Gesamtes Protokol
Einen schönen guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Da es die erste Sitzung in diesem Jahr ist, wünsche ich allen ein schönes und erfolgreiches Jahr. Sie wissen, was in diesem Jahr alles ansteht.
Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf: Fragestunde
- Drucksachen 13/9584, 13/9593 -
Wir kommen zunächst zu den Dringlichen Fragen. Sie betreffen den Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen. Der Parlamentarische Staatssekretär Hansgeorg Hauser steht zur Beantwortung der Fragen bereit. Aber leider ist der Fragesteller nicht da.
Frau Präsidentin, wenn ich mir eine Bemerkung erlauben darf: Die Fragen wurden heute vormittag im Innenausschuß und im Rechtsausschuß umfassend und ausführlich erörtert. Auch der Fragesteller war anwesend. Er hat erschöpfende Antworten auf alle Fragen bekommen. Deswegen ist es etwas unverständlich, daß er diese Dringlichkeitsfragen gestellt hat.
Herr Staatssekretär, ich habe gehört, daß es trotzdem das Recht eines jeden ist, seine Fragen zu stellen. Mit der Erklärung, die Sie gegeben haben, haben Sie dem Fragesteller dazu verholfen, daß er noch rechtzeitig anwesend ist.
Ich rufe also zunächst die Dringliche Frage 1 auf:
Was ist damit gemeint, daß nur notleidende osteuropäische jüdische NS-Opfer in den Genuß der neuen Entschädigungsvereinbarung kommen, die bislang keine Entschädigungsleistungen erhalten haben, und wie verhält sich dies zu den geringfügigen Einmalzahlungen aus den Stiftungen in Polen und den GUS-Staaten?
Die Gespräche mit der Jewish Claims Conference haben zu dem Ergebnis geführt, daß die Claims Conference einen Fonds gründen wird. Dabei hat die Claims Conference die Vorstellung, jüdische NS-Verfolgte in Osteuropa aus dem Fonds zu unterstützen, die notleidend sind und bislang keine Entschädigung erhalten haben. Hierbei handelt es sich um eine Absichtsbekundung der Claims Conference. Die für den Fonds maßgeblichen Festlegungen werden allein von ihr getroffen.
Ausgangspunkt ist nach ihrer Auffassung, daß sich der Fonds nur an die jüdischen NS-Verfolgten richtet, die bisher keine BEG- und keine Artikel-2-FondsLeistungen erhalten haben. Die Bundesregierung geht davon aus, daß die Entschädigungsleistungen, die Betroffene von den in Polen, Weißrußland, der Ukraine und der Russischen Föderation eingerichteten Stiftungen erhalten haben, für die Berechtigung zu Leistungen aus dem neu einzurichtenden Fonds der Jewish Claims Conference unschädlich sind.
Eine Nachfrage, bitte.
Gehe ich recht in der Annahme, daß dies analog auch für die Gelder - die noch fließen sollen - aus dem Tschechischen Sozialwerk, das aus dem Zukunftsfonds gespeist werden soll, gelten wird?
Herr Kollege, die Frage, ob das auch das umfaßt, kann ich nicht beantworten.
Herr Kollege Beck, eine weitere Nachfrage? - Nein. Aber der Herr Kollege Hirsch möchte eine Nachfrage stellen.
Herr Staatssekretär, da ich Ihrer Antwort entnehme, daß zwar Leistungen aus dem Bundesentschädigungsgesetz und dem Allgemeinen Kriegsfolgengesetz eine Bedienung aus diesem neuen Fonds ausschließen, nicht aber offenbar Leistungen aus den bisherigen Stiftungen für
Dr. Burkhard Hirsch
Rußland, Weißrußland, die Ukraine und Polen, möchte ich Sie fragen, wie Sie eine Gleichbehandlung der möglichen Anspruchsteller unabhängig von ihrem Glauben erreichen wollen.
Die Claims Conference wird also Rentenleistungen für jüdische Anspruchsteller erbringen; denn nur für sie ist die Claims Conference ja handlungsberechtigt.
Wie ist denn die Rechtsstellung der nichtjüdischen Anspruchsteller, die ein gleiches Schicksal erlitten haben - Konzentrationslager oder was auch immer - und bisher aus den Stiftungen für Rußland, Weißrußland, Polen und die Ukraine entweder nichts oder nur eine Einmalleistung in Höhe von durchschnittlich 1 100 DM bekommen haben?
Herr Kollege Hirsch, die Bundesregierung wird unbeschadet der Absprache mit der Claims Conference auf der Grundlage ihrer bisherigen Rechtspositionen ihre Politik der Entschädigungsleistungen für NS-Opfer in Osteuropa, also auch für nichtjüdische, konsequent fortführen. Mit der Umsetzung der hierauf basierenden Entschädigungsregelungen, also dem 80-Millionen-DM-Programm für mittel- und osteuropäische Staaten, in denen bisher keine Stiftungen für Entschädigungsleistungen für NS-Opfer eingerichtet sind, wird in Kürze begonnen werden können.
Ergänzend kann ich Ihnen dazu sagen, daß zur Wiedergutmachung von Kriegs- und Verfolgungsschäden in den Staaten des ehemaligen Ostblocks nach massiven Reparationsentnahmen und einer Reihe von einzelnen Entschädigungszahlungen in den Jahren 1991 und 1993 1,5 Milliarden DM seitens der Bundesrepublik als abschließende Härteleistung für NS-Verfolgte für die Einrichtung von Stiftungen in Polen, Weißrußland, der Ukraine und der Russischen Föderation bereitgestellt worden sind.
- Das habe ich vorhin im Bereich Entschädigungsregelungen angesprochen.
- Nein.
Eine Nachfrage des Kollegen Reuter.
Herr Staatssekretär, erhalten denn jüdische NS-Verfolgte aus Polen aus dem neuen Fonds oder aus der deutsch-polnischen Stiftung Leistungen?
Mit der Jewish Claims Conference wurde vereinbart, daß sie eigenständig dafür zuständig ist, diese Regelungen zu treffen.
Ich rufe die zweite Dringliche Frage des Kollegen Beck auf:
Wird die Bundesregierung Schritte unternehmen, daß die Jewish Claims Conference angesichts des hohen Alters und des Gesundheitszustandes der NS-Opfer in der Lage ist, schon in 1998 den von dieser Neuregelung betroffenen NS-Opfern Leistungen zu gewähren?
Die Leistungen aus dem Fonds zeitlich und quantitativ zu bemessen ist ausschließlich Sache der Claims Conference. Die Tätigkeit des Fonds steht allein in der Verantwortung der Claims Conference. Der von der Claims Conference beabsichtigte Fonds soll aus verschiedenen Quellen gespeist werden, unter anderem auch aus Eigenmitteln der Organisation. Die Bundesregierung geht daher davon aus, daß der Fonds seine Tätigkeit unverzüglich aufnehmen kann, wie es Ihnen heute vormittag bereits in den Ausschußsitzungen erläutert worden ist.
Das ist ausdrücklich zu begrüßen.
Ich habe noch eine Nachfrage zu diesem Komplex: Im Innenausschuß wurde heute von einer Festbetragsfinanzierung gesprochen. Teilen Sie unsere Ansicht, wenn es sich trotz des Einbringens von Eigenmitteln der Jewish Claims Conference und der 200 Millionen DM von seiten des Bundes nach vier oder fünf Jahren abzeichnet, daß es zu Engpässen in diesem Fonds kommt, daß man dann ebenso wie beim Artikel-2-Fonds natürlich davon ausgehen kann, daß laufende Leistungen, die ja daraus bezahlt werden, grundsätzlich auf Lebenszeit bemessen sind und dieses nicht in jedem Fall das letzte Wort des Bundes sein kann und sein darf?
Herr Kollege, eine Antwort auf diese Frage käme im Augenblick noch zu früh. Man sollte erst einmal abwarten, wie die Abwicklung verläuft, und in dieser Frage beizeiten nachhaken.
Eine Nachfrage des Kollegen Hirsch.
Herr Staatssekretär, Sie sagten eben, daß die Claims Conference dankenswerterweise möglichst schnell ihre Tätigkeit in diesem Bereich aufnehmen und Rentenzahlungen an jüdische NS-Verfolgte leisten kann. Sieht die Bundesregierung denn keine Diskriminierung darin, wenn an nichtjüdische Opfer, die dasselbe Schicksal erlitten haben, nur deswegen keine Rentenzahlungen geleistet werden, weil sie Nichtjuden sind?
Herr Kollege Hirsch, ich glaube, die Frage stellt sich in dieser Form nicht. Es ist hier gefragt worden, wann dieser Fonds seine Tätigkeit aufnehmen kann. Da der Fonds selbständig tätig werden kann, kann eine entsprechende Leistung durch Eigenmittel sofort erfolgen. Die übrigen Entschädigungsleistungen, die bereits festgelegt worden sind, zeigen, daß diese Zahlungen keine Diskriminierung gegenüber nichtjüdischen Verfolgten darstellen.
Eine Nachfrage des Kollegen Reuter.
Herr Staatssekretär, wenn ich Sie richtig verstanden habe, dann kann ich feststellen: Allein die Jewish Claims Conference ist in der Lage, zu bestimmen, wer welche Leistungen erhält. Daraus resultiert meine Frage: Kann es nicht sein, daß ein jüdischer NS-Verfolgter auf Grund dieser Regelung eine Rente erhält, die möglicherweise höher ist als eine Leistung, die ein Verfolgter in einer vergleichbaren Situation in Polen aus der deutsch-polnischen Stiftung in Form einer einmaligen Zahlung erhält? Resultiert aus der jetzt getroffenen Vereinbarung nicht die Notwendigkeit, auch in diesem Bereich Nachbesserungen vorzunehmen?
Herr Kollege, ich kann im Augenblick die Einzelfälle nicht überprüfen und kann deshalb nicht sagen, welche unterschiedlichen Leistungen es in konkreten Einzelfällen geben könnte. Zunächst einmal muß mit dieser Arbeit begonnen werden, und dann können mögliche Ungleichbehandlungen in Einzelfällen nachgeprüft werden.
Eine Nachfrage des Kollegen Meckel.
Es gibt Gruppen in Mittelost- und Osteuropa, die trotz ihrer besonderen Leiden bisher überhaupt nicht erfaßt sind. Ich denke zum Beispiel an polnische Frauen, die in Ravensbrück Opfer medizinischer Versuche waren und die eine einmalige Entschädigung aus der eben genannten Stiftung von ca. 1000 DM erhalten haben. Wenn man sich die Entschädigung der jüdischen Opfer nach der neuen Regelung ansieht, dann stellt man fest, daß diese Summe einer Leistungsdauer von vier Monaten entspricht. Wir hoffen, daß diese Menschen noch länger leben.
Bisher sind aber alle Bemühungen gescheitert, für diese inzwischen nicht einmal mehr 25 Frauen eine entsprechende Lösung zu finden, die ihre besonderen Leiden und ihre besondere Hilfsbedürftigkeit durch eine monatliche Zahlung, die ich nicht einmal Rente, sondern Zuschuß nennen möchte, berücksichtigt. Mir fällt es schwer nachzuvollziehen, daß Sie sagen, dieses Problem gebe es nicht. Können Sie Ihre Haltung unter Berücksichtigung des Hintergrundes
erläutern, daß es in der Slowakei und in den baltischen Staaten überhaupt noch keine Lösung in Form einer Stiftung gibt?
Herr Kollege Meckel, Ihre Frage kann ich im Augenblick nicht präzise beantworten. Für diesen schwer zu verhandelnden Komplex haben wir jetzt dankenswerterweise mit der Jewish Claims Conference eine Lösung gefunden. Die möglicherweise noch offenen Einzelfragen müssen gesondert behandelt werden.
Sie haben leider nur eine Nachfrage. Aber der Kollege Beck kann jetzt seine zweite Nachfrage stellen.- Bitte.
Halten Sie es vielleicht für möglich, daß man die von den Kollegen gerade zu Recht angesprochenen besonderen Härtefälle - diese bestehen noch für nichtjüdische Opfer, auch dort, wo bereits Stiftungslösungen gefunden worden sind bzw. eine Ausformung der Stiftungen erreicht wurde, so etwa in den übrigen MOE-Staaten - im Rahmen der 80-MillionenDM-Lösung besonders berücksichtigt? Halten Sie es für möglich, daß man weiterhin berücksichtigt, daß die Menschen unterschiedlich schwere Verfolgungsschicksale haben, so daß man für bestimmte Menschen etwas mehr leisten muß als für die große Zahl der Opfer, die sich an die Stiftungen wenden und um Entschädigungszahlungen bitten?
Herr Kollege Beck, auch in diesem Fall muß ich sagen: Es wäre vielleicht zweckmäßig, wenn solche besonderen Härtefälle im Einzelfall beurteilt würden. Ich kann darauf keine pauschale Antwort geben. Ich möchte Sie also bitten, daß Sie sich mit solchen Einzelfällen an uns wenden, damit wir das im einzelnen diskutieren können.
Es gibt keine weiteren Nachfragen. Danke schön, Herr Staatssekretär.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Herr Staatsminister Schäfer wird die Fragen beantworten.
Ich rufe die Frage 18 des Abgeordneten Detlev von Larcher auf:
Welche Voraussetzungen muß die einladende Person erfüllen, damit einer eingeladenen rumänischen Staatsbürgerin ein Visum zu Besuchszwecken erteilt werden kann?
Herr Kollege, die Erteilung eines Visums hängt grundsätzlich nicht von Voraussetzungen der einladenden Personen ab. Reist ein Staatsangehöriger eines visumspflichtigen Staates in die Bundesrepublik Deutschland, so ist vor der Visumserteilung unter an-
Staatsminister Helmut Schäfer
derem die Finanzierung des beabsichtigten Aufenthaltes zu überprüfen. Verfügt der Besucher dazu nicht über ausreichende eigene Mittel, so kann gemäß § 84 des Ausländergesetzes der Einladende die Kosten für den Lebensunterhalt einschließlich der Versorgung im Krankheitsfall für den eingeladenen Ausländer durch schriftliche Verpflichtungserklärung übernehmen. Dabei wird von der zuständigen Ausländerbehörde die finanzielle Leistungsfähigkeit des Einladenden, die sogenannte Bonität, geprüft. Bei kurzfristigen Besuchsaufenthalten genügt in der Regel die Glaubhaftmachung der finanziellen Leistungsfähigkeit.
Eine Nachfrage, bitte.
Herr Staatsminister, meine Frage hat natürlich einen konkreten Anlaß. Wie erklären Sie sich, daß man auf einem Landratsamt einer Rentnerin mitteilt, sie dürfe niemanden aus Rumänien einladen, weil sie Rentnerin sei und deswegen die Bonität nicht erbringen könne?
Herr Kollege, ich habe Ihnen gerade klargemacht, daß es sich hier um gesetzliche Verpflichtungen, nämlilch aus dem Ausländergesetz, handelt, das der Deutsche Bundestag beschlossen hat. Nach dem Ausländergesetz kann nicht jeder, der nach Deutschland reisen möchte, aber nicht über entsprechende Mittel verfügt, hierhin reisen, es sei denn, es wird sichergestellt - das ist ein Teil dieses Gesetzes -, daß er in Deutschland nicht dem Staat oder möglicherweise anderen Institutionen zur Last fällt. Ich glaube, man muß diesen Zusammenhang sehen.
Nun haben Sie in der Fragestunde vom 19. Juni 1996 die Antwort gegeben:
Ausschlaggebend für die Beurteilung, ob ein Visum zu Besuchszwecken erteilt werden kann, sind nicht die persönlichen Verhältnisse des Gastgebers, sondern die des Visumsbewerbers.
In diesem Fall sind diese überhaupt nicht geprüft worden, sondern der Rentnerin ist gesagt worden: „Weil du Rentnerin bist" - so hat sie mir das wiedergegeben - „und eine zu kleine Rente hast, darfst du deine Freundin aus Rumänien nicht einladen. " Halten Sie das nicht für eine Diskriminierung?
Entschuldigen Sie bitte, Herr Kollege, ich halte hier überhaupt nichts für eine Diskriminierung. Ich kann auch nicht Bestimmungen oder Gesetze in einer Fragestunde anders interpretieren, als sie zu interpretieren sind. Ich habe eben vorgelesen, daß jemand, der nach Deutschland reisen will, über die entsprechenden Finanzmittel verfügen muß. Wenn er nicht darüber verfügt, muß nach der Bonität des Einladenden gefragt werden. Das steht im Ausländergesetz. Das gehört in den Innenbereich. Und nicht in den des des Auswärtigen Amtes. Das muß ich in
diesem Zusammenhang deutlich sagen. Wir können gar nicht anders, als uns an die hier verabschiedeten Gesetze zu halten.
Ihre Frage bitte, Herr Koppelin.
Herr Staatsminister, sind Ihnen Fälle bekannt, daß Personen, die ein Visum bekommen haben, trotzdem ohne erkennbare Gründe an der Grenze durch den Bundesgrenzschutz abgewiesen werden?
Herr Kollege, ich glaube, das gehört in den Geschäftsbereich des Innenministeriums. Wir haben mit dem Bundesgrenzschutz und den Abweisungen an der Grenze durch ihn nichts zu tun. Entsprechende Fragen müssen die Innenbehörden beantworten. Ich bin gerne bereit, diese danach zu fragen. Aber ich kann die Frage nicht beantworten, weil diese Sache nicht in die Zuständigkeit des Auswärtigen Amtes fällt.
Eine Nachfrage des Kollegen Dreßen.
Herr Staatsminister, wie hoch muß die Bonität sein? Muß jemand ein Einkommen von 2000 DM, 3000 DM oder 4000 DM nachweisen, oder ein wie hohes Einkommen muß er nachweisen, um seine Bonität zu beweisen? Reicht es, wenn man ein Sparbuch vorlegt? Denn ich muß feststellen, daß selbst einem Oberstudienrat die Einladung verweigert wurde, wenn auch noch mit anderen Begründungen. Ich finde, hier handelt das Auswärtige Amt zur Zeit sehr restriktiv.
Herr Kollege, das Auswärtige Amt kann überhaupt nicht restriktiv handeln. Das Auswärtige Amt muß sich an ein Ausländergesetz halten, das nicht vom Auswärtigen Amt beschlossen worden ist;
es geht hier vielmehr um gegebene Voraussetzungen.
Wir haben heute vormittag im Auswärtigen Ausschuß die Ausführungen eines sozialdemokratischen Oberbürgermeisters gehört, die dem Verständnis dessen dienten, warum solche Gesetze hier beschlossen worden sind. Ich kann nur sagen: Wenn Sie eine Änderung des Ausländergesetzes möchten, müssen Sie das in den zuständigen Gremien des Deutschen Bundestages angehen. Ich selbst kann das Gesetz nicht verändern.
Eine Nachfrage des Kollegen Reuter.
Herr Staatsminister, gibt es denn auf Grund einer Bitte des Innenministeriums die Anweisung an die Konsulate bestimmter Länder, strengere Maßstäbe anzulegen?
Es ist ganz klar, daß in sehr vielen Ländern unter Vortäuschung einer Reise nach Deutschland der Versuch unternommen wird, sich ein Asylverfahren in Deutschland zu ermöglichen. Herr Kollege, Sie wissen das. Es ist doch so, daß dies in der Vergangenheit in zigtausendfacher Weise erfolgt ist - mit allen Konsequenzen für unsere Kommunen. Daß in bestimmten Ländern Tausende von Menschen täglich versuchen, über ein Visum nach Deutschland auszureisen und auszuwandern, ohne die Absicht, hier Asyl zu beantragen, dabei schon kundzutun, ist in diesem Bundestag schon sehr häufig diskutiert worden.
Ich kann nur sagen: Die Frage des Kollegen richtet sich auf einen speziellen, einzelnen Fall. Dabei geht es um die Bonität, also um die Frage: Worüber muß der Einladende verfügen, damit jemand, der eingeladen wird, die Bestimmungen des bestehenden Ausländergesetzes erfüllt? Das ist alles, wonach ich heute gefragt worden bin. Ich bin aber nicht über größere Zusammenhänge gefragt worden, also darüber, wann ein Visum erteilt wird oder nicht. Das ist eine sehr umfangreiche Angelegenheit.
Eine Nachfrage des Kollegen Erler.
Herr Staatsminister, Sie haben sich jetzt hier mehrfach auf das Ausländergesetz berufen. Wir haben in diesem Hause schon wiederholt über diese Frage gesprochen. Würden Sie einräumen, daß es sich in Wirklichkeit nicht um eine flächendeckende Anwendung dieser Gesetzesvorschriften handelt, also betreffend Visumsanträge aus allen Ländern der Welt, sondern daß es sich in Wirklichkeit speziell um Visumsanträge aus Ost- und Südosteuropa sowie den GUS-Staaten handelt und daß wir in Wirklichkeit bei aller gefeierten Freizügigkeit inzwischen eine Art Zensus haben, was die Begütertheit derjenigen betrifft, die Gäste aus Ost- und Südosteuropa sowie den GUS-Staaten einladen?
Herr Kollege, das Gesetz, das ich hier zitiert habe, ist nicht auf ost- und südosteuropäische Staaten beschränkt;
es gilt vielmehr generell.
Eine Nachfrage des Kollegen Schlauch.
Herr Staatsminister, es ist richtig, daß nach der Bonität gefragt worden ist. Mein Kollege hat dann aber nachgefragt - Sie sind darauf eine Antwort schuldig geblieben -, wie eine solche Bonität aussehen muß. Muß sie beispielsweise dadurch belegt werden, daß ein regelmäßiges Einkommen bzw. eine Verdienstbescheinigung vorgewiesen wird? Welche Höhe muß sie betragen? Muß Vermögen vorhanden sein? Denn es ist ja auch denkbar, daß beispielsweise im Krankheitsfalle relevante Summen von dem Einladenden aufgewendet werden müssen. Sie sind jegliche Antwort darauf schuldig geblieben, wie diese Bonität aussehen muß.
Herr Kollege, ich bin nicht danach gefragt worden, wie die Bonität in Einzelfällen aussehen muß.
- Nein, das bin ich nicht!
Ich kann Ihnen hier nicht im Detail sagen, in welcher Weise hinreichende Bonität auf Heller und Pfennig ausgelegt wird. Ich kann nur wiederholen, was ich bereits gesagt habe: Wenn beispielsweise kurzfristige Besuchswünsche vorhanden sind, dann reicht in diesem Falle in der Regel schon die Glaubhaftmachung der finanziellen Leistungfähigkeit desjenigen, der einlädt, oder desjenigen, der nach Deutschland kommen will. Wenn ein längerer Besuch in Deutschland, beispielsweise mit einer Dauer von drei Monaten, geplant ist, sieht das Gesetz vor, daß der Einladende garantieren muß, daß dann, wenn bei dem Eingeladenen entsprechende Finanzen nicht vorhanden sind, für den Fall einer Behandlung, eines Krankenhausaufenthaltes oder eines möglichen Unfalles entsprechende Vorkehrungen getroffen sind. Das hat der Gesetzgeber, sprich: der Deutsche Bundestag, beschlossen.
Ich muß Ihnen gestehen: Ich fühle mich in der Rolle eines wegen dieses vom Bundestag beschlossenen Gesetzes Angegriffenen nicht ganz wohl. Denn bei Kritik müßte man natürlich an das Gesetz herangehen. In den Ausschüssen und im Plenum bestehen Möglichkeiten, ein solches Gesetz, wenn es Ihnen nicht gerecht erscheint, zu ändern.
Jetzt ist Herr Kollege Ilte dran.
Herr Staatsminister, gestatten Sie mir dennoch eine Nachfrage. Sie haben gesagt: Bei einem kurzfristigen Aufenthalt muß die einladende Person erst glaubhaft machen, daß sie über Einkommen verfügt. Da in einem solchen Fall, ebenso wie bei einem längerfristigen Aufenthalt, offensichtlich nicht explizit im Gesetz steht, wieviel Geld der Einladende haben muß, kann ich mir sehr gut vorstellen, daß es für Ihre Behörden, insbesondere für die im Ausland tätigen Behörden, eine interne Vorschrift gibt, nach welchen Kriterien sie zu handeln haben.
Wonach meine Kollegen hier gefragt haben und was auch ich gerne wissen möchte, ist: Wie sieht diese Regelung aus? Wann sagt das Auswärtige Amt:
Wolfgang Ilte
„Nein, du darfst nicht kommen"? Wann sagt das Auswärtige Amt: „Ja, du darfst kommen"?
Zunächst einmal sagt das Auswärtige Amt nicht: „Nein, du darfst nicht kommen" . Das Auswärtige Amt, genauer gesagt: die Konsularabteilung der Botschaften, muß in Fällen, in denen bezweifelt wird, daß jemand, der einen Visumsantrag stellt, ernsthaft nur eine Reise nach Deutschland antritt und daß er außerdem über genügend Geld verfügt, bei den Ausländerbehörden nachfragen und sich mit ihnen beraten. Das ist also keineswegs eine Willkürentscheidung der jeweiligen Konsularabteilung. Dies kann ich in Beantwortung der zweiten Frage des Kollegen noch einmal deutlich erläutern. Dies beinhaltet dann auch die Ausländerbehörden.
Damit sind wir jetzt bei der nächsten Frage, der Frage 19 des Abgeordneten von Larcher:
Zählt zu den Voraussetzungen für die Erteilung eines Visums zu Besuchszwecken an eine rumänische Staatsbürgerin auch, daß die einladende Person ein bestimmtes Nettoeinkommen nachweisen kann?
Der Sache nach haben wir diese Frage schon gestreift. Sie möchten diese Frage aber noch beantworten, oder?
Ja. - Ich glaube, daß diese Antwort die letzte Frage noch etwas näher beleuchtet; denn gemäß § 84 Ausländergesetz gilt: Will sich die einladende Person zur Übernahme der Kosten für den Lebensunterhalt eines Ausländers verpflichten und sind der Ausländerbehörde oder der Auslandsvertretung die finanziellen Verhältnisse nicht bekannt, so sind grundsätzlich ausreichende Nachweise, zum Beispiel Mietvertrag, Einkommens- und Versicherungsnachweise, erforderlich. Der Einladende ist jedoch zur Vorlage dieser Nachweise nicht verpflichtet; die Vorlage ist freiwillig. Bestehen berechtigte Zweifel an der finanziellen Leistungsfähigkeit des Einladenden, so kann die zuständige Behörde bei ihrer Entscheidung darauf abstellen, daß der Lebensunterhalt des Ausländers auch unter Einbeziehung einer Verpflichtungserklärung eines Dritten nicht gesichert ist und deshalb die Voraussetzungen für die Erteilung eines Visums nicht vorliegen.
Eine Nachfrage des Kollegen von Larcher.
Heißt das dann, daß dann - ich bleibe bei meiner Rentnerin -, wenn die Rentnerin solche Nachweise erbringen soll und vom Landratsamt eine Bestätigung haben möchte, das Landratsamt befugt ist, zu sagen: „Paß mal auf, liebe Frau, du hast nur eine Rente von 900 DM; das reicht auf keinen Fall aus. Hast du noch weitere Einkünfte?" Müßte diese Rentnerin dann, wenn sie noch andere Einkünfte hat, diese offenlegen?
Nein. Sie muß nicht alles offenlegen. Es ist aber davon auszugehen, daß man der Rentnerin sagt: „Du mußt dich für den Fall rüsten, daß es in der Zeit, in der du jemanden aus dem Ausland" - in Ihrem speziellen Fall jemanden aus einem Lande, bei dem anzunehmen ist, daß die Rücklagen der betreffenden Person kaum ausreichend sind - „zu Gast hast, zu unangenehmen Konsequenzen kommen kann. "
Ich sage noch einmal: In den Fällen, die ich vorhin als kurzfristige Besuchsaufenthalte bezeichnet habe, genügt in der Regel schon die Glaubhaftmachung eines Einkommens. Auch hier wird freiwillig verfahren. Wenn aber die zuständige Behörde, beispielsweise die Ausländerbehörde, berechtigte Zweifel hat, daß die einzuladende Person überhaupt über Mittel verfügt oder über Mittel in ausreichendem Maße, dann wird sie der Visumsabteilung ein Nein vorgeben.
Sie haben noch eine Frage?
Herr Staatsminister, was halten Sie von einem Land, das Ausländerbestimmungen macht, die dazu führen, daß die Menschenwürde - so will ich es einmal formulieren - in einem freiheitlichen Land, einem demokratischen Staat, so weit eingeschränkt wird, daß es zum Beispiel nicht mehr möglich ist, daß jemand, der hier Hilfstransporte organisiert, denjenigen, der in einem anderen Land für die Verteilung der Hilfsgüter sorgt, einlädt, weil ihm entgegengehalten wird, er habe zu wenig Geld?
Ein zweiter Punkt. Ich habe schon in einer anderen Fragestunde vorgetragen, daß es in meinem Wahlkreis einen Geschäftsmann gibt, der dann, wenn er einen ausländischen Geschäftspartner zum Zwecke eines Geschäftsabschlusses treffen will, sich mit ihm in den Niederlanden treffen muß und das nicht in der Bundesrepublik Deutschland tun kann. Was halten Sie von einem solchen Land? Müssen wir nicht die Gesetze ändern?
Herr Kollege, ich möchte eine Gegenfrage an Sie richten: Was halten Sie von dem Parlament in einem solchen Land, das solche Gesetze beschließt?
- Entschuldigen Sie, Sie können nicht dauernd zwischen einem Land - Sie meinen im Grunde die Bundesregierung - und dem Parlament unterscheiden.
Über das Ausländergesetz ist hier, in diesem Bundestag, diskutiert worden, und es ist verabschiedet worden. Unsere Behörden, die ja nichts anderes zu tun haben, als dem Gesetzgeber zu folgen, wenden das Gesetz an; das kann zu den von Ihnen möglicherweise zu Recht monierten Schärfen führen. Wenn wir
Staatsminister Helmut Schäfer
dann nicht hinter den Beamten stehen, könnten uns natürlich unsere Konsulatsbeamten fragen: Was müssen wir eigentlich von einer Regierung halten, die uns nicht die Sicherheit gibt, daß wir dann, wenn wir die Gesetze in einer Weise auslegen, wie sie auszulegen sind, hinterher im Deutschen Bundestag dafür keine Kritik bekommen?
Wenn ein entsprechender Bedarf besteht, muß man sich überlegen, was man an diesen Gesetzen ändert. Aber Sie wissen ja auch um die Sorge, die im Zusammenhang mit dem besteht, was wir in den letzten Jahren und Jahrzehnten erlebt haben - mit all den Konsequenzen für unsere Kommunen. Ich rate jedem, einmal mit Bürgermeistern über die Anwesenheit von Ausländern zu sprechen, die auf Grund einer Einreise, die ihnen gewährt wurde, zu uns gekommen sind und die dann nicht mehr in ihr Land zurückgegangen sind. Heute morgen wurde uns gesagt, daß von einer nordrhein-westfälischen Kommune pro 100 Flüchtlinge 1 Million DM pro Jahr zu zahlen ist. Das muß man auch einmal zur Kenntnis nehmen.
Von daher sind wir alle nicht froh. Wir müssen aber aus dem, was uns als gesetzliche Vorschrift vorgegeben ist, unsere Konsequenzen ziehen.
Ich erteile dem Kollegen Tauss das Wort.
Herr Staatsminister, ich bin eigentlich wegen einer Frage zum Geschäftsbereich des Finanzministeriums gekommen. Als Betroffener stelle ich Ihnen jetzt aber einmal meine Erfahrungen dar und möchte Sie fragen, was Sie davon halten.
Eine evangelische Kirchengemeinde lud Kinder ein; es ging um eine Hilfsaktion für Tschernobyl. Man hat verlangt, man solle den Unterhalt nachweisen. Das zu tun wurde der Kirche nicht gestattet mit der Begründung, eine Kirche sei kein eingetragener rechtlicher Verein. Das geschah durch Ihr Haus. Damit die Kinder reisen konnten, wurde nach Alternativen gesucht. Ich habe mich bereit erklärt, eine Bürgschaft für den Aufenthalt dieser Kinder zu übernehmen. Ich wurde gebeten, dem Ausländeramt der Stadt Karlsruhe eine Bescheinigung über meine Bezüge als Abgeordneter des Deutschen Bundestages vorzulegen. Wie vertragen sich diese Sachverhalte, nämlich der geforderte Nachweis der Rechtsfähigkeit von Kirchen und der Bonität eines Bundestagsabgeordneten, mit Ihrer Aussage, daß ganz zweifellos solche Bescheinigungen nicht vorgelegt werden müßten?
Ich bin nicht über die Kenntnisse einer Behörde
in Karlsruhe in bezug auf die Einkünfte eines Bundestagsabgeordneten informiert.
Vielleicht hätte man das nicht unbedingt nachweisen müssen. Das kann man auch nachlesen, weil es ja jeden Tag in der Zeitung, wie Sie wissen, heftig diskutiert wird.
Wir werden ja bei jeder Erhöhung unserer Diäten und unserer Bezüge wie kein anderer Berufsstand kritisiert. Das hätten die Behörden in Karlsruhe also wissen können.
- Dabei geht es aber nicht darum, daß Sie Ihr Einkommen nachweisen, sondern darum, sicherzustellen, daß Sie im Zweifelsfall mögliche Kosten auch wirklich übernehmen.
Wenn ich Ihnen vielleicht jetzt noch einmal etwas ganz Konkretes sagen darf: Es ist in vielen Härtefällen besser, zu versuchen, in unmittelbarem Kontakt mit mir oder dem Auswärtigen Amt eine Lösung zu finden. Ich kann Ihnen sagen: Ich mache das jeden Tag. Es geht dabei um Freundinnen und Freunde von Menschen, die aus vielen Ländern der Welt nach Deutschland eingeladen werden - von Thailand bis Neu-Mexiko. Wenn es irgendwie geht, helfen wir. Einer Fragestunde dazu bedarf es nicht. Ich kann aber die Gesetze nicht ändern. Ich bitte dafür um Ihr Verständnis.
- In dem Fall hätten Sie, Herr von Larcher, schon längst zu mir kommen können. Bitte tun Sie es.
Als nächster der Kollege Reuter.
Herr Staatsminister, es geht jetzt nicht um die Härtefälle, sondern um die Regelfälle. Wenn jemand seine Bonität nicht nachweist oder seine Unterlagen nicht vorlegen kann oder der entsprechende Abgeordnete hoch verschuldet ist,
dann wird ein Visum abgelehnt. Wie erfährt der Antragsteller eigentlich die Gründe, die zu der Ablehnung geführt haben, zumal er doch gar kein Rechtsmittel und keine Gründe genannt bekommt? Gleichwohl hat er das Recht, dagegen Einspruch einzulegen. Wie erfährt er aber die Gründe der Ablehnung? Die nennt ja die Konsularabteilung normalerweise
Metadaten/Kopzeile:
19356 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 212. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Januar 1998
Bernd Reuternicht. Das Instrument des Rechtsmittels, nachher dagegen vorzugehen, ist ihm überhaupt nicht gegeben, weil er die Gründe gar nicht kennt, warum sein Visum abgelehnt wurde.
Ich kann Ihnen jetzt keine Vorlesung halten über die detaillierten Vorgehensweisen von einzelnen Konsulaten. Danach war auch nicht gefragt worden. Ich bin aber gerne bereit, Ihnen diese Details in irgendeiner Weise zukommen zu lassen; jedenfalls kann ich hier keine Vorlesung halten über den Ablauf von Antragsgenehmigungen und über Detailgründe, die dort angegeben werden. Ich bin bereit, Ihnen das nachzureichen. Ich bin kein Fachmann auf diesem Sektor.
Der Kollege Erler, bitte.
Herr Staatsminister, würden sie einräumen, daß in den letzten Jahren die Zahl der tatsächlich erteilten Visa, insbesondere für Besucher aus Ost-, Südosteuropa und aus den GUS-Staaten, signifikant zurückgegangen ist? Sehen Sie einen Zusammenhang mit dem hier behandelten Komplex, nämlich mit einer zurückhaltenden bis abschreckenden Form, über solche Bonitätsnachweise die Möglichkeit von Einladungen einzuschränken?
Die Bundesregierung steht unter einem permanenten Druck - auch der Kommunen und der Länder -, bei der Vergabe von Visa vorsichtig zu verfahren, insbesondere bei Ländern, in denen der Mißbrauch solcher Visumsanträge, also die Praxis, ein Reisevisum zu beantragen und dann in Deutschland um Asyl zu bitten, derart gravierend war, daß wir im Vorfeld schon gezwungen worden sind, vorsichtiger zu verfahren.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Otto Schily.
Herr Staatsminister, weil Ihnen mein Mitgefühl gilt, daß Sie hier ein Gesetz interpretieren und vertreten sollen, frage ich Sie, ob ich aus Ihren Ausführungen entnehmen soll, daß Sie der Meinung sind, das Gesetz sollte eigentlich doch verändert werden, damit Sie nicht soviel Arbeit haben. Ich stelle mir diese ganzen Briefe und Besuche bei Ihnen vor. An sich ist ja vielleicht die Aufgabenstellung eines Staatsministers im Auswärtigen Amt noch etwas weiträumiger; insofern wäre es gut, wenn man Sie entlasten könnte. Was ist Ihre Empfehlung?
Herr Kollege Schily, ich konnte angesichts der Tatsache, daß soeben der Bundesinnenminister, wenn ich seine Stimme hinter mir richtig erkannt habe, erschienen ist, diese Frage von Ihnen als eine ganz gefährliche Frage entlarven; denn Sie verlangen jetzt von mir, über eine Änderung des Ausländergesetzes zu reden.
Ich habe Ihnen ja gesagt, wenn Kritik aus dem Deutschen Bundestag kommt, die besagt, dieses Gesetz sei zu rigide, seine Anwendung sei unmenschlich, hier würden einzelne Fälle in einer Weise geregelt, die eigentlich zu der Frage führen müßten - so wurde es formuliert -, was man von diesem Land hält, dann kann ich nur antworten, daß wir natürlich über solche Dinge sprechen müssen. Wenn es tatsächlich Entwicklungen gibt, die eine Überprüfung dieses Gesetzes notwendig machen, dann sollte man es überprüfen.
Ich sage aber noch einmal: Das Gesetz ist vom Deutschen Bundestag verabschiedet worden, und der ist das Gremium, in dem über mögliche Änderungen nachgedacht werden muß.
Ich rufe jetzt die Frage 20 des Abgeordneten Gernot Erler auf:
Wie erklärt sich die Bundesregierung, daß die türkische Öffentlichkeit nach den Entscheidungen der Europäischen Union von Luxemburg überwiegend die Bundesregierung für die aus türkischer Sicht enttäuschenden Ergebnisse verantwortlich gemacht hat?
Herr Kollege Erler, wir haben die anfängliche, zum Teil emotional geprägte Kritik in der Türkei am Ergebnis des Europäischen Rates in Luxemburg vom 12. und 13. Dezember vergangenen Jahres mit Bedauern zur Kenntnis genommen, aber auch registriert, daß inzwischen immer stärker nachdenkliche Töne zu hören sind.
Vergleicht man die Beschlußlage, die die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und der Türkei vor und nach Luxemburg definiert, so ist dort eine sehr wichtige qualitative Verbesserung erreicht worden, die der besonderen strategischen Bedeutung der Türkei für die EU und umgekehrt auch der Europäischen Union für die Türkei wesentlich weitergehend Rechnung trägt, als es mancher Kritiker zur Kenntnis genommen hat.
Die Bundesregierung hat daran aktiv und engagiert mitgewirkt. Jetzt gilt es, auf dem Erreichten aufzubauen und Schritt für Schritt das Verhältnis zwischen der Türkei und der Europäischen Union zu verdichten. Der Türkei ist die Teilnahme an der EuropaKonferenz angeboten worden, „in der sich die Mitgliedstaaten der EU sowie diejenigen Staaten zusammenfinden, die für einen Beitritt in Frage kommen und die Werte sowie die internen und externen Ziele der Union teilen. " - Ich habe zuletzt aus Ziffer 4 dieses Beschlusses zitiert.
Außerdem soll die „europäische Strategie für die Türkei" - so die Formulierung -, die in den Schlußfolgerungen von Luxemburg enthalten ist, zur „Vorbereitung der Türkei auf den Beitritt" genutzt werden. Es ist ausdrücklich klargestellt, daß das Beitrittsersuchen der Türkei „auf der Grundlage derselben Kriterien" untersucht wird wie im Fall anderer Bewerber. Das ist die Ziffer 31.
Staatsminister Helmut Schäfer
Allerdings sind - dies war in Luxemburg die Auffassung aller Mitgliedstaaten und der Kommission - die politischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für Beitrittsverhandlungen noch nicht gegeben; daher der Wunsch der gesamten Europäischen Union und besonders der Bundesregierung, die erwähnte europäische Strategie für die Türkei jetzt entschlossen anzugehen.
Was den Bereich von Verfassungsfragen und Menschenrechten betrifft, begrüßen wir jüngste Schritte der Regierung in Ankara, die in diese Richtung gehen.
Eine Nachfrage, bitte.
Herr Staatsminister, ich habe natürlich Verständnis dafür, daß Sie meine Frage nach den Ursachen eines bestimmten Zustandes benutzen, um eine politische Perspektive hinsichtlich des Verhältnisses der Bundesrepublik zur Türkei vorzutragen. Sie haben aber sicher auch Verständnis dafür, daß ich auf meine ursprüngliche Frage zurückkomme, nämlich wie es eigentlich dazu gekommen ist, daß zum Beispiel die türkische Zeitung „Millyet", ein angesehenes Blatt, unmittelbar nach dem Luxemburger Gipfel geschrieben hat - ich zitiere -:
König Kohl und sein Hofnarr Juncker sind für die entstandene Lage verantwortlich.
Solche Töne hat man auch in vielen anderen Verlautbarungen vernommen.
Wie erklärt sich die Bundesregierung, daß es überhaupt zu dieser schwierigen Situation gekommen ist, daß Bundeskanzler Kohl von der Türkei praktisch als Hauptverantwortlicher für die - jedenfalls aus türkischer Sicht so gesehene - Niederlage in Luxemburg gilt?
Die Türkei hat sich - aus welchen Gründen auch immer - schon im Vorfeld von Luxemburg auf die Vorstellung kapriziert, daß der Beitritt der Türkei zur Europäischen Union oder die Aufnahme der Türkei in den Kreis der Beitrittskandidaten nahezu ausschließlich von der deutschen Bereitschaft dazu abhinge. Das hat Ministerpräsident Yilmaz mir in Ankara kurz vor der Luxemburg-Konferenz selbst gesagt.
Ich war immer der Meinung, daß wir eine solche Auffassung nicht unterstützen dürfen. Es ist doch kein Geheimnis, daß nicht Deutschland allein, sondern die meisten Mitgliedstaaten, daß sogar - das möchte ich auf Grund der Beschlüsse, die ich verlesen habe, sagen - alle Mitgliedstaaten der Auffassung waren, daß die Türkei im Augenblick noch nicht in den Kreis der Beitrittskandidaten auf genommen werden könne, und zwar wegen der hier im Bundestag häufig diskutierten Fragen. Daß das bei Deutschland hängenblieb, ist sehr bedauerlich. Es entspricht nicht den Tatsachen, daß wir diejenigen gewesen sein sollen, die verhindert hätten, was andere gewollt hätten, nämlich daß die Türkei aufgenommen wird.
Sie wissen, Frankreich hat eine Europa-Konferenz vorgeschlagen. Wir haben das nach anfänglichem Zweifel unterstützt und haben gesagt: Gut, wenn das der Fall sein sollte, sind wir nicht dagegen. Die Türkei kann in diese Konferenz mit eingebaut werden. Das ist noch im Gespräch. Die Türkei war es, die gesagt hat: Eigentlich bringt uns das nichts.
Ich wiederhole: Ich bedauere, daß in der Türkei der Eindruck entstanden ist, als seien die Deutschen schuld, daß die Türkei bei den Vorverhandlungen nicht weitergekommen ist. Das entspricht nicht den Tatsachen.
Noch eine Nachfrage.
Herr Staatsminister, ich hatte Gelegenheit, unmittelbar nach dem Luxemburger Gipfel in Ankara mit einer Delegation politische Gespräche zu führen. Am meisten hat mich da der Beitrag von Herrn Yilmaz beeindruckt, der unter anderem berichtet hat, daß er im Vorfeld von Luxemburg mehrfach Anrufe von anderen europäischen Staats- und Regierungschefs bekommen hat, die seinen Eindruck, daß Bonn im Hinblick auf den Status eines Kandidaten - der Türkei - mauert, unterstrichen haben. Namentlich hat er den französischen Präsidenten Chirac genannt. Sind solche Anrufe der Bundesregierung bekanntgeworden? Wie beurteilt die Bundesregierung ein solches Verhalten von befreundeten europäischen Staaten in bezug auf die Diskreditierung der deutschen Politik gegenüber Ankara?
Herr Kollege Koppelin verweist auf den Mangel der Möglichkeit von Lauschangriffen der Bundesregierung auf Telefonate, die in dieser Sache geführt wurden.
Ich will klar sagen: Ich kann mir nicht vorstellen, daß ein ausländischer Staatsmann uns beschuldigt haben könnte, es liege nur an uns, daß die Türkei nicht aufgenommen wird. Es ist möglicherweise die Rede davon gewesen, daß wir am Anfang Zweifel an der sogenannten Europa-Konferenz hatten, die Frankreich vorgeschlagen hat.
Aber es wäre nicht ganz redlich, wenn von anderen europäischen Staaten der Eindruck erweckt worden wäre, als sei Deutschland sozusagen der Hauptverantwortliche. Das ist nicht in Ordnung. Es wurden bestimmte Beschlüsse einer internationalen ParteiKonferenz über das Abendland und das Morgenland ja auch richtiggestellt. Der Bundeskanzler hat sich dazu eindeutig geäußert. Das konnte man auch nicht mehr zum Vorwurf machen.
Ich rufe die Frage 21 des Abgeordneten Erler auf:
Welche Informationen hat die Bundesregierung über Boykottaufrufe in der türkischen Öffentlichkeit gegen deutsche Waren nach den Luxemburger Entscheidungen, und welche praktischen Folgen haben diese Boykottaufrufe bisher gehabt?
Herr Kollege, der Bundesregierung sind spontane öffentliche Boykottaufrufe in zahlreichen türkischen Medien als erste Reaktion auf die Beschlüsse des Europäischen Rates von Luxemburg im Dezember 1997 bekannt. Eine nachteilige Auswirkung auf die Entwicklung des deutsch-türkischen Handelsvolumens ist nicht auszuschließen. Wir haben aber bislang keinerlei konkrete Hinweise auf eine Benachteiligung deutscher Unternehmen infolge der jüngsten Boykottaufrufe.
Nachfrage, bitte.
Herr Staatsminister, in diesem Zusammenhang haben sich die Vertreter des türkischen Generalstabs besonders harsch geäußert. Sie haben unter anderem angekündigt, daß die bundesdeutschen Firmen Unimog und MAN und andere Firmen, die in die Ausrüstung der türkischen Armee mit NATO-kompatiblen Gewehren involviert sind, sowie Ausrüster von Marineschiffen in Zukunft nicht mehr zum Zuge kommen sollen. Haben Sie irgendwelche Erkenntnisse darüber, ob es bei der bloßen Androhung geblieben ist oder ob das ebenso wie die Setzung der Bundesrepublik auf die sogenannte Gelbe Liste bei der Militärausrüstung der Türkei erfolgt ist?
Es liegt uns bis jetzt - ich sagte das bereits - kein konkreter Hinweis darauf vor, daß die Ankündigungen in konkrete Beschlüsse umschlagen. Ich kann mir vorstellen, daß die eine oder andere Fraktion im Deutschen Bundestag in dem Fall, daß das türkische Militär seine Ankündigungen wahrmachte, außerordentlich erfreut wäre. Ich erinnere mich an viele Debatten, die wir speziell über die Lieferungen an die türkischen Streitkräfte geführt haben. Es müßte eigentlich seitens der Fraktion der Grünen erstaunlicherweise Beifall für das türkische Militär aufkommen, wenn es die deutschen Waffenlieferungen, über die wir lange mit Frau Beer und anderen heftig diskutiert haben, gar nicht mehr wollte. Aber ich rede dem nicht das Wort.
Noch eine Nachfrage.
Ich schlage doch vor, daß wir zwischen dem militärischen Bedarf des NATO-Partners Türkei zur Warhnehmung des Bündnisauftrags und den Lieferungen unterscheiden, die wir immer
kritisiert haben und die eine Rolle im Bürgerkrieg in der Türkei spielen. Das war aber nur eine Anmerkung. -
Ich erlaube mir, Sie noch zu fragen, was Ihre Erkenntnisse angeht, Herr Staatsminister. Es hat Aufrufe an die immerhin 2,3 Millionen Türken, die in der Bundesrepublik leben, gegeben, ihre Bankguthaben bei den deutschen Banken aufzulösen und zu transferieren. Gibt es dazu irgendwelche Erkenntnisse, ob auch das bloß eine spontane Reaktion war oder ob es konkrete Folgen hatte?
Mir sind konkrete Folgen nicht bekannt. Ich kann aber darüber berichten, daß es wiederholt, auch mir gegenüber, besorgte Stimmen aus der türkischen Gemeinde in Deutschland darüber gegeben hat, daß das eigene Land mit seiner Kritik an Deutschland zu weit gegangen sei und daß man sich als Türke, der in Deutschland lebt, erhofft, daß es nicht zu Schädigungen der Türken bei uns kommt. Sie hoffen weiterhin, daß das Ganze einigermaßen moderiert wird und man sich wieder sinnvollerweise dem Dialog zuwendet, statt Drohungen und Boykottaufrufe zu machen. Ich meine, daß man damit nicht die Intentionen desjenigen trifft, der hier dauernd als schuldig bezeichnet wird: Deutschland ist sicher nicht der Staat, der verhindern will, daß die Türkei eines Tages nach Europa kommt.
Danke schön, Herr Staatsminister. Damit haben wir keine Fragen mehr zu Ihrem Geschäftsbereich.
Die Fragen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen deswegen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Der Parlamentarische Staatssekretär Ulrich Klinkert wird die Fragen beantworten.
Ich rufe zunächst die Frage 3 des Abgeordneten Winfried Mante auf:
Welche zukunftsorientierten grenzüberschreitenden und vorbeugenden Hochwasserschutzmaßnahmen sind in Kooperation mit den Nachbarländern Polen und Tschechien bereits eingeleitet, und welche Maßnahmen sind in diesem Zusammenhang in Zukunft vorgesehen?
Herr Kollege Mante, auf Anregung von Frau Bundesministerin Dr. Merkel fand bereits am 4. August 1997 in Frankfurt/Oder ein Gespräch mit dem polnischen Umweltminister und dem Vertreter des tschechischen Umweltministers statt, an dem auch der brandenburgische Umweltminister Platzeck teilgenommen hat. Auf deutsche Initiative wurde dabei verabredet, einen Aktionsplan Hochwasser für das Odergebiet aufzustellen und die dafür notwendigen Arbeiten im Rahmen der Internationalen Kommission zum Schutz der Oder gegen Verunreinigung - der IKSO - durchzuführen. Diese Arbeiten sind zü-
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Parl. Staatssekretär Ulrich Klinkertgig angelaufen. Die dafür gebildete Arbeitsgruppe Hochwasser der IKSO führt am 15. und 16. Januar dieses Jahres, also morgen und übermorgen, in Radebeul bereits ihre zweite Sitzung durch.Als erstes gemeinsames Papier wird in Kürze eine genaue Analyse des Oderhochwassers vom Sommer 1997 vorgelegt. Auf dieser Grundlage sollen bis Mitte des Jahres ein Strategiepapier zur Hochwasservorsorge und zum Hochwasserschutz sowie der Aktionsplan Hochwasser ausgearbeitet werden. Schwerpunkte dieses Aktionsplanes sind vor allem die Sicherung vorhandener und die Wiedergewinnung ehemaliger Überschwemmungsflächen, der erhöhte Wasserrückhalt durch Maßnahmen der Land- und Forstwirtschaft, der Siedlungsplanung und des Naturschutzes, technische Schutzmaßnahmen sowie die Entwicklung eines modernen Hochwassermeldesystems und einer Hochwasservorhersagemethodik für das gesamte Odergebiet.In Ergänzung hierzu ist beabsichtigt, durch Raumplanung auf ein gemeinsames Vorgehen beim vorbeugenden Hochwasserschutz hinzuwirken. In einer trilateralen Arbeitsgruppe sollen Handlungskonzepte für die künftige Flächennutzung entwickelt werden.Unser Ziel ist es, die vielfältigen Initiativen in den drei beteiligten Staaten im Rahmen der IKSO abzustimmen und zu koordinieren und die internationale Zusammenarbeit hierbei zu vertiefen.
Möchten Sie nachfragen?
Ja. - Herr Staatssekretär, wie schätzen Sie die Situation hinsichtlich der grenzüberschreitenden vorbeugenden Maßnahmen ein? Gibt es Erkenntnisse darüber, ob diese Maßnahmen bereits bei einem bevorstehenden Frühjahrshochwasser greifen würden? Denn das, was Sie hier beschrieben haben, reicht weit in die Zukunft.
Es wäre zu optimistisch, jetzt zu behaupten, daß es in naher Zukunft zu ähnlichen Ereignissen nicht mehr kommen kann. Das hängt damit zusammen, daß Hochwasser Ereignisse natürlicher Art sind und daß die Ausbaumaßnahmen des Flusses, die Jahrhunderte zurückliegen und über Jahrhunderte betrieben wurden, nicht in absehbar kurzer Zeit rückgängig gemacht werden können. Hinsichtlich des Frühjahrshochwassers habe ich die Hoffnung, daß der relativ milde Winter das Odergebiet und andere davon verschonen wird.
Würden also die Maßnahmen, die Sie vorhin beschrieben haben, bei einem diesjährigen Frühjahrshochwasser nicht greifen?
Es sind einzelne Maßnahmen wie zum
Beispiel die Abstimmung beim Öffnen von Wehren und bei der Steuerung der Hochwasserwelle verabredet worden, die man auch jetzt schon bei ähnlichen Ereignissen anwenden könnte. Aber - wie ich bereits angedeutet habe - eine wirksame Bekämpfung der Gefahr des Hochwassers ist nur durch Baumaßnahmen an der Oder und an anderen Flüssen möglich. Dies wird auf jeden Fall einen längeren Zeitraum in Anspruch nehmen.
Nachfrage des Kollegen Meckel.
Verehrter Herr Kollege, ich wüßte gern, welchen Zeitplan es hinsichtlich dieser Vereinbarungen gibt und wie die Projekte, die Sie angesprochen haben, finanziert werden. Inwiefern beteiligt sich die Europäische Union an der Finanzierung? Ferner hätte ich gern einige Ausführungen von Ihnen über das Projekt der Polen „Oder 2005", bei dem es ein gewisses Spannungsfeld zwischen der Begradigung und der wirtschaftlichen Nutzung der Oder auf der einen Seite und der Hochwasservorsorge sowie dem Hochwasserschutz auf der anderen Seite gibt.
Herr Kollege Meckel, es ist für mich im Moment relativ schwierig, Zeitpläne zu nennen, da der Aktionsplan Hochwasser, der trilateral erarbeitet wird, noch nicht vorliegt. Im Rahmen dieses Aktionsplanes sollen die Ausbauziele auch zeitlich definiert werden.
Eines läßt sich aber schon jetzt sagen - hier wiederhole ich mich -: Dies wird Jahre, vielleicht sogar in der letzten Konsequenz auch Jahrzehnte in Anspruch nehmen. Ich gehe aber davon aus, daß der von Ihnen angesprochene Plan „Oder 2005" im Zuge der Erarbeitung dieses Aktionsplanes Berücksichtigung finden wird und daß alle Maßnahmen, die in diesem Plan vorgesehen sind bzw. präzisiert werden, auch unter dem Aspekt des Hochwasserschutzes einer kritischen Prüfung unterzogen werden.
Danke.
Ich rufe jetzt Frage 4 des Abgeordneten Winfried Mante auf:
Was unternimmt die Bundesregierung, um der europäischen Dimension des Oder-Hochwassers gerecht zu werden, z. B. mit Blick auf von Deutschland, Polen und Tschechien gemeinsam finanzierte Maßnahmen, und was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um sich bei der Europäischen Union um finanzielle Unterstützung für nationale und grenzüberschreitende Projekte zur Schadensbeseitigung und Hochwasserschutzvorbeugung zu bemühen?
Die europäische Kommission war in allen Phasen der Bewältigung des Hochwasserereignisses beteiligt, gehört selbst allen entscheidenden Gremien an und ist auch von sich aus initiativ geworden.
Parl. Staatssekretär Ulrich Klinkert
In den Ausschüssen zur Begleitung von Förderprogrammen der Europäischen Union wurden bereits am 4. September 1997 in Zittau gemeinsam mit der Republik Polen und der Tschechischen Republik Festlegungen zur Unterstützung von Sofortmaßnahmen zur Beseitigung der Hochwasserschäden getroffen. Diese Sofortmaßnahmen umfassen in Brandenburg unter anderem die Deichreparaturen in der Ziltendorfer Niederung und bei Hohenwutzen. Darüber hinaus möchte die EU-Kommission die Arbeiten der IKSO durch eine fachbegleitetende Studie unterstützen.
Weiterhin gibt es einen gemeinsamen Antrag der Raumordnungs- und Wasserbehörden von Brandenburg und Sachsen für ein Projekt „Transnationale raumordnerische und wasserwirtschaftliche Hochwasserschutzkonzeption für die Oderregion", das mit EU-Mitteln gefördert werden soll.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, ich konnte jetzt nicht erkennen, welche konkreten Mittel die Europäische Union über INTERREG hinaus, das zum Beispiel im Land Brandenburg umgewidmete Mittel enthält, bereitgestellt hat. Können Sie da etwas deutlicher werden?
Es gibt neben INTERREG eine ganze Reihe von Programmen der Europäischen Union, die dafür in Anwendung gebracht werden können. Ich möchte PHARE oder Cross-border-cooperation nennen. All diese Programme können auch für Maßnahmen des Hochwasserschutzes in Anwendung gebracht werden. Da man sich aber im Moment noch in der Phase der Erarbeitung von Konzepten befindet, kann ich Ihnen an dieser Stelle noch keine konkreten Summen nennen, mit denen sich die Europäische Union beteiligen wird.
Zweite Frage. Wird die Bundesregierung gegenüber der Europäischen Kommission initiativ, um konkrete Forderungen finanzieller Art zu erheben?
Die Bundesregierung ist gegenüber der Europäischen Kommission initiativ geworden. Vielleicht wäre es richtiger zu sagen, sie arbeitet mit der Kommission zusammen. Alle Maßnahmen der Erarbeitung von Konzepten sind mit der Europäischen Kommission abgestimmt. Man rennt, wenn ich das so sagen darf, dabei offene Türen ein.
Nachfrage des Kollegen Ilte.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, könnten Sie Angaben darüber machen, wie hoch die finanzielle Belastung Deutschlands durch Ausgaben in den Ländern Polen und Tschechien im Zusammenhang mit dem Oderhochwasser ist?
Sie meinen, welche konkreten Hilfen ausgereicht wurden?
Ja, wie hoch die finanziellen Hilfen sind.
Das kann ich Ihnen an dieser Stelle im einzelnen nicht aufzählen, weil die finanziellen Hilfen sehr zahlreich sind. Es gibt eine ganze Reihe von Hilfen, die auf privater Basis über gemeinnützige Organisationen ausgereicht wurden. Es gibt aber auch Unterstützungsmaßnahmen, die von den Ländern durchgeführt wurden. Auch die Bundesregierung hat sich in vielfältiger Form hilfsbereit gezeigt.
Danke schön, Herr Staatssekretär.
Ist die Bundesregierung bereit, die im Abschlußbericht des Bundesministeriums des Innern zum Oder-Hochwasser vom 9. Dezember 1997 unter Nummer 3.1.7 benannten - aber nicht benötigten - Mittel für Wohnungsbau umzuwidmen, z. B. für Städtebaufördermittel zur Wiederherstellung der kommunalen Infrastruktur?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bundesregierung hat im August 1997 auf Grund des vom Land Brandenburg ermittelten Schadensumfangs und des voraussichtlichen Bedarfs an Fördermitteln Finanzhilfen in Höhe von 15 Millionen DM zur Beseitigung von Hochwasserschäden an Wohngebäuden zur Verfügung gestellt. Landesmittel sollten in gleicher Höhe eingesetzt werden.Zwischenzeitlich hat das Land Brandenburg mitgeteilt, daß die an Wohngebäuden entstandenen Schäden im wesentlichen aus Spenden und Versicherungsleistungen abgedeckt werden konnten, so daß zusätzliche staatliche Fördermittel für diesen Zweck nicht mehr benötigt werden.Die Bundesregierung hat daraufhin geprüft, ob die für die Beseitigung von Schäden an Wohngebäuden gebundenen Mittel dem Land auch außerhalb dieser Zweckbestimmung zur Verfügung gestellt werden können. Ergebnis war jedoch, daß eine solche Abweichung von der eindeutigen Zweckbestimmung im Bundeshaushaltsplan mit finanzverfassungsrechtlichen Grundsätzen nicht vereinbar wäre.
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Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 212. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Januar 1998 19361
Staatssekretärin Christa Thoben
Frau Staatssekretärin, was steht dem entgegen, daß die Mittel, die die Bundesregierung gemeinsam mit dem Land Brandenburg zur Verfügung gestellt hat, um Oder-Hochwasserschäden an Wohngebäuden zu beseitigen, die aber nicht mehr benötigt werden, für die Beseitigung von Schäden eingesetzt werden, die beispielsweise durch Panzer der Bundeswehr auf kommunalen Straßen oder durch die Anlage eines Hubschrauberlandeplatzes in einer Kommune entstanden sind?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es ist übereinstimmende Auffassung zwischen dem Land Brandenburg und der Bundesregierung, daß so etwas bei der Zweckbestimmung Wohnungsbau auf Grund von haushaltsrechtlichen und finanzverfassungsrechtlichen Festlegungen nicht geht.
Danke schön Ihnen beiden.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie auf.
Die Fragen 6 und 7 werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft. Die Frage 8 des Abgeordneten Fuchtel soll ebenfalls schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Für welche konkreten Maßnahmen sind die 70 Mio. DM zum Deichschutz vorgesehen, und werden diese Mittel dem Land Brandenburg pauschal für das Oderprogramm „Sicherheit und Zukunft der Oderregion" zur Verfügung gestellt?
Herr Kollege Ilte, von den zugesicherten 70 Millionen DM wurden dem Land Brandenburg bereits 13 Millionen DM Bundesmittel im Jahr 1997 zugewiesen. Diese Geldmittel wurden für Sofortmaßnahmen zum Hochwasserschutz an den zwölf am stärksten betroffenen Deichstellen eingesetzt. Der Restbetrag von 57 Millionen DM soll dem Land Brandenburg ab 1998 in Jahresraten von 10 bis 15 Millionen DM zur Verfügung gestellt werden.
Mit dem Land Brandenburg ist vereinbart worden, gezielt folgende Maßnahmen zu finanzieren: Deichverstärkungen und Deicherhöhungen bei Neuranft, in der Ziltendorfer und der Neuzeller Niederung, am Deich Buschmühlenweg, im Oderbruch und in den Landkreisen Barnim und Uckermark. Darüber hinaus sollen am Einlaßbauwerk Niedersaaten Baumaßnahmen durchgeführt werden, um die Funktionsfähigkeit der bestehenden Flutungspolder A und B herzustellen. Diese Maßnahmen sollen im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" finanziert werden.
Auch ich danke - Ihnen ebenfalls, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung auf. Die Frage 10 wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Herr Staatssekretär Rose wird die Fragen beantworten.
Ich rufe die Frage 11 der Abgeordneten Angelica Schwall-Düren auf:
Trifft es zu, daß das „Gesangbuch der Bundeswehr" alte Lieder der Wehrmacht enthält und daß während der Grundausbildung von Soldaten Filme der Wehrmacht als Lehrfilme vorgeführt werden ?
Verehrte Frau Kollegin, das Liederbuch der Bundeswehr mit dem Titel „Kameraden singt!" wurde im Jahre 1991 herausgegeben. Es bietet den Soldaten eine große Auswahl verschiedenster Lieder an. Es enthält Volkslieder, Lieder aus dem englischen Sprachraum sowie alte und neue Soldatenlieder.
Lieder, die das nationalsozialistische Regime hat verfassen lassen, wurden in das Liederbuch der Bundeswehr nicht aufgenommen. Die Auswahl der Lieder wird sowohl den Singgewohnheiten Jugendlicher als auch den Ansprüchen gerecht, die eine kritische Öffentlichkeit an das Liedgut der Bundeswehr stellt.
Inwieweit der von Ihnen genannte Lehrfilm noch verwendet wird, konnte in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit nicht abschließend geklärt werden. Ich gebe Ihnen dazu baldmöglichst schriftliche Antwort.
Möchten Sie nachfragen?
Herr Staatssekretär, Sie haben formuliert, daß Lieder, die unter dem Nationalsozialismus verfaßt worden sind, nicht in das Buch aufgenommen worden seien. Meine Frage bezog sich aber auf Wehrmachtslieder, also auf Lieder, die schon früher entstanden sind und durchaus auch militaristisches, autoritäres Gedankengut transportieren und teilweise im Nationalsozialismus Verwendung fanden. Können Sie sagen, ob solche Lieder verwendet wurden?
Wenn Sie mir sagen, welche Lieder Sie meinen, tue ich mich leichter. Sonst habe ich Schwierigkeiten, weil ich nicht weiß, was Sie unter solchen Liedern verstehen. Denn ich habe
Parl. Staatssekretär Dr. Klaus Rose
erwähnt: Das sind deutsche Volkslieder, die zum Teil über Jahrhunderte gesungen wurden. Es könnte theoretisch sein, daß solche Lieder - egal von welcher Gruppe der Bevölkerung - auch in der nationalsozialistischen Zeit gesungen wurden. Wenn Sie sagen, solche dürften heute nicht mehr gesungen werden, habe ich Schwierigkeiten mit der Beurteilung. Sie müßten mir konkret sagen, was Sie meinen.
Bitte.
Ich werde das schriftlich nachreichen.
Ich bitte darum.
Ich habe eine weitere Nachfrage. Teilweise wird argumentiert, daß die Behandlung bzw. Verwendung entsprechender Materialien aus Wehrmachtszeiten oder aus Zeiten des Nationalsozialismus unter militärtechnischen Gesichtspunkten notwendig seien. Kann die Bundesregierung eine Garantie geben, daß bei der Verwendung entsprechender Materialien eine Einordnung in den historischen Kontext dergestalt vorgenommen wird, daß eine kritische Auseinandersetzung mit den militaristischen und nationalsozialistischen Traditionen erfolgt?
Der Hintergrund meiner Frage ist folgender: In der neuesten Veröffentlichung der Zeitschrift „Truppenpraxis/Wehrausbildung", 1/1998, wird eine militärgeschichtliche Weiterbildung angeboten über die Abwehrschlacht zwischen Frankfurt/Oder und Berlin im April 1945, bei der die einzige historische Einordnung darin besteht, die militärische Lage Deutschlands Ende 1944/Anfang 1945 zu skizzieren. Meine Frage ist: Wie garantiert die Bundesregierung, daß eine politische Einordnung in demokratisch-kritischer Weise geschieht?
Die Bundesregierung hat in jedem Bereich die Aufgabe - und sie nimmt sie auch wahr -, Probleme geschichtlicher Art sachgemäß, dem Grundgesetz entsprechend und der freiheitlich-demokratischen Grundordnung gemäß weiterzugeben. Das heißt, es findet keinerlei Unterweisung statt, die nicht unter diesen Gesichtspunkten durchgeführt wird. Politische Bildung, innere Führung und all diese Fragen werden jetzt und in Zukunft unter diesen Gesichtspunkten gestaltet.
Wenn Sie in irgendeiner Zeitschrift ein anders geartetes Angebot gefunden haben, hat das zunächst noch nichts mit der Bundesregierung zu tun. Aber umgekehrt kann man auch nicht sagen, daß die Schrift, auf die Sie sich beziehen, die alleinig verfügbare zu diesem Thema sei. Wenn sie in den richtigen Kontext eingeordnet wird, dann verhält es sich wie im normalen Geschichtsunterricht: Man muß viele Quellen heranziehen, um ein vernünftiges Geschichtsbild zu bekommen.
Ich rufe die Frage 12 auf:
Ist es aus Sicht der Bundesregierung für eine vertiefte Identifikation der Menschen mit den Prinzipien eines freiheitlich demokratischen Rechtsstaates förderlich, wenn Lehrfilme und Lieder im „Gesangbuch der Bundeswehr" aus Wehrmachtszeiten und die Reichskriegsflagge auch heute noch offizielle Bedeutung haben?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Verehrte Frau Kollegin, bei der Zusammenstellung der Lieder sind vor allem die Soldaten selbst zu Wort gekommen. Ihre Wünsche wurden vom Bundesministerium der Verteidigung darauf geprüft, ob die ausgewählten Lieder den politischen, geistigen und ethischen Grundsätzen unseres Staates widersprechen. Die Lieder dürfen weder einen Eroberungsgedanken zum Ausdruck bringen noch den Krieg verherrlichen oder ein überhebliches Pathos pflegen. Ebensowenig dürfen sie geeignet sein, die Gefühle anderer Völker und Menschen zu verletzen.
Die ausgewählten Lieder wurden sowohl vom Beirat für Fragen der Inneren Führung als auch am 10. Mai 1989 vom Verteidigungsausschuß des Deutschen Bundestages zustimmend zur Kenntnis genommen.
Zu der Frage nach den Lehrfilmen aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges oder der Wehrmacht verweise ich auf die Antwort zur Frage 1. Wir müssen das genau prüfen.
Zur Frage der Reichskriegsflagge: Dazu kann ich Ihnen sagen, daß das Zeigen der Reichskriegsflagge, die in der Zeit von 1934 bis 1945 Verwendung fand, in der Bundesrepublik Deutschland durch Strafgesetze verboten ist und somit auch in der Bundeswehr verboten ist. Die Kriegsflagge des Norddeutschen Bundes und späteren Deutschen Reiches, die in Deutschland bis 1921 gültig war, darf im Rahmen der Traditionspflege der Bundeswehr im Einklang mit den hierfür geltenden Bestimmungen der Richtlinien zum Traditionsverständnis und zur Traditionspflege - zum Beispiel in der Marine - gezeigt werden. Es gibt keine Anzeichen dafür, daß diese Flagge in der Bundeswehr mißbräuchlich verwendet wird. Sollte dies im Einzelfall festgestellt werden, wird dagegen vorgegangen.
Danke schön. Keine weiteren Nachfragen.
Die Fragen 13, 14, 15 und 16 werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe jetzt die Frage 17 des Abgeordneten Mekkel auf:
Welche Art der Kostendeckung sieht die Bundesregierung für in Aussicht gestellte weitere Einsätze der Bundeswehr im Katastrophenfall, z. B. Hochwasser, vor?
Herr Kollege Meckel, Ka-
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Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 212. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Januar 1998 19363
Parl. Staatssekretär Dr. Klaus Rosetastrophenhilfe ist nach dem Grundgesetz als ergänzende Hilfe zur Unterstützung der Länder, nicht jedoch als zusätzliche Kompetenz des Bundes oder gar als originäre Aufgabe der Streitkräfte konzipiert. So stellt sich die Bundeswehr hinsichtlich ihrer Gliederung, Dislozierung, Ausrüstung und Ausbildung nicht auf die Übernahme konkreter Katastrophenschutzmaßnahmen ein.In akuten Katastrophenfällen hilft sie im Rahmen verfügbarer personeller und materieller Kapazitäten und Fähigkeiten auf Anforderung. Die diesbezüglich entstehenden Kosten fallen zunächst im Einzelplan der Bundeswehr an und sind grundsätzlich von den anfordernden Stellen zu erstatten. Zu unterscheiden ist zwischen den dem Schadensereignis zuzurechnenden vollen Kosten, das heißt den Kosten, die tatsächlich entstanden sind, und den Kosten, die in Abhängigkeit von dem Ausbildungsinteresse gemäß dem Erlaß über Hilfeleistungen der Bundeswehr bei Naturkatastrophen oder besonders schweren Unglücksfällen zu erstatten sind.Im Falle eines dringenden Bundesinteresses, das bei Naturkatastrophen überregionalen Ausmaßes gegeben sein kann, ist mit Zustimmung des Bundesministeriums der Finanzen ein darüber hinausgehender Kostenverzicht möglich.
Eine Nachfrage, bitte.
Verehrter Herr Staatssekretär, können Sie andere Beispiele als das Hochwasser an der Oder nennen, bei denen in der Vergangenheit die Bundeswehr Katastropheneinsätze geleistet hat und bei denen entweder Kosten von den jeweiligen Gliederungen übernommen wurden, das heißt auf kommunaler oder auf Landesebene, oder von seiten der Bundeswehr auf die Kostenübernahme aus den eben von Ihnen dargestellten Gründen verzichtet wurde?
Ich kann Beispiele aus meiner eigenen Region, dem Wahlkreis Passau, von Donauhochwasser nennen, bei denen die Bundeswehr geholfen hat. Es gab auch Sturm- und Schneeschäden, bei denen die Bundeswehr geholfen hat.
Da ist meistens ein Ersatz der Kosten vorgesehen und auch vorgenommen worden. Es gab aber auch Fälle, bei denen auf Grund von bestimmten Voraussetzungen auf die Kostenerstattung verzichtet wurde.
Ich glaube, daß, nachdem das Bundesinnenministerium zuständig ist, die Frage der Abwicklung von Katastrophenfällen insgesamt entsprechend den Aufgaben der einzelnen Ressorts beantwortet werden sollte.
Eine weitere Nachfrage, bitte.
Können Sie die Kriterien nennen, die dazu führen, daß die Kosten vom Bundesverteidigungsministerium bzw. dem Bund übernommen werden? Könnten Sie diese in Verhältnis zu der Hochwasserkatastrophe an der Oder vom letzten Sommer setzen, die nach meinem Eindruck in der Geschichte der Bundesrepublik bisher beispiellos war?
Es gibt auf jeden Fall einen Erlaß über die Hilfeleistung der Bundeswehr bei Naturkatastrophen. Diese Neufassung stammt allerdings aus dem Jahre 1988. Wenn Sie an diesem Erlaß Interesse haben, kann ich ihn Ihnen zur Verfügung stellen. Das mache ich gerne.
Es ist richtig, daß die Größenordnung des Hochwassers an der Oder bisher beispiellos war und sie vor allen Dingen deswegen, weil sie grenzüberschreitend war, eine völlig neue Dimension hatte. Das zeigt sich ja auch an den zahlreichen Fragen in der heutigen Fragestunde deutlich, in der schon viele Ressorts befragt wurden.
Nachfrage des Kollegen Mante.
Herr Staatssekretär, kann ich davon ausgehen, daß die Bundeswehr wieder zum Einsatz kommen könnte, wenn das Hochwasser im Frühjahr wiederkommt und die vorbeugenden Maßnahmen noch nicht in dem zu erwartenden Umfang greifen?
Nochmals gesagt: Die Bundeswehr kommt zum Einsatz, wenn sie auf Grund einer besonderen Katastrophensituation von den zuständigen Behörden zu Hilfe gerufen wird. Sie muß dann natürlich abwägen - das habe ich vorhin gesagt -, ob sie dafür die personellen und materiellen Voraussetzungen hat, damit hinterher nicht der Vorwurf kommt - das konnte man vorhin ein bißchen heraushören -, daß durch Panzer große Schäden entstanden sind. Man muß also abwägen.
Ich möchte nicht schon im voraus sagen, wie oft die Bundeswehr in den nächsten Jahren in Katastrophenfällen zum Einsatz kommt. Es handelt sich nämlich um eine Entscheidung, die jeweils in der konkreten Situation auf Grund von Anforderungen der Innenbehörden getroffen werden muß.
Nachfrage des Kollegen Ilte.
Herr Staatssekretär, wird bei der Begleichung der Kosten, die der Bundeswehr im Katastrophenfall entstehen, von Nettokosten - ich formuliere es einmal so - ausgegangen? Ich kann mich daran erinnern, daß sich der Bundesminister der Verteidigung in diesem Sinne im deutschen Fernsehen geäußert hat. Ich möchte also fragen: Wie
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19364 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 212. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Januar 1998
Wolfgang Iltesind die Kosten für derartige Bundeswehreinsätze definiert? Werden beispielsweise von den Kosten, die den Kommunen in Rechnung gestellt werden, diejenigen Kosten abgezogen, die der Bundeswehr ohnehin für Übungsflüge und für die Versorgung der Soldaten entstanden wären? Werden tatsächlich nur die reinen Mehrkosten in Rechnung gestellt, oder werden die Gesamtkosten für den Aufwand der Bundeswehr in Rechnung gestellt?
Herr Kollege, ich habe schon vorhin darauf hingewiesen, daß es neben den Bruttokosten - ich nenne sie Vollkosten - konkrete Kosten, also die Nettokosten, gibt, die zusätzlich zu den Kosten entstehen, die durch die notwendige Ausbildungs- und Arbeitsphase der Bundeswehr anfallen. Das kann zum Beispiel das Überstundengeld und anderes sein.
Die Frage der Kosten muß aber Gegenstand der Verhandlungen zwischen den zuständigen Häusern und den anfordernden Behörden sein. Ich möchte nochmals um Verständnis für meine Meinung bitten, daß diese Frage vom Innenminister konkreter beantwortet werden kann.
Danke schön, Herr Staatssekretär.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Eduard Lintner zur Verfügung. Die Fragen 22, 23 und 24 werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe nun die Frage 25 des Abgeordneten Markus Meckel auf:
Wie setzen sich die Einsatzkosten für den Bundesgrenzschutz , die Bundeswehr und das Technische Hilfswerk (THW) beim Hochwassereinsatz in Brandenburg zusammen, und inwieweit sind bei diesen Kostenberechnungen auch „Betriebskosten" berücksichtigt, die auch ohne den „Odereinsatz" bei BGS und Bundeswehr entstanden wären?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Meckel, die Antwort lautet: Die Kosten für den Einsatz von Bundeswehr und Bundesgrenzschutz enthalten die Personal- und Sachkosten der eingesetzten Kräfte. Bei den Kosten in bezug auf das THW handelt es sich im wesentlichen um die Kosten, die durch die gesetzlich vorgeschriebene Erstattung der fortgewährten Leistungen an die Arbeitgeber der Helfer bedingt sind. Die Kosten für den Einsatz von Bundeswehr und Bundesgrenzschutz sind nach dem Verursacherprinzip als Vollkosten entsprechend § 63 Bundeshaushaltsordnung ermittelt worden.
Nachfrage?
Verehrter Herr Staatssekretär, es scheint zwischen der Landesregierung in
Brandenburg und der Bundesregierung in der Vergangenheit in dieser Frage zu Mißverständnissen gekommen zu sein, weil der Eindruck entstand, daß die vom Bundestag beschlossene Hilfe von 500 Millionen DM nicht die Kosten für den Bundeswehreinsatz einschließt. Meine Frage lautet deshalb: Zu welchem Zeitpunkt hat die Bundesregierung deutlich gemacht, daß die Mittel für den Bundeswehreinsatz in der Hilfe, die der Bundestag beschlossen hat, inkludiert sind?
Herr Kollege Meckel, das war nicht erforderlich, und zwar deshalb, weil es sozusagen seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland immer so war, daß solche Kosten mit eingerechnet werden, weil sie in der Wirklichkeit entstehen. Deshalb besteht offenbar eher auf seiten der brandenburgischen Regierung das Defizit an Informationen als auf seiten der Bundesregierung.
Noch eine Nachfrage? - Vielen Dank.
Die Fragen 26 und 27 sind zurückgezogen worden.
Wir kommen noch einmal zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Herr Staatssekretär Hauser ist auch noch da. Die Fragen 28, 29, 30 und 31 werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Die beiden letzten Fragen, die ich heute in der Fragestunde aufrufen kann, sind also die Fragen 32 und 33 des Abgeordneten Jörg Tauss. Ich rufe zunächst die Frage 32 auf:
Weshalb hält die Bundesregierung bei der Unterbringung von Teilnehmern der Zollschule Sigmaringen „technische Einrichtungen" für notwendig, und welcher Art sind diese technischen Einrichtungen ?
Herr Kollege Tauss, in der Bundesfinanzverwaltung gibt es eine ganze Reihe von Angehörigen, die eine Schulung im Gebrauch von Schußwaffen erhalten. Das sind die Angehörigen des Grenzzolldienstes, des Zollfahndungsdienstes und der Forstverwaltung. Diese Angehörigen sind Waffenträger. Für sie gibt es eine Schulung im Gebrauch von Schußwaffen, in der waffenlosen Selbstverteidigung, in der Anwendung unmittelbaren Zwangs und in der Eigensicherung. Bei den Beamten des mittleren Grenzzolldienstes ist diese Schulung Teil der Laufbahnausbildung.
Die Schulung wird ausschließlich beim Bildungszentrum der Bundesfinanzverwaltung Sigmaringen durchgeführt. Sie erfordert jeweils an den spezifischen Inhalten der Schulung ausgerichtete technische Einrichtungen, und zwar für die Waffen- und Schießausbildung in der Bundesfinanzverwaltung, vor allem in der Zollverwaltung, entsprechende Schießanlagen und für die waffenlose Selbstverteidigung in der Zollverwaltung und den damit verbundenen Dienstsport entsprechende Sportanlagen. Diese sind mit der erforderlichen Ausstattung nur beim Bildungszentrum Sigmaringen vorhanden.
Nachfrage, bitte.
Sehr geehrter Herr Staatssekretär, da es hier prinzipiell um die Frage geht, ob 240 leerstehende Wohnungen im Besitz des Bundes abgerissen werden sollen oder für die Teilnehmer, von denen Sie soeben gesprochen haben, als Wohnraum genutzt werden können, würde es mich interessieren, warum es trotz der Kosten von 25 Millionen DM, die ins Haus stehen, unzumutbar erscheint, die Lehrgangsteilnehmerinnen und -teilnehmer angesichts der geringen Kilometerdifferenz täglich von Stetten am kalten Markt, wo dieser leerstehende Wohnraum ist, per Bus oder mit ähnlichen Möglichkeiten über die man reden kann, zu den von Ihnen angesprochenen Sport- und Schießanlagen, zu transportieren.
Herr Kollege Tauss, ich glaube, Sie vermengen hier zwei Fragen miteinander: die Frage der Renovierung und Erweiterung, also Aufstockung, des Bildungszentrums in Sigmaringen mit der Frage der Verwendung der früher von den Franzosen genutzten Anlagen in Stetten am kalten Markt. Zu der ersten Frage kann ich Ihnen mitteilen, daß im Zuge der Prüfung, wie der Ausbildungsstandard im Bildungszentrum Sigmaringen dem Standard der übrigen Bildungszentren angepaßt werden kann - das Zentrum in Sigmaringen wurde 1972 in Betrieb genommen; da sollen jetzt beispielsweise Zweibettzimmer in Einbettzimmer umgewandelt werden und ähnliches -, überlegt worden ist, im Rahmen dieser Baumaßnahmen auch die Kapazität in Sigmaringen um 80 Plätze aufzustocken, um nach der Aufgabe der Außenstelle Berlin-Marzahn weiterhin über die bisherige Gesamtkapazität an Aus- und Fortbildungsplätzen verfügen zu können.
Bei - das ist jetzt Ihre Frage - einer dauerhaften Nutzung der Liegenschaft in Stetten am kalten Markt werden dort wegen des mangelhaften Zustandes ebenfalls Umbaumaßnahmen unumgänglich, wenn ein einheitlicher Ausbildungsstandard erreicht werden soll. Außerdem würden sich bei ständiger Nutzung dieser Liegenschaft organisatorische und personelle Schwierigkeiten in einem Umfang ergeben, der langfristig gesehen kostenintensiv ist, da ein ständiger Transport von Lehrgangsteilnehmern, von Ausbildern und Verwaltungspersonal, von Lehr- und Lernmitteln und natürlich auch der technischen Ausrüstung zwischen Sigmaringen und dem 20 Kilometer entfernten Stetten notwendig würde. Womöglich müßte man auch in Stetten weitere Dienstposten einrichten, so daß von einer solchen Nutzung Abstand genommen wird.
Bitte.
Angesichts des erheblichen Finanzaufwandes, von dem ich ja gesprochen habe, würde ich wissen wollen, ob es eine Kostenuntersuchung gibt, zumal es mir auch angesichts der von Ihnen vorgetragenen Argumente nicht einsichtig zu erscheinen vermag, weshalb es nicht möglich ist, Teilnehmerinnen und Teilnehmer von Stetten am kalten Markt nach Sigmaringen zu transportieren. Denn es ist ohnehin vorgesehen, Wohnungen in Stetten am kalten Markt zu renovieren, um dort bis zur Fertigstellung der von Ihnen in Sigmaringen geplanten Baumaßnahmen Teilnehmerinnen und Teilnehmer unterzubringen. Das heißt, es wird für eine kurze Nutzungsdauer renoviert und anschließend erfolgt mit dem Risiko des Abbruchs der dann wieder leerstehenden Wohnungen eine Verlagerung von Stetten am kalten Markt nach Sigmaringen.
Herr Kollege Tauss, die derzeitigen Einstellungsquoten in den mittleren Grenzzolldienst erfordern eine vorübergehende Auslagerung von einigen Ausbildungs-, Lehr- und Fortbildungsveranstaltungen von Sigmaringen nach Stetten. Es ist aber nur eine kurzfristige Auslagerung für drei Jahre vorgesehen. Die Liegenschaften in Stetten haben sich angesichts dieser zeitlichen Begrenzung auf Grund des Zustandes, in dem sie sich befinden, angeboten. Außerdem stehen natürlich für diese Zeit die Schießstände der Bundeswehr und die Sporthalle der Gemeinde Stetten zur Verfügung, die dann mitbenutzt werden können. Für eine dauerhafte Auslagerung nach Stetten kommen diese Liegenschaften aber nicht in Frage.
Ich rufe die Frage 33 des Abgeordneten Jörg Tauss auf:
Welche organisatorischen und personellen Probleme stellen sich bei einer Unterbringung von Lehrgangsteilnehmem der Zollschule Sigmaringen in Stetten a.k.M., und weshalb sollen diese Probleme in Anbetracht der Haushaltslage des Bundes auf Kosten der Steuerzahler gelöst werden?
Zur Frage 33, die sich zum Teil mit dem überschneidet, was Sie bereits in Ihrer Zusatzfrage gefragt haben: Zum Abbau des Personalfehlbestandes werden zur Zeit vermehrt Nachwuchskräfte im mittleren Grenzzolldienst eingestellt. Dies führt zu Kapazitätsengpässen beim Bildungszentrum der Bundesfinanzverwaltung Sigmaringen, die durch die auf die drei Jahre begrenzte teilweise Nutzung einer von den französischen Streitkräften geräumten Liegenschaft in Stetten am kalten Markt, die zeitlich begrenzte Mitbenutzung von Schießanlagen der Bundeswehr sowie der Sporthalle der Gemeinde Stetten behoben werden sollen, wie ich bereits ausgeführt habe.
In organisatorischer, personeller und pädagogischer Hinsicht ergeben sich dabei erhebliche Probleme. Wegen der Lerninhalte, die nur im Bildungszentrum Sigmaringen vermittelt werden können, den Lerninhalten, die in Stetten am kalten Markt vermittelt werden, und wegen der nur zeitweise möglichen Mitbenutzung von Schieß- und Sportanlagen in Stetten am kalten Markt müssen ständig Abstimmungen zwischen allen Betroffenen, dem Lehrpersonal, dem Bildungszentrum Sigmaringen, der Bundeswehr und den Sportvereinen in Stetten, stattfinden. Die Ablaufplanung der Lehrveranstaltungen des Bildungszen-
Parl. Staatssekretär Hansgeorg Hauser
trums und die Einsatzplanung des Lehrpersonals werden durch diese Probleme in hohem Maße beeinflußt. Der Ablauf der Lehrveranstaltungen und der Einsatz des Lehrpersonals entsprechen nur noch zum Teil der sonst streng beachteten fachlogischen Abfolge.
Darüber hinaus ergibt sich zusätzlicher Verwaltungs- und Kostenaufwand, weil ein ständiger Transport von Teilnehmern, Lehrenden und Ausrüstungsgegenständen zwischen den beiden Orten Sigmaringen und Stetten erforderlich ist. Aus diesen Gründen ist eine längerfristige Nutzung der Liegenschaft in Stetten für Ausbildungszwecke nicht vertretbar.
Die Überlegungen zum Umbau des Bildungszentrums Sigmaringen zielen darauf, diese 1972 in Betrieb genommene Bildungsstätte dem Ausstattungsstandard der übrigen Bildungszentren der Bundesfinanzverwaltung anzupassen und bei einer anderen Bildungsstätte wegfallende Kapazitäten in etwa wieder auszugleichen. Sie stehen nicht im Zusammenhang mit der Bewältigung der derzeit bestehenden Kapazitätsengpässe.
Die Kosten der vorübergehenden Auslagerung von Ausbildungs- und Fortbildungsveranstaltungen sind Folge der hohen Einstellungszahlen in den mittleren Grenzzolldienst, also ausbildungsbedingt, und somit zwangsläufig aus dem Bundeshaushalt zu bestreiten.
Bitte.
Herr Staatssekretär, Ihre Antwort vermag mich zu meinem Bedauern noch nicht zu befriedigen. Diese Frage stellt sich mir übrigens auch angesichts der Tatsache, daß in diesem Haus mit Ihrer Mehrheit gegen unsere Stimmen beschlossen wurde, daß es Arbeitslosen zumutbar ist, täglich drei Stunden zu ihrem Arbeitsplatz, der ihnen angeboten wird, hin- und zurückzufahren.
Weshalb halten Sie es eigentlich für die Bediensteten des Bundes für unzumutbar, in landschaftlich schönster Umgebung - ich kann mich da nur wiederholen - täglich von einer Wohnung, die wenige Kilometer entfernt liegt und im Besitz des Bundes ist, zu diesen Unterrichtsräumen zu pendeln und anschließend wieder zurück, dies auch unter dem Gesichtspunkt, daß man moderne Medien und Computer nutzt, um den einen oder anderen Kontakt zum Ausbildungszentrum aufrechtzuerhalten?
Herr Kollege Tauss, ich gestehe Ihnen gerne zu, daß es eine landschaftlich schöne Gegend ist. Ich selbst habe einen Teil meiner Ausbildung dort verbracht, als ich in der Bundeswehr war. Ich kann das also durchaus beurteilen.
Allerdings stellt sich die Frage nicht so, wie Sie sie jetzt gestellt haben, daß also Angehörige pendeln müßten. Es geht vielmehr um den gesamten Ausbildungsbetrieb.
Ich denke, es ist doch eine ganz natürliche und logische Folgerung, daß eine Ausbildungsstätte, die im
Augenblick dem Ausbildungsstandard angepaßt wird, in der also Umbauten erfolgen, weiter genutzt und in der Kapazität aufgestockt wird und daß für diese Ausbildungsstätte nicht an anderer Stelle neue Kapazitäten geschaffen werden, auch wenn es nur um Wohnungen geht, vor allem da die Übergangszeit nur drei Jahre beträgt. Ich glaube, es ist sinnvoller, über die Verwendung des Geländes und der Wohnungen in Stetten zu diskutieren, als darüber, daß dorthin vorübergehend von Sigmaringen ausgelagert werden muß.
Bitte.
Ich diskutiere ausschließlich über die Nutzung in Stetten. Deshalb nochmals eine Frage. Sie sagten, es läge eine Kostenkalkulation vor. Mich würde interessieren: Wie hoch sind denn im Vergleich zu den 25 Millionen DM an Investitionen die Kosten, die bei einer eventuellen und - dies kann ich nur noch einmal betonen - auch im Interesse eines geordneten Ausbildungsbetriebes völlig zumutbaren Fahrt von Teilnehmern an Ihren Ausbildungsmaßnahmen von der Wohnung zu der Ausbildungsstätte in Sigmaringen entstünden?
Herr Kollege Tauss, ich kann Ihnen im Augenblick keinen Kostenvergleich vorlegen. Ich kann ihn Ihnen aber gerne nachreichen, sofern er bei uns vorhanden ist; davon gehe ich aus.
Um es noch einmal zu sagen: Es geht nicht darum, daß Lehrgangsteilnehmer pendeln müssen, daß für diese Lehrgangsteilnehmer in Stetten dauerhafte Wohnungen errichtet werden, sondern darum, in Sigmaringen erstens die Ausbildungsstätte zu renovieren und umzubauen und zweitens die Kapazität entsprechend aufzustocken und dort eine dauerhafte Einrichtung zu betreiben.
Die Frage, was in Stetten geschieht, muß in anderer Form gelöst werden. Hierüber gibt es eine ganze Reihe von Gesprächen zwischen der Gemeinde und der Bundesverwaltung.
Das war nicht nur die letzte Frage, sondern auch die letzte Nachfrage. Ich kann damit die Fragestunde insgesamt schließen.
Ich rufe den Zusatzpunkt auf: Aktuelle Stunde
Zu den Forderungen nach einer verschärften Abschottung der Grenzen gegen kurdische Flüchtlinge
Die Aktuelle Stunde findet auf Verlangen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen statt.
Dazu eröffne ich jetzt die Aussprache und erteile das Wort der Abgeordneten Amke Dietert-Scheuer.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In den vergangenen Wochen haben es rund 1 000 Flüchtlinge, überwiegend kurdische, geschafft, die italienischen Küsten zu erreichen, oft unter Lebensgefahr, in abgewrackten Schiffen, teilweise sogar in Schlauchbooten.
Diese Ankunft der rund 1 000 Flüchtlinge wurde bei uns zum Anlaß genommen, eine Panik herbeizureden, als stünden wir vor einem Staatsnotstand. Auch Herr Kanther weiß natürlich, daß das nicht der Fall ist. Aber Ihnen, Herr Kanther, geht es um etwas ganz anderes. Es ist das erklärte Ziel der Unionsparteien, im Wahlkampfjahr mal wieder die angebliche Bedrohung unserer Sicherheit durch Einwanderer und Flüchtlinge hochzukochen, sich als Law-and-order-Garanten zu profilieren und damit von ihrem sonstigen politischen Versagen abzulenken.
Und die SPD? - Sie eifert in Person des niedersächsischen Innenministers Glogowski den großen Christen im Konkurrenzkampf nach, wer der bessere Hardliner ist. Beide schrecken nicht davor zurück, im Interesse ihrer nationalen Profilierung auf europäischer Ebene auch außenpolitisches Porzellan zu zerschlagen.
Man muß sich geradezu wundern, mit welcher Langmut die italienische Regierung noch auf die Ausfälle von Ihnen, Herr Kanther, reagiert. Die italienische Presse wird da schon deutlicher. Als „imperiale Arroganz" bezeichnete „La Repubblica" die Ausfälle von Herrn Kanther. Sie, Herr Kanther, behaupten zwar, es sei im Verhältnis zu Italien kein Schaden entstanden. Es fragt sich nur, wieso dann der Bundeskanzler extra zu einem persönlichen Gespräch mit dem italienischen Ministerpräsidenten Prodi fahren muß - offenbar doch, um den entstandenen Flurschaden zu bereinigen.
Sie, Herr Kanther, nutzen die Ankunft der kurdischen Flüchtlinge, um Ihrem eigentlichen Ziel näherzukommen: der vollständigen Abschottung Europas gegen Flüchtlinge. Sie rufen dabei nicht nur zum Verstoß gegen elementare Menschenrechtsprinzipien und die Genfer Flüchtlingskonvention auf; Sie ignorieren auch die Bestimmungen des Schengener Abkommens, zu dessen Schutz Sie sich angeblich aufschwingen. Auch die Schengen-Staaten haben nämlich nicht nur das Recht, sondern sogar die völkerrechtliche Pflicht, Flüchtlinge aufzunehmen und ihre Asylanträge zu prüfen. Die Abkommen von Schengen und Dublin legen lediglich fest, welches Land jeweils dafür zuständig ist - in diesem Falle natürlich Italien.
Die Ankunft der Flüchtlinge hat darüber hinaus eines sehr deutlich gemacht: Fluchtbewegungen haben ihre Ursache in Menschenrechtsverletzungen und Verfolgung. Die Mauern der Festung Europa können noch so hoch sein - dennoch werden Menschen versuchen, sich vor Verfolgung in Sicherheit zu bringen. Anstatt die Fluchtursachen zu bekämpfen, versucht die Bundesregierung dagegen, immer höhere Mauern zu ziehen - in Form von Grenzanlagen, von rechtlichen Bestimmungen und mit einer medial aufbereiteten Hetze. In zynischer und menschenrechtsverachtender Weise werden Flüchtlinge von Ihnen, Herr Kanther, als „illegale Einwanderer" und als „verbrecherisch organisierte Wanderungsbewegung" diffamiert.
Es ist natürlich richtig: Die Schlepper, die mit der Not von Menschen ein Geschäft machen, die sie bewußt in Gefahr bringen und die teilweise die Schiffe im Mittelmeer versenken, sind ganz massiv zu kritisieren. Aber gerade die Abschottungspolitik der EU, die Sie vorantreiben, führt natürlich dazu, daß die Menschen, die fliehen müssen, gerade in die Hände von solchen Schleppern getrieben werden. Sie haben nämlich keine Möglichkeiten, überhaupt noch legal in Fluchtländer zu kommen.
Der Gipfel an Zynismus ist es darüber hinaus, wenn sich die EU-Staaten jetzt mit dem türkischen Polizeichef, der selbst für schwere Menschenrechtsverletzungen verantwortlich ist, an einen Tisch setzen und darüber verhandeln, wie die Türkei die Opfer ihrer Repressionspolitik besser an der Ausreise hindern kann. Diese Politik hat in den letzten Tagen in der Türkei zu einer Massenverhaftung von Flüchtlingen, die noch in Istanbul waren, und dabei zu dem Tod eines irakischen Kurden, der sich einer Festnahme durch den Sprung aus einem Fenster zu entziehen versuchte, geführt.
Solange die Bundesregierung und die anderen EU- Staaten nicht die Ursachen von Flucht bekämpfen - sowohl in der Türkei als auch im Nordirak in diesem Falle -, wird es auch weiterhin Flüchtlinge geben. Dagegen hilft auch keine Abschottungspolitik. Man muß mit diesem Problem gemäß den internationalen Menschenrechtsstandards umgehen.
Es ist natürlich richtig, daß wir eine gemeinsame europäische Flüchtlingspolitik brauchen, in der die Verantwortung geteilt wird. Eine solche Politik darf aber nicht den Schutz vor Flüchtlingen anstreben, sondern sie muß den Schutz für Flüchtlinge garantieren.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Gert Willner.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger wollen, daß in Asylfragen nicht nur geredet, sondern auch gehandelt wird. Es muß daran erinnert werden, daß Deutschland in den vergangenen Jahren eine gewaltige Leistung erbracht hat. Seit 1990 haben wir 1,6 Millionen Ausländer zusätzlich in unserem Land; in Deutschland leben über 7 Millionen Ausländer. Das heißt, daß in
Gert Willner
Deutschland mehr Ausländer wohnen, als Dänemark oder die Schweiz Einwohner haben.
Deutschland ist bei der Aufnahme von Flüchtlingen und Asylbewerbern überproportional belastet. Deutschland nimmt 60 Prozent aller Asylbewerber in der EU auf.
Wir müssen gegensteuern, weil Deuschland Hauptzielland der Flüchtlinge in Europa ist, weil eine große Zahl der Flüchtlinge hier auf Sozialhilfe angewiesen sein wird, weil auf dem Arbeitsmarkt für diesen Personenkreis keine Arbeitsplätze zur Verfügung stehen und weil wir die Lasten durch die Aufnahme von Flüchtlingen gerecht auf alle europäischen Partner verteilen müssen.
Das Drama um die vor der italienischen Küste gestrandeten, meist kurdischen Schiffsflüchtlinge läßt uns nicht unberührt. Ich erinnere auch an den Flüchtlingsfrachter, der in der Weihnachtsnacht 1996 südlich der italienischen Küste in einem Sturm sank.
Jeder hier im Haus weiß, daß die Lebensbedingungen in den Herkunftsgebieten der Flüchtlinge alles andere als befriedigend sind. Wir haben deshalb wiederholt deutlich gemacht, daß das Kurdenproblem einer Lösung in den Herkunftsgebieten der Kurden bedarf.
Die Diskussion darf sich nicht nur auf die Folgen, sondern muß sich auch auf die Ursachen der Flucht beziehen. Dies steht außer Frage. Die Türkei muß das Kurdenproblem politisch durch soziale, wirtschaftliche und kulturelle Reformen lösen. Selbst wenn wir hier außenpolitische Forderungen durchzusetzen haben, muß klar sein, daß wir deswegen innenpolitische Maßnahmen nicht versäumen dürfen.
Dem Unwesen krimineller Schlepper können wir nicht tatenlos zusehen. Diese Verbrecher kassieren bis zu 5 000 DM und mehr pro Kopf. Deutschland darf nicht wieder das Ziel einer illegalen Wanderungsbewegung werden; denn Deutschland kann nicht eine unbegrenzte Zahl von Krisensituationen auf dieser Welt durch die Aufnahme von Flüchtlingen weitgehend allein lösen; wir können insbesondere kurdische Probleme nicht auf deutschem Boden lösen. Internationale Solidarität bzw. europäische Zusammenarbeit ist gefragt. Wir brauchen eine europäische Asylpolitik.
Die Rechtslage in Europa ist eindeutig:
Zuständig für die Behandlung von Asylbegehren ist nach dem Schengener Übereinkommen von 1990 der Staat, über dessen Außengrenzen der Asylbegehrende eingereist ist.
Der Innenminister von Niedersachsen, Herr Glogowski, SPD, verlangt im Hinblick auf den Flüchtlingsstrom ein Aussetzen des Schengener Abkommens. Das ist genau der falsche Weg. Um es anders
auszudrücken: Diese Forderung von Herrn Glogowski ist schlichter Unfug.
Wir müssen darauf hinwirken, daß auch unsere Partnerländer das einhalten, was im Schengener Abkommen vereinbart ist. Es geht darum, Schleppern das Handwerk zu legen, die mit dem Elend der Kurden und anderer Schindluder treiben; es geht darum, den Zuzug von Wirtschaftsflüchtlingen zu unterbinden, und es geht nicht zuletzt darum, entsprechend den europäischen Regelungen zu einer gerechteren Lastenverteilung bei der Aufnahme von Flüchtlingen in Europa zu kommen.
Lassen Sie mich drei Punkte nennen:
Erstens. Italien ist gehalten, sein Ausländerrecht entsprechend europarechtlichen Vorgaben so zu gestalten, daß Illegale nicht unbehelligt nach Deutschland weiterreisen können. Fakt ist: Italien hat 1996 ganze 681 Asylbewerber gezählt; das entspricht bei uns einer Zweitagesrate. Die Aufgabe Frankreichs wird es sein, die Durchreise der Illegalen nach Deutschland europarechtlich zu unterbinden.
Zweitens. Um zu einer gerechteren Lastenverteilung bei der Aufnahme von Flüchtlingen in Europa zu kommen, brauchen wir eine europaweite Datenbank, in der die Personalien aller nach Europa geflüchteten Ausländer aufgenommen werden.
Drittens. Auch das Verfahren zur Sicherung von Fingerabdrücken muß zügig umgesetzt werden.
Die hohen Zugänge asylbegehrender Ausländer stellen nicht nur die Kommunen, denen die Unterbringung obliegt, vor schwer lösbare Aufgaben. Die Aufnahme von Ausländern, die nicht integrierbar sind, und die damit verbundenen Probleme haben bei den Bürgern eine abnehmende Akzeptanz des Asylrechts zur Folge. Das wäre keine gute Entwicklung.
Deutschland, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat ein weltweit einzigartiges humanitäres Recht bei der Aufnahme von Verfolgten. Wer dieses erhalten will, muß reagieren, wenn er Schleusungen erkennt. Wir handeln! Es liegt also im deutschen und europäischen Interesse, illegale Einwanderung einzudämmen, zu verhindern. Die Europäische Union wird Stückwerk bleiben, wenn es nicht gelingt, eine Sicherheitsunion zu schaffen. Bundesinnenminister Kanther hat sachlich und angemessen reagiert.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich erteile jetzt dem Kollegen Fritz Rudolf Körper das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Bundesinnenminister hat heute morgen im Innenausschuß zu diesen Fragen Stellung genommen. Er hat sich gewundert, daß diese Debatte „hitzig", „heftig" und „gehässig" - ich
Fritz Rudolf Körper
glaube, er hat auch dieses Wort benutzt - geführt wird. Ich sage dazu: Wer die Diskussibn so führt wie der Bundesinnenminister, der braucht sich über diese Eigenschaftsworte nicht zu wundern.
Meine Damen und Herren, dieses Thema darf nicht für Wahlkampfzwecke mißbraucht werden.
- Das gilt für alle, die sich an dieser Debatte beteiligen - das sage ich hier ganz deutlich -, ob das einen Landes- oder den Bundesinnenminister betrifft.
Man muß auf die Debatte die Tatsachen zurückführen. Herr Kollege Kanther hat dieses Problem mit der Inkraftsetzung des Schengener Durchführungsabkommens in den Ländern Italien, Österreich und Griechenland in Zusammenhang gebracht. In Italien trat es im Oktober, in Österreich und Griechenland im Dezember in Kraft. Meine Damen und Herren, das ist aber keine nationale Entscheidung gewesen; diese Entscheidung hat vielmehr der Exekutivrat getroffen. Es gilt das Einstimmigkeitsprinzip. Die Bundesregierung hat dem zugestimmt. Im Hinblick darauf, wie lang die Seegrenze Italiens ist, darf sie jetzt nicht plötzlich so tun, als ob sie von all dem nichts gewußt hätte. Sie hat diese Entscheidung mit zu verantworten.
Da stellt sich der Kollege der CDU hin und redet über die 1996 in Italien anerkannten Asylbewerber. - Das waren über 600.
Er vergleicht die Situation in Italien mit der in Deutschland. Ich sage: Wer die Rechtssituation in Italien mit der in Deutschland vergleicht, der vergleicht in der Tat Äpfel mit Birnen. Dieser Vergleich ist unzulässig.
Das ist nicht plötzlich aufgetreten. Als die Entscheidung im Exekutivrat fiel, war das bekannt. Man sollte hinterher nicht rumeiern.
Ihnen müßte bekannt sein, daß in Italien eine Diskussion zum Asyl- und Ausländerrecht in vollem Gange ist. Wir dürfen der italienischen Politik nicht mit erhobenem Zeigefinger gegenübertreten. Dies ist nicht hilfreich, meine Damen und Herren.
Es ist notwendig, mit einem solchen Thema sehr sorgsam umzugehen. Eines haben wir festgestellt: Obwohl dieses Thema so aufgebauscht worden ist, sind die Zugangszahlen in den letzten Wochen und Monaten überhaupt nicht angestiegen.
Meine Damen und Herren, wer Radikale in unserer Politik züchten will, der muß mit diesen Themen nur so unverantwortlich umgehen, wie dies derzeit geschieht, veranlaßt durch den Bundesinnenminister.
Ich will noch an einem anderen Beispiel verdeutlichen, wie undifferenziert diskutiert wird. Da wird die türkische Regierung plötzlich aufgefordert, etwas zu tun. Aber wir stellen fest, daß es sich wesentlich um irakische Kurden handelt. Das heißt, die türkische Regierung allein ist nicht der richtige Ansprechpartner.
Ich möchte an folgendes erinnern: Wir haben bis zum 31. Dezember 1997 in der Bundesrepublik Deutschland einen Abschiebestopp exakt für diesen Personenkreis gehabt. Auch die Bundesregierung hat diesem Abschiebestopp zugestimmt. Ich denke, es gab gute, humanitäre Gründe, diesen Abschiebestopp zu veranlassen. Jetzt kann man doch nicht so tun, als handele es sich nur um Kriminelle. Ein sorgsamer Umgang mit diesem Thema ist notwendig, schließlich geht es um Menschen.
Ich denke, die Bundesregierung müßte ihre Aktivitäten auch darauf konzentrieren, im Zuge der Diskussion über das Abkommen von Schengen für ein gemeinsames Asyl- und Ausländerrecht in Europa zu sorgen.
Ich glaube, das ist eine ganz entscheidende Frage. Ich will nicht verhehlen, daß es zukünftig nicht zu einer einseitigen Lastenverteilung kommen darf und die Zustände nicht so bleiben können, wie sie jetzt sind. Aber genauso müssen wir in Europa die Kraft haben, die Fluchtursachen zu bekämpfen. Das ist der richtige Umgang mit diesem Thema.
Schönen Dank.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Max Stadler.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wegen meiner etwas angegriffenen Stimme möchte ich mich auf fünf kurze Anmerkungen beschränken:
Erstens. Ein so komplexes Problem mit außen-, europa- und innenpolitischen Facetten erfordert zunächst eine präzise Wortwahl. Daher ist klar fest-
Dr. Max Stadler
zustellen: Die Kriminellen bei diesem Vorgang sind die Schlepper,
die heute im Innenausschuß vom Kollegen Özdemir zu Recht als Seelenverkäufer bezeichnet worden sind.
Die Flüchtlinge dagegen sind Menschen, die zum allergrößten Teil ein schweres Schicksal haben, und zwar sowohl die tatsächlich politisch Verfolgten als auch diejenigen, die den Schleppern aus wirtschaftlicher Not zum Opfer fallen und den Weg nach Europa, bevorzugt nach Deutschland, suchen. Immerhin ist die Annerkennungsquote von Asylberechtigten relativ hoch; bei den irakischen Kurden gibt es zudem 62 Prozent, die auch ohne Asyl ein Bleiberecht erhalten.
Zweitens. Ein Exodus nach Deutschland löst das Problem der Fluchtursachen aber nicht. Auf den Irak können wir wohl nur wenig Einfluß nehmen. Zu Recht hat Außenminister Kinkel die Türkei auf gef ordert, die Kurdenfrage politisch und nicht militärisch zu lösen und die Lage der Kurden zu verbessern, indem die Türkei ihnen soziale, wirtschaftliche und kulturelle Autonomie gewähren soll.
Drittens. Der Vorgang zeigt exemplarisch die Vor- und Nachteile des Schengener Abkommens. Zu den Vorteilen gehört natürlich die Freizügigkeit im gesamten Schengen-Gebiet, aber es kommt die Notwendigkeit verstärkter Kontrollen der Außengrenzen und damit automatisch eine Abgrenzung von Räumen, etwa von Österreich zu Ungarn, was besonders pikant ist, glücklicherweise aber durch den Beitritt Ungarns bald gelöst werden wird, hinzu. Es kommt hinzu, daß wir einen Sicherheitsschleier im deutschen Grenzraum und verdachtsunabhängige Kontrollen, wie sie im Inland bisher dem Polizeirecht fremd waren, benötigen.
Viertens. Dennoch ist und bleibt Schengen ein wichtiger Baustein der europäischen Einigung. Es wäre ein Rückschritt, Schengen außer Kraft zu setzen. Diesem Rat von Herrn Glogowski ist die Bundesregierung zu Recht nicht gefolgt.
Im übrigen war von Anfang an klar, daß Italien eine besonders schwierige Aufgabe mit der Sicherung seiner Küste haben würde. Dennoch ist Italien bewußt in das Schengener Abkommen einbezogen worden.
Fünftens. Was folgt daraus für die Zukunft? Die EU-Kommissare haben am letzten Mittwoch die Mitgliedstaaten zu einer gemeinsamen Asyl- und Einwanderungspolitik aufgefordert. Jeder weiß, wie schwierig diese zu erreichen sein wird. Aber dennoch, unabhängig von dem, was bei den aktuellen Vorgängen konkret zu tun war, hat für die mittelfristige Perspektive die „Zeit" recht, wenn sie feststellt:
An einer gemeinsamen Außen- und Innenpolitik, so kompliziert sie ist, führt kein Weg vorbei. Dabei geht es auch um eine Verständigung über die schwierige Frage: Wie viele Menschen sollen künftig nach Europa kommen dürfen? Und wer? Wie könnte eine europäische Einwanderungspolitik aussehen, am Ende dieses Jahrhunderts der Flüchtlinge?
Diese Fragen, meine Damen und Herren, werden uns sicherlich weit über die Aktuelle Stunde von heute hinaus beschäftigen.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Ulla Jelpke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Umgang mit der Massenflucht von Kurdinnen und Kurden ist für mich ein Paradebeispiel dafür, wie unmenschlich und schäbig gegenwärtig die Flüchtlingspolitik in Europa gehandhabt wird. Diese Menschen sind verfolgt von Krieg, Vertreibung und Menschenrechtsverletzungen. Das ist in diesem Parlament oft genug gesagt worden, wenn über die Türkei/Kurdistan diskutiert wurde. Europa schottet sich ab, wenn es notwendig ist, auch mit militärischer Gewalt.
Meine Kollegin von den Grünen hat hier bereits Innenminister Kanther zitiert. Auch seine Parteifreunde meiden in diesem Zusammenhang ganz deutlich das Wort Flucht. Ich sage noch einmal: Wer davon spricht, daß „illegal verbrecherisch organisierte Wanderungsbewegungen" von den Deutschen „nicht mehr ertragen" werden können, der macht Flüchtlinge zu Kriminellen bzw. diskriminiert ihre Flucht.
Auf der anderen Seite - das haben wir heute morgen im Innenausschuß diskutiert - ist Fluchthilfe erst durch die Abschottungspolitik der Europäischen Union zu einem profitablen Geschäft geworden. Die unmenschlichen Bedingungen, unter denen Menschen hierher geschmuggelt werden, ergeben sich aus den immer höheren europäischen Festungsmauern.
Die Kurdinnen und Kurden sind auf der Flucht. Ihre Heimat ist ein verwüsteter Kriegsschauplatz. Ich will es konkret machen: Die UN-Schutzzone im Nordirak ist zu einem der unsichersten Gebiete der Welt geworden.
Immer häufiger marschiert die türkische Armee dort völkerrechtswidrig ein. Gleichzeitig entfacht Ankara einen innerkurdischen Bürgerkrieg. Nach UN-Angaben wurde in den letzten fünf Jahren rund ein Drittel der dortigen kurdischen Bevölkerung vertrieben. Speziell im Gebiet der mit der türkischen Armee verbündeten KDP agiert zudem unbehelligt der irakische Geheimdienst, wie wir auch aus den Medien erfahren konnten. Herr Kanther fordert dazu auf, die Menschen in dieses Schlachtfeld zurückzutreiben.
Die Weiterführung des schmutzigen Krieges der Türkei in Kurdistan wird erst durch die deutsche Wirtschafts-, Polizei- und Militärhilfe möglich. Auch dies ist hier immer wieder Thema gewesen und gehört mit zu den Fluchtursachen. Meiner Meinung nach ist es ganz wichtig, auch darüber zu debattieren.
Ulla Jelpke
Die türkische Armee hat in den vergangenen Jahren systematisch über 3 Millionen Kurdinnen und Kurden in die Westtürkei vertrieben, einmal abgesehen von den vielen Millionen Menschen, die das Land ganz verlassen haben. Die in der Türkei allgegenwärtige Folter wird immer wieder vom Anti-Folter-Komitee des Europarates und zuletzt vom Europäischen Menschenrechtsgerichtshof verurteilt. Am 8. Januar traf man sich in Rom - auch dies ist von meiner Kollegin bereits erwähnt worden - und hat - auch auf seiten von Herrn Kanther - über das Problem der Massenflucht mit einem Knecht des Folterstaats Türkei verhandelt. Dies ist ein Mann, der jedenfalls nach den Angaben des IHD, des türkischen Menschenrechtsvereins, in den 18 Monaten als Gouverneur im Kriegsgebiet mit dafür verantwortlich war, daß 200 Menschen gefoltert - dies kann namentlich nachgewiesen werden - und 90 Menschen getötet wurden sowie 50 Gefangene verschwunden sind.
Es ist wirklich ein Skandal, daß sich ein deutscher Innenminister dazu hergibt, Verhandlungen mit solchen Folterknechten zu führen. Sie erwarten doch wohl nicht von einem Folterer, daß er sich für Demokratie und Menschenrechte einsetzt! Dies tut er natürlich keinesfalls.
Es ist schon erwähnt worden, daß die Türkei gleich dazu übergegangen ist, Flüchtlinge festzunehmen und daß dabei bereits ein irakischer Kurde ums Leben gekommen ist.,
Meine Damen und Herren, wir haben in diesem Haus oft über die Situation in der Türkei/Kurdistan diskutiert. Hier hat sich wenig an praktischer Umsetzung der Vorschläge gegen die Politik der Türkei getan. Ich nenne hier die schon erwähnten immer wieder geleisteten Polizei- und Militärhilfen, aber auch die Wirtschaftshilfe. Ich meine auch, daß gegenwärtig durch Herrn Kanther und seine Politik ein Klima geschaffen wird, das den rassistischen Mief weiter fördert, wenn nicht sogar an den Stammtischen befördert.
Ihre Redezeit ist zu Ende.
Ja. - Ich möchte zum Schluß dazu aufrufen, statt einer solchen unmenschlichen Politik des Innenministers endlich dazu überzugehen, eine politische Lösung in der Türkei/Kurdistan zu suchen, nämlich den Dialog, und eine internationale Konferenz zu unterstützen.
Bitte kommen Sie zum Schluß.
Dies wären wirklich Schritte zur Veränderung und zur Beendigung des Krieges.
Das Wort hat jetzt Bundesinnenminister Manfred Kanther.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In den vergangenen Monaten, besonders im letzten Jahr, hat der Zuzug von Kurden nach Deutschland besorgniserregende Ausmaße angenommen: 1993 waren es noch knapp 1 300 irakische Asylbewerber,
und im letzten Jahr waren es 14 000, mehr als das Zehnfache. 1995 waren es noch etwa 700 Aufgriffe von Illegalen, zwei Jahre später etwa 4500. Das sind nur die Zahlen der irakischen Kurden. Die Zahl der türkischen Kurden kommt in etwa gleicher Größenordnung hinzu. Das heißt, daß nach Deutschland im vergangenen Jahr etwa 30 000 Kurden gekommen sind, knapp ein Drittel aller Asylbewerber.
Es ist völlig ausgeschlossen, diesen Menschen hier im Lande eine Integrationsperspektive zu eröffnen. Infolgedessen ist die Ausnutzung der Verhältnisse in den kurdischen Wohngebieten aller betroffenen Staaten durch Kriminelle ein Akt der organisierten Kriminalität und nicht etwa der angewandten humanen Praxis. Es ist ein Akt der organisierten Kriminalität mit riesigen Gewinnen.
Es gibt viele Gründe für die Misere in den kurdischen Wohngebieten, nicht nur staatliche, sondern auch solche blutiger Bandenkriege gegeneinander. Es mag Möglichkeiten für die internationale Völkerfamilie, sicher auch für die Türkei, unseren Bündnispartner, geben - worauf wir ständig antragen -, diese Verhältnisse zu bessern. Aber es gibt keine Möglichkeit, die Zwischenlösung in Deutschland zu suchen, indem die Leute hierherkommen. Es gibt keine Möglichkeit, die Probleme schlechter Verhältnisse in aller Herren Länder durch Zuwanderung und Verbleib in Deutschland zu lösen.
Das haben wir beim Bürgerkrieg in Bosnien-Herzegowina einmal im wesentlichen allein geschultert. Dieses Problem wird immer noch abgearbeitet. Infolgedessen gibt es keine Bereitschaft und keine Möglichkeiten in Deutschland, dies erneut und immer wieder zu tun.
Es ist geradezu ein Musterbeispiel grüner Logik, die Tatsache, daß in den letzten Tagen nur noch wenige irakische Kurden gekommen sind, zum Maßstab dafür zu machen, daß die Maßnahmen überflüssig waren. Es ist eine fabelhafte Logik für Polizei- und Sicherheitseinsätze, daß dann, wenn sie generalpräventiv erfolgreich wirken, ihre Überflüssigkeit aus dem Erfolg abgeleitet wird. So etwas Absurdes kann man wohl nur denken, wenn man Grüner ist.
Die erfolgreiche Politik der letzten Tage und Wochen ist die Fortsetzung vieler Versuche im vergangenen Jahr: in der europäischen Innenministerkonferenz, in zahlreichen persönlichen Gesprächen mit meinen Kollegen - in Abstimmung mit den Regierungschefs von Italien und Österreich - über die notwendigen Maßnahmen zur Inkraftsetzung des Schengener Abkommens bis zum 1. April. Dies alles
Bundesminister Manfred Kanther
hat aber nicht dazu geführt, daß die möglichen Grenzsicherungsanstrengungen in Südeuropa tatkräftig und schnell in Angriff genommen worden wären. Infolgedessen ist es unsere Pflicht, darauf anzutragen, daß unsere Verbündeten und Bündnispartner ihre Sicherheitsanstrengungen so erhöhen, wie wir es an der längsten Schengen-Landgrenze gegenüber Polen und Tschechien mit hohem Personal- und Geldaufwand und wachsendem Erfolg tun.
Kein Mensch ist so blauäugig, zu glauben, daß man europäische Grenzen, die Grenzen von demokratischen Staaten hermetisch abgrenzen könnte oder wollte. Mauer und Stacheldraht haben wir glücklicherweise gerade erst überwunden. Aber größtmögliche Anstrengungen gegen das Einsickern kriminell geschleuster illegaler Zuwanderer sind notwendig. Das verlangen wir natürlich auch von unseren Partnern.
Wir haben uns zuletzt in der römischen Polizeikonferenz verständigt: über die Kontrolle von Fähren, Fährhäfen und Anlegeplätzen - möglichst schon in der Türkei -, über verstärkte Seepatrouillen vor der italienischen Küste, über die verstärkte Kontrolle der Binnenverbindungen, also von Zügen und Straßen, von Süden nach Norden in Italien, über verstärkte Kontrollen an der österreichisch-italienischen sowie französisch-italienischen Grenze, über die verschärfte Bekämpfung der organisierten Kriminalität der Schlepper sowie über eigene Maßnahmen an der deutschen Grenze in Verbindung mit den Bundesländern, nicht zuletzt durch maßgebliche Verstärkung des Bundesgrenzschutzes.
Diese Maßnahmen wirken ganz sicher nur auf Zeit. Das Geschäft ist so profitabel, so gewinnbringend, daß mit allen Mitteln auf unterschiedlichen Routen neue Schwachstellen an anderen und auch unseren Grenzen gesucht werden. Wir werden uns jedesmal neu auf diese Gefährdungslage einstellen. Dies müssen wir natürlich gemeinsam mit unseren Partnern tun.
Deshalb ist die Forderung, das Schengener Grenzsicherungssystem aufzugeben, natürlich ganz abwegig. Das Schengener Grenzsystem kann - so wenig wie das eigene - keine totale Sicherung gegen Sickereffekte sein. Aber es kann besser oder schlechter funktionieren. Unser Interesse ist es, daß es besser funktioniert.
So wie wir gewaltige Aufwendungen betrieben haben, unseren Beitrag zu leisten, und uns dazu aufwendige Inspektionen gefallen lassen mußten und wollten - örtliche Besichtigung unserer eigenen Anstrengungen an der Ostgrenze -, so erwarten wir das Hochfahren der Sicherheitsmaßnahmen auch andernorts. Dafür besteht eine gute Chance. Dazu gehört auch eine Rechtsordnung, die darauf eingerichtet ist, die Schengener Verpflichtungen zu erfüllen, aber keine solche, die die Leute, wenn sie ins Land gekommen sind, frei herumlaufen läßt, nach dem Motto: Ihr habt 14 Tage Zeit, und danach werden wir ungemütlich. - Denn nach 14 Tagen sind sie weg, überwiegend in Deutschland und Österreich.
Insofern ist die Zahl der Asylbewerber von hoher Bedeutung. Wenn in Italien 1996 knapp 700 Asyl beantragt haben und es bei uns 117 000 sind, dann nützt Ihnen, Herr Körper, alles Relativieren nichts, dann ist das Ungleichgewicht im Tragen der Lasten offenkundig.
Bei diesem Ungleichgewicht wollen wir es nicht belassen.
Der europäische Gedanke wird in seinem Bestand und seiner Fortdauer gekräftigt, wenn wir Europa auch als Sicherheitsunion verstehen. Das ist entscheidend.
Deshalb muß Schengen angewendet und darf nicht aufgegeben werden. Es ist ein Beweis für die Richtigkeit unseres Verlangens, daß in allen Konferenzen, die dazu stattgefunden haben - Konferenz der FU-Innenminister, Schengen, Polizeikonferenz in Rom -, jeweils unser Maßnahmenkatalog beschlossen worden ist. Wir verlangen nicht mehr, als daß das, was beschlossen wird, auch umgesetzt wird.
Die Bundesregierung wird nicht aufhören, dieses Land mit allen Kräften gegen den Zuzug illegaler Zuwanderer, der schleppermäßig, verbrecherisch organisiert ist, zu schützen. Ich fordere jeden auf, der es mit der Sicherheit unseres Landes und der Integration von Ausländern als einer der Hauptaufgaben der Innenpolitik ernst nimmt, sich an dieser Arbeit zu beteiligen und sie nicht mit billigen oder polemischen Argumenten zu verketzern. Denn Integrationsbemühungen können nur gelingen, wenn sie durch den Zustrom nicht integrierbarer Ausländer nicht unentwegt neu auf die Probe gestellt oder unmöglich gemacht werden.
In diesen erweiterten Kontext gehört dieses Problem, und wir werden es weiterhin mit der gleichen Ruhe und ohne die künstlich herbeigeredete Aufgeregtheit mancher hier im Hause behandeln.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Cornelie Sonntag-Wolgast, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Natürlich prägen sich die Bilder dieser maroden und überfüllten Schiffe vor der italienischen Küste ein. Es ist völlig verständlich, daß sich viele fragen: Wie gehen wir eigentlich mit diesen Flüchtlingen um? Wo sind sie unterzubringen? Unter welchen Umständen wären sie zurückzuschicken? - Es ist völlig klar, daß wir solche Sorgen nicht wegfegen können. Die Frage ist nur, wie verantwortungsvolle Politik darauf reagiert.
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast
Eines ist klar: Panikmache ist fehl am Platz.
Das beginnt schon mit der Wortwahl. Ich bin ganz froh, Herr Kollege Kanther, daß Sie heute nachmittag anders gesprochen haben als noch heute vormittag
und in den zurückliegenden 14 Tagen. Da waren Sie flugs mit der Formulierung „Bedrohung" zur Hand, und noch heute vormittag sprachen Sie von „Kriminalitätsimport" und verengten die Diskussion auf die Frage einer besseren Grenzsicherung, so als gelte es, Deiche und Dämme rasch zu erhöhen.
Aber es handelt sich nicht um eine Sturmflut, es handelt sich auch nicht um „Hannibal ante portas", sondern zunächst einmal um Menschen, die auf dem Festland der Europäischen Union Zuflucht suchen - sicherlich aus unterschiedlichen Motiven: Unter den Kurden, die da herüberkamen, waren sicherlich manche, die ehrliche Angst vor der Unterdrückung wegtrieb; andere waren vielleicht nur Armutsflüchtlinge; die meisten aber sind profitgierigen Schleppern auf den Leim gegangen und hatten gar keine Ahnung, welche Chancen sie überhaupt bekommen, auf illegalem Wege das Weite zu suchen.
Daß das Schlepperwesen widerlich ist und bekämpft werden muß, darüber gibt es bei uns keine Minute der Diskussion.
Diese Fälle, diese Schicksale müssen aber geklärt werden. Und sie müssen differenziert behandelt werden. Es gibt kein Patentrezept. Es darf aber auch nicht passieren, daß sich der Bundesinnenminister in vorauseilender Dramatisierung übt, daß er sich profiliert nach der Devise: Deutschland hat sich ganz toll nach Süden und Südwesten abgeschirmt, aber Italien und Griechenland waren säumig. - Das, meine Damen und Herren, war fahrlässiger Populismus.
Der Bundesinnenminister darf sich nicht allein in der Rolle des obersten Grenzwächters üben.
Damit ist kein Problem bewältigt. Der Bundesinnenminister hat auch die Pflicht, über die Ursachen von Flüchtlingsbewegungen aufzuklären und Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung einzuleiten. Und auch der Bundesinnenminister hat sich zu fragen, ob die Regierung, der er angehört, den Staaten gegenüber, aus denen diese Menschen kommen, die menschenwürdige Behandlung von Kurden deutlich genug angemahnt hat.
Es macht keinen Sinn, laut über die Aussetzung des Schengener Abkommens nachzudenken.
Ebensowenig macht es Sinn, einen Verbalkrieg gegen die südlichen Mitgliedstaaten der EU vom Zaun zu brechen. Das Flüchtlingsproblem ist eine weltweite Erscheinung und keine ureigene Angelegenheit unseres europäischen Kontinents; das wissen Sie sehr genau. Politisch geregelt und gesteuert werden kann es nur auf gesamteuropäischer Ebene. Wir reden da alle so hochtrabend von „Harmonisierung der Flüchtlings- und Asylpolitik", sind aber noch ganz schön weit davon entfernt. In vielen Fragen ist die Bundesregierung auch nicht gerade Vorreiter dieser Entwicklung.
Harmonisierung aber heißt nicht: beste Organisation zur Absicherung von Grenzen. Harmonisierung muß vielmehr heißen, gemeinsame Strategien zu entwickeln, die an der Wurzel von Flüchtlingsbewegungen ansetzen: Armut, Unterdrückung, Naturkatastrophen, Bürgerkriege, politische Verfolgung. Harmonisierung muß solidarische Hilfe sein, und sie muß Flexibilität für unerwartete Herausforderungen bieten. Der Bundesinnenminister aber baut - das gilt allgemein für die Ausländerpolitik - eine Drohkulisse nach der anderen auf. Die Bundesregierung hat nicht viel mehr zu bieten als Abwehr, Abschottung und Restriktionen. Dabei täten Aufklärung, Sachlichkeit und das Werben um Verständnis bitter not.
Es war alles in allem ein beschämendes Spektakel, mit dem Sie dieses Jahr eingeläutet haben.
Vielleicht ernten Sie Applaus an den Stammtischen. Aber das allein wäre schon schlimm genug.
Ich danke Ihnen.
Ich erteile das Wort jetzt dem Abgeordneten Thomas Kossendey, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Zu, den innenpolitischen Aspekten haben Gert Willner und der Bundesinnenminister einiges gesagt. Ich will das nicht ausführen, ich unterstreiche es ausdrücklich.
Ich glaube aber, die aktuelle Richtigkeit dieser Aussagen von Gert Willner und vom Bundesinnenminister darf uns nicht den Blick dafür verstellen, daß es langfristig anderer Mittel bedarf, um der Situation gerecht zu werden.
Thomas Kossendey
Die Unterscheidung zwischen politisch verfolgten Flüchtlingen und Wirtschaftsmigranten ist kaum hilfreich, wenn wir es mit türkischen und irakischen Kurden in Westeuropa zu tun haben. Sie haben ihre Heimat sowohl aus Angst vor Verfolgung aus ethnischen Gründen als auch wegen des Konfliktes in der Region, die wir als Kurdistan umschreiben, und vor allen Dingen wegen des Mangels an wirtschaftlichen Alternativen dort verlassen.
Es handelt sich meines Erachtens um eine explosive Mischung aus ökonomischen, demographischen, sozialen, ethnischen und politischen Gründen, die diese Menschen dazu veranlaßt, ihre Heimat zu verlassen.
Dabei ist es aus der Sicht dieser Menschen vollkommen unwesentlich, wer der Verursacher dieser Situation ist. Da ist zum einen die PKK mit ihrem menschenverachtenden Terror, der mittlerweile auch in den Berichten von Amnesty International seinen Niederschlag findet. Da wird sehr deutlich darüber berichtet, daß in den letzten Jahren mehr als 200 Lehrerinnen und Lehrer in dieser Region dahingemetzelt worden sind. Aber auch - das sage ich sehr deutlich - die Reaktionen des türkischen Militärs auf diesen Terror bestrafen die Zivilbevölkerung durch die Überdimensionalität dieser Vergeltungsmaßnahmen. Zwischen diesen beiden Mühlsteinen, der PKK mit ihrem Terror einerseits und dem Militär und seinen unangemessenen Reaktionen andererseits, geraten die Menschen in eine verzweifelte Situation.
Seit Jahren herrscht in der Türkei eine Politik der Homogenisierung der Bevölkerung, der gewalttätige separatistische Bewegungen entgegenstehen. Ich meine, wir sollten unseren Kolleginnen und Kollegen im türkischen Parlament einmal klarmachen, daß vieles, was dort im Augenblick politisch und militärisch im Namen Atatürks geschieht, von Atatürk selber wahrscheinlich kaum gebilligt würde. Diese falsch verstandene Atatürk-Doktrin, die zur Homogenisierung der Bevölkerung führt, ist eine Ursache des Leids der Menschen dort.
Was wäre aber eine angemessene Reaktion, wenn die betroffenen Herkunftsländer wie die Türkei und der Irak durch ihr Handeln bzw. durch ihr Nichthandeln weiter viele Menschen zur Flucht veranlassen? Einfach nur neue Barrieren gegen Süden und Südosten zu errichten, das wird das Problem der Fluchtbewegungen nicht verschwinden lassen.
Wir müssen uns heute darüber im klaren sein, daß wir nur über einen ganz geringen Teil dieses Problems diskutieren, wenn wir nicht gleichzeitig die Situation in Algerien, in Ägypten und manchem anderen Mittelmeeranrainerstaat mit ins Kalkül ziehen.
Was wir brauchen, ist eine harmonisierte europäische Politik, die für diese Problemlage eine Herangehensweise erarbeitet, die ebenso flexibel und dynamisch ist wie das Wanderungsgeschehen selbst. Dazu gehört natürlich auch die strikte Umsetzung des Schengener Abkommens, die Sicherung der Außengrenzen der Europäischen Union. Aber eine solche Eindämmungsstrategie wird langfristig nur dann erfolgreich sein, wenn wir uns genauso intensiv darum kümmern, wie wir die Verhältnisse in den Herkunftsländern verbessern können.
Ansonsten - das müssen wir deutlich sehen - wird es den Migranten immer wieder gelingen, Schlupflöcher in den zwischenstaatlichen Grenzen zu finden und dann in der Illegalität unterzutauchen. Das wird dann bei uns neue Überlegungen für verbesserte Abschirmmaßnahmen hervorrufen, aber das wird uns nicht weiterhelfen.
Die beste Politik besteht darin, die auslösenden Faktoren krisenhafter Migration auszuschalten, indem wir die Ursachen der Flucht bekämpfen. Das wäre übrigens auch der effektivste Weg, um den kriminellen Schlepperbanden den Weg zu verstellen. Besonders zynisch ist es in diesem Zusammenhang, daß nach vielen Informationen, die wir haben, gerade die PKK, die durch ihren Terror dazu beiträgt, daß die Menschen ihr Land verlassen müssen, nunmehr auch noch an diesen Wanderungsbewegungen verdienen will.
Ich glaube also - damit will ich zum Abschluß kommen -: In unserer offenen und demokratischen Gesellschaft dürfen wir Menschen nicht dazu auffordern, in ihrer Heimat zu bleiben, ohne daß wir ernsthaft prüfen, was wir tun können, um die Bedingungen dort zu verbessern.
Immer deutlicher zeigt sich, daß einseitige Aktionen völlig an der Komplexität des Geschehens vorbeigehen. Wir brauchen eine koordinierte Politik der Europäischen Union. - In diesem Zusammenhang ist es nicht besonders hilfreich, wie die Europäische Union die Türkei behandelt. - Dieser koordinierten Politik innerhalb der Europäischen Union bedarf es allein schon wegen des Wegfalls der Binnengrenzen. Zustände wie 1992 und 1993, als Deutschland mehr als zwei Drittel der in die Europäische Union gelangten Asylbewerber aufnahm, sind auf Dauer nicht tragbar. Sie widersprechen dem Prinzip der Lastenteilung. Da unterstreiche ich ausdrücklich das, was die Vorredner Gert Willner und Manfred Kanther gesagt haben. Aber sie haben eben nur den einen, den innenpolitischen Aspekt angesprochen. Der außenpolitische wird langfristig für uns genauso wichtig sein. Der Bekämpfung der Ursachen des Flüchtlings-
Thomas Kossendey
stroms sollten wir mindestens genauso viel Aufmerksamkeit widmen.
Schönen Dank.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Cem Özdemir, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Ende letzten Jahres der Luxemburger EU-Gipfel der Türkei - übrigens auch auf maßgeblichen Druck der Bundesrepublik Deutschland - den Stuhl vor die Tür gesetzt hat, waren die Menschenrechtslage und das ungelöste Kurdenproblem - sicherlich nicht zu Unrecht - die Hauptargumente. Seitdem die mit Flüchtlingen vollbeladenen Schiffe vor Italiens Küsten angekommen sind, wird nun von dieser Bundesregierung argumentiert, daß die Menschenrechtslage in der Türkei nicht so dramatisch sei, daß es eine inländische Fluchtalternative gebe, und daß man die Situation der Kurden in der Türkei nicht so dramatisieren dürfe, weil die meisten Kurden sowieso Wirtschaftsflüchtlinge seien.
Eine solche Einstellung zeugt von Ihrem instrumentellen Verhältnis zu den Menschenrechten.
Ich werfe Ihnen vor: Ihnen geht es nicht um die Menschenrechte und nicht um die Lösung des Kurdenproblems. Ihnen geht es darum, dieses Thema - je nachdem, ob es Ihnen in den Kram paßt - zu instrumentalisieren.
Wir erleben gegenwärtig eine Abstimmung mit den Füßen. Die Kurden aus dem Nordirak und auch die aus der Türkei zeigen mit ihrer Flucht, daß die Zustände dort nicht mehr aushaltbar sind. Wir sollten eines tunlichst vermeiden: Wir sollten bei aller berechtigten Kritik an den Schleppern - in diesem Punkt sind wir uns, glaube ich, alle einig - jeden Ansatz von Ton vermeiden, der die Flüchtlinge kritisiert und angreift. Keiner verläßt gerne freiwillig seine Heimat. Diese Menschen verlassen ihre Heimat, weil die Situation dort unerträglich geworden ist. Natürlich müssen wir die Schlepper bekämpfen. Aber wir sollten sie nicht mit den Flüchtlingen verwechseln.
Ein weiterer Punkt: Wir sollten uns gerade zu diesem Zeitpunkt, zu dem die Bundesregierung das Thema Menschenrechte und Kurden entdeckt hat, daran erinnern, daß die Flüchtlingswelle aus der Türkei so neu nicht ist, sondern daß schon seit den 80er Jahren gerade Menschen kurdischer Herkunft die Türkei verlassen. Es war der Bundeskanzler dieser Regierung, der vor wenigen Jahren in der Türkei es dort tunlichst vermieden hat, einen Ton Richtung Menschenrechte anklingen zu lassen, geschweige denn das Thema Kurden auch nur zu streifen.
Es war Ihre Vorgängerregierung, die 1980, als in der Türkei der Putsch stattfand und Hunderttausende von Menschen in den Kerkern verschwunden waren, nach kurzer Zeit zur Routine übergegangen ist. Auch damit unterstützt man mit Sicherheit nicht die Kräfte der Zivilgesellschaft, auch damit fördert man mit Sicherheit keine europäisch ausgerichtete Regierung.
Was wir gegenwärtig erleben, ist ein europäisches Chaos auf allen Ebenen. Herr Dini kritisiert in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" die Bundesregierung wegen ihrer Position auf dem Luxemburger Gipfel. Die Franzosen trösten die Türken gegenwärtig, und die Bundesregierung sagt: Wir haben von all dem nichts gewußt.
Was wir statt dessen dringend brauchen, wäre eine gemeinsame europäische Außenpolitik, nicht nur gegenüber der Türkei, die diesen Namen verdient. Wir hätten sie auch während des Bosnien-Krieges dringend gebraucht.
Dort haben wir erlebt, daß die europäischen Länder in die Kultur der Nationalstaaten zurückgefallen sind. In diesem Zusammenhang sind all die Bündnisstrukturen mit ihren katastrophalen Konsequenzen wieder hervorgekommen. Wenn die Amerikaner nicht interveniert hätten, hätten wir in dem Fall Kardak/Imia zwischen Griechenland und der Türkei vielleicht sogar eine kriegerische Auseinandersetzung gehabt.
Wir brauchen gegenüber der Türkei dringendst eine europäische Außenpolitik, die europäische Interessen formuliert. Das europäische Interesse muß darin bestehen, daß sich die Türkei in Richtung Europa entwickelt, daß eine demokratische Türkei eine Zusage für eine Aufnahme in die Europäische Union bekommt.
Dazu gehört auch, daß wir schnellstens mit den Waffenlieferungen an die Türkei aufhören, denn die Waffenlieferungen werden in der Türkei mit Sicherheit nicht zu dem beitragen, was die Türkei braucht, nämlich eine Befriedung der Gesellschaft.
Schließlich brauchen wir auch eine Zivilisierung des Verhältnisses innerhalb der Europäischen Union. Was wir aus dem Hause Kanther in den letzten Tagen
Cem Özdemir
gehört haben, war mit Sicherheit nicht dazu angetan,
das deutsch-italienische Verhältnis zu verbessern.
Der Ton, der angeschlagen wurde, war unerträglich - und das in einer Situation, in der besonders viel Sensibilität notwendig ist, in der Sie wissen, daß die Frage ansteht, ob Italien die Maastricht-Kriterien erfüllt, in der Sie wissen, daß es um die Frage eines Sitzes im Sicherheitsrat geht. In einer solchen Situation sollte man, so glaube ich, jede Art von Arroganz ablegen.
Man sollte das deutsch-italienische Verhältnis nicht auf dem Altar der Innenpolitik opfern. Wir müssen gegenüber der italienischen Regierung darlegen, daß wir eine europäische Politik brauchen. Italien verhält sich laut dem Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen - ich darf zitieren - „vorbildlich". Was wir gegenwärtig haben, ist ein Scherbenhaufen, der dazu geführt hat, daß der Kanzler bereits mit Herrn Prodi telefonieren mußte und ihn demnächst besuchen wird, um das wiedergutzumachen, was der Innenminister Kanther angerichtet hat.
Ich komme zum Schluß, weil die Redezeit zu Ende ist. Wir brauchen dringend eine Koordination auf europäischer Ebene, die auch die Fragen klärt, wie wir zukünftig Flüchtlinge aufnehmen wollen, wie zukünftig ein Verteilschlüssel, wie die Finanzierung aussehen soll. Wir sind für ein solches Modell. Nur, eines dürfen wir nicht vergessen:
Ihre Redezeit ist aber längst zu Ende.
Es war diese Bundesregierung, die in Amsterdam für ein Einstimmigkeitsprinzip war und verhindert hat, daß wir zu europäischen Lösungen kommen.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Ruprecht Polenz, CDU/CSU- Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! An den Anfang meiner Ausführungen möchte ich gerne stellen, daß wir bei dieser Debatte nicht vergessen dürfen, daß es um Menschen in Not geht. Wenn man die Bilder der Schiffe sieht, wenn man die Kinder und Frauen sieht, die Angst haben, die sich diesen Seelenverkäufern anvertrauen, dann wird schon deutlich: Das macht niemand gern. - Wir sind gefordert, auf diese Herausforderung zu reagieren.
Die Lösung kann allerdings nicht sein, daß wir aus menschlichem Mitgefühl sagen, daß alle Menschen zu uns nach Deutschland kommen sollen und wir für Hilfe sorgen und die Probleme lösen. Darauf hat der Innenminister zu Recht hingewiesen. Alle, die ihn für diese Position kritisiert haben, haben das Thema, wie
denn eine Lösung gefunden werden soll, fein vermieden. Sie haben sozusagen nur Vorwürfe formuliert und gehofft, daß man die Zustimmung derer, die menschlich empfinden, bekommt, statt eine Lösung vorzuschlagen, die sowohl die notwendige menschliche Seite einbezieht als auch politisch praktikabel ist.
Dann hat Herr Kollege Körper einen Satz gesagt, der mir der Schlüssel dafür zu sein scheint, wo wir nach Lösungen suchen müssen. Herr Kollege Körper, Sie haben gesagt, daß wir nicht Äpfel mit Birnen vergleichen dürfen. Sie haben damit gemeint, man dürfe nicht das deutsche und das italienische Asylrecht miteinander vergleichen. Ich glaube, gerade weil wir in der Europäischen Union zuviel Äpfel, Birnen, Kirschen und sonstige Obstsorten haben - wenn man einmal bei Ihrem Bild bleiben will -, was das Asylrecht und das Einwanderungsrecht angeht und vielleicht noch mehr, was die soziale Fürsorge für diejenigen betrifft, die sich entweder noch in ihrem Asylverfahren befinden oder dann nachher anerkannt sind, gerade wegen dieser Unterschiedlichkeit haben wir die Situation, daß 50 Prozent aller Asylbewerber, die in die Europäische Union kommen, in Deutschland sind. Das ist doch das politische Thema, das uns bewegen muß und an dem wir arbeiten müssen. Es kann nicht angehen, daß Deutschland auf Dauer mehr Asylbewerber aufnimmt als alle anderen europäischen Länder zusammengenommen.
Das ist ein Punkt, über den wir politisch diskutieren müssen. Wir müssen uns auch fragen: Wie kommt es dazu? Denn es ist natürlich klar: Für unsere Partner in der Europäischen Union ist das eine vergleichsweise angenehme und komfortable Arbeitsteilung. Wir müssen nun Wert darauf legen, daß diese Arbeitsteilung innereuropäisch verändert wird und daß wir diesen Mangel an innereuropäischer Gemeinsamkeit überwinden.
Ein Zweites: Nach meiner Einschätzung sind wir erst am Anfang der Probleme. Das, worüber wir jetzt diskutieren, womit wir es jetzt zu tun haben, ist meines Erachtens der Vorbote eines der großen Themen des nächsten Jahrhunderts: Wanderung, Migration, Flucht. Natürlich sind die Ursachen bekannt: das große Wohlstandsgefälle auf dieser Welt, der große Unterschied in „good governance", also in der Frage: Wie werden Menschen regiert? Werden sie unterdrückt? Haben sie Menschenrechte? Müssen sie um ihre Sicherheit fürchten, oder können sie, wie bei uns, sicher und gut leben? Zu den Ursachen zählen natürlich ebenso Kriege auf dieser Welt und - in Zukunft vielleicht noch stärker als bisher - auch Umweltprobleme.
Wir stehen erst am Anfang dieser Entwicklung. Die Migration wird deshalb tendenziell eher zunehmen, weil die weltweit verfügbaren Informationen, wie man in anderen Ländern leben kann - hier spielt zum Beispiel das Fernsehen eine große Rolle -, manchen dazu veranlassen, zu sagen: Bei uns zu Hause ist es nicht mehr auszuhalten; ich muß mich in irgendeiner Form auf den Weg machen. - Es kann, wie gesagt, aber nicht sein, daß wir alle diese Probleme
Ruprecht Polenz
auf deutschem und auf europäischem Boden werden lösen können. Aber die Magnetwirkung Europas bleibt bestehen.
Wenn hier für Europa eine gemeinsame Einwanderungs-, Asyl- und Ausländerpolitik gefordert wird - das haben Vertreter der Grünen und der Sozialdemokraten getan -, dann muß man ehrlicherweise hinzufügen: Wenn wir das erreichen wollen, werden wir dies wohl nicht auf dem deutschen Niveau - weder rechtlich noch sozialstaatlich abgesichert - zustande bringen. Ich halte das für ausgeschlossen. Die Frage an die Folgeredner ist: Sind Sie denn bereit, zum Zwecke des Erreichens einer gemeinsamen europäischen Asyl- und Ausländerpolitik Abstriche am jetzigen deutschen Niveau hinzunehmen?
Denn es ist das Fatale - ich komme zum Schluß - und ein Taschenspielertrick der Grünen in dieser Debatte, daß der Begriff Abschottung der Regierung eines Landes gegenüber gebraucht wird, das mehr Flüchtlinge als alle anderen Länder aufnimmt.
Herr Abgeordneter, wenn man zum Schluß kommen soll, muß man wirklich zum Schluß kommen. Ihre Redezeit ist längst abgelaufen.
Der Vorwurf der Abschottung entspricht nicht den Tatsachen. Ich bin gespannt, ob Sie eine europaweite Harmonisierung mit-
' machen, wenn es zu Abstrichen auch an unseren Standards kommt.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Karsten Voigt, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Am Schluß der heutigen Diskussion ist ganz klar: Die Bekämpfung der Fluchtursachen, die Bekämpfung der illegalen Einwanderung - das betrifft die Verfahren im Hinblick auf die Flucht, das Asylverfahren und die Betreuung von Flüchtlingen - kann nur erreicht werden, wenn wir in Europa und bei aller Kritik letzten Endes auch mit der Türkei mehr als bisher zuammenarbeiten. Deshalb war es ein Fehler der Bundesregierung, in Amsterdam auf dem Einstimmigkeitsprinzip in der Innenpolitik zu bestehen.
Dies ist ein Fehler, der sich jetzt rächt und den Sie und nicht wir - wir waren anderer Meinung - zu verantworten haben.
Deshalb möchte ich auf Ihre Frage nach den Standards antworten: Wer gemeinsame europäische Standards will, kann nicht die deutschen Standards zum Kriterium gemeinsamer Standards machen. Das wird in dem einen oder anderen Fall bedeuten, daß sich andere unseren Standards anpassen, und das wird in anderen Fällen bedeuten, daß wir uns anderen Standards anpassen. Das ist die Logik von Europa. Zumindest wir als Sozialdemokraten sind uns über diese Frage im klaren und sind, wenn wir Europa sagen, auch bereit, diesen Weg zu gehen. Deshalb sind wir gegen die Einstimmigkeit mit diesen Konsequenzen.
Der Grund, warum ich mich an dieser Debatte überhaupt beteilige, ist aber folgender: Weil man dieses Problem nur auf europäischer Ebene und bei aller Kritik an einzelnen Erscheinungen in der Türkei nur gemeinsam mit der Türkei lösen kann, ist es ein Fehler - das ist der zweite Fehler -, diese Debatte so zu führen, daß unsere Kooperation mit den europäischen Partnern und mit der Türkei erschwert wird. Das ist nicht nur ein moralischer, sondern auch ein strategischer Fehler.
Dieser Fehler ist mit der Begründung des Wahlkampfes nicht zu entschuldigen. Ich bin lange genug in der Politik, um zu wissen, was Wahlkampf bedeutet. Auch ich bin bei manchen Dingen hart vorgegangen. Aber wir müssen darauf achten, daß in diesem Wahlkampf nicht auf außen- und europapolitischer Ebene Porzellan zerschlagen wird. Das gilt für alle Abgeordneten; das gilt aber besonders für Mitglieder der Bundesregierung, und zwar nicht nur für den Außenminister, sondern auch für den Innenminister.
Herr Kanther, daß Sie jetzt schmerzerfüllt blicken, verstehe ich. Denn ich werde jetzt etwas sagen, was Ihnen nicht gefällt. Mich haben Mitglieder des italienischen Parlamentes und der Regierung angerufen und sich bei mir über Ihr Verhalten beschwert. Daß sie das nicht Ihnen gegenüber tun und daß Sie im Innenausschuß sagen, daß es keine Verstimmung gebe, spricht für die diplomatische und außenpolitische Weisheit dieser Personen, die die deutsch-italienischen Beziehungen nicht noch weiter belasten wollen, die durch andere Themen schon genug belastet sind. Dies ändert nichts daran, daß nicht nur die Presse in Italien und in der Türkei, sondern auch politisch führende Kreise über das Auftreten nicht unseres Außenministers, sondern in diesem Fall des Innenministers sehr entsetzt sind.
- Dies betrifft auch Herrn Glogowski. Das ist gar keine Frage. Darüber wollen wir nicht hingwegsehen. Ich habe das mit ihm besprochen.
Jetzt komme ich zu einem etwas lächerlichen Punkt. Als ich Sie mit der Wacht am Rhein - Ausschau haltend nicht nach den Türken bei Wien - an der französischen Ostgrenze und unserer deutschen Westgrenze gesehen habe,
habe ich nicht gewußt, ob ich empört sein oder lachen sollte. Ich habe mich für das letztere entschieden. Diese Art der Inszenierung von deutscher Sicherheit zu Lasten unserer Nachbarn, ihrer Emp-
Karsten D. Voigt
findungen, ihrer Emotionen und ihrer Interessen ist antieuropäisch und widerspricht deutschen Interessen.
Ich beteilige mich an dieser Diskussion nur aus dem Grund, Sie zu warnen, sich weiterhin in diesem Stil, dieser Methode und dieser Gestik zu Lasten unserer außenpolitischen Interessen zu beteiligen.
Bei den Schlepperbanden sind wir im wesentlichen einer Meinung. Deshalb möchte ich nur noch etwas zu Italien und der Türkei sagen.
Italien hat im Asylrecht vorwiegend in den letzten Monaten das eingeleitet, was erforderlich ist. Über die italienischen Außengrenzen kommen noch immer weniger Illegale als über die deutschen Außengrenzen; das möchte ich festhalten. Keiner sagt, daß Sie deshalb als Innenminister versagt haben. Sie haben aber vielleicht aus anderen Gründen versagt. Wenn man in andere Häuser mit Steinen wirft, sollte man zuerst überlegen, ob man nicht selber im Glashaus sitzt.
Zum Thema Türkei möchte ich Frau Jelpke sagen: Mit der Türkei kann man kritisch umgehen. Ihre Tonlage aber war nicht türkeikritisch, sondern antitürkisch.
Die Probleme im Nordirak resultieren nicht nur aus dem auch von mir kritisierten Vorgehen der Türken, sondern auch aus dem Verhalten kurdischer Gruppen, die sich aus eigenen Motiven bekämpfen, und anderer Staaten, die ihre Süppchen dort kochen, zum Beispiel Syrien.
Wenn man die Zustände in der Türkei und ihre Außenpolitik kritisiert gleichzeitig aber mit der Türkei etwas kooperativ lösen will, dann darf man dies nicht in dieser Tonlage tun.
Zum allerletzten Punkt. Damit komme ich zu meinem nachfolgenden Redner und damit wieder zu etwas Verbindlichem. Herr Zeitlmann, es freut mich - lassen Sie mich das sagen -, daß Sie auf Grund der Tatsache, daß ein Kollege unserer Fraktion Vater geworden ist, Großvater geworden sind. Ich möchte Ihnen dazu gratulieren.
Das Präsidium schließt sich diesem Glückwunsch natürlich an.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Wolfgang Zeitlmann, CDU/CSU-Fraktion.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn man seit bald elf Jahren dem Innenausschuß angehört und in dieser Zeit die Haltung der Opposition in ausländerrechtlichen Fragen beobachtet hat, dann kann man eigentlich nur hoffen, daß sie diese Haltung um Gottes willen auch im Wahljahr beibehält. Wir müssen schließlich dem deutschen Wähler erklären, daß es hier Menschen gibt, die, wenn Zuwanderung vor der Tür steht, die eigene deutsche Regierung dafür kritisieren, daß sie versucht, europäische Regularien, die im Schengener Abkommen vereinbart worden sind, durchzusetzen und die Zuwanderung von Deutschland fernzuhalten.
Ich verstehe diese Diskussion wirklich nicht. Der niedersächsische Innenminister hat etwas gefordert, was gesetzwidrig ist. Er hat nämlich gefordert, eine Regelung auszusetzen; das geben Sie auch zu. Sie führen aber die Diskussion nicht im Niedersächsischen Landtag, sondern hier im Deutschen Bundestag, obwohl sich der deutsche Innenminister nachweislich an Recht und Gesetz gehalten hat. Jetzt bleibt Ihr Vorwurf, man hätte weicher formulieren müssen, man hätte die eine oder andere Formulierung nicht wählen dürfen.
Ich habe selten soviel Unsinn gehört wie in dieser Diskussion. Man muß sich nur einmal die Zahlen vorstellen: Im Jahr 1997 haben 300 000 Deutsche mehr, nämlich 2,4 Millionen Urlaub in der Türkei gemacht. Mir soll hier einmal jemand klarmachen, daß Ihnen diese 2,4 Millionen abnehmen, daß die Türkei so schrecklich ist, daß sich Hunderttausende von Menschen auf den Weg machen müssen. Diese 2,4 Millionen Menschen müssen Sie heuer davon überzeugen, daß die Türkei ein so grauenvolles Bürgerkriegsland in allen Phasen ist - von wegen innertürkische Fluchtalternative -, daß sich diese Menschen zu Hunderttausenden in Bewegung setzen müssen und die Häfen ansteuern etc.
Übrigens: Diese 2,4 Millionen Menschen sind nur ein Viertel des gesamten Tourismusstroms in die Türkei. Das heißt, 10 Millionen Europäer machen jedes Jahr Urlaub in der Türkei. Sie aber zeichnen hier ein Bild von Verhältnissen in der Türkei, die einem den Schrecken nur so vor Augen führen. Ich will damit das, was mit den Kurden passiert ist, nicht verniedlichen. Das haben auch unsere Außenpolitiker klargemacht. Ich verstehe zuwenig davon. Ich will nichts verdecken und niemanden schützen.
Nur, wenn die gleiche Bundesregierung jetzt öffentlich auf die Türkei eingeprügelt und gesagt hätte: Ihr müßt da radikal und rigoros vorgehen!, dann wären die feinfühligen Außenpolitiker gekommen und hätten gesagt: So kann man in der Außenpolitik nicht miteinander umspringen; man muß sensibel vorgehen und Geheimgespräche führen.
Wenn ich Herrn Özdemir hier höre, der sagt, daß jeder, der seine Heimat verläßt und Flüchtling ist,
Wolfgang Zeitlmann
schon von vornherein zu bemitleiden ist, weil er allein auf Grund eines entsetzlichen Drucks geht, dann möchte ich entgegnen: Das ist doch alles Unsinn. Es gibt doch auch viele Deutsche, die ins Ausland auswandern. Sie verlassen unser Land doch auch nicht, weil wir sie bedrohen, sie unterdrücken oder weil wir sie mit Bürgerkrieg überziehen. Diese Tausende wandern freiwillig aus Deutschland aus. Ich möchte bitten: Führen wir um Gottes willen nicht eine solche Diskussion!
Eines muß man doch klar sagen: Wenn ihr, die Kollegen von der Opposition, wollt, daß wir einen europäischen Standard bekommen - da bin ich sofort dabei -, dann solltet ihr nicht die Aufnahme von Regelungen im Asylbewerberleistungsgesetz verhindern, die vorsehen, daß wir mit dem Standard heruntergehen, sondern ihr solltet so ehrlich sein, zu sagen, daß wir von dem Grundrecht auf Asyl wegkommen und daß wir zu einer Institutsgarantie übergehen müssen. Uns CSU-Angehörige habt ihr jahrelang verteufelt; jetzt redet ihr scheinheilig von einer europäischen Harmonisierung, die ihr dann, wenn es zum Schwur kommt, entweder nicht oder nur unter großem Gejammer mittragt.
Ich rate: Führt eure Diskussion in Niedersachsen, haltet euch an den dortigen Landesinnenminister, aber kommt nicht hierher; oder ihr solltet ganz laut sagen: Wir denken erst an die Ausländer und dann an die Vertretung deutscher Interessen. Wenn das so gemacht wird, dann gehen wir ehrlich miteinander um. Ich hoffe nur, ihr führt das in diesem Wahlkampf so konsequent durch wie bisher und denkt zuerst an die Ausländer und dann an die deutschen Interessen.
Herzlichen Dank.
Damit ist die Aktuelle Stunde beendet.
Wir sind am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 15. Januar 1998, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.