Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.
Ich bitte Sie, mit mir der Abgeordneten Christine Kurzhals zu gedenken, die am 4. Mai 1998 im Alter von 47 Jahren gestorben ist.
Frau Kurzhals wurde am 31. Mai 1950 in Böhlen bei Leipzig geboren.
Nach dem Abschluß der Klasse 10 machte sie eine Lehre als Maschinenbauzeichnerin und besuchte anschließend die Fachschule, die sie als Ingenieurin für Chemieanlagenbau verließ. Später qualifizierte sie sich weiter in der Vermessungstechnik. Sie war drei Jahre lange als Maschinenbauzeichnerin tätig, dann - nach Abschluß der Fachschule - fünf Jahre lang als Vermessungstechnikerin und drei weitere Jahre als Chemieanlageningenieurin. Zuletzt war sie Dozentin für Umschüler in der Vermessungstechnik.
Vor 1989 gehörte Frau Kurzhals keiner politischen Partei an. Im Dezember 1989 wurde sie Mitbegründerin des SPD-Ortsvereins und Ortsvereinsvorsitzende, Mitglied des Unterbezirksvorstands und schließlich Stadträtin.
Dem Deutschen Bundestag gehörte Frau Kurzhals seit 1994 an. Sie war ordentliches Mitglied im Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und stellvertretendes Mitglied im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung.
Mit Frau Kurzhals verliert der Deutsche Bundestag eine jener engagierten Streiterinnen, die sich mit der ganzen Kraft ihrer Persönlichkeit an der Nahtstelle der beiden Teile Deutschlands in den Tagen der Wiedervereinigung und danach eingesetzt haben. Sie hat die Sorgen und Hoffnungen der Menschen vor allem in Sachsen an vorderster Front mitgetragen. Dafür gebührt ihr unser aller Dank.
Unsere Anteilnahme gilt ihren Angehörigen, vor allem ihrem Mann und ihren beiden Kindern.
Der Deutsche Bundestag wird Frau Kurzhals ein dankbares und ehrendes Gedenken bewahren.
Sie haben sich zu Ehren der Toten erhoben. Ich danke Ihnen.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die heutige Tagesordnung, um die Ihnen mit einer Zusatzpunktliste vorgelegten Punkte zu erweitern:
1. a) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P.: Der Euro - eine dauerhaft stabile Währung für Europa - Drucksache 13/10604 -
b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD zu den Umständen der Entscheidung des Europäischen Rates vom 2. Mai 1998 zur Ernennung des ersten Präsidenten der Europäischen Zentralbank und zur Festlegung des Teilnehmerkreises an der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion - Drucksache 13/10603 -
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Helmut Lippelt, Christian Sterzing und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Die Krise in der deutschfranzösischen Zusammenarbeit überwinden - Drucksache 13/10605-
2. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD: Haltung der Bundesregierung zu den Auswirkungen des von der Deutschen Post AG beabsichtigten neuen Filialkonzeptes für Kunden und Beschäftigte
Außerdem soll die für heute vorgesehene Befragung der Bundesregierung entfallen. Sind Sie mit den Vereinbarungen einverstanden? - Das ist der Fall. Wir verfahren so.
Ich rufe die Zusatzpunkte 1 a bis 1 c auf:
a) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P.
Der Euro - eine dauerhaft stabile Währung für Europa
- Drucksache 13/10604 -
b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
zu den Umständen der Entscheidung des Europäischen Rates vom 2. Mai 1998 zur Ernennung des ersten Präsidenten der Europäischen Zentralbank und zur Festlegung des Teilnehmerkreises an der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion
- Drucksache 13/10603 -
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Helmut Lippelt, Christian Sterzing und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Die Krise in der deutsch-französischen Zusammenarbeit überwinden
- Drucksache 13/10605 -
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Auch dazu sehe ich keinen Widerspruch.
Als erster Redner in der Debatte spricht der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, Dr. Wolfgang Schäuble.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Die Verwirklichung der Wirtschafts- und Währungsunion ist der wichtigste Meilenstein im europäischen Einigungsprozeß seit der Gründung der Montanunion im Jahr 1951 und seit der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft im Jahr 1957. Der Euro stärkt die Europäische Union als Friedens- und Freiheitsordnung und schließt die Teilnehmerstaaten noch enger zusammen ... Der Euro eröffnet zugleich die große Chance für neue wirtschaftliche Dynamik, für dauerhaftes Wachstum und dringend benötigte zukunftssichere Arbeitsplätze im 21. Jahrhundert.
So steht es im Antrag der Koalitionsfraktionen, zu dem ich Sie um Ihre Zustimmung bitte.
Hinter diesen vielleicht nüchtern klingenden Worten stehen historische Entscheidungen. Vielleicht ist für manche das Wort „historisch" in den letzten Wochen zu oft gefallen. Aber wenn wir uns vergegenwärtigen, was mit der Einführung einer gemeinsamen Währung in Europa erreicht wurde, kommen wir am Begriff des Historischen nicht vorbei. Unser Bundespräsident Roman Herzog hat zu Recht darauf hingewiesen: Zum erstenmal haben elf souveräne europäische Staaten aus freien Stücken eine so grundlegende Entscheidung wie die Einführung einer gemeinsamen europäischen Währung getroffen.
Diese gemeinsame europäische Währung steht für Stabilität nach innen und gibt Europa mehr Gewicht nach außen. Der Euro stärkt auch das Bewußtsein dafür, daß wir Europäer in einer Schicksals- und Verantwortungsgemeinschaft verbunden sind, daß wir von allem, was in Europa zum Guten wie zum Bösen geschieht, mit betroffen sind. Der Euro steht für das immer enger zusammenwachsende Europa.
Es wird eine stabile Währung sein. Wir haben in zwei großen Debatten in diesem Hause dargelegt, warum die Erwartungen und Hoffnungen unserer Bürger begründet sind, daß diese europäische Währung so stabil sein wird, wie es die D-Mark in ihren besten Zeiten war. Sie bildet den Schlußstein des Binnenmarkts. Der Gemeinsame Markt wird mit dieser gemeinsamen Währung besser funktionieren als ohne sie. Deshalb wird die europäische Währung mittelfristig auch dazu beitragen, daß wir mehr Arbeitsplätze und weniger Arbeitslosigkeit bekommen.
Das alles ist in den letzten Wochen - im Grunde auch weitgehend einvernehmlich - in diesem Hause zutreffend gesagt worden.
Es sollte nicht durch das kleinliche Gezänk über Personalfragen zerstört oder in den Hintergrund gerückt werden.
Jetzt müssen Sie natürlich durch Ihr Verhalten zeigen, worum es Ihnen geht, und Farbe bekennen. Wollen Sie dieses kleinliche Gezänk, oder wollen Sie sich der Größe des Ereignisses würdig und angemessen zeigen?
- Französisch können wir, Herr Fischer, auch reden. Aber im Deutschen Bundestag ist die Amts- und Verhandlungssprache Deutsch. Heute lassen Sie uns einmal deutsch reden.
Ich finde, wenn man ein bißchen genauer hinschaut, ist das ganze Feldgeschrei viel Lärm um nichts, um mit Shakespeare zu reden. Die Entscheidung für Wim Duisenberg als Präsidenten der Europäischen Zentralbank ist - das ist völlig unstreitig und unbestritten - im Einklang mit dem Vertrag von Maastricht getroffen worden. Nicht nur die Person des Präsidenten, auch alle anderen Mitglieder des Direktoriums der Europäischen Zentralbank, die am Wochenende bestellt und gewählt worden sind, sind von der Presse in ganz Europa in seltener Einmütigkeit als für ihre Aufgaben hervorragend qualifiziert bezeichnet worden.
Hans Barbier, ein Mann, der an politisches Führungspersonal strenge Anforderungen stellt, hat in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" geschrieben:
Gerade im Licht des deutschen Paradigmas der Geldpolitik kann sich die Qualität dieser ersten Führungsmannschaft nicht nur sehen lassen - sie darf insgesamt wohl als überraschend gut bewertet werden. Man hat in „Europa" schon weniger überzeugende Personalentscheidungen erlebt.
Wenn das so ist, frage ich: Was soll das Gezänk?
Bei uns im Schwarzwald sagt man: Man muß vor lauter Bäumen noch den Wald sehen. - Man sollte also trotz vieler Einzelheiten noch das Wesentliche erkennen. Man kann sich auch an die Maxime von La Rochefoucauld erinnern, der einmal gesagt hat:
Dr. Wolfgang Schäuble
„Wer sich zuviel mit Kleinigkeiten befaßt, wird unfähig zum Großen."
- Frau Kollegin, was zählt, sind die Resultate und nicht die Begleitmusik.
Ich sage Ihnen: Daß diese gute Entscheidung vom Rat der Staats- und Regierungschefs nachts um 2 Uhr und nicht nachmittags um 2 Uhr verkündet worden ist, ist vor dem Hintergrund der Bedeutung dieser Entscheidung letzten Endes völlig irrelevant. Hauptsache ist, daß eine gute Entscheidung zustande gekommen ist.
- Ich weiß ja, was Sie wollen: Sie wollen von einer richtigen Entscheidung ablenken. Damit sind Sie aber unfähig, Zukunft zu gestalten.
Man darf sich durch die Mühsal der Ebenen den Blick zum Horizont, also in die Zukunft, nicht verstellen lassen; sonst wird man unfähig, Wesentliches zu gestalten.
Im übrigen ist es nicht das erste Mal in der Geschichte, sondern die Normalität, daß Großes im Moment seiner Entstehung immer auch von Banalem begleitet wird. Die historische Größe wird dadurch aber nicht geschmälert. Die Reaktion der Finanzmärkte am vergangenen Montag hat das übrigens bestätigt. Die Entscheidung für den Euro hat nicht zu einem Nachgeben der Kurse und der europäischen Währungen geführt - im Gegenteil. Das zeigt: Das Vertrauen in den Euro ist ungebrochen, und die internationalen Finanzmärkte sind von der Nachhaltigkeit der Stabilitätspolitik in Europa überzeugt. Wir sollten uns deshalb nicht davon abhalten lassen, den Erfolg als solchen zu bezeichnen und der Bundesregierung und dem Bundeskanzler für ihre Arbeit zu danken.
Niemand in Europa bestreitet - wer in diesem Haus ernst genommen werden will, kann es nicht bestreiten -, daß die Bundesregierung, allen voran der Bundeskanzler Helmut Kohl, an dieser bedeutenden Entscheidung einen wesentlichen Anteil hat.
Das gilt genauso für die Außenminister der Regierungen seit 1982 von Hans-Dietrich Genscher bis zu Klaus Kinkel.
Daß die europäische Währung eine stabile Währung sein wird, hat nicht zuletzt mit dem Stabilitätsund Wachstumspakt und der Stabilitätserklärung vom vergangenen Wochenende zu tun, die Theo Waigel entscheidend durchgesetzt hat.
- Nein, überhaupt nicht. Frau Kollegin Matthäus-Maier, wenn Sie die Kraft zur Gestaltung deutscher und europäischer Politik beweisen wollen, dann dürfen Sie im Rahmen dieser historischen Entscheidung nicht in kleinliches parteipolitisches Gezänk verfallen, sondern dann müssen Sie den Blick auf das Wesentliche richten. Anders werden Sie die Zukunft nicht gestalten können.
Sparen Sie sich Ihre kleinlichen Vorwürfe! Wie lange das Mittagessen der Staats- und Regierungschefs gedauert hat, interessiert übermorgen niemanden mehr. Es interessiert vielmehr, daß die Grundlagen dieser Währungsgemeinschaft dauerhaft stabil sind.
Von Interesse ist, daß sich die Stabilitätspolitik heute überall in Europa durchgesetzt hat.
Wer noch etwas von sozialer Gerechtigkeit versteht, der weiß, daß die Stabilität des Geldes die wichtigste Voraussetzung für soziale Sicherheit und soziale Gerechtigkeit in unserem Lande ist. Inflation ist die brutalste Form der Ausbeutung gerade der sozial schwächeren Schichten.
Überall in Europa haben wir die niedrigsten Preissteigerungsraten weltweit in der Geschichte. Das ist das Entscheidende. Es gibt doch gar keinen Anlaß, Sieger oder Verlierer aufzuzählen. Alle haben am vergangenen Wochenende gewonnen, weil für alle das Tor in eine gute Zukunft aufgeschlagen wurde. Was zählt, ist, daß Europa gestärkt worden ist.
Im übrigen in aller Bescheidenheit: Wenn ich darüber nachdenke, wer was wie gewonnen hat, dann ist die Frage, welche Nationalität welches Mitglied des Direktoriums der Europäischen Zentralbank hat, in dem alle unbestrittenermaßen hervorragend qualifiziert sind, nicht so entscheidend. Mir ist viel wichtiger, daß die Europäische Zentralbank ihren Sitz in Frankfurt hat. Das hat Bundeskanzler Helmut Kohl durchgesetzt, und das liegt im deutschen Interesse.
Es ist ein Symbol dafür, daß diese europäische Währung stabil sein wird. Im übrigen ist es auch für den Standort Deutschland, wo Finanzmärkte im globalen Wettbewerb nicht ganz unwichtig sind, nicht schlecht, daß die Europäische Zentralbank ihren Sitz in Frankfurt hat. Ich finde, wir alle haben Grund, dem Bundeskanzler dafür zu danken.
Dr. Wolfgang Schäuble
Politik ist immer die Kunst des Möglichen. Der Blick für das Machbare, Augenmaß und Geduld sind die Väter des Erfolgs. Helmut Kohl handelt nach dieser Devise. Er hat mit seinem Ansehen und mit seiner Erfahrung dafür gesorgt und durchgesetzt, daß der Euro als starker Euro kommt. Die internationale Presse hat diesen Anteil am Erfolg in gebührender Form herausgestellt. Ich erwähne nur Jacques Delors, der Helmut Kohl als den „größten Baumeister des wiedererwachenden Aufbaus Europas seit 15 Jahren" bezeichnet hat.
ich verstehe ja - das verstehen wir alle -, daß Herr Schröder eine ähnliche Einschätzung nicht öffentlich aussprechen kann. Das wäre zuviel verlangt. Aber was er in Rom zur Euro-Entscheidung zum besten gegeben hat, war schon erschreckend mager und entlarvend zugleich. Wir sind ja gewohnt, daß er den Mund gerne voll nimmt und mit großer Pose Zensuren für andere verteilt.
Aber es scheint ihn wenig zu kümmern, daß seine eigenen Haushalte verfassungswidrig sind. So frage ich dann doch: Mit welchem Recht verteilt Herr Schröder Zensuren, wenn er noch vorgestern zugegeben hat, man könne als Außenstehender nicht beurteilen, ob die Europäische Währungsunion besser zu machen gewesen wäre?
Frau Wieczorek-Zeul, da Sie es mir wahrscheinlich nicht abnehmen: Heribert Prantl gilt nicht als ein parteiischer Befürworter und Anhänger der Koalition; sein Urteil ist insoweit der Voreingenommenheit nicht verdächtig. Herr Prantl schreibt am Ende eines Artikels über diesen Gipfel, es möge zwar sein, daß Herr Schröder Freude habe, aber:
Den mag man sich freilich an Kohls Stelle am vergangenen Wochenende in Brüssel nicht sehr gerne vorstellen.
Damit hat er recht.
Wenn es Sie tröstet: Ich kann mir auch schlecht Herrn Fischer im NATO-Rat und Herrn Trittin bei der - nun nicht stattfindenden - Gelöbnisfeier der Bundeswehr in Frankfurt an der Oder vorstellen.
Die Geschichte der europäischen Integration lehrt, daß die großen Entscheidungen für unseren Kontinent immer nur nach zähem Ringen, nach hartem Verhandeln zustande gekommen sind. Der Teufel steckt immer auch im Detail. Warum sollte es denn bei der Entscheidung über den Euro anders gewesen sein? Was zählt, ist, daß die Entscheidung programmgemäß vorangekommen ist und daß wir weiter voranschreiten.
Frankreich hat seine Nationalversammlung vorzeitig aufgelöst, weil man sich nicht zugetraut hat, vier oder fünf Monate vor einer Wahl eine solche Entscheidung zu treffen. Wir, die Bundesregierung und die Koalition, haben die Kraft, im Rahmen des Fahrplans, wie er im Maastricht-Vertrag vereinbart ist, die richtige Entscheidung zum richtigen Zeitpunkt zu treffen. Das zeigt Führungsstärke, Zukunftskraft und Verläßlichkeit.
Auch diese Bemerkung will ich machen: Die deutsch-französischen Beziehungen sind nicht schlecht. Sie sind mit das Wichtigste, was wir in Europa haben. Aber auch bei guten Beziehungen gibt es manchmal Meinungsverschiedenheiten, und diese müssen gute Beziehungen verkraften. Die deutschfranzösischen Beziehungen bleiben auch in Zukunft für weitere Fortschritte in der europäischen Politik und für die Interessen beider Länder von großer Bedeutung. Deswegen, Herr Bundeskanzler, wünschen wir Ihnen für die heutigen und morgigen Beratungen im Rahmen des deutsch-französischen Gipfels in Avignon viel Erfolg. Wir bleiben Verbündete der deutsch-französischen Beziehungen.
Es geht nicht allein um Symbolik, sondern um Substanz. Es geht nicht um goldene Worte, sondern um Worte, denen Taten folgen. Über alle Meinungsverschiedenheiten hinaus ist entscheidend, daß Deutschland und Frankreich in den grundlegenden Fragen unserer gemeinsamen europäischen Zukunft übereinstimmen, daß wir eine gemeinsame Vision in bezug auf ein wirtschaftlich geeintes, sicheres und politisch handlungsfähiges Europa haben, daß wir es mit der europäischen Einigung ernst meinen und daß wir Europa voranbringen wollen. Wir haben in der Vergangenheit Europa gemeinsam vorangebracht, und wir werden es auch in Zukunft tun.
Frankreich und Deutschland bleiben aufeinander angewiesen. Jacques Delors hat dieser Tage ganz nüchtern festgestellt, Europa sei ein Weg, um für Frankreich notwendigen Manövrierraum zurückzugewinnen. Für Deutschland gilt: Auf Grund unserer Mittellage in Europa und all der Brüche in unserer Vergangenheit haben wir ein überragendes Interesse an Stabilität, die sich nur aus europäischer Einigung und Integration ergeben kann. Deshalb sehen Frankreich wie Deutschland im Fortgang der europäischen Einigung die beste Zukunftsoption. Diese Einigung wird weiter wachsen. Ebenso gilt im Umkehrschluß: Auch Europa bleibt auf Frankreich und Deutschland angewiesen; denn Europa braucht die besonders integrationswilligen Mitglieder, die dafür sorgen, daß Europa vorankommt und die Integration nicht stekkenbleibt.
Wir haben große Aufgaben vor uns. Wir werden in den nächsten Monaten über die Agenda 2000, über die Fragen, wie es im Kosovo und im Mittelmeerraum weitergeht, und über viele andere Bereiche sprechen
Dr. Wolfgang Schäuble
müssen. All diese Zukunftsherausforderungen werden wir nur bewältigen, wenn wir in Europa gemeinsam handeln und die europäische Einigung voranbringen.
Die Entscheidungen vom Wochenende markieren eine wichtige, eine historische Etappe. Dieser Erfolg gibt uns nicht Grund, auf dem Erreichten auszuruhen. Aber er gibt uns Grundlage, weiter, in die Zukunft gerichtet, erfolgreich zu handeln. Deswegen ist die gemeinsame europäische Währung der bessere Weg, um Sicherheit, Wohlstand, Stabilität und soziale Gerechtigkeit in Europa zu gewährleisten, als wenn dies jeder für sich allein mit einer nationalen Währung zu erreichen versuchen würde. Deshalb bleibt die weitere europäische Einigung unser Weg, um die Interessen des vereinten Deutschlands an der Schwelle zum kommenden Jahrhundert so gut wie irgend möglich wahrzunehmen. Nationale Interessen und die europäische Einigung sind kein Gegensatz. Die europäische Einigung ist der beste Weg, um den wohlverstandenen Interessen der Deutschen am Ende dieses Jahrhunderts und in der Zukunft gerecht zu werden, und mit Bundeskanzler Helmut Kohl können wir das besser als mit Gerhard Schröder.
Herzlichen Dank.
Ich rufe jetzt die Abgeordnete Heidi Wieczorek-Zeul auf.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben am 23. April dieses Jahres hier im Deutschen Bundestag in einer neunstündigen Debatte eine Bewertung der dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion vorgenommen und ein zustimmendes Votum quer durch das ganze Haus - das gilt auch für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion - zum Einstieg in diese dritte Stufe gegeben. Die Entscheidung der Staats- und Regierungschefs zum Einstieg in diese Stufe war richtig. Das bringt auch die SPD-Bundestagsfraktion in ihrem heute vorgelegten Antrag zum Ausdruck.
Wir hoffen vor allem, daß der Euro das politische und wirtschaftliche Gewicht der Europäischen Union und damit ihren Einfluß auf die Gestaltung der Weltwirtschaft zum Tragen bringt. Wir erwarten, daß jetzt endlich das angepackt wird, was in Europa das eigentliche Problem ist. Denn der Euro allein ist kein Rezept gegen die Massenarbeitslosigkeit. Auch die stabile D-Mark hat nicht verhindern können, daß es in Deutschland fast 5 Millionen Arbeitslose gibt.
Massiv aber kritisieren wir am Gipfel der Staats-und Regierungschefs die Art der Entscheidung über den Präsidenten der Europäischen Zentralbank.
Herr Schäuble hat in seiner Rede das Thema vollständig verfehlt. Er hat hier die Debatte vom 23. April wiederholt, aber nichts zu der Tatsache gesagt, daß die große Entscheidung zur Europäischen Währungsunion durch das Klein-klein und das Gemauschel der Regierungschefs überschattet und verdunkelt worden ist. Das ist das eigentliche Problem, der eigentliche Skandal sowohl dieser Debatte als auch des Gipfels selbst.
Die Art des Kuhhandels und des Feilschens schürt nämlich das Mißtrauen gegenüber dem Euro in der deutschen Bevölkerung,
anstatt Vertrauen in die neue gemeinsame Währung zu schaffen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Vertrauen der Märkte ist wichtig. Genauso wichtig aber ist das Vertrauen der Menschen in die neue Währung. Ohne dieses Vertrauen der Menschen wird der Euro nicht dauerhaft funktionieren können.
Die Art, in der alle Fraktionen des Deutschen Bundestages am 23. April die Diskussion über die schwerwiegende Entscheidung für den Euro geführt haben, war dem großen Thema angemessen; sie fand auf hohem Niveau statt. Die Art, wie das große Thema des Beginns der Währungsunion am letzten Wochenende auf dem EU-Gipfel unter Ihrer Beteiligung, Herr Bundeskanzler, in kleinliches Geschacher umgemünzt wurde, ist jedoch geeignet, dem Ansehen der Europäischen Zentralbank und dem Ansehen der gemeinsamen Währung zu schaden.
Dies ist keineswegs nur die Position der Sozialdemokratie. Lesen Sie doch einmal die Kommentare: „Historischer Kuhhandel", schreibt die „Berliner Zeitung", „Brüsseler Gipfelblamage" die „Frankfurter Rundschau".
„Ein würdeloses Spektakel" tituliert zum Beispiel die „Neue Ruhr-Zeitung".
Wenn Sie, Herr Schäuble, zitiert hätten, was Herr Prantl in seinem Artikel zu Helmut Kohl gesagt hat, hätte sich bei Ihnen kaum eine Hand gerührt. Er hat nämlich ausdrücklich gesagt, es sei ganz ersichtlich, daß der von ihm geplante Lorbeer in der eigenen Hand verdorrt sei.
Auch das sollten Sie an dieser Stelle zitieren.
Sie, Herr Bundeskanzler, haben am 21. April im Rahmen der Anhörung des EU- und des Finanzausschusses, nach dem EZB-Präsidenten gefragt, folgen-
Heidemarie Wieczorek-Zeul
des gesagt - ich zitiere aus dem Wortprotokoll der Anhörung -:
Ich bin absolut sicher, daß es eine Entscheidung sein wird, die dem Ansehen, der Reputation, dieses Instituts zuträglich ist. Das heißt, es wird nicht der Eindruck erweckt werden, das sei eine unerträgliche Mauschelei.
Die Umstände der Ernennung des ersten Präsidenten der Europäischen Zentralbank stehen im krassen Widerspruch zu diesen Ihren Ausführungen.
Sie haben diese Ihre Zusage gegenüber allen Fraktionen des Deutschen Bundestages, die anwesend waren, und gegenüber der deutschen Öffentlichkeit nicht eingehalten. Das ist ein weiteres gebrochenes Versprechen.
Sie haben fälschlicherweise den Eindruck einer einvernehmlichen Lösung dieser Personalfrage geweckt, ohne einen konkreten Lösungsansatz mit den europäischen Partnern im Vorfeld des Gipfels abgestimmt zu haben. Monatelang haben Sie und Herr Waigel den Eindruck erweckt, es gehe Ihnen um eine achtjährige Amtszeit des EZB-Präsidenten. Jetzt haben Sie eine formal-juristisch vielleicht nicht angreifbare Regelung gefunden, haben aber natürlich gegen den Geist des Vertrags von Maastricht verstoßen. Das sollten Sie dann hier auch sehr deutlich sagen.
Im übrigen: Sie hatten fünf Monate Zeit; denn im November letzten Jahres ist der Vorschlag „Trichet" erfolgt. Es war grob fahrlässig, die Regelung dieser Frage so lange anstehen zu lassen, bis sie auf dem letzten Gipfeltreffen die große historische Entscheidung zum Euro mit dem unwürdigen Ringen um den EZB-Präsidenten überschattete. Es war grob fahrlässig, dies zuzulassen.
Aussitzen, Herr Bundeskanzler, funktioniert eben weder zu Hause noch in der Europäischen Union angesichts der Probleme, die sich stellen.
Die Umstände der Benennung des EZB-Präsidenten sind ein Beweis für das Versagen der Europapolitik dieser Bundesregierung.
Es hat offensichtlich zwischen dem Kanzler, dem Außenministerium und dem Finanzministerium keinerlei einvernehmliche Strategie dazu gegeben, wie eine volle Amtszeit für den ersten Präsidenten der EZB durchgesetzt werden könnte. Da werden Sie,
meine Damen und Herren von der Koalition, unruhig.
Vergegenwärtigen Sie sich doch einmal die Situation: Heute nachmittag und heute abend findet der deutsch-französische Gipfel statt. Warum nimmt daran zum Beispiel der Finanzminister nicht teil?
Es hat offensichtlich ausreichend große Divergenzen in der Frage, wie man dort vorgehen sollte, zwischen den beteiligten Ministerien gegeben.
Dieses Chaos in der Regierung schadet dem Ansehen der Bundesrepublik Deutschland; es schadet unseren Interessen in Europa.
Der Antrag, den Sie heute hier vorlegen, drückt sich um die entscheidende Frage des EZB-Präsidenten. In einer Zeitung war zu lesen, in dem Antrag solle die Verhandlungsführung auf dem Gipfeltreffen vom letzten Wochenende unterstützt werden. Im Text des Antrags steht davon nichts. Wahrscheinlich hat sich die F.D.P. in dieser Frage dann doch noch mit den Bedenken, die sie öffentlich geäußert hat, durchsetzen können. Bei diesem Antrag handelt es sich um einen Null-Antrag. Über das, was in dem Antrag enthalten ist, hätten wir am 23. April abstimmen müssen. Wir werden uns bei der Abstimmung über diesen Antrag der Stimme enthalten.
Wir haben einen eigenen Antrag vorgelegt, in dem unsere Kritik an diesem unwürdigen Gezerre auf dem EU-Gipfel zum Ausdruck gebracht wird. Der Deutsche Bundestag sollte bei dieser Frage soviel Selbstbewußtsein und soviel Selbstachtung aufbringen, daß er unserem Antrag zustimmt. Das sage ich auch an die Adresse von CDU/CSU und F.D.P.
Frau WieczorekZeul, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schmidt?
Im Moment nicht. - Der französische Präsident Chirac hat im übrigen mit seinem Starrsinn viel dazu beigetragen, daß die Signale, die vom Euro-Gipfel ausgingen, überall in der EU negativ aufgenommen wurden. Kritische Kommentare dazu hatte er auch im eigenen Land erhalten.
Bei diesem Gipfel ist auch eine bedenkliche Entwicklung, die seit Monaten anhält, deutlich geworden: Seit längerem ist im deutsch-französischen Verhältnis einiges im argen. Das deutsch-französische Verhältnis ist für die europäische Entwicklung von
Heidemarie Wieczorek-Zeul
zentraler Bedeutung. Sie haben vor allem dann nicht die Kooperation mit der neuen französischen Regierung gesucht,
als sie die Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit auf die Tagesordnung setzen wollte.
Ferner haben Sie sich gegen das Beschäftigungskapitel des Vertrages von Amsterdam monatelang engagiert. Sie haben sich geweigert, die Wirtschaftspolitik zu koordinieren. Ich sage an dieser Stelle: Es wird Zeit, daß endlich eine deutsche und eine französische Regierung in dieser zentralen Frage an einem Strang ziehen, damit der deutsch-französische Motor wieder rund läuft, damit gemeinsam der Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit Vorrang gegeben wird und die EU im Bewußtsein der Bevölkerung wieder Vertrauen erhält.
Ich danke Ihnen.
Herr Schmidt, darf ich fragen - die Frage können Sie ja nicht mehr stellen -: Was ist Ihr Begehren?
Frau Präsidentin, ich würde gern meine Frage in eine Kurzintervention fassen.
Das können Sie tun.
Ich hätte unwahrscheinlich gern von der Kollegin Wieczorek-Zeul, über die ich dem Handbuch des Deutschen Bundestages entnehme, daß sie in Frankfurt geboren ist, in Frankfurt auf das Gymnasium ging, in Frankfurt studiert hat und jetzt, glaube ich, in Groß-Gerau wohnt, erfahren, ob sie auch bei der Eröffnungsfeier der Europäischen Zentralbank in Frankfurt, zu der sie als örtliche Abgeordnete vielleicht mit eingeladen wird, die Wahlkampfmär vom Versagen der deutschen Europapolitik vorzutragen gedenkt. Das wäre meine Frage gewesen. Ich bedaure, daß die Kollegin bei ihrer Rede offensichtlich nicht in der Lage gewesen ist,
die kleinen Dinge von den großen zu unterscheiden,
was wiederum ein bedauerliches Zeichen für die Unfähigkeit mancher in diesem Hause ist - die Kollegin Matthäus-Maier, daneben sitzend, beziehe ich gleich mit ein;
wer am Sonntag gehört hat, was gesagt worden ist, der kann sie nur mit einbeziehen -, sich der Größe des Augenblicks würdig zu zeigen. Aber das ist schon immer so gewesen.
Frau Wieczorek-Zeul.
Frau Präsidentin, abgesehen davon, daß dem Kollegen der Ort meines Wahlkreises, nämlich Wiesbaden, entgangen ist, wollte ich sagen: Es gibt einfach Kurzinterventionen und Bemerkungen, die sagen so viel über denjenigen, der spricht, daß sich eine Erwiderung erübrigt.
Als nächster in der Debatte spricht der Fraktionsvorsitzende des Bündnisses 90/Die Grünen, Joseph Fischer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag hat sich mit sehr, sehr großer Mehrheit für den Übergang zur dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion in Europa ausgesprochen. Der Rat der Regierungschefs hat am Wochenende diesen Beschluß umgesetzt. Währungspolitisch ist damit - da kann ich dem Kollegen Schäuble nur zustimmen - eines der wichtigsten, wenn nicht das wichtigste Projekt für Europa erfolgreich auf den Weg gebracht worden.
An diesem Punkt, Herr Bundeskanzler - das habe ich in der letzten Debatte schon gesagt - gebührt allen, die in verantwortlicher Position dazu beigetragen haben, der Dank des ganzen Hauses. Gerade weil es ein währungspolitischer Erfolg war und hoffentlich auch bleiben wird, wird aber das politische Debakel, das an diesem Wochenende stattgefunden hat, um so krasser sichtbar.
Herr Schäuble, Sie haben hier eine Rede gehalten, die eigentlich unter Ihrem Niveau war.
Ich muß Ihnen ganz ehrlich sagen: Die Betroffenheit bei der F.D.P., bei der CDU und auch bei der CSU über das, was an diesem Wochenende beim Rat der Regierungschefs vor sich gegangen ist, ist doch mit den Händen zu greifen. Nun verstehe ich, daß wir in einem Wahljahr sind, nun verstehe ich auch, daß hier zu einem Scherbenhaufen geworden ist, was eigentlich das innenpolitische Glanzstück der Wahlkampagne des Bundeskanzlers für seine Wiederwahl werden sollte. All dies begreife ich. Aber wir können doch als Deutscher Bundestag in einer von Ihnen zu Recht so genannten zentralen historischen Entscheidung nicht zugunsten von Wahlkampfrhetorik so
Joseph Fischer
weit abdanken, wie Sie das heute morgen getan haben.
Es geht hier nicht um einfache Schuldzuweisungen in Richtung der Bundesregierung. Vielmehr wird es darum gehen, daß wir die Bedeutung dessen, was sich am Wochenende abgespielt hat, in den positiven Teilen, aber vor allen Dingen auch in den negativen Folgen entsprechend bewerten. In diesem Hause ist es in dieser Koalition oft der Fall, daß das, was nicht geschieht, fast wichtiger ist als das, was geschieht. Ich versuche mir einmal vorzustellen, daß Herr Duisenberg glanzvoll als erster EZB-Präsident benannt worden wäre
- ich sagte „glanzvoll", das heißt für acht Jahre -,
ohne daß man ihn, wie es ein EU-Diplomat laut einer bürgerlichen Zeitung genannt hat, gezwungen hätte, auf dem Bauch daherzukriechen und „freiwillig" seinen Verzicht innerhalb von vier Jahren zu erklären.
- Reagieren Sie doch nicht so nervös: „Wo steht das?" Diese Erklärung konnten Sie allenthalben zur Kenntnis nehmen. - Meine Damen und Herren, dann hätten wir heute im Deutschen Bundestag eine Regierungserklärung eines erfolgreichen Bundeskanzlers gehört und nicht das Verlesen vom Blatt eines Oberministranten erlebt, der noch irgendwelche Dankadressen an einen schwer angeschlagenen Bundeskanzler zum besten geben muß, wie das bei Herrn Schäuble der Fall war.
Meine Damen und Herren, ich sage nochmals: Währungspolitisch war das Wochenende erfolgreich, europapolitisch aber ein Debakel.
Die beiden wichtigsten Probleme, die das Wochenende sichtbar gemacht hat, verdienen es trotz des Wahljahres, hier mit einiger Sachlichkeit behandelt zu werden.
So schön es klingt, Kollege Schäuble, wenn Sie das deutsch-französische Verhältnis hier gesundbeten wollen: Sie wissen so gut wie ich, daß das deutschfranzösische Verhältnis nicht in einer existenzbedrohenden Krise ist, daß es sich aber in eine negative Richtung entwickelt.
Wenn ich die verschiedenen Verlautbarungen beiderseits des Rheins zur Kenntnis nehme, wenn ich höre, daß der Begriff des nationalen Interesses plötzlich offensichtlich wieder der zentrale europapolitische Begriff der Zukunft ist,
wenn ich mitbekomme - -
- Unter anderem von Michael Glos, der diese Konsequenz daraus gezogen hat. Ich sage nicht, daß das nur bei Ihnen zu Hause so ist. Ich weiß, bei Ihnen sind viele, die diese Sorge teilen. Deswegen spreche ich sie ja an. Das ist aber keine Frage einfacher parteipolitischer Zuordnung.
Wenn die Einführung des Euro zur Konsequenz hat, daß wir plötzlich wieder nationales Interesse, Prestigepolitik in den Vordergrund stellen und nicht begreifen, wie wichtig es ist, an den eingeschlagenen Wegen festzuhalten, dann wird das deutsch-französische Verhältnis nicht Motor, sondern Bremsfaktor der zukünftigen europäischen Integrationspolitik sein. Dies wäre grundfalsch.
Herr Bundeskanzler, ich habe Sie in der letzten Debatte, in der wir uns gemeinsam für die dritte Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion ausgesprochen haben, auf das Debakel hingewiesen, das die Fraktion des RPR in der Assemblée nationale, dem französischen Parlament, angesichts der Abstimmung über den Euro angerichtet hat. Ich habe Sie darauf hingewiesen, welche Bedeutung dieses Debakel hat.
Ich rede jetzt nicht von Fundamentalkritik, von „Kohl hat versagt" und ähnlichem, sondern frage Sie, Herr Bundeskanzler: Vor dem Hintergrund der Entwicklung in der französischen Nationalversammlung anläßlich der Abstimmung über den Euro - ursprünglich ein französisches Projekt -, auf Grund der Übernahme der Struktur der Bundesbank, der deutschen Stabilitätskultur, auf Grund der Entscheidung für Frankfurt als den Sitz der EZB - daran gibt es überhaupt nichts zu kritisieren, im Gegenteil -, auf Grund des Stabilitätspaktes, der ebenfalls gegen Frankreich durchgesetzt wurde, auf Grund der Tatsache, daß Theo Waigel jüngst beim Stabilitätspakt nachgesattelt hat, daß die Franzosen auch in der Beschäftigungspolitik das Gefühl hatten, daß sie nicht ernst genommen werden, war es doch absehbar, daß die Frage des Präsidenten eine zentrale Prestigefrage werden würde. Die Frage stelle ich an Sie, Herr Bundeskanzler: Warum waren Sie nicht besser darauf vorbereitet?
Warum war es nicht möglich - auch da würde mich Ihre Antwort interessieren -, diese Konfrontation zu vermeiden? Ich stelle diese Frage als jemand, der Ihre Politik bei der Einführung der Wirtschafts- und Währungsunion hier mit Ja unterstützt hat.
Joseph Fischer
Deswegen nochmals meine Bitte an Sie: Treten Sie heute an dieses Pult und erklären Sie dem Haus Ihre Politik, wie es möglich war, daß dieses politische Debakel den währungspolitischen Erfolg vom Wochenende zu überschatten droht.
Meine Damen und Herren, ich wiederhole es nochmals: Ich sehe das deutsch-französische Verhältnis in bedrohliche Gewässer kommen, wenn es nicht gelingt, hier gemeinsame neue Initiativen in Angriff zu nehmen. Es nützt nichts, daß wir hier versuchen, dieses Verhältnis gesundzubeten. In der Wirtschafts-und Währungspolitik gibt es große Widersprüche. In der Innenpolitik gibt es große Widersprüche.
Es zeigt sich gleichzeitig, daß wir mit den bisherigen Instrumentarien nicht in der Lage sind, den Integrationsprozeß, vor allen Dingen die Umsetzung des Euro erfolgreich voranzubringen. Das ist neben der Krise im deutsch-französischen Verhältnis der zweite Punkt, den das Wochenende gezeigt hat.
Die traditionelle Struktur, die Europa bisher - beruhend auf dem persönlichen Kontakt von Regierungschefs - vorangebracht hat, wird - auch das habe ich Ihnen hier schon mehrmals gesagt - die nächsten Integrationsschritte nicht erfolgreich voranbringen können.
Völlig unterschiedliche Entscheidungen der Instanzen - denken Sie an die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zum europäischen Sozialraum - machen klar, daß wir um die Ausgestaltung der politischen Integration und damit um eine europäische Verfassung nicht herumkommen.
Genauso wird es mit der weiteren Ausgestaltung des Euro sein. Wir wollen diesen Erfolg gemeinsam. Das ist hier in diesem Hause keine Frage von Opposition und Koalition. Ich bin der festen Überzeugung: Wenn dies ein Erfolg werden soll, müssen wir jetzt dringend Initiativen von der Bundesregierung, aber auch von diesem Haus verlangen, daß wir zu einer echten demokratischen Vergemeinschaftung wichtiger Politikfelder, wie der Währungs- und der Budgetpolitik, aber auch der Sozialpolitik, kommen, weil sonst die Widersprüche - das hat das Wochenende klar gezeigt - im deutsch-französischen Verhältnis als Blockadefaktor auftauchen werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Kommen Sie hierher, und geben Sie dem Haus eine Darstellung der Ereignisse aus Ihrer Sicht! Wir haben ein Recht darauf, daß Sie das heute hier erklären. Kommen Sie hierher, und beantworten Sie vor allen Dingen die von mir aufgeworfenen Fragen, wie es möglich war, daß ein solches politisches Debakel vor dem Hintergrund des währungspolitischen Erfolges stattfinden konnte! Äußern Sie sich hier zum Zustand der deutsch-französischen Beziehungen aus Ihrer Sicht, bevor Sie zum deutsch-französischen
Gipfel fahren! Ich denke, das Haus hat darauf einen Anspruch.
Es spricht jetzt der Kollege Dr. Helmut Haussmann.
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eines ist beruhigend: Die weltweiten Märkte sind weiter als die deutsche Opposition und viele Journalisten in unserem Land.
Natürlich war die Ouvertüre vom letzten Wochenende alles andere als geglückt. Natürlich kann man die Frage stellen, inwieweit man die deutsch-französischen Gespräche professioneller vorbereiten kann. Aber am Ende des Tages zählen der Inhalt und das Ergebnis.
Am Ende des Tages wird klar, daß es insbesondere für die Deutschen ein gutes Wochenende war. Die Inflationsrate in den Eurostaaten liegt inzwischen bei 1,2 Prozent.
Das ist internationale Stabilitätspolitik. In Deutschland werden durch die Exportwirtschaft, durch die Erwartung eines stabilen Euro 200000 neue, zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen.
Der beste Präsident amtiert während der Gründungsphase, die entscheidend ist. Eines kann man als Angehöriger einer Koalitionsfraktion in aller Bescheidenheit sagen: Weder wäre der Sitz der Europäischen Zentralbank in Frankfurt am Main noch gäbe es den Stabilitätspakt, noch wäre Herr Duisenberg heute in der Spitzenposition, wenn sich nicht von Anfang an die Bundesregierung mit Unterstützung des Parlaments so vehement dafür eingesetzt hätte.
Bei historischen Projekten ist immer eine Entscheidung notwendig: Will man ein solches Projekt innen-und wahlpolitisch ausschlachten, oder hat man die Größe, ein solches Projekt auch global und europäisch zu beurteilen? Natürlich wäre es wahlpolitisch günstiger gewesen, wenn der Bundeskanzler, der Bundesaußenminister und Herr Waigel nach Deutschland zurückgekommen wären und gesagt hätten: Wir wollen das so nicht, wir lassen das scheitern, wir möchten Herrn Duisenberg für acht Jahre. Was wäre dann erfolgt? Wir hätten ein Chaos an den Märkten erlebt. Wir hätten auch kein besseres Ergebnis erreicht.
Deshalb hat sich die Bundesregierung zugunsten der europäischen Integration entschieden und hat innenpolitische kurzfristige Nachteile bewußt in Kauf
Dr. Helmut Haussmann
nehmen müssen. Ich persönlich halte dies für richtig. Es gibt dazu keine Alternative.
Es ist ja auch bezeichnend, daß gerade in dieser europapolitischen Debatte die außenpolitische Freundin von Herrn Schröder das Wort ergreift. Das ist interessant.
Ich erinnere an das, was Präsident Herzog gesagt hat:
Zukunftsfragen in Europa vertragen keine Trittbrettfahrer, die ihr Engagement nur danach bemessen, was es ihnen kurzfristig bringt und wie die Umfragen gerade sind.
So wird internationale Politik nicht gemacht.
Den Elchtest für Rotgrün werden wir in Zukunft dann erleben, wenn es wirklich um die politische Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank geht. Das wird spannend, Herr Fischer; wir haben das im Vorfeld gesehen: „Keine Währungsunion ohne Beschäftigungskapitel" , „keine Währungsunion ohne politische Union",
möglichst zusammen mit den Sozialisten in Frankreich eine Regierung stellen, die dagegen ist.
Ich sage Ihnen voraus: Der jetzt so hochgelobte erste Präsident, Herr Duisenberg, wird aus Ihren Reihen gescholten werden. Man wird ihn als herzlos bezeichnen, man wird ihn als neoliberal bezeichnen, wenn er eine klare Stabilitätspolitik und eine Interessenpolitik zugunsten der politischen Unabhängigkeit vertritt,
wenn er Zinsen durchsetzt, die Stabilität garantieren.
Zu Ihrer Bemerkung, Herr Fischer, „wir brauchen eine Demokratisierung der Währungspolitik" : Können Sie einem Ökonomen erklären, was das bedeutet?
Das geht nach dem Motto: Die Grünen in Bonn, Brüssel und Straßburg entscheiden über den künftigen Außenwert des Euro.
So läuft das international nicht!
Was das deutsch-französische Verhältnis angeht, so sollte man im deutschen Parlament innehalten und überlegen, was es für unsere französischen Kollegen in der Assemblée nationale bedeutet hat, die jahrhundertelange Kontrolle über die Geldpolitik aufzugeben. Das ist eine Revolution. Da hat sich Frankreich weit mehr bewegt als Deutschland.
Die Anerkennung von Frankfurt am Main als dauerhaftem Sitz der wichtigsten Einrichtung gehört dazu. Wir werden es in den Fernsehnachrichten der nächsten Jahre erleben: Weltwährungspolitik wird zwischen Washington und Frankfurt am Main gemacht. Wenn man überlegt, was das für die Franzosen bedeutet, kann man hier doch nicht sagen: Es gibt berechtigtes nationalistisches Großmachtdenken der Franzosen.
Nein, die Franzosen haben einen gewaltigen Weg zurückgelegt, um ein europäisches Projekt zu unterstützen.
Zumindest ein Teil der französischen Politiker erkennt - anders als manche Ministerpräsidenten in Deutschland - inzwischen keinen Gegensatz mehr zwischen mehr europäischer Integration und eigenen nationalen Interessen. Das sind die Vorboten eines globalen Denkens.
Viele werden sich in ihrem eigenen Verständnis von Politik und in bezug darauf, was angesichts der Globalisierung im nationalen Rahmen überhaupt noch möglich ist, am Weg der Franzosen messen lassen müssen.
Ich teile die Meinung der „FAZ": Das deutschfranzösische Fundament ist so gut, daß es auch eine verpatzte Ouvertüre aushält. Aber beachten wir das Ergebnis: Es gibt keinen besseren Präsidenten als Herrn Duisenberg.
Herrn Trichet haben wir - Herr Waigel und ich - im deutsch-französischen Wirtschafts- und Finanzrat erlebt. Er gilt als unabhängig. Es ist doch interessant, daß er vorgeschlagen wurde, obwohl er innenpolitisch höchst umstritten war:
weil er für die Unabhängigkeit der internationalen Währung eingetreten ist, weil er zum Beispiel der These widersprochen hat, man müsse den Euro schwach machen, damit die Exportwirtschaft läuft, und weil er für eine ganz klare stabilitätsorientierte, unabhängige Zinspolitik eintritt.
Damit ist klar, daß eben die Europäische Zentralbank in Frankfurt am Main über einen langen Zeitraum, über mehr als zehn Jahre, von zwei angesehenen, unabhängigen, international renommierten Prä-
Dr. Helmut Haussmann
sidenten geführt wird. Das ist für den Euro gut, und daran gibt es im Deutschen Bundestag überhaupt nichts zu kritisieren.
Frau Matthäus-Maier, wer ein solches Ergebnis als außenpolitische Niederlage bezeichnet, der hat von internationaler Politik, von Währungszusammenarbeit überhaupt nichts verstanden.
Was haben Sie denn gegen Herrn Duisenberg?
Deshalb bleibt die Aufgabe, auch in Deutschland jetzt nicht weiter die Ängste zu schüren. Natürlich versteht der normale Bürger das nicht so langfristig wie Fachleute und sagt, da wurde gefeilscht. Aber langfristig bleibt die Unabhängigkeit, bleibt der Sitz in Frankfurt, bleibt der Stabilitätspakt. Langfristig wird klar, daß die Märkte von einem stabilen Europäischen Währungssystem ausgehen. Langfristig ist auch wichtig, daß ein so anerkannter unabhängiger Mann wie Herr Professor Issing für acht Jahre dem Direktorium angehört und - was dazukommt - daß ihm eben auch die Möglichkeiten, die Analysefähigkeit der Deutschen Bundesbank zur Verfügung stehen. Wir werden noch sehen, wie wichtig das ist, denn die Europäische Zentralbank hat noch nicht den Unterbau mit internationalen Währungsspezialisten. Auch hier besteht aus deutscher Sicht eine große Chance der positiven Beeinflussungsmöglichkeit. Das ist auch im internationalen, im europäischen Interesse.
Ich möchte abschließen und sagen: Die Diskussion über die Einführung des Euro lehrt, daß bei dem nächsten großen europäischen Thema, der Agenda 2000, sehr viel mehr Bereitschaft in den Nationalstaaten bestehen muß, eigene, nationale Interessen mit europäischen Interessen zu verbinden,
daß es notwendig sein wird, sich professionell vor allem mit Frankreich abzustimmen.
Frankreich weiß, daß es sich bewegen muß: in der Agrarreform, in der Agenda 2000. Wir werden auf die Kompromißbereitschaft, die die Bundesregierung jetzt gezeigt hat, verweisen und umgekehrt die Franzosen bitten, ihre Kompromißbereitschaft bei der Agenda 2000 in unserem Sinne zu zeigen.
Am Ende des Tages, meine Damen und Herren, ist es wichtig festzustellen: Die Europäische Zentralbank ist in Frankfurt am Main. Sie hat einen erstklassigen Präsidenten. Das Direktorium ist ausschließlich besetzt mit international anerkannten Stabilitätspolitikern. Jetzt wird es darauf ankommen, daß alle politischen Parteien im Deutschen Bundestag auch in schwierigen Zeiten, die es für die europäische Währungspolitik gibt, die Unabhängigkeit der Zentralbank anerkennen. Insofern gratuliere ich nach wie vor der Bundesregierung zur Einführung der Europäischen Währungsunion und zu dem Ergebnis.
Ich bedanke mich.
Ich erteile jetzt das Wort dem Abgeordneten Manfred Müller.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe noch im Ohr, was Sie, Herr Bundeskanzler, am 21. April bei der Anhörung des Finanzausschusses und des Europaausschusses gesagt haben: Die Entscheidung über den EZB-Präsidenten wird der Reputation der Institution zuträglich sein, und es wird nicht der Eindruck einer unerträglichen Mauschelei entstehen.
Was für eine Geburtsstunde haben wir dagegen in Brüssel erleben müssen? Der Euro kommt und ganz Europa ist eher peinlich berührt. Der angekündigte Jubel blieb sogar gestern bei dem Frankfurter Bankengipfel aus. Das war aber voraussehbar und hatte ursächlich nichts mit schlechtem Management zu tun. Schlechtes Management und schlechtes Timing mögen dazugekommen sein, aber die Ursachen liegen ganz woanders. Sie liegen in dem System dieses Maastrichter Euro.
Die Pannen von Brüssel verweisen ganz klar auf Konstruktionsfehler der Europäischen Währungsunion, auf Konstruktionsfehler, vor denen die PDS immer gewarnt hat. Deshalb wird der Brüsseler Streit auch nicht das letzte Trauerstück auf der Euro-Bühne gewesen sein. Im Gegenteil: Das war erst der Anfang. Das ist die logische Konsequenz einer europäischen Integrationspolitik, die das Pferd vom Schwanz her aufzäumen will.
Was macht der Maastrichter Euro, den wir als einzige Partei in diesem Haus abgelehnt haben? Er spaltet Europa in Gewinner und Verlierer der Währungsunion. Verlieren werden all jene in Europa, die den strukturellen Zwängen der neuen Währung nicht gewachsen sind. Verlieren werden ganze Regionen und Branchen, die sich im neoliberalen Dumpingwettbewerb als nicht konkurrenzfähig erweisen.
Dabei geht es nicht nur um Zahlen; es geht um Menschen. Diese Menschen werden ihre Interessen zu artikulieren wissen. Aber an wen richtet sich ihr Protest? Natürlich an die Politiker ihres jeweiligen Landes. Deshalb wird es immer wieder dazu kommen, daß nationale Interessen in Europa aufeinanderprallen, wie das in Brüssel der Fall war. Unsere Sorge ist, daß die europäische Idee bei diesem Aufprall widersprüchlicher nationaler Interessen dauerhaften Schaden erleidet.
Nehmen Sie doch nur diesen unsäglichen Stabilitätspakt, den der Bundesfinanzminister seinen europäischen Partnern, insbesondere Frankreich und Italien, aufgezwungen hat. Dieser Stabilitätspakt, ohne den der CSU-Vorsitzende Waigel in seiner Partei keine Zustimmung zum Euro bekommen hätte, sieht bekanntlich Strafen für Ausgabensünder vor. Die
Manfred Müller
aber greifen Gott sei Dank nicht automatisch. Es wird also ein elendes politisches Tauziehen darum geben, ob ein Land, das knapp bei Kasse ist, auch noch Strafe zahlen soll. Der gesunde Menschenverstand sagt nein. Allein: Es ist im Stabilitätspakt so vorgesehen. Deshalb wird man sich von Fall zu Fall mit faulen Kompromissen über ein vermeidbares Dilemma hinwegretten wollen, genau so, wie in Brüssel gerade vorexerziert.
Was aber soll erst passieren, wenn ganze Regionen unter dem Euro-bedingten Konkurrenzdruck zusammenbrechen, wie wir das in den neuen Ländern erlebt haben und erleben werden? An wen wenden sich die Betroffenen? An die Brüsseler Bürokratie mit Sicherheit nicht. Diese hat dafür kein Ohr. Man wird sich also an heimische Politiker halten. Die werden aber solchen Erwartungshaltungen angesichts leerer Kassen und rigider Sparauflagen sehr ohnmächtig gegenüberstehen, oder aber diese Politiker setzen auf die nationalistische Karte und schieben alles Übel der fernen europäischen Bürokratie zu.
Wenn die europäische Integration nun als soziale Schocktherapie erfahren wird, ist ein nationalistischer Backlash geradezu programmiert. Wenn sich die politische Elite dieses Landes nicht traut, das Volk in Sachen Euro zu befragen - weil sie weiß, wie die Antwort ausfällt -, dann ist das ein politisches Armutszeugnis sondergleichen.
So erzeugt man Politikverdrossenheit. Das ist der sicherste Weg zu DVU-Wahlergebnissen à la Sachsen-Anhalt.
Deshalb hat die PDS den Maastrichter Euro abgelehnt und fordert statt dessen eine soziale und politische Union in Europa, die der Währungsunion vorausgehen muß.
Denn nur so kann auch ein europäischer Souverän neben der gemeinsamen Währung entstehen; nur so können sich demokratische Strukturen in Europa bilden, die die Interessenpolitik aus dem nationalen Dunstkreis heben.
Aber eines möchte ich an dieser Stelle klar sagen: Wenn es im Zuge sozialer Verwerfungen infolge der Euro-Einführung in der Bundesrepublik zu nationalistischen Gegenreaktionen kommt, vor denen wir wiederholt gewarnt haben, wird die PDS den europäischen Gedanken konsequent gegen nationalbraune Ideologen verteidigen.
Mit ebensolcher Konsequenz werden wir aber auch darauf achten, wie die Kosten der Währungsunion verteilt werden. Das fängt bei den Kommunen an, auf die eine Ausgabenflut zukommt, die sie allein nicht bewältigen können - erst recht nicht in den neuen Bundesländern -, und das hört beim nationalen Stabilitätspakt noch lange nicht auf, der alle struktur- und finanzschwachen Bundesländer besonders hart treffen wird.
Der Europäischen Union fehlt es an einer europäischen Identität, aus der sich eine europäische Solidarität entwickeln könnte. Ihr fehlt die demokratische Legitimation durch eine europäische Öffentlichkeit. Das kann
- so der Kollege Conradi vor zwei Monaten in der Debatte um den Amsterdamer EU-Vertrag -
nur langsam wachsen.
Mit diesem Euro, so steht zu befürchten, wird gar nichts wachsen - im Gegenteil. Meine Sorge ist, daß sich Westeuropa im Streit um das knapper werdende neue Geld entzweit und den Osten gänzlich aus dem Blick verliert.
Es spricht jetzt der Bundesminister der Finanzen, Dr. Theo Waigel.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Währungsgrenzen in Europa fallen. Am 1. Januar 1999 beginnt in elf Mitgliedstaaten die Währungsunion.
Die Staats- und Regierungschefs sind am vergangenen Wochenende der Empfehlung der Finanzminister gefolgt und haben elf Mitgliedstaaten die Teilnahme an der Währungsunion eröffnet. Dies ist die zentrale Entscheidung des vergangenen Wochenendes. Sie entspricht dem, was dieser Bundestag vor wenigen Wochen mit großer Mehrheit gefordert hat.
Die Europäische Zentralbank kann voraussichtlich schon im Juni errichtet werden und mit ihrer Arbeit beginnen. Mit der Nominierung von Wim Duisenberg als EZB-Präsident und Professor Dr. Otmar Issing als Direktoriumsmitglied jeweils für acht Jahre werden die deutschen Wunschkandidaten Mitglied des ersten Leitungsgremiums der EZB.
Vertragsgemäß sind alle Direktoriumsmitglieder in Währungs- oder Bankfragen anerkannte und erfahrene Persönlichkeiten und wurden einvernehmlich ausgewählt. Der Vertrag - das weiß man - läßt nur eine unkonditionierte Ernennung des Präsidenten der Europäischen Zentralbank zu. Wir haben uns daher jeder Befristung und Fixierung von Daten erfolgreich widersetzt.
Wir haben diese Position schließlich durchsetzen können. Das war schwierig. Dazu bedurfte es langwieriger Diskussionen und der ganzen Überzeugungskraft von Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl.
Meine Damen und Herren, ich finde, es ist ein unglaublich kleines Karo, das was wir über das Wochenende und in den letzten zehn Jahren in Europa erreicht haben, in einem Entschließungsantrag der SPD so zu beschreiben. Das ist wirklich ganz kleines Karo. Das beweist, daß Sie außen- und europapoli-
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
tisch und auch im nationalen Interesse unfähig sind, die Dinge zu begreifen und ins richtige Maß zu stellen.
Sie, Frau Kollegin Wieczorek-Zeul, haben das Ganze, glaube ich, Gemauschel genannt.
Wer ist dann wohl der Obermauschler? Ist das der Ratsvorsitzende Tony Blair? Sind dann Wim Kok, Jospin, Guterres, Klima, Lipponen - alle Mitglieder der Sozialistischen Internationalen und weitgehend Vizepräsidenten - sämtlich Teilnehmer am Gemauschel?
Sie sollten sich eigentlich schämen, mit Europäern, die Ihrer eigenen Fraktion angehören, so umzugehen.
Machen Sie sich, verehrte Frau Kollegin, um meine Teilnahme am deutsch-französischen Konsultationsprozeß keine Sorgen. Ich habe das mit Strauss-Kahn besprochen. Sie können bei ihm nachfragen. Ich bin davon überzeugt, daß mein Verhältnis zu ihm eine Idee besser ist als Ihr Verhältnis zu ihm.
Übrigens, ich war mit ihm am Freitag und am Samstag zusammen. Er war der letzte, mit dem ich Sonntag früh zusammen war. Ich habe ihn also am Sonntag noch einmal getroffen. Ich treffe ihn am Freitag und Samstag wieder. Von einer Entfremdung kann also keine Rede sein. Da brauchen Sie sich wirklich keine Sorgen zu machen.
Wim Duisenberg hat erklärt, seine Amtszeit nicht voll ausschöpfen zu wollen. Diese persönliche Erklärung von Herrn Duisenberg haben wir akzeptiert. Wichtig dabei ist allein: Wim Duisenberg wird ebenso wie der nächste Präsident für acht Jahre ernannt. Die Entscheidung über einen möglichen früheren Rücktritt liegt allein bei ihm. Ich sage noch einmal: Ob und wann er sein Amt früher zurückgibt, entscheidet allein er. So steht es in seiner Erklärung, und sie ist widerspruchslos zur Kenntnis genommen worden.
Mit Wim Duisenberg - das will ich auch einmal sagen - steht in den ersten und entscheidenden Jahren ein Mann an der Spitze der EZB, der unser aller Vertrauen und auch das der Finanzmärkte genießt. Das zeigt sich bereits heute: Die D-Mark notiert fest, die Zinsen sind rückläufig. Die objektiven Märkte haben offenbar Vertrauen in die Unabhängigkeit der EZB und in einen stabilen Euro.
Meine Damen und Herren, wer hätte eigentlich vor I einem oder vor zwei Jahren für möglich gehalten, was sich am Montag, gestern und heute auf den Finanzmärkten gezeigt hat? Daß der Dollar heute bei 1,7729 liegt, in einer völlig normalen Breite, das zeigt - und darauf sind wir stolz -, daß der Euro eines erreicht hat: das Vertrauen der Märkte. Natürlich geht es darum, das Vertrauen der Menschen zu gewinnen. Nur, wenn die Märkte anders spielen würden, möchte ich wissen, wie die Menschen heute in Deutschland und in anderen Ländern reagieren würden. Insofern ist das Vertrauen der Märkte ein wichtiges Signal für das Vertrauen der Menschen.
Wim Duisenberg wird von einem Direktorium unterstützt, dessen fachliche Kompetenz unbestritten ist. Dieses von Wim Duisenberg geführte Direktorium ist Garant für stabiles und entpolitisiertes Geld, wie wir es in Deutschland mit der D-Mark seit 50 Jahren haben.
Die EZB muß in den ersten Jahren das in sie gesetzte Vertrauen der Märkte festigen. Das erste Direktorium mit Wim Duisenberg an der Spitze wird in der Aufbauphase und in den Anfangsjahren wichtige, zukunftsweisende Weichenstellungen vornehmen. Dazu gehören die Festlegung des geldpolitischen Instrumentariums, die geldpolitische Strategie der EZB und auch die Verteilung ihrer Gewinne auf die nationalen Notenbanken.
Wim Duisenberg zur Seite stehen Direktoriumsmitglieder, die durch ihre persönliche und fachliche Qualifikation ebenfalls Garanten für einen stabilen Euro sind. Zu ihnen gehört zum Beispiel der Franzose Noyer als Vizepräsident mit einer vierjährigen Amtszeit. In seiner Funktion als Vorsitzender des Pariser Clubs haben wir mit ihm eng zusammengearbeitet, insbesondere bei der Schuldenregelung für Rußland.
Professor Issing, Mitglied des Direktoriums der Deutschen Bundesbank, der seit seinem Eintritt in die Deutsche Bundesbank 1990 die deutsche Geldpolitik entscheidend mitgeprägt hat, ist für acht Jahre als Direktoriumsmitglied der EZB ernannt worden.
Außerdem gehört zum Direktorium der Italiener Padoa-Schioppa mit einer Amtszeit von sieben Jahren, der während seiner Tätigkeit als Generaldirektor für Wirtschaft und Finanzen der Europäischen Kornmission wertvolle Erfahrungen in der Wirtschafts-und Währungspolitik auf europäischer Ebene gesammelt hat.
Der für eine Amtszeit von sechs Jahren ernannte Spanier Solans gilt als strenger Vertreter einer liberalen Wirtschaftspolitik und strikter Verfechter einer stabilitätsorientierten Geldpolitik.
Das gilt ebenso für die Präsidentin der Finnischen Zentralbank, Frau Hämäläinen, die für fünf Jahre ernannt wurde.
Mit den im Vertrag vorgesehenen unterschiedlich langen Amtszeiten wird die Kontinuität der Arbeit des EZB-Direktoriums gewährleistet.
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
Wenn auch die Personalentscheidungen im Vordergrund vor allem auch des öffentlichen Interesses standen, haben wir am Wochenende auch andere wichtige materiell-rechtliche Entscheidungen getroffen. Die Finanzminister haben auch die von mir vorgeschlagene Erklärung von York zur Fortsetzung der Haushaltskonsolidierung angenommen. Was jetzt einvernehmlich erreicht wurde, geht über das hinaus, was ich in York beim informellen Ecofin im März gefordert habe.
Mit der Erklärung haben sich die Euro-Länder verpflichtet, die Haushaltsziele 1998 zu erreichen und erforderlichenfalls Korrekturmaßnahmen zu ergreifen. Die Entwürfe der Haushalte für das nächste Jahr werden frühzeitig auf Gemeinschaftsebene überprüft. Sollte die Entwicklung günstiger verlaufen als geplant, wird die Haushaltskonsolidierung verstärkt, um das mittelfristige Ziel eines Haushaltsausgleiches oder eines Überschusses zu erreichen. Drei Länder haben 1997 einen Überschuß erreicht; voraussichtlich fünf Länder werden es bereits 1998 sein.
Die Mitgliedstaaten mit hohem Schuldenstand - jeder weiß, wer angesprochen ist - haben sich verpflichtet, ihre Anstrengungen zum Schuldenabbau zu verstärken. Die Minister haben den im EG-Vertrag verankerten Haftungsausschluß für Verbindlichkeiten anderer Mitgliedstaaten bekräftigt. Jedes Land haftet allein für seine Schulden.
Die Währungsunion wird keine Transferunion. Wir waren uns einig: Es wird keine speziellen Finanztransfers für die Wirtschafts- und Währungsunion geben. Auch die Bedenken an der Nachhaltigkeit des erreichten Konvergenzstandes sind damit aufgenommen und klar beantwortet.
Die Erklärung der Finanzminister enthält aber auch wichtige Schwerpunkte zur Durchführung struktureller Reformen, um einen Abbau der Arbeitslosigkeit zu erreichen. Zu diesen Schwerpunkten gehört die Verpflichtung, die Flexibilität auf den Arbeitsmärkten zu verbessern, damit der Lohn- und Produktivitätsentwicklung besser Rechnung getragen wird. Dazu gehört auch die Verpflichtung, die Effizienz des Steuersystems zu verbessern und einen schädlichen Steuerwettbewerb zu vermeiden.
Die Finanzminister haben ebenfalls die bilateralen Umrechnungskurse der Währungen der Teilnehmer an der Wirtschafts- und Währungsunion bekanntgegeben. Damit stehen die Wechselkurse der Teilnehmerwährungen untereinander fest. Basis für die bilateralen Umrechnungskurse sind die geltenden Leitkurse im Europäischen Währungssystem. Mit der Vorankündigung der bilateralen Leitkurse werden die Erwartungen der Marktteilnehmer kanalisiert und Instabilitäten an den Finanzmärkten vermieden. Die Umrechnungskurse der einzelnen Euro-Teilnehmerwährungen können jedoch erst zum 1. Januar 1999 unwiderruflich festgelegt werden. Entsprechend dem Vertrag von Maastricht soll der Wert des Euro dem Wert der Ecu am 31. Dezember 1998 entsprechen.
Mit den Entscheidungen von Brüssel gehen wichtige, zehn erfolgreiche Jahre in die nun entscheidende Phase. Wir haben die wichtigsten Vorbereitungen erfolgreich zum Abschluß gebracht. Kaum ein anderes politisches und wirtschaftliches Projekt ist so lange und so gründlich vorbereitet worden wie die Währungsunion. Diese historische Dimension kommt bei der Diskussion der aktuellen Entscheidungen meist zu kurz.
- Reden Sie doch nicht so dummes Zeug daher! Es ist doch nicht unsere Schuld; vielmehr haben doch wir das Menschenmögliche dazu beigetragen, daß dieser Erfolg erzielt worden ist.
Vor fast genau zehn Jahren, im Juni 1988, erging beim Europäischen Rat in Hannover der Auftrag an die Delors-Gruppe, einen Bericht über eine Währungsunion zu erarbeiten. 1989 wurde der sogenannte Delors-Bericht vorgelegt. Im Dezember 1990 begann in Rom die Regierungskonferenz, die zum Vertrag von Maastricht führte. In den beiden darauffolgenden Jahren haben die Zentralbankpräsidenten unter Vorsitz des damaligen Bundesbankpräsidenten Karl Otto Pöhl die Statuten für eine unabhängige Zentralbank geschaffen. Die erfolgreiche unabhängige Deutsche Bundesbank stand Pate. Die Europäische Zentralbank sollte genauso unabhängig sein und in erster Linie der Geldwertstabilität verpflichtet werden.
Am 7. Februar 1992 wurde der Vertrag von Maastricht unterzeichnet. Bundesrat und Bundestag stimmten dem Vertragswerk noch im gleichen Jahr mit überwältigender Mehrheit zu. Das Bundesverfassungsgericht bestätigte in seinem Maastricht-Urteil: Die Währungsunion ist als Stabilitätsgemeinschaft konzipiert, die vorrangig die Preisstabilität zu gewährleisten hat. Im Herbst 1993 konnten wir durchsetzen, daß die Europäische Zentralbank ihren Sitz in der Stadt haben sollte, die weltweit als Symbol für die stabile D-Mark steht. Der Europäische Rat stimmte Frankfurt am Main als Sitz zu. Das ist ein großartiger Erfolg des Bundeskanzlers und dieser Bundesregierung.
Auch unser Vorschlag, die gemeinsame Währung Euro zu nennen und ihr damit eine einheitliche und für alle bekannte Bezeichnung zu geben, wurde angenommen. Mit dem Stabilitäts- und Wachstumspakt haben wir einen verläßlichen rechtlichen Rahmen zur dauerhaften Sicherung der Haushaltsdisziplin vorgelegt. Im Juni 1997 wurde der Pakt von den Staats- und Regierungschefs verabschiedet.
Mit dem Vertrag von Maastricht hat sich in Europa eine breite Stabilitätskultur entwickelt, wie wir sie uns vor zehn Jahren wohl kaum vorzustellen gewagt hätten. Die Inflationsraten sind ebenso wie die langfristigen Zinsen europaweit auf historisch niedrigem
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
Niveau. Elf Mitgliedstaaten haben sich wirtschaftlich so angenähert, daß sie im nächsten Jahr die gemeinsame Währung einführen können. Die Währungsunion ist nicht nur stabilitätspolitisch vertretbar, sondern schon heute ein politischer Erfolg, der seinesgleichen sucht.
Der Erfolg des Euro wird überzeugen. Der Euro wird die Voraussetzungen für das Wachstum in unseren Volkswirtschaften verbessern. Er wird das ökonomische und politische Gesicht Europas verändern und den Einfluß Europas in der Welt stärken. Die Europäer gehen mit einer gemeinsamen Währung ins nächste Jahrhundert. Der Euro ist unsere Antwort auf die Globalisierung. Der Euro steht für unseren Willen, die Zukunft miteinander, statt gegeneinander zu gestalten.
Meine Damen und Herren, wer nun wie der Bundeskanzler 16 Jahre oder wie ich neun Jahre Diskussionen auf europäischer Ebene, europäische Räte und europäische Veranstaltungen miterlebt hat, der weiß: Da gibt es viel Ärger, da gibt es viele Enttäuschungen. Manchmal kann ich den Euro-Skeptiker in Deutschland ganz gut verstehen. Nur, wenn ich dann wieder daheim bin und mir überlege, was in Deutschland und Europa wäre, wenn diese Entwicklung nicht stattgefunden hätte, dann weiß ich ganz genau: Wir müssen am nächsten Tag darangehen, das gleiche wieder aufzubauen und nach vorne zu bringen, was jetzt auf einem ganz hohen Niveau bereits Bestand hat.
Dieser Weg - das haben Michael Glos und andere gesagt - liegt im nationalen Interesse Deutschlands. Darum bringen wir unsere nationalen Interessen ein und verbinden sie, wie ich meine, in einer großartigen Weise mit den europäischen.
- Ach, reden Sie doch nicht.
- Entschuldigung! Es steht doch Ihnen nicht zu, hier einen frei gewählten Parlamentarier als Paladin zu bezeichnen.
Was sind denn dann Sie, Herr Fischer? Ich halte das für eine Unverfrorenheit.
Meine Damen und Herren, die ersten französischen Namen, die ich als Kind in mein Gedächtnis aufgenommen habe, waren die Namen von Gebieten, als mein Vater davon erzählte, wie er in den Vogesen im ersten Weltkrieg, wie zum Beispiel an der Somme, furchtbare Kämpfe mitmachen mußte. Lothringen war das erste Gebiet, das mir in Erinnerung bleibt, weil dort 1944 mein Bruder gefallen ist, mit den Städten Metz und Niederbronn, wo heute 15 000 deutsche Soldaten liegen; darunter auch mein Bruder.
Wenn ich heute Namen französischer Orte höre, dann werde ich daran erinnert, daß sich meine Kinder in Mayenne, Laval und in anderen Orten mit ihren französischen Schulfreunden in einer Art und Weise treffen, die man vor kurzer Zeit gar nicht für möglich gehalten hätte. So positiv haben sich die Welt und Europa verändert. Deswegen kann ich sagen: Das deutsch-französische Verhältnis wird das Gerangel um den Präsidenten der EZB gut überstehen. Der Aufbau dieses Verhältnisses, eingebunden auf europäischer Ebene, ist das beste, was wir in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts für unser Vaterland tun konnten.
Ich erinnere mich noch gut daran, wie mich mein Vater 1948 mit einem Sparbuch zum Raiffeisenrechner - er war mein Taufpate - nach Bayersried schickte, um es umschreiben zu lassen. Damals herrschte eine gedrückte Stimmung über das, was geschah. 50 Jahre später garantieren wir unseren Kindern und der nächsten Generation eine stabile D-Mark und ab dem 1. Januar 1999 einen stabilen Euro. Er ist so stabil wie die D-Mark und stellt damit eine stabile Grundlage für unseren Weg in das nächste Jahrhundert dar.
Wir können stolz darauf sein, daß wir - wie am letzten Wochenende - bei diesen Prozessen mitgewirkt haben. Das ist der richtige Schritt für Deutschlands Weg in das nächste Jahrhundert.
Als nächster spricht der Fraktionsvorsitzende der SPD, Rudolf Scharping.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Bundeskanzler, alles, was heute in diesem Hause zur historischen Bedeutung der europäischen Integration, zu der Bedeutung für ihre Zukunft und zu der Bedeutung der Entscheidung über die gemeinsame europäische Währung gesagt worden ist, wird im Hause - praktisch ungeteilt - mit Zustimmung begleitet. Das steht außer Frage.
Man muß aber aufpassen, die Debatte vom 23. April nicht zu wiederholen.
Rudolf Scharping
Würde man sie wiederholen, ginge das nur zu Lasten Ihres Zeitbudgets, von dem ich weiß, daß es begrenzt ist. Nachdem Sie uns haben wissen lassen, daß Sie selbst noch sprechen wollen, stelle ich mir natürlich die Frage: Warum ist die in diesem Hause bisher übliche Praxis nicht angewandt worden, diese Debatte über eine Entscheidung, die auf europäischer Ebene getroffen worden ist und für die Sie eine historische Dimension beanspruchen, nicht mit einer Regierungserklärung des Kanzlers zu eröffnen?
Angesichts der Vorgänge auf dem europäischen Gipfel in Brüssel ist es in einem gewissen Sinne schwer, die europapolitische Gemeinsamkeit aufrechtzuerhalten, die sich ja in der Entscheidung des Deutschen Bundestags vom 23. April mit einer Zustimmung von 95 Prozent zur dritten Stufe der Währungsunion, also zur gemeinsamen europäischen Währung, ausgedrückt hat. Wenn aber jetzt nur wenige Tage nach der ungeteilten Zustimmung der SPD-Bundestagsfraktion in bezug auf die gemeinsame europäische Währung, also nach dem Gleichklang der Argumente, und nur wenige Tage nach diesem europäischen Gipfel Vertreter der Koalition diese Gemeinsamkeit plötzlich in Zweifel ziehen, dann ist das der beste Beweis dafür, wie unwohl Sie sich auf Grund der Umstände fühlen und daß Sie versuchen, Ihr Unbehagen auf uns abzuladen.
Ich muß Sie fragen: Wollen Sie den deutschen Banken, den Wirtschaftsverbänden und Unternehmen, die sich geäußert haben, der internationalen Presse, die so wie wir und wie die Verbände, Banken und Wirtschaftsunternehmen in Deutschland die Umstände dieses Gipfels und der Entscheidungen im Zusammenhang mit der Europäischen Zentralbank kritisieren, mangelnde europapolitische Zuverlässigkeit und Stetigkeit unterstellen? Das ist doch lachhaft!
Der Präsident der Deutschen Bundesbank hat sich in der klarstmöglichen und zugleich größtmöglich zurückhaltenden Form zu den Dingen mit dem Satz geäußert, auf den er sonst öffentlich hätte verzichten können, er wolle es nicht kommentieren. Nein, es geht nicht um die Frage, ob man Europa und seine Integration will, es geht nicht um die Frage, ob man eine gemeinsame Währung will, sondern es geht nur um die Frage, ob Sie diesen Willen befördert oder im öffentlichen Ansehen, in der öffentlichen Wahrnehmung beschädigt haben. Nur darum geht es.
Es gibt manchmal Schutzbehauptungen, denen die mangelnde Treue zu den Tatsachen regelrecht auf die Stirn geschrieben ist, und diese provozieren dann
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sie haben in den Gremien des Deutschen Bundestages den Eindruck erweckt, es sei alles in Ordnung, Sie hätten alles im Griff.
Wenn ich mir überlege, wie sich alle Beobachter, die Sozialdemokraten nicht an erster Stelle, mit diesen Umständen herumschlagen müssen, will ich schon sagen: Natürlich bezweifelt niemand - ganz im Gegenteil - die Qualität von Herrn Duisenberg. Übrigens: Währungs- und stabilitätspolitisch gibt es zwischen ihm und Herrn Trichet keinen Unterschied. Das ist alles richtig. Aber die Unabhängigkeit nach Statut und Persönlichkeit allein ist es doch nicht. Sie, Herr Bundeskanzler, haben hier den Eindruck erweckt, das gehe gewissermaßen wie das warme Messer durch die Butter. Es hat sich herausgestellt: Da erlagen Sie einer groben Fehleinschätzung.
Schlimmer noch ist es, wenn auf der Ebene hoher Beamter Bemerkungen ausgetauscht und Möglichkeiten ausgelotet werden bezüglich der Frage, ob man nicht unter Umständen - das war doch der Hintergrund für diese Bemerkung - eine Begrenzung der Amtszeit von Herrn Duisenberg, die er jetzt scheinbar freiwillig verkündet hat, in einen Beschluß schreiben könnte, und dabei alle Vertreter der Koalition systematisch verschweigen, daß es einen Kampf gab, den Europäischen Rat daran zu hindern, bestimmte Vorschläge, denen auch Sie einmal zugestimmt hatten, hineinzuschreiben, und daß die Aufnahme der Begrenzung der Amtszeit zu einem tiefen Konflikt zwischen den Teilnehmern am Gipfel längs der Koalitionslinie geführt hat. Auch das muß ich an dieser Stelle leider sagen, denn diese Art von Schönfärberei, die Sie hier betreiben, ist nicht mehr vertretbar.
Niemand kann daran interessiert sein, daß Autorität und Glaubwürdigkeit der eigenen Regierung im internationalen Feld beschädigt werden. Aber das haben Sie nun selber getan, und wir stellen es fest.
Im übrigen: Das zeigt doch, daß die von Ihnen beanspruchte große Autorität trotz der vielfach beschriebenen Verdienste gelitten hat. Sie ist beschädigt; sie ist auf Normalmaß geschrumpft.
Wenn in einer solchen Situation ein Teil Ihrer hohen Beamten - und zwar nicht jene, die mit Franzosen, Briten, Niederländern oder anderen im Vorfeld reden, ausloten, Signale geben, übrigens auch fehlerhafte und mißverständliche Signale, die einen Teil der französischen Reaktion begründet haben - durch
Rudolf Scharping
Deutschland fährt - man fragt sich, ob das deren Aufgabe ist -, im wesentlichen durch Bonn, und in Hintergrundgesprächen signalisiert: Das wird jetzt der große Auftakt für den sogenannten Aufschwung der CDU, das werden wir nutzen, um deutlich zu machen, wie unzuverlässig, unerfahren oder sonst etwas die Opposition ist,
dann muß ich sagen: Wenn Sie diese Erwartungen erzeugt haben, dürfen Sie sich über das Echo nicht wundern. Dieser Start ist von Ihnen selbst vermasselt worden.
Es weiß doch jeder - das macht übrigens deutlich, wie heuchlerisch der Vorwurf ist, man gehe damit taktisch um -, daß Sie selbst das getan haben. Sie haben manchem Journalisten und manchem in Ihrer Koalition - denken Sie einmal an Ihre Fraktionssitzung - signalisiert, daß jetzt der Staat eingreife. Ich sage Ihnen: Das ist genau der Hinweis darauf, daß Sie mit den wahltaktischen Bemühungen um die gemeinsame europäische Währung an Ihrem eigenen Unvermögen und am Verantwortungsbewußtsein der Opposition gescheitert sind.
Nicht meine Kollegin Wieczorek-Zeul, sondern Sie selbst haben von unerträglichen Mauscheleien gesprochen, die man vermeiden müsse. Dann kam es doch so.
Nun kommt der Kollege Waigel und reicht eine seine Brüsseler Gesprächspartner unausweichlich provozierende Interpretation nach.
Denn, lieber Herr Kollege Waigel, daß Sie nachträglich in der deutschen Öffentlichkeit so sprechen, wie Sie es jetzt tun,
mag zwar der Beruhigung der deutschen Szenerie dienen.
Aber für das, worüber in Europa debattiert wird, ist das nicht gut. Wenn Sie tatsächlich, wie Sie sagen - ich habe keinen Grund, daran zu zweifeln -, häufig mit dem französischen Wirtschafts- und Finanzminister, Dominique Strauss-Kahn, sprechen und ein gutes Verhältnis zu ihm haben, dann ist dies gut. Aber in dieser Situation ist im Rahmen des deutsch-französischen Gipfels nicht scheinbar routinierte Abwesenheit, sondern demonstrative Anwesenheit erforderlich.
Sie dürfen nicht vergessen, daß Sie manchen unserer europäischen Partner schon einmal provoziert haben. Zu Ihrer Art des Umganges hinsichtlich eines
europäischen Beschäftigungspaktes bzw. einer beschäftigungspolitischen Verantwortung auf europäischer Ebene
und zu Ihrer Art des Umganges, die manchmal höchst belehrend und von oben herab ab ist, was die Finanz-, Wirtschafts-, Stabilitäts- und Währungspolitik angeht,
sage ich Ihnen auf Grund meiner Erfahrungen aus vielen Gesprächen mit denjenigen, mit denen auch Sie sprechen - das wissen wir doch voneinander; warum soll man sich da im Deutschen Bundestag irgend etwas vormachen? -: Sie haben mit dieser Art der Politik und mit dieser Art des Auftretens das deutsch-französische Verhältnis in einem Maße belastet, das besser unterblieben wäre.
Sie haben die Verpflichtung, es in Ordnung zu bringen.
Ich füge hinzu: Dies ist auch eine besondere Verpflichtung des Bundeskanzlers. Denn es gibt noch ein anderes, bisher gar nicht angesprochenes Thema im Zusammenhang mit diesen Entscheidungen und ihren Umständen. Sie haben leider auch dazu beigetragen, daß es zu einem neuerlichen Mißverhältnis im Ansehen verschiedener Institutionen kommt. Sie haben dazu beigetragen - insofern ist das Vertrauen der Finanzmärkte eine Reaktion auf bestimmte Umstände, die hier jetzt auch eine Rolle spielen müssen -,
daß die Unabhängigkeit des Währungsinstituts bzw. der Europäischen Zentralbank am Ende womöglich gestärkt wurde. Das will ich hier gar nicht beurteilen. Ich will Sie aber auf einen Umstand aufmerksam machen: Es kann nicht im Interesse politischer Entscheidungsträger liegen, Institutionen wie die Europäische Zentralbank im Lichte der Öffentlichkeit als den einzigen glaubwürdigen und vertrauenswürdigen Anker für Stabilität darzustellen. Sie haben nicht nur das deutsch-französische Verhältnis belastet, sondern auch das Vertrauen in bestimmte Institutionen zusätzlich in Mißkredit gebracht.
Meine Damen und Herren, vor diesem Hintergrund ist festzustellen: Die Entscheidung über die gemeinsame europäische Währung ist völlig unumstritten. Das Vertrauen in die Stabilität der gemeinsamen europäischen Währung muß auf der Seite der Märkte und auf der Seite der Bürger gestärkt werden. Sie haben durch die Umstände der Entscheidung Schaden im Vorfeld entstehen lassen. Sie haben auf dem Gipfel die Züge förmlich erst aufeinander zurasen lassen, anstatt sich sorgfältig, intensiv
Rudolf Scharping
und nachvollziehbar darum zu kümmern, daß das vermieden wird.
Sie haben das deutsch-französische Verhältnis im übrigen auf eine Art und Weise mit zusätzlichen Schwierigkeiten belastet, was angesichts der manchmal etwas mangelnden Substanz des deutsch-französischen Verhältnisses und Ihrer Politik nicht vertretbar ist.
Daß eine Konzentration auf den eigentlichen Gegenstand der Debatte in Ihren Reihen zu Nervosität, zu Zwischenrufen und Schreiereien führt, kann ich sehr gut verstehen. Das ist aber nur ein emotional nachvollziehbarer Mechanismus der Entlastung. Wenn Sie das miserable Gefühl, das auch Sie angesichts der Entscheidung haben, wenn Sie das greifbare Unbehagen angesichts dieser Entwicklung plötzlich in Aggression gegenüber der SPD-Bundestagsfraktion verwandeln, dann ist das wirklich lachhaft.
Sie wissen doch selbst ganz genau, daß mit dieser Entscheidung und den sie begleitenden Umständen viel Schaden angerichtet worden ist und daß es unbeschadet des Wahlkampfes, verehrter Herr Kollege Schäuble, darauf ankommen wird, trotz der notwendigen und berechtigten Kritik am Verhalten der Regierung in der Vorbereitung und in der Durchführung des Gipfels
das aufrechtzuerhalten, was gemeinsame Verpflichtung des Hauses ist, nämlich das Vertrauen in die Stabilität der Währung zu stärken und dafür zu sorgen, daß die europapolitische Einigkeit in diesem Hause erhalten bleibt. Das liegt nicht in Ihrem wahltaktischen Interesse, aber im Interesse des Staates und seiner Zukunft.
Es spricht Bundeskanzler Helmut Kohl.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Scharping, lassen Sie mich vorweg sagen: Ich muß aus Ihnen verständlichen, zwingenden Gründen früher gehen, aber nicht aus Gründen der Aversion gegen die SPD-Fraktion.
Daß Sie hier heute Wahlkampf veranstalten, ist in Ordnung. Ich habe gar nichts dagegen. Nur, die
Wahl wird nicht heute mittag in dieser Frage entschieden, sondern von den deutschen Wählern.
Das warten wir gelassen ab; darüber brauchen wir nicht weiter zu reden. Sie sollten aber bei dem, was Sie hier an Behauptungen aufstellen, wenigstens in der Nähe der Wirklichkeit bleiben.
Herr Scharping, Sie sind nicht irgendein Redner aus der SPD, der sich heute an diesem oder jenem profilieren muß. Sie haben ein im deutschen Interesse liegendes und über die Parteigrenzen hinausgehendes wichtiges Amt inne: Sie sind der Vorsitzende der Gemeinschaft der europäischen Sozialdemokraten. In dieser Eigenschaft geben Sie sich im Gegensatz zu manchem Ihrer Amtsvorgänger auch sehr viel Mühe, diese Gemeinschaft zu strukturieren und zusammenzubringen. So haben Sie regelmäßig vor und nach wichtigen Tagungen der Europäischen Gemeinschaft bzw. der Europäischen Union Zusammenkünfte; so auch jetzt wieder.
Eine stattliche Zahl von Sozialisten ist im Rat vertreten.
Seltsamerweise spielt in der heutigen Debatte - das verwundert mich schon sehr - der Vorsitzende des Rates überhaupt keine Rolle. Sie sagen doch immer, daß die Führung einer solchen Sitzung in der Hand des amtierenden Präsidenten liegt. Das war Tony Blair, meine Damen und Herren, und nicht ich. Ich werde es im nächsten Frühjahr sein; das ist wahr.
Herr Kollege Scharping, Sie alle waren doch zusammen: Tony Blair, Wim Kok, Lionel Jospin, Guterres aus Portugal, Klima aus Wien und der finnische Kollege Lipponen. Und das Zusammentreffen fand vor der Tagung statt. Folglich wußten Sie doch, wo die Schwierigkeiten lagen. Insofern können Sie doch nicht hierherkommen und sagen: „Diese Sitzung war nicht vorbereitet" und was Sie sonst noch an Gerede über das, was da durch hohe Beamte aus Bonn angeblich getrieben würde, zu bieten hatten. Das ist doch alles wirklich Unsinn.
Sie wußten ziemlich genau, wo die Schwierigkeiten bei dieser Sitzung lagen. Sie wissen übrigens auch - es ist komisch, daß Sie das nicht erwähnt haben -, daß nicht ausschließlich Präsident Chirac eine bestimmte Position vertreten hat. Vielmehr hat der französische Premierminister Lionel Jospin, wie Sie eine der führenden Persönlichkeiten der europäischen Sozialisten, genauso entschieden wie Chirac diese Position vertreten.
Es gab hier Meinungsunterschiede. Deswegen war auch ganz klar, daß die Dinge sehr schwierig sein würden.
Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
Es ist doch wirklich abwegig, wenn Sie jetzt in dieser Form über den Kollegen Waigel reden. Was soll das? Es gibt zweimal im Jahr deutsch-französische Gipfeltreffen. Es ist üblich, daß bei diesen Treffen ein bestimmtes Thema besonders intensiv behandelt wird und daß dann einer der Kollegen sozusagen federführend die Diskussion führt. Theo Waigel hat ja eben erwähnt, wie oft er mit seinen französischen Kollegen zusammen ist.
- Innerhalb einer Woche; jedenfalls ist er mit ihnen häufiger zusammen als mit dem Bundeskanzler, was ich schon für sehr schlimm halte.
Was soll das, wenn Sie hier so theatralisch ausrufen: Es ist eine Belastung für das deutsch-französische Verhältnis, weil er heute und morgen früh nicht in Avignon anwesend ist. Das ist doch ziemlich abwegig, wenn man bedenkt, daß er sonst in einer Woche bis zu viermal mit französischen Kollegen zusammentrifft.
Herr Scharping, ich denke, so etwas haben Sie gar nicht nötig, weil Sie es besser wissen. Überlassen Sie solche Sachen doch den Leuten, die jetzt als Newcomer bei Ihnen ganz nach vorn kommen. Sie sollten so etwas nicht machen; Sie verfügen doch über Erfahrung.
Was soll das, wenn Sie jetzt über Theo Waigels Ansehen in Frankreich reden? Sie wissen, daß das nicht stimmt, was Sie hier behaupten. Ich beobachte nun schon seit vielen Jahren seine Arbeit und weiß um seine ganz spezielle Sympathie für Frankreich. Ich habe erlebt, wie er mit mindestens vier oder fünf - ich weiß nicht, der wievielte das jetzt ist - Finanzministern aus Frankreich
eine enge Zusammenarbeit gepflegt hat. Dabei handelte es sich um Finanzminister, die aus den verschiedensten politischen Gruppierungen kamen. Ich habe noch nie feststellen können, daß Theo Waigel mit ihnen irgendwelche Probleme im Persönlichen hatte - im Sachlichen schon.
Da bin ich bei einem anderen Thema, das der Kollege Fischer angesprochen hat und das auch mir sehr wichtig ist - deswegen habe ich mich, ehrlich gesagt, vor allem gemeldet -, nämlich beim deutsch-französischen Verhältnis. Dabei handelt es sich doch nicht um irgendein Thema; darin stimmen wir ja überein. In diesem Hause sitzen viele aus den verschiedenen Altersstufen, für die das deutsch-französische Verhältnis im wahren Sinne des Wortes eine Herzenssache ist. Das sage ich nicht so einfach daher.
Sie haben den Kollegen Wolfgang Schäuble angesprochen. Er ist ein sehr gutes Beispiel für viele Deutsche, die in der deutschen Gesellschaft, in der Politik, im Staat Verantwortung tragen. Wenn Sie seinen Lebensweg und - was vielleicht noch wichtiger ist - seine Herkunft, seine Familie, seine Eltern betrachten, dann verstehen Sie: Das ist die Erfahrung eines vom Grenzland geprägten Lebensschicksals. Er ist wie auch ich in dem Geist aufgewachsen, den wir schon als junge Leute beschworen haben: Wir wollen, daß so etwas wie in der Vergangenheit nie wieder geschieht.
Die deutsch-französische Freundschaft ist nicht irgendein Verhältnis, das sich ausschließlich auf Abkommen gründet. Das haben wir inzwischen begriffen. Ich denke, inzwischen gibt es auch bei Ihnen viele, die das begriffen haben. Lesen Sie die in vielen Reden geäußerten leidenschaftlichen Bekenntnisse von Carlo Schmid, Willy Brandt, Fritz Erler. Wenn Sie das studieren, dann werden Sie wissen, daß das deutsch-französische Verhältnis auch kompliziert ist. Wenn ich mit Franzosen über das rede, was jetzt ansteht, über monetäre Fragen, Währungsfragen, die Unabhängigkeit der Zentralbank, dann berücksichtige ich immer, daß viele dieser führenden Franzosen - wenn ich es recht sehe, handelt es sich dabei jetzt um die halbe Regierung - von den großen französischen Schulen wie beispielsweise der ENA kommen. Sie haben dort, nicht nur, weil dort die Büste von Colbert zu sehen ist, eine Auffassung von den Staatsfinanzen kennengelernt, die diametral dem entgegengesetzt ist, was wir in Deutschland über Generationen erfahren und gelernt haben.
Jetzt kommen wir zusammen, jetzt reden wir zusammen. Ich kann den Prozeß der Veränderung aus der Nähe beurteilen. Die Amtszeit von François Mitterrand ist ein klassisches Beispiel dafür. Er hat doch wirklich völlig anders angefangen. Daß dieser Mann am Ende, auch im Gegensatz zu dem, was in Paris behauptet wird, ohne jeden Vorbehalt der Europäischen Zentralbank mit Sitz in Frankfurt zugestimmt hat, zeigt doch, welchen Weg er und mit ihm Frankreich gegangen ist. Das können wir voller Dankbarkeit erwähnen.
In Wahrheit - das sage ich mit Bedacht - sind die Franzosen in dieser speziellen Frage einen viel weiteren Weg gegangen als wir Deutschen. Sie haben keine föderale Erfahrung und Struktur, sie kommen aus einem Umfeld, das sich zentralistischer überhaupt nicht vorstellen läßt. Wir kommen aus einem föderal gegliederten Land mit Bundesstaaten und all dem, was im Positiven wie im Negativen dazugehört und unmittelbar Bestandteil unserer Finanzverfassung ist.
Deswegen ist es doch verständlich, Herr Abgeordneter Fischer, daß sich das in der französischen Kammer in einem solchen Moment demonstrativ zeigt und daß Abgeordnete jetzt nicht teilnehmen oder dagegen stimmen - ich lasse die parteipolitische Seite, die man bedenken muß, einmal weg -, weil sie auf diesem Weg noch nicht so weit gekommen sind. Aber auch wir haben das erlebt. Daß die Deutschen - das darf man doch in aller Offenheit sagen - schneller vorangekommen sind, hängt auch damit zusammen, daß wir 1945 den Krieg verloren hatten, daß wir
Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
Outsider der internationalen Gesellschaft geworden waren. Die Vision von Konrad Adenauer war, über den Weg nach Europa in die Gesellschaft der freien Völker zurückzukehren. Das war doch die Politik. Alle meine Vorgänger haben diese Politik fortgesetzt.
Es ist einfach wahr - es hat doch keinen Sinn, das zu leugnen -, daß es immer ein Prozeß mit Geben und Nehmen und mit Schwierigkeiten war. Sie brauchen doch nur einmal zu rekapitulieren, was es für Frankreich bedeutet hat, 1989/90 den Weg zu gehen, den man schließlich eingeschlagen hat. François Mitterrand hat - das hat ihn Überwindung gekostet - am Ende seiner Zeit ein Buch geschrieben, um zu erläutern, wie er auf diesem Weg mit manchen Schwierigkeiten letztendlich zu dem Ziel gelangt ist. Ich kann das nur voller Bewunderung und Respekt sagen.
So werden wir diesen Weg weiter vorangehen, Herr Abgeordneter Fischer. Es ist nicht wahr, daß die deutsch-französischen Beziehungen gefährdet sind. Es stellen sich nur neue Probleme. Für die Franzosen, wie übrigens für viele, die in Brüssel waren, bedeutet die Erweiterung nach Mittel- und Osteuropa nicht das gleiche wie für uns. Es ist für mich verblüffend - ich stelle dies immer wieder fest - daß selbst die Länder, die 1939 im Kampf gegen Hitler und den Nationalsozialismus zur Unterstützung Polens ihre Existenz aufs Spiel setzten, sich heute in ihrer Innenpolitik zum Teil schwertun, den Beitritt Polens zu akzeptieren.
Aber wir haben eine andere Lage. Von Posen ist es nach Berlin genauso weit wie nach Warschau, in Frankfurt an der Oder ist die Grenze unmittelbar nah, es sind, wenn man es genau nimmt, nur wenige Kilometer bis nach Berlin. Wir wissen - das ist doch ganz unstreitig -, daß das Ziel des Friedens und der Freiheit im 21. Jahrhundert für uns nur erreichbar ist, wenn es mit unserem unmittelbaren Nachbarn Polen möglichst rasch zu einem ähnlichen Verhältnis kommt, wie wir es heute an der deutsch-französischen Grenze haben: daß es eine Grenze ist, aber daß wir sie überschreiten.
Ich zitiere hier bewußt Adenauer, der schon im Oktober 1949 - das muß man sich klarmachen - in seiner ersten Regierungserklärung gesagt hat - ich sage es mit meinen eigenen Worten -: Wir wollen Frieden und Aussöhnung mit allen unseren Nachbarn, vor allem mit dem Staat Israel, mit Frankreich und mit Polen. - Mit Israel und Frankreich ist es gelungen. Auch mit Polen ist es im Prinzip gelungen; es gibt aber noch viel zu tun.
Wenn wir jetzt beispielsweise mit unseren französischen Freunden und anderen über die Frage der künftigen Finanzierung der Europäischen Union re- den - im Oktober werden die entsprechenden Pläne vorgelegt; im ersten Halbjahr 1999 stehen die Entscheidungen an -, dann zeigt das, daß wir in der Tat ein elementares Interesse an der Osterweiterung haben. Das ist wahr und muß gesagt werden.
Ich habe mich gestern abend in Berlin mit den Kolleginnen und Kollegen der EVP-Fraktion des Europäischen Parlaments getroffen. Alle waren da. In der Diskussion ist offenbar geworden, daß die Einstellung zu der von mir eben geschilderten Frage in Dublin und Athen eine völlig andere ist als bei uns.
Herr Abgeordneter Fischer, das ist in den Ländern am Mittelmeer ähnlich. Unsere Meinung, daß die Ostsee wie das Mittelmeer ein europäisches Meer ist, ist dort nicht selbstverständlich. Das so zu sehen fällt vielen schwer. Deshalb werden wir miteinander um den besten Weg ringen müssen. Ich darf aber nicht bei jeder Gelegenheit sagen: Jetzt geht die Welt unter.
Wir werden heute abend in Avignon ein Thema ansprechen, das ich für elementar halte und das sehr schwierig ist. Die Amerikaner haben mit der Gründung des Riesenkonzerns Boeing sozusagen die ökonomische Faust auf den Tisch gelegt. Jetzt stellt sich die Frage, ob die Europäer das schlucken werden oder ob sie in der Lage sein werden, eine Antwort zu geben. Daß keiner in Europa für sich allein eine Antwort geben kann, ist eigentlich unstreitig.
Da gibt es aber massive Interessengegensätze. Die deutsche Flugzeugindustrie ist privatrechtlich strukturiert. Die französische, die wir dringend brauchen - wir wollen das ja gemeinsam machen -, ist in einer Art strukturiert, wie sie bei uns nicht vorzufinden ist: Sie ist staatlich. Außerdem: Der Wahlkreis des Premierministers ist der Hauptsitz der französischen Flugzeugindustrie. Auch das muß man in diesem Zusammenhang erwähnen.
Danach müssen wir mit den Briten und korrekterweise auch mit den anderen reden: mit den Spaniern, mit den Italienern, mit allen anderen, die mitmachen.
Ich weiß nicht, wie weit wir heute kommen. Es ist ein mühsamer Weg. Man muß hier dicke Bretter bohren. Aber man darf doch nicht sagen: Hoppla, jetzt komme ich, und die Sache klappt. Diesen Ruf habe ich nie für mich beansprucht. Sie von der SPD haben einen neuen Kandidaten, der diesen Ruf hat. Meine Art war das nie.
Ich weiß, daß Europapolitik mühselig ist. Ich weiß auch, daß sie Zeit, Geduld und noch einmal Geduld erfordert.
Ich möchte jetzt noch kurz auf den letzten Samstag zu sprechen kommen. Ich weiß nicht, warum keiner von Ihnen gesagt hat: Wir sind glücklich darüber, daß Sie die ganze Zeit ohne Wenn und Aber zu Wim Duisenberg gestanden haben. Es wäre angemessen gewesen, das zu sagen.
Aber niemand von Ihnen hat es gesagt. Es ist doch
selbstverständlich, daß ich zu ihm gestanden habe.
Ich lasse die Parteipolitik jetzt völlig weg. Wir haben
Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
nicht nach der Parteizugehörigkeit der Kandidaten gefragt, sondern nach ihrer fachlichen Qualität.
Im heutigen „Handelsblatt" hat Jean Claude Juncker viele Aspekte aus der Sitzung vom Samstag in der ihm eigenen Weise sehr deutlich angesprochen. Er hat gesagt, entscheidend für die zähen Verhandlungen in Brüssel sei gewesen, daß sich Bundeskanzler Helmut Kohl, der niederländische Premier Wim Kok und er selbst, Juncker, bereits im Vorfeld entschlossen gegen einen eklatanten Vertragsbruch gestellt hätten. - Das genau ist wahr.
Natürlich war das nicht einfach. Ich habe genug Grund gehabt, mich zu ärgern; denn es war völlig klar, daß das hervorragende Ergebnis dieses Tages schon durch die Dauer der Verhandlungen leiden würde. Wenn man eine Veranstaltung inszeniert - ich war nicht ihr Vorsitzender; ich bin nicht gefragt worden, wie sie ablaufen sollte -, zu der man 1 500 Journalisten und Hunderte von Mitarbeitern lädt, eine Veranstaltung, die sich über fast 14 Stunden hinzieht, dann darf man sich nicht über entsprechende publizistische Reaktionen wundern. Dazu gab es eine Menge Anmerkungen.
Ich hätte es auch gern gesehen - Sie hätten wahrscheinlich sogar Beifall geklatscht -, wenn das Ergebnis, das letztendlich beschlossen wurde, statt Sonntagmorgen am Samstag mittag um 14 Uhr veröffentlicht worden wäre.
Dann hätten Sie gesagt: Die haben das Richtige gemacht. - Aber auch jetzt können Sie doch sagen: Die haben das Richtige gemacht. Wir haben beispielsweise ein Direktorium berufen, das mit zum Besten gehört, was Europa anzubieten hat. Deswegen haben die Märkte auch so und nicht anders reagiert. Ich bleibe dabei: Wim Duisenberg ist der richtige Mann. Damit sage ich doch nicht, daß ich etwas gegen andere Kandidaten habe.
Ich habe allerdings im Verlauf dieser vielen Stunden, die wir in Brüssel zusammen waren, deutlich gemacht: Die Bundesrepublik wird keiner Entscheidung über die Berufung des Präsidenten der Europäischen Zentralbank zustimmen, wenn die Dauer der Berufung nicht akzeptabel geregelt ist.
Wahr ist auch - mein luxemburgischer Kollege Juncker hat ein sehr viel persönlicheres Verhältnis zu Herrn Duisenberg als ich und hat das auch in diesem Interview bekundet -, daß seit Tagen - und nicht erst am Tag der Entscheidung - bekannt war, was der Kandidat selbst zur Amtsdauer sagt. Das können Sie jetzt doch nicht einfach anders darstellen. Ich habe darauf bestanden, daß er seine Erklärung vor dem gesamten Europäischen Rat abgibt. Wenn ich - ich sage das jetzt auf mich bezogen - einen Kandidaten wähle, von dessen fachlicher und charakterlicher Eignung ich völlig überzeugt bin, dann nehme ich ihm auch seine Erklärung ab. Dann akzeptiere ich nicht, daß diese Erklärung in Zweifel gezogen wird.
Bei allem verständlichen Ärger - der meine war wahrscheinlich größer als der Ihre, denn ich bin mir gar nicht sicher, ob Sie überhaupt ärgerlich waren oder ob Sie nicht ganz andere Gefühle hatten -
ist für mich in der Sache entscheidend: Dies war ein glücklicher Tag. Es war ein großartiger Tag. Es war ein Tag, von dem ich ganz sicher bin - das ist nicht oft so bei solchen internationalen oder nationalen Entscheidungen -, daß er nicht nur etwas zu Frieden und Freiheit beigetragen hat, sondern auch zum Glück der Menschen in Europa - der jetzigen Generation und der kommenden Generationen. Vor diesem Hintergrund, meine Damen und Herren, muß man unsere heutige Debatte sehen.
Ich bitte nun um Verständnis, daß ich mich jetzt verabschieden muß - nicht vom Amt, wie Sie gern möchten,
sondern in dem schönen Gefühl: Ich gehe jetzt, Herr Fischer, zu unseren französischen Freunden und werde von Freunden freundlich aufgenommen, und das ist gut so.
Das Wort hat der Kollege Rudolf Scharping, Vorsitzender der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte vier Feststellungen treffen, weil mich der Herr Bundeskanzler, der jetzt gerade weggeht, als Vorsitzender der europäischen Sozialdemokratie angesprochen hat.Erstens. Seine Reaktion heute muß konfrontiert werden mit einem Zitat aus der gemeinsamen öffentlichen Sitzung des Finanzausschusses und des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union. Der Bundeskanzler hat dort im Zusammenhang mit der Besetzung des Vorsitzes und des Präsidiums der EZB gesagt, er habe sich nicht danach gedrängt,aber die fürsorgliche freundschaftliche Beziehung meiner vielen Kollegen hat mir diese Angelegenheit vor die Haustür gelegt.Wer sich selbst in dieser Frage - öffentlich und gegenüber dem Deutschen Bundestag - eine Vermittlerrolle zuschreibt, der richtet diplomatischen Schaden an. Im übrigen ist es billig, wenn er jetzt andere
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21438 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 234. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Mai 1998
Rudolf Scharpingfür die Fehler und Umstände des Gipfels verantwortlich machen will.
- Auch wenn Sie es nicht gerne hören; es ist so!Zweitens. Manchem Schreihals auf der Seite der Koalition sage ich im übrigen auch: Ich habe sehr wohl verstanden, daß sich ein Teil der Rede des Bundeskanzlers - diesbezüglich habe ich mit ihm gar keine Differenzen - an die CSU und an manch andere in der Koalition gerichtet hat, die man immer wieder neu überzeugen muß, daß ein europapolitischer Kurs der Integration richtig ist.
Drittens. Egal, in welche Perspektive man das im einzelnen einordnen mag: Die Umstände der Entscheidung signalisieren, daß man im Vorfeld nicht sorgfältig genug gearbeitet hat. Man hat den Vertrauensschaden in der Öffentlichkeit in Kauf genommen und auch die Beschädigung der Person Wim Duisenberg, der das nicht verdient hat.
Viertens. Die Reaktion des Bundeskanzlers macht, soweit es um den Kern der Debatte geht, eines deutlich: Intern hat er ein ungewöhnlich selektives Gedächtnis.
Was die Stimmung im Volk angeht, weiß er nichts mehr.
Beides zusammen - daß er mit Blick auf das Verhalten anderer in Europa dieses höchst selektive Gedächtnis hat und nicht mehr weiß, wie diese Entscheidung sowie die Prozesse und Umstände, die dabei im einzelnen eine Rolle gespielt haben, auf die deutsche Bevölkerung und weit darüber hinaus in Europa wirken - stimmt mich noch bedenklicher als manches andere, was wir hier diskutiert haben.
Das Wort wird weiter nicht gewünscht? - Dann schließe ich die Aussprache.
Ich muß den Kollegen Struck darauf hinweisen, daß es jenseits der parlamentarischen Regeln ist, für eine andere Fraktion das Wort „Sauhaufen" zu verwenden.
- Wer hat gesagt, das sei aber richtig? - Herr Kollege Hiksch, dann erscheinen auch Sie im Protokoll mit einem Ordnungsruf.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. „Der
Euro - eine dauerhaft stabile Währung für Europa" auf Drucksache 13/10604. - Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Gruppe der PDS bei Stimmenthaltung von SPD und Bündnis 90/Die Grünen sowie des Kollegen Hirsch von der F.D.P. angenommen.
Abstimmung über den „Antrag der Fraktion der SPD zu den Umständen der Entscheidung des Europäischen Rates vom 2. Mai 1998 zur Ernennung des ersten Präsidenten der Europäischen Zentralbank und zur Festlegung des Teilnehmerkreises an der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion", Drucksache 13/10603. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Gruppe der PDS gegen die Stimmen des Hauses im übrigen bei Stimmenthaltung des Kollegen Hirsch von der F.D.P. abgelehnt.
Abstimmung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur deutsch-französischen Zusammenarbeit, Drucksache 13/10605. Wer stimmt dafür? - Gegenprobe? - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen bei Stimmenthaltung der PDS abgelehnt.
Ich halte es für richtig, die Sitzung des Bundestages jetzt für fünf Minuten zu unterbrechen. Dann beginnen wir mit der Fragestunde.
Wir setzen die unterbrochene Sitzung fort.
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf: Fragestunde
- Drucksache 13/10576 -
Wir kommen zunächst zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Joachim Günther bereit.
Ich rufe die Frage 1 der Kollegin Gabriele Iwersen auf:
Wie will die Bundesregierung angesichts der beabsichtigten und bereits erfolgter Verkäufe (Deutschbau, Postwohnungen) von bundeseigenen Wohnungen in Zukunft ihrer Wohnungsfürsorgeverpflichtung weiter nachkommen?
Frau Kollegin Iwersen, bei den Wohnungen der Gagfah, der Frankfurter Siedlungsgesellschaft und der Deutschbau handelt es sich nicht um bundeseigene Wohnungen, sondern um mit Wohnungsfürsorgemitteln des Bundes geförderte Wohnungen im Eigentum der Gesellschaften.
Parl. Staatssekretär Joachim Günther
Die Veräußerung bundeseigener Gesellschaften gefährdet die Wohnungsfürsorge nicht, da die aus der staatlichen Förderung der Wohnungen resultierenden Mietpreis- und Belegungsbindungen vom Verkauf nicht berührt werden.
Die nach den Darlehensverträgen grundsätzlich für alle geförderten Wohnungen - also auch für Wohnungen sonstiger privater Eigentümer - bestehende Möglichkeit, nach Ablauf einer Mindestfrist für das Belegungsrecht, die je nach Förderzeitraum 20 oder 30 Jahre beträgt, die Bindungen durch vorzeitige Rückzahlung der Fördermittel mit Ablauf des Rückzahlungsjahres zum Erlöschen zu bringen, wurde im Zusammenhang mit der Veräußerung der Gemeinnützigen Deutschen Wohnungsbaugesellschaft zugunsten der Mieter eingeschränkt.
Es wurde vereinbart, daß die Belegungsbindungen auch in diesen Fällen für zehn Jahre und die Mietpreisbindungen für fünf Jahre weiterbestehen.
Im Zusammenhang mit der Veräußerung der Eisenbahnerwohnungen ist bei vorzeitiger Rückzahlung der öffentlichen Mittel eine Fortdauer der Belegungsbindung und der Mietpreisbindung für zehn Jahre vorgesehen.
Damit wird sichergestellt, daß auch im Rahmen der Wohnungsfürsorge in Zukunft in ausreichendem Umfang Wohnraum zur Verfügung gestellt werden kann.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist es richtig, daß früher bei vorzeitiger Rückgabe der Fördermittel diese wieder dem Wohnungsbau zuflossen und auf die Art und Weise der Bestand an preiswertem Wohnraum zum Zwecke der Wohnungsfürsorge des Bundes dauerhaft sichergestellt wurde?
Das ist richtig, Frau Kollegin Iwersen.
Zweite Zusatzfrage.
Ich möchte dann gerne noch wissen, ob in diesem Fall nach Abschluß der Verkaufsgeschäfte die Mittel wieder dem Wohnungsbau und damit der Wohnungsfürsorge des Bundes zugeflossen sind oder ob das Geld woanders verschwunden ist.
Frau Kollegin Iwersen, bisher ist lediglich der Verkauf der Deutschbau durchgeführt worden. Bei allen anderen Gesellschaften werden noch Vertragsverhandlungen geführt, so daß ich Ihnen über die Rückführung der Erlöse gegenwärtig nichts sagen kann.
Herr Kollege Reschke, bitte.
Herr Staatssekretär, wie hoch ist die Anzahl der noch öffentlich geförderten Wohnungen bei den genannten Gesellschaften, einschließlich der Deutschbau, die schon verkauft worden ist, und gilt die Fortsetzung der Bindung auch bei Wiederbelegung?
Herr Kollege Reschke, ich habe hier den Stand vom 31. Dezember 1997 vorliegen. Danach stehen dem Bund für Wohnungsfürsorgezwecke insgesamt 98 671 Belegungsrechtswohnungen, 70 516 bundeseigene Wohnungen und darüber hinaus noch 16 345 Belegungsrechte an Eigentumsmaßnahmen von Bundesbediensteten zur Verfügung. Insgesamt stehen also im Prinzip rund 169 000 Mietwohnungen zur Verfügung. Die Nachfrage - auch das möchte ich gleich hinzufügen - von wohnungsberechtigten Personen liegt im Moment deutlich unter dieser Zahl, so daß gegenwärtig rund ein Drittel dieser Wohnungen fremdvermietet ist.
Herr Kollege Conradi, bitte.
Nachdem der Deutsche Bundestag § 15 Abs. 2 des Eisenbahnneuordnungsgesetzes beschlossen hat, wonach die Sozial- und Selbsthilfeeinrichtungen der bisherigen Bundeseisenbahn für den Bereich des Bundeseisenbahnvermögens aufrechtzuerhalten und nach den bisherigen Grundsätzen weiterzuführen sind, frage ich Sie: Wie äußern Sie sich zu dem Vorwurf, daß die Bundesregierung offenbar Gesetze, die dieser Bundestag mit ihr beschlossen hat, einfach bricht, sich nicht daran hält?
Herr Conradi, die Verhandlungen für das Bundeseisenbahnvermögen laufen gegenwärtig noch. Ich kann Ihnen auf diese konkrete Frage nicht antworten. Ich kenne diese Details nicht.
Gibt es noch Zusatzfragen? - Das ist nicht der Fall. Dann danke ich dem Herrn Staatssekretär.Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.
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21440 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 234. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Mai 1998
Vizepräsident Hans-Ulrich KloseDie Frage 2 des Abgeordneten Hans Wallow wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.Ich rufe jetzt den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung auf. Zur Beantwortung steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Rudolf Kraus bereit.Ich rufe die Frage 3 des Kollegen Otto Reschke auf:Wie weit sind die Verkaufsverhandlungen für die GagfahWohnungen im Besitz der Bundesanstalt für Arbeit inzwischen vorangeschritten?
Herr Kollege, die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte führt derzeit ein Bieterverfahren durch, das jedoch noch nicht abgeschlossen ist.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, auch wenn das Auslobungsverfahren oder Bieterverfahren, wie Sie es genannt haben, noch nicht abgeschlossen ist, gehe ich davon aus, daß die Bundesregierung die Unterlagen der Berliner Bank, die mit dem Bieterverfahren beauftragt ist, gelesen hat.
Welche Ertragspotentiale im Hinblick auf Mietsteigerungen sieht die Berliner Bank in dieser Auslobung gegenüber den Investoren, und zwar bezogen auf die Durchschnittsmiete des Unternehmens und bezogen auf die Erträge im Unternehmen insgesamt, und inwieweit sieht die Berliner Bank in der Auslobung - um Investoren zu locken - Ertragssteigerungen über Verkäufe?
Natürlich wird sich die Bundesregierung bzw. das Bundesministerium nach Abschluß der Verhandlungen noch einmal mit dieser Frage beschäftigen. Heute irgendwelche Auskünfte über die möglichen Höhen preiszugeben, würde ja bedeuten, daß man dem Verhandlungspartner einiges signalisierte. So etwas ist im geschäftlichen, im wirtschaftlichen Bereich natürlich nicht üblich.
Der Abgeordnete stellt eine zweite Zusatzfrage.
Gestatten Sie mir, daß ich die Frage noch einmal wiederhole. Ich möchte wissen - und frage nichts Geheimes; die Auslobungsunterlagen sind ja offen; sie sind über 50 Anfordernden zugesandt worden -, welche Ertragspotentiale die - vermutlich im Auftrage der BfA - auslobende Berliner Bank hinsichtlich der Mieterhöhungen und hinsichtlich der Verwertung von Immobilien insgesamt sieht. Sie können eine Antwort darauf nicht verweigern, indem Sie sagen: Die Regierung kann sich über Verhandlungen nur in Schweigen hüllen. - Das geht doch wohl nicht, Herr Präsident.
Die Frage hinsichtlich der möglichen Mieterhöhungen, die Sie ansprechen, kann ich schon deshalb nicht beantworten, weil die Beratungen hierüber noch nicht abgeschlossen sind. Und wenn ich die Frage nach möglichen Mieterhöhungen nicht beantworten kann, kann ich natürlich auch noch nichts darüber sagen, wie dies wirtschaftlich einzuschätzen ist.
Herr Kollege Reschke, es ist so: Ich muß darauf achten, daß geantwortet wird. Eine Bewertung, ob eine Frage ausreichend beantwortet ist, steht mir nicht zu.
Ich rufe die Frage 4 des Kollegen Otto Reschke auf:
Inwieweit sind im Rahmen der Verkaufsverhandlungen Möglichkeiten der Privatisierung an Mieter oder Mietergenossenschaften geprüft worden, und welche Rolle hat eine mögliche Notierung der Wohnungsbaugesellschaft Gagfah an der Börse gespielt?
Gemäß § 293 Abs. 3 SGB VI hat die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte ihr Beteiligungsvermögen aufzulösen, also den Verkauf ihrer Aktien an der Gagfah vorzunehmen. Die BfA hat im Rahmen ihrer Veräußerungsbemühungen sowohl Finanz- und strategische Investoren als auch Banken angesprochen, die einen Börsengang anstreben.
Zusatzfrage.
Ich bin erstaunt, daß die Regierung - nach dem Buchstaben des Gesetzes - nicht die Möglichkeit einer Teilliquidation sieht. Diese würde ja die Ausgründung von Genossenschaften ermöglichen. Will die Regierung diesen Weg nicht gehen?
Ich kann auch darüber noch nichts Endgültiges sagen. Soweit ich unterrichtet bin, gehen die Verhandlungen jetzt in die Richtung, daß der Verkauf an einen großen Investor oder an jemanden, der vielleicht auch an die Börse gehen will, erfolgen soll, wenn die Voraussetzungen stimmen, und zwar nicht nur die wirtschaftlichen Voraussetzungen, sondern auch die Voraussetzungen für eine sozialverträgliche Übernahme der Wohnungen.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sehen Sie keinen Widerspruch darin, daß die Bundesregierung auf der einen Seite den sozialen Wohnungsbau immer stärker einschränkt, ihn immer weiter zurückfährt und die Kommunen auffordert, die Belegungs-
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Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 234. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Mai 1998 21441
Otto Reschkebindungen anzukaufen, um sicherzustellen, daß das untere Einkommensdrittel der Bevölkerung in Deutschland auch in Zukunft über Sozialwohnungen verfügt, und auf der anderen Seite in Form solcher Gesellschaften Sozialkapital verkauft?
Wir sehen hier überhaupt keinen Widerspruch. Tatsache ist, daß der Schutz der Mieter erhalten bleibt. Tatsache ist, daß es eine lange Übergangsfrist geben wird. Tatsache ist, daß auch in die Richtung verhandelt wird, daß Mieter, soweit sie dazu in der Lage sind, die Möglichkeit bekommen sollen, die Wohnungen, die sie bewohnen, zu kaufen. Im übrigen denken wir, daß es nicht Aufgabe der Bundesversicherungsanstalt ist - auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Sozialverträglichkeit -, Eigentümer einer Wohnungsgesellschaft zu sein.
Ich rufe jetzt die Frage 5 des Kollegen Wolfgang Spanier auf:
Wie bewertet die Bundesregierung die Kritik, daß der Verkauf der Wohnungen der Gagfah an einen Großinvestor nur zu einem Dumpingpreis gegenüber dem Substanzwert der Immobilien möglich sei?
Zu der hier geübten Kritik kann ich nur sagen, daß das Bieterverfahren noch nicht abgeschlossen ist. Für eine derartige Kritik, wie Sie sie in Ihrer Frage ansprechen, fehlt nach unserer Auffassung jede Grundlage.
Darf ich gleich die zweite Frage beantworten?
Diese Frage müssen wir an den Kollegen Spanier richten: Darf er gleich Ihre Frage 6 beantworten?
Bitte schön.
Dann rufe ich die Frage 6 ebenfalls auf:
Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Verwertungsabsichten interessierter Bieter hinsichtlich des Weiterverkaufs, der Modernisierung oder weiterer Möglichkeiten, die insbesondere die zukünftige Mietpreisgestaltung beeinflussen können, und welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, entsprechenden Entwicklungen gegenzusteuern?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Die Frage beantworte ich wie folgt: Der Bundesregierung liegen noch keine Erkenntnisse über die Verwertungsabsichten interessierter Bieter vor. Das Veräußerungsverfahren wird von der Bundesversicherungsanstalt, wie Sie ja wissen, selbst durchgeführt. Wir sind eingeschaltet, wenn es darum geht, die getroffenen Vereinbarungen abzusegnen.
Sie haben vier Zusatzfragen.
Sie haben gerade selbst noch einmal darauf hingewiesen, daß Ihnen der Schutz der Mieterinnen und Mieter dabei am Herzen liegt; auch der frühere Bundesbauminister hat dies ausdrücklich erklärt. Deswegen frage ich noch einmal: Ist dieser Schutz über diese grundsätzliche Aussage hinaus bereits in der Auslobung sichergestellt worden? Wie sieht der konkrete Schutz der Mieterinnen und Mieter aus? Könnten Sie sich nicht vorstellen - ich vermute, Sie werden jetzt wieder antworten, daß das Ganze noch nicht abgeschlossen sei -, daß es doch zu einer beträchtlichen Verunsicherung der Mieterinnen und Mieter führt, wenn zwar gesagt wird, ihr Schutz sei gewährleistet, aber gleichzeitig gesagt wird, konkrete Aussagen könnten dazu nicht gemacht werden?
Zunächst einmal kann eine konkrete Aussage schon dahin gehend gemacht werden, daß in dem Auftrag an die Berliner Bank bzw. die BfA ausdrücklich enthalten ist, daß die Standards, die wir zum Schutz der Mieter vorgegeben haben, auf jeden Fall Bestandteil des Kaufvertrages sein müssen. Zu den Standards zählen die zehnjährige Übergangsfrist und all die anderen Punkte, die Sie als Sachkundiger ja kennen.
Daß eine gewisse Verunsicherung bei den Mietern entsteht, ist natürlich klar. So etwas gab es auch bei anderen Gelegenheiten. Ich erinnere mich beispielsweise daran, daß es in Bogenhausen, als die Wohnungen der Neuen Heimat verkauft wurden, auch diese verständliche Verunsicherung gab. Sie kann aber bei sachgerechter Aufklärung und unter Weglassung von irgendwelchen Reden von Politikern, die die Leute noch mehr verunsichern wollen, beseitigt werden.
Zweite Zusatzfrage.
Ich gehe davon aus, daß Sie uns das nicht unterstellen, was Sie am Schluß gesagt haben.
Keineswegs.
Darin sind wir uns also einig. - Ist im Falle des Weiterverkaufs sichergestellt, daß die Regelungen hinsichtlich des Schutzes der Mieterinnen und Mieter gültig bleiben? Ist auch festgelegt, zu welchem Zeitpunkt ein solcher Weiterverkauf möglich ist? Es besteht ja die Sorge, daß bei einem Weiterverkauf innerhalb von wenigen Jahren die Schutzregelungen unterlaufen werden.
Ich bin jetzt natürlich nicht in letzte Einzelheiten eingeweiht. Nach meiner Erinnerung ist aber ausdrücklich festgehalten, daß es nicht in Frage kommen darf, daß durch
Parl. Staatssekretär Rudolf Kraus
Weiterverkauf Schutzregelungen unterlaufen werden.
Keine weitere Zusatzfrage? - Dann stellt jetzt der Kollege Reschke eine Frage.
Herr Staatssekretär, wir haben gerade von Substanzwert und Dumpingpreis gesprochen. Meines Wissens hat der Bundesrechnungshof den Substanzwert einmal abgeschätzt. Wie hoch war der Substanzwert? Da ein Teil dieses Vermögens in die Schwankungsreserve der Bundesversicherungsanstalt eingesetzt worden ist, möchte ich noch wissen, wie hoch der eingesetzte Teil in D-Mark ist.
Das kann ich jetzt auf Anhieb nicht sagen, bin aber gern bereit, Ihnen das schriftlich mitzuteilen.
Herr Kollege Schmidt.
Herr Staatssekretär, Sie haben eben in bezug auf die Wahrnehmung von Mieterinteressen, insbesondere auf den Schutz vor einer Kündigung von Mietverträgen, davon gesprochen, daß es eventuell eine Zehnjahresfrist geben werde. Würden Sie in Kenntnis der Dinge, die 1989 mit den Wohnungen der Preussag AG, der früheren Salzgitter AG, in Salzgitter geschehen sind, sagen, daß das möglicherweise nicht ausreicht? Sind Sie dazu bereit, das heute mit auf den Weg zu nehmen?
Selbstverständlich werden wir diese Anregung aufnehmen. Ehrlicherweise muß ich Ihnen aber sagen, daß ich die Abläufe bei Preussag nicht genau genug kenne, um hier eine endgültige Stellungnahme abgeben zu können.
Ihre Kollegin Karwatzki hat in der vorigen Fragestunde ausführlich dazu geantwortet. Vielleicht können Sie sich mit ihr ins Benehmen setzen.
Ich glaube, da war ich nicht anwesend. Ich werde mir dieses Wissen aber nachträglich aneignen.
Dann rufe ich jetzt die Frage 7 der Kollegin Iris Gleicke auf:
Inwieweit ist sichergestellt, daß die berechtigten Interessen der Mieter auch bei einem Verkauf der Gagfah-Wohnungen an einen Großinvestor umfassend berücksichtigt werden?
Die Wahrung der Interessen der Mieter ist im SGB VI gesetzlich verankert. Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte hat im Zuge des Veräußerungsverfahrens sicherzustellen, daß die berechtigten Interessen der Mieter Berücksichtigung finden.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, natürlich gibt es bei Verkaufsverhandlungen Möglichkeiten, bestimmte Bedingungen zu stellen, um Mieterinteressen zu wahren. Das eine, was ich nach wie vor gerne wissen möchte, ist, wie Sie das sicherstellen möchten; das zweite, was ich gerne wissen möchte, ist, wie es sich im Falle von Weiterverkäufen verhält, wenn also der Großinvestor, der gekauft hat, unter Umständen bestimmte Bestände an Dritte weitergibt. Gibt es da für die Mieterinnen und Mieter Zusatzverträge?
Sicherlich gibt es nicht für jeden einzelnen Mieter Zusatzverträge. In den Vertragsverhandlungen soll aber ausdrücklich festgeschrieben werden, daß ein Verkauf - und zwar in einem relativ großen zeitlichen Abstand - nur möglich sein wird, wenn die von uns vorgegebenen Mindeststandards übernommen werden.
Weitere Zusatzfrage.
Benennen Sie doch bitte einmal die entsprechenden Mindeststandards, damit wir wissen, welche dort formuliert worden sind.
Diese Mindeststandards kann ich hier im einzelnen nicht vortragen. Folgendes darf ich Ihnen aber sagen: Die Gagfah soll für mindestens zehn Jahre erhalten bleiben. In dieser Zeit erfolgt keine generelle Vermarktung der Bestände. Es ist vorgesehen, daß der allgemeine Mieterschutz keiner eigenen Festlegung bedarf, da er sowieso gilt. Zum Beispiel ist festgelegt, daß bei Einzelverkauf die vermieteten Wohnungseigentumeinheiten oder vermieteten Einzelhäuser zunächst einmal den jeweiligen Mietern angeboten werden sollen. Darüber hinaus ist vorgesehen, daß bei der Rückzahlung von Darlehen aus öffentlichen Mitteln eine bindende Nachwirkungsfrist und ähnliches sichergestellt werden muß. Des weiteren ist ein bestimmter Betrag - den ich hier nicht nennen darf - hinsichtlich der Grenzen einer möglichen Mieterhöhung - sofern diese überhaupt erfolgen kann - festgesetzt.
Herr Kollege Reschke.
Herr Staatssekretär, da ich kein Jurist bin, erlaube ich mir folgende normale, vielleicht dumme Fragen: Erstens, was geschieht, wenn der Vertrag nicht eingehalten wird? Zweitens, was geschieht bei Konkursen oder bei Zwangsversteigerungen der Firmen, der Kapitalgesellschaften, der Investoren oder bei Folgefirmen, die kaufen? Klären Sie mich als Wohnungsbaupolitiker und als Nichtjuristen bitte auf. Ich bitte um klare und präzise Aufklärung, notfalls im nachhinein.
Das ist eine sehr umfangreiche Frage. Da ich auch kein Jurist bin,
nehme ich Ihr Angebot, dies schriftlich zu beantworten, gern wahr.
Zum ersten Teil Ihrer Frage möchte ich sagen, daß es normalerweise üblich ist, daß derartige Auflagen grundbuchrechtlich verankert werden und damit einen sehr hohen Stellenwert haben.
Auch bei Zwangsversteigerungen?
Dies bezieht sich auf den zweiten Teil Ihrer Frage. Diesbezüglich haben wir uns darauf geeinigt, daß ich Ihnen das schriftlich mitteilen werde.
Ich rufe jetzt die Frage 8 der Kollegin Iris Gleicke auf:
Welcher Verkaufserlös ist beim Verkauf der Gagfah-Wohnungen derzeit absehbar, und stellt dieser Erlös die im Wachstums-und Beschäftigungsförderungsgesetz geforderte Wirtschaftlichkeit des Verkaufs sicher?
Es ist derzeit nicht absehbar, Frau Kollegin, welcher Verkaufserlös erreichbar ist, so daß in der Tat Aussagen zur Wirtschaftlichkeit einfach noch nicht getroffen werden können.
Zusatzfrage? - Bitte.
Herr Staatssekretär, es geht mir darum herauszufinden, welche Auswirkungen der Verkauf der Gagfah-Wohnungen auf die Beiträge zur Rentenversicherung und auf die Rücklage dieser Versicherung hat.
Dieser Prozentsatz ist meiner Erinnerung nach im Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz festgelegt. Dort ist dieser Prozentsatz in der Tat auch aufgeführt. Es handelt sich um deutlich weniger als 1 Prozent, aber die genaue Höhe weiß ich im Augenblick nicht. Das wurde seinerzeit ja auch sehr ausführlich hier im Parlament diskutiert.
Eine weitere Zusatzfrage?
Es geht mir immer noch darum herauszufinden, wie sich denn die Höhe des Verkaufserlöses auf die Versorgungsreserve in diesem Bereich auswirkt.
Das könnte man ausrechnen, wenn ich die Zahlen hier hätte. Die normale Schwankungsreserve bei der Rentenversicherung muß ja mindestens der Höhe einer Monatsausgabe entsprechen; das entspricht einer Größenordnung zwischen 25 und 30 Milliarden DM. Der Erlös - ich bitte aber, mich jetzt nicht darauf festzunageln - in der Größenordnung von mehreren Milliarden DM soll ja in die Schwankungsreserve mit einbezogen werden. Daran können Sie sehen, welche Auswirkungen das auf die Schwankungsreserve hat.
Herr Kollege Reschke.
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß erstens nach dem, was ich bisher gelesen habe, mit Bewertung per 31. Dezember 1994 auf Grund des Vermögens der Gagfah 2 Milliarden DM in die sogenannte Schwankungsreserve bei der Bundesversicherungsanstalt eingestellt wurden, was 0,2 Prozentpunkten Versicherungsbeitrag für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und die Arbeitgeber entspricht - das heißt, daß dadurch die Arbeitskosten entlastet wurden -, und daß sich dies zweitens natürlich im Jahr nach dem vollzogenen Verkauf in einer Erhöhung der Rentenversicherungsbeiträge und damit auch der Arbeitskosten niederschlägt?
Ersteres ist - auf den Wert der Gagfah insgesamt bezogen - sicher richtig. Meine Zahlen vorhin haben sich ja auf das mögliche Endergebnis, das ich nur geschätzt habe, bezogen. Was Sie hier sagen, ist auch in der Höhe richtig, weil man ganz sichergehen wollte; deshalb hat man keine zu hohen Ansätze vorgenommen. Man ist auf der ganz sicheren Seite geblieben.
Ihre zweite Frage habe ich einfach nicht begriffen.
Wie meinen Sie das, daß sich das negativ auf die Beiträge auswirkt? Sie könnten vielleicht sagen, daß es nicht mehr fortwirken wird. Das ist eine Sache. Aber negativ wirkt sich das doch nicht aus. Wenn es sich
Parl. Staatssekretär Rudolf Kraus
negativ auswirkte, würde das ja bedeuten, daß das direkt den Beitrag belastet.
Eine andere Möglichkeit ist, daß es den Beitrag nicht mehr entlastet.
Herr Kollege, ich gebe Ihnen, da die Frage nicht verstanden worden ist, noch eine halbe Zusatzfrage.
Ich danke dem Präsidenten für die halbe Zusatzfrage. Ich will dann aufklärend wirken. Herr Staatssekretär, diese 2 Milliarden DM sind auf Grund des Gagfah-Vermögens in die Schwankungsreserve der Bundesversicherungsanstalt eingestellt worden. Das entspricht einer Minderung des Versicherungsbeitrages um 0,2 Prozentpunkte. Dies würde im übernächsten Jahr, also nach dem Verkauf, tatsächlich eine Erhöhung der Rentenversicherungsbeiträge bedeuten.
Nein, es gibt keine Belastung.
Das muß ich jetzt beenden.
Ich rufe pflichtgemäß die Frage 9 des Kollegen Dr. Hansjörg Schäfer auf:
Welche Gründe kann die Bundesregierung vorbringen, die einer Sonderregelung für die Personengruppe der ehemaligen Beschäftigten bei den Stationierungsstreitkräften entsprechend § 138 AFG entgegenstehen, obwohl Mißbrauchssituationen wie in der freien Wirtschaft bei den Stationierungsstreitkräften nicht bestehen?
Herr Kollege Dr. Schäfer, die Arbeitslosenhilfe wird, wie Sie wissen, aus Steuermitteln des Bundes finanziert und nur erbracht, wenn der Arbeitslose bedürftig ist. Im Rahmen der Bedürftigkeitsprüfung wird unter anderem das Einkommen des Arbeitslosen berücksichtigt. Die von Ihnen angesprochene Überbrückungsbeihilfe auf Grund des Tarifvertrags zur sozialen Sicherung der Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland wurde bis zum 1. April 1997 als Leistung behandelt, die unter Anrechnung der Arbeitslosenhilfe gezahlt wurde und deshalb nach § 138 Abs. 3 AFG nicht als Einkommen zu berücksichtigen war. Dies gilt auf Grund einer Übergangsregelung grundsätzlich auch weiterhin für Bestandsfälle. Nur für Neufälle - das heißt: nur für Fälle, die nicht unter die Übergangsregelung fallen - ist die Überbrückungsbeihilfe bei der Arbeitslosenhilfe als Einkommen zu berücksichtigen.
Diese Änderung des § 138 AFG beruhte auf der Überlegung, daß das Erbringen der aus Steuermitteln des Bundes finanzierten Arbeitslosenhilfe nicht mehr vertretbar ist, soweit der Arbeitslose auf andere Weise - zum Beispiel durch eine Nettolohngarantie seines früheren Arbeitgebers - gesichert ist. Nur nachrangige gesetzliche Leistungen, wie zum Beispiel die Sozialhilfe, bleiben unberücksichtigt. Eine Ausnahmeregelung für Tarifverträge, bei denen eine Mißbrauchssituation nicht besteht, wäre praktisch kaum handhabbar und unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten wohl auch bedenklich.
Zusatzfrage? - Bitte.
Herr Staatssekretär, war die Änderung des AFG überhaupt für diesen Personenkreis gedacht?
Aber selbstverständlich. Warum soll sie für diesen besonderen Personenkreis nicht gedacht sein? Wir können doch nicht sagen, daß es Arbeitnehmer erster und zweiter Klasse gibt.
Weitere Zusatzfrage?
Wäre für Sie dann ein Ausnahmetatbestand, wie etwa der für die Beschäftigten in der Montanindustrie, denkbar? Würden Sie eine solche Gesetzesänderung mittragen?
Eine Gesetzesänderung, die vorsieht, daß jemand, nur weil er bei einem großen Arbeitgeber beschäftigt ist - zum Beispiel beim Bund -, bessergestellt wird, tragen wir nicht mit. Die Arbeitnehmer in den kleinen Unternehmen würden außen vor gelassen werden. Das kann - das ist meine persönliche Meinung - natürlich nicht in Frage kommen. Es kann nicht sein, daß der, der in einem großen Betrieb mit einer starken Gewerkschaft beschäftigt ist, besser gestellt wird als der, der in einem kleinen Betrieb arbeitet.
Ich bin allerdings der Meinung - darauf komme ich in der Antwort auf Ihre zweite Frage zurück -, daß es sehr wohl Möglichkeiten gibt, daß die Tarifvertragsparteien, die die Ausgestaltung der Arbeitsverhältnisse zu verantworten haben, hier eine bessere Lösung finden - aber nicht auf Kosten der Allgemeinheit.
Herr Kollege, Sie wollten eine Zusatzfrage stellen?
Ja. - Sieht das BMA die Möglichkeit, dieses Problem durch eine Rechtsverordnung zu lösen?
Nein.
Dazu eine Zusatzfrage? - Bitte.
Herr Staatssekretär, wenn eine Rechtsverordnung nicht möglich ist, frage ich Sie: Welche Vorschläge könnten dann von der Bundesregierung bezüglich möglicher Tarifverhandlungen gemacht werden?
Die Bundesregierung ist natürlich an das Gesetz gebunden. Es gilt für alle gleichermaßen. Das hindert aber das Finanzministerium nicht daran - das wurde ja in der Vergangenheit bereits gemacht; ich lese hier: seit August 1997 -, Gespräche mit den Beteiligten zu führen, um zu einer befriedigenden Lösung auch für die Zivilangestellten zu kommen, die nicht unter die Übergangsregelung fallen und keine Altfälle sind. Hinzufügen darf ich, daß ich persönlich nicht glaube, daß es sehr viele sein werden, die Arbeitslosenhilfe beziehen. Der größere Teil ist nach meiner Einschätzung arbeitslosengeldberechtigt. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage überhaupt nicht.
Dann rufe ich die Frage 10 des Kollegen Dr. Schäfer auf:
Wie vereinbart die Bundesregierung ihre jetzige Haltung mit der Aussage in der Denkschrift zum Abschluß des Tarifvertrages zur Sozialen Sicherung von 1971, die folgendes aufführt: „Mit diesem Tarifvertrag ist ein Instrumentarium geschaffen worden, das neben den bereits bestehenden Möglichkeiten des Arbeitsförderungsgesetzes den besonderen Belangen dieses Personenkreises Rechnung trägt ... Die seit Jahren bestehenden Sorgen der Arbeitnehmer bei den verbündeten Streitkräften um Verbesserung ihrer sozialen Sicherung sind nicht aus der Aktualität des Tages begründet. Der Tarifvertrag hebt deshalb folgerichtig nicht auf die Tagesaktualitäten ab"?
Herr Kollege, da die Tarifvertragsparteien und die ehemaligen Arbeitnehmer der alliierten Streitkräfte nicht darauf vertrauen konnten, daß das vom Tarifvertrag vorausgesetzte Recht auf Dauer unverändert fortbesteht, ist es nach Änderung der Rechtslage jetzt Aufgabe der am Tarifvertrag „Soziale Sicherung" beteiligten Tarifparteien, für die Bezieher von Überbrückungsbeihilfe, die nicht unter die Regelungen des Vertrauensschutzes fallen, eine für beide Seiten zufriedenstellende Lösung zu finden.
Das Bundesministerium der Finanzen hat mir in diesem Zusammenhang mitgeteilt, daß es bereits im August 1997 außertariflich entschieden hat, in Fällen, in denen Arbeitslosenhilfe im Rahmen der Bedürftigkeitsprüfung ausschließlich und nur wegen der Anrechnung der Überbrückungsbeihilfe nicht gezahlt werden kann, die Überbrückungsbeihilfe nach der ungekürzten Arbeitslosenhilfe ohne Berücksichtigung der im Tarifvertrag vorgesehenen 52-WochenBegrenzung weiter zu zahlen, längstens jedoch bis zum Ablauf des Anspruchszeitraumes. Außerdem werden derzeit mit den Gewerkschaften intensive Gespräche mit dem Ziel geführt, finanzielle Einbußen des betroffenen Personenkreises durch Verbesserungen der tarifvertraglichen Leistungen im Rahmen einer Härtefallregelung zumindest teilweise auszugleichen. Es besteht hier also guter Wille auf seiten des Finanzministeriums, zu einer Verbesserung für diesen Personenkreis zu kommen.
Zusatzfrage.
Die Bundesregierung hat 1971 von „besonderen Belangen" dieses Personenkreises gesprochen. Diese besonderen Belange bestehen nach wie vor. Wird durch die Haltung der Bundesregierung nicht der Vertrauensschutz aufgekündigt?
Die Bundesregierung fühlt sich für diese Belange natürlich auch in der Zukunft besonders verantwortlich. Sonst wären diese Verhandlungen mit dem Ziel, etwas zu erreichen, ja nicht aufgenommen worden. Wenn man der Meinung wäre, das wäre ganz anders zu behandeln, dürfte man auch diese Verhandlungen nicht führen. Man hätte die Übergangsregelung nicht gebraucht, und man hätte die zusätzliche Regelung, von der ich vorhin gesprochen habe, nicht gebraucht. Die besondere Situation wird hier also voll berücksichtigt.
Weitere Zusatzfrage.
Ich darf noch einmal nachfragen. Die Bundesregierung tritt hier in einer Doppeleigenschaft auf: als Tarifpartner einerseits und als Gesetzgeber andererseits. Insofern: Ist nicht auch beim Erhalt des Vertrauensschutzes eine besondere Sorgfalt zu gewährleisten?
Ich kann mich nur wiederholen: Gerade diese besonderen Erfordernisse haben die Bundesregierung veranlaßt, etwas zu tun, was über die normale Arbeitslosenhilfe hinausgeht.
Zusatzfrage zu Frage 10? - Bitte.
Aus Ihrer Antwort ersehe ich, Herr Kraus, daß Sie ebenfalls die Auffassung vertreten, daß die besondere Situation dieses Personenkreises - nicht vergleichbar zum Beispiel mit der Situation der Arbeitnehmer in kleinen Betrieben, auf die Sie im Zusammenhang mit der vorigen Frage hingewiesen haben und bei denen Sie eine Ungleichbehandlung ausgeschlossen sehen wollten - aus poli-
Lydia Westrich
tischvölkerrechtlichen Entscheidungen entstanden ist, wie zum Beispiel aus den Konsequenzen des Vier-plus-Zwei-Vertrages, und daß schon deswegen eine andere Behandlung geboten ist. Ich habe zum Beispiel in meinem Wahlkreis eine Interessengemeinschaft „Soziale Absicherung". Der Personenkreis scheint also nicht ganz so klein zu sein, wie Sie vermuten. Haben Sie da konkrete Zahlen?
Ich habe keine konkreten Zahlen. Das ist dem Parlament auch schon mehrfach bekanntgegeben worden. Es wäre sehr verkürzt gesehen, wenn Sie soziale Sicherung nur auf die Situation der Arbeitslosenhilfeempfänger beziehen würden. Das ist sehr viel mehr. Das beginnt schon bei den Menschen, die entlassen werden, bei den Möglichkeiten der Wiedereingliederung, des Arbeitslosengeldes und der Überbrückungsbeihilfe. Das ist ein ganzes Stück mehr. Die Tatsache, daß es solche Interessengemeinschaften gibt, kann nicht zu der Meinung verleiten, daß dieser Personenkreis sehr groß ist, wobei ich über die Größe jetzt gar keine Betrachtungen anstellen will.
Zu Ihrer Frage nach der besonderen rechtlichen Stellung: Was ich vorhin sagte, kann doch auch von Ihnen nicht anders gesehen werden. Wenn der Gesetzgeber ein Arbeitsförderungsgesetz schafft, kann er kein Gesetz machen, in dem er vorsieht, daß für bestimmte Angestelltengruppen oder Arbeitergruppen in bestimmten Bereichen andere Bedingungen gelten sollen als für die breite Masse der Arbeitnehmer. Das ist schlechterdings ausgeschlossen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß das von Ihnen ernsthaft gefordert wird.
Herr Kollege Hagemann.
Herr Staatssekretär, kann die geschätzte Zahl von 6 000 Betroffenen nach Ihrer Einschätzung richtig sein?
Ich muß das wirklich schätzen; ich bitte Sie, mich nicht darauf festzunageln. Ich glaube nicht, daß es 6 000 solcher Arbeitslosenhilfeempfänger gibt. Arbeitslosengeldempfänger gibt es sicher mehr, aber in bezug auf Arbeitslosenhilfeempfänger scheint mir diese Zahl zu hoch geschätzt zu sein.
- Herr Diller, Sie wissen genau, daß dafür die Bundesanstalt für Arbeit zuständig ist. Der Bundesanstalt für Arbeit wirft man vor, daß sie zu viele Statistiken haben will und deshalb verbürokratisiert ist. Ich bitte den Haushaltspolitiker Diller, sich für eine Möglichkeit zu entscheiden: mehr Bürokratie und mehr Kosten oder das, was er bisher immer vertritt, nämlich weniger nicht unbedingt erforderliche Arbeit.
Ich bedanke mich, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, auch für die Beantwortung der nicht gestellten Frage.
Ich rufe jetzt den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung auf. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Klaus Rose bereit.
Ich rufe die Frage 11 des Kollegen Klaus Hagemann auf:
Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus dem jüngst ergangenen Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zur Einberufung junger Wehrpflichtiger, denen auf Grund der Einberufung der Verlust eines Ausbildungsplatzes, für den eine feste Zusage, aber noch kein Lehrvertrag besteht, drohen würde, und in welcher Form finden die im Zuge dieses Urteils erweiterten Zurückstellungsmöglichkeiten für diejenigen, die eine zugesagte Ausbildung nach dem Wehrdienst „hinreichend wahrscheinlich weder an derselben Stelle noch anderweitig nachholen" können und denen dadurch der Zugang zu dem angestrebten Beruf „endgültig oder auf längere Zeit" verlorenginge, ihren konkreten Niederschlag in der Einberufungspraxis sowie den hierzu von der Bundesregierung erlassenen Richtlinien, um von vorneherein entsprechende „Härtefälle" und juristische Auseinandersetzungen zu vermeiden?
Herr Kollege, die Wehrersatzbehörden sind bereits kurze Zeit, nachdem das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. Oktober 1997 schriftlich vorlag, durch Übersendung der Entscheidung und erläuternde Hinweise zu den darin enthaltenen Modifikationen gegenüber der bisherigen Rechtsprechung unterrichtet worden. Die Wehrersatzbehörden werden das Urteil bei ihren Entscheidungen beachten.
Mit seiner Entscheidung vom 24. Oktober 1997 hat das Bundesverwaltungsgericht lediglich seine bisherige Rechtsprechung zur Zurückstellung wegen des drohenden Verlustes einer besonderen beruflichen Chance geringfügig modifiziert. Hatte das Gericht bisher eine die Zurückstellung vom Wehrdienst rechtfertigende besondere Härte nur bei drohendem endgültigen Verlust einer vertraglich abgesicherten außergewöhnlichen Möglichkeit der beruflichen Ausbildung angenommen, reicht künftig zur Annahme einer besonderen Härte schon der wehrdienstbedingte Verlust einer bereits zugesagten gesicherten Ausbildungsmöglichkeit für einen gewöhnlichen Ausbildungsberuf.
Dies gilt jedoch nur dann, wenn der Betroffene nach Ableistung des Wehrdienstes die Ausbildung für den gleichen Beruf mit hinreichender Wahrscheinlichkeit weder an derselben Stelle noch anderweitig nachholen kann oder dies nur mit einem zusätzlichen unverhältnismäßigen Zeitverlust möglich ist. In diesen Fällen werden die Wehrersatzbehörden
Parl. Staatssekretär Dr. Klaus Rose
die betroffenen Wehrpflichtigen von Beginn der Ausbildung an vom Wehrdienst zurückstellen.
Die praktische Relevanz der gerichtlichen Entscheidung wird jedoch vergleichsweise gering sein, da Wehrpflichtige ohne Hochschul- oder Fachhochschulreife nach dem Wehrpflichtgesetz für eine erste Berufsausbildung ohnehin vom Wehrdienst zurückgestellt werden und im übrigen bei bereits geschlossenem Ausbildungsvertrag das Arbeitsplatzschutz - gesetz den Wehrpflichtigen ihren Ausbildungsplatz sichert.
Zusatzfrage.
Gerade angesichts der schwierigen Situation auf dem Lehrstellen- bzw. Ausbildungsplatzmarkt kommen immer mehr Wehrpflichtige zu mir und meinen Kollegen in die Sprechstunde, die eine Befreiung vom Wehrdienst oder eine großzügigere Entscheidung der Kreiswehrersatzämter erreichen wollen. Ist die Bundesregierung bereit, die Richtlinien der Kreiswehrersatzämter so zu lokkern, daß mehr Spielraum vorhanden ist, so daß der Kreis derjenigen, von dem Sie gesprochen haben, oder beispielsweise diejenigen, die die Fachoberschule abgeschlossen haben und dann eine Lehre machen, stärker berücksichtigt werden können? Ist die Bundesregierung bereit, hier mehr Entgegenkommen zu zeigen?
Herr Kollege, wir zeigen schon immer viel Entgegenkommen. Es gibt, wenn man die Praxis kennt, immer wieder Möglichkeiten, auf Grund gesetzlicher Bestimmungen, aber auch auf Grund des vorhandenen Ermessensspielraums zu helfen. So machen wir zum Beispiel bei arbeitslosen Wehrpflichtigen durchaus Druck, daß sie rechtzeitig ihren Wehrdienst ableisten. Bei anderen, die in Besitz der Hochschul- bzw. Fachhochschulreife eine entsprechende Ausbildung begonnen haben, die schon zu einem Drittel abgeschlossen ist, ermöglichen wir es, daß sie zurückgestellt werden.
Wenn sich Ihre Frage aber darauf richtet, ob man heute jemanden auf Grund des Arguments „Sonst bekommt man überhaupt keinen Ausbildungsplatz" insgesamt vom Wehrdienst zurückstellen kann, dann muß ich dazu sagen: Das gibt das Wehrpflichtgesetz nicht her. Wir denken da auch nicht an eine Veränderung. Die Wehrpflicht wird weiterhin bestehen. Wenn man sich die Fälle im einzelnen anschaut, stellt man, wenn man intensiv nachschaut, oft fest - da geht es Ihnen sicher wie mir -, daß bereits öfter einmal vom Wehrdienst zurückgestellt worden ist und daß der konkrete Einzelfall, in dem man nicht helfen kann, schon verhältnismäßig selten ist.
Weitere Zusatzfrage? - Bitte.
Es geht mir nicht um Drückebergerei oder um eine grundsätzliche Freistellung vom Wehrdienst, sondern darum, daß man hier mehr Entgegenkommen zeigt. Wie beurteilen Sie das? Warum gibt es in den Sprechstunden - sicherlich nicht nur bei mir, sondern bei vielen Kollegen - immer mehr Beschwerden über die unflexible Haltung gerade der Kreiswehrersatzämter? Wie können wir das noch stärker in den Griff bekommen, um die Jugendlichen nicht zu verprellen?
Das ist eine gemeinsame Aufgabe. Wer Mitglied des Verteidigungsausschusses ist, weiß, wieviel schon darüber diskutiert wurde und daß man sich dahinterklemmt und in Zusammenarbeit mit den Wehrersatzbehörden - das heißt mit den Kreiswehrersatzämtern und den vielen Beratern - immer wieder Fortschritte gemacht hat.
Wenn auf Grund des Urteils der Eindruck erweckt wurde, als ob möglicherweise jeder, der die Zusage zu einem Ausbildungsplatz hat, nicht zur Bundeswehr muß, dann ist das eine Fehlinterpretation. Dann nämlich könnte jeder sagen: Ich lasse mir einen Ausbildungsplatz zusagen; ob ich ihn antrete oder nicht, ist eine andere Sache. Die Zusage allein würde schon dazu führen, nicht zur Bundeswehr zu müssen. - Ich glaube, daß da manchmal ein gewisses Mißverständnis vorliegt.
Herr Kollege Schmidt.
Herr Staatssekretär, Ihren bisherigen Antworten entnehme ich, daß Sie prinzipiell guten Willens sind, auf dem Wege weiterzugehen, im Rahmen der möglichen Ermessensentscheidungen dort, wo es wirklich nötig ist, zu helfen. Können Sie sich vorstellen, daß das durch Erlasse oder ähnliche Vorschriften, die alle Kreiswehrersatzämter erreichen, noch verfestigt wird? Ich halte es für sehr wichtig, daß dies nicht nur Einzelfallentscheidungen bleiben und daß man, ohne gesetzliche Änderungen herbeiführen zu müssen, vielleicht auf dem Wege des Erlasses noch mehr als bisher tut.
Herr Kollege Schmidt, natürlich kann man auf dem Wege des Erlasses auch noch einiges tun. Man kann aber auch, wie wir es bisher machen, durch eine Reihe von Gesprächen, Besuchen und ständigen Konferenzen der zuständigen Fachleute das Bewußtsein wecken, auf die jungen Leute zugehen zu müssen. Wir haben deshalb eine neue Form des Wehrersatzwesens - auch im Hinblick darauf, daß die Kreiswehrersatzämter mit einem neuen Auskunfts- und Beratungszentrum versehen werden, welches flächendeckend schon weitgehend umgesetzt worden ist -, um auch mit Hilfe moderner Computermethoden möglichst schnell auf den einzelnen eingehen zu können, dessen Wünsche zu berücksichtigen, ihn auch bezüglich des zeitlichen Wehrpflichteinsatzes zu informieren.
Wir bemühen uns also - ich greife auf, was Sie freundlicherweise gesagt haben -, auf diesem Weg weitere Fortschritte zu erzielen, also möglichst
Parl. Staatssekretär Dr. Klaus Rose
schnell auf die konkreten Anliegen der Leute reagieren zu können. Der Grundsatz aber, daß man den Wehrdienst möglichst früh ableisten soll, ist damit nicht aufgelöst.
Zusatzfrage der Kollegin Westrich.
Ich kann nicht genug betonen, daß die Haltung, die Sie uns gegenüber jetzt eingenommen haben, eine andere ist als die, die bei den Kreiswehrersatzämtern vorherrscht.
Ich hatte in der Vergangenheit verschiedene Fälle, in denen die Kreiswehrersatzämter gesagt haben: Ausbildungsplatzzusage oder selbst unterschriebener Ausbildungsvertrag sind kein Grund dafür, daß der Wehrdienst nicht angetreten werden muß. - Ich lebe in einer Region, in der es runde Tische gibt, in der sich alle öffentlichen Partner zusammenschließen, um für die jungen Leute Ausbildungsplätze zu bekommen. Dort gibt es 1400 Leute, die einen Ausbildungsplatz suchen, und 900 angebotene Ausbildungsplätze. Das heißt: Es müssen wirklich alle Möglichkeiten genutzt werden. - Wenn in einer solchen Situation ein junger Mensch einen Ausbildungsplatz gefunden hat und dann eingezogen wird, kann der Ausbildungsplatz nachher weg sein, weil die Firma in Konkurs geraten ist, was bei uns öfter einmal passiert.
Sind Sie gewillt, diese Haltung, die Sie uns jetzt offeriert haben, zeitnah, also bereits in diesem Ausbildungsjahr, an die Kreiswehrersatzämter weiterzuleiten? Oder sollen wir uns in solchen Fällen sofort an das Verteidigungsministerium wenden und nicht erst versuchen, bei den Kreiswehrersatzämtern den jungen Menschen zu ihrem Recht zu verhelfen?
Ich habe erst heute Diskussionen geführt, in denen Kollegen zunächst moniert hatten, daß in gewissen Kreiswehrersatzämtern nicht sensibel genug gehandelt würde. Auf konkrete Nachfrage hin haben sie gesagt: Nein, nein, so haben wir das nicht gemeint. - Das ist also, wenn man sich dies in der Praxis ansieht, manchmal zu relativieren.
Zu dem konkreten Fall, den Sie angesprochen haben: Wenn jemand bereits einen schriftlichen Ausbildungsvertrag hat, dann unterliegt er nach dem Wehrdienstgesetz der Bestimmung, daß er nach Ableistung des Wehrdienstes diesen Ausbildungsplatz auch bekommen muß. Das ist ganz eindeutig; da besteht kein Widerspruch. Das Kreiswehrersatzamt, das Sie angesprochen haben, verhält sich konform. Nur wenn Sie den Betrieb zufälligerweise kennen und wissen, daß im nächsten Jahr die Auftragslage ganz anders ist und deshalb vielleicht kein Auszubildender eingestellt werden kann, gäbe es noch einen Ermessensspielraum. Ansonsten aber ist klar festgelegt, daß er einen rechtlich abgesicherten Anspruch auf den Ausbildungsplatz hat.
Bitte.
Herr Staatssekretär, die rechtliche Seite ist das eine, und die Wirklichkeit ist das andere. Die Betriebe, von denen Frau Kollegin Westrich gesprochen hat und über deren Lage auch ich - zum Beispiel aus meinem Wahlkreis - Kenntnis habe, sind ja häufig nur in der Lage, alle drei oder dreieinhalb Jahre einen Auszubildenden einzustellen, können also nicht jedes Jahr einen Ausbildungsplatz zur Verfügung stellen. Nun ist die Dauer des Grundwehrdienstes auf zehn Monate beschränkt. Das Ausbildungsjahr beginnt im August oder September. Vielleicht wird es dem Betrieb möglich sein, einen anderen qualifizierten Auszubildenden zu finden, möglicherweise auch nicht. Das heißt, faktisch nützen die einschlägigen Bestimmungen des Wehrpflichtgesetzes nichts, wenn es zu dem Ergebnis kommen kann, daß der Auszubildende nach zehn Monaten zurückkommt und im Betrieb, der ihn eigentlich nehmen wollte, gesagt wird: Jetzt haben wir einen anderen genommen; jetzt müssen Sie zweieinhalb Jahre warten, bis wir wieder einen brauchen.
Das ist letztlich nicht einklagbar. Stimmen Sie nicht mir zu, daß es vor diesem Hintergrund sinnvoller wäre, sich in einer solchen für junge Männer besonders schwierigen Situation nicht auf das Wehrpflichtgesetz zurückzuziehen, sondern bei unterschriebenem Ausbildungsvertrag tatsächlich jederzeit eine Freistellung zu gewährleisten und nicht auf die Rückkehr des Betroffenen zu warten?
Erstens, Frau Kollegin, gibt es keine Freistellung, sondern nur immer wieder eine Zurückstellung.
Zweitens haben Sie mir - die Kollegen, die Fußball spielen, sehen mir diesen bildlichen Ausdruck nach - eine Steilvorlage geliefert. In dem Fall, von dem Sie gesprochen haben, daß es nämlich Betriebe gibt, die nur alle drei Jahre einen Auszubildenden brauchen, die aber einen bestimmten Jugendlichen im Visier haben und ihm möglicherweise auch einen Ausbildungsvertrag angeboten haben, kann man mit der Begründung, daß der Ausbildungsplatz nur zu einem bestimmten Zeitpunkt frei ist und der Auszubildende nur dann im Betrieb gebraucht wird, beim Kreiswehrersatzamt auch das entsprechende Entgegenkommen erwarten. Man kann ja genau sagen, wann der Betreffende seine Lehre antreten muß und wann nicht. Hier liegt ein konkreter Fall vor, daß man im Rahmen des Ermessensspielraums auch helfen kann.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Die Fragen 12 und 13 sollen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Die Frage 14 ist zurückgezogen worden.
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Ich rufe jetzt die Frage 15 des Kollegen Günter Graf auf:
Hat die Bundesregierung ihre Überlegungen bezüglich der Privatisierung der Überwachung von Bundeswehreinrichtungen durch Standort-Wachen abgeschlossen, und zu welchen Ergebnissen ist sie dabei insbesondere hinsichtlich der Privatisierung der STAN-Wache bei der Marinefunksendestelle in Ramsloh/Saterland gekommen?
Lieber Kollege Graf, im Hinblick auf die Vorgaben der Bundeshaushaltsordnung ist die Bundeswehr verpflichtet, auch bei der Bewachung von Liegenschaften die kostengünstigste Lösung zu wählen, soweit die Grundforderungen der militärischen Sicherheit erfüllt sind. Im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen sind deshalb alle in Betracht kommenden Alternativen, das heißt auch die möglichen Formen gewerblicher Wachleistungen zu vergleichen.
Bei der einzelfallbezogenen Prüfung einer Reihe von Liegenschaften hat sich ergeben, daß gewerbliche Bewachung vielfach kostengünstiger ist als eine Absicherung mittels STAN-Wachpersonals.
Für den Standort Saterland-Ramsloh hat eine wirtschaftliche Grobschätzung ergeben, daß der erforderliche Bewachungsumfang im Betreibermodell Absicherung - einer Form der gewerblichen Bewachung mit umfassendem Technikeinsatz und beträchtlicher Personalreduzierung - deutlich kostengünstiger zu verwirklichen wäre als mit einer STAN-Bewachung.
Die Einführung des Betreibermodells Absicherung ist aber nicht nur an die Auflagen der militärischen Sicherheit und der Wirtschaftlichkeit gebunden, sondern setzt auch die Möglichkeit eines sozial verträglichen Personalabbaus voraus. Da zur Zeit das STAN-Wachpersonal nicht in erforderlichem Umfang sozial verträglich reduziert werden kann, ist die Fortsetzung der Realisierbarkeitsuntersuchung für das Betreibermodell Absicherung am Standort SaterlandRamsloh zunächst ausgesetzt worden. Aus demselben Grund kommen dort auch andere Formen der gewerblichen Bewachung derzeit nicht in Betracht.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Graf.
Da Sie, Herr Staatssekretär, das Wort „zunächst" gebraucht haben, möchte ich Sie fragen: Haben Sie eine Vorstellung über den zeitlichen Ablauf? Es wird ja so eine Art Sozialplan oder Überlegungen dahin gehend geben, wie die Beschäftigten künftig verwendet werden sollen. Da gibt es sicherlich einen Plan über den zeitlichen Ablauf. Können Sie das ein wenig näher ausführen?
Ich will noch einmal betonen, daß wir, obwohl wir gehalten sind, Wirtschaftlichkeitserwägungen zu berücksichtigen, in diesem konkreten Fall die Sozialverträglichkeit höher bewerten. Deshalb wird die STAN-Bewachung weiterhin durchgeführt. Natürlich wird man darauf drängen müssen - damit nicht der Bundesrechnungshof und andere sagen können, wir kümmerten uns nicht um entsprechende Vorgaben -, daß man möglichst zeitnah zu einer anderen Lösung kommt, die wirtschaftlicher ist.
Jetzt im einzelnen darzulegen, wie viele der betroffenen Personen wann in sozial verträglicher Weise eine andere Verwendung erhalten können, ist mir momentan nicht möglich. Wir können Ihnen diese Angaben über Einzelfälle aber noch nachliefern.
Ich wollte Sie nicht abwimmeln, Frau Kollegin Iwersen. Sie sollen nur nicht so lange stehen. Er hat noch eine Zusatzfrage. Ich habe nur aus Fürsorgegründen gehandelt.
Bitte, Herr Kollege Graf.
Herr Staatssekretär, ich habe mich mit einer Frage vor langer Zeit an Ihr Haus gewandt. Mir ist seinerzeit angekündigt worden, daß ich, sobald die Untersuchungen abgeschlossen sein werden, Nachricht bekomme. Dies ist nicht der Fall gewesen. Ich habe meine Frage heute gestellt, weil ich der Zeitung unter der Überschrift „Die Jobs sind alle gesichert", was bei den Betroffenen natürlich Freude ausgelöst hat, entsprechende Informationen entnehmen konnte. Mich hat irritiert, daß ich eine solche Information über die Zeitung bekomme und gezwungen bin, hier nachzufragen. Wie erklärt sich das?
Wie erklärt sich das? Das weiß ich nicht. Manchmal wissen Zeitungen eher etwas als andere. Soweit ich informiert bin, haben Sie Anfang Herbst vorigen Jahres eine Anfrage an einen Kollegen von mir gerichtet. Sie haben dann bereits Anfang Oktober eine Antwort bekommen, seither aber nicht mehr. Daß sich seither von Ihrer Seite nichts mehr getan hat und von unserer Seite auch nicht, liegt möglicherweise an der Kommunikation. Ich weiß nicht, ob ein anderer oder ein Journalist nachgefragt und eine Auskunft bekommen hat. Es muß wohl so gewesen sein, sonst könnte nichts in der Zeitung stehen.
Jetzt Frau Kollegin Iwersen.
Herr Staatssekretär, es ist bekannt, daß privatisierte Wachen preiswerter sind als die STAN-Wachen. Kann das darauf zurückzuführen sein, daß diese Arbeitsverhältnisse nicht sozialversichert sind, also 620-DM-Jobs vorliegen?
So weit würde ich nicht gehen. Es ist auch nicht die Aufgabe des Bundesverteidigungsministeriums. Für uns kommt es darauf an, daß die militärische Absicherung gewährleistet ist.
Parl. Staatssekretär Dr. Klaus Rose
Wir wissen, daß private Firmen mit weniger Personal auskommen - nicht unbedingt mit schlechter bezahltem; das kann ich nicht bestätigen -, weil sie eine andere technische Voraussetzung bieten. Wenn diese technische Voraussetzung auch von der Bundeswehr geschaffen würde, könnte möglicherweise auch bei uns weniger Personal genügen. Wir befinden uns in entsprechenden Untersuchungen. Wir stellen ständig Wirtschaftlichkeitsüberlegungen an.
Keine Zusatzfragen. Dann danke ich dem Herrn Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit auf. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Sabine Bergmann-Pohl bereit.
Ich rufe Frage 16 des Kollegen Dieter Heistermann auf:
Kann ein Sozialamt freiwillig krankenversicherte Sozialhilfeempfänger auffordern, eine bestimmte Krankenkasse zu wählen bzw. zu einer bestimmten Kasse zu wechseln?
Herr Kollege Heistermann, wenn Sie einverstanden sind, würde ich gern beide Fragen im Zusammenhang beantworten.
Er ist einverstanden. Dann rufe ich auch Frage 17 auf:
Besteht eine gesetzliche Grundlage dafür, daß ein Sozialamt bei den Sozialhilfeempfängern, die der Aufforderung zum Wechsel zu einer bestimmten Krankenkasse nicht nachkommen, die Beitragsdifferenz von der Sozialhilfe abzieht?
Zunächst, Herr Kollege Heistermann, muß ich darauf hinweisen, daß für die Durchführung des Bundessozialhilfegesetzes und damit auch für die Entscheidung im Einzelfall verfassungsrechtlich die Behörden in den Ländern, hier insbesondere die örtlichen Kommunalbehörden, zuständig sind, die der Weisung des Bundes nicht unterliegen.
Allgemein ist zu bemerken, daß der Sozialhilfeträger nicht berechtigt ist, auf die Krankenkassenwahl des freiwillig versicherten Sozialhilfeempfängers unmittelbar Einfluß zu nehmen. Allerdings kann der Sozialhilfeträger im Einzelfall bei seiner Entscheidung über die Höhe des sozialhilferechtlich angemessenen Bedarfs gegebenenfalls bestehende Möglichkeiten der Wahl einer Krankenkasse mit niedrigerem Beitragssatz durch den Hilfeempfänger berücksichtigen.
Dies gilt auch in den Fällen, in denen die Übernahme des Beitrages zur Krankenversicherung durch Rechtsanspruch sozialhilferechtlich nach § 13 Abs. 1 BSHG gesichert ist, weil der Sozialhilfeträger nach § 4 Abs. 2 BSHG auch in diesen Fällen über das Maß der Hilfe, also auch über die Höhe der Geldleistung, nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden hat. Er ist also nicht gehalten, Krankenkassenbeiträge auch in sozialhilferechtlich nicht angemessener Höhe zu übernehmen.
Eine Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, ist die Wahlfreiheit eines Sozialhilfeempfängers bei der Auswahl seiner Krankenkasse damit eingeschränkt, oder hat er die Wahlfreiheit wie jeder andere Versicherte auch?
Herr Kollege, ich denke, daß der Sozialhilfeempfänger genau die gleiche Wahlfreiheit wie jeder andere Versicherte hat.
- Er hat sie.
Eine weitere Zusatzfrage.
Können Sie eine Antwort auf die folgende Frage geben, Frau Staatssekretärin: Würden nicht einige Krankenkassen einseitig belastet, wenn die kommunalen Entscheidungsbehörden die Sozialhilfeempfänger verpflichten würden, in die jeweils preiswerteste Krankenkasse einzutreten?
Herr Kollege, mir ist bekannt, daß Sozialhilfeträger für Sozialhilfeempfänger Verträge mit Krankenkassen abschließen. Dabei wird natürlich die Höhe des Beitragssatzes berücksichtigt. Ich kann aber nicht feststellen, daß sich durch die Entscheidung für eine günstige Krankenkasse die Leistungen für die Sozialhilfeempfänger gegenüber denen einer anderen Krankenkasse verschlechtern.
Umgekehrt müßte der Sozialhilfeträger, wenn der Sozialhilfeempfänger seine Krankenkasse selbst wählen würde und wenn diese Krankenkasse einen höheren Beitragssatz hätte als eine von den kommunalen Entscheidungsbehörden gewählte, diesen höheren Beitragssatz nicht voll zahlen. Dann wäre der entsprechende Differenzbetrag vom Sozialhilfeempfänger selbst zu tragen.
Ich darf vielleicht hinzufügen, daß ein Sozialhilfeempfänger, der Hilfe zum Lebensunterhalt nur für einen kurzen Zeitraum erhält, die Krankenkasse in der Regel sowieso nicht wechseln muß, sondern in seiner bisherigen Krankenkasse bleiben kann.
Sie haben noch zwei Zusatzfragen, Herr Kollege Heistermann.
Frau Staatssekretärin, wenn jemand vom Sozialamt eine wie auch immer
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Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 234. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Mai 1998 21451
Dieter Heistermannausgewählte Krankenkasse zugewiesen bekommt, die 50 Kilometer von seiner Wohnung entfernt liegt: Ist gesetzlich geregelt, daß dem Sozialhilfeempfänger die damit verbundenen Mehraufwendungen - zum Beispiel die Kosten, die entstehen, wenn er bei dieser Krankenkasse persönlich vorsprechen muß - erstattet werden? Denn er muß ja auch hinnehmen, daß die eben erwähnte Beitragsdifferenz von seiner Sozialhilfe abgezogen wird.
Herr Kollege, Sie erwarten wahrscheinlich nicht, daß ich jetzt eine Wertung vornehme. Ich habe gesagt: Für die Ausführung sind die Länder zuständig. Die zuständige Landesbehörde müßte im Einzelfall prüfen, ob dieses Vorgehen gerechtfertigt ist.
Danke schön. Ich habe keine weitere Zusatzfrage.
Gibt es sonst noch Zusatzfragen? - Nein.
Dann rufe ich die Frage 18 des Kollegen Rudolf Bindig auf:
Hat die Bundesregierung, welche in ihrer Stellungnahme zum Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes diese Initiative zu Leistungsbeschränkungen im Asylbewerberleistungsgesetz nicht nur ausdrücklich begrüßt, sondern sogar ihre Ausweitung angeregt hat, geprüft, ob die vorgesehenen Leistungseinschränkungen vereinbar sind mit Artikel 1 GG, aus welchem das Recht auf Sozialhilfe abgeleitet wird, und zu welchem Ergebnis ist sie bei der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der vorgesehenen Einschränkungen gekommen?
Herr Kollege Bindig, die sich aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip ergebende Pflicht des Staates zur Fürsorge für Hilfsbedürftige erfordert von Verfassungs wegen zwingend nur eine Hilfe, welche die Mindestvoraussetzungen eines menschenwürdigen Daseins sicherstellt. Diese Hilfe wird auch künftig sichergestellt, indem die im Einzelfall nach den Umständen unabweisbar gebotenen Leistungen gewährt werden.
Eine Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, das Existenzminimum, das aus Art. 1 des Grundgesetzes hergeleitet wird, darf nicht unterschritten werden. Die Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes bedeutet aber, daß es in einigen Fällen unterschritten würde. Damit ist eigentlich gar kein Gestaltungsspielraum mehr gegeben. Wieso hat die Bundesregierung einen Gesetzentwurf begrüßt, dessen Verabschiedung es möglich macht, das Existenzminimum zu unterschreiten?
Herr Kollege Bindig, zunächst einmal muß ich feststellen, daß es sich um einen Gesetzentwurf des Bundesrates handelt, der mit der Mehrheit der SPD-geführten Länder verabschiedet wurde. Vor allen Dingen von Niedersachsen wurde der Entwurf sehr begrüßt. Es geht in diesem Gesetzentwurf nicht darum, die Hilfe zu versagen, sondern darum, den Mißbrauch der Inanspruchnahme von Sozialleistungen zu verhindern.
Sind Sie dennoch bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß die in Art. 1 des Grundgesetzes angesprochene Würde des Menschen gar keine Zweckmäßigkeitserwägungen mehr zuläßt? Sie haben eben gesagt, daß die Regelung bestimmte Ziele verfolgt. Zweckmäßigkeitserwägungen dürfen aber nicht mehr angestellt werden, wenn die Würde des Menschen verletzt wird. Deshalb darf man dem Entwurf eigentlich nicht zustimmen.
Dann möchte ich noch fragen: Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen - Sie haben gesagt, das sei ein Gesetzentwurf des Bundesrates, was in der Tat so ist -, daß wir Abgeordnete hier und auch die Bundesregierung darauf zu achten haben, daß das Grundgesetz eingehalten wird und daß wir dann, wenn dies bei einer Gesetzesvorlage des Bundesrates offensichtlich nicht der Fall ist, alle gemeinsam die Pflicht haben, uns gegen solche Absichten - woher sie auch immer kommen - zu richten?
Herr Kollege Bindig, ich muß wiederholen: Ich sehe bei diesem Gesetzentwurf Art. 1 des Grundgesetzes nicht in Frage gestellt. Ich möchte Sie aber darüber hinaus darauf verweisen, daß diese Änderungen des Asylbewerberleistungsgesetzes in den Parlamentsausschüssen liegt, Sie also selbst die Möglichkeit haben, Ihren Einfluß in den Ausschüssen über die entsprechenden Abgeordneten geltend zu machen, um dies zu klären.
Ich rufe jetzt die Frage 19 des Kollegen Rudolf Bindig auf:
Hat die Bundesregierung, welche in ihrer Stellungnahme zum Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes diese Initiative zu Leistungsbeschränkungen im Asylbewerberleistungsgesetz nicht nur ausdrücklich begrüßt, sondern sogar ihre Ausweitung angeregt hat, geprüft, ob diese Regelungen in Einklang stehen mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen Deutschlands aus Art. 11 des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, in welchem das Recht auf „ausreichende Ernährung, Bekleidung und Unterbringung" kodifiziert ist, und mit dessen Art. 2 sich die Bundesrepublik Deutschland völkerrechtlich verpflichtet hat, diese Leistungen „ohne Diskriminierung" und unbeschadet seines „sonstigen Status" jedem Menschen, der auf ihrem Staatsgebiet lebt, zu gewährleisten, und zu welchem Ergebnis kommt die Bundesregierung bei der Prüfung dieser Frage?
Der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte richtet sich an die Vertragsstaaten und ver-
Parl. Staatssekretärin Dr. Sabine Bergmann-Pohl
pflichtet diese, die vereinbarten Grundsätze bei der Ausgestaltung des innerstaatlichen Rechts zu beachten. Dabei ist es den Gesetzgebern der Mitgliedstaaten nicht verwehrt, zwischen Fürsorgeleistungen für verschiedene Personengruppen zu differenzieren. Daher wird Art. 11 des Pakts aus den zu Frage 18 genannten Gründen nicht verletzt.
Eine Zusatzfrage.
Meine Frage bezog sich auf eine Interpretation der Art. 11 in Verbindung mit Art. 2 des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. In Art. 2 steht ausdrücklich - ich hatte das auch in meiner Frage erwähnt -, daß es keine Diskriminierung mit Bezug auf den jeweiligen Status der Person geben darf, egal, welchen Status sie in einem Land hat. Deshalb geht Ihre Antwort am Kern meiner Frage vorbei.
Herr Bindig, ich möchte daran erinnern, daß Sie in Ihrer Frage die Formulierung gewählt haben:
... in welchem das Recht auf „ausreichende Ernährung, Bekleidung und Unterbringung" kodifiziert ist.
- Dies ist auch weiterhin gewährleistet
Zweite Zusatzfrage.
Ich hatte in meiner Frage - auch wenn Sie es gerade noch einmal anders wiedergegeben haben - auch auf Art. 2 dieses Paktes Bezug genommen, indem ich ausdrücklich darauf hingewiesen habe, daß in dem Pakt steht, daß das Recht auf ausreichende Ernährung, Bekleidung und Unterbringung ohne Diskriminierung jedem, der auf dem Staatsgebiet lebt, zu gewähren ist und daß nur Entwicklungsländer - das sind wir wohl nicht - nach Art. 2 Abs. 3 des Pakts davon eine Ausnahme machen dürfen.
Herr Kollege, ich bin hier anderer Meinung. Übrigens hat das Bundesverfassungsgericht in seinen Entscheidungen - ich kann Ihnen gern schriftlich mitteilen, welche Entscheidungen das sind - vorgegeben, daß - ich lese es noch einmal vor - zwingend nur eine Hilfe gewährleistet sein muß, welche die Mindestvoraussetzungen eines menschenwürdigen Daseins sicherstellt. Dies ist auch weiterhin gewährleistet.
Sie haben gesagt, Sie wollten mir etwas zusenden. Ich bitte darum, dies zu tun.
Ja, ich kann Ihnen die Nummern der Bundesverfassungsgerichtsurteile gern mitteilen. Sie können sie sich dann besorgen.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin.
Ich rufe jetzt den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr auf. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Johannes Nitsch bereit.
Frage 20 wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 21 der Kollegin Gabriele Iwersen auf:
Welche Anstrengungen hat die Bundesregierung unternommen, um Mietern oder Mietergenossenschaften von Eisenbahnerwohnungen ihre Wohnungen zum Kauf anzubieten, und aus welchen Gründen sind entsprechende Bemühungen gegebenenfalls nicht verfolgt worden?
Frau Abgeordnete Iwersen, die Bundesregierung hat sich für eine Privatisierung der Gesellschaftsanteile an den 18 Eisenbahnwohnungsgesellschaften entschieden. Eine direkte Privatisierung in Form des Verkaufs der Wohnungen an die Mieter würde zu einem Abbau des Wohnungsbestandes führen, der dann künftig für eine Wohnungsfürsorge nicht mehr zur Verfügung stünde. Dem Erwerber von Gesellschaftsanteilen wird aber vertraglich die Verpflichtung auferlegt, alle Wohnungen, die im Rahmen der Wohnungsfürsorge entbehrlich werden, zunächst dem jeweiligen Mieter zum Kauf anzubieten.
Mietergenossenschaften hatten natürlich die Möglichkeit, sich an dem Bieterverfahren zum Erwerb von Gesellschaftsanteilen einzelner oder aller Gesellschaften zu beteiligen. Einzelne Wohnungen, Häuser, Siedlungen stehen im Interesse des Erhalts der Wohnungsfürsorge für die Eisenbahner sowie zum Schutz der Mieter nicht zum Verkauf.
Keine Zusatzfrage des Fragestellers. - Dann Herr Kollege Reschke.
Herr Staatssekretär, mir liegt die Kopie eines Schreibens der Firma Drücker vor; ob sie ordnungsgemäß ist, muß ich noch überprüfen. Dort steht drin, daß sich der derzeit nutzungsberechtigte Personenkreis wie folgt zusammensetzt - ich will das vortragen, da Sie eben von schutzwürdigen Interessen gesprochen haben -: aus aktiven Eisenbahnern, die am 31. Dezember 1993 als Mitarbeiter wohnungsfürsorgeberechtigt waren, und ehemaligen Eisenbahnern, die vor dem 31. Dezember 1993 eine Wohnung im Rahmen der Wohnungsfürsorge nutzten. In diesem Schreiben heißt es, daß die Zahl der veräußerbaren Wohnungen erwartungsgemäß an den jetzigen Standorten in Relation zu der Zahl der aktiven und inaktiven Mitarbeiter der Bahn immer größer werden wird.
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Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 234. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Mai 1998 21453
Otto ReschkeSie haben gesagt, die Masse werde deshalb nicht verkauft, weil angenommen werde, daß sowohl der Wohnungsbedarf der Eisenbahner als auch der Versorgungsbedarf des Bundes fortbestehe. Ich sehe darin einen Widerspruch.
Die Widersprüche sind nur scheinbar vorhanden. Sie haben aus einem Papier zitiert - unserem sogenannten Wohnungsfürsorgepapier -, das am 29. Oktober 1997 unterzeichnet wurde von der Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands, von der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer, vom Gesamtbetriebsrat der DB AG, vom Hauptpersonalrat beim Präsidenten des Bundeseisenbahnvermögens, vom Vorstand der Deutschen Bahn AG, von der Hauptverwaltung des Bundeseisenbahnvermögens, vom Bundesministerium für Verkehr und von der Verkehrsgewerkschaft. In diesem Papier ist all das aufgeführt, was Sie in Teilen zitiert haben.
Dieses Wohnungsfürsorgepapier ist das Basispapier für alle Verhandlungen, die wir jetzt führen, sowohl in bezug auf die Veräußerung von Gesellschafteranteilen als auch in bezug auf Einfamilienhäuser und Doppelhaushälften, die wir direkt verkaufen, wenn sie nicht für die Wohnungsfürsorge, wie sie in diesem Papier festgeschrieben ist, benötigt werden.
Kollege Reschke, Sie haben nur eine Zusatzfrage.
Nur zur Aufklärung: Ich habe zitiert aus dem Memorandum der Firma Drücker & Co. GmbH, die beauftragt ist, diese Wohnungen zu vermarkten und Investoren zu finden. Dies wollte ich nur der Ordnung halber angeben.
Dies war keine Frage, braucht also auch nicht beantwortet zu werden.
Dann rufe ich jetzt die Frage 22 des Kollegen Volkmar Schultz auf:
Kann die Bundesregierung die in der Presse veröffentlichten Absichten des Bundesministeriums für Verkehr bestätigen, 113 000 Wohnungen aus dem Bundeseisenbahnvermögen an eine japanische Investorengruppe zu verkaufen, und auf welche Weise wird sie für einen umfassenden Mieterschutz Sorge tragen?
Es könnte sein, Herr Kollege Schultz, daß sich jetzt einiges wiederholt. Ich trage die Antwort trotzdem geschlossen vor: Zur Zeit findet ein objektives und transparentes Wettbewerbsverfahren zur Privatisierung von Gesellschaftsanteilen des Bundeseisenbahnvermögens an der Eisenbahnwohnungsgesellschaft mit einem Bestand von rund 113 000 Wohnungen bundesweit statt. Das Ausbietungsverfahren steht kurz vor dem Abschluß. Eine Entscheidung ist jedoch noch nicht gefallen.
Zum zweiten Teil Ihrer Frage: Gegenstand der vorgesehenen Privatisierung ist also die Veräußerung
von Anteilen an den Wohnungsgesellschaften des Bundeseisenbahnvermögens. Damit ist ein Verkauf von einzelnen Wohnungen - bis auf die Ausnahmen, die ich bereits genannt hatte -, Häusern und Häuserblöcken von vornherein ausgeschlossen. Die bestehenden Mietverhältnisse werden durch die Privatisierung nicht berührt.
Darüber hinaus wurde zum Schutz der Mieter bereits im Oktober 1997 eine verbindliche Vereinbarung für die künftige Wahrnehmung der Wohnungsfürsorge getroffen, welche die Basis für die mit den Investoren im Rahmen der Privatisierung zu treffenden Regelungen ist. Diese Wohnungsfürsorge, die einem Erwerber verbindlich vorgegeben wird, geht weit über die gesetzlichen Schutzbestimmungen des deutschen Mietrechts hinaus. Erstens. Durch vertragliche Regelung wird dauerhaft festgelegt, daß künftige Erwerber die Fortführung der Wohnungsfürsorge gewährleisten. Das bedeutet, daß der wohnungsfürsorgeberechtigte Personenkreis weiterhin mit Wohnungen versorgt wird. Zweitens. Luxusmodernisierungen sind ohne Mieterzustimmung nicht möglich, so daß auch künftig Wohnungen in einfacher Ausstattungskategorie im unteren Preissegment zur Verfügung stehen werden. Das ist in dem Papier dann noch etwas weiter detailliert. Drittens. Die Bundesregierung strebt an, die Mieterhöhungsspielräume der Gesellschaften über die Bestimmungen des Miethöhegesetzes hinaus einzuschränken.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, teilen Sie die Auffassung, die der Kollege Conradi hier vor einer guten Stunde geäußert hat: daß der Verkauf sozusagen contra legem geschehen würde, daß es gegen gesetzliche Bestimmungen verstoßen würde, diese Wohnungen bzw. die Anteile zu veräußern?
Nein, ich teile diese Auffassung absolut nicht.
Eine weitere Zusatzfrage?
Nein, ich warte jetzt die Beantwortung der zweiten Frage ab. Dazu habe ich dann noch eine Zusatzfrage.
Dann hat jetzt der Kollege Reschke das Wort.
Herr Staatssekretär, Sie haben gerade über die Frage der Mieten gesprochen. Ist es zutreffend, daß die Firma Drücker & Co mit der Vermarktung der Eisenbahnerwohnungen beauftragt wurde, und ist es zutreffend, daß diese Firma in einem Verkaufsmemorandum beträchtliche Gewinnerwartungen eines möglichen Investors durch Anhebung der Mieten, Verringerung des Instandhaltungs-
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21454 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 234. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Mai 1998
Otto Reschkeaufwandes und Veräußerung von mindestens 1 Prozent per annum darstellt? Ich zitiere aus dem Papier der Firma Drücker & Co GmbH, daß durch Anhebung der Mieten beim frei finanzierten Wohnungsbau 190 Millionen DM per annum zusätzliche Erträge zu erwarten sind, daß beim preisgebundenen geförderten Wohnungsbau 124 Millionen DM zusätzliche Erträge möglich wären, daß sich die Senkung der Instandhaltungsrücklage um 90 Millionen DM ertragswirksam auswirken und der Verkauf von 1 Prozent Bestand 136 Millionen DM erbringen würde. Ist dies mit der Bundesregierung abgesprochen?
Mir sind diese Aussagen nicht bekannt. Sie stehen - das möchte ich ausdrücklich betonen - auch im Widerspruch zu dem, was ich gerade ausgeführt habe, insbesondere zu dem letzten Punkt: daß die Bundesregierung anstrebt, die Mieterhöhungsspielräume der Gesellschaft über die Bestimmungen des Miethöhegesetzes hinaus einzuschränken.
Ich rufe die Frage 23 des Kollegen Volkmar Schultz auf:
In welcher Form hat sie die Angebote der Landesentwicklungsgesellschaften zur Übernahme der Eisenbahnerwohnungen geprüft, und mit welcher Begründung hat das Bundesministerium für Verkehr vor dem Hintergrund der wohnungspolitischen Kompetenzen der Landesentwicklungsgesellschaften Abstand davon genommen, die LEG beim Verkauf stärker zu berücksichtigen?
Herr Abgeordneter Schultz, Angebote von Landesentwicklungsgesellschaften sind in gleicher Weise wie Angebote dritter Anbieter geprüft worden oder werden geprüft. Maßgebend für die noch nicht erfolgte Entscheidung zugunsten eines oder mehrerer Angebote ist neben der Höhe des Preises auch, in welcher Weise ein Erwerber bereit und in der Lage ist, soziale und wohnungsfürsorgerische Regelungen auf Dauer kompetent umzusetzen. Ich kann Ihnen versichern: Dieses Sich-langeHinziehen der Verhandlungen und der Privatisierung an sich ist gerade in diesem Punkt begründet.
Eine Zusatzfrage.
Darf ich Ihrer Anwort entnehmen, daß die Gespräche mit den Landesentwicklungsgesellschaften noch nicht abgeschlossen sind, das heißt, daß das Angebot der Landesentwicklungsgesellschaften noch in der Diskussion, noch in der Verhandlung ist, und daß die in der Presse genannte japanische Bank, die NomuraGruppe, nicht der alleinige Verhandlungspartner der Bundesregierung in dieser Angelegenheit ist?
So ist es. Es sind über die beiden von Ihnen genannten hinaus noch weitere in der Prüfung.
Keine weitere Zusatzfrage. - Dann danke ich dem Henn Parlamentarischen Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Ulrich Klinkert bereit.
Ich rufe zunächst die Frage 24 der Kollegin Marlene Rupprecht auf:
Welche verschiedenen Untersuchungsmethoden zur Konzentrationsmessung von polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen werden zur Zeit angewandt, und wann ist mit der Entwicklung und dem Einsatz eines bundeseinheitlich vorgeschriebenen standardisierten Meßverfahrens zu rechnen?
Frau Kollegin Rupprecht, bei der Messung der Konzentration von polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen, abgekürzt PAK, ist zwischen Messungen in der Luft von Innenräumen einerseits und im Hausstaub andererseits zu unterscheiden.
Für die Messung der Konzentration von PAK in der Luft gibt es normierte Vorschriften, die bei korrekter Anwendung ein einheitliches Vorgehen gewährleisten. Sowohl für die Probenahme in der Innenraumluft wie für die Analytik von Innenraumluftproben gibt es einschlägige Richtlinien der Kommission „Reinhaltung der Luft" im VDI und DIN. Damit ist die gesundheitlich relevante Belastung durch PAK über die Atemwege eindeutig bestimmbar.
Für die Analyse von PAK im Hausstaub kann eines der für andere Untersuchungsmaterialien verfügbaren normierten Verfahren eingesetzt werden. Die Analyse ist also unproblematisch möglich.
Als schwieriger ist jedoch die Probenahme beim Hausstaub anzusehen. Die Diskussion um die Art der Probenahme ist hier noch im vollen Gange. Im wesentlichen lassen sich für das Sammeln von Hausstaub drei verschiedene Vorgehensweisen unterscheiden: a) passives Sammeln des sich im Laufe der Zeit absetzenden Staubes mit Hilfe eines im Raum aufgestellten Gefäßes mit definierter Auffangfläche, b) aktives Sammeln durch Absaugen einer bestimmten Fläche und c) aktives Sammeln durch Abwischen oder Abkehren einer definierten Fläche.
In der Praxis werden ganz überwiegend die beiden letztgenannten Methoden, also die aktive Sammlung, eingesetzt. Die beiden Verfahren liefern jedoch nicht unbedingt die gleichen Ergebnisse. Nach derzeitigem Erkenntnisstand ist davon auszugehen, daß die reale Belastung am besten durch die Anwendung von Vorgehensweisen nach c) widergespiegelt wird.
Ein standardisiertes Probenahmeverfahren für Hausstaub existiert derzeit noch nicht. Eine Arbeitsgruppe der Kommission „Reinhaltung der Luft" im VDI und DIN hat mit Vorarbeiten für die Erarbeitung eines entsprechenden Verfahrens begonnen. Es kann derzeit noch nicht abgeschätzt werden, in welcher Zeit eine Norm fertiggestellt werden kann.
Zusatzfrage?
Ja. - Wie können sich dann die Bewohner und Bewohnerinnen der mit PAK belasteten ehemaligen US-Wohnungen vor gesundheitlichen Schäden schützen, bis diese Meßverfahren standardisiert sind und man tatsächlich Messungen vornehmen kann? Was schlägt die Bundesregierung vor, was da getan werden kann?
Ich sagte ja, daß es Meßverfahren gibt. Diese sind allerdings noch nicht normiert. Daran wird im Moment gearbeitet. Zum anderen gab es Expertensitzungen unter Leitung des Umweltbundesamtes, die die bisherigen Meßergebnisse zusammengetragen und ausgewertet haben. Das UBA hat hier Empfehlungen erarbeitet, die ich Ihnen gern zur Verfügung stellen kann. Diese Empfehlungen werden zur Zeit ausgewertet.
Weitere Zusatzfrage?
Ja. - Sie sagen, Sie können es nicht absehen. Aber ich denke, ein weiter Rahmen müßte doch abzustecken sein. In welchem Zeitrahmen rechnen Sie damit? Drei Monate, ein halbes Jahr? Es müßte den Mietern doch vermittelt werden können, in welchem Zeitrahmen sie damit rechnen können, daß solche Angaben vorliegen.
Ich muß noch einmal wiederholen: Wir können bereits Angaben vorlegen. Es geht nur darum, daß normierte Verfahren festgesetzt werden, die allgemeingültig sind und immer und überall zur Anwendung gebracht werden. Den Mietern können aber bereits jetzt Meßergebnisse und auf Grund dieser Meßwerte Empfehlungen, wie mit diesen Wohnungen zu verfahren ist, vorgelegt werden.
Keine Zusatzfrage? - Dann rufe ich die Frage 25 der Kollegin Ursula Schönberger auf:
Ist der Kaufvertrag des Bundesamts für Strahlenschutz mit der Peine-Salzgitter AG bzw. der Preussag über die Schachtanlage Konrad im Jahre 1987 abgeschlossen worden, wie das Bundesministerium der Finanzen angibt, oder am 7. Juni 1991, wie das BfS mitteilt, oder gibt es zwei Kaufverträge?
Frau Kollegin Schönberger, die Bundesrepublik Deutschland hat zwecks Einrichtung einer Anlage zur Endlagerung von radioaktiven Abfällen mit den Eigentümern der ehemaligen Eisenerzgrube Schacht Konrad in Salzgitter zwei Kaufverträge abgeschlossen.
Der erste Kaufvertrag über die Schachtanlage Konrad datiert vom 8. Dezember 1987 und kam zwischen der Stahlwerke Peine-Salzgitter AG und der Salzgitter Erzbergbau Vermögensverwaltungsgesellschaft mbH als Verkäufern und der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Braunschweig als Käuferin zustande. Als Kaufpreis waren 68 Millionen DM vereinbart.
Durch den Abschluß des zweiten Kaufvertrages vom 7. Juni 1991 wurde der erste Kaufvertrag abgeändert und insgesamt neu gefaßt. Vertragspartner dieses Vertrages sind die Stahlwerke Peine-Salzgitter AG in Peine und die Preussag Vermögensverwaltungsgesellschaft mbH als Rechtsnachfolgerin der Salzgitter Erzbergbau Vermögensverwaltungsgesellschaft mbH. Für die Bundesrepublik Deutschland hat das Bundesamt für Strahlenschutz unterzeichnet, das seit dem 1. November 1989 für das Einrichten von Anlagen des Bundes zur Sicherung und Endlagerung radioaktiver Abfälle zuständig ist. Der Vertragsgegenstand wurde durch die Neufassung nicht geändert. Lediglich die Bezeichnung der Grundstücke hat sich teilweise geändert. Der Kaufpreis wurde entsprechend der im ersten Vertrag - dort in § 6 Abs. 3 -vereinbarten Verzinsung auf 84 Millionen DM festgeschrieben.
Eine Zusatzfrage wird nicht gewünscht. - Ich rufe dann die Frage 26 der Kollegin Schönberger auf:
Trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, daß das gesamte Gelände der Salzgitter AG beim Verkauf vom Land Niedersachsen an die Preussag im Jahre 1989 mit nur 14 Mio. DM bewertet worden ist und 1991 beim Kauf der Schachtanlage Konrad durch das BfS die Preussag allein dafür die Kaufsumme von 84 Mio. DM erhielt, und wie erklärt sich die Bundesregierung diese beachtliche Wertzunahme innerhalb von 18 Monaten?
Bei dem vom Bund erworbenen Grundstück handelt es sich nicht, wie behauptet, um Flächen, die das Land Niedersachsen 1989 an die Preussag verkauft hat. Dies ergibt sich schon aus der Tatsache, daß der erste Kaufvertrag - wie bereits erwähnt -1987 abgeschlossen wurde. Auch aus den Grundbuchauszügen ergibt sich, daß die gekauften Grundstücke der Schachtanlage Konrad mit den vom Land an die Preussag verkauften Grundstücken nicht identisch sind. Ein Zusammenhang zwischen der behaupteten Bewertung des Geländes der Salzgitter AG in Höhe von 14 Millionen DM und dem Kaufpreis für die vom Bund gekauften Grundstücke der Schachtanlage Konrad besteht somit nicht. Darüber hinaus wurde der Kaufpreis im Vertrag von 1987 auf der Basis eines Wertgutachtens der Oberfinanzdirektion Braunschweig festgeschrieben.
Eine Zusatzfrage? - Bitte.
Ich habe nur eine kurze Nachfrage. Herr Staatssekretär, habe ich Sie richtig verstanden, daß die Schacht-
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Ursula Schönbergeranlage Konrad bei dem Verkauf der Peine-Salzgitter AG überhaupt nicht mitverkauft worden ist, weil diese damals bereits Eigentum des Bundes gewesen ist?
Nein, da haben Sie mich mißverstanden. Es ging um diese Anlagen. Nur, die Grundstücke, die das Land Niedersachsen an die Preussag verkauft hat, stehen damit nicht im Zusammenhang. Daher rührt der - verständliche - Widerspruch zwischen dem Kaufpreis von 14 Millionen DM auf der einen Seite und dem vertraglich vereinbarten Kaufpreis von 68 Millionen DM auf der anderen Seite, der 1991 noch einmal leicht nach oben verzinst wurde. Diese Grundstücke haben keinerlei Zusammenhang.
Eine weitere Zusatzfrage.
Mit welchem Betrag wurde die Schachtanlage Konrad beim Verkauf der Peine-Salzgitter AG an die Preussag bewertet? Wenn Sie sagen, diese sei in den 14 Millionen DM nicht enthalten gewesen, sondern sie sei extra bewertet worden, würde mich interessieren, wie hoch sie denn bei dem Verkauf der Peine-Salzgitter AG an die Preussag durch Bund und Land bewertet worden ist.
Der Bund tritt als Käufer nur in Erscheinung -
Nein, ich meine den Bund als Verkäufer. Die Peine-Salzgitter AG insgesamt ist ja damals von Bund und Land an die Preussag verkauft worden. Meine vorherige Zusatzfrage lautete: Ist die Schachtanlage Konrad Bestandteil des Verkaufs der Peine-Salzgitter AG an die Preussag gewesen? Sie haben geantwortet: Ja, aber nicht innerhalb der 14 Millionen DM. Wie hoch ist denn dann bei dem Gesamtverkauf der PeineSalzgitter AG von Bund und Land an die Preussag die Schachtanlage Konrad bewertet worden?
Frau Kollegin, ich kann an dieser Stelle nur die Kaufverhandlungen bewerten und nachvollziehen, die in den Jahren 1987 bis 1991 stattgefunden haben. In dieser Zeit gab es einen Verkauf der Grundstücke der Schachtanlage Konrad, die für das Endlager benötigt werden. Im Jahre 1987 ist ein Kaufpreis von 68 Millionen DM angesetzt worden. Dazu gab es dann einen ergänzenden Kaufvertrag, der den ersten teilweise abgelöst hat. Dieser enthielt einen anderen Kaufpreis, nämlich den Kaufpreis von 84 Millionen DM, der aber dem ersten Kaufpreis entspricht, wenn man die Verzinsung mit einrechnet.
Danke.
Keine weitere Zusatzfrage? - Dann danke ich Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich rufe jetzt den Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes auf. Die Fragen 27 bis 31 sollen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe jetzt die Frage 32 des Kollegen Johannes Selle auf:
Was hat die Bundesregierung im Zusammenhang mit der Hungerkatastrophe im südlichen Sudan unternommen, oder was beabsichtigt sie, zu unternehmen, um die sudanesische Regierung zur Genehmigung von Nahrungsmittelflügen in die Hungergebiete zu veranlassen, falls Nachrichten über die bisherige Verweigerung der Genehmigung solcher Flüge zutreffen?
Herr Kollege, nach längeren Verhandlungen hat die sudanesische Regierung über die Ende März hinaus erteilte Genehmigung für die Nutzung von drei Flugzeugen der Nutzung von vier weiteren Flugzeugen zugestimmt. Sie hat außerdem zugesichert, alle weiteren Anfragen der Vereinten Nationen im Hinblick auf zusätzliche Flüge positiv zu bescheiden, und sie hat ihre erhöhte Bereitschaft zur Gewährung eines ungehinderten Zugangs in die Notstandsgebiete bekräftigt. Dies wurde gestern im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in New York besprochen und ist auch auf das Ergebnis der Sondermission eines Beauftragten des UN-Undersecretary for Human Rights zurückzuführen.
Ich selbst habe wie wir alle, also die Europäische Gemeinschaft und die Bundesregierung, wiederholt und zuletzt bei meinem Besuch im Februar in Khartum auf die sudanesische Regierung dahingehend eingewirkt, daß ihr klar sein muß, daß die Verweigerung von Hilfe für die notleidende Bevölkerung im eigenen Land ein unerträglicher Zustand ist und daß den Vereinten Nationen und auch den Nichtregierungsorganisationen jede Unterstützung gewährt werden muß.
Die Europäische Union hat in einer gemeinsamen Erklärung am 1. Mai 1998 diese Haltung ein weiteres Mal bekräftigt. Es muß bei dem Grundsatz bleiben, daß die Versorgung der notleidenden Bevölkerung im Südsudan nicht an Bedingungen der Konfliktparteien geknüpft werden darf. Diese Forderung richtet sich aber an beide Seiten im sudanesischen Bürgerkrieg; denn auch die südsudanesische SPLA hat in der Vergangenheit wiederholt und teilweise massiv die Arbeit der Hilfsorganisationen behindert.
Zusatzfrage.
Ich möchte mich vergewissern, ob es zutrifft, daß die Hilfsflüge durch die Regierung eingeschränkt gewesen sind.
Sie wissen, es gab pausenlose Kampfhandlungen in bestimmten Gebieten des Sudan. Mit dieser Begründung wurden die Flüge zum Teil eingeschränkt. Das hat aber die internationale Gemeinschaft in keiner Weise beeindruckt. Wir haben gef ordert - und dem ist jetzt von der sudanesischen Regierung zugestimmt worden -, daß die Flüge durchgeführt werden und die internationalen Organisationen sie nutzen können. Es ist auch eine Zusage gegeben worden, daß die Forderungen der Vereinten Nationen in Zukunft erfüllt werden.
Weitere Zusatzfrage.
Halten Sie die jetzt vereinbarten Flüge für ausreichend, um die drohende Hungerkatastrophe für 350 000 Einwohner zu verhindern?
Es kommt sehr darauf an, inwieweit die internationalen Hilfsorganisationen entsprechende Mittel zur Verfügung haben, um alle Flüge zu nutzen. Es ist jetzt also ganz wesentlich, daß die Hilfsorganisationen ihre Flüge durchführen können. Ich glaube aber nicht, daß das alles nur von der sudanesischen Regierung abhängt, sondern Sie müssen davon ausgehen, daß die Kampfhandlungen in Gebieten des Südsudan stattfinden, in die auch die Rebellen - Herr Neudeck hat mir das selbst gesagt - immer wieder von neuem solche Flüge zu verhindern versucht haben. Es wird also auf beiden Seiten dringend notwendig sein, solche Flüge zuzulassen. Wir werden weiter darauf drängen.
Wir kommen zur Frage 33 des Kollegen Johannes Selle:
Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung in diesem Zusammenhang über politische Einflußnahmen oder humanitäre Maßnahmen der internationalen Gemeinschaft, insbesondere der Vereinten Nationen, und wird sich die Bundesrepublik Deutschland gegebenenfalls an Hilfsmaßnahmen beteiligen?
Herr Kollege Selle, die humanitäre Hilfe im Sudan wird von den Vereinten Nationen im Rahmen der „Operation Lifeline Sudan" koordiniert. Die Bundesregierung beteiligt sich seit Jahren an den internationalen Hilfsmaßnahmen für sudanesische Flüchtlinge und Vertriebene.
Ausgelöst wurde die derzeitige Notsituation in der Region Bahr El-Gahzal, die auf Grund unzureichender Niederschläge ohnehin unter chronischem Nahrungsmittelmangel leidet, durch einen Angriff der SPLA, also der südsudanesischen Rebellen, auf die Stadt Wau im Januar dieses Jahres und die sich daran anschließenden Kampfhandlungen, in deren Folge bis zu 350000 Menschen vertrieben wurden.
Die Bundesregierung hat unmittelbar nach Ausbruch der Kämpfe aus Mitteln der humanitären Hilfe 486 000 DM zur Versorgung der Bürgerkriegsflüchtlinge mit Überlebenspaketen - Decken, Plastikplanen, Kochtöpfe, Geschirr - und Nahrungsmitteln bereitgestellt. Sie steht angesichts der anhaltenden Notsituation in engem Kontakt mit den im Sudan tätigen deutschen Hilfsorganisationen und hat diese wissen lassen, daß sie bereit ist, weitere Mittel der humanitären Hilfe für die Durchführung dringend erforderlicher Soforthilfemaßnahmen zur Verfügung zu stellen.
Das BMZ hat dem World Food Program, WFP, für geplante Weizenlieferungen bisher Nahrungsmittelhilfe in Höhe von 1,9 Millionen DM in Aussicht gestellt. Bei entsprechenden Anträgen anderer im Sudan tätiger Organisationen wird das BMZ weitere Mittel bereitstellen.
Keine Zusatzfrage. - Ich danke Ihnen, Herr Staatsminister.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Inneren auf. Die Fragen 34, 35 und 36 werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 37 der Kollegin Annelie Buntenbach auf:
Welche Folgerungen zieht die Bundesregierung aus der Verleihung des dritten Preises des Wissenschaftspreises der „Stiftung Ostdeutscher Kulturrat” an Dr. C. N. hinsichtlich der hohen institutionellen der Stiftung durch die Bundesregierung und den Veröffentlichungen des Preisträgers in der rechtsextremen Zeitschrift „Nation & Europa" der österreichischen Zeitschrift „Eckartbote" (Ausgabe 3/98), sowie von Anzeigen in der rechtsextremen Zeitschrift „Europa Vorn" (Ausgabe November 1997), und welchen Stellenwert räumt die Bundesregierung dabei der publizistischen Tätigkeit von Dr. C. N. sowie seiner Referententätigkeit am 6./7. September 1997 auf dem Südafrika-Seminar des „Hilfskomitees Südliches Afrika" in Coburg, die in der Wochenzeitung „Junge Freiheit" (Ausgabe 34/1997) angekündigt wurde, ein?
Frau Kollegin Buntenbach, die Antwort lautet wie folgt: Der Ostdeutsche Kulturrat hat die Entscheidung über die Vergabe des Wissenschaftspreises einer Jury übertragen. Diese trifft die Auswahl auf Grund der Qualität der Dissertationen, die durch externe Gutachten bestätigt werden.
Die Entscheidung der Jury ist nach den Wettbewerbsbedingungen für den Ostdeutschen Kulturrat bindend. Dies entspricht auch der Rechtsnorm des § 661 Abs. 2 BGB. Somit hat auch das Bundesministerium des Innern in bezug auf die Preisvergabe keine unmittelbaren Einwirkungsmöglichkeiten. Anhaltspunkte dafür, daß die in Rede stehenden Veröffentlichungen des Preisträgers rechtsextremistischen Inhalt besitzen, sind nicht ersichtlich.
Eine Zusatzfrage, Frau Buntenbach.
Herr Staatssekretär, bezogen auf den letzten Punkt, den Sie angesprochen haben, möchte ich folgendes fragen: Sie haben gesagt, in den genannten Publikationen sei kein Inhalt rechtsextremistischer
Annette Buntenbach
Natur ersichtlich. Ist Ihnen bekannt, daß Herr Nordbruch in der Märzausgabe des „Eckartboten", der einschlägig bekannten Zeitung der österreichischen Landsmannschaft, gegen die Legalisierung der Abtreibung in Südafrika polemisiert hat? Ich finde, es handelt sich um sich bezeichnende Formulierungen, wenn dort behauptet wird, daß sich Nelson Mandela über den Willen der Völker hinwegsetze, den typischen schwarzafrikanischen Chaosstaat vorbereite, und Herr Nordbruch ansonsten für einen Nationalstaat der Buren, das heißt für eine völkisch-ethnische Zersplitterung Südafrikas, eintritt.
Frau Kollegin, die Ausschreibungsbedingungen sehen vor, daß nur die vorgelegten Arbeiten bewertet werden dürfen; deshalb konnten die von Ihnen soeben zitierten und durch mich im Moment nicht überprüfbaren Veröffentlichungen nicht einbezogen werden.
Weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, würde es denn nicht den Erwartungen der Bundesregierung entsprechen, daß eine Stiftung auch bei einer solchen Preisverleihung eine Bewertung des Gesamtkontexts vornimmt? Eigentlich müßte das doch auch Ihren Vorstellungen einer verantwortlichen Auswahl von Preisträgern entsprechen. Wenn zum Beispiel der Neonazi Roeder besonders hübsche Aquarelle malt und diese von einer Stiftung honoriert werden, dann könnte das doch nicht im Interesse der Bundesregierung sein.
Frau Kollegin Buntenbach, ich darf daran erinnern, daß nicht die Stiftung die Auswahl vornimmt, sondern eine Jury, die unabhängig von der Stiftung - abgesehen von der Benennung der Jury selbst - arbeitet. Die Vorschläge der Jury sind nach bürgerlichem Recht der Bundesrepublik Deutschland für die Stiftung verbindlich.
Dann rufe ich die Frage 38 der Kollegin Buntenbach auf:
Wie begründet die Bundesregierung ihre hohe Förderung der „Stiftung Ostdeutscher Kulturrat", und welche Konsequenzen wird die Bundesregierung hinsichtlich ihrer Förderung der „Stiftung Ostdeutscher Kulturrat" aus der Verleihung des dritten Preises des Wissenschaftspreises der Stiftung an Dr. C. N. ziehen?
Die Stiftung Ostdeutscher Kulturrat erhält im Wege der institutionellen Förderung im laufenden Haushaltsjahr einen Betrag in Höhe von 1 090 000 DM. Der Ostdeutsche Kulturrat nimmt damit seine satzungsgemäßen Aufgaben wahr, um überregionale Kulturarbeit entsprechend § 96 des Bundesvertriebenengesetzes durchzuführen. Die Bezuschussung durch das Bundesministerium des Innern erfolgt dabei bedarfsgerecht unter Beachtung der haushaltsmäßigen Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit nach dem für institutionelle Förderungen üblichen Verfahren.
Vor dem Hintergrund der Ausführungen zu Frage 37 sieht die Bundesregierung keinen Anlaß zu Konsequenzen hinsichtlich der Förderung der Stiftung Ostdeutscher Kulturrat.
Eine Zusatzfrage.
Herr Lintner, entspricht es denn nicht auch der Bewertung der Bundesregierung, daß die Reputation des Preisträgers Nordbruch über den Preis, der ihm verliehen wird, steigt und damit das Gewicht seiner anderen Publikationen in der Öffentlichkeit vermehrt wird? Stimmen Sie mir zu, daß die Bundesregierung mit einer derart hohen Bundesförderung für diese Stiftung zwangsläufig auch zur größeren Reputation eines solchen Preisträgers beiträgt?
Frau Kollegin, Sie kennen die Diskussion um die Förderung von Institutionen, die entsprechende Kulturarbeit betreiben. Da gibt es sicherlich inhaltliche Meinungsverschiedenheiten. Es gibt aber überhaupt keinen Hinweis darauf, daß es einen Anlaß geben könnte, dem Ostdeutschen Kulturrat diese Qualifikation zu entziehen. Er hat die in der Satzung genannten Zwecke beachtet. Bei der Überprüfung durch entsprechende Einrichtungen der Bundesregierung wurden keinerlei Verstöße festgestellt, so daß die von Ihnen wohl insinuierte Zensur nicht stattfinden kann.
Weitere Zusatzfrage?
Ich hätte gerne noch gewußt, weil Sie sich ja in Ihrer Begründung immer wieder darauf bezogen haben, wer denn diese Jury benennt und wer in dieser Jury sitzt.
Die Jury wird - so nehme ich es an - von der Stiftung selbst bestellt. Mitglieder der Jury sind die Professoren Wilfried Schlau, Eberhard G. Schulz, Wolfgang Stribrny, Udo Arnold, Walter König und Roswitha Wisniewski. Zu den externen Gutachtern, die über die Qualität und damit über die Preiswürdigkeit befinden und den Preisträger der Jury vorschlagen, gehörten im konkreten Falle Professor Dr. Walter Hinck von der Universität Köln und Frau Professor Dr. Roswitha Wisniewski von der Universität Heidelberg.
Keine weiteren Zusatzfragen? - Damit kommen wir jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz.
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Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 234. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Mai 1998 21459
Vizepräsidentin Michaela GeigerDie Fragen 40 bis 45 werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung steht uns die Parlamentarische Staatssekretärin Irmgard Karwatzki zur Verfügung.Wir kommen zur Frage 46 der Abgeordneten Marlene Rupprecht:Wie definiert der Bund seine Verantwortung, derer er sich als Voreigentümer ehemals US-amerikanischer mit polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen belasteten Liegenschaften bewußt ist, und in welchem zeitlichen Rahmen will er diesbezüglich seiner Verantwortung nachkommen?Bitte schön.
Frau Kollegin Rupprecht, in den abgeschlossenen Kaufverträgen ist grundsätzlich ein Gewährleistungsausschluß vereinbart worden. Diese Regelung entspricht der Praxis im Grundstücksverkehr. Die Käufer können daher grundsätzlich keine Ansprüche gegen den Bund auf Übernahme von Sanierungskosten geltend machen.
Der Bund beruft sich jedoch nicht auf formale Rechtspositionen. Der Grundsatz „pacta sunt servanda" würde dem erst kürzlich bekanntgewordenen Problem der PAK-Belastung und der damit einhergehenden Verunsicherung der Bewohner nicht gerecht werden. Deshalb müssen sich alle an dem PAK-Problem Beteiligten einer vertretbaren Kostenbeteiligung stellen. Dies gilt sowohl für die jetzigen Eigentümer der Wohnungen wie auch für deren Voreigentümer.
Die Maßnahmen zur Herabsetzung der Belastung sind je nach ihrem Ausmaß kurz- oder mittelfristig zu treffen, wie wir ja eben schon vom Kollegen Klinkert hörten. Expertenempfehlungen sollen in den nächsten Tagen vorliegen. Der Bund wird seiner Verantwortung in entsprechendem zeitlichen Rahmen nachkommen.
Eine Zusatzfrage? - Bitte schön.
Trifft die Meldung eines ARD-Nachrichtenmagazins zu, daß die Bundesbehörden bereits seit Jahren von einer Giftbelastung vormaliger US-Wohnungen in Frankfurt wußten? Ich habe das erst in den letzten Tagen der Presse entnommen. Es soll dort sogar nicht nur PAK, sondern auch DDT ausgebracht worden sein. Trifft das zu, was in der ARD dazu gesendet wurde?
Ich kenne die Sendung nicht; ich bin auch durch meine Funktion im Finanzministerium nicht in der Lage zu beurteilen, ob all das, was ARD oder wer auch sonst veröffentlicht, zutrifft. Ich kann in jedem Fall keine Stellung dazu nehmen.
Eine weitere Zusatzfrage? - Bitte schön.
Sie sagen, Sie können dazu nicht Stellung nehmen. Ich habe die Aussagen von ehemaligen Bewohnerinnen dieser Wohnungen, in denen diese behaupten, sie hätten den Verdacht auf Pestizidbelastung an die Ministerien weitergegeben.
Für mich stellt sich die Frage: Welche gesundheitlichen Gefährdungen gehen von diesen Belastungen tatsächlich aus? In welcher Höhe sind Schäden entstanden, und wie wird sich der Bund diesbezüglich verhalten? Als der Gesetzgeber zustimmte, diese Wohnungen zu veräußern, wollte er wirklich, daß die Belastungen an die Bewohner weitergegeben werden?
Wie ich eben ausführte, ist uns das Problem erst seit kurzem bekannt. Die Frage, die Sie mir gerade gestellt haben, ist eben von Herrn Klinkert - er ist der zuständige Kollege - beantwortet worden. Mein Part - deshalb sind die Fragen aufgeteilt worden - ist der Verkaufspart.
Wir sind zwar rechtlich nicht verpflichtet, uns an den Kosten zu beteiligen. Dennoch hat der Bundesminister der Finanzen bereits Anfang April gesagt, daß wir uns auch aus politischen Gründen an den Kosten beteiligen werden. Aber Art und Umfang der Beteiligung können wir erst regeln, wenn uns die Ergebnisse der Untersuchungen der Fachleute vorliegen. Erst dann können wir über den Schaden miteinander sprechen und die Frage klären, was auf den einzelnen zukommt.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Hagemann. - Bitte schön.
Frau Staatssekretärin, seit wann genau waren welche Behörden über welche Belastungen informiert? Können Sie darüber eine Aussage machen?
Nein, das kann ich nicht.
Das kann sicherlich Ihr Kollege.
Ja. Ich werde ihn bitten, diese Frage zu beantworten.
Danke schön.
Die Fragen 47 und 48 des Abgeordneten Diller werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Damit sind wir am Ende unserer Fragestunde.
Vizepräsidentin Michaela Geiger
Ich frage die Parlamentarischen Geschäftsführer: Können wir mit der Aktuellen Stunde beginnen - soweit ich erkennen kann, sind die Redner anwesend -, oder sollen wir unterbrechen?
- Ich unterbreche die Sitzung bis 15 Uhr. (Unterbrechung von 14.57 bis 15.00 Uhr)
Wir setzen die unterbrochene Sitzung fort.
Ich rufe den Zusatzpunkt 2 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der SPD
Haltung der Bundesregierung zu den Auswirkungen des von der Deutschen Post AG beabsichtigten neuen Filialkonzeptes für Kunden und Beschäftigte
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Abgeordneten Hans Martin Bury, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie uns am Beginn einer streitigen Debatte einen Moment miteinander innehalten im Gedenken an die verstorbene Kollegin Christine Kurzhals, die wir alle im Postausschuß gleichermaßen geschätzt haben und um die wir diese Woche trauern müssen. - Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, der Bundeswirtschaftsminister gibt die Postfilialen zur Schließung frei, seine Regulierungsbehörde unterläuft das Postgesetz, der Finanzstaatssekretär beklagt die Verschleuderung von Bundesvermögen durch die Regulierungspolitik, während sein Minister ungeniert in die Pensionskasse der Postbeschäftigten greift, und die Koalitionsabgeordneten vergießen in ihren Wahlkreisen Krokodilstränen und jammern über die Folgen ihrer eigenen Untätigkeit.
Fünf Monate nach der Verabschiedung des Postgesetzes kann die Bundesregierung noch immer keinen Entwurf für die Postuniversaldienstleistungs-Verordnung vorlegen. Sie kann es nicht, weil sich die Koalitionspartner auch hier nicht einig sind, und sie will es nicht, weil sie sich wie immer fürchtet, den Menschen vor der Wahl zu sagen, was sie vorhat. Die Folge ist ein rechtsfreier Raum, in dem die Post die Zahl ihrer Filialen und ihr Dienstleistungsangebot beliebig reduzieren kann.
Die SPD setzt auf einen Wettbewerb um mehr Qualität, mehr Kundennähe, mehr Service, bessere Produkte und günstigere Preise. Doch die Koalition läßt zu, daß Liberalisierung à la Rexrodt sich in einer Konkurrenz um Konditionen und Arbeitsbedingungen zu erschöpfen droht.
Wir haben der Deutschen Post AG mit der Genehmigung der Portoerhöhung im letzten Jahr und der Festschreibung eines reservierten Bereiches im Postsektor die Möglichkeit gegeben, ihre Infrastrukturverpflichtungen zu erfüllen, flächendeckend hochwertige und preisgünstige Dienstleistungen anzubieten. Wenn sich die Post hier aus der Verantwortung stiehlt, wenn sie die zusätzlichen Einnahmen verwendet, um in Wettbewerbsbereichen zu expandieren, dann ist das erhöhte Porto nicht gerechtfertigt.
Die Bundesregierung hatte bei der Portoerhöhung erklärt, diese sei notwendig, um die flächendeckende Infrastruktur zu finanzieren. Also sorgen Sie jetzt dafür, daß das auch geschieht. Sonst wird einmal mehr den Leuten das Geld aus der Tasche gezogen, ohne daß sie dafür die versprochene Gegenleistung bekommen. Es geht nicht an, daß die Bundesregierung einseitig darauf abzielt, die Post börsenreif zu machen, und Arbeitnehmer und Kunden die Zeche bezahlen müssen.
Ich weiß, daß der Bund die Privatisierungserlöse dringend braucht, denn Theo Waigel hat die bisherigen Einnahmen zum Stopfen von Haushaltslöchern und zur Finanzierung von Wahlgeschenken verbraten. So droht in der Pensionskasse der Post Ende nächsten Jahres ein Defizit von 7 Milliarden DM. Auch hier handeln Sie nach dem Motto: Nach uns die Sintflut.
Wir brauchen in Deutschland endlich eine neue, vorausschauende Politik.
Wenn wir im Postsektor beispielhaft einen Wirtschaftsbereich schrittweise für den Wettbewerb öffnen, dann müssen wir gewährleisten, daß es hier nicht zu den Fehlentwicklungen - von 620-DM-Jobs über Lohndumping bis zu Scheinselbständigkeit - kommt, die wir in anderen Bereichen gemeinsam beklagen. Deshalb drängen wir Sozialdemokraten darauf, die im Postgesetz verankerten sozialen Mindeststandards nun in der Praxis durchzusetzen.
Wir wollen für die Kunden ein flächendeckendes Netz von mindestens 12 000 Postfilialen verbindlich vorgeben. Wir setzen auf eine Vorwärtsstrategie der Deutschen Post AG. Statt mit dem Rückzug aus der Fläche ihren Trumpf im zunehmenden Wettbewerb aus der Hand zu geben, soll sie ihre Stärke durch ein breites Dienstleistungsangebot zum Nutzen der Kunden ausspielen.
Zu einem hochwertigen Universaldienst gehören für uns auch Zeitungen und Zeitschriften, und zwar nicht nur im Interesse der Bevölkerung, gerade in ländlichen Gebieten, sondern auch im Interesse einer vielfältigen, pluralistischen Presselandschaft. Wer Meinungsvielfalt erhalten will, muß auch hier konsequent handeln. Aber Sie setzen ja lieber auf Einfalt denn auf Vielfalt.
Der Worte sind genug gewechselt. Wir wollen endlich Taten sehen. Diese Regierung läßt Postkunden
Hans Martin Bury
und Beschäftigte im Stich. Ihre Quittung werden Sie bekommen - postwendend.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Elmar Müller, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Filialkonzept der Post liegt vor. Wir haben darüber im Postausschuß und im Regulierungsbeirat diskutiert. Dieses Konzept der Post beinhaltet zahlreichere Möglichkeiten für stationäre Niederlassungen der Post als das, was wir als Regulierungsrat gemeinsam - also auch mit den Stimmen der SPD - gutgeheißen haben. Diese Zahlen sahen 10 000 stationäre Filialen vor, davon Ende 2002 5000 durch die Post betriebene.
Das, was jetzt vorliegt, sieht eine Größenordnung von insgesamt 11 000 bis 12 000 stationäre Vertriebsstellen vor, wobei wir als CDU/CSU-Fraktion ausdrücklich gesagt haben, daß das ein Vorschlag ist, den wir in seiner Richtung wohlwollend begrüßen, der aber nicht das Ende der Diskussion sein kann. Denn genau das, was Sie, Herr Kollege Bury, gesagt haben, muß berücksichtigt werden, nämlich daß wir der Post AG im Dezember 1996 durch eine Tariferhöhung einen Umsatz von 1 Milliarde DM mehr zugesichert haben. Das gleiche gilt im Rahmen des Postgesetzes, in dem wir der Post gesicherte Umsätze in einer Größenordnung von mehr als 2 Milliarden DM in dem für die Post reservierten Bereich haben zukommen lassen können.
Mit Erstaunen aber haben wir festgestellt, daß, während wir mit der Post mitten in den Gesprächen um mehr stationäre Einrichtungen waren, die Deutsche Postgewerkschaft, wie sie in ihrer jüngsten Funktionärszeitung verkündet hat, bereits einen Vertrag mit der Post abgeschlossen hat, der nur noch 720 Centerfilialen und insgesamt 750 Standardfilialen zusichert, die durch posteigenes Personal betrieben werden. Das ist eine Größenordnung, angesichts der wir sagen: Die Deutsche Postgewerkschaft ist uns hier in der Tat in den Rücken gefallen und macht uns jedes andere Verhandlungsgespräch fast unmöglich. Deshalb sind wir über diesen Abschluß außerordentlich betrübt, den die Postgewerkschaft ihren Mitgliedern jetzt auch noch als etwas Positives verkaufen möchte.
Meine Damen und Herren, daran schließt sich nun an, daß wir durch die Europäische Union angehalten sind - das heißt durch eine Richtlinie aus Brüssel -, eine Postuniversaldienstleistungs-Verordnung zu verabschieden. Diese Entscheidung fiel im Dezember 1997. Wir werden diese UniversaldienstleistungsVerordnung also bis Februar 1999 zu verabschieden haben.
Wir sind natürlich nicht erstaunt gewesen, daß eine solche Universaldienstleistungs-Verordnung die Stunde des Kollegen Bury war. Denn als er dieses Signal gehört hat, hat er sofort einen Katalog von Dingen vorgelegt, die in diese Universaldienstleistungs-Verordnung überhaupt nicht hineingehören,
und hat sich in einer Art und Weise reglementierend verhalten, in der er sich von niemandem überbieten läßt. Das Ganze macht es so schwierig, mit den Ländern jetzt vernünftige Gespräche zu führen, um diese Universaldienstleistungs-Verordnung umzusetzen.
Wir haben zur Umsetzung dieser Verordnung eine gemeinsame Gesprächsrunde vorgeschlagen. Die SPD hat bisher nicht darauf reagiert. Es wird deutlich, daß sie das Thema zu Wahlkampfzwecken mißbrauchen will, indem sie so tut, als ob nichts geschehe.
Ich will damit abschließen, daß ich feststelle: Ich habe nicht nur heute, sondern in den gesamten Auseinandersetzungen mit dem Kollegen Bury - im Post-ausschuß und wo auch immer - die Erfahrung gemacht: Wenn der Kollege Bury das Wort Wettbewerb in den Mund nimmt, dann ist das wie jener Liebesbrief eines Lyrikers an seine Geliebte, den er mit den Worten eröffnete: „In meinem Zimmer rußt der Ofen; in meinem Herzen ruhst nur du."
Das, Herr Kollege Bury, ist Ihre Einstellung zum Wettbewerb. Das zeigt, denke ich, alles.
Ich erteile dem Abgeordneten Dr. Manuel Kiper, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Das Konzept der Post AG ist angesprochen worden. Es kommt darauf an, sich hier einmal über die Bewertungsziele klarzuwerden, die wir mit diesem Postfilialkonzept verbinden. Aus meiner Sicht sind es drei Bewertungsziele, die wir auch zur Grundlage dieser Debatte machen müssen, nämlich erstens die Frage nach der Grundversorgung im Sinne des Kundenschutzes, zweitens aber auch die Frage nach der Kundenfreundlichkeit im Sinne einer modernen Dienstleistungsinfrastruktur und drittens die Sozialverträglichkeit der Umsetzung.
Inzwischen hat bereits mindestens jede dritte Postfiliale dichtgemacht. 1983 gab es in diesem Lande 26 500 Filialen, 1993 noch 21000. Ende letzten Jahres
Dr. Manuel Kiper
waren es noch gut 15 000 Filialen. Im Augenblick gibt es 10 000 eigenbetriebene Filialen und 5 000 Postagenturen. Der Kollege Müller hat bereits auf die bisherige Auflage für das Postfilialkonzept hingewiesen, nämlich im Jahre 2002 noch mindestens 10 000 Postfilialen zu halten, davon 5 000 eigenbetriebene.
Das Mißtrauen gegen die Pläne der Post AG ist nur zu berechtigt, sieht man sich einmal an, welchen Kahlschlag die Post AG zum Teil hinsichtlich der Filialen in der Fläche in den letzten Jahren betrieben hat. Mißtrauen ist auch angesagt, wenn, wie im Konzept der Post AG steht, von den zu errichtenden Centerfilialen 720 von 746 und von den Standardfilialen 750 von 2 500 eigenbetrieben bleiben sollen und zukünftig ungefähr 8 000 Filialen als Postagenturen geführt werden sollen.
Dies zu bewerten, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ist unsere Aufgabe. Ich meine, die Bewertung kommt zu dem Ergebnis: Die Grundversorgung in der Fläche wird mit diesem Konzept schlechter.
Die stärkere Dienstleistungsorientierung ist zwar geplant, muß sich aber erst noch erweisen. Die stärkere Orientierung an Raumordnungskriterien im neuen Planungskonzept ist durchaus zu begrüßen. Deshalb, so finde ich, müssen wir bei diesem neuen Plan sorgfältig abwägen. Wir müssen auch deshalb sorgfältig abwägen, weil - Herr Kollege Müller hat darauf hingewiesen - die Deutsche Postgewerkschaft, gewissermaßen um die Sozialverträglichkeit zu gewährleisten, dies bereits mit der Post AG vertraglich abgesichert hat. Es ist klar, daß auf Grund des Vertrages, der mit der Deutschen Postgewerkschaft geschlossen worden ist, ein Arbeitsplatzabbau vorprogrammiert ist. In den Agenturen werden praktisch keine Ersatzarbeitsplätze geschaffen. Es kommt vielmehr zu einem weitéren Abbau von Arbeitsplätzen.
Zu Recht wächst der Unmut im Lande gegen die Post AG. Dieses Konzept und die Schließung von Postfilialen in den letzten Monaten und Jahren hat schließlich bedeutet, daß von den Kunden immer weitere Wege in Kauf genommen werden müssen. Wut breitet sich aus wegen der Schließung auch funktionstüchtiger Filialen. Unmut muß sich dort ausbreiten, wo schließlich auch Agenturen dichtgemacht, ersatzlos gestrichen werden; allein im letzten Jahr sind ungefähr 200 Agenturen geschlossen worden. Zu Recht rebellieren Bürgerinnen und Bürger in den Kommunen gegen diese Verschlechterung.
Dieser Unmut muß sich in gleicher Weise gegen die Bundesregierung richten. Die Postkundenschutzverordnung ist ausgelaufen, und die Bundesregierung hat bisher keine neue UniversaldienstleistungsVerordnung ins Verfahren gebracht. Das ist ein großes Versagen. Die Bundesregierung gibt damit gegenüber dem Filialkonzept der Post AG den Kundenschutz fahrlässig preis, um den Börsengang der Post AG zu beflügeln.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, der Wettbewerb auf dem Postsektor ist von diesem Hause mit großer Mehrheit gewünscht worden. Die Portoerhöhung zum 1. September 1997 wurde im Postregulierungsrat mit großer Mehrheit gebilligt, um die Lasten der Grundversorgung auszugleichen und die Grundversorgung sicherzustellen. Diese Portoerhöhung wäre in der Tat nicht gerechtfertigt, wenn sich die Post AG weiterer Grundversorgungslasten entledigen dürfte. Diese Portoerhöhung müßte zurückgenommen werden, sollte die Post AG ihr neues Filialkonzept gegenüber der Regulierungsbehörde durchsetzen können.
Wir dürfen die Post AG nicht aus ihrer Verantwortung für die Grundversorgung entlassen. Deshalb muß die Bundesregierung ohne weiteren Verzug eine neue Postkundenschutzverordnung ins Verfahren bringen. Die Postkunden dürfen nicht -
Ihre Redezeit ist zu Ende.
die Leidtragenden werden, wenn Waigel seine Haushaltslöcher stopfen will.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Max Stadler, F.D.P.-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Schlüssel zur Lösung der Probleme mit dem Filialnetz der Post liegt nach Ansicht der F.D.P.-Bundestagsfraktion darin, der Post möglichst viel unternehmerische Freiheit zu geben.
Fast alle einzelnen Schritte der Postreform sind hier im Hause mit breiter Mehrheit beschlossen worden. Mit der Aufspaltung der alten Behördenpost in die Bereiche Telekom, Postbank und gelbe Post und mit der Wahl der Rechtsform Aktiengesellschaft für die Deutsche Post haben alle Beteiligten, also auch die SPD, die Absicht verfolgt, unternehmerisches Handeln und betriebswirtschaftliches Denken auch im Postsektor stärker zur Geltung zu bringen, um den ehemaligen Monopolisten Deutsche Post AG später dem vollen Wettbewerb mit anderen privaten Unternehmen auszusetzen und damit optimale und preisgünstige Dienstleistungen für die Postkunden zu erreichen.
Somit war auch von Anfang an klar, daß das defizitäre frühere Postfilialnetz in dieser Form und in diesem Umfang nicht zu halten ist. Es ist legitim, über einzelne Standortentscheidungen zu diskutieren. Es wäre aber unredlich, den Bürgerinnen und Bürgern vorzugaukeln, daß alle Postfilialen bleiben könnten. Einen Jahresverlust von 2 Millionen DM, verursacht durch zu wenig ausgelastete Poststellen, kann die Deutsche Post AG auf Dauer nicht verkraften.
Andererseits besteht der grundgesetzlich verankerte Infrastrukturauftrag. Postalische Dienstleistun-
Dr. Max Stadler
gen müssen für alle Bürgerinnen und Bürger in allen Landesteilen verfügbar sein. Eine Poststruktur, die sich nur auf größere und mittlere Zentren beschränken würde, entspräche nicht dem Postulat nach Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in allen Landesteilen. Auch auf dem flachen Land muß die Deutsche Post AG präsent sein, allerdings nicht in jedem Dorf, sondern in zumutbarer Entfernung.
Das derzeit bei der Deutschen Post AG diskutierte Filialkonzept ist ein richtiger Schritt zur Bewältigung dieser teils in einem Spannungsverhältnis zueinander stehenden Vorgaben.
Viele Bürgerinnen und Bürger sehen in der Präsenz der Post vor Ort nach wie vor den Ausdruck des fürsorglichen „Vater Staates", an den man Steuern zahlt und von dem man daher Gegenleistungen wie die Bereitstellung einer umfassenden postalischen Infrastruktur erwartet. Es muß aber der Deutschen Post AG dabei erlaubt sein, aus betriebswirtschaftlicher Kalkulation heraus neue Wege zu beschreiten. Konkret bedeutet dies: Die Post AG braucht die unternehmerische Freiheit, um jeweils die richtige Entscheidung zu treffen, ob sie eine Filiale selbst betreibt oder ob sie andere moderne Betriebsformen wählt, wie zum Beispiel diejenige der Postagentur.
Eine umfassende Präsenz der Post AG in allen Landesteilen ist ja nicht nur eine Last, sondern auch ein Wettbewerbsvorteil gegenüber Konkurrenten, die ein so breites Filialnetz nicht zustande bringen. Schädlich ist für die Post AG jedoch jegliche politische Vorgabe, wie viele ihrer Filialen eigenbetrieben sein müssen.
Solche starren Quotierungen nehmen der Deutschen Post AG die Möglichkeit, flexibel zu entscheiden. Ein Blick ins Ausland, wie zum Beispiel nach Großbritannien, lehrt, daß dann, wenn man der Post völlige Freiheit hinsichtlich der jeweiligen Betriebsform läßt, im Ergebnis eine größere Präsenz die Folge ist als bei starren Vorgaben, wie sie bisher in Deutschland üblich waren.
Noch gibt es mancherorts aus Unkenntnis heraus Vorbehalte gegenüber den Postagenturen. Dort, wo sie bereits eingerichtet sind und wo sie oft Poststellen mit völlig unattraktiven Öffnungszeiten abgelöst haben, haben die Kunden schnell die Erfahrung gemacht, wie praktisch es ist, auch noch abends um 19 Uhr Postdienstleistungen in einer Postagentur in Anspruch nehmen zu können.
Wer die Problematik ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Konservierung bestehender Strukturen und des Erhalts von Arbeitsplätzen bei der Post AG sieht, betrachtet natürlich jeden Zuwachs an unternehmerischer Freiheit für dieses Unternehmen mit
Mißtrauen. Wer wie wir Freien Demokraten vor allem die Interessen der Verbraucher wahren will, kann nur begrüßen, daß mit dem neuen Filialkonzept folgende Tendenz eingeschlagen wird: Abschied von der Quote und Freiheit bei der Wahl der Betriebsform.
Wir wünschen uns möglichst viele kundenfreundliche Postagenturen mit attraktiven Öffnungszeiten für die Verbraucher überall im Land. Dann wird sich nämlich zeigen, daß der ursprünglich gemeinsam eingeschlagene Weg der Postreform nicht nur im Bereich der Telekommunikation, sondern auch im Bereich der gelben Post richtig gewesen ist.
Das Wort hat der Abgeordnete Gerhard Jüttemann, PDS.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Daß uns das Tauziehen um angemessene Postdienstleistungen nun schon während der gesamten Legislaturperiode in Atem hält, ist beileibe kein Zufall, und daß die Leistungen für die Bürger in dieser Zeit nicht besser, sondern schlechter geworden sind, auch nicht. Es ist die direkte Folge der Postgesetzgebung dieser Regierung.
Sie werden es nicht gerne hören, aber ich muß es Ihnen trotzdem immer wieder vorhalten: Die Wurzel allen Übels in Sachen Post ist Ihr verhängnisvoller Privatisierungswahn. Der Wettbewerb, von dem Sie ständig reden, hat bisher nichts gerichtet, sondern höchstens zugrunde gerichtet. Nichts, aber auch gar nichts von den großen Versprechungen wurde erfüllt, mit denen Sie Ihre Postpolitik einst schmackhaft gemacht haben. Der Service ist nicht besser, sondern erkennbar schlechter geworden. Die Preise sind trotzdem gestiegen.
Postfilialen wurden - wir haben es hier gehört - in Tausendergrößen weggeholzt, selbst wenn Bürgerinitiativen verzweifelt dagegen protestiert haben. Es hat die Herren vom Vorstand der Deutschen Post einfach nicht interessiert und den Postminister auch nicht.
Die Post hat eben kalt entschieden, daß diese oder jene Filiale nach ihren Rechnungen nicht genug Gewinn abwirft - das ist F.D.P.-Politik, das ist klar -, und anderes zählt für sie nicht.
Ich möchte Ihnen nur ein aktuelles Beispiel nennen. Artern in Thüringen, bis vor wenigen Jahren noch Kreisstadt, steht demnächst ohne eine einzige posteigene Filiale da. Selbst wenn dafür in irgendeinem Gemischtwarenladen noch Postdienstleistungen
Gerhard Jüttemann
angeboten werden: Das dann hochtrabend Universaldienst zu nennen ist mehr als ein Hohn.
Sie, meine Damen und Herren auf den Regierungsbänken, haben mit Ihrer Politik die Post geradezu eingeladen, so zu handeln.
So sehr ich das Anliegen der SPD in dieser Aktuellen Stunde unterstütze, den Vorwurf einer Mitschuld kann ich der SPD nicht ersparen. Denn hätte die Mehrheit der SPD vor fast genau vier Jahren nicht mit Union und F.D.P. für die Grundgesetzänderung zur Postprivatisierung gestimmt, hätten wir die heutigen Probleme sicher nicht. Diesen Standpunkt hat die PDS seinerzeit vertreten, und die Entwicklung hat ihr recht gegeben. Damals wurde die Post ohne Not aus der staatlichen Hoheit entlassen. Deshalb sollte sich heute auch niemand wundern, wenn für die Post nur noch unternehmerische Aspekte zählen und der Versorgungsauftrag für die Bürger von ihr als lästige Pflichtübung behandelt wird. Die Post ist eben eine Aktiengesellschaft und verhält sich dementsprechend. Gegenwärtig ist sie vor allem auf den baldigen Gang an die Börse erpicht, und das hat sich noch nie mit dem Gemeinwohl und sozialem Denken vertragen.
Damit bin ich bei einem zweiten Aspekt. Die Roß-kur für den Börsengang hat bekanntlich nicht allein Filialsterben und verschlechterten Service zur Folge, sie hat auch verheerende Folgen für die Beschäftigungssituation im Postsektor. Obwohl es schon genug Arbeitslose und geringfügig Beschäftigte in Deutschland gibt, beabsichtigt die Post auch weiterhin, in Zehntausendergrößenordnung sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze zu vernichten. Als Versuchsfeld soll offensichtlich vor allem der Osten herhalten. Das auch noch als „Filialkonzept" auszugeben, kann ich nur zynisch nennen.
Jetzt aber muß es wenigstens um Schadensbegrenzung gehen. Die PDS fordert deshalb, daß die Deutsche Post auf gar keinen Fall aus ihrer Verpflichtung entlassen werden darf, mindestens 12 000 Filialen zu erhalten, darunter mindestens 5 000 eigenbetriebene; ich betone: mindestens, denn nach den eigenen Bilanzen hat die Post durchaus die Möglichkeit, mehr zu leisten. Wie erst kürzlich verkündet, peilt sie sogar die Marktführerschaft in Europa an. Es kann und darf nicht sein, daß dafür die Kleinkunden auf dem flachen Lande zu bluten haben.
Deshalb muß schnellstens die längst überfällige Universaldienstleistungs-Verordnung her, und zwar nicht mit butterweichen Formulierungen, sondern mit glasklaren Festlegungen. Wer die blockiert, handelt gegen die elementaren Interessen der Postkunden und auch der Postbeschäftigten.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich erteile das Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Heinrich Kolb.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Deutsche Bundestag hat vor knapp fünf Monaten das neue Postgesetz verabschiedet. Der wesentliche Inhalt dieses Gesetzes wurde durch Art. 87 f des Grundgesetzes vorgegeben. Neben der Öffnung des Marktes für Postdienstleistungen ist darin die Verpflichtung des Bundes zur Sicherung einer postalischen Grundversorgung festgeschrieben. Es ist unbestritten, daß auch das Filialnetz im Postbereich, das Gegenstand dieser Aktuellen Stunde ist, ein sehr wesentlicher Teil dieser Infrastruktur ist.
Das vom Regulierungsrat grundsätzlich gebilligte bisherige Filialkonzept der Deutschen Post AG sah vor, bis zum 1. Januar 2000 mindestens 12 000 stationäre Vertriebspunkte und bis zum Auslaufen der Exklusivlizenz, also bis zum 31. Dezember 2002, mindestens 10 000 stationäre Vertriebspunkte zu erhalten. Jeweils 50 Prozent der Filialen sollten von der Deutschen Post AG selbst, die übrigen von Agenturinhabern betrieben werden.
Erneute Beratungen im Regulierungsrat am 8. September 1997 hat die Deutsche Post AG zum Anlaß genommen, das gesamte Filialkonzept zu überarbeiten. Ihre Überlegungen zu der neuen Filialkonzeption hat die Deutsche Post AG am 11. Februar dieses Jahres in der 46. Sitzung des Ausschusses für Post und Telekommunikation des Deutschen Bundestages vorgestellt. Vorgesehen ist eine insgesamt höhere Anzahl von Filialen - 11000 bis 12 000 - bei freier Wahl der Quotierung:
Im Ausschuß wurden insbesondere die Quotierungsregelungen, die Gewährleistung der Postversorgung wie auch die Auswirkungen auf die Beschäftigung diskutiert.
Das neue Filialkonzept wurde dem Länderarbeitskreis Post und Telekommunikation am 18. Februar dieses Jahres und dem Beirat der Regulierungsbehörde am 23. März vorgestellt.
Bei der Bewertung müssen wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, beachten, daß die Deutsche Post AG, die zur Zeit noch einziger Träger eines bundesweiten Postfilialnetzes ist, inzwischen ein privates Unternehmen ist, das sich am Markt orientieren muß. Wir können die Post nicht einerseits privatisieren und sie andererseits wie früher weiter wie ein Staatsunternehmen lenken wollen. Damit will ich nicht sagen - um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen -, daß die Bundesregierung die unternehmerischen Entscheidungen der Post nicht kritisch begleiten will. Im Gegenteil: Eine solche kritische Begleitung ist im Hinblick auf die der Post noch eingeräumten Monopolrechte und vor allem auch deshalb erforderlich, weil sie faktisch der zur Zeit einzige flächendekkende Versorger ist.
Ein Filialnetz kann nicht statisch sein; es ist natürlich Marktveränderungen ausgesetzt. Insbesondere muß es auf die sich wandelnden Kommunikationsge-
Parl. Staatssekretär Dr. Heinrich L. Kolb
wohnheiten der Kunden reagieren. Es muß deshalb natürlich von Zeit zu Zeit strukturellen Veränderungen angepaßt werden. In diesem Sinne verstehe ich, verstehen wir den Vorschlag der Deutschen Post AG für eine Weiterentwicklung des Filialnetzes aus unternehmenspolitischen Gründen.
Kollege Kiper, Sie haben hier die drei Kriterien Flächendeckung, Kundenfreundlichkeit und Sozialverträglichkeit angesprochen. Ich denke, daß dieser Vorschlag der Deutschen Post AG durchaus mit diesen drei Kriterien in Einklang zu bringen ist. Zum Beispiel liegen die Öffnungszeiten solcher Agenturen im Interesse der Kunden. Sie werden von den Kunden durchaus geschätzt und entsprechend genutzt. Die Versorgung durch fremdbetriebene Agenturen in bezug auf Qualität und Öffnungszeiten braucht nach allem, was man hört, keineswegs schlechter zu sein als die Versorgung durch Postfilialen selbst.
Wir haben gehört - das ist heute schon gesagt worden -, daß das Filialkonzept bereits Gegenstand von Verhandlungen zwischen der Deutschen Post AG und der Deutschen Postgewerkschaft war. Hierbei ging es - Stichwort „Sozialverträglichkeit" - vorrangig um die möglichen Auswirkungen auf die betroffenen Mitarbeiter in den Filialen. Nach den Planungen der Deutschen Post AG wird sich der Personalabbau in Grenzen halten und in jedem Fall - ich betone: in jedem Fall - sozial verträglich möglich sein. Nach meinen Informationen ist eine Vereinbarung zwischen dem Unternehmen und der Gewerkschaft schon paraphiert, wenn auch noch nicht rechtskräftig unterzeichnet.
Zum Schluß: Ich begrüße die Diskussion um die infrastrukturpolitische Dimension des Filialkonzepts. Sie ist notwendig. Das gilt insbesondere im Hinblick auf die in der Vorbereitung befindliche Postuniversaldienstleistungs-Verordnung, in der auch Kriterien für den Zugang der Bürger zu einem Filialnetz im Postbereich vorgegeben werden sollen. Wegen der erforderlichen Zustimmung des Bundestages und des Bundesrates zu einer solchen Postuniversaldienstleistungs-Verordnung hat der Bundesminister für Wirtschaft vorgeschlagen, eine informelle Arbeitsgruppe einzurichten,
um Lösungen für die PostuniversaldienstleistungsVerordnung zu erarbeiten, die sowohl von der Bundesregierung und vom Bundestag als auch vom Bundesrat getragen werden können. Ich bin zuversichtlich und optimistisch, daß diese Beratungen auch zu einem Ergebnis führen können und werden.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Eike Hovermann, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zu dem Bild „Flucht aus der Verantwortung ", Herr Müller, möchte ich nur an zwei oder drei Zitate von Herrn Bötsch erinnern, der seinerzeit sagte, es sei zwar nicht mehr möglich, die nächste Postfiliale mit Pantoffeln zu erreichen, aber er wolle dafür geradestehen, daß mindestens eine fünfstellige Zahl von posteigenen Filialen bestehenbleibe. Er wolle insbesondere den ländlichen Raum schützen.
- Posteigene.
Mittlerweile - so scheint es - sind aber besonders im ländlichen Raum Wanderstiefel notwendig, um zur nächsten Postfiliale zu gelangen, oder es bleibt - das ist das Faktum - der mobile Service, der zunehmend an die Stelle der wegfallenden posteigenen Filialen tritt. Er tritt im Grunde genommen auch an die Stelle der Agenturen. Ich beziehe mich jetzt auf zwei Wahlkreise, die rund um meinen Wohnort herum liegen, und auf zwei weitere Wahlkreise, die etwas weiter entfernt liegen: Es werden zwar Agenturen eingerichtet, Herr Müller und Herr Stadler, aber wenn sie geschlossen werden, tritt an ihre Stelle keine neue Filiale, sondern es geht nur darum, ob hier der mobile Service einspringt oder ob der Postbriefträger mit der erweiterten Annahmebefugnis - oder wie auch immer das heißt - einspringen muß. Dieser hat weder die Zeit noch die Qualität, das zu leisten, was im grundgesetzlichen Auftrag gemäß Art. 87 f des Grundgesetzes zu leisten ist.
Wenn Sie eben in einem Zwischenruf sagten, daß die Richtlinien der EU als Grundlage für den informellen Arbeitskreis dienen sollen, sage ich einmal, was darin steht:
Allen Nutzern ist ein leichter Zugang zum Postnetz zu ermöglichen, indem ihnen insbesondere eine ausreichende Anzahl fester Zugangspunkte und zufriedenstellender Bedingungen hinsichtlich der Häufigkeit der Abholung und Zustellung geboten wird und eine den Bedürfnissen der Nutzer angepaßte Dichte der Abhol- und Zugangspunkte.
Das ist der Punkt.
Herr Stadler klagt, dies wäre nur mit unternehmerischer Freiheit und unternehmerischem Handeln möglich. Faktum, das wir mittlerweile zu beklagen haben, ist, daß im ländlichen Raum diese sogenannte unternehmerische Freiheit und das unternehmerische Handeln dazu führen, daß der mobile Postservice übrigbleibt und daß es eine Ungleichgewichtigkeit zwischen Ballungszentren und dem ländlichen Raum gibt.
Eike Hovermann
Nach Maßgabe des Art. 87 f Abs. 1 des Grundgesetzes gilt im Grunde dasselbe - ich verkürze -: „flächendeckend angemessene und ausreichende Dienstleistungen" zur Verfügung zu stellen. Dieses Grundgesetz gilt immer noch.
- Herr Müller, langsam. Dies gilt für die Ballungszentren genauso wie für den ländlichen Raum.
Die Post AG hat sich in Kenntnis dieser Probleme am 2. Dezember 1996 gegenüber dem Regulierungsrat verpflichtet, bis zum Jahre 2000 mindestens 12 000 - diese Zahlen haben wir alle schon gehört - und nach dem Jahr 2000 mindestens 10 000 Filialen - davon mindestens 5 000 posteigene Filialen - selbst zu betreiben.
Jetzt kommt Herr Stadler und sagt: Wir wollen von den starren Regeln weg. Was heißt denn das? Entweder geht man Verpflichtungen ein, damit sich die betroffenen Arbeitnehmer, Arbeitgeber und wer auch immer davon als Nutzer betroffen ist, auf etwas einlassen können und Planungssicherheit haben, oder man sagt: Ich gehe einerseits Verpflichtungen ein, kann aber unter dem Aspekt der wirtschaftlichen Freiheit und des wirtschaftlichen Handelns jederzeit Verpflichtungen, die ich eingegangen bin, wieder brechen. Na gut. Das entspricht nicht unserer Vorstellung von wirtschaftlichem Handeln und von wirtschaftlicher Freiheit; denn so betrachtet man immer nur die eine Seite.
Sie haben im Zusammenhang mit der Postprivatisierung das Beispiel McPaper angesprochen. Vielleicht hat das bei Ihnen - wie zunächst auch bei uns - zu einiger Verwirrung geführt. Aber wir bleiben dabei, daß wir die eingegangenen Verpflichtungen ernst nehmen. Manche muß man auf den richtigen Weg zurückführen, muß sie zu ihrem Glück zwingen.
Wir gehen davon aus, daß in einer zukunftsweisenden Politik mindestens 5 000 posteigene Filialen das Rückgrat der Post bilden.
Die Post AG hat ihr Filialkonzept vorgestellt. Schon mit diesem Vorschlag wurde Zug um Zug die Quotierung in bezug auf Eigen- und Fremdfilialen auf gegeben. Das stieß auch bei Ihnen nicht auf ungeteilte Freude; in der Sitzung haben Sie mit emphatischem Ton gefragt - auch Hans Martin Bury hat es eben erwähnt -: Warum haben wir eigentlich der Portoerhöhung von 1 DM auf 1,10 DM zugestimmt? Denn laut Originalton Müller - lesen Sie es nach! - wollten Sie damit die Qualität der posteigenen Filialen verbessern.
- Immer den eigenen Text lesen, Herr Müller. Es hilft manchmal, wenn man in das Gesetz oder in den Text schaut. Sie wissen doch, daß insbesondere die Kommunen im ländlichen Raum gekniffen sind. Wie im Bereich Gesundheit und anderswo gilt auch hier:
Den letzten beißen die Hunde. Es werden Lasten auf die Kommunen verlagert.
Herr Jüttemann hat dankenswerterweise ein Beispiel aus den ostdeutschen Ländern genannt. Ich nenne ein anderes: In Bönen -18 000 Einwohner - werden posteigene Filialen geschlossen, ohne daß eine lebensfähige Struktur von Agenturen sichtbar ist. Dies könnte ich für mehrere Städte aus dem Umkreis bestätigen.
Ich will nur noch an eines erinnern.
Ihre Redezeit ist zu Ende. Bitte nur noch ein letzter Satz.
Frau Präsidentin, ein letzter Satz: Wir sind deshalb dafür, neben der Erhaltung der sozialen Mindeststandards eine Mindestzahl von 12 000 vorzuhaltenden stationären Vertriebspunkten, davon mindestens 5 000 eigenbetriebene Filialen, festzulegen.
Ich danke für Ihre Geduld, Frau Präsidentin.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Michael Meister, CDU/ CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Hovermann, Sie haben eben davon gesprochen, es müßten einige mal wieder auf Kurs gebracht werden. Dazu möchte ich nur bemerken: Es wäre sehr schön, wenn auch die SPD-Fraktion die geistige Flexibilität erreichen würde, die mittlerweile die Deutsche Postgewerkschaft zeigt. Dann wären Sie schon ein ganzes Stück weiter.
All die Gesetze, die verabschiedet worden sind, haben der Deutsche Bundestag und der Bundesrat beschlossen. Dort gibt es bekanntlich unterschiedliche Mehrheiten. Ich glaube, man sollte sich nicht aus Populismus und Opportunismus aus der gemeinsamen politischen Verantwortung für das, was man beschlossen hat, herausstehlen. Das ist unehrlich.
- Wir tun das nicht. Sie versuchen es mit der Debatte heute, die Sie angeschoben haben.
Wenn sich draußen in der Bevölkerung Unmut auftut - Herr Kollege Kiper hat es angesprochen -, können wir das, so glaube ich, alle verstehen. Die Menschen werden mit Veränderungen konfrontiert. Wenn Sie versuchen - wie mit dieser Debatte und den Aktionen in den Wahlkreisen -, daraus in Wahlkampfzeiten Ihr parteipolitisches Süppchen zu kochen, leisten Sie einen Bärendienst. Wir sollten vielmehr einen Beitrag dazu leisten, den Übergang konstruktiv zu gestalten.
Dr. Michael Meister
Ich bin fest davon überzeugt, daß sich der Wettbewerb mittelfristig positiv auch für die Postkunden auswirken wird. Die Qualität wird steigen, das PreisLeistungs-Verhältnis wird besser werden, und die Anzahl der angebotenen Dienstleistungen wird zunehmen. Bei der Beratung des Gesetzes haben wir darauf geachtet, daß sich alle Punkte der ehemals geltenden Postkundenschutzverordnung in der neuen Gesetzgebung wiederfinden. Wir sind dies in den Ausschußberatungen Punkt für Punkt durchgegangen und haben darauf geachtet, daß keinerlei Abbau an Qualität stattfindet. Dazu stehen wir, und dafür werden wir auch in Zukunft politisch eintreten.
Herr Kollege Bury, Sie rekurrieren immer auf die EU-Richtlinie.
Nach meinen Kenntnissen sind in der Bundesrepublik Deutschland alle Anforderungen dieser EU-Richtlinie schon heute gängige Praxis.
Dazu bedarf es keiner zusätzlichen Rechtsgrundlage. Es ist bereits heute der Fall.
Ich möchte Ihnen einen weiteren Punkt aufzeigen: Wir haben uns Anfang der 80er Jahre in diesem Hause auf einen gemeinsamen Grundkonsens verständigt. Wir sind immer noch auf dieser Linie, die wir damals beschlossen haben, nämlich in bezug auf die zeitlichen und entfernungsmäßigen Restriktionen für die Kunden. Wir stehen zu dieser Aussage, und wir werden bei allen Konzepten, die wir diskutieren, auch diesen Konsens dieses Hauses seit Anfang der 80er Jahre weiterhin tragen.
Wir sind dafür eingetreten, nicht nur abstrakte, globale Zahlen zu diskutieren: 10 000, 11 000 Filialen in Deutschland. Damit kann kein Mensch draußen etwas anfangen. Wir sind dafür eingetreten, daß wir regionalisierte Filialkonzepte bekommen,
auf deren Grundlage in den Landkreisen, in den großen Städten konkret diskutiert werden kann: Wie wird sich diese Veränderung in der Filialstruktur auswirken? Mittlerweile ist die Post AG dabei, dies vorzulegen. Wir sind dankbar dafür. Wir werden dann vor Ort diskutieren, wie sich das konkret für den Bürger auswirkt. Ich glaube, das ist ein sinnvoller Ansatz.
Ich möchte aber auch ein paar kritische Töne in Richtung Deutsche Post AG sagen. Da ist mit Sicherheit in Richtung Kommunikation - Kommunikation mit den Kunden, mit den Kommunalpolitikern, mit den Bürgern -, nicht alles so gelaufen, wie es laufen könnte. Wir würden uns wünschen, daß man früher und offener auf die Betroffenen zugeht und das deutlich macht. Ich will anerkennen, daß sich da in den letzten Monaten einiges zum Besseren gewendet hat.
Ich möchte einen weiteren Punkt aufnehmen. Ich habe von den Sorgen der Menschen gesprochen. Die sind für mich verständlich, wenn sich etwas verändert.
- Ganz genau! Es ist aber eine Frage, wie man mit diesen Sorgen umgeht, wie man das aufgreift,
ob man zum Beispiel im Vorfeld solcher Veränderungen lediglich Stimmung macht oder ob man auch mal deutlich macht, welche eindeutig positiven Auswirkungen - das wurde hier schon angesprochen - längere Öffnungszeiten, besserer Service,
Erhalt von mittelständischen Unternehmen gerade im Bereich des Einzelhandels und damit auch im ländlichen Raum haben. Das sollten wir einmal deutlich machen.
Meine persönliche Erfahrung in meinem eigenen Wahlkreis ist: Vor solchen Umwandlungen haben wir immer schwierige Diskussionen, nach den Umwandlungen ist das Echo durchweg positiv, weil die Leute plötzlich spüren, daß die Dienstleistung dadurch besser und nicht schlechter geworden ist.
Ich möchte hier noch auf etwas eingehen, was der Kollege Bury angesprochen hat.
- Kollege Bury, Lautstärke und Qualität stehen in der Regel im umgekehrten Verhältnis zueinander. Deshalb: Dämpfen Sie Ihre Stimme, dann wird vielleicht die Qualität besser.
Herr Kollege Bury, Sie haben massiv kritisiert, die Regulierungsbehörde würde gegen bestehende Gesetze verstoßen. Wir haben doch verlangt, sie solle unabhängig sein. Deshalb sollten wir uns auch nicht anmaßen, ihr politische Empfehlungen zu geben, sondern sollten die Unabhängigkeit dieser Behörde von allen Seiten des Hauses respektieren. Dazu möchte ich Sie nachdrücklich ermahnen.
Sie haben sich hier als Vorkämpfer der Postgewerkschaft geriert. - Das sei mein letzter Satz. - Ich glaube, es war ein Riesenschock für Sie, als Sie plötzlich erfahren haben, daß die Postgewerkschaft diesen Vertrag paraphiert hat. Es wäre besser gewesen, statt von Ihrer Seite diese Debatte hier zu beantragen, Sie hätten sich mal in Ihr Büro gesetzt und sich überlegt, ob der Weg, den die Postgewerkschaft hier eingeschlagen hat, nicht der richtige Weg ist.
Danke schön.
Die nächste Rednerin ist die Abgeordnete Ute Vogt, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich war schon erstaunt, Herr Kollege Meister, über Ihre Ausführungen. Denn in meinem Wahlkreis sind es genau die Kommunalpolitiker und Abgeordneten Ihrer Fraktion, die bei uns Stimmung machen, die jedes Mal den Bürgerinnen und Bürgern falsche Hoffnungen machen und sagen: Wir retten eure Postfiliale, wir sind diejenigen, die den Postdienst für euch erhalten.
Das sind zwei Seelen, sage ich immer: die revolutionäre im Wahlkreis und die andere dort, wo es tatsächlich darauf ankäme, wo Sie wirklich Taten zeigen könnten und nicht nur Worte schwingen müßten, nämlich hier in Bonn. Da aber fehlt Ihre Verordnung immer noch, um den entsprechenden Rechtsrahmen zu setzen.
Ich finde es wirklich ärgerlich,
wenn Sie hier auf einmal so tun, als wären Sie diejenigen, die die sachlichen Diskussionen führen, während Sie hier durch Nichtstun auffallen, in den Wahlkreisen aber dadurch, daß Ihre Abgeordneten den Bürgerinnen und Bürgern Hoffnungen machen, wo andere versuchen, zu sagen: Leute, macht euch wenig Hoffnungen, denn da wurde sehr viel auch im Vorfeld schon verbaut.
Ich möchte auch etwas zu den Erfahrungen mit den Agenturen berichten. Natürlich, wenn ich Briefmarken kaufen möchte, kann ich in der Tat sagen: Prima, ich kann auch abends um sechs noch in den Laden. Aber bei allen anderen Dingen wird es dann schon schwieriger. Ich will nur ein Beispiel herausgreifen. Es hat mich gewundert, Herr Stadler, daß Sie, der Sie doch häufiger Verfechter eines effektiven Datenschutzes sind, hier ausgerechnet die Agenturen hochloben. Denn wenn man zum Beispiel im Lebensmittelladen ein Paket oder ein Päckchen abgibt, dann weiß in der Regel das ganze Dorf, wer an wen etwas schickt, weil das dann dort im Regal liegt. Und wenn jemand zum Beispiel Geldgeschäfte machen oder ein Telegramm aufgeben möchte, dann hat man gerade in den Agenturen Riesenprobleme, Datenschutz und Postgeheimnis zu wahren und das Ganze so abzuwickeln, daß es auch vertrauensmäßig in einem vernünftigen Rahmen stattfinden kann. Deshalb sind die Agenturen zwar, wie gesagt, vielleicht ganz nett fürs Briefmarkenkaufen. Aber für andere Postdienstleistungen sind sie natürlich ein enormer Rückschritt -
von den Arbeitsplätzen gar nicht zu reden; daß nämlich dadurch kein einziger Arbeitsplatz geschaffen
wurde, sondern eher auf seiten der Post AG Arbeitsplätze vernichtet werden, ist hinlänglich bekannt.
Ich möchte einen anderen Bericht aus der Praxis anfügen. Ich habe bei uns in der Region mit einigen mittelgroßen Städten und ein paar kleineren Gemeinden nachgefragt. Stellen Sie sich das einmal als einen Kuchen vor: Etwa 40 Prozent des Angebots besteht heute schon in Agenturen; das heißt, fast fünf Stücke Torte - bei uns ißt man Schwarzwälder Kirsch - sind weg. 45 Prozent sind eigenbetriebene Filialen mit bereits enorm reduzierter Öffnungszeit - 7 bis 22 Stunden in der Woche ist da überhaupt noch offen -,
das heißt, weitere fünf Stücke sind weg. Zehn Stücke sind schon verfrühstückt - ohne eine entsprechende Qualität der Dienstleistungen. Es bleiben etwa 10 Prozent, die zwischen 22 und 38,5 Stunden geöffnet haben. Wenn man es insgesamt sieht, stellt man fest, daß noch ein halbes Stückchen Kuchen, etwa 5 Prozent, übrig bleibt, wo ein vernünftiges Angebot gemacht wird, nämlich Postfilialen mit mehr als einem Schalter.
Die Frage der Beschäftigten bei der Post AG hängt genau von dieser Frage ab. Einen qualifizierten Arbeitsplatz, Fortbildungsmöglichkeiten und Aufstiegsmöglichkeiten kann man nur dann ermöglichen, wenn man mehr als einen Schalter zur Verfügung hat, wenn man eine Filiale hat, wo noch Ausbaumöglichkeit besteht. So und nur so ist die Vereinbarung der Postgewerkschaft zu verstehen, auf die sie sich vor allem zur Sicherung qualifizierter Arbeitsplätze eingelassen hat.
Aber es ist auch klar - da stimmt die Deutsche Postgewerkschaft mit der SPD vollkommen überein -: Das politische Ziel „Wir brauchen weiterhin 5 000 Filialen im Eigenbetrieb " wurde zu keiner Zeit aufgegeben. Wenn Sie etwas anderes sagen, geschieht dies wider besseres Wissen.
Das Wort hat die Abgeordnete Renate Blank, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die heutige Aktuelle Stunde auf Antrag der SPD ist eine reine Schaufensterveranstaltung - Wahlkampf läßt grüßen - und bringt der Bevölkerung keine einzige postalische Dienstleitung mehr.
Mit der heutigen Debatte soll und wird die Angst der Bevölkerung vor einer Reduzierung der Postdienstleistungen und insbesondere die Angst der Beschäftigten der Deutschen Post AG um ihren Arbeitsplatz geschürt werden.
Renate Blank
Was bewegt die SPD zu dieser eigentlich nicht aktuellen Stunde? Was ist geschehen? Blicken wir zurück! Im Rahmen des Postgesetzes mit dem Infrastrukturauftrag und der Exklusivlizenz für die Deutsche Post AG gibt es die Verpflichtung, den Kunden entsprechend der allgemeinen Nachfrage flächendeckend angemessene und ausreichende Möglichkeiten anzubieten, postalische Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen. Dabei hat sich die Deutsche Post AG verpflichtet, bis zum Auslaufen der Exklusivlizenz Ende 2002 mindestens 10 000 stationäre Vertriebspunkte vorzuhalten, davon 5 000 im Eigenbetrieb.
Nun wurde die Deutsche Post AG aufgefordert, länderbezogene Konzepte für das Filialnetz unter Einbeziehung von raumordnungspolitischen Kriterien zu erarbeiten. Dies wurde getan. Das neue Konzept unterscheidet sich nur dadurch, daß jetzt bis zum Jahr 2003 rund 11700 statt bisher 10 000 Filialen erhalten bleiben sollen, davon aber weniger als bisher im posteigenen Betrieb.
Jetzt passiert das für die SPD schier Unglaubliche: Diese Veränderungen sind von der Postgewerkschaft akzeptiert worden. Ja, es gibt sogar eine Vereinbarung mit der Gewerkschaft,
ohne daß dies vorher mit der SPD abgesprochen worden war. Ich kann mir natürlich sehr gut vorstellen, daß Sie, meine Damen und Herren von der SPD, darüber verärgert sind. Wie kann eine Gewerkschaft ohne Rücksprache mit Ihnen eine Vereinbarung mit dem Tarifpartner treffen? Das geht wahrscheinlich nicht in Ihre Köpfe.
Vielleicht gäbe es diese Zustimmung nach der offensichtlichen Wahlwerbung des DGB für die SPD heute nicht mehr.
Die Deutsche Post AG muß sich zunehmend dem entstehenden Wettbewerb, insbesondere ab 2003 nach Auslaufen der Exklusivlizenz, stellen. Dafür ist es aus meiner Sicht wichtig, daß unternehmerische Entscheidungen getroffen werden, die Kosteneinsparungen beinhalten und die Versorgung der Bevölkerung mit optimalen Postdienstleistungen sowie die sozialverträgliche Umsetzung der Filial- und Vertriebsstrategie gewährleisten.
Lassen Sie mich noch ein Wort zu den Postagenturen sagen, Frau Kollegin Vogt. Der Datenschutz ist natürlich auch bei einer Postagentur gewährleistet. Dazu verpflichtet sich die Postagentur. Das, was Sie hier gesagt haben - daß es das ganze Dorf weiß -, ist Unsinn.
Auch wenn in der Post jemand am Schalter steht, ist es durchaus möglich, daß das ganze Dorf mitbekommt, worum es geht.
Die Einrichtung der Postagenturen hat sich bewährt. Fast überall, wo sie eingerichtet wurden - in Bayern gibt es schon weit über 500 -, werden sie von der Bevölkerung sehr gut angenommen.
Denn - das wurde heute schon gesagt - die Postagenturen sind hinsichtlich ihrer Öffnungszeiten wesentlich kundenfreundlicher als viele eigenbetriebene Postfilialen. Wenn bei der Inbetriebnahme einer Postagentur noch hinzukommt, daß die bisher in einer Postfiliale Beschäftigten sozialverträglich umgesetzt werden können, dann sind alle zufrieden.
Selbst in einer Großstadt wie Nürnberg hat sich die Einrichtung von Postagenturen bewährt. Dies gilt auch für kleinere Städte meines Wahlkreises, auch für die Stadt Schwabach. In Nürnberg und Schwabach gibt es jeweils bereits über fünf Postagenturen, die wirklich sehr gut angenommen und von der Bevölkerung geschätzt werden.
Für mich ist es wichtig, daß mit einem Filialkonzept der Deutschen Post AG, dem die Gewerkschaft zugestimmt hat, die Versorgung der Bürger mit postalischen Dienstleistungen auch unter raumordnungspolitischen Gesichtspunkten dauerhaft sichergestellt wird. Dabei ermöglicht eine größere Flexibilität der Vertriebsformen eine bessere Orientierung an den Wünschen der Kunden. Wenn dann noch eine sozialverträgliche Umsetzung, durch die Zustimmung der Gewerkschaften garantiert, erfolgt, gibt es keinen Anlaß zur Panikmache.
Die von der SPD beantragte Aktuelle Stunde ist deshalb Wahlkampfgeplänkel und war vollkommen überflüssig.
Das Wort hat der Abgeordnete Gerhard Rübenkönig, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Liebe Frau Kollegin Blank, wenn Sie diese Veranstaltung als Schaufensterveranstaltung bezeichnen, muß man annehmen, daß Sie das Ohr gar nicht mehr an den Bürgerinnen und Bürgern unserer Bundesrepublik haben.
Wenn ich in meinen Wahlkreis hineingehe, muß ich feststellen, daß die Bürgerinnen und Bürger dieses Thema mindestens genauso bewegt wie die Einführung des Euro. Diskutieren Sie doch einmal vor Ort!
An einem Beispiel aus meinem Wahlkreis möchte ich heute einmal deutlich machen, was eigentlich passiert, welch volkswirtschaftlicher Unsinn teilweise betrieben wird. Dann können Sie sich selbst ein Bild davon machen, was die Bürgerinnen und Bürger davon halten.
Gerhard Rübenkönig
Zunächst wurden 1,5 Millionen DM in eine Postfiliale investiert, dann wurde entschieden, eine Agentur in einem Lebensmittelgeschäft einzurichten. Die Filiale wurde geschlossen, die Agentur wurde eröffnet. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter konnten teilweise anderweitig eingesetzt werden, wurden aber auch in den Vorruhestand oder in die Frühpensionierung geschickt. - Hierauf komme ich gleich noch einmal zurück.
In der neuen Agentur wird diese Tätigkeit teilweise durch 620-DM-Arbeitskräfte abgewickelt. Somit kommt es hier ganz klar zum Abbau von sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen. Das muß man deutlich machen.
Außer der Umwandlung von Filialen in Agenturen finden im gesamten Wahlkreis massive Filialschließungen statt. Ich will nur eine Zahl nennen. Sie können sich dann ein Bild davon machen, was das bedeutet. Alleine in Kassel-Land - von dort komme ich - sollen von 83 Filialen 49 Prozent geschlossen oder umgewandelt werden, dort soll also auf 41 Filialen reduziert werden. Sie können sich vorstellen, was die Bürgerinnen und Bürger dort mir oder auch dem Kollegen von der CDU sagen. Hieran wird auch deutlich, daß gerade im ländlichen Bereich - deshalb habe ich die Stadt Kassel, in der die Anzahl der Filialen fast gleich bleibt, außen vor gelassen - die flächendeckende Versorgung äußerst gefährdet ist.
Als Haushälter - ich komme jetzt auf das Thema Frühpensionierung - habe ich bereits mehrfach deutlich gemacht, daß die Last der Frühpensionen auch große finanzielle Auswirkungen auf die nächsten Bundeshaushalte hat; denn die Unterstützungkassen von Post, Postbank und Telekom weisen bereits heute für einen überschaubaren Zeitraum Milliardendefizite auf, die von den Kassen selbst nicht mehr getragen werden können. Ich habe in Berichterstattergesprächen und im Haushaltsausschuß gegenüber dem Bundesfinanzminister mehrfach darauf hingewiesen, daß diese Defizite immer größer werden und es keine vernünftigen Deckungsvorschläge gibt.
Laut Aussage des Finanzministeriums - das will ich hier einmal deutlich machen, Kolleginnen und Kollegen - werden diese Defizite durch Dividendeneinnahmen und Aktienverkäufe ausgeglichen. Wenn man dann bedenkt, daß der Finanzminister die Telekom-Aktie zu einem Kurs von 33,81 DM verkauft hat und der Kurs heute 45,98 DM beträgt, dann wird ersichtlich, daß er hier 4,4 Milliarden DM an Volksvermögen verschleudert hat.
Selbst wenn die Verkaufserlöse eintreten und das Defizit ausgeglichen werden kann, bleiben aus meiner Sicht noch erhebliche Belastungen für den Bundeshaushalt übrig; denn nach der Postreform II müssen diese Fehlbeträge, wenn die anvisierten Summen über Dividendeneinnahmen und Aktienverkäufe ausbleiben, über die Bundesfinanzen ausgeglichen werden. Auf eine von mir vor wenigen Tagen gestellte Anfrage wurde in der Antwort der Bundesregierung dazu nichts gesagt, sondern nur auf andere Dinge hingewiesen. Meine Damen und Herren, mir ist aus dem Finanzministerium bekannt geworden - diese Zahl muß man sich einmal merken -, daß nach internen Berechnungen im Ministerium das Defizit in den Unterstützungskassen für den Zeitraum von 1999 bis 2010 auf zirka 80 Milliarden DM anwachsen wird.
Wenn dies so ist, dann ist es schon fast eine Unverschämtheit, diesen Betrag, der eine sehr hohe Hypothek für die nächste Bundesregierung bedeutet, nicht zu nennen. Dies macht eben deutlich, daß Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, davon ausgehen, daß die nächste Regierung von der SPD gestellt wird und Sie dieses Problem nicht mehr selber lösen müssen.
Schönen Dank.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Hermann Pohler, CDU/ CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst daran erinnern, daß es der gemeinsame Wille der Regierungskoalition und der SPD-Fraktion war, die bundeseigenen Unternehmen Post und Telekom zu privatisieren und die bestehenden Monopole zu beseitigen, also eine Öffnung des Marktes zu erreichen. Zu keinem Zeitpunkt wurde dabei in Zweifel gezogen, daß die flächendeckende Sicherung der Grundversorgung der Bevölkerung nicht in Frage gestellt werden darf. Die Sicherung einer funktionsfähigen und kundenfreundlichen Infrastruktur wurde festgeschrieben.
Um dieser Grundforderung nachzukommen, wurde für den postalischen Bereich von der Deutschen Post AG das Konzept für ein Postfilialnetz erarbeitet. Nach mehreren Korrekturen enthält dieses Konzept heute 12 000 Filialen, die in unterschiedlicher Form, also sowohl in eigener Regie als auch fremdbetrieben, betrieben werden sollen.
In diesem Zusammenhang möchte ich etwas zu den Agenturen sagen, über die heute schon mehrfach diskutiert wurde. Ich habe die Erfahrung in meinem Wahlkreis und weit darüber hinaus gemacht - ich sage das, weil hier zwischen Stadt und Land differenziert wurde -, daß die Agenturen, nachdem die Post ihre Öffentlichkeitsarbeit wesentlich verbessert hat und an den betroffenen Orten rechtzeitig informiert und Diskussionen führt, wesentlich besser als vorher angenommen werden. Ich habe eigentlich nur Lob gehört, vor allem deshalb, weil die Öffnungszeiten viel besser sind und man nicht mehr auf kurze Öffnungszeiten angewiesen ist, die es oft unmöglich
Dr. Hermann Pohler
gemacht haben, während der Arbeitszeit überhaupt zur Post zu kommen. Deshalb sollten wir uns vor einer diesbezüglichen Quotierung hüten. Hiervor kann nur gewarnt werden. Erstens müssen wir der Post AG die Möglichkeit der Flexibilität - auch unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten - zugestehen, und zweitens gibt es dazu auch unter sozialen bzw. personellen Gesichtspunkten keinen Anlaß.
Die Tarifpartner, also die Deutsche Post AG und die Deutsche Postgewerkschaft, haben meines Wissens einen Vertrag über eine grundsätzliche Klärung zum Betreiben der Filialen und zur sozialen Absicherung der Mitarbeiter der Post AG abgeschlossen. Wir sind also gut beraten, die Verantwortung dort zu belassen, wohin sie in der privaten Wirtschaft gehört. Ich möchte daran erinnern, daß es sich jetzt um ein Unternehmen der Privatwirtschaft handelt und nicht mehr um einen Bundesbetrieb. Ich glaube, ab und zu wird vergessen, daß in der Privatwirtschaft diese Verantwortung bei den Tarifpartnern liegt.
Eine Einmischung der Politik ist in der Übergangszeit nur dann vertretbar, wenn es um Grundsätze geht. Auch unter diesem Gesichtspunkt wurde bekanntlich die Regulierungsbehörde gegründet. Sie hat die Aufgabe, für eine begrenzte Zeit sowohl die Deutsche Telekom als auch die Post AG nicht nur zu begleiten, sondern vor allem auch dafür zu sorgen, daß der angestrebte Wettbewerb in Gang kommt. Wie wir alle im ersten Vierteljahr ihres Bestehens feststellen konnten, ist das eine sehr diffizile und schwierige Angelegenheit. Wir sollten und müssen diese Behörde konstruktiv begleiten.
Unverantwortlich und schädigend für die Arbeit der Regulierungsbehörde ist in meinen Augen zum Beispiel die Behauptung des postpolitischen Sprechers der SPD, das Konzept der Regulierungsbehörde verstoße gegen das Postgesetz. Damit wirft er dem Präsidium der Behörde Gesetzesbruch vor und schädigt ihr Ansehen. Es muß eindringlich davor gewarnt werden, die Arbeit der Regulierungsbehörde in dieser Form zur eigenen Profilierung zu mißbrauchen.
Es ist daher zu begrüßen, daß dies offensichtlich auch die Mehrheit des Beirates so gesehen hat und einen völlig überzogenen Antrag des postpolitischen Sprechers der SPD ablehnte. Dieses Ergebnis gibt zu der Hoffnung Anlaß, daß trotz des Wahlkampfes auch in der nächsten Zeit der im Beirat bisher übliche, von Sachlichkeit geprägte Arbeitsstil fortgesetzt wird.
Ich bedanke mich.
Als letzter Redner im Rahmen der Aktuellen Stunde hat der Abgeordnete Klaus Barthel, SPD-Fraktion, das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es war nicht die SPD, die in den vergangenen Tagen die Öffentlichkeit gesucht hat, um von der eigenen Untätigkeit abzulenken und davon zu faseln, daß irgendwer irgendwem in den Rücken gefallen sei. Das möchte ich hier einmal festhalten. Vielmehr hat die heutige Debatte doch gezeigt, daß sich diejenigen, die davon reden, daß ihnen irgend jemand in den Rücken gefallen sei, gar nicht darüber einig sind, wie die tatsächlichen Zusammenhänge eigentlich aussehen. Herr Meister hat von geistiger Flexibilität geredet,
und die F.D.P. erhielt von der Union Applaus, als behauptet wurde, im Filialnetz breche die große Freiheit aus; gleichzeitig beklagte der Abgeordnete Müller, daß die DPG nicht mehr für die 5000 eigenbetriebenen Filialen kämpft und man ihr in den Rücken gefallen sei.
Man kann daraus zusammenfassend eigentlich nur folgern - Herr Meister hat dieses neue Konzept ausdrücklich begrüßt -, daß es immer gut ist, wenn irgendwer der CDU in den Rücken fällt.
Frau Blank, Ihre Behauptung, das Thema sei nicht aktuell, deshalb bedürfe es keiner Aktuellen Stunde, wird durch die Papierflut, die Proteste und die Unterschriftensammlungen widerlegt, die bei mir als Ausschußvorsitzendem wöchentlich eingehen. Auf diese Weise teilt die Bevölkerung ihre Meinung zu dem mit, was Sie zugelassen haben. Jetzt schauen Sie nur noch zu, was in diesem Bereich passiert.
Wir als Parlamentarier erleben in diesen Wochen, wie die Post AG und ihre Wettbewerber ungeachtet der durch uns beschlossenen Gesetze, früherer Versprechungen und Verordnungen eigentlich tun und lassen, was sie wollen. Die Post AG legt Filialkonzepte mit ständig kürzerer Verfallsdauer vor, bei denen die Vorgaben schlicht ignoriert werden. Das jüngste Produkt dieser Serie ist das, worüber wir jetzt reden.
Zum Schluß der Beratungen war im Ausschuß nicht einmal klar, ob das Unternehmen selbst überhaupt noch am Filialgeschäft beteiligt bleiben möchte, weil nicht sicher war, ob die sogenannten Centerfilialen selbst betrieben werden sollen. Die von Ihnen genannte Zahl 12 000 können wir vor dem Hintergrund der Erfahrungen, die wir gemacht haben, nur als unverbindlichen Versuchsballon ansehen, aber nicht als irgendeine Zusage, die uns politisch weiterhilft.
In dieser Situation mußten der Gesamtbetriebsrat und die Deutsche Postgewerkschaft angesichts des Kaufs der McPaper-Kette und der Praxis der Unternehmensführung der letzten Monate befürchten, daß das gesamte Filialnetz einem Outsourcing unterworfen wird. Deswegen haben sie in dieser Situation die Notbremse gezogen und eine Mindestzahl von Filialen und Arbeitsplätzen gesichert. Sie mußten das tun, weil sie mit dem Rücken zur Wand standen
Klaus Barthel
und weil sie mit Recht jedes Vertrauen in die Politik dieser Regierung und in die Haltung der Regulierungsbehörde verloren hatten, wenn es darum geht, Sicherheit beim Erhalt des Filialnetzes zu schaffen. Sie mußten ja in den vergangenen Wochen und Monaten zusehen, wie der Regulierungsrahmen in bezug auf die Zahl der Filialen ausgehebelt wurde. Wenn jetzt ausgerechnet vom Kollegen Müller, der heldenhaft für 5 000 eigenbetriebene Filialen kämpfte, beklagt wird, daß ihnen irgend jemand in den Rücken gefallen ist, dann ist das an Heuchelei wohl kaum noch zu überbieten.
Es war ja die Bundesregierung, die zugesehen hat, als bei der Postbank und der Post AG nichts funktionierte. Es ist die Bundesregierung, die keine Universaldienstverordnung vorlegt, so daß wir heute immer noch nicht wissen, ob und in welcher Form die Koalition in Zukunft den Universaldienst will. Wir sind zu Gesprächen - wie auch immer - bereit. Wir wollen aber natürlich erst einmal wissen, über was gesprochen werden soll. Wir haben unsere Vorstellungen im Antrag dargelegt und sind jederzeit dazu bereit, in Gespräche einzutreten. Wir warten aber immer noch auf die Bundesregierung.
Wir bestehen auf der Einhaltung der infrastrukturellen Vorgaben und erinnern daran, daß der Deutsche Bundestag dem Grundgesetz und der Bevölkerung verpflichtet ist. Er ist nicht dazu da, unternehmerische Entscheidungen nachzuvollziehen und betriebliche Mindestvereinbarungen zur gesetzlichen Norm zu erheben oder anzuordnen. Wir haben vielmehr eine gesetzgeberische Aufgabe und Verpflichtung; der sollten Sie endlich nachkommen. Wenn Sie schon nicht mehr zur Gestaltung fähig sind, sollten Sie wenigstens dafür sorgen, daß der gesetzliche Rahmen eingehalten wird und daß das umgesetzt wird, was wir hier gemeinsam beschlossen haben.
Der Abgeordnete Elmar Müller, CDU/CSU-Fraktion, hat noch einmal um das Wort gebeten. Er ist wirklich der letzte Redner in dieser Aktuellen Stunde.
Mir ist klargeworden, daß die SPD mit dieser Aktuellen Stunde sozusagen eine Gegenleistung für das Geld erbringt, das die Gewerkschaften für diesen Wahlkampf ausgeben.
Dafür entbietet sie den Gewerkschaften hier sozusagen im Gegenzug einen Liebesbeweis.
Diese Aktuelle Stunde wurde von Ihnen in Zusammenarbeit mit der Postgewerkschaft durchgeführt.
Ich möchte aber zu einem Thema Stellung nehmen, das hier nicht ohne Kommentar im Raum stehenbleiben darf.
Welche Gerüchte aus dem Haushaltsausschuß hier verbreitet werden, ist schon hanebüchen. Wir mußten bei den Verhandlungen über die Pensionslasten von unserer Seite auf Grund der Pensionsverpflichtungen Kosten in der Größenordnung von etwa 100 Milliarden DM - bewältigen. Ihre Aussage, daß bis 2010 etwa 80 Milliarden DM an Defizit auflaufen werden, stimmt mit den Berechnungen, die wir bis hin zum Jahre 2043 vorgelegt bekommen haben, überhaupt nicht überein.
Deshalb hat die Bundesregierung erklärt, daß diese Verpflichtungen auch für dieses Jahr eingelöst werden können, wie es nach dem Gesetz vorgeschrieben ist, indem sie aus den Erlösen des Aktienverkaufes und aus den Erlösen der Dividende finanziert werden. Dazu hat die Bundesregierung in diesem Jahr Aktien in der Größenordnung von etwa 10 Milliarden DM über die KfW verkauft, und es werden dieses Jahr möglicherweise noch einmal etwa 15 Milliarden DM über das gleiche Platzhaltersystem fällig, so daß also diese Defizite abgedeckt sind.
Es ist aber wahr, daß die Kosten für die Frühpensionierungen, die die Post mit der Gewerkschaft und den Vertretern des Betriebsrates gemeinsam auf den Weg gebracht hat und die sie inzwischen in steigender Zahl vornimmt, nicht berechnet werden können. Diese können jeweils erst zum Jahresende berechnet werden.
Diese Sachverhalte sind aber, um es klar zu sagen, abgeklärt worden. So ist es Ihnen beantwortet worden. Deshalb sollten wir solche Horrorzahlen, die draußen lediglich Verwirrung stiften, nicht in den Raum stellen.
Es war mir ein Anliegen, diesen Eindruck zu korrigieren.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Aktuelle Stunde ist beendet. Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, 7. Mai 1998, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.