Gesamtes Protokol
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten: Nach der Fragestunde und einer sich eventuell daraus entwikkelnden Aktuellen Stunde wird der Bundesminister der Verteidigung einen Bericht zum Vortrag des Rechtsextremisten Manfred Roeder an der Führungsakademie der Bundeswehr im Jahr 1995 abgeben. Im Anschluß daran soll nach einer interfraktionellen Vereinbarung eine einstündige Debatte stattfinden. Sind Sie damit einverstanden?
- Ich höre keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so.
Im Anschluß an die Befragung der Bundesregierung, also noch vor der Fragestunde, werden wir über einen Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Haushaltsgesetz 1998 und einen Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen namentlich abstimmen. Die Abstimmung über den Entschließungsantrag war gemäß § 88 Abs. 2 Satz 2 der Geschäftsordnung auf heute verschoben worden.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 1 auf: Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Themen der gestrigen Kabinettssitzung mitgeteilt: den Waldzustandsbericht 1997, den Abschlußbericht zur Hochwasserkatastrophe an der Oder und das Gesetz zur sozialrechtlichen Absicherung flexibler Arbeitszeitregelungen.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht hat der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Jochen Borchert. Ich bitte Sie, Herr Minister.
Vielen Dank, Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung hat gestern den Waldzustandsbericht beraten
und verabschiedet. Das wichtigste Ergebnis: Der Zustand unserer Wälder hat sich in den 90er Jahren bundesweit insgesamt verbessert. Wir können in diesem Jahr bei einigen Baumarten von einer leicht positiven Entwicklung ausgehen. Beispielsweise der Buche geht es wieder besser.
Einige Baumarten machen uns aber nach wie vor Sorge. Vor allem die schadstoffbedingte Entwicklung bei der Eiche ist nach wie vor ungünstig.
Im diesjährigen Waldzustandsbericht der Bundesregierung ist erstmals das Konzept des Umweltmonitoring im Wald umfassend dargestellt. Neben den Ergebnissen der Waldschadenserhebung sind auch die Ergebnisse der inzwischen ausgewerteten bundesweiten Bodenzustandserhebung und erste Ergebnisse der 1994 begonnenen Untersuchung auf Dauerbeobachtungsflächen sowie Erkenntnisse der Waldschadens- und Waldökosystemforschung beschrieben.
Betrachtet man die Ergebnisse der Waldschadenserhebung, so stellt man fest, daß die deutlichen Schäden in Deutschland seit 1991 im Durchschnitt rückläufig sind. 1997 sind 20 Prozent der Wälder deutlich geschädigt; 1994 waren es noch 25 Prozent.
Bei der Kiefer gingen die deutlichen Schäden von ihrem Höchstniveau 1991 von 29 auf 12 Prozent zurück. Bei der Fichte war dieser Rückgang um 5 Prozent auf 18 Prozent immer noch deutlich, aber weniger stark ausgeprägt.
Ein nach wie vor negativer Trend des Kronenzustandes ergibt sich bei der Eiche. Sie weist zu 46 Prozent deutliche Schäden auf. Im Gegensatz dazu hat sich die Situation bei der Buche verbessert. Der Anteil der geschädigten Bestände hat sich von 37 Prozent im Jahre 1991 auf 30 Prozent im Jahre 1997 erheblich reduziert.
Nach wie vor bestehen regional unterschiedliche Schadenshöhen und teilweise gegenläufige Entwicklungen. Relativ gering ist der Anteil deutlich geschädigter Bäume in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Niedersachsen mit weniger als 15 Prozent. Hohe Anteile deutlich geschädigter Bäume weisen Hessen und Thüringen mit 33 bzw. 38 Prozent auf. In den neuen Ländern ver-
Bundesminister Jochen Borchert
läuft der Rückgang des Schadenniveaus parallel zum Rückgang der dortigen Luftschadstoffemissionen. Der Anteil der geschädigten Wälder ist hier von 38 Prozent im Jahre 1991 auf jetzt 17 Prozent zurückgegangen.
Die erstmals deutlichen Querverbindungen zwischen Bodenzustand und Kronenzustand zeigen einen Zusammenhang zwischen den Bodenbeeinträchtigungen und den Waldschäden. Nach dem in diesem Jahr veröffentlichten Deutschen Waldbodenbericht besteht eine großflächige, weitgehend substrat-unabhängige Versauerung und Basenverarmung der Oberböden. Lediglich Böden mit oberflächlich anstehenden kalkhaltigen Gesteinen sind noch nicht merklich betroffen. Durch die bei der Bodenzustandserhebung im Wald gewonnenen Nadel-/Blattanalysen konnten darüber hinaus wichtige Erkenntnisse über die Ernährungssituation der Waldbäume gewonnen werden.
Im Bericht werden zudem erste Ergebnisse des Waldschaden-Monitorings auf den rund 90 Dauerbeobachtungsflächen in Deutschland vorgestellt. Die intensiven Untersuchungen auf diesen Flächen dienen der Analyse von Veränderungen der Umweltbedingungen, zum Beispiel durch Stoffeinträge, den damit verbundenen Auswirkungen auf Waldökosysteme und der Ableitung von Empfehlungen an Politik und forstliche Praxis. So konnten wir mit diesen Daueruntersuchungen nachweisen, daß die Schwefeleinträge niedriger sind, als sich in früheren Vergleichsmessungen gezeigt hat.
Anfang des Jahres habe ich in Abstimmung mit den Ressorts eine Expertengruppe eingesetzt, die die Auswertung und Bewertung der Waldschadenserhebung kritisch durchleuchten soll. Ihre Empfehlungen liegen seit September vor und sind dem Bericht als Anhang beigefügt. Die Bundesregierung wird die Empfehlungen für eine Weiterentwicklung des Umweltmonitorings im Wald gemeinsam mit den Ländern eingehend prüfen. Dabei werden insbesondere deren bundesweite Umsetzbarkeit und Finanzierbarkeit zu beurteilen sein.
Die neuartigen Waldschäden werden durch eine Vielzahl von Einflußfaktoren verursacht. Deren Gewicht kann sich von Jahr zu Jahr verändern. Eine Schlüsselrolle bei den Einflußfaktoren spielen die Luftschadstoffe.
Von den wesentlichen Handlungsschwerpunkten, die uns die Wissenschaft empfiehlt, steht weiterhin die Luftreinhaltung an erster Stelle. Deswegen müssen wir die Luftreinhaltepolitik national und international fortsetzen. Durch die konsequente Luftreinhaltepolitik der Bundesregierung konnten in Deutschland die Emissionen einzelner Schadstoffe zwischen 1989 und 1994 merklich vermindert werden. So nahmen zum Beispiel die Ammoniak- und NOx-Emissionen um jeweils 24 Prozent ab. In diesem Zeitraum konnten auch die SO2-Emissionen um 52 Prozent reduziert werden.
Zusätzlich zu den Maßnahmen der Luftreinhaltung fördern Bund und Länder forstliche Maßnahmen, um darüber die Widerstandsfähigkeit unserer Wälder gegen Schadeinflüsse zu erhöhen. Diese forstlichen Handlungen, wie die Waldkalkung und der Anbau standortgerechter Baumarten sowie Naturverjüngung, sind insbesondere auf eine Verstärkung der ökosystemeigenen Selbstregulierungsprozesse ausgerichtet. Die Förderung flankierender forstlicher Maßnahmen zur Stabilisierung der Waldökosysteme gegen neuartige Waldschäden wird daher fortgesetzt. 1997 sind hierfür vom Bund und den Ländern rund 30 Millionen DM eingeplant worden.
Vielen Dank, Frau Präsidentin.
Vielen Dank, Herr Minister. Dann bitte ich, jetzt die Fragen zu diesem Themenbereich zu stellen. Bitte schön, Frau Abgeordnete Wright.
Herr Minister, vielen Dank für die Vorstellung des Waldzustandsberichtes. Sie kennen meine übliche Vorweganmerkung: Dieser Bericht müßte natürlich ein Waldschadensbericht sein. Er beinhaltet zwar eine Zustandsbeschreibung, aber zumindest im süddeutschen Raum haben wir mehr Schäden als Zustand. Ich bitte, das so festzuhalten.
Ich stelle noch einmal die immer wiederkehrende Frage: Gedenken Sie, in Zukunft eine Schadensstufe 5 für abgestorbene Bäume aufzuführen? Nur das würde ein Gesamtbild ergeben.
Sie haben den Erhebungsmodus, das Umweltmonitoring, angesprochen. Es ging durch die Presse, daß das Forschungsministerium angeblich daran Kritik übe und diesen Erhebungsmodus verändern wolle. Ich denke, daß man am Waldzustandsbericht sicherlich einiges verbessern kann. Man kann aber durchaus erkennen, daß über Langzeiterhebungen sehr gute Erkenntnisse erzielt werden und die Art der Erhebung die richtige ist. Trotzdem merkt man, daß auf die Darstellung von Mittelwerten über alle Baumarten zu verzichten ist; denn sie gibt ein ungenügendes Bild und redet den Waldzustand besser.
Sie haben angesprochen, daß wir mit der Kalkung zur Bekämpfung der Schäden in den Wälern beitragen wollen. Ich frage Sie zu den Kalkungsmaßnahmen, für die eine hohe Summe aufgewandt wird, konkret: Gedenkt man, etwas an diesen Kalkungsmaßnahmen zu verändern?
Frau Abgeordnete, jetzt wird es fast ein Korreferat. Können Sie eine knappe Frage formulieren?
Ich frage: Wird beabsichtigt, die Kalkungsmaßnahmen zu verändern?
Ich habe noch eine Frage zum Energieholz. Dazu wird auf Seite 12 angemerkt, daß wir erst die Hälfte des Energieholzes nutzen. Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um die Nutzung auf weit über 50 Prozent zu steigern?
Vielen Dank.
Frau Kollegin, die Frage, ob der Bericht ein Waldschadens- oder ein Waldzustandsbericht ist, wird schon lange diskutiert. Ich denke, die Formulierung „Waldzustandsbericht" ist richtig; denn es geht darum, den Zustand der Wälder in seiner gesamten Breite zu schildern und nicht nur eine Erhebung über die Schäden in den Wäldern zu machen.
Wir haben für die Erhebung der Schäden verschiedene Schadstufen von 0 bis 4 vorgesehen. Sie haben noch einmal die Frage angesprochen, ob für abgestorbene Bäume die Schadstufe 5 eingeführt werden soll. Der Anteil der abgestorbenen Bäume liegt jährlich bei etwa 0,2 bis 0,4 Prozent. Diese Bäume bleiben so lange in der Ermittlung, bis das Feinreisig abgefallen ist. Ich denke, es macht auch danach keinen Sinn, dauerhaft abgestorbene Bäume über Jahre oder Jahrzehnte in der Statistik zu halten. Ich glaube, daß wir mit dem jetzigen Erfassen auch der abgestorbenen Bäume in der Schadstufe 4 den richtigen Weg gehen.
Sie haben Kritik an der Waldschadenserhebung geäußert. Diese Kritik gibt es immer wieder von einzelnen Wissenschaftlern. Wir haben deshalb noch einmal eine Expertengruppe berufen. Wir werden jetzt die Erfahrungen sammeln. Wir werden keine Veränderungen vornehmen, die die Vergleichbarkeit in der Zeitreihe nicht mehr ermöglichen; denn nicht die jährlichen Zahlen sind das Entscheidende, sondern die Entwicklung in der Zeitreihe. Deswegen muß die Vergleichbarkeit in der Zeitreihe erhalten bleiben. Wenn wir Veränderungen einführen, müssen sie parallel dazu ausgewiesen werden. Wir würden wesentliche Einblicke in die Entwicklung der Wälder verlieren, wenn wir auf die Darstellung der Zeitreihe verzichteten.
Zur Darstellung der Mittelwerte: Für die Beurteilung der Wälder ist es wichtig - so problematisch aggregierte Daten auch sind -, die Entwicklung der Schäden insgesamt darzustellen. Für mich ist vor allen Dingen wichtig, daß wir die Schadensentwicklung bei den einzelnen Baumarten darstellen, weil sie sehr unterschiedlich verläuft. Wir müssen aber im Waldzustandsbericht ebenso sehr deutlich darstellen, daß die Schadensentwicklung in den einzelnen Wuchsgebieten sehr unterschiedlich verläuft.
Zur Kalkung: Wir werden an der Kalkung festhalten. Ich denke, sie hat sich bewährt. Wir müssen der Versauerung der Waldböden durch die Kalkung entgegenwirken. Dies ist neben den Maßnahmen zur Luftreinhaltung eine wichtige Maßnahme. Mit ihr verhindern wir, daß die Versauerung über Schadeinträge zunimmt. Ich glaube aber, um der bereits eingetretenen Versauerung entgegenzuwirken, können wir auf die weitere Kalkung nicht verzichten. Sie ist nach wie vor dringend notwendig.
Natürlich können frühere Säureeinträge nicht von heute auf morgen wettgemacht werden. Wir können nur in einem bestimmten Umfang kalken. Das träge Ökosystem Waldboden kann nicht von heute auf morgen mit einer deutlichen Veränderung reagieren.
Darüber hinaus müssen wir eine Beeinträchtigung der Bodenfauna verhindern. Da stoßen wir an die Grenzen des Umfangs der jährlichen Kalkung. Deswegen wird die Kalkung nach eingehender Bodenuntersuchung mit mild wirkenden Kalken außerhalb der Vegetationszeit durchgeführt. Die Kalke werden meist als erdfeuchtes Material oder in Granulatform ausgebracht. Nach unseren Erfahrungen und nach den wissenschaftlichen Untersuchungen sind die Auswirkungen auf die Bodenfauna beim Einsatz von Granulaten am geringsten.
Die auf privater Ebene erprobte Kalkung mit Flüssigkeit hat nach den Untersuchungen der Forstlichen Versuchsanstalt Rheinland-Pfalz nicht zu besseren Ergebnissen geführt. Hier sei zwar das Preis-Leistungs-Verhältnis günstiger, aber die Ergebnisse nicht besser. Flüssigkalkung - das zeigen diese Untersuchungen - ist für das Waldökosystem insgesamt nicht schonender. Deswegen wollen wir bei der bisherigen Waldkalkung bleiben.
Im Rahmen der Förderung nachwachsender Rohstoffe gibt es viele Projekte, mit denen wir den verstärkten Einsatz von Energieholz fördern. Fast noch wichtiger als dieser Bereich ist, daß wir in Deutschland endlich wieder eine Zellulosefabrik haben werden. Denn dann können wir Schwachholz bei der Herstellung von Zellulose verwerten. Da gibt es positive Entwicklungen: Am Freitag erfolgt die Grundsteinlegung einer solchen Fabrik. Ich begrüße es außerordentlich, daß wir jetzt eine Zellulosefabrik bauen, womit wir, glaube ich, die forstliche Nutzung insgesamt erheblich verbessern und gerade beim Schwachholz eine erhebliche Entlastung haben werden.
Vielen Dank.
Die nächste Frage zum Waldschadensbericht hat der Abgeordnete Matschie, SPD.
Herr Minister, Sie haben darauf hingewiesen, daß die Luftschadstoffe noch immer Hauptverursacher von Waldschäden sind. Der Verkehrsbereich ist unbestritten der größte Emittent von Luftschadstoffen. Auch ist unstrittig, daß beispielsweise bessere Kraftstoffqualitäten dazu beitragen könnten, die Schadstoffbelastung zu verringern, etwa durch schwefelarme Kraftstoffe. Wird die Bundesregierung in diesem Zusammenhang weitere Maßnahmen treffen, beispielsweise bessere Kraftstoffqualitäten steuerlich fördern oder Grenzwerte für bessere Kraftstoffqualitäten festlegen?
Es gibt eine Vielzahl von Maßnahmen zur Reduzierung gerade der den Wald belastenden Emissionen. Hier gibt es inzwischen eine erhebliche Senkung der Schadstoffeinträge. Die Bundesregierung wird natürlich weiterhin überprüfen, wo sie die Maßnahmen noch verbessern kann.
Ich denke, gerade mit den nicht bleihaltigen Kraftstoffen und auf Grund der Verringerung des spezifi-
Bundesminister Jochen Borchert
schen Verbrauchs haben wir eine erhebliche Verbesserung erreicht. Wir werden auch bei den übrigen Emissionsquellen unsere Anstrengungen fortsetzen, um eine Verringerung der Schadstoffeinträge zu erreichen.
Die nächste Frage hat die Abgeordnete Steffi Lemke, Bündnis 90/ Die Grünen.
Geehrter Herr Minister Borchert, ich möchte zwei Fragen an Sie richten. Zum einen beziehe ich mich auf die Debatte, die wir in den vergangenen Wochen über die Waldzustandserhebung hatten. Es hat in der Öffentlichkeit heftige Kritik gegeben, diese Erhebung sei wissenschaftlich nicht mehr haltbar. So titelte die „FAZ" vor einigen Wochen. Ich möchte konkret nachfragen, wie Sie den wissenschaftlichen Stand der Waldzustandserhebung beurteilen bzw. ob Sie diese Aussage, die in der FAZ getroffen worden ist, daß der Waldzustandsbericht wissenschaftlich nicht haltbar sei und nicht ausreiche, bestätigen können oder ihr widersprechen.
Zum zweiten beziehe ich mich auf die sehr gravierenden Aussagen, die im Waldbodenbericht in diesem Sommer getroffen worden sind. Wie beabsichtigen Sie, diese Aussagen mit der Waldschadenserhebung zusammenzuführen, also das komplexe Ökosystem Wald auch hinsichtlich der Schadfaktoren und der Schadsymptome zu betrachten? Werden Sie eine öffentliche Debatte bzw. eine Debatte im Parlament darüber herbeiführen, wie diese umfassende Problematik der Waldschadenserhebung, die durch die Schadstoffanreicherung ihren Niederschlag jetzt vor allem im Waldboden findet, mit einem komplexeren Ansatz als dem simplen Instrument der Kalkung beantwortet werden kann?
Frau Kollegin, Kritik an dem Verfahren der Waldschadenserhebung wird von Wissenschaftlern seit vielen Jahren geäußert. Die entsprechenden Bundesforschungsanstalten setzen sich mit dieser Kritik immer wieder auseinander. Wir haben auf Grund der Diskussion, die es in den vergangenen Jahren gegeben hat, eine Expertengruppe eingerichtet, die zu dem bisherigen Verfahren Stellung nehmen und Verbesserungsvorschläge machen soll. Diese Expertengruppe aus 14 Wissenschaftlern, die wir im Frühjahr dieses Jahres eingesetzt haben, soll klären, ob die optisch wahrnehmbaren Veränderungen des Kronenzustands physiologisch noch als normal zu betrachten sind; sie soll abwägen, ob und inwieweit bisherige Beurteilungskriterien verbessert und erweitert werden können, und sie soll die Auswertungsmethoden der Waldschadenserhebung kritisch überprüfen, gegebenenfalls auch hier Verbesserungen einführen.
Dies alles soll in der Art geschehen, daß eine Vergleichbarkeit der Ergebnisse mit denen früherer Berichte weiterhin gegeben ist. Wir müssen auf diese Vergleichbarkeit großen Wert legen.
Das Expertengutachten liegt seit September dieses Jahres vor. Eine erste Bewertung der Ergebnisse hat gezeigt, daß durch diese Expertengruppe das bisherige Konzept eines umfassenden Umwelt-Monitorings im Wald und das Verfahren der Waldschadenserhebung von Bund und Ländern bestätigt worden sind. Die begonnenen integralen Auswertungen, das heißt die Auswertung der Waldschadenserhebung, die Zusammenführung ihrer Ergebnisse mit denen der Bodenzustandserhebung und gleichzeitig die Zusammenführung mit den Ergebnissen anderer Reihen, etwa mit meteorologischen Daten, können dazu führen - dies sind die Empfehlungen der Expertengruppe -, den Einblick in die Schadentwicklung und die Ursachen der Schadentwicklung zu verbessern.
Wir werden die Vorschläge der Expertengruppe insgesamt gemeinsam mit den Ländern eingehend weiter prüfen, uns mit den Experten weiter beraten und mit den Ländern festlegen, in welchem Umfang dies umgesetzt werden kann. Wenn wir zu den entsprechenden Ergebnissen kommen, werden wir daraus auch Handlungsempfehlungen ableiten, wie wir über die Waldkalkung, den Anbau standortgerechter Bäume und natürlich auch über eine möglichst naturnahe Forstwirtschaft den Zustand der Wälder weiter verbessern können. Ich erhoffe mir, daß wir auf Grund der Einbeziehung möglichst vieler Daten und Fakten zu einer noch besseren und noch genaueren Beurteilung der einzelnen Faktoren, die auf die Entwicklung des Waldes Einfluß haben, kommen und damit auch noch' gezielter mit Verbesserungsmaßnahmen ansetzen können.
Vielen Dank, Herr Minister. Zu dem Thema Waldzustandsbericht liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.
Es gibt jetzt Fragen zum Abschlußbericht über die Hochwasserkatastrophe an der Oder. Die erste Frage stellt Frau Dr. Enkelmann, PDS.
Die Bundesregierung hat sich ja bekanntlich heute in der Kabinettssitzung auch mit den Hochwasserhilfen befaßt. Ich bezeichne das, was sich die Bundesregierung dort geleistet hat, als eindeutigen Wortbruch gegenüber dem Land Brandenburg.
Meine Fragen dazu: War zu dem Zeitpunkt, als hier im Bundestag beschlossen worden ist, 500 Millionen DM an das Land Brandenburg zu zahlen - das war im Sommer in der Sondersitzung; daran will ich nur erinnern -, schon klar, daß daraus auch die Kosten für den Einsatz der Bundeswehr, des Technischen Hilfswerks und anderer Hilfskräfte zu zahlen sein würden? War es der Landesregierung bekannt? Wie hoch sind diese Kosten? Was bleibt tatsächlich für das Land Brandenburg übrig, und wofür soll es eingesetzt werden?
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal möchte ich sagen, daß es sich bei dem Hochwasser an der Oder um ein Ereignis gehandelt hat, das für die Be-
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Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das hat dem Zusammenwachsen Deutschlands geholfen. Dieses schreckliche Ereignis hatte auf diesem Gebiet eben auch gewisse positive Auswirkungen.
Was die Finanzmittel angeht, so möchte ich zum Ausdruck bringen, daß der Bund in erheblicher Weise geholfen hat, hilft und auch weiter helfen wird. Es ist nie zugesagt worden, daß zum Beispiel 500 Millionen DM in bar zur Auszahlung gelangen werden. Das wäre ja auch sehr ungewöhnlich gewesen.
Wohl aber können wir schon jetzt sagen, daß die Hilfen des Bundes insgesamt ein Volumen von über 500 Millionen DM erreichen. Zudem ist noch nicht abzusehen, zu welchen weiteren Hilfen es kommen wird, zumal wir uns mit Brandenburg in Gesprächen befinden; eines hat schon stattgefunden, und diese Abstimmung wird fortgeführt. Insofern kann seitens der Bundesregierung festgestellt werden, daß hier auf vorzügliche Weise geholfen wurde, nicht nur vom Bund, sondern auch vom Land. Es hat erhebliche Spendenaufkommen für die deutschen, die tschechischen und die polnischen Gebiete gegeben.
Um aber konkret auf die Frage einzugehen: Bei den Einsatzkosten für Bundeswehr, BGS und THW können wir von etwa 200 Millionen DM ausgehen. Wir haben 20 Millionen DM für Soforthilfemaßnahmen und bei der KfW einen Kreditrahmen in Höhe von 200 Millionen DM zur Verfügung gestellt. Es gibt steuerliche Erleichterungen, von denen man noch nicht wissen kann, welchen Umfang in D-Mark sie haben werden. Für das Wohnungswesen sind 10 Millionen DM bereitgestellt worden, für die Bundesverkehrswege 27 Millionen DM, für arbeitsmarktpolitische Sondermaßnahmen 40 Millionen DM, für Hilfsmaßnahmen der Deutschen Bahn AG 3 Millionen DM, für die Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur 13 Millionen DM. Das waren allein die Mittel für 1997. Das zusammengerechnet ergibt schon über 500 Millionen DM.
Hinzu kommt, daß in 1998 zusätzlich 78,5 Millionen DM zur Verfügung gestellt werden. Dieser Betrag schlüsselt sich auf - -
Herr Staatssekretär, könnten Sie das ein bißchen straffen? Wir haben noch viele Fragen, die sonst nicht mehr gestellt werden können. Wir haben nämlich nicht mehr so viel Zeit.
Verehrte Frau Präsidentin, ich will das gerne straffen.
Wenn wir diese Hilfen aber gewährt haben, dann
muß ich das auf die Frage hin auch sagen dürfen. Ansonsten hätten wir weniger Geld zur Verfügung stellen müssen; dann bräuchte ich nicht so lange vorzutragen.
Dieser Betrag schlüsselt sich auf in 5 Millionen DM für Wohnungswesen, 63,5 Millionen DM für das angelaufene arbeitsmarktpolitische Sonderprogramm und 10 Millionen DM für Deichbaumaßnahmen.
Verehrte Kollegin, das ist eine ganze Menge Geld.
Die Bitte um Straffung richtet sich natürlich nicht nur an den Staatssekretär, sondern auch an die Fragesteller. Es sollen noch möglichst alle drankommen.
Die nächste Frage hat die Abgeordnete Ulrike Höfken, Bündnis 90/Die Grünen.
Ich wollte mich nach der Umsetzung der Kanzlerworte „Laßt den Flüssen ihren Lauf! " erkundigen. Wie weit ist die Umsetzung gediehen im Zusammenhang beispielsweise mit der Elbe-Erklärung oder dem geplanten bzw. nicht geplanten weiteren Ausbau der Oder?
Die zweite Frage: Wie ist der Stand und das Ergebnis der internationalen Verhandlungen mit den Niederlanden oder mit Polen und Tschechien im Zusammenhang mit der Verhinderung weiterer Hochwasserereignisse?
Was den Ausbau der Oder angeht, so glauben wir, daß die Wiederherstellung oder Reparatur durch ganz normale Ausbaumaßnahmen der Wasser- und Schiffahrtsverwaltung erfolgen kann. An der Oder wird also in dieser Hinsicht auf die schnelle nichts Ungewöhnliches oder Außergewöhnliches geschehen. Die Frage nach einem langfristigen Deichschutz wird sich sicherlich noch stellen; dies muß in den entsprechenden Kommissionen erarbeitet werden.
Die Frage bezüglich des Elbe-Ausbaus gehört, Frau Präsidentin, wohl nicht in diesen Gesamtzusammenhang.
Wir haben durch Frau Ministerin Dr. Merkel sofort, schon während der Katastrophe, mit Polen und Tschechien Kontakt aufgenommen. Dort gibt es eine gemeinsame Kommission, die schon an der Arbeit ist und erste Ergebnisse erbracht hat. Wir werden diese Ergebnisse dann natürlich auch der Öffentlichkeit bekanntgeben, sobald die einzelnen Maßnahmen konkret feststehen und einvernehmlich erörtert worden sind.
Daß die Hochwasserschutzmaßnahmen auf andere Bereiche Auswirkungen haben, versteht sich. Das Erfreuliche ist, daß wir zum Beispiel das sogenannte Hilfeleistungsabkommen mit Polen zwischenzeitlich schon in das Ratifizierungsverfahren gebracht haben, so daß es sehr bald wirksam werden wird. Die Gespräche mit Tschechien sind auf allerbestem Wege.
Die nächste Frage hat der Abgeordnete Junghanns, CDU/CSUFraktion.
Verbunden mit der Feststellung, daß es natürlich völliger Quatsch ist, von Wortbruch zu sprechen, wenn es um die Hilfen des Bundes bei der Oderkatastrophe geht, und der Feststellung, daß der Bund auf beispielhafte Art und Weise in einer sehr schwierigen Situation geholfen hat, stelle ich die Frage an den Staatssekretär, ob er mir bestätigen kann, daß der Bund sich gegenwärtig in konstruktiven Gesprächen befindet, was die Hilfen zur Reparatur der Deiche und des Verkehrsnetzes in der Oderregion angeht.
Herr Kollege, das kann ich gerne bestätigen. Es stimmt ja, sonst könnte ich es nicht bestätigen. Wir haben, wie ich eben zum Ausdruck gebracht habe, erhebliche Mittel für die Deichbaumaßnahmen im Verlauf der nächsten Jahre vorgesehen. Der Bund wird sich daran in ganz erheblichem Umfang beteiligen. Die konkrete Abstimmung läuft im Moment noch mit dem Land Brandenburg; aber das ist auf sehr gutem Wege.
Die nächste Frage hat der Abgeordnete Dr. Mathias Schubert, SPD.
Herr Staatssekretär, um auf Frau Kollegin Enkelmann zurückzukommen: Konnte die Landesregierung Brandenburg am 5. August, als wir hier diesen Beschluß gefaßt haben, wissen, daß 200 Millionen der 500 Millionen DM für die Bundeswehr, das Technische Hilfswerk und den Bundesgrenzschutz vorgesehen waren? Sodann möchte ich Sie fragen: Wie hoch schätzt die Bundesregierung den tatsächlichen Gesamtbetrag ihrer finanziellen Hilfen zur Regulierung der Hochwasserschäden nach Abzug der Kosten für Bundeswehr, THW und Bundesgrenzschutz, angesichts dessen, daß ein Teil der Gelder aus dem Bundesverkehrsministerium ohnehin - auch ohne Hochwasserkatastrophe - für den Ausbau von Bundesstraßen und Bundesbahn zur Verfügung gestellt worden wären, und angesichts dessen, daß die bereitgestellten 200 Millionen DM MW-Kredite, sollten sie voll in Anspruch genommen werden, den Bundeshaushalt bei einer Zinssubvention von 2 Prozent mit lediglich 4 Millionen DM belasten?
Ich würde an Stelle des Bundeslandes Brandenburg nicht so sehr auf 500 Millionen DM bestehen - sonst müßten wir möglicherweise einen Betrag, den wir schon bewilligt haben, zurückfordern. Das Gesamtvolumen dessen, was wir zur Verfügung stellen, liegt schon jetzt bei über 500 Millionen DM. 1998 werden, wie ich gesagt habe, weitere erhebliche Beträge zur Verfügung gestellt, auch im Folgejahr 1999 und darüber hinaus; das ergibt sich allein dadurch, daß sich die Deichbaumaßnahmen über mehrere Jahre hinziehen werden. Nun kann man natürlich sagen: Das, was für Bundeswehr, Grenzschutz und THW aufgebracht wurde, zählen wir nicht mit. Ich kann nicht darüber entscheiden, was Brandenburg mitzählt oder nicht mitzählt. Das sind Aufwendungen, die der Bund in diesem Zusammenhang erbracht hat. Es ist zu keinem Zeitpunkt seitens des Bundes erklärt worden, daß nun ein Betrag von 500 Millionen DM an Brandenburg überwiesen wird und Brandenburg entscheiden kann, was es mit dem Geldbetrag macht.
Genauso ist es bei der Bewertung der Aufwendungen aus dem Verkehrshaushalt. Das sind Ausgaben gewesen, die durch das Oderhochwasser notwendig wurden. Dieses Geld ist speziell für diesen Teilbereich ausgegeben worden bzw. wird im Moment ausgegeben. Denn ich kann erfreulicherweise feststellen und mitteilen, daß wir die Bundesfernstraßen, die in diesem Zusammenhang repariert werden müssen, in 1997 und 1998 fertigstellen werden. Das war nicht einfach so im Haushalt des Bundesverkehrsministeriums vorgesehen, sondern ist durch das Hochwasser verursacht worden. Der Bund stellt also 500 Millionen DM und mehr zur Verfügung. Die Verhandlungen mit Brandenburg dauern noch an und sind auf gutem Wege. Ich meine, das Ergebnis können wir in aller Ruhe abwarten.
Die nächste Frage stellt die Abgeordnete Böttcher von der PDS.
Herr Staatssekretär, es ist ja gut und auch richtig, daß die Mittel so zur Verfügung gestellt werden. Nur, ob sie beispielhaft und unbürokratisch - um auf Herrn Junghanns einzugehen - ausgereicht werden, das wage ich zu bezweifeln. Deshalb möchte ich zwei konkrete Fragen nachschieben. Warum werden - erstens - diese Mittel, besonders die den Bereich der Agrarstruktur betreffenden Mittel, die KfW-Kredite und - das erscheint mir besonders wichtig - die ABM-Mittel, die ja versprochen wurden, nicht abgerufen? Liegt das - zweitens - eventuell daran - bitte geben Sie mir darauf eine Antwort -, daß die Auflagen und die Bedingungen, die daran geknüpft sind, derart unüberwindbar sind, daß die Mittel bisher noch nicht abgerufen wurden?
In welchem Umfang Mittel abgerufen sein werden, können wir feststellen, wenn ein hinreichender Zeitraum abgelaufen ist. Ich kann mir nicht vorstellen, daß die Mittel zum Beispiel für ABM nicht abfließen werden. Wie ich höre, gibt es dort enorme Bestrebungen, dieses Geld in Anspruch zu nehmen, weil es ja auch erhebliche Aufräumarbeiten gibt, die dort jetzt zu bewältigen sind. Für diesen Fall haben wir die ABM-Mittel zur Verfügung gestellt.
Parl. Staatssekretär Manfred Carstens
Was die MW-Mittel angeht, muß man abwarten, wie die Anträge eingehen. Ich habe jetzt die konkreten Zahlen hier nicht vorliegen. Wenn Sie mich anschreiben oder anrufen, will ich Ihnen die Zahlen gerne durchgeben, damit Sie auf dem neuesten Stand sind.
Wir haben zu diesem Themenkreis noch eine Wortmeldung, und zwar von Dr. Emil Schnell von der SPD.
Herr Staatssekretär Carstens, wie hoch sind die im Haushaltsplan 1998 für die Hochwasserkatastrophe insgesamt etatisierten Mittel, bzw. denken Sie daran, daß außerplanmäßige Mittel verausgabt werden müssen, wenn die entsprechenden Vereinbarungen und Absprachen getroffen wurden?
Kollege Dr. Schnell, wir werden die Mittel, die aus dem Verkehrshaushalt abfließen, sicherlich noch in einem Teilbereich zum Haushaltsjahr 1998 hinzurechnen müssen. Ein anderer Teil ist bereits 1997 ausgegeben worden.
Wir haben dann davon auszugehen, daß die arbeitsmarktpolitischen Sondermaßnahmen nach 1997 und 1998 hineinreichen, möglicherweise auch die Ausgaben der Deutschen Bahn AG, auf jeden Fall aber die von mir soeben schon genannten 78,5 Millionen DM, die sich, wie gesagt, wie folgt zusammensetzen: 5 Millionen DM für das Wohnungswesen, 63,5 Millionen DM für das angelaufene arbeitsmarktpolitische Sonderprogramm und 10 Millionen DM für Deichbaumaßnahmen. Ob auf Grund der jetzt laufenden Verhandlungen noch mehr hinzukommt, muß ich offenlassen. Aber die Mittel, die jetzt dort vereinbart werden, müssen schon im Haushalt stehen; sonst könnten wir das ja nicht vereinbaren.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kommen damit zu dem dritten von der Bundesregierung angebotenen Thema, zum Gesetz zur sozialrechtlichen Absicherung flexibler Arbeitszeitregelungen. Dazu habe ich drei Wortmeldungen. Wir haben aber nur noch sehr wenig Zeit. Deshalb bitte ich die Kollegen, sich kurz zu fassen. Ich gebe das Wort als erstem dem Abgeordneten Volker Kauder, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Minister Blüm, ich habe eine Frage zu dem vorgelegten Gesetzentwurf. Es heißt dort, daß die Möglichkeiten der Altersteilzeit verbessert werden sollen. Sie wollen vor allem für den nicht tariflich geregelten Bereich die Zeiten verlängern, indem die Arbeitszeit auf einen Block konzentriert werden kann. Was versprechen Sie sich davon, und was erwarten Sie?
Herr Abgeordneter Kauder, das ist erstens ein erweitertes Angebot hinsichtlich der Altersteilzeit. Die Altersteilzeit insgesamt - das will ich festhalten - ist ein Modell für die Zusammenarbeit zwischen Gesetzgeber und Tarifpartnern. Dieses Gesetz haben wir in vielen Gesprächen vorbereitet. Es bietet allen Seiten erweiterte Möglichkeiten. Der Tarifvorbehalt setzt bei drei Jahren ein. Unterhalb von drei Jahren können betriebliche und einzelvertragliche Abmachungen getroffen werden. Bisher lag diese Grenze bei einem Jahr. Jetzt ist es also zwei Jahre länger.
Zweitens. Der Gesamtverteilungszeitraum beträgt nicht mehr fünf Jahre, sondern zehn Jahre.
Drittens. Das Gesetz läuft nicht im Jahre 2001, sondern 2004 aus.
Viertens. Bei der Wiederbesetzung zählt bei Betrieben bis zu 20 Arbeitnehmern auch die Einstellung von Lehrlingen als zuschußfähig.
Das ist, wie ich glaube, ein wichtiger Fortschritt, so daß wir die Erwartung an alle Beteiligten, an Betriebe und Tarifpartner, aussprechen, von diesen neuen Möglichkeiten Gebrauch zu machen.
Vielen Dank, Herr Minister.
Die nächste Wortmeldung kommt vom Abgeordneten Schemken, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Minister, vor dem Hintergrund, daß wir Flexibilisierung in vielen Bereichen des Arbeitsmarktes benötigen und auf diesem Wege sicherlich voranschreiten, frage ich: Inwieweit trägt das vorgesehene Gesetz hinsichtlich der Altersteilzeit dem Rechnung, daß wir auch in anderen Bereichen die Lebensarbeitszeit flexibel behandeln können und damit insbesondere Ihrem Ansinnen nach flexibleren Arbeitszeiten Rechnung tragen?
Herr Abgeordneter Schemken, das Gesetz regelt die Arbeitsteilzeit, beinhaltet allerdings Bausteine, die über die Altersteilzeit hinausgehen. Wenn beispielsweise ein Arbeitnehmer für längere Zeit freigestellt worden ist, dann bleibt der Sozialversicherungsschutz erhalten. Das ist, wie ich glaube, ein wichtiger Beitrag, auch das Sabbatjahr attraktiver zu machen.
Also, Herr Abgeordneter, das Gesetz geht in seiner Bedeutung über den engen Kreis der Altersteilzeit hinaus und ist ein wichtiger Beitrag, in Sachen Flexibilisierung weiterzukommen.
Vielen Dank, Herr Minister.
Damit sind wir am Ende der Regierungsbefragung. Die Zeit ist abgelaufen. Wir haben zwar noch etliche Wortmeldungen, können sie aber nicht mehr berücksichtigen. Es ist schon um zehn Minuten verlängert worden. Alle warten auf die Abstimmung.
- Ihr hattet ja lang genug Zeit, euch zu melden. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Abstimmung gemäß § 88 Abs. 2 Satz 2 GO-BT über den Entschließungsantrag des Abgeordneten Cern Özdemir und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur dritten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 1998
- Drucksache 13/9299 -
Es liegen ein Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen und ein Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vor.
Die Abstimmung über diesen Entschließungsantrag war in der Sitzung vom 28. November 1997 gemäß § 88 Abs. 2 Satz 2 der Geschäftsordnung auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. auf den heutigen Tag verschoben worden.
Zu dieser Abstimmung liegen uns Wortmeldungen zu einer Erklärungsrunde vor. Ich erteile jetzt das Wort dem Abgeordneten Erwin Marschewski, CDU/ CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Der Europarat befaßt sich seit 30 Jahren mit dem Staatsangehörigkeitsrecht.
Herr Abgeordneter Marschewski, einen Moment. - Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf Sie herzlich bitten, Platz zu nehmen und zuzuhören. Wir haben jetzt noch eine Runde. Es ist für den Redner sehr schwer, wenn ein solcher Lärmpegel im Raum herrscht. - Bitte schön, Herr Abgeordneter.
Vielen Dank, Frau Präsidentin.
Er hat dann am 5. November dieses Jahres relativ plötzlich ein Europäisches Übereinkommen zur Zeichnung vorgelegt. Dieses Abkommen enthält eine Vielzahl kompliziertester Bestimmungen und Anregungen. Manches ist gut in diesem Abkommen. So werden zum Beispiel europäische Standards gesetzt, und es wird eine Harmonisierung angestrebt. Das kann man begrüßen. Gut ist natürlich auch der Bereich der Vermeidung von Staatenlosigkeit oder die Einrichtung gewisser Willkürverbote.
Aber dies überlagert zum Teil das deutsche Recht oder ersetzt das deutsche Recht. Es gibt auch Widersprüche zum deutschen Recht, so bei den Erwerbsvoraussetzungen, bei der Mehrstaatigkeit oder beim Verhältnis zu anderen Übereinkommen. Es handelt sich bei diesem europäischen Übereinkommen wirklich um hochkomplizierte Fragen zum Staatsbürgerrecht. Man kann einfach nicht, wie die Grünen das wollen, zu diesem Übereinkommen ad hoc ja oder nein sagen.
Aber nicht nur deswegen, meine Kolleginnen und Kollegen der Grünen, können wir Ihrem Antrag leider nicht zustimmen. Ihr Antrag ist fehlerhaft. Sie sagen an einer Stelle, das Übereinkommen von 1963, das ausdrücklich die Vermeidung von Mehrstaatigkeit regelt, würde ersetzt. Das ist falsch. Ich habe das neue Übereinkommen gerade vor mir liegen. Dort steht ausdrücklich in Art. 26, daß dieses Europäische Übereinkommen keinen Einfluß hat „auf das Abkommen von 1963 über die Verringerung von Mehrstaatigkeit". Ihr Antrag ist falsch.
Ihr Antrag beinhaltet einen weiteren Fehler. Sie sagen, daß die meisten Länder diesem Übereinkommen beigetreten seien. Das ist falsch. Wir haben 40 Länder im Bereich des Europarates, und erst 15 Länder sind beigetreten. Frankreich ist nicht beigetreten, England nicht, Spanien nicht, die Tschechische Republik nicht, die Türkei nicht. Schon deswegen sind wir gehalten, zu Ihrem Antrag nein zu sagen.
Noch etwas: Es hat doch nur Sinn, dieses Abkommen zu unterzeichnen, wenn vorher das deutsche Staatsbürgerrecht reformiert wird,
wenn wir das Ermessen an die Stelle von Ansprüchen setzen, wenn wir die Verlustgründe erweitern. Es kann doch nicht sein, meine Kolleginnen und Kollegen von der SPD, daß jemand auf seine Staatsbürgerschaft verzichtet, dann eine ausländische Staatsbürgerschaft annimmt und dann wieder seine Staatsbürgerschaft anstrebt. Das kann es doch nicht geben. Diese Fragen müssen wir regeln.
Eines ist dabei völlig klar: Eine generelle doppelte Staatsbürgerschaft für alle Bürger, wie sie in diesem Hause zum Teil angestrebt wird, kann es für uns nicht geben,
weil wir darin die Gefahr sehen, daß sich jemand der Integration verweigert, weil ihm die deutsche Staatsbürgerschaft ohnehin verliehen worden ist.
Deswegen fordern wir die Bundesregierung auf, dieses komplizierte Abkommen zu überprüfen. Wir wollen einen Bericht an den Innenausschuß haben, und wir wollen eine Reform des Staatsbürgerrechts, das Bestand hat, und zwar so wie das alte Staatsbürgerrecht. Dieses alte Staatsbürgerrecht hat mitgehol-
Erwin Marschewski
fen, die deutsche Teilung zu überwinden, weil wir es
nicht schnell und nicht voreilig reformiert haben.
Wir wollen ein Staatsbürgerrecht, das die Integration in diesem Lande fördert. Denn es darf doch keinen Menschen geben, dem wir zwar formell die deutsche Staatsangehörigkeit verliehen haben, der aber weiterhin Fremder in Deutschland ist. Deswegen bitte ich Sie, dem Antrag der Koalitionsfraktionen zuzustimmen.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Frau Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast, SPD-Fraktion. - Ich bitte Sie noch einmal, ein bißchen leiser zu ein, damit es für den Redner einfacher wird.
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Ich finde es schon reichlich dreist vom Kollegen Marschewski, zu sagen, man könne diesem Europäischen Übereinkommen deswegen nicht zustimmen, weil man auf nationalstaatlicher Ebene das Staatsangehörigkeitsrecht noch nicht reformiert hätte.
Das nach drei Jahren und mehr Blockade zu sagen, finde ich ausgesprochen dreist.
Denn es hätte in dieser adventlichen Sitzungswoche in dieser Frage alles ganz schön anders laufen können. Nach drei Jahren Hader über die Reform sowie nach einem Marathon der Ankündigungen und der geplatzten Luftblasen hätten ein paar junge Milde aus der Union und das Fähnlein der angeblich sieben Aufrechten in den Reihen der F.D.P.-Fraktion endlich mit einem vernünftigen Gruppenantrag zur Erleichterung der Einbürgerung diesem auslaufenden Jahr 1997 noch einen versöhnlichen Schwenk geben können, nach dem Motto: Nach dieser andauernden Phase des Starrsinns und des Stillstands bewegen wir uns doch noch ein bißchen. Das wäre eine richtige Verhaltensweise gewesen.
Aber, liebe Kollegen und Kolleginnen, nichts davon: Es bleibt bei dem Reformstau. Die vermeintlich Aufmüpfigen in den Reihen der CDU und der F.D.P. gehen wieder einmal mit großem Getöse wirkungsvoll in die Knie.
Wir hatten - liebe Kollegen und Kolleginnen, das muß man aus der heutigen Sitzung des Innenausschusses berichten; die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf, zu hören, was da wieder geschehen ist - nicht weniger als zehn Vorlagen, alle zum Thema Staatsangehörigkeit, auf der Tagesordnung der heutigen
Sitzung, davon einige zwei oder sogar schon fast drei Jahre alt, immer noch nicht beraten. Sie sind heute von der Koalition im Innenausschuß wieder samt und sonders vertagt worden, vom Tisch gefegt, aufs neue Jahr verschoben.
Ich finde es skandalös, was hier geschieht.
Denn das hat mit parlamentarischer Sorgfalt und Beratungsbedarf nichts, aber auch gar nichts mehr zu tun. Das ist Obstruktion. Es ist Mutlosigkeit. Es ist für uns ein Dauerspektakel des Scheiterns.
Sie sind untätig und unfähig, und, was fast noch schlimmer ist, Sie mißachten das Recht der Opposition darauf, daß in angemessener Frist über ihre Anträge und Gesetzentwürfe beraten und auch abgestimmt wird.
Sie haben nun heute eine kleine Chance, eine Brücke zu betreten, nämlich indem Sie dem Übereinkommen des Europarates zur Staatsangehörigkeit beitreten, das im Entwurf schon fast ein Jahr lang vorliegt, Herr Kollege Marschewski, ein interessantes Dokument zumal, mit dem wir Sozialdemokraten schon vor Monaten im Innenausschuß tätig waren. Daß es im Januar auf Antrag der Grünen nochmals beraten wird, begrüßen wir ausdrücklich. Es dient dem Ziel, Fragen der Staatsbürgerschaft umfassend auf europäischer Ebene zu harmonisieren. Es geht in der Tat noch nicht einmal so weit, daß das alte Obereinkommen aus dem Jahr 1963 über die Verringerung der Mehrstaatigkeit außer Kraft gesetzt werden müßte. Nein, es will vielmehr die bestehenden Regelungen ergänzen. Es gibt den europäischen Staaten mehr Handlungsspielraum auch im Umgang mit der doppelten Staatsangehörigkeit. Die Bundesrepublik kann getrost diesem Übereinkommen so rasch wie möglich beitreten und damit wenigstens ein Signal ihrer Bereitschaft setzen, sich in Fragen der Einbürgerung souveräner und großzügiger zu zeigen, als das bisher der Fall ist.
Wir werden deshalb dem Antrag der Grünen zustimmen, und wir werden den Änderungsantrag der Koalition wegen Unverbindlichkeit ablehnen. Denn er ist nur ein weiterer Beleg ihrer Hinhaltetaktik, und er ist eine Flucht in die Formalie. Denn, liebe Kollegen und Kolleginnen, so hasenfüßig kann doch dieser Bundestag gar nicht sein, daß er lediglich die Bundesregierung auffordert, „demnächst", also irgendwann, „dem Innenausschuß ... zu berichten, wie sie mit diesem Übereinkommen weiter verfahren wird " .
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast
In der Sache ist über das Übereinkommen alles bekannt. Die Bundesregierung mit ihrem angeblich so europafreudigen, einheitsfreudigen Kanzler braucht nichts weiter zu tun, als den Partnern in Europa ein Zeichen der Zustimmung zu geben, und das schnell.
Damit - das will ich zum Schluß sagen - sind Sie leider nicht aus der Verantwortung für Ihr erbärmliches Versagen bei der gesamten Staatsangehörigkeitsreform entlassen.
Wir schlagen Ihnen noch einmal vor, daß Sie wenigstens den Gesetzentwurf des Bundesrates mittragen, einen Gesetzentwurf, der lediglich vorschlägt, den Kindern der dritten Ausländergeneration automatisch mit der Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit zuzuerkennen und den Kindern der zweiten Generation einen Anspruch auf Einbürgerung zuzusichern. Beide Modalitäten verlangen nicht den Verzicht auf eine weitere Staatsangehörigkeit. Das, liebe Kollegen und Kolleginnen, ist eine Lösung, auf die wir uns verständigen können. Sie umfaßt nicht die volle Reform, aber sie ist ein wichtiger Schritt.
Gehen Sie bitte nicht mit der Last eines gebrochenen Versprechens ins neue Jahr!
Versprochen haben Sie für diese Legislaturperiode eine umfassende Reform des Staatsangehörigkeitsrechts.
Frau Abgeordnete, kommen Sie bitte zum Schluß!
Ich fordere Sie noch einmal auf, diese Bürde abzulegen und einen ersten Schritt zu tun: Stimmen Sie heute dem Antrag der Grünen zu, und setzen Sie durch, daß der Gesetzentwurf des Bundesrates eine brauchbare Grundlage für unser weiteres Vorgehen wird!
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Cem Özdemir, Bündnis 90/Die Grünen.
Ich bitte Sie noch einmal, liebe Kolleginnen und Kollegen, Platz zu nehmen und etwas leiser zu sein.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe mir
beim Zuhören überlegt, was Schulklassen und Historiker eines Tages denken werden, wenn sie sich die Sitzungsprotokolle der letzten drei Jahre durchschauen und darin die Debatten über das Staatsangehörigkeitsrecht verfolgen. Sie werden das Gefühl haben, daß sie bei der Münchener Lach- und Schießgesellschaft oder beim rheinischen Karneval sind, und nicht glauben, daß sie beim höchsten Verfassungsorgan der Bundesrepublik Deutschland sind.
Seit drei Jahren erzählt uns die Bundesregierung immer das gleiche. Herr Marschewski war dafür wieder ein beredtes Beispiel. Sie sagt uns: Wir brauchen noch ein bißchen Zeit; gebt uns noch ein klein wenig Zeit. Als ob wir diejenigen wären, die sie daran hindern, eine Vorlage zu erstellen. Sie erklärt uns, sie müßte erst alles lesen. Übrigens - das nur am Rande, das interessiert vielleicht auch die Kolleginnen und Kollegen -: Das erste Argument der Koalition für ihre Schwierigkeiten, über den Antrag des Europarates hier abzustimmen, lautete - man höre und staune -: Da er auf englisch vorliegt, habe man Schwierigkeiten fremdsprachlicher Art. Ich dachte, daß wir die Zeiten eines Heinrich Lübke im Deutschen Bundestag hinter uns hätten. Offensichtlich gilt das nicht für diese Bundesregierung. Sie hat immer noch große Sprachschwierigkeiten.
Wir, die wir konstruktive Oppositionsarbeit leisten wollen, haben Ihnen angeboten, dabei zu helfen. Wir haben Sie an Österreich verwiesen; die Österreicher, die ja eine ähnliche Sprache wie wir sprechen, haben den Entwurf gelesen und sind damit klargekommen.
Jetzt bringen Sie ein neues Argument. Herr Marschewski sagt: Es ist zu kompliziert. Wir haben intellektuelle Schwierigkeiten; es ist zu kompliziert formuliert; es stünden zu viele Fremdworte dort drin. Ich verstehe das als jemand, der nicht deutscher Herkunft ist. Deutsch ist wirklich nicht sehr einfach. Nur, Herr Marschewski, etwas glaubwürdiger könnten Sie schon argumentieren, sonst zeigen Sie, daß sie das Verfassungsorgan nicht ernst nehmen. Ich finde, es gehört sich nicht und ist einfach unanständig, so mit Abgeordneten des Deutschen Bundestages umzugehen.
Ich will kurz zusammenfassen, worum es eigentlich geht, damit wir hier nicht um den heißen Brei herumreden. Im Grunde genommen stehen sich zwei Positionen in unserer Gesellschaft und auch in diesem Hause gegenüber.
Position eins sagt: Kinder, die hier geboren sind, egal, welcher Herkunft, sind Bürger und Bürgerinnen erster Klasse. Wenn sie in unserer Gesellschaft
Cem Özdemir
auf die Welt kommen, gehören sie zu unserer Gesellschaft und bekommen den Paß dieses Landes.
Position zwei muß man schon fast unter Artenschutz stellen, weil sie in diesem Hause schon fast vom Aussterben bedroht ist, aber leider von denjenigen vertreten wird, die das Sagen haben. Sie lautet: Ausländer bleibt Ausländer. Wer von ausländischen Eltern abstammt, bleibt dieses bis zum Lebensabend, über alle Generationen hinweg. Mit dieser Position schaden Sie dieser Gesellschaft; mit dieser Position erweisen Sie sich nicht als Europäer. Das ist keine europäische Position.
In dem von uns vorgelegten Entschließungsantrag, der sich auf das Europaratsübereinkommen stützt, wird ja nun wahrlich nichts Revolutionäres gefordert. Es wird nicht das Ende des christlichen Abendlandes gefordert, sondern etwas, was in den meisten europäischen Ländern selbstverständlich ist.
Ich möchte auf ein Argument eingehen, das Kollege Marschewski hier brachte. Er verwies darauf, daß dieses Abkommen von bestimmten europäischen Staaten noch nicht unterschrieben worden sei. Bemerkenswert ist, daß er die Türkei genannt hat. Ich finde das sehr bemerkenswert, Herr Marschewski. Man sollte sich dann ja auch überlegen, welche sonstigen ausländerrechtlichen Bestimmungen in der Türkei gelten. Ich würde mich nicht wundern - das muß ich Ihnen ganz offen sagen -, wenn diese Bundesregierung demnächst das türkische Ausländerrecht auch hier einführen will, weil es so revolutionär ist.
Aber ich möchte auf das zurückkommen, was in den europäischen Ländern Standard ist. Die französische Nationalversammlung hat über alle Fraktions-
und Parteigrenzen hinweg - daß wir das hier nicht schaffen, ist ja wirklich ein Armutszeugnis -
die Rückkehr zum Bodenrecht beschlossen. Sie hat beschlossen, daß Kinder, die von ausländischen Eltern abstammen und in Frankreich geboren werden - egal, wo die Eltern herkommen -, mit dem 18. Lebensjahr einen französischen Paß bekommen. Außerdem hat die französische Nationalversammlung beschlossen, daß Ehepartner von Franzosen bereits nach einem Jahr den französischen Paß bekommen sollen. Ich denke, was unsere französischen Freundinnen und Freunde geschafft haben, würde auch uns ganz gut zu Gesicht stehen.
Ich appelliere an Sie: Geben Sie Ihre Blockade auf! Legen Sie Ihre ideologischen Scheuklappen ab! Kommen Sie mit uns zusammen ins 20. Jahrhundert! Verlassen Sie die Nestwärme der 50er Jahre! Lassen
Sie uns zusammen eine vernünftige Sache machen, die im Interesse der Mehrheit dieses Hauses liegt!
Ein letztes Wort, liebe Kolleginnen und Kollegen, zur Legendenbildung, weil - das ist wichtig - heute auch Geschichte geschrieben wird. Wer ist Schuld daran, daß wir keine Reform des Staatsangehörigkeitsrechtes zustande gebracht haben? In diesem Punkt bin ich mit einigen in der Presse uneinig. Viele sagen, die „jungen Wilden" seien schuld. Dazu sage ich Ihnen: Die „jungen Wilden" haben in einem Punkt einen sehr großen Fehler gemacht. Sie haben übersehen, daß sie es bei ihrem Fraktionsvorsitzenden mit einem ausgebufften Fuchs zu tun haben,
der versucht hat, sie über die Zeitschiene ins Aus zu drängen. Das haben sie nicht gesehen; das ist Ihr Fehler.
Die CDU hatte aber nie im Programm stehen, daß sie für die doppelte Staatsbürgerschaft sei. Rechts neben ihr sitzt aber eine Fraktion, die im Programm stehen hat, daß sie für ein neues Staatsangehörigkeitsrecht ist und daß sie für die doppelte Staatsbürgerschaft ist.
Herr Abgeordneter, kommen Sie bitte zum Schluß.
Sie hat nichts dafür getan; das sollten wir bei jeder Gelegenheit sagen.
Diese F.D.P. ist alles, aber sie ist keine Bürgerrechtspartei. Diese F.D.P. ist alles, aber sie steht nicht für Ausländer in diesem Land. Das muß man bei jeder Gelegenheit sagen, damit Sie von der F.D.P. bei der nächsten Wahl nicht wieder bei türkischen Wählerinnen und Wählern hausieren gehen und denen sagen: Geben Sie uns Ihre Stimme, weil wir uns für ein neues Staatsangehörigkeitsrecht einsetzen.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Cornelia Schmalz-Jacobsen, F.D.P.-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Das, was wir eben gehört haben, hat der Redner - glaube ich - wider besseres Wissen gesagt.
Cornelia Schmalz-Jacobsen
Auch ich möchte etwas zur Legendenbildung sagen. Wenn es tatsächlich so wäre, daß in diesem Land jemand bis zu seinem Lebensende seine ausländische Staatsbürgerschaft behalten müßte, dann gäbe es nicht die stets steigende Zahl der Einbürgerungen, die mir wohlgemerkt zu klein ist. Es ist aber leichter, Deutscher zu werden, als häufig gedacht wird.
Zu Ihrem Antrag, mit dem Sie am vergangenen Freitag das Haus überrascht haben. Die Überraschung ist Ihnen gelungen. Heute wissen sicherlich mehr Leute als am vergangenen Freitag Bescheid.
Der Europarat hat am 6. November dieses Jahres sein neues Übereinkommen zur Staatsangehörigkeit zur Zeichnung ausgelegt. Bisher haben fünfzehn von insgesamt vierzig Staaten unterzeichnet. Ich sage Ihnen einmal, welche Staaten unterzeichnet haben; das ist vielleicht ganz interessant. Es waren: Osterreich, Dänemark, Finnland, Griechenland, Ungarn, Island, Italien, die Niederlande, Norwegen, Portugal, Rumänien, Rußland, die Slowakei, Schweden und die vormalige jugoslawische Republik Mazedonien. Die 25 anderen, die noch nicht unterzeichnet haben, haben offenbar noch einen innerstaatlichen Diskussionsbedarf. Es haben wohlgemerkt Länder auch deshalb nicht unterzeichnet, weil ihnen das Ganze nicht weit genug geht. Auch das muß man der Ehrlichkeit halber sagen.
Bis die Konvention ihre endgültige Fassung erhalten hat, haben die Vorarbeiten mehrere Jahre gedauert. Das Ministerkomitee des Europarats hat in seiner Sitzung am 14. Mai dieses Jahres diese European Convention on Nationality angenommen. Das, was allen zu sagen mir wichtig erscheint, ist, daß diese Konvention den einzelnen Vertragsstaaten ganz enorme Gestaltungsmöglichkeiten läßt. Das ist, denke ich, vor allen Dingen auf die Einlassung der deutschen Verhandlungsdelegation zurückzuführen. Es gibt so gut wie keine innerstaatliche Präjudizierung.
In der alten Konvention von 1963, die weiterhin gilt, waren die Formulierungen viel stringenter. Da hieß es nämlich: „Die Beibehaltung der vorherigen Staatsangehörigkeit ist zu versagen." Dennoch ist die Völkerrechtspraxis darüber hinweggegangen - auch in Deutschland. Wie sonst hätten wir die gestiegene Zahl von Bürgern mit doppelter Staatsangehörigkeit zu verzeichnen?
Es muß im Interesse jedes Mitgliedstaates sein, daß der Weg zu einem möglichst gleichen oder wenigstens ähnlichen Zugang zur Staatsbürgerschaft, die ja irgendwann eine europäische Staatsbürgerschaft ist, zügig beschritten wird.
Die neue Konvention trägt zu dieser Harmonisierung bei. Ich trete dafür ein, daß die Bundesrepublik Deutschland hier unterzeichnet, und zwar möglichst rasch. Wozu ist sonst so lange verhandelt worden? Aber es ist schon richtig, daß das Parlament mit den Einzelheiten dieser Konvention befaßt und über sie informiert wird.
Mich interessiert besonders ein Punkt: Was ist eigentlich mit dem Abkommen zur Wehrpflicht?
Diese Frage stellt sich sowohl für die, die nicht unterzeichnen, als auch für jene, die unterzeichnen?
Schluß meiner Rede: Es sollte bald unterzeichnet werden. Nur, wir müssen befaßt werden.
Das Wort hat die Abgeordnete Ulla Jelpke, PDS.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die PDS wird heute dem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen zustimmen, obwohl wir - das ist hier bekannt - in den vergangenen Jahr für eine weitaus weitgehendere Reform zum Staatsbürgerschaftsrecht eingetreten sind.
Dennoch - das habe ich überall erklärt -: Wir sind hier zu jeder Schandtat bereit,
wenn es denn zu wirklichen Verbesserungen für die Betroffenen kommt.
Dieses Abkommen wird immerhin einen Fortschritt bringen, wenn es darum geht, Staatenlose einzubürgern. Selbst der UNHCR sagt, daß die entsprechenden Zahlen gestiegen sind. Ein Vorteil wäre auch, daß die lange hier lebenden Migrantinnen und Migranten, die keinen deutschen Paß haben, schon nach zehn Jahren statt erst nach 15 Jahren eingebürgert werden könnten. Das sind, wie gesagt, kleine Verbesserungen - aber immerhin! Deswegen werden wir dem zustimmen, was die Grünen heute beantragen.
Wir werden dem Antrag auch deswegen zustimmen, weil wir der Meinung sind, daß die Union - Herr Marschewski hat dies wieder phantastisch demonstriert - wie eine Glucke auf dem Staatsbürgerschaftsrecht sitzt. Sie scheut es wie der Teufel das Weihwasser, bei der doppelten Staatsbürgerschaft endlich Schritte zu unternehmen. Denn - das ist bekannt - man muß deutsches Blut haben, um einen deutschen Paß zu besitzen.
In der letzten Debatte zu diesem Thema vor wenigen Wochen hat Herr Belle sehr deutlich das ideologische Gedankengut der CDU/CSU aufgezeigt. Er hat hier verkündet, Kinder türkischer Herkunft, die bereits in zweiter oder dritter Generation hier leben, seien diesem Land „naturgemäß" - ich wiederhole: naturgemäß! - weniger zugewandt als Spätaussiedler, die seit Jahrhunderten in Rußland oder Kasachstan leben. Es tut mit leid, Herr Belle: Genau das ist die Ausländerfeindlichkeit, ist der Rassismus, die in diesem Hohen Hause transportiert werden.
Ulla Jelpke
Für mich ist das skandalös; denn gleichzeitig unternehmen Sie ja nichts - auch Herr Marschewski spricht dann nicht von einer „Gefährdung der inneren Sicherheit" -, wenn es um die doppelte Staatsbürgerschaft der Spätaussiedler aus Kasachstan oder Usbekistan geht.
Meine Damen und Herren, wir wissen alle - auch wenn dies heute wieder großtönend angekündigt wurde -: Es wird in dieser Legislaturperiode zu keiner Reform mehr kommen. Das hat Herr Kanther, haben aber auch andere aus der Union mehrfach angekündigt. Es ist ein Trauerspiel, wie Deutschland mit diesem Abkommen zur Staatsbürgerschaft, das bis auf Österreich alle EU-Länder unterzeichnet haben
und das zumindest die Einwanderung erleichtern würde, umgeht.
Meine Fraktion wird auch deshalb heute zustimmen, weil dieser Antrag belegt, daß Deutschland ein Einwanderungsland ist: 8,8 Prozent unserer Mitbürger und Mitbürgerinnen haben einen ausländischen Paß. Sie haben - das sage ich hier nicht zum erstenmal - ihren Lebensmittelpunkt hier in der Bundesrepublik Deutschland und sollen deswegen auch die gleichen Rechte bekommen wie die Deutschen.
Das heißt zum Beispiel: Wahlrecht. Das heißt zum Beispiel: keine Einschränkung ihrer politischen Tätigkeit. Das heißt zum Beispiel auch: freie Berufswahl. Sie dürfen nicht Arbeiter und Arbeiterinnen oder Angestellte zweiter Klasse sein, die zunächst einmal den Deutschen Vortritt lassen müssen bzw. erst nach den Bürgern der Europäischen Union drankommen.
Wir haben heute morgen im Innenausschuß eine lange Diskussion über das europäische Jahr gegen den Rassismus geführt. Ich meine, genau das wäre der richtige Schritt, wenn auch ein winziger, der kaum etwas kostet, um Rassismus und Ausländerfeindlichkeit und Diskriminierung zu bekämpfen
und den Menschen, die nicht mit deutschem Paß in der Bundesrepublik leben, endlich das Gefühl zu geben, sie sind keine Gäste, sondern sie sind hier erwünscht und haben die gleichen Rechte wie Sie und auch ich.
Zum Abschluß noch ein Wort zur F.D.P. Frau Schmalz-Jacobsen, ich meine, daß das Bild, das die F.D.P. in den letzten drei Jahren hier abgegeben hat - mein Kollege Cem Özdemir hat es bereits kritisiert -, ein Armutszeugnis für Ihre Partei ist.
Sie haben Ihre Stimme gegen eine leichtere Einbürgerung erhoben; ich sage deutlich: Sie haben dagegengestimmt. Sie hätten sich wenigstens der Stimme enthalten können, um der Reform eine Chance zu
geben. Ich hoffe - laut „taz" brauchen sich nur sieben F.D.P.-Abgeordnete bei einer solchen Abstimmung zu enthalten -, daß Sie sich endlich dazu bekennen.
Danke.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. auf der Drucksache 13/ 9389. Es wurde namentliche Abstimmung verlangt. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen besetzt? - Jetzt sind alle Urnen besetzt. Ich eröffne die Abstimmung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf Sie darauf aufmerksam machen, daß noch eine zweite namentliche Abstimmung stattfindet, Sie also in der Nähe bleiben sollten.
Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? - Das scheint nicht der Fall zu sein. Dann schließe ich die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen Abstimmung unterbreche ich die Sitzung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf Sie bitten, Platz zu nehmen. Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich gebe das von den Schriftführern und Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. auf Drucksache 13/ 9389 bekannt. Abgegebene Stimmen: 621. Mit Ja haben gestimmt: 321. Mit Nein haben gestimmt: 300. Enthaltungen: keine. Der Änderungsantrag ist damit angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 620; davon
ja: 321
nein: 299
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Peter Altmaier
Anneliese Augustin
Jürgen Augustinowitz Dietrich Austermann Heinz-Günter Bargfrede Franz Peter Basten
Dr. Wolf Bauer
Brigitte Baumeister Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank Renate Blank
Dr. Heribert Blens Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm Friedrich Bohl
Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch Klaus Brähmig
Paul Breuer
Monika Brudlewsky Georg Brunnhuber Klaus Bühler
Vizepräsidentin Michaela Geiger
Hartmut Büttner
Dankward Buwitt
Manfred Carstens Peter Harry Carstensen
Wolfgang Dehnel Hubert Deittert Gertrud Dempwolf Albert Deß
Renate Diemers Wilhelm Dietzel Werner Dörflinger Hansjörgen Doss Dr. Alfred Dregger Maria Eichhorn
Wolfgang Engelmann Rainer Eppelmann Heinz Dieter Eßmann Horst Eylmann
Anke Eymer
Ilse Falk
Jochen Feilcke Ulf Fink
Dirk Fischer Leni Fischer (Unna)
Klaus Francke Herbert Frankenhauser
Dr. Gerhard Friedrich Erich G. Fritz Hans-Joachim Fuchtel Michaela Geiger Norbert Geis
Dr. Heiner Geißler Michael Glos
Wilma Glücklich
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer Joachim Gres
Kurt-Dieter Grill Wolfgang Gröbl Hermann Gröhe Claus-Peter Grotz Manfred Grund
Horst Günther Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein
Gottfried Haschke
Gerda Hasselfeldt
Otto Hauser Hansgeorg Hauser
Klaus-Jürgen Hedrich Helmut Heiderich Manfred Heise
Detlef Helling
Dr. Renate Hellwig Ernst Hinsken Peter Hintze
Josef Hollerith Elke Holzapfel Siegfried Hornung Joachim Hörster Hubert Hüppe Peter Jacoby
Susanne Jaffke Georg Janovsky Helmut Jawurek Dr. Dionys Jobst Dr.-Ing. Rainer Jork
Michael Jung Ulrich Junghanns
Dr. Egon Jüttner Dr. Harald Kahl
Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter Dr.-Ing. Dietmar Kansy Manfred Kanther Irmgard Karwatzki Volker Kauder
Peter Keller
Eckart von Klaeden Dr. Bernd Klaußner Ulrich Klinkert
Hans-Ulrich Köhler
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen Eva-Maria Kors
Hartmut Koschyk Manfred Koslowski Thomas Kossendey Rudolf Kraus
Wolfgang Krause Andreas Krautscheid Heinz-Jürgen Kronberg Reiner Krziskewitz
Dr. Hermann Kues Werner Kuhn
Dr. Karl A. Lamers
Dr. Norbert Lammert Helmut Lamp
Armin Laschet
Herbert Lattmann Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann Vera Lengsfeld
Werner Lensing
Christian Lenzer Peter Letzgus
Editha Limbach
Walter Link Eduard Lintner
Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann
Julius Louven
Sigrun Löwisch
Heinrich Lummer
Erich Maaß Dr. Dietrich Mahlo
Erwin Marschewski Günter Marten
Dr. Martin Mayer
Wolfgang Meckelburg Rudolf Meinl
Dr. Michael Meister Friedrich Merz
Rudolf Meyer Hans Michelbach Meinolf Michels
Dr. Gerd Müller
Elmar Müller Engelbert Nelle
Bernd Neumann Johannes Nitsch
Claudia Nolte
Dr. Rolf Olderog Friedhelm Ost
Eduard Oswald
Norbert Otto Dr. Gerhard Päselt Dr. Peter Paziorek Hans-Wilhelm Pesch Ulrich Petzold
Anton Pfeifer
Angelika Pfeiffer
Dr. Gero Pfennig
Dr. Friedbert Pflüger Beatrix Philipp
Dr. Winfried Pinger Ronald Pofalla
Dr. Hermann Pohler Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff
Dr. Albert Probst Dieter Pützhofen Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer Roll Rau
Helmut Rauber
Peter Rauen
Otto Regenspurger
Christa Reichard Klaus Dieter Reichardt
Dr. Bertold Reinartz Erika Reinhardt
Hans-Peter Repnik Roland Richter
Dr. Norbert Rieder
Dr. Erich Riedl Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer
Hannelore Rönsch
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith Adolf Roth Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck Volker Rühe
Dr. Jürgen Rüttgers Roland Sauer Ortrun Schätzle
Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Heinz Schemken Karl-Heinz Scherhag Gerhard Scheu
Norbert Schindler Ulrich Schmalz
Bernd Schmidbauer Christian Schmidt Dr.-Ing. Joachim Schmidt
Andreas Schmidt Hans-Otto Schmiedeberg Hans Peter Schmitz
Michael von Schmude Birgit Schnieber-Jastram Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr von
Schorlemer
Dr. Erika Schuchardt Wolfgang Schulhoff Dr. Dieter Schulte
Gerhard Schulz (Leipzig) Frederick Schulze
Diethard Schütze (Berlin) Clemens Schwalbe Wilhelm Josef Sebastian Horst Seehofer
Marion Seib
Wilfried Seibel Heinz-Georg Seiffert Rudolf Seiters
Johannes Selle Bernd Siebert
Jürgen Sikora
Johannes Singhammer Bärbel Sothmann Margarete Späte Wolfgang Steiger Erika Steinbach
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten
Dr. Gerhard Stoltenberg Andreas Storm
Max Straubinger Matthäus Strebl Michael Stübgen Dr. Rita Süssmuth
Dr. Susanne Tiemann
Dr. Klaus Töpfer Gottfried Tröger
Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Gunnar Uldall Wolfgang Vogt
Dr. Horst Waffenschmidt
Dr. Theodor Waigel
Alois Graf von Waldburg-Zeil Dr. Jürgen Warnke
Gert Willner
Bernd Wilz
Willy Wimmer Matthias Wissmann Dr. Fritz Wittmann Dagmar Wöhrl Michael Wonneberger
Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach Cornelia Yzer
Wolfgang Zeitlmann Wolfgang Zöller
F.D.P.
Ina Albowitz
Dr. Gisela Babel Hildebrecht Braun
Günther Bredehorn Jörg van Essen
Dr. Olaf Feldmann Gisela Frick
Paul K. Friedhoff Horst Friedrich Rainer Funke
Hans-Dietrich Genscher
Dr. Wolfgang Gerhardt Joachim Günther
Dr. Karlheinz Guttmacher
Dr. Helmut Haussmann Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Dr. Burkhard Hirsch Dr. Werner Hoyer Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Detlef Kleinert Dr. Heinrich L. Kolb Jürgen Koppelin
Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Sabine LeutheusserSchnarrenberger Uwe Lühr
Jürgen W. Möllemann Günther Friedrich Nolting
Dr. Rainer Ortleb Lisa Peters
Dr. Günter Rexrodt
Vizepräsidentin Michaela Geiger
Dr. Klaus Röhl
Helmut Schäfer Cornelia Schmalz-Jacobsen Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Dr. Irmgard Schwaetzer
Dr. Hermann Otto Solms Dr. Max Stadler Carl-Ludwig Thiele
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
Dr. Wolfgang Weng
Dr. Guido Westerwelle
Nein
SPD
Brigitte Adler Gerd Andres Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett Klaus Barthel
Ingrid Becker-Inglau Wolfgang Behrendt
Hans Berger Hans-Werner Bertl
Rudolf Bindig
Arne Börnsen Anni Brandt-Elsweier
Tilo Braune
Dr. Eberhard Brecht Edelgard Bulmahn
Ursula Burchardt Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Peter Conradi
Christel Deichmann
Karl Diller
Dr. Marliese Dobberthien Peter Dreßen
Freimut Duve Ludwig Eich Peter Enders Gernot Erler Petra Ernstberger
Annette Faße Elke Ferner
Lothar Fischer Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Dagmar Freitag Anke Fuchs
Katrin Fuchs
Arne Fuhrmann Monika Ganseforth
Konrad Gilges Iris Gleicke Günter Gloser Uwe Göllner
Angelika Graf Dieter Grasedieck
Achim Großmann
Karl Hermann Haack
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Manfred Hampel
Christel Hanewinckel Alfred Hartenbach Klaus Hasenfratz Dr. Ingomar Hauchler
Dieter Heistermann Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks Monika Heubaum Uwe Hiksch
Reinhold Hiller Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann Frank Hofmann (Volkach) Ingrid Holzhüter
Erwin Horn
Eike Hovermann Lothar Ibrügger Wolfgang Ilte Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate Jäger Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens Sabine Kaspereit Susanne Kastner Ernst Kastning Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner Marianne Klappert
Siegrun Klemmer Hans-Ulrich Klose
Dr. Hans-Hinrich Knaape Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Nicolette Kressl Thomas Krüger Horst Kubatschka Eckart Kuhlwein Helga Kühn-Mengel
Konrad Kunick Dr. Uwe Küster Werner Labsch Brigitte Lange Detlev von Larcher
Waltraud Lehn Robert Leidinger Klaus Lennartz Dr. Elke Leonhard
Klaus Lohmann Christa Lörcher
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß Winfried Mante Ulrike Mascher Christoph Matschie
Ingrid Matthäus-Maier Heide Mattischeck
Markus Meckel Herbert Meißner Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer Ursula Mogg
Siegmar Mosdorf
Michael Müller Christian Müller (Zittau) Gerhard Neumann (Gotha) Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese Doris Odendahl
Günter Oesinghaus
Leyla Onur
Manfred Opel Adolf Ostertag Kurt Palis
Albrecht Papenroth Dr. Wilfried Penner Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein Dr. Eckhart Pick
Joachim Poß
Rudolf Purps
Karin Rehbock-Zureich Margot von Renesse Renate Rennebach Otto Reschke
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter Günter Rixe
Reinhold Robbe
Gerhard Rübenkönig Marlene Rupprecht Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch Dieter Schanz
Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer Siegfried Scheffler Horst Schild
Otto Schily
Dieter Schloten
Günter Schluckebier Horst Schmidbauer
Ulla Schmidt Dagmar Schmidt (Meschede) Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt Dr. Emil Schnell
Walter Schöler
Ottmar Schreiner
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert Richard Schuhmann
Brigitte Schulte Reinhard Schultz (Everswinkel)
Volkmar Schultz Ilse Schumann
Dr. R. Werner Schuster Dietmar Schütz Dr. Angelica Schwall-Düren Ernst Schwanhold
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Horst Sielaff
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Wieland Sorge
Wolfgang Spanier Dr. Dietrich Sperling Jörg-Otto Spiller Antje-Marie Steen Ludwig Stiegler
Dr. Peter Struck
Jörg Tauss
Dr. Bodo Teichmann Margitta Terborg Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim Wolfgang Thierse Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Siegfried Vergin
Ute Vogt
Karsten D. Voigt Josef Vosen
Hans Georg Wagner Hans Wallow
Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Reinhard Weis Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen Jochen Welt
Hildegard Wester Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Norbert Wieczorek Helmut Wieczorek
Heidemarie Wieczorek-Zeul Dieter Wiefelspütz
Berthold Wittich
Dr. Wolfgang Wodarg Verena Wohlleben Hanna Wolf Heidi Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel Peter Zumkley
BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN
Gila Altmann Elisabeth Altmann
Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Angelika Beer
Matthias Berninger Annelie Buntenbach Amke Dietert-Scheuer Franziska Eichstädt-Bohlig Andrea Fischer Joseph Fischer (Frankfurt) Rita Grießhaber
Gerald Häfner
Antje Hermenau Kristin Heyne
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt Dr. Manuel Kiper Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt Oswald Metzger Kerstin Müller Winfried Nachtwei Christa Nickels .
Egbert Nitsch Cern Özdemir
Gerd Poppe
Simone Probst
Halo Saibold
Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Rezzo Schlauch
Wolfgang Schmitt
Ursula Schönberger Werner Schulz Christian Sterzing Manfred Such
Dr. Antje Vollmer Ludger Volmer
Helmut Wilhelm Margareta Wolf (Frankfurt)
Vizepräsidentin Michaela Geiger
PDS
Wolfgang Bierstedt Petra Bläss
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter
Heinrich Graf von Einsiede]
Dr. Ludwig Elm
Dr. Dagmar Enkelmann
Dr. Ruth Fuchs Dr. Gregor Gysi Hanns-Peter Hartmann
Dr. Uwe-Jens Heuer Dr. Barbara Höll Ulla Jelpke
Gerhard Jüttemann
Dr. Heidi Knake-Werner
Rolf Köhne
Rolf Kutzmutz Dr. Christa Luft Heidemarie Lüth Dr. Günther Maleuda
Manfred Müller
Rosel Neuhäuser
Dr. Uwe-Jens Rössel Steffen Tippach Klaus-Jürgen Warnick
Dr. Winfried Wolf
Fraktionslos
Kurt Neumann
Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des Europarates und der WEU, der NAV oder der IPU
Abgeordnete(r)
Antretter, Robert SPD Zierer, Benno CDU/CSU
Kann ich davon ausgehen, daß sich nach Annahme des Änderungsantrages der Koalitionsfraktionen der Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erledigt hat?
Der Abgeordnete Schulz meldet sich zur Geschäftsordnung. Bitte schön.
Ich möchte den Grund, weshalb ich jetzt zur Geschäftsordnung spreche, ganz kurz erklären. Durch den Änderungsantrag der Koalition, der gerade in einer namentlichen Abstimmung angenommen wurde, ist der Entschließungsantrag in der Hinsicht verändert worden, daß der Innenausschuß beauftragt wird, „demnächst" darüber zu berichten, wie mit diesem Abkommen zur Staatsangehörigkeit verfahren wird.
Wir möchten nicht, daß diese Berichterstattung auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben wird, daß sie im Rest der Legislaturperiode verschwindet. Deswegen stellen wir hier den Änderungsantrag, daß der Innenausschuß in der nächsten Sitzungswoche darüber berichtet, damit wir hier zu einer Entscheidung kommen können.
Wenn ich das richtig verstanden habe, hat Herr Kollege Marschewski dieses Abkommen schon bestens studiert. Er hat hier genügend Argumente eingebracht.
Ich denke, die Zeit reicht aus, um zu einer abgewogenen, ausgereiften Entscheidung zu kommen. Deswegen bitte ich Sie, daß wir über diesen Änderungsantrag, der eine Terminierung vorsieht, ebenfalls namentlich abstimmen.
Wir haben den Geschäftsordnungsantrag der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen gehört.
Dann lasse ich jetzt über den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/ 9394, soweit er noch nicht durch die Annahme des Änderungsantrages der Koalitionsfraktionen erledigt ist, abstimmen.
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat, wie gesagt, namentliche Abstimmung verlangt. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Dann eröffne ich jetzt die Abstimmung.
Ich darf die Kollegen darauf hinweisen, daß wir noch eine namentliche Abstimmung haben. -
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich höre, die Geschäftsführer haben sich geeinigt, daß es nur noch eine einfache Abstimmung und keine namentliche mehr gibt.
Ich möchte darauf hinweisen, daß wir uns in der zweiten namentlichen Abstimmung befinden. Das sollte ich klarstellen, weil es angeblich nicht allen klar ist.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekanntgegeben. * )
Ich rufe Tagesordnungspunkt 3 auf: Fragestunde
- Drucksache 13/9352 -
Interfraktionell ist vereinbart worden, den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung später, als in der ursprünglichen Reihenfolge vorgesehen, aufzurufen. Dieser Geschäftsbereich wird jetzt erst nach dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie aufgerufen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft. Zur Beantwortung steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Heinrich Kolb zur Verfügung. Ich rufe Frage 1 des Abgeordneten Manfred Müller auf:
War die Bundesregierung vor dem am 3. Dezember 1997 erfolgten Beschluß des ABB-Aufsichtsrates darüber informiert, daß das ABB-Elektromotorenwerk in Saarbrücken geschlossen werden soll, und hat es von seiten der Bundesregierung Versuche gegeben, diesen Beschluß abzuwenden? Siehe hierzu Frage 49.
Bitte schön, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Danke schön, Frau Präsidentin. Herr Kollege Müller, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: nein.
*) Seite 19035 C
Sie können eine oder zwei Zusatzfragen stellen.
Ich hätte gern einen Hinweis darauf, welche der beiden Fragen Sie mit Nein beantworten.
Da ich den ersten Teil der Frage mit Nein beantwortet habe, erübrigt sich die Beantwortung des zweiten Teils. Wenn man von einem Sachverhalt keine Kenntnis hat, kann man auch keine Bemühungen unternehmen, um etwas abzuwenden.
Keine weitere Zusatzfrage? - Das ist der Fall.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramts auf. Die Abgeordnete Annelie Buntenbach hat schriftliche Beantwortung ihrer Fragen 2 und 3 beantragt. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz auf. Der Abgeordnete Freimut Duve hat beantragt, die Fragen 4 und 5 schriftlich zu beantworten. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Die Fragen 27 und 28 der Abgeordneten Leyla Onur und die Fragen 29 und 30 des Abgeordneten Dr. Egon Jüttner sollen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit. Zur Beantwortung steht uns die Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Sabine Bergmann-Pohl zur Verfügung.
Die Fragen 31 und 32 der Abgeordneten Erwin Marschewski und Roland Kohn werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen damit zur Frage 33 der Abgeordneten Antje-Marie Steen, SPD:
Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Belegungsentwicklung von Einrichtungen der Müttergenesungskuren ?
Ich bitte um die Beantwortung, Frau Staatssekretärin.
Frau Präsidentin! Frau Kollegin Steen, konkrete Daten über die Belegungsentwicklung von Einrichtungen für Müttergenesungskuren liegen der Bundesregierung nicht vor. Allerdings können aus der Entwicklung der Fallzahlen in der gesetzlichen Krankenversicherung von 1991 bis 1996 sowie aus der Ausgabenentwicklung der Krankenkassen bis Ende September 1997 Rückschlüsse über die Entwicklung im Bereich der Mütterkuren gezogen werden.
Im Zeitraum von 1991 bis 1996 sind die Ausgaben für Mütterkuren in der gesetzlichen Krankenversicherung von 155 Millionen DM auf 666 Millionen DM gestiegen; das entspricht einer Steigerung von 329 Prozent. In den alten Bundesländern gab es in diesem Zeitraum einen Anstieg von 153 Millionen DM auf 572 Millionen DM; das entspricht einem Zuwachs von 273 Prozent. In den neuen Ländern stiegen die Ausgaben von 2 Millionen DM auf 94 Millionen DM. Dieser Zuwachs ist sicherlich auch vor dem Hintergrund des Aufbaus des Kurwesens in den neuen Ländern zu sehen.
Von dem hohen Niveau des Jahres 1996 aus sind die Ausgaben in diesem Jahr weiter angestiegen. Im ersten bis dritten Quartal gab es gegenüber dem Vorjahreszeitraum einen Anstieg von 4,2 Prozent. In den alten Ländern betrug die Zuwachsrate 2,9 Prozent, in den neuen Ländern sogar 12,6 Prozent. Mit einem Ausgabenvolumen von 507 Millionen DM hatten die Ausgaben für Mütterkuren bereits im ersten bis dritten Quartal 1997 fast das Ausgabenvolumen des gesamten Jahres 1995 in einer Größenordnung von 534 Millionen DM erreicht.
Der exorbitante Anstieg der Aufwendungen für Mütterkuren spiegelt sich für den Zeitraum 1991 bis 1996 auch bei der Fallzahlenentwicklung wider. Während die Krankenkassen 1991 54 471 Mütterkuren gewährten, betrug diese Zahl im Jahre 1996 160 154; das entspricht einem Zuwachs von 194 Prozent. Fallzahlen für 1997 liegen noch nicht vor.
Eine Zusatzfrage? - Bitte schön, Frau Steen.
Frau Staatssekretärin, wenn Ihnen keine aktuellen Zahlen über die Entwicklung 1997 vorliegen, darf ich Ihnen vielleicht ein wenig aushelfen. Nach Befragung des Müttergenesungswerkes, das ich als einen sehr zuverlässigen Partner zitieren darf, hat es dramatische Einbrüche gegeben. Teilweise sind die Kureinrichtungen nur noch zu 20 Prozent belegt. Allerdings - das geht aus Ihrer Antwort hervor - ist der Bedarf anscheinend sehr groß. Ich möchte Sie fragen, auch wenn Sie noch nicht im Besitz des Wissens darüber sind.
Ein Vorwurf, der von seiten der Kurträger erhoben wird, ist, daß durch die Festlegungen in den Neuordnungsgesetzen Druck gemacht wird, daß die Kassen jetzt nicht mehr die traditionellen und über viele Jahre existierenden Heime, wie zum Beispiel die des Müttergenesungswerkes, sondern andere Einrichtungen belegen, weil es eine Kostenfrage ist. Haben Sie darüber Kenntnisse? Und kann die Bundesregierung die Frage beantworten, ob das nicht einen Vertragsbruch darstellt?
Frau Steen, der Bundesregierung liegen diese Erkenntnisse nicht vor. Sie wissen, daß die Auswahl der Einrichtungen natürlich in der Regel von den Krankenkassen getroffen wird, meistens aber im Einvernehmen mit den Antragstellern, so daß ich aus meiner Sicht nicht be-
19034 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 209. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Dezember 1997
Parl. Staatssekretärin Dr. Sabine Bergmann-Pohl
stätigen kann, daß hier auf Einrichtungen bzw. auf die Zuweisung der Versicherten Druck ausgeübt wird.
Sie haben im ersten Teil Ihrer Fragestellung gesagt, daß es dramatische Einbrüche gegeben habe. Ich kann Ihnen sagen, daß wir Zahlen haben, nach denen für die Mütterkuren in den alten Bundesländern 1996 572 310 319 DM und im ersten bis dritten Quartal dieses Jahres schon 432 841211 DM ausgegeben wurden, also doch ein erheblicher Teil. Ich kann mir deswegen nicht vorstellen, daß die Fallzahlen so drastisch zurückgegangen sind.
Haben Sie eine weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordnete? - Bitte.
Ich würde Sie, Frau Staatssekretärin, gerne fragen, ob Sie eine Differenzierung vornehmen zwischen den Vorsorgekuren für Mütter und den sogenannten Mutter-Kind-Kuren. Hier besteht ja ein erheblicher Unterschied. Insofern frage ich noch einmal nach, ob Sie hierüber detaillierte Kenntnisse besitzen.
Nein, es tut mir leid, solche Erkenntnisse liegen mir jetzt nicht vor. Ich kann dem aber gern im Ministerium nachgehen. Sie wissen, wir müßten dazu Umfragen machen; daher bitte ich Sie, etwas Geduld walten zu lassen. Ich bin gerne bereit, diese Umfragen durchzuführen.
Dann kommen wir zur Frage Nummer 34 der Abgeordneten Antje-Marie Steen:
Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus Berichten des Müttergenesungswerkes über die zurückhaltende Bewilligungspraxis der Krankenkassen bei Anträgen zu Müttergenesungskuren?
Bitte schön, Frau Staatssekretärin.
Da sich aus der Ausgabenentwicklung vom ersten bis zum dritten Quartal des Jahres 1997 keinerlei Rückschlüsse auf eine zurückhaltende Bewilligungspraxis ziehen lassen, sieht die Bundesregierung auch keinerlei Anlaß, entsprechende Konsequenzen zu ziehen.
Das Bundesministerium für Gesundheit wird die Entwicklung in diesem Bereich weiterhin genau beobachten und alle Maßnahmen unterstützen, die sicherstellen, daß notwendige Leistungen auch in diesem wichtigen Bereich in ausreichendem Maße zur Verfügung gestellt werden.
Bitte, eine Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, ich unterstelle, daß bei der Beantragung von Kuren für Mütter genau die gleichen restriktiven Dinge eintreten, wie sie bei der allgemeinen Beantragung von
Kuren auftreten, nämlich daß der gesellschaftliche Druck, wenn man eine Kur beantragt, fast einer Diskriminierung gleichkommt, auf die Mütter wirkt. Sind Ihnen Einschränkungen dieser Art bekannt? Die Situation ist ja auch dadurch gekennzeichnet, daß die Frauen, wenn sie diese Kuren beantragen, eine Einschränkung der Lohnfortzahlung um 20 Prozent in Kauf nehmen müssen. Sehen Sie dieses alles, Frau Staatssekretärin, nicht als eine negative Entwicklung, weil es sich gerade bei den Kuren für Mütter um eine gesellschaftspolitisch gewollte präventive Maßnahme handelt?
Das letztere, Frau Steen, kann ich bestätigen.
Ich habe bereits in meiner Antwort auf die vorige Frage gesagt, daß ich auf Grund der Ausgaben für diesen Bereich so einen drastischen Rückgang nicht nachvollziehen kann.
Sie wissen, daß es sich um eine Satzungsleistung handelt und daß die Kassen festlegen, in welchem Umfang Zuzahlungen für diese Mütterkuren von den Müttern selbst zu tragen sind. Insofern kann es sein, daß Krankenkassen diese Leistungen verändert haben. Das weiß ich nicht; das entzieht sich meiner Kenntnis. Auch hier kann man entsprechende Umfragen bei den Krankenkassen machen.
Nur: Ich weiß auch aus Briefen von den Krankenkassen, daß man gerade mit den Mütterkuren und den Mutter-Kind-Kuren eigentlich immer eher großzügig umgegangen ist. Ich habe keine Kenntnis, daß sich diese Bewilligungspraxis mittlerweile geändert hat.
Wenn Sie dies so sagen, dann muß ich das zur Kenntnis nehmen. Wie ich schon zugesagt habe, mache ich mich in dieser Frage gerne sachkundig.
Die zweite Zusatzfrage von Frau Steen, bitte schön.
Frau Staatssekretärin, wenn Sie diese Erkenntnisse gesammelt haben, die Sie eben verkündet haben, und diese die Konsequenzen beweisen, die ich hier prognostiziere, daß nämlich gerade diese einschränkenden Maßnahmen - auch von seiten der Krankenkassen - dazu geführt haben, daß weniger Mütter in Kur gehen, ist die Bundesregierung dann bereit, auf die Krankenkassen einzuwirken bzw. die Rahmenbedingungen für die Krankenkassen so zu verändern, daß wir wieder zur vollen Inanspruchnahme dieser Kuren kommen?
Ich unterstelle, daß die Krankenkassen sehr verantwortungsvoll damit umgehen. Insofern muß ich zunächst einmal die Umfrage abwarten, und von der Beantwortung dieser Umfrage durch die Krankenkassen wird es abhängig sein, ob man Maßnahmen einleitet. Aber - das habe ich bereits gesagt - ich sehe zur Zeit auf
Parl. Staatssekretärin Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Grund der Entwicklung der Ausgaben keine Notwendigkeit.
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Kastner, bitte schön.
Frau Staatssekretärin, können Sie mir sagen, wie viele Einrichtungen für Mütterkuren auf Grund geringerer Belegungen bereits schließen mußten, und zu wie vielen Entlassungen es in diesem Bereich gekommen ist?
Nein, das kann ich Ihnen nicht sagen.
Dann kommt jetzt der Abgeordnete Tauss, SPD-Fraktion.
Frau Staatssekretärin, Sie sprachen von Maßnahmen, die von Ihrem Hause ergriffen werden würden, sobald Sie Erkenntnisse hätten, die alle, die sich mit diesem Thema befassen, eigentlich schon heute haben. Für den Fall, daß Sie über diese Zahlen verfügen und sich insbesondere bestätigen sollte, daß im Jahre 1998 flächendekkend die Belegungen dramatisch - zum Teil bis auf Null - zurückgehen, würde ich wissen wollen, wie die Maßnahmen Ihres Hauses aussehen und welche Schlüsse Sie aus der Tatsache ziehen, daß sich nach übereinstimmenden Berichten sämtlicher Träger der entsprechenden Maßnahmen insbesondere Betriebskrankenkassen nahezu flächendeckend aus der Gewährleistung von Mutter-Kind-Kuren zurückziehen?
Herr Kollege, ich glaube nicht, daß die Mütterkuren im Jahre 1998 auf Null zurückgeführt werden. Ich habe auch nicht davon gesprochen, daß wir irgendwelche Maßnahmen ergreifen werden. Ich habe vielmehr gesagt: Ob man über Maßnahmen nachdenkt, hängt von einer Umfrage bei den Krankenkassen ab. Ich wiederhole aber - ich habe es bereits vorhin erwähnt -: Diese Mutter-Kind-Kuren hängen auch von den Satzungsleistungen der Krankenkassen ab. Das steht übrigens schon seit 1989 im Gesetz.
Da unsere Devise lautet: Vorfahrt für die Selbstverwaltung, werden wir als Bundesregierung bei der Genehmigungspraxis und auch bei der Satzungsgestaltung keinen Einfluß nehmen. Ich darf Sie darauf hinweisen, daß im Verwaltungsrat der meisten Krankenkassen auch die Arbeitnehmer vertreten sind. Dort könnte man über die Arbeitnehmervertreter, wenn sie das wünschten, entsprechenden Einfluß ausüben. Aber ich sehe zur Zeit keinen Grund dafür.
Herr Abgeordneter, Sie haben keine weitere Zusatzfrage; aber der Herr Kubatschka hat noch eine.
- Sie hat sich erledigt.
Bevor wir dann zum nächsten Geschäftsbereich übergehen, möchte ich noch einmal zum Tagesordnungspunkt 2 zurückkommen. Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur dritten Beratung des Haushaltsgesetzes 1998 mit der beschlossenen Änderung auf den Drucksachen 13/9299 und 13/9389 bekannt. Abgegebene Stimmen 621. Mit Ja haben gestimmt 300, mit Nein haben gestimmt 316, Enthaltungen 5. Der Entschließungsantrag ist in der geänderten Fassung angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 620; davon
ja: 298
nein: 317
enthalten: 5
Ja
SPD
Brigitte Adler Gerd Andres Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett Klaus Barthel
Ingrid Becker-Inglau Wolfgang Behrendt
Hans Berger Hans-Werner Bertl
Rudolf Bindig
Arne Börnsen Anni Brandt-Elsweier
Tilo Braune
Dr. Eberhard Brecht
Edelgard Bulmahn
Ursula Burchardt Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Peter Conradi
Christel Deichmann
Karl Diller
Dr. Marliese Dobberthien Peter Dreßen
Freimut Duve Ludwig Eich Peter Enders Gernot Erler Petra Ernstberger
Annette Faße Elke Ferner
Lothar Fischer Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski Dagmar Freitag Anke Fuchs Katrin Fuchs (Verl) Arne Fuhrmann Monika Ganseforth Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Angelika Graf Dieter Grasedieck
Achim Großmann Karl Hermann Haack
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann Manfred Hampel Christel Hanewinckel
Alfred Hartenbach Klaus Hasenfratz Dr. Ingomar Hauchler
Dieter Heistermann Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks
Monika Heubaum Uwe Hiksch
Reinhold Hiller Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann Frank Hofmann (Volkach) Ingrid Holzhüter
Erwin Horn
Eike Hovermann Lothar Ibrügger Wolfgang Ilte
Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate Jäger
Jann-Peter Janssen Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Sabine Kaspereit Susanne Kastner Ernst Kastning Hans-Peter Kemper Klaus Kirschner Marianne Klappert Siegrun Klemmer
Dr. Hans-Hinrich Knaape
Vizepräsidentin Michaela Geiger
Walter Kolbow Fritz Rudolf Körper Nicolette Kressl Thomas Krüger Horst Kubatschka Eckart Kuhlwein
Helga Kühn-Mengel
Konrad Kunick Dr. Uwe Küster Werner Labsch Brigitte Lange
Detlev von Larcher Waltraud Lehn Robert Leidinger Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard Klaus Lohmann Christa Lörcher
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß Winfried Mante Ulrike Mascher Christoph Matschie
Ingrid Matthäus-Maier Heide Mattischeck Markus Meckel Herbert Meißner Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer Ursula Mogg
Siegmar Mosdorf
Michael Müller Christian Müller (Zittau) Gerhard Neumann (Gotha) Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese Doris Odendahl
Günter Oesinghaus Leyla Onur
Manfred Opel Adolf Ostertag Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Winfried Penner
Dr. Martin Pfaff Georg Pfannenstein
Dr. Eckhart Pick Joachim Poß
Rudolf Purps
Karin Rehbock-Zureich Margot von Renesse
Renate Rennebach Otto Reschke Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Günter Rixe
Reinhold Robbe Gerhard Rübenkönig Marlene Rupprecht Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch Dieter Schanz
Rudolf Scharping Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer Siegfried Scheffler Horst Schild
Otto Schily
Dieter Schloten Günter Schluckebier
Horst Schmidbauer
Ulla Schmidt Dagmar Schmidt (Meschede) Wilhelm Schmidt (Salzgitter)
Regina Schmidt-Zadel Heinz Schmitt Dr. Emil Schnell
Walter Schöler
Ottmar Schreiner
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert Richard Schuhmann
Brigitte Schulte Reinhard Schultz (Everswinkel)
Volkmar Schultz Ilse Schumann
Dr. R. Werner Schuster Dietmar Schütz Dr. Angelica Schwall-Düren Ernst Schwanhold
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Horst Sielaff
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Wieland Sorge
Wolfgang Spanier Dr. Dietrich Sperling Jörg-Otto Spiller
Antje-Marie Steen Ludwig Stiegler
Dr. Peter Struck
Jörg Tauss
Dr. Bodo Teichmann Margitta Terborg
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim Wolfgang Thierse Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Siegfried Vergin
Ute Vogt Karsten D. Voigt (Frankfurt) Josef Vosen
Hans Georg Wagner Hans Wallow
Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Reinhard Weis Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen Jochen Welt
Hildegard Wester Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier Dr. Norbert Wieczorek Helmut Wieczorek
Heidemarie Wieczorek-Zeul Dieter Wiefelspütz
Berthold Wittich
Dr. Wolfgang Wodarg Verena Wohlleben Hanna Wolf Heidi Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel Peter Zumkley
BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN
Gila Altmann Elisabeth Altmann (Pommelsbrunn)
Marieluise Beck Volker Beck (Köln) Angelika Beer
Matthias Berninger Annelle Buntenbach Amke Dietert-Scheuer Franziska Eichstädt-Bohlig Andrea Fischer Joseph Fischer (Frankfurt) Rita Grießhaber
Gerald Häfner Antje Hermenau Kristin Heyne
Ulrike Höfken Michaele Hustedt Dr. Manuel Kiper
Dr. Angelika Köster-Loßack Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt Oswald Metzger Kerstin Müller Winfried Nachtwei Christa Nickels
Egbert Nitsch Cern Özdemir
Gerd Poppe
Simone Probst
Dr. Jürgen Rochlitz Halo Saibold
Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Rezzo Schlauch
Wolfgang Schmitt
Ursula Schönberger
Werner Schulz Christian Sterzing Manfred Such
Dr. Antje Vollmer Ludger Volmer Helmut Wilhelm
Margareta Wolf
PDS
Wolfgang Bierstedt Petra Bläss
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter Heinrich Graf von Einsiedel Dr. Ludwig Elm
Dr. Dagmar Enkelmann
Dr. Ruth Fuchs Dr. Gregor Gysi Hanns-Peter Hartmann
Dr. Uwe-Jens Heuer Dr. Barbara Höll Ulla Jelpke
Gerhard Jüttemann
Dr. Heidi Knake-Werner Rolf Köhne
Rolf Kutzmutz Dr. Christa Luft Heidemarie Lüth
Dr. Günther Maleuda Manfred Müller Rosel Neuhäuser
Dr. Uwe-Jens Rössel Steffen Tippach Klaus-Jürgen Warnick
Dr. Winfried Wolf
Fraktionslos
Kurt Neumann
Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam
Peter Altmaier
Anneliese Augustin Jürgen Augustinowitz Dietrich Austermann Heinz-Günter Bargfrede Franz Peter Basten
Dr. Wolf Bauer
Brigitte Baumeister Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank Renate Blank
Dr. Heribert Blens Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm Friedrich Bohl
Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch Klaus Brähmig
Paul Breuer
Monika Brudlewsky Georg Brunnhuber Klaus Bühler Hartmut Büttner
Dankward Buwitt
Manfred Carstens Peter Harry Carstensen
Wolfgang Dehnel Hubert Deittert
Gertrud Dempwolf Albert Deß
Renate Diemers Wilhelm Dietzel Werner Dörflinger Hansjürgen Doss Dr. Allred Dregger Maria Eichhorn
Wolfgang Engelmann Rainer Eppelmann Heinz Dieter Eßmann Anke Eymer
Ilse Falk
Jochen Feilcke
Ulf Fink
Dirk Fischer Leni Fischer (Unna)
Klaus Francke Herbert Frankenhauser
Dr. Gerhard Friedrich Erich G. Fritz
Hans-Joachim Fuchtel Michaela Geiger Norbert Geis
Dr. Heiner Geißler Michael Glos
Wilma Glücklich
Dr. Reinhard Göhner Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Vizepräsidentin Michaela Geiger
Joachim Gres
Kurt-Dieter Grill Wolfgang Gröbl Hermann Gröhe Claus-Peter Grotz Manfred Grund
Horst Günther Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein
Gottfried Haschke
Gerda Hasselfeldt
Otto Hauser Hansgeorg Hauser
Klaus-Jürgen Hedrich Helmut Heiderich Manfred Heise
Detlef Helling
Dr. Renate Hellwig Ernst Hinsken
Peter Hintze
Josef Hollerith
Elke Holzapfel
Siegfried Hornung Joachim Hörster Hubert Hüppe
Peter Jacoby
Susanne Jaffke
Georg Janovsky Helmut Jawurek Dr. Dionys Jobst Dr.-Ing. Rainer Jork
Michael Jung Ulrich Junghanns
Dr. Egon Jüttner Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter
Dr.-Ing. Dietmar Kansy Manfred Kanther Irmgard Karwatzki Volker Kauder
Peter Keller
Eckart von Klaeden Dr. Bernd Klaußner Ulrich Klinkert
Hans-Ulrich Köhler
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen Eva-Maria Kors
Hartmut Koschyk Manfred Koslowski Thomas Kossendey Rudolf Kraus
Wolfgang Krause Andreas Krautscheid Heinz-Jürgen Kronberg Reiner Krziskewitz
Dr. Hermann Kues Werner Kuhn
Dr. Karl A. Lamers
Dr. Norbert Lammert Helmut Lamp
Armin Laschet
Herbert Lattmann Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann Vera Lengsfeld
Werner Lensing
Christian Lenzer Peter Letzgus
Editha Limbach
Walter Link Eduard Lintner
Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann
Julius Louven Sigrun Löwisch Heinrich Lummer
Erich Maaß Dr. Dietrich Mahlo
Erwin Marschewski Günter Marten
Dr. Martin Mayer
Wolfgang Meckelburg Rudolf Meinl
Dr. Michael Meister Friedrich Merz
Rudolf Meyer
Hans Michelbach Meinolf Michels Dr. Gerd Müller
Elmar Müller Engelbert Nelle
Bernd Neumann Johannes Nitsch
Claudia Nolte Dr. Rolf Olderog Friedhelm Ost Eduard Oswald
Norbert Otto
Dr. Gerhard Päselt Dr. Peter Paziorek Hans-Wilhelm Pesch
Ulrich Petzold Anton Pfeifer Angelika Pfeiffer Dr. Gero Pfennig
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Dr. Winfried Pinger Ronald Pofalla
Dr. Hermann Pohler Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff
Dr. Albert Probst Dieter Pützhofen Thomas Rachel Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer Rolf Rau
Helmut Rauber Peter Rauen
Otto Regenspurger
Christa Reichard Klaus Dieter Reichardt
Dr. Bertold Reinartz
Erika Reinhardt Hans-Peter Repnik Roland Richter
Dr. Norbert Rieder
Dr. Erich Riedl Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Hannelore Rönsch
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Volker Rühe
Dr. Jürgen Rüttgers Roland Sauer Ortrun Schätzle
Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Heinz Schemken Karl-Heinz Scherhag
Gerhard Scheu Norbert Schindler Ulrich Schmalz Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt Dr.-Ing. Joachim Schmidt
Andreas Schmidt Hans-Otto Schmiedeberg Hans Peter Schmitz
Michael von Schmude
Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr von
Schorlemer
Dr. Erika Schuchardt Wolfgang Schulhoff
Dr. Dieter Schulte
Gerhard Schulz (Leipzig) Frederick Schulze
Diethard Schütze Clemens Schwalbe
Wilhelm Josef Sebastian Horst Seehofer
Marion Seib
Wilfried Seibel Heinz-Georg Seiffert
Rudolf Seiters Johannes Selle Bernd Siebert Jürgen Sikora
Johannes Singhammer Bärbel Sothmann Margarete Späte Wolfgang Steiger Erika Steinbach
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten
Dr. Gerhard Stoltenberg Andreas Storm
Max Straubinger Matthäus Strebl Michael Stübgen Dr. Rita Süssmuth Michael Teiser
Dr. Susanne Tiemann
Dr. Klaus Töpfer Gottfried Tröger
Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Gunnar Uldall Wolfgang Vogt
Dr. Horst Waffenschmidt
Dr. Theodor Waigel
Alois Graf von Waldburg-Zeil Dr. Jürgen Warnke Hans-Otto Wilhelm Gert Willner
Bernd Wilz
Willy Wimmer Matthias Wissmann
Dr. Fritz Wittmann Dagmar Wöhrl Michael Wonneberger
Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach
Cornelia Yzer
Wolfgang Zeitlmann Wolfgang Zöller
F.D.P.
Ina Albowitz
Dr. Gisela Babel
Hildebrecht Braun
Günther Bredehorn Jörg van Essen
Dr. Olaf Feldmann Gisela Frick
Paul K. Friedhoff Horst Friedrich
Rainer Funke
Hans-Dietrich Genscher Dr. Wolfgang Gerhardt Joachim Günther
Dr. Karlheinz Guttmacher
Dr. Helmut Haussmann Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Dr. Werner Hoyer Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Detlef Kleinert Dr. Heinrich L. Kolb
Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Uwe Lühr
Jürgen W. Möllemann Günther Friedrich Nolting
Dr. Rainer Ortleb Lisa Peters
Dr. Günter Rexrodt Dr. Klaus Röhl
Helmut Schäfer Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Dr. Irmgard Schwaetzer Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele Dr. Dieter Thomae Jürgen Türk
Dr. Wolfgang Weng
Dr. Guido Westerwelle
Enthalten
SPD
Hans-Ulrich Klose
F.D.P.
Dr. Burkhard Hirsch Jürgen Koppelin Sabine LeutheusserSchnarrenberger Cornelia Schmalz-Jacobsen
Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des Europarates und der WEU, der NAV oder der IPU
Abgeordnete(r)
Antretter, Robert SPD Zierer, Benno CDU/CSU
Vizepräsidentin Michaela Geiger
Ich gehe davon aus, daß sich durch die Annahme des Änderungsantrags der Koalitionsfraktionen eine gesonderte Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erübrigt.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr. Zur Beantwortung steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Norbert Lammert zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 35 der Abgeordneten Marion Caspers-Merk auf:
Trifft es zu, daß das Bundeseisenbahnvermögen den Bestand an Eisenbahnerwohnungen ausschließlich an große Konzerne und Konsortien verkaufen will, und unterstützt die Bundesregierung diese Absicht?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Frau Kollegin, das Bundeseisenbahnvermögen hat nicht die Absicht, Eisenbahnerwohnungen einzeln oder in Form von Häusern bzw. Siedlungen zu veräußern. Als Bestandteil der Privatisierungspolitik der Bundesregierung ist die Veräußerung von Anteilen an den EisenbahnWohnungsgesellschaften vorgesehen. Durch vertragliche Regelung wird dauerhaft festgelegt, daß künftige Erwerber die Fortführung der Wohnungsfürsorge für die Eisenbahner gewährleisten. Daher kommen als Erwerber grundsätzlich nur solche Investoren in Betracht, die über die erforderlichen Qualifikationen und die wirtschaftliche Kraft zur Verwaltung und Bewirtschaftung eines großen Wohnungsbestandes verfügen.
Die Veräußerung erfolgt nach den bewährten Grundsätzen der Bundesregierung in einem Bieter-verfahren. An diesem können sich grundsätzlich sowohl ein Konzern, ein Konsortium als auch Kommunen oder Einzelanbieter beteiligen.
Bitte schön, eine Zusatzfrage.
Wie will die Bundesregierung gewährleisten, daß auch die jetzt dort wohnenden Mieter eine Chance haben, bei dem Erwerb überhaupt mitzumachen? Wie kommt es, daß die Bahn gegenüber interessierten Kommunen die Abgabe eines Angebots als unsinnig abgelehnt hat, weil es hieß, man wolle nur große Strukturen haben, die in der Lage seien, für alles zu bieten?
Was den ersten Teil Ihrer Frage angeht, erklärt es sich aus der dargestellten Absicht, nicht einzelne Wohnungen zu veräußern, sondern Anteile an Wohnungsgesellschaften. Das eine ist insofern mit dem anderen nicht vereinbar.
Was die zweite Auskunft angeht, so kann auch ich nicht nachempfinden, worauf sich eine prinzipielle Absage an Kommunen gründen könnte, die ganz sicher nicht an einzelnen Wohnungen, sondern an Komplexen und insofern vermutlich auch an Anteilen von Eisenbahn-Wohnungsgesellschaften interessiert wären. Wenn es entsprechende Fälle gibt, gehen wir ihnen gerne nach. Wir wären Ihnen dankbar, wenn Sie uns entsprechende Hinweise gäben.
Wenn Sie keine zweite Frage haben, Frau Caspers-Merk, dann hat die Abgeordnete Hanna Wolf jetzt eine Frage.
Herr Staatssekretär, können Sie mir sagen, wie viele Wohnungen in München von dieser Regelung betroffen wären?
Das kann ich Ihnen so aus dem Stand jetzt nicht sagen. Aber wir könnten es Ihnen gerne schriftlich nachreichen, wenn Sie die Zahlen für den Bereich München im einzelnen gerne wissen möchten.
Wir kommen dann zur Frage 36 der Abgeordneten Marion Caspers-Merk:
Wie will die Bundesregierung gewährleisten, daß Kommunen, wie die Stadt Weil am Rhein, die Gelegenheit erhalten, mitzubieten, um weiterhin preiswerten Wohnraum zur Verfügung zu stellen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Frau Kollegin, ich darf an das anschließen, was ich bei der vorherigen Frage erläutert hatte. An dem von der Bundesregierung vorgesehenen Verfahren der Veräußerung können sich grundsätzlich sowohl ein Konzern, ein Konsortium als auch Kommunen oder Einzelanbieter beteiligen. Dabei kann sich das Angebot auf den Erwerb von Anteilen an allen Gesellschaften oder an einzelnen Gesellschaften richten. Insoweit bietet das gewählte Bieterverfahren auch Kommunen, wie der von Ihnen angesprochenen Stadt Weil am Rhein, die Gelegenheit, sich an diesem Verfahren zu beteiligen.
Zusatzfrage, bitte.
Könnte es sein, daß die Irritationen auf kommunaler Seite damit zusammenhängen, daß man zwar Anteilsteile erwerben kann, es aber nicht auf die Region spezifisch zugeschnitten wird?
Dies hängt sicher auch vom Einzelfall ab und der Frage, welchen regionalen Einzugsbereich eine zur Debatte stehende Gesellschaft im Hinblick auf die Wohnungsbestände aufweist. In der Regel wird sich eine Kommune nicht für den Anteil an einer Wohnungsbaugesellschaft interessieren, die irgendwo einen Besitz oder gar einen breiten Streubesitz verwaltet, sondern an einer Gesellschaft, die im eigenen Bereich liegt. Es müßte die eine wie die andere Voraussetzung gegeben sein.
Zusatzfrage.
Wären Sie denn bereit, die Kommunen zu unterstützen, wenn sie sich vor Ort an diesem Bieterverfahren beteiligen wollen, weil nur so sichergestellt wird, daß in diesen Eisenbahnerwohnungen die soziale Mischung erhalten bleibt und auch der preiswerte Wohnraum an sich?
Frau Kollegin, man kann sicher nicht sagen, daß nur durch eine Beteiligung der Kommunen eine gewünschte soziale Mischung sichergestellt werden kann. Manche Erfahrungen der vergangenen Jahre in der Verwaltung von Wohnungsbeständen auch durch Kommunen geben durchaus Anlaß, hier Differenzierungen vorzunehmen.
Die Frage, ob es im konkret ausgeschriebenen Fall eine Beteiligung von Kommunen geben soll, läßt sich pauschal schwer beantworten, weil nach den genannten Kriterien die jeweiligen Bieter unter dem Gesichtspunkt ihrer Eignung zur Erreichung dieser von mir vorgetragenen Ziele bewertet werden müssen. Aber das schließt ausdrücklich auch die Möglichkeit der Beteiligung von Kommunen ein.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, haben die Bewohnerinnen und Bewohner in den zum Verkauf angebotenen Wohnungen einen Dauermietschutz? Wenn die Kommunen dies zur Sicherung des preiswerten Wohnraums nicht übernehmen können, sind dann die Mieter von Kündigungen betroffen, oder haben sie ein Wohnrecht?
Der Zweck des erläuterten Verfahrens besteht gerade darin, die Wohnungsfürsorge, die Grundlage für den damaligen Bau dieser Wohnungen vor allen Dingen in solchen Gebieten gewesen ist, in denen die allgemeine Wohnraumversorgung für defizitär gehalten wurde, für die Beschäftigten aufrechtzuerhalten, auch nach der Privatisierung. Dies wird folglich Bestandteil der Verpflichtungen, die jeder beliebige Erwerber zu übernehmen hat.
Die Frage 37 der Abgeordneten Rehbock-Zureich wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Dann kommen wir jetzt zur Frage 38 des Abgeordneten Horst Kubatschka:
Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse bezüglich der von Wassermotorradfahrern verursachten Umweltbelastungen und Gefahren für Flora und Fauna vor, und wenn ja, welche?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Kubatschka, das intensive Befahren von Wasserflächen mit Wassermotorrädern kann unter Umständen Lärmbeeinträchtigungen für Menschen und auch für Wasservögel, Ufererosionen und Schädigungen von Flachwasserzonen nach sich ziehen. Die Wassermotorräder-Verordnung vom 31. Mai 1995 schränkt unter anderem auch wegen der vorgenannten Umweltbeeinträchtigungen die Sportausübung mit diesen Fahrzeugen stark ein. Die Kriterien für die Definition einer Wassermotorradstrecke verfolgen das Ziel, geeignete Strecken in schiffahrtspolizeilich unbedenkliche und ökologisch weniger kritische Gebiete zu legen.
Bitte schön, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, stimmt damit die Bundesregierung mit der Meinung von Naturschützern überein, daß durch den Jet-set-Betrieb Fische und Vögel bei ihrer Nahrungssuche und bei ihrem Brutgeschäft erheblich gestört werden und das ökologische Gleichgewicht massiv beeinträchtigt wird? Wenn ja: Was gedenkt die Bundesregierung dagegen zu unternehmen?
Die von mir gerade genannte Abgrenzung von Strecken, die für die Benutzung mit Wassermotorrädern überhaupt zugelassen werden, verfolgt das Ziel, die Beeinträchtigungen, nach denen Sie eben gefragt haben, auszuschließen oder soweit wie eben möglich zu begrenzen.
Zweite Zusatzfrage, Herr Kubatschka, bitte.
Herr Staatssekretär, heißt das, daß der Bundesregierung wissenschaftliche Erkenntnisse darüber vorliegen, wie die Auswirkungen der Nutzung dieser bisher bestehenden Strecken sind und welche ökologischen Folgen sich daraus ergeben?
Die Frage, ob und in welchem Umfang hier wissenschaftliche Untersuchungen vorliegen, kann ich Ihnen aus dem Stand nicht beantworten. Immerhin will ich Sie auf folgendes hinweisen: Es sind auf den Binnenschiffahrtsstraßen des Bundes gegenwärtig nur insgesamt 28 Strekkenabschnitte für Wassermotorräder zugelassen, davon auf der Donau zwei, der Elbe vier, dem Main vier, der Mosel zwei, dem Rhein elf und der Weser fünf. Nur, um einmal eine Relation zu bilden: Auf den gerade von mir genannten Wasserstraßen wurden insgesamt 127 Wasserskistrecken zugelassen. Dies ist jedenfalls ein Indiz dafür, daß die von mir eben angesprochene restriktive Handhabung unter den von Ihnen genannten ökologischen Gesichtspunkten nicht nur rhetorisch behauptet, sondern in der Realität praktiziert wird.
Damit kommen wir zur Frage 39 des Abgeordneten Horst Kubatschka:
Ist die Bundesregierung bereit, die Entscheidung über die Genehmigung bzw. Erweiterung von Jet-Ski-Strecken auf der Donau bis zur Verabschiedung des Entwurfs der EU-Kommission zur Ergänzung der Sportbootrichtlinie 94/25/EG über Abgas- und Lärmgrenzwerte zurückzustellen, da diese nunmehr auch Wassermotorräder und Wasserscooter in die Anforderungen an Abgas- und Lärmgrenzwerte einbeziehen wird?
Herr Staatssekretär, bitte schön.
Herr Kollege Kubatschka, die Absicht der Zurückstellung einer Entscheidung der Bundesregierung besteht nicht, weil der von Ihnen genannte Entwurf der EU-Kommission derzeit weder vom Inhalt noch von der Inkraftsetzung her abschließend ausformuliert bzw. hinreichend bestimmt ist. Würde die Bundesregierung den endgültigen Wortlaut dieses Vorschlages abwarten wollen, von dem wir, wie gesagt, nicht wissen, wann er überhaupt zur Beratung vorliegt, geschweige denn, innerhalb welcher Frist er dann Geltung haben soll, hätte sie bis zur Übernahme der zu erwartenden geänderten Richtlinie 94/25/EG für alle Wassermotorradstrecken keinen Entscheidungsspielraum mehr.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, was unternimmt die Bundesregierung, um die Verabschiedung des Richtlinienentwurfes zu beschleunigen?
Wir haben zunächst einmal, bevor wir überhaupt unseren Einfluß in Richtung einer Beschleunigung geltend machen können, die förmliche Vorlage eines solchen Vorschlages durch die Kommission abzuwarten. Wir wissen nur, daß es den Entwurf einer solchen Richtlinie gibt. Aber es gibt noch keine Befassung der Gremien, die im übrigen, wenn ich das recht sehe, in die Zuständigkeit der Bundesumweltministerin fallen würde.
Zweite Zusatzfrage.
Wir wissen zwar noch nicht, wann das alles vorliegt, aber wenn es einmal vorliegen sollte - ich hoffe, daß das nicht der Nimmerleinstag sein wird -: Was unternimmt die Bundesregierung, um ökologische Gesichtspunkte in diese EU-Sportbootrichtlinie einfließen zu lassen?
Es liegt in der Logik dessen, was ich Ihnen bereits vorgetragen habe, daß wir hier, wie bei anderen, vergleichbaren Richtlinien auch, die Kriterien, die für gleiche oder ähnliche Sachverhalte in Deutschland gelten, als jedenfalls
denkbare Regelung für den europäischen Bereich in die Debatte einführen. Wir werden sorgfältig untersuchen, ob und in welche Richtung sich ein möglicher Vorschlag der Europäischen Union von unseren eigenen Kriterien unterscheidet und ob sich daraus Anpassungsbedarf für den eigenen Bereich ergibt.
Weil nicht absehbar ist, wann es zu einer solchen europäischen Regelung kommt, halten wir die nationale Regelung für besonders dringlich, gerade wegen der von Ihnen angesprochenen notwendigen Begrenzung dafür zuzulassender Strecken.
Vielen Dank.
Die Frage 40 des Abgeordneten Rudolf Bindig wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Wir kommen zur Frage 41 des Abgeordneten Heinz Schmitt , SPD:
Fallen die der Deutschen Bahn AG zugewiesenen Beamten unter die Arbeitszeitregelung, die an Heiligabend und Silvester eine Dienstbefreiung vorsieht, und kann die Deutsche Bahn AG mit der Begründung von Kosteneinsparungen eine Anwendung dieser Regelungen im Betrieb ablehnen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Schmitt, die der Deutschen Bahn AG zugewiesenen Beamten sind Bundesbeamte, die insoweit unter die für die Bundesbeamten getroffene Dienstzeitregelung zu Weihnachten und Silvester 1997 fallen. Nach dieser Dienstzeitregelung kann den Beamten am 24. und 31. Dezember 1997 Dienstbefreiung gewährt werden, wenn dienstliche oder betriebliche Gründe nicht entgegenstehen. Die Entscheidung hierüber treffen die Dienststellen, also die DB AG oder ihre Tochterunternehmen, in eigener Zuständigkeit.
Da im Tarifbereich der DB AG keine Regelung besteht, die eine vergleichbare Arbeitsbefreiung für die Arbeitnehmer vorsieht, würden die der DB AG zugewiesenen Beamten bei einer Dienstbefreiung an Heiligabend und Silvester gegenüber den Arbeitnehmern bessergestellt, woraus sich eine Störung des Betriebsfriedens ergeben könnte. Die DB AG handelt deshalb im Rahmen der Vorgaben, wenn sie von einer allgemeinen Dienstbefreiung zugunsten der Beamten absieht.
Zusatzfrage? - Keine Zusatzfrage. Dann kommen wir zur Frage 42 des Abgeordneten Franz Thönnes, SPD:
Wann konkret ist mit dem Beginn der Arbeiten am vierten Bauabschnitt der Bundesstraße 205 im Zuge der Anbindung an die Bundesautobahn 7 zu rechnen, und welche Maßnahmen unternimmt die Bundesregierung, um die Belastung durch den innerörtlichen Verkehr in den Ortsteilen Kleinkummerfeld und Willingrade der Gemeinde Groß Kummerfeld zu vermindern?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Thönnes,
Parl. Staatssekretär Dr. Norbert Lammert
die Südumgehung Neumünster ist im ersten Teil bis in den Bereich Gadeland in drei Abschnitten in den Jahren 1994 bis 1997 für den Verkehr freigegeben worden. Mit der Fertigstellung dieser ersten Teilabschnitte zwischen der A 7 und der B 205 ist die werkehrliche Entlastung für den unmittelbaren Bereich der Stadt Neumünster eingetreten und damit ein wichtiges verkehrspolitisches Ziel erreicht.
Der anschließende vierte Abschnitt, nach dem Sie fragen, soll zukünftig ein rund 10 Kilometer langes Teilstück der B 205 ersetzen, die hier fast ausschließlich außerhalb von Ortschaften verläuft, bis auf zwei kürzere Teilstücke. An diesen Ortsdurchfahrten stehen insgesamt zehn bis fünfzehn Häuser. Wir halten es daher für vertretbar, daß der vierte Bauabschnitt zu einem späteren Zeitpunkt realisiert wird. Mit den einzusetzenden Mitteln kann an anderer Stelle eine größere Entlastung von Betroffenen erreicht werden. Der konkrete Termin wird nach dem üblichen Verfahren im Einvernehmen mit dem Land Schleswig-Holstein und auf Grund der dann anzutreffenden Haushaltssituation festgelegt.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, mich wundert Ihre fehlerhafte Ortskenntnis. Es sind zwei Ortschaften, durch die sich der Verkehr auf der B 205 nun geballt schlängelt, da es eine organisierte Umleitung von der A 7 über diese Streckenabschnitte gibt, die Sie gerade erwähnt haben. Meine Frage haben Sie - es tut mir leid - nicht beantwortet. Ich frage ganz konkret nach: Fällt die Entscheidung einzig und allein hier in Bonn, wann dort eine Entlastung erfolgt?
Erstens. Herr Kollege, ich bitte sehr um Nachsicht, daß ich in der Tat nicht an vielen hundert Ortsdurchfahrten in der Bundesrepublik Deutschland über die jeweilige Ortskenntnis verfügen kann. Damit kann ich nicht dienen.
Zweitens. Zwischen dem, was Sie gerade korrigierend erläutert haben, und dem, was ich nach Auskunft aus dem Haus vorgetragen habe, kann ich allerdings keinen unvereinbaren Widerspruch erkennen. Sie sprechen von zwei Ortsdurchfahrten, ich auch. Ob die Zahl der Häuser, die davon betroffen sind, übereinstimmt, sollten wir vielleicht einer weiteren Klärung überlassen. Aber der Sachverhalt scheint jedenfalls insofern identisch zu sein.
Ich kann Ihnen heute - das ist der Kern Ihrer Frage, die ich vorhin beantwortet habe - keine Finanzierungszusage geben, weil unter dem Gesichtspunkt der verfügbaren Haushaltsmittel auch nach Vereinbarungen mit dem Land an anderer Stelle größere Entlastungswirkungen erreicht werden können, die uns deswegen vordringlicher erscheinen.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, halten Sie es für einen sinnvollen Umgang mit Haushaltsmitteln, daß 3 Kilometer der in Frage kommenden Strecke, die - bis auf die oberste Asphaltdecke - nahezu fertiggestellt sind, und zwei Brücken so lange nicht entsprechend genutzt werden können, bis Sie in Bonn entscheiden, wann weitergebaut werden und das letzte Teilstück hinzukommen soll?
Herr Kollege Thönnes, eine richtige Abwägung ist bei jedem dieser vielen Einzelfälle oft sehr schwierig. Es wird Sie nicht überraschen, wenn ich darauf hinweise, daß jede einzelne Maßnahme, insbesondere der Bau von Ortsumgehungen, vor Ort immer für vordringlich gehalten wird und aus der Perspektive der Betroffenen auch immer vordringlich ist. Nur, leider ergibt sich aus der Addition dieser - jeweils für sich gesehen berechtigten - vordringlichen Maßnahmen ein Finanzierungsvolumen, das durch den Haushalt nicht gedeckt werden kann. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, Prioritäten zu setzen. Manchmal gelingt es, diese Prioritäten so zu setzen, daß alle Beteiligten sagen, anders kann es vernünftigerweise nicht gehen, in anderen Fällen gibt es darüber Auseinandersetzungen. Möglicherweise gehört die von Ihnen angesprochene Maßnahme dazu.
Da Sie zu Recht vermuten, daß ich lediglich diese allgemeinen Erläuterungen zum Sachverhalt geben kann, aber die präzise Lage vor Ort nicht kenne, bin ich gern bereit, mich von Ihnen noch einmal über den Aspekt, den Sie in Ihrer zweiten Zusatzfrage angesprochen haben, im einzelnen ins Bild setzen zu lassen,
um im Lichte dieser privaten Nachhilfe dann nach Möglichkeiten zu suchen, um die Fortsetzung dieser Maßnahmen so schnell wie möglich zu erreichen.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär Lammert. Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereichs Verkehr.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf. Die Beantwortung der Fragen erfolgt durch den Parlamentarischen Staatssekretär Walter Hirche.
Ich rufe die Frage 43 des Abgeordneten Arne Fuhrmann auf:
Trifft es zu, daß die Bundesregierung ab Januar 1997 die Samtgemeinde Gartow im Landkreis Lüchow-Dannenberg mit jährlich 100000 DM bei der Einrichtung eines ,,Gorleben-Forums" fördert, und ist der Bundesregierung bekannt und bewußt, daß der Kreistag Lüchow-Dannenberg bereits 1991 die damals bestehende „Gorleben-Kommission" aufgelöst und einen Ausschuß „Atom-Anlagen" eingerichtet hat?
Frau Präsidentin! Herr Kollege Fuhrmann, im Gegensatz zur niedersächsischen Landesregierung betrachtet es die Bundesregierung in der Tat als unterstützenswert, daß die Samtgemeinde Gartow mit der Gemeinde Gorleben Maßnahmen zur weiteren Information der Bürgerinnen und Bürger vor Ort zum Themenkomplex Gorleben ergreift. Es ist daher zutreffend, daß das Bundesumweltministerium den Antrag der Samtgemeinde Gartow bezüglich der Einrichtung eines „Gorleben-Forums" geprüft und dergestalt beschieden hat, daß anfallende Kosten, unter anderem für Geschäftsführung und Referenten, bis zu einer Höhe von 100 000 DM pro Jahr, beginnend ab 1998, übernommen werden können. Dieses ist kein pauschaler Betrag, sondern er wird sich an den tatsächlich anfallenden, notwendigen Kosten für die Geschäftsführung des „Gorleben-Forums" orientieren.
Zu den weiteren Einzelheiten wird zwischen dem Bundesumweltministerium und der Samtgemeinde Gartow noch Einvernehmen hergestellt.
Der Sachverhalt, daß vormals eine „GorlebenKommission" bestanden hat, ist der Bundesregierung bekannt.
Erste Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung zwischenzeitlich auch bekannt, daß, nachdem die BLG, die Brennelementelager Gorleben GmbH, der Samtgemeinde Gartow und der Gemeinde Gorleben erhebliche finanzielle Zuwendungen für die nächsten Jahre per Vertrag zugesichert hat, nach einer Meldung vom 5. Dezember bereits die Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg und die Bäuerliche Notgemeinschaft aus diesem Forum ausgeschieden sind und sich daraufhin auch die Kirchen, die Ärztekammer, die Schulen, die Handwerkskammer Lüneburg-Stade und die Industrie-
und Handelskammer Lüneburg-Wolfsburg aus diesem Forum zurückziehen werden?
Herr Kollege, uns ist der Antrag, der mit Hinweis auf die Zusammensetzung des Forums eingereicht wurde, bekannt. Die Mittelbewilligung bezieht sich auf diesen Antrag. Wenn sich wesentliche Änderungen ergeben sollten, muß man darüber noch einmal sprechen. Ich sagte ja, daß über die Einzelheiten zwischen dem Bundesumweltministerium und der Samtgemeinde noch Einvernehmen hergestellt werden muß. Dabei ist natürlich die Frage zu stellen, inwieweit die Antragsvoraussetzungen, auf die sich die Bewilligung bezog, eingehalten werden.
Zusatzfrage.
Interpretiere ich Ihre Antwort richtig, wenn ich feststelle, daß damit der Verdacht, es könne sich bei diesem Forum sozusagen
um ein Instrument zur Durchsetzung des Endlagerstandortes Gorleben handeln, ad absurdum geführt ist?
Verdächte, Herr Kollege, sind nicht angebracht. Uns geht es darum, daß in einer so schwierigen Frage, die die Bevölkerung - wie Sie selber sehr gut wissen - vor Ort umtreibt, weitestmögliche Informationen angeboten werden. Wenn die zuständige Gemeinde, in der das mögliche Endlager liegt, einen solchen Antrag - nach einem einstimmigen Beschluß - stellt, dann wird sich die Bundesregierung nicht verweigern, Mittel zur Aufklärung der Bevölkerung bereitzustellen. Es gibt in diesem Hause ja eine allgemeine Debatte dahin gehend, daß man möglichst viel vor Ort informieren sollte. Es ist ein konkreter Antrag gestellt, der konkrete Hintergründe hat. Wenn wir über die Einzelheiten reden, dann wird immer geprüft, ob die Antragsvoraussetzungen auch eingehalten worden sind. Insofern ist das ein ganz normaler und im übrigen öffentlich transparenter Vorgang.
Damit kommen wir zur Frage 44 des Abgeordneten Arne Fuhrmann:
Aus welcher Haushaltsstelle beabsichtigt das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit gegebenenfalls eine solche Förderung vorzunehmen, und kann der Landkreis Lüchow-Dannenberg entsprechend dieser Förderung dann auch mit einer Beteiligung des Bundes bei der Beseitigung der während der bisherigen Castor-Transporte entstandenen Schäden rechnen?
Die Finanzmittel werden aus dem Haushalt des Bundesumweltministeriums - Kapitel 16 02, Titel 531 01 „Aufklärung der Bevölkerung" - zur Verfügung gestellt. Die Mittelzuweisung aus diesen Titeln ist zweckgebunden, und zwar zur Information der Öffentlichkeit, und schließt somit eine andere Verwendung aus.
Erste Zusatzfrage.
Durch die Beantwortung meiner zweiten Zusatzfrage zu Frage 43 ergibt sich jetzt meine erste Zusatzfrage zu Frage 44: Könnte es sein, daß der Kreis Lüchow-Dannenberg - analog zu dem, was die Samtgemeinde Gartow gemacht hat -, wenn er einen sehr gut begründeten Antrag stellt, Chancen auf Mittelzuweisung hätte, das heißt auf Hilfen zur Beseitigung der unmittelbar dem Kreis entstandenen - also nicht der dem Land entstandenen - Schäden bei den letzten Castor-Transporten? Bestünde dahin gehend eine Chance?
Herr Kollege, ich kann nicht erkennen, daß der Bundeshaushalt in seinen Titeln - die Vergabe von Mitteln aus diesen Titeln unterliegt dem Haushaltsrecht - Möglichkeiten dazu enthält. Ich habe
Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 209. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Dezember 1997 19043
Parl. Staatssekretär Walter Hirche
ausdrücklich darauf hingewiesen, daß wir es mit Mitteln für die Aufklärung der Bevölkerung zu tun haben. Das beschränkt sich auf diesen Sachverhalt.
Zweite Zusatzfrage.
Es will mir so scheinen, als habe durch die Einrichtung des Atomforums - also des Atomausschusses im Kreistag Lüchow-Dannenberg - das Bedürfnis der Bevölkerung nach Information, gesteuert durch das legitime Gremium, nämlich den Kreistag, im Grunde Befriedigung erfahren. Deshalb vermag ich nicht nachzuvollziehen, warum Sie auf der einen Seite sagen, es seien Bundesmittel vorhanden, um eine eh schon vorhandene Information noch einmal - auf einem anderen Wege - zu finanzieren, und mir auf der anderen Seite sagen, der Kreis Lüchow-Dannenberg habe keine Chancen, weil so etwas im Bundeshaushalt nicht vorgesehen sei. Diesen Widerspruch hätte ich gerne noch aufgeklärt.
Herr Kollege, zunächst einmal geht es darum, daß die örtlich zuständige Gemeinde einen Antrag gestellt hat. Die ist immer noch näher am Bürger als der Kreis, das Land oder der Bund. Ich erinnere mich an andere Debatten in diesem Hause, in denen es immer darum ging, die speziell betroffene Bevölkerung besonders zu informieren und einzubeziehen. Das haben wir getan, weil wir glauben, daß die Ebene Gemeinde in diesem Fall bürgernäher ist als die Ebene Kreis.
Zusatzfrage des Kollegen Catenhusen.
Herr Staatssekretär, sind Ihnen aus Ihrem Hause vergleichbare Förderentscheidungen aus den letzten sieben Jahren bekannt? Denken Sie darüber nach, etwa für ein „Ahaus-Forum", für ein „Garching-Forum" - also für Foren an Standorten anderer atomarer Anlagen, die zum Teil eine erhöhte Bedeutung gewinnen werden - oder für vergleichbare Projekte offen zu sein, wenn sie an Ihr Haus herangetragen werden?
Vereinzelte Aktionen zur Aufklärung der Bevölkerung haben gelegentlich in Zusammenarbeit mit örtlichen Institutionen stattgefunden. Ich kann sie aber jetzt nicht im einzelnen benennen, insbesondere nicht für die Zeit, in der ich noch keine Verantwortung in diesem Amt hatte.
- Selbstverständlich, Herr Kollege, könnte ich das überprüfen lassen.
Im Grunde haben Sie ja eine zweigeteilte Frage gestellt: Ganz selbstverständlich zielt eine solche
Maßnahme nicht auf einen Einzelfall ab, sondern soll immer der Beantwortung der Frage dienen: Hat irgend jemand in der Aufklärungsarbeit gegenüber der Bevölkerung ein vernünftiges Ergänzungskonzept? Das wird geprüft und nach den gleichen Grundsätzen wie in diesem Fall - positiv oder negativ - entschieden.
Wir kommen zur Frage 45 des Abgeordneten Ulrich Heinrich:
In welcher Form waren das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit über den Bau eines Schweinegroßbetriebes mit rund 18000 Liegeplätzen in der Gemarkung Zwethau/Sachsen informiert bzw. eingebunden?
Frau Präsidentin! Herr Kollege Heinrich, die Durchführung von Bestimmungen des BundesImmissionsschutzgesetzes und der danach erlassenen Vorschriften fällt in den alleinigen Zuständigkeitsbereich der Länder, hier also des Landes Sachsen. Dementsprechend waren weder das Bundeslandwirtschafts- noch das Bundesumweltministerium am bisherigen Verfahren beteiligt.
Herr Staatssekretär, heißt das, daß Sie auch keine Informationen darüber hatten, daß Schweinemastanlagen in diesen Größenordnungen in Sachsen und anderen Bundesländern geplant sind und zur Genehmigung anstehen?
Herr Kollege Heinrich, was im einzelnen in den Ländern geplant ist, entzieht sich unserer Kenntnis. Aber Sie kennen ja die Rechtslage: Mit den Verordnungen zum Bundes-Immissionsschutzgesetz legt der Bund unter Beteiligung des entsprechenden Ausschusses - in fast allen Fällen auch unter Beteiligung des Bundesrates - die entsprechenden Rahmenbedingungen fest. Die letzte Änderung in diesem Zusammenhang hat bei der Umsetzung einer EU-Richtlinie stattgefunden.
Der Sachverhalt ist hier also wie folgt: Anlagen zum Halten von Schweinen mit einer Größe ab 2000 Mastschweineplätzen bedürfen vor ihrer Errichtung und ihrem Betrieb nach § 4 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes in Verbindung mit Nr. 7.1 des Anhangs der Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen - also der 4. BImSchV - einer Genehmigung unter Beteiligung der Öffentlichkeit. Derartige Anlagen sind so zu errichten und zu betreiben, daß schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit und die Nachbarschaft nicht hervorgerufen werden, daß Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen getroffen wird, zum Beispiel durch dem Stand der Technik entsprechende Maßnahmen zur Emissionsbegrenzung, und daß Abfälle vermieden werden, es sei denn, sie wer-
Parl. Staatssekretär Walter Hirche
den schadlos verwertet. Es gibt noch einige andere solcher Bestimmungen.
Herr Heinrich.
Herr Staatssekretär, heißt das, daß erstens das Bundes-Immissionsschutzgesetz bei dieser Genehmigung eingehalten wurde und daß zweitens das Bundesumweltministerium keine Befürchtungen hinsichtlich schädlicher Emissionen hat, insbesondere unter Berücksichtigung der bekannten großen Schäden in der ehemaligen DDR, die solche Mastanlagen mit sich brachten?
Herr Abgeordneter, der Vollzug von Umweltvorschriften obliegt ausschließlich den Ländern. Der Bund hat hier kein Weisungs- oder Kontrollrecht. Deswegen kann ich Ihre Anfrage nur entsprechend der Gesetzeslage - wenn auch nicht zu Ihrer Zufriedenheit - beantworten.
Frage 46 des Abgeordneten Heinrich:
Sieht die Bundesregierung gesetzgeberischen Handlungsbedarf, um die Genehmigung solcher industrieähnlicher Anlagen, die kaum an einen bäuerlichen Familienbetrieb erinnern, auszuschließen oder strenger zu formulieren?
Zunächst ist zu betonen, daß eine Anlage zur Intensivtierhaltung der von Ihnen genannten Größe genehmigungspflichtig ist. Die 4. Verordnung zum Bundes-Immissionsschutzgesetz wurde zuletzt am 16. Dezember letzten Jahres an die in der EURichtlinie über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung vom 24. September 1996 festgelegten Schwellenwerte für die Schweineplätze angepaßt. Die Bundesregierung sieht daher zur Zeit keinen Anlaß für eine Überarbeitung.
Unabhängig davon besteht für den Betreiber einer genehmigungsbedürftigen Anlage nach den Vorschriften des Bundes-Immissionsschutzgesetzes ein Rechtsanspruch auf Erteilung der Genehmigung, wenn die Genehmigungsvoraussetzungen erfüllt sind. Sind diese nicht erfüllt, darf eine Genehmigung nicht erteilt werden. Einer Änderung der Rechtslage bedarf es daher auch insoweit nicht.
Herr Staatssekretär, ich habe doch noch eine Nachfrage. Der Rahmen ist vorgegeben, und ich akzeptiere auch Ihre Antwort auf meine Frage. Aber müssen wir hier nicht noch zusätzliche Kenntnisse erwerben, um die Emissionen, die von solchen Großanlagen tatsächlich ausgehen, einschätzen zu können und dann gegebenenfalls gesetzgeberischen Handlungsbedarf zu erkennen?
Herr Kollege, ich möchte gerne eine doppelte Antwort geben: Erstens möchte ich darauf hinweisen, daß wir unsere Bestimmungen weitgehend an europäische Regelungen angepaßt haben. Das spielt im Westen Deutschlands im Verhältnis zu den Niederlanden sicherlich eine größere Rolle als unmittelbar in Sachsen.
Zweitens füge ich gerne hinzu: Sämtliche gesetzlichen Regelungen oder Verordnungen, die wir haben, müssen im Hinblick auf ihren praktischen Vollzug und mögliche Probleme, die dabei auftreten, einer Bewährungsprobe in der Praxis unterzogen werden. Ich denke, das passiert auch bei dem Thema, das Sie in Ihren Fragen angeschnitten haben, so daß wir möglicherweise in einiger Zeit, wenn wissenschaftlich fundierte, neue Erkenntnisse vorliegen sollten, über dieses Thema erneut reden werden.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär Hirche. Damit ist der Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit beendet.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie auf.
Die Fragen 47 und 48 der Abgeordneten Dr. Angelica Schwall-Düren sowie die Frage 49 des Abgeordneten Manfred Müller werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung auf. Die Beantwortung der Fragen erfolgt durch den Parlamentarischen Staatssekretär Rudolf Kraus.
Ich rufe die Frage 6 des Abgeordneten Wolfgang Weiermann auf:
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, die geplante monatliche Einmal-Zahlung der Arbeitslosenhilfe - statt bisher zweimaliger Zahlung - so zu gestalten, daß Bezieherinnen und Bezieher von Arbeitslosenhilfe im Umstellungsmonat, z. B. bei Rückzahlungsverpflichtungen, nicht in finanzielle und rechtliche Schwierigkeiten gelangen?
Frau Präsidentin! Herr Kollege Weiermann und Frau Kollegin Kaspereit, die Fragen 6, 7 und 8 sind praktisch inhaltsgleich. Ich darf deshalb mit Ihrem Einverständnis alle drei Fragen zusammen beantworten.
Dann rufe ich auch noch die Fragen 7 und 8 der Abgeordneten Sabine Kaspereit auf:
Hat die Bundesregierung bei der Neuregelung des Auszahlungszeitraumes nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch in Betracht gezogen, daß den Leistungsempfängern der Bundesanstalt für Arbeit im Monat Januar 1998 eine Auszahlungslücke von zwei Wochen entsteht?
Was gedenkt die Bundesregierung zu unternehmen, um diese Lücke für die Leistungsempfänger zu schließen, damit diese die finanzielle Belastung des Monats Dezember und fällige Zahlungen des Monats Januar (z. B. Versicherungen) tragen können?
Die Entgeltersatzleistungen des Arbeitsförderungsrechts, zum Beispiel das Arbeitslosengeld oder die Arbeitslosenhilfe, werden bislang grundsätzlich zweiwöchentlich nachträglich gezahlt. Die von Ihnen angesprochene Neuregelung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch sieht vom 1. Januar 1998 an grundsätzlich eine Überweisung der Leistungen in monatlichen Abständen vor. Diese Regelung berücksichtigt, daß diese Leistungen an die Stelle eines vor Eintritt der Arbeitslosigkeit bezogenen Arbeitsentgelts treten. Sie sollen deshalb nach denselben Regeln gezahlt werden, die für die Fälligkeit der Bezüge aus dem Arbeitsverhältnis maßgeblich waren. Der Zahlungsrhythmus entspricht damit der Praxis in Wirtschaft und Verwaltung, Löhne und Gehälter monatlich nachträglich zu zahlen. Die Regelung zur monatlichen Zahlungsweise gilt bereits seit dem 1. Juli dieses Jahres für bestimmte Leistungsarten, wenn diese nach dem 30. Juni 1997 bewilligt wurden oder werden. Nach Auskunft der Bundesanstalt für Arbeit erhalten daraufhin derzeit bereits etwa 53 Prozent aller Empfänger solcher Leistungen diese monatlich nachträglich. Zum Jahreswechsel dürfte sich dieser Anteil auf etwa 65 Prozent erhöhen.
Die Bundesanstalt für Arbeit veranlaßt die Überweisung am Ende jedes einzelnen Kalendermonats so rechtzeitig, daß die Leistung auf dem Konto des Berechtigten zum ersten Arbeitstag des Folgemonats gutgeschrieben ist. Um unbillige finanzielle Härten zu vermeiden, können die Arbeitsämter nach ausdrücklicher gesetzlicher Regelung angemessene Abschläge zahlen.
Die erste Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, habe ich Sie richtig verstanden, daß Sie sagen, daß dann, wenn bei der Umstellung der Auszahlung der Beträge Härten auftreten, insbesondere auch infolge der Umstellung bei der Auszahlung der Arbeitslosenhilfe, die ja relativ gering ist, auf Antrag eine Abschlagszahlung, die die Vier-Wochen-Zeit überbrückt, möglich ist?
Das haben Sie richtig verstanden. So ist es.
Okay.
Besteht noch bezüglich der Fragen 7 und 8 der Abgeordneten Sabine Kaspereit Nachfragebedarf ? - Das ist nicht der Fall.
Dann kommen wir zur Frage 9 der Abgeordneten Susanne Kastner:
Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung über die regionale Aufgliederung der Kündigung von Betten in RehaKlinken und die Arbeitsmarktentwicklung vor?
Frau Kollegin, ich möchte die Fragen 9 und 10 ebenfalls gemeinsam beantworten.
Dann rufe ich auch die Frage 10 der Abgeordneten Susanne Kastner auf:
Sind der Bundesregierung Bestrebungen bekannt, in der medizinischen Rehabilitation Belegungen nach dem Prinzip der ,,Landeskinder-Regelung", d. h. in Präferenz des jeweils eigenen Bundeslandes von Antragsteller und Landesversicherungsanstalt , vorzunehmen, und welche Folgerungen zieht sie ggf. daraus?
Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte hat in Vertragshäusern im November 1996 mit Wirkung zum 31. August 1997 9000 Betten gekündigt. Davon sind 119 Kliniken betroffen, von denen 38 vollständig aus der Belegung genommen wurden.
Die Auswirkungen der Bettenreduzierung durch die Bundesversicherungsanstalt stellen sich, auf Regionen bezogen, wie folgt dar: In der Region Nord sind die Betten um 23 vom Hundert reduziert worden. Zur Region Nord zählen Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Bremen und Hamburg. Die Reduzierungsquote für die Region West beträgt 27 vom Hundert. Zur Region West zählen Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und das Saarland. In der Region Süd sind die Betten um 22 vom Hundert reduziert worden. Dazu zählen Baden-Württemberg und Bayern. Die Reduzierungsquote für die Region Ost beträgt 10 vom Hundert. Zur Region Ost zählen die fünf neuen Bundesländer und Berlin. Hieraus ergibt sich, daß die Bettenreduzierungen weitgehend gleichmäßig auf die Regionen verteilt worden sind. Eine Ausnahme ist wegen des dort noch vorhandenen strukturellen Nachholbedarfs nur für die neuen Länder gemacht worden.
Zu den regionalen Auswirkungen der Bettenreduzierungen im Bereich der Arbeiterrentenversicherung sind keine Aussagen möglich, da mit den Einrichtungen regelmäßig keine festen Bettenkontingente vereinbart wurden, sondern nur allgemeine Belegungszusagen erfolgten.
Über die Auswirkungen der Kündigungen auf den regionalen Arbeitsmarkt liegen der Bundesregierung keine detaillierten Kenntnisse vor.
Ihre zweite Frage darf ich wie folgt beantworten: Der Bundesregierung ist bekannt, daß einzelne Landesregierungen, zum Beispiel die von Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz, versuchen, vorrangig bis auschließlich Rehabilitationseinrichtungen im eigenen Bundesland belegen zu lassen. Das Land Nordrhein-Westfalen hat durch Minister Horstmann darauf gedrängt, in dieser Weise - wie bereits in Rheinland-Pfalz geschehen - zu verfahren, wenn das medizinisch vertretbar ist. Durch diese Belegungspraxis können sich für die Rehabilitationseinrichtungen in Bundesländern mit geringer Versichertenzahl oder relativ geringer Rehabilitationsbereitschaft erhebliche wirtschaftliche Nachteile ergeben. Rehabili-
Parl. Staatssekretär Rudolf Kraus
tationsangebot und -nachfrage sind regional ungleichgewichtig verteilt. Daraus folgt, daß eine Veränderung der gewachsenen Strukturen kurz- oder mittelfristig nicht ohne Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitsverluste möglich wäre.
Nach Mitteilung des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger sind für die Auswahl einer Reha-Einrichtung die folgenden Kriterien in der nachstehenden Reihenfolge ausschlaggebend: indikationsspezifischer Bedarf, Qualität der Leistung, Preis-Leistungs-Verhältnis und - in bestimmten Grenzen - regionale Versorgung mit Reha-Betten.
Danke. - Ihre erste Frage.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß die BfA in Berlin eine weitere Schließung ihrer Häuser beabsichtigt, wenn die Belegzahlen so bleiben, wie sie sind bzw. noch zurückgehen?
Das ist mir nicht bekannt. Ich kenne über die bereits erfolgten Maßnahmen hinaus keine konkreten Planungen, wobei selbstverständlich nicht auszuschließen ist, daß auch von der BfA Maßnahmen ergriffen werden, sich an die veränderten Strukturen und Bedürfnisse anzupassen.
Zweite Frage.
Herr Staatssekretär, Sie haben gesagt, daß Sie keine konkreten Zahlen zur Arbeitsmarktentwicklung nennen können. Das überrascht mich sehr. Denn es ist bekannt, daß das Gesundheitswesen mit 21,9 Prozent die höchste Steigerungsrate bezüglich der Zahl der Arbeitslosen sowie den stärksten Rückgang an offenen Stellen zu verzeichnen hat. Ist es den Regierungsmitgliedern nicht möglich, solche Zahlen bei der Bundesanstalt für Arbeit abzufragen?
Ganz selbstverständlich haben wir in Vorbereitung auf die Beantwortung der heutigen Fragen entsprechende Anfragen gestellt. Der Bundesanstalt für Arbeit war es nicht möglich, detaillierte Zahlen zu liefern. Das ist deshalb der Fall - ich hoffe, daß Sie das verstehen -, weil bei den Arbeitslosenzahlen und den offenen Stellen nicht nach einzelnen Sparten innerhalb des Gesundheitswesens unterschieden wird. Das heißt, wenn Arbeitslosigkeit im allgemeinen Bereich des Gesundheitswesens, also bei Krankenhäusern und dergleichen, entsteht, wird diese zahlenmäßig im selben Bereich wie die Arbeitslosigkeit, die durch Kündigungen im Reha-Bereich entsteht, erfaßt.
Ist Ihnen, Herr Staatssekretär, bekannt, daß es eine monatliche Arbeitsamtsstatistik gibt und darin die Gesundheitsberufe sehr
wohl ausgewiesen sind, so daß man sehen kann, daß es dort zu einem signifikanten Anstieg gekommen ist?
Das ist überhaupt kein Widerspruch. Ich sagte das bereits vorhin. Sie haben den Anstieg zahlenmäßig richtig benannt. Es besteht aber keine Möglichkeit, zwischen Arbeitslosen, die aus dem allgemeinen Rückgang im Bereich der Gesundheitsanbieter herrühren, und Arbeitslosen, die aus dem Reha-Bereich kommen, zu unterscheiden.
Noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, zu Ihrer Aussage zu den Zahlen über die regionalen Unterschiede möchte ich Sie fragen, wie die Bundesregierung die Aussage der Bayerischen Staatsregierung, besonders die der Frau Stamm, bewertet, die für eine deutliche Regionalisierung in Bayern ist, auf der anderen Seite aber darauf drängt, daß die Regionalisierungstendenzen, die vielleicht bei anderen Ländern gegenüber Bayern vorhanden sind, eingeschränkt werden.
Ich bin ganz sicher, daß Regionalisierungstendenzen in diesem Bereich nicht nur in Bayern - ich habe bereits die Beispiele Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz genannt - vorhanden sind und daß die Regionalisierungstendenzen in Bayern sicher nicht über den allgemeinen Trend hinausgehen. Im übrigen bin ich der festen Überzeugung, daß die Landschaft in Bayern und die Qualität der Rehabilitationseinrichtungen in Bayern für sich selbst werbewirksam sind.
Zusatzfrage des Kollegen Kubatschka.
Herr Staatssekretär, heißt das, daß Ihr Ministerium noch nichts davon gehört hat, daß die Bayerische Staatsregierung Regionalisierungen bei den Sozialbeiträgen durchführen will?
Das war eine ganz andere Frage, Herr Kubatschka. Sie dürfen die Dinge nicht durcheinanderbringen. Wir sprachen auf Grund der Frage der Kollegin von den Rehabilitationseinrichtungen und deren Belegung und nicht von regionalisierten Beiträgen.
Herr Staatssekretär - -
- Doch, ich darf. Es gab zwei Fragen, also darf ich zwei Zusatzfragen stellen. Ich kenne mich hier relativ gut aus.
Horst Kubatschka
Herr Staatssekretär, Sie haben vorhin die Gesundheitsberufe angesprochen. Sie haben gesagt, Sie können das nicht differenzieren, aber Sie können doch sicher sagen, wie die Zahlen der Arbeitslosen in den Gesundheitsberufen vor einem Jahr waren und wie sie jetzt sind. Welche Zahlen stehen zur Debatte? Ich konnte bei Befragungen vor Ort herausbekommen, wieviel Leute in den Reha-Kliniken entlassen Wurden.
Sie haben bei einzelnen Arbeitsämtern nachgefragt. Da kann man es natürlich feststellen. Aber die Frage, die Sie gestellt haben, war global. Sie fragten, wie sich die Zahl der Arbeitslosen im Bereich Reha insgesamt verändert hat.
Ich bin im Augenblick dabei, die Aussage darüber, wie sich die Arbeitslosenzahlen in den Gesundheitsberufen verändert haben, zu suchen. Ich habe in Erinnerung - ich sagte das bereits bei der Beantwortung der Frage der Frau Kollegin -, daß die Zahl, die sie nannte, ungefähr dem entspricht, was uns vorliegt, nämlich daß im April 1997 die Arbeitslosigkeit in allen Gesundheitsberufen mit 107 500 um 22 700 -die Kollegin sprach von 21500, das ist ungefähr dieselbe Größenordnung - höher liegt und die Zahl der als offen gemeldeten Stellen erheblich zurückgegangen ist, nämlich um 5 700 auf 12 600.
Aber, Herr Kollege, diese Zahlen gelten für alle Gesundheitsberufe und nicht nur für den Reha-Bereich.
Noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, nach dem Arbeitsförderungsgesetz gibt es die Möglichkeit, aus Anlaß struktureller Brüche gesonderte Erhebungen zu machen. Meine Frage an die Bundesregierung ist: Warum haben Sie nicht dem Antrag der SPD-Fraktion im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung im Jahre 1996 entsprochen und veranlaßt, daß die Bundesanstalt für Arbeit in Arbeitsamtsbezirken, in denen Reha- und Kurkliniken sind, eine Sondererhebung macht? Diese Frage stelle ich vor dem Hintergrund, daß Sie bestritten haben, daß durch das Herunterfahren der Reha-Mittel 30 000 bis 60 000 Arbeitsplätze verlorengehen. Sie wollten davon gewissermaßen nichts wissen.
Herr Kollege, erstens wurde Ihr Antrag im Ausschuß damals hinreichend behandelt; Argumente wurden ausgetauscht.
Zweitens ist es so, daß man zu dem Zeitpunkt, als Sie danach fragten, in keiner Weise wußte, wie sich die Zahl der Anträge tatsächlich entwickeln würde.
- Natürlich nicht. Es hat sich gezeigt, daß der Rückgang der Zahlen im Frühjahr dieses Jahres noch wesentlich drastischer war, als es sich im Augenblick darstellt. Das ist keine Frage.
Darf ich davon ausgehen, daß die Bundesregierung an diesem Punkt nichts hörend, nichts sehend, nichts sagend verfährt?
Das dürfen Sie nicht - im Gegenteil.
Nach Herrn Haack kommt nun Frau Caspers-Merk.
Herr Staatssekretär, ist das, was Sie hier ausführen, wirklich richtig, daß Sie Spargesetze einbringen, die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt haben, ohne daß Sie vorher eine Folgeabschätzung für den Arbeitsmarkt vornehmen und gegenrechnen, was uns das Ganze auf Grund der Defizite in den Sozialkassen letztlich kosten wird?
Selbstverständlich werden Abschätzungen vorgenommen, bevor man derartige Gesetze auf den Weg bringt. Das ist die eine Seite der Medaille.
Die andere Seite der Medaille ist, daß genaue Voraussagen in einer schwierigen Zeit natürlich nicht möglich sind. Sie wissen, Frau Kollegin, daß einige Punkte zusammenkommen, die die Frage der Rehabilitation beeinflußt haben. Dabei geht es nicht nur darum, daß die Bedingungen, unter denen jemand Anspruch auf eine Reha-Maßnahme hat, deutlich verschärft worden sind.
Das war übrigens nicht die alleinige Meinung der Regierungsparteien. Auch Sie und Ihre Partei haben in der Öffentlichkeit mehrfach gesagt, daß, wenn Einsparungen notwendig sind, unter anderem auch bei den Kuren eingespart werden könnte. Darüber gibt es wohl keinen Zweifel.
Wir waren bereit, gewisse Korrekturen anzubringen, weil wir das, was konkret eingetreten ist, in der Tat so eingeschätzt haben. Auch die allgemeine Arbeitsmarktsituation hat eine gewisse Nachbesserung erforderlich gemacht.
Sie wissen, daß der Deckel für nächstes Jahr um 450 Millionen DM und für übernächstes Jahr um 900 Millionen DM angehoben wurde. Das geschah aus genau den Überlegungen heraus, die Sie off en-bar auch hier reklamieren.
Möchten Sie noch eine Frage stellen?
Ja, ich habe noch eine Zusatzfrage. Sie haben gerade das Zusatzprogramm der Bundesregierung angesprochen. Stimmen Sie mir zu, daß auch wir als SPD-Bundestagsfraktion über die Fragen nachgedacht haben? Deswegen gibt es auch von uns Anträge. Sie haben die nicht angenommen.
Deswegen frage ich Sie noch einmal: Wie, meinen Sie, soll die Hebung des Deckels nächstes Jahr funktionieren? Was bedeutet das wirklich für den Arbeitsmarkt? Und wie paßt das zu der Ankündigung des Bundeskanzlers, eine Halbierung der Arbeitslosenzahlen bis zum Jahr 2000 zu erreichen?
Erstens bezweifle ich nicht, daß man sich auch bei der SPD Gedanken über die Politik im allgemeinen und natürlich auch über die Reha-Fragen macht. Es steht mir gar nicht zu, dies zu bezweifeln.
Zweitens denke ich, daß die Anhebung des Dekkels auf jeden Fall dafür sorgen wird, daß - und das ist das Wichtigste bei all diesen Fragen - keinesfalls eine Situation eintreten kann, in der medizinisch notwendige Maßnahmen nicht gewährt werden können. Das ist der zentrale Bereich. Der ist auf jeden Fall sichergestellt.
Drittens denke ich, daß für die Auslastung oder für die bessere Auslastung - das muß ich ehrlicherweise sagen - der Reha-Kliniken ein größerer Spielraum vorhanden ist.
Daß der Bundeskanzler recht hat, wenn er das Ziel aufstellt, die Arbeitslosigkeit herunterzubringen, wird von niemandem bezweifelt. Wir tun dafür ja etwas, wenn wir den Preis für die Arbeit durch das Senken der Lohnnebenkosten in Bereichen, wo es vertretbar ist, nämlich zum Beispiel bei den Kuren - Entsprechendes hat auch einmal einer der Kanzlerkandidaten der SPD verlauten lassen -, billiger machen. Damit kommen wir unserem Ziel, die Arbeitslosigkeit herunterzubringen, ein ganzes Stück näher.
Herr Kollege Büttner.
Herr Staatssekretär, Sie haben in Ihrer Antwort auf die Frage meines Kollegen Kubatschka vorhin mitgeteilt, daß man in Ihrem Hause über die Regionalisierung der Reha, nicht über die Regionalisierung der Beiträge gesprochen habe. Ich frage Sie in diesem Zusammenhang: Halten Sie es nicht für einen Widerspruch, wenn man sich auf der einen Seite gegen eine Regionalisierung der Reha ausspricht und wenn auf der anderen Seite für eine Regionalisierung der Beiträge plädiert wird, da ja durch eine Nichtregionalisierung der Reha Mittel aus anderen Versicherungsanstalten in bestimmte Regionen fließen können? Meinen Sie nicht, daß die Bundesregierung dies auch gegenüber solchen Bestrebungen deutlich machen muß?
Erst einmal, Herr Kollege: Sie waren ja dabei; Sie müßten sich eigentlich noch daran erinnern können. Ich habe nicht gesagt, daß im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung über die Regionalisierung der Reha, nicht aber über die der Beiträge gesprochen wurde. Vielmehr habe ich gesagt, hier, von den Kollegen, die Fragen gestellt haben, sei die Regionalisierung der Reha und nicht die der Beiträge angesprochen worden. Das ist ein gewaltiger Unterschied.
Zum zweiten bin ich natürlich der Meinung - ich kann mich jetzt nur wiederholen -, daß die Länder - nicht nur Bayern, alle Länder - versuchen, in einer Zeit, in der natürlich Einschränkungen notwendig geworden sind, die bei ihnen vorhandenen Einrichtungen in besonderer Weise auszulasten. Das ist die Frage der Regionalisierung der Reha-Einrichtungen.
In bezug auf die Frage, in welcher Weise man bei Beiträgen vorgeht, verweise ich auf die sachkundigen Ausführungen meines Kollegen Seehofer, der dazu, glaube ich, ausführlich und in hinreichender Weise Stellung genommen hat. Wenn Sie wünschen sollten, daß ich hier auf einzelne Punkte eingehe, dann bin ich selbstverständlich dazu bereit.
Erledigt, Herr Büttner?
Ich habe noch eine kleine Frage dazu. Herr Staatssekretär, auf Grund Ihrer Ausführungen frage ich noch einmal: Widersprechen Sie damit nicht der Stellungnahme des Arbeits- und Sozialausschusses des Bayerischen Landtages, der sich genau gegen eine Regionalisierung der Reha mit der Begründung ausgesprochen hat, daß dadurch die Einrichtungen in Bayern nicht mehr in dem Maße ausgelastet werden könnten wie bisher, wenn die anderen Bundesländer entsprechend verfahren würden?
Ich widerspreche diesen Ausführungen in keiner Weise. Ich habe auch keine Meinungsäußerung zur Regionalisierung der Reha hier getan. Ich habe über die Verhaltensweise einzelner Länder berichtet, nicht nur der Bayerns, sondern auch anderer, auch SPD-regierter Länder.
Frau Irber.
Herr Staatssekretär, hat es vor Einbringung der entsprechenden Gesetze, die die Möglichkeiten für Kuren eingeschränkt haben, und der Beschlußfassung in Ihrem Hause oder in anderen Ressorts Überlegungen dahin gehend gegeben, welche Auswirkungen das auf die einzelnen Regionen haben könnte? Hat es eine Berechnung der volkswirtschaftlichen Auswirkungen dieser Maßnahme gegeben? Wenn ja: Gibt es dazu eine schriftliche Vorlage?
Selbstverständlich hat man sich Gedanken über die volkswirtschaftlichen Auswirkungen derartiger neuer Gesetze gemacht. Ich sagte vorhin schon, daß primär das Bemühen im Vordergrund stand, in Bereichen, wo es vertretbar ist, Lohnnebenkosten zu senken, um Arbeit insgesamt billiger zu machen und damit wieder neue Arbeitsplätze zu schaffen.
Konkrete Einzelberechnungen kann ich Ihnen hier leider nicht vorlegen, weil sie mir im Augenblick nicht zur Verfügung stehen. Ich werde einmal nachhören, ob ich Ihnen die Kostenberechnungen für dieses Gesetz in schriftlicher Weise nachreichen kann. Ich bitte um Verständnis dafür, daß ich das aus dem Stand heraus nicht mit Zahlen belegen kann.
Zusatzfrage, bitte schön.
Herr Staatssekretär, mich interessiert, ob es eine ressortübergreifende Abstimmung gegeben hat. Sie sind ja gerade darauf eingegangen, daß die Lohnnebenkosten gesenkt werden sollen und damit die Arbeit billiger gemacht werden soll. Gerade das Gegenteil ist eingetreten; man muß sich nur einmal die Zahl der ehemals in Gesundheitsberufen Beschäftigten und jetzt Arbeitslosen ansehen.
Wenn wir dieser Argumentation folgten, wäre es völlig sinnlos, überhaupt irgendwelche Bereiche, in denen Einsparmöglichkeiten gesehen werden, anzutasten. Dann wäre es auch sinnlos, nicht mehr rentable Industrien aufzugeben und andere Möglichkeiten zu suchen, weil das in Strukturumbrüchen immer mit einer zeitweisen Arbeitslosigkeit verbunden ist.
Was Sie hier wollen, kann, auf Dauer gesehen, mit Sicherheit nicht zu mehr Arbeitsplätzen führen.
Frau Kollegin Ernstberger, ich möchte darauf aufmerksam machen, daß wir die Zusatzfragen auf eine reduzieren, weil wir uns mit der Ausgangsfrage schon ziemlich lange beschäftigen.
Herr Staatssekretär, Sie haben vorhin von sinnvollen Einsparungen gesprochen. Ich möchte Ihnen zustimmen; auch die SPD ist selbstverständlich für sinnvolle Einsparungen. Ich möchte Sie fragen: Ist Ihnen der SPD-Antrag bekannt, in dem wir die Budgetierung auf 1995 beziehen, weil wir eben keine starren Größen angeben wollten?
Dies ist mir selbstverständlich bekannt. Wir sind aber der Meinung, daß über diesen Weg eine echte Einsparung, zumindest in ausreichendem Umfang, hätte nicht erreicht werden können. Wir glauben - darauf lege ich großen Wert -, daß die medizinische Situation durchaus befriedigend bewältigt werden kann, indem wir auf die Zahlen von zwei Jahren früher, als Sie das wollten, zurückgehen. Damit ist erstens dem Hauptziel, nämlich die medizinische Rehabilitation in jedem einzelnen Fall aufrechtzuerhalten, Genüge getan und auch dem zweiten Hauptziel, nämlich die notwendigen Einsparungen zur Absenkung der Lohnnebenkosten zu erreichen. Wir gehen ein Stück weiter als Sie. Ich freue mich natürlich, feststellen zu können, daß wir in die gleiche Richtung gegangen sind.
Ich rufe die Fragen 11 und 12 des Abgeordneten Jann-Peter Janssen auf:
Welche Zahlen liegen der Bundesregierung darüber vor, in welcher Höhe seit dem 1. Oktober 1996 in Reha-Einrichtungen, Kurmittelbetrieben und abhängigen Einrichtungen in Kurorten und Heilbädern Arbeitsplätze verlorengegangen sind?
In welcher Höhe mußte für die in diesen Einrichtungen arbeitslos gewordenen Personen Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe und Hilfe zum Lebensunterhalt geleistet werden?
Die Bundesanstalt für Arbeit führt keinerlei Statistiken zur Arbeitsmarktsituation speziell im Bereich der Reha-Kliniken und Kurbetriebe; ich sagte dies schon im Verlauf der Diskussion. Es ist daher nicht möglich, festzustellen, wieviel Personen seit dem 1. Oktober 1996 in RehaEinrichtungen, Kurmittelbetrieben und abhängigen Einrichtungen in Kurorten und Heilbädern ihren Arbeitsplatz verloren haben.
Zur zweiten Frage: Da die Zahl der arbeitslos gemeldeten Personen nicht zu ermitteln ist, lassen sich logischerweise auch keine Angaben über die konkreten Kosten machen.
Herr Janssen stellt keine Zusatzfrage.
- Gut. Bitte!
Herr Staatssekretär, liegen der Bundesregierung Erkenntnisse vor, wie sehr die Heilbäder und Kommunen unter der Situation „Ausfälle von Steuereinnahmen, Ausfälle von Kurtaxen" leiden? Liegen Ihnen darüber Zahlen vor?
Dazu liegen in den einzelnen Fällen ganz sicher Erkenntnisse vor, die jetzt aber natürlich nicht greifbar sind. Es gibt eine Reihe von Gesprächen mit den einzelnen Kommunen und den sonstigen Betroffenen, auch in unserem Hause. Von daher, und auch durch Statistiken, sind natürlich Zahlen bekannt.
Dann meine Zusatzfrage zu Frage 12. Wie beurteilen Sie die Entwicklung der Kommunen im Bereich der Kur- und Heilbäder vor dem Hintergrund dieser Strukturkrise?
Wir beurteilen die Situation in den einzelnen Bereichen unterschiedlich. Wir stellen immer wieder fest, daß es Bereiche gibt, in denen durch Akquisition anderer, eben nicht durch die Sozialversicherung bezahlter Kuren eine gewisse Stabilisierung und sogar eine Ausweitung - ich denke hier speziell an einen Fall, der mir persönlich bekannt ist - erreicht wird. Auf der anderen Seite haben wir natürlich die schwierige Situation, auch der Kommunen und der sonstigen Betroffenen, voll im Auge gehabt, als wir den Deckel - ich sagte das vorhin schon - für nächstes und übernächstes Jahr ein ganzes Stück angehoben haben.
Herr Abgeordneter Kubatschka.
Herr Staatssekretär, da Sie ja keine Zahlen haben: Ich gebe ja zu, daß sich die Regierung genauso Gedanken über ihre Maßnahmen macht wie die SPD-Fraktion. Aber eine Gedankenkontrolle scheint dann nicht stattzufinden. Das heißt, die Bundesregierung beschließt Gesetze, und Sie führen keine Mißerfolgskontrolle durch - von Erfolgskontrolle kann man ja nicht sprechen.
Es kommt jetzt darauf an, Herr Kollege Kubatschka, was Sie unter Erfolg oder Mißerfolg verstehen.
Unter Mißerfolg verstehe ich ein Minus von Arbeitsplätzen.
Ich sage es zum dritten Mal: Es gab zwei Hauptziele, Herr Kubatschka.
Erstens: die ausreichende und notwendige medizinische Versorgung. Dabei haben wir bisher eine Erfolgskontrolle in der Weise, daß kein einziger Fall bekanntgeworden ist, in dem dieses Ziel nicht erreicht wurde.
Zweitens: die Einsparungen. Bei den Einsparungen und möglicherweise, was im Augenblick noch nicht bekannt ist, bei der Budgetüberschreitung in den übrigen Bereichen haben wir durchaus eine Erfolgskontrolle darüber, daß im wesentlichen - mit Ausnahme der Müttergenesungskuren, bei denen man noch um einem bestimmten Millionenbetrag, der aber nicht sehr erheblich ist, nachbessern muß - die von uns ins Auge gefaßten Zahlen, also Einsparungen erreicht worden sind. Insofern liegen Sie etwas falsch, wenn Sie so etwas unterstellen.
Zusatzfrage, Frau Kastner.
Herr Staatssekretär, jeder Kurbereich, jede Kurstadt hat ja auch ein touristisches Umfeld. Ist Ihnen bekannt, wie hoch die Tourismuseinbrüche im Umkreis von Kurstädten im Vergleich zu anderen Fremdenverkehrsbereichen sind?
Auch darüber gibt das Bundesamt für Statistik keine einzelnen Zahlen her. Deswegen können wir diese Frage nicht beantworten; es gibt nämlich keine Aufgliederung. Wir haben uns selbstverständlich, weil wir Ihre Fragen natürlich in besonders präziser Weise beantworten wollen, vorher nach diesen Zahlen erkundigt. Es gibt beim besten Willen keine Gemeindegruppenstatistiken.
Ich stelle fest, daß die gerade von Ihnen gestellte Frage in der Frage 13 der Abgeordneten Annette Faße enthalten ist. Damit ist die Frage 13 eigentlich gerade beantwortet worden; es würde dasselbe noch einmal gesagt werden.
Vielleicht hat sich der Staatssekretär auf meine Frage anders vorbereitet. Dann hätte ich seine Antwort doch ganz gerne gehört.
Dann rufe ich die Frage 13 auf:
Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung über die Umsatzentwicklung in Tourismus- und tourismusabhängigen Branchen in Kurorten und Heilbädern vor?
Im wesentlichen habe ich mich in der Weise wie bereits von mir ausgeführt vorbereitet. Ich möchte vielleicht nur noch eine Zahl anführen, damit Sie sehen, daß unsere Bemühungen sehr nachhaltig gewesen sind. Es gibt eine Statistik der Universität München, in der festgehalten wird, daß der Gesamtumsatz in deutschen Heilbädern und Kurorten mit einer Höhe von etwa 35 Milliarden DM im Jahr ausgewiesen wird.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wenn ich Sie richtig verstehe, sind Sie mit mir der Meinung, daß die Einbrüche im Kur- und Heilbäderbereich auch direkte Auswirkungen auf den Tourismusbereich in diesen Orten haben. Ich möchte Sie jetzt einmal fragen, ob im Vorfeld darüber nachgedacht worden ist, was das für die einzelnen Kurorte bedeutet.
Selbstverständlich haben wir diese Überlegungen vorher angestellt. Sie müssen bei derartigen Überlegungen einen Saldo über immer vorhandene Vor- und Nachteile ziehen.
Parl. Staatssekretär Rudolf Kraus
Wir sind zu der, wie ich glaube, noch immer richtigen Auffassung gekommen, daß es notwendig ist, in diesem Bereich diese Einsparungen vorzunehmen, und zwar aus ganz unterschiedlichen Gründen. Ich würde mich zum fünften oder sechsten Mal wiederholen, wenn ich auf die Notwendigkeit der Senkung der Lohnnebenkosten hinweisen würde.
Noch eine Zusatzfrage? - Bitte schön.
Da Sie also billigend in Kauf genommen haben, daß im Tourismusbereich Arbeitsplätze entfallen werden, haben Sie sich über die Senkung der Lohnzusatzkosten hinweg sicherlich auch Gedanken gemacht, wie man diesen Kommunen jetzt konkret helfen kann. Dies hätte ich von Ihnen gerne gewußt. Denn so unverantwortlich dürften Sie ja nicht gedacht und gehandelt haben.
Natürlich kann der Bund wegen Einsparungen in bestimmten Segmenten der sozialen Sicherung für die davon stärker betroffenen Gemeinden nicht von sich aus an Ausgleichsmaßnahmen - etwa in Form von Schadensersatz oder dergleichen - denken. Das ist sicher nicht möglich. Die Politik wäre praktisch zur Untätigkeit verurteilt, wenn man solche Gedankenspiele zulassen würde.
Wir haben uns sehr dafür eingesetzt, daß zum Beispiel die Zentrale für Tourismus, soweit es in ihrer Kraft steht, auch den Gemeinden behilflich ist, zusätzliche Anstrengungen zu unternehmen, um auf dem von mir vorhin schon angesprochenen Gebiet, nämlich auf dem Gebiet der privaten Kuren, weiterzukommen. Ich höre, daß in verschiedenen Regionen, insbesondere in Bayern - ich kenne das logischerweise mehr aus Bayern; denn ich stamme von dort -,
- Herr Kollege, selbstverständlich, aber auch in Bayern - Erfolge auf diesem Sektor vorhanden sind. Natürlich sind auch für die Kommunen - das wissen wir - große Anstrengungen erforderlich, mit dieser Situation fertigzuwerden.
Ich rufe die Frage 14 der Abgeordneten Annette Faße auf:
Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die regionalen Arbeitsmarktentwicklungen in diesem Bereich?
Ich dachte eigentlich, die Frage sei schon hinreichend beantwortet. Ich habe ja bereits in der Antwort auf Ihre Zusatzfrage darauf hingewiesen, daß uns keine amtliche Statistik über die speziellen Umsatzentwicklungen in den Tourismus- und tourismusabhängigen Branchen in Kurorten und Heilbädern vorliegt. Nachdem wir diese Zahl nicht haben, können wir logischerweise
keine Auskunft über die regionale Arbeitsmarktentwicklung in genau diesen Bereichen geben.
Herr Staatssekretär, gibt es denn Überlegungen dahin gehend, daß in besonders betroffenen Regionen oder Städten die Mittel für Umschulungsmaßnahmen erhöht werden, um den betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern helfen zu können?
Es gibt nicht nur Überlegungen, sondern auch praktische Maßnahmen der Arbeitsämter bzw. der Bundesanstalt für Arbeit, dort in besonderer Weise zu helfen, wo diese Schwierigkeiten konzentriert auftreten.
Meine zweite Zusatzfrage: Sie haben soeben Mittel der Deutschen Zentrale für Tourismus angesprochen. Sind das Mittel, die Sie ihr zusätzlich zur Verfügung stellen, oder muß sie von ihrem Budget Mittel für Maßnahmen in diesem Bereich abzweigen?
Soweit mir bekannt ist, stehen Mittel in Höhe von 1 Million DM zusätzlich zur Verfügung. Insgesamt sind die Mittel dieser Zentrale um 3 Millionen DM erhöht worden.
Ich rufe die Fragen 15 und 16 des Abgeordneten Eberhard Brecht auf:
In welcher Höhe hat die Bundesregierung Bürgschaften für die Errichtung von Reha-Einrichtungen in den neuen Bundesländern übernommen?
In welcher Höhe mußten Bürgschaften in Anspruch genommen werden?
Zu den Fragen Nr. 15 und 16: Der Bund hat in den neuen Ländern immer nur gemeinsam mit dem jeweiligen Land parallele Bundes- und Landesbürgschaften für Rehaeinrichtungen übernommen. Das zusammen von Bund und Land übernommene Bürgschaftsvolumen für Rehaeinrichtungen beträgt 454 Millionen DM. Auf den Bund entfallen davon 272 Millionen DM.
Zu Ihrer zweiten Frage: Im Rahmen dieser Bürgschaften wurden Bund und Länder in Höhe von 164 Millionen DM in Anspruch genommen. Davon entfallen auf den Bund 98 Millionen DM.
Herr Brecht.
Herr Staatssekretär, bis zu welchem Jahr wurden denn angesichts der Bettenreduktion um 10 Prozent in der Region Ost, die Sie gerade erwähnt haben, solche Bürgschaften gewährt?
Das kann ich jetzt nicht genau sagen. Nach meiner Erinnerung wurden noch bis vorletztes Jahr solche Bürgschaften in Aussicht gestellt, also nicht mehr dann, als absehbar war, daß hier stärkere Einsparmaßnahmen vorgenommen werden müssen. Die Bürgschaften wurden dann natürlich für die laufenden Anforderungen bereitgehalten.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ich komme noch einmal auf die gewährten Landes- und Bundesbürgschaften zum Aufbau neuer Rehakliniken in den neuen Bundesländern zurück. Ist Ihnen bekannt, daß der Bürgschaftsausschuß noch nach Verabschiedung des Wachstums- und Beschäftungsförderungsgesetzes am 13. September Bürgschaften zum Bau von Rehakliniken in den neuen Bundesländern gewährt hat, wissend, daß, wie Sie jetzt dargelegt haben, der Rehabereich auch in den neuen Bundesländern um 10 Prozent gekürzt wird, mit dem Ergebnis, daß wir jetzt einen Leerstand an neuen Kliniken in den neuen Bundesländern haben? Wie beurteilen Sie den volkswirtschaftlichen Nutzen?
Herr Kollege Haack, mir ist nicht bekannt - ich weiß es einfach nicht; das heißt nicht, daß Sie nicht recht haben -, daß diese Bürgschaften noch später gewährt worden sind. Ich vermute aber, daß eine genauere Prüfung Ihrer Aussage ergeben wird, daß es sich um bereits lange vorher zugesagte Bürgschaften handelt, die erst zu einem späteren Zeitpunkt realisiert worden sind, indem die feste Zusage erfolgte. Ich glaube nicht, daß nach diesen Maßnahmen noch zusätzliche neue Bauplanungen angeregt worden sind.
Im übrigen stelle ich fest, Herr Kollege, daß in den neuen Ländern die Zahl der Rehaeinrichtungen immer noch unterdurchschnittlich ist bzw. unterdurchschnittlich war. Hier bestand ganz sicher ein gewisser Nachholbedarf, und man ist schon aus strukturpolitischen Gründen in besonderer Weise tätig geworden.
Weitere Zusatzfrage? - Bitte.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß im Bericht des Bundesministeriums für Wirtschaft enthalten ist, daß über die Gemeinschaftsaufgabe zur Förderung der regionalen Wirtschaftsstruktur nach wie vor Gelder in den Kurbereich im Osten hineinfließen, und zwar in Höhe von etwa 500 Millionen DM an reinen Bundesmitteln?
Ich bin hier, um die Fragen zu beantworten, die direkt mein Ministerium betreffen. Ich bin im Augenblick natürlich überfragt, was das Bundeswirtschaftsministerium in dieser Frage unternommen hat. Man müßte auch hier genau hinterfragen, welche Gründe denn zu diesen Maßnahmen geführt haben. Ich glaube, daß eine einzelne, konkrete, ins Detail gehende Prüfung zu durchaus einsehbaren Begründungen führt.
Zusatzfrage.
Ist Ihnen bekannt, daß einige Rehaeinrichtungen mit Kreditinstituten über eine Aussetzung von Zins- und Tilgungsleistungen verhandeln, weil sie anders nicht mehr lebensfähig sind?
Ja, ganz sicher ist das bekannt.
Darf ich dann fragen, wie die Bundesregierung auf diese Entwicklung reagiert?
Die Bundesregierung kann in dieser Frage über das, was in diesen Fällen normalerweise getan werden kann, natürlich nicht hinausgehen. Sie wissen, daß hier die Kompetenzen der Länder in starkem Maße gefragt sind.
Zusatzfrage? - Nein.
Dann komme ich jetzt zu den Fragen 17 und 18 der Abgeordneten Brunhilde Irber:
Ist mit der Vorlage eines Hilfsprogrammes für die deutschen Kur- und Heilbäder durch die Bundesregierung zu rechnen, und wenn ja, zu welchem Zeitpunkt?
Welche inhaltliche und finanzielle Gestaltung wird das Förderprogramm erhalten?
Frau Kollegin, ein Hilfs- und Förderprogramm für die deutschen Kur- und Heilbäder ist von der Bundesregierung, was ich schon sagte, nicht beabsichtigt. Im Zusammenwirken mit den Gesundheits- und den Tourismusverbänden unterstützt die Bundesregierung eine gemeinsame Marketinginitiative für deutsche Kurorte und Heilbäder im In- und Ausland, um Deutschland als Kur- und Bäderland und als Standort für hochqualifizierte Spitzenmedizin weltweit bekanntzumachen. Hier haben wir bekanntlich einen gewaltigen Nachholbedarf.
Ziel ist es, durch konkurrenzfähige Produkte und deren professionelle Vermarktung und Vertrieb mehr selbstzahlende Gäste für deutsche Gesundheitsleistungen zu interessieren. Diese Marketingkampagne soll durch die Bündelung der verfügbaren Mittel der
Parl. Staatssekretär Rudolf Kraus
Verbände unter Einbeziehung des Werbebudgets der Deutschen Zentrale für Tourismus finanziert werden.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Bedeutet das, daß von der Bundesregierung keine zusätzlichen Mittel zur Verfügung gestellt werden, sondern daß diese Unterstützungsmaßnahmen in erster Linie aus Mitteln der Deutschen Zentrale für Tourismus bezahlt werden sollen?
Das ist richtig. Ich habe vorhin gesagt, daß das mit Ausnahme der von mir genannten Beträge, also 500 000 DM vom Bund bzw. die Erhöhung auf 1 Million DM durch das Land, gilt. Aber prinzipiell ist richtig, was Sie sagen.
Zweite Zusatzfrage? - Keine? - Dann Frau Saibold.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie gerade die Kampagne angesprochen haben, die die DZT angeblich durchführen soll, möchte ich Sie fragen, ob es denn wirklich die Aufgabe der Deutschen Zentrale für Tourismus ist, für die Hochleistungsmedizin zu werben, oder ob das nicht in andere Bereiche gehört. Meiner Information nach ist das auch nicht möglich, weil da ganz viele Fragen in bezug auf Krankenversicherung und ähnliches zu klären sind.
Diese Ansicht, Frau Kollegin Saibold, daß das nicht möglich sei, habe ich bisher nicht gehört. Im Gegenteil, wir denken, es ist zweckmäßig, daß ein Hochleistungsland mit einem besonders guten Ruf und einer besonderen Leistungsfähigkeit gerade in diesem Bereich selbstverständlich im Rahmen des allgemeinen Tourismus tätig werden kann, soll und muß. Im Bereich des Billigtourismus werden wir im Vergleich zu anderen Ländern wohl keine Chance haben.
Zusatzfrage der Kollegin Kastner.
Herr Staatssekretär, daß Sie vorhin davon gesprochen haben, daß die Deutsche Zentrale für Tourismus mehr Geld bekommen habe, hat mich eigentlich sehr überrascht. Ich frage Sie: Ist Ihnen bekannt, daß die Deutsche Zentrale für Tourismus statt 42 Millionen DM jetzt nur noch 39 Millionen DM zur Verfügung hat und meines Erachtens aus diesem Etat auch die Marketingkampagne bezahlen muß, weil das Wirtschaftsministerium noch kein Geld zur Verfügung gestellt hat?
Frau Kollegin,
ich kann Ihnen die Antworten nur so geben, wie sie von uns recherchiert wurden. Dabei sind die Zahlen zutage getreten, die ich Ihnen bekanntgegeben habe.
- Das stellen Sie jetzt fest. Ein Wahrheitsbeweis wird auf die Schnelle nicht möglich sein. Wir gehen aber, um diese Frage korrekt zu beantworten, der Sache selbstverständlich noch einmal nach.
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor. - Jetzt muß ich einmal nachfragen, Herr Staatssekretär: Haben Sie die Frage 18 schon mit beantwortet?
Jawohl.
- Aber selbstverständlich. Die Frage war entsprechend, und deshalb habe ich sie mit beantwortet.
Dann gibt es auf jeden Fall die Möglichkeit, noch nachzufragen. - Frau Kollegin Irber, bitte.
Sie haben zwar die finanzielle Seite beleuchtet, aber nicht die inhaltliche. Wie soll die Unterstützungsmaßnahme denn inhaltlich aussehen? Nehmen Sie als Bundesregierung hierauf Einfluß? Soll sie auf die Medizin eines Hochleistungslandes oder auf ein Hochleistungstourismusland ausgerichtet sein?
Ich weiß nicht, wie ich diese Frage anders auffassen soll als die, die ich beantwortet habe. Selbstverständlich kann die Bundesregierung über das Werbekonzept, den Inhalt der Werbung im Detail, nicht befinden. Was wir wollen - was zwischenzeitlich übrigens auch von einer Reihe von Bundesländern für richtig und wichtig gehalten wird -, ist, daß die Tatsache, daß in der Bundesrepublik Deutschland Hochleistungsmedizin geboten wird, daß sie hier möglich ist und daß sie erfolgreich praktiziert wird, einem großen Teil der Welt bekanntgemacht wird, damit die Menschen eben nicht nur in unsere Nachbarländer gehen, die sehr viel höhere Erfolgsquoten haben als wir, sondern auch in die Bundesrepublik Deutschland kommen.
Möchten Sie noch einmal nachfragen? - Nicht. Dann die Nachfrage der Kollegin Saibold.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir zu, daß Ihren vorhergehenden Ausführungen zu entnehmen ist, daß die Abstimmung zwischen dem Ministerium für Arbeit und Soziales, dem Ministerium für Gesundheit und
Halo Saibold
dem Bundesministerium für Wirtschaft offensichtlich in keiner Weise funktioniert, da Sie immer wieder darauf verweisen müssen, daß Ihnen keine Kenntnisse vorliegen?
Das ist falsch.
Erstens. Ich habe darauf abgehoben, daß das Bundesgesundheitsministerium, zuständig für die Krankenkassen, und wir, zuständig für die Rentenversicherung, uns sehr wohl voll abgestimmt haben.
Zweitens. Ich habe vorhin in einer Detailfrage auf das Bundeswirtschaftsministerium verwiesen, da ich die Zahlen nicht nennen kann, was ich zugebe. Ich halte das für selbstverständlich; das ist auch in der Vergangenheit nicht anders gewesen. Es ist keineswegs ein Zeichen dafür, daß nicht hinreichend abgestimmt worden wäre.
Damit kommen wir jetzt zur Frage 19 des Abgeordneten Karl Hermann Haack:
Sind der Bundesregierung die Auswertungen des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger bekannt, wonach allein bis April 1997 bei Einrichtungen der medizinischen Rehabilitation rechnerisch die Kapazität von etwa 120 hochqualifizierten Kliniken mit rund 14 000 Arbeitsplätzen verlorengegangen ist, und welche Folgerungen zieht sie daraus?
Herr Kollege Haack, die Auswertungen des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger haben ergeben, daß die Träger der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten 23 700 Betten in Rehaeinrichtungen nicht mehr belegen. Der VDR berechnet daraus eine hypothetische Größe für den Wegfall von Arbeitsplätzen. Über den tatsächlichen Abbau von Arbeitsplätzen und die Schließung von Kliniken trifft der VDR jedoch keine Aussage.
Schließungen von Kliniken sind nicht zuletzt davon abhängig, inwieweit der Rückgang bei der Bettenbelegung durch eine Belegung mit Rehabilitanden durch die Träger der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten oder mit Kurgästen aus anderen Bereichen kompensiert werden kann. Der konjunkturbedingte Rückgang der Anträge auf Rehabilitationsleistungen sowie die Begrenzung der Ausgaben für Rehabilitationsleistungen in der gesetzlichen Rentenversicherung wie auch die Sparmaßnahmen im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung führen zu Nachfrageausfällen bei den Leistungsanbietern.
Zwar lassen sich Arbeitsplatzreduzierungen in Rehabilitationseinrichtungen in der Arbeitsmarktstatistik nicht direkt verfolgen - damit komme ich auf das, was ich bereits eingangs gesagt habe, zurück -, in der Tat ist es aber auffällig, daß im April - jetzt nenne ich die Zahl nochmals - die Arbeitslosigkeit in allen Gesundheitsberufen mit 22 700 eine 27prozentige Steigerung erfahren hat. Ebenso ist die Zahl der offenen Stellen, die ich vorhin schon genannt habe, gewaltig zurückgegangen.
Wenn die Veränderung der gesetzlichen Rahmenbedingungen bei den Rehabilitationsmaßnahmen in der Rentenversicherung Auswirkungen auf die entsprechenden Arbeitsplätze hat, so ist aber darauf hinzuweisen, daß es nicht Aufgabe der Rentenversicherung sein kann, durch eine entsprechende Nachfrageerzeugung Arbeitsplätze zu schaffen oder auch nur zu erhalten. Es ist Aufgabe von Kurorten, nach Möglichkeit selbstzahlende Rehabilitanden zu akquirieren und außerdem verstärkt normale touristische Leistungen anzubieten. So kann in diesen Regionen der Einkommens- und Arbeitsplatzrückgang zumindest etwas gemildert werden.
Herr Staatssekretär, ich habe eine Zusatzfrage und will vorausschicken, daß Herr Adamy als Vertreter der Arbeitnehmerbank anläßlich der Vorstellung des Haushaltes der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg eine Rechnung theoretischer Art aufgemacht hat: 100 000 Arbeitslose bedeuten Mehrbelastungen/Mindereinnahmen in der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung in Höhe von 2,5 Milliarden bis 3 Milliarden DM. Teilen Sie meine Auffassung, daß, wenn nach unseren eigenen Erhebungen 50 000 Arbeitsplätze verlorengegangen sind, ein Schaden in der Größenordnung von 1,25 bis 1,5 Milliarden DM entstanden ist, und betrachten Sie dies als einen volkswirtschaftlichen Schaden?
Nein. Diese Auffassung teile ich nicht. Ich betrachte das auch nicht schlechthin als Schaden. Denn wenn es so wäre, wie Sie sagen, müßten auch nicht unbedingt notwendige Ausgaben im sozialen Bereich getätigt werden, nur um die Arbeitsplätze zu erhalten. Das kann und darf keine Regelung sein.
Ich bitte Sie, Herr Haack, in diesem Zusammenhang auch einmal einen Blick auf die Regierungen zu werfen, die die SPD stellt. Auch dort werden Sie Einsparungen finden, mit der Konsequenz, daß Arbeitsplätze verlorengehen. Wenn sie Gelder in nennenswertem Umfang sperren und sich das auf Bereiche bezieht, in denen die Lohnintensität hoch ist, wird logischerweise ein Arbeitsplatzabbau nicht zu vermeiden sein. Deswegen kann ich die Auffassung, die Sie hier vorbringen, nicht teilen. Denn wir haben nur in den Bereichen, wo wir es aus finanziellen und medizinischen Gründen für möglich und zwar sicherlich nicht sehr schön, aber besonders notwendig gehalten haben, Reduzierungen vorgenommen. Ihre Rechnung kann ich deshalb nicht für richtig halten.
Teilen Sie die Auffassung des Ministers Seehofer, der vor 14 Tagen in einem Interview in der „Süddeutschen Zeitung" auf den Hinweis des Redakteurs auf die hohen Arbeitsplatzverluste in Rehakliniken erklärt hat, daß er die damalige Entscheidung für richtig halte und
Karl Hermann Haack
daß man einen hohen Anstieg der Arbeitslosenzahlen in Kauf nehmen müsse?
Ich teile diese Auffassung hinsichtlich der Tatsache, daß sie generell als richtig zu bewerten ist. Darüber hinaus bin ich aber der Auffassung, daß wir alles tun müssen, um diesen Strukturbruch abzufedern, und dafür sorgen müssen, daß frei werdende Arbeitskräfte, die in manchen Bereichen dringend gebraucht werden, vermittelt werden. Es ist ja einfach nicht richtig, hier so zu tun, als ob jede freigesetzte Arbeitskraft keinen Arbeitsplatz mehr finden würde. Ich empfehle Ihnen einmal die Lektüre von Berichten über den Pflegenotstand in Krankenhäusern, zum Beispiel in der bayerischenLandeshauptstadt München. Daraus geht hervor, daß nicht einmal die Pflege, ohne daß man auf sehr viele Ausländer aus Drittländern, also nicht aus EU-Staaten, zurückgreift, ordnungsgemäß aufrechterhalten werden könnte. Das heißt, daß jedenfalls ein erheblicher Teil dieser Kräfte wieder Arbeit finden kann.
- Halten Sie diese Arbeit für ehrenrührig? Was sind Sie denn dann für eine Arbeiterpartei? Wollen Sie die Leute lächerlich machen? Ich verwahre mich gegen solche Äußerungen.
Jetzt erst die weitere Zusatzfrage des Kollegen Haack, dann die Nachfragen des Kollegen Kubatschka und der Kollegin Anke Fuchs.
Herr Staatssekretär, Sie haben darauf hingewiesen, daß sich jeder politisch Verantwortliche dem strukturellen und sozialen Wandel stellen muß. Ich teile Ihre Auffassung.
Sind Sie aber nach wie vor der Auffassung, daß die Fallbeilmethode des Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetzes, das hier am 13. September letzten Jahres beschlossen worden ist, innerhalb des relativ kurzen Zeitraumes von einem Vierteljahr die Mittel für Rehabilitationsmaßnahmen um ein Drittel abzusenken, richtig war? Oder teilen Sie meine Auffassung, daß man die Absenkung, wie mit der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation verabredet, über drei bis vier Jahre hätte strecken sollen, um einen sozial verträglichen Strukturwandel zu organisieren?
Herr Kollege, ich habe vorhin schon ausgeführt, daß wir unter anderem durch die Anhebung des Deckels versucht haben, eventuelle Überreaktionen durch die Kombination verschiedener Faktoren zu vermeiden bzw. abzuschwächen und in einer gewissen Weise zu lindern.
Nachfrage des Kollegen Kubatschka.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie nicht wissen, wie viele Arbeitslose Ihr Gesetz produziert hat - in meinem Wahlkreis konnte ich das sehr wohl herausbekommen -, wissen Sie denn dann wenigstens, wieviel Kapital durch die Schließung von hochspezialisierten Kliniken vernichtet wurde?
Selbstverständlich ist es nicht unsere Aufgabe nachzurechnen, wer seine bisherigen geschäftlichen Aktivitäten jetzt unter Umständen nicht fortsetzen kann. Ich kann deswegen logischerweise auf diese Frage überhaupt keine Antwort geben. Bei dem Beschluß dieser Gesetze, Herr Kubatschka, können wir ja nicht fragen, ob ein, zwei oder auch hundert Unternehmer von solchen Auswirkungen betroffen sind. Es gibt Verträge, die einzuhalten sind. Das ist gar keine Frage. Es gibt aber auch den politischen Gestaltungsspielraum, wenn Maßnahmen aus finanziellen Gründen unter Beachtung der medizinischen Notwendigkeiten erforderlich sind.
Ich kann insofern keine Auskünfte über die finanzielle Situation einzelner geben. Ich weiß nur, daß es eine ganze Reihe von Unternehmern und Unternehmen gibt, die mit dieser Situation - wenn auch unter großen Schwierigkeiten - sehr wohl zurechtkommen.
Erst die Kollegin Fuchs, dann der Kollege Brecht.
Herr Staatssekretär, mein Kollege Karl Hermann Haack hat zu Recht gefragt, wie Sie denn die Auswirkungen des Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetzes auf die Beschäftigungszahlen einschätzen. Sind Sie bereit, mit uns zusammen dieses Gesetz in „Beschäftigungsabbaugesetz" umzutaufen? Sind Sie bereit zuzugeben, daß durch die hohe Arbeitslosigkeit sowohl die Beiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung als auch die Beiträge zur Krankenversicherung fehlen? Sind Sie dann endlich auch bereit zuzugeben, daß Sie hier falsche Instrumente eingesetzt haben?
Frau Kollegin Fuchs, ich bin nicht bereit, dies bei einem der drei Punkte zuzugeben.
Erstens halte ich es für ein sehr einfaches Argument zu sagen, dieses Gesetz müsse man umtaufen. Sie wissen, daß auch Sie, wenn Sie denn - was ich nicht glaube - jemals Regierungsverantwortung tragen, eine gesetzliche Regelung hätten finden müssen, um Einsparungen vorzunehmen.
Zum zweiten. Frau Kollegin, Sie sind ja in ganz Deutschland für die SPD tätig. Ist Ihnen vielleicht aufgefallen, daß auch SPD-regierte Länder Einsparungen machen müssen und diese selbstverständlich
Parl. Staatssekretär Rudolf Kraus
damit begründen, daß sich die finanziellen Möglichkeiten verringert haben?
Herr Staatssekretär, wir alle sind in ganz Deutschland tätig, weil wir dafür gewählt worden sind.
Ich bedanke mich für diesen Hinweis.
Zusatzfrage des Kollegen Brecht.
Herr Staatssekretär, Sie haben vorhin die Reduktion um 10 Prozent im Rehabereich für die Region Ost erwähnt und haben ausgeführt, daß die Zahl von 10 Prozent darauf zurückzuführen ist, daß der Osten einen gewissen Nachholbedarf hat. Darf ich trotzdem zurückfragen, ob Sie glauben, daß die soziale Abfederung, von der Sie eben gesprochen haben, im Osten auch in den Regionen greifen kann, in denen bereits jetzt eine Arbeitslosenquote um die 25 Prozent besteht? Welche Möglichkeiten des anderen Einsatzes von hochqualifiziertern Personal sehen Sie in solchen Regionen denn?
Herr Kollege, selbstverständlich ist es im Osten schwieriger als in den alten Ländern, mit den Problemen fertig zu werden. Gerade deswegen haben wir dort deutlich weniger reduziert als in den alten Ländern. Wenn Sie die politische Diskussion in der Bundesrepublik insgesamt beobachten, werden Sie feststellen, daß eine solche Entscheidung nicht ganz selbstverständlich ist.
In der Tat ist es auch dort schwierig, Spezialkräfte unterzubringen. Aber wir können darauf verweisen, daß unbedingt erforderliche sozialpolitische Maßnahmen nicht allein wegen des Vorhandenseins von Arbeitskräften aufgeschoben werden können und daß vom Beitragszahler bezahlte Kuren nicht gemacht werden können, nur um allein diesen Arbeitsplatzgesichtspunkten Rechnung zu tragen. Hätten wir größere Spielräume, wäre es natürlich auch möglich, großzügiger zu verfahren.
Kollegin Rehbock-Zureich, eine Zusatzfrage bitte.
Herr Staatssekretär, Sie haben bisher teilweise Auskunft über den Wegbruch der Arbeitsplätze im Gesundheitsbereich gegeben. Ist Ihnen bewußt, daß sich das in den Kur-
und Rehaorten nicht auf den Gesundheitsbereich beschränkt, sondern daß Handel und Gewerbe ebenso betroffen sind? Wie sieht Ihre Einschätzung aus? Liegen Ihnen entsprechende Erkenntnisse vor?
Ich kann mich nur wiederholen: Selbstverständlich werden Einsparungen - wo immer wir sie treffen; das gilt auch für die alten Industrien; das gilt für ganze Wirtschaftsbereiche - Arbeitsplätze nicht nur direkt, sondern auch indirekt berühren. Das ist so.
Die nächste ist die letzte Nachfrage, weil wir dann am Ende der ausgemachten Zeit sind. Frau Irber, ich gebe Ihnen das Wort zu dieser Frage.
Herr Staatssekretär, im Gegensatz zur Bundesregierung liegen mir Arbeitsmarktzahlen vor, und zwar aus meinen Bereichen. Daraus ist ersichtlich, daß es nicht nur in der Gruppe der Gesundheitsberufe, sondern auch in der Gruppe der Gästebetreuer- und Ernährungsberufe zu einem erheblichen Anstieg der Arbeitslosigkeit gekommen ist. Ich frage Sie: Glauben Sie, daß man all diese freigesetzten Beschäftigten in die Pflegedienstberufe zum Beispiel in der Landeshauptstadt München umsetzen kann?
Selbstverständlich glaube ich nicht, daß alle umzusetzen sind. Aber ich glaube, daß ein Teil seine Chance findet. Sie werden doch nicht im Ernst erwarten, daß bei einem Arbeitsplatzabbau regionaler Art immer davon ausgegangen werden kann, daß die Leute - auch wenn man es will und es anstrebenswert ist - am selben Ort, in derselben Qualifikation und zur selben Bezahlung etwas finden. Ich glaube, Sie kommen wie ich aus Ostbayern. Wenn Sie schon die Berufe aus der Gastronomie ansprechen, dann wissen Sie sicher, daß wir gerade dort einen erheblichen Nachholbedarf haben. Wie sonst wäre zu erklären, daß wir noch immer Tausende von Grenzgängen genehmigen und im Bereich der Gastronomie sehr viele Saisonkräfte haben? Das müßten Sie wissen. Wenn Sie von Ihrem Wahlkreis her schon gut informiert sind, kann Ihnen das beim besten Willen nicht verborgen geblieben sein.
Danke schön, Herr Staatssekretär. - Ich darf noch darauf hinweisen, daß die Fragen 62 und 63 des Abgeordneten Teiser zurückgezogen wurden.
Die für die Fragestunde ausgemachte Zeit ist abgelaufen. Wir sind damit am Ende der Fragestunde. Aber es liegt eine Wortmeldung zur Geschäftsordnung vor. Bitte, Herr Kollege Küster.
Frau Präsidentin, ich stelle namens der SPD-Bundestagsfraktion fest, daß die Antworten der Bundesregierung zu den Fragen zur Beschäftigungssituation im Kur- und Rehabereich völlig unzureichend waren.
Dr. Uwe Küster
Es reicht nicht aus, daß sich der Staatssekretär hier aufregt und darauf hinweist, daß es noch viele Grenzgänger gibt. Die Antworten gehen ins Leere. Dieses Werfen von Nebelkerzen hilft uns nicht weiter.
Ich beantrage daher namens meiner Fraktion, entsprechend Nr. 1 b) unserer Richtlinien für Aussprachen zu Themen von allgemeinem aktuellen Interesse unmittelbar in eine Aktuelle Stunde einzutreten.
Die Fraktion der SPD hat zur Antwort der Bundesregierung auf die Fragen zu Rehaeinrichtungen und Kurmittelbetrieben eine Aktuelle Stunde verlangt. Das entspricht Nr. 1 b) der Richtlinien für die Aktuelle Stunde. Die Aussprache muß unmittelbar nach Schluß der Fragestunde durchgeführt werden.
Ich rufe also auf: Aktuelle Stunde
Haltung der Bundesregierung zur Beschäftigungssituation im Kur- und Rehabereich
Ich eröffne die Redeliste und gebe als erster Rednerin der Abgeordneten Susanne Kastner das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! So einfach können und wollen wir die Kollegen und Kolleginnen von der Regierungskoalition nicht aus der Diskussion und damit aus der Verantwortung entlassen.
Für mich ist es ein unglaublicher Vorgang, daß sich so wenige Kolleginnen und Kollegen - ich meine nicht einmal diejenigen, die im Bereich Arbeit und Soziales tätig sind, sondern vor allem jene, die in ihren Wahlkreisen Kurorte haben - um dieses Thema kümmern und wie groß die Ignoranz der Kollegen von Union und F.D.P. bei diesem Thema ist.
- Herr Kauder, ich behaupte, Sie haben die Brisanz der Situation immer noch nicht erkannt. Oder es gibt Kolleginnen und Kollegen von Ihrer Seite, die den Plenarsaal bei diesem Thema nicht mehr betreten, weil sie sich nicht mit dem identifizieren können, was Sie im Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz beschlossen haben, und jetzt keine Lust mehr zur politischen Auseinandersetzung haben. Aber das halte ich für genauso schlimm.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
30 000 Arbeitsplätze sind bereits verlustig gegangen.
Die Tendenz ist steigend: Die Prognosen reichen bis hin zu „50 000 plus x". Trotzdem sitzen die Koalitionskollegen da und behaupten, das sei kein Thema, das habe man nicht voraussehen können.
Ich prognostiziere Ihnen: Die Kündigungswelle geht zum 1. Januar 1998 weiter.
Herr Staatssekretär, wir haben vorhin über die Bürgschaften diskutiert. Vielleicht ist auch Ihnen bekannt, daß es noch Bürgschaften von Banken in einer Größenordnung von 960 Millionen DM gibt. Können Sie sich eigentlich vorstellen, was da auf Bankkunden, auf Banken und auf die öffentliche Hand, den Steuerzahler, zukommt?
Ich kann mir manchmal kaum vorstellen, daß Sie wissen, wovon Sie reden.
Der Gipfel des Ganzen ist - auch das muß ich Ihnen sagen - die Politik der CSU. Herr Stoiber hat ein wunderbares Spiel gespielt: Zuerst hat er gesagt, Seehofer und Blüm haben recht, dann, als er gemerkt hat, daß es in Bayern schwierig wird, hat er behauptet, das gehe so nicht.
Und jetzt hat man auf dem CSU-Parteitag eine große Regionalisierungsdebatte geführt, weil sich Frau Stamm
in der Vergangenheit und auch jetzt bei diesem Thema profilieren wollte. Also: Die CSU wehrt sich gegen einen Risikostrukturausgleich für die neuen Bundesländer. Sie sagen, sie seien es satt, im Zuge des Länderfinanzausgleichs zu zahlen, obwohl sie jahrelang Empfänger von Geldern aus dem Länderfinanzausgleich waren.
Gleichzeitig hat die CSU-Fraktion im Bayerischen Landtag folgenden Antrag beschlossen - ich lese ihn Ihnen einmal wortwörtlich vor -:
Der Landtag wolle beschließen: Die Staatsregierung wird gebeten, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, auf die außerbayerischen Sozialversicherungsträger einzuwirken, daß von den Vorstellungen, Kuren und Patienten in Anlehnung an die Zahl der Einwohner der betreffenden Bundesländer zu „regionalisieren", Abstand genommen wird. Andernfalls würden die herkömmlichen Kurorte weiter ausgezehrt,
- ein wahrhaftiges Bekenntnis; das haben sie endlich begriffen -
und in anderen Regionen müßten auf Kosten der Gemeinschaft und der Sozialversicherungen erst wieder neue Reha-Kapazitäten geschaffen werden.
Susanne Kastner
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist für mich der Gipfel einer hinterfotzigen Politik.
- Herr Kollege Ramsauer, „hinterfotzig" ist ein bayerisches Wort, das Sie, ebenso wie ich, blendend verstehen.
Hinterfotzigkeit ist für mich das Kennzeichen dieser Politik. Ich kann einfach nicht mehr verstehen, daß die bayerische CSU zur Solidarität mit anderen Bundesländern nein sagt und die Solidarität exakt dieser Bundesländer wieder einklagt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich muß Ihnen sagen: Eine solche Politik werden wir Ihnen auch in Zukunft nicht durchgehen lassen. Sie können sicher sein, daß das Protokoll der heutigen Fragestunde und der heutigen Aktuellen Stunde an die Menschen gelangt, die von Ihrer Politik betroffen sind.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Julius Louven.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Kastner, wissen Sie, was hinterfotzig ist? Daß Sie sich hier hinstellen und darüber klagen, daß zu wenige Kollegen der CDU/CSU aus dem Ausschuß A und S hier sind.
Sie wissen doch, daß zur gleichen Zeit auf Ihren Antrag hin eine Anhörung zum Thema 610-DM-Verträge stattfindet. Da sind die Kollegen von uns.
Man fragt sich wirklich, ob das, was Sie hier veranstalten, nicht eine reine Beschäftigungsmaßnahme für Kollegen aus Ihrer Fraktion ist.
Den ersten Akt dieser Beschäftigungspolitik haben wir hier hinter uns.
Meine Damen und Herren, ich will einmal daran erinnern, daß es am 23. Januar letzten Jahres die sogenannte Kanzlerrunde gegeben hat. Dort haben Bundesregierung, Arbeitgeber und Gewerkschaften einvernehmlich beschlossen, daß es dringend notwendig ist, bis zum Jahre 2000 den Gesamtsozialversicherungsbeitrag auf unter 40 Prozent zu senken und die Staatsquote wieder auf das Niveau zu bringen, das wir vor der Wiedervereinigung hatten.
Wenige Wochen später drohte der Rentenversicherungsbeitrag für dieses Jahr auf 19,9 Prozent anzusteigen. Dies hat uns dann veranlaßt, mit dem WFG Maßnahmen zu beschließen, die einen derartigen Beitragsanstieg nicht notwendig machen.
Zu diesen Maßnahmen gehörte auch, daß wir in den Rehabereich eingegriffen haben. Ich halte das nach wie vor für richtig und für vertretbar. Ich sage das hier mit allem Nachdruck.
Das Ausgabenvolumen für Rehabilitation hatte in den 90er Jahren so dramatisch zugenommen, daß dies nicht mehr hinnehmbar war. Sie haben hier in früheren Debatten oft genug Bad Fussing erwähnt. Da auch ich des öfteren dort bin, will ich Ihnen einmal sagen, Herr Haack: Jedes Jahr, wenn ich nach Bad Füssing kam, gab es weitere Kliniken. Daß dies so nicht weitergehen kann, daß auf Kosten der Beitragszahler die Ausgaben derart ausgeweitet werden und nicht mehr unbedingt nach dem medizinisch Notwendigen gefragt wird, ist klar.
In den 90er Jahren stiegen die Ausgaben für Rehamaßnahmen innerhalb von fünf Jahren um mehr als 50 Prozent. 1990 kamen in den alten Bundesländern auf 1000 Beschäftigte 32 Rehamaßnahmen. 1994 kamen hierauf bereits 37 Rehamaßnahmen. Hier muß jeder einsehen - Ihr Parteivorsitzender Lafontaine hat sich auch dazu geäußert -, daß dies so nicht weitergehen kann, daß in diesem Bereich eingespart werden muß.
Wenn ich von Bad Fussing rede, könnte ich Ihnen von persönlichen Erfahrungen berichten, die ich dort hinsichtlich einer mißbräuchlichen Nutzung gemacht habe, einer Nutzung, die die Beitragszahler mit ihren sauer verdienten Groschen finanzieren müssen. Dazu will ich Ihnen, Frau Kastner sagen: Tourismusförderung hat wirklich nichts mit Rehabilitation zu tun, und erst recht ist Tourismusförderung keine Sache der Beitragszahler. Dies muß hier einmal klargestellt werden.
Zu den Arbeitsplätzen möchte ich Ihnen offen und ehrlich sagen: Wir waren uns dessen bewußt, daß Kliniken schließen müssen und daß dies Arbeitsplätze kostet. Aber wir brauchen Arbeitsplätze in der Wirtschaft, die sich tragen, und keine Arbeitsplätze, die durch die Beitragszahler finanziert werden.
Wir bekommen erst dann mehr Arbeitsplätze, Herr Kollege Dreßen, wenn das geschieht, was in der Kanzlerrunde einvernehmlich mit den Gewerkschaften - Sie sind ein führender Vertreter dieser Zunft - beschlossen worden ist, nämlich die Belastungen
Julius Louven
durch Beiträge und Steuern zu senken. Nur dann bekommen wir mehr Arbeitsplätze. Deshalb ist der heutige Tag so wichtig. Ich erinnere nur an den Vermittlungsausschuß.
Daß die Zahlen im Kurbereich so drastisch zurückgegangen sind, geht nicht allein auf die gesetzlichen Maßnahmen zurück. Dies hängt mit der Arbeitsmarktlage zusammen. Es werden nicht mehr so viele Anträge gestellt. Noch bis Pfingsten dieses Jahres gab es im „Westdeutschen Rundfunk" die Werbung - wohl vom Bäderverband -: „Kuren sind möglich, stellen Sie Anträge." Dies ist der beste Beweis dafür, daß die Rückgänge nicht allein auf gesetzliche Maßnahmen zurückzuführen sind.
Ich weise besonders darauf hin, daß nach wie vor sichergestellt ist, daß das medizinisch Notwendige geschieht. Es wird auch von den Rentenversicherungsträgern nicht bestritten, daß sie dazu die Möglichkeit haben. Daher muß ich den Schritt, den wir hier gehen, verteidigen. Ich sage noch einmal: Ich halte ihn für richtig und vertretbar.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Halo Saibold.
Meine Damen und Herren! Die bisherige Debatte hat gezeigt, daß es hier um eine spartenorientierte und völlig unkoordinierte Politik der Bundesregierung geht.
Wenn man sich ansieht, was in den letzten Jahren in diesem Bereich passiert ist, wird man feststellen, daß Milliarden von Steuermitteln in den Aufbau von Kureinrichtungen und Kurorten bis hin zu Schulen für die Bediensteten gesteckt worden sind. Ich komme aus dem niederbayerischen Bäderdreieck. Dort hat man diese Fördermittel unter Struktur- und arbeitsmarktpolitischen Gesichtspunkten bewilligt, weil man gesagt hat: Kuren sind gesundheitlich sinnvoll.
Durch diese Debatte über die Kürzungen ist bei vielen Leuten der Eindruck entstanden, Kuren seien Luxus, Kuren seien „Fango und Tango". Mit diesen Worten sind Sie von den Koalitionsparteien durch die Lande gezogen und haben das Ansehen und das Image der Kuren geschmälert. Sie haben zu einer Verunsicherung der Menschen beigetragen.
- Aber Herr Ramsauer, jetzt hören Sie doch auf. Wer hat denn den Kahlschlag betrieben, Sie oder wir? Wer hat denn die Kampagnen durchgeführt? Sie sind doch durch die Lande gezogen und haben zu der Verunsicherung beigetragen.
Deswegen hätte ich von Ihnen eigentlich Vorschläge dazu erwartet,
wie Sie das Image der Kur im Gesundheitswesen wieder aufwerten wollen.
Wenn ich mir die anderen Maßnahmen ansehe, die Sie durchgeführt haben, wird mir sowieso ganz anders. Zur CSU komme ich aber noch extra.
Es ging damit weiter, daß auf Grund der Beschlüsse und der erdrutschartigen Einbrüche bei den Kuren folgende Maßnahmen durchgeführt wurden: Die Bundesregierung hat gesagt, für 1997 und 1998 werden den Sozialversicherungsträgern großzügigerweise Mehrausgaben in Höhe von 450 Millionen DM bewilligt. Wie ich aber nun erfahren habe, fließen diese 450 Millionen DM keineswegs in den Kurbereich, sondern sie werden zu Arbeitsförderungsmaßnahmen benutzt. Das heißt, es findet eine versteckte Finanzierung der Arbeitslosigkeit statt. Das ist aber keine Hilfe für die Kurbereiche, es sei denn, man nähme diese Mittel zur Umschulung der Angestellten in den Kurbereichen. Aber das kann man nicht als Hilfe für die Kurorte verkaufen.
Selbst Minister Wiesheu mußte jetzt kleinlaut zugeben, daß die Zahl der Kuren in vielen Kurorten bis zu 50 Prozent gesunken ist. Wenn man sich einmal von den Durchschnittszahlen löst und genau hinschaut, wird man feststellen, daß es so hohe Rückgänge gibt. Er versucht zu verhindern, daß der Grund für den Rückgang bei seiner Partei zu suchen ist, obwohl sein CSU-Parteifreund Seehofer und sein CDU-Kollege Blüm daran schuld sind.
Statt dessen geht man in Bayern dazu über, die Sache auf die Spitze zu treiben, indem man der Phrasendreschmaschine neue Schlagworte wie zum Beispiel „die Regionalisierung der Sozialversicherungsbeiträge" entlockt. Damit hat mir Bayern bewiesen, daß man in Zukunft nur noch von den bayerischen Vertretern der Lega-Nord-Separatisten sprechen kann.
- Ja, die Bayern sind jetzt natürlich alle weg.
Man merkte bei der Debatte im Landtag sehr genau, daß man die Regionalisierung der Sozialleistungen im Bereich Kuren selbstverständlich nicht haben will. Dagegen wehrt man sich, und die örtlichen CSU-Abgeordneten überschlagen sich fast mit unsinnigen Vorschlägen, um diesen Zustand zu verschleiern. Es wäre wirklich ein Wahnsinn, wenn Leute aus Nordrhein-Westfalen oder aus Hessen nicht mehr in Bayern kuren dürften.
Es geht darum, daß die Solidarität aufgekündigt würde. Ich finde, es ist längst Zeit, daß die CSU mit ihrem Nebelkerzenwerfen aufhört, um von der Bon-
Halo Saibold
ner Chaospolitik abzulenken; denn niemand glaubt ihr mehr, was sie so alles produziert.
Es ist bereits angesprochen worden, daß es nicht nur um die Beschäftigten in den jeweiligen Kuranstalten geht, sondern daß darüber hinaus das gesamte regionale Wirtschaftsstrukturnetz geschädigt wird. Wir haben heute in den Ausführungen deutlich gemerkt, daß diese Auswirkungen in keiner Weise berücksichtigt werden. Man sieht eben nur die Beiträge, und ansonsten ist es egal, was damit passiert.
Jetzt ist eine Kampagne angekündigt worden. Die Deutsche Zentrale für Tourismus - das Thema hat mit Tourismus nichts zu tun - soll eine Werbekampagne durchführen, um den Wirtschaftsstandort bis hin zur Hochleistungsmedizin zu steigern. Dazu wurden 5 Millionen DM angekündigt. Heute habe ich gehört, daß die Bundesregierung noch von 3 Millionen DM spricht. Wenn man genau nachfragt, stellt man fest, daß es hierzu vom BMWi überhaupt keine Mittel gibt. 500 000 DM aus dem normalen Haushalt der DZT sind vorgesehen, 200000 DM werden die Kur-
und Heilbäder tragen, und ich frage Sie - darauf hätte ich auch gerne eine Antwort -, ob wenigstens die fehlenden 300 000 DM von der 1 Million DM, die intern vorgesehen war, vom BMWi oder von einem anderen Ministerium getragen werden.
Frau Kollegin, die Redezeit ist abgelaufen.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Dieter Thomae.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die heutige Diskussion ist in die Gesamtsituation dieses Landes eingebettet, und es geht wieder um das Thema Lohnzusatzkosten. Die Koalition hat im vergangenen Jahr die feste Absicht geäußert: Wir müssen die Lohnnebenkosten senken. Das wurde auch von der Führungsmannschaft der SPD unterstützt.
- Die Forderung, die Lohnnebenkosten zu senken, wurde auch von Ihrer Führungsmannschaft unterstützt.
Meine Damen und Herren, dazu gehörte nach unserer Auffassung auch der Kur- und Rehabereich; denn im Kur- und Rehabereich hatten wir in den letzten fünf Jahren Steigerungen zu verzeichnen, die medizinisch nicht zu erklären waren.
Daraufhin, meine Damen und Herren, ist entschieden worden, die Budgets in der Rentenversicherung herunterzufahren. Mit Budgets zu arbeiten ist kein optimaler Weg, da er mit negativen Auswirkungen verbunden ist. Dies zeigt sich auch jetzt: Zu hohe Budgets erhöhen die Lohnzusatzkosten, zu niedrige Budgets haben ebenfalls negative strukturelle Auswirkungen.
Der Kur- und Rehabereich hat auch wirtschaftspolitische Aspekte. Diese Aspekte habe ich sehr deutlich genannt. Ich habe mir eine spontane, rapide Absenkung des Budgets nicht gewünscht. Ich hätte eine längere Übergangsphase eingebaut und dafür plädiert - -
- Darüber haben wir lange diskutiert. Ich habe dabei eben keinen Erfolg gehabt.
In dieser Frage wäre es sinnvoller gewesen, eine Stufenlösung herbeizuführen.
Meine Damen und Herren, dennoch folge ich nicht den Vorstellungen der Opposition. Sie weiß in diesem Bereich wirklich nicht, wie es weitergehen soll. Sie hat keine Konzepte.
- Hören Sie doch auf mit Ihren Plänen. Von Ihnen kommt zu dieser Thematik nur ein Jammertal.
Es gibt Kurorte, die mit ihrer Konzeption sehr erfolgreich sind. Sie sind sehr erfolgreich, da sie sich an die Selbstzahler und an die ausländischen Gäste wenden. Wenn Sie diese Orte betrachten - ich nenne zum Beispiel Radolfzell am Bodensee und Bad Füssing -, werden Sie feststellen, daß dieses Thema dort schon heute eine dominante Rolle spielt. Das ist ein Weg, den wir leider zu spät eingeschlagen haben. Wir müssen umsteuern.
Ich bin sehr froh, daß jetzt über das Wirtschaftsministerium - ich kann wohl sagen: auf meine Initiative hin - ein solches Marketingkonzept auf den Weg gebracht worden ist, Auslandsmarketing für Akutkrankenhäuser, für den Reha- und den Kurbereich zu betreiben. Wir werden im Januar ein vernünftiges Konzept dafür vorstellen. Dieses Konzept wird einen finanziellen Rahmen haben. Ich bin sicher, daß dieses Konzept erfolgreich sein wird und sich trägt.
- Sie reden immer vom Geld. Es geht zuerst um ein
gutes Konzept. Wenn wir ein gutes Konzept haben,
Dr. Dieter Thomae
1 können wir es im Ausland realisieren. Der finanzielle Spielraum ist erst die zweite Frage.
- Es ist die Politik der Grünen, zuerst über den großen finanziellen Rahmen zu sprechen. Sie müssen aber zuerst ein solides Konzept haben.
Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen. Was mir an dieser Thematik überhaupt nicht paßt, ist das Thema Belegung, Bundesversicherungsanstalt und Landesversicherungsanstalten auf der einen Seite und die Betreiber der privaten Kliniken auf der anderen Seite. Meine Damen und Herren, Sie wissen, daß ich das Bundeskartellamt angerufen habe, zu überprüfen, ob die Belegung hier rechtmäßig ist oder nicht. Auf Landesebene gab es schon die ersten Prozesse, in denen Privatbetreiber gegen Landesversicherungsanstalten geklagt haben und ihnen die Landeskartellbehörde in der ersten Instanz recht gegeben hat.
Hier wird ganz schön verschoben. Wir wollen das in Ruhe abwarten. Ich denke aber, es ist ein ganz wichtiger Weg. Wir müssen herausfinden, ob die Bundesversicherungsanstalt und die Landesversicherungsanstalten in Zukunft ihre eigenen Häuser führen sollten oder ob das nicht, um eine vernünftige Konkurrenz zu haben, dominante Aufgabe der privaten Betreiber sein wird. Manche Fehlentwicklung in der Bundesrepublik Deutschland wäre nicht entstanden, wenn wir den anderen Weg gegangen wären.
Danke schön. Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Dr. Ruth Fuchs.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Rehabilitationskliniken und große Teile des Kur- und Bäderwesens dieses Landes befinden sich gegenwärtig in der größten Krise ihrer Geschichte. Mehr als die Hälfte aller stationären Rehaeinrichtungen sind nach Angaben des Bundesverbandes Deutscher Privatkrankenanstalten in ihrer Existenz gefährdet. Die Austrocknung des gesamten Präventions- und Rehabilitationssektors hat sich mittlerweile zu einem Markenzeichen der konservativ-liberalen Gesundheitspolitik entwickelt. Der dramatische Rückgang in der Belegung der Kliniken und seine ökonomischen Folgen für die gesamte Infrastruktur haben in ganzen Regionen zur Auflösung wirtschaftlicher Grundlagen geführt. Durch die Entlassung Zehntausender Mitarbeiter aus den Rehabe-reichen ist erstmals auch die Zahl der Arbeitslosen mit Gesundheitsberufen steil angestiegen. Diese Situation macht unmißverständlich klar: Ohne zusätzliche Anpassungshilfen von Bund und Ländern werden viele Einrichtungen nicht überleben. Diese Hilfe muß meines Erachtens schnellstens geleistet werden;
denn die Rehaeinrichtungen werden dringend gebraucht.
Wer die Qualität und Effektivität eines Gesundheitssystems im ganzen erhöhen will, der muß Rehabilitation und Präventation besondere Aufmerksamkeit schenken. Dies setzt allerdings voraus, daß man zumindest eine ungefähre konzeptionelle Vorstellung davon besitzt, welche Rolle heute Prävention, Kuration und Rehabilitation im Gesamtensemble eines modernen gesundheitlichen Versorgungssystems jeweils zu spielen haben. Wie sich aber erneut erweist, ist diese Bundesregierung mit solchen Erwartungen in bezug auf die Grundlagen ihres Handelns heillos überfordert. Ihre Gesundheitspolitik, meine Damen und Herren von Koalition und Regierung, erschöpft sich immer wieder in der schlichten Verlängerung gerade opportun erscheinender wirtschafts-
und finanzpolitischer Strategien in das Gesundheitswesen hinein. Mit einem Programm, das Sie als wachstums- und beschäftigungsfördernd bezeichnen, haben Sie es geschafft, in wenigen Monaten die hochentwickelte Rehabilitationskultur dieses Landes in den Ruin zu führen.
Ich muß an dieser Stelle erneut darauf hinweisen, daß diese Entwicklung vor allem die Einrichtungen und die dazugehörigen Regionen in Ostdeutschland ganz besonders trifft. Herr Staatssekretär Kraus, ich habe niemals andeuten wollen, daß der Beruf des Straßenfegers nicht notwendig und nicht zu achten sei. Ich möchte jetzt in bezug auf die neuen Bundesländer sagen: Bei uns schaufeln Diplompädagogen, Diplomphysiker und andere, die in ABM-Stellen sind - auch Frauen -, aus Teichen den Schlamm heraus. Ich glaube nicht, daß Sie den Ärzten, den Schwestern, den Psychotherapeuten und anderen, die aus den Kureinrichtungen entlassen werden, das als ihre Zukunft vor Augen führen wollen. Denn für Personen mit solchen Qualifikationen gibt es keine anderen äquivalenten Arbeitsstellen.
Nachdem sich ein großer Teil der kurbedürftigen kranken Menschen eine Rehamaßnahme nicht mehr leisten kann oder es nicht mehr wagt, sie in Anspruch zu nehmen, weil sie nämlich zum Teil auch Angst haben, ihren Arbeitsplatz zu verlieren, wird auch dort versucht, die Lücken durch finanzkräftige Selbstzahler und Gäste aus dem Ausland zu schließen. Herr Thomae hat ja darauf hingewiesen. Der medizinische Grundsatz „Reha vor Rente" ist out; Beauty, Fitneß und Wellness heißen nun überall die Schlagworte der Werbeangebote. Welche Perversion eines bisher hochgeachteten und unverzichtbaren Teils der medizinischen Versorgung. An diesen Worten erkennen Sie, daß ich lobe, was es in diesem Bereich einmal in der Bundesrepublik gegeben hat, und daß ich es sehr bedauere, daß durch solche Gesetze das abgebaut wird, was man als unverzichtbaren Teil einer medizinischen Versorgung benennen kann. Wen wundert es dann noch, wenn auch Vorsorgeuntersuchungen immer mehr zur Beschaffung neuer, zahlungsfähiger
Dr. Ruth Fuchs
Gesundheitskunden verkommen? Die Marktwirtschaft im Gesundheitswesen läßt grüßen. Ich finde, es reicht. Es wird höchste Zeit für eine neue Regierung, eine neue Politik
und natürlich auch für eine endlich wieder soziale und humane Gesundheitspolitik.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Volker Kauder.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es gibt heute und auch in Zukunft in der Bundesrepublik Deutschland Rehabilitationsmöglichkeiten. Wenn man sich die Reden der Oppositionspolitiker anhört, dann bekommt man den Eindruck, als ob Reha in unserem Land nicht mehr stattfände. Ober 7 Milliarden DM werden Jahr für Jahr nach wie vor für stationäre Rehamaßnahmen ausgegeben. Vor zwei Jahren waren wir bei einem Betrag von über 10 Milliarden DM angekommen. Es haben nicht nur verantwortungsvolle Politiker aus der Regierungskoalition, sondern auch viele Menschen draußen gespürt, daß da etwas nicht mehr stimmen kann. Selbst Menschen, die in entsprechenden Kureinrichtungen waren, haben mir gesagt, daß sie darüber entsetzt gewesen seien, wie viele Menschen sie getroffen hätten, die das nur als Ersatzurlaub betrachtet hätten.
Deswegen war es notwendig, in diesem Bereich etwas zu tun.
Diejenigen, die die Augen davor verschließen, daß Reformen und Veränderungen durchgeführt werden müssen, handeln nicht verantwortungsbewußt.
Der Betrachter der ganzen Szene fragt sich eigentlich: Wo sind denn die Ärzte, die behaupten, daß notwendige Rehamaßnahmen nicht mehr durchgeführt werden können?
- Das ist doch überhaupt nicht wahr. Die medizinisch notwendigen Rehamaßnahmen werden durchgeführt. Natürlich kann ich Arbeitslosigkeit bekämpfen, indem ich in der ganzen Republik neue Kurkliniken aufbaue.
Das aber ist wahrscheinlich doch noch eine Grundüberzeugung: Für Struktur- und Regionalpolitik sind die mit Zwangsbeiträgen gefütterten Versicherungssysteme nicht da. Das muß aus anderen Töpfen finanziert werden. Gerade seitens der SPD wird doch
ständig von den versicherungsfremden Leistungen zum Beispiel in der Rentenversicherung gesprochen.
Struktur- und Regionalpolitik ist aus Steuermitteln, Mitteln, die alle tragen, zu finanzieren, und nicht aus Beitragsmitteln, die nur der Beitragszahler trägt. Deswegen ist das, Frau Kastner, was Sie ständig mit weinerlicher Stimme vorbringen, daß Arbeitslosigkeit entsteht und Strukturpolitik notwendig ist, keine Herausforderung an das Gesundheitssystem.
Ich sage Ihnen weiter: Verschließen Sie nicht vor Entwicklungen die Augen, die kommen werden! Helfen Sie vielmehr den Menschen, diese Entwicklungen voranzubringen! Wir haben in unserem Land noch immer sehr viel stationäre und viel zuwenig ambulante Reha.
Auf den medizinischen Fachkongressen der deutschen Gesellschaft für Herz- und Kreislaufmedizin in Mannheim ist schon oft gesagt worden, daß rund 25 Prozent der Anschlußheilbehandlungen nach Herzinfarkt mehr und mehr ambulant durchgeführt werden sollten und nicht mehr stationär, daß wir zuviel Hospitalisierung in der Reha und zuwenig Reha vor Ort haben.
Wenn wir diese Erkenntnis haben - das ist keine Erkenntnis der Politik, sondern eine Erkenntnis von Medizinern -, können wir nicht sagen: Es bleibt bei diesem hohen Stand der stationären Reha. Der Weg, den wir eingeschlagen haben, war also richtig, auch unter dem Aspekt, daß wir dort Reha betreiben müssen, wo die Menschen sind, und die Menschen nicht zur Reha karren.
Deswegen kann ich nur sagen: Das, was Sie hier vorbringen, mag für diejenigen, die gerade arbeitslos geworden sind, populistisch sein.
Es führt aber genauso in die Irre wie Ihr Kampf für die Kohlekumpel, die auf einem Gebiet arbeiten, das nicht mehr zukunftsträchtig ist.
Deswegen bleiben wir dabei.
Ich will auch mit einem Mythos aufräumen, der von Ihnen immer wieder genannt wird, nach dem Motto: Da sind Politiker am Werk, die nicht gewußt haben, was sie tun. Ich lasse mich nicht gerne als solch jemanden hinstellen.
Ich bekenne mich dazu, daß wir ganz bewußt gesagt haben: Wir können die stationäre Reha auf diesem hohen Niveau nicht weiterführen. Wir haben gewußt, daß dies auch bedeutet, daß Kurkliniken geschlossen
Volker Kauder
werden müssen. Jetzt haben die Länder die Aufgabe - nicht immer gleich nach dem Bund rufen! -, mit Struktur- und regionalpolitischen Maßnahmen darauf zu reagieren.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Iris Follak.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Kollegin Susanne Kastner hat die Kollegen von A & S ausdrücklich ausgenommen. Sie hat die Kollegen gemeint, die in ihren Wahlkreisen Kurorte haben.
Aber die traurige Erkenntnis der heutigen Fragestunde ist: Statt Wachstum der Wirtschaft hat die Koalition ausschließlich Wachstum der Arbeitslosigkeit erreicht.
Dabei wollte niemand von uns zu Goethes Zeit zurück. Der Dichterfürst liebte nämlich bekanntlich kühle Heilwasser, warme Sprudelbäder und vor allem attraktive Kurschatten. 23mal ist unser großer Dichter zur Kur gefahren,
und er blieb dort meist zehn Wochen.
Wenn wir als SPD-Bundestagsfraktion derartiges verlangten, dann hätten Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen der Regierungskoalition, recht, wenn Sie behaupten, daß wir Unmögliches erwarten und fordern.
Aber wir sind doch Realisten. Das einzige, was wir verlangen, ist eine reelle Überlebenschance unserer Kur- und Heilbäderorte.
Vergleicht man die Monate September 1996 und September 1997, dann kann man für die neuen Bundesländer folgende Auslastungsrückgänge in den Kurkliniken verzeichnen: in Brandenburg 13,7 Prozent, in Sachsen 18,2 Prozent, in Thüringen 19,5 Prozent, in Mecklenburg-Vorpommern 22,1 Prozent und in Sachsen-Anhalt sogar 24,5 Prozent.
Der so hoffnungsvolle Aufbau des Kur- und Bäderwesens als ganz neuer Dienstleistungsbereich geht vor die Hunde und damit auch viele Einzelhändler und das Hotel- und Gaststättengewerbe. Das ist eine strukturpolitische Katastrophe!
Jetzt fangen Ihre Gesundheits- und Sozialpolitiker selbst zu jammern an. Liebe ostdeutsche Kolleginnen und Kollegen der Koalition: Mitgefangen, mitgehangen! Leider sind nur sehr wenige hier im Saal.
Diese Situation ist verheerend für die Arbeitsplätze. Ich habe Zahlen von ostdeutschen Kurorten vorliegen, in denen bereits über 140 Arbeitsplätze weggebrochen sind. Wo sollen diese Fachkräfte Arbeit finden? Aus dem infrastrukturellen Umfeld kommen noch dreimal so viele hinzu. Das ist für uns extrem tragisch. Gerade in den neuen Bundesländern wurden die Gebiete zu Kurorten aufgebaut, die keinerlei Industrieansiedlungen hatten. Sie nehmen diesen Regionen - wie auch meinem Erzgebirge - jede Chance.
Es gibt Investoren, welche als Einzelpersonen bzw. in Form von Betreibergesellschaften große Summen finanziert haben, um neue Kureinrichtungen zu bauen. Deren fehlende Wirtschaftlichkeit hat zur Folge, daß die Banken sicherlich nicht mehr lange bereit sind, die bisher gewährte Stundung der Kredite fortzusetzen. Das ist die große Sorge unserer Kur- und Heilbäderverbände. Sie sehen voraus, daß der eigentliche Kollaps noch bevorsteht. Bricht die Unterstützung weg, dann sind weitere Schließungen von Kliniken die notwendige Konsequenz.
Außerdem sind die Zuzahlungen mittlerweile so hoch geworden, daß sich viele Personen eine Kur einfach nicht mehr leisten können. Der Rückgang bei den Antragstellungen im Bereich der stationären Rehamaßnahmen um 33,4 Prozent in Ostdeutschland zeigt dieses doch wohl mehr als deutlich.
Ein Patient, der seinen Kuraufenthalt in einem Ort gerne verbracht hat, wird dort möglicherweise das nächste Mal einen Familienurlaub machen. Somit stellt der Faktor Kur sicherlich auch eine kostenlose und effektive Werbung für einen Fremdenverkehrsort dar. Sie verbauen den neuen Bundesländern auch diese Chance.
Die Kommunen, die die erbrachten Vorleistungen in Form von Parkanlagen, Erlebnisbädern oder Häusern des Gastes auf Grund fehlender Auslastung nicht mehr erwirtschaften, können diese Objekte auf Dauer nicht halten. Wollen die Minister Blüm und Seehofer etwa so bis zur Jahrtausendwende die Arbeitslosigkeit halbieren?
Dann bin ich nur gespannt, wie das in den neuen Bundesländern aussehen soll.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Peter Ramsauer.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Follak, Sie haben gerade dazu aufgerufen, daß wenigstens die Kollegen dasein sollten, die Heilbäder in ihren Wahlkreisen haben. Ich möchte Ihnen, da Sie der SPD angehören, gerade einmal sagen: Es gibt aus einem Nachbarwahlkreis von mir eine sogenannte Betreuungsabgeordnete, die sich auch um meinen Wahlkreis mit kümmern soll, weil ich in meinem Wahlkreis der einzige Bundestagsabgeordnete bin, der dort mit deutlich über 60 Prozent für die CSU gewählt worden ist.
Diese Betreuungsabgeordnete läßt sich zwar hin und wieder im Kurort Bad Reichenhall - das möchte ich hier ausdrücklich nennen - blicken und verbreitet dort Halbwahrheiten und Unwahrheiten. Aber hier, wo sie sein sollte, da fehlt sie. Vielleicht können Sie sie mal hierherholen, damit sie etwas lernt, was in Bayern - -
- Aber was soll denn das, uns in dieser Weise aufzufordern und selbst nicht dazusein? Geben Sie ihr also bitte Bescheid.
Bei den Halbwahrheiten und Unwahrheiten bleibe ich. Das ist genau das, was ich Ihnen vorhin schon vorgeworfen habe: daß Sie mit Ihrer Verunsicherung in der Bevölkerung eine erhebliche Schuld daran tragen, daß die Menschen nicht mehr in dem Maße Anträge stellen. Wenn Antragsrückgänge von 30, 40 und 50 Prozent vorhanden sind, dann liegt das auch an Ihrer furchtbaren Schwarzmalerei.
Es gibt jetzt Gott sei Dank - gerade in Bayern - eine ganze Reihe hervorragender Initiativen.
Frau Saibold, ich möchte Ihnen entgegnen: Ich habe in meinem Wahlkreis öfter das Problem, daß ich in den entsprechenden Fremdenverkehrsregionen gefragt werde, was uns im Bundestag eigentlich eingefallen ist, jemanden wie Sie zur Vorsitzenden des Ausschusses für Fremdenverkehr und Tourismus zu wählen. Es ist dann immer sehr schwierig, dies zu begründen; denn dies liegt an den Verfahrensweisen dieses Hauses.
Was Sie aber im Zusammenhang mit dem Kur-und Rehabereich über Bayern gesagt haben, das sind Märchen aus „Absurdistan" und keine Wahrheiten über Bayern. Die Wahrheiten über Bayern sind ganz anders. Sie wissen ganz genau, daß die Bayerische Staatsregierung ein hervorragendes Konzept erarbeitet hat, wie man Gesundheitsdienstleistungen im Ausland vermarkten kann und wie man weltweit Nachfrage nach den auf Grund der gerade auch in Bayern sehr guten Voraussetzungen hervorragende Gesundheitsdienstleistungen wecken kann. Das sind glänzende Ansätze nicht nur der Bayerischen Staatsregierung, sondern auch in den Staatsbädern.
Sie halten hier nur eine Nabelschau; Sie schauen nur in den Spiegel und bejammern sich selbst. Sie vergessen vollkommen, welche Initiativen jetzt in den Kurorten unternommen werden, welche Kreativität in den Kurorten, den Kurverwaltungen oder Kur-GmbHs, soweit die staatlichen Kurverwaltungen privatisiert worden sind, und von den örtlichen Kur-und Verkehrsvereinen freigesetzt wird und wie jeweils standortgerecht Gesundheitsdienstleistungen an den Mann gebracht werden können. Was sich hier die Betreiber von Kurmittelhäusern, Kurhotels, Kureinrichtungen und Rehabilitationseinrichtungen haben einfallen lassen, was angeboten werden kann, das ist ein hervorragendes Stück an Innovation und vorzeigbar. Dafür möchte ich werben. Da ist Bayern ein Vorbild. Was Sie, Frau Saibold, erzählen, das ist absurd und abstrus. Das stimmt nicht. Das ist nicht die Wahrheit über Bayern.
Im übrigen - Frau Kastner, das wollte ich Ihnen sagen -, eigentlich ist es unsinnig, hier eine Aktuelle Stunde über dieses Thema abzuhalten. Uns ist vollkommen klar, wie die Situation in den Kurorten ist und wie sich das Ganze dort ausgewirkt hat. Ich habe in diesem Jahr zig Kliniken unterschiedlicher Art besucht. Mir ist die Situation vollkommen klar. Wir haben nicht umsonst mit dieser Nachbesserung reagiert. Es ist nicht leichtgefallen, das durchzusetzen.
- Ich weiß nicht, ob Sie die Kliniken draußen besuchen. Mindestens der gleiche Berg an Ursachen für den Rückgang von Kuren und Rehabilitationen liegt in anderen Bereichen als in dem der Gesetzgebung. Das müssen Sie zugeben. Ich bin mir sicher - das behaupte ich einfach einmal -: Auch wenn auf gesetzgeberischer Ebene keine Maßnahmen erfolgt wären, hätten wir hier einen Einbruch zu verzeichnen gehabt,
der schlicht und ergreifend ganz andere Gründe hat: Die Ärzte verschreiben wesentlich weniger, und die Medizinischen Dienste der Krankenkasse urteilen wesentlich restriktiver, als dies in der Vergangenheit der Fall war. Das hat aber Ursachen, die nicht unbedingt in der Gesetzgebung liegen, sondern im Bereich der Kassen selber.
- Aber selbstverständlich. Dann richten Sie Ihre Beschwerden bitte nicht nur an uns, sondern auch ein-
Dr. Peter Ramsauer
mal an die Selbstverwaltungen der Versicherungsträger.
- Ich verstehe Ihre Aufregung nicht. Nehmen Sie eine Packung Valium; dann haben Sie einen schöneren Abend.
Liebe Kolleginnen und Kollegen - -
Frau Präsidentin, Ihre Parteifreundin hat vorhin auch zwei Minuten überzogen. Sie haben das geduldet.
Sie müssen jetzt zum Schluß kommen, und die anderen müssen Ihnen ein bißchen Luft zum Reden lassen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin überzeugt: Im nächsten Jahr werden wir im Kur- und Rehabereich eine Erholung zu verzeichnen haben, weil dann der Rhythmus von vier Jahren wieder einklinkt. Unter dieser Bedingung und gepaart mit der hohen Kreativität im Bereich der Vermarktung von Gesundheitsdienstleistungen werden wir im kommenden Jahr eine wesentlich bessere Situation erreichen.
Mein Appell an Sie von der SPD und der Opposition ist schlicht und einfach: Reden Sie diesen Kuraufschwung im nächsten Jahr nicht mit andauernden Hiobsbotschaften kaputt.
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Marion Caspers-Merk.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe Ihnen sehr gut zugehört, Herr Ramsauer, und auch Ihnen, Herr Kauder. Eine Aktuelle Stunde soll dazu dasein, daß man miteinander spricht, eventuell auch von seinem Konzept abgeht und sich einmal fragt: Was ist denn an Wahrheitsgehalt und Argumenten vorgetragen worden?
Was ich bedenklich finde, ist, daß Sie sich in Ihrer Argumentation widersprechen.
Herr Kauder sagt: Ich habe gewußt, was wir getan haben. Herr Thomae sagte vorher: Ganz so haben wir es eigentlich nicht gewollt.
Herr Ramsauer sagte jetzt eben: Wir sind doch gar nicht schuld; denn es hätte ohnehin Rückgänge gegeben.
Die Politik übernimmt überhaupt keine Verantwortung für das, was sie tut. Gleichzeitig sagen Sie: Wir haben doch noch etwas dazugelegt; denn wir haben den Deckel etwas angehoben, weil Handlungsbedarf bestand.
Meine lieben Herren von der Koalition, Sie müssen schon bei einer Argumentationslinie bleiben.
Entweder haben Sie gewußt, was Sie anrichten. Dann sind alle Arbeitslosen, die an Hand der Statistik genannt wurden, ein Ergebnis Ihrer verfehlten Politik.
Oder Sie haben nicht gewußt, was Sie mit diesem Gesetz anrichten. Dann wäre es jetzt Zeit, umzukehren und die Systembrüche, die zu schnelle Reaktion und auch das, was überrissen wurde, zu korrigieren.
Auch dazu haben wir Ihnen Gelegenheit gegeben, nämlich durch unsere Anträge.
Ich sage Ihnen einmal, Herr Kauder, wie es im Bäderland Nummer eins konkret aussieht. Wir haben die Zahlen von Baden-Württemberg. Ich selbst komme aus einer Kurregion, dem Bäderdreieck. Insofern haben wir dort die Zahlen sehr genau erhoben. Wir wissen, daß bis zum April dieses Jahres zehn Miniken ganz geschlossen wurden. Insgesamt wurden fast 2000 Arbeitsplätze bis zum April in Baden-Württemberg abgebaut. In 69 Kliniken herrscht Kurzarbeit, das heißt also noch einmal 5000 Beschäftigte mit unsicherer Zukunft. Der durchschnittliche Belegungsgrad in den Vorsorge- und Rehabilitationskliniken sank auf zirka 60 Prozent ab. Das heißt also, wenn Sie sich die Zahl der Bettenreduzierung noch einmal ansehen, daß wir mit einer weiteren Kündigungs- und Schließungswelle rechnen müssen.
Das bedeutet derzeit in Baden-Württemberg, daß 10 000 der knapp 31 000 Betten Leerstehen und daß die Übernachtungszahlen in den Kur- und Heilbädern urn zirka 24 Prozent zurückgegangen sind. Das ist die Realität. Das ist das Ergebnis einer Politik. Sie müssen sich jetzt nur noch einigen, ob dieses Ergebnis einer Politik gewollt oder nicht gewollt war.
Wenn man dieses Ergebnis der Politik will, dann muß man sich eben vor Ort hinstellen und denjenigen, die man kennt und lange Jahre betreut hat, sagen, was man für eine Politik verfolgt. Was ich Ihnen
Marion Caspers-Merk
persönlich ankreide, ist, daß Sie Regierung und Opposition in einem sein wollen.
Sie gehen nämlich in die Wahlkreise und tun so, als hätten sie von dem Ganzen nichts gewußt.
Es gibt hier einen Artikel Ihres Kollegen Repnik im „Südkurier" vom 18. November: Probleme in der Region sind hausgemacht. Er fährt fort, das habe überhaupt nichts mit den Gesetzen der Bundesregierung zu tun, daß wir Rückgänge im Kur- und Heilbäderbereich haben, sondern hier hätten die Kommunen versagt. Es wäre nicht rechtzeitig im Ausland geworben worden. Es gebe Versäumnisse in den Amtsstuben. Dann kommt ein wörtliches Zitat: „Grund für Politikverdrossenheit der Bürger liegt in den Amtsstuben bei den Kommunen und den Landratsämtern."
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich muß wirklich sagen: Ich weiß nicht, auf welchem Stern ich im Moment bin.
Denn wenn man hier Politik macht und die Verantwortung übernimmt, muß man sich bitte schön auch in den Wahlkreis hinstellen und sagen, daß man dies so gewollt habe und erklären: Wir hatten hier praktisch eine zu starke Entwicklung, wir wollten das bewußt zurückfahren. Man muß aber dann den Regionen auch Antworten geben, und zwar Antwort darauf, wie sie diese Krise bewältigen können.
Wir haben Vorschläge gemacht. Wir wissen, daß in diesem Feld Einsparungen nötig sind. Das ist doch gar nicht strittig. Strittig ist das Tempo, das Ausmaß und daß Sie den Kurorten und Heilbädern keine Anpassungsspielräume eingeräumt haben. Das ist das, was wir kritisieren.
Wir kritisieren zusätzlich, daß Sie jetzt sagen: „Werbt doch mal im Ausland", aber dafür überhaupt nicht die Verantwortung übernehmen, indem Sie zum Beispiel keine Bundesmittel einsetzen. Wenn Sie sagen: „Wir wollen ihnen eine Zukunftsperspektive geben, wir wollen den Tourismus, gerade den Auslandstourismus, ausbauen", wäre es konsequent, ihnen auch Bundesmittel in die Hand zu geben und ein Stück weit dafür zu sorgen, daß die Blessuren, die angerichtet wurden, geheilt werden.
Auch das werfe ich Ihnen vor: daß Sie genau dies nicht getan haben. Sie verspielen die Zukunft unserer Kurorte und Heilbäder. Wenn man die Bilanz Ihrer Politik zieht, muß man sagen: Operation gelungen, Patient tot.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Birgit Schnieber-Jastram.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Caspers-Merk, ich denke, Sie haben von dem, was meine Kollegen hier gesagt haben, nicht viel verstanden.
Deswegen will ich die Gelegenheit gerne nutzen, um Ihnen noch einmal deutlich zu machen, worum es hier eigentlich geht.
Die Ausgaben für Rehabilitation in der Rentenversicherung sind seit Anfang der 90er Jahre sprunghaft angestiegen, und zwar von 6,5 Milliarden DM im Jahre 1991 auf 9,5 Milliarden DM im Jahre 1995. Das ist eine Zunahme um ungefähr 50 Prozent in fünf Jahren. Diese Entwicklung kann niemand von Ihnen medizinisch erklären. Darüber brauchen wir hier doch nicht den Streit zu führen.
Ich will Ihnen dazu ein Weiteres sagen, damit Sie das vielleicht verstehen. Bei rund 30 Prozent der zugehenden Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit war eine vorhergehende Rehabilitation erfolglos. Auch das muß man einmal zur Kenntnis nehmen.
Ein Drittes. Wir haben uns mit unserer Arbeitsgruppe nicht den Spaß, sondern die Arbeit gemacht und uns in Bad Kissingen einmal vor Ort informiert. Dort haben wir mit dem Chef einer großen Kurklinik geredet
und ihn gefragt: Glauben Sie eigentlich, daß alle Patienten, die hier in Ihrem Hause sind, hierhergehören? Er hat uns daraufhin gesagt: Ich glaube, daß 25 Prozent der Patienten, die in dieser Klinik sind, nicht hierhergehören.
Auch das muß man einmal zur Kenntnis nehmen. Wenn Sie das nicht tun, verschließen Sie die Augen vor der Wirklichkeit.
Ich will Ihnen gerne ein Weiteres sagen. Wir Sozialpolitiker der Koalition haben oft Diskussionen vor Ort in unseren Wahlkreisen und müssen oft Maßnahmen und Reformen in der Sozialpolitik, die wir durchführen, verteidigen. Ich muß Ihnen ganz ehrlich sagen: Ich habe zu den Maßnahmen im Bereich der Kuren nicht einen einzigen sachlichen Protest gehört.
- Ich habe ja Verständnis, daß die Leute, die in den
Einrichtungen tätig sind, und die Leute, die von
diesen Einrichtungen leben, protestieren. Aber des-
Birgit Schnieber-Jastram
wegen ist die Sache an sich doch nicht problematisch!
Im übrigen war heute sehr kennzeichnend, daß eine Reihe von Rednern dabei waren, die sonst im Bereich Tourismus zu Hause sind. Wenn Sie das häufiger machen, daß Sie das Thema Reha mit dem Thema Tourismus heftig vermengen, dann wird das dazu führen, daß wir am Ende überhaupt keine Lust mehr haben, Gelder in diesen Bereich zu stecken! Denn Reha hat mit Tourismus wirklich nichts zu tun. Das müssen Sie doch sehen!
Auch in anderen Bereichen haben wir doch einen Abbau von Arbeitsplätzen. Wir können doch nicht im Bereich der Reha, im Bereich der Kuren Angebote nur deshalb attraktiv finden, weil sie vom Staat oder von der Rentenversicherung bezahlt werden!
Wir müssen doch auch hier Angebote machen, die dazu beitragen, daß die Leute das per se bezahlen. Was ist denn das für ein mickriges Angebot, das nur dann gut ist, wenn es einem kostenlos hinterhergeschmissen wird?
Also, wir haben Verständnis für die Leute in den Einrichtungen. Deswegen haben wir hier noch einmal gesagt: Laßt uns diesen Anpassungsprozeß mitgestalten, mit 450 Millionen DM im Jahr 1998 und mit 900 Millionen DM im Jahr 1999. Ich glaube, dies ist ein wichtiger Beitrag. Wir machen das nicht aus Jux und Tollerei, sondern wir machen das, weil wir Arbeitsplätze in diesem Land sichern wollen. Dazu müssen wir Reformen durchführen, die Sie überhaupt noch nicht begriffen haben. Bei Ihnen herrscht auf der ganzen Linie der Status quo. So kommen wir in diesem Hause nicht weiter.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Antje-Marie Steen.
Frau Präsidentin! Frau Schnieber-Jastram, ich möchte gern gleich das Wort an Sie richten, weil Sie kritisiert haben, daß hier nur Tourismuspolitiker und -politikerinnen redeten. Ich stehe hier als Gesundheitspolitikerin.
Ich möchte Ihnen auch gerne einmal etwas zur Situation derjenigen sagen, die von Ihren Maßnahmen betroffen sind, derjenigen, die Sie als schweigend bezeichnet haben, der Patienten und Patientinnen, die gar keinen Zugang mehr zu einer Kur und Rehabilitationsmaßnahme finden.
Wir stehen nicht das erste Mal hier, um zu kritisieren, was mit dem sogenannten Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz ausgelöst worden ist. Der Gesundheitsminister hat ja mehrmals Gelegenheit gehabt, kleinlaut und unrühmlich Elemente seiner Reformpolitik wieder einzusammeln. Ich erinnere hier nur an die unsägliche Zuzahlungskopplung und die Dinge, die sich jetzt im Bereich der ostdeutschen Krankenkassen abspielen. Aber allem Anschein nach muß diese Bundesregierung erst einmal richtig auf die Nase fallen, bevor sie die unsinnigen Regelungen à la Gesundheitsreform peu à peu zurücknimmt.
Das Arbeitsplatzvernichtungsprogramm, über das wir heute diskutieren, basiert auf einer dieser sogenannten Reformen von Herrn Seehofer. Ich möchte gerade Sie aus der Koalition auffordern, endlich einmal darauf zu achten, daß diese Elemente sich nicht weiter verfestigen, und einmal über das Strukturelement nachzudenken, das wir Ihnen bereits angeboten haben und über das wir jederzeit bereit sind mit Ihnen zu diskutieren.
Ich komme zu denjenigen, die nicht mehr diese Kuren in Anspruch nehmen können. Das sind gerade diejenigen, die wir als Trägerinnen von Lasten der Familie und eines großen Teils dieser Gesellschaft bezeichnen, die Mütter. Hier könnte ich der Frau Staatssekretärin ein bißchen Nachhilfe leisten, weil sie es erst nicht so genau gewußt hat; ich will Ihnen einmal sagen, in welcher Form und in welchem Ausmaß die Mütterkuren zurückgegangen sind. Im Januar gab es nur noch eine Belegung von durchschnittlich 26 Prozent. Im Juli hatte sich das etwas erholt, auf 46 Prozent. Wir alle aber wissen, daß eine Kureinrichtung nur dann ausreichend ausgelastet ist, wenn sie zu mindestens 80 bis 85 Prozent belegt ist. Jetzt sind es 50 Prozent weniger. Wer hier noch davon redet, daß Müttergenesungskuren zugenommen hätten, der muß sich eines Besseren belehren lassen.
Sie versicherten uns auch immer wieder, daß insbesondere die wichtigen Kuren für Mütter von der Kürzung und von Sparmaßnahmen ausgenommen werden sollten. Ausschlaggebend war und ist die Erkenntnis, daß es insbesondere die Mütter sind, die erheblich unter der Doppelbelastung durch Familie und Beruf zu leiden haben. Sie können auf diese Art und Weise weniger Kuren in Anspruch nehmen.
Die Situation hat sich drastisch verändert. Sie haben die Regelkurdauer von vier auf drei Wochen verkürzt, die Wiederholungsintervalle von drei auf vier Jahre angehoben und, was ich besonders skandalös finde, die Zuzahlung drastisch um 5 DM auf 17 DM pro Tag erhöht.
Sie haben Patientinnen in die ambulante Kur abgedrängt, was im Bereich der Müttergenesungskur, wie Ihnen jeder Fachmann und jede Fachfrau sagen kann, nicht dem Kurziel entspricht. Diese Tatsachen belegen einmal mehr, daß die Versprechungen der
Antje-Marie Steen
Regierung Kohl nicht einmal das Papier wert sind, auf denen sie geschrieben sind, schon gar nicht die der Sozialpolitiker, anscheinend auch aus Ihrer Fraktion.
Trauriger Alltag ist es geworden, daß immer weniger Mütter eine Kur in Anspruch nehmen, Kliniken ihren Betrieb einstellen und massenhaft Personal entlassen. In meinem Wahlkreis haben bereits zwei Müttergenesungskliniken ihren Betrieb eingestellt. Es sind „nur" 80 Arbeitsplätze betroffen. Aber bei einer Arbeitslosenquote von 12 Prozent bedeutet das eine wirklich dramatische Entwicklung.
Sie haben immer wieder versucht, diese Mütter zu diffamieren und zu Bittstellerinnen zu machen, indem man die Zugangsmöglichkeiten drastisch verändert hat. Die Mütter müssen inzwischen den Medizinischen Dienst durchlaufen. Sie werden in eine Mißbrauchsdebatte gedrängt, was hier wieder ganz kräftig zum Ausschlag gekommen ist. Es wird ihnen unterstellt, die Situation in der Vergangenheit mißbräuchlich ausgenutzt zu haben. Dies finde ich einfach impertinent; das ist eine Wortwahl, die wir hier im Deutschen Bundestag nicht übernehmen sollten.
Die Folgen sind heute besonders deutlich: Diese Diffamierungen haben zu einer kollektiven Verunsicherung der Mütter beigetragen, die kaum noch Kuren beantragen. Die Barrieren, die sich ihnen in den Weg stellen, tragen immer weiter dazu bei, daß auch die Qualität der Müttergenesungskuren konsequent abgebaut wird. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik.
Die Leistungen der Krankenversicherungen müssen bezahlbar sein. Diesen Weg wollen wir gerne mit Ihnen gehen. Wir wollen Sie dabei auf einem ökonomischen Weg begleiten. Das setzt aber voraus, daß wir miteinander und im Konsens endlich wieder darüber nachdenken, wie bei Kuren und vor allen Dingen auch bei den Maßnahmen für Mütter Qualität, präventive Gesundheitsförderung und rehabilitative Elemente ihren Platz finden, damit wir unser zu Recht so bezeichnetes hochqualifiziertes Gesundheitssystem erhalten können.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Laumann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich glaube, daß man bei dieser Debatte heute nachmittag wieder feststellen konnte, daß zwischen Opposition und Koalition in der Beurteilung dieser Frage ein grundsätzlicher Unterschied besteht.
Ich habe Verständnis für Abgeordnete, in deren Wahlkreis sich eine Kureinrichtung befindet; solche Abgeordnete gibt es ja auch in meiner Fraktion. Natürlich sieht man als Abgeordneter auch die Arbeitsplatzsituation in seiner Heimat. Das ist doch etwas ganz Normales.
Aber für den Sozialpolitiker kann sich die Frage nach der Zahl der Kuren in Deutschland nicht danach richten, welche Auswirkungen die Zahl der Kuren auf den Arbeitsmarkt hat.
Vielmehr müssen die Rentenversicherungsträger und die Krankenkassen so viele Kuren finanzieren, wie es medizinisch notwendig ist. Das ist für mich ein wichtiger Grundsatz in der Sozialpolitik.
In Deutschland hat es nun die Entwicklung gegeben, daß es im Bereich der Kuren in den letzten fünf bis sechs Jahren einen Riesenboom gegeben hat.
Der Boom ist daran zu erkennen, daß von 1000 Beschäftigten in Westdeutschland 1990 in einem Jahr 32 in Kur gefahren sind. 1995 kamen auf 1000 Beschäftigte 37 Kuren.
Das ist eine erhebliche Steigerung. Mir bestätigen die Rentenversicherungsträger immer wieder, daß in ihrem Bereich keine einzige medizinisch notwendige Rehabilitationsmaßnahme abgelehnt worden ist.
Vor diesem Hintergrund bin ich schlicht und ergreifend der Meinung, daß die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die Beiträge für die Rentenversicherung in erster Linie einzahlen, damit sie später eine Rente bekommen, und nicht dafür, daß sich einige Leute mit Hilfe der Kur einen Zweiturlaub erlauben können. Dafür zahlen sie ganz sicher nicht ein.
Dann gibt es eine weitere Tatsache: Wir wissen genau, daß in Bereichen, in denen man glaubt, einen unerschütterlich sicheren Arbeitsplatz zu haben, wie im Angestellten- und Arbeiterbereich des öffentlichen Dienstes, der Anteil der Kuren höher liegt als bei den Bauarbeitern. Mir kann doch keiner erzählen, daß ein Mann, der 30 oder 40 Jahre bei Wind und Wetter auf dem Bau schuftete, nicht so häufig eine Kur braucht wie derjenige, der beispielsweise in der Standortverwaltung der Bundeswehr arbeitet. Das kann ich mir einfach nicht vorstellen. Das sagt einem doch der gesunde Menschenverstand. Wenn
Karl-Josef Laumann
I man sich die Zahlen anschaut, stellt man einen Zusammenhang zwischen Sicherheit des Arbeitsplatzes und der Häufigkeit der Kuranträge fest.
Ich möchte gerne noch einen weiteren Punkt ansprechen, der in der Diskussion immer wieder eine Rolle spielt: Sie werfen uns vor, daß wir die Zuzahlung bei den Kuren auf 17 DM erhöht haben.
Wahr ist aber, daß wir im Bereich der Anschlußheilbehandlung, also bei Rehabilitationsmaßnahmen für Menschen, die einen Schlaganfall oder einen Herzinfarkt erlitten haben, die Zuzahlung nicht erhöht haben. Die erhöhte Zuzahlung trifft also nur auf die Kuren zu, die unter bestimmten medizinischen Voraussetzungen bewilligt werden. Ich finde, daß es sozialpolitisch schon ein großer Unterschied ist, ob ich eine solche Maßnahme mit einer höheren Zuzahlung belege oder die Anschlußheilbehandlung. Das sollten wir in der Diskussion bedenken.
Ich glaube, daß wir gut beraten sind, schlicht und ergreifend zuzugeben, daß wir mit dem Geld der Sozialversicherungen keine Arbeitsmarktpolitik machen können. Vielmehr müssen wir uns an dem sozialpolitisch Notwendigen orientieren. Das haben wir getan, und dabei wird es auch bleiben.
Ich gebe zu, daß ich einen Wahlkreis vertrete, in dem es keine Kureinrichtungen gibt. In meinen Versammlungen stelle ich fest, daß sehr viele Bürger sehr gut verstehen, daß wir in diesem Bereich Einsparungen vornehmen mußten, weil mittlerweile jeder zumindest einen kennt, von dem man weiß, daß die Kur mehr Tango als Fango war.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Karl Hermann Haack.
Herr Laumann, fangen wir einmal mit dem Bauarbeiter und mit dem Beschäftigten in der Standortverwaltung an. Es gibt Untersuchungen, die ich als Sozialpolitiker kenne - Sie auch -, die besagen, daß die Voraussetzungen für Maßnahmen medizinisch begründeter beruflicher und sozialer Rehabilitation berufsbedingt anders gesehen werden, als wir es uns alle gemeinsam wünschen. Der Hilfsarbeiter, der Bauarbeiter hat eben keinen sicheren Arbeitsplatz und wird seiner Arbeit trotz kaputten Rückens nachgehen, weil er weiß, daß sich das mittelständische und das große Baugewerbe in einer tiefgreifenden Strukturkrise befinden. „Strukturkrise" heißt für ihn: Abbau von Arbeitsplätzen. Das will ich hier einmal feststellen.
Das heißt also: Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Der Bauarbeiter braucht eine Kur, und ein anderer ist
klug genug, sich in den Paragraphen zurechtzufinden und zu sagen: Es wäre wieder einmal an der Zeit, dorthin zu gehen.
Damit sind wir bei der Mißbrauchsdebatte,
die ich mit Ihnen führen will. Ich sage: Da, wo Mißbrauch ist, muß er beseitigt werden.
Die Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation hat sich 1990 mit den Einrichtungen, die Leistungen anbieten, und mit den Trägern, die die Leistungen bezahlen, also im wesentlichen mit den Rentenversicherern, zusammengesetzt und gemeinsam mit diesen gesagt: Wir müssen neue Zugangswege finden, die restriktiver sind.
Dann ist die deutsche Einheit gekommen, und dann hat man von den Trägern der Rehaeinrichtungen verlangt, in den neuen Bundesländern Kliniken zu bauen. Sie haben das finanziert. Die Zahlen sind hier vorgetragen worden. Wir haben recherchiert: Dies ist über Landesbürgschaften, über Bundesbürgschaften und über Kreditverpflichtungen von großen Banken in einer Größenordnung von 1,3 Milliarden DM geschehen. Und dann haben Sie sich beispielsweise in Bad Kösen hingestellt und haben, als dort drei Kliniken eröffnet wurden, gesagt: Das ist in Ordnung, das sind zusätzliche Arbeitsplätze.
Drei Jahre später sind zwei Kliniken geschlossen, und 450 Menschen sind arbeitslos geworden, ohne jegliche Perspektive in einer Region, in der 25 Prozent arbeitslos sind.
In meinem Beritt, in Bad Meinberg, einem Ort mit 6 000 Einwohnern, haben zwei Kliniken mit 420 Betten geschlossen. Das bedeutet einen Abbau von 300 bis 320 Arbeitsplätzen. Darunter befinden sich auch Praktikantenstellen, die nun verlorengegangen sind, und Ausbildungsplätze, die verlorengegangen sind.
Damit komme ich zu der Frage, die Sie gestellt haben: Sollen die Rentenversicherung und die Krankenversicherung den Arbeitsmarkt finanzieren? Wir befinden uns im Übergang vom sekundären Arbeitsmarkt in den tertiären Arbeitsmarkt, in die Dienstleistungsgesellschaft. Drei große Bereiche haben in den letzten Jahren den Strukturwandel immer aufgefan-gen. Das waren die sogenannten Sozialberufe, also die Lehrer und Sozialarbeiter, und das waren die Gesundheitsberufe. Hinzugekommen ist der Bereich der Kommunikationstechnologie.
Die strittige Frage zwischen Ihnen und uns lautet: Wenn ich einen Strukturwandel vollziehen will, mache ich das nach der Fallbeilmethode? Das bedeutet, daß man beispielsweise Anzeigen lesen kann wie die folgende, die am Samstag in einer großen Zeitung zu lesen war: Konkurs-Versteigerung, zirka 5 000 Positionen, meist Baujahr 1995 und jünger, Bavaria Mobilien, Hotel Fürstenhof Bad Brückenau.
Dann werden drei Standorte aufgezählt: DresdenLeuben, Nürnberg und München. Insgesamt wer-
Karl Hermann Haack
den vierzehn Kliniken der Versteigerung preisgegeben.
Daran wird deutlich, wohin diese Fallbeilpolitik, die Sie politisch gewollt haben, und der Arbeitsplatzabbau, zu dem Sie sich bekannt haben, führen.
Ich bin sehr wohl bereit und stolz darauf, mich dem entgegenzustellen. Ich stelle mich zunächst einmal vor die Menschen, die in diesen Einrichtungen arbeiten, und versuche, ein vernünftiges Ergebnis zu bekommen.
Daß verschiedene gesagt haben, nun seien Länder und Kommunen in die Pflicht zu nehmen, um den Schaden, den Sie angerichtet haben, wieder auszubügeln, halte ich für unverfroren
angesichts der Tatsache, daß Sie Länder und Kommunen politisch und finanziell vor die Wand haben fahren lassen, indem Sie eine vernünftige Steuerreform verhindert haben.
Damit ist die Aktuelle Stunde beendet.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf: Vereinbarte Debatte
über den Bericht des Bundesministers der Verteidigung zum Vortrag des Rechtsextremisten Manfred Roeder an der Führungsakademie der Bundeswehr im Jahre 1995
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache im Anschluß an den Bericht des Verteidigungsministers eine Stunde vorgesehen. - Widerspruch gibt es nicht. Dann ist es so beschlossen.
Das Wort hat der Bundesminister der Verteidigung, Volker Rühe.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Bundeswehr hat es in diesem Jahr mehrere Vorfälle gegeben, die allesamt einen rechtsradikalen Bezug hatten. Jeder dieser Fälle und erst recht ihre Reihung haben der Bundeswehr im In- und Ausland schwer geschadet. Jeder Fall lag anders. Aber in jedem Fall ist sofort und konsequent gehandelt worden: durch Ausschöpfung aller dienstrechtlichen und strafrechtlichen Möglichkeiten.
Im Vordergrund des öffentlichen und politischen Interesses und der berechtigten Empörung steht die
Einladung des berüchtigten Neonazis Roeder an die Führungsakademie der Bundeswehr.
Nach bisherigen Erkenntnissen stellt sich der Sachverhalt so dar: Am 24. Januar 1995, also vor fast drei Jahren, hat der Akademiestab der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg eine Weiterbildung für Offiziere und zivile Mitarbeiter durchgeführt. Die Veranstaltung war verbunden mit der Verabschiedung eines Stabsangehörigen. An der Veranstaltung nahmen weder Lehrpersonal noch Lehrgangsteilnehmer der Führungsakademie teil.
Der damalige Leiter des Akademiestabs, Oberst i. G. Schwarzer, hat dazu Manfred Roeder vom „Deutsch-Russischen Gemeinschaftswerk" eingeladen, der zu dem Thema sprach: „Die Übersiedlung der RußlandDeutschen in den Raum Königsberg". Nach dem Vortrag fand ein Abschiedsessen für den ausscheidenden Stabsangehörigen der Akademie statt. Daran hat auch Roeder teilgenommen.
Auf Grund von Presseveröffentlichungen und Fernsehsendungen im April und Mai 1995 erkannten Offiziere des Akademiestabs, mit wem sie es bei Roeder zu tun gehabt hatten. Diese Erkenntnisse wurden Oberst i.G. Schwarzer gemeldet, der jedoch keinerlei Folgemaßnahmen ergriffen und vor allem auch nicht die Leitung der Akademie in Hamburg-Blankenese unterrichtet hat.
Nach heutigem Erkenntnisstand bleibe ich bei meiner bisherigen Feststellung, daß über den Auftritt Roeders an der Führungsakademie weder die Führung der Akademie, das Bundesministerium der Verteidigung noch der Militärische Abschirmdienst unterrichtet worden sind.
Wie alle politischen Kräfte im Deutschen Bundestag habe ich den Vortrag des mehrfach vorbestraften und als rechtsextrem bekannten Neonazis Roeder vor Angehörigen des Akademiestabs der Führungsakademie der Bundeswehr in aller Schärfe verurteilt. Dieser Vortrag hätte nie stattfinden dürfen. Ich denke, darin sind wir uns alle einig.
Der Vortrag zur Übersiedlung von Rußland-Deutschen in den Raum Königsberg hat in doppelter Hinsicht großen Schaden angerichtet: durch das Thema, weil es diametral der außenpolitischen Linie der Bundesregierung widerspricht, und durch den Vortragenden, dem sich die höchste Ausbildungseinrichtung der Bundeswehr, wenn auch in einem Nebenbereich - aber es sind alle davon betroffen -, geöffnet hat.
Es ist offenkundig, daß hier nicht mit der notwendigen Sorgfalt und dem gebotenen Verantwortungsgefühl vorgegangen wurde. Womit wir es hier zu tun
Bundesminister Volker Rühe
haben, ist ein Fall politischer Ignoranz und mangelnder Urteilsfähigkeit.
Um der Fairneß willen muß ich auch feststellen, daß es bis zur Stunde keinerlei Hinweise dafür gibt, daß bei den Einladenden eine Kenntnis der Identität und der Verbrechen
und der Ansichten dieses Neonazis vorlag, so daß ich Unwissenheit unterstellen muß.
- Ich meine, Sie müssen doch die Fakten zur Kenntnis nehmen, die wir bisher ermittelt haben.
Ich bin im übrigen von folgendem überzeugt, denn ich kenne die Führungsakademie: Wenn dieser Vortrag im zentralen Lehrbereich mit unseren jungen, phantastischen Offizieren, die wir dort haben, stattgefunden hätte, dann wäre dieser Mann nach zehn Minuten entlarvt worden; wir haben nämlich einen guten Offiziersnachwuchs an der Führungsakademie in Hamburg.
Dies gilt für die Auswahl des Themas und des Referenten. Und es gilt auch für die Behandlung des Falles nach Bekanntwerden der rechtsextremistischen Verstrickungen Roeders.
Ich habe an dem guten Geist der Führungsakademie keinen Zweifel. Helmut Schmidt, der von uns allen geschätzte ehemalige Bundeskanzler, ist, glaube ich, immer noch Vorsitzender des Beirats der Führungsakademie. Sie sollten alle dazu beitragen, die verdienten Vortragenden dort, die Dozenten und die jungen Offiziere - übrigens 100 Offiziere aus der ganzen Welt - nicht in ein schlechtes Licht zu rücken. Das haben sie nicht verdient.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, ich trage jetzt den Sachverhalt vor.
Um weiteren Schaden von der zu Recht im In- und Ausland hochgeachteten Führungsakademie abzuwenden, wird der Sachverhalt unnachsichtig und bis ins Letzte aufgeklärt. Die Verantwortlichen werden zur Rechenschaft gezogen. Gegen den damaligen Chef des Akademiestabes, Oberst i. G. Schwarzer, ist deshalb am 8. Dezember 1997 ein disziplinarrechtliches Verfahren eingeleitet worden. Der Offizier hat am gleichen Tag auch gegen sich selbst ein disziplinargerichtliches Verfahren beantragt. Ich habe noch am 8. Dezember 1997 dem Antrag von Generalleutnant Dr. Olboeter, dem damaligen Kommandeur der Führungsakademie, auf Entbindung von seiner jetzigen Aufgabe als Leiter der Personalabteilung des Bundesministeriums entsprochen, bis die Frage der
Dienstaufsicht abschließend geklärt und bewertet ist.
Mit der Aufklärung der Vorkommnisse habe ich den Leiter der Rechtsabteilung im Bundesministerium der Verteidigung beauftragt; denn auch Verdachtsmomente gegen Mitarbeiter des Ministeriums im dienstaufsichtlichen Bereich sind nicht auszuschließen. Deswegen habe ich diese Form der Untersuchung gewählt. Der Leiter der Rechtsabteilung erhält für diese Aufgabe alle Vollmachten.
- Damit könnten Sie eigentlich nur einverstanden sein; Ihre Kollegen im Verteidigungsausschuß waren das jedenfalls.
Der Leiter der Rechtsabteilung wird an keinerlei Weisungen gebunden sein. Sein Bericht, der innerhalb eines Monats vorzulegen ist, wird dem Verteidigungsausschuß des Deutschen Bundestages vollständig zugeleitet.
Ich habe darüber hinaus die Obleute des Verteidigungsausschusses gebeten, gemeinsam mit mir zu überlegen, ob ich auf unabhängige und mit der Bundeswehr vertraute, allseits geachtete Persönlichkeiten zugehen soll, um sie zu einem Blick von außen in die Bundeswehr aufzufordern. Ich denke, das Ergebnis könnte hilfreich sein - auch für die Bundeswehr. Dieser Kommission würden alle Einrichtungen der Bundeswehr offenstehen; wir haben nichts zu verbergen. Sie würde mit allen Bundeswehrangehörigen vertraulich sprechen können und vom Bundesministerium der Verteidigung jede Unterstützung erhalten, die erforderlich ist.
In diesem Zusammenhang muß auch festgestellt werden, daß die Abgabe von Material aus Altbeständen der Bundeswehr an das „Deutsch-Russische Gemeinschaftswerk" nicht hätte erfolgen dürfen.
Das „Deutsch-Russische Gemeinschaftswerk" und Manfred Roeder standen im Verfassungsschutzbericht 1993, der am 14. April 1994 vorgestellt wurde.
- Sie können doch nichts dagegen haben, daß ich hier lückenlos die Tatsachen aufzähle, damit die Verantwortung geklärt wird.
Daß in jedem Jahr rund 1000 Anträge auf humanitäre Hilfe zu bearbeiten sind und jeder Mitarbeiter zum Ziel hat, unbürokratisch Hilfe zu leisten - viele von Ihnen haben auch gesagt: Helft uns, dieses oder jenes zu tun, diese oder jene Organisation zu unterstützen, macht das unbürokratisch -, ist keine Entschuldigung dafür, daß bei der Bearbeitung dieser Anfrage die notwendige Sorgfalt fehlte. Es wird im einzelnen geprüft, wie die Verantwortlichkeiten im Abgabeverfahren zu bewerten und womöglich zu ahnden sind. Das Verfahren selbst wird überprüft und, wenn notwendig, verbessert.
Bundesminister Volker Rühe
Meine Verantwortung für die Bundeswehr gebietet, alles zu tun, damit sich solche Vorfälle nach menschlichem Ermessen nicht wiederholen können. Meine Verantwortung für die Bundeswehr gebietet es mir aber auch, sich gegen alle Pauschalverurteilungen der Bundeswehr zu wenden. Das haben unsere Soldaten nicht verdient!
Ich weiß, daß auch diejenigen, die jetzt nicht geklatscht haben, genauso denken, denn sie kennen die Bundeswehr genauso, wie ich sie kenne.
- Gut, manchmal gibt es Zwänge. Wir wollen nicht besserwisserisch sein. Dies ist uns früher auch - vor langer Zeit in der Opposition - schon einmal so gegangen.
- Hören Sie doch noch einen Augenblick zu, das hilft Ihnen.
Zum Verfahren gehört: Erstens. Die Vorfälle müssen rückhaltlos aufgeklärt und zu den notwendigen Konsequenzen geführt werden. Dies geschieht.
Zweitens. Wir brauchen ein breit angelegtes Programm zur Stärkung des Bewußtseins von Vorgesetzten und Soldaten und zur politischen Bildung. Eben dies hat der Generalinspekteur der Bundeswehr in meinem Auftrag auf den Weg gebracht.
Drittens. Es muß sichergestellt werden, daß jeder militärische Führer auf jeder Ebene seiner Führungsverantwortung durch Vorbild und Dienstaufsicht gerecht wird. Dazu gehört, daß jeder Divisionskommandeur seine Brigaden kennt, jeder Brigadekommandeur seine Bataillone und jeder Bataillonskommandeur seine Kompanien. Nur so, nur durch die Nähe am Mann und durch intensive Menschenführung, kann Fehlentwicklungen rechtzeitig begegnet werden.
Viertens. Die Prinzipien der inneren Führung sind heute so richtig und richtungsweisend wie vor 40 Jahren. Innere Führung ist immer ganz konkret und praktisch. Das gilt in besonderer Weise für den Umgang mit der Tradition.
- Hören Sie gut zu; ich weiß, daß über die Frage der Traditionspflege viel diskutiert wird. Wir sollten uns in aller Öffentlichkeit darüber unterhalten, damit unsere Soldaten die nötige Orientierung bekommen.
Das Geschichts- und Traditionsverständnis unserer Bundeswehr kann von niemandem in Zweifel gezogen werden. Darin waren wir uns alle - nicht zuletzt in der Aktuellen Stunde über die Rolle der Wehrmacht im März dieses Jahres - einig.
Ich habe damals schon gesagt: Die Bundeswehr hat sich von Anfang an der ganzen deutschen Ge-
schichte mit all ihren Höhen und Tiefen gestellt. Aber das Selbstverständnis einer Armee in der Demokratie gebietet es, als Vorbild nur das Erhaltenswürdige aus unserer Geschichte auszuwählen. Tradition ist das bewußte Zurückgreifen auf Ereignisse und Menschen, auf Haltungen und Taten, die bis heute beispielgebend sind. Dies verlangt ein besonders hohes Maß an historisch-politischer Bildung und moralischer Sensibilität. Genau daran hat es der Stabsgruppe an der Führungsakademie gemangelt.
Die Werteordnung unseres Grundgesetzes ist Orientierung und Maßstab für unser Traditionsverständnis. Die Bundeswehr stützt sich auf die freiheitlichen Werte der deutschen Militärgeschichte. Die preußischen Reformen und der deutsche Widerstand gegen Hitler stehen daher im Zentrum der Traditionspflege.
Ich füge hinzu: Auch tapfere, untadelige Soldaten der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg - wie zum Beispiel der General Steinhoff, der in den Ländern, mit denen der Krieg damals geführt wurde, über höchstes Ansehen verfügt -, die beim Aufbau der Bundeswehr großartige Arbeit geleistet haben, können heute ein Vorbild für die Soldaten der Bundeswehr sein.
Deshalb bin ich zum Beispiel stolz darauf, daß ich in Berlin eine Kaserne nach General Steinhoff benannt habe und auch das Geschwader in Laage nach ihm benannt worden ist.
- Es ist interessant, wenn hier gesagt wird: ein HitlerGeneral. Ich glaube, so einfach können Sie es sich nicht machen. Fragen Sie einmal Ihre englischen Freunde, welches Ansehen dort solche untadeligen deutschen Soldaten genießen. Ich finde, es gehört zu einem richtig verstandenen Traditionsbewußtsein innerhalb der Bundeswehr, wenn wir einen solchen Mann für seine Lebensleistung ehren.
Ich weiß, daß die Verteidigungspolitiker anders denken. Ich freue mich, daß wir heute morgen im Verteidigungsausschuß
- es tut mir leid, ich trage das im Zusammenhang vor - über die Parteigrenzen hinweg den Konsens feststellen konnten, daß der Traditionserlaß aus dem Jahre 1982 vom damaligen Minister Apel unverändert die gültige Leitlinie für unsere Streitkräfe ist. Auf dieser Grundlage sollten wir weiterarbeiten.
Herr Minister, gestatten Sie keine Zwischenfrage der Kollegin Schulte?
Doch, sie hat es verdient.
- Das war nicht böse gemeint.
Herr Minister, ich will ausdrücklich sagen, daß Sie als Person weiß Gott nicht wegen der Rechtsradikalen betroffen sind. Herr Minister, wir diskutieren über den General Steinhoff nicht wegen seiner Leistung in der Wehrmacht. Wir fördern ihn, weil er General und Inspekteur in der Bundeswehr war. Das ist ein gewaltiger Unterschied.
Ich muß Ihnen aber ehrlich sagen: Hier werden Dinge verwischt, die für uns alle gefährlich werden, weil dann die Differenzierung nicht da ist. In diesem Zusammenhang können Sie gleich erklären, warum - ich habe vergessen, Sie das im Ausschuß zu fragen - die Zeitschrift „Die Truppenpraxis - Zeitschrift für Führung, Ausbildung und Erziehung" sich auffallend oft mit Schlachten aus dem Zweiten Weltkrieg befaßt. Wenn ich zitieren würde, was dort steht, würden Sie sich sehr wundern.
Ich bin gern bereit, nur das anzuschauen. Sehen Sie, das sagt der Traditionserlaß des Ministers Apel: Es muß historisch richtig eingebunden werden. Man muß sich natürlich damit befassen. Aber ich muß Ihnen widersprechen: Es geht um die gesamte Lebensleistung des Generals Steinhoff. Er hat Großartiges für die Bundeswehr geleistet. Ich finde das in Ordnung. Es wird international von niemandem kritisiert, wenn ein solch anerkannter Mann auch auf Grund seiner tapferen Leistung, die er in diesem schlimmen Krieg vollbracht hat, geehrt wird. Deswegen sollte man das nicht bekritteln.
Bei aller berechtigten Empörung über die aktuellen Vorkommnisse dürfen wir folgendes nicht vergessen: Es ist die gleiche Bundeswehr, über die manche nun pauschale Urteile fällen, die seit über zwei Jahren für Frieden und Versöhnung in Bosnien im Einsatz ist, die dort in unserem Auftrag Krieg und Massaker gestoppt hat.
Es ist die gleiche Bundeswehr - manche versuchen, das zu verdrängen -, die sich im Sommer dieses Jahres im Kampf gegen die Oderfluten bewährt hat. Es ist die gleiche Bundeswehr, die über 100 Staatsbürger aus 20 Ländern aus großer Gefahr in Tirana gerettet hat. Es ist die gleiche Bundeswehr; deswegen darf es keine pauschalen Verunglimpfungen dieser Bundeswehr geben.
Herr Minister, gestatten Sie auch eine Zwischenfrage der Kollegin Hendricks?
Bitte, ja.
Herr Minister, nachdem wir alle erwarten konnten, daß Sie heute über die Leistungen der Bundeswehr im Zusammenhang mit dem Oderhochwasser und über die Leistungen der Bundeswehr zur Friedensstiftung in Bosnien sprechen würden, darf ich Sie fragen, wann Sie zum Thema zurückkommen wollen.
Ich muß wirklich bitten: Ich habe zwölf Minuten über diesen Komplex gesprochen, über den schlimmen Vorfall in Hamburg und das ganze Drumherum. Was nicht angeht, ist, daß es im Sommer heißt: Das ist die Bundeswehr vom Oderbruch, und jetzt heißt es nach dem schlimmen Ereignis in Hamburg: So ist die Bundeswehr. Alles zusammen macht das Bild der Bundeswehr aus. Sie müssen sich um ein faires Urteil bemühen.
Es geht noch weiter.
- Das ist kein Grund zur Beunruhigung. Es ist die gleiche Bundeswehr - jetzt hören Sie gut zu -, in der bereits über 7 Millionen Bürger unseres Landes als Wehrpflichtige gedient haben. Es ist die gleiche Bundeswehr, die als Armee der Einheit mehr für das Zusammenwachsen der Deutschen getan hat als viele andere in unserer Gesellschaft.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schily?
Bitte schön.
Herr Bundesminister, Ihre anerkennenden Worte für die Bundeswehr finden sicher ungeteilten Beifall in diesem Hause.
Aber wollen Sie den Eindruck erwecken - das ist meine Frage -, als gerieten diejenigen, die den Auftritt von Herrn Roeder in der Führungsakademie für skandalös halten, was auch Sie tun, nun in den Verdacht, sie würden damit die Bundeswehr angreifen? Es geht hier eher um die Frage der politischen Verantwortung, wie es zu einem solchen Auftritt kommen konnte, Herr Bundesminister.
Herr Kollege Schily, ich habe deutlich gemacht, daß ich den Auftritt verurteile und daß wir mit den notwendigen Untersuchungen begonnen haben.
Bundesminister Volker Rühe
Wogegen ich mich verwahre, ist, daß dieser Vorfall zum Anlaß genommen wird, so zu tun, als ob das typisch für die Führungsakademie, typisch für die Bundeswehr sei. Das ist es nicht. Deswegen habe ich die anderen Punkte in Erinnerung gerufen.
Darf Herr Schily nachfragen?
Bitte schön.
Wenn Sie sagen, daß Sie sich dagegen wenden: Wer stellt denn diese Behauptung auf?
Hören Sie sich die Debatte, die geführt wird, doch einmal an! Ich bin kritisiert worden, weil ich in den vergangenen Wochen besonders hart durchgegriffen habe, um solche Vorfälle aufzuklären. Wenn Sie die Bundeswehr unter Generalverdacht stellen, finden Sie mich nicht an Ihrer Seite. Das wäre auch gegenüber den Soldaten zutiefst ungerecht.
Ich komme zu einem weiteren Punkt. Wir können auch stolz darauf sein, daß die Bundeswehr von unseren neuen Freunden und Partnern im Osten zum Vorbild für ihre Streitkräftereformen genommen
I wird. Gerade zwischen deutschen und polnischen Soldaten ist ein Vertrauen gewachsen, das vor wenigen Jahren noch undenkbar war.
Ich war gestern mit allen Militärattachés zusammen, die hier in Bonn akkreditiert sind, und habe auch über die Vorfälle in Hamburg gesprochen. Sie kennen die Führungsakademie. Dort gibt es hundert Offiziere aus der ganzen Welt. Ich plädiere dafür, daß wir ein ähnlich differenziertes Bild von der Führungsakademie haben wie diese Militärattachés aus der ganzen Welt. Es geht darum, gerecht zu sein, zu differenzieren, das, was falsch gemacht worden ist, aufzuklären und auch durchzugreifen.
Deswegen werde ich alles tun, daß die jüngsten Vorfälle politisch nicht instrumentalisiert werden. Ich bitte Sie dabei um Unterstützung. Ich werde mich bei der Aufklärung der Mißstände von niemandem übertreffen lassen. Sorgen wir gemeinsam für die Aufklärung der Mißstände! Achten wir dabei darauf, daß die Soldaten das Gefühl behalten, daß wir den schwierigen Einsatz, den sie für uns durchführen - ob das in Bosnien ist, ob das im Rahmen der Hilfe für die neuen Demokratien in der Mitte Europas ist -, nicht ungerecht durch die Art und Weise verdunkeln, wie wir über die Bundeswehr reden. Das ist die Bitte, die ich bei der Aufklärung dieser schlimmen Umstände an Sie alle habe!
Vielen Dank.
Ich eröffne jetzt die Aussprache über den Bericht des Verteidigungsministers. Das Wort hat der Abgeordnete Kolbow.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Übertreffen lassen sollten wir uns in dieser Debatte nicht an Sensibilität für die Vorgänge,
an Einfühlungsvermögen für unsere Streitkräfte, aber auch für die Öffentlichkeit im In- und Ausland, die durch die Vorgänge an der Führungsakademie in Hamburg aufgeschreckt ist.
Niemand stellt die Bundeswehr unter Generalverdacht, schon gar nicht die sozialdemokratische Bundestagsfraktion.
Ich weise den Versuch zurück, Herr Bundesverteidigungsminister, die SPD unter einen solchen Generalverdacht zu stellen. Sie stören das Klima abermals empfindlich!
Unsere Fraktion ist über die Häufung rechtsextremistischer Vorfälle innerhalb der Bundeswehr außerordentlich bestürzt. Dies gilt in besonderem Maße für die Tatsache, daß ein wegen Sprengstoffanschlägen auf Ausländerheime, wegen Anleitung zum Morden und wegen anderer Straftaten zu 13 Jahren verurteilter Neonazi, der die Bundesrepublik als „Lumpenstaat" geschmäht hat und schmäht und Gedenkkundgebungen zur Machtübernahme Hitlers organisiert, zu einem Vortrag in die Führungsakademie der Bundeswehr eingeladen worden ist.
Die für diesen Vorfall bislang gegebenen Erklärungen - auch heute im Verteidigungsausschuß; Sie selbst haben weiteren erheblichen Aufklärungsbedarf eingeräumt, Herr Rühe - vermögen uns nicht zu befriedigen.
Es erscheint nämlich kaum glaubhaft, daß hohe Offiziere einen ihnen Unbekannten ohne jegliche Prüfung zu einem Vortrag über ein zudem außenpolitisch hochbrisantes, sensibles Thema in einer Einrichtung zulassen, die wegen ihrer Aufgabe und wegen ihrer internationalen Funktion zu einer besonderen Sorgfalt verpflichtet ist.
Auch verwundert uns überaus - ich habe das auch im Ausschuß vorgetragen -, daß niemand von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern an dem Vortra-
Walter Kolbow
genden Anstoß nahm und nicht die Courage aufbrachte, nicht die Bürgerpflicht und die Soldatenpflicht erfüllte, dies, nachdem man wußte, um wen es sich bei dem Vortragenden handelt, zu melden, zu gestehen und zu fragen: Wie kommen wir da heraus? Wie können wir angesichts des totalen Schadens, der eingetreten ist, Schadensbegrenzung betreiben? Wie können wir jetzt in dieser verfahrenen Situation das Beste für unsere Bundeswehr tun? Darum geht es - und um nichts anderes.
Mich erschrickt die Berichterstattung in den nationalen und internationalen Medien. Ich habe die italienische Zeitung „La Repubblica" im Ausschuß zitiert. Ich tue das auch hier. Es wird in der italienischen Öffentlichkeit gefragt: In welchem Maße sind die Offiziere, Unteroffiziere und Soldaten der Bundeswehr sicher in den Werten der westlichen Demokratie und den demokratischen Institutionen verankert? - Wir wissen, daß die überragende Mehrzahl unserer Soldatinnen und Soldaten sicher in dieser Demokratie verankert ist, daß sie Bestandteil dieses Staates sind. Aber wie ist es denn zu erklären, daß sie auch in den Augen des Auslandes in eine solche Situation kommen konnten? - Eine Antwort darauf gibt eine niederländische Tageszeitung, in der steht: Der deutsche Verteidigungsminister Volker Rühe steht am Rande des Abgrunds seiner politischen Existenz.
Dies ist die Frage nach der politischen Verantwortung, die im In- und Ausland heute gestellt wird.
Dieser Frage kann sich der Bundesminister der Verteidigung auch nicht mit forschen Auftritten vor dem Deutschen Bundestag entziehen. Wir stellen die Frage nach Ihrem Rücktritt heute nicht. Wir stellen aber die Frage nach Ihrer politischen Verantwortung.
Da müssen Sie, Herr Kollege Rühe, sich fragen lassen - Sie haben die Tradition angesprochen -: Wie halten Sie es denn mit einem lebendig praktizierten und gelebten Traditionserlaß, der in der Tat von Hans Apel, dem letzten sozialdemokratischen Verteidigungsminister, stammt? Dort steht - ich zitiere die entscheidenden Passagen einmal ganz -:
Das Grundgesetz ist Antwort auf die deutsche Geschichte. Es gewährt große Freiräume, zieht aber auch eindeutige Grenzen... In den Nationalsozialismus waren Streitkräfte teils schuldhaft verstrickt, teils wurden sie schuldlos mißbraucht. Ein Unrechtsregime wie das Dritte Reich kann Tradition nicht begründen... Die Pflichten des Soldaten erlangen in unserer Zeit sittlichen Rang durch die Bindung an das Grundgesetz.
Deshalb - so auch der Traditionserlaß - kann die Wehrmacht keine Tradition für die Bundeswehr stiften.
Deshalb sind die Vorgänge in den Traditionsräumen und um die Traditionsräume so mißlich, und deshalb ist es so mißlich, daß Personen wie Haeseler, Rodenwaldt, Hüttner oder Lent weiterhin Namensträger für Bundeswehrkasernen sind.
Dies auch mit zu beseitigen wäre Ihre Aufgabe gewesen.
Der frühere Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Alfred Biehle, hat Ihnen, Herr Rühe, am 15. Dezember 1994 einen Brief geschrieben. Darin heißt es - ich zitiere aus diesem Schreiben an Sie -:
Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß Soldaten der Bundeswehr
- nicht die Bundeswehr; ich sage das an dieser Stelle noch einmal ganz deutlich -
- nicht nur in diesen Fällen -- die er dann aufzählt -
völlig unreflektiert Zuflucht in eine überkommene Tradition der früheren Wehrmacht suchen. Dabei stellt sich mir die Frage, ob eine noch immer praktizierte Erinnerung an bestimmte Soldaten und bestimmte Leistungen der früheren Wehrmacht den heutigen politischen Herausforderungen gerecht wird.
Darum geht es, und dazu müssen wir mit allen Möglichkeiten des Parlaments Aufklärungsarbeit leisten.
Ich sage es noch einmal, damit Sie dieses Argument nicht mehr gebrauchen können, weil es manche von Ihnen gebrauchen wollen:
Unsere Fraktion verallgemeinert diese Vorfälle, die zum Teil schon vor längerer Zeit stattgefunden haben, nicht. Wir bedauern jedoch, daß das Ansehen, das sich die Bundeswehr an der Oder und jeden Tag im ehemaligen Jugoslawien erworben hat, auf diese Weise beschädigt wird.
Wir haben heute im Ausschuß gesagt - ich wiederhole es hier, um das Klima sachlich zu machen, nicht in Ihrem Interesse, Herr Rühe, sondern im Interesse unserer Streitkräfte -,
daß wir die Verurteilungen und Disziplinarmaßnahmen, die Sie ergriffen haben, begrüßen, daß strafrechtliche und disziplinäre Maßnahmen notwendig, aber nicht ausreichend sind. Zu den Gegenmaßnahmen muß unserer Meinung nach auch eine gründliche Beschäftigung mit den Verbrechen der NS-Ge-
Walter Kolbow
waltherrschaft, mit dem Widerstand, der gegen die Gewaltherrschaft geleistet wurde, und auch mit den Ursachen, die zur Etablierung dieser Gewaltherrschaft geführt haben, gehören.
Da ist der Katalog, den der Generalinspekteur und Sie gebilligt haben und der jetzt auf den Weg gebracht worden ist, hilfreich. Hilfreich ist aber auch, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn sich das Parlament nicht in geschlossenen Sitzungen des Ausschusses und nicht in von Ihnen beherrschten Untersuchungen, sondern selber mit der Angelegenheit beschäftigt.
Wenn ich noch einen Zweifel an meinem Rat an meine Fraktion hatte, eine Untersuchung auch im Interesse unserer Streitkräfte vorzuschlagen, dann hat diesen letzten Zweifel Ihre Rede, Herr Bundesminister der Verteidigung, ausgeräumt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, daß die Lage der Bundeswehr, die Wirklichkeit der Traditionspflege, die Praxis der Menschenführung und die Situation der Inneren Führung vor dem Hintergrund der aktuellen Vorgänge an der Führungsakademie, aber auch in anderen Standorten unserer Bundeswehr, wo wir Vorfälle mit rechtsradikalem Hintergrund hatten, untersuchungswürdig sind.
Der Anspruch der Führungsakademie und auch unserer Soldaten ist hoch. Die Führungsakademie hat den Wahlspruch „Geist bewegt die Materie". Führung ist mehr als militärischer Professionalismus; denn der moderne Stabsoffizier und Soldat muß vorausdenken und kooperieren können. Er muß inmitten der Bürgerschaft sein: von den Bürgern her gesehen und von den Streitkräften her gesehen.
Wenn es richtig ist, was Clausewitz geschrieben hat und was auch an der Führungsakademie zum Ausdruck gebracht wird, daß nicht entscheidend ist, was man denkt, sondern wie man es gedacht hat, dann ist es an der Zeit, uns auch für die Streitkräfte mit den Streitkräften zu befassen, wie ich es darzulegen versucht habe.
Ich danke für die Geduld.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Paul Breuer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der Verurteilung der Vorgänge an der Führungsakademie in Hamburg im Jahre 1995 sind wir uns einig; das wird in dieser Debatte sehr deutlich. Das ist heute in der Diskussion im Verteidigungsausschuß, die von sehr kritischen Fragen und offenen Antworten geprägt war, ebenfalls sehr deutlich geworden. Die Einladung dieses
unsäglichen, rechtskräftig verurteilten Rechtsradikalen Roeder zum Vortrag vor dem Stab der Führungsakademie in Hamburg ist ein schlimmer Vorgang.
Die Führungsakademie hat eine wesentliche Funktion für den Geist in der Bundeswehr und eine wesentliche Funktion für die Heranführung der mittel-
und osteuropäischen Reformstaaten an demokratische Normen. Deshalb steht sie in einem ganz besonderen Maße auf dem Prüfstand und muß gerade deshalb besonders sorgfältig arbeiten.
Um so bestürzender ist es, daß durch politische Unsensibilität und Ignoranz in einem Teilbereich der Akademie die Führungsakademie insgesamt in Mißkredit gekommen ist.
Wir haben es hier nach unserer Einschätzung mit mangelnder Sensibilität auf seiten der Verantwortlichen mit einer Mischung aus Ignoranz und Instinktlosigkeit zu tun. Ich sage in aller Deutlichkeit und rufe Ihnen zu:
Es gibt keine Entschuldigungen für Nachlässigkeiten dieser Art.
- Meine Damen und Herren, ich will nach wie vor versuchen, darauf hinzuwirken, daß wir in einer sachlichen Art und Weise darüber reden. Für mich gibt es keinerlei Entschuldigung dafür, daß ein Terrorist und Rechtsextremist, der - man achte auf das Strafmaß - mit 13 Jahren Haft bestraft worden ist, Zugang zu dieser Führungsakademie erhalten hat und dort einen Vortrag halten konnte. Dafür gibt es keine Entschuldigung! Das ist auch Meinung des Ministers, das ist Meinung meiner Fraktion, das ist Meinung der Koalition. Das ist heute sehr deutlich geworden.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Büttner?
Nein, zunächst einmal nicht.
Bereits im Verfassungsschutzbericht 1991 wird Roeder erwähnt. - Ich habe heute auch Kenntnis darüber erlangt, daß er schon in den 80er Jahren im Verfassungsschutzbericht aufgeführt worden ist. Die rechtskräftige Verurteilung stammt aus den 80er Jahren. Das alles ist mir bekannt. - Nun kann man nicht erwarten, daß jeder Soldat der Bundeswehr diesen Bericht kennt. Aber ich erwarte, daß Vorgesetzte mit Führungsverantwortung und insbesondere solche,
Paul Breuer
die Entscheidungen derartigen Ausmaßes zu treffen haben, Kenntnis davon haben.
Das ist heute die Haltung des gesamten Ausschusses gewesen. Das ist auch die Haltung von Bundesverteidigungsminister Volker Rühe.
Noch unbegreiflicher ist für mich, daß, als die Identität Roeders schließlich - viel zu spät - erkannt worden ist, keine Meldung an vorgesetzte Dienststellen erfolgte. Welches Verständnis herrscht in den Köpfen von Menschen vor, die glauben, daß es sinnvoll sei, ein Dienstvergehen - und das ist ein schweres Dienstvergehen - unter der Decke zu halten?
Ich habe keinen Zweifel am Geist der Führungsakademie. Ich hatte heute in der Ausschußsitzung den Eindruck, daß dies für alle Seiten des Hauses gilt. Der Kollege Kolbow hat gesagt, er neige nicht zur Verallgemeinerung. Ich gehe davon aus, daß er dann auch nicht zu einer Verallgemeinerung der Auswirkungen dieser Vorgänge auf den Geist der gesamten Führungsakademie neigt. Daß dies nicht geschieht, ist in der Diskussion deutlich geworden.
Wir im Verteidigungsausschuß haben uns vor nicht allzulanger Zeit in der Führungsakademie in Hamburg in offenen Diskussionen mit dem Lehrpersonal und den Lehrgangsteilnehmern vom Geist dieser Akademie überzeugen können. Mein Vertrauen in den Geist der Führungsakademie, in deren demokratische Verantwortung und in deren Haltung, die Kooperation und Integration der deutschen Sicherheitspolitik zur Zielsetzung hat, ist völlig ungebrochen - unabhängig von der Frage der Bewertung des Vorganges rund um den Stab der Akademie.
Die Abgabe von Material an die Organisation Roeders wirft für uns die Frage nach den Prüfmodalitäten auf. Die Bewertung, ob eine Organisation Gerät zu bestimmten Zwecken erhalten soll oder nicht, beinhaltet ein hohes Maß an Verantwortung. Mir ist auch klar - das ist heute im Ausschuß ebenso sachlich behandelt worden -, daß dabei ein Zielkonflikt zwischen unbürokratischer Hilfe einerseits und einer sorgfältigen Prüfung andererseits entstehen kann. Aber ich frage mich: Was wird denn eigentlich geprüft, wenn nicht die Frage, ob die Organisationen, die mit Hilfe betraut werden und die Gerät bekommen, auf den Boden der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland stehen? Hier nicht sorgfältig genug geprüft zu haben ist ein Vergehen, das verurteilt werden muß.
Meine Damen und Herren, es wäre zutiefst ungerecht, die Bundeswehr unter Generalverdacht zu stellen. Ich stelle mich vor unsere Soldaten und die zivilen Mitarbeiter der Bundeswehr in der Überzeugung, daß unsere Streitkräfte keinen Nährboden für
rechtsradikales und extremistisches Gedankengut bieten. Die Bundeswehr ist eine Armee in der Demokratie.
Sie ist eine Armee, in der Soldaten dienen, die dazu bereit sind, ihr Leben für diese Demokratie einzusetzen. Wir haben keinen Anlaß, daran zu zweifeln, daß dies für den weit überwiegenden Teil der Soldaten der Bundeswehr gilt. Die absolute Mehrheit der Soldaten der Bundeswehr darf nicht für die Versäumnisse einzelner büßen. Wir würden bei einer verallgemeinernden, einer falschen Einschätzung der Vorfälle unverantwortlichen Schaden für die Bundeswehr und unser Land verursachen. Der jetzt entstandene Schaden ist von einzelnen Soldaten durch ihr Tun, aber auch durch ihr Unterlassen verursacht worden.
Mein Vertrauen - das sage ich für meine Fraktion; das kann ich auch für die Koalition sagen - in die politische Führung der Bundeswehr, in die Handlungsfähigkeit und in die Entschlossenheit von Bundesverteidigungsminister Rühe, diese Vorgänge zu bekämpfen, ist völlig ungebrochen.
Er ist doch derjenige, der die Dinge in die Hand genommen hat! Die Ausführungen von Bundesminister Volker Rühe geben mir Sicherheit, daß alles getan wird, um den Fall Roeder umfassend, offen und schonungslos in seiner ganzen Tragweite zu hinterfragen und aufzuklären. Der Minister hat in seinen Reaktionen Führungsstärke, Handlungsfähigkeit und Entschlossenheit bewiesen. Er hat unser vollstes Vertrauen.
Wir begrüßen die Absicht, zur Prüfung der Verantwortlichkeiten einen Beauftragten mit Sondervollmachten im Bundesverteidigungsministerium einzusetzen. Ich halte es für eine gute Lösung, eine unabhängige Expertenkommission zu bilden, die eine objektive Bestandsaufnahme der Vorfälle in der Bundeswehr vornehmen soll.
Bundesverteidigungsminister Volker Rühe hat das Angebot gemacht, darüber noch in dieser Woche mit den Sprechern der Fraktionen im Verteidigungsausschuß zu sprechen. Das heißt für mich, daß das Parlament an der Ausgestaltung der Aufgaben und der Zusammensetzung dieser Kommission beteiligt wird.
Die Bundeswehr muß, was die zukünftige Entwicklung angeht, meines Erachtens wissen, daß sie ungewollt eine Anziehungskraft auf Menschen ausgeübt hat und noch immer ausübt, die rechtsextremem Gedankengut zugänglich sind.
Sie muß deshalb sehr auf der Hut sein. Sie muß ihre Sensibilität schärfen.
Paul Breuer
Auch glaube ich - das sage ich kritisch -, daß die
Diskussion um die sogenannte gesellschaftliche Normalität in Verbindung mit den Streitkräften der Bundeswehr nicht gutgetan hat. Sie hat zu Fehleinschätzungen bei der Sorgfaltspflicht und bei der Beachtung von Bestimmungen und Weisungen geführt. Die Haltung von Menschen, ihr Handeln, aber auch ihr Unterlassen in Streitkräften - das gilt nicht nur für Deutschland, aber ganz speziell auch für Deutschland - muß sich ganz besonders hohen Standards im Hinblick auf „political correctness" unterwerfen.
Wenn man von gesellschaftlicher Normalität redet, dann heißt das, daß der Soldatenberuf nicht ein Beruf wie jeder andere ist. In diesem Beruf muß man besonders sorgfältig arbeiten. Das muß immer wieder betont werden.
Ich begrüße in diesem Zusammenhang den Bericht und den Maßnahmenkatalog, der auf Veranlassung des Generalinspekteurs, Herrn General Bagger, verteilt wurde und bereits Anwendung findet. Wenn man sich mit dem Maßnahmenkatalog genau beschäftigt, dann stellt man fest, daß manches von dem, was eben in der Debatte gefordert worden ist, dort bereits Berücksichtigung gefunden hat. Das zeigt in diesem Zusammenhang einen hohen Verantwortungsgrad der militärischen Führung der Bundeswehr.
Die Bundeswehr kann meiner Einschätzung nach besser als andere Organisationen in unserem Land etwas gegen Defizite in der politischen Bildung tun. Die Aufgabe der politischen Bildung - ich glaube, da sind wir uns in der Einschätzung einig - muß es sein, die Offiziere, die Unteroffiziere und, soweit es geht, auch die jungen Wehrpflichtigen in den Streitkräften sensibel und konfliktfähig gegenüber rechtsextremistischem, überhaupt gegenüber menschenverachtendem und extremistischem Gedankengut zu machen.
Sie kann allerdings eines nicht leisten - es ist bedauerlich, daß sie es nicht kann -: Sie kann nicht Defizite ausbügeln, die in unserer Gesellschaft insgesamt vorhanden sind. Es ist bedauerlich, daß im Hinblick auf die geschichtliche Einschätzung von Vorgängen in der Zeit des Nationalsozialismus in manchen Bereichen dieser Gesellschaft, auch an den Schulen, eine bedauernswerte Unkenntnis herrscht. Die Streitkräfte müssen sich darum bemühen, das soweit wie möglich wettzumachen. Aber sie werden Defizite nicht völlig ausbügeln können, die in der Gesellschaft insgesamt vorhanden sind.
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist zu Ende.
Ich komme zum Ende, Frau Präsidentin.
Ich bin davon überzeugt, daß der Verteidigungsausschuß durch die Offenheit der Diskussion, so wie sie heute stattgefunden hat, nicht nur die Möglichkeit der kritischen Frage, sondern auch der schonungslos offenen Antwort hat. Nach Einsicht in die Dokumente wird er die Möglichkeit haben, alles aufzuklären.
Ich sehe innerhalb der Bundeswehr keine Tendenz zu einer rechtsextremistischen Entwicklung. Jeder Fall ist ein Fall zuviel. Der Bundeswehr den Vorwurf zu machen, sie biete den Nährboden für Rechtsextremismus, ist ungerecht.
Herr Kollege Breuer, Sie müssen Schluß machen.
Ich komme zum Ende. - Sie werden entscheiden müssen, meine Damen und Herren - das gilt auch für die SPD-Fraktion -, was Sie eigentlich wollen: Wollen Sie die Bundeswehr vor Schaden bewahren, oder wollen Sie einem verantwortungsvollen, erfolgreichen Minister, der die Bundeswehr erfolgreich durch diese Zeit geführt hat, an den Karren fahren?
Herr Kollege Breuer, Ihre Redezeit ist vorbei.
Diese Unterscheidung muß sehr deutlich werden.
Ich bin gespannt, in welcher Art und Weise Sie in den kommenden Wochen agieren werden.
Ich bedanke mich.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Angelika Beer.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen und Kolleginnen! Wir haben viele Worte gehört wie „rasches, entschiedenes Handeln", insbesondere von Ihnen, Herr Verteidigungsminister Rühe. Aber ich sage Ihnen: Disziplinarverfahren einzuleiten ist das mindeste, ist eine Selbstverständlichkeit. Da braucht man sich nicht noch selber auf die Schulter zu klopfen; das ist überflüssig.
Vor allen Dingen: Die Einleitung von Disziplinarverfahren, um die Schuldigen herauszufinden, ist kein Ausgleich für langjährige Tatenlosigkeit, die wir auch Ihnen vorwerfen müssen. Rechtsradikalismus ist kein tagespolitisches Phänomen, ebensowenig wie die Verherrlichung der Wehrmacht ein Phänomen ist. Das ist eine Altlast, die mit Gründung der Bundeswehr dort angesiedelt wurde.
Angelika Beer
Politische Verantwortung zu übernehmen, Herr Minister Rühe, und zu tragen heißt im Klartext, Ursachen zu analysieren und aufzudecken, heißt, den Traditionserlaß im Geist umzusetzen und nicht im Aktenschrank stehenzulassen. Politische Verantwortung zu übernehmen und zu tragen heißt aber auch, endlich zuzulassen, daß eine sozialwissenschaftliche Studie über die Bundeswehr erstellt wird.
Herr Minister, Ihre Strategie der Einzelfalltheorie, die Sie inzwischen zum Dogma erhoben haben, ist genau das Gegenteil von dem, was ich gerade genannt habe. Das ist eine politische Blockade, für die Sie persönlich verantwortlich sind. Denn Sie verhindern gegenüber dem Parlament, daß wir unsere Aufgabe, nämlich die politische Kontrolle der Streitkräfte, umsetzen können, weil Sie die Instrumente dafür nicht zur Verfügung stellen. Das ist Ihr Versagen!
Wenn Sie die Absicht des Parlaments - die nehmen wir sehr ernst; wir haben darüber heute schon stundenlang diskutiert -, eine ganze Kette von Fällen - nicht nur einen Einzelfall, Herr Minister - zu analysieren und die Ursachen herauszufinden, unter Generalverdacht stellen, dann ist das nur noch zurückzuweisen; dann haben Sie von dem ganzen Problem nichts verstanden.
Bisher getroffene administrative Maßnahmen sind ebenso eine Selbstverständlichkeit; aber sie sind unzureichend. Mit der längst überfälligen Umbenennung einiger Kasernen - wie der Dietl-Kaserne im letzten Jahr - haben Sie doch den Geist in den Kasernen noch nicht geändert, sondern nur erst mal den Namen. Sie müssen als Verteidigungsminister in die Kasernen, in die Traditionsräume, in jene Räume, in denen Hakenkreuze an den Wänden hängen, schauen. Auch das gehört zu den Aufgaben eines Verteidigungsministers. Ich sage Ihnen: Nicht überall, wo Nazi drin ist, steht auch Nazi drauf. Dafür braucht man politisches Gespür.
Herr Minister, Sie sagen, Sie könnten die Vergangenheit nicht beeinflussen, aber dafür sorgen, daß das in Zukunft nicht wieder passiert. Ich halte das für falsch. Wenn Sie sich in Ihrer bisherigen Amtszeit mehr um die politische Bildung und um die innere Führung gekümmert hätten, anstatt sich nur um den Aufbau der Krisenreaktionskräfte zu bemühen, hätten wir diese ernsthafte Debatte nicht erst heute, sondern schon vor Jahren geführt und möglicherweise schon vor Jahren einiges verändern können.
Wenn Sie heute vorschlagen, eine unabhängige Kommission einzurichten, so ist das für uns wie folgt
zu bewerten: Erstens. Sie wollen auf jeden Fall das Tätigwerden des Verteidigungsausschusses als Untersuchungsausschuß vermeiden. Zweitens. Sie lenken davon ab, daß Sie nach wie vor nicht bereit sind, die sofort möglichen Schritte in Handlungen umzusetzen. Wir sind gerne bereit, Ihnen Ratschläge zu geben, welche Personen in einer solchen Kommission sitzen sollten. Nur, Herr Verteidigungsminister, unsere politische Verantwortung liegt in der Aufklärung zahlreicher unbeantworteter Fragen.
In dem Verfassungsschutzbericht von 1991 heißt es, daß Roeder mit Hilfe der von ihm verfaßten Publikationen „nationalistisches und fremdenfeindliches Gedankengut" verbreitete. Die Berichte gibt es seit 1975, nicht erst seit 1991! Wie kann es denn sein, daß Sie heute im Verteidigungsausschuß vortragen: Aus dem Antrag des „Deutsch-Russischen Gemeinschaftswerkes" vom 4. Mai 1994 an die Bundeswehr und einem weiteren Schreiben ergab sich kein Hinweis auf Roeder. -
Dessen Name tauchte allerdings als Faxabsender auf. Wie kann es sein, daß ein solches Schreiben unter dem Briefkopf „Deutsch-Russisches Gemeinschaftswerk" mit dem Symbol des ostpreußischen Reichsadlers mit dem Spruch „Jedem das Seine" keine Sensibilität, nicht einmal einen Gedanken an eine Rückfrage erweckt?
Das ist doch kein Zufall. Das ist auch kein Phänomen. Das ist politisches Versagen nicht nur in Ihrem Haus, sondern leider auch im Auswärtigen Amt; denn dort hat man es genauso gesehen.
Ich frage Sie: Wie kann es passieren, daß Soldaten, die später beim Kommando Spezialkräfte waren, Ihrer Elitetruppe, am Aufbau eines geheimen Waffenlagers beteiligt waren, das vor einer Woche gefunden worden ist? Ich glaube, man muß wirklich einmal sagen, was dort gefunden wurde:
- 1 Pistole ...
- 50 Gefechtspatronen ...
- 1 Anleitung zum Herstellen von Rohrbomben ...
- 2 Rohre ...
- 1 Eimer mit UnkrautEx .. .
- wir wissen alle, was man damit machen kann -- 1 Sprengkörper ...
Das ist die Vorbereitung auf terroristische Anschläge von Rechtsextremisten in der Bundeswehr auf Bundeswehrgelände, und dann auch noch von Mitgliedern des Kommandos Spezialkräfte; das ist doch Ihre Elitetruppe. Wie kann das passieren? Das ist eine der Fragen, die wir ganz dringend geklärt haben wollen.
Deswegen, Herr Bundesverteidigungsminister, und weil es einfach nicht sein kann, daß eine ganze Liste von Offizieren eine Ankündigung eines Vortrages zur Regermanisierung bekommen hat - das ist doch alles nicht mehr Zufall, das ist auch nicht nur
Angelika Beer
Fahrlässigkeit; das ist das Versagen der politischen Kontrolle in den Streitkräften unter Ihrer Führung -, wollen wir den Verteidigungsausschuß als Untersuchungsausschuß mit dieser Angelegenheit befassen. Wir wollen Ihnen helfen, für die Zukunft dafür zu sorgen, daß es keinen Grund für Artikel gibt, die die Bundeswehr unter Generalverdacht stellen. Wir müssen die radikale, rechtsextreme, neofaschistische Minderheit in der Bundeswehr isolieren und herausoperieren. Sonst hat Deutschland in der Außenpolitik ein Problem, das nicht mehr wegzureden ist.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Günther Nolting.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Ansehen der Bundeswehr nimmt Schaden: Hammelburg, Schneeberg, Altenstadt und Hamburg. Die Bundeswehr wurde von innen beleidigt, ja beschädigt, besonders durch den jetzt bekanntgewordenen Vortrag des Neonazis Manfred Roeder vor Angehörigen des Stabes der Führungsakademie am 24. Januar 1995.
Meine Damen und Herren, die F.D.P.-Bundestagsfraktion verurteilt diesen Vorgang aufs schärfste. Er muß restlos in allen Einzelheiten ausgeleuchtet, geklärt und auch gewürdigt werden.
Hamburg ist nicht mit den Vorfällen von Hammelburg, Schneeberg und Altenstadt vergleichbar. Eine neue Qualität ist erreicht. Die Führungsakademie der Bundeswehr ist die höchste Ausbildungsstätte unserer Streitkräfte. Sie hat nationales und internationales Renommee. Auch wenn weder Lehrgangsteilnehmer noch Lehroffiziere an dem Vortrag teilgenommen haben oder davon wußten: Der Rechtsradikale Roeder wurde von der Führungsakademie eingeladen und hielt dort einen Vortrag - ein unglaublicher Vorgang.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Beer?
Ja, bitte.
Herr Kollege Nolting, Sie sind jetzt schon einige Sätze weiter als zu dem Zeitpunkt, als ich diese Frage anmeldete.
Sie haben gerade die gemeinsame Empörung über die Tatsache festgestellt, daß der führende Neofaschist Roeder einen solchen Vortrag zu diesem Thema halten konnte. Wie bewerten Sie die Tatsache, daß in der „Truppenpraxis" 1993 Artikel erschienen sind, die die gleiche Ideologie der Regermanisierung unterstützt haben?
Sehen Sie da nicht einen Widerspruch?
Erstens stimmt es nicht, was Sie hier behaupten, Frau Kollegin Beer;
zweitens habe ich darauf hingewiesen, daß alle Einzelheiten untersucht, kritisch gewürdigt und dann auch entsprechende Konsequenzen gezogen werden müssen. Dies beziehe ich nicht nur auf Hamburg, sondern auch auf die anderen Vorfälle, die ich hier kurz gestreift habe. Ich bitte Sie, wenn Sie hier Fragen stellen, dann auch Fragen zu stellen, die einen realen Hintergrund haben, und nicht etwas Falsches vorzutragen, wie Sie es auch schon im Ausschuß versucht haben.
Meine Damen und Herren, ich will noch einmal darauf hinweisen, daß sowohl Referent als auch Thema des Vortrages in keiner Weise mit den Zielen deutscher Politik übereinstimmen. Herr Minister Rühe, Sie haben in Ihrem Vortrag ja auch ausdrücklich auf diesen Punkt hingewiesen.
Trotz der neuen Qualität gilt hier wie übrigens überall: Ehe nicht alle - ich betone „alle" - Einzelheiten restlos geklärt sind, ist der freiheitliche Rechtsstaat, sind wir alle gefordert, Vorverurteilungen entgegenzutreten.
Es darf auch hier keine Unterstellungen geben.
Es gilt auch: Die Bundeswehr ist weder in größeren Teilen noch in ihrer Gesamtheit rechtslastig, auch wenn in diesen Tagen mancherorts versucht wird, mit Hilfe der von mir gerade angesprochenen Vorverurteilungen und Unterstellungen diesen Eindruck zu erwecken.
An dieser Stelle sage ich: Die F.D.P. steht zu dieser Bundeswehr, wir vertrauen den zivilen Mitarbeitern, den Wehrpflichtigen, den Unteroffizieren und den Offizieren. Es darf keine pauschalen Verurteilungen geben.
Die von der Wehrbeauftragten jüngst genannte Zahl von Fällen mit vermutlich rechtsradikalem Hintergrund ist im Verhältnis zu den über 340 000 Soldaten und 140 000 zivilen Angestellten der Bundeswehr
Günther Friedrich Nolting
bestenfalls in bruchteilhaften Prozentwerten anzugeben.
Sie liegt keineswegs höher als die entsprechende Vergleichszahl in der Gesellschaft, sie liegt eher, Frau Kollegin, niedriger. Das soll und kann keine Entschuldigung sein. Jeder Vorfall mit radikalem Hintergrund ist in der Bundeswehr ein Vorfall zuviel, auch wenn wir uns bewußt sein müssen, daß rechtsradikale Vorkommnisse nicht gänzlich auszumerzen sein werden. Weil die Bundeswehr eben Teil dieser Gesellschaft ist, müssen wir alle Anstrengungen unternehmen, diese zu verhindern.
Aktionismus wäre jetzt aber das falsche Mittel. Herr Minister, ich möchte dringlich dazu mahnen, das zweifelsfrei erforderliche Gegensteuern nicht in kaum zu kontrollierenden Aktionismus münden zu lassen. Dieser würde noch fatalere Folgen in der Truppe haben. Es darf nicht das schlimme Wort vom Bauernopfer Platz greifen. Auch eine inquisitorische Atmosphäre darf nicht aufkommen. Ich weiß, wovon ich an dieser Stelle spreche. Aktionismus birgt die Gefahr der absoluten Verunsicherung von mehr als 99 Prozent der Soldaten, die nicht radikalem Gedankengut nachhängen. Aktionismus birgt auch die Gefahr in sich, zumindest vordergründig Stromlinienförmigkeit und Duckmäusertum zu fördern. Das widerspricht jedoch den Prinzipien der inneren Führung und der Auftragstaktik diametral, auf die wir zu Recht so stolz sind
und um die wir von vielen anderen Staaten beneidet werden.
Nicht Aktionismus, sondern politische Bildung, moderne Menschenführung und innere Führung müssen gefördert werden. Jegliche Einseitigkeit ist abzulehnen. Offenheit, Kritikfähigkeit und Zivilcourage sind allerdings zu fördern.
Die Führung der Bundeswehr ist gefordert, das positive Gesamtbild der deutschen Streitkräfte im Inland wie im Ausland zu erhalten. Dabei hat das Verteidigungsministerium die volle Unterstützung der F.D.P.-Bundestagsfraktion.
Hier ist schon die kostenlose Abgabe von Kraftfahrzeugen und Werkzeugen angesprochen worden. Das „Deutsch-Russische Gemeinschaftswerk-Förderverein Nord-Ostpreußen" hatte hierzu einen Antrag gestellt. Ich denke, auch hier noch einmal darauf hinweisen zu müssen, daß zweifelsfrei versäumt wurde, den Hintergrund dieser Organisation zu prüfen.
- Aber, Herr Kollege Heistermann - auch Sie haben heute nachmittag an der Sitzung des Verteidigungsausschusses teilgenommen -,
dort ist ebenfalls gesagt worden, daß es Fehler gegeben hat und daß diese Fehler auch gerügt wurden.
Meine Damen und Herren, es ist jetzt auch an uns, hier im Parlament am Politikverständnis zu arbeiten. Politik muß als etwas begriffen werden, dem man Interesse entgegenbringt. Die jetzt anstehenden Maßnahmen dürfen auf keinen Fall dazu führen, daß Politik und politische Bildung in der Bundeswehr als etwas betrachtet werden, mit dem man sich nicht mehr so gerne beschäftigt oder auch nicht mehr auseinandersetzen will. Denn dann wächst der Nährboden, der es möglich macht, daß politische Rattenfänger wie Roeder nicht als solche erkannt werden.
Herr Kollege Nolting, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein. Ich möchte jetzt zum Ende kommen. - Herr Kollege Kolbow, Sie haben Sensibilität angemahnt, Sie haben Sachlichkeit angemahnt. Dem kann ich nur zustimmen, obwohl ich nach Ihrer Rede leichte Zweifel habe, vor allem wenn ich die Zwischenrufe betrachte, die aus Ihren Reihen während der Rede des Ministers gekommen sind. Diese waren nun wahrlich nicht von Sachlichkeit und Sensibilität geprägt.
Wenn Sie, Herr Kollege Kolbow, an diesem Pult erklären, daß Sie nach der Rede des Ministers zu der Überzeugung gekommen seien, einen Untersuchungsausschuß fordern zu müssen, dann möchte ich doch aus einer Agenturmeldung vom heutigen Nachmittag zitieren. Ihr zufolge kündigten die Wehrexperten von SPD und Grünen, Walter Kolbow und Angelika Beer, am Rande der Sitzung des Verteidigungsausschusses am Mittwoch in Bonn an, sie wollten einen Untersuchungsausschuß zur Klärung der Roeder-Affäre durchsetzen.
- Dies zur Redlichkeit dessen, was hier vorgetragen wurde.
Ich denke, auch das muß hier einmal gesagt werden.
Wir werden uns darüber unterhalten müssen, wie diese Kommission zusammengesetzt sein soll. Wir werden uns auch darüber unterhalten müssen, welche Mitwirkungsmöglichkeiten diese Kommission hat und welchen Auftrag sie letztendlich erhalten soll. Unsere grundsätzliche Zustimmung dazu kann ich auch an dieser Stelle signalisieren.
Aber, meine Damen und Herren, wenn wir uns heute über Rechtsextremismus in der Bundeswehr unterhalten, so denke ich, der Bundestag sollte sich einmal - vielleicht in einer Enquete-Kommission -
Günther Friedrich Nolting
grundsätzlich über Radikalismus in der Gesellschaft unterhalten. Denn es geht in dieser Gesellschaft nicht nur um Rechtsradikalismus oder Rechtsextremismus, sondern auch um Linksradikalismus und Linksextremismus. Ich denke, wir sind gut beraten, diese Thematik einmal aufzugreifen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich gebe das
Wort dem Abgeordneten Graf von Einsiedel.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Es ist nett, daß der Kollege Nolting auf den Linken herumgehackt hat. Man stelle sich einmal vor, ich hätte einen Vortrag bei der Führungsakademie der Bundeswehr gehalten. Dann wären bestimmt alle roten Alarmlichter angegangen. Da wäre keiner eingeschlafen.
Ich kann nicht auf soviel Sympathie rechnen wie ein Mann wie Herr Roeder. Drei Jahre lang schwelt diese Geschichte. Warum ist das niemandem aufgefallen? Weil eben sehr viel Sympathie für seine Ideen besteht. Dabei kommt es nicht darauf an, daß der Mann vorbestraft war; das ist bloß eine Seite der Medaille. Das, was er politisch zu vertreten hat, steht vielen eben so nahe, daß sie ihn so sympathisch finden, daß sie gar nicht auf die Idee kommen, zu hinterfragen, wer der Mann ist.
Dieser Vorfall in Hamburg macht es unmöglich, solche Dinge weiterhin als Einzelfall zu bezeichnen. Ein Einzelfall, zwei Einzelfälle, drei Einzelfälle, mehrere Einzelfälle, sieben Einzelfälle, zwanzig Einzelfälle. Wann werden Einzelfälle eigentlich zu einer Tendenz? Herr Minister, auf diese lächerliche Art und Weise können Sie diese Vorfälle nicht mehr verharmlosen. Sie können diesen rechtsextremistischen Tendenzen nicht wirksam entgegenwirken, wenn Sie nicht endlich ernsthaft die Frage nach den Ursachen und begünstigenden Umständen zu beantworten versuchen. Aber vielleicht wollen Sie das ja gar nicht.
Offenbar besteht Ihre Sorge einzig darin, daß das Ansehen der Bundeswehr im Ausland Schaden nehmen könnte. Offenbar sehen Sie die vermeintliche Lösung auch in Maßnahmen, die nicht mehr als ein Herumdoktern an Symptomen und obendrein datenschutzrechtlich äußerst bedenklich sind oder sogar auf einen Appell an das Denunziantentum hinauslaufen.
Es ist doch geradezu ein Witz, wenn Professor Wolffsohn von der Bundeswehr-Universität München den Linken und den Grünen die Schuld am rechtsradikalen Überhang gibt,
weil diese sich für zu gut halten und keinen Wehrdienst leisten. Angesichts der inneren Entwicklung
der Bundeswehr wurde linken, liberalen und kritischen Kräften von vornherein keine Chance gegeben, sich in der Bundeswehr zu engagieren.
Nein, mit Ihren Maßnahmen packen Sie das Übel nicht an der Wurzel. Offensichtlich stimmt doch mit dem Geist, der in der Gesellschaft und damit in dieser Truppe herrscht, etwas nicht. Alle diese Vorfälle, insbesondere aber der Roeder-Vortrag an der Bundeswehr-Führungsakademie, sind ein alarmierendes Signal dafür, wie es um den inneren und geistigen Zustand dieser Bundeswehr bestellt ist. Darüber muß geredet werden.
Natürlich trägt die Bundeswehr nicht die alleinige Verantwortung für Rechtsextremismus und Gewalt. Ich habe bei der letzten Debatte zu diesem Thema schon einmal auf die akademisch etablierten Geschichtsklitterer verwiesen. Als Beispiel möchte ich auch den unter Koalitionspolitikern sehr beliebten Sicherheitspolitikexperten Professor Kaltefleiter anführen, der kürzlich, im August, in der „Welt" ganz offen gefordert hat: „Moskau muß Königsberg wieder freigeben" . Es habe „keinen Sinn, nach diplomatischen Formeln zu suchen. Die geopolitische Lage verlangt eine klare Entscheidung". Solche und Dutzende ähnliche Einlassungen in den Medien und in den Geschichtsbüchern sind der Nährboden für Nationalismus, Rassismus und Gewaltverherrlichung.
Schon Frau Marienfelds Vorgänger, Alfred Biehle, ist in seinem Jahresbericht 1993 zu der bemerkenswerten Feststellung gekommen: „Je geringer die Distanz zu rechtsextremen Positionen, desto größer die Affinität zu Streitkräften. " Er kann damit gewiß nicht nur die Rekruten gemeint haben. Solche Leute werden dann eben auch Vorgesetzte, Ausbilder und Lehrer an der Führungsakademie.
Was also tun? In den Medien wurde der Rücktritt des Bundesverteidigungsministers diskutiert. Liebe Kolleginnen und Kollegen, glauben Sie denn, daß diese Koalition einen besseren Verteidigungsminister präsentieren könnte?
Wären wir damit besser bedient? Glauben Sie ernsthaft, diese Regierung hat überhaupt den Willen, in der Bundeswehr ein solches Klima zu schaffen, daß es für Rechtsextremisten wirklich ungemütlich wird?
Dazu haben Sie 15 Jahre Zeit gehabt. Nein, die Wahrheit ist: Dieser Regierung fehlt der politische Wille dazu. Sie muß weg.
Die Bundeswehr muß in ihrem Traditionsverständnis konsequent mit dem Dritten Reich und der Wehrmacht brechen. Das hat sie trotz allem bisher nicht getan. Wenn die von Ihnen, Herr Minister Rühe, ab-
Heinrich Graf von Einsiedel
gegebene Erklärung zum Traditionsverständnis der Bundeswehr, wonach die Wehrmacht nicht Vorbild sein kann, gilt, dann reicht es bei weitem nicht aus, lediglich die Kasernen umzubenennen. Werfen Sie Ihre Reliquien aus braunen Traditionszimmern in Kasernen auf den Müll, und schaffen Sie so Platz, um den Widerstand gegen Hitler zu dokumentieren, und zwar nicht nur den elitären des 20. Juli, sondern auch den der Arbeiterbewegung, von Sozialdemokraten und Kommunisten!
Überfällig sind sozialwissenschaftliche Untersuchungen zum Thema Gewalt und Rechtsextremismus in der Bundeswehr. Es ist unglaublich, daß Sie, Herr Bundesminister, erklären, Sie würden es nicht dulden, daß sich Sozialwissenschaftler über die Bundeswehr hermachten. Die politische Bildung in der Bundeswehr ist nicht nur zu verbessern; sie sollte hauptsächlich von zivilen Lehrkräften durchgeführt werden. Nötig ist eine Durchlüftung der Bundeswehr mit Zivilisten. Und warum nicht auch Kurse in Toleranz - ein „diversity training" -, gerade auch für Berufssoldaten?
Meine Hoffnung, daß die Hardthöhe diese und ähnliche Vorschläge, wie die des „Darmstädter Signals", des Arbeitskreises kritischer BundeswehrSoldaten, zur Bekämpfung von Rechtsradikalismus und Gewalt in der Bundeswehr auch nur zur Kenntnis nimmt, ist nicht sehr groß, solange diese Regierung an der Macht bleibt.
Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Christian Schmidt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um eines von vornherein noch einmal klarzustellen: Die knapp drei Jahre zurückliegende Einladung eines Extremisten mit terroristischer Vergangenheit durch Bundeswehrangehörige kann man nur als große Dummheit und unverzeihliche Gedankenlosigkeit bezeichnen.
Wir haben keine Anhaltspunkte dafür, daß diese Figur Roeder - den man, wie man bei uns sagen würde, nicht mit der Beißzange anfaßt - in Kenntnis seines Lebenslaufes eingeladen worden ist. Also kann man nur aufstöhnen „o sancta simplicitas".
Daß Stabsoffiziere solche Vorgänge dann nicht weitermelden, macht die Vorgänge nur noch schlimmer. Auch die Entscheidung von Mitarbeitern des Auswärtigen Amtes, ohne ausreichende Prüfung der Hintergründe Hilfsgüter für eine dubiose Organisation zu genehmigen, war keine beeindruckende Leistung.
Dies gilt auch, wenn man in Rechnung stellt, wieviel Anfragen unterschiedlichster Art zur humanitären Hilfe ständig eingehen und entschieden werden müssen. Hier fehlt es an einem wirksamen Filtersystem, das Alarm schlägt.
Die Sache ist ernst. Es geht darum, Schaden von der Bundeswehr zu wenden; deshalb muß der Vorfall zum Schutz der Soldaten so, wie Minister Rühe dies bereits eingeleitet hat, bis ins Detail geklärt werden. Ich habe überhaupt keinen Zweifel am deutlich dokumentierten Willen des Bundesverteidigungsministers, diese Vorfälle aufklären zu lassen, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, so wie dies auch von anderen, auch von sozialdemokratischen Verteidigungsministern, wie Schorsch Leber oder Helmut Schmidt, in schwierigen Situationen gehandhabt worden ist.
Zum einen müssen die Verantwortlichen mit aller Härte zur Rechenschaft gezogen werden, und zum anderen muß konsequent und nachhaltig Vorsorge getroffen werden, um Wiederholungen zu vermeiden. Solche Fehlleistungen sind ein Fest der Schadenfreude für alle, die der Bundeswehr ihren Erfolg als Armee der Demokratie nicht gönnen wollen und Vorfälle dieser Art mißbrauchen, um die Bundeswehr insgesamt zu diskreditieren.
Noch ein Wort zu Ihnen, Graf von Einsiedel: Wer „Soldaten sind Mörder" plakatiert, hat eigentlich keinen rechten Anspruch, differenziert - -
- Seine Partei hat „Soldaten sind Mörder" plakatiert, und auch darüber muß diskutiert werden.
Ich empfehle uns allerdings, Frau Kollegin Beer, in diesem Hause die Emotionen nicht zu hoch wallen zu lassen. Wir sollten uns kühl und vernünftig klarmachen, wofür wir stehen, wofür die Bundeswehr steht und was zu tun ist.
Erstens. Die CSU stellt unzweideutig fest: null Toleranz mit Rechts- und Linksradikalen innerhalb und außerhalb der Bundeswehr. Dieser Staat besitzt eine gefestigte und wehrhafte Demokratie. Er ist entstanden als Substrat aus den Erfahrungen der Nazibarbarei und ihres Zustandekommens. Deswegen wird er auch gegen die Feinde der Demokratie immer hart vorgehen müssen, wie er gegen den Neonazi Roeder hart vorgegangen ist. Solche Figuren haben ihre politischen Ehrenrechte verloren; da gibt es kein Wakkeln und da gibt es kein Verziehen.
Wir wissen schon, wieso wir immer und immer wieder in der Innenpolitik konsequent dafür eintreten, daß die freiheitlich-demokratische Grundordnung geschützt wird. Sie ist kein Formelkram, sondern un-
Christian Schmidt
sere gemeinsame Basis, die wir offensiv vertreten müssen.
Zweitens. Jeder, der in der Bundeswehr oder sonstwo im Staat Verantwortung trägt, muß die Sensibilität haben, diese Null-Toleranz-Grenze umzusetzen. Ich kann mich noch gut an meinen Kompaniechef bei der Bundeswehr erinnern, der uns immer sagte: Antennen und Radarschirme ausfahren! Die Bundeswehr steht in ihrer Verfassung und in ihrer Tradition und weitestgehend auch in ihrer Realität für dieses Prinzip. Sie ist unsere Armee, eine Armee der Menschenrechte und der Demokratie - kein Staat im Staate mit Eigenleben wie Seeckts Reichswehr oder die auf Hitler vereidigte Wehrmacht. Sie ist auch kein verlängerter Arm zur militärischen Durchsetzung der Weltrevolution, wie die NVA es war.
Dennoch muß sie auch auf Entwicklungen eingerichtet sein, die auch aus extremen Gruppierungen der Gesellschaft in sie hineingetragen werden. Ich denke, daß die bevorstehenden Ermittlungen auch hier ein klares Bild geben und Konsequenzen daraus gezogen werden.
Ein Wort zu dem, was die Bundeswehr heute darstellt. Sie hat mit Bravour gezeigt, daß ihre Soldaten und ihre militärischen Führer über die notwendige Sensibilität für die besondere Herausforderung ihres Berufes, beispielsweise - -
Herr Kollege Schmidt, ich wollte Sie nicht im Satz unterbrechen. Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Schulte?
Herr Kollege Schmidt, ich habe eine herzliche Bitte. Was sagen gerade Sie als Vorsitzender der deutsch-israelischen Parlamentariergruppe zu dem Vorfall, daß dieser Herr Roeder immerhin das Vorwort zu dem Buch „Ausschwitz-Lüge" geschrieben hat? Wir müssen hier etwas dazu sagen, wie es möglich ist, daß ein solcher Mann so etwas gemacht hat. Ich halte dies für sehr wichtig. Ich möchte Sie fragen: Was sagen wir unseren Kollegen aus Israel zu solchen Vorgängen, die an der Führungsakademie der Bundeswehr, nicht in irgendeinem Bataillon geschehen?
Frau Kollegin Schulte, mich bewegt, daß hier offensichtlich versucht wird - ich unterstelle Ihnen nicht, daß Sie es bewußt machen -, den Eindruck zu erwecken, in diesem Raume gäbe es irgend jemanden, der Sympathien für die kruden, verqueren und terroristischen Ansichten des Herrn Roeder hat.
- Herr Büttner, mir liegt sehr daran, daß wir das in dem ganzen Kampfeifer und bei den Zwischenrufen, deren Qualität nicht immer die beste war, festhalten. Wer das bestreitet, muß mit sich selbst darüber ins
Gericht gehen, ob er hier der Demokratie einen Dienst tut.
- Entschuldigung, ich war noch bei der Beantwortung der Zwischenfrage.
- Ich bin schon einigermaßen überrascht. Ich meine, daß ich mich in meiner Rede dazu sehr deutlich und klar geäußert habe. - Ich bitte, dies im Protokoll nachzulesen, Frau Kollegin, wenn Sie es nicht mehr in Erinnerung haben. Es tut mir sehr leid.
Ich möchte fortfahren. Wir haben am Beispiel anderer demokratischer Partnerstaaten gesehen, wie schwer es Streitkräfte und Gesellschaft trifft, wenn Soldaten und Streitkräfte im Einsatz die Grenzen des Rechts überschreiten. Insofern - das muß man auch sagen - kann ich auch die Aufmerksamkeit verstehen, die die Vorfälle bei uns in Deutschland besonders in Italien nach sich ziehen.
Für die Armeen der jungen Demokratien in Osteuropa ist unser Prinzip der inneren Führung ein Vorbild für die Integration von demokratischer Gesellschaft und Armee geworden.
Zum Thema des Vortrags des Referenten, den sich die Damen und Herren an Land gezogen hatten, möchte ich aus der Sicht der Außenpolitik noch folgendes sagen: Die abenteuerlichen Thesen, die von Herrn Roeder und seinen ideologischen Helfershelfern vertreten werden, sind absurd und bestenfalls auf dem Niveau mancher Äußerung des Herrn Schirinowskij in Rußland.
Niemand will irgend etwas erobern. Niemand darf irgend etwas erobern.
- Seien Sie doch ruhig!
Die Region Königsberg ist nach bindendem Völkerrecht russisches Territorium. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs ist auch diese Region Europa nähergerückt. Sie kann eine Brücke in den Osten schlagen. Vergessen wir bei all den Zwischenrufen und all den Emotionen nicht: Aus Königsberg stammt der große Deutsche, der auch von den Russen verehrt wird und der uns allen die philosophischen Grundlagen für das friedliche Zusammenleben der Völker gelehrt hat: Immanuel Kant.
Ich finde, daß die nächste Weiterbildung der Verwaltung der Führungsakademie gut folgendes Thema zum Inhalt haben könnte:
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluß kommen.
Die Schrift „Zum ewigen Frieden" von Immanuel Kant, die Charta der Vereinten Nationen und der Beitrag der Bundeswehr zur Verwirklichung derselben.
Zu einer Kurzintervention gebe ich dem Abgeordneten Graf von Einsiedel das Wort.
Nein, zu der Rede des Kollegen Schmidt.
Herr Kollege Schmidt, um zu verhindern, daß Sie immer wieder mit derselben Geschichte kommen, möchte ich sagen: Vielleicht erinnern Sie sich daran, daß ich mich bereits in meiner Jungfernrede hier im Bundestag Ende 1994 klar von dem Satz „Soldaten sind Mörder" distanziert habe. Ich sagte, ich halte ihn für kontraproduktiv. Ich war selber Soldat. Ich halte mich nicht für einen Mörder. Ich halte die Soldaten, die Deutschland vom Nazismus befreit haben, nicht für Mörder. Ich halte alle Soldaten, die einen gerechten Krieg, einen Verteidigungskrieg führen, nicht für Mörder, erst recht nicht, wenn sie im Zivildienst sind oder wenn sie - was ich allerdings für selbstverständlich halte - bei Naturkatastrophen Hilfe leisten.
Ich habe damals darauf hingewiesen, wie leicht man im Kriege als Soldat zu einem Totschläger wird, zu einem Mörder, der Bomben auf die Zivilbevölkerung schmeißt und versehentlich Zivilisten tötet, darauf, wie nah man daran ist oder in der Kampfeswut tatsächlich zum Mörder wird. Der Krieg durchbricht nun einmal das Tabu des Tötens. Das ist eine Riesengefahr. Der Krieg ist die größte Verletzung der Menschlichkeit. Mit dem Satz „Soldaten sind Mörder" ist doch gemeint: Krieg ist eigentlich Mord. Aber werfen Sie mir bitte nicht immer wieder dasselbe vor, es ist zu langweilig.
Herr Kollege Schmidt, Sie können darauf antworten.
Herr Kollege Graf von Einsiedel, ich habe leider Ihre Jungfernrede nicht verfolgt. Ich nehme zur Kenntnis, daß Sie diese Position beziehen. Ich stehe nicht an, zu sagen, daß Sie das ehrt.
Ich stimme zu, daß der, der als Soldat ein Handwerk erlernt, das in letzter Konsequenz das Töten beinhaltet, in einer schwierigen Situation steht. Ich habe dann aber eine Bitte: Reichen Sie Ihre Position an die Kollegen in Ihrer Gruppe weiter und versuchen Sie, Ihre Partei davon zu überzeugen, daß das,
was hier geäußert und plakatiert wird, nicht dem entspricht, was Sie hier vortragen.
Ich gebe dem Abgeordneten Dieter Heistermann das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mein erstes Wort möchte ich an den Bundesminister richten: Sie haben heute, auch im Verteidigungsausschuß, immer von Botschaften gesprochen. In diesem Zusammenhang muß ich sagen: Ihre heutige Eingangsrede war eine verpaßte Gelegenheit, die richtige Botschaft von diesem Pult des Parlamentes an die Öffentlichkeit zu richten,
nämlich, daß dieses Parlament nicht gewillt ist, solche Dinge in der Bundeswehr zu tolerieren. Ich sage auch, warum Sie diese Gelegenheit verpaßt haben: weil Sie immer wieder Scheinangriffe auf gar nicht aufgestellte Behauptungen geführt haben. Warum wollen Sie der Öffentlichkeit den Eindruck vermitteln,
als gäbe es in der Frage der Bedeutung der Bundeswehr unterschiedliche Auffassungen? Warum versuchen Sie, diesen Eindruck zu erwecken? Sie lenken bewußt ab.
Manchmal hat man das Gefühl, als wollten Sie durch diesen Scheinkampf dafür sorgen, daß Sie aus diesem Vorgang Roeder unbeschädigt herauskommen, weil Sie sich nicht der politischen Verantwortung stellen wollen.
Es ist doch etwas anderes, sich der Verantwortung zu stellen und zu sagen: Ja, da sind Dinge passiert, laßt sie uns gemeinsam, ich als Minister und dieses Parlament, ein für allemal korrigieren. - Das war doch die Botschaft, die herauskommen mußte, daß nämlich dieses Parlament nicht gewillt ist, wen es auch immer treffen mag, sich diese Dinge an den Hals zu laden. Lassen Sie mich kritisch sagen: Wenn ich mir vorstelle, daß Ihr Name, Herr Rühe, mit dem Namen Roeder als Vorgang und dem Namen von Herrn Schwarzer, der beteiligt und mitverantwortlich war, verbunden wird, so können Sie daran erkennen, wie schmal oft die Brücke ist, auf der man geht, auf der man einerseits glänzen kann und andererseits in tiefe Zonen des menschlichen Lebens heruntergezogen werden kann.
Dieter Heistermann
Sie dürfen nicht den Eindruck erwecken, wir wollten Ihnen persönlich am Zeuge flicken. Das ist nicht unsere Position. Unsere Position ist, daß wir Schaden von der Bundeswehr abwenden wollen. Dazu fordern wir den Minister und auch dieses Parlament auf. Darum geht es, um nichts mehr.
Sie haben angeboten, eine unabhängige Kommission einzusetzen. Ich sage Ihnen ganz deutlich: Dies ist nicht die Stunde von irgendwelchen Kommissionen, dies ist die Stunde des deutschen Parlaments, das aufklären muß, um Signale in die Öffentlichkeit und die Bundeswehr zu senden,
daß wir nicht bereit und nicht gewillt sind, diesen Vorfall in internen Beratungen und Diskussionen zu erledigen, sondern beabsichtigen, ihm, so wie im Parlament üblich, in einer offenen Debatte ohne Vorbehalte und ohne geschlossene Räume transparent nach draußen zu transportieren.
Wie soll denn sonst der Meinungsbildungsprozeß über diesen Vorgang in der Öffentlichkeit gefördert werden, wenn nicht durch eine öffentliche Debatte, wenn nicht durch eine öffentliche Form der Aussprache?
Deshalb wollen wir, daß über diese Vorgänge offen und frei gesprochen wird.
Lassen Sie mich noch ein paar Sätze dazu sagen, warum wir glauben, daß es die Stunde des Parlamentes ist. Die Bundeswehr ist ein Parlamentsheer. Sie ist eine Institution unserer Verfassung. Die Soldaten in ihr sind auf unsere Verfassung vereidigt. Wer gegen die Verfassungsgrundsätze verstößt, der hat in dieser Bundeswehr nichts zu suchen.
Diese Botschaft muß klar und eindeutig sein.
Bei der Bundeswehr oder in ihren Einrichtungen hat auch Herr Roeder nichts zu suchen. Ich möchte ihn nicht noch öfter erwähnen; man sollte diesen Namen nicht bekannter machen, als er es in den letzten Wochen schon geworden ist.
Ich sage in aller Deutlichkeit: Wir erwarten von dem verantwortlichen Leiter der Führungsakademie, daß sie selbst tätig wird, um so etwas von vornherein zu unterbinden. Es kann nicht richtig sein, zu sagen: Ich habe ja meinen Stellvertreter beauftragt, das zu organisieren. - Wir werden gleich noch einige Fragen stellen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Breuer?
Ja bitte, Herr Kollege.
Kollege Heistermann, ich hatte mich gemeldet, als Sie sagten: Das ist die Stunde des Parlamentes. Da stimme ich Ihnen zu. Meine Frage an Sie lautet aber: Zu welchem Zeitpunkt ist denn versucht worden, das Parlament nicht ausreichend zu informieren,
und wo sind die beiden Ministerien dem Parlament eine Antwort schuldig geblieben?
Kollege Breuer, um es noch einmal deutlich zu machen: Es geht hier nicht darum, daß jemand eine Antwort schuldig geblieben ist, sondern es geht darum, ob dieses Parlament gewillt ist, sich dieses Vorgangs anzunehmen, um auch gegenüber der eigenen Bevölkerung deutlich zu machen, was wir gemeinsam - ob CDU/CSU, F.D.P. oder SPD usw. - in diesem Fall politisch tun wollen.
Wir müssen begreifen: Es geht hier nicht darum, Stellung zu beziehen hinsichtlich formaler Vorgänge, wer was gemacht hat. Es geht jetzt darum, die politische Antwort zu formulieren,
die dieses Parlament der Bundeswehr, der Gesellschaft geben muß. Nur dann findet meiner Meinung nach eine Werteentwicklung, eine Wertedebatte darüber statt, wofür dieses Parlament und diese Demokratie stehen. Das erfolgt nicht durch Berichte.
Kollege Breuer, wir haben heute im Verteidigungsausschuß erlebt: Im 94er Verfassungsschutzbericht ist Herr Roeder mit dem Deutsch-Russischen Gemeinschaftswerk namentlich aufgeführt. Aber niemand hat das zur Kenntnis genommen. Niemand hat sich daran orientiert. Man hat diesen Bericht in die berühmte Schublade gesteckt.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Breuer?
Herr Kollege Breuer, ich möchte zunächst weiter ausführen. - Weil das so ist, weil man Berichte nicht in die berühmten Schubladen legen darf, weil man Berichte politisch debattieren muß, sind wir für eine offene Untersuchung, für eine offene Aussprache hier im Parlament. Dann werden wir sehen, wer die richtigen politischen Antworten auf diesen Vorgang gefunden hat. Die Entscheidung darüber wollen wir dann anderen überlassen.
Herr Kollege Breuer, Sie wollten eine zweite Zwischenfrage stellen. Bitte schön.
Hen Kollege Heistermann, in der Gefahr, Ihre Redezeit noch zu verlängern, frage ich Sie: Welche Antwort ist der Bundesminister der Verteidigung oder der Bundesminister des Auswärtigen schuldig geblieben,
und welche öffentliche Debatte, die ohnehin nicht verhindert werden könnte, ist verhindert worden?
Kollege Breuer, ich versuche, das noch einmal deutlich zu machen. Haben Sie aus der heutigen Sitzung des Verteidigungsausschusses nicht das Gefühl mitgenommen, fragen zu müssen, wie es zu diesem inneren Klima in der Bundeswehr gekommen ist, warum Vorgesetzte wegschauen, warum Vorgesetzte etwas nicht melden? Man kann doch nicht einfach deshalb zur Tagesordnung übergehen, weil der Minister einen Betroffenen in Pension geschickt, ihn entlassen hat oder was auch immer. Hier muß vielmehr darüber geredet werden, warum es zu diesem inneren Klima gekommen ist, warum Vorgesetzte wegschauen, warum nicht gemeldet wird. Das ist die politische Aufgabe.
Es geht nicht um den einzelnen Mann, der Verfehlungen begangen hat. Das ist doch nur der äußere Anlaß. Viel schlimmer sind die Strukturen, in denen sich solche Dinge entwickeln können.
Deshalb sage ich ganz deutlich - ich habe das schon in einer der letzten Debatten getan -: Wir befürchten, daß es eine Subkultur in der Bundeswehr gibt, die solche Nischen nutzt.
- Ja, ich sage das.
Ich muß feststellen, daß in einer Kaserne ein Munitionsvorrat angesammelt wurde. Was soll denn das Parlament dazu sagen, wenn unter den Augen von Dienstvorgesetzten geheime Waffenlager, in denen Munition, Rohrbomben und ähnliches mehr aufbewahrt wurden, auf Bundeswehrgelände angelegt wurden? Das ist doch wohl eine Sache des Parlamentes, nicht nur für irgendeine Kommission!
Ich denke, das muß in dieser Debatte offen und deutlich angesprochen werden.
Wir sind uns ja alle darin einig, daß nicht alle Menschen, die zur Bundeswehr kommen, von vornherein Staatsbürger in Uniform sind. Wir kennen natürlich auch die diesbezüglichen Mängel. Aber auch das folgende kann man bei Baudissin nachlesen: Wenn jemand die Bundeswehr verläßt und wenn er dann
nicht zu einem Staatsbürger in Uniform geworden ist, dann hat die Bundeswehr ihren Auftrag verfehlt. Auch das muß man einmal deutlich aussprechen. Da müssen wir doch fragen: Bildet die Bundeswehr jenen Staatsbürger in Uniform heran, der sich am Ende seiner Dienstzeit - sei es als Zeitsoldat oder als Berufssoldat - weiterhin aktiv für die Demokratie einsetzt? Es geht damm, ob er weiterhin aktiv diesen Staat und seine Institutionen verteidigt. Das muß doch einmal hinterfragt werden. Wir haben gute Grundsätze, gute Weisungen und gute Vorschriften. Aber die Frage muß erlaubt sein: Warum erzielen wir bestimmte Ergebnisse nicht? Warum gibt es in dieser Kette immer wieder Verfehlungen?
Erinnern wir uns an die Debatte darüber. Ich spreche das einmal ganz bewußt an. Wir waren am Anfang froh, daß es - wie es hieß - nur Wehrpflichtige waren. Dann kam die zweite Stufe. Plötzlich waren Unteroffiziere beteiligt. Da haben wir gesagt: Na gut, das sind einzelne Ausreißer. Wir haben es jetzt mit Bundeswehrangehörigen auf einer Ebene zu tun, über der fast nichts mehr kommt. Ich hoffe ja, daß nicht noch herauskommt, daß irgendein General daran beteiligt ist. Aber bis zu einem Obersten sind wir ja inzwischen schon gekommen, bei dem wir zumindest Fehlverhalten feststellen müssen. Das zeigt doch, daß dieses Phänomen nicht auf eine bestimmte Personengruppe in der deutschen Armee beschränkt ist.
Das bewegt uns, das treibt uns um. Wir haben die große Sorge, daß dieser innere Zustand es erleichtern könnte, Unsicherheit in die Bundeswehr hineinzutragen. Das wollen wir nicht. Die Bundeswehr und die in ihr Tätigen sollen wissen: Dieses Parlament schützt sie vor unangemessenen Vorwürfen. Aber dieses Parlament muß auch erwarten, daß das eine Zweibahnstraße ist: Die Bundeswehr muß auch gegenüber diesem Parlament loyal sein. Das heißt, sie muß sich so verhalten, daß das Parlament die Bundeswehr auch als Parlamentsheer begreifen kann. Das muß herausgearbeitet werden. Vielleicht liegt da ein Mangel, den wir nicht genügend deutlich gemacht haben.
Ich möchte noch einmal die Berichte der Frau Wehrbeauftragten und ihrer Vorgänger ansprechen. Wir haben eine Reihe von Hinweisen bekommen. Ich führe das noch einmal aus. Herr Minister, schauen Sie sich einmal die Stellungnahmen Ihres eigenen Hauses zu den Berichten der Wehrbeauftragten an. Schauen Sie sich einmal an, wie lapidar manche Antwort ausfällt. Ich habe Sie heute im Verteidigungsausschuß aufgefordert: Dies sind der Tag und die Stunde, in denen wir das Signal in die Bundeswehr senden müssen: Dieses Parlament, die politische und die militärische Führung wollen, daß ein bestimmtes Verhalten in der Bundeswehr nicht geduldet wird. Dieses Signal hätte man heute der Bundeswehr geben müssen.
Sie hätten einen großen Teil dazu beitragen können, daß mit diesem Signal eine entsprechende Grundstimmung in die Bundeswehr hineingetragen wird.
Dieter Heistermann
Ich möchte zum Schluß die Sache mit dem Material kurz anreißen. Es ist hochinteressant, daß man mit einem bestimmten Briefkopf - wessen Name auch immer da draufsteht -
Material für das Deutsch-Russische Gemeinschaftswerk anfordern kann, daß dann eine Maschine in Bewegung gesetzt wird und daß das Material kostenlos bereitgestellt wird. Ich will das einmal kurz skizzieren: Am 5. März findet eine Veranstaltung über humanitäre Hilfe für Parfino statt. Auf den Teilnehmerkreis will ich nicht weiter eingehen; es handelte sich um Angehörige von Traditionsverbänden und Traditionsorganisationen. Am 4. Mai, also zwei Monate später, gibt es eine Anfrage des Deutsch-Russischen Gemeinschaftswerkes zur Lieferung von Material. Am 1. Juni - man beachte dies - erfolgt die Zustimmung des Außenministeriums; man erkennt das Bundesinteresse an. Am 15. Juni kommt die Bewilligung durch das BMVg, daß Material bereitgestellt wird. Wie schnell man da arbeiten kann! Am 30. Mai erst kommt die Begründung des Antrages auf Beschaffung, also warum man das Material braucht.
Ich rekonstruiere das nur: Am 20. Januar 1995 werden die Fahrzeuge in Hesedorf abgeholt. Am 24. Januar 1995 ist der Vortrag von M. Roeder. Im März, April oder Mai - das liegt nicht genau fest - erfolgt die Information an die FüAk, wer Roeder ist. Und dann passiert nichts! Am 7. Juni wird das Werkzeug, das bestellt worden ist, in Glinde abgeholt. Am 2. Oktober 1995 erfolgt die Zulassung des 2-Tonnen-LKWs auf den Namen „Roeder" und am 3. Oktober die Ausfuhr über das Zollamt Schwedt.
Warum skizziere ich das? Hier ist auf einem sehr schnellen Informationsweg gearbeitet worden. Das heißt: Innerhalb von kürzester Zeit wurde Material bereitgestellt. Wir fragen kritisch - wir unterstellen nichts -, wie sich diese Prozedur über das Außenministerium bis hin zum BMVg in dieser Art und Weise und in dieser Schnelligkeit vollziehen konnte. Das geht nur, wenn massive persönliche Unterstützung dahintersteht.
Herr Minister, das wollen wir genau wissen. Deshalb drängen wir darauf, daß das grundsätzlich geklärt wird. Wir wollen keine Subkultur in der Bundeswehr dulden. Wir wollen dort auch keine Connection haben, welcher Art auch immer.
Das heißt: Wir wollen klare, übersichtliche Verhältnisse. Das geht nur, wenn alle Beteiligten die Chance haben, diese Untersuchung ohne Vorbehalte durchzuführen.
Herr Heistermann, Sie müssen zum Schluß kommen.
Ich komme zum Schluß, Herr Präsident.
Wir wollen einen Untersuchungsausschuß einrichten, damit wir entsprechend reagieren können.
Danke schön.
Ich gebe dem Abgeordneten Jochen Feilcke das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als vermutlich letztem Redner erlauben Sie mir eine kleine Vorbemerkung: Ich finde, niemand in diesem Hause dürfte bei diesen Vorgängen irgend jemandem Schuld vorwerfen. In dieser Frage gibt es hier nicht die Guten auf der einen und die Bösen auf der anderen Seite. Es gibt auf allen Seiten des Hauses nur unglaubliche Bestürzung darüber, daß so etwas vorkommen kann.
Sie sprachen von Botschaften, Herr Heistermann. Ich wünschte mir als Ergebnis einer solchen Diskussion - dann machte sie einen Sinn -, daß sich alle Uniformträger, insbesondere alle Soldaten der Bundeswehr, darüber im klaren sind, daß sie nicht nur Repräsentant der Bundeswehr, sondern Repräsentant des demokratischen Rechtsstaates Bundesrepublik Deutschland sind.
Diese Verpflichtung hat im Grunde genommen jeder übernommen, und diese Verpflichtung muß vielleicht gelegentlich wieder mit Leben erfüllt werden.
Der Soldat ist Teil der Exekutive, er nimmt teil an der staatlichen Machtausübung, und er steht gerade im Bewußtsein unserer Geschichte unter einem ganz besonderen Blickwinkel: Er wird beobachtet, er wird betrachtet, und er wird auch zum Maßstab genommen.
Unsere Soldaten sind Repräsentanten, aber nicht repräsentativ. Was Michael Wolffsohn gesagt hat, Graf Einsiedel, ist richtig: Man darf sich nicht wundern, wenn in starkem Maße eher konservative, möglicherweise auch rechtsorientierte Männer und Frauen zur Bundeswehr gehen, wenn linksorientierte Gruppen dazu auffordern, nicht zu dienen.
Ich bin der Meinung, wir täten etwas sehr Gutes, auch im Sinne der Repräsentativität unserer Truppe, wenn wir die Wehrpflicht tatsächlich wieder zu einer Pflicht für alle machten, so daß es eben nicht möglich ist, sich einfach mit einer Postkarte für den - sicherlich sehr segensreichen - Ersatzdienst abzumelden. Ich bin der Meinung, die Repräsentativität ist auch ein kleiner Schritt in die Richtung, die wir alle, so glaube ich, gemeinsam vor Augen haben. Insofern glaube ich, Graf Einsiedel, hat Wolffsohn recht.
Ich bin auch der Auffassung, daß wir die Bundeswehr nicht danach beurteilen dürfen, ob in ihr Fehler gemacht werden. Zugegebenermaßen gibt es zur Zeit sehr viele bekanntwerdende Fehler. Vielmehr
Jochen Feilcke
müssen wir sie nach dem Maßstab beurteilen: Wie geht die Bundeswehr mit den Fehlern um?
- Frau Kollegin, die weitaus größte Zahl der Vorfälle mit rechtsextremistischem Hintergrund oder aus rechtsextremistischem Umfeld sind von der Bundeswehr selbst aufgedeckt worden. Es ist einfach nicht richtig, Frau Beer, wenn der Bericht in der „taz", aus dem Sie heute einen Teil für Ihren Beitrag übernommen haben
- ich kann Ihnen aus der „taz" vorlesen, was Sie hier vorgetragen. haben -, damit schließt, daß die Hardthöhe von den skandalösen Ereignissen fast ausnahmslos aus den Medien erfahren habe. Das stimmt nicht.
- Na gut, aber es wäre zumindest denkbar gewesen,
zumal es Ihnen zuzutrauen ist; denn das, was Sie gesagt haben, steht auch in diesem Beitrag. Ich will Sie damit gar nicht diffamieren, Frau Beer. Auch ich lese die „taz".
Es ging mir wirklich nicht um die Frage, welche Zeitung Sie lesen.
Sie haben hier eine Formulierung benutzt, die sich auch in diesem Beitrag wiederfindet. Deshalb habe ich unterstellt
: Sagen Sie doch einmal etwas zur
Tradtionspflege!)
- ich weiß wirklich nicht, worüber Sie sich aufregen -, daß Sie diesen Beitrag gelesen haben. Ich habe mir erlaubt aus diesem Beitrag - den ich Ihnen gleich geben werde - einen Satz zu zitieren, der absolut falsch ist.
Ich halte es für wichtig, darauf hinzuweisen, daß die Bundeswehr mit den Fehlern eben sehr offensiv umgeht und daß sie die geeigneten Schritte eingeleitet hat, hier zu einer Offenheit zu kommen; denn nur die Offenheit führt uns am Ende auch zu einer Immunisierung gegen solches Gedankengut.
Ich bin der Auffassung, daß der Bericht, der unter der Verantwortung des Generalinspekteurs unter Federführung von Generalmajor von Kirchbach vorgelegt worden ist, nicht nur sehr schnell vorgelegt worden ist; vielmehr ist er auch sehr lesenswert. Ich hoffe wirklich, daß er auch ganz schnell umgesetzt wird.
- Wissen Sie, ich versuche wirklich die Diskussion ganz sachlich und ernsthaft zu betreiben. Ich weiß nicht, warum Sie hier so eine Aggressivität hereinbringen. Glauben Sie denn wirklich, daß Sie zu den guten Menschen in unserer Gesellschaft gehören?
Verbesserte Dienstaufsicht und ein vertieftes, echtes und aufrichtiges Interesse der Vorgesetzten an den Nachgeordneten gehört dazu. Wehrpflichtige, die rechtsextremen Gedanken nahestehen - insbesondere natürlich diejenigen, die bereits straffällig geworden sind -, müssen von der Bundeswehr ferngehalten werden.
Wir müssen auch dem Zeitgeist einer sich immer weiter ausbreitenden Gleichgültigkeit entgegentreten.
Es kann doch nicht richtig sein, daß wir immer von Zivilcourage reden und dann Jahre, nachdem die Vorfälle stattgefunden haben,
„mutige" Unteroffiziere im „Stern" von morgen zitiert werden, wo es dann heißt: Wir wären uns als Außenseiter vorgekommen, wenn wir nicht mitgemacht hätten. Das sagten mehrere Unteroffiziere, die in Altenstadt ausgebildet worden sind. Was sind denn das alles für Schlappis? Wir fordern Soldaten, die auch im Dienst Zivilcourage haben, nicht erst, wenn sie vom „Stern" danach gefragt werden.
Die Bundeswehr ist mit ihren Soldaten, so glaube ich, eine der Organisationen, die bereit sind, unsere Demokratie nicht nur im Innern, sondern auch nach außen wirkungsvoll darzustellen und, wenn es darauf ankommt, zu verteidigen. Die Bereitschaft zum Einsatz für die Einhaltung der Menschenrechte im Ausland und auch die Bereitschaft zum Einsatz, wenn es darauf ankommt, für die Aufrechterhaltung der Demokratie im Innern sollten wir unseren Soldaten niemals absprechen. Vor allem in Zeiten der mangelnden Beteiligung am politischen Geschehen und einer Gleichgültigkeit gegenüber dem öffentlichen Geschehen ist der Bundeswehrsoldat am Zeitgeschehen besonders interessiert und am Gelingen der Demokratie ganz besonders beteiligt.
Herr Präsident, ich erlaube mir noch eine Schlußbemerkung. In unserem Staate - das wäre einmal ein besonderes Thema; ich will es deswegen wirklich nur in Stichworten ansprechen - sind die politische Bildung und die Unterrichtung über die Demokratie insgesamt defizitär. Ich erlebe immer wieder, Herr
Jochen Feilcke
Präsident, daß Lehrer der politischen Weltkunde nicht einmal die Institutionen der Demokratie kennen.
Das sind dieselben, die den politischen Unterricht früher als „reine Institutionenkunde" diffamiert haben. Wann immer man Gelegenheit hat, in den Schulen als Abgeordneter aufzutreten, wird als erstes gefragt: Darf der das überhaupt?
- Jawohl, so wird als erstes gefragt. Wir haben es überall mit diesem Thema zu tun.
Wenn wir nicht anfangen, in der gesamten deutschen Öffentlichkeit die Demokratie lebhafter und farbiger darzustellen und zu gestalten, dann müssen wir uns nicht wundern, wenn wir in einem Teilbereich, in dem der einzelne als Angehöriger einer Gruppe erkennbar ist, nämlich durch die Uniform, mit solchen Problemen konfrontiert werden. Ich glaube, hier haben wir eine große Aufgabe zu lösen.
Die Bundeswehr als Gesamtkörper ist gesund. Sie hat erhebliche Kratzer abbekommen. Wir müssen nun gemeinsam darauf achten, daß dies nicht zu einer Blutvergiftung führt.
Danke sehr.
Ich schließe die Aussprache. Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 11. Dezember, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.