§ 407, 459 k) - Gesetz zur Einführung der gemeinnützigen Arbeit als strafrechtliche Sanktion -- Drucksache 13/10485 —Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuß Innenausschußb) Beratung des Antrags der Abgeordneten Marion Caspers-Merk, Dr. Liesel Hartenstein, Michael Müller , weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDChancen des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes nutzen- Drucksache 13/9952 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuß für WirtschaftAusschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forstenc) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans Martin Bury, Klaus Barthel, Annette Faße, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDHochwertige Postdienstleistungen flächendeckend sichern- Drucksache 13/10210 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Post und Telekommunikation
d) Beratung . des Antrags der Abgeordneten Dr. Marliese Dobberthien, Margot von Renesse, Anni Brandt-Elsweier, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDNovellierung des Familiennamensrechts- Drucksache 13/10212 —Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuß
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugende) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gabriele Iwersen, Achim Großmann, Peter Conradi, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDVorlage eines vierten Berichtes über Schäden an Gebäuden- Drucksache 13/10449 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
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21534 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 235. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Mai 1998
Vizepräsident Dr. Burkhard HirschZP3 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
a) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Verträge auf dem Gebiet der gewerblichen Lebensbewältigungshilfe- Drucksache 13/9717 -Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuß
Ausschuß für WirtschaftAusschuß für Arbeit und SozialordnungAusschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Gesundheitb) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege
- Drucksache 13/10484 -Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuß InnenausschußInterfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Der Antrag der Fraktion der SPD zur flächendeckenden Sicherung hochwertiger Postleistungen auf Drucksache 13/10210- das ist der Tagesordnungspunkt 22 c - soll zur Mitberatung zusätzlich dem Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann sind diese Überweisungen so beschlossen.Dann kommen wir jetzt zu den Tagesordnungspunkten 23a und b, 23d bis 23w und dem Zusatzpunkt 4. Es handelt sich um die Beschlußfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Wir treten also direkt in die Abstimmungen ein.Tagesordnungspunkt 23 a:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Anpassung der Bedarfssätze der Berufsausbildungsbeihilfe und des Ausbildungsgeldes nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch
- Drucksache 13/10110 -
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
- Drucksache 13/10631 -Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Heidi Knake-Wernerbb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung- Drucksache 13/10632 -Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Konstanze Wegner Hans-Joachim FuchtelAntje HermenauIna AlbowitzIch bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Gesetzentwurf in zweiter Lesung mit den Stimmen des Hauses bei Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS angenommen worden ist.Damit treten wir in diedritte Beratungund Schlußabstimmung ein. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Gesetzentwurf in dritter Lesung mit demselben Stimmenverhältnis wie eben angenommen worden ist.Tagesordnungspunkt 23 b:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu der Unterrichtung durch die BundesregierungErster Bericht nach § 70 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch i. V. m. § 35 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes zur Überprüfung der Bedarfssätze der Berufsausbildungsbeihilfe- Drucksachen 13/9589, 13/10631 - Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Heidi Knake-WernerWer der Beschlußempfehlung des Ausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung bei Stimmenthaltung der Gruppe der PDS mit den Stimmen des Hauses im übrigen angenommen worden ist.Tagesordnungspunkt 23 d:Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Deutschen Richtergesetzes- Drucksache 13/9350 -
Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
- Drucksache 13/10614 -Berichterstattung:Abgeordnete Horst Eylmann Alfred HartenbachVizepräsident Dr. Burkhard HirschDer Rechtsausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/ 10614, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in zweiter Lesung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Gesetzentwurf in zweiter Lesung einstimmig angenommen worden ist.Wir kommen zurdritten Beratungund Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Gesetzentwurf in dritter Lesung mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen worden ist.Tagesordnungspunkt 23 e:Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Erwin Marschewski, Wolfgang Zeitlmann und der Fraktion der CDU/CSU sowie des Abgeordneten Dr. Max Stadler und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften
- Drucksache 13/8884 -
Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses
- Drucksache 13/10479 -Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Joseph-Theodor BlankDieter Wiefelspütz Rezzo Schlauch Dr. Max Stadler Maritta BöttcherIch bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung in zweiter Lesung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Gesetzentwurf in zweiter Beratung einstimmig angenommen worden ist.Dann kommen wir zurdritten Beratungund Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf in dritter Lesung zustimmen will, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Gesetzentwurf auch in dritter Lesung mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen worden ist.Tagesordnungspunkt 23 f:Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Rindfleischetikettierungsgesetzes- Drucksache 13/10283 -
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
- Drucksache 13/10581 -Berichterstattung: Abgeordnete Jella TeuchnerDer Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten empfiehlt auf Drucksache 13/10581, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Gesetzentwurf in zweiter Beratung einmütig angenommen worden ist.Dann kommen wir zurdritten Beratungund Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Gesetzentwurf über die Rindfleischetikettierung in dritter Beratung mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen worden ist.Tagesordnungspunkt 23 g:Zweite und dritte Beratung des von dem Abgeordneten Manfred Müller und der Gruppe der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Gleichstellung der Beschäftigten des Bundes mit den Beschäftigten des Landes im Land Berlin- Drucksache 13/1383 -
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
- Drucksache 13/4008 -Berichterstattung: Abgeordneter Manfred GrundDer Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung empfiehlt auf Drucksache 13/4008, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse über den Gesetzentwurf der PDS auf Drucksache 13/1383 abstimmen und bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Gesetzentwurf gegen die Stimmen der Gruppe der PDS mit den Stimmen des Hauses bei einer Stimmenthaltung aus der Fraktion der SPD abgelehnt worden ist. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.Tagesordnungspunkt 23 h:Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Ludwig Elm, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Tag des Gedenkens an die Befreiung vom Nationalsozialismus- Drucksache 13/7287 -
Vizepräsident Dr. Burkhard HirschBeschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses
- Drucksache 13/9666 -Berichterstattung:Abgeordnete Heinz-Jürgen Kronberg Siegfried VerginCem ÖzdemirDr. Max StadlerUlla JelpkeDazu wird nach § 31 unserer Geschäftsordnung gewünscht, eine schriftliche Erklärung des Abgeordneten Dr. Elm zu Protokoll zu geben. *) Ich nehme an, daß dazu Einverständnis besteht. - Das ist der Fall.Dann können wir in die Abstimmung eintreten. Der Innenausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/9666, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse über den Gesetzentwurf der PDS auf Drucksache 13/7287 abstimmen und bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Gesetzentwurf mit den Stimmen des Hauses bei Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Gruppe der PDS abgelehnt worden ist. Das war die zweite Beratung. Damit entfällt auch in diesem Fall die weitere Beratung.Tagesordnungspunkt 23 i:Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 19. Juni 1995 zwischen den Vertragsstaaten des Nordatlantikvertrags und den anderen an der Partnerschaft für den Frieden teilnehmenden Staaten über die Rechtsstellung ihrer Truppen sowie dem Zusatzprotokoll
- Drucksache 13/9972 -
Beschlußempfehlung und Bericht des Verteidigungsausschusses
- Drucksache 13/10 545 -Berichterstattung:Abgeordnete Thomas Kossendey Brigitte Schulte
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, sich zu erheben. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Gesetzentwurf mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der Gruppe der PDS bei Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden ist.Tagesordnungspunkt 23j :- Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 10. April 1997 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über die gegenseitige Hilfe-*) Anlage 2leistung bei Katastrophen oder schweren Unglücksfällen- Drucksache 13/9529 -
- Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 9. Juni 1997 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Ungarn über die gegenseitige Hilfeleistung bei Katastrophen oder schweren Unglücksfallen- Drucksache 13/10 114 -
Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses
- Drucksache 13/10481-Berichterstattung:Abgeordnete Erika Steinbach Günter Graf
Manfred SuchDr. Max StadlerUlla JelpkeDer Innenausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/ 10481 unter den Buchstaben a und b, beide Gesetzentwürfe unverändert anzunehmen. Wenn Sie damit einverstanden sind, würde ich über beide Gesetzentwürfe gemeinsam abstimmen lassen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren. Ich bitte diejenigen, die den beiden Gesetzentwürfen zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß beide Gesetzentwürfe einmütig angenommen worden sind.Tagesordnungspunkte 23 k bis m:k) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 13. Mai 1997 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Kirgisischen Republik über den Luftverkehr- Drucksache 13/9852 -
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr
- Drucksache 13/10511-Berichterstattung:Abgeordneter Michael Jung
1) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 5. September 1996 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung von Macau über den Luftverkehr- Drucksache 13/9853 -
Vizepräsident Dr. Burkhard HirschBeschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr
- Drucksache 13/10512 -Berichterstattung:Abgeordneter Michael Jung
m) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 17. Februar 1997 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Litauen über den Luftverkehr- Drucksache 13/9854 -
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr
- Drucksache 13/10513 -Berichterstattung:Abgeordneter Michael Jung
Der Ausschuß für Verkehr empfiehlt auf den Drucksachen 13/10511 bis 13/10513, die Gesetzentwürfe unverändert anzunehmen. Wenn Sie damit einverstanden sind, lasse ich auch über diese drei Gesetzentwürfe gemeinsam abstimmen. - Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann können wir das so machen. Ich bitte diejenigen, die den Gesetzentwürfen zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Gesetzentwürfe einmütig angenommen worden sind.Tagesordnungspunkte 23 n bis p:n) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom21. Juni 1997 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Arabischen Emiraten über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen- Drucksache 13/9957 -
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft
- Drucksache 13/10514 -Berichterstattung: Abgeordneter Rolf Kutzmutzo) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom22. Oktober 1996 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Burkina Faso über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen- Drucksache 13/9959 -
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft
- Drucksache 13/10515 -Berichterstattung: Abgeordneter Erich G. Fritzp) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 9. August 1996 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Demokratischen Volksrepublik Laos über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen- Drucksache 13/9958 -
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft
- Drucksache 13/10 529 -Berichterstattung:Abgeordnete Margarete Wolf
Der Ausschuß für Wirtschaft empfiehlt auf den Drucksachen 13/10514, 13/10515 und 13/10529, die Gesetzentwürfe unverändert anzunehmen. Auch über diese Gesetzentwürfe möchte ich gemeinsam abstimmen lassen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Ich bitte diejenigen, die den drei Gesetzentwürfen zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Gesetzentwürfe mit den Stimmen des Hauses bei Stimmenthaltung der Gruppe der PDS angenommen worden sind.Tagesordnungspunkt 23 q:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu dem Antrag der Abgeordneten Petra Bläss, Dr. Willibald Jacob, Dr. Winfried Wolf und der Gruppe der PDSAuswertung und Umsetzung der Dokumente des Weltsozialgipfels- Drucksachen 13/1586, 13/6546-Berichterstattung:Abgeordnete Andrea Fischer
Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/1586 abzulehnen. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition bei Stimmenthaltung der Fraktion der SPD gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen worden ist.Nun rufe ich die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zum Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. zum Reaktorunfall von Tschernobyl, Drucksache 13/5797, Buchstabe a auf. Der Ausschuß empfiehlt, den Entschließungsantrag auf Drucksache 13/4446 anzunehmen.Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen worden ist.Vizepräsident Dr. Burkhard HirschIch rufe die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zum Antrag der Fraktion der SPD zur Reaktorkatastrophe von Tschernobyl, Drucksache 13/5797, Buchstabe b auf. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/4447 abzulehnen.Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung angenommen worden ist, und zwar mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des Hauses im übrigen.Nun rufe ich die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu den Ergebnissen des Atomgipfels in Moskau, Drucksache 13/5797, Buchstabe c auf. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/4442 abzulehnen.Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition bei Stimmenthaltung der Fraktion der SPD gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen worden ist.Nunmehr rufe ich die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zum Bericht der Bundesregierung über die Umsetzung des Arbeitsprogramms zu den sicherheits-, gesundheits-, forschungs- und energiepolitischen Folgen aus dem Reaktorunfall von Tschernobyl, Drucksachen 13/4453 und 13/5797, Buchstabe d auf. Der Ausschuß empfiehlt Kenntnisnahme.Wer der Beschlußempfehlung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! -Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung angenommen worden ist, was auch nicht erstaunlich ist, weil man über einen Antrag gar nicht abstimmen kann, ohne ihn wenigstens zur Kenntnis genommen zu haben.
Nun rufe ich den Tagesordnungspunkt 23 s auf:Beratung der 19. Beschlußempfehlung und des Berichts des Wahlprüfungsausschusseszu dem Wahleinspruch gegen die Gültigkeit der Berufung eines Listennachfolgers gem. § 48 Bundeswahlgesetz
- Drucksache 13/10578 -Berichterstattung:Abgeordneter Dieter WiefelspützDer Abgeordnete Wiefelspütz möchte nach § 31 GO eine Erklärung dazu abgeben. Bitte schön, Herr Kollege.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will Ihre Aufmerksamkeit nur kurz in Anspruch nehmen. Ich bitte Sie um Zustimmung zu einem Votum des Wahlprüfungsausschusses bezüglich eines Wahleinspruches. Dabei geht es um folgenden Sachverhalt.
Im Jahre 1997 ist die Kollegin Holzapfel für den ausgeschiedenen Abgeordneten Roland Richwien nachgerückt. Er hatte ein Überhangmandat. Bei Überhangmandaten gibt es die jahrzehntelange Praxis des Bundestages, daß über § 48 Abs. 1 des Bundeswahlgesetzes über die Liste nachgerückt wird.
Diese jahrzehntelange Praxis des Deutschen Bundestages, die auch vom Schrifttum her unbestritten war, ist jetzt in einem Parallelverfahren vom Bundesverfassungsgericht überprüft worden. Unser höchstes Gericht hat diesen einschlägigen Paragraphen anders interpretiert als wir hier im Bundestag. Es sagt, daß dieses Nachrücken über die Liste nur noch bis zum Ende dieser Legislaturperiode hinzunehmen sei, mit der Folge, daß das Nachrücken rechtmäßig und korrekt war, aber für den Fall, daß das Wahlrecht nicht geändert wird, in Zukunft von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen werden muß.
Mit anderen Worten: Die Wahlanfechtung soll zurückgewiesen werden. Ich bitte Sie, dem zuzustimmen. So hat es der Wahlprüfungsausschuß beschlossen. Aber in der nächsten Legislaturperiode wird eine andere Rechtslage Gültigkeit haben.
Ich habe hier auch nur deshalb das Wort genommen - sonst machen wir das ja ohne Debatte -, weil es eine Verständigung zwischen den Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und der F.D.P. gibt, daß bis zum 27. September kein neues Wahlrecht in diesem Bereich geschaffen werden soll. Das bedeutet, wenn am 27. September 656 Abgeordnete gewählt werden und zusätzlich eine unbekannte Zahl von Überhangmandaten entsteht, dann wird in der nächsten Legislaturperiode im Falle eines Ausscheidens eines Überhangmandatsträgers niemand nachrücken, solange es in dem betreffenden Bundesland Überhangmandate gibt. Das ist etwas kompliziert. Darauf werden wir uns aber verständigen müssen. So will es jedenfalls die große Mehrheit des Bundestages.
Ob der Bundestag in der nächsten Wahlperiode für die Wahl im Jahre 2002 im Bereich von Überhangmandaten etwas anderes macht, ist heute nicht unsere Entscheidung. Das wird abzuwarten sein. Ich bitte Sie heute um Zustimmung zu dem Votum des Wahlprüfungsausschusses, im Klartext: um Zurückweisung der Wahlanfechtung des Einspruchsführers Hendrik Schütte.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Wir treten dann in die Abstimmung über die 19. Beschlußempfehlung des Wahlprüfungsausschusses zu einem Wahleinspruch gegen die Gültigkeit der Berufung eines Listennachfolgers, Drucksache 13/10578, ein. Wer der Beschlußempfehlung des Wahlprüfungsausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
fest, daß die Beschlußempfehlung bei Stimmenthaltung der Gruppe der PDS einmütig angenommen worden ist.
Tagesordnungspunkt 23 t:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten Marion Caspers-Merk, Michael Müller (Düsseldorf), Wolfgang Behrendt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Eckpunkte für eine Elektronikschrottverordnung
- Drucksachen 13/7561, 13/10478 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Steffen Kampeter
Marion Caspers-Merk Dr. Jürgen Rochlitz Birgit Homburger
Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/7561 abzulehnen. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen worden ist.
Tagesordnungspunkt 23 u:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Begrenzung von Emissionen flüchtiger organischer Verbindungen, die bei bestimmten industriellen Tätigkeiten bei der Verwendung organischer Lösungsmittel entstehen
- Drucksachen 13/7306 Nr. 2.25, 13/10531-
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Renate Hellwig
Christoph Matschie Dr. Jürgen Rochlitz Birgit Homburger
Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/10531 unter Nr. 1 Kenntnisnahme. Wer der Beschlußempfehlung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung einmütig angenommen worden ist.
Der Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 13/10531 die Annahme einer Entschließung. Wer dieser Beschlußempfehlung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung mit den
Stimmen der Koalition bei Stimmenthaltung des übrigen Hauses angenommen worden ist.
Tagesordnungspunkt 23v:
Beratung der Beschlußempehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Haushaltsführung 1998
Außerplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 1113 Titel 656 09
- Zusätzlicher Zuschuß des Bundes an die Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten -
- Drucksachen 13/10146, 13/10258 Nr. 8, 13/ 10557-
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Konstanze Wegner Hans-Joachim Fuchtel
Kristine Heyne
Ina Albowitz
Wer der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung einmütig angenommen worden ist.
Tagesordnungspunkt 23 w:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 338 zu Petitionen - Drucksache 13/10547 -
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 339 zu Petitionen
- Drucksache 13/10548 -
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 340 zu Petitionen
- Drucksache 13/10549 -
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 341 zu Petitionen
- Drucksache 13/10550 -
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 342 zu Petitionen
- Drucksache 13/10551 -
Wir kommen zunächst zur Sammelübersicht 338. Wer der Sammelübersicht 338 zustimmt, bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Sammelüber-
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
Sicht mit den Stimmen des Hauses bei Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS angenommen worden ist.
Dann kommen wir zur Sammelübersicht 339. Wer für die Sammelübersicht stimmt, bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Sammelübersicht mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen worden ist.
Nun kommt die Sammelübersicht 340. Wer ihr zustimmt, bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Sammelübersicht mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion der SPD gegen die Stimmen der PDS bei Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden ist.
Wir kommen zur Sammelübersicht 341. Wer ihr zustimmt, bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Sammelübersicht mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS angenommen worden ist.
Wir kommen jetzt zur Sammelübersicht 342. Wer ihr zustimmt, bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Sammelübersicht mit denselben Mehrheitsverhältnissen wie eben angenommen worden ist.
Ich rufe den Zusatzpunkt 4 auf:
Weitere abschließende Beratung ohne Aussprache
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Gemeinsamer Standpunkt Nr. 15/98 des Rates vom 12. Februar 1998 im Hinblick auf den Erlaß der Richtlinie 98/ ... /EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über Werbung und Sponsoring zugunsten von Tabakerzeugnissen
- Drucksachen 13/10487 Nr. 3.1, 13/10634 -
Berichterstattung: Abgeordneter Ulrich Petzold
Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft zustimmt, bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS angenommen worden ist.
Dann rufe ich den Zusatzpunkt 5 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes
zu dem Vierten Gesetz zur Änderung des Hochschulrahmengesetzes
- Drucksachen 13/8796, 13/9070, 13/9351, 13/
9822, 13/10094, 13/10638 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Heribert Blens
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? -Das ist nicht der Fall. Wird das Wort zu Erklärungen gewünscht? - Auch das ist nicht der Fall.
Dann kommen wir zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 13/10638 zustimmt, bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition und der Gruppe der PDS gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt worden ist. )
Damit rufe ich den Zusatzpunkt 6 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz zur Reform des Güterkraftverkehrsrechts
- Drucksachen 13/9314, 13/9437, 13/10037, 13/10291, 13/10639 -
Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Peter Struck
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wird das Wort zu Erklärungen gewünscht? - Auch das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Vermittlungsausschuß hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, daß im Deutschen Bundestag über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Wer der Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 13/10639 zustimmt, bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der Gruppe der PDS angenommen worden ist.
Damit rufe ich den Tagesordnungspunkt 5 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen
- Drucksache 13/9720-
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft
- Drucksache 13/10633 -
Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Uwe Jens
Siehe hierzu Seite 21552 B und Anlage 3
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
Es liegt ein Änderungsantrag der Gruppe der PDS vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe dem Abgeordneten Hartmut Schauerte das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir beraten heute die sechste Novelle zum Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen. Die Wirtschaft braucht Freiheit und Beweglichkeit; sie ist erfindungsreich, voller neuer Lösungsansätze und in einem permanenten Entwicklungs- und Veränderungsprozeß. Sie wandert über die Grenzen hinaus und hinein und kommt verändert zurück und geht verändert heraus. Wirtschaft ist immer örtlich und gleichzeitig auch ohne Grenzen. Das darf aber nicht heißen, daß Wirtschaft, die so beweglich ist, ohne Regeln sein will und ohne Regeln sein soll.
Das Spannungsverhältnis zwischen weltweiter Wirtschaft und Regelungen, die einen vernünftigen Rahmen geben, ist eine schwierige Herausforderung für Politikgestaltung. Aber vor einer solchen Spannung darf man nicht kapitulieren, sondern muß Antworten finden. Dieser vermeintliche Widerspruch muß intelligent aufgelöst werden. Der Gesetzgeber ist beauftragt, Regeln zu entwickeln und weiterzuentwickeln, um den Wettbewerb nach fairen marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten zu organisieren.
Er muß dafür sorgen, daß die unterschiedlichen Chancen, Möglichkeiten und Risiken sinnvoll miteinander verknüpft werden, ohne daß der eine den anderen plattmacht und der Wettbewerb dabei auf der Strecke bleibt. Es muß einen kleinsten gemeinsamen Nenner geben, auf dem die unterschiedlichen Ansätze und Interessen in einem solchen Regelwerk untergebracht werden. Das geht nicht ohne Kompromisse; das geht auch nicht nach der reinen Lehre, weil das Leben in der Wirtschaft nicht mit der chemisch reinen Situation in einem Reagenzglas zu vergleichen ist. Es ist etwas anderes.
Vor dem Hintergrund von Globalisierung, Europäisierung und Harmonisierung müssen wir einen Weg finden, auch wenn es schwierig ist, um Schutzmechanismen zu entwickeln, faire Bedingungen durchzusetzen, soviel Freiheit wie möglich zu erhalten, aber auch da, wo die Freiheit strangulierende und zerstörerische Wirkung hat, regelnd einzugreifen. Das ist ein immer wieder neu gestellter, schwieriger Auftrag an den Gesetzgeber. Wir wissen, daß die Akzeptanz der sozialen Marktwirtschaft bei den Menschen immer wieder von solchen Fragestellungen abhängig ist. Wir können uns in der aktuellen politischen Situation nicht über zuviel Zustimmung zur sozialen Marktwirtschaft freuen. Sie wird ja auch kritisch gesehen. Deshalb müssen wir uns fragen: Geben wir die richtigen Antworten?
- Nein, nein. Das ist nicht einmal ein Märchen. Das ist einfach nur Unsinn, Herr Kollege, was Sie da gesagt haben.
Das ist die Aufgabe, der wir uns stellen müssen.
Es gibt einen innenpolitischen Erwartungsdruck: Wir stellen fest, daß es nach wie vor einen anhaltenden Konzentrationsprozeß gibt, es gibt nach wie vor eine erhebliche Gefährdung und in Teilbereichen auch eine Zerstörung von mittelständischer Struktur. Es entsteht das Gefühl, als seien die Gesellschaft und die Marktteilnehmer gegen Marktmißbrauch, der die Marktwirtschaft eher zu einer Machtwirtschaft werden läßt, wehrlos. Es ist ausgesprochen schwierig, alle diese Anforderungen unter einen Hut zu bringen.
Das, was ich hier gerade beschrieben habe, soll sich in wichtigen Punkten ändern. Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit etwas flapsig sagen: Es besteht, wenn ich das zusammenfassen darf, in der deutschen Öffentlichkeit häufig der Eindruck, als sei das deutsche Kartellrecht, obwohl der Präsident des Bundeskartellamtes auf den schönen Namen Wolf - verehrte Frau Kollegin Wolf - hört, zahnlos. Das paßt eigentlich nicht zu dem Namen Wolf. Wir werden mit diesen Regelungen, die wir auf breiter Basis miteinander verabredet haben, an den Stellen einige neue Zähne einsetzen, wo wir den Eindruck haben, daß es bisher nicht wirksam genug war.
Wir werden uns in einigen Bereichen dem europäischen Recht anpassen, insbesondere dort, wo dieses klarer und wirksamer ist. Wir folgen dem europäischen Harmonisierungsansatz dort nicht, wo wir den Eindruck haben, er sei falsch und ließe mehr Spielräume in Richtung Marktmißbrauch und Machtmißbrauch in der sozialen Marktwirtschaft zu.
Ich komme zu einzelnen Punkten:
Das Kartellverbot ist klassisch neu gefaßt. Es ist wirksam; wir können nun sehr früh eingreifen. Es gibt überhaupt keine Diskussionen, daß es sich um eine wertvolle Verbesserung handelt.
Wir haben bei den Einkaufskooperationen Verbesserungen vorgesehen, indem wir sagen: Die Einkaufsverbünde dürfen einen Teil der Möglichkeiten auf Grund ihrer Größe nutzen, um nicht im Nachteil gegenüber den Einkäufern der Konzerne zu sein. Das ist ein wichtiger Ansatz. Wir gehen dabei sehr vorsichtig vor, weil auf der anderen Seite die Markenartikelhersteller natürlich sagen: Um Gottes willen, wenn ihr denen jetzt zuviel Macht gebt, dann können sie unsere Situation unerträglich erschweren. - Das ist also ein typischer Fall für einen Kompromiß und die Abwägung von unterschiedlichen berechtigten Interessen.
Hartmut Schauerte
Wir fördern Kooperationen. Wir werden aber sehr viel schärfer gegen den Mißbrauch von marktbeherrschenden Stellungen vorgehen. Der Mißbrauchstatbestand wird wie im EG-Recht ein Verbotstatbestand. In diesem Bereich haben wir also eine Anpassung, eine Harmonisierung im echten Sinne. Wegen Mißbrauchs kann künftig unmittelbar vor einem Zivilgericht geklagt werden. Das Tätigwerden einer Kartellbehörde ist nicht mehr erforderlich, aber natürlich möglich.
In diesem Zusammenhang möchte ich die Roßund-Reiter-Regelung ansprechen. Ich glaube, daß gerade im Reagieren auf den Marktmißbrauch die größten Chancen liegen, Fehlentwicklungen zu korrigieren.
Vor dem Hintergrund der Fusion von Daimler-Benz und Chrysler sehen wir wieder einmal, daß Fusionen häufig stattfinden, ohne daß wir eine Einwirkungsmöglichkeit haben, da es sich um punktuelle Entscheidungen handelt. Wenn sie dem nationalen Recht unterliegen, können wir noch eingreifen. Wenn sie aber auf der internationalen Bühne stattfinden, können wir im Prinzip nicht mehr eingreifen. Die angesprochene Fusion ist eigentlich ein Beweis der Stärke unserer Wirtschaft. Jahrzehntelang haben sich die Amerikaner an deutschen Automobilunternehmen beteiligt; jetzt führt der Weg einmal in die andere Richtung. Das ist in Ordnung.
Wir würden dieses Problem mit dem Kartellrecht
) nicht wirklich in den Griff bekommen. Wenn sich aber eine auf diese Weise entstandene Macht in Zukunft mißbräuchlich auf dem deutschen Markt verhält, dann wird sie nach dem deutschen Kartellrecht kritisch überprüft werden. Es wird geprüft, ob sie sich marktkonform und wettbewerbsfreundlich verhält, egal wo sie ihren Sitz hat. Deswegen ist für mich der Mißbrauchstatbestand der Schlüssel zu einer Verbesserung der Schwächen im bisherigen Kartellrecht.
Ich darf in diesem Zusammenhang auf den Roßund-Reiter-Komplex zu sprechen kommen. Wir mußten häufig beklagen, daß Mißbrauch stattgefunden hat, daß sich aber der schwächere Marktteilnehmer - ich darf in diesem Zusammenhang an die Automobilzuliefererindustrie erinnern - nicht in der Lage sah, diesen Tatbestand zur Beschwerde zu bringen. Wenn er es nämlich getan hätte, hätte er sich damit seine eigene Zukunft zerstört, weil er keine neuen Aufträge mehr bekommen hätte.
Eine der wertvollsten Innovationen, die in diesem Gesetzentwurf enthalten ist, ist die Lösung in bezug auf die Roß-und-Reiter-Problematik, indem wir das Verfahren anonymisieren. Derjenige, der eine Anzeige beim Kartellamt wegen Mißbrauchs erstattet, ist soweit wie eben möglich geschützt. Bis zu dieser Regelung war es ein langer Weg, den wir miteinander gehen mußten. Es gab Widerstände im Justizbereich. Jetzt ist aber alles klar. Wir haben die Widerstände weitgehend überwunden und haben nun ein wirklich neues Element geschaffen.
Ich denke, daß dieses Element im Verhalten der Marktteilnehmer erhebliche Veränderungen bewirken wird. Jeder, der Mißbrauch betreibt, muß nun verschärft damit rechnen, daß dieser Verbotstatbestand zur Anzeige kommt. Er kann nämlich nicht länger darauf hoffen, daß der schwächere Marktteilnehmer aus Angst vor der Zukunft den Mund hält. Dieser kann sich jetzt wehren. Dies ist nach meiner Auffassung einer der wichtigsten Punkte, die wir geregelt haben.
Im Fall des Netzzugangstatbestandes gab es bei uns eine leichte Irritation. Wir meinen, daß die Netzzugänge im Prinzip zwar mit der Regelung einer sofortigen Vollziehbarkeit versehen werden können, aber nur dann, wenn es begründet ist. Es soll nicht einfach einen gesetzlichen Automatismus geben. In diesem Punkt sind wir mit der SPD unterschiedlicher Meinung.
Das Problem des Verkaufs unter Einstandspreis möchte ich zu einem weiteren Schwerpunkt meiner Rede machen. Die größte Frage in diesem Zusammenhang ist, was sinnvoll ist und was nicht. Das Verbot des Verkaufs unter Einstandspreis ist eine intensive Forderung der kleinen und schwächeren Marktteilnehmer in Deutschland, insbesondere im Einzelhandel, gewesen. Dieser Idee hat sich ganz besonders die CSU geöffnet. Sie hat sie bei den Vereinbarungen und Verabredungen zu einem ganz entscheidenden Punkt gemacht. Das ist auch bei uns auf breite Zustimmung gestoßen.
Das war - Graf Lambsdorff, wir haben die Verhandlungen erlebt - ein Essential, bei dem die CSU gesagt hat: Anderenfalls können wir dieser Kartellnovelle nicht zustimmen. - Ich kann diese Auffassung teilen. Es gibt gute Gründe, sich dieser Situation zu öffnen, obwohl wir alle intelligent genug sind, die Widerstände und Probleme an dieser Stelle zu erkennen. Wir sollten dennoch einen entsprechenden Versuch unternehmen.
Herr Kollege Schauerte, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mosdorf?
Gern. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Bitte schön.
Herr Kollege Schauerte, wir beraten heute ein wichtiges Gesetz. Ludwig Erhard hat es einmal das Grundgesetz der Wirtschaft genannt. Worauf führen Sie es zurück, daß Ihr wirtschaftspolitischer Sprecher, Herr Wissmann, an der heutigen Debatte nicht teilnimmt?
Ich weiß, daß Herr Wissmann in seiner neuen Funktion mittler-
Hartmut Schauerte
weile so sehr gefragt ist, daß er hervorragende Gründe hat, an dieser Debatte nicht teilzunehmen. Ich sehe, daß Ihr Kanzlerkandidat, der auch gern über die Grundsätze der Marktwirtschaft redet und bis hin zur Zigarre die Nachfolge von Ludwig Erhard darstellen möchte, an dieser Debatte auch nicht teilnimmt. Er könnte im Hinblick darauf, was Ludwig Erhard seinerzeit gemeint hat, hier eine Menge lernen.
Bei meinem Freund Matthias Wissmann bin ich ganz sicher, daß er einen wichtigen Termin hat. Ich weiß nicht, ob Sie das für Gerhard Schröder sagen können, ob Sie seinen Terminkalender kennen.
Ich komme zurück zum Verbot des Verkaufs unter Einstandspreis. Wir sind hierbei sogar noch einen Schritt weitergegangen. Wir haben am Ende der Beratungen die Beweislast umgekehrt. Das ist ein wichtiger Punkt: Derjenige, der unter Einstandspreis verkauft, muß nachweisen, daß es dafür einen besonderen Grund gibt.
Ferner haben wir in die Gesetzesbegründung einen Satz hineingeschrieben, der erhebliche Bedeutung hat. Dieser Satz sagt aus, daß über die bisherige Rechtsprechung hinaus dieses Verbot gelten soll, ohne daß nachgewiesen werden muß, daß in Verdrängungsabsicht gehandelt wurde oder der Verkauf mit Kautelen versehen wurde. Der nüchterne Tatbestand, daß unter Einstandspreis verkauft worden ist - wie schwierig auch immer das festzustellen ist; das wird überhaupt nicht verkannt -, soll ausreichend dafür sein, daß ein Mißbrauchstatbestand vorliegt.
Den Umfang der Ausnahmen bei Rabatt- und Ausfuhrkartellen haben wir deutlich zurückgeführt. Im Bereich des Verkehrs haben wir sie aufgehoben; in anderen Bereichen haben wir ihre Anzahl reduziert.
bie Fusionskontrolle ist verbessert worden. Sie muß präventiv angemeldet werden. Das alles macht das deutsche Kartellrecht eindeutig wirksamer.
Abschließend möchte ich folgendes zum Ausdruck bringen: Es ist schade, daß die Ausnahmewünsche, die heiß diskutiert worden sind, die Bedeutung des Gesetzes am Ende ein bißchen in Frage gestellt haben. Es gab den Wunsch, Ausnahmen im Sport zuzulassen. Dazu wird mein Kollege Friedhelm Ost nachher noch das Nötige sagen.
Seitens der SPD gab es auch noch den Wunsch, eine Ausnahme für Lotto und Toto zu schaffen. Ich bin dankbar dafür, daß die Berichterstatter an der Stelle einvernehmlich der Meinung waren, daß es eine solche Ausnahme für Lotto und Toto nicht geben dürfe, weil sie ihrer Natur nach schädlich und auch nicht nötig sei. Lotto und Toto unterliegen dem Ordnungsrecht der Länder. Das, was die Länder da im Rahmen des Ordnungsrechts einbringen können, ist so umfangreich, daß ich überhaupt keinen Ansatzpunkt dafür sehe, daß das irgendwo kollidieren könnte. Einfach nur aus der Sorge heraus, daß da in ferner Zukunft einmal ein Problem entstehen könnte, bin ich angesichts der Notwendigkeit, Ausnahmen so selten wie möglich vorzusehen, nicht bereit zu sagen: Da schaffen wir einmal in vorauseilendem Gehorsam im Hinblick auf Entwicklungen, die heute noch niemand wirklich präzise beschreiben kann, eine neue Ausnahme. - Dabei sollten wir auch bleiben.
Ich denke, mit diesem Gesetz haben wir die Ordnungsvorstellungen von Ludwig Erhard, bezogen auf die Erfordernisse von heute, fortgeschrieben. Ludwig Erhard hat diese Kartellrechtslage im Prinzip entwickelt. Wir waren eins der ersten Länder, die eine solche Kartellgesetzgebung überhaupt hatten. In Europa ist sie im wesentlichen von uns übernommen worden. Europa übt, sich damit vertraut zu machen. Deswegen haben wir auch einige gute Gründe, zu sagen: Wir wollen da, wo wir bei unseren nationalen Ansätzen bleiben, noch ein bißchen warten, ob die Europäer nicht noch unsere Erfahrungen machen und am Ende auf unsere Linie einschwenken werden.
Wir haben das Gesetz auf die Erfordernisse von heute fortgeschrieben. Nach dem Hearing hat es eine große Zustimmung gegeben, bis auf wenige, durchaus beachtenswerte Vertreter der reinen Lehre. Es gibt auch den erheblichen Widerstand des BDI, den es immer, von Beginn an, gegeben hat. Er möchte am liebsten gar nichts. Auch diese Kräfte gibt es. Diese Überzeugung kann man haben, aber das ist nicht unser Verständnis von sozialer Marktwirtschaft. Ich glaube, daß wir hier einen vernünftigen Mittelweg gefunden haben, der den Kleinen eine neue Chance gibt, der Machtmißbrauch erschwert und riskanter macht.
Deswegen ist es gut, daß es in diesem Haus eine breite Zustimmung für dieses GWB gibt und daß wir es möglicherweise ohne ein Vermittlungsverfahren rechtzeitig auf den Weg bringen. Es ist wichtig für den Standort Deutschland. Es ist ein wichtiges Signal und neue Hoffnung für die im Mittelstand, die Angst und Sorge haben, ob sie sich bei den veränderten Zeiten mit ihren Strukturen überhaupt halten können. Ich denke, es ist ein gutes Gesetz. Es verdient eine breite Zustimmung.
Herzlichen Dank.
Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Professor Dr. Uwe Jens.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieses Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen ist sicherlich kein Gesetz, das die Kollegen von den Stühlen reißt.
Es ist eine etwas trockene Materie, aber dennoch ein sehr wichtiges Gesetz.
Erlauben Sie mir eine kurze Vorbemerkung zur Fusion zwischen Daimler-Benz und Chrysler, die heute bekanntgeworden ist. Ich sehe das - das muß ich ehrlich sagen - sehr kritisch. Daimler-Benz hat in der letzten Zeit wiederholt fusioniert. Man kann, wenn man das rückwärts betrachtet, nur sagen: Auf man-
Dr. Uwe Jens
che Fusion hätten sie verzichten sollen, dann wären sie besser gefahren. Ich hoffe sehr, daß die Europäische Kommission und auch die Federal Trade Commission diese Fusion sorgfältig prüfen. Am Ende stehen möglicherweise fünf oder zehn große Automobilkonzerne weltweit, die dann mit hoher Wahrscheinlichkeit den Verbrauchern das Fell über die Ohren ziehen werden. Das kann keine vernünftige Entwicklung sein. Aber auf die Notwendigkeit, weltweit verbindliche Regeln einzuführen, komme ich noch kurz zu sprechen.
Das Gesetz, das wir heute diskutieren, hat eine lange Beratungszeit hinter sich, allerdings nicht im Parlament, sondern vor allem in der Regierung. Ich hätte mir gewünscht, wir hätten etwas länger im Parlament über das Gesetz diskutieren können.
Aber es gibt Punkte - deswegen stimmen wir Sozialdemokraten aus voller Überzeugung zu -, die positiv zu bewerten sind. Ich persönlich sage: Es ist gut, Herr Rexrodt, daß Sie nicht ausschließlich den Wünschen des Bundesverbandes der Deutschen Industrie gefolgt sind. Ich muß Sie einmal loben.
Das ist sehr gut, denn der Bundesverband der Deutschen Industrie und der amtierende Präsident tun manchmal so, als wenn sie die Bundesrepublik Deutschland persönlich wären.
Wir sollten seitens der Wirtschaftspolitiker in Zukunft mehr auf den noch nicht vorhandenen Bundesverband deutscher Dienstleister achten. Sie stellen einen wesentlich größeren Teil des Sozialprodukts zur Verfügung als etwa die industriellen Anbieter.
Es ist gut, daß wir die Angleichung an das EU-Recht erreicht haben, und zwar nicht auf niedrigem Niveau. Wir haben bei den Kartellen, wie Kollege Schauerte gesagt hat, unsere Situation verbessert, ich sage: verschärft. Insbesondere bei der Mißbrauchskontrolle über marktbeherrschende Unternehmen haben wir uns an Art. 85 und 86 des EG-Vertrages angepaßt und damit eine etwas schärfere Formulierung erreicht. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung.
Es ist richtig, daß wir die Einfuhr- und Ausfuhrkartelle als Ausnahmetatbestand im GWB jetzt streichen. Das waren immer nur Kartelle, die zu Lasten der sich entwickelnden Länder gewirkt haben. Das sind Kartelle, die eines reifen Industriestaates nicht würdig sind.
Ich finde es auch gut, daß wir auf Drängen der Sozialdemokraten die Abgrenzung des relevanten Marktes jetzt etwas logischer gestaltet haben, indem wir auch potentielle Wettbewerber, die sich außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes befinden, mit in die Definition des relevanten Marktes hineinnehmen. Ich finde es gut, daß wir die Ausnahmebereiche Verkehr, Banken, Versicherungen, Landwirtschaft sowie Urheberrechtsverwertungsgesellschaften eingeschränkt oder zum Teil sogar abgeschafft haben.
Leider gibt es in diesem Bereich einen Schönheitsfehler, auf den ich noch zu sprechen komme. Herr Rexrodt, wir haben Sie manchmal vermißt. Denn diese Schönheitsfehler sind immer dann ins Gesetz gekommen, wenn Sie nicht anwesend waren. Ich sage hier schon einmal vorab: Ich hätte mir gewünscht, Sie hätten manchmal etwas mehr für eine stringentere ordnungspolitische Linie gekämpft.
Für uns Sozialdemokraten ist es ferner wichtig, daß die präventive Fusionskontrolle ab einem Umsatzschwellenwert von 1 Milliarde DM jetzt zum Zuge kommt. Wir haben schon früher dafür votiert. Fusionen müssen präventiv geprüft werden, also bevor sie entstehen. Ein bekannter Präsident des Kartellamtes hat immer gesagt: Aus Rühreiern kann man hinterher keine ganzen Eier machen. Damit hat er zweifellos recht.
Ein Schönheitsfehler, wie gesagt, ist der Ausnahmebereich Sport, der neu in das Gesetz aufgenommen worden ist. Dies geschah in einer Situation, in der aus meiner Sicht die Politik die Ökonomie dominiert hat.
- Wir singen gleich das Vereinslied von Dortmund; das sehe ich schon auf uns zukommen. - Trotzdem stelle ich fest: Es war nicht reiner Opportunismus, was wir Politiker da betrieben haben. Ich gehe davon aus, daß der DFB das begreift und in Zukunft etwas mehr Geld für die Jugendarbeit zur Verfügung stellt.
Ich gehe davon aus, daß er das begreift und auch den kleinen und kleinsten Vereinen mehr Geld aus der Monopolrendite, die er zur Zeit kassiert, zukommen läßt. Das ist eine ganz wichtige Sache.
Wenn das nicht passiert, dann werden wir uns über diese Sache noch einmal unterhalten müssen.
Erlauben Sie mir, auch über einen zweiten Schönheitsfehler kurz zu sprechen. Das ist das noch verschärfte Verbot des Verkaufs unter Einstandspreisen. Wir Sozialdemokraten sind sehr dafür, etwas für kleine und mittlere Unternehmen zu tun.
Wir sind auch dafür gewesen, daß die Fusionskontrolle verschärft wird. Wir sind nicht für eine spezielle Fusionskontrolle beim Handel, aber für die Einführung einer Regelung, so daß wir marktstarke Nachfrager etwas besser kontrollieren können. Auf die Entwicklung bei Metro sollten Sie, Herr Rexrodt, aus meiner Sicht stärker aufpassen. Das ist für den Wettbewerb nicht mehr förderlich. Das ist eine Fehlentwicklung.
Wir sind auch sehr dafür, daß die Roß-und-ReiterProblematik aufgegriffen wird, wie Kollege Schauerte das gesagt hat, und daß die Diskriminierungen, wenn es um den Einkauf von Waren geht - es kommt wohl häufig vor, daß große Unternehmen deutlich günstiger einkaufen als kleine und mittlere Unter-
Dr. Uwe Jens
nehmen, also machtbedingte Vorteile haben -, angegangen werden. Die Voraussetzungen müssen in etwa ausgeglichen sein.
Anschließend aber die Preise, die die Unternehmen für die Verbraucher festsetzen, zu kontrollieren ist ein sehr zweifelhaftes Unterfangen. Als ein Tatbestand unter vielen kann man damit aus meiner Sicht sogar leben. Aber so, wie das jetzt geregelt ist, ist es nicht vernünftig. Das kann zu einer verstärkten Preisbildungskontrolle führen. Wenn man damit erst einmal anfängt - ich beziehe mich auf den alten Hayek -, dann ziehen solche Flecken immer weitere Kreise. Dies kann dazu führen, daß mehr Bürokratie entsteht. Die wollten Sie nun gerade abschaffen.
Ich gehe einmal davon aus, daß die Waren in den größeren und mittleren Unternehmen im allgemeinen gar nicht unter Einstandspreis angeboten werden; da haben sich häufig falsche Meinungen festgesetzt. Dann werden bei den kleinen und mittleren Unternehmen Hoffnungen geweckt, man könne zum Beispiel etwas gegen „Asbach Uralt" tun, wenn er für nur 13 DM oder so angeboten wird, die Sie niemals erfüllen können. Auch das sollte man aus meiner Sicht als Gesetzgeber möglichst unterlassen.
Wenn aber Waren in der Tat extrem günstig unter dem Einstandspreis angeboten werden - jetzt kommt diese Regelung -, führt das zwangsläufig dazu, daß das Preisniveau insgesamt steigt. Auch das ist eine Entwicklung, die Sie dann zu verantworten haben, Herr Rexrodt, aber die nicht etwa im Interesse der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung ist und auch nicht im Interesse der Verbraucher, deren Interessen wir Sozialdemokraten uns immer sehr bewußt sind, meine Damen und Herren.
Ich glaube, wir müssen etwas tun, wir müssen mehr tun für die kleinen und mittleren Händler. Als einen Ansatz lasse ich das gelten. Aber wir müssen zum Beispiel erreichen, daß gerade die Steuerbelastung der kleinen und mittleren Unternehmen deutlich gesenkt wird, so daß sie auf diese Art und Weise im Wettbewerbskampf besser dastehen.
Wir sollten uns auch überlegen, ob wir nicht in Entleerungsgebieten, in denen es keine Lebensmittelhändler mehr gibt, durch Unterstützung wieder Lebensmittelhändler schaffen können. - Herr Lambsdorff, ich sehe, Sie runzeln die Stirn. Das ist ein Vorschlag der Monopolkommission. - Wir sollten überlegen, ob nicht rollende Lebensmittelläden verstärkt gefördert werden können, also auf diesem Feld dafür sorgen, daß auf alle Fälle keine Entleerung im Lebensmittelhandel stattfindet. Dies ist aus meiner Sicht vernünftiger und richtiger, als zu sagen, mit der Regelung, die Sie dort eingeführt haben, könne man die Probleme der kleinen und mittleren Händler lösen. Eine solche Politik hat man in der Agrarwirtschaft schon einmal verfolgt, und sie ist gescheitert.
Ich bedauere es sehr, daß die Koalitionsfraktionen dem Antrag des Bundesrates und auch der SPD-Fraktion nicht gefolgt sind, den sogenannten Wettbewerbsbezug wiederherzustellen. Ich glaube, der
Bundesrat wäre gut beraten, wenn er bei seiner Forderung bleibt, daß der Wettbewerb durch ein Verbot des Verkaufs unter Einstandspreisen nicht nachhaltig beeinträchtigt werden darf. Die Einschränkung mit der nachhaltigen Beeinträchtigung des Wettbewerbs hatten wir Sozialdemokraten gefordert noch in das Gesetz einzubauen. Dies ist leider nicht passiert. Aber sie wäre sinnvoll, sie wäre ökonomisch vernünftig gewesen, und es ist traurig, daß sich die Koalition auf diesem Feld gegenüber der CSU nicht hat durchsetzen können.
Wir Sozialdemokraten wollen mit dem Wettbewerbsrecht vor allem auch die Interessen der Verbraucher vertreten. Deshalb ist es gut, daß die sogenannten Vermutungstatbestände auf unser Drängen hin wiederum in die Mißbrauchsaufsicht hineingekommen sind. So kann das Amt etwas eher eingreifen, und so kann unter Umständen die Beweislast umgekehrt werden, wenn es Marktbeherrscher gibt, die ihre Marktmacht mißbrauchen.
Wir begrüßen auch - dafür hatten wir gekämpft -, daß die sogenannte Wirtz-Schaukel wieder in das Gesetz aufgenommen wird, wonach marktbeherrschende Positionen auf einem Markt mit wettbewerblichen Entwicklungen auf anderen Märkten aufgewogen werden können. Das wird in der Agrarindustrie eine besondere Rolle spielen. Wir hoffen sehr, daß auf diese Art und Weise der Wettbewerb tendenziell verschärft wird.
Ich möchte aber noch ein paar Bemerkungen über den Tag hinaus machen. Zunächst muß ich einmal sagen, daß wir jetzt im Bereich Mißbrauchsaufsicht und Kartelle das deutsche Recht weitgehend an das der EU-Kommission angeglichen haben, aber im Bereich der Fusionskontrolle sicherlich nicht. Auch hier gilt es, irgendwann eine Gleichheit herzustellen, aber bitte sehr dann nicht so, daß wir unsere Fusionskontrolle, die sich aus meiner Sicht bewährt hat, aufweichen,
sondern so, daß die Europäische Union sich dem angleicht, was wir für zwingend notwendig halten.
Dazu gehört zum Beispiel auch - das ist eine alte Forderung von uns -, daß für die Fusionskontrolle ein zweistufiges Prüfungsverfahren eingeführt wird. Das heißt, wir brauchen ein relativ unabhängiges europäisches Kartellamt, wo Fusionen unter wettbewerblichen Gesichtspunkten kontrolliert werden. Danach brauchen wir auch auf europäischer Ebene Ausnahmeregelungen wie bei uns die Ministererlaubnis, also eine Prüfung durch die Europäische Kommission unter gesamtgesellschaftlichen, politischen Gesichtspunkten. Darauf könnten wir aus meiner Sicht nicht verzichten.
Wir brauchen aber auch eine europäische Entflechtungsregelung, und zwar als „fleet in being" und nicht für den dauernden Einsatz. Wir müssen im Handelsbereich vielleicht auch die Möglichkeit haben - ich denke da wieder an Metro -, wenn diese
Dr. Uwe Jens
Großkonzerne fortwährend Mißbrauch betreiben und dieser Mißbrauch anders nicht zu beseitigen ist, einen solchen Konzern wieder in wettbewerbliche Einheiten zu zerschlagen. In diese Richtung würde eine Entflechtungsregelung wirken.
Im Grunde gibt es im Kartellrecht eine Lücke. Wir kontrollieren Kartelle und Unternehmenszusammenschlüsse. Für die ganz Mächtigen am Markt aber haben wir keine Instrumente parat. Ein geeignetes Instrument wäre die Entflechtungsregelung. Sie ist aus meiner Sicht erforderlich, zwar nicht in Deutschland, aber auf europäischer Ebene.
Wir werden das Kartellrecht nicht nur auf europäischer Ebene fortentwickeln müssen, sondern weltweit. Der Automobilmarkt wurde von mir kurz angesprochen. Wir brauchen einheitliche Regelungen für alle miteinander im Wettbewerb stehenden, in etwa gleichartig entwickelten Länder. Ich denke da zum Beispiel an die OECD-Länder. Wir brauchen konkrete einheitliche Regelungen, wie wir sie kennen, zum Beispiel zur Kontrolle von Kartellen, zur Mißbrauchsaufsicht marktbeherrschender Unternehmen, gegen Diskriminierungen, auch für die Kontrolle weltweiter Unternehmenszusammenschlüsse.
Eine sozial und ökologisch vernünftige Weltmarktwirtschaft, wie ich sie mir langfristig vorstelle, die nur einseitig die Interessen der Großkonzerne im Auge behält, wird auf Dauer keinen Bestand haben.
Jede funktionierende Marktwirtschaft muß eine Veranstaltung zugunsten der Verbraucher bleiben.
Zweifellos überwiegen die Verbesserungen durch das Gesetz die Verschlechterungen, die ich ebenfalls angesprochen habe. Bundeswirtschaftsminister Rexrodt kann also auf diese Novelle, die wir ihm bescheren, ein wenig stolz sein. Ich habe schon gesagt, er hätte bei den Beratungen etwas häufiger anwesend sein können.
Ich möchte aber noch eines hinzufügen, Herr Rexrodt: Groß prahlen können Sie mit dieser Novelle auch nicht. Wenn ich das ohne Zorn und Eifer betrachte, würde ich sagen: voll ausreichend. Mehr ist nun wirklich nicht drin.
Da ich noch vier Minuten Redezeit habe, möchte ich noch ein Dankeschön sagen: Danke an die Mitberichterstatter Hartmut Schauerte und Graf Lambsdorff, mit dem wir uns manchmal kräftig gestritten haben.
Da ich aber weiß, daß Graf Lambsdorff heute möglicherweise seine letzte wirtschaftspolitische Rede halten wird, sage ich noch einmal: Wir Sozialdemokraten haben mit dem „Marktgrafen" nicht immer übereingestimmt.
Mir liegt es aber am Herzen, festzuhalten, daß er zweifellos in die Reihe der Wirtschaftsminister einzuordnen ist, die in unserer Republik politische Weichen neu gestellt haben.
Zu diesen Wirtschaftsministern gehört zweifellos Ludwig Erhard mit der Einführung und Erkämpfung der Grundbedingungen der sozialen Marktwirtschaft. Das war ein großer Erfolg. Ich stelle mir manchmal vor, was aus unserem Lande geworden wäre, wenn die sozialistischen Ideen von Herrn Nölting verwirklicht worden wären. - Grauenvoll.
Zu diesen großen Wirtschaftsministern, Graf Lambsdorff, gehört aus meiner Sicht auch der Sozialdemokrat Karl Schiller.
Er hat mit seinen Novellierungen zum GWB, aber auch mit der Einführung des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes mehr Rationalität in die Wirtschaftspolitik gebracht und die gesamte Politik auf eine rationellere Basis gestellt. Das war eine große Leistung.
Schließlich will ich erwähnen, daß Graf Lambsdorff die sogenannte angebotsorientierte Politik gegen erhebliche Widerstände durchgesetzt hat. Nicht alles, was für uns Sozialdemokraten an dieser Politik richtig war, mußte so gemacht werden, wie er es gemacht hat. Er gehört aber zu den Weichenstellern in der Wirtschaftspolitik. - Ansonsten fällt mir auch keiner mehr ein. Ich erinnere mich nur noch an Propagandisten oder Administratoren.
Dank für diese Leistung, auch wenn wir nicht immer übereingestimmt haben. Es mußte meines Erachtens zweifellos eine neue Weichenstellung erfolgen.
Für die Zukunft gilt es aber erneut, die Weichen neu zu stellen. Die Zeit der globalen Angebotspolitik ist aus meiner Sicht vorbei. Wir brauchen dringend eine konzentriertere und speziellere Angebotspolitik zur verstärkten Förderung von Bildung und Ausbildung, von Forschung und Technologie, von Investition und Innovation. Dabei wollen wir Sozialdemokraten - was leider in der Vergangenheit passiert ist - auch die Nachfrageseite nicht vernachlässigen. Es geht außerdem darum, im Sinne von Schumpeter ver-
Dr. Uwe Jens
stärkt das Unternehmertum, die Selbständigen und die kleinen und mittleren Unternehmen zu fördern, weil sie Träger des sozialen und wirtschaftlichen Fortschritts sind. Es geht darum, Investitionen und Innovationen in Zukunft gezielt voranzubringen, und nicht etwa darum, die Verschuldung der Bundesrepublik Deutschland weiter zu erhöhen.
Das vorliegende Gesetz ist, insgesamt gesehen, ein Schritt in die richtige Richtung. Deshalb stimmen wir Sozialdemokraten dem Gesetz auch zu.
Schönen Dank.
Ich erteile das Wort der Abgeordneten Margareta Wolf.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrter Herr Kollege Jens, Herr Kollege Schauerte und Graf Lambsdorff, man kann sagen, daß wir in einem langen Verhandlungsprozeß um einen Kompromiß gerungen haben, daß wir mit dem Kompromiß zufrieden sind und daß wir aber alle miteinander - auch das wurde in den vorherigen Beiträgen deutlich - auch Kröten geschluckt haben. Es handelt sich um einen klassischen Kompromiß. Traditionell kommt eine Novelle des GWB immer auf Grundlage eines Kompromisses zustande. Auch wir werden diesem Gesetzesvorhaben heute zustimmen, weil wir glauben, daß es tatsächliche Verbesserungen für den Wettbewerb bringen wird.
Im übrigen glaube ich, daß die interfraktionelle Beratung, die ja maßgeblich durch die Kollegen Jens und Graf Lambsdorff mit ihren Erfahrungen in bezug auf das Wettbewerbsrecht gestaltet wurde, tatsächlich eine Verbesserung der ursprünglichen Vorlage der Bundesregierung gebracht hat.
Ich möchte hier einige wenige Punkte herausgreifen, an denen ich deutlich machen möchte, wie die Verbesserung aussieht. Herr Schauerte und Herr Jens haben schon auf die Roß-und-Reiter-Problematik hingewiesen. Dazu muß ich nicht mehr viel sagen. Ich denke, daß es wirklich ein Gewinn ist, daß die Mißbrauchskontrolle und die Fusionskontrolle verschärft wurden und daß - das ist ganz wichtig - die Zahl der Ausnahmetatbestände erheblich reduziert worden ist.
Wir, die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen, haben die berechtigte Hoffnung, daß mit dieser GWB-Novelle den Konzentrationsprozessen entgegengewirkt werden kann. In der Vergangenheit konnte man vor allem im Handel einen dramatischen Konzentrationsprozeß beobachten. Wir haben die Hoffnung, dem mit diesem Gesetz zumindestens etwas entgegenzuwirken.
Es gibt in Zukunft nicht nur ein Verbot von Verkäufen unter Einstandspreis, die insbesondere im Handel häufig als Instrument im Verdrängungs-
und Vernichtungswettbewerb eingesetzt werden. Es
ist uns bei den Beratungen auch gelungen, dieses Verbot von Verkäufen unter Einstandspreis mit einer Umkehr der Beweislast - Sie haben darauf hingewiesen - zu flankieren. Dieses bedeutet, daß das Handelsunternehmen nachweisen muß, daß eventuelle Verkäufe unter Einstandspreis im Einklang mit dem Gesetz stehen. Ansonsten wäre das Gesetz mit diesem Verbot vermutlich zum Papiertiger geworden.
Es ist uns jedoch nicht gelungen, die Bagatellmarktklausel in ihrer bisherigen Form zu erhalten. Die Bagatellschwelle ist auf 30 Millionen DM heraufgesetzt worden.
Ich möchte an dieser Stelle einen Punkt ansprechen, der mir leider erst heute morgen aufgefallen ist. Dieser Punkt betrifft die Herren Kollegen Berichterstatter, besonders diejenigen von seiten der Koalition. Ich finde es ausgesprochen bedauerlich, daß wir bei der Regelung bezüglich der Bagatellmarktklausel in der Fusionskontrolle nicht der Vorgabe und der Empfehlung des Bundeskartellamtes gefolgt sind. Wir haben uns in der letzten Sitzung der Berichterstatter noch darauf geeinigt. Ich finde es bedauerlich und teile die Meinung des Bundeskartellamtes, das Bedenken hat, daß die jetzige Regelung, die ja ausschließlich eine Verschiebung zwischen den §§ 35 und 36 des GWB bedeutet, den Unternehmen die Möglichkeit eröffnet, wettbewerblich bedenkliche Zusammenschlüsse unter Umgehung der präventiven Fusionskontrolle zu vollziehen. Ich weiß nicht, warum dieses herausgenommen worden ist. Es ist für mich ein Wermutstropfen in der jetzigen Beratung.
- Wieso Bundesrat? Okay.
Die Verbesserungen, wie gesagt, überwiegen. Es gibt gleichzeitig aber auch Kröten. Es gibt immer genug Punkte - ich denke, das geht allen so -, über die wir anders abgestimmt hätten, wenn sie einzeln zur Abstimmung gestanden hätten.
Einen Punkt, den meine Fraktion abgelehnt hätte - ich habe das auch im Verfahren immer gesagt und möchte es noch einmal sagen -, ist der neugeschaffenen Ausnahmetatbestand Sport. Wir sind der Meinung, daß sich die Verbände, allen voran der DFB, mit ihrem letztendlich erfolgreichen Bemühen keinen Gefallen getan haben, die gängige Praxis der zentralen Vermarktung von Fernsehrechten durch die explizite Aufnahme ins GWB zu legalisieren, um einer drohenden Abstrafung - oder wie immer ich das nennen soll - durch die Brüsseler Wettbewerbshüter zuvorzukommen. Abgesehen davon, daß sich Brüssel nicht daran hindern lassen wird, die entsprechende Regelung im neuen GWB als wettbewerbswidrig zu kippen, finde ich es enttäuschend, daß die Sportverbände für wettbewerbskonforme Alternativlösungen nicht offen waren.
Man muß auch einmal sagen, daß von verschiedenen Seiten versucht worden ist, goldene Brücken zu bauen. Dieter Wolf, der Präsident des Bundeskartellamts, wie auch zahlreiche Sachver-
Margareta Wolf
ständige - alle wußten, wie emotional dieses Thema in Wahlkampfzeiten besetzt ist - haben im Rahmen der Anhörung im Ausschuß zum GWB Möglichkeiten innerhalb des bestehenden Kartellrechts aufgezeigt, eine wettbewerblich verträgliche Lösung für den finanziellen Solidarausgleich der Fußballvereine zu schaffen.
Die Vehemenz, mit der der DFB seine Position durchgedrückt hat, weckt zumindest bei mir den Verdacht, daß es dem DFB in Wirklichkeit gar nicht um den Solidarausgleich geht, sondern um die eigene Machtposition, die ihr durch die zentrale Vermarktung zuwächst. Von daher Dank an den Kollegen Schauerte, daß wir die Möglichkeit hatten, im Ausschuß am Mittwoch noch eine Entschließung, die genau in diese Richtung zielt, zu verabschieden.
Aus medienpolitischer Sicht ist die zentrale Vermarktung von Senderechten für Fußballspiele ohnehin sehr bedenklich. Ziel der Vermarktung sollte sein, daß ein vielfältiges und reichhaltiges Angebot für die Fernsehzuschauer entsteht, das für die Sender bezahlbar bleibt und das nicht für andere medienpolitische Zwecke instrumentalisiert werden kann, wie beispielsweise für die Stärkung der Marktposition von Pay-TV-Kanälen. Dieses Ziel scheint uns mit einer dezentralen Lösung besser erreichbar zu sein als durch die bisherige zentrale Vermarktung durch den DFB, insbesondere auch was Spiele nachrangiger Ligen in den dritten Programmen oder den lokalen Sendern angeht.
Wir waren uns einig über das Ziel, die bestehenden Ausnahmebereiche, zum Beispiel für Banken, Versicherungen und Energiewirtschaft, zurückzuführen, vor allen Dingen aber keine neuen Ausnahmetatbestände zu schaffen. Auch beim Handel haben wir darauf verzichtet. Durch die Sonderstellung, die wir dem Fußball zumessen, brechen wir wieder mit diesem Prinzip. Das ist ärgerlich. Ich denke, es wird auch bald kassiert.
Ziel der Wettbewerbspolitik sollte sein, das Gemeinwohl zu erhöhen, nicht aber besonders effektiv organisierte Einzelinteressen zu bedienen. Wie wichtig ein funktionsfähiger Wettbewerb für die Marktwirtschaft ist - auch Herr Jens hat das schon gesagt -, ist wirklich nicht hoch genug einzuschätzen. Wettbewerb sichert Handlungsfreiheit. Durch eine breite Streuung wirtschaftlicher Macht haben kleine und mittlere Unternehmen und Verbraucher die Möglichkeit, frei und ohne Einschränkung zu handeln. Wettbewerb gewährleistet Freiheit im Interesse aller Beteiligten.
Der Konzentrationsprozeß in der Wirtschaft schreitet voran, ohne daß es der Wettbewerbspolitik bisher gelungen wäre, diese Entwicklung zu korrigieren. Ich hoffe, daß wir mit diesem Gesetzentwurf diesem Prozeß ein Stück weit entgegenwirken können.
Ein gutes Wettbewerbsrecht muß dafür sorgen, daß große Konzerne ihre Marktmacht nicht mißbrauchen können und Existenzgründer freien Zugang zum Markt haben. Fairer Wettbewerb auf allen
Märkten ist die beste Mittelstandspolitik. Es gibt für einen funktionierenden Wettbewerb zwar keine optimale Anzahl und Größe der am Markt operierenden Unternehmen, die für alle Märkte gleichermaßen gilt. Dennoch ist unstrittig: Eine günstige Voraussetzung zur Sicherung von Wettbewerb stellt eine ausreichende Anzahl und Größenvielfalt von Unternehmen dar.
Wettbewerb ist Anreiz-, Lenkungs- und Kontrollinstrument für einen effizienten und sozialverträglichen Strukturwandel. Wettbewerb bedingt eine laufende flexible Anpassung von Produkt- und Produktionskapazität und Organisationsformen an die Umwelt und insbesondere an die Änderung der Nachfrage und der Produktionstechnik. Durch Wettbewerb werden Fehlinvestitionen verringert und gesamtwirtschaftliche Kosten gesenkt.
Auch hinsichtlich der Zielsetzung eines ökologischen Strukturwandels spielt der Wettbewerb für unsere Begriffe für technische und soziale Innovationen eine wichtige Rolle. Wettbewerb führt dazu, daß die Entstehung, der Einsatz und die Verbreitung von neuen umweltfreundlichen Produkten und Produktionsmethoden beschleunigt wird.
Wir setzen uns für faire Wettbewerbsstrukturen ein, weil sie grundlegende Voraussetzung für die Entstehung neuer Arbeitsplätze sind; und das ist ja heute ganz wichtig. Gleichzeitig sind sie auch ein Beitrag zum Schutz kleiner und mittlerer Unternehmen vor Verdrängungswettbewerb. Fairer Wettbewerb nutzt den Verbraucherinnen und Verbrauchern - Herr Jens, Sie haben es angesprochen -, weil sie angemessene Preise und ein breites - auch räumlich breites - Angebot an Gütern und Dienstleistungen erhalten.
Der derzeitige Marktbeherrschungsbegriff ist, so denken wir, allerdings nicht geeignet, wettbewerbliche Marktstrukturen zu sichern. Es ist schwer einsichtig, daß eine Untersagung von Zusammenschlüssen erst dann möglich ist, wenn eine marktbeherrschende Stellung entsteht oder verstärkt wird, wenn also bereits ein sehr hoher Konzentrationsgrad erreicht ist. Wir halten deshalb mittelfristig die Abkopplung der Fusionskontrolle vom Marktbeherrschungsbegriff für erforderlich.
Flankierend dazu wäre die Erweiterung der Möglichkeiten der Auflösung bereits bestehender marktbeherrschender Unternehmen weiter zu prüfen - auch das haben wir in den vormaligen Beratungen schon angeführt -, das heißt, man sollte doch noch einmal über eine Entflechtungsregelung für marktbeherrschende Unternehmen, wie sie die amerikanische Wettbewerbsordnung im Gegensatz zum deutschen Kartellrecht kennt, nachdenken und eine europäische Anpassung anstreben.
Ein letzter Punkt: Hinsichtlich der weiteren Harmonisierung mit dem EU-Wettbewerbsrecht ist langfristig ein „one stop shop "-Prinzip anzustreben, das heißt eine Integration von deutschem und europäischem Kartellrecht durch eine Ausdehnung der europäischen Fusionskontrolle. Dem muß mit Sicher-
Margareta Wolf
heit aber noch ein langjähriger Entwicklungsprozeß vorangehen.
Ich danke Ihnen.
Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Dr. Otto Graf Lambsdorff.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich beginne mit einem Dank: Dank zunächst an die Kolleginnen und Kollegen, die heute hierhergekommen sind und aus dieser Sitzung eine erweiterte Sitzung des Wirtschaftsausschusses machen. Das finden wir doch sehr freundlich.
Zum zweiten bedanke ich mich für die Blumen, die mir hier überreicht worden sind. Es ist richtig: Dies ist meine letzte wirtschaftspolitische Rede. Ich weiß nicht, Herr Jens, warum Sie diese Blumen immer mit ein paar Dornen für andere versehen müssen. Auch Sie könnten doch einmal ein bißchen friedlicher sein.
Mit einer Bemerkung aber haben Sie selbstverständlich recht, nämlich daß Karl Schiller ein bedeutender Wirtschaftsminister war. Ich will Ihnen einmal die Geschichte erzählen, als wir uns eines Tages auf der Terrasse des Kanzlerbungalows mit Willy Brandt unterhielten. Karl Schiller war bekanntlich aus Ihrer Partei ausgetreten.
- Völlig richtig, er ist dann wieder eingetreten. Willy Brandt erzählte uns, er habe Oskar Lafontaine gefragt, wie dieser denn auf die Idee gekommen sei, Karl Schiller in einen Ortsverein im Saarland - in Hamburg wollten sie ihn nicht mehr - aufzunehmen. Da lautete die Antwort von Oskar Lafontaine - so von Willy Brandt übermittelt -: „Willy, wir sind doch für Resozialisierung. "
So war es dann auch.
Meine Damen und Herren, wir werden in Kürze den 50. Jahrestag des Tages feiern, an dem Ludwig Erhard die soziale Marktwirtschaft im Westen Deutschlands verankerte. Gerade rechtzeitig zu diesem Jubiläum wird mit der heutigen Novelle eine grundlegende Verbesserung der Wettbewerbsordnung in ganz Deutschland abgeschlossen. Für mich persönlich schließt sich da ein Kreis. In meiner ersten Rede am 25. Januar 1973 im Deutschen Bundestag - damals zur Regierungserklärung der Regierung Brandt/Scheel -
habe ich die zügige Verabschiedung der zweiten Kartellnovelle für die F.D.P. gefordert. Seither habe ich bei allen Kartellnovellen mitarbeiten können.
Lesbarer ist das Gesetz durch die Novellen nicht geworden. Das lag aber nicht nur an mir. Jetzt sind sich alle Beobachter einig, daß der heutige Entwurf die Transparenz verbessert. Das ist vor allem in der Anhörung bestätigt worden.
Diese Legislaturperiode war für die Wettbewerbspolitik sehr erfolgreich. Nach der Einführung des GWB im Jahre 1957 und der Fusionskontrolle im Jahre 1973 sind jetzt mit der Liberalisierung und Wettbewerbsöffnung der Telekommunikationsmärkte, mit einer neuen wettbewerblichen Grundlage für den Energiemarkt und mit einer wettbewerblichen Regelung für das Vergabewesen wichtige Fortschritte erzielt worden.
Die GWB-Novelle setzt hier den Schlußstrich. Das Kartellgesetz - richtig bezeichnet als Grundgesetz der Marktwirtschaft - bleibt in seiner Substanz erhalten, wird aber insgesamt renoviert und grundlegend modernisiert.
Die Novelle war zunächst - das ist auch heute deutlich geworden - alles andere als ein Selbstläufer. Es gab heftige Auseinandersetzungen um die ordnungspolitische Linie. Nach dem Parteienstreit um Energienovelle und Vergaberecht ist das politische Einvernehmen - wir haben es hier heute gehört - jetzt aber wiederhergestellt.
Diese Novelle wird - wie bereits alle vorhergehenden Wettbewerbsnovellen - von einer breiten Mehrheit des Parlaments getragen. Das ist 50 Jahre nach Einführung der sozialen Marktwirtschaft nicht etwa selbstverständlich. Das Prinzip Wettbewerb wird - das wissen wir alle - in Sonntagsreden pflichtgemäß gefeiert, im politischen Alltag ist es aber keineswegs immer fest verankert. Daß diese Wettbewerbsreform - die erste im wiedervereinigten Deutschland - wieder auf einem politischen Konsens beruht, ist in meinen Augen, ist in unseren Augen ein nicht zu unterschätzender Aktivposten.
Meine Damen und Herren, die F.D.P. dankt Bundeswirtschaftsminister Rexrodt. Die Kritik, Herr Jens, war nicht gerechtfertigt. Wir haben in vielen Besprechungen immer wieder die Rückendeckung des Bundeswirtschaftsministers gehabt. Wir danken Bundeswirtschaftsminister Rexrodt und auch den Beamten des Bundeswirtschaftsministeriums, daß sie diesen Meinungsbildungsprozeß sehr konstruktiv begleitet haben.
Ich bestreite nicht, Herr Jens, daß der Entwurf einige ordnungspolitische Sündenfälle enthält - da sind wir völlig einer Meinung; das haben wir immer gewußt -, aber in der Abwägung ist er gelungen: Er bringt eine deutliche Verbesserung des Wettbewerbsrechts. Klare und verständliche Regelungen werden mit dazu beitragen, die Akzeptanz des Kartellgesetzes zu stärken.
Dr. Otto Graf Lambsdorff
Wo es Wettbewerb gibt, gibt es Sieger und Besiegte. Bei dieser Novelle gibt es viele Sieger. Daß der Wettbewerb gestärkt wird, kommt der Marktwirtschaft zugute. Es nützt der Wirtschaft insgesamt. Wettbewerb ist - hier hat der Bundesverband der Deutschen Industrie mit seiner Kritik sicher unrecht - kein Standortnachteil für die Unternehmen, sondern ganz im Gegenteil: Nationaler Wettbewerb ist ein unerläßliches Fitneßprogramm für den globalen Wettbewerb.
Sieger dieser Novelle ist vor allem auch der Mittelstand. Je strenger die Wettbewerbskontrolle für Großunternehmen ist, desto mehr Spielraum bleibt für die kleinen und mittleren Unternehmen, insbesondere auch für Newcomer am Markt.
Kartelle, strategische Allianzen und Kooperationen der nationalen Champions verschließen den Markt, verhindern die notwendige Anpassung und ersticken wirtschaftliche Dynamik. Sie schaffen kein Klima, in dem innovative, flexible mittelständische Unternehmen gedeihen.
In der politischen Diskussion stand die Handelsproblematik im Mittelpunkt. Das war schon in der fünften Novelle so. Das haben wir schon damals diskutiert, Herr Staatssekretär Hinsken. Auch in diesem Punkt bringt die Novelle Verbesserungen. Vor allem die neue Regelung zur Roß-und-Reiter-Problematik stellt einen wirklichen Fortschritt dar. Das ist schon erwähnt worden. Wir sind uns darüber einig. Wir hoffen, daß das Bundeskartellamt das in vernünftiger Weise handhabt.
Das ist Politik für den Mittelstand. Das ist Politik, die eben nicht in Schutzzäunen, Privilegien und Subventionen besteht, die aber trotzdem oder vielleicht gerade deswegen wirksam ist.
Insgesamt gehört auch die Ordnungspolitik zu den Siegern dieser Novelle. Das GWB wird durch die Überarbeitung gestärkt. Das Kartellverbot und die Kontrolle der Marktbeherrschung werden geschärft. Die Fusionskontrolle wird wirksamer, weil sie durchgehend präventiv ausgestaltet wird, das heißt, daß sie vor dem Zusammenschluß stattfindet.
Frau Wolf, Vorsicht mit der europäischen Fusionskontrolle: Die ist großzügiger als die nationale. Wir wollen die Fusionskontrolle - da stimme ich Herrn Jens zu - in Europa zwar vereinheitlichen; wir wollen aber keine Erleichterungen für Fusionen im deutschen Wettbewerbsrecht.
Die Fusionskontrolle wird gleichzeitig transparenter und für die Unternehmen vorhersehbarer. Vor allem eine Sektoralisierung der Fusionskontrolle durch handelsbezogene Regelungen wurde verhindert. Die Fusionskontrolle bleibt für alle Unternehmen einheitlich. Ich hoffe, Herr Hinsken, Sie hören auch das gerne.
Trotz der Welle von Großfusionen - besonders in Amerika - bleibt es dabei: Das Wettbewerbsrecht verbietet nicht Größe an sich. Inneres Wachstum
durch Tüchtigkeit und Leistung wird nicht sanktioniert.
Ich bezweifle übrigens, ob die heute modischen Megafusionen volkswirtschaftlich und betriebswirtschaftlich immer sinnvoll sind. Das gilt vor allem für die Fälle, in denen ganz unterschiedliche Industrien zusammengepfercht werden, also Fälle wie Citicorp und Traveller. Ich bin gespannt, ob dies am Ende erfolgreich sein wird.
Diese Seite der Globalisierung läßt aber erkennen - da stimme ich Ihnen zu, Herr Jens -, daß eine internationale Wettbewerbsordnung wünschenswert ist. Ist sie erreichbar? Ich weiß das nicht. Aber der Versuch wird auf deutsche Initiative hin in der WTO unternommen. Die Welthandelsorganisation könnte als Anti-Trust-Behörde benutzt werden. Übrigens sollte die WTO von der Bundesrepublik Deutschland etwas pfleglicher behandelt werden, als es gelegentlich der Fall ist. Das ist für uns eine der in der Welt wichtigsten Organisationen.
Vielleicht erinnert sich der eine oder andere daran.
Hier ist wieder über Entflechtungsregelungen gesprochen worden. Herr Jens will eine europäische Entflechtungsregelung. Ich weiß nicht, ob Frau Wolf an eine nationale Entflechtungsregelung denkt. Funktioniert hat das am Ende nie. Wenn Sie von der „fleet in being" sprechen, Herr Jens: Diese Flotte ist schon bei Scapa Flow versenkt worden. Daraus wird nichts.
- Daraus ist auch nichts geworden, das wissen Sie doch. Nicht einmal bei AT&T ist etwas daraus geworden. IBM ist gescheitert. Das hat wirklich keinen Erfolg gehabt.
Die Ausnahmebereiche, die in einer marktwirtschaftlichen Ordnung nichts zu suchen haben, werden endlich eingeschränkt. In der Sache gibt es nur noch für die Landwirtschaft wirkliche Ausnahmen von den Wettbewerbsregeln. Daß unter diesen Umständen - darin waren sich alle einig - ein neuer Ausnahmebereich für den Sport geschaffen wird, ist nur schwer verständlich. Dies ist im Hinblick auf die ordnungspolitische Konzeption des Gesetzes ein gravierender Mangel. Wir stimmen dieser Regelung nur ungern zu.
Aber solche Situationen gibt es im parlamentarischen Leben immer wieder einmal. Es geht mir dabei etwa so, wie es der große liberale Abgeordnete Eduard Lasker 1870 im Reichstag zu einer Vorlage Bismarcks sagte:
Dr. Otto Graf Lambsdorff
Das Mädchen ist zwar häßlich, aber es muß geheiratet werden.
Es hätte intelligentere Lösungen gegeben, um dem berechtigten Verlangen nach solidarischem Ausgleich im Fußball Rechnung zu tragen, ohne zugleich eine Konfrontation mit der Europäischen Kommission heraufzubeschwören. Die kommt nämlich. Ich wage die Voraussage, daß diese Regelung dem DFB in Brüssel schlecht bekommen wird, daß sich die Vereine ohnehin selbständig machen werden und daß dieser Ausnahmebereich mit der nächsten Kartellnovelle wieder abgeschafft wird.
Der Entschließungsentwurf, den wir formuliert und zur Annahme empfohlen haben, bringt unsere Skepsis und auch die richtige Tendenz deutlich genug zum Ausdruck: wenn schon, dann bitte auch Solidarität gerade gegenüber den kleinen Vereinen, die Jugend- und Amateursport betreiben!
Besonders umstritten ist das neu eingeführte Verbot des Verkaufs von Waren unter Einstandspreis. Herr Jens, Ihre Kritik ist im Prinzip durchaus erwägenswert. Aber ich finde, sie schießt etwas über das Ziel hinaus. Die Niedrigpreisstrategien großer Handelsunternehmen sind der einzige, jedenfalls der bei weitem häufigste Anwendungsfall des Diskriminierungsverbots. Wenn man das Diskriminierungsverbot bejaht - das tun wir alle miteinander -, ist es wohl auch legitim, den einzig relevanten Fall ausdrücklich im Gesetz zu erwähnen. Auch hier muß man darauf vertrauen, daß das Bundeskartellamt seine neuen Befugnisse angemessen einsetzen wird und daß nicht etwa staatliche Preisschnüffelei beginnt.
Das neue Kartellgesetz, das wir heute verabschieden, ist sicher nicht perfekt. Aber es ist ein guter Start in die nächsten 50 Jahre soziale Marktwirtschaft in Deutschland. Die Wirtschaftspolitik muß der Marktwirtschaft verpflichtet bleiben. Sie muß vor allem dafür Sorge tragen, daß der freie Wettbewerb funktionsfähig bleibt, daß der privaten Wirtschaft genügend Raum zum Atmen und zur Entfaltung bleibt, daß der Preismechanismus seine Lenkungsfunktion behält und daß die Wirtschaft die Herausforderungen annimmt und davon absieht, das Heil beim Staat zu suchen. In der Wettbewerbspolitik heißt das vor allem Wachsamkeit und gegebenenfalls Verschärfung der Gesetze. Liberale Wettbewerbspolitik hat nichts mit dem Nachtwächterstaat zu tun.
Walter Eucken, Ludwig Erhard, Franz Böhm und viele andere wußten nur zu gut, daß Wettbewerbspolitik einen handlungsfähigen, wachsamen und entscheidungsfreudigen Staat braucht.
Denn der Erfindungsreichtum der Wirtschaft, den Wettbewerbsdruck zu vermindern, ist hoch.
Erlauben Sie mir bitte, daß ich einen Satz aus meiner Rede aus dem Jahre 1973 zitiere:
Wir sind die Bekenntnisse zur Sozialen Marktwirtschaft leid, die auf Tagungen von Verbänden und sogenannten Wirtschaftsräten abgegeben werden, wenn deren Redner vom Podium eilen, neben dem Branchenkonkurrenten Platz nehmen und die nächste Preisliste absprechen.
Seither hat sich nicht viel geändert.
Ich rede nicht der atomistischen Konkurrenz volkswirtschaftlicher Lehrbücher das Wort. Es geht uns vielmehr um die Verhinderung oder Kontrolle unzulässiger wirtschaftlicher Macht, die ständig der Gefahr unterliegt, den Wettbewerb zu beeinträchtigen. Funktionierender Wettbewerb ist die beste - Franz Böhm hat gesagt: die genialste - Kontrolle wirtschaftlicher Macht, auch im politischen Raum.
Marktwirtschaftliche Wettbewerbspolitik bedeutet aber mehr als Wachsamkeit zur Verhinderung und Kontrolle wirtschaftlicher Macht. Der Auftrag zur Erhaltung des Wettbewerbs reicht in viele Politikbereiche hinein: in die Außenhandelspolitik, in die Finanz- oder Steuerpolitik, in die Struktur-, Regionaloder Subventionspolitik. Alle diese Bereiche und noch viele mehr beeinflussen mit ihren Maßnahmen den Wettbewerb der Unternehmen untereinander, sei es auf den Weltmärkten, sei es auf dem Binnenmarkt. Wettbewerbspolitische Wachsamkeit ist deshalb gleichzeitig eine Aufforderung zur Konsistenz der gesamten Wirtschaftspolitik. Interventionistische Eingriffe, Subventionitis oder Protektion behindern den Wettbewerb. Sie führen zur Verlagerung von Risiko und Verantwortung, zur Anpassungsverzögerung und zur Verzerrung der Produktionsstruktur mit der Folge, daß weniger Arbeitsplätze zur Verfügung stehen, als eigentlich möglich wären.
Ich wünsche uns, daß die Wirtschaftspolitik auch der zukünftigen Bundesregierungen diese Grundsätze beherzigt. Geschieht das nicht, dann werden wir die falschen Antworten auf die Probleme der Globalisierung geben.
Die F.D.P.-Fraktion stimmt dem Gesetzentwurf zu. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Graf Lambsdorff, man weiß das bei Liberalen nie so genau, aber wenn das Ihre letzte wirtschaftspolitische Rede in diesem Haus war, dann haben wir einen denkwürdigen Tag erlebt.
Wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf: Mich hat besonders berührt, daß Sie als ein bekannter Ver-
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
ehrer Bismarcks in Ihrer letzten Rede Eduard Lasker zitiert haben, der, wie wir wissen, jedenfalls zum Ende seiner politischen Laufbahn Bismarck in herzlicher Abneigung verbunden war.
Sie gehören dem Hause seit 1972 an. Sie haben über ein Vierteljahrhundert nicht nur die Wirtschaftspolitik, sondern insgesamt die Politik dieses Landes wesentlich mitgeprägt und beeinflußt. Sie haben sich dabei, wie das gar nicht anders sein kann, Freunde und Gegner erworben, aber Sie haben sich vor allen Dingen über die Grenzen der Fraktionen hinweg menschliche und fachliche Anerkennung erworben. Das möchte ich besonders betonen.
Wir werden Ihre Stimme in diesem Hause vermissen. Deswegen möchte ich Ihnen bei dieser Gelegenheit den Dank des Hauses für Ihre parlamentarische Arbeit aussprechen.
Ehe wir in der Debatte fortfahren, möchte ich die Gelegenheit nutzen, auf einen früheren Tagesordnungspunkt zurückzukommen.
Bei der Abstimmung zum Hochschulrahmengesetz ist, wie mir mitgeteilt wird, der PDS ein Irrtum unterlaufen, was erklärlich ist, weil sie im Vermittlungsausschuß nicht vertreten ist. Durch einen Übermittlungsfehler ist ein falsches Abstimmungsverhalten eingetreten. Die Gruppe der PDS hat, wie sie mir mitgeteilt hat, dem Ergebnis des Vermittlungsverfahrens zustimmen wollen.
Ich gehe davon aus, daß das Haus damit einverstanden ist, daß wir diese Erklärung an der geeigneten Stelle zu Protokoll nehmen.') - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren.
Damit gebe ich dem Abgeordneten Rolf Kutzmutz das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Anliegen des Gesetzes ist es, das Wettbewerbsgeschehen aufrechtzuerhalten und zu fördern, damit die Suche nach dem eigenen Vorteil nicht zum Nachteil für das Ganze umschlägt.
Auch als Begründung unseres Abstimmungsverhaltens will ich gleich zu Beginn sagen, daß dies natürlich auch von den Bedingungen abhängt, unter denen Wettbewerb stattfindet.
Lassen Sie mich bitte zitieren:
Die fünf großen privaten Aktienbanken und die mit ihnen verflochtenen beiden Münchener Versicherungskonzerne beherrschen über Depotstimmrecht, Eigenbesitz und eigene Kapitalanlagegesellschaften die deutschen Großunternehmen, die sich im Streubesitz befinden, und Tausende anderer Unternehmen. Die Kontrolle über diese zentralen Kontrollinstanzen der deutschen Wirtschaft liegt wiederum auf Grund von Ring-
*) Siehe Seite 21540 C und Anlage 3
verflechtung, Depotstimmen und eigenen Kapitalanlagegesellschaften bei den Verwaltungen dieser Unternehmen selbst. Hierdurch wird die Eigentums- und die Wettbewerbsordnung auf den Kopf gestellt.
So eröffnete Professor Dr. Adams von der Universität Köln die öffentliche Anhörung des Rechtsausschusses über den Gesetzentwurf zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich.
Inzwischen sind 15 Monate vergangen, das genannte Gesetz wurde beschlossen, die rechtliche und faktische Situation ist aber prinzipiell dieselbe geblieben. Der Wettbewerb steht weiter auf dem Kopf, und aus den erwähnten fünf sind mittlerweile vier Banken geworden. Damit wollte ich nur die engen Grenzen der Bedeutung dessen, was heute hier verhandelt wird, umreißen.
Natürlich wird erwünschter Wettbewerb durch Marktherrschaft verzerrt. Nur entsteht diese weniger durch Fusionen oder gerichtsfest beweisbare Mißbräuche erreichter Stellung am Markt, sondern vor allem durch das Beziehungsgeflecht, das informelle Kartell der Manager von Großbanken und Großkonzernen über Aufsichtsräte und sonstige Zirkel. Schiere Größe und, damit verbunden, Einfluß und Herrschaftswissen - hier ein zurückgezogener Auftrag, da eine plötzliche gekündigte Kreditlinie - sind es vor allem, die Mittelständlern und innovativen Existenzgründern die Luft zum Atmen nehmen.
Mit dem Kontroll- und Transparenzgesetz wollten Sie von der Koalition dagegen nicht wirklich vorgehen, und mit der Kartellrechtsnovelle können Sie von der großen Koalition es schlicht nicht. Herr Wolf, der oberste Kartellrechtswächter, hat gesagt, wettbewerbspolitisch fehle dieser Reform der „Gegner", etwa ein dringend korrekturbedürftiges Defizit, wie es die früheren Novellierungsdiskussionen bestimmte.
Bleibt die Frage, ob diese Ordnung des Wirtschaftslebens wenigstens im Rahmen des ihr Möglichen etwas für die kleinen und mittleren Unternehmen sowie die Existenzgründer bringt. Das Ergebnis ist aus deren Sicht, wie ich meine, äußerst mager. Es reduziert sich eigentlich auf die gefundene Regelung zum Verbot von Verkäufen unter Einstandspreis.
Frau Kollegin Wöhrl beispielsweise feierte in ihrer Presseerklärung einen verbesserten Schutz der Anonymität von Beschwerdeführern. Die jetzige butterweiche Formulierung in § 20 zur sogenannten Roßund-Reiter-Problematik wird spätestens in der Sonne gerichtlichen Streits um Kartellamtsentscheidungen dahinschmelzen. Was nützt die Anonymität bei der Anzeige, wenn man dann vor Gericht trotzdem persönlich erscheinen muß? Wenn Aufmüpfige gegen Machtmißbräuche tatsächlich geschützt werden sollen, dann durch ein scharfes und rechtsstaatlich unbedenkliches Untersuchungsinstrumentarium für das Kartellamt.
Wir haben dazu Vorschläge von Verbänden und Lieferanten in unseren Änderungsantrag übernommen.
Rolf Kutzmutz
Frau Kollegin Wöhrl benennt als weiteren Erfolg in ihrer Presseerklärung „die Zulassung von Einkaufsverbünden, damit Mittelständler mit den Großkonzernen besser konkurrieren können" . Nun frage ich mich, an welcher Stelle zum Beispiel bestimmte Möbelmarktketten noch mittelständisch sind, die sich mit dem tatsächlich kleinen Möbelhaus um die Ecke in einer Verbundgruppe tummeln.
Machen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, die sogenannten Mittelstandskartelle auch zu solchen des Mittelstandes und nicht zu Schutzschildern für die Großen, die schon für sich allein genommen ihre Lieferanten in die Knie zwingen können!
Die tatsächlichen Mittelstandskartelle sollten dann auch das Recht zur gemeinsamen Vermarktung haben. Erst dann könnten sie auch wirklich mit den Großkonzernen besser konkurrieren. Wenn dann noch die Vertragsfreiheit jedes Teilnehmers an einem solchen Kartell gestärkt würde, wie wir es vorschlagen, dann wären kleine Unternehmer weder dem Druck des Großkonkurrenten noch dem des Managements ihrer Verbundgruppe ausgesetzt.
Es wurde hier vielfach gesagt, diese Novelle sei mittelstandsfreundlich. Ich kann das nicht so sehen. Vor allen Dingen verstehe ich nicht, warum die Diskriminierung der Mittelstandskartelle gegenüber Rationalisierungs- und Spezialisierungskartellen hinsichtlich ihrer Genehmigungshürde weiter aufrechterhalten wird. Alle Marktteilnehmer sind gleich, aber die größeren sollen halt vor den Kartellwächtern gleicher sein.
Weniger Ausnahmebereiche - das haben sich die Erfinder dieser Novelle bis zuletzt auf die Fahnen geschrieben. Am Rande füge ich hinzu, daß sie das Banner „Angleichung an EU-Normen" sehr schnell wieder eingeholt hatten. Was generell sogar gut ist, das erweist sich beim weiter gepflegten Ausnahmebereich Urheberrechtsverwertungsgesellschaften als höchst mittelstandsfeindlich. Dort soll ein Europa-, ja Weltkartell sanktioniert werden.
Dessen Folgen lassen Sie mich an einem oberbayerischen Fall illustrieren. Frau Wöhrl, es gibt sogar Verbände, die aus Bayern kommen und sich an die PDS wenden. Das wird Sie verwundern; uns wundert es schon lange nicht mehr.
- Jetzt habe ich sie aus Versehen für ganz Bayern vereinnahmt. Entschuldigung!
Ein reines Tanzlokal zahlte bisher jährlich rund 4000 DM an die GEMA. Ab März dieses Jahres sollen es für dieselbe Leistung 69 000 DM sein. Ich zitiere den Bezirksvorsitzenden dieses Verbandes:
Das ist wirtschaftlich nicht tragbar. Die Konsequenz wird entweder die Schließung des Tanzlokals mit 30 Arbeitsplätzen oder der Übergang auf
reine Tonträgerwiedergaben sein. Dann werden >nur< 5 bis 6 Musiker-Arbeitsplätze vernichtet.
Sie nehmen dieses Ergebnis in Kauf, weil es - wie Graf Lambsdorff gestern im Ausschuß sagte - nur um ein paar Mark geht. Damit wird jedoch der von Ihnen ständig beschworene europäische Binnenmarkt ad absurdum geführt; denn die deutschen Schallplattenkonzerne besorgen sich ihre Lizenzen schon heute in Portugal oder in Irland. Der bayerische Wirt bleibt für dieselben Titel an die GEMA gekettet. Das eigentlich Dramatische ist, daß die Großen von Ihnen immer recht bekommen.
Wenn ich an die Rede von Professor Jens und auch an die Rede von Frau Wolf denke, dann finde ich es bemerkenswert, wie leicht sich SPD und Bündnisgrüne um des großen Konsenses willen von ihren eigenen mittelstandsfreundlichen Positionen verabschieden
und ihre alten, aber vernünftigen Anträge als gegenstandslos, Herr Hiksch, zurückgezogen haben. Beide hatten sich beispielsweise für das Einsetzen von Fusionskontrolle bereits bei wesentlicher Beeinträchtigung des Wettbewerbs sowie für Entflechtungsmöglichkeiten nach amerikanischem Vorbild ausgesprochen.
Jetzt verabschieden Sie einen Gesetzentwurf mit, der diese Forderung nicht nur nicht enthält, sondern auch noch die Schwellenwerte einer solchen Kontrolle anhebt.
Zum Abschluß möchte ich noch ein Wort zum Sonderstatus des DFB und seiner zentralen Fernsehrechtevermarktung sagen.
- Herr Nelle, wir wissen ja, worüber wir im wesentlichen reden. - Alle Sachverständigen, natürlich außer denen des Verbandes, waren sich über ansonsten bestehende Differenzen hinweg in bezug auf eine Ablehnung einer „lex DFB" einig - letztlich auch die Wirtschaftspolitiker, die an der Anhörung teilgenommen und sich zu dem Sachverhalt geäußert haben.
Was soll aber jetzt beschlossen werden? - Ein Ausnahmetatbestand im Gesetz, der an den tatsächlichen Problemen der Fernsehrechtevermarktung genau vorbeizielt, und anschließend eine Entschließung, mit der dieser Sündenfall politisch, aber eben nicht juristisch wieder aufgehoben werden soll. Scheinheiligkeit hat zu Zeiten von Wahlkampf und WM eben besonders Konjunktur.
Danke.
Ich gebe das Wort dem Bundesminister für Wirtschaft, Dr. Günter Rexrodt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! GWB, das steht für Marktwirtschaft und Wettbewerb.
Damit das so bleibt, ist es notwendig, daß wir dieses Gesetz von Zeit zu Zeit unter die Lupe nehmen und es daraufhin abklopfen, ob es noch den Anforderungen eines Wandels in der Wirtschaft, insbesondere eines Wandels in den Beziehungen der Marktteilnehmer, voll Rechnung trägt.
Mit der sechsten Novelle haben wir versucht, das GWB weiterhin für Wettbewerb und Marktwirtschaft stehen zu lassen. Wir haben diese Novelle lange vorbereitet. Wir haben über Jahre hinweg intensiv mit allen Betroffenen diskutiert, auch innerhalb des Parlaments. Wir haben eine Menge Widerstände überwinden müssen, auch innerhalb der Koalition, und auch innerhalb Ihrer Partei hat es Diskussionen gegeben.
Vorgänge dieser Art sind aber ganz natürlich. Dieses „Grundgesetz der Marktwirtschaft" konnte schon damals nur mit großen Schwierigkeiten verabschiedet werden. Dies ist Ludwig Erhard erst nach langer Vorbereitung - über drei Jahre hinweg - im Jahre 1957 gelungen.
Ich glaube, daß wir diese Novelle nun doch erfolgreich auf den Weg gebracht haben. Es ist eine gute Novelle. Sie wird den drei Zielen gerecht, denen wir entsprechen wollten:
Erstens. Wir wollten das Kartellrecht mit dem europäischen Kartellrecht harmonisieren, soweit dies wettbewerbspolitisch geboten ist. Während das dem einen zu weit ging, ging es dem anderen nicht weit genug. Das ist nun einmal so.
Zweitens. Wir wollten den Wettbewerb durch ein hohes Schutzniveau im GWB stärken und damit insbesondere dem Mittelstand neue Chancen eröffnen.
Drittens. Wir wollten das Gesetz wieder so verständlich und klar machen, wie es sich gehört; wir wollten es wieder lesbar machen.
Diese drei Ziele haben wir erreicht. Ich möchte allen Fraktionen danken, die daran in harter Arbeit mitgewirkt haben.
Drei Neuerungen sind mir in diesem Zusammenhang besonders wichtig:
Erstens. Wenn ein Unternehmen seine Marktmacht künftig mißbraucht, ist das in Zukunft per se verboten. Wie bereits jetzt im europäischen Recht muß dann keine Behörde tätig werden und das entsprechende Fehlverhalten feststellen. Ganz konkret heißt das jetzt: Wenn ein Monopolunternehmen überhöhte Preise nimmt, kann dieses Monopolunternehmen unmittelbar - ohne daß eine Behörde vorher tätig werden muß - vor einem Zivilgericht verklagt werden.
Zweitens. In der Fusionskontrolle gilt künftig wie im europäischen Recht das Präventivprinzip. Wenn sich Unternehmen zusammenschließen wollen, müssen sie das anmelden, bevor die Sache perfekt ist. Das ist gut so, denn Rückabwicklungen sind eine schwierige Geschichte; das ist heute hier schon gesagt worden. Meistens sind sie unmöglich, ohne daß die Beteiligten erheblichen wirtschaftlichen Schaden nehmen.
Drittens. Vom Kartellverbot gibt es jetzt deutlich weniger Ausnahmen. Export- und Importkartelle sind in Zukunft nicht mehr erlaubt. Wir haben auch die Verfahren deutlich vereinfacht. Das bisherige Gestrüpp im Kartellrecht wurde nachhaltig gelichtet. Gerade kleine Unternehmen, die keine Rechtsabteilung besitzen, können davon profitieren. Sie können ihr Anliegen jetzt unmittelbar beim Kartellamt zur Geltung bringen.
Meine Damen und Herren, die sechste GWB-Novelle nähert das deutsche Recht dem europäischen Recht an. Gleichzeitig bewahrt sie die anspruchsvolle und strenge deutsche Tradition des Kartellrechts. Das ist, wie ich meine, eine Harmonisierung mit Augenmaß. Darin sehe ich im übrigen auch den Königsweg für deutsches Wettbewerbsrecht im größerem europäischen Zusammenhang. Am Beispiel der marktbeherrschenden Unternehmen wird das besonders deutlich. Wir haben hier, wie schon erwähnt, das Mißbrauchsverbot aus dem europäischen Recht in das deutsche Recht übernommen. Das ist Harmonisierung, und das schärft gleichzeitig das Instrumentarium des GWB, wie wir wissen.
Auf dem Weg zur sechsten GWB-Novelle sind die jeweiligen Interessen und damit auch die jeweiligen Vorstellungen über eine Reform - ich habe das schon eingangs gesagt - hart aufeinandergeprallt. So mancher Befürworter einer ausschließlich europäischen Lösung - das war ja vor allen Dingen die Industrie in Gestalt des BDI - nahm das europäische Recht, wie ich meine, sehr selektiv wahr. Da wurden vor allem die Regelungen gesehen, die weniger streng sind und mehr erlauben als das deutsche Recht. Dabei denke ich vor allem an die allgemein gefaßte Freistellungsnorm für Kartelle und die gewünschte Abkehr von der deutschen Fusionskontrolle. Mit solchen Regelungen hätten wir in der Praxis der Wettbewerbspolitik leicht auf die schiefe Bahn geraten können. Wir haben das nicht gemacht. Deshalb ist diese sechste Novelle ein großer Fortschritt und auch ein mutiger Schritt hin zu mehr Wettbewerb in Deutschland.
Ich darf Ihnen noch etwas sagen: Es entspricht unseren Wünschen - das geht nun ein wenig über die Novelle hinaus -, daß wir ein europäisches Kartellamt brauchen, das insbesondere auch in seiner Unabhängigkeit dem deutschen Kartellamt nachgebildet ist. Wir haben für diese unsere Vorstellung
Bundesminister Dr. Günter Rexrodt
sowohl in der Kommission - das ist noch nachvollziehbar - als auch bei unseren europäischen Nachbarn nicht viel Sympathie gefunden. Ich kann Ihnen berichten - ich tue das sehr gern -, daß ich gestern abend ein sehr ausführliches Gespräch mit meinem französischen Kollegen Strauss-Kahn hatte. Wir sind übereingekommen, daß wir, Deutschland und Frankreich, in Sachen unabhängiges europäisches Kartellamt in der nächsten Legislaturperiode gemeinsam sehr intensive Gespräche führen wollen.
Ich kann Ihnen mitteilen, daß ich bei meinem französischen Kollegen - ich glaube, ich vereinnahme ihn nicht in einer Weise, die sich nicht gehört - sehr viel Sympathie und Aufgeschlossenheit - das ist neu bei unserem französischen Partner - in bezug auf die Einrichtung eines europäischen Kartellamtes gefunden habe. Wir machen in diesem Bereich enorme Fortschritte.
Kleine und mittlere Unternehmen sind auf offene Märkte in besonderer Weise angewiesen. Deshalb haben wir in der sechsten Novelle - das ist hier schon ausführlich gewürdigt worden - Verkäufe unter Einstandspreis ausdrücklich verboten, sofern marktmächtige Unternehmen kleine Wettbewerber damit aus dem Geschäft drängen können. Wir haben diese Regelung aber flexibel gefaßt und in unsere marktwirtschaftliche Ordnung eingefügt. Zur Bremse für den Preiswettbewerb kann und darf diese Regelung nicht werden, denn kleine und mittlere Unternehmen - diese stellen ja die überwältigende Mehrheit dar - sollen ihre Preise auch künftig frei gestalten können. Kein Unternehmen wird daran gehindert, aus zwingenden betriebswirtschaftlichen Gründen unter Kosten zu verkaufen, zum Beispiel im Fall von verderblicher Ware oder im Zusammenhang mit bestimmten Aktionen.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch sagen: Manche wollten handelsspezifische Fusionskontrollen. Das Wettbewerbsrecht ist aber nicht auf spezifische Regelungen, auf Sektorenregelungen ausgelegt. Deshalb haben wir auf entsprechende Kontrollen verzichtet. Das war eine richtige Entscheidung. Wenn wir damit zum Beispiel beim Handel, wofür es durchaus Argumente geben mag, Herr Kollege Jens, anfangen würden, würde sich die Frage stellen: Wo enden wir dann? Wir haben diese Regelung nicht eingeführt. Das ist gut so.
Da ich nur noch wenig Zeit habe - viel zuwenig Zeit -, um über dieses wichtige Gesetz zu sprechen, möchte ich nur kurz erwähnen, daß wir Lösungen in bezug auf die Roß-und-Reiter-Problematik gefunden haben, die im Interesse der kleinen und mittleren Unternehmen liegen. Wir haben in der Diskussion klargestellt, daß Mittelstandskooperationen über § 5 c GWB, die wir wollen und die für die kleinen und mittleren Unternehmen sehr wichtig sind, erleichtert worden sind.
Auch ich bin nicht glücklich über den Ausnahmebereich Sport. Wir haben im Gesetz abgesichert, daß Sportverbände die Rechte an Fernsehübertragungen zentral vermarkten können. Gerechtfertigt ist das nur - wenn überhaupt -, wenn die Erlöse so verteilt und eingesetzt werden, wie es dem Solidargedanken im Sport entspricht - nur dann. Deswegen ist es gut, daß es hier eine Entschließung in diese Richtung gibt, die den DFB auffordert, den Amateur- und Jugendsport künftig stärker zu fördern.
Ob diese Regelung mit Art. 85 des EG-Vertrags konform geht, wage ich zu bezweifeln. Ferner bezweifle ich, ob der Stein der Weisen gefunden worden ist. Wir werden es sehen. Es sind schwierige Zeiten so unmittelbar vor einem großen Ereignis. Das räume ich durchaus ein. Es ist aber vertretbar, wenn dem Solidargedanken im Sport Rechnung getragen wird.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend noch sagen: Wettbewerb ist das Lebenselixier unserer Wirtschaftsordnung. Wettbewerb läßt Arbeitsplätze entstehen, schafft Wohlstand und ermöglicht soziale Sicherheit. Seit vier Jahrzehnten bildet das GWB, das Grundgesetz der Marktwirtschaft, dafür den rechtlichen Rahmen. Heute liegt uns nun ein neues Kartellgesetz vor. Es hat alle Chancen, die bisherige Erfolgsgeschichte fortzusetzen.
Ich möchte für die konstruktive Mitarbeit über die Parteigrenzen hinweg danken. Ich möchte meiner Hoffnung Ausdruck geben, daß dieses novellierte Gesetz dazu beiträgt, daß die deutsche Wirtschaft ihre Wettbewerbsfähigkeit und ihre Leistungsfähigkeit behält.
Schönen Dank.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Uwe Hiksch, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wettbewerbspolitik ist ein konstitutiver Bestandteil der allgemeinen Wirtschaftspolitik. Dabei gehören die Durchsetzung von Wettbewerb und die Verhinderung von wettbewerbsbehindernden Privatmonopolen zur Grundstruktur sozialdemokratischer Wirtschaftspolitik und zur Grundnotwendigkeit jeglicher sinnvollen Wirtschaftspolitik.
Wir als sozialdemokratische Bundestagsfraktion haben immer darauf hingewiesen, daß die Verhinderung der Vermachtung der Märkte eine Grundlage dafür ist, daß es auf den Märkten zur Entfaltung des Unternehmergeistes und der Innovationsfähigkeit durch eine notwendige Flexibilisierung kommen kann. Wettbewerbspolitik ermöglicht die wirksamen und dynamischen Allokationsprozesse, die im Bereich der Ressourcen einer Gesellschaft liegen.
Graf Lambsdorff, Sie wissen, daß Wettbewerbspolitik und die Hinweise darauf, daß eine Vermachtung der Märkte innerhalb der Marktwirtschaft angelegt
Uwe Hiksch
ist, schon zu einem Zeitpunkt sozialdemokratisches Gedankengut waren, als die Liberalen noch polypolistischen und atomistischen Grundüberzeugungen der Neoklassik anhingen und der Überzeugung waren, daß es zur Vermachtung nicht käme. Wettbewerbspolitik ist integraler Bestandteil sozialdemokratischer Wirtschaftstheorie, weil wir wissen, daß der Markt allein nicht in der Lage sein wird, monopolistische und oligopolistische Tendenzen zu verhindern, und weil wir auch wissen, daß der Staat auf Grund seiner Ordnungsfunktion eingreifen muß, wenn der Markt versagt.
Wir weisen darauf hin, daß Wettbewerbspolitik, wie sie im GWB angelegt ist, einen Beitrag dazu leisten wird, daß Verbraucherinnen und Verbraucher damit rechnen können, Vorteile durch den Wettbewerb zu haben; daß Wettbewerbspolitik den kleinen und mittelständischen Unternehmen Vorteile bringen wird, die sich sowohl in mehr Arbeitsplätzen als auch in der Möglichkeit niederschlagen, Innovationen in der Gesellschaft und im Unternehmertum voranzubringen; daß Wettbewerbspolitik, so wie sie im GWB angedacht ist, auch dazu beitragen wird, ein Stück Wirtschaftsdemokratie voranzubringen und die Vermachtung der Märkte, die das Gegenteil von Wirtschaftsdemokratie ist, die Monopolisierung der Märkte, die das Gegenteil von Wirtschaftsdemokratie ist, zu verhindern. Deshalb ist Wettbewerbspolitik integraler Bestandteil unserer Politik.
Wir wissen, daß die Verflechtungen und Vermachtungen durch monopolistische Tendenzen in den unterschiedlichsten Formen auftreten. Wir müssen feststellen, daß eine ganze Reihe von Märkten durch horizontale und vertikale monopolähnliche Verflechtungen und gegenseitige Beteiligungen zwischenzeitlich den Wettbewerb aushebeln.
Wir wissen, daß die Macht der Banken und Versicherungen - sei es durch Beteiligungen, sei es durch das Depotstimmrecht - dazu beiträgt, daß Wettbewerb nicht mehr so funktioniert, wie es eigentlich notwendig wäre. Wir wissen auch, daß die zunehmende Verflechtung in den Aufsichtsräten nicht dazu beiträgt, daß Dynamik in der Wirtschaft und Wettbewerb entwickelt werden.
Ein typisches Beispiel dafür ist der Einzelhandel. Im Einzelhandel müssen wir feststellen, daß eine gesunde, gewachsene Struktur von Lebensmittelherstellern, kleine und mittelständische Unternehmen, aber beispielsweise auch Betriebe im Bereich der Landwirtschaft, zum Beispiel Molkereien, trotz hervorragender Unternehmenskonzeptionen, trotz hervorragender und innovativer Ideen immer größere Schwierigkeiten haben, einer Vermachtung des Einzelhandelssektors Einhalt zu gebieten und den Dynamiken, die in der Marktwirtschaft stecken, zum Durchbruch zu verhelfen.
Deshalb muß die Aufgabe des GWB auch darin bestehen, die Verkäufer vor den Käufern zu schützen. Wir alle wissen: Als das Kartellgesetz entwickelt wurde, hatte es eine ganz andere Aufgabe. Damals ging es darum, die Käufer vor der Verkäufermacht, der Herstellermacht zu schützen. Heute verlagert sich diese Marktmacht immer mehr. Wir müssen feststellen, daß gerade auf der Distributionsebene gesunde kleine bzw. mittelständische Herstellerbetriebe keine Chance mehr haben, ihre Produkte zu einem anständigen Preis zu verkaufen, daß sie in einer Art und Weise unter Druck gesetzt werden, die mit marktwirtschaftlichen Positionen nichts mehr zu tun hat. Deshalb glauben wir, daß Wettbewerbspolitik vorangebracht werden muß und das GWB durchaus in die richtige Richtung weist.
Wenn auch die heute vorgelegte Novelle durchaus in die richtige Richtung geht, weil wir es geschafft haben, sowohl die Vorteile des europäischen Wettbewerbsrechts als auch vor allem die Vorteile des deutschen Wettbewerbsrechts zusammenzuführen: Die Bundesregierung hat im Jahreswirtschaftsbericht 1995 geschrieben, daß das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen in seiner Gesamtheit an das europäische Wettbewerbsrecht angeglichen werden solle. Es waren die sozialdemokratische Bundestagsfraktion und der Bundesrat, die darauf hingewiesen haben - der Bundesrat beispielsweise in einer Entschließung - daß das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen eine einseitige Anpassung nicht vertrage. Es war die sozialdemokratische Bundestagsfraktion, die 1995 darauf hingewiesen hat, daß es darum gehen muß, nationales und europäisches Wettbewerbsrecht strukturell und inhaltlich besser in Übereinstimmung zu bringen, daß aber auf der anderen Seite darauf geachtet werden muß, daß dieser Prozeß der Abstimmung nicht einseitig abläuft.
Wir waren es - und haben damit die Bundesregierung erst wieder auf den Pfad der Tugend zurückgebracht -, die darauf hingewiesen haben, daß eine sinnvolle Harmonisierung nicht durch eine unbesehene Übernahme des europäischen Wettbewerbsrechtes, sondern nur durch eine parallele Weiterentwicklung beider Wettbewerbsordnungen zu einem abgestimmten und verbesserten System des Schutzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen erreicht werden kann. - Mein Kollege Schwanhold hat natürlich recht: Die jetzige Bundesregierung als Ganzes ist nicht auf den Pfad der Tugend zurückzubringen.
Aber in diesem spezifischen Bereich ist sie den richtigen Vorstellungen der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion durchaus gefolgt.
Der jetzige Kompromiß stellt eine tragfähige Grundlage dar, der die SPD-Bundestagsfraktion auch zustimmen wird. Trotzdem hatten wir in Einzelbereichen völlig andere Vorstellungen. So war es beispielsweise die SPD-Bundestagsfraktion, die darauf hingewiesen hat, daß § 4 Abs. 2, der sich mit den Verbundgruppen beschäftigt, durchaus auch Probleme birgt. Wir wissen, daß in § 4 Abs. 2, wie er jetzt geregelt wurde, die wettbewerbsrechtliche Ordnung sich in einem Zwiespalt, in einem Interessenkonflikt befindet: Auf der einen Seite stehen die monopolistischen Strukturen des Handels, wo es darum geht, den kleinen mittelständischen Händlern zu helfen.
Uwe Hiksch
Wir glauben aber, daß man nicht vergessen darf, daß diesen monopolistischen Strukturen im Bereich der Distribution, sprich: des Handels, auf der anderen Seite kleine und mittelständische Herstellerbetriebe gegenüberstehen, die nach der jetzigen Novelle nicht so berücksichtigt sind, wie es nötig wäre.
Wir wissen, daß dieser Zielkonflikt nur schwer lösbar ist, halten jedoch die Aussage, die die Monopolkommission in der Anhörung zu diesem Thema getroffen hat, für richtig. Ich zitiere:
Die Monopolkommission lehnt wie bisher Bestrebungen ab, den kartellrechtlich zulässigen Handlungsspielraum für Handelskooperation/Verbundgruppen zu erweitern. Dazu gehört insbesondere auch die vorgesehene Freistellung einzelfallbezogener Bezugsbindungen. Nach Auffassung der Monopolkommission dienen Bezugsbindungen vor allem dem Aufbau von Machtpotentialen. Ihre Rationalisierungswirkungen bleiben demgegenüber eher gering.
Ich glaube, die Monopolkommission macht hier deutlich, daß das, was man eigentlich erreichen will, mit diesen Instrumenten nicht bewirkt wird, daß wir aber auf der anderen Seite feststellen müssen, daß die Bezugsbindungen zu Lasten der unternehmerischen Selbständigkeit auch des Einzelhandels im kleinen und mittelständischen Bereich, aber erst recht zu Lasten der unternehmerischen Selbstbestimmung der kleinen Hersteller gehen. Wir müssen feststellen, daß die Bezugsbindungen auch im theoretischen System der marktwirtschaftlichen „Denke" zur Verminderung der Fähigkeit des Mittelstandes führen, flexibel und schnell auf Marktveränderungen im regionalen und örtlichen Umfeld zu reagieren, weil er in Einzelfällen an den Bezugszwang gebunden ist. Wir müssen auch feststellen, daß auf Grund der Zunahme der Filialisierung des kooperierenden Mittelstandes im Handelsbereich die Wettbewerbsintensität so nachgelassen hat, daß Preisvorteile eher fraglich sind, wenn sie denn überhaupt zustande kommen.
Deshalb hat die SPD-Bundestagsfraktion darauf hingewiesen, daß es besser gewesen wäre, § 5 c des noch geltenden Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen beizubehalten, weil wir so diesen Problemen aus dem Weg hätten gehen können und gleichzeitig ein deutliches Zeichen gesetzt hätten, daß wir wissen, daß es eine zunehmende Monopolisierung und Oligopolisierung des Handels gibt und daß wir die Aufgabe haben, uns um die Herstellerseite zu kümmern. Wer beispielsweise die Brandbriefe von Gesamttextil für die Textilhersteller und des HDH für die Möbelbetriebe gelesen hat, der weiß: Die jetzige Regelung wird für kleine und mittelständische Unternehmen hochproblematisch werden. Aus diesem Grund hatten wir vorgeschlagen, das nicht zu ändern, konnten uns aber leider nicht durchsetzen.
Die SPD hatte auch angeregt, und zwar mit denselben Hinweisen, die der Kollege Ost nachher sicher zum Thema Sport geben wird, einen zweiten Ausnahmetatbestand im GWB vorzusehen, nämlich den Ausnahmetatbestand für Lotterie-, Sportwetten- und Glücksspielwesen. Denn wir wissen, daß der Deutsche Lotto-Toto-Block kein kartellrechtlich relevanter Zusammenschluß von Unternehmen ist. Trotzdem mußte in den letzten Monaten festgestellt werden, daß auch das Kartellamt immer mehr der Überzeugung ist, daß es den Lotto-und-Toto-Block überprüfen kann. Es liegt ja bereits ein Urteil eines Kammergerichtes vor, das noch Gültigkeit hat, weil die nächste Instanz nicht entschieden hat. Es wurde ausdrücklich festgestellt, daß das Bundeskartellamt in dem Spannungsverhältnis zwischen der Länderhoheit und seinen eigenen Zuständigkeiten richtig gehandelt hat, als es sich mit dem Lotto-Toto-Block beschäftigt hat.
Aus diesem Grund haben wir den Ausnahmetatbestand vorgeschlagen. Denn wir sind der festen Überzeugung, daß die Bundesländer mit dem Lotto-TotoBlock hervorragende Möglichkeiten zur Förderung des Sportes und der Kultur - zur Weiterentwicklung dieses Gesamtbereiches wie auch zur Förderung einzelner Aspekte dieses Bereiches - was über traditionelle staatliche Maßnahmen nicht funktionieren kann, und zur Förderung des Umweltschutzes haben. Die Aufnahme eines Ausnahmetatbestandes in bezug auf die Lotto-Toto-Gesellschaften war also richtig und wichtig.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der jetzige Gesetzentwurf enthält nach Meinung der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion eine ganze Reihe von Kritikpunkten, die wir gerne geändert hätten. Trotzdem glauben wir, daß der jetzige Gesetzentwurf in die richtige Richtung geht. Deshalb wird die SPD-Bundestagsfraktion ihm zustimmen.
Danke schön.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Friedhelm Ost, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Angesichts der breiten Zustimmung zu dieser sechsten GWB-Novelle sollten wir feststellen, daß dies heute ein bedeutender Tag für die soziale Marktwirtschaft ist. Der Wettbewerb ist der Motor unserer Wirtschaftsordnung. Er ist, um Ludwig Erhard zu zitieren, „unlöslicher Bestandteil, ja innerstes Element einer marktwirtschaftlichen Ordnung, so daß seine Eliminierung ... schlechthin zu einer Sprengung des Systems überhaupt führen müßte."
Ludwig Erhard hat dies bei der ersten Lesung des ersten GWB-Entwurfs am 24. März 1955 gesagt, nachdem es in der ersten Legislaturperiode unmög-
Friedhelm Ost
lich war, ein Gesetz über Wettbewerbsbeschränkungen zu verabschieden.
- Ihr Zuruf, Graf Lambsdorff, ist richtig. Auch damals gab es schon viele Gruppen, allen voran Fritz Berg und den BDI, die besondere Interessen hatten. - Aber wir sind uns alle einig - das macht ja die Bedeutung dieser GWB-Novelle aus, die wir in breiter Front begrüßen und vorangebracht haben -: Freier Leistungswettbewerb und freie Preisbildung sind Motor und Steuerungsmittel unserer Marktwirtschaft.
Natürlich ist es richtig - es ist wiederholt darauf hingewiesen worden -: Es gibt kaum ein Gesetz, das dem Einfluß von Interessensverbänden so stark ausgesetzt ist wie das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen. Deshalb hat Ludwig Erhard zu Recht gesagt: Dieses Wettbewerbsgesetz, dieses Kartellgesetz muß das Grundgesetz unserer Marktwirtschaft sein. Es soll dafür sorgen, daß sich die Unternehmen im Wettbewerb auf dem Markt anstrengen. Wettbewerb belebt das Geschäft und führt dazu, daß die Unternehmen, national wie international, beweglich bleiben. Es soll weiterhin verhindern, daß Firmen zu mächtig werden und ihre Märkte gegen Konkurrenten abschotten können. Insofern, glaube ich, ist dies nicht nur ein Gesetz für die Wirtschaft, sondern auch ein Gesetz, das zu unserer demokratischen Ordnung gehört, weil es die Verantwortung des einzelnen Bürgers unterstreicht.
Die Zielsetzung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen ist unter Fachleuten nicht umstritten. Dies haben die heutige Debatte und die wiederholten Beratungen im Ausschuß gezeigt. Aufgabe der Wettbewerbspolitik ist die Durchsetzung des Wettbewerbsprinzips in der sozialen Marktwirtschaft; das muß auch in Zukunft so sein. Hierzu brauchen wir einen staatlichen Ordnungsrahmen, der zum einen dem Leistungswettbewerb privater Unternehmen breiten Spielraum eröffnet und auf der anderen Seite wettbewerbsgefährdenden Tendenzen der Kartellierung und Konzentration entgegenwirkt.
Die Wettbewerbspolitiker haben neben der Anwendung und Fortentwicklung des kartellrechtlichen Instrumentariums immer wieder dafür zu sorgen, daß bei allen staatlichen Maßnahmen den Erfordernissen des Wettbewerbs angemessen Rechnung getragen wird und sich der Wettbewerb zum Nutzen der Verbraucher möglichst vollständig entfalten kann. Das gilt auch - das ist hier angeklungen - im Zeitalter der Globalisierung und Internationalisierung, mit Megafusionen wie den von großen Automobilfirmen, aber auch im Chemiebereich, im Stahlbereich, im Banken- und Versicherungssektor. Es ist zu Recht gesagt worden, niemand könne voraussagen, ob das immer ganz glückliche Ehen sind, obwohl die Braut, Graf Lambsdorff, manchmal sehr hübsch aussieht, die da geheiratet wird. Aber sie kann schnell welken, wenn man längere Zeit verheiratet ist.
Aber unter ökonomischen und vor allem auch politischen Aspekten gewinnt die Sicherung des Wettbewerbs auf der europäischen, ja auf der Weltebene eine neue Dimension.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, natürlich sind bei der sechsten GWB-Novelle viele Punkte zu nennen. Wir sind in wichtigen Punkten vor allem den Anliegen mittelständischer Unternehmen entgegengekommen.
Das gilt sowohl für das ausdrückliche Verbot des Verkaufs unter Einstandspreisen - das war ein Herzenswunsch unserer Freunde aus dem Agrarbereich; hier nenne ich unseren Kollegen Ernst Hinsken, den es während der Beratungen dorthin verschlagen hat -,
aber das gilt auch für die Roß-und-Reiter-Problematik, bei der einer seit langem erhobenen Forderung der vielen Zulieferer entsprochen wurde. Wir geben damit auch ein Signal an mittlere und kleine Unternehmen, daß wir alles tun, hier faire Wettbewerbschancen zu schaffen, damit auch die mittleren und kleinen Firmen im Wettbewerb, im Umgang mit den Großen durchaus Chancen haben. Es geht nicht um Schutzzaunpolitik, sondern um faire Bedingungen.
Schließlich noch ein Wort zu den Ausnahmebereichen. Wir haben einige Ausnahmebereiche abgebaut. Ich glaube, das ist gut so. Aber wir haben gemeinsam eine Ausnahmeregelung für den Sport beschlossen. Graf Lambsdorff, ich sehe den Sport nicht als häßliche Braut an. Ich glaube, so haben Sie es auch nicht gemeint. Ich finde ihn immer wieder attraktiv. Nach unserer Regelung behalten die Sportverbände die Möglichkeit, Fernsehrechte für satzungsgemäß durchgeführte Wettbewerbe zentral zu vermarkten. Dies ist, wie das immer wieder beschworen und auch schon kommentiert wird, keine Verneigung dieses Parlaments vor den Sportfunktionären, sondern eine Berücksichtigung der großen gesellschaftlichen und sozialen Verantwortung und Auf gaben der Sportverbände seitens der Politik.
Förderung des Jugend- und Behindertensports, Integration von Ausländern in den Sportklubs, Hilfe für zigtausend Amateurvereine - das sind Herausforderungen, denen sich die deutschen Sportverbände bislang mit großem Engagement gewidmet haben und - das zeigt unsere Entschließung - in Zukunft noch stärker stellen sollen. Das gilt für den HSV, lieber Kollege Jens, wie für andere Vereine auch.
- Nürnberg steigt auch auf. Da wird die Kollegin Dagmar Wöhrl natürlich besonders gern diesem Bereich zustimmen.
Friedhelm Ost
Große Sportveranstaltungen sind auch keineswegs Wirtschaftsgüter im üblichen ökonomischen Sinne. Ihre Bedeutung erschöpft sich auch nicht,
wie es das Bundesverfassungsgericht im Februar dieses Jahres festgestellt hat, in ihrem Unterhaltungswert:
Sie erfüllen darüber hinaus eine wichtige gesellschaftliche Funktion.
- Ich zitiere ja nur das Bundesverfassungsgericht.
Der Sport bietet Identifikationsmöglichkeiten im lokalen und nationalen Rahmen und ist Anknüpfungspunkt für eine breite Kommunikation in der Bevölkerung.
Nun komme ich auf das zu sprechen, was sich Ernst Schwanhold besonders gewünscht hat, auf den Bereich des Fußballs.
- Darauf komme ich noch. - In der 1. Bundesliga gibt es wirklich große und reichere Vereine, die schon überlegen, mit dem Profibereich als AG an die Börse zu gehen, so etwa Bayern München, Schalke 04, Borussia Dortmund, jetzt vielleicht auch der 1. FC Kaiserslautern, der ja neuer Meister ist. Wir gratulieren von hier aus zu dem Erfolg von Otto Rehagel.
Neben den 18 Mannschaften in der 1. Bundesliga gibt es aber auch noch die 18 Mannschaften in der 2. Bundesliga. Natürlich geht es hier nicht um einen Verdrängungswettbewerb; denn wenn am Ende nur noch drei oder fünf reiche Profifußball AGs um die Positionen in der Tabelle kämpften, wäre das ziemlich langweilig. Wir hatten das früher in der DDR. Dort spielten im Eiskockeybereich in der Tabelle zwei Vereine hundertzwanzigmal gegeneinander, urn sich fit zu halten. Dies wollen wir nicht. - Lieber Herr Kutzmutz, Sie sind zwar, so glaube ich, mehr Hobbyboxer oder ähnliches, aber auch Sie wissen das genau.
Im Bereich des Fußballs gibt es 167 000 Amateurvereine: von Paderborn über Warendorf bis Osnabrück. Jeder kennt sie; jeder Abgeordnete muß dorthin. Diese Vereine haben etwa 95 000 Jugendmannschaften. Sie können ihre Kosten nicht über die eigenen Mitgliedsbeiträge und über Zuschauereinnahmen decken, sondern müssen direkt oder indirekt vom Lizenzfußball, vom Profifußball, unterstützt werden. Allein im Fußballbereich betragen diese Zuwendungen pro Jahr mehr als 150 Millionen DM.
Ich denke, es gibt zu Recht einen Solidaritätsausgleich über den DFB, sowohl zugunsten des Amateurbereichs als auch innerhalb des Lagers der Lizenzvereine. Dieser Verantwortung der Sportverbände für die Solidarität und den Ausgleich in ihren Bereichen sowie zur Förderung des Amateur- und Jugendsports tragen wir gemeinsam in dieser GWB-Novelle Rechnung - gegen manchen Widerstand und gegen manche Kritik jener, die auch für den Bereich des Sports die reine Lehre predigen.
- Ich hoffe darauf. Ich habe auch schon eine Dauerkarte für Dortmund, lieber Graf Lambsdorff. - Wir sollten alles versuchen, diesen Solidaritätsgedanken ernst zu nehmen.
Zudem muß es möglich sein, auch auf der EU-Ebene eine Lösung zu finden, zumal in den meisten Ländern Europas Fernsehübertragungsrechte unangefochten zentral vermarktet werden. Der für Wettbewerb zuständige EU-Kommissar, Karel van Miert, hat sich einige Male dahin gehend geäußert, daß die zentrale Vermarktung internationaler Spiele im Prinzip gegen das europäische Kartellverbot verstoße. Doch - so van Miert in einem Interview mit der „Wirtschaftswoche" vom 29. Januar diesen Jahres -:
Ausnahmen von dieser Regelung sind aber möglich. Wichtig ist die Solidarität. Reiche Clubs müssen nachweisen, daß sie finanzschwache Vereine unterstützen.
Wir sollten die deutschen Sportverbände unterstützen, wenn es darum geht, gemeinsam mit der EU-Kommission eine Regelung zu finden.
- Ich rede natürlich auch im Sinne der Kolleginnen und Kollegen aus dem Sportausschuß. Deswegen erledige ich das sozusagen summarisch.
Nun zum Schluß: Lieber Graf Lambsdorff, Sie sind seit 1972 Mitglied des Deutschen Bundestages. Ich selber habe Sie seitdem im Visier. Ich habe als Fernsehredakteur so manches Interview mit Ihnen gemacht und habe nie davon zu träumen gewagt, einmal Kollege von Ihnen zu sein und mit Ihnen im Wirtschaftsausschuß zu sitzen. Ich habe Sie immer als liberalen Kämpfer für die Marktwirtschaft erlebt. Deshalb tragen Sie ja auch den Titel „Marktgraf" . Das ist kein ererbter Titel, sondern ein erkämpfter bzw. ein erarbeiteter. Ich denke, darauf können Sie noch stolzer sein als auf den ererbten Titel.
Im Wirtschaftsausschuß - das ist ja schon angeklungen - werden wir Ihre Kampfeslust vermissen. Aber wir sind sicher, daß Sie bei Ihrer Freude an der und Neigung zur Publizistik - Sie übertreffen ja manche professionellen Journalisten in Ihrem Eifer - auch außerhalb des Parlaments weiterhin als Lobbyist für die soziale Marktwirtschaft aktiv bleiben werden. Dazu wünsche Ihnen ich als Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses - ich denke, ich tue das im Namen aller Kolleginnen und Kollegen - weiterhin Gesundheit und vor allem Kampfeskraft.
Friedhelm Ost
Ich bitte auch im Namen meiner Fraktion um Zustimmung zur sechsten GWB-Novelle.
Herzlichen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, Drucksachen 13/9720 und 13/10633 Nr. 1.
Es liegt ein Änderungsantrag der Gruppe der PDS vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 13/10640? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Fraktionen von CDU/CSU, F.D.P., SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Gruppe der PDS abgelehnt.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Fraktionen von CDU/ CSU, F.D.P., SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Gruppe der PDS angenommen.
Dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie eben angenommen.
Der Ausschuß für Wirtschaft empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 13/ 10633 die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen des gesamten Hauses angenommen.
Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 7 auf: Aktuelle Stunde
Haltung der Bundesregierung zur Rentendiskussion in der SPD vor dem Hintergrund der jüngsten Äußerungen des stellvertretenden IG Metall-Vorsitzenden Riester
Die Aktuelle Stunde findet auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. statt.
Bevor ich die Aussprache eröffne, möchte ich Sie noch einmal darauf hinweisen, daß in der Aktuellen Stunde die Redezeit exakt fünf Minuten beträgt und daß streng auf die Einhaltung dieser Zeiten geachtet wird.
Das Wort zur Eröffnung der Aussprache hat die Abgeordnete Dr. Gisela Babel, F.D.P.-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die SPD hat einen neuen Rentenpolitiker, Herrn Riester aus Frankfurt. Hat sie auch eine neue Rentenpolitik?
Herr Riester hat zunächst einmal ein Debakel ausgelöst. Darüber soll jetzt dicker Nebel gebreitet werden. Die Aktuelle Stunde soll diesen Nebel wegblasen und die Alarmglocken läuten lassen.
Herr Riester fordert eine vom Steuerzahler zu finanzierende Mindestrente für Bedürftige in Höhe von etwa 1260 bis 1500 DM. Nun bricht der Sturm los, auch in der SPD. Zuerst wird die Meinung von Herrn Riester von Herrn Urbaniak mit dem Hinweis zurückgewiesen, die SPD sei gegen eine steuerfinanzierte Mindestrente. Sie halte am lohn- und beitragsbezogenen Rentenversicherungssystem fest.
Einen Tag später beteuern Herr Scharping und Herr Schreiner, Herr Riester habe ja gar keine steuerfinanzierte Mindestrente gefordert, obwohl das wörtlich im „Spiegel" steht. Vielmehr stehe Herr Riester zum SPD-Programm, in dem eine steuerfinanzierte Grundrente gefordert werde. Das sei etwas ganz anderes. Grundrente und Mindestrente seien verwechselt worden. Das erinnert mich an netto und brutto.
Aber was heißt das? Wie wirkt es sich aus, wenn neben eine leistungs- und lohnbezogene Rentenversicherung die steuerfinanzierte Grundrente tritt? Das ist - deswegen kann man diese Debatte jetzt nur begrüßen - das Ende des Rentensystems, sein Ruin. Darüber müssen wir hier reden.
Nehmen wir an, wir haben jemanden, der sein Leben lang arbeitet, Monat für Monat Beiträge zahlt und sich eine Rente von 1500 DM erarbeitet. Nehmen wir weiter an, wir haben jemanden, der nur 10 Jahre arbeitet, einen Rentenanspruch von 500 DM hat und ebenfalls eine Alterssicherung von 1500 DM bekommt. Das ist doch empörend ungerecht. Damit sind für die SPD die Fleißigen die Dummen, und die Schlauen schaffen sich ihren preiswerten Sockel der Alterssicherung, und im übrigen arbeiten sie schwarz.
Jeder etwas unter dem Durchschnitt verdienende abhängig Beschäftigte wird sich genau ausrechnen, ab wann sich Beitragsleistungen für ihn überhaupt noch auszahlen.
Das wird zum Aderlaß bei den Einnahmen der Rentenversicherung führen. Das wird damit der Abschied von einer solidarischen Rentenversicherung. Was kostet denn die herrliche steuerfinanzierte Grundrente? Keiner weiß es, auch Herr Riester nicht.
Aber es kommt noch viel dicker. Herr Riester fordert, daß die Sparmaßnahmen in der Rentenversiche-
Dr. Gisela Babel
rung zurückgenommen werden, er fordert auch - unwidersprochen -, daß die Frühverrentung wieder eingeführt wird. Herr Andres, Herr Schreiner, Herr Dreßler, wollen Sie das auch? Schon all dies reicht, um die Rentenversicherung in Kürze in die Pleite zu treiben. Herr Riester meint, man müßte die Ökosteuer anheben. Aber hier widerspricht Herr Scharping: Es gibt keine Steuererhöhung, es gibt eine Steuersenkung. Mit der Steuersenkung will er nun all dies Unheil abwenden. Was hier zur Rente gesagt, dementiert, bestätigt und verschwiegen wird, ist ein einziges Debakel.
Wer trägt nun die Verantwortung? Meiner Ansicht nach trägt die Verantwortung ganz klar der Herr Kandidat, Herr Schröder.
Er ist, nachdem er sich mit der Besichtigung von Kinderzimmern beschäftigt hat, in ein geradezu lärmendes Schweigen ausgebrochen. Sein Schattenkabinett wird ein Schadenskabinett. Der von ihm umworbene Mittelstand, das Handwerk, die Industrie sollten hier gut aufmerken. Die Politik, die sich abzeichnet, wird Beiträge und Steuern in die Höhe und die Rentenversicherung in den Ruin treiben.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Rudolf Dreßler, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn es heute endlich zu einer Bundestagsdebatte über die seit 1987 von der SPD geforderte bedarfsorientierte soziale Grundsicherung kommt, die CDU/CSU und F.D.P. doch immer verhindert haben, so begrüßen wir das ausdrücklich.
Wenn Walter Riester sich diese Forderung der SPD zu eigen gemacht hat, so begrüßt die SPD-Bundestagsfraktion das ebenfalls ausdrücklich.
Er weiß nämlich, daß die zukünftig weiter wachsende Zahl gebrochener Erwerbsbiographien der Menschen und daß die geänderten Verhältnisse am Arbeitsmarkt dringend nach dieser Ergänzung unseres Alterssicherungssystems verlangen, um Altersarmut zu verhindern.
Aber um Rentenpolitik und soziale Grundsicherung geht es mit der heute von der F.D.P. beantragten Aktuellen Stunde im Kern gar nicht. Heute geht es erkennbar um ganz etwas anderes. Es geht um Wahlkampf. Eine desolate Bundesregierung, der nichts mehr gelingt,
die politisch die Pest am Hals hat, und tief verunsicherte Koalitionsfraktionen suchen krampfhaft nach einem Thema.
Nun glauben die Damen und Herren der F.D.P., eines entdeckt zu haben: die Verläßlichkeit der Rentenpolitik.
Da sage ich: Richtig, Frau Babel, das ist ein Thema, sogar ein hochaktuelles Thema. Denn 15 Jahre Rentenpolitik, die Sie - CDU/CSU und F.D.P. - mit verantwortet haben, haben das Vertrauen der Menschen in unsere Rentenversicherung, ja in die sozialstaatlichen Sicherungssysteme insgesamt nachhaltig erschüttert.
Wenn ausgerechnet die F.D.P., die mit der solidarischen Absicherung gegen die Lebensrisiken nun überhaupt nichts am Hut hat, die sie privatisieren will und seit geraumer Zeit als rückständig diffamiert,
auf einmal den Wert unseres Sozialsystems entdeckt, sich gleichsam als Systemverteidigerin aufspielt,
dann hat das mit Politik sehr wenig, aber mit politischer Heuchelei sehr viel zu tun.
Man stelle sich vor: Herr Westerwelle als Retter der Sozialversicherungsrente,
Frau Babel als Schutzpatronin der kleinen Rentnerin
oder Herr Gerhardt als Hüter des Rentenniveaus!
Da lacht die ganze Republik, und sie lacht zu Recht.
Aber daneben gibt es ja noch die anderen: die Abräumen, jene, die die Rentenversicherung nicht diffamieren, sondern sie durch ihre Abräumaktion von in-
Rudolf Dreßler
nen aushöhlen. Da wären wir wieder bei der CDU/ CSU, wir wären bei Herrn Blüm. Sie, Herr Blüm, verteidigen die beitragsorientierte, leistungsbezogene Rente.
Herr Blüm, der das Rentenniveau von 70 auf 64 Prozent gekürzt hat,
die CDU/CSU, die der jüngeren Generation heute höhere Beiträge abverlangt und zum Ausgleich dafür im Alter niedrigere Renten verspricht, Herr Blüm, der die Erwerbsunfähigkeitsrenten bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt hat, die CDU/CSU, die sogar den Schwerbehinderten an die Rente geht - Sie führen zwar keine gemeinen Reden über den Sozialstaat, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, aber Sie glänzen durch Ihre bösen Taten.
Nein, Ihnen allen wird es nicht gelingen, die Rentenpolitik der Sozialdemokratie ins Zwielicht zu rükken.
Die einzige Fraktion, die gegen eine Niveauverringerung ist und nach der Bundestagswahl beabsichtigt, Ihr unsoziales Gesetz zu korrigieren, ist die SPD.
Dafür steht die SPD, und dafür steht die Persönlichkeit von Walter Riester.
Wenn sich CDU/CSU und F.D.P. auf einmal ernsthaft für SPD-Programme interessieren,
zeigt das übrigens auch, Frau Babel, mit welchem Wahlergebnis Sie am 27. September insgeheim rechnen.
Übrigens rechnen auch wir damit, und wir wollen es sogar durch unsere Arbeit herbeiführen. Also, Frau Babel, studieren Sie weiter SPD-Programme, Sie werden sie noch brauchen können!
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Volker Kauder, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Er werde die von der Regierungskoalition beschlossene Rentenreform nach einem Wahlsieg sofort zurücknehmen,
erklärt seit einigen Wochen der Spitzenkandidat der SPD, Gerhard Schröder, unterstützt von den - von ihm allerdings praktisch abgesetzten - Sozialexperten Dreßler und Schreiner.
Entweder sind Sie keine Experten, oder - was bei Schröder auch wahrscheinlich ist - er braucht keine.
Die von Wissenschaftlern und der Regierungskoalition beabsichtigte Verteilung der Kosten der längeren Lebenserwartung auf Rentner und Beitragszahler wird von Schröder, von der SPD insgesamt - auch heute wieder vom Kollegen Dreßler - als „Rentenkürzung" diffamiert.
Die Grünen, mit denen Schröder eine Koalition eingehen will, bestätigen dagegen ausdrücklich, daß mit der demographischen Komponente Bundesarbeitsminister Blüm und der Regierungskoalition ein echter Reformschritt gelungen sei. Wo die Grünen recht haben, haben sie recht.
„Durch einen demographischen Faktor in der Rentenformel soll die gestiegene Lebenserwartung berücksichtigt werden", heißt es in ihrem Programm. Richtig, das haben wir in Gesetzesform gegossen. Wie das bei Rotgrün zusammenpassen soll, bleibt das Geheimnis dieser noch nicht gebildeten Koalition.
Die Aussage Schröders, er nehme zurück, was wir beschlossen hätten, kann nur dann stimmen - eine Alleinregierung scheidet ja offensichtlich aus -, wenn sich der Wunschpartner Bündnis 90/Die Grünen in dieser Frage schon bedingungslos unterworfen hat. Die Grünen müssen aufpassen, daß man ihnen nicht vorhält: Ihr startet als Tiger, ihr landet als Bettvorleger.
Gerhard Schröder muß sich den Vorwurf gefallen lassen, daß er den Menschen keinen reinen Wein im Hinblick darauf einschenken will, was auf sie zukommen könnte.
Die Diskussion der SPD über die Rente in den letzten Tagen hat den Eindruck weiter verfestigt, daß die SPD entweder nicht weiß, was sie will - was bei dem inhaltsleeren Schröder ja die Regel ist -, oder daß sie die Rentner bewußt über die von ihr für notwendig gehaltenen radikalen Reformen im System täuschen will. Da fordert Schröders Wunscharbeitsminister eine steuerfinanzierte Mindestrente, was Sozialpolitiker der SPD-Fraktion sofort ablehnen, um sich dann zwei Tage später mit einer sozialen Grundsicherung zu korrigieren, jedoch ohne genau sagen zu können, was dies ist. Entschuldigend und etwas peinlich be-
Volker Kauder
treten wird von den Kolleginnen und Kollegen der Fraktion von einem „Mißverständnis" gesprochen.
Meine Damen und Herren, wer sich in einer solch sensiblen Frage wie der Rente so herausredet wie Herr Riester, kann und darf nicht Bundesarbeitsminister werden.
Auf diesem Stuhl brauchen wir einen ausgewiesenen Fachmann wie Norbert Blüm und keinen rentenpolitischen Azubi.
- Herr Kollege Schreiner, wie es in Ihnen aussieht, weiß ich sehr genau. Sie denken doch genauso wie wir: Wir müssen hier 16 Jahre die Arbeit machen, dann kommt so ein Azubi und will uns sagen, wo es langgeht. Mit Recht ärgert Sie das.
Die Diskussion hat aber auch gezeigt, daß sich die Wählerinnen und Wähler bei Schröder und Rotgrün auf nichts verlassen können, aber mit allem rechnen müssen.
Will Schröder nun eine grundlegende Reform des Rentensystems oder nicht? Mit der Berufung Riesters hat er sich offenbar von den Reformunwilligen in seiner Fraktion getrennt. Der Wunsch, das Neue zu vertreten, verträgt sich offensichtlich nicht mit den alten Parolen eines Herrn Dreßler. Aber was an Neuem kommen soll, weiß Schröder nicht, sagt er nicht. Beides ist für die Bevölkerung gleich unerträglich. Sagen Sie den Menschen, was Sie wollen! Setzen Sie sich nicht dem Verdacht einer Rentenlüge aus wie schon einmal in den 70er Jahren!
Eine steuerfinanzierte Grundrente oder Grundsicherung würde - dies ist übrigens die Auffassung des DGB - für einen langen Übergangszeitraum zu einer erheblichen Mehrbelastung der Bevölkerung führen.
Das ist offenbar die Gerechtigkeit der SPD: Die Eckrente eines Rentners beträgt knapp 2000 DM, unabhängig von Arbeit sollen 1500 DM Grundrente gezahlt werden. Was dies mit Gerechtigkeit zu tun hat, bleibt das Geheimnis von Herrn Riester und Herrn Schröder.
Die Regierungskoalition hat das Rentensystem in mehreren Schritten modernisiert. Wir werden auf diesem Weg weitergehen und in der nächsten Legislaturperiode eine ergänzende kapitalgedeckte Altersvorsorge aufbauen müssen.
Wir haben erste Schritte mit dem Vermögensbildungsgesetz getan.
Wir machen den Menschen nichts vor. Schröder und Rotgrün müssen jetzt sagen, was sie mit den Menschen vorhaben. Musik, Lächeln und Winken reichen da nicht mehr.
Die Worte Riesters haben deutlich gemacht: Die SPD ist zerstritten über die Frage, wie es bei der Rente weitergehen soll, und vor allem darüber, was man den Menschen verschweigen und was man ihnen sagen soll.
Ihre Redezeit ist zu Ende.
Nach allen Erfahrungen wird sich Schröder in dieser Frage nicht entscheiden. Deshalb sage ich den Menschen in diesem Land: SPD wählen ist ein hohes Risiko für die Altersversorgung.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Andrea Fischer, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Kauder, wenn Sie so weitermachen, werden hier gleich noch Nußecken ausgeteilt, weil die Debatte ein so niedriges Niveau erreicht hat.
Ich weiß nicht, ob es das ist, was sich Ihr Kollege Schäuble vorgestellt hat, als er uns heute in der Zeitung die, wie ich finde, eher gute Nachricht überbracht hat, er plane einen Wahlkampf der Ehrlichkeit, der ein ehrliches Bild der Welt und der Kompliziertheit ihrer Zusammenhänge aufzeige. Sie müßten vielleicht einmal mit dem Kollegen Schäuble darüber reden, wie er sich das vorgestellt hat, damit dann auch Sie das so machen können.
- Wir kennen das doch alle. Ich bin erst seit vier Jahren dabei, wonach man bekanntermaßen noch keinen Rechtsanspruch darauf hat, Ministerin zu wer-
Andrea Fischer
den. Sie meinen ja offensichtlich, daß man diesen Anspruch hat, wenn man länger Abgeordneter war.
Das Deprimierende an der Reaktion dieser letzten drei Tage war: Die Debatte ist immer dieselbe. Ich habe den Verdacht, daß der Bundesarbeitsminister selbst dann, wenn man ihn nachts um drei Uhr aus dem Tiefschlaf holt und die Worte Grund und Rente auch nur in irgendeinem Zusammenhang erwähnt, sofort immer dieselbe Keule schwingt. Wir kennen sie doch auch alle. Wir kennen alle diesen Textbaustein.
Wann immer jemand diese beiden Worte in einen Zusammenhang stellt, kommt immer der gleiche Vortrag.
- Nein. Das ist doch das Gegenteil einer rationalen Debatte über die Rentenpolitik.
Dann noch eines zur F.D.P.: Die Kollegin Babel hat ein flammendes Bekenntnis zur lohn- und beitragsbezogenen Rente und gegen die Grundrente geleistet.
Mit Verlaub: Ich lese im Entwurf des F.D.P.-Programms auf Seite 11 die Sätze: „Die staatliche Sozialversicherung verliert den Charakter der Vollversicherung. Sie wird sich in Richtung einer Basisversorgung entwickeln."
- Dann bekommen Sie aber keine lebensstandardsichernde, leistungsbezogene Rente.
Deswegen brauchen Sie hier doch auch nicht so zu tun, als wären die anderen alles Deppen, und Sie würden den Leuten ihre hohen Renten bewahren. Das ist nicht wahr.
Ich stelle außerdem fest - das muß hier auch noch einmal gesagt werden -, daß in diesem F.D.P.-Programmentwurf wieder dieses Bürgergeld auftaucht, als wäre nichts gewesen.
Kollege Westerwelle, auch wenn Sie glauben, wir
hätten kein Gedächtnis: Ich weiß, daß Sie vor vier
Jahren das Bürgergeld schon einmal in Ihrem Programm hatten. Nun sind Sie in der Regierung und können sich hochmögende Wissenschaftler zur Hilfe holen, die das für Sie testen. Die haben Ihnen das um die Ohren gehauen, denn das wären Kosten von 170 Milliarden DM. Das ist ja nur ein munteres Drittel des Bundeshaushaltes. Dazu hat die Transferkommission gesagt: Das ist haushaltspolitisches Abenteurertum; das machen wir nicht. Von so einem Politiker lasse ich mir nicht sagen, wir wüßten nicht, wie Haushalts- und Sozialpolitik zu machen sei.
Der Kollege Riester hat doch die richtigen Fragen gestellt. Er hat auch die Finger in die Wunden gelegt, die Sie hinterlassen haben.
- Nein, aber ich bin Gewerkschafterin. Das ist Ihnen vielleicht nicht bekannt. Deswegen darf ich auch Kollege Riester sagen. Unter Gewerkschaftern darf man das tun.
Herr Riester hat die richtigen Fragen gestellt, von denen Sie auch wissen, daß Sie um deren Beantwortung nicht herumkommen. Er spricht davon, daß wir die soziale Sicherung nicht weiterhin so stark an die Arbeitslöhne koppeln können, weil das die Lohnnebenkosten erhöht. Das ist die Frage, die uns seit Jahren umtreibt.
Das ist doch keine absurde Frage. Die stellen Sie sich doch auch. Sie haben nur keine Antwort darauf.
Herr Biester spricht davon, daß wir Altersarmut vermeiden müssen, denn die Lebensläufe sind komplizierter geworden, und die Arbeitsbiographien passen nicht mehr zu den Regeln des Rentensystems. Das werden wir in den nächsten Jahren erleben. Die 5 Millionen Arbeitslosen haben auch ein Problem mit niedrigen Renten, weil in ihren Erwerbsbiographien Lücken sind. Daher muß man sich darüber Gedanken machen, wie man neben das Rentensystem eine bedarfsorientierte Grundsicherung stellt.
Frau Babel, Sie wissen auch, daß eine bedarfsorientierte Grundsicherung eine Weiterentwicklung der Sozialhilfe ist. Daher brauchen Sie an Hand dieses Beispiels nicht die Grundrentendebatte zu führen. Sie können doch unsere Papiere lesen. Sie können ein langes Konzept der Grünen dazu lesen, wie man eine bedarfsorientierte Grundsicherung einführt, was sie kostet und wo man die Gelder dafür hernimmt. Im Gegensatz zu Ihnen machen wir nämlich kein haushaltspolitisches Abenteurertum.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Petra Bläss, PDS.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nun haben wir doch noch einmal die Gelegenheit, uns in dieser Legislaturperiode mit der Problematik der Grundsicherung im Alter auseinanderzusetzen. Ein Stichwort, bewußt um- und mißinterpretiert, reichte aus, und der Wahlkampf macht es möglich.
Zugleich bin ich erfreut, so viele Befürworterinnen und Befürworter einer Grundsicherungsidee zu vernehmen, wie sie die PDS im Bundestag bereits mehrfach vorgeschlagen hat.
Um es noch einmal unmißverständlich klarzustellen: Wir verstehen unter Grundsicherung im Alter, daß die Rente automatisch aufgestockt wird, wenn die im Leben erworbenen Anwartschaften nicht existenzsichernd sind. Für uns ist das Existenzminimum erst erreicht, wenn die relative Armutsgrenze überschritten ist. Diese liegt nach Übereinkünften in der Europäischen Union bei der Hälfte des durchschnittlichen Nettoeinkommens. Das wären derzeit 1 425 DM.
Wir plädieren also keinesfalls für den Ersatz bzw. die Nivellierung von leistungsdifferenzierten Ansprüchen in der gesetzlichen Rentenversicherung. Auch wir sind für den Erhalt des beitragsfinanzierten Umlageverfahrens, auch wenn wir uns dabei Weiterentwicklungen vorstellen können wie die Veränderung der Bemessungsgrundlage für die Arbeitgeberbeiträge durch eine Wertschöpfung. Die ergänzende Grundsicherung muß durch Steuermittel beglichen werden.
Rente hat Lebensleistung widerzuspiegeln, tönt es dieser Tage aus allen Lagern. Aber was ist Rente heute wirklich? Sie ist maximal erwerbsleistungsbezogen und nicht lebensleistungsbezogen. Erwerbsbiographien werden immer differenzierter, Reproduktionsanforderungen werden immer vielfältiger. Aber das, was auf dem Rentenkonto heutzutage immer noch am meisten zu Buche schlägt, sind vollständige, männliche, hochdotierte Erwerbsbiographien.
Doch die Lebensleistung ist bekanntlich mehr. Vor allem Frauen mühen sich um die nachwachsenden Generationen und um diejenigen, die der Pflege, Hilfe und Assistenz bedürfen. Was wäre unsere Gesellschaft ohne die unermüdlichen Einsätze zur Erhaltung unserer soziokulturellen Infrastruktur? Wo käme unsere Welt hin ohne das engagierte Wirken Tausender im Umweltbereich?
Die sich wandelnde Arbeitswelt ist von Unterbrechungen und Flexibilität gekennzeichnet. All das ist bei der Rente völlig unterbelichtet. Deshalb ist eine grundsichernde Aufstockung niedriger Rentenansprüche keinesfalls eine Alimentierung irgendwelcher Bedürftiger, sondern der erste Schritt, um einer echten Umbewertung von Arbeit in dieser Gesellschaft den Weg zu ebnen und Altersarmut zu beenden.
All jene, die heute den Erhalt der leistungsbezogenen Rente beschwören, tun doch in Wirklichkeit das Gegenteil. Die alleine von der Regierungskoalition zu verantwortende Absenkung des Rentenniveaus auf 64 Prozent bedeutet doch für die Masse der Rentnerinnen und Rentner und erst recht für die Versicherten, also für die künftigen Ruheständlerinnen und Ruheständler, daß Rente auch nach einem „erfüllten" Erwerbsleben gerade einmal grundlegende Bedürfnisse abdeckt und daß alle anderen im Regen stehenbleiben.
Meine Damen und Herren, ich finde es schon infam, daß gerade die F.D.P. im Wahlkampf die leistungsbezogene Rente heraufbeschwört, wo doch gerade sie die Vernichtung von deren lebensstandardsichernder Funktion in praxi forciert und auf private Eigenvorsorge setzt.
Ich wiederhole hier zum x-ten Male: Gerade jene, die im Alter ohne Vermögen dastehen, werden auch im erwerbsfähigen Alter die geringsten Chancen zu einer eigenen ergänzenden Vorsorge haben. Denken wir nur an die Alleinerziehenden. Erst vor wenigen Tagen bestätigte die nationale Armutskonferenz die erschreckenden Ausmaße des „Armutsrisikos" durch Kinder. Das ist beschämend für dieses reiche Land. Oder denken wir daran, wie wenig prekär Beschäftigte zur Eigenvorsorge in der Lage sind.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenden wir uns statt Nebengleisen dem wirklichen Reformbedarf zu, den die gesetzliche Rentenversicherung hat. Hierbei ist die Grundsicherung nur eines der Probleme, wenn auch das grundlegendste.
Das Wort hat jetzt der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Dr. Norbert Blüm.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich soll zur SPD-Rentenpolitik Stellung nehmen.
Zu welcher SPD-Rentenpolitik? Die SPD hat nicht nur eine Rentenpolitik, sie hat gleich zwei: eine in Frankfurt à la Riester und eine in Bonn à la Dreßler, und beide haben ungefähr soviel miteinander zu tun wie ein Rasenmäher mit einer Betonmischmaschine.
Riester ist der Rasenmäher, und Dreßler ist die Betonmischmaschine, die alles zementiert und ausbaut.
Das ist das rentenpolitische Versandhaus: Für jeden etwas; wie es euch gefällt.
Bundesminister Dr. Norbert Blüm
Ich will der SPD Riester einmal vorführen. Riester will die Grundrente. Er nennt auch sein Vorbild - zum Mitschreiben -:
Deshalb habe ich große Sympathien für Systeme wie das dänische ...
„Der Spiegel", 4. Mai 1998.
Jetzt können Sie alles wortreich abstreiten. An diesem Satz beißt keine Maus den Faden ab.
Riester rudert zurück. So viele Ruder hat kein Boot, wie Biester braucht, um von seinen Vorschlägen wegzurudern.
Aber nicht nur die SPD hat zwei Vorschläge. Rieter selber hat mehrere. Heute distanziert er sich in der „Zeit" vom Biedenkopf-Vorschlag:
Darum geht es der SPD und mir nicht.
Vor einem Jahr, am 28. April 1997, fragte ihn die „Frankfurter Rundschau":
Was halten Sie denn von dem Biedenkopf-Modell einer steuerfinanzierten Grundsicherung?
Antwort Riester:
Ich sehe das ähnlich, wobei ich hinzufügen muß: Das ist nicht die Position der IG Metall.
In der „Zeit" hü, in der „Frankfurter Rundschau" hott; mit dem Standort wechselt der Standpunkt.
Sehen wir uns das dänische Modell an, für das Riester - soll ich es noch einmal vorlesen? - Sympathien hat und das er bewundert: 1 000 DM monatlich bekommt jeder oder jede.
Das ist die Einheitsrente. Ob er gearbeitet hat, schwarzgearbeitet hat oder ausgestiegen ist - alle bekommen das gleiche. Das ist eine Bestrafung der Arbeitenden. Der Hoesch-Stahlarbeiter bekommt 1 000 DM, und der Aussteiger, der am Frankfurter Bahnhof Drogen dealt, bekommt ebenfalls 1 000 DM. Ich kann den Hans Urbaniak verstehen, daß er das den Hoesch-Stahlarbeitern nicht klarmachen kann.
Parteidisziplin hin, Parteidisziplin her: Glaubt denn jemand, ein Stahlarbeiter würde eine Einheitsrente von 1 000 DM bejubeln?
Dann gibt es noch 500 DM zusätzlich, wenn du bedürftig bist. Wenn du gespart und zurückgelegt hast, kriegst du nur 1 000 DM. Hast du es nicht gemacht, kriegst du 500 DM mehr.
Der Fleißige ist der Dumme.
Außerdem müssen alle auf Bedürftigkeit geprüft werden. 18 Millionen Rentner müssen durch eine Bedürftigkeitsprüfungsmaschine genudelt werden. Das ist Ihr Vorschlag.
- Das ist kein Quatsch.
Bei einer bedürftigkeitsabhängigen Grundsicherung - anderenfalls hieße es ja nicht „bedürftigkeitsabhängig" - muß bei 18 Millionen Rentnern geprüft werden, ob sie bedürftig sind. 18 Millionen Rentner müssen beim Staat Schlange stehen.
Wir dagegen sagen: Hast du gearbeitet, hast du Beitrag gezahlt, dann kriegst du eine anständige Rente. Das ist unsere Antwort. Frau Fischer, notfalls muß ich Ihnen die Wahrheit auch sechsmal sagen: Das ist das Wesen einer Versicherung.
Wenn du dein Haus gegen Feuer versichert hast, wirst du im Brandfall von der Versicherung auch nicht gefragt, ob du noch ein zweites oder drittes Haus hast, das nicht abgebrannt ist. Du bekommst das Haus, das abgebrannt ist, bezahlt. Wenn du dich in der Rentenversicherung versichert hast, fragt niemand, ob du ein Haus, zwei Häuser oder kein Haus hast. Da wird gefragt: Hast du gearbeitet, hast du geschafft, hast du Beitrag gezahlt? Dann bekommst du eine Rente, ohne daß jemand herumschnüffeln muß, ob du bedürftig bist.
Dieser Sozialstaat - davon, Frau Fischer, werden Sie mich nicht abbringen; das werde ich wiederholen - ist nicht der Fürsorgestaat. Rente ist ein selbst erarbeiteter Anspruch. Der Sozialstaat, den ich verteidige, ist nicht das Armenhaus der Nation. Er ist nicht nur ein Werk der Barmherzigkeit, sondern eine Errungenschaft der Gerechtigkeit. Die Rentenversicherung ist eine Errungenschaft der Gerechtigkeit. Mit Fürsorge und Bedürftigkeit hat sie überhaupt nichts zu tun.
Dann beklagt sich Herr Dreßler über ein Rentenniveau von 64 Prozent. Erstens wird es erst in 30 Jahren gültig sein. Zweitens gab es in Zeiten der SPD-Regierung schon einmal 61 Prozent. Drittens müssen Sie wissen, wie das Rentenniveau nach dem Riester-Vorschlag aussehen wird. Bei 1 500 DM sind es 47 Prozent, bei 1 000 DM 36 Prozent. Erklären Sie mir einmal die Logik! Bei 64 Prozent in 30 Jahren schreien
Bundesminister Dr. Norbert Blüm
Sie auf, aber 36 Prozent halten Sie offenbar für normal. Bei dem einen ja, bei dem anderen nein!
- Das ist kein falsches Zeugnis.
Nein, dieser Vorschlag ist eine Bestrafung der Fleißigen und Sparsamen. Die Jungen müssen doppelt bezahlen. Sie müssen erst das alte System weiterbezahlen und dann noch zusätzlich das neue finanzieren. Das bedeutet in den nächsten zehn bis 15 Jahren Mehrausgaben in Höhe von 50 Prozent und in 30 Jahren immer noch von 20 Prozent.
Nach Riesters Vorschlag einer steuerfinanzierten Rente wird die Rente wieder an den Steuertopf angehängt. Das bedeutet einen jährlichen Streit darüber, was für die Rentner übrig ist. Rente nach Kassenlage, das war beim Honecker so. Mit Riester zurück zu Honecker, kann ich nur sagen.
- Dänemark! Ich weiß, daß das weh tut. Ich habe noch mehr auf Lager. Das bei Dänemark bewunderte Alterssystem hat eine Altersgrenze von 67 Lebensjahren. Und Sie verweigern eine schrittweise Anhebung der Altersgrenze auf 65 Lebensjahre.
Herr Riester bewundert einerseits Dänemark; andererseits hat er vor ein paar Tagen gesagt, daß die Frühverrentung wieder möglich gemacht werden solle. Sagen Sie meinem Kollegen Riester, der wie ich der IG Metall angehört, er soll einmal sagen, was er wirklich will.
Lassen Sie mich auch über das Konzept der Mindestsicherung der SPD reden. Auch sie schafft keine Klarheit bei der Rente. Der eine bekommt eine Mindestsicherung von 1500 DM, weil er einen entsprechenden Beitrag in die Rentenversicherung gezahlt hat; der andere hat geringere Beiträge gezahlt, bekommt die Rente aber auf 1500 DM aufgestockt. Das bedeutet, daß zwei Personen trotz ungleicher Beitragszahlungen in die Rentenkasse die gleiche Rente bekommen. Was hat das mit Gerechtigkeit zu tun?
Warum soll ein Geringverdiener überhaupt arbeiten, wenn er auch ohne Arbeit eine Mindestrente bekommt?
Ein Durchschnittsverdiener muß 25 Jahre lang arbeiten und Beiträge in die Rentenversicherung zahlen, um auf Sozialhilfeniveau zu kommen. Warum soll er 25 Jahre arbeiten, wenn er auch ohne Arbeit eine Mindestrente bekommt? Was ist daran gerecht? Nur als Beispiel: Ein Selbständiger, der vielleicht gescheitert ist, bekommt - seinen Beiträgen entsprechend - eine kleine Rente, die auf die Höhe einer Mindestrente aufgestockt wird. Die alleinstehende Mutter
und der Behinderte, die beide nicht arbeiten konnten, bleiben auf dem Sozialhilfeniveau. Was ist daran gerecht?
Ich sehe auch, daß Rentnerarmut ebenso wie die Armut im Alltag bekämpft werden muß. Dafür haben wir die Sozialhilfe und die Rentenversicherung. Ich befürworte, daß im Zeitalter der Informationstechnik nicht die Rentner von einem Schalter zum nächsten geschickt werden, sondern Informationen. Man sollte auch bei den Rentnern überprüfen, inwieweit auf das Vermögen ihrer Kinder zurückgegriffen werden kann; aber schließlich haben die Kinder schon einmal Beitrag gezahlt. Wir haben es mit zwei unterschiedlichen Systemen zu tun. Wer sie vermengt, der schadet der Rentensicherheit.
Auch bei uns gibt es Anhänger der Grundrente.
- Ja, aber es ist eine ganz verschwindende Minderheit. -
- Aber es ist noch niemand auf die Idee gekommen, Biedenkopf für das Amt des Arbeitsministers vorzuschlagen; noch nicht einmal Biedenkopf selbst hat sich darum beworben.
Deshalb ist es richtig, daß DGB, DAG, Arbeitgeber und wir das ablehnen. Es würde ein Rentenchaos bedeuten.
Während in ganz Europa die Beitragsbezogenheit der Rente gestärkt wird - selbst in Schweden, dem Ursprungsland der Grundrente, entwickelt man sich in Richtung Beitragsrente -, befindet sich die SPD und mit ihr Herr Riester auf der Gegenfahrbahn. Sie sind Geisterfahrer in der Rentenpolitik. Mit uns nicht! Wir bleiben der Rentenversicherung treu.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Julius Louven, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nun habe ich
Julius Louven
noch gar nicht begonnen, da soll ich schon etwas erklären, Herr Andres.
Ich sage Ihnen jetzt einmal, was Herr Riester vorgeschlagen hat. Nur einige wenige Ankündigungen des Möchtegern-Arbeitsministers haben ausgereicht, um Chaos in der SPD anzurichten.
Eine steuerfinanzierte Grundrente - wohlgemerkt: nicht eine Grundsicherung - müsse her, sagt Herr Riester. Eine Grundrente für alle müsse her, egal, ob man jemals etwas in die Rentenversicherung eingezahlt hat oder nicht. Nun wird in dieser Frage mittlerweile zwar kräftig zurückgerudert; aber da beißt keine Maus den Faden ab: Er hat es so erklärt.
Im Hessischen Rundfunk hat er gesagt, daß - wie in der Vergangenheit - Frühverrentung wieder her müsse. Aber auch dazu hat Riester keinen Finanzierungsvorschlag gemacht. Er müßte doch wissen, daß Beitragszahler hierfür in den letzten Jahren 40 Milliarden DM aufbringen mußten und daß dies zu Lasten der mittelständischen Wirtschaft gegangen ist, die von diesem Instrument keinen Gebrauch gemacht hat. Herr Dreßler, so werden Sie die von Ihnen gehätschelte „neue Mitte" nicht gewinnen können.
Außerdem hat Herr Riester erklärt: Ein neues „Bündnis für Arbeit" muß her. Dabei wünscht er sich, daß alle Seiten die Gespräche mit nicht zu vielen Forderungen überfrachten. Im selben Atemzug sollen als erstes die Neuregelungen beim Kündigungsschutz und bei der Entgeltfortzahlung abgeschafft werden. In bezug auf die Entgeltfortzahlung können wir ja feststellen, daß fast alle Tarifverträge eine 100 prozentige Fortzahlung festschreiben, daß es aber in anderen Bereichen Einsparungen gibt. Was will denn Herr Riester mit diesen Tarifvereinbarungen machen? Das kann doch dann nur dazu führen, daß noch mehr Unternehmen dem Tarifverbund
Lebewohl sagen. Es müßte doch auch Herr Riester wissen, daß wir so die sozialen Probleme nicht lösen.
Wie Schröder stellt auch Riester manche Entscheidung unter den Vorbehalt des Kassensturzes. Nun wissen Sie doch ganz genau, daß die Kassen leer sind. Von daher habe ich den Verdacht, daß Sie dies nur sagen, um hinterher eine Rückzugsmöglichkeit zu haben.
Insgesamt lassen sich aus all diesem zwei Dinge ablesen: erstens, wie wenig konkret und unausgegoren - gerade hinsichtlich der Finanzierung - Ihre sozialpolitischen Positionen sind, und zweitens, wie unehrlich Sie Politik betreiben. Das ist Populismus pur.
Anspruch und Wirklichkeit klaffen bei Riester weit auseinander. Sein Anspruch heißt, Arbeitsplätze schaffen. Zu seiner Wirklichkeit gehört, daß gerade er mit seiner Gewerkschaft nur die Beschäftigten und nicht die Arbeitslosen gesehen hat. Das gewerkschaftsnahe DIW und andere Institute haben die Lohnpolitik der IG Metall in den neuen Ländern als Grund für die Beschäftigungsverluste ausgemacht. Als 1995 der Aufschwung gerade in Gang gekommen war, hat ein zu hoher Lohnabschluß dazu geführt, daß die Konjunktur abstürzte. Ich befürchte, Riesters Politik würde zu einem weiteren Absturz führen.
Ausweitung der Vorruhestandsregelungen zu Lasten des Mittelstandes,
Einführung einer Mindestrente ohne Finanzierungsvorschläge,
Einführung einer Ausbildungsplatzabgabe gegen Schröder und Clement,
Durchsetzung der 32-Stunden-Woche, was Arbeit verteuert und Arbeitsplätze kostet,
Polemik gegen die Senkung der Lohnnebenkosten, was Arbeitsplätze kostet,
Rückgängigmachen der Rentenreform, was den Beitrag erhöht - meine Damen und Herren, Sie laufen wirklich Gefahr, in eine Beschäftigungslüge zu stolpern.
Nehmen Sie Herrn Riester an die Hand und lassen Sie ihn da, wo er ist. Deutschland braucht einen guten Arbeitsminister, und das ist Norbert Blüm.
Wenn das Wahlergebnis etwas anderes bringen sollte, was ich allerdings nicht sehe, dann wären mir Rudolf Dreßler oder Ottmar Schreiner als Arbeitsminister lieber.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Ottmar Schreiner, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was Sie hier bieten, ist wirklich eine Mischung aus Seifenoper und Schmierenstück.
Ihre Formulierung, Herr Minister Blüm, mit Riester zurück zu Honecker, ist eine derartige Geschmacklosigkeit und eine derartige Fehlleistung, daß spätestens daran offenkundig wird, daß hier ein reiner Wahlkampfzirkus veranstaltet wird, der mit der Sache überhaupt nichts mehr zu tun hat.
Wenn hier Vertreter der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen von Beschäftigungslügen reden und Riester mit Honecker vergleichen, dann ist das nicht mehr zu ertragen. Sie hinterlassen eine Trümmerlandschaft. Sie hinterlassen fast 5 Millionen Arbeitslose, eine Rekordverschuldung, eine maximale Belastung der Arbeitnehmerschaft usw. als Erbe. Sie haben nicht einen einzigen positiven Punkt in Ihrer Bilanz vorzuzeigen. Es ist eine Schreckensbilanz vom Arbeitsmarkt bis hin zur Belastung der Arbeitnehmer.
Nun stellen Sie sich hierher und halten derartige Reden. Das ist wirklich kaum noch nachzuvollziehen.
Nun will ich zur Sache reden. Der Kollege Riester mag ja eine mißverständliche Formulierung benutzt haben.
Das ist jedem von uns schon dutzendmal passiert.
Es ist vom ihm im „Spiegel"-Interview ausdrücklich darauf hingewiesen worden, daß er keinen Systemwechsel will. Sie dichten ihm aber hier permanent einen Systemwechsel an.
Er hat ausdrücklich gesagt, daß er am bestehenden System festhält.
- Das können Sie dort nachlesen. - Er will allerdings
eine steuerfinanzierte soziale Mindestsicherung ergänzend in das System eingearbeitet haben. Das ist präzise die Beschlußlage der SPD seit 1987 und ist im Wahlprogramm für den anstehenden Bundestagswahlkampf enthalten.
Ich will Ihnen sagen, wo wir uns in der Sache unterscheiden, denn nur der Streit in der Sache lohnt sich.
Dazu will ich Ihnen ein Beispiel nennen: Wir wollen, daß eine 66jährige Frau, die über eine grandiose Lebensleistung verfügt, die unter schwierigen Nachkriegsbedingungen vier Kinder großgezogen hat, die im Alter von einer Minirente von 600 DM lebt und einen ergänzenden Sozialhilfeanspruch hat, den sie aus Schamgründen gar nicht realisiert, die ihr zustehenden Ansprüche aus einer Hand ausgezahlt bekommt. Wir wollen den doppelten Weg in die Sozialbürokratie vermeiden; wir wollen, dáß sie den ihr zustehenden Betrag ausgezahlt bekommt.
Das verstehen wir unter sozialer Mindestsicherung, die wir durch Steuern finanzieren wollen. Das ist überhaupt nichts Neues. Es ist der Versuch, Altersarmut angemessen zu bekämpfen.
Dieser Versuch ist mehr als legitim.
Wenn Sie sich am 27. September durchsetzen, dann wird das Problem Altersarmut zusätzlich um das Problem der Abhängigkeit von Sozialhilfe im schnellen Tempo wachsen. Der Vorsitzende des Sozialbeirates, Professor Schmähl, hat Ihnen diesen Sachverhalt vor wenigen Monaten vorgerechnet. Wenn die von Ihnen geplante Kürzung des Rentenniveaus käme, wenn die von Ihnen geplante Absenkung des Nettorentenniveaus von 70 auf 64 Prozent käme,
dann würden immer mehr Menschen trotz langer Erwerbsarbeit in die Sozialhilfe hineinrutschen.
Das ist der zentrale Unterschied: Wir wollen, daß Menschen mit einer großartigen Lebensleistung aus der Sozialhilfe herausgeholt werden. Sie aber drükken mit Ihrer Politik immer mehr Menschen in die Sozialhilfe. Das ist der fundamentale Unterschied, um den es in der Sache geht.
Ottmar Schreiner
Darüber lohnt es sich zu diskutieren, auch im Wahlkampf .
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Guido Westerwelle, F.D.P.-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wer die Debatte verfolgt, kann feststellen: Es war sehr bemerkenswert, wie Herr Kollege Schreiner und Herr Kollege Dreßler, ausgewiesene Experten in diesem Hause, Pläne eines Mannes verteidigt haben, über dessen Nominierung sie selber höchst enttäuscht sind.
Wir stellen fest, daß Herr Schröder seit seiner Nominierung zum Kanzlerkandidaten zwei konkrete Personalvorschläge gemacht hat. Vor dem Bundesparteitag der Grünen in Magdeburg und vor ihren bündnisfeindlichen Beschlüssen hat er Herrn Fischer als Außenminister vorgeschlagen und jetzt hat er Herrn Riester als neuen Arbeits- und Sozialminister vorgeschlagen. Er hat mit beiden Nominierungen augenscheinlich eine sehr unglückliche Hand gehabt.
Es ehrt Sie sehr, daß Sie als gute Parteisoldaten hier vertreten, was Herr Riester gesagt hat. Er hat im „Spiegel" wörtlich gesagt:
Wenn wir zum Beispiel eine Mindestrente einführen, um Altersarmut zu verhindern, dann muß diese Mindestrente vom Steuerzahler finanziert werden.
Sie können nicht allen Ernstes kritisieren, daß die Koalitionsfraktionen ein solches Interview zum Thema im Deutschen Bundestag machen. Wenn Sie jemanden als Bundesarbeitsminister vorschlagen, der seine Materie nicht beherrscht, dann ist es unser gutes Recht, das zu thematisieren.
Sie erwecken ja geradezu den Eindruck, als wäre es ein unanständiges Ansinnen, über dieses Thema zu diskutieren.
Herr Urbaniak hat ganz hinten im Deutschen Bundestag Platz genommen. Er ist, wie ich gesehen habe, auch nicht auf der Rednerliste, was wir sehr bedauern. Da er nicht auf der Rednerliste ist, möchte ich ihn zitieren, und zwar aus der „Neuen Osnabrükker Zeitung" vom 4. Mai 1998. Da heißt es wörtlich:
Ich bin gegen jede Form einer Grundrente. Dafür notwendige Steuererhöhungen kommen überhaupt nicht in Frage.
Diese Vorstellungen Riesters stünden im Widerspruch zu dem von der SPD und ihrer Bundestags-
fraktion erarbeiteten Rentenreformkonzept, sagte Urbaniak.
Herr Urbaniak, wir hoffen, daß sich Ihre Linie durchsetzt und nicht dieser Unsinn von Herrn Riester.
- Liebe Frau Kollegin Fischer, ich wollte es nur noch einmal sagen: Der tiefere Sinn dafür, daß Herr Riester vorgeschlagen worden ist, ist ganz einfach: Herr Schröder wollte nicht jemanden wie Herrn Dreßler vorschlagen, weil er gedacht hat, das ist ein Rentenpolitiker von. gestern. Er hat keinen Rentenpolitiker von gestern vorschlagen wollen, aber dafür einen Rentenpolitiker von vorgestern vorgeschlagen.
Wer allen Ernstes die Grundrente öffentlich vorschlägt, der verabschiedet sich von jedem Leistungsprinzip.
Wenn alle, egal wieviel sie im Leben gearbeitet haben, am Schluß die gleiche Rente bekommen, dann ist der Anreiz sich anzustrengen, nicht groß genug. Das deckt sich, Frau Kollegin Fischer, nahtlos mit Ihrem Konzept. Von der SPD kriegen wir die Grundrente vorgeschlagen und von Ihnen die Grundsicherung. Das heißt im Klartext - so schlagen Sie es selber vor -, daß eine vierköpfige Familie in Deutschland künftig ohne Gegenleistungen netto 4000 DM bar vom Staat auf die Hand bekommen soll. Da können 40 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland mit dem Arbeiten sofort aufhören; sie haben nämlich netto weniger als 4000 DM in der Tasche. Rotgrün, ob Grundrente oder Grundsicherung, ist nichts anderes als ein Konzept der organisierten Faulheit, aber kein Konzept, wie wir die Zukunft in diesem Lande gewinnen.
Im übrigen müssen Sie, Frau Kollegin Fischer, was die Finanzierbarkeit des Bürgergeldes angeht, noch einmal mit Herrn Professor Mitschke Kontakt aufnehmen.
Ich empfehle Ihnen dazu „Die Zeit" vom 8. Dezember 1995 sehr.
Ich möchte Ihnen einen Punkt nennen, von dem ich glaube, daß wir in allem Ernst darüber reden müssen. Wir werden - das sage ich als Angehöriger einer Generation, deren Rente so nicht sicher ist - unser Rentensystem umbauen müssen, weil die demographische Entwicklung uns dazu zwingt.
Dr. Guido Westerwelle
Wenn wir das nicht tun, dann versündigen wir uns auch an der Zukunft der jungen Generation.
Es ist nicht in Ordnung, daß wir heute mit großen Versprechungen Wahlen gewinnen wollen, weil wir nicht den Mut haben, auch Politik zugunsten der nächsten Generation zu betreiben. Diese Gefälligkeitspolitik muß aufhören. Wir brauchen im wesentlichen eine leistungsbezogene Rente. Diese muß fortgeschrieben werden.
Ihre Redezeit ist zu Ende.
Gleichmacherei statt Anwendung des Leistungsprinzips bringt niemanden voran.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Ulrike Mascher, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Erstens finde ich es immer bemerkenswert, wenn Abgeordnete der F.D.P. hier Gefälligkeitspolitik mit starken Worten geißeln.
Zweitens. Wenn der Generalsekretär einer Partei, die sich früher als Partei des Grundgesetzes bezeichnet hat,
erklärt, der Sozialstaat - zum Beispiel die Sozialhilfe ist Ausdruck dieses Sozialstaats - sei das Prinzip der organisierten Faulheit, dann frage ich mich, wohin die F.D.P. gekommen ist.
Drittens. Ich frage mich wirklich, ob die F.D.P. an Leseschwäche leidet. Oder warum beantragt sie eine Aktuelle Stunde, obwohl sie spätestens seit heute morgen, seit der Lektüre des Interviews von Walter Riester, weiß, daß es zwischen seinen Vorstellungen - „Reformieren statt Sparen" - und dem Rentenprogramm der SPD-Bundestagsfraktion - „Strukturreform statt Leistungskürzung" - es keine Unterschiede gibt. Was soll also die künstliche Aufregung?
Schmerzt es Sie so sehr, wenn Walter Riester in seinem „Spiegel"-Interview sagt: „Blüm hat vieles falsch gemacht"?
Diesem Urteil kann die SPD-Bundestagsfraktion überhaupt nichts hinzufügen.
Ich möchte Sie nur an einige Fehlentscheidungen der Rentenpolitik von Norbert Blüm erinnern: die Kürzung der Ausbildungszeiten, die rasche Anhebung der Altersgrenze von 60 auf 65 Jahre bei den Frauen und von 60 auf 63 Jahre bei den Schwerbehinderten, die Zerstörung der Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrente. Dadurch werden doch immer mehr Menschen in die Arbeitslosigkeit getrieben. Höhepunkt war die Absenkung des Rentenniveaus, was für viele, vor allen Dingen für Frauen, bedeutet, daß sie eine Rente in der Nähe der Sozialhilfe erhalten und so in die Bedürftigkeitsprüfungsmaschine des Arbeitsministers geraten.
Herr Blüm, Sie haben gerade erklärt, Sie fürchten, daß in Zukunft 18 Millionen Menschen keine ausreichende Rente mehr bekommen. Das ist das Ergebnis Ihrer Rentenpolitik.
Das alles ist unter dem Motto geschehen: Die Rente ist sicher.
Sie haben Ihren Kollegen noch im Januar geschrieben, daß Sie 60 Milliarden DM zu Lasten der Rentnerinnen und Rentner eingespart haben - leider ohne den versprochenen Erfolg auf dem Arbeitsmarkt.
Jetzt wollen Sie aus einem Pressegespräch von Walter Riester eine Pappkulisse zaubern, hinter der sich die angeschlagene CDU/CSU und F.D.P. im Wahlkampf verbergen können.
Was ist denn die Realität? Walter Riester sagt, eine komplette Umstellung des deutschen Rentensystems halte er für falsch. Das ist für die SPD überhaupt keine Frage. Hier muß sich aber Norbert Blüm fragen lassen, was denn sein Parteifreund Kurt Biedenkopf will, denn seine Grundrente erfordert eine Mehrwertsteuererhöhung von 37 Prozent.
Walter Riester sagt: Wir brauchen bei der heutigen Mischung aus Beitragsfinanzierung und steuerfinanziertem Bundeszuschuß einen höheren Anteil aus Steuerfinanzierung. Dazu darf ich jetzt zitieren, was anläßlich der Beschlußfassung über die Mehrwertsteuererhöhung zur Stabilisierung des Rentenbeitrages gesagt wurde:
Ulrike Mascher
Das ist nicht nur Reparatur, sondern das ist auch eine Antwort auf eine Verschiebung, die man so nicht hinnehmen kann.
Die Entwicklung, daß die Soziallasten immer mehr von Beitragszahlern gezahlt werden und immer weniger von Steuerzahlern, muß umgedreht werden, auch um der Arbeitsplätze willen.
Herr Blüm, Sie kennen den Text, er ist nämlich von Ihnen.
Können Sie mir einmal sagen, wo da ein Unterschied zur Forderung von Walter Riester ist, wenn Sie in unserem Rentensystem einen höheren Anteil an Steuermitteln wollen?
Walter Riester sagt:
Deswegen wollen wir die Rentenreform der Bundesregierung zurücknehmen, wir greifen den Rentnern nicht in die Kasse.
Richtig, das ist das Regierungsprogramm der SPD. Wir wollen die Altersarmut verhindern. Dazu soll eine soziale Grundsicherung eingeführt werden. Das will auch Walter Riester. Sie muß aus Steuermitteln finanziert werden, damit im Alter niemand auf dem Sozialamt enden muß. Das ist keine Rückkehr zur Almosenvergabe oder zur Fürsorge, sondern das ist eine notwendige Ergänzung unseres Alterssicherungssystems um den Baustein einer Grundsicherung.
Ich kann Ihnen nur sagen: Es gibt nach dieser katastrophalen Rentenpolitik des Arbeitsministers, nach dieser verheerenden Arbeitsmarktbilanz des Arbeitsministers Norbert Blüm nach dem 27. September für die SPD und den Arbeitsminister Riester eine Menge zu tun. Aber seien Sie sicher: Wir packen das an!
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Johannes Singhammer, CDU/ CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Was ist ein Schattenminister? Ein Schattenminister ist ein Minister, den man nicht fassen kann.
Walter Riester, der erste und bisher einzige Schattenminister des Kanzlerkandidaten Schröder, versucht alles, um sich nicht fassen zu lassen. Zunächst wirft er einen Schatten ohne scharfe Konturen auf die Rentendiskussion, und wenn man ihn dann dingfest machen will, flüchtet er in die Behauptung, er sei
mißverstanden worden. Das allerdings können dann nicht nur Rentenexperten, sondern offensichtlich auch eine ganze Reihe von Fraktionsmitgliedern der SPD nicht mehr fassen. In einem Interview im „Spiegel" vom 4. Mai dieses Jahres spricht Herr Riester davon, eine Mindestrente einzuführen, die der Steuerzahler finanziert. Zudem erklärt er, große Sympathien für das dänische System zu haben. Der Bundesarbeitsminister hat darauf hingewiesen.
Die Finanzierung einer solchen Grundsicherung in Höhe von 1 000 DM monatlich an jedermann - wie in Dänemark - und eine Aufstockung auf 1 500 DM monatlich bei bestehender Bedürftigkeit würden einen dreistelligen Milliardenbetrag erfordern. Die Folge wäre eine Steuerexplosion mit zahlreichen negativen Folgen. Viele Leistungsträger würden sich verabschieden. Allenfalls die Schattenwirtschaft würde einen ungeahnten Konjunkturaufschwung erleben.
Wenn Walter Riester dieses Steuerharakiri nicht will und bei seiner zweiten Aussage „keine Steuererhöhung" bleibt, dann droht eine noch schlimmere Alternative. Das „Handelsblatt" vom 5. Mai dieses Jahres beschreibt das so:
Am Ende könnte dann schnell eine Umfinanzierung innerhalb der Rentenversicherung stehen. Motto: Hohe und mittlere Renten werden eingefroren, kleine wachsen kräftiger.
Das aber wäre das Allerschlimmste und hieße, die Axt an das Grundprinzip der Rente zu legen.
Die Rente ist der Lohn für die Lebens- und Beitragsleistung; die Rente ist kein Almosen des Staates.
Aber selbst wenn Herr Riester mittlerweile eine ganz andere Interpretation bevorzugt, läßt sich wenigstens eine Erkenntnis auch im Schatten erkennen: Ein Mann, der Unsicherheit verbreitet und mißverständlich formuliert, eignet sich nicht zur Gestaltung realer Politik.
- So ist es.
Als nächstes wird er uns wohl noch erklären müssen, was er mit seiner Forderung nach einer Arbeitsmarktabgabe gemeint hat, die er von Facharbeitern und Mittelständlern einfordern will. Ich bin schon gespannt, wie er seine weitere Forderung begründet, daß nicht mehr allen Eltern Kindergeld zustehen soll. Vielleicht sieht er sich schon als Superminister, also auch für das Familienministerium zuständig.
Wer ein höchstes Staatsamt antreten will, sollte in dieser Frage zumindest die entscheidenden Festlegungen des Bundesverfassungsgerichts kennen. Nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Familienbesteuerung vom 29. Mai und 12. Juni 1990 müssen die Unterhaltsaufwendungen der Eltern in Höhe des Existenzminimums der Kinder
Johannes Singhammer
von der Besteuerung freigestellt werden. Deshalb steht allen Kindern gleichermaßen das Existenzminimum zu.
Im Grundgesetz ist es nicht geregelt; aber es ist auch nicht verboten: Es ist möglich, einen Schattenminister auszuwechseln, besonders dann, wenn er schon beim Warmlaufen schwächelt. Dies ist viel einfacher, bedarf keiner Urkunden, und auch Übergangsgelder fallen nicht an. Herr Schröder, sitzen Sie dies nicht aus!
Das Wort hat der Abgeordnete Gerd Andres, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich muß sagen: Ich habe im Bundestag selten eine so unredliche Diskussion wie diese miterlebt.
Es ist unredlich, wie hier führende Politiker bewußt die Unwahrheit sagen oder die Wahrheit verdrehen.
Es ist unglaublich. Besonders unglaublich, so finde ich, war der Bundesarbeitsminister.
Denn das, was er hier erklärt hat, hat er aus reiner Wahlkampfshow und wider besseres Wissen gesagt.
Es hat überhaupt niemand erklärt, Renten zu kürzen. Es hat überhaupt niemand gefordert, 18 Millionen Rentner zu überprüfen.
Dies ist auch Nonsens. Damit würden Sie ja sagen, all diese Rentner lägen bei einer Minirente, was dummes Zeug ist. Was ich besonders unglaublich finde, ist, daß eine inhaltliche Nähe zu Erich Honekker und ähnlichen Personen hergestellt wird, indem man Walter Riester mit diesen vergleicht. Herr Bundesarbeitsminister, das ist absolut unter Ihrem Niveau. Ich glaube, ich weiß die Ursache dafür: Ihre Nerven liegen blank.
Eines hat Walter Riester im Interview völlig richtig beschrieben: „Blüm hat vieles falsch gemacht." Da hat der Mann recht, der Mann hat völlig recht.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich sage Ihnen: Wer dann mit einem Rentenreformgesetz 1999 all die Frauen, die ich aufgezählt habe, Jahr für Jahr um 0,4 Prozent Rentenanpassung betrügt, der tut nichts anderes, als weitere Rentenkürzungen vorzunehmen. Das ist die Wahrheit, und die muß hier gesagt werden.
Ich will eine letzte Anmerkung machen: Wer, in einem solchen Zusammenhang längst bekannt, eine bedarfsorientierte Grundsicherung fordert, will doch nicht, daß die einen die Renten gekürzt bekommen und die anderen eine Standardrente bekommen. Er will, daß sozusagen ergänzender Bezug von Sozialhilfe gleich aufgefangen wird. Das muß steuerfinanziert gemacht werden. Das halte ich auch für völlig richtig.
Nun lese ich Ihnen, Herr Kauder und Herr Blüm, zum Abschluß vor - Herr Blüm sagt immer „zum Mitschreiben" -, was in unserem Wahlprogramm steht:
Das Vertrauen in die Sicherheit der Renten ist erschüttert. Dazu hat auch die von CDU, CSU und FDP beschlossene Kürzung des Rentenniveaus von 70 Prozent auf 64 Prozent beigetragen.
Gerd Andres
Die Kürzung des Rentenniveaus würde viele Rentnerinnen und Renter zu Sozialhilfeempfängern machen. Bei Frauenrenten von durchschnittlich 900 Mark im Monat wird dies besonders deutlich. So darf man mit Menschen, die ein Leben lang hart gearbeitet haben, nicht umgehen.
Die SPD-geführte Bundesregierung wird die unsoziale Rentenpolitik unmittelbar nach der Bundestagswahl korrigieren. Sie wird dafür sorgen, daß der Generationenvertrag zwischen Alt und Jung wieder auf eine sichere Grundlage gestellt wird.
Ich lese Ihnen ein zweites Zitat vor, auch zum Mitschreiben, damit Herr Kauder, Herr Blüm und andere wissen, wofür Gerhard Schröder, Walter Riester und andere, die hier sitzen, stehen:
Die von CDU, CSU und FDP beschlossene Kürzung des Rentenniveaus macht viele Rentnerinnen und Rentner zu Sozialhilfeempfängern. So darf man mit Menschen, die ein Leben lang hart gearbeitet haben, nicht umgehen.
Die SPD-geführte Bundesregierung wird das Rentengesetz von CDU, CSU und FDP umgehend korrigieren.
Wir werden für die dauerhafte Stabilität der gesetzlichen Rentenversicherung sorgen, damit die Menschen im Alter einen angemessenen Lebensstandard haben. Wir werden die Voraussetzung dafür schaffen, daß die gesetzliche Rente durch private Vorsorge, Betriebsrenten und durch stärkere Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivkapital ergänzt wird.
Wir wollen, daß alte Menschen nicht auf Sozialhilfe angewiesen sind: Wir werden eine soziale Grundsicherung einführen, die im Bedarfsfalle die Rente so erhöht, daß Armut im Alter verhindert
und die Inanspruchnahme von Sozialhilfe vermieden wird. Dadurch werden auch die Städte und Gemeinden bei der Sozialhilfe entlastet.
Ich sage Ihnen vorher: Wir werden bei den Menschen in diesem Lande genau um diese Positionen werben, mit Walter Riester, mit Gerhard Schröder und mit allen Sozialpolitikern der SPD, die hier sitzen.
Schönen Dank.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Manfred Grund, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Kollege Andres, nach dem Riester-Interview besteht eher die Gefahr, daß das Dänemark-Modell bei uns eingeführt wird mit der Auswirkung, daß Biester dem einen und dem anderen 1 DM zuteilt. Das ist natürlich nicht das, was Sie wollen - und wir natürlich auch nicht.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bis vor wenigen Tagen hat keiner gewußt, was Gerhard Schröder programmatisch und personell eigentlich will. Es gibt kaum eine Position, die er noch nicht bezogen hätte, und es gibt kaum jemanden in der SPD-Bundestagsfraktion, der sich nicht schon selbst in einem Schattenkabinett von Gerhard Schröder als Minister gesehen hätte.
Zumindest für die Sozialpolitiker der SPD ist der Ministertraum bereits ausgeträumt; denn wenn es nach Schröders Willen geht, wird kein Rudolf Dreßler und auch kein Ottmar Schreiner Sozialminister in einem Schattenkabinett, so verdienstvoll diese alten Fahrensleute auch die harten Oppositionsjahre hindurch gearbeitet haben.
Gerade jetzt, wo die vermeintliche Chance besteht, sozialdemokratische Überzeugungen in Regierungspolitik zu gießen, setzt Gerhard Schröder den Sozialpolitikern der Fraktion den Stuhl vor die Tür und Walter Riester vor die Nase. Walter Riester ist im Schattenkabinett von Gerhard Schröder als Arbeits- und Sozialminister vorgesehen. Wegen dieser Personalentscheidung grummelt es in der SPD-Fraktion. Denn wer will schon gerne übergangen werden?
Nach dem „Spiegel"-Interview wird aus diesem personellen Grummeln ein inhaltliches Entsetzen. Wer gestern und vorgestern die öffentlichen Reaktionen verfolgt hat, der weiß: Seit diesem Interview ist nichts mehr sicher, und niemand kann sich mehr sicher sein.
Bereits nach diesem ersten öffentlichen Interview des Schattenmannes Riester weiß man nicht, ob das bewährte System der lohn- und beitragsbezogenen Rentenversicherung nicht durch eine steuerfinanzierte Mindestrente ersetzt wird. Kein Rentner, der jahrzehntelang seine Beiträge an die Rentenversicherung entrichtet hat, kann sich noch sicher sein, eine Rente zu beziehen, von der er leben kann. Statt dessen besteht die Gefahr, daß ihm nach harten Arbeitsjahren nur eine Mindestrente zugeteilt wird,
Manfred Grund
zugeteilt wird nach dem Gutdünken von Walter Riester und nach der Kassenlage. Die Rentner werden sich hinsichtlich der Rentenhöhe mit dem abzufinden haben, was nach dem jährlichen Kassensturz nach Abzug für Verkehrswege, Hochschulen, Krankenhäuser, Verteidigung, Umweltschutz usw. für sie noch übrigbleibt.
Die „Süddeutsche Zeitung" titelt dazu: „Der Almosenstaat läßt grüßen" . Nein, meine Damen und Herren, diesen Almosenstaat, in dem Sozialpolitik darauf reduziert wird, umzuverteilen, Leistung zu bestrafen und Nichtleistung zu belohnen, wird es mit uns nicht geben.
Wir wollen keinen Systemwechsel. Wir wollen auch keine politisch leicht zu manipulierende Grundrente.
Wir werden die Rentner, die durch harte Arbeit und jahrzehntelange Beitragszahlung einen Rechtsanspruch auf die Rente erworben haben, vor denen schützen, die sie mit einer Mindestrente abfinden wollen.
Auch in der Rentenversicherung muß sich Leistung wieder lohnen.
Die SPD insgesamt ist um Schadensbegrenzung bemüht. Rudolf Scharping und Ottmar Schreiner haben von Mißverständnissen gesprochen. Meine Damen und Herren, an Riesters Äußerung war nichts mißverständlich. Er hat mit der deutschen Rentenversicherung nicht mehr und nicht weniger als die Grundlagen der solidarischen Sozialversicherung zur Disposition gestellt.
Hier hilft keine Schadensbegrenzung mehr. Hier hilft nur die Wahrheit.
Was wollen Sie wirklich? Wollen Sie wirklich eine Mindestsicherung? Wollen Sie wirklich höhere Renten kürzen, um niedrige Renten aufzustocken?
Wollen Sie wirklich eine Wertschöpfungsabgabe einführen?
Wollen Sie das Kindergeld davon abhängig machen, in welche Wiege ein Kind hineingeboren wird? Soll künftig jemand, der ein höheres Einkommen bezieht und sich für ein Kind entscheidet, dem gleichgestellt werden, der ein ähnlich hohes Einkommen hat, aber keine Kinder? Wollen Sie das Existenzminimum der Kinder steuerlich nicht mehr freistellen? Wollen Sie
eine Ausbildungsplatzabgabe, wollen Sie eine Arbeitsmarktabgabe einführen?
Was wollen Sie?
Was haben die Menschen in diesem Lande von Ihnen zu erwarten?
Riester hat bereits klargemacht, was die Menschen nicht zu erwarten haben: keine höheren Leistungen und nicht mehr Geld; denn all das, was an schönen und wohlfeilen Versprechungen angeboten wird, als Zuckerbrot für die Wähler gedacht, ist unter einen Finanzierungsvorbehalt, Kassensturz genannt, gestellt worden.
Sie sind mir übrigens schöne Sozialisten: zuerst mit unfinanzierbaren Versprechungen eine Regierung stürzen wollen, und nach dem Kassensturz feststellen, daß für die Versprechungen eigentlich kein Geld vorhanden ist. Man mag Riester manches unterstellen, aber nicht, daß er nicht um die Kassenlage beim Staat und bei der Sozialversicherung weiß. Finanzberichte sind keine Staatsgeheimnisse. Nirgendwo liegt ein Geldschatz, der auf Riester als Schatzgräber wartet.
Auch mit der Umfinanzierung allein ist nichts getan. Schon heute landet jede zweite Mark beim Staat oder bei der Sozialversicherung. Hier kann nicht mehr draufgesattelt werden. Es ist für alle Beteiligten schmerzlich, aber an strukturellen Reformen geht kein Weg vorbei.
Die Koalition ist den Weg struktureller Reformen in den letzten Jahren erfolgreich gegangen. Die gesetzliche Rentenversicherung ist stabilisiert; die Krankenversicherung fährt erstmals wieder Gewinne ein. Wir werden diesen Weg weiter beschreiten. Es bleibt bei der solidarischen Sozialversicherung, weil nur diese den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft und der Generationen gewährleistet.
Ich erteile das Wort dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Dr. Norbert Blüm.
Ich möchte ein paar Fragen stellen. Wenn es so ist, wie es die SPD darstellt, daß es nämlich keinen Unterschied zwischen der Auffassung von Riester und dem SPD-Programm gibt: Warum haben der DGB und Frau Engelen-Kefer protestiert?
Bundesminister Dr. Norbert Blüm
Warum hat Lutz Freitag von der DAG protestiert? Mich können Sie ja als jemanden hinstellen, der Sie mißverstehen will. Wollen Sie einen Lutz Freitag, eine Frau Ursula Engelen-Kefer als SPD-Gegner darstellen? Das wird Ihnen schwerfallen.
Ich halte fest: Die SPD hat in der heutigen Debatte nicht bestreiten können, daß Riester, ihr Kandidat für den Posten des Arbeitsministers, Sympathien für das dänische Modell hat. Dieses dänische Modell ist ein Betrug an den Arbeitnehmern.
Sie hat auch nicht bestreiten können, daß Riester sich mit dem Biedenkopfschen Grundrentenmodell anfreunden könnte.
Jetzt zu Ihrer bedarfsorientierten Mindestsicherung. Sie soll etwas höher liegen als die Sozialhilfe. Können Sie folgender Argumentation zustimmen? Jemand, der wenige Beitragsjahre hat, bekommt seine Rente auf die Höhe der bedarfsorientierten Mindestsicherung aufgestockt, während ein Behinderter, der nie arbeiten konnte, sich mit der Sozialhilfe zufriedengeben muß. Die alleinstehende Mutter, die nicht erwerbstätig sein kann, muß sich ebenfalls mit der Sozialhilfe begnügen. Ich frage Sie: Wo ist da Gerechtigkeit? Nach unserem Verständnis soll es für gleich hohe Beiträge gleiche Leistungen geben.
Die Sozialhilfe ist ein ordentliches System. Man hat sogar einen Rechtsanspruch darauf. Ich bin dafür, daß Sozialhilfeträger und Rentenversicherer besser ihre Daten miteinander abgleichen, und ich bin auch dafür, daß die Rentner nicht von einer Institution zur anderen geschickt werden. Aber ich bleibe dabei: Die Kassen müssen getrennt bleiben.
Ein weiterer Punkt. Ich möchte meinen Vergleich mit Honecker noch etwas untermauern, damit auch jeder den qualitativen und prinzipiellen Unterschied bemerkt. Die Rente in unserem Land orientiert sich nicht an den Einnahmen. Die Rentenansprüche sind gesichert. Das hat sich ja auch darin gezeigt, daß dann, wenn nicht genügend Geld vorhanden ist, die Beiträge steigen müssen. Die steuerfinanzierte Rente muß sich daran orientieren, was die jeweilige Haushaltslage hergibt. Dann wird möglicherweise ein Streit darüber entstehen: Wieviel Geld geben wir für den Straßenbau und wieviel für Rentner aus? Das wäre eine Rente nach Kassenlage. Das ist eine Rente nach dem Modell DDR; dabei bleibe ich.
Es ist weiterhin behauptet worden, bei uns hätte es Rentenkürzungen gegeben. Ich möchte festhalten, daß vor 30 Jahren ein Rentenniveau von 64 Prozent zu verzeichnen war. Wir hatten schon einmal in der Zeit, als die SPD regierte, ein Rentenniveau von 61 Prozent. Fast in der gesamten ersten Hälfte der 70er Jahre betrug das Rentenniveau 64 Prozent oder weniger.
Das folgende möchte ich auch den Rentnern sagen: Es geht nicht um Rentenkürzung, sondern nur um einen sanfteren Anstieg.
- Ihr Lachen führt mich zu folgender Überlegung: Heute beträgt der Rentenanspruch für ein Jahr Beitragszahlung eines Durchschnittsverdieners 48 DM. Im Jahre 2030 sind es mit unserer Reform 103 DM; ohne Reform wären es 109 DM.
Das ist ein Unterschied von 6 DM; immerhin ist dieser Betrag doppelt so hoch wie der heutige.
Ich kann das auch an Hand eines Rentners mit 2000 DM Rente darstellen. Seine Rente wird im Jahr 2030 mit der Reform 4310 und ohne Reform 4544 DM betragen. In 30 Jahren wäre das also ein Unterschied von 200 DM. Von einer Kürzung kann also nicht gesprochen werden.
Ein weiterer Punkt. Nicht jeder, der eine kleine Rente bezieht, ist deshalb gleich arm. Männer, die eine eigene Rente in Höhe von unter 500 DM beziehen, leben nach unseren Untersuchungen von einem durchschnittlichen Nettogesamteinkommen von 3230 DM, Frauen mit einer Rente von unter 500 DM von einem Nettogesamteinkommen von 2510 DM im Westen und 1780 DM im Osten. Die kleine Rente kann das Ergebnis weniger Beitragsjahre und anschließender Verbeamtung sein. Dann kommt zur Rente eine Pension hinzu. Oder es gibt - im Osten weniger - eine Betriebsrente. In den neuen Ländern kann es zwei Renten geben: die Rente des Mannes und die Rente der Frau. Es kann, wenn der Mann gestorben ist, neben der Versichertenrente auch eine Witwenrente geben. Die Rente allein ist also kein Indiz für Armut. Deshalb müssen Sie alle diese Rentner einer Bedürftigkeitsprüfung unterziehen und prüfen, ob sie noch weitere Einkünfte haben.
Ich bleibe dabei: Unser Rentensystem ist ein Versicherungssystem. Keine Versicherung fragt nach Bedürftigkeit. Eine Versicherung fragt: Hast du einen Beitrag gezahlt? Sie wollen die Rentenversicherung in Richtung Sozialhilfe transportieren. Das haben die Rentner nicht verdient.
Das ist ein Rückschritt hinter Bismarck. Mit Biester 150 Jahre zurück - das ist das Motto der SPD.
Auch wenn es Wiederholung ist: Das System muß reformiert werden. Sie haben sich der Reform entzogen. Demographie - das war die Mitteilung der SPD - findet nach den Beschlüssen der SPD erst am 1. Januar 2016 statt. Sie laden die Lasten der demographischen Veränderung rein auf die Schultern der Jungen und treten hier als Wahrer der Rentenversicherung auf. Einen größeren Widerspruch als den, den die SPD heute
Bundesminister Dr. Norbert Blüm
vorgeführt hat, habe ich in der sozialpolitischen Debatte noch nicht erlebt.
Es spricht jetzt in der regulären Aktuellen Stunde der Abgeordnete Wolfgang Vogt, CDU/CSU-Fraktion. Anschließend gibt es noch eine Runde, damit die Opposition die Gelegenheit erhält, auf den Minister zu antworten.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Kollege Julius Louven hat vorhin die Kollegen Rudolf Dreßler und Ottmar Schreiner mit einem Vertrauensvorschuß ausgestattet. Nach den Reden, die ich von Rudolf Dreßler und Ottmar Schreiner gehört habe, haben sie diesen Vertrauensvorschuß wirklich nicht verdient.
Der Kollege Gerd Andres hat ausgiebig aus dem SPD-Wahlprogramm vorgelesen. Aber er hat den entscheidenden Satz natürlich nicht vorgelesen, daß nämlich alles das, was die SPD ankündigt, unter dem Finanzierungsvorbehalt steht. Deshalb ist alles das, was Sie vorgelesen haben, Herr Kollege Andres, Makulatur.
Die SPD wirft Nebelkerzen, das war klar. Wahr ist, daß sich Walter Riester im „Spiegel" vom 4. Mai für eine steuerfinanzierte Grundrente ausgesprochen hat. Heute rudert er zurück, er verbiegt sich, oder er ist verbogen worden. Walter Riester, wie er sich heute publizistisch darstellt, ist nicht der authentische Walter Riester. Walter Riester ist in dem Punkt „steuerfinanzierte Grundrente" ein Gesinnungstäter. Der authentische Walter Riester kommt in der „Zeit" vom 11. April 1997 vor, in der er sagt:
Norbert Blüm setzt sich bei der CDU durch, mit Sozialpolitikern quer durch die Parteien und auch aus den Gewerkschaften im Rücken. Vorrangig geht es darum, das System zu erhalten,
- offenbar beklagt Walter Riester das -
aber um den Preis, daß es Altersarmut noch weniger verhindern kann als heute schon.
Ganz davon abgesehen, liebe Kolleginnen und Kollegen, daß unser Rentensystem besser als jedes andere Altersarmut verhindert, ist Walter Riesters Position klar. Er will eine steuerfinanzierte Grundrente, er will Systemänderung. Und Gerhard Schröder? Er wußte von dieser Position Walter Riesters. Trotzdem oder gerade deshalb hat er ihn zu einem Schattenarbeitsminister berufen. Gerhard Schröder liebäugelt selbst mit der steuerfinanzierten Grundrente. Walter Riester ist der Minenhund. Er ist lädiert.
In die gleiche Richtung zielt die Forderung Riesters, das Kindergeld nur an diejenigen, die es brauchen, zu überweisen.
- Das steht so im „Spiegel". Das können Sie nachlesen, Herr Kollege, wenn Sie es lesen wollen, oder lassen Sie es sich vorlesen!
Das zeugt erstens von völliger Unkenntnis verfassungsrechtlicher Vorgaben, und zweitens geht es haarscharf an Heuchelei vorbei. Nach den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Familienbesteuerung müssen die Unterhaltsaufwendungen der Eltern in Höhe des Existenzminimums des Kindes von der Besteuerung freigestellt werden. Das bedeutet:
Erstens. Die steuerliche Schonung des Kinderexistenzminimums ist rechtlich der politischen Gestaltung durch den Gesetzgeber entzogen.
Zweitens. Die geltende Regelung bewirkt, daß das Kindergeld um so weniger zur steuerlichen Freistellung des Existenzminimums gebraucht wird, je niedriger das zu versteuernde Einkommen ist.
Drittens. Im Ergebnis verhält es sich gerade umgekehrt zu dem, was Riester behauptet. Soweit Kindergeld die Rückgabe zuviel erhobener Steuern beinhaltet, hat der Gesetzgeber nicht das Recht, es zu kürzen oder zu streichen. Soweit Kindergeld Sozialleistung ist, ist es politisch gestaltbar. Aber eine Verschlechterung will niemand.
Wenn sich angesichts dieser Sachlage Walter Riester im „Spiegel" - Selbstlosigkeit vorspielend - fragt: „Warum sollen Menschen wie ich vom Staat Kindergeld bekommen?", dann grenzt das an Heuchelei. Denn in jedem Fall wird Riester durch Kinderfreibeträge begünstigt.
Walter Riester wird zu Recht „Schattenarbeitsminister" genannt - alles Schatten.
Das Wort hat jetzt der Kollege Rudolf Dreßler.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir noch ein paar Bemerkungen.
Die erste Bemerkung. Ich möchte ein persönliches Wort an Norbert Blüm richten: Ich würde nie auf die Idee kommen, Kurt Biedenkopf mit Pinochet zu vergleichen, weil in Chile eine steuerfinanzierte Rentenpolitik betrieben wird.
Rudolf Dreßler
Wer sich bei einer solchen Debatte zu so etwas hinreißen läßt, sollte ein paar Minuten überlegen und das vielleicht noch heute klarstellen.
Bei aller Gegnerschaft in der Sache: Dem stellvertretenden IG-Metall-Vorsitzenden Riester diesen Vergleich anzuheften ist inakzeptabel.
Die zweite Bemerkung. Zwei Drittel aller Beschäftigten in unserem Lande arbeiten noch unter den Bedingungen eines normalen Arbeitsverhältnisses; ein Drittel nicht mehr. 5,4 Millionen Beschäftigte beziehen ein Entgelt von bis zu 620 DM - ohne jeden Versicherungsschutz. Wir zählen eine Million normale Arbeitnehmer, die scheinselbständig - aus den unterschiedlichsten Motiven heraus, die aber legal, vom Gesetz gedeckt sind - und damit dem Versicherungssystem entzogen sind.
Ich sage es heute nicht zum erstenmal: Wenn Politik - egal, wer hier regiert - dies nicht korrigiert, werden alle Sozialversicherungssysteme über kurz oder lang atomisiert und somit entfallen.
Diejenigen in diesem Hause, die sich bisher einer Korrektur dieser Entwicklung entzogen haben, müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, über diese Art und Weise ein Sozialversicherungssystem deutscher Prägung unterlaufen und damit überwinden zu wollen.
Die dritte Bemerkung, zu den Bedürftigkeitskriterien. Es ist wohl wahr, daß viele in diesem Hause nicht wissen und nicht wahrhaben wollen - ebenso wie Millionen anderer dies nicht wissen und nicht wahrhaben wollen -, daß jemand, der in Deutschland Anspruch auf Sozialhilfe hat, sich vorher vor den Behörden im wahrsten Sinne des Wortes ausziehen muß, aus guten Gründen.
- Im wahrsten Sinne des Wortes.
- Frau Dr. Babel, ich wünsche Ihnen nicht, diesen Weg, den Millionen von Menschen in Deutschland haben gehen müssen, auch einmal zu gehen. Wenn Sie nämlich diesen Weg gehen müßten, dann würden Sie sich ausgezogen vorkommen.
Ich habe aber gesagt: zu Recht. Denn die Leistung, die dahintersteht, ist von uns allen an Bedingungen geknüpft worden. Aber diese Bedingungen treffen, wie wir wissen, Millionen von Rentnerinnen und
Rentnern. Wenn wir diesen Männern und Frauen, die über 40 und 45 Jahre gearbeitet haben und trotzdem in dieser Lage sind, diesen Weg ersparen wollen und eine soziale Grundsicherung vorschlagen - seit über zwölf Jahren -, dann lassen wir das von Ihnen in keinster Weise diskreditieren.
Meine letzte Bemerkung. Wir haben gemeinsam am 9. November 1989 ein Rentenreformgesetz verabschiedet. In diesem Gesetz wurde die Rente nach Mindesteinkommen von 1972 auf 1992 vordatiert. Das heißt, Menschen, die über 35 Jahre ihres Lebens gearbeitet haben, wurden so gestellt, als ob sie mindestens 75 Prozent des Durchschnittsverdienstes erreicht hätten. Insoweit wissen Sie, Herr Blüm, ganz genau, daß die Formel „Beitrag gleich Rente" von uns und auch von Ihnen nie akzeptiert worden ist, sondern im Sinne eines sozialen, beitragsfinanzierten Rentensystems korrigiert worden ist.
Genau diesem Punkt, den Riester erweitern möchte, den wir einmal erweitern möchten, müssen Sie sich stellen, ob als Minister oder später, Herr Blüm, als einfacher Abgeordneter.
Um die Debatte dieses Inhalts kommen Sie nicht herum.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Andreas Storm.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Dreßler, es geht in der Tat um die Zukunft des sozialen, beitragsfinanzierten Rentensystems. Diese Debatte hat eines gezeigt: Der Schattenminister verbreitet mehr Schatten als Kabinett; er hätte vielleicht in der Tat zunächst einmal einen Grundkurs über unser deutsches soziales Sicherungssystem bei Ihnen nehmen sollen, bevor er diese Interviewäußerung macht.
Meine Damen und Herren, möglicherweise haben die Kollegen recht, die gesagt haben: Das ist ganz gezielt; das ist hier nur ein Probelauf. Ich meine, die deutsche Öffentlichkeit hat ein Anrecht darauf, zu wissen, wohin die Reise bei einer rotgrünen Rentenpolitik gehen soll.
Andreas Storm
Die Forderung nach einer steuerfinanzierten Mindestrente findet sich sowohl bei Rot als auch bei Grün.
Nun ist die Frage: Wie soll das in ein beitragsfinanziertes System integriert werden?
- Herr Kollege Andres, auch Ihnen möchte ich vorlesen, was die Grünen hierzu beschlossen haben:
Wir wollen die Altersabsicherung für alle durch erhöhte Zuschüsse aus Steuermitteln und durch Umschichtungen innerhalb des Systems finanzieren. Konkret bedeutet dies, daß hohe Renten im Verhältnis schrittweise sinken müssen, um die Erhöhung niedriger Renten finanzieren zu können.
Dies besagt schwarz auf weiß ein Abgehen vom Prinzip der beitragsorientierten Rentenversicherung: eine Umverteilung von Beziehern höherer Renten zu Beziehern niedrigerer Renten.
Dies ist ein anderes Rentensystem, als, glaube ich, Sie, Herr Dreßler, und ich verteidigen.
Meine Damen und Herren, es kommt etwas Weiteres hinzu: die Forderung nach einer Wertschöpfungsabgabe. Im Programm der Grünen findet man, daß der Arbeitgeberbeitrag in Zukunft durch eine Wertschöpfungsabgabe ersetzt werden soll. In der SPD gibt es viele, die ebenfalls mit dieser Lösung sympathisieren. Gemeinsam fordern Rot und Grün, den Steueranteil zu erhöhen.
Was bedeutet dies? Im Moment werden 24 Prozent der Ausgaben aus dem Steuertopf finanziert. Bei Umsetzung dieser Forderungen müßte in Zukunft mindestens ein Drittel der Ausgaben aus dem Steuertopf finanziert werden. Wenn dann auch noch der Arbeitgeberanteil durch eine Wertschöpfungsabgabe ersetzt wird, die nicht mehr individuell auf den Arbeitnehmer bezogen ist, wäre der Teil der Rentenfinanzen, der von den Versicherten aufzubringen ist, auf ein Drittel der gesamten Finanzmasse reduziert.
Dies würde den Weg in eine qualitativ andere Rentenversicherung bedeuten, in eine Rentenversicherung, die aus Steuermitteln sowie aus einem Ersatz für den Arbeitgeberbeitrag finanziert wäre, der mit den individuellen Beiträgen nichts mehr zu tun hat.
Deswegen müssen die Menschen in diesem Land wissen: Wer eine beitragsbezogene Rente erhalten will, der ist nur bei den Parteien der Koalition gut aufgehoben.
Lassen Sie mich einen letzten Punkt ansprechen, den Zusammenhang mit dem dänischen Modell. Walter Riester hat natürlich Ihre Forderung mit vertreten, die neue Rentenformel rückgängig zu machen
und bei dem Rentenniveau von 70 Prozent zu bleiben. Allerdings weiß er offenbar auch, daß damit das System auf die Dauer nicht zu halten ist. Deswegen bedeutet die Sympathie für das dänische Modell etwa folgendes: Der jungen Generation bleibt am Ende nichts anderes übrig als eine solche Grundrente. Für jedermann ist erkennbar: Ohne Reformen des bestehenden Systems, ohne eine Weiterentwicklung wäre die Rentenversicherung vor dem Hintergrund der demographischen Probleme in den nächsten zehn Jahren nicht mehr zu finanzieren.
Deswegen wird entscheidend sein, in den nächsten Monaten herauszuarbeiten: Wer eine beitragsfinanzierte Rentenversicherung haben will, für den gibt es nur noch die Parteien der Regierungskoalition, die ein klares Bekenntnis zu diesem System ablegen. Der Weg mit den Vorstellungen von Walter Riester in Kombination mit den Vorstellungen der Grünen bedeutet den Einstieg in den Ausstieg aus dem bestehenden System der beitragsbezogenen Rentenversicherung. Dieses darf nicht sein. Wir brauchen in der Rentenpolitik Verläßlichkeit statt unverantwortlicher Experimente.
Das Wort hat die Abgeordnete Andrea Fischer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn die versammelten sozialpolitischen Fachleute des Deutschen Bundestages eine Debatte auf diesem Niveau führen, dann kann es hier nicht mehr um eine Fachfrage gehen. Nicht nur die Entgleisung mit Honecker, wozu der Kollege Dreßler alles Richtige und Notwendige gesagt hat, auch alles andere, was hier eben über Herrn Riester gesagt wurde, der dieses Haus noch gar nicht betreten hat, der hier nur zwei Interviews gegeben hat, und die Aufgeregtheit, mit der Sie darauf reagieren, sagen viel mehr über Ihre eigene Nervosität aus als über Fehler von Herrn Riester.
Es ist nicht so, als ob die Beteiligten an dieser Debatte unter den Begriffsverwirrungen leiden würden, die wir sehr wohl bei Diskussionen mit Nichtfachleuten immer wieder erleben. Keiner von denen, die hier reden, ist so wenig mit der Sache betraut, daß er nicht wüßte, was der Unterschied zwischen einer Grundrente und einer ambitionierten Reform der Sozialhilfe ist, wie es die bedarfsorientierte Grundsicherung sein soll.
Jeder von uns weiß, daß alle Rentensysteme in den umliegenden europäischen Ländern ihre Vorzüge und ihre Nachteile haben und daß alle Systeme häufig Mischformen sind, wie das auch bei uns der Fall ist. Ein Beispiel: Betrachtet man bei uns auch die zweite und dritte Säule der Alterssicherung, könnte man sagen, daß ein Teil der Alterssicherung kapitalgedeckt ist.
Andrea Fischer
Jeder von uns hier im Saal weiß auch, daß die Frage, ob das System dann, wenn man bestimmten Vorschlägen folgt, kaputt ist, sehr wohl unterschiedlich zu beantworten ist. Für den einen handelt es sich um den Systemausstieg, für den anderen geht es nur um eine hoch angesiedelte Reform.
Ich will das an einem Punkt festmachen. Der Bundesarbeitsminister sagt immer: Wenn man Renten steuerfinanziert, dann ist das Haushaltspolitik nach Kassenlage. Mit Verlaub: Was anderes ist der Generationenvertrag im Umlagesystem? Wenn wir hier darüber reden, daß Sie vorgeschlagen haben, die Renten nicht nur über das Rentenniveau zu begrenzen - -
- Jetzt rede ich, Herr Minister Blüm! Ich verstehe von Sozialpolitik genausoviel wie Sie!
Zum Beispiel die Umstellung von der bruttolohnbezogenen Rente auf die nettolohnbezogene Rente: Was war denn das anderes als eine Anpassung des Generationenvertrages an eine veränderte Lage, weil man gesagt hat, mit der bruttolohnbezogenen Rentenanpassung werden die Renten zu hoch? - Muß ich noch weitere Nachweise meiner Kompetenz liefern, Herr Minister?
- Bitte! Wir haben hier keinen Unterricht, Herr Minister. Sonst frage ich Sie, ob Sie auch wirklich wissen, was Sie die letzten Jahre herumgespart haben!
Sie machen sehr wohl eine Sozialpolitik nach Kassenlage. Würden Sie das nicht machen, dann würden Sie übrigens etwas falsch machen, und zwar auch in der Rentenpolitik, weil der Generationenvertrag niemals auf Heller und Pfennig festgeschrieben worden ist, sondern immer wieder neu in einen Ausgleich gebracht werden muß. Darum ringen wir hier. Deshalb ist das Argument des Ministers auch absolut demagogisch.
Man kann das an vielen anderen Punkten auch aufzeigen. Der Kollege Storm hat gerade die von uns vorgeschlagene Umverteilung innerhalb des Systems als Ausstieg aus der Beitragsorientierung bezeichnet. Es handelt sich dabei aber nur um eine andere Definition des Äquivalenzprinzips.
Eines finde ich so bodenlos an der Art und Weise, wie Sie diskutieren. Sie haben uns allen in der Opposition, aber insbesondere auch den SPD-Sozialpolitikern immer wieder vorgeworfen, sie bewegten sich
nicht, sie seien vermuffte Dinosaurier und sonst etwas, weil Sie deren Rentenpolitik nicht richtig f anden. Jetzt spricht einmal jemand ein paar unkonventionelle Gedanken aus, und Sie entpuppen sich als die wahren Dinosaurier, als diejenigen, die dieses System behandeln, als sei ein Gral zu hüten.
Dieses System wird nur bestehen bleiben, wenn wir es ständig ändern. Wenn wir dieses System nicht den Veränderungen anpassen - -
- Sie entpuppen sich hier als die wahren Systemkonservativen. Wir können Ihnen alle Ihre Redebeiträge noch einmal vorhalten. Der schwerste Vorwurf gegen Herrn Riester lautete, er sei ein Systemveränderer. Das klingt aus Ihrem Munde so, als sei er ein Kinderschänder. Ich bitte Sie! Sie müßten sich einmal hören! Sie müßten einmal den Ton hören, den Sie da an den Tag legen!
- Nein. Sie waren gemeint.
Versuchen Sie nicht davon abzulenken, daß Sie diejenigen sind, die sich während der gesamten Debatte über Herrn Riester und seine Äußerungen im Ton vergriffen haben. Sie wissen ganz genau, daß das meine Kritik hieran war.
Sie haben mit uns dauernd darüber verhandelt, auch über das Sparen zu reden. Natürlich kennt Herr Riester genausogut wie jeder andere hier im Saal die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Kindergeld. Aber mit Verlaub: Das Bundesverfassungsgericht ist auch kein Gralshüter. Wenn sich die Haushaltslage bei uns verändert hat und wir andere familienpolitische Prioritäten setzen, dann bin ich bereit, höchstpersönlich vor dem Verfassungsgericht zu erscheinen
und dafür zu streiten, daß man dies auch anders bewerten und zum Beispiel an eine Umverteilung zwischen den Paaren mit Kindern und den Paaren ohne Kinder denken könnte. Denn es macht Sinn, Gelder entsprechend umzuleiten.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Gisela Babel.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte auf zwei Kampfbegriffe eingehen, die hier gefallen sind.
Das eine ist der Begriff „Bedürftigkeit". Herr Dreßler, Sie konnten hier nicht erklären, warum die Armut, wenn sie im Alter auftritt, anders behandelt werden muß, als wenn sonst Armut auftritt.
Wir haben ein Netz, mit dem Armut und Bedürftigkeit ausgeglichen werden.
Ich bin hier nicht diejenige, die Sozialhilfe immer herunterredet und das alles als beschämend empfindet. Sie ist eine solidarische Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht. Diese Leistung ist nicht gering. In anderen Ländern würden sich manche freuen, sie hätten unseren Sozialhilfestandard.
Wir wissen - das ist ja auch ein Erfolg -, daß Altersarmut effektiv bekämpft worden ist. Wir haben einen viel geringeren Anteil älterer Menschen an den Sozialhilfeempfängern als an der Gesamtbevölkerung. Nur etwa 1,7 Prozent der älteren Menschen, die Rente beziehen, brauchen ergänzende Sozialhilfe, während es sonst im Durchschnitt der Bevölkerung über 2 Prozent sind. Das heißt, wenn es Armut gibt, die mich bedrückt, dann ist es eher die Armut der Familien.
Hier müssen wir im Grunde ansetzen.
Zum zweiten möchte ich auf Frau Fischer antworten. Frau Fischer, Sie sagen, wir würden das Thema der Teilzeit und der unterbrochenen Erwerbsbiographien überhaupt nicht sehen. Ich bestreite das; ich habe immer gesagt, daß ich es sehe. Aber umgekehrt haben Sie nie gesehen, daß die Aufwertung einer Teilzeit- zu einer Vollrente, wenn es auch auf niedrigem Niveau ist, das System der beitragsbezogenen Rentenversicherung verändert und daß wir uns dann sehr wohl die Frage stellen müssen, wie weit wir an dem einen System festhalten und das andere locker danebenstellen können. Das geht nicht ohne Widerspruch. Ich möchte nur, daß Sie wenigstens diesen Widerspruch einmal einsehen; denn ich habe manchmal festgestellt, daß sich die eine Seite des Hauses den Problemen, die in der jetzigen Situation immer wieder auftauchen, nicht stellt und der anderen Seite vorgeworfen wird, sie hätte alles so schlecht gemacht.
Lassen Sie mich nur noch ein grundsätzliches Wort zu dieser Debatte sagen. Wenn ich die SPD und auch Herrn Riester höre, wenn sie vom Zurückdrehen der Reformen, von neuen Errungenschaften und der Behebung neuer Notstände reden, dann frage ich mich wirklich, ob die SPD eigentlich mitbekommen hat, daß wir in der Rentenversicherung für die nächsten Jahrzehnte massive Finanzierungsprobleme haben und daß wir gezwungen sind - wer heute verantwortlich tätig ist, muß die Weichen stellen -, eine Rentenreform zu machen.
Sie haben dafür noch nicht einmal Ansätze. In dem Zusammenhang muß ich sagen, daß mir der Herr Riester gar nicht so wichtig ist. Er ist inkompetent, er ist noch ein Dilettant. Gut, das ist jeder von uns auch einmal gewesen; das ist nicht der Punkt.
Der Punkt ist vielmehr, daß keine Ihrer Stellungnahmen erkennen ließ, daß Sie Probleme in der Rentenversicherung für die nächsten Generationen überhaupt sehen. Daher stehlen Sie sich vor jeglicher Verantwortung davon. Angesichts dessen kann man wirklich nur sagen: Diese SPD gehört nicht auf die Regierungsbank!
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Petra Bläss.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte hier hat einmal mehr gezeigt, daß eine sachliche Diskussion über die notwendige Grundsicherung im Alter in Wahlkampfzeiten im Parlament absolut nicht möglich ist. Vernünftige Vorschläge bleiben draußen vor. Sie von der Koalition haben versucht, mit Extrembeispielen das Stammtischniveau zu bedienen. Sie haben Popanze aufgebaut und wieder einmal die alte berühmt-berüchtigte Mißbrauchsdebatte aus der Mottenkiste hervorgeholt.
Dabei bleibt auf der Strecke, über die notwendige Existenzsicherung im Alter Überlegungen anzustellen. Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, die Notwendigkeit einer sozialen Grundsicherung haben Sie doch mit Ihrer unsozialen Deregulierungs- und Kürzungspolitik heraufbeschworen.
Sie haben es zu verantworten, daß die abhängig Beschäftigten in diesem Land mit Lohneinbußen konfrontiert sind und daß Leistungen derjenigen, die auf Lohnersatzleistungen angewiesen sind, permanent gekürzt werden. Die Aushöhlung des sozialen Sicherungssystems geht auf Ihr Konto. Ich erinnere nur an das Sparpaket und die Rentenreform des vergangenen Jahres.Es ist doch interessant, daß in einer solchen Debatte kaum über die Ursachen der Notwendigkeit einer sozialen Grundsicherung geredet wird, nämlich
Metadaten/Kopzeile:
21582 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 235. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Mai 1998
Petra Blässdie von dieser Regierungskoalition zu verantwortende anhaltende Massenarbeitslosigkeit.
Es geht ebenso auf Ihr Konto, daß die Menschen gegenwärtig massenhaft aus sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen herausgedrängt werden. Insofern ist die Armut im Alter, mit der wir derzeit konfrontiert sind, das Ergebnis genau Ihrer Sozialpolitik.
Ich wiederhole das, was ich in der Debatte vorhin schon einmal gesagt habe: Der Ansatz der sozialen Grundsicherung, so wie er von den Oppositionsparteien verfolgt wird, hat überhaupt nichts damit zu tun, daß wir ein Vollkaskosystem aufbauen wollen. Wir wollen auch nicht das beitrags- und leistungsbezogene soziale Umlageverfahren aushöhlen; vielmehr geht es um die - verdammt noch mal - notwendige Ergänzung des sozialen Sicherungssystems.
Was die Existenzsicherung angeht, ist in diesem Bereich tatsächlich ein differenziertes Vorgehen notwendig. Es geht eben nicht um pauschale Alimentierung. Die PDS hat sich immer wieder dafür stark gemacht, daß zum Beispiel Menschen mit Behinderungen, die überhaupt nicht die Chance haben, auf dem Arbeitsmarkt zu bestehen, mit einem existenzsichernden Nachteilsausgleich bedacht werden. Chronisch Kranken sollte erst einmal die Möglichkeit gegeben werden, zwischen Eingliederung in den Beruf, Rente und Rehabilitation auszuwählen. In diesem Punkt ist die von der F.D.P. sonst immer so hochgehaltene Flexibilität tatsächlich angebracht.Ich denke, die Debatte hat einmal mehr deutlich gemacht, daß alle Schritte, die die Koalition in dieser Legislaturperiode getan hat, die gesetzliche Rentenversicherung mehr oder weniger totreformiert und totgeredet haben. Das führt im übrigen dazu, daß meine, also die junge Generation, in zunehmendem Maße keine Zukunft in diesem System der sozialen Sicherung sieht.Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, es ist nun einmal so, daß Sie am Ende sind. Es ist für Sie an der Zeit abzutreten. Die soziale Grundsicherung enthält ein emanzipatorisches Element. Sie hat etwas mit einem Menschenbild zu tun, das den Menschen eine Existenz in Würde garantieren möchte. Von diesem Ziel haben Sie sich jedoch schon längst verabschiedet.
Damit ist die Aktuelle Stunde beendet.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6a bis 6d auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Edelgard Bulmahn, Klaus Barthel, Hans Berger,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Forschungs-Personalkostenzuschuß-Programm für kleine und mittlere Unternehmen
- Drucksache 13/10360 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung,
Technologie und Technikfolgenabschätzung Ausschuß für Wirtschaft
Haushaltsausschuß
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Edelgard Bulmahn, Ursula Burchardt, Klaus Barthel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Simone Probst, Dr. Manuel Kiper, Elisabeth Altmann , weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Programm zur Förderung nichtstaatlicher Forschungsinstitute in der interdisziplinären Umweltforschung
- Drucksache 13/10265 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung,
Technologie und Technikfolgenabschätzung Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Bodo Seidenthal, Edelgard Bulmahn, Klaus Barthel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Strategische Neuorientierung der europäischen Forschungs- und Technologiepolitik
- Drucksache 13/10562 -
d) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
- zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für einen Beschluß des Europäischen Parlaments und des Rates über das Fünfte Rahmenprogramm der Europäischen Gemeinschaft im Bereich der Forschung, technologischen Entwicklung und Demonstration
Vorschlag für einen Beschluß des Rates über das Fünfte Rahmenprogramm der Europäischen Atomgemeinschaft für Maßnahmen im Bereich der Forschung und Ausbildung (1998-2002)
- zu dem Antrag der Abgeordneten Simone Probst, Dr. Angelika Köster-Loßack, Michaele Hustedt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Neue Perspektiven für die europäische Forschungspolitik
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
- zu dem Antrag der Abgeordneten Christian Lenzer, Hans-Otto Schmiedeberg und der Fraktion der CDU/CSU sowie des Abgeordneten Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann und der Fraktion der F.D.P.
5. Rahmenprogramm Forschung der EU mit strategischer Schwerpunktsetzung zur Überwindung von Innovationsdefiziten in Europa
- Drucksachen 13/8106 Nr. 2.1, 13/6411, 13/ 8855, 13/9319 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Hans-Otto Schmiedeberg Bodo Seidenthal
Simone Probst
Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann
Wolfgang Bierstedt
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst die Abgeordnete Edelgard Bulmahn.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Am Übergang zum 21. Jahrhundert stehen wir als hochtechnologisiertes Industrieland vor zwei großen Fragen:
Erstens. Wie können wir im internationalen Wettbewerb neue Arbeitsplätze schaffen, die bestehenden Arbeitsplätze, damit unseren Wohlstand und unseren sozialen Frieden erhalten und sichern?
Zweitens. Wie können wir unsere Umwelt für uns und für die nachfolgenden Generationen lebenswert erhalten?
Es muß Inhalt einer zukunftsorientierten Innovationspolitik sein, diese nur allzuoft und fälschlicherweise als widersprüchlich und unvereinbar angesehenen Aufgaben zusammenzuführen. Dies sollte aber nicht nur unter dem Aspekt der technologischen Machbarkeit, sondern auch nach den Kriterien der ökologischen und sozialen Verträglichkeit geschehen. Das vor uns liegende Jahrhundert wird ein Jahrhundert des globalen technologischen Wettbewerbs sein; es muß aber auch ein Jahrhundert des sozialen Friedens und der Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen sein.
16 Jahre christlich-liberaler Forschungs- und Technologiepolitik haben unsere technologische Wettbewerbsfähigkeit deutlich verschlechtert. Die Liste der Versäumnisse ist ellenlang; es lohnt sich nicht, auch nur einige hier zum wiederholten Mal aufzuführen. Das unmittelbar bevorstehende Ende dieser Koalition gibt vielmehr Anlaß, nach vorn zu blicken und den Aufbruch in die Zukunft mit Entschlossenheit anzupacken.
Es ist höchste Zeit, daß sich das Selbstverständnis der Forschungs- und Technologiepolitik ändert. Dabei geht es nicht nur um die Verteilung von Fördermitteln; es geht um den Anstoß und um die Organisation von Innovationsprozessen. Es geht darum, die Nachfrage nach innovativen Lösungen im Umwelt-, Verkehrs- und Dienstleistungsbereich zu stimulieren. Zukunftsorientierte Innovationspolitik will nicht nur anschieben, liebe Kolleginnen und Kollegen, sondern sie muß Innovationen freisetzen. Sie zeichnet sich durch eine intelligente Mischung von angebots- und nachfrageorientierten Maßnahmen aus; denn Innovationen sind vor allem dann erfolgreich, wenn sie eng an Nachfrage und Bedarf gekoppelt werden.
Alternative Energien werden nur dann bedarfsgerecht vorangetrieben, wenn nachfragestimulierende Rahmenbedingungen geschaffen werden. Die erforderlichen Technologien für das Verkehrswesen einer mobilen und umweltbewußten Gesellschaft können erst dann gezielt entwickelt werden, wenn das konzeptionelle Gerüst eines integrierten Verkehrssystems für das 21. Jahrhundert entworfen, gesellschaftlich akzeptiert und politisch in Angriff genommen wird.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht darum, ehrgeizige politische Ziele - Visionen - zu formulieren. Zukunftsorientierte Innovationspolitik sorgt für eine Bündelung der Forschungsförderung in zukunftsweisende Leitprojekte, deren Bezug zum gesellschaftlichen Fortschritt klar ersichtlich ist und die öffentlich vermittelbar und nachvollziehbar sind.
Zukunftsorientierte Innovationspolitik verknüpft insofern die innovationsrelevanten Politikfelder. Sie bettet die Forschungs- und Bildungspolitik in ein umfassendes wirtschaftspolitisches Gesamtkonzept ein, das die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit und die ökologische Erneuerung der Volkswirtschaft miteinander verbindet.
Zukunftsorientierte Innovationspolitik fördert die Innovationsaktivitäten in Forschungseinrichtungen und Unternehmen durch eine Verbesserung der innovationsrelevanten Rahmenbedingungen. Dabei geht es um mehr als bloße Deregulierung, denn Regulierungen und Normsetzungen können technologische Entwicklungen und Innovationen auch stimulieren.
Insofern brauchen wir eine Re-Regulierung, die Bürokratismus abwirft und abbaut, den Unternehmen langfristig verläßliche Rahmenbedingungen bietet und nicht von heute auf morgen immer wieder verändert wird sowie den Stand der technologischen Entwicklung beispielsweise durch im Zeitablauf steigende Anforderungen im Umweltbereich voranbringt.
Zukunftsorientierte Innovationspolitik sorgt angesichts der knappen öffentlichen und privaten Mittel für eine Steigerung der Effizienz unseres FuE- und Innovationssystems. Sie überwindet die unzureichende Abstimmung, die leider heute immer noch
Edelgard Bulmahn
vorhanden ist, zwischen Forschung, Wirtschaft und Politik, die zu starke Technologiefixierung, die deutlichen Schwächen in der Wechselwirkung der Innovationsfaktoren sowie die unzureichende strategische Planung in Unternehmen und Politik.
Zukunftsorientierte Innovationspolitik muß insofern den gesamten Innovationsprozeß - angefangen von der Grundlagenforschung über Erfindungen bis zur Vermarktung von Produkten oder Dienstleistungen - in den Blick nehmen.
Zukunftsorientierte Innovationspolitik setzt auf Kommunikation. Sie fördert und stärkt die interdisziplinäre Zusammenarbeit in den Forschungseinrichtungen und legt mehr Gewicht auf die Vernetzung von Grundlagenforschung und industrieller Anwendung sowie von Grundlagenforschung und Beiträgen zur Befriedigung gesellschaftlicher Bedarfe wie des Umweltschutzes.
Hierzu können die erwähnten Leitprojekte ebenso genutzt werden wie die verstärkte Förderung der Verbund- und Auftragsforschung sowie die Schaffung von Spielräumen, die es den FuE-Einrichtungen ermöglichen, mit anderen Institutionen und mit Unternehmen Kooperationen und Verbünde auf Zeit einzugehen.
Vor allem den Hochschulen und den Großforschungseinrichtungen, aber auch den Max-PlanckInstituten und den Blaue-Liste-Instituten wachsen damit neue Aufgaben zu. Dabei geht es darum, Problem- und projektorientierte interdisziplinäre Forschungszusammenhänge sowohl innerhalb der Institutionen als auch über die Institutionen hinaus zu schaffen und zu verstärken. Interdisziplinäres wissenschaftliches Arbeiten, die Zusammenarbeit über Einrichtungen hinaus, ist in unserer Gesellschaft noch zu wenig verbreitet. Deshalb muß gerade hier in Zukunft stärker auf die Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses geschaut und die Aufmerksamkeit darauf gelenkt werden.
Zukunftsorientierte Innovationspolitik setzt auf die Entwicklung sozialökologischer Forschungsverbände und Netzwerke - so eine Forderung des Wissenschaftsrates. Dabei geht es um ökologische Kreislaufwirtschaft, umweltschonende Verkehrs- und Transportsysteme, umweltverträgliche Energieversorgung, ökologische Wirkungs- und Risikoforschung. Es geht um Klimaforschung, Abfallvermeidung, Gesundheitsforschung und gesundheits- und persönlichkeitsfördernde Arbeits- und Techniksysteme.
Zukunftsorientierte Innovationspolitik bringt die Entwicklung einer präventiven und vorsorgenden sozialökologischen Zukunftsforschung voran. Ein wichtiges Element bilden in diesem Zusammenhang die nichtstaatlichen Forschungsinstitute der interdisziplinären Umweltforschung. Sie waren und sind in vielen Bereichen Vorreiter bei der fächerübergreifenden, problemorientierten Projektforschung, und sie haben zugleich eine wichtige Impulsgeberfunktion für die etablierten öffentlich geförderten Forschungseinrichtungen.
Der Erhalt und die Stärkung der Leistungsfähigkeit dieser Einrichtungen sind deshalb von gesamtgesellschaftlichem Interesse. Deshalb hat meine Fraktion gemeinsam mit der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ein Programm vorgelegt, das eine zeitlich befristete Förderung dieser nichtstaatlichen Forschungsinstitute in der interdisziplinären Umweltforschung vorsieht.
Zukunftsorientierte Innovationspolitik stärkt die Eigenverantwortung und die Handlungsspielräume in den öffentlich geförderten FuE-Einrichtungen. Sie erleichtert die Bedingungen für Existenzgründer und den Zugang zu Wagniskapital.
Zukunftsorientierte Innovationspolitik schafft aber vor allem auch Anreize, um die Mobilität des Personals zwischen den Forschungseinrichtungen und Unternehmen sowie zwischen Unternehmen und Forschungseinrichtungen zu stimulieren, denn Technologietransfer läuft auch und gerade über Köpfe, über die handelnden Personen selbst.
Junge Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen sind mit ihren Diplom- und Promotionsarbeiten vielfach Träger des wissenschaftlichen Fortschritts, und sie stellen ein ideales Bindeglied zwischen den Hochschulen, den institutionellen Forschungseinrichtungen, den Betrieben und den Unternehmen dar.
Gerade der deutsche Mittelstand - vom Maschinen- und Anlagenbau über Umwelttechnologie, von den verarbeitenden Betrieben über die Medizin- und Biotechnologie bis hin zu den Dienstleistungsbereichen der Informationsgesellschaft - ist auf diesen Know-how-Fluß essentiell angewiesen, um im globalisierten Wettbewerb überhaupt mithalten zu können.
Deshalb haben wir heute ein Programm vorgelegt, mit dem wir die Beschäftigung von Forschungs- und Entwicklungspersonal in kleinen und mittleren Unternehmen unterstützen und fördern wollen. Damit flankieren wir die von uns bereits früher beantragte technologieorientierte Existenzgründungs- und Mittelstandsoffensive. Nach unserem Programm sollen Unternehmen mit bis zu 200 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen und einem Jahresumsatz von bis zu 60 Millionen DM antragsberechtigt sein. Die Förderung soll als Zulage ausgestaltet werden, da Abschreibungs- und Steuerabzugsmodelle gerade bei jungen Technologieunternehmen und insbesondere auch bei Unternehmen in den neuen Bundesländern angesichts der vielfach sehr ungünstigen Ertragssituation in absehbarer Zeit nicht greifen werden und daher diese Zielsetzung nicht erfüllen können.
Als zulagenfähiges FuE-Personal sollen Universitäts- und Hochschulabsolventen sowie Ingenieure und Techniker mit entsprechenden Ausbildungsabschlüssen anerkannt werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit diesem Programm fördern wir die Beschäftigungsmöglichkeiten von jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Das ist dringend notwendig. Wir fördern gleichzeitig die Innovationsfähigkeit von kleinen und mitt-
Edelgard Bulmahn
leren Unternehmen. Das müssen wir tun, wenn wir hier neue Arbeitsplätze schaffen wollen.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Hans-Otto Schmiedeberg.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die europäische Forschungspolitik steht vor einem grundsätzlichen Wandel. Die Erweiterung der EU Richtung Osten, aber auch die Revolution in der Biotechnologie und die Entwicklung in der Informationstechnologie und damit verbunden die weltweite Globalisierung haben den internationalen Wettbewerb wesentlich verändert.
Die Industriestaaten Europas werden gezwungen, einen dramatischen Strukturwandel vorzunehmen. Das vorliegende Fünfte Rahmenprogramm reagiert darauf und zeigt eine Trendwende gegenüber früheren Rahmenprogrammen. Der von der Kommission vorgeschlagene Ansatz ist nicht mehr technologieorientiert, sondern viel stärker problemorientiert. Von der EU geförderte Programme müssen wissenschaftlich exzellent, aber wirtschaftlich und sozial relevant sein. Sie müssen sich auf zuverlässige Analysen stützen und dürfen nicht wie bisher einzelstaatliche Interessen pflegen.
Nachdem in der Vergangenheit die Vielzahl und die Unübersichtlichkeit vieler Programme kritisiert wurde, beauftragte die Kommission ein unabhängiges Gremium von Forschungssachverständigen. Die in der Vergangenheit auf europäischer Ebene durchgeführten Programme und die damit gewonnenen Erfahrungen sollten bewertet werden. Den Vorsitz führte das ehemalige Kommissionsmitglied Davignon.
Das Urteil der europäischen Forschungspolitik der letzten fünf Jahre ist ernüchternd. Im Vorwort des Berichts wird es wie folgt zusammengefaßt: Nach Ansicht des Bewertungsgremiums erfüllt das Rahmenprogramm nicht die in es gesetzten Erwartungen. Seine Schwerpunkte sind nicht klar genug; sein Nutzen entspricht nicht dem Aufwand.
Dies ist nicht der mangelnden Fähigkeit von Einzelpersonen zuzuschreiben, sondern auf eine Struktur zurückzuführen, die die Formulierung einer echten Strategie behindert und eine wirksame Durchführung erschwert.
Mit der derzeitigen Konzeption und Verwaltung ist das Programm nicht flexibel genug, um auf neue Herausforderungen und Chancen zu reagieren. Es bezieht sich auch nicht klar auf die Zielsetzung der Europäischen Union. Schon lange haben wir es eher mit einem Nebeneinander nationaler und sektoraler Wünsche und Ambitionen zu tun. Künftig brauchen wir mehr als das.
Ich denke, dieses Urteil ist vernichtend. Aber der Bericht kam gerade noch rechtzeitig genug, um für
das Fünfte Rahmenprogramm, das für die Zeit von 1998 bis 2002 vorbereitet wurde, mitbestimmend zu sein. Viele Forderungen und Kritiken, die in diesem Zusammenhang in den Plenardebatten oder auch im Forschungsausschuß geäußert wurden, finden wir auch in den Empfehlungen wieder. Die Empfehlungen lassen sich in folgenden Aussagen zusammenfassen:
Das Fünfte Rahmenprogramm muß klar auf den zwei Pfeilern der hohen wissenschaftlichen Qualität und der sozialen wirtschaftlichen Relevanz aufbauen. Zum Kriterium der Relevanz muß ein Weiteres, und zwar der europäische Mehrwert, hinzutreten. Durch dieses Kriterium kann man zwischen Arbeiten, die unbedingt auf europäischer Ebene durchgeführt werden sollen, und den Tätigkeiten unterscheiden, die allein von den Mitgliedstaaten vorgenommen und finanziert werden müssen.
Der europäische Mehrwert steht auch eng im Zusammenhang mit den Verpflichtungen des Vertrages, die die Mitgliedstaaten in bestimmten Forschungsbereichen eingegangen sind. Die Union ist verpflichtet, die Forschung in bestimmten Bereichen, wie Umwelt, Verkehr, Landwirtschaft und Kommunikationsinfrastruktur, zu unterstützen.
Bei der Auswahl des Programmvorhabens ist die zukünftige Abschaffung der Einstimmigkeitsregel zu begrüßen. Die derzeitige Rechtsgrundlage sieht eine einstimmige Annahme des Rahmenprogramms der Europäischen Union durch den Rat vor. Die Einstimmigkeit bei den Beschlüssen und Entscheidungen über das Rahmenprogramm führte in der Vergangenheit immer wieder zu Konzepten, die mehr durch die Einzelinteressen der Mitgliedstaaten geprägt waren bzw. wurden.
Es ist deshalb zu begrüßen, daß die Beschlußfassung zukünftig mit qualifizierter Mehrheit erfolgen wird und somit eine strategische Ausrichtung des Rahmenprogramms der Europäischen Union ermöglicht wird.
Das Programm wird zukünftig flexibler und mit weniger Verwaltungsaufwand betrieben werden. Es schafft die Möglichkeit, daß die Programme und Maßnahmen an die neuen gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Entwicklungen angepaßt werden.
Ungeachtet aller Kritik dürfen in dieser Debatte die Erfolge der vergangenen Jahre jedoch nicht unerwähnt bleiben. In der Vergangenheit sind mit Hilfe der Forschungsprogramme in vielen Bereichen Schlüsseltechnologien für Europas Zukunft entwikkelt worden. In der Telekommunikation, in der Kernfusion, aber auch in der Klimaforschung leistet die Europäische Union wichtige Beiträge zur Spitzenforschung.
Europäische Projekte wie der Airbus und auch die Entwicklung der Ariane-Rakete gehören dazu. Europäische Flugzeuge setzen Standards in bezug auf Qualität, Sicherheit, Brennstoffverbrauch und Lärmbelästigung. Es sind Tausende neuer Arbeitsplätze im Hochtechnologiebereich entstanden. Die aktuelle Diskussion über den Standort des Baus des neuen
Hans-Otto Schmiedeberg
A 300 zeigt uns, daß sich das Engagement auf europäischer Ebene gelohnt hat.
Die Ariane-Rakete startet mittlerweile alle vier Wochen vom Weltraumbahnhof Kourou. Europa hat die USA bei den kommerziellen Satellitenstarts bereits übertroffen und hält einen Marktanteil von 60 Prozent.
Anläßlich der Beratungen über das Fünfte Rahmenprogramm gab es eine intensive Diskussion über die Ausrichtung der europäischen Forschungspolitik. Mehr als 100 Stellungnahmen gingen bei den Brüsseler Beamten ein. Es wurde ein breitangelegter Dialog unter Beteiligung der Länder, der Wirtschaft und der Wissenschaft geführt.
Auch der Deutsche Bundestag hat sich sehr intensiv mit dem Fünften Rahmenprogramm auseinandergesetzt. Ich erinnere an die Ausschußsitzungen, in denen wir sowohl über die Programmstruktur als auch die Programminhalte des künftigen Rahmenprogramms diskutiert haben. Jetzt stehen wir kurz vor dem Abschluß eines langwierigen Diskussions-
und Abstimmungsprozesses. Es ist zu begrüßen, daß die breitangelegte Struktur des Vierten Rahmenprogramms ab jetzt, also dem Fünften Rahmenprogramm, durch vier Programme abgelöst wird. Insofern entspricht der beschlossene Vorschlag im Ergebnis den deutschen Vorstellungen von fünf Programmen, da das Vierte Programm „Energie und Umwelt" in zwei Teile mit getrennten Budgets und zwei Programmausschüssen unterteilt wird.
Die vom Rat vorgeschlagene Mittelausstattung für das Fünfte Rahmenprogramm liegt zur Zeit bei 14 Milliarden. Das entspricht immerhin einem Zuwachs von 6 Prozent. Die zweite Lesung im Europäischen Parlament findet Ende Juli statt. Wir wissen alle, daß es, nachdem das Parlament 16 Milliarden angefordert hat, zu einem Vermittlungsverfahren kommen wird. Ich gehe davon aus, daß im Ergebnis ein weiterer Zuwachs verzeichnet wird, so daß wir sowohl mit der strukturellen als auch mit der finanziellen Ausstattung des Programms aus forschungspolitischer Sicht zufrieden sein sollten.
Zum Abschluß möchte ich noch ein wenig auf den Antrag der SPD-Fraktion für ein Forschungs-Personalkostenzuschuß-Programm für kleine und mittlere Unternehmen, kurz FOPEP genannt, eingehen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD-Fraktion, wenn Sie in Ihrem Antrag eingangs feststellen, daß die FuE-Personalzuwachsförderung Ost im Dezember 1995 ausgelaufen ist, dann ist das schlichtweg falsch. Ich erinnere an unsere Debatte vor annähernd vier Wochen. Wir sprachen über die Förderung der Industrieforschung in den neuen Ländern, und wir stellten gemeinsam fest, daß wir hier zwar noch vieles tun müssen, aber auf gutem Wege sind.
Programme wie TOU und FUTOUR, Forschungskooperation in der mittelständischen Wirtschaft sowie die Personalförderung Ost haben sich in der Vergangenheit bestens bewährt und werden auch von
den kleinen und mittleren Unternehmen gerne in Anspruch genommen. Gerade das Programm Personalförderung Ost, das, wenn ich Ihren Antrag richtig lese, überhaupt nicht mehr existieren soll, wurde im vergangenen Jahr, 1997, bis zum Jahre 2001 verlängert, und zwar mit einem Förderkorridor von 130 Millionen DM jährlich, ganz speziell für die neuen Länder. Wenn Sie sich den Abfluß der Mittel in den Jahren 1996 und 1997 anschauen, können Sie auch hier feststellen, daß die Förderung an der richtigen Stelle eingesetzt wurde.
Auf einen anderen Komplex von Rahmenbedingungen zielt der Antrag in Richtung einer steuerlichen Förderung der FuE-Aufwendungen. Auch in unseren Reihen gab es den Gedanken, diese Förderung dahin gehend auszurichten. Aber uns allen ist bekannt, daß das Kabinett zur Ausarbeitung eines mittelfristigen Förderkonzepts für die wirtschaftliche Entwicklung in den neuen Ländern eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe eingesetzt hat, die Vorschläge vorlegen soll, wie das bisherige Förderkonzept durch eine Innovationszulage ersetzt werden kann. Am 22. Januar 1998 gab es dazu eine Anhörung der betroffenen Wirtschaftskreise und der Wirtschaftsforschungsinstitute.
Die Sachverständigen haben sich allerdings überwiegend gegen die Ablösung des bisherigen PFOProgramms durch eine Innovationszulage ausgesprochen. Einer der Haupteinwände gegen die Innovationszulage ist die aufwendige Verwaltung durch die Finanzämter. Internationale Erfahrungen mit der steuerlichen Innovationsförderung, zum Beispiel in den USA, sind in diesem Zusammenhang nicht übertragbar, weil dort ein anderes Steuersystem besteht. Hinzu käme der negative Aspekt, daß die Innovationszuschüsse erst zum Ende des Jahres gezahlt werden können, das heißt, erst lange nachdem die Innovation stattfand, was aller Wahrscheinlichkeit zur Folge hätte, daß diese Zuschüsse nicht der Innovation, sondern der allgemeinen Finanzkasse der Unternehmen zufließen würden.
Niedrige Einkommensteuersätze und hinreichende Abschreibungsmöglichkeiten für Innovation, der Wegfall der Vermögensteuer und der Gewerbekapitalsteuer sowie eine mittelstandsfreundliche Senkung der Gewerbeertragsteuer werden die wichtigsten Finanzierungsquellen für innovative und kleine Unternehmen verbessern.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Simone Probst.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Schmiedeberg, Sie haben eben über das 5. europäische Rahmenprogramm geredet. Wir haben in unserer letzten Debatte hier im Deutschen Bundestag und auch im Ausschuß einstimmig einen Antrag verabschiedet, der vor allen Dingen eins zur Aussage
Simone Probst
hatte: daß Ökologie zum Motor von Wirtschaft und Innovation werden sollte.
Ich denke, daß dieser Antrag und auch die Debatte um das 5. europäische Rahmenprogramm sicherlich ein Ergebnis der Debatte ist, die wir über die Umsetzung des Leitbildes der nachhaltigen Entwicklung hier geführt haben und die alle Fraktionen des Bundestages beschäftigt hat. Wenn es jetzt aber um dieses Leitbild geht, müssen wir in vielen Bereichen mit der konkreten Umsetzung beginnen. Es kann nicht bei den allgemeinen Beschlüssen bleiben, die wir bisher gefaßt haben.
Wenn wir die letzten Verlautbarungen, insbesondere aus dem Ministerium, über die Neuausrichtung der Forschungs- und Technologiepolitik unseres Landes hören, kommen immer wieder drei Stichworte zum Ausdruck: Hochleistungsforschung, technologische Aufholjagd und Wettbewerbsfähigkeit. An sich sind das sicherlich keine schlechten Stichworte. Aber dies allein reicht eben nicht aus, und zwar ganz besonders im Bereich der Umweltforschung nicht.
Ich möchte an die Evaluierung des Wissenschaftsrates in bezug auf die Umweltforschungslandschaft hier in Deutschland erinnern. Die Ergebnisse sind auf der einen Seite sehr positiv. Sie bestehen darin, daß die Umweltforschung in diesem Land auf einem sehr hohen Niveau stattfindet. Auf der anderen Seite hat der Wissenschaftsrat auch Defizite genannt: Zwar sind die Natur- und Ingenieurwissenschaften im Bereich der Umweltforschung massiv ausgebaut worden, und zwar um 20 Prozent in den letzten vier Jahren - auch das ist ein erfreuliches Ergebnis -, aber das große Problem liegt darin, daß die Bereiche der Sozialwissenschaften, der Wirtschaftswissenschaften und der Kulturwissenschaften noch immer unterrepräsentiert sind und nicht so zum Zuge kommen, wie es eigentlich wünschenswert wäre.
Zum größten Teil liegt das daran, daß wir noch immer tradierte Großstrukturen haben und daß die wissenschaftlichen Forschungen in den Großforschungseinrichtungen im Rahmen althergebrachter Strukturen ablaufen und daß dort leider häufig - von Ausnahmen abgesehen; ich will das nicht verallgemeinern - Spielräume für neue Arbeits- und Kooperationszusammenhänge fehlen, die gerade im Bereich der Umweltforschung notwendig sind. Denn es geht nicht nur darum, naturwissenschaftliche Messungen durchzuführen, sondern natürlich auch darum, Verhaltensmuster zu ändern und das Ziel zu verfolgen, dem Leitbild der nachhaltigen Entwicklung näherzukommen.
Der Wissenschaftsrat empfiehlt flexible Verbünde und Institute auf Zeit. Wir haben gemeinsam mit der SPD einen Antrag eingebracht, um allen Fraktionen ein bißchen auf die Sprünge zu helfen. Herr Schmiedeberg, Sie haben zu unserem Antrag bezüglich der Förderung von interdisziplinären Umweltforschungsinstituten bisher nichts gesagt. Ich denke, daß das ein Bereich ist, in dem wir im Konsens viel erreichen könnten und angesichts dessen wir uns einig sein sollten, daß es an der Zeit ist, kleine und nichtstaatliche Forschungsinstitute von Bundesseite her institutionell einzubinden und nicht allein weiter auf tradierte Großstrukturen zu setzen.
Es hat sich in den letzten zehn oder sogar 20 Jahren, wenn man zurückblickt, eine Vielzahl von Instituten gegründet, die in der interdisziplinären Umweltforschung tätig sind und hervorragende Ergebnisse erzielen. Deshalb richtet sich unser Programm an die Institute, die in vielen Begutachtungsverfahren bisher leider immer wieder durch das Raster gefallen sind, nämlich an interdisziplinär arbeitende Institute mit weniger als 100 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen und an Institute, die einen kleineren Jahresetat als 15 Millionen DM haben. Ich denke, das ist eine deutliche Abgrenzung gegenüber den Instituten, die im Rahmen der „blauen Liste" gefördert werden. Dies würde in Ergänzung zu unserer Forschungslandschaft sicherlich ein Schritt Innovation bedeuten.
Wir wollen eine zeitliche Befristung der Förderung auf fünf Jahre. Damit wollen wir auf Bundesseite Offenheit für neue förderungswürdige Institutionen erreichen. Wir wollen durch die zeitliche Befristung ein Wettbewerbselement einführen, das zur Folge hat, daß wir für neue Methoden und neue Schwerpunktsetzungen offen sind, die heute noch nicht absehbar sind.
Die bundesseitige Finanzierung ist ein großes Problem. Wer wird in welcher Größenordnung finanziert? Wir haben uns hier bewußt gegen eine Vollfinanzierung entschieden, aber dafür, daß die Etats kleiner Institute, die nicht staatlich organisiert sind, höchstens bis zu 25 Prozent finanziert werden, so daß eine Grundfinanzierung sie stärkt, daß aber ihre schon bewiesene Eigeninitiative erhalten bleibt.
Für diese Projektförderung - denn wir kommen immer wieder auf die Finanzierung zu sprechen - sehen wir für die ersten fünf Jahre 15 Millionen DM jährlich vor. Wir haben heute insgesamt eine Projektförderung von 750 Millionen DM jährlich. Das ist wirklich ein Bereich, in dem man es mit relativ geringem finanziellen Aufwand schaffen kann, ein sehr großes Maß an Innovation zu erreichen. Ich möchte nachdrücklich darum werben, daß wir hier zu interfraktioneller Zustimmung bzw. zu einem Konsens kommen, um diese Institute für Innovationen zu gewinnen und in ihrer Arbeit zu unterstützen.
Noch ein Wort zu dem von der SPD geforderten Personalkostenzuschuß-Programm - Herr Schmiedeberg, Sie sind am Ende auch darauf eingegangen -: Im Gegensatz zu Ihnen halte ich das Programm für richtig und einen wirklich vernünftigen Weg. Denn es setzt auf die bestehenden Strukturen in kleiner und mittlerer Größenordnung, um insbesondere die Forschungseinrichtungen in kleinen und mittleren Unternehmen zu stärken. Wir unterstützen diesen Ansatz und halten gerade die indirekte Förderung für das
Simone Probst
richtige Instrument, wenn man die Zielgruppe kleiner und mittlerer Unternehmen im Blick hat,
insbesondere auf Grund des Verwaltungsaufwands. Wir müssen, wenn wir eine Förderung anstreben, auf einen geringen Verwaltungsaufwand achten. Ich glaube, daß auch hier dieser Weg der richtige ist. Wir werden es im Ausschuß noch ausführlich beraten können, und ich hoffe, daß wir dort dann im Sinne der SPD zu einer Einigung kommen.
Vielmehr möchte ich die heutige Debatte zum Anlaß nehmen, meine Grundhaltung darzulegen, die mich seit 24 Jahren als Abgeordneter des Deutschen Bundestages in der Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiepolitik geleitet hat, und meine Vorstellungen über Leitgedanken einer auf Zukunftsfähigkeit hin orientierten Forschungs- und Technologiepolitik vorzutragen.
Wir erleben seit Jahren, insbesondere in den hochentwickelten Industrieländern, eine zum Teil recht emotionalisierte Auseinandersetzung für und wider den technischen Fortschritt. Dabei konzentrierten sich bisher die Diskussionen auf wirtschaftliche und ökologische Aspekte. Inzwischen finden auch die geistigen und soziologischen Dimensionen wie auch die Wirkungen auf die ethischen und die moralischen Werte stärkere Beachtung. Darf der Mensch alles tun, was er kann? Es ist deshalb nur zu verständlich, wenn die Notwendigkeit neuer technischer Entwicklungen kritisch hinterfragt und wenn auch Wissenschaft selbst und neue wissenschaftliche Erkenntnisse in zunehmendem Maße von einer breiten Öffentlichkeit kritisch betrachtet werden.
Bis zum Zeitalter der Industrialisierung wurde kein wesentlicher sachlicher oder ideologischer Einwand gegen die Technik als solche erhoben. Allerdings vollzogen sich bis zum 19. Jahrhundert die Entwicklungen recht langsam, in einem evolutionären Prozeß, benötigten zu ihrer Verbreitung lange Zeit und wurden von den Herrschenden wie den Untertanen gleichermaßen angenommen. Die technischen Entwicklungen ersetzten Muskelkraft und führten zur Mehrproduktion und Qualitätsverbesserung einerseits, andererseits wurde Arbeit nicht mehr als gottgewollte Mühsal betrachtet, sondern in der Intention auf Abschaffung von Not und Mangel ausgerichtet.
Technischer Fortschritt wurde, ausgehend vom Auftrag in der Genesis, zum zentralen Anliegen der Menschen und führte schließlich zum Anspruch auf imperialistische Beherrschung der gesamten Natur. Mit beginnender Industrialisierung - James Watt hatte mit der Erfindung der Dampfmaschine die erste industrielle Revolution eingeleitet - geraten allerdings Menschen, die Untertanen, in Konflikt mit den Auswirkungen des technischen Fortschritts. Davon gibt zum Beispiel der Weberaufstand beredtes Zeugnis. Der technische Fortschritt überholte die geistige Entwicklung, und die strukturellen Auswirkungen brachten die Betroffenen wieder in große Not. Ihr Arbeitsplatz, ihre soziologische Umwelt waren bedroht.
Diese Situation war symptomatisch für das Zeitalter der Industrialisierung bis hin zur jüngsten Vergangenheit. Das Industriesystem war im Aufstieg, und indem in langen, harten Auseinandersetzungen im sozialen Bereich die unmittelbaren sozialen Bedrohungen weitgehend abgebaut werden konnten, entwickelte sich eine Wohlstandsmentalität in den Industrieländern auf breitester Ebene. Diese ist nur allzu bereit, ohne kritisches Reflektieren die Annehmlichkeiten des technischen Fortschritts im wahrsten Sinne des Wortes zu verkonsumieren. Eine, wie Carl Amery es formulierte, „Theologie des Industrie-
Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann
systems" entwickelte sich. In völlig falscher Interpretation des göttlichen Auftrags in der Genesis wird die Natur, belebte wie unbelebte, mißhandelt, wird Herrschaft über Natur und Materie ausschließlich in ihrer Beziehung zum Menschen gesehen.
Technischer Fortschritt, die Einführung neuer Technologien brachten wirtschaftliche Prosperität, brachten Wohlstand in den Industriestaaten und für die Menschen, die in ihnen leben. Aber - so lautet die Frage heute - um welchen Preis? Da ist die rapide, progressiv steigende Ausbeutung der unbelebten Materie, der nicht erneuerbaren Ressourcen. Da ist die erschreckend steigende Belastung der belebten Materie, die fortschreitende Zerstörung der ökologischen Umwelt. Da ist das ständig steigende Gefälle zwischen den armen und den reichen Ländern der Welt, die wachsende Not des größten Teils der Menschen auf dieser Erde gegenüber dem hohen Lebensstandard einer Minderheit. Da ist das wachsende Unbehagen, durch neue Technologien nicht mehr Freiheit des Individuums und der gesellschaftlichen Systeme zu erlangen, sondern in die Unfreiheit, physisch und psychisch in die Abhängigkeit von Maschinen im weitesten Sinne zu geraten. Da ist der unmittelbare und mittelbare Einfluß auf die geistigen Grundhaltungen unserer Gesellschaft, der zu einer Distanzierung von den moralischen, den aus ethischer Verantwortung heraus geprägten Werten führt.
Muß aber deshalb der technische Fortschritt, muß die Entwicklung neuer Technologien insgesamt diskriminiert werden? Hilft uns Maschinenstürmerei? Hilft uns die Rückkehr zu „paraprimitiven" Verhältnissen? Ist dies überhaupt möglich? Um es gleich zu sagen: Diese Fragen müssen eindeutig mit Nein beantwortet werden.
Die hochkomplizierten technischen Entwicklungen können nicht vernichtet werden. Sie werden notwendiger denn je, um erträgliche Lebensbedingungen auf der Welt langfristig überhaupt noch zu ermöglichen - allerdings unter der zwingenden Voraussetzung, daß ein Umdenkungsprozeß beschleunigt und in konkretes Handeln umgesetzt wird: War bisher die „Theologie der Industrialisierung" auf die Behebung materiellen Mangels ausgerichtet, so sind nunmehr neue Technologien, ist nunmehr der technische Fortschritt stärker auf die Erhaltung der Lebensbedingungen, auf die Behebung des Mangels an immateriellen Werten hin zu orientieren. Der Mensch muß die Grenzen seines Handelns erkennen, welche die Natur ihm gesetzt hat.
Es muß die Frage erlaubt sein: Ist die Maschine, welche die gleiche Menge in der halben Zeit produzieren kann, wirklich doppelt so gut wie die ältere, langsamere? Natürlich gibt es dafür wichtige und gewichtige wirtschaftliche Gründe. Aber hat dies nicht dazu geführt, daß die geistigen, die moralischen Werte dominant von den wirtschaftlichen bestimmt werden?
Dem Menschen ist die Fähigkeit zum Denken, zur selbständigen Kreativität verliehen. Damit ist gewissermaßen, um in der modernen Sprache zu bleiben, vorprogrammiert, daß der Mensch versucht, in einer Art naturgegebener Neugier das Universum, seine Entstehung und auch die Entstehung unseres Sonnensystems zu ergründen, daß er versucht, die Geheimnisse der Natur, des Lebens zu erschließen, daß er versucht zu verstehen, wie dieses grandiose Ordnungssystem der Schöpfung funktioniert. Aber selbst wenn wir immer mehr darüber wissen sollten, wie die Abläufe in der Natur funktionieren: Wir werden nie ergründen können, warum die Natur so grandios geordnet ist.
Es ist wohl unbestritten, daß sich in den letzten Jahrzehnten für das menschliche Begreifen eine maßlose Expansion der Erkenntnisse auf naturwissenschaftlich-technischem Gebiete vollzog. Gerade deshalb jedoch kommt neuen Erkenntnissen in den Geisteswissenschaften, den Sozial- und Gesellschaftswissenschaften eine mindestens ebenso hohe Bedeutung zu wie den Naturwissenschaften und der Technik. Sie sind, so meine ich, heute unverzichtbare Voraussetzungen für weiteren technischen Fortschritt.
Er muß Motivation und Innovation für Anpassung und Modernisierung der Produktionsprozesse sein; er muß mit dazu beitragen, die Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit unserer nationalen und zunehmend der europäischen Wirtschaft auch gegenüber den übrigen Industrieländern zu erhalten und zu verbessern. Technischer Fortschritt schafft die Voraussetzungen für den Erhalt von Arbeitsplätzen und die Schaffung neuer Arbeitsplätze und für die Erhaltung des Systems sozialer Sicherung.
Wenn die Bundesrepublik Deutschland und Europa im Globalisierungsprozeß eine maßgebende Position behalten wollen, bedarf es konzentrierter Anstrengungen in Forschung und Entwicklung.
Lassen Sie mich sozusagen als mein Kredo zusammenfassen:
Erstens. Wissenschaft und Forschung sind Raum zu geben für die freie Entfaltung der kreativen Neugier. Ein hohes Maß an Freiheit von staatlichen und bürokratischen Fesseln ist zu gewährleisten. Dies ist ein Imperativ für unsere Forschungs- und Wissenschaftspolitik.
Zweitens. Wissenschaft und Technik sind nicht allein unter wirtschaftlichen und sozialen Gesichtspunkten hinsichtlich Notwendigkeit und Auswirkungen zu berücksichtigen. Sie sind unter einem neuen, der Menschheit und der Menschlichkeit zugewandten Paradigma, in einem zukunftsorientierten Konzept, in den Zusammenhang der Lebensabläufe der Natur in ihrer Gesamtheit einzuordnen.
Drittens. Wissenschaft, Forschung und Technik beeinflussen nicht nur entscheidend die geistigen und gesellschaftlichen Entwicklungen in unserer Gesellschaft, die sie zu einer Informationsgesellschaft entwickeln, sondern sie verändern das Empfinden und Denken sowie Wertehaltungen und Kulturen weltweit.
Viertens. Wissenschaft, Forschung und Technik bieten die Chance, die gegenwärtigen und die zukünftigen Lebens- und Überlebensfragen auch oder gerade unter globalen Aspekten zu meistern.
Es gilt, sich in der Gesellschaft bzw. den Gesellschaften weltweit mit Chancen und Risiken, mit Notwendigkeiten und Wirkungen in demokratischen Prozessen in verständlicher, nachvollziehbarer Weise auseinanderzusetzen. Das ist gewiß keine leichte Aufgabe; aber sie muß von Wissenschaft, Wirtschaft, Gesellschaft und vor allen Dingen auch von der Politik gemeistert werden, um die Zukunft möglich zu machen.
Meine Damen und Herren, über 24 Jahre habe ich Höhen und Tiefen im Leben eines Parlamentariers erfahren. Ich verhehle nicht, auch nach so vielen Jahren den Zwiespalt zwischen dem rationalen Ingenieur und dem Abwägungs- und Abstimmungsprozessen unterworfenen Politiker nicht überwunden zu haben. Ich habe mich bemüht, dem Auftrag des Grundgesetzes zu entsprechen und den Menschen zu dienen. Ob mir dies gelungen ist, mögen andere beurteilen.
Wie ich mich fühle, möchte ich mit einem Wort von Gottfried Wilhelm Leibniz ausdrücken:
Es ist eine meiner Überzeugungen, daß man für das Gemeinwohl arbeiten muß und daß man im selben Maße, in dem man dazu beigetragen hat, sich glücklich fühlen wird.
Ich hoffe, in diesem Sinne meinen Beitrag geleistet zu haben und danke allen, über alle Parteigrenzen hinweg, die mir dabei geholfen haben, mit denen ich debattiert, mit denen ich gestritten habe, zu denen ich gute zwischenmenschliche Beziehungen knüpfen und mit denen ich auch Freundschaften schließen konnte.
Ich danke Ihnen.
Lieber Herr Kollege Laermann, ich glaube, Sie haben es am Beifall, aber auch an der Stille im Raum gemerkt, daß jedenfalls wir es so beurteilen, daß Sie in den 24 Jahren eine gute Arbeit geleistet haben. 24 Jahre Abgeordneter: das schaffen wirklich nur ganz wenige. Dahinter stecken nicht nur viel Arbeit und Quälerei; sondern das zeigt auch, daß man 24 Jahre lang Vertrauen erhalten hat und immer wieder aufgestellt
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
wurde. Ich danke Ihnen deswegen im Namen des Hauses für Ihre Arbeit.
Als nächste hat die Abgeordnete Maritta Böttcher das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit einer Vielzahl der konzeptionellen Ansätze im fünften europäischen Rahmenprogramm für Forschung und technologische Entwicklung kann sich die PDS einverstanden erklären. Allein die Definition des Begriffs Beschäftigung - dazu zählt für uns sozusagen automatisch die Ausbildung - als die Hauptsorge der europäischen Bürgerinnen und Bürger findet unsere ungeteilte Beachtung.
Auch den zweiten Punkt, die wachsenden Ansprüche der Gesellschaft im Hinblick auf Lebensqualität und Gesundheit, halten wir für substantiell.
Wir verkennen auch nicht die aufgezeigte sich verschärfende Konkurrenzsituation, die sich aus dem Entstehen neuer Wirtschafts- und Industriemächte in Asien und Lateinamerika ergibt. Zweifelsfrei erwächst dort ein neues wissenschaftliches und technologisches Gegengewicht, welches maßgeblich dazu beiträgt, die Diskussion um die Globalisierung von Wirtschaft, Handel und Märkten ebenso wie die Diskussion um das rasante Tempo von wissenschaftlichem und technischem Fortschritt und die steigenden Forschungskosten erneut anzuheizen. Im Gegensatz dazu verkennen wir nicht, daß diese Entwicklungen auch Chancen für eine längerfristige Verbesserung der sozialen Lage der Menschen in diesen Regionen eröffnen.
Auch wenn die Neuorientierung des fünften europäischen Rahmenprogramms zumindest vordergründig auf die bisherige Orientierung am alleinigen Ziel, Gewinnstreben, verzichtet, bleibt sie dennoch in ihrem europäischen Konkurrenzdenken befangen. Eine ausschließliche Orientierung nationaler oder auch europäischer Forschungs- und Technologiepolitik auf Gewinnstreben paßt, wie wir meinen, nicht mehr in die heutige Zeit. Wir teilen den Eindruck der Bündnisgrünen, daß der Bundesregierung sogar die nur vage formulierte Absicht der EU-Kommission, die grundlegenden Interessen der Bürgerinnen und Bürger vor die Ziele Wettbewerbsfähigkeit und Markt ohne Einschränkung zu stellen, zu weit geht.
Die PDS hätte sich noch mehr Konsequenz gewünscht, allerdings in völlig anderer Richtung. Der Ausschuß hätte darauf drängen müssen, meinen wir, daß die militärische Forschung und die Forschung im Grenzbereich der Gentechnologien von der europäischen Forschungsförderung ausgeschlossen bleiben.
In diesem Zusammenhang möchte ich auf die Problematik des „Europäischen Menschenrechtsübereinkommens zur Biomedizin" verweisen. Oftmals wird darauf verwiesen, daß eine Ratifizierung des Übereinkommens keinesfalls eine Abkehr von den - sicher zu Recht mit hohem Standard versehenen - nationalen deutschen Regelungen bedeutet. Die zu-
nehmende Kompetenzverlagerung im Forschungsbereich auf die europäische administrative Ebene könnte aber ohne weiteres eine Umgehung dieser deutschen Schutzmechanismen bedeuten.
Deshalb schlagen wir vor, daß auf Grund der positiven Erfahrungen, die mit dem Büro für Technikfolgenabschätzung des Deutschen Bundestages gemacht wurden, eine vergleichbare Einrichtung auch auf europäischer Ebene installiert wird. Erste Aufgaben dieses europäischen Büros würden wir im Bereich der wissenschaftlichen und technologischen Ziele sowie der Erforschung der biologischen Ressourcen und der Ressourcen des Ökosystems sehen.
Bei FuE-Tätigkeiten im Bereich der Gentechnologien werden Erbgutveränderungen bei Tieren und die Klonierung von Tieren per se nicht ausgeschlossen. Darüber hinaus sind die in Fußnote 7 aufgeführten Beschränkungen in bezug auf die Forschung am Menschen nicht weitgehend genug; sie lassen in dieser Formulierung sogar noch einen wesentlich größeren Spielraum als in dem oben genannten Biomedizinabkommen zu.
Den Teil des fünften Rahmenprogramms, der sich mit dem Bereich Forschungs-, Demonstrations- und Ausbildungstätigkeiten im Kernenergiebereich befaßt, bewertet die PDS in Gänze außerordentlich kritisch. Wir wissen, daß - solange Kernkraftwerke existieren und produzieren - wegen der in dieser Technologie liegenden Unwägbarkeiten eine begleitende Sicherheitsforschung betrieben werden muß, auch auf europäischem Niveau. Ohne die Einstellung von Mitteln für sichere Endlagerung und Rückbau in erheblicher Höhe wird es die notwendige begleitende Forschung für den befristeten Ausstieg aus dem Kernenergiebereich - und damit den wünschenswerten Ausstieg aus der Kernenergie insgesamt - nicht geben können.
Das vorliegende Euratom-Programm ist jedoch auf ein „Weiter so!" angelegt. Die eingeführte Problematik zur CO2-Reduzierung erscheint nur im ersten Ansatz griffig. Sie dient bei gleichzeitigem Verzicht auf eine massive Förderung der Erforschung von Quellen zur alternativen Energieerzeugung oder der Beschäftigung mit den nicht unerheblichen Potentialen zur Energieeinsparung als Vehikel zur Akzeptanzerzeugung.
Die immensen finanziellen und wissenschaftlichen Ressourcen, die bereits gegenwärtig und in Zukunft verstärkt für die Kernfusionsproblematik gebunden sind bzw. verplant werden, sind unter dem Gesichtspunkt bestehender Alternativen und dem noch als erheblich einzuschätzenden Unsicherheitsfaktor dieser Technologie außerordentlich kritisch zu betrachten. Im Zusammenhang mit der Mittelplanung für die Luft- und Raumfahrtforschung plädiert die PDS für eine Reduzierung auf ein vernünftiges Maß, wobei ein vollständiger Verzicht auf eine militärische Luft- und Raumfahrtforschung zu unseren grundsätzlichen Forderungen gehört.
Maritta Böttcher
Die PDS hat mit einer gewissen Kontinuität - wie andere Parteien auch, mit allerdings anderen Inhalten - den Rückstand Ostdeutschlands im Bereich der Forschung und der technologischen Entwicklung in die politische Auseinandersetzung eingebracht. Diese Diskussion steht nur scheinbar im Gegensatz zu meinen anfänglichen Bemerkungen zur nationalen oder europäischen Beschränktheit unserer Sichtweisen. Hier geht es um Angleichung der ostdeutschen Wissenschafts- und Forschungslandschaft bzw. der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse unter Beachtung wesentlich anderer Schwerpunktsetzungen, fernab von einer Wachstumsphilosophie, die unter ausschließlich monetären Gesichtspunkten auf extensiven Verbrauch von natürlichen Ressourcen setzt. Es geht, allgemein formuliert, um Vorsorgeforschung im weitesten Sinne.
So kann auch die PDS dem Antrag der SPD wegen mehrheitlich inhaltlicher Übereinstimmung ohne Bedenken zustimmen - auch deshalb, weil wir in den vorgeschlagenen Modernisierungen der europäischen Entscheidungsstrukturen keine verbalen Deregulierungsvorhaben zu erkennen glauben, da über diesen Weg eine Stärkung der kleinen und mittelständischen Unternehmen im Bereich von Forschung und technologischer Entwicklung erfolgen kann.
Danke.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Gerhard Päselt.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ein kurzes Wort zu Ihnen, Herr Professor Laermann. Als Max Planck sich Ende des vorigen Jahrhunderts bei seinem Lehrer Jolly um eine Doktorarbeit bewarb, hat der gesagt, er rate ihm von der Physik ab; denn in der Physik sei alles bekannt. Aber mit Planck und mit diesem Jahrhundert, und zwar genau 1900, begann eine neue Ära der Physik, eine neue Ära der Naturwissenschaften.
Wir stehen wieder vor einer Jahrhundertwende. Manchmal hat man den Eindruck, daß alles bekannt sei und daß alles so weitergemacht werden könnte. Ich bin gespannt, wie wir das nächste Jahrhundert gestalten. Forschung soll ja in das 21. Jahrhundert vorausschauen und es begleiten. Wir werden hoffentlich noch ein bißchen davon miterleben; ich wünsche Ihnen alles Gute, Herr Professor Laermann.
Ausgangspunkt unserer heutigen Debatte ist zum wiederholten Male die Stellungnahme des Wissenschaftsrates zum Stand der Umweltforschung in Deutschland. Das Gutachten gibt Handlungs- und Forschungsempfehlungen, klammert aber die Umweltforschung im Bereich der Wirtschaft aus.
Die Umweltforschung hat in Deutschland einen sehr hohen Stand erreicht und kann sich mit ihren Ergebnissen weltweit sehen lassen. Sie ist in Teilbereichen sogar weltweit führend.
Defizite wurden in diesem Gutachten des Wissenschaftsrates in den Bereichen Ökotoxikologie, Strahlenschutzforschung und Umweltmedizin herausgestellt. Unbedingt zu stärken ist auch die ökotoxikologische Theorienbildung, die produkt- und produktionsintegrierte Forschung. Als verbesserungswürdig wurde die Koordinierung der institutionellen und der projektgebundenen Förderung innerhalb aller Institutionen angesehen. Ein ähnliches Problem tritt zwischen den einzelnen Wissenschaftsdisziplinen auf. Man hat noch nicht gelernt, sich interdisziplinär zu verflechten und interdisziplinär zusammenzuarbeiten.
Weil es am Zusammenspiel der einzelnen Wissenschaften mangelt, wurde auch noch keine gemeinsame Sprache zwischen Naturwissenschaftlern, Ingenieuren, Ökonomen, Psychologen und Juristen gefunden, um Konzepte, Strategien für Maßnahmen zur Umweltvorsorge und zur Anpassung unseres Verhaltens und Wirtschaftens an Umweltveränderungen auszuarbeiten.
Wir werden in unserer heutigen Debatte den Stand der von der Bundesregierung eingeleiteten bzw. angestrebten Maßnahmen und auch ihre politische Umsetzung zu beurteilen haben. Es ist die Frage zu stellen, inwieweit sich die Forschungsprogramme der Bundesregierung bzw. die Schwerpunktsetzung in den Programmen mit den Empfehlungen und Anregungen des Wissenschaftsrates sowie der anderen Beiräte und Kommissionen decken.
Wir können heute als CDU/CSU-Fraktion feststellen, daß die Bundesregierung den Bericht des Wissenschaftsrates sehr ernst genommen und sich sofort an seine Umsetzung gemacht hat.
Daß ein Teil der darin aufgezeigten Probleme nicht durch kurzzeitigen Aktionismus gelöst werden kann, sondern längerfristig bearbeitet werden muß, dürfte allen klar sein.
Seit Rio besteht für die Bundesregierung das
Grundanliegen, die Umweltpolitik und die Forschungspolitik an dem Leitbild der nachhaltigen Entwicklung auszurichten. Die Umweltforschungspolitik der Bundesregierung hat auf diese Herausforderung eine Antwort gegeben. In Abstimmung mit der Wissenschaft, der Wirtschaft, den Gewerkschaften und den Verbänden wurden die Prioritäten herausgearbeitet und im Progràmm „Forschung für die Umwelt" im September 1997 verabschiedet. Die Ziele sind in diesem Programm formuliert; ich möchte sie Ihnen heute nicht noch einmal vortragen. Damit hat die Bundesregierung die Empfehlungen des Wissenschaftsrates und anderer Beiräte umgesetzt. Dieses Programm ist von den wissenschaftlichen Institutionen, den Verbänden und anderen als Schritt in die
Dr. Gerhard Päselt
richtige Richtung, als Strategie für das 21. Jahrhundert gelobt worden.
Die Bundesregierung hat hier eine gute Arbeit abgeliefert.
Aber wie überall ist das Aufstellen eines Programms der eine Teil, die Umsetzung des Programms der andere Teil. An der Umsetzung des Programms „Forschung für die Umwelt" wird sich die Bundesregierung messen lassen müssen.
Aufgabe der Forschungspolitik ist es, Zukunftsvorsorge zu treffen und Strategien für das 21. Jahrhundert zu liefern. Die im Antrag der SPD und der Grünen „Programm zur Förderung nichtstaatlicher Forschungsinstitute in der interdisziplinären Umweltforschung" getroffene Feststellung - jetzt hören Sie gut zu; welcher Esel Sie damals geritten hat, weiß ich nicht -, daß die herkömmliche Umweltforschung unzureichend in der Lage ist, den neuen Herausforderungen gerecht zu werden, entspricht nicht den Tatsachen.
Nach Meinung der SPD und der Grünen erweist sich die disziplinär geprägte Organisation der Hochschulen, der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der meisten außeruniversitären Forschungszentren als hartnäckiges Hindernis für die vom Wissenschaftsrat geforderte disziplinübergreifende Bearbeitung der Problemstellung.
„Interdisziplinäre Projektvorschläge scheitern bei der Begutachtung": Wer begutachtet denn? Wenn Sie die Begutachter wegschicken, wer soll es denn dann begutachten? Das sind doch die, die immer die Wissenschaft begutachten.
„Forscherinnen und Forscher, die bei ihrer Arbeit die Fächerschranken überwinden wollen, stoßen oft auf Unverständnis und Desinteresse." Das kann ich mir absolut nicht vorstellen. Aber vielleicht haben wir die falschen Wissenschaftler evaluiert. Vielleicht hätten die ostdeutschen bleiben und die westdeutschen Wissenschaftler in die Wüste geschickt werden sollen, wenn Sie der Meinung sind, daß diese das nicht begreifen wollen. Ich jedenfalls kann mich mit dem Antrag nicht anfreunden.
Sicher kann auch von der CDU/CSU-Fraktion nicht bestritten werden, daß sich die Strukturen unseres Forschungssystems an die neuen Aufgaben, an die Lösung des Programms „Forschung für die Umwelt" anpassen müssen. Dem dient ja auch das novellierte Hochschulrahmengesetz.
Aus einer Schelte für die herkömmlichen Forschungseinrichtungen, die für uns in dieser Form unverständlich ist und nicht nachvollzogen werden kann, aber zu folgern, Abhilfe könne nur eine Reihe nichtstaatlicher Umweltforschungsinstitute schaffen, kann nicht unterstützt werden.
Wir bestreiten nicht, daß die nichtstaatlichen Institute einen hohen wissenschaftlichen Stand erreicht haben und die Empfehlungen des Wissenschaftsrates umsetzen können. Aber sie müssen es sich gefallen lassen, daß eine Gleichbehandlung mit den anderen Forschungseinrichtungen erfolgt und sie sich den gleichen Beurteilungskriterien unterziehen müssen.
Es kann nicht sein, daß sich die einen strengen wissenschaftlichen Maßstäben unterwerfen müssen und für die nichtstaatlichen Forschungseinrichtungen andere Kriterien gelten.
In Ihrem Antrag wird dafür plädiert, daß über die Aufnahme in das geforderte Förderprogramm eine Kommission entscheidet, in der neben der Administration auch Wissenschaftler, Umweltverbände, Gewerkschafter, Wirtschaftsvertreter sowie Parlamentarier und Parlamentarierinnen vertreten sind.
Ich möchte hier aber keinen Zweifel aufkommen lassen: Auch unsere Fraktion ist für die Teilnahme der nichtstaatlichen Umweltforschungseinrichtungen, allerdings zu den gleichen Bedingungen wie für die anderen Einrichtungen.
Die mangelnde Interdisziplinarität der Umweltforschung muß bei allen diesbezüglichen Forschungsvorhaben abgestellt werden. Das Heil nun auf einer anderen Ebene zu suchen ist falsch.
All unsere Umweltforschungseinrichtungen müssen sich den Empfehlungen des Wissenschaftsrates stellen. Dort sind - auf Grund meines Besuchs dieser Einrichtungen und eines Gesprächs mit den Wissenschaftlern kann ich das sagen - auch gute Ansätze sichtbar. Die Wissenschaftler stellen sich dieser Herausforderung. Ein höheres Tempo könnte nicht schaden.
Der vorliegende Antrag fordert für den ersten Fünfjahresplan bis zu 15 Millionen DM jährlich. Ich habe die Summen, mit denen diese Forschungsinstitute gegenwärtig gefördert werden, nicht parat. Sie dürften aber auch beträchtlich sein.
Dr. Gerhard Päselt
Wir sind für eine Förderung nichtstaatlicher Umweltforschungsinstitute im Rahmen des Haushaltes des Bildungsministeriums und zu den für alle gültigen Bedingungen.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Heinz Schmitt.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Verehrte Damen und Herren! Herr Päselt, ich kann nicht auf all Ihre Widersprüche eingehen. Aber in unserem Antrag geht es nicht um den Gegensatz zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Forschungseinrichtungen, sondern es geht um deren Verzahnung. Das ist grundlegender Inhalt unseres Antrages. Ich bitte, hier nicht Dinge zu vertauschen, zu verwechseln und zu zitieren, die so nicht in unserem Antrag stehen.
Spätestens mit der Konferenz von Rio 1992 wurde das Prinzip der Nachhaltigkeit zu einer der zentralen Zukunftsaufgaben für die Weltgesellschaft. Auch in der Umweltpolitik wurde ein neues Kapitel aufgeschlagen.
Wir brauchen einen schonenderen Umgang mit Umwelt- und Rohstoffressourcen, wir brauchen eine Wirtschafts- und Lebensweise, die die natürlichen Lebensgrundlagen auch für zukünftige Generationen erhält, und wir brauchen ein Rezept gegen die globalen Umweltbedrohungen. Ozonloch, Klimakatastrophe, Waldsterben und Artensterben sind nur die plakativsten Begriffe für die weltweite Umweltkrise. Längst sind sie keine Themen mehr nur für Spezialisten. Diese Begriffe lernt mittlerweile bereits jeder Grundschüler. Es ist daher eine der vordringlichsten Aufgaben, dem Prinzip der Nachhaltigkeit Geltung zu verschaffen. Dies gilt auch und gerade für die Forschungs- und für die Technologiepolitik.
Umwelt und Ökologie haben in Wissenschaft und Forschung seit Jahren einen festen Platz. Wissenschaft und Forschung haben einen großen Beitrag geleistet, wenn es darum ging, umweltschonendere Techniken und Verfahren zu entwickeln und auch bereitzustellen. Deutschland hat nicht zuletzt dadurch in der Umwelttechnologie weltweit eine Spitzenposition erreichen können.
Mit dem Maßstab der Nachhaltigkeit erleben wir nun aber eine neue Herausforderung für die etablierte Umweltforschung mit ihrem Ansatz der naturwissenschaftlich-technischen Bearbeitung von wissenschaftlichen Einzelaspekten. Bei der Bewältigung und Vermeidung von Umweltverschmutzung brauchen wir weitergehende Ansätze als die Entwicklung rein technischer Lösungen. Das Prinzip der Nachhaltigkeit erfordert damit für die zukünftige Forschung, daß Lösungen komplexer erarbeitet werden. Notwendig ist eine Integration und Vernetzung sozialer, ökologischer, ökonomischer und technischer Innovationen. Der naturwissenschaftlich-technische Ansatz vernachlässigt die Tatsache, daß Problemlösungen immer auch menschliches Handeln, menschliche Gewohnheiten mit zu berücksichtigen haben. Aspekte aus den Sozial- und Kulturwissenschaften sind daher für eine interdisziplinäre Umweltforschung unverzichtbar.
Ein gutes Beispiel dafür ist die gegenwärtige Diskussion um den angemessenen Benzinpreis. Während die Notwendigkeit einer Umlegung der Kosten des Umweltverbrauchs auf die Energiepreise mittlerweile unstrittig ist, gibt es bisher nur wenig befriedigende Erkenntnisse über das Maß und das Tempo der Anpassung des Benzinpreises. Es ist daher wenig hilfreich, eine Preiserhöhung anzupeilen, die auf ungenügenden Kenntnissen und damit mangelnder Akzeptanz basiert und dadurch an den betroffenen Menschen vorbeiläuft. Hierdurch entstehen Abwehrhaltung und Ablehnung.
Herr Päselt, es ist aber genausowenig hilfreich, eine hämische Tankstellenkampagne zu initiieren, die alle naturwissenschaftlichen Erkenntnisse ignoriert und den Menschen etwas vorgaukelt nach dem Motto, bei uns sei „Freie Fahrt für freie Bürger" immer noch das höchste Lebensglück. Dies ist eine Politik des „Weiter so! " und diese Politik wird die Probleme auf diesem Gebiet nicht lösen können. Es geht darum, technologischen Fortschritt, umweltökonomische Erkenntnisse und politisches Handeln zu einem für die Menschen nachvollziehbaren und akzeptablen politischen Konzept zu verbinden.
Daher brauchen wir in der Umweltforschung eine Vernetzung der verschiedenen Wissenschaftsbereiche, die uns umfassendere Erkenntnisse liefern kann. Neben den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen müssen volkswirtschaftliche Erkenntnisse ebenso berücksichtigt werden wie soziale und psychologische Dimensionen.
Forschungen zur Internalisierung externer Kosten oder zu einer ökologischen Gesamtrechnung, die Berücksichtigung sozialer Härten oder der Akzeptanz von ökologischen Steuern sind in Zukunft genauso wichtig wie etwa kritische Nutzungs- und Emissionsraten oder das technisch Machbare.
Eine solche notwendige Verzahnung der Forschungsergebnisse - darum geht es in unserem Antrag - ist der Bundesregierung bisher nicht gelungen. Änderungen des politischen Handelns sind nicht erkennbar.
Sowohl der Wissenschaftsrat als auch der Wissenschaftliche Beirat für Umweltfragen kamen in den letzten Jahren übereinstimmend zu dem Ergebnis, daß die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen den Naturwissenschaften und den Sozial-, Wirtschafts- und Kulturwissenschaften gravierende Schwächen aufweist. In den Hochschulen und in vielen außeruniversitären Forschungseinrichtungen ist die disziplinübergreifende Bearbeitung von Problemstellungen in der Umweltforschung immer noch die Ausnahme. Wir brauchen daher Forschungseinrich-
Heinz Schmitt
tungen, die in der Lage sind, die Defizite der jetzigen Forschungslandschaft auszugleichen.
In der Vergangenheit haben sich dafür eine Reihe nichtstaatlicher, interdisziplinär arbeitender Forschungsinstitute empfohlen, die auf dem Gebiet der Umweltforschung kompetent arbeiten und die auch dem TAB des Deutschen Bundestages verläßlich und gut zugearbeitet haben. Diese Institute zeichnen sich durch flexible Strukturen, durch Kooperationsfähigkeit - auch mit nichtwissenschaftlichen Akteuren -, durch gute Nachwuchsförderung und Ausbildungsarbeit aus.
Die SPD-Bundestagsfraktion und die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen wollen diese Ansätze zu einer vernetzten Umweltforschung unterstützen und auch längerfristig sicherstellen und weiterentwikkeln. Mit einem Programm „Förderung von Forschungsinstituten in der interdisziplinären Umweltforschung" wollen wir für diese Institute eine befristete Sockelfinanzierung bereitstellen. Wir wollen damit zur Konkretisierung und Umsetzung des Leitbildes der nachhaltigen Entwicklung beitragen.
Akteure aus Politik, Gesellschaft und Wirtschaft müssen in die Problemidentifizierung und Lösungsentwicklung einbezogen werden. Durch die Verknüpfung der Natur-, Ingenieur- und Rechtswissenschaften mit dem Know-how aus Sozial- und Kulturwissenschaften bieten sich neue methodische Ansätze für die Umweltforschung, die wir im Sinne der Nachhaltigkeit unbedingt nutzen müssen. Diese Absicht, dieses Ziel verfolgen wir mit unserem Antrag.
Danke schön.
Das Wort hat jetzt für die Bundesregierung die Parlamentarische Staatssekretärin Elke Wülfing.
Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Professor Laermann, auch ich möchte hier die Gelegenheit nutzen, mich bei Ihnen für die gute Zusammenarbeit zu bedanken, vor allen Dingen für Ihren Einsatz: für 24 Jahre Tätigkeit in diesem Haus mit allen Höhen und Tiefen, die dazugehören, und speziell für die Arbeit, die Sie als Bildungsminister geleistet haben.
Sie haben in dieser Zeit das BAföG erhöht - die linke Seite des Hauses tut ja immer so, als sei das nie passiert -, Sie haben den Startschuß für Schülerakademien für Hochbegabte gegeben, und Sie haben die EU-Präsidentschaft beim Treffen der europäischen Bildungsminister und Forschungsminister in Schwerin erfolgreich innegehabt.
Ich möchte Ihnen auch einen herzlichen Gruß Ihres Nachfolgers, meines Ministers Jürgen Rüttgers, ausrichten. Er läßt sich entschuldigen. Er ist in Avignon gewesen und mußte direkt danach zu einer weiteren Veranstaltung. Er wird sich sicherlich noch bei Ihnen melden und Ihnen auch persönlich herzlich danken.
- Auf diesen Zwischenruf will ich einmal reagieren. Ich glaube, daß die von Herrn Professor Laermann - einem Menschen, der die Forschungs- und Bildungspolitik in der Bundesrepublik geprägt hat - nachdenklich vorgetragenen Leitgedanken eigentlich Ausweis dafür sind, daß die Bildungspolitik in dieser Zeit wohl nicht ganz so schlecht gewesen sein kann.
16 Jahre CDU/CSU-F.D.P.-Technologiepolitik haben auch mit Ihrer Hilfe, Herr Laermann, Deutschland wieder an die Spitze in Europa und weltweit gebracht. Das sage ich speziell zu der Bemerkung von Frau Bulmahn. Ich muß ganz ehrlich sagen, ich würde mich schwarzärgern - wenn ich nicht schon schwarz wäre -, wenn Sie die Früchte, die wir gesät haben, am 27. September ernteten.
Damit das nicht passiert, will ich versuchen, das aufzuzählen, was wir im Bereich der Forschungspolitik an Hervorragendem geleistet haben: Wir sind in Deutschland auf dem Gebiet der Weltmarktpatente wieder Weltspitze. - Sie können den technologischen Leistungsbericht genauso lesen wie ich. - Wir sind in der Umwelttechnik wieder Weltspitze. Wir sind wieder Weltspitze in der Energieforschung. - Gucken Sie sich die Solarzellenfabriken für 50 Megawatt an. - Wir sind auf dem Gebiet der Biotechnologie wieder auf dem aufsteigenden Ast.
Wir haben immerhin das meiste Beteiligungskapital, „seed-capital", für Technologieunternehmen in ganz Europa. - Auch das wissen Sie; auch das steht im Bericht über technologische Leistungsfähigkeit. - Wir sind in der Mikroelektronik wieder Spitze. Erinnern Sie sich bitte an die Eröffnung der Fabrik für 300mm-Silicium-Wafer-Scheiben, die Zukunftschips, die wir in Deutschland fahren werden.
- Das ist nicht „Donnerwetter", sondern eine phantastische Sache, Herr Catenhusen.
Außerdem möchte ich ganz herzlich darum bitten, daß Sie, wenn Sie schon Anträge zur Forschungsförderung kleiner und mittlerer Unternehmen stellen,
Parl. Staatssekretärin Elke Wülfing
doch wenigstens einmal erwähnen, was wir auf diesem Gebiet gemacht haben.
- Darüber zu beraten, ob mich das etwas angeht, ist eine Sache des Hauses. Insofern steht es mir zu, meine Bemerkungen dazu zu machen.
Ich möchte Ihnen nur folgendes sagen: Die Forschungsförderungsmittel, die wir aus den Mitteln meines Hauses an die gewerbliche Wirtschaft geben, gehen zu 43,8 Prozent an kleine und mittlere Unternehmen. Wenn man auch noch die Mittel des Wirtschaftsministeriums dazurechnet, dann liegen die Forschungs- und Entwicklungsförderungsmittel bei 56 Prozent, obwohl sich die kleinen und mittleren Betriebe nur zu 14 Prozent an der Forschung beteiligen.
Wir fördern ganz bewußt überproportional gerade diese Betriebe, weil sie Nachteile haben. Zentrale Elemente dieser Förderung in den neuen Bundesländern sind „FUTOUR" und „FUTOUR plus". Wir haben dieses Programm vor einigen Wochen vorgestellt. „FUTOUR plus" bedeutet, daß wir auch marktnahe Förderung betreiben. Dies mag vorher vielleicht etwas gefehlt haben.
- Herr Catenhusen, die deutsche Einheit ist noch nicht 15 Jahre alt. - Wir geben für dieses Programm 200 Millionen DM Zuschüsse und 700 Millionen DM Beteiligungskapital aus. Die Deutsche Ausgleichsbank sorgt auf diese Art und Weise dafür, daß 450 zusätzliche Unternehmen mit Tausenden von zukunftssicheren Arbeitsplätzen gegründet werden können.
Außerdem haben wir das Förderprogramm „Forschungskooperation" für kleine und mittlere Betriebe, das Sie anscheinend auch nicht kennen, mit einem sehr breiten Portfolio ausgestattet. Es setzt genau an den Schnittstellen zwischen Forschung, Entwicklung und Produktion an. An. diesem Programm sind immerhin 5 000 Personen in 3 700 Unternehmen beteiligt. Wenn man in Betracht zieht, daß ein Arbeitsplatz in der Forschung und Entwicklung die Voraussetzungen für die Schaffung oder den Erhalt von sieben Arbeitsplätzen in den nachfolgenden Stufen legt - das werden vielleicht auch Sie anerkennen -, dann hängen an diesen geförderten Projekten pro Jahr 35000 Arbeitsplätze. Insgesamt beträgt das Fördervolumen seit September 1993 660 Millionen DM.
Damit Sie nicht gleich darauf hinweisen, daß dieses Programm jetzt ausläuft, weise ich Sie darauf hin, daß das nicht der Fall ist. Für diejenigen, die es in der Zeitung nicht gelesen haben, wiederhole ich: Das
Programm „Forschungskooperation" ist ein Renner, und deswegen verlängern wir es.
Außerdem tun wir auch einiges für Existenzgründer; das wissen Sie ganz genau. Wir haben ein Programm mit dem Titel „Beteiligungskapital für kleine Technologieunternehmen", BTU, entwickelt. Dieses Programm gibt Anreize für Kapitalgeber, sich an technologieorientierten Betrieben zu beteiligen. Mit der bis zum Jahr 2000 reichenden Beteiligungsfinanzierung sollen 1,5 Milliarden DM privates Beteiligungskapital mobilisiert werden. Allein im Jahre 1997 konnten über dieses Programm bereits mehr als 450 Millionen DM an Kapitalbeteiligungen für kleine High-Tech-Unternehmen mobilisiert werden. Das ist eine Steigerung von mehr als 400 Prozent innerhalb von drei Jahren. Der Aufwärtstrend hält an.
Außerdem nenne ich den Gründerwettbewerb Multimedia und den Wettbewerb Existenzgründungen aus Hochschulen. Es haben sich ja, Herr Catenhusen, aus unserem Bereich auch die Universität Münster und die Fachhochschule Bocholt/Gelsenkirchen mit einem ganz hervorragenden Programm beworben. Insgesamt waren 200 von 335 Hochschulen dabei. Ich denke, daß gerade dieses Programm dafür sorgt, daß sich die Hochschulen, was bisher in Deutschland schlecht funktionierte, mit regionalen Firmen zusammensetzen und Wissenschaftler aus ihrem Elfenbeinturm geholt werden. Hier kann es eine Zusammenarbeit in der Form geben, daß die Wirtschaft sagt, wo sie Probleme hat, und die Universitäten oder Fachhochschulen Lösungsmöglichkeiten anbieten. Dies spricht speziell die Fachhochschulen an, weil sie noch anwendungsorientierter arbeiten, als' die Universitäten dieses tun. Dieser Wettbewerb ist ein wirklicher Erfolg.
Nur das ist die richtige Art und Weise und nicht die, daß etwas aus der Mottenkiste herausgeholt wird. Sie tun das in Ihrem Antrag, indem Sie fordern, die Personalförderung wieder auf die alten Bundesländer auszudehnen. Ich bin der Meinung - auch Herr Schmiedeberg und andere haben es gesagt -, daß die Personalförderung Ost für diejenigen ein wichtiges Programm ist, die neu anfangen und in eine Aufbausituation kommen. Für diese ist die Personalförderung genau richtig. Wenn Sie das bei anderen machen, haben Sie fast ausschließlich Mitnahmeeffekte. Genau deswegen haben wir dieses Programm in den alten Bundesländern nicht weitergeführt. Wir halten das auch weiterhin für richtig, da es zu einer Ausweitung auf die ganze Bundesrepublik wirklich keinen Anlaß gibt.
Wie Sie sehen, ist die Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen und von Unternehmensgründungen bei uns wirklich in besten Händen. Erfolgreiche Innovations- und Technologiepolitik macht man nicht mit immer mehr Staatsknete, sondern mit intelligenten Wettbewerben, Projekten und Programmen, die Märkte stimulieren und Anreize schaffen.
P
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es wäre zu schade, wenn Sie die Früchte dieser hervorragenden Arbeit am 28. September ernten würden.
Das wird nicht passieren, da wir gute Politik gemacht haben und die Menschen dieses genauso sehen werden, wie ich es eben dargestellt habe.
Vielen Dank fürs Zuhören. Ich glaube, es sind der Worte genug gewechselt, die Taten sprechen für sich.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Bodo Seidenthal.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Staatssekretärin, man hat uns von der SPD vorhin vorgeworfen, daß wir Wahlkampf betrieben. Darauf kann ich nur entgegnen, daß das, was Sie hier vorgetragen haben, Wahlkampf pur war. Aber auch dieses wird Ihnen nicht weiterhelfen. Ich stelle mir schon vor, wie Sie ganz in Schwarz aussehen werden.
Doch nun zu meinen Ausführungen. Bereits in der Plenardebatte am 27. Februar 1997, als wir den Antrag „Neue Perspektiven für die europäische Forschungspolitik" der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hier im Plenum debattiert haben, stellte ich für meine Fraktion fest, daß beim Übergang zum 21. Jahrhundert sowohl Europa als auch die Bundesrepublik Deutschland vor großen politischen, ökonomischen, sozialen und ökologischen Herausforderungen stehen. Es geht darum, die Integration der Europäischen Union zu vertiefen und gleichzeitig die durch den Ost-West-Konflikt verursachte Teilung Europas zu überwinden; die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft zu verbessern und die unerträglich hohe Arbeitslosigkeit abzubauen; der zunehmenden Entsolidarisierung in den europäischen Gesellschaften entgegenzuwirken und den Wohlfahrtsstaat an die neuen ökonomischen und sozialen Gegebenheiten anzupassen. Schließlich ist die fortschreitende Zerstörung der natürlichen Grundlagen unseres Lebens zu beenden und ein neues, am Grundsatz der Nachhaltigkeit orientiertes Wachstumsmodell zu entwickeln.
Die Tatsache, daß die Forschungs- und Technologiepolitik einen unverzichtbaren Beitrag zur Bewältigung dieser Herausforderungen leisten kann und muß, dürfte unstrittig sein. Strittig ist und war, wie dieser Beitrag konkret aussehen soll. Dies zeigen die in den letzten Wochen und Monaten veröffentlichten Vorschläge des Europäischen Parlaments, der Europäischen Kommission und des Forschungsministerrates zum 5. Rahmenprogramm. Für uns Sozialdemokraten gilt weiterhin, daß die FuT-Politik - auf nationaler wie auf europäischer Ebene - ihre Prioritäten neu setzen, ihr Instrumentarium verbessern und ihre Verfahren reformieren muß, wenn sie den an sie gestellten Anforderungen gerecht werden will.
Die heutige Debatte fällt in eine Zeit, in der die Berichterstatter zum 5. Rahmenprogramm im Europäischen Parlament an dem Entwurf einer Empfehlung für die zweite Beratung im Parlament arbeiten, alle Beobachter davon ausgehen, daß die Frage des Gesamtbudgets im Vermittlungsausschuß geklärt werden muß und somit eine endgültige Verabschiedung des Rahmenprogramms erst im Oktober dieses Jahres erfolgen kann. Zudem ist geplant, parallel zur zweiten Lesung des Rahmenprogramms .mit der Verabschiedung der Thematischen und Horizontalen Programme zu beginnen, um sie bis Dezember 1998 abschließen zu können.
Da wir uns im Ausschuß auf eine gemeinsame Beschlußempfehlung geeinigt haben, bei den strukturellen und inhaltlichen Kriterien, der effizienteren Implementierung des Rahmenprogramms und den Aufgaben und Themenschwerpunkten weitgehend Übereinstimmung besteht, möchte ich für meine Fraktion folgendes anmerken:
Erstens. Im neudeutschen Sprachgebrauch und in der Sprache der Kids gibt es den Ausspruch „Ohne Moos nichts los" . Der im Konsens im Forschungsministerrat festgelegte Gesamtbetrag von 14 Milliarden Ecu für das 5. Rahmenprogramm - Herr Kollege Schmiedeberg, jetzt hören Sie einmal zu -, der immer noch unter dem Vorschlag des Europäischen Parlaments und der Europäischen Kommission liegt, ist nicht nur eine Provokation für das Europäische Parlament, sondern auch für uns. Richtig ist, wie Sie es gesagt haben,
daß eine Steigerung von 6 Prozent gegenüber dem 4. Rahmenprogramm erzielt wurde. Richtig ist aber auch, daß der Inflationsausgleich für den Bezugszeitraum mit rund 10 Prozent beziffert wird und daß wir deshalb nicht von soliden Finanzierungsbedingungen sprechen sollten, wie es Minister Rüttgers in seiner Pressemitteilung vom 13. Februar 1998 getan hat.
Frau Wülfing, mit der Einigung im Ministerrat am 12. Februar 1998 ist die europäische Forschungspolitik nicht einen großen Schritt weitergekommen, sondern - um es mit den Worten der EU-Forschungskommissarin Edith Cresson zu sagen -: „Dies ist ein schwarzer Tag für die Forschung und ein negatives Signal für die Industrie. "
Sollte dieser Betrag dennoch endgültig beschlossen werden, gäbe es erstmalig in der Geschichte der Europäischen Gemeinschaften eine reale Kürzung des Forschungshaushaltes, und dies ausgerechnet in Zeiten von Massenarbeitslosigkeit. Diese Senkung, die vor allem auch Sie, Frau Staatssekretärin, als Ver-
Bodo Seidenthal
treterin der Regierung zu verantworten haben - denn es war die deutsche Regierung, die dieses im Rat unterstützt hat -, ist schlicht und ergreifend ein völlig falsches Signal.
Eine innovative europäische Forschung, die Arbeitsplätze der Zukunft schaffen und erhalten soll, braucht nicht weniger, sondern mehr Finanzmittel. Angesichts der Forschungsoffensive, die der amerikanische Präsident Bill Clinton mit einer beträchtlichen Erhöhung des nationalen Forschungsetats eingeleitet hat, ist das Sparen an den Grundlagen der wissenschaftlichen, technologischen und damit auch ökonomischen Zukunft Europas und seiner internationalen Wettbewerbsfähigkeit äußerst bedenklich.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Wülfing?
Bitte.
Herr Seidenthal, Sie geben doch zu, daß 14 Milliarden Ecu mehr als 13 Milliarden Ecu sind? Sie geben doch auch zu, daß 27,3 Milliarden DM nicht gerade ein Pappenstiel sind?
Ich denke, daß Sie genau wissen, daß nicht mehr Staatsknete, sondern intelligenter eingesetzte Programme die richtige Lösung sind. Genau das haben wir gemacht. Die deutsche Position, die Sie im Ausschuß mit beschlossen haben, ist genau in diesem 5. Rahmenprogramm enthalten, nämlich die Programme von 20 auf vier herunterzusetzen und gerade im Bereich Life-sciences und Multimedia einiges draufzulegen.
Sind Sie mit mir der Meinung, daß das die richtige Richtung ist? Wenn ja, dann bin ich mit Ihnen der Meinung, daß wir durch den Vermittlungsausschuß noch ein bißchen drauflegen sollten.
Frau Kollegin Abgeordnete, da Sie mir gerade Nachhilfeunterricht geben wollten, gebe ich Ihnen jetzt keinen Nachhilfeunterricht, sondern nenne Ihnen nur die Fakten.
- Ich nenne sie Ihnen noch einmal, damit Sie es begreifen.
Richtig ist, daß eine Steigerung von 6 Prozent gegenüber dem 4. Rahmenprogramm erzielt wurde. Richtig ist aber auch, daß der Inflationsausgleich für diesen Zeitraum mit rund 10 Prozent beziffert wird. Nach meiner Rechnung, Frau Kollegin, fehlen da
schon einmal 4 Prozent, um die Inflation auszugleichen. Angesichts dessen können Sie die 6 Prozent nicht als immense Steigerung und als Erfolg in Brüssel bezeichnen.
Frau Kollegin, da Sie hier gesagt haben, meine Fraktion hätte im Ausschuß etwas mitgetragen, kann ich nur wiederholen: Wir haben das gemeinsam formuliert. Wenn diese Regierung den Ausschuß ernst genommen hätte, dann hätte sie diese Erhöhung mit dem Mandat des Parlaments, des Ausschusses in Brüssel eingebracht; auch dies haben Sie nicht gemacht.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Laermann?
Herr Laermann, ich habe nur wenig Zeit und möchte auch fertig werden.
- Na gut; Herr Laermann, bitte.
Verehrter Herr Kollege Seidenthal, können Sie mir einmal erklären, warum Sie, obwohl wir im Ausschuß zusammen eine Beschlußempfehlung und einen Bericht verabschiedet haben und wirklich in großer Übereinstimmung auch die Position der SPD-Fraktion aufgenommen haben, Ende April erneut einen Antrag vorgelegt haben, der zu 80 Prozent und mehr dem Wortlaut unserer gemeinsamen Beschlußempfehlung entspricht?
Wir verabschieden doch heute die Beschlußempfehlung als Auftrag an die Regierung. Warum haben Sie dann diesen Antrag eingebracht? Das hätte ich gerne gewußt.
Herr Kollege Laermann, wir haben den Antrag gestellt, weil es so ist, wie Sie gerade gesagt haben: Die 80 Prozent, die wir gemeinsam getragen haben, wollen wir auch gemeinsam beschließen. Aber wir sind der Auffassung, daß diese 20 Prozent noch hinterhergeschoben werden mußten. Deshalb unser Antrag.
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich war bei dem Hinweis auf das Vermittlungsverfahren stehengeblieben. Die Sozialdemokraten im Europäischen Parlament werden diese Art von Sparpolitik nicht mittragen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, vielleicht machen Sie Ihrem Finanzminister deutlich, daß der Forschungshaushalt, zumindest der europäische, kein politischer Steinbruch sein darf.
Zweitens. Ich bin meinen Mitberichterstattern im Bundestag und auch den Kolleginnen und Kollegen
Bodo Seidenthal
im Europäischen Parlament dankbar, daß wir hier und auch in Straßburg einen Kompromiß erzielt haben, in dem die Bedeutung der Forschung für den sozioökonomischen Bereich hervorgehoben wird und der in erster Linie das Programm „Ausbau des Potentials der Humanressourcen" betrifft.
Wir Sozialdemokraten unterstützen das Europäische Parlament in seinen Bemühungen, daß der Programmteil für die sozialwissenschaftliche Forschung erheblich ausgedehnt und um eine Reihe von Punkten ergänzt wird, die ich wegen der Kürze der Zeit leider nicht mehr vortragen kann.
Drittens. Wir stehen weiterhin kritisch dem Anfang 1995 gegründeten und gegenwärtigen Trendsetter europäischer Forschungspolitik, Task Force genannt, gegenüber; denn dieses Generaldirektionen übergreifende Konzept greift den Nerv der Kommissionsverwaltung an, wenn es zu dem Punkt kommt, ob der Task-Force-Koordinator für andere Generaldirektionen als die eigene Entscheidungen trifft.
Ich möchte mit folgendem schließen, Frau Präsidentin: Europa hat seine Vitalität, seine Neugierde und Risikobereitschaft gegen Ängstlichkeit und Kurzsichtigkeit eingetauscht. Lassen Sie uns bei der Gestaltung des Fünften Rahmenprogramms gemeinsam daran weiterarbeiten, europäische Forschungs-, Technologie- und insbesondere Kommunikationspolitik nicht nur unter finanziellen und industriepolitischen, sondern auch unter umfassenden gesellschaftspolitischen Aspekten zu betrachten und ihre Instrumentarien zum Wohle eines geeinten Europas und seiner Menschen nutzbar zu machen.
Das gemeinschaftliche Fünfte Rahmenprogramm der EU kann Weichen für den Eintritt der europäischen Forschungspolitik ins 21. Jahrhundert stellen. Es wird aber nur symbolische Bedeutung haben, wenn wir die Zeit bis zur Beschlußfassung nicht nutzen, um die wenigen genannten Punkte noch in das Programm hineinzubringen.
Mein Schlußsatz, Frau Präsidentin, gilt dem Kollegen Laermann. Herr Laermann, ich möchte Ihnen im Namen der Arbeitsgruppe Bildung und Forschung der SPD-Bundestagsfraktion herzlich für die faire, sachliche und teilweise kameradschaftliche, an Problemen orientierte Zusammenarbeit danken. Ich wünsche Ihnen im Namen meiner Kollegen - sie haben es teilweise schon selber getan - alles Gute für die Zukunft.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/10360 und 13/10265 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD zur Neurorientierung der europäischen Forschungs- und Technologiepolitik auf Drucksache 13/10562. Ich bitte diejenigen, die dem Antrag zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist der Antrag mit den Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von SPD und PDS abgelehnt.
Wir kommen zum Beschlußvorschlag der Europäischen Union für den Bereich der Forschung, technologischen Entwicklung und Demonstration. Der Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 13/ 9319, in Kenntnis der Unterrichtung eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung des Ausschusses? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist die Beschlußempfehlung des Ausschusses mit den Stimmen von CDU/ CSU, F.D.P. und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen.
Beschlußempfehlung des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu neuen Perspektiven für die europäische Forschungspolitik, Drucksache 13/ 9319 Nr. 2. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/6411 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung des Ausschusses? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen von CDU/ CSU und F.D.P. bei Enthaltung der SPD und gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen.
Beschlußempfehlung des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. zum Fünften Rahmenprogramm Forschung der Europäischen Union, Drucksache 13/9319 Nr. 3. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/8855 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen von CDU/ CSU, F.D.P. und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von SPD und PDS angenommen.
Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 20 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Weiermann, Ernst Schwanhold, Anke Fuchs (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Montanunion-Vertrag über das Jahr 2002 fortschreiben
- Drucksachen 13/3526, 13/6722 -
Berichterstattung: Abgeordneter Thomas Rachel
Vizepräsidentin Michaela Geiger
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist dies so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Wolfgang Weiermann, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Beschlußempfehlung des Wirtschaftsausschusses zum Antrag meiner Fraktion, den Montanunion-Vertrag über das Jahr 2002 hinaus fortzuschreiben, ist für meine Fraktionskollegen und für mich eine Enttäuschung. Lassen Sie mich hinzufügen: Sie ist enttäuschend für die in der Montanindustrie beschäftigten Kolleginnen und Kollegen.
Ich will an dieser Stelle allerdings auch deutlich machen - dies sage ich gerne -, daß es im Rahmen einer interfraktionellen Gesprächsrunde „Stahl" und in Gesprächen mit dem BMA gelungen ist, zu vereinbaren, daß in einer Richtlinienänderung zum EGKS-Vertrag die soziale Flankierung für Stahlarbeiter über das Jahr 2002 hinaus - also bis zu dem Zeitpunkt, an dem dieser Montanunion-Vertrag, wenn sich nichts Entscheidendes ändert, auslaufen soll - bis zum Jahre 2006 gesichert sein wird. Das ist eine positive Entwicklung, die auf den Wunsch des Kollegen Urbaniak und auf meinen Wunsch hin zustande gekommen ist,
wofür wir den Kolleginnen und Kollegen, die in diesem Ausschuß mitgewirkt haben, insbesondere Herrn Ost, der dazu die notwendigen Schritte hat einleiten können, ein herzliches Dankeschön sagen.
Damit können wir an dieser Stelle sagen, daß wir zumindest in diesem Bereich ein langfristig wirkendes Instrument gefunden haben, das die Personalentscheidungen in der Stahlindustrie sozial verträglich unterstützen wird, wobei die finanzielle Belastung des Bundes in diesem Fall geringer ausfallen wird als vorher und der Minderbetrag als Mehrleistung von den Unternehmen getragen werden muß. Das ist die Ausgangsposition dieser neuen Richtlinie.
Doch die Zukunft der Stahlindustrie und ihrer Beschäftigten ist trotz der augenblicklich boomenden Konjunktur in diesem Sektor nach wie vor problematisch. Neben den allgemeinen Problemen des Industriestandortes Deutschland bereitet den deutschen Stahlunternehmen dabei vor allem die spezifische Situation auf den Stahlmärkten Sorge, die zum Teil ganz erheblich zu Wettbewerbsverzerrungen führt. Dies betrifft vor allem die Dumpingkonkurrenz aus den mittel- und osteuropäischen Staaten, zum Teil aus den USA und vor allem auch aus Fernost. Wohin diese Situation geführt hat, haben die Ereignisse der letzten Zeit klargemacht: Die Fusionen, die feindlichen Übernahmen und dann die wieder weniger feindlichen Übernahmen sprechen eine deutliche Sprache.
Trotz der guten Prognosen für die Stahlindustrie in diesem Jahr und obwohl der Anteil des Importstahls gedrückt werden konnte, rechnet die Wirtschaftsvereinigung Eisen und Stahl auch in diesem Jahr mit einem Abbau von Arbeitsplätzen. Noch schlimmer, wie wir alle wissen, sieht es im Steinkohlebergbau aus.
Lassen Sie mich ganz deutlich an die Adresse der Bundesregierung und an Teile der Koalitionsfraktionen hier im Hause sagen: Die Bergleute von Rhein und Ruhr sind 1997 nicht aus Lust am Spektakel auf die Straße gegangen und vor das Kanzleramt gezogen,
sondern deshalb, weil das, was immer so abstrakt als Strukturwandel dargestellt wird, für sie eine unmittelbare Existenzbedrohung ist. Es ist unsere Aufgabe, eine derartige Existenzbedrohung abwenden zu helfen.
Die Situation wird weiterhin dadurch nicht gerade besser, daß die Bundesregierung ein überzeugendes, in sich stimmiges Konzept für eine Industriepolitik der Zukunft vermissen läßt. Alles, was sie zustande bringt, ist kurzatmig und beschränkt sich auf - im übrigen schlecht gemachte - Schadensbegrenzung. Das schlägt natürlich auf den Arbeitsmarkt durch. Das ist die Wahrheit. Insofern schaffen Sie keine neuen Arbeitsplätze, sondern Sie schaffen neue Arbeitslose, so traurig das ist.
Der Vertrag über die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl, EGKS, ist einer der wichtigsten Verträge, die die Bundesrepublik in ihrer Geschichte geschlossen hat. Der Präsident der Europäischen Kommission, Santer, hat betont, daß der EGKS-Vertrag in ein neues europäisches Recht eingebettet werden soll. Dabei muß es vor allen Dingen darum gehen, den Gehalt des EGKS-Vertrages, der den spezifischen Problemen der Montanindustrie gerecht wird, in das europäische Vertragssystem einzubetten. Das ist die entscheidende Linie.
Der Vertrag von 1951, dessen geistiger Vater Robert Schuman war und dessen Grundhaltung wesentlich bestimmt wurde von dem ersten Präsidenten der Hohen Behörde der Montanunion, Jean Monnet, besteht im großen und ganzen aus drei Elementen: einem außenpolitischen, einem wirtschaftspolitischen und einem sozialpolitischen. Dabei waren seinerzeit, in der Phase des Ausbaus unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg, die heutigen Probleme dieses Industriesektors noch gar nicht vorauszusehen, so daß die aktuelle Bedeutung des Vertrages jetzt nicht mehr in seinem außen-, sondern im wirtschaftspolitischen und vor allem sozialpolitischen Bestandteil liegt.
Für alle, die sich mit der Frage befaßt haben, ist ein Verzicht auf die Fundamente des EGKS-Vertrages und ihre Einbettung in das zukünftige europäische Vertragssystem undenkbar. Damit kein ungezügelter
Wolfgang Weiermann
Wettbewerb und Subventionswettlauf stattfinden kann, ist es auch für die Zukunft erforderlich, daß dieses Regelwerk, wie es im EGKS-Vertrag beinhaltet ist, im europäischen Recht weiter Bestand hat. Deswegen muß heute unsere Devise heißen, mit der Tradition und den Inhalten des Montanunion-Vertrags pfleglich umzugehen. Im Klartext: Der Montanunion-Vertrag darf nicht auf Null zurückgeführt werden.
Ich bedaure, daß in dieser Situation die anderen Fraktionen keine oder allenfalls begrenzte Einsicht in die Notwendigkeit der Fortschreibung des EGKS-Vertrages gezeigt haben, wie in der Debatte zur ersten Lesung unseres Antrages im Oktober 1996 und jetzt in der Beschlußvorlage zu erkennen ist.
- Kümmern Sie sich um Ihre Pillen, und lassen Sie uns das Werk dessen tun, was Menschen draußen beschäftigt.
Meine Damen und Herren, Sie erklären wesentliche Teile für ordnungspolitisch falsch und schließen daraus kühn, auf den Montanvertrag könne verzichtet werden. Die F.D.P. - wen wundert es - sieht den Montanvertrag schlicht und einfach als überflüssig und schädlich an, wobei Bemerkungen zur angeblich abenteuerlichen Montanmitbestimmungswirtschaft mehr als deutlich zeigen, was ihr daran so mißfällt. Es ist doch so: Im Grunde genommen wollen Sie den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern wesentliche Bestandteile der Unternehmensmitbestimmung und der im Montanvertrag festgelegten Mitbestimmung nehmen. Das ist doch Ihr Prinzip. Dann geben Sie an dieser Stelle auch zu, daß diese Gründe Sie dazu führen, mit diesem Vertrag Schluß zu machen!
Es ist ermutigend, daß wenigstens die interfraktionelle Runde zum Vorschlag einer Richtlinie gekommen ist, die soziale Sicherheit garantiert und die auch deutlich macht, daß sozial flankierende Maßnahmen über das Jahr 2002 hinaus mit ihren Auswirkungen bis ins Jahr 2006 weitergeführt werden können. Insofern ist es auch wichtig, darauf hinzuweisen, daß bereits gegenwärtig im Bereich der Europäischen Union darüber diskutiert wird, inwieweit die Anpassungsprogramme RESIDER und RECHAR zurückgeführt werden können und die Mittel dafür sozusagen per Beschluß in der großen Haushaltskasse der Europäischen Union versinken sollen.
Es ist auch darüber diskutiert worden, daß die Mittel, die hierfür in Höhe von 1,5 Milliarden DM aus Montanunion-Vermögen zur Verfügung stehen, sozusagen in die Haushalte der Mitgliedsländer zu fließen haben, so daß damit keine weiteren Anpassungsmaßnahmen mehr betrieben werden können. Das sollte eigentlich, wie wir gestern gehört haben, Herr Schauerte, am 7. Mai, also am heutigen Tag, erfolgen. Daß dies nicht so ist, liegt schlicht und einfach daran, daß dieser Programmpunkt von der Tagesordnung genommen wurde. Daß es aber in diesem Punkt an der deutschen Politik, dem deutschen Parlament vorbei zu einer Entscheidung hätte kommen sollen, wirft ein Licht auf, das für die parlamentarische Arbeit in diesem Raum alles andere als gut ist.
Die Instrumente, auch die Interventionsinstrumente, die in diesem Vertragswerk verankert sind, sind für die EU schlechthin unverzichtbar, auch dann, wenn es darum geht, die EU-Osterweiterung voranzutreiben. Ich glaube, daß diese 40jährige Praxis für die Aufnahme weiterer osteuropäischer Länder hinsichtlich ihres Problems im Bereich Kohle und Stahl wertvoll ist und insbesondere das Instrument des Beratenden Ausschusses mit seiner Erfahrung, die er in diesen 40 Jahren hat gewinnen können, nicht mutwillig und leichtfertig aufgegeben werden sollte.
Wir sagen: Das Montanunion-Vermögen in Höhe von 1,5 Milliarden DM muß nach wie vor zur Finanzierung der sozialen Flankierung von Montanbereichen, von Menschen, die ihren Arbeitsplatz dort auch in Zukunft aufgeben müssen, zur Verfügung stehen. Wenn es uns nicht gelingt, Sie bis zur gleich stattfindenden Abstimmung über die Beschlußempfehlung zu überzeugen, davon Abstand zu nehmen, in einem anderen Sinne zu entscheiden, dann sollten diese Mittel zumindest nicht zwischen den Haushalten der europäischen Mitgliedsländer aufgeteilt werden, sondern zur Förderung in eine Stiftung fließen.
Ihre Redezeit ist zu Ende, Herr Abgeordneter.
Ich bin sofort fertig.
Solange dieser Vertrag läuft, sollen sie für entsprechende Maßnahmen der sozialen Flankierung bereitstehen. Erst danach sollen sie einer Stiftung zugeführt werden, die im Montanbereich zu verbleiben hat.
Meine Damen und Herren, das ist sicherlich kein Stoff, aus dem Träume wachsen. Es ist aber eine existentiell wichtige Grundlage für unsere weitere Tätigkeit im Bereich der Montanindustrie und für die Menschen, die dort beschäftigt sind. Das ist den Aufwand, an dieser Stelle ernsthaft darüber zu diskutieren, wert.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Thomas Rachel, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! In diesen Tagen haben wir uns im Parlament für die Einführung des
Thomas Rachel
Euro entschieden. Die Verwirklichung der Europäischen Währungsunion wäre allerdings historisch und politisch undenkbar, wenn nicht vor fast 50 Jahren die Montanunion gegründet wäre.
Mit der Montanunion wurde 1952 die Keimzelle der heutigen Europäischen Union gebildet. Der Vertrag über die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl wird nun nach 50 Jahren im Juli 2002 außer Kraft treten. Angesichts des umwälzenden Integrationsfortschritts in der europäischen Wirtschaft ist eine Verlängerung des Montanunion-Vertrags allerdings nicht sinnvoll. Den vorliegenden SPD-Antrag wird die CDU/CSU-Fraktion deshalb ablehnen.
Ich möchte an dieser Stelle aber betonen, daß sich die Koalition im Einvernehmen mit der SPD um einen gemeinsamen Weg für die Nutzung der MUV-Beihilfe für ausscheidende Arbeitnehmer bemüht hat und auch eine Lösung gefunden hat. Für ausscheidende Arbeitnehmer im Bereich Kohle und Stahl können bis zum Ende des EGKS-Vertrages Anträge auf Gewährung von Beihilfen gestellt werden. Damit sichern wir sozialverträgliche Anpassungsprozesse. Das ist ein guter Kompromiß; denn bis Juli 2002 können Anträge gestellt werden, die ihre Wirkung bis zum Jahr 2006 entfalten.
Zu den einzelnen Punkten des SPD-Antrags: Erstens. Wir lehnen die Erhaltung des Beratenden Ausschusses ab. Dieser Ausschuß hat in der Realität Europas an Bedeutung verloren. Auf ihn kann verzichtet werden.
Zweitens. Wir lehnen das Quotenverteilungssystem ab.
Die nach dem EGKS-Vertrag vorgesehenen Quoten, die es bei manifesten Krisen in der Stahlindustrie geben soll, haben die Erwartungen, die in sie gesetzt wurden, in der Praxis nicht erfüllt. Im Gegenteil: Sie haben Kapazitätsüberhänge nicht verhindert und Wettbewerbsverzerrungen nicht ausgeglichen.
Drittens. Es besteht weitgehend Einigkeit darüber, daß die geltenden Elemente des Beihilfekodex auch nach 2002 gelten sollen. Sollte es ein alle Sektoren umfassendes Beihilferegime geben, so fiele auch die Stahlindustrie darunter. Allerdings wären einzelne stahltypische Besonderheiten zu berücksichtigen. Wenn es auf europäischer Ebene vor Auslaufen des Montanunion-Vertrages zu einer Einigung käme, dann sollte der geltende Beihilfekodex „Stahl" über das Jahr 2002 hinaus verlängert werden.
Viertens. Der Montanunion-Vertrag wird ergänzt durch das Prinzip der Markttransparenz. Über das Prinzip eines transparenten Wettbewerbs herrscht Einigkeit mit Brüssel. Die EU-Kommission weist lediglich darauf hin, daß das Prinzip dort seine Grenzen finde, wo zu wenige Beteiligte im Markt vorhanden seien. Das klingt vernünftig. Insofern findet in Brüssel zur Zeit zwischen den Fachleuten eine Diskussion über die Abgrenzung der Zahl der Marktbeteiligten statt.
Fünftens. Was passiert mit dem Montanunion-Vermögen, das Stahl- und Kohleindustrie seit 1952 auf
Grund der einzigen europäischen Sondersteuer aufgebracht haben? Kein anderer Wirtschaftszweig in Europa hat eine solche Sondersteuer zahlen müssen. Insofern ist es nur recht und billig, daß dieses zusätzlich zur normalen Steuerpflicht angesammelte EGKS-Vermögen so verwendet wird, daß es der Zukunftsfähigkeit der Industrien zugute kommt, die es aufgebracht haben. In diesem Punkt sehe ich auch große Übereinstimmung mit der SPD-Bundestagsfraktion und natürlich auch mit dem Beschluß des Parlaments vom 22. Juni 1994, in dem wir gemeinschaftlich die Bundesregierung aufgefordert haben,
daß das „Montan-Vermögen" in Höhe von mehr als 1,5 Mrd. DM den beiden Industrien, die es aufgebaut haben, eventuell in Form einer Stiftung, erhalten bleibt ...
- Was ist denn daraus geworden? Wir können die Bundesregierung gemeinsam loben. Sie hat die deutschen Interessen in Brüssel mit Nachdruck vertreten.
Entsprechend dem Beschluß des Bundestages, wie Sie eigentlich wissen sollten, hat sich die Bundesregierung in der EU dafür ausgesprochen, die Eigenständigkeit dieses Vermögens zu erhalten und mit ihm die Zukunftsfähigkeit der betroffenen Industrien gerade im Forschungsbereich zu stärken. Hier macht es Sinn, daß sich die Industrie auch mit ihrem Knowhow einbringt. Denn sie verfügt über die notwendige Praxisnähe, die wir zur Meisterung der notwendigen Aufgaben benötigen.
Das Bemühen der Bundesregierung, das MontanVermögen von Einflüssen möglichst unabhängig zu machen, ist nachdrücklich zu begrüßen.
Denn wir müssen Begehrlichkeiten anderer verhindern. Dieses Ziel läßt sich wohl auf zwei Wegen verfolgen: entweder in Form einer Stiftung, die die Selbständigkeit garantieren würde - diesen Vorschlag hat die Bundesregierung bereits frühzeitig in die europäische Diskussion eingebracht -,
oder im Rahmen des allgemeinen Haushaltsrechts, allerdings nur, wenn es ein hohes Maß an Unabhängigkeit gibt. Die britische EU-Präsidentschaft hat diesbezüglich den Vorschlag gemacht, daß die Gesamtheit der Mitgliedstaaten Eigentümer des Vermögens wird, damit diesen auch in Zukunft noch Einflußmöglichkeiten verbleiben. Das ist zu begrüßen.
Die Unionsfraktion ermutigt die Bundesregierung, bei ihrer Politik in bezug auf die Verwendung des Montanunion-Vermögens auf europäischer Ebene nicht nachzugeben. Halten Sie an den Grundsätzen
Thomas Rachel
dieser Politik fest! Wir werden Sie dabei unterstützen.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Antje Hermenau, Bündnis 90/ Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Kollege Weiermann hat hier seiner Befürchtung Ausdruck verliehen, daß wir einem ungehemmten Subventionswettstreit ins Auge sehen müßten. Ich teile diese Befürchtung nicht, Herr Kollege Weiermann. Ich denke - auch vor dem Hintergrund der gerade stattfindenden Debatte über den Subventionsbetrug und die Möglichkeiten dazu auf europäischer Ebene -, daß wir alle versuchen sollten, das Vertrauen in die EU-Kommission und in die europäische Ebene eher zu stärken. Die Entscheidungsmöglichkeiten, die der EU-Kommission zur Verfügung stehen, sind ausreichend. Das sind zum Beispiel Beihilfeverbote, das Ordnungsrecht im Bereich der Fusionskontrolle. Es gibt sogar ein Kriseninstrumentarium, das darin besteht, daß man ein Strukturkrisenkartell bilden kann.
Ich glaube, die Erfahrungen beim Aufbau Ost haben gezeigt, daß eine Spezifizierung auf eine einzelne Branche nicht langfristig trägt. Auch die Modelle, die vorgeschlagen werden, wie zum Beispiel das Modell der Beschäftigungsgesellschaften, erweisen sich jetzt in der mittelfristigen Begutachtung als auf die Dauer nicht tragfähig. Ich glaube, daß man solche Sachen nicht vorschlagen und nicht nachahmen sollte.
Eine besondere Regelung in Deutschland für die Branchen Kohle und Stahl halte ich für unverhältnismäßig, weil die Beschäftigtenzahlen in der Steinkohleindustrie gerade noch der Einwohnerzahl einer kleineren Stadt entsprechen. Ich denke, da muß man nicht ein extra Instrumentarium auf europäischer Ebene einplanen.
Ich akzeptiere, daß die Montanunion ein Grundstein und ein Herzstück für die Europäische Union gewesen ist. Ich erkenne diese historische Verortung auch an. Aber ich glaube, daß wir jetzt andere Branchen und andere Zukunftspotentiale stärker in den Mittelpunkt rücken müssen. Wir sind nicht mehr bei der Grundsteinlegung des europäischen Hauses, sondern wir besprechen inzwischen das Interieur.
Ich möchte darauf hinweisen, daß zum Beispiel in Gelsenkirchen-Buer im letzten Jahr der letzte Schacht zugemacht worden ist und dort inzwischen die Solarzellenproduktion angesiedelt wird. Das ist es eigentlich, auf das wir gerne hinweisen wollen: Wie wollen wir mit der Energiepolitik auf europäischer Ebene in Zukunft umgehen?
Da muß ich schon sagen, daß ich das Verhalten der Bundesregierung sehr bedaure. Ich kann den Enthusiasmus des Kollegen Rachel überhaupt nicht teilen. Vielmehr habe ich ein bißchen das Gefühl, daß man in Brüssel auf deutscher Seite so ein bißchen den toten Mann gemimt hat, damit man am Ende alles auf Brüssel schieben kann, weil ja sozusagen die anderen alles beschlossen hätten, und die Deutschen hätten dagegen leider nichts mehr tun können. Ganz so sehe ich das nicht. Wir hätten zum Beispiel darauf bestehen können, ein Energiekapitel in die neuen Verträge hineinzuschreiben. Das ist nicht geschehen.
Ich glaube natürlich auch nicht, daß wir in absehbarer Zeit eine Chance darauf haben, daß Nachverhandlungen stattfinden; denn ich glaube nicht, daß ein Energiekapitel zur Chefsache gemacht werden wird, jedenfalls nicht von der amtierenden Regierung. Ich bedaure das, denn ich glaube, daß die Bundesregierung damit in Deutschland ein Zukunftsthema verschlafen hat.
Trotzdem glaube ich, daß der Antrag der SPD inzwischen obsolet ist. Sie haben hier noch vor zwei Jahren von der „Kohlevernichtungspolitik" gesprochen. Ich glaube, so drastisch muß man das nicht mehr sehen. Sie haben auch heute wieder darauf verwiesen, wie wichtig es ist, die Osterweiterung der Europäischen Union bei diesem Thema im Auge zu behalten.
Ich glaube, daß man vielleicht den Beihilferahmen ändern kann, so wie man das in den fünf neuen Ländern gemacht hat. Aber ich glaube nicht, daß man in den beiden Branchen Kohle und Stahl sehr langfristige Übergangsmodelle extra entwickeln sollte. Ich denke, daß Struktur- und Kohäsionsfonds, die es auf europäischer Ebene bereits gibt und die in den fünf neuen Ländern angewendet worden sind, ausreichen. Ich hatte das vorhin schon einmal ausgeführt.
Ich teile Ihre Kritik, Herr Weiermann, daß das mit der Stiftung nicht wirklich in die richtige Reihe kommt. Ich glaube, wie ich vorhin schon sagte, daß die Bundesregierung dabei ziemlich bewußt einfach den toten Mann gespielt hat. Das Thema ist ja für andere Länder uninteressant. Das ist natürlich das Problem. Es gibt kein gemeinsames Interesse mehr auf der europäischen Ebene, was Kohle und Stahl betrifft. Eigentlich wollen nur noch die Spanier und die Deutschen wirklich etwas machen.
Ihr Antrag ist inzwischen wirklich obsolet. Die europäische Entwicklung vollzieht sich noch viel schneller, als wir alle das nachvollziehen können. Deswegen wird die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen den Antrag der SPD ablehnen.
Danke schön.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Paul Friedhoff, F.D.P.-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Montanunion-Vertrag begleitet die deutsche Montanindustrie seit dem Jahr 1952. Er war historisch gesehen eine der wesentlichen Voraussetzungen für die Schaffung eines gemeinsamen europäischen Marktes. Die Struktur der Stahllandschaft in Deutschland und in Europa hat sich aber seit 1952 tiefgreifend verändert. Eine Branche, die auf eine lange Tradition zurückblickt, hat sich dem Strukturwandel stellen müssen und auch gestellt. Sie hat gezeigt, daß mit Kreativität und Effizienz eine Anpassung der Unternehmen an völlig veränderte Marktverhältnisse, an völlig veränderte Konkurrenzverhältnisse möglich werden konnte.
Sie hat sehr früh erkannt, daß Zukunft die Erschließung neuer Märkte und die Entwicklung neuer Produkte bedeutet.
Der Montanunion-Vertrag hatte seine Verdienste in der Vergangenheit; daran kann überhaupt kein Zweifel bestehen. Heute ist der Vertrag allerdings überholt. Er enthält zahlreiche interventionistische und dirigistische Elemente. Hier ist bereits darauf hingewiesen worden; ich will das nicht im einzelnen ausführen.
Deshalb gehört der Vertrag nicht mehr in unsere Zeit, in der der globale Wettbewerb und die Öffnung der Märkte eine immer stärkere Rolle spielen.
Auf Regionen eingeschränktes Denken ist überall auf dem Rückzug. Das ist gut so; denn der europäische Wirtschaftsraum und der Wirtschaftsstandort Deutschland müssen sich global behaupten.
Das kann nur gelingen, wenn sich die Unternehmen dem Wettbewerb stellen. Die deutsche Stahlindustrie tut dies.
Herr Weiermann, Sie haben hier so getan, als würde die deutsche Stahlindustrie durch Dumping zurückgedrängt. Ich habe mir die Zahlen noch einmal angesehen: 1996 hat Deutschland Exporte im Wert von 22 Milliarden DM und Importe im Wert von 15 Milliarden DM getätigt. Wir haben also mehr exportiert als importiert - auch dank der großen Leistungsfähigkeit der deutschen Stahlindustrie, die an einem schwierigen Standort hervorragende Arbeit leistet. Das begrüßen wir ausdrücklich.
In den Unternehmen der Stahlindustrie hat sich in den vergangenen Jahren eine Innovationskraft entwickelt, die zu einer technischen Revolution auf dem Gebiet der Verfahrenstechnik und der Entwicklung neuer Produkte geführt hat, von der auch die Automobilindustrie, der Maschinenbau und viele andere profitieren.
Dies ist mit Strukturanpassungsmaßnahmen verbunden, die auch in der deutschen Stahlindustrie noch nicht abgeschlossen sind.
In der Vergangenheit wurden die finanziellen Aufwendungen der Stahlindustrie beim Personalabbau von einer großzügigen Unterstützung des Bundes aus Steuergeldern begleitet. Diese Sonderalimentierung privater Umstrukturierungsmaßnahmen in einem Wirtschaftszweig konnte in dieser Höhe nicht weitergehen. Sie war und ist aus ordnungspolitischen Gründen, aber auch gegenüber kleinen und mittleren Unternehmen, die diese Hilfen eben nicht erhalten, auch nicht haltbar.
Es liegt nun ein Kompromiß vor, der dem Vertrauensschutz für die betroffenen Arbeitnehmer gerecht wird und die Unternehmen stärker in ihre ureigene Pflicht nimmt. Für den Steuerzahler bedeutet diese Kompromißregelung eine Entlastung von gut 200 Millionen DM gegenüber der alten Regelung, die somit der deutschen Volkswirtschaft anderweitig zur Verfügung stehen. Schutzzäune wie zum Beispiel den Montanunionsvertrag brauchen unsere Unternehmen nicht. Das weiß auch die Stahlbranche selbst. Deshalb ist sie mit der Koalition gegen eine Fortsetzung des Montanunionsvertrages über 2002 hinaus.
Ein „Weiter so!" darf es nicht geben. Die wirtschaftliche Entwicklung und der Wille der Beteiligten haben nach meiner festen Überzeugung die Forderungen der F.D.P. längst überholt. Deshalb lehnt die F.D.P. eine Fortsetzung des Montanunionsvertrages über das Jahr 2002 hinaus ab.
Herzlichen Dank.
Ich erteile das Wort jetzt dem Abgeordneten Hanns-Peter Hartmann, PDS.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die PDS ist für die Verlängerung der Kernbestimmungen des EGKS-Vertrages über das Jahr 2002 hinaus.
Für uns gibt es dafür mehrere Gründe. Zunächst ist festzustellen, daß der Vertrag auch heute noch modern ist. Er ist zeitgemäßer als vieles andere, was die gegenwärtig herrschende Politik an Maßnahmen - national und auf europäischer Ebene - durchdrückt. Ihm liegen die Gedanken der Völkerverständigung, der Erhaltung des Friedens, der gegenseitigen Hebung des Lebensstandards und der Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Arbeitnehmer zugrunde.
Er gebietet des weiteren den monopolfreien Wettbewerb und verbietet die Diskriminierung zwischen
Hanns-Peter Hartmann
Erzeugern, Käufern und Verbrauchern. Er sieht zudem eine Reihe von Maßnahmen vor, um sozialen Härten für die Arbeitnehmer bei Stillegungen von Unternehmen vorzubeugen. Der Vertrag fühlt sich den Ideen der sozialen Marktwirtschaft verpflichtet - Ideen, von denen sich die seit nunmehr 16 Jahren regierende Koalition in anderen Bereichen schon längst verabschiedet hat. Vor allem der auf der Grundlage von Art. 18 des EGKS-Vertrages gebildete Beratende Ausschuß räumt Erzeugern, Arbeitnehmern, Verbrauchern und Händlern eine demokratische Mitbestimmung bei Beschlüssen der Hohen Behörde ein, wie sie so sonst nirgends in der Wirtschaft existiert.
Nicht zuletzt sind die Instrumente des Vertrages wichtig und erhaltenswert auch im Hinblick auf den Beitritt der mittel- und osteuropäischen Staaten zur Europäischen Union, und dies gerade unter dem Gesichtspunkt der Offenheit der Montanunion für andere Staaten und der Solidarität, wie es in der französischen Regierungserklärung vom Mai 1950 heißt. Aber ich werde leider den Eindruck nicht los, daß der künftige Beitritt mittel- und osteuropäischer Staaten ein wichtiger Grund für die Mehrheit dieses Hauses ist, für den Rat und die Kommission ist, den Vertrag auslaufen zu lassen.
Wenn der Vertrag am 23. Juli 2002 ohne Verlängerung ausläuft, wird erneut ein Stück sozialer Gerechtigkeit und nationaler Solidarität zwischen gegenwärtigen und künftigen Mitgliedstaaten dem Neoliberalismus geopfert.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Heinrich Kolb.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Montanunionsvertrag gilt für eine Laufzeit von 50 Jahren ab seinem Inkrafttreten und läuft damit im Jahr 2002 aus. Der EG-Ministerrat hat schon im April 1991 Einigkeit darüber erzielt, daß der Vertrag nicht verlängert werden soll. Das heißt, von Juli 2002 an gilt für den Kohle- und Stahlsektor der EG-Vertrag. Ich begrüße es, daß, wenn ich das richtig verstanden habe, die SPD-Fraktion diese Auffassung im Grunde teilt.
Sie fordert jedoch in ihrem Antrag, daß eine Reihe zentraler Punkte des Montanunionsvertrages auch nach seinem Auslaufen erhalten bleiben. Die Bundesregierung ist demgegenüber der Auffassung, daß die vorhandenen Bestimmungen des EG-Vertrages grundsätzlich auch für den Kohle- und Stahlsektor geeignet sind und daher eine Übernahme wesentlicher Elemente des Montanunionsvertrages in den EG-Vertrag nicht erforderlich ist. Sie hält daher Sonderregelungen weder für zweckmäßig noch für erforderlich. Falls sich in der Zukunft besondere Ausführungsregelungen für den Kohle- oder Stahlsektor als erforderlich erweisen sollten, könnten sie zu gegebener Zeit auf der Grundlage des EG-Vertrages erlassen werden. Nach Auffassung der Bundesregierung läßt sich derzeit noch nicht übersehen, inwieweit im Jahre 2002 ein Bedarf für solche Regelungen besteht. Eine Diskussion darüber ist deshalb verfrüht.
Zu den einzelnen Elementen des Montanunionsvertrages, die im Antrag der SPD-Fraktion als erhaltenswürdig genannt werden, ist folgendes zu bemerken:
Erstens. Charakteristisch für den EGKS-Vertrag ist das strikte Subventionsverbot. Die Beihilfevorschriften des EG-Vertrages reichen nach Auffassung der Bundesregierung für eine entsprechende Kontrolle der Subventionen aus. Sie würden auch die Schaffung eines Beihilferahmens für die beiden Montansektoren gestatten.
Zweitens. Auch die Regelungen des EGKS-Vertrages für Kartellabsprachen und Unternehmenszusammenschlüsse brauchen nicht fortgeführt zu werden. Die Wettbewerbsvorschriften des EG-Vertrages und die Fusionskontrollverordnung reichen aus, um eventuell auftretende Probleme adäquat zu lösen.
Drittens. Eine Fortführung der industriepolitischen und der sozialpolitischen Instrumente des EGKS-Vertrages über das Jahr 2002 hinaus hält die Bundesregierung ebenfalls nicht für angemessen. Auch insofern reichen die im EG-Bereich bestehenden Instrumente aus.
Ich verweise dazu nur auf den Europäischen Sozialfonds zur Förderung der beruflichen Verwendbarkeit und der Mobilität der Arbeitskräfte. Für Sozialmaßnahmen sollen ohnehin - Kollege Rachel hat dies hier schon ausgeführt - nach einem Beschluß des Wirtschaftsausschusses bis zum Jahr 2006 Zahlungen geleistet werden können. Ich will allerdings darauf hinweisen: Ob es dazu kommt, hängt letztlich noch vom Rat ab.
Nächster Punkt. Das gleiche gilt für das statistische Marktinformationssystem und das Kriseninstrumentarium wie auch die Preisvorschriften des EGKS-Vertrages. Auch hier reichen nach unserer Auffassung die Wettbewerbsregeln des EG-Vertrages aus, um eventuelle Wettbewerbsverstöße zu beheben.
Schließlich wird in dem Antrag der SPD-Fraktion noch die Beibehaltung des Beratenden Ausschusses gefordert. Ich halte dies nicht für zwingend, will aber, Kollege Weiermann, doch sagen, daß die Bundesregierung hier einen eventuellen Vorschlag der Kommission aufgeschlossen prüfen wird.
Ich komme damit zu dem wichtigsten Punkt, der Frage nämlich, was mit dem Vermögen der Montan-
Parl. Staatssekretär Dr. Heinrich L. Kolb
union nach dem Auslaufen des EGKS-Vertrages geschehen soll. Die Bundesregierung teilt im Prinzip die Auffassung der SPD-Fraktion, daß das Montanvermögen den Montanindustrien erhalten bleiben muß, die es durch die Umlage aufgebracht haben.
- Wir haben uns gekümmert, Frau Kollegin Hermenau. - Wir haben uns deshalb bei den Beratungen in den Gremien des Industrieministerrates dafür eingesetzt, daß diese Mittel für die Forschung im Kohle-und Stahlbereich verwendet werden. Wir werden das auch weiterhin tun. Der Gedanke, hierfür eine Stiftung zu gründen, konnte leider nicht durchgesetzt werden. Es wird jetzt diskutiert, daß die verbleibenden EGKS-Mittel zu diesem Zweck von der Europäischen Kommission als Sondervermögen, also als Eigentum zur gesamten Hand, wenn ich es so sagen darf, verwaltet werden, aber nicht in das Eigentum der Europäischen Gemeinschaft übergehen. Über das weitere Vorgehen wird der Industrieministerrat im Laufe des Jahres, wahrscheinlich in der zweiten Jahreshälfte, entscheiden.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Letzte Chance. Bitte sehr.
Bitte schön, Herr Abgeordneter.
Um abschätzen zu können, was dort passieren kann, frage ich: Ist in dieser Frage Einstimmigkeit unter allen EU-Mitgliedern oder nur unter den Staaten des Montanunionsvertrages geboten? Was passiert, wenn man sich nicht einigt? Werden die Mittel zu allgemeinen Haushaltsmitteln oder gehen sie an die Geberländer zurück?
Herr Kollege Schauerte, das kann ich Ihnen hier nicht im Detail beantworten. Soweit ich weiß, ist die Einstimmigkeit aller Länder nicht erforderlich. Aber wenn Sie einverstanden sind, werde ich Ihnen und auch den interessierten Kollegen von SPD, Grünen und F.D.P. die Frage im Nachgang zur Debatte beantworten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundesregierung ist der Meinung, daß die im Antrag der SPD angesprochenen sogenannten zentralen Punkte des EGKS-Vertrages nicht fortgeführt werden sollten und daß die Weichen für das Jahr 2002 richtig gestellt sind. Ich bitte Sie deshalb namens der Bundesregierung, die Beschlußempfehlung des Wirtschaftsausschusses anzunehmen, mit der beantragt wird, den Antrag der SPD-Fraktion abzulehnen.
Herr Staatssekretär, würden Sie noch eine Frage des Abgeordneten Urbaniak beantworten?
Ich kann es versuchen. Bitte sehr, Kollege Urbaniak.
Hans-Eberhard Urbaniak . Herr Staatssekretär, wenn die Situation eintreten würde, daß die Mittel der Industrie, die sie aufgebracht hat, nicht zur Verfügung gestellt werden: Wie würde die Bundesregierung parieren, damit sie dorthin zurückkommen, wo sie hingehören?
Herr Kollege Urbaniak, es wäre sicherlich reizvoll, hierüber zu spekulieren. Aber ich habe bei vielen Gelegenheiten - auch in der Fragestunde des Deutschen Bundestages - gelernt, nicht auf hypothetische Fragen zu antworten. Ich möchte es heute auch gern so halten.
- Gut.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft zu dem Antrag der Fraktion der SPD zur Fortschreibung des Montanunionsvertrages über das Jahr 2002, Drucksache 13/6722. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/3526 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und Grünen gegen die Stimmen von SPD und PDS angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 8 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Annelie Buntenbach, Christa Nickels, Cern Özdemir und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Verweigerungsrecht für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei Produktion und Verbreitung rechtsextremer Propaganda
- Drucksache 13/9710 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Innenausschuß
Rechtsausschuß
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sechs Minuten erhalten soll. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist dies so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Abgeordnete Annelie Buntenbach, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir alle sind über den DVU-Wahlerfolg in Sachsen-Anhalt und über den rasanten Anstieg der rechtsextrem motivierten Straf- und Gewalttaten besorgt. Nicht nur, daß Rechtsextreme mehr als 12 Prozent der Wählerstimmen bekommen haben, sie haben das Land auch mit Unmengen von rassistischer und nationalistischer Propaganda überzogen.
Die Aktivisten der Frey-Partei - der Landesverfassungsschutz hat die Mitgliederzahl vor dem Wahlkampf noch mit 30 bis 40 angegeben - wären zu einer solchen Materialschlacht selbst gar nicht in der Lage gewesen. Rechtsextreme und insbesondere die DVU bedienen sich bei der Verbreitung ihrer Propaganda vor allem der Dienstleistungen von Menschen, die den braunen Dreck am liebsten in die Tonne treten würden, wie zum Beispiel die Postbeschäftigten, die in Sachsen-Anhalt Millionen von braunen Briefen austragen mußten. Andere Beispiele sind Satz, Druck und Vertrieb rechtsextremer Plakate und Schriften, die Produktion von entsprechenden Tonträgern, die Aussendung rechtsextremer Wahlspots in den Rundfunkanstalten oder die Bewirtung entsprechender Veranstaltungen.
Ich muß Ihnen hier den Gewissenskonflikt, in den die Beschäftigten gestürzt werden, sicherlich nicht genauer beschreiben. Folgen der Verbreitung rechtsextremer und rassistischer Gedanken und Weltanschauungen sind schließlich auch eine Vielzahl diskriminierender und gewalttätiger Handlungen gegen Nichtdeutsche, soziale Minderheiten und politisch Andersdenkende.
Wer aber eine solche Arbeit wirklich verweigert, muß allemal damit rechnen, den Arbeitsplatz zu verlieren. Gerade heute, bei einer offiziellen Arbeitslosenzahl von fast 5 Millionen, ist das für sehr viele ein existenzbedrohendes Druckmittel. Darum möchte ich hier das couragierte Verhalten Einzelner würdigen, die sich solchen Arbeitsaufträgen zum Nutzen rechtsextremer Gruppierungen verweigert haben. Dies ist über die individuelle Gewissensentscheidung hinaus ein Zeichen von vorbildlicher gesellschaftlicher und demokratischer Verantwortung.
Das Problem, um das es hier geht, ist nicht neu. Schon 1989 gab es die ersten aufsehenerregenden Postwurfsendungen der DVU. Nach einem heftigen Protest der Postbeschäftigten hatte auch der damalige Postminister, Wolfgang Bötsch, ein Einsehen und gab das Versprechen, Postlerinnen und Postlern sowie Postkundinnen und Postkunden die rechtsextreme Propaganda künftig zu ersparen. Leider ist dieses Versprechen bis heute nicht eingelöst worden.
Die augenblickliche Rechtslage bietet den Betroffenen keinen ausreichenden Schutz. Sie können sich zwar nach § 4 des Grundgesetzes auf ihre Gewissensfreiheit berufen, aber trotzdem führt dies in vielen Fällen zu arbeitsrechtlichen Konsequenzen bis hin zum Verlust des Arbeitsplatzes. Denn auch nach der neueren Rechtsprechung verlieren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dann ihren Arbeitsplatz,
wenn sie vom Arbeitgeber nicht unter Vermeidung ihres Gewissenskonfliktes anderweitig beschäftigt werden können. Das heißt, der Gewissenskonflikt wird praktisch zu einem in der Person des Arbeitnehmers liegenden Grund für die Kündigung.
Eben das wollen wir nicht. Uns geht es darum, jenseits der individuellen Gewissensentscheidung, die unser Antrag nicht in Frage stellt, eine gesellschaftliche Lösung vorzuschlagen. Wir wollen eine rechtliche Möglichkeit schaffen, die es den Beschäftigten ermöglicht, sich der Produktion und Verbreitung rechtsextremer und rassistischer Propaganda zu verweigern, und wir wollen die Verantwortung und die Risiken dafür nicht alleine dem Individuum auflasten. Denn schließlich ist es ein gesamtgesellschaftlicher Anspruch, Rassendiskriminierung und Rechtsextremismus zu bekämpfen, und dieser Anspruch darf nicht nur in der Freizeit gelten.
Der Weg, den wir in unserem Antrag dazu vorschlagen, besteht - in dieser einen Frage - in der Einschränkung des Direktionsrechts der Arbeitgeber. Ihnen soll die rechtliche Grundlage für die Erteilung solcher Arbeitsaufträge entzogen werden, die entweder Produktion und Vertrieb rechtsextremer oder rassendiskriminierender Propaganda darstellen oder für entsprechende Parteien oder Gruppen bestimmt sind. Ich glaube übrigens, daß dies für einen anständigen Arbeitgeber keine Einschränkung ist. Denn der würde solche Arbeitsaufträge sowieso nicht annehmen.
Wir halten im Kampf gegen den Rechtsextremismus wenig von Strafverschärfungen und Einschränkungen von Bürgerrechten, die letztlich einen Schritt in den autoritären Staat bedeuten. Unser Antrag zielt vielmehr darauf ab, die gesellschaftliche Auseinandersetzung zu stärken, den demokratisch eingestellten Menschen Handlungsmöglichkeiten zu eröffnen, Zivilcourage und selbstverantwortliches demokratisches Handeln zu unterstützen. Auf gar keinen Fall dürfen wir die Menschen weiterhin zwingen, auch noch an der Verbreitung von Ausländerfeindlichkeit, Rassismus und Nationalismus mitzuwirken.
Das Wort hat der Abgeordnete Helmut Heiderich, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Bekämpfung des Extremismus ist eine notwendige und aktuelle Aufgabe aller politischen Kräfte in diesem Land. Ich denke, darüber gibt es keine Differenzen. Insofern könnte der Antrag der Grünen, gegen Extremismus vorzugehen, ein Beitrag in diesem Zusammenhang sein. Bei näherem Hinsehen erscheint es jedoch sehr zweifelhaft, ob man dem Problem wirklich auf diese Weise begegnen kann.
Die Antragsteller wollen mit einem Eingriff in das Arbeitsrecht Produktion und Verbreitung extremistischen Schriftgutes verhindern. Sie übersehen dabei offensichtlich oder geflissentlich, daß bereits nach
Helmut Heiderich
geltendem Recht jeder Arbeitnehmer die Übernahme solcher Aufträge ablehnen kann, ohne daß er auf Grund seines Verhaltens Sanktionen durch den Arbeitgeber oder gar eine Kündigung seines Arbeitsvertrages befürchten muß, sofern - das ist natürlich die Voraussetzung - es sich bei dem zu vervielfältigenden oder zu verbreitenden Gedankengut um Inhalte handelt, welche gegen die einschlägigen Vorschriften des Strafgesetzbuches verstoßen. Damit ist längst eine objektive allgemeingültige Rechtsnorm vorhanden, welche durch den vorgelegten Antrag auch keinerlei Verbesserung erhält.
Darüber hinaus hat die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes dem Arbeitnehmer das subjektive Recht zugebilligt, die Übernahme von Arbeiten ablehnen zu können, wenn ihn diese in einen Gewissenskonflikt bringen. Die Auslotung der Frage, ob es sich um einen solchen Gewissenskonflikt handelt, ist allerdings nur durch die Abwägung des subjektiven Einzelfalls möglich. Es bleibt für den Arbeitnehmer an dieser Stelle das Arbeitsplatzrisiko - das ist richtig -, insofern eine Weiterbeschäftigung seiner Person mit anderen Arbeiten in diesem Betrieb nicht möglich ist. An dieser Stelle nun - so habe ich den Antrag j eden-falls verstanden - soll vom Bündnis 90/Die Grünen das Verweigerungsrecht des Arbeitnehmers gestärkt werden, so daß ihm dadurch keine Sanktionen entstehen.
Hier liegt aber, wenn man es weiter durchdenkt, eindeutig die Schwäche dieses Vorschlags. Die Frage, was als offensichtlich rechtsextrem und fremdenfeindlich außerhalb der vorhandenen Regelungen des Strafgesetzbuches anzusehen ist, bleibt in dem Entwurf völlig offen. Damit wird die Entscheidung auf den Arbeitnehmer abgeschoben, der damit jedoch grundsätzlich überfordert sein dürfte, insbesondere dann, wenn es um Produktionen oder Dienstleistungen geht, die zwar strafrechtlich nicht zu belangen sind, aber „unmittelbar für Parteien, Gruppierungen, Unternehmen oder Einzelpersonen bestimmt sind, die selbst oder deren maßgebliche Vertreter einzelne oder mehrere" extremistische Aussagen verbreiten. Die Vorstellung, auf diesem Wege dem Extremismus beizukommen, ist meines Erachtens so weltfremd und praxisfern, daß es wenig Sinn macht, diesen Weg weiterzuverfolgen.
Herr Abgeordneter, die Abgeordnete Annelie Buntenbach möchte eine Zwischenfrage stellen.
Ja, bitte sehr.
Bitte schön, Frau Abgeordnete.
Herr Kollege, sind Sie sich darüber im klaren, daß im Moment von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern im Postbereich durchaus Sendungen ausgetragen werden, die zwar zum Beispiel von der
DVU und den Republikanern sind, aber selbst keine strafrechtlichen Tatbestände enthalten, obwohl klar ist, daß diese Organisationen an anderen Stellen für Straftatbestände rechtsextremer Propaganda usw. geradestehen und dafür auch bekannt sind? Natürlich bemühen sie sich gerade in diesen Briefen, nicht so offensichtlich zu argumentieren, wodurch die Beschäftigten diesem von mir beschriebenen Dilemma ausgesetzt werden.
Frau Kollegin, ich komme auf diesen Gedankengang noch an späterer Stelle zurück. Ich möchte zuvor nur soviel sagen: Das genau ist der Punkt der Auseinandersetzung, wie wir es auch gestern im Zusammenhang mit dem Verfassungsschutzbericht von Herrn Glogowski gehört haben, als er über den Antrag sprach, die DVU zu verbieten. Ich glaube, damit erreicht man keine Lösung dieses Problems, denn man muß sich mit diesen Fragen politisch auseinandersetzen und über diesen Weg versuchen, die DVU zurückzudrängen.
Lassen Sie mich direkt daran anschließen. Wenn es dem Strafrecht, den Verfassungsorganen und der Politik nicht gelingt, solche Propaganda zu unterbinden, wie soll dann der einzelne Arbeitnehmer den Nachweis führen können? Wie soll er ad hoc bei Vorliegen eines entsprechenden Auftrages, dessen Inhalt selbst - das haben Sie eben gesagt - strafrechtlich nicht zu belangen ist, entscheiden, ob der Auftraggeber irgendwann einmal Aussagen verbreitet hat, die sich - ich zitiere wieder aus Ihrem Antrag -„gegen den Gedanken der Völkerverständigung und der Menschenwürde" richteten? Da sich Ihr Antrag auch ausdrücklich - Sie haben es eben wiederholt - auf die Inanspruchnahme der Dienstleistungen der Post bezieht, muß meines Erachtens natürlich sofort die Frage aufkommen, wie denn solche Vorstellungen mit dem Schutz des Brief- und Postgeheimnisses zu vereinbaren sein sollen.
Dieser Antrag erscheint nicht nur hinsichtlich seiner praktischen Umsetzung wenig brauchbar; er ist meines Erachtens auch im Ansatz falsch und undurchdacht. Wenn man zur Bekämpfung des Extremismus an rechtliche Weiterungen denkt, dann muß man zunächst im Straf- und Verwaltungsrecht tätig werden, dann muß man objektiv überprüfbare Regelungen schaffen und vor allem dazu beitragen, daß diese dann auch umgesetzt werden.
Entscheidungen darf man dann nicht einzelnen Arbeitnehmern subjektiv zuschieben. Dies ist der falsche Weg.
Wenn es auch kein Patentrezept zur Bekämpfung des Extremismus von rechts und links gibt, so drängen wir beide doch nicht dadurch zurück, daß wir die Verteilung von Flugblättern behindern. Wir müssen vielmehr verhindern, daß die Parolen auf den Flug-
Helmut Heiderich
blättern von den Menschen ernst genommen werden.
Wir müssen den Argumenten den Boden entziehen und verhindern, daß die Fundamente unseres Gemeinwesens ausgehöhlt werden.
Die Bekämpfung muß an der Wurzel ansetzen und nicht an den Symptomen.
Dazu gehört, Herr Kollege, an erster Stelle die geistig-politische Auseinandersetzung mit dem Extremismus. Dazu gehört die konsequente Stärkung der inneren Sicherheit. Insbesondere organisierte Kriminalität und Gewalt werden von den Bürgern zunehmend als Bedrohung ihres persönlichen Lebensumfeldes empfunden.
Eine weitere entscheidende Voraussetzung dafür ist unter anderem die Verankerung des rechtsstaatlichen Werte- und Normengefüges in allen Bereichen des täglichen Lebens. Dies gilt insbesondere auch bei den angeblichen „Bagatellfällen" von Rechtsverstößen. Die Beachtung traditioneller Werte, Verantwortung gegenüber Mitmenschen und Staat müssen wieder stärker in der Erziehung beachtet werden. Hier haben gerade die Grünen einen erheblichen Nachholbedarf. Gleiches gilt für jegliche Anwendung von Gewalt. Wer spitzfindig zwischen Gewalt gegen Personen und Gewalt gegen Sachen relativiert, baut Normen ab, statt zur Ächtung von Gewalt jeglicher Art beizutragen.
Kriminalität erfolgreicher bekämpfen heißt aber auch, den Sicherheitskräften alle technischen Möglichkeiten an die Hand zu geben,
um gegen das Verbrechen erfolgreich arbeiten zu können und um auch das Sicherheitsgefühl der Bürger durch stärkere Zusammenarbeit, durch mehr Präsenz von Polizeikräften vor Ort zu stärken. Wenn in all diesen Bereichen die Aktivitäten der Koalition Verstärkung und Unterstützung von Ihrer Seite fänden, dann wären wir ein wesentliches Stück weiter.
Leider geben Sie in der Praxis ständig gegenteilige Beispiele. Ich will nur auf das völlig unbefriedigende Ergebnis bei der Abhörung von Gangsterwohnungen verweisen, das von Ihnen zu verantworten ist.
Ich will auf das aktuelle Beispiel der rotgrünen Landesregierung in Hessen hinweisen, welche gerade
die sogenannte Schleierfahndung für dieses Bundesland abgelehnt hat. Was der Polizei in Bayern und Baden-Württemberg bereits zu erheblichen Erfolgen verholfen hat, wird von Rotgrün in Hessen ausgebremst. Wer sich so einer entschlossenen Verbrechensbekämpfung verweigert, trägt nicht dazu bei, Radikalen und Populisten den Nährboden zu entziehen.
In diesen und manchen anderen Bereichen entschlossener zu handeln, den Bürgern Sorgen und Ängste zu nehmen, nur so kann es gelingen, den Extremismus auf breiter Front zurückzudrängen.
Der hier vorgelegte Antrag setzt an der falschen Stelle an und würde sich in der praktischen Umsetzung als undurchführbar erweisen. Er ist deshalb ungeeignet, dem anwachsenden Extremismus Einhalt zu gebieten.
Das Wort hat die Abgeordnete Doris Barnett, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Heiderich, Sie verwechseln dauernd willkürlich Äpfel und Birnen. Im Rahmen dieser Debatte ist das schon schade;
denn wir diskutieren hier einen Antrag, der zum Ziel hat, das Direktionsrecht der Arbeitgeber - nicht die Kriminalität - einzuschränken. Diese sollen zukünftig Beschäftigte nicht mehr verpflichten können, Produkte mit rechtsextremem, rassendiskriminierendem oder volksverhetzendem Gedankengut herzustellen oder Dienstleistungen zu erbringen, wenn dies für ihre Beschäftigten einen Gewissenskonflikt bedeutet.
Ein solches Anliegen ist nach der Wahl in SachsenAnhalt nur allzu verständlich. Niemand hier im Plenum wird dafür eintreten, daß rechtsextreme, rassendiskriminierende oder volksverhetzende Gedanken verbreitet werden sollen. Wir müssen alles dafür tun, daß im nächsten Bundestag niemand sitzt, der das will.
So gut die Ziele in dem heute vorliegenden Antrag auch gemeint sind, wir müssen uns schon etwas mehr Gedanken darüber machen und uns gut überlegen, ob der im Antrag vorgeschlagene Weg der beste Weg dafür ist. Der vorliegende Antrag fordert
Doris Barnett
eine Abwägung zwischen Gewissens- und Meinungsfreiheit. Diese soll, so verstehe ich den Antragsteller, zugunsten der Gewissensfreiheit in Form eines Verweigerungsrechtes für Beschäftigte ausfallen. Unter dem Eindruck der Ergebnisse der letzten Landtagswahlen mag eine solche Forderung auf den ersten Blick überzeugen. Dennoch ist es mit einem einfachen Ja oder Nein zu diesem Antrag nicht getan. Das wird der Bedeutung und Tragweite des Problems nicht gerecht.
Gewissensfreiheit ist nicht nur ein unveräußerliches Grundrecht der Menschen in unserer Gesellschaft, sie ist ein Menschenrecht. Sie setzt dem Staat Grenzen; das bedeutet aber nicht, daß die Ausübung der Gewissensfreiheit absolut und schrankenfrei ist. Meinungsfreiheit andererseits ist ebenfalls eines der höchsten Güter unseres Rechtsstaates. Dazu gehört auch das Recht auf Informationsfreiheit. Diese höchsten Güter unseres Gemeinwesens dürfen wir nicht durch Rangordnungsüberlegungen in Frage stellen oder gar gegeneinander aufwiegen, nur weil rechte Chaoten unseren Staat herausfordern. Genau das ist das Problem, mit dem wir uns hier auseinandersetzen müssen.
Steht im Falle der Produktion und Verbreitung rechtsextremer Propaganda, die von der Meinungsfreiheit gedeckt ist, dem Arbeitnehmer ein uneingeschränktes Recht auf Gewissensfreiheit und damit ein Arbeitsverweigerungsrecht zu? Eine sichere Grenze, was Beschäftigten in einem Betrieb oder in einer Behörde zugemutet werden darf, bietet - darauf wurde schon hingewiesen - das Strafrecht. Ein Aufruf zum Rassenhaß, die Anstiftung zu Gewalttaten oder die Verbreitung der sogenannten Auschwitz-Lüge sind mit gutem Recht strafbar.
Wenn aber die rechte Propaganda von der Meinungsfreiheit gedeckt ist, wenn die Partei oder Organisation, die diesen Inhalt verbreiten will, nicht verboten ist, kann dann das Arbeitsverweigerungsrecht, das sich auf die Gewissensfreiheit beruft, die Meinungsfreiheit einschränken? Wir denken dabei an die unerträglich dumpfen Parolen der DVU. Diese Art einer Wahlkampagne ist ja nicht neu. Plakate, Postwurfsendungen, Werbefilme mit vergleichbaren Inhalten sind seit Bestehen der Bundesrepublik und verstärkt in den letzten 15 Jahren Alltagsrealität. Diese wurden häufig durch Firmen produziert und vertrieben, die keinerlei ideologische Nähe zu ihren Auftraggebern hatten. In der Tat haben einige Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sich aus Gewissensgründen geweigert, solche in ihren Augen unerträglichen Aufträge auszuführen, obwohl die Firmen oder Behördenleitungen dies angeordnet hatten. Diesen Menschen und ihrer Zivilcourage zolle ich hohen Respekt.
Die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung hat mehrfach die Gewissensfreiheit dem Direktionsrecht gegenübergestellt, sie hat sie aber nicht zu einem Quasi-Mitspracheanspruch ausgestaltet. Bei der im Antrag von Bündnis 90/Die Grünen vorgenommenen Abwägung von Grundrechten geht es im Falle der Arbeitsverweigerung aus Gewissensgründen immer auch um Art. 5 des Grundgesetzes, nämlich um das Recht auf Meinungsfreiheit. Ich will jetzt nicht Voltaire, Rosa Luxemburg oder Winston Churchill zitieren; aber Demokratie und Meinungsfreiheit bedeuten immer auch die Freiheit, Unsinn zu verbreiten, die Freiheit zu provozieren und die Freiheit, gegen die moralischen und politischen Überzeugungen der Mehrheit zu verstoßen. Ja, Demokratie kann manchmal ganz schön weh tun.
Mit dem Rechtsextremismus müssen wir uns politisch auseinandersetzen. Wir müssen über seine Ursachen nachdenken. Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit, gerade bei jungen Menschen, können leicht zu einem Wegbereiter für den Radikalismus werden. Wir kennen doch alle die Geschichte. Deshalb gilt es jetzt, die Arbeitslosigkeit gerade bei den jungen Menschen zu bekämpfen.
Jede Woche, die sie länger warten müssen, trägt nur zu ihrer Verbitterung gegenüber unserer Gesellschaft bei und treibt sie in die Arme solcher Gruppierungen wie zum Beispiel der DVU.
Ich bin fest davon überzeugt: Die überwiegende Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland und auch die überwiegende Mehrheit der jungen Menschen in den neuen Bundesländern sind auf Dauer nicht für die dumpfen Parolen der Rechtsextremen zu gewinnen. Dennoch: Diese Mehrheit ist keine Selbstverständlichkeit. Demokratie, Liberalität, Weltoffenheit und Toleranz fallen nicht vom Himmel, sondern werden erlernt. Sie hängen auch davon ab, daß und wie wir uns als Gesellschaft mit rechten Ideologen auseinandersetzen.
Versuchen wir, uns zu vergegenwärtigen, was es bedeuten würde, wenn ein gutgemeinter Vorschlag, wie es der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen vorsieht, Realität würde. Was für die gute Gewissensentscheidung gelten würde, nämlich ohne arbeitsrechtliches Risiko keine rechtsextreme Propaganda herstellen oder verteilen zu müssen, müßte dann umgekehrt auch für andere Gewissensentscheidungen gelten.
Wir alle kennen das Beispiel, daß sich Krankenhauspersonal weigert, einen Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen. Warum sollte ein Fotolaborant gezwungen sein, in seinen Augen pornographische Bilder zu entwickeln? Dann dürfte sich auch eine mohammedanische Reinigungskraft weigern, in Häusern anderer Glaubensgemeinschaften sauberzumachen. Dann könnte sich ein konservativ eingestellter Drucker weigern, die Wahlwerbung einer linken Partei herzustellen.
Doris Barnett
Die Zivilcourage der hessischen Briefzusteller, die sich vor gut zehn Jahren geweigert hatten, rechtsextreme Postwurfsendungen auszutragen, ist beispielhaft. Zivilcourage läßt sich aber nicht von oben verordnen. Zivilcourage bedeutet, daß jemand auch auf die Gefahr persönlicher Nachteile hin seinem Gewissen folgt.
Es ist unsere Aufgabe, die Aufgabe von Eltern und Erziehern, von Lehrern, Ausbildern und Vorgesetzten, immer wieder klarzumachen, warum Achtung und Toleranz allen Menschen gegenüber richtig sind, warum ein friedliches Miteinander ein zentraler Wert unserer Gesellschaft ist und warum Demokratie bei allen Anstrengungen, die sie den Menschen manchmal abverlangt, die beste Regierungsform ist.
Ich denke, ich konnte deutlich machen, wie komplex und problembeladen diese Materie ist. Bedauerlich, ja ärgerlich ist es, daß die Bündnisgrünen ihren Antrag vom Januar erst diese Woche - zufällig nach der Wahl in Sachsen-Anhalt - einbringen; denn die eigentliche Arbeit kann erst jetzt in den Ausschüssen beginnen. Aber um diesem Thema mit seiner Reichweite gerecht zu werden, ist kaum Zeit. Ich habe Zweifel, ob wir noch in dieser Wahlperiode eine seriöse Beratung durchführen und damit eine abgewogene Entscheidung treffen können.
Der Herausforderung der Rechten kommen wir nicht mit immer mehr Reglementierungen bei, sondern mit einer neuen Politik, die für die Bedürfnisse der Menschen da ist, die sie nicht im Stich läßt und die ihnen eine gerechte Zukunft bietet.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Gisela Babel.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit Ihrem Antrag, Arbeitnehmern bei der Produktion und Verbreitung rechtsextremer Propaganda ein Verweigerungsrecht einzuräumen, greifen Bündnis 90/Die Grünen ein gerade in dieser Zeit sehr schwieriges Thema auf. Spätestens seit der Wahl in Sachsen-Anhalt besteht zwischen allen demokratischen Parteien Übereinstimmung darin, daß wir uns mit dem Thema Rechtsextremismus politisch offensiv auseinandersetzen müssen.
Zweifellos sind nicht alle Wähler, die rechtsextremen Parteien ihre Stimme gegeben haben, rechtsextremistisch eingestellt. Unter diesen Wählern dürfte es einen ganz erheblichen Anteil derer geben, die sich aus einem diffusen Gefühl des Protestes heraus dafür entschieden haben, so zu wählen. Die gesellschaftlichen Ursachen für dieses Verhalten gilt es aufzuspüren und zu ergründen.
Es muß gelingen, den Protestwählern den Weg zurück zu den demokratischen Parteien zu ebnen.
Das gilt ganz besonders für die vielen jungen Wähler, die den Rechtsextremisten ihre Stimme gegeben haben. Dies kann nicht dadurch geschehen, daß die demokratischen Parteien rechtsextreme Parolen aufgreifen.
In diesem Zusammenhang darf ich auf eine Meldung verweisen, die heute in der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung" zu lesen war, nämlich daß ein als rechtsextrem eingestufter Verlag Postkarten mit dem Bild des niedersächsischen Ministerpräsidenten und mit einem Zitat von ihm druckt. Ich zitiere:
Wer unser Gastrecht mißbraucht, für den gibt es nur eins: raus, und zwar schnell.
Es besteht die Gefahr, daß man mit einem solchen Satz den Weg für eine Politik ebnet, von der wir meinen, daß Rechtsextreme sie nicht aufgreifen dürfen.
Wir glauben, daß es eine inhaltliche Auseinandersetzung geben muß, um rechtsextremistisches Gedankengut mit allen Mitteln zu bekämpfen. Der vorliegende Antrag - da knüpfe ich an das an, was Frau Barnett gesagt hat - ist nicht die geeignete Waffe im Kampf gegen den Rechtsextremismus.
Es geht ganz zweifellos um einen Gewissenskonflikt. In diesen Gewissenskonflikt geraten zum Beispiel Drucker, wenn sie das abstoßende rechte Propagandamaterial drucken müssen und bei Weigerung ernsthafte arbeitsrechtliche Konsequenzen befürchten müssen.
Das Problem ist aber, daß diese Gewissenskonflikte für den einzelnen nicht nur bei der Herstellung von rechtsextremer Propaganda entstehen können. Ich kann mir eine unübersehbare Zahl von Fällen vorstellen, in denen die Arbeitnehmer an ihrem Arbeitsplatz Aufträge ausführen müssen, die sie in einen solchen Gewissenskonflikt stürzen. Der Konflikt kann religiöser Natur sein. Es kann sich auch um pornographische Schriften handeln, durch die sich Frauen verletzt fühlen. Es gibt viele Beispiele für Fälle, in denen wir die Möglichkeit eines solchen Gewissenkonflikts für den einzelnen Arbeitnehmer nicht abstreiten dürfen.
Da ist nun die Frage, ob wir jedesmal ein Verweigerungsrecht einräumen können; denn es kann nicht sein, daß ein Verweigerungsrecht nur bei Gewissenskonflikten im Zusammenhang mit Rechtsextremismus gewährt wird.
Vielmehr müssen wir hier eine allgemeine Regelung treffen, die alle diese Gewissenskonflikte erfaßt. Dies könnte sehr schnell ins Uferlose gehen.
Dr. Gisela Babel
Die geltende Rechtslage ist in manchen Fällen sicherlich unbefriedigend. Aber eine generelle Lösung dieses Problems durch den Gesetzgeber halte ich trotzdem für falsch. Solange es sich nicht um strafrechtlich relevante Tatbestände handelt, sondern um rechtlich zulässige, politisch aber abzulehnende Meinungsäußerungen, müssen sich Arbeitnehmer in den Grenzen des geltenden Arbeitsrechts halten.
Ich bedanke mich.
Danke schön. - Die Kollegin Ulla Jelpke hat darum gebeten, ihre Rede zu Protokoll geben zu können.') Sie sind damit sicherlich einverstanden. - Dann kann ich damit die Aussprache schließen.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 13/9710 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf:
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs und des Arbeitsgerichtsgesetzes
- Drucksachen 13/10242, 13/10344 -
- Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Marliese Dobberthien, Christel Hanewinckel, Hanna Wolf , weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung des geschlechtsbedingten arbeitsrechtlichen Benachteiligungsverbots an das EU-Recht
- Drucksache 13/7896 -
- Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk, Marieluise Beck , Volker Beck (Köln), weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchsetzung der Lohngerechtigkeit zwischen Männern und Frauen
- Drucksache 13/9525 -
- Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk, Marie-luise Beck , Volker Beck (Köln), weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Beseitigung der Diskriminierung von Frauen in der Erwerbsarbeit
- Drucksache 13/9526 -
*) Anlage 4
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
- Drucksache 13/10575 - Berichterstattung:
Abgeordneter Uwe Lühr
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Es gibt keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst die Abgeordnete Birgit Schnieber-Jastram.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Richtig, Frau Wolf, es streiten hier wieder zwei Hamburgerinnen. Ich möchte, wenn wir uns schon einmal um ein frauenpolitisches Thema streiten dürfen, zu Beginn einmal fragen: Wo sind eigentlich die frauenpolitischen Signale Ihres Kanzlerkandidaten Gerhard Schröder?
Er hat da, wo er etwas zu sagen hat, nämlich in Niedersachsen, deutliche Zeichen gesetzt: Er hat - um das ganz klar zu sagen - erst einmal die Zahl der Frauen im Kabinett reduziert und die Frauenministerin abgeschafft.
Ich habe mich darüber gewundert, daß Sie in keiner Weise interveniert haben. Wir reden hier heute über die Gleichstellung von Frauen. In dieser Sache jedenfalls haben Sie an Ihre eigene Adresse kein Wort verloren. Vielleicht holen Sie es nach.
- Das ist nun allerdings nicht ganz richtig. Zeitungen kann auch ich lesen, Frau Niehuis; da können Sie ganz sicher sein.
Ehrlich gesagt, ich glaube, Sie sollten bei solchen Dingen einmal nachprüfen, wie es mit Benachteiligung und Gleichberechtigung dort aussieht, wo angeblich die Kraft des Neuen reift.
Aber jetzt zu dem Thema - das ist das gleiche Thema, Frau Wolf -, wo wir Kompetenzen haben. Es ist keine Frage, daß immer noch Vorurteile gegen Frauen herrschen, und zwar nicht wegen schlechter Leistungen, sondern vielleicht eher wegen des beschränkten Horizonts einiger Personalchefs, übrigens auch -chefinnen - das ist Realität -,
daß Frauen in Führungspositionen immer noch einen verschwindend geringen Anteil einnehmen -
Birgit Schnieber-Jastram
das ist traurige Realität - und daß Frauen immer noch weniger verdienen als Männer, und zwar nicht wegen schlechterer Leistungen. Darüber brauchen wir, und zwar Frauen aller Fraktionen, eigentlich nicht zu streiten und nicht lange zu diskutieren; da sind wir uns einig.
Wir müssen darüber reden, wie wir diese Ungerechtigkeiten Stück für Stück und ohne Loslösung von der Praxis beseitigen wollen. Da gehen unsere Wege auseinander, wenngleich ich finde, daß es sich hier nicht um grundlegende Unterschiede handelt. Denn einig sind wir uns doch in dem Grundsatz: Wurde bei einer Stellenausschreibung und bei einer Auswahl diskriminierend gehandelt, so muß der benachteiligte Bewerber - de facto meistens die Bewerberin - finanziell entschädigt werden. Was uns unterscheidet: Wir wollen den Regreß auf drei fiktive Monatsgehälter beschränken, um schon im Vorfeld unrealistischen Ansprüchen und amerikanischen Schadenersatzverhältnissen vorzubeugen. Wir bewerten die von Ihnen vertretene Regelung, daß ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot automatisch den Anspruch auf Begründung eines Arbeitsverhältnisses beinhaltet, als unrealistisch.
Wie soll denn, Frau Dobberthien, in Gottes Namen jemand, der, aus welchen Gründen auch immer, nicht eingestellt wurde und sich im nachhinein quasi einklagt, erfolgreich und effektiv in einer Firma integriert werden? Das bringt doch wirklich keinem was. Der Neueingestellte wird sich nicht wohlfühlen, weil er nicht wirklich gewollt ist, und derjenige, der eigentlich eingestellt werden sollte, wird ausgegrenzt.
De facto haben Sie also zwei Arbeitnehmern geschadet, aber nicht dem, dem Sie wirklich schaden wollen, nämlich dem Inhaber oder dem Betrieb. Das ist doch ganz unstrittig.
Es kann nicht der Sinn sein, daß man eine wohlklingende Regelung in ein Gesetz einbaut, die aber im Endeffekt keiner Partei Vorteile, sondern allen nur Nachteile bringt.
Was die Höhe der finanziellen Entschädigung für Diskriminierungsopfer betrifft, so habe ich unsere Gründe für die Festlegung einer Höchstmarke bereits angeführt. Ihre Gründe für die Festlegung einer Mindestentschädigung wollen mir nicht einleuchten, um es ganz ehrlich zu sagen, zumal eine Mindestentschädigung auch vom Europäischen Gerichtshof nicht angemahnt ist. Sie sagen, bis zu drei Monatsgehälter würden keinem Unternehmen weh tun, und die Grünen sprechen von sechs Monatsgehältern. Ich weiß nicht, wie oft Sie bei kleinen Handwerksbetrieben sind, und ich weiß nicht, was Sie damit anrichten, welche Barrieren Sie aufbauen, wenn Sie dem Handwerksbetrieb, der juristisch eher unkundig ist, solche Regelungen in das Gesetz schreiben. Sie helfen damit niemandem; denn die großen Betriebe haben in den Personalabteilungen ihre Juristen, die es ganz sicher so richten, daß sie niemanden einstellen müssen, den sie nicht wollen. Das heißt, Sie bauen neue Barrieren auf.
Wir halten den Gesetzentwurf der Bundesregierung für sehr angemessen. Er stellt für den Fall der Diskriminierung Sanktionen bereit und setzt diese Sanktionen nicht so hoch an, daß hier eine neue psychologische Hürde - von denen haben wir im gesamten Gesetzeswesen genug - bei Neueinstellungen und Stellenausschreibungen geschaffen würde. Das ist etwas, was wir in der derzeitigen Arbeitsmarktsituation vertraglich regeln müssen. Deswegen bitte ich darum, daß Sie diesem Gesetzentwurf der Bundesregierung, wie auch wir es tun werden, zustimmen.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Dobberthien.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei dem jetzigen Tempo würde es 475 Jahre dauern, bis die Gleichberechtigung der Frau in Top-Positionen erreicht ist, hat die ILO errechnet. Tempo steigern statt Tempo verringern ist daher das Gebot der Stunde.
Sonst würde nicht einmal Frau Nolte - wäre sie doch hier, denn sie hat doch einen großen Anteil an dem zweiten Gleichberechtigungsgesetz, das arbeitsrechtliche Regelungen enthält -, wenn sie das Greisenalter erreicht, die Gleichstellung erleben. Aber sie hält es offenbar nicht für nötig, hier zu sein - sehr bedauerlich.
Das ist die wahre Haltung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zum Thema Gleichberechtigung. Sie hat sich nicht gerade mit Ruhm bekleckert; beachten Sie dies bitte, wenn Sie so auf unseren Kanzlerkandidaten schimpfen, Frau Schnieber-Jastram.
Der Hang männlicher Entscheidungsträger, die Erfüllung des Verfassungsgebots der Gleichberechtigung zu konterkarieren, besitzt eine lange Tradition. Vor 22 Jahren, 1976, befand die EWG-Gleichbehandlungsrichtlinie, daß geschlechtsspezifische Diskriminierung jeglicher Art
Dr. Marliese Dobberthien
- Sie haben kein Geschichtsbewußtsein, Frau Schnieber-Jastram; wir stehen in einer langen Tradition des Frauenkampfes um Gleichberechtigung, da sei es gestattet, an die Geschichte zu erinnern -
beim Zugang zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg verboten ist. Erst vier Jahre später erfolgte mit dem arbeitsrechtlichen EG-Anpassungsgesetz und seinem § 611 a BGB die entsprechende nationale Umsetzung. Es war meine gute alte Gewerkschaftskollegin Marlies Kutsch, die erste Leiterin des Arbeitsstabes Frauenpolitik in der damaligen sozialliberalen Bundesregierung, die versuchte, eine vernünftige Schadenersatzregelung für beruflich diskriminierte Frauen durchzusetzen.
Doch es war der Wirtschaftsflügel der F.D.P., der mauerte und den Schadenersatzanspruch auf Portokassenniveau stutzte. Nur den lächerlichen Ersatz der reinen Kosten für die Bewerbungsunterlagen, also für Briefmarken und Kopien, stand m a n den diskriminierten Bewerberinnen als Entschädigung zu. Ein „Potemkinsches Dorf", ein „schwächlicher und unehrlicher Umgang mit der Chancengleichheit", hieß es damals in der Frauenbewegung. Meine Herren von der Dreipünktchenpartei - nur zwei Abgeordnete sind heute hier -:
Mit frauenpolitischem Ruhm haben Sie sich schon damals nicht bekleckert.
- Schön, daß Sie wieder bei Ihrem Thema sind. Sie sollten aber immer erst vor der eigenen Tür kehren.
Hilfreich war dann 1984 der EuGH. Die Zubilligung des Vertrauensschadens sei keine angemessene Sanktion für erlittene Diskriminierung, befand er. Doch dann überließ er es den Arbeitsgerichten, Gemeinschaftsrecht durch entsprechende Auslegung des nationalen Rechts zur Anwendung zu bringen. Unsere Arbeitsgerichte haben daraufhin den § 611 a BGB präzisiert. Nun gab es Schadenersatz zumindest in Höhe bis zu drei Monatsgehältern für diskriminierte Bewerberinnen und Bewerber.
Hilfreich waren vor allem die klugen Aufarbeitungen der Problematik durch Heide Pfarr, der dafür großer Dank gebührt.
Mit dem zweiten Gleichberechtigungsgesetz von 1994 sollte endlich die überfällige verbesserte gesetzliche Basis geschaffen werden. Doch die neue Regelung verkam zur „gesetzgeberischen Katastrophe",
wie der Deutsche Juristinnenbund jüngst in seiner veröffentlichten Dokumentation des Augsburger Kongresses befand. Sämtliche Warnungen vor der Unvereinbarkeit mit EU-Recht wurden von der damaligen Frauenministerin Merkel und ihrer Amtsnachfolgerin Nolte in den Wind geschlagen. Heute sind beide nicht einmal hier. Beide sahen sich gezwungen, wieder einmal auf den Wirtschaftsflügel der F.D.P. Rücksicht zu nehmen, dem Profitbilanzen offenbar wichtiger sind als die Verwirklichung des Verfassungsgebots der Gleichberechtigung in der Arbeitswelt.
Das EuGH-Urteil vom 22. April 1997 ist daher eine schallende Ohrfeige für die amtierende Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen.
Der § 611 a BGB und der § 61 b des Arbeitsgerichtsgesetzes, wie durch das Gleichberechtigungsgesetz geregelt, sind danach nicht mit europäischem Recht, das heißt mit der Gleichberechtigungsrichtlinie, vereinbar. Dies ist höchst blamabel, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen.
Den Schadenersatzanspruch auf eine Obergrenze zu beschränken, wie Sie es taten, verstieß bereits gegen ein EuGH-Urteil von 1984, das die abschrekkende Wirkung einer Sanktion verlangte. Lächerlich war auch die „Mengenrabattsregelung". Wurden nämlich mehrere Bewerberinnen diskriminiert, sollte der Schadenersatzanspruch auf maximal sechs Monatsverdienste für alle Diskriminierten beschränkt bleiben. So wurde es eben „im Dutzend billiger" .
Den Schadenersatzanspruch von einem Verschulden des Arbeitgebers abhängig zu machen, wie es das Gleichberechtigungsgesetz festschrieb, hatte der EuGH bereits 1990 verworfen, weil es die praktische Wirksamkeit des Diskriminierungsverbots, wie er argumentierte, erheblich beeinträchtige. Meine Damen und Herren von der rechten Seite, empfinden Sie es nicht als ausgesprochen blamabel, daß ein Land und dessen Kanzler, der sich gerne als Vorreiter der europäischen Einigung feiern läßt, des frauenpolitischen Nachhilfeunterrichts durch den EuGH bedurfte? Diese Peinlichkeit wäre unserem Land doch besser erspart geblieben.
Meinem alten Mitstreiter, dem Rechtsanwalt Klaus Bertelsmann, der früher einmal bei der Hamburger Leitstelle zur Gleichstellung der Frau tätig war, kommt das Verdienst zu, jenen Luxemburger Urteilsspruch erwirkt zu haben, über dessen Konsequenzen wir hier heute debattieren. Es entbehrt allerdings nicht einer gewissen Kuriosität, wenn ausgerechnet sein männlicher Mandant, nämlich Herr Nils Draehmpaehl, damit Frauengeschichte schrieb.
Es bedurfte fast eines Jahres, damit die Bundesregierung die notwendigen gesetzgeberischen Konse-
Dr. Marliese Dobberthien
quenzen zog. Aber statt nunmehr diskriminierten Frauen und Männern großzügig zu ihrem Recht zu verhelfen, änderte sie gerade eben nur soviel, wie der EuGH zwingend vorschreibt: kein Jota mehr und kein Wort des Bedauerns gegenüber den betroffenen Frauen, denen bisher ein wirksames Rechtsinstrument versagt geblieben ist. Das finde ich schäbig.
Symptomatisch ist wieder einmal die Sprache. Obwohl es hier in erster Linie um diskriminierte Frauen geht, spricht der Gesetzentwurf der Bundesregierung beharrlich nur von dem Bewerber, aber nicht einmal von einer Bewerberin.
- Ja, warum ist das so, Herr Staatssekretär? Diese Frage wäre wirklich beantwortenswert.
Die feinsinnige Unterscheidung der Bundesregierung zwischen bestqualifizierten diskriminierten Bewerbern und übrigen diskriminierten Bewerbern, die Verweigerung eines Einstellungsanspruchs und das Fehlen einer Mindestentschädigung lassen die angedrohten Sanktionen für diskriminierende Arbeitgeber milde erscheinen, frei nach dem Motto: Piep, piep, piep - Rexrodt hat euch lieb.
Ob so eine abschreckende Wirkung erzielt werden kann, bezweifle ich.
Die SPD ist da viel konsequenter: Unser Gesetzentwurf will nicht nur das Summenbegrenzungsverfahren und das Erfordernis des Verschuldens streichen, sondern auch einen Einstellungsanspruch für die diskriminierte Person gewähren.
Diese Auffassung vertritt aus wohlüberlegter Erkenntnis auch der Bundesrat.
Sollen Sanktionen Wirkung entfalten, müssen sie „Biß" haben,
und dazu zählt eben auch ein Einstellungsanspruch des bestqualifizierten diskriminierten Bewerbers oder der bestqualifizierten diskriminierten Bewerberin, wahlweise und im Einzelfall, wie in unserem Gesetzentwurf steht. Frau Schnieber-Jastram, es wäre gut, einmal in den Gesetzentwurf zu schauen und nicht nur immer in Zeitungen.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung befriedigt nicht, aber dank EuGH ist er wenigstens besser als der Status quo. Deshalb werden wir ihn auch nicht ablehnen. Aber zustimmen können wir ihm auch nicht. Denn die von der Bundesregierung vorgeschlagenen Entschädigungsregelungen sind zu Saft- und kraftlos, um von Diskriminierung abzuschrecken. Die Chance des Urteils für die längst überfällige Durchsetzung des Gleichbehandlungsgebots in der Arbeitswelt ist schlecht genutzt - kein guter Dienst an den Frauen der Republik.
Den Gesetzentwürfen der Grünen werden wir aber auch nicht zustimmen. Es muß um den Abbau jedweder Diskriminierung gehen, nicht nur die eines Geschlechts. Gesetze, die eine - zugegebenermaßen sehr viel seltenere - Benachteiligung von Männern grundsätzlich negieren, fördern nicht die Gleichstellung, sondern eher die Ungleichheit.
Was wir brauchen, ist keine Bevorzugung von Frauen und auch keine Sonderrolle. Wir wollen nichts Geringeres als das Ende jedweder Diskriminierung. Wir werden nicht ruhen, bis die Gleichstellung verwirklicht worden ist.
Daher brauchen wir endlich ein wirkungsvolles Gleichstellungsgesetz, das auch den Frauen in der Privatwirtschaft nützt - eines, wie es die SPD in der letzten Legislaturperiode vorgelegt hat. Es ist noch viel zu tun und daher Zeit für den politischen Wechsel. Heute bitte ich um Zustimmung zu unserer gesetzlichen Schlußfolgerung aus dem EuGH-Urteil auf Drucksache 13/7896.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Irmingard Schewe-Gerigk.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Ara Kohl hat der Bundesrepublik eine düstere Gegenwart beschert: Der soziale Verteilungskampf spaltet die Gesellschaft in Arbeitsplatzbesitzer und Menschen ohne Arbeit.
Historisch nicht ungewöhnlich ist, daß Frauen dabei auf der Verliererinnenseite zu finden sind. Die Erwerbslosigkeit von Frauen übersteigt die der Männer, das niedrige Lohnniveau und die hohe Anzahl von Teilzeitarbeit sichern häufig keine eigene Existenz. Stehen Kündigungen an, sind Frauen die ersten, die entlassen werden. Auch wenn Ministerin Nolte betont, daß sie die Benachteiligung von Frauen im Erwerbsleben abbauen will, die Fakten belegen das Gegenteil.
Es ist kein Ruhmesblatt für diese Bundesregierung, daß sie seit 1984 - ich wiederhole: 1984 - wieder und wieder vom Europäischen Gerichtshof gemahnt wor-
Irmingard Schewe-Gerigk
den ist, wirksame Sanktionen gegen diskriminierende Arbeitgeber durchzusetzen, das heißt, Frauendiskriminierung zum Nulltarif nicht weiter zuzulassen. Für die Richter war es mit EU-Recht nicht vereinbar, daß eine Diskriminierung in Deutschland gerade mal das Porto für die Bewerbung als Schadenersatz wert war.
Satte zehn Jahre später schrieb die Bundesregierung maximal drei Monatsgehälter Schadenersatz in ihr zweites Gleichberechtigungsgesetz. Ich glaube, das allein zeigt, daß das Ganze schon etwas mit Frauenpolitik zu tun hat Wieder stellten die EU-Richter fest, daß sie sich damit nicht an europäische Spielregeln hält. Auch die heutige Gesetzesänderung ist nur halbherzig, läßt viele Schlupflöcher.
Um nur einige zu nennen: Noch immer wird der diskriminierten Bewerberin ein Rechtsanspruch auf Einstellung verweigert, noch immer hat die Klägerin kein Auskunftsrecht gegenüber dem Arbeitgeber, wenn sie eine Diskriminierung vermutet, noch immer ist keine diskriminierungsfreie Auswahl gewährleistet.
Meine Damen und Herren von der Koalition, liebe Frau Schnieber-Jastram, stellen Sie sich einmal vor, der bestqualifizierte Mann würde wegen seines Geschlechtes diskriminiert!
Die Wogen der Empörung würden in diesem Hause hochschlagen.
Für die Bündnisgrünen ist klar: Ein halbherziges Benachteiligungsverbot darf es nicht geben. Deshalb fordern wir in unserem Gesetzentwurf, daß Frauen endlich einen effektiven rechtlichen Schutz gegen Benachteiligung erhalten und die Sanktionen tatsächlich auch eine abschreckende Wirkung haben, wie es der EuGH fordert.
Im Klartext: Diskriminierung muß für den Arbeitgeber teurer werden. Das heißt vor allem: Schadenersatz von mindestens sechs Monatsgehältern für die entgangene Einstellung oder wahlweise der Arbeitsplatz
und die Möglichkeit für Vereine und Verbände, im Namen der Betroffenen auf Diskriminierung zu klagen.
Doch das ist nicht das einzige, was wir kurzfristig umsetzen wollen. Auch eine unerträgliche Einkommensdiskriminierung von Frauen muß beseitigt werden. Meine Damen und Herren, wie ist es zu rechtfertigen, daß trotz verfassungsrechtlichem Gleichheitsgebot gleicher Lohn für Männer wie für Frauen nach wie vor nicht Realität ist, daß Frauen noch immer
durchschnittlich ein Drittel weniger verdienen als Männer?
Für den direkten Blick weiterhin unsichtbar ist, daß gerade die Tätigkeiten von Frauen in Tarifverträgen unterbewertet werden. Hier haben Gewerkschafterinnen schon viel mobilisiert, aber das heißt ja bekanntlich noch nicht, daß auch die Männer an den Tischen der Tarifrunden sich diese Sache zu eigen machen. Es ist auch nicht nur eine Frage der Tarifpolitik, gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit durchzusetzen. Hier sind eindeutige gesetzliche Vorgaben notwendig. Auch in Betriebsvereinbarungen und Tarifverträgen darf es weder eine mittelbare noch eine unmittelbare Diskriminierung von Frauen geben. So verlangt es der Europäische Gerichtshof. Ich verstehe überhaupt nicht, daß das nicht in bundesdeutsches Recht umgesetzt wird.
Meine Damen und Herren, es ist schon immer eine Frage der Demokratie gewesen, wie viele Chancen Menschen in einer Gesellschaft erhalten und wie viele Rechte ihnen zugestanden werden. Bei den Frauenrechten gibt es eine Menge nachzuholen. Deshalb appelliere ich heute an Sie: Fangen Sie damit an, unterstützen Sie unsere Gesetzentwürfe und stimmen Sie zu!
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Entgegen den Äußerungen meiner beiden Vorrednerinnen ist heute ein guter Tag: Wir verabschieden ein Gesetz, das eine ganz wesentliche Lücke in unserem Bürgerlichen Gesetzbuch schließt.
Es ist doch positiv, wenn das hier in diesem Hause so unstreitig ist - es ist zwar umstritten, welchen Weg man in manchen Punkten geht - und wenn der Europäische Gerichtshof mit der Auslöser dafür war, daß wir heute über einen Gesetzentwurf der Bundesregierung beraten. Dazu kann ich nur sagen: Er ist für mich nicht unbedingt der schlechteste Ratgeber.
Denn das, was der Europäische Gerichtshof sagt, ist positiv. Das sollte hier einmal herausgestellt werden.
Ein weiterer Punkt. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung orientiert sich inhaltlich ganz entscheidend an dem, was in der Urteilsbegründung des Europäischen Gerichtshofes steht.
- Jede Entscheidung eines Gerichtes läßt auch und
gerade dem Gesetzgeber einen Handlungsspielraum. Der Handlungsspielraum besteht hier darin,
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
ob man einen Anspruch auf Entschädigung oder - wie Gesetzentwürfe aus der Opposition es alternativ aufzeigen - einen Anspruch auf Einstellung gewährt.
Ich bitte doch darum, einmal die Realität auf dem Arbeitsmarkt zu betrachten. Gewährt man einer Bewerberin, die benachteiligt worden ist, einen Anspruch auf Einstellung, dann heißt das, daß man diesen Anspruch letztendlich auf der einen Seite auf dem Rücken desjenigen durchsetzen muß, der eingestellt worden ist - das kann es ja wohl nicht sein, es kann auch nicht sein, daß dem dann gekündigt wird; es gibt ja auch gar keinen Kündigungsgrund -; oder man sagt auf der anderen Seite, daß der Arbeitgeber dann einen zusätzlichen Arbeitsplatz schaffen müsse. Ich kann mir nicht vorstellen, daß wir ein Gesetz verabschieden, in das wir hineinschreiben: Ein privater Arbeitgeber ist verpflichtet, einen zusätzlichen Arbeitsplatz ohne Berücksichtigung ökonomischer, betriebswirtschaftlicher und sonstiger Gesichtspunkte zu schaffen.
Das muß doch bei allem, was wir hinsichtlich notwendiger Verbesserungen zur Durchsetzung der Gleichberechtigung tun, berücksichtigt werden. Alles andere ist wirklich blauäugig und wird in der Realität nicht unbedingt etwas verändern. Ich glaube, manche machen sich hier etwas darüber vor, was man im Wege der Gesetzgebung erreichen kann.
Ich finde es deshalb richtig, daß hier zwischen der Benachteiligung von bestqualifizierten und anderen Bewerberinnen differenziert wird und daß es keine Begrenzung in der Höhe des Entschädigungsanspruchs gibt, weil in diesem Fall die Benachteiligung ganz klar sehr viel tiefer geht. Ich begrüße ferner, daß es im Falle der Bewerberinnen, die nicht die bestqualifizierten waren und die nicht zum Zuge kamen und bei denen man eine Benachteiligung unterstellen muß, ebenfalls zu einem Entschädigungsanspruch mit einer Obergrenze von drei Monatsverdiensten kommt.
Wir müssen auch noch einige Folgeregelungen dazu beschließen. Sie sind in Ordnung. Sie werden Transparenz und Akzeptanz erleichtern helfen.
Von daher ist für mich heute - wenn wir das Gesetz in zweiter und dritter Lesung beschließen werden - ein Tag, an dem ein Schritt zu mehr Gleichberechtigung getan wird und an dem Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes auf richtige Weise mit Leben erfüllt wird. Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs ist nicht - das war ja bei anderen Entscheidungen, auf die dann reagiert wurde, der Fall - so alt. Sie ist nämlich erst ein gutes Jahr alt. Daß das in so kurzer Zeit geschehen konnte, hat, glaube ich, daran gelegen, daß die Frauen eingesehen haben, daß hier Handlungsbedarf besteht. Denn das ist ja auch unstreitig: Daß mit der notwendigen Klarheit festgestellt wurde, daß hier Handlungsbedarf ist, war für manche nicht so selbstverständlich. Da haben die Frauen zusammen vielleicht etwas erreicht.
Jeder kann seine Auffassung darüber haben, was man alles tun könnte. Ich sehe das realistisch, ich behalte das Interesse der Frauen im Auge, und ich berücksichtige dabei auch die Bestimmungen unseres Grundgesetzes. Ich denke, es ist ein guter Tag, wenn wir dieses Gesetz in zweiter und dritter Lesung verabschieden.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Christina Schenk.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es sind vor allem Frauen, die bei Einstellungen, Aufstieg und auch bei Kündigungen diskriminiert werden. Das fängt ja schon bei Stellenausschreibungen an, die, wie kürzlich festgestellt worden ist, zu mehr als 30 Prozent rein männliche oder indirekt männliche Formulierungen aufweisen. Vorurteile, stereotype Vorstellungen in den Köpfen von Personalchefs über die Rolle und Fähigkeiten der Frau in der Erwerbsarbeit tun ihr übriges; sie führen dazu, daß männliche Bewerber den Frauen selbst bei gleicher Qualifikation bei Einstellungen und Beförderungen vorgezogen werden.
Ich finde, besonders deutlich wird das in den ostdeutschen Bundesländern, wo sich das Qualifikationsniveau von Frauen und Männern eben nicht wesentlich unterscheidet - im Unterschied zu Westdeutschland. Der Anteil von Frauen an den Vermittlungen betrug dort im März dieses Jahres nur 43 Prozent, und in Ostberlin lag er bei skandalösen 23 Prozent.
Spätestens aus diesen Zahlen geht hervor, daß es tatsächlich wirkungsvoller Sanktionen bedarf, damit sich Unternehmen oder Institutionen ernsthaft um ein diskriminierungsfreies Einstellungsverhalten bemühen. Folgerichtig hat der Europäische Gerichtshof die bisherige Schadenersatzregelung auch als nicht ausreichend gerügt und damit die Bundesrepublik mal wieder zum Handeln in Sachen Gleichstellung aufgefordert.
Was tut nun die Bundesregierung? Sie beschränkt sich in ihrem Gesetzentwurf darauf, die Entschädigungssumme zu erhöhen. Das beläßt dem Arbeitgeber die Möglichkeit, sich freizukaufen. Niemand kann so naiv sein, zu glauben, daß davon eine abschreckende Wirkung gegenüber den Arbeitgebern ausgehen wird. Ich denke, ein solcher Effekt würde nur dann erreicht werden, wenn die diskriminierte Person tatsächlich einen Anspruch auf Begründung des Arbeitsverhältnisses erhält; denn erst mit der Drohung im Hintergrund, Personalentscheidungen gegebenenfalls revidieren zu müssen, würden sich
Christina Schenk
das Einstellungsverhalten und der Blick auf die Bewerberinnen und Bewerber ändern.
Dringend geboten sind aus unserer Sicht auch die im Gesetzentwurf der Grünen geforderte Beweislastumkehr und das Verbandsklagerecht. Das würde ganz erheblich dazu beitragen, daß die Betroffenen ihr Recht auch wirklich einklagen. Betroffen sind vor allem Frauen, die ihre Klage in einem männerdominierten Rechtssystem und nicht selten auch gegen selbiges durchstehen müssen.
Außerordentlich hilfreich ist aus meiner Sicht die im Gesetzentwurf der Grünen vorgenommene Klarstellung, welche Tatsachen eine Diskriminierung wegen des Geschlechts vermuten lassen. Aber - das sei hier ganz kritisch an die Adresse der Grünen gesagt - das Ende der Benachteiligung von Frauen in der Erwerbsarbeit ist nicht allein dadurch zu erreichen, daß Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber die Bewerberinnen bei Einstellungen und Beförderungen nicht länger wegen ihres Geschlechts benachteiligen dürfen, oder dadurch, daß man versucht, diese Benachteiligung zu verhindern.
Ich meine, daß es Augenwischerei ist, wenn man glaubt, das Problem auf diesem Wege in den Griff zu bekommen. Wir sind der Auffassung, daß das Diskriminierungsverbot unbedingt mit Quoten und mit dem Auftrag zu einer aktiven betrieblichen Frauenförderung verbunden werden muß. Nur so wird man der Sache näherkommen.
Das Wort hat jetzt für die Bundesregierung der Herr Staatssekretär Kraus.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bekämpfung der Diskriminierung von Stellenbewerbern wegen ihres Geschlechts ist bei allen Bemühungen, die es in der Vergangenheit gegeben hat, immer noch ein Thema. Wir alle sind gefordert, bestehende Mißstände weiter abzubauen.
Wir beraten heute über die Entschädigungspflicht eines Arbeitgebers bei geschlechtsbedingter Diskriminierung eines Stellenbewerbers oder einer Stellenbewerberin; denn die bisherige gesetzliche Regelung geht nach einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes nicht in allen Teilen mit dem europäischen Recht konform. Diesem Zustand will die Bundesregierung mit dem hier zur Debatte stehenden Gesetzentwurf abhelfen.
Diejenigen Grundsätze der geltenden Regelung, die vom EuGH nicht beanstandet worden sind, werden dabei bewußt beibehalten. Das bedeutet im einzelnen: Jeder Bewerber behält seinen Anspruch auf Durchführung eines diskriminierungsfreien Stellenbesetzungsverfahrens. Ein benachteiligter Stellenbewerber kann keinen Anspruch auf Einstellung geltend machen. Dem diskriminierten Bewerber steht eine angemessene Entschädigung zu.
Aufgegeben haben wir nach Maßgabe des EuGH dagegen das Erfordernis, nach dem der Arbeitgeber die Diskriminierung verschuldet, diese also vorsätzlich oder fahrlässig herbeigeführt haben muß, die Begrenzung des Entschädigungsanspruchs auf drei Monatsgehälter für den bestqualifizierten Bewerber, der die zu besetzende Stelle bei diskriminierungsfreier Auswahl erhalten hätte, sowie das Summenbegrenzungsverfahren.
Die Neugestaltung des Entschädigungsanspruchs bietet die Rechtssicherheit und Rechtsklarheit, die bei einer so schwierigen Materie erforderlich ist, und zwar sowohl für den diskriminierten Bewerber oder die diskriminierte Bewerberin als auch für den Arbeitgeber.
Die Gesetzentwürfe der SPD und der Grünen beschränken sich dagegen nicht auf das, was der EuGH zur Vorgabe gemacht hat. Beide Oppositionsfraktionen wollen die Obergrenze von drei Monatsverdiensten für alle diskriminierten Bewerber nicht nur aufheben, sondern die betreffenden Personen sogar mit mindestens drei Monatsgehältern entschädigen. Der EuGH hat die Obergrenze von drei Monatsgehältern jedoch nur für die Person als unzulässig angesehen, die die Stelle in einem diskriminierungsfreien Verfahren auch tatsächlich bekommen hätte. Für alle anderen Bewerber entspricht die Obergrenze des deutschen Rechts auch europäischem Recht.
Eine Mindestentschädigung von drei oder sogar, wie von den Grünen unter bestimmten Voraussetzungen vorgesehen, sechs Monatsgehältern ist unverhältnismäßig und berücksichtigt nicht, daß es unterschiedlich schwere Verstöße gegen das Diskriminierungsverbot geben kann. Entscheidungen der Arbeitsgerichte, die Einzelfallgerechtigkeit bringen, werden mit solchen Mindestentschädigungen jedenfalls wesentlich erschwert.
Völlig unverständlich ist, daß Sie hier alte Vorstellungen aufgreifen und wieder einmal einen Einstellungsanspruch des diskriminierten Stellenbewerbers proklamieren. Diese Forderung kann nur am grünen Tisch von völlig praxisfernen Theoretikern erfunden sein. Soll etwa der Arbeitgeber den bereits besetzten Arbeitsplatz für den bestqualifizierten Bewerber kündigen?
Ich sehe hier bei Ihnen für die Praxis großes Unverständnis. Ich bin ziemlich sicher, daß die Rednerinnen und Redner, die vor mir waren, noch nie in ihrem Leben unter wirtschaftlichen Bedingungen jemanden beschäftigt haben.
- Ich würde gerne wissen, ob das stimmt oder nicht. Ich vermute es. Sollte ich mich irren, muß es schon lange Zeit her sein, daß jemand eine solche Tätigkeit ausgeführt hat, weil die Vorschläge von der Praxis so weit entfernt sind, daß eine andere Auslegung schlechterdings nicht denkbar ist.
Unverständlich sind mir auch die weitergehenden Vorstellungen von Bündnis 90/Die Grünen. Wo Sie mit Ihrem Tatsachenkatalog in einigen Punkten eine
Parl. Staatssekretär Rudolf Kraus
Diskriminierung bloß vermuten, sind solche Diskriminierungstatbestände bereits gesetzlich verboten.
Meine Damen und Herren von der Opposition, Ihre Vorschläge lösen das Problem nicht. Ihre Vorschläge würden die betriebliche Praxis eher belasten. Wie soll denn etwa Ihre unsinnige Forderung, daß der Arbeitgeber mindestens ebenso viele Frauen wie Männer zu einem Vorstellungsgespräch bitten soll, in der Wirklichkeit funktionieren? Glaubt man wirklich, mit solch formalistischen Vorschriften Mißstände im Bereich der Gleichberechtigung beseitigen zu können?
Aber ich habe gehört, daß Sie von der SPD auch in dieser schwierigen Wahlkampfzeit immerhin bereit sind, dieses Gesetz zwar nicht zu unterstützen, aber auch nicht dagegen zu stimmen. Ich denke, daß das in der gegenwärtigen Situation unter Berücksichtigung der Wahlkampfumstände schon ein ganz schönes Ergebnis ist und zeigt, daß man letztendlich damit leben kann.
Nach unserem Gesetzentwurf werden die vom EuGH aufgestellten Vorgaben konsequent, vollständig und auch - das ist das Entscheidende - für die betriebliche Praxis handhabbar umgesetzt.
Ich hoffe, daß diese Regelung ein diskriminierendes Verhalten, welches vornehmlich Frauen benachteiligt, deutlich reduziert.
Gleichwohl sollten wir in dieser Debatte nicht verschweigen, daß dafür vor allem eine Bewußtseinsänderung bei vielen Arbeitgebern und nicht so sehr Paragraphen notwendig sind.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich schließe damit die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuches und des Arbeitsgerichtsgesetzes. Das sind die Drucksachen 13/10242, 13/10344 und 13/10575, Buchstabe a. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS bei Enthaltung der SPD angenommen worden.
Dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in der dritten Lesung mit dem
eben festgehaltenen Stimmenverhältnis angenommen worden.
Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD zur Anpassung des geschlechtsbedingten arbeitsrechtlichen Benachteiligungsverbots an das EU-Recht. Das ist Drucksache 13/7896. Der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung empfiehlt auf Drucksache 13/10575 unter Buchstabe b, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse jetzt über den Gesetzentwurf der SPD auf Drucksache 13/7896 abstimmen. Ich bitte diejenigen um das Handzeichen, die dem Gesetzentwurf der SPD zustimmen wollen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der SPD bei Enthaltung von Bündnis 90/ Die Grünen und PDS abgelehnt worden. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung über diesen Gesetzentwurf.
Jetzt stimmen wir über den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Durchsetzung der Lohngerechtigkeit zwischen Männern und Frauen auf Drucksache 13/9525 ab. Der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung empfiehlt auf Drucksache 13/10575 unter Buchstabe c, auch diesen Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse jetzt über den Gesetzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/9525 abstimmen. Wer stimmt für diesen Gesetzentwurf? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS bei Enthaltung der SPD abgelehnt worden. Damit entfällt auch hier nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Beseitigung der Diskriminierung von Frauen in der Erwerbsarbeit, Drucksache 13/9526. Der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung empfiehlt auf Drucksache 13/10575 unter Buchstabe d, auch diesen Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse jetzt über den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Drucksache 13/9526, abstimmen. Wer stimmt für diesen Gesetzentwurf? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Auch dieser Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS abgelehnt worden, während die SPD sich enthalten hat. Damit entfällt die weitere Beratung.
Ich rufe die Zusatzpunkte 8 a und 8 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Beförderung gefährlicher Güter
- Drucksache 13/10158 -
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr
- Drucksache 13/10637 -
Berichterstattung: Abgeordneter Horst Friedrich
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr
- zu dem Antrag der Abgeordneten Gila Altmann , Albert Schmidt (Hitzhofen), Helmut Wilhelm (Amberg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN
Gefährdung durch Gefahrguttransporte minimieren
- Drucksachen 13/9449, 13/9849, 13/10637 -
Berichterstattung: Abgeordneter Horst Friedrich
Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor.
Nach interfraktioneller Vereinbarung ist eine halbe Stunde für die Aussprache vorgesehen. - Kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der Abgeordnete Hubert Deittert.
Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir beschäftigen uns unter diesem Tagesordnungspunkt in der zweiten und dritten Lesung mit einem Gesetzentwurf der Bundesregierung über die Beförderung gefährlicher Güter. Dieser Gesetzentwurf ist am 2. April in erster Lesung eingebracht und anschließend in den zuständigen Ausschüssen entsprechend beraten worden.
Meine Damen und Herren, für die Wirtschaft und für die Menschen in einem hochentwickelten Industrieland ist es lebensnotwendig, Güter vom einen Ort zum anderen zu transportieren. Unter diesen Gütern sind natürlich auch Stoffe, die ein Gefahrenpotential darstellen können. Es ist eine Selbstverständlichkeit, daß der Transport solcher Güter auf das notwendige Maß beschränkt wird und daß bei der Handhabung äußerste Sorgfalt geboten ist. Es muß uns allerdings klar sein, daß die totale Sicherheit nie zu erreichen ist; allein der Faktor menschliche Unzulänglichkeit muß immer mit gesehen werden.
Wir haben in der Bundesrepublik ein umfangreiches Netzwerk von Vorschriften über die Beförderung gefährlicher Güter. Ich erinnere hier an die zahlreichen EU-Verordnungen, die wir im Verkehrsausschuß des Bundestages beraten haben. Ich möchte dabei festhalten, daß insbesondere in für die Sicherheit wichtigen Punkten die strengeren deutschen Regelungen beibehalten wurden.
Der uns vorliegende Gesetzentwurf hat im wesentlichen das Ziel, neue Erkenntnisse aufzugreifen und gesetzliche Regelungen zu ergänzen. Insbesondere ist hier ein Ziel, die grundsätzlichen EG-Richtlinien in die deutsche Rechtsordnung umzusetzen.
Es geht weiterhin darum, mit diesem Gesetz die in den letzten Jahren eingetretenen Entwicklungen aufzugreifen. Die Ausschüsse haben sich mit den
Einzelheiten ausführlich beschäftigt. Wir müssen sehen, daß dieses vor uns liegende Gesetz die Grundsätze regelt. Die technischen Details und Einzelheiten müssen in auf diesem Gesetz beruhenden Verordnungen geregelt werden.
Im Verkehrsausschuß hat es zunächst zu zwei Punkten Meinungsverschiedenheiten und Diskussionen gegeben. Zunächst ist in § 2 Abs. 2 des Gesetzentwurfes der Begriff des zeitweiligen Aufenthaltes von Gütern bei der Beförderung definiert, vor allem wenn es dabei um einen Wechsel in der Beförderungsart und des Beförderungsmittels geht. Nach ausführlicher Erörterung bin ich der Auffassung, daß mit der uns vorliegenden Formulierung eine vernünftige Regelung gefunden ist. In diesem Punkt tritt im Grunde genommen keine Veränderung gegenüber der heutigen Rechtslage ein. Es ist allerdings so, daß hier unterschiedliche rechtliche Regelungen und Verordnungen greifen. Wir müssen immer sehen, daß es sich hier um ein Rahmengesetz handelt und daß Einzelheiten in entsprechenden Verordnungen zu regeln sind.
Ein weiterer streitiger Punkt war die Regelung von Ausnahmen über entsprechende Verordnungen. Dazu liegt uns ein Änderungsantrag der SPD vor, auf den ich gleich noch zu sprechen komme. Es geht insbesondere um Ausnahmeregelungen für die Bundeswehr, für ausländische Streitkräfte, den Bundesgrenzschutz, die Polizei und die Feuerwehren. Streitig ist vor allem die Regelung für den Bundesnachrichtendienst.
Wir sind in der Fraktion der CDU/CSU der Auffassung, daß es auch für den Bundesnachrichtendienst Ausnahmemöglichkeiten geben muß,
wenn er im Interesse der Landessicherheit tätig werden muß. Ich denke, insofern können wir die vorliegende Formulierung akzeptieren.
Bei diesen Punkten sind nicht Hysterie und hektischer Aktionismus gefragt, sondern nüchterne Sachlichkeit und der Blick für das Wesentliche. Die beiden letzten Punkte sind nach meiner Auffassung im vorliegenden Gesetzentwurf berücksichtigt. Deswegen wird die CDU/CSU-Fraktion dem Gesetzentwurf zustimmen. Den Änderungsantrag der SPD werden wir ablehnen.
Wir haben außerdem zwei Anträge von Bündnis 90/ Die Grünen vorliegen. Darüber haben wir ebenfalls beraten. Aus den Anträgen erkenne ich drei Prämissen: erstens die Unterstellung, wirtschaftlicher Druck gehe zu Lasten der Sicherheit bei der Beförderung gefährlicher Güter auf der Schiene. Zweitens. Der Straßentransport gefährlicher Güter beinhalte das größte Risiko und Gefahrenpotential. Drittens. Die
Hubert Deittert
Harmonisierung innerhalb der Europäischen Union finde auf niedrigem Niveau statt.
Dazu ist folgendes zu bemerken: Die im Antrag aufgeführten Unfälle zeigen klar und deutlich, daß Ursache nicht der Mangel an rechtlichen Regelungen, sondern eindeutig menschliches Versagen ist. Hinsichtlich der Unfälle beim Straßentransport ist aus der Statistik zu lesen, daß wir eine außerordentlich geringe Zahl von Unfällen mit Gefahrgut auf den Straßen haben, vor allem ganz wenige mit Austritt von Gefahrgut.
Die Behauptung, die Harmonisierung auf europäischer Ebene finde auf niedrigem Niveau statt, ist nicht richtig. Aus den Beratungen im Verkehrsausschuß sollten Sie, meine Damen und Herren von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, wissen, daß in aller Regel die strengeren deutschen Regelungen in die europäischen Regelungen übernommen worden sind.
Wir werden deswegen die beiden Anträge ablehnen.
Ich danke Ihnen fürs Zuhören.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Angelika Graf.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Januar dieses Jahres bildete sich bei der Bahn AG ein hochkarätig besetzter „Vorstandsausschuß für Sicherheit im Schienenverkehr" . Dieser Ausschuß sollte die Unfallursachen des Kesselwagenunfalls von Hannover-Anderten am 9. Dezember letzten Jahres untersuchen und die Konsequenzen umsetzen. Außerdem sollten etwa 15 000 Mitglieder der DB Cargo eine zusätzliche Gefahrgutschulung besuchen. Die Laufwege der Kesselwagen-Ganzzüge sollten überprüft werden. Mit den Ergebnissen sei, so schreibt die „Deutsche Verkehrszeitung", im ersten Halbjahr 1998 zu rechnen.
Ich freue mich, daß die DB AG damit gezeigt hat, daß sie die Diskussion um die Sicherheit auf den Schienenwegen ernst nimmt. Denn die Sorge um die Sicherheit an den Strecken, auf denen Gefahrgut rollt und fährt, sollte uns, meine ich, viel öfter schlaflose Nächte bereiten und uns so zum Handeln zwingen.
Ein Beispiel. Am letzten Montag war ich mit einer Reihe von Kolleginnen in Südbaden, und zwar im Wahlkreis meiner lieben Kollegin Karin Rehbock-Zureich. Der Bürgermeister des Grenzstädtchens Laufenburg klagte uns sein Leid über die fehlende Ortsumgehung und über den Durchgangsverkehr auf der B 34. Diese Straße hat im Ort ein Gefälle von sage und schreibe 18 Prozent. Trotzdem fahren die Gefahrgut-Lkw diesen Berg mit einer hohen Geschwindigkeit herunter. Es ist ein wahres Wunder, daß hier noch nichts passiert ist. Seit 20 Jahren hat man den
Menschen in Laufenburg eine Umgehungsstraße versprochen, die sie nicht nur vom Verkehr, sondern auch von diesem Gefahrenpotential entlasten würde.
- Sie unter anderem.
Immerhin transportiert heutzutage mindestens jeder zehnter Lkw Gefahrgut, und die Nähe der Schweizer Chemieindustrie verstärkt diesen Effekt zusätzlich.
Aber die Bundesfernstraßenplanung der Bundesregierung hat dort ein Kuriosum, nämlich eine längsgeteilte Autobahn, vorgesehen. Dies ist auch für Laufenburg kein schlüssiges Konzept.
In diesem Zusammenhang noch eine Anmerkung. Heute morgen hat es nach einer dpa-Meldung auf der A 7 bei Northeim einen Gefahrgutunfall gegeben. Der Lkw-Fahrer hatte 2,04 Promille Alkohol im Blut, er war zirka 30 Stundenkilometer zu schnell und hatte außerdem die gesetzlich vorgeschriebene Lenkzeit weit überschritten. Bei diesem Unfall ist Wasserstoffperoxid ausgetreten, und es herrschte akute Explosionsgefahr. Stellen Sie sich bitte vor, dies wäre in Laufenburg passiert.
Deshalb meine ich, wir sollten festhalten, was ich schon am 2. April zu diesem Thema vorgetragen habe: Trotz der schlimmen Gefahrgutunfälle der Bahn in den letzten beiden Jahren ist diese ebenso wie das Binnenschiff bei weitem sicherer als die Straße.
Wir bedauern deshalb den falschen Zungenschlag, den auch der Antrag der Grünen durch seine Einführung in diese Debatte hineingebracht hat. Im Zuge der geforderten Gleichbehandlung von Straße und Schiene sollte, wer auf die Ursachen jedes Bahnunfalles detailliert eingeht, mindestens ebenso ausführlich und mit gleicher Tiefe die Gefahrgutunfälle auf der Straße beleuchten.
- Könnten Sie sich vielleicht zurückhalten, Herr Ramsauer!
Dabei nehme ich den Grünen ab, daß sie mit der angestoßenen Diskussion auf notwendige Verbesserungen bei der Bahn hinweisen wollten. Ich meine aber, das psychologische Moment ist, was die Verla-
Angelika Graf
dung auf die Schiene betrifft, nicht zu unterschätzen. Wenn die öffentliche Meinung zu der Ansicht kommt, der Schienentransport sei ähnlich unsicher wie der auf der Straße, wird der Effekt nicht der von der SPD gewünschte sein. Immer mehr Transporte werden von der Schiene auf die Straße abwandern. Wir werden uns deshalb - wie schon im Ausschuß - bei den Anträgen der Grünen der Stimme enthalten.
Ich wiederhole: Ich habe die Hoffnung, daß die eingangs erwähnte Arbeitsgruppe der DB AG deutliche Verbesserungen im Bereich der Sicherheit bringen wird. Mit einer entsprechenden Logistik sollte es dann aber auch möglich sein, meine ich, die durchfahrenen Gemeinden von den auf der Schiene durchgeführten Gefahrguttransporten zu unterrichten, um die örtlichen Feuerwehren auf die eventuelle Gefahrenlage hinzuweisen.
Doch wenden wir uns nun dem Regierungsentwurf zu. Die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger muß für unsere verkehrspolitischen Entscheidungen oberste Priorität haben, meine ich. Mit der Öffnung der Grenzen ist eine einheitliche Gefahrgutpolitik in Europa wichtiger denn je geworden. Es ist uns deshalb vollkommen unverständlich, warum die Novelle zum Gefahrgutbeförderungsgesetz - das Gesetz stammt aus dem Jahre 1975 -, die uns eigentlich schon zum 1. Januar 1997 hätte vorgelegt werden müssen, erst letzte Woche im Verkehrsausschuß beschlossen worden ist.
Betrachtet man diese knapp anderthalb Jahre Verspätung, so ist es um so unverständlicher, daß zu den Gesprächen des BMV mit Vertretern der Wirtschaft und der betroffenen Verbände die Berichterstatter der Parteien nicht zugezogen wurden.
Man hätte sich nämlich dann, wenn man versucht hätte, dies einvernehmlich zu lösen, sicherlich auch über die Aufnahme des Eisenbahnbundesamtes in Art. 1 § 9a Abs. 5 und 6 als „Schienenpendant" zum Bundesamt für Güterverkehr einigen können. Dies haben auch die Einlassungen des Kollegen Jobst im Ausschuß so ergeben. Aber unsere Forderung haben Sie ja leider im Ausschuß abgelehnt.
Dabei wäre dies nur eine logische Folgerung aus der Öffnung der Schieneninfrastruktur für private Anbieter und dem verstärkten Aufkommen multimodaler Verkehre gewesen. So bleibt meiner Ansicht nach ungeklärt, über wen laut der Novelle der Bundesregierung bei schweren Verstößen gegen Sicherheitsvorschriften mit einem Schienenfahrzeug, das aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem anderen Vertragsstaat kommt, Mitteilungen und Ersuchen nach § 9 a Abs. 3 und 4 geleitet werden sollen. Da haben Sie ein schwarzes Loch geschaffen.
Wichtige und kritische Punkte eines Gesetzes liegen normalerweise in den Ausnahmebestimmungen. So ist es auch im vorliegenden Fall. Es hat uns sehr gewundert, daß, obwohl nur eine Umsetzung der für den Gefahrguttransport bestehenden EU-Regelungen in die deutsche Rechtsordnung vorgesehen war, unter § 3 - Ermächtigungen - in Abs. 5 starke Veränderungen vorgenommen wurden. Dieser Absatz legt fest, wer von den Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften zum Transport gefährlicher Güter ausgenommen ist. In diesen Verwaltungsvorschriften werden zum Beispiel die Verpackung, die Kennzeichnung von Versandstücken, die Auskunfts-, Aufzeichnungs- und Anzeigepflicht, die Besetzung und Begleitung der Fahrzeuge, die Meß- und Prüfverfahren sowie das Verhalten und die Schutz- und Hilfsmaßnahmen nach Unfällen mit gefährlichen Gütern geregelt.
Neben Ausnahmeregelungen für die Feuerwehr, ausländische Streitkräfte und die Einheiten des Katastrophenschutzes, die auch wir für sinnvoll erachten - wir haben auch die Intentionen des Bundesrates in diesem Zusammenhang ausdrücklich begrüßt -, f anden wir in Abs. 5 aber auch die Ausweitung der Ausnahmen auf private Unternehmen, die hoheitlich im Auftrag der Bundeswehr tätig sind.
Wir meinen, ein privates Unternehmen, das für die Bundeswehr Gefahrgut transportiert, ist mit Sicherheit ein Fachbetrieb und erfüllt infolgedessen insbesondere im Bereich der Besetzung und Begleitung sicherlich die Voraussetzungen der Gefahrgutverordnungen. Auch im Bereich aller anderen Maßnahmen wie zum Beispiel der Verpackung oder der Schutzmaßnahmen für das Beförderungspersonal, bei der Kennzeichnung oder bei den Meß- und Prüfverfahren ist eine Ausnahmeregelung für diese Unternehmen aus unserer Sicht überflüssig.
Aber auch der Bundesnachrichtendienst soll laut Abs. 5 im Gegensatz zum alten Gefahrgutbeförderungsgesetz von den Gefahrgutverordnungen ausgenommen sein. Hier regt sich unser Widerspruch, wobei es uns in keiner Weise um die Institution BND geht. Fernab jeglicher ideologischen Diskussion haben uns aber die Ausführungen im Ausschuß zu diesem Punkt nicht überzeugt, obwohl wir zugegebenermaßen sehr viel über operative Beschaffung gelernt haben.
Aufgabe des Gesetzes über den Transport gefährlicher Güter ist es aber unter anderem, Unfälle zu verhüten bzw. die Sicherheit der Bevölkerung bei Unfällen mit gefährlichen Gütern zu gewährleisten.
Was passiert bitte schön, wenn eine, wie es uns im Ausschuß geschildert worden ist, unter „konspirativen Umständen" beschaffte Giftgasgranate explodiert, deren Zusammensetzung so geheim ist, daß es nirgendwo steht und daß es niemand weiß? Wer kann die Bevölkerung dann vor den Auswirkungen schützen?
Angelika Graf
Darauf wissen auch Sie sicherlich keine Antwort. Oder sollte mit der entsprechenden Regelung etwa eine Genehmigung für den Transport eines neuen Plutoniumköfferchens erfolgen?
Ich meine, diese Dinge sollten Sie woanders regeln.
Sie klammheimlich ins Gefahrgutbeförderungsrecht zu schieben
hilft niemandem, dem BND nicht und der betroffenen Bevölkerung auch nicht.
Wir bitten deshalb um Zustimmung zu unserem Änderungsantrag. Sollte dieser Änderungsantrag nicht angenommen werden, werden wir das Gesetz ablehnen.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Helmut Wilhelm.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ein kleiner Blick zurück: Am 10. August 1994 ist in München eine Lufthansa-Maschine aus Moskau gelandet, an Bord ein Kolumbianer mit 363 Gramm hochangereichertem Plutonium im Gepäck, das dieser, angestiftet durch V-Leute, im Dienste des Bundesnachrichtendienstes deutschen Aufkäufern „als Pilotprojekt" überbringen sollte. Ursprünglich plante man etwas mehr: 3,8 Kilogramm Plutonium wollte der BND so importieren - genug für eine Bombe. Schon 363 Gramm Plutonium reichen aus, um bei einem Unfall zig Quadratkilometer zu verseuchen.
Das Ergebnis der höchst professionellen Arbeit dieses Dienstes: Festnahme des Kuriers, höchster Erklärungsnotstand in Pullach, im Bundeskanzleramt und beim Koordinator für die Geheimdienste, Herrn Schmidbauer. Es handelte sich insgesamt um einen der größten Geheimdienstskandale dieser Republik. Seit 1994 versucht ein Untersuchungsausschuß mehr oder weniger vergeblich, Licht in das Dunkel dieser Machenschaften zu bringen.
Was hat dies nun mit der Beförderung gefährlicher Güter zu tun? - Ganz einfach: Beinahe unbemerkt von der Öffentlichkeit hat die Bundesregierung in ihrem Gesetzentwurf ein echtes Kuckucksei eingebaut - die Ausnahmeklausel für den Bundesnachrichtendienst, ebenso für die Bundeswehr. Diese Ausnahmeklausel soll „hoheitlich tätige zivile Unternehmen" von den Bestimmungen der Gefahrgutgesetzgebung ausnehmen. Es ist wirklich Pech, daß dieses Gesetz nicht schon 1994 galt. Es hätte keinen
Skandal, keine peinlichen Fragen und keinen Untersuchungsausschuß gegeben. Wie schön wäre das gewesen.
Bei diesem Gesetzentwurf geht es nicht nur um die Anpassung an europäisches Recht. Es geht auch um die Ausweitung der Aufgabengebiete des BND und die Abschaffung lästiger Kontrollinstanzen, wie sie dieser Dienst auch am 9. Februar 1995 unter den Stichworten „Atomrecht" und „Beförderung gefährlicher Güter" beim Bundeskanzleramt angemahnt hat.
Die Beförderung gefährlicher Güter wird dadurch kein bißchen weniger gefährlich, daß sie der BND oder zivile Unternehmen im Auftrag der Bundeswehr vornimmt.
Nach den Erfahrungen mit den „Pullacher Schlapphüten" ist eher das Gegenteil anzunehmen. Wir schließen uns daher dem vorliegenden Änderungsantrag in vollem Umfang an.
Doch der Gesetzentwurf der Bundesregierung stellt nicht nur in dieser Hinsicht eine Verschlechterung dar. Die Bundesregierung hat es auch versäumt, im Rahmen der europäischen Harmonisierung weitere notwendige Schritte zur Verbesserung der Sicherheit beim Gefahrguttransport zu unternehmen. Aus unserer Sicht ist die Aushebelung von nationalen Sofortmaßnahmen nicht hinnehmbar, die jetzt durch die Änderung von § 7 des Gefahrgutgesetzes eintritt. Hier hätten auch bei der Umsetzung in nationales Recht weiterhin Möglichkeiten zum schnellen Handeln bestanden.
Auch im übrigen erweckt der Gesetzentwurf der Bundesregierung den Eindruck sehr schludriger Arbeit.
Das betrifft insbesondere den neu eingefügten j 9 a. Hier wurde offensichtlich der Eisenbahntransport von Gefahrgut übersehen. Das mag zwar der Wertschätzung der Bahn durch diese Bundesregierung entsprechen, entspricht aber kaum den tatsächlichen Sicherheitserfordernissen. Auftragsgemäß soll jetzt also das Eisenbahn-Bundesamt den Gefahrguttransport Schiene überwachen und Unfälle analysieren, seine Erkenntnisse aber brav für sich behalten und den europäischen Behörden nicht mitteilen. Absurd! Ebenso absurd ist, daß die Regierungskoalition einen entsprechenden Antrag der SPD im Verkehrsausschuß niedergestimmt hat. Noch absurder aber ist, daß nur das Bundesamt für den Güterverkehr, nicht aber das Eisenbahn-Bundesamt Daten über Verstöße erheben darf, um Wiederholungen festzustellen,
genauso, als gäbe es in Europa keinen einzigen Einsteller von Kesselwagen, der sich nicht an die Vorschriften hält.
Ich komme zum Schluß. Nein, meine Damen und Herren, hier hat die Bundesregierung geschlampt.
Helmut Wilhelm
Ich hoffe, daß sich der Bundesrat der Vorlage nochmals annimmt, um zumindest die gröbsten Fehler auszuräumen.
Ich danke.
Der Abgeordnete Horst Friedrich gibt seine Rede zu Protokoll. *) Damit sind Sie sicher einverstanden.
Dann redet als nächster der Abgeordnete Winfried Wolf.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Aus zeitlichen Gründen werde ich mich auf den Gesetzentwurf zur Änderung des Gesetzes über die Beförderung gefährlicher Güter konzentrieren. Über diese Änderungen sollte ja zunächst ohne Debatte ein Beschluß gefaßt werden. Die Debatte hier erfolgt in erster Linie auf Grund der schon zitierten weitgehenden Ausnahmen, die durch diese Änderungen für Bundesgrenzschutz, Bundeswehr, Polizei und schließlich auch für den Geheimdienst BND vorgesehen sind.
Dabei ist dreierlei zu kommentieren und auch bemerkenswert: Erstens stellt sich die Frage, warum ausgerechnet jetzt alle diese Ausnahmen gemacht werden. Immerhin stammt das Gesetz aus dem Jahre 1975, das heißt, wir benötigten 23 Jahre lang keine so weitreichenden Ausnahmen. Die genannten staatlichen Institutionen waren also gesetzlich gehalten, sich auch beim Transport gefährlicher Güter an dieses Gesetz zu halten und unter anderem durch Aufdruck entsprechender Ziffernfolgen auf einem Samsonite-Koffer kenntlich zu machen, daß gerade Plutonium durch die Luft kutschiert wird.
Zum zweiten frappiert eine Diskrepanz: Da werden jede Menge Pipifaxaspekte geändert: Statt „vernichtet" heißt es jetzt „entsorgt", statt „verarbeitet" „aufgearbeitet" usw. Die bürokratische Regelungswut hat sich hier gründlich ausgetobt. Auf der anderen Seite und in krassem Gegensatz dazu stehen diese weitreichenden Ausnahmegenehmigungen: von Bundeswehr über Bundesgrenzschutz bis BND. Sogar zivile Unternehmen, die im Auftrag der Bundeswehr tätig werden, sind von den Auflagen dieses Gesetzes befreit. All diese Institutionen und Unternehmen können also die gefährlichsten Dinge durch deutsche Lande karren. Wenn etwas durchbrennt, explodiert, ins Grundwasser sickert, ätzt, brennt oder abfackelt, so ist nirgendwo für herbeieilende Feuerwehren oder andere Hilfsorganisationen erkenntlich, um welche Substanzen es sich handelt. Dabei handelt es sich schlicht, wie die Kollegin Graf gesagt und dargelegt hat, um eine geheime Kommando- und gefährliche Transportsache.
*) Anlage 5
Drittens sei darauf verwiesen, daß wir es nicht mit einem Einzelfall zu tun haben. Im April 1996 haben wir das Verkehrsvorsorgegesetz im Parlament beraten. Das kam auch so treuherzig-bieder einher, als würde hier für Verkehr vorgesorgt. Tatsächlich stellte sich dieses Gesetz als eine neue Konkretisierung der Notstandsgesetze heraus.
Ähnlich im vorliegenden Fall: Die Koalitionsfraktionen wollen den Gesetzesvorschlag erst gar nicht von den eindeutig ebenfalls zuständigen Ausschüssen für Verteidigung und Inneres mitberaten lassen. Das konnte nun nur teilweise durch gutachterliche Stellungnahmen geflickt werden. Wieder wird in der Debatte heute so getan, als seien derart weitreichende Ausnahmen das Normalste in der Welt. Tatsächlich zeigt das Beispiel dieses Gesetzes: Solche Ausnahmen für geheime Dienste und sogenannte Sicherheitskräfte werden zur Regel.
Ausgerechnet in einer Zeit, in der es offiziell keine Feinde gibt, werden solche Kompetenzen für Bundeswehr und Bundesgrenzschutz ausgebaut. Ausgerechnet in einer Zeit, in der zu Recht die Stasi in der damaligen DDR als undemokratische Macht dargestellt wird, werden die nicht kontrollierbaren Kompetenzen des Geheimdienstes BND ausgebaut. Ausgerechnet nach dem Plutoniumskandal wird dem BND, der in diesen massiv verwickelt war, gesetzlich zugesichert, ab sofort dürfe er unkontrolliert gefährlichste Güter zu Lande, zu Wasser und in der Luft undeklariert befördern.
Damit spricht das Gesetz demokratischen Grundlagen und den Erkenntnissen aus dem Plutoniumausschuß Hohn. Es ist abzulehnen.
Danke schön.
Für die Bundesregierung spricht jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Lammert.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum Gesetzentwurf und zu seiner Begründung ist manches Richtige vorgetragen worden,
aber auch manche Vermutungen und Behauptungen, die einer genaueren Prüfung nicht standhalten.
Das Richtige, Frau Kollegin Ferner, muß nicht wiederholt werden. Ich will vielmehr die Gelegenheit nutzen, zu den unzutreffenden Vermutungen ein paar klarstellende Bemerkungen zu machen.
Das Gesetz, über das wir heute hier reden, betrifft die Rechtsgrundlage für die Durchführung von Transporten mit gefährlichen Gütern - Punkt, Ende
Parl. Staatssekretär Dr. Norbert Lammert
der Durchsage, nicht mehr und nicht weniger. Man kann natürlich immer wieder trefflich darüber streiten, ob es nicht viel besser wäre, einen viel größeren Teil der Güter, Frau Kollegin Graf, auf der Schiene statt auf der Straße zu transportieren. An Gelegenheiten, das zu debattieren, mangelt es nicht. Entsprechende Anschläge
- Anträge werden regelmäßig gestellt. Sie bleiben in der Regel ähnlich folgenlos wie die Anträge, die zum heutigen Gesetzentwurf gestellt werden. Der Transport auf der Schiene ist aber nicht Gegenstand dieses Antrages, genausowenig wie die Frage, ob man Einrichtungen wie den Bundesnachrichtendienst erstens für notwendig hält, zweitens sympathisch findet, ob man es drittens für vorstellbar und legitim hält, daß er in bestimmten Bereichen bestimmte Beschaffungen vornimmt. All dies ist nicht Gegenstand dieses Gesetzes.
Worum es hier geht - das wird man doch noch klarstellen dürfen -, ist, sicherzustellen, daß es eine allgemeine, den auch auf europäischer Ebene veränderten rechtlichen Rahmenbedingungen und den veränderten Einsichten in technische Möglichkeiten und Notwendigkeiten Rechnung tragende, saubere, für jeden nachvollziehbare Grundlage für den Transport gefährlicher Güter gibt, wann immer sie stattfinden und von wem auch immer sie durchgeführt werden. Sofern überhaupt Ausnahmen für nötig gehalten werden, ist sicherzustellen, daß auch für diese Ausnahmen eine sorgfältige rechtliche Grundlage geschaffen wird.
Der unbegründetste Vorwurf, der in diesem Zusammenhang vorgetragen wird, ist der, das alles solle unauffällig oder gar geheim und für niemanden erkennbar beschlossen werden. Wir haben über genau dies, was Sie mit gutem Recht noch einmal in dieser Debatte heute vorgetragen haben, im federführenden Ausschuß und in den mitberatenden Ausschüssen beraten. Wir haben die vorgetragenen Gesichtspunkte sorgfältig abgewogen und darüber am Ende der Beratung eine Beschlußempfehlung fabriziert.
Nun findet in öffentlicher Debatte eine erneute Beurteilung dieser vorgetragenen Sachverhalte statt. Am Ende entscheidet, wie sich das in einem parlamentarischen Verfahren gehört, der Deutsche Bundestag mit seiner Mehrheit, ob er die Einwände für tragend hält oder nicht. Was, bitte schön, soll daran konspirativ sein?
Die Wahrheit ist, daß sich hier offenkundig eine doch eher ideologische Voreingenommenheit gegenüber bestimmten Diensten auf einen Gegenstand erstreckt, der für diese Art von Vorbehalten nun wirklich absolut ungeeignet ist.
Im übrigen muß ich darauf aufmerksam machen, daß die Ausnahmeregelungen, die Sie kritisieren - das ist Ihr gutes Recht -, ja keinen Automatismus begründen, durch Anmeldung eines solchen Wunsches von den Bestimmungen, die hier niedergelegt werden, freigestellt zu werden. Es wird eine Rechtsgrundlage dafür geschaffen, daß eine Ausnahmegenehmigung erteilt werden kann, einschließlich der Möglichkeit, diese mit Auflagen zu versehen, die wiederum sicherstellen, daß genau das Ziel auch in diesen Fällen erreicht wird, die durch dieses Gesetz geregelt werden, Frau Kollegin Ferner.
Ich hatte eigentlich gehofft, Frau Kollegin Ferner, daß die Debatte so verlaufen würde, daß mein Beitrag gänzlich überflüssig geworden wäre. Ich hätte mich dann darauf beschränkt, Ihnen zu Ihrem runden Geburtstag zu gratulieren, den Sie in dieser Woche gefeiert haben. Aber bedauerlicherweise ist dieses Vorhaben durch den Debattenverlauf verhindert worden, obwohl sich alle Kollegen aus der Koalition sehr um die Aufrechterhaltung dieser Kulisse bemüht haben. Deswegen will ich ganz besonders den Kollegen Friedrich loben, an dessen Beitrag besonders wenig auszusetzen war.
Ich will zusammenfassen: Wir haben seit mehr als 20 Jahren eine einheitliche Rechtsgrundlage, die die Transportbedingungen für gefährliche Güter regelt. Wir haben auch eine Übereinstimmung darüber, daß es einer solchen einheitlichen Grundlage bedarf. Wir streiten offenkundig auch nicht darum, daß - wenn überhaupt - Ausnahmeregelungen eine rechtliche Grundlage benötigen. Diese rechtliche Grundlage schafft dieses Gesetz. Es sichert darüber hinaus, daß die Fortschreibung und Anpassung auf europäischen Richtlinien und internationalen Vereinbarungen basieren, die es in den vergangenen 20 Jahren mit unserer Zustimmung gegeben hat.
Nachdem auch die Bundesregierung empfiehlt, den Empfehlungen zu folgen, die der Bundesrat seinerseits zu diesem Gesetz vorgetragen hat, haben wir eine famose, sorgfältig beratene, mit einer für jeden nachvollziehbaren Beschlußempfehlung der Ausschüsse versehene Grundlage, die den Deutschen Bundestag in die Lage versetzt, mit einer überzeugenden Mehrheit diesem Gesetzentwurf zuzustimmen.
Danke schön. - Ich schließe damit die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Änderung des Gesetzes über die Beförderung gefährlicher Güter, Drucksachen 13/10158 und 13/ 10637 Nr. 1. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor, über den wir zunächst abstimmen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 13/10641? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der gesamten Opposition abgelehnt worden.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition in zweiter Beratung angenommen.
Wir kommen nun zur
dritten Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte Sie, sich zu erheben, wenn Sie dem Gesetzentwurf zustimmen wollen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Es gibt keine. Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der gesamten Opposition in dritter Lesung angenommen worden.
Wir kommen nun zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Minimierung der Gefährdung durch Gefahrguttransporte. Das ist die Drucksache 13/10637 Nr. 2. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/ 9449 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung des Ausschusses? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der PDS bei Enthaltung der SPD angenommen worden.
Ich rufe nun die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr zu einem weiteren Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Minimierung der Gefährdung durch Gefahrguttransporte auf. Das ist die Drucksache 13/10637 Nr. 2. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/9849 abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist ebenfalls mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/ Die Grünen und PDS bei Enthaltung der SPD angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19a und b auf:
a) Beratung der Beschlußempfehlung und des
Berichts des Finanzausschusses
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Dr. Christa Luft, Rolf Kutzmutz, weiterer Abgeordneter und der Gruppe der PDS
Einführung einer Steuer auf spekulative Devisenumsätze
- zu dem Antrag der Abgeordneten Ludger Volmer, Dr. Helmut Lippelt, Angelika Beer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Einführung einer spekulationsdämpfenden Steuer auf Währungstransaktionen
- Drucksachen 13/9337, 13/9597, 13/10465 - Berichterstattung:
Abgeordnete Detlef von Larcher Gerhard Schulz
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des
Berichts des Finanzausschusses
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Dr. Ruth Fuchs, Dr. Christa Luft, weiterer Abgeordneter und der Gruppe der PDS
Ermäßigung des Mehrwertsteuersatzes für apothekenpflichtige Arzneimittel auf 7 Prozent
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Dr. Christa Luft, Dr. Uwe-Jens Rössel, Rolf Kutzmutz und der Gruppe der PDS
Besteuerung von Luxusgegenständen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Dr. Christa Luft, Hanns-Peter Hartmann, weiterer Abgeordneter und der Gruppe der PDS
Ermäßigter Mehrwertsteuersatz für arbeitsintensive Leistungen
- Drucksachen 13/9759, 13/9760, 13/9790, 13/ 10618 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Johannes Selle Dieter Grasedieck
Dr. Uwe-Jens Rössel
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Gruppe der PDS sechs Minuten erhalten soll. - Es gibt keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Das Wort erhält die Abgeordnete Barbara Höll.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir diskutieren heute ein kleines Steuerpaket der PDS, das aus vier Anträgen besteht. Wir erheben nicht den Anspruch, die Probleme insgesamt lösen zu wollen, wie Sie es hier immer wieder verkündet haben und womit Sie als Koalition glorreich gescheitert sind. Die von uns vorgelegten vier Anträge zeigen Möglichkeiten auf, aus der Umverteilungspolitik von unten nach oben auszusteigen und umzukehren.
Wir haben einen wichtigen Antrag zur Devisenumsatzsteuer vorgelegt. Der Antrag zur Einführung einer Steuer auf spekulative Devisenumsätze könnte
Dr. Barbara Höll
einen wichtigen Meilenstein zur weltweiten Eindämmung von Spekulationen setzen.
In der ersten Debatte haben die Bündnisgrünen einen ähnlichen Antrag nachgereicht. Die SPD hat ebenfalls signalisiert, daß sie dem Anliegen sehr positiv gegenübersteht. Ich denke, die Einführung einer solchen Steuer wird auch mit der Einführung des Euro nicht hinfällig; denn in bezug auf die Unsicherheiten, die aus den weltweiten Devisenumsätzen herrühren, und die Gefahren, die für die Volkswirtschaften durch die weltweit sehr schnell funktionierenden Finanzmärkte entstehen - ich erinnere in diesem Zusammenhang an die gestrige Meldung in der Presse, nach der täglich 10 000 Koreaner auf Grund der Finanzkrise und der Wirtschaftskrise ihren Arbeitsplatz verlieren -, kann die Devisenumsatzsteuer - im Ansatz folgen wir dem Ökonomen Tobin - ein wichtiges Zeichen setzen und dazu beitragen, einen neuen Weg einzuschlagen. Sie werden der Finanzspekulationen nicht durch moralische Appelle Herr werden. Marx hat schon vor einiger Zeit richtig geschrieben: Das Kapital ist bei Strafe seines Unterganges verpflichtet, schnell den höchstmöglichen Profit zu suchen. - Derzeit ist es so, daß der Profit wesentlich schneller und besser durch kurzfristige Devisenumsätze zu realisieren ist, als wenn in Anlagen langfristig investiert wird, wodurch auch Arbeitsplätze geschaffen werden könnten.
Aus diesem Grunde denken wir, daß die Devisenumsatzsteuer ein richtiger Ansatz ist. Wir koppeln sie mit dem Einsatz der Mittel, die man damit einnehmen kann, damit in der dritten Welt tatsächlich Hilfe zur Selbsthilfe geleistet wird und Sicherheiten geschaffen werden.
Die weltweit frei schwebenden Massen von Kapital, die das Fehlen von Regelungen beim Umtausch von einer Währung in die andere ausnutzen, sind Ausdruck eines weltweiten Prozesses der Polarisierung zwischen Arm und Reich. Heute kam durch den Ticker die Meldung, daß die weltweit reichsten Privatanleger einer Studie zufolge Ende vergangenen Jahres ein Vermögen von 17,4 Billionen Dollar - das sind umgerechnet 31 Billionen DM - besaßen. Das ist eine wahnsinnige Summe, die sich in einer unwahrscheinlich kleinen Hand konzentriert. Auf der anderen Seite haben wir den Prozeß, daß die Armut immer weiter steigt - Armut und Reichtum als zwei Seiten einer Medaille. Diesem Problem müssen Sie sich stellen.
In der DDR hieß es immer: Von der Sowjetunion lernen heißt siegen lernen. Ich sage Ihnen das heute einmal abgewandelt: Lernen Sie von den USA. Dort beginnt jetzt eine ganz intensive Diskussion, weil erkannt wurde, daß eine solche Spaltung, eine Polarisierung zwischen Arm und Reich, gesellschaftszerstörend ist.
Stellen Sie sich diesem Problem; lernen Sie da einmal von den USA.
Wir haben drei Anträge eingebracht, die relativ klein scheinen. Ich weiß aber, daß der Antrag zu einem ermäßigten Mehrwertsteuersatz für arbeitsintensive Handwerksdienstleistungen dem entspricht, was europaweit diskutiert wird. Die Bundesrepublik tritt massiv dagegen auf, obwohl ein ermäßigter Mehrwertsteuersatz die Möglichkeit bieten würde, kleine und mittelständische Betriebe zu schützen, ihre Kosten zu senken und damit vielleicht sogar neue Arbeitsplätze zu schaffen.
Wir haben einen zweiten Antrag, der die Mehrwertsteuer behandelt. Wir haben den Antrag eingebracht, apothekenpflichtige Medikamente mit einem ermäßigten Mehrwertsteuersatz zu belegen. Dies ist nach EU-Recht möglich. Sie können hiermit also sofort anfangen. Wir werden damit nicht die verfehlte Gesundheitspolitik der Bundesregierung ändern können; aber Sie könnten ein wichtiges Zeichen setzen. Sie könnten die Kosten für die Kassen senken, und Sie könnten die Kosten für die Kranken senken, die heute einen Teil der Medikamente, obwohl sie verschreibungspflichtig sind, voll selbst bezahlen müssen. Selbst bei den Kinderkrankheiten - das finde ich schon erstaunlich; schön, daß Frau Nolte hier sitzt - werden Tabletten, Hustenlutschbonbons usw. nach der Selbstverpflichtung der Kinderärzte nicht mehr erstattet. Für eine alleinerziehende Mutter, die Sozialhilfeempfängerin ist, sind die 6 DM, die sie erst einmal vorlegen muß, Geld, das am Ende des Monats in ihrer Kasse fehlt. Ich weiß, daß dieser Vorschlag auch im Gesundheitsministerium immer wieder diskutiert, aber bisher leider noch nicht angefaßt wurde.
Unser dritter kleiner Antrag ist ein Antrag zur Besteuerung von Luxusgütern. Hier setzen wir, glaube ich, genau an der richtigen Stelle an. Wir möchten niemandem verbieten, daß er sich Luxusgüter zulegt und solche besitzt. Aber wir sagen: Gerade wer in den letzten Jahren dank Ihrer, dank der Waigelschen Politik, dank der Politik der Regierungskoalition die Möglichkeit hatte, sich aus der Finanzierung des Gemeinwesens herauszuziehen - gerade die Gruppe Menschen, die ein sehr hohes Einkommen hat, zahlt anteilmäßig immer weniger Steuern -, muß in der jetzigen Situation der Massenarbeitslosigkeit, der drängenden Probleme und des verheerenden Schuldenstandes der öffentlichen Hand, gerade der Kommunen, wieder ein bißchen zur Finanzierung des Gemeinwesens beitragen.
Deshalb sagen wir: Wir verbieten das nicht. Aber diejenigen, die sich einen Porsche, eine Luxusyacht oder einen Pelzmantel kaufen, sollten ab einer Summe von 15 000 DM etwas mehr Steuern zahlen als bisher. Wir denken, das ist nur gerecht. Dies wäre ein Zeichen in die richtige Richtung.
Ich danke Ihnen.
Die Kollegen Merz und Selle *) sowie die Kolleginnen Westrich
*) Die Reden lagen bis Redaktionsschluß nicht vor.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
und Frick **) haben gebeten, ihre Reden zu Protokoll geben zu dürfen. Damit sind Sie sicher einverstanden? - Dann spricht jetzt als letzter Redner in dieser Debattenrunde der Abgeordnete Ludger Volmer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich hätte meine Rede ja auch zu Protokoll gegeben, wenn ich sie schriftlich vorliegen hätte.
Ich will einige Dinge zur Begründung der Einführung der Tobin-Steuer sagen. Frau Höll, ich finde es ja gut, daß auch Sie dieses Thema angesprochen haben. Wenn Sie aber die Geschichte der letzten Wahlperioden studieren, dann werden Sie feststellen, daß die Grünen bereits 1985 in einem ihrer allerersten Anträge die Einführung der Tobin-Steuer gefordert haben.
- Es ist natürlich eine ganz üble Beschuldigung, zu sagen, wir hätten nachgelegt. Das muß ich hier an allererster Stelle korrigieren. Ansonsten freue ich mich natürlich, daß wir an einem Strang ziehen.
Das Problem wird uns nicht verlassen, auch dann nicht, wenn der Bundestag heute, wie anzunehmen ist, unseren Vorstoß wieder einmal mit einer schlechten Begründung zurückweist, wie ich den Berichten der Berichterstatter entnommen habe. Die Probleme, auf Grund derer wir die Einführung der Tobin-Steuer vorschlagen, sind nicht beseitigt. Seitdem das Bretton-Woods-System mit seinen festen Wechselkursen gescheitert ist, ist die Spekulation nicht etwa, wie man dachte, zurückgegangen. Vielmehr hat die Volatilität zugenommen. Dies hatte Auswirkungen, wie wir jetzt in Südostasien haben sehen können. Ganze Volkswirtschaften stehen in der Gefahr, zusammenzubrechen, mit all den Folgewirkungen vor allen Dingen für die sogenannten kleinen Leute, für die ärmeren Einkommensschichten. Die Rückwirkungen auf die Volkswirtschaften der Industrieländer sind unübersehbar.
Wir meinen, daß es höchste Zeit wird, daß die Politik gegenüber den entfesselten Kapitalmärkten, die nicht nur in der dritten Welt, sondern zunehmend auch in den Industrieländern Unheil anrichten, endlich Spielräume zurückgewinnen muß, um steuernd einzugreifen. Die Tobin-Steuer gebietet einen solchen Ansatzpunkt. Sie ist ein marktkonformes Steuerungsinstrument. Sie verteuert kurzfristige Spekulationen und ist von daher geeignet, Kapitalanlagen in langfristige Investitionen umzuleiten.
Wer hier im Bundestag über die Schaffung von Arbeitsplätzen spricht - dies ist die innenpolitische Hauptaufgabe -, muß sich darüber Gedanken machen, wie Investitionen in kurzfristige Spekulationen in Investitionen in langfristige Anlagen umgelenkt
*) Anlage 6
werden können. Das kann mit der Tobin-Steuer erreicht werden.
Damit wird ein Zweites erreicht. In dem Moment, in dem die Volatilität auf den Kapitalmärkten nachläßt, weil sich die Zinsmargen annähern, und die Zinsspekulation nachläßt, werden Investitionen sicherer. Zugleich werden die Kapitalkosten zur Absicherung von Investitionen sinken, so daß die Belastungen gerade der kleinen und mittelständischen Unternehmen mit geringer Kapitaldecke im Außenverkehr reduziert werden. Auch dies trägt dazu bei, die Arbeitsplatzsicherheit zu erhöhen. Wer hier immer davon spricht, daß die Lohnnebenkosten gesenkt werden müssen, um die Kapitalseite zu entlasten, der muß mit demselben Argument, mit mindestens der gleichen Vehemenz die Einführung der Tobin-Steuer unterstützen.
Die Implementierung einer solchen Steuer ist alles andere als schwierig. Die G-7-Länder und vielleicht noch Singapur und Hongkong bräuchten dies nur zu beschließen. Man kann - das ist unser Vorschlag - auch die IWF-Statuten in diesem Sinne ändern. Es ist ohnehin Aufgabe des Internationalen Währungsfonds, den internationalen Kapitalverkehr zu kontrollieren. Wir plädieren für diesen Weg der Reregulierung der Kapitalmärkte.
Wir prophezeien: Wenn dieses kleine, gar nicht besonders radikale marktförmige Instrument heute nicht angewendet wird, dann werden Sie in zehn Jahren zu ordnungspolitischen Maßnahmen greifen müssen, von denen Sie heute noch nicht träumen.
Ich schließe damit die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Finanzausschusses zu dem Antrag der Gruppe der PDS zur Einführung einer Steuer auf spekulative Devisenumsätze, Drucksache 13/10465 Buchstabe a.
Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/9337 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung des Ausschusses? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und - bis auf eine Gegenstimme - der SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei einer Enthaltung bei der SPD angenommen worden.
Wir kommen zur Beschlußempfehlung des Finanzausschusses zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen zur Einführung einer spekulationsdämpfenden Steuer auf Währungstransaktionen, Drucksache 13/10465 Buchstabe b.
Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/9597 abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der PDS angenommen worden.
Wir kommen zur Beschlußempfehlung des Finanzausschusses zu dem Antrag der Gruppe der PDS zur Ermäßigung des Mehrwertsteuersatzes für apothekenpflichtige Arzneimittel auf 7 Prozent, Drucksache 13/10618 Buchstabe a.
Der Aussschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/9759 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen gegen die Stimmen der PDS angenommen worden.
Wir kommen zur Beschlußempfehlung des Finanzausschusses zu dem Antrag der Gruppe der PDS zur Besteuerung von Luxusgegenständen, Drucksache 13/10618 Buchstabe b.
Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/9760 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen gegen die Stimmen der PDS bei einer Enthaltung beim Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden.
Wir kommen zur Beschlußempfehlung des Finanzausschusses zu dem Antrag der Gruppe der PDS zu einem ermäßigten Mehrwertsteuersatz für arbeitsintensive Leistungen, Drucksache 13/10618 Buchstabe c.
Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/9790 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen gegen die Stimmen der PDS angenommen worden.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung des Transfusionswesens
- Drucksache 13/9594 -
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit
- Drucksache 13/10 643 -
Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Harald Kahl
Folgende Kollegen haben gebeten, ihre Reden zu Protokoll geben zu dürfen: von der CDU/CSU der Abgeordnete Dr. Kahl und die Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Bergmann-Pohl, von der F.D.P. der Kollege Dr. Thomae, von der SPD der Kollege Schmidbauer , vom Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Knoche und von der PDS die Kollegin Fuchs.*) Sind Sie einverstanden? - Dann verfahren wir so.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Regelung des Transfusionswesens, Drucksachen 13/ 9594 und 13/10643.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden, während sich SPD und PDS enthalten haben.
Dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich nun zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Lesung mit dem Stimmenverhältnis, das ich eben festgestellt habe, angenommen worden.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Gerd Poppe, Dr. Angelika Köster-Loßack, Dr. Helmut Lippelt und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
zu der Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
Entwurf eines Gesetzes zum Vertrag von Amsterdam vom 2. Oktober 1997
- Drucksachen 13/9339, 13/9913, 13/10036, 13/10543 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Klaus Francke Dieter Schloten
Gerd Poppe
Dr. Helmut Haussmann
Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben werden, und zwar vom Parlamentarischen Staatssekretär Schäfer sowie den Kollegen Francke , Irmer, Dr. Brecht, Poppe und Tippach.**) Sind Sie einverstanden, daß wir die Reden zu Protokoll geben? - Das scheint der Fall zu sein. Dann kann ich gleich wieder zu den Abstimmungen kommen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Vertrag von Amsterdam - Lage im Kosovo, Drucksache 13/10543.
Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/10036 in der Ausschußfassung anzunehmen. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion
*) Anlage 7 **) Anlage 8
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Bündnis 90/Die Grünen vor, über den wir jetzt zuerst abstimmen. Ich bitte diejenigen, die dem Änderungsantrag auf Drucksache 13/10559 zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist damit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt worden.
Ich bitte nun diejenigen, die der Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, des Bündnisses 90/ Die Grünen und der SPD bei Enthaltung der PDS angenommen worden.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:
Beratung des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gemäß § 62 Abs. 2 der Geschäftsordnung zu dem vom Bundesrat eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über die Berufe in der Altenpflege (Altenpflegegesetz - AltPflG)
- Drucksachen 13/1208, 13/10587 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Edith Niehuis
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung war für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Zu Protokoll gegeben werden soll nur die Rede des Abgeordneten Riegert.*) - Sie sind einverstanden. Die anderen wollen aber reden, wie ich höre.
Dann eröffne ich jetzt die Aussprache. Das Wort hat zunächst die Abgeordnete Christa Lörcher.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Rund 360 Ausbildungsberufe gab es am Anfang dieses Ausbildungsjahres in unserem Land. - 11 neue kommen Anfang August dieses Jahres dazu, darunter Automobilkaufmann und -frau, Fachkräfte für Medien- und Informationsdienste, Systemgastronomie und Veranstaltungstechnik, Mikrotechnologie - sogar Glasblasen wird neu geordnet, so der Berufsbildungsbericht 1998.
Da sprechen wir heute über Altenpflege? Die Pflege älterer Menschen - ist das nicht ein konventioneller, vielleicht gar ein altmodischer Beruf, ein Beruf, in dem vorwiegend Frauen tätig sind, die das ja sowieso können, wie der für Pflege zuständige Minister meint? Ist das zeitgemäß? Ist es nötig, dafür Zeit im Deutschen Bundestag zu verwenden?
Es ist inzwischen bekannt, sicher auch im zuständigen Ministerium, was in der Enquete-Kommission „Demographischer Wandel" des Deutschen Bundestages zu den Grundannahmen gehört: Die Gruppe der älteren Menschen ist der am stärksten wachsende Teil unserer Bevölkerung. 1995 haben die Menschen über 60 Jahre mit rund 18 Millionen die jungen Menschen unter 20 Jahren in unserem Land
s) Anlage 9
an Zahl überrundet. Diese Entwicklung wird sich fortsetzen.
Die achte koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes, mittlere Variante, sagt uns für das Jahr 2000 gut 19 Millionen ältere Menschen voraus. Die Zahl wird in den folgenden zehn Jahren auf 21 Millionen und dann auf 23 Millionen ansteigen; zehn Jahre später, im Jahre 2030, wird es voraussichtlich 26 Millionen Ältere über 60 Jahre geben - und das bei stark abnehmenden Zahlen von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen im erwerbsfähigen Alter. Etwa jeder Dritte in unserem Land wird dann 60 Jahre und älter sein, nur etwa halb so viele werden 20 Jahre oder jünger sein; knapp die Hälfte der Bevölkerung wird zwischen 20 und 60 Jahre alt sein.
Hat dies die Koalitionsfraktionen zum Nachdenken gebracht? Zum Nachdenken vielleicht, zum Handeln jedenfalls nicht.
Pflegebedürftigkeit hat es immer gegeben: bei Menschen mit körperlichen oder geistigen Schwierigkeiten oder Behinderungen, die entweder angeboren oder durch Krankheit, Unfall und Kriegsfolgen bedingt sind. Mit der deutlichen Zunahme der Lebenserwartung in diesem Jahrhundert - eine Längsschnittstudie der Stadt Mannheim hat ergeben, daß die Lebenserwartung in dieser Zeit um etwa zwei Jahre gestiegen ist - steigt auch das Risiko, pflegebedürftig zu werden. Bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen unter 65 beträgt es nur 1 Prozent, bei denen, die 85 Jahre und älter sind, liegt es bei rund 13 Prozent.
Was bedeutet dies für die sozialen Dienste in unserem Land? Da immer weniger junge Menschen für die Pflege und Betreuung der Älteren im häuslichen Bedarf dasein werden, werden wir mehr professionell Beschäftigte im Gesundheitswesen insgesamt brauchen. Fachleute schätzen, daß der Bedarf von rund 3,2 Millionen Beschäftigten im Gesundheitswesen im Jahr 2000 auf etwa 4,3 Millionen im Jahr 2030 steigen wird - also rund ein Drittel mehr.
Die Zahl der Vollzeitkräfte in stationären und ambulanten Einrichtungen der Altenhilfe ist laut Arbeitsministerium in den Jahren 1993 bis 1997 von 214 000 auf 289 000 gestiegen. Nur ein Teil von ihnen hat eine qualifizierte Ausbildung. Wir haben darüber vor wenigen Wochen hier im Haus eine Debatte gehabt, als die Heimpersonalverordnung durch diese Regierung in Frage gestellt wurde und nur durch massive Proteste der Öffentlichkeit eine Deregulierung verhindert werden konnte. Ich appelliere an dieser Stelle an alle Verantwortlichen, die angestrebte Fachkraftquote von 50 Prozent nicht erst in gut zwei Jahren, sondern möglichst bald zu verwirklichen.
Wie können wir das erreichen? Was kann Bundespolitik, also wir in diesem Haus, dafür tun? Wir können viel tun, um das Berufsbild der Altenpflege attraktiver zu machen, um eine qualifizierte, in allen
Christa Lörcher
Bundesländern vergleichbare Ausbildung zu verwirklichen und um die Arbeitsbedingungen in den verschiedenen Bereichen der Altenhilfe zu verbessern. Das würde einen entscheidenden Beitrag zur Erhöhung der Lebensqualität älterer Menschen leisten.
Warum tun wir es dann nicht? Die zuständige Ministerin hat selber am Anfang der Legislaturperiode in der 2. Sitzung unseres Ausschusses vor über drei Jahren gesagt:
Als Gesetzesvorhaben wollen wir in diesem Jahr das Heimgesetz ändern... Darüber hinaus streben wir eine bundeseinheitliche Altenpflegeausbildung an.
Das hätte uns hellhörig machen sollen. „Anstreben" ist noch lange nicht verwirklichen.
Ich freue mich, daß der Glasbläser und die Glasbläserin bald eine bundeseinheitliche Ausbildungsordnung haben werden. Für die Altenpflege gilt das leider immer noch nicht.
Leere Worte, Beschwichtigungen, Abwarten, Vertrösten: Mehr hat es von der Bundesregierung in den letzten Jahren dazu nicht gegeben. Eine Regierung muß sich aber an ihren Taten, nicht an den schönen Worten messen lassen.
Der erste Gesetzentwurf der SPD-Fraktion zur Regelung von Ausbildung und Ausbildungsstätten in der Altenpflege stammt aus dem Jahr 1990; er ist also acht Jahre alt. Danach gab es einen Gesetzentwurf der Bundesregierung - Sie staunen - über die Berufe in der Altenpflege. Dieser wurde damals vom Bundesrat abgelehnt, weil die Bundeskompetenz noch nicht geklärt war.
Der heute zur Debatte stehende Gesetzentwurf des Bundesrates wurde in der 13. Wahlperiode erneut eingebracht. Das ist über drei Jahre her. Über die Kompetenz des Bundes besteht heute weitgehend Einigkeit. In der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der SPD „Gesundheits- und sozialpflegerische Berufe" wird dies auf Seite 8 erläutert:
Der Beruf des Altenpflegers/der Altenpflegerin hat sich durch die demographische Entwicklung insbesondere der beiden zurückliegenden Jahrzehnte zu einem Beruf entwickelt, dessen seitdem gewachsene heilberufliche Anteile inzwischen mindestens gleichgewichtig neben den klassischen sozialpflegerischen zu bewerten sind. Dies erfordert dringend eine Ergänzung des ... Berufsbildes ... um die heilberuflichen Komponenten auf dem Gebiet der Altenkrankenpflege. Hierzu bietet sich eine bundesrechtliche Regelung auf der Grundlage der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes nach
Art. 74 Nr. 19 Grundgesetz zur Regelung des Zugangs zu den Heilberufen geradezu an.
Das war 1993. Heute, 1998, sind wir mit der gesetzlichen Regelung kaum weiter als damals, und das, obwohl die von uns beantragte Anhörung am 13. November 1996 die Notwendigkeit einer bundeseinheitlichen Regelung unterstrichen hat. Mindestanforderungen an die Dauer der Ausbildung, an Theorie- und Praxisanteile, an die Qualifikation von Ausbildungs- und Lehrkräften, an Ausbildungsziele und -inhalte sowie eine angemessene Ausbildungsvergütung wurden als dringlich erachtet.
Warum ist nichts davon verwirklicht, obwohl doch alles dafür spricht? Die Antwort ist einfach: Die Ministerin hätte vielleicht gern etwas getan, wenn sie denn gedurft hätte.
Aber die Regierung in Bayern sagt „Nein", und damit ist jede Initiative zum Scheitern verurteilt. Die Mitglieder der Koalitionsfraktionen machen das mit, indem sie das Thema mit ihrer Mehrheit im Ausschuß mehrfach von der Tagesordnung abgesetzt haben.
Die bayerische Regierung akzeptiert die Bundeskompetenz nicht. Sie will oder sie kann nicht zusammenarbeiten. Ihr langer Arm reicht so weit, daß sie in unserem Ausschuß eine Debatte zu dem Thema verhindern kann. Das ist grotesk. Es ist zynisch den Pflegebedürftigen und den Pflegenden gegenüber.
Es steht langfristig einer europäischen Regelung im Wege. Wir haben in den letzten Tagen und Wochen viel zur Bedeutung von Europa gehört. Bei der Regelung eines heute und künftig wichtigen Berufsbildes leisten wir uns 16 verschiedene Länderregelungen. Das ist anachronistisch.
Frau Nolte hat den Starrsinn der bayerischen Regierung unterschätzt, oder sie hat sich selbst überschätzt - oder beides. Sie hat am 24. November 1994, am Anfang dieser Legislaturperiode, gesagt: „Ich verspreche Ihnen eine aktive Seniorenpolitik." Das erinnert an das Märchen „Des Kaisers neue Kleider" : schöne Kleider und nichts darunter, starke Worte und nichts dahinter.
Fazit: Die Interessen der Älteren, der pflegebedürftigen Menschen vertreten Sie, Frau Nolte, und Ihre Regierung nicht. Die Interessen der Beschäftigten in der Pflege - sowohl der Alten- wie auch der Krankenpflege - im Hinblick auf eine gleichberechtigte qualifizierte Zusammenarbeit vertreten Sie nicht. Die Interessen derjenigen, die den Beruf Altenpflege lernen wollen - vorwiegend Frauen, aber auch eine
Christa Lörcher
wachsende Zahl von Männern -, vertreten Sie ebenfalls nicht. Es wird höchste Zeit, daß wir das ändern.
Die Lebensqualität der Menschen in jedem Alter ernst nehmen und verbessern; die Lebensqualität der Beschäftigten in der Pflege ernst nehmen und ihre Situation durch Qualifikation und humane Arbeitsbedingungen verbessern; die Ausbildungsqualität derjenigen, die den Beruf Altenpflege lernen oder lernen wollen, durch hohe bundeseinheitliche Standards mit europäischer Perspektive sichern: Das sind Ziele dieser Bundesratsinitiative. Es sind Ziele unseres Engagements in der Altenpolitik - meiner Arbeitsgruppe und einer künftig SPD-geführten Bundesregierung - für eine menschlichere Gesellschaft.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Die Spatzen pfeifen es von den Dächern: Die Koalition hat keinen Willen oder keine Kraft zu politischen Reformen. Auch die heutige Debatte zeugt davon.
Die Bundesregierung möchte weder den qualitativen Pflegenotstand beseitigen noch die Berufsperspektive von Frauen verbessern, indem sie eine bundeseinheitliche Altenpflegeausbildung schafft. Sie, Frau Nolte, verstecken sich hinter dem Bundesland Bayern. Weil die Bayern nicht wollen und das föderale System gefährdet sehen, soll alles so bleiben, wie es ist: 17 Ausbildungen in 16 Bundesländern.
Nicht nur das ist schlecht, wie die Anhörung im Ausschuß bestätigt hat.
Trotzdem können wir heute nicht über die Initiativen von Bundesrat, SPD und Grünen abstimmen, weil die werten Abgeordneten der CDU/CSU und F.D.P. die entsprechenden Anträge immer wieder kurzerhand von der Tagesordnung des Ausschusses abgesetzt haben. Ich finde, das ist ein etwas merkwürdiges Demokratieverständnis.
Dabei geht es um einiges: sowohl in der Pflege als auch in der Ausbildung. Ist es ein Zufall, daß in einem Beruf, in dem zu fast 90 Prozent Frauen arbeiten, bei uns immer noch ein Wildwuchs an Ausbildungen herrscht und die Altenpflegerin, die ihre Ausbildung in Bremen abgeschlossen hat, in Bayern nur als Helferin arbeiten darf? Keine einheitliche Ausbildungsdauer, keine vergleichbare Qualität der
Ausbildung und gleichzeitig hohe Anforderungen an den Beruf!
In vielen Ländern müssen die Auszubildenden ihre Ausbildung selbst zahlen. An einen Aufstieg ist nicht zu denken. Kein Wunder also, daß Berufsflucht oder Burnout an der Tagesordnung sind und jede Dritte schon im letzten Ausbildungsjahr daran denkt, den Beruf wieder aufzugeben.
Deshalb ist der Vorschlag des Bundesrates, eine dreijährige bundeseinheitliche Altenpflegeausbildung zu schaffen, begrüßenswert. Aber die vorgesehene einjährige Ausbildung zum Beruf der Altenpflegehelferin und -helfer ist ein Schritt in die falsche Richtung und wird den fachlichen Anforderungen in der Pflege nicht gerecht. Pflege braucht qualifizierte Fachkräfte. Ich freue mich, daß dies die SPD in ihrem Antrag, den sie vorgelegt hat, genauso sieht.
Warum kommt man wohl gerade hier auf die Idee, einen neuen Hilfsberuf zu schaffen, wo doch niemand auf den Gedanken gekommen ist, die Ausbildung zum Schlosser- oder zum Automechanikerhelfer zu fordern? Warum ist das in Frauenberufen der Fall? Sogenannte Frauenberufe mit niedriger Qualifikation und geringer Bezahlung dürfen wir nicht zulassen. Eine vernünftige Pflegepolitik ist auch Arbeitsmarktpolitik für Frauen.
Der Bundesrat nimmt es auch mit der Qualität für das auszubildende Lehrpersonal nicht so genau. Statt die Standards vorzuschreiben, die für jeden Handwerkerberuf gelten, nämlich Berufsschullehrerinnen und -lehrer und eigens für die praktische Ausbildung geschulte Personen, soll es in der Altenpflege nach dem Willen des Bundesrates nur pädagogisch qualifizierte Fachkräfte geben, die die zukünftigen Alterpflegerinnen und Altenpfleger ausbilden. Auch hier fordert die SPD inzwischen erfreulicherweise Nachbesserungen.
Es ist offenkundig: Die Reform ist längst überfällig. Professionalisierung in der Pflege ist das Ziel. Doch die Pflegeausbildung darf nicht nach dem alten Muster gestrickt werden.
Wir sind der Meinung, daß seit langem ein neues Ausbildungsmodell gefragt ist, bei dem es gerade nicht die drei voneinander getrennten Berufe wie die Altenpflege, die Kranken- und Kinderkrankenpflege gibt. Gerade weil die Qualifikationen in diesen Pflegeberufen so ähnlich sind, spricht vieles dafür, keine spezielle Altenpflegeausbildung zu schaffen, sondern über eine einheitliche Ausbildung in einem Pflegefachberuf mit speziellen Weiterbildungen nachzudenken. Das ist ein ganzheitlicher Ansatz, der auch in der Anhörung viel Unterstützung fand.
Zu einem attraktiven Berufsbild gehört auch die Möglichkeit der Weiterqualifikation. Es muß ein durchlässiges Bildungssystem von der Berufsausbildung bis zum Hochschulabschluß geben. Nach der Berufsausbildung muß auch ein fachgebundenes Hochschulstudium möglich sein.
Meine Damen und Herren, nur eine Reform, die diesen Namen auch verdient, wird langfristig dem qualitativen Pflegenotstand ein Ende bereiten. Ich
Irmingard Schewe-Gerigk
appelliere an Sie: Machen Sie endlich den Weg dazu frei, daß wir eine bundeseinheitliche Ausbildung bekommen!
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei diesem Punkt hätte auch die F.D.P.-Fraktion lieber Gesetzentwürfe - wenn auch nicht unbedingt jene, die eingebracht worden sind, wohl aber mit Änderungen - debattiert und beschlossen. Langsam ist die Diskussion um ein bundeseinheitliches Altenpflegegesetz wirklich eine unendliche Geschichte.
Seit Mitte der 80er Jahre steht fest, daß es ein einheitliches Altenpflegegesetz braucht und daß die Rechtszersplitterung nicht gut ist. Es ist schon gesagt worden, daß die Anhörung, die der Ausschuß durchgeführt hat, als Ergebnis ganz eindeutig eines hervorgebracht hat - wenn auch bei Differenzierungen in Einzelfällen -: Es muß eine einheitliche Regelung her.
Eines ist ganz klar: In der Koalition muß man versuchen, sich zu verständigen. Da gibt es Länderinteressen, die nicht immer unter einen Hut zu bringen sind. Das kennen Sie aus anderen Koalitionen genauso.
Ich möchte für die F.D.P. deutlich machen, daß wir nicht nur in dieser Legislaturperiode, sondern auch schon in der vorherigen eine endgültige, abschließende Behandlung angestrebt haben; damals gab es einen Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Altenpflegeausbildung. Wir hätten sie gerne gesehen, leider war es aber nicht möglich, sich in diesem Punkt zu verständigen. Wir bedauern, daß der Vorwurf der Blockade hier in Richtung Bayern gerichtet werden muß.
Leider ist es uns nicht gelungen, die wichtigen Fragen des Schutzes der Berufsbezeichnung, einheitlicher Ausbildungsstandards, einheitlicher Zulassungsvoraussetzungen und Ausbildungsvergütungen abschließend zu klären. Nur so käme diesem Beruf der hohe Wert zu, den er schon jetzt hat und der in Zukunft noch wachsen wird.
Ich möchte an dieser Stelle und zu dieser späten Stunde für die F.D.P. sagen: Wir werden in unseren Bemühungen nicht nachlassen und auch in den nächsten Monaten klar unsere Meinung sagen, wenn wir danach gefragt werden. In einer Koalition gibt es aber mehrere Partner. Leider konnten wir uns hier nicht durchsetzen.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Heidemarie Lüth.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Alle sind sich einig - alle Parteien im Ausschuß, die Ministerin, der Bundesrat -, und auch die Anhörung hat es bestätigt: Wir brauchen eine bundeseinheitliche Altenpflegeausbildung. Wir kommen aber nicht dazu, den Gesetzentwurf zu beschließen, der vom Bundesrat vorgelegt wurde und mit Änderungsanträgen der SPD, Bündnis 90/Die Grünen und auch der PDS versehen ist. Alle vorliegenden Papiere bekräftigen den Reformbedarf.
Es spricht nicht für die Entscheidungsfreudigkeit und gegebenenfalls nicht für Kompetenz, wenn Frau Nolte nunmehr erklärt, daß bei aller Notwendigkeit ein Gesetzentwurf der Bundesregierung unwahrscheinlich sei. Welche Größe, das Schicksal dieses Gesetzentwurfes gerade in die Hände dieses Ausschusses zu legen, in dem überhaupt keine Entscheidungen in solch einer Frage getroffen werden können! Drückt da vielleicht der Freistaat Bayern? - Alle haben das schon bestätigt, die Frage braucht nicht mehr gestellt zu werden.
Ganz sicher hängt aber diese Entscheidung mit dem Versuch zusammen, die Heimmindestpersonalverordnung im Heimgesetz zu ändern. Wer den Einsatz von ausgebildeten Altenpflegerinnen und Altenpflegern in den Pflegeheimen auf ein Mindestmaß zurückfahren will, der hat wenig Interesse an einer bundeseinheitlichen Ausbildung. Wer sich für eine Pflege „Still-Sauber-Satt" entscheidet und Schritte in diese Richtung tut, dem reicht natürlich auch ein Mindestmaß an Ausbildung. Kosten werden minimiert - es sind ja wieder nur einmal Frauenberufe.
Wie es aussieht, wird am Ende der 13. Wahlperiode kein einheitlicher Entwurf zur Ausbildung von Altenpflegern und Altenpflegerinnen vorliegen. Etwa 100 000 examinierte Krankenpflegerinnen und Krankenpfleger, die Ausbildungseinrichtungen und jene, die in diesem Beruf wirklich eine Zukunft sehen, aber vor allem auch die älteren Bürgerinnen und Bürger, die auf Hilfe angewiesen sind, müssen zur Kenntnis nehmen: In den 16 Bundesländern gibt es 16 unterschiedliche Ausbildungsgesetze mit unterschiedlicher Dauer, unterschiedlicher Finanzierung und zum Teil fehlender Anerkennung der Abschlüsse. Unzureichend bleiben somit natürlich auch gezielte berufliche Weiterbildungs- und Karrierewege.
So bleibt es dabei, daß den Anforderungen, mehr als bisher über Fähigkeiten und Kompetenzen zur assistierenden und begleitenden Förderung von Selbsthilfe und Selbständigkeit zu verfügen, wiederum nicht entsprochen wird. Allerdings können wir die Hoffnung haben, daß das ab September anders wird.
Danke.
Danke schön. - Ich schließe die Aussprache.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Die SPD möchte einen Antrag stellen. - Bitte.
Frau Präsidentin! Wir stellen in Anbetracht des ständigen Verschiebens in der Ausschußarbeit, wie das in den verschiedenen Reden schon begründet wurde, folgenden Antrag:
Der Deutsche Bundestag wolle beschließen:
Der Bundestagsausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend wird aufgefordert, den Gesetzentwurf des Bundesrates „Entwurf eines Gesetzes über die Berufe der Altenpflege ", Drucksache 13/1208 vom 26. April 1995, umgehend zu beraten und dem Deutschen Bundestag die Beschlußempfehlung so rechtzeitig vorzulegen, daß diese noch in dieser Legislaturperiode beraten werden kann.
Ich bitte um Zustimmung.
Das ist ein Verfahrensantrag, der auch zulässig ist. Wir können darüber gleich abstimmen. Ich bitte diejenigen, die diesem Verfahrensantrag zustimmen wollen, sich zu melden. - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Das ist nicht der Fall. Damit ist der Verfahrensantrag mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt.
Interfraktionell ist vereinbart worden, den Tagesordnungspunkt 13, die zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurfes zur Änderung der Bundesnotarordnung und des vom Bundesrat eingebrachten Gesetzentwurfs zur Änderung der Verordnung über die Tätigkeit von Notaren in eigener Praxis, für heute abzusetzen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 14 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Fremdenverkehr und Tourismus zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Rolf Olderog, Klaus Riegert, Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/ CSU sowie der Abgeordneten Dr. Olaf Feldmann, Birgit Homburger und der Fraktion der F.D.P.
Sporttourismus, neuartige Sportaktivitäten und Umweltschutz
- Drucksachen 13/10017, 13/10582 -Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Rolf Olderog Susanne Kastner
Halo Saibold
Dr. Olaf Feldmann
Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben werden, und zwar von den Abgeordneten Dr. Rolf Olderog, Klaus Riegert, Dr. Olaf Feldmann, Susanne Kastner, Halo Saibold, Christina Schenk und Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Heinrich Kolb *). - Sind Sie einverstanden? - Dann kommen wir gleich zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Fremdenverkehr und Tourismus zu diesem Antrag. Das ist Drucksache 13/10582. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/ 10017 in der Ausschußfassung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenstimmen? - Gibt es Enthaltungen? - Nein. Damit ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der gesamten Opposition angenommen worden.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 15 auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Rita Grießhaber, Marieluise Beck , Matthias Berninger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Mädchenpolitik
- Drucksache 13/6799, 13/9509 -
Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Auch hier ist beschlossen worden, daß alle Reden zu Protokoll gegeben werden. Das sind die Reden der Bundesministerin Claudia Nolte sowie der Kolleginnen Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Ulla Schmidt , Rita Grießhaber, Rosel Neuhäuser und Annegret Kramp-Karrenbauer **). Sie sind damit einverstanden, daß wir diese zu Protokoll geben? - Das ist der Fall.
Dann kommen wir zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/10615. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS abgelehnt worden. Die SPD hat sich enthalten.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 16 auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen des Europarats vom 5. November 1992
- Drucksache 13/10268 -
Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses
- Drucksache 13/10613 - Berichterstattung:
Abgeordnete Hartmut Koschyk Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Cern Özdemir
Cornelia Schmalz-Jacobsen Ulla Jelpke
Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und F.D.P. vor. Der Entschließungsantrag der SPD auf
*) Anlage 10 **) Anlage 11
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Drucksache 13/10642 wurde durch diesen interfraktionellen Entschließungsantrag ersetzt. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch, das heißt, die Reden zu diesem Punkt werden nicht zu Protokoll gegeben.
Der Parlamentarische Staatssekretär Manfred Carstens, der beginnen sollte, aber noch nicht anwesend ist, kann sich melden, wenn er noch kommt. Ich rufe erst einmal die Abgeordnete Christel Deichmann auf.
Leive Fruu Präsidentin! Mien leive Fruunslüüd un Mannslüüd! 1995 hebben wi in min Heimatdörp uns 715. Jubiläum fiert. Dat is in Holthusen bi Schwerin. Wi hebben dor ne lütte Chronik tausamenstellt. Gliek up de erste Siet steiht de Text van en ganz oliet Lied.
- Dat hebben wi all hengeben. De hebben dat schon. De können dat ook vöörlesen.
Makt juuch keen Kopp; dat geiht sienen Gang.
Uns Dichtersmann Fritz Reuter ut Meckelbörg hett dat upschreven:
Ick weit enen Eikbom, de steiht an de See, de Nurdstorm, de brus't in sin Knäst;
stolz reckt hei de mächtige Kron in de Höh, so is dat all dusend Johr west.
Kein Minschenhand, de hett em plant't,
hei reckt sick von Pommern bet Nedderland.
Un disse olle Eikboom, leive Lüüd, dat is uns gaude olle plattdüütsche Spraak. Mannich einen van juuch versteiht se, de ein oder anner kann se ook snacken. Aver dei Lüüd, de se jeden Dag snacken, tau Huus un up de Straat un ook bi de Arbeit, de wann immer weniger. An meisten un an leivsten höör ick se direktemang an de Küst bi de Fischer. Aver ook mine leven Buern tau Huus snacken se immer weniger. Dorum ward dat nu höchste Tid, dat wi al tohopen wat daut, dat uns olle Eikboom en beten bäter plegt ward.
Tämlich lang hebben de Herr Bundeskanzler un sine Schrieverslüüd jo brukt, bet se uns tau de „Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen des Europarats vom 5. November 1992" en Gesetz vörleggt hebben.
Aver dornoo güng dat nu fix: In de 230. Sitzung hebben wi dat Popier tau'n erstenmal besnackt, dat heit, eigentlich hebben wi dat fuurtsens in den taustännigen Utschuß röverschaven, un hüüt, in de 235. Sitzung, wullen wi dat Gesetz besluten. Nu sali aver ook keiner mehr mit uns muien, dat wi tau langtöögsch sün. Mit dit Tempo kämmt nich mal de
Transrapid mit - wenn hei dann överhaupt man kümmt.
Ick bruuk em jedenfalls nich in Holthusen. Ick kaam anner Johr ook anners na Berlin.
- Dann vell Spaß. Gaoh nao't Emsland.
Aver kaam wie trüch tau unsen ollen Eikboom:
Ick weit einen Eikbom vull Knorrn un vull Knäst; up denn fött kein Biel nich un Axt.
Sin Bork is so rug, un sin Holt is so fast,
as was hei mal bannt un behext.
Nicks hett't em daan, hei ward noch stahn, wenn wedder mal dusend von Johrn vergahn.
Un ook dit seggt uns ollen Eikboom: Nemm di nich so wichtig! Du büst man bloots korte Tid hier. Ick weer al door, als du noch as Quark in'n Schaufinster legen hest, un ick bun ook noch door in dusend Johr - wenn de Minschen mi man bloots en lütt beten plegt. Dorum geiht uns dat al tohopen, dat wi hüüt tau düsse späte Stunnen hier as Nachtulen noch tau-samen sund.
Aver dat geiht noch üm mihr. In dat Gesetz steiht schreven:
Minderheitensprachen im Sinne der ... Charta ... sind in ... Deutschland das Dänische, das Ober-sorbische, das Niedersorbische, das Nordfriesische, das Saterfriesische und das Romanes der deutschen Sinti und Roma ...
Dänisch, Ober- und Niedersorbisch, Nord- und Saterfriesisch sind regional ziemlich gut abgrenzbar und können als solche auch gut definiert werden. Schwierig ist es mit der -
Frau Kollegin, einen kleinen Moment. Es gibt eine Zwischenfrage der Kollegin Limbach. - Ich stoppe auch die Uhr.
Sach ens, Mädche: Kanns' du mir fetz verzälle, wat de do jrad gesach Näss?
Sall ick van vörne anfangen?
Frau Limbach, können Sie bitte noch einmal fragen?
Isch han dat Mädche jefroch, ob et mer verzälle kann, wat et jrad gesach hätt. - Zu Hochdeutsch: Ich habe die Dame gefragt, ob sie mir erklären kann, was sie gerade gesagt hat.
Sall ick dat up hochdüütsch, wat ick toletzt seggt hebb, nu up plattdüütsch översetten? Oder worum geiht dat fetz?
So, jetzt haben Sie wieder das Wort.
Schwierig ist es mit der Sprache der Sinti und Roma. Menschen, die sich in dieser Sprache verständigen, sind in vielen Ländern der Bundesrepublik heimisch. Ihre Sprache ist ebenfalls geschichtlich gewachsen. Die starke Zerstreuung der Benutzer dieser Sprache begründet ein besonderes Schutzbedürfnis, das ebenfalls Begründung für eine staatliche Förderung sein muß.
Darum ist es auch besonders begrüßenswert, daß sich alle Fraktionen und Gruppen des Hohen Hauses gemeinsam auf den von der SPD-Fraktion initiierten Entschließungsantrag verständigt haben, dessen Ziel es ist, jeden Anschein einer Diskriminierung im Vergleich zu anderen, regionalen Minderheitensprachen zu vermeiden.
Un in min Lied vun'n ollen Eikboom heit dat wieder:
Wat deit dat för'n mächtigen Eikboom sin,
de sin Telgen reckt öwer dat Land? Wer hett em plegt, wer hett em hegt,
dat hei sine Bidder so lustig rögt?
Dat is kloor: Dissen ollen Eikboom, de tau Glanztiden van de Hanse villicht in'n ganzen Norden van Europa bekannt west is un de Minschen ut veele Länner tau-samen bröcht hett, den hebben dei Arbeitslüüd plegt. Die finen Lüüd oder de sick doorför holen hebben, de wullen bald nix mehr mit dat Plattdüütsche tau daun hebben. Dat weer nich fien, wenn man up de Straat platt snackt. Doorbi kannst up Platt veel bärer Kloortext snacken.
Kennt ji dat: Wat din is, is ook min - un wat min is, geiht di goor nix an.
Wat makt wi nu in Meckelbörg, dat de Lüüd werrer mehr platt snacken? Uns Landesverfassung kannst al up Platt lesen. Wenn dat na mi güng, müßten all dei, de Beamter warm wullen, dei erst mal up Platt afschrieven un dann ook mal vörlesen.
Uns Kultusministerin hett dei Schirmherrschaft övernahmen tau en Plattdüütsch-Wettbewarf för alle Frünnen vun disse Spraak bet to'n 19. Levensjohr. Door söllen se nich bloots lesen un ook wat upschrieven, se söllen ook wat snacken, in Räd und Gegenräd, so'n betten „Talk op Platt" un so wat. Se können ook olle Dänze danzen un up Platt singen.
Uns Landesparlament hett 'ne „NiederdeutschKonzeption" beslaten un uns Kultusministerin stellt den „Niederdeutsch-Beirat" vör. In dissen Bierat
sund ook klauge Lüüd ut de anneren norddüütschen Länder; all rackern se sick af för unsern ollen Eik-boom. Jetz hebben se eerstmal ne Uplistung un ne Bewertung makt, wat dat so aliens in Tausamenhang mit dat Plattdüütsche gifft. Gemeinsam mit de „Stiftung Meckelbörg" maakt se ook en draibännig Leesbauk up Plattdüütsch; de erste Band kann wohl tau'n Harfst ünner de Lüüd kamen. Un denn geiht dat fuurtsens wieder mit den tweiten un dritten Band. Dat müch denn woll Baut sien för de jungen Lüüd, de sick näher mit den ollen Eikboom befadden wulst.
Uns Lehrer möt noch'n beten tauleggen. Van de ungefähr 1000 Schaulen in't Land is man bloots an 200 en Ort för unsen ollen Eikboom. Dat mööt noch bärer warm.
Ook dat Fernseihn is noch'n beten dull Hamburg-lastig. Vun de „Fritz-Reuter-Bühn" bringen s' bannig wenig. De hebben sick woll tau dull in't „OhnsorgTheater" ut Hamborg verleivt.
- De „Fritz-Reuter-Bühn" is ook Tradition. - Door möten wi noch een beten tausauren an arbeiten, un dann kriggen wi dat schon hen. Dat geiht so in Richtung pari-pari.
Wi möten ook noch eins een beten wat laven: Gaut is, dat de plattdüütsche Spraak tau'n Bispill för Vereine, Künstler un anner över dat Programm LISA fördert ward. Doormit kamen wi ook schon en lütt Stück vörwärts.
Also: Wi künnen hier, wie dat limmer so schön heit, bloots den „Rahmen" Betten, un dat laat uns man fuurtsens maken. Dat Leven door binnen, dat möten all uns Landslüüd mit uns tauhopen rinbringen. So ganz sweer is dat nich, man mööt dat bloots richtig wullen. Ick finn, dat gifft so'n schön Geföhl vun Tausamengehörigkeit, un dat is doch wat Feins.
Laat mi noch fix tau den ollen Eikboom trüchkamen:
Wenn de Stormwind einst brus't dörch dat düütsche Land,
denn weit ick 'ne säkere Städ' !
Wer eigen Ort fri wünn un wohrt,
bi den is in Not ein taum besten verwohrt.
Ick bedank mi ook schön vöör de Upmerksamkeit.
Ich bedanke mich auch recht herzlich. Das, was Sie gesagt haben, war doch verständlich, jedenfalls ebenso verständlich wie manches Bayerisch, das hier dauernd gesprochen wird.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Das Wort hat jetzt der Herr Staatssekretär Carstens.
Frau Präsidentin! Meine verehrten Damen und Herren! Ick möcht dormit beginnen, dat ick seggen dau, et güng hier mächtig, bannig drocke. Dor har ick gor nich mit recket. Insofern bin ick nu en bitken to loate komen. Aver ick will dat in dei Tid weer upholn.
Mit der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen sollen die traditionell in einem Vertragsstaat gesprochenen Regional- oder Minderheitensprachen als Teil des europäischen Kulturerbes geschützt und gefördert werden, um diese Sprachen lebendig zu erhalten.
Die Bundesrepublik Deutschland hat, wie in der Denkschrift zur Charta ausführlich dargestellt wird, für diese Sprachen in Deutschland bereits langfristig einen wirksamen Schutz sichergestellt und die Infrastruktur für die Erhaltung dieser Sprachen mit staatlichen Mitteln nachhaltig unterstützt. Somit ist es nur folgerichtig, daß Deutschland die europäische Charta am 5. November 1992 gezeichnet hat und nunmehr die Voraussetzungen für die Ratifizierung dieses völkerrechtlichen Instrumentes des Europarates abschließt.
Die Charta enthält in Teil II Ziele und Grundsätze für eine gegenüber den Regional- oder Minderheitensprachen im Sinne der Charta anzuwendenden Politik. Diese werden für alle entsprechenden Sprachen in Deutschland verwirklicht: für Dänisch, Ober-und Niedersorbisch, Nord- und Saterfriesisch sowie für das Romanes der deutschen Sinti und Roma sowie für Niederdeutsch.
Ziel der Bundesregierung war es immer, daß alle in Deutschland heimischen Regional- oder Minderheitensprachen für einen Schutz nach Teil III der Charta mit konkreten Verpflichtungen angemeldet werden können. Die Prüfung durch die Bundesländer hat ergeben, daß das von der Charta geforderte Quorum für Dänisch, Ober- und Niedersorbisch, Nord- und Saterfriesisch sowie für Niederdeutsch in fünf norddeutschen Ländern erreicht wird. Diese Verpflichtungen sind in einer Erklärung der Bundesregierung zusammengefaßt, die dem Europarat am 23. Januar 1998 übergeben wurde. Die Bundesländer haben jedoch für Romanes das Quorum auch unter Berücksichtigung der bundesweit verwirklichten Verpflichtungen nicht erreichen können.
Die Benutzer dieser Minderheitensprache, die deutschen Sinti und Roma, leben verstreut in den meisten Ländern der Bundesrepublik Deutschland und nicht kompakt wie die Benutzer der anderen Minderheitensprachen. Dies engt die Förderungsmöglichkeiten für diese Sprache ein. Das gilt ebenso für die Regionalsprache Niederdeutsch in drei Ländern, in denen die Sprache weniger verbreitet ist als in den fünf norddeutschen Ländern.
Die Länder haben die Frage des Schutzes von Romanes im Vorfeld der vor kurzem zusammengekommenen Ministerpräsidentenkonferenz noch einmal erörtert und festgestellt, daß zur Zeit kein Land in der Lage ist, einen Schutz von Romanes nach Teil III der Charta zu gewährleisten. Um jedoch für alle Regional- oder Minderheitensprachen in Deutschland konkrete Schutz- und Förderungsverpflichtungen gegenüber den anderen Vertragsstaaten, der Öffentlichkeit und den Betroffenen zu bekunden, haben Bund und Länder zur Ausgestaltung des Schutzes nach Teil II der Charta diejenigen Verpflichtungen aus Teil III zusammengestellt, die für Romanes und für Niederdeutsch in diesen drei Ländern verwirklicht werden können. Sie sind in einer weiteren Erklärung zusammengefaßt, die dem Europarat am 26. Januar 1998 übergeben wurde.
Beide Erklärungen werden zusammen mit einer ergänzenden Erklärung hinsichtlich des Schutzes von Romanes in Baden-Württemberg vom 6. Mai 1998 dem Europarat anläßlich der Ratifizierung noch einmal notifiziert. Damit ist für alle betroffenen Sprachen in Deutschland ein konkreter Schutz für die Charta sichergestellt.
Mine Damen un Herrn, dat heb ick nu so drocke vördrogn, weil dat secht wem mößte. Dat güng nich anners, dat hörde in't Protokoll, dormit de Lüer bi us in ganz Dütschland ook erkennt, dat wi de Soake ernst nehmt und dat wi dat för ne Baue Soake holt, dat man dei einzelnen Sproaken ook tau Kenntnis nehmt, nich bloß in Dütschland, sonnern ook in ganz Europa, und dat et dorför ne extra Charta giff. Dat schulln wi ook ensprechend würdign, dat schulln wi dei Lüer ook seggn. Dat is ne feine Angelegenheit. Man kann sogor seggn, dat is moje. Wenn man nu vertelln wull, wat dann „moje" Nett up hochdütsch, so kann man dat jo kaum översettn. Dat is besünners fein, aver dormit hät man dat noch nich richtig secht. Also dat is moje. Dat kann man wirklich unnerstriken, un dat schuil man ook hier daun.
Nu giff dat noch etwas Besünners in Dütschland neben dat Niederdütsche, wat wi ja nu hier so schnackt up unnerschiedliche Wiese; denn doboben, wo ick min Wahlkreis heb - dat is dor, wo de Lüer so stark CDU wählt -,
dat is dat Oldenborger Münsterland. Dor giff dat so ne Sproakeninsel, dat is dat Saterfriesisch, wat hier ook upführt is. Dat sin so 15 000 Lüer, dei dor wohnt, dei dat zwar ook nicht ale sprekt, aver doch ne ganze Riege von dei. Wenn dei taun Beispiel dat Vaterunser bet, wat wi ja ale könnt oder kön schulln, dann kann man dor kaum mitkom. So ne eigene Sproake is dat. Aver wenn ick dor nu wör mit Günter Graf - dei wör ook dörbie - bien ganz vormalet Jubiläum von'n Tennisverein, dor köm son lütge Deern, ne Tein-, Twölfjährige von so'n Sängerclub, de heff us dor dann up Saterfriesisch begrüßt. Dat is ne echt läbende
Manfred Carstens
Sproake, de lävt. Dei stat dor nich bloß in de Beuker, sonnern dat schnackt dei Lüer dor. Man kann ook „reden" oder „küen" oder „proten" seggn. Dat kummt dor nich so drup an. Aver dat werd dor wirklich lebendig vördroagen. Un dann heff man us taun Beispiel secht: „Wi tonki för jau Kum." Dat het up hochdütsch: Wir danken für Ihr Kommen. Dat is eine wirklich eigenständige Sproake. Dat is nu wirklich in use Land un in Europa wichtig, dat wi so'n kulturellet Erbe ook uprecht erholt, dat wi dat fördert, dat wi dat nich bloß in de Beuker ston hebben willt, sondern dat dei Lüer dat ook schnacket.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Cern Özdemir.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginne und Kollege! Koi Sorg, i schwätz net Türkisch; des mecht i niemand zumute hier. Aber i probier's in moiner Muttersproach oder zumindescht in offnem Teil moiner Muttersproach, die Sproach, mit der i aufgwachse bin. Bevor i aber afang, zum Thema zu schwätze, möcht i mi glei bei de Stenographe quasi entschuldige. I woiß, daß die es heut oabend net grad leicht hend, ond i hoff, daß se trotzdem oinigermaße zstroich kommet damit.
Liebe Kolleginne und Kollege, i fend, die babylonische Sproachevielfalt bei ons em Land ghört dazu. Des isch der Reichtum unsres Landes, des isch des, was ons in der Welt, aber au bei ons dahoim stark macht. Mir sollet stolz drauf sei, daß mer bei ons verschiedne Sproache hend. Des isch nix, wofür ma sich schäme muß, sondern i fend, des isch ebbes, was ma stärke muß ond wo ma gucke muß, daß mer des nach alle Kräft fördert.
I denk aber - au des mecht i sage -: Neben de Regional- und Minderheitesproache, die mer bei ons im Land hend, gibt's bei ons mittlerweile au neue Sproache, die sogenannte Migrantesproache. Des send die Sproache, von dene Leit, die mer vor 30 oder 40 Joahr ens Land gholt hend. Au des isch a wichtige Sproach, die die schwätze. Au die Sproach sollt mer pflege, ond au des soll ons genau des gleiche wert sei. Deshalb sollt mer ons bei andrer Gelegeheit au mal über diese Sproache unterhalte.
I denk, daß die Charta für Regional- und Minderheitesproache a gute Sach isch, und deshalb begrüße mer Grüne des ausdrücklich ond unterstütze des nach alle Kräfte. Was i saugut fend, isch, daß mer ons hier über alle Fraktionsgrenze hinweg in oim Punkt verständigt hend, nämlich daß mer, was des Romanes angeht, a gemeinsame Erklärung heut vorbereitet hend, die mer hoffentlich alle miteinander verabschiedet, was ja in dem Haus net grad selbstverständlich isch, wenn ma denkt, wie es hier normaler-weis abgoat. Aber i fend es gut, daß mer des machet, grad vor dem Hintergrund dessen, daß die Roma und Sinti, wie mer wisset, in diesem Land Schlimmes erlitte hend. Es isch au a Stück weit Wiedergutmachung, daß mer dieser Sproach jetzt a Signal gebet: Ihr ghöret dazu, ihr seid Teil unsres Landes, und wir sind froh, daß es euch gibt.
I mecht aber doch no en kloine Wermutstropfe oabringe, wenn i des derf, ond zwar: Natürlich isch es wichtig, daß mer die Förderung macht, daß mer des auf dem Wege der Erklärung bekundet, aber es goat halt au drum, daß mer im Praktische was macht. Da gibt es oi Sach, was die Sorbe ageht, die i net so arg toll fend: Sie wisset, daß die Bundesregierung da leider Geld spart. Jedes Joahr will die Bundesregierung aus dem Fonds, der de Sorbe zugute kommt, Geld spare. Die Länder werret des in der Weis net ausgleiche könne. I fend, da hend mer a Problem, über des mer ernschthaft schwätze sollet.
Ma koa net bloß hier mit schene Rede sage, mer soll die Sorbe ond die andren pflege, sondern mer muß dann natürlich au des Geld dafür locker machen. Die Regierungsbank sollte eigentlich no mal gut überlege, ob ma da net am falsche Ende sparet.
Liebe Kolleginne und Kollege, i hab ganz am Afang gsagt, daß es in diesem Land no andre Sproache gibt, nämlich nebe de Minderheitesproache die sogenannte Sproache von de neue Minderheite oder von de Migrante. Mei eigene Muttersproach - nebe dem Schwäbische, mit dem i aufgwachse bin - isch die Sproach von meine Eltern, nämlich des Türkische.
Des Türkische - i woiß net, ob ihr des wißt - isch nebe Deutsch mittlerweile die zwoitmeischt gsprochene Sproach bei ons em Land.
Es gibt bei ons mittlerweile Schule, wo es quasi glei nach dem Deutsche kommt, manchmal sogar scho vor dem Deutsche. I will net sage, daß des gut isch, aber es isch so. I fend, ma sollt sich au mal überlege, wie ma dem Rechnung trage koa, wie ma beispielsweise über zwoisproachige Schule, zwoisproachige Kindergärte das versucht zu stärke, damit die Kinder, die bei ons aufwachse, besser Deutsch könnet - des will i au -, aber gleichzeitig au ihre Kultur net verliere müsset, sondern se pflege könnet. Des tut ons alle gut; da hat nemend an Schade davo.
Zum Schluß no oi Beispiel, om es konkret zu mache: I fend es wirklich en Hammer, daß mer in Deutschland oi oinzige Universität hend, wo mer Türkisch fürs Lehramt studiere koa, nämlich in Esse. I denk, in jedem große Bundesland sollt es mehrere
Cem Özdemir
davo gebe. Was i, ehrlich gsagt, au net verstand, isch, daß ma bei ons an der Schul, am humanistische Gymnasium, Altgriechisch lerne koa. Des isch sicherlich gut und wichtig, aber des Neugriechische, des ma bei ons in der Gsellschaft schwätzt, koa ma bei ons in der Schul net lerne. I fend, au des ghört zu Europa dazu.
Danke.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Lisa Peters.
Frau Präsidentin! Leeve Mannslüüd! Leeve Froonslüüd! Eigentlich legt min Rede, de ick hier snacken will, schon boben bi de Protokoll. Denn hebb ick hurt, dat doch snackt wardn soll, wat ick sehr begröten dau. Da frei ick mi duchtig. Da hebb ick to Uli Heinrich seggt: Go mol eben hin und hol mi dat Stück Papier mol wedder, damit ick mi 'n beten an langhangeln kann.
- Ja, genauso wür dat.
Da steiht denn to Anfang: Nu is dat endlich sowiet, dat wi dat Gesetz von de Europäische Charta öwer de Regional- und Minnerheitensproken in de letzte Lesung dörch de Dütschen Bunnesdag bringen. Ick mein, dat is en unheimlich langen Weg ween. Denn
r 1992 is dat Ganze unnerschriebn ween. Un hüüt stoht wi nu hier.
Ober ick möt mi doch - viellicht kann de Herr Staatssekretär dat sin Minister mol bestelln - noch bedanken, Herr Carstens, dat dat nu doch noch 'n beten schnell Bohn is. Ick mutt ja seggen, wi dree oder veer hebbt em son lütt beten underbört. Dat mut man seggen, Wolfgang Börnsen, nich. Wi wulln dat noch in disse Wahlperiode fertig hebben. Nu is dat doch noch lopen. Hier stoht wi nu hüüt. Besten Dank noch mol an't Innenministerium.
Hier is schon seggt worn, worum dat 'n beten länger durt hett; ick komm da ok noch tau. Hier möten wirklich einige Ecken öbersprungn wem. Dat gilt för einige Bunneslänner, de to Anfang noch veel mier in de Charta III hebben wolln. Dodurch is uns mindestens en Johr verlustig Bahn. Dat mut man einfach mol so seggen. Do kann der Innenminister denn ok nichts to, wenn dat nich so ganz klappt.
Auf disse Bunnestagsdrucksak, de wi hüüt hebbt, mut ick noch mol hinwiesen. Nehmt euch do glieks fief Stück von mit. De is so goot, domit kann man so unendlich veel mit anfangen, de kann man wirklich to Hus, do, wo plattdütsch snakt ward, verdeelen, weil man sik alns, wat do öber uns Sproken steiht - min Kolleg von den Grünen hett dat jo eben so wunnerbar seggt -, einfach mol rinteihn mutt.
Wi bringen dat Gesetz hüüt nu dörch. Ick glöv, dat Ganze is dat ok wiert. Dat is wirklich en ganz wichtiges Kulturgoot. Disse Sprok is schon 'n wanne Sprok. Ok de annern Sproken möt einfach mit röbernommen warn in dat Johr 2000, und de mutt dat noch einige hunnert Johr geben.
De Minnerheitensprocken in Dütschland - da kommt sicherlich min Kolleg noch tau -, dat Dänische ganz boben in Norden von Schleswig-Holsteen, de freesische Sprok, Romanes - darüber ist snackt worden - und de scheune plattdütsche Sprok in de Länner Needersachsen, Schleswig-Holsteen, Mecklenborg-Vörpommern und de Stadtstooten Hamborg und Bremen do schall dat nu för de Charta III bi de EU anmeldt warn. Ick heb dat jo seggt: Op'n ersten Sprung wulln ok noch Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt und Brannenborg mit dabisien. Un nadem se denn nu sehn hebt, dat dat ok 'n lütt beten Geld kost und dat man 'n paar Regeln inhollen mutt, hebbt se do denn von avseihn. Ober dat het ganz schön veel Monate geduurt, bit dat denn wiedergüng.
Wi sin uns all einig - dat is all seggt worden -, dat disse scheune Sprok erhollen warn mutt und dat noch 'n Masse Johr geben mutt. Ick will ok, dat disse Muttersprok wiederleben deit. Dat Plattdütsche, Cem Özdemir, dat is keen Dialekt wie das Schwäbische - ick will dat nich abwerten; dat wer scheun eben -,
dat is'n richtige Sprok, de bi uns in Norden wirklich to Hus is. Dat hett Frau Deichmann hier ok goot zum besten geben. En Sprok, de ganz offiziell de erste Amtssprok ween is, de denn ober doch achteran dat Hochdütsche wieken mutt. Mit de Plattdütsche kann man eigentlich alns op'n Punkt bringen. Do kann man einfach alns seggn. Dat ward een ok gar nicht so übel nommen.
Ick weet nich so ganz genau, wieveel Minschen plattdütsch snacken könnt. Dat steiht ok nich in dat schlaue Book, wat wi hüüt besnacken daut. Ober se seggt do, se hett mol 1984 'n Umfrog mokt. Do is faststellt worn, dat noch öber 50 Prozent von de Lüüd in Norden platt snacken könnt; un 80 Prozent könnt dat verstohn. Dat ist ok ungefähr so.
Nu war disse Sprok jo seit en ganze Tied unnerstützt. Alleen bi uns in Norddütschland gifft dat 9000 plattdütsche Bühn: Dat Ohnsorg-Theater - dat is all seggt wordn -, de Fritz-Reuter-Bühn in Schwerin. In Bremen gifft dat noch en plattdütsches Theater. De bringen im Jahr 750 000 Minschen op de Bein. Dat is doch allerhand. Denn ward do original snackt, nich so, wie dat öber dat Fernsehn röberkommt. Dat mutt man einfach mol seggen.
Wenn ich seih, wat do an Lesewettbewerbe lopen deit und wi sik de Sporkassen in Needersachsen engagieren und sicherlich ok in de annern Lännern und
Lisa Peters
dat plattdütsche Böker nur so köfft ward, dat unendlich veel Lüüd sik hinsett un plattdütsch schriev - wat ick jo ok noch wollt deshalb will ick im Harvst nich wedderkommen; ober ick weit nich, ob ick dorto komm -, denn is dat schon ne ganze Masse, was do einfach lopen deit.
Ich find dat goot, dat nu ok de Schoollehrers Kurse besökt und dat Lehrmaterial doför to Verfügung stellt ward. Dat is doch ne ganze Masse. Ober wie weit all, do mutt noch veel mehr don wern. Deshalb denk ick, schullt wi dat all unterstützen. Wie mööt besonners de Öllern noch unterstützen, de noch gewillt sin, in Öllernhüs Kinnern dat Plattdütsche bitobringen. Dat sund ok nich wenige. Deshalb mutt man seihn, dat dat als 'n beten wiedergeiht. Sonst ward dat irgendwo nichts.
Ich glöv wirklich, dat sich de Insatz för disse Scheune Sprok - ick bin ganz froh, dat wi dat hüüt abend noch diskutieren - för'n Norden in Dütschland lohnt und dat sik dat genauso lohnt för all de annern Minnerheitensproken, de hüüt ok mit in de Charta rinkommt. Wi brukt eenfach disse Sprok. De seggt ut, do hest du son beten Ihr un Dreck unner de Feut. Dat hür eenfach irgendwo so hin. Dat is uns tokommen.
De erste Diskuschon in Dütschen Bunnesdag an 14. Januor 1994 hett een sagenhafte Resonanz hatt. Jeder, de irgendwo in norddütschen Ruum wohnen deit, de weit, wat doröber schreben worden is. Wie oft dat affordert worden is, in wieveel Böker dat nu steiht, dat glövt man öberhaupt nich. Deshalb wür dat vielleicht ok scheuner west, wenn dat mol morgens vertellt wür un dat scheun öber de Senders kommt. Dat ha viellicht mehr bröcht als manche andere Diskuschon.
Ober wenn ick dat alns so richtig verstohn hebb, denn warn uns Geschäftsführer nich ganz de Meinung, dat dat so wür. Also, hier is dat en beten unklor.
Ick bedank mi bi Jo för Tohörn. Plattdütsch in Dütschen Bunnesdag, dat will ick seggn, dat is schon wat. Ick war, wo immer ick kann, wieder plattdütsch snacken. Un wenn ick dann hochdütsch snacken will, mut ick dat nochmol übersetten.
Scheunen Dank.
Fru Präsidentin! Leeve Mannslüüd und Frunslüüd von Parlament! All kenne Lisa Peters. Un wi wir ihr ook kenne doon, kann man unnerscheeden de hochdüütsche Lisa Peters un de plattdüütsche Lisa Peters. Wenn se Plattdüütsch snakt as hüt obend, is dat noch een ganz anne Lisa Peters.
As Christel Deichmann hüt obend uns inführt hätt in
diese Debatt över Minderheitenspraaken, hätt se dat
Bild von Eekboom - se hätt secht in Mecklenburgsch:
Eikboom - brukt. Da hätt neiben mie een Macker seeten -
de käm nich ut unsre Gegend -, de hätt secht: Schöön is dat, aber verstoon do ick überhaupt nix.
Es ist schon so: Sprachen verändern Menschen, und Sprachen sind eine Bereicherung für die Menschen. Was sich für manche heute ein wenig exotisch anhört, ist für die, die davon betroffen sind, ausgesprochen ernst. Heute geht es um die vier traditionellen Sprachminderheiten in Deutschland - in Zukunft muß es uns auch um die anderen gehen - und um eine ab heute erste offiziell anerkannte Regionalsprache in Europa, nämlich das Plattdeutsche. Es geht um Dänisch, um Sorbisch, um Romanes und um Friesisch.
Die Bundesrepublik wird von den 38 Staaten des Europarates die Nummer 8 sein bei der Anerkennung und Ratifizierung dieser Sprachencharta, die eine fast 25jährige Geschichte hat. Als man 1985 einen großen Sprachkongreß von seiten des Europarates durchführte, stellte man fest, daß es 40 gefährdete Sprachen allein in Europa gibt. Länder wie Griechenland, Türkei oder auch Frankreich verneinen jede Sprachminderheit in ihrem Land. In diesen Ländern - mitten in Europa - wird keine Sprachminderheit anerkannt. Aber auch in diesen Ländern gibt es sie.
Auf der Welt haben wir noch ungefähr 7 000 verschiedene Sprachen und 3 000 Dialekte ohne Dachsprachen. Aber was viele nicht wissen: Pro Woche sterben auf der Erde zwei Sprachen. Unwiderruflich greift der Sprachentod um sich. In den letzten zehn Jahren sind auf unserer Erde über 1 000 Sprachen gestorben. Wir kennen Rote Listen für Pflanzen und Tiere. Aber was tun wir eigentlich, wenn es um die Menschen geht? Darüber müssen wir nachdenken; denn Sprache ist für die Menschen mehr als nur das Kommunikationsmittel. Sprache ist ein Stück Geborgenheit oder - was Wilhelm von Humboldt vor 150 Jahren sagte - für Menschen ein Stück Heimat. Die Dialekte gehören dazu. Da finden sich Menschen auch in einem immer größer und vielfältiger werdenden Europa zurecht. Da sind sie zu Hause. Nehmen Sie das Beispiel von Rolf Niese, wenn er in Hamburg platt snackt, oder Lisa Peters oder dem Staatssekretär Manfred Carstens oder wer noch hier dabei ist. Sie alle sind in dieser Sprache zu Hause.
Die fünf Sprachen, um die es geht, möchte ich an einem Satz demonstrieren, weil mit Recht gefragt wurde: Wo bleiben denn die anderen Sprachen, wenn ihr das Plattdeutsche dominieren laßt? Den Satz: „Es ist ein großer Gewinn, deutsch zu sprechen", möchte ich jetzt in Dänisch und den anderen Sprachen vortragen, um deutlich zu machen, welche Originalität, Vitalität und auch Vielfalt eigentlich in diesen wunderschönen Minderheitensprachen zu Hause ist.
Auf dänisch heißt der Satz „Es ist ein Vorteil, dänisch zu sprechen" : „Det er en fordel at kunne tale dansk." 50 000 Angehörige umfaßt die dänische
Wolfgang Börnsen
Volksgruppe, die überwiegend im Norden Schleswig-Holsteins lebt.
Ins Friesische übersetzt heißt der Satz „Es ist ein Gewinn, friesisch zu sprechen" : „Dät as en wanst än sneäk fesch. " 10 000 Menschen an der Westküste Schleswig-Holsteins und - Manfred Carstens hat das gesagt - gut 2 000 im Norden Ostfrieslands sprechen noch Saterfriesisch und sind stolz darauf.
In Niederdeutsch möchte ich die Version vortragen, wie sie zwischen Flensburger Förde und Schleswiger Schlei zu Hause ist: „Dat is een bannig groote Saak, plattdüütsch to snacken."
In Romanes wiedergegeben heißt der Satz „Ich bin stolz" oder „Es ist ein Gewinn, Romanes zu sprechen": „Baro lachipe si kana saj romanes te vakardol. " Bis zu 70 000 Angehörige der Sinti und Roma in Deutschland sprechen noch teilweise Romanes.
Zum Schluß der Satz in Sorbisch: „Je wulki dobytk serbsce recec moc. " 60 000 Menschen rechnen sich zu den Sorben; zwei Drittel davon leben in Sachsen, und ein Drittel lebt in Brandenburg. 45 000 von ihnen beherrschen noch das Sorbische.
Als wir damit begannen, uns um die Sprachencharta Gedanken zu machen - das ist immerhin sechs Jahre her -, waren die Länder und auch die Bundesregierung noch nicht bereit, Friesisch oder Plattdeutsch anzuerkennen. - Rolf, mach nicht so ein ernstes Gesicht. - Er gehörte nämlich zu den fast 90 Kolleginnen und Kollegen, die damals sagten: Auch die anderen Sprachen, die gefährdet sind, haben ein Anrecht, anerkannt, gefördert und geschützt zu werden. 90 Kollegen haben es innerhalb von sechs Jahren durchgesetzt, daß Niederdeutsch und auch Friesisch in die Charta gekommen sind und anerkannt und geschützt werden. Denn auch wenn noch 8 Millionen Menschen sagen, sie sprechen Plattdeutsch: Von diesen acht Millionen Menschen sind nur noch 8 Prozent Jugendliche und Schüler. Mit der Macht des Fernsehens, mit der Macht der Hochsprache gerät auch eine solche Sprache in eine ganz schwierige Situation, eine Sprache, die zur Handelszeit als Rechts-, Kaufmanns- und Umgangssprache ganz Nordeuropa beherrscht hat.
Ich glaube, wir als Parlamentarier tun gut daran, uns ganz umsichtig um die Förderung und den Schutz von Minderheiten- und Regionalsprachen zu kümmern. Wir werden mit das erste größere europäische Land sein, das sagt: Wir halten die Sprachenförderung für richtig und notwendig. Wir setzen heute abend ein Beispiel für andere Länder in Europa. Wir tun gut daran; denn damit schützen und stärken wir die Menschen, die durch ihre Sprache Identität und Geborgenheit finden und so ein Stück zu Hause sein können.
Ich bedanke mich bei Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche uns eine gute Abstimmung.
Dann gebe ich dem Abgeordneten Dr. Niese das Wort.
Frau Präsidentin! Leeve Lüüd! Schönen guten Abend! Ick mutt hier ganz kot inspringen for min Kolleg Reinhold Robbe. De is nämlich nich doa.
In Hamburg har ick ja to ihm seggt: Du ole Meppenmors. Das heißt Regenwurmpopo.
Doa ward schon mit düütlich, dat man in dat Plattdüütsche to'n Kolleg ok mal'n hartes Wort seggen kann, ohne dat dat gliks ne Beleidigung is. Dat is egentlich dat Schoine an dat Plattdüütsche. Deswegen hebbt wi ok ne More Sproak un klore Gedanken.
Nun hett min Kolleg, Wolfgang Börnsen, verteilt von sin Noaber, de segg hett: Ich verstoa joa nu überhaup nix, aber schoin is dat. Nu will ick doarto seggen: Wenn een plattdüütsch snackt un de andere versteit dat nich, dat is goar nich so wichtig. Ick mutt dat föhlen.
Un ick kann dat ok föhlen. Denn dat Plattdüütsche, dat kummt nich hier ut'm Bregen; dat kummt von't Harten.
Un nu bring ick noch so'n Snack: Man sagt ja manchmal im Hochdeutschen: Du bist ja wohl verrückt. Das ist eine Beleidigung. Up plattdüütsch heest dat: Du bis joa wohl bregenklöderig. Dat hört sick doch veel schoiner an.
Nu mutt ick noch wat Persönliches seggen: Ick kumm joa ut Hamburg. Dat is ne Metropole, ne Weltstadt. Dat glöv man joa goar nich, dat man dort plattdüütsch snacken muß, um hier im Bundestag to Sitten. Ick heff in min Wahlkreis 20 000 Börgerinnen und Börger, de ut'm landwirtschaftlich-gärtnerischen Gebiet kuurmen. Da heff ick so 20 freiwillige Feuerwehren. Wenn du doa nich plattdüütsch snacken kanns und mit denen mal ordentlich en Köm zur Brust nimms, dann muß du doa goar nich hingon. Denn dann warst du doa nix. Dann komms du von de Lüüd nicht in Bundestag schickt. Deswegen ist dat ok for mi Selbsterhaltungstrieb, plattdüütsch to snakken.
Denn wi Plattdüütsche wüllt nach Möglichkeit - doa mäht wi mit unsere Geschäftsführers natürlich noch bannig verhandeln - ok in de nächsten Legislaturperiode - ok wenn dat abends is; et kann ok spätabends sein - noch mal en Beeten plattdüütsch snacken.
Schönen Dank.
Ich schließe damit diese schöne Aussprache.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Wir kommen zur Abstimmung. Die Kollegin Höll möchte eine Erklärung zur Abstimmung abgeben.
Ich möchte jetzt nicht sprechen, weil ich das Gefühl habe, das Sächsische komme zu kurz. Das Sächsische beherrsche ich auch nicht entsprechend. Bei mir kommt etwas mehr meine Geburtssprache, das Anhaltinische, heraus, das durchaus einen eigenen Anspruch hat.
Ich möchte etwas zu meinem Abstimmungsverhalten und zu dem meiner Kollegin Ruth Fuchs sagen. Ich möchte ausdrücklich erklären, daß wir dem fraktionsübergreifenden Antrag zustimmen werden, obwohl wir als PDS nicht darin verankert sind. Aber wir denken, daß er auf alle Fälle ein richtiges Zeichen setzt. Ich möchte ausdrücklich erklären, daß wir auch dem Gesetzentwurf zustimmen werden.
Gleichzeitig aber muß ich feststellen, daß, während das Norddeutsche in der Debatte stark überwog, das Sorbische heute zu kurz kam, das allerdings auch niemand hier authentisch einbringen könnte. Ich könnte jetzt höchstens noch russisch reden: „Ja mogu goworit poruskij."
Das Sorbische ist zwar eine slawische Sprache. Aber ich glaube, auch hier im Parlament ist die Problematik der sorbischen Bevölkerungsgruppe nicht ausreichend bekannt und deshalb nicht im Bewußtsein vieler Abgeordneter, weil die Sorben einfach ein bißchen weit weg sind. Ich denke, die Vielzahl der Kolleginnen und Kollegen hatte bisher auch überhaupt nicht die Möglichkeit, sich damit entsprechend auseinanderzusetzen, oder sie haben die Möglichkeit nicht genutzt.
Ich möchte sagen, daß es gut ist, wenn heute die Ratifizierung eines Abkommens beschlossen wird, welches den Schutz der Sprachen beinhaltet. Aber gerade jetzt befinden wir uns in einer Situation, in der es eine ziemlich heftige Auseinandersetzung in den Landtagen von Brandenburg und Sachsen gibt -
Frau Kollegin, Sie müssen zu Ihrem Abstimmungsverhalten sprechen.
- ja -, wobei es unter anderem darum geht, festzustellen, daß der Bund eben nicht nur die Verantwortung gegenüber der Sprache hat, sondern daß hier, wie es auch im Einigungsvertrag verankert worden ist, ebenso finanzielle Mittel gefordert sind.
Es geht darum, daß das entsprechend wahrgenommen wird. Deshalb möchte ich das im Zusammen-
hang mit der Erklärung zu meinem Abstimmungsverhalten betonen.
Denn in der Protokollnotiz 14 zu Art. 35 des Einigungsvertrages ist verankert, daß auch der Bund eine Verantwortung wahrzunehmen hat. Es kann nicht angehen, daß der Bund einerseits einen Vertrag ratifiziert, wodurch er sich positiv positioniert, sich andererseits aber finanziell aus seiner Verantwortung zurückzieht. Dagegen protestiert die Domowina. Ich denke, es ist gut, wenn dieser Punkt heute in diese Debatte mit einfließt, weil Sprache ansonsten noch stärker davon bedroht ist, daß sie nicht am Leben erhalten werden kann.
Ich stimme also dem Gesetzentwurf zwar zu, möchte diese Kritik aber ausdrücklich vermerken.
Ich danke.
Die Abgeordnete Frau Ulla Jelpke hat ihre Rede zu Protokoll gegeben *). Sind sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Wir kommen nun zur
zweiten Beratung
und Schlußabstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen; das ist die Drucksache 13/10268. Der Innenausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/10613, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gibt es Gegenstimmen? - Das ist nicht der Fall. Gibt es Enthaltungen? - Auch nicht. Der Gesetzentwurf ist damit vom ganzen Hause einstimmig angenommen worden.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der F.D.P. auf Drucksache 13/10657. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gibt es Gegenstimmen? - Das ist nicht der Fall. Enthaltungen? - Dann ist auch dieser Entschließungsantrag mit den Stimmen des ganzen Hauses einstimmig angenommen worden.
Damit sind wir am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Freitag, den 8. Mai 1998, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.