Protokoll:
13199

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 13

  • date_rangeSitzungsnummer: 199

  • date_rangeDatum: 29. Oktober 1997

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 13:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 18:00 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 13/199 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 199. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 29. Oktober 1997 Inhalt: Tagesordnungspunkt 1: Befragung der Bundesregierung (Sechstes Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen; Vierter Bericht der Bundesregierung über ihre Menschenrechtspolitik in den auswärtigen Beziehungen) .... 17927 A Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister BMWi 17927 B Dr. Uwe Jens SPD 17928 B Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister BMWi 17928 C Hans Büttner (Ingolstadt) SPD 17930 A Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister BMWi 17930 B Ernst Hinsken CDU/CSU 17930 D Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister BMWi 17931A Amke Dietert-Scheuer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 17931 D Dr. Werner Hoyer, Staatsminister AA .. 17931D Tagesordnungspunkt 2: Fragestunde (Drucksache 13/8820 vom 24. Oktober 1997) 17932 A Bewertung von totipotenten und nicht totipotenten Zellen bei einem Embryo im Achtzellenstadium MdlAnfr 1 Marina Steindor BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Antw PStSekr'in Sabine Bergmann-Pohl BMG 17932 A Einrichtung von mehr Umweltberufen im Rahmen der Schaffung neuer Ausbildungsberufe MdlAnfr 2 Elisabeth Altmann (Pommelsbrunn) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Antw PStSekr Walter Hirche BMU ... 17932 C ZusFr Elisabeth Altmann (Pommelsbrunn) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 17932 D Umbenennung des Systems zur Versorgung der US-Armee Europa mit nicht-taktischen Fahrzeugen; Folgen für die deutschen Zivilbeschäftigten MdlAnfr 5, 6 Dr. Hansjörg Schäfer SPD Antw StMin Dr. Werner Hoyer AA 17933 B, 17933 D ZusFr Dr. Hansjörg Schäfer SPD 17933C, 17934 A Gründung einer Stiftung für Auswärtige Kulturpolitik MdlAnfr 11 Elisabeth Altmann (Pommelsbrunn) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Antw StMin Dr. Werner Hoyer AA . . . 17934 A Stand der Auseinandersetzung um das Gesetz zur Nationalisierung der sogenannten Beutekunst vor dem russischen Verfassungsgericht MdlAnfr 13 Dr. Elke Leonhard SPD Antw StMin Dr. Werner Hoyer AA . . . 17934 B ZusFr Dr. Elke Leonhard SPD 17934 C Änderung der Öffnungszeiten öffentlicher Dienststellen gem. Ladenschlußgesetz; Resonanz der Bürger MdlAnfr 16, 17 Dr. Peter Ramsauer CDU/CSU Antw PStSekr Eduard Lintner BMI . . . 17935 A ZusFr Dr. Peter Ramsauer CDU/CSU . . 17935 C ZusFr Hans Büttner (Ingolstadt) SPD . . 17936 A ZusFr Heidi Wright SPD 17936 B Vorbereitung der Abschiebung irakischer Staatsangehöriger durch den Beauftragten und den Arbeitsstab im BMI MdlAnfr 20, 21 Amke Dietert-Scheuer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Antw PStSekr Eduard Lintner BMI 17936 D, 17937 A ZusFr Amke Dietert-Scheuer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 17936D, 17937 A Begrenzung der Einreise und Abschiebung irakischer Staatsbürger MdlAnfr 22, 23 Rezzo Schlauch BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Antw PStSekr Eduard Lintner BMI 17937 C, 17938 A ZusFr Rezzo Schlauch BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 17937 C ZusFr Amke Dietert-Scheuer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 17937C, 17938 B Presseäußerung von Mitarbeitern des BMJ und BMG über die Zulässigkeit der Präimplantationsdiagnostik gem. Embryonenschutzgesetz MdlAnfr 28 Marina Steindor BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Antw PStSekr Rainer Funke BMJ . . . . 17938 C Antw PStSekr'in Dr. Sabine BergmannPohl BMG 17939 C ZusFr Marina Steindor BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 17939 A ZusFr Wolf-Michael Catenhusen SPD . . 17939 B ZusFr Hubert Hüppe CDU/CSU . . . 17940 A Entrichtung eines Geldbetrages bei der Einreise polnischer Schülergruppen im Rahmen von Schüleraustauschprogrammen MdlAnfr 31, 32 Dr. Angelica Schwall-Düren SPD Antw PStSekr Hansgeorg Hauser BMF 17940C, 17940 D ZusFr Dr. Angelica Schwall-Düren SPD . 17941A Nichtanerkennung des Neubaus von Kindereinrichtungen und Sportstätten als förderfähig im Sinne des Investitionsfördergesetzes MdlAnfr 33, 34 Wolfgang Ilte SPD Antw PStSekr Hansgeorg Hauser BMF 13941D, 17942C ZusFr Wolfgang Ilte SPD . . . 13941D, 17942 C Entscheidungsfindungsprozeß im Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen betr. mißbräuchlich vergebene „Optima"-Lebensversicherungsdarlehen MdlAnfr 35, 36 Hans Martin Bury SPD Antw PStSekr Hansgeorg Hauser BMF 17943B, 13944 A ZusFr Hans Martin Bury SPD .. 17943B, 17944 A ZusFr Wolfgang Ilte SPD 17944 D ZusFr Peter Dreßen SPD 17945 A Auswirkungen der Verlagerung der Bundesvermögensabteilung der Oberfinanzdirektion Rostock nach Hamburg MdlAnfr 37 Hans-Joachim Hacker SPD Antw PStSekr Hansgeorg Hauser BMF 17945B ZusFr Hans-Joachim Hacker SPD . . . . 17945 C ZusFr Dr. Christine Lucyga SPD . . . 17945D ZusFr Wolfgang Ilte SPD 17946A Verlagerung von Oberfinanzdirektionen aus den neuen in die alten Bundesländer, insbesondere der Zoll- und Verbrauchsteuerabteilung bei der OFD Rostock nach Hamburg; Auswirkungen MdlAnfr 38, 39 Dr. Christine Lucyga SPD Antw PStSekr Hansgeorg Hauser BMF 17946C, 17947 B ZusFr Dr. Christine Lucyga SPD 17946C, 17947 C ZusFr Hans-Joachim Hacker SPD . . . . 17947 D ZusFr Jelena Hoffmann (Chemnitz) SPD . 17948B Aufstockung der Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" MdlAnfr 40, 41 Lydia Westrich SPD Antw PStSekr Dr. Heinrich L. Kolb BMWi 17948D, 17949 C ZusFr Lydia Westrich SPD . . 17949A, 17949D Produktion von Landminen durch deutsche Firmen; Abnehmer MdlAnfr 42 Heinz Schmitt (Berg) SPD Antw PStSekr Dr. Heinrich L. Kolb BMWi 17950A ZusFr Heinz Schmitt (Berg) SPD . . . . 17950 B Erforschung des Verhaltens des Borkenkäfers angesichts der nachhaltigen Waldschäden, insbesondere im Nationalpark Bayerischer Wald MdlAnfr 45, 46 Brunhilde Irber SPD Antw PStSekr Wolfgang Gröbl BML 17951A, 17952B ZusFr Brunhilde Irber SPD . . 17951 C, 17952 C ZusFr Heidi Wright SPD 17953 A Anzahl der in Deutschland tätigen Werkvertragsarbeitnehmer; Auslauf der aktuellen Kontingente aufgrund der Intervention der Europäischen Kommission; Wiederherstellung der Kontingente insbesondere für osteuropäische Staaten MdlAnfr 49, 50 Peter Dreßen SPD Antw PStSekr Horst Günther BMA . . 17953 D ZusFr Peter Dreßen SPD 17954 B Zusatztagesordnungspunkt 1: Aktuelle Stunde betr. Haltung der Bundesregierung zu Umfang und Ausmaß sogenannter geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse 17955 C Gerd Andres SPD 17955 C Dr. Peter Ramsauer CDU/CSU 17956 D Annelie Buntenbach BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 17957 D Dr. Gisela Babel F.D.P 17958 D Dr. Heidi Knake-Werner PDS 17960 A Horst Günther, Parl. Staatssekretär BMA 17961 A Barbara Stolterfoht, Ministerin (Hessen) . 17962 A Aussprache zur Aktuellen Stunde Birgit Schnieber-Jastram CDU/CSU . . 17965 C Ottmar Schreiner SPD 17967 A Marieluise Beck (Bremen) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 17969 C Paul K. Friedhoff F.D.P 17971 B Petra Bläss PDS 17972 D Volker Kauder CDU/CSU 17974 B Renate Jäger SPD 17975 C Dr. Maria Böhmer CDU/CSU 17976 C Wolfgang Weiermann SPD 17977 B Renate Diemers CDU/CSU 17978 C Susanne Kastner SPD 17979 C Hartmut Schauerte CDU/CSU 17980 C Peter Dreßen SPD 17983 A Ingrid Matthäus-Maier SPD , 17983 C Nächste Sitzung 17984 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 17985* A Anlage 2 Mietspiegel per September 1997 sowie Januar 1998 in ostdeutschen Kommunen und Voraussetzungen für Mieterhöhungen MdlAnfr 3, 4 Klaus-Jürgen Warnick PDS SchrAntw PStSekr Joachim Günther BMBau 17985* B Anlage 3 Forderung von Schulgeld von deutschen Schülern in den USA MdlAnfr 3, 8 Thomas Krüger SPD SchrAntw StMin Dr. Werner Hoyer AA . 17985* D Anlage 4 Förderung der institutionellen Politikberatung im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik durch die Bundesregierung; Vergleich mit den USA, England und Frankreich MdlAnfr 9, 10 Gernot Erler SPD SchrAntw StMin Dr. Werner Hoyer AA . 17986* C Anlage 5 Förderung der deutschen Sprache als Unterrichtssprache an staatlichen Schulen in Namibia MdlAnfr 12 Dr. Elke Leonhard SPD SchrAntw StMin Dr. Werner Hoyer AA . 17987* A Anlage 6 Einbeziehung der Fachverbände in die Erarbeitung der Verwaltungsvorschriften zum Ausländerrecht; Veröffentlichung des Gesetzes zur Änderung ausländer- und asylverfahrensrechtlicher Vorschriften MdlAnfr 14, 15 Cem Özdemir BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN SchrAntw PStSekr Eduard Lintner BMI . 17987* C Anlage 7 Brandschutzgutachten zum Ausweichsitz der Verfassungsorgane des Bundes in Bad Neuenahr-Ahrweiler MdlAnfr 18, 19 Hans Wallow SPD SchrAntw PStSekr Eduard Lintner BMI . 17988* A Anlage 8 Auskunft über Nutzungsentgelte nach § 7 Abs. 1 der Nutzungsentgeltverordnung bei Anwendung des „Vergleichswertverfahrens" für nach 1993 vereinbarte Verträge MdlAnfr 24, 25 Dr. Hermann Pohler CDU/CSU SchrAntw PStSekr Rainer Funke BMJ . . 17988* B Anlage 9 Auskunft über Nutzungsentgelte nach § 7 Abs. 1 der Nutzungsentgeltverordnung bei Anwendung des „Vergleichswertverfahrens" für nach 1990 vereinbarte Verträge MdlAnfr 26, 27 Dr. Michael Luther CDU/CSU SchrAntw PStSekr Rainer Funke BMJ . . 17989* B Anlage 10 Kosten der Einführung des Euro, insbesondere für die Umstellung der kommunalen Fahrkartenautomaten und Parkuhren und im Bereich der Bundesregierung MdlAnfr 29, 30 Peter Conradi SPD SchrAntw PStSekr Hansgeorg Hauser BMF 17990* C Anlage 11 Folgerungen aus der Kosten-Nutzen-Analyse des Einsatzes von chemischen Pflanzenschutzmitteln in der Landwirtschaft für die Agrar- und Umweltpolitik; Kostenbeteiligung der Hersteller von Pflanzenschutzmitteln MdlAnfr 43, 44 Ulrike Mehl SPD SchrAntw PStSekr Wolfgang Gröbl BML . 17991* A Anlage 12 Wiedereröffnung von Werkvertragskontingenten für osteuropäische Staaten MdlAnfr 43, 48 Erika Lotz SPD SchrAntw PStSekr Horst Günther BMA . 17991* B Anlage 13 Anwendung der Weisung des BMVg vom 22. Juli 1994 zu Beschaffungsvorhaben der Bundeswehr betr. Phasenüberlappung zwischen Entwicklung und Beschaffung auf den Eurofighter MdlAnfr 51, 52 Jürgen Koppelin F.D.P. SchrAntw PStSekr Dr. Klaus Rose BMVg 17991* D Anlage 14 Teilnahme von Bundeswehrangehörigen am 43. Bundestreffen der „Ordensgemeinschaft der Ritterkreuzträger" in Hammelburg MdlAnfr 53, 54 Annelie Buntenbach BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN SchrAntw PStSekr Dr. Klaus Rose BMVg 17992* A Anlage 15 Anzahl der bisher zu Schaden oder ums Leben gekommenen Bundeswehrsoldaten im Rahmen des SFOR-Einsatzes in Bosnien MdlAnfr 55 Heinz Schmitt (Berg) SPD SchrAntw PStSekr Dr. Klaus Rose BMVg 17992* C Anlage 16 Benutzung von Inline-Skates im Straßenverkehr und insbesondere auf Fahrradwe- gen, ggf. Änderung der Straßenverkehrsordnung MdlAnfr 56 Klaus Hagemann SPD SchrAntw PStSekr Johannes Nitsch BMV 17992* D Anlage 17 Entspannung der Stausituation, insbesondere im Mannheimer Bereich, durch die für die Straßenerneuerungs- und -reparaturmaßnahmen im Rhein-Neckar-Dreieck zuständigen Behörden MdlAnfr 57, 58 Dr. Egon Jüttner CDU/CSU SchrAntw PStSekr Johannes Nitsch BMV 17993* A Anlage 18 Hilfen für die von der Brandkatastrophe betroffenen Länder Südostasiens und Südamerikas MdlAnfr 59, 60 Heidi Wright SPD SchrAntw StSekr Wighard Härdtl BMZ . 17993* C Anlage 19 Vereinbarung von Bedingungen zur Schaffung oder Erhaltung deutscher Arbeitsplätze bei der Zusage von Entwicklungshilfe an die Volksrepublik China MdlAnfr 61, 62 Johannes Selle CDU/CSU SchrAntw StSekr Wighard Härdtl BMZ . 17994* D 199. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 29. Oktober 1997 Beginn: 13.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Fischer (Unna), Leni CDU/CSU 29. 10. 97 Dr. Fuchs, Ruth PDS 29. 10. 97 Geiger, Michaela CDU/CSU 29. 10. 97 Dr. Hauchler, Ingomar SPD 29. 10. 97 Hedrich, Klaus-Jürgen CDU/CSU 29. 10. 97 Hempelmann, Rolf SPD 29. 10. 97 Heyne, Kristin BÜNDNIS 29. 10. 97 90/DIE GRÜNEN Hörster, Joachim CDU/CSU 29. 10. 97 Holzhüter, Ingrid SPD 29. 10. 97 Dr. Hornhues, Karl-Heinz CDU/CSU 29. 10. 97 Hovermann, Eike SPD 29. 10. 97 Jung (Limburg), Michael CDU/CSU 29. 10. 97 Kurzhals, Christine SPD 29. 10. 97 Lotz, Erika SPD 29. 10. 97 Mante, Winfried SPD 29. 10. 97 Marx, Dorle SPD 29. 10. 97 Özdemir, Cern BÜNDNIS 29. 10. 97 90/DIE GRÜNEN Dr. Probst, Albert CDU/CSU 29. 10. 97 Rupprecht, Marlene SPD 29. 10. 97 Schild, Horst SPD 29. 10. 97 Schlee, Dietmar CDU/CSU 29. 10. 97 Schloten, Dieter SPD 29. 10. 97 Schmidt-Zadel, Regina SPD 29. 10. 97 Schoppe, Waltraud BÜNDNIS 29. 10. 97 90/DIE GRÜNEN Thiele, Carl-Ludwig F.D.P. 29. 10. 97 Vosen, Josef SPD 29. 10. 97 Dr. Waigel, Theodor CDU/CSU 29. 10. 97 Graf von Waldburg-Zeil, CDU/CSU 29. 10. 97 Alois Anlage 2 Antwort des Parl. Staatssekretärs Joachim Günther auf die Fragen des Abgeordneten Klaus-Jürgen Warnick (PDS) (Drucksache 13/8820 Fragen 3 und 4): Anlagen zum Stenographischen Bericht In wie vielen Kommunen Ostdeutschlands existieren nach Wissen der Bundesregierung per September 1997 sowie voraussichtlich per Januar 1998 Mietspiegel? Unter welchen Voraussetzungen sind nach Auffassung der Bundesregierung im Zusammenhang mit dem Übergang ostdeutscher Wohnungen ins Vergleichsmietensystem Mieterhöhungsverlangen nach § 2 des Miethöhengesetzes bereits im Oktober 1997 mit dem Ziel einer Mieterhöhung zum 1. Januar 1998 möglich? Zu Frage 3: Die Bundesregierung hat mit ihren Hinweisen zur Erstellung von Mietspiegeln die Aufstellung in größeren Gemeinden angeregt. Nach Kenntnis der Bundesregierung, die auf Umfragen des Deutschen Städtetages sowie des GdW Bundesverband deutscher Wohnungsunternehmen e.V. basiert, verfügen gegenwärtig 31 Städte entweder bereits über einen Mietspiegel bzw. werden per Januar 1998 einen Mietspiegel zur Verfügung stellen. Damit werden mit dem Übergang in das Vergleichsmietensystem praktisch in allen größeren Städten Mietspiegel vorhanden sein. Zu Frage 4: Nach Auffassung der Bundesregierung können in den neuen Ländern Mieterhöhungen nach § 2 des Miethöhegesetzes (MHG) für Wohnungen, auf die bis zum 31. Dezember 1997 die Regelungen des § 12 MHG Anwendung finden, frühestens im Januar 1998 geltend gemacht werden. Mieterhöhungen nach § 2 MHG können danach erst zum 1. April 1998 wirksam werden. Anlage 3 Antwort des Staatsministers Dr. Werner Hoyer auf die Fragen des Abgeordneten Thomas Krüger (SPD) (Drucksache 13/8820 Fragen 7 und 8): Trifft es zu, daß deutsche Jugendliche, die in den USA auf privater Basis - d. h. nicht durch die Vermittlung einer Austauschorganisation - eine nicht private Schule besuchen wollen, für den Schulbesuch ein „Schulgeld" entrichten bzw. sich vor Erhalt des Visums zu dessen Zahlung verpflichten müssen, und wenn ja, wie hoch ist das „Schulgeld? Was hat die Bundesregierung bereits unternommen bzw. was beabsichtigt sie zu unternehmen, um diese finanzielle Bela- . stung, die der Idee der Völkerverständigung zuwiderläuft, zugunsten der Schülerinnen und Schüler abzubauen? Zu Frage 7: Bei der Beantwortung der Fragen 9 und 10 beziehe ich mich auf die Ausführungen von Staatsminister Schäfer in der 194. Sitzung am 1. Oktober 1997 zu den Fragen 21 und 22 des Abgeordneten Kuhlwein, die fast identisch sind mit den Fragen des Abgeordneten Krüger. Es trifft zu, daß seit dem 30. November 1996 in den Vereinigten Staaten das Gesetz „Illegal Immigration Reform and Immigrant Responsibility Act" (Public Law 104-208) in Kraft ist. In seinem Abschnitt 625 verlangt dieses Gesetz von ausländischen Schülern die Erstattung von Gebühren, die öffentlichen US-Oberschulen durch den Schulbesuch eines Ausländers entstehen. Diese Schulgebühren werden von den Steuerbehörden der jeweiligen US-Schuldistrikte je nach Finanzkraft des Bezirks festgesetzt. Sie liegen durchschnittlich bei etwa 10000 DM je Schuljahr. Diese Gebühren sind von den Eltern deutscher Austauschschüler bei der Antragstellung auf ein US-Einreisevisum im voraus zu entrichten. Zu Frage 8: Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß die Bestimmungen dieses Gesetzes im Widerspruch zu der Förderung des bilateralen Schüleraustausches durch die Bundesregierung und die US-Regierung stehen, zumal Austauschschüler aus den Vereinigten Staaten für ihren Schulbesuch in Deutschland keine Gebühren zu entrichten haben. Die Bundesregierung ist daher sogleich nach Bekanntwerden der neuen US-Visa-Bestimmungen initiativ geworden, um deren Anwendung auf den deutsch-amerikanischen Schüleraustausch zu verhindern: Die Botschaft Washington hat in ihren Kontakten mit den zuständigen amerikanischen Behörden, insbesondere dem State Department, und auch Kongressvertretern auf die Fehlentwicklung und die dadurch hervorgerufenen Irritationen in Deutschland aufmerksam gemacht und sich mit Nachdruck für eine Änderung der den deutsch-amerikanischen Schüleraustausch beeinträchtigenden Bestimmungen eingesetzt. Das Thema stand u. a. auf der Tagesordnung der Deutsch-Amerikanischen Kulturkonsultationen am 21./22. April 1997 in Washington. Die US-Botschaft in Bonn wurde von Anfang an über die nachteiligen Folgen der neuen Gesetzgebung unterrichtet. Am 2. Oktober hat auf Nachfrage des Auswärtigen Amts der neue US-Botschafter Kornblum zu verstehen gegeben, daß er sich bei Abgeordneten des US-Kongresses für eine Aufhebung der Bestimmungen einsetzen werde, soweit sie den Schüleraustausch mit Deutschland belasten. Da die amerikanische Seite bisher keinen Lösungsvorschlag gemacht hat, hat Bundesminister Dr. Kinkel sich der Frage persönlich angenommen. Er hat Außenministerin Albright in einem Schreiben vom 16. Oktober 1997 gebeten, sich für die Aufhebung der Bestimmungen einzusetzen. Die Bundesregierung wird dieser für die deutschamerikanischen Beziehungen wichtigen Angelegenheit weiterhin große Aufmerksamkeit schenken. Die Bundesregierung ist für Initiativen von Mitgliedern des Deutschen Bundestages gegenüber ihren amerikanischen Kollegen dankbar. Anlage 4 Antwort des Staatsministers Dr. Werner Hoyer auf die Fragen des Abgeordneten Gernot Erler (SPD) (Drucksache 13/8820 Fragen 9 und 10): Welche Förderung leistet die Bundesregierung derzeit für die institutionelle Politikberatung im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik, und wie hat sich diese Bundesförderung in den letzten Jahren entwickelt? In welchem Umfang fördern nach Kenntnis der Bundesregierung andere vergleichbare Länder wie die Vereinigten Staaten von Amerika, England und Frankreich die institutionelle Politikberatung im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik, und welches sind die Veränderungen bei dieser Förderung in den letzten zehn Jahren? Zu Frage 9: Institutionelle Politikberatung im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik leisten im wesentlichen die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), das Bundesinstitut für Ostwissenschaftliche und Internationale Studien (BIOst), das Südost-Institut (SOI) und das Deutsche Übersee-Institut (DÜI). Diese vier Institute, die zum- Teil auch von anderer Seite gefördert werden, erhielten in 1997 von der Bundesregierung Mittel in Höhe von insgesamt 30,348 Mio. DM. In den vorangegangenen Jahren standen Fördermittel in etwa der gleichen Höhe zur Verfügung (1996: 30,148 Mio. DM, 1995: 30,100 Mio. DM). Zu Frage 10: Organisation und Förderung der Politikberatung unterscheiden sich in den USA, in England und Frankreich zum Teil erheblich von der in Deutschland. Dies macht quantifizierende Vergleiche - insbesondere im Falle der USA, aber auch Englands - sehr schwierig. In den USA gibt es nur eine geringfügige öffentliche Förderung für Politikberatung. Es gibt auch keine öffentliche Zentralstelle, die für die Regierung eine Förderung im Bereich institutioneller Politikberatung durchführen würde oder die einen Überblick hätte, welche Organisationen mit welchen Mitteln gefördert werden. Zahlen liegen daher nicht vor. Die in England ansässigen Institute für Politikberatung im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik erhalten keine direkte finanzielle Förderung durch die britische Regierung, wohl aber Unterstützung in Einzelfällen für Forschungsprojekte sowie Zuschüsse zu Konferenzveranstaltungen. Auch sind öffentliche Institutionen z. T. zahlende Mitglieder der häufig als Stiftungen organisierten Institute. Es gibt aber keine festen Haushaltsansätze für die institutionelle Förderung von Instituten, Übersichten über den Gesamtumfang der für Politikberatung zu Verfügung stehenden Mittel sind nicht verfügbar. In Frankreich werden einige der politikwissenschaftlichen und politischen Institute voll oder teilweise staatlich gefördert. Zu nennen ist hier insbesondere das „Institut Français de Relations Interna- tionales" (IFRI), dessen staatlicher Förderungsanteil über die letzten Jahre gestiegen ist und 1997 bei rd. 10,5 Mio. Francs (rd. 3,15 Mio. DM) liegt. Diese Mittel stammen überwiegend aus dem Haushalt des französischen Außenministeriums. Bedeutende politikwissenschaftliche Forschungsinstitute sind Teil der öffentlichen Bildungseinrichtungen, andere werden aus dem Bereich des Verteidigungsministeriums gefördert. Über den Umfang der Förderung liegen jedoch keine Angaben vor, Einzelheiten der Finanzierung werden oft als vertraulich behandelt. Anlage 5 Antwort des Staatsministers Dr. Werner Hoyer auf die Frage der Abgeordneten Dr. Elke Leonhard (SPD) (Drucksache 13/8820 Frage 12): Inwieweit hat sich die Bundesregierung im Rahmen bilateraler Gespräche mit der namibischen Führung für die Förderung der deutschen Sprache als Unterrichtssprache an staatlichen Schulen in Namibia eingesetzt, um so ein verstärktes Ausweichen der deutschen Minderheit auf separate Privatschulen zu verhindern? In Namibia sprechen ca. 25-30000 Menschen (2% der Gesamtbevölkerung) Deutsch als Muttersprache. Deutsch ist in Namibia eine wichtige Sprache im Alltagsleben. Bis 1993 wurde Deutsch als Unterrichtssprache neben Englisch auch an staatlichen Schulen bis zur 7. Klasse benutzt. Andere Sprachen in Namibia (u. a. Afrikaans) sind nicht Unterrichtssprache. Die namibische Regierung hat nach der Entscheidung für Englisch als Staatssprache nur noch die Nutzung von Deutsch als Unterrichtssprache bis zum 3. Schuljahr gestattet. Vertreter der deutschen Minderheit in Namibia haben sich an die Bundesregierung gewandt und sie gebeten, sie bei der Wiedereinführung von Deutsch als Unterrichtssprache bis zum 7. Schuljahr zu unterstützen. Da die namibische Regierung diesem Wunsch bisher nicht entsprochen hat, besuchen die Kinder der deutschen Minderheit verstärkt Privatschulen. Die Bundesregierung tritt gegenüber der namibischen Regierung konsequent dafür ein, die Stellung von Deutsch als Muttersprache, aber auch als Fremdsprache, an namibischen Schulen zu stärken. Der Bundeskanzler hat bei seinem Besuch 1995 in Namibia für die Wiedereinführung der deutschen Sprache als Unterrichtssprache bis Klasse 7 plädiert. Das Auswärtige Amt unterhält einen intensiven Dialog mit der namibischen Regierung, um alle Möglichkeiten der Förderung der deutschen Sprache zu erörtern. Beim Besuch des namibischen Ministerpräsidenten Geingob vom 8.-13. Oktober 1997 hat Bundesminister Dr. Kinkel diese Frage angesprochen; der Leiter der Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes, Dr. Bertram, erörterte sie mit der stellvertretenden Ministerin für Erziehung, Frau Klara Bohitile. Die namibische Seite stimmte der Aufnahme von Gesprächen über diese Fragen im Frühjahr 1998 zu. Anlage 6 Antwort des Parl. Staatssekretärs Eduard Lintner auf die Fragen des Abgeordneten Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 13/8820 Fragen 14 und 15): Beabsichtigt die Bundesregierung bei der derzeitigen Erarbeitung der Verwaltungsvorschriften zum Ausländerrecht, die einschlägigen Fachverbände - wie auch sonst üblich - im Rahmen einer Anhörung einzubeziehen und wenn nicht, warum? Wann beabsichtigt die Bundesregierung, das am 26. Juni 1997 im Deutschen Bundestag und am 4. Juli 1997 im Bundesrat verabschiedete Gesetz zur Änderung ausländer- und asylverfahrensrechtlicher Vorschriften zur Veröffentlichung vorzubereiten, damit dieses in Kraft treten kann? Zur Frage 14: Die Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zum Ausländergesetz (AuslG), die nach § 104 AuslG der Zustimmung des Deutschen Bundesrates bedürfen, sind auf Arbeitsebene mit den beteiligten Landesinnenministerien erarbeitet worden und befinden sich derzeit sowohl auf Bundes- wie auch auf Landesebene in der Querabstimmung zwischen den beteiligten Ressorts. Die Bundesregierung hat zu dieser Abstimmung in Teilbereichen, etwa den beabsichtigten Regelungen für ausländische Studierende, bereits Verbände z. B. aus dem Hochschulbereich beigezogen, um sich deren Praxiserfahrung nutzbar zu machen und ihnen Gelegenheit zu geben, ihre jeweiligen Positionen in das Verfahren einzubringen. Vertreter dieser Gremien sind an diesbezüglichen Besprechungen beteiligt gewesen und haben Stellungnahmen abgegeben. Soweit andere interministerielle Arbeitsgruppen befaßt sind, erfolgt auch hier eine Einbindung der beteiligten Interessenverbände und NichtRegierungsorganisationen. Über weitere Beteiligungen wird im Zuge des weiteren Verfahrens zu entscheiden sein. Zu Frage 15: Die Gesetzesfassung des Gesetzes zur Änderung ausländer- und asylverfahrensrechtlicher Vorschriften (BR-Drs. 870/96, BT-Drs. 13/7956 und BR-Drs. 476/97) enthielt offenbare Unrichtigkeiten, die nicht im Verantwortungsbereich der Bundesregierung lagen. Daher wurde ein Berichtigungsverfahren eingeleitet, was eine nochmalige Erörterung im federführenden Innenausschuß, der sich letztmalig mit Beschlußempfehlung und Bericht (BT-Drs. 13/5986) befaßt hatte, am 10. September 1997 zur Folge hatte. Nach Abzeichnung durch die Präsidentin des Deutschen Bundestages und den Präsidenten des Deutschen Bundesrates wurde unverzüglich die Verkündung des Gesetzes vorbereitet. Die Verkündung des Gesetzes wird von der Bundesregierung als eilbedürftig angesehen. Mit einer Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt ist nach der Zeichnung durch den Bundespräsidenten in nächster Zeit zu rechnen. 17988* Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 199. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Oktober 1997 Anlage 7 Antwort des Parl. Staatssekretärs Eduard Lintner auf die Fragen des Abgeordneten Hans Wallow (SPD) (Drucksache 13/8820 Fragen 18 und 19): Seit wann liegen die Brandschutzgutachten der Finnen W. und C. zum „Ausweichsitz der Verfassungsorgane des Bundes" in Bad Neuenahr-Ahrweiler vor, und gehört nach Kenntnis der Bundesregierung auch die sich eventuell anschließende Planung von Brandschutzmaßnahmen zu den geschäftlichen Aufgabenfeldem dieser Finnen? Warum ist auf die Einbeziehung unabhängiger Stellen der Feuerwehr in die brandschutztechnische Begutachtung verzichtet worden, und warum konnte es lin Laufe der vergangenen Jahre überhaupt zu den von den Gutachtern behaupteten brandschutztechnischen Mängeln an der Bunkeranlage kommen? Zu Frage 18: Die erwähnten Brandschutzgutachten wurden im Rahmen der Erarbeitung einer Haushaltsunterlage Bau-Brandschutz erstellt. Diese ist im Sommer 1997 fertiggestellt worden. Über die Umsetzung baulicher Brandschutzmaßnahmen ist noch nicht entschieden worden. Zu Frage 19: Es gehört nicht zu den Aufgaben der Feuerwehr, brandschutztechnische Gutachten im Rahmen von Haushaltsunterlagen-Bau zu erstellen. Das brand-schutztechnische Gutachten wurde von einem öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen erstellt und von mehreren Brandschutzgutachtern begleitet und überprüft. Die Anlage ist in den 60er Jahren errichtet worden und entspricht nicht den heutigen Anforderungen. Anlage 8 Antwort des Parl. Staatssekretärs Rainer Funke auf die Fragen des Abgeordneten Dr. Hermann Pohler (CDU/ CSU) (Drucksache 13/8820 Fragen 24 und 25): Kann der Gutachterausschuß bei einer Auskunft nach § 7 Abs. 1 der Nutzungsentgeltverordnung in der Fassung vom 30. Juli 1997 bei der Anwendung des „ Vergleichswertverfahrens" in die Berechnung der beauskunfteten Höhe der Nutzungsentgelte auch Nutzungsentgelte in die Betrachtung einbeziehen, die infolge des Erhöhungsmechanismus nach der Nutzungsentgeltverordnung seit 1993 entstanden sind? Muß der Gutachterausschuß darüber Auskunft erteilen, welche Arten von Nutzungsentgelten (frei vereinbart, Eintritt in Alt-Verträge, Alt-Verträge) er in die Berechnung bzw. Betrachtung einbezogen hat? Zu Frage 24: Die von Ihnen gestellte Frage enthält zwei Aspekte, die zu unterscheiden sind: Einerseits die Frage, welche Nutzungsentgelte der Gutachterausschuß bei Erteilung einer Auskunft gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 NutzEV (n.F.) einzubeziehen hat, und andererseits die Frage, nach welchem Verfahren der Ausschuß vorzugehen hat, d. h. wann überhaupt ein „Vergleichswertverfahren" zur Anwendung kommt. Zu der Frage, welche Nutzungsentgelte der Gutachterausschuß bei Erteilung einer Auskunft einzubeziehen hat, ist folgendes zu bemerken: Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nutzungsentgeltverordnung in der Fassung vom 31. Juli 1997 hat der Gutachterausschuß den Grundstückseigentümern und den Nutzern auf deren Verlangen Auskunft über vereinbarte Nutzungsentgelte für Freizeitgrundstücke zu erteilen, die in seinem Zuständigkeitsbereich liegen. Anzugeben sind nur solche Nutzungsentgelte, die zwischen den jeweiligen Vertragsparteien vereinbart worden sind. Wie sich aus § 3 Abs. 2 Satz 1 NutzEV ergibt, sind dies Nutzungsentgelte, die nach dem 2. Oktober 1990 durch übereinstimmende Willenserklärungen der Parteien vereinbart worden sind. Nutzungsentgelte, die gemäß § 3 Abs. 1 der Nutzungsentgeltverordnung erhöht worden sind, sind vom Guterachterausschuß im Rahmen der Auskunftserteilung nicht anzugeben. Diese Entgelte sind nämlich nicht vereinbart worden, sondern beruhen auf einseitigen Willenserklärungen der Eigentümer. Der Ausschuß hat dabei alle ihm bekanntgewordenen Nutzungsentgelte anzugeben, ohne vorher eine Prüfung vorzunehmen, welche der hiervon betroffenen Grundstücke mit dem Grundstück des Anfragenden vergleichbar sind. Ein sog. „Vergleichswertverfahren" im Sinne der Wertermittlungsverordnung findet bei der bloßen Erteilung einer Auskunft nicht statt. Der Ausschuß gibt vielmehr lediglich in anonymisierter Form die Informationen weiter, die ihm vorliegen, ohne diese Daten zu bewerten. Die Eigentümer und Nutzer sollen sich selbst anhand der übermittelten Angaben ein Bild davon machen, ob sich das geforderte Nutzungsentgelt im Rahmen des ortsüblichen Nutzungsentgelts bewegt. Der Gutachterausschuß kann allerdings über die durch die Verordnung vorgegebene Angabe der Gemarkung hinaus weitere Angaben machen, anhand deren Grundstückseigentümer oder -nutzer die Vergleichbarkeit der Grundstücke feststellen können. Das in der Frage angesprochene „Vergleichswertverfahren" kommt in den folgenden zwei Fällen zur Anwendung: Der erste Fall betrifft die Erstellung eines Gutachtens unter Ermittlung des ortsüblichen Entgelts anhand von vergleichbaren Entgelten. Von einem „Vergleichswertverfahren" kann man dann sprechen, wenn ein Gutachten zur Ortsüblichkeit des Entgelts (ähnlich einem Gutachten zur Vergleichsmiete nach dem Miethöhegesetz) von dem Gutachterausschuß oder einem Sachverständigen erstellt wird und in diesem Gutachten das geforderte Entgelt gemäß § 3 Abs. 2 NutzEV mit Entgelten verglichen wird, die für vergleichbar genutzte Grundstücke in vergleichbaren Gemeinden vereinbart worden sind. Auch hier gilt wiederum, daß nur solche Entgelte in den Vergleich mit einbezogen werden dürfen, die nach dem 2. Oktober 1990 vereinbart worden sind. Die Nutzungsentgeltverordnung sah schon in ihrer alten Fassung in § 7 die Möglichkeit vor, daß der Gutachterausschuß auf Antrag einer Vertragspartei ein Gutachten über die ortsüblichen Nutzungsentgelte für vergleichbar genutzte Grundstücke zu erstatten hat. Diese Vorschrift entspricht im übrigen § 5 Abs. 2 Bundeskleingartengesetz und hat sich in der Praxis bewährt. Die weiteren, mit der Änderungsverordnung hinzugekommenen Bestimmungen haben insoweit zu keiner Änderung der Rechtslage geführt. Bei der zweiten Fallgestaltung, bei der man von einem „Vergleichswertverfahren" sprechen könnte, geht es um die Erstellung eines Gutachtens unter. Ableitung des ortsüblichen Entgelts aus einer Verzinsung des Bodenwertes. Fehlen Erkenntnisse über eine aus Sicht des Gutachterausschusses ausreichende Anzahl von vergleichbaren Grundstücken mit nach dem 2. Oktober 1990 vereinbarten Nutzungsentgelten, so ist das Hilfsverfahren nach § 3 Abs. 3 NutzEV (n.F.) das ortsübliche Entgelt aus einer Verzinsung des Bodenwertes abzuleiten. In welcher Weise der Bodenwert für Erholungsgrundstücke ermittelt und eine angemessene Verzinsung festgelegt wird, ist Aufgabe des Gutachterausschusses bzw. des Sachverständigen. In der Praxis geschieht dies nach verschiedenen Modellen. Es kann dabei auch das in der Frage angesprochene Vergleichswertverfahren nach §§ 13 und 14 Wertermittlungsverordnung (WertV) zur Anwendung kommen. Hierbei geht es nicht um vergleichbare Nutzungsentgelte, sondern um vergleichbare Bodenwerte. Der Verordnungsgeber hat bewußt davon abgesehen, den Gutachterausschüssen und Sachverständigen Vorgaben dazu zu machen, welche Methode sie anzuwenden haben. Die allgemeinen Vorschriften über die Wertermittlung von Grundstücken, die sich in der Praxis bewährt haben, werden insoweit als ausreichend angesehen. Zu Frage 25: Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 der Nutzungsentgeltverordnung hat der Gutachterausschuß - wie in Frage 24 dargelegt - nur Auskunft über nach dem 2. Oktober 1990 frei vereinbarte Nutzungsentgelte zu erteilen. Weitergehende Auskünfte zur „Art des Nutzungsentgelts" sind nicht erforderlich. Es kommt nicht darauf an, in welcher Weise das Nutzungsentgelt vereinbart worden ist, also etwa darauf, ob die Vereinbarung über das Nutzungsentgelt Bestandteil eines nach dem 2. Oktober 1990 neu geschlossenen Vertrages ist oder ob die Partner eines alten Vertrages in Abweichung von den Bestimmungen der Nutzungsentgeltverordnung ausdrücklich eine gesonderte Vereinbarung über die Höhe des Nutzungsentgelts geschlossen haben. Entscheidend ist vielmehr nur, daß eine Vereinbarung über das Entgelt vorliegt, die nach dem 2. Oktober 1990 geschlossen wurde. Anlage 9 Antwort des Parl. Staatssekretärs Rainer Funke auf die Fragen des Abgeordneten Dr. Michael Luther (CDU/ CSU) (Drucksache 13/8820 Fragen 26 und 27): Was versteht die Bundesregierung bei der Nutzungsentgeltverordnung in der Fassung vom 30. Juli 1997, BGBl. I S. 1920 in § 3 Abs. 2 unter „vergleichbar genutzte Grundstücke„ und unter „tatsächlicher Nutzung unter Berücksichtigung der Art und des Umfangs der Bebauung der Grundstücke" und in § 3 Abs. 3 unter „tatsächlicher Nutzung des Grundstücks"? Kann der Gutachterausschuß bei einer Auskunft nach § 7 Abs. 1 der Nutzungsentgeltverordnung in der Fassung vom 30. Juli 1997 bei der Anwendung des „Vergleichswertverfahrens" die beauskunftete Höhe der Nutzungsentgelte lediglich aus nach 1990 frei vereinbarten Entgelten bilden, oder kann er außerdem Entgelte einbeziehen, die aus nach 1990 neu vereinbarten Verträgen herrühren, wo es sich aber lediglich um eine faktische Übernahme von Vertragskonditionen handelt, die von einem vor 1990 begründeten Nutzungsvertrag herrühren? Zu Frage 26: § 3 NutzEV regelt die Schritte, in denen die Nutzungsentgelte erhöht werden dürfen. Absolute Obergrenze für eine Erhöhung des Nutzungsentgelts ist nach § 3 Abs. 1 Satz 1 NutzEV die ortsübliche Höhe für Nutzungsentgelte. Ortsüblich sind nach § 3 Abs. 2 Satz 1 NutzEV die Entgelte, die nach dem 2. Oktober 1990 in der Gemeinde oder in vergleichbaren Gemeinden für vergleichbar genutzte Grundstücke vereinbart worden sind. Für die Vergleichbarkeit ist nach § 3 Abs. 2 Satz 2 NutzEV die tatsächliche Nutzung unter Berücksichtigung der Art und des Umfangs der Bebauung der Grundstücke maßgebend. „Vergleichbar genutzt" im Sinne des § 3 Abs. 2 der NutzEV werden Grundstücke, wenn der Nutzungszweck (z. B. Freizeit- und Erholungsnutzung, gärtnerische Nutzung) im wesentlichen gleich, jedoch nicht zwingend identisch ist. Als Anknüpfungspunkt hierfür sind - wie gesagt - die Art und der Umfang der Bebauung zu berücksichtigen, da sich hieran der jeweilige Nutzungszweck regelmäßig am besten bestimmen läßt. Allgemein ist zwischen baulicher Nutzung einerseits und sonstigen Nutzungsarten andererseits zu unterscheiden: Eine bauliche Nutzung liegt vor, wenn das Grundstück mit einem Wohn- bzw. Wochenendhaus, einer Jagdhütte, einem Schuppen oder einem ähnlichen Gebäude bebaut wurde. Unterschiede in der Bebauung selbst können dabei ebenfalls von Belang sein. Die Bebauung mit einem Wochenendhaus mit Obernachtungsmöglichkeit hat für den Nutzer einen höheren Wert als die Bebauung mit einem Schuppen oder einem einfachen Gartenhaus. Eine sonstige Nutzung liegt vor bei kleingärtnerischer Nutzung, Nutzung zu Freizeit- und Erholungszwecken ohne Bebauung sowie bei sonstigen Nutzungszwecken ohne Bebauung. Eine Baulichkeit von ganz untergeordneter Bedeutung schließt eine Einstufung als sonstige Nutzung nicht aus, beispielsweise Verschläge oder Holzschuppen zur Aufbewahrung von Geräten oder Gartenmöbeln. Schließlich können weitere Besonderheiten den Vergleich mit anderen Grundstücken zulassen oder ausschließen, wie beispielsweise die Lage des Grundstücks am Ufer bzw. in der Nähe eines Gewässers. Es kommt daher für die Beurteilung der Vergleichbarkeit jeweils auf die Umstände des Einzelfalles an. Angesichts der Vielfalt der denkbaren Fallgestaltungen mußte sich der Verordnungsgeber auf die abstrakte Formulierung der Ortsüblichkeit des Entgelts für vergleichbar genutzte Grundstücke beschränken. Zu der Frage, was unter „tatsächliche Nutzung des Grundstücks" zu verstehen ist, ist folgendes zu bemerken: § 3 Abs. 2 Satz 2 der Nutzungsentgeltverordnung sieht vor, daß für die Vergleichbarkeit auf die tatsächliche Nutzung des Grundstücks abzustellen ist. Tatsächliche Nutzung ist die Nutzung als Erholungsgrundstück. Ob dieses Grundstück von einem Bebauungsplan erfaßt wird oder im Innenbereich gemäß § 34 Baugesetzbuch liegt und somit Bauland ist oder ob es zu gewerblichen Zwecken genutzt werden kann, bleibt bei der Beurteilung der tatsächlichen Nutzung außer Betracht. Derartige Faktoren sind daher nicht für die Vergleichbarkeit der Grundstücke ausschlaggebend. Mit der Rechtsverordnung zur Änderung der Nutzungsentgeltverordnung wurde in § 3 Abs. 3 der Nutzungsentgeltverordnung die Möglichkeit eingeführt, daß Gutachter bei der Bestimmung des ortsüblichen Nutzungsentgelts für den Fall, daß keine ausreichenden Angaben über nach dem 2. Oktober 1990 vereinbarte Nutzungsentgelte vorliegen, auf ein Hilfsverfahren zurückgreifen können, in dem das ortsübliche Entgelt aus einer Verzinsung des Bodenwertes abgeleitet wird. Für die so vorzunehmende Bewertung des Grundstücks kommt es gleichfalls auf die tatsächliche Nutzung des Grundstücks an. Die Bedeutung des Begriffs „tatsächliche Nutzung" in § 3 Abs. 3 NutzEV ist mit dem des § 3 Abs. 2 NutzEV identisch. Zu Frage 27: Mitzuteilen sind bei einer Auskunft durch den Gutachterausschuß die nach dem 2. Oktober 1990 vereinbarten Nutzungsentgelte, die ihm bekanntgeworden sind. Vereinbarte Nutzungsentgelte liegen dann vor, wenn sich die Parteien auf ein Nutzungsentgelt geeinigt haben. Bestand zwischen den Parteien schon vor dem 2. Oktober 1990 ein Nutzungsverhältnis und haben die Parteien dieses einvernehmlich aufgelöst, so liegt auch dann eine neue Vereinbarung vor, wenn die Parteien sich später auf einen Nutzungsvertrag gleichen Inhalts und ein gleiches Nutzungsentgelt geeinigt haben. Diese Fallgestaltung dürfte in der Praxis jedoch eher selten vorkommen. Sofern die Parteien nach dem 2. Oktober 1990 bei Abschluß eines Nutzungsvertrags und einer Entgeltregelung Vertragskonditionen übernommen haben, die vor 1990 gegolten haben, dürften sie in der Regel beabsichtigt haben, das Nutzungsverhältnis gerade auf eine neue vertragliche Grundlage zu stellen. Damit wäre dieser Fall von der Auskunftspflicht erfaßt. Dies ist jedoch eine Frage der Auslegung des im Einzelfall Gewollten. Für die Abgrenzung wird es daher wiederum auf die Umstände des Einzelfalles ankommen, die jeweils sorgfältig zu prüfen sein werden. Anlage 10 Antwort des Parl. Staatssekretärs Hansgeorg Hauser auf die Fragen des Abgeordneten Peter Conradi (SPD) (Drucksache 13/8820 Fragen 29 und 30): Wie hoch schätzt die Bundesregierung die mit der Einführung des EURO vorhandenen Kosten, beispielsweise die Kosten für die Umstellung der kommunalen Fahrkartenautomaten und Parkuhren, und wer wird diese Kosten bezahlen? Welche Kosten entstehen durch die Einführung des EURO bei der Bundesregierung? Zu Frage 29: Die Bundesregierung hat selbst keine allgemeinen oder spezifischen Schätzungen über die Kosten der Währungsumstellung auf den Euro durchgeführt. Die Schätzungen von dritter Seite über die Umstellungskosten in einzelnen Bereichen, z. B. des Hauptverbandes des deutschen Einzelhandels (30 Milliarden DM), dürften nur als Näherungsangabe verstanden werden, deren Informationsgehalt als relativ gering einzustufen ist. Zu berücksichtigen ist dabei, daß ein Teil der Kosten, die in zeitlichem Zusammenhang mit der Umstellung auf den Euro auftreten, ohnehin durch notwendig werdende Erhaltungs- oder Erneuerungsinvestitionen anfallen würden. Deutlich wird dies am Beispiel der Umstellung der elektronischen Datenverarbeitung, bei der neben der Euro-Einführung auch die Umstellung der EDV auf die Jahrtausendwende zu bewerkstelligen ist. Dies gilt aber auch für den in der Anfrage genannten Bereich der Umstellung von Fahrkartenautomaten oder Parkuhren, die infolge technischer Neuerungen oder Beschädigungen ohnehin laufend ersetzt werden müssen. Grundsätzlich gilt dabei, daß die Kosten von der Stelle zu tragen sind, in deren Bereich sie anfallen. Die Bundesregierung setzt sich dafür ein, daß im Rahmen der Umstellung auf den Euro eine größtmögliche Transparenz gewährleistet wird, um Kunden vor verdeckten Preiserhöhungen im Zusammenhang mit der Umstellung auf den Euro zu schützen. Der deutsche Einzelhandel (HDE) hat am 28. Oktober 1997 auf seiner Jahreshauptversammlung dem Bundesfinanzminister zugesichert, die Umrechnung der Preise von DM auf Euro „punktgenau" vorzunehmen; damit wären versteckte Preiserhöhungen ausgeschlossen. Zusätzlich ist die Bundesregierung mit den Ländern und Gemeinden im Gespräch, um sicherzustellen, daß auch im kommenden Bereich Preiserhöhungen im Zusammenhang mit der Umrechnung von DM in Euro unterbleiben. Zu Frage 30: Über die Kosten der Währungsumstellung auf der Ebene des Bundes wie auch bei Ländern und Kommunen können keine Angaben gemacht werden. Da entsprechend den Orientierungen im Bericht des Arbeitstabes Wirtschafts- und Währungsunion, den die Bundesregierung am 28. April 1997 beschlossen hat, die interne Umstellung der öffentlichen Verwaltung einheitlich am Ende der Übergangszeit, d. h. zum 1. Januar 2002 erfolgen soll, werden eventuelle Kosten auch erst in relativ engem zeitlichen Zusammenhang mit dem Umstellungstermin anfallen. Anlage 11 Antwort des Parl. Staatssekretärs Wolfgang Gröbl auf die Fragen der Abgeordneten Ulrike Mehl (SPD) (Drucksache 13/8820 Fragen 43 und 44): Zu welchem Ergebnis kommt das der Bundesregierung vorliegende Gutachten von Prof. Waibel, Hannover, über eine Kostennutzenanalyse des Einsatzes von chemischen Pflanzenschutzmitteln in der Landwirtschaft, und welche Folgerungen zieht die Bundesregierung für ihre Agrar- und Umweltpolitik aus diesem Gutachten? Mit welchen Kosten werden in dem Gutachten die durch den Einsatz von chemischen Pflanzenschutzmitteln entstehenden Verluste bei den Tier- und Pflanzenarten, die hormonellen und insgesamt gesundheitlichen Auswirkungen bei Tieren und Menschen und die Aufwendungen für alternative Trinkwasserbeschaffung bzw. -aufbereitung angesetzt, und wie sollten die Hersteller von Pflanzenschutzmitteln an der Finanzierung dieser Kosten beteiligt werden? Bei der angesprochenen Untersuchung handelt es sich um einen Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zur „Gesamtwirtschaftlichen Bewertung der gegenwärtigen Produktion und Anwendung von chemischen Pflanzenschutzmitteln unter Berücksichtigung externer Effekte" an das Institut für Gartenbauökonomie der Universität Hannover. Der Endbericht der Untersuchung liegt dem BML vor und wird zur Zeit, auch unter Einbeziehung des Ressortforschungsbereiches, ausgewertet. Die Auswertung bezieht sich sowohl auf Kosten, die von dem Auftragnehmer für in Ihrer zweiten Frage enthaltene Punkte kalkuliert werden, als auch im Hinblick auf die Entscheidung über das weitere Verfahren und die von der Bundesregierung zu ziehenden Konsequenzen. Die Verfasser der Untersuchung kommen zu dem Ergebnis, daß von einem wahrscheinlichen gesamtwirtschaftlichen Nutzen-Kosten-Verhältnis von 1,47 DM pro für Pflanzenschutzmittel ausgegebene DM auszugehen ist. Dabei ist der externe Nutzen der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln, z. B. die Verhinderung des Auftretens von Mykotoxinen, nicht berücksichtigt worden. Anlage 12 Antwort des Parl. Staatssekretärs Horst Günther auf die Fragen der Abgeordneten Erika Lotz (SPD) (Drucksache 13/8820 Fragen 47 und 48): Wie begründet die Bundesregierung eine mögliche Wiedereröffnung von Werkvertragskontingenten für osteuropäische Staaten, nachdem die Kontingente in den letzten Jahren deutlich zurückgeführt worden sind, und hält die Bundesregierung eine mögliche Wiedereröffnung von Werkvertragskontingenten vor dem Hintergrund der prekären Lage in der Bauwirtschaft für einen konstruktiven Beitrag zum Abbau der Arbeitslosigkeit? Wie verhält sich die Bundesregierung zu dem Umstand, daß rund die Hälfte der bei Kontrollen aufgefallenen illegalen Beschäftigten zuvor als Werkvertragsarbeiter tätig waren, und ist die ursprüngliche Begründung für Werkvertragskontingente mit osteuropäischen Staaten noch tragfähig, wonach diese einen deutschen Beitrag zur Umstellung dieser „Volkswirtschaft auf marktwirtschaftliche Strukturen im Hinblick auf die Vermittlung von Know-how" und der Erwirtschaftung von Devisen darstellen sollten? Zu Frage 47: Der Bewilligungsstopp ab 22. Juli 1997 für Werkvertragsarbeitnehmer hatte angesichts der bestehenden Vertragslage vorübergehenden Charakter, um - vor dem Hintergrund eines von der EU-Kommission angedrohten Vertragsverletzungsverfahrens - die Zeit bis zum Beginn des neuen Abrechnungsjahres für Werkvertragskontingente ab 1. Oktober 1997 für Verhandlungen mit den Vertragspartnern über eine einvernehmliche vorübergehende Reduzierung der Kontingente zu nutzen. Da es sich bei den Werkvertragsarbeitnehmer-Vereinbarungen um völkerrechtlich verbindliche Abkommen handelt, müssen mit Beginn des neuen Abrechnungsjahres Kontingente vergeben werden. Zu Frage 48: Die Bundesregierung kann nicht bestätigen, daß rund die Hälte der bei Kontrollen aufgefallenen illegal Beschäftigten zuvor als Werkvertragsarbeitnehmer aus den MOE-Staaten in Deutschland tätig waren. Sie ist weiterhin der Auffassung, daß die Werkvertragsarbeitnehmer-Vereinbarungen ein wichtiges Instrument zur Förderung der wirtschaftlichen Kooperation zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den MOE-Ländern darstellen und zur wirtschaftlichen Entwicklung dieser Länder einen nennenswerten Beitrag leisten. Hinzu kommt, daß die Werkvertragsarbeitnehmer-Vereinbarungen auch eine wichtige Funktion im Integrationsprozeß der MOELänder in Richtung der Europäischen Union erfüllen. Dies ist auch der Grund, weshalb die Assosziationsabkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft sowie ihren Mitgliedstaaten und den MOELändern den Abschluß solcher Vereinbarungen ausdrücklich gutheißen. Anlage 13 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Klaus Rose auf die Fragen des Abgeordneten Jürgen Koppelin (F.D.P.) (Drucksache 13/8820 Fragen 51 und 52): Ist die Sts-Weisung 123 032 vom 22. Juli 1994 des Bundesministeriums der Verteidigung zu Beschaffungsvorhaben der Bundeswehr, in der es heißt, „eine Phasenüberlappung zwischen Entwicklung und Beschaffung ist dann unzulässig, wenn bedeutsame Komponenten des Vorhabens noch nicht fertig entwickelt sind, auch wenn frühere Zeitvorstellungen dann nicht eingehalten werden können", noch gültig? Trifft diese Weisung - falls sie noch gültig ist - dann auch auf das Beschaffungsvorhaben „Eurofighter" zu? 17992* Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 199. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Oktober 1997 Zu Frage 51: Die angesprochene Sts-Weisung wurde aufgrund der Erkenntnisse beim Vorhaben TORNADO Self Protection Jammer erteilt. Sie wurde in der von Ihnen zitierten Form in den Allgemeinen Umdruck 220 übernommen, der die Bestimmungen für die Planung, Entwicklung, Beschaffung, Einführung und Nutzung von Wehrmaterial sowie Datenverarbeitungsvorhaben enthält, und ist damit für alle Vorhaben gültig. Zu Frage 52: Die Bestimmungen des Allgemeinen Umdrucks 220 sind bei allen Vorhaben anzuwenden. Phasenüberlappungen sind aber oft unvermeidbar. In der Militärisch-Technisch-Wirtschaftlichen Forderung vom 4. Dezember 1987 war auf die Notwendigkeit der Phasenüberlappung von Entwicklung und Beschaffung bereits hingewiesen worden. Die Phasenüberlappung im Vorhaben EUROFIGHTER wurde mit der Beschaffungsvorlage am 8. Oktober 1997 gebilligt. Anlage 14 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Klaus Rose auf die Fragen der Abgeordneten Annelie Buntenbach (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 13/8820 Fragen 53 und 54): Welche Gründe haben zu der Entscheidung der Bundeswehr geführt, sich aktiv an dem Bundestreffen der „Ordensgemeinschaft der Ritterkreuzträger des Eisernen Kreuzes e.V." vom 17. bis 19. Oktober 1997 in Hammelburg zu beteiligen, und warum wurde die Beteiligung später abgesagt?. Inwieweit haben sich trotz der Absage der Bundeswehrsoldaten an Veranstaltungen des Bundestreffens der „Ordensgemeinschaft der Ritterkreuzträger des Eisernen Kreuzes e.V." beteiligt, und welche Konsequenzen wird die Bundeswehr ggf. daraus ziehen? Zu Frage 53: Die Ordensgemeinschaft hat sich satzungsgemäß (§ 2) ausdrücklich zur Traditionspflege im demokratischen Staat und zu enger Verbindung zur Bundeswehr verpflichtet. Nicht unerwähnt bleiben sollte, daß der Ordensgemeinschaft neben einer Vielzahl von ehemaligen Soldaten der Bundeswehr auch eine Reihe von Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens angehören und angehörten, die sich bleibende Verdienste beim Aufbau unseres Landes und unserer Streitkräfte erworben haben. Auf Bitten der Ordensgemeinschaft der Ritter-kreuzträger hatte die Infanterieschule zugesagt, das Treffen wie folgt zu unterstützen: - Einweisung in Aufgaben und Gliederung der Schule - Führung durch das Infanteriemuseum und die Lehrsammlung Infanterie - Abstellung von zwei Ehrenposten für die Gedenkfeier am städtischen Ehrenmal in Hammelburg. Diese Zusagen wurden aufrechterhalten. Es trifft nicht zu, daß die Bundeswehr Absagen erteilt hat. An- und Abtransport zu den einzelnen Programmpunkten war nicht Bestandteil der Unterstützungszusage durch die Bundeswehr. Die Ehrenposten wurden schließlich nicht benötigt, da die zunächst geplante Kranzniederlegung am städtischen Ehrenmal entfiel. Zu Frage 54: Es hat keine Absage der Bundeswehr gegeben. Im Gegenteil, alle gegebenen Zusagen wurden eingehalten. Es gibt keinen vernünftigen Grund, die freiwillige Teilnahme von Soldaten der Infanterieschule am Kameradschaftsabend der Ordensgemeinschaft zu untersagen. Vor diesem Hintergrund sind keine weiteren Maßnahmen erforderlich. Anlage 15 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Klaus Rose auf die Frage des Abgeordneten Heinz Schmitt (Berg) (SPD) (Drucksache 13/8820 Frage 55): Wie viele Soldaten der Bundeswehr sind im Rahmen des SFOR-Einsatzes in Bosnien bisher zu Schaden oder ums Leben gekommen? Bislang hatte die Bundeswehr mit Stand 27.Oktober 1997 im Rahmen des SFOR-Einsatzes in Bosnien 4 Tote zu beklagen. Im einzelnen waren dies: 1 Toter durch Herzinfarkt, 2 Tote durch Schießunfall, 1 Toter durch Kfz-Unfall. Es wurden 9 Soldaten während der Ausübung des Dienstes verletzt. Anlage 16 Antwort des Parl. Staatssekretärs Johannes Nitsch auf die Frage des Abgeordneten Klaus Hagemann (SPD) (Drucksache 13/8820 Frage 56): Wie soll künftig nach den Vorstellungen des Bundesministeriums für Verkehr die Benutzung von Inline-Skates im Straßenverkehr und insbesondere auf Fahrradwegen geregelt werden, und bis wann ist ggf. mit einer Änderung der Straßenverkehrsordnung zu rechnen? Die Bundesregierung hält an ihrer in der Antwort auf die Kleine Anfrage „Probleme des Inline-SkaterVerkehrs auf Gehwegen" (Drucksache 13/7169) zum Ausdruck gebrachten Auffassung, wonach InlineSkates nicht Fahrzeuge im Sinne der StVO sind und demzufolge den für den Fußgängerverkehr geltenden Bestimmungen der Straßenverkehrs-Ordnung unterliegen, fest. Inline-Skater haben ihr Verhalten insgesamt nach dem Grundsatz des § 1 Abs. 2 StVO auszurichten, d. h. kein anderer darf geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt werden. Maßgeblich hierfür sind fallbezogene Gegebenheiten, z. B. Gehwegbreite und Stärke des Fußgängerverkehrs. Erforderlichenfalls ist Schrittempo einzuhalten. Die Auffassung der Bundesregierung wird auch mehrheitlich von den Vertretern der obersten Straßenverkehrsbehörden der Bundesländer geteilt. Handlungsbedarf für eine Änderung der Straßenverkehrs-Ordnung besteht derzeit nicht. Die weitere Entwicklung zum Inline-Skating wird beobachtet. Auf die Antworten der Bundesregierung zu den Fragen 56 vom 5. Juni 1996 (Drucksache 13/4819) - 96/Oktober vom 20. Oktober 1997 wird hingewiesen. Anlage 17 Antwort des Parl. Staatssekretärs Johannes Nitsch auf die Fragen des Abgeordneten Dr. Egon Jüttner (CDU/CSU) (Drucksache 13/8820 Fragen 57 und 58): Aus welchen Gründen haben die für die im Rhein-NeckarDreieck gelegenen Bundesfernstraßen und Bundesautobahnen zuständigen Behörden sich angesichts der in Anbetracht der Schließung der Ausfahrt der Autobahnanschlußstelle Mannheim-Sandhofen, der Pfeilersanierung an der Brücke unter der A 6 bei Mannheim-Seckenheim, der Reparaturarbeiten an der A 6 zwischen Schwetzingen und dem Dreieck Hockenheim und der Brückensanierung auf der A 5 beim Heidelberger Kreuz zu erwartenden, gravierenden Staus nicht auf eine zeitlich abgestufte und abgestimmte Abfolge bei den Straßenerneuerungsmaßnahmen verständigt? Sind die für die Straßenemeuerungs- und -reparaturmaßnahmen im Rhein-Neckar-Dreieck zuständigen Behörden bereit, im Hinblick auf die seit einigen Wochen andauernde außergewöhnlich schwierige Verkehrslage im Bereich Mannheim Konsequenzen zu ziehen, die zu einer sofortigen, spürbaren Entspannung der Stausituation führen? Zu Frage 57: Wie Ihnen bereits auf Ihre Anfrage zur Anschlußstelle Mannheim-Sandhofen mit Schreiben vom 22. Oktober 1997 mitgeteilt, obliegt kraft Grundgesetz die Wahrnehmungskompetenz und die Verantwortung für die - auch von Ihnen ergänzend genannten - Erhaltungsmaßnahmen an den Autobahnen A 5 und A 6 der Landesstraßenbauverwaltung Baden-Württemberg. Das Bundesministerium für Verkehr ist damit nicht befaßt. Zum Sachverhalt ist allgemein festzuzstellen, daß bei den sehr hohen Verkehrsmengen auf den Auto- bahnen Erhaltungsmaßnahmen fast überall zu Verkehrsproblemen führen. Bei den angesprochenen Maßnahmen handelt es sich durchweg um vordringliche Arbeiten, die zur Aufrechterhaltung der Verkehrssicherheit unabdingbar notwendig sind und noch vor Wintereinbruch durchgeführt werden müssen. Zu Frage 58: Die Pfeilersanierung an der Brücke unter der A 6 bei Mannheim-Seckenheim ist mittlerweile abgeschlossen. Die Aufhebung der Sperrung für den ausfahrenden Verkehr von der Anschlußstelle Mannheim-Sandhofen ist für den 4. November 1997 vorgesehen. Damit dürfte sich die Situation im RheinNeckar-Dreieck wieder erheblich entspannen. Anlage 18 Antwort des Staatssekretärs Wighard Härdtl auf die Fragen der Abgeordneten Heidi Wright (SPD) (Drucksache 13/8820 Frage 59 und 60): Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, um die von der aktuellen Brandkatastrophe betroffenen Länder in Südostasien und Südamerika bei der aktuellen Brandbekämpfung und der Minderung der Umweltbelastungen zu unterstützen? Über welche Konzepte verfügt die Bundesregierung und welche Maßnahmen wird sie ergreifen, damit in Zukunft solche, teils aus Umweltbedingungen, teils aus selbst initiierten Brandrodungen verursachten Brandkatastrophen von vornherein vermieden werden? Zu Frage 59: Angesichts der gravierenden Dimension und länderübergreifenden Auswirkungen der Waldbrände in Indonesien, die trotz zwischenzeitlich eingetretener, aber unzureichender Regenfälle weiterhin besorgniserregend sind, hat sich die Bundesregierung von Anfang an über die Deutsche Botschaft und bereits in Durchführung befindliche Forstvorhaben der bilateralen Technischen Zusammenarbeit aktiv an den zunächst sehr zurückhaltenden - Koordinierungsbemühungen der indonesischen Regierung mit internationalen Organisationen beteiligt. Dabei besteht auf internationaler Seite insbesondere enger Kontakt mit UNDAC (UN-Desaster Assessment Committee) und der EU. Ein seit 1994 von deutscher Seite gefördertes FZ/ TZ-Kooperationsvorhaben für „Integriertes Forstfeuermanagement" unterstützt in Ostkalimantan (Borneo), u. a. durch Sofort-Ausbildung zusätzlicher Feuerlöschtrupps, die von der Regierung dort unternommenen Waldbrandbekämpfungsaktionen sowie Beschaffungsmaßnahmen für benötigte Ausrüstungsgüter. Die Bundesregierung hat der indonesischen Seite darüber hinaus weitere Soforthilfe angeboten, die sonstige internationale Hilfeangebote und die Möglichkeiten bereits laufender Kooperationsvorhaben ergänzen soll, die im Bereich Forstfeuermanagement bzw. Waldbrandbekämpfung bereits in Durchführung waren (u. a. EU, Japan, ITTO/Internat. Tropenholzorganisation). Hierzu gehören u. a. Humanitäre Hilfe (100 000 DM aus AA-Mitteln),. beschleunigte Inanspruchnahme von 10 Millionen DM der Finanziellen Zusammenarbeit (FZ), die im Rahmen des vorgenannten deutschen Waldbrandbekämpfungsprojektes bereitgestellt sind, sowie 1 Million DM für medizinische und sonstige Versorgung betroffener 17994* Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 199. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Oktober 1997 Bevölkerungsgruppen (aus Nothilfetitel des BMZ). Über den konkreten Einsatz der angebotenen Hilfen ist noch Einvernehmen herzustellen. Zusätzlich zu den vorgenannten Maßnahmen sind deutsche Experten für Waldbrandbekämpfung kurzfristig nach Indonesien entsandt worden: - ein deutscher Mitarbeiter des THW als Mitglied der UNDAC-Mission - Prof. Goldammer, Waldbrandexperte, zur Beratung der indonesischen Behörden und zur Vorbereitung einer internationalen Expertenkonferenz in Indonesien zum Thema Waldbrand und Klima. Die im brasilianischen Amazonasraum auftretenden Wald- und Buschbrände haben nach den vorliegenden Informationen eine vergleichbare Größenordnung wie in Indonesien. Ihre Auswirkungen für die Bevölkerung, die Umwelt und den Flugverkehr sind gleichermaßen besorgniserregend. Die den Wald- und Buschfeuern zugrundeliegenden Brandrodungsaktivitäten, die sowohl auf kleinbäuerliche als auch agroindustrielle Aktivitäten und Programme zurückgehen, geben daher ebenfalls Veranlassung für verstärkte internationale Bemühungen für kurz- und langfristige Gegenmaßnahmen. Auch hier ist ein aktiver Politikdialog mit Brasilien geboten. Die Bundesregierung wird diese Frage bei dem bevorstehenden „4. Teilnehmertreffen zum Internationalen Pilotprogramm zum Schutz der brasilianischen Regenwälder" , an dem das BMZ hochrangig teilnehmen wird, ansprechen. Dabei werden neben den grundsätzlichen Erfordernissen für eine wirksame Durchsetzung der brasilianischen Waldschutzpolitik auch die Möglichkeiten für die bilaterale Förderung eines Neuvorhabens (FZ) zur Waldbrandbekämpfung im Rahmen des Pilotprogramms näher erörtert werden. Zu Frage 60: Die durch klimatische Einflüsse, wie z. B. das „El Niño"-Phänomen im Pazifik-Raum, begünstigten großräumigen Waldbrandkatastrophen, wie sie in jüngerer Zeit vermehrt in den Tropenwaldregionen auftreten, gehen in aller Regel zurück auf menschliche Aktivitäten. Dabei spielen - von Region zu Region unterschiedlich - sowohl kleinbäuerliche Brandrodungsaktivitäten oft landloser Bevölkerungsgruppen als auch privatwirtschaftliche, großenteils staatlich sanktionierte oder geförderte Vorhaben der Land- und Ressourcennutzung eine wesentliche Rolle, z. B. kommerzielle Holznutzung (Holzkonzessionen) und agro-industrielle Anbauprogramme (Ölpalmen, Soya, Holzplantagen u. a.). Die Brandrodung zur Landgewinnung oder Bodenvorbereitung für derartige Vorhaben ist zwar i.d.R. gesetzlich eingeschränkt oder ganz verboten; in der Praxis wird sie jedoch zumeist aufgrund schwacher staatlicher Strukturen zur Durchsetzung der offiziellen staatlichen Politiken nicht ausreichend kontrolliert. Die Möglichkeiten der aktiven Einflußnahme auf diese Gegebenheiten liegen nach Auffassung der Bundesregierung in der Unterstützung von Politikreformen und Entwicklungsprogrammen in diesen Ländern, die auch den sektorübergreifenden Erfordernissen eines wirksameren Tropenwaldschutzes Rechnung tragen. Hierbei ist die Erarbeitung und Umsetzung „nationaler Waldprogramme" und der zu einer „geschlossenen" Waldpolitik gehörenden Teilprogramme und Maßnahmen von besonderer Bedeutung. Zu solchen Maßnahmenprogrammen, die gängige Bestandteile der Tropenwald-Förderpolitik der deutschen EZ sind, gehören u. a. Raumordnungs- und Landnutzungsplanungen, nachhaltige Waldbewirtschaftung, kleinbäuerliche Landnutzungsalternativen, Einrichtung von Waldschutzgebieten sowie diesbezügliche Maßnahmen der Politikberatung, Institutionenförderung, Ausbildung und Forschung. Die konzertierte Umsetzung solch umfassender Lösungsansätze läßt bei aktiver Beteiligung der Bevölkerung und des Privatsektors einen schrittweise verbesserten Schutz der Tropenwälder erwarten. Dies ist aber, wie die Erfahrungen des Pilotprogramms in Brasilien (PPG7) zeigen, nur im Rahmen eines effektiven und kontinuierlichen Koordinierungsprozesses zu erreichen. Voraussetzung dafür ist - und das muß besonders betont werden - die politische Bereitschaft der Tropenländer, bei ihrer Entwicklungsplanung die Erfordernisse des Umweltschutzes im Sinne einer „nachhaltigen Entwicklung" entsprechend der in Rio (UNCED 1992) vereinbarten Grundsätze zu berücksichtigen. Mit ihrer Mitwirkung in internationalen Gremien, wie z. B. dem „Zwischenstaatlichen Waldforum" („Intergovernmental Forum on Forests " /IFF) im Rahmen der UN-Kommission für nachhaltige Entwicklung (CSD) sowie mit ihrem Eintreten für den Abschluß einer internationalen Waldkonvention unterstützt die Bundesregierung die internationalen Bemühungen zur Bewältigung dieser weltweiten Herausforderung. Die Bundesregierung kann hierbei die Erfahrungen aus über 180 im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit geförderten Tropenwaldvorhaben einbringen. Hinsichtlich unserer langfristigen Tropenwaldpolitik darf ich im übrigen auf den 5. Tropenwaldbericht der Bundesregierung vom Juni diesen Jahres verweisen (BT-Drucksache 13/8100). Anlage 19 Antwort des Staatssekretärs Wighard Härdtl auf die Fragen des Abgeordneten Johannes Selle (CDU/CSU) (Drucksache 13/8820 Fragen 61 und 62): Wie hoch ist die anläßlich des jüngsten Chinabesuchs des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung von der Bundesregierung zugesagte oder in Aussicht gestellte Entwicklungshilfe für die Volksrepublik China, und in welche Projekte fließen diese Mittel? Wurden oder werden bei der Zusage von Entwicklungshilfe an die Volksrepublik China Bedingungen vereinbart, die sich unmittelbar oder mittelbar positiv auf die Schaffung oder Erhaltung deutscher Arbeitsplätze auswirken? Zu Frage 61: Bundesminister Spranger hat anläßlich seines Chinabesuchs (18. bis 25. Oktober 1997) ein Abkommen über Finanzielle Zusammenarbeit 1997 im Gesamtvolumen von 180 Millionen DM sowie ein Abkommen über einen Studien- und Fachkräftefonds in Höhe von 5 Millionen DM unterzeichnet. Damit wurde die Förderung folgender Vorhaben auf der Basis einer völkerrechtlichen Übereinkunft zwischen der Bundesregierung und der Regierung der VR China vereinbart. 1. Aufforstungsvorhaben Yunnan und Chongqing 24,0 Mio. DM 2. Armutsminderung 10,0 Mio. DM 3. Windpark (Programmteil III) 15,0 Mio. DM 4. Kreditprogramm II für Klein- und Mittelindustrie 50,0 Mio. DM 5. Eisenbahnelektrifizierung, 1. Phase Shenyan-Changchun 60,1 Mio. DM (davon 19,1 Mio. DM aus früheren Zusagen reprogrammiert) 6. Schiffsbagger 40,0 Mio. DM Für die unter 1 und 2 genannten Vorhaben werden insgesamt 34 Millionen DM als Zuschuß gewährt, für die übrigen Vorhaben sind Kredite vorgesehen. Von den 180 Millionen DM waren bereits anläßlich der Regierungsverhandlungen (20. bis 22. Mai 1997) 140 Millionen DM zugesagt worden. Bei der ebenfalls durch ein Regierungsabkommen völkerrechtlich formalisierten Zusage von 5 Millionen DM handelt es sich um die Finanzierung von Studien und Fachkräfteeinsätzen im Rahmen des Deutsch-Chinesischen Verkehrsprojektes; diese Mittel waren bereits 1996 zugesagt worden. Zu Frage 62: Die Bundesregierung entspricht der Vorgabe des Parlaments, die in den Erläuterungen zu Titel 866 01 (bilaterale Finanzielle Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern) festgehalten ist (Ziffer 2): Die Vorhaben der EZ sind nach entwicklungspolitischen Gesichtspunkten auszuwählen und durchzuführen. In allen entwicklungspolitisch geeigneten Fällen soll auf Beschäftigungswirksamkeit in der Bundesrepublik Deutschland geachtet werden. Der Aspekt „Beschäftigungswirksamkeit" wird dadurch berücksichtigt, daß die Anstrengungen der deutschen Wirtschaft im Rahmen des auf die Entwicklungsengpässe Chinas - nämlich Infrastruktur, Berufsbildung, Umwelt, Wirtschaftsordnung - konzentrierten entwicklungspolitischen Engagements der Bundesregierung sinnvoll unterstützt werden. Das geschieht sowohl durch die Verbesserung der Rahmenbedingungen (Vorhaben im Wirtschafts- und Sozialrecht, Patentwesen, zur Rechnungskontrolle), der Verbesserung der Investitionsbedingungen (Bereitstellung qualifizierter Facharbeiter und Techniker durch eine Vielzahl von Maßnahmen der Berufsbildung) als auch im Zuge der unmittelbaren Markterschließung durch Finanzierung von Vorhaben in den Schwerpunktbereichen unserer Entwicklungszusammenarbeit mit der VR China. Dies sind Projekte zur umweltgerechten Energieerzeugung, zum Aufbau energiesparender und umweltverträglicher Verkehrssysteme (Schienenverkehr), zum städtischen Massentransport - allein für die U-Bahnen in Kanton und Shanghai sind Zusagen in Höhe von 1195 Millionen DM FZ (und zusätzlich 405 Millionen DM Marktmittel) - sowie im wasserwirtschaftlichen Bereich (Wasserversorgung und -entsorgung) und des Fernmeldewesens im ländlichen Raum. Z.B. Emissionsminderung bei der Energieerzeugung und wasserwirtschaftliche Maßnahmen stellen Bereiche dar, wo die deutsche Industrie mit kochentwickelten Umwelttechnologien besonders leistungsfähig ist und auch im internationalen Wettbewerb - der infolge der OECD-Konsensus-Regeln bei kommerziell tragfähigen Vorhaben erforderlich ist - eine gute Chance hat, zum Zuge zu kommen. Generell schränkt der OECD-Konsensus - wie Sie wissen - die Möglichkeiten, FZ liefergebunden zu vergeben, erheblich ein. Das Entwicklungsprogramm mit der VR China umfaßt jedoch auch eine Reihe von Vorhaben, für die wir die Anerkennung als kommerziell nicht tragfähig durch die OECD erreicht haben oder eine solche anstreben, um die Vergabe von Lieferungen dann im Wege einer auf Deutschland beschränkten Ausschreibung vornehmen lassen zu können. (Beispiele: öffentlicher Nahverkehr, Windparks, Müllentsorgung) Auch in den politischen Gesprächen mit der chinesischen Führung spielt nicht zuletzt die Sicherung eines angemessenen Anteils am wachsenden chinesischen Markt eine Rolle.
Gesamtes Protokol
Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1319900000
Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Themen der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen und Bericht über die Menschenrechtspolitik in den auswärtigen Beziehungen.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht hat der Bundesminister für Wirtschaft, Dr. Günter Rexrodt. Bitte, Herr Minister.

Dr. Günter Rexrodt (FDP):
Rede ID: ID1319900100
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben heute im Kabinett die sechste Kartellrechtsnovelle beschlossen. Das ist neben den Reformen bei der Post, im Bereich von Telekommunikation und Energie eine Abrundung unserer großen Reformvorhaben, die darauf zielen, viele Bereiche der Wirtschaft für den Wettbewerb zu öffnen und den Wettbewerb insgesamt zu stärken.
Die Kartellrechtsnovelle zielt darauf ab, das deutsche Recht in wichtigen Punkten mit dem europäischen Recht zu harmonisieren. Außerdem wollen wir überholte Vorschriften - Ausnahmeregelungen, Export- und Importkartelle - aus dem Gesetz herausnehmen, andere Ausnahmebereiche einschränken und das GWB, das in vielen Bereichen durch fünf Novellen unleserlich geworden war, so straffen, daß es wieder verständlich wird. Die Überarbeitung im Rahmen der sechsten Novelle wird alle wichtigen Teilbereiche des Wettbewerbsrechts umfassen, also die Kartelle im engeren Sinne, die Marktbeherrschung, die Fusionskontrolle und die Ausnahmebereiche. Wir nähern uns Europa an, ohne an die bewährten Prinzipien des deutschen Rechts die Axt anlegen zu wollen.
Welche wesentlichen Änderungen gibt es nun? Ein Komplex betrifft die Kartelle im engeren Sinne. Hier werden wir mit der Novelle diese Kartelle ausdrücklich verbieten, das heißt, daß nicht mehr so wie bisher erst die Praktizierung der Kartelle verboten ist. Die
Ausnahmetatbestände werden gestrafft. Es gibt keine Rabatt-, Einfuhr- und Ausfuhrkartelle mehr. In Anlehnung an das europäische Recht wird es einen ergänzenden Freistellungstatbestand vom Kartellverbot geben, der es beispielsweise ermöglicht, Kooperationen bei Forschung und Entwicklung sowie im Umweltschutz vom Kartellamt genehmigen zu lassen.
Der zweite Komplex im Kartellrecht betrifft die Marktbeherrschung. Der Mißbrauch einer marktbeherrschenden Stellung wird wie im EG-Recht verboten. Ein Bußgeld wird also bereits bei Mißbrauch der marktbeherrschenden Stellung fällig und nicht erst bei Verstoß gegen eine behördliche Untersagungsverfügung. Ausdrücklich wird klargestellt, daß bei der Prüfung von Fusionsanträgen das internationale Umfeld zu berücksichtigen ist. Aus aktuellem Anlaß ist es auch ganz wichtig, daß ein eigenständiger Tatbestand eingeführt wird, der den Zugang zu Netzen und zu wesentlichen Einrichtungen regelt. Damit wollen wir der wachsenden Bedeutung von Netzen in den verschiedensten Wirtschaftsbereichen Rechnung tragen.
Dann gibt es im Kartellrecht noch einen dritten wichtigen Bereich neben dem der eigentlichen Kartelle und der marktbeherrschenden Stellung, nämlich die Fusionskontrolle. Hier wurde jetzt festgelegt, daß alle Zusammenschlüsse ab einem Umsatz von 1 Milliarde DM vor Vollzug beim Bundeskartellamt angemeldet werden müssen. Das ist die berühmte präventive Fusionskontrolle mit einheitlichen Werten, die wir einführen wollen.
Fusionskontrollentscheidungen des Bundeskartellamts müssen in Zukunft nicht nur bei Untersagungen, sondern auch im Freigabefall begründet werden. Das schafft für diejenigen, die betroffen sind, mehr Transparenz.
Bei den Bereichen, die eine Ausnahmestellung einnehmen, bei der Landwirtschaft, den Banken und den Versicherungen sowie den Urheberrechtsverwertungsgesellschaften, gibt es deutliche Reduzierungen. Die Übergangsfristen, die wir als Folge der Streichung des Ausnahmebereichs Verkehr einräumen, wollen wir uns im Verlaufe des Gesetzgebungsverfahrens noch anschauen. Die Ausnahmeregelun-

Bundesminister Dr. Günter Rexrodt
gen für Strom und Gas werden wir im übrigen mit der Reform des Energierechts, über die wir uns gestern grundsätzlich geeinigt haben und zu der ich im Kabinett vorgetragen habe, beseitigen.
Ich will noch darauf hinweisen, daß die gesamte Novelle enorme Bedeutung für den Mittelstand hat. Es gibt mittelstandsfördernde Kooperationsbestimmungen, die erhalten bleiben - ich denke an das Konditionenkartell -, und zum anderen werden Bestimmungen, die den Mittelstand fördern sollen, neu eingeführt. Ich möchte das im Detail jetzt nicht darstellen; ich will nur noch darauf hinweisen, daß es im Handel eine erbitterte Diskussion über die Frage gab, ob der Verkauf unter Einstandspreis untersagt werden soll, ob es eine Erweiterung des Freistellungstatbestandes bei Einkaufskooperationen geben soll. Ferner ging es um die „Roß-und-Reiter-Problematik" , das ist die Frage, wie weit Kartellverfahren im Interesse des Anzeigenden anonymisiert durchgeführt werden können, der ja mit dem Verlust von Aufträgen zu rechnen hat. Hier haben wir Wege gefunden, die im Interesse der mittelständischen Unternehmen sind, die aber zugleich auch ordnungspolitisch sauber sind.
Meine letzte Bemerkung: Noch zu diskutieren sein wird im Gesetzgebungsverfahren die Frage, ob es eine nachfragespezifische Fusionskontrolle geben kann. Bislang haben wir dafür keine befriedigende Lösung gefunden.
Alles in allem leistet die Novelle eine Abrundung im Wettbewerbsbereich. Wir haben in dieser Legislaturperiode, was die Öffnung der Märkte angeht, mehr unternommen, als in Jahrzehnten zuvor unternommen worden ist.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1319900200
Danke schön, Herr Minister. Ich bitte, zunächst Fragen zu diesem Themenbereich zu stellen. - Bitte.

Prof. Dr. Uwe Jens (SPD):
Rede ID: ID1319900300
Herr Minister, Sie haben eine ganze Latte von Vorschlägen auf den Tisch gelegt. Glauben Sie, daß eine solche Menge von Vorschlägen noch bis zum Ende der Legislaturperiode auf seriöse Weise behandelt werden kann, insbesondere im Hinblick darauf, daß - bisher wenigstens - Novellen, die sich auf das Grundgesetz der Wirtschaft bezogen - so wird das GWB ja auch genannt -, immer möglichst einvernehmlich beschlossen wurden? Meinen Sie nicht, daß wir doch noch zu verschiedenen Punkten Anhörungen bräuchten?
Vielleicht darf ich konkret - da Sie ja so viele Anmerkungen gemacht haben - noch etwas fragen, was sich auf die sogenannte Anonymisierung bezieht. Damit ist gemeint, daß jemand dem Kartellamt, ohne seinen Namen zu nennen, sagen kann: Der und der diskriminiert mich, behandelt mich ohne sachlich gerechtfertigten Grund schlecht, und, bitte, Kartellamt, gehe dem doch einmal nach. - Das gibt es übrigens jetzt schon. Wenn der Betreffende seriös ist, geht das Kartellamt normalerweise solchen anonymen Anzeigen nach. Es könnte jetzt natürlich verstärkt unseriöse Anzeigen geben. Da möchte ich Sie fragen: Können Sie sich das vorstellen, etwa in der Art, daß
ein Konkurrent jemandem übel mitspielen will und auf diese Art und Weise Unruhe in den Markt hineinträgt? Eine solche Vorgehensweise mag ja in bezug auf das Kartellamt noch angemessen sein. Aber glauben Sie, daß eine solche Vorgehensweise nun auch vor den Gerichten Bestand haben wird?
Ich möchte es erst einmal bei diesen Fragen belassen und hinterher, Frau Präsidentin, andere Fragen nachschieben.

Dr. Günter Rexrodt (FDP):
Rede ID: ID1319900400
Herr Kollege Jens, was die „Latte" angeht - ich habe ja nicht alles aufgezählt; es gibt ja noch mehr -: Das sind nun einmal die neuralgischen Punkte. Wenn wir schon eine Novelle machen, dann wollten wir auch eine anständige Novelle vorlegen. Sie sagen selbst: Das ist das Grundgesetz der Wirtschaft. Wenn man novelliert, dann soll man alles, was ansteht, aufgreifen.
Ich bin noch immer sehr zuversichtlich und hoffe sehr, Kollege Jens, daß wir die Novelle - wie in der Vergangenheit - einvernehmlich, also unter Einbeziehung der Opposition, über die Bühne bringen. Soweit ich das beurteilen kann, gibt es zwischen uns keine prinzipiellen Unterschiede. Die Unterschiede, die es gibt, erscheinen mir überbrückbar.
Zu der Frage, ob es noch Anhörungen geben muß, möchte ich sagen: Wir beschäftigen uns seit anderthalb, ja fast zwei Jahren mit dieser Novelle; es hat enorm viele Anhörungen, enorm viele Gespräche gegeben. Ich könnte Ihnen, Herr Kollege Jens, auf Anhieb sagen, welcher Verband, welche Gruppierung welche Stellungnahme abgibt. Ich weiß aber nicht, ob das sinnvoll wäre. Ich stelle mich immer und gerne einer Diskussion; aber sie würde nur verzögern. Wir möchten dieses Thema aber in dieser Legislaturperiode abschließen. Wenn es notwendig ist, werden wir jedoch weiter diskutieren.
Ich komme zum anonymisierten Verfahren. Sie haben völlig recht: Das ist auch heute schon möglich. Es wird ausgeweitet werden. Wenn es vor die Zivilgerichte geht - ich bin kein Jurist, schon gar kein Verfahrensjurist -, ist es wohl nicht möglich, daß die anonymisierte Form erhalten bleibt. Ab einem bestimmten Punkt muß man offenlegen.
Wir versuchen nur, dieses Verfahren ein Stück stärker zu verankern, weil wir in der Praxis die Erfahrung gemacht haben, daß es Wirtschaftsteilnehmer gibt, die vor einer Anzeige beim Kartellamt zurückschrecken in der Erwartung, daß ihr Geschäftspartner, der über viel Marktmacht verfügt, dann, wenn er angezeigt wird, keinen Auftrag mehr vergibt. Dann existieren die Kartelle weiter, und keiner wagt, dem Kartellamt ein Wort zu sagen. Es ist immer abzuwägen, ob es nicht so weit gehen kann, daß Querulanten Ärger machen. Dieses Problem kann ich nicht zur Zufriedenheit aller lösen. Niemand kann das. Wir hoffen, daß sich die Verfahren so entwickeln, daß diesen beiden Gesichtspunkten Rechnung getragen wird.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1319900500
Möchten Sie nachfragen?

Prof. Dr. Uwe Jens (SPD):
Rede ID: ID1319900600
Ja.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1319900700
Bitte.

Prof. Dr. Uwe Jens (SPD):
Rede ID: ID1319900800
Erstens. Herr Minister, eine anonyme Anzeige führt natürlich dazu, daß sich das Kartellamt in die Unternehmen begeben und dort die Kostenrechnung prüfen muß. Wollen Sie wirklich zulassen, daß das Kartellamt gewissermaßen zum Preiskommissar in dieser Republik - ich will es ruhig so sagen - verkommt? Ist das ein sinnvoller Schritt, den Sie da tun? Sollten Sie sich das nicht vielleicht noch ein bißchen überlegen?
Zweitens. Kann ich davon ausgehen, Herr Minister, daß Sie mit mir eine spezielle Fusionskontrolle im Handel nicht für vernünftig erachten? Sollte es nicht wenigstens dort bei unserer globalen Fusionskontrolle bleiben? Es muß ja nicht in Dirigismus ausarten.
Drittens. Sie wissen, Sie werden von einem nicht ganz unwichtigen Verband kritisiert, der gerade auf diesem Felde immer sehr aktiv war. Die Harmonisierungsbemühungen, die Sie da auf den Tisch legen, mit dem, was auf europäischer Ebene passiert, sind natürlich nicht ausgesprochen kräftig. Können Sie sich denn nicht vorstellen, den Vorschlag der Sozialdemokraten aufzugreifen, der eine sogenannte Abkoppelung vom Marktbeherrschungsbegriff vorsieht? Wir sagen - so wie das auch auf EU-Ebene der Fall ist -: Das Kartellamt kann eingreifen, Fusionen verbieten, wenn wettbewerbliche Strukturen geschädigt oder entscheidend beeinträchtigt werden. Wir wollen ja wettbewerbliche Strukturen.
Zum Schluß darf ich vielleicht noch etwas hinzufügen. Eine Lehre, die die Politiker in allen Fraktionen, auf allen Seiten dieses Hauses im Laufe der vielen Novellierungen gezogen haben, lautete: Es ergibt keinen Sinn, die Preise kontrollieren zu wollen. Die müssen flexibel bleiben. Das gehört zur Marktwirtschaft zwingend dazu. Wir müssen mit Hilfe dieses Gesetzes versuchen, wettbewerbliche Strukturen herzustellen. Das muß das Entscheidende sein. Davon rücken Sie mit Ihren Vorschlägen leider ein wenig ab.

Dr. Günter Rexrodt (FDP):
Rede ID: ID1319900900
Herr Kollege Jens, wir wollen nicht, daß das Kartellamt ein Preiskommissar wird und in die Betriebe geht. Aber gerade aus der Intention, die offensichtlich auch Sie bewegt, erwarten wir natürlich schon, daß jede Anzeige beim Kartellamt unterlegt werden kann und daß das Kartellamt die Handhabe hat, die Richtigkeit dieser Anzeige zu prüfen. Das kann manchmal durch mündlichen Vortrag oder durch wenige Schriftsätze und Papiere gelingen und manchmal nicht.
Ich sage noch einmal: Es gibt - ich glaube, Sie als mit der Materie vertrauter Kollege wissen das auch - viele Kartelle, von denen jeder weiß oder ahnt, daß
sie bestehen, aber niemand geht heran, weil man Angst hat, daß man dann, wenn man sich dort exponiert, aus einer Geschäftsbeziehung heraus ist. Das wollen wir ändern. Hier muß man immer zwischen den verschiedensten Aspekten abwägen.
Zu der speziellen Fusionskontrolle: Hier geht es praktisch im wesentlichen auch wieder um den Handel. Wir müssen sehen, daß es eine Nachfragemacht des Handels gibt und daß das ein ernsthaftes Problem ist. Daher muß man die Frage der Fusionen im Handel zu Lasten der Klein- und Mittelbetriebe ernsthaft prüfen und untersuchen. Wir haben das auch getan und über viele Stunden hinweg innerhalb der Koalition diskutiert. Wir sind zu keinem befriedigenden Ergebnis gekommen. Hierbei spielen auch ordnungspolitische Grundprinzipien eine Rolle. Wir wollen keine sektorspezifischen Regelungen im Kartellrecht. Das ist ein Recht, das sich allgemein am Begriff der Marktbeherrschung orientiert und nicht an bestimmten Tatbeständen auf verschiedenen Sektoren.
Selbst wenn wir diesen Grundsatz über Bord geworfen hätten, hätten wir keine Regelung gefunden, weil die handelsspezifische Fusionskontrolle am Ende darauf hinausgelaufen wäre, daß für Fusionen innerhalb Deutschlands die strengeren deutschen Regeln gegolten hätten und für Fusionen über die Grenzen hinweg das - so sage ich einmal - etwas laxere europäische Recht mit der Folge gegolten hätte, daß es Verlagerungen ins Ausland gegeben hätte und daß im übrigen jedes deutsche Unternehmen über seine - um ein Beispiel zu nehmen - österreichische Tochterunternehmung ein deutsches Unternehmen hätte aufkaufen können. Deshalb haben wir hier keine Lösung gefunden.
Ich mache keinen Hehl daraus, daß mir an der ordnungspolitischen Sauberkeit des Gesetzes insgesamt liegt. Aber auch unter Hintanstellung dieses Aspektes war keine befriedigende Lösung zu finden. Dieses Thema wird sicherlich im Gesetzgebungsverfahren wieder aufgegriffen werden und eine Rolle spielen.
Der letzte Aspekt war der, ob man den Machtbeherrschungsbegriff nicht prinzipiell anders definiert und anwendet. Ich sage Ihnen dazu: Es ist bewährtes deutsches Recht, daß die Marktbeherrschung durch bestimmte Kriterien, die im Gesetz aufgeführt sind, definiert und an sie gebunden wird. Dies steht in dem neuen § 20 des Kartellgesetzes. Dies ist in Ordnung, weil sonst Willkür entstünde und die Kartellbehörde noch mehr in die Rolle einer Gestaltungsbehörde abrutschte, die Wirtschaftsgestaltung oder Strukturpolitik macht. Das kann nicht Sinn und Zweck der Kartellbehörde sein.
Was nun die Kritik des BDI angeht: Was der BDI vorträgt, ist alles nachvollziehbar und aus sich heraus schlüssig. Aber es kann nicht zur alleinigen Richtschnur unserer Novelle werden. Der BDI hat spezielle Interessen. Er war im übrigen immer gegen Novellen und schon vor vielen Jahrzehnten unter Ludwig Erhard überhaupt gegen die Einführung des Kartellrechtes. Dies kann nicht unsere Richtschnur sein.

Bundesminister Dr. Günter Rexrodt
Ich bin der Meinung, der BDI will Rosinenpickerei. Er will das europäische Recht dann, wenn es laxer ist, und er will die Beibehaltung des deutschen Rechts dann, wenn dieses laxer ist. Diese Zielrichtung akzeptieren wir nicht. Wir gehen da ein Stück an Europa heran, wo das sinnvoll ist, bleiben aber bei den strengeren Regelungen in Deutschland, weil wir zur Wettbewerbsordnung in diesem Lande nun einmal überzeugt stehen.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1319901000
Herr Kollege Jens, Sie wollten noch zu einem anderen Bereich fragen. Dann gebe ich Ihnen gleich noch einmal das Wort.
Jetzt ist der Kollege Büttner an der Reihe, bitte.

Hans Büttner (SPD):
Rede ID: ID1319901100
Herr Minister, hat sich die Bundesregierung bei den Überlegungen hinsichtlich einer Änderung des Wettbewerbsgesetzes auch Gedanken darüber gemacht, ob in dem Bereich der nun entstehenden Factory outlets und der Konkurrenz, die der Einzelhandel darin sieht, Regelungen notwendig sind? Der Einzelhandel begründet seine Haltung damit, daß er - anders als bei den amerikanischen Handelsbeziehungen - nicht in der Lage sei, nicht verkaufte Waren an die Hersteller zurückzugeben, während solche Waren von den Factory outlets in den USA verkauft werden. Dies sei in Deutschland aber nicht möglich, und deswegen sieht er eine Verzerrung des Wettbewerbs in bezug auf die deutschen Handelsstrukturen.
Hat die Bundesregierung, haben Sie hierzu eine dezidierte Meinung schon erarbeitet? Wollen Sie dies im Zuge der Gesetzesänderung angehen oder nicht?

Dr. Günter Rexrodt (FDP):
Rede ID: ID1319901200
Wir haben uns sehr intensiv mit der Problematik des Wettbewerbs im Handel beschäftigt, auch auf Grund der in Deutschland neu entstehenden Factory outlets. - Nein, das ist eigentlich nicht richtig; das gab es schon immer,

(Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Aber nicht in den Zentren!)

aber nicht so wahrnehmbar. Die Frage der Factory outlets ist nicht im Kartellrecht zu regeln, jedenfalls nicht speziell. Man kann niemandem - keiner Firma und keinem Hersteller - verbieten, unmittelbar Einzelhandel zu betreiben. Das ist außerhalb unserer Wirtschaftsordnung. Das kann niemand wollen, Herr Kollege. Ich kann mir vorstellen, daß auch Sie das nicht wollen. Sie sehen aber, daß es dabei zu neuen Herausforderungen für den mittelständischen und im übrigen für den gesamten Handel kommt.
Diese Entwicklung zu bekämpfen und dagegen anzugehen, das muß über das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb, UWG, versucht werden. Darüber hinaus gibt es verschiedene Möglichkeiten der Länder und der Planungsbehörden, dort einen Riegel vorzuschieben oder Entwicklungen nicht laufenzulassen, die nicht im Interesse des städtischen Handels liegen. Das kann man über das Kartellrecht nicht machen, und deshalb haben wir es auch nicht eingefügt.
Daß das eine neue Herausforderung ist - nicht nur für den mittelständischen Handel, sondern für den Handel überhaupt, in den Ballungsräumen und auch in den Innenstädten -, das ist uns klar.

Hans Büttner (SPD):
Rede ID: ID1319901300
Wenn ich noch eine Zusatzfrage zum besseren Verständnis auch meiner Position stellen darf: Sind gesetzliche Regelungen eventuell nicht doch notwendig, um dem Handel überhaupt die Möglichkeit zu lassen, daß er zum Beispiel als Agent, als Zwischenhändler nicht verkaufte Waren - wie gesagt, wie in den USA - zurückgeben kann? Oder meinen Sie, daß das ausschließlich über den Handel zwischen dem Einzelhandel und den Herstellern geregelt werden muß? Hierbei entsteht das Problem, daß wir auf der einen Seite große Handelsketten haben, die eine Nachfragemacht besitzen, während wir auf der anderen Seite viele kleine und mittlere Handelsunternehmen haben, die diese Nachfragemacht nicht besitzen.

Dr. Günter Rexrodt (FDP):
Rede ID: ID1319901400
Herr Kollege, über die Nachfragemacht im Handel und über unsere Versuche, uns dem zu nähern, habe ich schon eben gesprochen. Ich kann nur soviel sagen: Bei allem Verständnis und allen berechtigten Beschwerden des mittelständischen Handels, zu einer gesetzlichen Regelung zu kommen, die vorschreibt, wer mit wem handeln kann und wie man Verträge auszugestalten hat - ob man etwas, was man nicht verkauft, zurückgeben kann oder nicht zurückgeben kann -, halte ich für unmöglich. Das ist ein Abgehen von unserer Wirtschafts- und unserer Rechtsordnung, die ja auf Vertragsfreiheit beruht. Auf diese Weise kommen wir der Lösung des Problems hinsichtlich der Herausforderung durch die Factory outlets nicht näher. Das muß anders geschehen.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1319901500
Jetzt eine Nachfrage des Kollegen Hinsken.

Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1319901600
Herr Minister, ich finde es sehr gut, daß Sie jetzt, gerade was das Kartellrecht anbelangt, den Schritt nach vorne wagen, vieles zu Papier bringen und den richtigen Weg, der lange erwartet wird, nun beschreiten. Ich möchte Ihnen dazu gratulieren, daß jetzt - was die Kollegen von der Opposition vor einigen Wochen noch angezweifelt haben - doch ein Gesetzentwurf eingebracht wird. Das ist ein großer Schritt in die richtige Richtung.
Gerade was die Roß-und-Reiter-Problematik - ich möchte das nicht wiederholen - oder die Unter-Einstandspreis-Problematik betrifft, sind Maßnahmen ergriffen worden, um das Ganze zielorientiert einer vernünftigen, annehmbaren Lösung zuzuführen.
Herr Minister, Sie haben vorhin selber schon die Begrenzung der Nachfragemacht angesprochen. Sie haben von sich gewiesen, daß es eine Möglichkeit gibt, in der Fusionskontrolle gewisse Veränderungen vorzunehmen.

Ernst Hinsken
Deshalb meine Frage: Wie deuten Sie das, wenn der stellvertretende Bundesvorsitzende der F.D.P. und Wirtschaftsminister des Landes Rheinland-Pfalz, Herr Brüderle, heute im „Handelsblatt" sagt:
Angesichts der noch immer zunehmenden Konzentration, des andauernden Größerwerdens der Handelsriesen ist es an der Zeit, deren Marktmacht endlich Einhalt zu gebieten.
Es heißt dort weiter:
Deshalb muß auch die Fusionskontrolle entsprechend erweitert werden.
Ich kann mich mit dem, was er sagt, voll und ganz identifizieren. So etwas fehlt nämlich noch.
Ich habe deshalb die Frage an Sie: Sind Sie bereit und sehen Sie eine Möglichkeit, dieser Forderung Ihres Parteifreundes nachzukommen, oder sind Sie zumindest bereit, brauchbare Vorschläge und eventuell über den Bundesrat hierzu eingebrachte Vorschläge aufzunehmen bzw. zu unterstützen, sofern sie das Problem erkennen und als brauchbar zu bezeichnen sind?

Dr. Günter Rexrodt (FDP):
Rede ID: ID1319901700
Herr Kollege Hinsken, ich habe eben schon das gesagt, was ich für richtig halte. Ich bin mir nicht sicher, ob Sie in dem Moment schon da waren. Ich sage das ohne Spitze; ich weiß wirklich nicht, ob Sie von Anfang an da waren.

(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Nein, war ich nicht, weil ich im Ausschuß war!)

Ich habe bereits gesagt: Das Problem der Nachfragemacht im Handel wird gesehen; wir haben darüber auch sehr lange diskutiert. Es gibt ganz wichtige und nicht zu vernachlässigende ordnungspolitische Argumente dafür, von einer handelsspezifischen Regelung der Fusionskontrolle abzusehen. Aber ich lasse die einmal draußen vor, obwohl ich inhaltlich sehr eng mit ihnen einig gehe.
Ich wiederhole: Wir haben auch unter Hintanstellung dieser Aspekte bislang keine befriedigende Regelung gefunden. Denn alles, was wir bislang diskutiert haben, wäre darauf hinausgelaufen, daß wir Fusionen im mittelständischen Bereich, im kleineren Bereich innerhalb Deutschlands dem strengen deutschen Recht unterworfen hätten. Fusionen, die über die Grenzen hinweggehen oder über die Grenzen hinweg gestaltet werden - was ohne weiteres möglich ist -, wären dem etwas laxeren europäischen Recht unterworfen worden. Das kann nicht die Lösung sein.
Wenn es sinnvolle andere Vorschläge gibt, so werden sie - so sind wir in der Koalition übereingekommen -, selbstverständlich im Gesetzgebungsverfahren, geprüft. Uns - ich sage das nicht so dahin - und auch vielen Ihrer Parteifreunde aus der Union ist es bislang trotz intensiven Bemühens nicht gelungen, eine befriedigende Lösung dieses Problems zu finden.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1319901800
Eigentlich ist die Zeit, die uns für das zentrale Thema zur Verfügung steht, bereits abgelaufen. Bitte nur noch eine ganz kurze Nachfrage, Herr Hinsken.

Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1319901900
Danke, Frau Präsidentin. - Herr Minister, ich habe gefragt, ob Sie bereit sind, wenn brauchbare Vorschläge vom Bundesrat kommen, diese zu übernehmen. Ein brauchbarer Vorschlag liegt meiner Ansicht nach, initiiert von der Bayerischen Staatsregierung, bereits vor. Wenn dieser von Rheinland-Pfalz und auch anderen übernommen wird und der Bundesrat somit mehrheitlich an Sie herantritt, sind Sie dann bereit, das aufzunehmen und zu akzeptieren, oder nicht?

(Dr. Uwe Jens [SPD]: Werden jetzt die Gesetze schon in der Bayerischen Staatsregierung gemacht?)


Dr. Günter Rexrodt (FDP):
Rede ID: ID1319902000
Herr Kollege Hinsken, wenn ein so wichtiges Verfassungsorgan wie der Bundesrat Vorschläge unterbreitet, dann ist es selbstverständlich, daß wir das prüfen und in unsere Abwägungen einbeziehen werden. Aber grundsätzlich zuzusagen, daß wir das übernehmen werden, dazu bin ich leider nicht in der Lage. Eine aufgeschlossene Prüfung wird immer stattfinden.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1319902100
Wir kommen jetzt zu dem angegebenen Thema aus dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes: Bericht über die Menschenrechtspolitik in den auswärtigen Beziehungen. Wollten Sie dazu nachfragen, Herr Kollege Jens? - Nein, Sie wollten beim allgemeinen Bereich nachfragen. Dann gibt es dazu nur eine Frage von Frau Amke Dietert-Scheuer.

Amke Dietert-Scheuer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1319902200
Ich möchte in diesem Zusammenhang an den Beschluß des Bundestages im Hinblick auf die Menschenrechtsdebatte am 10. Dezember erinnern. Es ist einstimmig die Aufforderung an die Bundesregierung ergangen, den Menschenrechtsbericht in Zukunft jeweils mit einem gewissen rechtzeitigen Vorlauf zur traditionell stattfindenden Debatte vorzulegen. Ich wollte fragen, ob dieser Zeitplan dieses Jahr eingehalten werden wird.

Dr. Werner Hoyer (FDP):
Rede ID: ID1319902300
Ja. Der Bericht liegt vor, Frau Kollegin. Wir haben ihn heute morgen im Kabinett beschlossen, und er ist bereits heute morgen dem Parlamentssekretariat zugeleitet worden.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1319902400
Das war einmal eine präzise Antwort.
Herr Kollege Jens, jetzt Ihre Frage an die Bundesregierung. - Keine Frage mehr an die Bundesregierung? - Gibt es sonst noch allgemeine aktuelle Fragen an die Bundesregierung? - Das ist nicht der Fall. Dann kann ich diesen Teil der Befragung beenden.

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
- Drucksache 13/8820 -
Wir kommen zunächst zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit. Die Fragen wird die Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Sabine Bergmann-Pohl beantworten.
Ich rufe zuerst die Frage 1 der Abgeordneten Marina Steindor auf:
Welche wissenschaftlichen Erkenntnisse liegen der Bundesregierung vor, die bewerten, ob es sich bei einem Embryo im Achtzellstadium um totipotente - also noch nicht ausdifferenzierte Zellen, die als einzelne Zellen vom Wortlaut des Embryonenschutzgesetzes geschützt sind - oder um nicht-totipotente Zellen handelt? )
Bitte, Frau Staatssekretärin.

Dr. Sabine Bergmann-Pohl (CDU):
Rede ID: ID1319902500
Frau Kollegin Steindor, das Bundesministerium für Gesundheit hat von dem Reproduktionsbiologen und -mediziner Professor Henning Beier aus Aachen, 1996 ein Gutachten über „Assistierte Reproduktion - Zum Stand der Therapieverfahren in der Bundesrepublik Deutschland" erstellen lassen. Zum Gutachtenauftrag dieses Embryologen gehörten auch Ausführungen über die Präimplantationsdiagnostik. In diesem Zusammenhang stellt Beier ausführlich das Phänomen der sogenannten Totipotenz dar, das heißt die Fähigkeit eines Zellkerns, einer Zelle oder eines Gewebeverbandes, aus sich heraus ein vollständiges Individuum zu entwickeln. Zur Totipotenz einer menschlichen Embryonalzelle, von der das Embryonenschutzgesetz in § 8 spricht, kommt Beier nach Auswertung der international vorliegenden Forschungsarbeiten bis 1995 zu dem folgenden Ergebnis:
Totipotente Zellen finden wir in der frühen Embryonalentwicklung der Säugetiere bis zum Achtzeller.
Weiter heißt es:
Aus diesen embryologischen Untersuchungen dürfen wir schließen, daß auch beim Menschen totipotente Zellen in einem späteren Entwicklungsstadium als dem Achtzeller nicht vorkommen ...
Eine anderslautende Aussage zum Ende der Totipotenz enthält ein im Frühjahr 1997 vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft Forschung und Technologie kurzfristig erbetenes Gutachten eines Professorenkollegiums zur „Klonierung beim Menschen". Dieses Gutachten ist auch in einer Bundestagsdrucksache veröffentlicht worden. Diese Expertise enthält in ihrem ersten Abschnitt über die biologischen Grundlagen des Verfahrens auch kurze Ausführungen zur Totipotenz, in denen es heißt:
In der Regel besitzen diese Eigenschaft alle Embryonalzellen bis hin zum 16- bis 32-ZellStadium ...
*) s. hierzu auch Frage 28
Es wird ausgeführt, daß die Möglichkeit besteht, daß es eine Totipotenz auch darüber hinaus gibt.
Die Bundesregierung geht davon aus, daß in Kürze einschlägige Publikationen zu diese Frage vorliegen werden, die eine weitere Begriffsklärung der Totipotenz bringen dürften. Zusammenfassend ist festzuhalten: Im Achtzellstadium liegt nach allen Expertenaussagen Totipotenz vor.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1319902600
Möchten Sie nachfragen? - Nein. Dann danke ich Ihnen, Frau Staatssekretärin.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Die Fragen wird der Staatssekretär Hirche beantworten.
Ich rufe die Frage 2 der Abgeordneten Elisabeth Altmann auf:
Ist es nach Meinung der Bundesregierung notwendig, bei der Schaffung neuer Ausbildungsberufe in Zukunft mehr Umweltberufe einzurichten, und hat die Bundesregierung in diesem Zusammenhang das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) beauftragt, entsprechende Untersuchungen in bezug auf das gesamte Bundesgebiet anzustellen?

Walter Hirche (FDP):
Rede ID: ID1319902700
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach Meinung der Bundesregierung ist es notwendig, Umweltwissen verstärkt in die Inhalte aller Ausbildungsberufe zu integrieren. Speziell für den Umweltbereich gibt es derzeit im dualen System den anerkannten Ausbildungsberuf des Ver- und Entsorgers bzw. der Ver- und Entsorgerin.
Die Bundesregierung vertritt nicht die Auffassung, daß es eine allgemeine Notwendigkeit für Ausbildungsgänge für neue spezielle Umweltberufe gibt. Sollte die Wirtschaft jedoch im begründeten Einzelfall Bedarf für einen neuen Ausbildungsberuf im Umweltschutz sehen, beauftragt die Bundesregierung in der Regel das Bundesinstitut für Berufsbildung, den entsprechenden Qualifikationsbedarf in bezug auf das gesamte Bundesgebiet zu untersuchen.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1319902800
Nachfrage? - Bitte.

Elisabeth Altmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1319902900
Wie möchte denn dann die Bundesregierung die Rio-Erklärung, die sie mit unterstützt hat, umsetzen - ich meine hier vor allem das Kapitel 36, wonach Umwelt und Bildung verstärkt zu fördern sind?

Walter Hirche (FDP):
Rede ID: ID1319903000
Ich folge der Linie dessen, was ich eben gesagt habe: Wenn spezielle Wünsche bestehen, bitten wir zunächst das Bundesinstitut für Berufsbildung um eine Stellungnahme. Anschließend erörtern wir das Ergebnis, wie zum Beispiel im Zusammenhang mit der Forderung nach einem eigenständigen Beruf



Parl. Staatssekretär Walter Hirche
im Recyclingbereich, mit Sozialpartnern und Fachverbänden, um es gegebenenfalls umzusetzen.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1319903100
Haben Sie noch eine Nachfrage?

Elisabeth Altmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1319903200
Ja. - Sie sagten eben, daß Sie im Umweltbereich einen einzigen Ausbildungsberuf - und das nach meiner Kenntnis seit 1984 - neu geschaffen haben. Denkt die Bundesregierung, daß dies ausreicht, um das eben genannte Ziel der Rio-Konferenz in die Tat umzusetzen? Und warum werden dann nur für den Osten Forschungsgelder von der Bundesstiftung Umweltbildung eingestellt? Meinen Sie nicht, daß dies ein gesamtdeutsches Ziel ist?

Walter Hirche (FDP):
Rede ID: ID1319903300
Frau Kollegin, ich möchte darauf hinweisen, daß wir gerade, wenn wir auf Rio Bezug nehmen, unterscheiden müssen, ob es sich um einen neuen Ausbildungsgang handelt oder ob es um die Frage der Überarbeitung vorhandener Ausbildungsprofile geht.
Ich habe ausdrücklich gesagt, daß das Thema Umwelt bei der Überarbeitung eine wichtige Rolle spielen wird, ebenso bei der Diskussion über neue Fortbildungsverordnungen. Das ist aber in der Tat vom Thema eines neuen Ausbildungsganges zu trennen. Einen solchen wird die Bundesregierung nicht von oben festsetzen.
Die Festlegung neuer Ausbildungsgänge folgt vielmehr den Bedürfnissen der Praxis. Wenn sich bestätigt, daß ein Bedürfnis für eine neue Ausbildungsrichtung besteht - deshalb habe ich gesagt: bundesweit -, dann verfahren wir in der Weise, daß das bestehende Fachinstitut befragt und anschließend mit den Sozialpartnern und Fachverbänden geredet wird.
Das ist natürlich ein Thema für ganz Deutschland.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1319903400
Nachfragen liegen nicht vor. Dann danke ich Ihnen, Herr Staatssekretär.
Die Fragen 3 und 4 werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Herr Staatsminister .Hoyer wird die Fragen beantworten.
Ich rufe die Frage 5 auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die US-Streitkräfte das System zur Versorgung der US-Armee Europa mit nichttaktischen Fahrzeugen von „General Services Administration Non-Tactical Vehicle Programm" in „USAREUR Interagency Fleet Management System" umbenannt haben, und welche Folgerungen zieht sie daraus?

Dr. Werner Hoyer (FDP):
Rede ID: ID1319903500
Herr Kollege Dr. Schäfer, der Bundesregierung ist bekannt, daß die US-Regierung das von ihr vorgesehene System der Fahrzeugverwaltung, in dessen Rahmen die General Services Administration eingesetzt werden soll, als „Interagency Fleet Management System" bezeichnet. Die Bezeichnung des vorgesehenen Systems der Fahrzeugverwaltung hat keine unmittelbare Auswirkungen auf seine rechtliche Bewertung. Die Bundesregierung zieht daher keine Folgerungen aus der Umbenennung des vorgesehenen Systems der Fahrzeugverwaltung.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1319903600
Der Kollege Schäfer hat eine Nachfrage.

Dr. Hansjörg Schäfer (SPD):
Rede ID: ID1319903700
Ich habe eine ganz kurze Nachfrage. Sie sehen Ihre Rechtsauffassung nicht verändert, daß durch diese Umbenennung keine Privilegierung nach § 71 oder § 72 ZNTS gegeben ist?

Dr. Werner Hoyer (FDP):
Rede ID: ID1319903800
Die Organisation der Aufgabenerfüllung für die US-Streitkräfte steht grundsätzlich natürlich unter der Hoheit der US-Seite. Zu der Frage des rechtlichen Rahmens für das geplante Tätigwerden der GSA hat die Bundesregierung ihre Rechtsauffassung der amerikanischen Seite mitgeteilt. Die amerikanische Seite hat daraufhin eine weitere Prüfung innerhalb der Bundesregierung erbeten. Diese Prüfung dauert an. Aber wir haben keine Veranlassung, unsere Rechtsposition als änderungsnotwendig zu betrachten.

Dr. Hansjörg Schäfer (SPD):
Rede ID: ID1319903900
Mir ist immer noch nicht ganz klar, nach welchem Rechtsstatus die neu formierte Gesellschaft - ehemals GSA - tätig ist. Denn sie ist in der Bundesrepublik tätig.

Dr. Werner Hoyer (FDP):
Rede ID: ID1319904000
Genau dieser Punkt ist Gegenstand der Beratungen mit der amerikanischen Seite, die wir gegenwärtig sehr intensiv pflegen. In dieser Gesprächsrunde muß ein einvernehmliches Verständnis der Rechtsgrundlage für das Tätigsein der GSA gefunden werden.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1319904100
Haben Sie noch eine gesonderte Antwort auf die Frage 6?

Dr. Werner Hoyer (FDP):
Rede ID: ID1319904200
Dazu möchte ich nur kurz etwas ergänzen.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1319904300
Dann rufe ich auch die Frage 6 auf:
Welche Konsequenzen für die Situation der deutschen Zivilbeschäftigten sieht die Bundesregierung aufgrund der Umbenennung?

Dr. Werner Hoyer (FDP):
Rede ID: ID1319904400
Da wir der Auffassung sind, daß die Bezeichnung dieser Einrichtung rechtsunerheblich ist, halten wir folglich keine Konsequenzen im Hinblick auf die deutschen Zivilbeschäftigten für erforderlich.




Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1319904500
Eine Zusatzfrage des Kollegen Schäfer?

Dr. Hansjörg Schäfer (SPD):
Rede ID: ID1319904600
Es hat wohl wenig Sinn, da noch nachzufragen. Wir hatten ja vereinbart, daß wir uns darüber noch unterhalten.

Dr. Werner Hoyer (FDP):
Rede ID: ID1319904700
Sehr gerne.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1319904800
Die Fragen 7, 8, 9 und 10 werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen zur Frage 11 der Abgeordneten Elisabeth Altmann:
Wie ist der derzeitige Planungsstand bei der vom Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Klaus Kinkel, vorgesehenen Gründung einer Stiftung für Auswärtige Kulturpolitik?
Herr Staatsminister, bitte.

Dr. Werner Hoyer (FDP):
Rede ID: ID1319904900
Frau Kollegin Altmann, leider muß ich Ihnen sagen - das wird Sie auch nicht überraschen -, daß die schwierige Haushaltssituation gegenwärtig keinen Spielraum läßt, um das für die weiterhin für wünschenswert erachtete Stiftung Auswärtige Kulturpolitik erforderliche Stiftungsvermögen aus dem Bundeshaushalt bereitzustellen. Bundesaußenminister Dr. Kinkel verfolgt die Angelegenheit weiterhin. Gegenwärtig sehe ich aber nicht, daß die erforderliche Finanzmasse für dieses Projekt aus öffentlichen Mitteln erbracht werden kann.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1319905000
Keine weitere Zusatzfrage.
Die Frage 12 der Frau Kollegin Leonhard soll schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Dann rufe ich die Frage 13, die mündlich beantwortet werden soll, auf:
Welche qualifizierten neuen Erkenntnisse liegen der Bundesregierung in bezug auf den Stand der Auseinandersetzung um das Gesetz zur Nationalisierung der sogenannten Beutekunst vor dem russischen Verfassungsgericht vor?

Dr. Werner Hoyer (FDP):
Rede ID: ID1319905100
Frau Kollegin Leonhard, was mich an Ihrer Frage so nervös macht, ist, daß Sie nicht nur nach „neuen Erkenntnissen", sondern nach „qualifizierten neuen Erkenntnissen" fragen. Diese Betonung läßt darauf schließen, daß Sie von meiner Antwort ein hohes Maß an Präzision und rechtlicher Haltbarkeit verlangen - wovon Sie natürlich immer ausgehen können.
Natürlich wissen wir, daß die beiden Kammern des russischen Parlaments gegenwärtig Anfragen an das Verfassungsgericht vorbereiten, um klären zu lassen, ob Präsident Jelzin seine Rechte im Hinblick auf das Gesetzgebungsverfahren des Kulturgütergesetzes überschritten hat. Auf Grund einer Agenturmeldung wissen wir auch, daß der Föderationsrat am 15. Oktober die Anrufung des Verfassungsgerichts beschlossen haben soll. Allerdings - das macht die Antwort so schwierig - hat das Verfassungsgericht trotz vielfältiger Bemühungen unserer Botschaft in Moskau nicht bestätigt, daß die betreffende Frage dort anhängig gemacht wurde. Insofern bin ich im Hinblick auf meine Vorbemerkung etwas vorsichtig mit der Feststellung endgültiger Tatsachen.

Dr. Elke Leonhard-Schmid (SPD):
Rede ID: ID1319905200
Die Opposition braucht immer qualitativ neue Informationen. Insofern ist mein Zusatz sehr wichtig.
Plant die Bundesregierung für den Fall, daß das russische Verfassungsgericht zugunsten des Föderationsrates entscheidet, eine - jetzt betone ich das noch einmal - qualitative Änderung ihrer Verhandlungsstrategie? Wir brauchen uns über die Verhandlungsstrategie nicht zu unterhalten; wir kennen sie, und ich will sie nicht noch einmal ausführlich behandelt wissen. Aber ich will dennoch fragen: Planen Sie eine Änderung, und wenn ja, welche?

Dr. Werner Hoyer (FDP):
Rede ID: ID1319905300
Wir sind uns in der Tat im Hinblick auf die strategische Frage und die rechtliche Seite einig. Von daher ist es sicherlich nicht sinnvoll, in der Öffentlichkeit ein Urteil vorwegzunehmen, das wir uns natürlich nicht wünschen. Gleichwohl müßten wir gegebenenfalls ein Urteil zur Kenntnis nehmen und auf der Basis des Urteils weiterarbeiten; denn das Ziel der Rückführung bleibt natürlich bestehen. Daran müssen sich die Handlungsoptionen ausrichten.

Dr. Elke Leonhard-Schmid (SPD):
Rede ID: ID1319905400
Herr Staatsminister, hat die Bundesregierung angesichts der gegenwärtigen Stagnation, von der wir ausgehen und die Sie bestätigen, und der Versäumnisse in den zurückliegenden Verhandlungen daran gedacht, die Zeit zu nutzen, um bei der Bevölkerung aufzuklären oder auch bei den russischen Parlamentariern für unseren Rechtsstandpunkt zu werben?

Dr. Werner Hoyer (FDP):
Rede ID: ID1319905500
Ich denke, den russischen Parlamentariern und, soweit über unsere Möglichkeiten erreichbar, der Öffentlichkeit ist unser Rechtsstandpunkt schon sehr klar. Nur wird er eben nicht geteilt. Insofern kann man immer nur jede Möglichkeit und jeden Gesprächskontakt nutzen, um für unsere Rechtsauffassung zu werben und aufzuklären. Ich hoffe, daß dann steter Tropfen den Stein höhlt.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1319905600
Danke schön, Herr Staatsminister Hoyer.
Wir verlassen jetzt Ihren Geschäftsbereich und kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Die Fragen wird der Parlamentarische Staatssekretär Lintner beantworten.
Die Fragen 14 und 15 werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.



Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Ich rufe die Frage 16 des Kollegen Ramsauer auf, der gerade in diesem Moment den Saal betritt:
Inwieweit sind die Dienstleistungsunternehmen und Dienststellen des Bundes, sowie — nach Kenntnis der Bundesregierung — der Länder, der Kommunen und sonstiger öffentlich-rechtlicher Körperschaften der bei Verabschiedung des Gesetzes zur Änderung des Ladenschlußgesetzes angenommenen Entschließung (Drucksache 13/4975) des Deutschen Bundestages gefolgt und haben ihre Öffnungszeiten verlängert oder zumindest verlagert?
Bitte, Herr Staatssekretär.

Eduard Lintner (CSU):
Rede ID: ID1319905700
Herr Kollege Dr. Ramsauer, ich möchte mit Ihrer Genehmigung die Fragen 16 und 17 zusammenhängend beantworten.

Dr. Peter Ramsauer (CSU):
Rede ID: ID1319905800
Ja.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1319905900
Dann rufe ich auch die Frage 17 des Kollegen Ramsauer auf:
Werden ggf. die verlängerten Öffnungszeiten von den Bürgerinnen und Bürgern angenommen?

Eduard Lintner (CSU):
Rede ID: ID1319906000
Die Antwort lautet: Im Zuge der Verwaltungsmodernisierung findet natürlich auch ein Wandel der Behörden in Richtung Dienstleistungsunternehmen statt. Dies gilt insbesondere für die Bereiche mit Publikumsverkehr.
In der Bundesverwaltung kann hier beispielhaft auf die Bundesanstalt für Arbeit verwiesen werden, die in ihrem Geschäftsbereich bereits seit 1989 verlängerte Abendsprechstunden mit gutem Erfolg eingerichtet hat. Diese strebt an, die Verlängerung der Öffnungszeiten im Zusammenhang mit der Flexibilisierung der Arbeitszeit noch weiter auszudehnen. Damit wird Kundennähe und Kundenfreundlichkeit in noch stärkerem Maße Rechnung getragen, wenn bis in den Abend hineinreichende Öffnungszeiten zur Verfügung stehen. Dabei soll auch den örtlichen Gegebenheiten im Benehmen mit der örtlichen Selbstverwaltung Rechnung getragen werden.
Ergänzend ist zu bemerken, daß in der Bundesverwaltung die Bereitschaft besteht, bei Bedarf individuelle Gesprächstermine auch außerhalb der Dienstzeit anzubieten. Regelungen und Erfahrungen, die über den auch bei den Bürgern allseits begrüßten Dienstleistungsabend in den Ländern, den Kommunen und sonstigen öffentlich-rechtlichen Körperschaften hinausgehen, sind hier nicht bekannt.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1319906100
Möchten Sie nachfragen? - Bitte.

Dr. Peter Ramsauer (CSU):
Rede ID: ID1319906200
Herr Staatssekretär, ist es möglich, die erweiterten Öffnungszeiten - Sie haben das Beispiel der Bundesanstalt für Arbeit, also Arbeitsämter und der dortigen Dienststellen gebracht - in irgendeiner Weise zu beziffern?

Eduard Lintner (CSU):
Rede ID: ID1319906300
Herr Kollege, das müßte ich nachfragen. Aber es ist so, daß wir es, soweit es dafür Ansatzpunkte gibt, den örtlichen Gegebenheiten überlassen haben. Wir meinen, daß damit dem lokalen Publikum am ehesten Rechnung getragen werden kann.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1319906400
Sie können noch dreimal nachfragen, wenn Sie wollen.

Dr. Peter Ramsauer (CSU):
Rede ID: ID1319906500
Die ursprüngliche Absicht bei Verabschiedung des Ladenschlußgesetzes war, mit dieser Entschließung darauf hinzuwirken, daß es nicht nur im Bereich der kommerziellen Läden, sondern auch in den dargelegten Bereichen zu erweiterten Öffnungszeiten kommt. Nun liegen offensichtlich kaum bezifferbare Erkenntnisse vor. Hält es die Bundesresgierung denn nicht für sinnvoll, noch einmal nachzufassen, um insbesondere im Bereich der öffentlichen Dienststellen zu einer noch intensiveren, bürgerfreundlichen Öffnung der Dienststellen zu kommen?

Eduard Lintner (CSU):
Rede ID: ID1319906600
Herr Kollege Dr. Ramsauer, wir sind, glaube ich, bereits optimal auf diesem Wege. Ich bitte zu bedenken, daß der Bund nicht in dem Maße publikumswirksame Dienststellen und Behörden unterhält wie etwa die Länder und Kommunen. Deshalb liegt der Schwerpunkt natürlich dort. Wo wir entsprechend betroffen sein könnten oder betroffen sind - die Bundesanstalt für Arbeit habe ich bereits angeführt -, haben wir verlängerte Öffnungszeiten angeboten.
Bei anderen Dienststellen, beispielsweise Oberfinanzdirektionen, wo der Publikumsverkehr nicht mit dem vergleichbar ist, was etwa beim Finanzamt des Landes passiert, haben wir uns darauf konzentriert, individuelle Gesprächstermine zu vereinbaren, auch außerhalb der Dienstzeiten, um, wenn Sie so wollen, dem jeweiligen Bedürfnis des Gesprächspartners in höchstem Maße entgegenkommen zu können.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1319906700
Bitte, Herr Ramsauer.

Dr. Peter Ramsauer (CSU):
Rede ID: ID1319906800
Nun wird ja von manchen Dienststellen gerne argumentiert, daß angeblich, wenn man die Dienststellen länger öffnet, die Öffnungszeiten von den Bürgern nicht so angenommen werden, wie man es sich vorgestellt hätte. Dies wird dann als Ausrede genommen, die Dienstzeiten wieder zu reduzieren. Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse vor, inwieweit in den Fällen, in denen erweiterte Schalterzeiten schon zugestanden worden sind, diese von den Bürgern auch tatsächlich in Anspruch genommen werden?

Eduard Lintner (CSU):
Rede ID: ID1319906900
Von der Bundesanstalt für Arbeit wird berichtet, daß die Öffnungszeiten in Anspruch

Parl. Staatssekretär Eduard Lintner
genommen werden - in unterschiedlicher Intensität. Aus unserer Sicht haben sich die Öffnungszeiten außerhalb der normalen Dienstzeiten für den Publikumsverkehr bewährt. Deshalb wird auch daran gedacht, sie gegebenenfalls, wenn Bedarf besteht, noch zu erweitern oder eben auch individuelle Arrangements zu treffen. Ich kann ausschließen, daß wir Ausreden verwenden, um das wieder einzuschränken.

Dr. Peter Ramsauer (CSU):
Rede ID: ID1319907000
Das habe ich nicht der Bundesregierung unterstellt, sondern nur einzelnen Dienststellen, die die Schalterzeiten erweitert haben.

Eduard Lintner (CSU):
Rede ID: ID1319907100
Wenn wir das in Erfahrung bringen, sollten wir entschieden eingreifen.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1319907200
Herr Büttner, bitte.

Hans Büttner (SPD):
Rede ID: ID1319907300
Herr Staatssekretär, ergänzend zu den Fragen von Herrn Ramsauer: Sie haben mit Recht darauf hingewiesen - das ist ein guter Ansatz -, daß man sich bei der Festlegung der Zeiten an den lokalen Gegebenheiten orientieren sollte. Bedeutet das, daß Sie es auch für richtig halten, daß man sich bei den öffentlichen Stellen ein bißchen anpaßt, wenn, wie wir das festgestellt haben, die Erweiterung der Ladenöffnungszeiten zurückgenommen wird?

Eduard Lintner (CSU):
Rede ID: ID1319907400
Ich bin überhaupt ein entschiedener Verfechter des Gedankens, daß, wenn Sie so wollen, in den Köpfen der jeweiligen Behörde die Idee des Ganzen verankert wird. Das heißt also, daß dann, wenn Nachfrage vorhanden ist und wenn der örtliche Handel die erweiterten Öffnungszeiten anbietet, die selbstverständliche Pflicht des Behördenchefs besteht, entsprechend der Nachfrage auch die Öffnungszeiten seiner Behörde zu erweitern.
Genauso bedeutet dies natürlich, daß, wenn in einer Stadt oder wo auch immer, die erweiterten Ladenöffnungszeiten nicht in Anspruch genommen werden, der Behördenchef auch berechtigt ist, zu überprüfen, ob das Amt weiterhin länger geöffnet haben soll; denn möglicherweise stellt sich dann heraus, daß in dieser Zeit auch niemand ins Amt kommt.
Die Freiheit geht also in beide Richtungen. Ich glaube, da gibt es nur eines, nämlich das Gebot der Flexibilität und des Mitdenkens.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1319907500
Frau Wright, bitte.

Heidemarie Wright (SPD):
Rede ID: ID1319907600
Herr Raumsauer hat nachgefragt, ob Ihnen Erkenntnisse über kommunale Dienstleistungen und deren Öffnungszeiten vorliegen. Eine kommunale Dienstleistung ist ja im großen Maße der Kindergarten. Wenn wir die Brücke zu den Ladenöffnungszeiten schlagen, stellen wir fest, daß
Verkäuferinnen zum großen Teil Frauen sind. Ich habe schon immer gemutmaßt: Wenn wir lange Ladenöffnungszeiten haben, beschäftigen wir Frauen, deren Kinder irgendwo untergebracht werden müssen. Die Frage lautet also: Haben Sie Erkenntnisse, ob die Öffnungszeiten von Kindergärten den veränderten Ladenöffnungszeiten gefolgt sind - ich kann mir vorstellen, daß zum Beispiel in Städten durchaus ein Bedarf besteht -, bzw. unterstellen Sie den Trägern die entsprechende Flexibilität, daß solche verlängerten Öffnungszeiten von Kindergärten auch angeboten würden?

Eduard Lintner (CSU):
Rede ID: ID1319907700
Frau Kollegin, ich unterstelle den Trägern vernünftiges Verhalten. Vernünftiges Verhalten wäre es in solchen Fällen natürlich, auf die Bedürfnisse der Eltern einzugehen, deren Kinder untergebracht werden sollen. Mir liegen keine Erkenntnisse hinsichtlich einzelner Kindergärten vor. Ich bitte um Verständnis. Es liegt auch nicht in unserer Macht, das im einzelnen abzufragen.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1319907800
Die Fragen 18 und 19 werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 20 der Abgeordneten Amke Dietert-Scheuer auf:
Kann die Bundesregierung bestätigen, daß zur Vorbereitung der Abschiebung von irakischen Staatsbürgern der ehemalige Innenminister des Landes Baden-Württemberg als Beauftragter und auáerdem ein Arbeitsstab im Bundesministerium des Innern eingesetzt wurden, und wenn ja, welche Auskunft kann jeweils zum Zeitpunkt der Einsetzung und zur Zielsetzung gegeben werden?
Bitte, Herr Staatssekretär.

Eduard Lintner (CSU):
Rede ID: ID1319907900
Frau Kollegin Dietert-Scheuer, Sie werden möglicherweise etwas enttäuscht sein, aber ich kann die Frage nicht anders beantworten als mit einem klaren Nein.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1319908000
Zusatzfrage, bitte.

Amke Dietert-Scheuer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1319908100
Bleibt es bei Ihrem klaren Nein auch dann, wenn man die konkrete Personenbenennung aus der Frage herausnimmt und nur die Tatsache, ob überhaupt ein derartiger Arbeitsstab eingerichtet wurde, nachfragt?

Eduard Lintner (CSU):
Rede ID: ID1319908200
Wieder: Nein.

(Amke Dietert-Scheuer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also: „Ja"!)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1319908300
Dann rufe ich jetzt die Frage 21 auf:
Welche Schritte haben ggf. der Beauftragte und der Arbeitsstab zur Abschiebung irakischer Staatsangehöriger im Bundes-



Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
ministerium des Innern bisher unternommen, die eine Abschiebung irakischer Staatsbürger vorbereiten sollen?

Eduard Lintner (CSU):
Rede ID: ID1319908400
Unter Berücksichtigung der Antwort zu Frage 20 erübrigen sich weitere Ausführungen.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1319908500
Nachfrage.

Amke Dietert-Scheuer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1319908600
Ist es richtig, daß derzeit auf Bitte des Bundesinnenministeriums - in diesem Fall liegt die Federführung natürlich beim Auswärtigen Amt - Verhandlungen mit der türkischen Regierung geführt werden, damit Kurden aus dem Nordirak über die Türkei zurückgeschoben werden können? Hat es eine derartige Bitte des Bundesinnenministeriums an das Auswärtige Amt gegeben?

Eduard Lintner (CSU):
Rede ID: ID1319908700
Natürlich haben wir ganz generell nach Wegen gesucht, wie Leute zurückgeführt werden können. Alle diese Bemühungen sind gescheitert, weil sich als Ergebnis herausgestellt hat, daß weder die Türkei noch andere Länder bereit sind, die Abschiebung über ihr Land zu gestatten. Natürlich gab es zahlreiche Bemühungen, Nachfragen und Gespräche zu diesem Thema. Sie alle hatten aber dasselbe Ergebnis, und im Moment deutet sich kein anderes Ergebnis an.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1319908800
Nachfrage.

Amke Dietert-Scheuer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1319908900
Heißt das, daß diese Verhandlungen mit der Türkei mit einem aus Ihrer Sicht negativen Ergebnis abgeschlossen sind?

Eduard Lintner (CSU):
Rede ID: ID1319909000
Wegen des Ausdrucks „Verhandlungen" zögere ich bei der Beantwortung ein bißchen. Über solche Dinge muß naturgemäß laufend gesprochen werden. Es muß immer wieder einmal gefragt werden, ob die andere Seite denn nunmehr bereit sei. Insbesondere wenn ein neuer Gesprächspartner auftaucht, muß man ihn befragen, ob es Bewegung geben könnte. Das liegt in der Natur dieses Anliegens. Solche Kontakte kann ich auch für die Zukunft nicht ausschließen, aber es gibt derzeit keine förmlichen Verhandlungen zu dem Thema.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1319909100
Ich rufe jetzt die Frage 22 des Abgeordneten Rezzo Schlauch auf:
Trifft die Meldung der niederländischen Tageszeitung „De Telegraaf" vom letzten Donnerstag, dem 23. Oktober 1997, zu, wonach nach Aussage des niederländischen Staatssekretärs Schmitz eine Delegation des niederländischen Außen- und Justizministeriums in dieser Woche zu einem offiziellen Besuch nach Bonn reist, um sich über die bekanntgewordene und geplante Absicht der Bundesregierung, die Einreise von irakischen Staatsbürgern und Staatsbürgerinnen zu begrenzen und irakische Staatsbürger abzuschieben, zu informieren, und wenn ja, welche Auskunft kann zu Zeitpunkt und Gesprächspartnern gegeben werden?

Eduard Lintner (CSU):
Rede ID: ID1319909200
Herr Kollege Schlauch, auf Wunsch der niederländischen Seite findet am 29. Oktober 1997 - also heute - auf Arbeitsebene ein Gespräch im Bundesministerium des Innern .statt. Anlaß für das Gespräch ist die wachsende Zahl irakischer Asylbewerber in den beiden Staaten.

Rezzo Schlauch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1319909300
Wird bei diesem Gespräch auch darüber verhandelt, wie man zusammen mit der niederländischen Regierung den Zuzug beschränken bzw. wie man mögliche Bewerber oder Antragsteller am besten zurückschieben kann?

Eduard Lintner (CSU):
Rede ID: ID1319909400
Der erste Teil Ihrer Frage ist, wie ich gesagt habe, Gegenstand der Gespräche; der zweite Teil spielt bei diesen Gesprächen keine Rolle. Allerdings bin ich bei den Gesprächen nicht dabeigewesen. Ob diese Frage am Rande gestellt worden ist, kann ich daher nicht völlig ausschließen; aber sie ist nicht Thema des Gesprächs.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1319909500
Nachfrage der Kollegin Dietert-Scheuer.

Amke Dietert-Scheuer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1319909600
Herr Lintner, den ersten Teil der Frage, nämlich daß es Gegenstand der Gespräche sein soll, wie man die Zuwanderung von Flüchtlingen aus dem Nordirak begrenzen soll, haben Sie bestätigt. Können Sie Aussagen darüber machen, in welche Richtung die Vorstellungen in dieser Hinsicht gehen?

Eduard Lintner (CSU):
Rede ID: ID1319909700
Darüber kann ich nichts sagen, weil sich das erst in den Gesprächen zeigen soll. Wir gehen der Angelegenheit deswegen nach, weil die Niederländer an uns herangetreten sind, die mit dem Problem besonders konfrontiert waren und meinen, daß wir ähnliche Probleme hätten und man sich deshalb zusammensetzen und diskutieren sollte, ob überhaupt noch zusätzliche Maßnahmen ergriffen werden können. Ich kann Ihnen nichts Konkretes über Ideen oder Ansatzpunkte für solche zusätzlichen Einreisebeschränkungen nennen. Ich darf darauf hinweisen, daß es im wesentlichen darum geht, den illegalen Zuzug möglichst effizient zu bekämpfen. Damit ist naturgemäß immer die Frage der Zusammenarbeit der Behörden etwa bei der Bekämpfung von Schleuserorganisationen und dergleichen verbunden.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1319909800
Ich rufe die Frage 23 des Kollegen Schlauch auf:
Mit welchen Vertretern der EU-Mitgliedsländer hat es bisher Gespräche zur Koordinierung der Abschiebung von irakischen Staatsbürgern gegeben, und wie schätzen nach Kenntnis der Bundesregierung die übrigen Mitgliedstaaten der EU die asylund abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (einschließlich der kurdischen Gebiete) ein?


Eduard Lintner (CSU):
Rede ID: ID1319909900
Herr Kollege Schlauch, es hat bisher keine diesbezüglichen Gespräche mit Vertretern anderer EU-Mitgliedsländer gegeben. Was die asylrelevante Situation im Irak anbelangt, wird von keinem Mitgliedstaat der EU allein die Zugehörigkeit zur kurdischen Volksgruppe als ausreichend für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft angesehen. Ob ein irakischer Asylbewerber also als politisch verfolgt anerkannt wird, richtet sich jeweils nach dem individuellen Verfolgungsschicksal des Betroffenen. Ebenso wie in Deutschland reicht eine Asylantragstellung auch in den übrigen Mitgliedstaaten der EU für sich genommen für eine Flüchtlingsanerkennung nicht aus. Abschiebungen von Irakern aus Deutschland in den Irak sind nicht bekannt. Zum einen besteht für irakische Kurden hinsichtlich einer Abschiebung über Bagdad ein zwischen den Innensenatoren bzw. Innenministern der Länder und dem Bundesministerium des Innern vereinbarter Abschiebestopp. Zum anderen ist die Einreise und Durchschiebung abgelehnter Asylbewerber über Jordanien oder die Türkei nicht durchführbar, da beide Staaten nicht bereit sind, hierbei mitzuwirken. Rückführungen von irakischen Staatsangehörigen in den Irak durch westliche Staaten sind ebenfalls nicht bekannt.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1319910000
Frau Dietert-Scheuer, bitte.

Amke Dietert-Scheuer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1319910100
Herr Lintner, Sie sagten soeben, daß für irakische Staatsbürger die Stellung eines Asylantrages allein nicht ausreicht, um eine Verfolgung zu begründen. Die bisherigen, etwas älteren Lageberichte des Auswärtigen Amtes zur asyl- und abschieberelevanten Lage sagten durchaus aus, daß im Irak die Stellung eines Asylantrages ebenso strafbar sei wie der illegale Grenzübertritt. Bisher war es generelle Praxis, daß bei Flüchtlingen aus dem Irak die Gefahr der politischen Verfolgung durch die Stellung eines Asylantrages angenommen wurde.
Haben Sie da inzwischen eine andere Einschätzung, und gibt es da inzwischen eine andere Entscheidungspraxis?

Eduard Lintner (CSU):
Rede ID: ID1319910200
Sie haben meine Antwort offenbar nicht genau in Erinnerung. Das, was Sie gerade hinsichtlich irakischer Staatsangehöriger geäußert haben, habe ich hinsichtlich der Angehörigen der kurdischen Volksgruppe festgestellt. Dort reicht die bloße Stellung eines Asylantrages nicht. Bezüglich der Iraker habe ich nur darauf hingewiesen, daß Abschiebungen von Irakern aus Deutschland oder anderen europäischen Ländern in den Irak nicht bekannt sind. Es gibt hinsichtlich der Iraker keine Änderung, was deren Anerkennung als Asylberechtigte angeht.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1319910300
Danke schön, Herr Staatssekretär Lintner.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz. Die Fragen 24, und 25 des Abgeordneten Dr. Pohler sowie die Fragen 26 und 27 des Abgeordneten Dr. Luther werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe jetzt die Frage 28 der Abgeordneten Marina Steindor auf:
Wie bewertet die Bundesregierung die in der Presse geäußerten „persönlichen Meinungen" von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bundesministeriums der Justiz und des Bundesministeriums für Gesundheit („Acht Zellen Mensch minus eins" in der „Frankfurter Rundschau" vom 20. Oktober 1997), daß die Präimplantationsdiagnostik - also die genetische Untersuchung eines im Reagenzglas gezeugten achtzelligen Embryos - durch das Embryonenschutzgesetz abgedeckt und damit rechtlich zulässig sei?*)
*) s. hierzu auch Frage 1
Beantworten wird die Frage Staatssekretär Funke.

Rainer Funke (FDP):
Rede ID: ID1319910400
Frau Kollegin, es ist nicht Aufgabe der Bundesregierung, persönliche Äußerungen von Mitarbeitern eines Ministeriums zu bewerten. Ein Gespräch mit der Mitarbeiterin des Bundesministeriums der Justiz hat zudem ergeben, daß die in der Presse wiedergegebenen Äußerungen so nicht zutreffend sind.
Bei der Präimplantationsdiagnostik werden einem im Wege der künstlichen Befruchtung entstandenen Embryo Zellen entnommen und zur Erkennung genetischer Krankheiten verbraucht. Sofern dies unter Verwendung totipotenter Zellen geschieht, verstößt diese Methode gegen Bestimmungen des Embryonenschutzgesetzes.
Da nach § 8 Abs. 1 dieses Gesetzes jede einem Embryo entnommene totipotente Zelle, die sich zu teilen und zu einem Individuum zu entwickeln vermag, dem Embryo gleichgestellt wird, fällt auch die Abspaltung solcher Zellen zum Zwecke der Diagnostik unter das Verbot des Klonens nach § 6 Abs. 1 des Embryonenschutzgesetzes. Der diagnostische Verbrauch der totipotenten Zelle stellt eine gemäß § 2 Abs. 1 des Embryonenschutzgesetzes verbotene, nicht der Erhaltung des Embryos dienende Verwendung dar.
Das Gesetz trifft keine Aussage zu der Frage, in welchem Stadium der Entwicklung des Embryos die Totipotenz der Zelle endet. Insoweit sind naturwissenschaftliche Erkenntnisse maßgebend.
Die Methode der Präimplantationsdiagnostik an nicht mehr totipotenten Zellen eines Embryos wird durch das Embryonenschutzgesetz nicht generell ausgeschlossen. Allerdings enthält - ebenso wie die bisherige Regelung - auch die neue Muster-Berufsordnung für die deutschen Ärzte in der Fassung der Beschlüsse des 100. Deutschen Ärztetages vom Mai 1997 ein grundsätzliches Verbot diagnostischer Maßnahmen an Embryonen vor dem Transfer in die weiblichen Organe. Berufsrechtlich ist schon deshalb die Präimplantationsdiagnostik, auch wenn sie an nicht mehr totipotenten Zellen eines Embryos durchge-

Parl. Staatssekretär Rainer Funke
führt werden soll, derzeit in fast allen Ärztekammerbezirken verboten.
Frau Kollegin, lassen Sie mich noch eine persönliche Bemerkung zu Ihrer Fragestellung machen: Es handelt sich in der Tat um ein ungewöhnlich schwieriges, auch schwieriges rechtliches Gebiet; es sind nicht nur rechtliche, medizinische und ethische Fragen zu beantworten. Deswegen möchte ich anregen, daß die hiermit zusammenhängenden Fragen an einem runden Tisch im Justizministerium, vielleicht zusammen mit der Frau Kollegin aus dem Bundesgesundheitsministerium, miteinander besprochen werden. Ich glaube, daß das der gemeinsamen Aufklärung dienen wird.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1319910500
Möchten Sie nachfragen?

Marina Steindor (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1319910600
Ein solches Angebot ehrt mich natürlich sehr; man kann es durchaus erwägen. Allerdings wäre die Zusammensetzung des runden Tischs im Vorfeld noch abzusprechen.
Ich möchte aber trotzdem sehr gerne eine Nachfrage stellen. Wie beurteilen Sie für die Bundesregierung die Tatsache, daß ein bestimmter Arzt, der hier involviert ist, auf Podiumsdiskussionen öffentlich erklärt, daß es gegenüber seiner Auffassung keine Bedenken mehr aus dem Bundesgesundheitsministerium und dem Bundesjustizministerium gäbe, und die Tatsache, daß die Bundesärztekammer - Sie haben die Beschlüsse des 100. Deutschen Ärztetages korrekt zitiert - Richtlinien zur Präimplantationsdiagnostik erarbeitet, die diese unter bestimmten Bedingungen zuläßt?

Rainer Funke (FDP):
Rede ID: ID1319910700
Das sind Fragen, die außerhalb unseres Zuständigkeitsbereichs liegen. Ich glaube, da sagt die Kollegin Dr. Bergmann-Pohl zu recht: Das stimmt nicht. Es ist aber in der Tat sehr übergreifend. Wir sind zuständig für das Embryonenschutzgesetz, aber nicht für die gesundheitspolitischen Fragen. Ich bitte um Verständnis, daß ich darauf nicht antworte.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1319910800
Herr Kollege Catenhusen, bitte schön.

Wolf-Michael Catenhusen (SPD):
Rede ID: ID1319910900
Herr Staatssekretär, haben Sie in Ihrem Hause schon einmal eine Prüfung dahin gehend vorgenommen, ob die Methode der Präimplantationsdiagnostik dann, wenn nicht mehr totipotente Zellen verwendet werden, trotzdem gegen den Sinn und Zweck des Embryonenschutzgesetzes verstößt, weil im Embryonenschutzgesetz davon ausgegangen wird, daß die Erzeugung von befruchteten Eizellen, das heißt die Benutzung der In-vitro-Fertilisation, an den Zweck gebunden ist, Kinderlosigkeit zu überwinden, also einen Kinderwunsch zu erfüllen, und an sonst gar nichts, so daß von daher keine Grundlage für diagnostische Verfahren gegeben ist?

Rainer Funke (FDP):
Rede ID: ID1319911000
Wenn ich es richtig verstanden habe, geht Ihre Frage dahin, daß eine künstliche Befruchtung nur als Maßnahme zur Behandlung der Sterilität zulässig ist.

(Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Zur Herbeiführung einer Schwangerschaft!)

Das Embryonenschutzgesetz, das lediglich ein Mindestmaß strafrechtlicher Verbotsnormen zum Schutz besonders hochrangiger Rechtsgüter enthält, beinhaltet keine entsprechende Einschränkung. Hingegen bestimmt die neue Muster-Berufsordnung für die deutschen Ärzte in der Fassung der Beschlüsse des 100. Deutschen Ärztetages vom Mai 1997, daß die künstliche Befruchtung einer Eizelle außerhalb des Mutterleibes nur als Maßnahme zur Behandlung der Sterilität - ich wiederhole: nur als Maßnahme zur Behandlung der Sterilität - zulässig ist.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1319911100
Danke schön.
Frau Bergmann-Pohl, Sie wollten zu dieser Frage noch etwas sagen. Ich bitte Sie nun, das Wort zu ergreifen.

Dr. Sabine Bergmann-Pohl (CDU):
Rede ID: ID1319911200
Frau Kollegin Steindor, ich bin zunächst einmal über die Aussagen des Herrn Diedrich etwas verwundert. Es ging um eine Sitzung der Bundesärztekammer, bei der unter anderem das Problemfeld Präimplantationsdiagnostik erörtert wurde. Bei dieser Sitzung waren auch ein Vertreter des Justizministeriums und ein Vertreter des Gesundheitsministeriums anwesend, die dort aber keine endgültige Meinung der beiden Ressorts kundgetan haben, sondern im Rahmen dieser Diskussion - es war nur eine Diskussion und keine abschließende Sitzung - nur eine juristische Meinung geäußert haben. Daß Herr Diedrich dieses in die Öffentlichkeit trägt, ist seine Sache; wir distanzieren uns davon.
Ich muß den Kollegen in bezug auf die Aussagen von Herrn Kollegen Funke sagen: Die Bundesärztekammer hat bisher keine Richtlinie zur Präimplantationsdiagnostik beschlossen, sondern darüber wurde bloß diskutiert. Sie wissen auch, daß das Thema Präimplantationsdiagnostik in einer Bund-LänderArbeitsgruppe zur Fortpflanzungsmedizin in unserem Ministerium behandelt wird. Ich gebe Herrn Funke darin recht, daß dieses Thema sehr weitreichend ist. Hier werden auch ethische Fragen, Fragen des Embryonenschutzgesetzes und die wissenschaftliche Frage, wann die Totipotenz endet, angesprochen. Ich glaube, daß wir dieses in der heutigen Fragestunde mündlich nicht klären können.

(Abg. Marina Steindor [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer weiteren Zusatzfrage)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1319911300
Eine weitere Nachfragemöglichkeit haben Sie jetzt nicht mehr, aber der Kollege Hüppe.




Hubert Hüppe (CDU):
Rede ID: ID1319911400
Ich möchte Sie, Herr Staatssekretär Funke, fragen, weil zumindest bei mir ein Mißverständnis eingetreten ist, ob Sie tatsächlich der Meinung sind, daß laut Embryonenschutzgesetz Embryonen außerhalb des Mutterleibes nur erzeugt werden dürfen, um eine Sterilität zu überwinden. Oder dürfen sie auch erzeugt werden, um eine Schwangerschaft herbeizuführen?

(Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Wo ist denn der Unterschied?)

Würde das nicht heißen, daß Embryonen nicht getötet werden dürfen, weshalb die Beschränkung auf drei zu befruchtende Embryonen implizit auch im Embryonenschutzgesetz festgeschrieben ist?

(Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Wo ist denn der Unterschied?)


Rainer Funke (FDP):
Rede ID: ID1319911500
Zu Ihrer ersten Frage: Die Zielrichtung ist die Herbeiführung einer Schwangerschaft.

(Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Es heißt im Gesetz: um mit ihnen eine Schwangerschaft herbeizuführen!)

- Um mit ihnen eine Schwangerschaft herbeizuführen; das ist richtig.
Wären Sie so freundlich, Ihre zweite Frage zu wiederholen?

Hubert Hüppe (CDU):
Rede ID: ID1319911600
Wenn Sie sagen, daß es nur der Überwindung von Sterilität diene - das heißt, den Zustand von „steril" in „nicht steril" zu ändern -, würde dieses bedeuten, daß beliebig viele Embryonen erzeugt werden dürften. Das ist aber absichtlich ausgeschlossen worden, um den Lebensschutz dieser Embryonen, die aus meiner Sicht menschliche Lebewesen sind, sicherzustellen. Deswegen ist auch die Tötung ausgeschlossen, wenn zum Beispiel das Geschlecht oder anderes, das durch Präimplantationsdiagnostik festgestellt werden kann, nicht dem Wunsch der Eltern entsprechen.

Rainer Funke (FDP):
Rede ID: ID1319911700
Ich habe vorhin lediglich ausgeführt, daß das Embryonenschutzgesetz, welches ein Mindestmaß an strafrechtlichen Verbotsnormen zum Schutz besonders hochrangiger Rechtsgüter festgelegt hat, keine entsprechende Einschränkung enthält.

(Vorsitz : Vizepräsident Hans-Ulrich Klose)

In der Tat gehe ich davon aus, daß beispielsweise die Herstellung von Embryonen zu Forschungszwecken unzulässig ist.

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1319911800
Keine weiteren Zusatzfragen? - Damit ist der Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz abgearbeitet. Ich danke dem Herrn Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen auf. Zur Beantwortung steht der
Parlamentarische Staatssekretär Hansgeorg Hauser bereit. Die Fragen 29 und 30 des Abgeordneten Conradi werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 31 der Kollegin Dr. Schwall-Düren auf:
Trifft es zu, daß im Zuge einer Anweisung des Bundesministeriums der Finanzen bei der Einreise in die Bundesrepublik Deutschland pro Person ca. 10 DM abgeführt werden müssen, und gilt dies auch, wenn die Einreise nach Deutschland durch polnische Schülergruppen ausschließlich dem Zweck der Durchführung eines Schüleraustausches im Rahmen von Schulpartnerschaften dient?

Hansgeorg Hauser (CSU):
Rede ID: ID1319911900
Frau Kollegin Dr. Schwall-Düren, die Beförderung von Personen durch Omnibusunternehmen im Geltungsbereich des deutschen Umsatzsteuergesetzes unterliegt wie jede andere Leistung, die ein Unternehmer gegen Entgelt ausführt, der Umsatzsteuer. Das gilt unabhängig davon, ob die Beförderung von einem inländischen oder einem ausländischen Unternehmer ausgeführt wird, ob inländische oder ausländische Fahrgäste befördert werden und ob die Fahrgäste Jugendliche oder Erwachsene sind.
Die Umsatzsteuer bei Personenbeförderung mit Omnibussen, die nicht im Inland zugelassen sind und die bei der Ein- oder Ausreise eine Drittlandsgrenze, zum Beispiel die deutsch-polnische Grenze - das haben Sie gefragt -, überqueren, wird aus Vereinfachungsgründen auf der Grundlage eines Durchschnittsbeförderungsentgelts berechnet; das sind die zirka 10 DM, die Sie angesprochen haben. Die hiernach vom Beförderungsunternehmer geschuldete Umsatzsteuer ist für jede einzelne Busreise bei der jeweiligen Zolldienststelle zu entrichten. Das entspricht dem Grundsatz der Beförderungseinzelbesteuerung.
Werden jedoch Schülergruppen im Inland durch schuleigene Omnibusse befördert, kann im allgemeinen davon ausgegangen werden, daß die Beförderungen nicht im Rahmen eines Unternehmens ausgeführt werden; der Umsatz wäre in diesem Fall nicht zu besteuern. Ebenso verhält es sich, wenn die Personenbeförderung unentgeltlich erfolgt.

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1319912000
Keine Zusatzfrage? - Dann rufe ich die Frage 32 der Kollegin Dr. Schwall-Düren auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, die Einreise im Rahmen von Schüleraustauschprogrammen einfacher zu gestalten und die betreffenden Schüler von der Entrichtung eines Geldbetrages zu befreien?

Hansgeorg Hauser (CSU):
Rede ID: ID1319912100
Das Umsatzsteuerrecht ist in der EU, insbesondere durch die Vorschriften der 6. EG-Umsatzsteuer-Richtlinie, harmonisiert. Die Vorschriften dieser Richtlinie sind für die Mitgliedsstaaten nach Art. 189 EG-Vertrag bindend. Nach der derzeitig geltenden Regelung in der 6. EG-Umsatzsteuer-Richtlinie sind Personenbeförderungen auf

Parl. Staatssekretär Hansgeorg Hauser
der Grundlage der im jeweiligen EU-Mitgliedsstaat zurückgelegten Strecken zu besteuern.
Die EU-Mitgliedsstaaten, die die Personenbeförderung bei der Verabschiedung dieser Richtlinie von der Umsatzsteuer befreit hatten, dürfen diese Befreiung noch im Rahmen einer Übergangsregelung beibehalten. Diejenigen EU-Mitgliedsstaaten - dazu gehört auch die Bundesrepublik Deutschland -, die bereits eine Besteuerung vorgesehen hatten, haben diese Besteuerung weiterhin durchzuführen.
Die Situation ist zwar mißlich, und die Antwort ist gerade im Hinblick auf Ihre Fragestellung etwas unbefriedigend - das kann aber nicht dazu führen, von einer Besteuerung abzusehen. Ansonsten würde die Gefahr bestehen, daß ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg eingeleitet würde.

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1319912200
Zusatzfrage? - Bitte.

Dr. Angelica Schwall-Düren (SPD):
Rede ID: ID1319912300
Hält die Bundesregierung die Erhebung eines solchen - in diesem Falle mit Polen - vereinbarten Betrages in Höhe von zirka 10 DM pro Person und damit die Erschwerung des Schüleraustausches für vereinbar mit den immer wieder dezidiert vorgetragenen Äußerungen, daß die Begegnung von Menschen, insbesondere die Begegnung von Jugendlichen, dazu beitragen solle, das Verständnis zwischen dem deutschen und dem polnischen Volk zu verbessern?

Hansgeorg Hauser (CSU):
Rede ID: ID1319912400
Ich verstehe vollkommen die Intention, die Sie mit Ihrer Frage verfolgen. Sie möchten diesen Schüleraustausch erleichtern und von Steuern befreien. Bei einem Schüleraustausch innerhalb der Europäischen Union ergibt sich natürlich auch eine Umsatzsteuerbelastung. Überall dort, wo ein Unternehmer tätig wird, hat er die Umsatzsteuer abzuführen. Nur, das wird nicht sichtbar.
In dem speziellen Fall, den Sie jetzt ansprechen - Überschreitung einer Drittlandsgrenze, hier der deutsch-polnischen Grenze -, wird es direkt sichtbar, weil der entsprechende Betrag jedesmal einzeln erhoben wird.
Im übrigen handelt es sich bei dem Betrag, der hier erhoben wird, um eine Pauschale. Ihre Höhe wurde nach einer statistischen Ermittlung festgelegt. Sie ist nach der Anzahl der beförderten Personen und der Zahl der Kilometer der Beförderungsstrecke im Inland zu berechnen. Die Pauschale beträgt seit dem 1. Januar 1993 je Personenkilometer 8,67 Pfennige, so daß sich ein Betrag von 10 DM ergeben kann.
Man kann auf die Erhebung nicht verzichten, und der gezahlte Betrag kann auch nicht erstattet werden. Wir haben diese Frage geprüft.

Dr. Angelica Schwall-Düren (SPD):
Rede ID: ID1319912500
Darf ich noch einmal nachfragen?

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1319912600
Ja, natürlich.

Dr. Angelica Schwall-Düren (SPD):
Rede ID: ID1319912700
Sie sagen, es kann nicht erstattet werden. Dennoch möchte ich angesichts des Wohlstandsgefälles, das zwischen den westeuropäischen Staaten und den mittelosteuropäischen Staaten existiert, und der unbestrittenen Notwendigkeit zusammenzuwachsen fragen: Sollte von der Bundesregierung nicht noch einmal geprüft werden, ob es Möglichkeiten gibt, hier eine Erleichterung zu schaffen? Denn man kann nicht davon ausgehen, daß die deutschen Partner eines solchen Austausches auch noch diese Kosten übernehmen, da sie im Rahmen des Schüleraustausches ohnehin schon sehr hohe Aufwendungen haben und sehr viel dazu beitragen, daß er stattfinden kann.

Hansgeorg Hauser (CSU):
Rede ID: ID1319912800
Frau Kollegin, das Deutsch-Polnische Jugendwerk genießt bereits eine Befreiung von allen direkten Steuern sowie von Zöllen. Das ist in Art. 1 der Verordnung vom 26. August 1992 zu dem Abkommen vom 17. Juni 1991 zwischen den Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen so vereinbart worden. Allerdings sieht diese Verordnung keine Befreiung von der Umsatzsteuer vor, weil das europäische Recht, das EU-weit harmonisiert ist, gilt, wonach eine Erstattung und eine Befreiung nicht möglich sind.

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1319912900
Dann rufe ich die Frage 33 des Kollegen Wolfgang Ilte auf:
Trifft es zu, daß Neubauten von Kindereinrichtungen und Sportstätten nicht als förderungsfähig im Sinne des Investitionsförderungsgesetzes anerkannt werden, und auf welche rechtlichen Grundlagen stützt sich dabei die Haltung der Bundesregierung?

Hansgeorg Hauser (CSU):
Rede ID: ID1319913000
Nach dem Investitionsförderungsgesetz Aufbau Ost sind den neuen Ländern Mittel zum Abbau des infrastrukturellen Nachholbedarfs gewährt worden. Da Art. 104a Abs. 4 des Grundgesetzes die Mitfinanzierungsmöglichkeiten des Bundes bei Investitionen von Ländern und Kommunen begrenzt, werden im Investitionsförderungsgesetz die Verwendungszwecke im einzelnen festgelegt.
Nach Auffassung der Bundesregierung gehört der Neubau von Kindereinrichtungen und Sportstätten nicht zu den Verwendungszwecken nach § 3 Nr. 6 des Investitionsförderungsgesetzes. Dem entspricht auch die sich darauf beziehende einvernehmliche Protokollerklärung zur Verwaltungsvereinbarung des IfG.

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1319913100
Zusatzfrage?

Wolfgang Ilte (SPD):
Rede ID: ID1319913200
Nach meiner Information ist die Protokollerklärung zu § 3 Nr. 6 IfG zwischen den Länderfinanzministern und der Bundesregierung so vereinbart worden. Sie ist der kommunalen Ebene, die im Endeffekt die Verteilung dieser Mittel vor-

Wolfgang Ilte
nimmt, aber erst im August 1997 in der Form bekanntgeworden.
Meine Frage ist gewesen: Auf welche rechtlichen Grundlagen, Herr Hauser, stützen Sie sich mit Ihrer Haltung? Könnten Sie möglicherweise rechtliche Grundlagen anführen, die Ihre Haltung diesbezüglich stützen?

Hansgeorg Hauser (CSU):
Rede ID: ID1319913300
Es ist richtig, Herr Kollege Ilte, daß es sich hier um unterschiedliche Auffassungen handelt. Wir berufen uns auf § 3 Nr. 6 IfG und dessen Auslegung durch die Protokollerklärung, die ausführt, daß insbesondere die Bereitstellung und Sanierung von sozialen Einrichtungen - wie Alten- und Pflegeheime -, aber auch die Instandsetzung von Kindereinrichtungen und Sportstätten vorgesehen sind. Das ist der Text. Darin steht nichts von einem Neubau. Es geht hier vielmehr um die Instandsetzung.

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1319913400
Weitere Zusatzfrage?

Wolfgang Ilte (SPD):
Rede ID: ID1319913500
Auch Ihnen ist ja bekannt, daß die Regierungen der neuen Länder mittlerweile oder auch schon früher - das kann ich jetzt nicht beurteilen und will ich auch nicht bewerten - zu einer anderen Auffassung gekommen sind, weil - das ist auch meine Sichtweise - derartige Projekte, Kindertagesstätten und auch Sporteinrichtungen in Form von Mehrzweckhallen, dringend einer Förderung durch das IfG unterliegen sollten.
Gegenwärtig sind Gespräche mit Ihrem Hause und den Länderfinanzministern im Gange. Mich würde an der Stelle interessieren: Können Sie abschätzen, wann eine einvernehmliche Regelung hergestellt werden kann? Wie könnte diese aussehen?

Hansgeorg Hauser (CSU):
Rede ID: ID1319913600
Herr Kollege Ilte, den Ländern war die Haltung der Bundesregierung bekannt, daß es sich hier nicht um eine Förderung von Neubauten handelt. Die Verhandlungen, die Sie ansprechen, sind im Gange. Ich kann Ihnen aber im Augenblick nichts über den zeitlichen Rahmen und darüber sagen, wie möglicherweise ein Kompromiß aussieht.
Wir berufen uns zunächst einmal auf die Protokollerklärung zum IfG, in der nichts von der Förderung von Neubauten, sondern nur etwas von der Instandsetzung bestehender Bauten steht. Deswegen kommt für uns eine Änderung zunächst einmal nicht in Frage. Der Bund wird keine klassischen Länderaufgaben wie beispielsweise den Neubau von Sportstätten finanzieren. Hierfür gibt es auch keine verfassungsrechtliche Kompetenz des Bundes.

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1319913700
Ich rufe die Frage 34 des Kollegen Ilte auf:
Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung zu ergreifen, wenn Neubauten von Kindertages- und Sportstätten von Kommunen gutgläubig über Mittel des Investitionsförderungsgesetzes begonnen und für den Weiterbau Verpflichtungsermächtigungen ausgereicht wurden?

Hansgeorg Hauser (CSU):
Rede ID: ID1319913800
Die Antwort schließt sich an die letzte Antwort an: Die Kommunen sind verfassungsrechtlich Teil der Länder. Inwieweit die Länder die Kommunen an den IfG-Mitteln beteiligen, ist allein Sache der Länder. Diese haben auch den Einsatz der Mittel durch die Kommunen im Rahmen der vom IfG festgelegten Zweckbindung zu überwachen. Die Bundesregierung sieht sich daher nicht in der Pflicht, eigene Maßnahmen zu veranlassen.

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1319913900
Zusatzfrage?

Wolfgang Ilte (SPD):
Rede ID: ID1319914000
Ja. Habe ich das richtig verstanden, Herr Staatssekretär, daß sich die Bundesregierung nicht in der Pflicht sieht, möglicherweise die Verwendung der IfG-Mittel zu prüfen?

Hansgeorg Hauser (CSU):
Rede ID: ID1319914100
Nein, nein. Davon war überhaupt keine Rede.

Wolfgang Ilte (SPD):
Rede ID: ID1319914200
Dann habe ich das falsch verstanden, Entschuldigung.

Hansgeorg Hauser (CSU):
Rede ID: ID1319914300
Selbstverständlich hat der Bund im nachhinein die Verwendung der Mittel zu prüfen. Ihre Frage aber zielt darauf ab, ob es dann, wenn beim Bund - wie beispielsweise in diesem konkreten Fall - die Auffassung besteht, daß der Neubau nicht gefördert wird, nicht in Frage kommt, daß sich der Bund an diesen zusätzlichen Mitteln beteiligt. Dies ist keine Sache des Bundes, sondern Sache der Länder. Diese sind nach der Verfassung für die Finanzausstattung der Kommunen zuständig.

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1319914400
Weitere Zusatzfrage?

Wolfgang Ilte (SPD):
Rede ID: ID1319914500
In meiner vorigen Zusatzfrage hatte ich angedeutet, daß die Kommunen eigentlich erst im August dieses Jahres durch die Innenminister der Länder darauf hingewiesen worden sind, daß hier möglicherweise gegen die vorhin angeführte Protokollerklärung verstoßen wurde.
Jetzt ist der Fall eingetreten - wie ich auch in meiner Frage ausgeführt habe -, daß derartige Investitionsfördermittel nicht pro Jahr ausgegeben werden, sondern nur für das erste Jahr und für die beiden Nachfolgejahre Verpflichtungsermächtigungen gegeben werden.
Man muß davon ausgehen, daß in den vergangenen Jahren die Kommunen oder in dem Fall die Kreise durchaus gutgläubig Mehrzweckhallen - um bei dem Beispiel zu bleiben - aus dem IfG-Fördermittelanteil gefördert haben und die Kommunen entsprechend für das nächste und übernächste Jahr eine Verpflichtungsermächtigung aus den § 17-Mitteln

Wolfgang Ilte
zur Verfügung gestellt haben. Wie beabsichtigt die Bundesregierung in diesen Fällen zu verfahren, wenn seitens der Kommunen derart gutgläubig verfahren wurde?

Hansgeorg Hauser (CSU):
Rede ID: ID1319914600
Herr Kollege Ilte, ich kann mich auch hier wiederum nur die Protokollerklärung zur Auslegung des Gesetzestextes berufen, die eindeutig von Erneuerung und Instandsetzung bestehender Bauten, aber nicht von Neubauten spricht. Wenn hier in einer eigenen Auslegung durch die Kommunen und möglicherweise in einer Auslegung durch die Länder, die hier den Kommunen natürlich zur Seite stehen, weil sie sonst selbst in die Pflicht genommen werden, das anders interpretiert wird, dürfen Sie nicht der Bundesregierung anlasten, daß dies verspätet aufgegriffen worden ist.
Sie wissen, daß es am 10. Juli 1997 zu einem BundLänder-Gespräch gekommen ist und man seitdem Gespräche dazu führt. Am 21. Oktober 1997 hat ein Gespräch mit den Ost-Staatssekretären stattgefunden, so daß nach wie vor Gespräche geführt werden. Sie können es aber nicht dem Bund anlasten, wenn hier eine nachträgliche Prüfung, so wie es im Gesetz vorgesehen ist, stattfindet und dann eine Beanstandung erfolgt.

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1319914700
Ich rufe jetzt die Frage 35 des Kollegen Hans Martin Bury auf:
Welche Auffassung haben jeweils der Bundesminister der Finanzen, der Präsident des Bundesaufsichtsamtes für das Versicherungswesen (BAV) und der Vorstandsvorsitzende der Bayerischen Beamten-Lebensversicherung in dem am 23. Januar 1997 im Bundesministerium der Finanzen stattgefundenen Gespräche über die mißbräuchlich vergebenen „Optima"-Lebensversicherungsdarlehen vertreten, und welchen konkreten Einfluß auf den Entscheidungsfindungsprozeß im BAV hatte dieses Gespräch?

Hansgeorg Hauser (CSU):
Rede ID: ID1319914800
Herr Kollege Bury, an dem Gespräch am 23. Januar 1997 haben der Präsident des Bundesaufsichtsamtes für das Versicherungswesen, Dr. Knut Hohlfeld, der Vorsitzende des Vorstandes der Bayerischen Beamten-Lebensversicherung, Dr. Schweickert, und ich teilgenommen. Der Präsident der Aufsichtsbehörde erläuterte dabei die Rechtsauffassung des Amtes in der besagten Angelegenheit. Einen konkreten Einfluß auf die Entscheidung der Aufsichtsbehörde hatte das Gespräch nicht.
Im übrigen darf ich Sie auf die Antwort der Bundesregierung vom 21. Oktober 1997 auf Ihre schriftliche Frage für den Monat Oktober 1997 verweisen, in der zu diesen Fragen sehr ausführlich Stellung genommen worden ist.

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1319914900
Zusatzfrage.

Hans Martin Bury (SPD):
Rede ID: ID1319915000
Herr Staatssekretär, warum hat der Präsident des Bundesaufsichtsamtes für das Versicherungswesen - entgegen seiner ursprünglichen Absicht - die Umsetzung des Vorschlags seiner Fachabteilung, die in die Vergabe der
Tilgungsversicherung nach dem Optima-Modell involvierten Vorstandsmitglieder der betroffenen Versicherungsunternehmen abzuberufen, unterbunden, und warum wurde die Entscheidung über die Abberufung der involvierten Vorstandsmitglieder nicht, wie ursprünglich vom Präsidenten des BAV vorgeschlagen, von einer unabhängigen Beschlußkammer gefällt, sondern auf Grund der Gesprächsrunde vom 23. Januar im BMF?

Hansgeorg Hauser (CSU):
Rede ID: ID1319915100
Der Präsident des Bundesaufsichtsamtes hatte vor dem Gespräch noch keine abschließende Entscheidung getroffen. Die Entscheidungen, so wie sie jetzt gefällt worden sind, sind nach sorgfältiger Überlegung von dem Präsidenten getroffen worden.

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1319915200
Weitere Zusatzfrage.

Hans Martin Bury (SPD):
Rede ID: ID1319915300
Herr Staatssekretär, ist es zutreffend, daß die zuständige Abteilung im Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen in der vor dem Termin am 23. Januar 1997 fertiggestellten Stellungnahme zu den abgeschlossenen Tilgungsversicherungen nach dem Optima-Modell die Abberufung von Vorstandsmitgliedern der involvierten Versicherungsunternehmen vorgeschlagen hat, und ist es zutreffend, daß sich Repräsentanten der betroffenen Versicherungsunternehmen beim Bundesministerium der Finanzen über die Untersuchungen des Bundesaufsichtsamtes für das Versicherungswesen beschwert haben?

Hansgeorg Hauser (CSU):
Rede ID: ID1319915400
Die Entscheidung des Amtes erfolgt durch die Abwägung sowohl der Meinung des Präsidenten als auch der Meinung der Fachabteilung. Sie kennen die Entscheidung, wie sie dann getroffen worden ist. Die Entscheidungen sind nicht gegen die Fachabteilung getroffen worden, wie Sie das unterstellen, sondern sind nach sorgfältiger Prüfung aller Informationen, die der Präsident eingeholt hat, getroffen worden.
Zu dem zweiten Teil Ihrer Frage, die Sie gestellt haben: Es ist richtig, daß auf seiten eines Betroffenen noch Aufklärungsbedarf vorhanden war, der sich dahin gehend geäußert hat, daß seiner Meinung nach mißverständliche Feststellungen getroffen worden sind, und der darum gebeten hat, eine Anhörung zu diesen Problemen zu bekommen.

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1319915500
Ich rufe Frage 36 des Kollegen Bury auf:
Mit welcher Begründung hält das Bundesministerium der Finanzen einen Verstoß gegen geltendes Recht, wie er im Fall der mißbräuchlich vergebenen „Optima"-Lebensversicherungsdarlehen vorliegt, für keinen hinreichenden Grund, um die „Zuverlässigkeit" der Geschäftsleiter der involvierten Unternehmen anzuzweifeln, und welches „erhebliche" Fehlverhalten wäre über den Verstoß gegen geltendes Recht hinaus notwendig, um die „Zuverlässigkeit" von Geschäftsleitern von Versicherungsunternehmen eindeutig in Frage zu stellen?


Hansgeorg Hauser (CSU):
Rede ID: ID1319915600
Für die Überprüfung der Zuverlässigkeit von Geschäftsleitern von Versicherungsunternehmen ist nach § 87 Abs. 6 in Verbindung mit § 8 Abs. 1 Nr. 1 und § 7 a Abs. 1 Satz 1 Versicherungsaufsichtsgesetz das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen zuständig. Die Frage, ob die Zuverlässigkeit von Geschäftsleitern gegeben ist oder nicht, ist für jeden Einzelfall unter Abwägung aller Umstände und im Hinblick auf die Einschätzung des künftigen Verhaltens zu prüfen. Demnach konnte das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen die Zuverlässigkeit der betroffenen Geschäftsleiter im Ergebnis nicht verneinen.
Auch hier darf ich auf die Antwort der Bundesregierung verweisen, die ich Ihnen zu Ihrer schriftlichen Frage für den Monat Oktober unter dem Datum 21. Oktober 1997 gegeben habe.

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1319915700
Zusatzfrage.

Hans Martin Bury (SPD):
Rede ID: ID1319915800
Herr Staatssekretär, die Zuständigkeit des BAV ist mir wohl bekannt. Gerade weil es hier zu einer vom Vorschlag der Fachabteilung abweichenden Beschlußlage nach dem Gespräch im Bundesministerium der Finanzen kam, hinterfrage ich die Rolle der Bundesregierung in diesem Zusammenhang und möchte Sie fragen, ob das Verhalten der Bundesregierung und Ihre Haltung, die Sie hier zum Ausdruck bringen, so zu verstehen sind, daß selbst elf systematische Verstöße gegen Gesetz und Aufsichtsrecht, wie es bei den mißbräuchlich abgeschlossenen Tilgungsversicherungen nach dem Optima-Modell der Fall war - nämlich der Betrieb versicherungsfremder Geschäfte, die untersagte Koppelung von Darlehen mit einem Versicherungsvertrag, der Verstoß gegen das Verbot von Geschäftsplanabweichungen, der Verstoß gegen Meldepflichten, die Überschreitung des zulässigen Provisionssatzes, der Verstoß gegen vorgeschriebene Provisionssicherheiten, der Verstoß gegen das Verbot von Sondervergünstigungen und Begünstigungsverträgen, der Verstoß gegen VAG-Vorschriften durch nicht ordnungsgemäße Bilanzierung und Testierung von Dekkungsrückstellungen, der Verstoß gegen VAG durch die Abgabe wahrheitswidriger Angaben gegenüber dem BAV, der Verstoß gegen die Externe Rechnungslegungsverordnung durch fehlende Deklaration der Überschußanteile im Anhang des Geschäftsberichts und, last but not least, die Beihilfe zur Steuerhinterziehung -, kein erhebliches Fehlverhalten der verantwortlichen Geschäftsleiter und damit auch keinen Grund für deren Abberufung darstellen. Gedenkt die Bundesregierung diese erstaunlich nachsichtige Rechtsauffassung künftig auch auf andere Straftaten und Rechtsmißbräuche anzuwenden?

Hansgeorg Hauser (CSU):
Rede ID: ID1319915900
Herr Kollege Bury, ich darf hier noch einmal ganz klar feststellen: Es hat keine konkrete Einflußnahme auf die Entscheidungen der Aufsichtsbehörde in dem durchgeführten Gespräch gegeben.
Im Zusammenhang mit den Verstößen, die Sie hier aufgeführt haben, kenne ich die Gewichtungen und die Wertungen nicht, die bei der Entscheidung vorgenommen worden sind. Sie sind aber mit Sicherheit sorgfältig vorgenommen worden. Das hat nicht zu dem Ergebnis geführt, daß der oder die Geschäftsleiter abberufen worden sind.
Im übrigen wissen Sie, daß gegen zwei der Betroffenen auf Grund tragischer Umstände nicht weiter ermittelt werden konnte; das ist Ihnen bekannt.

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1319916000
Weitere Zusatzfrage.

Hans Martin Bury (SPD):
Rede ID: ID1319916100
Herr Staatssekretär, auf welches Gesamtvolumen beziffert die Bundesregierung die durch den Abschluß der Tilgungsversicherung nach dem Optima-Modell realisierten Steuermindereinnahmen, welche konkreten Maßnahmen hat die Bundesregierung eingeleitet, um die Steuerhinterziehung zu ahnden und die entgangenen Steuereinnahmen nachträglich zu erheben, und welches Signal, Herr Staatssekretär, geht nach Ihrer Einschätzung in der aktuellen Steuerdiskussion von dem Verhalten des Bundesministers der Finanzen aus, der den Eindruck erweckt, seine schützende Hand über die Betroffenen zu halten?

Hansgeorg Hauser (CSU):
Rede ID: ID1319916200
Herr Kollege Bury, das ist nicht nur eine Zusatzfrage, sondern das sind gleich mehrere Zusatzfragen. Aber ich will sie gerne beantworten.
Als erstes ist zwischen den sogenannten Optima-Modellen und der Beurteilung durch das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen zu unterscheiden. Diese Modelle wurden vom Bundesaufsichtsamt als unzulässig empfunden und sind deshalb nicht berücksichtigt worden. Das liegt einige Jahre zurück; ich kann Ihnen die genaue Jahreszahl nicht sagen.
Davon unabhängig ist der Fall, der jetzt durch die Presse gegangen ist, der Fall des Verdachts der Steuerhinterziehung wegen nicht versteuerter Provisionen. Das ist von der Staatsanwaltschaft aufgegriffen worden. Das sind zwei unterschiedliche Fälle, die nicht in einen Sachzusammenhang mit dem gebracht werden können, was Sie mit Ihren vorherigen Fragen angesprochen haben.
Die steuerliche Gestaltung, wie sie hier vorgenommen worden ist, hatte die Bundesregierung bereits früher zum Anlaß genommen, die Finanzierung über Lebensversicherungen, die sich steuersparend auswirkt, entsprechend einzuschränken. Dazu haben wir in einem der letzten Jahressteuergesetze entsprechende Maßnahmen getroffen.

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1319916300
Zusatzfrage, Kollege Ilte.

Wolfgang Ilte (SPD):
Rede ID: ID1319916400
Herr Staatssekretär, wie bewertet die Bundesregierung das Haftungsrisiko der die abgeschlossenen Tilgungsversicherungen nach



Wolfgang Ilte
dem Optima-Modell zu verantwortenden Versicherungsunternehmen, und welche Auswirkungen könnten sich aus einer eventuellen Haftung der Versicherungsunternehmen gegenüber der Gemeinschaft aller Versicherten ergeben?

Hansgeorg Hauser (CSU):
Rede ID: ID1319916500
Herr Kollege Ilte, ich kann das Volumen nicht abschätzen, und ich kann auch zu einem Haftungsrisiko hier keine Stellungnahme abgeben. Das ist eine juristische Sachfrage, die ich hier aus dem Stegreif nicht beantworten kann.

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1319916600
Weitere Zusatzfrage, Herr Kollege Dreßen.

Peter Dreßen (SPD):
Rede ID: ID1319916700
Ich möchte noch einmal die Frage vom Kollegen Bury aufgreifen, die Sie nicht beantwortet haben: Wie hoch schätzen Sie den Schaden, der dem Bund durch die diversen Steuerhinterziehungen entstanden ist?
Mich persönlich würde auch noch interessieren: Gab es im Bundesfinanzministerium so eine schützende Hand, wie wir sie schon in Baden-Württemberg hatten, die unter Umständen noch beratend mitgewirkt hat?

Hansgeorg Hauser (CSU):
Rede ID: ID1319916800
Ich habe Ihnen gerade schon erläutert, daß diese beiden Vorgänge auseinanderzuhalten sind. Ich kann Ihnen zu den von der Staatsanwaltschaft ermittelten Vorgängen keine Angaben machen. Das Thema Steuerhinterziehung ist aber von dem übrigen Sachverhalt abzutrennen. Deswegen kann ich hier zu der Größenordnung des Schadens, der durch nichtversteuerte Provisionen entstanden ist, keine Angaben machen.
Zum zweiten Teil Ihrer Frage: Es gab keine „schützende Hand", wie Sie das bezeichnen, oder irgend etwas dieser Art. Das ist eine Unterstellung, die ich hier zurückweisen muß.

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1319916900
Dann rufe ich die Frage 37 des Kollegen Hans-Joachim Hacker auf:
Teilt die Bundesregierung die Befürchtung, daß die Verlagerung der Bundesvermögensabteilung der Oberfinanzdirektion Rostock nach Hamburg in nächster Zukunft als strukturelle Folge eine Verlagerung der gesamten Bundesabteilung zu Lasten der Hansestadt Rostock nach sich ziehen wird, da die spezifischen Aufgabenstellungen dieser Abteilung die Arbeit an einem zentralen Standort erforderlich machen, und wenn ja, wie gedenkt die Bundesregierung die Bearbeitung der größtenteils schwerpunktmäßig auf das Land Mecklenburg-Vorpommern bezogenen, sehr spezifischen Aufgabenstellungen im Interesse des Landes Mecklenburg-Vorpommern sicherzustellen?

Hansgeorg Hauser (CSU):
Rede ID: ID1319917000
Herr Kollege Hacker, die angesprochene Befürchtung ist unbegründet. Das Konzept des Bundesministers der Finanzen sieht vielmehr vor, die Aufgaben der Bundesvermögensverwaltung für die Länder Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein in Rostock zusammenzufassen. Damit wird den schwerpunktmäßigen
Aufgaben der Bundesvermögensverwaltung im Land Mecklenburg-Vorpommern und den spezifischen Aufgabenstellungen im Interesse des Landes Rechnung getragen.

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1319917100
Zusatzfrage.

Hans-Joachim Hacker (SPD):
Rede ID: ID1319917200
Herr Staatssekretär, das hört sich alles ganz gut an. Ist aber nicht alleine auf Grund der fehlenden Praktikabilität infolge der Aufgabensplittung und der Verteilung der Aufgaben auf verschiedene Standorte, der damit verbundenen Mehraufwendungen bei der Abstimmung und der daraus resultierenden erhöhten Kosten zu befürchten, daß am Ende eine Gesamtverlagerung nach Hamburg erfolgt?

Hansgeorg Hauser (CSU):
Rede ID: ID1319917300
Nein, das Gesamtmodell -„8 + 8 + 8" - sieht vor, daß hier endgültige Standorte festgelegt werden. Es ist also nicht so, daß jetzt nur vorübergehend ein Standort festgelegt wird, sondern das ist ein festes Konzept, das hier zugrunde gelegt wird.

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1319917400
Weitere Zusatzfrage.

Hans-Joachim Hacker (SPD):
Rede ID: ID1319917500
Herr Staatssekretär, wie weit sind Sie in den Beratungen mit den betroffenen Landesregierungen - konkret mit der Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern - in dieser Frage, und gibt es noch einen Handlungsspielraum, der einschließt, daß bei gewichtigen Einwänden eine Korrektur der ursprünglich in Ihrem Hause erarbeiteten und von Ihrem Hause vorgelegten Konzepte möglich ist?

Hansgeorg Hauser (CSU):
Rede ID: ID1319917600
Herr Kollege, zur Zeit laufen eine Reihe von Anhörungsverfahren mit den Ländern, da wir hier - das war die Frage, über die wir schon beim letztenmal diskutiert haben - nach dem Finanzverwaltungsgesetz das erforderliche Benehmen mit den Ländern herstellen müssen. Wir werden diese Anhörungsverfahren voraussichtlich bis Ende des Jahres abschließen können. Inwieweit dann noch Spielräume gegeben sind, vermag ich im Augenblick noch nicht zu beurteilen.

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1319917700
Zusatzfrage der Kollegin Lucyga.

Dr. Christine Lucyga (SPD):
Rede ID: ID1319917800
Herr Staatssekretär, Sie sprachen von Spielräumen, die geprüft werden müssen. Darauf gründet sich meine Frage: Ist Ihnen bekannt, daß gerade im Bereich der Bundesvermögensverwaltung in den neuen Ländern - und natürlich ganz speziell in Mecklenburg-Vorpommern - noch lange Zeit besonders umfangreiche und spezifische Aufgaben zu erledigen sein werden, so daß es aus Gründen der Ratio zwingend erforderlich wäre, eine bevorzugte Ansiedlung und Belassung komple-

Dr. Christine Lucyga
xer Verwaltungen in den neuen Bundesländern vorzusehen? Das wäre doch richtig und wichtig, weil auch die wesentlichen Arbeitsschwerpunkte dort liegen.

Hansgeorg Hauser (CSU):
Rede ID: ID1319917900
Frau Kollegin, die Aufgaben, die durchaus vorhanden sind, können nach wie vor vor Ort erledigt werden. Nur die Spitze der Zoll- und Verbrauchsteuerabteilung wird in die Oberfinanzdirektion Hamburg verlagert. Die Aufgaben können aber nach wie vor durch die entsprechenden Einrichtungen vor Ort erledigt werden.

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1319918000
Herr Kollege Ilte, bitte.

Wolfgang Ilte (SPD):
Rede ID: ID1319918100
Herr Staatssekretär, können Sie Angaben dazu machen, wie viele Stellen nach dem Regierungskonzept, das uns vorliegt, durch die Verlagerung von Arbeiten in den Oberfinanzdirektionen insgesamt, deutschlandweit, im Endeffekt möglicherweise eingespart werden? Wenn ich Sie recht verstanden habe, bleibt der Umfang der Arbeiten der gleiche; sie werden nur an anderen Stellen gemacht. Sie schicken die Leute von Rostock nach Hamburg und von Hamburg nach Rostock, aber der Umfang der Arbeiten wird nicht reduziert. Wie hoch ist das Einsparpotential, das Sie sich ausrechnen, tatsächlich?

Hansgeorg Hauser (CSU):
Rede ID: ID1319918200
Herr Kollege Ilte, diese Frage ist in der Ausarbeitung, die auch Ihnen zugegangen ist, bereits beantwortet worden. Ich habe sie jetzt nicht parat. Tatsache ist aber, daß durch die geplante Neustrukturierung, beispielsweise durch die Verlagerung nach Rostock, zusätzliche Arbeitsplätze bei der Bundesvermögensabteilung in Rostock entstehen, so daß - diese Frage ist anschließend zu beantworten - die Abgänge im Bereich der Zoll- und Verbrauchsteuerabteilung ausgeglichen werden können.
Sie haben sicherlich die Behandlung der Entlassungen, die möglicherweise anstehen könnten, im Hinterkopf. Ich glaube, es ist ganz normal, daß dies sozialverträglich behandelt wird.
Die weiteren Personalangaben können Sie im übrigen dem Konzept entnehmen, das wir Ihnen im Finanzausschuß vorgelegt haben. Darin ist die Personalplanung pro OFD bis ins kleinste erläutert.

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1319918300
Jetzt kommen wir zu Frage 38 der Kollegin Dr. Christine Lucyga:
Wie erklärt die Bundesregierung den Widerspruch, der zwischen den Vorschlägen der Unabhängigen Föderalismuskommission vom 27. Mai 1992 (Drucksache 12/2853 [neu]) für eine ausgeglichene Verteilung von Bundesbehörden unter besonderer Berücksichtigung der neuen Länder und der jetzt geplanten bzw. teilweise bereits vollzogenen Verlagerung von Einrichtungen des Bundes - wie z. B. den Oberfinanzdirektionen - aus den neuen in die alten Bundesländer besteht?

Hansgeorg Hauser (CSU):
Rede ID: ID1319918400
Den von Ihnen angenommenen Widerspruch sehe ich nicht. Bei der vom Bundesministerium der Finanzen geplanten Umstrukturierung der Bundesabteilungen an den 21- also den jetzigen - Oberfinanzdirektionen des Bundesgebietes handelt es sich um eine Straffungsmaßnahme zur Effizienzsteigerung der Verwaltung. Das Konzept und die Standortvorschläge sind im Hinblick auf die Ost-West-Verteilung als ausgewogen anzusehen. Endgültige Standortentscheidungen sind noch nicht getroffen - dies habe ich vorhin ausgeführt -, da die Anhörung der Betroffenen und Interessenträger sowie die Beteiligung der Bundesländer noch nicht abgeschlossen ist.
Im übrigen wurden von den Beschlüssen der Unabhängigen Föderalismuskommission nur die Bundesinstitutionen umfaßt, die in die neuen Länder zu verlagern sind. Hierzu gehören die Oberfinanzdirektionen nicht.

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1319918500
Zusatzfrage.

Dr. Christine Lucyga (SPD):
Rede ID: ID1319918600
In dem betreffenden Beschluß der Föderalismuskommission vom Mai 1992 ist aber von einer ausgewogenen Behördenstruktur unter besonderer Berücksichtigung der neuen Länder die Rede, was auch eine Verlagerung von Bundesbehörden einschließt. Und wir beobachten nun eine Rückverlagerung - auch die Wetterdienste und ähnliches mehr gehören dazu - in die alten Länder.
Nun zu meiner Frage. Sie sagen, die neuen Länder hätten inzwischen eine ausgewogene Bundesbehördenstruktur auf der Grundlage des Beschlusses. Ich wüßte nun gern, wieviel von diesem Beschluß inzwischen zum Beispiel für Mecklenburg-Vorpommern umgesetzt worden ist bzw. wann mit der vollständigen Umsetzung dieses Beschlusses in bezug auf Mecklenburg-Vorpommern zu rechnen ist. Ich habe nämlich nicht den Eindruck, daß dies erfolgt.

Hansgeorg Hauser (CSU):
Rede ID: ID1319918700
Frau Kollegin, lassen Sie mich diese Frage nicht speziell auf Mecklenburg-Vorpommern beziehen, sondern allgemein auf die neuen Bundesländer.
In dem Straffungskonzept, das wir für die OFDs vorgelegt haben, ist vorgesehen, die Zoll- und Verbrauchsteuerabteilung der Oberfinanzdirektionen Rostock und Erfurt sowie die Bundesvermögensabteilung der Oberfinanzdirektion Chemnitz zu verlagern. Erhalten bleiben die Zoll- und Verbrauchsteuerabteilungen in Potsdam und Dresden sowie die Bundesvermögensabteilungen in Rostock, Magdeburg und Erfurt. Ebenso erhalten bleibt die Bundesvermögensabteilung der Oberfinanzdirektion Cottbus. Allerdings wird hier über eine Zusammenlegung mit der Bundesvermögensabteilung der Oberfinanzdirektion Berlin nach Abwicklung des Regierungsumzuges entschieden.
Unter Berücksichtigung einer weiteren Aufgabe der Bundesfinanzverwaltung, nämlich der Vermö-

Parl. Staatssekretär Hansgeorg Hauser
genszuordnung, ist der Bund bei allen fünf Oberfinanzdirektionen in den neuen Ländern weiterhin präsent. Die Aufgabe der Vermögenszuordnung ist den Oberfinanzpräsidenten in den neuen Ländern unmittelbar zugeordnet und wird auch durch das Straffungskonzept nicht berührt. Das heißt: Nach wie vor sind in den neuen Bundesländern eine ganze Reihe von Institutionen.
Ich bin gerne bereit, speziell für Mecklenburg-Vorpommern dies noch einmal gesondert aufzulisten und Ihnen zukommen zu lassen.

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1319918800
Eine weitere Zusatzfrage.

Dr. Christine Lucyga (SPD):
Rede ID: ID1319918900
Herr Staatssekretär, für eine spezifische Auflistung in bezug auf Mecklenburg-Vorpommern wäre ich Ihnen sehr dankbar. Ich habe nämlich nicht ganz verstanden, wo ein Aufwuchs an Stellen sein soll, wenn gestrafft wird, wenn die Bundesvermögensverwaltung nach Hamburg geht - auch wenn eine Bundesvermögensabteilung in Rostock bleibt - und die Zoll- und Verbrauchsteuerabteilung verlagert wird. Wo kommt denn der Stellenaufwuchs her? Ich sehe nur, daß ein ständiges Hin- und Herfahren erforderlich ist und so zusätzliche Zeitverluste entstehen, bei gleichbleibender Aufgabenfülle.

Hansgeorg Hauser (CSU):
Rede ID: ID1319919000
Diese Frage ist ähnlich der von Ihnen gestellten nächsten Frage, welche Einrichtungen erhalten bleiben.
Wir haben auf der Ortsebene die Funktionen so erhalten, daß die Erledigung der Aufgaben gewährleistet ist. Das gleiche, gilt - das sprechen Sie ebenfalls in der nächsten Frage an - für die Aufgaben der Zollabteilung.
Ihre in der Frage zugrunde gelegte Annahme, daß der Präsident der Oberfinanzdirektion die entsprechenden Stellen bereisen muß, trifft also nicht zu. Er kann das von seiner Dienststelle, von Hamburg aus, genauso erledigen.

(Dr. Christine Lucyga [SPD]: Ersetzt nicht die Anschauung vor Ort!)


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1319919100
Frage 39 der Kollegin Dr. Christine Lucyga:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die beabsichtigte Schließung der Zoll- und Verbrauchsteuerabteilung bei der Oberfinanzdirektion Rostock und ihre Verlegung nach Hamburg für den Direktionsbereich Rostock und für das Land Mecklenburg-Vorpommern zur Folge hat, daß eine sachgerechte Erfüllung des Aufgabenspektrums dieses durch die grüne Grenze zu Polen unter besonders schwierigen Bedingungen arbeitenden Bereichs akut gefährdet oder sogar unmöglich gemacht wird?

Hansgeorg Hauser (CSU):
Rede ID: ID1319919200
Frau Kollegin, die Überwachung der grünen Grenze zu Polen obliegt den örtlichen Behörden, insbesondere dem Grenzaufsichtsdienst. Die Ortsebene wird durch die Straffung der
Zoll- und Verbrauchsteuerabteilungen nicht berührt. Insbesondere sind hiermit keine Schließungen örtlicher Dienststellen verbunden. Die Zollverwaltung wird damit weiterhin flächendeckend, auch unmittelbar an der Grenze, präsent bleiben.
Ich habe mir noch einmal die Aufstellung darüber besorgt, welche Stellen nicht betroffen sind. So bleiben die Hauptzollämter als Ortsbehörden und deren nachgeordnete Ämter erhalten, zum Beispiel die Zollämter, die Abfertigungsstellen und die Zollkommissariate. Von einer Schließung sind somit in Mecklenburg-Vorpommern nicht betroffen die Hauptzollämter in Neubrandenburg, Schwerin und Stralsund. Zu erwähnen sind darüber hinaus das Zollfahndungsamt Rostock und das Hauptzollamt für Prüfung in Rostock.
Damit sind mehr als 1400 Beschäftigte von der Umstrukturierung der Bundesabteilungen der Oberfinanzdirektion nicht betroffen. Vielleicht ist diese Ergänzung wichtig zur Beantwortung der Frage, in welcher Größenordnung die Stellen bestehenbleiben.

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1319919300
Zusatzfrage.

Dr. Christine Lucyga (SPD):
Rede ID: ID1319919400
Dennoch ist mir nicht ganz klar, warum die Zoll- und Verbrauchsteuerabteilung sowie die übergeordnete Ebene nach Hamburg verlagert werden sollen. Denn die Aufgaben des Zolls in Hamburg unterscheiden sich naturgemäß von denen in Mecklenburg-Vorpommern sehr deutlich. Somit müßte doch erwartet werden, daß angesichts der großen Probleme des Zolls in Hamburg deren Bearbeitung im Rahmen einer dann gemeinsamen Abteilung derart Vorrang erhalten, daß die Aufgabenstellungen Mecklenburg-Vorpommerns ins Hintertreffen geraten.

Hansgeorg Hauser (CSU):
Rede ID: ID1319919500
Ich bin genau gegenteiliger Meinung: Die Aufgaben werden mit Sicherheit hervorragend durch die örtliche Ebene erledigt werden können. Der Präsident der Oberfinanzdirektion als Vertreter des Bundes hat - speziell auch im Bereich Zoll - übergeordnete Aufgaben wahrzunehmen, die in Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern gleich sind. Aber es ist wichtig, daß die Erfüllung der Aufgaben vor Ort ordnungsgemäß gewährleistet wird. Dieses Modell wird daran nichts ändern.

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1319919600
Zusatzfrage.

Hans-Joachim Hacker (SPD):
Rede ID: ID1319919700
Herr Staatssekretär Hauser, nach Ihren Antworten auf die Fragen von Frau Dr. Lucyga und auf meine Fragen komme ich zu dem Ergebnis, daß wenig oder gar kein Handlungsspielraum besteht, das ursprüngliche Konzept in dem Sinne, wie wir es vorgetragen haben, zu korrigieren. Vor diesem Hintergrund stelle ich die Frage: Wie bewerten Sie die Aussagen des Bundestagsabgeordneten Krüger, Sprecher der CDU-Abgeordneten aus den neuen Ländern, nach seinem Besuch bei der OFD Rostock, daß er sich mit Nachdruck für eine Kor-



Hans-Joachim Hacker
rektur des Konzeptes einsetzen wird und dafür Sorge tragen will, daß hier in Bonn ernsthaft überlegt wird, die Zoll- und Verbrauchsteuerabteilung der OFD Rostock in Rostock zu belassen? So seine öffentlichen Erklärungen im Norddeutschen Rundfunk RMV?

Hansgeorg Hauser (CSU):
Rede ID: ID1319919800
Herr Kollege, ich habe volles Verständnis für jeden Abgeordneten, der sich vor Ort für die Belange einer Behörde oder Institution einsetzt. Nur, man muß auch sehen: Wir haben mit dieser „8 + 8 + 8-Struktur" ein Gesamtkonzept für ganz Deutschland entwickelt. Ich glaube, es ist wirklich an der Zeit, daß sich der Bund bei der Straffung seiner Aufgaben eine entsprechende Organisationsstruktur in diesen Bereichen schafft.

(Dr. Dagmar Enkelmann [PDS]: Fangen Sie einmal bei der Regierung an!)

Ich habe als Abgeordneter natürlich die gleichen Fragen auch in meiner Region. Hier wird eine Verlagerung der Bundesvermögensabteilung von Nürnberg nach München und umgekehrt eine Verlagerung der Zollabteilung von München nach Nürnberg geplant. Auch hier kommen natürlich die gleichen Fragen.
Die von dieser Verlagerung Betroffenen müssen möglicherweise eine entsprechende Benachteiligung in Kauf nehmen, wenn sie den Umzug tatsächlich vornehmen müssen. Aber wir brauchen eine Straffung unserer Organisation. Wir haben das gleiche zum Beispiel bei den Landeszentralbanken durchgeführt. Auch das ist eine nötige Reformmaßnahme gewesen. Wir sollten jetzt diese alten Strukturen nicht aufrechterhalten und verteidigen, auch wenn es, wie gesagt, für den örtlichen Abgeordneten eine Pflichtaufgabe ist.

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1319919900
Zusatzfrage. der Kollegin Hoffmann.

Jelena Hoffmann (SPD):
Rede ID: ID1319920000
Herr Staatssekretär, können Sie mir bitte die Gründe dafür nennen, warum die größere Oberfinanzdirektion von Chemnitz nach Erfurt verlagert wird, wo sich eine kleinere Bundesvermögensabteilung befindet? Die Zahlen - egal, ob es die Mitarbeiterzahlen, die Aufgabengebiete usw. sind - sprechen eher dagegen. Können Sie bitte einmal die Gründe nennen, warum so vorgegangen wird?

Hansgeorg Hauser (CSU):
Rede ID: ID1319920100
Frau Kollegin, darf ich mich in der Form aus der Affäre ziehen, daß ich Ihnen das schriftlich geben kann, warum die Entscheidungen für Chemnitz und Erfurt in dieser Weise getroffen worden sind? Es entzieht sich im Augenblick meiner Kenntnis. Ich müßte die einzelnen Zahlen erst einmal zusammenschreiben, wieviel Mitarbeiter in welchen OFDs im Augenblick sind und wie das
nach dieser Verlagerung ausschaut. Ich gebe Ihnen das aber sehr gerne schriftlich.

(Jelena Hoffmann [Chemnitz] [SPD]: Gut, danke!)


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1319920200
Dann hat die Kollegin Lucyga noch eine Zusatzfrage.

Dr. Christine Lucyga (SPD):
Rede ID: ID1319920300
Herr Staatssekretär, je länger ich Ihnen bei Ihren Antworten auf unsere Fragen zuhöre, um so weniger einsichtig ist mir dieses Straffungskonzept. Ich frage mich manchmal, für welches Ministerium die Arbeitsbeschaffungsmaßnahme, die Sie hier planen, sein soll.
Aber konkret eine Frage: Hat sich der Kollege Krüger nun zwecks Einlösung seines Versprechens, sich in der Region für den Erhalt der Zoll- und Verbrauchsteuerabteilung in Rostock einzusetzen, bereits an Sie gewandt?

Hansgeorg Hauser (CSU):
Rede ID: ID1319920400
Frau Kollegin, die Frage kann ich Ihnen nicht beantworten, weil er sich nicht persönlich an mich gewandt hat. Aber ich werde auch dieser Frage nachgehen und den Kollegen Krüger selbst befragen bzw. im Haus in Erfahrung zu bringen versuchen, ober sich an uns gewendet hat.

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1319920500
Dann danke ich dem Herrn Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft auf. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Kolb bereit.
Ich rufe die Frage 40 der Kollegin Lydia Westrich auf:
Wie steht die Bundesregierung zu der Auffassung, daß aus ökonomischer Sicht die Mittelausstattung für die Gemeinschaftsaufgabe (GA) „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" eigentlich verbessert werden müßte, wenn man berücksichtigt, daß z. B. im Land Rheinland-Pfalz der Einsatz der GA-Mittel ungefähr das Achtfache an privaten Investitionen auslöst und die Förderung vor allem der Unterstützung kleinerer und mittlerer Unternehmen zugute kommt?

Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1319920600
Frau Kollegin Westrich, nach Art. 30 des Grundgesetzes ist die regionale Wirtschaftsförderung grundsätzlich eine Aufgabe der Länder. Bei besonders schwerwiegenden Regionalproblemen wirkt der Bund an dieser Aufgabe der Länder im Rahmen der Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" gemäß Art. 91 a des Grundgesetzes mit.
Die Bundesregierung mißt der regionalen Wirtschaftsförderung im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" angesichts des gestiegenen regionalpolitischen Handlungsbedarfs und der schwierigen Arbeitsmarktlage gerade in strukturschwachen Regionen weiterhin eine hohe Bedeutung zu. Gleichwohl muß sich auch die Gemeinschaftsaufgabe der veränderten Haushaltslage anpassen.



Parl. Staatssekretär Dr. Heinrich L. Kolb
Der Haushaltsansatz des Bundes sieht in den alten Ländern 1998 eine Kürzung der Barmittelausstattung gegenüber dem Vorjahr um rund 40 Prozent von 350 Millionen DM auf 205 Millionen DM einschließlich Bürgschaftsausfälle in Höhe von 5 Millionen DM vor, aber auch eine Erhöhung der Verpflichtungsermächtigung von 200 Millionen DM auf 350 Millionen DM, fällig in den Jahren 1999 bis 2001. Durch die Erhöhung der Verpflichtungsermächtigung bleibt der zur Verfügung stehende Bewilligungsrahmen gegenüber dem Vorjahr unverändert. Angesichts der - auch das will ich hier deutlich sagen - schwierigen Haushaltslage ist jedoch damit zu rechnen, daß der finanzielle Handlungsspielraum für die regionale Wirtschaftsförderung in Westdeutschland in den nächsten Jahren geringer wird.

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1319920700
Zusatzfrage.

Lydia Westrich (SPD):
Rede ID: ID1319920800
Herr Staatssekretär, der Wirtschaftsminister des Landes Rheinland-Pfalz hat aber bezweifelt, daß, wenn die benötigten Barmittel vom Bund nicht bereitgestellt werden, selbst die zur Deckung von eingegangenen Verpflichtungen der Länder im Rahmen der GA-Förderung Mittel bewilligt werden können.

Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1319920900
Frau Kollegin Westrich, wir sind ja, was die konkrete Abwicklung des Programmes anbelangt, in ständigem Austausch auch mit den Ländern. Zur Stunde sitzen - ich weiß das - die Förderreferenten der Länder mit unserem Referat zusammen, um konkrete Fragen zu besprechen. Mir ist nicht bekannt, daß es die von Ihnen angesprochenen Probleme geben könnte.

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1319921000
Weitere Zusatzfrage.

Lydia Westrich (SPD):
Rede ID: ID1319921100
Es ist Ihnen sicher bekannt, daß wegen der geringen Mittel, die jetzt schon eingesetzt sind, und auch wegen der angespannten Finanzlage der Länder der mögliche Förderrahmen der EU in vielen Fällen gar nicht ausgeschöpft werden kann. Sie müssen sich darüber im klaren sein, daß dieser eingeschränkte Förderrahmen bei einer Kürzung des Bundesanteils noch enger werden wird.

Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1319921200
Frau Kollegin Westrich, Sie hatten für eine der letzten Fragestunden auch einige mündliche Fragen eingereicht, die dann aber schriftlich beantwortet werden mußten. Ich hatte Ihnen damals geschrieben, daß zu erwarten ist, daß die für das Land Rheinland-Pfalz vorgesehenen Bundesmittel bis zum Ende des Jahres in voller Höhe abfließen werden. Ich kann nicht erkennen, wo sich hier durch Komplementärmittel oder wodurch auch immer Restposten ergeben würden, das heißt, eine vollständige Inanspruchnahme der Mittel nicht stattfinden würde. Wir gehen davon aus, daß bis zum Jahresende wirklich alle Mittel in Anspruch genommen worden sind.

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1319921300
Ich rufe die Frage 41 der Kollegin Westrich auf:
Ist die Bundesregierung vor dem Hintergrund ihrer seinerzeit strittigen Beteiligung am KONVER-Programm der EU, das sich z. B. gerade in meinem Wahlkreis Pirmasens/Zweibrücken äußerst positiv ausgewirkt hat, nicht gewillt, Förderinstrumenten mit nachgewiesenen Synergieeffekten, wie der GA, den Vorzug zu geben, bzw. welche anderen Instrumente bevorzugt sie, um gleichwertige Lebens- und Arbeitsverhältnisse in allen Bundesländern herzustellen?

Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1319921400
Frau Kollegin, ich verweise zunächst einmal, auch was die Beantwortung dieser Frage anbelangt, auf meine Antwort zu Frage 40. Ich will aber noch ergänzen: Die Gemeinschaftsaufgabe bleibt das zentrale Instrument, das gezielt dazu beitragen soll, die regionalen Unterschiede abzubauen. Hauptziel der regionalen Wirtschaftsförderung im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" ist es, daß strukturschwache Regionen durch Ausgleich ihrer Standortnachteile Anschluß an die allgemeine Wirtschaftsentwicklung halten können und daß regionale Entwicklungsunterschiede durch die Schaffung bzw. Sicherung von wettbewerbsfähigen Arbeitsplätzen in strukturschwachen Regionen abgebaut werden.
Gleichwohl kann sich die Gemeinschaftsaufgabe dem Zwang zur Konsolidierung der öffentlichen Haushalte nicht entziehen. Ich weise aber darauf hin, daß die Förderung strukturschwacher Räume, insbesondere solcher, die von Aufgaben der Konversion betroffen sind, auch durch andere Instrumente erfolgt, etwa durch die verbilligte Abgabe von Grundstücken oder auch durch die Zuweisung eines Anteils an der Umsatzsteuer an die Länder für die Wahrnehmung von Konversionsaufgaben.

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1319921500
Zusatzfrage.

Lydia Westrich (SPD):
Rede ID: ID1319921600
Wenn die GA das wichtigste Instrument ist und Sie sich mit drastischen Mittelkürzungen -40 Prozent empfinde ich schon als drastisch - immer stärker aus der Verantwortung ziehen, dann hätte ich von Ihnen noch gerne gewußt, ob Sie außer der Verbilligung bei Konversionsaufgaben vielleicht noch andere Instrumente in Betracht ziehen, die Sie, um die Aufgaben der GA zu erfüllen, einsetzen wollen.

Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1319921700
Zunächst, Frau Westrich, noch einmal zur Klarstellung: Die Reduktion des Barmittelansatzes bedeutet eben nicht, daß wir nicht auch im ursprünglich vorgesehenen Rahmen bewilligen könnten. Dafür stehen die Verpflichtungsermächtigungen.
Ich habe ein Instrument bisher nicht genannt, das ich jetzt aber noch gerne einführen will: Das sind die EU-Fonds, die von Deutschland in nicht unwesentli-

Parl. Staatssekretär Dr. Heinrich L. Kolb
chem Anteil mitfinanziert werden und aus denen für die Jahre 1997 bis 1999 für Rheinland-Pfalz 27,33 Millionen Ecu, also rund 54 Millionen DM, zur Verfügung stehen. Davon entfallen 17,76 Millionen Ecu auf den Regionalfonds und 9,57 Millionen Ecu auf den europäischen Sozialfonds.
Es ist auch so, daß die Gebiete, in denen diese Mittel zum Einsatz kommen können, zuletzt noch erweitert worden sind. So ist, wenn ich etwa an die Ziel5b-Gebiete denke, neben den bisher schon aufgenommenen Landkreisen Bitburg-Prüm, Daun, Trier-Saarburg und Kusel jetzt zusätzlich die Aufnahme der Landkreise Birkenfeld, Cochem-Zell, RheinHunsrück-Kreis, Bernkastel-Wittlich und Donnersberg als Ziel-5b-Gebiete erfolgt. Sie wissen, daß, was die altindustriellen Standorte anbelangt, auch die Räume Pirmasens/Zweibrücken und auch Kaiserslautern - das heißt Teile der Stadt und des Landkreises Kaiserslautern - im Rahmen der Ziel-2-Förderung auf diese Fonds zurückgreifen können.

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1319921800
Es werden keine weiteren Zusatzfragen gestellt.
Dann rufe ich die Frage 42 des Kollegen Heinz Schmitt auf:
Welche deutschen Firmen produzieren gegenwärtig Landminen, und wer sind die Abnehmer dieser Landminen?

Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1319921900
Herr Kollege Schmitt, zur Beantwortung Ihrer Frage schicke ich voraus, daß bei Landminen grundsätzlich zwischen Anti-PersonenMinen zum einen und Panzerabwehrminen zum anderen zu unterscheiden ist. In Deutschland werden Anti-Personen-Minen seit Jahren schon nicht mehr hergestellt. Es werden ausschließlich Panzerabwehrminen produziert, und zwar von zwei Firmen. Abnehmer sind ausnahmslos NATO-Länder.

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1319922000
Zusatzfrage.

Heinz Schmitt (SPD):
Rede ID: ID1319922100
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Das Verbot der Anti-Personen-Minen, das in Oslo vertraglich fixiert werden soll, steht zur Zeit in der Diskussion. Ich kenne nicht exakt den Unterschied zwischen Anti-Personen-Minen und Panzerabwehrminen. Deshalb lautet meine Frage: Plant die Bundesregierung ähnlich wie bei Anti-PersonenMinen, im Rahmen ihrer Möglichkeiten darauf hinzuwirken, daß für die Panzerabwehrminen ein ähnliches Verbot angestrebt wird?
Ergänzend frage ich: Können auch Personen - also Fußgänger, Bauern bei der Arbeit oder Kinder beim Holzsammeln - durch diese zweite Art von Minen verletzt, verstümmelt oder auch getötet werden, oder sind nur Tankfahrzeuge betroffen?

Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1319922200
Herr Kollege Schmitt, auch ich bin kein Experte in Fragen der Landminen. Nach meinem Verständnis ist der Auslösemechanismus bei Anti-Personen-Minen so eingestellt, daß er durch den Auslösedruck eines Menschen ausgelöst wird, während bei Panzerabwehrminen erheblich höherer Auslösedruck eintreten müßte, damit eine solche Mine ausgelöst wird. Das garantiert aus meiner Sicht, daß Personen durch Panzerabwehrminen nicht verletzt werden können.

(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Es sei denn, sie sitzen in dem Panzer!)

- Ich nehme den Zwischenruf des Kollegen Schauerte gerne auf. Ich wollte nur kurz sagen, daß AntiPersonen-Minen aus guten Gründen weltweit geächtet sind. Zugleich muß man aber sagen, daß Panzerabwehrminen als Verteidigungswaffen zur Standardausrüstung jeder Armee gehören - auch der Bundeswehr. Deswegen will ich auf der einen Seite feststellen, daß sich die Bundesregierung, insbesondere der Bundesaußenminister, mit Nachdruck für ein Verbot der Anti-Personen-Minen einsetzt. Auf der anderen Seite kann ich mir nicht vorstellen, daß es auch im Bereich der Panzerabwehrminen zu einer solchen Verbotsvereinbarung kommen wird.

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1319922300
Zusatzfrage.

Heinz Schmitt (SPD):
Rede ID: ID1319922400
Ich darf noch einmal auf den ersten Teil meiner Fragen zu sprechen kommen; dazu haben Sie nichts konkret gesagt. Ist für den Fall, daß festgestellt würde, daß Einzelpersonen wie Fußgänger auch durch Panzerabwehrminen zu Schaden kommen können, daran gedacht, auf ein Verbot dieser zweiten Art von Minen hinzuwirken?

Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1319922500
Herr Kollege Schmitt, ich schlage vor, daß wir zunächst einmal den Sachverhalt klären. Aus dem Stand heraus kann ich Ihnen nicht die Abgrenzung zwischen den beiden Minenarten nennen. Ich bin aber gerne bereit, Ihnen das schriftlich nachzureichen.

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1319922600
Vielleicht sollte man anregen, diese speziellen Fragen an das Verteidigungsministerium zu stellen.

Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1319922700
Wir würden die Anfragen dann weiterleiten.

(Heinz Schmitt [Berg] [SPD]: Ich wundere mich ohnehin über die Zuordnung!)


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1319922800
Ich weiß das; aber im letzten Teil wurde es ein bißchen verteidigungspolitisch.
Es gibt keine weiteren Zusatzfragen. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Wolfgang Gröbl bereit.

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Die Fragen 43 und 44 werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 45 der Kollegin Brunhilde Irber auf:
Inwieweit sieht die Bundesregierung vor dem Hintergrund des nachhaltigen Borkenkäferbefalls deutscher Waldpopulationen im allgemeinen sowie des Nationalparks Bayerischer Wald im besonderen und angesichts des nach wie vor lückenhaften und widersprüchlichen Forschungsstandes die Notwendigkeit, Geldmittel für weitere und intensive Forschungen zum Verhalten des Borkenkäfers und möglicher biologischer Eindämmungsstrategien zur Verfügung zu stellen?

Wolfgang Gröbl (CSU):
Rede ID: ID1319922900
Frau Kollegin Irber, es gibt nur wenige Schadinsekten, die so intensiv untersucht worden sind wie der Fichtenborkenkäfer, insbesondere der Buchdrucker, der Ips typographus, der das Geschehen im Nationalpark Bayerischer Wald im wesentlichen bestimmt. Die Biologie der Borkenkäfer und die bei einer Massenvermehrung ablaufenden Prozesse sind daher gut erforscht.
In Fichtenbeständen sind häufig Borkenkäfer anzutreffen. Große Schäden können im Falle einer explosionsartigen Massenvermehrung entstehen. Dazu kann es kommen, wenn in aufeinanderfolgenden Jahren die Sommer warm und trocken sind. Das Massenvermehrungsrisiko erhöht sich in diesen Jahren beträchtlich, wenn infolge von Sturmwürfen oder Schneebruch viel frisches Holz über längere Zeit un-aufgearbeitet im Bestand liegt und/oder die Waldbestände durch äußere Faktoren, zum Beispiel durch Standort, Witterung, Wassermangel und durch das weite Feld der Immissionen, stark gestreßt sind. Die Einflußfaktoren sind also bekannt und erkennbar.
Wir wissen, daß es bei einer Massenvermehrung des Borkenkäfers zum Befall und zur Abtötung stehender Bäume auf großen Flächen kommen kann, wenn keine Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Die Forstwirtschaft hat als wirksame Gegenmaßnahme das Konzept „saubere Waldwirtschaft" entwickelt. Das heißt, durch Fällen und Schälen befallener Stämme und durch Entfernen des brutfähigen Materials aus dem Bestand wird den Borkenkäfern der Brutraum entzogen. Wo der Wald in seiner natürlichen Dynamik erhalten werden soll - wie im Nationalpark Bayerischer Wald - und deshalb menschliche Eingriffe unterbleiben, kann es zu derartigen Massenvermehrungen kommen. Das ist inzwischen gesicherte Erkenntnis.
Natürlich gibt es weiteren Forschungsbedarf. - Das war der zweite Teil Ihrer Frage. - Die derzeitige Entwicklung in den Hochlagen des Nationalparks Bayerischer Wald wird unter anderem durch die Bayerische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft und die Universität München wissenschaftlich begleitet.
Zudem will die Bayerische Staatsregierung ein Gremium mit internationaler Beteiligung einberufen. Es soll Vorstellungen über Nationalparke in Mitteleuropa im Lichte der Massenvermehrung des Borkenkäfers erörtern. Die Ergebnisse sollen in Form eines Symposiums bekanntgemacht werden.
Schließlich: An Untersuchungen zum Borkenkäfer wird darüber hinaus an der Biologischen Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft, an Forstlichen Versuchsanstalten der Länder, Universitäten und auch im Ausland gearbeitet. Unsere Biologische Bundesanstalt erforscht unter anderem auch die Verwendung von Pilzen als biologische Gegenspieler von Borkenkäfern.

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1319923000
Zusatzfrage.

Brunhilde Irber (SPD):
Rede ID: ID1319923100
Herr Staatssekretär, welchen Kenntnisstand besitzt die Bundesregierung bezüglich aktueller Forschungsprojekte zum Borkenkäfer? Das, was Sie angesprochen haben, ist mir bekannt. Ich hätte gern etwas darüber gehört, ob es etwas Aktuelleres gibt, zum Beispiel darüber, was derzeit im Harz erforscht wird, oder darüber, ob die von Ihnen angesprochenen Vorhaben der LMU München tatsächlich durchgeführt werden oder ob sie nur auf dem Papier stehen.

Wolfgang Gröbl (CSU):
Rede ID: ID1319923200
Ich fange gleich einmal bei dem letzten Punkt an. Professor Schopf, der den Lehrstuhl für angewandte Zoologie an der Universität München hat, führt mit der Bayerischen Landesanstalt für Wald- und Forstwirtschaft diese Untersuchungen durch. Die sind im Bayerischen Wald jetzt möglich geworden, weil man das Bekämpfungskonzept für den Borkenkäfer durch eine neue Verordnung geändert hat, die, so glaube ich, am 1. August dieses Jahres erlassen worden ist. Hier wird insbesondere untersucht, ob die früher festgesetzte Schutzzone von 500 Metern in bezug auf das Flugverhalten der Käfer ausreicht oder nicht. Es gibt inzwischen neuere Erkenntnisse, zum Beispiel die, daß man mit 500 Metern nicht zurechtkommt, insbesondere dann, wenn eine Abdrift durch Wind möglich ist; der Böhmerwaldwind und auf der anderen Seite der Westwind sind hier die entscheidenden Windrichtungen. Man müßte also mit Schutzzonen von 1 000 bis 1 500 Metern rechnen.

(Jürgen Türk [F.D.P.]: Sagen Sie nicht, das hätten Sie auch schon gewußt!)

Frau Kollegin Irber, folgende andere aktuelle Forschungen der Hessischen Landesanstalt für Forsteinrichtung, Waldforschung und Waldökologie sowie der Niedersächsischen Forstlichen Versuchsanstalt sind aufzuführen:
Die Einsetzbarkeit von entemopathogenen Pilzen bei der Bekämpfung von Borkenkäfern wird untersucht. Auch das ist ein Thema, das Sie im letzten Teil Ihrer Frage angesprochen haben.
Die Hessische Landesanstalt, Abteilung Waldschutz, untersucht Risiken einer Mißachtung der Grundsätze sauberer Waldwirtschaft und die Frage der Optimierung der Pheromonfalleneinsätze, die in Zweifel geraten sind.
Von der Niedersächsischen Forstlichen Versuchsanstalt, ebenfalls Abteilung Waldschutz, werden mechanische Methoden zur Vernichtung von Brutraum

Parl. Staatssekretär Wolfgang Gröbl
- Verletzungen und Quetschungen der Rinden - getestet.
Das sind zum Beispiel die Themen der wesentlichen aktuellen Forschungsarbeiten in Deutschland.

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1319923300
Weitere Zusatzfrage?

Brunhilde Irber (SPD):
Rede ID: ID1319923400
Ja.- Ist die Bundesregierung über mögliche Forschungsergebnisse informiert, die belegen könnten, daß autochthone Fichtenbestände eine erhöhte Resistenz gegen den Borkenkäfer aufweisen?

Wolfgang Gröbl (CSU):
Rede ID: ID1319923500
Frau Kollegin Irber, es ist gesicherte Erkenntnis, daß autochthone Fichtenbestände - das gleiche gilt natürlich auch für andere Baumarten - wesentlich stabiler sind als Bestände, bei denen Baumart und Standort nicht zueinander passen. Im letzteren Fall ist eine Schwächung der Bäume von vornherein gegeben. Wenn dann dazu noch andere Schwächungen wie Witterungseinflüsse, Frosttrocknis, Immissionen oder Sturm kommen, dann wird es für das Individuum Baum oder für einen ganzen Bestand dramatisch. Aber die autochthonen Bestände bringen von Natur aus eine gute Widerstandsfähigkeit mit sich, weil sich diese Pflanzen über Jahrhunderte, im Bayerischen Wald über Jahrtausende fortentwickelt haben, dem Standort angepaßt haben.

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1319923600
Dann rufe ich die Frage 46 der Kollegin Brunhilde Irber auf:
Inwieweit sieht die Bundesregierung einen Zusammenhang zwischen dem derzeit im Nationalpark Bayerischer Wald zu beobachtenden massiven Borkenkäferbefall und der allgemeinen Luftverschmutzung mit den bekannten Folgeerscheinungen wie erhöhter Ozonbelastung und Klimaerwärmung?

Wolfgang Gröbl (CSU):
Rede ID: ID1319923700
Gab es noch eine Zusatzfrage?

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1319923800
Nein, nein.

(Brunhilde Irber [SPD]: Hier wäre noch eine Zusatzfrage gewesen! Heidi Wright [SPD]: Oder kann ich die nach Frage 46 anschließen?)

- Ja, können Sie.

Wolfgang Gröbl (CSU):
Rede ID: ID1319923900
Das ist mir ganz gleich.

(Heidi Wright [SPD]: Dann machen wir erst mit dieser Frage weiter!)

- Gut.
In der Literatur ist ein deutlicher Zusammenhang zwischen Massenvermehrungen von Borkenkäfern und extrem warmen und trockenen Sommern belegt.
Hinsichtlich sonstiger Einwirkungen ist davon auszugehen, daß standortlich und klimatisch bedingter Streß zu einer solchen Schwächung der Wälder führen kann, daß auch stehende Bäume einer Massenvermehrung der Borkenkäfer keinen ausreichenden Widerstand entgegensetzen können. Der insgesamt von einem Baumbestand zu verkraftende Streß wird natürlich durch Immissionen erheblich verstärkt.

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1319924000
Zusatzfrage.

Brunhilde Irber (SPD):
Rede ID: ID1319924100
Welche Konzepte verfolgt die Bundesregierung, um die Rauchgas- und FCKW-Emissionen national und international verstärkt einzudämmen?

Wolfgang Gröbl (CSU):
Rede ID: ID1319924200
Herr Präsident, das gehört nicht zu meinem Zuständigkeitsbereich.

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1319924300
Das hatten wir eben auch schon.

Wolfgang Gröbl (CSU):
Rede ID: ID1319924400
Ich habe aber keine Probleme damit.
Die FCKW-Bekämpfung haben wir mit der ersten internationalen Ozonschutzkonferenz im September 1987 in Montreal eingeleitet. Wir haben damals unsere nationale Position in das weltweite Bemühen um Achtung aller FCKW und FCKW-ähnlichen Stoffe eingebracht. Wir sind heute so weit, daß FCKW - meines Wissens seit drei Jahren - bei uns nicht mehr hergestellt wird. Ich kann Ihnen jetzt allerdings nicht genau sagen, inwieweit unsere Nachbarstaaten diesem Beispiel gefolgt sind. Bei der Ächtung von FCKW, sowohl bei der Herstellung als auch bei der Anwendung, sind wir in Deutschland mit Sicherheit Vorreiter.
Weiter haben Sie danach gefragt, welche Position wir bei der Reduzierung der Treibhausgase einnehmen. Hier sind die Treibhausgase Kohlendioxid, Methan und Lachgas zu nennen. Die Bundesregierung hat sich zusammen mit der Europäischen Union vorgenommen - das macht ja nur Sinn, wenn es grenzüberschreitend geschieht - diese Treibhausgase bis zum Jahre 2010 um 15 Prozent bzw. um 7,5 Prozent bis zum Jahre 2005 gegenüber dem Niveau von 1990 zu reduzieren. Aus der Presse wissen wir alle, daß die USA ebenso wie Japan eine andere Position eingenommen haben und daß die G-77 einen wenig flexiblen Vorschlag vorgelegt hat, der noch etwas über den EU-Vorschlag hinausgeht. Jetzt hängt es von der Verhandlungskunst ab, diese unterschiedlichen Positionen in Kyoto einigermaßen zusammenzubringen.

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1319924500
Eine weitere Zusatzfrage?

Brunhilde Irber (SPD):
Rede ID: ID1319924600
Genau darauf zielt meine Frage ab: Welche Anstrengungen wird die Bundesre-

Brunhilde Irber
gierung unternehmen, um die USA noch im Vorfeld der Konferenz von Kyoto von der Notwendigkeit einer massiven Reduzierung der Treibhausgase wenigstens auf die von der Europäischen Union vorgeschlagene Höhe zu überzeugen?

Wolfgang Gröbl (CSU):
Rede ID: ID1319924700
Frau Kollegin Irber, wir beherbergen ja in Bonn das Sekretariat zur Vorbereitung der 3. Vertragsstaatenkonferenz. Zur Stunde tagt die entsprechende internationale Arbeitsgruppe in der Beethovenhalle, um eine gemeinsame Marschrichtung für Kyoto auszuarbeiten.

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1319924800
Jetzt erhält die Kollegin Heidi Wright das Wort.

Heidemarie Wright (SPD):
Rede ID: ID1319924900
Vielen Dank. Mit Ihrem Einverständnis beziehe ich mich auf die erste Frage der Kollegin Irber. Herr Staatssekretär, Sie sagten, es seien gute Erkenntnisse über den Borkenkäfer und sein Verhalten bekannt. Deshalb frage ich konkret: Können Sie gesicherte Angaben über das Flugverhalten des Borkenkäfers vor allen Dingen hinsichtlich der möglichen jährlichen Flugstrecke einer Borkenkäferpopulation machen? Wo wird also die große Population aus dem Bayerischen Wald möglicherweise nächstes Jahr ihr Unwesen treiben?

(Jürgen Türk [F.D.P.]: Jetzt habt ihr wieder ein Thema!)


Wolfgang Gröbl (CSU):
Rede ID: ID1319925000
Es ist, Frau Kollegin Wright, natürlich immer gefährlich, einen gelernten Forstmeister in einer solchen Sache zu befragen. Ich möchte Ihnen aber, um es abzukürzen, empfehlen, die AID-Broschüre zum Borkenkäfer zu studieren.

(Heiterkeit)

Das gilt für alle, die sich damit befassen. Darin finden Sie auch über das Flugverhalten des Borkenkäfers mit Windunterstützung bzw. bei Gegenwind indirekte Aussagen.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Heidemarie Wright (SPD):
Rede ID: ID1319925100
Die Angabe „ 19 km" und andere Aussagen sind natürlich sehr vage gehalten. Ich wollte eigentlich etwas konkretere Angaben erhalten, als man sie solchen Broschüren entnehmen kann.
Ich habe eine weitere Zusatzfrage.

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1319925200
Nein, das geht nicht, da Sie als Nichtfragestellerin nur eine Zusatzfrage stellen können. Es tut mir leid. Das Thema ist so spannend,

(Heiterkeit - Beifall auf der Tribüne)

ich würde gerne noch weiter über die Flugeigenschaften des Borkenkäfers einschließlich Flugstrecke und Bewaffnung reden lassen. Aber die Geschäftsordnung läßt das ebenso wie Beifall auf der Zuschauertribüne nicht zu.
Damit haben wir den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten abgeschlossen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung auf. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Horst Günther bereit.
Die Fragen 47 und 48 werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 49 des Kollegen Peter Dreßen auf.
Wie viele Werkvertragsarbeitnehmer sind derzeit in Deutschland tätig, und wann laufen die aktuellen Kontingente aufgrund der Intervention der Europäischen Kommission gegen die bis dahin bestehenden Regelungen aus?

Horst Günther (CDU):
Rede ID: ID1319925300
Herr Präsident, ist es möglich, die Fragen 49 und 50 gemeinsam zu beantworten?

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1319925400
Herr Dreßen, sind Sie einverstanden?

Peter Dreßen (SPD):
Rede ID: ID1319925500
Ja.

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1319925600
Dann rufe ich auch die Frage 50 auf:
Welche Haltung nimmt die Bundesregierung zur Intervention der Europäischen Kommission ein, und wie will sie ggf. die Möglichkeiten von Werkvertragskontingenten, insbesondere für osteuropäische Staaten, wiederherstellen?

Horst Günther (CDU):
Rede ID: ID1319925700
Herr Kollege Dreßen, nach der letzten monatlichen Erfassung der Bundesanstalt für Arbeit waren im September 1997 insgesamt 41996 Arbeitnehmer auf Grund der bilateralen Werkvertragsarbeitnehmervereinbarungen in Deutschland beschäftigt. Das von der Kommission der Europäischen Gemeinschaften eingeleitete Vertragsverletzungsverfahren hat nicht zur Folge, daß die vereinbarten Beschäftigungskontingente für Werkvertragsarbeitnehmer automatisch auslaufen. Die Initiative der Kommission, die damit begründet wird, daß die Werkvertragsarbeitnehmervereinbarungen gegen die in Art. 59 des EG-Vertrages garantierte Dienstleistungsfreiheit verstoßen, weil sie nicht für Unternehmen mit Sitz außerhalb Deutschlands in anderen EU-Mitgliedsstaaten gelten, führt nicht zur Ungültigkeit oder automatischen Beendigung der völkerrechtlich weiterhin verbindlichen Werkvertragsarbeitnehmervereinbarungen.
Zu der Frage 50: Die Bundesregierung sieht keine Möglichkeit, der Forderung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften zu entsprechen, auch solchen Unternehmen einen Zugriff auf die bilateral

Parl. Staatssekretär Horst Günther
ausgehandelten Beschäftigungskontingente zu ermöglichen, die ihren Sitz in einem anderen EU-Mitgliedsstaat haben.
Die Bundesregierung hat dem Standpunkt der EG-Kommission widersprochen; sie hat die EG-Kommission darauf hingewiesen, daß die Werkvertragsvereinbarungen inzwischen auch eine wichtige Funktion im europäischen Integrationsprozeß der MOELänder erfüllen. Dies ist auch der Grund, weshalb die Assoziationsabkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft sowie ihren Mitgliedsstaaten und den MOE-Ländern den Abschluß solcher Vereinbarungen ausdrücklich gutheißen.
Die Bundesregierung möchte deshalb auch künftig an den Werkvertragsarbeitnehmervereinbarungen festhalten. Sie weist allerdings darauf hin, daß sie eine Kündigung der Werkvertragsvereinbarungen in Erwägung zieht, falls die Kommission im weiteren Verlauf des Vertragsverletzungsverfahrens die Bundesrepublik Deutschland wegen Verletzung des Art. 59 des EG-Vertrages vor dem Europäischen Gerichtshof verklagen würde.

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1319925800
Sie haben vier Zusatzfragen. - Die erste.

Peter Dreßen (SPD):
Rede ID: ID1319925900
Ich möchte in meiner ersten Zusatzfrage Inhalte der Frage 47 der Kollegin Erika Lotz aufgreifen, die heute aus Krankheitsgründen nicht da sein kann. Auch mich würde interessieren, ob Sie denn nicht sehen, daß hier ein konstruktiver Beitrag zum Abbau der Arbeitslosigkeit nicht genutzt wird, weil Sie Werksvertragskontingente wieder öffnen, obwohl eigentlich doch die ganze Nation der Meinung ist, man müßte jetzt mit diesen Dingen einmal Schluß machen. Vor diesem Hintergrund würde mich schon einmal interessieren, wie Sie begründen, daß die Bundesregierung eine solche Wiedereröffnung in dem angesprochenen Maße zuläßt. Sie kennen die entsprechende Stellungnahme der zuständigen Gewerkschaft IG BAU, in der heftiger Widerstand Ihnen gegenüber geäußert worden ist.

Horst Günther (CDU):
Rede ID: ID1319926000
Kollege Dreßen, zunächst einmal möchte ich Ihnen widersprechen, daß die gesamte Bundesrepublik der Meinung ist, daß die Werkverträge abgeschafft werden müßten.

(Zuruf von der SPD: Doch! Peter Dreßen [SPD]: Ja, außer der Bundesregierung! Entschuldigung, ja!)

Es mag da unterschiedliche Auffassungen geben. Sie wissen, welche Intentionen mit diesen Werkverträgen verfolgt werden, die durchaus auch außenpolitischen und für inländische, für deutsche Unternehmen wirtschaftspolitischen Charakter, was die gegenseitige Vertragsauftragsnahme angeht, haben.
Wir haben ja in den letzten Jahren die Kontingente schon um die Hälfte zurückgefahren. Das geschah nicht durch Vertragsverhandlungen, sondern das hat
sich dadurch ergeben, daß wir die Bedingungen verschärft haben.
Im übrigen können wir nicht von heute auf morgen einen vollständigen Stopp anordnen. Wir müßten dann die Werkverträge automatisch kündigen; die Kündigungsfristen betragen jeweils ein halbes Jahr zum Jahresende. Die Bundesregierung beabsichtigt allerdings im Augenblick nicht, die Verträge zu kündigen.

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1319926100
Zweite Zusatzfrage.

Peter Dreßen (SPD):
Rede ID: ID1319926200
Herr Staatssekretär, wie verhält sich die Bundesregierung zu dem Umstand, daß rund die Hälfte der bei Kontrollen aufgefallenen illegalen Beschäftigten zuvor als Vertragsarbeiter tätig waren? Ist die ursprüngliche Begründung für Werkvertragskontingente für die osteuropäischen Staaten noch tragfähig, wonach diese einen deutschen Beitrag zur Umstellung dieser Volkswirtschaften auf marktwirtschaftliche Strukturen im Hinblick auf die Vermittlung von Know-how und die Erwirtschaftung von Devisen darstellen sollen?

Horst Günther (CDU):
Rede ID: ID1319926300
Das letzte kann ich durchaus bestätigen, nämlich daß wir damit helfen wollen, Know-how weiterzugeben. Ich kann nicht bestätigen, daß die Hälfte der Personen, die in einer illegalen Beschäftigung angetroffen wurden, früher einmal zu Werkvertragsbedingungen beschäftigt war. Solche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung nicht vor. Wenn Sie solche Erkenntnisse und entsprechendes Zahlenmaterial haben, wären wir dankbar, wenn Sie sie uns zur Verfügung stellen könnten. Was Sie behaupten, ist bei den Kontrollen der Bundesanstalt für Arbeit bisher nicht aufgefallen bzw. uns nicht mitgeteilt worden.

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1319926400
Die dritte Zusatzfrage.

Peter Dreßen (SPD):
Rede ID: ID1319926500
Herr Staatssekretär, die IG BAU hat Ihnen entsprechende Zahlen übersandt; das Schreiben kennen Sie sicherlich, in dem auch festgestellt wird, daß sehr viele Vertragsarbeitnehmer bei einer illegalen Beschäftigung angetroffen wurden.
Ich möchte die Frage an Sie richten: Meinen Sie nicht, daß sich auf Grund der Tatsache, daß nicht alle Firmen über solche Werkvertragsarbeitnehmer verfügen können, eine Wettbewerbsverzerrung innerhalb der Bundesrepublik ergibt? Die EU hat erkannt: Ausländische Firmen verzerren den Wettbewerb nicht dadurch, daß sie nicht an ihm teilnehmen dürfen. Das ist auch kritisiert worden. Die Frage ist, ob Sie nicht langfristig darauf hinwirken sollten, diese ganze Geschichte zum Erliegen zu bringen, indem Sie entsprechende Verträge kündigen.

Horst Günther (CDU):
Rede ID: ID1319926600
Ob das lang-

P
Peter Dreßen (SPD):
Rede ID: ID1319926700
ob sie das Vertragsverletzungsverfahren so weit treibt, daß sie vor den Europäischen Gerichtshof geht. Dann besteht natürlich die große Gefahr, daß auch andere EU-Länder in die Kontingente eingreifen können. Schon von daher sind wir dann gezwungen, die Verträge zu kündigen. Von Kündigungen aus anderen Gründen sieht die Bundesrepublik im Augenblick aber ab.
Sie müssen das auch im Gesamtzusammenhang mit der Integration und der Agenda 2000 sehen: Es sind dieselben Staaten, für die ansteht, in die EU aufgenommen zu werden. Wir haben die anderen Länder bereits aufgefordert, ähnlichen Beispielen zu folgen, damit ein vernünftiger Übergang, was die Freizügigkeit angeht, in ganz kleinen Schritten vielleicht schon jetzt eingeleitet werden kann. Wir sehen darin jedenfalls immer noch einen sinnvollen Beitrag zur Integration und zur Hilfe für diese osteuropäischen Länder.

Peter Dreßen (SPD):
Rede ID: ID1319926800
Letzte Frage, Herr Staatssekretär. Können Sie mir einen einzigen Vorteil nennen, den ein deutscher Arbeitnehmer durch diese Werkverträge hat? Finden Sie es nicht merkwürdig, daß Sie auf der einen Seite permanent versuchen - mit wenig Erfolg -, die Arbeitslosigkeit nach unten zu drücken, sie es auf der anderen Seite aber zulassen, daß die Arbeitslosigkeit steigt? Halten Sie das für richtig? Ich wiederhole: Nennen Sie mir einen Vorteil, den der deutsche Arbeitnehmer durch diese Werkverträge hat.

Horst Günther (CDU):
Rede ID: ID1319926900
Ich hatte Ihnen bereits eben gesagt, Kollege Dreßen, daß es durch diese Werkvertragsabkommen durchaus auch für deutsche Firmen Vorteile gibt.

(Lachen bei der SPD Peter Dreßen [SPD]: Ich habe nach den Arbeitnehmern gefragt!)

- Das sind Vorteile für Arbeitnehmer. Wenn deutsche Firmen gut beschäftigt sind, ist das durchaus ein Vorteil für Arbeitnehmer. Ich habe die Frage schon richtig verstanden. Wenn Sie darüber lachen, dann weiß ich nicht, warum wir immer über Arbeitsplätze und gute Aufträge sprechen.
Es ist in der Tat so, daß nach diesem Stopp, den wir gerade verfügt haben, Hinweise - ich will nicht sagen: Drohungen - aus den entsprechenden Ländern kommen, daß ganz bestimmte wirtschaftliche Vorgänge in Frage gestellt werden könnten, wenn wir diese Werkverträge kündigen. Diesen Hinweisen sind wir nachgegangen. Sie sind im Einzelfall durchaus ernst zu nehmen. Ich kann Ihnen nicht einen einzelnen Arbeitnehmer nennen, der einen Vorteil durch die Werkverträge hat. Sie glauben doch auch nicht, daß das möglich ist.

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1319927000
Herr Kollege Büttner, Sie hatten sich zu einer Zusatzfrage gemeldet. Es tut mir unendlich leid, aber die Zeit für die
Fragestunde ist abgelaufen, sogar schon um eine Minute überschritten. Deshalb kann ich die Frage nicht mehr zulassen.
Die heute nicht beantworteten Fragen aus den Geschäftsbereichen des Bundesministeriums der Verteidigung und des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung werden wie üblich schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 1 auf: Aktuelle Stunde
Haltung der Bundesregierung zu Umfang und Ausmaß sogenannter geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse
Die Fraktion der SPD hat diese Aktuelle Stunde beantragt.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Gerd Andres, SPD.

Dr. h.c. Gerd Andres (SPD):
Rede ID: ID1319927100
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Exakt heute vor vier Wochen hat sich der Deutsche Bundestag in einer Aktuellen Stunde mit dem Thema geringfügige Beschäftigung befaßt. Seit diesem Zeitpunkt hat es in der öffentlichen und in der politischen Debatte erhebliche Veränderungen gegeben.
Eine Veränderung ist: Der Parteitag der CDU, der Bundeskanzler, Herr Blüm, Frau Süssmuth, Herr Repnik, viele Koalitionspolitikerinnen und -politiker haben sich geäußert und in der Zwischenzeit eingestanden, daß es eine dramatische Entwicklung im Bereich der geringfügigen Beschäftigungen gibt und daß dringend Lösungsmöglichkeiten angeboten werden müssen.
Es gab eine zweite Veränderung. Am vergangenen Montag hat sich Bundesarbeitsminister Dr. Norbert Blüm - wo ist er eigentlich?

(Dr. Norbert Blüm [CDU/CSU]: Hier ist er!)

- da ist der Bundesarbeitsminister; ich finde es toll, daß er angesichts der dramatischen Lage an dieser Debatte teilnimmt - veranlaßt gesehen, neue Zahlen aus der aktuellen ISG-Studie zu veröffentlichen. Dabei sind die Befunde deutlich drastischer und dramatischer, als noch vor vier Wochen hier dargestellt: Zwischen 1992 und 1997 nahm die Zahl sozialversicherungspflichtig Beschäftigter um 6,9 Prozent ab. Die Zahl sogenannter geringfügig Beschäftigter nahm um 26,5 Prozent auf 5,63 Millionen Menschen zu. Die Zahl der geringfügig Nebenbeschäftigten sank entgegen den Darstellungen des Staatssekretärs hier vor vier Wochen und entgegen der Debatte in der Öffentlichkeit nur unwesentlich.
Deshalb wiederhole ich den Befund, den ich schon vor vier Wochen hier geäußert habe: Die Entwicklung im Bereich der geringfügigen Beschäftigung ist

Gerd Andres
für die Bundesrepublik Deutschland ein gesellschaftspolitischer Skandal.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Die Beibehaltung dieser Regelung ist erstens die Aufforderung zum Ausstieg aus sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung. Zweitens führt die Beibehaltung dieser Regelung dazu, daß geringfügige Beschäftigung gemeinsam mit Scheinselbständigkeit die Vorreiter für die Erosion des normalen Arbeitsverhältnisses bilden. Drittens findet mit dieser Entwicklung eine dramatische Entkoppelung von Beschäftigung und sozialer Sicherung statt. Viertens herrschen im Bereich dieser Beschäftigten - übrigens zu 70 Prozent Frauen - dramatische Zustände, die mit der sozialen Sicherung, mit der arbeitsrechtlichen Lage und ähnlichem mehr zu tun haben. Wir sagen deshalb: Es ist dringend notwendig, daß hier endlich gehandelt wird.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Welche politischen Lösungen werden nun angeboten? Hier kann man gleich eine Bemerkung zu dem beliebten Thema Blockade, Herr Bundesarbeitsminister, anfügen: Erstens wird angeboten und öffentlich dargestellt, man werde endlich dafür sorgen, daß die geringfügige Nebenbeschäftigung sozialversicherungspflichtig wird. Ich kann nur sagen: ganz hervorragend. Wir sind dafür und unterstützen das. Ihre Koalition war nicht in der Lage, in der Rentenreformdebatte das, was öffentlich angekündigt war, wahr zu machen und eine entsprechende rechtliche Regelung einzubringen. Meine Frage ist: Wo findet hier die Blockade statt?

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Zweitens wird öffentlich über unterschiedliche Konstruktionen von Quoten diskutiert. Ich sage hier ganz ausdrücklich als meine persönliche Position: Ich halte eine solche Quotenregelung für nicht machbar. Im Gegenteil, ich halte sie sogar für verfassungsrechtlich problematisch. Ich denke, man sollte diese Konstruktion nicht weiter verfolgen.
Drittens geistern nun Vorschläge über ein sogenanntes kleines Arbeitsverhältnis durch die Welt. Ich kann dazu nur sagen: herzlichen Glückwunsch. Ich halte diesen Vorschlag für einen absoluten Witz, weil er faktisch dazu führen würde, daß die Zahl der sozialversicherungsfreien Beschäftigungsverhältnisse drastisch erhöht wird.
Viertens wird darüber spekuliert und diskutiert - Herr Vogt hat das diese Woche getan -, den Betrag, der gezahlt werden kann, auf 350 oder 390 DM einzufrieren. Ich will darauf hinweisen, daß diese Koalition in den vergangenen Legislaturperioden alle Regelungen, die wir vorgeschlagen haben, um dieses Problem in den Griff zu bekommen, verhindert und niedergestimmt hat. Die für diese gesellschaftspolitische Entwicklung politisch Verantwortlichen sitzen I auf der rechten Seite des Hauses.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Ich will ferner sagen, daß diesem Bundestag seit November 1995 ein Gesetzentwurf der SPD vorliegt. Darin hat die SPD im Gegensatz zur öffentlichen Behauptung einen Weg beschritten, der dafür sorgen soll, daß geringfügige Beschäftigung möglich bleibt, aber gleichzeitig eine wettbewerbsneutrale Belastung des Produktionsfaktors Arbeit geregelt und damit die Dumping-Schraube endlich beseitigt wird.
Ich sage Ihnen ganz ausdrücklich: Handeln ist dringend notwendig. Es gibt Möglichkeiten zum Handeln. Wir haben heute im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung beschlossen, im Dezember eine Anhörung zu den vorliegenden Anträgen und Gesetzentwürfen durchzuführen. Sie haben öffentlich angekündigt, bis Ende November werde die Union Vorschläge auf den Tisch legen. Ich biete Ihnen hier ausdrücklich Kompromißbereitschaft an, weil die Menschen in diesem Lande die Nase gestrichen voll davon haben, daß viele mögliche Veränderungen diskutiert werden, aber politisch nichts passiert.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Wir bieten Kompromißbereitschaft an. Wir halten nicht strikt an unserem Entwurf fest. Wir halten ihn auch für verbesserungsfähig. Wenn Sie sich auf diesen Weg begeben, ist es sofort möglich, mit der rechten Seite des Hauses - außer den blau-gelben Damen und Herren - eine entsprechende Regelung zu finden, die auch dringend notwendig ist.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1319927200
Das Wort hat der Kollege Dr. Peter Ramsauer, CDU/CSU.

Dr. Peter Ramsauer (CSU):
Rede ID: ID1319927300
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Zahl 5,6 Millionen hat uns in der Tat alle erschreckt, als wir sie in der letzten Woche gehört haben.

(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Vollkommen überrascht! Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Wo waren Sie denn vorher?)

- Wissen Sie, warum? Weil es nach wie vor ganz unterschiedliche Zahlen gibt. Es gibt auch Zahlen vom Statistischen Bundesamt, die weit darunterliegen. Deswegen möchte ich auch nicht behaupten, daß es tatsächlich exakt 5,6 Millionen sind. Wesentlich ist vielmehr, daß wir es mit einer erheblichen Steigerung zu tun haben. Egal, ob die Zahl von 1 Million auf 1,5 Millionen oder in den letzten zehn Jahren von 2,8 auf 5,6 Millionen gestiegen ist, wir haben es mit einer erheblichen Steigerung zu tun. Ich glaube, das ist eine ganz wesentliche Aussage.

Dr. Peter Ramsauer
Einen weiteren Aspekt möchte ich in diesem Zusammenhang einmal betonen - das ist in der letzten Aktuellen Stunde zu diesem Thema vor vier Wochen zuwenig zum Ausdruck gekommen -: Von diesen 5,6 Millionen geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen sollen 4,2 Millionen ausschließlich geringfügige Beschäftigungsverhältnisse sein. Wenn man das einmal auf Vollbeschäftigungsverhältnisse umrechnet, dann stellt man fest, daß das etwa 800 000 bis 1 Million Vollbeschäftigungsverhältnisse sind. Das ist also ein erhebliches Beschäftigungspotential, was an der Beschäftigungsstatistik vollkommen vorbeigeht. Ich möchte damit unterstreichen, daß bei der ganzen Debatte über die Probleme auf unserem Arbeitsmarkt diese Art von Beschäftigung bisher keinen Eingang in die Statistik gefunden hat, aber trotzdem ein erhebliches Beschäftigungspotential darstellt.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Kollege Andres hat gerade eine Reihe von Vorschlägen gemacht. Eines ist dabei zum Ausdruck gekommen: Egal, welche dieser vielen Vorschläge man nimmt, jeder dieser Vorschläge ist von einer gewissen Übelkeit, und zwar deshalb, weil man immer irgend jemandem, der von einer Änderung betroffen ist, weh tut. Alle gemachten Vorschläge unterscheiden sich nur in dem Grad der Übelkeit.

(Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Sehr wahr!)

Das müssen auch Sie von der Opposition zugeben.
Denn, wenn Sie sich, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, einmal Ihre Wählerschichten anschauen und sie nach denjenigen abklopfen, die geringfügig beschäftigt sind, dann stellen Sie fest, daß Sie mit Ihren Vorschlägen auch viele aus Ihrer Wählerklientel treffen. Sie werden bei der Verwirklichung Ihrer Vorschläge heftige Vorwürfe auch aus den Kreisen Ihrer Wählerklientel bekommen. Uns geht es nicht anders. Ich möchte damit nur sagen, daß wir uns alle miteinander sehr genau überlegen müssen, was wir tun.
Deshalb möchte ich wiederholen, was ich in diesem Hause, auch in den Ausschüssen, immer wieder dargelegt habe und was zuwenig gesehen wird: Wenn wir die geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse voll in die Sozialversicherungspflicht einbeziehen, dann kostet ein 610-DM-Arbeitsverhältnis den Arbeitgeber in Zukunft 878 DM, und beim Arbeitnehmer kommen 483 DM an, also 395 DM weniger, als es den Arbeitgeber kostet. Das sind 45 Prozent unter dem, was der Arbeitgeber an Kosten hat. Wenn wir das tun, dann treiben wir Hunderttausende, wenn nicht Millionen von Betroffenen in die Schwarzarbeit hinein. Das wollen wir nicht tun. Es ist ein völlig nachvollziehbares Verhalten der Betroffenen, wenn sie sagen: Wenn Arbeitgeber noch mehr zahlen müssen und Arbeitnehmer noch weniger herausbekommen, dann überlegen wir uns andere Wege.
Deshalb bleibe ich bei meinen Vorschlägen, was kurzfristig machbar und verwirklichbar erscheint, nämlich erstens ab nächstem Jahr auf der Höhe von dann 620 DM ein Einfrieren, das heißt, technisch gesehen, ein Abkoppeln von der sogenannten Bezugsgröße. Das wirkt zwar erst langfristig, aber wir können es kurzfristig umsetzen. Außerdem setzen wir damit ein Zeichen. Das zweite, was man damit verbinden könnte, ist die Abschaffung der sogenannten Sechstelregelung, die im Vierten Buch des Sozialgesetzbuches geregelt ist.

(Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer)

Diese besagt, daß man sozialversicherungsbeitragsfrei ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis bis zu einem Sechstel des normalen Monatsbruttogehalts eingehen kann.
Diese beiden Dinge halte ich für kurzfristig machbar und vernünftig. Ich glaube, da könnten wir uns alle miteinander noch in dieser Legislaturperiode einigen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Eine Quotierung ist auf den ersten Blick etwas Bestechendes; das habe auch ich immer vertreten. Aber das müssen wir uns ganz genau überlegen. Denn in der Umsetzung draußen in den Betrieben wird sie zu erheblichen Problemen, zu zusätzlicher Bürokratie führen. Eines darf uns nicht passieren: Wenn wir bei der geringfügigen Beschäftigung etwas neu regeln, dann dürfen die Steuer- und sozialrechtlichen Bestimmungen in dem Bereich nicht komplizierter werden. Nein, wir brauchen eine einfache und überschaubare Lösung, damit die davon betroffenen Menschen vernünftig damit umgehen können.
Ich danke.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1319927400
Das Wort hat jetzt die Kollegin Annelie Buntenbach.

Annelie Buntenbach (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1319927500
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Fakten bestreitet inzwischen auch hier im Hause niemand mehr: Es sind 5,6 Millionen Menschen, die unterhalb der Sozialversicherungsgrenze beschäftigt sind. Die meisten davon sind Frauen.
Inzwischen werden immer mehr vernünftig abgesicherte Arbeitsplätze in Kleinstjobs zerlegt. Das Problem ist so gravierend und nimmt viel zu rasant zu - und das, Herr Ramsauer, halten Sie auch nicht auf, wenn Sie jetzt den Status quo einfrieren -, als daß wir uns alle von der ideologischen Blockade der F.D.P. weiter lahmlegen lassen dürften.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

Ich freue mich, daß endlich auch Sie, meine Damen und Herren aus der christdemokratischen Union, hier Handlungsbedarf sehen. Glücklicherweise ist der sehr kleinmütige Vorschlag von Herrn Ramsauer, den er eben vorgetragen hat, nicht der einzige. Im Moment geht bei Ihnen zwar offensichtlich der Trend zur Zweitmeinung, wenn ich mir die unterschiedlichen Vorschläge, die aus Ihren Reihen in die Debatte gebracht werden, anschaue. Aber ich hoffe, daß dar-

Annelie Buntenbach
aus schnell ein umsetzbarer Gesetzentwurf wird, den Sie für die öffentliche Ausschußanhörung im Dezember dann vorlegen.
Die Vorschläge der Opposition liegen schon lange auf dem Tisch. Es geht hier nicht nur um spannende Debattenbeiträge, sondern um praktische Konsequenzen. Die sind gefordert. Sollte das mit der F.D.P. nicht möglich sein - und so sieht es ja aus -, dann gibt es sowohl für die umfassende Lösung der Sozialversicherungspflicht für jede dauerhafte Beschäftigung als auch für vernünftige Teillösungen breite parlamentarische Mehrheiten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Da sind auch wir, genau wie der Kollege Andres es eben für die SPD vorgetragen hat, zu sachdienlichen Kompromissen jederzeit bereit.

(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Wo denn?)

Wenn Sie hier jetzt aber die große öffentliche Diskussion führen, ohne das Versprechen, noch in dieser Legislaturperiode eine konkrete Regelung hinzubekommen, auch einzulösen, dann hieße das, auf dem Rücken der Betroffenen ein billiges Vorwahlkampftheater auszutragen, und zwar ein Vorwahlkampftheater, bei dem sich die CDU/CSU gegenüber dem Koalitionspartner profiliert als eine Partei mit dem Geist des Sozialen, ohne daß dieser Geist auch nur einmal in Bodennähe greifbar geworden wäre.

(Gerd Andres [SPD]: So ist es!)

In dem Wirbel von Vorschlägen sind inzwischen auch einige enthalten, die eindeutig in die falsche Richtung gehen. Ein „kleines Arbeitsverhältnis", wie es Herr Schäuble vorgeschlagen hat, hieße - um Norbert Blüm zu zitieren -, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben. Denn statt den Kreis derjenigen, die von den Sozialversicherungen nicht mehr oder nur mangelhaft geschützt werden, zu verringern, würde er noch auf diejenigen erweitert, die weniger als 1200 DM verdienen.
Es trifft einfach nicht zu, daß die Wirtschaft am Wegfall der Geringfügigkeitsgrenze zugrunde ginge. Das zeigt schon der Blick ins europäische Ausland. Zum Beispiel in Frankreich gilt die Sozialversicherungspflicht ab der ersten Stunde und dem ersten Franc.
Es trifft auch nicht zu, daß die Jobs alle wegfallen würden. Es ist wissenschaftlich belegt, daß das nicht so ist. Vielmehr ist im Handel und in der Gebäudereinigung soviel Personal wegrationalisiert worden, daß auf die Arbeitsstunde auch mit Sozialversicherung nicht verzichtet werden könnte.
Ganz gewiß trifft nicht zu, daß Frauen diese Jobs mehrheitlich wollen. Das belegen seit Jahren schon die Umfrageergebnisse. Der Fakt ist vielmehr: Sie haben keine andere Wahl.
Wir verbinden mit der Sozialversicherungspflicht für jede dauerhafte Beschäftigung drei Ziele. Das eine ist, der Erosion der Sozialversicherungen gegenzusteuern, denen neben der unbezahlbaren Legitimation inzwischen jährlich zirka 10 Milliarden DM an Einnahmen verlorengehen.
Das zweite ist, die Wettbewerbsverzerrung zwischen den Betrieben zu beenden, die diejenigen Arbeitgeber, die ihre Sozialversicherungsausgaben auf die Allgemeinheit abwälzen - letztlich sind die Betroffenen ohne soziales Netz auf die Sozialhilfe verwiesen -, noch mit Konkurrenzvorteilen gegenüber denjenigen belohnt, die vernünftig abgesicherte Jobs anbieten und damit dann teurer sind.
Das dritte Ziel - und keineswegs unser letztes - ist es, den besseren Zugang für Frauen zu einer eigenständigen sozialen Sicherung zu ermöglichen. Eben das finde ich in der aktuellen Diskussion nicht mehr ausreichend wieder. Es kann mich doch nicht beruhigen, daß es so viele verheiratete Frauen sind, die geringfügig nebentätig sind. Als gäbe es dann kein Problem! Frei nach Heinz Erhardt könnte es heißen: „So mancher Gatte, den sie hatte, fiel vom Blatte." Unser Ziel muß doch sein - der Bundestag hat das in eigenen Resolutionen klargemacht -, einen eigenständigen Anspruch für die Frauen auf soziale Sicherung aufzubauen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

Sie meinen doch nicht im Ernst, daß dieser Anspruch mit der Ehe aufgegeben werden kann. Im Gegenteil, wir brauchen eine Veränderung der steuerlichen Bedingungen für Erwerbsarbeit von Frauen, und wir müssen endlich das Ehegattensplitting als Erwerbsbremse angehen.
Frauen ist das Phänomen der unterbrochenen Erwerbsbiographien schon immer nur allzu vertraut. Jetzt bricht dieses Phänomen in eine Männerdomäne ein. In einem solchen Fall entsteht nach den geltenden Regeln Handlungsbedarf. Dann muß Frau auf der Hut sein, daß ihre Interessen nicht auf der Strecke bleiben, wenn sich denn allzu viele findige Männer des Problems annehmen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1319927600
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Dr. Gisela Babel.

(Gerd Andres [SPD]: Keine Bewegung! Nichts! Peter Dreßen [SPD]: Blockade! Stillstand!)

- Lassen Sie die Kollegin doch erst einmal anfangen.

(Ottmar Schreiner [SPD]: Die ist jetzt schon blockiert!)


Dr. Gisela Babel (FDP):
Rede ID: ID1319927700
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mittlerweile befaßt sich der Bundestag einmal in der Woche mit geringfügigen Beschäftigungen, den sogenannten 610-DM-Jobs, und die Öffentlichkeit muß den Eindruck gewinnen, als ließen sich die Probleme des Arbeitsmarktes und die

Dr. Gisela Babel
Probleme der Sozialkassen lösen, wenn man diese Jobs versicherungspflichtig machte.

(Peter Dreßen [SPD]: Wo haben Sie denn das gelesen?)

Dabei werfen die Abschaffung und Eindämmung mehr Fragen auf, als sie Probleme lösen. Unbestritten ist die Zahl der 610-DM-Jobs gestiegen. Im selben Zeitraum haben sich aber auch die Lohnzusatzkosten um 5,5 Prozentpunkte erhöht. Auch auf diesen Zusammenhang darf ich einmal hinweisen.

(Peter Dreßen [SPD]: Ja, warum denn? Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Frau Babel, Frau Babel, welch eine Verwirrung!)

Einer der wichtigsten Gründe: Die Zunahme bei den 610-DM-Verträgen findet sich - auch das finde ich sehr wichtig - nicht bei den Beschäftigungsverhältnissen als Nebenbeschäftigung - hier haben wir einen Rückgang -, sondern sie findet sich ausschließlich bei den Beschäftigungsverhältnissen, bei denen diese Beschäftigten nur diesen einen 610-DM-Vertrag haben.
Die Annahme, es sei für den Arbeitgeber so viel billiger, 610-DM-Kräfte zu beschäftigen, stimmt nicht. Das wissen übrigens auch Sie.

(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Warum tut er es dann?)

Sie wissen, daß der Arbeitgeber 23 Prozent Pauschallohnsteuer abführen muß. Wenn Sie das versicherungspflichtig machen würden, dann würden 21,5 Prozent an die Sozialkassen abgeführt. Von dort können Sie die Sache also nicht aufrollen.
Wer 610-DM-Verträge versicherungspflichtig macht, nimmt dem Mittelstand, nimmt Kleinunternehmern ein wichtiges Instrument flexibler Arbeitszeitgestaltung.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Es geht um Arbeitsspitzen; es geht um zusätzliche Arbeit, die damit entgolten wird.
Wenn wir diesem Phänomen zu Leibe rücken wollen, dann müssen wir zuvor einige etwas gründlichere Untersuchungen machen. Wieviel reguläre Arbeit ist denn wirklich in 610-DM-Jobs umgewandelt worden? Wieviel reguläre Beschäftigung entsteht denn, wenn 610-DM-Verträge in der jetzigen Form abgeschafft werden? Wie viele 610-DM-Arbeitsverhältnisse werden verschwinden? Wie viele gehen in Schwarzarbeit? Wie viele Beschäftigte gibt es heute in diesen Vertragsverhältnissen, die weder Studenten noch Rentner, noch Hausfrauen, noch Beamte sind und die nur einen solchen Vertrag haben? Wie viele von diesen sind denn Arbeitslose oder Arbeitslosenhilfeempfänger und haben damit nur einen kleinen Zugang zum Arbeitsmarkt? Wie viele auf dem Arbeitsmarkt finden aus einem 610-DM-Vertrag in ein Vollzeitarbeitsverhältnis? Und schließlich: Wie wirkt sich eine Verteuerung der Arbeit um 40 Prozent auf einzelne Branchen und auf den Staat aus?
Diese Fragen müßten, so meine ich, zuerst genau beantwortet werden. Ende November wird eine Studie, die hier angekündigt worden ist, vorliegen. Vielleicht gibt sie darüber Aufschluß.
Die geringfügige Beschäftigung, sollte sie die soziale Sicherung, zum Beispiel die Rente, enthalten, ist eine Eintrittskarte für Leistungen; das haben wir schon erörtert. Der Rentenbetrag selber aber ist lächerlich. Sie können nicht sagen, daß dadurch eine Alterssicherung erreicht wird. Für andere Sozialversicherungen ist es eher ein billiges Eintrittsbillett.
Meine Damen und Herren, das ist nicht der Weg. Es bleibt der SPD überlassen, sich mit Euphorie auf die Verteuerung dieses letzten Fleckchens der versicherungsfreien Arbeit in Deutschland zu stürzen.
Frau Stolterfoht - ich nehme an, daß Sie noch reden werden -, Sie haben im hessischen Kabinett einen Entwurf vorgelegt, mit dem das alles abgeschafft werden soll. Interessanterweise folgte Ihnen das Kabinett nicht; es hat ihn abgelehnt. Das ist die eine Seite in der SPD.
Die andere Seite macht Herr Schröder aus; er ist ja ungleich flexibler. Er ist zu den Zeitungsverlegern gegangen und hat festgestellt: Wir wollen die 610-DM-Verträge abschaffen, aber die Zeitungsverleger dabei außen vor lassen. Ich gehe davon aus, daß Herr Schröder noch weitere Branchen besuchen wird und daß es dann weitere Branchen gibt, die sich der Zusage von Herrn Schröder erfreuen können, daß bei ihnen natürlich eine Ausnahme gemacht wird.

(Beifall des Abg. Jürgen Türk [F.D.P.] sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wenn er diese Reise lange fortsetzt, wird Herr Schröder bei der Position der F.D.P. angelangt sein.

(Beifall des Abg. Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Sie wissen: Die F.D.P. wird keine Änderungen an den bestehenden Regelungen für 610-DM-Verträge mittragen, die sich negativ auf die Beschäftigung auswirken. Das machen wir nicht mit.

(Beifall bei der F.D.P.)

Wir wissen, daß dieses Thema dem Koalitionspartner am Herzen liegt. Wir wissen, daß er eine Arbeitsgruppe eingerichtet hat und daran arbeitet. Die Reformvorschläge aber müssen sich für die F.D.P. als tauglich erweisen. Sie müssen tauglich sein, Mißbrauch zu verhindern. Die Vorschläge dürfen nicht dazu führen, daß bestehende Jobs einfach abgebaut und die Betroffenen in die Schwarzarbeit gedrängt werden.

(Beifall des Abg. Jürgen Türk [F.D.P.])


Dr. Gisela Babel
Alle bis jetzt gemachten Vorschläge sind ungeeignet. Wir sagen ruhig und freundlich eine gründliche und kritische Prüfung aller Vorschläge zu.
Vielen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Und damit landet das alles auf dem Friedhof, bei Herrn Friedhoff!)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1319927800
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Heidi Knake-Werner.

Dr. Heidi Knake-Werner (PDS):
Rede ID: ID1319927900
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist doch immer ein Trost, Frau Dr. Babel: Debatte hin oder her, Sie sind sich in der Frage, die wir heute zu verhandeln haben, treu geblieben.
Die Initiatoren der Kampagne gegen geringfügige Beschäftigungsverhältnisse könnten eigentlich, wenn sie diese Debatte verfolgen, auf den Erfolg ihrer außerparlamentarischen Aktivitäten stolz sein. Das Problem versicherungsfreier Minijobs - das ist vor allen Dingen ein Problem für Frauen, wie wir schon mehrfach gehört haben - ist plötzlich in aller Munde, und neue Gestaltungsideen überschlagen sich förmlich.
Was jetzt allerdings an Vorschlägen auf dem Tisch liegt, erstickt die Freude im Keim. Sie sind halbherzig und unentschlossen oder aber, wenn man die F.D.P. hört, ein weiterer Schritt auf dem neoliberalen Irrweg, der noch mehr Menschen flexibel in die Armut befördern wird.
7,2 Prozent des Gesamtarbeitsvolumens wird heute bereits in sozialversicherungsfreien Beschäftigungsverhältnissen erledigt. Das hat nichts mehr mit Abfangen von Spitzenzeiten, mit Aushilfstätigkeit oder ähnlichem zu tun. Das ist Ausdruck eines Umbaus der Arbeitsgesellschaft, bei dem die Zeitbombe tickt. Was heute als neue, moderne, flexible Beschäftigungsform als solche verteidigt wird, wird morgen in millionenfacher Armut und Ausgrenzung explodieren. Diese Entwicklung macht es unmöglich, daß das Thema weiter heruntergespielt wird. Ihre Reaktion, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, macht das deutlich.
Daß die 520-DM-Jobs bzw. die 610-DM-Jobs die Flucht der Unternehmen aus der Sozialversicherung beschleunigen und die Einnahmen der Sozialkassen schmälern, daß der Staat selber die Zerlegung von Vollzeitstellen in unsichere Minijobs befördert, daß es dabei nie zu zusätzlicher Beschäftigung und mehr Arbeit, sondern höchstens zur Zersplitterung der Arbeit unter noch schlechteren Bedingungen kommt, daß diese Tätigkeiten Altersarmut, vor allen Dingen von Frauen, vorprogrammieren und darüber hinaus Millionen Beschäftigte aus der Arbeitsförderung ausschließen, all diese Zusammenhänge sind längst bekannt und hier auch schon oft dargestellt worden.
Allein der Einzelhandel hat in den vergangenen Jahren 100 000 Vollzeitarbeitsstellen in eine halbe Million Minijobs zerlegt.

(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Stimmt nicht!)

Die von Ihnen gepriesenen Ladenöffnungszeiten haben sich - die neueste Bilanz macht das sehr deutlich - als Jobkiller Nummer eins erwiesen.
Es müßte aber bei der Diskussion um geringfügige Beschäftigung, wenn sie denn ernst gemeint ist, um zwei Ziele gehen: die soziale Absicherung der Betroffenen zu verbessern und die Einnahmen der Sozialversicherung zu stärken. Doch weit gefehlt! Es geht Ihnen nicht vorrangig um Frauen und Männer, die unter solchen Bedingungen arbeiten. Nein, die CDU merkt, daß diese Art von Beschäftigung aus dem Ruder zu laufen droht und daraus massive Wettbewerbsverzerrungen bei den Unternehmern entstehen. Das ist Ihr eigentliches Problem; denn diese versuchen höchst individuell, die Lohnnebenkosten zu reduzieren. Deshalb der Vorstoß auf dem CDU-Parteitag, versicherungsfreie Beschäftigung einzudämmen, nicht etwa zugunsten existenzsichernder Vollzeitarbeit - das ist Ihnen ja viel zu traditionell -, nein, es soll modern und flexibel, ganz neu, gehen. Jeder soll eine Beschäftigungschance haben: auf gemeinnütziger Basis, auf Einfacharbeitsplätzen oder in kleinen Beschäftigungsverhältnissen mit Mini-Sozialversicherung. So will die CDU Arbeit für alle schaffen. Diesen Weg lehnen wir von der PDS ab.

(Beifall bei der PDS)

Ebenso unsozial wie gefährlich sind alle Vorschläge, die Geringfügigkeitsgrenze herabzusetzen. Was wäre mit dieser Regelung gewonnen? - Eine weitere Zerlegung von Teilzeitarbeitsverhältnissen in immer kleinere Einheiten. Das gleiche gilt für die Quotierung. Bei Beschäftigungsverhältnissen, die arbeitsmarkt- und sozialpolitisch in die Katastrophe führen, kann die Quote nur lauten: null Prozent.
Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, alle Vorschläge der Koalition zur Veränderung geringfügiger Beschäftigung tragen dazu bei, die Krise des Arbeitssystems in der Bundesrepublik weiter zu verschärfen, die Auflösung von Normalarbeitsverhältnissen zu fördern, die Beschäftigten in viele kleine, ungesicherte Jobs zu zwingen und die Gruppe der arbeitenden Armen zu vergrößern. US-amerikanische Verhältnisse stehen hier schon längst Pate.
Die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt ist mehr als besorgniserregend. Wagen Sie einen mutigen Schritt und nicht nur Halbheiten! Dieser Schritt kann nur lauten: Sozialversicherungspflicht für jede Arbeitsstunde.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1319928000
Das Wort hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Horst Günther.

(Dr. Peter Struck [SPD]: Warum redet denn der Herr Blüm nicht? Wo ist denn der Arbeitsminister? Das gibt's doch wohl gar nicht!)


Horst Günther (CDU):
Rede ID: ID1319928100
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Am 1. Oktober haben wir nach vielen vorhergehenden Debatten das letzte Mal hier im Hause über dieses Thema gesprochen.

(Ottmar Schreiner [SPD]: Was ist denn die Meinung des Ministers?)

- Kollege Schreiner, auch Sie waren anwesend. Die Meinung des Ministers ist ebenso bekannt wie das, was ich jetzt sage; denn auch ich habe am 1. Oktober dazu gesprochen.
Ich werde das, was Sie mir eben fälschlicherweise zu dem unterstellt haben, was ich gesagt haben soll, genau prüfen, Herr Kollege Andres. Ich habe das nämlich nicht gesagt.

(Gerd Andres [SPD]: Soll ich es vorlesen?)

- Wenn das Protokoll es so hergibt, wie ich es sage, dann müssen Sie unten beim Ossi einen ausgeben, mindestens 1 Liter Bier.

(Zurufe von der PDS: Für alle? Und dann ab ins Auto!)

Zum Ernst der Sache zurück: Es ist wahr, daß wir - insbesondere nach Bekanntwerden der neuen Zahlen - feststellen müssen, daß immer mehr sozialversicherungspflichtige Arbeit umgewandelt wird in nicht sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse. Man kann es auch „Flucht aus der Sozialversicherungspflicht" nennen. Das beeinträchtigt selbstverständlich die Wettbewerbsfähigkeit und auch die Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt. Deshalb gilt das, was ich auch am 1. Oktober gesagt habe: Es besteht ein gewisser Handlungsbedarf.

(Zurufe von der SPD: Aha!) Das ist völlig klar.


(Gerd Andres [SPD]: Ein „gewisser"? - Weiterer Zuruf von der SPD: Ja, und?)

Es geht auch nicht an - ich will das gerne wiederholen, wenn Sie es hören möchten -, daß diejenigen, die sich ihrer Sozialversicherungspflicht nicht entziehen, eben dadurch, daß es viel zuviele dieser geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse gibt, immer höhere Beiträge zu bezahlen haben, um die entstehenden Löcher in der Sozialversicherung mit aufzufüllen.
Ich sage noch einmal: Das reguläre Beschäftigungsverhältnis muß immer die Regel sein, und das
versicherungsfreie, geringfügige Arbeitsverhältnis muß die Ausnahme bleiben.

(Dr. Peter Struck [SPD]: Ja, dann macht doch endlich mal was! Kommt mal in die Gänge!)

Es liegen uns neue Zahlen vor, die durchaus einen beängstigenden Zuwachs anzeigen. Das ist nicht zu bestreiten.

(Gerd Andres [SPD]: Die lagen am 1. Oktober auch schon vor!)

- Diese Zahlen lagen am 1. Oktober noch nicht vor, Kollege Andres, jedenfalls uns nicht. Von 1992 bis 1997 stieg die Zahl der geringfügig Beschäftigten nach den neuesten Entwicklungen und Zahlen, die uns vorliegen, von 4,4 auf 5,6 Millionen. Das ist natürlich viel zuviel. Deshalb ist Handlungsbedarf gegeben.
Viele Arbeitsverhältnisse werden umgewandelt. Wir können feststellen, daß die Zahl der geringfügig Beschäftigten im Westen zwischen 1987 und 1997 um rund 74 Prozent angestiegen ist, die der regulär Beschäftigten aber nur um 5,2 Prozent. Das macht einmal eben 3,3 Milliarden DM an fehlenden Rentenversicherungseinnahmen aus. Dies ist ein Betrag, über den man durchaus reden muß, wenn man nun darangeht, praktikable Lösungen zu finden, die notwendig sind, um allen Rechnung zu tragen.
Die einfache Lösung gibt es nicht. Auch innerhalb der SPD gibt es schon Streit über den Weg. Es ist durchaus nicht so, daß Sie sich alle einig sind, wie man das denn macht. Die populistischen Ausführungen des Herrn Schröder vor dem Zeitungsverlegerverband in Goslar machen ganz deutlich, welches Spiel getrieben wird.

(Detlev von Larcher [SPD]: Sagen Sie doch einmal, wie Sie es machen wollen!)

Auch ist es schon etwas naiv, wenn Herr Schröder meint, daß, wenn man die Zusteller von Zeitungen nicht mehr hätte, keine Zeitungen mehr ausgetragen werden, wie er das dort populistisch vorgetragen hat.

(Detlev von Larcher [SPD]: Was machen Sie denn?)

Dadurch hat er sich prompt die Rüge des Herrn Scharping eingeholt, die hier heute vom Kollegen Andres bestätigt wurde.
Tun Sie also nicht so, als wenn in Ihren Reihen Einigkeit über den Weg bestünde!

(Zuruf von der SPD: Doch!)

Das, was geschehen muß, wissen wir gemeinsam. Das haben wir gemeinsam festgehalten. Wir prüfen alle Vorschläge, die im Moment auf dem Tisch liegen, sehr sorgfältig. Sie werden, wenn auch Sie das tun, feststellen, daß der Teufel im Detail steckt und daß eine vernünftige Lösung sehr schwierig ist. Aber wir wollen gemeinsam darum ringen. Insofern nehme ich das Angebot des Kollegen Andres an, daß wir ge-

Parl. Staatssekretär Horst Günther
meinsam versuchen sollten, einen vernünftigen Weg zu finden,

(Detlev von Larcher [SPD]: Wann denn?) der allen Beteiligten gerecht wird.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1319928200
Das Wort hat
jetzt die Staatsministerin für Frauen, Arbeit und Sozialordnung des Landes Hessen, Barbara Stolterfoht.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1319928300
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Jahre 1881 ließ Kaiser Wilhelm I. sein Volk wissen - ich zitiere -:
Wir sind der Überzeugung, daß die Heilung der sozialen Schäden nicht ausschließlich im Wege der Repression sozialdemokratischer Ausschreitungen, sondern gleichmäßig auf dem der positiven Förderung des Wohles der Arbeiter zu suchen sein werde.
Das ist ein Zitat aus der Adresse Kaiser Wilhelms I., mit der er die Sozialversicherung ankündigte. Sie war, wie alle Welt heute weiß, dazu gedacht, der Sozialdemokratie und den Gewerkschaften das Wasser abzugraben. Das ist Gott sei Dank nicht gelungen.

(Beifall bei der SPD)

Aber Ergebnis dieses kaiserlichen Handelns waren die Grundlagen der Sozialversicherung, die es dem Grunde nach heute noch gibt, die alle Stürme und alle Regierungswechsel dieses Jahrhunderts überstanden haben und die sich als flexibel genug erwiesen haben, auch Strukturwandlungen zu überstehen. Daran hat auch die unermüdliche Bemühung der regierenden Koalition, nun endlich den Sozialstaat abzubauen, noch nichts Wesentliches geändert.
Seit Kaiser Wilhelm und seit dem Beginn der Sozialversicherung gibt es einen einfachen Grundsatz in unserem Lande: daß, wer immer erwerbstätig ist, mit seinem Lohn auch seine soziale Sicherung erarbeitet.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

Über 100 Jahre ist dieser Grundsatz alt. Es ist das Verdienst dieser Bundesregierung, daß er langsam ausgehöhlt wird.
Ich kann mich nur wundern, wenn die Herren Staatssekretäre hier antreten und sagen, sie seien über das Ausmaß geringfügiger sozialversicherungsfreier Beschäftigungen aber doch sehr erschrocken. Da kann man sich wirklich nur wundern.

(Gerd Andres [SPD]: Genau!)

Wir haben in Hessen schon vor zehn Jahren eine Untersuchung über solche sozialversicherungsfreien Beschäftigungsverhältnisse und ihre verheerenden Wirkungen gemacht. Da hat eine Frau zum Beispiel gesagt: „Wenn ich denk', ich hab mein ganzes Leben lang gearbeitet und hab' dann nichts mit 60, da könnt' ich schreien. "
Das heißt, mit solchen Beschäftigungsverhältnissen wird Menschen in diesem Lande ihre Lebensperspektive genommen, ihre soziale Sicherung genommen. Sie haben keinen Schutz. Erzählen Sie mir doch nicht, die seien alle sozial abgesichert.

(Zuruf von der F.D.P.: Populistischer geht es ja wirklich nicht! Zuruf des Abg. Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU])

- Das ist doch einfach nicht wahr, Herr Ramsauer. Das wissen Sie doch auch.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Vor zehn Jahren hat man in Hessen und andernorts natürlich schon gewußt, welche fatalen Folgen das für Arbeitsmarkt und Sozialversicherung hat. Damals war die Arbeitslosigkeit noch nicht so hoch wie heute. Sie ist seither um 30 Prozent gewachsen. Die Zahl der sozialversicherungsfreien Beschäftigungsverhältnisse ist ja nicht um 30 Prozent, sondern nach Aussagen des Bundeskanzlers um 40 Prozent gestiegen. Wenn auf dem Kanzler-Olymp etwas aus den Niederungen des wirklichen Lebens ankommt, dann ist die Lage wirklich ernst.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das strotzt ja geradezu vor Naivität, was Sie sagen!)

Meine Damen und Herren, die Lage ist in der Tat ernst.

(Zuruf von der CDU/CSU: Armes Hessen!)

Es gibt in unserer Republik einflußreiche Menschen, einflußreiche Organisationen und eine höchst einflußreiche kleine Partei, die zurück hinter Bismarck wollen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Einmal Bismarck, immer Bismarck! Weiterer Zuruf von der F.D.P.: Nehmen Sie einmal zur Kenntnis, daß die Menschen das so wollen!)

Sie wollen das Prinzip aushebeln, daß man mit seiner Arbeit auch seine soziale Sicherung erwerben und erarbeiten kann.
Die Betroffenheit von Frauen ist besonders deutlich. Meine Damen und Herren von der Bundesregierung und von den regierenden Parteien, Sie haben ja nun dafür gesorgt, daß Frauen auch nicht mehr über ihre Ehemänner abgesichert sind. Wenn ich mir das Rentenreformwerk ansehe, muß ich fragen: Was ist denn mit den jungen Witwen? Die landen doch gleich in der Sozialhilfe. Was ist denn mit den Frauen von erwerbsunfähigen Männern? Die landen mit ihren Männern in der Sozialhilfe.

(Wiederspruch bei der CDU/CSU)


Staatsministerin Barbara Stolterfoht
Pas heißt, Sie haben dafür gesorgt, daß Frauen mehr als je zuvor auf eigenständige soziale Sicherung angewiesen sind.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Ich denke, dann haben Sie auch die Verpflichtung, den Frauen die Möglichkeit zu geben, sich eine eigene soziale Sicherung zu erwerben. Das tun Sie nicht.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Mit jedem Satz wird es immer schlimmer!)

Frau Babel hat gesagt, das hessische Kabinett habe meinen Gesetzentwurf abgelehnt. Das ist falsch, Frau Babel.

(Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Hat es begeistert zugestimmt?)

Das hessische Kabinett hat ausdrücklich beschlossen: Der Gesetzentwurf zur Aufhebung der Sozialversicherungsfreiheit bleibt im Geschäftsgang,

(Zurufe von der CDU/CSU: Aha! Eine peinliche Lachnummer!)

bis klar ist, ob die Bundesregierung vielleicht - und hoffentlich - Vorschläge vorlegt, denen man im Bundesrat zustimmen kann. Wir werden sehen, ob sie das tut.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist sehr peinlich!)

Mein Ministerpräsident hat angekündigt,

(Zuruf von der CDU/CSU: Wer ist das?)

er werde mit der Bundesregierung auch über Quoten reden; aber er zieht es natürlich vor, wie der Rest des Kabinetts auch, sozialversicherungsfreie Beschäftigungsverhältnisse nur unterhalb einer Bagatellgrenze zuzulassen. Das ist Konsens im hessischen Kabinett.

(Beifall bei der SPD Zuruf von der CDU/ CSU: Jetzt erzählen Sie doch mal, was Sie wirklich wollen! Gegenruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sagt ihr doch einmal, was ihr wollt!)

Meine Damen und Herren, der Sozialstaat ist für alle da. Er muß für alle dasein. Er muß für jene ganz besonders dasein, die erwerbstätig sind.

(Zuruf von der CDU/CSU: Aber für Sie doch wohl nicht, oder?)

Das ist Überzeugung aller großen Volksparteien. Nur eine kleine, nicht immer feine Pünktchenpartei will weiterhin in immer größer werdenden Nischen unserer Gesellschaft moderne Tagelöhnerei zulassen. Das ist nichts anderes als moderne Tagelöhnerei!

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Eine Klientelpartei kann sich das leisten. Volksparteien können sich das nicht leisten; jedenfalls nicht auf Dauer. Man hört ja das eine oder andere positive
Signal, auch wenn ich den Eindruck habe, Herr Ramsauer, daß das bei Teilen der Regierungskoalition nach dem Motto abläuft: Es muß unbedingt etwas passieren, es darf sich nur nichts ändern.

(Beifall bei der SPD Josef Vosen [SPD]: Dann aber konsequent!)

Geringfügige Beschäftigung schadet der Volkswirtschaft.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Legalität sozialversicherungsfreier Beschäftigung ist, volkswirtschaftlich betrachtet, nichts anderes als eine Dauersubvention bestimmter Arbeitsplätze und bestimmter Arbeitgeber.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Diese Wettbewerbsverzerrungen sind nicht mehr tragbar.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Die Kohle ist subventioniert! Die käme als erstes! Ottmar Schreiner [SPD]: Wir können ja einmal ein bißchen über die Landwirtschaft reden, in Bayern und Baden-Württemberg zum Beispiel!)

Arbeitgeber, die sich an dieser Wettbewerbsverzerrung beteiligen und die sozialversicherungsfrei beschäftigen, sind Trittbrettfahrer des Sozialstaates und nichts anderes.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Unglaublich!)

- Frau Babel, Sie sagen, kleine und mittlere Unternehmen bräuchten das. Richtig ist: Kleine und mittlere Unternehmen brauchen Flexibilität. Die kann man aber auch mit sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen herstellen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

Es ist ja auch kein Zufall, daß große Branchen, die bisher zu 70 Prozent sozialversicherungsfrei beschäftigen, wegen der großen logistischen Probleme und wegen der fehlenden Identifikation der Beschäftigten mit dem Betrieb inzwischen fordern, alle Beschäftigungsverhältnisse sozialversicherungspflichtig zu machen. Ich empfehle Ihnen, Frau Babel, dringend: Reden Sie doch einmal mit dem Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes des Reinigungsgewerbes!

(Josef Vosen [SPD]: Genau!)

Lassen Sie sich erzählen, welche Umgehungstatbestände es gibt!

(Widerspruch der Abg. Dr. Gisela Babel [F.D.P.])

Es ist eine Legende, daß durch die Sozialversicherungspflicht die Schwarzarbeit gestärkt würde. Das Gegenteil ist der Fall.

(Zuruf von der SPD: So ist es!)


Staatsministerin Barbara Stolterfoht
Das Einfallstor für Schwarzarbeit bei den gegenwärtigen Verhältnissen ist riesig - größer als ein Scheunentor.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Sie wissen doch genauso gut wie ich, welche Umgehungstatbestände es gibt: Der Sozialversicherungsausweis wird verloren, oder es wird einfach dreimal unterschrieben, so daß eine Frau sozialversicherungsfrei vollzeitbeschäftigt ist.

(Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Das ist strafbar!)

Ja, Sie empfinden das alles als in Ordnung. Das ist keine Schwarzarbeit?

(Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Doch! Das ist strafbar!)

Schaffen Sie doch diese Verhältnisse ab! Machen Sie es doch einmal ordentlich!
Allein der Streit um die Zahlen ist doch symptomatisch dafür, wie groß die Grauzone ist und daß es Schwarzarbeit noch und nöcher gibt.

(Beifall bei der SPD und der PDS)

Sie streiten sich, ob es nun 1,5 Millionen, 3,5 Millionen, 4,2 Millionen oder 6,4 Millionen sind. In einem Lande, in dem jede Linde, jeder Eichenbaum, jedes Mastschwein und jede Ampel mit preußischer Genauigkeit statistisch erfaßt werden,

(Gerd Andres [SPD]: Jeder Borkenkäfer!)

wissen wir nicht, wieviel geringfügig Beschäftigte es überhaupt gibt.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wissen Sie es denn von Ihrem Land?)

Allem das zeigt, wie groß das Einfallstor für Schwarzarbeit und wie riesig die Grauzone ist.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Das ist keine neue Entwicklung. Vor zwölf Jahren war ich Frauenbeauftragte in der schönen Stadt Kassel. Die zweite Frau, die in meine Sprechstunde kam, war Reinigungskraft bei einem großen Unternehmen. Sie hat mir geschildert, unter welchen Bedingungen sie arbeitet. Ich habe gesagt: Das gibt es in unserem Sozialstaat gar nicht. - Ich habe dann angefangen zu recherchieren und stellte fest: Das gibt es, und es wird ausgenutzt.
Sie sagen immer, die seien alle abgesichert, bekämen Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld und Krankengeld und hätten Urlaubsanspruch.

(Zuruf von der SPD: Alles Quatsch!)

Das ist rechtlich richtig. Aber da sich diese Beschäftigungsverhältnisse in einer faktischen Grauzone abspielen

(Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Das ist nicht wahr!)

und da die Beschäftigten eine so schwache Position
und Angst vor dem Rausschmiß haben, passiert so
vieles. Schon 1987, als die Bedingungen noch viel besser waren, bekamen vier Fünftel der befragten Frauen kein Urlaubsgeld. Mehr als ein Viertel bekamen kein Krankengeld. Viele, über 20 Prozent, bekamen gar keinen Urlaub. Was meinen Sie, was sich heute auf den Arbeitsmärkten angesichts dessen abspielt, daß die Arbeitskraft viel weniger nachgefragt wird!

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS Siegfried Hornung [CDU/ CSU]: Ihre Beiträge waren bis jetzt zum Einschlafen!)

- Herr Kollege, da Sie noch immer wach sind und mir offensichtlich zuhören, kann ich das nicht so ganz glauben.
Meine Damen und Herren, die kleinen und mittleren Betriebe brauchen Flexibilität; aber sie brauchen keine sozialversicherungsfreie Beschäftigung. Sie werden vielmehr durch die Großbetriebe unter Druck gesetzt, die immer mehr solche geringfügigen Beschäftigungen anbieten

(Jürgen Türk [F.D.P.]: Warum?)

und Vollzeitarbeitsplätze in sozialversicherungsfreie Beschäftigung umwandeln.
Ich will hier keine Firmennamen nennen, aber folgendes ist festzustellen: Eine Firma A - ein Textilfachmarkt - hat 57,6 Prozent seiner Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sozialversicherungsfrei beschäftigt;

(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Sie können doch jetzt aufhören! Das Ziel ist erreicht!)

eine Firma B - es handelt sich um SB-Warenhäuser -8 Prozent; eine andere Firma - ebenfall SB-Warenhäuser -12 Prozent; eine Firma R - ein Großflächensupermarkt - 36 Prozent.

(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Und die Landesregierung Hessen? Weitere Zurufe von der CDU/CSU und der F.D.P.)

Es gibt auch Ausnahmen. Es gibt Unternehmer und Unternehmerinnen, die sozialversicherungspflichtig beschäftigen, obwohl es ihnen schwerfällt.

(Beifall bei der SPD)

Es sind gerade die Klein- und Mittelbetriebe, die eine soziale Verantwortung für ihre Beschäftigten haben und wahrnehmen. Sie werden durch solche großen Firmen unter Druck gesetzt, auf sozialversicherungsfreie Beschäftigung und Lohndumping auszuweichen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der PDS)

Es gibt auch andere Firmen. Die Firma Neckermann - diesen Namen kann man nennen; denn ihr Verhalten ist vorbildlich - beschäftigt weniger als ein Prozent aller Versandhandelsbeschäftigten als ge-

Staatsministerin Barbara Stolterfoht
ringfügig Beschäftigte. Es geht also. Man kann damit sogar noch Gewinne machen.

(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Und die Landesregierung Hessen?)

- Die Landesregierung Hessen wartet auf die Vorschläge der Bundesregierung.

(Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P. Gerd Andres [SPD]: Der Blüm redet hier noch nicht einmal! Der drückt sich doch!)

Meine Damen und Herren, der Herr Bundesarbeitsminister, der sich dazu immer einschlägig geäußert hat, wird heute vielleicht ein paar Vorschläge vorlegen, die wir unterstützen können. Wir wollen es.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wieviel Prozent?)

Wir haben unseren Gesetzentwurf in Übereinstimmung mit den anderen Bundesländern zurückgestellt,

(Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Das war das einzig Gute, was man machen kann!)

weil wir hoffen, daß sich in diesem unserem Lande erstmals seit Jahren die Möglichkeit ergibt, daß die großen Volksparteien einen sozialpolitischen Skandal gemeinsam abschaffen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN der PDS)

Um dieser Chance willen haben wir darauf verzichtet, unseren Gesetzentwurf in den Bundesrat einzubringen.

(Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Der wäre da nicht durchgekommen!)

Wir hoffen sehr auf die Gesprächsfähigkeit der regierenden Mehrheit in Bonn. Wir, die sozialdemokratisch geführten Bundesländer, sind bereit, so wie Herr Andres das für die Bundestagsfraktion erklärt hat, jeden sinnvollen Vorschlag mitzutragen, damit soziale Sicherheit für alle endlich Wirklichkeit wird.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1319928400
Meine Damen und Herren, die Staatsministerin Barbara Stolterfoht hat als Vertreterin des Bundesrates länger als zehn Minuten gesprochen.

(Julius Louven [CDU/CSU]: Donnerwetter!)

Die Fraktion der SPD hat deshalb nach den Richtlinien für die Aktuelle Stunde in Verbindung mit § 44 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung verlangt, daß über diese Ausführungen die Aussprache eröffnet wird. Das ist in der Geschäftsordnung so verankert.
Ich schließe deswegen jetzt die Aktuelle Stunde und eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst die Abgeordnete Birgit Schnieber-Jastram.

(Gerd Andres [SPD]: Jetzt sind wir auf die Vorschläge gespannt! Weiterer Zuruf von der SPD: Wo verkriecht sich denn Herr Blüm? Dr. Peter Struck [SPD]: Ja, wo ist denn der Herr Blüm?)


Birgit Schnieber-Jastram (CDU):
Rede ID: ID1319928500
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Andres, hören Sie ein paar Minuten zu; Herr Blüm tut das ja auch. Er ist ein Ihnen sicher immer präsentes Beispiel; sonst würden Sie nicht so oft von ihm sprechen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU Gerd Andres [SPD]: Er verkriecht sich in der zweiten Reihe als Abgeordneter!)

Sehr geehrte Frau Ministerin, während Sie noch alle Glückwünsche entgegennehmen, möchte ich Ihnen sagen, daß ich ziemlich erschüttert darüber bin, wie wenig Sensibilität Sie hier an den Tag legen.

(Beifall bei der CDU/CSU Lachen bei der SPD Zuruf von der CDU/CSU: Hören Sie zu!)

Mit dieser Rede haben Sie sich hier wirklich nicht anders aufgeführt als ein Elefant im Porzellanladen

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU Lachen bei der SPD)

und haben nicht unterschiedliche Positionen zusammengefügt, sondern einmal mehr gespalten und einmal mehr die Chance auf eine Einigung kaputtgemacht. Das ist Ihr Werk, Frau Stolterfoht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Lachen bei der SPD Zuruf von der CDU/ CSU: Leider, leider!)

Frau Stolterfoht, wer hier behauptet, Arbeitgeber seien Trittbrettfahrer des Sozialstaates, der ist - bei aller Liebe - schief gewickelt. Ohne Wirtschaft und ohne Arbeitgeber ist kein Sozialstaat in diesem Lande möglich.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Zurufe von der SPD Hans Michelbach [CDU/CSU]: Zuhören!)

Noch eines - Frau Stolterfoht, die Debatte scheint Sie ja unglaublich zu interessieren -:

(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Zuhören!) Wer hier sagt,


(Gerd Andres [SPD]: Sagen Sie endlich mal was!)

der Bundeskanzler sitze im Kanzlerolymp und sei fern von der Realität,

(Gerd Andres [SPD]: Das stimmt doch!)

der weiß überhaupt nicht, wovon er spricht. Wir wissen sehr wohl, daß es kaum einen Kanzler in diesem

Birgit Schnieber-Jastram
Land gegeben hat, der so nah bei den Menschen war.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Lachen bei der SPD)

Auch sehr viele aus Ihren Reihen wissen das sehr wohl. Unterschätzen Sie das nicht! Nicht eine einzige Führungsperson aus Ihrer Fraktion hat die gleiche Bürgernähe wie unser Kanzler.

(Zustimmung bei der CDU/CSU Lachen bei der SPD)

Das wissen Sie ganz genau.

(Peter Dreßen [SPD]: Gibt es einen freien Staatssekretärsposten oder was?)

Jetzt will ich zur Sache kommen.

(Lachen und Beifall bei der SPD und der PDS)

- Sie hätten Ihrer Ministerin sagen können, daß sie zur Sache kommen soll.
Warum ist der Streit so heftig? Wir haben in Wirklichkeit einen Streit um solidarische Systeme, und zwar weil Ihre Fraktion sich weigert, über Lohnnebenkosten zu reden.

(Lachen bei der SPD)

Wir haben Streit darum, woher die Arbeitsplätze kommen sollen, weil Ihre Fraktion sich weigert, an konstruktiven Modellen mitzuarbeiten.

(Abg. Ingrid Matthäus-Maier [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

Wir haben in unseren Fraktionen einen heftigen Zorn über die Verweigerung in Ihren Reihen.

(Abg. Detlev von Larcher [SPD] meldet sich ebenfalls zu einer Zwischenfrage)

- Ich möchte das zu Ende führen.
Reformen sind nicht Ihr Ding, Frau Matthäus-Maier.

(Lachen bei der SPD)

- Wir könnten hier ja einmal einen Wettbewerb initiieren: Wer kann am schnellsten reformieren?

(Peter Dreßen [SPD]: Wer hat denn hier die Mehrheit?)

Ich sage: Sie würden selbst in der Sparte „ Schnekkengang " zu den letzten gehören,

(Peter Dreßen [SPD]: Wer hat denn die Mehrheit?)

weil Sie zu überhaupt nichts in der Lage sind - um das einmal konkret zu sagen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Gerd Andres [SPD]: Wozu sind Sie denn in der Lage? Abg. Ingrid Matthäus-Maier [SPD] meldet sich erneut zu einer Zwischenfrage)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1319928600
Frau Kollegin - -

Birgit Schnieber-Jastram (CDU):
Rede ID: ID1319928700
Nein. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Sie wollen
keine Zwischenfragen zulassen?

Birgit Schnieber-Jastram (CDU):
Rede ID: ID1319928800
Nein.
Herr Andres, ich war sehr froh, von Ihnen zu hören, daß Sie in dieser Frage kompromißbereit sind. Ich finde, auf dieser Ebene sollten wir alle miteinander reden.

(Zurufe von der SPD: Was haben Sie denn zu bieten? Was kommt denn von Ihrer Seite?)

Anders kommen wir nämlich überhaupt nicht voran. Wenn es uns um eine Lösung geht, dann müssen wir kompromißbereit miteinander reden.
Jetzt ist die F.D.P. mein Adressat. Mein Werben, Frau Dr. Babel, geht an Sie, Herrn Westerwelle, Herrn Gerhardt und Ihre Fraktion.

(Gerd Andres [SPD]: So ist es richtig! Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wir sind sehr gespannt!)

Dabei soll nichts Negatives herauskommen. Vielmehr soll es ein tauglicher Kompromiß sein, der keinen Mißbrauch zuläßt. Wir wollen auch nichts bei der geringfügigen Beschäftigung von Zeitungsjungen ändern.
Ich möchte Ihnen einmal ein Zauberwort sagen.

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Oh!)

Mir hat neulich ein Vater von einem Versuch, seine Tochter zu erziehen, erzählt. Er hat gesagt: Sag doch einmal das Zauberwort! Da sagte das kleine Mädchen: Bitte! - Also: Bitte,

(Lachen bei der SPD)

bewegen auch Sie sich ein kleines Stückchen,

(Zurufe von der SPD; Es ist nicht zu fassen!)

und lassen Sie uns überlegen, in drei Punkten zu einem Konsens zu kommen.

(Weitere Zurufe von der SPD)

Der erste Punkt: die Sozialversicherungspflicht für Nebeneinkünfte. Ich glaube, das ist ein sehr logischer und sehr klarer Punkt, in dem wir vielleicht einen Konsens entwickeln können.
Der zweite Punkt: Einfrieren des Betrages. Vielleicht können wir auch hier zu einem Konsens kommen.
Der dritte Punkt, von dem ich glaube, daß bei ihm eine Lösung möglich sein muß, wenn wir uns in diesem Hause einig sind und es wirklich wollen: die Quotierung.
Ich glaube, nur auf diesem Weg kommen wir zu einer praktikablen Lösung, die den unterschiedlichen

Birgit Schnieber-Jastram
Interessen in diesem Hause gerecht wird. Mit Gebrüll und Geschrei schaffen wir jedenfalls überhaupt nichts, sondern nur, indem wir aufeinander zugehen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Gerd Andres [SPD]: Der Westerwelle guckt schon ganz streng! Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Die neue Koalitionskultur!)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1319928900
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Ottmar Schreiner.

Ottmar Schreiner (SPD):
Rede ID: ID1319929000
Für dieses Koalitionsangebot können wir uns nur bedanken.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Aber hier scheint mir wirklich das Problem zu liegen: Die CDU/CSU-Fraktion sagt an die Kampfgruppe Westerwelle gerichtet: „Bitte, bitte!", und die Kampfgruppe Westerwelle

(Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Hat geklatscht!)

- hat geklatscht - freut sich und beharrt auf ihren reaktionären Positionen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Reformer Schreiner!)

Das ist nichts Neues im Land. Der Schwanz wedelt weiterhin mit dem Hund, und den Hund freut das.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der PDS)

Das ist wirklich ein erstaunlicher Vorgang. Darauf kann man nur sagen: welch ein Hund!

(Peter Rauen [CDU/CSU]: Welch ein Niveau!)

Meine Damen und Herren, Frau SchnieberJastram hat in die Diskussion in der Tat ein neues Niveau eingeführt. Sie hat sich über den Begriff des Trittbrettfahrers aufgeregt. Dieser Begriff ist vor wenigen Tagen in einer Stellungnahme eines wissenschaftlichen Institutes bezogen auf die objektive Funktion der 610-DM-Arbeitsverhältnisse gebraucht worden. Ich komme gleich darauf zurück.
Sie haben sich beklagt, die SPD weigere sich, über die Lohnnebenkosten zu reden. Wir sind seit Jahren die einzige Fraktion, die versucht, mit Vorschlägen - -

(Widerspruch bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

- Sie haben doch vor wenigen Wochen noch den Mehrheitsvorschlag des Vermittlungsausschusses, die Beiträge für die Sozialversicherungssysteme um zwei Prozentpunkte abzusenken und durch eine moderate Erhöhung der indirekten Steuern zu kompensieren, abgelehnt.

(Beifall bei der SPD)

Sie haben vorher das Konzept der ökologischen Steuerreform abgelehnt; ein Bestandteil für die Finanzierung war ebenfalls die Senkung der Lohnnebenkosten bei einer moderaten Erhöhung der Steuern auf den Energieverbrauch. All das haben Sie hier abgelehnt.

(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das stimmt nicht!)

Man muß Sie daran erinnern, daß diese Koalition

(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nicht konsensfähig ist!)

seit 1990 eine ganze Reihe von Maßnahmen, die nach Auffassung aller Experten über den Bundeshaushalt hätten finanziert werden müssen, über die massive Erhöhung der Lohnnebenkosten finanziert hat. Das können Sie hier doch wohl nicht bestreiten wollen.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Sie müssen für die Tatsache geradestehen, daß in den 15 Jahren, in denen Sie regieren, der Gesamtversicherungsbeitrag um über acht Beitragspunkte gestiegen ist. Dies ist in der deutschen Sozialgeschichte ein geradezu einmaliger Vorgang.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das können Sie doch nicht bestreiten. Das ist aber gar nicht der Punkt hier.
Weiter haben Sie gesagt, die SPD sei zu nichts in der Lage. Das ist das Allererstaunlichste. Wir haben Ihnen in den letzten Jahren mehrfach Anträge und Gesetzentwürfe zur Bekämpfung des Mißbrauchs im Bereich der geringfügigen Beschäftigung vorgelegt. Zuletzt haben wir Ihnen dazu im Jahre 1995 einen Gesetzentwurf vorgelegt. Die erste Lesung hat zu Beginn des letzten Jahres stattgefunden. All diese Vorschläge haben Sie abgelehnt. Ich habe den festen Eindruck, daß es der Koalition auch jetzt bei dem Vorstoß Ihres Fraktionsvorsitzenden Schäuble in erster Linie gar nicht um die Sache geht. Vielmehr stehen Sie vor dem Trümmerhaufen Ihrer Politik. Die Institute haben Ihnen vor kurzem signalisiert, daß die Arbeitslosigkeit im nächsten Jahr weiter ansteigen wird. Es ist die direkte Folge Ihrer völlig falschen Politik, daß sie im nächsten Jahr weiter ansteigen wird.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Hier liegen Sie falsch!)

Jetzt, elf Monate vor der Wahl, entfacht die Koalition eine Reihe von Scheinaktivitäten, um davon abzulenken, daß sie diese Republik in eine Beschäftigungsmisere geführt hat, die mit dem Begriff „dramatisch" nur noch vornehm zu umschreiben ist. Davon versuchen Sie mit einer Reihe von Scheinaktivi-

Ottmar Schreiner
täten abzulenken. Wir werden darauf morgen zu sprechen kommen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS Zuruf des Abg. Peter Rauen [CDU/CSU])

Es ist doch, Herr Kollege, geradezu abenteuerlich, daß die CDU/CSU-Fraktion in den nächsten Tagen, im Grunde wenige Wochen vor dem Beschäftigungsgipfel der Europäischen Union in Luxemburg, eine Anhörung zum Thema Beschäftigungspolitik in Europa veranstaltet.
Sie haben bisher jahrelang alles kategorisch abgelehnt, was von den Oppositionsparteien im Deutschen Bundestag vorgelegt worden ist. Sie haben auch auf der europäischen Ebene alles kategorisch abgelehnt. Und jetzt, wenige Tage vor dem europäischen Beschäftigungsgipfel, vor dem Hintergrund von 20 Millionen Arbeitslosen in Europa, veranstaltet die CDU/CSU-Fraktion eine Anhörung. Wo sind wir eigentlich hier gelandet? Es ist der Gipfel der Trostlosigkeit Ihrer Politik.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Zu dem Thema 610-DM-Beschäftigungsverhältnisse. Zunächst muß man sagen: Das Problem, das Sie in den letzten Tagen zu Recht beklagt haben, haben Sie im wesentlichen selbst herbeigeführt. Man muß den Bundesarbeitsminister, der sprachlos wie selten ist

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Teilnahmslos!)

- ihm scheint es ja völlig die Sprache verschlagen zu haben; er sitzt dort auf seinem Stuhl und schaut etwas leer in die Gegend -, daran erinnern, daß er das Problem zu einem erheblichen Teil selbst verschuldet hat, weil er im Jahre 1984 die Versicherungsfreigrenze mit Wirkung ab dem Jahre 1985 dynamisiert hat. Hätten Sie diesen Schritt damals unterlassen, bräuchten wir uns heute über dieses Problem nicht zu unterhalten. Sie haben mit der Dynamisierung dafür gesorgt, daß jedes Jahr eine Angleichung der Freigrenze an die Einkommensentwicklung stattfindet. Dieser Hebel hat mit dazu geführt, daß wir heute über dieses Problem reden müssen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Daran muß man erinnern, und man darf es Ihnen nicht gestatten, sich auf den Stand der heiligen Unschuld zu berufen. Das wäre ganz falsch.
Wenn die Einführung der Versicherungspflicht für solche Beschäftigungsverhältnisse wirklich zu den dramatischen Folgen führen würde, wie sie von einigen Rednerinnen und Rednern der Koalition angekündigt worden sind, etwa von Frau Dr. Babel, dann müßte im restlichen Europa genau eine solche Entwicklung eingetreten sein. Denn das, was wir in
Deutschland haben, findet man in keinem anderen Land der Europäischen Union.

(Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Wir haben auch nirgendwo so hohe Lohnnebenkosten!)

- „Wir haben nirgends so hohe Lohnnebenkosten." Man hat auch nirgends so lange unter einer Regierung zu leiden gehabt, die die gesetzlichen Lohnnebenkosten in einem solchen Maß in die Höhe getrieben hat.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS Peter Rauen [CDU/CSU]: Auch Tarifparteien haben mit Lohnzusatzkosten zu tun! Begreifen Sie das denn nicht?)

- Ich sage Ihnen: Sie sind doch Tarifpartei. Beziehen Sie jetzt gegen sich selbst Stellung, oder was bedeutet Ihre Äußerung? Sie sind doch Mittelstandsboß; Sie sind doch Tarifpartei. Gegen wen reden Sie denn jetzt?
Das Problem ist, daß der Beitrag zur gesetzlichen Sozialversicherung in den Jahren Ihrer Regierungszeit um über acht Punkte gestiegen ist. Das haben ausschließlich Sie zu verantworten.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Sie finanzieren damit bis zur Stunde eine ganze Fülle von gesellschaftspolitischen Anliegen, die mit der Sozialversicherung überhaupt nichts zu tun haben. Sie haben nicht den Mut gehabt, dies nach dem Motto von Willy Brandt über Steuern zu finanzieren: Die breiten Schultern müssen mehr tragen als die schmalen Schultern. - Sie haben alle diese Lasten bei den Sozialversicherungen abgeladen. Die breiten Schultern tragen nichts mehr; die schmalen Schultern tragen in diesem Lande alles. Das kann auf Dauer nicht funktionieren.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS Siegfried Hornung [CDU/ CSU]: Sie blockieren Veränderungen!)

Der Kollege Ramsauer hat zu Recht darauf hingewiesen, daß ein erheblicher Teil unserer Bevölkerung
- vor mir liegt die Forsa-Umfrage von gestern - in der Tat der Meinung ist, man solle den Status quo so lassen. Ich glaube, daß wir hier in ein Gespräch eintreten müssen, weil es Aufgabe der Politik nicht sein kann, für unvertretbar gehaltene Zustände auch noch zu zementieren. Wir müssen in ein Gespräch mit den Menschen eintreten. Wenn ich die Situation nicht ganz falsch einschätze, dann sieht die Hauptgruppe der Personen, die in 610-DM-Arbeitsverhältnissen sind, darin einen Job - das bezieht sich entweder auf eine einzelne Person oder auf einen Familienverband -, der eine bereits vorhandene Haupttätigkeit ergänzt. Dafür habe ich sogar Verständnis, wenn man sich die Reallohnentwicklung der letzten Jahre anschaut.

(Zuruf von der SPD: Ja eben!)


Ottmar Schreiner
Nur, der Weg kann nicht weiter beschritten werden, weil wir einen Wirkungszusammenhang beobachten, der sich mit dem Begriff „Teufelskreis" nur gelinde umschreiben läßt. Die Entwicklung der letzten Jahre war dadurch gekennzeichnet, daß wir eine dynamische Zunahme im Bereich der sozialversicherungsfreien Mini-Teilzeitarbeitsverhältnisse haben und daß gleichzeitig das Angebot an sozialversicherungspflichtigen Vollzeitarbeitsplätzen und an sozialversicherungspflichtigen Teilzeitarbeitsplätzen zurückgegangen ist. Mit anderen Worten: Über die Lohnsumme der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnisse werden auch die sozialen Sicherungen derjenigen Menschen mitfinanziert, die in 610-DMArbeitsverhältnissen beschäftigt sind. Das genau ist der angesprochene Trittbrettfahrercharakter.

(Beifall bei der SPD)

Das heißt, in dem Maße, in dem ich sozialversicherungsfreie Beschäftigungsverhältnisse kostenmäßig privilegiere, trage ich dazu bei, daß die Zahl der sozialversicherungsfreien Beschäftigungsverhältnisse steigt und reguläre sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze zerstört werden. Genau das ist der Teufelskreis.
Je weniger sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse es gibt, um so weniger Beschäftigte finanzieren die Sozialsysteme auch derjenigen mit, die in sozialversicherungsfreien Beschäftigungsverhältnissen sind, um so teurer werden diese Arbeitsplätze. Je teurer sie werden, um so stärker ist die Flucht in die sozialversicherungsfreien Beschäftigungsverhältnisse. Genau das ist der Teufelskreis der letzten Jahre.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

Dieser Teufelskreis der letzten Jahre führt auf absehbare Zeit zur Zerstörung der Systeme der sozialen Sicherung in Deutschland. Genau das hat die Kampfgruppe Westerwelle begriffen. Deshalb verteidigt die Kampfgruppe Westerwelle den Status quo mit Zähnen und Klauen.

(Beifall bei der SPD)

Aus diesen Gründen müssen wir, wenn die soziale Sicherung in Deutschland eine Perspektive haben soll, dringendst, und zwar in den nächsten Wochen, Änderungen, Korrekturen herbeiführen.
Alle Redner der CDU/CSU, die ich hier gehört habe, aber auch die, die in der Öffentlichkeit zu vernehmen waren, haben inzwischen zu erkennen gegeben, daß wir vor einem riesigen Problem stehen. Wenn der Minister hier reden würde, würde er sagen -

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1319929100
Herr Kollege Schreiner, Ihre Redezeit ist überschritten.

Ottmar Schreiner (SPD):
Rede ID: ID1319929200
- ich komme zum Schluß -: Es reicht nicht aus, ein Problem nur wahrzunehmen. Wir müssen ein Problem auch lösen. Dazu laden wir
Sie herzlich ein. Die Zeit ist überfällig, meine Damen und Herren von der Koalition.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1319929300
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Marieluise Beck.

Marieluise Beck-Oberdorf (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1319929400
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es hat mich ziemlich umgehauen, was im Laufe dieser Debatte geäußert worden ist. Wenn der Kollege Ramsauer von der CSU sagt „Die Zahlen haben uns überrascht", dann muß man sich wirklich fragen, was dieser Parlamentarier in den vergangenen Jahren eigentlich gemacht hat:

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

ob er an irgendeiner Ausschußsitzung teilgenommen hat, ob er die eine oder andere Zeitung liest, ob er irgendwann - was schon sehr anspruchsvoll ist - ein Meines wissenschaftliches Gutachten zur Kenntnis nimmt. Offensichtlich nicht. Ich weiß nicht, ob er in dieser Zeit Skilaufen gewesen ist oder sonstwas. Aber sich jetzt hierhinzustellen und so zu tun, als sei diese Entwicklung tatsächlich eine Überraschung, ist schlichtweg unglaublich.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Nicht erst seit dem Aktionsbündnis von vor vier Wochen und auch nicht erst, seit wir in dieser Legislaturperiode von rot-grüner Seite - Frau Ministerin: rot-grün - Anträge eingebracht haben, gibt es diese Debatte. Ich bin eine noch relativ junge Parlamentarierin; aber ich kann mich daran erinnern, Herr Minister Blüm, daß Sie schon vor zehn Jahren im Ausschuß den Zustand vor allen Dingen bei den Gebäudereinigern beklagt haben. Schon vor zehn Jahren ging die Debatte los: Dieser Zustand kann so eigentlich nicht weiterbestehen.
Sie haben vor zehn Jahren immer und immer wieder avisiert, daß da etwas passieren würde. Wir wußten alle - das konnte man Ihnen persönlich gar nicht zum Vorwurf machen -, daß Sie gerne gewollt hätten, daß Sie aber nicht durften, weil Sie einen Koalitionspartner hatten, der Sie nicht gelassen hat. Es ist nichts Ehrenrühriges, daß man einen solchen Koalitionspartner hat. Wir haben damit auch so unsere Erfahrungen. Das kann einem immer mal wieder passieren; dann hat man Pech gehabt. Aber sich jetzt hierhinzustellen und zu sagen „Manometer, daß es in dieser Gesellschaft so etwas gibt" ist schon ziemlich unglaublich.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der PDS)

Dann legt Frau Babel nach und sagt: In der Tat, jetzt werden schwerwiegende Fragen aufgeworfen.

(Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Das weiß keiner zu beantworten!)


Marieluise Beck (Bremen)

Sie fragt: Was passiert denn mit der Schwarzarbeit? Was machen wir denn mit den kleinen Unternehmen? Wird es da nun mehr oder weniger Beschäftigung geben?

(Jürgen Türk [F.D.P.]: Das sind doch wichtige Fragen!)

Sie sagt weiter: Dem müssen wir jetzt doch wirklich nachgehen. - Das sagen Sie elf Monate vor Ende der Legislaturperiode, hoffentlich auch vor Ende Ihrer Regierungsbeteiligung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Elf Monate vor Ende Ihrer Regierungsbeteiligung kündigen Sie hier an, daß Sie anfangen wollen, der Sache auf den Grund zu gehen. Das finde ich einfach unglaublich. Das ist wirklich eine Zumutung auch für die Bevölkerung draußen. Mit wem haben wir es hier eigentlich zu tun?

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Sie wissen auf alles eine Antwort, Frau Beck?)

- Nein. Ich habe nicht gesagt, daß wir auf alles eine Antwort haben. So vermessen bin ich gar nicht. Das wissen Sie auch, Frau Babel.
Aber daß Sie sich nun wirklich einmal der Geschichte dieser Debatte stellen müssen, ist klar. Diese Debatte hat eine ellenlange Geschichte. Sie ist von allen Seiten beleuchtet worden. Man kann unterschiedlicher Meinung sein. Aber was nicht geht, ist, zu sagen: Wir müssen die Sache jetzt einmal untersuchen, und wir müssen uns die Tatsache ansehen. Das geht einfach nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)

Sagen Sie meinetwegen weiterhin: Wir von der F.D.P. sind der Meinung, daß das der geniale Zustand ist. - Das haben Sie auch schon einmal gesagt. In den Debatten haben Sie gesagt: Das ist der letzte Rest von Freiheit, den wir haben.

(Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Stimmt!)

Ich glaube, das ist ein Zitat von Ihrer Seite. Bitte schön, stehen Sie dazu, daß Sie Ihrer Meinung nach diesen „letzten Rest von Freiheit" in der Gesellschaft bewahren wollen. Das ist in Ordnung. Dann haben wir unterschiedliche Meinungen. Aber sagen Sie bitte nicht: Wir müssen erst untersuchen, wo es hingehen soll.
Der Kollege Schauerte - das habe ich der „FAZ" entnommen, ich weiß nicht, ob das Zitat richtig ist, vielleicht tue ich ihm unrecht - sagt: Wir haben jetzt eine Kommission eingesetzt, und wir stochern im Nebel. - Toll, die Bundesregierung stochert im Nebel. Die Regierung stakt also mit langen Stangen durch den Nebel. Aber ab und zu kommt jetzt doch der eine oder andere Vorschlag.
Der genialste Vorschlag ist der des Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion. Wir alle denken darüber
nach - auch Ihre Kollegen, das wissen wir aus dem Ausschuß -, was wir in einer Situation machen sollen, wo das Normalarbeitsverhältnis erodiert, wo die Sozialversicherungskassen immer stärker ausbluten und gleichzeitig damit auch belastet werden. Das ist der Teufelskreis, von dem Herr Schreiner eben gesprochen hat. Dann kommen Sie daher und machen einen Vorschlag, der in dem Sinne genial ist, daß er diesen Zustand schlichtweg noch einmal verschlimmbessert; ich glaube, so heißt das bei unseren Kindern. Der Kollege Schäuble schlägt nämlich vor, die Freigrenze von 610 DM auf 1200 DM hochzusetzen.
Dann soll er doch ganze Sache machen und sagen: Laßt uns diesen ganzen elenden Klimbim mit dem lohnbezogenen Sozialversicherungssystem einfach beiseite schieben: Dieses System bringt es nicht mehr. - Das wäre dann eine rechte Antwort. Aber statt dessen auf diese Debatte mit dieser Antwort zu reagieren ist wirklich kaum noch nachvollziehbar.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Was wollen denn die Grünen?)

Der Kollege Blüm hat relativ schnell reagiert und konnte sofort belegen, daß ihm dann 10 Milliarden DM in der Rentenkasse fehlen würden, was dann natürlich mit einer Heraufsetzung der Beiträge kompensiert werden müßte, was wir dann wieder alle gemeinsam beklagen würden. Dieser Vorschlag scheint also vom Tisch zu sein.
Ich finde es interessant, sich jetzt einmal den anderen Vorschlägen zuzuwenden. Ich bin durchaus bereit, anzuerkennen, daß es schwierig ist, die folgenden drei Seiten zu einem Dreieck zu verbinden: Da sind einmal die Sicherungsbedürfnisse der Beschäftigten - insbesondere der Frauen, - das möchte ich noch einmal betonen -, über die viel gesprochen worden ist. Und dann sind da die Löcher in den Kassen der Sozialversicherungen - ihre finanziellen Erwägungen - sowie durchaus auch Flexibilitätsanforderungen von kleinen Unternehmen.
Jetzt ist der Vorschlag in die Debatte eingebracht worden, eine Quote einzuführen. Es scheint aber so zu sein, daß die Einführung einer Quote aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht möglich ist.
Es wird jetzt sehr viel über den österreichischen Vorschlag gesprochen, der gerade den kleinen Unternehmen die Möglichkeit einräumt, eine Freigrenze in Höhe einer gewissen Lohnsumme - hier wird gesagt: etwa im Gegenwert von anderthalb versicherungsfrei Beschäftigten - festzulegen, unterhalb deren versicherungsfreie Beschäftigungsverhältnisse möglich wären. Dann könnten tatsächlich in jedem Unternehmen für Aushilfsarbeiten oder kleine Nebentätigkeiten bis zu anderthalb „kleine Beschäftigungsverhältnisse " eingegangen werden. Ich meine nicht, daß man zu diesem Kompromiß unbedingt finden müßte, weil ich es noch immer für einleuchtend halte, jedes dauerhafte Beschäftigungsverhältnis sozialversicherungspflichtig zu machen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei der SPD und der PDS)


Marieluise Beck (Bremen)

Dennoch: Wenn wir hier alle wissen, daß es jetzt um Kompromißfindung und um einen ersten Schritt geht, wäre es sinnvoll, sich ernsthaft mit solchen möglichen Kompromißvorschlägen auseinanderzusetzen. Aber wenn Sie noch im Nebel herumstochern, sind Sie im Augenblick ja nicht verhandlungsfähig. Das ist das Problem. Wir wissen ja nicht, an wen wir uns wenden sollen, solange niemand bei Ihnen Prokura hat - das sieht bei den vielen Vorschlägen so aus - und Sie nicht verhandlungsfähig sind.

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Wir haben einen Lotsen: unseren Verstand!)

- Sie haben einen Lotsen. Wer ist das denn? Wer ist denn dieser Lotse?

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das sage ich Ihnen nachher!)

- Ach, nachher. Das Geheimnis, wer in dieser Frage die Hosen anhat, wird nachher verraten. Das wird ja sehr spannend.
Es gibt Vorschläge, die nicht bedeuten würden, daß die linke Seite dieses Hauses mit dem Kopf durch die Wand gehen würde, sondern die den Bedenken, die von seiten der F.D.P. und von Teilen der CDU sowie von Unternehmerverbänden vorgetragen werden, Rechnung tragen. Nur, dann muß es jetzt auch wirklich einmal losgehen. Ich sehe schon, daß wir am 10. Dezember im Ausschuß die vorgesehene Anhörung haben werden, in der Vorschläge in Gesetzesform, also praktisch umsetzbar, auf dem Tisch liegen, bei denen aber die rechte Seite dieses Hauses nicht mitsprechen kann, weil sie bis dahin schlichtweg keine vorgelegt hat.
Dann allerdings haben Sie wirklich die Verantwortung, sich der Bevölkerung zu stellen und ihr zu erklären, wie es passieren kann, daß zwischen 1992 und 1997 eine Zunahme von 40 Prozent dieser nicht sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse stattgefunden hat. Sie haben am Ende der Legislaturperiode nichts anderes anzubieten, als daß Sie noch einmal ganz tüchtig nachdenken müssen und die Situation sondieren müssen. Ich glaube, daß Sie in der öffentlichen Auseinandersetzung einen ziemlich schweren Stand haben werden.

(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Jawohl, Frau Lehrerin!)

Wir werden unser Bestes dazu tun, daß wir Ihnen diesen schweren Stand noch ordentlich ungemütlich machen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS Jürgen Türk [F.D.P.]: Sie hätten wenigstens andeuten sollen, was Sie wollen! Volker Kauder [CDU/ CSU]: Frau Oberlehrerin, die Kinder haben es verstanden!)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1319929500
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Paul Friedhoff.

Paul K. Friedhoff (FDP):
Rede ID: ID1319929600
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte eine
Vorbemerkung machen. Herr Schreiner, Sie haben hier das Institutsgutachten herangezogen und haben über den Arbeitsmarkt sowie die Schlußfolgerungen, die Sie aus diesem Gutachten gezogen haben, gesprochen. Auch ich habe das Gutachten gelesen; aber es muß ein anderes als das gewesen sein, was Sie gelesen haben. Denn in dem Gutachten, das ich gelesen habe, habe ich in weiten Teilen große Bestätigung dessen gefunden, was wir unter Beschäftigungspolitik verstehen. Ich habe darin weiter gefunden, daß dies das ist, was Sie bekämpfen. Von daher habe ich etwas andere Vorstellungen.

(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1319929700
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schreiner?

Paul K. Friedhoff (FDP):
Rede ID: ID1319929800
Sie können das im Rahmen einer Kurzintervention oder weiß der Kuckuck was machen.

(Gerd Andres [SPD]: Lassen Sie die Frage zu! Ein bißchen Mut, Herr Friedhoff!)

- Ich habe ausgesprochen großen Mut. Ich möchte hier jetzt im ganzen vortragen.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Erst unberechtigte Vorwürfe und dann keine Frage zulassen!)

In Verlängerung der Aktuellen Stunde setzt sich jetzt eine öffentliche Debatte fort, die, so wie ich das sehe, in der Form, in der sie hier geführt wird, nicht nachvollziehbar ist. Da immer wieder von Mißbrauch die Rede war: Muß man doch klar anerkennen, daß durch das 610-DM-Gesetz Millionen von Menschen wirklich profitieren, daß sie legal Beschäftigung ausführen können. •

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das ist doch die Wahrheit.
In vielen Familien - ich weiß nicht, wohin Sie kommen - wird die Chance, jeden Monat eine entsprechende Summe zum Einkommen beitragen zu können, sehr gerne wahrgenommen. Viele Frauen könnten neben der Kindererziehung gar nicht mehr Zeit erübrigen und ein Vollbeschäftigungsverhältnis aufnehmen. Aus diesem Grunde findet geringfügige Beschäftigung breiten Anklang. Wollen Sie ihnen diese Arbeitsmöglichkeiten wirklich nehmen?

(Detlev von Larcher [SPD]: Nein!)

Ich sage Ihnen mit allem Nachdruck: Das werden wir nicht mitmachen.

(Gerd Andres [SPD]: Wir auch nicht!)

Frau Schnieber-Jastram, zu dem, was Sie hier vorhin als Bitte geäußert haben. Sie sprechen davon, daß wir Mißbrauchsbekämpfung machen wollen. Da sind wir an Ihrer Seite. Auch habe ich gerade vernommen, Sie wollen das Ganze gar nicht abschaffen. Sie wollen Mißbrauch bekämpfen. Ich verstehe unter Mißbrauchsbekämpfung nicht, daß wir ein Gesetz

Paul K. Friedhoff
abschaffen. Vielmehr verstehe ich darunter, daß wir, wenn ein Gesetz mißbraucht wird, wenn es umgangen wird oder ähnliches, das bekämpfen müssen. Da sind wir völlig an Ihrer Seite. Wir erwarten gerne auch Ihre Vorschläge. Dann werden wir uns damit seriös auseinandersetzen.

(Beifall bei der F.D.P. Zuruf von der SPD: Welche Vorschläge haben Sie denn?)

Nach den Angaben des Instituts für Wirtschaftsforschung - so habe ich das verstanden - sind 40 Prozent der 610-DM-Kräfte verheiratete Frauen, knapp 20 Prozent sind Rentner, und 25 Prozent sind Schüler und Studenten. Das sind Fakten, die man zur Kenntnis nehmen muß. Wer ihre Beschäftigungschancen einschränkt, der handelt, wie ich glaube, familienfeindlich und auch unsozial.

(Beifall bei der F.D.P.)

Deshalb kann es nach meinem Dafürhalten nicht überraschen, daß bei der Umfrage des Forsa-Instituts herausgekommen ist, daß die deutliche Mehrheit der Bundesbürger für die 610-DM-Beschäftigung ist und daß wir das unangetastet lassen sollten.
Frau Ministerin Stolterfoht, Sie haben eben gesagt, die 610-DM-Jobs sind gar nicht nötig; man kann legale Beschäftigung auch anderweitig erreichen. - Dann frage ich Sie: Warum hat die hessische rotgrüne Landesregierung nicht nach dieser Maxime gehandelt? Warum handeln Sie selber nicht nach dieser Maxime, wenn das so ist?
Ich habe hier eben wieder vernommen: Der Herr Blüm muß dann Vorschläge machen. - Sie selber haben eben gesagt: Das ist auch heute schon möglich. - Natürlich, Sie brauchen aus 610-DM-Jobs nur 620-DM-Jobs zu machen, und schon sind die Leute verpflichtet, versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse aufzunehmen.

(Beifall bei der F.D.P.)

Sie tun das aber nicht, weil Sie offensichtlich ebenfalls meinen, daß diese Beschäftigungsverhältnisse in dieser Form nicht verkehrt sind.
Die Anzahl der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse hat deutlich zugenommen; das ist nicht zu bestreiten. Die Schätzungen über die Zunahme dieser Verhältnisse gehen allerdings weit auseinander. Man müßte sicherlich etwas besseres Datenmaterial als das haben, was uns vorliegt.
Aber vieles deutet darauf hin, daß die Zunahme in den Bereichen erfolgt ist, in denen sonst keine Arbeitsplätze entstehen würden. Dies gilt besonders für den Dienstleistungsbereich und für private Haushalte. Die Dienstleistungsbranche ist der Wachstumsmarkt der Zukunft. Dieser Markt ist in hohem Maße auf die Flexibilität und auch auf geringfügige Beschäftigungsverhältnisse angewiesen.

(Beifall bei der F.D.P.)

Wer dieses ignoriert, zerstört Beschäftigungschancen. Man darf sich im übrigen nicht wundern, wenn
dann in Deutschland von einer Dienstleistungswüste die Rede ist.

(Beifall bei der F.D.P.)

Zum Beispiel sind 80 Prozent der Zeitungszusteller auf 610-DM-Basis beschäftigt. Für diese Tätigkeit kann man keine Halbtags- und auch keine Volltagsbeschäftigung anbieten. Gerade aus der Sicht vieler kleiner und mittlerer Betriebe gilt, daß diese geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse unverzichtbar sind.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Vielleicht bezahlen wir einfach 10 Pfennig mehr für die Zeitung!)

- Es mag sein, daß Sie das machen wollen. Aber die Mehrheit der Bevölkerung wird nicht einsehen, daß jemand, der morgens zwei Stunden Zeitungen austrägt, dafür dann acht Stunden arbeiten muß. Das wird nicht funktionieren.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Quatsch, darum geht es gar nicht! Sie haben es immer noch nicht verstanden!)

Die geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse sind nicht das Problem,

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Noch so ein politischer Geisterfahrer!)

sondern sie zeigen auf, wo die Probleme liegen: bei der zu hohen Steuer- und Abgabenlast für Betriebe und für Beschäftigte; da liegt das Grundproblem.

(Beifall bei der F.D.P.)

Frau Babel hat hier eben sehr deutlich gemacht: Die Zunahme geht einher mit einer erheblichen Steigerung der Sozialversicherungsbeiträge. Dort, bei den tatsächlichen Ursachen der Arbeitslosigkeit, müssen wir ansetzen. Nur dann können wir die Sozialkassen wieder in Ordnung bringen.
Wer die 610-DM-Jobs eindämmt, wird nicht die Sozialversicherung entlasten, sondern die Schwarzarbeit fördern. Wer die 610-DM-Arbeitsverhältnisse eindämmt, der handelt, wie ich finde, familienfeindlich und unsozial.
Ich bedanke mich.

(Beifall bei der F.D.P. Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das war nun völlig daneben!)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1319929900
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Petra Bläss.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1319930000
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte um geringfügige Beschäftigungsverhältnisse hat interessante Parallelen zu der um die Zukunft der gesetzlichen Rentenversicherung. Auch da überstürzen sich fast täglich die Meldungen. Auch da schießen plötzlich Expertinnen und Experten wie Pilze überall aus dem Boden. Wir hören tagtäglich neue Zahlenspiele und neue Rezepte, wie dem Problem zu begegnen sei.

Petra Bläss
Nun hat die CDU/CSU-Bundestagsfraktion eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen. Auch hier erinnert mich die Geheimnistuerei darum sehr an die Arbeit der Blümschen Rentenkommission seinerzeit. Schließlich und endlich habe ich das Gefühl, daß Bundesarbeitsminister Blüm auch bei diesem Thema aus der Stille wieder emporkommt und sich plötzlich als Retter . des Systems der Sozialversicherung präsentiert.
Sie haben uns mit im Boot, wenn es darum geht, für eine sozialversicherungsrechtliche Neuordnung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse einzutreten. Da mache ich wirklich ein Achtungszeichen, gerade weil im Moment ja sehr viel Handausstrecken zu Koalitionen angesagt ist. Herr Blüm hat auch betont, daß es notwendig sei, weiterhin ausreichend Spielräume für die geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse bestehen zu lassen.
Im Moment überschlägt sich das Zahlenspiel. Es wird - ich verweise auf die Diskussion heute vormittag im Wirtschaftsausschuß - wieder einmal deutlich: Hier haben wir es mit einem Ersatzschauplatz zu tun. Scheingefechte sind auch hier nur dazu da - ich erinnere an die Debatte um das Loch in der Rentenversicherung -, um vom eigentlichen Thema abzulenken.
Um dies noch einmal zu benennen, möchte ich auf die bundesweite Kampagne des breiten Frauenbündnisses verweisen: „Mittendrin und trotzdem draußen - geringfügig Beschäftigte sozialversichern". Anliegen unseres Bündnisses ist es, damit Schluß zu machen, daß sich die Unternehmen dadurch Wettbewerbsvorteile verschaffen, daß sie in zunehmendem Maße sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse abbauen. Die Leidtragenden - das ist von den Rednerinnen und Rednern der Opposition hier schon vielfach gesagt worden - sind vor allem Frauen, die aus dem System der sozialen Sicherung ausgeschlossen sind. Ich kann mich da nur der hessischen Sozialministerin, Kollegin Stolterfoht, anschließen: Es handelt sich hier in der Tat um einen sozialpolitischen Skandal, dem unbedingt und noch in dieser Legislaturperiode begegnet werden muß.

(Beifall bei der PDS und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Ziel muß es sein, allen abhängig Beschäftigten einen undiskriminierten Zugang zum System der Sozialversicherung zu verschaffen.
Nun hat sich ein bißchen flackerndes Licht am Ende des Tunnels gezeigt. Es gibt den Vorschlag der Sozialversicherungspflicht für die Nebenjobs. Im übrigen ist das kein neuer Vorschlag; er ist schon von Ihrer Rentenreformkommission gekommen. Es handelt sich hier durchaus um einen Schritt in die richtige Richtung. Aber das Hauptproblem, daß die Frauen, die ausschließlich auf diese Beschäftigungsverhältnisse angewiesen sind, über keinerlei sozialrechtliche Absicherung im Alter und bei Arbeitslosigkeit verfügen, wäre damit nicht gelöst. Hier ist der Handlungsbedarf des Gesetzgebers zuallererst zu sehen.
Es sind in der Tat Frauen, die die überwiegende Mehrzahl derer stellen, für die die geringfügige Beschäftigung die Haupterwerbstätigkeit ist. Sie sind dadurch besonders diskriminiert, daß sie von den Versicherungssystemen ausgeschlossen sind. Die Nachteile prekärer Beschäftigungsverhältnisse kulminieren also genau bei jener Bevölkerungsgruppe, die über keine bzw. nur marginale eigenständige soziale Absicherung verfügt. Diese Art von Beschäftigungsverhältnissen ist prekär, sowohl was die soziale Absicherung als auch was die Einkommenssicherheit betrifft.
Wenn der Kollege Sohns, wie heute wieder, verkündet, daß das Problem doch nicht so groß sei, weil von den geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen vor allem Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer betroffen seien, die ohnehin sozial abgesichert seien, kann ich nur sagen: Das zeugt von absoluter Ignoranz und Arroganz. Und ich finde es einfach lächerlich, ja peinlich, wenn nun das Hauptproblem sein soll, daß diejenigen, die dann in die Sozialversicherung kämen, dann massenweise zur Kur fahren würden. Ein solches Argument finde ich einfach indiskutabel.
Statt sich solchen Nebenschauplätzen zu widmen, sollten Sie einmal über die Auswüchse der bestehenden Regelungen nachdenken. Ich empfehle Ihnen da den „Spiegel" -Artikel in dieser Woche, in dem beipielsweise über die Westdeutsche Industrie-Instandhaltung GmbH, eine Tochter des Thyssen-Konzerns, berichtet wird, bei der heute 10 000 Geringverdienende beschäftigt sind. Dieses Modell, nach dem Arbeit zunehmend aus- und aufgegliedert wird, ist doch sozusagen die sozialpolitische Zeitbombe, die in diesem Lande tickt.
Ebenso alarmierend finde ich die Prognosen, die es für den Bereich Banken und Versicherungen gibt. Tätigkeiten werden immer weiter operationalisierbar. Allein für diesen Sektor wird prognostiziert, daß bis zu 60 Prozent der Vollzeitarbeitsplätze vernichtet werden könnten. Diesem Problem, dem Problem der zunehmenden Teilung regulärer Beschäftigungsverhältnisse, müssen wir uns unbedingt stellen.

(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Nun noch kurz zu den Vorschlägen des Kollegen Schäuble und seinen Fraktionskolleginnen und -kollegen. Ich denke, daß bei Ihnen jetzt nicht irgendeine soziale Ader sprießt. Ich freue mich zwar, daß der außerparlamentarische Druck hier wohl doch Wirkung zeigt, warne aber davor, in Euphorie zu verfallen. Vielmehr habe ich die Befürchtung, daß das gegenwärtige Ausmaß ungeschützter Beschäftigungsverhältnisse Ihrem Konzept der zunehmenden Etablierung eines Niedriglohnsektors entgegensteht. Stichworte sind „Kombilöhne" und „kleine Beschäftigungsverhältnisse". Ich denke, daß das Hauptproblem hier zu suchen ist. Über diesen Weg versuchen Sie, Ihre flotten Sprüche von der Schaffung von Arbeitsplätzen und Beschäftigungsverhältnissen und der Senkung der Arbeitslosenzahlen umzusetzen. Einer solchen Richtung können wir überhaupt nicht zustimmen.

Petra Bläss
Hinzu kommt die Diskussion um die Absenkung der Niedriglöhne und des Sozialhilfeniveaus, die Sie immer wieder auf die Tagesordnung setzen.
Meine Damen und Herren, ich kann mich im Fazit nur besagtem „Spiegel"-Artikel aus dieser Woche anschließen, in dem es heißt:
Die diskutierten Lösungen haben mehr Nach- als Vorteile - Abhilfe schafft nur eine andere Beschäftigungspolitik. ,
Als PDS meinen wir: Nicht der Sozialstaat ist zu teuer, sondern der Abbau von Arbeitsplätzen. Deshalb ist es nötig, von neoliberalen Ladenhütern, die da heißen: Deregulierung, Privatisierung und Arbeitsplatzabbau, endlich Abschied zu nehmen.

(Paul K. Friedhoff [F.D.P.]: Zurück zur Planwirtschaft!)

Umverteilung der Arbeit, Arbeitszeitverkürzung und Aufbau eines öffentlich geförderten Beschäftigungssektors gehören auf die Tagesordnung. Das Jahr 1998 muß zum Jahr der arbeitsmarktpolitischen Trendwende werden.

(Vorsitz : Präsidentin Dr. Rita Süssmuth)

Ich möchte daran erinnern, daß die PDS einen eigenständigen Vorschlag unterbreitet hat, jede geleistete Arbeitsstunde sozialversicherungsrechtlich abzusichern. Dies würde gemeinsam mit unserem Vorschlag, daß die Arbeitgeber bis zur Höhe des Existenzminimums die Beiträge allein bezahlen sollen, zu einem Stimulans für existenzsichernde Arbeitsplätze führen. Ich denke schließlich und endlich, daß der Vorschlag der PDS, jede Arbeitsstunde versicherungspflichtig zu machen, auch der einfachste und transparenteste Weg wäre. Denn wir reden hier ja sehr oft davon, daß es notwendig ist, das Versicherungssystem durchsichtiger zu machen. Vor allem aber wäre dies ein Beitrag für mehr Gerechtigkeit - und die ist in diesem Lande vonnöten.

(Beifall bei der PDS)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1319930100
Als nächster hat der Kollege Volker Kauder das Wort.

(Ottmar Schreiner [SPD]: Jetzt kommt die wandelnde Nebelkerze!)


Volker Kauder (CDU):
Rede ID: ID1319930200
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit die Diskussion um. die 610-DM-Arbeitsverhältnisse in der Öffentlichkeit intensiv geführt wird, erreichen mich täglich Anrufe, vorwiegend Anrufe von besorgten Menschen, nicht von Mittelständlern, sondern von Studenten, von Arbeitnehmern, von Rentnern und von Hausfrauen, die sagen: Wollt ihr uns jetzt eine zusätzliche Möglichkeit, Geld zu verdienen, kaputtmachen?

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)

Das ist genau das, was der Kollege Schreiner vorhin gesagt hat: In der Bevölkerung wird weitgehend eine andere Auffassung vertreten. All diejenigen, die bei jeder nur denkbaren Möglichkeit nach einem Volksentscheid rufen, würden sich, führten wir über diese Frage einen Volksentscheid herbei, wundern, was die Menschen in dieser Hinsicht wirklich denken. Deshalb können wir uns, wenn wir die Sorgen der Menschen ernst nehmen, nicht leichtfertig über diese Frage hinwegsetzen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)

Da nützt das Schlachtgeschrei der SPD herzlich wenig; denn Sie stoßen mit Ihrer Argumentation nur bei ein paar Funktionären, noch nicht einmal bei allen, auf Zustimmung, nicht aber bei der Bevölkerung. Deshalb wäre es richtig und gut, Herr Kollege Schreiner, wenn wir versuchen würden, uns über diese Frage und die damit zusammenhängenden Probleme zu verständigen.
Natürlich gibt es eine Zunahme der 610-DM-Arbeitsverhältnisse; über die genauen Zahlen wird gestritten. Wir müssen auch diejenigen sehen

(Ministerin Barbara Stolterfoht [Hessen] erhebt sich von ihrem Platz auf der Bundesratsbank)

- Frau Minister, bleiben Sie noch einen Augenblick hier -, die sich hier als vorbildlich herausstellen wollen, wie das Land Hessen.
Unwidersprochen hat der Finanzminister des Landes Hessen die Aussage hingenommen, daß im Lande Hessen zusätzliche Ausgaben in Höhe von 20 Millionen DM entstehen würden, wenn die 610-Mark-Arbeitsverhältnisse abgeschafft würden.

(Julius Louven [CDU/CSU]: Hört! Hört!) Also können es nicht nur ein oder zwei Fälle sein.

Sie könnten die Damen und Herren vorbildlicherweise alle in die Sozialversicherungspflicht einbeziehen, wenn sie für 620 DM beschäftigt würden. Dann wäre das Problem gelöst.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ganz so einfach, wie immer getan wird, ist die Sache wirklich nicht.

(Abg. Ottmar Schreiner [SPD] und Abg. Annelie Buntenbach [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] melden sich zu einer Zwischenfrage)

- Ich bitte um Verständnis, daß ich Ihre Fragen nicht zulasse. Ich habe nur fünf Minuten Redezeit.
Deshalb ein paar Eckpunkte zu dieser Problematik: Ich möchte - wie wahrscheinlich viele Freunde in unserer Koalition; wir diskutieren gerade darüber -, daß dieses Instrument grundsätzlich beibehalten wird. Denn es hat sich grundsätzlich bewährt. Sonst hätten Sie es in Ihrer Regierungszeit abgeschafft. Sie haben dies aber nicht getan.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Volker Kauder
Wir wollen, daß dieses Instrument auf das zurückgeführt wird, was es einmal war: eine Lösung für Saisonbeschäftigung und Aushilfsbeschäftigung, aber kein Ersatz für reguläre Beschäftigungsverhältnisse.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dies ist unser gemeinsames Ziel. Wir müssen nun darüber sprechen, wie wir dieses Ziel erreichen. - Ich freue mich, Frau Beck, über dieses zustimmende Nicken.
Ein richtiger Weg wäre, so meine ich, zunächst einmal all diejenigen, die ohnehin schon einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehen, einzubeziehen. Denn da geht es für mich nicht um die soziale Sicherung, sondern der Effekt ist eine Wettbewerbsverzerrung, die ich endlich einmal ausschalten will.
Lassen Sie mich noch etwas zu den Lohnnebenkosten anfügen. Wir haben hierzu Vorschläge vorgelegt - Sie zwar auch, aber Sie haben die entscheidenden Punkte abgelehnt. Herr Schreiner, es geht natürlich nicht, wie Sie glauben, die Lohnzusatzkosten dadurch zu senken, daß man mehr steuerfinanziert, aber die Steuersätze unverändert läßt. Denn wir wollen die Lohnzusatzkosten und die Staatsquote sen-
- ken. Letzterem haben Sie sich verweigert. Damit tragen Sie dazu bei, zu verhindern, daß Arbeitsplätze neu entstehen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.])

Wir müssen die verschiedenen Probleme, die damit verbunden sind, zusammen diskutieren. Sie haben da noch erheblichen Nachholbedarf. Denn so einfach geht es nicht: hier im Deutschen Bundestag zu sagen, die 610-Mark-Beschäftigungsverhältnisse müßten voll sozialversicherungspflichtig sein, aber den Verlegern und Bauern - überall da, wo es eng wird - Hoffnung auf eine Ausnahmeregelung zu machen. Nein, wenn wir so etwas regeln, muß es grundsätzlich sein. Ich schlage vor: Wir beziehen bei denjenigen, die ohnehin schon sozialversicherungspflichtig sind, alle Einkommen mit ein.
Noch einen Gedanken, Frau Präsidentin.

(Ottmar Schreiner [SPD]: Das wäre der erste!)

- Ich lasse mich von Ihnen gar nicht polemisch anmachen. Dieses Thema ist mir viel zu ernst, um es schreierisch rüberzubringen. Die Menschen fühlen sich angesichts der Art, wie Sie an das Problem herangehen, bei Ihnen ja gar nicht mehr aufgehoben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Widerspruch bei der SPD)

Über einen Punkt, den ich gar nicht anders regeln will, müßten Sie einmal nachdenken, nämlich die Pauschalversteuerung in Höhe von 20 Prozent. Sie sagen, aus Solidaritätsgründen müsse von der ersten Mark an Sozialversicherungsbeitrag erhoben werden. Aber ist es solidarisch, daß eine Frau, die ein 610-Mark-Arbeitsverhältnis hat, nicht steuerlich veranlagt wird, obwohl ihr Mann 100 000 DM im Jahr verdient? Wenn Sie konsequent denken wollen, dann tun Sie es auch in dieser Frage. Dann werden Sie sehen, in welche Schwierigkeiten Sie hineinkommen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich will damit nur sagen: So einfach, wie die SPD es sieht, geht es nur dann, wenn man die Interessen und Sorgen der Menschen nicht ernst nimmt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Widerspruch bei der SPD)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1319930300
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Renate Jäger.

Renate Jäger (SPD):
Rede ID: ID1319930400
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kauder, ich glaube, Sie haben über diese Sache gesprochen, obwohl sie den Vorschlag der SPD gar nicht kennen, gar nicht gelesen haben.

(Beifall bei der SPD)

Einige Punkte haben Sie völlig anders dargelegt, als es der Realität entspricht.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: So macht der das immer!)

Im Grunde genommen sind diese Debatte und die Diskussion der letzten Wochen mit einer positiven Tendenz behaftet - zumindest insoweit, als erkannt wird, daß die Auflösung der Normalarbeitsverhältnisse gestoppt werden muß. Aber so erfreulich das Ganze ist: War dazu eine erneute Studie des ISG notwendig? War es notwendig, die Zahl der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse auf mehr als 5,6 Millionen ansteigen zu lassen, obwohl die SPD auf das Ausmaß dieses Mißbrauchs seit langem hingewiesen hat? Wir hatten bereits in der vorigen Wahlperiode einen Gesetzentwurf zur Bekämpfung dieses Mißbrauchs vorgelegt, den wir dann im Jahre 1995 erneut in den Bundestag eingebracht haben.
Als die Ausnahmeregelung zur Sozialversicherungsfreiheit geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse geschaffen worden ist, sollten damit zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen werden: dort, wo Vollzeitarbeitsplätze technisch nicht möglich sind, wo sie wirtschaftlich unvertretbar sind oder von den Arbeitnehmern gar nicht gewollt sind. Es gibt diese Branchen, es gibt diese Menschen. Aber sie sind nicht der Regelfall.
Nun hat auch die Koalition begriffen, daß die drastische Ausweitung geringfügiger Beschäftigung zur Auflösung von regulären Arbeitsverhältnissen geführt hat und daß sie vor allen Dingen das Ausmaß weit übertrifft, das aus betrieblichen Flexibilitätserfordernissen notwendig wäre. Diese Koalition aber hat zugelassen, daß reguläre Arbeitsverhältnisse, die den Menschen eine Lebensgrundlage und eine Perspektive geben, in Fragmente zerlegt werden und damit den Arbeitmarkt und die Sozialsysteme in Unordnung bringen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Renate Jäger
Auch haben Sie es zugelassen, daß die Unternehmen die legale Möglichkeit ausnutzen, unserer Solidargemeinschaft Beiträge zur Sozialversicherung vorzuenthalten. Damit werden die Kosten für diejenigen in die Höhe getrieben, die noch in normalen Arbeitsverhältnissen leben. Herr Blüm selbst hat festgestellt, daß allein die Rentenversicherung im laufenden Jahr 3,2 Milliarden DM an Pflichtbeiträgen eingebüßt hat, was 0,4 Beitragspunkten entspricht.
Frauen, insbesondere die Frauen in den neuen Bundesländern, sind die Leidtragenden. Sie stehen ohne Schutz der gesetzlichen Sozialversicherungssysteme da und sind bei Verlust des Kleinstarbeitsplatzes unmittelbar auf die Sozialhilfe angewiesen. Wer angesichts von 800 000 arbeitslosen Frauen allein im Osten, die zudem einem massiven Verdrängungswettbewerb ihrer männlichen Kollegen ausgesetzt sind, noch behauptet, der Großteil der geringfügig Beschäftigten übe diese Art der Beschäftigung freiwillig aus, macht sich lächerlich.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Schlimm und gefährlich ist, daß mit diesem Mißbrauch nicht nur der Sozialversicherungsschutz ausgehebelt wird, sondern es geraten auch alle anderen Arbeitnehmerrechte in Gefahr. Ich nenne nur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, bezahlter Urlaub, tarifliche Bezahlung, Kündigungsfristen und Kündigungsschutz. Die Notlage der Wirtschaft in Ostdeutschland führt noch in besonders starkem Maße zu diesem Mißbrauch.
Meine Damen und Herren von der CDU/CSU: Trotzen Sie Ihrem kleinen Koalitionspartner, und begeben Sie sich auf Kompromißsuche in Richtung der Vorschläge der SPD; denn der Trend der Auflösung der Normalarbeitsverhältnisse ist einfach fatal und muß gestoppt werden.

(Beifall bei der SPD)

Noch ein letztes Wort, Herr Kauder. Wir streben nicht die absolute Beseitigung dieser Beschäftigungsform an, da sie auch unserer Meinung nach in einigen Bereichen sinnvoll und auch notwendig ist. Aber wir müssen doch einfach wahrhaben, daß die Sozialversicherungsfreiheit dem Grundsatz der Wettbewerbsneutralität auf dem Arbeitsmarkt widerspricht. Das darf nicht länger hingenommen werden.

(Beifall bei der SPD)

Bemühen wir uns gemeinsam, die Wettbewerbsneutralität wiederherzustellen und dem Lösungsansatz der SPD zu folgen.
Ich danke Ihnen schön.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1319930500
Als nächste Rednerin rufe ich die Kollegin Dr. Maria Böhmer auf.

Dr. Maria Böhmer (CDU):
Rede ID: ID1319930600
Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! In dieser Debatte hätte ich mir an sich mehr Ehrlichkeit bei den Aussagen der SPD gewünscht.

(Beifall bei der CDU/CSU Zurufe von der SPD)

Ich war schon ein Stück entsetzt, als die hessische Ministerin, die jetzt leider nicht mehr anwesend ist - möglicherweise übermitteln Sie ihr das Protokoll -, erklärte, sie hätte einen Gesetzentwurf eingebracht, und nachdem er jetzt sozusagen auf Halde liegt, warte man auf das Handeln der Bundesregierung.
Dort, wo gehandelt werden kann, geht man offensichtlich in die Rückzugsposition. Dann aber auf die Bundesregierung zu verweisen finde ich an dieser Stelle scheinheilig, muß ich Ihnen sagen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Ottmar Schreiner [SPD]: Es liegt doch ein Gesetzentwurf vor!)

- Dort, wo man die Möglichkeit hat, selbst zu handeln, Herr Schreiner, sollte man es tun.

(Ottmar Schreiner [SPD]: Es liegt doch ein Gesetzentwurf im Deutschen Bundestag vor!)

- Das ist richtig, Herr Schreiner. Ich wollte auch zu Ihnen noch ein Wort sagen. Sie wissen genau: Der Gesetzentwurf ist von 1995; das haben Sie selbst gesagt. Der Gesetzentwurf ist stellenweise überholt. Sie haben sich noch nicht einmal die Mühe gemacht, diesen Gesetzentwurf up to date zu bringen. Das ist das Mindeste, was man für eine ernsthafte Debatte erwarten kann, wenn Sie in der Sache wirklich vorankommen wollen.

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Die rechnen nicht damit, daß der Gesetzentwurf durchgeht!)

Andererseits muß ich Ihnen sagen: Wir haben im Ausschuß miteinander diskutiert, und Herr Andres - dafür möchte ich ihm ausdrücklich noch einmal danken - hat auch den Versuch gemacht, die Debatte zu versachlichen. Ich glaube, das steht uns allen angesichts der Probleme im Bereich der Geringfügigkeit und angesichts -des Handlungsbedarfs, der vor uns liegt, gut an.
Wir haben eben durchaus Ansätze gezeigt. Die Punkte, um die es geht, müssen klar herausgearbeitet werden. Erstens. Ich glaube, wir dürfen nicht verkennen, daß die Umwandlung von regulärer Beschäftigung in geringfügige Beschäftigung, die im Bereich der Betriebe stattfindet, gestoppt werden muß.
Der zweite Punkt ist: Jede Lösung, die wir realistisch umsetzen wollen, muß stets eine Lösung sein, die für Frauen bedeutet, daß sie eine bessere Chance haben, eine eigenständige soziale Sicherung aufzubauen. Nur dann werden diese Lösungen auch wirklich tragfähig sein.

Dr. Maria Böhmer
Der dritte Punkt ist für mich, daß wir in den Bereichen, wo eklatante Ungerechtigkeit deutlich wird - das ist für mich auch der Bereich, wo Nebentätigkeiten anders bewertet werden, als wenn jemand beispielsweise im Überstundenbereich tätig ist -, zu Veränderungen kommen, sprich: daß Hauptbeschäftigung und Nebenbeschäftigung wirklich zusammengerechnet werden.
Das sind Vorschläge, bei denen wir, wie ich denke, relativ schnell zu Entschlüssen kommen könnten. Aber was ich in der heutigen Debatte bisher vergessen habe, ist ein Segment der geringfügigen Beschäftigung, und zwar das des Privathaushaltes. Ich sage das nicht nur, weil wir in diesem Bereich in der letzten Zeit etliche Maßnahmen eingeleitet haben, sondern weil die Zahlen eine klare Sprache sprechen.
Wir haben den größten Anteil der geringfügigen Beschäftigungen im Privathaushalt. Nach der ISG-Studie, die das Bundesarbeitsministerium in Auftrag gegeben hatte, sind es 28 Prozent. Wenn ich von den neuen Zahlen des DIW ausgehe, sind es immerhin 2,8 Millionen Beschäftigte; das bedeutet umgerechnet einen Anteil von 42 Prozent. Irgendwo dazwischen wird die Wahrheit liegen. Das bedeutet: Wir haben hier einen Riesenbereich von geringfügiger Beschäftigung.
Wenn wir die Wege, die wir eröffnet haben, gemeinsam konsequent gehen können und Verbesserungen auch im Bereich der Beschäftigung in Privathaushalten anbringen können, können wir annähernd die Hälfte der geringfügig Beschäftigten in sozialversicherungspflichtige Tätigkeiten bringen. Ich bitte wirklich alle, weiterhin daran mitzuarbeiten, daß wir in diesem Bereich etwas bewegen können.

(Gerd Andres [SPD]: Auch Herrn Westerwelle?)

- Ich habe den Eindruck, daß wir mit dem Koalitionspartner in einem sehr guten Einvernehmen Lösungen für den Bereich der Privathaushalte erarbeitet haben - gegen den Widerstand der Opposition. Insofern bin ich an dieser Stelle optimistisch und glaube, wir können in der Tat etwas zustande bringen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich will zum Abschluß zwei Dinge in diesem Zusammenhang ansprechen, die mir besonders wichtig sind. Wir haben, als Sie noch über das Dienstmädchen polemisierten, die Dienstleistungszentren auf den Weg gebracht.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist doch auch danebengegangen!)

Mittlerweile sind sie bundesweit verbreitet. Aber wir brauchen, um deren Wettbewerbsfähigkeit zu sichern und damit reguläre Beschäftigung auf den Weg zu bringen, die bessere steuerliche Absetzbarkeit, und wir brauchen, was den Haushaltsscheck anbetrifft, wirklich eine Verbesserung.

(Zurufe von der SPD)

- Wenn Sie einmal zuhören, können Sie vielleicht ein bißchen gediegener reagieren und nicht nur mit billiger Polemik.
Bei dem Haushaltsscheck stehen wir vor dem Problem, daß wir die Konkurrenz zwischen sozialversicherungspflichtiger regulärer Beschäftigung, geringfügiger Beschäftigung und Schwarzarbeit haben. Ich glaube, daß wir an dieser Stelle deutlich sehen, daß Geringfügigkeit ein Hemmschuh ist, um reguläre Beschäftigung in anderen Bereichen umzusetzen. Deshalb ist es ein wichtiges Anliegen, die Zahl geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse zurückzuführen und einzudämmen, damit reguläre Beschäftigung eine Chance hat. Für den Haushaltscheck habe ich die Vorstellung, daß wir ab der ersten Stunde all denjenigen, die dieses Instrument in Anspruch nehmen, die steuerlichen Anreize gewähren. Das heißt aber auch, daß diese dann bereit sein müssen, die Beschäftigten ab der ersten Stunde sozialversicherungspflichtig zu beschäftigen. Dann würden wir für über 42 Prozent der geringfügig Beschäftigten deutlich etwas erreichen können.
Ich hoffe, daß wir die Vorschläge miteinander diskutieren können und im Rahmen der Anhörung dazu Stellungnahmen bekommen, damit wir hier in relativ kurzer Zeit zu Entscheidungen kommen.
Danke.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1319930700
Das Wort hat jetzt der Kollege Wolfgang Weiermann.

Wolfgang Weiermann (SPD):
Rede ID: ID1319930800
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will zunächst einmal ganz deutlich machen: Kollege Schreiner hat recht, wenn er davon spricht, daß im Quervergleich für das Jahr 1998 die Zahl der Arbeitslosen in der Bundesrepublik Deutschland um zirka 40 000 steigt. Das ist heute morgen - ich war im Wirtschaftsausschuß - ohne Widerspruch deutlich geworden. Daß aber in den Gebieten Ostdeutschlands die Rate überhaupt nicht auf die Plusseite kommt, muß man an dieser Stelle deutlich sagen. Ich habe manchmal das Gefühl, daß in der Bundesrepublik Deutschland die Deregulierung, das, was Sie an Bestimmungen deregulieren wollen, wie ein Fetisch vor sich her getragen wird. Das ist keine Politik, das führt auf dem direkten Weg in eine Ellbogengesellschaft.

(Beifall bei der SPD)

Nun zu dem, was uns über den Abbau des Kündigungsschutzes gesagt wurde, daß eine Vielzahl von Arbeitsplätzen entstehen würde, wenn bei Betrieben mit bis zu elf Arbeitnehmern kaum ein Kündigungsschutz besteht. Wie wollen Sie den Menschen draußen eigentlich plausibel machen, daß Sie die gegenwärtige Arbeitslosenzahl von 4,3 Millionen Menschen bis zum Jahre 2000 halbieren können? Doch nicht mit einer solchen Politik, bei der Sie als Wundermittel geringfügige Beschäftigungsverhältnisse anbieten! Sie zerstören damit den Sozialstaat. Mehr noch: Der Sozialstaat hat bei Ihnen keine Chancen;

Wolfgang Weiermann
die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ziehen dabei den kürzeren.

(Beifall bei der SPD)

Ich füge hinzu, daß Arbeitgeber und Unternehmen bei dieser Art von Regelung auch Nischen entdeckt haben, die, solange die gesetzliche Regelung nicht geändert wird, genutzt werden. Sie versuchen nämlich, gesetzliche Schutzbestimmungen zu umgehen. Das ist doch letzten Endes ein Bereich, in dem selbst da, wo gesetzliche Regelungen und Tarifverträge existieren, in den meisten Fällen auch die Tarifverträge nicht greifen.
Deswegen sagen wir, daß Sie auch den sozialen Frieden in der Bundesrepublik Deutschland aufs Spiel setzen, der für die Wiederaufbauleistung in den letzten Jahrzehnten der entscheidende Faktor war, so daß die Wirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland den Stand und das Ansehen in der Welt erreicht hat, auf den wir alle stolz sein können.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir stellen des weiteren fest, daß wir zwar ein Wirtschaftswachstum haben, daß dieses Wachstum aber total am Arbeitsmarkt vorbeigeht. Ich sage ganz deutlich: Ein Wachstum der Wirtschaft, das nicht gleichzeitig Arbeitsplätze schafft, können wir nicht akzeptieren. Wir werden dafür kämpfen, daß über eine gesetzliche Rahmenplanung - da ist Wirtschaftspolitik gefragt, kein Fetischismus, Herr Kolb - auch der Arbeitsmarkt von der kräftigeren Konjunktur profitiert und nicht sozusagen en passant gelassen wird.
Sie sprechen immer davon - ich finde das unerhört; es ist eine Frage der Redlichkeit, wie wir miteinander umgehen -, Sozialdemokraten hätten eine Blockade in Sachen Lohnnebenkosten, in Sachen Steuerreform vorgenommen. Wenn Sie uns eine Steuerreform anbieten, von der nur 1 Prozent der Gesellschaft, nämlich die privilegierte, mit einem Anteil von 10 Prozent an der gesamten Steuerentlastung profitiert oder, andersherum gesagt, die nur 30 Prozent unserer Gesellschaft mit einem Anteil von 50 Prozent an der gesamten Steuerentlastung profitieren läßt, dann sage ich Ihnen: Eine Politik, die die Kleinen belastet und die Großen von Lasten befreit, ist mit uns nicht zu machen.

(Beifall bei der SPD)

Das ist nicht die Aufgabe, die wir hier angesichts einer solidarisch angelegten Politik zu erfüllen haben.
Ich sage an dieser Stelle abweichend von meinem Manuskript - denn ich meine, dies sollte eine lebendige Debatte sein -: Gehen Sie nicht nur in sich, sondern hören Sie auch mit den Phrasen und den Deregulierungen auf! Zeigen Sie Taten, packen Sie die Dinge an! Wenn Sie es nicht können, dann werden wir das im Jahre 1998 an Ihrer Stelle tun.

(Beifall bei der SPD Volker Kauder [CDU/ CSU]: Das hören wir jetzt 16 Jahre lang! 16 Jahre dieser Spruch und nichts war es!)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1319930900
Als nächste Rednerin die Kollegin Renate Diemers.

Renate Diemers (CDU):
Rede ID: ID1319931000
Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Die rapide Zunahme geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse wurde auch heute nachmittag nicht bestritten. Geht man von einem mittleren Wert der offiziell genannten Zahlen der geringfügig Beschäftigten - es werden 4 bis 6,5 Millionen genannt - und von einem Entgelt zwischen 550 und 600 DM aus, dann ergibt sich ein Gesamtentgeltvolumen von 35 bis 40 Milliarden DM. Davon wären an Sozialbeiträgen zwischen 11 und 13 Milliarden abzuführen. Mit anderen Worten: Der Sozialversicherung werden jährlich Beträge in zweistelliger Milliardenhöhe vorenthalten.
Die Gründe für das Angebot und die Ausweitung dieser, Herr Friedhoff, legalen Beschäftigungsverhältnisse liegen in der Tat darin, daß die Arbeitgeber durch die Nichtzahlung hälftiger Sozialversicherungsbeiträge Lohnnebenkosten sparen und sich so Wettbewerbsvorteile verschaffen. Da die Konkurrenz die dadurch für sie entstehenden Wettbewerbsnachteile ausgleichen will, beschäftigt sie auch sozialversicherungsfrei. Das heißt, die Schraube ohne Ende ist offensichtlich freiwillig nicht aufzuhalten.

(Beifall der Abg. Ingrid Matthäus-Maier [SPD])

Den beitragszahlenden Arbeitnehmern entstehen durch diese Beschäftigungsart erhebliche Nachteile. Zum Beispiel in der Krankenversicherung müssen sie die arbeitsbedingten Heilbehandlungskosten der versicherungsfrei Beschäftigten finanzieren - dies deshalb, weil beispielsweise die sozialversicherungsfrei beschäftigten Frauen über die Familienversicherung kostenlos in der gesetzlichen Krankenversicherung des Ehemanns versichert sind. Daß dadurch die Beiträge in die Höhe getrieben werden, stört diejenigen, die ansonsten über hohe Lohnnebenkosten klagen, offensichtlich nicht.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Es kann aber nicht angehen, daß Vorteile privatisiert und die Folgen dieser Vorteile, zum Beispiel in der Krankenversicherung, sozialisiert werden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Für mich ist ein Aspekt von besonderer Bedeutung, nämlich der, daß mit den sozialversicherungsfreien Beschäftigungsverhältnissen die eigenständige soziale Sicherung von Frauen erschwert wird. Diejenigen, die stereotyp behaupten, die Rentenversicherung bringe den geringfügig Beschäftigten lediglich eine minimale Rente, unterstellen offensichtlich, daß diese Beschäftigungsart von den Betroffenen ein ganzes Arbeitsleben lang ausgeübt wird. Das ist falsch! Richtig ist: Gerade die Rentenbiographien von Frauen zeigen für die Rentenversicherung unterschiedliche relevante Zeitverläufe. Dies betrifft die Ausbildung, die Kindererziehung, die Pflege von Angehörigen, Voll- und Teilzeitbeschäftigungen und eben auch Zeiten geringfügiger Beschäftigung. Die

Renate Diemers
Erwerbstätigkeitszeiten, die sich in der Rentenversicherung nicht niederschlagen, haben nicht nur keine Auswirkungen auf die Rentenhöhe, sondern auch nicht auf die Anwartschaftszeit sowie auf den ganzen Bemessungszeitraum.

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: So ist es!)

Ich sage: Wer die eigenständige soziale Sicherung von Frauen will, wer sichtbar Arbeitsplätze schaffen will, wer für einen fairen Wettbewerb ist und wer Beitragsehrlichkeit will, kann nur reguläre Arbeitsplätze und keine sozialversicherungsfreien Beschäftigungsverhältnisse wollen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Diese Beschäftigungsverhältnisse müssen nach meiner Ansicht drastisch eingeschränkt werden. Das heißt, sozialversicherungsfrei dürfen nur Bagatellentgelte sein. Mögliche Ausnahmekriterien müssen sehr eng gefaßt werden, zum Beispiel bei Studenten oder bei kurzzeitigen Tätigkeiten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich weise auf die 1995 stattgefundene Weltfrauenkonferenz in Peking hin. In der dort verabschiedeten „Plattform" heißt es unter Punkt 179 b:
... Sicherstellung dessen, daß Frauen und Männer sich frei und gleichberechtigt für Voll- oder Teilzeitarbeit entscheiden können; Erwägung, Arbeitnehmern in atypischen Beschäftigungsverhältnissen geeigneten Schutz im Hinblick auf den Zugang zu Beschäftigungsmöglichkeiten, Arbeitsbedingungen und sozialer Sicherheit zu gewähren.
Mit den Reformen und Reformvorhaben der Bundesregierung haben die in meiner Partei schon seit Jahren diskutierten versicherungsfreien Arbeitsverhältnisse in bezug auf den Zugang zu unseren Sozialversicherungssystemen eine aktuelle Bedeutung erreicht.
Unsachliche Ausführungen und Diskussionen - wie teilweise auch heute nachmittag -

(Gerd Andres [SPD]: Von Herrn Kauder besonders!)

helfen uns bei diesem Thema nicht weiter. Wichtig ist jetzt zunächst einmal, daß die vielfältigen Lösungsvorschläge und Forderungen intensiv beraten werden und die Einbeziehung in die Sozialversicherungspflicht bzw. deren Auswirkungen sehr genau geprüft werden. Mit Schnellschüssen kommen wir nicht weiter.

(Gerd Andres [SPD]: Aber etwas tun müssen wir doch!)

Danke.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Gerd Andres [SPD]: Großen Teilen können wir zustimmen!)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1319931100
Das Wort erteile ich jetzt der Kollegin Susanne Kastner.

Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1319931200
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sosehr ich es begrüße, daß nun endlich auch Teile der Koalition begriffen haben, daß es im Bereich der 610-DM-Verträge zu erheblichem Mißbrauch kommt, so sehr ärgert es mich, wie diese Diskussion von Teilen der Union geführt wurde. Es kann in dieser Frage nicht um pauschale Beschimpfungen gehen, Frau Kollegin Schnieber-Jastram, sondern nur um vernünftige - auch branchenspezifische - Lösungen.

(Beifall bei der SPD Jürgen Türk [F.D.P.]: Aha!)

Die Diskussion um die 610-DM-Verträge hat zum Beispiel bei den Verantwortlichen in der Tourismusbranche, besonders im Hotel- und Gaststättenbereich, große Unruhe hervorgerufen.

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Aha! Sind Frauen dort nicht schutzwürdig?)

- Herr Kollege Kauder, große Unruhe deshalb, weil die Verantwortlichen in CDU und CSU diese Diskussion aus rein populistischen Gründen führen,

(Lachen des Abg. Hartmut Schauerte [CDU/ CSU])

ohne konkrete Lösungsvorschläge zu machen.

(Beifall bei der SPD Volker Kauder [CDU/ CSU]: Da sage ich nur: Schröder!)

Dies, meine sehr verehrten Damen und Herren, hat nichts mit verantwortlicher Politik zu tun.

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Ja, Schröder!)

Wir von der Arbeitsgruppe Tourismus der SPD-Bundestagsfraktion haben bereits vor zwei Jahren bei einer Gesprächsrunde mit dem Deutschen Hotel-und Gaststättenverband anläßlich der ITB über diese Thematik diskutiert, auch vor dem Hintergrund der Tatsache, daß wir die einzigen sind, die im Deutschen Bundestag einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt haben. Bereits damals war uns klar, daß die Möglichkeit der geringfügigen Beschäftigung in Spitzenzeiten bzw. in der Saison in der Hotel- und Gastronomiebranche unabdingbar ist.

(Beifall des Abg. Jürgen Türk [F.D.P.])

Es ist doch jedem vollkommen klar, daß ein Biergarten, der mit einem geringen Stammpersonal arbeitet, an sonnigen Tagen dieses Stammpersonal aufstocken muß, weil stundenweise die doppelte Zahl von Gästen bewirtet werden muß.

(Zustimmung bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Hier muß ein flexibles Personalmanagement - dazu gehören die geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse - möglich sein.

(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Sehr wahr!)


Susanne Kastner
Es muß möglich sein, daß Dorfgaststätten, die oft als Familienbetrieb geführt werden, bei größeren Veranstaltungen das Personal stundenweise erhöhen.

(Beifall des Abg. Karl-Josef Laumann [CDU/CSU])

Für diese Bereiche waren die geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse gedacht; hier sind sie nach wie vor sinnvoll.

(Beifall bei der SPD)

Die Frage, die wir tatsächlich diskutieren müssen, ist doch vielmehr, wie man angesichts der überdeutlichen Steigerung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse und des damit einhergehenden zunehmenden Mißbrauchs eine Lösung findet, die zum Beispiel für das Hotel- und Gastronomiegeschäft vernünftig ist.

(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Da kommen wir der Lösung näher!)

Den aus meiner Sicht vernünftigsten Lösungsansatz hat unser Fraktionsvorsitzender Rudolf Scharping schon im letzten Bundestagswahlkampf deutlich vertreten: die 610-DM-Verträge sozialversicherungspflichtig zu machen, dafür aber die pauschale Besteuerung abzuschaffen oder auch zu reduzieren oder eine Individualsteuer einzuführen. Ich möchte hier nur darauf hinweisen, daß Herr Waigel diese Beschäftigungsverhältnisse durch die Heraufsetzung des Pauschalsteuersatzes von 15 auf 20 Prozent zuzüglich Solidaritätszuschlag bereits zum 1. Januar 1996 erheblich verteuert hat.
Im Augenblick durchlebt der Hotel- und Gaststättenbereich ohnehin eine schwierige Phase. Immer wieder wird davon gesprochen, daß Deutschland als Reiseland zu teuer ist und die deutschen Touristen ihr Geld lieber ins Ausland tragen. Angesichts der Tatsache, daß das Gastgewerbe eine personalintensive Branche ist, obliegt es unserer Fürsorgepflicht, das Einkommen dieser kleinen und mittelständisch strukturierten Branche nicht noch weiter zu reduzieren. Eine weitere Verteuerung im Bereich der Personalkosten könnte in der Branche nicht durch weitere Preiserhöhungen aufgefangen werden. Viele Betriebe können auch keine weiteren Abstriche beim Betriebseinkommen hinnehmen, weil dieses ohnehin schon sehr gering ist. Im übrigen ist die Bereitschaft der Kinder von Gastwirten, den elterlichen Betrieb zu übernehmen, angesichts dieser Tatsache ohnehin schon sehr gebremst. Weitere Verluste der Hotel- und Gastronomiebranche würden aber auch die Attraktivität des Reiselandes Deutschland deutlich vermindern.

(Beifall des Abg. Jürgen Türk [F.D.P.])

Deshalb hoffe ich, daß in den kommenden Beratungen auch im Hinblick auf diese Wirtschaftsbranche eine vernünftige Kompromißlösung gefunden wird.
Für mich aber unabdingbar ist,

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Daß sich die SPD nicht durchsetzt!)

daß gleichzeitig die Sozialversicherungspflicht eingeführt wird.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich jedenfalls, liebe Kolleginnen und Kollegen, bitte, darauf ein besonderes Augenmerk zu werfen. Die Tourismusbranche ist nach wie vor eine expandierende Branche, die Arbeitsplätze schafft, die nicht ins Ausland zu verlagern sind. Deshalb muß es unser Bestreben sein, daß der Tourismusstandort Deutschland in Zukunft auch von der Preisgestaltung her attraktiv bleibt oder, besser gesagt, noch attraktiver wird.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Jürgen Türk [F.D.P.])


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1319931300
Als nächster und vorletzter Redner erhält der Kollege Hartmut Schauerte das Wort.

Hartmut Schauerte (CDU):
Rede ID: ID1319931400
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Es gibt doch noch Vernunft - wenn auch partiell - bei der SPD.

(Beifall der Abgeordneten Volker Kauder [CDU/CSU] und Jürgen Türk [F.D.P.])

Immerhin hat Frau Kastner Herrn Waigel dafür kritisiert, daß er diese Arbeitsverhältnisse durch die Anhebung der Pauschalsteuer von 15 auf 20 Prozent verteuert habe. Diese Kritik kam herüber. Erstaunlich ist jedoch, daß diese Arbeitsplätze, wenn wir Ihren Vorstellungen, die sie einem anderen Bereich zuordnen, folgen, erheblich verteuert werden.

(Widerspruch bei der SPD)

Sie müssen sich also schon verständigen, was Sie wirklich wollen.
Um etwas mehr Glaubwürdigkeit in diese Debatte zu bringen, möchte ich folgende Bemerkungen machen:

(Ottmar Schreiner [SPD]: Was macht die Nebelforschung?)

- Dazu sage ich Ihnen nachher noch etwas, Herr Schreiner. - Zunächst einmal möchte ich Sie herzlich bitten, die 5,6 Millionen in diesem Bereich Beschäftigten nicht als Trittbrettfahrer zu bezeichnen; in der Regel handelt es sich um wirklich fleißige Leute.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Gerd Andres [SPD]: Das hat doch niemand bestritten! Solch ein Stuß!)

- Sie haben hier von Trittbrettfahrern der Sozialkassen gesprochen. Wenn Sie das nicht zurücknehmen, müssen wir in den Debatten hervorheben, daß Sie alle fleißigen Zeitungsausträger, die morgens um 6 Uhr aufstehen, damit Sie etwas zu lesen haben, zu Trittbrettfahrern degradieren wollen.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: So ein Unsinn! Das eine hat doch mit dem anderen gar nichts zu tun!)


Hartmut Schauerte
Dann haben Sie - das klang in den Debatten mehrfach durch - den hohen Anspruch, durch Arbeit soziale Sicherheit für den einzelnen zu finanzieren und zu schaffen. Das klang mehrfach durch. Das ist ein hehres Ziel. In Ihrem Gesetzentwurf sehen Sie aber lediglich pauschale Zuweisungen vor und keine individualisierte Sicherung der Betroffenen. Es findet sich kein einziger Ansatz zur individualisierten Sicherung im Alter, auch nicht bei Frauen, sondern Sie schreiben lediglich vor, daß entsprechende Sozialversicherungsbeiträge vom Arbeitgeber pauschal an die jeweiligen Kassen abzuführen sind. Sie müssen sich schon entscheiden, was Sie wirklich wollen.
Man ist natürlich besonders glaubwürdig, wenn man einen Mißstand beklagt, den man bei sich selber abgestellt hat. Das ist hier schon angesprochen worden. In Ihren eigenen Verantwortungsbereichen, in Städten, Gemeinden und sozialdemokratischen oder rot-grünen Landesregierungen, hätten Sie längst Maßnahmen ergreifen können, um einen so schlimmen Mißstand, wie Sie ihn hier beschreiben, abzustellen. Niemand hat Sie daran gehindert.

(Beifall des Abg. Jürgen Türk [F.D.P.])

Sie beklagen den Tatbestand, aber Sie ändern ihn in Ihren eigenen Verantwortungsbereichen mit den Ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten und Mitteln nicht. Das ist ein Defizit an Glaubwürdigkeit.

(Ottmar Schreiner [SPD]: Dummes Zeug!)

Ich will einen weiteren Punkt nennen, der auch sehr wichtig ist. Das müssen Sie sich, Herr Schreiner, einmal auf der Zunge zergehen lassen.

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Machen Sie doch einmal Vorschläge!)

In bezug auf die 610-DM-Arbeitsverhältnisse sagen Sie, daß alle komplett erfaßt werden müßten, wenn es um Steuern und Sozialversicherungsbeiträge geht. In bezug auf die Nachtarbeitszuschläge sagen Sie: Die halten wir davon frei. - Wissen Sie: Die einen sind organisiert, für die kämpfen Sie, und die anderen sind nicht organisiert, und über die reden Sie nur. Das ist nicht redlich. Wenn Sie den Ansatz vertreten, daß man die Bemessungsgrundlage verbreitern sollte, dann muß das auch für die Bereiche gelten, wo es Ihrer Klientel weh tut. Redlich ist der Ansatz, den Sie bisher gewählt haben, an der Stelle nicht.

(Ottmar Schreiner [SPD]: Äpfel mit Birnen!)

- Nein, nicht „Äpfel mit Birnen". Das sind schon Tatbestände, die Parallelen aufweisen. Es geht um die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage. Entweder macht man es, oder man läßt es bleiben. Aber es kann nicht sein, daß man es nur da macht, wo es einem paßt, und da nicht, wo es einem nicht paßt.

(Ottmar Schreiner [SPD]: Sagen Sie das der F.D.P.!)

- Ich sage das Ihnen in dieser Eindeutigkeit, weil Sie
immer mit diesem moralischen Anspruch herumlaufen und sagen: Wir sind die Saubermänner. - Von wegen! In all den Bereichen, in denen Sie das ändern könnten, rühren Sie keinen Finger. Sie weisen nur auf den Mißstand hin.

(Ottmar Schreiner [SPD]: Wo denn? Wo denn?)

- Das habe ich Ihnen gerade deutlich gemacht.
Man muß ja auch fragen: Warum ist die SPD in dieser Frage so inkonsequent? Die Antwort ist: Weil das Thema objektiv schwierig ist. Sie mogeln sich zwar ein wenig darum herum, aber Sie wissen, daß es schwierig ist. Angesichts der verschiedenen Zahlen, die genannt werden, habe ich von „Nebel" gesprochen. Heute morgen war der Präsident des Statistischen Bundesamts im Wirtschaftsausschuß. Wir haben ihn gefragt: Wie viele sind es? Darauf hat er gesagt: Nach meinem Mikrozensus sind es eindeutig 1,6 Millionen. Andere sprechen von 5,6 Millionen. Wir wissen nicht, ob es sich dabei um Personen handelt, die das ganze Jahr über oder nur einen Teil des Jahres beschäftigt sind. Wir alle, Sie und wir, wissen ziemlich wenig. Wir sollten das bald klären. Das ist ein Defizit, daß wir diese Fakten nicht haben. Wenn Sie alle diese Fragen beantworten könnten, dann wäre ich Ihnen sehr dankbar. Sie wissen von diesen Zahlen nichts, aber Sie fällen kühne Entscheidungen, weil Sie am Ende keine Verantwortung tragen müssen. Welchen Schaden Sie möglicherweise anrichten, das interessiert Sie nicht.
Ich denke, daß wir - was immer wir tun - in dem Bemühen übereinstimmen, daß wir möglichst viele dieser geringfügigen Arbeitsverhältnisse in reguläre Arbeitsverhältnisse umwandeln wollen und daß wir vermeiden wollen, daß es zu einer breiten Flucht in die Schwarzarbeit oder zu neuen Mißbrauchstatbeständen kommt. Das ist doch sicherlich eine Linie, auf die wir uns verständigen können.
Wenn Sie, Herr Schreiner, sich die Zahlen noch einmal vor Augen führen, dann werden Sie zu folgenden Ergebnissen kommen: 28 Prozent dieser Arbeitsplätze finden sich in Haushalten, 17 Prozent sind in der Gastronomie, im kleinen Handel. Das heißt, ein sehr großer Teil dieser Beschäftigungsverhältnisse ist in einem Bereich, in dem das Ausweichen in die Schwarzarbeit leicht möglich wäre. Können Sie mir denn eine Garantie dafür geben, daß wir dann, wenn wir das machen, was Sie vorschlagen, nicht in all diesen Bereichen ein hundertprozentiges Wegbrechen in die Illegalität erleben müssen? Wie wollen Sie das verhindern? Das ist doch ein Thema, das objektiv gegeben ist. Die Kollegin Kastner hat gerade erklärt, daß die Gastronomie höhere Preise nicht bezahlen könne. Was werden denn Betriebe gerade in der Gastronomie tun? Alle die Wirtschaftsbereiche, die über Bargeldeinnahmen in erheblichem Umfang verfügen, die nicht ausschließlich und vollständig über Kassen laufen - ich weiß doch, wovon ich rede; Sie wissen es auch; Sie sind doch auch nahe an den Leuten dran; das behaupten Sie jedenfalls immer -, drohen doch, zu Bereichen der Schwarzarbeit zu werden.


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1319931500
Herr Schauerte, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Hendricks?

Hartmut Schauerte (CDU):
Rede ID: ID1319931600
Nein, das möchte ich nicht, Frau Kollegin.
Ich möchte noch einmal darstellen, wo das Problem liegt, wenn man auf Schwarzarbeit ausweicht. Die 610-DM-Arbeitsverhältnisse haben einen - wenn auch geringen - rechtlichen Schutz. Er könnte besser sein. Es gibt einen Rechtsanspruch auf Lohnfortzahlung und auf Urlaubsgeld usw. Ob dieser Rechtsanspruch dann auch immer wahrgenommen wird, ist eine andere Frage.

(Zuruf von der SPD: Das findet doch faktisch gar nicht statt!)

Aber was tun Sie denn mit den Frauen, die in illegale Beschäftigungsverhältnisse abwandern? Mehr als die Hälfte der 610-DM-Arbeitsplätze sind Frauenarbeitsplätze, und davon entfällt wiederum mehr als die Hälfte auf die von mir genannten Bereiche. Ich sage Ihnen: In den Bereichen, von denen ich rede, nämlich in den Haushalten und in der Gastronomie, sind es zu 80 oder 90 Prozent Frauen. Das heißt, wir würden die Frauen komplett in die Schwarzarbeit treiben.

(Zuruf von der SPD: Blödsinn!)

Das kann man nicht komplett verhindern oder verbieten. Deshalb bitte ich darum, daß wir sehr sorgfältig darüber nachdenken, wie man eine solche Entwicklung verhindern kann. Deswegen prüfen wir das, deswegen wollen wir ein Hearing haben, und deswegen wollen wir noch etwas mehr wissen. Wir wollen nachher nicht die Verantwortung für eine Fehlentwicklung tragen, die wir alle gemeinsam nicht wollen.
In welchen Bereichen kann man denn etwas tun, auch zum Beispiel in bezug auf den Mißbrauch? Sie alle kennen den folgenden Mißbrauchstatbestand: Wir haben den Sozialversicherungsausweis eingeführt. Tatsache ist aber, daß in sehr vielen Fällen einer arbeitet und die Sozialversicherungsausweise von Oma oder Opa oder von der Tante, dem Bruder, der Schwester - von wem auch immer - hat. Das heißt, viele arbeiten mehrfach, mit jeweils unterschiedlichen Sozialversicherungsausweisen.

(Zuruf von der SPD: Das ist doch kriminell!) - Das ist regelrechter Betrug; das ist kriminell.

Aber wie gehen wir damit um, wenn das einmal auffliegt? Dann haftet der Arbeitgeber. Es kann sein, daß er es gemerkt hat - davon gehe ich einmal aus -, er muß es nicht in jedem Fall merken, aber in der Regel wird er es gemerkt haben. Das Ganze kann sich auch bei unterschiedlichen Arbeitgebern abgespielt haben. Aber der Arbeitnehmer, der so etwas getan hat, haftet gar nicht. Es gibt kein Urteil, daß jemand die dann fällig werdenden höheren Leistungen vom Arbeitnehmer rechtskräftig erstritten und eingeholt hat. Wenn Sie Mißbrauch bekämpfen wollen, dann müssen Sie sagen, wer an einem solchen Betrug mitwirkt. Ob Arbeitgeber oder Arbeitnehmer - er muß in vollem Umfang schadensersatzpflichtig oder auch strafbewehrt werden. Nichts passiert in dem Zusammenhang!

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Laßt uns da doch mal rangehen und überlegen, wie wir solche Mißbrauchstatbestände reduzieren können.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie regieren doch!)

Wenn Sie in der Frage des Betruges eine Hälfte freistellen, sie im Prinzip schützen, dann leisten Sie einer Fehlentwicklung Vorschub.
Es gibt die Überlegung der Quote. In der hessischen Landesregierung gehen die Meinungen dazu auseinander. Schröder hat sie vorgeschlagen. Scharping sagt: Das geht doch gar nicht. - Lassen Sie uns das noch mal genau ansehen. Es gibt Möglichkeiten, die verfassungskonform wären. Es gibt Möglichkeiten, bei denen ist die entscheidende Frage: Welche Grenze finden wir denn? Welches ist die richtige Quote? Lohnsumme? Köpfe? Wie hoch könnten die Prozentsätze sein? Wo müßte es Freibeträge und Freistellungen für Kleinstbetriebe geben? Wir müssen eine sachgerechte Lösung finden.
Ein anderes Thema - das möchte ich ganz deutlich machen; das ist bisher noch nicht diskutiert worden - ist der Staat als Arbeitgeber. Wenn ich dem Staat untersagen würde, solche Arbeitsverhältnisse zu begründen; hätten wir kein Problem mit Schwarzarbeit. Aber wir würden endlich mal ehrlich mit uns selber.
Ich kenne die Argumente, die da kommen werden, schon: An den Universitäten bricht alles zusammen; in die Haushalte müssen wir höhere Mittel einstellen. - Sie muten dem Mittelstand und denen, die in die Schwarzarbeit abgleiten können, solche Entwicklungen mit Ihrem Gesetzesantrag schlicht und ergreifend zu. Gehen wir als Staat doch mal mit gutem Beispiel voran: Sammeln wir an der Stelle mal alle Erfahrungen, die wir brauchen. Nach den Zahlen, die mir vorliegen, betrifft es 6 Prozent derjenigen, über die wir reden. Das wären 300000 bis 400000 Fälle. Das ist eine hochinteressante Entwicklung. Dann bekommen wir eine ehrliche Diskussion mit uns selber - auch mit uns als Abgeordnete; denn auch wir nutzen dieses Instrument mehr oder weniger. Wir wollen uns die Zahlen nicht gegenseitig vorhalten. Prüfen Sie das in der Bundestagsverwaltung genau nach. Natürlich gibt es da überall diese 610-DM-Jobs. Das ist eine hochinteressante Debatte. Dann werden wir ehrlich. Dann bekommen wir auch die Antworten von den Länderfinanzministern der SPD, die sich bei uns bedanken, daß wir höhere Personalkosten in ihre Landeshaushalte geschrieben haben. Dann wird es redlich.
Der Charme bei diesem Ansatz ist, daß es bei der staatlichen Beschäftigung kein Schwarzarbeitspotential gibt. Das ist eine hochinteressante Perspektive.
Dann kann man über das Einfrieren reden. Bei den pauschalen Verrechnungen muß man darüber reden, ob sie so bleiben sollen, wie sie sind, ob man sie anders zuteilen kann oder ob man in der Höhe etwas

Hartmut Schauerte
tun kann. Jedenfalls muß man die Wirkungen hinsichtlich Schwarzarbeit usw. prüfen.
Laßt uns das seriös und möglichst schnell machen! Ich denke, daß wir mit dem Koalitionspartner eine Linie finden werden. Aber laßt uns die Frage nach dem Staat als Arbeitgeber - ich habe noch nicht die Frage gestellt, was mit öffentlich Bediensteten in diesen Arbeitsverhältnissen passiert; das ist im Moment nicht mein Thema - politisch durchdeklinieren. Dann werden wir viele neue Erkenntnisse gewinnen und viel klüger mit der Sache umgehen können.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1319931700
Als letzter Redner in dieser Debatte der Kollege Peter Dreßen.

Peter Dreßen (SPD):
Rede ID: ID1319931800
Herr Schauerte, zu Ihrer Rede muß ich sagen: Sie verstehen wirklich etwas vom Nebelmachen. Sie haben wirklich über Dinge geredet, die zum Teil überhaupt nicht in diese Debatte passen.

Rudolf Kraus (CSU):
Rede ID: ID1319931900

Die Bundesregierung hat übrigens immer wieder gesagt - sie ist auch darum besorgt -, daß wir die mit Sicherheit stattfindenden Mißbräuche beseitigen müssen. Wir sind dabei, eine entsprechende gesetzliche Regelung vorzulegen.
Ähnlich äußerte sich Kollege Louven in derselben Debatte.
Nach 16 Monaten frage ich mich nun: Warum ist eigentlich nichts geschehen?

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Warum haben Sie in diesen 16 Monaten nichts zustande gebracht?
Wie ist denn die Gefechtslage? Wenn ich mir die heutige Debatte und die Schlagzeilen der letzten Tage zu Gemüte führe, dann sehe ich, daß die SPD tatsächlich für die Versicherungspflicht ist. Wir haben entsprechende Konzepte vorgelegt. Sie kritisieren nur daran herum, bringen aber keine eigenen Vorschläge. Die Grünen haben ähnliche Vorstellungen wie wir. Auf der Seite der Opposition ist das Problem also klar erkannt.
Wenn ich aber Arbeitsminister Blüm höre, dann muß ich feststellen, daß er in der Öffentlichkeit zwar für eine Einschränkung des Mißbrauchs eintritt, aber keine konkreten Vorschläge, wie man das Problem beseitigen kann, bringt. Ich lese nur in der Zeitung, daß er versucht, einen Konsens zu finden. Ich wünsche ihm viel Spaß, mit Frau Babel und der KAB einen Konsens zu diesem Thema zu finden. Ich kann Ihnen schon vorher sagen: Das muß scheitern. - Wenn Sie die Vorstellungen der F.D.P. hören, wissen Sie genau, wo dies hinführt.
Die CDU-Fraktionsspitze ist offen, zum Teil für eine Quotierung und zum Teil für das „kleine Beschäftigungsverhältnis". Da gebe ich Ihnen, Herr Blüm, recht, wenn Sie sagen, damit würde der Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben. Ich gebe Ihnen recht, wenn Sie hier gegenhalten.
Sie haben in der Koalition viele Vorstellungen, die aber nie konkret realisiert werden. Herr Bundesarbeitsminister, Sie müssen sich jetzt endlich aufraffen und diesen Mißstand - so wie das der Herr Staatssekretär Kraus und Herr Louven vor anderthalb Jahren festgestellt haben - einfach durch eine Gesetzesinitiative beseitigen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Daß die F.D.P. nichts dagegen unternimmt, um diesen Mißstand zu beseitigen, ist klar. Aber, Herr Bundesarbeitsminister, fassen wir einmal zusammen: 80 bis 90 Prozent der Mitglieder dieses Parlaments sind bereit, über diesen Mißstand zu reden und entsprechend zu handeln. Das ist mehr, als man für eine Grundgesetzänderung braucht. Dann muß es doch wohl machbar sein, hier zu erreichen, daß etwas passiert. Die F.D.P. darf Sie zu diesem Thema nicht länger. wie einen Nasenbär durch den Ring führen. Nichts anderes passiert hier.

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1319932000
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage Ihrer Kollegin Matthäus-Maier?

Peter Dreßen (SPD):
Rede ID: ID1319932100
Bitte.

Ingrid Matthäus-Maier (SPD):
Rede ID: ID1319932200
Herr Kollege Dreßen, die Bundestagspräsidentin hat Sie, als Sie zum Pult gingen, als den letzten Redner in der heutigen Debatte vorgestellt. Habe ich es richtig verstanden, daß wir jetzt über zwei Stunden dieses Thema diskutieren und sich der zuständige Arbeits- und Sozialminister nicht an das Rednerpult stellt, um zu sagen, was er sich eigentlich denkt?

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Peter Dreßen (SPD):
Rede ID: ID1319932300
Ja, Frau Kollegin MatthäusMaier, darüber habe ich mich auch schon gewundert. Ich bin wirklich etwas erstaunt darüber, daß hier ein Staatssekretär und ein paar andere Herren das Wort ergriffen haben, daß wir alle aber bis heute nicht erfahren, was der Bundesarbeitsminister über dieses Thema denkt. Das ist bedauerlich.
Nun möchte ich noch etwas zum Kollegen Kauder sagen, auch wenn er jetzt nicht mehr hier ist. Er hat vorhin davon gesprochen, daß die SPD die 610Mark-Jobs kaputtmachen wolle. Das ist falsch und die Unwahrheit. Wir wollen, daß hier eine Sozialversicherungspflicht eingeführt wird. Wir wollen doch nichts kaputtmachen. Mich ärgert, daß hier in der Debatte mit Halbwahrheiten herumjongliert wird und dadurch falsche Tatsachen in den Raum gestellt werden. Das ist leider Ihr Problem.

Peter Dreßen
Herr Schauerte, natürlich attestiert jeder von uns, daß es hier um fleißige Leute geht. Wo haben Sie etwas anderes gehört? Warum bringen Sie dann überhaupt so etwas ins Gespräch? Kein Mensch hat hier so etwas behauptet. Doch Sie bringen es in die Debatte: tüchtig Nebel werfen.

(Beifall bei der SPD und der PDS)

Es ist ein Unding, wie Sie sich hier verhalten, nämlich einfach etwas in den Raum zu stellen, was nie von irgend jemandem gesagt worden ist. Sie müssen sich ein wenig in acht nehmen.

(Beifall bei der SPD Jürgen Türk [F.D.P.]: Das steht im Protokoll!)

Wenn wir schon an die Betroffenen denken, dann sollten wir auch an diejenigen denken, die heute eine Teilzeitarbeit suchen. Sehen Sie sich um, was mit denen passiert: Sie bekommen reihenweise 610Mark-Jobs angeboten, aber keine sozialversicherungspflichtige Teilzeitbeschäftigung. Das ist auch ein Problem, das die Betroffenen vor Ort beschäftigt.
Ich gebe zu, daß es für diejenigen, die heute für 610 DM arbeiten, ein Nachteil ist, wenn hiervon die Sozialversicherungsbeiträge abgezogen werden
müssen. Ich gestehe, daß es nicht populär ist, wenn man das bei diesen Menschen fordert. Aber man muß festhalten: Wenn wir so weitermachen wie bisher, wenn wir nichts gegen die Unordnung auf dem Arbeitsmarkt mit den 610-Mark-Jobs, den Scheinselbständigen und der Schwarzarbeit tun, gerät unser Sozialsystem in eine große Gefahr. Es gilt, hier gegenzuhalten. Es gilt, die Unordnung zu stoppen. Deswegen bitte ich Sie, Herr Bundesarbeitsminister, inständig: Ergreifen Sie die Initiative, legen Sie einen Gesetzentwurf vor, damit wir hier im Parlament darüber diskutieren können!

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1319932400
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 30. Oktober 1997, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.