Protokoll:
13222

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 13

  • date_rangeSitzungsnummer: 222

  • date_rangeDatum: 5. März 1998

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 20:27 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 13/222 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 222. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 5. März 1998 Inhalt: Begrüßung des Parlamentspräsidenten der Republik Kasachstan, Herrn Dr. Marat T. Ospanow und seiner Delegation . 20239 A Glückwünsche zu den Geburtstagen der Abgeordneten Günter Schluckebier, Julius Louven, Christian Lenzer, Dr. Dietrich Sperling, Dr. Christa Luft, Dr. Konstanze Wegner und Hans Berger 20239 B Wahl des Abgeordneten Ulrich Adam zum ordentlichen Mitglied sowie des Abgeordneten Dr. Hermann Pohler zum stellvertretenden Mitglied im Beirat der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post 20239 C Absetzung von Tagesordnungspunkten 20240 A Nachträgliche Ausschußüberweisungen 20240 B Erweiterung der Tagesordnung 20239 C Eintritt der Abgeordneten Annegret Kramp-Karrenbauer in den Deutschen Bundestag 20244 B Tagesordnungspunkt 5: a) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Vertrag von Amsterdam vom 2. Oktober 1997 (Drucksachen 13/9339, 13/9913) 20240 C b) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union - zu dem Antrag des Abgeordneten Christian Sterzing und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Demokratische Reformen auf dem Weg zu einer politischen Union - die zentrale Aufgabe der Regierungskonferenz - zu dem Antrag der Abgeordneten Manfred Such, Christian Sterzing, Volker Beck (Köln) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Maastricht II: Wege zu einer Politischen Union mit bürgerrechtlichem Fundament und demokratischen Strukturen in der Justiz- und Innenpolitik - zu dem Antrag der Abgeordneten Christian Sterzing, Angelika Beer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Die Europäische Union muß zum Motor für eine zivile Außenpolitik werden - zu dem Antrag der Abgeordneten Michaele Hustedt, Christian Sterzing, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ökologisierung der Europäischen Verträge - zu dem Antrag der Abgeordneten Steffen Tippach, Heinrich Graf von Einsiedel, weiterer Abgeordneter und der Gruppe der PDS: Neuverhandlung des Amsterdamer Vertrags - zu der Entschließung des Europäischen Parlaments Zum Vertrag von Amsterdam (Drucksachen 13/7823, 13/7824, 13/ 7825, 13/7822, 13/9379, 13/9819 Nr. 1.5, 13/9912) 20240 D Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister AA . 20241 B Heidemarie Wieczorek-Zeul SPD 20244 B, 20273 D, 20288 B Rudolf Seiters CDU/CSU . . . 20248 A, 20258 C Christian Sterzing BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 20251 B Dr. Helmut Haussmann F.D.P 20253 B Dr. Gregor Gysi PDS 20255 A Heidemarie Wieczorek-Zeul SPD . . 20255 D Dr. Uschi Eid BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 20258 B Dr. Theodor Waigel, Bundesminister BMF 20258 D Siegmar Mosdorf SPD . . . 20261 A, 20268 B Otto Schily SPD 20261 B, 20280 A Peter Conradi SPD 20262 C Rudolf Scharping SPD 20263 D Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU . . 20267 C Joseph Fischer (Frankfurt) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 20274 C Dr. Wolfgang Gerhardt F.D.P 20277 C Peter Conradi SPD 20282 B Dr. Gero Pfennig CDU/CSU 20283 D Ingrid Matthäus-Maier SPD 20284 A Dr. Jürgen Meyer (Ulm) SPD 20285 D Dr. Werner Hoyer, Staatsminister AA 20288 B, 20289 C Manfred Müller (Berlin) PDS 20288 C Dr. Liesel Hartenstein SPD (Erklärung nach § 31 GO) 20289 D Namentliche Abstimmung 20290 D Ergebnis 20291 D Zusatztagesordnungspunkt 5: Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zu dem Gesetz zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts (Drucksachen 13/7274, 13/9211, 13/9545, 13/10002) 20294 C Zusatztagesordnungspunkt 6: Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zu dem Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität (Drucksachen 13/8651, 13/9644, 13/ 9661, 13/9841, 13/10004) 20294 D Dr. Heribert Blens CDU/CSU (Erklärung nach § 31 GO) 20294 D Dr. Peter Struck SPD (Erklärung nach § 31 GO) 20296 A Kerstin Müller (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 20297 A Dr. Hermann Otto Solms F.D.P. (Erklärung nach § 31 GO) 20298 A Dr. Gregor Gysi PDS (Erklärung nach § 31 GO) 20299 B Dr. Burkhard Hirsch F.D.P. (Erklärung nach § 31 GO) 20300 B Dr. Uwe-Jens Heuer PDS (Erklärung nach § 31 GO) 20301 A Otto Schily SPD (Erklärung nach § 31 GO) 20301 C Dr. Dagmar Enkelmann PDS (Erklärung nach § 31 GO) 20302 B Rolf Köhne PDS (Erklärung nach § 31 GO) 20302 C Namentliche Abstimmung 20303 A Ergebnis 20305 B Tagesordnungspunkt 6: a) Große Anfrage der Abgeordneten Michael Müller (Düsseldorf), Dietmar Schütz (Oldenburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Stand der Arbeiten am Umweltgesetzbuch (Drucksachen 13/2551, 13/4767) . . . 20303 A b) Große Anfrage der Abgeordneten Michael Müller (Düsseldorf), Dietmar Schütz (Oldenburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Weiterentwicklung der Umweltverträglichkeitsprüfung zur Sicherung einer nachhaltigen Entwicklung (Drucksachen 13/3778, 13/8155) 20303 B c) Große Anfrage der Abgeordneten Michael Müller (Düsseldorf), Anke Fuchs (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Stand der Umweltökonomischen Gesamtrechnung (Drucksachen 13/2395, 13/4435) . . . 20303 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 7: Antrag der Abgeordneten Michaele Hustedt, Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Moderne Umweltpolitik für eine Nachhaltige Entwicklung in Deutschland (Drucksache 13/10010) 20303 B Dietmar Schütz (Oldenburg) SPD . . . . 20303 C Dr. Gerhard Friedrich CDU/CSU . . . . 20308 A Dietmar Schütz (Oldenburg) SPD . . . 20309 B Michaele Hustedt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 20310 A Birgit Homburger F D P. 20312 A Eva Bulling-Schröter PDS 20315 A Christoph Matschie SPD 20316 B Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) CDU/ CSU 20318 A Michael Müller (Düsseldorf) SPD . . . . 20320 B Rolf Köhne PDS 20321 B Dr. Angela Merkel, Bundesministerin BMU 20322 C Christoph Matschie SPD 20325 B Tagesordnungspunkt 17: Überweisungen im vereinfachten Verfahren a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 13. Mai 1997 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Kirgisischen Republik über den Luftverkehr (Drucksache 13/9852) 20326 C b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 5. September 1996 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung von Macau über den Luftverkehr (Drucksache 13/9853) 20326 C c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 17. Februar 1997 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Litauen über den Luftverkehr (Drucksache 13/9854) 20326 C d) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Zuordnungsrechtes (Drucksache 13/9719) 20326 D e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Bundesrechtsanwaltsordnung, der Patentanwaltsordnung und anderer Gesetze (Drucksache 13/9820) 20326 D f) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung von Verbrauchsteuergesetzen (Drucksache 13/9956) 20326 D g) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Staatsziel „Tierschutz") (Drucksache 13/9723) 20327 A h) Antrag der Abgeordneten Achim Großmann, Dieter Maaß (Herne), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Finanzielles Engagement von Genossenschaftsmitgliedern fördern (Drucksache 13/5560) 20327 A i) Antrag der Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk, Elisabeth Altmann (Pommelsbrunn), Matthias Berninger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ausbildungsrefom in den Pflegeberufen (Drucksache 13/7418) 20327 B j) Antrag der Abgeordneten Dr. Edith Niehuis, Anke Eymer, und weiterer Abgeordneter: Umsetzung der Aktionsplattform der Vierten Weltfrauenkonferenz in internationalen Konferenzen überprüfen (Drucksache 13/ 9483) 20327 B k) Antrag der Abgeordneten Adelheid Tröscher, Dr. R. Werner Schuster, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Weiterentwicklung des Zentrums für Internationale Zusammenarbeit Bonn (Drucksache 13/9769) 20327 B 1) Antrag der Abgeordneten Ulrike Höfken, Steffi Lemke, Halo Saibold und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Verbesserungen beim Transport von Schlachttieren in Europa (Drucksache 13/9828) 20327 C Zusatztagesordnungspunkt 8: Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 29. November 1996 über den Beitritt der Republik Österreich, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden zu dem Übereinkommen von 1980 über das auf vertragliche Schuldenverhältnisse anzuwendende Recht sowie zu dem Ersten und dem Zweiten Protokoll über die Auslegung des Übereinkommens durch den Gerichtshof (Drucksache 13/9954) 20327 C b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 29. November 1996 über den Beitritt der Republik Österreich, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden zu dem Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen sowie zum Protokoll betreffend die Auslegung dieses Übereinkommens durch den Gerichtshof (Drucksache 13/9955) 20327 D c) Antrag der Abgeordneten Dr. Winfried Pinger, Detlef Helling, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/ CSU sowie der Abgeordneten Roland Kohn, Dr. Irmgard Schwaetzer und der Fraktion der F.D.P.: Weiterentwicklung des Zentrums für internationale Zusammenarbeit in Bonn (Drucksache 13/10018) 20327 D d) Antrag der Abgeordneten Dr. Rolf Olderog, Klaus Riegert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/ CSU sowie der Abgeordneten Dr. Olaf Feldmann, Birgit Homburger und der Fraktion der F.D.P.: Sporttourismus, neuartige Sportaktivitäten und Umweltschutz (Drucksache 13/10017) . . 20328 A e) Antrag der Abgeordneten Christa Lörcher, Arne Fuhrmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Bundeseinheitliche Regelung einer qualifizierten Altenpflegeausbildung (Drucksache 13/10016) 20328 A Tagesordnungspunkt 18: Abschließende Beratungen ohne Aussprache a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Rezzo Schlauch, Volker Beck (Köln), weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung der Begrenzung des aktiven Wahlrechts für Deutsche, die nicht in den Gebieten der Mitgliedstaaten des Europarates leben (Drucksachen 13/7864, 13/9686) 20328 B b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Erdölbevorratungsgesetzes (Drucksachen 13/9530, 13/9830) . 20328 D c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Bundeswasserstraßengesetzes (Drucksachen 13/7955, 13/9995) . 20329 A d) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Agrarstatistikgesetzes und anderer Gesetze (Drucksachen 13/9110, 13/9940) 20329 B e) Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Haushaltsführung 1997 Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 11 13 Titel 646 12 - Erstattung von Invalidenrenten und Aufwendungen für Pflichtbeitragszeiten bei Erwerbsunfähigkeit in den neuen Ländern (einschl. ehemaliges Ost-Berlin) - (Drucksachen 13/9263, 13/9461 Nr. 3, 13/9800) . . . 20329 C f) Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Haushaltsführung 1997 Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 10 02 Titel 656 51 Zuschüsse zur Alterssicherung der Landwirte - (Drucksachen 13/9333, 13/9461 Nr. 7, 13/9801) 20329 C g) Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Haushaltsführung 1997 Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 25 02 Titel 642 01 - Wohngeld nach dem Wohngeldgesetz - (Drucksachen 13/9277, 13/9461 Nr. 6, 13/9802) . . . 20329 D h) Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Haushaltsführung 1997 Weitere überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 25 02 Titel 893 01 - Prämien nach dem Wohnungsbau-Prämiengesetz - (Drucksachen 13/9276, 13/9461 Nr. 5, 13/9803) 20329 D i) Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Haushaltsführung 1997 Weitere überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 25 02 Titel 893 01 - Prämien nach dem Wohnungsbau-Prämiengesetz - (Drucksachen 13/9568, 13/9669 Nr. 1.3, 13/9804) 20330 A j) Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Haushaltsführung 1997 Weitere überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 25 02 Titel 893 01 - Prämien nach dem Wohnungsbau-Prämiengesetz - (Drucksachen 13/9569, 13/9669 Nr. 1.4, 13/9805) 20330 A k) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über Flughafengebühren (Drucksachen 13/8615 Nr. 2.35, 13/10006) . . 20330 B 1) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Memorandum der Kommission Anwendung der Wettbewerbsregeln auf den Luftverkehr Vorschlag für eine Verordnung (EG) des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 3975/87 über die Einzelheiten der Anwendung der Wettbewerbsregeln auf Luftfahrtunternehmen Vorschlag für eine Verordnung (EG) des Rates zur Anwendung von Artikel 85 Absatz 3 EG-Vertrag auf bestimmte Gruppen von Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltungsweisen im Luftverkehr zwischen der Gemeinschaft und Dritten Ländern (Drucksachen 13/8508 Nr. 2.29, 13/ 10007) 20330 C m) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über Zulassungsdokumente für Kraftfahrzeuge und Kraftfahrzeuganhänger (Drucksachen 13/8508 Nr. 2.21, 13/ 10008) 20330 D n) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 95/21/EG des Rates zur Durchsetzung internationaler Normen für die Schiffssicherheit, die Verhütung von Verschmutzung und die Lebens- und Arbeitsbedingungen an Bord von Schiffen, die Gemeinschaftshäfen anlaufen und in Hoheitsgewässern der Mitgliedstaaten fahren (Hafenstaatkontrolle) (Drucksachen 13/8615 Nr. 2.98, 13/10009) . . 20330 D o-x) Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersichten 297 bis 306 zu Petitionen (Drucksachen 13/9877 bis 13/9886) . 20331 A Dr. Christa Luft PDS (Erklärung nach § 31 GO) 20332 A Zusatztagesordnungspunkt 9: Weitere abschließende Beratung ohne Aussprache Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P.: Verhandlungen über ein internationales Abkommen für umweltverträglichen Tourismus (Drucksache 13/10024) 20332 D Tagesordnungspunkt 8: a) Große Anfrage der Abgeordneten Amke Dietert-Scheuer, Kerstin Müller (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Schutz verfolgter Frauen (Drucksachen 13/8217, 13/9715) 20332 D b) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend - zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung - zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Christel Hanewinckel, Anni Brandt-Elsweier, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD - zu dem Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Bundesregierung über die 4. Weltfrauenkonferenz (4. WFK) vom 4. bis 15. September 1995 in Peking - zu dem Antrag der Abgeordneten Maria Eichhorn, Bärbel Sothmann, Renate Diemers und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und der Fraktion der F.D.P.: Gleichberechtigung verwirklichen - Nationale Strategien nach der Vierten Weltfrauenkonferenz (Drucksachen 13/6736, 13/7072, 13/7096, 13/ 7057, 13/8118) 20333 A c) Beschlußempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses - zu dem Antrag der Abgeordneten Rudolf Bindig, Volker Neumann (Bramsche), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Wiederherstellung der Menschenrechte - insbesondere der Rechte von Frauen - in Afghanistan - zu dem Antrag der Abgeordneten Rita Grießhaber, Waltraud Schoppe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Die Menschenrechte von Frauen in Afghanistan wiederherstellen (Drucksachen 13/5968, 13/ 5958, 13/9831) 20333 B Amke Dietert-Scheuer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 20333 C Bärbel Sothmann CDU/CSU 20334 D Dr. Edith Niehuis SPD 20335 D Dr. Irmgard Schwaetzer F.D.P 20338 B Petra Bläss PDS 20333 D Claudia Nolte, Bundesministerin BMFSFJ 20340 D Dr. Christoph Zöpel SPD 20342 C Dr. Friedbert Pflüger CDU/CSU 20344 C, 20346 C Dr. Irmgard Schwaetzer F.D.P. . . . . 20345 C Rita Grießhaber BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 20346 B Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär BMI 20347 B Dr. Christoph Zöpel SPD 20348A Amke Dietert-Scheuer BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 20348 B Tagesordnungspunkt 9: a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) (Drucksache 13/9712) 20349 C - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Hans Martin Bury, Dr. Uwe Jens, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung von Transparenz und Beschränkung von Machtkonzentration in der deutschen Wirtschaft (Transparenz- und Wettbewerbsgesetz) (Drucksache 13/367) . 20349 C - Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Steigerung der Effizienz von Aufsichtsräten und zur Begrenzung der Machtkonzentration bei Kreditinstituten infolge von Unternehmensbeteiligungen (Drucksachen 13/9716, 13/10038) . 20349 D b) Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Margareta Wolf (Frankfurt), Antje Hermenau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Begrenzung der Bankenmacht und Verbesserung der Unternehmenskontrolle - Voraussetzung für mehr Transparenz und Innovation (Drucksachen 13/7737, 13/ 10038) 20349 D Joachim Gres CDU/CSU 20350 A Hans Martin Bury SPD 20354 B Hartmut Schauerte CDU/CSU . . . 20355 B Joachim Gres CDU/CSU . . . 20356 B, 20357 A Margareta Wolf (Frankfurt) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 20358 A Dr. Otto Graf Lambsdorff F.D.P 20359 D Dr. Uwe-Jens Heuer PDS 20361 D Rainer Funke, Parl. Staatssekretär BMJ 20363 B Dr. Eckhart Pick SPD 20364 C Hartmut Schauerte CDU/CSU 20365 C Tagesordnungspunkt 11: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Güterkraftverkehrsrechts (Drucksachen 13/9314, 13/9437, 13/10037) . 20368 A b) Antrag der Abgeordneten Claus-Peter Grotz und der Fraktion der CDU/CSU sowie des Abgeordneten Horst Friedrich und der Fraktion der F.D.P.: Harmonisierungsdefizite bei Wettbewerbsbedingungen im europäischen Binnenmarkt (Drucksache 13/9855) . 20368 B Tagesordnungspunkt 12: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Fracht-, Speditions- und Lagerrechts (Transportrechtsreformgesetz) (Drucksachen 13/8445, 13/10014) . . 20369 A Tagesordnungspunkt 13: Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur sozialrechtlichen Absicherung flexibler Arbeitszeitregelungen (Drucksachen 13/9741, 13/9818, 13/9976, 13/10033) 20369 C Tagesordnungspunkt 14: a) Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Dr. Ruth Fuchs, weiterer Abgeordneter und der Gruppe der PDS: Ermäßigung des Mehrwertsteuersatzes für apothekenpflichtige Arzneimittel auf 7 Prozent (Drucksache 13/9759) . . . 20369 D b) Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Dr. Christa Luft, Dr. Uwe-Jens Rössel, Rolf Kutzmutz und der Gruppe der PDS: Besteuerung von Luxusgegenständen (Drucksache 13/9760) . . 20370 A c) Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Dr. Christa Luft, weiterer Abgeordneter und der Gruppe der PDS: Ermäßigter Mehrwertsteuersatz für arbeitsintensive Leistungen (Drucksache 13/9790) 20370 A Dr. Barbara Höll PDS 20370 B Tagesordnungspunkt 16: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Achten Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes (Drucksache 13/ 9996) 20371 D Zusatztagesordnungspunkt 10: Erste Beratung des von den Abgeordneten Horst Schmidbauer (Nürnberg), Klaus Kirschner, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Arzneimittelhaftungsrechts (Drucksache 13/10019) . . . . 20371 D Nächste Sitzung 20372 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 20373* A Anlage 2 Stimmverhalten beim Beschluß zum Eintritt in die dritte Stufe der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion MdlAnfr 44 - Drs. 13/9987 - Jürgen Augustinowitz CDU/CSU SchrAntw PStSekr Hansgeorg Hauser BMF 20373* B Anlage 3 Erklärungen nach § 31 GO zur Abstimmung über den Gesetzentwurf: zum Vertrag von Amsterdam vom 2. Oktober 1997 (Tagesordnungspunkt 5 a) Gerhard Scheu CDU/CSU 20373* D Klaus Dieter Reichardt (Mannheim) CDU/ CSU 20374* C Hans Büttner (Ingolstadt) SPD 20374* D Kurt Neumann (Berlin) fraktionslos . . 20375* A Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Gerd Müller, Dr. Christian Ruck, Albert Deß, Johannes Singhammer, Heinz-Georg Seiffert, Hans Michelbach, Bartholomäus Kalb, Frederick Schulze (Sangershausen), Hans-Otto Wilhelm (Mainz), Michael Teiser, Wilhelm Josef Sebastian, Dr. Peter Paziorek, Meinolf Michels, Herbert Frankenhauser, Dr. Erich Riedl (München), Kurt J. Rossmanith, Josef Hollerith, Max Straubinger, Dr. Egon Jüttner (alle CDU/CSU) zur Abstimmung über den Gesetzentwurf zum Vertrag von Amsterdam vom 2. Oktober 1997 (Tagesordnungspunkt 5 a) 20375* C Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Hermann Bachmeier, Eckart Kuhlwein, Hans Martin Bury, Dr. Marliese Dobberthien, Dr. R. Werner Schuster und Iris Gleicke (alle SPD) zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zu dem Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität (Zusatztagesordnungspunkt 6) 20376* B Anlage 6 Erklärungen nach § 31 GO zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zu dem Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität (Zusatztagesordnungspunkt 6) 20377* A Margitta Terborg SPD 20377* A Manfred Such BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 20377* B Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und Dr. Irmgard Schwaetzer, beide F.D.P. . . 20378* C Dr. Winfried Wolf PDS 20378* D Hildebrecht Braun (Augsburg) F.D.P. . 20379* C Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Max Stadler, Dr. Otto Graf Lambsdorff und Hans-Dietrich Genscher zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zu dem Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität (Zusatztagesordnungspunkt 6) 20379* D Anlage 8 Erklärung des Abgeordneten Heinz Schemken (CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zu dem Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität 20380* B Anlage 9 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Maritta Böttcher, Dr. Ruth Fuchs, Rosel Neuhäuser, Klaus-Jürgen Warnick, Heidemarie Lüth, Rolf Kutzmutz und Dr. Ludwig Elm (alle PDS) zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses zur Sammelübersicht 300 zu Petitionen (Tagesordnungspunkt 18r) . . . . 20380* C Anlage 10 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Heidemarie Lüth und Dr. Ruth Fuchs (beide PDS) zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses zur Sammelübersicht 302 zu Petitionen (Tagesordnungspunkt 18t) 20380* D Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 11 (a - Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Güterkraftverkehrsrechts, b - Antrag: Harmonisierungsdefizite bei Wettbewerbsbedingungen im europäischen Binnenmarkt) Wilhelm Josef Sebastian CDU/CSU . . . 20381* B Angelika Graf (Rosenheim) SPD . . . 20382* B Gila Altmann (Aurich) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 20383* D Horst Friedrich F.D.P. 20384* C Dr. Dagmar Enkelmann PDS 20385 * B Dr. Norbert Lammert Parl. Staatssekretär BMV 20385* D Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 12 a (Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Fracht-, Speditions- und Lagerrechts) Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten CDU/ CSU 20387* A Dr. Eckhart Pick SPD 20388* A Gila Altmann (Aurich) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 20389* C Hildebrecht Braun (Augsburg) F.D.P. . 20389* C Dr. Dagmar Enkelmann PDS 20391* B Rainer Funke Parl. Staatssekretär BMJ 20392* A Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 13 (Entwurf eines Gesetzes zur sozialrechtlichen Absicherung flexibler Arbeitszeitregelungen) Heinz Schemken CDU/CSU 20392* C Franz Thönnes SPD 20394* A Marieluise Beck (Bremen) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 20395* C Dr. Gisela Babel F.D.P 20396* B Petra Bläss PDS 20397* A Dr. Norbert Blüm Bundesminister BMA 20397* C Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 14 (a - Antrag: Ermäßigung des Mehrwertsteuersatzes für apothekenpflichtige Arzneimittel auf 7 Prozent, b - Antrag: Besteuerung von Luxusgegenständen, c - Antrag: Ermäßigter Mehrwertsteuersatz für arbeitsintensive Leistungen) Johannes Selle CDU/CSU 20398* D Dieter Grasedieck SPD 20401* B Christine Scheel BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 20402* B Gisela Frick F.D.P 20403* C Anlage 15 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 16 (Entwurf eines Achten Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes) sowie zum Zusatztagesordnungspunkt 10 (Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Arzneimittelhaftungsrechts) Dr. Wolf Bauer CDU/CSU 20404* B Horst Schmidbauer (Nürnberg) SPD . 20405* C Marina Steindor BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 20407* A Dr. Dieter Thomae F.D.P 20408* A Dr. Ruth Fuchs PDS 20408 * D Dr. Sabine Bergmann-Pohl Parl. Staatssekretär BMG 20409 * B 222. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 5. März 1998 Beginn: 9.00 Uhr
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    Berichtigung 221. Sitzung, Seite 20 205 D, Zeile 4: Statt „Anspruchsgesetz" ist „Einspruchsgesetz" und in Zeile 5 ist statt „Anspruch" „Einspruch" zu lesen. Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Albowitz, Ina F.D.P. 5. 3. 98 Buwitt, Dankward CDU/CSU 5. 3. 98 Dempwolf, Gertrud CDU/CSU 5. 3. 98 Dreßler, Rudolf SPD 5. 3. 98 Eymer, Anke CDU/CSU 5. 3. 98 Fischer (Unna), Leni CDU/CSU 5. 3. 98 * Frankenhauser, Herbert CDU/CSU 5. 3. 98 Hauser (Esslingen), Otto CDU/CSU 5. 3. 98 Imhof, Barbara SPD 5. 3. 98 Jacoby, Peter CDU/CSU 5. 3. 98 Jelpke, Ulla PDS 5. 3. 98 Kauder, Volker CDU/CSU 5. 3. 98 Dr. Kues, Hermann CDU/CSU 5. 3. 98 Kurzhals, Christine SPD 5. 3. 98 Lohmann (Witten), Klaus SPD 5. 3. 98 Regenspurger, Otto CDU/CSU 5. 3. 98 Reinhardt, Erika CDU/CSU 5. 3. 98 Dr. Röhl, Klaus F.D.P. 5. 3. 98 Schäfer (Mainz), Helmut F.D.P. 5. 3. 98 Dr. Schuchardt, Erika CDU/CSU 5. 3. 98 Schumann, Ilse SPD 5. 3. 98 Teuchner, Jella SPD 5. 3. 98 Titze-Stecher, Uta SPD 5. 3. 98 Vergin, Siegfried SPD 5. 3. 98 Verheugen, Günter SPD 5. 3. 98 Wohlleben, Verena SPD 5. 3. 98 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage 2 Antwort des Parl. Staatssekretärs Hansgeorg Hauser auf die Frage des Abgeordneten Jürgen Augustinowitz (Drucksache 13/9987 Frage 44): Wie wird die Bundesregierung die Zustimmung des Deutschen Bundestages für ihr Stimmverhalten bei den Beschlüssen nach Artikel 109j Abs. 3 und 4 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Union einholen, und durch welche Verfahrensweise wird sie sicherstellen, daß sich diese Abstimmung entsprechend der gemeinsamen Erklärung des Deutschen Bundestages und des Bundesrates auf „dieselbe Materie wie die Bewertung des Rates der Wirtschafts- und Finanzminister und die Entscheidung des Rates in der Zusammensetzung der Staats- und Regierungschefs" (d. h. auch auf die Teilnahme einzelner Mitgliedsstaaten) bezieht? Anlagen zum Stenographischen Bericht Die Europäische Kommission und das Europäische Währungsinstitut werden am 25. März 1998 ihre Konvergenzberichte vorlegen. Die Deutsche Bundesbank wird am 26. März 1998 - einer Bitte von Bundeskanzler Dr. Kohl entsprechend - ihre Stellungnahme zur Konvergenzlage in der Europäischen Union mit Blick auf die 3. Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion festlegen. Am 27. März 1998 wird das Bundeskabinett die Stellungnahme der Bundesregierung zu diesen Berichten verabschieden und sie gemeinsam mit diesen dem Deutschen Bundestag und dem Bundesrat zuleiten, damit jene - wie in ihren Entschließungen anläßlich der Ratifizierung des Vertrages von Maastricht gefordert - ihre Voten abgeben können. Anlage 3 Erklärungen nach § 31 GO zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zum Vertrag von Amsterdam vom 2. Oktober 1997 (Tagesordnungspunkt 5 a) Gerhard Scheu (CDU/CSU): Gegen das Vertragsgesetz bestehen nach meiner Beurteilung erhebliche Einwände: Erstens. Nach Auffassung der Bundesregierung (Begründung zu Art. 1, BT-Drucksache 13/9339, S. 6), des Bundesrates wie auch der Fraktionen der SPD, der F.D.P. und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN (BT-Drucksache 13/9913, S. 11f.) bedarf das Vertragsgesetz gemäß Art. 23 Abs. 1 Satz 3 GG der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und der Stimmen des Bundesrates. Zweitens. Im federführenden Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union hingegen blieb diese Rechtsfrage, wie sich aus Abschnitt B.I des Berichts ergibt (BT-Drucksache 13/9913, S. 11f.), letztlich in der Schwebe. Ausgeführt wird dort u. a.: „Nach Auffassung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion erfordert die Ratifizierung des Vertrages von Amsterdam keine Zweidrittelmehrheit. " Drittens. Ich halte diese nur scheinbar pragmatische, in Wirklichkeit europa- und verfassungsrechtlich hochbedeutsame Auffassung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion - in Übereinstimmung mit der Bayerischen Staatsregierung - für evident unrichtig. Das Vertragswerk von Amsterdam enthält Änderungen der vertraglichen Grundlagen der EU und vergleichbare programmatische Regelungen, die das Grundgesetz seinem Inhalt und seinem Kompetenzgefüge nach auf vielfältige Weise über das derzeitige Integrationsprogramm hinaus der potentiellen Geltung und Anwendbarkeit eines Rechts aus anderer als deutscher Quelle modifizierend öffnen können. Die Kompetenzen der Gemeinschaft haben inzwischen eine derartige Fülle und Dichte erreicht, daß der weitere Fortgang des Integrationsprozesses nur noch in rechtlicher Präzision, Entschiedenheit und Verbindlichkeit gestaltet werden darf. Hierzu gehört aus meiner Sicht als Abgeordneter des Deutschen Bundestages zuvörderst die unbedingte Rechtsklarheit, ob es sich beim Vertragsgesetz um ein Gesetz handelt, das einer qualifizierten Mehrheit bedarf oder nicht. Viertens. Der Vertrag von Amsterdam soll u. a. die „Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit einer sich erweiternden Europäischen Union ... sicherstellen" (Denkschrift, A., BT-Drucksache 13/9339, S. 139). Gleichwohl dieser „Perspektive der EU-Erweiterung" war die „Neuordnung der Gemeinschaftsfinanzen" nicht Gegenstand der Regierungskonferenz (a. a. O.) und wurde die Frage insbesondere auch einer Revision der unfairen und ungerecht gewordenen Nettofinanzbelastung Deutschlands einer „späteren gesonderten Behandlung" (a. a. O.) zugewiesen. Die Vorlage der EG-Kommission über die Erweiterung der EU - „Agenda 2000" (BT-Drucksache 13/8391 vom 13. August 1997, Dritter Teil, III.1-III.4, S. 87 ff.) - spricht sich insoweit eindeutig dafür aus, den geltenden Eigenmittelbeschluß und den Mechanismus zur Reduzierung des Beitrags des V.K. erst nach der „ersten Beitrittswelle" zu überprüfen. Bis dahin soll nach dem erklärten Willen der Kommission der geltende und nur einstimmig zu ändernde Eigenmittelbeschluß unverändert in Kraft bleiben. Fünftens. Meiner Auffassung nach widerspricht diese Haltung der Kommission dem aus der Gemeinschaftstreue folgenden Gebot der wechselseitigen Rücksichtnahme und elementaren Interessen des Mitgliedstaates Deutschland. Deutschland kann angesichts seiner fortdauernden Sonderbelastung durch die deutsche Einheit keinesfalls auch noch die Kosten der Osterweiterung der EU im bisherigen Umfang leisten. Ohne einen Korrekturmechanismus, der für alle Mitgliedstaaten zu einer am wirtschaftlichen Wohlstand der Länder bemessenen fairen Nettobelastung führt, wäre das Programm einer sich um zehn östliche Länder erweiternden EU ein finanzpolitischer Sprengsatz. Überlegungen, die Aufbringung der notwendigen Finanzmittel einseitig zu Lasten der deutschen Landwirtschaft zu bewerkstelligen, ohne wenigstens zugleich substantielle Bereiche der Agrarpolitik in die nationale Kompetenz zurückzugeben, kann ich nicht zustimmen. Sechstens. Artikel 63 Nr. 4 (ex-Art. 73k) des Vertrages räumt dem Rat die Kompetenz zur „Festlegung der Rechte und Bedingungen" ein, unter denen sich Staatsangehörige dritter Länder" in anderen Mitgliedstaaten aufhalten dürfen." Diese Frage war bisher Kompetenz des deutschen Ausländerrechts. Würde der Rat, was nicht fern liegt, beschließen, daß die Inanspruchnahme sozialer Leistungen den anderen Mitgliedstaat nicht zu aufenthaltsversagenden oder -beendenden Maßnahmen mit Sofortvollzug befugt, so entstünde daraus angesichts des vergleichsweise hohen Niveaus des deutschen Sozialleistungsrechts ein die weitere Zuwanderung nach Deutschland provozierendes Sozialleistungsgefälle. Ich halte es deshalb für unverzichtbar, daß die Bundesregierung den übrigen EU-Mitgliedstaaten zu Art. 63 Nr. 4 EGV (neu) ihre Rechtsauffassung notifiziert, daß das nationale Recht insoweit zumindest den Nachweis dauerhaft voll ausreichender Existenzmittel zu verlangen oder andere Maßnahmen als „vereinbar" mit dem Vertrag (Art. 63 Abs. 2) zu verfügen berechtigt ist. Siebtens. Die Zustimmung zum Vertragsgesetz ist mir unter diesen Umständen außerordentlich schwer gefallen. Wenn ich mich gleichwohl dem Gesetz nicht versagt habe, so im wesentlichen deshalb, weil die Integration Europas zur Staatsraison Deutschlands gehört, weil - außer meiner eigenen - alle übrigen Fraktionen des Bundestages und der Bundesrat vom Erfordernis der Zweidrittelmehrheit ausgehen, weil die Bundesregierung (nur) dann Gelegenheit hat, das elementare Interesse an einer fairen Nettofinanzbelastung Deutschlands politisch pflichtgemäß zur Geltung zu bringen und weil die Bundesregierung meiner Kenntnis nach zugesichert hat, zu Art. 63 EGV (neu) eine interpretierende Erklärung vertragswirksam zu notifizieren. Klaus Dieter Reichardt (Mannheim) (CDU/CSU): Meine heutige Zustimmung erfolgt mit dem ausdrücklichen Hinweis, daß ich - insbesondere in einem mehrheitlich sozialistisch geprägten Europa - auf Sicht durchaus Schwierigkeiten sehe, den Euro in ähnlicher Stabilität wie heute die Deutsche Mark zu sichern. Auch unsere innenpolitische Erfahrung, etwa an Hand hoher Verschuldung und mehr und mehr zunehmender Abhängigkeit von Bundesländern wie Niedersachsen oder das Saarland von Instrumenten wie dem Länderfinanzausgleich, lehrt: Europäische Währungspolitik unter linken, sozialistischen oder auch sozialdemokratischen Vorzeichen ist risikobehaftet. Andererseits ist für mich persönlich entscheidend, daß Europa analog zum Dollar eine starke, einheitliche europäische Währung dringend braucht und diese auch weltwirtschaftlich erforderlich ist. Hans Büttner (Ingolstadt) (SPD): Der Amsterdamer Vertrag ist eine unzulängliche Grundlage zur Schaffung eines Europas der Menschen, das Arbeit in den Mittelpunkt des politischen Handelns stellt. Vielmehr trägt der Vertrag die Handschrift des Kapitals. In diese Richtung wurde der Vertrag vor allem durch die einseitig auf Kapitalrenditen ausgerichtete Politik der Bundesregierung getrieben. Ein Europa der Menschen ist andererseits unerläßlich zur dauerhaften Sicherung des Friedens und kann eine Basis für wirtschaftliche und soziale Stabilität werden. Bei politischen Entscheidungen über internationale Verträge müssen manchmal nationale politische Grundsätze übersprungen werden, um die angestrebten internationalen Ziele zu erreichen. Obgleich ich dem vorliegenden Vertrag skeptisch gegenüberstehe, werde ich dem Vertrag trotz großer Bedenken zustimmen in der Erwartung, daß ab Herbst dieses Jahres eine sozialdemokratisch geführte Bundesregierung im Kontext mit ihren europäischen Schwesterparteien Europa vertraglich so gestalten wird, daß Mensch und Arbeit wieder in den Mittelpunkt politischen Handelns gestellt werden und nicht ausschließlich hohe Kapitalrenditen. Kurt Neumann (Berlin) (fraktionslos): Ich Stimme dem Gesetz zum Vertrag von Amsterdam zu, - obwohl der Vertrag die notwendigen Ergänzungen und Weiterentwicklungen des Vertrages von Maastricht nicht leistet, - obwohl der Vertrag die grundlegende Demokratisierung der europäischen Institutionen schuldig bleibt und insbesondere die Stellung des Europäischen Parlaments nicht hinreichend stärkt, - obwohl der Vertrag die Ergänzung des Binnenmarkts und der bevorstehenden Währungsunion durch eine gemeinsame Wirtschaftspolitik kaum mehr als in verbalen Andeutungen vornimmt und zu einer stärkeren Ausrichtung auf eine wirksame Beschäftigungspolitik nur wenig beiträgt. Ich stimme dem Gesetz zum Vertrag von Amsterdam aber zu, - weil ohne ihn die durch den Vertrag von Maastricht geschaffene neoliberale Ausrichtung der Europäischen Union unverändert und uneingeschränkt fortbestünde, - weil ohne ihn die deutlichere Akzentuierung des EG-Vertrags zugunsten der Gleichstellung von Frauen und Männern nicht erfolgte und die rechtliche Absicherung von Quotenregelungen in Artikel 141 nicht in Kraft träte, - weil ohne ihn eine Stärkung der Stellung des Europäischen Parlaments nicht einmal in dem vorgesehenen Umfang stattfände, - weil ohne ihn selbst die nur ansatzweise erfolgten Schritte hin zu einer europäischen Beschäftigungspolitik in Titel VIII des EG-Vertrages unterblieben. Ich stimme dem Gesetz zum Vertrag von Maastricht zu in der Erwartung, - daß mit einem Regierungs- und Politikwechsel in der Bundesrepublik Deutschland nach den Bundestagswahlen 1998 Initiativen zur weiteren - vor allem der wirtschafts- und sozialpolitische - Fortentwicklung der Europäischen Union eingeleitet werden, - daß das Europäische Parlament gegenüber der Kommission und dem Rat die Aufgaben und Befugnisse erhält, die eine parlamentarische Verfaßtheit der Europäischen Union konstituieren, und daß seine Wahlmodalitäten demokratischen Anforderungen angepaßt werden, - daß die Europäische Kommission für den notwendig gemeinschaftlich zu gestaltenden Bereich der Wirtschaftspolitik zur europäischen Wirtschaftsregierung unter voller demokratischer Kontrolle durch das Europäische Parlament wird, - daß die Europäische Union die soziale und ökologische Gestaltung der internationalen Wirtschaftsordnung gegenüber allen Versuchen durchsetzt, über Organisationen wie die WTO und die OECD im Interesse der transnational agierenden Unternehmen die Selbstbestimmung von Nationalstaaten und regionalen Zusammenschlüssen, die kulturelle Eigenständigkeit der Staaten und Regionen sowie die ökologischen Standards und sozialen Errungenschaften einzuschränken und abzubauen. Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Gerd Müller, Dr. Christian Ruck, Albert Deß, Johannes Singhammer, Heinz-Georg Seiffert, Hans Michelbach, Bartholomäus Kalb, Frederick Schulze (Sangerhausen), Hans-Otto Wilhelm, Michael Teiser, Wilhelm Josef Sebastian, Dr. Peter Paziorek, Meinolf Michels, Herbert Frankenhauser, Dr. Erich Riedl (München), Kurt J. Rossmanith, Josef Hollerith, Max Straubinger, Dr. Egon Jüttner (alle CDU/CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zum Vertrag von Amsterdam vom 2. Oktober 1997 (Tagesordnungspunkt 5 a) Zur europäischen Integration gibt es weder eine politische noch eine ökonomische Alternative. Frieden, Freiheit, Wohlstand und soziale Gerechtigkeit sind die Errungenschaft der europäischen Zusammenarbeit. Grundlage der Zusammenarbeit innerhalb der EU muß auch in der künftigen Form der Gemeinschaft die Vielfalt der nationalen Identitäten bleiben. Die EU muß von unten gebaut, sie darf nicht von oben verordnet werden. Die EU muß auf der Grundlage demokratischer, sozialer, freiheitlicher und föderaler Strukturen verwirklicht werden. Die Aufgaben und Befugnisse der EU und der Mitgliedsländer sind unter strikter Anwendung des Subsidiaritätsprinzips klar abzugrenzen. Die EU ist ein Staatenverbund. In der EU müssen verstärkt demokratische Grundregeln verwirklicht werden. Der Vertrag von Amsterdam sollte in der Weiterentwicklung des Maastricht-Vertrages zur Schaffung der Politischen Union beitragen und die institutionellen Voraussetzungen für die Osterweiterung darstellen. Diese Zielsetzung wurde noch nicht in allen Punkten hinreichend umgesetzt: 1. Auch das Vertragswerk von Amsterdam hat bei der Beseitigung der Legitimations- und Demokratiedefizite noch keinen entscheidenden Durchbruch gebracht. Derzeit verfügt der Rat über Legislativ- und Exekutivbefugnisse. Die Rechtsakte, in denen die EU im Ministerrat mit qualifizierter Mehrheit entscheidet, wurden erheblich ausgeweitet. Demgegenüber sind die Kontrollrechte der nationalen Parlamente und des Europäischen Parlaments weiterhin unzureichend. Die Rechtsetzung in der EU muß sich auch in Zukunft in grundlegenden politischen Entscheidungen an der nationalen Willensbildung und Kontrolle der nationalen Parlamente orientieren. 2. Die EU-Kommission kann nicht die Funktion einer Quasi-EU-Regierung erhalten. 3. Für die Übertragung weiterer Rechte auf das Europäische Parlament ist Voraussetzung die Verwirklichung einer proportionalen Sitzverteilung und eines einheitlichen Wahlrechtes. 4. Vor einer Osterweiterung der EU muß Einigung über eine neue Gewichtung der Stimmen im Rat und die Zusammensetzung der Kommission erreicht werden. 5. Das europäische Finanzierungssystem muß reformiert werden mit dem Ziel einer gerechten Lastenverteilung und einer Reduzierung des deutschen Finanzbeitrages. 6. Die Maßnahmen zur grenzüberschreitenden Verbrechensbekämpfung müssen mit großem Nachdruck vorangebracht werden. 7. Unabdingbar notwendig ist ein System der solidarischen Lastenverteilung unter den Mitgliedstaaten der EU im Zusammenhang mit der Aufnahme von Flüchtlingen. 8. Wir begrüßen, daß durch die Bundesregierung völkerrechtlich verbindlich klargestellt wird, daß die Bundesrepublik Deutschland und alle EU-Mitgliedstaaten Art. 73 k des Amsterdam-Vertrages und darauf beruhendes europäisches Recht so auslegen, daß ein Mitgliedstaat nicht daran gehindert werden kann, für diesen wichtigen Bereich der Einwanderungs- und Ausländerfragen innerstaatliche Bestimmungen beizubehalten oder einzuführen, die mit diesem Vertrag und mit internationalen Übereinkünften vereinbar sind. Es muß insbesondere weiter möglich sein, Drittstaatsangehörigen ein Aufenthaltsrecht zu verweigern, die Zugang zum Arbeitsmarkt suchen oder mangels ausreichender Existenzmittel die sozialen Sicherungssysteme in Anspruch nehmen würden. Die Bundesregierung wird aufgefordert, spätestens im Rahmen der deutschen Ratspräsidentschaft für die aufgezeigten Probleme Lösungsansätze zu erarbeiten. Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Hermann Bachmaier, Eckart Kuhlwein, Hans Martin Bury, Dr. Marliese Dobberthien, Dr. R. Werner Schuster und Iris Gleicke (alle SPD) zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zu dem Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität (Zusatztagesordnungspunkt 6) Wir haben ausweislich des Plenarprotokolles 13/214 der damals zur Entscheidung anstehenden Änderung des Art. 13 GG sowie den ebenfalls zur Abstimmung anstehenden einfachgesetzlichen Regelungen, insbesondere den Änderungen der Strafprozeßordnung, nicht zugestimmt. Wir hielten entsprechend der damals abgegebenen schriftlichen Erklärung zur Abstimmung die Änderung des Art. 13 GG und die daraus entwickelten Eingriffsermächtigungen der Strafprozeßordnung für einen nicht hinnehmbaren und sachlich nicht gerechtfertigten tiefgehenden Eingriff in die Privatsphäre. Ein zentraler Punkt unserer Kritik war die willkürliche Aufspaltung in schutzwürdigere Gespräche von Geistlichen, Verteidigern und Abgeordneten und weniger schutzwürdigere Gespräche anderer Vertrauenspersonen, die sich auf ein Zeugnisverweigerungsrecht berufen können. Durch die heute zur Abstimmung stehende Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses wird wenigstens erreicht, daß sämtliche Personen, die für ihre unter Vertrauensschutz stehenden Gespräche gemäß § 53 StPO ein Zeugnisverweigerungsrecht haben, von vornherein nicht abgehört werden können, so daß für den gesamten Bereich der Schutz der schutzwürdigen Gespräche von Ärztinnen und Ärzten, Therapeutinnen und Therapeuten, Beraterinnen und Beratern in Ehe-, Familien-, Erziehungs- oder Suchtfragen sowie Journalistinnen und Journalisten ein absolutes Abhörverbot geschaffen wird. Diese Berufsgruppen bedürfen für die unter Vertrauensschutz stehenden Gespräche der absoluten Gewißheit, daß der Inhalt dieser Gespräche nicht an die Ohren Dritter, auch nicht an die Ohren der Strafverfolgungsorgane gelangen kann. Wenn wir der Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses zustimmen, kann darin auch keine nachträgliche mittelbare Zustimmung zur Änderung des Art. 13 GG und den sonstigen Änderungen der Strafprozeßordnung gesehen werden. Wir halten die vorgenommene Änderung des Grundgesetzes nach wie vor für eine nicht hinnehmbare Generalermächtigung zum Eingriff in die Privatsphäre. Auch sind wir der Ansicht, daß der in der StPO vorgesehene Straftatenkatalog, im Rahmen dessen der Lauschangriff als Ermittlungsinstrument eingesetzt werden kann, zu weitreichend ist und auf den engsten Bereich höchst gefährlicher Straftaten zurückzuführen ist. Des weiteren hätte der Einsatz technischer Mittel an das Vorliegen eines dringenden Tatverdachtes geknüpft werden müssen, eine zwingende richterliche Verlaufskontrolle geschaffen und ein fester Zeitrahmen bestimmt werden müssen, nach dem die Betroffenen zu benachrichtigen sind. Dies sind nur einige Beispiele, die deutlich machen, daß sogar auf der Basis der gegen unser Votum erfolgten Verfassungsänderung noch rechtsstaatlich gebotene Verbesserungen nicht nur möglich, sondern nötig sind. Auch bleibt unseres Erachtens nach wie vor der mangelnde Schutz vor Familienangehörigen und unbeteiligter Dritter ohne hinreichende Berücksichtigung. Dennoch werden wir der Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses zustimmen, weil dadurch wenigstens für alle Gespräche, die im Schutze eines Zeugnisverweigerungsrechtes gemäß § 53 StPO geführt werden, von vornherein gewährleistet ist, daß sie nicht abgehört werden dürfen. Dies war für uns immer ein zentrales Anliegen. Darüber hinaus wird durch die Beschlußempfehlung auch eine Verbesserung der Benachrichtigungspflicht Betroffener erreicht. Anlage 6 Erklärungen nach § 31 GO zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zu dem Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität (Zusatzordnungspunkt 6) Margitta Terborg (SPD): Ich mache von § 31 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages Gebrauch und gebe hiermit nachstehende schriftliche Erklärung zu Protokoll: Ich werde dem Vorschlag des Vermittlungsausschusses zum Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung der organisierten Kriminalität zustimmen. Diese Entscheidung begründe ich wie folgt: 1. Mit der voraufgegangenen Änderung des Art. 13 des Grundgesetzes ist das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung in seinem Kerngehalt in einem Umfang beschädigt worden, der einer Aushebelung des Grundrechtes gleichkommt. 2. Ich habe diese Verfassungsänderung nicht mitgetragen, weil ich die Denaturierung dieses Grundrechtes für verfassungswidrig halte. 3. Der vorgeschlagenen Änderung des Folgegesetzes „zur Verbesserung der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität" durch den Vermittlungsausschuß stimme ich zu, weil sie a) geeignet erscheint, die eingetretene Schädigung eines Grundrechtes für weitere Berufsgruppen zu minimieren, b) insbesondere das dringend gebotene Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient, Patient und Therapeut achtet und c) Informations- und Pressefreiheit - ebenfalls unverzichtbare Grundwerte einer Demokratie - sichert. 4. Die Zustimmung zum Vorschlag des Vermittlungsausschusses bedeutet keine Zustimmung zum Gesetz selbst, das ich nach wie vor ablehne. Manfred Such (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich werde dem Vorschlag des Vermittlungsausschusses, das Ausführungsgesetz zum großen Lauschangriff in zwei Punkten weniger einschneidend auszugestalten, zustimmen. Da ich mich persönlich mit der Entscheidung über mein Votum sehr schwer getan habe, möchte ich die Gründe hierfür nachfolgend erläutern. Ich lehne den großen Lauschangriff - ebenso wie meine Kolleginnen und Kollegen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - weiterhin vorbehaltlos ab. Ich bin zutiefst überzeugt, daß dieser gravierende Eingriff in die Privat- und Intimsphäre der Menschen nicht mit den Grundwerten unserer Verfassung im Einklang steht und vom Bundesverfassungsgericht überprüft werden müßte. Schon die gesetzlich geplante bloße Möglichkeit, daß pauschal jeder Bürger und jede Bürgerin verwanzt und ausgespäht werden kann, auch wenn deren persönliche Ehrbarkeit und Unschuld außer Frage steht, entlarvt den großen Lauschangriff als eine unerträgliche Maßnahme. Diese kann um so weniger mit Bedürfnissen der Verbrechensbekämpfung gerechtfertigt werden, als der Lauschangriff gerade von gefährlichen Straftätern unschwer technisch abgewehrt oder unterlaufen werden könnte, auf welche die Maßnahme angeblich allein zielt. Aus diesen Gründen haben meine Fraktion und ich der entscheidenden Änderung des Grundrechts auf geschützten Wohnraum vehement widersprochen. Leider hat eine Mehrheit dieses Hauses aus Union, SPD und F.D.P. der Unversehrtheit unserer Verfassung einen geringeren Stellenwert beigemessen, ebenso wie im Bundesrat die Vertreter der CDU- und SPD-geführten Länder ohne grüne Regierungsbeteiligung. Damit sind leider die Weichen bereits eindeutig in eine von uns abgelehnte Richtung falsch gestellt worden. In dem verbleibenden politischen Handlungsspielraum kann es nur noch um folgendes gehen: a) Ein Durchführungsgesetz zum geänderten Grundgesetz ist möglichst zu verhindern, ohne daß der große Lauschangriff nicht praktisch angewendet werden dürfte. b) Für den entgegengesetzten und nicht unwahrscheinlichen Fall aber, daß die Mehrheit der Altparteien ein Anwendungsgesetz durchsetzt, sollten dessen Auswirkungen - wo irgend möglich - abgemildert werden. Bei der heutigen Entscheidung geht es nun gerade nicht darum, der Anwendung solcher Überwachungsmaßnahmen gesetzlich den Weg zu ebnen. Zur Beschlußfassung dieses Hauses steht nämlich nicht das Ausführungsgesetz zum großen Lauschangriff als ganzes, sondern allein zwei Verbesserungen der Durchführungsregelungen zu einer insgesamt verfehlten Maßnahme. Das bedeutet: ich votiere heute nicht über oder gar für die Anwendung des Lauschangriffs, sondern lediglich vorsorglich für eine Begrenzung seiner Auswirkungen, falls der Lauschangriff gegen unseren Willen praktiziert werden dürfte. Ich könnte politisch nicht verantworten, mich allein wegen meiner grundsätzlichen Ablehnung des Lauschangriffs heute gegen diese praktisch bedeutsamen Abmilderungen zu wenden. Umgekehrt formuliert: Wenn heute hier über das Durchführungsgesetz zum großen Lauschangriff insgesamt abgestimmt würde mit der Folge, diesen praktisch anwendbar zu machen, könnte ich nur mit „Nein" stimmen. Auch meine Fraktionskolleginnen und -kollegen haben bereits bei 3. Lesung des Gesetzes in diesem Hause am 16. Januar 1998 entsprechend abgestimmt. Leider sind die vom Vermittlungsausschuß vorgeschlagenen Abmilderungen des Lauschangriffs weit dürftiger ausgefallen, als dies von meiner Fraktion gefordert wurde. Im Einklang mit den umfassenden Anrufungsgründen des Bundesrates haben wir die Gestaltungsforderungen der SPD-Bundesparteitage Wiesbaden und Hannover sowie des F.D.P.-Mitgliederentscheids zum Lauschangriff aufgegriffen, um vor allem der SPD und F.D.P. eine Zustimmung zu erleichtern. Deren Vertreter haben sich aber gegen die Beschlüsse ihrer eigenen Basis gewendet und folgende weitere Veränderungsvorschläge strikt abgelehnt: - Beweiserhebungsverbote zugunsten aller Zeugnisverweigerungsberechtigten, nämlich außer allen Berufsgeheimnisträgern und ihren Berufshelfern auch zugunsten der gesetzlich geschützten Angehörigen; - Lauschangriff allenfalls bei dringendem statt einfachem Tatverdacht; - Lauschangriff allenfalls bei nachgewiesener erfolgloser Ausschöpfung anderer Ermittlungsformen und belegter Erfolgsaussicht statt „auf blauen Dunst"; - Festlegung einer Höchstfrist für Lauschangriffe bei Verlängerungen; - Begrenzung des Deliktskatalogs auf Fälle von schweren Verbrechen; - Anspruch der Betroffenen auf unverzügliche Benachrichtigung - statt bloßer richterlicher Überprüfung bei Nichtbenachrichtigung, wie die SPD im Vermittlungsausschuß durchsetzte; - fortlaufende richterliche Kontrolle der Überwachung; - Verwertungsverbote für Zufallserkenntnisse; - unverzügliche Vernichtung gewonnener Daten über Unbeteiligte. Das im Vermittlungsausschuß immerhin durchgesetzte grundsätzliche Lauschverbot bei allen Berufsgeheimnisträgern ist jedenfalls ein Schritt in eine bessere Richtung, um die Pressefreiheit, die Tätigkeit freier Berufsgruppen und das Vertrauen der Menschen in deren Verschwiegenheit wenigstens ansatzweise zu schützen. Jedoch könnte auch dieser Schutz nach der vorgeschlagenen Regelung schon bei einem konstruierbaren Vorwurf der Begünstigung oder Beteiligung an Straftaten wieder ausgehebelt werden. Dies ist weit weniger, als meine Fraktion bei der 3. Lesung des Gesetzes in diesem Hause „für den Fall der Fälle" beantragt hatte: nämlich eine uneingeschränkte Absicherung aller persönlich oder beruflich begründeten und schützenswerten Verschwiegenheitsverhältnisse bereits in der Verf as-sung. Und noch weit wirksamer als mit den heute allein zur Abstimmung gestellten Vorschlägen wären auch Berufsgeheimnisträger und alle Menschen vor der Wanze geschützt, wenn die Wanze zur Strafverfolgung nicht praktisch eingesetzt werden dürfte, weil das Ausführungsgesetz blockiert wird. Die Entscheidung darüber liegt jedoch morgen allein beim Bundesrat und dort vor allem bei den SPD-Länderregierungen. Leider ist jedoch zu befürchten, daß die SPD im Bundesrat auch einem Gesetz ohne die nun vorgeschlagenen Verbesserungen zustimmen würde, um dem Lauschangriff praktisch den Weg zu ebnen in der Form, wie die SPD dies bereits im ursprünglichen Gesetzentwurf mit gefordert hatte. Das würde allerdings ein weiteres mal verdeutlichen, welche Parteien für die Wahrung der Bürgerrechte eintreten und welche dagegen, folglich durch eine Stärkung der Grünen in den Parlamenten dazu kontinuierlich angehalten werden müssen. Bei den bevorstehenden Wahlen haben alle Bürgerinnen und Bürger, die jetzt durch den großen Lauschangriff betroffen wären, mit ihrer Stimme praktische Gelegenheit, die politischen Gegebenheiten in diesem Sinne verschieben zu helfen. Dr. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und Dr. Irmgard Schwaetzer (beide F.D.P.): Die vom Deutschen Bundestag auf Grund eines interfraktionellen Antrages von CDU/CSU, SPD und F.D.P. in seiner Sitzung am 16. Januar 1998 mit knapper Zweidrittelmehrheit beschlossene Änderung des Grundgesetzes zur Einführung des „großen Lauschangriffs" haben wir aus tiefer Überzeugung abgelehnt. Deshalb ist auch unser heutiges Ja zum Ergebnis des Vermittlungsausschusses keine Zustimmung zum „großen Lauschangriff". Es folgt der Einsicht, daß wir die Einführung des „großen Lauschangriffs" nicht verhindern können, und dient lediglich der Schadensbegrenzung. Vor allem mit dem weitergehenden Schutz von Vertrauensverhältnissen bestimmter Berufsgruppen, die nach der geltenden Strafprozeßordnung ein Zeugnisverweigerungsrecht besitzen, sind die bisherigen Gesetzentwürfe korrigiert worden: Es wird weniger Grundrechtseingriffe geben. Es ist aber abzusehen, daß, unabhängig von deren Ergebnis, die heutige Abstimmung die Diskussion über den „großen Lauschangriff" nicht beenden wird. Über kurz oder lang wird sich auch das Bundesverfassungsgericht mit der Frage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit staatlicher Eingriffe in den absolut geschützten Kernbereich privater Lebensführung beschäftigen müssen. In der spätestens dann abermals aufbrechenden politischen Kontroverse werden Sie uns an der Seite derer finden, die in der Einführung des „großen Lauschangriffs" eine rechtsstaatlich unerträgliche Umdeutung und Relativierung der Grundrechte sehen, die weder dem Geist noch dem Wortlaut unseres Grundgesetzes entspricht. Dr. Winfried Wolf (PDS): Ich lehne den großen Lauschangriff aus prinzipiellen Gründen ab und sehe in diesem einen der bisher schwerwiegendsten Eingriffe in demokratische und Menschenrechte und einen Rückfall hinter die Forderungen und Ziele der bürgerlichen Revolution, die sich vor 150 Jahren u. a. auch gegen den flächendeckenden preußischen Lauschangriff richtete. Ich habe - zusammen mit allen Abgeordneten der PDS - in allen Abstimmungen, bei denen ich als Abgeordneter dazu die Möglichkeit hatte, gegen den großen Lauschangriff gestimmt, gegen die Grundge- setzänderung und gegen ein Ausführungsgesetz zum großen Lauschangriff, und ich vertrete diese Haltung in dieser Form in jeder politischen Debatte. An diesem grundsätzlich zu verurteilendem Ausbau eines Überwachungsstaates mit der Ermöglichung typischer Stasi-Methoden ändert sich im Kern auch dadurch nichts, daß einzelne Berufsgruppen von den Möglichkeiten eines Lauschangriffs ausgenommen werden sollen. Ich erkenne in dem jetzt vorliegenden Vorschlag des Vermittlungsausschusses, über den ich als Abgeordneter heute zu entscheiden habe, durchaus auch einen Manövercharakter. Dieser besteht darin, daß die SPD, die mit ihrem Ja zur Grundgesetzänderung den großen Lauschangriff erst möglich machte und damit die Hauptverantwortung für diesen Abbau elementarer demokratischer Rechte trägt, sich in der Öffentlichkeit nun als diejenige Partei präsentieren will, die den Orwellschen Abhörstaat etwas reduzieren will. Wer allerdings mein Abstimmungsverhalten in einem solchen „übergeordneten" Rahmen bewertet, sollte bedenken, was auch zu diesen politischen Rahmenbedingungen gehört: Immerhin besteht mit dieser Abstimmung die Möglichkeit, den Regierungsparteien eine erste, empfindliche Niederlage im Bundestag zu bereiten - wenn einige liberale Abgeordnete tatsächlich, wie angekündigt, Liberalität demonstrieren und wenn die SPD nicht heimlich - z. B. durch gezieltes Fernbleiben von MdBs - der Regierung erneut die Mehrheit sichert. Doch die politischen Rahmenbedingungen sind nur ein Aspekt, den ich bei dieser Abstimmung zu bedenken habe. Entscheidend für mein Ja zum Vorschlag des Vermittlungsausschusses ist die Form und der explizite Inhalt der Abstimmung als solcher. Ich bin ausschließlich zu einer Abstimmung darüber aufgerufen, ob im Fall zusätzlicher Personengruppen ein großer Lauschangriff nicht zugelassen ist. Dabei geht es nicht allein um die genannten Personengruppen, sondern auch um hunderttausende Menschen, die mit diesen Personengruppen berufsmäßig Kontakt haben und nach dem abzustimmenden Antrag nicht abgehört werden dürften. Das Argument, ich beteiligte mich - aus den genannten übergeordneten politischen Rahmenbedingungen - mit einem Ja zum Vorschlag des Vermittlungsausschusses an einer Konkretisierung des Lauschangriffs, ist ernst zu nehmen. Andererseits ist es nicht vermittelbar, meine Stimme dort zu verweigern, wo es um ein Verbot eines Lauschangriffes für spezifische Personengruppen geht. Dabei spielt bei meinem Ja zum Vorschlag des Vermittlungsausschusses auch eine Rolle, daß ich als langjähriges Mitglied der IG Medien und als Journalist in dieser Abstimmung auch darüber zu entscheiden habe, ob Journalistinnen und Journalisten - und diejenigen, die sich diesen anvertrauen - nicht abgehört werden dürfen. In Abwägung all dieser Argumente stimme ich mit einem Ja zu dem Verbot eines Lauschangriffs für die genannten Personengruppen und unterstreiche gleichzeitig mein prinzipielles Nein zum Lauschangriff selbst. Hildebrecht Braun (Augsburg) (F.D.P.): Bei der Abstimmung über die zugrundeliegende Verfassungsänderung habe ich mein Abstimmungsverhalten bereits mit vier Argumenten begründet, die es mir nicht möglich gemacht haben, mit der Mehrheit des Deutschen Bundestages zu stimmen. Das Ergebnis der Beratungen im Vermittlungsausschuß kommt mir in zwei Punkten entgegen: Erstens. Der Lauschangriff findet nicht statt bei Angehörigen bestimmter Berufsgruppen und schützt damit nicht nur diese selbst, sondern auch ihre Gesprächspartner, also Patienten, Mandanten etc. Daß Psychotherapeuten hier nicht ausdrücklich aufgeführt sind, zeigt, daß die Mehrheit des Bundesrats nicht inhaltlich argumentiert, sondern taktischen Erwägungen den Vorzug gibt. Zweitens. Ich begrüße es, daß die Information des Betroffenen nach Durchführung einer Lauschangriffsaktion stattfinden soll. Im zentralen Punkt meiner Bedenken ändert sich jedoch auf Grund des Beschlusses des Bundesrates gar nichts: Der Wortführer der SPD, Schily, hat sich - wie im Plenum des Bundestages - auch im Bundesrat ausdrücklich dagegen gewandt, daß die Hürde für die Zulässigkeit des Lauschangriffs höher gehängt wird, indem ein „dringender Tatverdacht" zur Voraussetzung der Aktion gemacht wird. Dieser Haltung des Kollegen Schily folgend hat die Bundesratsmehrheit eine solche Änderung nicht für geboten erachtet. Ich bin nachhaltig der Meinung, daß ein einfacher Tatverdacht viel zu leicht entstehen kann, als daß er den größtmöglichen Eingriff in die Privatsphäre der Menschen rechtfertigen könnte. Aus diesem Grunde stimme ich weder dem Vermittlungsergebnis zu noch einem anderen Gesetzentwurf der Zukunft, der diesen grundlegenden Wunsch nicht berücksichtigt. Ich will keinen Lauschangriff ermöglichen, solange jedermann auch durch minimale Verdachtsgründe in die Situation geraten kann, daß auf staatliche Anordnung in seine Wohnung eingebrochen und dort eine Abhöreinrichtung angebracht wird. Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Max Stadler, Dr. Otto Graf Lambsdorff, Hans-Dietrich Genscher (alle F.D.P.) zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität (Zusatztagesordnungspunkt 6) Wir haben in der Sitzung des Deutschen Bundestages am 16. Januar 1998 gegen den interfraktionellen Antrag von CDU/CSU, SPD und F.D.P. für eine Verfassungsänderung gestimmt, durch die ein Lauschangriff ermöglicht werden soll. Dazu haben uns grundsätzliche Erwägungen bewogen. Besonderes Gewicht für unsere Entscheidung hatte die Einbeziehung von Gruppen mit gesetzlichem Zeugnisverweigerungsrecht in die Abhörmaßnahmen auch in dem Fall, in dem der Angehörige dieser Berufsgruppen selbst nicht zum Kreis der Verdächtigen gehört. Wichtig dabei war für uns der Schutz des Vertrauensverhältnisses für die Mandanten der Anwälte. Gleiches gilt auch für die steuerberatenden Berufe und die Patienten der Ärzte sowie den Schutz der Informationsfreiheit durch die Presse. Der jetzt vom Vermittlungsausschuß mehrheitlich beschlossene Text des interfraktionellen Antrags von CDU/CSU, SPD und F.D.P. bietet deutliche Verbesserungen für die Benachrichtigungspflicht von Betroffenen, und er stellt die genannten Berufsgruppen in den Fällen, in denen der Angehörige dieser Berufsgruppen nicht selbst verdächtig ist, von den Wohnraumüberwachungsmaßnahmen frei. Unsere Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf hebt unsere grundsätzlichen Bedenken nicht auf. Nachdem aber durch Bundestag und Bundesrat mit Zweidrittelmehrheit die von uns abgelehnte Regelung auch verfassungsrechtlich verankert ist, sehen wir in der Zustimmung zu dem Beschluß des Vermittlungsausschusses eine Möglichkeit, besonders schwerwiegenden Bedenken Rechnung zu tragen. Dies gilt um so mehr, als der Ministerpräsident von Niedersachsen im Bundesrat erklärt hat, daß das Land Niedersachsen dem ursprünglichen Gesetzentwurf zustimmen werde, wenn die Verbesserungen keine Mehrheit fänden. Die Tatsache, daß zu den genannten Berufsgruppen weitere hinzugekommen sind, ist für uns kein Anlaß, den Verbesserungen eine Absage zu erteilen. Dieses gilt um so mehr, als es sich dabei um gesetzlich klar definierte Gruppen handelt, bei denen es ebenfalls um den Schutz von Vertrauensverhältnissen geht. Anlage 8 Erklärung des Abgeordneten Heinz Schemken (CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zu dem Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität - Drucksachen 13/8651, 13/9644, 13/9661, 13/9841, 13/10004 - am 5. März 1998 In der Abstimmungsliste ist mein Name unter Ja aufgeführt. Ich erkläre, daß ich die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses ablehnen wollte. Anlage 9 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Maritta Böttcher, Dr. Ruth Fuchs, Rosel Neuhäuser, Klaus-Jürgen Warnick, Heidemarie Lüth, Rolf Kutzmutz und Dr. Ludwig Elm (alle PDS) zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses zur Sammelübersicht 300 zu Petitionen (Tagesordnungspunkt 18r) Die Petition richtet sich gegen die Einführung des verzinslichen Bankdarlehens durch das 18. BAföGÄnderungsgesetz. Wir können der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses nicht folgen und halten das Anliegen der Petenten für berechtigt. Wir haben das 18. BAföG-Änderungsgesetz u. a. eben wegen der Einführung des verzinslichen Bankdarlehens abgelehnt. Dadurch haben sich die Studienbedingungen für BAföG-Studierende wesentlich verschlechtert, und es wurde massiv in die Studienplanung eingegriffen. Ebenso wie der Beirat für Ausbildungsförderung plädieren wir dafür, die negativen Auswirkungen der 18. Novelle durch ein 19. BAföG-Änderungsgesetz zu korrigieren: Verzicht auf verzinsliche Bankdarlehen, Rücknahme der Förderungseinschränkungen weiterer Ausbildungen, bei Fachrichtungswechsel, Auslandsaufenthalten und Gremientätigkeit. Außerdem sind Bedarfssätze, Freibeträge und Sozialpauschalen den tatsächlichen Lebenshaltungskosten anzupassen. Eine ausreichende und verläßliche Ausbildungsförderung ist nicht nur notwendig, sie ist auch machbar! Anlage 10 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Heidemarie Lüth und Dr. Ruth Fuchs (beide PDS) zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses zur Sammelübersicht 302 zu Petitionen (Tagesordnungspunkt 18 t) Wir lehnen die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ab, weil es unsozial und ungerecht ist und nur diejenigen trifft, die in den gesetzlichen Krankenkassen versichert sind. Wir stimmen gegen die Beschlußempfehlung, weil durch das „Notopfer" nur die Beschäftigten, nicht aber die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber zur Zahlung gezwungen werden und damit die paritätische Finanzierung der Ausgaben im Gesundheitswesen erneut durchbrochen werden. Wir stimmen gegen die Beschlußempfehlung, weil es unsinnig ist, da schon durch die Verwaltungs- und Bearbeitungskosten ca. 12 DM verlorengehen. Wir lehnen die Beschlußempfehlung ab, weil Probleme der Bundesregierung im Zusammenwirken mit den Ländern nicht auf Kosten der Versicherten gelöst werden dürfen. Wir stimmen gegen die Beschlußempfehlung, weil es bei der Verteilung des „Notopfers" keine Prioritäten gibt, sondern das Gießkannenprinzip wirkt. Wir lehnen die Beschlußempfehlung ab, weil die Finanzierung der Krankenhausinstandhaltung sachgerecht aus Steuermitteln getragen werden muß. Wir stimmen gegen die Beschlußempfehlung, weil mit den Petenten ca. 40 % der in den gesetzlichen Krankenkassen Versicherten - auch ich - das „Notopfer" verweigert haben. Wer auf „Notopfer" zurückgreifen muß, um seine Politik durchzusetzen, ist mehr als am Ende! Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 11 (a - Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Güterkraftverkehrsrechts, b - Antrag: Harmonisierungsdefizite bei Wettbewerbsbedingungen im europäischen Binnenmarkt) Wilhelm Josef Sebastian (CDU/CSU): Wir beraten und beschließen heute ein Gesetz zur Reform des Güterkraftverkehrsrechts, das in den Augen manches Fachmannes oder mancher Fachfrau ein sogenanntes Jahrhundertwerk ist oder hoffentlich werden wird. In Anbetracht der Bedeutung des Gesetzes ist die mir zur Verfügung stehende Redezeit nicht allzulang, und ich werde mich daher auf wenige Kernpunkte in meinen Ausführungen beschränken müssen. Die Anpassung des deutschen Güterkraftverkehrsgesetzes an die europäische Rechtsentwicklung ist deshalb notwendig, weil innerhalb der Europäischen Union und des Europäischen Wirtschaftsraumes am 1. Juli 1998 die mengenmäßige Beschränkung der Kabotagegenehmigungen entfällt. Ab diesem Zeitpunkt kann jeder Transportunternehmer, der Inhaber einer Gemeinschaftslizenz ist, neben grenzüberschreitendem Güterverkehr auch beliebig Kabotageverkehr in allen EU-Mitgliedsländern und anderen Vertragsstaaten des EWR betreiben. Die Freigabe der Kabotage ist ein weiterer bedeutender Liberalisierungsschritt im europäischen Straßenverkehr, nachdem 1990 bereits die zwingenden Tarife und 1993 die Kontingentierung beseitigt wurden. Unser nationales Güterkraftverkehrsrecht ist bisher geprägt von der Unterscheidung zwischen Güternah-, Güterfern- und Umzugsverkehr sowie der Kontingentierung der Güterfernverkehrsgenehmigungen. Die Beibehaltung des derzeitigen Rechtszustandes würde ab dem 1. Juli 1998 dazu führen, daß sich Transportunternehmer aus anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union und Vertragsstaaten des Europäischen Wirtschaftsraums im Kabotageverkehr in Deutschland volle Marktanteile sichern könnten, während deutsche Transportunternehmer durch die Kontingentierung der Güterfernverkehrsgenehmigungen und die Beschränkung auf die Nahzonen daran gehindert wären. Wir begrüßen ausdrücklich, daß die Reform eine Rechts- und Verwaltungsvereinfachung bringt und damit administrative Pflichten für die Transportunternehmer wegfallen. Diese neue nationale Marktordnung wird die mittelständische Struktur und die Leistungsfähigkeit des deutschen Güterkraftverkehrsgewerbes stärken. Der neue Ordnungsrahmen für das deutsche Güterkraftverkehrsgewerbe wird in diesem wichtigen Bereich der deutschen Verkehrswirtschaft einen fairen Wettbewerb ermöglichen. Mit der Anpassung des Güterkraftverkehrsrechts an die europäische Entwicklung, wonach ab dem 1. Juli 1998 die Binnenbeförderung durch ausländische Transporteure von mengenmäßigen Beschränkungen freigestellt ist, wird dem deutschen Güterkraftverkehrsgewerbe der nötige Freiraum eröffnet, damit er seine Vorzüge - vor allem Qualität, Kundennähe und Flexibilität - zum Tragen bringen kann. Hohe Anforderungen bei den drei subjektiven Berufszugangsverordnungen - persönliche Zuverlässigkeit, finanzielle Leistungsfähigkeit und fachliche Eignung - werden entsprechend der EG-Berufszugangsrichtlinie eine unkontrollierte Marktentwicklung verhindern und dafür sorgen, daß leistungsfähige Transportunternehmen am Markt auftreten und zwischen ihnen ein funktionsfähiger Wettbewerb entsteht. Seit 1989/90 haben sich in Europa, vor allem auch, was die Wettbewerbssituation auf dem europäischen Markt angeht, starke Veränderungen ergeben. Es sind neue Märkte mit ernstzunehmenden Wettbewerbern entstanden. Die Liberalisierung des Verkehrsmarktes in Europa kann deshalb nur dann Erfolg haben, wenn in gleichem Maße Wettbewerbsbedingungen harmonisiert werden und im Interesse eines fairen Wettbewerbs sowie des Umweltschutzes und der Verkehrssicherheit auch eine gleichmäßige und diskriminierungsfreie Überwachung des Ordnungsrahmens erfolgt. Das gilt natürlich ganz besonders für die Frage der weiteren Öffnung für Verkehr mit den Staaten in Mittel- und Osteuropa, der seit der politischen und wirtschaftlichen Öffnung rasch zugenommen hat. Der zusammenwachsende Verkehrsmarkt der Staaten der Europäischen Union und des Europäischen Wirtschaftsraumes, in dem rund 380 Millionen Menschen leben, enthält für die Zukunft aber auch Chancenpotential, das vom deutschen Güterkraftverkehrsgewerbe offensiv genutzt werden muß. Das von der Bundesregierung vorgelegte Gesetz, das sehr intensiv in enger Abstimmung mit dem Gewerbe beraten, ergänzt und verbessert wurde, bringt Veränderungen mit sich, die heute im einzelnen natürlich nicht abschließend beurteilt werden können und deren Auswirkungen abgewartet werden müssen. Ich habe schon darauf hingewiesen, daß in den Beratungen über das von der Bundesregierung vorgelegte Gesetz mit allen Fraktionen gemeinsam in engem Schulterschluß mit Praktikern und mit dem Gewerbe versucht worden ist, allen Vorstellungen und Regelungsbedürfnissen Rechnung zu tragen. Ich weiß aber, daß man nie alle Wünsche voll und ganz erfüllen kann. Dem einen geht die eine oder andere Regelung zu weit, anderen wiederum nicht weit genug. Wir sind aber überzeugt, daß mit diesem neuen Güterkraftverkehrsrecht, einer neuen nationalen Marktordnung, die Leistungsfähigkeit des Straßengüterverkehrs erhöht wird und auf diese Weise auch die internationale Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Straßengüterverkehrs gestärkt wird. Da die Auswirkungen der Anpassung des nationalen Ordnungsrahmens im einzelnen heute aber nicht voll und ganz überschaubar sind, hat unsere Fraktion gemeinsam mit der F.D.P. einen Entschließungsantrag zum Entwurf des Gesetzes zur Reform des Güterkraftverkehrsrechts eingebracht, mit dem wir die Bundesregierung auffordern, angesichts der Herausforderungen, die mit der dynamischen Entwicklung der Verkehrsmärkte in Europa verbunden sind, die Effizienz des neuen nationalen Ordnungsrahmens zu beobachten und dem Deutschen Bundestag zum 1. Juli 2001 zu berichten, inwieweit sich die Regelungen bewährt haben. Die Einzelheiten entnehmen Sie bitte dem vorliegenden Entschließungsantrag. Angelika Graf (Rosenheim) (SPD): Um es gleich vorwegzunehmen: Die SPD wird - wie schon im Verkehrsausschuß - dem Güterkraftverkehrsgesetz heute zustimmen. Wir meinen, daß mit dem vorliegenden Gesetzentwurf nach vielen Gesprächen mit den betroffenen Verbänden eine akzeptable Lösung für einen Teil der mit der Neuordnung des Verkehrsmarktes notwendig gewordenen Schritte gefunden worden ist. Freilich konnten - wie bei jedem Kompromiß - nicht alle Forderungen der Verbände und der Politik in Einklang gebracht werden. Insbesondere die Einbeziehung der Fahrzeuge ab 3,5 t zulässiges Gesamtgewicht in die Meldepflicht des Werkverkehrs war die Ursache von Kritik. Aber ich habe den Eindruck, das Hauen und Stechen war bei der Erarbeitung dieses Gesetzentwurfes nicht ganz so schlimm wie zum Beispiel beim Transportrechtsreformgesetz, welches wir im nächsten Tagesordnungspunkt behandeln und bei dem es nach langen zum Teil kontroversen Gesprächen auch gelungen ist, weitgehend Einvernehmen zu erzielen. In manchen Bereichen, zum Beispiel im § 7 a bei der Güterschaden-Haftpflichtversicherung, greifen die beiden Gesetze übrigens ineinander. Die EU-weite Freigabe der Kabotage am 1. Juli 1998 und der dann eintretende Wegfall der mengenmäßigen Beschränkung bei der Erteilung der Genehmigungen im Güterkraftverkehr haben eine Neuregelung dringend notwendig gemacht. Das neue Güterkraftverkehrsgesetz ist von enormer Bedeutung für alle, die an der Transportkette beteiligt sind. Es wird - so hoffen wir - der Tatsache gerecht werden, daß künftig die Unterschiede zwischen Güterfern-, -nah- und Umzugsverkehr wegfallen. Es soll den Rahmen dafür schaffen, daß ein anspruchsvolles Niveau für Marktzugangskriterien und Erlaubnisverfahren gesichert werden kann. Dies ist im Interesse unserer heimischen Wirtschaft notwendig. Denn der Konkurrenzkampf im Gewerbe wird immer härter: Zwischen 1991 und 1995 stieg der Straßengüterfernverkehr von 144,3 Milliarden tkm auf 200 Milliarden tkm, ein Anstieg um knapp 40 Prozent. Im gleichen Zeitraum stieg der Straßengüternahverkehr von 58,4 Milliarden tkm auf 71 Milliarden tkm. Der Bestand an Fahrzeugen ist in Deutschland durch viele kleine und wenige große Züge geprägt. Zirka 90 Prozent der 2,215 Millionen Fahrzeuge sind kleiner als 7,5 t. Die zirka 40 000 Güterkraftverkehrsbetriebe sind vorwiegend mittelständisch. Von den 10 000 Firmen des Güterfernverkehrs des Jahres 1990 waren rund ein Drittel Kleinstunternehmen, das heißt Partikuliere mit jeweils nur einem Lkw. Diese kleinen und mittleren Unternehmen, in denen ein Großteil der zirka 500 000 Arbeitnehmer im Güterkraftverkehr beschäftigt sind, sind am stärksten gefährdet durch die Liberalisierung des Transportmarktes. Denn die Öffnung für Unternehmer aus EU-Staaten ab Mitte dieses Jahres wird, fürchte ich, zu einem weiteren drastischen Anstieg des Güterverkehrs auf unseren Straßen führen. Schon heute werden rund 85 Prozent des Güterverkehrs auf der Straße durchgeführt - Tendenz steigend mit all den bekannten negativen Auswirkungen auf Mensch und Umwelt. Oft sind es aber nicht die deutschen Lkws, die die Straßen verstopfen. Schon in der Vergangenheit hat das deutsche Transportgewerbe als Ganzes nicht vom wachsenden Binnenmarkt und dem vermehrten und erleichterten Warenaustausch in Europa profitieren können. Ausländische Transportunternehmer erzielten wachsende Marktanteile insbesondere beim grenzüberschreitenden Verkehr. Der Transitverkehr wird zu über 90 Prozent von ausländischen Unternehmen durchgeführt, eine Folge der Harmonisierungsdefizite in der EU. Viele EU-Partner subventionieren ihr jeweiliges Transportgewerbe in unverantwortlicher Weise, sei es nun über günstigere Spritpreise oder niedrigere Kfz-Steuersätze. Die wirtschaftliche Lage unseres Gewerbes in der Bundesrepublik ist seit Jahren gekennzeichnet durch Überkapazitäten einerseits und Selbstausbeutung, Scheinselbständigkeit und massiven Preisdruck von seiten der verladenen Wirtschaft andererseits. Das sind die Folgen dieser vorgezogenen Liberalisierung bei noch nicht erfolgter Harmonisierung, auf die wir immer hingewiesen haben. Es ist deshalb sehr erfreulich, daß wir zusammen mit Ihnen, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, im GüKG stärkere Vorkehrungen gegen die zunehmende Scheinselbständigkeit im Transportgewerbe verankern konnten. Die Situation des deutschen Transportgewerbes ist aber auch deshalb so bedrohlich, weil zusätzlich immer mehr Mitbewerber aus den MOE-Staaten auf den Markt drücken. In den neuen Bundesländern und in Teilen Bayerns müssen wir bezüglich des Einsatzes ausländischer Fahrer und Fahrzeuge vornehmlich aus den MOE-Staaten Zustände wie auf dem Bau feststellen. Die Personalkosten für Fahrer aus Polen, Tschechien und Ungarn liegen 70 bis 80 Prozent unter denen von deutschen Fahrern. Auf dem Weg zu einer Verkehrspolitik, die eine vernünftige Transportpolitik mit hoher Qualität und sicheren Arbeitsplätzen verbindet, ist - ich sagte das am Anfang schon - das neue GüKG ein passabler Schritt. Wichtig ist aber in Zukunft gerade mit Blick auf das mittelständische Transportgewerbe sein, die Wettbewerbsdefizite gegenüber den EU-Partnern und Drittländern abzubauen. Harmonisiert werden müssen deshalb in der EU mit höchster Priorität und auf hohem Niveau die Sicherheits-, Umwelt- und Sozialstandards. Eine Harmonisierung ist aber ebenso notwendig bezüglich der Kontrolldichte und -intensität, wobei auch die Ahndung von Verstößen nicht vergessen werden darf. Auch hier müssen wir auf die Beibehaltung unseres hohen Niveaus Wert legen. Laxe Kontrollen in anderen EU-Ländern, von denen unsere Fahrer berichten, verzerren nämlich den Wettbewerb ebenfalls. Wenn in zirka drei Wochen die Verhandlungen zur EU-Osterweiterung beginnen, müssen der Güterverkehrsbereich und die Heranführung an die hoffentlich bald harmonisierten Standards der EU eine herausragende Rolle spielen. Unser mittelständisch strukturiertes Transportgewerbe darf den Sozialdumpingpraktiken nicht länger schutzlos ausgeliefert sein. Das Bundesamt für Güterverkehr macht in Deutschland eine hervorragende Arbeit. Ich rate jedem Kollegen, der das noch nicht getan hat, sich einmal ein paar Stunden mit einem Trupp des BAG auf die Straße zu stellen und einer Kontrolle beizuwohnen. Ich kann Ihnen aus eigener Anschauung sagen: Sie werden bei den Mitarbeitern auf hohes Fachwissen und Motivation und unendlich viel Erfahrung treffen. Das BAG und seine Arbeit sind für die Sicherheit auf unseren Fernstraßen unverzichtbar. Wir wiederholen deshalb unsere Forderung nach einer besseren personellen Ausstattung des BAG. Und in Zeiten knapper Kassen sollte man dazusagen: Jede Mark, die wir hier investieren, kommt der Sicherheit auf unseren Straßen zugute, verhindert Unfälle, rechnet sich also. Jede Stelle, die gekürzt wird, geht zu Lasten der Sicherheit aller Bürger. Außerdem hatte ich damals wie heute das Gefühl, daß allein schon durch die eingehenden Bußgelder ein Großteil der Kosten hereinkommt. Um unsere Straßen und die Umwelt zu entlasten, kann es aber nicht bei einer Harmonisierung des Straßengüterverkehrs bleiben. Auf die Gefahr hin, gebetsmühlenhaft immer wieder dasselbe zu sagen, füge ich deshalb einen Teil unseres verkehrspolitischen Kredos hinzu: „Erst eine europaweit satellitengestützt erhobene, fahrleistungsabhängige Straßenbenutzungsgebühr für Lkws wird gleiche Wettbewerbsbedingungen für das Transportgewerbe in allen Ländern der EU herbeiführen. Gleichzeitig wird so im Transportbereich die einseitige Bevorzugung der Straße vor der Schiene gebrochen werden können. Diese Straßenbenutzungsgebühr muß an die Stelle der jetzigen Lkw-Vignette treten. Wenn es gelingt, auch die Trassenpreise und die Logistik der Bahnen kundenfreundlicher zu gestalten, wird insbesondere bei Massengütern und langen Strecken der Straßentransport rückläufig werden. Es darf sich nicht mehr rechnen, die Kartoffeln zum Waschen nach Italien zu fahren. Wir müssen daran arbeiten, die Transportketten zu optimieren. Dem multimodalen Verkehr gehört in einem modernen Europa die Zukunft. Denn Wachstum, Wohlstand und Beschäftigung hängen auch von einem funktionsfähigen modernen Güterverkehr ab. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Ihnen liegt heute unter anderem ein Entschließungsantrag der SPD vor. In ihm fordern wir, daß in zwei Jahren, zum 1. Juli 2001, ein Erfahrungsbericht über das neue GüKG vorgelegt wird. Wir nehmen damit die Sorgen vieler Verbände auf, die in Details Vorbehalte gegen dieses Gesetz geäußert haben. Wir zeigen damit, daß wir die Verbände und ihre Argumente ernst nehmen. Überprüft werden muß dann vor dem Hintergrund der Entwicklung des Transportmarktes in der EU zum Beispiel, ob gegebenenfalls Änderungen der subjektiven Zulassungsvoraussetzungen notwendig sind. Auch die Entwicklung beim Werkverkehr, insbesondere die eventuelle Einbeziehung des Konzernverkehrs, ist eine wichtige Frage. Sie wurde in allen vorliegenden Entschließungsanträgen aufgenommen. Wir halten - selbstverständlich - unseren Antrag für den umfassenderen. Die vorbereitenden Arbeiten am GüKG waren aber sowohl mit den Verbänden als auch mit den anderen im Bundestag vertretenen Parteien von hoher Übereinstimmung und einem guten, konstruktiven Klima geprägt. Dies zeigt sich konsequenterweise auch in den vorliegenden Anträgen. Wir werden deshalb keinem der vorliegenden Entschließungsanträge unsere Zustimmung verweigern und bitten ebenfalls um Zustimmung zu unserem Entschließungsantrag. Gila Altmann (Aurich) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Reform des Güterkraftverkehrsrechts verwirklicht auch im Straßengüterverkehr den EUBinnenmarkt. Kontingente werden aufgehoben, die Unterscheidung zwischen Güterfern-, Güternah- und Umzugsverkehr abgeschafft. Die nationalen Transportmärkte werden EU-Ausländern geöffnet. Nachdem es den Oppositionsfraktionen mit vereinten Kräften gelungen ist, die Einschränkung des Brief- und Postgeheimnisses durch die Hintertür GüKG zu verhindern, ist es möglich, sich auf den Kern der Gesetzesreform zu konzentrieren. Klar ist, daß bei dieser Reform mit massiven negativen Folgen zu rechnen ist, wenn von der Politik nicht gegen- gesteuert wird. Ich denke, wir sind uns einig, daß die Liberalisierung den Wettbewerb zwischen den Transportunternehmen weiter verschärfen wird. Folge: Die Transportpreise auf der Straße, die sowieso schon ganz im Keller sind, werden weiter sinken und einen Wettbewerb auf Kosten der Sicherheit und vor allem zulasten der Marktanteile von Bahn und Binnenschiff auslösen. Um das zu verhindern, ist eine Harmonisierung der Wettbewerbsbedingungen notwendig, aber nicht so wie CDU/CSU und F.D.P. sie fordern. Ihre Forderungen greifen viel zu kurz. Sie haben ausschließlich den Wettbewerb zwischen in- und ausländischen Transportunternehmen im Blick. Worauf Sie keine Antwort bieten, sind die Folgen des stark expandierenden Güterverkehrs für die Umwelt, für Sozial- und Sicherheitsstandards. Harmonisierung allein ist keine Zauberformel, sondern das Niveau ist entscheidend. Harmonisierung auf niedrigem Niveau verschärft die Probleme, statt sie zu lösen. In Ihrem Antrag halten Sie sich, was die Standards der Harmonisierung angeht, vornehm zurück. Was dieser Reform des Güterkraftverkehrsrechts fehlt, ist die sinnvolle politische Flankierung. Denn unser Ziel kann nicht die Harmonisierung und Liberalisierung um jeden Preis sein, sondern nur das Mittel, um politische Ziele zu erreichen. Aus unserer Sicht sind dies vor allem zwei Ziele: Senkung der Umweltbelastungen des Güterverkehrs durch Verlagerung wesentlicher Transportanteile auf Bahn und Binnenschiff und die Verbesserung der Sicherheits- und Sozialstandards im Straßengüterverkehr. Um diese Ziele zu erreichen, sind vier zentrale Maßnahmen notwendig. 1. Einführung einer leistungsabhängigen und elektronisch erhobenen Schwerverkehrsabgabe Die ungerechtfertigten Wettbewerbsnachteile von Bahn und Binnenschiff müssen endlich beseitigt und dem Lkw seine Wege- und Umweltkosten angelastet werden. Nur so ist die Schaffung eines un-verzerrten Wettbewerbs zwischen den Transportträgern möglich. 2. Anhebung der EU-weiten Mindestsätze der Mineralölsteuer und Kfz-Steuer, um eine Harmonisierung auf hohem Niveau zu erreichen und so EUweit die Umweltbelastungen des Lkw-Verkehrs zu vermindern. 3. Schärfere Kontrollen der Sozialvorschriften und Vorschriften, um einen Wettbewerb auf Kosten der Sicherheits- und Sozialstandards zu verhindern. Dazu sind die Kontrollkräfte des Bundesamtes für Güterverkehr entsprechend aufzustocken. 4. Einbeziehung des Transportsektors in die EU-Arbeitszeitrichtlinie, um auch die Sozialvorschriften innerhalb der EU zu harmonisieren und so höhere Sicherheitsstandards zu gewährleisten. Der Entschließungsantrag der SPD geht ebenfalls in diese Richtung, mit einem wesentlichen Unterschied: Die SPD will die Schwerverkehrsabgabe nur für die Straßenbenutzung erheben. Dies reicht angesichts der massiven Umweltschäden durch den Güterverkehr nicht aus. Nur, wenn allen Verkehrsträgern auch ihre wahren Umweltkosten angelastet werden, kann der Güterverkehr auf Dauer sozial, ökonomisch und ökologisch tragfähig gestaltet werden. Horst Friedrich (F.D.P.): Gestern abend wurde Wilhelm Dreskornfeld, der langjährige Repräsentant des BGL (früher BDF) in den Ruhestand verabschiedet. Gewissermaßen als Geschenk können wir ihm heute in 2. und 3. Lesung das neue Güterkraftverkehrsgesetz (GüKG) mitgeben - als neues „Grundgesetz" für das Güterkraftgewerbe. Damit ist zunächst ein Schlußstrich unter die Liberalisierung der Verkehrsmärkte gezogen, rechtzeitig zum 1. Juli 1998, dem Tag, an dem die zahlenmäßige Beschränkung der Kabotagegenehmigungen aufgehoben wird. Ab diesem Zeitpunkt ist der Güterkraftverkehr innerhalb der EU ohne Einschränkungen für alle Mitglieder in jedem Land der EU möglich. Vorangegangen waren dazu in Deutschland die Aufhebung der festen Tarife, die Bereinigung der Genehmigungen/Farben, die schrittweise Anhebung der Kontingente und - kurzfristig - die Ausweitung der Nahverkehrszone von 50 auf 75 km. National gilt derzeit als Ordnungsrahmen noch die Kontingentierung der Lizenzen im Güterkraftverkehr und die Unterscheidung zwischen Güternah-, Güterfern- und Umzugsverkehr. Diese Regelungen mußten richtigerweise zum 1. Juli 1998 aufgehoben werden, um die Wettbewerbssituation für das deutsche Gewerbe nicht unvertretbar zu verschlechtern. Sie werden aus Sicht der F.D.P. durch subjektive Qualitätskriterien ersetzt (persönliche Zuverlässigkeit, finanzielle Leistungsfähigkeit und fachliche Eignung). Die Liberalisierung des Güterverkehrsmarktes ist damit aus unserer Sicht abgeschlossen. Das neue Hauptaugenmerk ist jetzt verstärkt auf die Fortführung und den Abschluß der Harmonisierung zu richten, also die Schaffung gleicher Wettbewerbsbedingungen in Europa. Und da hat derzeit vor allem Europa eine Bringschuld. Es ist zwar gelungen, national durch drastische Absenkung der Kfz-Steuer für emissionsarme Lkw, durch die Lösung der Problematik 12- und 16-t-Lkw (Steuerermäßigung/Autobahngebühr), durch Einführung der Autobahnbenutzungsgebühr für schwere Lkw im Verbund, durch Aufhebung und Beseitigung von Verwaltungsmaßnahmen im sogenannten „21-Punkte-Katalog" und weitere Einzelmaßnahmen viel Ballast vom Gewerbe zu nehmen. Es bleibt allerdings die Angleichung der Steuersätze in Europa und - vor allem - die Angleichung der Sozialvorschriften, insbesondere deren „Ausführungsqualität" zu lösen - und da liegt die Hauptaufgabe nun in Europa selbst! Was sind die Kernpunkte des neuen Gesetzes: 1. Aufgabe der Kontingentierung im Güterfernverkehr. 2. Wegfall der Unterscheidung zwischen Nah-, Fern- und Umzugsverkehr. 3. Einheitliche Regelungsschwelle für alle Kraftfahrzeuge (3,5 t zulässiges Gesamtgewicht einschließlich Anhänger). 4. Reduzierung der Freistellungen. 5. Wahlmöglichkeit für deutsche Unternehmer zwischen nationaler Erlaubnis und Gemeinschaftslizenz. 6. Abbau administrativer Pflichten, zum Beispiel vereinfachtes Erlaubniserteilungsverfahren, Wegfall der Standortbescheinigungen. 7. Stärkung des Datenschutzes. 8. Rechtsvereinfachung, zum Beispiel ersatzloser Wegfall von sechs Ausführungsverordnungen. Auf die Probleme der Landwirtschaft, der Sportvereine, aber auch der Sozialeinrichtungen ist aus Sicht der F.D.P. in ausreichendem Maße Rücksicht genommen worden. Im Werkverkehr ist im § 15 a neu eine Werksverkehrsdatei eingerichtet worden. Dafür entfallen aber die bisherigen kostenpflichtigen Meldebestätigungen. Auch der Vollzug der administrativen Maßnahmen ist stark vereinfacht worden. Entscheidend für mich ist aber auch der Entschließungsantrag des Bundestages, in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, zum 1. Juli 2001 zu berichten, wieweit sich die neuen Regelungen bewährt haben. Dies gilt insbesondere für die güterkraftverkehrsrechtlichen Ausnahmetatbestände, Erfahrungen mit der Entwicklung im Werkverkehr, insbesondere dem Konzernwerkverkehr, Erfahrungen mit der Marktbeobachtung und der Datei über die Unternehmen im Werkverkehr. Damit wird bereits jetzt signalisiert, daß wir bereit sind, bei akutem Handlungsbedarf anzupassen. Dies gilt insbesondere dann, wenn klarer geworden ist, wie sich die Öffnung der Verkehrsmärkte nach Mittel- und Osteuropa auf die Situation in Deutschland auswirken wird. Die F.D.P. stimmt der Reform des Güterkraftverkehrsgesetzes aus voller Überzeugung zu. Sie bittet die Kolleginnen und Kollegen des Hauses, dies ebenfalls zu tun. Dr. Dagmar Enkelmann (PDS): Eine Reform des Güterkraftverkehrsrechts wurde notwendig, weil zum 1. Juli die Kabotage in der EU zwingend freigegeben wird. Eine Beibehaltung der derzeit geltenden Regelungen würde eine Diskriminierung des deutschen Frachtführers bedeuten. Mit dem Güterkraftverkehrsgesetz wird ein wesentlicher Beitrag zur Verbesserung der Verkehrs-und Rechtssicherheit für das Gewerbe geleistet. Im Verlauf der Berichterstattergespräche konnten durchaus weitere positive Veränderungen erreicht werden, unter anderem für die Tätigkeit von gemeinnützigen Vereinen. Lassen Sie mich nun auf einige Probleme aufmerksam machen, die in den Beratungen für uns nicht zufriedenstellend gelöst werden konnten. Nach wie vor meinen wir, daß nur eine 0-t-Eingangsschwelle konsequent fachliche Prüfungen ermöglicht. Diese Schwelle entspricht im übrigen auch dem ursprünglichen EU-Vorschlag. Die jetzt vorgesehene 3,5-t-Schwelle bedeutet, daß zirka 35 % des gewerblichen güterverkehrs nicht einbezogen werden. Immer noch gibt es große Unsicherheit im Gewerbe in bezug auf die Definition mitzuführender Begleitpapiere. Hier werden ein wesentlich höherer bürokratischer Aufwand und Auseinandersetzungen um die Anerkennung der bislang üblichen Lieferscheine befürchtet. Auf Anfrage von mir beim BMV wurde zwar bestätigt, daß auch die herkömmlichen Scheine reichen. Sollen nun aber alle Fahrer ständig meinen Briefwechsel mit dem Verkehrsminister mit sich führen? Für viel zu unverbindlich halten wir die Formulierung, daß die Verbände „Gelegenheit zur Stellungnahme" erhalten sollen. Eine zwingende Anhörungspflicht möglicherweise mit Vetorecht wäre hier hilfreicher gewesen. Von Anfang an hat die PDS die Aufnahme eines Paragraphen, der das Postgeheimnis einschränken sollte, abgelehnt. Gerade weil wir da unsägliche Erfahrungen aus der DDR mitbringen, war uns wichtig, zwischen einem möglichen Mißbrauch der Transportrechte, zum Beispiel durch Subunternehmen, und einer Einschränkung grundgesetzlich garantierter Persönlichkeitsrechte abzuwägen. Nach gründlicher Abwägung haben wir uns für eine Sicherung der Grundrechte entschieden. Ich bin sehr froh, daß sich nach langem Hickhack und einer gutachterlichen Stellungnahme des Rechtsausschusses die Koalitionsfraktionen und die SPD unserem Änderungsantrag angeschlossen haben. Hier hat sich mal Vernunft durchgesetzt. Dr. Norbert Lammert, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr: Die Integration der Verkehrsmärkte in Europa schreitet weiter voran. Die Liberalisierung der einzelnen Verkehrsmärkte beruht dabei im wesentlichen auf dem Leitsatz: Aufhebung der objektiven Marktzugangskriterien, dafür hohe Anforderungen bei den subjektiven Berufszugangsvoraussetzungen. Hohe Standards bei den Unternehmen, dem Fahrpersonal, den Fahrzeugen und der Kontrolle haben bei allen Verkehrsträgern mehr und mehr die objektiven Kriterien wie Preis und Kontingente abgelöst. So wurden im europäischen Straßengüterverkehr bereits 1990 die obligatorischen Tarife und 1993 die Kontigentierung beseitigt. Die letzte Stufe der Deregulierung im Bereich der Marktordnung des Güterkraftverkehrs, des Kernstücks einer zukünftigen europäischen Verkehrsmarktordnung, wird mit der Freigabe der Kabotage, das heißt der Freistellung der Binnenbeförderung durch ausländische Transporteure von mengenmäßigen Beschränkungen, am 1. Juli 1998 erreicht. Vor diesem Hintergrund geht es für Deutschland jetzt um eine grundlegende Modernisierung des in seinen Grundzügen aus den 30er Jahren stammenden nationalen Ordnungsrahmens. Wie überfällig die Einführung einer neuen, liberalen nationalen Marktordnung ist, zeigen auch die positiven Wirkungen der von uns in den letzten Jahren bereits vollzogenen Liberalisierungsschritte wie zum Beispiel der Abschaffung der Tarifpflicht im nationalen Güterkraftverkehr zum 1. Januar 1994. So ist der Anteil des gewerblichen Güterverkehrs in den letzten Jahren deutlich gestiegen, während der Werkverkehr kontinuierlich zurückgegangen ist. Diese Entwicklung zeigt deutlich, daß es für die verladende Wirtschaft bei einem liberalen Ordnungsrahmen wieder interessant wird, die jahrelang im Wege des Werkverkehrs und damit außerhalb des GüKG vorgenommenen Transportleistungen von den Unternehmen des gewerblichen Güterkraftverkehrs durchführen zu lassen. Mit der jetzt anstehenden Anpassung des Güterkraftverkehrsrechts an die europäische Entwicklung verschaffen wir dem deutschen Güterkraftverkehrsgewerbe den notwendigen Freiraum, um seine Wettbewerbsfähigkeit in Europa auch nach der Freigabe der Kabotage am 1. Juli 1998 unter Beweis zu stellen. Dabei will ich nochmals betonen, daß es sich bei der Freigabe der Kabotage nicht um eine Maßnahme handelt, die von heute auf morgen zu einer Änderung des Marktverhaltens der betroffenen Unternehmen führt. Sie werden sich schrittweise auf die neuen Bedingungen einstellen. Auch die deutschen Unternehmen werden hoffentlich erkennen, daß sich ihnen viele neue Chancen eröffnen, die sie in Zukunft auch verstärkt nutzen sollten. Im vergangenen Jahr ist das den deutschen Transportunternehmen bereits zustehende Kabotage-Kontingent nur zu rund 17 Prozent genutzt worden. Viele deutsche Unternehmen tun sich offenbar noch immer vergleichsweise schwer, ihr Geschäft auch auf den Märkten unserer Nachbarstaaten zu machen. Dabei ist für mich klar: Die hohe Qualität ihrer umfassenden Transport- und Logistikleistungen wird auch dort schnell überzeugen, wenn sie zu angemessenen Preisen angeboten werden. Aber auch in Deutschland haben die Kabotage-Beförderungen, die von Unternehmen aus den anderen EU-Mitgliedstaaten erbracht werden, kaum meßbare Auswirkungen auf den deutschen Markt. Bezogen auf den Fernverkehr liegen sie unter 1 Prozent. Selbst wenn mit Freigabe der Kabotage zunächst ein spürbarer Druck auf den deutschen Güterverkehrsmarkt ausgehen sollte, so dürften die Kabotagefahrten, gemessen an den Beförderungsleistungen des Straßengüterverkehrs insgesamt, doch kaum zu einer für das deutsche Straßengüterverkehrsgewerbe nennenswerten Belastung werden. Vor diesem Hintergrund sind die wesentlichen Ziele des vorliegenden Entwurfes eines Gesetzes zur Reform des Güterkraftverkehrsrechts die Liberalisierung und die rechtliche Vereinfachung und Vereinheitlichung des Güterkraftverkehrsrechts durch einen Wegfall der bisherigen objektiven Marktzugangskriterien unter Beibehaltung und Weiterentwicklung der subjektiven Berufszugangsvoraussetzungen. Mit dem Wegfall der heutigen Unterscheidung zwischen Fern-, Nah- und Umzugsverkehr werden sich zum Beispiel für den Nahverkehr, der in den letzten Jahren insbesondere auf Grund der stagnierenden Bauwirtschaft mit erheblichen Problemen zu kämpfen hatte, neue Perspektiven und Marktchancen eröffnen. Ich denke hier zum Beispiel nur an den großen Bereich des Entsorgungsverkehrs. Mit der Reform des Güterkraftverkehrsrechts schaffen wir für unsere deutschen Transportunternehmen wichtige Voraussetzungen für einen fairen Leistungswettbewerb in einem liberalisierten und deregulierten europäischen Verkehrsmarkt. Wir müssen auf diesem Weg aber noch weitere Schritte unternehmen, um noch bestehende Harmonisierungsdefizite zügig abzubauen. Gemeinsam mit den Präsidenten der Güterkraftverkehrsverbände haben wir deshalb bereits 1995 das „Aktionsprogramm zur Stärkung der Wettbewerbsstellung des deutschen Güterkraftverkehrs und der Speditionen" verabschiedet, fortgeschrieben und bereits in wesentlichen Teilen umgesetzt. Klar ist aber auch - und ich kann dem vorliegenden Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. deshalb voll und ganz zustimmen -: Der Stand der Harmonisierung ist in verschiedenen Bereichen des europäischen Verkehrsmarktes noch unbefriedigend. Wir müssen im fiskalischen, sozialen und technischen Bereich eine weitere Angleichung der Wettbewerbsbedingungen zugunsten der deutschen Transportwirtschaft in der Europäischen Union und im Verhältnis zu den Staaten Mittel- und Osteuropas durchsetzen. Bundesverkehrsminister Wissmann hat deshalb, auf Ihre Entschließung hin, direkt an EU-Kommissar Kinnock eine Liste übersandt, in der wir die Defizite bei der Harmonisierung der Wettbewerbsbedingungen Element für Element aufgeführt haben. Hierzu gehören die verursachungsgerechte Anlastung der Wegekosten und Bestimmungen zu Seitenschutz und Prüfungen der Bremsen von Lkw im Straßenverkehr genauso wie die weitere Harmonisierung der technischen Regelungen in der Luftfahrt und im Eisenbahnbereich wie auch der Beseitigung der Tour-deRôle-Systeme in der Binnenschiffahrt. Ich versichere Ihnen, daß die Bundesregierung die Einzelelemente aus der Liste entschieden und mit Nachdruck weiterverfolgen wird. Wir werden die Kommission beim Wort nehmen und im Rahmen unserer laufenden Zusammenarbeit darauf achten, daß sie die noch bestehenden Harmonisierungsdefizite zügig aufarbeitet - im Sinne unseres mittelständischen Güterverkehrsgewerbes und für den Wirtschaftsstandort Deutschland, um Wohlstand und Arbeitsplätze zu sichern. Wir werden die Unternehmen des Straßengüterverkehrs und der Spedition auch weiterhin im Prozeß der Anpassung an sich verändernde Rahmenbedingungen begleiten und unterstützen. Ich weiß, daß der Weg von einem sehr regulierten Markt, wie wir ihn hier in Deutschland hatten, hin zu einem deregulierten Ordnungsrahmen dem deutschen Transportgewerbe in den letzten Jahren einen schwierigen Anpassungsprozeß abverlangt hat, der auch noch nicht beendet ist. Es ist uns aber gelungen, diesen notwendigen Prozeß gemeinsam auf der Basis eines gesellschaftlichen Konsenses zu gestalten, anders als in einigen unserer Nachbarländer, wo die entstandenen Konflikte teilweise auf der Straße ausgetragen werden. Ich möchte es an dieser Stelle daher nicht versäumen, dem deutschen Transportgewerbe mit seinen rund 50 000 Unternehmen und rund 380 000 Beschäftigten für sein konstruktives und nach vorn gerichtetes Verhalten zu danken und allen am parlamentarischen Beratungs- und Entscheidungsprozeß Beteiligten, insbesondere den Berichterstattern, für das gemeinsam erarbeitete und getragene Ergebnis einer überzeugenden Reform des Güterkraftverkehrsrechtes. Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 12 a (Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Fracht-, Speditions- und Lagerrechts) Dr. Wolfgang Freiherr von Steffen (CDU/CSU): Das gute alte HGB ist etwas in die Jahre gekommen und damit auch einige Bestimmungen hinsichtlich des Kaufmannsbegriffes, aber auch des Spediteurs, des Frachtführers und des Lagerhalters. Heute haben wir, nach der Reform des Güterkraftverkehrsrechts, die Neuregelung des Fracht-, Speditions- und Lagerrechts in der zweiten und dritten Lesung, und ich bin überzeugt davon, daß die Neuregelung ein guter Wurf ist, mit dem alle Seiten leben können und die es nicht notwendig macht, daß wie in der Vergangenheit z. B. die ADSp quasi als Ersatzgesetzbuch aufgebaut werden. Im Laufe der Beratungen haben wir uns darauf geeinigt, daß wir alle Verkehrsträger - Straße, Schiene, Binnenschiffahrt und Luftfracht - im Handelsgesetzbuch neu regeln, und zwar in erheblicher Anlehnung an das Übereinkommen vom 19. Mai 1956 über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr. Im Gesetz ist wesentlich darauf abgestellt worden, daß zwischen Spediteur und Frachtführer die Grenzen in der Praxis oft nicht mehr zu erkennen sind und der Selbsteintritt mindestens beim „Verkehrsträger Straße" eher die Regel als die Ausnahme bildet. Es gab - wie meist bei Gesetzgebungsvorhaben - sehr unterschiedliche Interessen: auf der einen Seite die Interessen der Verlader, auf der anderen Seite die Interessen der reinen Spediteure, auf der dritten Seite die Interessen der reinen Frachtführer, auf der vierten und fünften Seite die Interessen der Binnenschiffer als Massentransporteure und der Luftfrachter als Transporteure meist hochwertiger Güter. In unzähligen Vorgesprächen, Sitzungen und einer großen Anhörung habe ich immer wieder betont, daß wir ein Gesetz für die Wirtschaft und nicht gegen sie machen wollen, das heißt, wir sollten - und ich glaube, wir haben es letztlich auch erreicht - die Belange aller soweit berücksichtigen, daß sich niemand von diesem neuen Gesetz ausgegrenzt oder vergewaltigt fühlt. Naturgemäß spielte die Haftungsfrage eine zentrale Rolle, weil höhere Haftungswerte höhere Kosten bei der Versicherung und damit letztlich eine Verteuerung beinhalten. Es gab überhaupt keine Frage darüber, daß einzelvertraglich alles ohne Begrenzung nach unten und oben vereinbart werden kann. Die Diskussion entbrannte nur um den von der Regierung vorgelegten Gesetzentwurf, der solche Abweichungen unbeschränkt auch durch allgemeine Geschäftsbedingungen zulassen wollte. Zunächst ist dies vom Grundsatz her in einem sozialen marktwirtschaftlichen System und von unserer Rechtsordnung so gewollt, geschützt durch das Gesetz über Allgemeine Geschäftsbedingungen, und vom Grundsatz her auch das Normale und Richtige. Es gab aber von der einen und anderen Seite der Gesprächspartner Bedenken dagegen, die Sorge davor hatten, daß sie entweder als Verlader oder Lader durch „Machtkartelle" gezwungen werden könnten, allgemeine Geschäftsbedingungen zu akzeptieren oder aufoktroyiert zu bekommen, die zu weit gehen. Insoweit sind wir in Versuchung geraten, von dem dogmatischen klaren Kurs der unbeschränkten Möglichkeit der allgemeinen Geschäftsbedingungen abzuweichen. Eine von mir ins Gespräch gebrachte Korridorlösung wurde sowohl von seiten des Ministeriums als auch seitens der Verbände abgelehnt, mindestens eher mit Skepsis als mit Zustimmung aufgenommen. So haben die Berichterstatter nach der Anhörung einen Weg gewählt - der dann zu erheblicher Bewegung in der Branche führte -, bei dem einzelvertraglich selbstverständlich alle Möglichkeiten offenblieben, aber über allgemeine Geschäftsbedingungen der Verwender nur zu seinen Ungunsten abweichen konnte. Das Ergebnis der dann einsetzenden Diskussion war die heute vorliegende Korridorlösung, die Haftung zwischen 2 und 40 Sonderziehungsrechten - ein Kompromiß, mit dem, glaube ich, alle leben können, einschließlich der Lagerhalter, der Binnenschiffahrt und des Luftverkehrs. Wir haben auch ein vernünftiges Ergebnis beim Haftungsausschuß gefunden; insbesondere wurden dabei auch die Wünsche der Binnenschiffahrt berücksichtigt. Für die Beförderung von Umzugsgut - das erstmals in das HGB aufgenommen wurde - sind zum Schutze der Verbraucher besondere Bestimmungen aufgenommen worden. Aber auch der Frachtführer ist im Haftungshöchstbetrag beschränkt auf 12 000 DM. Über diese Haftungsbegrenzung muß ausdrücklich informiert werden, andernfalls gilt sie nicht. Es ist erfreulich, daß wir diese wichtigen Gesetzesänderungen einvernehmlich verabschieden und damit den europäischen Richtlinien genügen und der Transportwirtschaft vernünftige Instrumente an die Hand geben, um im schweren europäischen Wettbewerb zu bestehen. Dr. Eckhart Pick (SPD): Wer als Student der Rechtswissenschaft die Vorlesung „Handelsrecht" gehört hat, mußte mit Sicherheit auch dessen mehr oder weniger spannende Teile wie Kommission, Spedition, Lagergeschäft und Frachtrecht an sich vorüberziehen lassen. Vielleicht ist ihm als exotisches Phänomen noch die Orderlagerscheinverordnung im Gedächtnis geblieben, da sie im Wertpapierrecht später wieder fröhliche Urständ feierte, oder man hatte zumindest einmal von den Allgemeinen Deutschen Spediteurbedingungen gehört. In der Tat geht es nicht nur den Studenten so. Auch Professoren können diesem Gebiet, es sei denn, sie spezialisieren sich auf das Transportrecht, im allgemeinen nicht viel abgewinnen. Das gegenwärtige Transportrecht ist in der Tat einem Nichtfachmann kaum anschaulich zu vermitteln. Es ist geprägt, wenn man es positiv ausdrückt, durch eine große Vielfalt an Regelungen. Kritischer muß man sagen: Es ist kompliziert, zersplittert, dadurch unübersichtlich, ohne System gewuchert und überaltert. Es geht noch von Strukturen aus, die längst überholt sind. Das zeigen die unterschiedlichen rechtlichen Grundlagen, mit denen wir es zu tun haben. Neben gesetzlichen Vorschriften, Verordnungen, internationalen Abkommen haben sich Allgemeine Geschäftsbedingungen etabliert, von denen die ADSp nur ein Beispiel unter vielen sind. Unser deutsches Landfrachtrecht unterscheidet z. B. nach der Art des Transportmittels Eisenbahn, Kraftfahrzeug, Schiff, nach der Länge der Beförderungsstrecke Fernverkehr und Nahverkehr sowie nach der Art des Beförderungsgutes, etwa Umzugsgut, Handelsmöbel und Schwertransporte. Nicht unterschieden wird übrigens vom Gesetz nach lebenden Tieren oder Sachen. Insofern begrüßen auch wir, daß die Bundesregierung 1992 eine Sachverständigenkommission eingesetzt hat, auf deren Ergebnissen der Regierungsentwurf beruht, die in ihren Grundzügen auch nach der Beratung der Ausschüsse Bestand haben. Der Gesetzentwurf faßt das private Transportrecht zusammen, bezieht also nicht die öffentlich-rechtliche Seite, z. B. das Güterkraftverkehrsrecht, ein. Es führt die Bestimmungen des Fracht-, Speditions- und Lagergeschäfts im Handelsgesetzbuch zusammen, reduziert den Regelungsumfang und bringt eine einheitliche Regelung der Frachtverträge für Straße, Schiene und Binnenschiffahrtswege, doch mit einigen Ausnahmen. Das Seefrachtrecht bleibt im Hinblick auf internationale Vorschriften unberührt. Leitbild schon des Kommissionsvorschlags war das „Übereinkommen über die Beförderung im internationalen Straßengüterverkehr" von 1956 (CMR). Der Gesetzgeber hatte es bei der Beratung mit einer Vielzahl von Beteiligten zu tun, die von sehr unterschiedlichen Interessen geleitet waren. Die Vielzahl von Verbänden machte auch die Einhaltung der leitenden Grundsätze dieser Reform schwierig. Die Anhörung hat dies ganz deutlich zu erkennen gegeben. Auch dem nicht so bewanderten Betrachter der Szene wurde deutlich, daß der Transportmarkt stark umkämpft ist - auch im Hinblick auf internationale Mitbewerber - und daß ein beinharter Wettbewerb stattfindet. Ein weiteres Spannungsfeld besteht zwischen den Prinzipien Vertragsfreiheit und Begrenzung der Privatautonomie durch zwingende Regeln. Der Gesetzgeber hat sich mit Recht für einen größeren Gestaltungsspielraum der Parteien entschieden. Ein abgestuftes System von nicht abdingbaren Vorschriften, solchen, die durch Vereinbarung geändert werden können, und schließlich der Regelung durch Allgemeine Geschäftsbedingungen zugängliche Bestimmungen bieten den Rahmen. Sie folgen dem Grundsatz, schwächere Marktteilnehmer zu schützen. Der Gesetzentwurf gibt die Unterscheidung zwischen Nah- und Fernverkehr auf und verankert das Umzugsrecht erstmals im Gesetz. Neu sind auch die Regelungen der Beförderung mit unterschiedlichen Beförderungsmitteln, also der sogenannte multimodale Verkehr. Das Speditionsrecht wird umfassend renoviert und nimmt Abschied vom historischen Leitbild des Nur-Spediteurs. Es berücksichtigt die vielfältigen Typen des Beförderungsverhältnisses mit den differenzierten Anforderungen an zusätzliche Dienstleistungen, Rechte und Pflichten. Im Verbraucherbereich wird künftig mehr Wettbewerb zwischen den Anbietern ermöglicht, so daß künftig günstigere Konditionen besser genutzt werden können. Der Bundesrat hatte keine grundsätzlichen Einwendungen gegen das Gesetzeswerk. Er hat allerdings auf die Besonderheiten der Binnenschiffahrt aufmerksam gemacht. Während der Regierungsentwurf die Luftfrachtbeförderung nicht in den Rahmen des Transportrechts einbezogen hat, haben die Ausschüsse übereinstimmend empfohlen, auch diesen Sektor in den Anwendungsbereich des neuen Frachtrechts aufzunehmen. Es konnten damit die entsprechenden Sonderregelungen im Luftverkehrsgesetz aufgehoben werden. Der Massengüterverkehr erfordert klare Abgrenzungen des Verantwortungsbereichs der am Transport beteiligten Personen, Frachtführer, Spediteure, Lagerhalter und Mischunternehmen. Dabei spielt naturgemäß die Haftungsfrage eine entscheidende Rolle. Sie ist bisher genauso unübersichtlich und oft zufällig wie das gesamte Transportrecht. So enthalten die Allgemeinen Beförderungsbedingungen für den gewerblichen Güternahverkehr mit Kfz (AGNB) einen Haftungsrahmen von 100 000 bis 400 000 DM pro Schadensfall. Die KVO läßt eine Haftung bis maximal 80 DM pro Kilogramm zu, die EVO dagegen 100 DM pro Kilogramm. Das Binnenschiffahrtsgesetz begnügt sich mit 20 Pfennig pro Kilogramm, die ADSp setzen einen Haftungsrahmen von 5 DM bis 4750 DM fest. Das Warschauer Abkommen begrenzt die Haftung auf 53,50 DM pro Kilogramm. Dies konnte nicht so bleiben. So wird die Haftung des Absenders gegenüber dem Frachtführer, die nach § 414 Abs. 1 verschuldungsunabhängig in besonderen Fällen ist, auf einen Betrag von 8,33 Rechnungseinheiten begrenzt. In derselben Höhe ist auch die Haftung des Frachtführers wegen Verlust oder Beschädigung der gesamten Sendung auf einen Betrag von 8,33 Rechnungseinheiten für jedes Kilogramm Rohgewicht beschränkt. Rechnungseinheit ist das Sonderziehungsrecht des Internationalen Währungsfonds. Es schwankt, so daß 8,33 Sonderziehungsrechte etwa 20 DM entsprechen. Im Mittelpunkt der Erörterungen stand dann die Frage, inwieweit von diesen Haftungsvorschriften durch Vertrag (Vereinbarung) abgewichen werden kann. Während die Vertragsfreiheit ansonsten durchgängig Gültigkeit hat, waren nach dem Maßstab der Schutzbedürftigkeit der Vertragspartner Einschränkungen vorzusehen. Dies gilt insbesondere für den Verbraucher, der nunmehr in § 414 Abs. 3 HGB definiert ist. Nach § 449 Abs. 1 HGB kann zu seinem Nachteil nicht von bestimmten Vorschriften abgewichen werden. Ich nenne beispielhaft nur den ganzen Bereich der §§. 425 ff. HGB, die alle haftungsbegründende Tatbestände im Verantwortungsbereich des Frachtführers enthalten. Die übrigen Teilnehmer am Transportgeschäft können von den in § 449 Abs. 1 genannten Vorschriften nur durch Vereinbarung abweichen, sie sind also nicht durch Allgemeine Geschäftsbedingungen zu modifizieren (sog. „AGB-Festigkeit"). Eine Ausnahme wird für den Fall gemacht, daß der Frachtführer Entschädigung wegen Verlust oder Beschädigung des Gutes zu leisten hat. Hier kann durch Allgemeine Geschäftsbedingungen die Haftung auf einen anderen als in § 431 Abs. 1 HGB vorgesehenen Höchstbetrag von 8,33 Rechnungseinheiten begrenzt werden. Die Ausschußmehrheit sieht hierbei einen Korridor von 2 bis 40 Rechnungseinheiten vor, der durch AGB gestaltbar ist. Uns erscheint dieser Rahmen allzu weit. In Übereinstimmung mit dem mittelständischen Transportgewerbe schlagen wir vor, diesen Dispositionsrahmen auf den Bereich zwischen 2 und 25 Rechnungseinheiten zu begrenzen. Wir fürchten, daß sonst die marktschwächeren Teilnehmer beeinträchtigt werden. Unser Änderungsantrag bringt dies zum Ausdruck. Eine Abweichung zu Lasten des Verwenders von AGB ist jedoch zulässig. Dies gilt auch für die vom Absender nach § 414 zu leistende Entschädigung. Trotz allen Bemühens um Vereinfachung und mehr Transparenz mußte auch in diesem Zusammenhang eine Ausnahme gemacht werden: Bei der Beförderung von Briefen und briefähnlichen Sendungen (z. B. Infopost) kann, auch wenn Verbraucher beteiligt sind, durch Allgemeine Geschäftsbedingungen zu Lasten der Absender von den Haftungsnormen des Frachtführers abgewichen werden. Weitergehenden Forderungen nach Aufweichung des Verbraucher- und Kundenschutzes ist m.E. mit Recht nicht entsprochen worden. Unser zweiter Änderungsantrag betrifft die Haftung der Führer von Binnenschiffen. Die dort anzutreffenden Sonderbedingungen rechtfertigen m. E. eine Haftungserleichterung, wenn der Frachtführer nachweisen kann, seinen Sorgfaltspflichten für den mangelfreien Zustand seines Schiffes nachgekommen zu sein. Insgesamt erscheint der SPD durch die zahlreichen Änderungen des Gesetzentwurfs im Gesetzgebungsverfahren ein brauchbarer Kompromiß gefunden worden zu sein. Die beteiligten Kreise, die die gefundenen Lösungen weitgehend mittragen, haben nun die Aufgabe, die Interessensphären gegenseitig abzugrenzen. Sie können nicht an den grundsätzlichen Wertentscheidungen des Gesetzgebers vorbeigehen. Sie können den Spielraum jedoch sinnvoll nutzen. Die SPD wird dem gefundenen Ergebnis zustimmen. Gila Altmann (Aurich) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Spätestes seit der Liberalisierung des Güterkraftverkehrs am 1. Januar 1994 war klar, daß das bisher auf die einzelnen Verkehrsträger zugeschnittene Transportrecht vereinheitlicht und den neuen Gegebenheiten angepaßt werden muß. Mit der Schaffung des Binnenmarktes im Transportsektor zum 1. Juli 1998 ist es nun soweit: Das Frachtrecht für LKW, Bahn, Binnenschiff und Luftverkehr wird im Handelsgesetzbuch einheitlich geregelt, Sonderregelungen für einzelne Verkehrsträger werden abgeschafft. Nur für den kombinierten Verkehr existieren noch einige Ausnahmen. Diskussionspunkt im Laufe der Beratungen war vor allem die Ausgestaltung der Haftung. Nach der jetzt beschlossenen Regelung ist die Haftung des Frachtführers bei Verlust oder Beschädigung des Gutes auf 8,33 Rechnungseinheiten begrenzt. Allerdings kann diese starre Grenze unter bestimmten Bedingungen durch vertragliche Vereinbarung zwischen 2 und 40 Rechnungseinheiten variiert werden. Ich denke, daß mit diesem Kompromiß zwischen einheitlicher Regelung einerseits und Anpassung an bestimmte Speditionstätigkeiten wie beispielsweise das Lagereigeschäft andererseits alle Beteiligten gut leben können. Daher wird meine Fraktion dem Gesetzentwurf in der vom Rechtsausschuß beschlossenen Fassung zustimmen. Hildebrecht Braun (Augsburg) (F.D.P.): Manchmal mag man schon an der Weisheit des Ältestenrates des Bundestages zweifeln. Da wird dieser Bundestag einen wichtigen Teil des Handelsgesetzbuches nach mehr als 100 Jahren völlig neu fassen und für den ganzen Bereich der Güterdistribution neue Vorschriften schaffen. Das Recht der Frachtführer, der Spediteure, der Bahn, des innerdeutschen Luftverkehrs, aber auch des Möbeltransports und der Lagerei wird grundlegend erneuert. Hunderttausende von Beschäftigten in unserer Volkswirtschaft werden unter veränderten Rahmenbedingungen arbeiten. Ein wichtiger Teil unserer Wirtschaft erhält quasi einen neuen rechtlichen Rahmen. Dies alles findet nahezu unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt. Die erste Lesung im Parlament erfolgte ohne Debatte. Die zweite und dritte Lesung findet am Ende eines außerordentlich ereignisreichen Parlamentstages statt. Für die Debatte aller Redner zusammen ist nur eine halbe Stunde angesetzt, also die kürzeste Zeit, die überhaupt für die Behandlung von Themen im Parlament angesetzt wird. Obwohl von einer Reihe außerordentlich wichtiger Verbände wie dem DIHT, dem BDI, dem Bundesverband Groß- und Außenhandel, den Einzelhändlern, den Spediteuren, den Frachtführern etc. speziell die Haftungsregelung heftig diskutiert wurde, nahm die Presse hiervon kaum Kenntnis. Und der Bundestag nimmt sich mehr Zeit für die Behandlung von Zwischenberichten oder von Entschließungen, die ohne rechtliche Relevanz sind, als für die parlamentarische Beratung dieses Rechtsgebietes. Nun, man mag argumentieren, daß mehr Redezeit nicht etwa bedeuten würde, daß die Dinge dann besser werden. Ich hätte aber sehr gerne mit der gebotenen Ausführlichkeit die verschiedenen Regelungen und ihre Relevanz für die beteiligten Verlader, Frachtführer etc., aber auch für die Gesamtwirtschaft dargelegt und mit Ihnen erörtert. Da aber der Altestenrat offensichtlich die Brisanz dieser Materie nicht erkannt hat, will ich in den mir verbleibenden wenigen Minuten zu den wichtigsten Punkten der Reform Stellung nehmen: Erstens. Der Bundestag wünscht, daß die am Gütertransport Beteiligten durch einen Blick in das HGB wissen, wie die Dinge gehandhabt werden müssen. Deshalb werden viele Vorschriften gestrichen, die bisher außerhalb des HGB den Transportvertrag mit den verschiedenen Verkehrsträgern und zum Teil unterschiedlich - je nach Länge des Transports - regeln. Das neue Gesetz dient der Zusammenführung der Vorschriften und damit der Rechtsvereinheitlichung, zugleich natürlich der Übersichtlichkeit. Zweitens. Für alle Verkehrsträger gilt nun ein Gesetz, eben das HGB. Hier ist die Vereinheitlichung vielleicht etwas weit gegangen. Ob es wirklich sinnvoll war, die Binnenschiffahrt gemeinsam mit dem Güterverkehr auf der Straße, auf der Schiene und in der Luft zu regeln, muß bezweifelt werden. Drittens. In allen Bereichen des Gütertransports gilt das Prinzip der Gefährdungshaftung oder, präziser bezeichnet, der Gewahrsamshaftung. Es wird also nicht nach Verschulden gefragt, sondern nur danach, ob in der Obhut des Frachtführers, des Lagerhalters etc. ein Schaden entstanden ist. Dies ist von der Sache her richtig, da der Verlader keinen Einfluß darauf nehmen kann, wie mit dem gut in der Obhut des Vertragspartners umgegangen wird. Es ist auch deshalb richtig, weil die internationalen Haftungsordnungen, die CMR, die CIM und das Warschauer Abkommen, ebenfalls auf die Gewahrsamshaftung und nicht auf die Verschuldenshaftung abstellen. Viertens. Die Vereinfachung des Rechts wird dazu führen, daß die Berufshaftpflichtversicherungen der Rechtsanwälte nicht mehr im bisherigen Umfang zahlen müssen. Tatsache ist nämlich, daß das Transportrecht bisher ein überaus kompliziertes und nahezu undurchschaubares Rechtsgebiet war. Wir haben uns bemüht, das Recht so zu vereinfachen, daß es sich nicht mehr als eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für spezialisierte Rechtsanwälte auswirken wird. Lassen Sie mich dennoch einige kritische Anmerkungen machen: Erstens. Man möchte fast mit den Habsburgern seeligen Angedenkens rufen: Laßt die anderen Kriege führen, Du, glückliches Österreich, heirate. Auf das zeitgenössische Denken übertragen würde dies heißen: Die Deutschen geben sich wieder einmal Mühe und arbeiten sechs Jahre an einem neuen Transportrecht für innerdeutsche Verkehre, das in vielen Punkten etwas besser ist als die Regelung der in ganz Europa geltenden CMR. Allerdings muß jetzt jeder Frachtführer oder Verlader beide Rechtsordnungen kennen, nämlich was zwingend im europäischen Bereich, also grenzüberschreitend, gilt und das, was - oft nur minimal unterschieden - bei innerdeutschen Transporten gilt. Die Österreicher haben das Problem anders und vielleicht richtiger gelöst: Sie haben einfach die CMR auch für innerösterreichische Transporte für anwendbar erklärt. Dieser Schritt diente der Rechtsvereinheitlichung und -vereinfachung natürlich sehr viel mehr als das, was wir jetzt für Deutschland beschließen. Zweitens. Im Laufe der Beratungen standen sich zwei Konzepte gegenüber, die beide viel für sich haben: 1. Das Prinzip der Vertragsfreiheit, nach dem auch durch AGB die zentrale Haftungsregelung ohne jede Begrenzung verändert werden konnte. Dieses Prinzip würde zum sonstigen Handelsrecht passen. Allerdings führt es zu großen praktischen Schwierigkeiten, da an einem Transportvertrag viele Parteien beteiligt oder doch zumindest betroffen sind, nämlich Verlader, Absender, Erstspediteur, Zweitspediteur, Frachtführer und Teilfrachtführer, Empfangsspediteur, Empfänger und Eigentümer. Dazu kommen noch die jeweiligen Versicherer der genannten Parteien. 2. Das System einer sog. AGB-festen Haftung. Dieses System sollte zum Zwecke der Rechtsvereinheitlichung und -vereinfachung aus der CMR die Haftungsregelung übernehmen, die ohnehin jeder kennt. Sie sollte durch AGB nur zugunsten der jeweils anderen Seite verändert werden können. Diese von mir favorisierte Lösung wurde auch von den sechs Berichterstattern von CDU/CSU, SPD und F.D.P. aus dem Rechtsausschuß und dem Verkehrsausschuß für richtig befunden. Sie engte aber den Handlungsspielraum von einigen Verbänden ein, die ihren Mitgliedern eine von der gesetzlichen Haftung abweichende Regelhaftung empfehlen wollten. Ich will nicht nachtarocken und nach der Sinnhaftigkeit der Interventionen der verschiedenen Verbände fragen. Wir haben nur in der Vorberatung feststellen müssen, daß es neben den Zielen der Rechtsvereinfachung, der Rechtsvereinheitlichung und dem Rechtsfrieden noch ein weiteres Ziel gibt, nämlich den Frieden unter den Verbänden. Um diesen herzustellen, haben wir die sog. Korridorlösung in das Gesetz geschrieben, die es den beteiligten Verkehrskreisen ermöglicht, durch AGB die Haftung pro Kilogramm zwischen 2 Sonderziehungsrechten und 40 Sonderziehungsrechten und damit zwischen ca. DM 5,- und ca. DM 100,- pro Kilogramm festzulegen. Allerdings muß eine Änderung der gesetzlichen Haftung, die bei ca. DM 20,- pro Kilo gegenwärtig liegen würde, in AGB drucktechnisch besonders hervorgehoben sein. Diese Bestimmung wird nach meinem Dafürhalten dazu führen, daß AGB, die von der gesetzlichen Haftung abweichen wollten, kaum durchsetzbar sein werden, denn im Transportbereich werden Aufträge in der Regel per Telefon, gegebenenfalls noch per Fax erteilt. AGB werden nicht hin- und hergeschickt. Die bloße Bezugnahme auf AGB, die von der gesetzlichen Haftung abweichen, wird aber nicht ausreichen. 3. Die Versicherbarkeit der Haftung wird deutlich erschwert. Die Prämie wird wegen der möglicherweise höheren Haftung teurer. 4. Der Schutz der kleinen Betriebe mit der geringen Marktmacht auf seiten der Verlader und der Frachtführer ist durch den Korridor schlechter geworden. Fünf Minuten sind zuwenig, um das Reformwerk angemessen darzustellen und ausreichend zu würdigen. Ich will abschließend nur festhalten: Eine dringend notwendige Reform wurde bewältigt. Das Transportrecht wird in Zukunft durchschaubar und für die am Transport Beteiligten sowie für Rechtsanwälte und Richter handhabbar sein. Es hätte noch besser werden können. Trotzdem: Die Reform ist insgesamt ein großer Fortschritt. Ich bedanke mich nochmals ausdrücklich bei den anderen Berichterstattern des Rechtsausschusses, Herrn von Stetten und Herrn Pick, für ihre kooperative Zusammenarbeit sowie dem Bundesjustizministerium für die sehr arbeitsintensive, oft kritische, aber insgesamt doch konstruktive Zusammenarbeit. Dr. Dagmar Enkelmann (PDS): Das derzeit geltende Transportrecht ist ein Gefüge aus verschiedenen Gesetzen, Verordnungen, allgemeinen Geschäftsbedingungen und Sondervorschriften. Es ist unübersichtlich und soll gestrafft und einheitlich im Handelsgesetzbuch verankert werden. Gelten soll das refomierte Regelwerk ab 1. Juli 1998, denn ab diesem Termin wird die Kabotage zwingend in der EU freigegeben. So weit, so gut. Daß hier etwas geschehen mußte, ist allen einsichtig. So wurde also eine Sachverständigenkommission eingesetzt und nach vielen Diskussionsrunden dann im letzten Jahr von der Bundesregierung ein Gesetzentwurf vorgelegt. Mittlerweile ist, nach etlichen Änderungen durch den Rechts- und den Verkehrsausschuß, eine Vorlage entstanden, mit der alle Betroffenen mehr oder weniger leben können. Auf einen Aspekt möchte ich jedoch ein wenig näher eingehen. Ein Ziel der Transportrechtsreform ist die Vereinheitlichung der verschiedenen Haftungsmodalitäten. Die verschiedenen Verkehrsträger Lkw, Bahn, Binnenschiff und Flugzeug sollen einem gemeinsamen Haftungssystem unterworfen werden. Bezeichnend ist nun allerdings, daß als Grundlage für den Gesetzentwurf das Übereinkommen über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr, CMR, diente. Wen wundert es? Das zu reformierende Transportrecht wird kurzerhand - und das liegt bei der Verkehrspolitik der Bundesregierung ja auch nahe - am Straßengüterverkehr ausgerichtet. Allerdings mußte die Bundesregierung erfahren, daß es so flott nun doch nicht geht und daß Transport - welch Glück - auch noch mittels anderer Verkehrsträger stattfindet. Für die Binnenschiffahrt zum Beispiel hätten die ursprünglich vorgesehenen Haftungsregelungen mit einer Erhöhung der Haftungshöchstgrenze auf 8,33 Sonderziehungsrechte, was etwa 19 DM/kg entspricht, eine enorme Kostenmehrbelastung bedeutet. Gegenwärtig liegt die Obergrenze in den Verlade- und Transportbedingungen nämlich bei 0,20 DM/kg, was dem klassischen Massengutverkehr in der Binnenschiffahrt auch wesentlich eher entspricht. Mit der inzwischen gefundenen „Korridorlösung" - während individuelle Abweichungen unbegrenzt möglich sind, kann durch Allgemeine Geschäftsbedingungen die Haftung nur innerhalb des Rahmens von 2 bzw. 40 Sonderziehungsrechten festgelegt werden - kann sich die Binnenschiffahrt arrangieren. Die Verbände selbst haben im Zuge einer Angleichung des Binnenschiffahrtsrechts an das Seehandelsrecht eine Festlegung auf eine Haftungshöchstgrenze von maximal 2 Sonderziehungsrechten gefordert. Nachbesserungsbedarf besteht in der Tat in den Punkten, die die SPD in ihrem Änderungsantrag benennt. In § 426 - Haftungsausschluß - sollten die Haftungsausschlußgründe auf die Binnenschiffahrt abgestellt werden. Im Gegensatz zu einem Lkw liegt ein Schiff zu einem großen Teil unter Wasser, was ein Erkennen von Mängeln selbst bei sorgfältiger Prüfung nicht immer möglich macht. Ich denke, das sollte allen einleuchten. Zum Abschluß noch eine Bemerkung: Mit der Reform des Transportrechts ist ein weiterer Schritt in die völlige Liberalisierung des Transportwesens getan. Nichts getan wurde bisher, um die Folgen dieser Liberalisierung abzufangen und ein Konzept zu entwickeln, das zur Verringerung des Trans- portaufkommens beiträgt. Dies ist mehr als bedauerlich und ein Armutszeugnis für die Bundesregierung. Rainer Funke, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz: Der Entwurf eines Transportrechtsreformgesetzes, der Ihnen heute vorliegt, hat die umfassende Neuregelung des Fracht-, Speditions- und Lagerrechts zum Gegenstand. Er stellt damit eitles der großen handelsrechtlichen Gesetzgebungsvorhaben in dieser Legislaturperiode dar. Der Entwurf war - was angesichts der Bedeutung des Vorhabens kaum verwundert - Gegenstand intensiver und schwieriger Verhandlungen in den Ausschüssen. Ich freue mich, daß es gelungen ist, die Streitfragen zu lösen. Denn die schon seit Jahren geforderte Transportrechtsreform kann und darf nicht länger auf sich warten lassen. Mit der Freigabe der Straßenverkehrskabotage zum 1. Juli 1998 muß auch das Transportprivatrecht neu geordnet sein. Welche Vorteile bringt das neue Recht? Erstens wird es erheblich zur Rechtssicherheit beitragen und Wettbewerbsverzerrungen abbauen. Anstelle des heutigen Normendickichts wird es für die Verkehrsträger Straße, Schiene, Binnenschiff und Flugzeug nur noch ein einziges Frachtrecht, und zwar im Handelsgesetzbuch, geben. Zweitens schaffen wir ein neues modernes Transportrecht mit Antworten auf Fragen, die sich für das zum Teil mehr als einhundert Jahre alte Recht zu Anfang gar nicht stellte. Das gilt z. B. für den multimodalen Transport. Künftig wird es auf die Frage, welches Recht anzuwenden ist, wenn die Beförderung eines Containers mit verschiedenartigen Fahrzeugen in Auftrag gegeben wird und für die Fahrzeuge unterschiedliche Transportrechte gelten, eine praktikable und verhältnismäßig einfache Antwort geben. Schließlich wird das neue Recht Brüche zwischen nationalem und internationalem Recht deutlich reduzieren. Vorbild der neuen frachtrechtlichen Regelungen vor allem das Übereinkommen von 1956 über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr (CMR). Gewisse Unterschiede zu internationalem Recht werden fortbestehen, weil die internationalen Normen jeweils nur für einen bestimmten Verkehrsträger gelten. Dem neuen nationalen einheitlichen Transportrecht kann deshalb Vorbildfunktion für künftige internationale Vorhaben zukommen. Das deutsche Verkehrsgewerbe befindet sich heute in einer nicht einfachen Lage. Gerade deshalb ist es wichtig, die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, daß Transportgeschäfte reibungslos funktionieren und Streitigkeiten vermieden werden. Diese flankierende Hilfestellung leistet der vorliegende Gesetzentwurf. Ich bitte deshalb um Ihre Zustimmung zu dem Ihnen vorliegenden Entwurf eines Transportrechtsreformgesetzes. Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 13 (Entwurf eines Gesetzes zur sozialrechtlichen Absicherung flexibler Arbeitszeitregelungen) Heinz Schemken (CDU/CSU): Mit dem Entwurf eines Gesetzes zur sozialrechtlichen Absicherung flexibler Arbeitszeitregelungen wird die im „Bündnis für Arbeit" und zur Standortsicherung gegebene Zusage, die gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Vereinbarung von Arbeitszeitkonten zu verbessern und damit Möglichkeiten für mehr Beschäftigung zu schaffen, erfüllt. Die Rahmenbedingungen für das Anlegen von längerfristigen Arbeitszeitkonten und die Weiterentwicklungen des Altersteilzeitgesetzes werden verbessert. Bis Ende Januar 1998 zählte die Bundesanstalt für Arbeit insgesamt rund 9100 Anträge auf Förderleistungen nach dem Altersteilzeitgesetz. Diese Zahl gibt allerdings nicht die tatsächliche Inanspruchnahme der Altersteilzeit wieder; sie liegt weit höher. Die meisten Arbeitnehmer üben Altersteilzeit mit Verblockung der Arbeitszeit über mehrere Jahre aus, zum Beispiel: zweieinhalbjährige Vollzeitarbeit, zweieinhalbjährige Freistellung. Diese Konstellationen sind statistisch noch nicht als Förderfälle erfaßbar, da eine Wiederbesetzung erst nach Abschluß der Vollzeitphase erfolgen kann. Erst dann ist auch über die Förderung zu entscheiden. Die wirkliche Inanspruchnahme kann nur auf Grund von Aussagen der Praxis eingeschätzt werden. Die IG Bergbau, Chemie, Energie geht zum Beispiel davon aus, daß allein in der westdeutschen Chemieindustrie inzwischen rund 15 000 Arbeitnehmer Altersteilzeit nutzen oder beantragt haben. Zur Altersteilzeit sind bislang rund 80 Tarifabschlüsse, neben mehreren Verbandstarifverträgen auch zahlreiche Hausabschlüsse, zustande gekommen. Zur Weiterentwicklung des Altersteilzeitgesetzes hatte die Praxis verschiedene Anliegen, unter anderem die Erweiterung des Verteilzeitraums für die unterschiedliche Verteilung, Verblockung, der Arbeitszeit von bisher fünf Jahren auf bis zu zehn Jahren und die Erleichterung der Umsetzung der Arbeitszeit für tarifgebundene Arbeitnehmer und Arbeitgeber, in deren Tarifbereich kein Altersteilzeittarifvertrag besteht, durch Auflockerung des zwingenden Tarifvorbehalts. Dieser von Arbeitgeberseite erhobenen Forderung hatten allerdings die Gewerkschaften zunächst entschieden widersprochen. Zum Tarifvorbehalt konnte nach langem Ringen ein für Gewerkschaften und Arbeitgeber akzeptabler Kompromiß erzielt werden, der insbesondere durch die Einigung über den Altersteilzeittarifvertrag in der Metallindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden begünstigt wurde: Erstens. Die Betriebe erhalten die Möglichkeit, innerhalb eines Verteilzeitraums von bis zu drei Jahren die Altersteilzeit in Arbeits- und Freistellungsphasen aufzuteilen, auch ohne daß ein Tarifvertrag vorliegen muß. Dies war bislang nur bis zu einem Höchstverteilungszeitraum von einem Jahr möglich. Diese Änderung dürfte insbesondere Klein- und Mittelbetrieben zugute kommen. Zweitens. Es bleibt bei dem grundsätzlichen Tarifvorbehalt für die über drei Jahre hinausgehende Aufteilung in Arbeits- und Freistellungsphasen. Die Tarifvertragsparteien können in den Tarifvertrag eine Öffnungsklausel für Betriebsvereinbarungen aufnehmen. Wird von der Tariföffnungsklausel Gebrauch gemacht, werden tarifgebundene und nicht tarifgebundene Bereiche gleichbehandelt. Das heißt: Auch Außenseiter können dann im Rahmen der Öffnungsklausel Betriebsvereinbarungen zur Altersteilzeit treffen. Drittens. In Bereichen, in denen tarifvertragliche Regelungen zur Verteilung der Arbeitszeit nicht getroffen sind oder üblicherweise nicht getroffen werden, zum Beispiel bei Steuerberatern und sonstigen Freiberuflern, werden Betriebs- oder Individualvereinbarungen über die Aufteilung der Altersteilzeit in mehrjährige Arbeits- und Freistellungsphasen zugelassen. Viertens. Der Verteilzeitraum, innerhalb dessen die Anspar- und Freistellungsphase bei der Alterszeitzeitarbeit liegen muß, wird von bisher fünf auf zehn Jahre verlängert. Die Höchstförderungsdauer bleibt allerdings bei fünf Jahren. Die gesetzlichen Regelungen, die von seiten der Arbeitgeber und Gewerkschaften, aber auch der Länder dringend gefordert werden, sollten aus beschäftigungspolitischen Gründen rückwirkend zum 1. Januar 1998 in Kraft treten. Die Einigung zu den Möglichkeiten der Arbeitszeitverblockungen bei der Altersteilzeit bedeutet einen Impuls für eine noch weitergehende Akzeptanz der Altersteilzeit in der Praxis. Der Gesetzentwurf enthält noch andere Weiterentwicklungen der Altersteilzeit: Die Wiederbesetzungsklausel wird erweitert. Für Kleinunternehmen mit bis zu 20 Arbeitnehmern kann die Wiederbesetzung auch durch Einstellung von Auszubildenden erfolgen. Außerdem wird die Befristung des Altersteilzeitgesetzes um drei Jahre verlängert. Förderfähig wird dann Altersteilzeit, die vor dem 1. August 2004 begonnen wird. Insgesamt lassen die Weiterentwicklungen eine noch breitere Inanspruchnahme der Altersteilzeit erwarten. Von denjenigen, die die Auflockerung des Tarifvorbehalts gefordert haben, muß aber nun auch erwartet werden, daß sie die neuen Möglichkeiten nutzen. In den Tarifbereichen, in denen Altersteilzeittarifverträge abgeschlossen sind, arbeiten mehr als 5,5 Millionen Arbeitnehmer. Insgesamt kommt nach einer Einschätzung des BMA ein Potential von gut 1,5 Millionen Arbeitnehmern für Altersteilzeit in Betracht. Nicht nur der gleitende Übergang in den Ruhestand wird erleichtert. Für das gesamte Berufsleben gibt es mehr Gestaltungsspielräume, ohne daß die beteiligten Arbeitnehmer in ihrer sozialen Sicherung beeinträchtigt werden. So wird auch während der Phase der Freistellung, zum Beispiel während des sogenannten Sabbatjahres, der Versicherungsschutz in der Sozialversicherung aufrechterhalten. Die Beitragszahlung wird für die angesparten Wertguthaben auf die Freistellungsphase hinausgeschoben, so daß den Betrieben ein Zinsgewinn verbleibt. Für die Vereinbarungen von Langzeitkonten erhalten die Vertragsparteien den gesetzlichen Auftrag, geeignete Vorkehrungen zur Absicherung dieser Konten für den Fall der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers zu treffen. Die Bundesregierung wird verpflichtet, dem Gesetzgeber über die Entwicklung dieses Insolvenzschutzes zu berichten. Für den Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung wird klargestellt, daß insbesondere im Fall des Todes oder des Eintritts der Erwerbsminderung die Beiträge aus noch offenen Arbeitsentgelten aus flexiblen Arbeitszeitregelungen als rechtzeitig gezahlte Beiträge gelten und damit die Höhe der Renten wegen Todes oder Erwerbsminderung steigern. Die Vorschriften über die gesetzliche Krankenversicherung und die Pflegeversicherung werden an die Neuregelungen zu flexiblen Arbeitszeiten im Sozialversicherungsrecht angepaßt. Auch wird verhindert, daß Arbeitnehmern in flexibler Beschäftigung Nachteile bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes entstehen. Von besonderem Interesse ist der Tarifvertrag über die Einführung der Altersteilzeit in der Metallindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden, auf dessen Kernpunkte ich kurz wie folgt eingehen möchte: Die Altersteilzeit wird ab dem 1. November 1997 ermöglicht. Für Arbeitnehmer ab dem 55. Lebensjahr ist dafür eine freiwillige Betriebsvereinbarung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat notwendig. Kommt eine Betriebsvereinbarung zustande, kann die Altersteilzeit maximal über zehn Jahre, also vom 55. bis zum 65. Lebensjahr verblockt werden. Die Altersteilzeit kann also beispielsweise in zwei gleich lange Phasen einer vollen Erwerbstätigkeit und einer Freistellung von der Arbeit aufgeteilt werden. Kommt eine Betriebsvereinbarung nicht zustande, haben Arbeitnehmer ab dem 61. Lebensjahr einen Rechtsanspruch auf Altersteilzeit. Auch hier kann die Altersteilzeit verblockt werden, dann aber maximal auf vier Jahre. Die Entscheidung über die Einführung der Altersteilzeit ab dem 55. Lebensjahr wird vollständig in die Verantwortung der Betriebspartner gegeben. Arbeitgeber und Betriebsrat haben sogar die Möglichkeit, von den Konditionen des Tarifvertrages abzuweichen, wenn insgesamt „wertgleiche" Regelungen vereinbart werden oder der Erhalt von Arbeitsplätzen gefährdet ist. Damit eröffnen sich den Betriebspartnern große Gestaltungsspielräume. Mit diesem Gesetz sollen zugleich auch die unzumutbaren Härten bei der Erneuerung der Arbeitslosenmeldung nach drei Monaten genommen werden, deren Vermittlung in Arbeit besonders erschwert ist. Wir legen weiter großen Wert auf eine Regelung bei der Tätigkeit im Ehrenamt. Dies sollte auch bei den Arbeitsämtern zu praktikablen Regelungen führen; denn es kann nicht angehen, daß der ehrenamtlich Tätige unnötige Wege gehen muß. Mit der Verabschiedung des „Flexigesetzes" wird deutlich, daß die Koalitionsfraktionen handlungsfähig sind. Und wir werden weiter an Reformen und Veränderungen von festgefahrenen Strukturen arbeiten, damit neue Arbeitsplätze geschaffen werden und die Arbeitslosigkeit bekämpft wird. Franz Thönnes (SPD): Wir behandeln heute das Gesetz zur sozialrechtlichen Absicherung flexibler Arbeitszeitregelungen. Die Beratung ist notwendig aufgrund der fortschreitenden Entwicklung flexibler Arbeitszeitstrukturen im Wirtschaftsleben, aufgrund der ergänzungsbedürftigen Form des bisherigen Altersteilzeitgesetzes sowie aufgrund der teilweise unsinnigen Änderungen des Arbeitsförderungsrechts, die mit der Mehrheit der Regierungsparteien beschlossen und gerade erst vor kurzem wirksam geworden sind. Gewerkschaften, Betriebsräte und einige fortschrittliche Unternehmen haben in den letzten Jahren verstärkt moderne Formen der Arbeitszeitregelung entwickelt. In Tarifverträgen, Betriebs- und Einzelvereinbarungen wurden Regelungen bis hin zu Jahresarbeitszeitkonten eingeführt. Das vorliegende Gesetz bringt Vorteile für die Beschäftigten, die mit ihrem Arbeitgeber vertraglich die Einrichtung eines Arbeitszeitkontos vereinbart haben und damit Beschäftigungs- und Freistellungszeiten über einen längeren Zeitraum regeln. Sie können nun auch in den Freistellungsphasen darauf vertrauen, daß sie den Schutz der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung genießen, wenn in dieser Zeit eine Entgeltzahlung erfolgt. Die von der SPD geforderte Ausweitung von Jahres- und Lebensarbeitszeitkonten wird dadurch deutlich erleichtert. Wie der Bundesrat und die Gewerkschaften hat die SPD im Beratungsverfahren eine bessere Absicherung vorgeleisteter Arbeitswertguthaben bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers gefordert. Wir wollten einen verbindlicheren und besseren Insolvenzschutz, der in den jeweiligen Tarifverträgen, Betriebsvereinbarungen und einzelvertraglichen Regelungen zu treffen gewesen wäre. Auch vermochten wir nicht einzusehen, warum er erst bei Erreichen der dreifachen monatlichen Bezugsgröße eintreten sollte. Aus diesem Grund sah unser Gegenantrag vor, daß die Vertragsparteien auf jeden Fall Vorkehrungen für den Fall der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers zu treffen haben, soweit ein Anspruch auf Insolvenzgeld nicht besteht und das Wertguthaben des Beschäftigten einen Betrag in der Höhe der monatlichen Bezugsgröße übersteigt. Für einen Arbeitnehmerhaushalt ist es eigentlich nicht vertretbar, daß die Insolvenzsicherung erst oberhalb eines Wertguthabens von 13 020 DM einsetzt. Dies wurde jedoch von den Koalitionsparteien abgelehnt. Den Beschäftigten, die sich über den Abschluß derartiger Arbeitszeitvereinbarungen Gedanken machen, können wir daher nur raten, vor Vertragsabschluß hinsichtlich der Insolvenzsicherung auf jeden Fall mit ihrem Betriebsrat und ihrer zuständigen Gewerkschaft zu sprechen. Die in diesem Gesetz enthaltenen Regelungen sind aber auch deutlicher Ausdruck des Zickzackkurses der Bundesregierung in der Arbeitsmarktpolitik. Sie zeigen deutlich, daß es keine zielgerichtete und wirksame Politik der Koalition gegenüber der zentralen Herausforderung in unserem Land - der Massenarbeitslosigkeit - gibt. Heute morgen hat die Bundesanstalt für Arbeit die neuesten Zahlen bekanntgegeben. Die Arbeitslosigkeit hat sich im Februar dieses Jahres auf einen Stand von 4 819 000 Arbeitslose verfestigt. In Wahrheit dürften einschließlich der Kranken, der Älteren, der Menschen in Fortbildungs-, Umschulungs- und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und der sogenannten „stillen Reserve" eher 8 Millionen Menschen ohne Arbeit sein. Sie sind nicht zuletzt Betroffene und Opfer einer gescheiterten Regierungsstrategie, die im Rahmen ihrer Angebotspolitik einseitig auf die reinen Marktkräfte gesetzt und sich dabei kräftig verkalkuliert hat. So hat nicht zuletzt die falsche Wirtschafts-, Konjunktur- und Abgabenpolitik dazu beigetragen, daß von 1992 bis 1995 die Zahl der sogenannten Frühverrentungen von 54 000 auf 290 000 um das Fünffache angestiegen ist. Dies hat unser Sozialversicherungssystem 145 Milliarden gekostet. Insbesondere Großbetriebe haben sich hier zu Lasten der Beitragszahler zur Arbeitslosen- und zur Rentenversicherung von Personalkosten entlastet. Damit entstand eine Situation, die bei einer Fortschreibung eines Vorruhestandsgesetzes vielleicht vermieden worden wäre. Wenn wir heute über eine Veränderung des Altersteilzeitgesetzes sprechen, darf dessen Entstehungsgeschichte nicht ausgeblendet werden. Mit ihrem „Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz " , in dessen Folge wir heute mehr Arbeitslose haben als 1996, hat die Bundesregierung den Kompromiß zur Frühverrentung und über die Anhebung der Altersgrenzen bei Rente wegen Arbeitslosigkeit grob verfälscht, der zwischen Gewerkschaften, Wirtschaft und Regierung im Februar 1996 vereinbart wurde. Unter klarem Bruch der getroffenen Vereinbarungen mit dem DGB wurden die Altersgrenze wegen Arbeitslosigkeit einseitig auf 65 Jahre hochgeschraubt und die Altersgrenze für Frauen ebenfalls empfindlich heraufgesetzt. Das war ein Schlag ins Gesicht der Gewerkschaften, mit dem der Konsens aufgekündigt wurde. Durch die 1996 eingeführten Abschläge auf die Rente bei vorzeitigem Ausscheiden aus dem Arbeitsleben wurde die Attraktivität der Altersteilzeitangebote deutlich verschlechtert. Dabei wäre es gut gewesen, im Rahmen einer solidarischen Arbeitsmarktpolitik zu ermöglichen, daß ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei für sie vernünftigen finanziellen Bedingungen vorzeitig aus dem Arbeitsleben ausscheiden können. Für die Jüngeren hätte das die Möglichkeit zum Einstieg ins Arbeitsleben bzw. die Sicherung ihrer Arbeitsplätze bedeutet. Die Politik der Bundesregierung war jedoch auch hier völlig kontraproduktiv. Als unzureichend wurde damals von der SPD auch der Verteilzeitraum von maximal fünf Jahren genannt. Statt einen längeren Zeitraum vorzusehen, lehnte es die Regierungsmehrheit vehement ab, über fünf Jahre hinauszugehen. Inzwischen scheint man klüger geworden zu sein. Mit der nun vorgesehenen Veränderung kommt man einer Forderung und einem Antrag nach, den die SPD bereits 1996 in die Beratungen eingebracht hat. Hierdurch verbessern sich die Gestaltungsmöglichkeiten für die Unternehmen und für die Beschäftigten im Alter erheblich. Entlastungen dürften dadurch auch auf die Rentenversicherungsträger zukommen. Dennoch teilen wir die Kritik des Bundesrates und vieler Frauen, daß weibliche Beschäftigte in Teilzeitarbeitsverhältnissen beispielsweise mit einer Arbeitszeit von 30 Stunden wöchentlich von den neuen Regelungen ausgenommen sind. Zu kritisieren ist dies insbesondere angesichts der Anhebung der Altersgrenze bei der Altersrente für Frauen. Auch dieser Mangel muß nach einem Regierungswechsel am 27. September 1998 korrigiert werden. Deutlich wird dabei, daß eine prinzipiell andere Politik zur Wiederherstellung von Recht und Ordnung auf dem Arbeitsmarkt notwendig ist. Ein Weg dazu ist ein Beschäftigung und Qualifizierung schaffendes Arbeits- und Strukturförderungsgesetz, wie es die SPD-Bundestagsfraktion in den Deutschen Bundestag eingebracht hat. Immerhin sah sich die Koalition auch schon jetzt zu einigen Korrekturen an dem von ihr erst vor kurzem in Kraft getretenen Arbeitsförderungsrecht veranlaßt. So begrüßen wir es, daß es zu einem gemeinsamen Änderungsantrag gekommen ist, wonach geregelt wird, daß Arbeitslose ohne Girokonto künftig für Zahlungen der Bundesanstalt für Arbeit keine Gebühren mehr zahlen müssen. Wir freuen uns, daß es uns damit gelungen ist, die Abschaffung der seit Jahresbeginn geltenden Benachteiligung von Arbeitslosen durchzusetzen, die ohne eigenes Verschulden kein Girokonto bei einer Bank erhalten. Auch haben die Regierungsfraktionen eingesehen, welche unerträglichen Zustände - wie es selbst ein Abgeordneter aus ihren Reihen im Ausschuß formulierte - sie durch die zum 1. Januar 1998 eingeführte dreimonatliche Meldepflicht von Arbeitslosen bei den Arbeitsämtern ausgelöst haben. Wir haben vorgeschlagen, zur bisherigen Regelung wieder zurückzukehren. Hiernach sollte die Arbeitslosmeldung nur nach Aufforderung durch das Arbeitsamt erneuert werden. Dabei hätten seitens der Arbeitsverwaltung auch die Vermittlungsaussichten und die persönlichen Umstände des Arbeitslosen berücksichtigt werden müssen. Dies wurde jedoch von der Koalitionsmehrheit blockiert. Somit kommt es jetzt nur per Verordnungsermächtigung gegenüber dem Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung zu einer Erleichterung. Lediglich Arbeitslose über 55 Jahre - damit insbesondere Vorruheständler - und schwer vermittelbare Arbeitslose können von der Verpflichtung, die Arbeitslosmeldung dreimonatlich zu erneuern, befreit werden. Auch wenn es bei vielen jetzt zu verabschiedenden Regelungen erheblichen Verbesserungsbedarf gibt, stimmt die SPD-Fraktion dem Gesetzentwurf zu. Gewerkschaften wie die IG Bergbau, Chemie, Energie und die IG Metall, um nur zwei zu nennen, haben in fortschrittlicher Weise bereits Altersteilzeitregelungen in Tarifverträgen abgeschlossen. Im Interesse der Beschäftigten, zur Sicherung bestehender sowie zur Schaffung neuer Arbeitsplätze wollen wir Ihnen Gelegenheit geben, weitergehende tarifvertragliche Vereinbarungen mit den jeweiligen Partnern auf der Arbeitgeberseite abzuschließen. Festzuhalten bleibt: Auch mit den nun zu verabschiedenden Regelungen wird die Regierungskoalition den Herausforderungen auf dem Arbeitsmarkt nicht im ausreichenden Maß gerecht. Ihre bisherige verfehlte Politik wird hierdurch nicht wesentlich verbessert. In der Arbeitsmarktpolitik ist eine grundlegende Veränderung notwendig. Hierüber und über einen Richtungswechsel für eine Politik für Arbeit, Innovation und Gerechtigkeit können die Wählerinnen und Wähler am 27. September 1998 abstimmen. Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das heute zur Abstimmung gestellte Gesetz zur sozialrechtlichen Absicherung flexibler Arbeitszeitregelungen ist ein Kompromiß, der in mühsamer Kleinarbeit mit den Tarifpartnern ausgehandelt wurde und der somit auch alle Vor- und Nachteile eines Kompromisses in sich birgt. Vieles hätte im Detail besser gemacht werden können. Grundsätzlich ist aber das Ziel der sozialen Absicherung von neuen Arbeitszeitregelungen - von Zeitkonten, Sabbatjahren und ähnlichem - zu begrüßen. Es ist unbestreitbar sinnvoll, Sozialversicherungsschutz und Beitragsrecht auf solche Freistellungszeiten auszudehnen. Und es ist unbestreitbar sinnvoll, das Altersteilzeitgesetz von 1996, das sich in der Praxis als unzulänglich erwiesen hat und bei den Tarifpartnern auf wenig Gegenliebe gestoßen ist, nachzubessern. Das gilt vor allem für die Verlängerungen des Ausgleichszeitraumes auf zehn Jahre. Die Tatsache, daß inzwischen für über 5 Millionen Beschäftigte Tarifverträge zur Altersteilzeit vereinbart wurden, macht mehr als deutlich, wie groß bei den Tarifparteien die Bereitschaft ist, nach dem Auslaufen der Frühverrentung sozialverträgliche Lösungen für das Ausscheiden älterer Arbeitnehmerinnen zugunsten der Jüngeren zu finden. Diese Altersteilzeitregelungen stehen für den Gedanken der Umverteilung von Erwerbsarbeit und leisten damit einen wesentlichen Beitrag zur Entlastung des Arbeitsmarktes. Und die Tarifparteien haben mit ihren Vereinbarungen inzwischen vieles von dem, was im Altersteilzeitgesetz versäumt wurde oder den Waigelschen Sparimperativen zum Opfer fiel, selbständig geregelt, so den besseren Ausgleich bei den Nettoeinkommen und Renten. Vor diesem Hintergrund ist es völlig unverständlich, warum sich die Koalitionsfraktionen nun in dem Punkt „Absicherung von Arbeitszeitkonten bei Insolvenzen" stur stellen und alle Seiten mit einer völlig unzureichenden Minimalregelung abspeisen wollen. Neue Arbeitszeitregelungen, die von den Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen die Bereitschaft zu mehr Flexbilität und auch Verzicht verlangen, werden doch nur dann auf Akzeptanz bei den Beschäftigten stoßen, wenn die sicher sein können, daß ihr in Blockphasen erarbeitetes Einkommen auch wirklich sicher ist. Hier liegt der entscheidende Schwachpunkt ihres Gesetzentwurfes, meine Damen und Herren von der Koalition. Wir haben in den Ausschußberatungen deshalb auch dafür plädiert, den § 7 a als Muß-Regelung auszugestalten und die vorgesehenen Ausnahmen zu streichen, um hier Rechtssicherheit herzustellen. Denn die vorgesehene Formulierung zum Insolvenzschutz wird lediglich dazu führen, daß die Arbeitsgerichte mehr zu tun bekommen. Abgesehen von den Arbeitszeitregelungen benutzten Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, dieses Gesetz aber auch wieder einmal als „Omnibus", um Änderungen in anderen Gesetzen vorzunehmen - in diesem Fall dem SGB III. Wir sind dieses Verfahren ja nun von anderen Artikelgesetzen schon gewöhnt. Aber im Falle des SGB III, das erst vor gerade mal neun Wochen in Kraft getreten ist, hat dies durchaus auch seine komische Seite. Offenbar hat das SGB III den Realitätstest nicht bestanden und nun beginnt die große Flickschusterei. Während die Regelungen zu Saisonarbeitskräften und Vergabe-ABM auf anderem Wege modifiziert werden, packen Sie die Änderungen bei der dreimonatigen Meldepflicht kurzerhand ins Flexi-Gesetz. Die seit 1. Januar geltende Verpflichtung der Arbeitslosen, sich alle drei Monate persönlich beim Arbeitsamt zu melden, hat sich in der Praxis als ziemlich unsinnig erwiesen, und nun soll zumindest für schwervermittelbare Arbeitslose eine Ausnahmemöglichkeit geschaffen werden, um die Arbeitsverwaltungen zu entlasten. Aber diese Regelung stellt nicht nur für die Schwervermittelbaren - immerhin jeder dritte Arbeitslose - sondern für alle Arbeitslosen eine unzumutbare Belastung dar und sollte ganz einfach ersatzlos gestrichen werden. Die Arbeitsverwaltungen wären sicher dankbar. Dr. Gisela Babel (F.D.P.): Wir beraten hier heute in 2. und 3. Lesung den Gesetzentwurf zur sozialrechtlichen Absicherung flexibler Arbeitszeitregelungen. Ich bin froh, daß es uns nach langen Verhandlungen in der Koalition gelungen ist, dieses Gesetzgebungsverfahren zum Abschluß zu bringen, selbst in Zeiten intensiver parteipolitischer Auseinandersetzungen, und zwar im Konsens mit der Opposition. Es geht um ein wichtiges Gesetz. Es regelt die Konsequenzen der flexiblen Arbeitszeiten für Sozialversicherungen. Mittlerweile zeigen Betriebe und ihre Belegschaften, aber auch die Tarifpartner, ein hohes Maß an Phantasie und Anpassungsfähigkeit im Einführen unterschiedlicher Arbeitszeitmodelle. Das ist eine Entwicklung, die die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen lange Zeit gefordert haben. Heute ist die Arbeitszeitflexibilisierung in den Unternehmen fest verankert. So stellt der Gesetzentwurf beispielsweise klar, daß ein Arbeitnehmer künftig sozialversicherungsrechtlich auch dann abgesichert ist, wenn er vorübergehend nicht arbeitet, etwa weil er durch vorher geleistete Mehrarbeit auf seinem „Arbeitszeitkonto" sich ein Guthaben an Zeit angespart hat. Damit wird z. B. sichergestellt, daß auch bei einer Unterbrechung der Arbeit, beispielsweise durch ein Sabbatjahr, der Sozialversicherungsschutz des Arbeitnehmers fortbesteht. Außerdem wird die Fälligkeit für Sozialversicherungsbeiträge zum Teil neu geregelt. Die Fälligkeit ist grundsätzlich an die erbrachte Arbeitsleistung gekoppelt. Diese Fälligkeit wird künftig bei Arbeitszeitkonten auf den Zeitpunkt verschoben, zu dem das Arbeitsentgelt tatsächlich ausgezahlt wird. Dies kann auch in einer Phase sein, in der der Arbeitnehmer gerade nicht arbeitet. Besonders herausgreifen möchte ich hier zwei weitere Punkte, die in den Verhandlungen eine Rolle gespielt haben. Das eine betrifft die Insolvenzsicherung. Der Gesetzgeber hat auf entsprechende Regelungen weitgehend verzichtet. Es ist Aufgabe der Vertragsparteien, seien es Tarifpartner, seien es Unternehmen und ihre Arbeitnehmer, hier Vorkehrungen zu treffen. Dazu gibt es den gesetzlich festgeschriebenen Auftrag, über dessen Ausführung die Bundesregierung dem Gesetzgeber berichten soll. Zum zweiten haben die Verhandlungen zu den Änderungen im Altersteilzeitgesetz eine wichtige Rolle gespielt. Zur Erinnerung: Nach der derzeitigen Regelung im Altersteilzeitgesetz können Betriebe per Einzelvertrag oder Betriebsvereinbarungen nur Altersteilzeitmodelle mit einem Ausgleichszeitraum bis zu höchstens einem Jahr vereinbaren. Bei einem längeren Zeitraum bedarf es eines Tarifvertrages. Die F.D.P. hatte ursprünglich den völligen Wegfall dieses sogenannten Tarifvorbehaltes gefordert. Dies war in der Koalition nicht durchsetzbar. Schließlich haben wir uns darauf verständigt, den Zeitraum, in dem frei vom Tarifvertrag Altersteilzeit vereinbart werden kann, von einem auf drei Jahre auszudehnen. Ein vernünftiger Kompromiß, wie ich finde, der gerade kleinen und mittleren Unternehmen genügend Spielraum gibt, entsprechende Modelle mit ihren Arbeitnehmern auszuhandeln. Daß gerade diese kleineren Betriebe von der Neuregelung profitieren und den Spielraum ohne Tarifvertragsbindung flexibel nutzen werden, hat die Anhörung im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung eindeutig ergeben. Denn kleine und mittlere Betriebe machen selten eine Personalplanung, die über drei Jahre hinausgeht. Nicht versäumen möchte ich im übrigen den Hinweis, daß der gefundene Kompromiß im wesentlichen auf eine Anregung der IG Chemie zurückgeht. Insgesamt ist der hier heute zur Beratung anstehende Gesetzentwurf ein wichtiger Schritt in Richtung flexibler Arbeitszeiten. Die F.D.P. wird dem Gesetz daher zustimmen. Petra Bläss (PDS): Knapp zwei Jahre nach seiner Verabschiedung soll nun das Altersteilzeitgesetz, das äußerst gering angewendet wird, mit dem Insolvenzschutz und der Ausdehnung der Blockzeit auf zehn Jahre weitere Stützen bekommen. Verbunden damit ist wieder ein Hoffen auf beschäftigungsfördernde Wirkungen, auf die Senkung der unerträglich hohen Arbeitslosigkeit. Aber wir bekräftigen die Stellungnahme von DGB und Bundesrat, das Wesentliches unerledigt bleibt, so die Modifizierung der Wiederbesetzungspflicht, die Anwendung der Altersteilzeitregelung auf bestehende Teilzeitarbeitsverhältnisse, insbesondere von älteren Frauen. Und so ist und wird als einzig durchgreifende Wirkung des vor zwei Jahren verabschiedeten Gesetzespaketes bleiben: die Abhebung des Eintrittsalters der Rente nach Arbeitslosigkeit, genau wie von der PDS befürchtet. Betroffen sind alle dort, wo die Betriebe keine Altersteilzeitlösung zu vereinbaren vermögen, wo Ältere aus der Arbeitslosigkeit länger auf die Rente warten oder Abschläge in Kauf nehmen müssen. Wir werden die heute zu verabschiedenden Änderungen nicht ablehnen, uns wegen deren Unzulänglichkeit aber der Stimme enthalten. Aber nicht genug mit diesen Halbherzigkeiten: Die Gesetzesänderung wird als Vehikel benutzt, um die schlimmsten Auswüchse des seit Januar geltenden SGB III zu korrigieren. Doch die Ausnahme von Härtefällen von der persönlichen Arbeitslosmeldung alle drei Monate ist nichts mehr als eine Entschärfung. Die permanente Arbeitslosmeldung in festen Rhythmen gehört, wie das der Änderungsantrag der PDS fordert, wieder ganz abgeschafft. Denn die reale Situation zeigt doch, daß diese Meldepflicht in keinem Zusammenhang mit Vermittlungs- und Beratungsangeboten des Arbeitsamtes steht. Und so ist sie nur eine unzumutbare Belastung der Arbeitslosen und eine Behinderung der Arbeitsverwaltung bei der Erfüllung ihrer eigentlichen Aufgaben. Ein optimistisches Zeichen für die Zukunft ist für uns, daß die BündnisGrünen das genauso sehen und die SPD auf dem Wege dahin ist. Sinnlos ist für uns auch die Pflicht des Arbeitslosen, dem Arbeitsamt Eigenbemühungen nachzuweisen. Das führt in der Praxis einzig zu Bewerbungen, um des Nachweises willen und nicht um des Arbeitsplatzes willen. Einziges Resultat sind unnötige Mehrbelastungen der Erwerbslosen, der Betriebe und der Arbeitsämter. Hoffnungsvoll ist, daß sich die BündnisGrünen unserem Antrag auf Streichung dieses Paragraphen anschlossen und die SPD sich mit einer Enthaltung zumindest sensibilisiert zeigt. Dringenden Änderungsbedarf sehen wir darin, daß mit den Neuregelungen das Ehrenamt behindert wird, wenn bei mehr als 15 Wochenstunden der Leistungsverlust droht. Völlig unglaubwürdig stehen vor diesem Hintergrund die regierungsamtlichen Lobpreisungen ehrenamtlicher Engagements da. Sinnvolle Betätigung und soziale Kontakte wie Verbesserung von Qualifikation und Arbeitsmarktchancen für Arbeitslose werden mit dieser Regelung völlig konterkariert. Solange ehrenamtliche Tätigkeit die Arbeitslosen nicht von der Beschäftigungssuche abhält, ist sie ein höchst zu schützendes und unterstützendes Gut. Aufschlußreich war die durch den Änderungsantrag der PDS ausgelöste Diskussion im Ausschuß gestern. Abgeordnete aller Parteien hatten in ihren Wahlkreisen mehr oder minder deutlich erfahren, daß hier etwas im argen liegt. Nur den Vertretern der Bundesregierung waren diesbezügliche Probleme völlig unbekannt. Obwohl kein großes Gesetzgebungsverfahren stattfand, zeigen die Bemühungen um die diversen Änderungen die dringende Notwendigkeit eines Regierungswechsels, aber auch die unübersehbaren Chancen für einen Politikwechsel. Dr. Norbert Blüm, Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Flexibilisierung ist das Schlüsselwort einer modernen Arbeitsorganisation. Die Bundesregierung und die Koalition haben deshalb in den vergangenen Jahren Unternehmen und Beschäftigten erhebliche Gestaltungsspielräume eröffnet und Möglichkeiten für weitgehende Flexibilisierung geschaffen. Ich nenne zum Beispiel das Arbeitszeitgesetz, das Altersteilzeitgesetz, das Ladenschlußgesetz, Veränderungen beim Kündigungsschutz oder die Erleichterung befristeter Arbeitsverträge. Auch die Tarifpartner haben reagiert. Die Spielräume für die Betriebe, die in der öffentlichen Diskussion immer wieder gefordert werden, sind längst vereinbart. Entgeltkorridore, Einstiegstarife für Langzeitarbeitslose, Arbeitszeitkonten, Jahresarbeitszeiten, betriebliche Öffnungsklauseln - die Tariflandschaft ist heute differenziert und flexibel wie nie zuvor. Wir müssen weg von den alten Denkschablonen. Das gilt insbesondere für die Arbeitzeit. Wir brauchen flexible Arbeitszeitregelungen. Eine zukunftsorientierte Wirtschaft ist auf „atmende" Unternehmen angewiesen, Unternehmen, die sich dem Konjunkturverlauf ohne Reibungsverluste anpassen können. Flexible Arbeitszeitregelungen sind auch im Interesse der Arbeitnehmer. Mehr Arbeitszeitflexibilisierung eröffnet den Arbeitnehmern mehr Zeitsouveränität, um Lebens- und Arbeitsrhythmus besser aufeinander abzustimmen und z. B. Beruf und Familie miteinander in Einklang zu bringen. Aber die Möglichkeiten müssen auch genutzt werden. Nach einer jüngst veröffentlichten Untersuchung des Fraunhofer Instituts für Systemtechnik und Innovationsforschung in Karlsruhe nutzt nur jeder zweite Industriebetrieb flexible Arbeitszeiten. Während fast alle Tarifverträge einen Ausgleichszeitraum von 12 Monaten und darüber hinaus für die ungleichmäßig verteilte Arbeit vorsehen, müssen in der Praxis vieler Betriebe die Zeitguthaben bereits zum Monatsende abgebaut sein. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werden wir die Rahmenbedingungen für flexible Arbeitszeiten noch weiter verbessern. Der soziale Schutz wird umfassend geregelt und die Möglichkeiten zur Förderung der Altersteilzeit werden erweitert. Wir schaffen Sicherheit, daß der Sozialversicherungsschutz des Arbeitnehmers auch bei Vereinbarung von Arbeitszeitkonten in der Phase der Freistellung von der Arbeit voll erhalten bleibt. Und die Vertragspartner, die Langzeitkonten mit einem Ausgleichszeitraum von mehr als 27 Kalendermonaten vereinbaren, müssen Vorkehrungen zur Sicherung dieser Konten für den Fall der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers treffen. Auch die Altersteilzeit wird weiterentwickelt. Das Interesse bei den Tarifpartnern und in den Betrieben ist groß und steigt weiter. Der erste Tarifabschluß wurde 1996 in der chemischen Industrie erzielt. Es folgten zahlreiche weitere Tarifbereiche wie Papier, Keramik, Kunststoff, die Glasindustrie, die Energieversorgungswirtschaft, Banken, Versicherungen sowie zahlreiche Haustarifverträge wie bei Deutsche Bahn AG, Lufthansa, Volkswagen und IBM-Informationssysteme - um nur einige zu nennen. Ein weiterer Durchbruch war der Pilotabschluß in der Metallindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden im November 1997, weil er den Betriebspartnern zahlreiche Regelungskompetenzen überläßt und ihnen auch die Möglichkeit gibt, von dem Vertrag abzuweichen. Die Tarifpartner haben damit gezeigt, daß sie flexibel auf die Bedürfnisse der Betriebe reagieren können. Ich bin davon überzeugt: So hat der Flächentarifvertrag in Deutschland eine gute Zukunft. Bis heute gibt es 85 Tarifverträge zur Förderung der Altersteilzeit. In den hiervon erfaßten Bereichen sind mehr als 5,5 Millionen Arbeitnehmer beschäftigt. Mit dem vorliegenden Gesetz geben wir der Altersteilzeit weitere Impulse. Viele ältere Arbeitnehmer, Betriebe und Tarifpartner warten auf diese Neuregelungen. So ist bei der Deutschen Bank in den vergangenen Tagen bereits eine Betriebsvereinbarung auf der Basis des geänderten Gesetzes getroffen worden. Auch der am Montag abgeschlossene Altersteilzeit-Tarifvertrag für die Stahlindustrie ermöglicht Betriebsvereinbarungen entsprechend den neuen Regelungen. Bis Ende Januar zählte die Bundesanstalt für Arbeit rd. 9100 Anträge auf Förderleistungen nach dem Altersteilzeitgesetz. Die wirkliche Resonanz ist aber viel höher, da die Förderung des Arbeitsamtes für Teilnehmer an den Blockmodellen erst mit Beginn der Freistellungsphase des älteren Arbeitnehmers einsetzt. Von ca. 15 000 Altersteilzeitern allein in der westdeutschen Chemieindustrie geht die IG Bergbau, Chemie, Energie aus. Diese erfreuliche Entwicklung muß weitergehen. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wollen wir die Regelung noch praxisnaher ausgestalten: - Die Möglichkeit der Betriebe, Altersteilzeitmodelle ohne tarifvertragliche Grundlage zu vereinbaren, wird erweitert. Künftig ist ein Verteilzeitraum für Anspar- und Freistellungsphase von bis zu drei Jahren möglich. - Die Tarifvertragsparteien können einen Verteilzeitraum von bis zu zehn Jahren vereinbaren. Die Höchstförderdauer durch die Bundesanstalt für Arbeit bei Wiederbesetzung bleibt allerdings auf fünf Jahre beschränkt. - Wenn die Tarifpartner eine Öffnungsklausel für Betriebsvereinbarungen vereinbaren, werden tarifgebundene und nicht tarifgebundene Bereiche gleichbehandelt. Damit können auch in nicht tarifgebundenen Unternehmen im Rahmen der Öffnungsklausel Betriebsvereinbarungen getroffen werden. - In bestimmten Bereichen, z. B. bei freien Berufen und leitenden Angestellten, in denen tarifvertragliche Regelungen zur Verteilung der Arbeitszeit nicht getroffen sind oder üblicherweise nicht getroffen werden, sind künftig Betriebs- oder Individualvereinbarungen über die Aufteilung der Altersteilzeit bis zu zehn Jahre zugelassen. - Bei der Wiederbesetzung einer durch Altersteilzeit freiwerdenden Stelle zählt bei Kleinunternehmen bis zu 20 Arbeitnehmern künftig auch die Einstellung von Lehrlingen. Das Gesetz zur sozialrechtlichen Absicherung flexibler Arbeitszeitregelungen bringt wichtige Fortschritte. Deshalb soll es in weiten Teilen mit Wirkung vom 1. Januar 1998, also rückwirkend, in Kraft treten. Außerdem wird der Förderzeitraum für Neuzugänge über das Jahr 2001 hinaus bis 2004 verlängert. Ich danke Gewerkschaften und Arbeitgebern für die fruchtbare Zusammenarbeit bei der Entwicklung des Gesetzentwurfs. Ihnen, meine Damen und Herren, danke ich für die zügige und konstruktive Beratung. Ich bin davon überzeugt, daß wir heute einen wichtigen Anstoß zu mehr Flexibilisierung der Arbeitszeit geben. Zum Schluß appelliere ich an alle Beteiligten, an die Betriebe und die Tarifpartner, die neuen Möglichkeiten zu nutzen. Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 14 (a - Antrag: Ermäßigung des Mehrwertsteuersatzes für apothekenpflichtige Arzneimittel auf 7 Prozent, b - Antrag: Besteuerung von Luxusgegenständen, c - Antrag: Ermäßigter Mehrwertsteuersatz für arbeitsintensive Leistungen) Johannes Selle (CDU/CSU): Wir debattieren heute über drei Anträge der Gruppe der PDS, die eines gemeinsam haben: Ihre Umsetzung kostet Geld. Sie führt zu zusätzlichen finanziellen Belastungen des Staates, also aller Bürger, beziehungsweise einer ausgewählten Gruppe, die immer wieder als Feindbild herhalten muß. Bei dieser Gruppe handelt es sich um die sogenannten Reichen und Wohlhabenden. Wir haben uns also mit einer Umverteilungsabsicht zu befassen. Wir haben uns wie immer in solchen Fällen zu fragen, ob die vorgeschlagenen Maßnahmen zweckmäßig und ausgewogen, sozial sinnvoll und rechtlich und organisatorisch durchsetzbar sind. Ich will mich deshalb ganz sachlich mit den vorliegenden Anträgen auseinandersetzen. Die PDS beantragt, für Lieferungen von apothekenpflichtigen Arzneimitteln an die gesetzliche Krankenversicherung und an Privatpersonen sowie für Zuzahlungen für solche Arzneimittel den ermäßigten Mehrwertsteuersatz von 7 Prozent einzuführen. Damit soll eine Abkopplung von der ab 1. April 1998 wirksamwerdenden Erhöhung des Regelsteuersatzes auf 16 Prozent und eine Entlastung der gesetzlichen Krankenversicherungen sowie der Verbraucher von Medikamenten erreicht werden. Grundsätzlich haben wir als nationaler Gesetzgeber die Möglichkeit, Arzneimittel ermäßigt zu besteuern. Arzneimittel sind unter der Kategorie 3 im Anhang H der 6. EG-Mehrwertsteuer-Richtlinie als Gegenstände aufgeführt, auf die ein ermäßigter Steuersatz angewandt werden darf. Es handelt sich hier also um eine Kann-Bestimmung. Von dieser Möglichkeit haben wir aus wohlüberlegten Gründen bisher keinen Gebrauch gemacht: Bereits 1967 wurden nach sehr eingehenden und sorgfältigen Diskussionen in Bundestag und Bundesrat die jetzigen Freistellungs- und Ermäßigungstatbestände für die Umsatzsteuer festgelegt. Sie haben sich seitdem bewährt. Eine Umsetzung des PDS-Antrages würde einen Steuerausfall von ca. 3 Milliarden DM pro Jahr bedeuten. Aufgrund der äußerst angespannten Haushaltslage von Bund und Ländern ist ein solcher Einnahmeverlust nicht hinnehmbar. Die Erhöhung der Umsatzsteuer um einen Prozentpunkt zum 1. April kann als mögliche Kompensation nicht angeführt werden. Sie erfolgt ausschließlich zur Finanzierung des erhöhten Bundeszuschusses zur Rentenversicherung. Bei der Bewertung der Umsatzsteuerbelastung für die Verbraucher einschließlich der Medikamentenverbraucher muß natürlich auch berücksichtigt werden, daß der in der Bundesrepublik zur Zeit geltende Steuersatz von 15 Prozent der niedrigste und zugleich der Mindeststeuersatz in der EU ist. Auch nach der Erhöhung auf 16 Prozent werden nur die Bürger Luxemburgs um einen Prozentpunkt günstiger einkaufen. Wenn in einigen anderen Mitgliedstaaten für Arzneimittel der ermäßigte Steuersatz angewendet wird, so ist dies also auch vor dem Hintergrund zu betrachten, daß dort der Normalsatz der Mehrwertsteuer bis zu 25 Prozent beträgt. Auch unter dem Aspekt der finanziellen Situation der gesetzlichen Krankenkassen in den neuen Ländern ist eine Erschließung der im System vorhandenen Reserven unverändert erforderlich. Dieses Problem können die beteiligten Parteien nur geschlossen lösen, weil es auch um Besitzstandswahrung geht. Dazu rufe ich gerne auf. Aus der Situation politisches Kapital schlagen zu wollen heißt, auf diesem Wege nicht voranzukommen. Lassen Sie mich einen weiteren Aspekt aufzeigen, der die fühlbare, ja, manchmal als fast schmerzhaft empfundene Zuzahlung bei Medikamenten betrifft. Im Jahre 1996 sind nach soliden Schätzungen Medikamente für 4 Milliarden DM auf dem Müll gelandet. Sparsamkeit war auf diesem Felde ein Fremdwort. Die Zeit der Medikamentenwegwerfgesellschaft ist offensichtlich vorüber. Zuzahlungen und Eigenbeteiligungen haben also ihre Wirkungen entwickelt, und sie sollen sie auch zukünftig behalten. Unabdingbare Voraussetzung für Zuzahlungen ist natürlich deren sozial ausgewogene und zumutbare Gestaltung. Soziale Ausgewogenheit und Zumutbarkeit der geltenden Regelungen aber kann nur ein Böswilliger oder derjenige bestreiten, der die Notwendigkeiten einer Stärkung der Selbstverantwortung des Bürgers, der Selbstbeschränkung und des Sparens auf allen Ebenen nicht erkennen will, der die Zeichen der Zeit und alle Alarmsignale ignoriert. Durch die „2-Prozent-Überforderungsklausel" und die „Einprozent-regel" bei chronisch Kranken ist nämlich sichergestellt, daß jedermann wirklich benötigte Medikamente auch erwerben kann, ohne unzumutbar zur Kasse gebeten zu werden. Ich will einen letzten Punkt nennen, der gewiß nicht von ausschlaggebender, aber doch von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist. Ein Eingehen auf die Forderung nach Entlastung der Kassen und Patienten durch Anwendung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes auf apothekenpflichtige Arzneimittel würde mit Sicherheit weitere Forderungen nach Ausnahmeregelungen nach sich ziehen. Kein politischer Realist wird die in solchen Fällen offensichtlich unabwendbare Zwangsläufigkeit des Entstehens weiterer Forderungen unterschätzen. Die CDU/CSU-Fraktion kann dem Antrag nicht zustimmen. Durch Einsparungen bei den Staatseinnahmen werden notwendige Konsolidierungen nur hinausgeschoben. Meine Damen und Herren, mit ihrem zweiten Antrag zielt die PDS auf die Besteuerung des Erwerbs und des Besitzes von Luxusgütern. Als Luxusgüter werden dabei in Anlehnung an die Vermögenssteuerrichtlinie aus dem Jahre 1993 im wesentlichen solche Waren und Gegenstände bezeichnet, deren Anschaffung und Haltung einen Aufwand darstellen, der die als normal empfundene Lebenshaltung auffallend oder unangemessen übersteigt. Beispielhaft nenne ich hier nur Yachten und Segelboote ab 7,5 m Länge, Kraftfahrzeuge der sogenannten Luxusklasse ab 2500 ccm Hubraum, Hubschrauber, Schmuckgegenstände ab 10 000 DM und Zuchtpelze ab 1500 DM. Die Aufzählung ließe sich fortsetzen. Nach dem Willen der Antragsteller soll die Bundesregierung eine Liste aller Waren erstellen, die gemäß der Rechtsprechung der Bundesfinanzhöfe als Luxusgegenstände gelten. Die weiteren Einzelheiten des Antrags sind Ihnen bekannt, meine Damen und Herren. Die Diskussion über Zweckmäßigkeit und Vertretbarkeit einer Luxussteuer kann ganz kurz gehalten werden. Die EG erlaubt die Erhebung einer solchen Steuer nicht. Auch wenn die Gruppe der PDS in der Begründung ihres Antrages die als Strafabgabe für Reichtum gedachte neue Steuer nicht als Umsatzsteuer bezeichnet, sondern als Verbrauchsteuer tarnt und damit zu legalisieren versucht, ändert dies nichts an den Tatsachen. Zwar bestand bis 1992 theoretisch die Möglichkeit zur Erhebung einer solchen Steuer, aber mit dem Inkrafttreten der EG-Steuersatzrichtlinie am 1. Januar 1993 schied diese Möglichkeit aus. Dies wird in vergleichender Betrachtung auch an der ablehnenden Entscheidung der EU-Kommission über die Einführung eines erhöhten Umsatzsteuersatzes für Energie deutlich. Auch eine Benennung der hier zur Debatte stehenden Luxusabgabe als Verbrauchsteuer kann weder uns noch die EU-Kommission darüber hinwegtäuschen, daß eine verdeckte umsatzsteuerähnliche Steuer zusätzlich zur Umsatzsteuer erhoben werden soll. Daraus ergibt sich die mit den tatsächlichen Gegebenheiten übereinstimmende schlichte Feststellung: in der EU sind Luxussteuern - wie auch immer sie bezeichnet werden - nicht erlaubt; und weil das so ist, werden sie im Gegensatz zur teilweisen früheren Praxis auch in keinem Mitgliedsland mehr erhoben. Ich möchte trotz dieser klaren Lage und unserer sich schon daraus ergebenden Ablehnung einige ergänzende Worte zu dem Antrag sagen. Die Einführung einer Luxussteuer hätte nach meiner Überzeugung auch vor dem Bundesverfassungsgericht keinen Bestand. Sein Urteil vom 22. Juni 1995 zur nicht mehr verfassungsgemäß zu erhebenden Vermögensteuer ab 1997 läßt keinen anderen Schluß zu. Die Luxussteuer würde die vom Verfassungsgericht gerügte, vergleichsweise zu niedrige Bewertung von Grundbesitz noch weiter verschärfen, da dieser von der Besteuerung ausgenommen wäre. Die steuerliche Diskrepanz zwischen Grundvermögen und anderen Vermögenswerten würde verstärkt erneut auftreten. Die finanziellen Schwierigkeiten der öffentlichen Haushalte außer Zweifel. Aber welche Konsequenz außer dem untauglichen und in seinen wahren Gründen durchsichtigen Versuch der Einführung einer Luxussteuer ziehen Sie aus dieser Situation? Sie legen zugleich mit diesem Antrag zwei weitere vor, deren Verwirklichung Bund und Länder durch Umsatzsteuerverluste Milliardensummen in zweistelliger Höhe kosten würde. Wahrlich ein konstruktiver Beitrag zur Gesundung der Staatsfinanzen und zur Rückführung der Staatsquote! Das derzeitige Steuersystem hat sich unter Beteiligung aller bisherigen Regierungen in den vergangenen Jahrzehnten zu einem undurchdringbaren Vorschriftendschungel, zugleich aber zu einem zahnlosen Tiger entwickelt. Die Steuersätze sind zu hoch, die Effizienz ist zu niedrig, die Akzeptanz nahezu auf den Nullpunkt gesunken und der Abschreckungseffekt auf potentielle Investoren in besorgniserregende Dimensionen gestiegen. Und was tun Sie? Sie fordern neue Ausnahmeregelungen, neue Steuern und zusätzlichen Verwaltungsaufwand. Entschlossen stimmen Sie aber vorher dagegen, wenn die Koalition ein ausgewogenes Steuerreformgesetz vorlegt, das im In- und Ausland zu Recht als der einzig richtige Weg zu einer vernünftigen Steuer- und Wirtschaftspolitik gepriesen wird. Sie, meine Damen und Herren der PDS, machen es auch dem Gutwilligen schwer, der Logik Ihrer Politik zu folgen. Der Antrag auf Einführung einer Luxussteuer jedenfalls mag in den Ohren Ihrer Anhänger zwar gut klingen, taugt aber nicht dazu, den Anteil der Vermögenden an der Finanzierung des Staates gerecht zu gestalten. Wie dieses Ziel einer gerechten Besteuerung entsprechend der jeweiligen Leistungsfähigkeit erreicht werden kann, das haben wir Ihnen in unserer Steuerreform aufgezeigt. Dort können Sie nachlesen, daß der Einkommensstarke einen hohen, der Einkommensschwache dagegen einen sehr viel geringeren Steuersatz zahlt. Ich will deshalb zu Ihrem dritten Antrag kommen, mit dem Sie Initiativen der Regierung einfordern, auf die Einführung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes für arbeitsintensive Dienstleistungen beim Ministerrat der EU hinzuwirken. Der Antrag entspricht im wesentlichen einem Vorschlag der EU-Kommission, zunächst für eine Probezeit von drei Jahren einen ermäßigten Steuersatz auf arbeitsintensive Dienstleistungen einzuführen. Die in Ihrem Antrag konkret benannten Dienstleistungen dieser Art stimmen mit der Kommissionsmitteilung SEK(97) 2089 vom 12. November 1997 überein. Die Bundesregierung hat nach verbindlichen Äußerungen bisher keinen Grund gesehen, auf Gemeinschaftsebene die Einführung eines ermäßigten Steuersatzes für arbeitsintensive Dienstleistungen zu unterstützen. Dies ergibt sich u. a. aus der in der Drucksache 13/9308 enthaltenen Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Hansgeorg Hauser vom 24. November 1997 auf eine entsprechende Frage des Kollegen Frank Hofmann von der SPD. Die von der Bundesregierung dargelegten Gründe sind nach meiner Bewertung überzeugend. Inzwischen hat sich auch der für die Mitteilung der Kommission federführende Finanzausschuß mit dem Thema befaßt. In seiner Sitzung am 11. Februar 1998 hat er eine Beschlußempfehlung und einen Bericht erstellt, der dem Bundestag allerdings noch nicht vorliegt. Wie Ihnen aber gewiß bekannt ist, hat der Finanzausschuß mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion der SPD gegen die Gruppe der PDS bei Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen die Vorlage eines entsprechenden Richtlinienvorschlags durch die Kommission abgelehnt. Die CDU/CSU-Fraktion lehnt konsequenterweise auch den vorliegenden Antrag der Gruppe der PDS ab. Da die Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts bisher ausstehen, wird sich das Plenum in Kürze erneut mit der Thematik befassen. Ich kann deswegen auf die Darlegung der Begründung unserer Entscheidung im einzelnen verzichten. Ich weise jedoch auf einige grundsätzliche Bedenken und Vorbehalte der EU-Kommission hin. Im Prinzip hat sie nämlich Zweifel an der Nutzung von ermäßigten Mehrwertsteuersätzen als politisches Instrument zur Erreichung bestimmter wirtschaftlicher Zielsetzungen wie zum Beispiel der Beschäftigungsförderung. Sie warnt ausdrücklich davor, durch solche Maßnahmen die Haushaltskonsolidierung zu gefährden. Auf Dienstleistungen bezogen ist ihre Aussage von Bedeutung, daß die betroffenen Leistungen hauptsächlich mit niedrig qualifizierter Arbeit zu erbringen wären. Zusammenfassend stelle ich fest: Meine Fraktion legt in ihren Bemühungen um eine Verbesserung der Lage auf dem Arbeitsmarkt und um Reduzierung der Schattenwirtschaft die Priorität unverändert auf eine Senkung der direkten Steuern und Abgaben. Diesen Weg werden wir unbeirrt weiter verfolgen und das Ziel - dessen bin ich sicher - auch erreichen. Unabhängig davon weisen wir aber auch auf die Abgrenzungsschwierigkeiten hin, die bereits jetzt in der Diskussion auch der Befürworter in der EU ganz deutlich sind. Gravierend würden sie aber erst in Erscheinung treten, wenn in der Praxis vor Ort zwischen arbeitsintensiven Dienstleistungen und solchen, auf die das Kriterium nicht zutreffen soll, zu unterscheiden wäre. Weil das so ist, müßte bei der Einführung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf arbeitsintensive Dienstleistungen mit Mindereinnahmen aus der Umsatzsteuer von 20 Milliarden DM gerechnet werden. Das ist in der gegenwärtigen Situation nicht tragbar. Ob im übrigen bei einem Stundensatz von 30 DM brutto die Senkung der Arbeitskosten auf 28 DM brutto bei verringertem Mehrwertsteuersatz auf 7 Prozent die Schwarzarbeit auch nur marginal senken würde, wage ich zu bezweifeln. Dieter Grasedieck (SPD): „Das Steuerchaos muß reduziert werden", das ist das Ziel meiner Partei. Wir Sozialdemokraten fordern deshalb dringend eine grundlegende Vereinfachung unseres Steuersystems, zum Beispiel: Erstens. Das Steuerrecht muß für den Bürger verständlich und akzeptabel sein. Zweitens. Das Steuerrecht muß überschaubar, anwendbar und kontrollierbar sein. Durch Ihre drei PDS-Anträge erweitern Sie die konzeptionslosen Steueränderungen der Bundesregierung, z. B. Dienstmädchenprivileg, Existenzgründungen. Sie wollen durch eine Luxussteuer „Vermögende", so fordern Sie in Ihrem Antrag, belasten. 2,2 Millionen Bürgerinnen und Bürger fahren in Deutschland ein Auto über 2500 ccm. Sind sie wirklich alle vermögend? Sind die Campingfreunde eigentlich vermögend, die einen 300er Diesel als Fahrzeug für ihren kleinen Campingwagen benötigen? Ist der Motorradliebhaber vermögend, der eine 1000 ccm Maschine fährt? In Deutschland gibt es 2,2 Millionen Motorräder; rund 500 000 haben 1000 ccm. Nur wenige dieser 500 000 Menschen sind vermögend. Viele sind vom Motorradsport nur begeistert. Sie lieben ihren Sport und investieren deshalb mehr Geld. Weiterhin sollen Segelboote über 7,5 m Länge nach Ihrem Vorschlag mit Luxussteuern belegt werden. Denken Sie eigentlich an die vielen Segelsportvereine? Müssen diese auch Luxussteuern zahlen? 150 000 Segelsportler und 50 000 Jugendliche wären davon betroffen. Viele Mädchen und Jungen lernen in diesen Vereinen Teamgeist und Gemeinschaft kennen. Unsere Sportvereine erfüllen auch eine wichtige soziale Aufgabe. In Ihrem Beschlußentwurf sollen Mitarbeiter Luxussteuern zahlen, wenn sie „Luxusgegenstände" der Firma benutzen. Wie wollen sie das kontrollieren, wenn z. B. drei Geschäftsführer einen Kleinbus privat benutzen? Welche Steueranteile entfallen auf jeden Geschäftsführer? Unsere Finanzämter sind heute schon überfordert. Durch den PDS-Antrag wird die Erlaßflut weiter aufgebläht. Eine exakte Kontrolle ist kaum möglich. Wir alle fordern im Finanzausschuß ein schnelles Feedback der neuesten Gesetze. Die Auswirkungen der Steuergesetze sollen schnell überprüft werden, um Verbesserungen vorzunehmen. Das Computerzeitalter und unsere globalisierte Arbeitswelt benötigen eine Just-in-time-Politik. Dieses Eigencontrolling verbauen Sie durch solche Anträge. Nein, meine Damen und Herren, wir wollen unser Steuersystem vereinfachen und nicht komplizierter gestalten. In Ihrem 2. Antrag fordern Sie einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz für arbeitsintensive Leistungen. Wie definieren Sie „arbeitsintensive Leistungen"? Zählen zum Beispiel Altbauerweiterungen auch zu Reparaturarbeiten? Durch diesen PDS-Antrag öffnen wir neue Steuerschlupflöcher. Nein, zu einer glaubwürdigen Steuerreform gehört eine konsequente Bekämpfung der Steuerhinterziehung. Die PDS begründet ihren Antrag wie folgt: Ein ermäßigter Mehrwertsteuersatz würde den Anreiz, Leistungen „schwarz" zu beziehen, daher vermindern. Arbeitsplätze werden erhalten und geschaffen. Diese Behauptungen widerlegt die EU-Kommission eindeutig. Sie schreibt: Das Steuersystem würde wieder komplizierter. Eine exakte Abgrenzung des Anwendungsbereichs der ermäßigten Sätze wie auch die Kontrolle der ordnungsgemäßen Anwendung würden erhebliche Probleme aufwerfen. Es gibt da keine einfache Lösung. Die Senkung der Arbeitgeber- oder Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung, direkte Beschäftigungsanreize für die Arbeitgeber, würden sich nach Ansicht der EU-Kommission positiver auf die Beschäftigungslage auswirken. Die Schattenwirtschaft wird nur so reduziert. Deshalb gehen wir Sozialdemokraten einen besseren Weg. Wir fordern: Erstens. Direkte Zuschüsse für die Schaffung von neuen, gering-qualifizierten Arbeitsplätzen mit niedrigen Stundenlöhnen. In meinem Wahlkreis in Bottrop und Gladbeck waren im Januar 12 500 Menschen arbeitslos, 5600 Männer und Frauen langzeitarbeitslos. Durch diese direkte Förderung erhalten die Menschen wieder eine Perspektive. Zweitens. Direkte Personalkostenzuschüsse für die Einstellung von Forschungspersonal. Dazu sagte mir eine 30jährige promovierte Chemikerin: Zusagen für einen Arbeitsplatz bekam ich nur von zwei Chemiefirmen aus Denver und aus Chicago; Deutschland braucht uns nicht mehr. Wir brauchen in Deutschland für die Entwicklung neuer Technologien junge Forscherinnen und Forscher. Drittens. Wagniskapital wird jungen Existenzgründern bereitgestellt. Viertens. Förderung von Serviceagenturen. Die Haushaltshilfen sollen sozial abgesichert beschäftigt werden. Die Bundesregierung ist mit ihrem Gesetz gescheitert. „Das sogenannte Dienstmädchenprivileg ist hinter den Erwartungen zurückgeblieben" , so formulierte gestern im Finanzausschuß die Bundesregierung behutsam ihren Fehler. Mit diesen 4 Vorschlägen der SPD werden die Ziele der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und der Abbau der Schwarzarbeit tatsächlich erreicht. Neue Arbeitsplätze werden geschaffen, alte erhalten und die Schattenwirtschaft wird reduziert. Durch Ihre Anträge wird das Steuerchaos nur noch erweitert. Wir lehnen deshalb diese drei Anträge der PDS ab. Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die PDS legt uns hier heute abend drei Anträge auf den Tisch des Hauses, mit denen sie uns suggerieren will, daß sie jetzt den Stein der Weisen gefunden hat, mit der sie soziale Not lindern, Arbeitslosigkeit bekämpfen, die Reichen endlich gerecht besteuern und auch noch die leeren Staatskassen füllen kann. So schön es klingt, so untauglich sind doch die Vorschläge. Die Mehrwertsteuer eignet sich leider nicht dazu. Sehen wir uns doch die einzelnen Vorschläge einmal an: Vorschlag 1: Absenken des Mehrsteuersatzes für apothekenpflichtige Arzneimittel auf 7 Prozent. In der Tat: Die sogenannte Gesundheitsrefom dieser Regierung hat nicht einen einzigen Menschen in diesem Land gesünder gemacht. Im Gegenteil: Durch die drastischen Erhöhungen bei den Medikamentenzuzahlungen und die höheren Eigenleistungen bei ärztlicher Behandlung gehen viele Menschen überhaupt nicht mehr zum Arzt oder viel zu spät und greifen statt dessen lieber wieder zu alten Hausmittelchen oder leben mit Zahnlücken. Ich habe nichts gegen bewährte Hausmittel, aber strikt etwas gegen eine Zwei-Klassen-Gesellschaft, wie sie die Bundesregierung im Gesundheitssystem vorantreibt. Aber das Problem ist nicht der Mehrwertsteuersatz, sondern die Politik der Bundesregierung. Mit einem ermäßigten Mehrwertsteuersatz für Medikamente habe ich noch keinen einzigen Schritt für eine vernünftige ganzheitliche Gesundheitsfürsorge getan. Wenn die Leute, statt zum Zahnarzt zu gehen, lieber in der Apotheke das billigere Schmerzmittel kaufen, bis es zu spät ist - von den Nebenwirkungen ganz zu schweigen - befördert dieser Vorschlag womöglich noch den Raubbau an der eigenen Gesundheit aus Kostenersparnisgründen, statt eine gesundheitsfördernde, finanzierbare und für alle erschwingliche Gesundheitsfürsorge politisch zu erstreiten. Vorschlag 2: Die Luxussteuer. Ja, das ist ein wunderbares ideologisches Werkzeug! Die Verteilung der Vermögen in Deutschland gibt in der Tat Anlaß zur Sorge. Mit der Abschaffung der Vermögensteuer hat diese Regierung sich selber die Krone aufgesetzt, was die Entlassung der Reichen aus der solidarischen Finanzierung unseres Gemeinwohls in 14 Jahren Kohl anbelangt! Diese himmelschreiende Ungerechtigkeit in Zeiten leerer Kassen, unsozialer Sparprogramme und skandalöser Arbeitslosigkeit kann nicht oft genug angeprangert werden. Aber ist die Lösung dafür eine Luxussteuer? Nein, eben nicht. Es ist doch nicht so, daß diese Versuchung nicht von Zeit zu Zeit immer wieder Politiker jeder Couleur heimgesucht hat. 1919 bis 1926 gab es eine höhere Umsatzbesteuerung auf Luxusgüter. Schon damals waren die Abgrenzungen und Definitionen hochgradig kompliziert: Die Ausführungsbestimmungen umfaßten mehrere 100 Seiten. 300 Verordnungen und Anweisungen differenzierten zwischen Blusen aus Crépe de Chine - die waren luxussteuerpflichtig, Blusen aus Atlas oder Seide nicht. Selbst die bayerische Lederhose war vorübergehend steuerpflichtiger Luxus. 1950 hatte der Finanzminister Schäffer unter Adenauer ein Konzept vorgelegt, mit der er zusätzliche 10 Prozent auf Fotoapparate, Teppiche, Süßwaren, Pelze und Juwelen erheben wollte. 1971 kam der Vorschlag von SPD-Politikern - aber Minister Schiller war dagegen. Warum sind die Ansätze immer wieder gescheitert? Weil jeglicher Versuch, eine sachliche Abgrenzung zwischen Luxus und Gebrauchsgütern zu finden, in einer endlosen Neiddebatte und grenzenlosen Ausführungs- und Abgrenzungsbestimmungen münden muß. Außerdem wird die Yacht dann eben nicht mehr in Deutschland gekauft, sondern in Korea oder anderswo. Die Einnahmen aus einer solchen Steuer wären lächerlich gegenüber dem Verwaltungsaufwand und den unlösbaren Abgrenzungsproblemen. Also auch hier: Nicht Mehrwertsteuer, sondern eine reformierte Einkommensteuer und eine Wiedereinführung der Vermögensteuer ist ein realistisches Konzept für soziale Gerechtigkeit und leistungsgerechte Besteuerung. Der dritte Vorschlag nun, die Mehrwertsteuer für arbeitsintensive Dienstleistungen zu senken, ist leider auch nichts anderes als der hilflose Versuch, statt ernsthafte Finanz- und Wirtschaftspolitik populistische Nebelwerferei zu betreiben. Auf EU-Ebene wird diese Idee gerade diskutiert. Aber auch hier scheitern die Überlegungen an den unüberwindbaren praktischen Problemen: Was ist eine arbeitsintensive Dienstleistung? Der Handwerker, der acht Stunden am Tag Elektroleitungen im Bau einzieht? Oder der selbständige Programmierer, der 16 Stunden am Tag ein Software-Programm am Computer entwickelt? Nein, ich gebe der Bundesregierung an diesem Punkt sogar einmal recht: Das Problem der Schwarzarbeit im Handwerk oder auch anderswo ist nicht mit einer Absenkung des Mehrwertsteuersatzes in den Griff zu bekommen. Die Installation meiner Waschmaschine bleibt vorher wie nachher immer noch billiger, wenn der Handwerker schwarz arbeitet. Hier hilft nur eine Absenkung der Lohnnebenkosten, damit gerade im Mittelstand wieder mehr Menschen legal beschäftigt werden können. Und ich gebe der Bundesregierung noch an einem anderen Punkt recht: Eine Mehrwertsteuererhöhung wie z. B. die Luxussteuer ist konjunkturfeindlich. Aber ich kann danach überhaupt nicht mehr begreifen, wie dieselbe Bundesregierung dann zum 1. April eine Erhöhung der Mehrwertsteuer auf 16 Prozent verlangen kann. Und das, damit die Beitragssätze, also die Lohnnebenkosten für die Rentenversicherung, gerade mal stabil gehalten werden können. Von einer Senkung ist ja weit und breit nicht die Rede. Mehrwertsteuererhöhung ist konjunktur- und damit beschäftigungsfeindlich. Nur die Senkung der Lohnnebenkosten bringe mehr Beschäftigung, sagt die Bundesregierung - und tut genau das Gegenteil! Das ist doch der ultimative Beweis für die finanz- und wirtschaftspolitische Unfähigkeit der Koalition! Auch hier wären dringend andere Maßnahmen vonnöten: Wir brauchen eine ökologische Steuerreform, mit deren Aufkommen dann tatsächlich Lohnnebenkosten gesenkt werden können! Aber jede Kompromißmöglichkeit in diese Richtung hat die Bundesregierung in den Debatten zur Steuer- und Rentenreform im letzten Jahr strikt blockiert. Ein letztes noch: Die Umsatzsteuer ist eine europäische Steuer. Sie muß zu mehr Wettbewerbsneutralität in Europa führen und deshalb dringend weiter harmonisiert werden. Nicht noch mehr verschiedene, den Wettbewerb verzerrende Steuern brauchen wir in der Europäischen Währungsunion, sondern weniger. Auch deshalb gehen diese Vorschläge in die völlig falsche Richtung. Und deshalb muß ich leider sagen: Diese Anträge sind nichts weiter als ein erneuter Versuch, mit realitätsuntauglichen Vorschlägen auf Wählerfang zu gehen. Das ist letztendlich eine Verhöhnung der Bürger und Bürgerinnen, die in der Tat und mit allem Recht der Welt sehnlichst darauf warten, daß die Politik in diesem Land wieder mehr soziale Gerechtigkeit bringt und daß endlich etwas gegen die Arbeitslosigkeit getan wird. Aber nicht die Mehrwertsteuer löst die Probleme, sondern nur eine neue Regierung, die die unsoziale Gesundheitsreform der Koalition umkehrt, die Einkommensteuer reformiert, die Vermögensteuer wieder einführt und eine Senkung der Lohnnebenkosten mit einer ökologischen Steuerreform ermöglicht, und nicht mit einer Mehrwertsteuererhöhung die Schwarzarbeit noch weiter befördert. Dafür stehen wir Bündnisgrüne, dafür kämpfen wir im Wahljahr und nicht für unseriöse Propaganda, die kein einziges Problem löst, aber dafür die Menschen betrügt! Gisela Frick (F.D.P.): Die drei vorliegenden Anträge haben außer den Autoren eines gemein: Sie werden nicht Gesetz werden. Im übrigen zeigt die jeweilige Begründung, daß der PDS jegliche Steuersystematik fremd ist. Über den ersten Antrag - Ermäßigung des Mehrwertsteuersatzes apothekenpflichtiger Arzneimittel auf 7 % - könnte man sich ja inhaltlich noch unterhalten. Er wird auch ordnungsgemäß mit geltenden EG-Recht begründet. Beim zweiten Antrag - Besteuerung von Luxusgegenständen - räumen die Autoren ein, daß es eine Ermächtigung im EG-Recht nicht gibt. Darüber müsse man sich aber hinwegsetzen. Zur Begründung des dritten Antrags - ermäßigter Mehrwertsteuersatz für arbeitsintensive Leistungen - soll eine entsprechende Grundlage im EGRecht geschaffen werden. Das bei uns als sakrosankt geltende EG-Recht wird bemüht, wenn es paßt, und beiseite geschoben, wenn es stört. Schon aus diesem Grund sind die Anträge alles andere als seriös. Der ermäßigte Steuersatz für Arzneimittel findet auch in den Reihen der F.D.P. Befürworter. Der hier vorgelegte Antrag ist allerdings schon deshalb abzulehnen, weil er keinerlei Aussage über die finanzielle Auswirkungen enthält. Die ermäßigte Besteuerung von arbeitsintensiven Dienstleistungen wurde auch schon von Teilen der Wirtschaft gefordert, und auch einzelne Stimmen aus der SPD haben sich dem bereits angeschlossen. Alle Befürworter dieses Gedankens haben sich bisher scheinbar wenig Gedanken über die Auswirkungen gemacht. Ich spreche hier von der immer wieder geforderten Vereinfachung. Der in der Begründung des Antrags erwähnte Vorschlag der EU-Kommission könnte einem schon die Haare zu Berge stehen lassen. Die Steuerermäßigung soll gelten für Reparaturarbeiten an beweglichen Gegenständen sowie im Wohnungsbau, nicht aber für bestimmte Beförderungsmittel oder Neubauten. Bei dem uns Deutschen eigenen Drang zur Einzelfallregelung schreit das doch nach einer Flut von gerichtlichen Auseinandersetzungen, um die anstehenden Abgrenzungsfragen zu klären. Können wir das ernsthaft wollen? Wie steht es mit dem Handwerker, zum Beispiel dem Installateur, der Ersatzteile liefert und sie einbaut? Wollen wir ihm zumuten, künftig unterschiedlich hohe Steuersätze in einer Rechnung auszuweisen? Die PDS begründet ihren Antrag unter anderem mit einer verstärkten Nachfrage nach Reparaturen. Es würden weniger neue Gegenstände gekauft und im Gegenzuge die alten Gegenstände mehr repariert. Das soll dann zu weniger Ressourcenverbrauch führen, also umweltverträglicher sein. Ich halte das alles für sehr theoretisch. Zum einen wird unterstellt, daß ein ermäßigter Steuersatz auf Dienstleistungen die Unternehmer veranlaßt, die Preise zu senken. Angesichts der hohen Kostenbelastung der Wirtschaft wage ich das zu bezweifeln. Zum anderen sind wir doch bestrebt, unsere Unternehmer zu mehr Investitionen zu veranlassen und auch endlich wieder Investitionen aus dem Ausland zu uns zu holen. Dahinter steht doch kein Selbstzweck. Mehr Investitionen, die natürlich zu mehr Produktion führen, wirken sich positiv auf den Arbeitsmarkt aus. Wenn wir hier schon den Staat bemühen müssen, dann doch nur zur Förderung umwelt- bzw. ressourcenschonender Produktionstechniken. Rentabel werden Dienstleistungen und Produktion doch nicht durch einzelne Korrekturen am Steuersystem, sondern nur durch eine Absenkung der Kostenbelastung der Unternehmen und vor allem der Arbeit. Nur dann werden Arbeitskräfte eingestellt, die produzieren oder Dienstleistungen erbringen. Kommen wir zur Besteuerung von Luxusgegenständen. Dahinter steckt einzig der Gedanke: Wer sich teure Gegenstände leisten kann, hat viel Geld, wer viel Geld hat, dem kann man es wegnehmen. Sozialismus pur, wie nicht anders zu erwarten von der PDS. Es lohnt sich nicht, hier von Steuervereinfachung und ähnlichem zu sprechen. Es handelt sich um nichts anderes als das populistische Schüren von Neid bei den Bürgern. Die Autoren dieses Antrags sollten den Arbeitnehmern, die diese Güter herstellen, erklären, warum sie sie massiv verteuern und damit die Arbeitsplätze gefährden wollen. Was die PDS hier vorlegt, kann nur als chaotisch bezeichnet werden. Neue Steuervergünstigungen und neue Steuern sind der völlig falsche Weg und daher mit der F.D.P. nicht zu machen. Hohe Steuersätze bei vielen Sondertatbeständen haben das Chaos in unserem Steuerrecht verursacht. Die Folge sind Steuervermeidung und Schwarzarbeit. Für die F.D.P. kann ich erklären: Ohne uns. Anlage 15 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 16 (Entwurf eines Achten Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes) sowie zum Zusatztagesordnungspunkt 10 (Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Arzneimittelhaftungsrechts) Dr. Wolf Bauer (CDU/CSU): Bereits während der ersten Lesung der 7. Novelle zum Arzneimittelgesetz habe ich darauf hingewiesen, daß vor allem ein Ver- bot von Doping dringend gesetzlich geregelt werden muß, denn der Einsatz von Arzneimitteln zu Doping-zwecken ist aufs schärfste zu verurteilen und mit allen Mitteln zu bekämpfen. Im Entwurf der 8. Novelle befindet sich in § 6 a nunmehr ein solches Verbot: ein Verbot, Arzneimittel zu Dopingzwecken bei Menschen weder in den Verkehr zu bringen noch zu verschreiben oder bei anderen anzuwenden. Wichtig ist, daß die Definition des Begriffs „Doping" klar und unmißverständlich ist. Abgrenzungsschwierigkeiten zum legalen Einsatz entsprechender Arzneimittel darf es nicht geben, denn auch zu illegalen Dopingzwecken eingesetzte Arzneimittel haben fest umrissene medizinische Indikationen, in denen sie zunächst einmal zugelassen worden sind. Letztendlich muß also sichergestellt werden, daß Arzneimittel von einem solchen Verbot nicht in ihrer Anwendung zu therapeutischen Zwekken beeinträchtigt werden. In einem weiteren Punkt besteht dringender Handlungsbedarf: Es ist das Arzneimittelhaftungsrecht. Nach meinem Informationsstand wird das BMJ noch in diesem Monat einen Entwurf ins Kabinett einbringen. Sollte sich allerdings herausstellen, daß sich mit diesem Entwurf eine vernünftige Lösung des Problems speziell der Arzneimittelhaftung nicht abzeichnet, ergibt sich zwangsweise ein Handlungsbedarf für die 8. Novelle des Arzneimittelgesetzes. Aber auch ohne diese beiden Punkte bietet die 8. Novelle zum AMG ausreichend Diskussionsstoff. So werden wir uns im Gesundheitsausschuß zum Beispiel ausführlich mit dem § 25 - Entscheidung über die Zulassung - beschäftigen müssen. Neben der Frage nach dem effektivsten und sinnvollsten Einsatz der Kommission gilt es, das, was unter „bestimmten Therapierichtungen" zu verstehen ist, sauber zu definieren. Im Gesetzentwurf der Bundesregierung sind nur Phytotherapie, Homöopathie und Anthroposophie genannt, während in der Stellungnahme des Bundesrates durch den Zusatz „z. B. " eine Ausweitung dahin gehend erfolgt, daß nahezu alle möglichen und unmöglichen Therapien erfaßt werden. In einem Urteil des BSG vom 16. Juli 1996 ist zu lesen, daß „Arzneimittel einer bestimmten Therapierichtung angehören, wenn sie eine besondere Wirkungsweise haben und sich von Arzneimitteln anderer Therapierichtungen durch die Methode oder einen anderen Denkansatz unterscheiden". Auch diese Definition ist meiner Meinung nach nicht sehr hilfreich. Es kommt jetzt darauf an, daß wir einerseits in bezug auf Arzneimittel Seriosität, Solidarität und Wissenschaftlichkeit beachten, andererseits aber vor allem kleinere mittelständische Betriebe durch eventuell vermeidbare Erschwernisse nicht in existentielle Schwierigkeiten bringen. In diesem Zusammenhang denke ich - selbst wenn es nicht unmittelbarer Bestandteil der 8. Novelle des AMG ist - auch an den Entwurf einer Verordnung zur Änderung der Kostenverordnungen für die Zulassung von Arzneimitteln durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte und andere Institute. Grundsätzlich ist es richtig, daß Gebühren kostendeckend veranschlagt werden müssen. Sie müs- sen aber so gestaltet sein, daß sie sich nicht existenzgefährdend auf eine große Anzahl von Betrieben auswirken. So soll sich zum Beispiel die Gebühr für die Nachzulassung, die in der Kostenverordnung von 1990 bereits auf 3100 DM angehoben worden ist, nunmehr auf das Siebenfache, auf 23 000 DM, erhöhen. Sollte ein pharmazeutischer Unternehmer - aus welchen Gründen auch immer - mehrere 100 Präparate in der Nachzulassung haben, kann man sich die Folgen unschwer ausrechnen: Er wird seinen Betrieb schließen müssen. Hinzu kommt, daß in § 132 der 8. Novelle für homöopathische Arzneimittel insofern eine Verschlechterung eintritt, als daß bisher die Verlängerung der Registrierung erst nach zehn Jahren erforderlich war, nunmehr aber aus Gründen der Einheitlichkeit der Verfahren generell ein Fünfjahreszeitraum für die Verlängerung der Registrierung bestimmt wird. Auch ist zu erwähnen, daß es bei homöopathischen Arzneimitteln, die bei einer Jahresproduktion von bis zu 1000 Packungen von der Registrierungspflicht befreit sind, nach der 8. Novelle aus Gründen der Arzneimittelsicherheit zu gewissen Einschränkungen kommt. Auch hier ist sorgfältig zu prüfen, ob alle diese Arzneimittel unter die Beschränkung fallen müssen, zum Beispiel Arzneimittel aus Stoffen menschlicher oder tierischer Herkunft. Mit § 62 der 8. Novelle wird die gesetzliche Grundlage geschaffen, daß die zuständige Bundesoberbehörde die Öffentlichkeit sowohl über Arzneimittelrisiken als auch über beabsichtigte Maßnahmen informieren kann. Dieser Paragraph wird mit Sicherheit eine wichtige Aufgabe erfüllen, insbesondere im Hinblick auf eine sachgerechte Unterrichtung der Ärzte und Patienten. Er wird das Risikobewußtsein schärfen und zugleich Verunsicherungen entgegenwirken - wie nicht zuletzt auch in der Begründung zum Gesetzentwurf nachzulesen ist. Hierbei dürfte es der bessere Weg sein, daß die zuständige Bundesoberbehörde direkt die Stufenplanbeteiligten unterrichtet. Man sollte auch daran denken, die pharmazeutischen Unternehmer bei den beabsichtigten Informationen rechtzeitig zu beteiligen. Was die Arzneimittelsicherheit angeht, so ist auch von großer Bedeutung, daß mit der vorliegenden Novelle der Arzneimittelversand - soweit es sich um apothekenpflichtige Arzneimittel handelt - verboten wird. In der 8. Novelle wird ausdrücklich festgeschrieben, daß Arzneimittel für den Endverbrauch nur in Apotheken und nicht im Wege des Versandes in den Verkehr gebracht werden dürfen. Außerhalb von Apotheken darf dann - mit Ausnahme der bereits heute im Gesetz vorhandenen Ausnahmen - mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln kein Handel betrieben werden. Beachtung verdient in diesem Zusammenhang auch die Änderung des § 73. Hier werden die Bezugsmöglichkeiten von Arzneimitteln durch einzelne Personen aus dem Ausland dergestalt konkretisiert, daß die Möglichkeit des Bezuges nur für solche Personen gilt, die keine gewerbsmäßigen oder berufsmäßigen Vermittler sind. Eine generelle Streichung dieser Bezugsmöglichkeiten dürfte leider auf Grund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes nicht möglich sein. Der Versandhandel mit Arzneimitteln aus dem Ausland dürfte mit dieser Vorgehensweise allerdings eingeschränkt werden. Gestern haben wir im Gesundheitsausschuß beschlossen, eine öffentliche Anhörung von Sachverständigen durchzuführen. Damit dies geschehen kann, müssen wir heute den Gesetzentwurf an die Ausschüsse überweisen. Dieser Vorgehensweise stimmt meine Fraktion zu. Im anschließenden Verfahren können dann noch weitere Punkte - zum Beispiel Fragen des Umweltschutze, des Datenschutzes, der Verfahrensvereinfachung und diverser Übergangsvorschriften - behandelt bzw. konkretisiert werden. Horst Schmidbauer (Nürnberg) (SPD): Wenn es brennenden, akuten Handlungsbedarf gibt, der eindeutig in den Komplex der 8. Änderung des AMG hineingehört, dann sind es Arzneimittelhaftung und Opferschutz. Patientenschutz und Opferschutz vertragen kein Trostpflaster. Nach vier Jahren ist die Frist für Ankündigungen verstrichen. Jetzt muß das Parlament seine einstimmig gefaßte Selbstverpflichtung einlösen. Einlösen heißt, daß in dieser Legislaturperiode das Gesetz zur Reform des Arzneimittelhaftungsrechtes verabschiedet werden muß. Wir sind es letztendlich, die Parlamentarierinnen und Parlamentarier, die in der Verantwortung stehen. Das heißt, für den nächsten Fall sind sie verantwortlich, meine Damen und Herren. Wir, das Parlament ist verantwortlich, wenn wir keine Konsequenzen aus Contergan, aus dem HIVBlut-Fall und aus der Regulierungspraxis der Versicherungen ziehen. Wir alle haben es den Opfern versprochen, daß eine mögliche nächste Gruppe von Geschädigten nicht so rechtlos dastehen darf. Alle Parlamentarierinnen und Parlamentarier des Deutschen Bundestages sind in der Verantwortung, ein Gesetz zu schaffen, das Leid und Unglück wie bei Contergan und HIV-Blutprodukten in Zukunft verhindert. Aus dieser Selbstverpflichtung des Parlamentes heraus gab es aber weder in der 5. noch in der 6., nicht in der 7. und nun auch nicht in der 8. AMG-Änderung eine Reform des Arzneimittelhaftungsrechtes. Der Entwurf aus dem Hause des Bundesjustizministers zu schadensrechtlichen Vorschriften stößt an, löst aber im Arzneimittelbereich keines der erkannten Probleme. Die Vorschläge sind unzureichend und ziehen an keiner Stelle die erforderlichen Konsequenzen aus den Erkenntnissen des 3. Untersuchungsausschusses. Sie dienen eher der Diskussionsverschleppung als einem konstruktiven Voranbringen einer arzneimittelhaftungsrechtlichen Reform. Der Referentenentwurf des Herrn Justizministers hat bis heute noch nicht einmal den Kabinettstisch erreicht. Damit wir alle der Selbstverpflichtung des Parlamentes nachkommen können, legt die SPD heute einen Gesetzentwurf zur Reform des Arzneimittelhaftungsrechtes vor. Die Ziele des Gesetzes zur Reform des Arzneimittelhaftungsrechtes sind: Erstens. Das mit Arzneimitteln verbundene Gesundheits- bzw. Lebensrisiko muß in einem Rechtsstaat sozialverträglich zwischen Verursachern und Verbrauchern verteilt werden. Arzneimittel sind unumstritten riskante Produkte, deren Risiken zwar vermindert, aber nicht ausgeschlossen werden können. Arzneimittel können Schäden an hochwertigen Rechtsgütern, an Leben, Körper und Gesundheit, verursachen. Zweitens. Bei einem erneuten Schadensfall müssen die Opfer vor einer erneuten faktischen Rechtlosigkeit bewahrt werden. Drittens. Es kann auch nicht ein drittes Mal angehen, daß der Staat anstelle der Industrie mit Millionenbeträgen für die Opfer sorgen muß. Das sind die Erkenntnisse und Forderungen aus der Arbeit des 3. Untersuchungsausschußes „HIVInfektionen durch Blut und Blutprodukt" der 12. Legislaturperiode. Derzeit sehen sich die Opfer einer überwältigenden Streitmacht gegenüber. Als Patienten statten sie über die Arzneimittelpreise die Pharmaindustrie mit erheblicher finanzieller Potenz aus. Die Industrie wird dadurch in die Lage versetzt, Versicherungsprämien und Prozeßkosten zu bezahlen. Als Kläger in einem Verfahren stehen die Patienten bei einem Arzneimittelschaden eben diesen Pharma-Firmen, die sich die entsprechenden Sachverständigen leisten können, weitgehend hilflos gegenüber. Arzneimittelprozesse sind Sachverständigenprozesse. Die vom Geschädigten gezahlten Arzneimittelpreise ermöglichen der Gegenseite, mit x Prof esso-ren aufzutreten. Zur Erinnerung: Der Contergan-Prozeß war ein Prozeß mit 48 Professoren. Der einzelne Geschädigte, der einzelne Rechtsanwalt, der einen Arzneimittelschaden für den Patienten vertreten soll, ist weitgehend ohnmächtig. Hier muß der Rechtsstaat Antworten geben. Allen Beteiligten muß klar sein, daß es hier um höherwertige Rechtsgüter geht. Es muß dafür gesorgt werden, daß es eine Rechtsdurchsetzungsparität gibt. Die Individualhaftung soll nicht ersetzt werden, aber sie soll effektiver werden. Damit wollen wir auch den Sorgen und Ängsten aus dem Bereich der Industrie und Versicherungswirtschaft Rechnung tragen. Zu einer Rechtsdurchsetzungsparität gehört die Beweislastumkehr. Nur mit einer Beweislastumkehr wird der Gesetzgeber dem Anspruch auf eine Rechtsdurchsetzungsparität gerecht. Die Beweislastumkehr wollen wir nicht als Totschlagargument verstanden wissen. Die Beweislastumkehr würde nur dann greifen, wenn die Pflichten durch den Unternehmer nicht erfüllt sind, das heißt: wenn ein Unternehmen gegen die Sicherheitsgewährleistungspflicht des § 84 oder die erforderliche Informationspflicht gemäß § 84 verstößt. Zur Durchsetzungsparität im Rechtsstaat gehört auch eine Lösung für die Opfer bei unklarer Kausalität. Eine unklare Kausalität besteht, wenn ein Patient mehrere Arzneimittel einer Medikamentengruppe eingenommen hat. Wenn dieser Patient einen Arzneimittelschaden erleidet und die Zuordnung zu einem bestimmten Präparat eines Herstellers nicht eindeutig möglich ist, darf dieses Opfer nicht seinem Schicksal überlassen werden. Dazu wird mit dem Gesetz zur Reform des Arzneimittelhaftungsrechts ein Fonds geschaffen. Aus diesem Haftungsfonds können Unternehmen in ihrer Gänze, weil eine Zuordnung zu Einzelfällen nicht möglich ist, eine Schadensregulierung direkt finanzieren, ohne Einschaltung der Versicherungswirtschaft. Es kann nicht sein, daß die Versicherungswirtschaft auf Hunderten von Millionen des bisherigen Pharma-Pools hockt, die Industrie nicht in ihrem Sinne rasch und unkompliziert regulieren kann und letztendlich Hunderte von Millionen Steuergelder herhalten müssen, um zu einigermaßen sozialverträglichen Entschädigungen zu kommen. Haben wir denn vergessen, daß wir für die Opfer im Blut-AidsSkandal 150 Millionen DM Steuergelder und für die Contergan-Opfer bis heute 223 139 322 DM ausgegeben haben? Auf der anderen Seite erleben wir, daß sich die Industrie billig freikauft: im Contergan-Skandal mit 100 Millionen DM und im Blut-Aids-Skandal ebenfalls mit 100 Millionen DM. Zu guter Letzt: Es muß auch einen Schmerzensgeldanspruch im AMG geben. Die Menschen dürfen nicht mehr, wie im Blut-Aids-Skandal, mit Billiglösungen abgespeist werden, nur weil die Rechtsgrundlage dafür nicht geschaffen ist. Wenn Patientenschutz groß geschrieben werden soll, dann muß das 8. AMG auch daran gemessen werden. Unter Reformvorhaben ist das 8. AMG nicht einzuordnen. Bei der Zuordnung hat man es schwer, weil das Ganze mehr einem Bauchladen gleicht. Die Reparaturmaßnahmen wie Verbot des Doping, Verbot des Arzneimittelversandhandels und Verfahrenserleichterungen werden von der SPD mitgetragen. Große Bauchschmerzen haben wir aber, wenn nicht Sicherheit, Transparenz und Qualitätssicherung im Vordergrund stehen und falsche Schutzzäune um die Arzneimittel der besonderen Therapierichtung und um die Arzneimittel gezogen werden. Deshalb kündigen wir schon heute Änderungsvorschläge an. Wir wollen die Reform der Verschreibungspflicht. Die Verschreibungspflicht muß durch die oberste Bundesbehörde selbst und nicht durch den - völlig überflüssigen - Sachverständigenausschuß Verschreibungspflicht geregelt werden. Altarzneimittel ohne Zulassung müssen als solche zum Schutz des Verbrauchers auf der Packungsbeilage und in der Fachinformation gekennzeichnet sein. Die therapeutische Wirksamkeit von Arzneimitteln muß ausreichend und zweifelsfrei nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis begründet sein. Andernfalls ist die Zulassung zurückzunehmen oder zu widerrufen. Die von der Bundesregierung in der 8. AMG-Änderung vorgeschlagenen Regelungen zur EthikKommission widersprechen der verfassungsmäßigen Zuständigkeit der Länder wie auch dem Richtlinienentwurf des Europaparlamentes und des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über die Anwendung der „guten klinischen Praxis". Auch das wollen wir ändern. Dies ist aber beides in dieser Legislaturperiode zu schaffen: das 8. AMG, ergänzt um das Arzneimittelhaftungsrecht, wenn wir das wollen. Marina Steindor (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Bundesregierung hat sich lange mit den dringend erforderlichen Änderungen des Arzneimittelgesetzes Zeit gelassen - dringend erforderlich deshalb, weil zum einen die Umsetzung von arzneimittelrechtlichen Regelungen der Europäischen Union anstanden, zum anderen aber in der 5. AMG-Novelle bei der Nachzulassung mit deutscher Gründlichkeit übersteuert worden war. Die kleine Delegation, die aus dem Gesundheitsausschuß die arzneimittelrechtlichen Genehmigungsbehörden in England und Frankreich besucht hat, konnte sich damals bereits von der andersartigen Praxis unter demselben EU-Recht überzeugen. Die 8. AMG-Novelle befaßt sich mit verschiedenen Regelungspunkten, die differenziert zu betrachten sind. Auf Grund der Redezeit kann ich nicht auf alle Punkte eingehen. Dem Verbot des Versandhandels stimmen wir zu. Ob die Dopingregelungen ausreichend sind, ist noch zu prüfen. Am wichtigsten sind aber die Änderungen bei der sogenannten Nachzulassung: Die Polarisierung zwischen der Schulmedizin und der sogenannten Alternativmedizin geht voll an den Bedürfnissen und Sorgen der Patienten vorbei. Das haben zahlreiche Umfragen ergeben. Der Staat sollte sich dafür einsetzen, daß die Heilkräuter der Natur für die Patienten erhalten bleiben. Die Menschen vertrauen der Apotheke der Natur. Auch wenn das viele schulmedizinisch ausgerichtete Naturwissenschaftler mit ihrem eindimensionalen Verständnis von Wirkungszusammenhängen stört. Betrachtet man den Zeitraum der Menschheitsgeschichte, in dem den Menschen pharmakologisch nichts anderes als Heilkräuter zur Verfügung standen, so sind synthetische Medikamente nicht länger als einen Wimpernschlag an Zeit verfügbar. Im übrigen haben diese nicht so wesentlich zur Verlängerung der Lebensdauer beigetragen wie Ernährung, Hygiene und die Verbesserung der Lebensbedingungen. Die Phytoarzneimittel beispielsweise halten sich weiterhin am Markt. Zwei Drittel der Menschen ziehen laut Allensbach Naturheilmittel synthetischen Produkten vor. Würden die Versicherten der Krankenkassen sich in den Verwaltungsräten mehr Gehör verschaffen, dann würde es nicht zu den drastischen abwertenden Urteilen über Naturheilmittel kommen, die von Krankenkassen zu hören sind. Mittlerweile hinkt Deutschland im arzneimittelrechtlichen Vollzug acht Jahre hinter dem von der EU gesetzten Termin für die Nachzulassung hinterher. Die Kommission hat schon mehrfach auf diesen Sachverhalt aufmerksam gemacht. Während die Bundesregierung noch immer einseitig auf die Gentechnik als Heilsbringer starrt, betreibt die forschende Arzneimittelbranche schon längst eine Dreifachstrategie. Die großen traditionellen Heilsysteme der Welt wie Ayurveda und die traditionelle chinesische Medizin mit ihren Tausenden von Heilkräutern sind längst Grundlage der zweiten Säule der Pharmaforschung. Die sogenannte kombinatorische Chemie ist die dritte Säule. Warum sollten wir die in unseren Breiten gängigen Heilmittel in der traditionellen Form nicht erhalten? Es kann doch nicht angehen, daß durch ein umständliches, an unangemessenen Kriterien orientiertes Prüfverfahren Naturheilmittel vom Markt genommen werden und sie einige Jahre später im synthetischen Nachbau, sei es organo-chemisch, sei es gentechnisch, als High-Tech-Mittel in Form einer Monosubstanz wieder zugelassen werden. Der Staat muß selbstverständlich auch die Patientinnen und Patienten sowie Verbraucherinnen und Verbraucher mit geeigneten Prüfverfahren schützen, doch die Umkehr der Beweislast hat sich auch in einigen Fällen als kontraproduktiv erwiesen. Aber nicht nur das. Der Bundesrat stellt zu Recht in seiner Entschließung fest: Als absehbare Folge wird von den entsprechenden pharmazeutischen Unternehmen eine Marktbereinigung, insbesondere im Bereich der Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen befürchtet, die eine Reihe von mittelständischen Betrieben in ihrer Existenz treffen kann. Meine Damen und Herren, es dürfte bekannt sein, daß die Bündnisgrünen nicht per se Freundinnen und Freunde der Pharmaindustrie sind, aber im Interesse der Patientinnen und Patienten sind hier Änderungen im Gesetz notwendig. Ob die von der Bundesregierung vorgeschlagenen Regelungen ausreichend sind, wird im Beratungsverfahren zu klären sein. Wir setzen uns politisch dafür ein, daß der naturheilkundliche Arzneischatz voll erhalten bleibt. Ein Punkt im Gesetzentwurf, nämlich zu den Ethikkommissionen, ist nach unserer Auffassung abzulehnen: In einer Zeit, in der die Gesellschaft in hohem Maße über medizinische Ethik sensibilisiert ist, wo dieses Haus wegen der sogenannten BioethikKonvention fraktionsübergreifend in den Meinungen zerrissen ist, versucht die Bundesregierung die ethische Beurteilung von multizentrischen, klinischen Prüfungen regelrecht zu rationalisieren, angeblich zum Wohle für den Standort Deutschland. Abschließend möchte ich feststellen, daß sich diese Bundesregierung an die wichtigste Gesetzeslücke im Arzneimittelrecht aber noch immer nicht herangetraut hat: Das ist die Haftung. Man fragt sich, wie viele HIV-Untersuchungsausschüsse noch tagen müssen, wie viele Arzneimittelskandale noch passieren müssen, bis hier endlich etwas passiert. Daran kann auch die vom Gesundheitsausschuß beschlossene Anhörung zur Arzneimittelhaftung kaum etwas ändern, denn wir diskutieren dieses Thema schon die gesamte Legislaturperiode. Dr. Dieter Thomae (F.D.P.): Bewußt hatten wir die 7. AMG-Novelle auf die Punkte reduziert, die eine Umsetzung von EU-Recht in nationales Recht bedeuteten, weil diese Umsetzung schnell gehen mußte. Für die Themen, die jetzt mit der 8. Arzneimittelgesetz-Novelle geregelt werden, wollten wir uns ein wenig mehr Zeit für die Diskussion lassen. Das gilt insbesondere auch für das Verbot, Arzneimittel zu Dopingzwecken im Sport in Verkehr zu bringen, zu verschreiben oder bei anderen anzuwenden. Es kommt uns dabei darauf an, Menschen vor den gesundheitsschädlichen Folgen zu schützen. Doping, daran besteht kein Zweifel, ist ein Problem, das sowohl im Spitzensport als auch im Breitensport und im Bodybuildingbereich zunehmend an Bedeutung gewinnt. Um die eigene Leistung zu steigern, ist einigen Menschen jedes Mittel recht. Im Sport geht es darum, zu gewinnen, und das um jeden Preis. Das Fairneßgebot gegenüber den Gegnern, das Chancengleichheit voraussetzt, wird bewußt verletzt. Auf den eigenen Körper wird dabei ebenfalls keine Rücksicht genommen. Wie wir alle wissen, hinken die Methoden, das Doping nachzuweisen, immer hinter dem Erfindungsreichtum zurück. Laufend werden neue Substanzen entwickelt und der Einnahmerhythmus wird so variiert, daß eine Entdeckung erschwert wird. Äußerst bedenklich ist ganz besonders auch das, was sich im Freizeitbereich z. B. in den Bodybuilding-studios abspielt. Für die Herausbildung einiger Muskeln mehr wird in Kauf genommen, daß es zu schwerwiegenden gesundheitlichen Schäden kommt. Nicht immer ist umfangreiches Wissen über die Auswirkungen der Stoffe vorhanden, die Tag für Tag aufgenommen werden. Aber zumindest eine vage Vorstellung davon, daß das nicht gerade gesundheitsfördernd ist, haben auch die Freizeitsportler. Nur, es bewirkt bekanntlich wenig. Deshalb handeln wir mit der 8. AMG-Novelle entsprechend. Dabei stehen wir vor einer Schwierigkeit: Wer will feststellen, ob ein bestimmtes Präparat zur Therapie oder zum Doping eingesetzt wird. Ist das überhaupt kontrollierbar? Welcher Aufwand wäre mit solchen Kontrollen verbunden? Es wird äußerst schwierig sein, den grauen und den schwarzen Markt auf Sportplätzen und in Sporteinrichtungen trocken zu legen. Wie wollen wir im einzelnen verhindern, daß weiterhin unter der Ladentheke Dopingpräparate den Besitzer wechseln? Ich bin der Überzeugung, daß ein Verbot, Dopingpräparate abzugeben, ein wichtiger Schritt ist, der jedoch nicht ausreicht. Wir müssen an diejenigen herankommen, die diese Mittel nehmen. Wir müssen die Informationspolitik über die Schäden, die eine unkontrollierte Einnahme von solchen pharmazeutischen Substanzen mit sich bringt, deutlich verbessern. Gesetzliche Verbote sind schön und gut. Erfolg haben wir aber langfristig nur dann, wenn die Sportler selbst bereit sind, auf Leistungssteigerungen um jeden Preis zu verzichten. Lassen Sie mich einen weiteren Punkt aus der Novelle herausgreifen, der mir besonders wichtig ist. Das ist das Versandverbot für apothekenpflichtige Arzneimittel. Es wird Zeit, daß wir das endlich im Gesetz klarstellen, denn Arzneimittel sind ganz besonders sensible Produkte, die kontrolliert durch Apotheker abgegeben werden müssen, damit die Qualität für die Patienten stimmt. Es bringt nämlich überhaupt nichts, wenn ein Arzneimittel eventuell ein bißchen billiger ist, dafür aber Schäden bei dem Patienten hervorruft. Das ist nicht nur unter dem Gesichtspunkt des Gesundheitsschutzes unverantwortlich. Es ist auch für das Gesundheitssystem insgesamt teurer. Die Überlegungen, wie das Arzneimittelhaftungsrecht zu modifizieren ist, haben wir bewußt aus der 8. AMG-Novelle herausgelassen. Diese Fragen werden in einem gesonderten Gesetz behandelt, das sich nicht allein auf den Arzneimittelbereich beschränkt, sondern das Produkthaftungsrecht insgesamt verbessert. Das halte ich für einen guten Weg, denn es ist natürlich Illusion zu glauben, daß man isolierte Regelungen für den Arzneimittelbereich treffen kann, ohne daß das mittelbar auch Auswirkungen auf andere Bereiche hat, in denen Bürger Schäden davontragen. Es ist deshalb konsequent und richtig, sich das Haftungsrecht insgesamt vorzunehmen. Das ist geschehen. Ein Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums ist auf den Weg gebracht worden, so daß ich zur Zeit keine Veranlassung sehe, über entsprechende Maßnahmen im Arzneimittelgesetz nachzudenken. Dr. Ruth Fuchs (PDS): Die vorliegende 8. Novelle des Arzneimittelgesetzes enthält überwiegend notwendige Maßnahmen, die auf die Verbesserung der Arzneimittelsicherheit und -überwachung gerichtet sind. Das bezieht sich auf die vorgesehene gesetzliche Fixierung eines arzneimittelrechtlichen Doping-Verbotes, auf die getroffenen Regelungen von Auskunfts- und Prüfungspflichten zwischen den Behörden der EU-Mitgliedstaaten und auch auf jene Festlegungen, die auf das Verbot des Versandhandels mit Arzneimitteln und insbesondere auch des Tele-Shopping zielen. Schließlich kann es keinem Zweifel unterliegen, daß vor allem bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln ein Bezug über den Versandweg mit erheblichen Gesundheitsgefährdungen durch unsachgemäßen Gebrauch einhergehen kann. Es muß auch begrüßt werden, daß mit dem Gesetz hinsichtlich der Zulässigkeit von Risikoinformationen durch die zuständige Bundesoberbehörde vor dem Abschluß von Stufenplanmaßnahmen notwendige Klarstellungen vorgenommen werden. Die unerläßliche Information der Öffentlichkeit oder auch der jeweiligen Anwender über mögliche Arzneimittelrisiken darf in keinem Fall wegen unpräziser Rechtsvorschriften zu spät kommen oder unterbleiben. Man wird hier allerdings sehen müssen, inwieweit in der künftigen Praxis von diesen Informationsmöglichkeiten auch tatsächlich Gebrauch gemacht wird. Nach manchen leidvollen Erfahrungen in der Vergangenheit sollte hier bis auf weiteres Skepsis angezeigt sein. Bei anderen neuen Regelungen des Gesetzes bleiben Fragen unmittelbar offen. So sollen die besonderen Bestimmungen für Blutzubereitungen künftig nur noch für Arzneimittel gelten, die Blut oder Blutbestandteile als Wirkstoff enthalten, nicht mehr für solche, in denen sie als Hilfsstoff fungieren. Der Sinn dessen erschließt sich nur bedingt, da unerwünschte Wirkungen, die von Blutbestandteilen ausgehen können, keinesfalls von ihrer Deklaration als Wirkoder Hilfsstoff abhängig sind. Man muß sich auch fragen, welchen Sinn es machen soll, daß bei der Herstellung radioaktiver Arzneimittel, die innerhalb einer Einrichtung verwendet werden, sowie bei der Herstellung von Transplantaten oder Wirkstoffen der Herstellungsleiter künftig zugleich auch Kontroll- und Vertriebsleiter sein darf. Die Stellungnahme des Bundesrates enthält zweifellos sinnvolle Ergänzungen und Präzisierungen. Manche Punkte lassen aber befürchten, daß der Begriff der „besonderen Therapierichtungen" nicht unbeträchtlich ausgeweitet werden könnte - genannt wird beispielsweise die Enzymtherapie. Mit einer solchen Erweiterung des Begriffes über die Phytotherapie, Homöopathie und Anthroposophie hinaus würde unseres Erachtens das Streben nach einer sinnvollen Bereinigung des Arzneimittelangebots geradezu konterkariert. Eine Positivliste, hinter der doch die Bundesratsmehrheit stehen sollte, würde dann wohl kaum noch etwas Nennenswertes verändern können. Mit anderen Worten: Die offenbar angestrebte Ausweitung von Arzneimittelgruppen mit einer milderen Beurteilung ihrer Wirksamkeit - um es vorsichtig auszudrücken - halten wir für ganz und gar inakzeptabel. Allerdings treten die genannten Schwächen deutlich hinter der Tatsache zurück, daß die Regierung offensichtlich auch mit der 8. Novelle des Gesetzes nicht gewillt ist, das Arzneimittelhaftungsrecht endlich neu zu fassen und deutlich zu verbessern. Das ist um so unverständlicher, als auch die Koalitionsparteien die klaren Forderungen mitgetragen haben, die der Abschlußbericht des 3. Untersuchungsausschusses der 12. Legislaturperiode zu „HIV-Infektionen durch Blut und Blutprodukte" dazu enthält. Wir begrüßen es deshalb, daß die SPD-Fraktion heute einen eigenen Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Arzneimittelhaftungsrechtes eingebracht hat. Nun muß Farbe bekannt werden. Man darf gespannt sein, wie sich die Koalition im weiteren parlamentarischen Verfahren verhalten wird. Dr. Sabine Bergmann-Pohl Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit: Ziel des Achten Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes ist es, die hohe Qualität der Arzneimittelversorgung aufrechtzuerhalten. Deshalb sind weitere Verbesserungen des Gesundheitsschutzes, der Arzneimittelsicherheit und der Arzneimittelüberwachung vorgesehen. Die sechs wichtigsten Regelungen möchte ich vorstellen. Erstens wird das Inverkehrbringen, das Verschreiben und Anwenden von Arzneimitteln zum Doping künftig ausdrücklich verboten. Ziel ist, die Gesundheit der Sportler und besonders der sporttreibenden Kinder und Jugendlichen zu schützen. Der Einsatz von Dopingmitteln bei Kindern und Jugendlichen soll höher bestraft werden. Der zweite Punkt ist das Verbot des Versandhandels mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln. Wir meinen, daß gerade jetzt, da in Deutschland und Europa Bestrebungen bestehen, den Arzneimittelversand einzuführen oder auszuweiten, ein Signal des Gesetzgebers gegen diese gefährliche Vertriebsform notwendig ist. Arzneimittel sind keine unproblematischen Konsumgüter, wie zum Beispiel Kleidung oder Elektrogeräte. Sie erfordern fachkundige Information und Beratung in Apotheken. Darüber hinaus gewährleistet der Apothekenverkauf auch besten Schutz vor Arzneimittelfälschungen. Auch unser Distributionssystem trägt zur Qualitätssicherung bei Arzneimitteln bei. Wir wollen es nicht durch Versandfirmen in Frage stellen oder schwächen lassen. Ein ausdrückliches Verbot des Versandes apothekenpflichtiger Arzneimittel hilft uns bei unseren Bestrebungen, in weltweiten Kontakten, Probleme eines illegalen Arzneimittelversandes - etwa durch das Internet - zu lösen. Drittens geht es im Achten Änderungsgesetz um Anpassungen der Arzneimittelüberwachung an den Europäischen Binnenmarkt. Die Vollendung des Europäischen Binnenmarktes vollzieht sich auch im Arzneimittelbereich. Dies kann bedeuten, daß Produktionsvorgänge verlagert, Produktionsstufen ausgelagert und Betriebsstätten auf mehrere Mitgliedstaaten verteilt werden. Dadurch ergeben sich neue Herausforderungen an die Überwachung der Arzneimittelsicherheit. Deshalb wird für die bereits praktizierte enge Zusammenarbeit deutscher Behörden mit den Behörden anderer Mitgliedstaaten eine gesetzliche Grundlage geschaffen. Aber auch der Informationsaustausch zwischen den Überwachungsbehörden in Deutschland wird an diese Herausforderungen angepaßt, indem das erfolgreich erprobte datenbankgestützte Informationssystem für Bund und Länder beim Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information gesetzlich übernommen wird. Viertens sollen Verfahrensvereinfachungen für die klinische Prüfung von Arzneimitteln in bezug auf die Berücksichtigung des Votums der zuständigen EthikKommission getroffen werden. Wir erhoffen uns davon positive Auswirkungen auf Neuentwicklungen medikamentöser Therapien. Fünftens sollen ergänzende Regelungen für Arzneimittel der besonderen Therapierichtung getroffen werden. Wie im Zulassungsverfahren sollen auch bei der Nachzulassung die Besonderheiten dieser Arzneimittel berücksichtigt werden. Sechstens soll im Gesetz zum Ausdruck kommen, daß die für die Zulassung zuständigen Bundesbehörden die Öffentlichkeit über Arzneimittelrisiken und beabsichtigte Stufenplanmaßnahmen informieren können, um allgemein das Risikobewußtsein zu schärfen. Verwaltungsgerichtliche Entscheidungen machen eine solche klarstellende Regelung erforderlich. Vorverurteilungen gegenüber Arzneimitteln müssen aber dabei vermieden werden. Wir wollen mit dem Achten Änderungsgesetz das Arzneimittelgesetz zeitgemäß fortentwickeln. Leider können auch die besten Sicherheitsvorschriften Arzneimittelschäden nicht vollständig verhindern, weil Arzneimittel wie kein anderes chemisches Mittel unmittelbar in Körpervorgänge eingreifen. Um die Situation von Arzneimittelgeschädigten im erforderlichen Umfang zu verbessern, brauchen wir zusätzliche Regelungen bei der Arzneimittelhaftung. Deshalb halten wir es für wichtig, daß ein entsprechendes Gesetzesvorhaben des Bundesministeriums der Justiz noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet wird.
Gesamtes Protokol
Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1322200000
Meine Damen und Herren! Die Sitzung ist eröffnet.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich auf der Ehrentribüne den Parlamentspräsidenten der Republik Kasachstan, Herrn Dr. Marat T. Ospanow, mit seiner Delegation ganz herzlich begrüßen. Herzlich willkommen!

(Beifall)

Sie haben bei Ihren Gesprächen gemerkt: Die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und unseren Parlamentariern und Ihrem Parlament und Ihrem Land sind sehr freundschaftlich. Wir hoffen, daß all die großen Anstrengungen, die Sie bereits unternommen haben und noch unternehmen, um Ihr Land auf einen guten demokratischen und zivilisatorischen Weg zu bringen, Erfolg haben. Ich habe gestern abend auch in bezug auf Ihr Gastgeschenk erfahren, welch hohes kulturelles Können - auch im textilen Bereich - in Ihrem Land vorhanden ist.
Herzlichen Dank für Ihren Besuch in der Bundesrepublik!

(Beifall)

Zunächst möchte ich einigen Kolleginnen und Kollegen, die in der zurückliegenden sitzungsfreien Zeit einen runden Geburtstag feierten, nachträglich gratulieren. Jeweils 65 Jahre wurden der Kollege Günter Schluckebier am 15. Februar, der Kollege Julius Louven am 18. Februar, der Kollege Christian Lenzer am 19. Februar und der Kollege Dr. Dietrich Sperling am 1. März. Herzlichen Glückwunsch!

(Beifall)

Den jeweils 60. Geburtstag feierten die Kollegin Dr. Christa Luft am 22. Februar, die Kollegin Dr. Konstanze Wegner am 27. Februar und der Kollege Hans Berger am 28. Februar. Auch ihnen unsere herzlichen Glückwünsche!

(Beifall)

Nun zu Regularien: Die Fraktion der CDU/CSU möchte bei zweien ihrer Mitglieder im Beirat der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und
Post einen Tausch vornehmen. Der Kollege Ulrich Adam, bisher stellvertretendes Mitglied, soll ordentliches Mitglied und der Kollege Dr. Hermann Pohler, bisher ordentliches Mitglied, soll nunmehr stellvertretendes Mitglied werden. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Damit sind der Kollege Ulrich Adam als ordentliches und der Kollege Dr. Hermann Pohler als stellvertretendes Mitglied für den Beirat bei der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post vorgeschlagen.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die Ihnen mit einer Zusatzpunktliste vorgelegten Punkte zu erweitern:
5. Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses 1] nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zu dem Gesetz zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts - Drucksachen 13/7274, 13/9211, 13/ 9545, 13/10002-
6. Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zu dem Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität - Drucksachen 13/ 8651, 13/9644, 13/9661, 13/9841, 13/10004-
7. Beratung des Antrags der Abgeordneten Michaele Hustedt, Ulrike Höfken, Jürgen Rochlitz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Moderne Umweltpolitik für eine Nachhaltige Entwicklung in Deutschland - Drucksache 13/10010-
8. Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren (Ergänzung zu TOP 17)

a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 29. November 1996 über den Beitritt der Republik Österreich, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden zu dem Übereinkommen von 1980 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht sowie zu dem Ersten und dem Zweiten Protokoll über die Auslegung des Übereinkommens durch den Gerichtshof - Drucksache 13/9954 -
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 29. November 1996 über den Beitritt der Republik Österreich, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden zum Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen sowie zum Protokoll betreffend die Auslegung dieses Übereinkommens durch den Gerichtshof - Drucksache 13/9955-

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Winfried Pinger, Detlef Helling, Jochen Feilcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Roland Kohn, Dr. Irmgard Schwaetzer und der Fraktion der F.D.P.: Weiterentwicklung des Zentrums für internationale Zusammenarbeit in Bonn - Drucksache 13/10018-
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Rolf Olderog, Klaus Riegert, Dr. Klaus Lippold, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Olaf Feldmann, Birgit Homburger, und der Fraktion der F.D.P.: Sporttourismus, neuartige Sportaktivitäten und Umweltschutz - Drucksache 13/10017-
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Christa Lörcher, Arne Fuhrmann, Lisa Seuster, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Bundeseinheitliche Regelung einer qualifizierten Altenpflegeausbildung - Drucksache 13/10 016 -
9. Weitere abschließende Beratung ohne Aussprache (Ergänzung zu TOP 18)

Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P.: Verhandlungen über ein internationales Abkommen far umweltverträglichen Tourismus - Drucksache 13/10024-
10. Erste Beratung des von den Abgeordneten Horst Schmidbauer (Nürnberg), Klaus Kirschner, Dr. Herta Däubler-Gmelin, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Arzneimittelhaftungsrechts - Drucksache 13/10019-
Von der Frist für den Beginn der Beratung soll - soweit erforderlich - abgewichen werden.
Weiterhin ist vereinbart worden, die Beratung der Beschlußempfehlungen zur Haftung in der Binnenschiffahrt - Tagesordnungspunkte 12 b und c - abzusetzen.
Außerdem mache ich auf nachträgliche Überweisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam:
Der in der 210. Sitzung des Deutschen Bundestages am
11. Dezember 1997 überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll nachträglich zusätzlich dem Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung zur Mitberatung überwiesen werden
Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Einführung des Euro (Euro-Einführungsgesetz - EuroEG) - Drucksache 13/ 9347 -
überwiesen:
Rechtsausschuß (federführend)

Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus
Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
Der in der 216. Sitzung des Deutschen Bundestages am 5. Februar 1998 überwiesene nachfolgende Antrag soll nachträglich zusätzlich dem Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung zur Mitberatung überwiesen werden.
Antrag des Abgeordneten Ulf Fink und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Gisela Babel und der-Fraktion der F.D.P.: Arbeit ist genug vorhanden - Neue Initiativen zur Beschäftigungsförderung - Drucksache 13/9743 -
überwiesen:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung (federführend) Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Gesundheit
Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuß
Der in der 219. Sitzung des Deutschen Bundestages am
12. Februar 1998 überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll nachträglich zusätzlich dem Sportausschuß zur Mitberatung überwiesen werden.
Gesetzentwurf von den Abgeordneten Hartmut Koschyk, Rainer Eppelmann und der Fraktion der CDU/CSU, den Abgeordneten Markus Meckel, Siegfried Vergin und der Fraktion der SPD, den Abgeordneten Gerald Häfner, Gerd Poppe und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie den Abgeordneten Dr. Rainer Ortleb, Dr. Max Stadler, Ina Albowitz und der Fraktion der F.D.P. über die Errichtung einer Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur - Drucksache 13/9870 -
überwiesen:
Innenausschuß (federführend) Sportausschuß
Haushaltsausschuß
Sind Sie mit den Vereinbarungen einverstanden? - Das ist der Fall: Wir verfahren so.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b auf:
a) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Vertrag von Amsterdam vom 2. Oktober 1997
- Drucksache 13/9339 - (Erste Beratung 210. Sitzung)

Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union (22. Ausschuß)

- Drucksache 13/9913 - Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Gero Pfennig
Dr. Jürgen Meyer (Ulm) Christian Sterzing
Dr. Helmut Haussmann
Manfred Müller (Berlin)

b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union (22. Ausschuß)

- zu dem Antrag des Abgeordneten Christian Sterzing und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN
Demokratische Reformen auf dem Weg zu einer politischen Union - die zentrale Aufgabe der Regierungskonferenz
- zu dem Antrag der Abgeordneten Manfred Such, Christian Sterzing, Volker Beck (Köln) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Maastricht II: Wege zu einer politischen Union mit bürgerrechtlichem Fundament und demokratischen Strukturen in der Justiz- und Innenpolitik
- zu dem Antrag der Abgeordneten Christian Sterzing, Angelika Beer, Winfried Nachtwei, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Die Europäische Union muß zum Motor für eine zivile Außenpolitik werden

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
— zu dem Antrag der Abgeordneten Michaele Hustedt, Christian Sterzing, Gila Altmann (Aurich), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Ökologisierung der Europäischen Verträge
- zu dem Antrag der Abgeordneten Steffen Tippach, Heinrich Graf von Einsiedel, Andrea Gysi, weiterer Abgeordneter und der Gruppe der PDS
Neuverhandlung des Amsterdamer Vertrages
- zu der Entschließung des Europäischen Parlaments
Zum Vertrag von Amsterdam
- Drucksachen 13/7823, 13/7824, 13/7825, 13/
7822, 13/9379, 13/9819 Nr. 1.5, 13/9912 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Gero Pfennig
Dr. Jürgen Meyer (Ulm) Christian Sterzing
Dr. Helmut Haussmann
Manfred Müller (Berlin)

Es liegen zwei Entschließungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.
Ich weise darauf hin, daß wir im Anschluß an die Aussprache über den Gesetzentwurf zum Vertrag von Amsterdam namentlich abstimmen werden. Zur Annahme des Gesetzentwurfs ist gemäß Art. 23 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 2 des Grundgesetzes die Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Deutschen Bundestages erforderlich. Außerdem wird danach über die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses zu dem Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung der organisierten Kriminalität ebenfalls namentlich abgestimmt.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache vier Stunden vorgesehen. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Es beginnt der Bundesminister des Auswärtigen, Herr Kinkel.

Dr. Klaus Kinkel (FDP):
Rede ID: ID1322200100
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Weichen, die wir in den letzten Wochen und Monaten für Europa gestellt haben - in Madrid, in Amsterdam, in Luxemburg -, sind vergleichbar mit den Grundentscheidungen der 50er Jahre für EG und NATO. Das sollten wir bei allen Tagesereignissen nicht aus dem Auge verlieren. Die Europäische Union hat das Zusammenwachsen und die Modernisierung unseres Kontinents in die Hand genommen - mit Entschlossenheit und mit Erfolg.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Die klare europäische Politik der Bundesregierung hatte an diesem Erfolg einen ganz wesentlichen Anteil. Das wird in ganz Europa anerkannt.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Wir Deutschen haben nach der Wiedervereinigung Wort gehalten. Wir wissen, daß wir wegen der Größe, der Lage und der Geschichte unseres Landes in puncto Europa mehr als andere in der Verantwortung stehen. Europas Einigung und Modernisierung ist für uns alle die beste Zukunftspolitik.
Am 1. Januar 1999 übernehmen wir die Präsidentschaft im Rat der Europäischen Union, zum ersten Mal in der Geschichte gekoppelt mit der Präsidentschaft in der WEU. Auf uns wartet ein dichtes Programm. Am 1. Januar 1999 werden der Euro starten und die Europäische Zentralbank in Frankfurt ihre Arbeit aufnehmen. Die Erweiterungsverhandlungen werden Fahrt aufnehmen. Weitere Etappen: der Europäische Rat in Köln, der EU-Lateinamerika-Gipfel, das EU-ASEAN-Treffen, unser zeitgleicher Vorsitz in G 7 und G 8, der Weltwirtschaftsgipfel, ebenfalls in Köln und, nicht zu vergessen, die 3. Barcelona-Fortsetzungskonferenz, die Mittelmeerkonferenz. Deutschland übernimmt also das Steuerrad in der EU in einer ganz entscheidenden Phase.
Die Erwartungen unserer Partner und der Welt sind entsprechend hoch. Das verlangt klare Ziele, Berechenbarkeit und das Bewußtsein: Wir können es uns als bevölkerungsstärkstes Land der EU, als weltweit drittgrößte Industrienation und zweitstärkster Exporteur in der Welt nicht leisten, herumzuexperimentieren - vor allem nicht, wenn es, wie bei Bundeswehr und NATO, um vitale Sicherheitsinteressen von uns und unseren Partnern geht. In einer solchen Zeit kann sich Deutschland keine Geisterfahrer erlauben.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: A la Grüne!)

Politik, Wirtschaft und Sicherheit in Europa wachsen zusammen. Wer trotzdem immer noch glaubt, sich deutsche Sonderwege leisten zu können, schadet unserem Land. Nationale Kirchturmspolitik, egal welcher Couleur, hat in Europa Gott sei Dank keinen Platz mehr. Ich sage das auch mit Blick auf den Vertrag von Amsterdam, den wir heute abschließend beraten.
Der Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union hat mit den Stimmen der Fraktionen von CDU/CSU, F.D.P. und SPD empfohlen, den von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurf anzunehmen

(Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Was ist mit den Grünen?)

- darauf komme ich noch -, ein ganz wichtiges Signal der Gemeinsamkeit für ein modernes, handlungsfähiges Europa.

(Beifall bei der F.D.P. sowie des Abg. Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU])

Der Vertrag hat die Europäische Union ein gutes Stück handlungsfähiger gemacht und damit die Voraussetzungen für die Aufnahme der Erweiterungsverhandlungen geschaffen - übrigens ein Hauptanliegen der Bundesregierung.

Bundesminister Dr. Klaus Kinkel
Dieser Durchbruch war angesichts durchaus unterschiedlicher Interessen von 15 Mitgliedstaaten nicht ganz einfach zu erzielen. Wir haben dafür in der gesamten Zeit der Regierungskonferenz und in Amsterdam selbst gekämpft und waren am Schluß erfolgreich.
Die erreichten Schritte können sich sehen lassen: Der Vertrag gibt der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU Gesicht und Stimme, stärkt das Mehrheitsprinzip - also die Geschlossenheit unseres Handelns. Er räumt dem Europäischen Parlament mehr Mitentscheidung ein, ein wichtiges Plus für die Demokratie in Europa. Den größten Fortschritt bringt Amsterdam jedoch bei der inneren Sicherheit, der europaweiten Bekämpfung des organisierten Verbrechens, beim Schutz vor Kriminellen und Schleusern, in der Asyl- und Visapolitik - alles brennende Anliegen unserer Bürger. Die Kompetenzen von Europol sind gestärkt worden. Schengen wird unter das Dach der EU geführt. Erstmals geht die Europäische Union gemeinschaftlich gegen das organisierte Verbrechen und den Menschenhandel vor und schützt sich gegen illegale Zuwanderung. Deutschland hatte im Jahre 1996 52 Prozent der Asylbewerber zu verkraften, das heißt mehr als alle anderen europäischen Länder zusammen. Deshalb mußten wir beim Asyl und der Einwanderung sicherstellen, daß hier auch künftig das Einstimmigkeitsprinzip herrscht.
Auch die besonderen Anliegen unserer Länder haben wir berücksichtigt und durchsetzen können. Subsidiarität, also Bürgernähe, hat Vorrang vor zentralistischen Lösungen. Nach langer und wahrhaft schwieriger Diskussion gelang es, die Grundlagen unseres öffentlich-rechtlichen Rundfunks und unseres bewährten Sparkassenwesens abzusichern, und wir haben den Ausschuß der Regionen gestärkt.
Das waren im einzelnen extrem schwierige Verhandlungen. Die Durchsetzung eines Großteils unserer Ziele ist ein großer Erfolg für die Europapolitik der Bundesregierung. Dafür möchte ich nochmals allen, die beteiligt waren, sehr herzlich danken, in erster Linie Ihnen, Herr Bundeskanzler. Wir haben ja in dieser Nacht auf den Stühlen nebeneinander gesessen. Es war sehr entscheidend - sehr entscheidend! - Ihren Interventionen zu verdanken, daß Amsterdam zum Erfolg wurde.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Ich möchte aber auch allen Mitarbeitern aus allen Ressorts in Bund und Ländern sehr herzlich dafür danken, daß hier unwahrscheinlich präzise und gut gearbeitet wurde. Sie werden verstehen, daß ich auch Herrn Hoyer sehr herzlich danken möchte.

(Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl: Sehr gut!)

Auch er hat eine gewaltige Vorbereitungsarbeit geleistet.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

In Amsterdam ist für Deutschland und Europa viel erreicht worden. Deshalb die Frage: Was soll da eigentlich Stimmenthaltung? Wenn in den zurückliegenden 40 Jahren ein so „entschlossenes Jein" unsere Richtschnur gewesen wäre, würde Europa heute noch als eine Gemeinschaft für Kohle und Stahl vor sich hindümpeln.

(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der CDU/CSU)

Wer die europäische Einigung voranbringen und weiter festigen will, der muß bereit sein, Verantwortung zu übernehmen - und das mutig und richtungsweisend.

(Günter Gloser [SPD]: Wir sind bereit!)

Mit Ihrer Europapolitik nach der Devise „Wasch mich, aber mach mir den Pelz nicht naß" können Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, unsere Partner in der Europäischen Union wohl schwer überzeugen. Politikfähigkeit setzt Glaubwürdigkeit und Verantwortungsbereitschaft voraus. Das ist der Maßstab, an dem Sie, aber eben auch unser Land in Europa gemessen werden.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Heilig's Blechle!)

Meine Damen und Herren, die am vergangenen Freitag vorgelegten Wirtschafts- und Finanzdaten der Mitgliedstaaten sind eine eindrucksvolle Bilanz europäischer Stärke, Disziplin und Konvergenz, die vor einigen Jahren noch niemand so für möglich gehalten hätte. Was mußte der Kollege Waigel an Vorwürfen, an Kassandrarufen alles einstecken? Er hat recht behalten. Wir alle haben recht behalten. Daß die Europäische Zentralbank nach Frankfurt kommt, ist ein Symbol: Europa hat die Stabilitätskultur der D-Mark übernommen, und zwar mit Erfolg. Das ist für uns ein Grund zur Genugtuung.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Der Euro kommt - wie vorgesehen - zum 1. Januar 1999. Daran gibt es keinen Zweifel mehr. Daß dieser Schritt zu einer gemeinsamen europäischen Währung richtig und notwendig ist, wird von der überwältigenden Mehrheit in diesem Haus Gott sei Dank so gesehen. Nicht wenige Bürger in unserem Land sind noch skeptisch. Da haben wir gerade als Politiker noch eine erhebliche Überzeugungsaufgabe vor uns.
50 Jahre D-Mark - das ist zu einem Stück deutscher Identität, deutschen Wiederaufbaus, deutscher Schaffenskraft nach Krieg und Zerstörung, zum Symbol des Wiederaufstiegs geworden. Aber das Vertrauen in die D-Mark wuchs erst mit der Zeit. Ich bin überzeugt, daß es mit dem Euro genauso gehen wird. Wenn seine Vorteile erst einmal sichtbar werden, wird sich auch die Haltung unserer Bürger ändern.
Ich habe einmal nachgelesen, was eine große Schar von Professoren vor der Einführung der D-Mark gesagt hat.

(Heiterkeit bei der F.D.P. Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl: Sehr gut!)

Ich empfehle Ihnen sehr, das ebenfalls einmal nachzulesen. Die Prognosen, die damals hinsichtlich der Härte bzw. der zu erwartenden „Weichheit" der D-Mark angestellt wurden, sind schon bemerkens-

Bundesminister Dr. Klaus Kinkel
wert. Ich muß Ihnen sagen: Die damaligen und heutigen Prognosen haben viele Parallelen. Es gibt auch Parallelen in den Gesamtzusammenhängen, die im Augenblick vor dem Bundesverfassungsgericht vorgetragen werden. Deshalb lohnt es sich, das nachzulesen. Die Parallelen sind sehr deutlich. Die Einwände gegen den Euro sind falsch, und sie werden den Euro nicht aufhalten.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Zwei Dinge müssen deutlich werden, liebe Kolleginnen und Kollegen. Erstens. Alles, was in der Vergangenheit den Erfolg der D-Mark ausgemacht hat, wird bewahrt und lediglich auf breitere europäische Füße gestellt.
Zweitens. Den Schritt von der D-Mark zum Euro tun wir doch gerade aus dem Grunde, um all das, was die D-Mark für uns Deutsche erbracht hat, in einer veränderten Welt für die Zukunft zu sichern.
Der Euro ist für Deutschland und Europa ein notwendiges Stück Anpassung an die neue Weltwirtschaft und damit Zukunftssicherung, weil wir erst durch den Euro das Maximum aus der eigentlichen Trumpfkarte der Europäischen Union herausholen: dem großen Binnenmarkt mit jetzt 370 Millionen und künftig 470 Millionen, fast 500 Millionen Bürgern. Um so wichtiger ist es, daß sich Wirtschaft und Verwaltung auf den Euro vorbereiten.

(Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Da fehlt es aber noch bei den Ländern!)

Deshalb nochmals meine Bitte, mein Aufruf an die Länder, die hier vor allem zuständig sind: Handeln Sie rasch und pragmatisch! Deutschen Unternehmen dürfen keine Wettbewerbsnachteile dadurch entstehen, daß unsere Bürokratie nicht von der Stelle kommt.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD])

Meine Damen und Herren, was für den Euro gilt, gilt auch für die zweite strategische Weichenstellung für unseren Kontinent: den Erweiterungszug. Er rollt.
Am 12. März findet in London erstmals die Europa-Konferenz statt. Das Angebot zur Teilnahme richtet sich weiterhin auch an Ankara, an die Türkei. Ich betone das erneut, weil dies für uns Deutsche als Freunde und Partner der Türkei, und für Deutschland, als Wahlheimat von über 2 Millionen Türken ein ganz besonderes Anliegen ist. Die Tür für die Türkei nach Europa bleibt offen.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Markus Meckel [SPD])

Am 30. März fällt der Startschuß für den eigentlichen Beitrittsprozeß. Am 31. März werden die Verhandlungen mit der ersten Gruppe, also mit Polen, Ungarn, Tschechien, Estland, Slowenien und Zypern, offiziell eröffnet.
Gerade die wirtschaftlichen Vorteile der Osterweiterung liegen auf der Hand. Wir integrieren die Region mit den inzwischen weltweit höchsten Wachstumsraten. Mit einem Anteil von 41 Prozent an den EU-Gesamtausfuhren ist Deutschland der größte Ex-. porteur in die MOE-Staaten, gefolgt von Italien und Österreich.

(Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Ja, Beschäftigungsprogramm!)

Wir haben bereits heute zweistellige Zuwachsraten. Unser Handel mit der Region übertrifft inzwischen unseren Handel mit den Vereinigten Staaten, was vielfach nicht bekannt ist.
Wir dürfen neben den wirtschaftlichen Chancen der Erweiterung nicht ihr zentrales politisches Motiv aus den Augen verlieren: Die EU-Erweiterung ist zusammen mit der NATO-Öffnung und der Einbindung Rußlands und der Ukraine der Kern unserer Anstrengungen um ein dauerhaft friedliches und stabiles Europa.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU sowie des Abg. Markus Meckel [SPD])

Wir nutzen damit eine Jahrhundertchance, nämlich den Fall des Eisernen Vorhangs und des Zusammenbruchs kommunistischer Diktatur, für eine gemeinsame bessere europäische Zukunft.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, was sich im ehemaligen Jugoslawien abgespielt hat, darf sich nicht noch einmal ereignen. In Bosnien-Herzegowina zeichnet sich eine gewisse Wende zum Besseren ab. Dazu hat die Petersberger Konferenz mit dem robusteren Mandat für Carlos Westendorp beigetragen, die vor Weihnachten stattgefunden hat. Dazu hat auch beigetragen, daß Herr Dodik zum Ministerpräsidenten in der Republika Srpska gewählt wurde. Ich war vor zwei Wochen in Banja Luka, um zu zeigen, daß wir neuen Friedenswillen und Versöhnungsbereitschaft auch honorieren. Wir erwarten aber auch - dazu haben wir besonderen Grund und Anlaß -, daß das Jahr 1998 von Anstrengungen in die Richtung geprägt wird, daß es zum Jahr der Flüchtlingsrückkehr wird, und zwar auch in die Republika Srpska.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU sowie des Abg. Markus Meckel [SPD])

Im Kosovo glimmt leider die Lunte. Wir müssen sehr aufpassen, daß dort kein neuer Weltbrandherd entsteht. Auf meine Initiative hat sich die EU vorgestern mit dieser Frage befaßt. Der britische Außenminister Cook - er hat im Augenblick die Präsidentschaft - ist in Belgrad und verhandelt mit Milosevic. Am Sonntag kommt die amerikanische Außenministerin Madeleine Albright hierher. Am Montag findet auf meinen Druck ein Kontaktgruppentreffen auf Außenministerebene in London statt. Ich werde am 19. März zusammen mit dem französischen Außenminister Védrine nach Belgrad und Zagreb fahren, um dort persönlich nochmals den Versuch der Einflußnahme zu unternehmen.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1322200200
Eine friedliche Lösung des Kosovo-Problems ist Teil der Rückfahrkarte der Bundesrepublik Jugoslawien nach Europa. Das politische Ziel muß eine Änderung des Status

Bundesminister Dr. Klaus Kinkel
quo sein: Mehr Rechte für die unterdrückte albanische Bevölkerungsmehrheit im Kosovo - das sind 90 Prozent -, also mehr Autonomie bei vollständiger Wahrung der territorialen Integrität.
Meine Damen und Herren, der Vertrag von Amsterdam bringt Europa ein gutes Stück nach vorn, ist aber kein Endpunkt. Es sind noch viele Fragen offen: Nach welchen Regeln kann und muß sich eine Union mit über 20 Mitgliedstaaten einrichten? Wie funktioniert sie? Welches Europa wollen wir letztlich? Wo liegen - über den derzeitigen Erweiterungsprozeß hinaus - die geographischen Grenzen? Wir werden diese Fragen Schritt für Schritt beantworten müssen. Die EU-Erweiterung wird dabei neue Fakten setzen.
Zentrale Anliegen bleiben, in jeder Etappe der Integration den Zusammenhalt der Mitgliedstaaten sowie die Unterstützung unserer Bürger zu erhalten. Das ist das Wichtigste. Dazu gehört ganz entscheidend, daß wir uns immer wieder auch der geistigkulturellen Dimension der europäischen Einigung bewußt bleiben und diese stärken. Unser gemeinsames Europa beinhaltet mehr als Außenzölle und Marktordnungen. Unsere Bürger müssen sich mit ihren Hoffnungen und Sorgen in „ihrem Europa" gut aufgehoben fühlen. Deshalb: kein Technokraten-Europa, sondern ein Europa der Bürger!

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU sowie des Abg. Markus Meckel [SPD])

Das verlangt Maß und Gleichgewicht zwischen Weltoffenheit, Modernität und Effizienz einerseits und dem Bedürfnis unserer Bürger nach Geborgenheit, Identität und Tradition andererseits. Ein solches Europa für die Menschen wird und muß unser Kompaß bleiben - für eine gute Zukunft unseres Landes.
Vielen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU sowie des Abg. Markus Meckel [SPD])


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1322200300
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor wir in der Aussprache fortfahren, lassen Sie mich noch die Begrüßung der Nachfolgerin im Mandat des ausgeschiedenen Bundesministers und Kollegen Professor Töpfer nachholen. Nachgerückt ist die Kollegin Annegret Kramp-Karrenbauer. Herzlich willkommen in unserer Runde!

(Beifall)

Wir wünschen eine gute Zusammenarbeit in den verbleibenden Monaten und hoffen, Sie auch im nächsten Parlament hier wiederzusehen.
Ich setze jetzt in der Aussprache fort. Es spricht die Kollegin Heide Wieczorek-Zeul.

Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD):
Rede ID: ID1322200400
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir legen heute als Sozialdemokraten gemeinsam mit den Parteien, die den Vertrag von Amsterdam ratifizieren, einen Text des Europaausschusses zu dessen Bewertung vor. Diese Gemeinsamkeit ist eine - ich möchte sie so nennen - Verfassungsgemeinsamkeit bezüglich eines Vertrages, den auch unsere europäischen Nachbarländer beschließen und ratifizieren werden.

(Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Ohne Grüne!)

Dieser Vertrag ist noch keine Verfassung im eigentlichen Sinne. Insbesondere fehlt uns eine entsprechende Festlegung und Kodifizierung der europäischen Grundrechte, die allen Menschen, allen Bürgerinnen und Bürgern in der Europäischen Union garantiert werden sollten.

(Beifall bei der SPD)

Aber wie bei jeder Verfassung bestehen in diesem Rahmen erhebliche Auffassungsunterschiede auch über die praktische Politik, wie sich vor allen Dingen im Bereich der Wirtschafts-, Sozial- und Beschäftigungspolitik zeigen wird.
Für uns gibt es drei zentrale Gründe für die Zustimmung in der Sache und für die Ratifizierung des Vertrags von Amsterdam:
Erstens haben wir gegen den massiven Widerstand der Regierungsparteien mit anderen sozialdemokratisch geführten Regierungen in Europa verwirklichen können, daß die Europäische Union auf eine aktive Beschäftigungspolitik und die Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit verpflichtet wird. Das ist das wichtigste Signal des Vertrages von Amsterdam.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir freuen uns, daß sich in einem gemeinsam vorgelegten Antrag jetzt auch die Regierungsparteien nachträglich zu diesem positiven Element des Vertrages von Amsterdam bekennen, das wir durchgesetzt haben.

(Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Spät!) - Spät, aber immerhin.


(Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Wir haben es verbessert!)

Zweitens. Im Vertrag selbst sind für das Europäische Parlament vor allen Dingen mehr Rechte, zum Beispiel bei der Mitentscheidung in der europäischen Gesetzgebung verankert worden. Das heißt aus unserer Sicht, daß auf diese Art und Weise Schritte in Richtung auf mehr Demokratie verankert worden sind. Das ist gut. Das Europäische Parlament ist der Gewinner des Vertrages von Amsterdam.

(Beifall bei der SPD)

Zusätzlich zu den Punkten, die ich soeben angesprochen habe, ist zu sagen: Im Vertrag selbst ist endlich auch die Grundlage für die Einfügung des sogenannten Sozialprotokolls geschaffen worden, so daß die Europäische Union zukünftig auch in Richtung einer Sozialunion weiterentwickelt werden kann. Auch das sind richtige Schritte, die von uns begrüßt und unterstützt werden.

(Beifall bei der SPD)

Drittens. Im Vertrag selbst ist die Forderung nach aktiver Frauenförderung, nach Gleichberechtigung

Heidemarie Wieczorek-Zeul
und Gleichstellung von Frauen, maßgeblich verankert worden, so daß die Europäische Union in diesem Bereich zukünftig eine ganz wichtige Unterstützungsfunktion hinsichtlich der Gleichstellung und auch der Durchsetzung von Gesetzen zugunsten der Gleichberechtigung von Frauen haben wird. Das ist ein dritter Grund für uns zu sagen: Dieser Vertrag hat in diesem Bereich wichtige Fortschritte erbracht. Auch deshalb werden wir ihn ratifizieren.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die Europäische Union ist somit in Zukunft auf die Verwirklichung aktiver Beschäftigungspolitik verpflichtet. Denn finanzielle Stabilität allein, liebe Kolleginnen und Kollegen, reicht nicht aus. Wir haben in Deutschland eine der stabilsten Währungen der ganzen Welt, gleichzeitig aber 5 Millionen Arbeitslose. In der EU gibt es über 18 Millionen Menschen ohne Arbeit. Wenn das so bleibt - das müssen Sie auch im Rahmen der Währungsunion lernen -, ist die Stabilität der Gesellschaft gefährdet. Das hat langfristig Auswirkungen auch auf die Stabilität des Geldes.

(Beifall bei der SPD)

Deshalb ist es wichtig, daß Kriterien zur Reduzierung der Massenarbeitslosigkeit genauso verankert und zwischen den Regierungen der Europäischen Union vereinbart werden, wie es geschafft worden ist, in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union Kriterien zur Reduzierung der Inflation festzulegen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Diese Gleichgewichtigkeit ist zentral und für uns von großer Bedeutung.
Stabilitätspolitik muß also in der EU mit einer abgestimmten Beschäftigungspolitik einhergehen. Uns geht es um ein Europa der Arbeit und der sozialen Sicherheit und deshalb auch um einen Euro, der Arbeit und soziale Sicherheit gewährleistet. Unsere Nachbarländer warten auf ein Umdenken der Bundesrepublik Deutschland in diesem Bereich. Auch deshalb ist ein politischer Wechsel in Deutschland notwendig.
Herr Kinkel hat es angesprochen: Unsere EU-Ratspräsidentschaft beginnt am 1. Januar 1999. Sie wird unter sozialdemokratischer Führung stehen. Wir sind darauf vorbereitet.

(Beifall bei der SPD Dr. Jürgen Meyer [Ulm] [SPD]: Wir sind bereit!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn man sich anschaut - ich habe das Dokument hier -, was die Bundesregierung jetzt als ihren Vorschlag für einen nationalen Beschäftigungspakt zur Einlösung der Verpflichtungen in der Beschäftigungspolitik, also der Verpflichtungen des Luxemburger Gipfels, vorgelegt hat, dann kann einem grausen. Was da vorliegt, zeigt nämlich eindeutig, daß die Bundesregierung nicht nur kein Konzept hat, um die Arbeitslosigkeit wirksam bekämpfen zu können. Das Schlimmste ist: Sie ist auch nicht lernfähig. In den vorliegenden Texten wird die Jugendarbeitslosigkeit als Sucharbeitslosigkeit zu bagatellisieren versucht. Das halte ich für eine Beleidigung derjenigen, die arbeitslos sind.

(Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Das kann doch nicht wahr sein!)

Ich sage Ihnen: Ein junger Mensch, der sich hundertmal um einen Ausbildungsplatz, um einen Arbeitsplatz bewirbt und immer wieder Absagen bekommt, und die Eltern, die sich verzweifelt an uns wenden, halten es für eine ungeheure Diffamierung von Jugendlichen, wenn sie auf diese Art und Weise mit Formulierungen abgespeist werden, anstatt daß ihnen eine Garantie für eine Ausbildung und für einen Arbeitsplatz zugesagt wird.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Machen Sie mit bei der Lehrstelleninitiative!)

Hier werden die Probleme schöngeredet, anstatt sie anzugehen.
Das gleiche gilt auch für die Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit. Ich bin gerne bereit, mit Ihnen heute über diesen Aktionsplan, der wahrscheinlich aus dem Hause Rexrodt kommt - er ist, wie gesagt, absolut nichtssagend -, zu sprechen.

(Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Das ist doch kein Wunder! Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Wir können doch mit der Arbeitslosigkeit in Niedersachsen anfangen!)

Er sagt aus, daß in diesem Bereich in der Bundesrepublik alles wunderbar ist. Das ist sozusagen der Grundtenor des Textes.
Ich sage an die Adresse auch derjenigen, die heute, am 5. März, überall in der Bundesrepublik als Arbeitslose dafür demonstrieren, daß sie Arbeit bekommen: Sie haben unsere Unterstützung. Wir müssen uns gemeinsam dafür engagieren, daß das Menschenrecht auf Arbeit verwirklicht wird.

(Beifall bei der SPD)

Es ist nämlich eine Verletzung der Menschenwürde, wenn Menschen, die arbeiten wollen, die erwerbstätig sein wollen, die Arbeit vorenthalten wird.
Für uns ist also die vertraglich verankerte Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit ein wichtiger politischer Durchbruch. Er ist vor allen Dingen auch ein Signal für neues Denken in Europa;

(Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Das ist an Ihnen wohl vorbeigegangen!)

denn es setzt sich doch immer mehr die Einsicht durch: So wie der Frieden nur gemeinsam zu sichern ist, so können wir auch unsere wirtschaftliche Zukunft und die Beschäftigung auf Dauer nur gemeinsam sichern. Das ist unsere europapolitische Überzeugung und Begründung.

Heidemarie Wieczorek-Zeul
In der friedenspolitischen Begründung der Europapolitik sind wir uns alle in diesem Hause einig.

(Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Die Grünen nicht!)

Aber die neue Qualität der Europapolitik ist ihre Bedeutung für Wachstum, Beschäftigung und wirtschaftlichen Wohlstand. Und hier liegt eine Welt zwischen den Auffassungen der Regierungsparteien und der sozialdemokratischen Partei. Das muß auch an diesem Tag sehr deutlich gesagt werden.

(Beifall bei der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die gleiche Haltung, mit der die Bundesregierung die Sorgen der Menschen um Arbeitsplätze nicht ernst nimmt, zeigt sie auch, wenn es um die Skepsis der Bürger und Bürgerinnen gegenüber dem Euro geht. Wie sonst hätte sie ein 70 seitiges Euro-Einführungsgesetz vorlegen können, das sich um die Frage der verbrauchergerechten Einführung des Euro überhaupt keine Gedanken macht?

(Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Das kann doch nicht wahr sein!)

Wir sind der Meinung, daß der Euro gerade angesichts der Globalisierung der Finanzmärkte eine Chance bietet, noch gestalten, noch Wirtschaftspolitik betreiben zu können. Deshalb muß er verbrauchergerecht eingeführt werden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Hier hat die Bundesregierung bei der Vorbereitung, beim Werben um das Vertrauen der Menschen in die neue Währung völlig versagt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir fordern die Bundesregierung auf, alle Haushalte in Deutschland wirklich umfassend und nachvollziehbar über die Einführung des Euro zu informieren. Berti Vogts' „Steilpaß für Europa" in großen Werbekampagnen schafft doch kein Vertrauen für die neue europäische Währung. Das ist vielmehr reine Werbung. Die Leute wollen Informationen. Das ist es, worum es geht, und es sind nicht Glanzbroschüren und Werbekampagnen.

(Beifall bei der SPD)

Ich schlage Ihnen vor: Benutzen Sie doch das Geld, das für solche Werbekampagnen existiert, und setzen Sie es ein, damit die Verbraucherberatung vor Ort als Anlaufstelle für Beschwerden für Bürger und Bürgerinnen finanziell gut ausgestattet ist. Das wäre eine verbrauchergerechte Einführung des Euro.

(Beifall bei der SPD)

Uns geht es um eine Regelung für die doppelte Preisauszeichnung, um den berechtigten Ängsten von Verbrauchern und Verbraucherinnen vor verdeckten Preiserhöhungen wirksam entgegentreten zu können. Ich sage hier noch einmal ganz deutlich: Was uns in diesem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Einführung des Euro vorliegt, heißt, daß gestrichen ist, was bisher im Währungsgesetz, nämlich in Art. 3, enthalten ist,

(Zuruf von der F.D.P.: Wir sind doch jetzt beim Vertrag von Amsterdam!)

eben das Verbot von Preissteigerungsklauseln. Wenn sich die vorgesehene Regelung durchsetzt, bedeutet dies, daß es zukünftig automatische Preissteigerungen von Gebühren, Versicherungen, Leasingraten und dergleichen geben könnte. Wir haben als Sozialdemokraten gesagt: Wir wollen, daß eine Nachfolgeregelung, ein Indexierungsverbot, ein Verbot solcher Preissteigerungsklauseln in das neue Gesetz zur Einführung des Euro aufgenommen wird. Das ist eine verbrauchergerechte Einführung des Euro.

(Beifall bei der SPD)

Es ist interessant, daß Sie diese Fragen überhaupt noch nicht diskutiert haben. Ich werfe auch den Professoren vor, die da spät gemerkt haben, daß irgend etwas los ist: Mit ihren Diskussionen über die Verschiebung des Euro,

(Zuruf von der F.D.P.: Die Schröder immer wollte!)

die völlig unrealistisch sind, lenken sie davon ab, daß die eigentlichen Probleme der Menschen in diesen Fragen der praktischen Einführung des Euro liegen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Deshalb ändern Sie in diesem Bereich bitte das Gesetz. Sorgen Sie mit uns dafür, daß das Indexierungsverbot, das 50 Jahre Stabilität der deutschen Währung gesichert hat, in das Euro-Einführungsgesetz übernommen wird und daß damit sicher ist: Es wird keine Preissteigerungsklauseln und damit auch keine automatischen Preissteigerungen geben. Das Indexierungsverbot muß auch für den Euro gelten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das ist eine unserer wichtigen Forderungen: Ändern Sie das entsprechende Gesetz.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte ein Wort zur Frage der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik sagen. Wir begrüßen, daß es in diesem Bereich Fortschritte gegeben hat. Aber es ist auch klar, daß die Fortschritte kleine Schrittchen darstellen und daß vor allem erst einmal der politische Wille vorhanden sein muß, tatsächlich gemeinsame Außenpolitik zu betreiben. Das, was sich die Europäische Union in der Irak-Krise geleistet hat, war kein Ruhmesblatt; es war vielmehr ein Armutszeugnis.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Unterschiedliche Positionen einzelner EU-Mitgliedstaaten haben dazu geführt, daß es faktisch keine sichtbare Rolle der Europäischen Union in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik in der Irak-Krise gegeben hat. Vor allen Dingen wird es zukünftig wichtig sein - besonders was den Nahen Osten anlangt -, daß sich die Mitgliedsländer der EU

Heidemarie Wieczorek-Zeul
vor allem im Bereich der gemeinsamen Positionen verständigen, bevor Krisen entstehen. Solange es keine wirkliche Durchsetzung des Verbotes von Waffen- und Rüstungsexporten gibt, so lange wird in diesem Bereich immer wieder ein Konflikt den anderen jagen und solange werden die EU-Mitgliedstaaten nie eine gemeinsame Position in außenpolitischen Fragen beziehen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Finanzierung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik ist aus unserer Sicht richtig geordnet. Danach gehen Verwaltungskosten und operative Ausgaben zu Lasten des EU-Haushaltes; ausgenommen davon sind Ausgaben mit militärischen und verteidigungspolitischen Bezügen. Auch das ist aus unserer Sicht richtig.
Auf Drängen vor allem der neutralen Staaten wurden die Petersberg-Aufgaben der Westeuropäischen Union in den Vertrag aufgenommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist neu und der Versuch vor allem der neutralen Staaten, also Schweden, Finnland und Österreich, die Frage der NATO-Mitgliedschaft anders, nämlich durch eine europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu beantworten. Wir akzeptieren diese Regelungen. Aus unserer Sicht stellt das im Gegensatz zur Interpretation der Grünen keine Form der Militarisierung der Europäischen Union dar, sondern ist ein Schritt hin zu einer gemeinsamen politischen Union Europas, der zu einer gemeinsamen Verteidigungsidentität und auch zu einer gemeinsamen Verteidigungspolitik führen kann und soll.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Von besonderer Bedeutung für uns als Bundestag ist es, daß auch in Zukunft kein Mitgliedstaat gezwungen werden kann, sich an militärischen Aufgaben zu beteiligen, und daß Entscheidungen in diesem Bereich nach den jeweiligen verfassungsrechtlichen Bestimmungen erfolgen. Über den Einsatz der Bundeswehr entscheidet also auch nach dem Vertrag von Amsterdam der Deutsche Bundestag. Wir weisen auch darauf hin: Bei friedensschaffenden Maßnahmen ist nach wie vor ein UNO-Mandat notwendig. Ohne ein solches UNO-Mandat können keine friedensschaffenden Maßnahmen, die auf sonst irgendeine Weise beschlossen werden, durchgeführt werden.

(Beifall bei der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt aber noch einen tieferen Grund, warum wir als Sozialdemokratie den Vertrag von Amsterdam ratifizieren. In diesem Jahr - leider tut es der Deutsche Bundestag nicht so, wie ich es eigentlich erwartet hätte - erinnern wir an 150 Jahre Paulskirchenparlament in Frankfurt/ Main, an den ersten Versuch, ein nationales deutsches Parlament und die deutsche Einigung auf demokratischem Wege zu schaffen. Mit den Revolutionen von 1848 und 1849 hat sich eine politisch-soziale Bewegung europaweit geäußert und artikuliert. Es ging damals um Freiheit, Demokratie und Gerechtigkeit im nationalstaatlichen Zusammenhang. Das ist richtig.
Es gab aber durchaus auch Vorläufer - auch in einer solchen Debatte bleibt daran zu erinnern -, auf die sich die damaligen Demokratiekämpfer bezogen haben. Schon im 17. und 18. Jahrhundert hat es europäische Utopien gegeben: So Ende des 17. Jahrhunderts William Penn, der ein Projekt für einen ewigen Frieden in Europa propagiert hat, oder 1814/15 Henri de Saint-Simon, ein französischer Frühsozialist, der die „Wiederherstellung der europäischen Gesellschaft" verwirklichen wollte und für eine Gesamtregierung Europas sprach, die von den einzelnen nationalen Regierungen unabhängig sein sollte.
Victor Hugo, einer der leidenschaftlichsten frühen Europäer, hat als Präsident des Pariser Friedenskongresses 1848 ausgerufen:
Der Tag wird kommen, da ihr alle, Frankreich, Rußland, Italien, England, Deutschland, all ihr Nationen des Kontinents, ohne eure verschiedenartigen Eigenschaften ... zu verlieren, in einer höheren Einheit aufgehen und die europäische Bruderschaft
- so hat man es damals formuliert - begründen werdet.
Das Scheitern der Revolution von 1848, vor allem die Umstände ihres Scheiterns durch brutale Militäreinsätze, hatte für die weitere politische Entwicklung in Deutschland verheerende Folgen. Der Nationalstaat entstand nicht auf Grund einer Bewegung von unten, sondern als Ergebnis des Krieges gegen Frankreich in den Jahren 1870 und 1871. Er trug den Keim eines neuen Krieges und des Untergangs bereits in sich. Das Ausscheren Deutschlands aus der europäischen Entwicklung, der Beginn des sogenannten deutschen Sonderweges ebnete den Weg in die Katastrophen in diesem Jahrhundert.
Das ist der tiefere Grund, warum wir für den Vertrag von Amsterdam stimmen. Die freiwillige europäische Kooperation Deutschlands mit seinen europäischen Nachbarländern ist gut für unser Land und gut für unseren Kontinent. Sie ist gut für seinen Frieden und für seinen Wohlstand. Deshalb ratifizieren wir diesen Vertrag.

(Beifall bei der SPD Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Bei dieser Regierung in guten Händen!)

Die europäische Zusammenarbeit ist im übrigen die einzige Chance, um Globalisierung gestalten zu können und die fatalen Konsequenzen, die etwa der Altliberale Ralf Dahrendorf für unser nächstes Jahrhundert fürchtet, bannen zu können.

(Abg. Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Der Neoliberale!)

- Ich mache mir nicht alle seine Sorgen zu eigen, Herr Haussmann, die er folgendermaßen formuliert hat. Aber es gibt uns doch zu denken. Ralf Dahrendorf schreibt:
Es drängt sich der Schluß auf, daß die Entwicklungen zur Globalisierung und ihre sozialen Folgen eher autoritären als demokratischen Verfassungen Vorschub leisten. ... Ein Jahrhundert des

Heidemarie Wieczorek-Zeul
Autoritarismus ist keineswegs die unwahrscheinlichste Prognose für das 21. Jahrhundert.
Wie gesagt, ich teile diese Prognose nicht. Aber wir haben es in der Hand, zu verhindern, daß derartige düstere Prognosen Wirklichkeit werden.
1848 markiert den letztlich gescheiterten Versuch einer demokratischen Einigung Deutschlands im letzten Jahrhundert: mit schrecklichen Folgen für unser Land und unseren Kontinent. Am Ende dieses Jahrhunderts stehen wir vor der Frage, ob die demokratische Einigung Europas heute gelingt und ob es uns gelingt, unseren eigenständigen europäischen Weg des sozialen Rechtsstaats und der Demokratie zu sichern. Ob uns dieser Weg gelingt, wird maßgeblich darüber entscheiden, ob das nächste Jahrhundert von Demokratie und Frieden oder von autoritärer Entwicklung geprägt sein wird.
Wir wollen unseren Beitrag dazu leisten, daß die Lehren dieses und des letzten Jahrhunderts für das 21. Jahrhundert gezogen werden.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1322200500
Es spricht jetzt der Kollege Rudolf Seiters.

Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1322200600
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir treffen heute und in den nächsten Tagen drei Richtungsentscheidungen von großer und weitreichender Bedeutung.

(Zuruf von der SPD: Das haben wir doch schon am Sonntag gemacht!)

Mit der Ratifizierung des Vertrages von Amsterdam stärken wir die Europäische Union und schaffen wichtige Voraussetzungen für die Aufnahme neuer Mitglieder. Mit der Erweiterung der NATO parallel zur besonderen Partnerschaft mit Rußland erhöhen wir die Stabilität in Europa. Mit der Zustimmung zur dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion werden wir die globale Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union weiter verbessern.
Das alles sind Meilensteine der europäischen Einigung für die Stärkung von politischer, wirtschaftlicher und sozialer Stabilität in Europa, wozu die erfolgreiche Politik dieser Bundesregierung und insbesondere des Bundeskanzlers einen maßgeblichen Beitrag geleistet hat.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Manchmal hat man in der öffentlichen Diskussion den Eindruck, diese positive, ja geradezu säkulare Entwicklung sei von alleine gekommen oder fast selbstverständlich. Das war überhaupt nicht selbstverständlich. Die Außenpolitik war in den letzten Jahren in wichtigen und essentiellen Fragen sehr umstritten.
Es ist doch wahr: Wären wir in der Vergangenheit den Parteitagsbeschlüssen der Opposition gefolgt - nein zum NATO-Doppelbeschluß, nein zu den Friedenseinsätzen in Bosnien, gravierende Fehleinschätzung der friedlichen revolutionären Entwicklungen und Bewegungen gegen Diktatur und Kommunismus auf unserem Kontinent -, dann hätte die deutsche und die europäische Politik eine völlig andere, nämlich negative und falsche Wendung genommen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wenn wir heute erreicht haben, daß die Europäische Union weiter gestärkt, die Freundschaft mit Amerika vertieft, die Öffnung von NATO und Europäischer Union für unsere mittelosteuropäischen Partner vereinbart und die Partnerschaft mit Rußland gefestigt werden konnten, so daß wir heute in der längsten Friedensperiode der deutschen Geschichte leben, dann hat das eben auch mit der Stetigkeit, mit der Verläßlichkeit, mit der Berechenbarkeit der deutschen Außenpolitik, mit der Festigkeit in den Zielen und Grundsätzen und mit der Glaubwürdigkeit gegenüber unseren Partnern zu tun.

(Beifall bei der CDU/CSU Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Aller der Regierungen!)

- Ich wollte das an sich gar nicht sagen, aber wenn Sie sagen „Aller der Regierungen", dann stimme ich Ihnen darin zu, daß auch frühere Regierungen daran natürlich ihren Anteil haben. Aber, Frau Kollegin Fuchs: Es gab in der Beurteilung der Lage gravierende historische Irrtümer. So hat Herr Schröder noch 1989 die Wiedervereinigung für unmöglich erklärt und behauptet, es gebe diese Chance nicht. Herr Lafontaine hat die Möglichkeit, daß das wiedervereinigte Deutschland der NATO angehört, als historischen und politischen Schwachsinn bezeichnet,

(Michael Glos [CDU/CSU]: Sehr wahr! Sehr richtig!)

und Sie in der SPD haben noch in den letzten Jahren die Friedenseinsätze in Bosnien und die Beteiligung der Bundeswehr im Auftrag der UNO und der NATO als eine Militarisierung der deutschen Außenpolitik bezeichnet. Darauf wollen Sie nicht mehr angesprochen werden.

(Beifall bei der CDU/CSU Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Und Sie waren gegen die Ostverträge!)

- Machen Sie gern noch ein paar solcher Zwischenrufe. Es gibt da nämlich noch einiges aufzuarbeiten, wenn Sie das wünschen.
Wir haben in den letzten vier Jahren - wir können das jedenfalls ohne Übertreibung feststellen - den Ausbau einer stabilen gesamteuropäischen Friedens- und Freiheitsordnung deutlich vorangebracht. Das ist ein Erfolg allerersten Ranges für unsere deutsche Politik.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Wenn wir in diesen schwierigen Zeiten umfassender globaler Veränderungen den Prozeß der europäischen Einigung im Interesse von Frieden, Stabilität und Sicherheit auf unserem Kontinent weiter voran-

Rudolf Seiters
bringen und gleichzeitig Deutschlands Interessen wahrnehmen wollen - beides gehört zusammen: die europäische Intergration voranbringen und gleichzeitig Deutschlands Interessen wahrnehmen -, dann brauchen wir auch in den nächsten Jahren eine Politik, die von diesen Merkmalen der Grundsatztreue, der Verläßlichkeit, der Stetigkeit und der Weitsicht gekennzeichnet ist. Dazu gibt es keine vernünftige Alternative, bestimmt keine rotgrüne; denn die Vorstellung, man könne mit dem Namen Gerhard Schröder Stetigkeit und Grundsatztreue verbinden, ist ziemlich abenteuerlich.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es hätte mich ja erstaunt, wenn Sie das anders gesehen hätten!)

Zum Vertrag von Amsterdam. Alle Staats- und Regierungschefs waren sich einig, daß die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in Europa die derzeit dringendste Aufgabe ist. Allerdings waren sich die Staats- und Regierungschefs völlig zu Recht auch darüber einig, daß die Weichen für mehr Beschäftigung zuerst auf der nationalen Ebene gestellt werden müssen.
Der Weg zu mehr Arbeitsplätzen führt aber vorrangig über Strukturreformen, über die Senkung von Steuern und Abgaben auf den Faktor Arbeit, über mehr Produktinnovationen und Flexibilität auf den Arbeitsmärkten und attraktive Anreize für zusätzliche Investitionen. Auch deshalb bleibt es eben - ich will das nur in einem Satz sagen - so kritikwürdig, daß die Steuerreform zum Schaden für unser Land abgeblockt worden ist.

(Widerspruch bei der SPD Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Natürlich! Ein Witz!)

Es ist auch bedauerlich, daß wichtige Produkte der Hochtechnologie auf ihrem Weg in die Exportmärkte, wie zum Beispiel der Transrapid, weiterhin von der SPD und den Grünen bekämpft werden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Wenn wir bei diesem Stichwort schon über die Frage der Glaubwürdigkeit sprechen, dann will ich von einem persönlichen Erlebnis berichten.

(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Dann müssen Sie mal über die Radwege im Emsland reden!)

Der Ministerpräsident von Niedersachsen, der über Innovationsoffensiven, von der Hochtechnologie und vom Exportmarkt spricht, hat sieben Jahre lang den Transrapid nicht besucht,

(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Nein, das ist ja unglaublich!)

hier dagegen gestimmt und ist dann vor sechs Monaten vor Ort gewesen, ist mit der Magnetbahn gefahren, hat sich vor die Presse gestellt und gesagt: Das ist ein tolles Ding, das wird ein Exportschlager! - Wenn es nach ihm gegangen wäre, dann würde es
keinen Exportschlager geben. Deswegen sage ich: Glaubwürdigkeit, Stetigkeit und Berechenbarkeit sind von großer Bedeutung.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

In der Innen- und Rechtspolitik wurden in Amsterdam die Instrumente zur Bekämpfung des internationalen Verbrechens, der Drogenkriminalität und des Terrorismus deutlich verbessert. Die Kompetenzen von Europol, eine deutsch-französische Initiative, wurden gestärkt. Die Zusammenarbeit der Schengen-Staaten wurde in den institutionellen Rahmen der Europäischen Union überführt.
Amsterdam hat auch die Vergemeinschaftung der Asyl-, Visa- und Einwanderungspolitik vollzogen, allerdings noch unter dem Vorzeichen der Einstimmigkeit.

(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ja! Ja!)

Dazu will ich ganz klar sagen: Wenn die Bundesregierung in diesem Bereich an der Einstimmigkeit festgehalten hat, dann lag dies im deutschen nationalen Interesse. Wir können nicht zulassen, daß wesentliche Teile des 1993 unter schwierigsten Bedingungen vereinbarten Asylkompromisses auf europäischer Ebene durch eine mit Mehrheitsentscheidung getroffene Regelung zur Disposition gestellt worden wären.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir sind nun einmal in einer besonderen Situation. Wir haben eine Zuwanderung, wie sie kein anderes europäisches Land auch nur ansatzweise kennt. Deswegen ist die Frage der Zuwanderung im Hinblick auf den inneren Frieden in unserem Land für die Zukunft ganz wichtig.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Jörg van Essen [F.D.P.])

Sie beklagen europäische Regelungen und halten große Reden hinsichtlich europäischer Standards. Dann sollten Sie aber beim großen Lauschangriff die europäischen Standards in Deutschland akzeptieren.

(Lachen bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

- Ja, natürlich. Ich kann mich an europäische Innenministerkonferenzen erinnern, auf denen wir völlig allein standen und auf denen keiner unserer Partner Verständnis dafür hatte, daß wir akustische und optische Mittel zur Bekämpfung von Schwerstkriminalität nicht einsetzen, obwohl das in Luxemburg, in Dänemark, in Frankreich, in England und Italien gang und gäbe ist. Warum wenden Sie sich gegen europäische Standards auf diesem Felde der Kriminalitätsbekämpfung?

(Beifall bei der CDU/CSU)

Unsere Politik auf dem Felde der Innen- und Rechtspolitik, national wie europäisch, ist in Fragen von Asyl, Zuwanderung und Bekämpfung von Kriminalität eine Politik gleichermaßen für den Rechtsstaat

Rudolf Seiters
wie für die Sicherheit und den inneren Frieden in unserem Lande.
Ein Wort zur Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. Wie wichtig es ist, die außenpolitische Handlungsfähigkeit der Europäischen Union zu stärken, hat sich in der Irak-Krise wieder einmal gezeigt.

(Lachen bei der SPD)

- Ich finde nicht, daß es bei dieser Frage etwas zu lachen gibt. - Wir sind die Vorreiter auf diesem Felde. Sie werden dem Bundeskanzler und der Bundesregierung wirklich nicht vorwerfen können, daß wir auf diesem Gebiete nicht alles tun. Deswegen sage ich - vielleicht sind wir uns in diesem Punkt ja einig -: Wenn Europa außenpolitisch ernst genommen werden will, dann muß es insbesondere bei Krisen und Konflikten frühzeitig zu einer gemeinsamen Position kommen.

(Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Gemeinsam!)

- Ja, natürlich. - Deshalb ist die neugeschaffene Strategie- und Frühwarneinheit so wichtig. Sie hat das Ziel, möglichst frühzeitig Handlungsoptionen mit einer klaren Politikfolgenabschätzung vorzulegen, damit auch in schwierigen Fragen der Europäischen Außen- und Sicherheitspolitik die Gemeinsamkeit gewahrt und die Fähigkeit der Europäischen Union für die Bewältigung von Krisen gewährleistet werden kann.
Dem Generalsekretär der GASP kommt hier eine besondere Aufgabe zu. Auch andere Generalsekretäre internationaler Organisationen wie Solana oder Wörner bei der NATO oder Generalsekretär Annan bei der UNO sind Beispiele dafür, daß es - trotz unterschiedlicher Interessen der Mitgliedstaaten - möglich ist, mit Überzeugungskraft und politischer Autorität auch in schwierigen Fragen eine Gemeinsamkeit herzustellen, die zur Problemlösung beiträgt. Genau das wollen wir.

(Beifall bei der CDU/CSU Zuruf von der SPD)

Auf Grund des Zwischenrufes, der gerade gemacht worden ist, möchte ich Sie daran erinnern, daß Ihr angeblicher oder gewünschter Koalitionspartner eine Position einnimmt, die völlig inakzeptabel ist. Zu diesem Schluß komme ich, wenn ich mir die Stellungnahmen der Grünen zu diesen Fragen durchlese. Wenn ich mir anschaue, was wir in Amsterdam hinsichtlich dieser Aufgabenstellung, inklusive der durch die Petersberger Beschlüsse festgelegten Aufgaben, erreicht haben, dann kann ich nur sagen: Mit einer Militarisierung der Europäischen Union oder mit einer Militärmacht Europäische Union hat das überhaupt nichts zu tun.
Der Vertrag von Amsterdam hat uns in wichtigen Fragen vorangebracht. Wir wissen aber auch, daß weitere Reformen notwendig sind. Dabei kann es nicht nur um institutionelle Fragen gehen, etwa die künftige Gewichtung der Stimmen im Ministerrat oder die Begrenzung der Anzahl der Kommissare. Wir müssen uns auch aktiv in die Diskussion über die Agenda 2000 und über die in ihr enthaltenen Vorschläge der EU-Kommission für eine Reform der gemeinsamen Agrar- und Strukturpolitik der Europäischen Union einschalten.

(Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Da fehlt's noch!)

- Ich sage ja: Wir müssen uns in diese Diskussion aktiv einschalten.
Wir wollen die Osterweiterung. Wir wissen, daß die Osterweiterung Anforderungen an uns stellt, zum Beispiel im Hinblick auf die Zukunft der gemeinsamen Agrarpolitik, weil uns Mitgliedstaaten zuwachsen werden, in denen die Landwirtschaft eine noch viel größere Bedeutung hat als in den heutigen Mitgliedstaaten. Es ist völlig klar, daß die jetzige EUAgrar- und -Strukturpolitik vor diesem Hintergrund nicht unverändert auf die neuen Beitrittsländer übertragen werden kann. Deshalb sind bei der bevorstehenden Osterweiterung ausreichend lange Übergangsfristen im Bereich der Agrarpolitik erforderlich. In dieser Zeit müssen wir die gemeinsame europäische Agrarpolitik so fortentwickeln, daß unter Wahrung der bewährten Elemente der Agrarreform in Deutschland gesunde ländliche Strukturen erhalten bleiben,

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

daß die bäuerliche Bevölkerung ein angemessenes Erwerbseinkommen erzielen kann,

(Michael Glos [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

daß die Verbraucher zu vernünftigen Preisen mit hochwertigen Lebensmitteln versorgt werden und wir gleichzeitig den Erfordernissen eines sich liberalisierenden Welthandels Rechnung tragen.
Ähnliches gilt für die Strukturpolitik. Die deutsche Kommissarin wird am 18. März die konkretisierten Vorschläge zur Reform der Strukturförderung der Öffentlichkeit vorlegen. Auch hier müssen und werden wir uns einmischen. Eine grundlegende Reform der Strukturförderung - darüber sind wir uns einig - ist notwendig. Wir müssen eine Konzentration der Mittel auf die am meisten benachteiligten Regionen in Europa anstreben. Aber die Reformvorstellungen und -vorschläge müssen auch zu einer Stärkung der Eigenverantwortung der Mitgliedstaaten und ihrer Regionen für ihre eigene Entwicklung führen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich unterstütze deshalb nachdrücklich die Forderung aus einzelnen Bundesländern,

(Michael Glos [CDU/CSU]: Insbesondere aus Bayern!)

daß nicht allein in Brüssel festgelegt wird, welche Regionen gefördert werden dürfen und welche nicht. Es muß auch künftig Freiräume für nationale Strukturförderung geben. Dies ist entsprechend dem Grundsatz der Subsidiarität zwingend geboten und notwendig.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das führt mich zur der grundsätzlichen Bemerkung: Eher früher als später werden wir auch an die Frage einer klareren Kompetenzabgrenzung, also an

Rudolf Setters
die Regelung der Frage „Wer entscheidet was?", herangehen müssen. Es täte der EU gut, wenn sie sich auf diejenigen Teilbereiche beschränken würde, bei denen europaweite Regelungen absolut erforderlich und notwendig sind. Eine Beschränkung auf die wirklich notwendigen Gemeinschaftsinitiativen würde zum Zusammenwachsen Europas einen größeren Beitrag leisten als manche bürokratische Überreglementierung, die nur zu finanziellen Lasten führt und Enttäuschungen programmiert. Auch deswegen ist die Forderung nach einer klareren Kompetenzabgrenzung von allergrößter Bedeutung.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Der frühere französische Ministerpräsident Rocard hat einmal die Frage gestellt, ob das vereinte Deutschland Europa noch brauche. Eine solche Fragestellung übersieht die nationalen deutschen Erfahrungen und die daraus gelernte Lektion. Als Land in der Mitte unseres Kontinents mit den meisten Nachbarn und mit seinen spezifischen historischen Erfahrungen darf Deutschland seinen Weg nie wieder alleine gehen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Rudolf Scharping [SPD])

Wir haben die außenpolitischen Koordinaten auch nach der Wiedervereinigung nicht geändert. Wir haben alle Zusagen eingehalten, daß das wiedervereinte Deutschland mit seiner neuen Größe verantwortungsbewußt, partnerschaftlich und europäisch umgeht. Das muß auch für die Zukunft gelten. Deswegen sage ich noch einmal: Wir brauchen in diesen schwierigen Zeiten umfassender globaler Veränderungen mit Sicherheit auch weiterhin eine Politik, die durch Verläßlichkeit und Stetigkeit gekennzeichnet ist und der unsere Partner vertrauen. Deswegen brauchen wir auch weiterhin diese Bundesregierung.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Das ist nun falsch!)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1322200700
Wir setzen die Debatte mit dem Kollegen Christian Sterzing fort.

Christian Sterzing (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1322200800
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es wurde bereits darauf hingewiesen: Wir stehen in diesen Wochen vor wichtigen Weichenstellungen in Europa. Aus den intensiven Beratungen in diesen Wochen wird, glaube ich, für jeden deutlich, daß die Einbindung Deutschlands in ein vereinigtes Europa trotz aller kontroversen Diskussionen für alle Parteien in diesem Hause außer Frage steht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Dann stimmen Sie bitte zu!)

Auch für uns ist die Selbsteinbindung Deutschlands in die Europäische Union ein unverzichtbarer Bestandteil bündnisgrüner Außenpolitik. Aber dieser Grundkonsens schließt nicht aus, daß es über einzelne Integrationsschritte, daß es über Strukturen
und Zielsetzungen des europäischen Einigungsprozesses auch unterschiedliche Vorstellungen gibt.
Das zeigt sich gerade am Beispiel des Amsterdamer Vertrags. Dieses Vertragswerk enthält aus unserer Sicht in sehr vielen Punkten völlig unzureichende Regelungen, und es stellt in wesentlichen Politikbereichen die Weichen falsch. Die notwendigen und, wie ich meine, auch die möglichen Fortschritte für die Weiterentwicklung der Europäischen Union zu einer Politischen Union und für die Erweiterung dieser Union um die mittel- und osteuropäischen Staaten sind in Amsterdam ausgeblieben. Noch immer fehlt eine durchgängige demokratische Struktur, noch immer fehlt ein bürgerrechtliches Fundament in allen Politikbereichen, und noch immer fehlen verbindliche Grundlagen für eine ökologische und soziale Politik auf europäischer Ebene.
Zu einer fairen und differenzierten Beurteilung dieses komplexen und sicherlich auch widersprüchlichen Vertragswerks gehört es natürlich auch, die in einigen Teilbereichen erreichten Fortschritte anzuerkennen, zum Beispiel in der Gleichstellungspolitik von Frauen und Männern. Daneben gibt es in der Antidiskriminierungspolitik neue Ansätze, wenn auch unverbindlich. Bei der Vergemeinschaftung in der Innen- und Justizpolitik gibt es zaghafte Fortschritte; ein Datenschutzartikel wurde eingefügt, aber auch er ist unzureichend. In der Außen- und Sicherheitspolitik - darauf wurde schon deutlich hingewiesen - sind ebenso Fortschritte zu erkennen, obwohl die neuen Instrumente und Entscheidungsmechanismen sicherlich sehr kompliziert sind und es noch des Beweises bedarf, ob sie tatsächlich die außenpolitische Handlungsfähigkeit der Europäischen Union erhöhen.
Es ist nicht nur die Enttäuschung über die nicht ausreichenden Fortschritte, die unser Abstimmungsverhalten bestimmen. In einigen wesentlichen Politikbereichen wurden die Weichen auch in die falsche Richtung gestellt. Das gilt für die polizeiliche und justitielle Zusammenarbeit; denn statt grundrechtlicher Garantien wurde hier die polizeiliche Zusammenarbeit einseitig gestärkt und auf eine wirksame parlamentarische und gerichtliche Kontrolle verzichtet. Das gilt auch für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik; denn die Tür zu einer Militärmacht Europa wurde in Amsterdam tatsächlich weiter aufgestoßen. Das gilt ebenso für das Demokratiedefizit; denn das Europäische Parlament hat zwar mehr Kompetenzen erhalten, doch summa summarum hat es wieder den Kürzeren gezogen. Der schleichenden Entdemokratisierung ist durch den Vertrag von Amsterdam kein Ende bereitet worden.

(Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Ach Gott! Die anderen 14 Staaten sind undemokratisch!)

Nun versucht die Bundesregierung den Eindruck zu erwecken, als sei nach diesen jahrelangen Verhandlungen mit ihrem Verhandlungspoker alles herausgeholt worden, was herauszuholen war; das Ergebnis sei nun ohne Alternative, auch eine andere Regierung hätte nicht mehr erreichen können. Das ist aber schlichtweg falsch. Sie, Herr Außenminister,

Christian Sterzing
und Sie, Herr Bundeskanzler, sind dem Anspruch, der europapolitische Motor in dieser Union zu sein, nicht gerecht geworden.
Natürlich wissen auch wir, daß ein solches Vertragswerk in einem sehr komplizierten Verhandlungsprozeß mit vielen Beteiligten zustande kommt, aber nationale Regierungen haben natürlich ihren Einfluß, und Sie haben sich dessen ausführlich gerühmt. Aber haben Sie diesen Einfluß immer richtig genutzt?
Sie haben weitergehende Vorschläge in Sachen Beschäftigungspolitik blockiert. Sie haben im Bereich der Einwanderungs- und Asylpolitik eine weitere demokratische Vergemeinschaftung verhindert. Sie haben sich zum Beispiel einer extensiven Ausgestaltung von bestimmten Grundrechten wie dem Informations- und Akteneinsichtsrecht in den Weg gestellt. Auch der dringend notwendigen Ausweitung von Mehrheitsentscheidungen im Rat - Voraussetzung für eine Ausweitung der Mitbestimmungsrechte des Parlaments - haben Sie einen Riegel vorgeschoben.
Statt dessen haben Sie auf den Ausbau von Europol gesetzt und damit die rechtlichen Grauzonen dieses Vertrages vergrößert. Sie haben sich für die Schaffung eines militärischen Potentials mächtig ins Zeug gelegt. Sie haben die Öffnung für ein „Kerneuropa" betrieben und damit auch den Keim für eine gespaltene Integrationsentwicklung gelegt.
Insofern trägt diese Bundesregierung für das schlechte Ergebnis von Amsterdam einen großen Teil der Verantwortung. Daß das Verhandlungsergebnis so schlecht ausgefallen ist, liegt nicht an einem quasi naturwüchsigen Verhandlungsprozeß, liegt auch nicht an vermeintlichen Zwängen eines multilateralen Verhandlungsprozesses und auch nicht etwa an der schlechten Vorbereitung der Verhandlungen im Auswärtigen Amt. Das liegt vielmehr an den falschen Zielvorstellungen der Bundesregierung, und das liegt an einer falschen Verhandlungsstrategie dieser Bundesregierung, die nämlich falsche Schwerpunkte gesetzt und nicht die richtigen Impulse gegeben hat.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wer also wie wir den Verhandlungsprozeß aufmerksam verfolgt und konstruktiv mit Vorschlägen begleitet hat, der weiß, es gab durchaus alternative Handlungsmöglichkeiten. Die Analyse des Verhandlungsprozesses zeigt: Im Grunde hat die Bundesregierung durchaus „erfolgreich" verhandelt, hier wurde durchaus engagiert und professionell im allgemeinen Verhandlungspoker mitgemischt. Aber die Energien wurden in ein falsches Reformprojekt gesteckt. Die Zielvorgaben der Bundesregierung waren nicht die richtigen. Die Analyse des Verhandlungsprozesses macht uns aber auch Mut: Sie zeigt nämlich, daß es durchaus Perspektiven, daß es Gestaltungsspielräume auf europäischer Ebene gibt, daß hier ein Auswärtiges Amt mit vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern durchaus mit Engagement und Professionalität auch andere Zielvorgaben durchsetzen kann.
Lassen Sie mich noch ein paar Worte zu den Grundlagen der Europapolitik und der Auseinandersetzung darüber sagen. Die erste Bemerkung: „ Pacta sunt servanda". Wir bekennen uns ausdrücklich zu diesem völkerrechtlichen Grundsatz. Aber das bedeutet doch kein Kritikverbot, und das bedeutet erst recht kein Zustimmungsgebot für die Opposition im Ratifikationsprozeß. Es ist doch gerade Aufgabe der Opposition, die nicht erfüllten Versprechungen einer Regierung und ihre Versäumnisse bei internationalen Verhandlungen aufzudecken und zu kritisieren. Ihre Europapolitik ist wirklich nicht ohne Alternative. Das haben wir in den vergangenen Jahren deutlich gemacht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)

Die zweite Bemerkung: Die Zeiten, in denen man Europapolitik nur „von oben" machen konnte, sind vorbei. Das wachsende Akzeptanzproblem der Europäischen Union ist wirklich kein bloßes Informations- oder Vermittlungsproblem, das sich mit Hochglanzbroschüren und mit europapolitischen Sonntagsreden beseitigen ließe. Wir brauchen wirklich einen breiten gesellschaftlichen Diskurs über Ziele und Perspektiven der Europäischen Union. Wenn Sie aber jegliche Kritik an Ihrem europapolitischen Kurs tabuisieren und wenn Sie Kritiker dieses Kurses als „antieuropäisch" diffamieren, dann erweisen Sie einer solchen notwendigen Diskussion wirklich keinen guten Dienst. Sie stärken damit nur antieuropäische Ressentiments in Deutschland.
Der dritte Punkt, den ich erwähnen will: Versuchen Sie nicht, den Eindruck zu erwecken, als ob die Opposition mit ihren Vorstellungen und Vorschlägen für ein soziales und ökologisches, ziviles und demokratisches Europa isoliert in Europa dastehe. Ein Blick auf den Verhandlungsprozeß beweist das genaue Gegenteil: Wir können diesen Verhandlungen entnehmen, daß es für unsere Reformvorstellungen in anderen Mitgliedsländern der Europäischen Union durchaus Bündnispartner gibt und daß viele unserer Vorschläge auch auf dem Verhandlungstisch in Amsterdam lagen, aber von Ihnen blockiert wurden.
Dem europäischen Integrationsprozeß wäre sicherlich am besten geholfen, wenn man die europapolitischen Reformen anpacken würde, die uns allen unter den Nägeln brennen, wenn also eine Agrarreform statt einer unsäglichen Nettozahlerdiskussion auf der Tagesordnung stünde, wenn die Möglichkeiten einer europäischen Beschäftigungspolitik genutzt würden, statt fast rituell steigende Arbeitslosenzahlen zu beklagen. Schließlich: Was nützt das Lamentieren über die begrenzten Möglichkeiten einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, wenn Sie sich schon heute dafür hätten einsetzen können, daß zum Beispiel für eine gemeinsame europäische Haltung gegenüber dem Irak gerungen wird? Was das Beispiel Nigeria anlangt, könnten Sie sich dafür einsetzen, daß schon vereinbarte gemeinsame Standpunkte im Rahmen der deutschen Außenpolitik auch tatsächlich umgesetzt werden.
Meine Damen und Herren, dieser Vertrag treibt die Integration nicht entschieden genug voran. Er

Christian Sterzing
enthält Regelungen, die den weiteren Integrationsprozeß gefährden. Deshalb lehnen wir diesen Vertrag politisch ab, und deshalb enthalten wir uns.

(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: So sieht die Zukunft mit Ihnen aus! Weitere Zurufe von der CDU/CSU und der F.D.P.)

Damit wollen wir deutlich machen, daß unsere politische Ablehnung - Ihre Reaktion zeigt es sehr deutlich -

(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Unfähig!)

keineswegs eine Absage an die europäische Einbindung und an den europäischen Integrationsprozeß bedeutet. Wir wollen mit diesem Abstimmungsverhalten vielmehr deutlich machen,

(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Daß Sie unfähig sind!)

daß die unzureichenden Ergebnisse der Regierungskonferenz nicht zuletzt auf die Blockadepolitik und die falschen politischen Zielsetzungen dieser Bundesregierung zurückzuführen sind.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir wollen damit zeigen, daß es zur Europapolitik dieser Bundesregierung durchaus realitätstaugliche Alternativen gibt.

(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Sie haben den Faden verloren! Gegenruf des Abg. Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Besser den Faden verlieren als die Wahl!)

Das nahende Ende der Ära Kohl bedeutet nicht etwa das Ende einer integrationsfreundlichen Europapolitik in Deutschland, im Gegenteil: Eine andere Regierung wird neue Impulse für die Vertiefung und Erweiterung der Europäischen Union setzen;

(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Mit Enthaltung! Das müssen Sie einmal erklären!)

eine andere, eine neue Regierung in Deutschland würde insofern neue Chancen und neue Perspektiven für Europa eröffnen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Zuwanderung!)

Zur europäischen Integration, zu Europa gibt es keine Alternative - darin sind wir uns alle einig -, aber zu einem Integrationskurs Kohlscher und Kinkelscher Prägung gibt es wahrlich realitätstaugliche Alternativen.
Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90 DIE GRÜNEN sowie des Abg. Manfred Müller [Berlin] [PDS])


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1322200900
Das Wort hat der Kollege Dr. Helmut Haussmann.

Prof. Dr. Helmut Haussmann (FDP):
Rede ID: ID1322201000
Verehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wer
sich über Machtansprüche der Vereinigten Staaten von Amerika beschwert, wer über Währungs- und Wirtschaftskrisen in Asien klagt, wer gegenüber der künftigen Rolle Chinas skeptisch ist, der muß zunächst einmal in Europa dafür sorgen, daß der alte Kontinent im nächsten Jahrhundert zu einer globalen Partnerschaft mit anderen Regionen fähig wird.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Deshalb ist das Ergebnis des heutigen Vormittages klar: Zwischen Rotgrün gibt es keine gemeinsame internationale Außen- und Europapolitik, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der F.D.P. Zuruf des Abg. Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])

- Es ist ja interessant Herr Fischer: Sie sind auf diesem Gebiet eine absolute Windmaschine. Sie sind nicht in der Lage, Ihre Fraktion zu einem klaren Ja zu einem international wichtigen Vertrag zu führen.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Sie beteiligen sich nicht an einer wichtigen Verfassungsmehrheit für einen Vertrag, der drei wichtige Dinge beinhaltet. Erstens. Er ist ein Fortschritt auf dem Weg der Integration. Zweitens. Er ergänzt den Maastricht-I-Vertrag durch den Stabilitätspakt. Amsterdam ist die Voraussetzung für den Maastricht-Vertrag und damit für den Beginn der Europäischen Währungsunion. Herr Fischer, man kann nicht sagen „Wir sind für den Euro" , wie Sie das tun, aber dann den Vertrag von Amsterdam ablehnen oder ihm nicht zustimmen. Das geht einfach nicht.

(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Aber zwischen Ablehnen und Nicht-Zustimmen gibt es noch einen Unterschied!)

Drittens, Herr Fischer: Der Vertrag ist die Voraussetzung für die Erweiterung der EU. Es macht keinen Sinn, wenn Sie sagen, die Reformstaaten in Osteuropa sind uns herzlich willkommen, aber der Voraussetzung im Deutschen Bundestag nicht zustimmen. Das ist verantwortungslose Politik.
Ich kann nur sagen: Die Europapolitik ist bei dieser Bundesregierung in allerbesten Händen und wird es auch bleiben.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Lachen und Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte an dieser Stelle dem Bundeskanzler, dem Außenminister, Herrn Kinkel, und insbesondere meinem Kollegen Herrn Staatsminister Hoyer ganz herzlich danken.

(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Theo Waigel nicht vergessen! Weitere Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Waigel! Waigel!)


Dr. Helmut Haussmann
Er hat einen ausgezeichneten Job gemacht, meine Damen und Herren. Er hat uns voll beteiligt - das steht außer Frage -, auch in den Ausschüssen.

(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Waigel nicht vergessen!)

Damit hat die Bundesregierung einen wesentlichen Beitrag geleistet. Damit ist der Vorwurf der Wirtschaftsprofessoren unberechtigt und die Forderung des Bundesverfassungsgerichts erfüllt. Vor Eintritt in die Währungsunion haben wir einen weiteren Fortschritt im Prozeß zur politischen Union gemacht.
Zusätzlich - und da kann ich Herrn Waigel nur beglückwünschen - erfüllen wir eindeutig die Kriterien für die Europäische Währungsunion - trotz der Euroskeptiker, trotz der Verschieber, trotz der Nörgler, trotz der Professoren. Dieses war unnötig, hat die Leute verunsichert.
Es ist vielleicht interessant, Ihnen mal kurz den Zickzackkurs von Herrn Schröder zum Euro aufzuzeigen: Im Oktober 1995: Schröder ist für Verschiebung. November 1995: Schröder wartet auf die Weichwährungsländer. Dezember 1995: Schröder spricht von „Monopoly-Geld" . 1996, im Wahlkampf von Baden-Württemberg: Spöri und Schröder setzen sich für eine fünfjährige Verschiebung der Europäischen Währungsunion ein. Und ebenfalls aus dem vorletzten Jahr darf ich „Die Zeit" vom 22. November zitieren - Schröder in einem Vortrag vor der Deutschen Industrie- und Handelskammer in London auf die Frage:
Kommt 1999 die Europäische Währungsunion? Die Antwort von Gerhard Schröder ließ an Kürze wie Klarheit nichts zu wünschen übrig. „Nein!" ... Die britischen Zuhörer staunten. Da bediente sich ein führender deutscher Sozialdemokrat, dessen Ambitionen nicht in Hannover enden,

(Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Sehr gut!)

exakt jener Argumente, die auf der Insel immer häufiger zu vernehmen sind! ... Vielsagend verwies Schröder auf den Erfolg der Haider-Partei in Österreich.
Das ist die Position Ihres Kanzlerkandidaten zu einer ganz entscheidenden Frage.

(Zurufe von der SPD)

- Meine Damen und Herren, wenn Sie noch mehr zu Schröder hören wollen, setze ich das gern fort.

(Joachim Hörster [CDU/CSU]: Ja, weiter!)

Die „Times" hat nach der Niedersachsen-Wahl geschrieben: „Natürlich ist er kein Tony Blair." Und „La Stampa" in Turin sieht Schröder als „Euro-Nörgler", nennt ihn wörtlich „skrupellos und verführerisch". Das führende „Stockholms Dagblatt" schreibt wörtlich - ich zitiere -: „Keiner weiß, welche Politik Schröder eigentlich machen will. " - Er ist natürlich bereit, aber er ist auch zu allem fähig. Das ist die Gefahr, die von Herrn Schröder ausgeht.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, der Vertrag von Maastricht hat wesentliche Fortschritte gebracht - Frau
Wieczorek hat zu Recht darauf hingewiesen -: Das Europäische Parlament ist der eigentliche Gewinner von Amsterdam, weil es deutlich mehr Mitspracherechte erhält. Der Beginn der Vergemeinschaftung der Innen- und Rechtspolitik im Zeichen des Binnenmarktes ist wichtig und zu begrüßen. In der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik wird die Sichtbarkeit gegenüber Dritten gestärkt. Die jetzt beginnende Integration der WEU in die Europäische Union gibt der Europäischen Union langfristig die sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit, die sie benötigt. Wer dies - wie die Grünen - als Militarisierung der Europäischen Union diffamiert, hat das neue Zeitalter der globalen Zusammenarbeit nicht begriffen. Es geht eben nicht um militärische Eroberungszüge, Herr Fischer, sondern um Zusammenarbeit in einem geänderten sicherheitspolitischen Umfeld. Die Beispiele Jugoslawien und Irak zeigen deutlich, daß glaubwürdige - auch militärische - Abschreckung unverzichtbar bleibt, ganz abgesehen davon, daß unsere Partner mit Recht erwarten, daß wir Europäer im nächsten Jahrhundert in der Lage sind, Krisen in eigener Regie zu beenden.
Ein letzter Punkt: Der Vertrag von Amsterdam ebnet den Weg zur Erweiterung. Der Erweiterungsprozeß beginnt pünktlich am 30. März. Wer diesem Vertrag heute nicht zustimmt - wie die Grünen -, ist faktisch auch gegen die Osterweiterung. Das muß auch unseren osteuropäischen Partnern deutlich erklärt werden -

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

ein ganz negatives Signal für die jungen Reformbewegungen in Osteuropa.
Die F.D.P. hat durch ihre frühere Ostpolitik, auch gegen den Widerstand mancher Unionskollegen,

(Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]: Aha!)

den Weg geebnet für die Beendigung der Teilung unseres Kontinentes. Wir Liberale unterstützen mit allen Kräften eine möglichst schnelle Aufnahme der mittel- und osteuropäischen Staaten in die europäische Gemeinschaft der Freiheit, des Friedens, aber auch des wirtschaftlichen Fortschritts. Die F.D.P. fordert, daß dieser Erweiterungsprozeß offen gestaltet wird, wie Sie, Herr Kinkel, es durchgesetzt haben. Es muß die Möglichkeit geben, daß Reformstaaten, die ihre innere Reform schneller bewältigen, aufholen können. Damit sollte auch einer dauerhaften Differenzierung der baltischen Staaten begegnet werden.
Ich fordere aber auch mehr Reformbereitschaft im Inneren. Ohne eine Reform der Agrar-, Struktur- und Ausgabenpolitik wird die Erweiterung nicht zu schaffen sein. Wir müssen wegkommen von einer rückwärtsgerichteten Subventionspolitik. Und wû müssen auf europäischer Ebene mehr tun für Forschung, Entwicklung und lebenslange Qualifikation der Arbeitnehmer.

(Beifall bei der F.D.P.)

Fazit: Die liberale Fraktion hält den Amsterdamei Vertrag für einen wichtigen, in der Öffentlichkeit unterschätzten Schritt zu mehr europäischer Einigung im Zeichen globaler Herausforderungen. Wir stim-

Dr. Helmut Haussmann
men dem Vertrag zu, und wir wissen, daß die Europapolitik bei dieser Bundesregierung in allerbesten Händen ist.
Danke schön.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1322201100
Es spricht jetzt Kollege Dr. Gregor Gysi.

Andrea Lederer (PDS):
Rede ID: ID1322201200
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es gibt zweifellos keine Partei in diesem Hause, die nicht die europäische Integration Deutschlands als Antwort auf die deutsche Einheit begrüßen würde und einen solchen Prozeß voranbringen wollte. Das ist tatsächlich nicht nur europapolitisch, sondern auch weltpolitisch von großer Bedeutung. Auch die PDS hat sich niemals gegen die europäische Integration gestellt. Ganz im Gegenteil: 1989/90 war das eine der von uns genannten Bedingungen im Zusammenhang mit der Herstellung der deutschen Einheit.

(Beifall bei der PDS Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Sie waren doch schon in den 60er Jahren dafür!)

- Das ist richtig.
Zweitens muß man feststellen, daß der Vertrag von Amsterdam im Vergleich zu dem Zustand nach Maastricht in bestimmten Punkten durchaus Fortschritte bringt, zum Beispiel was die Rechte des Europäischen Parlaments betrifft, aber auch was bestimmte soziale oder umweltpolitische Fragen betrifft. Er offenbart jedoch auch eine Vielzahl von Defiziten.
Daß hier vom Außenminister mit besonderem Stolz auf Europol hingewiesen wurde, macht unter anderem die Schieflage dieses Vertrages deutlich: Bei der Polizei ist man deutlich vorangekommen; bei der Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit und bei der Herstellung der sozialen Standards nicht. Schon das erfordert unser Nein zur Ratifizierung dieses Vertrages.

(Beifall bei der PDS)

Ein weiterer großer Mangel besteht darin, daß der Bundeskanzler hier 1992 etwas versprochen hat, was nicht gehalten wurde und was von vielen inzwischen leider auch vergessen worden ist. Er hat damals gesagt, daß es eine Wirtschafts- und Währungsunion im Rahmen der Europäischen Union nicht geben wird, wenn nicht zeitgleich eine politische Union hergestellt wird. Denn man kann keine gemeinsame Währungs- und Wirschaftspolitik machen, wenn es dafür kein politisches Pendant gibt. Das war die Begründung.
Wir haben nach wie vor keine politische Union. Dennoch soll die Wirtschafts- und Währungsunion praktiziert werden, ohne daß die politischen Instrumente dafür zur Verfügung stehen. Da wird der Hauptmangel des Vertrages von Amsterdam deutlich: das Defizit an Demokratie, das Defizit an demokratischen Institutionen.

(Beifall bei der PDS)

Es fängt schon damit an, daß Montesquieus Gewaltenteilung in Europa und über Europa aufgehoben wird. Es ist der EU-Ministerrat, der entscheidet, welche Rechte das Europäische Parlament hat, und nicht etwa das Europäische Parlament, das entscheidet, welche Rechte der EU-Ministerrat hat. Das ist eine völlige Umkehrung.

(Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]: Wenn Sie Amsterdam ablehnen, wird es aber schlechter!)

- Amsterdam muß besser werden. Ich kann nicht jedem faulen Kompromiß zustimmen, wenn die Umkehrung an sich, das Defizit an sich bestehenbleibt, Frau Wieczorek-Zeul.

(Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]: Es bleibt nicht bestehen!)

Wir haben keinen europäischen Gesetzgeber. Das ist das Problem. Die Richtlinien macht der EU-Ministerrat. Der wirkt wie ein Gesetzgeber.

(Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]: Das ist wirklich falsch!)

Das behindert übrigens viele Länder und Kommunen.
Dürfen wir darauf hinweisen, daß viele Beschlüsse des EU-Ministerrates quasi Gesetzeskraft haben. Aber es handelt sich bei dem EU-Ministerrat um die Exekutive. Es handelt sich um die Regierung, nicht um das Parlament. Diese Umkehrung können wir nicht hinnehmen.

(Beifall bei der PDS Dr. Jürgen Meyer [Ulm] [SPD]: Vertrag lesen!)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1322201300
Herr Gysi, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin WieczorekZeul?

Andrea Lederer (PDS):
Rede ID: ID1322201400
Ja, selbstverständlich.

Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD):
Rede ID: ID1322201500
Herr Gysi, haben Sie den Vertrag durchgelesen? Wenn Sie ihn durchgelesen hätten, wüßten Sie, daß im Vertrag von Amsterdam steht, daß das Europäische Parlament in 75 Prozent der EU-Gesetzgebungsverfahren volle Mitentscheidungsbefugnis hat.

(Zuruf von der PDS: Mitentscheidung!)

- Ja, die Gesetzgebung in Europa wird zukünftig wie die beim Bundestag und beim Bundesrat ablaufen. Der Rat ist ein Gesetzgeber, und das Europäische Parlament ist ein Gesetzgeber. Ohne die Zustimmung des Europäischen Parlaments kommt in diesem Bereich dann kein Gesetz mehr zustande. Das heißt, wir haben in diesem Bereich in 75 Prozent der EU-Gesetzgebungsverfahren eine wirklich demokratische Regelung.

Heidemarie Wieczorek-Zeul
Meine Bitte ist: Man kann das kritisieren; aber man sollte doch bitte die Fortschritte, die existieren, nicht negieren.

Andrea Lederer (PDS):
Rede ID: ID1322201600
Zu der ersten Frage, ob ich den Vertrag gelesen habe: selbstverständlich. Das macht mir viel Spaß. Als Jurist lese ich gerne Verträge, vor allem wenn sie so - sage ich einmal - verschraubt formuliert sind. Es macht Spaß, den Inhalt herauszufinden.
Zu der zweiten Frage. Es ist richtig, daß die Mitentscheidungsmöglichkeiten des Europäischen Parlaments erweitert wurden, aber praktisch - wenn Sie so wollen - durch Zustimmung des EU-Ministerrates.

(Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]: Nein!)

Sie selbst sprechen von 75 Prozent. Ich will jetzt nicht über die Prozentzahlen streiten. Das kann ich so auch nicht beurteilen. Aber es bleibt ein großer Bereich, in dem der EU-Ministerrat einstimmig beschließen muß. Anders kommt nichts zustande. In diesem Bereich bleibt der EU-Ministerrat der Gesetzgeber.

(Dr. Jürgen Meyer [Ulm] [SPD]: Das ist ein Fortschritt! Dem müssen Sie zustimmen!)

Das andere Modell hatten wir vorgeschlagen: Europäisches Parlament als erste Kammer, EU-Ministerrat als zweite Kammer. Dann hätte es aber keine gesetzgeberische Entscheidung geben dürfen, die ohne oder gegen das Europäische Parlament möglich ist. Aber genau das bleibt möglich. Das ist und bleibt ein entscheidendes Demokratiedefizit auf diesem Gebiet.

(Beifall bei der PDS)

Zweitens. Auch die unmittelbaren Bürgerinnen- und Bürgerrechte sind nicht geregelt worden. Es gibt keinen europäischen Volksentscheid - das ist und bleibt ein großer Mangel -, und zwar unter anderem deshalb, weil Deutschland ihn nicht will und nicht kennt. Frankreich, Dänemark und viele andere Länder haben diesbezüglich eine ganz andere Tradition.
Es kommt noch etwas hinzu, das hier auch nicht gesagt worden ist: Räumen Sie, Frau Wieczorek-Zeul, nicht auch ein, daß wir dann, wenn wir eine Wirtschaftsgemeinschaft und auch eine Währungsgemeinschaft sind, wenn das Europäische Parlament einige erweiterte Mitentscheidungsbefugnisse hat, ohne zum europäischen Gesetzgeber zu werden, eine europäische Verfassung benötigen, die aber noch nicht einmal in Auftrag gegeben worden ist? Wir machen alles in gemeinsamer Währung, aber wir haben keine europäische Verfassung. Es fehlt also nach wie vor die politische Union. Das ist der Hauptmangel des gegenwärtigen Prozesses.

(Beifall bei der PDS)

Nun kommen wir zu den Kernfragen. Das erste ist: Was steht denn zur Beschäftigungspolitik im Vertrag? Dünner geht es nicht. Er ist völlig unverbindlich. Es gibt knallharte Kriterien hinsichtlich der Stabilität der Währung. Aber es gibt keine verbindliche Vereinbarung zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit. Es war diese Bundesregierung, die sich besonders dagegen gesträubt und gesagt hat, dies muß nationale Politik bleiben. Ich frage Sie, Herr Waigel: Wie wollen Sie internationale Währungspolitik machen und gleichzeitig sagen, daß Europa mit der Beschäftigungspolitik der einzelnen Länder nichts zu tun haben darf und auch nichts zu tun haben soll, außer daß man gelegentlich darüber beraten kann und einen Erfahrungsaustausch miteinander treibt? Das ist viel zuwenig.
Wissen Sie, welches ein spannendes Kriterium gewesen wäre? Wenn Sie gesagt hätten, Mitglied der Währungsunion darf nur werden, wer in seinem Land nicht mehr als 3,000 Prozent Arbeitslosigkeit zu verzeichnen hat. Das wäre ein toller Wettbewerb in Europa geworden. Aber davon kann nun überhaupt keine Rede sein.

(Beifall bei der PDS)

Das zweite sind die sehr unverbindlichen sozialen Standards. Ich komme noch einmal zum Euro, weil Sie so besonders stolz darauf sind, daß die Amsterdamer Konferenz am Euro nichts verändert hat, weder an den Rahmenbedingungen noch am Zeitpunkt.
Nun ist bekannt, daß wir den Euro unter den gegenwärtigen Bedingungen ablehnen. Ich will das noch einmal begründen: Es ist nicht vorstellbar, daß man in einem Teil der europäischen Staaten - das kommt noch hinzu; dies hat auch etwas Spalterisches, weil manche nicht dabei sind - eine gemeinsame Währung einführt, aber die Rahmenbedingungen dafür nicht regelt.
Sie stimmen alle einer Währungsunion zu - darin sind sich leider alle Parteien im Bundestag einig: CSU, CDU, F.D.P., SPD und Bündnis 90/Die Grünen, außer der PDS, - ohne Steuerharmonisierung, ohne Angleichung sozialer, ökologischer und juristischer Standards. Sie machen eine Währungsunion und erzwingen die Angleichung in Europa über die Währung, und zwar nach unten. Sie beschließen die Absenkung ökologischer Standards, die Absenkung sozialer Standards - zumindest in Deutschland - und auch mehr Arbeitslosigkeit.

(Beifall bei der PDS Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lang lebe die D-Mark!)

Wie wollen Sie eine gemeinsame Währung ohne eine Steuerharmonisierung praktizieren? Wie wollen Sie das machen, wenn jeder dort hingehen kann, wo die geringsten Steuern zu zahlen sind? Sie organisieren damit nicht nur Steuerflucht, sondern Sie organisieren dann den berühmten Sachzwang, der es unmöglich macht, die eigene Steuerpolitik aufrechtzuerhalten. Wir müssen uns dann immer nach dem Land richten, das gerade die niedrigsten Steuern, die niedrigsten Löhne und die niedrigsten ökologischen und juristischen Standards aufzuweisen hat. Das wird ein Wettbewerb, der sich jetzt schon abzeichnet: ein Wettbewerb zum Demokratieabbau, zum Abbau

Dr. Gregor Gysi
von Sozialleistungen. Das ist die Übersetzung von Standortwettbewerb.

(Beifall bei der PDS)

Das ist auch die Veränderung, mit der wir es seit 1990 in diesem Haus zu tun haben. Bis 1990 gab es in Europa einen Wettbewerb um mehr Sozialleistungen, um mehr Demokratie. Man kann die Reden nachlesen: Fast jeder Redner - auch aus der Koalition - hat damals mit Stolz darauf hingewiesen, daß es in Deutschland höhere Sozialleistungen gibt als in anderen Ländern oder verbrieftere juristische demokratische Rechte.
Heute wird das immer als Nachteil formuliert. Heute wird immer gesagt: In anderen Ländern gibt es geringere Standards, und dadurch haben die anderen Länder einen Standortvorteil. Ich sage: Der Wettbewerb um mehr Demokratie und Sozialleistungen ist zum Standortwettbewerb zum Abbau von Demokratie und zum Abbau von sozialer Gerechtigkeit verkommen. Dabei wird der Euro leider einen schlechten Dienst erweisen.

(Beifall bei der PDS)

Zu den Nationalismusvorwürfen im Zusammenhang mit der D-Mark möchte ich noch einmal feststellen: Es ist genau umgekehrt. Wer der Einführung des Euro unter falschen Rahmenbedingungen zustimmt, der erzeugt erst den Boden für mehr Nationalismus und Rechtsextremismus. Stellen Sie sich doch einmal vor, als Folge der Einführung des Euro hätten wir weiter sinkende soziale Standards und noch mehr Arbeitslose. Was glauben Sie, was die extreme Rechte in diesem Land sagen wird? Sie wird sagen: Es war alles anders, als wir noch ein richtiges Deutschland hatten. Mit dieser Argumentation werden sie dann versuchen, den Nationalismus zu schüren.

(Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Genauso, wie die extreme Linke es heute tut!)

- Die ist auch nicht viel besser. Darüber sind wir uns ja einig, Herr Westerwelle. - Wenn Sie eine Währungsunion unter falschen Bedingungen einführen, dann schüren Sie solche Prozesse. Dieser Verantwortung müssen Sie sich stellen.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch etwas zu Ihrem Einwurf, Herr Westerwelle, sagen: Man muß die Bevölkerung in einem solchen Prozeß auch mitnehmen. Sie haben sich hier die ganzen Jahre bei der Frage der Einführung des Euro arrogant über die Ängste der Bürgerinnen und Bürger hinweggesetzt. Sie haben nie eine wirkliche Aufklärung betrieben, weil Sie immer davon ausgegangen sind: Im Unterschied zu anderen Ländern gibt es ja in Deutschland keinen Volksentscheid. Hätten wir wenigstens einen Volksentscheid gehabt, hätten Sie eine Aufklärungspflicht gehabt. Aber so haben die Ängste der Bürgerinnen und Bürger zugenommen. Ich verstehe nicht, wie man die einfach ignorieren und sagen kann: Wir sind hier die Mehrheit und beschließen, was wir wollen; wenn 60 oder 70 Prozent der Menschen damit große Ängste verbinden, interessiert uns das einfach nicht. Das ist zumindest nicht
die Haltung der PDS und wird sie auch nicht werden.

(Beifall bei der PDS)

Natürlich weiß ich, daß die großen Konzerne und Banken sehr an der Einführung des Euro interessiert sind. Sie werben auch sehr dafür. Das ist ja klar. Denn für sie fällt jede Beschränkung bei Exporten weg. Portugal kann sich dann gegen Exporte aus Deutschland nicht mehr über die Veränderung von Wechselkursen wehren. Das heißt, in Portugal werden wir eine Art Verostdeutschung mit Deindustrialisierung erleben. Davor hat dann wieder Stoiber Angst, und er befürchtet Transferleistungen als Folge wie zum Beispiel nach Ostdeutschland. Die will er natürlich nicht. Also macht er aus dieser Richtung Stimmung.
In anderer Hinsicht muß man folgendes sehen: Der Binnenmarkt in der Bundesrepublik Deutschland wiederum wird eindeutig beschädigt. Denn bei einer einheitlichen Währung kann natürlich kein Mittelständler mit den Angeboten aus anderen europäischen Ländern mithalten, wenn die Produkte eine gleiche Qualität haben, aber wesentlich billiger sind. Er wird dann von der Regierung und vom Parlament die Absenkung von Steuern, von Löhnen, Lohnzusatzleistungen etc. fordern. Er hat in gewisser Hinsicht recht, weil er ja preislich wirklich nicht mithalten kann. Eine solche Situation, die also einen weiteren Abbau von Arbeitsplätzen und eine weitere Absenkung sozialer Standards bedeutet, kann man doch nicht noch bewußt herbeiführen. Genau das geschieht über den Euro.

(Beifall bei der PDS)

Es ist beim Euro immer nur einseitig auf Stabilität Wert gelegt worden und nie auf Beschäftigung sowie auf soziale, ökologische und juristische Standards. Das ist unser größtes Problem im Zusammenhang mit dem Euro.
Dann sollten Sie auch die Ängste der Menschen in den neuen Bundesländern verstehen. Die hatten nun gerade erst eine Währungsunion. Sie haben festgestellt, daß sie dabei fast vollständig deindustrialisiert worden sind. Jetzt kommt auf sie die nächste Währungsunion zu. Sie wissen noch nicht, welche Folgen das hat. Aber sie verbinden damit Ängste. Wie gesagt, eine Aufklärung hat es in Wirklichkeit nie gegeben. Es gibt im wesentlichen Verunsicherung, die aus der Arroganz, daß man nicht aufklären, nicht wirklich informieren muß, resultiert.

(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Das wird ja eine prima Koalition: SPD, Grüne und PDS!)

- Wenn Sie so viel Furcht vor einer Konstellation SPD, Grüne und PDS haben,

(Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Wunderbar!)

kann ich Ihnen, Herr Schäuble, nur eines sagen: Abgesehen davon, daß es sehr offen ist, ob es dazu kommt: Schlimmer als die Konstellation, die jetzt regiert, kann es beim besten Willen auch nicht sein. Angesichts all dessen, was Sie in den letzten Jahren

Dr. Gregor Gysi
angerichtet haben, wäre das noch immer die harmlosere Variante.

(Beifall bei der PDS)

Wie Sie wissen, gilt auch in der Politik: Alles ist relativ.
Sie haben die Ängste der Menschen hinsichtlich der Einführung des Euro nie ernst genommen. Sie haben nie wirklich aufgeklärt. Sie haben auch nie gesagt, mit welchem Verlust von sozialen Standards das verbunden sein wird. Sie haben nie gesagt, daß die Arbeitslosigkeit dadurch zunehmen wird, und Sie haben nie gesagt, daß wichtige politische Instrumente zur Beherrschung einer solchen Währung fehlen, weil Sie zwar die Währungsunion einführen, aber keine politische Union in Europa installieren. Das ist unsere Hauptkritik. Deshalb können wir diesem Vertrag nicht zustimmen. Und deshalb bleibt unser Motto: Euro - so nicht. Die Rahmenbedingungen sind falsch. Er wird verheerende Folgen und Wirkungen haben.
Es muß wenigstens eine Partei im Bundestag gegeben haben, die davor gewarnt hat und nicht unter einem Scheininternationalismus den Abbau von sozialen und arbeitsmarktpolitischen Standards mit betreibt, der dann ganz Falschen in dieser Republik nutzen wird.

(Beifall bei der PDS sowie des Abg. Peter Conradi [SPD])


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1322201700
Das Wort zu einer Kurzintervention hat die Kollegin Uschi Eid.

Ursula Eid-Simon (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1322201800
Frau Präsidentin, ich beziehe mich auf die Rede des Kollegen Seiters.
Ich habe Ihren Ausführungen zur Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik mit großem Interesse zugehört. Herr Seiters, ich möchte Sie daran erinnern, daß es einen EU-Ratsbeschluß vom 4. Dezember 1995 zu Sanktionen gegen das Militärregime in Nigeria gibt. Nun vernehmen wir, daß die Bundesregierung aus dieser Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik ausschert

(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Weg mit der Fußballweltmeisterschaft!)

und der nigerianischen Fußballmannschaft Visa erteilen will, weil der DFB am 22. April ein Fußballänderspiel plant.
Herr Seiters, ich bitte Sie darum, daß Ihre Fraktion dafür sorgt, daß sich die Bundesregierung diesem Sanktionsbeschluß der EU unterwirft und sich wieder einreiht;

(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Frankreich auch!)

denn Sie können hier nicht das Hohelied auf eine gemeinsame Außenpolitik singen, wenn diese Bundesregierung ausschert. Wir können angesichts der Verschlechterung der Menschenrechtslage in Nigeria
nicht zulassen, daß sich die Bundesregierung nicht an diesen Sanktionsbeschluß hält.

(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Das wird eine schöne Koalition!)

Ich möchte hier klarstellen: Es geht mir überhaupt nicht darum, Fußballfreunde um den Genuß des afrikanischen Fußballs zu bringen. Es geht vielmehr darum, daß wir aus der eigenen Geschichte wissen, daß diktatorische Regime den Sport zur Aufbesserung des eigenen Images mißbrauchen. Dies können wir im Falle Nigerias nicht zulassen.
Ich bin gespannt, wie sich der Bundeskanzler dazu verhalten wird. Ich bitte darum, daß sich die Bundesregierung an diesen Sanktionsbeschluß hält. Wir hoffen, daß wir noch heute darüber abstimmen können.
Danke.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der PDS)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1322201900
Herr Kollege Seiters.

Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1322202000
Meine Damen und Herren, es gibt überhaupt keine Meinungsverschiedenheiten darüber, daß der Deutsche Bundestag und damit auch die Koalitionsfraktionen die Menschenrechtsverletzungen in Nigeria nachdrücklich verurteilt und an der Sanktionsregelung der Europäischen Union festhält. Bei der Frage aber, über die hier gesprochen wird, geht es nicht um die Aufhebung von Sanktionen, sondern um eine Ausnahmeregelung, die alle Staaten der Europäischen Union einvernehmlich und einmütig für die Fußballweltmeisterschaft getroffen haben.
Zu dieser Ausnahmeregelung gehören nach übereinstimmender Interpretation aller 15 EU-Staaten - so auch die Darstellung des Auswärtigen Amtes - die Vorbereitungsspiele für die Weltmeisterschaft. Dazu gehört auch das Spiel gegen Nigeria.
Es gibt in der Europäischen Union keinen Dissens in der Auslegung des Ratsbeschlusses vom November 1997. Das ist für uns ganz wichtig, weil wir im Bundestag immer auf eine einheitliche Handhabung innerhalb der Europäischen Union Wert gelegt haben. Vor diesem Hintergrund sehen wir keine Veranlassung, dem Antrag der Grünen zuzustimmen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1322202100
Wir setzen die Debatte fort. Das Wort hat der Bundesminister der Finanzen, Herr Dr. Theo Waigel.

Dr. Theodor Waigel (CSU):
Rede ID: ID1322202200
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir alle stehen in Europa vor gewaltigen Aufgaben. Das Gesicht der Europäischen Union wird sich in den kommenden Jahren nachhaltig verändern. Es

Bundesminister Dr. Theodor Waigel
geht heute darum, Deutschland und die Europäische Union auf das 21. Jahrhundert vorzubereiten.

(Zuruf von der F.D.P.: So ist es!)

Mit dem erfolgreichen Abschluß des Europäischen Rates von Amsterdam sind wir beim Bau des Hauses Europa ein wichtiges Stück vorangekommen. Weitere Schritte auf dem Weg zu einem geeinten Europa sind notwendig. Dazu gehören der Übergang in die dritte Stufe der Währungsunion, die engere Koordinierung der Wirtschaftspolitik, die Neufestlegung des finanziellen Rahmens der Gemeinschaft, die institutionellen Reformen der Gemeinschaft und die Erweiterung der Union.
Aus meiner Sicht sind es vor allem zwei Punkte, die Amsterdam zu einem Meilenstein in der europäischen Geschichte werden lassen: zunächst die für die Vorbereitung der Wirtschafts- und Währungsunion wichtigen Beschlüsse, insbesondere der Stabilitätsund Wachstumspakt. Meine Damen und Herren, daß es gelungen ist, was uns vor drei Jahren niemand zugetraut hätte, daß wir einen Stabilitäts- und Wachstumspakt erreichen, der genau das leistet, was von manchen vorher als Mangel kritisiert wurde, und daß alle europäischen Länder bereit sind, dies zu europäischem Sekundärrecht werden zu lassen, um damit eine dauerhafte Stabilität in der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion sicherzustellen, ist ein großer Erfolg der deutschen Politik in Europa.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Amsterdam hat klar gezeigt: Wir sind mit allen EUPartnern der Überzeugung, Preisstabilität und Haushaltsdisziplin sind unabdingbare Voraussetzungen für dauerhaftes Wachstum und Beschäftigung. Dieser Stabilitäts- und Wachstumspakt ist ohne jeden Abstrich so verabschiedet worden, wie ihn die Finanzminister vorbereitet hatten. Auf der EU-Ebene haben wir somit das Notwendigste getan, damit die Haushaltsdisziplin auf Dauer gesichert wird. Es wird keinen weichen Euro geben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Dafür sorgen die entscheidenden Elemente des Stabilitäts- und Wachstumspaktes: die Festschreibung der 3-Prozent-Defizit-Regel als Höchstgrenze, das automatisch einzuleitende Sanktionsverfahren bei Überschreitung der Höchstgrenze und die Verhängung von Sanktionen binnen zehn Monaten, falls keine wirksamen Korrekturmaßnahmen ergriffen werden.
Das Verfahren ist transparent und für jeden berechenbar. Dieser Stabilitätspakt ist weltweit einmalig. Er bedeutet die endgültige und fundamentale Abkehr von einer unsoliden Finanzpolitik durch Festlegung eines mittelfristigen Haushaltszieles nahe am Ausgleich oder sogar im Überschuß.
Nach den jüngsten uns vorliegenden Schätzungen der OECD werden bereits in diesem Jahr einige EUStaaten wie Dänemark, Finnland, Irland, Schweden und Luxemburg einen ausgeglichenen Haushalt oder sogar Überschüsse erzielen. Strikte Haushaltsdisziplin steht seit langem weltweit auf der Tagesordnung. Die Vereinigten Staaten und Kanada werden spätestens im nächsten Jahr Budgetüberschüsse erzielen.
Meine Damen und Herren, wir stehen zu dem, was in den letzten zehn Jahren erreicht wurde: deutsche Einheit und Fortsetzung der europäischen Integration. Wenn wir fast jedes Jahr 4 bis 5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für den Aufbau Deutschlands und für die Beseitigung des kommunistischen Erbes bereitgestellt haben und künftig bereitstellen, dann können wir uns mit unseren Finanzkennziffern in Europa und weltweit weiß Gott sehen lassen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

In Amsterdam haben wir eine separate Entschließung des Europäischen Rates zu Wachstum und Beschäftigung verabschiedet. Die Entschließung zur Beschäftigung bleibt eingebettet in unser wirtschaftspolitisches Grundverständnis: Festhalten an überzeugender Stabilitätspolitik und Fortsetzung der Strukturreformen. Das war für uns die Grundvoraussetzung, mit der wir der Aufnahme eines Beschäftigungskapitels in den Vertrag zustimmen konnten.
Es wird keine neuen Kompetenzen der Gemeinschaft für eine eigenständige Beschäftigungspolitik geben. Wir halten es für richtig, die Wirtschaftspolitik zu koordinieren. Aber die Beschäftigungspolitik muß im eigenen Land auch regional erfolgen. Das sind wir uns und unseren Bürgern schuldig.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Zurufe von der SPD: Dann fangen Sie endlich an!)

Es ist doch eine völlig unwahrhaftige Diskussion von Ihnen. Sie fordern europäische Kompetenz und wollen uns national verantwortlich machen.

(Rudolf Scharping [SPD]: Das ist doch überhaupt nicht wahr!)

Nein, dies muß in der nationalen Verantwortung bleiben und europäisch koordiniert sein. Nur so ist die Beschäftigung zu erreichen.
Unser Problem ist doch, daß 80 Prozent der Arbeitslosigkeit in Deutschland strukturell begründet sind und Sie blockiert haben, daß die strukturellen Reformen auch entsprechend umgesetzt worden sind. Das ist die Wahrheit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wer jetzt in seinem Wahlprogramm - das gilt offensichtlich für den SPD-Kandidaten - das wieder rückgängig machen möchte, was in den letzten Jahren unter schwierigen Umständen verabschiedet wurde, der dreht die Zeit zurück und würde damit nicht mehr Beschäftigung, sondern Stillstand und Rückschritt in Deutschland produzieren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Die Stabilität des Euro wird nicht allein durch den Stabilitäts- und Wachstumspakt dauerhaft gesichert. Der Vertrag von Maastricht hat die notwendige Konvergenz schon vor Beginn der Wirtschafts- und Währungsunion vorangetrieben. Ich habe in Amsterdam gefordert - dafür wurde ich immer wieder von Skeptikern belächelt oder gescholten -: Wir müssen auch in Deutschland diesen Anforderungen überzeugend gerecht werden, und an den Vorgaben des Maastricht-

Bundesminister Dr. Theodor Waigel
Vertrages darf nicht gerüttelt werden. Von dieser Position hat sich die Bundesregierung nie abbringen lassen. Heute wissen wir: Deutschland unterschreitet 1997 den Referenzwert für das Defizitkriterium mit 2,7 vom Hundert des Bruttoinlandsproduktes deutlich.

(Zuruf von der SPD: Sieht das Herr Stoiber auch so?)

Die deutsche Finanzpolitik hat damit einen entscheidenden Erfolg errungen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Noch vor wenigen Monaten haben viele dieses Ergebnis nicht für möglich gehalten. Konsolidierungserfolge vor dem Komma sind besser als arithmetische Schönheitsoperationen hinter dem Komma. Manche wollten es zunächst nicht wahrhaben. So rechnete das DIW in Berlin noch am Donnerstag letzter Woche eher mit einer Defizitquote von 3,5 vom Hundert des BIP. Als dann das Statistische Bundesamt seine Zahlen vorgelegt hatte, verstieg sich das DIW dazu, die Zahlen des Statistischen Bundesamtes öffentlich anzuzweifeln - ein einmaliger Vorgang, der durch keinerlei Fakten gedeckt war.

(Joachim Hörster [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

Das DIW hat inzwischen in einer Presseerklärung den Rückzug auf der ganzen Linie angetreten. Das DIW räumt ein, daß es seine Zweifel an den Zahlenangaben des Statistischen Bundesamtes in Unkenntnis der tatsächlichen Daten über die Einnahmen und Ausgaben der öffentlichen Körperschaften im vierten Quartal 1997 gemacht hat.

(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Ungeheuerlich! Unfaßbar!)

Das DIW räumt ein, daß das Statistische Bundesamt bei der Errechnung des Staatsdefizits 1997 über eine weitaus vollständigere statistische Grundlage verfügt als es selbst. Das DIW erklärt, daß es die Ergebnisse des Statistischen Bundesamtes zum Staatsdefizit 1997 nicht in Frage stellen wollte.

(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Nach der Wahl!)

Auch die DIW-Zahlen über den katastrophalen Investitionsrückgang im vierten Quartal - -

(Zurufe von der SPD)

- Sie müssen doch daran interessiert sein, daß dies aufgeklärt wird.

(Beifall bei der CDU/CSU Zuruf von der SPD: Sind wir doch!)

Sie müssen sich doch mit uns darüber freuen, daß wir die Kriterien unstreitig erreicht haben.

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Wir haben es doch nicht angezweifelt!)

Sie müssen sich dann mit dem wirtschaftspolitischen Berater des SPD-Vorsitzenden auseinandersetzen, der hier eine gewisse Rolle gespielt hat.

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Wir haben es nicht angezweifelt!)

Was wollen Sie: Glaubhaftigkeit beim Verfahren, Akzeptanz und Überzeugung, deren Fehlen Sie vorher beklagt haben, oder wollen Sie die bewußte Verunsicherung vor einem wichtigen Wahltag?

(Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]: Lenkt doch nicht immer von eurer Niederlage ab!)


(Vo r s i t z: Vizepräsidentin Michaela Geiger)

Ich fürchte, hier ist ganz bewußt vor einem entscheidenden Datum in Deutschland mit Zahlen Schindluder getrieben worden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Abg. Siegmar Mosdorf [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Michaela Geiger (CSU):
Rede ID: ID1322202300
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Theodor Waigel (CSU):
Rede ID: ID1322202400
Nein, Frau Präsidentin, ich möchte es zunächst im Zusammenhang fortsetzen.

(Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]: Haben Sie einmal Huber gefragt? - Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Erwin Huber hat doch dieselben Fragen!)

- Lesen Sie einmal nach, was der Erwin Huber gesagt hat.

(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ich habe ihn doch sogar im Fernsehen gesehen!)

- Nein, Herr Fischer, Ihr Schreien übertönt mich nicht. Es geht hier um das DIW und nicht darum, daß ein Politiker sagt, die Kriterien müßten auch in künftigen Evaluierungsverfahren überzeugend nachgewiesen werden.

(Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Also stimmen Sie Herrn Huber zu?)

Ein wissenschaftliches Institut mußte einräumen, daß es sich in allen Punkten geirrt hat. Dieser einmalige Vorgang muß klargestellt werden. Hier ist Schaden angerichtet worden, der vom DIW in aller Form ausgeräumt werden muß.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Huber!)


Michaela Geiger (CSU):
Rede ID: ID1322202500
Herr Minister, gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage?

Dr. Theodor Waigel (CSU):
Rede ID: ID1322202600
Ja.

Michaela Geiger (CSU):
Rede ID: ID1322202700
Bitte schön, Herr Kollege Mosdorf.


Siegmar Mosdorf (SPD):
Rede ID: ID1322202800
Herr Minister Waigel, teilen Sie die Skepsis von Herrn Huber, der gesagt hat, daß man bei allen Ländern die jetzt vorgelegten Daten einer genauen Kontrolle unterziehen müsse, weil es ja um eine wichtige ökonomische Frage geht? Haben Sie des weiteren zur Kenntnis genommen, daß sich der für die Konjunkturpolitik zuständige Direktor des DIW gestern dazu geäußert hat, daß sich diese Zahlen auf das letzte Quartal bezogen haben und daß er sie sich nicht zu eigen gemacht hat?

(Michael Glos [CDU/CSU]: Warum erst nach der Wahl? Warum hat er sie nicht sofort dementiert?)


Dr. Theodor Waigel (CSU):
Rede ID: ID1322202900
Herr Kollege, haben Sie das ganze Interview des bayerischen Finanzministers gelesen?

(Zuruf von der SPD: Auswendig gelernt haben wir es!)

- Ich glaube es Ihnen nicht. Das war jetzt eine reine Schutzbehauptung. Aber das ist Ihnen halt in der Schnelle passiert.
Wenn Sie es gelesen hätten, wüßten Sie, daß er gesagt hat, daß alle Zahlen im Rahmen der Evaluierung jetzt vom EWI, von der Kommission und natürlich auch von der Deutschen Bundesbank und dann von uns selbst im Bundestag, im Bundesrat und in den Ausschüssen überprüft werden. Das ist selbstverständlich. Allerdings hat Herr Huber keine Sekunde die 2,7 Prozent in Frage gestellt. Er hat im ersten Satz seines Interviews die Herkulesarbeit der Bundesregierung und des Bundesfinanzministers gewürdigt. Das haben Sie vergessen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Dr. Uwe Küster [SPD]: Herkules Waigel!)


Michaela Geiger (CSU):
Rede ID: ID1322203000
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schily?

Dr. Theodor Waigel (CSU):
Rede ID: ID1322203100
Bitte schön.

Otto Schily (SPD):
Rede ID: ID1322203200
Herr Minister Waigel, in der heutigen Ausgabe der „Süddeutschen Zeitung" steht:
Wirtschaftsforscher müssen bei alledem unabhängig sein. Könnte jeder frustrierte Wahlkämpfer ihnen den Geldhahn zudrehen, dann sähe es schnell schlecht aus um die Wissenschaft.
Was sagen Sie denn zu diesem Kommentar, Herr Minister Waigel?

Dr. Theodor Waigel (CSU):
Rede ID: ID1322203300
Dazu sage ich Ihnen, Herr Kollege Schily, daß ein Wirtschaftswissenschaftler und vor allen Dingen ein Institut, das vom Bund und vom Land gefördert wird,
der Wahrhaftigkeit, der Ehrlichkeit und der Wissenschaftlichkeit verpflichtet ist.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Das war eine Steilvorlage!)

Meine Damen und Herren, es ist schon der Gipfel, daß dieses Institut versucht hat, seine Darstellung damit zu erläutern, daß es von einem Referenzszenario ausgegangen sei, das eingetreten wäre, wenn wir nicht besondere Konsolidierungsanstrengungen unternommen hätten. Man muß sich einmal so etwas unglaublich Hanebüchenes vorstellen!
Ich möchte diesen ernsten Vorgang einer normalen Bewertung unterziehen.

(Anke Fuchs [Köln] [SPD]: War das ernst gemeint, was Sie bis jetzt gesagt haben?)

Einer meiner Lehrmeister, Hermann Höcherl, hätte angesichts dessen, was das DIW jetzt einräumen muß, gesagt, das sei „eine Beerdigung sechster Klasse, die Leiche trägt die Kerze selbst" . Das gilt für das DIW.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Aber zurück zum Ernst. Im Verlauf des Jahres 1997 haben wir das alles erreicht, obwohl der Bund Zusatzbelastungen von 30 Milliarden DM zu verkraften hatte. Wir haben die Verbesserung des statistischen Defizits allein beim Bund dadurch erreicht, daß wir das Defizit urn 7 Milliarden DM geringer haben ausfallen lassen, bei den Ländern um 21/2 Milliarden DM und bei den Gemeinden um 3 Milliarden DM.

(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wenn der Edmund Stoiber hört, daß die Leiche die Kerze selbst trägt!)

Dies ist - das möchte ich für die Länder und für den Bund sagen - eine bemerkenswerte Konsolidierungsleistung des öffentlichen Gesamthaushalts, auf die wir miteinander stolz sein dürfen.
Die Kreditaufnahme 1997 des Bundes war trotz Mehrbelastungen um 15 Milliarden DM niedriger als 1996. Der Anteil der Bundesausgaben am BIP konnte von 12,9 Prozent auf 12,1 Prozent gesenkt werden. Das Schuldenkriterium lag 1997 mit 61,3 Prozent des BIP nur leicht über dem Referenzwert von 60 Prozent. Es wird schon 1998 auf 611/4 Prozent zurückgeführt werden können. Jede faire Beurteilung wird dabei berücksichtigen müssen: In der Schuldenquote schlagen sich vor allem die Lasten des Kommunismus in der früheren DDR nieder. Schuldenübernahme - Erblastentilgungsfonds und Fonds Deutsche Einheit -: 12,9 Prozent, Umschuldung - GUS und MOE, also mittel- und osteuropäische Länder -: 1 Prozent. Allein die Schuldenübernahme Bahn betrug bei der Privatisierung 1,9 Prozent.
Der von der Bundesregierung eingeschlagene Konsolidierungskurs wird konsequent fortgesetzt. Niemand sollte sich der Illusion hingeben, nach dem Beitritt zur Währungsunion könne das Ruder in der Finanzpolitik wieder herumgeworfen werden. Die Staatsquote wird weiter zurückgeführt. 1997 konnte

Bundesminister Dr. Theodor Waigel
sie erstmals seit 1992 mit 48,8 vom Hundert unter die 50 vom Hundert-Grenze gesenkt werden. Unser Ziel ist eine Staatsquote von 46 vom Hundert bis zum Jahr 2000. Dies entspricht dem Stand vor der Wiedervereinigung.
Ich erwarte 1998 ein gesamtstaatliches Defizit von 21/2 Prozent des BIP. Der Konsolidierungskurs schafft so die Voraussetzung für eine weitere Rückführung der Schuldenquote. Deutschland erfüllt auch die monetären Anforderungen, und zwar das Inflations-, Zins- und Wechselkurskriterium. Die jeweiligen Schwellenwerte werden deutlich unterschritten. Auch das Wechselkurskriterium wird bei stabiler Position der D-Mark im EWS erfüllt.
Deutschland hat den Beweis seiner Reife für die Teilnahme an der Wirtschafts- und Währungsunion erbracht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Das gilt auch für zahlreiche andere Länder in der Europäischen Union. In den vergangenen Jahren hat sich in Europa eine neue Stabilitätskultur entwickelt. Vor fünf oder sechs Jahren hätte es doch niemand für möglich gehalten, daß eine so große Zahl von Ländern in Europa von einem Staatsdefizit von zum Teil 10 Prozent, mehr oder weniger, auf ein Staatsdefizit unter 3 Prozent gelangt - ein riesiger Erfolg, der ohne uns gleichermaßen für Europa und für Deutschland nicht möglich gewesen wäre.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Die Auswahl der Teilnehmer an der Wirtschafts- und Währungsunion am 2. Mai 1998 wird die wichtigste Entscheidung sein, die der Europäische Rat in diesem Jahr zu treffen hat. Es ist eine Entscheidung von historischer Tragweite am Ende des 20. Jahrhunderts. Europa wird mit einer gemeinsamen Währung ins 21. Jahrhundert gehen.
Teilnehmen kann, wer die Fähigkeit zu solider Finanzpolitik unter Beweis gestellt hat. Dabei wird die Nachhaltigkeit im Mittelpunkt einer strikten Bewertung stehen. Deswegen gebührt den Berichten der Kommission, des Europäischen Währungsinstituts und der Bundesbank allergrößte Aufmerksamkeit. Sie werden dem Bundestag vorliegen, wenn er im April sein Votum zur Währungsunion abgibt.
Alle Mitgliedstaaten müssen sich bewußt sein: Ab 1999 leben wir wirtschaftspolitisch in einer anderen Welt. Mit der Einführung der neuen Währung entfällt insbesondere die Möglichkeit, durch Wechselkursanpassungen verlorengegangene Wettbewerbsfähigkeit wiederherzustellen. Geld- und Haushaltspolitik sind auf einen strikten Stabilitätskurs festgelegt. Die Reaktion hierauf muß in der ständigen Bereitschaft liegen, durch Strukturreformen neue Flexibilität auf unseren Güter- und Arbeitsmärkten zu schaffen. Jeder Mitgliedstaat muß in eigener Verantwortung die Attraktivität seines Standorts verbessern und für mehr Beschäftigung sorgen.
Niemand darf glauben, der Euro selbst sei bereits die Lösung der Strukturprobleme. Der Euro kann aber die Lösung dieser Probleme beschleunigen. Mit dem Euro wird ein frischer Wind der Modernisierung
durch Europa wehen. Entweder wir handeln bezüglich des Euro gemeinsam, oder wir handeln allein in einem viel schwierigeren Umfeld nach dem Motto: Jeder für sich allein und dann jeder gegen den anderen. Das ist die andere Alternative, die niemand haben will und die, wie ich meine, eine verhängnisvolle Alternative wäre.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Michaela Geiger (CSU):
Rede ID: ID1322203400
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Conradi?

Dr. Theodor Waigel (CSU):
Rede ID: ID1322203500
Bitte schön.

Michaela Geiger (CSU):
Rede ID: ID1322203600
Bitte schön.

Peter Conradi (SPD):
Rede ID: ID1322203700
Herr Bundesfinanzminister, wäre das verbreitete Mißtrauen der Bevölkerung gegenüber dem Euro nicht geringer, wenn die Bundesregierung der Öffentlichkeit, vor allem dem Parlament, endlich mitteilen würde, was die Umstellung auf den Euro für die öffentlichen Hände, Bund, Länder und Gemeinden, kosten wird? Seit Wochen versucht das Haus dieses zu erfahren. Ihr Ministerium weigert sich, Kostenschätzungen und Kostenrechnungen zu nennen, wie das sonst bei jedem Gesetz üblich ist.

Dr. Theodor Waigel (CSU):
Rede ID: ID1322203800
Herr Kollege Conradi, Sie wissen genau, daß Sie die Umstellungskosten nicht in Mark und Pfennig genau berechnen können. Wir wissen aber: Die Vorteile wie Kostentransparenz und damit verbundene Einsparungen und vor allen Dingen der Gewinn, der dadurch entsteht, daß Umtauschkosten in den entsprechenden Währungen nicht mehr erfolgen und daß mittelständische Unternehmen in die Lage versetzt werden, sich in Europa Wettbewerbspositionen zu schaffen, ohne daß sie Wechselkursschwankungen befürchten müssen, sind sicherlich größer als die Nachteile, die durch die Kosten für das Schaffen der technischen Voraussetzungen für die Umstellung entstehen. Davon bin ich überzeugt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Meine Damen und Herren, Abschottung und protektionistische Maßnahmen wären keine Alternativen. Wer die Grenzen schließt, wird früher oder später auch die Fabriktore und Läden schließen müssen. Freier Handel, stabiles Geld, solide Finanzpolitik und ein marktwirtschaftlicher Ordnungsrahmen sind unverzichtbare Voraussetzungen für dauerhaftes Wachstum und für Arbeitsplätze.
Diese Auffassung ist auch bei meiner jüngsten Reise in einige Staaten in Südostasien bestätigt worden. Dort hat sich übrigens auch herausgestellt, wie sehr der manchmal viel gescholtene Standort Deutschland in bezug auf unsere Stabilität, auf die

Bundesminister Dr. Theodor Waigel
Bankenaufsicht und auf das Bankensystem geschätzt wird.

(Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Wer meckert denn immer? Otto Schily [SPD]: Seit Jahren reden Sie den Standort Deutschland herunter!)

Warum wollen denn Südkorea, Indonesien und viele andere uns und unsere Fachleute als Ratgeber? Warum wird unser Zentralbanksystem als vorbildlich betrachtet? Darauf können wir doch alle stolz sein. Darauf brauchen Sie doch gar nicht mit Mißtrauen oder mit Zwischenrufen zu reagieren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Der Abschluß der Regierungskonferenz zur politischen Union in Amsterdam stellt nicht nur ein positives Zeichen für die weitere Integration innerhalb der Europäischen Union dar, sondern auch für die Beitrittsländer in Mittel- und Osteuropa. Manche sehen hier die Gefahr eines Gegensatzes zwischen Erweiterung und Vertiefung. Ich sehe diesen Gegensatz nicht. Die Wirtschafts- und Währungsunion liefert vielmehr eine zuverlässige Orientierung für den wirtschaftlichen Aufholprozeß in den Ländern Mittel-und Osteuropas.
Wir brauchen eine gerechtere Lastenverteilung im EU-Haushalt. Zu einem gesunden Fundament des europäischen Hauses gehört eine sichere, unstreitige Finanzierung der Gemeinschaft. Alle sechs bis sieben Jahre wird diese finanzielle Vorausschau erneuert und der Finanzierungsmechanismus überdacht. Ergebnis ist ein Eigenmittelbeschluß, der in den Mitgliedstaaten ratifizierungspflichtig ist. Ein neuer Finanzrahmen ist für die Jahre 2000 bis 2006 notwendig.
Eine dauerhafte solide Finanzierung muß auf Gerechtigkeit aufgebaut sein. Anderenfalls geht auch die Europaakzeptanz beim Bürger verloren, und unser jahrzehntelanger Kampf für die europäische Integration als Unterpfand für Frieden und Wohlstand gerät in Gefahr.
1996 hat Deutschland zirka 21 Milliarden DM netto in den EU-Haushalt eingebracht. Das entspricht etwa 60 Prozent aller Nettotransfers. 1997 dürfte dieser Transfer auf gleicher Höhe gelegen haben. Zur gleichen Zeit haben andere, vergleichbar wohlhabende Staaten einen etwa ausgeglichenen Nettosaldo oder sind sogar Nettoempfänger.
Wir wollen in Übereinstimmung mit der Beschlußlage des Europäischen Rates - Fontainebleau 1984 -eine exzessive und ungerechte Nettobelastung abbauen. Auch andere Länder, nicht nur Deutschland, klagen zu Recht über übermäßige Nettobelastungen. Wir haben daher ein Kappungsmodell in die Diskussion gebracht. Übersteigt die Nettolast eines Mitgliedstaates ein zumutbares Maß, soll der überschießende Betrag teilweise ausgeglichen werden. Ich habe im Ecofin-Rat, aber auch in bilateralen Gesprächen mit meinen Kollegen aus anderen EU-Ländern deutlich gemacht, welches Gewicht die Bundesregierung der Lösung dieser Frage beimißt. Ohne eine Lösung dieser Frage können die Weichenstellungen im
Jahr 1999 für das Jahr 2000 und danach nicht erfolgen. Das muß jeder wissen; darüber sind wir uns auch im klaren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ein Europa mit einer gemeinsamen europäischen Währung hilft uns, in Zeiten zunehmender Globalisierung zu bestehen. Aber wir müssen national die notwendigen Voraussetzungen dafür schaffen. Dafür müssen wir die notwendigen Reformen auch in Deutschland umsetzen. Arbeitsplätze von morgen erfordern bei uns bereits heute Reformbereitschaft. Wir würden gegenüber künftigen Generationen verantwortungslos handeln, wenn wir die Rolle Deutschlands und Europas in der Welt verspielten.
Der Vertrag von Maastricht, ergänzt durch den Vertrag von Amsterdam, verkörpert die Einsicht in die Notwendigkeit grenzüberschreitender Lösungen unserer Probleme. Sein Regelwerk liefert den Rahmen für eine zuverlässige und stabilitätsgerechte Strategie der Kooperation. Er gibt uns mit der Konzeption der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion das Instrumentarium, um einen Teil der neuen globalen Herausforderungen lösen zu können.
Dabei geht es um Arbeitsplätze. Der Sinn der europäischen Integration geht aber darüber hinaus. Am Ende eines Jahrhunderts zweier Weltkriege wünschen wir uns ein 21. Jahrhundert voll Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit sowie die Bewahrung der Schöpfung. Das Projekt Europa liegt im ureigensten nationalen Interesse der Deutschen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wir sind Schritt für Schritt, manchmal mühselig, aber weit vorangekommen. Das verdanken wir seit 1982 in ganz besonderem Maße dem Bemühen von Bundeskanzler Helmut Kohl, national und europäisch das Bestmögliche für Deutschland und Europa zu erreichen. Das ist untrennbar mit seinem Namen verbunden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Europa ist das Vermächtnis unserer Generation für die Jugend. Wir setzen uns mit aller Kraft weiter dafür ein.
Ich danke Ihnen.

(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Michaela Geiger (CSU):
Rede ID: ID1322203900
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Rudolf Scharping, Vorsitzender der SPD-Fraktion.

(Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Das ist jetzt schwierig für ihn!)


Rudolf Scharping (SPD):
Rede ID: ID1322204000
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Vertrag von Amsterdam, über den wir hier reden, ist nicht ein erratischer Block, er ist etwas, das eine Entwicklung verkörpert. Ich finde, bevor wir über den Vertrag im einzelnen reden, sollten wir uns über die

Rudolf Scharping
Entwicklung, über das Erbe, das damit verbunden ist, klar sein.
Die europäische Integration ist auch eine logische Folgerung aus Entwicklungen in Europa in den letzten Jahrhunderten. Die Erklärung von den Menschenrechten, die europäische Aufklärung, der Humanismus und das Denken, daß jeder einzelne Mensch das gleiche Recht und die gleiche Chance haben soll, haben sich auch in der europäischen Integration ausgedrückt.
Im übrigen ist die europäische Integration aber nicht nur Erbe der europäischen Aufklärung und des europäischen Humanismus. Sie ist auch Schlußfolgerung aus Erfahrungen, die wir in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts auf schreckliche Weise machen mußten.
Daraus haben die Väter der deutschen Verfassung genauso wie die Väter der europäischen Integration einen Schluß gezogen, nämlich den, daß man Freiheit, Frieden und auch Wohlstand in Europa nur gemeinsam sichern, bewahren und fördern kann.

(Beifall bei der SPD)

Deshalb beispielsweise ist die Idee der Demokratie als Ausdruck der Freiheit des einzelnen im Staatswesen um die soziale Dimension ergänzt worden. Deshalb beispielsweise haben die Väter unserer Verfassung aus den Erfahrungen der Weimarer Republik und dem, was aus ihrem Scheitern entstanden war, den Schluß gezogen, daß Marktwirtschaft und Demokratie eine soziale Dimension behalten müssen und daß nur die Integration der Bürgerinnen und Bürger in den Fortschritt des Gemeinwesens und ihre gerechte Beteiligung am Ende dauerhafte Sicherheit für die Demokratie und Freiheit bedeuten.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ich schicke diese etwas allgemeineren Bemerkungen voraus, weil ich finde, daß wir uns bei der Beratung dieses Vertrags, der für unser Land, für die Verfaßtheit seiner Demokratie, für die Kompetenzen seiner Institutionen und für andere Entwicklungen enorme Bedeutung hat, davor hüten sollten, allzu schnell in kleine parteipolitische Münze zu verfallen,

(Beifall bei der SPD)

und weil ich denke, daß wir uns in Deutschland, die wir an den schrecklichen Erfahrungen dieses Jahrhunderts den entscheidenden, den auslösenden Anteil haben, dieses Hintergrunds zunächst vergewissern sollten.
Im übrigen: Der Streit um das Beschäftigungskapitel im Vertrag von Amsterdam ist nichts anderes als der Ausdruck genau dieser Erfahrung, daß die soziale Fundierung von Marktwirtschaft und Demokratie ein Muß für Freiheit und dauerhafte Stabilität und nichts anderes ist.

(Beifall bei der SPD)

Wir haben nicht um irgendein europäisches Beschäftigungsprogramm - wie es uns manche unterstellt haben -, nicht um irgendeine neue staatliche Ebene, von der aus Gelder verteilt werden sollten, gekämpft, sondern wir haben um eine gemeinsame politische Verpflichtung der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union gerungen, Beschäftigung zu fördern, weil wir wußten, daß hohe Arbeitslosigkeit - in Deutschland sind 5 Millionen Menschen arbeitslos, in Europa etwa 18 Millionen Menschen -, wenn sie auf Dauer so hoch bleibt und nicht energisch bekämpft wird, eine Gefahr für Freiheit, Demokratie und politische Stabilität darstellt.

(Beifall bei der SPD)

Deshalb hat es mich manchmal gewundert, wie sich die Debatte in Deutschland vor den abschließenden Erörterungen des Amsterdamer Vertrages entwickelt hat. Deshalb war es kleinkariert und parteipolitisch allenfalls billig, daß die Bundesregierung uns wieder zu unterstellen versucht hat, wir wollten neue Beschäftigungsprogramme, neue Verteilungsmechanismen, neues öffentliches Geld gegen die Arbeitslosigkeit einsetzen. Was wir als europäische Sozialdemokraten wollten und was wir gegen den hinhaltenden Widerstand der Bundesregierung erreicht haben, ist, daß die Gemeinschaft jetzt eine Verpflichtung hat, für aktive Wirtschaftspolitik und für ein hohes Beschäftigungsniveau zu sorgen. Das ist ein großer Fortschritt.

(Beifall bei der SPD)

Im übrigen haben dieses Erbe und die Erfahrung, von der ich sprach, noch einen ganz anderen Hintergrund, und auch das findet sich in den Erörterungen im Zusammenhang mit dem Vertrag und nachher im Vertragstext selbst. Wir haben auch die Erfahrung gemacht, daß aus wirtschaftlicher und sozialer Verzweiflung, aus Angst um die Zukunft politischer Radikalismus entsteht, manchmal in ganz mörderischen Formen. Wir haben die Erfahrung gemacht, daß dabei Rechtsstaatlichkeit, der Respekt vor den Möglichkeiten des einzelnen und vor seinen unveräußerlichen Rechten genauso zuschanden geht wie die Demokratie selbst. Diese Erfahrung eines entarteten Nationalismus hat dazu geführt, daß wir uns in der Europäischen Union nicht nur auf politische Demokratie verpflichtet haben, sondern auch auf die Prinzipien, die ihr innewohnen: politische Freiheit und Toleranz, keine Fremdenfeindlichkeit und anderes.
Deswegen finde ich es so beachtlich - das ist dann mein zweiter Hinweis, er sagt vielleicht dem CSUVorsitzenden Dr. Theo Waigel etwas -, daß der Innenminister der Bayerischen Staatsregierung in diesen Minuten verkündet hat, er drohe mit der Ablehnung des Amsterdamer Vertrages, weil der Zugang von Ausländern aus Nicht-EU-Staaten zu Sozialleistungen in Staaten der Gemeinschaft nicht eingeschränkt worden sei.

(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: So ist es! Herr Waigel, in der „Süddeutschen" können Sie es heute auch nachlesen!)

Was Sie hier alles gesagt haben, nehme ich dankbar,
zum Teil mit kritischer Bemerkung zur Kenntnis.

Rudolf Scharping
Aber ich füge hinzu: Lieber Herr Bundesfinanzminister, Sie hätten doch überhaupt keine Chance, die Rede, die Sie zu Europa, zu seiner Integration, zur Europäischen Währungsunion hier gehalten haben, im Vorstand der CSU zu halten. Man würde Sie dort doch möglicherweise hinauswerfen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Es geht mir jetzt auch nicht um die möglicherweise als Arbeitsteilung gedachte unterschiedliche Rollenwahrnehmung. Es geht mir um etwas anderes, nämlich darum, daß man die Ablehnung oder Ankündigung einer drohenden Ablehnung durch die Bayerische Staatsregierung in diesem Zusammenhang nicht nur unzutreffend, sondern auch mit einem deutlichen parteipolitischen Akzent begründet, der in der Debatte um Toleranz, um Rücksichtnahme, um Freiheit, um Respekt vor einzelnen Menschen nun überhaupt nichts zu suchen hat.

(Beifall bei der SPD)

Es ist außerordentlich wichtig, daß in der europäischen Integration selbst und auch in diesem Vertrag etwas steckt, was mit den schlimmen Erfahrungen der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts zu tun hat und was sich in einer wachsenden Integration der Innenpolitik, der Rechtspolitik, oder, wie man so schön und damit leider auch verschleiernd oder unverständlich sagt, der Vergemeinschaftung dieser Bereiche ausdrückt. Es ist außerordentlich wichtig, daß die Menschen verstehen, daß nicht nur wirtschaftliche Wohlfahrt, nicht nur politische Freiheit, sondern auch die stabile Sicherheit im Inneren unseres Kontinents nur noch gemeinsam erreicht werden kann und daß wir anderenfalls weder bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität noch bei der Sicherung des Schutzes von politisch Verfolgten oder irgendwo sonst eine Chance haben. Freiheit, Liberalität und Rechtsstaatlichkeit werden wir in Europa nur noch gemeinsam und ganz sicher nicht gegeneinander bewahren.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Schließlich ist aus den Erfahrungen und aus dem Erbe noch eine andere Konsequenz gezogen worden. Bisher ist die Integration in Europa sehr stark zunächst wirtschaftlich verstanden worden, und die politischen Schritte der Integration folgten zunächst wirtschaftlichen Bedürfnissen und Entscheidungen. Das war so bei dem Vertrag über die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl, das war später - ergänzt, erweitert und politisch begründet - so mit den Römischen Verträgen. Immer wieder sind der politische Fortschritt, die politische Integration in Europa zunächst wirtschaftlich verstanden und wirtschaftlich verursacht gewesen. Ich behaupte, daß wir mit der Bildung der Wirtschafts- und Währungsunion in Europa mit diesem Prinzip an ein Ende kommen. Meine Sorgen mit manchen Teilen des Amsterdamer Vertrages gründen sich darauf,

(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Jetzt kommen die Bedenkenträger wieder!)

daß wir zwar auf der einen Seite eine sehr tiefe, un-umkehrbare, übrigens auch wünschenswerte wirtschaftliche Integration haben, daß aber auf der anderen Seite die politischen Institutionen mit diesem Integrationsschritt nicht mitkommen und daß deswegen eine Überwältigung der politischen Ideen durch die wirtschaftlichen Erfordernisse droht, was wir unbedingt vermeiden sollten.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Vor diesem Hintergrund bitte ich Sie, es richtig zu verstehen, wenn ich folgendes sage: In der Europäischen Union leben zur Zeit knapp 400 Millionen Menschen, die zu etwa 45 Prozent am Welthandel beteiligt sind. Von diesen 45 Prozent wickeln sie allerdings den weitaus größten Teil untereinander ab. Es ist für uns in Deutschland besonders wichtig, zu verstehen, daß von den zehn größten bilateralen, also zwischen zwei Volkswirtschaften stattfindenden Handelsströmen auf der Welt sieben zwischen Deutschland und einem anderen europäischen Land - ich lasse die USA einmal beiseite - bestehen, daß also Deutschland mit Frankreich, Deutschland mit Großbritannien, Deutschland mit den Niederlanden - dabei handelt es sich um den viertgrößten bilateralen Handelsstrom auf der Erde - und Deutschland mit anderen europäischen Ländern in einem engen wirtschaftlichen Austausch steht. Es ist Ausdruck eines - möglicherweise ungewollten, aber dummen - Nationalismus, zu glauben, daß wir in Deutschland angesichts der Globalisierung der Finanzmärkte, angesichts der Integration in Europa und angesichts der Regionalisierung, die auf der Welt mit der Globalisierung einhergeht, den wirtschaftlichen Herausforderungen allein und mit einer einzelnen Währung begegnen könnten.

(Beifall bei der SPD)

Es ist einfach eine Tatsache - das sage ich mit Blick auf die Anzeigen, die die Bundesregierung und andere schalten, und mit Blick auf manche andere Bemerkung, die hier gemacht worden ist -: Wir werden die Bürger nicht mit Appellen davon überzeugen können, daß wir eine gemeinsame stabile europäische Währung brauchen; nicht appellativ, sondern nur argumentiv werden wir eine entsprechende Überzeugung in der Bevölkerung herbeiführen können.

(Beifall bei der SPD)

Deshalb füge ich hinzu, daß in Zukunft mit einer gemeinsamen Währung das nicht mehr eintreten kann, was wir in den letzten Jahren lernen und erfahren mußten, daß nämlich beispielsweise andere europäische Länder ihre Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Deutschland, die zurückgegangen war, mit einer Abwertung ihrer Währungen wiederhergestellt haben. Das ist ja nur die eine Seite der Konsequenzen. Die andere Seite der Konsequenzen liegt darin, daß diese Veränderungen in den Währungsrelationen dazu führen, daß Unternehmen in Deutschland, deren Export gerade in die europäischen Staaten sehr hoch ist, strikt und konsequent rationalisieren

Rudolf Scharping
mußten, was sie auch getan haben. Die von Ihnen, Herr Bundesfinanzminister, mit verursachten Währungsschwankungen in Europa - Folge einer fehlerhaften Finanzierung der deutschen Einheit und auch einer fehlerhaften Finanzpolitik in Deutschland - haben uns in Deutschland mehrere hundertausend Arbeitsplätze deshalb gekostet, weil die Unternehmen auf die Veränderungen der wirtschaftlichen Umwelt mit viel stärkeren Rationalisierungen reagieren mußten, als es sonst geschehen wäre.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Der Bundesfinanzminister weist darauf hin, daß die Defizitkriterien eingehalten worden sind.

(Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Trotz DIW!) Das ist richtig, und das ist auch gut so.


(Zuruf von der F.D.P.: Freuen Sie sich!) Ich bestreite das überhaupt nicht.


(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Weiß das auch die CSU?)

Ich will mich auch nicht in den Streit mit dem Finanzminister des Freistaates Bayern und anderen einmischen. Die Bemerkungen des DIW waren fahrlässig und falsch, und das muß man auch offen sagen.

(Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Richtig! Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Das ehrt Sie!)

Wenn diesem Institut allerdings unterstellt wird - was ja manche tun -, man hätte das gewissermaßen im Zusammenhang mit der niedersächsischen Landtagswahl geäußert, dann muß ich sagen: Das ist nicht richtig.

(Widerspruch und Lachen bei der CDU/ CSU und der F.D.P.)

- Entschuldigung; das ist doch aus Ihren Reihen behauptet worden. Wenn Sie das tun, dann verkennen Sie die Ursachen für die Wahlniederlage, die Sie in Niedersachsen eingesteckt haben, und dann verkennen Sie auch die Ursachen für die Wahlniederlage, die Sie noch einstecken werden.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Rolf Kutzmutz [PDS] Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das DIW ist schuld, nicht Helmut Kohl!)

Ich füge hinzu: Wissenschaftliche Freiheit bedeutet übrigens auch das Recht auf Irrtum. Herr Kollege Schäuble, Sie werden ja gleich sprechen. Wenn Sie dann sagen, diese eine Äußerung des Instituts rechtfertige es, ihm Finanzmittel des Bundes oder des Landes zu streichen, dann sage ich: Sie haben ein höchst instrumentelles und damit unverantwortliches Verständnis von wissenschaftlicher Freiheit. Lassen Sie den Unsinn; das gehört sich einfach nicht.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Zurufe von der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich will auch noch auf einen vierten Punkt hinweisen. Ich möchte nämlich nicht nur über das Erbe, die Erfahrungen und die Konsequenzen reden, die wir auf manchen Gebieten der Beschäftigungspolitik, der Wirtschaftspolitik, des Zusammenwachsens der Innen- und Rechtspolitik oder - wie ich denke - bei dem notwendigen unumkehrbaren Integrationsschritt der gemeinsamen Wirtschafts- und Währungsunion gesammelt bzw. gezogen haben. Es geht auch noch um etwas anderes. Ich sprach von Globalisierungsprozessen und davon, daß in diesen Prozessen zugleich Regionalisierung stattfindet. Das kann man ja unzweifelhaft an der Freihandelszone zwischen Kanada, den Vereinigten Staaten von Nordamerika und Mexiko

(Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: ASEAN, Mercosur!)

und trotz mancher Schwierigkeiten aktueller Natur auch in Asien oder in anderen Bereichen - Mercosur usw. - beobachten.
Das bedeutet, daß die Europäische Union, gegründet auf das historische Erbe und die schrecklichen Erfahrungen, gegründet auf die klugen Konsequenzen, die daraus gezogen worden sind, im globalen Maßstab unsere einzige Chance ist, das zu behaupten, was wir als Modell von Zivilisation, also als kluge Verbindung wirtschaftlicher Stärke, sozialer Verantwortung und politischer Freiheit uns gedacht haben.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, das hat dann aber weitere Konsequenzen. Das bedeutet, Herr Bundeskanzler, daß beispielsweise die Vorstellung von einer nur verstärkten Zusammenarbeit zwischen den Regierungen unzureichend ist für das, was sich in Europa an Herausforderungen und an Aufgaben stellt. Das bedeutet, daß wir mit einer bloßen Verstärkung der intergouvernementalen Zusammenarbeit nicht zu Rande kommen werden. Deshalb begrüße ich ausdrücklich, daß ein Gewinner dieses Vertrages von Amsterdam das Europäische Parlament ist, füge aber hinzu, daß die Rechte der Kommission, der Respekt vor dem Europäischen Gerichtshof und übrigens auch die Möglichkeiten des Europäischen Parlaments kontinuierlich verbessert werden müssen, damit Europa nicht verwechselt wird mit Bürokratie, sondern identifiziert wird mit Demokratie.

(Beifall bei der SPD)

Natürlich geht es um wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit. Natürlich geht es um Integration beispielsweise durch gemeinsame Forschung und Entwicklung, durch technologische Großprojekte und manches andere, aber es geht auch darum, daß Europa ein global handlungsfähiger Partner anderer Regionen ist oder wird. Ich sage das mit Blick auf die Unterentwicklung anderer Regionen auf der Erde. Ich sage es mit Blick auf die Sicherheitserfordernisse des eigenen Kontinents. Wir brauchen auch ein Europa, das als globaler Akteur und als Partner anderer Regionen auf der Welt auftreten kann.
Das hat schließlich zu tun mit Fragen, die sich aus der Erweiterung der Europäischen Union ergeben.

Rudolf Scharping
Ich will hier darauf hinweisen, daß die Vertiefung der Integration für die Erweiterung der Union unverzichtbar ist. Mit den derzeitigen Institutionen, mit ihrer Verfaßtheit und ihren Kompetenzen, auch mit der mangelnden Abgrenzung von Kompetenzen werden wir niemals in der Lage sein, eine handlungsfähige Europäische Union mit 20 oder mehr Mitgliedern zu haben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Da aber die mittelosteuropäischen Staaten, die baltischen Staaten ebenso wie Polen, Ungarn, die Tschechische Republik, Slowenien, Bulgarien, Rumänien und andere, in ferner Zukunft vielleicht sogar Staaten des Balkans - und nicht nur Slowenien - in die Europäische Union wollen und dann vielleicht auch die inneren Voraussetzungen wirtschaftlicher Stärke und, was ein Stück wichtiger ist, politischer Demokratie und Freiheit erfüllen, brauchen wir eine Reform der Institutionen.
Hier sage ich, daß die Bundesregierung selbst, übrigens nicht nur die Bundesregierung, sondern auch andere europäische Regierungen, auch solche, die von Sozialdemokraten geführt werden, zu zögerlich, zu ängstlich damit umgegangen sind, daß die Vertiefung der Integration, die Stärkung der europäischen Institutionen eine Voraussetzung dafür ist, daß wir den Anspruch der mittelosteuropäischen Staaten auf Zugehörigkeit zur Europäischen Union erfüllen können.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, der Vertrag von Amsterdam ist, übrigens auch mit Blick auf andere Länder, die einmal zur Union gehören wollten, wie Malta, oder weiterhin - und viel wichtiger - zur Union gehören wollen, wie die Türkei, kein Werk der Begeisterung - wahrlich nicht -, er ist auch nicht der große Meilenstein in der europäischen Entwicklung. Er beseitigt schwere Mängel des Maastrichter Vertrages. Er bietet in manchen Bereichen deutliche Fortschritte, und vielleicht ist es ja sogar ganz sinnvoll, daß wir auch in diesem Zusammenhang nicht allein mit dem Appell an die Begeisterung und nicht allein mit der Erinnerung an die historische Erfahrung, sondern ganz einfach normal und argumentierend die Bürgerinnen und Bürger darauf hinweisen, daß Deutschland in den letzten 50 Jahren seine Freiheit, seinen Wohlstand, seine Demokratie auch durch die europäische Integration, auch durch die Einbettung in multilaterale Institutionen und Organisationen gefunden und gesichert hat. Es ist kluge Voraussicht auf die Zukunft und kluge Politik für die Zukunft unseres Landes, die europäische Integration zu verstärken, sie stärker zu demokratisieren und auf diese Weise überzeugender zu machen für die Bürgerinnen und Bürger in Europa und in Deutschland.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Michaela Geiger (CSU):
Rede ID: ID1322204100
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Wolfgang Schäuble, Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion.

Dr. Wolfgang Schäuble (CDU):
Rede ID: ID1322204200
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Scharping, um Ihre Geduld nicht zu strapazieren: Es hat niemand behauptet, daß die Äußerungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung die Hauptursache für das Wahlergebnis vom vergangenen Sonntag in Niedersachsen gewesen sind. Das hat nun wirklich niemand behauptet.

(Lachen bei Abgeordneten der SPD)

Es macht auch keinen Sinn, darüber zu reden. Die SPD hat daraus ein Plebiszit über ihren Kanzlerkandidaten gemacht. Hätten Sie das Plebiszit im Saarland veranstaltet, wäre das Ergebnis für Lafontaine wahrscheinlich günstiger ausgefallen.

(Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]: Es war auch ein Plebiszist über einen Kanzlerkandidaten!)

Aber das ist ja gar nicht der Punkt.
Der Punkt mit dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung und Herrn Flassbeck, der - ich kann es ja nicht ändern - der Chefberater des Herrn SPD-Vorsitzenden ist, ist ein anderer. Der Bundesfinanzminister hat das eigentlich schon gesagt, aber da Sie es angesprochen haben, muß es noch einmal gesagt werden.

(Zuruf der Abg. Ingrid Matthäus-Maier [SPD] und weitere Zurufe von der SPD)

- Frau Matthäus-Maier, ich zitiere jetzt einmal aus der Erklärung dieses Herrn selber vom Montag oder Dienstag:
Die Äußerungen vom Donnerstag waren unbedacht und politisch bedenklich.
Das stimmt, das ist zutreffend.

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Sagt Flassbeck?)

- Ja, Erklärung vom Anfang dieser Woche von Flassbeck, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung.
Die Äußerungen vom Donnerstag waren unbedacht und politisch bedenklich,

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Genau!)

aber jetzt kommt der Punkt, wo, so finde ich, wirklich die Sauerei anfängt -

(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Frau Präsidentin!)

zu diesem Zeitpunkt wissenschaftlich korrekt.

(Lachen bei der CDU/CSU)

Zugleich weist das Institut aber darauf hin - der Herr Bundesfinanzminister hat es gesagt -, daß das

Dr. Wolfgang Schäuble
Statistische Bundesamt über eine ganz andere Datenbasis verfügt

(Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Eine verläßliche!)

- ja, über eine umfassende und verläßliche Datenbasis - als das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung. Dies wußte das DIW auch am Donnerstag und Freitag. Deswegen waren die Äußerungen nicht nur am Donnerstag und Freitag unbedacht und politisch bedenklich, sondern sie waren auch wissenschaftlich unverantwortlich.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Ist ja richtig!)

Wenn ein wissenschaftliches Institut, aus Steuergeldern finanziert,

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Genau!) seine Stimme erhebt


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Jetzt wird es falsch!)

und das Statistische Bundesamt kritisiert, obwohl es weiß, daß es im Gegensatz zum Bundesamt die Datenbasis nicht hat - was ist denn daran noch verantwortlich? Das ist wirklich ein Skandal. Deshalb muß überprüft werden, ob das nicht Konsequenzen haben muß, gerade im Interesse der Wissenschaftlichkeit dieses Instituts und im Interesse der Wissenschaftlichkeit von Politikberatung.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Ich füge gleich hinzu: Sie hätte ich hören wollen,

(Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl: Ja!) wenn der Fall umgekehrt gewesen wäre,


(Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Ja!)

wenn ein CDU-Berater zwei Tage vor der Wahl eine solche Schweinerei gemacht hätte. Da hätte ich Sie und die ganzen linken Medien in Deutschland hören wollen!

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Michaela Geiger (CSU):
Rede ID: ID1322204300
Herr Abgeordneter Dr. Schäuble, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mosdorf?

Dr. Wolfgang Schäuble (CDU):
Rede ID: ID1322204400
Ja, bitte sehr.

Siegmar Mosdorf (SPD):
Rede ID: ID1322204500
Herr Schäuble, teilen Sie die Auffassung der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung", die heute geschrieben hat:
Die Reaktion Schäubles ist überzogen ... Schäuble setzt die Koalition dem Verdacht aus, sie binde Fördergelder an ihr wohlgefällige Ergebnisse der Forscher. Über Zuschüsse an die Wissenschaft darf allein die Qualität der Arbeit entscheiden,

(Lachen und Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

nicht die inhaltliche Aussage. Anders ist freie Forschung nicht zu erhalten. Schäuble sollte den
Konsens über die Prinzipien der Forschungsförderung nicht in Frage stellen.
Das bezieht sich auf Ihre Aussage, Sie wollten denen die Mittel streichen. Es geht nicht um die Sache, sondern darum, ob Sie die Mittel streichen wollen. Das ist der Punkt, um den es geht.

Dr. Wolfgang Schäuble (CDU):
Rede ID: ID1322204600
Herr Kollege, wenn Sie zugehört hätten und nicht nur in die Lektüre Ihrer Zeitungsausschnitte vertieft gewesen wären, dann hätten Sie gerade die Begründung dafür gehört, daß ich diese Auffassung nicht teile. Ich muß es offenbar wiederholen.

(Siegmar Mosdorf [SPD]: Was soll denn das? Das ist doch lächerlich!)

- Daß Sie heute morgen die ganze Zeit Zeitungsausschnitte vorlesen, zeigt doch, wie unangenehm Ihnen die Sache ist.

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Uns? Ist ja lächerlich!)

- Ja sicher, das ist doch der SPD-Chefberater.

(Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]: Schlechte Wahlverlierer!)

Das ist doch der Chefberater des SPD-Vorsitzenden. Das ist doch nicht irgendwer.
Jetzt sage ich noch einmal: Ein wissenschaftliches Institut, das mit dem Anspruch - -

(Weitere Zurufe von der SPD)

- So wird es in der Öffentlichkeit doch wahrgenommen. Wenn das der Schreinermeister

(Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]: Müller!)

- Müller (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Maier!)

oder das SPD-Mitglied Schulze erklärt hätte, hätte man gesagt: Na ja, schön. Aber es ist ein wissenschaftliches, aus Steuergeldern finanziertes Institut, das am Donnerstag und Freitag vergangener Woche gesagt hat, die Zahlen seien nicht seriös. Das hat wissenschaftlichen Anspruch. Aber dieses Institut hat am vergangenen Montag gesagt: Nein, wir haben natürlich gar nicht die Datenbasis, um eine solche Aussage zu machen. - Da sage ich Ihnen: Mit meinem Verständnis von Wissenschaftlichkeit hat das nichts zu tun, aber mit meinem Verständnis von Sauerei sehr viel.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Deswegen sage ich: Das muß man überprüfen.

Zurück zur Debatte über Europa: Herr Kollege Scharping, Sie haben eine Menge Dinge gesagt, über die wir nicht streiten. Es ist ja auch gut so, daß es Dinge gibt, über die wir uns nicht streiten.

(Rudolf Scharping [SPD]: Es ist ein bißchen kleinkariert, wie Sie angefangen haben!)


Dr. Wolfgang Schäuble
- Sie haben mich doch darauf angesprochen, ich solle gleich antworten.

(Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]: Das ist nicht kleinkariert! Das ist Pepita!)

Die Debatte über Europa, vom Amsterdamer Vertrag bis zur Währungsunion, zeigt doch etwas von dem grundlegenden Problem in Deutschland, das darin liegt, daß wir auf der einen Seite ungeheure Erfolge haben, daß es uns bei allen Problemen wirtschaftlich und sozial so gut geht, wie man es sich vor Jahrzehnten nicht hätte vorstellen können, daß wir ungeheure Exportüberschüsse haben, Wirtschaftswachstum, Preisstabilität, Erfolge im Bereich der Friedenssicherung, der äußeren und inneren Stabilität, wie man vor Jahrzehnten kaum zu träumen gewagt hätte, und daß wir auf der anderen Seite gleichwohl Probleme über Probleme haben. Die Menschen empfinden diesen Widerspruch. Sie fühlen sich verunsichert.
Der Bundesfinanzminister hat von den Auswirkungen globaler Entwicklungen gesprochen. Viele empfinden es als einen Grund zur Verunsicherung, zur Sorge: Was kommt da auf uns zu?
Es ist doch völlig klar: Obwohl wir immer versuchen, überzeugend zu reden, ist es furchtbar schwer, den Menschen die Angst zu nehmen. Es verunsichert sie, daß sie ab 1999 ihre über 50 Jahre bewährte D-Mark, an die sie sich gewöhnt haben, die stabil ist, in die man Vertrauen hat, zugunsten einer europäischen Währung aufgeben sollen.
Das hat übrigens gar nichts mit der Frage zu tun, ob die Anzeigen der Bundesregierung appellativ sind oder nicht. Die Verunsicherung ist da, und das werden wir lange nicht ändern; denn das Bewährte wird als gut empfunden, und das Neue ist ungewiß. Viele Menschen sagen: Wenn wir erst einmal zehn Jahre Erfahrung mit dem Euro hätten, wären wir auch bereit, ihn einzuführen.

(Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Richtig!) Leider können wir das nicht machen.

Genauso ist es mit der Osterweiterung. Was kommt da alles auf uns zu? Was bedeutet das? Es geht um die Reform der Agrarpolitik und dergleichen. Ich erinnere an die Bilder von den Schiffen, mit denen die Menschenhändler - das ist organisiertes Verbrechen - Anfang Januar Flüchtlinge kurdischer Abstammung vor die Küsten Italiens gebracht haben. Natürlich ängstigt es die Menschen: Was kommt alles auf uns zu? Wie werden wir damit fertig? - Deshalb ärgert es mich so: Daß ein wissenschaftliches Institut so fahrlässig - ich glaube nach wie vor: nicht nur fahrlässig - diese Verunsicherung schürt, das ist falsch.
Ich nenne Ihnen noch zwei Beispiele. Bei den Bildern, die wir Anfang des Jahres von den Schiffen vor den Küsten Italiens sahen - ob die Flüchtlinge aus Albanien kamen oder ob es Kurden waren, ist zweitrangig -, gab es sofort die Debatte: Ist Europa daran schuld oder nicht? Die richtige Antwort war die der Bundesregierung und des Bundesinnenministers:
Europa hilft uns eher, mit solchen Problemen fertig zu werden, als wir es ohne Europa könnten.

(Rudolf Scharping [SPD]: Das war aber eine höchst euphemistische Beschreibung!)

Die Antwort aus Hannover lautete: Schengen-Vertrag aussetzen. Also: Europa ist schuld an den Problemen.

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Die Antwort aus Bayern aber auch!)

Genauso verstehen es die Menschen. Es ist aber
falsch! Die Antwort der Bundesregierung war richtig.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Frau Matthäus-Maier, Sie werden im Zweifel immer auch einen in der Union finden, der diese Auffassung vertritt. Wir müssen aber die Alternativen aufzeigen können. Sie haben in diesem Jahr nun einmal eine wichtige Entscheidung getroffen, mit Herrn Schröder als Ihrem Spitzenmann anzutreten.

(Zuruf von der SPD: Das schmerzt euch!)

Deswegen müssen Sie hinnehmen, wenn wir sagen: Das Prinzip Schröder ist das falsche, wenn es darum geht, unseren Mitbürgerinnen und Mitbürgern zu erklären, welches der richtige und notwendige Weg in eine bessere Zukunft ist.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Konrad Gilges [SPD]: Sie sind schlechte Verlierer! Dieses Nachkarten ist ja schrecklich!)

- Ach was. Wenn Ihnen, Herr Kollege, auf den Hinweis, daß man weltweite Wanderungsbewegungen und Flüchtlingszuströme nach Deutschland besser durch europäische Solidarität bekämpfen kann als durch das fahrlässige Schüren des Ressentiments, Europa sei an solchen Entwicklungen schuld, nichts Besseres einfällt als der Hinweis, wir seien schlechte Verlierer, muß ich Ihnen sagen: Sie sind nicht ganz auf der Höhe der Debatte, um die es unseren Mitbürgerinnen und Mitbürgern geht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich will Ihnen noch ein Beispiel nennen: Am vergangenen Freitagabend - ich bin nicht ganz sicher, ob es Donnerstag oder Freitag war, aber vor der Wahl am Sonntag - habe ich die stellvertretende Bundesvorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes im Fernsehen gesehen, und sie hat gesagt - sie kam übrigens gleich nach dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung -,

(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN] : Und dann kam Erwin Huber! Der war der dritte!)

der Euro und das Erreichen der Stabilitätskriterien, also der große Erfolg unserer gemeinsamen Politik und insbesondere der Erfolg des Bundesfinanzministers Theo Waigel, zu dem wir ihm nicht nur gratu-

Dr. Wolfgang Schäuble
lieren, sondern auf den wir alle miteinander auch stolz und für den wir dankbar sind

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

- da können Sie von der SPD sogar mitklatschen -, sei mitursächlich dafür, daß die Arbeitslosigkeit in Deutschland so hoch sei. Das hat die Frau stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes gesagt. Dafür können Sie jetzt unmittelbar nichts, das ist klar. Aber damit muß man sich auseinandersetzen. Ich habe mir überlegt: Ist der DGB jetzt plötzlich von seiner Position, für den Euro einzutreten, abgerückt?
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir machen einen entscheidenden Fehler, wenn wir den Menschen in Deutschland erklären, der Euro und die Einhaltung der Stabilitätskriterien seien die Ursache der Arbeitslosigkeit. Die Wahrheit ist genau umgekehrt, auch wenn diese Wahrheit vielleicht ein wenig anstrengender ist.

(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Richtig! Kohl heißt die Ursache!)

- Herr Fischer, Sie könnten sich in die Reihen der Zwischenrufer der SPD setzen. Ihr Niveau ist genauso hoch.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Diese Regierung ist die Ursache, Ihre Truppe!)

- Ach was. Ich versuche, ernsthaft zu argumentieren, weil sich die Menschen Sorgen machen,

(Unruhe)

wie wir von dieser zu hohen Arbeitslosigkeit wegkommen.
Was ist notwendig? Niemand hat ein Patentrezept. Ich denke, daß der Weg, den auch Frau Wieczorek-Zeul heute morgen genannt hat, Europa müsse in stärkerem Maße die Verantwortung dafür übernehmen, der falsche Weg ist.
Ich glaube, daß die vielen Veränderungen in dieser Welt - Globalisierung, Konkurrenz mit jedem Standort der Erde, und zwar nicht nur in bezug auf die industrielle Produktion, sondern auch im Fremdenverkehr: ein 14 tägiger Urlaub in der Karibik ist billiger als im Schwarzwald, was sehr bedauerlich ist, und auch die Problematik bei den Erntehelfern in der Landwirtschaft - letzten Endes damit zu erklären sind, daß wir als Verbraucher nicht den Preis bezahlen wollen, den die Waren kosten, wenn man den Lohn bezahlt, den wir als Arbeitnehmer dafür bekommen wollen. Das ist eines der fundamentalen Probleme.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Hier kann man nicht einfach sagen: Europa ist schuld. Unsere Antwort kann auch nicht sein: Wir müssen runter auf das Lohnniveau und auf den Sozialstandard von anderen. Der Grund ist letzten Endes, daß wir in höherem Wohlstand und höherer sozialer Sicherheit leben als die meisten anderen.

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Mit den höheren Löhnen!)

- Ja. Ich kritisiere die hohen Löhne und die hohe soziale Sicherheit doch gar nicht. Wir haben einen höheren Lebensstandard, einen höheren Wohlstand und eine höhere soziale Sicherheit. Übrigens haben wir auch eine höhere soziale Sicherheit als - um das auch einmal zu sagen - das jetzt von der SPD hochgelobte Land von Tony Blair. Die britische Krankenversicherung hat nach wie vor Altersgrenzen für die Bezahlung bestimmter Operationen. Mit unserem Verständnis von Menschenwürde und sozialer Gerechtigkeit ist das nicht zu vereinbaren.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Aber wenn wir diesen höheren Wohlstand, dieses höhere Maß an sozialer Sicherheit in einer Welt, in der der Wettbewerb härter wird, die Entfernungen schrumpfen, die Grenzen nicht mehr trennen und die sozialen Veränderungen, die technologische Entwicklung sowie die Rationalisierung auch im eigenen Land sehr rasant sind, erhalten wollen, dann müssen wir uns anstrengen. Dann dürfen wir beispielsweise nicht folgendermaßen plakatieren - Herr Scharping, hören Sie sich das noch an -: In der Adenauerallee in Bonn hängt ein Plakat der SPD. Da werben Sie für mehr Arbeitsplätze. Dann zeigen Sie ein Bild mit einem Teakholzsessel in einer ruhigen Parklandschaft. Das ist Ihr Verständnis von mehr Arbeitsplätzen. Ich sage Ihnen, meine Damen und Herren: So werden wir die Probleme nicht lösen. Ein bißchen anstrengender wird es für Deutschland werden. Mit dieser seichten Beliebigkeit und Unverbindlichkeit des Herrn Schröder wird es nicht gehen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wir müssen uns der Globalisierung stellen. Das heißt, wir müssen Europa als einheitlichen Wirtschaftsraum gestalten, weil wir anders weniger gute Chancen haben, all dieser Entwicklungen, die ich nur andeuten kann, Herr zu werden und uns zu behaupten.
Wir müssen die Staatsquote zurückführen, nicht weil die Staatsquote - Herr Bundesfinanzminister, wir sind übrigens fast auf der Mitte des Weges, den wir uns 1994 vorgenommen haben, sie nämlich von damals knapp 51 Prozent wieder auf 46 Prozent wie schon in den 80er Jahren zurückzuführen - wie ein Fetisch wirkt, sondern weil sie Ausdruck der Frage ist, wieviel Freiraum für die dynamischen Kräfte, Eigenverantwortung, Leistungsbereitschaft, Anpassungsfähigkeit und Kreativität in Wirtschaft und Gesellschaft besteht.
Die Staatsquote hat übrigens auch etwas mit Bürokratie zu tun. Das ist der eine Grund, warum ich es für falsch halte, die Europäische Union für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit verantwortlich zu machen.

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Mitverantwortlich!)


Dr. Wolfgang Schäuble
Dies wird nur zu noch höheren Steuern, zu noch höheren Abgaben, zu noch mehr Bürokratie und am Ende zu weniger Dynamik und Anpassungsfähigkeit führen. Das ist der falsche Weg.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Deswegen ist im Gegensatz zu der Auffassung der stellvertretenden DGB-Vorsitzenden die Einhaltung der Maastricht-Kriterien die Voraussetzung für eine stabile europäische Währung - übrigens auch Voraussetzung dafür, daß wir in Deutschland eine solche sensationelle Preisstabilität haben, was ja auch eine soziale Großtat ist - und damit nicht die Ursache der Arbeitslosigkeit, sondern ein Mittel zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Denn ohne eine Reduzierung der öffentlichen Ausgaben - das ist ein MaastrichtKriterium - erreichen Sie keine Senkung der Staatsquote und nicht mehr Freiräume für Wirtschaft und Beschäftigung.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Deswegen geht Ihr Wahlprogramm, Herr Kollege Scharping, das Sie am Montag vorgestellt haben, leider in die falsche Richtung, indem Sie alles rückgängig machen wollen. Es ist übrigens merkwürdig: In den Interviews sagt der Herr Kanzlerkandidat der SPD immer, in Deutschland herrsche Stillstand, nichts bewege sich, es müsse eigentlich alles so bleiben, aber ein bißchen besser und schneller werden. Aber wenn sich in den letzten Jahren nichts bewegt hat, kann man auch nichts rückgängig machen.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Im Wahlprogramm wird nun gesagt: Es muß alles rückgängig gemacht werden. Ich kann nur sagen: Vorwärts, Genossen! Es geht zurück. - So werden wir die Zukunft nicht gewinnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich behaupte doch gar nicht, daß all das - das ist im übrigen das, was Sie vermitteln wollen -, was ansteht, nur angenehm und bequem ist. Also, dieser Teakholzsessel auf dem Plakat ist bequemer. Die Reform der gesetzlichen Krankenversicherung dahin gehend, den Beitragsanstieg zu verhindern, indem man die Ausgaben bremst, ist nicht bequem, sondern ausgesprochen anstrengend.

(Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Sehr unbeliebt!)

Dann muß man den Menschen noch erklären, damit sie es gegen manche Diffamierungen auch verstehen, daß die Zuzahlungen sozial begrenzt sind, daß chronisch Kranke maximal 1 Prozent und die anderen nur 2 Prozent vom Nettogehalt für Arzneimittel zuzahlen müssen. Aber auch das ist nicht bequem.
Die Reform der Rentenversicherung, die Sie rückgängig machen wollen - ich zähle jetzt lauter Dinge auf, die Sie rückgängig machen wollen, nach dem Motto: Zurück zur Bequemlichkeit in den Teakholzsesseln! -, ist natürlich nicht bequem und politisch nicht ohne Risiko. Das ist wahr, Herr Bundeskanzler. Darüber haben wir gesprochen; das wissen wir. Wir bieten damit dem politischen Gegner die Chance, zu
sagen: Jetzt werden die Renten gesenkt, haha. Das ist höchst gefährlich.
Nur, meine Damen und Herren, angesichts der Tatsache, daß die Menschen länger leben, daß wir mehr Ältere und weniger Junge haben, daß im Jahr 2030 doppelt so viele Menschen im Rentenalter sein werden wie heute, angesichts der Tatsache, daß das Lebensalter steigt, das Renteneintrittsalter sinkt, die Lebensarbeitszeit sinkt und die Rentenbezugsdauer steigt, der Rentenversicherungsbeitrag zu hoch ist und der Sozialversicherungsbeitrag bei 42 Prozent liegt, angesichts all dieser Tatsachen

(Zurufe von der SPD)

- fahren Sie Ihren Lärmpegel zurück; das nützt gar nichts - ist es gefährlich

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Wir sind schon ziemlich leise!)

- ich habe im Moment im Gegensatz zu Ihnen das Recht zu reden; Sie können sich nachher zu Wort melden -, den Menschen einzureden, man brauche auf der Ausgabenseite überhaupt nicht zu sparen. Wenn man nur ein bißchen umfinanziere, sei das Problem zu lösen. So einfach ist die Welt nicht, und so ist die Zukunft nicht zu gewinnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Damit die Renten sicher bleiben,


(Bernd Reuter [SPD]: Muß Kohl weg!)

müssen sie bezahlbar und wirtschaftlich verkraftbar sein. Dazu muß die Dynamik des Ausgabeanstiegs gebremst werden. Das ist das Prinzip der Rentenstrukturreform, nicht mehr und nicht weniger. Dies ist notwendig, damit wir eine bessere Chance haben, die zu hohe Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Dazu brauchen wir Europa. Das alles paßt zusammen.

(Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

- Ja, natürlich. In Europa müssen wir deregulieren. Das wollen Sie rückgängig machen.

(Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]: Ein Riesenderegulierungsprogramm!)

- Frau Kollegin Wieczorek-Zeul, Sie haben heute morgen davon geredet, daß Ihren Vorstellungen nach Europa die Arbeitslosigkeit bekämpfen solle. Immer ein anderer, so nach dem Motto: Hannemann, geh du voran! Vorwärts Genossen, es geht zurück!
Ich sage Ihnen, wie wir sie bekämpfen müssen.

(Bernd Reuter [SPD]: Ihr macht doch nichts! Dr. Uwe Küster [SPD]: Nicht „müssen"! Was haben Sie denn die ganzen Jahre getan?)

- Also, meine Damen und Herren, machen wir einmal eine kleine Pause und lassen die Intelligenz dieser Zwischenrufe auf uns wirken.

Michaela Geiger (CSU):
Rede ID: ID1322204700
Meine Damen und Herren, das Wort hat Dr. Wolfgang Schäuble.


Dr. Wolfgang Schäuble (CDU):
Rede ID: ID1322204800
Ich sage Ihnen, was wir gemacht haben und was Sie rückgängig machen wollen. Es ist völlig unbestreitbar, daß wir die Arbeitsplätze, die wir brauchen, nicht allein im Bereich der industriellen Produktion bekommen werden. Wir bekommen sie nur dann, wenn wir den Übergang in die Dienstleistungsgesellschaft schaffen. Das bedeutet unangenehme und unbequeme Veränderungen.
Es war viel einfacher und schöner, als ich aus der Schule kam. Manche meiner Jahrgangskameraden sind damals in einer großen Fabrik in meiner Heimatstadt, einer Kleinstadt im Schwarzwald, in die Lehre gegangen in der Erwartung, daß sie irgendwann, in 40 oder 50 Jahren, aus dieser Fabrik in die Rente gehen. So ist die Arbeitswelt der Zukunft für die allerwenigsten. Es verändert sich viel mehr.
Weltweit gibt es schon heute mehr Arbeitsplätze im tertiären Sektor als in der industriellen Produktion. Wir in Deutschland liegen im Bereich der Arbeitsplätze im Dienstleistungssektor gegenüber Holland, Schweden, Dänemark, England und Amerika signifikant zurück. Das müssen wir ändern. Dies aber geht nicht, wenn wir an den liebgewonnenen Besitzständen festhalten. Es geht nur, wenn wir die Bereitschaft zur Änderung in unserer Bevölkerung fördern.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Deswegen haben wir Teile unseres Kündigungsschutzrechtes, zum Beispiel die befristeten Arbeitsverhältnisse oder auch die Verantwortung der Tarifpartner - -

(Konrad Gilges [SPD]: 15 Jahre regiert!)

- Der DGB-Vorsitzende kann doch nicht sagen: Die Politik ist schuld an der Arbeitslosigkeit. Nein, in Deutschland sind in erster Linie die Tarifpartner für Arbeitsmarkt, Beschäftigung und Arbeitslosigkeit zuständig; denn sie regeln die Arbeitsbedingungen und die Höhe der Entlohnungen. Deswegen muß man auch die Verantwortung der Tarifpartner einfordern.
Es ist doch ein Wahnsinn: Für die Regelung dieser Fragen sind die Tarifpartner zuständig, aber für die Folgen der tarifpolitischen Entscheidungen wird die Politik verantwortlich gemacht. Das paßt nicht zusammen. Deswegen: Jeder ist für seinen Teil verantwortlich.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall haben wir gesagt: Die Tarifpartner sollen das regeln. 80 Prozent sind das gesetzlich vorgesehene Minimum; sie können auch 100 Prozent regeln, wenn sie wollen. Sie regeln es aber in eigener Verantwortung und haften für die Folgen.
Sie wollen dies rückgängig machen. Ich sage Ihnen: Ihr Weg ist der Weg in die Vergangenheit, unser Weg ist der Weg in die Zukunft.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Denn nur mit mehr Eigenverantwortung, mit mehr
Fähigkeit zum Strukturwandel werden wir den Umstieg in die Dienstleistungsgesellschaft schaffen, nicht mit mehr Regulierungen oder mit höheren Abgaben und Steuern.

(Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Richtig!)

Das ist der Weg, der zur Europäischen Währungsunion führt. Deswegen ist es kein Gegensatz, vielmehr bedingt das eine das andere.
Wer den Menschen einredet, man brauche sich eigentlich gar nicht so anzustrengen, es gehe auch bequemer, ein bißchen netter, ein bißchen unverbindlicher - -

(Rudolf Scharping [SPD]: Vielleicht aber gerechter!)

- Ihr Kanzlerkandidat, Ihr Wahlprogramm, und uns greifen Sie an!

(Beifall bei der CDU/CSU Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weiter so! Rudolf Scharping [SPD]: Nur weiter so!)

- Ganz ruhig, lassen Sie mich ausreden. Herr Kollege Scharping, ich habe Sie doch genauso ruhig reden lassen und habe Sie kein einziges Mal am Reden gehindert. Also, ganz friedlich!

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Scharping hat zum Euro und zu Amsterdam geredet!)

- Ich rede davon, daß europäische Politik notwendig ist, damit wir unsere Zukunftschancen wahrnehmen können. Dazu müssen wir in Deutschland die richtigen Entscheidungen treffen und in Europa auch.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Sie machen doch das Manöver der Opposition: Sie machen uns für die unangenehmen Seiten jeder konkreten Entscheidung verantwortlich - bis zu Herrn Flassbeck und der Frau Engelen-Kefer beim Euro -, aber gleichzeitig legen Sie kein Rezept vor, wie wir denn die Zukunft gewinnen. Dann sagen Sie noch, Europa muß zusätzlich für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zuständig sein.
Nein, wir brauchen Europa. Wenn wir Akzeptanz und Verständnis unserer Mitbürger für den Amsterdam-Vertrag, für die Erweiterung, für die Währungsunion gewinnen wollen, müssen wir ihnen erklären, warum und wieso dieser Weg richtig ist, um unsere grundlegenden Probleme zu lösen. Das geht nur auf dem Weg von Deregulierung, Strukturwandel, schnellerer Anpassung und klarem Setzen auf technologische Innovation. Das geht nicht durch die Verhinderung des Transrapids, wie auf dem SPD-Parteitag gefordert, sondern nur durch technologische Innovation. Fortschritt nur, wenn wir in Deutschland und Europa weltweit an der Spitze der technischwissenschaftlichen Entwicklungen sind. Dann werden wir eine Chance haben, unseren Wohlstand, unsere soziale Sicherheit auch im kommenden Jahrhundert mit europäischer Einigung zu bewahren, ohne nicht.

Dr. Wolfgang Schäuble
Nur, wir müssen in Europa fähig sein zu Solidarität, auch dazu, gemeinsam Lasten zu tragen, und dürfen nicht jedesmal dann, wenn irgendwo am Horizont eine Wolke auftaucht, wie bei den Schiffen vor Italien, sagen: Schengen aussetzen, Europa ist schuld. Nein, wir müssen auf dem Weg der europäischen Einigung vorangehen. Nur dann werden wir die Grundlagen von Stabilität, Freiheit, Sicherheit nach innen und außen, Toleranz und Friedlichkeit bewahren.
Wir dürfen nicht zulassen, daß die Menschen Angst vor der Zukunft haben, und nicht die Neigung schüren, zu sagen, wenn es bleiben würde, wie es früher war, wäre es auch ganz nett. Veränderung ist immer unbequem. Das steckt doch dahinter. Das steckt hinter der Strategie des Herrn aus Hannover. Wenn wir das zulassen, haben wir verspielt.
Ich sage Ihnen übrigens voraus: Wenn wir das zulassen, wenn das Erfolg hat, dann werden wir ernten, daß diejenigen, die die Modernisierung in unserem Lande verweigern, weil sie glauben, die Modernität sei schuld an unseren Problemen, und nicht sehen wollen, daß die Zukunft Chancen bietet, wie wir sie in der Vergangenheit nie hatten, dafür sorgen, daß die Demokratie und die Freiheit nicht stabiler werden und die Zukunftsfähigkeit unseres Landes nicht besser wird. Deswegen ist es nicht Nostalgie, wenn wir sagen: Wir sind auf dem Weg der europäischen Politik, mit allen Rückschlägen. Wir wären auch bei der politischen Integration lieber schon ein Stück weiter. Wir wünschen uns auch effizientere Strukturen.
Natürlich wird Europa nicht gelingen, wenn das Prinzip der Subsidiarität, des Föderalismus, des Vorrangs der kleineren, bürgernäheren Einheit in Europa nicht durchgesetzt wird, und zwar nicht nur auf dem Papier, sondern in der Wirklichkeit, auch beim Strukturfonds.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wenn Europa den Menschen als ein bürokratischer Moloch erscheint, wo keiner mehr durchblickt, was eigentlich läuft, dann haben wir schon verspielt. Deswegen sollten wir nicht mehr Zuständigkeiten auf Europa schieben. Vielmehr sollten wir sagen, was Bund, Land und Gemeinde besser selber regeln können, auch in der Regionalpolitik. Nicht zuletzt regeln Gemeinde, Land und Bund besser, als die europäische Ebene regelt.
Was nur Europa gemeinsam regeln kann: Sicherheit nach innen und außen, einen einheitlichen Wirtschaftsraum in einer globalisierten Wirtschaft. Das muß Europa machen; dafür brauchen wir ein starkes Europa. Aber das Föderalismusprinzip, das Subsidiaritätsprinzip durchzusetzen wird für das Verständnis unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger zentral notwendig sein, wenn sie verstehen sollen, daß Europa der richtige Weg ist, um die Zukunft zu gewinnen.
Noch ein Beispiel zum Vertrag von Amsterdam: Natürlich kann man unter Europapolitikern trefflich darüber streiten, ob die geforderte Einstimmigkeit bei der Einwanderungs- und Visapolitik im Amsterdamer Vertrag richtig ist oder nicht. Ich stehe gar nicht an, Frau Wieczorek-Zeul, zu sagen: Unter ordnungspolitischen Gesichtspunkten bin ich generell kein Anhänger der Einstimmigkeit, sondern wünsche mir doppelte und notfalls hochqualifizierte Mehrheiten. Sie müssen aber auch in der europäischen Politik immer das Ziel vor Augen haben und dann auf realistischem Wege die möglichen Schritte gehen.
Zur Zeit besteht in Europa in bezug auf die Folgen von Einwanderungs- und Visapolitik überhaupt keine Solidarität. Es gibt in Europa keine Verteilung von Flüchtlingen und noch heute keine Solidarität beim Tragen der Lasten. In Deutschland sind mehr Flüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina als in allen anderen europäischen Ländern zusammen. Solange wir durch die Folgen falscher oder fehlerhafter Entwicklungen stärker als alle anderen belastet werden . ist es richtig, daß die Bundesregierung sagt: Solange es beim Tragen der Lasten keine Einigung gibt, müssen wir uns bei unserer besonderen Situation auch das Recht vorbehalten, übergangsweise dafür zu sorgen, daß wir von Entwicklungen nicht in einem Maße betroffen werden, das die innere Stabilität unseres Landes und damit unsere Fähigkeit zur Solidarität mit anderen gefährdet. Das kann niemand wollen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Wenn wir unseren Mitbürgern europäische Politik so erläutern und dafür einstehen und nicht jedesmal, wenn Wolken auftauchen, sagen, die Regierung oder sonstwer sei schuld, und ihnen auch erläutern, daß Reformen notwendig sind, um die Zukunft zu gewinnen und die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, dann haben wir, meine Damen und Herren, eine gute Chance, unser demokratisches System stabil zu halten. Die Union ist dazu bereit.
Herzlichen Dank.

(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Michaela Geiger (CSU):
Rede ID: ID1322204900
Ich erteile das Wort zu einer Kurzintervention der Abgeordneten Heidemarie Wieczorek-Zeul.

Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD):
Rede ID: ID1322205000
Frau Präsidentin! Der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU-Fraktion Schäuble hat davor gewarnt, Bürger und Bürgerinnen in bezug auf die Euro-Einführung zu verunsichern. Dabei hat er andere kritisiert. Ich möchte jetzt gerne von der CDU/CSU und der F.D.P. wissen, ob sie bereit sind, mit uns den von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurf zur Euro-Einführung so zu ändern, wie ich es hier vorgeschlagen habe.
Zu Ihrer Erinnerung: In dem vorliegenden Gesetzentwurf wird gesagt - dafür ist das Justizministerium verantwortlich -, das Indexierungsverbot sei nicht mehr zeitgemäß. Auf gut deutsch heißt das: Die Bundesregierung vertritt die Auffassung, bei der EuroEinführung könne das Verbot von Preiserhöhungsklauseln wegfallen; zukünftig wäre es dann möglich, Preiserhöhungen an den Lebenshaltungsindex zu koppeln. Ich frage Sie jetzt: Ist es nicht die schlimmste Verunsicherung von Bürgern und Bürgerinnen,

Heidemarie Wieczorek-Zeul
wenn man ein solches Verbot der Indexierung wegfallen läßt?

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Sind Sie bereit, mit uns im Sinne der Akzeptanz bei den Bürgern und Bürgerinnen das Einführungsgesetz für den Euro so zu ändern, daß das über 50 Jahre geltende Indexierungsverbot auch in das Einführungsgesetz für den Euro übernommen wird? Hier könnten wir einen Beitrag für bessere Akzeptanz bei den Bürgerinnen und Bürgern leisten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Da wir über den Amsterdam-Vertrag sprechen, möchte ich eine zweite Frage an die Bundesregierung richten. Der Fraktionsvorsitzende der SPD hat vorhin eine Aktennotiz vorgelesen, die besagt, daß Bayern mit einer Ablehnung des EU-Vertrages droht, und hinzugefügt, daß der bayerische Innenminister Beckstein am heutigen Donnerstag angekündigt habe, wenn die Bundesregierung keine entsprechende Protokollnotiz vornehme, werde die Bayerische Staatsregierung den Vertrag ablehnen. Ich möchte vor der Entscheidung über die Ratifizierung in diesem Hause von der Bundesregierung wissen, ob sie - entsprechend dem Wunsch des Landes Bayern - eine entsprechende Protokollnotiz vorlegen wird. Wir haben ein Recht darauf, das zu wissen, weil die Sache im Deutschen Bundestag vor der Entscheidung klar sein muß.

(Beifall bei der SPD)


Michaela Geiger (CSU):
Rede ID: ID1322205100
Herr Dr. Schäuble zur Antwort, bitte schön.

Dr. Wolfgang Schäuble (CDU):
Rede ID: ID1322205200
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Wieczorek-Zeul, wir werden im Zuge der parlamentarischen Beratung der Gesetze zur Verwirklichung der Währungsunion das Ganze aufgeschlossen und sorgfältig prüfen. Sie können ganz sicher sein: Niemand in der Koalition und in der Bundesregierung denkt daran, im Zuge der Währungsunion die Voraussetzungen für eine scala mobile zu schaffen. In dieser Frage wird es in der Sache keinen Dissens geben; das kann ich Ihnen jetzt schon zusagen.

(Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]: Wird der Gesetzentwurf geändert?)

- Da überfordern Sie mich jetzt. Wir sind im Moment bei der zweiten Beratung des Amsterdam-Vertrages. Der Maastricht-Vertrag kommt erst in ein paar Wochen. Wir werden ihn dann sorgfältig beraten. Im übrigen hat mir der Kollege Pfennig gerade gesagt, daß Sie im Europa-Ausschuß gestern darüber beraten haben und daß dort völliges Einvernehmen mit den Kolleginnen und Kollegen der Unionsfraktion bestand. Auch im Finanzausschuß des Bundestages ist darüber schon gesprochen worden.
Ich bin ganz sicher, daß niemand in der Bundesregierung und in der Koalition, was immer sich dahinter noch an technischen Fragen verbergen mag,
daran denkt, im Zuge der Währungsunion von der grundsätzlichen Position einer Nichtindexierung Abstand zu nehmen, weil anderenfalls ein Element der Stabilitätsgefährdung entstünde.

(Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]: Sehr gut!)

Was den Amsterdam-Vertrag anbetrifft - Sie haben zwar die Regierung gefragt -, sage ich Ihnen für die CDU/CSU-Fraktion: Wir werden dem Amsterdam-Vertrag zustimmen.

(Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]: Das war nicht die Frage! Werden Sie eine Protokollnotiz vorlegen?)


Michaela Geiger (CSU):
Rede ID: ID1322205300
Ich erteile das Wort jetzt dem Abgeordneten Joseph Fischer, Vorsitzender der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Joseph Fischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1322205400
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der europäische Einigungsprozeß liegt im obersten Interesse unseres Landes. Dies ist über die Jahrzehnte hinweg in der alten Bundesrepublik Konsens gewesen; dies bleibt auch die Grundlage des vereinigten Deutschlands.
Deutschland wäre der größte Verlierer, wenn dieser Einigungsprozeß ins Stocken käme oder gar rückläufig wäre; denn wir wären dann wieder in einer Situation, die sich historisch als überaus fatal erwiesen hat. Die europäische Gleichgewichtsordnung mit all ihren Kriegen war für Deutschland alles andere als eine segensreiche Entwicklung. Es war der Weg in das Unheil, in die völlige nationale Katastrophe. Deswegen ist der Weg hin zur wirtschaftlichen und politischen Integrationsordnung aus der Sicht unseres Landes alternativlos.
In der dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion wird in diesem Jahr mit der Einführung des Euro eine der wichtigsten Entscheidungen getroffen; denn zum erstenmal kommt es zu einer echten Souveränitätsübertragung aus dem Kernbereich nationalstaatlicher Souveränität auf eine europäische Institution. Wir hoffen, daß die Einführung des Euro auf einer breiten Grundlage stattfindet und daß es hinter den Kulissen nicht zu einer unsäglichen Debatte über die Teilnahme Italiens kommt. Wir halten die Teilnahme Italiens für sehr wichtig.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Ingrid Matthäus-Maier [SPD])

Ich kann nur davor warnen, Stimmungen in der CSU und im CSU-Vorstand nachzugeben, Herr Bundeskanzler.

(Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl: Ich gebe in nichts nach!)

- Ich finde es hervorragend, daß Sie sagen, daß Sie dem nicht nachgeben. Ich nehme das gern zur Kenntnis.

Joseph Fischer (Frankfurt)

Ich kann für unseren Teil sagen, daß wir auf dieser Grundlage der Einführung des Euros zustimmen werden. Wir sehen darin - ich habe es schon gesagt - einen der entscheidenden Schritte, bei dem es nicht darum geht, ob irgendwelche ökonomischen Kriterien zur Grundlage einer politischen Entscheidung gemacht werden. Die ökonomischen Kriterien sind wichtig; aber die Einführung eines gemeinsamen Geldes ist ein zentraler politischer Akt der Souveränitätsübertragung.
Ich denke, wir sind uns hier alle einig, wenn wir den Kritikern an diesem Punkt entgegenhalten, daß es optimale ökonomische Bedingungen, die nach den Lehrbüchern der Ökonomie eine Einführung eines gemeinsamen europäischen Geldes möglich machen würden, vermutlich nur in der Theorie, jedoch nicht in der politischen Wirklichkeit gibt. Deswegen muß jetzt dieser Weg gegangen werden, wenn wir die europäische Integration wollen - nicht nur aus Gründen, die in der Vergangenheit liegen, sondern vor allen Dingen auch aus Gründen der Zukunftsgestaltung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Nur, wir müssen den Kritikern in diesem Punkt recht geben: Die ursprüngliche Position bezüglich Maastricht des Bundeskanzlers, der Bundesregierung und der Mehrheit dieses Hauses war eine Synchronisation der politischen Integration und der Integration der Wirtschafts- und Währungspolitik.

(Ingrid Matthäus Maier [SPD]: Das ist richtig!)

Diese Position war nicht durchsetzbar, und zwar nicht, weil Deutschland es nicht wollte; vielmehr wollte Deutschland dies. Etwas völlig anderes ist Ihre Rolle beim Vertrag von Amsterdam, Herr Bundeskanzler. Deswegen ist es mir wichtig, diesen Punkt festzuhalten.
Wir sind der Meinung, daß mit der Einführung des gemeinsamen Geldes die Lücke zwischen dem Vertrag von Amsterdam und dem Vertrag von Maastricht nicht mehr wegdiskutiert werden kann. Die Lücke zwischen Maastricht und Amsterdam ist die Lücke zwischen Demokratie und Legitimitätsdefizit, das sich aus dem Demokratiedefizit ergibt. Wenn wir hier über die Bewertung des Vertrages von Amsterdam sprechen, Herr Bundeskanzler, dann können wir nicht ignorieren, daß die mehrjährigen Regierungskonferenzen ganz andere Ziele hatten als diejenigen, die heute im Vertrag von Amsterdam erreicht wurden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist für unsere Bewertung ein ganz entscheidender Punkt.
Wir befürchten, daß das Demokratie- und Legitimitätsdefizit zu einem innenpolitischen Absturz führen kann. Das heißt, daß es bei den Abstimmungen über Europa deswegen, weil die Menschen vieles nicht mehr begreifen, weil der politische Integrationsprozeß und der Demokratisierungsprozeß nicht vorankommt, hier zu anderen Mehrheiten führen
kann und die Bundesregierung damit - wir haben es in den Verhandlungen von Amsterdam gesehen - erheblich unter Druck gerät und nicht mehr Motor, sondern Blockadefaktor der europäischen Integration wird.
Der Bundesfinanzminister ist ja leider nicht mehr da--

(Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl: Doch, er ist da!)

- Da oben sitzt er und unterhält sich mit dem Landwirtschaftsminister.
In diesem Zusammenhang ist es natürlich hochinteressant, die Entwicklung in der CSU zu verfolgen. Ich will Ihnen einmal etwas sagen, Herr Waigel: Sie regen sich über das DIW auf; in Wirklichkeit regen Sie sich aber über Ihre Parteifreunde Erwin Huber und Edmund Stoiber auf. Das muß man doch einmal klipp und klar sagen. Das DIW hat einen Fehler gemacht; doch jetzt hier in autoritativem Stile obrigkeitsstaatlich zu sagen, wir drehen euch den finanziellen Hahn zu, wenn ihr nicht kuscht, beweist sehr viel hinsichtlich Ihres autoritären Verständnisses von Wissenschaftsfreiheit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich will Ihnen einmal etwas vorlesen, was am Montag in der Zeitung zu lesen war, und zwar nicht über das DIW. Vielmehr fordert der CSU-Landesgruppenvorsitzende Glos das „Ende der Mäkelei"; Seite 6 „Süddeutsche Zeitung". „Streit in der CSU über die Einhaltung der Euro-Kriterien", „Bayerns Ministerpräsident Stoiber verlangt eine Überprüfung der veröffentlichten Zahlen zur Neuverschuldung". Er fordert also eine Überprüfung der Zahlen seines Parteivorsitzenden und Bundesfinanzministers,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

dieses selbsternannten Herkules. Ich zitiere weiter: „Erwin Huber verlangte, die Zahlen müßten sehr streng geprüft werden", und er zweifelte die Zahlen, die Sie vorgelegt haben, an. Hier zeigen sich die wahren Zustände in der CSU, und hier zeigt sich auch die wahre Situation bezüglich der Maastricht-Kriterien, in der wir uns hier befinden.

(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Er ist auf das DIW reingefallen!)

- Herr Schäuble, jetzt verstecken Sie sich doch nicht hinter dem DIW.

(Rudolf Scharping [SPD]: Er sagt ja, daß Herr Huber auf das DIW reingefallen ist! Das stimmt vielleicht gar nicht!)

- Herr Flassbeck ist jetzt auch Berater von Herrn Huber und Herrn Stoiber; das nehme ich mit großem Interesse zur Kenntnis. Im übrigen ist Ihr Argument, Herr Schäuble, daß das Institut diesen Fehler vor der Wahl bewußt gemacht hat, um Herrn Schröder zu nutzen, nicht sehr stichhaltig, wenn Herr Flassbeck

Joseph Fischer (Frankfurt)

gleichzeitig der Berater von Herrn Lafontaine ist, Herr Schäuble.

(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Ich hätte Ihnen eine klügere Argumentation zugetraut.

(Zurufe von der CDU/CSU)

- Ich möchte jetzt über Europa diskutieren und nicht über das DIW.
Der Amsterdam-Vertrag ist weit hinter den Notwendigkeiten und weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Es gibt zwar in vielen Bereichen sinnvolle Verbesserungen. Aber in bezug auf das Demokratie- und Legitimitätsdefizit gibt es im Maastricht-Nachfolgevertrag nur kleine Verbesserungen, die diese Defizite nicht vollständig, wie die Regierungskonferenz ursprünglich intendierte, behoben haben. Es gibt nur kleine Verbesserungen bei der Frauengleichstellung, beim Verbraucherschutz, bei der Gesetzgebungsbefugnis des Europäischen Parlaments, die dennoch weit hinter dem, was notwendig ist, zurückbleiben, und beim Akteneinsichtsrecht. Schließlich gibt es auch beim Beschäftigungskapitel, das dieser Bundesregierung nur sehr mühselig abgetrotzt werden konnte, nur kleine Verbesserungen.
Wenn der Bundesfinanzminister hier verkündet, Beschäftigungspolitik müsse national stattfinden, dann kann ich nur sagen: Sehr richtig. Wir wollen eine koordinierte Anstrengung der europäischen Mitgliedstaaten. Mir wäre es am liebsten, es gäbe so etwas wie ein Beschäftigungskriterium, das zu einer gemeinsamen Anstrengung zum Abbau von Arbeitslosigkeit führen und das die nationalen Politiken -ähnlich wie die anderen Konvergenzkriterien - zum Handeln verpflichten würde. Das wäre mir am liebsten.
Kommen wir doch einmal zur nationalen Beschäftigungspolitik, Herr Kollege Schäuble! Ich muß Ihnen ehrlich sagen: Es war schwer erträglich, Ihnen zuzuhören. Unser Problem ist doch nicht, daß irgend jemand eine falsche Politik blockiert. Unser Problem ist ebenfalls nicht, daß wir mehr Staatsausgaben verlangen würden. Unser Problem wird vielmehr durch die Zahlen verdeutlicht. Ich will sie Ihnen gerne einmal nennen. Das Statistische Bundesamt, dessen Zahlen ich nicht bezweifle, hat gestern in einer Presseerklärung bekanntgegeben, daß in diesem Jahr zum erstenmal die Nettolohnentwicklung negativ ist. Gleichzeitig aber nehmen die Bruttolöhne zu. Diese Situation besteht zur Zeit.

(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Sie verhindern doch notwendige Maßnahmen!)

Wenn Sie den Tarifpartnern vorwerfen, daß sie keine Lohnzurückhaltung üben würden, dann kann ich Ihnen nur sagen: Diesen Teil des Holland-Modells haben wir hier seit mehreren Jahren. Das erkennen wir an der lahmenden Binnenkonjunktur.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Seit sieben Jahren ist das verfügbare Masseneinkommen in Deutschland rückläufig. Ich war jüngst bei Bertelsmann. Dort sagte mir der Vorstand - ich dachte, ich sei beim SPD-Vorstand, aber nein, ich war bei Bertelsmann -, jetzt seien einmal wieder ein, zwei kräftige Tariferhöhungen notwendig, so dramatisch sei der Zusammenbruch der Binnennachfrage. Ich bitte Sie: Das muß man doch zur Kenntnis nehmen!
Wissen Sie, was das Statistische Bundesamt erklärt, worin die Ursache dieser Entwicklung liegt? Die Ursache dieser Entwicklung - abnehmende Nettolöhne, abnehmende verfügbare Masseneinkommen bei gleichzeitigem Anstieg der Bruttolöhne; das heißt, die Arbeit wird immer noch teurer und die Arbeitslosigkeit nimmt zu - liegt in dem Anstieg der Sozialversicherungsbeiträge. Dafür haften Sie, und dafür haftet dieser Bundeskanzler.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Seitdem wir im Bundestag sind, predigen wir Ihnen: Wir bekommen diese Situation nicht mit Einsparungen in den Griff, auch nicht mit Ihren Renteneinsparungen. Wir haben in diesem Punkt eine andere Position als die SPD. Wir sehen bei den untersten Sozialrenten die Gefahr einer großen sozialen Schieflage, wenn in diesem Bereich nichts getan wird. Die größte Sauerei liegt aber im Bereich der Berufsunfähigkeitsrenten. Das habe ich Ihnen schon einmal gesagt. Dort brechen Sie den Solidaritätscharakter auf. Das wissen Ihre Sozialausschüsse nur zu gut.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Wir brauchen einen neuen Generationenvertrag. Den Anstieg der Sozialversicherungsbeiträge werden Sie aber nicht mit Einsparungen in den Griff bekommen, sondern nur mit Umfinanzierungen.

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Schäubles Rede in Ingolstadt!)

Sie sind doch davon überzeugt - das macht Ihr Dilemma aus -: Die Politik, für die Sie einstehen, Herr Schäuble, ist mit Helmut Kohl nicht machbar. Er ist das fleischgewordene „Weiter so", während Sie die notwendigen Reformen wollen. Sie wollten die Ökosteuer, um die Sozialversicherungsbeiträge senken zu können. Das können sie mit dieser Truppe nicht durchsetzen. Das wissen Sie genauso gut wie ich, Herr Schäuble.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Das ist das Dilemma unserer nationalen Beschäftigungspolitik. Hier liegt der Hase im Pfeffer. Wir fördern Arbeitslosigkeit durch eine verfehlte Politik, indem wir die Bruttolöhne staatlicherseits durch hohe Sozialversicherungbeiträge weiter belasten, während gleichzeitig die Binnennachfrage wegbricht. Damit brennt die Kerze an zwei Enden. Es ist eine völlig

Joseph Fischer (Frankfurt)

verfehlte Politik, die Sie auf nationaler Ebene allein zu verantworten haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich komme zur Asyl- und Einwanderungspolitik. Es ist schon ein starkes Stück, was Sie sich auf diesem Gebiet geleistet haben. Ich könnte hier Stimmen aus Bayern zitieren: EU-Vertrag mißfällt Stoiber; Bayern wird seine Zustimmung zu dem Amsterdamer Vertrag im Bundesrat in drei Wochen davon abhängig machen, ob die Bundesregierung der Forderung nachkommt, daß die Ausländerpolitik regionalisiert bleibt. Wenn Sie sich hier hinstellen, Herr Seiters, und verkünden, das liege im nationalen deutschen Interesse, dann können Sie sich von Europa verabschieden. Die anderen haben andere nationale Interessen. Wenn wir Integration wollen, müssen wir sie auch gerade da wollen, wo es schwerfällt oder wo wir anderer Meinung sind. Hier haben Sie sich in Amsterdam als der entscheidende Blockadefaktor erwiesen.
Sie erweisen sich auch in einem weiteren Punkt als Blockadefaktor. Ich sage es nochmals: Ich finde, es ist eine Schande für unser Land, daß wir nicht endlich in der Lage sind, ein an europäische Maßstäbe angeglichenes Staatsbürgerrecht durchzusetzen, für das es in diesem Hause eine Mehrheit gäbe.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich finde, es ist eine Schande, wenn ein Rechtsradikaler wie der Franzose Le Pen verkünden kann, das heute geltende deutsche Staatsbürgerrecht sei das, was er und seine rechtsradikale Partei in Frankreich einführen wollten. Beim Staatsbürgerrecht besteht großer Anpassungsbedarf; auch hier besteht Europäisierungsbedarf.
Was wir im Amsterdam-Vertrag schmerzlich vermissen, ist ein Grundrechtskatalog, eine europäische Definition von Grundrechten. Wir haben jetzt eine Vergemeinschaftung von Polizei und von Innenpolitik. Aber da werde ich völlig mißtrauisch. Wir fallen bei der Frage der inneren Freiheit und der individuellen Grundrechte in eine vorkonstitutionelle Situation zurück, wenn wir eine Vergemeinschaftung ohne einen europäischen Grundrechtsschutz bekommen. Hier erreichen wir eine Grenze, die wir ohne weitere Demokratisierung nicht werden überschreiten können.
Die Bundesregierung war in Amsterdam, anders als in Maastricht, aus innenpolitischen Gründen einer der Hauptblockadefaktoren. Im Amsterdam-Vertrag sind viele vernünftige Dinge enthalten. Unser Ja zum weitergehenden europäischen Integrationsprozeß steht außer Zweifel. Aber wir werden Ihre Blokkadepolitik hier nicht einfach abnicken. Wir können nicht mit Nein stimmen, weil wir den weiteren Integrationsprozeß wollen. Aber dem, was Sie in Amsterdam verhindert haben, können wir nicht zustimmen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Michaela Geiger (CSU):
Rede ID: ID1322205500
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Wolfgang Gerhardt, Vorsitzender der F.D.P.

Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP):
Rede ID: ID1322205600
Herr Kollege Fischer, es ist für mich schon interessant gewesen, Ihre Beschwerde über die mögliche Entscheidung der Bayerischen Staatsregierung zu dem Vertragswerk, über das wir heute debattieren, zu hören, nachdem Sie so entschlossen angekündigt haben, Sie wollten sich enthalten.

(Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]): Ja, das ist

wirklich einmalig!)
Mir ist auch in Erinnerung, daß Sie heute gesagt haben, die Grünen würden der Einführung des Euro zustimmen. Aber wenn Sie außenpolitische Verantwortung gehabt hätten, hätten wir diese Chance überhaupt nicht, denn Sie haben den Maastricht-Vertrag abgelehnt.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich war Mitglied des hessischen Kabinetts! Hessen hat zugestimmt!)

Das führt mich dazu, in aller Ruhe - weil man ja eine gewisse Öffentlichkeit erreicht - darauf hinzuweisen, daß Ihre Rede zwar durchaus geeignet ist, in Ihren Fraktionsreihen zu wirken. Aber in der Öffentlichkeit darf doch nicht akzeptiert werden, daß Sie über die tatsächlichen außenpolitischen Absichten der Grünen schweigen.

(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der CDU/CSU)

Sie wollen Mehrheiten im Herbst, geben aber keine Auskunft über Ihre Politik. Deshalb möchte ich diese den Teilnehmern noch einmal in Erinnerung rufen:
Entscheidung über den Maastricht-Vertrag: CDU/ CSU, F.D.P. und SPD dafür, Grüne dagegen. Humanitärer Hilfseinsatz der Bundeswehr in Somalia: CDU/ CSU und F.D.P. dafür, Grüne dagegen, SPD damals auch.
Beteiligung der Bundeswehr am IFOR-Einsatz in Bosnien 1995: CDU/CSU und F.D.P. dafür, Grüne dagegen, vier Wochen später dafür, aber erst, nachdem Sie hier vorgetragen hatten, das sei die Militarisierung der deutschen Außenpolitik. Dann haben Sie der grünen Basis geschrieben, daß die Koalition doch recht habe; es müsse so geschehen. Beteiligung der Bundeswehr am SFOR-Einsatz in Bosnien: CDU/ CSU und F.D.P. dafür, Grüne dagegen. Heute Amsterdam-Vertrag: Enthaltung der Grünen.
Das ist ja eine gewaltige Steigerung; das ist unglaublich. Wenn das die außenpolitische Haltung der Grünen ist, dann sind Sie international nicht handlungsfähig und national nicht regierungsfähig. Das muß ganz deutlich gesagt werden.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Deswegen werden wir die Wahlen auch gewinnen!)


Dr. Wolfgang Gerhardt
Natürlich hat der Vertrag von Amsterdam Vorzüge und Schwächen. Es gibt Bereiche, in denen er den Durchbruch noch nicht geschafft hat. Es gibt in europäischen Vertragswerken immer Rückschläge. Das ist Ihnen wie mir bekannt. Aber deshalb müssen Sie trotzdem die Kernfrage beantworten, ob Sie den Weg der Öffnung zu den osteuropäischen Reformstaaten wollen oder nicht. Wenn Sie ihn wollen, müssen Sie dem Amsterdamer Vertragswerk zustimmen.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Es ist entscheidend, daß wir diesen Staaten eine europäische Orientierung geben und ihre sich langsam entwickelnden Demokratien und Marktwirtschaften stärken. Wer diesen Vertrag ablehnt, schlägt die Tür für die Hoffnungen von Millionen von Menschen in Mittel- und Osteuropa zu. Das tun die Grünen.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wieso lehnen wir ab?)

Wenn wir über Europa reden - das will ich in Richtung der gesamten Opposition, nicht nur in die der Grünen sagen -, sollten wir uns auch darüber klar sein, daß unser Land nicht so etwas ähnliches wie eine größere Schweiz in Mitteleuropa ist. Wir sind auf Grund unserer geographischen Lage und unserer Geschichte wie kein anderes europäisches Land dringend auf die europäische Integration angewiesen, weil Deutschland niemals seine Rolle international stabil ohne europäische Einbettung finden wird.

(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)

Das ist nicht nur eine Ansprache, die man sonntags hält. Das sind vielmehr die Kernkonsequenzen aus der deutschen Geschichte in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts. Wichtig ist aber nicht nur die europäische Einbettung. Ich füge hinzu: Wir sind dringend darauf angewiesen, neben den europäischen Vertragswerken auch die amerikanische Führungsmacht in Europa zu haben,

(Beifall des Abg. Dr. Alfred Dregger [CDU/ CSU])

wie nahezu alle kritischen Situationen der letzten Jahre bewiesen haben.
Nur im Gleichklang mit beiden werden wir aus der Geschichte dieses Jahrhunderts lernen können. Deshalb unterliegt die Außenpolitik dieses Landes keiner Beliebigkeit. Sie ist nicht etwas, was die Grünen auf Parteitagen einmal von der einen Seite beleuchten können und dann mit tiefen menschenrechtlichen Akzentsetzungen wieder mit einer anderen Tendenz versehen können. Nein, die Grünen müssen Auskunft darüber geben, ob sie im Kern eine Alternative zu der vom Bundeskanzler und vom Bundesaußenminister geführten Außenpolitik haben. Diese gibt es nicht. Es gibt sie in Papieren der Grünen. Aber deren Umsetzung wäre zum Schaden von Millionen Bürgerinnen und Bürgern der Bundesrepublik Deutschland.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Deshalb ist das keine europapolitische Debatte über ein Vertragswerk; denn hier geht es substantiell um die politische Kernaussage über eine verantwortbare Außenpolitik für die Bundesrepublik Deutschland, auch mit Blick auf den Herbst. Demjenigen, der diese Kernaussagen nicht richtig treffen kann, der sich auch in manchen internationalen Fragen so hin- und herwendet wie der niedersächsische Ministerpräsident, möchten wir die Verantwortung nicht übergeben, sondern wir möchten sie erneut erstreiten.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wenn das nicht klappt, was machen Sie dann?)

- Herr Fischer, man kann Wahlen verlieren; man darf aber nicht seine Überzeugungen an der Garderobe abgeben. Sie haben sie schon mehrmals abgegeben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie haben jede Wendung der Grünen bemäntelt, verschwiegen, vertuscht. Sie laufen als Medienereignis
durch die Lande;

(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Nur kein Neid! Von Ereignis kann man bei Ihnen nicht sprechen!)

aber es wird Ihnen nicht gelingen, die deutsche Bevölkerung im unklaren über die außenpolitischen Absichten der Grünen zu lassen. Das muß besprochen werden.
Es gibt nichts, was man allein auf europäischer Ebene regeln könnte. Wir müssen vielmehr auf unserer nationalen Ebene die Vorbereitungen für demokratische Stabilität und Arbeitsplätze schaffen. Weder Amsterdam noch Maastricht ist das Füllhorn, das sich automatisch über uns in Deutschland ergießt. Wir müssen handeln. Der Kollege Wolfgang Schäuble hat in nahezu allen Punkten die Kernbotschaften dieser Koalition, aber - ich füge jetzt hinzu - auch die Botschaft, die ich für die F.D.P. vertrete, ganz klar gemacht: Es gibt keinen Automaten, in den man oben eine bestimmte Summe, ein bestimmtes Konjunkturprogramm oder einen bestimmten Gesetzentwurf stecken könnte und unten kämen automatisch Arbeitsplätze heraus.

(Werner Schulz [Berlin] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein ganz neues Bild! Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das hat doch keiner gemacht!)

Einige Passagen Ihres Parteiprogrammentwurfs erinnern mich schon an dieses Denken, weil Sie mit alten Ladenhütern kommen

(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Am Ende wählen Sie noch Grüne!)


Dr. Wolfgang Gerhardt
und weil Sie immer noch den Glauben nähren, daß ein umfassender Interventionsstaat mit ökologischer Gängelung und breiter administrativer Tätigkeit gerechter ist als eine grundsätzlich marktwirtschaftliche Orientierung. Das mögen 70 Prozent der Menschen glauben; trotzdem ist es falsch. Die unbequeme Botschaft - weg von dem Glauben, daß der Staat unsere Probleme löst, hin zur eigenen Verantwortung, zur eigenen Leistungsbereitschaft - macht die Qualität einer Gesellschaft und die Qualität einer Demokratie und die Kapazität und die Vitalität eines Staatswesens aus.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sprechblasenautomat!)

Deshalb, Herr Kollege Fischer, kommen wir nicht darum herum, einige ganz klare Positionen zu benennen, um die Sie sich drücken,

(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Nein!)

die Sie bestreiten,

(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Nein!)

die aber wichtig sind.
Erstens. Sie wissen wie wir, daß Arbeiternehmerinnen und Arbeitnehmer, Bürgerinnen und Bürger vom zu hohen Zugriff des Staates auf ihre Erwerbseinkommen entlastet werden müssen. Die Auskunft „Wir senken den Spitzensteuersatz von 53 auf 49 Prozent" ist für mich eine beschämende, nicht ausreichende Antwort. Wenn ich allein die Sammlung der Zitate von Herrn Schröder aus dem letzten Jahr durchlese, so trifft das schon nicht mehr zu. Wir lassen Sie aber nicht im unklaren. Für meine Partei ist es ganz klar.

(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ein echter Quotenkiller!)

Wir wollen eine Steuerreform, die diesen Namen verdient, bei der die Steuersätze bei 15 Prozent beginnen und bei 39 Prozent enden, die die Steuerbefreiungstatbestände abschafft und damit die Grundlage zur Überwindung der Investitionsschwäche in Deutschland legt. Das haben wir beschlossen.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Sie haben es blockiert. Wir werben um erneute Verantwortungsübernahme, um diesen Punkt hier erneut auf das politische Tableau zu bringen. Wir werden in Deutschland keine Arbeitsplätze schaffen, wenn wir Steuern nicht deutlich, klar und berechenbar senken.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Riesenhaushaltslöcher! Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir wählen alle die F.D.P.!)

Zweitens. Auch die Opposition kommt bei den sozialen Sicherungssystemen nicht um die Auskunft umhin, wie sie angesichts immer längerer Lebenserwartung der älteren Generation das Rentensystem neu ordnen will. Die Auskunft, man nähme das alles wieder zurück, ist ein glatter Betrug an den beiden Generationen in Deutschland.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Jeder Kanzlerkandidat, wie er auch heißt, weiß, daß ein Rentensystem nicht mehr finanzierbar ist, wenn die ältere Generation eine immer längere Lebenserwartung hat, das Erwerbspersonenpotential geringer wird, die Beiträge exorbitant steigen und Arbeitsplätze durch die hohen Beiträge eher beeinträchtigt werden. Verschiebebahnhöfe wie bei der Mehrwertsteuererhöhung zur Beitragsabsenkung reichen nicht aus. Sie sind nicht beliebig wiederholbar.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Zuruf von der SPD: Europa!)

- Wir werden in Europa nur dann erfolgreich sein, wenn wir uns in unserem nationalen Rahmen auf das nächste Jahrtausend vorbereiten. Vertragswerke fordern uns heraus, dieses Land wieder wettbewerbsfähig zu machen.
Dritter Gesichtspunkt. Die Tarifvertragsparteien haben Verantwortung für Beschäftigung in Deutschland. Sie müssen mit dazu beitragen,

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Haben sie ja!)

daß der Kostenfaktor Arbeit begrenzt ist. Da kann Herr Lafontaine nicht das Ende der Lohnzurückhaltung fordern. Wer dieses Ende der Lohnzurückhaltung fordert, der verspielt die Früchte bisheriger Verhandlungen, die fair geführt worden sind. Wir sprechen jetzt einmal auch von denen, die Beschäftigung suchen, und nicht nur von denen, die Beschäftigung haben. Jeder lohnpolitische Abschluß, der Produktivitätsraten übertrifft, ist ein Schlag in das Gesicht der Arbeitslosen in Deutschland.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Im Grunde müßte man fordern, daß die Arbeitslosen neben dem DGB einen Verhandlungsführer in die Tarifverhandlungen schicken, weil der Deutsche Gewerkschaftsbund seit Jahren für die Arbeitsplatzbesitzer verhandelt und nicht für die, die Arbeitsplätze suchen; denn die Abschlüsse sind nicht gut für die Arbeitslosen.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Jörg Tauss [SPD]: Eine Frechheit!)

Wir müssen Arbeitsplatzpotentiale in Dienstleistungsbereichen erschließen. Wo war denn die versammelte Opposition, als wir erste Deregulierungsschritte gemacht haben? Was haben wir denn für einen Lärm bei der Deregulierung der Energiemärkte gehört? Wie lange haben wir denn für die Privatisierung der Bahn, der Post, der Telekom, der Postbank kämpfen müssen? Was waren das denn für Aufstände? Es mußte ja der Eindruck entstehen, im Bayerischen Wald würde kein Brief mehr zugestellt, wenn die Post privatisiert würde. In Finnland gibt es nur private Post. Wenn ich nach Finnland schreibe,

Dr. Wolfgang Gerhardt
dann wird der Brief auch zugestellt. Lediglich in Deutschland glaubt man, daß es nur durch eine öffentlich-rechtliche Post geht.

Michaela Geiger (CSU):
Rede ID: ID1322205700
Herr Abgeordneter Dr. Gerhardt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schily?

Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP):
Rede ID: ID1322205800
Jetzt bin ich gerade so schön in Schwung. Können Sie bitte noch fünf Minuten warten?

Michaela Geiger (CSU):
Rede ID: ID1322205900
Ich habe schon fast fünf Minuten versucht dazwischenzukommen. - Bitte schön.

Otto Schily (SPD):
Rede ID: ID1322206000
Herr Kollege Gerhardt, das, was Sie sagen, ist sicherlich vertretbar, daß nämlich Lohnzuwächse nicht über den Produktivitätszuwachs hinausgehen sollen. Aber wie verhält es sich denn dann, wenn die Lohnzuwächse hinter dem Produktivitätsfortschritt zurückbleiben? Ist das nicht wirtschaftspolitisch genauso fragwürdig?

Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP):
Rede ID: ID1322206100
Es ist für die Existenz mancher Betriebe wahrscheinlich besser, wenn Arbeitsplätze erhalten werden können, als wenn Arbeitsplätze vernichtet werden. Wenn man ein solches tarifpolitisches Verhalten mit einer Gewinnbeteiligung am Betrieb und mit anderen Möglichkeiten koppeln würde, dann wäre diese Tarifpolitik moderner als jene, die nur danach fragt, ob der Lohnzuwachs oberhalb oder unterhalb des Produktivitätszuwachses liegt.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Im übrigen, Herr Schily, zeigt uns die wirtschaftliche Wirklichkeit vor allem in den neuen Ländern, daß es viele Arbeitnehmer gibt, die genau das tun. Sie akzeptieren lieber einen Lohnzuwachs unterhalb des Produktivitätsfortschritts, als daß sie ihren Arbeitsplatz verlieren möchten. Wenn man ihnen signalisierte, daß diese Verhaltensweise belohnt wird, daß sie am Gewinn beteiligt und nicht abgekoppelt werden, wenn die Unternehmen dann über den Berg sind, das wäre eine kluge Tarifpolitik. Leider wird dieser Weg von den Gewerkschaften zu wenig beschritten.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich komme auf den bereits angesprochenen Punkt zurück: Wir haben Deregulierung, Flexibilisierung und Privatisierung nicht aus Haushaltsgründen durchgeführt; das wird auch in Zukunft nicht der Fall sein. Dabei handelt es sich im Kern um eine klare ordnungspolitische Vorstellung. Alle Erfahrungen, die wir im weltweiten Maßstab machen konnten, zeigen uns, daß Aufgaben, die in einer marktwirtschaftlichen Ordnung außerhalb des staatlichen Sektors erledigt werden, effektiver, kostengünstiger und überzeugender gelöst werden als im öffentlichen Bereich. Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, haben im letzten Jahrzehnt einen Kampf gegen nahezu jeden Privatisierungsschritt geführt. Immer wieder haben Sie beschworen, daß die Gefährdungen größer sind als die Chancen. Diese Ihre Vorstellungen sind in gewisser Hinsicht Ausdruck der Gemütslage unseres Landes: Wir sehen ausschließlich Risiken; wir sehen kaum Chancen. Tatsächlich haben wir aber am Ausgang dieses Jahrhunderts alle Chancen.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ernst Jünger, der neulich verstorben ist, ist gefragt worden, was er denn in seinem hohen Alter mit seiner langen Erfahrung der deutschen jungen Generation sagen würde. Man würde jetzt eine breite Auskunft erwarten. Er hat aber im Gegenteil ganz kurz geantwortet: Sie kann Hoffnung haben.

(Zuruf von der SPD: Ihr habt keine Hoffnung! Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das gilt für euch auch, daß ihr Hoffnung haben könnt!)

Wenn wir die politischen Fragen unseres Landes entscheiden, haben wir doch - bei allen Problemen in Deutschland - eine einmalige Chance: die europäische Einbettung. Das ist im übrigen nicht nur eine Frage von Deregulierung und von Privatisierung.
Es ist schon ein Problem, daß es in den Bundesländern so wenig Bewegung für eine Neuorganisation des Bildungswesens gibt.

(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Er war ja damals, vor vier Jahren, Bildungsminister!)

Es reicht nicht aus, Tarifverhandlungen mit einer neuen Qualität zu führen, zu privatisieren, zu deregulieren. Wir müssen diese Modernisierungsanstrengungen in Deutschland durch eine kritische Betrachtung der Qualität unseres Bildungssystems ergänzen. Es ist wahr, was der Bundespräsident gesagt hat: Die junge Generation wird zu schlecht beraten, und der Ernstfall wird zu spät geprobt. In vielen für die Bildungspolitik zuständigen Institutionen herrscht auch geradezu eine Furcht vor Leistungsfeststellungen, auch wenn sie pädagogisch verantwortbar sind. Im Programm der Grünen lese ich, daß man die Kinder dadurch besser in die Zukunft führt, daß man in den ersten acht Jahren nur Lernberichte schreibt, nach dem Motto: Hauptsache, wir haben einmal darüber gesprochen. So führt man eine junge Generation nicht in die Zukunft. Wir kommen nicht darum herum, durch kürzere Schulzeiten und klar konturierte Studiengänge an den Hochschulen ein Stück Wettbewerbsfähigkeit zurückzugewinnen.

(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Matthias Beltz war Studienkollege! Was der so erzählt!)


Dr. Wolfgang Gerhardt
Das hat im übrigen auch etwas mit dem Thema Rente zu tun. Wir entlassen die Menschen zu spät ins Berufsleben und schicken sie zu früh in den Ruhestand. Somit verlieren wir mindestens fünf Jahre bei der Beitragszahlung, die wir für die Stabilisierung des Rentensystems verwenden können.

(Zuruf von der SPD: „Sterbeversicherung" sage ich nur!)

Das gehört dazu.
Wir müssen das Land mit den besten Köpfen werden. Die Voraussetzungen dafür werden in den Schulen, den Hochschulen und den beruflichen Bildungssystemen geschaffen.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Nach 20 Jahren wäre es wieder einmal an der Zeit, zu überprüfen, ob unser Bildungssystem in bezug auf Qualität des Unterrichts und der Studiengänge dem weltweiten Wettbwerb standhalten kann, ob wir das schaffen. Alle internationalen Untersuchungen zeigen: Wir fallen zurück, wenn wir da keine Verbesserung herbeiführen. Deshalb ist es für mich - unabhängig von der Bewertung - eine Groteske - mein Manuskript ist noch nach der alten Rechtschreibung verfaßt worden -, daß die Kultusministerkonferenz in dieser Zeit meint, das Hauptanliegen der Bildungspolitik müsse darin bestehen, „Schiffahrt" mit drei f, „Fußballehrer" mit drei 1, „Thunfisch" ohne h, „ Midlife-crisis " in einem Wort, „Standing ovations" in einem Wort, aber „Eislaufen" in zwei Worten zu schreiben. Dazu sage ich: Chancengleichheit in unseren Schulen zu gewährleisten ist eine wichtige Aufgabe; aber das kann nicht bedeuten, daß die Ergebnisse aller Schüler gleich sein müssen.

(Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]: Sie haben den falschen Vortrag! Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Was für ein primitives Niveau!)

Wir brauchen die Akzeptanz von Talenten. Elite ist im übrigen nicht nur ein Zeichen akademischer Bildung, sondern in jedem handwerklichen Bereich anzutreffen. Wir müssen ein Stück Renovierung unser Bildungsinstitutionen voranbringen. Herr Müntefering hat neulich in der Runde vorgeführt, welche Länder das Problem der Beschäftigung etwas besser gelöst haben. Er hätte auch vorlesen sollen, welche Steuerreform diese Länder beschlossen haben. Von Schweden bis Österreich, von den Niederlanden über Belgien und Dänemark bis Neuseeland hat man die Steuerreform durchgeführt, die wir wollen. Diese Länder haben das Beschäftigungsproblem etwas besser gelöst. Sie aber hindern uns daran, hier die notwendigen Entscheidungen zu treffen.

(Beifall bei der F.D.P. - Ingrid MatthäusMaier [SPD]: Wie hoch ist denn der schwedische Spitzensteuersatz?)

Nein, meine Damen und Herren, wir wollen auf den Punkt sagen, was uns unterscheidet.
Sie von den Grünen und der SPD glauben, daß ein umfassender Vorsorgestaat, eine Sozialpolitik der Verteilung,

(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Genau!)

administrierte Ökologie, Gängelung,

(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: 10000 DM für alle!)

generelle Interventionsbereitschaft des Staates nach dem Motto „Wir tun was" die Lösung sind.

(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Genau, das wollen wir!)

Das ist bequem; aber es ist falsch. Wir glauben, daß der Weg weg vom Vollkaskostaat, -

(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: 10000 DM für alle! Alte Juso-Forderung!)

eigene Verantwortung statt Anspruchsdenken, Subsidiarität statt Vollversorgung - der richtige Weg ist. Er ist unbequemer; aber er ist richtig. Er ist ein Zeichen, daß Gesellschaften vital machen, Qualität geben. Das ist die Grundlage freiheitlicher Ordnungen.
Nur mit einer solchen Haltung werden wir auf dem freien europäischen Binnenmarkt mit künftig einheitlichem Geld bestehen. Nur mit einer solchen Haltung werden wir die EU nach Mittel- und Osteuropa erweitern können. Nur mit einer solchen Haltung werden wir uns im Wettbewerb der Globalisierung der Märkte behaupten und den strukturellen und technologischen Wandel schaffen können. Im übrigen können wir nur mit einer solchen Haltung den Menschen helfen, die soziale Hilfe brauchen. Wir werden für die Menschen niemals mehr tun können, als sie für sich selbst tun könnten und tun sollten.

(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sie sind für die Leistungsbereiten, wir für die Faulen! Das ist doch Ihre Botschaft!)

Das ist ein Grundsatz, der uns von der alten, konservativen Verteilungssozialpolitik so unterscheidet. Wir werden nur mit einer solchen Haltung das Zusammenwachsen in Deutschland, das unser internationales Ansehen auf Jahre bestimmen wird, meistern können.
Wir sind nicht die Klügsten.

(Lachen und Zustimmung bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auf den Satz habe ich gewartet!)

Wir erleiden Rückschläge. Wir verlieren Wahlen. Wir können aber auch Wahlen gewinnen.

(Dr. Uwe Küster [SPD]: Die F.D.P. sucht sich ein neues Volk!)

In Deutschland - davon bin ich fest überzeugt - wird sich am Ende keine Mehrheit finden, die bereit wäre, einem Abenteuer Außenpolitik zuzustimmen und die wirtschaftlichen Grundlagen zu gefährden. Viele

Dr. Wolfgang Gerhardt
Menschen haben Angst vor Veränderungen; aber sie wissen sehr persönlich, daß wir Veränderungen brauchen, um in Zukunft stabil zu sein.

(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Deshalb wählt F.D.P.!)

Deshalb lassen Sie uns mal getrost die Bilanz am Wahlabend der Bundestagswahl machen und nicht voreilig!
Die Freie Demokratische Partei, die ich die Ehre habe zu vertreten,

(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Welch eine Ehre! Wie lange noch?)

wird sich für ein klares Reformkonzept, für klare Veränderungsbereitschaft, für klare Modernisierung in außenpolitischer Verantwortung in Europa und in Verbindung und langem Bündnis mit dem nordamerikanischen Kontinent aussprechen. Sie wird das im Wahlkampf behaupten, und sie wird damit auch erfolgreich sein.
Vielen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU Zuruf von der SPD: Und wo war Europa, Herr Gerhardt?)


Michaela Geiger (CSU):
Rede ID: ID1322206200
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Peter Conradi, SPD-Fraktion.

Peter Conradi (SPD):
Rede ID: ID1322206300
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Reden von Herrn Schäuble und Herrn Gerhardt, die in weiten Teilen am Amsterdamer Vertrag weit vorbeigingen, lassen die Nachwirkungen des letzten Wahlsonntags erkennen. Wir haben dafür Verständnis. Wenn wir eine solche Niederlage eingefangen hätten, würden wir ja auch so aufgeregt reagieren wie Sie. Aber zurück zum Amsterdamer Vertrag.
Anders als die überwältigende Mehrheit meiner Fraktion werde ich der Ratifizierung des Amsterdamer Vertrages nicht zustimmen, so wie ich vor sechs Jahren dem Maastricht-Vertrag nicht zugestimmt habe. Manchmal ist man in seiner Fraktion allein. Ich bin es in den Fragen der EU, Herr Geißler ist es in der Frage des Kanzlerkandidaten. Ich glaube übrigens, Herr Geißler hat recht; aber es ist eine Sache, recht zu haben und eine andere, dafür in der Fraktion eine Mehrheit zu finden.
Nach dem verlorenen Zweiten Weltkrieg träumten wir von einem Europa der Zusammenarbeit, der Verständigung, des Friedens. Wir träumten davon, daß Deutschland nach der Nazi-Barbarei den Weg zurück in die Gemeinschaft der freien, der zivilisierten, der demokratischen Staaten finden werde. Dieser Traum ist wahr geworden, und wir haben Anlaß, all denen zu danken, die dazu beigetragen haben. Wir wollen das Erreichte gegen den Rückfall in den Nationalismus sichern. Wir wollen die Herzen und Köpfe der Menschen für Europa gewinnen.
Doch die einstige Begeisterung für die europäische Einigung ist umgeschlagen in Entfremdung, in Verdrossenheit, in Angst, in Ärger über eine Entwicklung, die wir so nicht wollten. Wir wollten kein Europa der Massenarbeitslosigkeit. Wir wollten kein Europa der Reichen. Wir wollten kein Europa der Bürokratie, und wir wollten kein Europa ohne Demokratie. Die Europäische Union steckt in einer tiefen Vertrauenskrise. Eine deutliche Mehrheit unseres Volkes will diese Union in dieser Form nicht. Sollte uns das als Volksvertretung nicht zu denken geben?
Jean-Pierre Chevenement hat neulich in der „Frankfurter Allgemeinen" geschrieben:
Europa läßt sich nur legitim aufbauen, wenn es aus einer wahrhaft demokratischen Debatte innerhalb der Völker hervorgeht. Die technokratische, liberale Europakonzeption von Maastricht läuft Gefahr, sich gegen die europäische Idee zu wenden ... Eine solche Gemeinschaft kann man nicht dekretieren. Sie muß aus der inneren Überzeugung der Völker hervorgehen, und diese Überzeugung müssen wir reifen lassen, statt von oben fertige Lösungen durchzusetzen.

(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Vor zehn Jahren versprach die Europäische Kommission im Cecchini-Bericht, der EU-Binnenmarkt werde fünf Millionen neuer Arbeitsplätze schaffen. Damals gab es in der Union 15 Millionen Arbeitslose, heute sind es fast 20 Millionen. Wer denkt da nicht an die „blühenden Landschaften", die Helmut Kohl einst versprach? So erwirbt man kein Vertrauen. Denn schon damals gab es heftige Kritik an den EUSchönfärbereien Cecchinis.
Die Aufhebung der Grenzen für Arbeit und Kapital hat aus der EU ein Paradies der Unternehmer gemacht. Rücksichtslos nützen die Wirtschaftsverbände ihre Macht aus und fordern die Unterwerfung der Politik unter ihr Diktat. Mit dem Hinweis auf den grenzenlosen Wettbewerb soll der Sozialstaat überall in Europa zerschlagen werden: Die Löhne, das Arbeitslosengeld, das Krankengeld, die Renten sollen gesenkt werden, damit die Gewinne und die Aktienkurse schneller steigen. Die Herren der Wirtschaft nutzen die Massenarbeitslosigkeit zu einer rüden Erpressung der Arbeitnehmer und ihrer Gewerkschaften, zur Schaffung von immer mehr Reichtum in den Händen einer kleinen Minderheit von Privilegierten.
Das Beschäftigungskapitel im Amsterdamer Vertrag ist dünn genug. Hinzu kommt: Mit der Einführung des Euro werden die Möglichkeiten für eine nationale Beschäftigungspolitik weiter reduziert. Jeder Macht-, jeder Kompetenzzuwachs Brüssels wird zum Verlust sozialer und wirtschaftlicher Handlungsmöglichkeiten der Mitgliedstaaten. Der Deutsche Bundestag sollte deshalb die Ratifizierung des Vertrags so lange aussetzen, bis die Institutionen der EU wirksame Schritte gegen die Arbeitslosigkeit eingeleitet haben.

(Beifall bei der PDS)

Deutsche Großunternehmer rühmen sich, in Deutschland keine Steuern zu zahlen. Deutsche

Peter Conradi
Großbanken leisten Beihilfe zum Steuerbetrug. Mir kommt die Wahl eines Luxemburgers zum Präsidenten der Europäischen Kommission wie eine Verhöhnung der ehrlichen deutschen Steuerzahler vor.

(Vorsitz : Vizepräsident Hans-Ulrich Klose)

Die EU beschleunigt die Konzentration der Wirtschaft. Die kleinen Handwerker, die mittelständischen Unternehmer zahlen die Zeche. Es entstehen Oligopole, „Beutegemeinschaften", so Wolfgang Kartte, zu Lasten der Zulieferer, der Kunden und der Arbeitnehmer. Die EU verschärft die Umverteilung von oben nach unten. Lafontaine hat recht mit seiner Forderung, dem Steuer- und Sozialdumping müsse ein Ende gesetzt werden. Der Deutsche Bundestag sollte deshalb die Ratifizierung mindestens so lange zurückstellen, bis wenigstens die gröbsten EU-Steuerfluchtlöcher geschlossen und ernsthafte Schritte gegen das Sozial- und Steuerdumping erkennbar sind.

(Beifall bei der PDS)

In der EU produzieren die Bürokratien von Ministerrat, Kommission und Parlament Jahr für Jahr eine Flut von Regelungen, die gelegentlich vernünftig, oft jedoch nur ärgerlich und meistens realitätsfern sind. Zum Beispiel die geplante Aufhebung der Buchpreisbindung: Mit welchem Recht mischt sich die EU in den deutschsprachigen Büchermarkt, in unsere Kulturpolitik ein?

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der PDS)

Im Widerspruch zu Art. 189 des EG-Vertrages, nach dem EU-Richtlinien nur die Ziele festigen sollen, die Wahl der Mittel aber den nationalen Parlamenten überlassen bleiben soll, wird ständig in die Regelungsrechte der Parlamente eingegriffen. In Deutschland kann sich jeder Bürger gegen die Bürokratie wehren. Er kann Widerspruch einlegen, er kann zum Verwaltungsgericht gehen, sogar zum Bundesverfassungsgericht, und er kann die Partei, die regiert und die für die Bürokratie verantwortlich ist, abwählen. Was kann man gegen die EU-Bürokratie machen? Kann man die EU-Kommission abwählen? - Das kann man nicht.
Die EU braucht eine Institution, eine zweite Kammer, einen Senat, beschickt von den nationalen Parlamenten, um der ausufernden Regelungswut und Arroganz der EU-Bürokratie entgegenzusteuern. Der Deutsche Bundestag sollte deshalb dem Vertrag nicht zustimmen, bevor unabhängige Institutionen und wirksame Instrumente geschaffen worden sind, die der bürokratischen Zentralisierung der EU entgegenwirken.
Mehr EU heißt - leider - weniger Demokratie. Die Politik dankt vor einem „modernistischen Kommandounternehmen" ab. Man braucht keine Politik, keine Parteien, keine Parlamente. Wir werden von Beamten regiert, die - so Herbert Riehl-Heyse in der „Süddeutschen Zeitung" - niemandem verantwortlich sind, die man, wenn es schiefgegangen ist, nicht abwählen kann. Eine der großen Errungenschaften, die Republik, die Res publica, in der die Menschen
selbst ihr gemeinsames Leben bestimmen, droht verlorenzugehen. Eine nationale Regierung kann man abwählen. Darum bemühen wir uns. Aber wer kann die EU-Kommission, wer kann ihre Bürokratie abwählen?
Der Europäischen Union fehlt es bislang an einer europäischen Identität, aus der sich eine europäische Solidarität entwickeln könnte. Ihr fehlt die demokratische Legitimation durch eine europäische Öffentlichkeit. Das kann nur langsam wachsen. Der europäische Einigungsprozeß wird gefährdet, wenn sich die EU zuviel vornimmt. Bescheidenheit ist gefragt, Rücksicht auf nationale Kulturen.
Die Ermächtigung Europas - so Ulrich Beck - muß mit einer Stärkung der Demokratie, der politischen Zurechenbarkeit und Verantwortung auf allen politischen Ebenen einhergehen. Doch die EU geht einen anderen Weg. Dagegen sollten wir Zeichen setzen und deutlich machen, daß wir keine Union der Massenarbeitslosigkeit, keine Union der Reichen, keine Union der Bürokratie und keine Union ohne Demokratie wollen.
Wer es mit der europäischen Einigung gut meint, der sollte diesem Vertrag seine Stimme nicht geben. Ich jedenfalls werde der Ratifizierung des Vertrags von Amsterdam nicht zustimmen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie bei der PDS)


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1322206400
Das Wort hat der Kollege Gero Pfennig, CDU/CSU.

Dr. Gero Pfennig (CDU):
Rede ID: ID1322206500
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Einzelmeinung des Kollegen Conradi ehrt ihn. Mir ist einmal mehr klargeworden, warum die SPD in Baden-Württemberg mit einer Anti-EU-Politik die letzte Landtagswahl so verheerend verloren hat.

(Michael Glos [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

Der Erfolg findet bekanntlich immer seine Anhänger. Heute wird die SPD dem Amsterdamer Vertrag zustimmen - trotz lautstarker Kritik an der Verhandlungsführung der Bundesregierung in den vergangenen zwei Jahren. Diese Verhandlungsführung, meine Damen und Herren, konnte ihre wesentlichen Ziele durchsetzen. Insbesondere sind die vom Bundestag beschlossenen Vorgaben im wesentlichen erreicht worden.
Die Bundesregierung ist dafür von ihren europäischen Partnern - auch von sozialistisch geführten Regierungen - gelobt worden. Deswegen ist es um so schizophrener, was hier in Deutschland passiert: Zuerst wird das meiste von der SPD-Opposition über Monate schlechtgeredet; heute stimmt sie zu.

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das ist doch dummes Zeug!)

- Wir beklagen Ihre Zustimmung doch nicht; wir begrüßen sie! Aber Sie müssen sich vorhalten lassen, daß Sie in dieser Angelegenheit einen Zickzackkurs gefahren sind. Ich mache es gleich deutlich.

Dr. Gero Pfennig
Erkennen Sie doch ruhig einmal die europapolitischen Leistungen der Regierungskoalition an.

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1322206600
Herr Kollege Pfennig, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Matthäus-Maier?

Dr. Gero Pfennig (CDU):
Rede ID: ID1322206700
Ja, bitte.

Ingrid Matthäus-Maier (SPD):
Rede ID: ID1322206800
Herr Pfennig, stimmen Sie nicht zu, daß es völlig korrekt ist, wenn eine Opposition sagt: Der eine Teil ist in Ordnung, aber wir wollen mehr, zum Beispiel ein Beschäftigungskapitel, das Sie monatelang abgelehnt haben, dem wir aber - trotz Mängeln - zustimmen, weil wir uns freuen, daß es gekommen ist?

(Beifall bei der SPD)


Dr. Gero Pfennig (CDU):
Rede ID: ID1322206900
Über die Rolle der Opposition besteht zwischen uns überhaupt kein Zweifel und keine Differenz, Frau Kollegin. Ich sage gleich noch etwas zum Oppositionsverhalten der SPD.

(Dr. Uwe Küster [SPD]: Das war ein ganz starker Beitrag!)

Entweder Sie erkennen öffentlich die europapolitischen Leistungen der Regierungskoalition an, oder seien Sie so ehrlich wie die Grünen, die wegen angeblich falscher politischer Zielsetzungen

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Jetzt ärgern Sie sich, weil wir zustimmen!)

die Ratifizierung des Amsterdamer Vertrages eigentlich ablehnen wollten. Mit Ihrem „Ja, aber" verdekken Sie nur Differenzen. Ich möchte einige von besonderer Tragweite kurz ansprechen. Die Integration der WEU in die EU und die Aufnahme der Petersberg-Aufgaben in den EU-Vertrag sind bei der Kollegin Wieczorek-Zeul monatelang auf Ablehnung gestoßen. Die Formulierung der Grünen, die im Amsterdam-Vertrag beschlossene Sicherheitspolitik bedeute eine weitere Öffnung der Tür in Richtung auf eine Militärmacht der Europäischen Union, hätte bis vor wenigen Wochen auch von der Kollegin Wieczorek-Zeul stammen können.
Heute hat sie versucht, das als besonders gut gelungenen Coup von Neutralitätspolitik darzustellen. Frau Kollegin, wenn man gleichzeitig betont, daß man im konkreten Fall künftig vielleicht die Instrumente verweigern will, zertrampelt man die sich behutsam entwickelnde Pflanze der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik schon im Vorfeld.
Sie wissen, daß wir von Anfang an der Meinung gewesen sind: Wenn die EU in krisenhaften Situationen nicht in der Lage ist, mit angemessenen - auch militärischen - Mitteln zu reagieren, wird ihre Politik unglaubwürdig. Das ist die Meinung aller unserer Partner in der Europäischen Union.
Bei der inneren Sicherheit gibt es ebenfalls einen bemerkenswerten Spagat bei der SPD. Einerseits tritt man für eine funktionsfähige europäische Kriminalpolizei Europol ein und fordert deren Ausstattung mit handfesten Befugnissen, und andererseits wird monatelang die Ratifizierung der Begleitgesetzgebung verschleppt. Nutznießer ist das international organisierte Verbrechen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr wahr!)

Der derzeitige EU-Präsident, Tony Blair, mußte die Ratifizierung der Rechtsgrundlagen für Europol schon anmahnen. Die SPD hat jetzt langsam darauf reagiert, während die Grünen immer noch versuchen, Europol als undemokratisches Instrument europäischer Politik der inneren Sicherheit zu diffamieren.
Die Liste der Beispiele dieses Zickzackkurses, Frau Kollegin, ließe sich noch weiter fortführen. Ich nenne als Beispiel die Asylpolitik. Im Rahmen der Asyl-und Einwanderungspolitik betont die SPD, sie sei für europäische Lösungen. Gleichzeitig will sie aber keine Veränderung der deutschen Standards. Dennoch wirft sie der Bundesregierung vor, in diesem Bereich keine Mehrheitsentscheidungssysteme durchgesetzt zu haben. Ich finde, Sie sollten einmal darüber reflektieren, daß erstens unser Asylrecht von unseren Partnern wirklich nicht als vorbildlich und kopierwürdig angesehen wird und daß zweitens unser System der Versorgung von illegal Eingereisten in den anderen Mitgliedstaaten die klammheimliche Freude darüber fortbestehen läßt, daß Deutschland das Aufnahmeland Nummer eins bleiben wird.
Unser wahres Problem hierbei ist doch: Solange ein Abgeschobener, weil nicht Asylberechtigter, im deutschen Fernsehen auf die Frage, ob er die illegale Einreise noch einmal versuchen wird, wahrheitsgemäß verkündet: Na klar, ich werde mir doch die 2 000 DM Gehalt vom Sozialamt nicht entgehen lassen, werden wir diese Situation nicht ändern. Das ist das Problem.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ein Wort noch zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, weil das vorhin angesprochen worden ist. Natürlich hat die SPD entgegen allen heutigen Behauptungen lange genug darauf gesetzt, daß Dirigismus und Konjunkturprogramme, die auf nationaler Ebene nicht durchgesetzt werden konnten, auf europäischer Ebene eingeführt werden. Das kann man überhaupt nicht bestreiten, wie dies der Kollege Scharping soeben versucht hat. Andere sozialdemokratische Parteien haben doch von den Versuchen der SPD in dieser Richtung berichtet. Wir sind in Europa doch nicht nur auf Informationen von Ihnen angewiesen.
Wir danken jedenfalls der Bundesregierung dafür, daß sie hier wachsam geblieben und keine falschen Kompromisse eingegangen ist, sondern das im Amsterdam-Vertrag festgelegte Vorgehen der Abstimmung unter den nationalen Politiken erreicht hat.
In der Finanzpolitik beklagt die SPD lauthals, daß Europa zuviel deutsches Geld verschlingt und die deutsche Nettozahlerposition verändert werden muß. So weit, so gut. Wir haben auf unzumutbar gestiegene Lasten nicht erst seit dem Amsterdamer Vertrag hingewiesen. Vielmehr hat die Bundesregierung

Dr. Gero Pfennig
schon in der Vergangenheit dafür gesorgt, daß auch der europäische Haushalt einer Konsolidierung unterzogen wurde. Wie war dazu der Beitrag der Opposition hier im Bundestag? Immer wenn es um ein konkretes Ausgabenprogramm ging - seien es Forschungsausgaben, Strukturausgaben oder was auch immer -, wurde der Bundesregierung im Europaausschuß des Bundestages vorgeworfen, daß sie höheren Ausgaben in der Europäischen Union nicht zustimmen wollte. Auch hier wieder die Politik der Doppelzüngigkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ganz ähnlich verhält es sich bei der gemeinsamen Währung Euro. Grundsätzlich ist die SPD für die Währungsunion. Die Ohrfeige in Baden-Württemberg hat Wirkung gezeigt. Aber natürlich muß die SPD noch ein bißchen dagegen sein angesichts dessen, daß die Bundesregierung die Erfüllung der Maastricht-Kriterien für Deutschland überzeugend erreicht hat. Erst läßt man die Erfüllung der Kriterien bezweifeln; dann wird behauptet, die Bundesregierung wolle mit der Einführung des Euro Preistreiberei ermöglichen, und zum Schluß wird daraus, die SPD habe ja gleich gesagt, daß wegen ökonomischer Unzuverlässigkeit anderer Mitgliedstaaten und unbekannter Kosten die Einführung des Euro besser hätte verschoben werden sollen. Nachzulesen ist diese Melodie schon in einem Interview im „Bonner General-Anzeiger" vom 27. Februar 1998.

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Besser Euro als Pfennig!)

- Danke für die Namensumtaufung.
Im übrigen wird schon daran gebastelt, die Auf gaben der Europäischen Zentralbank neu zu definieren. Neben der Verpflichtung auf die Währungsstabilität soll ihr auch die Verpflichtung auf Wachstums- und Beschäftigungsförderung auferlegt werden, wenn ich die Botschaft der Kollegin Wieczorek-Zeul und des Kollegen Fischer richtig verstanden habe, die die Kriterien bezüglich der Währungsstabilität umfunktionieren wollen. Ich sage Ihnen: Wir werden das nicht zulassen.
Es wird sich in den nächsten Monaten zeigen, wie sehr die SPD vom Euro und von Europa überzeugt ist.

(Michael Glos [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

Sie geht ja mit einem Kanzlerkandidaten ins Rennen, der bekanntermaßen zu den Euro-Gegnern gehört. Unvergessen ist sein Interview im „Spiegel" vom 24. Februar 1997: „Aber man muß doch einen Zug, der in die falsche Richtung fährt, stoppen, solange es noch geht. " Bis heute habe ich keinen Widerruf von ihm gehört.

(Michael Glos [CDU/CSU]: Donnerwetter! Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Komisch, komisch!)

Ich weiß, Frau Kollegin Wieczorek-Zeul, die Politik der Bundesregierung zu kritisieren gehört zu den Aufgaben und Zielen der Opposition. Aber die Bilanz dieser Regierung in der Europapolitik eignet sich
nun wirklich nicht dafür. Die Europäische Union ist dank dieser Politik eine Friedens- und Freiheitsordnung. Sie wird durch die einheitliche Währung noch enger zusammenrücken. Sie ist durch den Amsterdamer Vertrag auch eine politische Union mit parlamentarischer Gesetzgebung geworden.
Die Behauptung des Kollegen Fischer, daß die politische Union nicht erreicht sei, stimmt einfach nicht. Was nicht erreicht worden ist, sind neue Prinzipien der Mehrheitsentscheidung im Ministerrat. Ansonsten sind doch durch den Amsterdamer Vertrag gerade die Attribute einer politischen Union dem Vertrag über die Europäische Union hinzugefügt worden, derentwegen die Grünen den Vertrag ablehnen, nämlich gemeinsame Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik sowie gemeinsame Innen- und Justizpolitik. Hier schlägt sich der Kollege Fischer mit den eigenen Argumenten der Grünen.
Dieser Erfolg ist durch das Engagement von Bundeskanzler Kohl für die europäische Idee erreicht worden. Wir halten an den Dingen fest, die wir erreicht haben. Die Politik für Europa muß seriös und nachvollziehbar sein. Das gilt nicht nur für die Politik in Europa im allgemeinen, sondern insbesondere auch für den Euro und die Währungspolitik. Wir werden diesen Kurs beibehalten.
Ich habe mit Interesse gelesen, daß die SPD in einem Wahlprogramm schon finanzielle Wohltaten für den Fall eines Wahlsieges versprochen hat, die offensichtlich auch wohlmeinenden Zeitungen als unseriös erscheinen. Von „Potemkinschen Dörfern" wurde gestern in der „Süddeutschen Zeitung" geschrieben, weil alles unter einen Finanzierungsvorbehalt gestellt werden mußte, um wenigstens halbwegs bei der Wahrheit zu bleiben. Ich hoffe nur, daß die SPD nicht eines Tages wie bei der deutschen Wiedervereinigung auch noch die europäische Einigung und die Zustimmung zum Euro unter den Finanzierungsvorbehalt stellen wird.
Danke.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Jörg Tauss [SPD]: Dummes Zeug!)


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1322207000
Das Wort hat der Kollege Professor Dr. Jürgen Meyer, SPD.

Prof. Dr. Jürgen Meyer (SPD):
Rede ID: ID1322207100
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Vertrag von Amsterdam erfüllt nicht alle Hoffnungen, die wir Sozialdemokraten in ihn gesetzt haben; aber er bringt Fortschritte. Er stärkt das Europäische Parlament und damit die Demokratie in Europa. Er enthält ein Beschäftigungskapitel, das wir mehrfach und mit großem Nachdruck als Bedingung für unsere Zustimmung gefordert haben.

(Beifall bei der SPD)

Deshalb wollen wir dem Vertragsgesetz heute zustimmen. Unsere Fraktion hat das bei nur wenigen Gegenstimmen so beschlossen.

Dr. Jürgen Meyer (Ulm)

Wir haben eine Debatte hinter uns, die kurios verlaufen ist: Die Opposition hat zum Thema gesprochen, nämlich zum Amsterdamer Vertrag. Die Koalition hat sich zu verschiedenen anderen Fragen geäußert,

(Dr. Uwe Küster [SPD]: Existentiell wichtigen Fragen!)

aber zum Amsterdamer Vertrag kaum, und sie hat den untauglichen Versuch unternommen, die Wahlniederlage von Niedersachsen wegzuinterpretieren.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das war der Hauptinhalt der Reden zum Beispiel der Kollegen Schäuble und Gerhardt.
Außerdem hat die Koalition versäumt, Fragen, die hier sehr deutlich gestellt worden sind, zu beantworten, zum Beispiel die Frage, ob eine Protokollnotiz zu dem Vertragswerk, dem wir heute zustimmen werden, zu erwarten ist oder nicht. Wenn sie nämlich zu erwarten wäre, dann müßte sich der Bundestag erneut damit beschäftigen.
Wir haben darauf hingewiesen, daß in der „Süddeutschen Zeitung" von heute über das Mißfallen von Herrn Stoiber am EU-Vertrag berichtet wird und von dem Wunsch Bayerns, die Kompetenz in der Ausländerpolitik zu behalten. Um Ihnen den Eigenbericht der „Süddeutschen Zeitung" in Erinnerung zu rufen, zitiere ich:
Bayern wird seine Zustimmung zu dem Amsterdamer Vertrag im Bundesrat in drei Wochen davon abhängig machen, ob die Bundesregierung der Forderung nachkommt.
Ich füge hinzu: die Kompetenz in der Ausländerpolitik zu behalten.
Stoiber ist ohnehin nicht gut auf Bundeskanzler Helmut Kohl ... zu sprechen, da dieser die Forderung Bayerns bei den Verhandlungen zum Amsterdamer Vertrag im Sommer 1997 nicht durchsetzen konnte.
Bayerische Regierungsmitglieder unterstellen Kohl einen fahrlässigen Umgang im Prozeß der Europäischen Einheit. Aus der Umgebung Kohls verlautete unterdessen, der Kanzler werde sich davon nicht unter Druck setzen lassen. Die Bayern hätten nach dem Krieg auch dem Grundgesetz nicht zugestimmt, das habe nie geschadet.

(Heiterkeit und Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD])

Was sagen Sie nun dazu? Was ist aus Bayern zu erwarten? Diese Frage ist unbeantwortet geblieben.
Herr Kollege Pfennig, Sie haben eben zu einer weiteren Frage, die bei den Gesetzesberatungen eine große Rolle spielte und die mit dem Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrages zu tun hat, kein Wort verloren. Wir Sozialdemokraten werden heute die für den Gesetzentwurf der Bundesregierung ausdrücklich und zutreffend für erforderlich erklärte Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages sichern. Um so unverständlicher ist es für uns, daß die CDU/CSU-Fraktion durch widersprüchliche, ja geradezu chaotische Einlassungen zur Frage der erforderlichen Mehrheiten das Vertragswerk mit erheblichen verfassungsrechtlichen Risiken belastet.
Ich erinnere an den folgenden Sachverhalt: Im vergangenen November hatten wir uns in einem Gespräch mit Vertretern der Koalition und der Bundesregierung im Kanzleramt darauf verständigt, daß das Zustimmungsgesetz, um das es heute geht, als verfassungsänderndes Gesetz einzubringen sei. Zur Begründung hatten wir ein umfassendes Gutachten des Frankfurter Staats- und Völkerrechtlers Professor Bothe vorgelegt. In völliger Übereinstimmung mit unserer Rechtsauffassung wird nun der Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 3. Dezember 1997, der uns heute vorliegt, mit der nach Auffassung der Bundesregierung notwendigen Zweidrittelmehrheit der Mitglieder des Bundestages und mit zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates zu verabschieden sein.
Aus der Erläuterung zu Art. 1 des Vertragsgesetzes - ich betone: der Erläuterung der Bundesregierung - zitiere ich:
... da der Vertrag von Amsterdam in einzelnen Regelungen auch eine Übertragung von Hoheitsrechten vorsieht, die als verfassungsrelevante Änderung der vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union im Sinne dieser Vorschrift anzusehen ist. Dies gilt jedenfalls für das neue Instrument des Rahmenbeschlusses in den Bereichen der polizeilichen Zusammenarbeit und der justitiellen Zusammenarbeit in Strafsachen.
Zu unserer großen Überraschung distanzierte sich die CDU/CSU-Fraktion bei den Beratungen im federführenden Ausschuß von dieser Rechtsauffassung der Bundesregierung, die in diesem Fall deckungsgleich mit der von SPD, F.D.P. und Bündnis 90/Die Grünen vertretenen Rechtsauffassung ist. Die juristische Argumentation der größten Fraktion bleibt schon deshalb unverständlich, wie im Bericht nachzulesen, weil sie auf das zentrale Argument der Bundesregierung, nämlich das neue Instrument des Rahmenbeschlusses, nicht einmal eingeht. Die F.D.P. hat sich ausdrücklich der von uns und auch von der Bundesregierung vertretenen Auffassung angeschlossen, daß - ich zitiere aus dem Bericht - „der Vertrag von Amsterdam im Deutschen Bundestag mit Zweidrittelmehrheit ratifiziert werden müsse".
Meine sehr geehrten Damen und Herren, man mag diesen Dissens noch als allfällige Bestätigung der Tatsache ansehen, daß die Koalition nur noch beschränkt handlungsfähig ist. Aber hier geht es auch um die Bestandskraft des Zustimmungsgesetzes zum Amsterdamer Vertrag und damit um den Amsterdamer Vertrag. Ich kann die CDU/CSU-Fraktion nur noch einmal wie in den Beratungen auffordern, klipp und klar zu sagen, ob sie den Gesetzentwurf der Bundesregierung, die eine Verfassungsänderung für notwendig erklärt und begehrt, unterstützt oder nicht. Es müßte doch auch jedem Nichtjuristen mit gesundem Menschenverstand einleuchten, daß man einer Verfassungsänderung nicht mit der Begründung zustimmen kann, daß es in Wirklichkeit keine Verfassungsänderung sei.

(Beifall bei der SPD)


Dr. Jürgen Meyer (Ulm)

In der Besprechung im Kanzleramt bestand noch Einigkeit darüber, daß es sich bei der Verfassungsänderung um ein völlig eigenständiges Gesetzgebungsverfahren handelt. Es ist kein Minus oder Maius, es ist ein Aliud zum einfachen Gesetzgebungsverfahren. Sie müssen also klar sagen, welcher Vorlage Sie zustimmen wollen. Wollen Sie in der gegenwärtig noch größten Fraktion etwa, daß der Amsterdamer Vertrag demnächst beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe mit dem Argument angegriffen werden kann, der Deutsche Bundestag habe ausweislich der Rechtsauffassung der CDU/CSU-Fraktion mit der bloßen Fiktion eines Zweidrittelerfordernisses einen unzulässigen Zustimmungsdruck auf die Abgeordneten ausgeübt und außerdem dem Bundesrat mit der nach Auffassung der größten Fraktion nicht verfassungskonformen Annahme des Zweidrittelerfordernisses ein politisches Gewicht gegeben, das ihm in dieser Sache nicht zustehe?

(Zuruf von der SPD: Hört! Hört!)

Wir fordern Sie auf, den Vertrag nicht weiter mit juristischen Zirkusnummern zu gefährden,

(Beifall bei der SPD)

sondern ihm, wie im Gesetzentwurf beantragt, durch ausdrücklich verfassungsänderndes Gesetz zuzustimmen.
Wir stimmen dem Amsterdamer Vertrag zu, obwohl wir noch erheblichen Nachbesserungsbedarf in künftigen Revisionsverhandlungen sehen und obwohl das für uns besonders wichtige Beschäftigungskapitel seine Wirkung erst durch größte politische Anstrengungen voll wird entfalten können.
Die von uns immer wieder geforderte Grundrechtscharta sollte nach dem Scheitern der Regierungen nunmehr Sache der Parlamente sein. Das Europäische Parlament muß jetzt die Federführung übernehmen und im Zusammenwirken mit den nationalen Parlamenten eine Charta der Menschen- und Bürgerrechte erarbeiten, die den Europäischen Verträgen vorangestellt wird und deutlich macht, daß Europa nicht nur eine Wirtschafts-, sondern auch eine Wertegemeinschaft ist. Das ist etwas, was jetzt von den Parlamenten zu erledigen ist.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Manfred Müller [Berlin] [PDS])

Wir halten es für bedeutsam, daß es endlich gelungen ist, das Sozialprotokoll in den Vertrag zu integrieren. Dadurch werden einzelne soziale Grundrechte auf europäischer Ebene verankert. Ganz besonders erfreulich ist es für meine Fraktion, daß sie sich in ihrer Forderung nach aktiver Frauenförderung voll bestätigt sehen kann. Zukünftig werden die Mitgliedstaaten nicht daran gehindert, „spezifische Vergünstigungen", wie es im Vertrag heißt, „zur Erleichterung der Berufstätigkeit des unterrepräsentierten Geschlechts oder zur Verhinderung bzw. zum Ausgleich von Benachteiligungen in der beruflichen Laufbahn ... beizubehalten oder zu beschließen". Das ist ein wichtiger Fortschritt, und wir sind froh darüber, daß dieser durchgesetzt werden konnte.

(Beifall bei der SPD)

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren, die bedauerlicherweise liegengebliebenen institutionellen Reformen und die Reform der Struktur- und Agrarpolitik sind unerläßliche Voraussetzungen der von uns gewollten Erweiterung der Europäischen Union. Nach meiner Auffassung wird der dynamische Prozeß der Übertragung von Hoheitsrechten auf die europäische Ebene es auch notwendig machen, künftig die Gesetzgebungskompetenzen der Union einerseits und der Mitgliedsländer andererseits klarer abzugrenzen, als das gegenwärtig noch mit den Instrumenten der Zielvorgaben und des Subsidiaritätsprinzips möglich ist.
Die wichtigste Aufgabe der nächsten Zeit besteht aber darin, aus dem Beschäftigungskapitel des Vertrages praktische Politik zu machen.

(Beifall bei der SPD)

Wir Sozialdemokraten werden der Bundesregierung in den Monaten, in denen sie noch im Amt ist, auf den Füßen stehen, damit sie sich nicht vor der Erfüllung ihrer vertraglichen Pflichten davonstehlen kann. Nachdem das Beschäftigungskapitel gegen ihren hinhaltenden Widerstand in den Vertrag gekommen ist und sie die Beschäftigungsleitlinien des November-Gipfels in Luxemburg eher hingenommen als mitgestaltet hat, machen wir jetzt unser verfassungsrechtlich verankertes parlamentarisches Mitberatungsrecht bei der Erarbeitung des Aktionsplanes bis zum 15. April und bei der Vorbereitung des Gipfels in Cardiff am 15. und 16. Juni geltend. Sie hätten uns längst schon den als Entwurf offenbar vorliegenden Aktionsplan zum Beschäftigungskapitel zuleiten müssen. Das gebietet die Verfassung. Im Wirtschaftsministerium hat sich die Geltung des Art. 23 Grundgesetz anscheinend noch nicht herumgesprochen.
Wie wir hören, wird in jenem Entwurf, der den Verbänden zugeleitet worden ist, der Versuch unternommen, die Jugendarbeitslosigkeit herunterzudefinieren. Das wird ein nicht geringes Erstaunen in unseren Nachbarländern, etwa England und Frankreich, hervorrufen, die mit Recht genau hier die zentrale Aufgabe der Europapolitik der nächsten Jahre sehen, nämlich die Massenarbeitslosigkeit und vor allem die Jugendarbeitslosigkeit wirksam zurückzudrängen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Was soll man davon halten, daß in jenem Papier die Jugendarbeitslosigkeit verharmlost wird, indem Herr Rexrodt - es ist offenbar seine Stärke, Dinge wegzuhexen - den Gedanken der „Sucharbeitslosigkeit" kreiert?

(Jörg Tauss [SPD]: Unglaublich!)

„Sucharbeitslosigkeit" soll wohl bedeuten, daß Tausende von Jugendlichen auf der Suche nach einem Arbeitsplatz sind. Da viele von ihnen die Chance haben, ihn irgendwann zu finden, nennt man das Ganze nicht Arbeitslosigkeit, sondern nur „Sucharbeitslosigkeit" .

(Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Zynisch ist das!)

Dazu kann ich nur sagen: Die mehr als 500 000 jugendlichen Arbeitslosen, von denen viele auch Lang-

Dr. Jürgen Meyer (Ulm)

zeitarbeitslose sind, werden sich für eine solche Politik bedanken. Sie haben recht damit.

(Beifall bei der SPD)

Wer so mit den Problemen junger Menschen und unserer Gesellschaft umgeht, sollte den Hut nehmen und - Herrn Rexrodt lasse ich das ausrichten; er kann ja heute anscheinend nicht an der Debatte teilnehmen - sich als erster staatlich anerkannter „Sucharbeitsloser" feiern lassen.

(Beifall bei der SPD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren von der Koalition, täuschen Sie sich nicht: Die Parole „Wirtschaft wird in der Wirtschaft gemacht" wird mit der heutigen Zustimmung zum Amsterdamer Vertrag endgültig zu Grabe getragen. Unbestreitbar gleicht die jetzige Bundesregierung, wenn es um aktive Beschäftigungspolitik geht, einem Hund, der zum Jagen getragen werden muß. Deshalb freuen wir uns, daß die deutsche Präsidentschaft im ersten Halbjahr 1999 die Chance eröffnen wird, mit neuer Kraft und neuen Ideen und einer neuen Bundesregierung endlich die Arbeitslosigkeit auch in Deutschland aktiv zu bekämpfen, statt ihren stetigen Anstieg immer wieder nur statistisch zu erfassen.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD)


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1322207200
Das Wort zu einer Kurzintervention hat die Kollegin Heidemarie Wieczorek-Zeul.

Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD):
Rede ID: ID1322207300
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte, bevor wir nachher zur Abstimmung kommen, bei der wir ja eine Zweidrittelmehrheit brauchen, von der Bundesregierung wissen, - das hat wirklich etwas mit unserem Parlamentsverständnis zu tun - ob sie gemäß den Wünschen des Landes Bayern eine Protokollnotiz bei den Beratungen des Bundesrates vorlegen wird oder nicht. Ich bitte, das hier deutlich zu erklären, damit auch der Freistaat Bayern und die Vertreter der CSU nicht in Unklarheit bleiben.

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1322207400
Herr Staatsminister, bitte.

Dr. Werner Hoyer (FDP):
Rede ID: ID1322207500
Herr Präsident! Frau Kollegin Wieczorek-Zeul, damit hier gar keine Unklarheiten bestehen: Es wird keine Protokollnotiz geben. In einem Brief an den Vorsitzenden des EU-Ausschusses des Deutschen Bundestages - dieser Brief ist Ihnen vermutlich bekannt - wird ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die Bundesregierung Art. 73 k Abs. 2 EGV so auslegt,
daß weder Art. 73k noch auf seinen Nrn. 3 und 4 beruhendes Sekundärrecht einen Mitgliedstaat daran hindern, im Bereich der Einwanderungspolitik innerstaatliche Bestimmungen beizubehalten oder einzuführen, die mit dem EG-Vertrag im übrigen und mit internationalen Übereinkünften vereinbar sind. Der letzte Halbsatz dieser
Regelung stellt klar, daß abweichende innerstaatliche Regelungen mit sonstigen Regeln und Grundsätzen des EG-Vertrags vereinbar sein müssen und deshalb nicht zu einer Sinnentleerung der neuen EG-Kompetenz führen können.

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1322207600
Das Wort hat jetzt der Kollege Manfred Müller, PDS.

Manfred Müller (PDS):
Rede ID: ID1322207700
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn es nach der PDS-Gruppe im Deutschen Bundestag gegangen wäre, dann hätten wir diese Debatte heute vor dem Hintergrund einer durchgeführten Volksabstimmung sowohl zum Amsterdamer Vertrag als auch zur Einführung der einheitlichen europäischen Währung führen können. Statt dessen hat es das Parlament - mit Ausnahme der PDS-Gruppe - für richtig gehalten, dies allein dem Parlament zu überlassen und das Volk weiterhin außen vor zu lassen. Obwohl heute immer wieder vom Europa der Bürger die Rede war, ist den Menschen in Europa nicht zugetraut worden, eine eigene Entscheidung zu treffen.
Als zweites möchte ich auf die hier wiederholt dargestellten Verdienste des Kanzlers um den inhaltlichen Durchbruch eingehen, der zum Amsterdamer Vertrag geführt hat. Wir können uns alle daran erinnern, daß der Bundeskanzler monatelang die Aufnahme eines Beschäftigungskapitels in den Amsterdamer Vertrag verhindert hat. Dann ist er unter den Druck der neuen französischen Linksregierung und der Opposition in diesem Haus geraten und hat etwas nachgegeben, um sich jetzt als Kanzler feiern zu lassen, der den Durchbruch beim Amsterdamer Vertrag geschafft habe. Wie die Regierungskoalition zum Beschäftigungskapitel steht, ist hier deutlich geworden. Von Herrn Seiters, aber auch von Herrn Minister Waigel ist gesagt worden, die Beschäftigungspolitik sei ausschließlich Sache der nationalen Parlamente und der nationalen Volkswirtschaften; das gehe Europa gar nichts an. Insofern ist die Aufnahme des Beschäftigungskapitels allein deshalb erfolgt, um das Projekt Euro nicht zu gefährden. Sie meinen es gar nicht so, wie es im Vertrag steht.
Unsere Haltung zum Amsterdamer Vertrag haben wir mit unserem Minderheitsvotum und der Forderung nach Neuverhandlung des Vertrages zum Ausdruck gebracht. Wenn wir die Ratifizierung des Amsterdamer Vertrages heute ablehnen, so wollen wir damit die Fortschritte, die gegenüber dem Maastrichter Vertrag erreicht wurden, nicht schlechtreden.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Wir hätten uns unter Umständen mit den Grünen der Stimme enthalten können, wenn die Defizitliste damit abgeschlossen wäre; denn als europäische sozialistische Partei unterstützen wir prinzipiell alle Schritte und Initiativen, die dazu beitragen, ein nach innen und außen friedliches, soziales, demokratisches und die Umwelt bewahrendes Europa zu gestalten.

(Beifall bei der PDS)


Manfred Müller (Berlin)

Wir erkennen auch an, daß es sich hier um ein europäisches Vertragswerk handelt, das notwendigerweise Kompromisse enthalten muß.

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1322207800
Ich bitte um etwas mehr Ruhe.

Manfred Müller (PDS):
Rede ID: ID1322207900
Wenn wir den Amsterdamer Vertrag dennoch ablehnen, dann aus drei Gründen:
Erstens korrigiert er die neoliberale Grundrichtung des Maastrichter Vertrages nicht einmal ansatzweise. Europa bleibt auf einem Kurs, der nicht mehr, sondern weniger soziale Marktwirtschaft verheißt. Die Europäische Währungsunion eröffnet der Politik keine neuen Spielräume, sondern schränkt sie ein. So wie der Euro geplant ist, wird er Sachzwänge schaffen, vor denen die Politik schlichtweg kapituliert. Dies zu korrigieren reichen die wenigen Fortschritte auf dem Weg von Maastricht nach Amsterdam nicht aus. Die sozialen und regionalen Unterschiede innerhalb Europas werden mit dem Euro nicht abgebaut; sie werden wachsen.
Damit aber steht Europa nicht mehr Gemeinsamkeit, sondern wachsender nationaler und regionaler Egoismus ins Haus, der eines nicht kennt: Solidarität. Warum auch? Warum sollte es in diesem Europa anders zugehen, als wir es gegenwärtig beim Streit um den bundesdeutschen Länderfinanzausgleich erleben dürfen? Auf der europäischen Bühne wird dann genau das gleiche Trauerspiel gegeben, wie wir es gegenwärtig auf der bayerischen erleben müssen. Europa wird an diesem Euro eher zerbrechen als geeint werden. Der Amsterdamer Vertrag bietet da keinen Schutz. Dafür sind die Demokratiedefizite in diesem Vertrag zu groß.
Zweitens bringt der Amsterdamer Vertrag Europa einem zivilen Sicherheitssystem nicht näher - im Gegenteil. Amsterdam ist ein weiterer Schritt hin zu einer Militarisierung europäischer Außen- und Sicherheitspolitik. Die aber ist mit der PDS nicht zu machen.

(Beifall bei der PDS)

Drittens schließlich spottet die im Amsterdamer Vertrag vereinbarte künftige europäische Asyl-, Flüchtlings-, Visa- und Zuwanderungspolitik jeder demokratischen Beschreibung. Sie geht sogar hinter Maastricht zurück! Gleiches gilt für die Bereiche Inneres und Justiz. Auch hier sollen Rechtssicherheit, Transparenz und parlamentarische Kontrollmöglichkeiten nicht ausgebaut, sondern weiter eingeschränkt werden.

(Unruhe)

Die europäische Idee, meine Damen und Herren, ist viel zu wichtig, um sie einem bornierten Zeitgeist zu opfern, der bereit ist, die soziale, zivile und humanitäre Dimension europäischer Politik aufzugeben. Es ist die Richtung der europäischen Integration, die
hier nicht stimmt. Deshalb unser Widerstand und das Nein zu diesem Vertrag.

(Beifall bei der PDS)


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1322208000
Ich würde es sehr begrüßen, wenn es auch gegen Ende der Aussprache etwas ruhiger wäre.
Das Wort hat Herr Staatsminister Hoyer.

Dr. Werner Hoyer (FDP):
Rede ID: ID1322208100
Herzlichen Dank, Herr Präsident. - Da hier eben Unruhe aufgekommen ist, als ich der Kollegin Heidemarie Wieczorek-Zeul erläutert habe, was wir an den Vorsitzenden des EU-Ausschusses geschrieben haben, möchte ich zur völligen Klarheit der Kolleginnen und Kollegen aus der CSU und anderer Fraktionen sagen, daß der Inhalt dieses Briefes selbstverständlich auch dem Ratspräsidenten, Robin Cook, bekanntgegeben worden ist mit der Bitte, ihn an die Außenminister der Europäischen Union weiterzuleiten. In der Beantwortung der Frage hatte ich aber klar gesagt: Eine Protokollnotiz im Rechtssinne ist dies nicht.

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1322208200
Ich schließe jetzt die Aussprache.
Das Wort zu einer Erklärung nach § 31 unserer Geschäftsordnung hat die Kollegin Dr. Liesel Hartenstein.

Dr. Liesel Hartenstein (SPD):
Rede ID: ID1322208300
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! In der uns vorliegenden Beschlußempfehlung heißt es:
Der Vertrag von Amsterdam ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Vollendung der politischen Union. Er ermöglicht den Beginn des Erweiterungsprozesses und gibt europäische Antworten auf globale Herausforderungen. Er stärkt das Europäische Parlament und die Demokratie in Europa und erhöht die Bürgernähe .. .
Wenn dies alles so wäre, dann könnte ich mit Freuden in den allgemeinen Zustimmungschor einstimmen; aber genau dies leistet der Vertrag nach meiner Auffassung nicht. Er bringt zwar einige punktuelle Verbesserungen; doch im Kern tritt er auf der Stelle. Amsterdam bringt Europa nicht spürbar vorwärts, sondern bremst es eher. Deshalb sehe ich mich nicht in der Lage, dem Vertrag zuzustimmen.
Um Mißverständnissen vorzubeugen, möchte ich ausdrücklich betonen: Ich stimme dem Vertrag natürlich nicht deshalb nicht zu, weil ich in irgendeiner Weise den europäischen Integrationsprozeß behindern möchte. Das wäre töricht und falsch. Ganz im Gegenteil: Ich möchte diesen Prozeß befördert sehen. Ich kann aber leider nicht erkennen, daß Amsterdam von dem ernsthaften Willen beseelt war, wirklich den großen Sprung nach vorne zu machen. Was war denn die Meßlatte? Die Meßlatte war das Versprechen von Maastricht I, beim nächsten Anlauf, also bei Maastricht II, die überfälligen Reformen der europäi-

Dr. Liesel Hartenstein
schen Institutionen endlich durchzuführen und zweitens die Fundamente der Politischen Union zu legen.
Genau dieses ist nicht geschehen. Es ist nicht gelungen, das Demokratiedefizit zu beheben. Es ist nicht gelungen, eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik zu formulieren. Es ist nicht gelungen, die Struktur der Kommission zu reformieren und Mehrheitsentscheidungen durchzusetzen. Es ist auch nicht gelungen, einen Einstieg in die Harmonisierung oder wenigstens einen Einstieg in eine engere Koordinierung der Wirtschafts-, Steuer- und Finanzpolitik zu erreichen, was eine unerläßliche Voraussetzung für das Funktionieren der Währungsunion und vor allen Dingen für eine konstruktive Beschäftigungspolitik gewesen wäre. Wir können doch nicht zulassen, daß das EU-interne Tauziehen um die Arbeitsplätze so weitergeht wie bisher. Die Arbeitslosen müßten das büßen.
Ich füge ein letztes Argument hinzu. Es ist auch nicht gelungen, einen entscheidenden Schritt auf dem Weg zur Schaffung einer Umweltunion zu machen, geschweige denn neue Rahmenbedingungen für eine ökologische Erneuerung der Wirtschaft abzustecken. Es tröstet dabei wenig, daß in der Präambel des Vertrages einige gutgemeinte Sätze über das Prinzip der nachhaltigen Entwicklung stehen. Insgesamt ist klar, daß die Situation bleibt, wie sie ist. Selbstredend dürfen nämlich strengere nationale Umweltgesetze keinerlei Handelshemmnisse darstellen und das Funktionieren des Binnenmarktes nicht behindern. Das heißt: Im Grunde rückt Amsterdam keinen Millimeter von der absoluten Dominanz eines expansiven Wirtschaftswachstums ab. Seit Maastricht hat sich daher in meinen Augen nichts geändert. Das aber ergibt keine Zukunftsperspektive.

(Beifall bei Abgeordneten der PDS sowie des Abg. Dr. Jürgen Rochlitz [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])

Offenbar ist in Vergessenheit geraten, daß die Europäische Union schon einmal viel weiter war. Warum greifen weder Maastricht noch Amsterdam auf das Weißbuch der EU-Kommission zurück, das noch zu Zeiten von Jacques Delors erschienen ist? Es enthält nämlich eine grandiose Vision für ein nachhaltiges europäisches Entwicklungsmodell. Auf diesem Fundament könnte und sollte man unbedingt weiterbauen. Was könnte Europa besser zusammenschweißen als die gemeinsame Arbeit an einem solchen Entwicklungsmodell, das gleichzeitig für soziale Gerechtigkeit, für ökologiegerechte Entwicklung und für Arbeitsplätze sorgt? Tun wir das nicht, dann würden wir die Chance für Tausende von ökologisch orientierten und arbeitsfördernden Innovationen verschenken. Das aber wäre falsch.
Europa braucht eine Vorwärtsstrategie, wenn es zusammenwachsen soll, eine zündende Idee, die alles zusammenbindet. Mit einer Ansammlung von Bruchstücken, wie sie der Amsterdamer Vertrag bietet, ist es nicht getan. Wenn Amsterdam auch nur die Konturen eines solchen europäischen Leitbildes erkennen ließe, eines Leitbildes, in dem nationale Egoismen zurückträten, massive wirtschaftliche Gewinninteressen gezähmt würden, soziale und ökologische
Prinzipien als elementare Bestandteile in den künftigen gesamteuropäischen Integrationsprozeß eingebettet würden, dann könnten die europäischen Ideen neuen Glanz gewinnen, dann könnten wir auch die Bürger für Europa zurückgewinnen. Und dies ist dringend nötig.

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1322208400
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluß kommen.

Dr. Liesel Hartenstein (SPD):
Rede ID: ID1322208500
Dafür sollten wir alle Kräfte mobilisieren.
Ich danke Ihnen fürs Zuhören.

(Beifall des Abg. Dr. Jürgen Rochlitz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1322208600
Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es gibt noch eine Reihe von schriftlichen Erklärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung, und zwar eine gemeinsame Erklärung von 19 Kolleginnen und Kollegen aus dem Bereich der CDU/CSU, eine Erklärung des Kollegen Gerhard Scheu, eine weitere des Kollegen Klaus Dieter Reichardt, eine des Kollegen Hans Büttner und eine weitere des Kollegen Kurt Neumann.*)
Wir kommen jetzt zur Schlußabstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zum Vertrag von Amsterdam vom 2. Oktober 1997. Das sind die Drucksachen 13/9339 und 13/9913 Nr. 1. Der Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union empfiehlt, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich weise ausdrücklich darauf hin, daß zur Annahme des Gesetzentwurfs gemäß Art. 23 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 2 unseres Grundgesetzes eine Zweidrittelmehrheit erforderlich ist; das sind mindestens 448 Stimmen.
Es ist namentliche Abstimmung verlangt. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall.
Dann eröffne ich die Abstimmung. -
Darf ich fragen, ob noch ein Mitglied des Hauses anwesend ist, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das scheint nicht der Fall zu sein. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekanntgegeben.
Wir setzen jetzt die Beratungen mit einer Reihe von Abstimmungen zu diesem Tagesordnungspunkt fort. Zu Ihrer Information sage ich Ihnen, daß wir unmittelbar danach ohne Erklärungsrunde die Abstimmung zum Energiewirtschaftsrecht haben werden. Danach behandeln wir mit Erklärungsrunde und anschließender namentlicher Abstimmung die organisierte Kriminalität. Ich sage das, damit Sie sich alle darauf einstellen können.
*) Anlage 3

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Jetzt würde ich gern fortfahren, tue das aber nur, wenn ich übersehen kann, wie die Abstimmungslage ist. Dazu müssen Sie Platz nehmen und den Innenraum frei machen. - Darf ich darum bitten, den Mittelgang frei zu machen. Wenn Sie alle stehen, kann ich die Abstimmung nicht übersehen. - Ich fahre jetzt fort.
Der Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 13/9913 die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/10031. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Stimmenthaltung der PDS abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/10051. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS abgelehnt.
Es ist beantragt worden, den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/10036 an den Auswärtigen Ausschuß zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen „Demokratische Reformen auf dem Weg zu einer politischen Union" . Das ist die Drucksache 13/9912 Nr. 1. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/7823 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Stimmenthaltung der SPD-Fraktion und der Gruppe der PDS angenommen.
Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen mit dem Titel „Wege zu einer politischen Union mit bürgerrechtlichem Fundament und demokratischen Strukturen in der Justiz- und Innenpolitik", Drucksache 13/9912 Nr. 2. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/7824 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Stimmenthaltung von SPD und PDS angenommen.
Beschlußempfehlung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen „Die Europäische Union muß zum Motor für eine zivile Außenpolitik werden". Das ist die Drucksache 13/ 9912 Nr. 3. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/7825 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS bei Stimmenthaltung der SPD-Fraktion angenommen.
Beschlußempfehlung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen „Ökologisierung der Europäischen Verträge", Drucksache 13/9912 Nr. 4. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/7822 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS bei Stimmenthaltung der SPD-Fraktion angenommen.
Beschlußempfehlung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union zu dem Antrag der Gruppe der PDS „Neuverhandlung des Amsterdamer Vertrags", Drucksache 13/9912 Nr. 5. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/ 9379 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist gegen die Stimmen der PDS mit den Stimmen des Hauses im übrigen angenommen.
Beschlußempfehlung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union zur Entschließung des Europäischen Parlaments „Zum Vertrag von Amsterdam", Drucksache 13/9912 Nr. 6. Der Ausschuß empfiehlt Kenntnisnahme. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? Die Beschlußempfehlung ist angenommen.
Ich gebe jetzt das von den Schriftführern und Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis der namentlichen Schlußabstimmung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung mit dem Titel „Entwurf eines Gesetzes zum Vertrag von Amsterdam vom 2. Oktober 1997" - Drucksachen 13/9339 und 13/9913- bekannt. Abgegebene Stimmen: 645. Mit Ja haben gestimmt: 561.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)

Mit Nein haben gestimmt: 34. Enthaltungen: 50. Der Gesetzentwurf ist mit der erforderlichen Mehrheit angenommen worden.

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 645; davon
ja: 561
nein: 35
enthalten: 49
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Peter Altmaier
Anneliese Augustin Jürgen Augustinowitz Dietrich Austermann Heinz-Günter Bargfrede Franz Peter Basten
Dr. Wolf Bauer
Brigitte Baumeister Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank Renate Blank
Dr. Heribert Blens Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm Friedrich Bohl
Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch Klaus Brähmig
Rudolf Braun (Auerbach) Paul Breuer
Monika Brudlewsky Georg Brunnhuber Klaus Bühler (Bruchsal) Hartmut Büttner

(Schönebeck)

Dankward Buwitt
Manfred Carstens (Emstek) Peter Harry Carstensen

(Nordstrand)

Wolfgang Dehnel Hubert Deittert
Albert Deß
Renate Diemers Wilhelm Dietzel Werner Dörflinger Hansjürgen Doss Dr. Alfred Dregger Maria Eichhorn
Wolfgang Engelmann Rainer Eppelmann Heinz Dieter Eßmann Horst Eylmann
Ilse Falk
Jochen Feilcke
Ulf Fink
Dirk Fischer (Hamburg) Klaus Francke (Hamburg) Herbert Frankenhauser
Dr. Gerhard Friedrich Erich G. Fritz
Hans-Joachim Fuchtel Michaela Geiger Norbert Geis
Dr. Heiner Geißler
Michael Glos
Wilma Glücklich
Dr. Reinhard Göhner Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer Joachim Gres
Kurt-Dieter Grill Wolfgang Gröbl Hermann Gröhe Claus-Peter Grotz Manfred Grund
Horst Günther (Duisburg) Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein
Gottfried Haschke

(Großhennersdorf) Gerda Hasselfeldt

Otto Hauser (Esslingen) Hansgeorg Hauser

(Rednitzhembach) Klaus-Jürgen Hedrich Helmut Heiderich Manfred Heise

Detlef Helling
Dr. Renate Hellwig Ernst Hinsken
Peter Hintze
Josef Hollerith
Elke Holzapfel
Dr. Karl-Heinz Hornhues Siegfried Hornung Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke Georg Janovsky Helmut Jawurek Dr. Dionys Jobst Dr.-Ing. Rainer Jork
Michael Jung (Limburg) Ulrich Junghanns
Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter Dr.-Ing. Dietmar Kansy Manfred Kanther Irmgard Karwatzki Volker Kauder
Peter Keller
Eckart von Klaeden Dr. Bernd Klaußner Ulrich Klinkert
Dr. Helmut Kohl Hans-Ulrich Köhler (Hainspitz)

Manfred Kolbe Norbert Königshofen Eva-Maria Kors Hartmut Koschyk Manfred Koslowski Thomas Kossendey Annegret KrampKarrenbauer
Rudolf Kraus
Wolfgang Krause (Dessau) Andreas Krautscheid Arnulf Kriedner
Dr.-Ing. Paul Krüger Reiner Krziskewitz Werner Kuhn
Dr. Karl A. Lamers

(Heidelberg)

Karl Lamers
Dr. Norbert Lammert Helmut Lamp
Armin Laschet
Herbert Lattmann Dr. Paul Laufs Karl-Josef Laumann
Vera Lengsfeld Werner Lensing Christian Lenzer Peter Letzgus Editha Limbach
Walter Link (Diepholz) Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold

(Offenbach)

Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann

(Lüdenscheid) Julius Louven Sigrun Löwisch Dr. Michael Luther

Erich Maaß (Wilhelmshaven) Dr. Dietrich Mahlo
Erwin Marschewski
Günter Marten Dr. Martin Mayer

(Siegertsbrunn) Wolfgang Meckelburg Rudolf Meinl

Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Rudolf Meyer (Winsen) Hans Michelbach Meinolf Michels
Dr. Gerd Müller
Elmar Müller (Kirchheim) Engelbert Nelle
Bernd Neumann (Bremen) Johannes Nitsch
Claudia Nolte Dr. Rolf Olderog Friedhelm Ost Eduard Oswald
Norbert Otto (Erfurt)

Dr. Gerhard Päselt
Dr. Peter Paziorek Hans-Wilhelm Pesch
Ulrich Petzold Anton Pfeifer Angelika Pfeiffer Dr. Gero Pfennig
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Dr. Winfried Pinger
Ronald Pofalla
Dr. Hermann Pohler Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff
Dr. Bernd Protzner
Dieter Pützhofen Thomas Rachel Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Rolf Rau
Helmut Rauber Peter Rauen
Otto Regenspurger
Christa Reichard (Dresden) Klaus Dieter Reichardt

(Mannheim)

Dr. Bertold Reinartz
Erika Reinhardt Hans-Peter Repnik
Roland Richter
Dr. Norbert Rieder
Dr. Erich Riedl (München) Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Hannelore Rönsch

(Wiesbaden) Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose

Kurt J. Rossmanith Adolf Roth (Gießen) Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck Volker Rühe
Dr. Jürgen Rüttgers Roland Sauer (Stuttgart) Ortrun Schätzle
Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Heinz Schemken Karl-Heinz Scherhag Gerhard Scheu Norbert Schindler Dietmar Schlee
Ulrich Schmalz Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt (Fürth) Dr.-Ing. Joachim Schmidt

(Halsbrücke)

Andreas Schmidt (Mülheim) Hans-Otto Schmiedeberg Hans Peter Schmitz

(Baesweiler) Michael von Schmude

Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr von
Schorlemer Wolfgang Schulhoff
Dr. Dieter Schulte

(Schwäbisch Gmünd) Gerhard Schulz (Leipzig) Frederick Schulze


(Sangerhausen) Diethard Schütze (Berlin) Clemens Schwalbe

Dr. Christian Schwarz-Schilling
Wilhelm Josef Sebastian Horst Seehofer
Marion Seib
Wilfried Seibel Heinz-Georg Seiffert Rudolf Seiters Johannes Selle Bernd Siebert Jürgen Sikora
Johannes Singhammer Bärbel Sothmann Margarete Späte Carl-Dieter Spranger Wolfgang Steiger Erika Steinbach
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten
Dr. Gerhard Stoltenberg Andreas Storm
Max Straubinger Matthäus Strebl Michael Stübgen Egon Susset
Dr. Rita Süssmuth Michael Teiser
Dr. Susanne Tiemann Gottfried Tröger
Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Gunnar Uldall Wolfgang Vogt (Düren)


Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Dr. Horst Waffenschmidt
Dr. Theodor Waigel
Alois Graf von Waldburg-Zeil Dr. Jürgen Warnke Hans-Otto Wilhelm (Mainz) Gert Willner
Bernd Wilz
Willy Wimmer (Neuss) Matthias Wissmann
Dr. Fritz Wittmann
Dagmar Wöhrl Michael Wonneberger
Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach Cornelia Yzer Wolfgang Zeitlmann
Benno Zierer Wolfgang Zöller
SPD
Gerd Andres Robert Antretter
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr Doris Barnett Klaus Barthel
Ingrid Becker-Inglau Wolfgang Behrendt
Hans Berger Hans-Werner Bertl Friedhelm Julius Beucher Rudolf Bindig
Lilo Blunck
Anni Brandt-Elsweier
Tilo Braune
Dr. Eberhard Brecht
Edelgard Bulmahn
Ursula Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner (Ingolstadt) Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen
Dr. Herta Däubler-Gmelin Christel Deichmann
Karl Diller
Dr. Marliese Dobberthien Peter Dreßen
Freimut Duve Ludwig Eich Peter Enders Gernot Erler Petra Ernstberger
Annette Faße Elke Ferner
Lothar Fischer (Homburg) Gabriele Fograscher
Iris Follak
Eva Folta
Norbert Formanski
Dagmar Freitag Anke Fuchs (Köln)

Katrin Fuchs (Verl)

Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Konrad Gilges Iris Gleicke Günter Gloser Uwe Göllner
Günter Graf (Friesoythe) Angelika Graf (Rosenheim) Dieter Grasedieck
Achim Großmann
Karl Hermann Haack (Extertal)

Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann Manfred Hampel Christel Hanewinckel
Alfred Hartenbach Klaus Hasenfratz Dr. Ingomar Hauchler
Dieter Heistermann Reinhold Hemker Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks Monika Heubaum Uwe Hiksch
Reinhold Hiller (Lübeck) Stephan Hilsberg
Jelena Hoffmann (Chemnitz) Frank Hofmann (Volkach) Ingrid Holzhüter
Erwin Horn
Eike Hovermann Lothar Ibrügger Barbara Imhof Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate Jäger Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung (Düsseldorf) Sabine Kaspereit Susanne Kastner
Ernst Kastning Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner Marianne Klappert Siegrun Klemmer Hans-Ulrich Klose
Dr. Hans-Hinrich Knaape Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper Nicolette Kressl Volker Kröning Thomas Krüger Horst Kubatschka Eckart Kuhlwein Helga Kühn-Mengel Konrad Kunick
Dr. Uwe Küster Werner Labsch Brigitte Lange Detlev von Larcher Waltraud Lehn Robert Leidinger Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard Christa Lörcher Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß (Herne) Winfried Mante Dorle Marx
Ulrike Mascher Christoph Matschie
Ingrid Matthäus-Maier Heide Mattischeck Markus Meckel
Ulrike Mehl
Herbert Meißner Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer (Ulm) Ursula Mogg
Siegmar Mosdorf
Michael Müller (Düsseldorf)

Jutta Müller (Völklingen) Christian Müller (Zittau) Volker Neumann (Bramsche) Gerhard Neumann (Gotha) Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese Doris Odendahl Günter Oesinghaus Leyla Onur
Manfred Opel Adolf Ostertag Kurt Palis
Albrecht Papenroth Dr. Willfried Penner Dr. Martin Pfaff Georg Pfannenstein
Dr. Eckhart Pick Joachim Poß
Rudolf Purps
Hermann Rappe

(Hildesheim)

Karin Rehbock-Zureich Margot von Renesse
Renate Rennebach Otto Reschke Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter Günter Rixe
Reinhold Robbe Gerhard Rübenkönig Marlene Rupprecht Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch Dieter Schanz
Rudolf Scharping Bernd Scheelen Siegfried Scheffler Horst Schild
Otto Schily
Günter Schluckebier
Horst Schmidbauer (Nürnberg)

Ulla Schmidt (Aachen) Dagmar Schmidt (Meschede) Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt (Berg)

Dr. Emil Schnell Walter Schöler Ottmar Schreiner Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert Richard Schuhmann

(Delitzsch)

Brigitte Schulte (Hameln) Reinhard Schultz

(Everswinkel) Volkmar Schultz (Köln)

Dr. R. Werner Schuster Dietmar Schütz (Oldenburg) Dr. Angelica Schwall-Düren Ernst Schwanhold
Rolf Schwanitz Bodo Seidenthal Lisa Seuster
Horst Sielaff
Erika Simm
Johannes Singer
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Wieland Sorge
Wolfgang Spanier Dr. Dietrich Sperling Jörg-Otto Spiller Antje-Marie Steen
Ludwig Stiegler
Dr. Peter Struck
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Dr. Bodo Teichmann Margitta Terborg
Dr. Gerald Thalheim Wolfgang Thierse Franz Thönnes
Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Ute Vogt (Pforzheim) Karsten D. Voigt (Frankfurt) Hans Georg Wagner
Hans Wallow
Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Reinhard Weis (Stendal) Matthias Weisheit Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen (Wiesloch) Jochen Welt
Hildegard Wester Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier Helmut Wieczorek (Duisburg)

Heidemarie Wieczorek-Zeul Dieter Wiefelspütz
Berthold Wittich
Dr. Wolfgang Wodarg Verena Wohlleben Hanna Wolf (München) Heidi Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel Peter Zumkley
F.D.P.
Dr. Gisela Babel Hildebrecht Braun (Augsburg)

Günther Bredehorn Jörg van Essen Gisela Frick
Paul K. Friedhoff Horst Friedrich Rainer Funke
Hans-Dietrich Genscher
Dr. Wolfgang Gerhardt Joachim Günther (Plauen)

Dr. Karlheinz Guttmacher
Dr. Helmut Haussmann
Ulrich Heinrich Walter Hirche
Dr. Burkhard Hirsch Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Detlef Kleinert (Hannover) Roland Kohn
Dr. Heinrich L. Kolb Jürgen Koppelin
Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Dr. Otto Graf Lambsdorff Sabine LeutheusserSchnarrenberger Uwe Lühr
Jürgen W. Möllemann
Günther Friedrich Nolting
Dr. Rainer Ortleb Lisa Peters

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Dr. Günter Rexrodt Cornelia Schmalz-Jacobsen
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Dr. Irmgard Schwaetzer Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele Dr. Dieter Thomae Jürgen Türk
Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen)

Dr. Guido Westerwelle
Fraktionslos
Kurt Neumann (Berlin)

Nein
SPD
Peter Conradi
Dr. Liesel Hartenstein
BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN
Monika Knoche Dr. Jürgen Rochlitz Halo Saibold
PDS
Wolfgang Bierstedt Petra Bläss
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter
Heinrich Graf von Einsiedel
Dr. Ludwig Elm
Dr. Dagmar Enkelmann
Dr. Ruth Fuchs Andrea Gysi
Dr. Gregor Gysi Hanns-Peter Hartmann
Dr. Uwe-Jens Heuer
Dr. Barbara Höll Dr. Willibald Jacob Ulla Jelpke
Gerhard Jüttemann
Dr. Heidi Knake-Werner
Rolf Köhne
Rolf Kutzmutz Dr. Christa Luft Heidemarie Lüth
Dr. Günther Maleuda
Manfred Müller (Berlin)

Rosel Neuhäuser Dr. Uwe-Jens Rössel
Christina Schenk Steffen Tippach Klaus-Jürgen Warnick
Dr. Winfried Wolf
Gerhard Zwerenz
Enthalten
CDU/CSU
Dr. Egon Jüttner Heinrich Lummer
SPD
Brigitte Adler
Dr. Hermann Scheer
BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN
Gila Altmann (Aurich) Elisabeth Altmann (Pommelsbrunn)
Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln)
Angelika Beer Matthias Berninger
Annelie Buntenbach
Amke Dietert-Scheuer Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Uschi Eid
Andrea Fischer (Berlin) Joseph Fischer (Frankfurt) Rita Grießhaber
Gerald Häfner Antje Hermenau Kristin Heyne Ulrike Höfken Michaele Hustedt Dr. Manuel Kiper
Dr. Angelika Köster-Loßack Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt
Oswald Metzger Kerstin Müller (Köln) Winfried Nachtwei
Christa NickeLs
Egbert Nitsch (Rendsburg) Cem Özdemir
Gerd Poppe
Simone Probst Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk Rezzo Schlauch
Albert Schmidt (Hitzhofen) Wolfgang Schmitt

(Langenfeld) Ursula Schönberger Waltraud Schoppe

Werner Schulz (Berlin) Marina Steindor Christian Sterzing
Manfred Such Dr. Antje Vollmer Ludger Volmer
Helmut Wilhelm (Amberg) Margareta Wolf (Frankfurt)
Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des Europarates und der WEU, der NAV oder der IPU
Abgeordnete(r)
Fischer (Unna), Leni, CDU/CSU Schloten, Dieter, SPD
Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 5 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zu dem Gesetz zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts
- Drucksachen 13/7274, 13/9211, 13/9545, 13/ 10 002 -
Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Peter Struck
Das Wort zur Berichterstattung wird nicht gewünscht. Gibt es sonstige Wortmeldungen? - Das ist nicht der Fall.
Damit kommen wir zur Abstimmung. Der Vermittlungsausschuß hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, daß im Deutschen Bundestag über die Änderungen gemeinsam abzustimmen sei. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 13/ 10 002? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Stimmenthaltung der Gruppe der PDS abgelehnt.
Ich rufe den Zusatzpunkt 6 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zu dem Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität
- Drucksachen 13/8651, 13/9644, 13/9661, 13/ 9841, 13/10004-
Berichterstattung: Abgeordneter Otto Schily
Das Wort zur Berichterstattung wird, wie ich höre, nicht gewünscht. Es wird aber das Wort für Erklärungen zur Abstimmung gewünscht. Es handelt sich also nicht um eine Debatte.
Als erster hat das Wort der Kollege Dr. Heribert Blens, CDU/CSU.

Dr. Heribert Blens (CDU):
Rede ID: ID1322208700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die SPD hatte angekündigt, daß sie im Vermittlungsverfahren die Ausnahmen von der Abhörmöglichkeit über die Gruppen der Geistlichen, Abgeordneten und Strafverteidiger hinaus auf drei weitere Berufsgruppen ausdehnen wolle, nämlich auf alle Rechtsanwälte, Ärzte und Journalisten. Tatsächlich geht der Vermittlungsvorschlag der SPD weit darüber hinaus. Nach dem Vorschlag sollen nun ausgenommen werden: Rechtsanwälte, Patentanwälte, Notare, Wirtschaftsprüfer, vereidigte Buchprüfer, Steuerberater, Steuerbevollmächtigte,

(Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Geldwäscher!)

Ärzte, Zahnärzte, Apotheker, Hebammen, Berater in
Schwangerschaftsberatungsstellen, Berater in Dro-

Dr. Heribert Blens
genberatungsstellen und im Medienbereich keineswegs nur Journalisten,

(Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Drucker!)

sondern alle Personen, die bei der Vorbereitung, Herstellung oder Verbreitung von periodischen Druckwerken oder Rundfunksendungen beruflich mitwirken oder mitgewirkt haben. Damit würden über 20 Berufsgruppen von dem Gesetz ausgenommen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich sage hier: Die CDU/CSU-Fraktion lehnt diese maßlose und unsinnige Ausweitung der Ausnahmen ohne jedes Wenn und Aber ab.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ein Gesetz mit einer solchen Flut von Ausnahmen

(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Kann man schon vergessen!)

wäre absolut wirkungslos. Ein Gesetz mit einer solchen Flut von Ausnahmen für privilegierte Berufsgruppen würde in diesem Bereich ein wahres Zweiklassensystem schaffen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Einem solchen Gesetz mit diesem Inhalt noch die alte Bezeichnung „Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität" zu geben wäre reiner Etikettenschwindel.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dann sage ich: Besser kein Gesetz als ein solches.

Die von der SPD geforderte Ausdehnung der Ausnahmen macht das Gesetz aber nicht nur wirkungslos, sondern auch verfassungsrechtlich außerordentlich angreifbar. Wenn der Gesetzgeber Ausnahmen von einer gesetzlichen Regelung zuläßt, darf er das nach dem Willkürverbot des Art. 3 des Grundgesetzes nur, wenn es dafür sachbezogene Gründe gibt, die in anderen Fällen nicht vorliegen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!)

Deshalb ist es zwar nicht notwendig, aber zulässig, Geistliche, Abgeordnete und Strafverteidiger von der Abhörbefugnis auszunehmen. Diese Ausnahmen sind sachlich begründet und begründbar, weil alle drei Gruppen in ihrer Tätigkeit durch die Verfassung selbst in besonderer Weise geschützt sind: Geistliche durch die Gewährleistung ungestörter Religionsausübung in Art. 4 Abs. 2 des Grundgesetzes, Abgeordnete durch Art. 47 des Grundgesetzes, Strafverteidiger durch das Rechtsstaatsprinzip des Art. 20. Aus diesem Prinzip folgt die Forderung nach einem fairen Strafverfahren. Diese Forderung verlangt den ungestörten Verkehr zwischen Strafverteidiger und Angeklagtem.
Meine Damen und Herren, jede Regelung, die über diese verfassungsrechtlich begründeten Ausnahmen hinausgeht, führt in Teufels Küche. Wie soll denn sachlich begründet werden, daß der Apotheker nach dem Vorschlag der SPD nicht abgehört werden darf, der Drogist aber doch? Wie soll denn sachlich begründet werden, daß Hebammen nicht abgehört
werden dürfen, während das Abhören der Psychotherapeuten - jedenfalls nach der zur Zeit geltenden Rechtslage - zulässig ist? Wie soll denn sachlich begründet werden, daß Zahnärzte nicht abgehört werden dürfen, daß aber Leute, die ein persönliches Zeugnisverweigerungsrecht haben - Verlobte, Eheleute, Verwandte, Verschwägerte -, ohne Einschränkung abgehört werden können? Diese Differenzierungen sind sachlich nicht zu begründen und deshalb verfassungsrechtlich nicht zulässig. Sie würden das ganze Gesetz verfassungsrechtlich in Frage stellen. Deshalb kommt eine Zustimmung zu dem Vermittlungsvorschlag der SPD für die CDU/CSU-Fraktion nicht in Betracht.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich am Schluß doch noch eines klarstellen. Es geht bei diesem monatelang mit den Sozialdemokraten ausgehandelten und mit ihnen hier im Deutschen Bundestag gemeinsam beschlossenen Gesetz weder um einen großen noch um einen kleinen Lauschangriff auf die Freiheit der Bürger. Es geht darum, dem Staat die Möglichkeit zu geben, die Freiheit der Bürger vor Verbrechen und vor Verbrechern besser zu schützen, als das bisher der Fall war. Es geht nicht um einen Angriff, es geht um Verteidigung der Bürgerfreiheit.

(Beifall bei der CDU/CSU) Das ist der Kern des Gesetzes.

Die Abhörmöglichkeiten der Sicherheitsbehörden sind klar definiert, rechtsstaatlich eng begrenzt und gerichtlich kontrolliert. Abhören ist im übrigen nur zulässig, wenn es um die Beschuldigung wegen bestimmter, im Gesetz einzeln aufgezählter schwerer und schwerster Straftaten geht.
Wir, die CDU/CSU-Fraktion, wollen das Gesetz in der mit der SPD ursprünglich ausgehandelten Fassung, um eine bessere Verbrechensbekämpfung zu ermöglichen.

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1322208800
Beachten Sie bitte die Zeit!

Dr. Heribert Blens (CDU):
Rede ID: ID1322208900
Sollte ein wirkungsvolles Gesetz an den Sozialdemokraten scheitern, meine Damen und Herren, ist das für uns besser als ein schlechtes, wirkungsloses Gesetz im Gesetzblatt. Sollte es an Ihnen scheitern, dann ist aber auch klar - und darüber wird in den nächsten Monaten zu reden sein -, wer dafür hier, möglicherweise im Bundesrat und in der Öffentlichkeit die Verantwortung zu tragen hat. Das sind die Sozialdemokraten einschließlich ihrer Spitzenfiguren Kanzlerkandidat und Parteivorsitzender.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1322209000
Das Wort hat der Kollege Dr. Peter Struck.


Dr. Peter Struck (SPD):
Rede ID: ID1322209100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Blens, Ihre letzten Worte und Ihre wilden Drohungen, für die nächsten Monate dieses Thema auf die Tagesordnung zu setzen, beeindrucken uns überhaupt nicht. Die Wahlen in Niedersachsen haben gezeigt, daß wir uns keine Sorgen zu machen brauchen, auch nicht für den 27. September.

(Lachen bei der CDU/CSU)

Ich will auch nicht in Ihre Polemik verfallen, Herr Kollege Blens, sondern will hier das Ergebnis des Vermittlungsausschusses darstellen und auf das zurückführen, was es ist.
Wir haben hier im Deutschen Bundestag, nachfolgend im Bundesrat ausführlich über die Bekämpfung der organisierten Kriminalität beraten und entschieden. Auch wir Sozialdemokraten sind der Meinung, daß man das organisierte Verbrechen bekämpfen muß, auch mit Maßnahmen zum elektronischen Abhören. Sie wissen aus den Debatten hier im Deutschen Bundestag, daß ein beachtlicher Teil meiner Fraktion der Grundgesetzänderung aus grundsätzlichen Erwägungen nicht zugestimmt hat, ebenso wie es einige Mitglieder aus der Fraktion der F.D.P. gab, die sich diesen Erwägungen angeschlossen und ebenfalls nicht zugestimmt haben. Die Frage, ob das Grundgesetz geändert werden soll, ist allerdings entschieden. Es ist geändert worden, nach der Entscheidung hier und der nachfolgenden Entscheidung des Bundesrates vom 6. Februar.
Der Bundesrat hat den Vermittlungsausschuß angerufen mit dem Ziel, die vom Bundestag beschlossenen Begleitgesetze zu überarbeiten und zu verbessern, insbesondere im Hinblick auf zwei Punkte: Zum einen sollte geprüft werden, ob diejenigen, die nach § 53 der Strafprozeßordnung Zeugnisverweigerungsrechte haben, in den Katalog der Beweiserhebungsverbote bei elektronischen Abhörmaßnahmen aufgenommen werden sollen. Zum anderen ging es darum, ob nicht die Berichtspflicht, die der Gesetzgeber vorgesehen hat, nicht verbessert werden sollte. Das war der Auftrag an den Vermittlungsausschuß.
Wir haben diesen Auftrag Anfang dieser Woche im Vermittlungsausschuß zu beraten gehabt. Die SPD-Mitglieder und auch die Kollegin der Grünen im Vermittlungsausschuß haben der B-Seite im Vermittlungsausschuß angeboten, über diese beiden Arbeitsaufträge ausführlich zu beraten, auch in einer Arbeitsgruppe, ungeachtet der Tatsache, daß wir viele Fragen schon im Beratungsverfahren im Bundestag und im Vorfeld mit der Bundesregierung erörtert haben.
Die Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion im Vermittlungsausschuß haben dieses Angebot kategorisch abgelehnt. Sie haben sich geweigert, in weitere Beratungen mit uns im Rahmen einer Arbeitsgruppe einzutreten. Sie haben gesagt, ihre Position sei klar:

(Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Ist auch klar!)

Wir ändern nichts an dem Gesetz.
Ich bedauere es außerordentlich, daß auch der Vertreter der F.D.P.-Fraktion im Vermittlungsausschuß - entgegen dem, was man in den Tagen vorher hörte - diese Position, nämlich: Verhandlungen bringen keinen Sinn mehr, vertreten hat. Ich will den Kollegen Irmer in dieser Sache überhaupt nicht angreifen; ich mache das wirklich unpolemisch.

(Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Der hat sich doch gar nicht dazu geäußert! Es ist falsch, was Sie sagen!)

Herr Kollege Gerhardt, Herr Kollege Solms, ich vertraue auf die Debatten, die sich im nachhinein, nach der Verabschiedung hier im Bundestag und im Bundesrat, ergeben haben.
Die öffentliche Diskussion über die verabschiedeten Gesetze hat gezeigt, daß sehr schwer zu vermitteln war, warum neben den Gruppen, die ausgenommen worden sind, nämlich Strafverteidiger, Priester und Abgeordnete, andere nicht ausgenommen werden sollten. Das war der deutschen Öffentlichkeit sehr schwer zu vermitteln. Aus meiner Sicht ist es in der Tat schwer.

(Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Aber die Hebamme jetzt ist besser, was?)

- Herr Kollege Marschewski, so kann man natürlich auch argumentieren: Es sei ja absurd, daß wir die Hebamme, die ein Zeugnisverweigerungsrecht hat, mit in den Katalog der Beweiserhebungsverbote aufnehmen. Aber bitte machen Sie es sich nicht so einfach!

(Beifall des Abg. Bernd Reuter [SPD])

Es geht natürlich nicht um Hebammen, es geht um Anwälte, um Ärzte und um Journalisten. Das ist doch der Schwerpunkt der Diskussion, die wir im Zusammenhang mit den Beweiserhebungsverboten geführt haben.

(Beifall bei der SPD)

Man kann ein solch ernstes Thema natürlich auch so behandeln, wie Sie das tun.
Ich appelliere an die Kolleginnen und Kollegen - insbesondere aus der Fraktion der F.D.P., aber auch aus der Fraktion der CDU/CSU -, die seinerzeit der Grundgesetzänderung und den Begleitgesetzen aus Gewissensgründen nicht zustimmen konnten, sich doch bitte der Frage zu stellen, ob, da die Grundgesetzänderung nun beschlossen ist, Herr Kollege Hirsch, der Vorschlag des Vermittlungsausschusses jetzt nicht eine Verbesserung des beschlossenen Gesetzespaketes bedeutet und deshalb Ihre Zustimmung dieser Verbesserung Rechnung tragen sollte.
Die Mitglieder meiner Fraktion, die dem Paket seinerzeit nicht zugestimmt haben, haben sich dieser Ausführung nach einer ausführlichen Debatte angeschlossen.

(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich bedanke mich auch ausdrücklich bei meinem Kollegen Hermann Bachmaier, der in dieser Angelegenheit sehr hilfreich argumentiert hat. Er wird dazu eine Erklärung zu Protokoll geben.

Dr. Peter Struck
Mein Appell lautet: Nehmen Sie im Interesse einer Verbesserung des Gesetzes die Gelegenheit wahr, für diejenigen, die Zeugnisverweigerungsrechte haben, auch die Beweiserhebungsverbote gelten zu lassen, und stimmen Sie dem Vorschlag des Vermittlungsausschusses zu.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1322209200
Das Wort hat die Kollegin Kerstin Müller, Bündnis 90/Die Grünen.

(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Auch eine Bekehrte! Und dann noch Gysi, auch bekehrt!)


Kerstin Müller (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1322209300
Daß wir nicht bekehrt sind, werde ich gleich deutlich machen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte für meine Fraktion hier zu Beginn ganz deutlich sagen: Dieses Vermittlungsergebnis ist aus unserer Sicht ziemlich bescheiden. Das, worum es hier heute in wirklich allerletzter Sekunde geht, ist aus unserer Sicht nicht viel mehr als Schadensbegrenzung;

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

denn ohne Ihre falsche Grundsatzentscheidung, meine Damen und Herren von SPD, CDU/CSU und F.D.P., für die Verwanzung der Republik bräuchten wir heute nicht über komplizierte Ausnahmen zu streiten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der PDS)

Meine Fraktion war von Anfang an gegen diese Lauschattacke auf das Grundgesetz.
Ich muß sagen: Ich finde es sehr bedauerlich, daß große Teile der Öffentlichkeit erst so spät erkannt haben, was hier eigentlich auf dem Spiel steht. Hier geht es eben nicht um irgendeine Maßnahme zur Verbrechensbekämpfung. Mit der Änderung des Art. 13 Grundgesetz am 6. Februar im Bundesrat wurde das Grundrecht auf die Unverletzlichkeit der Wohnung faktisch abgeschafft. Nicht nur die Räume von Rechtsanwälten und Ärzten, von Drogenberatern und Journalisten können damit künftig abgehört werden, wenn das Vermittlungsergebnis keine Zustimmung findet - nein: In Zukunft kann die intimste Privatsphäre eines jeden Bürgers verwanzt werden. Das, meine Damen und Herren, war der eigentliche Sündenfall an diesem zentralen Grundrecht unserer Verfassung. Das ist auch durch dieses Vermittlungsergebnis nicht wiedergutzumachen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der PDS)

Nun kommt es uns darauf an, daß wenigstens dieses Vermittlungsverfahren nicht im nachhinein zu einer reinen Alibiveranstaltung wird. Ich muß sagen: Ich hatte nicht den Eindruck, daß überhaupt irgend
jemand von Ihnen wirklich ein Interesse an einem echten Vermittlungsverfahren hatte - entgegen den öffentlichen Äußerungen. Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, haben das Vermittlungsverfahren von vornherein blockiert. Sie wollten keine Verbesserungen, im Gegenteil: Herr Schäuble hat noch einmal gefordert, beim Lauschen gar keine Ausnahmen zu machen, nach dem Motto: Vor der Wanze sind alle Bürger gleich.

(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Gut!)

Sie, meine Damen und Herren von der SPD, hatten leider noch nicht einmal den Mut, die Dinge zu verbessern, die von Ihren eigenen Bundesländern, zum Beispiel dem Saarland, im Anrufungsbegehren gefordert wurden. Sie haben leider alle unsere diesbezüglichen Anträge abgelehnt. Weder gibt es ein Recht auf unverzügliche Benachrichtung des Betroffenen nach Abschluß der Maßnahme, noch waren Sie bereit, die Eingriffsschwelle vom einfachen auf den dringenden Tatverdacht zu erhöhen.
Und warum - da muß ich Herrn Blens recht geben, aber mit einer anderen Konsequenz - die sogenannten Berufsgeheimnisträger, wie Ärzte und Journalisten, schutzwürdiger sein sollen als Angehörige oder die sogenannten Berufshelfer, denen aus guten Gründen ebenfalls ein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht, bleibt bis heute Ihr Geheimnis. Aus unserer Sicht ist diese Unterscheidung schlicht willkürlich und eigentlich durch nichts zu begründen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der PDS Clemens Schwalbe [CDU/CSU]: Warum stimmen Sie dann zu?)

Deshalb wollten wir ja alle ausnehmen. Sie wollten gar keinen ausnehmen. Wir hatten beantragt, alle diese Gruppen auszunehmen.
Jetzt komme ich zur F.D.P. Sie haben in diesem Verfahren meiner Meinung nach wirklich den Vogel abgeschossen. Herr Hirsch hat angekündigt, die F.D.P. sei als Fraktion wirklich an einem echten Vermittlungsergebnis interessiert. Herr Gerhardt, F.D.P.-Vorsitzender, Sie meinten noch am 2. März, mit Blick auf die Ärzte seien Sie für Bewegung. Dann erklärt der Abgeordnete Irmer, der gleich noch reden wird, am selben Tag im Vermittlungsausschuß kurz und bündig: Erstens. Die Einrichtung einer Arbeitsgruppe mache überhaupt keinen Sinn. Zweitens. All die Änderungsanträge - ob nun von der SPD oder von uns - würden ihn nicht überzeugen. Ende der Durchsage. Ich finde, das ist wirklich der Gipfel. Daran wurde deutlich, daß Sie überhaupt kein Interesse an einem echten Vermittlungsergebnis hatten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nicht genug damit, daß Sie die Öffentlichkeit bei der Frage der Staatsbürgerschaft seit Jahren nach dem Motto „Wir würden ja gern, aber wir trauen uns nicht" an der Nase herumführen. Hinsichtlich des Lauschangriffes wechseln die Ansagen inzwischen stündlich.
Zehn Abgeordnete von Ihnen, meine Damen und Herren von der F.D.P., haben der Grundgesetzände-

Kerstin Müller (Köln)

rung nicht zugestimmt. An Ihnen hängt es jetzt, ob wenigstens diese absolute Minimalverbesserung durchkommt. Wir machen Ihnen hier ein Angebot. Sie können jetzt Farbe bekennen. Ich bin gespannt, wie ernst es Ihnen mit Ihren öffentlichen Äußerungen wirklich war und ob wenigstens einige von Ihnen noch ein Fünkchen Standhaftigkeit besitzen. Herr Lambsdorff, Frau Leutheusser-Schnarrenberger, Herr Genscher, Sie alle haben jetzt die Chance, Ihren Worten Taten folgen zu lassen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

„Allah ist mit den Standhaften" haben Sie, Herr Hirsch, dem Bremer Bürgermeister Scherf vor der Abstimmung im Bundesrat zugerufen. Er ist, wie wir alle wissen, auf voller Linie eingeknickt und hat der Grundgesetzänderung zugestimmt.
Allah sei nun mit Ihnen, Herr Hirsch, auf daß Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen standhaft bleiben.
Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der PDS)


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1322209400
Das Wort hat der Kollege Dr. Solms.

Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1322209500
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die F.D.P. bekennt sich dazu, die Freiheit der Bürger gegen jede Gefahr zu sichern und zu verteidigen.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Dazu gilt es, sowohl die Freiheitsräume des einzelnen gegenüber dem Staat zu bewahren als auch seine Freiheit vor der Bedrohung durch Kriminalität zu schützen.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Die Freiheitsbedrohung hat durch die organisierte Kriminalität eine ganz neue Dimension erreicht. Deshalb hat sich die F.D.P. nach langer innerparteilicher Diskussion und nach einem basisdemokratischen Entscheid ihrer Mitglieder dazu durchgerungen, das Abhören in Wohnungen bei der Strafverfolgung zuzulassen, um die notwendigen Beweismittel zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität gewinnen zu können.
Zwingende Voraussetzung eines solchen Abhörens war die Gewährleistung strenger rechtsstaatlicher Kontrollen und im Grundgesetz abgesicherter Bedingungen. Den Weg dazu haben der Deutsche Bundestag und der Bundesrat erst kürzlich mit verfassungsändernder Mehrheit mit Ihrer Mitwirkung beschritten.
Obwohl nun die SPD im Bundestag mit Mehrheit sowohl der Grundgesetzänderung als auch den Begleitgesetzen zugestimmt hat, hat sie den Vermittlungsausschuß angerufen, nur um die Zustimmung eines Ministerpräsidenten, nämlich des hier genannten Herrn Scherf, zu erreichen. Er hat dann ja auch zugestimmt.
Im Vorfeld der Beratungen des Vermittlungsausschusses waren von seiten der F.D.P. mehrfach Bewegungsmöglichkeiten bekundet worden. Denn es entspricht unserer Überzeugung, daß die besonderen Vertrauensverhältnisse zwischen Arzt und Patient, zwischen Anwalt und Mandant, zwischen Journalist und Informant wie zwischen Seelsorger und Rat-suchendem besonders zu schützen sind. Dem, was Herr Struck eben ausgeführt hat, entnehme ich, daß das auch das Kernanliegen der SPD war. Leider haben Sie anders gehandelt.
Diese Auffassung hat die F.D.P. auch vor dem Vermittlungsverfahren öffentlich durch den Parteivorsitzenden sowie am Anfang und während des Vermittlungsverfahrens durch Herrn Irmer deutlich gemacht. Eine Zustimmung dazu, nämlich zu einer Ausdehnung auf diesen begrenzten Personenkreis, haben wir weder bei unserem Koalitionspartner noch bei der Opposition erreicht.
Während es bei der CDU/CSU eine inhaltlich andere Bewertung gab, hat die SPD die Ausnahmen auf die in § 53 Abs. 1 Strafprozeßordnung genannten rund 20 Berufsgruppen ausgedehnt. Dazu hatte der SPD-Verhandlungsführer Otto Schily noch am 16. Januar 1998 hier im Hause erklärt, wer alle Zeugnisverweigerungsberechtigten von vornherein ausnehmen wolle, der solle es lieber gleich lassen.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Am 6. Februar hatte dann der niedersächsische Ministerpräsident und neue Kanzlerkandidat, Gerhard Schröder, im Bundesrat ausdrücklich erklärt, daß Niedersachsen nicht nur die inzwischen verabschiedete Grundgesetzänderung, sondern auch die Begleitgesetze in der vorgelegten Form für zustimmungsfähig halte. Sollten sich im Vermittlungsverfahren - sei es auch aus politischen Gründen - mögliche Verbesserungen nicht erzielen lassen, dann würde er den unveränderten Begleitgesetzen als Ministerpräsident des Landes Niedersachsen zustimmen.

(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Was sagt er jetzt?)

- Das würde ich einmal abwarten.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Für uns ist es deshalb vollkommen unverständlich, daß die SPD im Vermittlungsausschuß ihren viel zu weit gehenden Vorschlag ohne weitere erkennbare Verhandlungsbereitschaft mit ihrer Mehrheit als unechtes Vermittlungsergebnis beschlossen hat. Es wäre möglich gewesen, darüber noch einmal vertieft zu sprechen und eine gemeinsame Lösung zu finden.
Die Mehrheit der F.D.P.-Fraktion lehnt dies aus den von uns nach wie vor für stichhaltig gehaltenen Gründen ab. Ein derart weit gefaßtes Beweiserhebungsverbot ist weder unserer Rechtsordnung zu entnehmen, wie Otto Schily zu Recht in diesem Hause bei dieser Debatte bekannt hat, noch würden

Dr. Hermann Otto Solms
andernfalls verfassungsrechtliche Positionen verletzt. Die F.D.P. ist unverändert bereit, die bereits genannten besonderen Vertrauensverhältnisse, nämlich - ich wiederhole das ausdrücklich - die Vertrauensverhältnisse zwischen Arzt und Patient, Anwalt und Mandant, Journalist und Informant sowie Geistlichen und Ratsuchenden besonders zu schützen. Einfache Gesetze können ja auch in Zukunft wieder geändert werden. Sie ist aber nicht bereit, auf jedes taktische Spielchen, auf jeden strategischen Winkelzug der SPD einzugehen,

(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der CDU/CSU)

ganz abgesehen von dem offenkundig opportunistischen Verhalten der Grünen, die nun allein aus taktischen Gründen einem Antrag zustimmen werden, obwohl sie vom Grundsatz her dies alles für verderblich halten und ablehnen. Für ein solches Verhalten habe ich überhaupt kein Verständnis.

(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)

Was die PDS macht, weiß ich nicht. Deswegen kann ich mich dazu nicht äußern.
Vielen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1322209600
Das Wort hat der Kollege Dr. Gysi.

Andrea Lederer (PDS):
Rede ID: ID1322209700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe meine grundsätzliche, prinzipielle und ausnahmslose Ablehnung des großen Lauschangriffs hier bereits begründet. Auch die Regierungskoalition hat ihre gegenteilige Auffassung klargemacht. Uns beiden kann man eines nicht vorwerfen, nämlich daß wir keine Positionen hätten. Das ist aber in dieser Frage mein Vorwurf an die SPD.

(Beifall bei der PDS)

Ich finde, daß es sehr viele von uns damals auch genannte gute Gründe gibt, prinzipiell gegen den großen Lauschangriff zu sein. Ich hatte Sie daran erinnert, daß sie selbst in der Zeit des kalten Krieges den Art. 13 des Grundgesetzes nicht geändert haben und daß Sie mit der ganzen Sowjetunion ohne Änderung des Art. 13 fertiggeworden sind. Daß Sie jetzt ernsthaft meinen, bei der Russenmafia ohne eine Änderung nicht mehr auszukommen, das ist in keiner Hinsicht glaubwürdig.

(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich füge aber eines hinzu, und zwar an die Adresse derjenigen Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, die damals dem großen Lauschangriff und dem Ausführungsgesetz zugestimmt haben. In der ersten Fassung hatten Sie, Herr Schily, zugestimmt, daß es praktisch überhaupt keine Ausnahmegruppen gibt. Dann kam Ihr Parteitag. Nach dem Parteitag haben Sie nachverhandelt. Dann erst wurden die Strafverteidiger, die Geistlichen und die Abgeordneten ausgenommen. Dann tagte der Bundesrat. Dann kamen die nächsten Ausnahmegruppen hinzu. Aber jedesmal hatten Sie sich mit einer wesentlich schwächeren Variante abgefunden. Ich finde, das macht eine Position auf Dauer nicht glaubwürdiger, sondern unglaubwürdiger. Das muß ich Ihnen ehrlich sagen.

(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es fällt uns ungeheuer schwer, hier heute zu entscheiden. Wir haben sehr lange darüber beraten. Ich will Ihnen sagen, weshalb.

(Zurufe von der CDU/CSU)

- Daß es Ihnen leichtfällt, Bürgerrechte einzuschränken, das habe ich nun inzwischen mitbekommen. Uns fällt das schwer.

(Beifall bei der PDS - Lebhafter Widerspruch bei der CDU/CSU)

So können sich die Zustände und Verhältnisse ändern.

(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Ich sage Ihnen in diesem Zusammenhang etwas anderes: Es ist uns deshalb so schwergefallen, weil man, wenn man einer Ausnahme zustimmt, ganz leicht in den Verdacht kommt, auch der Regel zustimmen zu wollen. Das aber lehnen wir aus prinzipiellen Gründen ab.
Wenn heute eine große Mehrheit, nicht alle, zu dem Vermittlungsvorschlag dennoch ja sagt, dann aus anderen Gründen: Wir stimmen heute nicht mehr über das Gesetzespaket ab; das ist hier schon verabschiedet worden. Die Grundgesetzänderung ist auch schon beschlossen. Heute stimmen wir eigentlich über einen Änderungsantrag ab, nämlich darüber, ein schlechtes Gesetz in bestimmten Fällen nicht anzuwenden.

(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Diejenigen, die gegen dieses Gesetz sind, können nicht dagegen sein, daß es in bestimmten Fällen nicht angewandt wird. Wir sind nur darüber hinaus der Meinung, daß es eigentlich in gar keinem Fall angewandt werden dürfte. Wir bedauern, daß die Diskussion zum Lauschangriff auf die private Wohnung heute kaum noch stattfindet, daß überwiegend über Berufsgruppen gesprochen wird.
Eines, Frau Kollegin Müller, möchte ich korrigieren: Es geht nicht um den Schutz von Anwälten, auch nicht von Hebammen, von Journalistinnen und Journalisten oder Strafverteidigern. Es geht um den Schutz von Bürgerinnen und Bürgern, die sich zu solchen Personen begeben.

(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Es geht um deren Schutz bei bestimmten, von der Strafprozeßordnung geregelten Vertrauensverhältnissen. Wenn es wirklich nur um die Berufsgruppen ginge, würde ich nicht zustimmen. Ich kann nur deshalb zustimmen, weil dadurch die Bürgerinnen und Bürger, die sich zu solchen Menschen begeben, bes-

Dr. Gregor Gysi
ser geschützt werden. Das ist das entscheidende Argument.
Auch das will ich deutlich sagen: Wenn noch einmal das gesamte Gesetzespaket zur Abstimmung stünde, oder auch nur die Strafprozeßordnung, würden wir ebenfalls nicht zustimmen. Wir können es nur deshalb tun, weil es hier, wie gesagt, einen Vorschlag gibt, ein schlechtes Gesetz in bestimmten Fällen nicht anzuwenden. Da wir gegen das Gesetz sind, müssen wir natürlich dafür sein, es nicht anzuwenden, wenn auch leider nur in bestimmten Fällen. Wir würden es viel lieber wesentlich ausgedehnter sehen. Nur das macht es der großen Mehrheit der Gruppe möglich, zu diesem Vermittlungsvorschlag ja zu sagen.
Jetzt erwarte ich auch von den F.D.P.-Angehörigen, die dafür waren, hier Farbe zu bekennen.
Und ich hoffe - das sage ich als letztes -, daß die Wackelei bei der SPD in dieser Frage nicht zu ihrem Politikstil auch in anderen Fragen wird.

(Beifall bei der PDS sowie der Abg. Gila Altmann [Aurich] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1322209800
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich möchte gerne zur Klarstellung etwas zur Geschäftsordnung sagen.
Wir führen im Augenblick keine Debatte. Infolgedessen gibt es nicht die Möglichkeit, die in einer Debatte besteht, daß man nach § 30 persönliche Erklärungen abgeben kann. Wenn ich das zulasse, handelt es sich faktisch um eine Debatte. Auf eine solche aber müßten sich die Geschäftsführer einigen. Das haben sie nicht getan. Weil das also nicht der Fall ist - ich muß mich an die Geschäftsordnung halten -, gibt es keine Erklärungen nach § 30.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Es gibt jetzt aber einige mündliche Erklärungen nach § 31. Sie sind auch in einem solchen Fall ausdrücklich zugelassen. Dazu hat als erster der Kollege Dr. Burkhard Hirsch das Wort.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1322209900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach den Aufforderungen, die ich eben gehört habe, fällt es mir schwer, bei meinem Entschluß zu bleiben. Ich werde aber dem Vorschlag des Vermittlungsausschusses zustimmen, und zwar aus den folgenden Gründen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das kann ja wohl nicht wahr sein!)

Ich empfinde es als ein Elend und als eine schwere Belastung der Beratungen, daß die Auseinandersetzung um die Erhaltung elementarer Grundrechte schon im Bundesrat zu einem taktischen Spiel gemacht wurde,

(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)

in das wir durch die Erklärung des niedersächsischen
Ministerpräsidenten Gerhard Schröder, er habe kein
Problem, auch der bisherigen Fassung des Gesetzentwurfes zuzustimmen, und er werde das gegebenenfalls tun, hineingezogen werden.
Darum bleibt mir für die heutige Abstimmung - und nur für sie - nichts anderes übrig, als mich dabei auf die Grundlage der bereits von Ihnen beschlossenen Änderung des Art. 13 des Grundgesetzes zu stellen. Denn nur so kann ich die bisherige Fassung des Lauschangriffes wenigstens teilweise korrigieren, und zwar nicht im Interesse der Anwälte, der Ärzte und der Journalisten, sondern im Interesse der Mandanten, der Patienten, der freien Presse und sonstiger Ratsuchender.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der PDS)

Das ändert nichts an meiner Überzeugung, daß das Gesetz auch in der Fassung des Vermittlungsausschusses dem Geist und dem Inhalt unserer Verfassung widerspricht:

(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P., der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

erstens, weil schon bei geringstem Verdacht auch gegen einen Dritten in wichtige menschliche Vertrauensbeziehungen im wahrsten Sinne des Wortes eingebrochen werden kann; zweitens, weil auch das Gespräch von Ehegatten unter vier Augen in ihrer eigenen Wohnung in Zukunft belauscht werden darf; drittens, weil die Benachrichtigung des Betroffenen nicht verfassungsmäßig gesichert ist und auf lange Zeit verschoben werden kann, auch über eine Hauptverhandlung hinweg, auch wenn selbst die Staatsanwaltschaft und die Richter das Ergebnis eines Lauschprotokolls kennen, nicht aber der Angeklagte und nicht sein Verteidiger; viertens, weil die Frage, ob die Menschenwürde durch solche Regelungen verletzt wird, keine Frage der statistischen Häufigkeit ist und die Verfassung vielmehr jeden einzelnen Fall schützen soll und schützen muß; und fünftens, weil man die Grundwerte nicht schützen kann, indem man sie ständig weiter abbaut.

(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P., der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Ich stimme dem Vorschlag des Vermittlungsausschusses deswegen zu, weil mir die parlamentarische Situation keine andere Möglichkeit gibt, und in der Hoffnung, daß das Bundesverfassungsgericht Gelegenheit bekommen wird, die unverändert bestehenden Mängel des Gesetzes zu korrigieren.

(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P., der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS Erwin Marschewski [CDU/ CSU]: Sie haben immer verloren! Sie verlieren auch jetzt wieder!)


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1322210000
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Heuer, PDS.

(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Der Rechtsverbieger aus Babelsberg!)



Dr. Uwe-Jens Heuer (PDS):
Rede ID: ID1322210100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich stimme anders als fast alle anderen Abgeordneten der PDS-Gruppe. Ich lehne die Beschlußempfehlung ab, aber aus gänzlich anderen Motiven als die Koalitionsfraktionen. Ich halte es deshalb für unbedingt notwendig, mein Abstimmungsverhalten zu begründen.
Erstens. Ich bin ein prinzipieller Gegner des Lauschangriffs.

(Unruhe)

- Herr Präsident, ich bin nicht in der Lage, meine Erklärung vorzutragen.

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1322210200
Es ist schwierig. Sie haben ja das Mikrophon auf Ihrer Seite.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/ CSU)


Dr. Uwe-Jens Heuer (PDS):
Rede ID: ID1322210300
Erstens. Ich bin ein prinzipieller Gegner des Lauschangriffs. Der Beschlußempfehlung liegt die Legalisierung des Lauschangriffs zugrunde. Es bleibt dabei, daß mit dieser Legalisierung allen Bürgerinnen und Bürgern das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung, die Unantastbarkeit privater Lebensgestaltung, die Privat- und Intimsphäre aufgekündigt wird. Ein Abhörverbot für bestimmte Berufsgruppen ändert nichts daran, daß es für die restlichen 99 Prozent der Bürgerinnen und Bürger keinen Schutz vor dem Abhören in ihrer Wohnung gibt. Ein Grundrecht wird in verfassungswidriger Weise in seinem Kernbestand angetastet. Ich möchte mich in keiner Weise an der näheren Ausgestaltung eines derartigen Verfassungsbruchs beteiligen.
Zweitens. Ohne die SPD wären die Verfassungsänderung und der große Lauschangriff nicht möglich gewesen. Sie hat durch ihre Vorschläge zur relativen Befreiung bestimmter Berufsgruppen von dieser Grundfrage abgelenkt und damit auf Entsolidarisierung der Betroffenen gesetzt. Dieser Taktik kann ich keine Hilfe leisten. Ich bin im Unterschied zu den Koalitionsfraktionen nicht dafür, daß zeugnisverweigerungsberechtigte Berufsgruppen abgehört werden. Ich bin dafür, daß niemand abgehört wird.
Die Beschlußempfehlung enthält eine kleine Verbesserung im Rahmen einer großen Verschlechterung. Bei einem Ja zu dieser kleinen Verbesserung für bestimmte Berufsgruppen könnte mir jetzt, aber auch später immer der Vorwurf gemacht werden, bei dem Lauschangriff, bei der Fortsetzung einer verfehlten Kriminalpolitik des immer rigoroseren Eingriffs in demokratische Rechte, mitgemacht zu haben. Diesen Vorwurf möchte ich mir von meinen Wählern nicht machen lassen; ich möchte ihn mir selbst nicht machen.
Drittens. Es stimmt einfach nicht, daß es heute darum geht, noch zu retten, was noch zu retten ist.

(Zuruf von der F.D.P.: Doch!)

Ganz entscheidend herbeigeführt hat das Dilemma
der heutigen Situation die Führung der SPD selbst,
die die PDS jetzt zwecks Schadensbegrenzung vereinnahmen will. Die Führung der SPD hat sich nun einmal als Beschaffer der dafür erforderlichen verfassungsändernden Mehrheit hergegeben, wenn auch 105 SPD-Abgeordnete dabei nicht mitgemacht haben. Nun merkt die Führung der SPD, daß es Widerstand gibt, und versucht, den von ihr selbst geschlossenen faulen Kompromiß etwas zu mildern. An diesem zweifelhaften parlamentarischen Spiel mitzuwirken, kann ich mich nicht entschließen.
Viertens. Im Falle der Ablehnung der Beschlußempfehlung liegt die Verantwortung wieder bei der SPD und den Grünen. Das Gesetzgebungsverfahren ist nicht beendet. Beide Parteien können im Bundesrat den großen Lauschangriff für diese Legislaturperiode durch Ablehnung des Ausführungsgesetzes noch zu Fall bringen. Ohne Ausführungsgesetz gibt es keinen großen Lauschangriff. Ich werde deshalb gegen den Beschlußentwurf stimmen.
Die Art und Weise, wie Sie hier mit einer persönlichen Erklärung umgehen, zeigt die Kultur dieses Hauses.

(Beifall bei Abgeordneten der PDS)


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1322210400
Das Wort hat jetzt der Kollege Otto Schily.

Otto Schily (SPD):
Rede ID: ID1322210500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Ich werde dem Vorschlag des Vermittlungsausschusses zustimmen. Das steht in keiner Weise in Widerspruch zu dem, was ich bisher in den Verhandlungen vertreten und auch hier im Deutschen Bundestag erklärt habe. Im Deutschen Bundestag habe ich erklärt, daß bei dem Schutz von besonderen Vertrauensverhältnissen Verbesserungen notwendig gewesen wären. Ich habe in den Verhandlungen mit der Koalition auch entsprechende Vorschläge schriftlich vorgelegt, die inhaltlich in Übereinstimmung mit dem stehen, was jetzt der Vermittlungsausschuß beschlossen hat.
Herr Kollege Dr. Blens, damit wir uns ganz sachlich miteinander unterhalten: Ich weiß, es ist ein außergewöhnlich schwieriges, juristisch kompliziertes Problem, das Verhältnis von verdeckten Ermittlungen zu besonderen Vertrauensverhältnissen zu regeln. Die Justizminister haben sich mit diesem Problem seit Jahren beschäftigt und sind noch nicht zu endgültigen Auffassungen gelangt. Das muß man wissen. Man muß aber auch zur Kenntnis nehmen, daß der § 53 der Strafprozeßordnung seit Jahrzehnten geltendes Recht ist und ein Beweiserhebungsverbot auch in Strafprozessen begründet.

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1322210600
Herr Kollege Schily, ich bitte um Entschuldigung. Sie geben eine Erklärung zur Abstimmung ab, keinen Debattenbeitrag. Sie müssen erklären, warum Sie wie abstimmen.

Otto Schily (SPD):
Rede ID: ID1322210700
Richtig, Herr Präsident, kein Debattenbeitrag. Ich muß aber auch erklären, warum ich dem zustimme.


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1322210800
Sie müssen aber die Grenzen beachten, die dieser Debatte gesetzt sind.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Otto Schily (SPD):
Rede ID: ID1322210900
Ich beachte die Grenzen, Herr Präsident. - Ich stimme dem Ergebnis des Vermittlungsausschusses, das ich für sachgerecht halte, zu, da der § 53 der Strafprozeßordnung Zeugnisverweigerungsrechte begründet und der Deutsche Bundestag bisher keine Veranlassung gesehen hat, den § 53 zu ändern. Der § 53 begründet Beweiserhebungsverbote im Strafprozeß. Dadurch wird nicht ein Strafprozeß verhindert. § 53 gibt dem Zeugen das Recht, seine Aussage, die ja auch zur Aufklärung einer Straftat dienen soll, zu verweigern. Die Konsequenz daraus sind solche Beweiserhebungsverbote, wie sie jetzt im Ergebnis des Vermittlungsausschusses vorgesehen sind.
Ich werde dem Ergebnis des Vermittlungsausschusses auch im Hinblick darauf zustimmen, wie ich bereits im Bundestag gesagt habe, daß die Ausnahmeregelungen nicht entsprechend den Regelungen im § 52 ausgedehnt werden, weil das in der Tat eine Neutralisierung dessen, was wir zustande bringen wollen, bewirken würde.
Ich stimme ihm auch zu, weil andere Vorschläge nicht auf den Tisch gekommen sind. Der Kollege Dr. Solms hat hier zwar erklärt, er würde einer anderen Regelung zustimmen können, aber Vorschläge, über die man reden könnte, sind weder im Vermittlungsausschuß noch heute in der Plenarsitzung des Deutschen Bundestages auf den Tisch gekommen.

(Jörg van Essen [F.D.P.]: Es gab hier keine Plenardebatte darüber!)

Das finde ich inkonsequent. Ich fände es richtig, wenn wir dem Ergebnis des Vermittlungsausschusses gemeinsam zustimmten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1322211000
Das Wort nach § 31 der Geschäftsordnung hat jetzt die Kollegin Dr. Enkelmann.

Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1322211100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich stimme dem Änderungsantrag des Vermittlungsausschusses mit großen Bauchschmerzen zu. Ich stimme zu, obwohl ich den Lauschangriff hier abgelehnt habe und es immer wieder tun würde. Ich stimme zu, obwohl ich weiß, daß ein so gravierender Eingriff in die Intimsphäre vieler Menschen, wie er durch den Lauschangriff geschieht, eigentlich nicht verbessert werden kann. Ich stimme zu, obwohl ich weiß, daß zwar ein weiterer Teil der Bevölkerung vom Abhören ausgeschlossen werden soll, viele andere aber, die keine lautstarke Lobby und nicht die Medien auf ihrer Seite haben, betroffen bleiben.
Ich stimme auch zu, obwohl ich weiß, daß die SPD den Lauschangriff verbockt hat und nun versucht, sich mit diesem Coup wieder reinzuwaschen. Ich
stimme zu, weil ich der SPD nicht die Chance geben will, den ursprünglichen Antrag im Bundesrat durchzusetzen und mich hinterher von ihr dafür auch noch verantwortlich machen zu lassen. Nein, meine Damen und Herren von der SPD, die Verantwortung für den Lauschangriff sollen Sie, getrost weiterhin tragen. An diesen Angriff auf im Grundgesetz garantierte Persönlichkeitsrechte werden wir Sie immer wieder erinnern.
Dieser Erklärung haben sich folgende Abgeordnete angeschlossen: Uwe-Jens Rössel, Heidi Knake-Werner, Willibald Jacob, Rosel Neuhäuser, Ruth Fuchs, Heidemarie Lüth, Andrea Gysi, Maritta Böttcher, Ludwig Elm, Eva Bulling-Schröter, Manfred Müller, Christa Luft, Barbara Höll und Petra Bläss.

(Beifall bei Abgeordneten der PDS)


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1322211200
Das Wort hat jetzt der Kollege Rolf Köhne, PDS.

(Unruhe bei der CDU/CSU)


Rolf Köhne (PDS):
Rede ID: ID1322211300
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie müssen sich das noch ganz kurz anhören; ich mache es auch kurz und knapp.
Ich stimme dem Ergebnis des Vermittlungsausschusses zu, auch wenn mir dabei übel wird.

(Lachen bei der CDU/CSU)

Ich tue dies in der vagen Hoffnung, daß ein großes Übel im Interesse der Menschen ein klein wenig abgemildert werden kann. Dies ändert aber nichts an meiner prinzipiellen Ansicht. Die Aushebelung des Grundrechtes auf Unverletzlichkeit der Wohnung ist im Grunde ein verfassungsfeindlicher Akt.

(Beifall bei Abgeordneten der PDS, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1322211400
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, jetzt gibt es noch eine Reihe von schriftlichen Erklärungen nach § 31, und zwar eine der Kollegen Bachmaier, Kuhlwein, Bury, Dobberthien, Dr. R. Werner Schuster und Iris Gleicke im Namen vieler Abgeordneter der SPD-Fraktion - ich kann nicht sagen, wie vieler, weil das hier nicht verzeichnet ist -, eine Erklärung der Kollegin Margitta Terborg, eine weitere des Kollegen Manfred Such, eine weitere der Kolleginnen Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und Dr. Irmgard Schwaetzer, eine gemeinsame Erklärung der Kollegen Dr. Max Stadler, Dr. Otto Graf Lambsdorff und Hans-Dietrich Genscher, eine Erklärung des Kollegen Dr. Winfried Wolf und eine letzte des Kollegen Hildebrecht Braun.*)
Der Vermittlungsausschuß hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, daß im Deutschen Bundestag über die Änderung gemeinsam abzustimmen ist. Wir kommen damit zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 13/10004.
*) Anlagen 5, 6 und 7



Vizepräsident Hans-Ullrich Klose
Die Fraktion der SPD verlangt namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen besetzt? - Das scheint der Fall zu sein. Dann eröffne ich die Abstimmung.
Darf ich fragen, ob ein Mitglied des Hauses anwesend ist, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? Am Ende ist immer die sportliche Phase; da muß gerannt werden.
Letzter Aufruf! - Ich habe das Gefühl, jetzt haben alle ihre Stimmen abgegeben. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekanntgegeben. )
Wir setzen jetzt die Beratungen fort. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a bis 6 c sowie den Zusatzpunkt 7 auf.
6. a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Michael Müller (Düsseldorf), Dietmar Schütz (Oldenburg), Anke Fuchs (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Stand der Arbeiten am Umweltgesetzbuch
- Drucksachen 13/2551, 13/4767 -
b) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Michael Müller (Düsseldorf), Dietmar Schütz (Oldenburg), Hermann Bachmaier, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Weiterentwicklung der Umweltverträglichkeitsprüfung zur Sicherung einer nachhaltigen Entwicklung
- Drucksachen 13/3778, 13/8155 -
c) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Michael Müller (Düsseldorf), Anke Fuchs (Köln), Wolfgang Behrendt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Stand der Umweltökonomischen Gesamtrechnung
- Drucksachen 13/2395, 13/4435 -
ZP7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Michaele Hustedt, Ulrike Höfken, Jürgen Rochlitz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Moderne Umweltpolitik für eine nachhaltige Entwicklung in Deutschland
- Drucksache 13/10 010 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (federführend)

Rechtsausschuß
Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
Es liegen zwei Entschließungsanträge der Fraktion der SPD vor.
`) Seite 20305 B
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Dietmar Schütz, SPD.

Dietmar Schütz (SPD):
Rede ID: ID1322211500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unsere Diskussionen zu Sachstand und Fortentwicklung eines Umweltgesetzbuches und zur Weiterentwicklung der Umweltverträglichkeitsprüfung sind nicht neu. Aber ihre Fokussierung auf ein Ergebnis, also auf eine Vorlage der Bundesregierung, wird immer dringlicher. Wie lange kann sich eigentlich die Bundesregierung noch hinter dem breiten Rücken einer Expertenkommission verstecken? Wie lange will sie die blendenden Ergebnisse der Sachverständigenkommission und auch der Professorenkommission zum Umweltgesetzbuch aus unserer politischen Diskussion heraushalten? Bisher hat sie noch gar nichts getan.
Ich gebe zu: Es war und ist eine sehr anspruchsvolle Aufgabe, die umweltrelevanten Vorschriften in einem Gesetz zusammenzufassen, zu harmonisieren und zu vereinfachen. Die Vorlage der 1992 eingesetzten Sachverständigenkommission, die teilweise auf dem Professorenentwurf fußen konnte, hat zu Recht hohes Lob erfahren. Alle Erwartungen, was die Qualität der Arbeit, und viele Erwartungen, was die Inhalte des Entwurfs betrifft, sind erfüllt worden.
Das Umweltgesetzbuch ist das zentrale umweltrechtliche Projekt unserer Zeit. Mit ihm schaffen wir die Ausgangsposition für den rechtlichen, aber auch für den vertraglichen und für den freiwilligen Umweltschutz des 21. Jahrhunderts. Es ist sicherlich legitim, hier eine Parallele zur Schaffung des BGB zu ziehen. Das Umweltgesetzbuch muß für das Umweltrecht an der Schwelle zum nächsten Jahrhundert das leisten, was das BGB für das bürgerliche Recht an der Schwelle des 19. Jahrhunderts zum 20. Jahrhundert geleistet hat. Der Sachverständigenentwurf hierzu könnte ein genauso großer Entwurf werden wie der historische Entwurf der BGB-Kommission zur Jahrhundertwende.
Die Vorarbeiten dazu sind meines Erachtens so gut, daß ich mich frage, wieso die Bundesregierung mit einem derartigen Pfund nicht stärker den öffentlichen Diskurs für eine moderne Umweltpolitik bestimmt, um offen im Dialog ihre eigenen Vorstellungen darzulegen oder mindestens zu sagen, welche Vorschläge der Kommission sie mitträgt und welche sie verwirft. Schlicht und ergreifend gesagt: Sie soll ihre eigene Position darlegen. Statt dessen bekommen wir lediglich Vorschläge zur bruchstückhaften Umsetzung, weil in der Europäischen Union wieder einmal die Fristen davonlaufen. Nur das treibt die Bundesregierung zur Vorlage.
Bereits bei der Übergabe des Kommissionsentwurfs zum Umweltgesetzbuch kündigte Frau Ministerin Merkel an, in einem vorgezogenen Ersten Buch zum Umweltgesetzbuch die IVU-Richtlinie und die UVP-Änderungsrichtlinie umsetzen zu wollen.

Dietmar Schütz (Oldenburg)

Ich halte dies für hochbedenklich. Die schon gerichtsnotorische Unfähigkeit der Bundesregierung, EG-Richtlinien fristgemäß umzusetzen, soll hier dafür herhalten, das Großprojekt Umweltgesetzbuch zu zerstückeln, um noch in dieser Legislaturperiode einen bescheidenen Erfolg einfahren zu können. Die medienübergreifenden Ansätze gehen völlig verloren. Ich kann nur warnen: Wir müssen aufpassen, daß nicht der große Wurf in kleiner Münze ausgezahlt und auf diese Weise zerstört wird.

(Beifall bei der SPD)

Welchen Herausforderungen hat sich der Umweltgesetzbuchentwurf gestellt? Die Aufgaben der Harmonisierung, der Stabilisierung und der Vereinfachung des geltenden Rechts scheinen mir gelungen. Ebenso wurde die Anpassungsleistung der Europäisierung erbracht, was auch vor dem Hintergrund der UVP-Richtlinie wichtig ist. Auch die Internationalisierung, etwa mit Blick auf den internationalen Meeresschutz und auf den grenzüberschreitenden Umweltschutz, wurde in dem Entwurf vollzogen.
Hinsichtlich der Effektivierung und der Ökonomisierung, also der Verbesserung der Vollzugschancen und des Kosten-Nutzen-Verhältnisses, sind ebenfalls positive Elemente erkennbar. Schließlich hat auch das grundlegende Prinzip der Nachhaltigkeit Eingang in das UGB gefunden.
Mir erscheint aber auch wichtig, daß über die traditionelle Aufgabenstellung hinaus auch moderne, nach vorne weisende Instrumente aufgegriffen werden. Ich nenne dafür drei wichtige Elemente, nämlich die Demokratisierung, die Schaffung von Transparenz und die Effizienzsteigerung im Umweltschutz. Der Umweltgesetzbuchentwurf enthält unter dem Aspekt der Demokratisierung wichtige Elemente der Partizipation, also der Bürgerbeteiligung, und damit auch der Akzeptanzsteigerung.
Ich habe in den letzten Jahren, unter anderem bei unseren Debatten zur UVP, zum Umweltinformationsgesetz und auch zu den sogenannten Beschleunigungsgesetzen verschiedentlich auf die große Bedeutung hingewiesen, die diesen Elementen in der praktischen Anwendung des Umweltrechts zukommt.

(Unruhe)

- Es ist schwierig, hier in diesem Saal zu reden, während alle auf das Ergebnis warten, weil offensichtlich keiner zuhört.

(Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist da! Wir haben gewonnen!)

- Ja? Das ist toll! Das bekommt man als Redner überhaupt nicht mit. Aber ich muß versuchen, hier weiterzureden.
Ich sprach von den Elementen der Demokratisierung und ihrer praktischen Anwendung und will mich hier gerne wiederholen, weil mir dies wichtig ist und weil ich den nachhaltigen Eindruck habe, daß
dies auf der Seite der Regierungskoalition leider nicht angemessen gewürdigt wurde.

(Anhaltende Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Unser Leitbild ist der Bürger als informierter und mündiger Partner im Dialog. Er ist ein kritischer, aber gleichwohl notwendiger Partner und kein Störenfried im Verfahren, wie dies die Mehrheitsfraktionen in diesem Hause durch ihre Gesetze leider immer wieder zum Ausdruck gebracht haben. Das Kooperationsprinzip ist eine der Grundlagen des Umweltschutzes. Es findet sich deshalb im Umweltgesetzbuchentwurf an hervorragender Stelle. Ich begrüße nachdrücklich, daß dieses positive Leitbild aufgegriffen und in vielfältiger Weise umgesetzt wird. Es findet sich zum Beispiel bei den Vorschlägen zur Neufassung des Informationszugangsrechts, das den Behördenbegriff weiter faßt, Informationen aus laufenden Verfahren einbezieht und die restriktive Gebührenregelung abändert.
Die Stärkung der Bürgerseite findet sich auch in der Einführung des Verbandsklagerechtes. Dies ist eine Forderung, die wir seit Jahren erheben und deren Erfüllung durch die Mehrheitsfraktionen seit Jahren verhindert wird. Nun haben Ihre Umweltrechtsexperten, die Sie selbst benannt haben, Ihnen das Verbandsklagerecht sozusagen ins Stammbuch geschrieben, weil nach allen Untersuchungen dadurch keine Verfahrensverzögerungen zu erwarten sind, sondern eher eine Akzeptanzerweiterung. Ich bin doch sehr gespannt, wie Sie darauf reagieren wollen. - Alles in allem verdient dieser Entwurf also an dieser Stelle unsere volle Unterstützung.

(Vorsitz : Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer)

Jetzt liegt es allerdings, wie schon zuvor, an der Bundesregierung, aus den guten Vorarbeiten der Sachverständigen eine vernünftige Gesetzesvorlage zu machen. Hier endet dann auch mein Lob. Denn außer der Bestellung von hochqualifizierten Experten hat diese Bundesregierung seit Beginn der Diskussionen und der Arbeiten zum Umweltgesetzbuch nichts zustande gebracht.
Für uns Sozialdemokraten steht fest: Wir brauchen schleunigst ein Umweltgesetzbuch, das den Umwelt- und Naturschutz für die verschiedenen Fachbereiche und Umweltmedien auf einheitlich hohem Niveau regelt, urn eine nachhaltige, umweltverträgliche Entwicklung zu sichern, den Wirtschafts- und Lebensstandort Deutschland zu stärken und die natürlichen Lebensgrundlagen auch für zukünftige Generationen vorsorgend zu schützen. Wir brauchen ein modernes, umfassendes Umweltrecht, um den Herausforderungen der europäischen und globalen Integrationsprozesse gerecht zu werden. Wir brauchen es auch, um durch eine Systematisierung und Modernisierung unseres Umweltrechts dem Umweltschutz eine bessere rechtliche Grundlage im Konkurrenzkampf um politische Inhalte und Prioritäten zu verschaffen.
Als Umweltpolitiker würden wir uns in die Tasche lügen, wenn wir nicht zugäben, daß in unserem Politikbereich, im Umweltschutz, seit einiger Zeit eine er-

Dietmar Schütz (Oldenburg)

kennbar schlechte Konjunktur herrscht. Die beiden letzten Landtagswahlen haben - neben den hervorragenden Ergebnissen, auf die ich als Niedersachse stolz bin - auch gezeigt, daß der Stellenwert des Umweltschutzes bei Wahlentscheidungen massiv abgenommen hat. Repräsentative und seriöse Untersuchungen belegen, daß ökonomische Sorgen um Ausbildung, Arbeit und Rente deutliche Priorität bei unseren Mitbürgerinnen und Mitbürgern besitzen. Gegen oft existentielle Ängste und Nöte verblaßt die für viele Menschen doch etwas abstrakte Sorge um eine lebensfähige Umwelt.
Wir stellen auch fest, daß noch immer eine anhaltende Kritik aus Wissenschaft, Politik und Wirtschaft gegen den verfahrensrechtlichen Umweltschutz besteht. Überregulierung, Bürokratisierung, Ineffizienz, hohe Kosten und langsame Verfahren, das sind einige Kernpunkte dieser Kritik. Diese Wahrnehmung wird verbreitet; staatliche Umweltpolitik wird als ineffizient angesehen und als „veraltet" beschrieben.
Sofern sich diese Kritik nicht im bloßen Negieren erschöpft, sondern auch Alternativen zur bisherigen ordnungsrechtlichen Intervention und Kontrolle benennt, werden unter anderem Instrumente des produktionsintegrierten Umweltschutzes, Selbstverpflichtungen, Verfahrenserleichterungen und ökonomische Instrumente genannt.
Wir sind dieser Kritik nicht mit einer Bunkermentalität begegnet und haben uns nicht hinter den - zweifellos vorhandenen - bisherigen Erfolgen des klassischen Umweltschutzes durch seine ordnungsrechtlichen Regelungen versteckt. Wir haben diese Kritik aufgenommen, und sie ist in das Umweltgesetzbuch eingeflossen.
Meine Damen und Herren, wir sollten von der Bundesregierung jetzt schleunigst verlangen, daß all das, was wir durchgesetzt haben und was von den Expertenkommissionen aufgegriffen und in hervorragender Weise vorgeschlagen worden ist, endlich auf den Tisch kommt und wir nicht noch Monate oder Jahre warten, bis wir daraus ein Gesetz gezimmert haben. Wir sollten Sie dazu bringen, daß Sie etwas tun. Ich fordere Sie auf, das hier vorzulegen.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1322211600
Bevor ich den nächsten Redner aufrufe, möchte ich Ihnen das von den Schriftführern und Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses zu dem Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung der organisierten Kriminalität bekanntgeben. Abgegebene Stimmen: 653. Mit Ja haben gestimmt: 329. Mit Nein haben gestimmt: 322. Es gab zwei Enthaltungen. Die Beschlußempfehlung ist damit angenommen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)

Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 652; davon
ja: 328
nein: 322
enthalten: 2
Ja
CDU/CSU
Heinz Schemken * )
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Robert Antretter Hermann Bachmaier Ernst Bahr
Doris Barnett
Klaus Barthel
Ingrid Becker-Inglau Wolfgang Behrendt Hans Berger
Hans-Werner Bertl Friedhelm Julius Beucher Rudolf Bindig
Lilo Blunck
Anni Brandt-Elsweier Tilo Braune
Dr. Eberhard Brecht Edelgard Bulmahn Ursula Burchardt Dr. Michael Bürsch Hans Martin Bury
Hans Büttner (Ingolstadt) Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Peter Conradi
Dr. Herta Däubler-Gmelin Christel Deichmann
Karl Diller
Dr. Marliese Dobberthien Peter Dreßen
Freimut Duve
Ludwig Eich
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger Annette Faße
Elke Ferner
Lothar Fischer (Homburg) Gabriele Fograscher
Iris Follak
Eva Folta
Norbert Formanski Dagmar Freitag Anke Fuchs (Köln) Katrin Fuchs (Verl) Arne Fuhrmann Monika Ganseforth Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Günter Graf (Friesoythe) Angelika Graf (Rosenheim)
*) Siehe Anlage 8
Dieter Grasedieck Achim Großmann Karl Hermann Haack

(Extertal)

Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann Manfred Hampel Christel Hanewinckel
Alfred Hartenbach Dr. Liesel Hartenstein
Klaus Hasenfratz
Dr. Ingomar Hauchler
Dieter Heistermann Reinhold Hemker Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks Monika Heubaum Uwe Hiksch
Reinhold Hiller (Lübeck) Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann (Chemnitz) Frank Hofmann (Volkach) Ingrid Holzhüter
Erwin Horn
Eike Hovermann Lothar Ibrügger Wolfgang Ilte Barbara Imhof Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate Jäger Jann-Peter Janssen Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung (Düsseldorf) Sabine Kaspereit Susanne Kastner
Ernst Kastning Hans-Peter Kemper Klaus Kirschner Marianne Klappert Siegrun Klemmer Hans-Ulrich Klose
Dr. Hans-Hinrich Knaape Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper Nicolette Kressl Volker Kröning Thomas Krüger Horst Kubatschka Eckart Kuhlwein Helga Kühn-Mengel
Konrad Kunick Dr. Uwe Küster Werner Labsch Brigitte Lange
Detlev von Larcher Waltraud Lehn Robert Leidinger Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard Christa Lörcher Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß (Herne)

Winfried Mante Dorle Marx
Ulrike Mascher Christoph Matschie
Ingrid Matthäus-Maier
Heide Mattischeck Markus Meckel Ulrike Mehl
Herbert Meißner Angelika Mertens Dr. Jürgen Meyer (Ulm)


Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Ursula Mogg Siegmar Mosdorf
Michael Müller (Düsseldorf) Jutta Müller (Völklingen) Christian Müller (Zittau) Volker Neumann (Bramsche) Gerhard Neumann (Gotha)
Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese Doris Odendahl
Günter Oesinghaus
Leyla Onur Manfred Opel Adolf Ostertag Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Willfried Penner
Dr. Martin Pfaff Georg Pfannenstein
Dr. Eckhart Pick
Joachim Poß Rudolf Purps Hermann Rappe

(Hildesheim)

Karin Rehbock-Zureich Margot von Renesse
Renate Rennebach
Otto Reschke Bernd Reuter Dr. Edelbert Richter
Günter Rixe Reinhold Robbe
Gerhard Rübenkönig Marlene Rupprecht
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch
Dieter Schanz Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild Otto Schily Günter Schluckebier
Horst Schmidbauer

(Nürnberg)

Ulla Schmidt (Aachen) Dagmar Schmidt (Meschede) Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt (Berg)

Dr. Emil Schnell
Walter Schöler Ottmar Schreiner
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann

(Delitzsch)

Brigitte Schulte (Hameln) Reinhard Schultz

(Everswinkel)

Volkmar Schultz (Köln)

Dr. R. Werner Schuster Dietmar Schütz (Oldenburg) Dr. Angelica Schwall-Düren Ernst Schwanhold
Rolf Schwanitz Bodo Seidenthal
Lisa Seuster Horst Sielaff Erika Simm Johannes Singer
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Dr. Dietrich Sperling
Jörg-Otto Spiller Antje-Marie Steen Ludwig Stiegler Dr. Peter Struck
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Dr. Bodo Teichmann Margitta Terborg
Dr. Gerald Thalheim Wolfgang Thierse Franz Thönnes
Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak
Ute Vogt (Pforzheim) Karsten D. Voigt (Frankfurt) Josef Vosen
Hans Georg Wagner Hans Wallow
Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Reinhard Weis (Stendal) Matthias Weisheit Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen (Wiesloch) Jochen Welt
Hildegard Wester Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier Helmut Wieczorek (Duisburg)

Heidemarie Wieczorek-Zeul Dieter Wiefelspütz
Berthold Wittich
Dr. Wolfgang Wodarg Verena Wohlleben Hanna Wolf (München) Heidi Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel Peter Zumkley
BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN
Gila Altmann (Aurich) Elisabeth Altmann

(Pommelsbrunn) Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Angelika Beer

Matthias Berninger Annelie Buntenbach Amke Dietert-Scheuer Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Uschi Eid
Andrea Fischer (Berlin) Joseph Fischer (Frankfurt) Rita Grießhaber
Gerald Häfner
Antje Hermenau Kristin Heyne
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt Dr. Manuel Kiper Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt Oswald Metzger Kerstin Müller (Köln) Winfried Nachtwei Christa Nickels
Egbert Nitsch (Rendsburg) Cern Özdemir
Gerd Poppe
Simone Probst
Dr. Jürgen Rochlitz
Halo Saibold
Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Rezzo Schlauch
Albert Schmidt (Hitzhofen) Wolfgang Schmitt

(Langenfeld) Ursula Schönberger Waltraud Schoppe

Werner Schulz (Berlin) Marina Steindor Christian Sterzing Manfred Such
Dr. Antje Vollmer Ludger Volmer
Helmut Wilhelm (Amberg) Margareta Wolf (Frankfurt)
F.D.P.
Gisela Frick
Hans-Dietrich Genscher Dr. Burkhard Hirsch Jürgen Koppelin
Dr. Otto Graf Lambsdorff Sabine LeutheusserSchnarrenberger Jürgen W. Möllemann Dr. Irmgard Schwaetzer Dr. Max Stadler
PDS
Wolfgang Bierstedt Petra Bläss
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter Heinrich Graf von Einsiedel Dr. Ludwig Elm
Dr. Dagmar Enkelmann
Dr. Ruth Fuchs Andrea Gysi
Dr. Gregor Gysi Hanns-Peter Hartmann
Dr. Barbara Höll Dr. Willibald Jacob
Gerhard Jüttemann
Dr. Heidi Knake-Werner
Rolf Köhne
Rolf Kutzmutz
Dr. Christa Luft Heidemarie Lüth
Dr. Günther Maleuda Manfred Müller (Berlin) Rosel Neuhäuser
Dr. Uwe-Jens Rössel Christina Schenk Steffen Tippach Klaus-Jürgen Warnick
Dr. Winfried Wolf
Gerhard Zwerenz
Fraktionslos
Kurt Neumann (Berlin)

Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam Peter Altmaier
Anneliese Augustin Jürgen Augustinowitz Dietrich Austermann Heinz-Günter Bargfrede Franz Peter Basten
Dr. Wolf Bauer
Brigitte Baumeister Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank Renate Blank
Dr. Heribert Blens Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm Friedrich Bohl
Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch Klaus Brähmig
Rudolf Braun (Auerbach) Paul Breuer
Monika Brudlewsky Georg Brunnhuber Klaus Bühler (Bruchsal) Hartmut Büttner

(Schönebeck)

Dankward Buwitt
Manfred Carstens (Emstek) Peter Harry Carstensen

(Nordstrand)

Wolfgang Dehnel Hubert Deittert
Albert Deß
Renate Diemers Wilhelm Dietzel Werner Dörflinger Hansjürgen Doss Dr. Alfred Dregger Maria Eichhorn
Wolfgang Engelmann Rainer Eppelmann Heinz Dieter Eßmann Horst Eylmann
Use Falk
Jochen Feilcke
Ulf Fink
Dirk Fischer (Hamburg) Klaus Francke (Hamburg) Herbert Frankenhauser
Dr. Gerhard Friedrich Erich G. Fritz
Hans-Joachim Fuchtel Michaela Geiger Norbert Geis
Dr. Heiner Geißler Michael Glos
Wilma Glücklich
Dr. Reinhard Göhner Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer Joachim Gres
Kurt-Dieter Grill Wolfgang Gröbl Hermann Gröhe Claus-Peter Grotz Manfred Grund
Horst Günther (Duisburg) Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein
Gottfried Haschke

(Großhennersdorf) Gerda Hasselfeldt

Otto Hauser (Esslingen)


Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Hansgeorg Hauser

(Rednitzhembach) Klaus-Jürgen Hedrich Helmut Heiderich Manfred Heise

Detlef Helling
Dr. Renate Hellwig
Ernst Hinsken Peter Hintze
Josef Hollerith Elke Holzapfel
Dr. Karl-Heinz Hornhues Siegfried Hornung
Joachim Hörster Hubert Hüppe Susanne Jaffke Georg Janovsky Helmut Jawurek Dr. Dionys Jobst Dr.-Ing. Rainer Jork
Michael Jung (Limburg) Ulrich Junghanns
Dr. Egon Jüttner Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb
Steffen Kampeter Dr.-Ing. Dietmar Kansy Manfred Kanther Irmgard Karwatzki
Volker Kauder Peter Keller
Eckart von Klaeden
Dr. Bernd Klaußner
Ulrich Klinkert Dr. Helmut Kohl Hans-Ulrich Köhler

(Hainspitz) Manfred Kolbe Norbert Königshofen Eva-Maria Kors Hartmut Koschyk Manfred Koslowski

Thomas Kossendey
Annegret KrampKarrenbauer Rudolf Kraus
Wolfgang Krause (Dessau) Andreas Krautscheid
Arnulf Kriedner Dr.-Ing. Paul Krüger
Reiner Krziskewitz
Werner Kuhn
Dr. Karl A. Lamers

(Heidelberg) Karl Lamers

Dr. Norbert Lammert
Helmut Lamp Armin Laschet Herbert Lattmann Dr. Paul Laufs Karl-Josef Laumann
Vera Lengsfeld Werner Lensing Christian Lenzer Peter Letzgus Editha Limbach
Walter Link (Diepholz) Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold

(Offenbach)

Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann

(Lüdenscheid) Julius Louven Sigrun Löwisch Heinrich Lummer

Dr. Michael Luther
Erich Maaß (Wilhelmshaven) Dr. Dietrich Mahlo
Erwin Marschewski Günter Marten
Dr. Martin Mayer

(Siegertsbrunn) Wolfgang Meckelburg Rudolf Meinl

Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz
Rudolf Meyer (Winsen) Hans Michelbach Meinolf Michels
Dr. Gerd Müller
Elmar Müller (Kirchheim) Engelbert Nelle
Bernd Neumann (Bremen) Johannes Nitsch
Claudia Nolte
Dr. Rolf Olderog Friedhelm Ost
Eduard Oswald
Norbert Otto (Erfurt) Dr. Gerhard Päselt Dr. Peter Paziorek Hans-Wilhelm Pesch Ulrich Petzold
Anton Pfeifer
Angelika Pfeiffer Dr. Gero Pfennig
Dr. Friedbert Pflüger Beatrix Philipp
Dr. Winfried Pinger Ronald Pofalla
Dr. Hermann Pohler Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff
Dr. Albert Probst Dr. Bernd Protzner Dieter Pützhofen Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer Rolf Rau
Helmut Rauber
Peter Rauen
Otto Regenspurger
Christa Reichard (Dresden) Klaus Dieter Reichardt

(Mannheim)

Dr. Bertold Reinartz Erika Reinhardt
Hans-Peter Repnik Roland Richter
Dr. Norbert Rieder
Dr. Erich Riedl (München) Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer
Hannelore Rönsch (Wiesbaden) Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith Adolf Roth (Gießen) Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck Volker Rühe
Dr. Jürgen Rüttgers Roland Sauer (Stuttgart) Ortrun Schätzle
Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Karl-Heinz Scherhag
Gerhard Scheu Norbert Schindler Dietmar Schlee Ulrich Schmalz Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt (Fürth) Dr.-Ing. Joachim Schmidt

(Halsbrücke)

Andreas Schmidt (Mülheim) Hans-Otto Schmiedeberg Hans Peter Schmitz

(Baesweiler) Michael von Schmude

Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr von
Schorlemer Wolfgang Schulhoff
Dr. Dieter Schulte

(Schwäbisch Gmünd) Gerhard Schulz (Leipzig) Frederick Schulze


(Sangerhausen)

Diethard Schütze (Berlin) Clemens Schwalbe
Dr. Christian SchwarzSchilling
Wilhelm Josef Sebastian Horst Seehofer
Marion Seib
Wilfried Seibel Heinz-Georg Seiffert
Rudolf Seiters Johannes Selle Bernd Siebert Jürgen Sikora
Johannes Singhammer Bärbel Sothmann Margarete Späte Carl-Dieter Spranger Wolfgang Steiger Erika Steinbach
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten
Dr. Gerhard Stoltenberg Andreas Storm
Max Straubinger Matthäus Strebl Michael Stübgen Egon Susset
Dr. Rita Süssmuth Michael Teiser
Dr. Susanne Tiemann Gottfried Tröger
Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Gunnar Uldall Wolfgang Vogt (Düren)

Dr. Horst Waffenschmidt
Dr. Theodor Waigel
Alois Graf von Waldburg-Zeil Dr. Jürgen Warnke
Kersten Wetzel
Hans-Otto Wilhelm (Mainz) Gert Willner
Bernd Wilz
Willy Wimmer (Neuss) Matthias Wissmann
Dr. Fritz Wittmann
Dagmar Wöhrl Michael Wonneberger
Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach Cornelia Yzer Wolfgang Zeitlmann
Benno Zierer Wolfgang Zöller
F.D.P.
Ina Albowitz
Dr. Gisela Babel Hildebrecht Braun

(Augsburg) Günther Bredehorn

Jörg van Essen Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt Joachim Günther (Plauen) Dr. Karlheinz Guttmacher Dr. Helmut Haussmann Ulrich Heinrich
Walter Hirche Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Detlef Kleinert (Hannover) Roland Kohn
Dr. Heinrich L. Kolb
Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Uwe Lühr
Günther Friedrich Nolting
Dr. Rainer Ortleb
Lisa Peters
Dr. Günter Rexrodt
Cornelia Schmalz-Jacobsen Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Dr. Hermann Otto Solms Carl-Ludwig Thiele
Dr. Dieter Thomae
Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen)

Dr. Guido Westerwelle
PDS
Dr. Uwe-Jens Heuer
Enthalten
F.D.P. Jürgen Türk
PDS
Ulla Jelpke
Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des Europarates und der WEU, der NAC oder der IPU
Abgeordnete (r)

Fischer (Unna), Leni, CDU/CSU Schloten, Dieter, SPD

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Wir fahren jetzt mit der Debatte fort, und ich rufe als nächsten Redner den Abgeordneten Dr. Gerhard Friedrich auf. Ich bitte darum, etwas Ruhe walten zu lassen, damit wir ihn anhören können.

Dr. Gerhard Friedrich (CSU):
Rede ID: ID1322211700
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Schütz hat für die SPD-Fraktion einiges zum Umweltgesetzbuch vorgetragen, dem wir zustimmen können. Bei einigen Aussagen stellen wir fest, daß wir noch prüfen müssen. Zu einigen Punkten haben wir eine andere Überzeugung.
Ich glaube, wir sind uns einig: Wir haben in Deutschland ein sehr dichtes Regelwerk auf dem Gebiet des Umweltschutzes. Wir haben einige Vollzugsdefizite, zum Beispiel im Bereich des Naturschutzes. Verglichen mit anderen Ländern, auch europäischen Ländern, sind wir beim Gesetzesvollzug aber ausgesprochen perfekt.
Dichtes Regelwerk bedeutet noch lange nicht, daß wir Gesetze mit einer einheitlichen Struktur haben. Die Umweltgesetze sind in den letzten 25 Jahren formuliert worden, und zwar in einer jeweils anderen politischen Landschaft. Es gab andere Regierungen und unterschiedliche wirtschaftliche Situationen. Das hat sich in den einzelnen Gesetzen niedergeschlagen. Sie haben ein unterschiedliches Schutzniveau und keine einheitlichen Begriffe und Strukturen.
Deshalb sind wir uns einig: Wir wollen diese Vielfalt von Umweltgesetzen, die inhaltlich nicht gut aufeinander abgestimmt sind, durch ein einheitliches Umweltgesetzbuch ablösen. Ich habe nachgelesen: Auch die Sachverständigenkommission „Schlanker Staat" verspricht sich von einheitlichen Strukturen Erleichterungen beim Gesetzesvollzug.
Herr Kollege Schütz, Sie haben den Text des Sachverständigenrates erwähnt,

(Dietmar Schütz [Oldenburg] [SPD]: Sie haben sogar zugehört! Das finde ich gut!)

der uns einen Vorschlag für einen Gesetzentwurf vorgelegt hat. In den einleitenden Erläuterungen wird festgestellt: Die Sachverständigen schlagen vor, das Gesetz zu vereinfachen; das ist sinnvoll. Sie wollen an gewachsenen Strukturen anknüpfen; auch das ist sinnvoll. Sie wollen das Umweltrecht behutsam fortentwickeln, weil es einige Defizite gibt; auch das ist richtig.
Zusätzlich soll etwas, was uns die Europäische Union ohnehin vorschreibt, in unser Umweltrecht hineingeschrieben werden, der sogenannte medienübergreifende Ansatz. Die Europäische Union hat im Jahr 1996 eine Richtlinie erlassen, die uns mehr oder weniger vorschreibt, künftig bei einem Genehmigungsverfahren vor allem für industrielle Anlagen die verschiedenen Umweltbelastungen in den Bereichen Luft, Wasser und Boden gegeneinander abzuwägen. Die Prioritäten, so steht in der Richtlinie, sind im Einzelfall unter Berücksichtigung der örtlichen Umweltbedingungen, der geographischen Situation zu setzen. Das klingt noch ausgesprochen vernünftig, und da hat man den Eindruck, daß wir dieses UGB
und den Teil, der praktisch unser Bundes-Immissionsschutzgesetz ablösen soll, sehr schnell verabschieden können.
Wir teilen die Auffassung der Bundesumweltministerin und wohl auch der ganzen Bundesregierung, daß wir diese europäische Richtlinie, die sehr wichtig ist, jetzt nicht zum Anlaß nehmen, das Bundes-Immissionsschutzgesetz zu novellieren, sondern gleich in die Schaffung des Umweltgesetzbuches einsteigen. Allerdings, Herr Kollege Schütz - ich werde es im einzelnen noch begründen -, sehen wir keine Möglichkeit, dieses umfassende Gesetzeswerk innerhalb weniger Wochen oder Monate als einen Komplex vorzulegen.

(Dietmar Schütz [Oldenburg] [SPD]: Nein, 21 Monate warten wir jetzt! Fast zwei Jahre!)

Ich erinnere mich, daß wir über das sogenannte Kreislaufwirtschaftsgesetz fraktionsintern und in der Koalition ungefähr ein Dreivierteljahr intensivst beraten haben, und das ist nur ein kleiner Teil des künftigen Umweltgesetzbuches. Man muß, glaube ich, einsehen, daß die einzelnen Bücher dem Bundestag Zug um Zug vorgelegt werden müssen und daß wir Beratungsbedarf haben.
Meine Damen und Herren, was ich an Zielsetzung der Sachverständigen wiederholt habe, klingt sehr vernünftig. Wenn man sich diesen Sachverständigenentwurf aber genauer anschaut, dann merkt man, wie schwierig das Ganze werden wird. Wir haben nämlich in Deutschland ein Umweltrecht, das aus umweltpolitischen Gründen ein hohes Schutzniveau sicherstellt, und wir haben ein Umweltrecht mit einheitlichen Standards - man kann auch sagen: Grenzwerten - für ganz Deutschland, weil bei uns schon die Gerichte Gleichbehandlung verlangen. Der integrierte Ansatz - ich war mit einigen Kollegen in England - kommt aus England. Er bedeutet bei den Engländern, Herr Kollege Müller, daß die Genehmigungsbehörde die Auflagen mit dem Anlagenbetreiber aushandelt. Es gibt keine einheitlichen Standards, es gibt nicht einmal ein Gerichtsverfahren. Die Nachbarn haben keine Chance. Berücksichtigung der örtlichen Situation bedeutet bei den Engländern, daß, wenn die Anlage an die Ostküste soll, der Wind aus dem Westen kommt und der Dreck ins Meer hinausgeweht wird, gesagt wird, die örtliche Situation erlaubt eine hohe Umweltbelastung. Das ist die englische Flexibilität. Wir können - da sind wir uns doch einig - unser Umweltrecht mit Gleichbehandlung und einheitlichen Grenzwerten, mögen sie auch einmal mangelhaft sein, schwer mit diesem Kuhhandelssystem der Engländer verbinden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich freue mich, daß auch die Industrie uns sagt - sie schimpft zwar ab und zu über die hohen Standards bzw. Grenzwerte -, solche einheitlichen Maßstäbe für Genehmigungen sind auch ein Stück Rechtssicherheit und Berechenbarkeit.

(Zuruf von der SPD: Natürlich!)


Dr. Gerhard Friedrich
Nicht einmal - das ist erfreulich - unsere Industrie will also auf das englische Kuhhandelssystem übergehen. Ich sage es noch einmal: Es wird nicht einfach sein, den flexiblen Ansatz, der uns über England von der EG vorgeschrieben wurde, mit einigen wirklich bewährten Grundsätzen unseres Umwelt- und Verwaltungsrechts zu verbinden, die wir nicht einfach wegwerfen wollen.
Aber wir wissen: Im nächsten Jahr muß die EGIVU-Richtlinie - es geht um die Genehmigung industrieller Anlagen - umgesetzt werden. Egal, wer die Bundestagswahl gewinnt: Man kann nicht erst im Januar nächsten Jahres anfangen und glauben, man könne dann das Ganze rechtzeitig verabschieden. Deshalb ist es sinnvoll, daß Frau Umweltministerin Merkel in einigen Wochen einen ersten Diskussionsentwurf vorlegt und daß es vielleicht noch vor der Wahl einen Beschluß der Bundesregierung gibt, so daß wir nicht wieder in die Situation geraten, daß wir eine wichtige Richtlinie nicht rechtzeitig umsetzen.
Was das gesamte Umweltgesetzbuch betrifft, so habe ich gerade die Sachverständigen, die einen Entwurf formuliert haben, dahin gehend zitiert, daß sie sagen: Wir wollen das Umweltrecht behutsam fortentwickeln. Ich habe mir einige Passagen dieses Vorschlags angeschaut. Ich muß sagen: Das ist zum Teil keine behutsame Fortentwicklung des Umweltrechts. Die Möglichkeiten der Klage werden ausgeweitet. Herr Schütz, Sie haben die Verbandsklage genannt. Damit haben wir große Schwierigkeiten, auch ich.

(Dietmar Schütz [Oldenburg] [SPD]: Aber Sie wissen, daß das verkürzt wird!)

Das haben wir immer abgelehnt.
Das ist aber nicht einmal alles. Bei uns kann man sich bei einer Klage darauf berufen, daß eine Vorschrift der Gefahrenabwehr dient. Darauf kann sich ein Nachbar bei seiner Klagebegründung beziehen. Jetzt sagen die Sachverständigen, daß auch vorsorgende Vorschriften des Umweltschutzes zur Begründung einer Klage sollen herangezogen werden können. Ich bitte Sie darum, daß wir das gründlich prüfen. Wir sind nicht bereit, Herr Schütz, uns dadurch lächerlich zu machen, daß der Kollege Scholz einer Kommission über den schlanken Staat vorsitzt, daß wir sagen, daß wir das Gesetzeswerk dieses Staates entrümpeln wollen - weil wir an den Vorschriften manchmal schon ersticken -, und daß wir dann aus Versehen - ohne das genau geprüft zu haben - genau das Gegenteil davon machen.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1322211800
Herr Kollege Friedrich, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schütz?

Dr. Gerhard Friedrich (CSU):
Rede ID: ID1322211900
Bitte sehr.

Dietmar Schütz (SPD):
Rede ID: ID1322212000
Ich stimme Ihnen ja darin zu, daß wir unter dem Aspekt des schlanken Staates und der Beschleunigung von Genehmigungsverfahren an dieser Stelle sehr genau nachschauen müssen. Aber auch Sie kennen möglicherweise die Untersuchungen, die besagen, daß die gesamten Verbandsklagen in den Ländern eine bessere Akzeptanz hervorgerufen und dadurch nicht verzögernd gewirkt haben, daß sie, weil sie sehr früh eingesetzt wurden und man darüber geredet hat, beschleunigende Wirkung gehabt haben. Darauf kommt es mir entscheidend an. Ist auch Ihnen das bewußt?

Dr. Gerhard Friedrich (CSU):
Rede ID: ID1322212100
Das werden wir noch einmal prüfen. Ich sage Ihnen offen und ehrlich: Ich war bisher ein Gegner der Verbandsklage. Wenn Sachverständige von Rang uns das vorschlagen, werden wir das ernsthaft prüfen. Aber man muß mir gute Argumente liefern, wenn ich in dieser Frage plötzlich ganz anders als früher abstimmen soll. Wir nehmen die Dinge schon ernst.
Ich will das, was die Sachverständigen vorgeschlagen haben, aber nicht nur negativ kommentieren, sondern zum Schluß auch etwas Positives erwähnen, etwas, was jedoch ebenfalls in Ruhe geprüft werden muß. Wir haben in den letzten Jahren gelernt, daß es, wenn wir uns einmal auf umweltpolitische Ziele geeinigt haben, nicht immer sinnvoll ist, an der ordnungsrechtlichen Schraube zu drehen, also neue Verbote oder strengere Verbote einzuführen.

(Dietmar Schütz [Oldenburg] [SPD]: Das meine ich auch nicht!)

Vielmehr gibt es auch andere Instrumente, die zwar zum Teil auch in meiner Fraktion umstritten sind - das ist doch überhaupt kein Geheimnis -, aber die im Prinzip - darin sind zumindest wir Umweltpolitiker einig - in unserem umweltpolitischen Handeln schrittweise stärker eingesetzt werden müssen. Ich erwähne die Selbstverpflichtungen.
Früher haben Sie sie abgelehnt; jetzt finde ich das plötzlich in Ihrem Wahlprogramm. Ich nenne ferner die Umweltabgaben; wir haben ja schon die Abwasserabgabe. Man kann noch sehr viele andere Dinge ins Auge fassen.
Wir haben mit solchen Instrumenten ein bißchen experimentiert und haben noch kein System gefunden. Die Sachverständigen machen jetzt den Vorschlag, alle diese Instrumente von ihren allgemeinen Voraussetzungen her zu beschreiben und in unser Umweltrecht einzufügen. Das begrüße ich. Es werden viele Fragen, die bisher aufgetaucht sind, zu beantworten sein. Deshalb besteht Prüfungsbedarf; deshalb wird es etwas dauern, bis ein umfassendes Umweltgesetzbuch vorgelegt werden kann. Ich möchte aber noch einmal ausdrücklich sagen: Wir wollen wirklich - die Sachverständigen behaupten immer, sie täten das, aber sie tun es nicht immer - behutsam fortentwickeln. Wir sind aber auch offen für einige neue Instrumente und werden die nächsten Jahre nutzen, um unser Umweltrecht zu vereinheitlichen und fortzuentwickeln.
Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1322212200
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Michaele Hustedt.

Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1322212300
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bündnis 90/Die Grünen stellen ja schon in fünf Bundesländern die Umweltminister, auch in drei europäischen Staaten, und ich denke, daß nach der Bundestagswahl im September hier ein grüner Bundesumweltminister vereidigt wird.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

1999 wird Deutschland die EU-Präsidentschaft übernehmen. Dann werden von der Achse Frankreich - Deutschland auch neue Impulse für eine gemeinsame wirksame Umweltpolitik in Europa ausgehen. Und es wird dann gleiche Mehrheiten im Bundesrat und im Bundestag geben. Wirksame Umweltpolitik - das prophezeie ich, und das werden wir dann zeigen - ist auch in Zeiten großer Massenarbeitslosigkeit und der Globalisierung machbar, wenn es dafür andere politische Mehrheiten gibt. Der heutige Abstimmungssieg über die Koalitionsfraktionen wirft ja auch seine Schatten voraus. Er symbolisiert aus meiner Sicht auch hier in Bonn den Beginn des Endes der Ära Kohl.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der PDS)

Mit der Niedersachsenwahl sind eindeutig die Chancen für einen Regierunswechsel gestiegen. Dabei geht es uns Grünen aber nicht nur um neue Köpfe, sondern eben auch um eine andere Politik. Es geht uns und wird uns auch bei der Bundestagswahl darum gehen - dieses Thema wollen wir im Wahlkampf auch auf die Tagesordnung setzen -, daß der Stillstand im Umweltschutz überwunden wird.

(Zustimmung beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie merken: Ich möchte die Debatte heute, auch wenn es nicht so voll ist, wie man sich das wünschen sollte, und wenn wir wieder einmal nicht in der Hauptdebattenzeit diskutieren, als Grundsatzdebatte mit einem Rückblick auf die letzten Jahre und auch mit einer Vorausschau auf die nächsten nutzen. Frau Merkel hat - das muß man bilanzieren - in ihrer Amtszeit außerordentlich wenig bewegt. Meine persönliche These ist, daß das nicht an ihren individuellen Fähigkeiten liegt. Manch ein Minister in diesem Kabinett ist wesentlich schlechter als sie. Sie hat sich in das Thema eingearbeitet, und kämpfen kann sie, wie man in Kioto gesehen hat, auch. Wahrscheinlich hätte auch kein anderer CDU-Politiker eine bessere Bilanz vorlegen können. Die Ursachen liegen eben in der Grundanlage der Politik der Bundesregierung, insbesondere der CDU, aber auch der F.D.P. Der politische Wille zu einem wirksamen Umweltschutz ist schlicht und einfach nicht vorhanden. Das ist außerordentlich schlecht.
Das letzte aktuelle Beispiel - ein trauriges Schauspiel - sind die Auseinandersetzungen um die Naturschutznovelle. Die Bauern in der Union haben wieder
einen Abstimmungssieg über die Umweltschützer, gegen den Naturschutz und gegen Herrn Schäuble errungen. Die Geister, die man selber gerufen hat, wird man eben manchmal nicht mehr los.
Nach dem Aufbruch in den 80er Jahren ist es unter dieser Bundesregierung zu einem Stillstand auch im Umweltschutz gekommen: Vorrang der Ökonomie ohne Wenn und Aber. Umweltschutz wird als störend empfunden, als störend für die freie Entfaltung der Wirtschaftsgewinne. Alles wird der Gewinnmaximierung für die bestehende Industrie untergeordnet.

(Zuruf von der CDU/CSU: So ein Unsinn! Das stimmt doch gar nicht!)

Dahinter steckt aus meiner Sicht der naiv-kindliche Glaube, dann würde es uns allen besser gehen. Wenn nur die jetzigen Konzerne mit ihrer jetzigen Produktpalette gut genug verdienen, dann! Und sie verdienen ja relativ gut. Die Gewinne steigen auf Rekordhöhe.
Aber was machen die Herren dann mit ihren Gewinnen? Ich zitiere Herrn Piëch im „Stern"-Interview: „Wir brauchen zur Zeit noch 33 Stunden für einen Golf. Wir werden das im nächsten Jahr in 20 Stunden schaffen." Jawohl, sie rationalisieren. Menschliche Arbeitskraft wird durch Maschinen ersetzt. Noch mehr Menschen werden arbeitslos werden. Also noch nicht einmal bei der Schaffung von Arbeitsplätzen geht Ihre Rechnung auf. Im Gegenteil, die Spirale wird nur noch beschleunigt.
Beim Umweltschutz klappt diese Herangehensweise schon gar nicht. Die Bundesregierung handelt eben immer noch nach dem Motto: Ökologie und Ökonomie sind unvereinbar. Wirksame Umweltpolitik steht also im offenen Widerspruch zu erfolgreicher Wirtschaftspolitik. Umweltpolitik wird von Ihnen eigentlich nur als Last empfunden.
Gleichzeitig gibt es aber das Wort des Jahres „Reformstau" . Alle Parteien sehen die Notwendigkeit, daß sich etwas verändern muß. Begriffe wie Innovation, Modernisierung fliegen wie Seifenblasen durch die Bonner Debatte. Aber es gelingt Ihnen nicht, tatsächlich Veränderungsbereitschaft zu schaffen.
Ich prophezeie Ihnen: Die Vision des freien Welthandels und die deutsche Variante des Neoliberalismus wird bei den Menschen auch nie die Lust auf Veränderung wecken. Ich könnte es mir einfach machen und sagen: Das sieht man doch an dem Zustand dieser Regierungskoalition. Ich möchte das aber noch ein bißchen genauer erklären. Bei den Menschen gibt es einfach ein viel zu großes Unbehagen gegenüber Ihrer einfachen These: Der Markt wird schon alles richten. Dies ist aus meiner Sicht völlig berechtigt. Der Markt ist nämlich außerordentlich kreativ - er kann Dynamik erzeugen, Verkrustungen aufbrechen -, doch nicht alle Aufgaben können dadurch gelöst werden. Zukunftsvorsorge kann dadurch nicht betrieben werden. Der Markt hat keine Richtung, und er ist auch niemandem Rechenschaft schuldig. Seine Dynamik kann deswegen eine Dyna-

Michaele Hustedt
mik der Zerstörung oder aber auch die einer zukunftsfähigen Entwicklung sein.
Reine Marktideologie kann den Menschen deswegen nicht überzeugen. Für eine gute Zukunft bedarf es etwas mehr. Der Markt muß reguliert werden, sozial und für den Umweltschutz, aber natürlich intelligent. Deswegen gibt es keine Begeisterung für die Globalisierung, wenn sie auf freien Welthandel reduziert wird, im Gegenteil. Ein Europa, das auf die Währungsunion reduziert ist, führt eher zu Ressentiments. Auch die Angebotspolitik der Bundesregierung führt wegen ihrer sozialen und umweltpolitischen Unausgewogenheiten zu Abwehrmechanismen und stärkt eher die Beharrungskräfte.
Noch wichtiger ist vielleicht, daß auch das Versprechen, es würde uns dadurch allen bessergehen, wir alle würden mehr materiellen Wohlstand haben, nicht aufgehen wird. Mit einer Politik, die rein auf Wachstum setzt, wird der Kuchen nicht weiter wachsen, wird es nicht so sein, daß wir alle immer und immer mehr bekommen. Die Menschen wissen das auch. Im Grunde wissen sie, daß die satten, fetten Jahre vorbei sind. Damit haben die Versprechungen des Neoliberalismus, so wie Sie ansetzen, ihre Faszination verloren. Das Leitbild einer nachhaltigen Entwicklung, bei dem man soziale Fragen, Umweltfragen und ökonomische Fragen miteinander diskutiert, kann, so glaube ich, viel eher für Veränderungsbereitschaft in diesem Land sorgen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der PDS)

Im übrigen stehe ich deswegen dem Ansatz einer ökonomischen Gesamtrechnung kritisch gegenüber. Ich finde es richtig, daß das Bruttosozialprodukt kein Kriterium mehr für Lebensqualität ist. Man muß es ersetzen. Mein Problem dabei ist aber, daß auch die umweltökonomische Gesamtrechnung von einem materiellen Kriterium für Lebenswohlstand ausgeht. Dies muß sich ändern. Es ist beispielsweise kaum möglich, den Verlust einer Vogelart zu quantifizieren. - Ansonsten unterstütze ich natürlich diesen Ansatz.
Eine Politik, die dem Leitbild nachhaltiger Entwicklung folgt, wird den Umweltschutz vom Katzentisch - wie das bei Frau Merkel im Moment der Fall ist - in die Mitte des Kabinetts holen. Umweltschutz muß gleichberechtigt neben den Interessen der Wirtschaft und den sozialen Fragen stehen. Bei Konflikten gilt es abzuwägen. Vor allem aber müssen Lösungskonzepte entwickelt werden, die doppelte und dreifache Dividenden abwerfen. Dazu gehören eine ökologische Innovationsoffensive und eine ökologische Steuerreform, mit der die Lohnnebenkosten gesenkt werden und dafür der Umweltverbrauch verteuert wird.
Wir sehen in einer wirksamen Umweltpolitik eine große Chance zur Modernisierung dieser Gesellschaft, eine große Chance, Blockaden aufzubrechen und Veränderungsbereitschaft zu erzeugen. Die ökologische Krise kann, wenn sie ernstgenommen wird, zum Modernisierungsmotor für Deutschland werden. Allerdings braucht man dafür den politischen Willen.
Der ist in dieser Regierung nicht vorhanden. Dafür brauchen wir eine starke grüne Partei. Dafür brauchen wir den Regierungswechsel.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

In zwei Wochen werden wieder die Castor-Transporte rollen, diesmal mit dem Ziel Ahaus. Wir Bündnisgrüne werden auf der Seite der Demonstranten stehen und dort eine Fraktionssitzung durchführen. Aber: Über die Atompolitik wird nicht auf Länderebene entschieden, sondern im Bund. Ich hoffe, daß ab Oktober 1998 ein grüner Umweltminister eine Antiatompolitik macht. Dafür hat eine ganze Generation grüner Politiker und Politikerinnen gekämpft. Jetzt stehen wir kurz vor dem Ziel.
Wir wollen den Übergang vom fossilen ins solare Zeitalter, eine zweite Eisenbahnrevolution und das Drei-, das Zwei-, das Ein-Liter-Auto, wie Piëch schon angekündigt hat, sowie den längst überfälligen Einstieg in die ökologische Steuerreform. Umweltverbrauch verteuern, Arbeit verbilligen - das ist ein zukunftsfähiges Konzept. Sie teilen zwar im Prinzip diese Meinung. Aber Sie hatten vier Jahre Zeit, es umzusetzen, und haben es nicht getan. Das wird sich im September ändern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Für uns werden diese Punkte ganz oben auf der Agenda stehen, wenn es zu Koalitionsverhandlungen kommt. Ohne Ökosteuer, Atomausstieg, Energie- und Verkehrswende wird es keine grüne Regierungsbeteiligung geben.
Das Leitbild „nachhaltige Entwicklung" ist ein ungleich realistischeres Leitbild als das Leitbild der Neoliberalen, das der freien Entfaltung des Marktes, und ist zugleich ein gerechteres Konzept für heutige und zukünftige Generationen, für Nord und Süd, ein Konzept, das alle Bedingungen berücksichtigt und nicht nur die Gewinninteressen der Großindustrie. Deshalb ist es auch wesentlich motivierender. Schon heute haben wir breite gesellschaftliche Mehrheiten für dieses Leitbild und auch für Einzelprojekte, wie zum Beispiel die Windenergiedemo zeigt, wo VDMA, IG Metall, Bauernverband, Kirchen auf unserer Seite gegen die Bundesregierung demonstriert haben. Aber auch die gemeinsame Studie von Misereor und BUND zeigt, daß es gesellschaftliche Mehrheiten für einen solchen Aufbruch in der ökologischen Politik gibt. Es gibt nur noch keine politischen Mehrheiten. Das wird sich ändern.
Ich möchte einmal die „Berliner Morgenpost" zitieren, grüner Gedanken sicherlich unverdächtig. Sie schreibt:
Schon jetzt stellen die asiatischen Staaten fest, daß Wachstum ohne flankierende Umweltschutzmaßnahmen auf Dauer kontraproduktiv ist. Auf welchen Gebieten sonst will Deutschland konkurrenzfähig sein, wenn nicht mit überragendem Know-how und modernster Technologie im Umweltschutz?

Michaele Hustedt
Der Kommentar endet mit der Einsicht:
Wir brauchen nicht weniger, sondern mehr Umweltschutz.
Ich bin überzeugt: Der ökologische Aufbruch nach vier Jahren Stillstand in der Umweltpolitik kann uns gelingen. Es gibt die Mehrheiten für den Atomausstieg. Es gibt die Mehrheiten für den Einstieg in das Solarzeitalter. Auch die ökologische Reform der Finanzsysteme ist als richtige politische Reform akzeptiert. Gegen unsere Konzepte sind wesentlich weniger; sie schreien nur lauter.
Die Zeit ist reif. Es gibt eine gesellschaftliche Mehrheit, nur noch keine politische. Das wird sich im September ändern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der PDS)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1322212400
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Birgit Homburger.

Birgit Homburger (FDP):
Rede ID: ID1322212500
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte zum Umweltgesetzbuch gibt Anlaß zu einer umweltpolitischen Querschnittsdiskussion. Das ist in den ersten Beiträgen schon deutlich geworden.
Frau Kollegin Hustedt, Sie haben hier Ihren Antrag vorgestellt. Ich muß sagen: Sie haben auch schön daran vorbeigeredet. In der Gesamtbewertung ist das, was Sie hier über zehn Seiten überraschend abgeliefert haben, meiner Meinung nach ein dahingeschlampter, oberflächlicher Waschzettel für grüne Kandidaten.

(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: So ist die Umweltpolitik der Grünen!)

Ich kann Ihnen nur sagen: Wenn ich ein grüner Kandidat wäre, würde ich Ihnen das Ding um die Ohren schlagen.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Eckart Kuhlwein [SPD]: 4,9 Prozent!)

Auf den ersten paar Seiten Ihres Antrags malen Sie wieder einmal nur schwarz. Darin sind Sie ja Weltmeister. Es gibt aber überhaupt keinen Grund für diese Weltuntergangsstimmung, die Sie in Ihrem Antrag wieder darstellen. Die Umweltpolitik der Koalition ist nicht von Stillstand geprägt; sie ist erfolgreich.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Das haben wir Ihnen schon mehrfach deutlich gesagt.
Ich will Ihnen nur noch einmal ein paar Stichworte nennen, damit Sie das vielleicht einmal realisieren. Die gewaltige Verbesserung der Luftqualität, das höchste Abwasserreinigungsniveau in Europa, die rückläufigen Abfallmengen belegen, daß unsere Umweltpolitik erfolgreich ist. Kein Land hat so viele auditierte Betriebe wie Deutschland. Keines hat eine so
hohe Mehrwegquote. Wir haben den höchsten Anteil an Katalysatoren bei Pkw in Europa. In keinem Land Europas gibt es schon so viele Pkw, die die Euro-3Abgasnorm einhalten.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Ich sage Ihnen noch einmal: Das sind alles Erfolge dieser Koalition.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Darauf sind wir stolz. Die lassen wir uns auch nicht von denen zerreden, die unsere Erfolge konsequent ignorieren.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Diese aktive Umweltpolitik hin zu einer nachhaltigen Entwicklung werden wir fortsetzen, beispielsweise mit dem jetzt verabschiedeten Bodenschutzgesetz, aber auch mit der Altautoverordnung und mit der Batterieverordnung.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Es ist unglaublich, zu welcher kollektiven Selbstverleugnung die Grünen fähig sind. Wer hätte eigentlich geglaubt, daß ausgerechnet Sie von den Grünen uns vorwerfen, daß die Umweltpolitik der Bundesregierung durch ordnungsrechtliches Übergewicht gekennzeichnet sei. Das, was in diesem Antrag steht, ist wohl ein Treppenwitz! Ausgerechnet die Grünen, die immer als erste das Ordnungsrecht verschärfen wollen - und das bei jedem Gesetz - stellen diesen Antrag. Wer war es denn, der beim Bodenschutzgesetz zusätzliche Anordnungsbefugnisse und weitere Verordnungsermächtigungen gefordert hat? Niemand anders als die Grünen. Ich weiß gar nicht, wie Sie so etwas aufschreiben können.
Sie kritisieren uns beispielsweise auch dafür, daß es keine Wärmenutzungsverordnung gibt. Gerade die Grünen sind Regelungsfetischisten, die am liebsten alles und jedes regeln wollen.

(Uwe Lühr [F.D.P.]: So ist es!)

Dazu paßt dann auch, daß die Grünen jetzt plötzlich - das ist ein weiterer Punkt in Ihrem bemerkenswerten Antrag - freiwillige Selbstverpflichtungen als unbürokratisches und effizientes Instrument der Umweltpolitik rühmen.

(Rolf Köhne [PDS]: Hört! Hört!)

Gerade die Grünen haben bisher jede freiwillige Vereinbarung bekämpft und kritisiert. Glauben Sie eigentlich, daß unser Gedächtnis nur so kurz reicht wie Ihres?

(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der CDU/CSU)

Die F.D.P. unterstützt grundsätzlich die Idee eines Umweltplans als Grundlage für eine rationale Umweltpolitik. Wir erwarten von einem nationalen Um-

der vorgelegte Entwurf eines Umweltgesetzbuches leider keine Antwort.

(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Legen Sie doch einmal einen vor!)

Nicht die Gesetze, sondern die Verordnungen und Verwaltungsvorschriften haben den Löwenanteil an unserer Regelungsdichte; ganz abgesehen von den DIN-Normen und anderen technischen Regelwerken. Insgesamt muß das Umweltgesetzbuch aus unserer Sicht mehr leisten als nur eine Gesetzesharmonisierung.
Die F.D.P. will auch eine Vereinheitlichung der Umweltpolitik in Deutschland. Davon sind wir leider weit entfernt. Es gibt Länder mit und ohne Abfallabgabe, mit und ohne Abfallandienungspflichten, mit und ohne Wasserpfennig. Es gibt in Deutschland einen Flickenteppich von kommunalen Verpackungsteuern. Ziel der F.D.P. ist es, zu einheitlichen umweltpolitischen Rahmenbedingungen in Deutschland zu kommen.

(Beifall bei der F.D.P. Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was immer das auch heißen mag!)

Der Verwaltungs- und auch der Vollzugsaufwand für Unternehmen und Behörden, die sich in diesem Gestrüpp von Regelungen zurechtfinden müssen, ist schlicht zu groß. Zu groß sind auch die Wettbewerbsverzerrungen auf Grund dieser unterschiedlichen Standortbedingungen.
Der Vorwurf der SPD, die Bundesregierung verzögere die Einbringung des Gesetzentwurfs, ist lächerlich. Dieser umfassende Entwurf der Sachverständigen ist zwar eine gute Grundlage für politische Diskussionen, aus Sicht der F.D.P. gibt es allerdings durchaus noch Änderungsbedarf. Zunächst einmal muß ich sagen: Ich denke, daß diese Vielzahl von Umweltabgaben, die darin steht, kritisch hinterfragt werden muß. In diesem Entwurf ist von einer Abfallabgabe, einer Stickstoffabgabe, einer Grundwasserabgabe, einer Straßenverkehrsabgabe und auch noch von einer Luftverkehrsabgabe die Rede. Gerade letzteres angesichts des internationalen Flugverkehrs nur in Deutschland einführen zu wollen ist schlicht eine Utopie. Auch die Abfallabgabe ist längst hinfällig. Einige Länder haben sie bereits wieder abgeschafft. Ich weiß auch nicht, welchen Sinn eine solche Abgabe in Zeiten immer weiter sinkender Müllmengen haben soll. Umweltabgaben sind kein Allheilmittel.
Die F.D.P. will angepaßte Lösungen für die jeweiligen Probleme. Wir wollen eine offene Diskussion über umweltpolitische Instrumente führen, die auch Neuerungen wie Zertifikate und handelbare Lizenzen einschließt. Ich bedaure sehr, daß diese Modelle in dem Professorenentwurf eines Umweltgesetzbuches leider fehlen. Es ist beispielsweise im Entwurf überhaupt keine Rechtsgrundlage für handelbare Lizenzmodelle enthalten.

(Dietmar Schütz [Oldenburg] [SPD]: Das können Sie doch machen!)

Birgit Homburger
weltplan - wir hatten schon einmal die Gelegenheit, das hier im Detail zu diskutieren -, daß er klare Zielsetzungen, Zeiträume und Prioritätensetzungen bringt, um allen Beteiligten Sicherheit für Investitionen und Anreize für Innovationen und Produktentwicklungen zu geben. Ein nationaler Umweltplan ist für die F.D.P. ein Instrument für einen gesellschaftlichen Konsens.
Es überrascht nicht, daß die Grünen jetzt genauso argumentieren. Aber in Wirklichkeit sind Sie - das hat Ihre Rede hier gerade wieder bewiesen - zu keinem Konsens fähig. Denn von Ihren ideologisch fixierten Kernpunkten weichen Sie nicht ab. Ich kann mir zum Beispiel nicht vorstellen, daß es mit den Grünen einen energiepolitischen Konsens geben wird. Sie haben gerade wieder gesagt, Ihre Bedingung sei der Ausstieg aus der Kernenergie usw.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Diese staatsgläubige Partei würde aus dem Umweltplan ein planwirtschaftliches Korsett mit staatlichen Vorgaben machen: unflexibel, überwachungsbedürftig und unfähig, sich an rasch ändernde Rahmenbedingungen anzupassen.

(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der CDU/CSU Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was machen Sie denn daraus, Frau Homburger?)

Solche Vorstellungen lehnt die F.D.P. ab. Sie brauchen gar nicht dazwischenzurufen. Ich sage Ihnen eines: Eine Partei, die auf der einen Seite verstärkt die Windenergie fördert, aber gleichzeitig vor Ort den Naturschutz dagegen ins Feld führt,

(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

die die Verlagerung des Verkehrs auf die Schiene fordert, aber jede neue Schienentrasse bekämpft - wie wir das in dieser Legislaturperiode erfahren haben -, die mehr Bodenschutz fordert, aber die Müllverbrennung als Alternative zur Deponie bekämpft, die den Einsatz von schädlichen Pflanzenschutzmitteln verringern will, aber die Gentechnik als eine Möglichkeit dahin ablehnt, die ist für eine rationale Umweltpolitik schlicht nicht geeignet.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Das größte Unglück für Sie, Frau Hustedt, wäre es, wenn es zu einem nationalen Umweltplan käme. Dann müßten Sie sich nämlich einmal entscheiden.

(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Machen Sie doch erst einmal einen Entwurf!)

Das Umweltgesetzbuch wird ein wichtiges Vorhaben der nächsten Legislaturperiode sein. Die F.D.P. erwartet, daß damit nicht nur die Umweltgesetze, sondern auch das untergesetzliche Regelwerk harmonisiert, aber auch reduziert werden. Darauf gibt

Birgit Homburger
Wir dürfen uns nicht nur auf die herkömmlichen Ansätze beschränken, sondern müssen auch einmal neue Ansätze und neue Instrumente nutzen.

(Beifall bei der F.D.P.)

Wir müssen auch einmal über den Tellerrand hinausschauen; denn andere Länder tun das schon. Deswegen bin ich der Meinung, daß das Umweltgesetzbuch keine Zusammenfassung des Bisherigen sein kann, sondern auch neue Elemente bringen muß. Die fehlen bisher.

(Dietmar Schütz [Oldenburg] [SPD]: Ja, machen Sie es!)

Die integrierte Vorhabengenehmigung ist zentrales Element des Umweltgesetzbuchs. Die F.D.P. unterstützt diesen Ansatz. Er wird zur Folge haben, daß die Länder ihre Umweltbehörden zu integrierten Genehmigungsbehörden zusammenfassen. Diese Verwaltungsreform ist überfällig. Das schafft weniger Bürokratie und schnellere Genehmigungen bei gleichem Umweltschutzniveau. Ziel der F.D.P. sind Genehmigungsbehörden als Dienstleistungsbehörden.
Ich begrüße im übrigen, daß auch die Grünen das Öko-Audit als ein wichtiges Instrument ansehen. Aber leider verhalten Sie sich kontraproduktiv. Denn auch in dem vorliegenden Antrag verweigern Sie die Entlastung auditierter Betriebe im Bereich der Überwachung und bei bürokratischen Auflagen. Wir wollen die Doppelbelastung derjenigen, die schon im Rahmen des Öko-Audits Nachweise erbringen, abbauen. Das Problem ist doch nicht - wie Sie in Ihrem Antrag schreiben -, daß das Öko-Audit zu einem Alibi-Audit verkommt. Das Problem ist doch vielmehr, daß im Augenblick die Gefahr besteht, daß sich das Öko-Audit totläuft, weil es keinen Anreiz mehr gibt, daran wirklich teilzunehmen.
Wer so penetrant auf den Überwachungsstaat setzt wie Sie, meine Damen und Herren von den Grünen, der ist vom Liberalismus meilenweit entfernt.

(Walter Hirche [F.D.P.]: Sowieso!)

Im übrigen, Frau Kollegin Hustedt, bin ich immer wieder überrascht, wie Sie hier über den Liberalismus herziehen. Andere Kolleginnen und Kollegen von Ihnen sagen immer, sie wollten unsere Nachfolger werden, was sie ja nicht schaffen. Da gibt es doch offensichtlich eine erhebliche Diskrepanz.

(Walter Hirche [F.D.P.]: Wer aufruft, Schienen zu zersägen, hat sowieso nichts mit Liberalen zu tun!)

Beschämend in Ihrem Antrag sind Ihre Ausführungen, Frau Hustedt, zur ökologischen Forschungspolitik. Wem dazu gerade einmal achteinhalb Zeilen Platitüden einfallen, hat mit Forschungspolitik und Innovationen nichts am Hut.
Schließlich beklagen die Grünen - das ist ja der Gipfel des Ganzen - die innovationsfeindlichen Monopolstrukturen. Die F.D.P. kämpft seit Jahren gegen Monopole gerade im umweltpolitischen Bereich.

(Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Christoph Matschie [SPD]: Sie kämpft nur immer bis zum Umfallen; das ist das Problem!)

Monopole schließen Wettbewerb aus, und das führt zu schleppenden Innovationen. Deshalb wollen wir beispielsweise mit der Novelle zur Verpackungsverordnung bestehende Monopole aufbrechen, damit den Entsorgungsmarkt für mittelständische Unternehmen öffnen und so neue Ideen und Wettbewerb zulassen.

(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der CDU/CSU)

Aber was tun die grünen Umweltminister gemeinsam mit der SPD? Sie blockieren die Novelle im Bundesrat. Sie bauen in den Ländern durch Andienungspflichten staatliche Abfallmonopole auf, anstatt sie abzuschaffen. Glaubwürdig ist das alles nicht.
Dann komme ich zu einem weiteren Punkt dieses glorreichen Antrags, den Sie hier eingebracht haben und in dessen Überschrift Sie von „moderner Umweltpolitik" sprechen. - Das ist ja unglaublich. -

(Heiterkeit bei der F.D.P. und der CDU/ CSU)

Sie werfen uns vor, daß wir beim Aufbau in den neuen Ländern „umweltschädigende Energieträger wie die Braunkohle privilegiert" hätten. Ich kann nur sagen: Eben erst beim Braunkohletagebau Garzweiler umgefallen, würde ich das an Ihrer Stelle nicht in einem solchen Antrag schreiben.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Widerspruch der Abg. Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Darüber hinaus schreiben Sie dann auch noch: „Gleichzeitig wurden Strukturen geschaffen, die ohne Dauersubventionen nicht tragfähig sind. " Ich möchte einmal wissen, wo die Grünen waren, als es um den Subventionsabbau im Bereich der Steinkohle ging. Jedenfalls nicht auf seiten des Subventionsabbaus. Im Programm sind Sie dafür, beim Handeln nicht.

(Zurufe von der F.D.P. und der CDU/CSU: So ist es!)

Zusammenfassend läßt sich sagen: Papier ist geduldig; besonders grüne Papiere müssen es sein. Die politisch Handelnden strafen sie nämlich Lügen. Ihr Antrag ist ein eindrucksvolles Dokument des Opportunismus. Sie sagen das eine und tun das andere. Sie haben das Instrument nur noch nicht so perfektioniert wie Herr Schröder.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Walter Hirche [F.D.P.]: Aber das Wort „modern" benutzen sie schon!)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1322212600
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Eva Bulling-Schröter.


Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1322212700
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach dieser Wahlkampfrede möchte ich mich in meinen Ausführungen auf die umweltökonomische Gesamtrechnung beschränken.
Zum Umweltgesetzbuch kann ich nur anmerken, daß wir als Gruppe der PDS auf den Tag warten, an dem der Regierungsentwurf des Gesetzestextes auf dem Tisch liegt. Meine Erfahrungen in fast vier Jahren Bundestag sagen mir, daß dann nur noch eine Karikatur des letzten Entwurfes erkennbar sein wird. Schließlich hatten fortschrittliche Ansätze wie die Verbandsklage - darüber wurde ja heute schon gesprochen - in diesem Haus nie eine Chance. Und die Rechte Dritter sind durch die letzten Beschleunigungsgesetze gerade erst beschnitten worden, wogegen sich übrigens auch die SPD im Bundesrat letztlich nicht gewehrt hat.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Idee des Ökosozialproduktes liegt die Überlegung zugrunde, daß nicht nur die Summe aller in einer Periode erbrachten Güter und Dienstleistungen in das Sozialprodukt eingehen dürfen. Wenn das Sozialprodukt ein Wohlstandsindikator sein soll, muß auch der Wert aller durch den Menschen zu verantwortenden Umweltschäden gegengerechnet werden, da dieser den Wohlstand einer Gesellschaft vermindert.
Unabhängig von den verschiedenen Modellen einer solchen Rechnung bleiben aus meiner Sicht grundsätzliche Zweifel, ob uns ein Ökosozialprodukt, also eine hochkonzentrierte Größe, mehr über den Zustand dieses Landes sagen könnte als das bereits existierende Bruttosozialprodukt. Diese Zweifel richten sich nicht nur auf den Zustand der natürlichen Umwelt, sondern auch auf den Wohlstand einer Gesellschaft schlechthin. Schließlich läßt sich an 2 Prozent mehr Sozialprodukt kaum ablesen, daß die Armut in diesem Lande drastisch zugenommen hat, während das obere Drittel der Bevölkerung immer reicher wird. Dies könnte nur eine detaillierte Reichtumsberichterstattung leisten, der sich die Koalition aber permanent verweigert.
Bezüglich der Frage der umweltökonomischen Gesamtrechnung installierte die Bundesregierung im Dezember 1992 wenigstens einen gleichnamigen Beirat beim BMU. Zusammenfassend kam dieser Beirat in seinen zwei Stellungnahmen zu Erkenntnissen, denen ich mich grundsätzlich anschließen kann.
Eine umweltökonomische Gesamtrechnung, die in einem Ökosozialprodukt, also einem Geldausdruck, zusammenfließt, ist unmöglich und unnötig. Zwar kann die Höhe der Umweltschäden indirekt bestimmt werden, wenn beispielsweise die Kosten der Wiederherstellung des natürlichen Zustands zugrunde gelegt werden. Ein klassisches Beispiel wäre hier die Bodensanierung. Doch wie teuer ist das Aussterben einer Art? Was ist uns die Gesundheit oder gar das Leben eines Menschen wirklich wert? Auch der Umweg über die Bezifferung der Vermeidungskosten einer Umweltbelastung, wie zum Beispiel für Filter und Kläranlagen, gibt nur für einen begrenzten Bereich von Umweltschäden einigermaßen plausible
Werte. Weite Bereiche der natürlichen Umwelt sind eben nicht in Geldeinheiten auszudrücken.
Für ein komplettes Ökoinlandsprodukt müßten zudem die Kosten für eine Vielzahl von Umweltstandards ermittelt werden. Mir scheint, dies ist weit weg von der Realität. Hinzu kommt: Weder Ozonloch noch Treibhauseffekt lassen sich in die Rechnungsperiode eines Jahres pressen. Es müßte also bei der Bewertung langfristiger Schäden mit Barwerten, Zinsen und Zinseszinsen gearbeitet werden. Die Höhe dieser Verzinsungen ist weitgehend Auffassungssache. Sie bietet für politische Einmischungen genau soviel Raum wie die Monetarisierung von Lebewesen.
Eine Vielzahl der Daten über Artenschwund, Waldsterben, Bodenversiegelung, Klimagase und anderes sind bereits bekannt, führen aber trotzdem nicht zu adäquaten politischen Reaktionen. Es ist nicht nachvollziehbar, daß dies mit einer anonymen, stark manipulierbaren und letztlich sehr ungenauen Größe eines Ökosozialproduktes anders wäre.
Der Glaube an Zahlen war in der DDR unerschütterlich. Ich wundere mich, warum sich einige auf dieses Ökosozialprodukt so einschwören.
Das Statistische Bundesamt konzentriert sich auf eine Sammlung von Umweltinformationen. Ich denke, das ist ein schlüssigerer Weg. Wenn diese Daten vernünftig, umfassend und kontinuierlich erfaßt, ausgewertet und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht würden, belebte dies die umweltpolitische Debatte. Die Grenzen des Wachstums müßten auch in der Bundesrepublik ins öffentliche Blickfeld geraten. Alles andere müßte dann Sache der Politik sein und nicht die der Statistik.
Doch vor den Ergebnissen einer tatsächlich aussagefähigen umweltökonomischen Gesamtrechnung scheint sich die Bundesregierung genauso zu fürchten wie vor einem Reichtumsbericht. Während nämlich die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Große Anfrage der SPD vorgibt, die dafür notwendigen Ausgaben des Statistischen Bundesamtes erhöhen zu wollen, sinken diese mit dem laufenden Haushalt. 1996 erreichten sie im Einzelplan 06 knapp 1,7 Millionen DM, obwohl laut Antwort der Bundesregierung 2,1 Millionen DM vorgesehen waren. Für 1997 waren angeblich 2,5 Millionen DM geplant, angesetzt wurden aber letztlich knapp 250 000 DM weniger. Mit dem Haushalt 1998 schwinden die Ausgaben für die umweltökonomische Gesamtrechnung gegenüber dem Vorjahr nun um 18 Prozent; sie betragen lediglich 1,87 Millionen DM.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich frage mich, wie das Statistische Bundesamt mit weniger Mitteln die dringend notwendige Qualifizierung der Datensammlung über die Umwelt erreichen soll. Es ist doch so: Immer da, wo es richtig spannend wird, hört die Datenverfügbarkeit auf. So ist zum Beispiel nicht durchgängig zu ermitteln, wie sich der Ressourcenverbrauch der Bundesrepublik in den letzten Jahren entwickelt hat. Zum einen existieren Lücken in den Zeitreihen, insbesondere für den Zeitraum um die Vereinigung beider deutscher Staaten; zum anderen

Eva Bulling-Schröter
geht der sogenannte ökologische Rucksack von Importen Deutschlands überhaupt nicht in die bestehenden Rechnungen ein.
Der eingeführte japanische Kleinwagen geht beispielsweise lediglich mit 1,5 Tonnen Gewicht in die Wiesbadener Tabellen ein, nicht jedoch mit den über 20 Tonnen Ressourcen, die zu seiner Herstellung gebraucht werden. Gleiches gilt für die Einfuhr von Kupfer aus Chile oder Erzen aus Afrika oder Rußland, bei denen in Form von Abraum und Emissionen bei Gewinnung und Transport zigmal mehr Natur verbraucht wird, als auf den Wiegescheinen an den deutschen Grenzen auftaucht.
Gerade Länder wie Deutschland mit ihrem hohen Konsumniveau lassen so einen großen Teil des „ökologischen Rucksacks" der von ihnen konsumierten Güter im Ausland. Da die meisten rohstoffexportierenden Länder ärmere Länder sind, die auf Grund der Terms of trade im Gegenzug nur vergleichsweise wenig hochverarbeitete Produkte aus den Industrieländern importieren können, tritt hier der ökologische Neokolonialismus zutage.
Der Ressourcenverbrauch ist eine der zentralen Punkte in der Nachhaltigkeitsdebatte. Hier treffen sich deutlich Umwelt- und Entwicklungspolitik. Deshalb brauchen wir aus statistischer Sicht klare Zahlen über unsere Stoffströme mehr als die Anzeige über das letzte Pikogramm bestimmter Schadstoffe.
Natürlich brauchen wir eine andere Umweltpolitik. Die PDS wird sich dieser nicht entgegenstellen. Wir werden sie in Zukunft unterstützen.

(Birgit Homburger [F.D.P.]: Vielen Dank!)

- Sie nicht, das ist ganz klar. Wir lehnen handelbare Lizenzen ab.

(Birgit Homburger [F.D.P.]: Unglaublich!)

- Natürlich lehnen wir die ab. Für uns sind sie Verschmutzungszertifikate.

(Birgit Homburger [F.D.P.]: Es wundert mich nicht, daß Sie ein modernes Instrument ablehnen! Sie haben es gar nicht verstanden!)

- Wir wissen, was Planwirtschaft ist. Ich kann nur sagen: Bei uns gibt es Planwirtschaft. Reden wir einmal über EU-Quoten und derlei Dinge! Das sind genauso planwirtschaftliche Dinge.

(Beifall bei der PDS)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1322212800
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Christoph Matschie.

Christoph Matschie (SPD):
Rede ID: ID1322212900
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eigentlich ist es erstaunlich, daß wir trotz unseres langjährigen Wissens um die tiefen Eingriffe von Wirtschaft und Gesellschaft in ökologische Zusammenhänge und unsere Ressourcen im wesentlichen immer noch mit einer gesellschaftlichen Kenngröße arbeiten, dem Bruttosozialprodukt oder Bruttoinlandsprodukt. Darin mißt sich Wirtschaft, Fortschritt und Erfolg. Aber das ist im
Grunde genommen die berühmte Rechnung ohne den Wirt, weil dieser Indikator vernachlässigt, daß wir mit unserer wirtschaftlichen Aktivität Ressourcen verbrauchen, Natur verbrauchen, Natur zerstören; dies taucht in unserem Erfolgsindikator überhaupt nicht auf.
Deshalb besteht heute weitgehend Konsens, daß wir versuchen müssen, die Veränderungen im Naturvermögen meßbar und sichtbar zu machen. Dies soll unter anderem im Rahmen von umweltökonomischen Gesamtrechnungen passieren. Frau Kollegin Hustedt, dies bedeutet ausdrücklich nicht nur eine Monetarisierung, sondern eine Erfassung auf sehr vielen unterschiedlichen Ebenen, auch auf der physischen Ebene, auf der quantitativen Ebene, weil eine solche Monetarisierung in bestimmten Bereichen natürlich gar nicht zu leisten ist.
Wer nachhaltige Entwicklung als gesellschaftliche Zielvorstellung akzeptiert, muß Maßstäbe für diese Nachhaltigkeit entwickeln. Die umweltökonomischen Gesamtrechnungen sind ein solcher Maßstab. Deshalb ist die SPD der Auffassung, daß wir diese Fragen hier intensiv diskutieren müssen. Daher haben wir das Thema mit einer Großen Anfrage auf die Tagesordnung des Bundestages gebracht.
Nun bringt diese umweltökonomische Gesamtrechnung eine ganze Reihe von theoretischen und methodischen Problemen mit sich. Der umweltökonomischen Gesamtrechnung steht zum Beispiel nicht wie der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung schon ein theoretisches Grundgerüst zur Verfügung. Für die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung ist das ja bekanntlich eine sehr ausgereifte ökonomische Kreislauftheorie. Bei der umweltökonomischen Gesamtrechnung ist es bisher nur ein eher unscharfes Leitbild der nachhaltigen Entwicklung.
Das Statistische Bundesamt hat in Zusammenarbeit mit anderen Institutionen hervorragende wissenschaftliche Arbeit in diesem Bereich geleistet und verdient unsere Anerkennung. Allerdings, denke ich, sollte man an dieser Stelle darauf hinweisen, daß diese Arbeit auch weiterhin einer ausreichenden finanziellen Unterstützung bedarf und die Mittel in diesem Bereich nicht zusammengestrichen werden dürfen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich will aber an dieser Stelle nicht die Einzelheiten der wissenschaftlichen Ansätze diskutieren, sondern zwei politisch relevante Fragen aufgreifen. Zum ersten: Die konzeptionelle Weiterentwicklung der umweltökonomischen Gesamtrechnung braucht in verschiedenen Bereichen politische Grundentscheidungen. Zum zweiten: Wir haben schon heute ein erhebliches Potential an Daten und Analysen zur Verfügung; damit steht die Frage nach den politischen Konsequenzen aus diesen Einsichten im Raum.
Zunächst zur konzeptionellen Weiterentwicklung. Will man zum Beispiel feststellen, ob eine bestimmte Entwicklung nachhaltig verläuft oder davon abweicht, muß man sich vorher auf bestimmte Umweltziele verständigen. Dies ist nicht nur eine rein wis-

Christoph Matschie
senschaftliche Frage, sondern hat auch mit gesellschaftlichen Wertungen und folglich mit politischen Entscheidungen zu tun. Hier wird es im Grunde genommen spannend. Gerade aus einem solchen SollIst-Vergleich gewinnen die statistischen Aussagen zum Zustand der Umwelt ihre Relevanz; denn eine festgestellte Abweichung vom vorgegebenen Ziel fordert unmittelbar zum politischen Handeln auf. Genau hier bei den Umweltzielen tun sich die Bundesregierung und die Koalition mit Festlegungen schwer.
Der Sachverständigenrat der Bundesregierung für Umweltfragen hat im gerade erschienenen Gutachten 1998 noch einmal dringend auf die Aufstellung von Umweltzielen hingewiesen. Dort ist zu lesen:
Mit der bloßen Einführung von ausgewählten Umweltindikatoren ohne Hinzuziehung, Ergänzung und Systematisierung von umweltpolitischen Zielsetzungen und Umweltstandards ist keine wesentliche Steigerung der Nutzbarkeit der Umweltberichterstattung für die Gestaltung und Kontrolle der Umweltpolitik möglich. Deshalb empfiehlt der Umweltrat dringend, die Aufstellung von nationalen Umweltindikatoren mit der Aufstellung von umweltpolitischen Zielen zeitlich, inhaltlich und prozedural zu koordinieren und hierfür ein gestuftes Arbeitskonzept aufzustellen.
Ähnliche politische Unentschlossenheit beobachten wir auch in der EU-Umweltministerkonferenz. Schon 1994 hatte die Kommission nämlich einen Richtlinienvorschlag für die Einführung von Umweltindikatoren und eine Ökologisierung der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung vorgelegt. Das Europäische Parlament hat 1995 zu diesem Richtlinienvorschlag eine Stellungnahme abgegeben. Der Rat hat es bisher nicht getan und mußte deshalb im Herbst des letzten Jahres nach über drei Jahren von der Kommission gemahnt werden, endlich eine politische Stellungnahme in diesem Bereich abzugeben.
Was ist der Befund aus dem, was ich dargestellt habe? Die wissenschaftlichen Arbeiten sind sehr weit gediehen; auch der Forschungsstand des Statistischen Bundesamtes und der anderen involvierten Institutionen und Wissenschaftler gehört zur internationalen Spitze. Aber da, wo politische Entscheidungen ins Spiel kommen, geht es nur sehr mühsam voran. Das gilt auch für die Konsequenzen aus den bereits verfügbaren Ergebnissen. Auch hierzu bringe ich ganz gezielt, Frau Homburger, ein Zitat aus einer aktuellen Mitteilung des Statistischen Bundesamtes. Auch wenn die Koalition versucht, ihre Erfolge in der Umweltpolitik in den Vordergrund zu stellen, müssen wir uns natürlich immer wieder klarmachen, an welcher Stelle wir eigentlich stehen und an welchem Maßstab wir uns messen wollen, wenn wir ein nachhaltiges Wirtschaften erreichen wollen.
Ich zitiere das Statistische Bundesamt:

(Dr. Gerhard Friedrich [CDU/CSU]: Lieber Herrn Schröder!)

Die Ergebnisse verdeutlichen, daß in den vergangenen 35 Jahren im Hinblick auf Rohstoff- und Energieverbrauch zwar effizienter gewirtschaftet wurde, zugleich sind aber die absoluten jährlichen Belastungen deutlich angestiegen.
Ein zweites Zitat:
Ein Blick auf die gegensteuernden, umweltschützenden Maßnahmen von Wirtschaft und Gesellschaft zeigt, daß sie sich bezogen auf die Indikatoren der gesamten Ökonomie ... auf relativ niedrigem Niveau befinden.
Das heißt, von einem nachhaltigen Ansatz sind wir weit entfernt.
Im Kern geht es mir hier noch um etwas anderes: Wenn die Arbeiten zur Erfassung und Aufbereitung von Umweltdaten und die Entwicklung von umweltökonomischen Gesamtrechnungen nicht nur Spielereien sein sollen, müssen die Ergebnisse politische Konsequenzen zur Folge haben.

(Beifall bei der SPD)

In diesem Zusammenhang komme ich auf die Antwort der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage. In der Antwort auf Frage C 13 nach den Rahmenbedingungen für umweltökonomische Optimierungen heißt es:
Besondere Bedeutung kommt der Gestaltung der Finanzbeziehungen zwischen Staat und Bürgern mit dem Ziel zu, Konsumenten und Produzenten in systematischer Weise ökonomische Anreize zur Vermeidung von Umweltbelastungen und zur Entwicklung nachhaltiger Produktions- und Konsumweisen zu geben. Eine zielorientierte Ergänzung des Steuerrechts um Umweltgesichtspunkte sollte Schritt für Schritt umgesetzt werden ...
Was ist eigentlich dieser Ankündigung einer ökologischen Steuerreform gefolgt? Im Umfeld der Klimakonferenz von Berlin gab es 1995 eine breite Debatte auch in der Koalition. Wer hat da nicht alles die ökologische Steuerreform für notwendig gehalten? Nicht nur die Umweltministerin, sondern damals auch Herr Schäuble und Herr Repnik. Selbst Bundeswirtschaftsminister Rexrodt hat sich mit eigenen Vorstellungen zur ökologischen Steuerreform in der Öffentlichkeit zu Wort gemeldet.

(Dietmar Schütz [Oldenburg] [SPD]: Das wollen die immer noch! Dr. Gerhard Friedrich [CDU/CSU]: Aber der Schröder ist auch schon dagegen!)

Doch dann kam das Prinzip Kohl zum Zuge. Die Debatte war zu Ende, noch bevor sie zu konkreten Ergebnissen hätte führen können. Mittlerweile hat sich herumgesprochen, daß der Kanzler mehr die blumigen Worte als das allzu Konkrete liebt. Genau das ist das Drama Ihrer Umweltpolitik. Eine nachhaltige, auf Dauer tragfähige Entwicklung zu erreichen ist eine enorme Herausforderung für die gesamte Gesellschaft. Dazu bedarf es der Kraft zur Integration unterschiedlicher Interessen und der Entscheidungsfähigkeit. Beides haben Sie nicht.

Christoph Matschie
Umweltpolitik besteht nicht nur in der artistischen Fähigkeit einer Umweltministerin, zwischen allen Stühlen gleichzeitig sitzen zu können. Umweltpolitik setzt die Handlungsfähigkeit und den Handlungswillen einer gesamten Regierung voraus. Aber dort sitzt nun leider jemand an der Spitze, der gerne aussitzt und weiß Gott kein Schneller Brüter ist.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1322213000
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Klaus Lippold.

Dr. Klaus W. Lippold (CDU):
Rede ID: ID1322213100
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Fischer, es besteht kein Grund zur Aufregung. Wir können doch ruhig und sachlich miteinander diskutieren.

(Dietmar Schütz [Oldenburg] [SPD]: Keine Attacke, sondern ruhig und besinnlich! Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ich fürchte nur, daß es bei Ihnen wieder laut wird!)

Ich höre Ihnen zu. Ich höre auch Ihrer Kollegin Hustedt sehr genau zu. Sie sprach von einem Regierungswechsel. Das haben Sie schon oft gemacht; Sie werden ihn auch im September nicht erleben. Aber das für eine Grünen-Sprecherin Erstaunliche war, daß sie von einem Umweltminister, nicht aber von einer Umweltministerin sprach. Das klassische Doppel „Minister/Ministerin" fehlte.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das lag an der Redezeit!)

- Lieber Albert, warte mal! - Ich kann mir natürlich denken, warum, wenn ich den Blick auf Hessen richte: Wollen Sie Frau Blaul nehmen? Wollen Sie Frau Nimsch nehmen? Die Halbwertzeiten grüner Umweltministerinnen sind dank ihrer vernichtenden, niederschmetternden Leistung doch so, daß Sie gar nichts vorweisen können. Man kann sich auch einen grünen Umweltminister vorstellen, der eine Leistung erbrächte, die der Leistung von Umweltministern und -ministerinnen der Union in der Vergangenheit vergleichbar wäre.

(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wir waren doch beide in Hessen! In Hessen haben wir Sie schon einmal aus den Sesseln gehievt! Jetzt machen wir es hier auch!)

Herr Fischer, Sie bleiben doch den Beweis schuldig. Ihnen ist außer dem Einstieg in den Ausstieg aus der Kernenergie nichts geglückt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie der Abg. Birgit Homburger [F.D.P.])

Ich halte einmal folgendes fest: Ihre Wunschträume orientieren sich daran, daß Sie wieder einen Stander am Auto haben möchten.

(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: An meinem Auto reicht mir ein Abziehbild von Ihnen!)

Aber inhaltliche Aussagen schicken Sie nicht vorweg. Dabei sind doch nicht wir es, die Sie so kritisieren. Den Pressemitteilungen entnehme ich vielmehr Gemurmel an der grünen Basis, Frau Hustedt, die Grünen im Bundestag seien in der Umweltpolitik farblos. Das sage nicht ich, das sagt Ihre Basis.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Sie sind farblos, Sie sind konturenlos, Sie haben keine Inhalte, Sie haben keine Argumente, und deshalb können Sie nicht überzeugen. Ich zitiere ja nur die Medien. Nicht ich bin es, Frau Hustedt, der das sagt. Ich weiß, es ist schon negativ, aber das muß schon so sein.

(Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist langweilig!)

Wenn ich über Ihren Antrag spreche, dann kann ich nur unterstreichen, was die Kollegin Homburger gesagt hat: Ihr Antrag ist eine Aneinanderreihung von Sprechblasen, nichts Inhaltliches, und dort, wo Sie auf uns eingehen, gehen Sie falsch auf uns ein. Sie werfen uns vor, keine marktwirtschaftlichen Instrumente einzusetzen. Sie negieren das Öko-Audit, Sie negieren die Selbstverpflichtung. In der Frage der Abgaben sind wir Ihnen voraus; denn dieses Instrument haben wir erprobt. Sie haben es in Hessen zu einer Steuer degeneriert. Machen wir uns nichts vor: Das, was Sie in Hessen mit der Grundwasserabgabe gemacht haben, ist nichts anderes als die Formulierung einer Steuer, mit der Sie allgemeine Haushaltsausgaben finanzieren, aber nichts für den Umweltschutz tun. So sieht das bei Ihnen aus.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)

Deshalb brauchen wir Sie für den Umweltschutz nicht. Sie werden in Ihrer Ecke sitzen bleiben. Herr Fischer wird weiter auf den Stander warten.

(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Lieber auf den Stander warten als auf den Ständer! Heiterkeit im ganzen Hause)

Das wird alles so nicht gehen, wie Sie sich das vorstellen.
Zum UGB. Liebe Freunde, wir brauchen für die Zukunft eine Orientierung des deutschen Umweltrechts dahin gehend, daß es sich in die internationale Entwicklung einbindet, den Herausforderungen der Globalisierung gerecht wird und natürlich auch in gleicher Weise der Entwicklung in der Europäischen Union gerecht wird. Deshalb - das muß ich deutlich sagen - haben wir mit dem Entwurf des Umweltgesetzbuches eine imposante Arbeit geleistet, von der wir glauben, daß sie in der einen oder anderen Richtung zu befolgen sein wird, von der wir aber auch sa-

Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach)

gen, daß sie in einer ganzen Reihe von Punkten sehr kritisch betrachtet werden muß.
Weil das in der Öffentlichkeit verschwimmt, will ich auch hier noch einmal ganz deutlich machen, daß mit dem Umweltgesetzbuch kein Gesetzentwurf vorliegt. Hier liegt ein Entwurf vor, aus dem ein Umweltgesetzbuch, als Entwurf entstehen wird; insofern nehmen wir dies als Material für den ersten Entwurf, den die Bundesregierung erstellt.

(Dietmar Schütz [Oldenburg] [SPD]: Sag doch einmal, wie ihr es inhaltlich bewertet!)

Jetzt will ich auch ganz deutlich sagen, was mir an dem UGB nicht gefällt. Ich sage hier: Das, was wir nicht brauchen, ist ein solcher Schwerpunkt im Bereich zusätzlicher Umweltabgaben, wie der Entwurf der Weisen ihn in diesem Punkt vorsieht.

(Beifall der Abg. Birgit Homburger [F.D.P.])

Wir haben eine ganze Reihe von Abgaben - ich zitiere einmal -: „Abgaben auf mineralischen Stickstoffdünger", eine „Abgabe für Grundwasserentnahme", eine „Straßenverkehrsabgabe", eine „ Luftverkehrsabgabe " ; für die Durchführung von Flügen soll eine Abgabe erhoben werden; zusätzlich haben wir auch noch eine Abfallabgabe. Auch wenn wir ökonomische Instrumente nutzen wollen, halten wir es für falsch, das Gewicht ausschließlich auf Abgaben dieser Art zu legen. Wir haben die Selbstverpflichtung, wir haben das Öko-Audit. Ich meine, wir müssen in Zukunft noch viel stärker von finanziellen Anreizen Gebrauch machen, als das in der Vergangenheit geschehen ist.

(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ich höre!)

- Von finanziellen Anreizen, nicht von finanziellen Belastungen. Lieber Herr Kollege, das, was Sie wollen, läuft doch immer darauf hinaus, den Leuten das Geld wegzunehmen, um es ihnen nach Abzug eines beträchtlichen Verwaltungsaufwandes und bürokratischen Antragsverfahrens partiell wieder zurückzugeben. Das ist doch der Weg, den Sie gehen. Sie nehmen den Leuten zum Beispiel bei der Grundwasserabgabe in Hessen 100 Prozent, davon gehen dann 20 Prozent an die Verwaltung, und für den Rest müssen alle, die dieses Geld gezahlt haben, bürokratische Antragsverfahren mitmachen, um sich das Geld wieder zurückzuholen. Das kann nicht der richtige Weg sein.

(Beifall der Abg. Birgit Homburger [F.D.P.])

Deshalb sind wir für flexiblere Instrumente, und wir werden uns auf Ihren Weg nicht einlassen.
Ich denke, es hat auch keinen Sinn, noch weitere Kommissionen zu erfinden und diesen Kommissionen Kompetenzen zu geben. Ich meine, unsere Gesetzgebungswege sind ohnehin schon reichlich lang. Wir haben die Europäische Union als oberste Ebene, wir haben den Bund als Ebene, wir haben die Länder als Ebene. Bis auf diesen Ebenen alles beraten, zurückverwiesen und wieder entschieden ist, dauert es jetzt schon zu lange. Wir brauchen dies nicht um
noch weitere Kommissionen zu ergänzen. Das wäre der falsche Weg.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie können doch entscheiden! Sie regieren doch!)

Wir brauchen schnelle und unbürokratische Entscheidungen; das ist der Punkt, um den es geht. Mit Ihrer Position kommen Sie nicht weiter, auch wenn Sie darauf verweisen, daß dies ein sinnvoller Ansatz wäre, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen.

(Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir warten darauf, daß Sie entscheiden!)

Meine Erwartung an das Umweltgesetzbuch ist auch, daß es hinreichend dereguliert und vereinfacht. Ich habe in der Umweltausschußsitzung, die neulich stattfand, den Aussagen von Herrn Professor Sendler während der Diskussion überrascht entnommen, daß sich die Beschleunigung, die wir bei den Genehmigungsverfahren eingeleitet haben, nicht in diesem Umweltgesetzbuchentwurf wiederfinden soll. Er sagt, hier müßten Abstriche gemacht werden. Ich sage ganz klar in Richtung von Herrn Sendler: Wir werden hier keine Abstriche machen. Umweltschutz muß konsequent unbürokratisch durchgeführt werden. Darauf haben die Unternehmen einen Anspruch, und es nützt dem Umweltschutz. Nur wenn Umweltschutz schnell und unbürokratisch durchgeführt wird, dann haben wir ein Mehr an Umweltschutz, und dann sind die Menschen bereit, etwas dafür zu tun. Aber wenn der Umweltschutz bürokratisiert wird, dann werden wir Schwierigkeiten haben, die notwendige Geschwindigkeit in der Weiterentwicklung unserer Ideen den Menschen nahezubringen und in ihrem Bewußtsein zu verankern.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich sage ganz deutlich: Eine Bürokratisierung des Umweltschutzes darf es nicht geben. - Wir haben, wie gesagt, eine Reihe guter Ansätze.
Ich will zum Abschluß noch folgendes sagen:

(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Was ist mit der Energiesteuer? Was ist mit der Ökosteuer?)

Wieder ist - da komme ich auf die Kollegin Hustedt zurück - der Vorwurf „Reformstau" zum Ausdruck gekommen. Man kann natürlich Worte, die andere vorformulieren, übernehmen, ohne darüber nachzudenken. Aber wenn ich betrachte, was wir im Umweltschutz in bezug auf das Öko-Audit gemacht haben

(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ökosteuer!)

- ich denke auch an die gespaltene Kfz-Steuer und die verschiedenen anderen Umweltgesetze und -novellen zum Beispiel im Bereich der Abfallwirtschaft und der Altautoverwertung usw. -, dann muß ich sagen, daß das alles Punkte sind, die dem, der es sehen will, zeigen, daß sich jede Menge bewegt hat. Aber

Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach)

für den, der blind durch die Gegend geht, sind diese Fortschritte nicht zu erkennen.

(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Wie die Grünen in der Umweltpolitik!)

Auf diese Weise kommen, Frau Hustedt, konturenlose Umweltpolitiken zustande, wie sie von Ihrer Basis - ich sage das einmal so deutlich - moniert werden.
Lassen Sie mich noch eine weitere Bemerkung machen. Was wir hinsichtlich der Luft- und der Wasserreinhaltung und des Grundwasser- und Bodenschutzes erreicht haben, wird ja - diese Feststellung kann ich den Sozialdemokraten nicht ersparen - vom früheren sozialdemokratischen Umweltminister Vahrenholt und vom nordrhein-westfälischen Minister Clement gelobt. Beide sehen keine zusätzlichen Handlungserfordernisse im Umweltschutz. Obwohl die beiden mit ihrer Meinung recht haben, daß wir viel geleistet haben, sage ich im Gegensatz zu ihnen: Wir werden den Umweltschutz natürlich weiterentwikkeln. Wir sehen nach wie vor Handlungserfordernisse. Aber wir werden mit Augenmaß handeln. So muß es sein, und so werden wir den Umweltschutz - zu Ihrem Ärger - auch in der nächsten Legislaturperiode gestalten.
Ganz herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Ausgezeichnet!)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1322213200
Das Wort hat jetzt der Kollege Michael Müller.

Michael Müller (SPD):
Rede ID: ID1322213300
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wie die Gesellschaft ist auch der Umweltbereich vom Reformstau betroffen. Ich wiederhole dieses Wort. Es stammt nicht von mir, sondern vom Sachverständigenrat für Umweltfragen.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] Dr. Gerhard Friedrich [CDU/CSU]: Zitieren Sie mal Herrn Schröder!)

Ich zitiere jetzt mal den Sachverständigenrat für Umweltfragen.

(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Was ist mit Ihrem Papier?)

- Das ist ein sehr sinnvolles Papier, weil es nämlich eine ökologische Perspektive aufzeigt.
Lassen Sie mich bitte zum Thema zurückkommen. Ich stelle fest, daß der Sachverständigenrat für Umweltfragen geschrieben hat, daß die Bundesrepublik auch im Umweltbereich von einem Reformstau gekennzeichnet sei; so wie bisher gehe es nicht weiter. Er hat die Bundesregierung aufgefordert, aus der Krisenfalle herauszukommen. - Ich bitte Sie, zur Kenntnis zu nehmen, daß diese Aussagen nicht von irgend jemandem, sondern von dem mit Hilfe der Bundesregierung zusammengesetzen Sachverständigenrat für
Umweltfragen stammen. Bei allen Meinungsunterschieden sollte man diese Aussagen ernst nehmen. Ich glaube nämlich, daß eine ernsthafte Auseinandersetzung mit diesem Bericht für uns eine Chance ist, die man nicht gleich beiseite schieben sollte.
Für mich ist der viel wichtigere Punkt, daß die Ökologie über das hinaus, was Sie gesagt haben, Herr Lippold, also über den eigentlichen Umweltschutzbereich hinaus, in der Tat eine Chance ist, aus der Lähmung und Stagnation unserer Gesellschaft herauszuführen.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wir müssen begreifen, daß Umweltpolitik eine Chance ist, um erstens wieder mehr Konsens in unserer Gesellschaft und um zweitens wieder die Grundlage für ein gemeinsames, einheitliches Politikverständnis zu schaffen. Diese Chance sollten wir nicht vertun.
Das eigentliche Problem, was im Augenblick in der Bundesrepublik besteht, ist das folgende: Man sieht ein Fenster für die Zukunftsgestaltung; aber die Gesellschaft und auch die Bundesregierung öffnen das Fenster nicht, sondern gehen an ihm vorbei und verspielen damit eine in der Geschichte selten vorkommende Chance. Das ist unsere eigentliche Kritik an der Arbeit der Bundesregierung.

(Beifall bei der SPD)

Wir sollten gemeinsam den Jahresbericht des Sachverständigenrates aufarbeiten.
Wir haben heute drei wichtige Bereiche, die aus meiner Sicht mehr als nur Instrumente sind; sie sind Grundelemente einer zukunftsorientierten Umweltpolitik. Das Umweltgesetzbuch - Herr Friedrich, ich nehme das ernst, was Sie gesagt haben, nämlich daß wir vorurteilsfrei darüber reden sollten - hat doch - jedenfalls für uns - den entscheidenden Vorteil, daß mit diesem Gesetzbuch die Chance gegeben ist, von den bisherigen Debatten über eine überzogene Bürokratisierung, die die einen den anderen vorwerfen, und den Debatten über eine im Grunde genommen perspektivlose Deregulierung, die die anderen Ihnen oder wem auch immer vorwerfen, wegzukommen. Das Umweltgesetzbuch bietet doch die große Chance, daß wir erst einmal unsere gemeinsamen Grundpositionen klären können und dann vorurteilsfrei auf der Basis eines Dritten versuchen können, uns neu zu verständigen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß einer hier im Hause ernsthaft die Position vertritt, daß eine deregulierte Gesellschaft zur Umweltpolitik fähig ist.

(Beifall bei der SPD)

Es kommt auf die Art der Regulierung an. Das ist die eigentliche Frage, über die wir reden müssen und über die wir uns auch sehr viel intensiver und konstruktiver austauschen können.
Das zweite Grundelement ist der Weg hin zum Ökosozialprodukt. Ich sage klar: Eine umweltökonomische Gesamtrechnung wäre zuwenig. Sie ist auch

Michael Müller (Düsseldorf)

nur der erste Schritt, weil dabei das bisherige System der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung für mehr qualitative Faktoren geöffnet wird. Sie wissen, daß in vielen Bereichen sehr ernsthaft über die umweltökonomische Gesamtrechnung nachgedacht wird. Ich finde, es würde der Bundesrepublik und insbesondere der Europäischen Union gut anstehen, hier Vorreiter der Industriestaaten zu werden. Das heißt, wir müssen einen Schritt in Richtung Ökosozialprodukt machen. Denn Ökosozialprodukt bedeutet im Kern: Wir machen nicht nur eine quantitative ökonomische Betrachtung, sondern versuchen, qualitative Aspekte zu erfassen und damit auch wirtschaftliche Prozesse qualitativ zu bewerten. Das ist eine Chance für die Umweltpolitik, und das ist aus meiner Sicht auch eine Chance, aus dem bisherigen Zustand herauszukommen, in dem die Umwelt mehr oder weniger von Konjunkturschwankungen abhängig ist. So wird sie sozusagen zu einem integralen Bestandteil der Wirtschaftspolitik, der Indikatoren und der Entscheidungen.
Das dritte Grundelement - das wir heute nicht diskutieren - ist natürlich die Ökologisierung des Finanzsystems. Da ist der unverzichtbare strategische Schritt der Einstieg in die ökologische Steuerreform. Sie werden sich wundern: Das steht im Regierungsprogramm. Wir werden das auch ernsthaft durchsetzen. Das ist Konsens.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ich sehe auch den dritten Punkt, den wir heute noch auf der Tagesordnung haben, nämlich die Frage der Umweltverträglichkeitsprüfung, sehr wohl als einen Bestandteil dieses Konzeptes an. Denn wenn wir nicht zu einer europäischen Harmonisierung kommen, dann - das wissen wir - werden unsere nationalen Anstrengungen begrenzt bleiben. Deshalb ist eine europäische Vereinheitlichung der Umweltpolitik auch über ein solches Instrument wie das der Umweltverträglichkeitsprüfung - gerade vor dem Hintergrund, den Sie, Herr Friedrich genannt haben, nämlich daß wir in Europa sehr unterschiedliche Rechtsphilosophien haben - von großer Bedeutung, weil man dann sozusagen am Ziel orientierte Gemeinsamkeiten schaffen kann, statt herumzutricksen, wie wir es in vielen Bereichen leider erleben.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1322213400
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Köhne?

Michael Müller (SPD):
Rede ID: ID1322213500
Ja.

Rolf Köhne (PDS):
Rede ID: ID1322213600
Lieber Herr Kollege Müller, da Sie soeben der Kollegin Hustedt geantwortet haben, daß im nächsten Regierungsprogramm eine ökologische Steuerreform stehen soll, frage ich Sie: Wird auch der Atomausstieg drinstehen?

(Eckart Kuhlwein [SPD]: Steht im Entwurf schon drin!)


Michael Müller (SPD):
Rede ID: ID1322213700
Auch das steht im Programm.
Aber lassen Sie mich jetzt bitte noch einmal zu einem Punkt kommen, der für mich in dieser Debatte über Umweltpolitik von allergrößter Bedeutung ist. Wir stehen heute - da sind wir unbeschadet unterschiedlicher Einstellungen zu Einzelheiten einer Auffassung - vor der großen Herausforderung, wie wir mit einer neuen Gesellschaft in einer globalen Welt umgehen. Es gab zwar in der Tat immer Globalisierungstendenzen; aber in der heutigen Zeit hat die Globalisierung einen qualitativ neuen Sprung gemacht, und zwar insbesondere dadurch, daß erstens bisher an den Nationalstaat gebundene Ordnungsstrukturen, also insbesondere der geschlossene Raum und die einheitliche Zeit, aufgelöst werden, daß uns zweitens eine verstärkte Konkurrenz immer mehr bestimmt, die ganz neue Gesetze für unser Handeln erfordert, und daß wir drittens immer deutlicher merken, daß die Erde eine zerbrechliche Einheit ist, insbesondere was die Ökologie und vor allem was die Klimaproblematik angeht.
Deshalb glaube ich, daß die eigentliche Herausforderung, vor der wir heute stehen, nicht mehr das Festhalten an einer Ordnung ist, die sozusagen auf den Nationalstaat bezogen ist, sondern daß die eigentliche Herausforderung lautet: Wie kann man in dieser globalen Epoche ökonomische und technische Prozesse wieder so gestalten, daß sie sozial und ökologisch - und zwar beides gemeinsam - verträglich sind? Das ist die eigentliche Frage.
Wir leben in einer Welt, in der wir nicht damit rechnen können, daß wir in absehbarer Zeit ein globales Regime, das das alles managen könnte, haben werden. Wir wollen das auch gar nicht. Aber wie können wir in einer solchen Welt, die von Ungleichheit, von Störanfälligkeit und von Endlichkeit bestimmt ist, trotzdem zu einem Mindestmaß an Koordinierung und Gemeinsamkeit kommen, ohne daß, wie das „Handelsblatt" schreibt, das in der „Anarchie des Weltmarkts" endet?

(Beifall bei der SPD)

Ich glaube, das ist die eigentliche Herausforderung, vor der wir stehen.
Herr Kollege Geißler hat in einer der letzten Debatten zu Recht gesagt: Wir als Europäer müssen sagen, das Modell des fernöstlichen oder amerikanischen Kapitalismus wollen wir nicht; wir wollen ein europäisches Modell, das nicht eurozentrisch ist, sondern der globalen Epoche Rechnung trägt.

(Beifall des Abg. Eckart Kuhlwein [SPD])

Das ist aus meiner Sicht in der Tat die Herausforderung. Ich glaube, daß hier die Ökologie die große Chance ist, weil Ökologie, wenn man sie in ihrer Konsequenz durchdenkt, folgendes bedeutet:
Erstens. Wir müssen alle mehr Demokratie wagen. Ich halte Ökologie für ein Prinzip der Demokratie, weil wir dann, wenn die Bürger nicht mitmachen, den ökologischen Umbau nicht hinbekommen. Öko-

Michael Müller (Düsseldorf)

logie bedeutet: mehr Demokratie, mehr Freiheit wagen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Zweitens. Ökologie ist aus meiner Sicht ein Ansatz, der bedeutet, die ökonomischen Steuerungsprozesse von der einseitigen Ausrichtung auf den Faktor Arbeit hin auf eine sehr viel breitere Belastung der unterschiedlichen Faktoren, insbesondere auf die Frage der Ressourcen und der Energieproduktivität, auszuweiten, um einen Umschlag vom quantitativen zum qualitativen ökonomischen Modell zu erreichen, um damit die „Arbeitsfalle", die wir heute durch die Krise des Systems der Erwerbsarbeit erleben, zu überwinden. Hier liegt eine Riesenchance.
Wir wollen uns nichts vormachen, wir werden die Arbeitslosigkeit allein mit traditionellen Mitteln nicht beseitigen. Wir müssen neue Wege gehen. Die Ökologie ist hier eine gewaltige Chance.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Der dritte wichtige Punkt, den man nennen muß, lautet: Die Ökologie ist auch deshalb eine gewaltige Zukunftsoption, weil sie in allen Ländern trotz unterschiedlicher, sehr pluraler Ansätze die Entscheidungen in eine Richtung lenkt, nämlich in die Bewahrung von Lebenszuständen, von natürlichen Lebensgrundlagen. Sie ist damit eine Art Erweiterung unserer bisherigen Perspektive von der engen „JetztSicht" , also der aktuellen Sicht, hin zu einer Zukunftsorientierung. Dies ist die große Chance.
Natürlich wird die Frage nach der Zukunftsfähigkeit in Brasilien anders beantwortet werden als in Rußland oder in China anders als in Deutschland. Aber das Wichtige ist: Sie ist eine gemeinsame Leitidee, die sehr viel mehr Verständigung, sehr viel mehr Gemeinsamkeit und sehr viel mehr Kooperation ermöglicht, ohne daß es den Zwang einer großen, auf absehbare Zeit nicht zu erreichenden Rahmengesetzgebung geben muß. Das ist die große Chance. Nachhaltigkeit und Zukunftsfähigkeit sind die große Chance, eine Antwort auf die Globalisierung zu geben. Damit könnte man ein Modell entwickeln, das Europa wieder eine neue Perspektive eröffnen würde.
Ich finde, wir sollten diese Chance nicht vertun, wir müssen den Menschen wieder Zukunftsperspektiven geben; denn wir wissen, daß die Menschen, wenn wir es nicht tun, vor der Globalisierung Angst haben werden, und zwar zu Recht. Denn eine ungestaltete Globalisierung bedeutet im Kern mehr Gewalt, mehr Ungleichheit und damit auch mehr Konflikte bis hin zu militärischen Auseinandersetzungen, die ebenfalls zu befürchten sind.
Deshalb: Wir haben eine Riesenchance, das europäische Modell zu erneuern und damit einen globalen politischen Ansatz durchzusetzen, ohne daß wir dafür Rieseninstanzen brauchen. Wir haben die Chance, dies mit der gemeinsamen Leitidee durchzusetzen. Dafür werbe ich. Ich glaube, daß es bei der Bundestagswahl auch um eine solche Weichenstellung gehen wird. Wir sollten unsere Verantwortung auch in dieser Frage ernst nehmen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1322213800
Das Wort hat jetzt die Bundesministerin Angela Merkel.

Dr. Angela Merkel (CDU):
Rede ID: ID1322213900
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich beginne einmal mit einem Eindruck. Zusammen mit dem Außenminister und dem Entwicklungshilfeminister war ich heute auf einer Konferenz, bei der Vertreter aus 100 Staaten über globale Wasserprobleme diskutiert haben.
Unsere heutige Debatte betrifft folgende Fragen: Welche neuen Instrumente in der Umweltpolitik hat uns das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung eigentlich aufgegeben? Wie sollten wir sie nutzen? Wie ist die Rechtssetzung der Zukunft? Wie sollen wir unsere Erfolge und unsere Mißerfolge bewerten? Diese Debatte würde eigentlich gut zu der vormittäglichen Konferenz passen, wenn ich nicht den festen Eindruck hätte, daß jeder, der uns von außerhalb Deutschlands zuhört, verzagen würde. Frau Hustedt mahnt die ökologische Offensive an. Die Besetzung Ihrer Bänke zeigt aber, daß es bei Ihnen nicht viel anders als bei anderen ist.

(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Die sind alle beim Feiern!)

- Sie konzentrieren sich eben auf das, was sie für richtig halten, und nicht auf das, was wichtig ist.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Rita Grießhaber [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir wissen, daß Sie nichts mehr erreichen!)

Auf der einen Seite sprechen Sie von einer ordnungsrechtlich dominierten Umweltpolitik; die scheinen Sie also wieder nicht so gut zu finden. Auf der anderen Seite beschimpfen Sie jede Art von freiwilliger Selbstverpflichtung, wenn sie realisiert ist.
Herr Müller spricht von mehr Konsens, den wir erreichen müssen. Wenn wir im Gespräch mit der Wirtschaft und den Umweltverbänden einmal Konsens erreichen, genügt er Ihnen meistens nicht; dann kritisieren Sie ihn wieder. Auch mit dem Sachverständigenrat für Umweltfragen habe ich darüber sehr intensiv diskutiert. Auch er hat einerseits gesagt, es müsse fixe Vorgaben geben, andererseits hat er gesagt, man müsse endlich lernen, eine neue Kultur der Konsensbildung in unserer Gesellschaft zu entwikkeln. Dann habe ich gefragt: Wie eigentlich wollen Sie mir als Umweltministerin oder anderen Mut machen, den Weg zu einer neuen Kultur der Konsensbildung innerhalb der gesellschaftlichen Gruppen zu gehen, wenn jedes Resultat mit einer vernichtenden Kritik belegt wird?
Frau Hustedt, ich nenne die Altautoverordnung. Mit Hohn und Spott haben Sie uns überzogen, als wir die freiwillige Selbstverpflichtung vereinbart hat

Bundesministerin Dr. Angela Merkel
ten und dann anschließend die Altautoverordnung gemacht haben; am 1. April wird sie in Kraft treten. Wenn Sie sich in Rücknahmestellen der Automobilindustrie oder der Kfz-Werkstätten bemühten, würden Sie erkennen, daß genau diese Verordnung Arbeitsplätze schaffen wird. Es werden, so wie Sie es immer fordern, Arbeitsplätze geschaffen. Gleichzeitig tun Sie aber so, als werde sie zu nichts führen. Ein vernünftiges ökologisches Zerlegen und Rückführen von Produkten, die wir in unserer Gesellschaft herstellen, ist genau das, was wir wollen. Wenn dann damit noch Arbeitsplätze geschaffen werden, dann können wir doch zufrieden sein.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Warum eigentlich können wir niemals sagen, daß wir auch Erfolge erreicht haben, und warum können wir nicht einmal - manch einer versucht es, wenn ich an Herrn Müller denke - ganz ruhig sagen: Es ist heutzutage natürlich schwierig, festzulegen, wie weit das Ordnungsrecht gehen soll, wo der Schritt von der Gefahrenabwehr zur Vorsorge beginnt, wo das marktwirtschaftliche Instrument richtig ist oder wo wir mit freiwilligen Verpflichtungen arbeiten können? Ganz einfach ist diese Fragestellung nicht. Wir sollten dies anerkennen, wenn wir denn solche neuen Wege gehen müssen. Es wäre doch toll, wenn wir sie alle gleich beschreiten könnten.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Herr Schütz, der, glaube ich, jetzt nicht mehr da ist, hat gesagt, es sei nun wieder ein Skandal, daß die Bundesregierung noch keine abschließende, vollständige Konzeption zum Umweltgesetzbuch hätte.

(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Hat er nicht gesagt!)

- „Skandal" hat er nicht gesagt, aber es schwang in seinen Worten mit. Er hat sich vergleichsweise höflich ausgedrückt. Ich habe es etwas stärker empfunden. Es ist doch gut, wenn es bei uns ankommt.
Ich sage einmal: Wir sind nicht so fix. Da Professoren viele Jahre an diesem Werk gearbeitet haben und es um die Kodifizierung des gesamten Umweltrechts geht, haben wir uns im Ministerium gesagt: Wir wollen uns mehrere Monate Zeit nehmen, um uns ein Urteil zu bilden. Daß der Ausgangspunkt des Umweltgesetzbuches gut ist, haben wir oft gesagt. Es ist richtig, daß wir nach den vielen Einzelgesetzen für die Medien Luft, Wasser und inzwischen - Gott sei Dank - auch Boden einen integrativen Ansatz brauchen. Das wollen wir. Aber die Frage, wie der integrative Ansatz nachher aussehen soll und wie wir ihn realisieren wollen, ist nicht so ganz einfach zu beantworten.
Herr Schütz hat gesagt, es zeuge wieder von unserer Schwäche, daß wir uns erst einmal auf die Genehmigungsregelung in einem ersten Buch zum Umweltgesetzbuch konzentrierten. Aber alle Länderminister, manche weniger euphorisch, andere euphorischer, haben gesagt, es ist richtig, an einem Beispiel zu beginnen und das Umweltgesetzbuch da umzusetzen. Wer glaubt, er könne irgendwie parallel zur geltenden Rechtslage noch ein Kompendium von Vorschriften zusammenstellen und das anschließend dann von einem Tag auf den anderen in Kraft treten lassen, der lebt an der Realität vorbei.
Deswegen verfahren wir beim Umweltgesetzbuch I so. Wir machen das im übrigen mit der Unterstützung aller sozialdemokratischen Minister und fast aller Minister der Grünen, die im Umweltbereich tätig sind. Ich weiß gar nicht, warum Herr Schütz sich über dieses Vorgehen so verärgert zeigt.
Wir werden das machen - auch das will ich ganz klar sagen -, weil uns die Europäische Union genau diesen integrativen Ansatz empfiehlt und weil wir uns in Deutschland vor dem Hintergrund unserer gesamten Rechtsgeschichte mit einem solchen Ansatz schwertun. Die Briten und die Franzosen haben einen sehr viel besseren Zugang dazu, weil sie nicht bis auf die unterste Ebene jeden denkbaren Vorgang eins zu eins regulieren wollen. Sie haben sich vielmehr die Fähigkeit erarbeitet - das geht bis hinunter zu den Entscheidungsbehörden -, die lokalen Gegebenheiten zu berücksichtigen.
Auch zu folgendem Punkt müssen Sie sich einmal eine Meinung bilden: Man kann nicht reformieren und gleichzeitig alles so lassen wollen, wie es zur Zeit ist. Sie wollen nichts an dem ändern, was heute besteht, aber Sie wollen alles erneuern und alles integrativ machen. Dazu kann ich nur sagen: Viel Spaß!

(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Deshalb ist Herr Schütz ja auch gegangen!)

Ich warte auf Ihre Vorschläge für die untergesetzlichen Regelwerke. Das wird eine schwierige Aufgabe werden. Es ist eine Aufgabe, der wir uns natürlich stellen müssen. Denn es gibt ja nicht einen einzigen Grund dafür, warum die Reinhaltung der Luft an vielen Stellen in viel höherem Maße als der Bodenschutz untergesetzlich geregelt ist oder warum es im Wasserhaushaltsgesetz ganz andere Vorstellungen vom Stand der Technik gibt als in den Gesetzen für den Luftbereich. Das muß harmonisiert werden. Aber wer meint, er brauche es nur auf eine Art und Weise zu harmonisieren und müsse am Bestehenden nichts ändern, wird in die Irre gehen. Deshalb biete ich Ihnen an: Am Beispiel der integrierten Vorhabengenehmigung können wir alle miteinander bei der Umsetzung der IVU- und der UVP-Richtlinie versuchen, herauszufinden, wie denn genau eine solche Gesamtkodifikation von Umweltanliegen aussehen kann. Ich glaube, dieser Versuch ist vernünftig. Aber dann darf man nicht an jeder Stelle, an der Verfahrensvereinfachungen vorgesehen sind, gleich wieder schreien, dabei handele es sich um die Einkassierung von Bürgerrechten oder sonst etwas; man muß sich in bezug auf jede Vorschrift, in der andere und alternative Instrumente eingefügt werden, eine Meinung bilden. Im Umweltgesetzbuch sind ja auch Absprachen zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen vorgesehen; es sind neue Abgaben, völlig neue Kommissionen und neue Beteiligungsformen vorgesehen. Dazu muß man sich eine Meinung bilden. Ich glaube, wir sollten das alles nicht leichtfertig tun.

(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)


Bundesministerin Dr. Angela Merkel
Ich bin mir ganz sicher: Bereits beim Genehmigungsrecht werden wir in diesem Umweltgesetzbuch I dazu gelangen - wir werden den Entwurf ja in den nächsten Monaten vorlegen und wollen ihn noch im Sommer im Kabinett beraten -, daß nach einer Anpassungszeit ein vereinfachter Vollzug möglich wird - und das, ohne Standards in der Umweltpolitik aufzugeben. Genau das brauchen wir.
Frau Hustedt, besonders hübsch ist Ihr Satz, daß es in Deutschland Vollzugsdefizite gebe. Dazu sage ich: Für den Vollzug ist der Bund an fast keiner Stelle zuständig. Wenn Sie dort Defizite feststellen, dann müssen Sie einmal mit Ihren Umweltministern in den Ländern sprechen. Ich weiß nicht, was das mit der Bundesregierung zu tun hat.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Da hat sie ja auch recht! Völlig recht!)

Das ist ja eines der Themen in der Umweltpolitik, daß der Vollzug auf einer anderen Ebene stattfindet und daß wir im Bund meistens Rahmengesetze erlassen oder daß wir es mit der konkurrierenden Gesetzgebung zu tun haben. Wir müssen also schauen, wer für den Vollzug verantwortlich ist.
Der Vollzug muß so vonstatten gehen - das hat ja die Umweltpolitik in den letzten Jahren zum Teil in Mißkredit gebracht -, daß Genehmigungsverfahren nicht als Blockadeinstrumente benutzt werden, sondern daß die Genehmigungsverfahren in dem Sinne angewendet werden, wie sie gemeint sind, so daß Arbeitsplätze entstehen können und mehr Umweltschutz möglich ist. Wir haben hier Gott sei Dank in den letzten Jahren wirklich einige Verbesserungen erzielt.
Bessere Überschaubarkeit, ein einheitliches Leitbild, ein beständiger Rahmen, der die kurzlebigen Elemente der Diskussionen herausfiltert, und Modellcharakter auf internationaler Ebene: Alles das kann ein Umweltgesetzbuch leisten. Ich glaube, wir sind uns im übrigen auch mit der Kommission darin einig, daß es richtig ist, das jetzt schon zu beginnen und nicht alles mit einem Paukenschlag auf einmal in Gang setzen zu wollen - wofür man dann vielleicht 30 Jahre braucht. Davon hätten wir gar nichts. Ich befinde mich hier auch in Übereinstimmung mit der Umweltministerkonferenz, die im Juni 1997 in Jena getagt hat. Insofern bin ich der Meinung, daß wir hier auf einem guten Weg sind.
Nun ist die Frage gewesen: Wie gehen wir mit der neuen Situation um? Was sagt uns die nachhaltige Entwicklung auch im Blick auf die Frage: Wie weit haben wir unsere Ziele erreicht, wie weit sind wir von den Zielen entfernt? Wie können wir das messen, und welche Rolle kann hier die umweltökonomische Gesamtrechnung spielen?
Meine Damen und Herren, ich glaube natürlich, daß es für die gesamte Gesellschaft und für die Akzeptanz der Umweltpolitik von größter Bedeutung wäre, wenn es uns besser gelänge, unsere Erfolge in der Umweltpolitik zu messen.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Wenn wir uns hier gegenseitig zuhören, haben wir oft doch den Eindruck, wir hätten fast nichts erreicht. Aber wir alle wissen natürlich - und Sie sagen es ja auch, wenn Sie draußen sind -, daß wir in Deutschland eine Menge erreicht haben, was ja nicht heißt, daß wir nicht weiterhin noch vieles erreichen müssen. Aber daß die Flüsse sauberer geworden sind, daß die Luft sauberer geworden ist und vieles andere in Gang gekommen ist, das ist doch vollkommen klar.
Herr Piëch ist hier heute schon zitiert worden. Ich habe von ihm in letzter Zeit gelesen, daß Anfang 1999 das erste Dreiliterauto auf dem Markt sein wird. Wenn es dann noch etwas besser und beständiger fährt als das von Greenpeace, dann ist doch etwas gewonnen.

(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Es muß aber gekauft werden!)

Da brauchen wir doch nicht herumzuschreien, die Wirtschaft sei dagegen und versuche, alles zu verhindern. Nur die Wirtschaft wird viele Lösungen überhaupt durchsetzen können. Und den Fortschritt auf diesem Gebiet müssen wir messen, müssen wir den Bürgern auch verdeutlichen. Wenn wir Jahr für Jahr zum Beispiel den durchschnittlichen Benzinverbrauch von Autos verringern, dann kann man zwar sagen, es gehe nicht schnell genug, aber es geht doch auf jeden Fall in die richtige Richtung. Das muß man den Bürgern auch einmal sagen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Lassen Sie mich ein zweites sagen. Es gibt eine absurde Diskussion, auf der einen Seite theoretisch über das Verursacherprinzip und auf der anderen Seite über die Gebührenfrage. Wir alle beeilen uns ein bißchen, zu erklären, es sei doch eigentlich sehr unschön, daß es in den letzten 20 Jahren immer teurer geworden ist, mit dem Abfall und den Abwässern umzugehen. Nun mag es ja an mancher Stelle in der Realisierung auch etwas hanebüchene Lösungen geben. Aber im Grundsatz konnte doch niemand von uns erwarten, daß mit der Durchsetzung des Verursacherprinzips im privaten Verbrauch die Dinge billiger würden. Ich wundere mich, daß wir dies nicht einmal gemeinsam feststellen und sagen können: Genau die Gebühren sind ein Element, das die Menschen dazu anhalten wird, weniger Wasser zu verbrauchen, weniger Abwasser und weniger Müll zu erzeugen.

(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Genauso wäre es bei der Mineralölsteuer!)

- Ich bin jetzt gerade bei einem anderen Thema; nun kommen Sie doch nicht immer mit diesem einen!

(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU], zu Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN] gewandt: Nun sagen Sie doch erst mal ja zu diesem!)

- Lassen Sie sich doch erst einmal auf das ein, worüber ich spreche, und sagen Sie ja! Laufen Sie nicht
durch die Landschaft und sagen anschließend, es sei

Bundesministerin Dr. Angela Merkel
völlig unverständlich, wie dies und jenes entstanden sei. Das Verursacherprinzip bedeutet marktwirtschaftliche Wirkungen. Und das bedeutet: Die Preise steigen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abgeordneten Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Daß wir anschließend aufgefordert sind, dies so zu gestalten, daß es möglichst nicht hohe Preise sind und die Bürger gepeinigt werden, sondern so, daß man die Umweltstandards mit möglichst niedrigen Preisen erreicht - immer voraussetzend, daß sie trotzdem steigen müssen, damit die Standards höher werden -, dann sind wir schon auf einem guten Weg.
Wenn wir dies den Bürgern sagen, dann müssen wir natürlich insgesamt auch erklären, worum es uns bei der Durchsetzung des Leitbildes der nachhaltigen Entwicklung geht. Dazu brauchen wir die Indikatoren, wie es so populär ausgedrückt wird. Das ist wieder ein Wort, mit dem man zu Hause keinen vom Stuhl reißt, weil es auch keiner versteht. Diese Indikatoren sind im Grunde typische Merkmale, Eigenschaften, mit deren Hilfe wir sagen können, ob wir auf dem Weg zur nachhaltigen Entwicklung vorangekommen sind oder nicht. Deutschland hat sich an einer internationalen Testphase zur Entwicklung solcher Nachhaltigkeitsindikatoren beteiligt. Wir werden solche Indikatoren auch vorschlagen und gemeinsam mit dem Beirat für die umweltökonomische Gesamtrechnung genau daran auch weiterarbeiten.
Bei der umweltökonomischen Gesamtrechnung gibt es nun - wie überall - einige Gefahren. Eine Gefahr ist, daß wir versuchen, alle Daten zu ordnen, sie alle zu bündeln und dann sozusagen ein Kompendium zu haben, fast einen Datenfriedhof, bei dem zum Schluß keiner erkennen kann, ob es nun vorwärts oder rückwärts gegangen ist oder was überhaupt los ist.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1322214000
Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Matschie?

Dr. Angela Merkel (CDU):
Rede ID: ID1322214100
Ja. Ich wollte zwar gerade noch einen Satz sagen, aber machen Sie mal!

Christoph Matschie (SPD):
Rede ID: ID1322214200
Frau Ministerin, was halten Sie denn von der Forderung des Sachverständigenrates für Umweltfragen, die Entwicklung dieser Umweltindikatoren mit Zielen und Umweltqualitätsmerkmalen in einem gemeinsamen Konzept zu verbinden? Bisher hapert es daran ja offensichtlich.

Dr. Angela Merkel (CDU):
Rede ID: ID1322214300
Davon halte ich sehr viel. Ich bin der Meinung, daß wir mittel- und langfristige Ziele brauchen, wie das bei den CO2-Emissionen, wie das bei der Reduktion von Schwefel und bei vielem anderen der Fall ist. Wir brauchen quantifizierbare, zum Teil auch qualitative Ziele. Genau aus diesem Grunde hatte ich den Schritte-Prozeß hin zu einer nachhaltigen Entwicklung eingeleitet.
Wir werden im April ein Schwerpunktprogramm vorlegen - und dies im Mai öffentlich diskutieren -, in dem solche mittelfristigen Ziele für viele wichtige Bereiche der Umweltpolitik festgeschrieben werden. Aus diesen Zielvorstellungen, die wir für wichtig halten, müssen wir die Indikatoren ableiten bzw. - umgekehrt - die Indikatoren müssen zu solchen Zielvorstellungen führen. Das Ganze muß in ein geschlossenes Konzept eingebunden werden, auf Grund dessen zum Schluß nachprüfbar ist: Wie weit sind wir gemäß unseren Vorstellungen von der nachhaltigen Entwicklung vorangekommen?
Die Argumentation erschließt sich also für mich. Nur, diese Forderung hat der Sachverständigenrat schon einige Zeit vorgetragen, seit ungefähr zwei Jahren. Die Umsetzung dessen ist natürlich nicht innerhalb von drei Monaten zu machen. Wir sind auf dem Weg, und ich fühle mich vom Sachverständigenrat bestätigt und ermutigt.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Birgit Homburger [F.D.P.])

Da Sie gerade noch einmal auf den Sachverständigenrat zu sprechen gekommen sind: Wir sollten das schon alles ernst nehmen, Herr Müller. Nur, wenn man sich die Vorschläge ansieht, stellt man fest, daß jeder sein Fett abbekommt. Wenn sich der Bundesrat an die Vorstellungen des Sachverständigenrates hinsichtlich einer konsistenten Abfallpolitik halten will, muß er seine Haltung aber dramatisch ändern, ehe eine Mehrheit für das zustande kommt, was uns der Sachverständige Professor Ewers vorschlägt. Wahrscheinlich liegt meine Meinung bei manchem näher dran als Ihre, so wie in anderen Punkten manche Vorschläge von Ihnen dem nahekommen.
Ich kann nur sagen: Lassen Sie uns das nicht parteipolitisch ausschlachten! Da kommen Sie genausowenig weiter wie wir. Lassen Sie uns über die sinnvollen Vorschläge reden und nicht alles immer mit hämischem Gelächter quittieren, wenn man meint, man habe einen großen Sieg davongetragen. Das hilft der Umweltpolitik überhaupt nicht.
Wir stehen vor Paradigmenwechseln in der Umweltpolitik und müssen an manches ganz neu herangehen. Darüber muß diskutiert werden. Deshalb sage ich noch einmal: Die Indikatoren sind, verbunden mit quantifizierbaren Zielen, ein wichtiges Element. Wenn das für 10, 15 Jahre vorgegeben ist, ist die Wirtschaft in der Lage, sich darauf einzustellen und die entsprechenden Maßnahmen zu ergreifen. Wir haben das gerade an der Diskussion über die Normen für das Benzin der Zukunft gesehen: Natürlich hat man zum Teil den Eindruck, Teile der Wirtschaft sind nicht so scharf darauf, schon heute die Vorgaben für das Jahr 2005 zu kennen. Aber wir sind gemeinsam auf einem guten Weg. Wenn die Automobilindustrie selbst benzolarmes, schwefelarmes Benzin fordert, um die verbrauchsärmeren Autos bauen zu können, dann ist das doch in Ordnung.
Wer glaubt, in bezug auf die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung reiche es, zum Bruttosozialprodukt



Bundesministerin Dr. Angela Merkel
eine weitere Größe zu addieren, um das Ökosozialprodukt zu bekommen, der bringt unzulässige Vereinfachungen vor. Auch darin sind wir uns, so denke ich, einig: Das Bruttosozialprodukt hat einen großen Charme entwickelt, weil es sich um eine Größe handelt, die es uns erlaubt, zu erkennen, ob die Gesellschaft in einer bestimmten Richtung vorangekommen ist. Rückblickend sage ich: Wahrscheinlich gab es auch damals viele Wissenschaftler, die noch das eine oder andere aufnehmen wollten. Wenn man sich überlegt, wie das Bruttosozialprodukt statistisch zustande kommt, dann stellt man fest, daß durchaus fraglich ist, ob alle neuen Dienstleistungsbereiche, ob alle neuen Beschäftigungsstrukturen schon adäquat in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung berücksichtigt sind.

(Dr. Renate Hellwig [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

Aus diesem Grunde sage ich: Das Vorhaben, einen Umweltindex, der aus einigen wenigen Größen besteht, zu schaffen, hat schon seinen Charme. Denn wenn er mit den für die deutsche Gefechtslage wesentlichen Größen ausgestattet ist und man sich ihn Jahr für Jahr anschaut, dann kann man - wenn man weiß, daß es sich um Vereinfachungen handelt - erkennen, ob wir auf dem Weg zur nachhaltigen Entwicklung vorankommen. Mir schwebt die Schaffung eines solchen Umweltindexes vor, als Teil eines Programms, das sich mit den Zielen und Schwerpunkten der Umweltpolitik befaßt, um dann die Erfolge messen zu können.
Wenn wir den Bürgern in ihrem Engagement für den Umweltschutz - viele sind begeistert, und viele machen sich Sorgen um die Zukunft - ab und zu einmal belegen könnten, daß wir vorangekommen sind, dann würde die Freude an der Umweltpolitik nicht nur in diesem Parlament groß sein, dann würde auch außerhalb dieses Parlamentes der Spaß an der Umweltpolitik noch größer werden.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1322214400
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/10022. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt worden.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/10021. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Auch dieser Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der gesamten Opposition abgelehnt worden.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 13/10010 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie
damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Jetzt rufe ich die Tagesordnungspunkte 17 a bis 171 und die Zusatzpunkte 8a bis 8e auf:
17. Überweisungen im vereinfachten Verfahren
a) Erste Beratung von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 13. Mai 1997 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Kirgisischen Republik über den Luftverkehr
- Drucksache 13/9852 —
Überweisungsvorschlag :
Ausschuß für Verkehr (federführend) Finanzausschuß
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 5. September 1996 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung von Macau über den Luftverkehr
- Drucksache 13/9853 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Verkehr (federführend) Finanzausschuß
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 17. Februar 1997 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Litauen über den Luftverkehr
- Drucksache 13/9854 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Verkehr (federführend) Finanzausschuß
d) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anderung des Zuordnungsrechtes
- Drucksache 13/9719 —
Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuß
e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Bundesrechtsanwaltsordnung, der Patentanwaltsordnung und anderer Gesetze
- Drucksache 13/9820 —
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß (federführend) Finanzausschuß
f) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung von Verbrauchsteuergesetzen
- Drucksache 13/9956 -


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1322214500

Finanzausschuß (federführend)

Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
g) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Staatsziel „Tierschutz")

- Drucksache 13/9723 —
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß (federführend)

Innenausschuß
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Achim Großmann, Dieter Maaß (Herne), Walter Schöler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Finanzielles Engagement von Genossenschaftsmitgliedern fördern
- Drucksache 13/5560 —
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuß (federführend)

Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
i) Beratung des Antrags der Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk, Elisabeth Altmann (Pommelsbrunn), Matthias Berninger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Ausbildungsreform in den Pflegeberufen - Drucksache 13/7418 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (federführend)

Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
j) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Edith Niehuis, Anke Eymer, Dr. Marliese Dobberthien und weiterer Abgeordneter
Umsetzung der Aktionsplattform der Vierten Weltfrauenkonferenz in internationalen Konferenzen überprüfen
- Drucksache 13/9483 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (federführend)

Auswärtiger Ausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union
k) Beratung des Antrags der Abgeordneten Adelheit Tröscher, Dr. R. Werner Schuster,
Ingrid Matthäus-Maier, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Weiterentwicklung des Zentrums für Internationale Zusammenarbeit Bonn
- Drucksache 13/9769 -Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
1) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike Höfken, Steffi Lemke, Halo Saibold und der Fraktion BÜNDNIS /DIE GRÜNEN
Verbesserungen beim Transport von Schlachttieren in Europa
- Drucksache 13/9828 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (federführend)

Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuß für Verkehr
ZP8 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 29. November 1996 über den Beitritt der Republik Österreich, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden zu dem Übereinkommen von 1980 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht sowie zu dem Ersten und dem Zweiten Protokoll über die Auslegung des Übereinkommens durch den Gerichtshof
- Drucksache 13/9954 —
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß (federführend)

Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 29. November 1996 über den Beitritt der Republik Österreich, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden zum Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen sowie zum Protokoll betreffend die Auslegung dieses Übereinkommens durch den Gerichtshof
- Drucksache 13/9955 —
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß (federführend)

Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Winfried Pinger, Detlef Helling, Jochen Feilcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeord-

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
neten Roland Kohn, Dr. Irmgard Schwaetzer und der Fraktion der F.D.P.
Weiterentwicklung des Zentrums für inter-
nationale Zusammenarbeit in Bonn
- Drucksache 13/10 018 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Rolf Olderog, Klaus Riegert, Dr. Klaus W. Lippold, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Olaf Feldmann, Birgit Homburger, und der Fraktion der F.D.P.
Sporttourismus, neuartige Sportaktivitäten und Umweltschutz
- Drucksache 13/10 017 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus (federführend)

Innenausschuß
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Christa Lörcher, Arne Fuhrmann, Lisa Seuster, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Bundeseinheitliche Regelung einer qualifizierten Altenpflegeausbildung
- Drucksache 13/10 016 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (federführend)

Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Gesundheit
Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen.
Die Federführung bei dem Antrag der Fraktion der SPD zur Förderung des finanziellen Engagements von Genossenschaftsmitgliedern auf Drucksache 13/ 5560 - das ist der Tagesordnungspunkt 17h - soll beim Finanzausschuß liegen. Sind Sie einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind auch diese Überweisungen so beschlossen.
Wir kommen nun zur Beschlußfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Das sind eine ganze Reihe von Abstimmungen.
Tagesordnungspunkt 18 a:
Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Rezzo Schlauch, Volker Beck (Köln), Gerald Häfner, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung der Begrenzung des aktiven Wahlrechts für Deutsche, die nicht in den Gebieten der Mitgliedstaaten des Europarates leben
- Drucksache 13/7864 - (Erste Beratung 181. Sitzung)

Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuß)

- Drucksache 13/9686 - Berichterstattung:
Abgeordnete Michael Teiser
Dieter Wiefelspütz Rezzo Schlauch Dr. Max Stadler Ulla Jelpke
Ich bitte die, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, von Bündnis 90/ Die Grünen und der PDS gegen die Stimmen der SPD angenommen worden.
Dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte die, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, von Bündnis 90/Die Grünen und der PDS gegen die Stimmen der SPD angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 18 b:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Erdölbevorratungsgesetzes
- Drucksache 13/9530 -(Erste Beratung 213. Sitzung)

Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft (9. Ausschuß)

- Drucksache 13/9830 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Paul K. Friedhoff
Der Ausschuß für Wirtschaft empfiehlt auf Drucksache 13/9830, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte die, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD ohne Gegenstimmen bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und der PDS angenommen worden.
Dritte Beratung und Schlußabstimmung:
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Stimmt doch jemand dagegen? - Das ist nicht der Fall. Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit mit dem eben festgestellten Stimmenverhältnis angenommen worden.

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Tagesordnungspunkt 18 c:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesrepublik eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Bundeswasserstraßengesetzes
- Drucksache 13/7955 -(Erste Beratung 188. Sitzung)

Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr (15. Ausschuß)

- Drucksache 13/9995 - Berichterstattung:
Abgeordnete Renate Blank
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der SPD und der PDS gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden.
Dritte Beratung und Schlußabstimmung:
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen?
- Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der SPD und der PDS gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen ohne Enthaltungen angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 18 d:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Agrarstatistikgesetzes und anderer Gesetze
- Drucksache 13/9110 -(Erste Beratung 210. Sitzung)

Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (10. Ausschuß)

- Drucksache 13/9940 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Matthias Weisheit
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und des Bündnisses 90/Die Grünen bei Enthaltung von SPD und PDS ohne Gegenstimmen angenommen worden.
Dritte Beratung und Schlußabstimmung:
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen?
- Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und des Bündnisses 90/Die Grünen bei Enthaltung von SPD und PDS angenommen worden.
Tagesordnungspunkte 18 e bis 18j:
e) Beratung und Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Haushaltsführung 1997
Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 11 13 Titel 646 12
- Erstattung von Invalidenrenten und Aufwendungen für Pflichtbeitragszeiten bei Erwerbsunfähigkeit in den neuen Ländern (einschließlich ehemaliges Ost-Berlin) -
- Drucksachen 13/9263, 13/9461 Nr. 3, 13/9800 -Berichterstattung:
Abgeordnete Karl Diller Hans-Joachim Fuchtel Antje Hermenau
Ina Albowitz
f) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Haushaltsführung 1997
Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 10 02 Titel 656 51
- Zuschüsse zur Alterssicherung der Landwirte -
- Drucksachen 13/9333, 13/9461 Nr. 7, 13/ 9801 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Carl-Detlev Frhr. von Hammerstein
Jürgen Koppelin
Ilse Janz
Kristin Heyne
g) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Haushaltsführung 1997
Überplanmäßige Ausgabe bei Kapital 25 02 Titel 642 01
- Wohngeld nach dem Wohngeldgesetz -
- Drucksachen 13/9277, 13/9461 Nr. 6, 13/ 9802 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dieter Pützhofen
Jürgen Koppelin Dr. Rolf Niese
Oswald Metzger
h) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Haushaltsführung 1997

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Weitere überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 25 02 Titel 893 01
- Prämien nach dem Wohnungsbau-Prämiengesetz -
- Drucksachen 13/9276, 13/9461 Nr. 5, 13/ 9803 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dieter Pützhofen
Jürgen Koppelin Dr. Rolf Niese
Oswald Metzger
i) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Haushaltsführung 1997
Weitere überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 25 02 Titel 893 01
- Prämien nach dem Wohnungsbau-Prämiengesetz
- Drucksachen 13/9568, 13/9669 Nr. 1.3, 13/ 9804 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dieter Pützhofen
Jürgen Koppelin Dr. Rolf Niese
Oswald Metzger
j) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Haushaltsführung 1997
Weitere überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 25 02 Titel 893 01
- Prämien nach dem Wohnungsbau-Prämiengesetz
- Drucksachen 13/9569, 13/9669 Nr. 1.4, 13/ 9805 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dieter Pützhofen
Jürgen Koppelin Dr. Rolf Niese
Oswald Metzger
Der Ausschuß empfiehlt jeweils Kenntnisnahme. Wer stimmt für diese sechs Beschlußempfehlungen? - Gibt es Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit sind die Beschlußempfehlungen mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 18 k:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr (15. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über Flughafengebühren
- Drucksachen 13/8615 Nr. 2.35, 13/10 006 -Berichterstattung:
Abgeordneter Michael Jung (Limburg)

Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Auch diese Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 181:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr (15. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Memorandum der Kommission
Anwendung der Wettbewerbsregeln auf den Luftverkehr
Vorschlag für eine Verordnung (EG) des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr.3975/87 über die Einzelheiten der Anwendung der Wettbewerbsregeln auf Luftfahrtunternehmen
Vorschlag für eine Verordnung (EG) des Rates zur Anwendung von Artikel 85 Absatz 3 EG-Vertrag auf bestimmte Gruppen von Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen im Luftverkehr zwischen der Gemeinschaft und Dritten Ländern
- Drucksachen 13/8508 Nr. 2.29, 13/10 007 -Berichterstattung:
Abgeordneter Claus-Peter Grotz
Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Auch diese Beschlußempfehlung ist vom ganzen Haus angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 18 m:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr (15. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über Zulassungsdokumente für Kraftfahrzeuge und Kraftfahrzeuganhänger
- Drucksachen 13/8508 Nr. 2.21, 13/10 008 -Berichterstattung:
Abgeordneter Manfred Heise
Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Auch diese Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 18 n:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr (15. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 95/21/EG des Rates zur Durchsetzung internationaler Normen für die Schiffssicherheit, die Verhütung von Verschmutzung und die Lebens- und Arbeitsbedingungen an Bord von Schiffen, die Gemein-

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
schaftshäfen anlaufen und in Hoheitsgewässern der Mitgliedstaaten fahren (Hafenstaatkontrolle)

- Drucksachen 13/8615 Nr. 2.98, 13/10009- Berichterstattung:
Abgeordneter Konrad Kunick
Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Auch diese Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 18 0:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuß)

Sammelübersicht 297 zu Petitionen
- Drucksache 13/9877 -
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 297 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 18 p:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuß)

Sammelübersicht 298 zu Petitionen
- Drucksache 13/9878-
Werstimmtdafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 298 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD angenommen worden. Bündnis 90/Die Grünen und PDS haben sich enthalten. Es gab keine Gegenstimmen.
Tagesordnungspunkt 18 q:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuß)

Sammelübersicht 299 zu Petitionen
- Drucksache 13/9879 -
Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 299 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen der PDS bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 18 r:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuß)

Sammelübersicht 300 zu Petitionen
- Drucksache 13/9880 -
Hierzu liegt eine schriftliche Erklärung der Abgeordneten Maritta Böttcher vor, der sich sechs weitere Abgeordnete aus dem Kreis der PDS angeschlossen haben. Die nehmen wir zu Protokoll.*)
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 300 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die
*) Anlage 9
Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 18 s:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuß)

Sammelübersicht 301 zu Petitionen
- Drucksache 13/9881 -
Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 301 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 18 t:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuß)

Sammelübersicht 302 zu Petitionen
- Drucksache 13/9882 -
Hier liegt eine schriftliche Erklärung zur Abstimmung der Abgeordneten Lüth vor, der sich die Abgeordnete Fuchs angeschlossen hat. Die nehmen wir zu Protokoll.*)
Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 302 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 18 u:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuß)

Sammelübersicht 303 zu Petitionen
- Drucksache 13/9883 -
Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 303 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und SPD angenommen worden. Die PDS hat sich enthalten.
Tagesordnungspunkt 18v:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuß)

Sammelübersicht 304 zu Petitionen
- Drucksache 13/9884 -
Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 304 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 18 w:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuß)

Sammelübersicht 305 zu Petitionen
- Drucksache 13/9885 -
*) Anlage 10

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Angemeldet worden ist eine persönliche mündliche Erklärung. Bitte schön, Frau Luft, Sie haben das Wort.

Dr. Christa Luft (PDS):
Rede ID: ID1322214600
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Erlauben Sie mir, nach § 31 unserer Geschäftsordnung eine Erklärung zu meinem Abstimmungsverhalten abzugeben. Diese Erklärung betrifft eine Petition, die der Petitionsausschuß empfiehlt abzuschließen. Diese Petition bezieht sich auf die im Einigungsvertrag vom 31. August 1990 in Art. 25 Abs. 6 für die Sparerinnen und Sparer der DDR vorgesehene Erstattung der bei der Währungsumstellung 2 : 1 reduzierten Beträge.
Ich erkläre zu meinem Abstimmungsverhalten folgendes: Ich kann der vorliegenden Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses erstens deshalb nicht zustimmen, weil die Bundesregierung zu keinem Zeitpunkt bereit war, überhaupt eine Bestandsaufnahme des volkseigenen Vermögens vorzunehmen. Dies hat sie uns in einer Antwort auf unsere Anfrage auch schriftlich bestätigt.
Gerade von einer solchen Bestandsaufnahme aber war im Einigungsvertrag die Möglichkeit der Einräumung von Anteilsrechten der Sparerinnen und Sparer am volkseigenen Vermögen abhängig gemacht worden. Es geht hier durchaus nicht nur um das von der Treuhand verwaltete Vermögen. Darüber gibt es ja eine Eröffnungsbilanz und eine Schlußbilanz.
Es geht auch um die Banken der DDR, das Vermögen der Nationalen Volksarmee, das Verwaltungsvermögen. Es geht um noch über Jahrzehnte abzuwikkelnde Forderungen von Außenhandelsbetrieben der DDR und das Auslandsvermögen.

(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Es geht um das Vermögen, das ihr von der PDS denen vorenthalten habt! Um das Vermögen geht es! Sprecht das einmal aus!)

- Damit ist doch eine Kommission befaßt; das ist heute nicht das Thema.
Ich kann der Beschlußempfehlung zweitens nicht folgen, weil die Sparerinnen und Sparer, denen laut Einigungsvertrag unter bestimmten Bedingungen eine Erstattung ihrer reduzierten Umtauschbeträge in Aussicht gestellt worden ist, nicht für die Privatisierungspolitik der Treuhand in Regreß genommen werden dürfen. Die Treuhand hat eine Schlußbilanz vorgelegt, die die Ertragsfähigkeit des volkseigenen Vermögens bei weitem nicht widerspiegelt.

(Walter Hirche [F.D.P.]: 2000 Milliarden Mark Schulden! - Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Die Leute in der DDR waren fleißig, und ihr habt sie abkassiert!)

-2000 Milliarden Mark Schulden: 2,2 Billionen DM betragen die Schulden der Bundesrepublik Deutschland.
Drittens stimme ich der Beschlußempfehlung nicht zu, weil ich nicht erkennen kann, weshalb ostdeutsches Eigentum in Form von gespartem Geldvermögen vom Grundgesetz her weniger schützenswert sein soll als das Grundvermögen zum Beispiel von Alteigentümern.

(Vorsitz : Vizepräsident Hans-Ulrich Klose)

Schließlich stimme ich gegen die Beschlußempfehlung, weil selbst die Möglichkeit einer teilweisen Erstattung des bei der Währungsunion 1990 im Verhältnis 2 : 1 reduzierten Betrages für die älteren Bürgerinnen und Bürger sowie für Alleinerziehende und Invalidenrentnerinnen und Invalidenrentner nicht in Erwägung gezogen worden ist. Einen entsprechenden Gesetzentwurf hatte die PDS am 21. Mai 1995 hier vorgelegt. Er ist abgelehnt worden.
Das sind meine Gründe für die Ablehnung dieser Beschlußempfehlung.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der PDS)


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1322214700
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Sammelübersicht 305 auf Drucksache 13/9885. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 305 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, des Bündnisses 90/Die Grünen und der SPD gegen die Stimmen der PDS angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 18x auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuß)

Sammelübersicht 306 zu Petitionen - Drucksache 13/9886 -
Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Sammelübersicht 306 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen des Bündnisses 90/Die Grünen und der PDS angenommen.
Ich rufe nun Zusatzpunkt 9 auf:
Weitere abschließende Beratung ohne Aussprache

(Ergänzung zu TOP 18)

Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/ CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P.
Verhandlungen über ein internationales Abkommen für umweltverträglichen Tourismus
- Drucksache 13/10 024 -
Wer stimmt für den Antrag auf Drucksache 13/ 10024? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist einstimmig angenommen.
Dann rufe ich die Tagesordnungspunkte 8 a bis 8 c auf:
a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Amke Dietert-Scheuer, Kerstin Müller

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose

(Köln), Christa Nickels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Schutz verfolgter Frauen
- Drucksachen 13/8217, 13/9715 -
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (13. Ausschuß)

- zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
- zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Christel Hanewinckel, Anni Brandt-Elsweier, Dr. Marliese Dobberthien, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
- zu dem Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung über die 4. Weltfrauenkonferenz (4. WFK) vom 4. bis 15. September 1995 in Peking
- zu dem Antrag der Abgeordneten Maria Eichhorn, Bärbel Sothmann, Renate Diemers und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und der Fraktion der F.D.P.
Gleichberechtigung verwirklichen - Nationale Strategien nach der Vierten Weltfrauenkonferenz
- Drucksachen 13/6736, 13/7072, 13/7096, 13/ 7057, 13/8118 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Rita Grießhaber Christel Hanewinckel
Heidemarie Lüth
Bärbel Sothmann
c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuß)

- zu dem Antrag der Abgeordneten Rudolf Bindig, Volker Neumann (Bramsche), Ulla Schmidt (Aachen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Wiederherstellung der Menschenrechte - insbesondere der Rechte von Frauen - in Afghanistan
- zu dem Antrag der Abgeordneten Rita Grießhaber, Waltraud Schoppe, Gila Altmann (Aurich), weiterer Abgeordneter und Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Die Menschenrechte von Frauen in Afghanistan wiederherstellen
- Drucksachen 13/5968, 13/5958, 13/9831 - Berichterstattung:
Abgeordnete Willy Wimmer (Neuss)

Dr. Elke Leonhard Waltraud Schoppe Dr. Irmgard Schwaetzer
Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Widerspruch höre ich nicht. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Amke Dietert-Scheuer, Bündnis 90/Die Grünen.

Amke Dietert-Scheuer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1322214800
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Menschenrechtsverletzungen und Diskriminierungen von Frauen sind weltweit immer mehr in das öffentliche Bewußtsein gerückt. Das ist gut so und hat auch zu zahlreichen Aktivitäten im Rahmen der Vereinten Nationen geführt, zum Beispiel zur Weltfrauenkonferenz von Peking mit ihrer Abschlußerklärung und zur Einsetzung einer UN-Sonderberichterstatterin für Gewalt gegen Frauen.
Für die verabschiedeten Konventionen zum Schutz von Frauen fehlen jedoch die Durchsetzungsmechanismen. Es stehen keinerlei Beschwerde- und Untersuchungsverfahren zur Verfügung. Wir fordern daher die Bundesregierung auf, sich für Verbesserungen einzusetzen, insbesondere für die baldige Verabschiedung des Fakultativprotokolls zur UN-Frauenrechtskonvention.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)

Zum diesjährigen Weltfrauentag wird international besonders die Lage der Frauen in Afghanistan in den Mittelpunkt gestellt. Unsere Fraktion hatte bereits im Herbst 1996 einen Antrag zu Menschenrechtsverletzungen an Frauen in Afghanistan eingebracht. Wir freuen uns, daß daraus ein interfraktioneller Antrag entstanden ist, den wir heute gemeinsam verabschieden werden.
Es reicht jedoch nicht aus, die Menschenrechtsverletzungen an Frauen in aller Welt zu beklagen. Wir müssen auch hier bei uns die Verantwortung wahrnehmen und verfolgten und bedrohten Frauen asyl- und ausländerrechtlichen Schutz gewähren. Um die hier bestehenden Mißstände deutlich zu machen, möchte ich aus dem Ablehnungsbescheid des Bundesamtes für eine afghanische Flüchtlingsfrau, die nach der Eroberung Kabuls durch die Taliban nach Deutschland geflohen war, zitieren:
Ebenso ist die von der Antragstellerin ... vorgebrachte Unterdrückung der Frauen durch die Taliban nicht geeignet, Abschiebungshindernisse ... zu begründen. ... Vielmehr besteht diesbezüglich ein Zusammenhang mit der von den Taliban beabsichtigten Islamisierung Afghanistans. ... Soweit die Rechte der Frauen und dementsprechend auch die der Antragstellerin ... im Zuge der Islamisierung Afghanistans betroffen werden, geht dies nicht darüber hinaus, was in Afghanistan alle Frauen zu erwarten haben ...
Arbeits- und Ausbildungsverbot, Zwang, den Ganzkörperschleier zu tragen, grausame und unmenschliche Strafen und Mißhandlungen - alles Dinge, die deutsche Behörden nicht davon abhalten, eine Aus-

Amke Dietert-Scheuer
reiseaufforderung mit Abschiebungsandrohung auszusprechen.
In der Antwort auf unsere Große Anfrage „Schutz verfolgter Frauen" versucht die Bundesregierung uns zum wiederholten Male einzureden, so schlimm sei das alles gar nicht; eine „Schutzlücke zum Nachteil von Frauen" bestehe nicht. Angeblich trägt „die bestehende Rechtslage geschlechtsspezifischen Verfolgungsschicksalen von Frauen hinreichend Rechnung" und gewährleistet „die ... Asylpraxis eine ... dem Einzelfall angemessene Überprüfung frauenspezifischer Fluchtgründe". Ich frage Sie: Halten Sie es tatsächlich für „hinreichend", wenn unter dem Asylbescheid der Afghanin aus Kabul steht: Asylrecht: verweigert; Abschiebungsschutz in Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention: verweigert; Abschiebungsschutz nach dem Ausländergesetz: verweigert?
Die Bundesregierung gibt selbst zu, daß bisher geschlechtsspezifische Verfolgung nur in sehr wenigen Fällen als politische Verfolgung anerkannt wurde. Das eigentliche Problem liegt darin, daß die Verfolgung von Frauen nur dann als politisch anerkannt wird, wenn sie in politischen Aktivitäten oder sonstigen „asylrelevanten Merkmalen" der Frau begründet ist. Wenn Frauen Menschenrechtsverletzungen, Repressionen und Diskriminierungen ausgesetzt sind, einfach weil sie Frauen sind, gilt dies nicht als politische Verfolgung, nicht einmal als Abschiebungshindernis.
Diese Situation hat den Deutschen Frauenrat und Pro Asyl im vergangenen Jahr bewogen, eine Kampagne zum Schutz verfolgter Frauen zu starten. Der UNHCR geht davon aus, daß eine Schutzlücke bei Frauen besteht. Die Konferenz der Gleichstellungs- und Frauenministerinnen hat im Juni 1997 mit großer Mehrheit Beschlüsse verabschiedet, in denen sie sehr detailliert notwendige Maßnahmen zum Schutz von verfolgten Frauen einfordert. Die 1990 vom Bundestag geforderte Klarstellung, daß „wegen ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Orientierung verfolgte Frauen" in der Bundesrepublik Deutschland Aufnahme finden, ist bisher nirgendwo erfolgt. Im Gegenteil: Im Antwortschreiben aus dem Frauenministerium an den Deutschen Frauenrat und Pro Asyl heißt es ausdrücklich:
Die Bundesregierung hat mehrfach die Forderung zurückgewiesen, das Asylrecht generell auf geschlechtspezifische Verfolgung auszudehnen.

(Zuruf von der SPD: Unglaublich!)

Wir haben in unserem Entschließungsantrag aufgezeigt, welche konkreten Schritte nötig sind, um den notwendigen Schutz verfolgter Frauen zu gewährleisten. Dazu gehört unter anderem, klarzustellen, daß verfolgte Frauen auch dann als Asylberechtigte anerkannt werden, wenn die Verfolgung nicht unmittelbar vom Staat ausgeht, aber der Herkunftsstaat sie nicht schützen kann oder will; in den Verwaltungsvorschriften zum Ausländergesetz, die jetzt gerade überarbeitet werden, klarzustellen, daß Flüchtlingsschutz im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention gewährt wird; ebenso dort klarzustellen, daß verfolgten Frauen wenigstens Abschiebungsschutz nach dem Ausländergesetz gewährt wird; das Asylverfahrensgesetz so zu überarbeiten, daß es dem Bundesamt deutliche Anweisungen gibt, wie mit traumatisierten Frauen im Asylverfahren umzugehen ist.
Ich wünsche mir für diesen Antrag eine konstruktive und aufgeschlossene Debatte. Wenn wir die Beschlüsse unseres Hauses von 1990 heute noch ernst nehmen, dann müssen diesen Willenserklärungen endlich Taten folgen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich hoffe, daß wir jetzt in einem Punkt einen kleinen Schritt weiterkommen: Wir beraten derzeit einen interfraktionellen Antrag zur Ächtung der Genitalverstümmelung an Frauen und Mädchen. Wir haben interfraktionell vereinbart, in diesem Antrag auch einen asyl- und ausländerrechtlichen Schutz für verfolgte Frauen einzufordern. Das ist ein kleiner Schritt voran. Ich hoffe, daß dem noch weitere Schritte folgen werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1322214900
Das Wort hat die Kollegin Bärbel Sothmann, CDU/CSU.

Bärbel Sothmann (CDU):
Rede ID: ID1322215000
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestern hatten die Frauen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zu einem Empfang anläßlich des Internationalen Frauentags eingeladen. Die Vertreterin der Hohen Flüchtlingskommissarin der UN in Deutschland, die wir als Rednerin gewinnen konnten, hat in ihrem hochinteressanten Vortrag besonders auf das Elend von Frauen auf der Flucht hingewiesen. 80 Prozent aller Menschen, die weltweit auf der Flucht sind, sind Frauen und Kinder. Ich begrüße es sehr, daß wir auch heute im Bundestag den diesjährigen Frauentag nutzen, um über den eigenen Tellerrand hinauszublicken und auf die mißliche Lage Tausender und Abertausender Frauen in der ganzen Welt aufmerksam zu machen. Wir müssen diesen Frauen helfen; das heißt vor allem, wir müssen weltweit die Fluchtursachen bekämpfen. Wie dies geschehen kann, darüber müssen wir in ständigem Dialog mit den Vertretern und Vertreterinnen aus allen Bereichen der Gesellschaft bleiben. Besonders sind aber die Frauen selbst gefordert. Meine Kollegen werden dazu noch speziell sprechen.
Gerade die 4. Weltfrauenkonferenz hat gezeigt, wie wichtig es ist, daß sich die Frauen in der Welt zusammentun und gemeinsam für ihre Rechte kämpfen. Die Aktionsplattform von Peking, auf die sich die Teilnehmerstaaten geeinigt haben, hat uns bereits ein gutes Stück weitergebracht. Sie hat auf eindrucksvolle Weise klargestellt: Frauenrechte sind Menschenrechte, Gewalt gegen Frauen ist Menschenrechtsverletzung. Es besteht dringender Handlungsbedarf, denn Frauen haben weltweit nicht die

Bärbel Sothmann
gleichen Chancen und Rechte wie Männer. Die Probleme von Frauen in anderen Ländern unterscheiden sich nur in ihrem Ausmaß. Die Aktionsplattform nennt die Defizite und zeigt Handlungsstrategien auf, wie die Chancengleichheit von Frauen verbessert und wie Gewalt gegen Frauen wirksam bekämpft werden kann.
Meine Damen und Herren, entgegen allen Unkenrufen der Opposition haben wir in dieser Legislaturperiode für Frauen viel erreicht. Das muß hier auch einmal, wie ich meine, klar dargestellt werden:

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Zuruf von der SPD: Wir sind gespannt!)

Im Arbeitsförderungs-Reformgesetz ist die Förderung von Frauen

(Zuruf von der SPD: Die vorher herausgeflogen sind!)

nunmehr ein gesetzlich verankerter Handlungsauftrag für die Arbeitsverwaltung. Nach über 20jähriger Diskussion wurde die Vergewaltigung in der Ehe strafrechtlich endlich der Vergewaltigung durch Fremde gleichgestellt. Das ist ein Meilenstein auf dem Weg, Gewalt gegen Frauen zu bekämpfen.

(Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Ein weiterer wichtiger Schritt bei der Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen ist die Novellierung von § 19 Ausländergesetz. Ausländische Ehegatten erhalten nunmehr in außergewöhnlichen Härtefällen unabhängig von der Ehedauer ein eigenständiges Aufenthaltsrecht.

(Zuruf von der SPD: Hat lange genug gedauert!)

Mit dem Rentenreformgesetz 1999 haben wir eine bessere Anerkennung der Kindererziehungszeiten in der Rentenversicherung erreicht. Die Anerkennung erfolgt künftig auf der Basis von 100 Prozent des Durchschnittsgehaltes, und zwar additiv zu beitragsbelegten Zeiten. Bei der erst kürzlich verabschiedeten 4. Novelle des Hochschulrahmengesetzes konnten wir einen Durchbruch für Frauen an den Hochschulen erzielen, denn bei der staatlichen Finanzierung und bei der Bewertung der Arbeit der Hochschulen sind künftig auch Fortschritte bei der Erfüllung des Gleichstellungsauftrages zu berücksichtigen. Diese Erfolge in Richtung Gleichberechtigung sind beachtlich, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Aber es bleibt natürlich noch viel zu tun; denn noch immer sind bei uns in Deutschland Frauen in Führungs- und Entscheidungsgremien eine verschwindend geringe Minderheit. Es gibt nur 3 Prozent Frauen in Führungspositionen der Wirtschaft, nur 7 Prozent Frauen in Entscheidungsgremien und nur 4,8 Prozent C-4-Professorinnen. Noch immer sind Frauen auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt. Sie verdienen in vergleichbaren Positionen weniger als Männer, was sich sehr negativ auf die Rente auswirkt. Auch sind sie stärker von Arbeitslosigkeit betroffen, besonders in den neuen Bundesländern.
Noch immer obliegt in der Regel Frauen die Hausarbeit, auch wenn beide Ehepartner erwerbstätig sind. Noch immer ist Gewalt gegen Frauen bei uns weit verbreitet. Sie ist ein sichtbares Zeichen des nach wie vor großen Machtgefälles zwischen Männern und Frauen. All dies müssen wir verändern. Wir wollen eine echte Chancengleichheit, eine echte Partnerschaft zwischen Männern und Frauen.
Meine Damen und Herren, wir werden uns deshalb für weitere Verbesserungen der Situation von Frauen einsetzen. Neben den in unserem Antrag vom Juli 1997 genannten Forderungen brauchen wir dringend die Anhebung der Einkommensgrenzen beim Erziehungsgeld und weitere Schritte zu einer eigenständigen sozialen Sicherung von Frauen. Wir brauchen darüber hinaus flexiblere Arbeitszeiten und Arbeitsnormen für Frauen und Männer, und zwar auch in Führungspositionen, die Neuordnung der 620-DM-Jobs, flexiblere und bessere Kinderbetreuungsmöglichkeiten auch für Kinder unter drei Jahren, mehr Hilfen für alleinerziehende Elternteile zum Beispiel bei der Wohnungssuche, um nur einige Punkte zu nennen. Dafür müssen und werden wir weiterhin alle Hebel in Bewegung setzen.
Um Frauen eine gerechte Teilhabe und Aufgabenteilung im Beruf, in Führungspositionen, auf dem Arbeitsmarkt und in der Familie zu ermöglichen, brauchen wir auch die Mithilfe der ganzen Gesellschaft. Ohne einen tiefgreifenden Bewußtseinswandel sind frauen- und familienfreundliche Arbeitsbedingungen, ein kinderfreundliches Umfeld und eine emanzipierte, partnerschaftliche Gesellschaft nicht möglich. Der Internationale Frauentag ist wie kein anderer Gedenktag geeignet, daran zu erinnern, daß wir in unserem Kampf für die Chancengleichheit und gegen Gewalt nicht nachlassen dürfen. Der Streit um den richtigen Weg darf uns dabei nicht aufhalten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1322215100
Das Wort hat die Kollegin Dr. Edith Niehuis.

Dr. Edith Niehuis (SPD):
Rede ID: ID1322215200
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wenn ich heute an die 4. Weltfrauenkonferenz 1995 in Peking erinnere, dann habe ich - ganz anders als Sie, Frau Sothmann - das Gefühl, die Aktionsplattform, die gerade einmal vor zweieinhalb Jahren verabschiedet wurde, sei ganz schnell wieder in Vergessenheit geraten.

(Beifall bei der SPD)

Sie, Frau Ministerin Nolte, haben in Peking eine vielbeachtete Rede gehalten. Die Bundesregierung hat sich verpflichtet, die in Peking beschlossene Aktionsplattform umzusetzen. Konferenzen und Beschlüsse der Vereinten Nationen haben immer nationale und internationale Komponenten. Ich stelle mit großer Sorge fest, daß sich seit der 4. Weltfrauenkonferenz die Situation der Frauen weltweit eher verschlechtert denn verbessert hat.

(Beifall bei der SPD)


Dr. Edith Niehuis
Beispielsweise lehnte Anfang März der Rechtsausschuß in Kuwait einstimmig die Einführung des Frauenwahlrechts ab, weil es „unislawisch" sei, wenn sich Frauen an politischen Abstimmungen beteiligten oder Abgeordnete würden. Eine Israelin, Ehefrau eines jüdischen Priesters, wurde laut „Süddeutsche Zeitung" vom 3. März vom Oberrabbinat in Tel Aviv verurteilt, sich von ihrem Mann scheiden zu lassen, obwohl beide es nicht wollten. Ihr einziges Vergehen war, daß sie vergewaltigt worden war und damit den strengen Gesetzen der ehelichen Reinheit nicht mehr genügte. In Algerien werden Mädchen und Frauen, die sich unislawisch verhalten, vergewaltigt, verschleppt, verstümmelt oder ermordet.
Nach Schätzungen von UNICEF sind weltweit 130 Millionen Mädchen und Frauen an ihren Geschlechtsorganen gewaltsam verstümmelt worden. Jedes Jahr kommen 2 Millionen Mädchen als Opfer der Genitalverstümmelung dazu. Und wer meint, Genitalverstümmelung gebe es nur in den Ländern Afrikas, Asiens oder des Mittleren Ostens, der irrt. Auch in Deutschland sind etwa 20 000 Frauen betroffen. Dem Bundestag liegen seit einem halben Jahr Anträge vor, die fordern, die Genitalverstümmelung als Menschenrechtsverletzung zu ächten und Frauen und Mädchen vor diesen Gewalttaten bei uns und in den Entwicklungsländern zu schützen. Und wir können etwas tun: Verstümmelung der weiblichen Geschlechtsorgane erfüllt den Tatbestand der schweren Körperverletzung. Wir müssen es nur so ins Strafgesetzbuch schreiben.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der PDS)

Wir können Frauen helfen, wenn wir in unserem Ausländerrecht regeln, daß Flucht vor genitaler Verstümmelung als Asylgrund anerkannt wird.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

Heute, drei Tage vor dem 8. März, dem Internationalen Frauentag, ist es gelungen, sich interfraktionell auf einen gemeinsamen Antrag in diesem Sinne zu einigen. Das ist an diesem Tag eine gute Nachricht.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der PDS)

Ein besonders frauenverachtendes Regime haben die Taliban in Afghanistan aufgebaut: Die medizinische Versorgung von Frauen ist nicht sichergestellt, und von Schul- und Berufsausbildung werden Frauen ausgeschlossen. Sie untersagen Frauen die Erwerbstätigkeit. Frauen dürfen sich nicht allein in der Öffentlichkeit bewegen - und wenn, dann nur unter einer Borkha, einer Verschleierung, die weitaus schlimmer ist als das bloße Tragen eines Kopftuchs. Wenn Frauen sich diesen frauenverachtenden Regeln zu widersetzen versuchen, dann reagiert das Regime mit brutaler Gewalt. Darum begrüße ich es sehr, daß wir heute in einem gemeinsamen Beschluß die Menschenrechtsverletzungen in Afghanistan
ächten und die Wiederherstellung der Menschenrechte fordern. Das ist dringend nötig.

(Beifall im ganzen Hause)

In der gemeinsamen Beschlußempfehlung wird zu Recht nicht nur auf die 4. Weltfrauenkonferenz in Peking Bezug genommen, sondern auch auf das „Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frau". Auch Afghanistan hat dieses Übereinkommen unterzeichnet. 1981 ist es in Kraft getreten. Wir stellen aber zugleich fest, daß sich die Situation von Frauen nicht verbessert, sondern eher verschlechtert hat; die Menschenrechte werden überall auf der Welt mit Füßen getreten.
Konventionen auf UN-Ebene haben häufig einen Webfehler; denn sie tragen selten Sorge dafür, daß sie auch durchgesetzt werden müssen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Was die Frauenantidiskriminierungskonvention betrifft, gibt es seit Jahren das Bemühen, die Durchsetzung der Konvention über ein Fakultativprotokoll zu gewährleisten. Mir gefällt nicht, daß die Bundesregierung zaudert und zögert, wenn sie hier im Parlament nach ihrer Haltung zum Fakultativprotokoll befragt wird. Jetzt, im März, sind die nächsten Verhandlungen in New York. Darum fordere ich die Bundesregierung auf, sich in New York hinsichtlich der Durchsetzung der Frauenantidiskriminierungskonvention nicht in erster Linie als Bedenkenträger zu zeigen, sondern als Motor, um die Verhandlungen endlich positiv abzuschließen.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Wie diese Konvention gegen Frauendiskriminierung sollte auch die 4. Weltfrauenkonferenz Länder ermutigen, mit ihrer Politik die Lebenssituation von Frauen zu verbessern. Das gilt international, aber das gilt natürlich auch im europäischen und im nationalen Zusammenhang. Was, frage ich mich, macht eigentlich eine Frauenministerin sinnvollerweise mit einer auf der 4. Weltfrauenkonferenz beschlossenen Aktionsplattform, deren einziges Ziel es ist, die Situation von Frauen zu verbessern? Sie sollte sich von dieser beschlossenen Aktionsplattform tagtäglich den Rücken stärken lassen, um eine Politik für Frauen im eigenen Lande durchzusetzen.

(Beifall bei der SPD und der PDS sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich bedauere sehr, Frau Nolte, daß Sie als deutsche Frauenministerin diese Chance - kaum haben Sie Peking verlassen - nicht genutzt haben.
Frau Sothmann, Sie haben in diesem Zusammenhang angesprochen, daß die Vergewaltigung in der Ehe strafbar ist. Dies gesetzlich verankert zu haben ist ein großer Erfolg dieses Hauses. Aber ich erinnere mich auch, wie lange wir gebraucht haben, die unsägliche Widerspruchsklausel aus dem Gesetz her-

Dr. Edith Niehuis
auszunehmen, die Gewalt gegen Frauen mehr gefördert denn begrenzt hätte.

(Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Aber wir haben es doch geschafft!)

Ich erinnere mich - Sie haben auch § 19 des Ausländerrechts angesprochen -, daß es doch großer Mühe bedurfte, die Einjahresfrist herauszunehmen, damit sich Frauen, wenn sie mißhandelt werden, nicht ein Jahr lang mißhandeln lassen müssen. Es ärgert mich, daß wir immer wieder so lange brauchen, um auch noch das letzte Unrecht in diesem Deutschen Bundestag erfolgreich zu bekämpfen.

(Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Freut euch über den Erfolg und klagt nicht über die Mühe!)

- Die Freude wäre sehr viel größer, wenn es - auch mit Hilfe der Frauenministerin - sehr viel schneller ginge.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der PDS)

Oft war die Bundesregierung auch die treibende Kraft, wenn es darum ging, Rahmenbedingungen zu schaffen, die das Leben der Frauen eher erschwert denn erleichtert haben. In Peking hat Frau Nolte die Gleichstellung als „einen gesellschaftlichen Prozeß" bezeichnet, der „politisch unterstützt werden muß, bei dem aber auch jeder einzelne gefordert ist". Was ist seit 1995 bei uns aus dieser politischen Unterstützung geworden? Das einzige, was die Bundesregierung - mehr oder weniger sichtbar - gestartet hat, ist eine Kampagne „Initiative gefragt - Frauen gefragt". Diese Kampagne ist ein Ideenwettbewerb, mit dem Sie gute Ideen zusammenführen wollen, um, wie es heißt, der „praktischen Gleichberechtigung in unserer Gesellschaft etwas näherzukommen". Ich empfinde diesen Ideenwettbewerb als Hohn, wenn zugleich eine Politik betrieben wird, die der Gleichstellung in Deutschland immer mehr den Boden entzieht.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Die Tatsache, daß die Bundesregierung ein paar Monate nach Peking als erste Maßnahme Widerspruch gegen das „4. Aktionsprogramm der Gemeinschaft für die Chancengleichheit von Frauen und Männern" einlegte, war der Auftakt einer schwarzen Gesetzesserie, die insbesondere Frauen zum Nachteil gereichte.

(Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: In jeder Hinsicht schwarz!)

- In jeder Hinsicht. - Dann kam der schwarze Freitag, an dem das sogenannte Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung verabschiedet wurde. Auch Ihnen müßte klar sein, daß dieses Programm seit September 1996 nicht mehr Wachstum und Beschäftigung, sondern eher das Gegenteil gebracht hat.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Petra Bläss [PDS])

Angesichts Ihrer Versprechen auf der Weltfrauenkonferenz, Frau Nolte, halte ich es zudem für unverzeihlich, daß diese Bundesregierung ein Gesetz nach dem anderen verabschiedet hat, das die Frauen von vornherein zu den Verliererinnen machte. Frauen sind überproportional in Kleinbetrieben bis zu neun Beschäftigten und überproportional als Teilzeitbeschäftigte tätig. Diesen Frauen haben Sie den Kündigungsschutz genommen. Männer sind weitaus weniger davon betroffen. Für größere Betriebe haben Sie den Kündigungsschutz aufgeweicht - ebenfalls zu Lasten der Frauen. Die Folge ist, daß zum Beispiel die Frau, die Familienarbeit geleistet hat, über eine kurze Betriebszugehörigkeit verfügt und erst später ins Erwerbsleben zurückgekehrt ist, bei betriebsbedingten Kündigungen wieder die erste ist, die vor der Tür steht. Das ist doch keine sinnvolle Frauenpolitik!

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Als besonderen Erfolg haben Sie die Einschränkung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall gefeiert. Da Frauen häufiger in tarifvertraglich schwach erfaßten Bereichen arbeiten, haben sie keine Chance gehabt, daß diese gesetzlichen Regelungen über die Verhandlungen der Tarifparteien für sie zurückgenommen wurden. Das heißt: Die gesetzliche Einschränkung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall trifft Frauen voll und zumeist viel schmerzlicher als Männer, weil sie ohnehin schon ein geringeres Lohn- und Gehaltsniveau haben. Angesichts dieser Beispiele kann man sagen, daß es nach der Weltfrauenkonferenz an politischer Unterstützung in bezug auf die Gleichstellung von Frau und Mann gefehlt hat.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Politische Unterstützung wäre es gewesen, wenn Sie zum Beispiel die geringfügigen, sozialversicherungsfreien Beschäftigungsverhältnisse eingeschränkt hätten,

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

also jene Arbeitsplätze mit äußerst begrenzter sozialer Sicherheit für Frauen. Hand in Hand mit großen Handelsketten machen Sie als Bundesregierung zunehmend eine Politik, die besagt: Es reicht, wenn die erwerbstätige Frau über ihren Ehemann kranken- und rentenversichert ist. Oder um es sarkastisch auszudrücken: Sie schlagen einen politischen Weg ein, der ganz viele Frauen an einen alten Satz erinnert: Frauen sind gerade einen Ehemann von der Armut entfernt. - Das ist rückwärtsgewandte Politik und hat mit fortschrittlicher Politik gar nichts zu tun.
Leider muß ich feststellen, daß Deutschland nicht das einzige Land ist, welches Frauen zu den ersten Opfern einer sogenannten Globalisierungspolitik macht. Gerade jetzt wurde in New York von der „Women's Environment and Development Organization" eine Studie vorgelegt, die die Umsetzung der 1995 auf der Weltfrauenkonferenz in Peking beschlossenen Aktionsplattform untersucht. Darin heißt es, daß

Dr. Edith Niehuis
unter 88 Staaten 45 Prozent der Länder Sparmaßnahmen eingeleitet haben, die sich nachteilig auf die Arbeitssituation von Frauen ausgewirkt haben. Leider gehört Deutschland zu diesen 45 Prozent.
Wir reden heute schwerpunktmäßig über Gewalt gegen Frauen. Zu diesem Thema gehört unmittelbar die Frage nach den Chancen der Frauen, ein wirtschaftlich unabhängiges, selbstbestimmtes und damit selbstbewußtes Leben führen zu können. Wir wissen, daß es immer die schwächsten Glieder einer Gesellschaft sind, die am stärksten der Gewalt ausgesetzt sind. Das heißt: Wer Frauen in ihrer wirtschaftlichen Unabhängigkeit schwächt, legt den Nährboden für neue Gewalt gegen Frauen. Das ist keine gute Gleichstellungspolitik und eine schlechte Gesellschaftspolitik.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

Der Petitionsausschuß des Bundestages hat in diesen Tagen die Petitionen ausgewertet, die von Frauen ans Parlament geschickt wurden. Frauen beschweren sich seltener als Männer. Dafür haben ihre Beschwerden es in sich. Die Sichtung der Fraueneingaben hat ergeben - so die Vorsitzende des Petitionsausschusses -, daß die Gesetzgebung Frauen und auch Kinder oft einfach vergißt. Dies ist kein gutes Zeichen für die Politik der Bundesregierung und zeigt, wie notwendig ein Politikwechsel ist.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1322215300
Das Wort hat die Kollegin Dr. Irmgard Schwaetzer, F.D.P.

Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (FDP):
Rede ID: ID1322215400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist eine gute Gelegenheit, in dieser Debatte über verfolgte Frauen weltweit und deren Schutz auch darüber zu reflektieren, wie sich das in der Bundesrepublik Deutschland ausnimmt, das heißt, sich auch mit dem Schicksal von Migrantinnen in Deutschland zu beschäftigen.
Aber zunächst einmal in ein Land, in dem Menschenrechte von Frauen mit besonderer Grausamkeit verletzt werden: Afghanistan. Am Beispiel Afghanistan sieht man wie in einem Brennglas die Probleme der Frauenverfolgung, die immer stärker in das Bewußtsein der Weltöffentlichkeit dringen. Zum einen gibt es dort Menschenrechtsverletzungen, die mit kulturellen und religiösen Eigenheiten begründet werden, die Mädchen verwehren, zur Schule zu gehen, und ihnen damit Lebenschancen gröblichst beschneiden, die Frauen - mit ganz geringen Ausnahmen - verwehren, einen Beruf auszuüben, die zwangsweise Kleidervorschriften und Gesundheitsvorschriften zur Folge haben und die letztlich dazu führen, daß Menschenrechte mit Füßen getreten werden. Zum anderen gibt es dort eine Bürgerkriegssituation, in der alleine auf Grund der Tatsache, daß es im Grunde keine funktionierende Staatlichkeit gibt, ein geregelter Schutz von Frauen und Kindern überhaupt nicht gewährleistet ist.
Vor diesem Hintergrund sind, glaube ich, die Zahlen zu verstehen, die deutlich machen, was sich weltweit abspielt: 80 Prozent der Flüchtlinge weltweit sind Frauen und Kinder. Das heißt, diejenigen, die unter Bürgerkriegssituationen, aber auch unter dem Mißbrauch staatlicher Macht am stärksten leiden, sind Frauen. Frauen unterliegen der Verfügbarkeit der Machthaber in zu vielen Ländern dieser Welt.
Konsequenzen muß zum einen die internationale Staatengemeinschaft ziehen. Ich setze große Hoffnungen in die Hochkommissarin für Menschenrechte der Vereinten Nationen, Mary Robinson, die vor kurzem ihr Amt angetreten hat. Ich hoffe, daß sie sich sehr persönlich speziell der Situation bedrängter Frauen annehmen wird. Ich bin ganz sicher, daß sie das tun wird.
Ich erwarte auch von der Bundesregierung, daß sie - wie sie das zugesagt hat - nicht die Zusammenarbeit mit den Taliban in Afghanistan aufnehmen wird, solange es diese massiven Menschenrechtsverletzungen dort gibt.

(Beifall im ganzen Hause)

Aber natürlich müssen wir auch sehen, was bei uns im Zusammenhang mit der Gewährung von Asyl, aber auch mit den Abschiebungsregeln in bezug auf Frauen, die Menschenrechtsverletzungen unterlegen haben oder ihnen unterliegen, geschieht.
Zum einen möchte ich an dieser Stelle noch einmal sehr deutlich unterstreichen: Es kann und es darf keine kulturelle Differenzierung in der Gewährung von Menschenrechten geben.

(Beifall im ganzen Hause)

Ich sehe in manchen Teilen der innerdeutschen Diskussion durchaus noch ein Problem. Es wird uns immer wieder vorgehalten: Im Islam ist das eben so. Meine Damen und Herren, im Islam ist das überhaupt nicht so. Das zeigt sich schon daran, daß es eine ganze Reihe von islamischen Staaten gibt, in denen es keine solchen Kleidervorschriften gibt, wie sie in Afghanistan, in Saudi-Arabien oder auch im Iran existieren. Es wird auch an vielen anderen Stellen deutlich, daß es keine allgemeingültige Interpretation des Koran geben kann und auch nicht gibt und daß schon deshalb ein Hinweis auf kulturelle Gegebenheiten am Ziel vorbeiführt, ganz abgesehen davon, daß sich alle Staaten dieser Welt 1993 in Wien auf der großen Menschenrechtskonferenz damit einverstanden erklärt haben, daß es keine kulturelle Differenzierung geben kann. Nur das und nichts anderes kann der Maßstab und die Richtschnur für die Anwendung des Asylrechtes und die Abschiebungspraxis in Deutschland sein.

(Beifall bei der F.D.P., der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Die Bundesregierung versucht in ihrer Antwort auf die Große Anfrage der Grünen zum Schutz verfolgter Frauen deutlich zu machen, daß in der Bundesrepublik eigentlich alles in Ordnung ist. Wir haben, so heißt es in der Antwort, eine Rechtslage, die den „geschlechtsspezifischen Verfolgungsschicksalen von Frauen hinreichend Rechnung trägt". Die Praxis wird

Dr. Irmgard Schwaetzer
im Einzelfall entschieden, und da kann die Bundesregierung nicht eingreifen.
Vor dem Hintergrund unseres Wissens darüber, daß weltweit in viel zu vielen Staaten Menschenrechtsverletzungen an Frauen passieren, ist es zumindest doch sehr verblüffend, daß in der Statistik der Asylersuchen in Deutschland die geschlechtsspezifische Verfolgung von Frauen kaum eine Rolle spielt. Dafür kann es mehrere Gründe geben.
Zum einen kann es sein, daß es sich um sexuelle Fragen handelt, die weitgehend mit Tabus belegt sind. Aber dann, meine Damen und Herren, müssen wir natürlich die Konsequenz daraus ziehen, daß denjenigen, die im praktischen Verfahren hier in der Bundesrepublik Deutschland entscheiden, auch die Möglichkeit gegeben wird, die Tabus zusammen mit den Frauen in den Verfahren zu überwinden. Es gibt hier eine ganze Reihe von guten Ansätzen, aber ich glaube noch nicht, daß wir am Ende dessen angekommen sind, was für die praktische Durchführung der Asylverfahren notwendig ist.
Denn immerhin hat das Bundesverfassungsgericht schon vor vielen Jahren festgestellt, daß der Staat, also ein Drittstaat, auch für Handlungen Dritter verantwortlich ist, wenn der Staat selbst den Schutz der Betroffenen nicht in ausreichendem Maße gewährleisten kann. Das bedeutet zum Beispiel, daß Frauen aus einem Land, in dem Genitalverstümmelungen an Frauen verboten sind, der Staat jedoch Verstümmler nicht verfolgt, wenn sie einer solchen Bedrohung ausgesetzt sind, im Grunde einen Anspruch auf Asyl bei uns haben müssen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Es gibt inzwischen ein Urteil aus Magdeburg, in dem dieses exakt anerkannt wird. Ich glaube aber, daß es hier noch einen großen Nachholbedarf an Bewußtseinsbildung bei allen Entscheidern gibt.
Frau Niehuis, ich bin nicht mit Ihrer Interpretation einverstanden, daß Genitalverstümmelungen bei uns heute strafrechtlich nicht verfolgt werden könnten. Wir haben heute morgen in dem gemeinsamen Antrag - ich bin froh, daß es zu diesem gemeinsamen Antrag gekommen ist - die Formulierung gefunden, daß sie als gefährliche bzw. schwere Körperverletzung nach geltendem Recht bereits strafbar sein müssen und sind.
Letzte Frage, bevor ich zum Abschluß komme: Funktioniert eigentlich der Abschiebeschutz bei uns in ausreichendem Maße? Ist das, was nach der Flüchtlingskonvention als Schutz für Frauen gewährleistet sein muß, bei uns in allen Fällen gegeben? Es ist uns gerade allen der Fall einer Frau aus Ghana auf den Tisch gekommen, die eine Abschiebungsverfügung erhalten hat, obwohl ganz klar ist, daß sie, wenn sie abgeschoben wird, zu Hause zwangsverheiratet wird, damit sie zwangsverstümmelt, also genitalverstümmelt werden kann.
Hier ist es dringend gefordert, feste Regeln für den Abschiebeschutz zwischen Bund und Ländern zu
vereinbaren, die es derzeit, wie ich finde, nicht in ausreichendem Maße gibt.

(Beifall bei der F.D.P., der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich will allerdings eines sagen, Frau Kollegin Dietert-Scheuer: Eine generelle Diskriminierung von Frauen in dem Land, in das abgeschoben werden soll, reicht als Abschiebeschutz nicht aus, sondern es müssen konkrete Menschenrechtsverletzungen als Grundlage vorhanden sein.

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1322215500
Achten Sie bitte auf die Zeit.

Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (FDP):
Rede ID: ID1322215600
Danke, Herr Präsident.
Der letzte Satz: Der UNHCR hat auch bei uns in Deutschland eine Lücke im Schutz von Migrantinnen festgestellt. Selbst wenn man sich der Interpretation des UNHCR nicht in allen Punkten anschließt, so bleibt, glaube ich, ein Stück dessen, was wir zwischen Bund und Ländern diskutieren und entscheiden müssen.
Danke.

(Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1322215700
Das Wort hat die Kollegin Petra Bläss, PDS.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1322215800
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frauenrechte sind Menschenrechte. Auch am 87. Internationalen Frauentag und 50 Jahre nach der Verkündung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte gilt es, diese Selbstverständlichkeit einzufordern.

(Beifall bei der PDS)

Noch immer ist das Geschlecht weltweit eines der entscheidendsten Kriterien, um Menschen in bezug auf ihre Teilhabe am öffentlichen Leben und an der Erwerbsarbeit zu benachteiligen und sie in besonderem Maße Gewalt auszusetzen.
Dem zähen Kampf der weltweiten Frauenbewegung ist es zu verdanken, daß Gewalt gegen Frauen in der Aktionsplattform zur 4. Weltfrauenkonferenz in Peking 1995 als Verletzung der Menschenrechte definiert wurde.

(Beifall bei der PDS)

Doch Menschenrechtsverletzungen an Frauen gehören immer noch zum Alltag, auch zu unserem. Nach wie vor werden sie nach dem politischen Verständnis der Herrschenden hierzulande nicht als Grund für politische Verfolgung anerkannt.
Das Diakonische Werk Hochsauerland, Soest, appelliert derzeit an politische Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger, die Abschiebung einer jungen Frau aus Guinea zu verhindern. Frau C. ist

Petra Blass
Mitte Zwanzig. Sie ist im vergangenen Jahr nach Deutschland geflohen, weil ihr im Herkunftsland die Zwangsverheiratung mit einem 70jährigen droht, verbunden mit der Verstümmelung ihrer Genitalien. Sie fürchtet im Fall ihrer Abschiebung um ihre körperliche und seelische Integrität, um ihr Leben. Doch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge zeigt sich unerbittlich. Ihr Asylantrag wurde als „offensichtlich unbegründet" abgelehnt. Die zuständige Ausländerbehörde ist entschlossen, sie abzuschieben.
Kolleginnen und Kollegen, jedem und jeder hier in diesem Hause muß klar sein, was Frau C. droht, wenn sie abgeschoben wird. Frau C. hat kaum mehr rechtliche Möglichkeiten, ein Bleiberecht in der Bundesrepublik zu erhalten, wenn wir nicht endlich die Voraussetzungen für die Anerkennung geschlechtsspezifischer Fluchtgründe ändern.

(Beifall bei der PDS und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Das deutsche Asylrecht und -verfahren trägt weder den Verfolgungstatsachen noch dem einzelnen Schicksal der betroffenen Frauen Rechnung. Im Gegenteil: Viele müssen erfahren, daß ihre traumatischen Erlebnisse nicht geglaubt oder als politische Verfolgung nicht ernst genommen werden.
Die PDS unterstützt deshalb die vom Deutschen Frauenrat und Pro Asyl initiierte Kampagne „Verfolgte Frauen schützen" . Zum asyl- und ausländerrechtlichen Schutz verfolgter Frauen haben wir einen Antrag zur „Anerkennung geschlechtsspezifischer Fluchtursachen als Grund zur Gewährung von Asyl bzw. Abschiebeschutz" eingebracht, der derzeit in den zuständigen Ausschüssen zur Beratung ansteht.
Wir werden den Entschließungsantrag der Bündnisgrünen unterstützen und schlagen vor, zu beiden Anträgen eine Sachverständigenanhörung durchzuführen. Ich denke, wir sind es den betroffenen Frauen schuldig, noch in dieser Legislaturperiode die überfällige Gesetzesänderung in ihrem Sinne vorzunehmen.

(Beifall bei der PDS)

Wir begrüßen den Antrag der Bündnisgrünen zur Durchsetzung und Ausgestaltung des Fakultativprotokolls zum „Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frau" . Die PDS hatte bereits unmittelbar nach der Pekinger Weltfrauenkonferenz eine parlamentarische Initiative zur Umsetzung dieses internationalen Menschenrechtsinstrumentes gestartet, das Menschenrechte von Frauen umfassend und in allen Bereichen schützen soll. Doch solange es an Durchsetzungsmechanismen fehlt, steht selbst die Verpflichtung der Vertragsstaaten zu aktiven Maßnahmen zur Überwindung der Frauendiskriminierung eben nur auf dem Papier.
Wenn die Bundesregierung in ihrem 1995 erstellten Bericht zur Umsetzung des Übereinkommens von einer „entscheidenden Fortentwicklung der Gleichberechtigung" in der Bundesrepublik spricht und keinen weiteren Handlungsbedarf sieht, dann zeugt das von einer skandalösen Ignoranz gegenüber der
derzeit im Zeichen von Globalisierung und Standortwettbewerb zunehmenden strukturellen Diskriminierung und gesetzlichen Benachteiligung von Frauen. Gerade, aber nicht nur im Umfeld des Internationalen Frauentages muß Bilanz gezogen werden, wie es um die legislative Umsetzung sowohl des verfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatzes als auch des universellen Völkerrechts hierzulande steht.
Hohe Frauenerwerbslosigkeit Ost und damit verbundene Dequalifizierung, zunehmende Verdrängung von Frauen in ungeschützte bzw. nicht existenzsichernde Beschäftigungsverhältnisse, Frauendiskriminierung im Arbeits- und Sozialrecht sowie nicht nachlassende Versuche, ob nun mit päpstlicher oder landesfürstlicher Mission begleitet, Frauen in ihre traditionelle Rolle an Heim und Herd zurückzudrängen, stellen der Bundesregierung diesbezüglich ein Armutszeugnis aus.
Die Umsetzung des „Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frau" muß zur Meßlatte sämtlicher politischer Entscheidungen werden; denn Frauenrechte sind Menschenrechte - und das überall.

(Beifall bei der PDS und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1322215900
Das Wort hat die Bundesministerin Claudia Nolte.

Claudia Nolte (CDU):
Rede ID: ID1322216000
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gewalt gegen Frauen und massive Menschenrechtsverletzungen gegenüber Frauen waren ein zentrales Thema der 4. Weltfrauenkonferenz im September 1995 in Peking. Gewalt, insbesondere sexuelle Gewalt, gegenüber Frauen wurde angeprangert, und es wurde auch aufgezeigt, in welch vielfältiger Form sich diese darstellt: Genitalverstümmelung, Vergewaltigung, Frauen- und Menschenhandel - um nur einige Formen zu nennen. Dies sind grausamste Menschenrechtsverletzungen, mit denen wir uns nie abfinden dürfen. Kulturelle oder religiöse Traditionen können diese Formen der Verachtung von Frauen ebensowenig rechtfertigen wie kriegerische Auseinandersetzungen.
Deshalb war für mich entscheidend, daß wir in der Aktionsplattform von Peking klargestellt haben, daß die Menschenrechte von Frauen und Mädchen unveräußerlicher, integraler und untrennbarer Bestandteil der allgemeinen Menschenrechte sind. Erstmals konnte das Konzept der sexuellen Selbstbestimmung der Frau in einem UNO-Dokument verankert werden. Deshalb sind alle Regierungen der Welt aufgefordert, Gewalt gegen Frauen zu bekämpfen und zu verhindern.
Deshalb gehört auch für mich dieses Thema zu einem der drei Schwerpunkte unserer nationalen Strategie, die wir zur Umsetzung der Ziele der Aktionsplattform von Peking herausgearbeitet haben. Ziel war dabei zum einen die Schließung von Strafrechts-

Bundesministerin Claudia Nolte
Lücken der nationalen Gesetzgebung, aber auch direkte Hilfe für betroffene Frauen.
Einiges ist schon passiert. Wir haben nach der Pekinger Weltfrauenkonferenz eine lange Debatte beenden können und den § 177 Strafgesetzbuch novelliert und damit die Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe gestellt, weil wir der Überzeugung sind: Die Ehe ist kein rechtsfreier Raum. Ich habe darüber hinaus in diesem Zusammenhang gemeinsam mit dem Bundesjustizminister eine Rechtstatsachenuntersuchung zur richterlichen Zuweisung der Ehewohnung bei Getrenntlebenden in Auftrag gegeben. Außerdem plane ich, das Berliner Interventionsprojekt gegen häusliche Gewalt fortsetzen zu lassen. Der von uns erarbeitete Lehrgangsleitfaden für Polizeibeamte zum Thema der männlichen Gewalt gegen Frauen wird inzwischen erfolgreich in der Praxis angewendet. Auch die Verschärfung des Sexualstrafrechts durch die 6. Strafrechtsreform vom November 1997 hat das Ziel, Gewalt zu verhindern und Mißbrauchstaten zu bestrafen.
Um den internationalen Frauenhandel besser zu bekämpfen, hat mein Haus im Februar 1997 die bundesweite Arbeitsgruppe „Frauenhandel" eingerichtet, die in der Zwischenzeit fünfmal getagt hat. Diese Arbeit hat sehr deutlich gezeigt, wie wichtig der gegenseitige Informationsaustausch ist, der durch die Zusammenarbeit der Multiplikatorinnen und Multiplikatoren eine besondere Intensität erreicht. Denn sie bringen das Wissen aus ihren jeweiligen Fachgebieten ein und vermitteln auch die neuen Erkenntnisse dorthin zurück. So hat die Diskussion in dieser Arbeitsgruppe dazu beigetragen, allen Beteiligten zu verdeutlichen, wo ihre jeweilige Verantwortung liegt, wo Kooperationen möglich sind und welche Handlungsoptionen sie haben, um den Frauenhandel so zu bekämpfen, daß dies nicht auf dem Rücken der betroffenen Frauen geschieht.

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1322216100
Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Schmidt?

Claudia Nolte (CDU):
Rede ID: ID1322216200
Nein, ich möchte fortfahren.
Der verbesserte Schutz der Frauen stand auch im Mittelpunkt der neuen Härtefallregelung nach § 19 Ausländergesetz,

(Dr. Edith Niehuis [SPD]: Aber nur im Vermittlungsausschuß!)

so daß in Fällen einer außergewöhnlichen Härte für mißhandelte Ehefrauen die Dreijahresfrist zur Erlangung eines eigenständigen Aufenthaltsrechts in der Bundesrepublik entfällt.
Für mich sind dies sehr wichtige Bausteine für den verbesserten Schutz von Frauen und Mädchen. Frau Kollegin Niehuis, ich teile ja Ihren Unmut, daß manches sehr lange dauert. Aber ich bin froh, daß wir diese Kompromisse erreicht haben. Wir müssen auch akzeptieren, daß es unterschiedliche Auffassungen über den richtigen Weg gibt. Um so wichtiger ist es, daß wir die Kompromisse gefunden haben. Ich kann
für mich nur feststellen: Um so betroffener machen mich die vielfältigen unmenschlichen Verfolgungen, denen Frauen in etlichen Ländern dieser Welt ausgesetzt sind.

(Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Dann tun Sie doch was für ihren Schutz! Nichts tun Sie!)

Ich denke an die Verfolgung von Frauen und ihren Kindern in Bürgerkriegssituationen. Sie erleiden Gewalt durch marodierende Banden, werden vergewaltigt oder Opfer ethnischer Säuberungen. Ich denke an die Rechtlosigkeit in fundamentalistischen Staaten und an Genitalverstümmelungen - um nur einige Verfolgungsarten zu nennen.
Wir alle sind über diese schweren und schwersten Menschenrechtsverletzungen empört. Nicht zuletzt sind wir fassungslos über das, was sich in Afghanistan abspielt. Deshalb drängt sich natürlich, Frau Kollegin Schmidt, die Frage auf: Was können wir tun, um diesen Frauen zu helfen?

(Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Schutz! Das könnten Sie machen! Schutz gewähren! Das kann die Bundesregierung!)

Art. 16a Grundgesetz garantiert einen verfassungsrechtlich verankerten Anspruch auf Asylwie ihn, Frau Kollegin, kein anderes Land hat.

(Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Aber wir wissen, daß er nicht ausreicht für Frauen! Sie auch!)

Auch eine schwere Verletzung der Menschenwürde kann durch eine Einzelfallprüfung im Rahmen des Asylverfahrens berücksichtigt werden und gewährleistet so den Schutz verfolgter Frauen. Und es ist auch Tatsache: Immer öfter wird entweder Asyl oder Abschiebeschutz von unseren Behörden und den Verwaltungsgerichten gewährt, weil in den letzten Jahren die Sensibilität für die spezifische Verfolgung von Frauen gewachsen ist.

(Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Das ist doch überhaupt nicht wahr, Frau Ministerin! Dann belegen Sie das doch mal mit Zahlen! Das stimmt doch nicht!)

- Das ist wahr, Frau Kollegin. Nicht nur die Berichte des Auswärtigen Amtes in diesem Punkte sind ausführlicher geworden, sondern auch die entsprechenden Informationen, die den einzelnen Entscheidern zur Verfügung stehen.
So gibt es natürlich beispielsweise mehrere Urteile von Verwaltungsgerichten, die Frauen aus den Talibangebieten in Afghanistan Asyl gewähren, obwohl es sich dort um eine Bürgerkriegssituation handelt, die eigentlich nicht unter das Asylgesetz fällt. Deshalb, denke ich, ist es die richtige Strategie, durch zielgerichtete Fortbildung und durch das Zurverfügungstellen von Information die Sensibilität der Entscheider zu fördern. Ich begrüße deshalb die spezielle Schulung für diese Einzelfallentscheider, wie sie derzeit vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge durchgeführt wird und wie wir sie auch künftig durchführen.

Bundesministerin Claudia Nolte
Mein Haus steht sowohl mit dem Bundesinnenministerium, dem Bundesamt als auch mit dem UNHCR und den verschiedenen NGOs in Kontakt, um die Durchführung des Asylverfahrens weiter im Sinne der betroffenen Frauen zu verbessern. Ich denke auch, etwas anderes ist wenig realistisch. Wir werden die Asylgesetzgebung als solche nicht ändern - denn auch das war ja ein mühevoller Kompromiß, im übrigen auch mit den richtigen Wirkungen, die wir uns von dieser Gesetzgebung versprochen haben -, sondern es muß im praktischen Vollzug dafür Sorge getragen werden, daß den betroffenen Frauen in den Fällen, in denen dies notwendig ist, dieser Schutz eingeräumt wird.

(Amke Dietert-Scheuer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und in den Verwaltungsvorschriften!)

Trotzdem, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Gewährung von Asyl und damit Schutz kann nicht die einzige Antwort auf Menschenrechtsverletzungen in anderen Staaten sein.

(Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Aber es wäre eine!)

- Im Einzelfall tun wir das, Frau Schmidt. Aber mehr ist nicht leistbar. Das müssen wir doch anerkennen. - Wir wären damit überfordert, zumal wenn man bedenkt, daß in den letzten Jahren fast die Hälfte der Asylbewerberzugänge aller EU-Staaten nach Deutschland kamen. Auch andere westliche Staaten wären mit einer grundsätzlichen Regelung ohne Einzelfallprüfung für diese Fälle überfordert. Außerdem würde eine solche „Lösung" auch nicht die Mißstände in den betreffenden Ländern ändern, ganz abgesehen davon, daß die betroffenen Menschen natürlich lieber in ihrem Land in Frieden leben wollen als in einem fremden Land als Flüchtling. Daher brauchen wir politische Lösungen gerade auch in den betroffenen Ländern selbst. Deshalb zielen viele unserer Aktivitäten in solch eine Richtung.
Wir engagieren uns für die Einrichtung eines Internationalen Strafgerichtshofs, wir geben Entwicklungshilfe mit dem Ziel, die Schaffung demokratischer und menschenwürdiger Strukturen zu unterstützen, wir bringen uns aktiv in alle internationalen Gremien ein, in denen es um die weltweite Wahrung der Menschenrechte geht, und selbstverständlich versuchen wir, außen- und wirtschaftspolitisch Einfluß zu nehmen, wo immer das möglich ist.
Ich begrüße ausdrücklich die Zielsetzung der Kampagne „Eine Blume für die Frauen von Kabul" , nämlich alles zu tun, damit den Frauen Afghanistans ohne Diskriminierung der Zugang zu internationaler humanitärer Hilfe gewährt wird, und direkt und indirekt Druck auszuüben, damit in Afghanistan die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte geachtet wird und die Rechte der Frauen wieder gewahrt werden.
Ich verkenne nicht, daß unsere konkreten Möglichkeiten zum Schutz der Frauen in den jeweiligen Ländern begrenzt sind - nicht nur im Fall Afghanistan.
Aber wichtig ist, das politisch Machbare durchzusetzen und in unseren Bemühungen nicht nachzulassen. Denn wir dürfen zum Schicksal dieser Frauen nicht schweigen.
Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1322216300
Das Wort hat der Kollege Dr. Zöpel, SPD.

Dr. Christoph Zöpel (SPD):
Rede ID: ID1322216400
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Diskussion über die Rechte der Frauen im internationalen oder, besser, im globalen Zusammenhang konkretisiert sich hier im Erschrecken über die gravierenden Menschenrechtsverletzungen in Afghanistan an Frauen. Dazu hat meine Fraktion, die SPD, und dazu hat Ihre Fraktion, Bündnis 90/Die Grünen, Anträge eingebracht. Ich halte es gerade unter den Gesichtspunkten der internationalen und globalen Wirksamkeit deutscher Politik für außerordentlich wichtig, daß diese Anträge zu einer gemeinsamen Beschlußfassung aller Parteien dieses Hauses geführt haben. Jeder sollte darauf für sich stolz sein.

(Beifall im ganzen Hause)

Das, was in Afghanistan passiert, stößt auf Kritik in allen Kulturkreisen. Das kann man feststellen, wenn man den bemerkenswerten Appell für die Sache der Frauen in Kabul liest, der die Unterschriften vieler Europäerinnen trägt. Das ist eine Selbstverständlichkeit, und deswegen, so hoffe ich, stimmt mir jeder zu: Wer die Aufklärung verstanden hat und für sie ist, muß in diesen Jahren weltweit dafür kämpfen, daß sie vollends verwirklicht wird. Die notwendige vollständige Verwirklichung der Aufklärung heißt, die Menschenrechte für Frauen zu garantieren.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS sowie der Abg. Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.])

Wer nicht für die Aufklärung ist, mag das anders sehen.

(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Wir müssen uns nur noch einmal über die Aufklärung und den Islam unterhalten!)

- Darüber spreche ich gleich.
Die Unterschrift unter diesen Appell haben auch Hannan Ashrawi, die weltweit bekanntgewordene Ministerin in Palästina, und mehrere politische Repräsentantinnen aus Afrika geleistet. Dies zeigt: Es gibt berechtigte Gründe dafür, zu behaupten, daß die elementaren Auffassungen über Menschenrechte in der Tat weltweit - und nicht europäisch - sind. Darauf sollten Europäer nicht unnütz stolz sein. Aber sie sollten doch sagen, sie gehen über Europa hinaus, dann allerdings vorsichtig mit dieser Feststellung umgehen.
Über Afghanistan wird weltweit diskutiert. Das ist möglich, weil - das wird oft vergessen, wenn Globalisierung einseitig gesehen wird - das eigentlich Neue

Dr. Christoph Zöpel
und Relevante an der Globalisierung der Beziehungen dieser Welt die informationelle Vernetzung ist. Man kann weltweit über alles informiert werden und sich weltweit über alles informieren. Eine weltweite, globale Zivilgesellschaft ist möglich geworden. Wenn wir das so formulieren, muß klar sein und auch gegenüber anderen, die diesen Begriff gebrauchen, herausgestellt werden: Eine globale Zivilgesellschaft ist nur möglich, wenn sie auf elementaren Menschenrechten, wenn sie auf der Gleichheit aller beruht.

(Beifall bei der SPD)

Beides zusammen, globale informationelle Vernetzung und globale Geltung der Menschenrechte, kann manchmal noch auf technische Hindernisse stoßen, auf ideologische Bretter vor den Köpfen und in den Seelen oder auf politische Repression. Nur ist es zum Glück, immer weniger möglich, Menschen daran zu hindern, Transistorradios zu besitzen oder gar Fernsehgeräte, um die Botschaft zu hören. Das hilft als erstes. Und selbst Islamisten wollen das Transistorradio nicht verhindern.
Die wichtigste Waffe im Kampf für die Aufklärung - und auch für die Rechte der Frauen - ist und bleibt das Wort. Daran glauben Demokraten. Auch in diesem Fall ist das wesentlich.
Was aber kann mehr getan werden? Der nächste Punkt ist dann - hier wird globale und internationale Politik wichtig und für uns konfliktträchtiger - das Setzen von Prioritäten. Es gibt sehr unterschiedliche Gründe bezüglich der inneren Verhältnisse von Ländern, die man anklagen kann. Aber dennoch macht es Sinn zu gewichten.
Ich füge dem jetzt meine Priorität hinzu: Bei der Gewichtung, bei der Beurteilung der Menschenrechtssituation in anderen Ländern muß die wirkliche Gleichheit im Sinne universeller Menschenrechte an erster Stelle stehen - und damit der aktive Einsatz für die Gleichstellung der Frau in jedem Lande.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Dies muß ein Grundsatz globaler internationaler Politik werden. Das bedingt, daß man in Kauf nimmt: Dies kann grundsätzlich und immer zu Konflikten mit islamischen Ländern führen. Das muß man wissen, und das muß Bestandteil der Außenpolitik sein, auch wenn es im Einzelfall nicht - vor allem ökonomisch - opportun ist.
Auf der anderen Seite macht es Sinn, zu würdigen, wenn die Rolle der Frau bei einer durchaus differenzierten Menschenrechtslage in einem bestimmten Lande besser ist als in einem anderen. Da kommt man zu von der derzeitigen Debattenlage in Deutschland sehr abweichenden Ergebnissen.
Nach meinem Eindruck sind die Menschenrechte von Frauen in keinem arabischen Staat stärker diskreditiert als in Saudi-Arabien.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.])

Von einer Debatte darüber hört man selten.
Es ist aber auch richtig, daß Frauen vergleichbar gute Rechte haben - vergleichbar, nicht wie in Luxemburg, Deutschland oder Dänemark -: in Tunesien, in Algerien, soweit die Regierung verantwortlich ist, nicht die Terroristen.

(Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Im Irak!)

- Im Irak. Ich nehme den Widerspruch in Kauf. Auch das auszusprechen macht Sinn, denn das hat jetzt nichts mit den biologischen Waffen im Irak zu tun.
Aus all dem sind Konsequenzen zu ziehen. Wir müssen es Saudi-Arabien sagen, auch wenn das Interesse an Öl dagegensteht. In anderen Fällen müssen wir die Haltung der Regierung würdigen; denn nur durch Würdigung wird eine Regierung auf ihrem Wege weiter befördert.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.])

Dort, wo es Sinn macht, kann die Konditionierung von Entwicklungshilfe in die staatliche Praxis einfließen. Ich bin generell etwas zurückhaltend mit der Konditionierung von Entwicklungshilfe. Aber bei der Frage gleicher Rechte für die Frauen muß sie eine Selbstverständlichkeit sein; denn Entwicklungshilfe wird sinnlos, wenn die Hälfte der Bevölkerung von vornherein davon ausgeschlossen werden soll. Dann macht sie keinen Sinn mehr.

(Beifall bei der SPD und der PDS sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das sind die staatlichen Möglichkeiten.
Nun aber kommen wir zu dem besonderen Fall, was passiert, wenn es keinen Staat gibt. Man hat den Eindruck: Afghanistan ist kein Staat. Wer diesem Satz jetzt nicht folgen will, weil er ihn politiktheoretisch für nicht voll begründet hält, wird allerdings feststellen müssen: Diese Auffassung ist deutsches Verwaltungsrecht. Das Bundesverwaltungsgericht hat festgestellt: Afghanen kann kein Asyl gewährt werden, weil Afghanistan kein Staat ist.

(Hanna Wolf [München] [SPD]: So einfach ist das!)

Nicht nur das Auswärtige Amt, zuständig für Globalität, hat den Saal verlassen, sondern auch das Innenministerium, zuständig für die inneren Aspekte der Außenpolitik. Das Desinteresse der Bundesregierung ist offenkundig global.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)

Frau Kollegin Nolte, die Regierung hat auf der Regierungsbank zu sitzen. Das war zumindest bei normal geführten Regierungen so üblich. Frau Minister, Ihnen ein Kompliment, daß Sie da sind.
Aber wer sagt: „Das sind die Gerichte", der muß ein erschreckendes Zweites feststellen: Das Bundesinnenministerium, in dem es den Bundesbeauftragten für Asylrecht gibt, klagt nun noch zusätzlich, weil es meint, daß die dann natürlich auftretenden

Dr. Christoph Zöpel
Aspekte - Aufenthaltsgenehmigung wegen Bürgerkriegs - fragwürdig sind. Es ist der völlige Ausschluß von Asylgründen und Aufenthaltsgründen gegenüber einem Land, das kein Staat ist - eine eigenartige Rechtsauffassung, wenn man gleichzeitig täglich das Wort „Globalisierung" im Munde führt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Diese Bundesregierung ist in ihrem Verhalten im Innern völlig unfähig, in einer Welt zu regieren, in der es globale Probleme gibt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Damit verstanden wird, worum es hier geht: Für mich ist es unverständlich, daß nicht von vornherein feststeht, daß eine Frau, die so leben muß, wie sie in Afghanistan lebt, deren Leben im Krankheitsfall bedroht ist, verfolgt ist und hier Asylrecht hat. Anders kann man das gar nicht beurteilen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Das zu den innenpolitischen Aspekten.
Ich will noch eines sagen: Menschenrechtspolitik fängt im Inland an und nicht in der Anklage der Verhältnisse anderer. Diese Innenpolitik ist unglaubwürdig.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

Ich kann mit der Frage schließen: Wie ist es dazu gekommen, daß es in Afghanistan keinen Staat gibt? Das ist die Folge staatlicher Politik von großen Mächten, zunächst der Sowjetunion - Rußland setzt das fort -, der Vereinigten Staaten, Pakistans, Saudi-Arabiens und des Irans. Sie machen das, weil es um 01 geht. Damit sind wir bei dem Punkt angekommen, an dem sich die politische Diskussion erweitern muß. Menschenrechte werden nur geachtet werden, wenn die tatsächlich Mächtigen sie einhalten wollen. Damit gehört in jede Debatte über Menschenrechte - auch und besonders für Frauen - ein neuer Aspekt, daß nämlich zwischen staatlicher Politik, großen Konzernen und Zivilgesellschaften - Greenpeace geht hier vielen voraus - auch darüber gesprochen wird: Darf man 01 da herholen, wo Menschenrechte so mit Füßen getreten werden wie in Afghanistan? Oder können wir es uns nicht leisten, das Öl dort zu lassen?

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

Diese Länder müssen wissen: Wo Menschenrechte nicht im geringsten eingehalten werden, dort kauft man auch kein Öl. Damit wird eine solche Debatte tatsächlich anstrengend. Wenn Sie da lachen, zeigen Sie im Zweifelsfall: Öl vor Frauenrechten.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und der PDS)


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1322216500
Das Wort hat der Kollege Dr. Pflüger, CDU/CSU.

Dr. Friedbert Pflüger (CDU):
Rede ID: ID1322216600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Zöpel, ich muß eine Vorbemerkung zu dem machen, was Sie eben gesagt haben. Ich glaube, wir sind uns in diesem Haus alle darüber einig: Menschenrechtspolitik ist kein Luxus für gute Zeiten, sondern sie muß sich bewähren. Sie ist das eigentliche Ziel unserer Politik. Frauenrechte gehören ganz wesentlich dazu.
Aber ich warne sehr davor, einfach zu sagen: Wenn jetzt irgendwo auf der Welt Frauenrechte nicht geachtet werden, wird Entwicklungshilfe gekürzt. Menschen- und Frauenrechte kann man nicht verabsolutieren. Es gibt andere konkurrierende außenpolitische Ziele, die genauso wichtig sind, wie zum Beispiel die Abrüstung und die Nonproliferation. Wenn ich ein Land zum Beispiel für ein Atomteststoppabkommen gewinnen will, kann es sein, daß ich ihm Entwicklungshilfe geben muß, auch wenn dort nicht alle Menschenrechte eingehalten werden. Ich warne nur - weil Sie in Ihrer Partei wahrscheinlich noch mehr außenpolitische Verantwortung übernehmen werden - vor solchen rigiden Doktrinen, die Sie hier vertreten. Diese führen in den außenpolitischen Fragen in der Regel nicht sehr viel weiter.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Aber ich will mich dem Thema Afghanistan zuwenden. Im Oktober 1996 habe ich Kandahar besucht und bin als informelles Mitglied einer UN-Delegation im Hauptquartier der Taliban gewesen. Ich maße mir deshalb nicht an, die Situation in Afghanistan besonders gut zu verstehen. Es gibt andere, die das besser können. Aber man nimmt natürlich Eindrücke mit und nicht zuletzt von den Frauen auf den Straßen im Borkha, diesem zeltartigen Umhang vom Scheitel bis zu den Zehen, in dem nur ein kleiner Gitterschlitz für die Augen übrigbleibt. Diese Frauen kamen mir wie Tiere im Käfig vor, unmenschlich, zumal sie auch nur in Begleitung von Männern überhaupt auf die Straße dürfen. Die Taliban haben einen „Gottesstaat" mit mittelalterlichen Regeln errichtet.

(Dr. Edith Niehuis [SPD]: Das ist Blasphemie!)

Für Mädchen gibt es in der Talibantyrannei keine Schulbildung mehr. Der 37 jährige Ingenieur Abbas und seine Frau Mirjam sagen dazu:
Wir können noch ertragen, daß die Taliban uns das Leben zur Hölle machen, aber daß sie die Zukunft unserer Töchter ruinieren, das werden wir ihnen nie verzeihen. Die Taliban sind Allahs furchtbarste Geißel.
Meine Fraktion unterstützt die Bemühungen des Europäischen Parlaments und der EU-Kommissarin für humanitäre Hilfe, Frau Bonino, zum Internationalen Frauentag am 8. März 1998, das Talibanregime international unter Druck zu setzen unter dem Motto: „Eine Blume für die Frauen in Afghanistan".

(Beifall im ganzen Hause)


Dr. Friedbert Pflüger
Wir bitten insbesondere die Regierung von Pakistan und unsere Freunde in den USA, bei der Wahrnehmung legitimer energiepolitischer Interessen - es ist ganz legitim und auch politisch sinnvoll, eine Pipeline von Turkmenistan an das Arabische Meer zu bauen - auf die Taliban einzuwirken und den Terror der Taliban gegen die eigene Bevölkerung nicht hinzunehmen.
Aber noch wichtiger als solche Appelle und Erklärungen wie: „Die Aufklärung muß jetzt überall gelten" - so gut gemeint sie sind - ist der Versuch, Herr Kollege Zöpel, wirklich zu verstehen - verstehen heißt nicht billigen -, wie es zu so etwas wie dort in Afghanistan kommt.
Der Erziehungsminister der Taliban sagt: Es ist, als besitze man eine Rose,
- wenn man eine Frau hat -
man gibt ihr Wasser und hält sie zu Hause, um sie zu betrachten und an ihr zu riechen. Es ist nicht vorgesehen, daß sie das Haus verläßt und von anderen berochen wird.
Das klingt für uns zynisch und unakzeptabel, aber es wurzelt natürlich in Traditionen, in Ehrenkodexen, die manchmal älter sind als der Islam. Ehre und Schande sind zentrale Kategorien. Die zentrale Bedeutung, die die Frau in der afghanischen Kultur - auch bei den Taliban - einnimmt, muß man erst einmal verstehen.
„Zan, zar, zamin" - das heißt: Frau, Gold, Land - ist die Werteskala der Afghanen. Dazu muß man sich einmal vorstellen: Sie haben Fremdherrschaft und Bürgerkriege erlebt. Alles, was sie stolz macht, nämlich Land und Geld, ist ihnen weggenommen worden. Sie hängen am Tropf des Westens. Das einzige, was sie noch halbwegs haben, bei dem sie sich mit ihrer Kultur und Tradition im reinen wissen, ist dieses alte - natürlich furchtbare - Frauenverständnis.

(Hanna Wolf [München] [SPD]: Was wollen Sie uns damit eigentlich sagen?)

- Ich wußte, daß Sie genau so reagieren würden.
Ich darf noch einmal feststellen: Verstehen heißt nicht billigen. Aber man muß es erst einmal verstehen. Der Schleier ist für uns und auch für viele Frauen, die ihn tragen müssen, etwas Furchtbares. Aber es gibt auch Frauen, Frau Kollegin, die ihn deshalb tragen, weil sie ihn als eine Abschottung vor dekadenten, fremden Einflüssen verstehen. Wenn Sie, Frau Kollegin, so etwas nicht verstehen, dann müssen wir uns doch die Frage stellen, ob das nicht etwas mit Kulturimperialismus und mit Eurozentrismus zu tun hat.

(Hanna Wolf [München] [SPD]: Darauf haben wir gewartet, daß Sie so etwas sagen!)


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1322216700
Herr Dr. Pflüger, gestatten Sie der Frau Dr. Schwaetzer eine Zwischenfrage?

Dr. Friedbert Pflüger (CDU):
Rede ID: ID1322216800
Bitte schön.

Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (FDP):
Rede ID: ID1322216900
Herr Kollege, könnten Sie mir zustimmen, wenn ich Ihnen sage, daß jeder Zwang, den Schleier zu tragen, mit entsprechenden Bestrafungen bei Zuwiderhandlung eine Menschenrechtsverletzung darstellt und überhaupt nichts damit zu tun hat, daß sich eine Frau in einem freiheitlichen Staat natürlich dafür entscheiden kann, dies zu tun? Das ist ihr gutes Recht. Aber jede kulturelle Interpretation der Menschenrechte und des Kanons, der 1993 in Wien verabschiedet worden ist, so wie Sie das gerade getan haben, ist auch eine Beförderung von Menschenrechtsverletzungen. So will ich das jetzt einmal ganz überspitzt formulieren.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Dr. Friedbert Pflüger (CDU):
Rede ID: ID1322217000
Frau Kollegin, ich habe wirklich gehofft, daß man ein bißchen tiefer diskutieren kann. Ich habe doch gesagt: Verstehen heißt nicht billigen. Natürlich müssen wir das kritisieren; das tue ich ständig, wenn ich damit konfrontiert werde, daß Frauen unter Zwang einen Schleier tragen müssen. Das ist absolut unakzeptabel. Aber man muß doch eine andere Kultur erst einmal verstehen. Es reicht nicht, einfach ein Postulat in die Welt hineinzusetzen, indem man sagt: Die Aufklärung gilt jetzt überall.

(Hanna Wolf [München] [SPD]: Die Männer bestimmen doch allein, was da Kultur ist!)

- Nein, das hat nicht nur mit Männern und Frauen zu tun. Das ist vielmehr etwas, was in diesen Ländern auch von manchen Frauen als kulturimperialistisch verstanden wird.
Ich darf aber wiederholen: Selbstverständlich lehnen ich und meine Fraktion diese Taliban mit ihren Vorschriften, Sanktionen und mittelalterlichen Gesetzen auf das tiefste ab. Diese Leute sind furchtbar und müssen weg. Das kann doch gar keine Frage sein.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich will auf etwas ganz anderes hinaus. Wir hier im Abendland, die wir die Inquisition und noch vor 50 Jahren den Holocaust hatten, sollten etwas vorsichtiger sein dabei, immer mit dem belehrenden Zeigefinger in der Welt herumzulaufen.
Etwas anderes ist wichtig, nämlich daß wir auf die großen liberalen und humanen Traditionen im Islam selbst hinweisen. Wenn wir den Menschen dort deutlich machen - das hat zum Beispiel Fatema Mernissi, eine marokkanische Politikwissenschaftlerin, getan -, daß ja in alten islamischen Kulturen - zum Beispiel schon bei Mohammed - auch Frauen politische Funktionen hatten, daß zum Beispiel Aischa, die dritte Frau des Propheten Mohammed, eine bedeutende politische Rolle im Widerstand hatte und Sakina, die jüngste Tochter des Propheten, sich wei-

Dr. Friedbert Pflüger
geite, den Schleier zu tragen, dann hat so etwas Sinn. Das wird zur Veränderung führen.

(Dr. Edith Niehuis [SPD]: Das hätte doch schon längst zu Veränderungen führen müssen!)

Es gibt liberale Traditionen im Islam. Er ist nicht naturgemäß fundamentalistisch. Genau wie wir in unserer christlichen Kirche auch die Fundamentalisten und die Inquisiteure hatten,

(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Haben!)

so haben sie eben jetzt solche Phasen. Die müssen sie überwinden.
Dazu tragen nicht selbstgerechte Appelle von der moralischen Kanzel, von uns im Abendland bei, die wir sie über Jahre ausgebeutet und ihnen vieles genommen haben. Dazu trägt vielmehr vor allen Dingen ein Dialog der Kulturen bei, wie wir ihn wollen, um damit zu erreichen, daß diese menschenverachtenden Taliban nicht mehr das Sagen in Afghanistan haben und nicht mehr die Frauen in diesem Land unterdrücken können.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1322217100
Das Wort zu einer Kurzintervention hat die Kollegin Grießhaber.

Rita Grießhaber (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1322217200
Herr Kollege Pflüger, Sie haben jetzt versucht, uns zu verstehen zu geben, wie afghanische Männer mit Frauen umgehen, aus welcher Tradition das kommt und mit welcher Geschichte in diesem Land dies zu tun hat. Sie haben für meine Begriffe, obwohl Sie gesagt haben: „Verstehen heißt nicht akzeptieren", in unglaublicher Weise Dinge zusammengeworfen, die so nicht zusammengehören.

(Anneliese Augustin [CDU/CSU]: Das stimmt doch überhaupt nicht!)

- Lassen Sie mich vielleicht ausreden?
Herr Kollege Pflüger, wie erklären Sie es sich, daß in diesem Land ein Riß durch die Gesellschaft geht, daß es andere Männer gibt, daß die alte Regierung Rabbanis ein vollkommen anderes Frauenbild hatte, daß während dieser Regierungszeit die Frauen in Kabul nicht verschleiert herumlaufen mußten?
Das hat nichts mit der unmittelbaren Tradition in Afghanistan zu tun. Das hat aber sehr viel mit den Menschen in Pakistan zu tun, die die Religionsschulen mit ermöglicht, geduldet und gefördert haben, in denen die Taliban mit dieser Politik ausgebildet worden sind.
Wir können doch nicht, für diesen Irrsinn Verständnis aufbringen

(Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Nein, nein!)

und versuchen, zu erklären und zu verstehen, wie es dazu gekommen ist.
Es gibt in Afghanistan ganz unterschiedliche Traditionen, auch solche, die mit dem Islam wirklich nichts zu tun haben. Ich war in Gegenden, wo mir gesagt wurde: Jeder Esel, jedes Haustier ist wertvoller als jede Frau. Es gibt aber andere Regionen, wo es ein anderes, sehr aufgeklärtes und liberales Verständnis für Frauen gab, besonders in Kabul.
Dies hat nichts mit der Tradition oder mit einer Erklärung aus der Geschichte zu tun. Es hat vielmehr mit Machtverhältnissen zu tun. Es hat mit Interessen zu tun, die sich durchgesetzt haben, und ganz viel mit der Unterstützung Pakistans durch die Religionsschulen. Und nun versucht man, jemanden dazu zu bekommen, auf Verbesserungen einzuwirken, der selber Mitverursacher dieser schrecklichen Ideologie war, die dort jetzt herrscht und die sich im letzten Jahr, soweit ich es mitbekommen habe, auf seiten der Taliban unglaublich verstärkt hat.
Deswegen muß man sagen: Darin muß man sich nicht hineinversetzen, das muß man nicht verstehen. Nein, das muß man politisch mit allen Mitteln, mit allem, was man hat, bekämpfen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1322217300
Herr Dr. Pflüger, bitte.

Dr. Friedbert Pflüger (CDU):
Rede ID: ID1322217400
Frau Kollegin, die heutige passive Rolle der Frauen in ihrer Unterdrücktheit in der Gesellschaft Afghanistans ist nicht zu tolerieren. Sie hat mit dem traditionellen muslimischen Verständnis manchmal zu tun, manchmal aber nicht. Es gibt muslimische Gesellschaften, die eine solche Verfolgung und Unterdrückung nicht kennen. Das habe ich, glaube ich, gesagt.
Da haben Sie völlig recht: Bei den Taliban geht es nicht unbedingt nur um religiöse Tradition, sondern um ihre Instrumentalisierung, um eine moderne Ideologie, die benutzt wird, um Frauen in dieser Situation zu halten.
Dennoch sage ich: Wir müssen es erst einmal verstehen. Ohne den Bürgerkrieg, ohne die Besetzung, ohne das völlige Darniederliegen einer solchen islamischen Kultur und Tradition und ohne die Angst vor der westlichen Ausbreitung, die einerseits gute Dinge in die Welt trägt, andererseits aber auch Dinge, die in solchen Gesellschaften als problematisch angesehen werden, wäre eine solche Verschleierung, wie wir sie heute kennen, nicht nur in Afghanistan, sondern auch im Iran und in anderen Ländern nicht zu verstehen.
Ich behaupte: Wenn man etwas bekämpfen will - Sie müßten mich gut genug kennen, um zu wissen, daß auch ich so etwas bekämpfe -, muß man erst einmal verstehen, wieso es eigentlich dazu kommen konnte. Wir befinden uns eben in einer solchen Auseinandersetzung von Kulturen. Ich plädiere doch nur dafür, daß wir nicht sagen: Wir hier im Westen haben es so phantastisch gemacht. Wir haben alles richtig gemacht. - Wenn ich sehe, daß westliche Touristen in griechische Klöster und türkische Moscheen in Bade-

Dr. Friedbert Pflüger
hose und Bikini gehen, dann dreht sich mir der Magen um. Vor solchen Dingen wollen sich die Menschen schützen. Dazu wählen sie völlig inakzeptable Mittel.
Die Borkha ist auch ein Symbol für den Schutz der Frau gegen all diese furchtbaren Einflüsse.

(Dr. Edith Niehuis [SPD]: Das ist doch Quatsch!)

- Warum regen Sie sich denn so auf? - Ich sage es noch einmal: Es ist nicht legitim.

(Dr. Edith Niehuis [SPD]: Aber es ist doch legitim!)

Dennoch müssen Sie verstehen und begreifen, wieso es dazu kommen konnte. Nichts anderes habe ich gemacht.
Im übrigen habe ich mich bei dem, was ich zu meiner Vorbereitung hinzugezogen habe, auf Feministinnen gestützt, die solche Untersuchungen und Überlegungen angestellt haben.
Man muß doch erst einmal analysieren können, bevor man Schlüsse zieht. Jemanden, der eine Analyse anstellt, kann man doch nicht in die Ecke stellen und ihm sagen: Mit deiner Analyse billigst du das.

(Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Aber das reicht doch nicht!)

- Nein, reichen tut es nicht. Deswegen habe ich gesagt: Wir unterstützen das Europäische Parlament in seiner Aktion - wir wollen diese Aktion mittragen -, und wir appellieren an die Amerikaner und die Pakistani, bei der Wahrnehmung ihrer legitimen energiepolitischen Interessen auch auf die Taliban einzuwirken und nicht so zu tun, als ob es dieses Problem nicht gäbe. Das ist ein ganz konkreter Schritt, den ich gefordert habe und den bisher keiner von Ihnen angesprochen hat.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1322217500
Das Wort hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Lintner.

Eduard Lintner (CSU):
Rede ID: ID1322217600
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erlauben Sie mir zum Schluß dieser Debatte noch einige Anmerkungen aus dem speziellen Blickwinkel des Bundesinnenministeriums.
Es geht heute wieder um dieselben Vorwürfe und Forderungen, die hier schon früher häufig diskutiert worden sind. Eingekleidet in den Vorwurf, das deutsche Asyl- und Ausländerrecht weise eine Schutzlücke zum Nachteil von Frauen auf, wird im Kern die Forderung erhoben, den Flüchtlingsbegriff und die Abschiebungshindernisse des Ausländerrechts auf jegliche Art nichtstaatlicher Verfolgung auszudehnen.
Das beklagenswerte Schicksal der davon Betroffenen, zum Beispiel von Frauen, soll nicht kleingeredet werden. Aber eine solch generelle Ausweitung, die
auf jegliche Zurechenbarkeit einer Verfolgungsmaßnahme zum Verfolgerstaat verzichten will, würde zu zahlenmäßig unabsehbaren Aufnahmeverpflichtungen führen. - Ich gehe davon aus, daß auch Sie, Herr Zöpel, diese Forderung nicht erheben wollten. Stellen Sie sich vor, Sie müßten das vor Ihren Mitgliedern und der deutschen Bevölkerung vertreten! - Es liefe im Ergebnis darauf hinaus, daß dieser Schutz nicht auf die betroffenen Frauen beschränkt werden könnte. Vielmehr müßten auch alle sonstigen Personen und Gruppen einbezogen werden, die in ihrem Heimatstaat durch eine von Privaten ausgehende Gefahr bedroht sind. Auf die Verantwortlichkeit des Staates käme es dabei letztlich gar nicht mehr an. Bedenken Sie: Derzeit kommen monatlich zirka 6 000 Asylbewerber zu uns. Aber der Antragsteller Bündnis 90/Die Grünen meint, diese Zahl könne ohne Schaden für unsere innere Lage noch gewaltig gesteigert werden.
Solche Auswirkungen müssen nicht sein. Denn der vom deutschen Rechtssystem bereitgestellte Schutz für die betroffenen Frauen reicht aus. Er gehört, weltweit gesehen, zu den großzügigsten.

(Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: „Reicht aus"? Warum?)

Es ist daher festzustellen, daß sowohl die geltende Rechtslage geschlechtsspezifischen Verfolgungsschicksalen von Frauen und frauenspezifischen Fluchtgründen hinreichend Rechnung trägt. Im übrigen gilt das gerade für Afghanistan. Mir ist kein Fall, sei es eine Frau oder ein Mann, bekannt, wo nach Afghanistan abgeschoben worden wäre.

(Amke Dietert-Scheuer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nur, weil es nicht geht!)

Es kommt hinzu, daß die zu treffende Einzelentscheidung voll und ganz der Kontrolle durch die Verfassungs- bzw. Verwaltungsgerichtsbarkeit unterliegt. Zudem wird schon die erste Feststellung, ob die Voraussetzungen im Einzelfall vorliegen, von nicht weisungsgebundenen Einzelentscheidern des Bundesamtes getroffen.
Das Asylrecht genießt bei uns, wer politisch verfolgt ist. Wer politisch Verfolgter ist, bestimmt die höchstrichterliche Rechtsprechung, übrigens unter enger Anknüpfung an die Genfer Flüchtlingskonvention. Politische Verfolgung ist danach vom Staat ausgehende oder ihm zumindest zuzurechnende Verfolgung. Die von der Rechtsprechung bestimmten Maßstäbe gelten insoweit auch im Rahmen von § 51 Ausländergesetz, also bei den Abschiebehindernissen.
Schon heute führen geschlechtsspezifische Menschenrechtsverletzungen zu Asylberechtigung und/ oder Abschiebeschutz nach § 51 Ausländergesetz, wenn sie Ausdruck politischer, mithin staatlicher oder dem Staat zuzurechnender Verfolgung sind. Asyl ist aber nicht Schutz vor schlechthin aller Bedrängnis durch Familie und Gesellschaft, sondern in erster Linie Schutz vor dem Zugriff des Herkunftsstaates.


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1322217700
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Eduard Lintner (CSU):
Rede ID: ID1322217800
Herr Zöpel, bitte schön.

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1322217900
Bitte.

Dr. Christoph Zöpel (SPD):
Rede ID: ID1322218000
Herr Staatssekretär, Sie haben eben gesagt - das kann ich so ad hoc nicht bestreiten -, daß es noch keine Abschiebung gegeben hätte. Würden Sie mir bestätigen, daß der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten derzeit einen Prozeß anstrebt, um Abschiebungshemmnisse auf gerichtlichem Wege ausräumen zu können? Das hieße, es gäbe den politischen Willen abzuschieben.

Eduard Lintner (CSU):
Rede ID: ID1322218100
Herr Zöpel, das kann ich nicht bestätigen. Kein Mensch von uns hat je daran gedacht, die Hinderungsgründe für Abschiebung in ihrem Kern anzutasten. Daß gerade Afghanistan ein typischer Staat ist, bei dem diese Hinderungsgründe im Rahmen einer menschengerechten Entscheidung berücksichtigt werden, ist nie in Zweifel gezogen worden und wird sicherlich auch in Zukunft nie in Zweifel gezogen.

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1322218200
Gestatten Sie eine zweite Zwischenfrage? - Bitte.

Dr. Christoph Zöpel (SPD):
Rede ID: ID1322218300
Mir geht es nur um das Faktum. Herr Staatssekretär, bestreiten Sie - mir liegt das hier vor, deshalb finde ich Ihre Antwort eigentümlich -, daß der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten in einem bestimmten Fall eine Klage eingereicht hat, um die Abschiebungsgründe in Frage zu stellen?

Eduard Lintner (CSU):
Rede ID: ID1322218400
Dann geht es darum, daß generelle Wirkungen oder ein Präzedenzfall zu befürchten waren; deshalb hat er es getan. Sie wissen aber auch, daß im Einzelfall trotzdem nicht abgeschoben werden darf, wenn Hinderungsgründe vorhanden sind. Ich denke, ein solcher Fall liegt hier vor.

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1322218500
Herr Staatssekretär, Frau Dietert-Scheuer würde auch gerne eine Zwischenfrage stellen.

Eduard Lintner (CSU):
Rede ID: ID1322218600
Bitte schön.

Amke Dietert-Scheuer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1322218700
Herr Staatssekretär, ich habe in meiner Rede auf den Fall einer afghanischen Flüchtlingsfrau, die von geschlechtsspezifischer Verfolgung bedroht worden war, hingewiesen, bei dem die Abschiebungshindernisse nicht anerkannt wurden, eine Ausreiseaufforderung ausgesprochen und die Abschiebung angedroht wurde. Ist das ein Beleg für Ihre Aussage,
daß bei Abschiebungshindernissen kein politischer Wille besteht, eine solche Frau abzuschieben?

Eduard Lintner (CSU):
Rede ID: ID1322218800
Es ist nicht ausgeschlossen, daß so etwas angedroht wird, aber es ist nie ausgeführt worden,

(Amke Dietert-Scheuer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil es nicht geht!)

weil entweder faktische oder rechtliche Abschiebehindernisse vorhanden sind. Ich wiederhole noch einmal, daß mir unter dem Gesichtspunkt Afghanistan kein Fall bekannt ist, wo ein Mann oder eine Frau tatsächlich dorthin abgeschoben worden wären.

(Amke Dietert-Scheuer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber doch nur, weil keine Flugzeuge gehen!)

Meine Damen und Herren, die Rechtslage in Deutschland trägt übrigens auch den Aussagen der UNHCR-Exekutivkomiteebeschlüsse Nr. 39 und 73 Rechnung. Den Vorwurf, die Bundesregierung komme deren Empfehlungen nicht nach, weise ich deshalb zurück, weil sich die in den Beschlüssen enthaltenen Aussagen mit der Rechtslage in Deutschland decken und die deutsche Rechtslage lediglich nachzeichnen. Interne Dienstanweisungen des Bundesamtes garantieren zudem, daß besonders geschulte Einzelentscheiderinnen mit einer Dolmetscherin die Anhörung durchführen, wenn die Verhaltensweise der Antragstellerin oder konkrete Umstände des Einzelfalles es angezeigt erscheinen lassen. Dieses bedarfsorientierte und anlaßbezogene Verfahren hat sich in der Praxis voll bewährt und ist auch in der Lage, alle die heute hier angeführten Einzelfälle menschenrechtsgerecht zu lösen.
Im Rahmen ihrer Aus- und Fortbildung werden alle Einzelentscheider zusätzlich psychologisch geschult, so daß es ihnen möglich ist, auch frauenspezifische Verfolgungsschicksale während der Anhörung zu erkennen. Insoweit wird auch im Asylverfahren auf denkbare Tabus durchaus eingegangen. Dies war ja ein Einwand, der in der Debatte angeführt worden ist.
Die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage macht das alles deutlich und zeigt auf, daß die deutsche Rechtslage und Rechtspraxis ausreichenden Schutz auch in den von Ihnen angeführten Fällen gewährt.
Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Amke Dietert-Scheuer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eben gerade nicht!)


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1322218900
Ich schließe die Aussprache. Es ist beantragt worden, den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/10032 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und zur Mitberatung an den Innenausschuß zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden?

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
- Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Bericht der Bundesregierung über die 4. Weltfrauenkonferenz auf Drucksache 13/6736 und Drucksache 13/8118 Nr. 1. Der Ausschuß empfiehlt Kenntnisnahme. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen.
Beschlußempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zu dem Bericht der Bundesregierung über die 4. Weltfrauenkonferenz, Drucksache 13/8118 Nr. 2, Buchstabe a: Der Ausschuß empfiehlt, den Entschließungsantrag auf Drucksache 13/7072 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der SPD-Fraktion und der PDS bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Beschlußempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu dem Bericht der Bundesregierung über die 4. Weltfrauenkonferenz, Drucksache 13/8118 Nr. 2, Buchstabe b: Der Ausschuß empfiehlt, den Entschließungsantrag auf Drucksache 13/7096 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Beschlußempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. zur Verwirklichung der Gleichberechtigung, Drucksache 13/8118 Nr. 3: Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/7057 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der SPD-Fraktion und der PDS bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Wir kommen zur Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu den Anträgen der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen zur Wiederherstellung der Menschenrechte in Afghanistan.
Der Auswärtige Ausschuß empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 13/9831 die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Diese Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen.
Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD zur Wiederherstellung der Menschenrechte in Afghanistan, Drucksache 13/9831 Nr. 2: Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/5968 für erledigt zu erklären. Gibt es dazu Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist diese Empfehlung angenommen.
Die gleiche Empfehlung bezieht sich auf den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/5958. Gibt es dazu Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist auch diese Beschlußempfehlung angenommen.
Dann rufe ich jetzt die Tagesordnungspunkte 9a und 9 b auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG)

- Drucksache 13/9712 -(Erste Beratung 216. Sitzung)

- Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Hans Martin Bury, Dr. Uwe Jens, Anke Fuchs (Köln), weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung von Transparenz und Beschränkung von Machtkonzentration in der deutschen Wirtschaft (Transparenz- und Wettbewerbsgesetz)
- Drucksache 13/367 - (Erste Beratung 39. Sitzung)

- Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Steigerung der Effizienz von Aufsichtsräten und zur Begrenzung der Machtkonzentration bei Kreditinstituten infolge von Unternehmensbeteiligungen
- Drucksache 13/9716 -(Erste Beratung 216. Sitzung)

Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuß)

- Drucksache 13/10 038 -Berichterstattung:
Abgeordnete Joachim Gres Detlef Kleinert (Hannover) Dr. Eckhart Pick
Ludwig Stiegler
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses (6. Ausschuß) zu dem Antrag der Abgeordneten Margareta Wolf (Frankfurt), Antje Hermenau, Kristin Heyne, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Begrenzung der Bankenmacht und Verbesserung der Unternehmenskontrolle - Voraussetzung für mehr Transparenz und Innovation
- Drucksachen 13/7737, 13/10038 - Berichterstattung:
Abgeordnete Joachim Gres
Detlef Kleinert (Hannover)

Dr. Eckhart Pick
Ludwig Stiegler

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Joachim Gres, CDU/CSU.

Joachim Gres (CDU):
Rede ID: ID1322219000
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit der heutigen zweiten und dritten Lesung des Gesetzes zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich verabschieden wir am späten Abend - nach anderen wichtigen und interessanten Dingen - ein großes und bedeutsames Reformgesetz, das weitreichende Auswirkungen auf die deutsche Unternehmenslandschaft haben wird, das positive Impulse für den Kapitalmarkt in Deutschland geben wird und das im Zusammenwirken mit dem Dritten Finanzmarktförderungsgesetz für viele mittelgroße Unternehmen Anlaß sein wird, zur Verstärkung ihrer Eigenkapitalbasis den Gang an die Börse zu wagen.
Die deutsche Börsenlandschaft ist auf dem besten Wege, sich kräftig zu beleben. In letzter Zeit erscheinen immer mehr Unternehmen, nicht nur von der Größenordnung der Deutschen Telekom AG, auf den Kurszetteln deutscher Aktienbörsen. Deshalb ist es gut, daß wir das Gesetz jetzt verabschieden. Das Gesetz ist gründlich vorbereitet worden; gute Vorarbeit hat vor allem der Deutsche Juristentag 1996 geleistet, der sich insbesondere mit dem Thema des Einflusses von Kreditinstituten auf börsennotierte Unternehmen, mit der Rolle des Aufsichtsrates und mit dem Ablauf von Hauptversammlungen befaßt hat. Außerdem haben wir vor einem Jahr eine große Anhörung mit einer Vielzahl von Experten durchgeführt und schließlich eine kaum noch zu überschauende Fülle von Anregungen aus der Wissenschaft in dem Gesetzentwurf verarbeitet.
Mit dem Gesetz soll vor allem die Effizienz der unternehmerischen Strukturen großer börsennotierter Unternehmen erhöht und einzelnen Fehlentwicklungen der letzten Jahre begegnet werden. Ein grundsätzlicher Kurswechsel ist nach unserer Meinung allerdings nicht geboten. Das deutsche Unternehmensrecht ist bereits in der vergangenen Legislaturperiode in wichtigen Bereichen den Erfordernissen des Marktes angepaßt worden. Ich erinnere hier zum Beispiel an das Gesetz über die „kleine Aktiengesellschaft" oder das Umwandlungsrecht.
Unser deutsches Recht hat sich im internationalen Vergleich durchaus bewährt. Das angelsächsische Board-System oder das US-amerikanische Trennbankensystem sind den entsprechenden deutschen Systemen nicht überlegen. Im Gegenteil: Die Diskussion in den USA zeigt, daß dort zum Beispiel das Trennbankensystem zunehmend als zu rigoros angesehen wird und daß an Auflockerungen gedacht wird.
Auch einzelne spektakuläre Unternehmenskrisen oder Fehlleistungen von Vorständen oder Aufsichtsräten von bestimmten Unternehmen in der jüngeren Vergangenheit sind kein Anlaß für gesetzgeberische
Kurzschlußreaktionen. So bedauerlich Fälle wie Balsam/Procedo, KHD/WEDAG oder auch der Fall des früheren Immobilienhändlers Schneider sind: Für strafbare Handlungen von einzelnen Unternehmern oder von Vorstandsmitgliedern sind die Strafgerichte zuständig. Verstöße gegen geschriebene und ungeschriebene Gesetze und Regeln sind auch mit einem immer dichteren Unternehmensrecht insbesondere dann letztlich nicht zu verhindern, wenn einzelne Personen im kollusiven Zusammenwirken Untreue- oder Betrugshandlungen begehen oder begehen wollen.
Das Unternehmensrecht ist ein wichtiger Teil der Wirtschaftspolitik, und in der Wirtschaftspolitik ist Konstanz ein wichtiges Gut. In einer Grundsatzrede hat Ludwig Erhard einmal gewarnt:
Die deutschen Interessen erfolgreich zu wahren verlangt in erster Linie Stehvermögen, Beharrlichkeit und Geduld. Ich kann nur warnen, zu glauben, Politik bestehe darin, sich jeden Tag etwas Neues einfallen zu lassen. Nicht die Zahl und die Größe der Schlagzeilen, die ein Politiker macht, sind Gradmesser für eine richtige Politik, sondern eher die innere Sicherheit, sich in der Gradlinigkeit seines politischen Handelns nicht von billigen Schlagzeilen beirren und vom rechten Weg abbringen zu lassen.

(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Sehr recht hatte er!)

Konstanz und Kontinuität sind also gefragt, um die Vertrauensbasis für unternehmerische Entscheidungen am Standort Deutschland zu bewahren, sicherlich keine experimentierende Unternehmensrechtspolitik und schon gar kein gesetzgeberischer Aktionismus.
In diesem Sinne und im Sinne einer behutsamen Weiterentwicklung des deutschen Aktienrechtes werden mit dem Gesetz in einigen Bereichen neue Regelungen eingeführt, die ich zunächst unter den Oberbegriffen „Professionalisierung" und „Transparenz" kurz darstellen will.
Die gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Tätigkeit des Aufsichtsrates werden im Interesse einer verstärkten Professionalisierung und Transparenz der Arbeit dieses wichtigen Gremiums behutsam modifiziert. Insbesondere die Aufsichtsräte großer börsennotierter Gesellschaften müssen sich aus erfahrenen Persönlichkeiten zusammensetzen, die persönlich und beruflich unabhängig sind, über unterschiedliche berufliche Hintergründe verfügen und sich mit der gebotenen Intensität der Arbeit im Aufsichtsrat und seinen Gremien widmen können.
Als Anreize für eine stärker professionell zu erbringende Aufsichtsratsarbeit sieht das neue Gesetz zum Beispiel eine mindestens quartalsweise Sitzungsfrequenz des Aufsichtsrates vor. Es sieht ferner die Einbeziehung der Abschlußprüfer des Unternehmens in die Bilanzsitzungen des Aufsichtsrates vor, wobei die Abschlußprüfer Teilnahmepflicht und gegebenenfalls auch Redepflicht haben sollen.

Joachim Gres
Wir sehen die Erteilung des Auftrags an den Abschlußprüfer durch den Aufsichtsrat und nicht mehr durch den Vorstand vor, damit der Aufsichtsrat gegebenenfalls eigene Prüfschwerpunkte bilden kann. Wir sehen ferner die rechtzeitige Übersendung des Prüfberichtes der Abschlußprüfer an alle Mitglieder des Aufsichtsrates vor, also auch an die Arbeitnehmervertreter, so daß die gründliche vorherige Befassung mit dem Bericht sichergestellt ist. Wir sehen schließlich die Erweiterung der Rechenschaftspflichten des Vorstandes gegenüber dem Aufsichtsrat hinsichtlich zukunftsorientierter Planungen vor.
In diesen Kontext der Professionalisierung der Aufsichtsratstätigkeit gehört auch eine Herabsetzung des Quorums für das Klageerzwingungsverfahren bei Haftungsansprüchen gegen Mitglieder des Aufsichtsrates durch die Hauptversammlung des Unternehmens. Das neue Gesetz sieht vor, daß zusätzlich zu den bisherigen Möglichkeiten eine Aktionärsminderheit, die 5 Prozent des Grundkapitals oder Aktien im Nennbetrag von 1 Million DM hält, bei Gericht die Bestellung eines besonderen Vertreters verlangen kann, wenn Tatsachen den dringenden Verdacht auf Unredlichkeiten oder grobe Verletzungen von Gesetz oder Satzung rechtfertigen und der gerichtlich bestellte Vertreter nach pflichtgemäßer Beurteilung der Ansicht ist, daß die Rechtsverfolgung eine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.
Die Erleichterung dieser Klageerzwingungsverfahren soll vor allem eine präventive Wirkung haben. Was wir nicht wollen, ist, daß mißbräuchlichen Aktionsärsklagen Tür und Tor geöffnet wird. Allerdings war die bisherige Rechtslage für Aktionäre und Aktionärsgruppen bei krassem Fehlverhalten von Aufsichtsratsmitgliedern unbefriedigend. Hier wird das neue Gesetz helfen.
Im Sinne der eingangs erwähnten Transparenz muß den Aktionären auf Hauptversammlungen zukünftig ein vollständiges Bild über die vorgeschlagenen Aufsichtsratskandidaten gegeben werden. Dazu gehört zum Beispiel die vorherige schriftliche Angabe des ausgeübten Berufs und sämtlicher Mitgliedschaften in anderen Aufsichtsräten bzw. in anderen in- oder ausländischen Gremien, deren Funktion der Rolle eines Aufsichtsrates vergleichbar ist. Dazu gehören etwa die Mitgliedschaften in einem angloamerikanischen Board.
Diese insgesamt erweiterte Transparenz bei der Kandidatenbenennung und die erhöhten Anforderungen an die Aufsichtsratstätigkeit - und zwar inhaltlich, zeitlich und haftungsrechtlich - rechtfertigen es meiner Meinung nach, auf die insbesondere von der SPD vorgeschlagene Kontrolle durch das Bundeskartellamt hinsichtlich Aufsichtsratstätigkeiten in konkurrierenden Unternehmen und auch auf eine pauschale weitere gesetzliche Herabsetzung der Zahl der zulässigen Aufsichtsratsmandate zu verzichten.
Viele der in Frage stehenden Persönlichkeiten werden sich zukünftig noch kritischer fragen, ob sie ein ihnen angetragenes Aufsichtsratsmandat annehmen sollen. Sie werden sich insbesondere fragen, ob sie nicht im Vorfeld von sich aus auf die Übernahme von
Mandaten in Aufsichtsräten konkurrierender Unternehmen - und zwar auch im Hinblick auf Mandate in konglomeraten Konzernen mit nur partiell überlappenden Unternehmensbereichen - verzichten sollen. Schließlich werden sie sich fragen, ob sie nicht besser ganz generell auf eine zu große Mandatshäufung verzichten.
Demgegenüber würde eine pauschale weitere gesetzliche Herabsetzung der pro Person zulässigen Zahl von Aufsichtsratsmandaten nach unserer Meinung die Unterschiedlichkeiten der jeweiligen Unternehmen nach Branche, Unternehmenserfolg und Unternehmensgröße außer Betracht lassen. Mancher ist eben schon mit drei Aufsichtsratsmandaten überfordert; andere haben keine Probleme mit acht oder zehn Mandaten. Leidtragende wären sehr bald die mittelgroßen Unternehmen, die dann professionell agierende und bekannte Aufsichtsräte für ihre Unternehmen nicht mehr gewinnen könnten.
Außerdem ist es wichtig, daß Konzernaufsichtsratsmandate weiterhin zulässig sind, da dies zu den normalen Leitungsaufgaben des Konzernvorstandes gehört. Allerdings sind die Aufgaben des Aufsichtsratsvorsitzenden derart gewichtig, daß hier eine doppelte Anrechnung auf die Zahl der pro Person zulässigen Aufsichtsratsmandate erfolgen soll. Mit anderen Worten: Wir setzen in diesem Bereich auf Transparenz und Professionalität, nicht auf Bürokratisierung und behördliche Regulierung.
Das zweite große Stichwort im Rahmen der Aktienrechtsreform ist das Thema Bankenmacht. Zuletzt hat sich der Deutsche Juristentag 1996 mit dieser Frage intensiv befaßt. Die vorbereitenden Gutachten zeigen auf, daß der Anteilsbesitz der privaten Banken an börsennotierten Unternehmen rückläufig ist. Diese Tendenz entspricht den Erklärungen und dem Verhalten des privaten Banksektors, an dem jeweiligen Beteiligungsbesitz nicht langfristig festhalten zu wollen. Eine unrühmliche Ausnahme hiervon machen einige Landesbanken. Der Beteiligungsbesitz der WestLB zeigt steigende Tendenz; die NordLB ist gerade erst unrühmlich mit ihrer Rolle bei dem Erwerb der Anteile an der Preussag Stahl AG in Erscheinung getreten.
Die Gutachten des Deutschen Juristentages zeigen ferner auf, daß ein konkreter Nachweis über den angeblich negativen Einfluß der Banken auf Beteiligungsunternehmen fehlt. Das Schlagwort von einer quasi kartellartigen „Deutschland AG", die sich aus Banken und Versicherungen gebildet habe und sich - jenseits von Performance-Überprüfungen - in Hauptversammlungen gegenseitig abstütze, ist wohl vor allen Dingen ein politischer Kampfbegriff und von Sachkenntnis oftmals ungetrübt. Es zeugt eher von einer oberflächlichen Betrachtung, wenn gelegentlich sogar ein Landeswirtschaftsminister in der Nachbarschaft zu Frankfurt am Main die Banken „unter das Damoklesschwert" stellen will, beim Kampf gegen „die" Banken allerdings gerne die Landesbanken und die Versicherungen vergißt.
Unumstritten ist allerdings, daß die häufige Mehrfachfunktion von Banken gegenüber Unternehmen als Kreditgeber, Teilnehmer von Emissionskonsor-

Joachim Gres
tien, Anteilseigner, Depotstimmrechtsbevollmächtigte und Dienstberechtigte von Aufsichtsräten unter ordnungspolitischen Gesichtspunkten einer kritischen Überprüfung bedarf. Eine empfindliche gesetzliche Einschränkung des bestehenden Beteiligungsbesitzes deutscher Kreditinstitute würde aber auf eine Vielzahl rechtlicher und praktischer Schwierigkeiten stoßen. Zunächst einmal wäre ein zwangsweiser Abbau bestehender Beteiligungen deutscher Kreditinstitute an Nichtbanken auf, wie zum Beispiel von der SPD gefordert, 5 Prozent des Stammkapitals verfassungsrechtlich wohl nur im Rahmen einer steuerneutralen Auffanglösung möglich, da in vielen Fällen die Beteiligungen der Banken in den Bilanzen nach dem Niederstwertprinzip erfaßt sind. Eine steuerliche Erleichterung der Veräußerung von Beteiligungsbesitz könnte aber aus rechtlichen und auch aus politischen Gründen nicht auf den Bereich des Bankenbeteiligungsbesitzes beschränkt werden. Dies gilt entsprechend für Überlegungen, Veräußerungsgewinne bei der Veräußerung von Beteiligungsbesitz bei entsprechenden Reinvestitionen steuerlich zu begünstigen. Eine derartige umfassende steuerliche Flankierung des Beteiligungsabbaus ist aber angesichts der derzeitigen Finanz- und Steuerreformdiskussion nicht darstellbar.
Außerdem würde eine gesetzliche Regelung zum Zwangsverkauf von Bankenbeteiligungen nur den Beteiligungsbesitz von Banken mit Sitz oder Niederlassung im Inland treffen. Ausländische Kreditinstitute, gegebenenfalls auch ausländische Tochtergesellschaften inländischer Banken, und deutsche oder ausländische Versicherungen mit Beteiligungsbesitz im Inland wären nach EU-Recht von einer derartigen Regelung nicht erfaßbar. Ein isoliertes deutsches Vorgehen würde deshalb unter Umständen beim Beteiligungsbesitz nur deutsche Banken gegen ausländische Banken austauschen. Ein derartiger Effekt wäre meines Erachtens eher kontraproduktiv und wird von uns nicht angestrebt.
Außerdem wäre die Rolle der Banken bei der Sanierung notleidender Unternehmen oder bei der Börseneinführung junger Unternehmen neu zu definieren. In diesen Bereichen müßten zeitliche Ausnahmeregelungen von dem Verbot des Beteiligungsbesitzes erfolgen. Aber ob die privaten Geschäftsbanken bei einem zeitlich nur gestreckten Veräußerungszwang der von ihnen bei einer Sanierung übernommenen Anteile bereit wären, im Einzelfall übernehmende Unternehmenssanierungen überhaupt noch durchzuführen, ist doch recht fraglich.
Angesichts dieser bekannten faktischen und rechtlichen Gemengelage ist der Gesetzentwurf des Bundesrates zu diesem Thema mehr als dürftig. Nach diesem Vorschlag soll deutschen Banken der Erwerb von mehr als 10 Prozent der Aktien deutscher börsennotierter Gesellschaften schlicht untersagt werden, und ein überschießender Beteiligungsbesitz müßte von den Banken in den nächsten vier Jahren veräußert werden. Dies würde bedeuten, daß ausländische Banken weiterhin unbehelligt und völlig uneingeschränkt Beteiligungen an deutschen Aktiengesellschaften halten dürften. Es würde bedeuten, daß deutschen Banken das Halten von Beteiligungen an allen nicht börsennotierten Unternehmen und an ausländischen Aktiengesellschaften weiterhin erlaubt wäre, so daß geschickterweise zum Beispiel fast der gesamte umfangreiche Beteiligungsbesitz der WestLB unangetastet bliebe. Dies würde bedeuten, daß bei vielen deutschen Publikumsgesellschaften an die Stelle deutscher Banken schlicht ausländische Banken oder ausländische Tochtergesellschaften deutscher Banken oder Versicherungsgesellschaften treten würden. Dies alles macht überhaupt keinen Sinn und ist mehr populistische Effekthascherei als seriöse Unternehmensrechtspolitik.
Bei einer nüchternen Abwägung aller Aspekte und Argumente spricht deshalb mehr dafür, gesetzlich in den Bereich der bestehenden Beteiligungen von Banken an Nichtbanken nicht einzugreifen, zumal die Tendenz des Abbaus von Beteiligungsbesitz der Banken an Nichtbanken anhält.
Ein weiterer Schwerpunkt der Aktienrechtsreform ist die Neuregelung der Präsenz auf Hauptversammlungen. Aus ordnungspolitischen Gründen besteht ein Interesse an einer möglichst hohen Präsenz auf den Hauptversammlungen börsennotierter Unternehmen. Der normale Aktionär und Bankkunde mit einem gestreuten Aktiendepot wird aber Hauptversammlungen in der Regel nicht aufsuchen, da Kosten und Nutzen in keinem vernünftigen Verhältnis zueinander stehen. Der Gesetzgeber muß diese „rationale Apathie" der Aktionäre in sein Handeln mit einbeziehen. Eine Einschränkung des einfachen, kostengünstigen und effizienten Systems des Vollmachtsstimmrechts der Banken - auch der den Banken von ihren Depotkunden erteilten sogenannten 15-Monats-Vollmachten - kann daher nur sehr behutsam erfolgen.
Nach dem neuen Gesetz muß deshalb in Zukunft ein Mitglied der Geschäftsführung der Depotbank zur verantwortlichen Organperson dafür benannt werden, daß Abstimmungsvorschläge für die Depotkunden ausschließlich im Aktionärsinteresse entwikkelt werden und daß dies entsprechend dokumentiert wird. Ferner sollen die Unternehmen zukünftig bei Einladungen zu Hauptversammlungen ausdrücklich und in der gebotenen Deutlichkeit darauf hinweisen, daß sich die Aktionäre auf den Hauptversammlungen neben den Depotbanken auch von sonstigen Dritten, zum Beispiel von Einzelpersonen oder Aktionärsvereinigungen, vertreten lassen können.
Im Interesse einer zusätzlichen Transparenz muß der Depotkunde, der ja letztlich als Aktionär für sich selbst verantwortlich ist, zukünftig von seiner Depotbank auf einen etwaigen Beteiligungsbesitz dieser Bank an dem anderen Unternehmen von mehr als 5 Prozent und auch auf etwaige personelle Querverbindungen der Depotbank mit dem anderen Unternehmen hingewiesen werden.
Soweit eine Depotbank an dem anderen Unternehmen mehr als 5 Prozent der Anteile hält, darf sie zukünftig nur noch mittels Einzelvollmachten gleichzeitig ihre Depotkunden und ihren Eigenbesitz auf Hauptversammlungen des anderen Unternehmens vertreten. Diese Regelung wird bei den Banken zu erheblichen Anstrengungen führen, entsprechende

Joachim Gres
Einzelvollmachten einzuwerben. Wie das Beispiel der Hauptversammlungen der großen deutschen Privatbanken selbst zeigt, kann dies aber dennoch gelingen, ohne daß die Hauptversammlungspräsenzen unangemessen sinken.
Was die SPD zu diesem Problembereich mit ihrem Vorschlag, besondere Aktionärsvertreter zu wählen, anbietet, ist bestenfalls eine schlappe Lachnummer. Nach den SPD-Vorstellungen sollen nur Wirtschaftsprüfer, gnädigerweise im Falle der Eignung auch Steuerberater oder Rechtsanwälte, die Stimmrechte derjenigen Aktionäre ausüben dürfen, die keine Einzelvollmachten erteilt haben. Diese Aktionärsvertreter sollen offenbar im Vorfeld einer Hauptversammlung von den Aktionären im Rahmen einer Art Wahlkampf für eine Dauer von fünf Jahren gewählt werden, wobei die fünf Kandidaten, die die meisten Stimmen der Aktionäre erhalten haben, zum Ziel kommen.

(Hans Martin Bury [SPD]: Vor Wahlkampf haben Sie Angst, nicht?)

Anschließend sollen sich diese fünf Aktionärsvertreter in einer Art zweitem Wahlkampf um die Vertretungsaufträge der einzelnen Aktionäre bemühen. Schließlich sollen die Aktiengesellschaften die Tätigkeiten dieser Aktionärsvertreter während ihrer Amtszeit von fünf Jahren nach Maßgabe einer vom Bundesjustizminister zu erlassenden Gebührenordnung auch noch bezahlen.
Meine Damen und Herren, dies alles ist bestenfalls ein überbürokratischer Irrsinn. Dieses Modell würde eine erhebliche Macht auf fünf Aktionärsvertreter, die auf fünf Jahre fest gewählt sind, konzentrieren, von deren finanz- und industriepolitischen Vorstellungen niemand etwas Genaues weiß, und würde schließlich mit großer Wahrscheinlichkeit zu einem dramatischen Absinken der Versammlungspräsenzen führen, da die Aktionäre diese Personen in aller Regel gar nicht kennen und ihnen deshalb auch gar keine Vollmachten erteilen würden. Letzteres wiederum würde bedeuten, daß entschlossene Aktionärsminderheiten nach Gusto auf Hauptversammlungen Beschlüsse fassen könnten.
Meine Damen und Herren von der SPD, wenn Sie uns schon nicht glauben, wenn Sie schon der gesamten Fachwelt nicht glauben, glauben Sie doch wenigstens Ihrem Professor Wenger, dem Sie sonst ja so freundschaftlich verbunden sind, der unverblümt Ihre Aktionärsvertreteridee als Quatsch bezeichnet hat.

(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Da hat er recht gehabt!)

Meine Damen und Herren, es hat sich gezeigt, daß die Ausgabe von Aktienbezugsrechten - also sogenannter stock-options - an Mitarbeiter und Führungskräfte eines Unternehmens international immer wichtiger wird, um diesen Personenkreis an das Unternehmen und an sein wirtschaftliches Schicksal zu binden. Das neue Gesetz sieht hierfür behutsame Öffnungen vor, die allerdings Mißbräuche und Manipulationsmöglichkeiten weitgehend ausschließen sollen.
Insbesondere muß der Hauptversammlungsbeschluß über die Ausgabe bedingten Kapitals für die Gewährung solcher Anteile mindestens die Aufteilung der Bezugsrechte auf die berechtigten Personen bestimmen. Es müssen die Erfolgsziele und die Erwerbs- und Ausübungszeiträume festgelegt werden. Es wird klargestellt, daß die Aktienoptionen erstmals nach zwei Jahren ausgeübt werden können. Unser Ziel ist die mittel- und langfristige Bindung von Mitarbeitern und Führungskräften an das Unternehmen und nicht die Ermöglichung eines schnellen Gewinns für diesen Personenkreis.
Meine Damen und Herren, wir haben uns im übrigen auf eine allseits befriedigende Lösung für die Abschaffung von Mehrstimmrechten und Höchststimmrechten verständigt, die es in bestimmten Unternehmen in Deutschland für einzelne Aktionärsgruppen immer noch gibt. Das Ziel „eine Aktie, eine Stimme" ist damit spätestens in fünf Jahren verwirklicht.
Das Gesetz stellt in der heute zur Verabschiedung anstehenden Fassung die Mehrstimmrechtsaktionäre bei Abschaffung ihrer Mehrstimmrechte nicht rechtlos, sondern gibt ihnen die Möglichkeit, Ausgleichsansprüche gegen die Gesellschaft geltend zu machen, sofern dem Mehrstimmrecht ein besonderer Wert innewohnt. Dies ist sachgerecht und verhindert insbesondere, daß auf Grund von Unklarheiten über den besonderen Wert von Mehrstimmrechten die Wirksamkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen in Frage gestellt werden kann.
Schließlich werden wir mit dem Gesetz auch im Bereich der Abschlußprüfung eine Reihe von Neuerungen einführen, um die Abschlußprüfungen zu einem noch wirksameren Instrument der Kontrolle und Transparenz in börsennotierten Unternehmen zu machen. Wichtig ist, daß die Abschlußprüfer zukünftig vom Aufsichtsrat beauftragt werden, so daß der Aufsichtsrat eben selbst Prüfschwerpunkte nach seinem Ermessen bilden kann.
Eine externe Prüferrotation sehen wir nicht vor. Dies hätte zu einer weiteren Oligopolisierung bei den großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften geführt. Es ist bedauerlich, daß die SPD auf ihren entsprechenden Vorstellungen nach wie vor beharrt, obwohl die gesamte Fachwelt diesen Vorschlag einhellig ablehnt.

(Zuruf von der SPD: Er ist ordnungspolitisch konsequent!)

Allerdings hält der Gesetzentwurf an dem internen Prüferwechsel nach sechs hintereinanderfolgenden Prüfungen einer amtlich notierten Aktiengesellschaft fest. Die anderslautende Empfehlung des Wirtschaftsausschusses ist nicht übernommen worden, weil wir glauben, daß bei der Prüfung von amtlich notierten Aktiengesellschaften ein interner Prüferwechsel nach sechs Jahren geboten ist, um der Gefahr von Betriebsblindheiten entgegenzuwirken.
Außerdem enthält das Gesetz in Ergänzung des vor kurzem beschlossenen Kapitalaufnahmeerleichterungsgesetzes die Schaffung eines deutschen Rechnungslegungsgremiums. Sie wissen, daß wir

Joachim Gres
nach dem Kapitalaufnahmeerleichterungsgesetz für die Konzernrechnungslegung den befreienden Abschluß nach IAS oder US-GAAP-Regeln zugelassen haben. Wenn wir schon für eine Übergangszeit auf Grund der Entwicklungen auf den globalen Finanzmärkten die Regelwerke fremder Rechtsordnungen für deutsche Konzerne befreiend akzeptieren, müssen wir in den Gremien, die diese internationalen Regelwerke entwickeln, vertreten sein, um die deutschen Interessen zu wahren. Dies geht nur über ein unabhängiges, privatrechtlich organisiertes Rechnungslegungsgremium.
Dieses Rechnungslegungsgremium soll Empfehlungen entwickeln, die, sofern das BMJ in Abstimmung mit dem BMF diese Empfehlungen offiziell veröffentlicht, den Konzernbilanzen der Großunternehmen dann auch zugrunde gelegt werden können. Insofern ist ein Überschwappen derartiger Empfehlungen auf den Bereich der Einzelabschlüsse der Unternehmen nicht zu erwarten, so daß das heute vorgelegte Gesetz der Empfehlung des Finanzausschusses nicht folgt, § 342 Abs. 2 HGB mit seiner Vermutungsregel zu streichen.
Außerdem haben wir ebenfalls in Ergänzung zum Kapitalaufnahmeerleichterungsgesetz im GmbH-Recht eine zusätzliche Regelung zur Eingrenzung des Kapitalersatzrechtes bei den Sanierungsbeteiligungen an einem Unternehmen in der Krise geschaffen. Wir sind sicher, daß diese Möglichkeit, die ordnungsrechtlich sauber ist, von der Wirtschaft kurzfristig und nachhaltig in Anspruch genommen wird.
Zum Abschluß der parlamentarischen Beratungen danke ich den Mitarbeitern des Bundesjustizministeriums, die uns über viele Monate und Jahre bei der Arbeit wirklich intensiv geholfen und mit großer Fachkunde alle Möglichkeiten und Varianten mit uns durchdiskutiert haben.
Ich stelle zusammenfassend fest, daß das heute zur Verabschiedung anstehende Gesetz eine in sich ausgewogene und von der Fachwelt weitgehend begrüßte Anpassung der rechtlichen Rahmenbedingungen für Aktiengesellschaften an das sich verändernde wirtschaftliche Umfeld darstellt. Der Gesetzentwurf läßt den Unternehmen die gebotene Flexibilität und engt sie nicht übermäßig durch zuviel Bürokratie ein. Der Gesetzentwurf beschränkt sich auf die Regelungsnotwendigkeiten und sorgt für eine angemessene Transparenz und Kontrolle im Unternehmensbereich. Ich bitte deshalb für dieses Gesetz heute um Ihre Zustimmung.
Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1322219100
Das Wort hat der Kollege Hans Martin Bury, SPD.

Hans Martin Bury (SPD):
Rede ID: ID1322219200
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bereits am 30. Januar 1995 hat die SPD-Bundestagsfraktion den Entwurf eines Transparenz- und Wettbewerbgesetzes in den Deutschen Bundestag eingebracht. Seitdem hat diese Regierungskoalition die parlamentarischen Beratungen systematisch verschleppt.
Als Begründung für die kontinuierlichen Verzögerungen haben Sie stets auf den von der Bundesregierung geplanten Gegenentwurf zu unserem TWG verwiesen. Ihr KonTra-Gesetz liegt uns jetzt endlich, fast 40 Monate nach der Ankündigung Ihrer letzten Koalitionsvereinbarung, zur Abstimmung vor.

(Zuruf von der SPD: So schnell ist eben die Koalition!)

Verglichen mit den vollmundigen Ankündigungen, mit denen Sie die Einleitung von Maßnahmen zur Beschränkung der Bankenmacht und zur Verbesserung der Unternehmenskontrolle angekündigt hatten, ist der Koalitionsentwurf ein politischer Offenbarungseid,

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

eine Scheinreform mit lediglich kosmetischem Inhalt, getreu dem Motto: Es muß etwas geschehen, aber es darf nichts passieren; ein Placebo-Gesetz, symptomatisch für die Politik dieser Bundesregierung im Jahre 16 des Kanzlers Kohl: Vollmundige Ankündigungen stranden in koalitionsinternen Querelen und versanden schließlich in zahnlosen Formelkompromissen. Diese Art der Politikverweigerung einer Bundesregierung können wir uns in Deutschland nicht länger leisten.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, Ihr KonTra-Gesetz ist überwiegend auf Kritik und Ablehnung gestoßen, einmal abgesehen von denjenigen, die von den zu behebenden Mißständen in der Vergangenheit profitiert haben und nach Ihrem Willen auch zukünftig davon profitieren sollen. Das KonTra-Gesetz ist nicht nur ein „Managerschutzgesetz", wie es die Schutzgemeinschaft der Kleinaktionäre formuliert hat. Es ist auch ein „Bankenschutzgesetz" . Denn statt endlich Maßnahmen einzuleiten, um die bestehenden Mißstände im deutschen System der Unternehmenskontrolle, die ordnungspolitisch inakzeptable Machtkonzentration bei den Kreditinstituten und den Versicherungskonzernen, die wechselseitigen Verflechtungen, die immanenten Interessenkonflikte, die fehlende Transparenz und die unzureichende Kontrollfunktion des Kapitalmarktes, zu beheben, haben Sie hier einen Gesetzentwurf vorgelegt, der lediglich zaghaft an den Symptomen herumdoktert.

(Beifall bei der SPD)

Daß eine derartige Ordnungspolitik light nicht ausreicht, um die bestehenden Defizite des deutschen Systems der „corporate governance" zu beseitigen, hat Ihnen in diesen Tagen auch die Monopolkommission vorgehalten. Bereits in der öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses hat Herr Professor Möschel als Vertreter der Monopolkommission erläutert, das KonTra-Gesetz erinnere ihn an das alte siziliani-

Hans Martin Bury
sche Sprichwort: Man muß möglichst viel verändern, damit alles beim alten bleibt.

(Detlef Kleinert [Hannover] [F.D.P.]: Sie müssen sich doch für irgend etwas entscheiden, Herr Bury!)

Die Monopolkommission hat jetzt einen ganzen Katalog von Nachbesserungen vorgeschlagen; vieles davon befindet sich bereits in dem von uns vorgeschlagenen TWG.

(Joachim Gres [CDU/CSU]: Das ist nicht das Entscheidende!)

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung enthält keine ausreichenden Lösungsvorschläge, um die Kontrollfunktion der Aufsichtsräte im Unternehmensbereich zu verbessern. Darüber hinaus enthält er keine hinreichenden Instrumente, um den Einfluß der Banken in den Unternehmen wirksam einzuschränken .. .
So heißt es wörtlich in der Stellungnahme des Bundesrates.

(Joachim Gres [CDU/CSU]: Ja, und? Detlef Kleinert [Hannover] [F.D.P.]: Den kennen wir!)

Meine Damen und Herren, beim Anteilsbesitz von Banken und Versicherungen soll nach dem Wunsch der Koalition nichts geändert werden - und dies, obwohl, Herr Gres, diese Bundesregierung auf eine schriftliche Anfrage von mir im März 1997 selbst eingestehen mußte, daß die zehn größten Privatbanken ihren Beteiligungsbesitz in den letzten Jahren - entgegen den vom Bankenverband verbreiteten Falschinformationen - weiter ausgebaut haben.

(Detlef Kleinert [Hannover] [F.D.P.]: Führend die West LB! 5 Milliarden, 150 Beteiligungen!)

- Ich habe im Moment, Herr Kollege Kleinert, die größten Privatbanken genannt, zu denen die West LB nicht gehört. Aber es ist richtig, daß auch öffentliche Banken hier beteiligt sind. Unser Gesetzentwurf sieht für alle gleichermaßen Beteiligungsbeschränkungen vor.

(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Haben Sie Ihre Rede mit Herrn Schröder abgestimmt?)


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1322219300
Herr Kollege Bury, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schauerte?

Hans Martin Bury (SPD):
Rede ID: ID1322219400
Ja, natürlich.

(Detlef Kleinert [Hannover] [F.D.P.]: Er sollte einmal seine Rede mit Herrn Neuber abstimmen!)


Hartmut Schauerte (CDU):
Rede ID: ID1322219500
Herr Kollege Bury, weil es zur Zeit so interessant ist: Sind Ihr Antrag von
1995 und Ihre Rede heute mit Herrn Gerhard Schröder abgestimmt?

(Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Haben Sie Ihre Zwischenbemerkung mit Herrn Kohl abgestimmt?)


Hans Martin Bury (SPD):
Rede ID: ID1322219600
Der Zustand der SPD ist glücklicherweise weit besser als der Zustand der Regierungskoalition, so daß wir Redebeiträge nicht vorher abstimmen müssen. Aber selbstverständlich habe ich das Thema sehr intensiv mit Gerhard Schröder diskutiert, und wir stimmen in den zentralen Punkten überein. Es gibt - das werden Sie wissen; das wird ja auch öffentlich diskutiert - eine Differenz in bezug auf die Frage der Beschränkung des Beteiligungsbesitzes. Ich habe immer darauf hingewiesen, daß wir es hier ja mit einer Einflußkumulation zu tun haben, also mit dem Zusammenwirken verschiedener Faktoren.

(Joachim Gres [CDU/CSU]: Also beim VWKonzern!)

- Die Antwort darauf, Herr Gres, kriegen Sie jetzt mitgeliefert.
Auf den Hauptversammlungen der 24 größten börsennotierten Gesellschaften in Deutschland gibt es im Durchschnitt Mehrheiten der Banken von 84 Prozent. Kritiker sprechen schon von einer „Sowjetisierung der deutschen Wirtschaft". Das einzige der großen Unternehmen, bei dem die Banken nicht über die Mehrheitsposition verfügen, ist in der Tat VW.

(Joachim Gres [CDU/CSU]: Da hat sie der Staat!)

Deshalb hat Gerhard Schröder im Gespräch etwa mit Vertretern des Bundesverbandes Deutscher Banken vorgeschlagen, das Modell der Stimmrechtsvertretung von VW generell auf die deutsche Wirtschaft auszudehnen. Sie wollten das VW-Gesetz gern auch noch mit erledigen; diesen Plan haben Sie allerdings glücklicherweise fallengelassen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben vorgeschlagen, den Beteiligungsbesitz von Banken und Versicherungen an branchenfremden Unternehmen generell auf fünf Prozent zu beschränken. Ausnahmen soll es in Sanierungsfällen und zur Wagnisfinanzierung geben.

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch)

Auch bei den Aufsichtsräten wollen Sie faktisch nichts ändern. Unverändert können Deutschlands Multi-Aufsichtsräte bis zu 15 Mandate wahrnehmen. Kein einziger von ihnen müßte nach Ihrem Gesetzentwurf auch nur ein einziges Mandat abgeben. Das Problem von Aufsichtsräten in konkurrierenden Unternehmen - Herr Gres hat es eingestanden - wird überhaupt nicht angegangen.
Beim Depotstimmrecht soll sich nach Wunsch der Bundesregierung praktisch ebenfalls nichts ändern. Die vorgeschlagene Wahlpflicht der Banken bei Beteiligungen von mehr als fünf Prozent ist vollkommen

Hans Martin Bury
ungeeignet, den Konflikt zwischen den Interessen einer kreditgebenden Bank und denen der zu vertretenden Aktionäre zu beseitigen. Graf Lambsdorff hat sich frühzeitig entsprechend kritisch geäußert. Dem Mißbrauch des Depotstimmrechts bleibt Tür und Tor geöffnet. Selbst die größte deutsche Investmentgesellschaft, die DWS, eine hundertprozentige Deutsche-Bank-Tochter, hält diesen Vorschlag für - wörtlich - kontraproduktiv. Sinnvoller erscheint der DWS, die Stimmrechtsvertretung durch andere Treuhänder - unabhängige Experten - auszubauen.

(Detlef Kleinert [Hannover] [F.D.P.]: Aus Gewerkschaftskreisen!)

Einen entsprechenden Vorschlag enthält unser TWG.

(Detlef Kleinert [Hannover] [F.D.P.]: Kumuliert mit Gewerkschaftsmacht!)

Wir wollen das unkontrollierte Depotstimmrecht der Banken durch eine professionelle Aktionärsvertretung mittels unabhängiger Stimmrechtsvertreter ersetzen. Herr Gres, die Deutsche Telekom AG zum Beispiel hat diesen Vorschlag bereits aufgegriffen - ein Schritt in die richtige Richtung, wenngleich in der praktischen Ausgestaltung noch erheblicher Verbesserungsbedarf besteht. Ich meine, Herr Gres, Sie sollten nicht generell einen Vorschlag, nach dem Menschen ihre Vertreter nach demokratischen Prinzipien selbst wählen, verwerfen, nur weil Sie selber kürzlich dabei auf die Nase gefallen sind.
Natürlich enthält das KonTraG auch keinerlei Maßnahmen beim zentralen Problem der wechselseitigen Verflechtungen. In diesem Punkt hat selbst der Deutsche Juristentag, auf den Sie sich sonst gerne berufen, dringenden Handlungsbedarf angemahnt. Nach Schätzungen der Bundesbank werden rund 30 Prozent der umlaufenden Aktien von Produktionsunternehmen zum Aufbau wechselseitiger Verflechtungen gehalten. Die Monopolkommission bezeichnet diesen Zustand als ordnungspolitisch gefährlich, da die Funktionen der Unternehmenskontrolle faktisch ausgehebelt würden.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1322219700
Herr Kollege Bury, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gres?

Hans Martin Bury (SPD):
Rede ID: ID1322219800
Ja, natürlich.

Joachim Gres (CDU):
Rede ID: ID1322219900
Herr Kollege Bury, wären Sie so freundlich, mir zu erläutern, was Sie meinten, als Sie soeben sagten, daß ich neulich in einer demokratischen Abstimmung auf die Nase gefallen sei?

Hans Martin Bury (SPD):
Rede ID: ID1322220000
Ich wußte, daß Ihr Gedächtnis kurz ist. Aber der Sonntag ist ja noch nicht so fürchterlich lange her.

(Joachim Gres [CDU/CSU]: Sie meinten die Wahl in Niedersachsen?)

Die Koalitionsparteien haben ja am Sonntag von den Wählern eine ganz kräftige Quittung bekommen.

(Joachim Gres [CDU/CSU]: Ich dachte, Sie meinten etwas wirklich Wichtiges!)


Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1322220100
Fahren Sie fort, Hen Kollege! Ihre Redezeit läuft.

(Detlef Kleinert [Hannover] [F.D.P.]: Herr Bury, dann dürften Sie ja gar nicht mehr antreten, wenn man bedenkt, wie oft Sie schon auf die Nase gefallen sind! Damit leben wir doch!)


Hans Martin Bury (SPD):
Rede ID: ID1322220200
Ein kabarettistischer Beitrag, Herr Kleinert.
Unser Transparenz- und Wettbewerbsgesetz sieht vor, daß Stimmrechte aus wechselseitigen Verflechtungen künftig nicht mehr ausgeübt werden dürfen.
Im Bereich der Haftungsregelung wollen Sie zwar formal etwas verändern, aber faktisch nichts verschärfen. Unverändert sollen Deutschlands Manager und Aufsichtsräte selbst nach eklatantem Fehlverhalten in ihren weichen Sesseln sitzen bleiben, während die Arbeitnehmer auf der Straße stehen. Das System Kohl in Reinkultur! Egal wie desolat die Bilanz, wie viele Arbeitsplätze auf Grund von Mißmanagement verlorengehen oder wie hoch die Verschuldung: Die Zeche zahlen stets die Kleinen.
Statt die Haftung für das Versagen von Managern zu verschärfen, wollen sie den Herren sogar noch eine zusätzliche Form der Vergütung, sogenannte stock options, zukommen lassen, eine insbesondere in den USA weitverbreitete Form der leistungsbezogenen Vergütung.

(Joachim Gres [CDU/CSU]: Da haben Sie im Rechtsausschuß doch mitgestimmt! Was soll das denn heißen? Sie haben doch dafür gestimmt! Was denn jetzt?)

- Herr Gres, niemand hat etwas dagegen, daß Leistung besonders honoriert wird. Der gravierende Unterschied zu den USA ist aber, daß in den USA für solche Optionspläne und ihre Offenlegung wesentlich schärfere Regelungen bestehen und daß der Kapitalmarkt dort die Kontrollfunktion ganz anders wahrnimmt. Die von Ihnen vorgeschlagenen Regelungen sind, eingebettet in Ihren Gesetzentwurf, nichts anderes als die Einladung zu einer neuen Form von Selbstbedienung für Manager. Wir brauchen keine neuen Privilegien, sondern generell eine stärkere Beteiligung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am Produktivkapital und damit am Erfolg der Unternehmen.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1322220300
Herr Kollege Bury, Herr Gres möchte trotz der fortgeschrittenen Zeit noch eine Zwischenfrage stellen. Sind Sie damit einverstanden?


Hans Martin Bury (SPD):
Rede ID: ID1322220400
Ich habe die Hoffnung fast schon aufgegeben, daß es etwas nützt. Aber, Herr Gres, versuchen Sie es noch einmal.

Joachim Gres (CDU):
Rede ID: ID1322220500
Herr Bury, würden Sie uns denn netterweise erläutern, wie es dazu kommt, daß die SPD-Fraktion im Rechtsausschuß diesen Teilen des Gesetzes zugestimmt hat, welche Sie jetzt hier so verwerfen? Für wen sprechen Sie eigentlich?

Hans Martin Bury (SPD):
Rede ID: ID1322220600
Herr Gres, ich habe darauf hingewiesen, daß wir nichts gegen stock options generell haben, schon gar nichts gegen leistungsbezogene Vergütungen. Die Frage ist nur, in welchem Kontext insgesamt man so etwas regelt und wie diese Regelungen im Detail aussehen. Nichts anderes habe ich eben hier gesagt. Es geht nicht an, daß Sie insgesamt völlig unzureichende Transparenzvorschriften haben,

(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Ist ja wie Herr Gysi heute!)

daß Sie insgesamt den Kapitalmarkt nicht in die Lage versetzen, die nötige Kontrollfunktion auszuüben, daß Sie hier ein Instrument schaffen, mit dem selbst unterdurchschnittliche Unternehmensentwicklungen überdurchschnittlich honoriert werden, aber nur für die Führungsetage, nicht für diejenigen, die den Erfolg mit erwirtschaften. Dieses habe ich im Kontext Ihres Entwurfes kritisiert,

(Joachim Gres [CDU/CSU]: Aber da haben Sie zugestimmt!)

der über dieses Thema hinaus sehr weitreichende Defizite hat.
Die Defizite des deutschen Systems der Unternehmenskontrolle und die unkontrollierte Machtposition der Großbanken und Versicherungen sind nicht nur aus ordnungspolitischer Sicht problematisch. Es geht hier um zentrale Strukturdefizite des Nervensystems unserer Volkswirtschaft. Über die Kapital- und Risikoallokation sowie die Unternehmenskontrolle übt das Finanzsystem einen wesentlichen Einfluß auf das Anpassungs- und Innovationsverhalten des privaten Sektors aus und somit auf den Wettbewerb, den Strukturwandel und das Wachstum der Volkswirtschaft insgesamt.
In den letzten Jahren wurde unermüdlich - auch hier im Hause - über den Standort Deutschland und die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft debattiert, eine Debatte, die sich hauptsächlich auf Faktorkosten, Steuern und Infrastruktur konzentrierte. Dabei leidet die deutsche Wirtschaft heute eben nicht primär unter angeblich zu hohen Löhnen oder Lohnnebenkosten, sondern sie leidet unter einer wettbewerbs- und innovationsfeindlichen Verflechtung und Verkrustung. Die Strukturprobleme der deutschen Wirtschaft, die sich in der Innovationskrise manifestieren, werden durch den Strukturkonservatismus einer geschlossenen Gesellschaft angestellter Manager geschaffen und gefördert. Diese Abschottung ist innovationsfeindlich und schadet unserem Land. Wo Wettbewerb um Führungspositionen, Kontrolle und Haftung für Fehler praktisch ausgeschlossen sind, werden Kreativität und Innovation nicht gefördert. Inzwischen steht außer Zweifel, daß der dominierende Einfluß der Banken auf die deutsche Wirtschaft tendenziell innovationsfeindlich ist, wie es Kartellamtschef Wolf seit Jahren kritisiert. Auch Herr Wolf hat das KonTraG daher folgerichtig als unzureichend bezeichnet.

(Joachim Gres [CDU/CSU]: Das stimmt doch so gar nicht!)

Wie zerstritten die Regierungsparteien auch in diesem Bereich der Wirtschaftspolitik sind, dokumentiert die Tatsache, daß wir heute nicht nur über den SPD-Entwurf - und einen Bleichlautenden Antrag der Grünen - sowie über das KonTraG debattieren, sondern auch über den vom rheinland-pfälzischen Wirtschaftsminister Rainer Brüderle vorgelegten und vom Bundesrat beschlossenen „Entwurf eines Gesetzes zur Steigerung der Effizienz von Aufsichtsräten und zur Begrenzung der Machtkonzentration bei Kreditinstituten infolge von Unternehmensbeteiligungen",

(Dr. Eckhart Pick [SPD]: Hört! Hört!)

ein Entwurf, der weit über das KonTraG hinausgeht

(Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Interessant!)

und der sich in vielen Bereichen mit der Zielrichtung unseres TWG deckt.

(Dr. Eckhart Pick [SPD]: Sehr richtig!)

Wir sind bereit, einen Kompromiß zu schließen. Wir sind bereit, den Vorschlag von Herrn Brüderle, der im Bundesrat mit breiter Mehrheit beschlossen wurde, zu unterstützen. Es wird dann einmal mehr an Ihnen liegen, meine Herren von der F.D.P., ob Sie heute mit uns einen ersten Schritt zum Abbau der Machtkonzentration bei Deutschlands Großbanken einleiten. Graf Lambsdorff, Sie und Ihre Parteifreunde haben seit Jahren in Interviews und Pressestatements Maßnahmen zur Beschränkung der Bankenmacht angemahnt. Ich habe Verständnis dafür, daß einige von Ihnen nervös zusammenzucken, wenn die Rede von Fünfprozenthürden ist, und daß Sie fast reflexhaft gegen solche Regelungen sind. Wenn Ihnen unser TING daher zu weit geht, dann stimmen Sie doch wenigstens mit uns für den Entwurf Ihres Parteifreundes Brüderle und lehnen dieses kontraproduktive KonTra-Gesetz ab. Sie werden heute noch einmal Farbe bekennen müssen.
Der Rückzug auf das KonTraG reicht nicht aus. Das sogenannte Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich ist in Wirklichkeit Ausdruck der Kontrolle dieser Bundesregierung durch den Unternehmensbereich. Es ist höchste Zeit, Verkrustungen in Politik und Wirtschaft aufzubrechen. Das System Kohl, die Politik des „So tun, als ob man etwas täte" ist am Ende. Doch zum Glück für unser Land ist der Neuanfang zum Greifen nah.

(Beifall bei der SPD)


Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1322220700
Ich gebe das Wort der Abgeordneten Margareta Wolf.


Margareta Wolf-Mayer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1322220800
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bei aller Wertschätzung, Herr Kollege Bury: Unser Antrag ist mitnichten gleichlautend mit Ihrem Gesetzentwurf. Unser Antrag ist Ergebnis zahlreicher Fachgespräche, die wir geführt haben.

(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Das war aber nicht der einzige Fehler, Frau Kollegin!)

- Sie werden ja noch ganz munter zu dieser Abendstunde, Herr Kollege Schauerte.
Meine Damen und Herren, wir haben in der letzten Sitzungswoche gemeinsam das Dritte Finanzmarktförderungsgesetz verabschiedet. Wir waren uns einig - und zwar alle -, daß die darin enthaltenen Maßnahmen notwendig sind, um den Finanzplatz Deutschland zu stärken. Wir waren uns darüber hinaus einig, daß wir eine weitere Verbreitung der Aktie brauchen und daß wir explizit andere Formen von Beteiligungskapital fördern wollen, damit die Rahmenbedingungen für Arbeitsplätze in Deutschland verbessert werden. Meine Fraktion hat dem Gesetzentwurf zugestimmt, auch wenn wir in wesentlichen Punkten
- das wissen Sie - erhebliche Kritik hatten.
Der nun vorliegende Gesetzentwurf, Herr Kollege Gres, zeigt jedoch nach meiner Meinung, daß Sie es nicht wirklich ernst meinen mit der Stärkung des Finanzplatzes Deutschland.

(Joachim Gres [CDU/CSU]: Sie wissen mehr von Finanzen als von Recht!)

- Das ist richtig.
Ich rede mit Leuten, die an den Börsen in London und Frankfurt arbeiten. Die sagen mir: Ein entscheidendes Hemmnis für die Fortentwicklung des Finanzplatzes Deutschland ist die starke Stellung der Banken, ist die enge Verflechtung von Banken und Großunternehmen, die das deutsche Finanzwesen undurchschaubar machen.

(Hans Martin Bury [SPD]: Das ist richtig!)

Das Problem des Übergewichts der Kreditfinanzierung, das sich bis in die Mittelstandsförderung hinein auswirkt, ist auch ursächlich für zu wenige Innovationen in Deutschland. Dies tasten Sie in dem Gesetz leider nicht an.
Deutsche Banken sind Kreditgeber - Herr Bury hat auf die Kumulation der Macht hingewiesen -, Anteilseigner, Aktionärsvertreter, Hausbank sowie Mitglied in den Aufsichtsgremien vieler Unternehmen. Sie besitzen und kontrollieren die größten deutschen Investmentfonds. Das ist in der Tat einmalig. Diese Kumulationsmöglichkeiten unterscheiden Banken von anderen Marktteilnehmern. Das wissen Sie auch.
Während die Banken und auch die Versicherungen entscheidenden Einfluß auf die deutsche Wirtschaft nehmen, ist eine Kontrolle der Banken von außen kaum möglich. Es ist auch bekannt, daß sich die größten deutschen Banken sowie die Versicherungen über die wechselseitigen Beteiligungen untereinander kontrollieren. Da wundern Sie sich. Dieses böse
Wort, dieses ideologische Wort „Deutschland AG" kommt doch daher, daß man nach wie vor die Tendenz zu einer geschlossenen Gesellschaft hat, daß es keinen Wettbewerb gibt und daß man sich weitgehend gegen demokratische Kontrolle abgeschirmt hat.

(Beifall bei der SPD)

In Sachen Börsenkultur - vielleicht sind Sie da etwas offener, Herr Gres - ist Deutschland noch immer ein Entwicklungsland. Trotz T-Aktie, trotz Finanzmarktförderungsgesetz und trotz einer Zunahme beim Aktiensparen: Die Börsenkapitalisierung - Indikator dafür, wie stark eine Volkswirtschaft die Börse in Anspruch nimmt - liegt in Deutschland gerade einmal bei 27 Prozent. Wir müssen uns doch Gedanken darüber machen, woran das liegt.
Zum Vergleich: Die USA, das gelobte Land der Börsianer, auf das Sie an anderer Stelle immer gern verweisen, zum Beispiel beim Finanzmarktförderungsgesetz, kommen auf 122 Prozent und liegen damit noch nicht einmal an der Spitze.

(Joachim Gres [CDU/CSU]: Weil die Altersversorgung dort darüber läuft!)

- Aber in Großbritannien läuft die Altersversorgung nicht über die Börse.

(Joachim Gres [CDU/CSU]: Doch, weitgehend! Dr. Otto Graf Lambsdorff [F.D.P.]: Doch!)

Dort beträgt die Börsenkapitalisierung 152 Prozent. Aber in den Niederlanden nicht, Herr Kollege Lambsdorff. Da beträgt sie 93 Prozent. Daß wir eine sehr niedrige Börsenkapitalisierung haben, das ist doch bekannt.

(Joachim Gres [CDU/CSU]: Ja! Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Deswegen!)

Woran liegt das? Es liegt nicht nur an der Altersversorgung. In den Niederlanden läuft die Altersversorgung nicht über pension funds.
Meine Damen und Herren, Sie können nicht auf der einen Seite in jeder Sonntagsrede mehr Risikokapital und mehr Beteiligungskapital für die deutsche Wirtschaft, vor allen Dingen für die jungen Unternehmen und die Existenzgründer, fordern, wenn Sie auf der anderen Seite nicht bereit sind, die strukturellen Rahmenbedingungen zu verändern, auf Grund derer wir keinen funktionsfähigen und etablierten Risikokapitalmarkt haben. Die Dominanz der deutschen Universalbanken verhindert, daß sich die Märkte für Beteiligungskapital in Deutschland etablieren können.

(Joachim Gres [CDU/CSU]: Das ist doch absoluter Unsinn!)

Wir sehen in folgenden Punkten Reformbedarf - alles Punkte, die wir in Ihrem Gesetzentwurf vermissen, die hier auch schon mehrfach diskutiert worden sind -: Erstens. Beschränkung des Beteiligungsbesit-

Margareta Wolf (Frankfurt)

zes von Banken an branchenfremden Unternehmen. Wir hätten den Anteil gern auf 5 Prozent reduziert.

(Joachim Gres [CDU/CSU]: Mit einer Übergangsregelung!)

- Ich weiß, daß wir da eine Übergangsregelung brauchen würden.
Zweitens. Abschaffung des weisungslosen Depotstimmrechts der Banken. Drittens. Begrenzung der maximalen Zahl von Aufsichtsratsmandaten auf fünf. Viertens. Verbot der Wahrnehmung von Aufsichtsratsmandaten in konkurrierenden Unternehmen. Fünftens. Sicherstellung der Unabhängigkeit der Kapitalanlagegesellschaften.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das zum Beispiel ist mir ganz persönlich ein großes Anliegen. Sechstens. Verbot der Stimmrechtsausübung aus wechselseitigen Beteiligungen.
Siebtens. Wir brauchen auch gesetzliche Spielregeln für Unternehmensübernahmen - da halte ich den Gesetzentwurf des Kollegen Bury tatsächlich für unterstützenswert -, damit der Kapitalmarkt zum Markt für Unternehmenskontrolle werden kann.
Es ist schon auf verschiedene Gutachten, auf die Monopolkommission hingewiesen worden. Ihnen fehlt es nicht an Informationen, an Kritik an Ihrem Gesetzentwurf. Es gibt gerade im Bereich der Wissenschaft und der Wirtschaft viele, die nicht Ihnen, aber uns zustimmen.

(Joachim Gres [CDU/CSU]: Da war auch viel Zustimmung für unseren Entwurf!)

In einem Gutachten zum Thema Risikokapital, Herr Gres, vom April 1997 hat der Wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium zum KonTraG deutlich Stellung genommen und als Schwachstelle des Entwurfs das Fehlen von Maßnahmen gegen die Ringverflechtungen in der deutschen Wirtschaft und gegen das Depotstimmrecht der Banken benannt. Ich halte das für nachdenkenswert.
Des weiteren hat der Wissenschaftliche Beirat auf das Problem hingewiesen, daß sogar in den Gremien der Börsen die Banken dominieren - das wissen wir auch - und daß sie dazu tendieren, die Kriterien der Börsenreife so hoch anzusetzen, daß sie von jungen Unternehmen in der Regel nicht erfüllt werden können.
Dies kann doch ein Grund dafür sein, verehrte Kollegen, warum im geregelten Markt sowie im amtlichen Handel keine Kleinunternehmen zum Zuge kommen. Die Börsen müssen daher so gestaltet werden - so der Wissenschaftliche Beirat -, daß sie von den Banken unabhängig werden.
Noch ein anderer Kritiker, die schon erwähnte Monopolkommission, hat in ihrem jüngsten Sondergutachten vom Februar 1998, das sich mit ordnungspolitischen Leitlinien für einen funktionsfähigen Finanzmarkt beschäftigt, die Forderungen nach einer Begrenzung der Zahl der Aufsichtsratsmandate auf maximal fünf, nach einem Verbot der Wahrnehmung von Aufsichtsratsmandaten in konkurrierenden Unternehmen sowie nach Begrenzung des Beteiligungsbesitzes von Banken an Industrieunternehmen genannt.
Können Sie mir erklären, warum Sie diese Vorschläge nicht in Ihren Gesetzentwurf aufnehmen? Ich weiß nicht, wer Sie berät. Ich finde es relativ merkwürdig, wenn Herr Rexrodt auf das Gutachten der Monopolkommission mit der Forderung der Begrenzung des Beteiligungsbesitzes sagt: Diese Beteiligungen der Banken stellen Risikokapital für kleinere und mittlere Unternehmen dar. Meine Damen und Herren, das ist nun wirklich lachhaft. Die Industriebeteiligungen der Banken - das wissen wir auch alle - sind das Gegenteil von Risikokapital. Sie verhindern vielmehr, daß Risikokapital in dieser Republik bei der Unternehmensfinanzierung der kleinen und mittleren Unternehmen wirklich eine tragende Rolle spielen kann.
Ich frage mich: Warum setzen Sie die Forderungen der Monopolkommission und des Wissenschaftlichen Beirates nicht um, obwohl dort Wissenschaftler beschäftigt sind, die mit Ihnen sympathisieren? Sie ignorieren sie schlicht. Daß Sie unsere Forderungen nicht umsetzen, leuchtet mir ein.
Wir können daraus nur schließen: Es fehlt Ihnen, meine Damen und Herren, an dem ernsthaften Willen zur politischen Veränderung. Ich freue mich, daß wir mit Bundesrat, SPD und meiner Fraktion eine breite Koalition für eine substantielle Veränderung des Aktienrechts haben. Ich fand die Intervention von Herrn Brüderle im Bundesrat ausgesprochen hilfreich.
Für mich zeigt dieser Gesetzentwurf, daß der Wechsel - auch im Interesse der Stärkung des Finanzplatzes Deutschland - überfällig ist.
Ich bedanke mich.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1322220900
Ich gebe dem Abgeordneten Dr. Otto Graf Lambsdorff das Wort.

Dr. Graf Otto Lambsdorff (FDP):
Rede ID: ID1322221000
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die letzte Redewendung von Frau Wolf gerät nun langsam zur Stereotype. Sie ist in jedem Beitrag von Ihrer Seite des Hauses zu hören. Das können Sie sich langsam schenken. Herr Bury, Sie haben aber durchaus eines gesagt, was ich zumindest für diskussionswürdig halte. Aber warum reichern Sie das mit einer solchen Ansammlung von Stereotypen an, wie Sie das heute wieder getan haben?
Ich möchte hier kein boshaftes Beispiel zitieren, sonst würde ich an Winston Churchill erinnern. Er hat einmal eine Rede von Anthony Eden durchgelesen, die dieser ihm gegeben. Daraufhin hat Churchill die Rede durchgelesen und gesagt: Lieber Anthony, du hast alle Gemeinplätze der englischen Sprache in deiner Rede mit Ausnahme der Redewendung „Bitte ordnen Sie vor Verlassen des Gebäudes Ihre Kleider" untergebracht.

Dr. Otto Graf Lambsdorff
Meine Damen und Herren, ich habe nicht das große Vergnügen und die Ehre, dem Rechtsausschuß anzugehören.

(Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Das können wir noch machen!)

- Nein, vielen Dank; das müssen wir in den letzten Wochen nicht mehr machen. - Aber ich habe mit Interesse gesehen, daß hier von beiden Seiten ein Wortwechsel anfing. Sie haben im Rechtsausschuß zugestimmt, aber Sie bestreiten das. Das ist nun nicht gerade sehr aufrichtig, lieber Herr Bury. Nun sagen Sie uns, was Sie im Ausschuß gemacht haben, wo Sie zugestimmt haben und wo Sie nicht zugestimmt haben. Aber Sie müssen auf solche Einwände wenigstens eine Antwort geben.
Meine Damen und Herren, die Kenner der Bonner Szene und der Bankenszene wissen, daß ich mich mit diesem Thema unter dem - zugegebenermaßen etwas polemischen - Stichwort „Macht der Banken" seit über 20 Jahren beschäftige. Ich möchte nicht alles das wiederholen, was hier gesagt worden ist.
In Sachen Beteiligungsbesitz der Banken teile ich die Position der Monopolkommission. Ich möchte nicht nur den Erwerb von neuen Beteiligungen begrenzen - aber zumindest dies -, sondern ich möchte auch den Abbau bestehender Beteiligungen erreichen. Schon deswegen kann ich dem Entwurf des Bundesrates - bei aller Wertschätzung - natürlich nicht zustimmen.
Ganz abgesehen davon können Sie sich über den Bundesrat und die Übereinstimmung mit ihm freuen. Aber dies ist glücklicherweise kein zustimmungspflichtiges Gesetz. Das bekommen wir schon noch hin, Frau Wolf.
Es ist selbstverständlich, daß der Abbau der Beteiligungen steuerpolitisch flankiert werden müßte. Wenn Sie das nicht tun, grenzt das an eine Teilenteignung. Das geht nicht.
Nun fand sich für einen solchen Entwurf innerhalb der Koalition keine Mehrheit. Das bedeutet für mich aber nicht, daß dieser heutige Gesetzentwurf falsch ist. Auch die Monopolkommission begrüßt zum Beispiel die transparenzfördernden Maßnahmen, und sie begrüßt ausdrücklich - zitieren Sie nicht immer nur die Hälfte, Herr Bury - die Beibehaltung des Depotstimmrechts. Dem ist uneingeschränkt zuzustimmen. Das ist so.
Der Entwurf ist da gut, wo er die Kontrolle durch den Aufsichtsrat verstärkt - Herr Gres hat das dargelegt - und wo er die Zusammenarbeit von Aufsichtsrat und Wirtschaftsprüfern verbessert. Im übrigen gibt es in diesem Zusammenhang bei Procedo/Balsam ja vielleicht doch einiges zu beanstanden. Der Entwurf ist dort gut, wo er die Kontrolle durch Wirtschaftsprüfer erhöht, wo er die Transparenz bei personellen und wirtschaftlichen Verflechtungen herstellt, wo er Mehr- und Höchststimmrechte abschafft und wo damit mehr Aktionärsdemokratie erreicht wird.
In den letzten 20 Jahren - auch daran möchte ich einmal erinnern - hat die F.D.P. zunächst ohne jeden
Erfolg mit dem damaligen Diskussionspartner diskutiert. Die SPD hat das Thema erst in der Opposition entdeckt. Dann gab es ziemlich zähe Gespräche mit der Union. Jetzt ist endlich ein Teilerfolg zustande gekommen.
Es gibt zwei höchst törichte deutsche Sprichworte. Das dümmste heißt: Viel Feind, viel Ehr. Das zweitdümmste heißt: Alles oder nichts. Ich nehme das, was ich bekommen kann. Da der Gesetzentwurf in vielen Teilen völlig richtig ist, wird die F.D.P. ihn unterstützen und für ihn stimmen.
Herr Bury hat mich aufgefordert, ich möge doch einmal mit der SPD stimmen. Ich habe heute ja schon einiges hinter mich gebracht. Ich habe schon zusammen mit Herrn Gysi abgestimmt.

(Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Das Abstimmen mit Herrn Gysi zusammen ist kein Ruhmesblatt!)

- Da haben Sie vollständig recht. Aber es waren ja auch noch andere dabei. Nur, zweimal am selben Tage, das ist ein bißchen zuviel verlangt.

(Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Sie haben recht, Herr Lambsdorff! Das war schon in Ordnung!)

Meine Damen und Herren, die Sozialdemokraten kommen mir in dieser Frage vor wie die Direktoren einer Schnapsfabrik, die Abstinenz predigen. Natürlich können Sie darauf hinweisen, daß Ihr Gesetzentwurf der älteste vorliegende Entwurf ist. Mehrmals habe ich Sie persönlich in den letzten Jahren gefragt, warum Sie ihn oder sich selbst drei Jahre lang in Tiefschlaf versetzt haben. Ist das Thema für Sie Wahltaktik? Das wäre schade.
Wenn Sie wissen, daß Sie nichts erreichen und nichts durchsetzen können, legen Sie leichten Herzens Gesetzentwürfe vor. Am Ende der letzten Legislaturperiode war das völlig gefahrlos. Der Gesetzentwurf fiel nämlich schlicht und ergreifend der Diskontinuität anheim. Heute ist es gefahrlos, weil Sie wissen, daß die Bundesregierung ihren eigenen Entwurf mit Koalitionsmehrheit durchsetzen kann. Auch so kann man Politik machen.

(Dr. Uwe-Jens Heuer [PDS]: Das ist noch nicht sicher!)

- Natürlich ist das sicher.
Was sagt der Vorstandsvorsitzende der West LB - ich will das nur noch einmal ganz kurz aufgreifen; es ist ja schon angesprochen worden -, wenn Sie ihn auffordern, den Beteiligungsbesitz der West LB auf 5 Prozent zu beschränken und die VW-Beteiligung, den Anteil an TUI oder gar den Anteil von 35 Prozent an der Preussag - gar an einen Ausländer - zu verkaufen? Da sei „Oskar Schröder" vor mit seiner moderven Wirtschaftspolitik gegen ausländische Investitionen in Deutschland.
Im Gegenteil: Die West LB bastelt an einem Touristikkonzern. Wenn man sich die Beteiligungsliste von Neubers Imperium ansieht, hat man nicht den Eindruck, es mit einer Bank zu tun zu haben, sondern mit einem Mischkonzern. Das alles geschieht - dar-

Dr. Otto Graf Lambsdorff
auf kommt es doch wohl politisch an; Herr Bury, darum könnten Sie sich kümmern - mit der Billigung des Verwaltungsratsvorsitzenden Schleußer und der absegnenden Gebärde von Johannes Rau. Wenigstens da hat er ja wohl noch etwas zu sagen. Ich nehme es jedenfalls an. Ich fand folgende Bezeichnung in einer Zeitung schön: „Johannes Rau hat in den letzten Woche an Strippen gezogen, an denen niemand mehr hing. "

(Heiterkeit bei der F.D.P.)

Meine Damen und Herren, wo ist denn der Vorschlag, bei VW das Höchststimmrecht abzuschaffen? Da schlagen Sie, Herr Bury, uns vor, das sollten wir auf andere Aktiengesellschaften - das haben Sie wohl mit Herrn Schröder besprochen - übertragen. Habe ich Sie da richtig verstanden?

(Hans Martin Bury [SPD]: Stimmrechtsvertretung! Joachim Gres [CDU/CSU]: Das ist doch ein Treppenwitz!)

Wie Sie wissen, ist die Präsenz bei VW immer mühsam bei 30 Prozent. Deswegen haben Sie ja auch das Verfahren verloren - Sie haben mit dem Land Niedersachsen einen bestimmenden Aktionär -, einen Abhängigkeitsbericht vorzulegen.
Was sagen Sie zu der Forderung der Monopolkommission, öffentliche Banken zu privatisieren? Sie sind schon gefragt worden, wie Sie das Engagement Niedersachsens an der Preussag Stahl AG beurteilen. Privatisierung? Nichts ist der Fall. Hurra, wir verstaatlichen! Das ist moderne Wirtschaftspolitik. Wird das alles Ihren Ansprüchen zum Thema Kontrolle und Transparenz gerecht? Es fehlte noch, daß sich herausstellte, daß die Anzeigenkampagne im niedersächsischen Wahlkampf „Der nächste Kanzler muß ein Niedersachse sein" aus diesem Dunstkreis finanziert worden ist. Das wäre doch besonders fein.

(Ulrich Irmer [F.D.P.]: Das wäre in der Tat pikant!)

Inhaltlich ist der Gesetzentwurf der SPD in meinen Augen nicht zu akzeptieren. Er ist dirigistisch, interventionistisch und bürokratisch. Kreditinstitute sollen Stimmrechte nur auf Grund von Einzelanweisungen ausüben dürfen. Das ruiniert die Präsenz auf unseren Hauptversammlungen. Ihre Stimmrechtsmandatare, Herr Bury, sind wirklich eine Erfindung des Panoptikums.

(Joachim Gres [CDU/CSU]: Das kann man wohl sagen!)

Die Absenkung des Beteiligungsbesitzes ohne steuerliche Flankierung - das sagte ich schon - hat Züge der Teilenteignung.
Man kann den Banken doch nicht verbieten, Kapitalanlagegesellschaften zu halten. Das ist nun wirklich deren Geschäft.
Eine Bemerkung darüber hinaus - das ist auch schon von Herrn Gres gesagt worden -: Wir haben viele Maßnahmen zur Stärkung des Kapitalmarktes hier in diesem Hause, zum Teil mit Ihrer Zustimmung, beschlossen.
Frau Wolf hat das Thema Börsenkapitalisierung angesprochen. Das finde ich nun wirklich amüsant. Sie sollten darüber einen Vortrag bei Herrn Geißler halten und ihn gleichzeitig über das Stichwort Shareholder Value im Zusammenhang mit Börsenkapitalisierung aufklären. Das hängt ja wohl zusammen: Entweder wollen Sie nun Shareholder Value, sprich: eine höhere Börsenkapitalisierung - immer „Jack" Welch als das große Vorbild -, oder Sie wollen es nicht.
Kein Markt für Risikokapital bei uns: Das ist zum Teil richtig. Warum? Einmal, weil wir in Deutschland - ich muß jetzt wieder an den Tod von Mancur Olson denken - eine „rent-seeking society" sind. Das führt leider auch zu vielen anderen Problemen. Es ist aber auch aus steuerlichen Gesichtspunkten richtig. Auf der anderen Seite sollten Sie sich einmal den „Neuen Markt" ansehen: Das läuft gar nicht so schlecht. Es gibt also auch Lichtblicke.
Ich sage es noch einmal: Herr Geißler und andere mögen das Stichwort Shareholder Value nicht; Herr Bury mag es auch nicht so gern. Gleichzeitig aber plädieren sie dafür, daß Arbeitnehmer über Vermögensbildung zu Aktionären werden. Also sollen sie Shareholder werden. Dann sollten Sie deren Interessen doch nicht dauernd schon im vorhinein abqualifizieren.
Je mehr Anleger, auch institutionelle Anleger, auf den Markt kommen, je mehr die deutschen Kapitalmärkte an internationalen Standards gemessen werden, desto mehr wird die Kontrolle über die Unternehmensführung bestärkt, desto mehr wird der Druck auf noch mehr Transparenz zunehmen. Das ist eine gute Entwicklung. Wir kommen mit diesem Gesetzentwurf einen guten Schritt weiter. Sie sollten nicht mich auffordern, Ihren Vorstellungen zuzustimmen. Vielmehr sollten Sie sich einen Ruck geben und - auch wenn Ihnen vielleicht nicht alles genügt - dem Gesetzentwurf und der damit eingeschlagen Richtung zustimmen.
Danke.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1322221100
Dann gebe ich das Wort dem Abgeordneten Dr. Uwe-Jens Heuer.

Dr. Uwe-Jens Heuer (PDS):
Rede ID: ID1322221200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mir ist die Eile sehr verdächtig, mit der der Regierungsentwurf für ein Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich jetzt über die parlamentarische Bühne gehetzt wird. Über drei Jahre schleppte sich der SPD-Entwurf hin. Die Regierung hat ein Jahr und zwei Monate gebraucht, um aus ihrem Referentenentwurf eine ordentliche Drucksache zu machen. Diese trägt das Datum vom 28. Januar dieses Jahres. Eine Woche später, am 5. Februar, war die erste Lesung. Schon in der übernächsten Woche - also der laufenden Sitzungswoche - findet die zweite und dritte Lesung statt.
Ich kann mir das nur so erklären, daß ein für die Koalitionsparteien nicht gerade wahlwirksames Thema vom Tisch soll. Es geht um die Machtkonzentration bei den Großbanken, die nicht bloß Finanz-

Dr. Uwe-Jens Heuer
dienste leisten, sondern die Wirtschaft regieren. Der Sachverständige Professor Dr. Michael Adams von der Universität zu Köln hat auf der Anhörung im Januar vorigen Jahres die Lage wie folgt charakterisiert:
Die fünf großen privaten Aktienbanken und die mit ihnen verflochtenen beiden Münchener Versicherungskonzerne beherrschen über Depotstimmrecht, Eigenbesitz und eigene Kapitalanlagegesellschaften die deutschen Großunternehmen, die sich im Streubesitz befinden, und Tausende andere Unternehmen. Die Kontrolle über diese zentralen Kontrollinstanzen der deutschen Wirtschaft liegt wiederum auf Grund von Ringverflechtung, Depotstimmen und eigenen Kapitalanlagegesellschaften bei den Verwaltungen dieser Unternehmen selbst. Hierdurch wird die Eigentums- und die Wettbewerbsordnung auf den Kopf gestellt. Zugleich bietet das gegenwärtige deutsche Rechnungs- und Prüfungswesen keinen Schutz vor Selbstbereicherung und feudalem Mißbrauch der Unternehmensressourcen durch deren Verwaltungen.
Es gibt also durchaus Wissenschaftler, die die Positionen der Koalition in diesem Bereich sehr kritisch sehen. Insofern möchte ich Herrn Gres widersprechen, der davon gesprochen hat, daß die gesamte Fachwelt sozusagen die Position der Koalition vertrete. Über den Zusammenhang zwischen Fachwelt, Politik und Wirtschaft mache ich mir natürlich meine Gedanken. Wer einmal Karl Marx oder später Max Weber oder heute Bourdieu gelesen hat, weiß darüber auch einiges zu sagen.
Der SPD-Entwurf will die Bankenmacht nicht beseitigen. Das kann man von der SPD auch kaum erwarten. Aber verschiedene Elemente der Begrenzung dieser Macht, der Kontrolle des Bankensystems sind im Entwurf durchaus enthalten. Dabei geht es nicht bloß darum, aus der Vergangenheit bekannte einzelne eklatante Fälle von Mißmanagement und kriminellem Fehlverhalten, die auch von der Koalition eingeräumt werden, zu vermeiden. Vielmehr geht es auch darum, ein Minimum an Transparenz und Kontrolle in den wirtschaftlichen Alltag hineinzubringen. Das kann der Wirtschaft nur guttun und kommt unseren Vorstellungen von Demokratie entgegen. Deshalb haben wir schon in der ersten Lesung unsere Zustimmung zum SPD-Entwurf signalisiert, wenn er uns auch nicht weit genug geht.
Auch dem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen kann ich wegen dessen Konsequenz viel Sympathie entgegenbringen.
Der Gesetzentwurf des Bundesrates ist ebenfalls zustimmungsfähig. Interessant und für die Effizienz der Kontrolltätigkeit von Aufsichtsräten wichtig finde ich den Vorschlag, einen vorstandsunabhängigen Aufsichtsratsassistenten einzusetzen, der den Aufsichtsrat insbesondere bei der Beschaffung und Bewertung von Informationen unterstützt.
Aus dem SPD-Entwurf begrüßen wir vor allem folgendes: Auch wir sind für die Begrenzung der Aufsichtsratsmandate pro Person auf fünf bei Doppelzählung der Vorsitzposten. Man muß schon das Kaliber eines Grafen Lambsdorff besitzen, wenn man neben ein paar anderen Aufgaben, zum Beispiel hier im Bundestag, neun Mandate, darunter zwei Mandate als Aufsichtsratsvorsitzender, schafft. Die Personalunion bei der Wahrnehmung von Mandaten in miteinander konkurrierenden Unternehmen ist geradezu unsittlich. Die Haftungssanktionen gegen Vorstände und Aufsichtsratsmitglieder und der Rechtsschutz für Kleinaktionäre sollten verstärkt werden. Das weisungslose Depotstimmrecht verleiht den Banken einen unerträglichen und nicht zu rechtfertigen Machtzuwachs und sollte abgeschafft werden. Auch ich halte es für vernünftig, den Besitz von Anteilen auf maximal fünf Prozent des Nennkapitals der betreffenden Unternehmen zu begrenzen. Die wechselseitigen Beteiligungen und Ringverflechtungen müssen eingeschränkt werden, damit der vielgepriesene freie Wettbewerb einigermaßen funktioniert. Das liegt vor allem auch im Interesse der kleinen und mittleren Unternehmen. Schließlich bin ich für den zwingenden Wechsel der Wirtschaftsprüfer nach fünf Jahren Tätigkeit für dasselbe Unternehmen, für die Pflicht zur Offenlegung der personellen Verflechtungen von Banken und Versicherungen mit den Verwaltungen anderer Unternehmen und für Transparenz der Vergütung der Vorstandsmitglieder. Also: keine schlechten Ideen von seiten der SPD.
Verehrte Kollegen von der SPD, ich beglückwünsche Sie zum Ergebnis der Wahl in Niedersachsen. Ob sich allerdings Gerhard Schröder als Kanzlerkandidat hinter diese Vorschläge der SPD-Fraktion stellt, möchte ich trotz der Ausführungen des Herrn Bury bezweifeln.

(Joachim Gres [CDU/CSU]: Da hat Herr Heuer mal recht!)

Er wird froh sein, wenn dieses Thema durch die zu erwartende Ablehnung des SPD-Entwurfs vorerst erledigt ist. Seine Äußerungen lassen sich nicht darauf schließen, daß er den Banken weh tun will.
Diese haben in der jüngsten Stellungnahme des gemeinsamen Arbeitsausschusses des Bundesverbandes deutscher Banken und anderer Kapitalverbände klipp und klar erklärt: Die SPD-Vorschläge „werden als massive Eingriffe in bewährte Grundsätze des deutschen Aktienrechts nachdrücklich abgelehnt". Die Banken sind natürlich gegen jede Regelung, die auch nur einen schwachen Geruch demokratischer Kontrolle ausströmt.
Nun kommt kurz vor Toresschluß die Bundesregierung mit einem Entwurf, der auf 37 Druckseiten ein paar kosmetische Operationen vornimmt, aber ansonsten alles beim alten läßt. Es sollen ein paar Hinweis- und Mitteilungspflichten zusätzlich eingeführt werden. Die Vorschläge sind marginal, wie zum Beispiel die Idee, die Mindestzahl der Mitglieder eines Aufsichtsrat von zwanzig auf zwölf herabzusetzen oder die Zahl der Aufsichtsratssitzungen zu erhöhen.

(Joachim Gres [CDU/CSU]: Das steht gar nicht mehr im Gesetz!)

Sie sind im übrigen überwiegend unkonkret und
nicht zwingend. Aufschlußreich ist, was alles nicht

Dr. Uwe-Jens Heuer
darin steht, nämlich die Vorschläge aus dem SPD-Entwurf und aus dem Antrag der Grünen.
Der Regierungsentwurf setzt auf das Konzept der Deregulierung, auf die „Selbstorganisation der Unternehmen", wie es in der Begründung so schön heißt.

(Joachim Gres [CDU/CSU]: So ist es!)

Er ist in meinen Augen eine bewußte und gewollte Verwässerung des eigentlichen Anliegens, nämlich mehr Transparenz und Kontrolle herzustellen. Es soll dabei bleiben, daß in der Geschäftspolitik großer sowie kleiner und mittlerer Unternehmen nichts ohne die Zustimmung der Großbanken, der eigentlichen Kontrolleure, passiert.
Ich kann mich nur der Bemerkung von Professor Dr. Ekkehard Wenger von der Universität Würzburg in seiner Stellungnahme für die Anhörung des Rechtsausschusses anschließen, daß die derzeitige parlamentarische Mehrheit die Pfründenwirtschaft der Konzernfunktionäre und nicht die Funktionsfähigkeit des Aktienmarktes verteidigen will. Der Entwurf zeigt, wer in diesem Land das Sagen hat: die Großbanken und Großkonzerne. Wir lehnen ihn ab.
Bertolt Brecht ist zu seinem 100. Geburtstag in geradezu einnehmender Weise gefeiert worden. Selbst Herr Stoiber sah in dem listigen Augsburger einen großen Sohn Bayerns. Der Bundespräsident hat am 24. Februar eine Rede zu Ehren von Bertolt Brecht gehalten, die in meinen Augen mehr Nachdenklichkeit deutlich macht als die Gesamtheit der Ausführungen, die ich von Herrn Gres in jahrzehntelanger Zusammenarbeit einschließlich seiner heutigen Rede zu Gregor Gysi

(Joachim Gres [CDU/CSU]: Das war gestern!)

gehört habe. Dem Herrn Bundespräsidenten gefielen an Brecht vor allem seine Fragen, die dauerhafter seien als seine Antworten. Eine seiner Fragen - sie stammt aus der „Dreigroschenoper" - lautete:
Was ist ein Dietrich gegen eine Aktie? Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?
Danke schön.

(Beifall bei der PDS)


Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1322221300
Nun spricht für die Bundesregierung der Parlamentarische Staatssekretär Rainer Funke.

Rainer Funke (FDP):
Rede ID: ID1322221400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich eingangs mit einigem Stolz sagen, daß wir in einem ganz wichtigen Bereich, nämlich im Bereich des Unternehmens- und Kapitalmarktrechtes, in den letzten Jahren insbesondere auch im internationalen Vergleich ganz erheblich vorangekommen sind. Ich will die Handelsrechtsreform, das Kapitalaufnahmeerleichterungsgesetz, das Dritte Finanzmarktförderungsgesetz, das Stückaktiengesetz mit der Einführung der nennwertlosen Aktie, die heute zur Verabschiedung anstehende Aktienrechtsnovelle und natürlich auch noch die Transportrechtsreform erwähnen. In Deutschland stehen wir damit heute an einem zumindest vorläufigen Ende einer langen und intensiv geführten Diskussion und manchmal auch streitigen Debatte.
Gerade im Bereich der Finanzmärkte und der im internationalen Wettbewerb stehenden Unternehmen ist die Globalisierung besonders weit fortgeschritten. Deutsche börsennotierte Unternehmen finanzieren sich mittlerweile weltweit. Dies führt automatisch zu einer veränderten Struktur der Anteilseigner der Publikumsgesellschaften. Daraus folgt auch, daß das sehr deutsche Thema „Bankenmacht" stark relativiert wird. Diese Entwicklung führt zu einem starken Harmonisierungsdruck auf unser Unternehmens-, Rechnungslegungs- und Börsenrecht.
Die Aktienrechtsnovelle behandelt mehrere wichtige Themen, von denen die Verbesserung der Aufsichtsratsarbeit nur eines ist. Beim Aufsichtsrat setzen wir bei der Offenlegung aller anderen Mandate an, um mehr Transparenz zu erreichen. Dies ist dort bedeutsam, wo Interessenskonflikte entstehen können. Wir setzen ferner an bei der Information des Aufsichtsrates, der Sitzungshäufigkeit, der Mandatszahl pro Person, nämlich des Aufsichtsratsvorsitzenden, und der Haftung der Organe, die eine nicht zu unterschätzende edukative Wirkung hat. Der Entwurf behandelt darüber hinaus die Zusammenarbeit von Aufsichtsrat und Abschlußprüfer und insbesondere die Verbesserung der Abschlußprüfung und die Unabhängigkeit der Abschlußprüfer. Das Vollmachtstimmrecht der Banken wird schließlich stärker an die Interessen der Aktionäre gebunden. Das können auch Sie, Herr Bury, sicherlich nicht bestreiten. Der Entwurf setzt ferner an der Stelle mit Regelungen ein, wo denkbare Interessenskonflikte zwischen dem Kreditinstitut aus Eigengeschäft oder Eigenbesitz oder aus seiner Funktion als Stimmrechtsvertreter für die Depotkunden liegen können.
Entsprechend der EG-Rechtslage wird der Eigenerwerb von Aktien in Deutschland vorsichtig gelokkert - auch dies ist ein Zeichen für die internationale Harmonisierung unseres Gesellschaftsrechts. Wenn Sie, Frau Wolf, Interesse daran haben, daß das Leben an unserer Börse etwas lebhafter wird, müssen Sie gerade für diesen Eigenerwerb von Aktien sein. Der Entwurf behandelt schließlich die gesellschaftsrechtlichen Rahmenbedingungen, die erfolgsorientierte Vergütung von Führungskräften, aber auch von anderen Arbeitnehmern.
Eine unmittelbare Folge der Internationalisierung der Finanzmärkte ist, daß sogenannte herrschaftssichernde Instrumente in den Satzungen aus der Mode gekommen sind. Sie sind auch international völlig ungewöhnlich. Ich meine damit die Höchststimmrechte und die Mehrstimmrechte. Erste sichtbare Folge unseres Vorstoßes war, daß die Mehrstimmrechte bei der RWE Aktiengesellschaft freiwillig beseitigt wurden. Wir verfolgen mit dem Entwurf den Grundsatz „one share, one vote": eine Aktie, eine Stimme.

P
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1322221500
Wir schaffen die Voraussetzungen für die Errichtung eines privatrechtlich organisierten Rechnungslegungsgremiums. Dieses private Gremium soll Empfehlungen zur Anwendung der Grundsätze über die Konzernrechnungslegung entwickeln. Die Gründung eines solchen Standard-Setters ist ein wichtiger Beitrag zur internationalen Harmonisierung unseres Wirtschaftsrechts. Fast alle anderen führenden Industrienationen haben bereits ein solches Gremium. Es war höchste Zeit, diese Lücke zu schließen. Andernfalls hätten wir überhaupt keine Chance, die Fortentwicklung internationaler Bilanzstandards mit zu beeinflussen.
Besonders die mittelständische Wirtschaft wird sich über folgende Änderungen freuen: Nach jahrelanger Diskussion ist es gelungen, im GmbH-Bereich ein Sanierungsprivileg für das Eigenkapitalersatzrecht vorzusehen. Die Mittelstandspolitiker in allen Parteien haben nicht lockergelassen, und ich bin froh, daß wir jetzt eine gute Lösung gefunden haben, mit der künftig Sanierungsmaßnahmen auch mit den Banken erheblich einfacher verhandelt werden können.
Der Bundesrat hat in dem ebenfalls heute zur Beratung anstehenden Entwurf seine Meinung niedergelegt. Ich will sie hier nicht geringschätzen. Alle diese Entwürfe und Vorschläge - einschließlich der Vorschläge Herr Bury, der SPD - zeugen von einem ernsthaften Ringen um die Modernisierung unseres Wirtschaftsstandortes, um die Zukunftsfähigkeit unserer Unternehmen in einem veränderten, globalisierten Umfeld. Deshalb kann es auch nicht verwundern, daß die Vorschläge in vielen Punkten übereinstimmen.
Natürlich gibt es auch gewichtige konzeptionelle und inhaltliche Unterschiede. Nur am Rande will ich erwähnen, daß mir der Bundesratsentwurf weitaus zu bürokratisch und obrigkeitsstaatlich angelegt ist. Man lese sich nur einmal als Beispiel die Regelungen zum Aufsichtsratsassistenten - wahrscheinlich mit A 14 oder A 15 versehen - oder zum Stimmrechtsmandatar durch.

(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Und ÖTV!)

- Vielleicht sogar mit Zugehörigkeit zur ÖTV; das ist ein sehr guter Vorschlag, Herr Schauerte.

(Hans Martin Bury [SPD]: Von wem stammt der Entwurf? Hartmut Schauerte [CDU/ CSU]: Der stammt von Herrn Neuber!)

So ebnen wir - das gilt insbesondere für den Bundesratsentwurf - unseren Unternehmen bestimmt nicht den Weg in das nächste Jahrhundert. Wir sollten mehr deregulieren als regulieren; unsere Unternehmen leiden ohnehin unter der starken Regulierung durch den Staat.
Aber nicht die Unterschiede, sondern die Gemeinsamkeiten möchte ich auch hier betonen. Sie sind Folge des langjährigen Diskussionsprozesses, der über Fraktionsgrenzen hinweg geführt wurde und zu gemeinsamen Einsichten geführt hat. Das Entscheidende ist dabei: Wenn wir heute das Kontrolle- und Transparenzgesetz verabschieden, bringen wir unser Recht in vielen wichtigen Punkten auf einen ganz modernen Stand. Es kann sich damit auch international sehen lassen, auch was den internationalen Anleger angeht.
Wir werden uns aber - das sage ich voraus - darauf nicht lange ausruhen können. In der nächsten Wahlperiode wird es sicherlich mit der Modernisierung unseres Wirtschaftsrechts weitergehen müssen, etwa beim Konzernbilanzrecht und bei dem Vierten Kapitalmarktförderungsgesetz, z. B. bei der Altersvorsorge durch Fonds. Für heute können wir gleichwohl feststellen, daß wir wesentliche Schritte vorangekommen sind.
Ich danke vor allem den Berichterstattern und diesem Hause für die konstruktive Beratung des vorgelegten Entwurfs.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1322221600
Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Dr. Eckhart Pick.

Prof. Dr. Eckhart Pick (SPD):
Rede ID: ID1322221700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Funke hat immer die erfrischende Art, auf die versöhnliche Seite der Beratungen hinzuweisen, wofür ich auch sehr dankbar bin. Ich erinnere an die Bemerkung zu Beginn Ihres Statements, daß die SPD vernünftige Gesetzentwürfe der Bundesregierung immer unterstützt habe, ob es das Kapitalaufnahmeerleichterungsgesetz oder die Regelungen zur Stückaktie waren.

(Ulrich Irmer [F.D.P.]: Hin und wieder!)

Daran erkennen Sie, daß wir kooperativ sind und uns hier auch nicht als Blockadeführer begreifen. Vielmehr sind wir dabei, wenn es um Dinge geht, die den Kapitalmarkt tatsächlich stärken und weiter nach vorne bringen.
Herr Gres, ich möchte Ihnen zugestehen, daß wir in den Berichterstattergesprächen doch das eine oder andere verbessert haben. Das wird nicht bestritten. Das ändert aber nichts an den grundsätzlichen Unterschieden, des Gesetzentwurfs der Bundesregierung und des Gesetzentwurfs der SPD. Sie waren auch nicht bereit, auf unsere Vorschläge insofern einzugehen, daß wir uns vielleicht einander angenähert hätten.
Was mich als Rheinland-Pfälzer besonders bedrückt, ist, daß Sie diesen luziden Vorschlag des Bundesrates, der von niemand Geringerem als - ich darf das einmal so formulieren - meinem Wirtschafts- und Landwirtschaftsminister

(Dr. Otto Graf Lambsdorff [F.D.P.]: Weinbauminister!)

- und Weinbauminister - Rainer Brüderle stammt, ablehnen. Daß Sie nicht gemeinsam mit uns über diese Brücke, die er zu bauen versucht hat, gehen wollen, macht mich doch etwas unfroh. Ich weiß

Dr. Eckhart Pick
nicht, wie es dem Herrn Brüderle in dieser Frage geht.
Spaß beiseite. Sie haben zumindest die Chance vergeben, sich vielleicht mit einer größeren Mehrheit in Richtung auf eine echte Reform des Aktienrechts zu bewegen, die dann in der Tat den Standort Deutschland ebenfalls hätte attraktiver machen können.

(Detlef Kleinert [Hannover] [F.D.P.]: Dann wäre nichts mehr gegangen!)

Wir können nicht übersehen, daß auch nach den Beratungen in den Ausschüssen der Entwurf der Bundesregierung signifikante Defizite aufweist zum Beispiel, was den Anteilsbesitz der Kreditinstitute angeht. Ich spreche bewußt nicht von Banken. Das Depotstimmrecht und die Entkoppelung vom Einfluß der Kreditinstitute, so wie wir das vorgeschlagen haben, wäre doch zumindest ein Diskussionsansatz gewesen, auf dem man hätte aufbauen können. Sie werden auch verstehen, daß wir die Frage der Wirtschaftsprüfer und der Rotation noch immer etwas anders sehen als Sie. Wir hätten das gerne auch extern geregelt, so daß die Gefahr, daß man wichtige Dinge übersieht, nicht mehr in dem Maße gegeben ist.
Auch bei der Begrenzung der Zahl der Aufsichtsratsmandate - für mich ist dies aber nicht der wesentlichste Punkt -, zeigt sich, daß Sie auch den kleineren Reformschritt nicht machen wollten. Wir bedauern sehr, daß es nicht gelungen ist, zu einem Konsens zu kommen und sich zumindest auf die Vorschläge des Bundesrates zu verständigen.
Die SPD-Fraktion wird das Thema „Schutz der Aktionäre" und auch das Thema „Steigerung der Attraktivität des Aktienmarktes durch mehr Transparenz und Kontrolle" auf ihrer Tagesordnung halten.

(Detlef Kleinert [Hannover] [F.D.P.]: Shareholder Value!)

Sie werden verstehen, daß wir den Gesetzentwurf der Bundesregierung ablehnen. Auf Grund Ihres freundlichen Hinweises versage ich mir weitere Bemerkungen dazu, daß Schröder gewonnen hat. Ich denke, das hat sich bei Ihnen so verinnerlicht, daß Sie das in Zukunft bei jedem Redebeitrag einbeziehen werden. Wir sollten darüber immer wieder zur Sachlichkeit zurückkehren.
Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD)


Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1322221800
Dann gebe ich das Wort dem Abgeordneten Hartmut Schauerte.

Hartmut Schauerte (CDU):
Rede ID: ID1322221900
Herr Präsident! Vollbesetztes Haus!

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1322222000
Übersichtliches Haus!

Hartmut Schauerte (CDU):
Rede ID: ID1322222100
Übersichtliches Haus! - Werte Kollegen, die trotzdem hier sind! Eine ganz wesentliche Rechtsmaterie, mit der wir uns heute beschäftigen, ist Transparenz. Hier kann man durch die leeren Reihen wirklich durchsehen.
Herr Kollege Pick, wenn Sie den Brüderle-Vorschlag so loben, dann möchte ich auf zwei Schlagwörter eingehen: das Festhalten am Mehrfachstimmrecht - die große Nähe zum RWE läßt grüßen - und der Assistent für den Aufsichtsratsvorsitzenden. Beide Schlagwörter zeigen einfach, von welch falschem Grundansatz Herr Brüderle ausgegangen ist. Dem konnte man beim besten Willen nicht zustimmen.

(Detlef Kleinert [Hannover] [F.D.P.]: Dazu können wir nichts sagen! Heiterkeit bei der SPD)

- Nein, ich möchte Sie jetzt auch gar nicht für das in die Pflicht nehmen, was da passiert.
Es gibt eine ganze Menge an Gemeinsamkeiten. Ich bin sehr zufrieden, daß wir das Mehrfachstimmrecht nun endlich in absehbarer Zeit beseitigen können. Wir sind sehr zufrieden, daß das Höchststimmrecht - in diesem Punkt haben Sie am Ende zugestimmt - nun nicht eingeführt wird, denn das wäre eine neue Privilegierung. Ich darf in diesem Zusammenhang an Nelson Mandelas Prinzip erinnern - ich denke, das ist ein sehr sympathischer Vergleich -: „one man - one vote". Dieses Prinzip, auf den Aktienbereich bezogen, würde sozusagen durch all die Schachteln, die man wieder einführt, zerstört werden. Das wollen wir nicht.

(Ulrich Irmer [F.D.P.]: Nelson Mandela und das Aktienrecht!)

- Auch der lernt das noch.
In bezug auf das Vollmachtsstimmrecht kann ich nur sagen: Wir haben soweit wie eben möglich die Transparenz hergestellt. Alles andere und das, was im SPD-Vorschlag enthalten ist, würde mehr Bürokratie bedeuten und hätte in der Tat strangulierende Wirkung. Es gibt eine objektive Grenze. Wir sind so weit gegangen, wie man nur gehen kann.
Was Sie bei Ihrer Kritik völlig übersehen haben, ist, daß wir die 5-Prozent-Einschränkung haben. Wenn also eine Bank mehr als 5 Prozent Beteiligungsbesitz an einem Unternehmen hat, dann ist ihr Depotstimmrecht massiv eingeschränkt.
Wenn Sie die Auswirkungen der Regelungen, die wir bereits bisher beim Aktienstimmrecht haben, im Alltag der Banken - seien es Volksbanken oder Sparkassen - betrachten, dann stellen Sie fest, wie sehr sie schon unter der Bürokratisierung auf Grund der Schutzrechte für Aktionäre leiden, die bereits heute schon gelten. Inhaber von Depots, die in der Regel aus zehn, zwanzig oder dreißig Aktien von einer, zwei, drei, vier oder fünf Gesellschaften bestehen, haben die größten Posteingänge ihres Lebens, weil sie permanent Entscheidungen treffen müssen, wem sie wann und welchen Auftrag wie zu geben haben. Die Banken sind nämlich gehalten, all diese Unterlagen permanent zu versenden.

Hartmut Schauerte
Sie wissen also, was auf diesem Feld bereits heute an Bürokratie besteht. Ich behaupte: Wenn man das Spielchen weitertreiben würde - das wäre das Ergebnis des SPD-Antrages -, würden wir dadurch die Akzeptanz von Aktien schädigen, weil dieses Verfahren so verdammt unbequem ist. Es sind doch nicht die Großen, um die es geht. Die haben einen Buchhalter. Es geht vielmehr um die Hausfrau, der ich mit diesen Unterlagen komme. Es sind doch die Privatleute wie zum Beispiel die Rentner, die mit dem, was wir ihnen heute schon zumuten - schauen Sie sich doch einmal Ihre eigene Post an! -, nicht mehr zurechtkommen. Wir sind also bis an die Grenze dessen gegangen, was vernünftig ist.
Die Mandatsbeschränkung ist ein interessanter Ansatz. Für den einen sind fünf Mandate und für den anderen sind zehn Mandate zuviel. Ich kenne den einen oder anderen Aufsichtsrat, dem eigentlich schon ein Aufsichtsratsmandat zuviel ist. Jede Grenze, die wir ziehen, ist absolut willkürlich. Ich empfehle, das Augenmerk stärker auf die Qualität, auf die Charakterfestigkeit, auf die Unabhängigkeit und auf die Bereitschaft der Aufsichtsräte, sich auch wirklich mit unbequemen Fragestellungen zu beschäftigen, zu lenken. Das bekommt man nun einmal mit gesetzlichen Regelungen nicht hin. Wir können die Qualität der Aufsichtsräte nicht per Gesetz regeln.

(Detlef Kleinert [Hannover] [F.D.P.]: Genau wie bei den Abgeordneten!)

Deswegen ist der Ansatz der SPD untauglich. Ich hätte gegen eine weitere Einschränkung erhebliche Bedenken gehabt.
Die Offenlegung haben wir eingeführt. Es ist wichtig, daß die, die die Aufsichtsräte wählen, wissen, woher sie kommen. Das war bisher nicht der Fall. In diesem Punkt bestand ein großes Stück Gemeinsamkeit. Gesetzliche Regelungen allein reichen nicht aus. Es muß sich eine Kultur entwickeln.
Wie werden Aufsichtsräte heutzutage bestellt? In der Regel geschieht das dadurch, daß der Vorstand jemanden kennt, von dem er glaubt, er sei ein guter Aufsichtsrat. An dieser Stelle haben wir ein grundsätzlicheres Problem als an vielen anderen Stellen, die wir versuchen gesetzlich zu regeln. Aufsichtsräte werden nicht wirklich originär von den Eigentümern bestellt. Sie werden vielmehr in einer großen Nähe zum Vorstand gesucht. Wir alle zusammen haben nichts Sinnvolles anbieten können, um dieses Problem in den Griff zu bekommen. An dieser Stelle hätte man Verbesserungen einführen können.
Daß wir die Prüfung an die Aufsichtsräte binden, ist doch vernünftig und nötig. Daß wir sogar die Vergütungsregelung mit den Prüfern vereinbaren, ist doch absolut notwendig. Derjenige, der die Musik bestellt und sie bezahlt, hat doch die größere Nähe zum Vorstand. Wenn Sie sich einmal die Sitzungen im Rahmen von Bilanzprüfungen anschauen, dann werden Sie feststellen, daß sich die Prüfer in ihrem eigenen Selbstverständnis - allein deswegen, um sich ihr Klientel zu erhalten - in der Vergangenheit immer wieder als Vollstrecker und Begleiter des Vorstandes, aber nicht als Interessenwahrer der Anteilseigner gesehen haben. Da tun wir jetzt etwas, indem wir das ändern. Den Auftrag erteilt zunächst die Versammlung, dann der Aufsichtsrat, und auch die Festlegung der Vergütungsregelung bleibt beim Aufsichtsrat. Wir müssen klarmachen, daß Prüfungen im Interesse der Anteilseigner, des Aufsichtsrates und der Gläubiger zu erfolgen haben und nicht im Interesse des Vorstandes. Das wird durch diese Regelungen ein ganzes Stück verbessert.
Bei der Bankenmacht - da nähere ich mich dem eigentlichen Ansatz dieses ganzen Gesetzgebungsvorhabens - haben wir eine ganz interessante Gefechtslage. Der Ansatz, den Sie hier vorgelegt haben, ist wegen des Falles Schneider entstanden. Der Fall Schneider war der akute Anlaß, dieses Thema wiederaufzugreifen. Am Thema Schneider hat man das Thema Bankenmacht festmachen wollen. Dabei war bei ganz objektiver und subjektiver Betrachtung nichts anderes festzustellen, als daß der Fall Schneider eher ein Fall von Ohnmacht der Banken als von Macht der Banken war.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Eher von Dämlichkeit! Dr. Otto Graf Lambsdorff [F.D.P.]: Von Dämlichkeit!)

- Von Dämlichkeit von mir aus. Jedenfalls hatte das absolut nichts mit Macht zu tun.

(Dr. Uwe-Jens Heuer [PDS]: Dämliche Macht!)

Genau an diesen Fällen haben Sie das Ganze aufgezäumt. Sie hatten in diesem Zusammenhang zur gleichen Zeit noch ein paar Fälle, zum Beispiel den Fall des Bremer Vulkan. Auch das ist eine hochinteressante Geschichte. War der Fall des Bremer Vulkan vor allem ein Thema der Bankenmacht, oder war er vor allem ein Thema der Parteibuchwirtschaft?
Damit sind wir bei einem Thema, über das wir ebenfalls nachdenken müssen - es wurde bereits angedeutet -: bei den Landesbanken. Wir sollten darüber nachdenken - auf Bundesebene haben wir das in einer Dienstanweisung an die Bundesregierung beschlossen -: Warum verbieten wir nicht, daß Minister Aufsichtsräte sind? Da entstehen Konstellationen, die gefährlich sind: die wirtschaftspolitisch gefährlich sind, gefährlich für die Unabhängigkeit und problematisch für die Demokratie. Warum verbieten wir das nicht? Das wäre ein mutiger Ansatz gewesen.

(Beifall des Abg. Reiner Krziskewitz [CDU/ CSU] Dr. Uwe-Jens Heuer [PDS]: Richtig!)

Aber da hätten Sie keine Zustimmung von Ihren Landesfürsten bekommen, und deswegen durften Sie das nicht. Diesen Punkt halte ich für viel interessanter als vieles, was wir hier diskutieren. Ich könnte Ihnen aus meiner 13jährigen Erfahrung in Düsseldorf dazu eine Menge Geschichten berichten.
Bei der Bankenmacht hat die SPD einen klassisch-ideologischen Ansatz. Sie will gleichzeitig Existenzgründungen erreichen, Beteiligungen einfordern und bei Pleiten natürlich die Situation haben, daß die Banken dann zur Verfügung stehen müssen. Das ist die Argumentation für Landesbanken. Wenn Sie mit dem Ministerpräsidenten von Niedersachsen oder von Nordrhein-Westfalen reden, dann sagt er: Wir

Hartmut Schauerte
halten an der Landesbank fest, denn wenn es irgendwo brennt, haben wir ein Bankinstitut, das die Firma auffängt, und zwar durch Beteiligung und nicht mit Kredit. Das heißt, die Banken sollen mehr oder weniger in die Rolle gedrängt werden, daß sie mit hohem Risiko Feuerwehr spielen, aber im Normalfall nichts zu bestimmen haben. Das ist nicht die richtige Methodik, sich diesem Thema zu nähern.

(Detlef Kleinert [Hannover] [F.D.P.]: Sehr richtig!)

Wir sollten wirklich zur Kenntnis nehmen: Die Ansätze, aus denen die Gesetzesanträge der SPD entstanden sind - Schneider, Bremer Vulkan, Helaba -, sind falsch. Wir haben eine passende moderne Antwort auf einige erkennbare Probleme gefunden und geliefert. Deswegen ist dieses Gesetz wirklich zustimmungsfähig. Ihre Ansätze führen zu einer massiven Überregulierung. Das Klima auf dem Aktienmarkt würde darunter eher leiden als davon profitieren. Ihre Vergleiche zum Umfang des Aktienmarktes in Deutschland hinken natürlich kolossal, weil sie den ganz entscheidenden Block der Alterssicherungssysteme und die Auswirkung dieser Systeme auf das Volumen von Aktienmärkten und Beteiligungen völlig verkennen. Ihre Vorschläge hätten den Finanzplatz Deutschland eher geschwächt als gestärkt, weil sie zu weit gehen. Deutschland wäre ein schlechterer Finanzinvestitionsstandort geworden. Wir wollen ihn aber attraktiv gestalten.
Bei der Frage der Beteiligung von Banken müssen Sie sich schon entscheiden, ob Sie Steuerverluste oder Wertvernichtung bei denen, die es angeht, akzeptieren wollen. Das wäre dann ein enteignungsgleicher Eingriff, den wir nicht hinbekommen. Ich darf in dem Zusammenhang sagen: Wolfgang Clement ist durch Nordrhein-Westfalen gelaufen und hat versucht, 100 Millionen DM von den Banken zu organisieren, damit dieselben Beteiligungen eingehen. Sie gehen hin und sagen, die Banken sollen den Beteiligungsbesitz reduzieren; wir wollen ihn nicht. Sie müssen sich entscheiden, welches Modell Sie haben wollen. Sie sind in einer absolut diffusen Lage.

(Hans Martin Bury [SPD]: Lesen Sie doch erst einmal den Entwurf!)

Ich will zum Schluß kommen; meine Zeit ist abgelaufen, und wir haben noch Wichtiges zu tun.
Dieses Gesetz ist eine moderate Anpassung an Erkenntnisse und Veränderungen ohne jeden ideologischen Eifer. Es entspricht im wesentlichen den Vorschlägen der Fachleute, die wirklich etwas davon verstehen, einschließlich des Deutschen Juristentages. Unser Gesetz ist ein guter Beitrag zur Entwicklung des Finanzstandorts Deutschland. Ich bin froh, daß Sie sich mit Ihren übersteigerten Ansätzen nicht durchsetzen können, weil ich zutiefst der Überzeugung bin, es wäre eher schädlich als nützlich gewesen.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1322222200
Ich schließe die Aussprache. Ich kann Ihnen im übrigen zum weiteren Verfahren die erfreuliche Mitteilung machen, daß fast alle Reden auch zu den folgenden Tagesordnungspunkten zu Protokoll gegeben worden sind, so daß wir eine Reihe von Abstimmungen vor uns haben.
Wir kommen nun also zunächst zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich, Drucksachen 13/9712 und 13/10038, Buchstabe a. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen worden ist.
Wir treten ein in die
dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Gesetzentwurf in dritter Lesung mit demselben Stimmenverhältnis angenommen worden ist.
Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD zur Verbesserung von Transparenz und Beschränkung von Machtkonzentration in der deutschen Wirtschaft auf der Drucksache 13/367. Der Rechtsausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/10038 unter Buchstabe b, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse über den Gesetzentwurf der SPD auf Drucksache 13/367 abstimmen und bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Gesetzentwurf abgelehnt worden ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des Hauses im übrigen.

(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Das waren drei Stimmen in der SPD! Ich bitte, es im Protokoll festzuhalten!)

Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Damit kommen wir zur Abstimmung über den Gesetzentwurf des Bundesrates zur Steigerung der Effizienz von Aufsichtsräten und zur Begrenzung der Machtkonzentration bei Kreditinstituten infolge von Unternehmensbeteiligungen auf Drucksache 13/9716. Der Rechtsausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/10038 unter Buchstabe c, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse über den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 13/9716 abstimmen und bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf des Bundesrates zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt worden ist. Damit entfällt die weitere Beratung.

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
Ich rufe auf die Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen zur Begrenzung der Bankenmacht und Verbesserung der Unternehmenskontrolle, Drucksache 13/10038, Buchstabe d. Der Rechtsausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/7737 abzulehnen. Wer der Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses zustimmt, bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses angenommen worden ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des Hauses im übrigen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 11 a und 11 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Güterkraftverkehrsrechts
- Drucksachen 13/9314, 13/9437 -(Erste Beratung 211. Sitzung)

Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr (15. Ausschuß)

- Drucksache 13/10 037 -Berichterstattung:
Abgeordnete Wilhelm Josef Sebastian Elke Ferner
Gila Altmann (Aurich)

Horst Friedrich
Dr. Dagmar Enkelmann
b) Beratung des Antrags des Abgeordneten Claus-Peter Grotz und der Fraktion der CDU/ CSU sowie des Abgeordneten Horst Friedrich und der Fraktion der F.D.P.
Harmonisierungsdefizite bei Wettbewerbsbedingungen im europäischen Binnenmarkt
- Drucksache 13/9855 -
Es liegen Entschließungsanträge der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen vor. Die Gruppe der PDS hat einen Änderungsantrag eingebracht.
Es war nach einer interfraktionellen Vereinbarung für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Aber es sind - wie ich unterstelle: im Einvernehmen des Hauses - alle Reden zu Protokoll gegeben, nämlich der Abgeordneten Wilhelm Josef Sebastian, Angelika Graf, Gila Altmann, Horst Friedrich, Dr. Dagmar Enkelmann und des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Norbert Lammert. *)
Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Reform des Güterkraftverkehrsrechts. Das sind die Drucksachen 13/ 9314, 13/9437 und 13/10037 Nr. 1. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Gruppe der PDS vor, über den wir zunächst abstimmen. Wer dem Änderungsantrag der PDS auf Drucksache 13/10039 zustimmt, den bitte
*) Anlage 11
ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Änderungsantrag der PDS mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion der SPD bei Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Gruppe der PDS abgelehnt worden ist.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Gesetzentwurf in zweiter Lesung mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion der SPD bei Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS angenommen worden ist.
Dann treten wir in die
dritte Beratung
und Schlußabstimmung ein. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Gesetzentwurf in dritter Lesung mit demselben Stimmenverhältnis wie soeben angenommen worden ist.
Der Ausschuß für Verkehr empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 13/10037 die Annahme einer Entschließung. Wer der Beschlußempfehlung des Verkehrsausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen des Hauses bei Stimmenthaltung der Gruppe der PDS angenommen worden ist.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/10040. Wer diesem Entschließungsantrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen des Hauses bei Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden ist.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/10041. Wer diesem Entschließungsantrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt worden ist.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. zu den Harmonisierungsdefiziten bei Wettbewerbsbedingungen im europäischen Binnenmarkt, Drucksache 13/9855. Ich bitte diejenigen, die dem Antrag zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Antrag mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion der SPD gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Stimmenthaltung der Gruppe der PDS angenommen worden ist.

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
Damit rufe ich den Tagesordnungspunkt 12a auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Fracht-, Speditions- und Lagerrechts (Transportrechtsreformgesetz - TRG)

- Drucksache 13/8445 -(Erste Beratung 194. Sitzung)

Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuß)

- Drucksache 13/10 014 -Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Wolfgang Götze Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten Dr. Eckhart Pick
Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Auch hier war nach einer interfraktionellen Vereinbarung für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Aber es sind alle Reden zu Protokoll gegeben worden, nämlich der Abgeordneten von Stetten, Dr. Eckhart Pick, Gila Altmann, Hildebrecht Braun, Dr. Dagmar Enkelmann und des Parlamentarischen Staatssekretärs Rainer Funke.*) Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit schließe ich die Aussprache.
Wir treten in die Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Neuregelung des Fracht-, Speditions- und Lagerrechts ein, Drucksachen 13/8445 und 13/10014. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor, über den wir zunächst abstimmen.
Wer dem Änderungsantrag der SPD auf Drucksache 13/10020 zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt worden ist.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Gesetzentwurf in zweiter Lesung mit den Stimmen des gesamten Hauses bei Stimmenthaltung der Gruppe der PDS angenommen worden ist.
Wir treten nun in die
dritte Beratung
und Schlußabstimmung ein. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Gesetzentwurf in dritter Lesung mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie soeben angenommen worden ist.
*) Anlage 12
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur sozialrechtlichen Absicherung flexibler Arbeitszeitregelungen
- Drucksache 13/9741, 13/9818, 13/9976- (Erste Beratung 216. und 219. Sitzung)

Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung (11. Ausschuß)

- Drucksache 13/10 033 -

Berichterstattung:
Abgeordneter Franz Thönnes
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Aber auch hier sind alle Reden mit dem Einverständnis des Hauses, wie ich annehme, zu Protokoll gegeben worden. Es sind dies die Reden der Abgeordneten Heinz Schemken, Franz Thönnes, Marieluise Beck, Dr. Gisela Babel, Petra Bläss und Dr. Norbert Blüm. *) Ich schließe die Aussprache; es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.
Wir treten jetzt in die Abstimmung über die von der Bundesregierung sowie den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Gesetzentwürfe ein; das sind die Drucksachen 13/9818, 13/9976, 13/9741 und 13/10 033. Der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung empfiehlt, die inhaltsgleichen Gesetzentwürfe zusammengefaßt in der vom Ausschuß geänderten Fassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in dieser Fassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Gesetzentwurf in zweiter Lesung mit den Stimmen des Hauses bei Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen und der Gruppe der PDS angenommen worden ist.
Wir treten in die
dritte Beratung
und Schlußabstimmung ein. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Damit stelle ich fest, daß der Gesetzentwurf in dritter Lesung mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie eben angenommen worden ist.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 14 a bis 14 c auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Dr. Ruth Fuchs, Dr. Christa Luft, weiterer Abgeordneter und der Gruppe der PDS
Ermäßigung des Mehrwertsteuersatzes für apothekenpflichtige Arzneimittel auf 7 Prozent
- Drucksache 13/9759 -
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuß (federführend) Ausschuß für Gesundheit
*) Anlage 13



Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Dr. Christa Luft, Dr. Uwe-Jens Rössel, Rolf Kutzmutz und der Gruppe der PDS
Besteuerung von Luxusgegenständen - Drucksache 13/9760 —
Überweisungsvorschlag: Finanzausschuß
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Dr. Christa Luft, Hanns-Peter Hartmann, weiterer Abgeordneter und der Gruppe der PDS
Ermäßigter Mehrwertsteuersatz für arbeitsintensive Leistungen
- Drucksache 13/9790 -Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuß (federführend)

Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Es sind zu Protokoll gegeben worden die Reden der Abgeordneten Johannes Selle, Dieter Grasedieck, Christine Scheel, Dr. Gisela Frick. * )
Nun erteile ich das Wort der Abgeordneten Dr. Höll.

(Zurufe von der CDU/CSU: Das darf doch wohl nicht wahr sein! Das ist unkollegial! Daß wir uns das auch noch anhören müssen!)


Dr. Barbara Höll (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1322222300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue mich, daß Sie trotz der späten Stunde noch anwesend sind. Denn es ist ja eine Vereinbarung des Ältestenrates, daß der einzige PDS-Tagesordnungspunkt meistens der letzte oder vorletzte ist.

(Zuruf von der CDU/CSU: Zur Sache!)

Ich versuche, Ihnen jetzt drei Anträge der PDS vorzustellen, die sich um Steuern drehen.
Laut „Wirtschaftswoche" ist ja derzeit das größte Problem in der Bundesrepublik grassierender Neid und Mißgunst. Aber ich glaube, dies ist ein verheerendes Verkennen der Realität. Die tatsächlichen Probleme der Rekordarbeitslosigkeit und der gähnenden Leere in den Haushaltskassen haben dazu geführt, daß wir in diesem Jahr eine Polarisierung zwischen Arm und Reich erreicht haben, wie es sie seit Kriegsende noch nicht gab. Diese Probleme sind das Ergebnis von 16 Jahren Kohlscher Politik.
Die Steuer- und Finanzpolitik ist gekennzeichnet durch permanente Steuerentlastungen für Vermögende und Einkommenstarke, durch Senkung der Unternehmensteuern für ertragsstarke Unternehmen. Vorwand für diese massive Umverteilung von unten nach oben war die angebliche Schaffung von
*) Anlage 14
Arbeitsplätzen, die so erreicht werden sollte, aber nicht erreicht wurde.

(Zuruf von der CDU/CSU: Blödsinn!)

Die PDS hat drei Anträge eingebracht, die, neben zahlreichen anderen Vorschlägen, Schritte in Richtung einer Lösung dieser Probleme aufzeigen: stärkere steuerliche Belastung von Vermögenden, reale Unterstützung für kleine, arbeitsintensive Handwerksbetriebe und Entlastung der Bürgerinnen und Bürger im Gesundheitswesen.
Mit dem ersten Antrag sollen Erwerb und Besitz von Luxusgegenständen stärker besteuert werden. Dies schlagen wir vor. Unser Motiv ist wahrlich nicht Sozialneid,

(Zuruf von der CDU/CSU: Überhaupt nicht!)

sondern die Tatsache, daß sich wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eben auch in Konsum ausdrückt und Menschen mit einem hohen Einkommen - gerade vor dem Hintergrund ihrer steuerlichen Entlastung, die Sie ja vorangetrieben haben - auch mehr Geld für Luxusgüter ausgeben können und ausgeben.
Laut Auffassung des Bundesfinanzhofes sind Luxusgüter solche, deren Anschaffung und Haltung einen Aufwand darstellen, der die als normal empfundene Lebenshaltung übersteigt.

(Detlef Kleinert [Hannover] [F.D.P.]: Was heißt „empfunden"? Das ist ja subjektiv!)

Die PDS knüpft also bei der Besteuerung von Luxusgütern an die Rechtsprechung an. So wurde bereits innerhalb der Vermögensbesteuerung der Besitz unter anderem von Pelzen und Pelzmänteln ab einem bestimmten Wert, von Flugzeugen, Hubschraubern und Jachten als Luxusgegenständen besteuert.

(Detlef Kleinert [Hannover] [F.D.P.]: Die durfte auch früher nur Honecker besitzen!)

Darüber hinaus sammelten zahlreiche europäische Länder Erfahrungen mit der Besteuerung von Luxusgegenständen. Italien erhob im Jahr 1992 eine spezielle Verbrauchsteuer auf Luxusgüter. In Belgien werden seit 1992 ebenfalls Sondersteuern zum Beispiel auf Kraftfahrzeuge der Luxusklasse, auf Flugzeuge und Jachten erhoben.
Die Forderung nach einer Luxusgütersteuer ist also wahrlich nicht einem postsozialistischen Neidkomplex geschuldet,

(Zuruf von der CDU/CSU: Nein, einem kommunistischen!)

sondern legitimes Mittel, Einnahmen zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben zu erzielen, das mit EU-Recht vereinbar ist.
Der zweite Vorschlag ist die Senkung des Mehrwertsteuersatzes auf arbeitsintensive Dienstleistungen, insbesondere Reparaturleistungen. Zu den begünstigten Leistungen zählen unter anderem Reparaturarbeiten an beweglichen Gegenständen, Renovierungs- und Reparaturarbeiten im Wohnungsbau und Pflegeleistungen in Wohnungen, zum Beispiel



Dr. Barbara Höll
das Pflegen von Kindern, älteren Menschen oder Behinderten.
Diese Maßnahme hätte verschiedene Effekte. Der erste Effekt wären niedrigere Verbraucherpreise. Dies würde die Nachfrage nach solchen arbeitsintensiven Dienstleistungen anregen.

(Detlef Kleinert [Hannover] [F.D.P.]: Wohl kaum!)

Dadurch können zweitens Arbeitspotentiale dieser Branche erschlossen und Regionen gefördert werden, da die dort tätigen Unternehmen in der Mehrzahl lokal tätig sind.
Drittens ist die Senkung des Ressourcenverbrauchs möglich. Die relative Verteuerung des Neuerwerbs von Gütern kann deren Lebensdauer verlängern und wäre ein Beitrag zu einer ökologisch nachhaltigen Produktions- und Konsumtionsweise.
Viertens kann eine Eindämmung von Schwarzarbeit in der Handwerksbranche erreicht werden. Der hohe Mehrwertsteuersatz war bisher ein Argument, um den Kunden keine Rechnung auszustellen. Diesem Argument würde entgegengewirkt werden. Das würde einerseits zur Sicherung von Garantieansprüchen der Konsumenten, andererseits zur Erhöhung der Einnahmen aus der Einkommensteuer führen, da die Einnahmen aus den erbrachten Leistungen ja nicht mehr am Fiskus vorbei erzielt werden würden.

(Detlef Kleinert [Hannover] [F.D.P.]: Ist ja fast ein Perpetuum mobile!)

- Wenn Sie mit mir diskutieren wollen, dann halten Sie eine Rede, oder wir machen das im Ausschuß.
Die Senkung dieser Mehrwertsteuersätze kann auf europäischer Ebene durchgesetzt werden. Dazu existiert ein Vorschlag innerhalb der EU, einen dreijährigen Probelauf zur Überprüfung der Arbeitsmarkteffekte durchzuführen. Die Bundesregierung lehnt dies in ihrer Stellungnahme zur Mitteilung der Europäischen Kommission über den ermäßigten Mehrwertsteuersatz für arbeitsintensive Leistungen ab mit der Begründung - die muß man einfach einmal zitieren -: Es besteht die Möglichkeit, daß
Steuerreduzierungen durch die Unternehmen nicht ohne weiteres weitergegeben werden.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1322222400
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluß kommen.

Dr. Barbara Höll (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1322222500
Ja.
Folge ist, daß lediglich die Gewinne der Unternehmen steigen.
Ich muß sagen: eine sehr weise Erkenntnis, die Ihnen gerade in dem Moment kommt, da es um kleine, arbeitsintensive Handwerksunternehmen geht. Dagegen haben Sie in der Steuerpolitik der letzten Jahre immer versichert, die Steuern müßten gesenkt werden, um Arbeitsplätze zu schaffen.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1322222600
Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Dr. Barbara Höll (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1322222700
Um es in einem letzten Satz abzukürzen: Unseren dritten Antrag hat die F.D.P. Mecklenburg-Vorpommerns im Prinzip genauso begründet: Senkung des Mehrwertsteuersatzes für apothekenpflichtige Medikamente. Damit erzielen wir eine Entlastung der Menschen, die auf Medikamente angewiesen sind, und der Krankenkassen. Daran müßten eigentlich auch Herr Seehofer und Herr Blüm ein Interesse haben.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1322222800
Frau Kollegin, ich mahne nicht noch einmal. Sie müssen Ihre Rede jetzt abschließen.

Dr. Barbara Höll (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1322222900
Ich hoffe, daß die F.D.P. auch auf Bundesebene entsprechend handelt.
Herr Präsident, ich bedanke mich.

(Beifall bei der PDS)


Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1322223000
Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/9759, 13/9760 und 13/ 9790 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind diese Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 und den Zusatzpunkt 10 auf:
16. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Achten Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes
- Drucksache 13/9996 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Gesundheit (federführend)

Sportausschuß
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
ZP10. Erste Beratung des von den Abgeordneten Horst Schmidbauer (Nürnberg), Klaus Kirschner, Dr. Herta Däubler-Gmelin, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Arzneimittelhaftungsrechts
- Drucksache 13/10 019 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Gesundheit (federführend) Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist auch hierfür eine halbe Stunde vorgesehen. Die Reden der folgenden Kollegen bzw. Kolleginnen sind zu Protokoll gegeben worden: Dr. Wolf Bauer, Horst Schmidbauer, Marina Steindor, Dr. Dieter Thomae, Dr. Ruth Fuchs und der Parlamentarischen Staatssekretärin Dr. Sabine Bergmann-Pohl. *) - Ich stelle Einverständnis fest. Es liegen keine weite-
*) Anlage 15

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
ren Wortmeldungen vor. Dann schließe ich die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 13/9996 und 13/10 019 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Ich sehe keine weiteren Vorschläge. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Damit sind wir am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 25. März 1998, 13 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.