Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet. Ich wünsche einen guten Morgen.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, erinnere ich daran, daß wir morgen mit einem Staatsakt hier im Plenarsaal des verstorbenen früheren Bundestagspräsidenten Kai-Uwe von Hassel gedenken werden. Die ursprünglich vorgesehene Tagesordnung wurde deshalb geändert. Wegen erneuter Änderungen muß ich gleich noch einmal auf die Tagesordnung zurückkommen.
Zunächst möchte ich dem Kollegen Dr. Winfried Pinger, der heute seinen 65. Geburtstag feiert, die besten Glückwünsche des Hauses aussprechen.
Ebenso herzlich gratuliere ich dem Kollegen Dr. Olaf Feldmann nachträglich zu seinem 60. Geburtstag, den er am 9. Mai beging. Auch dazu herzlichen Glückwunsch.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene neue Tagesordnung um die Ihnen vorliegenden Zusatzpunkte zu erweitern:
2. Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Bodenabfertigungsdienste auf Flugplätzen - Drucksache 13/7645 -
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Klaus W. Lippold , Dr. Norbert Rieder und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Birgit Homburger, Günther Bredehorn, Dr. Rainer Ortleb und der Fraktion der F.D.P.: Elefanten erhalten - neue Lebensräume erschließen - Drucksache 13/7654 -
3. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD: Einschätzung der Ausbildungsplatzsituation und des Handlungsbedarfs durch die Bundesregierung
4. Beratung des Antrags des Abgeordneten Alois Graf von Waldburg-Zeil und der Fraktion der CDU/CSU, des Abgeordneten Dr. R. Werner Schuster und der Fraktion der SPD, der Abgeordneten Dr. Uschi Eid und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abgeordneten Dr. Irmgard Schwaetzer und der Fraktion der F.D.P.: Zur Lage in Zaire - Drucksache 13/7672 -
5. Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu
dem Zweiten Gesetz zur Neuordnung von Selbstverwaltung und Eigenverantwortung in der gesetzlichen Krankenversicherung - Drucksachen 13/6087, 13/7264, 13/7569, 13/7660 -
Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden.
Für heute soll folgender Ablauf gelten: Nach den Kernzeitthemen und den Beratungen ohne Aussprache ist die Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD vorgesehen. Sodann sollen die Debattenpunkte in folgender Reihenfolge aufgerufen werden: Zusatzpunkt 4: Lage in Zaire, Tagesordnungspunkt 7 a bis c: Treuhandauftrag, Tagesordnungspunkt 6 a und b: Nutzer von Freizeitgrundstücken, Tagesordnungspunkte 8 bis 10 wie vorgesehen, Zusatzpunkt 5: Ergebnis des Vermittlungsausschusses, Tagesordnungspunkt 5: Bank- und Wertpapiervorschriften, Tagesordnungspunkt 11: Lebensmittel-und Bedarfsgegenständegesetz.
Der Tagesordnungspunkt 12, Entschädigung für Opfer des NS-Regimes, soll abgesetzt werden.
Außerdem mache ich auf nachträgliche Ausschußüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam:
Der in der 173. Sitzung des Deutschen Bundestages am 25. April 1997 überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll nachträglich zusätzlich dem Auswärtigen Ausschuß und dem Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zur Mitberatung überwiesen werden:
Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eines Steuerreformgesetzes 1999 - Drucksache 13/7480-
überwiesen:
Finanzausschuß
Auswärtiger Ausschuß Innenausschuß
Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Verteidigungsausschuß
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit sind Entwicklung
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
Der in der 169. Sitzung des Deutschen Bundestages am
17. April 1997 überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
soll nachträglich zusätzlich dem Innenausschuß zur Mitberatung überwiesen werden:
Gesetzentwurf der Abgeordneten Michaele Hustedt, Gila Altmann , Franziska Eichstädt-Bohlig, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Neuordnung der Energiewirtschaft (EnergieG) - Drucksache 13/5352 -
überwiesen:
Ausschuß für Wirtschaft
Innenausschuß
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuß
Der in der 152. Sitzung des Deutschen Bundestages am 17. Januar 1997 überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll nachträglich zusätzlich dem Ausschuß für Verkehr zur Mitberatung überwiesen werden:
Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Schutz des Bodens - Drucksache 13/6701 -
überwiesen:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Post und Telekommunikation
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
Sind Sie mit den Vereinbarungen einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 d auf:
a) Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD: Zur Wirtschafts- und Währungsunion - Druckachen 13/2638, 13/3984 -
b) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Joachim Poß, Ingrid Matthäus-Maier, Ludwig Eich, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Teilnahmekriterien an der Europäischen Währungsunion - Drucksachen 13/4189, 13/4531-
c) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Kristin Heyne, Christian Sterzing, Matthias Berninger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Die Zukunft der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion - Drucksachen 13/ 2858, 13/4529 -
d) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Kristin Heyne, Christian Sterzing, Elisabeth Altmann , weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Die Zukunft der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion (Teil II) - Drucksachen 13/2996, 13/4530 -
Dazu liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Gruppe der PDS vor. Zu den Großen Anfragen der Fraktion der SPD liegt ein Entschließungsantrag der SPD vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Wir verfahren so.
Ich eröffne die Aussprache. Es beginnt die Kollegin Heidemarie Wieczorek-Zeul.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Überall in Deutschland, in allen Familien, in allen Gruppen der Bevölkerung wird die Einführung der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion, der Euro, diskutiert.
Nur die Bundesregierung hat sich immer wieder einer solchen Diskussion im Deutschen Bundestag zu entziehen versucht. Sie hat in dieser Frage bisher keine einzige Regierungserklärung abgegeben.
Vielmehr mußte sie in Aktuellen Stunden oder heute durch die Beantwortung einer Großen Anfrage dazu gezwungen werden. Die großformatigsten Anzeigen und die strahlendsten Hochglanzbroschüren, die die Bundesregierung zur europäischen Währungsunion verbreitet, können aber die Verunsicherung der Bevölkerung nicht beseitigen.
Sie wollen die Beantwortung konkreter Probleme, die sie berühren. Wie sind die Kosten beim Übergang in die dritte Stufe der Währungsunion? Wie werden Aktien, Versicherungen umgestellt? Wie kann der Druck auf die sozialen Sicherungssysteme anschließend verhindert werden?
Das sind praktische Fragen, die die Bundesregierung beantworten muß.
Am schlimmsten aber ist, daß die Bundesregierung selber zur Verunsicherung der Menschen beiträgt. Zwei Tage nach dem 21. März, an dem sich Theo Waigel hier im Deutschen Bundestag aus Anlaß einer Aktuellen Stunde - damals von den Grünen beantragt - zur Währungsunion geäußert hat und überhaupt keinen Hinweis in diese Richtung gegeben hat, konnte man von ihm in mehreren Zeitschriften und Zeitungen lesen, die Konvergenzkriterien von Maastricht müßten dadurch erfüllt werden, daß in Deutschland die Sozialhilfe gekürzt werden solle.
Gäbe es irgendwo eine finstere Vereinigung mit dem Ziel, den Europäern Europa zu verleiden, der Vorschlag Waigels wäre ihr jüngster Erfolg.
So kommentierte die „Süddeutsche Zeitung" vom 24. März 1997 dieses Vorgehen Theo Waigels.
Sie wissen selbst, daß sich die Akzeptanz der Bevölkerung für die europäische Wirtschafts- und Währungsunion bisher in engen Grenzen hält.
Wer wider besseres Wissen seine eigenen Pläne für Sozialkürzungen und Umverteilung in Deutschland Europa zuschiebt, schadet der europäischen Einigung, auch wenn er tausendfache Erklärungen für
Heidemarie Wieczorek-Zeul
die Notwendigkeit der Fortsetzung der europäischen Integration abgibt.
Wir fordern die Bundesregierung auf: Beenden Sie Ihre Politik der Sozialkürzungen und des Sozialabbaus, und geben Sie die völlig unzulässige Verkoppelung des Zieles einer europäischen Wirtschafts-und Währungsunion mit Ihrer Politik der Sozialkürzungen auf!
Nichts außer ihrem selbstgewählten neoliberalen Dogma zwingt die Bundesregierung zu der verfehlten Steuer- und Finanzpolitik, die sie bisher betreibt.
Die Gesetze, die die Bundesregierung am schwarzen Freitag im. letzten September mit der Kanzlermehrheit durch den Deutschen Bundestag gepaukt hat, haben die Ungerechtigkeit in unserem Land verstärkt, soziale Auseinandersetzungen mit Langzeitwirkung geschürt - ich verweise auf die aktuellen Auseinandersetzungen am Bau - und die Massenarbeitslosigkeit noch verschärft. Sie haben aber nichts mit der Einhaltung der Maastricht-Kriterien zu tun. Im Gegenteil: Sie entfernen uns weiter davon, weil sie die Arbeitslosigkeit geschürt haben.
Von seiten der Europäischen Union hat niemand die Bundesregierung zur Abschaffung der privaten Vermögensteuer verpflichtet; sie aber hat die Haushaltslöcher erneut vergrößert.
Über diese unsäglichen und unseligen Diskussionen, ausgelöst durch die Bundesregierung und ihren Finanzminister Theo Waigel, gerät die eigentliche Begründung und Bedeutung der europäischen Zusammenarbeit und der Notwendigkeit einer europäischen Wirtschafts- und Währungsunion völlig aus dem Blick. Wir bleiben dabei: Wenn die Politik angesichts der Globalisierung von Finanzmärkten nicht jegliche Gestaltungsmöglichkeit aus der Hand geben will, dann kommt sie an der Verwirklichung der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion nicht vorbei.
Es blieb Helmut Schmidt vorbehalten, die Größe und Bedeutung dieser Aufgabe deutlich zu machen, während Theo Waigel und andere Regierungsmitglieder diese Aufgabe kleinreden.
Helmut Schmidt hat am 14. Januar 1997 gesagt: Gegenüber den Supermächten
- das ist doch die Aufgabe, das wissen Sie doch selbst -,
die im Laufe des 21. Jahrhunderts zu entscheiden haben werden, werden selbst große europäische Staaten wie Frankreich oder England oder Deutschland auch nicht entfernt in der Lage sein, ihre eigenen Interessen mit Gewicht einzubringen. Nur dann, wenn sie sie gemeinsam einbringen und vertreten, haben sie Aussicht auf Erfolg. Umgekehrt gilt aber auch: Wenn sie dies nicht fertigbringen, dann werden die Staaten Europas zu marginalen Figuren im Weltgeschehen.
Die Entscheidungen der amerikanischen Notenbank beeinflussen weltweit das jeweilige Zinsniveau und haben Auswirkungen auf die Arbeitsplätze in allen europäischen Ländern. Schnelle Spekulationsbewegungen und Wechselkursschwankungen führen zu Verlust von Arbeitsplätzen in all unseren Staaten. Unternehmen spüren Wechselkursveränderungen und -schwankungen innerhalb weniger Tage. Nach Schätzungen der wirtschaftswissenschaftlichen Institute sind auf diese Art und Weise allein in Deutschland 250 000 Arbeitsplätze verlorengegangen. Darum halten wir das Projekt einer europäischen Wirtschafts- und Währungsunion wirtschaftlich und politisch für dringend notwendig.
Es ist kein „deutsches Opfer" auf dem Altar europäischer Integration. Vielmehr liegt die Wirtschafts-und Währungsunion im deutschen Interesse. Wir brauchen den Euro schon deshalb, weil er den europäischen Stabilitätsraum zum Nutzen der vom Export abhängigen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen und zum Schaden der global agierenden Währungsspekulanten festigt. Das ist doch seine Bedeutung.
Der europäische Binnenmarkt nimmt 90 Prozent aller Waren und Dienstleistungen aus den 15 Mitgliedstaaten auf. Solange wir uns in diesem einheitlichen Markt den Luxus von 14 verschiedenen Währungen leisten, sind die Klagen über die Folgen der Globalisierung der Wirtschaft wenig überzeugend.
Die europäische Wirtschafts- und Währungsunion bietet alle Chancen, daß der Euro die Rolle einer weltweiten Leitwährung übernimmt, so daß die Wirtschaften in unseren Ländern unabhängiger vom US-Dollar und der amerikanischen Wirtschafts- und Finanzpolitik werden. Das ist eine seiner wichtigsten Bedeutungen.
Die europäische Wirtschafts- und Währungsunion muß aber zu aktiver Beschäftigungspolitik und Wachstum genutzt werden. Sie darf nicht zu einem Instrument der Sozialkürzungen und der Verschärfung der Massenarbeitslosigkeit mißbraucht werden.
Schon im geltenden Maastricht-Vertrag wird in Titel VI die Abstimmung der Wirtschaftspolitik zwischen den EU-Mitgliedstaaten gefordert und angelegt. Dazu hatte der damalige EU-Kommissionspräsident Jacques Delors bereits ein Jahr nach Ratifizie-
Heidemarie Wieczorek-Zeul
rung der Maastricht-Verträge sein Weißbuch für Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung vorgelegt, mit wegweisenden Vorschlägen, die von den Finanzministern, an der Spitze Theo Waigel, immer wieder torpediert wurden.
Nichts ist aus den vernünftigen Plänen für die sogenannten transeuropäischen Netze geworden - statt dessen immer mehr Subventionen im Agrarbereich. Nichts ist aus der Schwerpunktsetzung im Bereich Forschung und technologische Entwicklung geworden, wie sie Jacques Delors vorgeschlagen hat. Nichts ist aus seinen Vorschlägen zur Sicherung eines Ausbildungsplatzes für jeden Jugendlichen mit dem Ziel des lebenslangen Weiterlernens geworden. Nichts ist aus seinen Vorschlägen für die Entlastung des Faktors Arbeit und den Einstieg in die Rationalisierung, da wo sie notwendig ist, nämlich beim Verbrauch von Energie und bei Naturbelastungen, geworden. Dabei hätten wir im Rahmen der EU-Mitgliedstaaten viel bessere Chancen, die Massenarbeitslosigkeit erfolgreich zu bekämpfen.
Ich fordere die Bundesregierung auf: Nutzen Sie den Sondergipfel am 23. Mai zu einer Initiative für die europäische Beschäftigung und zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit in all unseren Ländern! Das ist der Impuls für Europa, der notwendig ist.
Setzen Sie Ihre Politik der Renationalisierung und des Neoliberalismus nicht mehr fort! Der Neoliberalismus führt dazu, daß im Kampf um die Standorte zwischen den EU-Mitgliedstaaten die Auseinandersetzung in der Europäischen Union zunimmt und bedrohlich geschürt wird. Auf diese Art und Weise - ich appelliere an die Kolleginnen und Kollegen, die die Währungsunion wollen - kann die europäische Wirtschafts- und Währungsunion nicht dauerhaft funktionieren.
Wir fordern, daß im Maastricht-Vertrag, der augenblicklich in der sogenannten Regierungskonferenz behandelt wird, verbindliche Regelungen für eine aktive Beschäftigungspolitik verankert werden. Das soll ein Signal für das Umdenken der EU-Mitgliedstaaten in dieser Frage sein und die EU und ihre Staaten insgesamt zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit verpflichten.
Der Vorschlag, der dazu vorliegt, ist eine gute Grundlage. Wir wollen, daß sich die Bundesregierung bei dieser Konferenz für den Vorschlag der irischen Präsidentschaft einsetzt und ihre Versuche aufgibt, die Bestimmungen zu verwässern. In den letzten Monaten hatte sich die Bundesregierung beharrlich geweigert, derartige Regelungen in den Maastricht-Vertrag aufzunehmen. Mittlerweile ist sie aber innerhalb der EU-Mitgliedstaaten vollständig isoliert.
Die neue britische Regierung unter Tony Blair hat angekündigt, daß sie sich für verbindliche Regelungen zu einer aktiven Beschäftigungspolitik im Maastricht-Vertrag in einem eigenen Kapitel „Beschäftigung" einsetzt.
Endlich kann sich die Bundesregierung in derartigen Fragen nicht mehr hinter der britischen Regierung verstecken.
Ich möchte die Gelegenheit nutzen, liebe Kolleginnen und Kollegen - ich glaube, das kann ich für das ganze Haus sagen -, dem britischen Regierungschef Tony Blair und der Labour Party zu ihrem hervorragenden Wahlerfolg zu gratulieren; denn sie hat Europa aus einer entscheidenden Blockade herausgeführt.
Mit ihrer Wahl ist das soziale Europa entscheidend vorangekommen. Die Wahl der Labour Party und Tony Blairs in Großbritannien hat 18 Jahre konservative Regierungspolitik in Großbritannien beendet. Italien 1996, Großbritannien 1997, Deutschland 1998 - das ist die Reihenfolge.
In der sogenannten Regierungskonferenz überarbeiten die Regierungen augenblicklich den Maastricht-Vertrag.
Der geänderte Vertrag wird in ungefähr einem Monat vorliegen. Es scheint so, daß auch die Bundesregierung jetzt einen gewissen Sinneswandel in der Frage des Beschäftigungskapitels durchgemacht hat.
Ich sage hier erneut, daß die Bundesregierung folgendes wissen muß: Wenn sie solche Regelungen im Maastricht-Vertrag zur aktiven Beschäftigungspolitik nicht verankert, dann werden die überarbeiteten Maastricht-Verträge im Deutschen Bundestag von uns nicht ratifiziert werden. Wir sagen das nicht, weil wir unsere Position um des Prinzips wegen durchsetzen wollen, sondern weil wir wollen, daß die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion funktioniert. Sie kann nur funktionieren, wenn sie auf diese Art und Weise wirtschafts- und beschäftigungspolitisch abgesichert ist.
Sagen Sie doch der Bevölkerung die Wahrheit! Es kann doch keiner annehmen, daß man eine Währungsunion verankert und sie nicht um eine Wirtschaftsunion, eine Sozialunion, eine Umweltunion und um eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik ergänzt. Entweder machen die EU-Staaten entscheidende Schritte hin auf die europäische Zusammenarbeit, oder die Währungsunion - selbst wenn sie fristgerecht verwirklicht würde - wird auf Dauer scheitern. Das ist die tiefere Einsicht.
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Wir sagen auch das rechtzeitig, damit Sie nicht die gleichen Fehler machen, die Sie bereits beim Maastricht-Vertrag gemacht hatten: Unter Ausschluß der Öffentlichkeit haben Sie damals Texte behandelt, über die anschließend der Deutsche Bundestag bei der Ratifizierung nur noch mit Ja oder Nein entscheiden konnte. Wir sagen deshalb rechtzeitig, worauf Sie sich einstellen müssen und was Sie bei diesen Verhandlungen mitbringen müssen.
In unserem Land, in den Mitgliedstaaten der EU müssen alle Kräfte zur Überwindung der Massenarbeitslosigkeit gebündelt werden. Wir wollen im übrigen, daß das Sozialabkommen in den Maastricht-Vertrag einbezogen wird. Das wird jetzt möglich, weil die neue britische Regierung bereit ist, das Abkommen zu unterzeichnen. Wir wollen, daß in diesen Vertrag auch wichtige soziale Grundrechte aufgenommen werden.
Ein besonders notwendiges Grundrecht, was gesichert werden muß, ist die grenzüberschreitende Koalitionsfreiheit. Es geht darum, daß Beschäftigte in unterschiedlichen Unternehmen der EU ihre Interessen notfalls auch mit Mitteln des gemeinsamen Streiks durchsetzen können. Der große Binnenmarkt nutzt den großen Unternehmen, aber er darf nicht zum Instrument der Aushöhlung der Rechte der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen werden. Auch dieses Grundrecht muß verankert werden.
Warum vereinbaren Sie nicht einen zwischen allen EU-Mitgliedstaaten abgestimmten Einstieg in die ökologische Steuerreform mit einer gleichzeitigen Entlastung des Faktors Arbeit? Warum beginnt nicht eine europäische Modernisierungsoffensive, die Investitionen vorzieht und die unserem Land und der EU wichtige Beschäftigungsimpulse gibt?
Es gibt für uns eine zweite Bedingung für das dauerhafte Funktionieren einer europäischen Wirtschafts- und Währungsunion, die unerläßlich ist. Es geht damm, Steuerdumping in der EU und zwischen ihren Mitgliedstaaten zu verhindern.
Einige Mitgliedstaaten, Belgien, Irland, Italien, die Niederlande und Portugal, haben ihre nationale Steuergesetzgebung eingesetzt, um Unternehmen und Kapital aus Nachbarländern an sich zu ziehen. Es ist nicht hinnehmbar, wenn einzelne EU-Staaten durch derartiges Steuerdumping versuchen, sich Vorteile zu Lasten anderer Mitgliedstaaten zu verschaffen.
Das schadet allen; das reduziert das Steueraufkommen insgesamt und führt dazu, daß kleine Unternehmen und die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen die Steuerlasten im hohen Umfang zu tragen haben.
Deshalb wollen wir verbindliche Regelungen auch in der EU, daß eine effektive Mindestbesteuerung der Unternehmen verwirklicht wird. Auch bei der Besteuerung von Kapitalerträgen müssen Schlupflöcher geschlossen werden.
Steueroasen innerhalb der EU sind mit einer vollendeten Wirtschafts- und Währungsunion unvereinbar. Das muß beendet werden.
Wir wollen, daß diese Regelungen mit dem künftigen Finanzsystem der Europäischen Union, das ab 1999 verhandelt und beschlossen wird, gekoppelt werden. Es geht nicht an, daß Deutschland mit 30 Prozent zum Finanzaufkommen der EU beiträgt, andere Mitgliedstaaten aber durch Steuerdumping und das Abziehen von Arbeitsplätzen aus der Bundesrepublik das Steueraufkommen in der Bundesrepublik reduzieren, mit dem wir die EU finanzieren. Das ist untragbar. Wir müssen das entsprechend ändern.
In der Bevölkerung wird wegen der von der Bundesregierung ausgehenden Verunsicherung zuwenig deutlich, daß durch den Maastricht-Vertrag die Währungsstabilität große Fortschritte gemacht hat.
Die Inflationsrate ist mit 1,7 Prozent auf einem bisher kaum vorstellbaren niedrigen Niveau.
Die Wechselkurse zwischen vielen EU-Mitgliedstaaten sind stabil. Das Zinsniveau hat sich positiv entwickelt.
Das sind die entscheidenden Kriterien für die Stabilität einer Währung. Dagegen ist das Defizitkriterium überbetont worden. Theo Waigel hat bisher den Spielraum, den der Vertrag bietet, in seiner eigenen Interpretation immer weiter eingeengt. Wir verlangen eine vertragsgerechte Anwendung der Kriterien, auch des Defizitkriteriums.
Bei der Verwirklichung des sogenannten Defizitkriteriums steht die Bundesregierung jetzt vor dem Scherbenhaufen ihrer eigenen verfehlten Wirtschafts-, Finanz- und Haushaltspolitik. Mit ihrer Weigerung, die Massenarbeitslosigkeit wirksam zu bekämpfen, mit ihrer Politik der Leistungskürzung und der Drosselung der Einkommen von Menschen führt die Bundesregierung unser Land im Ergebnis weiter von der Erfüllung der fiskalischen Kriterien weg.
Denn die Mehrausgaben wegen des dramatischen Anwachsens der Arbeitslosigkeit und entsprechende Steuerausfälle schlagen sich im Haushalt nieder. Wenn Theo Waigel jetzt von den Kosten der Arbeitslosigkeit spricht: Meine Güte, das ist doch die
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Arbeitslosigkeit, die Sie mit Ihrer Art der Politik der Leistungskürzungen zu verantworten haben!
Über Wochen hat Theo Waigel geleugnet, daß sich weitere klaffende Lücken in seinem Haushalt auftun. Jetzt muß er angesichts der neuen Steuerschätzungen einräumen, daß die SPD mit ihren Feststellungen - wie so häufig - recht hat und er - wie so häufig - seine Finanzplanung auf Sand gebaut hat. Wir warnen die Bundesregierung vor weiterer Flucht in Unehrlichkeit und Trickserei. Das würde die Verunsicherung in der Bevölkerung nur verstärken.
Nur mit einem Nachtragshaushalt kann sie die Situation transparent machen und ihr Versagen zugeben. Nur mit einer konsequenten Umorientierung kann die fatale Abwärtsspirale von Leistungskürzungen, wachsender Massenarbeitslosigkeit und weiteren Haushaltslücken aufgehalten werden. Nur mit entschlossenen Maßnahmen zur Ankurbelung der Beschäftigung kann die Situation geändert werden. Das ist unser Appell, gerade an diesem heutigen Tag.
Steuererhöhungen, um Theo Waigels verfehlte Politik durch die ohnehin bereits belastete Arbeitnehmerschaft bezahlen zu lassen - nein danke!
Die SPD will die vertragsgemäße Verwirklichung der dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion einschließlich des Zeitplanes aus den Gründen, die ich hier, glaube ich, sehr deutlich gemacht habe. Die Bundesregierung muß jetzt endlich sagen, wie sie sich aus der selbstgestellten Falle befreien will. Wenn sie selber die Verschiebung der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion, was Theo Waigel manchmal angedeutet hat, anstrebt, dann muß sie das offen sagen und auch dabei ihr Versagen vor der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland einräumen.
Ich danke Ihnen.
Es spricht jetzt der Bundesminister der Finanzen, Dr. Theo Waigel.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Wieczorek-Zeul, Sie haben einen völlig falschen Zusammenhang zwischen der Zielsetzung von Maastricht und der Verwirklichung der Wirtschafts-und Währungsunion und der Konsolidierung hergestellt. Wenn Sie nämlich Konsolidierung kritisieren und sagen, dies stünde nicht im Zusammenhang mit den Zielsetzungen von Maastricht: Warum haben dann die Niederlande konsolidiert? Warum konsolidieren Dänemark und Schweden? Warum haben die Sozialisten in Frankreich ihre Politik der 80er Jahre grundsätzlich umgestellt und sind auf Stabilität umgeschwenkt und haben die Konsolidierung angepackt, sogar im Wissen darum, daß sie die letzte Parlamentswahl verloren haben? Insofern sind Sie die letzten Rückständigen, die von der sozialistischen Völkerwanderung übriggeblieben sind und noch nicht begriffen haben, daß Konsolidierung notwendig ist, um Stabilität und Wachstum zu erreichen.
Ihr früherer Finanzminister Hans Apel hat mir gestern zugesagt, daß er einige Autorenexemplare an die Spitzenpolitiker der SPD versenden wird. Er war allerdings bei der Vorstellung seines Buches nicht sicher, ob das bei einigen von Ihnen Sinn macht; denn dazu gehöre eine gewisse Aufnahmefähigkeit. Die scheint nicht mehr voll gegeben zu sein.
Wenn Sie nämlich in seinem Buch nachlesen, dann werden Sie erkennen, daß Konsolidierung und Defizitbekämpfung auch zum Dogma und zu der Wegweisung von Hans Apel gehören und daß es zu dem Weg keine Alternative gibt.
Es ist schon ein starkes Stück, am Vormittag einer Diskussion die Konsolidierung anzugreifen und am Nachmittag die Defizite zu beklagen, wie es heute sicher wieder stattfinden wird. Das ist eine unehrliche Politik.
Sie haben Helmut Schmidt zitiert. Ich respektiere das Engagement von Helmut Schmidt für Europa sehr. Er tut dies - obwohl wir in manchen Dingen anderer Meinung sind - mit großer Überzeugung und mit großer Autorität. Dafür bin ich ihm dankbar. Nur, Sie müßten schon noch wissen, Frau Wieczorek-Zeul, was Helmut Schmidt etwa 1980 oder 1981 in einer Fraktionssitzung der SPD gesagt hat.
- Nein, es gibt den genauen Wortlaut dessen, was er damals gesagt hat. Das paßt Ihnen nicht. Aber Sie können ihn heute nicht zitieren, ohne daran erinnert zu werden, daß er damals an Ihre Adresse gesagt hat: Wer mehr für Beschäftigung tun will, der muß auch tief in soziale Besitzstände eingreifen.
Das hat er damals gesagt, und es ist richtig. Sie haben sich dieser Einsicht verweigert und sind deswegen damals gescheitert.
Wer Konsolidierung heute ablehnt, wer nicht bereit ist, Besitzstände in allen Bereichen auf den Prüfstand zu stellen und eine Neuorientierung mit Ref ormen beim sozialen Umbau und beim Steuerrecht durchzuführen, der versagt sich der Wirklichkeit und versagt vor der Zukunft.
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
Sie haben noch immer nicht begriffen, Frau Wieczorek-Zeul, welchen Hauptgrund die Arbeitslosigkeit in Deutschland hat. Lesen Sie doch einmal, was der Internationale Währungsfonds dazu sagt. Er attestiert uns, daß 80 Prozent der Arbeitslosigkeit in Deutschland strukturelle Ursachen haben: weil der Arbeitsmarkt nicht flexibel genug ist, weil die Beschäftigungsabschlüsse, die Tarifpolitik nicht genügend darauf abgestellt waren und weil hier grundlegende Fehler gemacht worden sind.
Wenn Sie das nicht begreifen, dann werden Sie zu einem entscheidenden Abbau der Arbeitslosigkeit in Deutschland nicht den notwendigen Beitrag leisten können.
Was Steuern und Steuerdumping anbelangt, gebe ich Ihnen recht, Frau Wieczorek-Zeul. Es ist wahr, wir haben dies aufgegriffen: schon bei der Frage einer europäischen Harmonisierung der Zinsbesteuerung wie auch jetzt des Steuerdumpings. Im Januar hat es zum erstenmal eine, wie ich meine, sehr offene und ehrliche Diskussion im ECOFIN gegeben, wo auch andere Länder wie Belgien, die Niederlande und Luxemburg gesehen und eingeräumt haben, daß von dieser Politik niemand profitiert, sondern alle Schaden davontragen.
Meine Damen und Herren, seit der Beantwortung der heute zur Beratung anstehenden Großen Anfragen ist über ein Jahr vergangen. Es war ein Jahr des Fortschritts auf dem Weg zum Euro.
Die Vorbereitungen für die dritte Stufe der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion sind auf europäischer Ebene zügig fortgesetzt worden.
Ich habe die zuständigen Ausschüsse des Deutschen Bundestages darüber mehrfach ausführlich informiert.
Über alle noch offenen Fragen wurde auf dem Europäischen Rat in Dublin im Dezember vergangenen Jahres und beim informellen Treffen der EU-Finanzminister Anfang April im niederländischen Noordwijk eine Einigung erzielt. Am wichtigsten war sicherlich die Einigung auf eine dauerhafte Sicherung der im Maastricht-Vertrag vereinbarten Stabilitätsorientierung der Haushaltspolitik auch für die Zeit nach Beginn der Wirtschafts- und Währungsunion.
Ich hatte dazu im November 1995 mit meinem Vorschlag für einen Stabilitätspakt für Europa die Initiative ergriffen. In Dublin wurde hierfür die Bezeichnung „Stabilitäts- und Wachstumspakt" festgelegt und damit anerkannt: Gesunde Staatsfinanzen sind eine zentrale Bedingung für dauerhaftes Wachstum.
Der Pakt präzisiert die haushaltspolitischen Bestimmungen des Maastricht-Vertrages; er macht sie anwendbar, berechenbar und nachprüfbar. Ein Frühwarnsystem wird die nationale Haushaltspolitik ständig überwachen.
Die Mitgliedstaaten streben mittelfristig Haushaltsziele nahe am Ausgleich oder sogar im Überschuß an.
Die als Bedingung für den Eintritt in die Wirtschafts- und Währungsunion festgelegten 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die öffentlichen Defizite werden als dauernde Obergrenze festgeschrieben. Ausnahmen sind nur in extremen Notsituationen möglich.
Bei einer Überschreitung der 3-Prozent-Obergrenze beginnt automatisch das Sanktionsverfahren.
Die Dauer des Verfahrens ist kurz und klar definiert: Sanktionen binnen zehn Monaten nach Feststellung eines übermäßigen Defizits, falls der betreffende Mitgliedstaat keine wirksamen Maßnahmen zur Korrektur des Defizits ergreift.
Die Sanktionen sind so festgelegt, daß sie schon im Vorfeld eine abschreckende Wirkung erzielen, damit die Überschreitung durch eine vernünftige Haushaltspolitik vermieden wird.
Sie müssen einmal die Frage beantworten, ob Sie die Zielsetzung dieses Stabilitäts- und Wachstumspakts für richtig halten. Wir halten sie jedenfalls für einen großen Erfolg für das dauerhafte Funktionieren der Wirtschafts- und Währungsunion und für die Akzeptanz in der Bevölkerung.
Der Europäische Rat wird auf seinem nächsten Treffen im Juni in Amsterdam eine Entschließung zum Stabilitätspakt annehmen. Darin verpflichten sich die Mitgliedstaaten, die Kommission und der Rat, den EG-Vertrag und die Rechtsvorschriften über die Haushaltspolitik strikt anzuwenden.
Danach wird der Ministerrat die beiden Verordnungen, mit denen der Stabilitätspakt rechtlich umgesetzt werden soll, verabschieden, nachdem das Europäische Parlament seine Stellungnahme dazu abgegeben hat.
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
Die Verankerung des Stabilitätspakts im europäischen Gemeinschaftsrecht bietet große Vorteile. Sie zeigt: Die Verpflichtung zu dauerhafter Stabilitätsorientierung wird von allen Mitgliedstaaten getragen. Als Teil des Gemeinschaftsrechts ist der Stabilitätspakt unmittelbar anwendbar und geht nationalem Recht vor. Mit der Verankerung im Gemeinschaftsrecht unterliegt der Stabilitätspakt grundsätzlich auch der Gerichtsbarkeit des EuGH, was seine Durchsetzung erleichtert.
Nach der Klärung auf europäischer Ebene müssen wir den Stabilitätspakt auch national verbindlich umsetzen. Ich habe dazu im Finanzplanungsrat schon vor längerer Zeit einen konkreten Vorschlag gemacht; jetzt sind die Länder am Zug.
Zum Zeitpunkt der Beantwortung der Großen Anfragen im vergangenen Jahr befanden sich auch die Gespräche über ein mögliches Wechselkurssystem zwischen den Teilnehmern an der Währungsunion und den vorläufigen Nichtteilnehmern noch in einem frühen Stadium. Inzwischen haben sich die Finanzminister auch auf den Text einer Entschließung über einen neuen Wechselkursmechanismus, das sogenannte EWS II, geeinigt, die vom Europäischen Rat in Amsterdam angenommen werden soll. Diejenigen Mitgliedstaaten, deren Konvergenzbemühungen zu Beginn der Wirtschafts- und Währungsunion noch nicht weit genug vorangeschritten sind, erhalten im eigenen Interesse den zusätzlichen Freiheitsgrad, den flexible Wechselkurse - falls erforderlich - gegenüber dem Euro bieten. Das EWS II wird dazu beitragen, den Binnenmarkt vor Wettbewerbsverzerrungen durch übermäßige Wechselkursschwankungen zu schützen. Es kann zudem helfen, die vorläufigen Nichtteilnehmer der WWU schrittweise an das Stabilitätsniveau der Währungsunion heranzuführen. Die spätere Aufnahme in die Währungsunion wird dadurch erleichtert. Es wird also niemand zurückgelassen; es droht keine Spaltung Europas.
Die Euro-Länder bieten allen anderen einen Stabilitätsanker. Sie kennen die Grundelemente: bilaterale Leitkurse und relativ weite Bandbreiten, gegebenenfalls engere Bandbreiten in Abhängigkeit von Konvergenzfortschritten; Devisenmarktinterventionen seitens der Europäischen Zentralbank und der nationalen Zentralbank bei Erreichen der Bandbreiten. Dabei darf aber das Ziel der Sicherung der Preisstabilität nicht gefährdet werden. Ich halte es für einen großen Vorteil gegenüber dem gegenwärtigen EWS, daß die Europäische Zentralbank in die Lage versetzt wird, eine Einberufung der Sitzung der Finanzminister und der Zentralbankpräsidenten zur Beratung eines Realignment zu verlangen, wenn sie das für notwendig hält. Damit kann eine Weigerung, so etwas rechtzeitig zu tun - die ja auch mit großen politischen und volkswirtschaftlichen Kosten verbunden ist -, verhindert werden. Ich meine, auch das ist ein gewaltiger Fortschritt.
Die Teilnahme an dem neuen System wird freiwillig sein. Jedoch ist gemäß EG-Vertrag eine Teilnahme Voraussetzung für die spätere Teilnahme an der Währungsunion. Wie bereits vom Europäischen
Rat auf seiner Tagung in Madrid im Dezember 1995 beschlossen, wird die Entscheidung über die Teilnahme an der Währungsunion so früh wie möglich in 1998 auf der Basis der Ist-Daten für 1997 getroffen.
Der folgende Zeitplan wurde jüngst von den Finanzministern erörtert. Im März 1998 werden die Europäische Kommission und das Europäische Währungsinstitut - letzteres unter tragender Mitwirkung der Bundesbank - ihre „Konvergenzberichte" vorlegen. Grundlage werden verläßliche Zahlen für 1997 und die Plandaten für die nationalen Haushalte 1998 sein. Auf der Basis dieser Konvergenzberichte wird die Stellungnahme des Europäischen Parlaments eingeholt. Gleichzeitig werden die nationalen Parlamente und damit auch der Deutsche Bundestag und der Bundesrat ausreichend Zeit haben, sich mit den Berichten gründlich auseinanderzusetzen.
Bekanntlich haben der Bundestag und der Bundesrat in ihren Entschließungen zum Maastricht-Vertrag 1992 die Bundesregierung aufgefordert, beim Übergang zur dritten Stufe der WWU das zustimmende Votum des Parlaments einzuholen.
Dies ist keine zweite Ratifizierung,
doch haben wir zugesagt, diesen Schritt nicht ohne die Rückendeckung der gesetzgebenden Gremien zu vollziehen.
Ich halte es für notwendig und für absolut erforderlich, einen so schwerwiegenden, wichtigen und zukunftsweisenden Akt auch mit der Unterstützung des Deutschen Bundestages zu vollziehen.
Sobald wie möglich danach muß von den Teilnehmerstaaten die Europäische Zentralbank gegründet werden, damit diese zu Beginn der Währungsunion die gemeinsame Geldpolitik übernehmen kann.
Meine Damen und Herren, die Vorbereitungen für die dritte Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion sind auf europäischer Ebene weitgehend abgeschlossen. Die Entscheidung über die Teilnahme wird zwar erst im Frühjahr 1998 getroffen, dennoch ist eine rechtzeitige nationale Vorbereitung für die Einführung des Euro in Gesetzgebung und öffentlicher Verwaltung notwendig.
Das Bundeskabinett hat deshalb am 28. April 1997 den ersten Zwischenbericht des im Finanzministerium gebildeten Arbeitsstabes Wirtschafts- und Währungsunion gebilligt. Der Bericht ist unmittelbar nach der Kabinettsbefassung dem Deutschen Bundestag und dem Bundesrat zur Verfügung gestellt worden.
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
Dieser Bericht gibt erste Orientierungen für die Einführung des Euro in Gesetzgebung und öffentlicher Verwaltung, benennt aber auch noch offene Fragen. Diese betreffen vor allem die Verwendung von Euro beziehungsweise D-Mark in der Übergangszeit vom 1. Januar 1999 bis zum 31. Dezember 2001, in der Euro-Bargeld ja noch nicht verfügbar ist.
In dieser Zeit sollen die Bürger und die Unternehmen ausreichend Zeit haben, sich an den Euro zu gewöhnen. Sie können den Euro ab dem 1. Januar 1999 verwenden, wenn sie sich mit ihrem jeweiligen Vertragspartner darüber einigen. Bargeldlose Zahlungen können ohnehin wahlweise in Euro oder D-Mark erfolgen. Das hat die deutsche Kreditwirtschaft durch ein Abkommen zum Inlandzahlungsverkehr bereits sichergestellt.
Für die öffentliche Verwaltung nimmt der Bericht als Ausgangspunkt die möglichst einheitliche Umstellung zum 1. Januar 2002, also gleichzeitig mit der Einführung des Euro-Bargeldes. Damit soll sichergestellt werden: Im Verkehr mit der öffentlichen Verwaltung gibt es für die Bürger keine störende und verwirrende Dualität von Währungseinheiten.
Allerdings gibt es noch offene Fragen bei der Euro-Verwendung an der Schnittstelle zwischen Bürger und Verwaltung. Dazu gehört zum Beispiel die Frage der Steuererklärung in D-Mark oder Euro. Hierzu wird es noch weitere Gespräche mit der Wirtschaft, den Sozialversicherungsträgern und der Finanzverwaltung geben.
Meine Damen und Herren, die Freiheit einzelner Unternehmen und Bürger, schon früher zum Euro überzugehen, wird durch die spätere Umstellung der öffentlichen Verwaltung nicht eingeengt. Der Bericht empfiehlt, gesetzliche Behinderungen der Euro-Verwendung innerhalb des Privatsektors bereits zum 1. Januar 1999 zu beseitigen, um dort die fakultative Verwendung des Euro zu ermöglichen.
So empfiehlt der Bericht, unter anderem folgende Möglichkeiten zu schaffen: Aktiengesellschaften sollen in Euro gegründet werden können oder Kapitalerhöhungen in Euro vornehmen können. Jahresabschlüsse der Unternehmen sollen auch in Euro erstellt werden können. Das interne Rechnungswesen der Unternehmen soll in Euro geführt werden können. Statistische Meldepflichten sollen frühzeitig in Euro erfüllt werden können.
Mit diesem Szenario trägt die Bundesregierung den Anforderungen an unsere Bevölkerung und die deutsche Wirtschaft Rechnung. Mit diesen Dingen tragen wir mehr zur Glaubwürdigkeit und Akzeptanz bei als Sie, Frau Wieczorek-Zeul, mit Ihrer billigen Polemik gegen die Finanz- und Stabilitätspolitik dieser Bundesregierung.
Meine Damen und Herren, nicht alle 15 Mitgliedstaaten der EU werden sofort den strengen Anforderungen des Vertrages und des Stabilitätspakts entsprechen können oder wollen.
Der Kreis der Mitglieder zu Beginn der Währungsunion wird kleiner als 15 sein. Die Entscheidung darüber trifft - wie bekannt - der Europäische Rat auf Vorschlag der Finanzminister erst Anfang Mai 1998. Bis dahin sind Spekulationen über den Teilnehmerkreis . müßig. Eines steht jedoch fest: Es gibt für niemanden eine automatische Teilnahme. Konvergenz bestimmt den Zeitplan für jedes einzelne Land.
Zur Diskussion der letzten Wochen darf ich wiederholen: Ich habe meine Ansicht dazu nie geändert. Wer jetzt eine permanente Diskussion über die Kriterien führt, der muß wissen, wo er am Schluß landet.
Darum ist die strikte und stringente Einhaltung der Kriterien eine Voraussetzung für die Glaubwürdigkeit und Akzeptanz in der deutschen Bevölkerung. Dazu stehe ich.
- Joseph Fischer
[Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Setzen! 6!)
Deutschland ist sich seiner Verantwortung für den Start der Wirtschafts- und Währungsunion in 1999 bewußt. So senken wir die Staatsquote und die Defizite und schaffen Raum für Steuer- und Abgabensenkungen. Jeder Prozentpunkt sinkender Staatsquote steigert die Zukunftsfähigkeit der Wirtschaft und des Staates.
Die Schuldenstandsquote Deutschlands wird sich innerhalb des Planungszeitraums stabilisieren und wird zurückgehen. Ansatzpunkt für die Reduzierung der Quote ist der Abbau der öffentlichen Defizite. Wichtig für die Schuldenquote ist aber auch die BIP-Entwicklung.
In den vergangenen Jahren hatte Deutschland im Zuge der Einheit zum Teil einmalige und in keinem anderen Land Europas zu findende Sonderlasten zu bewältigen. Allein dadurch stieg der Schuldenstand um fast 13 BIP-Punkte.
Unabhängig von Maastricht müssen wir weiter sparen. Ich halte die Diskussion, daß die Konsolidierung, Zurückführung und Bekämpfung von Defiziten wegen Maastricht stattfindet, für falsch.
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
Die Konsolidierung findet in unserem ureigensten Interesse statt, was ich immer wieder betont und worauf ich immer wieder hingewiesen habe.
Jede gesparte D-Mark ist eine Investition in das 21. Jahrhundert. Meine Damen und Herren, es geht darum, durch grundlegende Strukturreformen die dynamischen Ausgabepositionen in den Griff zu bekommen.
Mit der Wirtschafts- und Währungsunion - das gilt für uns, aber auch für alle anderen - kommt ein heilsamer zusätzlicher und notwendiger Anpassungsdruck auf den Standort Deutschland und auf andere Länder zu. Bei einer einheitlichen Währung müssen diejenigen Bereiche der Wirtschaft eine höhere Flexibilität aufweisen, die noch in nationaler Verantwortung bleiben. Dies gilt insbesondere für den Arbeitsmarkt. Schon heute ist nach einer Untersuchung des Internationalen Währungsfonds der größere Teil der Arbeitslosigkeit in Deutschland strukturell begründet.
Der Anpassungsdruck liegt eindeutig auf der Angebotsseite der Volkswirtschaft. Erleichterung des Strukturwandels, Deregulierung, Steuer- und Abgabenentlastung werden deshalb noch stärker als bisher die Politik des Staates bestimmen. Darauf hat gestern Hans Apel bei der Vorstellung seines Buches hingewiesen, und es findet sich in seinem Buch ausdrücklich.
Wissen Sie, was Anstand in der Politik ist? Es ist anständig, wenn ein Mann wie Hans Apel darauf verweist, wie hoch seine Defizite als Finanzminister in den Jahren 1974 bis 1978 gewesen sind. Er sagte: Die jetzigen Defizite von Theo Waigel sind im Verhältnis dazu nicht größer, obwohl er eine weitaus größere Aufgabe in den letzten Jahren zu bewältigen hatte. Das ist ein Vergleich, der Anstand zum Ausdruck bringt, während Ihre Politik zum Teil unanständig ist. .
Meine Damen und Herren, kurz vor der Jahrtausendwende steht Deutschland am Scheideweg.
Gewinnen wir die Zukunft, oder gehören wir zu den Verlierern? Keiner darf sich dieser Verantwortung entziehen.
Auch Sie können das in Ihrer nationalen Politik nicht. Sie werden sich auf die Dauer den notwendigen Maßnahmen und den notwendigen Reformen in der Finanzpolitik, in der Steuerpolitik und in der Sozialpolitik nicht entziehen können.
Arbeitsplätze von morgen erfordern Reformbereitschaft heute.
Dazu stehen wir. Dazu haben wir die Vorbereitungen getroffen, und zwar international, europäisch und national. Wir werden unserer Aufgabe gerecht werden.
Ich danke Ihnen.
Als nächste spricht die Abgeordnete Kristin Heyne.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Waigel, die Vorstellung, die Sie hier eben gegeben haben, hat wie so oft Tragik und Komik sehr nahe beieinander liegen lassen. Sie feiern noch einmal Ihren Stabilitätspakt, diesen sehr fragwürdig von Ihnen den anderen aufgezwungenen Pakt. Sie bekräftigen noch einmal die strikte Einhaltung der Stabilitätskriterien, und das heute, an diesem Tag, an dem endgültig deutlich werden wird, daß Sie selber weder strikt die Kriterien noch diesen Stabilitätspakt einzuhalten in der Lage sein werden.
Sie haben sich selbst noch einmal auf Ihrem Weg zur Europäischen Währungsunion gefeiert. Sie haben hier etwas buchhalterisch noch einmal die Schritte des letzten Jahres und der letzten Monate genannt, die wir alle hinreichend kennen. Sie haben aber das Thema verschwiegen, das doch alle, die die Europäische Währungsunion wollen, im Moment bewegt, nämlich daß die Ablehnung der Europäischen Währungsunion in der Bevölkerung zunimmt und nicht abnimmt. Diese Ablehnung hat doch mit Ihrer Politik, mit Ihren überzogenen Stabilitätsanforderungen, mit Ihrem Taktieren in Richtung auf eine Kernwährungsunion und eben nicht auf eine gemeinsame Währungsunion in Europa zu tun.
Die Ablehnung der Europäischen Währungsunion in der Bevölkerung hat sehr tiefe, ernstzunehmende Gründe. Nach der Erfahrung von zwei Währungsreformen mit vollständiger Geldentwertung in diesem Jahrhundert sind die Ängste vor Währungsveränderungen sehr wohl verständlich. Hinzu kommt eine allgemeine Verunsicherung, die durch rasante technologische Veränderungen und durch die Auswirkungen der Globalisierung der Märkte ausgelöst wird. Unter solchen Bedingungen wird die Bereitschaft, Veränderungen zu wagen, geringer, und die Bedeutung der D-Mark als Symbol nationaler Identität und auch nationaler Überlegenheit wächst.
Die Sicherheit, die die D-Mark vermittelt, trügt aber. Nationalstaatliche Abgrenzung und Konkurrenz werden die Probleme und die Herausforderungen, vor denen Europa am Ende des 20. Jahrhunderts
Kristin Heyne
steht, nicht lösen. Europäische Integration und Kooperation sind die notwendige Antwort auf die zunehmende Globalisierung der Märkte. Der Euro ist ein Schritt auf dem Weg zur europäischen Integration.
Frau Abgeordnete Heyne, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Weng?
Selbstverständlich.
Frau Kollegin Heyne, Sie sprechen hier von einer größer werdenden Ablehnung des Euro in der Bevölkerung. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß in dem Teil der Bevölkerung, der sich über den Euro informiert hat, die Zustimmung außerordentlich zunimmt
und nur in dem uninformierten Teil, der aber noch informiert werden wird, diese Ablehnung vorhanden ist?
Es tut mir leid. Ich habe viele Veranstaltungen zum Euro durchgeführt, und ich kann diese Einschätzung nicht teilen. Sie werden sicher bemerkt haben, daß auch in der öffentlichen Darstellung die Ablehnung des Euro im Moment zunimmt und nicht abnimmt. Dies ist nicht nur eine Frage der Informiertheit, sondern auch eine Frage, welche Politik diese Bundesregierung mit dem Euro verbindet. Das ist nicht die Politik eines Zusammenwachsens der europäischen Staaten.
Es ist doch ein Fehler, sich angesichts der Globalisierung an nationalstaatlichen Symbolen und Institutionen festzuhalten. Das hieße doch, den Zweig, der gerade am Verdorren ist, festzuhalten, statt in das gemeinsame Boot zu steigen. Es gibt also triftige Gründe für die Verunsicherung in der Bevölkerung. Aber trotzdem oder gerade deshalb ist es nötig, sich zu bewegen.
Was tut nun diese Bundesregierung in einer doch ganz heiklen Situation? Zunächst trifft sie weitgehend ohne Beteiligung der Bevölkerung Entscheidungen und bindende Vereinbarungen. Die Euro-Debatte, die jetzt endlich öffentlich geführt wird, kommt sechs Jahre zu spät. Vor der Unterzeichnung des Maastricht-Vertrages wäre der richtige Zeitpunkt für eine öffentliche Diskussion gewesen.
Damals hätte man die Bevölkerung fragen müssen. Wer ernsthaft nach Ja und Nein gefragt wird, der wird nicht leichtfertig ablehnen, sondern sich verantwortlich seine Meinung bilden.
Aber schlimmer noch als dieser Mangel an Öffentlichkeit und Demokratie ist der Mißbrauch der gemeinsamen Währung für andere politische Interessen. Wer tiefgreifende Entscheidungen ausnutzt, um andere politische Schäfchen ins trockene zu bringen, der riskiert das gesamte Projekt.
Es ist doch schon eine gezielte Torpedierung der Währungsunion, Herr Waigel, wenn Sie in einer Situation allgemeiner Verunsicherung und Ablehnung der Währungsunion in der Bevölkerung auch noch ankündigen, daß wegen des Euro die Sozialhilfe gekürzt werden muß.
Herr Waigel, die Botschaft, die Sie damit herausgeben, ist doch gerade: Mit dem Euro wird es so schwierig und mit ihm geht es uns so schlecht, daß wir auch den Ärmsten noch etwas wegnehmen müssen. Wieviel Porzellan soll denn dieser Finanzminister noch zerschlagen dürfen? Wann hat dieser Unfug endlich ein Ende?
Es liegt doch nicht am Euro, daß sich die Verschuldung in der Bundesrepublik seit 1990 verdoppelt hat; es liegt doch nicht am Euro, daß jede vierte Steuermark für Zinsen ausgegeben wird; es liegt doch nicht am Euro, daß diese Bundesregierung noch immer keine Steuerreform zustande gebracht hat.
Herr Waigel, stehen Sie gefälligst selber zu Ihren Versäumnissen, und gefährden Sie nicht das zur Zeit wichtigste Ziel, nämlich das der europäischen Integration! Wir müssen nicht wegen Maastricht sparen; wir müssen sparen, weil Herr Kohl blühende Landschaften ohne Steuererhöhungen versprochen hat.
Wir müssen sparen, weil Ihre einseitige Wirtschaftspolitik zu einer unglaublich hohen Arbeitslosigkeit geführt hat. Wir müssen sparen, weil diese Bundesregierung im vergangenen Jahr die auf dem Tisch liegende Chance vertan hat, im gesellschaftlichen Konsens Lösungen für die anstehenden Probleme zu finden.
Maastricht wird in der deutschen Debatte immer mehr zum Synonym für Sparen. Dahinter droht das
Kristin Heyne
Ziel der Europäischen Gemeinschaft aus dem Blick zu geraten.
Mit der heute zu erwartenden Steuerschätzung befinden wir uns nun wiederum mitten in einer Maastricht-Spardebatte. Die Steuereinnahmen werden deutlich niedriger ausfallen als geplant. Damit steht uns - das ist zu erwarten - eine neue, hektische Sparrunde bevor, um die selbstgesetzte, unnötig hoch gelegte Maastricht-Meßlatte zu erfüllen, eine Sparrunde, die das Vertrauen in die Finanzpolitik und insbesondere auch das Vertrauen in die Europapolitik weiter schmälern wird.
In böser Vorahnung hat der ehemalige Präsident der Europäischen Kommission Jacques Delors gestern hier in Bonn betont, daß es nicht dem Geist des Maastricht-Vertrages entspricht, unter allen Umständen auf die exakte Einhaltung der Konvergenzkriterien zu pochen. In ungewöhnlich scharfer Form nannte er eine solche Betrachtung der Regelung hysterisch und unrealistisch.
Ich fordere Sie deshalb auf, Herr Waigel: Realisieren Sie in dieser Situation, an welcher Stelle Sie gelandet sind! Legen Sie einen Nachtragshaushalt vor, in dem Sie die weiteren Kürzungen, die noch vertretbar sind, durchführen, aber in dem Sie auch eingestehen, daß eine zusätzliche Neuverschuldung notwendig ist! Gehen Sie nicht den Weg der Haushaltssperre! Kürzen Sie nicht weiter nach dem Rasenmäherprinzip! Kommen Sie endlich von Ihrem hohen Roß der 3,0 Prozent herunter, und gestehen Sie ein, daß eine zusätzliche Verschuldung notwendig ist! Wenn Sie dazu nicht in der Lage sind, Herr Waigel, weil Ihr Stolz oder was auch immer Sie daran hindern, dann machen Sie den Weg frei, damit andere die weiteren nötigen Schritte in die gemeinsame Währungsunion gehen können, in eine Europäische Union, die von der Bevölkerung gewollt wird. Vielleicht sollten wir Ihnen empfehlen, Herr Waigel: Legen Sie eine schöpferische Pause ein! Erziehungsurlaub ist eine gute Möglichkeit der persönlichen Rekreation, die ich Ihnen durchaus empfehlen kann.
Herr Waigel, wenn Sie die Reform der Einkommensteuer uns überlassen, dann werden Sie ein Einkommensteuersystem bekommen, das das Leben mit Kindern fördert und finanzierbar macht.
Es war eine kluge und richtige Entscheidung der Europäischen Union, sich auf eine stabile europäische Währung zu einigen. Die Stabilität des Euro ist aber nicht von einer pfennigfuchserisch erzwungenen Neuverschuldungsgrenze von 3,0 Prozent abhängig. Jede und jeder in Europa wird akzeptieren, daß die Bundesrepublik mit der Wiedervereinigung vor einer gewaltigen Herausforderung stand und noch steht. Deswegen fordern wir Sie auf: Legen Sie Ihre Konsolidierungspolitik langfristig und nachhaltig an, wie der Maastricht-Vertrag es vorsieht! Verzichten Sie auf hektische und kurzsichtige Sparaktivitäten! Verzichten Sie darauf, durch übereilte Verkäufe, zum Beispiel der Telekom-Aktien, erhebliche Gewinne in den Orkus zu schicken! Gehen Sie vor allen Dingen nicht so weit, daß Sie das, was die Bevölkerung als Sicherheit empfindet, nämlich das Gold, verkaufen! Das ist doch wirklich der Ausverkauf, Herr Waigel. Verspielen Sie nicht die Zustimmung zu dem Projekt der europäischen Integration!
Herr Waigel, auch wenn Sie hier gern den Unfehlbaren und den Ritter der Stabilität spielen, geben Sie sich einen Ruck! Gestehen Sie zu, daß eine weitere Neuverschuldung notwendig ist, daß Sie nicht punktgenau das Kriterium einhalten werden, oder räumen Sie den Stuhl des Finanzministers!
Als nächster spricht Professor Dr. Helmut Haussmann.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Kehren wir zurück zum Hauptthema: Arbeitsplätze unter globalen Bedingungen, Modernität der Parteien - dabei muß man auch zu Herrn Schröder etwas sagen -
und zur europäischen Währung.
Ohne die europäische Währung haben die Europäer im globalen Wettbewerb keine Chance. In allen anderen Ländern ist Maastricht längst ein Ausdruck für Fortschritt und für Stabilität. Nach wie vor läuft jedoch die öffentliche Debatte in Deutschland falsch. Weder die Opposition heute noch die Regierung erklärt den Bürgern, daß der Vertrag von Maastricht bisher schon zu unglaublichen Stabilitätserfolgen in Deutschland geführt hat. Die Inflationsrate in Europa, die zweistellig war, hat im März 1996 2,6 Prozent - einschließlich Griechenland - betragen, im Februar 1997 2,0 Prozent, und sie ist im März auf den niedrigsten Wert von 1,7 Prozent gesunken.
Diese Inflationsrate in Europa ist zunächst einmal die beste Voraussetzung für mehr Arbeitsplätze im globalen Wettbewerb, und diese extrem niedrige Inflationsrate von 1,7 Prozent ist das beste Stück soziale Stabilität, meine Damen und Herren. Das ist beispielsweise für die Rentner entscheidend.
Dr. Helmut Haussmann
Und was tun wir? Wir reden treudeutsch, buchhalterisch, formalistisch über Zehntel hinter dem Komma, meine Damen und Herren.
Welch eine kommunikative Fehlleistung! Die verehrte Oppositionsrednerin hat wenigstens noch am Schluß - um den Erfolg der Regierung nicht zu groß herauszustellen - gesagt: Im übrigen haben wir auch stabile Preise und andere Vorteile, beispielsweise niedrige Zinsen.
Deshalb soll und muß die SPD aufhören, populistisch Sozial- und Beschäftigungspolitik einerseits und Stabilitätspolitik andererseits gegeneinander auszuspielen.
Die beste Beschäftigungs- und Sozialpolitik sind zunächst stabile Preise. Wir haben heute im nationalen Bereich angesichts der Interessengruppen nicht mehr die Möglichkeit, diese mit nationalen Methoden zu erreichen. Insofern hat der Vertrag von Maastricht bereits im Vorfeld eine unglaublich positive Wirkung auf die Innenpolitik in Europa, meine Damen und Herren.
Herr Fischer, die Bundesregierung verfolgt auch keinen Stabilitätsfetischismus; denn ohne stabile Preise sind die Deutschen eben nicht davon zu überzeugen, daß die europäische Währung Sinn macht. Ohne Stabilitätspolitik sind auch die Finanzmärkte nicht zu überzeugen, daß der Euro Sinn macht. Aber nur so, meine Damen und Herren, entsteht auch international eine zweite Leitwährung. Das ist ja nicht nur ein internes Thema der Europäer, sondern es ist unter dem Globalisierungsgesichtspunkt entscheidend, daß der Dollar nicht die alleinige Leitwährung bleibt, sondern daß Rohstoffländer, daß Entwicklungsländer eine zweite Möglichkeit haben, in einer europäischen Währung zu fakturieren und Anlagen zu tätigen. Das ist moderne Europapolitik unter globalen Bedingungen.
Meine Damen und Herren, wir haben unsere Hausaufgaben in Deutschland noch nicht vollständig gemacht.
Wir müssen klar darauf hinweisen, Herr Duve, daß dieses Doppelspiel der Sozialdemokraten aufhören muß: Draußen klagen Sie die Konvergenzbedingungen ein, drinnen sind Sie nicht bereit, sich an Sparbemühungen zu beteiligen. So läuft es auf Dauer nicht!
Es ist doch ein Skandal, daß seit Monaten elf Milliarden DM im Bundesrat blockiert werden, meine
Damen und Herren. Wir hätten doch gar kein Problem, wenn Sie endlich einmal mitmachen würden.
Wo sind denn die Beiträge von Sozialdemokraten und Grünen zu einem nationalen Stabilitätspakt? Warum erfüllen Niedersachsen und das Saarland nicht die Kriterien von Maastricht? Das ist doch ein wichtiges Thema. Es bringt nichts, sich hier idealistisch für den Euro einzusetzen und vor Ort nicht bereit zu sein, einschneidende Maßnahmen mitzutragen.
Es ist doch absurd, daß es in der SPD im Moment einen Wettbewerb zwischen zwei Kandidaten gibt nach dem Motto: Derjenige wird Kanzlerkandidat, dessen Land sich am weitesten von den Maastricht-Kriterien entfernt - Niedersachsen oder das Saarland. Auch das muß einmal gesagt werden.
Ich muß noch einmal auf Herrn Schröder und die Europapolitik zurückkommen. Wofür - außer für blanke Machtpolitik - steht denn Herr Schröder überhaupt? Er hat doch keine europäische Überzeugung. Er ist bereit, das Eurothema zu instrumentalisieren, um an die Macht zu kommen. Er biedert sich doch bei jeder Gelegenheit bei den Europagegnern an.
Es war doch peinlich - ich muß das hier vor dem Deutschen Bundestag wiederholen; denn Sie kamen gerade auf Herrn Blair zu sprechen -, wie er sich vor den britischen Wahlen in London bei den Tortes angebiedert hat. Ich zitiere Gerhard Schröder in London vor der Deutschen Industrie- und Handelskammer aus der „Zeit" vom 22. November 1996:
Dr. Helmut Haussmann
Oktober/November 1995: SPD-Wirtschaftsminister Spöri und Ministerpräsident Schröder fordern erneut eine Verschiebung der Währungsunion, um auf sogenannte Weichwährungsländer zu warten.
Das ist der Beitrag von Schröder zur Stabilitätspolitik! Der „Modernisierer der Sozialdemokraten", der sogenannte deutsche Tony Blair, spricht in diesem Zusammenhang von Monopoly-Geld.
März 1996: Minister Spöri und Ministerpräsident Schröder sprechen sich erneut für eine Verschiebung der Währungsunion aus. Die Antwort der Wähler in Baden-Württemberg war klar: absolutes Tief für Sozialdemokraten, Liberale wieder in der Regierung.
Insofern gelingt auf Dauer nicht die Doppelstrategie, sich im Deutschen Bundestag für den Euro auszusprechen und vor Ort jede Gelegenheit zu nutzen, die Kriterien nicht zu erfüllen und im Ausland gegen den Euro Stellung zu beziehen. Das werden wir Herrn Schröder nicht durchgehen lassen. Das sollten Sie wissen.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die SPD hat sich inzwischen in verschiedenen Resolutionen gegen eine Verschiebung der Währungsunion durchgerungen. Ich begrüße das. Ich halte eine Verschiebung für falsch. Auch eine sogenannte kontrollierte Verschiebung ist für mich unpolitisch und nicht machbar. Ich erinnere an das, was Bundespräsident Herzog in Straßburg gesagt hat: Die Verschiebung kann in Wahrheit zum Ende dieses größten europäischen Projektes führen - mit allen Gefahren durch Protektionismus, Renationalisierung und weitere Massenarbeitslosigkeit in der Exportindustrie.
Insofern kann ich nur wiederholen: Die F.D.P. wird den Vertrag von Maastricht erfüllen. Sie wird wie bei der Westintegration und der Ostpolitik auch in der Europapolitik an der Spitze der Bewegung bleiben.
Vielen Dank.
Bevor wir in der Debatte fortfahren, möchte ich auf der Ehrentribüne die Präsidentin des norwegischen Parlaments, Frau Kirsti Kolle Grondahl, und ihre Delegation ganz herzlich begrüßen.
Frau Präsidentin, wir möchten Sie auch aus der Mitte des Deutschen Bundestages wissen lassen: Wir freuen uns nicht nur über Ihren Besuch, der von Mecklenburg-Vorpommern über Berlin nach Bonn geführt hat, sondern wir wissen auch, daß Sie, selbst wenn Sie nicht Vollmitglied in der Europäischen Union sind, an engster Zusammenarbeit mit der
Europäischen Union interessiert sind, dafür arbeiten und sich international einsetzen. Ich sage Ihnen: Es wird der Tag kommen, an dem auch Norwegen der Europäischen Union beitritt. Herzlich willkommen!
Wir fahren in der Debatte fort. Als nächster spricht der Abgeordnete Dr. Gregor Gysi.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am 27. November 1996, Herr Bundesminister, hatten wir hier die zweite Lesung des Haushaltes 1997. Damals habe ich Ihnen gesagt, daß der Haushalt hinten und vorne nicht stimmt, daß er mich an die Verabschiedung früherer Volkswirtschaftspläne der DDR erinnert, bei denen ebenfalls schon vorher immer klar war, daß sie nicht erfüllt werden. Ichhabe Sie unter anderem auf das Defizit allein bei der Bundesanstalt für Arbeit von über 5 Milliarden DM und darauf hingewiesen, daß die von Ihnen geschätzten Steuereinnahmen nie zutreffen könnten.
Das sollte Sie, finde ich, aus zwei Gründen nachdenklich machen: Wenn schon ich, der ich ja kein Finanzexperte bin, was ich auch nie behaupten würde, in der Lage bin, mit dem kleinen Stab der Bundestagsgruppe der PDS realer zu rechnen als Sie mit Ihrem gesamten Bundesfinanzministerium - und das, obwohl ich damals erst sechs Jahre lang dieser Bundesrepublik Deutschland angehörte -, dann muß Sie das so tief demütigen, daß Sie schon allein deshalb Ihren Rücktritt erklären müßten. Sie können doch nicht zulassen, daß ich besser rechnen kann als Sie. Das ist sozusagen eines der schlechtesten Zeugnisse, das Sie sich ausstellen können.
Oder aber - das ist die zweite Möglichkeit - Sie hatten gar nicht falsch gerechnet, sondern Sie wußten von vornherein, daß der Haushalt nicht stimmt. Dann aber hatte dieser Haushalt ein betrügerisches Element, und dann ist der Grund zurückzutreten noch viel zwingender. Es gibt eigentlich kein Ausweichen aus dieser Falle.
Nun höre ich heute in den Nachrichten, daß Sie die erwarteten Haushaltslöcher durch den Verkauf von Telekom-Aktien, durch weitere Sozialkürzungen und durch den Verkauf des Goldschatzes der Bundesbank stopfen wollen. Was die Telekom-Aktien betrifft, würde das bedeuten, das Gesetz zu verändern, das ursprüngliche Versprechen zu brechen und auf weitere Einnahmen der Bundesrepublik Deutschland zu verzichten. Was den Goldschatz betrifft, da, muß ich sagen, sind nun alle Grenzen überschritten. Die Substanz der Bundesrepublik Deutschland könnte man vielleicht angreifen, wenn wir hier eine riesige Naturkatastrophe hätten, wenn wir vor einer Hungersnot stünden, aber nicht, um ein Stück Papier aus Maastricht zu realisieren. Das rechtfertigt nicht den Verkauf der Bundesrepublik Deuschland. Auch Sie
Dr. Gregor Gysi
haben dazu nicht das Recht, und das würde den Eid verletzen, den Sie hier geleistet haben.
Sie haben gesagt: Alle Besitzstände in allen Bereichen müssen auf den Prüfstand. Herr Bundesfinanzminister, ich mache mir immer große Sorgen, wenn Sie alle Besitzstände auf den Prüfstand stellen. Denn dann kommt immer dasselbe heraus: Sie schauen sich die Besitzstände an, schauen zweimal hin, und dann fällt Ihnen plötzlich auf, daß es der Sozialhilfeempfängerin in Erfurt oder in Hamburg noch immer zu gut geht. Dann fangen Sie dort an zu kürzen. Gleichzeitig stellen Sie fest, daß es Frau Thurn und Taxis noch immer zu schlecht geht, und dann schenken Sie ihr die Vermögensteuer.
Wenn ich irgendwie eine Gewähr dafür hätte, daß Sie einmal bei den Besserverdienenden, bei den Reichen und bei den Vermögenden zulangen würden, hätte ich nichts dagegen, daß Sie auch die Besitzstände anderer prüften. Aber wenn Sie deren Besitz nur immer erhöhen, dann lassen Sie es lieber bleiben.
- Das können Sie doch nicht leugnen. Sie können doch nicht leugnen, daß die Armut in der Bundesrepublik Deutschland in den letzten Jahren ständig größer geworden ist, aber ebenso der Reichtum. Sie weigern sich ja nicht nur - und das nicht grundlos -, in diesem Bundestag einen Armutsbericht vorzulegen. Sie weigern sich ja auch, einen Reichtumsbericht vorzulegen, weil Sie nämlich wissen, was dabei herauskäme:
das Eingeständnis, daß die Zahl der Millionäre und selbst der Milliardäre ständig zunimmt, während auf der anderen Seite die Armut wächst.
Sie haben hier Herrn Schröder kritisiert, Herr Haussmann, und gesagt, er würde sich so europakritisch äußern. Sie haben natürlich vergessen, auf Herrn Stoiber hinzuweisen, von dem sehr ähnliche Töne zu hören sind. Aber Sie haben noch etwas anderes vergessen.
- Von Gauweiler, von ganz außen will ich hier gar nicht sprechen.
Ich will noch auf etwas anderes hinweisen. Sie appellieren daran, daß man über den Euro im Wahlkampf nicht sprechen soll. Wenn der aber so ein Segen ist, dann müßten Sie daran interessiert sein, ihn zum Thema zu machen. Sie haben doch Ihre Gründe, darüber vor der Bevölkerung nicht zu sprechen, die Bevölkerung nicht zu informieren und einen Volksentscheid zu verweigern. Wieso darf die Bevölkerung über ihre eigene Souveränität eigentlich nicht mitentscheiden wie in anderen europäischen Ländern?
Deshalb haben wir den Antrag auf einen Volksentscheid eingebracht.
Es wird von den Euro-Befürwortern zum Teil sehr viel Hehres geschildert. Da ist von Krieg und Frieden die Rede, auch bei den Grünen.
- Auch bei dir, Joschka Fischer. Nun sage ich dir einmal eines, höre jetzt einmal zu: Im Augenblick kann ich die Gefahr eines Krieges zwischen Großbritannien, Frankreich und Deutschland auch bei getrennter Währung nicht erkennen. In Sarajevo, Zagreb und Belgrad hatten wir eine Währung, aber das hat den Krieg nicht verhindert.
Die Politik von Krieg und Frieden ist eine Frage von politischen, ökonomischen und sozialen, auch noch von ethnischen und religiösen Spannungen. Das ist nicht in erster Linie eine Währungsfrage.
Im Zusammenhang mit der europäischen Integration weiß doch jeder: Wenn wir in einem Kerneuropa - wie es schon immer der Vorstellung des Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU Schäuble entsprach - die Europäische Währungsunion einführen, dann hängen wir den Rest Europas ab. Die Unterschiede werden nicht geringer, sondern sie werden größer, gerade zu Ost-, aber auch zu Südeuropa. Das heißt, das Ganze, so wie es angelegt ist, ist nicht integrativ, sondern spaltend, antiintegrativ.
Außerdem drängt der Bundesfinanzminister so sehr darauf - hier wurde auch vom Export gesprochen -, weil er sich davon Expansion und Hegemonialstreben verspricht. Es ist also nicht gegen Großmachtrollen gerichtet, sondern - auch Frau Wieczorek-Zeul hat es so begründet - um den Großmächten, sozusagen den USA und Japan, irgendwie entgegenzuwirken,
müsse man selber eine Großmacht werden. Dahinter stecken aber nicht ganz ungefährliche Gedanken; das darf ich doch an dieser Stelle betonen.
Aber das Entscheidende ist doch etwas anderes. Natürlich kann als Ergebnis eines europäischen Integrationsprozesses nach Angleichung der Gesellschaften irgendwann auch eine Währungsunion stehen. Sie könnte den Abschluß einer solchen Entwicklung bilden. Aber hier soll doch über die Währungsunion die Angleichung der Gesellschaften erzwungen werden, aber so, daß die Standards alle nach unten gehen.
Wir haben keine wirkliche Sozialunion. Es gibt keine Absicherung der ökologischen Standards. Es gibt kein Beschäftigungsprogramm für die Europäi-
Dr. Gregor Gysi
sche Union. Die Demokratie wird nicht weiterentwikkelt, sondern zurückgeschraubt. Die Befugnisse des Europäischen Parlaments sollen nicht erweitert, sondern eher eingeschränkt werden. Wir haben keine Steuerharmonisierung.
Wenn man dann eine einheitliche Währung einführt, heißt das doch, daß ab diesem Tag schon aus Kostengründen die niedrigsten Standards gelten. Dann werden diese Regierung und dieser Bundestag permanent in die Zwangslage gebracht, daß über den Euro Sozialabbau, Steuerabbau und ein Abbau ökologischer Standards erzwungen werden. Dann kann man sich dem nicht einmal mehr ökonomisch verschließen.
Deshalb sage ich: Zunächst ist es erforderlich, die sozialen und ökologischen Standards auf möglichst hohem Niveau anzugleichen, überall ähnliche Rechtsmittel und Rechtsverfahren zu gestalten, die Steuern anzupassen und ein europäisches Beschäftigungsprogramm zu entwickeln. Wenn das alles realisiert ist, kann es am Schluß auch eine europäische Währungsunion geben. Wer erst die europäische Währungsunion einführt, wird Massenarbeitslosigkeit, Lohndumping und Sozialabbau provozieren.
Das, mein lieber Joschka Fischer, wird dann die Stunde des Rechtsextremismus sein, weil er nämlich über die Internationalisierung begründet, daß es zu diesem Lohndumping und diesem Sozialabbau gekommen ist. Damit würde er den Nationalismus schüren. Wer den Rechtsextremismus und den Nationalismus bekämpfen will, darf beim Euro keinen falschen Weg gehen. Wer zuläßt, daß der Euro mit Einsparungen, mit Sozialabbau und mit Lohndumping verbunden ist, wird den Rechtsextremismus befördern.
Wenn im übrigen hier immer damit gedroht wird, daß Unternehmen auswandern und Kapital abwandert, dann stelle ich die Gegenfrage: Warum unternehmen wir nichts dagegen? Wer hindert uns denn zum Beispiel an der Einführung einer Kapitaltransfersteuer? Das ginge EU-weit und auch speziell in ,Deutschland. Es gibt keine Währungsspekulation mehr, die nicht an Frankfurt am Main vorbei muß; das gleiche gilt für London, Tokio, Luxemburg und Washington. Immer wenn Kapital über Frankfurt am Main transferiert wird, könnte der Bundesfinanzminister seine Hand aufhalten. Dann hätten wir auch genügend Geld, um eine Beschäftigungspolitik in Deutschland zu organisieren.
Ich glaube, das ist der falsche Weg, und deshalb müssen wir - -
- Nein, der falsche Weg ist die Art und Weise, wie Sie den Euro unter Ausschluß der Öffentlichkeit einführen wollen, indem Sie darüber nicht reden wollen. Das alles kommt darin zum Ausdruck, daß Sie den Volksentscheid fürchten und deshalb ablehnen. Das ist die Wahrheit.
Billige Polemik, von der Sie hier sprechen, hat der Bundesfinanzminister außerdem auch schon Frau Wieczorek-Zeul vorgeworfen.
Mir ist Polemik, die billig ist, immer noch lieber als Ihre Polemik, die dem Volk inzwischen so teuer gekommen ist, daß man schon deshalb über einen Wechsel sehr gründlich nachdenken müßte.
Deshalb sage ich Ihnen am Schluß: Antieuropäisch ist nicht derjenige, der vor einer falschen europäischen Währungsunion warnt und sagt: ,,Euro - so nicht!", sondern derjenige, der mit Maastricht ständig Einsparungen begründet und dadurch täglich antieuropäische Angste in der Bevölkerung schürt.
Das beflügelt Nationalismus und Rechtsextremismus, nicht das umgekehrte Verhalten. Darüber sollten Sie nachdenken.
Für die zweite Runde erhält jetzt unser Kollege Dr. Gero Pfennig das Wort.
Frau Kollegin Matthäus-Maier, richtigerweise müßten Sie dann schon von Euro-Cent sprechen.
Wir haben eben die Rede des Gruppenvorsitzenden einer im Deutschen Bundestag vertretenen Partei gehört, die zu den engagiertesten Euro-Gegnern gehört und deshalb nichts ausläßt, um irgendwelche dahergeholten Argumente gegen den Euro vorzubringen.
Meine Damen und Herren, die Wirtschafts- und Währungsunion ist das Kernstück des Vertrages von Maastricht, der hier mit überwältigender Mehrheit und auch im Bundesrat mit der erforderlichen Mehrheit ratifiziert wurde. Ich erinnere nur deswegen daran, weil die Diskussionen der vergangenen Wochen und Monate zeigen, daß manche von dieser Zustimmung nichts mehr wissen wollen. Es gibt einige, die ziehen über den Euro her, als ob es vertragliche und völkerrechtliche Bindungen weder nach innen
Dr. Gero Pfennig
noch gegenüber unseren Partnern nach außen gäbe und als ob es in unserem freien Belieben stünde, in die Währungsunion einzutreten oder nicht. Beides ist falsch. Mit der Zustimmung zum Maastricht-Vertrag haben wir klar und unmißverständlich für die Einführung der Währungsunion votiert. Wir sind dazu verpflichtet, den Euro einzuführen, wenn die im Maastrichter Vertrag genannten Kriterien erfüllt sind. Es geht also nicht darum, den Euro auf Biegen und Brechen einzuführen, sondern gemäß den vertraglich vorgesehenen Voraussetzungen und Kriterien - nicht mehr und nicht weniger. Nur wenn diese erfüllt sind, wird Deutschland wie jeder andere Mitgliedstaat bei der dritten Stufe dabei sein.
Nun ist es natürlich sehr einfach, durch Verengung der Kriterien und Aufstellung von Zusatzbedingungen, die mit dem Maastrichter Vertrag und seinen Kriterien gar nichts zu tun haben, den Eindruck zu erwecken, man könne die Voraussetzungen für die Einführung des Euro nicht erfüllen und deshalb sei Deutschland nicht dabei. Das nennt man „sich durch die Hintertür aus der Verantwortung stehlen".
Ich will deshalb heute gar nicht auf die einzelnen wirtschafts- und finanzpolitischen Risiken einer solchen Argumentation eingehen, sondern - der Kollege Gysi hat mich gerade dazu herausgefordert - ein paar grundsätzliche Dinge zur Bedeutung sagen.
- In diesem Falle komme ich der Herausforderung gerne nach.
Die Europäische Gemeinschaft ist von ihren Mitgliedern nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen, sondern auch aus politischen Gründen geschaffen worden; darüber sind wir uns ja wohl einig. Es war das Verdienst Adenauers, zu sehen, daß die Integration Deutschlands in Europa der Schlüssel zu einer dauerhaften wirtschaftlichen und politischen Entwicklung des Kontinents war. Wegen des tatsächlich eingetretenen Erfolges ist die Europäische Union nach wie vor ein Magnet für die Staaten in Europa, die ihr nicht angehören. Wir sehen ja, wie stark sie in die Union hinein wollen.
Worum wir im Augenblick miteinander streiten, ist die Frage: Welche Veränderung braucht die Europäische Union in ihrem Zuschnitt, um nicht in einen Rückschritt zu geraten gegenüber anderen großen Regionen, Nordamerika und Asien, die stetig voranschreiten und sich ebenfalls enger zusammenschließen? Eine der Entscheidungen war, den Euro und die Wirtschafts- und Währungsunion einzuführen. Die andere Entscheidung wird sein, die Europäische Union politisch, strukturell und institutionell so fit zu machen, daß wir die Vollendung des Hauses Europa bis zum Ende dieses Jahrhunderts voranbringen.
Die Nichtexistenz einer europäischen Währung - das haben schon Redner vor mir gesagt - hat in den vergangenen Jahren zu Währungsturbulenzen mit Verlusten von Hunderttausenden von Arbeitsplätzen nicht nur in Deutschland, sondern in der gesamten Europäischen Union geführt. Das wird durch die Einführung des Euro in Zukunft verhindert. Darüber hinaus wird auf lange Dauer für wirtschaftliche Konvergenz zwischen den Mitgliedstaaten gesorgt. Dazu dient auch der Stabilitätspakt, den Bundesfinanzminister Waigel initiiert hat.
Mit dem Euro wird Europa politisches Gewicht bekommen. Mit dem Euro wird Europa als politische Einheit „Europa" auf der Weltkarte vorhanden sein. Ich betone deshalb nochmals: Der Euro hat für uns nicht nur lebenswichtige wirtschaftliche Bedeutung, sondern ist gleichzeitig ein Symbol für Europa auf der Weltkarte.
Deswegen bemühen wir uns, die politischen Voraussetzungen im Maastricht-Vertrag weiter voranzubringen. Das werden wir so lange tun, notfalls noch mit der nächsten Konferenz, bis wir es geschafft haben. Ob wir es geschafft haben, stellen wir Ende 1997 bei der Maastricht-II-Konferenz fest. Ob wir die Voraussetzungen für die Währungsunion erfüllen und wer sie erfüllt, stellt die Europäische Union Anfang 1998 und stellen die nationalen Parlamente ebenfalls Anfang 1998 fest.
Es ist durchaus bezeichnend, daß diejenigen in Deutschland, denen die Vereinigung Europas zuwider ist und die diese Entwicklung beim Bundesverfassungsgericht mit einer Klage gegen den Maastrichter Vertrag zu Fall bringen wollten, nunmehr auch an der Spitze der Anti-Euro-Bewegung stehen.
Diese Entwicklung gibt es natürlich nicht nur in Deutschland, sondern auch in Dänemark, Frankreich, Großbritannien und anderswo.
Um es ganz klar zu sagen: Ich meine nicht diejenigen, die sich ernsthaft Sorgen machen, ob der Euro eine stabile Währung wird und die Erstteilnehmer als Garantiemächte für die Stabilität tatsächlich die Voraussetzung erfüllen können. Das ist das gemeinsame Anliegen aller, die den Euro wollen; denn nicht politische und vertragliche Textvorgaben bestimmen den Wert und die Stabilität des Euro, sondern das Vertrauen der Märkte und hier wiederum das Vertrauen außereuropäischer Märkte.
Deshalb ist es gut, daß bereits jetzt viele Mitgliedstaaten die gesteckten Konvergenzziele erreicht haben, sich die Inflationsrate so weit nach unten bewegt hat, wie es der Kollege Haussmann dargestellt hat, und die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte weit vorangeschritten ist - übrigens auch in allen sozialdemokratisch und sozialistisch regierten Staaten. Wenn ich mich recht erinnere, wirft in Portugal die bürgerliche Opposition der sozialdemokratischen Regierung deswegen unverantwortlichen Sozialabbau vor. Wir haben eine nie gekannte Stabilitätskultur in Europa erreicht.
All dies wollen die Euro-Gegner mit ihrer Angstkampagne vergessen machen. Keine Behauptung ist dabei zu lächerlich, bis hin zu solchen Behauptun-
Dr. Gero Pfennig
gen, der Euro gefährde die Idee vom schlanken Staat, weil die Kommunalverwaltungen für die Umstellung auf den Euro ihre Bürokratie ausbauen müßten. So habe ich es jetzt gelesen. Man fragt sich, ob es nicht besser wäre, den Kopf dafür anzustrengen, daß auch die Verwaltung die Bürger reibungslos mit Euro-Abrechnungen bedienen kann. Das wäre doch wohl der richtige Weg.
Ich freue mich, daß die SPD mit ihrem heutigen Antrag zeigt, daß sie für die fristgerechte Einführung des Euros und für die Weiterentwicklung der Politischen Union eintritt. Noch schöner allerdings - das muß ich den Kolleginnen und Kollegen von der SPD sagen - wäre es, wenn auch führende Repräsentanten der Opposition wie Gerhard Schröder den Euro-Gegnern nicht ständig neue Diffamierungsstichworte liefern würden. Ich meine Schröders neuerliches Plädoyer für eine Verschiebung und seinen Spruch: Die Währungsunion könnte uns so viel wie die Wiedervereinigung kosten. - So etwas kann doch wohl nur jemand sagen, dem schon die Wiedervereinigung nicht ins Konzept paßte und den wir deshalb fragen müssen, ob ihm eigentlich auch die europäische Einigung und der Euro nicht ins Konzept passen.
- Was heißt denn „vorsichtig"? In der „Hannoverschen Allgemeinen" vom 27. September 1989 hat er eine auf die Wiedervereinigung gerichtete Politik als reaktionär und hochgradig gefährlich bezeichnet.
Ich habe nicht gesagt, daß er dasselbe über den Euro sagt.
Mich verwundert an dem SPD-Antrag, daß im Zusammenhang mit der Euro-Einführung echte Fortschritte beim weiteren Ausbau der Politischen Union gefordert werden, gleichzeitig aber deren Verwirklichung abgelehnt werden soll, Frau Wieczorek-Zeul, wenn nicht Regelungen für eine aktive Beschäftigungspolitik gefunden werden. Dabei ist doch bekannt, daß diese SPD-Forderung nicht einmal von den sozialistischen und sozialdemokratischen Regierungen in den EU-Mitgliedstaaten unterstützt wird. Hinter Ihrem Schlagwort „aktive Beschäftigungspolitik" verbirgt sich nämlich im wesentlichen die Forderung nach kostspieligen Beschäftigungsprogrammen der Europäischen Union. Derartige Programme haben sich doch schon auf nationaler Ebene überall - in Schweden, in Frankreich, in den Niederlanden - als wirkungslos erwiesen. Nirgendwo hat sich gezeigt, daß Staaten mit der höchsten Staatsverschuldung auf Dauer die beste Beschäftigungssituation haben. Eher ist doch das Gegenteil der Fall. Deshalb ist der Abbau der Staatsverschuldung überall in den Mitgliedstaaten betrieben worden. Die Folge davon ist, daß wir damit auch die Erfüllung der Kriterien für die Einführung des Euros erreicht haben.
Ich frage mich im übrigen, woher die Europäische Union das Geld für derartige Beschäftigungsprogramme überhaupt nehmen soll. Die Kassen der Mitgliedstaaten jedenfalls können mangels Masse dafür nicht herangezogen werden. Im übrigen haben Sie möglicherweise vergessen, daß die Europäische Union mit ihren Geldern und ihren Strukturfonds die ärmsten Regionen unterstützen soll, wozu nur die wenigsten Regionen in Deutschland zählen. Ich halte es daher eher mit dem Ansatz der nordischen sozialdemokratischen Regierungen oder der britischen Labour-Regierung: Koordinierung der Beschäftigungspolitik, um volle Flexibilisierung in Europa zu erreichen, aber keine nutzlosen EU-Beschäftigungsprogramme.
Schon gar nicht finde ich es richtig, dieses Thema auf dem Umweg Maastricht-II-Konferenz mit der Einführung des Euros zu verbinden. Zu leicht könnte es nämlich als vertragswidrige Zusatzforderung verstanden werden. Das sollten wir uns alle in diesem Hause verkneifen.
Für die CDU/CSU-Fraktion ist die Realisierung der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion der wichtigste gegenwärtig anstehende Schritt im europäischen Einigungsprozeß. Die Verschiebung der Währungsunion, wie zum Beispiel von Herrn Schröder gefordert, wäre ihre Beerdigung für mindestens eine Generation.
Die politischen und wirtschaftlichen Folgen für Europa und Deutschland wären katastrophal. Darauf hat Jacques Delors, der frühere Präsident der EU-Kommission und französische Sozialist, hingewiesen. Für die Unionsfraktion gilt: Der Euro kommt: mit Deutschland, zu dem im Vertrag vorgesehenen Zeitpunkt und unter strikter Einhaltung der Konvergenzkriterien.
Ich erteile jetzt dem, Fraktionsvorsitzenden der SPD, Rudolf Scharping, das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Verwirklichung der Wirtschafts- und Währungsunion in Europa ist ein Eckpfeiler der weiteren europäischen Integration. Sie ist ein wesentliches Element des wirtschaftlichen Fortschritts. Sie ist für die dauerhafte Sicherung von Frieden in Europa unverzichtbar.
Wir reden also hier über einen wirklich grundlegenden politischen Schritt.
Rudolf Scharping
Ich finde es zunächst gut, daß wir - mit wenigen Ausnahmen - im Ziel und in der Wertschätzung der europäischen Integration offenkundig einig sind.
Insofern bedauere ich ausdrücklich, daß hier in manchen Reden, in manchen Debatten, die außerhalb dieses Parlamentes in mancher europäischer Hauptstadt vermutlich viel sorgfältiger verfolgt werden, als hier zugehört wird zum Teil wirklich kümmerlich und kleinkariert mit parteipolitischer Münze hin- und hergewechselt wird.
Ich finde das schon deswegen bedauerlich, weil bei der Bundesregierung zu Recht angemahnt werden muß, daß wegen der großen Bedeutung des Themas, über das wir reden, wenigstens Klarheit in den Zielen und Nachprüfbarkeit der Argumente zählen sollte. Wenn beispielsweise im Zusammenhang mit diesem Projekt der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion - das muß man immer wiederholen: Wirtschafts- und Währungsunion - von Vertretern der Bundesregierung gesagt wird, wie Herr Waigel das in einem Interview mit dem „Spiegel" erklärt hat, daß man nämlich wegen des 3-Prozent-Kriteriums an weiteren Einsparungen vor allem bei der Sozialhilfe nicht vorbeikomme,
dann kann ich nur sagen: Das ist natürlich eine Art der Argumentation, die bei den Bürgern nur Befürchtungen auslöst - übrigens nicht nur bei den Betroffenen.
Ich will auf den Widerspruch aufmerksam machen, der darin besteht, daß heute ein anderes Mitglied der Bundesregierung, nämlich Herr Seehofer - in diesem Fall, finde ich, völlig zu Recht -, gesagt hat, bei Sozialhilfeempfängern, Arbeitslosen, Pflegebedürftigen oder Rentnern sei die Grenze der sozialen Verantwortbarkeit erreicht. Er hat recht.
Ich frage nur: Wie, meine Damen und Herren, wollen Sie Klarheit in Ihrer Politik, wie Überzeugungskraft herstellen, wenn binnen weniger Wochen ein Mitglied der Bundesregierung einem Nachrichtenmagazin sagt, die Sozialhilfe müsse noch weiter heruntergefahren werden, und ein anderes Mitglied der Bundesregierung erklärt, da sei die Grenze der sozialen Verantwortbarkeit erreicht?
Das gilt auch für einen anderen Punkt, der im Zusammenhang mit Stabilität, Klarheit von Überzeugung, Verläßlichkeit des Handelns außerordentlich bedeutsam ist. Wenn sich der Bundesfinanzminister an diesem Tag, an dem die Zahlen der Steuerschätzung bekanntgegeben werden, hier hinstellt und in den ersten Bemerkungen seiner Rede Herrn Apel als Zeugen für seine Politik anruft, dann kennzeichnet das eine verzweifelte Situation - mehr nicht; einmal abgesehen davon, daß es keinen sonderlich hohen Wahrheitsgehalt beanspruchen kann.
Verehrter Herr Kollege Waigel, Sie haben sich in Ihrer Rede auch zu den Maastricht-Kriterien geäußert. Gleichzeitig läßt sich heute ein Mitglied der Koalition - immerhin der Chef jener kleinen Klientelpartei - vernehmen, daß jede Deckung der Haushaltslöcher besser über Neuverschuldung als über Steuererhöhung erfolge. Ich frage: Wie muß es bei Ihnen angesichts einer solchen Lage, die Sie selber herbeigeführt haben, durcheinandergehen?
Wieviel Boden für billigen Populismus der Art Gysi, wie er ihn hier dargeboten hat, wollen Sie eigentlich noch bereiten? Wieviel Boden für billigen Populismus der Art Stoiber oder Gauweiler wollen Sie eigentlich noch bereiten? Ihre Unsicherheiten, Ihre Unklarheiten, Ihre mangelnde Verläßlichkeit, Ihr miserables Ergebnis der Finanzpolitik und Ihr Versuch, das alles durch europäische Integration und angebliche europäische Zwänge 'zu bemänteln - das ist doch der Grund für die tiefe Verunsicherung in der Bevölkerung und für den Boden, der daraus entsteht.
Nein, wir reden über einen Eckpfeiler der weiteren europäischen Entwicklung. Es hat sich herausgestellt, daß der Nationalstaat für die Lösung der großen Probleme zu klein ist, und möglicherweise ist er zu groß für die Lösung der alltäglichen Probleme vor Ort. Das heißt nicht, daß er abdankt. Das heißt aber, daß sich im Zusammenhang mit der europäischen Integration und der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion Politik über eines klarbleiben muß: Wir reden hier' hinsichtlich des globalen Wettbewerbs, hinsichtlich seiner Verschärfung im Kern über die Frage, ob ein bestimmtes, spezifisches Modell des Zusammenlebens von Menschen, der Zivilisation, wie sie in Europa gewachsen ist, in den nächsten Jahrzehnten ökonomisch noch behauptet werden kann oder ob es ruiniert werden wird.
Es geht also nicht darum - wie Herr Waigel in jenem „Spiegel" -Interview gesagt hat -, sich auf die Schulter zu klopfen nach dem Motto: Wir sind Nummer eins in Europa. Denn wenn Europa seine Interessen nicht bündelt und nicht gemeinsam verwirklichen kann, dann wird es in der Welt die Nummer drei sein, und dann wird es uns nichts nutzen, die Nummer eins in Europa zu sein.
Wenn die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion ein gemeinsames Projekt und eine gemeinsame Zielsetzung ist, dann ist die erste gemeinsame Verpflichtung, klarzumachen, daß sie ein Projekt zur
Rudolf Scharping
Befestigung, zur Bewahrung und zur künftigen Verteidigung unserer Kultur und unserer Zivilisation ist.
Die zweite gemeinsame Verpflichtung wäre, dafür zu sorgen, daß Stabilität nicht durch ausschließlich fiskalisch orientierte Kriterien definiert wird - schon gar nicht durch eine sehr spezifische Interpretation von Kriterien, wie sie in den Verträgen stehen.
Diese Interpretation, Herr Waigel, erfolgt doch nicht, weil sie in den Verträgen steht. Sie erfolgt doch nicht, weil das mit anderen Regierungen einvernehmlich vereinbart worden wäre. Diese Interpretation, die Sie dem deutschen Volk bieten, erfolgt doch aus Ihrem Bedürfnis, erneut einen Sündenbock für Ihre Politik zu finden und damit die Akzeptanz der europäischen Integration zu beschädigen. Ich unterstelle Ihnen nicht, daß Sie das wollen; das Ergebnis ist aber so.
Stabilität kann man nur umfassend haben: in der wirtschaftlichen Entwicklung, auf den Arbeitsmärkten und beim Geld. Wer den Zusammenhang zerreißt und sich nur auf fiskalische Stabilität konzentriert, der ruiniert die Stabilität der wirtschaftlichen Entwicklung und der Arbeitsmärkte.
Es ist richtig, das Projekt selbst hat in Europa erstaunliche Konvergenz ermöglicht: Konvergenz in den Preisentwicklungen, Konvergenz in den Zinsentwicklungen, Konvergenz im Denken über den Zusammenhang von wirtschaftlicher Entwicklung und Verschuldung.
Es ist allerdings auch wahr, daß die Ignoranz gegenüber dem Weißbuch der Europäischen Kommission aus dem Jahr 1993 und diese neoliberale Verfälschung des Vertrages und des Weißbuchs am Ende dazu beitragen werden, daß die Stabilität der Arbeitsmärkte und der sozialen Beziehungen ruiniert wird. Geld ist aber nur so viel wert und Geld genießt nur so viel Vertrauen, wie wirtschaftliche Kraft und Verläßlichkeit der politischen Rahmenbedingungen dahinterstecken. Sonst ist auch das Vertrauen in das Geld bald kaputt.
Das ist der Grund, weshalb wir für ein Beschäftigungskapitel im europäischen Vertrag werben - nicht für irgendein europäisches Konjunkturprogramm, wie der Kollege Pfennig hier gesagt hat. Wir werben dafür übrigens in voller Übereinstimmung mit allen von den Sozialdemokraten geführten und mitbestimmten Regierungen, übrigens sogar in Übereinstimmung mit der französischen Regierung.
Man kann doch nicht daran vorbeisehen, daß Ihre sehr spezifische - wie ich finde, verfälschende - Interpretation des Vertrages - insbesondere die seiner Art. 103 ff. - am Ende auch zu einer massiven Belastung des deutsch-französischen Verhältnisses geführt hat. Es ist doch die Wahrheit, daß die französische Regierung schon nach dem Amtsantritt des Präsidenten Chirac versucht hat, eine gemeinsame Beschäftigungspolitik, eine Koordination bis hin zu gemeinsamen Investitionsprogrammen hinzubekommen. Es ist die Wahrheit, daß Sie das blockiert haben.
Es ist leider auch richtig, daß viele in Europa enttäuscht, besorgt und zum Teil aufgebracht sind angesichts dieser belehrenden - um nichts Schlimmeres zu sagen - Haltung der deutschen Regierung und des Präsidenten der Deutschen Bundesbank, angesichts einer deutschen Politik, die heute mit dem Ergebnis der Steuerschätzung erneut ihre Unglaubwürdigkeit bestätigt bekommt, nämlich in Europa zu fordern, was man zu Hause selber nicht bewerkstelligen kann.
Ich nenne das, Herr Kollege Waigel, deshalb eine „verfälschende Interpretation", weil Sie mit der Art, wie Sie mit den Kriterien umgehen, das deutsche Volk und die deutsche Öffentlichkeit glauben machen wollen, es gäbe keine Bestimmungen wie beispielsweise jene in Art. 103 des Vertrages, der Sie verpflichtet, die Wirtschaftspolitik zu koordinieren. Nichts wird von seiten der deutschen Bundesregierung getan, um die Wirtschaftspolitik zu koordinieren;
schon gar nicht wird etwas getan, um sie in Europa auf nachhaltiges Wachstum und auf Stabilisierung der Arbeitsmärkte auszurichten. Sie haben sich darauf konzentriert, über Preise, Zinsen und das Defizitkriterium zu reden. Das ist auch alles richtig und in Ordnung. Aber ich mache Sie darauf aufmerksam: Wenn es uns in Europa nicht gelingt, über eine gemeinsame Steuer- und Finanzpolitik, über eine gemeinsame Arbeitsmarktpolitik und ihre Koordination, auch über gemeinsame Grund- und Rahmenbedingungen für die wirtschaftliche Entwicklung etwas gegen die Arbeitslosigkeit zu tun, dann wird dieses Projekt am Ende in Gefahr geraten.
Es geht also um mehr: Es geht um die wirtschaftliche Entwicklung, um die Arbeitsmärkte, um die sozialen Beziehungen und natürlich auch um die Relation der Währungen untereinander, um die Preisstabilität und die Harmonisierung der Steuerpolitik. Ich will nicht bestreiten, daß im Ecofin-Rat hinsichtlich der Steuerpolitik das eine oder andere mittlerweile besprochen wird. Aber wie lange hat das gedauert?
Und warum müssen Sie diese ja richtigen Bemühungen im europäischen Zusammenhang in Deutschland denunzieren und jeden, bis hin zum Parteivorsitzenden der SPD,
Rudolf Scharping
beschimpfen, er sei ein Illusionist, er weiche den Problemen aus usw., wenn in Deutschland eine internationale Kooperation gefordert wird,
die Sie im Ecofin-Rat gerade in unzureichender Weise herbeizuführen versuchen?
Ich will damit sagen: Es nutzt überhaupt nichts, wenn versucht wird, bei der Diskussion dieses Projektes den parteipolitischen Vorteil zu suchen.
Jedes populistische, jedes nationalistische, jedes parteipolitische Gerede in diesem Zusammenhang verbietet sich.
Aufklärung: ja, Streit um die Verwirklichung einer Idee: ja;
aber nicht nach der Methode: Wir orientieren uns an der nächsten Umfrage, wenn sie uns einen kurzfristigen Vorteil verspricht, und kümmern uns nicht um den langfristigen Schaden der europäischen Ent- wicklung.
Vor diesem Hintergrund füge ich hinzu, daß es nicht nur an der Koordination der Wirtschaftspolitik, nicht nur am Willen zur Kooperation fehlt. Geben Sie bitte auch diese belehrende Attitüde gegenüber unseren europäischen Freunden und Nachbarn, im Deutschen Bundestag und auch gegenüber dem deutschen Volk auf! Herr Kollege Waigel, wer, wenn er über die Sache selbst redet, so redet wie Sie, nämlich mit einer Mischung aus einer fast angstvollen parteipolitischen Polemik und einer Technokratensprache, der überzeugt niemanden:
weder den Menschen, der auf einen Arbeitsplatz hofft, noch den Menschen, der will, daß seine Kinder eine Ausbildungsstelle bekommen,
noch überzeugt er jene, die Sorge darüber haben, was mit dem Wert ihres Grundstücks, ihrer Lebensversicherung, ihrer Rente oder anderem sein wird.
Der Euro kann und wird eine stabile Währung sein, wenn es den Regierungen und den Volkswirtschaften gelingt, die Kriterien nicht nur fiskalisch zu begreifen, sondern die Stabilität umfassend, in der
Wirtschaft, auf den Arbeitsmärkten und in bezug auf den sozialen Frieden, zu verwirklichen. Wenn man das so auffaßt, dann ist weder in der Realität noch aus dem Vertrag ein Widerspruch zwischen Zeitplan und fiskalischen Kriterien herzuleiten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir uns der Verantwortung bewußt bleiben wollen, die wir eingegangen sind, die wir völkerrechtlich verbindlich ratifiziert haben, dann können wir nicht so tun, als ob uns das Ergebnis einer Landtagswahl, einer Umfrage oder was auch immer von diesem Weg abbringen könnte. Es geht um ein einziges Ziel, nämlich um eine stabile europäische Entwicklung mit möglichst vielen Teilnehmern in der Wirtschafts- und Währungsunion; es geht um eine stabile, friedliche Entwicklung in Europa in einem umfassenden Sinne: ökonomisch, sozial und fiskalisch, aber nicht nur fiskalisch. Tragen Sie endlich Ihren Teil dazu bei! Machen Sie in Deutschland Ihre Hausaufgaben, anstatt sich billig aus der Verantwortung zu stehlen, wie die Steuerschätzung leider beweisen wird.
Ich erteile nach Art. 43 Absatz 2 Grundgesetz dem Bundeswirtschaftsminister, Dr. Günter Rexrodt, das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Scharping, Sie haben sich gerade hingestellt und der Bundesregierung unterstellt, sie tue nichts, um die Wirtschaftspolitik in Europa zu koordinieren, sie tue nichts, um die Wirtschaft auf Wachstumskurs zu bringen. Meine Damen und Herren, das ist billige Polemik.
Wir setzen alles daran, damit die Wirtschaft in Deutschland wieder Tritt faßt und wir mit der Arbeitslosigkeit fertig werden. Diesem Ziel dient unsere Steuer- und Rentenpolitik, diesem Ziel dienen die Reformen im Gesundheitswesen, die Ostförderung und die Außenwirtschaftspolitik.
Die Opposition wäre überzeugender, wenn sie versuchte, ein besseres Konzept anzubieten. Nur, ich sehe dieses Konzept nicht. Ich sehe nur, daß Sie unsere Politik - im Bundesrat und wo immer Sie können - blockieren und damit die Reformen verhindern, die wir in diesem Land dringend brauchen.
Die Bemühungen in Richtung Euro sind Bestandteil dieser Politik.
Die europäische Wirtschafts- und Währungsunion wird nicht automatisch alle Probleme in Deutschland lösen, aber ohne die Wirtschafts- und Währungsunion sind dauerhaftes Wachstum,
Bundesminister Dr. Günter Rexrodt
die Expansion der Wirtschaft, die Erschließung neuer Beschäftigungsfelder, beispielsweise durch grenzüberschreitende Dienstleistungen oder bei den freien Berufen und die Steigerung des Handels auf diesem Kontinent nicht möglich.
Wir sind entschieden gegen eine Verschiebung der Wirtschafts- und Währungsunion, weil diese Verschiebung Risiken mit sich bringt, die auch negative Wirkungen für den Arbeitsmarkt hätten.
Deshalb ist die Politik in Richtung Euro ein Stück unserer Reform- und Wachstumspolitik.
Die Vorteile des Euro für die Wirtschaft sind ungemein groß: Die Wirtschaft wird pro Jahr Kurssicherungs- und Transaktionskosten in einer Größenordnung von 90 Milliarden DM sparen. Preise und Kosten werden transparenter werden, und das wird in einem Markt mit 370 Millionen Verbrauchern diesen zugute kommen.
Europa wird für ausländische Investoren wieder interessanter werden. Heute richten diese ihr Augenmerk auf Asien und Nordamerika. Der Euro wird die Vollendung des europäischen Binnenmarktes sein, und ein integrierter Finanzmarkt - einschließlich des entstehenden Marktes für Risiko- und Gründungskapital - wird mit dem Euro einhergehen.
Der Euro gibt mehr Stabilität gegen den Dollar und den Yen, wie umgekehrt ein Scheitern des Euro in der vorgesehenen Form die enormen Aufwendungen, die es schon heute in Unternehmen und Banken gibt, gefährden würde. Es wäre nicht auszuschließen, daß es erneute Turbulenzen um die Währungen geben würde - mit einer Höherbewertung der Deutschen Mark und negativen Auswirkungen auf unsere Exportaussichten und damit auf unsere Arbeitsplätze.
Der Kollege Haussmann hat bereits mit Nachdruck gesagt: Wenn der Euro verschoben wird - das wäre eine Verschiebung auf lange Zeit -, dann wäre vor allem die Stabilitätskultur in Europa gefährdet, die wir heute in einem Maße haben wie seit Jahrzehnten nicht, ja, wie noch nie in Europa.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gysi?
Bitte schön.
Herr Bundesminister, Sie haben gesagt, die Währungsunion sei die Vollendung des Europäischen Binnenmarktes, also innerhalb der Staaten, die die Währungsunion einführen. Würden Sie mir zustimmen, daß zu einem vollendeten Binnenmarkt zumindest ähnliche Lohnstrukturen, gleiche soziale Standards, gleiche steuerliche
Standards und gleiche ökologische Standards gehören? Wie soll ein Binnenmarkt mit Binnenwährung funktionieren, wenn es auf diesen Gebieten so gravierende Unterschiede gibt?
Herr Kollege Gysi, ich muß Ihnen sagen: Sie haben die europäische Idee und das Funktionieren des europäischen Marktes im Grunde nicht verstanden. Wir haben immer gesagt, wir wollen eine Koordinierung und eine Parallelität in wichtigen Bereichen der Gesellschaft, einschließlich einer Parallelität der Systeme der Fiskalpolitik, der Arbeitsmarktpolitik, der Konjunkturpolitik und der Geldpolitik, die dann auf eine Institution übergeht. Wir können und wollen in diesem Europa aber nicht überall gleiche Steuersätze, gleiche Beschäftigungsprogramme und gleiche Regionalpolitik haben. Das ist dann nämlich keine Regionalpolitik mehr. Wir wollen Systeme und Strukturen haben, die kongruent sind und übereinstimmen. Aber wir wollen die Politik so ansetzen, daß die Prinzipien der Subsidiarität gewahrt bleiben, daß Abweichungen im einzelnen möglich sind und daß Wettbewerb besteht, wie wir das im übrigen auch in Deutschland haben. Es gibt auch in Deutschland unterschiedliche steuerliche Bedingungen im Norden und im Süden, im Osten und im Westen. Diese Verschiedenheit muß bleiben. Das System im Ganzen muß stimmen, und darauf bewegen sich die europäischen Partnerstaaten zu. Eine Kongruenz, eine Dekkungsgleichheit im Detail ist mit Blick auf die Arbeitsplätze in Deutschland weder erwünscht noch vorteilhaft.
Der Binnenmarkt wäre in seiner heutigen Verfassung - er ist noch nicht vollendet, aber weit vorangekommen - gefährdet, wenn wir nicht fristgerecht und unter Einhaltung der Kriterien zum Euro kämen. Die Renationalisierung des Denkens in den europäischen Räten ist zum Teil erschreckend. Viele von uns erleben das jeden Tag in jeder Sitzung. Die Begehrlichkeiten der Partnerstaaten oder einzelner Regionen aus den Partnerstaaten, Sonderlösungen zur Bewältigung dort existierender aktueller Probleme herbeizuführen, sind enorm groß und wachsen ständig an.
Ich behaupte: Wenn der Euro nicht käme, wenn die Vollendung des Binnenmarktes nicht anstünde, würde diese Renationalisierung weiter voranschreiten. Der Binnenmarkt wäre zunächst an seinen Rändern - ich sage einmal: bei der Beihilfenpolitik - und über kurz oder lang auch in wesentlichen Bereichen gefährdet. Wir würden einen Rückschritt durchmachen, der auf absehbare Zeit so schnell nicht aufholbar wäre. Das würde sich nachteilig auf die Beschäftigung in Deutschland und auf die Arbeitsplätze in der gesamten Europäischen Union auswirken. Der Euro wird fristgerecht gebraucht, wenn wir den schon jetzt erreichten Standard des Binnenmarktes nicht gefährden wollen.
Ich wende mich strikt dagegen, die Probleme in Deutschland und in Europa durch ein Drehen an der Steuerschraube zu lösen. Erhebliche Investitionen in
Bundesminister Dr. Günter Rexrodt
diesem Lande stehen an. Diese Investitionen werden mit Blick auf den Standort Deutschland vorgenommen, werden in unserem Lande stattfinden, wenn es in der Steuerreform ein richtiges Signal gibt. Dieses Signal läuft darauf hinaus, daß wir zu einer erheblichen Nettoentlastung bei den direkten Steuern kommen müssen und daß maßvolle Erhöhungen bei indirekten Steuern diesen Nettoentlastungseffekt nicht kompensieren und schon gar nicht überkompensieren dürfen. Deshalb hat die Orientierung auf den Euro auch dazu geführt, daß wir mit großer Entschiedenheit an die steuerpolitischen Probleme herangehen und unser Heil nicht mehr in Steuererhöhungen suchen, wenn wir die Einnahmeseite verbessern wollen.
Wir werden auf Grund des Euro auch keine Chance haben, die Staatsschuld über die bestehenden Spielräume hinaus - diese sind eng genug - zu erhöhen. An den Staat gerichtete Geldwünsche können nicht mehr im bisherigen Umfang bedient werden. Die bisherigen Verteilungssysteme unterliegen der Reform, und dieser Reform haben wir uns gestellt. Der Euro hat eine heilsame Wirkung auf den Umgang mit den öffentlichen Defiziten ausgeübt. Wir haben die Probleme längst nicht voll im Griff;
aber die gängige Politik, über Jahrzehnte verfolgt, die darin bestand, das Heil in einer Erhöhung der Staatsschuld zu suchen, ist nicht zuletzt wegen des Euro unmöglich geworden.
Dies bedeutet im Umkehrschluß: Fortsetzung der Sparpolitik auf allen Ebenen, bei Bund, Ländern und Gemeinden, Konsolidierungspolitik und auch ein Stück Privatisierungspolitik, nicht nur mit dem Ziel, die Einnahmeseite zu verbessern, sondern auch aus ordnungspolitischen Überlegungen heraus. Sowohl im Steuerbereich als auch in bezug auf die Spar- und Defizitpolitik hat der Euro im Inland und auch bei unseren europäischen Partnern eine heilsame Wirkung ausgeübt, und dieser werden wir uns auch weiterhin stellen.
Was nun die Arbeitsmarktpolitik, die Beschäftigungsprogramme und das Beschäftigungskapitel insgesamt im Europäischen Vertrag angeht, lassen Sie mich folgendes sagen: Herr Scharping, es ist richtig: Wenn die Wechselkurse als Regulator wegfallen, dann haben andere wirtschaftliche Instrumente um so größere Bedeutung. Das gilt für die Geldmarkt-und die Kapitalmarktpolitik, für die Steuersysteme, Stichwort Steuervermeidung - das will ich aufgreifen; hierzu ist von allen Seiten Richtiges gesagt worden -, für die Außenwirtschaftspolitik, für die Handelspolitik und auch für die Arbeitsmarktpolitik. Ich wünsche mir aber, daß die Arbeitsmarktpolitik in der europäischen Wirtschafts- und Finanzpolitik so verankert wird, daß durch sie mehr Flexibilität und Mobilität in den Systemen feststellbar sind, daß es eine größere Niederlassungsfreiheit und mehr Bewegung gibt, nicht aber, daß Beschäftigungsprogramme umgesetzt werden, die auf nationaler Ebene schon gescheitert sind und die auf europäischer Ebene erst recht scheitern müssen.
Beschäftigungspolitik in Europa bedeutet, daß wir bestimmte arbeitsmarktpolitische Maßnahmen im Rahmen der Systeme koordinieren und parallel ausrichten können. Aber das kann auf keinen Fall bedeuten, daß wieder in erheblichem Umfang Mittel zur Verfügung gestellt werden, um Beschäftigungsprogramme in anderen Ländern - wir kennen das ja, nicht unbedingt nur in Deutschland, sondern anderswo noch mehr - zu finanzieren. Dazu ist kein Geld da. Ich sage mit Nachdruck: Die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion kann keine Transferunion werden. Sie muß eine Union werden, in der man gemeinsame europäische Prinzipien in der Arbeitsmarkt-, Finanz- und Wirtschaftspolitik verfolgt, nicht aber neue Transferströme in Gang setzt.
Lassen Sie mich zum Abschluß noch ein Wort zur Akzeptanz des Euro sagen. Es gibt viele Befürchtungen und Ängste bei Menschen, die mit dem Euro nicht vertraut sind und die in der Umtauschaktion, die stattfinden wird, eine Währungsreform sehen. Die geschichtliche Erfahrung in Deutschland ist die, daß eine Währungsreform mit dem Verlust von Kaufkraft einhergeht. Eine Währungsreform ist die Einführung des Euro aber nicht. Es gibt angesichts der Stabilitätspolitik, die wir in Deutschland und in vielen europäischen Staaten verfolgen, keinen Grund zur Annahme, daß der Euro weniger stabil ist und weniger Kaufkraft repräsentiert als das, was durch die Hingabe der jeweiligen nationalen Währung aufgegeben wird. Hier muß Aufklärungsarbeit geleistet werden. Ich bin froh darüber, daß sich die Wirtschaft und auch die Banken, insbesondere die kleineren und mittleren, aber auch die großen Institute, entschieden haben, diese Aufklärungsarbeit zu leisten. Ich bin überzeugt, daß sie einen Beitrag dazu leisten, daß die Akzeptanz erhöht wird. Wir brauchen kein Herumdiskutieren an den Kriterien und an sonstigen Daten und Zahlen. Das wäre ein Geschäft mit der politischen Angst, meine Damen und Herren.
Herr Scharping, Sie haben hier im Zusammenhang mit der Definition und der Orientierung an den Kriterien von Maastricht von Kleinkariertheit gesprochen.
Kleinkariert ist derjenige, der mit dem Projekt der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion billige Parteipolitik machen will, der bestimmte Wählerschichten, Leute, die Ängste haben - ich nenne hier ganz bewußt und entschieden Herrn Schröder -
Bundesminister Dr. Günter Rexrodt
ausnutzt, der diese Ängste aufgreift, um sich anzubiedern und auf billige Weise Wählerstimmen einzufahren. Das, meine Damen und Herren, ist kleinkariert, nicht aber eine Orientierung an den Stabilitätskriterien.
Der Euro wird gebraucht. Er bringt die Vollendung des Binnenmarktes, wie er umgedreht, wenn er nicht fristgemäß käme, den Binnenmarkt gefährdet. Wir werden in Deutschland von diesem Binnenmarkt am meisten Vorteile haben, in allen Bereichen, in der Handelspolitik, bei den Entfaltungsspielräumen unserer Unternehmen und vor allem am Arbeitsmarkt. Deshalb muß der Euro kommen, fristgerecht, unter Einhaltung der Kriterien. Es liegt im Interesse der Arbeitsplätze in Deutschland.
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Ingrid Matthäus-Maier, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Öffentlichkeit ist der Eindruck entstanden, die Politiker sind ganz überwiegend für den Euro und die Menschen nicht, und die Politiker kapseln sich ab und wollen nicht darüber diskutieren. Deshalb ist es gut, daß die heutige Debatte stattfindet; denn hier sollten wir versuchen, die Menschen zu überzeugen.
Aber, meine Damen und Herren, wenn ich mir die Rede von Herrn Waigel und auch die von Herrn Rexrodt angehört habe, muß ich sagen, damit erhöhen Sie nicht die Akzeptanz des Euro, sondern das sind ja Euroabschreckungsreden, meine Damen und Herren.
So werden Sie die Köpfe und die Herzen der Menschen für Europa und die Währungsunion nicht gewinnen.
Ich glaube aber, daß man es kann. Dann lassen Sie uns doch ohne Verschweigen der Risiken die Vorteile nennen.
Ich möchte ein Beispiel nennen, um einmal von der Makroökonomie in den Alltag herunterzukommen. Im Rhein-Sieg-Kreis, aus dem ich komme, gibt es ein Stahlwerk, Klöckner-Mannstaedt. Im Herbst 1992 haben mein Kollege Uwe Göllner und ich das Werk besucht. Als wir uns erkundigten, wie es so geht, da sagte man: Oh Gott, oh Gott, es gibt wieder Probleme. Wenn das so weitergeht, müssen wir Menschen entlassen. - Wieso, fragten wir, vor drei Monaten war doch die Welt noch in Ordnung, was ist denn passiert? - Ja, antwortete man uns, und zwar Betriebsrat und Unternehmensführung, vor zwei Wochen hat es die großen Turbulenzen und die Abwertung der Lira und des britischen Pfundes gegeben. - Wir fragten: Wieso, und nach zwei Wochen merkt ihr das schon im Betrieb? - Die Antwort war: Nach fünf Tagen merken wir das schon, denn wenn die Lira in den Keller geht, dann können Italiener nicht mehr für den gleichen Lira die deutschen Stahlprodukte von Klöckner-Mannstaedt kaufen, die Briten auch nicht, und die anderen tun es dann ebenfalls nicht, weil sie den billigeren italienischen Stahl kaufen.
Wir müssen den Menschen klarmachen: Eine exportorientierte Wirtschaft wie die deutsche ist geradezu lebensnotwendig davon abhängig, daß die Währungsturbulenzen innerhalb der Europäischen Union aufhören. Deswegen brauchen wir die Währungsunion.
Die ist wichtiger als der eine oder andere Punkt beim Spitzensteuersatz, meine Damen und Herren. Dieser Standortvorteil, den wir haben werden, keine willkürlichen oder unwillkürlichen Abwertungen der anderen Währungen, ist für uns wichtig.
Deswegen sagen uns ja auch die Spekulanten, der beste Weg, um Spekulation in Europa zu verhindern, ist, eine einheitliche europäische Währung zu haben. Dann kann der Superspekulant dieser Welt, Herr Soros, nicht mehr gegen den Franc spekulieren. Da mußte die Deutsche Bundesbank fast 20 Milliarden DM in den Finanzmarkt pumpen, und trotzdem konnten wir diese Spekulation nicht verhindern.
Meine Damen und Herren, wir müssen bestehende Ängste abbauen. Die Angste gibt es vor allem bei der älteren Bevölkerung. Sie hat ja zum Teil zwei Währungsreformen mit einer dramatischen Abwertung ihrer Guthaben miterlebt. Meine Großmutter - sie ist vor kurzem verstorben - hat noch miterlebt, daß 1923 ein Dollar 4,2 Billionen Mark wert war. 1948 erlebte sie wiederum eine Geldentwertung. Sie fragte: Kind, wollt ihr das wieder machen? - Nein, es handelt sich doch nicht um eine Währungsreform, sondern um eine Währungsunion.
Hierüber muß man mit Zahlen aufklären. Ein Beispiel: Nehmen wir einmal an - so genau wird es nicht sein -, 1 Euro wäre 2 DM wert. Dann kann man umrechnen. Wenn einer 2000 DM bekommt, erhält er danach 1000 Euro. Wenn einer umgekehrt 2000 DM Schulden hat, dann muß er danach auch nur 1000 Euro zurückzahlen. Das ist ungefähr so wie in Großbritannien, als man sich von Meilen auf Kilometer umstellen mußte. Die Zahlen haben sich geändert, aber die Entfernung ist natürlich gleichgeblieben.
Ich glaube, man kann die Menschen davon überzeugen, daß die Europäische Währungsunion zu unserem ökonomischen Nutzen ist. Das setzt voraus, daß wir die Stabilitätskriterien erfüllen. Von den vieren sind ja europaweit drei schon richtig gut vorangekommen, nämlich die Zinsstabilität, die relative Währungsstabilität zwischen den europäischen Währungen und die Inflationsrate, die in den europäischen Ländern drastisch heruntergegangen ist. Daß es bei den entscheidenden Kriterien diese Kon-
Ingrid Matthäus-Maier
vergenz gibt, ist doch schon ein Erfolg des Euro und des Maastricht-Vertrages.
Es bleibt das Fiskalkriterium. Herr Waigel, das ist der Punkt, angesichts dessen ich mich über Sie richtig ärgere. Wie kann man sich im Rahmen Ihrer dramatischen Kürzungen und Ihres Sozialabbaus um eines kleinen parteipolitischen Vorteils willen hinter Europa verstecken? Das ist ein grobes Unrecht an Europa.
Wir und Sie müssen nicht sparen, weil Europa das verlangt. Wir müssen endlich die Haushalte konsolidieren, weil Sie sie an die Wand gefahren haben, weil Sie maßlose Staatsschulden aufgebaut haben.
Wir müssen die Haushalte konsolidieren, weil Sie dafür verantwortlich sind, daß im laufenden Jahr allein im Bundeshaushalt 90 Milliarden DM für Zinsausgaben, für Schulden, die Sie in den Vorjahren gemacht haben, ausgegeben werden - 70 mal soviel für Zinsen wie für den Umweltetat des Bundes. Das ist eine Versündigung an den nachfolgenden Generationen. Das müssen wir ändern. Das hat mit der Einführung des Euro überhaupt nichts zu tun.
Gerade heute erfahren wir die neuen Zahlen der Steuerschätzung. Herr Waigel, Sie sollten sich schämen. Wer über die Jahre die Menschen mit dauernden Beschönigungen und dauerndem Schönrechnen so belogen und betrogen hat, ohne ihnen die Wahrheit zu sagen, der dürfte hier heute morgen eigentlich gar nicht mehr sitzen.
Frau Abgeordnete, „belogen" und „betrogen" sind keine parlamentarischen Ausdrücke.
Dann sage ich eben: Jedermann in diesem Lande weiß, daß es mindestens zwei große Steuerlügen gegeben hat. Da brauche ich nichts hinzuzufügen.
Deswegen brauchen wir in Europa nicht nur die Währungsunion, sondern auch eine gemeinsame Arbeitsmarktpolitik, einen Beschäftigungspakt. Denn nur wer die Arbeitslosigkeit aktiv bekämpft, wird die Haushalte konsolidieren. 100 000 Arbeitslose kosten 4 Milliarden DM. Das heißt, 100 000 Menschen mehr in Arbeit bringen 4 Milliarden DM. Solange Sie die Arbeitslosigkeit nicht aktiv bekämpfen, werden Sie weiter die Haushalte an die Wand fahren. Aber nicht mit unseren Stimmen!
Wenn Sie jetzt noch auf die Schnapsidee kommen, die Mineralölsteuer anzuheben, um Ihre Haushaltslöcher zu • stopfen, dann kann ich Ihnen nur sagen: Nicht mit uns Sozialdemokraten! Wir wollen eine ökologische Steuerreform. Steuererhöhungen zum Stopfen Ihrer Haushaltslöcher wird es mit uns aber nicht geben.
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Friedrich Merz, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ihr Redebeitrag hat so hoffnungsvoll begonnen, Frau Kollegin Matthäus-Maier.
Ich finde, wir sollten uns im Deutschen Bundestag in der Wortwahl etwas zurückhalten, auch mit solchen Vorwürfen, wie Sie sie gerade geäußert haben. Der Sache der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion wird Schaden zugefügt, wenn in dieser Art und Weise parlamentarische Debatten über dieses wichtige Thema geführt werden.
Am 2. Dezember 1992 sind sich die vier Fraktionen des Deutschen Bundestages einig gewesen, daß der Weg hin zur Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion richtig ist. Wir treten jetzt in die entscheidenden Gespräche und in die entscheidende Phase ein. Deswegen ist es gut, daß diese Debatte heute morgen stattfindet. Aber bevor ich auf einige Sachthemen zu sprechen kommen werde, möchte ich aus persönlicher Überzeugung und auch aus persönlicher Verbundenheit den Bundesfinanzminister vor den völlig unqualifizierten und maßlosen Beschuldigungen in Schutz nehmen, die Sie hier heute morgen geäußert haben.
Meine Damen und Herren, wenn es in Europa einen Finanzminister gibt, der im ECOFIN-Rat und in den anderen europäischen Räten für Europa und für die Bundesrepublik Deutschland erfolgreich Interessen wahrgenommen und politische Ziele durchgesetzt hat, dann ist es der längstgediente Finanzminister in der Europäischen Union, unser deutscher Finanzminister Theo Waigel. Dafür gebührt ihm Dank.
Friedrich Merz
Ich erinnere daran, daß wir noch vor einem Jahr eine sehr intensive Diskussion über den Stabilitätsund Wachstumspakt geführt haben. Ich bin offen genug, hier zu sagen: Ich habe im letzten Jahr nicht geglaubt, daß es uns gelingt, diesen Stabilitäts- und Wachstumspakt in der Europäischen Union durchzusetzen und die Zustimmung aller 14 Partner in der Europäischen Union dafür zu gewinnen.
Meine Damen und Herren von der SPD, heute müssen wir feststellen, daß die Rechtsverbindlichkeit des Stabilitäts- und Wachstumspaktes in der Europäischen Union weiter vorangeschritten ist als die Rechtsverbindlichkeit des innerstaatlichen Stabilitäts- und Wachstumspaktes, den wir bis zum heutigen Tag mit den Bundesländern nicht vereinbaren konnten.
Daß es diese Fortschritte gibt, ist das Verdienst von Bundesminister Theo Waigel. Dafür hat er jedenfalls unseren Dank, meine Damen und Herren von der SPD.
Ich will darauf hinweisen, daß die Zustimmung, die offensichtlich auch heute hier jedenfalls dem Grunde nach besteht, nichts daran ändert, daß die Bürger in unserem Land über die Ziele, den Sinn und den Zweck der Wirtschafts- und Währungsunion besser informiert werden müssen. Dies ist eine Pflicht, die die Politik hat, eine Pflicht, die die Bundesregierung wahrzunehmen hat. Wir werden dies in den nächsten Monaten noch besser machen müssen.
Ich will bei dieser Gelegenheit aber auch den Banken, den Sparkassen sowie den Volksbanken und Raiffeisenbanken herzlich dafür danken, daß sie diese Informationspflicht gegenüber ihren Kunden bereits in den letzten Monaten sehr erfolgreich wahrgenommen haben. Ohne die Unterstützung derer, die in unmittelbarem Kontakt mit dem Kunden am Bankschalter stehen, wird die Politik nicht in der Lage sein, die Wirtschafts- und Währungsunion zu erklären und den Menschen verständlich zu machen. Deswegen danken wir den Banken, den Sparkassen sowie den Volksbanken und Raiffeisenbanken für diese Arbeit.
Ich möchte in diesen Dank auch den Arbeitsstab einschließen, den die Bundesregierung eingerichtet hat unter der Führung des Bundesfinanzministers mit allen beteiligten Ressorts, mit allen Bundesländern, den Kommunen, den Trägern der Sozialversicherungen und der Bundesbank über die technische Umstellung zur Wirtschafts- und Währungsunion. Dies klingt sehr technisch und ist in Wahrheit der entscheidende Schritt hin zur praktischen Umsetzung in die letzte Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion.
Weil darüber in der Presse etwas unvollständig berichtet worden ist, möchte ich darauf hinweisen, daß eine Entscheidung darüber, ob die öffentliche Verwaltung erst zum spätestmöglichen Zeitpunkt, nämlich zum 1. Januar 2002, auf den Euro umstellt oder etwa diese Umstellung bereits früher bewerkstelligen kann, bisher nicht getroffen ist.
Die Arbeitsgruppe - und das Bundeskabinett hat dem zugestimmt, wie in der letzten Woche zu lesen war - hat festgestellt:
Endgültig ist aber über die konkrete Umstellung der öffentlichen Verwaltung noch nicht entschieden. Es müssen weitere Gespräche mit der Wirtschaft, den Sozialversicherungsträgern und der Finanzverwaltung geführt werden.
Ich zitiere dies, weil meine persönliche Meinung ist, daß es gut wäre, wenn es gelingen könnte, den Zahlungsverkehr mit der öffentlichen Verwaltung und insbesondere der Finanzverwaltung schon zu einem früheren Zeitpunkt nach dem Prinzip umzustellen, keine Verpflichtung, wohl aber ein Recht zur Verwendung des Euro zu, haben, nicht nur im privaten Zahlungsverkehr, sondern auch im Zahlungsverkehr mit der öffentlichen Hand. Dies würde ein weiteres Stück Vertrauen in die Euro-Stabilität bei den Bürgern bewerkstelligen.
Meine Damen und Herren, ich will zum Schluß dieser Debatte noch einmal auf das Thema Beschäftigungskapitel im Zusammenhang mit der Wirtschafts-und Währungsunion zu sprechen kommen. Die Redner der Opposition haben in großer Übereinstimmung ein Beschäftigungskapitel im Maastricht-Vertrag verlangt. Hier war mehrfach von einer „aktiven Beschäftigungspolitik" der Europäischen Union die Rede. Ich weiß, offen gestanden nicht, was Sie damn-ter verstehen. Gibt es auch eine passive Beschäftigungspolitik?
Sie müssen sich darüber im klaren sein - ich sage dies ohne jede Polemik, sondern mit Bedacht, weil es hier um eine langfristige Konzeption der Politik der Europäischen Union geht -, daß mit dieser Forderung eine Reihe von Problemen ausgelöst werden. Sie müssen die Frage beantworten, in welchem Verhältnis eine nationale Verantwortung zur europäischen Verantwortung steht, wenn die europäische Politik die Verantwortung für die Arbeitsmarktpolitik übertragen bekommt.
Sie müssen die Frage beantworten, wie diese europäische Verantwortung mit der im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland niedergelegten Tarifautonomie vereinbar ist. Wenn Sie darüber hinweggehen, dann will ich Ihnen ein politisches Argument nennen, das uns dieses Thema außerordentlich schwierig erscheinen läßt. Was passiert eigentlich, wenn die Bundesregierung und der Europäische Rat den Forderungen derer folgen, die ein solches Beschäftigungskapitel mit aktiver Beschäftigungspolitik der Europäischen Union fordern und in den Vertrag aufnehmen, und wir nach zehn Jahren feststellen müssen, daß die hohen Erwartungen, die damit verbunden sind, von der Europäischen Union nicht erfüllt werden konnten?
Friedrich Merz
Meine Damen und Herren, mit einer solchen Politik würden Sie der Zustimmung zur europäischen Politik in Deutschland mehr Schaden zufügen, als wenn Sie den Bürgern in unserem Land heute sagen, daß Beschäftigungspolitik in erster Linie von der nationalen Ebene ausgehen muß. Deswegen lehnen wir dies ab.
Lassen Sie mich zum Schluß noch einmal auf die Sparzwänge eingehen und hierzu eine abschließende Bemerkung machen. Es hat heute morgen einen gewissen Widerspruch zwischen den beiden Rednerinnen der SPD, Frau Wieczorek-Zeul und Frau Matthäus-Maier, in der Frage gegeben, wofür denn Konsolidierungsanstrengungen notwendig seien.
Meine Damen und Herren, es muß auch in Deutschland gespart werden. Ich möchte aus der Presseerklärung zum 1. Mai des Pressedienstes der SPD, herausgegeben am 30. April 1997, die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Matthäus-Maier zitieren. Es heißt wörtlich:
Gespart werden muß sowohl in Deutschland wie auch in allen anderen europäischen Staaten angesichts der aufgehäuften Schulden, völlig unabhängig davon, ob es Maastricht gibt oder nicht. Wir dürfen nirgendwo die finanziellen Handlungsspielräume des Staates in Gegenwart und Zukunft auf null zurückschrauben, was wir bei Verzicht auf Konsolidierung allerdings täten.
Frau Matthäus-Maier, wir folgen Ihnen auf diesem Weg, weil wir Spar- und Konsolidierungsanstrengungen für notwendig halten, unabhängig von dem im Maastricht-Vertrag niedergelegten Ziel der Haushaltskonsolidierung.
Deswegen, Frau Wieczorek-Zeul, ist es völlig abwegig, die Bemühungen um Konsolidierung der öffentlichen Haushalte in einen Zusammenhang mit dem Maastricht-Vertrag zu bringen.
- Nein, Sie haben heute morgen ganz generell in Frage gestellt, daß die öffentlichen Haushalte konsolidiert werden müssen, und haben unsere Konsolidierungsanstrengungen in Zusammenhang mit dem Maastricht-Vertrag gebracht. Dies hat nichts miteinander zu tun. Deswegen wollen wir sparen. Wir wollen die Ziele des Maastricht-Vertrages und pünktlich am 1. Januar 1999 die dritte Stufe der Wirtschafts-und Währungsunion erreichen.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Helmut Lippelt, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mir ist am Ende der Debatte ein Aspekt übriggeblieben, der hier noch keine Erwähnung gefunden hat. In der vorigen Woche hatten wir ein für die zukünftige europäische Währungspolitik bedeutsames und überraschendes Ereignis: Die Freigabe der Geld- und Zinspolitik der altehrwürdigen Bank of England, die damit vom Staat unabhängig geworden ist. Dies muß nicht bedeuten, daß England jetzt von Anfang an die Teilnahme an der Währungsunion anstrebt. Aber die Erfüllung einer notwendigen Bedingung dafür und damit die Öffnung einer Option hierauf ist es denn doch.
Schon hört man auch hier abwehrende Stimmen, sei es die des Landeszentralbankchefs aus Niedersachsen oder die unseres Finanzministers, die auf die Notwendigkeit einer vorherigen zweijährigen Teilnahme am EWS hin und damit England - rein vorsorglich - abweisen. Aber Art. 109 EG-Vertrag formuliert als drittes Konvergenzkriterium nicht eine deklarierte formelle Teilnahme am EWS, sondern die
Einhaltung der normalen Bandbreiten des Wechselkursmechanismus des Europäischen Währungssystems seit mindestens zwei Jahren.
Diese Bandbreiten hat England, auch ohne in den letzten zwei Jahren formell dazuzugehören, eingehalten. Letztlich ist die Entscheidung über die Teilnahme und die Teilnehmer an der Währungsunion, die der Europäische Rat in einem Jahr zu fällen hat, eine politische Entscheidung.
Ich erinnere daran, daß noch vor kurzem einzig Luxemburg die Aussicht auf volle Erfüllung aller Konvergenzkriterien bot, aber allen klar war, daß es ohne Deutschland und Frankreich nicht gehen würde und deshalb am Ende eine politische Interpretation der Kriterien stehen würde. Heute wächst Italien tendenziell eher in die Konvergenz hinein; wir wachsen tendenziell dank der Finanzpolitik unseres Finanzministers eher hinaus. Frankreich hat sich in einen riskanten Wahlkampf gestürzt, um die Handlungsfreiheit für unpopuläre Maßnahmen zu gewinnen, die dann die Erfüllung der Konvergenzkriterien gewährleisten sollen. Wir sollten die Chance der Stunde nutzen, um die Beteiligung Englands wirklich offensiv werben und uns davor hüten, Ländern wie Italien, die sich so sehr um die Teilnahme an der Währungsunion bemühen und massive Vorleistungen erbracht haben, die Tür vor der Nase zuzuschlagen.
Letztlich geht es doch darum, ob durch die Währungsunion ein Schritt zur Vertiefung der europäischen Einheit oder zu einer Spaltung Europas gemacht wird. Ich glaube nicht daran - wie viele von Ihnen -, daß, wer etwas später kommt, auch noch so bequem hereingeht. Bei so eklatanter Zurücksetzung jetzt kann man durchaus entdecken, daß man bei floatender Eigenwährung wirtschaftspolitisch sehr viel klüger fährt.
Wir wissen, daß der Endspurt zur Währungsunion nicht nur vom Wahlkampf überlagert sein wird, son-
Dr. Helmut Lippelt
dem auch von Interpretationen der Zusammenhänge zwischen dem Projekt Währungsunion, den Zahlen der Arbeitslosenstatistik und den wirtschafts- und beschäftigungspolitischen Reaktionen hierauf. Das bedeutet, das Projekt Währungsunion ist demagogisch ausbeutbar. Wir erleben da die seltsamsten Bündnisse; eines haben wir gerade heute morgen erlebt. Dazu sage ich nur dieses an die Adresse von Herrn Gysi: Die Diskussion um die Währungsunion ist zwanzig Jahre alt. Bei den Grünen ist sie vielleicht vier Jahre alt. Bei Ihnen hat sie gerade jetzt angefangen. Vor zwei Jahren vertrat auch ich die Krönungstheorie, die Herr Gysi vorgetragen hat; vor einem Jahr war ich für die Einführung des Euro als Zweitwährung. Heute hat die Einführung des Euro längst begonnen. Ihn jetzt abzulehnen oder - das ist Herrn Schröder zu Recht vorzuwerfen - den Terminplan in Frage zu stellen -
- Herr Haussmann, ich bin vielleicht nicht so schnell und ein bißchen kompliziert, aber vielleicht kommt dabei mehr heraus
bedeutet, in diesem Punkt eine europäische Katastrophe herbeizuführen. Das zu sagen war ich dabei.
Trotzdem muß gesagt werden: Das Projekt „Währungsunion" ist in der wirtschaftspolitischen Wirkung zunächst antizyklisch, - und da liegt das Problem unseres Finanzministers. Dieses Projekt, die Konsolidierungspolitik, deren Notwendigkeit ich nicht bestreite oder in Abrede stelle, muß von einem wirklichen Umbruch der Wirtschaftspolitik begleitet werden, so daß die Folgen bezüglich der Arbeitsplätze anders angegangen werden können, als es mit dieser Wirtschaftspolitik geschieht.
Herr Abgeordneter, bitte kommen Sie zum Schluß. Ihre Redezeit ist längst überschritten.
Ja, ich bin beim Schlußsatz.
Solange dieses Problem nicht durch eine intelligentere Wirtschaftspolitik dieser Regierung gelöst wird, so lange erinnert mich unser Finanzminister an Herrn Brüning, der immer Konsolidierung betrieb, bis die Arbeitslosenzahlen und die sozialen Probleme Deutschlands über ihm zusammenbrachen.
Ich erteile der Abgeordneten Heidemarie Wieczorek-Zeul das Wort zu einer Kurzintervention.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Vorredner von Herrn Lippelt, Herr Merz, hat hier behauptet, von mir seien die Sozialkürzungen unzulässigerweise mit der Erreichung der Stabilitätskriterien in Bezug gebracht worden.
Ich stelle hier fest - das habe ich heute morgen gesagt und sage es jetzt noch einmal -: Derjenige, der solche Sozialkürzungen, die er aus ganz anderen Gründen durchführen will, unzulässigerweise propagiert, ist Theo Waigel. Wer das macht und behauptet, es sei der Europäischen Union wegen, der betrügt die Bevölkerung und schadet dem Ansehen der Europäischen Union.
Ich belege das mit dem Zitat von Theo Waigel im „Spiegel" vom 24. März dieses Jahres - so lange ist das noch gar nicht her -; ich zitiere wörtlich:
Wir haben eine gute Chance, das Drei-ProzentDefizit-Kriterium des Maastricht-Vertrages zu erfüllen. Gegebenenfalls müssen noch zusätzliche Maßnahmen ergriffen werden, um auf der sicheren Seite zu sein.
Spiegel: Woran denken Sie?
Waigel: An weitere Einsparungen bei der Sozialhilfe vor allem.
Ich muß sagen: Ein Finanzminister, der sich derart aufführt, schadet im Bewußtsein der Bevölkerung der europäischen Einigung und macht der Bevölkerung etwas vor. Diese Bundesregierung und dieser Finanzminister sind angetreten für Sozialkürzungen auf Grund ihrer unsinnigen, verfehlten wirtschafts-und finanzpolitischen Umverteilungspolitik.
Dies praktiziert er. Das hat mit Europa nichts zu tun. Das hat mit den Maastricht-Kriterien nichts zu tun. Ich fordere ihn auf, sich endlich hinzustellen und zu sagen, daß er hier die Unwahrheit sagt.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Hansjürgen Doss, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Liebe Kollegen! Als Scharping meinte, wir seien uns im Ziel einig - kleinkarierte Münze über das Gerede von Europa -, und Frau Matthäus-Maier, wie ich fand, sehr beeindruckend ihr Bekenntnis zu Europa dargelegt hat, habe ich Hoffnung geschöpft. Wir sollten ja bei den parteipolitischen Auseinandersetzungen auch hier im Hohen Hause nicht übersehen, daß das Fernsehen, daß die deutsche Öffentlichkeit mit verfolgt, was hier geschieht.
Hansjörgen Doss
Das Bild, das ich von Ihnen bedauerlicherweise habe, ist dann wieder bestätigt worden. Sie haben in, wie ich finde, maßlosen, parteipolitischen Attacken unseren Finanzminister angegriffen. Sie, wie auch Frau Wieczorek-Zeul, haben Ihre subjektiven Bewertungen zu sozial- und wirtschaftspolitischen Fragen in den Mittelpunkt dieser Auseinandersetzung gestellt, die wir führen sollten, um Europa ein Stück attraktiver zu machen. Damit Sie sich überhaupt keine Illusionen machen, sage ich Ihnen: Wir werden uns durch diese maßlosen Attacken und überzogenen parteipolitischen Angriffe nicht davon abbringen lassen, für dieses einmal von uns formulierte Ziel der europäischen Einigung - dazu gehört letztlich auch und ganz entscheidend der Euro -, zu dem Sie sich zumindest verbal bekennen, einzutreten. Wir werden dafür arbeiten, statt Zweifel zu säen.
Den Widerspruch in Ihrer Partei müßten Sie klären. Schröder hat gestern auf dem Kongreß der Volksbanken wiederum die Verschiebung des Termins angemahnt. Von einem Redner der Grünen, Herrn Lippelt, ist deutlich gemacht worden, daß das Scheitern dieser Politik eine europäische Katastrophe wäre. Ich teile diese Auffassung und diese Bewertung. Vor diesem Hintergrund bitte ich alle, die sich auf diese Art mit Europa auseinandersetzen und die im Grunde genommen Europa benutzen, um diese Regierung zu beschädigen, daß sie sich ihrer Verantwortung bewußt werden und sich nicht in der Art äußern, wie sie es getan haben.
Die Zukunftschancen unseres Kontinents liegen in der Einigkeit Europas. Mit der deutsch-französischen Aussöhnung und Zusammenarbeit, der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, der Einheitlichen Europäischen Akte, dem Fall des Eisernen Vorhangs und der Einführung des gemeinsamen Binnenmarktes innerhalb der EU sind wir ein großes Stück weitergekommen. Nach diesen Schritten muß jetzt natürlich die letzte entscheidende europäische Grenze fallen. Das ist die Grenze der nationalen Währungen. Wir konnten leider auch in dieser Debatte feststellen - ich habe das bereits erwähnt -, daß die Auseinandersetzung um den Euro vordergründig parteipolitisch genutzt wird, was ich außerordentlich bedaure.
Wir sind der Auffassung, daß die Konsolidierung des Haushaltes zwecks Einhaltung der Maastricht-Kriterien von Ihnen verunglimpft und als restriktive Politik - die Grünen sagen, die ökologisch-soziale Reformpolitik der EU würde dadurch außerordentlich erschwert - diskriminiert wird. So funktioniert das nicht, auch nicht nach dem Motto von Oskar Lafontaine: Alle anderen Länder Europas müßten genauso hohe Kostenbelastungen haben wie wir, dann würden die Wettbewerbschancen für uns schon wieder besser werden. Ich glaube, daß das Gegenteil der Fall ist. Die Länder tun nämlich das genaue Gegenteil. Sie wollen aufholen und Wohlstand für sich erarbeiten. Sie entwickeln sich deshalb zu attraktiven Wirtschaftsstandorten, entfalten dynamisches Wirtschaftswachstum und schaffen damit Arbeitsplätze.
Wir werden das Wettbewerbsgefälle in Europa weder wegverhandeln noch per Dekret wegbekommen. Wir müssen uns schlicht und einfach diesem Wettbewerb stellen. Dazu müssen die letzten Grenzen - das sind die Währungsgrenzen - fallen. Das wird nicht durch zögerliche Untätigkeit geschehen, sondern nur durch aktives Handeln.
Das wird diese Koalitionsfraktion mit Nachdruck betreiben. Davon können Sie ausgehen.
Die entscheidenden Vorteile sind in manchen der Reden durchgeblitzt, nämlich Kostenersparnis für Exporte und Importe, Wegfall der Wechselkursschwankungen und mehr Preistransparenz. Der. Euro wird am Ende nicht nur Zahlungsmittel sein, sondern er wird auch veränderte Marktbedingungen in Europa schaffen. Eine gemeinsame Währung wird die Märkte in Europa weiter öffnen und Wettbewerbsbedingungen im Kreise der beteiligten Länder angleichen.
Für mittelständische Unternehmen wie auch für die freien Berufe bis hin zu den großen Handwerksbetrieben bringt die Wirtschafts- und Währungsunion große Vorteile: bessere internationale Kalkulierbarkeit der Preise und eine Reihe von anderen Faktoren mehr, auf die ich jetzt nicht näher eingehen möchte.
Unbestreitbar sind die Vorteile für die Industrie. Das dürfte wohl außerhalb jeder Diskussion sein. Sie hat ebenso große Vorteile für die mittelständische Wirtschaft, in der es noch ein großes Informationsdefizit gibt. Ich bin der festen Überzeugung, daß wir trotz des Preiswettbewerbs, den wir in vielen Disziplinen nicht in dem Maße bestehen, wie dies notwendig wäre, mit unserer hohen Qualifikation mittelständischer Unternehmen in Deutschland an der Spitze Europas stehen. Ich denke hier an einige Sparten des Mittelstandes, die ich wirklich auch aus meiner eigenen beruflichen Erfahrung nennen will: Energietechnik, Klimatechnik, Informationstechnik und Maschinenbau. Diese Qualifikation wird über die jetzt noch vorhandenen Ländergrenzen hinweg in Europa nachgefragt. Das ist eine wirklich große Chance für kleine und mittlere Unternehmen.
Ich will kurz auf die Sorgen eingehen, die artikuliert werden. Hier gibt es eine Umfrage der Düsseldorfer Handwerkskammer. Bei dieser Umfrage wurde überwiegend Skepsis festgestellt. Es stand jetzt in der Zeitung: Handwerk befürchtet Mehrkosten für den Euro. Wenn man sich diese Umfrage etwas näher anschaut, stellt man fest, daß 92 Prozent der Handwerker, die befragt wurden, sicher sind, daß der Euro kommt. 80 Prozent fühlen sich über den Ablauf der Währungsumstellung noch nicht ausreichend informiert. 50 Prozent konnten nicht angeben, welche Auswirkungen die Währungsumstellung für die Unternehmen haben. Dann verwundert im Grunde genommen die skeptische Haltung zum Euro nicht.
Skepsis ist hier die natürliche Folge eines Informationsdefizits. Das heißt mit anderen Worten: Wir sind gefordert, mehr über den Euro und über unsere ge-
Hansjörgen Doss
meinsame europäische Zukunft zu informieren. Wir sind gefordert, jene zu unterstützen, die diesen Informationsprozeß begleiten und dynamisch nach vorne treiben. Ich meine damit unsere Kammern, die IHKs, die Handwerkskammern und die Volksbanken. Das ist zum Teil erwähnt worden. Ich bin der Meinung: Wir tragen hier als Deutscher Bundestag eine besonders große Verantwortung. Deswegen lassen Sie uns mit diesem, wie ich finde, parteiübergreifenden Thema in Zukunft etwas sorgfältiger umgehen, mehr aufklären und dafür werben, diesen europäischen Einigungsprozeß nicht zu vordergründigen parteipolitischen Interessen zu mißbrauchen.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/7652. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist der Entschließungsantrag mit den Stimmen von CDU/ CSU und F.D.P. gegen die Stimmen von SPD bei Enthaltung der Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/7658. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist dieser Entschließungsantrag mit den Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der Stimmen von SPD und PDS abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/ 7629. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist der Entschließungsantrag gegen die Stimmen des ganzen Hauses außer der PDS abgelehnt.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 4 auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Baugesetzbuchs und zur Neuregelung des Rechts der Raumordnung
- Drucksache 13/6392 -
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
- Drucksachen 13/7588, 13/7589 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Walter Schöler Peter Götz
Josef Hollerith
Gabriele Iwersen Hans-Wilhelm Pesch Hildebrecht Braun
b) Beratung und Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
- zu dem Antrag der Abgeordneten Helmut Wilhelm , Franziska Eichstädt-Bohlig und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Für ein soziales und ökologisches Städtebau- und Raumordnungsrecht
- zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht zu den Ergebnissen der Rechtstatsachen- und Wirkungsforschung bezüglich der neuen und geänderten städtebaulichen Vorschriften
- Drucksachen 13/6384, 13/5489, 13/5655 Nr. 4, 13/7588, 13/7589 -
Berichterstattung: Abgeordnete Walter Schöler
Peter Götz
Josef Hollerith
Gabriele Iwersen Hans-Wilhelm Pesch Hildebrecht Braun
Zum Bau- und Raumordnungsgesetz liegen ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD, ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, acht Änderungsanträge der Gruppe der PDS sowie je ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD und der PDS vor. Außerdem haben die Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen einen gemeinsamen Änderungsantrag eingebracht.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr.-Ing. Dietmar Kansy, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Stehen wesentliche Gesetzesänderungen beispielsweise im Bereich Renten, Gesundheit oder Steuern an, melden sich selbstverständlich in einem großen Umfang Fachleute zu Wort und beraten uns. Diese Themen führen aber auch zu einer breiten Diskussion in der Bevölkerung. Liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem Fachausschuß Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, wir wissen: Leider ist dies bei uns nicht so.
- Herr Kollege, Zwischenrufe von der Bundesratsbank sind hier nicht üblich.
Obwohl letztendlich alle Menschen in diesem Land betroffen sind, wenn es darum geht, wie sich
Dr.-Ing. Dietmar Kansy
ihre Ortschaften, ihr Wohnumfeld oder sogar ihre persönlichen Wohn- und Arbeitsverhältnisse entwikkeln, spielt diese Gesetzgebung in der Öffentlichkeit leider - jedenfalls bis heute - eine untergeordnete Rolle.
Obwohl wir sehr intensiv mit Fachleuten auf vielen Ebenen, auf vielen Veranstaltungen, in Anhörungen, in Planspielen usw. diskutiert haben: Meine Damen und Herren, dies ist kein Gesetz allein für einige tausend Fachleute und einige hundert Fachpolitiker, sondern für alle Menschen in diesem Lande.
Wir sollten auch bei dieser heutigen Debatte und an anderer Stelle immer wieder eines bedenken: Wenn wir vor dem Plenum des Deutschen Bundestages, vor der deutschen Öffentlichkeit debattieren, werden wir nur dann Aufmerksamkeit finden, wenn wir das in einer Sprache tun, die nicht nur Juristen und Spezialisten verstehen, sondern alle, die in Wirklichkeit viel stärker betroffen sind, als Sie glauben, wenn Sie solche scheinbar spröden Gesetzesvorhaben beschließen.
Lassen Sie mich deswegen am Anfang dieser Debatte kurz die politischen Ziele der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zusammenfassen. Dieses Gesetz schafft sieben Jahre nach der deutschen Einheit ein einheitliches Städtebaurecht für ganz Deutschland. Wir übernehmen bewährte Instrumente aus der Bundesrepublik alt. Wir übernehmen aus den neuen Ländern bisher ausschließlich dort erprobte Regelungen jetzt dauerhaft in ein gemeinsames gesamtdeutsches Gesetzbuch.
Wir übernehmen außerdem Regelungen, die wir damals in den Zeiten eines sehr angespannten Wohnungsmarktes zunächst einmal nur befristet in dem sogenannten Maßnahmengesetz übernommen haben. Da sich diese Regelungen bewährt haben, müssen wir, wenn sie nicht auslaufen sollen, jetzt entscheiden, daß sie endgültig Dauerrecht werden. Auch das ist Aufgabe dieses Gesetzgebungsverfahrens.
Meine Damen und Herren, ein zentrales Anliegen dieses Gesetzes ist es, die Planungsverfahren auch im Interesse des Standortes Deutschland, zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und zur Flexibilisierung unserer Gesellschaft zügiger und überschaubarer zu machen. Wenn Zweifel bestehen, ob irgendein behördliches Verfahren notwendig ist oder nicht, haben wir uns in der Koalition zugunsten von weniger Bürokratie entschieden. Wenn wir darüber hinaus zu der Auffassung gekommen sind, daß die kommunale Selbstverwaltung Entscheidungen genausogut selbst treffen kann, haben wir uns für die kommunale Selbstverwaltung entschieden.
Ich halte manche Kritik für überflüssig und teilweise sogar für arrogant, die zum Beispiel in bezug auf den schwierigen Abgleich zwischen Naturschutz auf der einen Seite und Bauen auf der anderen Seite geäußert wird. Damit wird unseren Kolleginnen und Kollegen in den Kommunalparlamenten unterstellt, sie wären für dieses Thema weniger sensibel als wir im Deutschen Bundestag.
Das ist nicht angemessen. Wenn wir in unsere Gesetzgebung einige der Vorschläge einarbeiten würden, die man teilweise in der Anhörung vorgebracht hat, würden wir das, was wir brauchen, nämlich Demokratie von unten, nicht stärken, sondern schädigen.
Ich gebe allerdings auch folgendes zu - das ist, ehrlich gesagt, von uns gewollt -: Mehr Rechte bedeuten auch mehr Verantwortung. So manche Flucht aus dieser Verantwortung wird Stadträten, wo das ein wenig hochgekocht wurde und wo gesagt wurde, daß der Landkreis, der Regierungspräsident, die Landesregierung, die Bundesregierung - wer auch immer - schuld sei, etwas erschwert. Das ist aber gewollt. Zu Rechten gehört auch die Verantwortung.
Ein weiteres zentrales Thema ist der von mir schon erwähnte Ausgleich zwischen den Ansprüchen des Naturschutzes und denen des Bauens. Mein Kollege Peter Götz, der sich für die CDU/CSU als Hauptberichterstatter dieses Gesetzes große Verdienste erworben hat
- ich bedanke mich; ich darf hier selber ja nicht klatschen -, wird in dieser Debatte auf diesen Aspekt ausführlich genauso eingehen wie auf die Fragen der Nachhaltigkeit des städtebaulichen Handelns und der Modernisierung des Raumordnungsgesetzes. Zum Thema Bodenrecht wird dies meine Kollegin Hannelore Rönsch tun.
Lassen Sie mich deswegen aus der Fülle der gesetzlichen Regelungen und der rund 100 Anträge, die allein aus der Mitte des Deutschen Bundestages zu dem Gesetzentwurf der Regierung kamen, einige herausgreifen.
Ich habe bereits gesagt: Die Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung ist ein zentrales Anliegen der CDU/CSU. Wir sind deswegen zum Beispiel der Auffassung, daß für Bebauungspläne, die aus einem von der höheren Verwaltungsbehörde genehmigten Flächennutzungsplan heraus entwickelt werden, nicht nur das Genehmigungsverfahren, sondern auch das Anzeigeverfahren wegfallen kann. Denn wenn Sie durch die Lande gehen, von Nord nach Süd, von Ost nach West, werden Sie finden: Es hat sich manchmal nichts geändert; nach wie vor wird dieses Verfahren dazu benutzt, Gemeinden seitens bestimmter Aufsichtsbehörden selbst in reinen Zweckmäßigkeitsfragen zu gängeln. Auch das wollen wir nicht; wir wollen Verantwortung vor Ort.
Dr.-Ing. Dietmar Kansy
Ein nicht ganz ohne Emotionen diskutiertes Thema war der Wegfall der Teilungsgenehmigung. Jährlich werden rund 200 000 dieser Verfahren durchgeführt, mit dem Ergebnis, daß nur wenige Fälle auftreten, in denen durch eine Versagung städtebauliche Mißstände wirklich verhindert werden. Die Behauptung, die Teilungsgenehmigung biete dem Käufer mehr Sicherheit, ist doch nicht stichhaltig genug; denn er kann die Frage, ob er bauen kann oder nicht, durch eine Bauvoranfrage klären, die er heute meistens zusätzlich zur Teilungsgenehmigung gestellt hat oder stellen muß.
Die CDU/CSU begrüßt ausdrücklich auch die Vorstellung der Bundesregierung, Hilfestellung für den Strukturwandel in der Landwirtschaft zu geben. Es kann nicht verantwortet werden, Landwirte, die ihren Betrieb aufgegeben haben, letztendlich dazu zu zwingen, ihre Gebäude im Außenbereich verfallen zu lassen. Man muß jetzt einmal Klartext reden: Sie sollen sie nach unserer Auffassung statt dessen leichter und umfangreicher anders nutzen können; das gilt für Ost- und Westdeutschland gleichermaßen.
Im übrigen finde ich, daß die Gegenargumente, die von Vertretern des Landschaftsschutzes vorgebracht werden, nicht ganz nachvollziehbar sind. Nach Auffassung der Union jedenfalls ist es langfristig auch im Sinne des Natur- und Landschaftsschutzes sinnvoller, vorhandene Gebäude zu nutzen, statt neue Flächen auszuweisen, wenn es darum geht, die Ansiedlung von Gewerbe oder den Bau von Wohnungen zu ermöglichen.
Nun haben wir uns mit der SPD-Bundestagsfraktion und auch mit den anderen Oppositionsparteien bedauerlicherweise auf keine einheitliche Meinung, was das gesamte Gesetz betrifft, verständigen können. Die SPD begründet dies unter anderem - nicht ausschließlich; wir sind ja am Beginn der Debatte - damit, daß wir Ihren Anträgen nicht zugestimmt haben. Dies ergab sich nicht aus Gründen irgendeiner Konfrontation, sondern dies waren Sachentscheidungen.
Wenn Sie zum Beispiel eines unserer zentralen Themen, nämlich mehr kommunale Verantwortung bei Wegfall der Vorlagepflicht und ähnliches, ablehnen, wenn Sie zum Beispiel im Bereich der Landwirtschaft darauf bestehen, Sie müßten wesentliche Änderungen eines Gebäudes ausschließen und damit de facto den Bauern Steine statt Brot geben - es ist meiner Meinung nach sinnvoll, die äußere Gestalt eines Gebäudes zu erhalten und dennoch im Inneren Möglichkeiten zu geben, das Gebäude nach modernen Erfordernissen herzurichten -, dann gibt es eben keine Gemeinsamkeit mit uns.
Deswegen werden wir Ihnen dieses Gesetzeswerk bei allem Respekt - ich bedanke mich für die sachliche und zügige Beratung des Gesetzentwurfs - nach langen Abwägungsprozessen, Herr Kollege Großmann, die auch innerhalb unserer Fraktion - ich rede ausnahmsweise nicht von der Koalition - zum Beispiel beim Landschaftsschutz, bei Wohn- und Arbeitsplätzen zu langen Diskussionen und manchen schwer gefundenen Kompromissen geführt haben, vorlegen. Seien Sie ehrlich: Auch Sie haben in Ihrer Fraktion gestritten. Die Einmütigkeit, die Sie jetzt vorgeben, bestand nicht.
Wie das im Faxzeitalter so ist: Faxe laufen plötzlich falsch. Bedauerlicherweise lief ein Fax der SPD-Arbeitsgruppe Raumordnung, Bauwesen und Städtebau im Bundeskanzleramt auf. In dem Fax stand zur Frage Natur und Landschaft auf der einen Seite und Bauen auf der anderen Seite geschrieben: Die Fraktion sollte sich in der Frage nicht aus dem Fenster hängen. Ich meine, das sollte sie auch in anderen Fragen nicht tun.
Wir werden jetzt zu einer zügigen und modernen Lösung kommen. Ich bedanke mich beim Bauminister, bei den Damen und Herren seines Hauses und bei den Gemeinden und Ländern, die uns geholfen haben, ebenso bei der Opposition, die uns nicht zustimmen will.
Es ist ein gutes Gesetz, das auf Zukunft setzt in einer Zeit, in der wir Veränderungen brauchen.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Walter Schöler, SPD.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Es ist erfreulich, wenn es Fraktionsmitarbeiter gibt, die vorausschauend feststellen, daß wir bereits das Bundeskanzleramt besetzt haben. Daß dort manchmal unsere Faxe falsch ankommen, ist nicht weiter tragisch. Es standen keine Staatsgeheimnisse darin. Herr Dr. Kansy, Sie haben das ja festgestellt.
Die Koalition - wie soeben Herr Dr. Kansy - feiert das Bau- und Raumordnungsgesetz als wichtigen Schritt zum Abbau von Bürokratie und zur Vereinfachung und Verfahrensbeschleunigung zugunsten von Bürgern, Bauherren und Verwaltung.
- Das werden wir gleich sehen, Herr Braun.
Sie übersehen dabei nicht nur, daß der Kabinettsentwurf in einer Vielzahl von Punkten verändert werden mußte, um überhaupt die heutige Plenardebatte zu erreichen; denn betrachtet man die einzelnen Inhalte der Novelle, ist festzustellen, daß der enorme Aufwand der letzten Jahre mit einer Vielzahl von Gutachten, dem Bericht der Expertenkommission, den Ergebnissen des Planspiels und der Anhörungen mit vielen richtungweisenden Vorschlägen auch der kommunalen Praktiker in der jetzt zur Abstimmung stehenden Vorlage nur ansatzweise berücksichtigt wurde und die Vorlage daher nicht, wie eben dargestellt, ein gelungenes Werk ist.
Walter Schöler
Die Koalition präsentiert uns heute ein mißlungenes Reförmchen: Bundesregierung und Koalition sind den Anregungen der intensiven Diskussionen mit Fachvertretern, der Öffentlichkeit und der Fülle von Änderungsanträgen - 88 aus dem Bundesrat und viele aus der Opposition - in wesentlichen Bereichen nicht gefolgt. Die Chance, im Rahmen .der Schaffung eines einheitlichen Bau- und Planungsrechts in ganz Deutschland zu grundlegenden Änderungen zu kommen, hat die Koalition damit vertan.
Der Bundesbauminister hat gelegentlich darauf hingewiesen, daß es kein parteipolitisches Baugesetzbuch gibt. Dem kann ich durchaus zustimmen. Doch wenn das so ist, dann muß die Frage erlaubt sein, wieso kein einziger der Oppositionsanträge auch nur eine Stimme aus dem Koalitionslager erhalten hat.
Herr Dr. Kansy, Sie haben sich soeben dazu geäußert. Das war sehr unbefriedigend. Es gab keine Sachgründe. „Augen zu und durch" war Ihre Parole.
Wir legen Ihnen heute erneut Änderungsanträge vor, um noch notwendige Verbesserungen zu erreichen. Die SPD-Fraktion hat sich dabei auf einige Schwerpunkte konzentriert, die ich Ihnen darstellen möchte.
Die Stärkung der kommunalen Planungshoheit ist für uns ein unverzichtbarer Grundsatz. Dieser steht dann aber in einem engen Zusammenhang mit dem Grundsatz der Beteiligung aller Einwohner und Bürger an Planungsverfahren. Denn kommunale Planung bezieht sich nicht nur auf kommunale Dienststellen, Fachbehörden sowie Stadt- und Gemeinderäte. Unmittelbare Bürgermitwirkung ist notwendig, schafft auch neue Bezüge der Bürger zu ihren Gemeinden und begründet Vertrauen in die Politik.
Wir lehnen es deshalb ab, daß das Recht der Bürger, Bedenken gegen Planungen vorzutragen, im Gesetz gestrichen werden soll.
Wir erwarten vielmehr Fingerspitzengefühl der Verantwortlichen beim Umgang mit den Bedenken und Sorgen der Bürger. Dazu gehört auch, daß Planoffenlegungen nicht in Ferienzeiten durchgeführt werden, wie es kürzlich in einer Stadt meines Wahlkreises geschehen ist - natürlich mit dem nachfolgenden Ärger.
Die Stärkung der Planungshoheit setzt auch voraus, daß Möglichkeiten der materiellen Manipulation verhindert werden. Es ist daher zu begrüßen, daß zum Beispiel die von der Regierung angestrebten Fristverkürzungen zum großen Teil verhindert werden konnten. Die Erfahrung in der Praxis zeigt auch, daß die geringsten Verfahrenszeiten bei der Bürgerbeteiligung beansprucht werden. Meist sind es verwaltungsinterne Verfahrensabläufe, die endlos lange Planungszeiten verursachen. Der Wirtschaftsstandort Deutschland wird viel eher durch solche Verzögerungen gefährdet als durch die Einhaltung demokratischer Spielregeln bei der Bürgermitwirkung.
Der vorgesehene Wegfall der Teilungsgenehmigung - Herr Dr. Kansy hat es eben angesprochen - führt nicht zu einem schlankeren Staat, nicht zur Einsparung von Verwaltungskapazität und in den meisten Fällen ebenfalls nicht zu der von Ihnen angestrebten Beschleunigung. Wir befürchten, daß damit der Entwicklung städtebaulicher Mißstände und der Umgehung von Festsetzungen der Bebauungspläne Vorschub geleistet wird. Dies ist im Rahmen des Planspiels und zahlreicher Stellungnahmen von kommunalen Praktikern deutlich geworden.
Rund 200 000 Teilungsgenehmigungen pro Jahr nehmen bei der behördlichen Bearbeitung nur eine untergeordnete Rolle ein. Das ist bei einer 30000Einwohner-Stadt vielleicht eine pro Woche. Bei Teilungsgenehmigungen wird aber häufig zugleich über die Bebauungsmöglichkeit des einzelnen Grundstückes entschieden. Sie liegt also ebenso im Interesse der Grundstückserwerber und künftigen Bauinteressenten wie der kommunalen Planungsstellen und trägt zur Rechtssicherheit bei.
Sie werden es sehen: Nun erfolgt eine Verlagerung auf andere Instrumentarien, zum Beispiel die Bauvoranfrage. Dies ist keine Vereinfachung, keine Beschleunigung oder Verschlankung.
Gleiches gilt im übrigen für den Wegfall der Anzeigepflicht von Bebauungsplänen. Der in § 212a des Baugesetzbuches vorgesehene Wegfall der aufschiebenden Wirkung von Widersprüchen oder Klagen gegen erteilte Genehmigungen kann Bauherren noch dazu in Armut oder in den Konkurs treiben.
Bei den Grundsätzen der Bauleitplanung hat das Leitbild einer nachhaltigen Entwicklung im Sinne einer dauerhaften Sicherung der ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Lebensgrundlagen nicht ausreichend Eingang in den Gesetzentwurf gefunden.
Bauleitpläne sollen eine menschenwürdige Umwelt sichern, die natürlichen Lebensgrundlagen schützen und entwickeln sowie zu einer geordneten städtebaulichen Entwicklung einer am Wohl der Allgemeinheit orientierten, sozial gerechten Bodenordnung beitragen. Diesem Ziel dienen auch die deutlichere Verankerung des Bodenschutzes - im übrigen bin ich sehr interessiert, was Frau Rönsch nachher dazu sagen wird; sie hat an keiner einzigen Beratung im Bauausschuß teilgenommen - und des Erhalts ökologisch bedeutsamer Flächen sowie die Vermeidung der Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit des Naturhaushaltes und des Landschaftsbildes.
Der Beschleunigung von Planungsverfahren, der Durchführung notwendiger Investitionen und auch der Umwelt selbst kann es durchaus dienen, wenn eine zeitliche und räumliche Entkoppelung von Eingriffen und Ersatzmaßnahmen erfolgt. Die Gefahr, daß die vorgesehenen Maßnahmen auf den SanktNimmerleins-Tag verschoben werden, ist jedoch äußerst groß. Diese Befürchtung wird dadurch genährt,
Walter Schöler
daß die Koalitionsfraktionen noch in der letzten Beratungsrunde dem Wunsch einiger Bundesländer entsprochen haben, auf eine bundeseinheitliche Eingriffs- und Ausgleichsregelung zugunsten landesrechtlicher Vorschriften bis zum Jahr 2000 zu verzichten. Dies lehnen wir entschieden ab. Diese Regelung öffnet Tür und Tor, auf einen ökologischen Ausgleich ganz zu verzichten und anerkannte Standards im Naturschutz deutlich zu unterschreiten.
Im Rahmen der Novelle soll der bisher im Bundesnaturschutzgesetz verankerte Baurechtskompromiß in das Baugesetzbuch überführt werden. Hier hat es lange Auseinandersetzungen zwischen der Bau- und der Umweltpolitik gegeben. Wir haben von Anfang an deutlich gemacht, daß wir eine einheitliche Gesetzgebung begrüßen, die die Voraussetzung für eine verbesserte Planung darstellt. Andererseits treten wir jedoch allen Überlegungen entgegen, die einen Ausverkauf des Naturschutzes bedeuten würden. Für uns kommt es daher nicht in erster Linie darauf an, in welchem Gesetz oder an welcher Textstelle sich Regelungen zum Schutz von Umwelt und Natur wiederfinden. Für uns ist vielmehr wichtig, daß Eingriffe im Rahmen der Bauleitplanung einen verstärkten Stellenwert erhalten; nach Möglichkeit sollen sie vermieden werden.
Wo sie unvermeidbar sind - diese Fälle wird es häufig geben -, müssen sie im Rahmen der Abwägung bewertet und ausgeglichen werden.
Die Neufassung des § 1 a des Baugesetzbuches kann in der kommunalen Praxis zu einer Verschlechterung des Umweltschutzes gegenüber den bisherigen Regelungen führen, die im Naturschutzrecht standen. Wir werden sie deshalb nicht mittragen.
Im Bauausschuß hat die Koalition die Neufassung des § 1a des Baugesetzbuches und des § 8a des Bundesnaturschutzgesetzes durchgesetzt. Im Umweltausschuß hat die Koalition gestern eine andere Fassung als § 24 des Bundesnaturschutzgesetzes beschlossen. Was wollen Sie jetzt wirklich, meine Damen und Herren? Soll das, was heute hier beschlossen wird, im Juni, wenn es um den Naturschutz geht, erneut geändert werden? Es gibt ein großes Chaos in der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Kansy hat das sehr schmeichelnd umschrieben. Man kann nur feststellen: In dieser Koalition breitet sich jetzt, 500 Tage vor der nächsten Wahl, schon die Endzeitstimmung auch in bezug auf das Baurecht aus.
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Die Privilegierung von Baumaßnahmen im Außenbereich muß stets Ausnahme bleiben, Herr Dr. Kansy. Entsprechende Lippenbekenntnisse hat es von seiten der Koalition in den vergangenen Wochen immer wieder gegeben; Sie haben sie eben wieder geäußert. Tatsache ist dagegen: Durch die vorgesehene Neufassung des § 35 werden Baumöglichkeiten im Außenbereich stark erweitert. Das geht uns bedeutend zu weit. Zunächst wollte die Regierung auch die Änderung der Nutzung land- und forstwirtschaftlicher Gebäude nur ermöglichen, wenn die Aufgabe der bisherigen Nutzung nicht länger als fünf Jahre zurückliegt. Sie dehnen die Frist jetzt auf mehr als das Doppelte, nämlich auf 14 Jahre - zumindest in der Übergangszeit -, aus.
Daß dem Strukturwandel in der Landwirtschaft Rechnung zu tragen ist, verkennen auch wir nicht. Eine sinnvolle Nutzung aufgegebener landwirtschaftlicher Gehöfte soll auch künftig möglich sein. Wir treten deshalb für eine begrenzte Nutzung durch Schaffung von Wohnraum und auch für eine gewerbliche Verwendung ein, soweit diese dem Charakter des Außenbereichs entspricht und die äußere Gestalt der Gebäude gewahrt bleibt. Wir verlangen jedoch auch die Übernahme einer Verpflichtung der Eigentümer, im Falle einer Nutzungsänderung keine Neubebauung als Ersatz für aufgegebene Nutzungen vorzunehmen. Sonst ist die Entwicklung schon heute abzusehen: Dann gibt es einen Urlaub auf dem Lande; der Stall wird zu Ferienwohnungen umgebaut, die Scheune ebenfalls; dann wird diese Anlage ein Reiterhof; dafür braucht man Pferde, für diese wiederum Stallungen und Scheunen, und schon erfolgen die entsprechenden Erweiterungen. Die Landschaft wird zersiedelt.
Sie wollen im übrigen durch die Hintertür alle illegalen Tatbestände, die in den letzten Jahren im Außenbereich eingerissen sind, legalisieren. Häufig wurden solche Tatbestände erst festgestellt, wenn die Feuerwehr ausgerückt ist, weil es in der Autowerkstatt oder -lackiererei gebrannt hat.
Hinzu kommt noch der finanzpolitische Aspekt: Außenbereichsbebauung ist teuer, hat finanzielle Folgen für die Erschließung und die kommunale Daseinsvorsorge bis hin zu den Schulbussen, die da fahren müssen.
Dem Schutz des Außenbereichs dient nach unserer Auffassung auch der Verzicht auf die Übernahme der Außenbereichssatzung ins Dauerrecht. Die Instrumente des Baugesetzbuches bieten genügend Möglichkeiten, in normalen Planverfahren die Versorgung der Bevölkerung mit Wohnraum auch ohne eine weitere Zersiedlung der Außenbereiche sicherzustellen.
Wir hätten uns gewünscht, Sie hätten die Chance genutzt, die in Art. 14 des Grundgesetzes verankerte Regelung einer sozialen Eigentumsverpflichtung im Baugesetzbuch umzusetzen. Wir beantragen deshalb die Aufnahme des Planungswertausgleichs als ergänzendes Instrumentarium in das Baugesetzbuch.
Bei der ersten Lesung im Dezember letzten Jahres wurde - das hat auch der nordrhein-westfälische Bauminister Vesper schon einmal im Bundesrat getan - Art. 161 der bayerischen Verfassung zitiert, der zutreffend ist. Ich muß ihn wiederholen:
Steigerungen des Bodenwertes, die ohne besonderen Arbeits- oder Kapitalaufwand des Eigen-
Walter Schöler
timers entstehen, sind für die Allgemeinheit nutzbar zu machen.
Die bisherigen Instrumentarien wie die Durchführung von Umlegungsverfahren sowie die städtebaulichen Entwicklungsmaßnahmen und auch der auf Freiwilligkeit beruhende städtebauliche Vertrag allein reichen nicht aus. Sie gehen uns nicht weit genug. Sie erfassen nicht alle Grundstücke eines Baugebietes und befolgen damit auch nicht den Grundsatz der Gleichbehandlung aller Eigentümer, weil eine Menge Eigentümer einfach durch die Maschen schlüpfen und nicht erfaßt werden können, sich auf Kosten anderer bedienen und sich nicht an den Soziallasten beteiligen.
Im gemeinsamen Antrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen wird eine praxisnahe Regelung vorgeschlagen, die einen Interessenausgleich zwischen Privateigentum und kommunaler Bodenpolitik beinhaltet. Wertsteigerungen aus der Bauerwartung - ich muß darauf hinweisen, weil es im Bericht etwas anders formuliert ist; da steht nämlich „Baurohland" - verbleiben dabei dem Eigentümer, ebenso ein erheblicher Anteil am Wertzuwachs zwischen den Qualitäten Bauerwartungsland und reines Bauland. Die Pflicht zur Zahlung eines Ausgleichsbetrages sollte grundsätzlich entstehen, wenn Grundstücke baulich oder gewerblich genutzt werden dürfen. Unser Vorschlag berücksichtigt dabei auch die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Eigentümer.
Wichtig war uns ferner, daß die Einnahmen aus dem Planungswertausgleich zweckgebunden zur Finanzierung der Infrastruktur für die Menschen in neuen Baugebieten verwendet werden, für Kindergärten, Schulen, soziale und kulturelle Einrichtungen. Schließlich sollten Überschüsse erstattet werden. Es ist also beileibe keine Enteignungsregelung, sondern eine wirtschaftlich sinnvolle Regelung.
Die kommunalen Spitzenverbände haben im Rahmen der Anhörung dargelegt, daß sie einer solchen Regelung positiv gegenüberstehen. Einem steuerlichen Modell mit zoniertem Satzungsrecht haben sie nur deshalb eine Präferenz eingeräumt, weil sie bei den gegenwärtigen Mehrheitsverhältnissen im Deutschen Bundestag wenig Chancen zur Einführung eines Planungswertausgleiches sehen.
Herr Minister Töpfer, Sie haben im Gespräch eingeräumt, der Planungswertausgleich besitze aus der Sicht der Gemeinden einen gewissen Charme. Schreiben Sie ihn im Gesetz fest; die Gemeinden werden es Ihnen danken.
Sie schaffen damit im übrigen eine spiegelbildliche Antwort auf Entschädigungsverpflichtungen der Kommunen gegenüber Grundstückeigentümern; wenn nämlich Flächen wertmäßig herabgezont oder Baurechte beseitigt werden, dann muß entschädigt werden, was letztlich die Allgemeinheit bezahlen muß. So sollte die Allgemeinheit dann auch an Wertsteigerungen teilnehmen, die durch den Stadtrat oder den Gemeinderat bewirkt werden.
Soziales Bodenrecht muß auch die Möglichkeit des Verbots der Umwandlung von Mietwohnraum in Eigentumswohnungen bei erhöhtem Wohnraumbedarf beinhalten. Wir müssen den Druck vom Wohnungsmarkt und von Mietern wegnehmen, der in Ballungsgebieten noch sehr stark ist. Gehen Sie einmal nach Hamburg, schauen Sie sich einmal an, mit welchen Mitteln Mieter aus ihren Wohnungen vertrieben werden! Kündigungsschutz hilft hier wenig, wenn die umgewandelte Wohnung luxussaniert und unbezahlbar wird.
Deshalb wollen wir die Landesregierungen ermächtigen, bei Gefährdung der ausreichenden Versorgung mit Mietwohnraum Gebiete bestimmen zu können, in denen Umwandlungen in Eigentumswohnungen nicht oder nur mit Genehmigung zulässig sind.
Schutz vor Umwandlung ist Mieterschutz, meine Damen und Herren. Hier sollte sich die größere Koalitionspartei gegen die Marktpiraten der F.D.P. durchsetzen. Ich hoffe, sie schaffen das irgendwann noch einmal.
Der Erhaltung gewachsener sozialer Strukturen, der städtebaulichen Eigenarten und der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung ist ein besonderes Augenmerk zu widmen. Wir verlangen deshalb auch, im Gesetz die Möglichkeit vorzusehen, die gewerblichen Strukturen, die Gewerbebetriebe zu erhalten. Dazu soll auch die Beibehaltung und Neuformulierung von Beurteilungsregelungen zur Zulässigkeit von Vorhaben innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile dienen. Es muß endlich wirkungsvoll verhindert werden, daß großflächige Einzelhandelsbetriebe und Verbrauchermärkte unsere Innenstädte weiter stark beeinträchtigen, und das ohne qualifizierte Bauleitverfahren. Nur durch Planungsverfahren ist sicherzustellen, daß auch die städtebaulichen und raumordnerischen Auswirkungen in die Abwägung einbezogen werden. Sonst veröden unsere Innenstädte weiter. Wo bleibt da Ihre angebliche Mittelstandsfreundlichkeit, meine Damen und Herren der Koalition?
Wir verlangen schließlich eine Stärkung der kommunalen Vorkaufsrechte. Diese sollen sich im Interesse einer geordneten städtebaulichen Entwicklung auf alle unbebauten Flächen erstrecken und nicht auf Wohnbauflächen und Wohngebiete begrenzt werden. Dieses Instrumentarium bietet den Gemeinden die Möglichkeit, bereits im Vorfeld von Planverfahren Flächen zu erwerben. Gemeinden können damit auch auf dem Bodenmarkt preisdämpfend tätig werden. Dies gilt im übrigen auch für Gewerbeflächen. Auch hier ist der Preis ein Faktor bei der Standortwahl.
Wenn wir das Ziel verwirklichen wollen, die Eigentumsquote spürbar zu erhöhen - dies auch angesichts
Walter Schöler
weiterer Zuwanderungen in die Bundesrepublik -, werden wir dies nur über eine erfolgreiche kommunale Bodenvorrats- und Preispolitik erreichen können. Die Entwicklung ist schnellebiger, als manchmal gedacht. Der Hinweis auf das neue Eigenheimzulagengesetz zieht schon nicht mehr. Die darin enthaltenen Verbesserungen für Familien mit durchschnittlichen Einkommen sind längst durch Baulandpreissteigerungen und auch durch die Erhöhung der Grunderwerbsteuer von 2 auf 3 1/2 Prozent verfrüh-stückt worden.
Die vom Bauminister vorgeschlagene Änderung der Baunutzungsverordnung hat die Ausschußberatungen nicht überstanden. Wir begrüßen, daß die Koalition inzwischen davon abgerückt ist, die mittlerweile in sechster Fassung geltende Verordnung entsprechend der Regierungsvorlage gegenwärtig zu verändern. Die am Planspiel beteiligten Kommunen haben deutlich gemacht, daß die Baunutzungsverordnung schon heute den Gemeinden eine flexible Planung insbesondere auch im Rahmen der Verdichtung innerstädtischer Bereiche und der besseren Durchmischung von Arbeiten und Wohnen erlaubt. Wir sehen auf der Grundlage des Regierungsentwurfs wie der Bundesrat und die kommunalen Spitzenverbände keinen besonderen Handlungsbedarf. Die Schaffung einer siebten Planungsschicht wäre nur vor dem Hintergrund einer grundsätzlichen Novellierung zu akzeptieren. Deshalb erhält der Minister jetzt den Auftrag nachzusitzen.
Art. 10 des Gesetzentwurfes enthält neben der Vollmacht zur Bekanntmachung der Neufassung des Baugesetzbuches auch die Ermächtigung des Bundesbauministers, im Rahmen dieser Bekanntmachung Unstimmigkeiten des Wortlautes beseitigen zu können. Nach Auffassung des Bundesministeriums der Justiz - nachzulesen in den Empfehlungen zur einheitlichen rechtsförmlichen Gestaltung von Gesetzen - reicht die Beseitigung von Unstimmigkeiten immer an die Grenze dessen heran, was dem Gesetzgeber vorbehalten bleiben muß. Für offenbare Unrichtigkeiten, zum Beispiel Schreibfehler, bedarf der zuständige Bauminister keiner besonderen Erlaubnis. Die Erlaubnis, Unstimmigkeiten im Wortlaut zu beseitigen, ist nach Ansicht des Justizministers hingegen nicht zulässig.
Wir lehnen deshalb auch diesen Artikel ab. Vielleicht schafft es die Regierung, zumindest in dieser Frage eine interne Klärung herbeizuführen, wenn dies schon nicht in anderen Bereichen wie beim Umwelt- und beim Naturschutz gelungen ist.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, zahlreiche Anhörungen und Expertengespräche haben uns in der Auffassung bestätigt, daß am Gesetzentwurf der Bundesregierung erhebliche Korrekturen notwendig waren, die in den Ausschußberatungen nicht durchgesetzt werden konnten; ich habe eingangs darauf hingewiesen. Ich bedaure das sehr; denn man sollte angesichts des parlamentarischen Verfahrens einmal überlegen, wieviel Gehirnschmalz teilweise verwendet wird. Wenn das dann rigide durch Abstimmungen vom Tisch gefegt wird, ist das sicherlich für alle Beteiligten etwas unbefriedigender, als Sie, Dr. Kansy, das zu Anfang Ihrer Rede dargestellt haben.
- Das ist sehr richtig, Frau Kollegin Matthäus-Maier. Das ist Blockade. Es kommt immer darauf an, wer es macht. Hier nennt man es Blockade; dort nennt man es Sachgründe.
Die SPD-Bundestagsfraktion weiß sich in weiten Punkten mit den Vertretern des Bundesrates, der Städte und Gemeinden, den Fachleuten und der Öffentlichkeit einig.
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat mit uns einen gemeinsamen Antrag eingebracht. Sie hat jedoch einen eigenen Antrag gestellt, dem wir in vielen Punkten durchaus zustimmen können. Sie hat aber auch eine Reihe von Punkten verfaßt, die wir ablehnen müssen. Wir werden uns bei Ihrem Antrag, Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen, der Stimme enthalten.
Meine Damen und Herren der Koalition, Sie sollten sorgfältig prüfen - heute haben Sie noch die Chance -, ob Sie einfach über unsere Kritik hinweggehen, um einen parlamentarischen Sieg zu erringen, der im Bundesrat nach unserer Auffassung keinen Bestand haben kann. Nutzen Sie die Chance des heutigen Tages! Stimmen Sie unseren Änderungsanträgen zum Baugesetzbuch zu!
Ich danke Ihnen.
Für den Bundesrat erhält nun der Minister für Bauen und Wohnen des Landes Nordrhein-Westfalen, Michael Vesper, das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das, worüber wir heute diskutieren, ist eben nicht der große Wurf geworden, den wir alle für notwendig halten. Nein, was die Regierungsfraktionen uns heute hier anzubieten haben, ist eher ein unsystematisches Jonglieren mit einigen bunten Bällen, von denen Ihnen die meisten allerdings schon hingefallen sind. Dabei hatten wir alle - gerade auch die Länder - die Hoffnung, mit diesem Reformvorhaben könnten wir das Städtebaurecht vereinheitlichen und strukturell vereinfachen. Diesem Anspruch wird der Gesetzentwurf aber leider in keiner Weise gerecht.
Ich will nur einige wenige Punkte herausgreifen; Herr Schöler hat schon viele andere genannt. Warum haben die Regierungsfraktionen selbst kleine Schritte im Sinne der Kommunen und zugunsten der Umwelt abgelehnt? Warum weigern Sie sich, einen kleinen Schritt zu tun und das Vorkaufsrecht der
Minister Dr. Michael Vesper
Kommunen auf alle unbebauten Flächen zu erweitern?
Warum wollen Sie die Teilungsgenehmigung nicht beibehalten, wie es die kommunalen Spitzenverbände und auch alle Gemeinden wünschen, die an Ihrem Planspiel teilgenommen haben?
Damit nehmen Sie den Gemeinden doch ein wichtiges Instrument, um ihre städtebauliche Ordnung zu erhalten. Vereinfachung kann doch nicht heißen: Wilder Westen. Sie höhlen vor allem den Schutz des Außenbereiches von Gemeinden weiter aus. Es ist einfach unlauter, in Sonntagsreden die fortgeschrittene Zersiedelung und Versiegelung der Landschaft zu beklagen, wenn man das dann im Alltag weiter fördert.
Wenn Sie im Außenbereich privilegierte Höfe jetzt auch für Gewerbebetriebe öffnen, dann ist das nur der erste Schritt, dem dann zwangsläufig weitere f ol-gen werden. Wo einmal ein Gewerbebetrieb auf der grünen Wiese entsteht, wird er, jedenfalls wenn er wirtschaftlich erfolgreich ist, bald auch ausgeweitet. Wer will dann dem Druck standhalten, neue Bauten zu genehmigen? Nein, hier dürfen wir nicht den kleinen Finger reichen, weil dem dann bald die ganze Hand folgen wird.
Der Hauptpunkt meiner Kritik ist, daß Ihrer Gesetzesnovelle das Wichtigste fehlt. Eine Neuordnung des Bau- und Bodenrechts ist nichts wert, wenn sie keine Antwort auf die entscheidende Frage gibt: Wie können wir kostengünstig Bauland entwickeln, und zwar gerade nicht in immer abgelegeneren Außenbereichen auf der grünen Wiese, sondern am und im Randbereich der Siedlungsgebiete, wo das Bauland heute einfach zu teuer ist? Hierauf müssen wir eine Antwort geben, weil wir sonst auch nicht die geringste Chance haben, eine durchschlagende Offensive für das kostengünstige Bauen zu starten.
Es ist doch frustrierend, wenn wir Mark um Mark bei den reinen Baukosten sparen, gleichzeitig aber die Baulandpreise das mühsam Ersparte wieder auffressen. Darum hat die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen einstimmig - wir sind uns ja nicht immer in allen Punkten einig - vorgeschlagen, das Instrument des Planungswertausgleichs in das Baugesetzbuch einzuarbeiten. Die Kosten, die den Kommunen zwangsläufig entstehen, wenn sie Baugebiete ausweisen, sollen durch die Abschöpfung eines Teils der Wertsteigerung aufgefangen werden.
Jede Kommune tut sich deswegen so schwer, Bauland in stadtnahen Bereichen auszuweisen, weil das. für sie mit hohen Kosten verbunden ist. Sie muß eine ÖPNV-Linie legen, einen Kindergarten, eine Schule bauen, vielleicht auch ein Verwaltungsamt - alles Kosten, für die bislang allein die Kommune aufzu kommen hat. Der Grundstückseigentümer aber fährt so etwas wie einen Lottogewinn ein: Ohne auch nur einen einzigen Finger zu krümmen, wird er durch die Planungsentscheidung der Kommune um Millionen reicher.
- So ist es, Herr Kollege.
Wir wollen nun, daß die Kommune 70 Prozent dieser Wertsteigerung abschöpfen kann, um diese Mittel zielgenau und zweckgebunden für die Entwicklung des Baugebietes zu verwenden. Ich kann überhaupt kein Argument erkennen, das dagegenspricht.
Umgekehrt gilt dieses Prinzip nämlich längst: Wenn eine Kommune Bauland in Ackerland zurückstuft, muß sie die Wertminderung dem Eigentümer erstatten. Es könnte also durchaus der Fall eintreten, daß eine Kommune heute ein Baugebiet ausweist, wodurch der Quadratmeterpreis von 20 auf 200 DM steigt, und daß sie sich morgen entscheiden muß, das nicht bebaute Land wieder zurückzustufen. Dann muß sie den Eigentümer mit 180 DM pro Quadratmeter auszahlen. Das ist doch wirklich absurd. Man muß, wenn man A gesagt hat, doch auch B sagen.
Der Planungswertausgleich ist auch kein sozialistisches Marterinstrument zum Quälen von Grundstückseigentümern. Er kommt auch nicht aus der Mottenkiste, Herr Kansy. Da gehören eher Ihre Gegenargumente hinein.
- Ich lese Zeitung. Ich hoffe, Sie auch.
Den Eigentümern verbleibt nicht nur der Wert, den das Grundstück vor dem Beschluß der Gemeinde, den Bebauungsplan aufzustellen, hatte, sondern zusätzlich 30 Prozent des von ihm selbst nicht erwirtschafteten Zuwachses. Darüber hinaus kann die Gemeinde in Härtefällen den durch Bescheid festgesetzten Betrag ganz oder teilweise erlassen, niedrig verzinst oder zinslos stunden.
Mit dem Planungswertausgleich versetzen wir die Gemeinden finanziell in die Lage, neues Bauland auszuweisen. Die Gemeinde ist verpflichtet, die von ihr erworbenen Wohnbaugrundstücke baldmöglich Bauwilligen zum Endwert zur Verfügung zu stellen. Nach den Gesetzen von Angebot und Nachfrage wird Bauland auf diese Weise billiger. Das brauchen wir, wenn wir eine gemeinsame Bundes- und Länderinitiative für kostengünstiges Bauen starten wollen.
Manche setzen den Planungswertausgleich in einen Gegensatz zu anderen Instrumenten wie städtebaulichen Verträgen oder Vorhaben an Entschlie-
Minister Dr. Michael Vesper
ßungsplänen oder auch einer Wiedereinführung der Grundsteuer C. Dem ist nicht so. Der Planungswertausgleich soll diese Instrumente nicht ersetzen, sondern ergänzen.
Meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, Art. 161 Abs. 2 der bayerischen Verfassung wurde eben schon zu Recht zitiert. Nehmen Sie endlich Ihre ideologischen Scheuklappen ab! Ich hoffe nun wirklich auf die Standfestigkeit der Bayern aller Fraktionen, daß sie ihre Verfassung verteidigen, ihr treu bleiben und hier dafür kämpfen, daß diesem Grundsatz zur Durchsetzung verholfen wird.
Sollten Sie im Verlauf dieser Debatte nicht dazulernen, werden wir uns im Vermittlungsausschuß wiedersehen. Spätestens dann werden sie Gelegenheit haben, Ihre ideologischen Scheuklappen abzulegen.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Hildebrecht Braun.
Frau Präsidentin! Verehrte Schriftführer! - Auch Sie will ich in meinen Gruß einmal ausdrücklich einbeziehen, nachdem Ihre segensreiche und von immerwährender Geduld geprägte Arbeit in der Regel hier keine Würdigung erfährt. - Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Das neue Baugesetzbuch mag kein Jahrhundertgesetz sein, aber es bildet eine hervorragende Basis für den Übergang von diesem ins nächste Jahrhundert. Das Baugesetzbuch ist das wichtigste Vorhaben, für das der Bauausschuß federführend ist. Deswegen ist dieser Tag heute natürlich für uns „Bauleute" im Parlament ein großer Tag. Aber, es ist auch ein großer Tag für unser Land.
Mit dem neuen Baugesetzbuch werden politische Vorgaben umgesetzt, mit denen diese Koalition angetreten ist: die Verkürzung der Verfahren, der Abbau von Bürokratie, die Verlagerung der Verantwortung von oben nach unten auf die Kommune, die wir stärken wollen, die Förderung von Natur und Umwelt und auch die Erleichterung von Modernisierung der Altbausubstanz in den Städten.
Ich möchte an dieser Stelle drei Personen ausdrücklich für ihren besonderen Einsatz und für ihre besondere Sachkenntnis danken: Herrn Götz von der CDU/CSU, Herrn Schöler von der SPD und natürlich auch Herrn Krautzberger und seinem Team vom Bauministerium. Die genannten Personen haben in ganz besonderer Weise nicht nur ihren enormen Sachverstand eingebracht, sondern mit Geduld und Geradlinigkeit dazu beigetragen, daß wir innerhalb der Zeitvorgaben, die wir uns gesetzt haben, dieses große Gesetzesvorhaben durchziehen konnten.
Ich möchte mich zu einigen Einzelthemen äußern, die mir besonders wichtig erscheinen. Ich möchte mit der Ausgleichsregelung für Bauvorhaben im Hinblick auf Umwelt- und Naturschutz beginnen. Wir haben uns dazu entschieden, die entsprechenden Regelungen aus dem Bundesnaturschutzgesetz in das Baugesetzbuch zu übernehmen. Der Hintergrund ist, daß wir alle Personen, die in der Gemeinde mit Bauvorhaben befaßt sind, in aller Deutlichkeit darauf hinweisen wollen, daß in den Abwägungsprozeß bei großen Bauvorhaben die Belange von Umwelt- und Naturschutz von Anfang an gleichwertig einzubeziehen sind. Damit haben wir der Vorgabe der Staatszielbestimmung in Art. 20 a des Grundgesetzes Rechnung getragen.
Wir haben ausdrücklich § 1 a für diese Regelung reserviert. Wir alle wissen: 1 a heißt super. Das ist eine besondere Stelle für ein besonderes Anliegen. Das mag auf diese Weise deutlich werden.
Wir haben zugleich bei der Regelung der Ausgleichsmaßnahmen eine Änderung vorgenommen. Wir haben Flexibilität eingebracht im doppelten Sinne. Erstens zeitlich: Die Ausgleichsmaßnahme muß nicht zum gleichen Zeitpunkt erfolgen wie die Baumaßnahme. Wir haben zweitens auch eine örtliche Flexibilisierung in das Gesetz aufgenommen.
Diese Flexibilisierung wird Baumaßnahmen verbilligen. Das wollen wir, weil wir Investitionen erleichtern wollen. Es ist jetzt nicht mehr erforderlich, bei einer Baumaßnahme im Kernbereich einer Stadt, wo die Bodenpreise extrem hoch sind, in unmittelbarer Nähe ein Grundstück zu suchen, bei dem Ausgleichsmaßnahmen erfolgen können. Vielmehr können wir beispielsweise am Stadtrand Grundstücke heranziehen, die für den Umwelt- und Naturschutz vielleicht viel wichtiger sind. Auf diese Weise können zum Beispiel Biotope vernetzt werden, eine Maßnahme, die von den Naturschützern zu Recht als ganz besonders wichtig angesehen wird.
Ich möchte einen weiteren wichtigen Punkt ansprechen: In Zukunft werden wir die Gemeinden ermächtigen, eigenverantwortlich Bebauungspläne aus Flächennutzungsplänen, die ja von der höheren Verwaltungsbehörde genehmigt sind, heraus zu entwickeln und zu beschließen. Dies wird den Gemeinden nicht nur neue Rechte bringen, sondern natürlich ein gehöriges Maß an zusätzlicher Verantwortung. Es werden deswegen Bebauungspläne sehr viel intensiver dort beraten und verantwortet werden müssen. Wir wissen natürlich, daß dieses Verfahren - Herr Schöler hat hier sicherlich recht - auch Risiken in sich birgt, denn speziell kleine Kommunen haben oft nicht die nötige Manpower - um es neudeutsch zu sagen -, um hier rechtlich einwandfreie und von der Sache her auch ausgezeichnete Bebauungspläne zu erstellen. Sie werden sich also des Sachverstandes von privaten Beratungsfirmen bedienen müssen, aber sicher auch in Zukunft auf die Beratung der
Hildebrecht Braun
Landratsämter bauen dürfen. Aber die Verantwortung bleibt bei den Kommunen.
Sicherlich ist hierbei ein Punkt zu berücksichtigen, den ich auch ansprechen möchte: Die Rechtssicherheit, das Vertrauen auf die Bestandsfestigkeit von Bebauungsplänen wird in Zukunft natürlich nicht mehr so groß sein wie jetzt, wo ein Stempel des Landratsamtes vorhanden sein muß, damit der Bebauungsplan endgültig rechtswirksam wird. Dennoch überwiegen die Vorteile der von uns beschlossenen Regelung. Deswegen machen wir es so.
Dritter Punkt: Monatsfrist für Träger öffentlicher Belange. Bisher gab es gewaltige Zeitverzögerungen, wenn Träger öffentlicher Belange um ihre Meinung gefragt wurden und wegen Urlaub, Schwangerschaft oder sonstigen Gründen die Stellungnahme eines Trägers öffentlicher Belange über lange Zeit nicht einging. Das wird in Zukunft so nicht mehr möglich sein. Wenn sich eine Behörde innerhalb eines Monats nicht meldet, dann wird davon ausgegangen, daß sie zugestimmt hätte. Das ist auch richtig, denn wenn sich eine Behörde einen ganzen Monat lang nicht meldet, dann signalisiert das, daß eventuelle Einwände dieser Behörde nicht von übergroßer Bedeutung sein können.
Wir haben das Baugesetzbuch auch insofern vereinheitlicht, als wir Vorschriften aus anderen Gesetzen in dieses Gesetz integriert haben. Das Recht wird dadurch überschaubarer, einfacher zu handhaben und damit gesetzestechnisch richtiger. So haben wir Regelungen aus dem Maßnahmengesetz zum Baugesetzbuch übernommen und auch das Städtebauförderungsrecht einbezogen. Wir haben jetzt sozusagen ein Gesetz aus einem Guß. Das dient unseren selbstgesteckten Zielen als Gesetzgeber.
Ich möchte auf den Wegfall der Bodenverkehrsgenehmigung in Zukunft zu sprechen kommen. Dieses Thema hat uns natürlich intensiv beschäftigt. Aber 200 000 Vorgänge in Deutschland in einem einzigen Jahr wegfallen zu lassen, ist ein mutiger Schritt und im Ergebnis auch ein richtiger Schritt.
Natürlich kamen jetzt Kommunen und sagten: Um Gottes willen, wenn jetzt jeder sein Grundstück so teilen kann, wie er es für richtig hält, sind damit doch große Gefahren verbunden. Nein, meine Damen und Herren, der Gesetzgeber gibt hier dem Eigentümer eigentlich nur ein zentrales Element seines Verfügungsrechtes zurück. Warum soll nicht ein Eigentümer das ihm gehörige Grundstück - es gehört nicht den Kommunen und auch nicht dem Staat - in der Form teilen bzw. durch ein Grundstücksteil vom Nachbarn erweitern können, ohne hier erst den Segen der Gemeinde erbitten zu müssen.
Tatsache ist doch, daß die Kommunen sehr häufig der Meinung waren, daß solche Bodenverkehrsgenehmigungen nur dann zu erteilen seien, wenn dadurch neues Bauland in geeigneter, von der Kommune erwünschter Weise entstehe. Das vernachlässigt völlig, daß ein Grundstück auch anderen Zwekken dienen kann als nur dem neuer Bauvorhaben.
Warum sollte nicht ein Familienvater - um ein ganz drastisches Beispiel zu nehmen - einige Quadratmeter von der Wiese des Nachbargrundstücks zu seinem Grundstück dazukaufen, damit seine Kinder einen Federballplatz haben?
Das ist doch in Ordnung; das ist überhaupt kein Problem. Das soll möglich werden, auch ohne daß die Kommune einbezogen wird.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Von Frau Eichstädt-Bohlig? - Selbstverständlich.
Herr Kollege Braun, ich möchte Sie fragen, ob Sie wirklich so naiv sind, zu glauben, daß die Mehrheit der Grundstücke geteilt wird, damit Familien Federball spielen können, oder ob Sie nicht genau wissen, daß die Mehrheit der Grundstücke geteilt wird, um die Ausnutzung des Grundstücks praktisch in zweiter Reihe zu verdoppeln. Das möchte ich Sie wirklich fragen, nachdem wir das intensiv im Ausschuß debattiert haben.
Frau Eichstädt-Bohlig, nachdem Sie sich bisher nicht nur korrekt, sondern in der Regel auch höflich verhalten haben, habe ich selbstverständlich eine Zwischenfrage von Ihnen zugelassen. Wenn Sie aber glauben, im Bundestag mit Begriffen wie „naiv" umgehen zu müssen, dann beantworten Sie Ihre Frage selber. Ich mache weiter.
Ich komme zu einem Punkt, der von großer praktischer Bedeutung sein wird. In Zukunft wird es die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Nachbarn und auch des Anfechtungsverfahrens nicht mehr geben. Das ist in der Tat ein gewaltiger Einschnitt in die Verwaltungspraxis. Damit werden wir erst umgehen lernen müssen.
Ich räume ein: Auch mit dieser Änderung sind gewaltige Risiken verbunden. Wenn der Nachbar ein Bauvorhaben nicht mehr verhindern, zumindest nicht mehr bis zur endgültigen Entscheidung der Gerichte verzögern kann, sondern gebaut werden kann, sobald die Baugenehmigung vorliegt, dann wird der Nachbar, wenn er dies verhindern will, zum Verwaltungsgericht marschieren und nach § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung die aufschiebende Wir-
Hildebrecht Braun
kung herstellen lassen müssen. Das bedeutet, daß wir in Zukunft einen Run auf die Verwaltungsgerichte bekommen werden und daß im vorläufigen Verfahren bereits überprüft werden muß, ob die Baugenehmigung nun rechtens war oder nicht.
Mit anderen Worten: Es handelt sich um eine Verlagerung der Überprüfung von der Widerspruchsbehörde zu den Verwaltungsgerichten. Ob das wirklich der richtige Weg ist, werden wir nach einigen Jahren der Erprobung beurteilen können. Ich räume ein, daß ich noch Zweifel habe. Dennoch haben wir uns dazu entschlossen, und zwar einfach aus der Erkenntnis heraus, daß es dem Nachbarn bisher oft möglich war, ein Bauvorhaben über Jahre hinaus zu verhindern, zu blockieren. Er argumentierte: Das verwaltungsgerichtliche Verfahren ist vergleichsweise preiswert. Wenn ich mir dadurch, daß ich ein solches Verfahren über mehrere Instanzen anzettele, über Jahre hinweg die Sicht ins Grüne, zum Beispiel auf den Wald, sichern kann, dann war mir dies die Sache wert. - Derartiges wollen wir in Zukunft nicht mehr. Deswegen haben wir uns zwar mit Bedenken, aber dennoch entschieden, eine solche Änderung beim Widerspruchsverfahren vorzunehmen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schöler?
Bitte, Herr Schöler.
Herr Kollege Braun, ist Ihnen geläufig, daß die Nachbarn erst zum Verwaltungsgericht gehen können, wenn bereits der Rohbau steht, währenddessen man früher den Baubeginn verhindern konnte? Ist Ihnen auch die Konsequenz klar, daß dann ein Rohbau, wie Sie sagen, über Jahre hinweg vor sich hin faulen und der Bauherr in Konkurs getrieben wird?
Herr Schöler, diese Konsequenz ist mir klar. Wenn ich Sie aber richtig verstehe, dann unterstützen Sie damit das, was wir beschlossen haben, nämlich das Widerspruchsverfahren nicht mehr mit der aufschiebenden Wirkung zu versehen. Oder habe ich Sie falsch verstanden?
- Die Kolleginnen werden im Umgang mit den Kollegen im Bundestag immer höflicher.
Wollen Sie den Kollegen nachfragen lassen?
Herr Schöler, Sie wollen nachfragen.
Ich halte diesen Punkt hinsichtlich der wirtschaftlichen Auswirkungen für sehr wichtig. Deshalb frage ich nach.
Nach bisherigem Recht konnte, ich sage einmal: ein Nachbar eine Baumaßnahme verhindern, wenn die Baugenehmigung erteilt war. Er konnte also zum Gericht gehen, zur Not über Jahre hinweg. Nach neuem Recht gibt es keine aufschiebende Wirkung. Das heißt: Der Begünstigte, der die Baugenehmigung erhalten hat, kann mit dem Bauen beginnen. Er beginnt und hat die Baumaßnahme bis zu einem gewissen Zeitpunkt fertiggestellt. Dann erst marschiert der Nachbar, was er immer noch kann, vor Gericht und erhebt Klage. Per Gerichtsbeschluß wird die Baustelle mit dem Ergebnis stillgelegt, daß Gebäude, in die Hunderttausende oder vielleicht Millionen DM investiert wurden, vor sich hinfaulen, weil die Baumaßnahme nicht fertiggestellt werden kann. Ein großer Investor mag das vielleicht noch verkraften können. Aber wenn dem Häuslebauer in der zweiten Reihe die Baustelle stillgelegt wird, ist er bei Krediten von 200 000, 300 000 oder 400 000 DM wirtschaftlich am Ende. Dieses Risiko packen Sie in die neue Regelung herein.
Herr Schöler, bleiben Sie doch bitte stehen, damit meine Redezeit nicht gemindert wird.
Die Dinge liegen doch wohl so: Wenn jemand jetzt eine Baugenehmigung hat, der Nachbar aber Widerspruch einlegt, dann heißt das, der Bauwerber mag das Grundstück erworben haben, er mag bereits Aufträge an alle möglichen Baufirmen vergeben haben, aber er muß sie natürlich entschädigen, wenn sie bis auf weiteres nicht bauen dürfen. Er bleibt also auf seinen Investitionen sitzen, bis das Verfahren über die Instanzen abgeschlossen ist. Das ist genau das, was wir nicht wollen. Wenn ich das richtig sehe, teilen Sie diese Befürchtung. Es geht nur darum, Wege zu finden, daß sich in Zukunft, wenn auch in reduzierter Weise, das Risiko nicht wieder realisiert.
Es wird sich aber aus folgendem Grund nicht wieder realisieren: Wenn der Nachbar gegen das Bauvorhaben vorgehen will, dann wird er das aus gutem Grunde unmittelbar nach der Erteilung der Baugenehmigung tun. Tut er es nämlich später, macht er sich selbst schadenersatzpflichtig. Darin liegt ein Riesenproblem. Wir müssen auch für die Kommune ein gewaltiges wirtschaftliches Risiko sehen. Wenn sie nämlich eine Baugenehmigung erteilt hat, die von den Gerichten nachträglich kassiert wird, und wenn in der Zwischenzeit bereits gebaut wurde und damit rückgebaut werden muß, dann muß im erheblichen Maße Schadenersatz geleistet werden.
Über diese Probleme sollten wir vielleicht noch einmal im Ausschuß reden. Die Gelegenheit ist hier nicht geeignet, weil es ein Zwiegespräch wird und meine Redezeit entsprechend kürzer wird.
Hildebrecht Braun
Ich möchte zum nächsten Punkt kommen: Umnutzung landwirtschaftlich genutzter Gebäude. Auch hier haben wir eine Entscheidung getroffen, die uns nicht leichtgefallen ist. Wir wissen aber, daß es der Landwirtschaft verdammt schlecht geht. Deswegen wollen wir Landwirten, die ihre Gebäude im Außenbereich aufgeben, die Möglichkeit geben, sie in Zukunft in anderer Weise gewerblich zu nutzen. Wir sehen aber die Gefahr der Zersiedelung und werden streng ein Auge darauf werfen, daß sich diese Gefahr nicht realisiert.
Ich komme nun zur Erhaltungssatzung im § 172. Für uns Liberale war es ganz besonders wichtig, daß hier noch eine deutliche Änderung der gegenwärtigen Gesetzeslage vorgenommen wurde. In Zukunft werden auch in Erhaltungssatzungsgebieten Modernisierungsmaßnahmen genehmigungsfrei laufen, die darauf gerichtet sind, den Ausbaumaßstab zu realisieren, der durch die Bauordnungen der Länder vorgegeben ist. Das heißt, ab einer bestimmten Höhe, beispielsweise E plus 5, werden in der Regel auch Aufzüge eingebaut werden können. Es werden in den Wohnungen Bäder eingebaut werden können und damit von den Zwischengeschossen - das finden wir sehr häufig in den neuen Bundesländern - in die Wohnungen einbezogen werden können. Das ist wichtig, um die Wohnungen langfristig bewohnbar und vermietbar zu machen.
Wir haben aber auch dafür gesorgt, daß Heizungen genehmigungsfrei eingebaut werden können. Warum? Weil damit ein zeitgemäßer Standard erreicht wird, den zu verhindern nicht im öffentlichen Interesse liegen kann.
Unsere Sichtweise der Modernisierung ist, daß Modernisierung grundsätzlich positiv ist, weil sie die Altbausubstanz in den Städten erhält, Wohnungen langfristig vermietbar macht, den Wohnwert erhöht und damit auch die soziale Ausgewogenheit in Altbaugebieten der Städte ermöglicht. Das ist alles positiv. Deswegen wollen wir Modernisierung erleichtern und nicht erschweren.
Ich möchte noch ein Wort zur Baunutzungsverordnung sagen. Eigentlich hatten wir geplant, die Baunutzungsverordnung in einem Aufwasch mit zu ändern. Wir hatten dabei zwei Ziele. Wir waren uns darüber einig - übrigens über die Grenzen der Fraktionen hinweg -, daß wir
- ehrlich gesagt, sie haben ganz Wichtiges zu tun, Herr Schöler; Sie wissen übrigens, daß das, was ich sage, dem entspricht, was die F.D.P. für richtig hält - im Kerngebiet, also in den Bereichen der Stadt, die durch Verwaltungsbauten gekennzeichnet sind, das Wohnen wieder erleichtern. Warum wollen wir das? Wir wollen eine Revitalisierung der Innenstädte. Revitalisierung bekommen wir genau dadurch, daß dort wieder gewohnt wird und nicht nach Ladenschluß die Gehsteige hochgeklappt werden.
Da sind die bisherigen Regelungen zu eng. Wir wünschen, daß bei der gegenwärtigen Verordnungslage diese Bestimmung schon jetzt so ausgelegt wird, daß Wohnen wenigstens so weit wie möglich auch in diesen Bereichen möglich wird. Wir werden aber sicherlich bei nächster Gelegenheit - das wird wohl in der nächsten Legislaturperiode sein - die Baunutzungsverordnung so ändern, daß diesem Anspruch Rechnung getragen wird.
Wenn wir es nicht schon jetzt getan haben, dann deshalb, weil sechs Fassungen der Baunutzungsverordnung in beschränktem Umfange fortgelten und deswegen natürlich für die Verwaltung eine siebte Fassung die Dinge nochmals erschwert. Das heißt: Wenn wir eine siebte Fassung machen, dann soll sie alle Veränderungen, die wir für nötig halten, umfassen.
Ich möchte einen zweiten Grund nennen, weswegen ich eine Änderung wollte. Das reine Wohngebiet ist nämlich ein sehr problematischer Teil in der Baunutzungsverordnung. Tatsache ist, daß uns die Gerichte Maßstäbe mitgegeben haben, die wir nicht hinnehmen können. Ich denke an folgendes: Im reinen Wohngebiet wurden Unterkünfte für Asylbewerber abgelehnt. Das wurde von Gerichten bestätigt. Es wurde aber auch abgelehnt, daß im reinen Wohngebiet ein - wohlgemerkt - Pflegeheim gebaut werden konnte. Kann es denn sein, daß wir eine Rechtsordnung aufrechterhalten, die Pflegebedürftige und Behinderte baurechtlich ausgrenzt, die sie in Wohngebiete mit minderem Wohnwert verweist? Das kann doch wohl nicht wahr sein.
Tatsache ist aber, daß die Gemeinde Feldafing in Bayern erst vor kurzer Zeit wieder ein Pflegeheim im reinen Wohngebiet unter Hinweis auf diese Rechtsprechung abgelehnt hat. Das sind Dinge, die wir nicht akzeptieren und nicht tolerieren. Ich möchte dies auch in aller Deutlichkeit hier ausdrücken.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Klaus-Jürgen Warnick.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe meistens die Ehre nach meinem Kollegen Herrn Braun reden zu dürfen. Da muß ich denn öfters einmal auf ihn eingehen; denn was Herr Kollege Braun zum Widerspruchsverfahren gesagt hat, offenbart für mich eine sehr bedenkliche Einstellung. Sie sagen: Wir probieren einmal aus, ob das Gesetz so läuft. Dann warten wir ein Jahr. Wenn es nicht läuft, dann können wir uns etwas anderes einfallen lassen.
Herr Braun, die Bundesrepublik Deutschland ist kein Testlabor. Die Bundesbürgerinnen und -bürger sind keine weißen Mäuse. Man sollte sich schon genauer überlegen, was man hier macht, und nicht sagen: Wir probieren das einfach aus.
Klaus-Jürgen Warnick
Zum Ergebnis der bisherigen Debatte um die Novelle des Baugesetzbuches und des Raumordnungsgesetzes sei es mir gestattet, Karl Valentin zu zitieren: Mögen' hätten wir schon wollen, aber dürfen haben wir uns nicht getraut. Er war übrigens Ihr Landsmann, Herr Braun. Dieser Satz scheint Ihr Leitmotto gewesen zu sein, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Regierungskoalition. Anders kann ich mir jedenfalls das große Mißverhältnis nicht erklären. Zwischen dem, was Minister Töpfer auf Tagungen so alles verbreitet, was in den Forschungsprogrammen zum experimentellen Wohnungs- und Städtebau erarbeitet wird bzw. was die Bundesregierung in der Lokalen Agenda 21 und der Istanbul-Erklärung auf internationaler Ebene versprochen hat, und dem, was davon in der Novelle verbindlich umgesetzt wird, klaffen große Lücken.
Diesen Gegensätzen begegne ich auch in anderen Veröffentlichungen zu diesem Thema, zum Beispiel im Städtebaulichen Bericht des Jahres 1996 zur „Nachhaltigen Stadtentwicklung" oder im Zwischenbericht der Enquete-Kommission „Schutz des Menschen und der Umwelt". Ein paar Beispiele für krasse Gegensätze. Erstes Thema: Beteiligung von Frauen und Jugendlichen an Planungsprozessen. Erster Anspruch, von Ihnen in Kapitel 28 der Rio-Erklärung unterschrieben:
Alle Kommunen in jedem einzelnen Land sollen dazu angehalten werden, Programme durchzuführen und zu überwachen, deren Ziel die Beteiligung von Frauen und Jugendlichen an Entscheidungs-, Planungs- und Umsetzungsprozessen ist.
Der zweite Anspruch. Ich zitiere aus einer Rede meines Kollegen Töpfer vor dem Deutschen Verband sechs Wochen vor der Habitat-Konferenz in Istanbul:
Am Ende brauchen wir die Teilhabe der Menschen. Am Ende müssen wir jedem vermitteln, daß es seine Stadt ist, daß es sein Stadtquartier ist, für das es sich einzusetzen gilt.
Jeder, der meint, Bürgerbeteiligung sei so etwas wie ein störender Faktor großer Planung, dem sei gesagt: Das Gegenteil ist der Fall. Wir sollten auch hier viel mehr Mut haben, diese Städte mit unseren Bürgern zu entwickeln und nicht an ihnen vorbei.
In demselben Text hieß es weiter vorn:
Wir brauchen wirklich mehr Frauen in diesen Planungsaufgaben, weil sie diese Angstträume ganz anders erleben, als ein Mann sie erlebt.
Und deswegen wäre ich sehr daran interessiert, daß wir diese Fragen ganz ernst nehmen.
Soweit Herr Töpfer.
Herr Töpfer, so ernst, daß die Beteiligung in § 3 des Baugesetzes ausgeweitet wird und die Frauen dort ausdrücklich erwähnt werden, scheinen Sie das Ganze nun doch wieder nicht gemeint zu haben - nach dem Motto: Was scheren mich meine Reden vom vergangenen Jahr? Denn die Wirklichkeit: Ablehnung unseres Antrags, die Belange von Frauen,
Kindern und Jugendlichen durch ihre Interessenvertreter im Beirat für Raumordnung wahrnehmen zu lassen; und Ablehnung, diese Personengruppen bei der Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger an der Planung ausdrücklich zu berücksichtigen.
Herr Minister, wir erwarten, daß Sie Ihre Kongreßrhetorik in die Tat umsetzen. Deshalb hat die PDS hierzu erneut einen Änderungsantrag eingebracht.
Zweites Thema. Berücksichtigung von Menschen mit Behinderungen. Erster Anspruch. Veränderung von Art. 3 Abs. 3 Satz 2 des Grundgesetzes: „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden".
Zweiter Anspruch. Istanbul-Erklärung Nr. 7:
Wir wollen Zugangsmöglichkeiten für Behinderte sowie Gleichstellung der Geschlechter bei allen Politiken, Programmen und Projekten, die die Bereitstellung von Wohnraum und die nachhaltige Entwicklung von menschlichen Siedlungen zum Ziel haben, sicherstellen.
Die Wirklichkeit: Ablehnung unseres Antrags zum zukünftigen Gebot des barrierefreien Planens und Bauens im Baugesetz. Dabei machten am Tag der Behinderten vor zwei Wochen wiederum zahlreiche Verbände und Initiativen auf Behinderungen durch ungeeignete räumliche Umwelt aufmerksam. Ein Betroffener sagte mir: Ich bin nur körperlich beeinträchtigt; die Umwelt aber behindert mich.
Meine Damen und Herren, ich kann nicht begreifen, daß Sie nach wie vor behaupten, die Erwähnung der Belange der behinderten Menschen in § 1 Abs. 5 Satz 3 im Baugesetz würde ausreichen, um eine behindertenfreundlichere Umwelt zu schaffen. Ich möchte Sie deshalb noch einmal ausdrücklich auffordern, unserem Änderungsantrag zum barrierefreien Planen, Bauen und Wohnen zuzustimmen.
Hier wäre wirklich mal ein Grund gegeben, sich an Ihrem in der Wirtschaftspolitik sonst immer als Idol gepriesenen Vorbild USA zu orientieren; denn hier sind die Amerikaner ausnahmsweise mal im positiven Sinn vorn - und das um Jahrzehnte.
Ein weiteres Schlüsselerlebnis war für mich die Diskussion um die Frage des künftigen Wegfalls von Teilungsgenehmigungen. Das wurde schon mehrfach angesprochen. Die Bundesregierung konnte in der Diskussion im Bauausschuß nicht einmal schlüssige Begründungen hierfür liefern. Wir sollten die Warnungen der Fachleute vor Ort ernst nehmen. Gründe und Beispiele wurden vielfach dargelegt.
Die PDS hält die Abschaffung der Teilungsgenehmigung für fatal. So entfällt nicht nur die wichtige Beratungsfunktion für Grundstückserwerber und ein Überblick über den Grundstücksverkehr; auch das Nutzungsrecht für Kleingärten und Datschen steht auf dem Spiel.
Die Verbände der Kleingärtner warnten vor einer Änderung im Kleingartengesetz, weil dann umfang-
Klaus-Jürgen Warnick
reichere Gesetzesänderungen losgetreten würden, die auf Kosten günstigerer Pachtverhältnisse gingen.
Außerdem ist das Gesetz mit dem Sachenrechtsbereinigungsgesetz, das bisher auf das Baurecht verweist, nicht mehr kompatibel. Da wurde uns eine Änderung versprochen - wer es glaubt.
Es ist wirklich fatal. Es ist gegen den gesammelten Sachverstand aller Expertinnen und Experten verstoßen worden - typisch für diese Bundesregierung. Im Planspielverfahren hat man sich eindeutig und einstimmig dagegen ausgesprochen, diese Teilungsgenehmigung wegfallen zu lassen. Einer der Fachleute sagte wortwörtlich: Wie kommen Politiker dazu, eine Regelung ändern zu wollen, die sich in der Praxis seit Jahrzehnten gut bewährt hat?
Vor allem das Argument des angeblich schlankeren Staates ist eindeutig widerlegt. Es würde - wir werden das in einem oder in zwei Jahren erleben - zu einem Mehraufwand führen.
Das wilde Teilen von Grundstücken wird vor allem in Ostdeutschland zu einem großen Problem werden, da dort in der Regel keine Bebauungs- und Flächennutzungspläne vorliegen. Damit ist der Wildwuchs ganz klar vorprogrammiert.
Ich frage: Warum wird hier das Argument des schlanken Staates vorgeschoben? Warum sagt man hier nicht offen die Wahrheit? Warum sagt man nicht, daß man hier eine Klientelpolitik für Immobilienbesitzer betreiben will, die durch weiteres, nicht mehr genehmigungspflichtiges Teilen der Grundstücke höhere Renditen erzielen können?
Die Federballplätze lassen grüßen, Herr Braun.
Wie hier gegen die Argumente aller Fachleute verstoßen wird, erinnert mich frappierend an das Schlechtwettergeld. Die frühere Regelung kostete 800 Millionen DM, die derzeitige Regelung 2 Milliarden DM. Der Nebeneffekt: 200 000 Arbeitslose mehr in der Bauwirtschaft. Wir haben also mit einem Steueraufwand von 1,2 Milliarden DM 200000 Arbeitsplätze vernichtet. Das ist eine Bombenleistung der Bundesregierung; das muß ich schon sagen.
Eine ähnliche Fehlentscheidung gab es beim Ladenschlußgesetz. Ich habe gar nicht die Zeit, alle Fehler aufzuzählen. Deshalb kehre ich zurück zum Gesetzentwurf.
Gerade die Novellen des Baugesetzbuches und des Raumordnungsgesetzes boten die Chance, Aspekte von Nachhaltigkeit oder Zukunftsfähigkeit im rechtlichen Regelwerk der Bundesrepublik für den Städtebau des 21. Jahrhunderts zu verankern und Sonntagsreden in gesetzliche Verpflichtungen zu wandeln.
Die Partei des Demokratischen Sozialismus sieht jedenfalls keinen Grund zum Jubeln.
Zeigt doch die Fülle von über 100 Änderungsanträgen aller Parteien, wie unzureichend der Gesetzentwurf war und ist. Es ist nicht gelungen, den Papiertigern „Lokale Agenda 21" und „Istanbul-Erklärung" auch nur ein bißchen Leben einzuhauchen. Die Zeichen der Zeit, Warnungen und Prognosen von Fachleuten sind offenbar spurlos und verantwortungslos am Gesetzgeber vorbeigerauscht. Statt den Zielen und Idealen von gestern hinterherzuhecheln, sollten wir diese überdenken und endlich aus ihrem Scheitern Schlußfolgerungen ziehen.
Einige von Ihnen erinnern sich vielleicht: Der Deutsche Städtetag hat schon 1972, also vor 25 Jahren, unter dem Motto "Rettet unsere Städte jetzt" das „breiartige Auseinanderfließen von Stadtstrukturen", das „Absterben der vom Individualverkehr lahmgelegten Innenstädte", die „zunehmende Verschmutzung von Luft und Wasser" und eine „öffentliche Armut, die im harten Kontrast zum privaten Wohlstand steht" beklagt. Damals sollte Stadtentwicklungsplanung das Allheilmittel sein. Geheilt wurde bis heute nichts.
Meine Damen und Herren, wir können dem Gesetzentwurf auch etwas Positives abgewinnen: Die PDS begrüßt das Vorhaben der Bundesregierung, das Baugesetzbuch, das Raumordnungsgesetz, die Baunutzungsverordnung und alle planungsrelevanten Regelungen anderer Gesetze in ein Paket als Artikelgesetz zu packen. Wichtig ist auch die Stärkung der Regionalplanung, die als eigenständige Planungsebene eingeführt wird.
Aber es wurden auch jede Menge Chancen vertan und Versprechen nicht eingelöst. Das Problem des Flächenverbrauchs ist hier mehrfach angesprochen worden.
Die Novelle ist deswegen für uns eine klare Mogelpackung, nur halb gefüllt und verdorben durch einseitige Berücksichtigung der Interessen von Verbänden, Industrie oder Investoren. Ein SPD-Kollege, Hans-Ulrich Klose, sagte einst, als er noch Hamburger Bürgermeister war: „Raumordnung und Planung sind der Reparaturbetrieb des Kapitalismus." Mit dem neuen Bau- und Raumordnungsgesetz tragen Regierung und Koalitionsparteien jedenfalls dazu bei, daß der Stellenwert der Planung weiter absinkt: von der Reparaturfunktion zum Feigenblatt des Kapitalismus. Wir jedenfalls wollten ein Bau- und Raumordnungsrecht, das auf vier Säulen ruht: auf der ökologischen, der sozialen, der basisdemokratischen und der wirtschaftlichen.
In der jetzigen Form können wir das neue Bau- und Raumordnungsgesetz nur ablehnen. Die Partei des Demokratischen Sozialismus hat deshalb in bezug auf die brennenden Fragen erneut Änderungsanträge in den Bundestag eingebracht. Ich würde mich freuen, wenn sie denen zustimmen könnten.
Vielen Dank.
Es spricht jetzt der Herr Bundesminister Töpfer.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich natürlich sehr darüber, daß wir heute in zweiter und dritter Lesung die Novellierung des gesamtes Bauplanungsrechtes beraten können. Ich habe bereits in meiner Einbringungsrede am 5. Dezember letzten Jahres hervorgehoben, daß diese neue Fassung des Baugesetzbuches und des Raumordnungsgesetzes ein außerordentlich wichtiger Schritt nach vorn ist - für eine weitere bauliche Entwicklung unserer Städte und Gemeinden, für eine gute, abgestimmte Zukunft der ländlichen Räume und auch - darauf komme ich zurück - für eine nachhaltige Raum- und Siedlungsentwicklung, wie wir sie auf dem Rio-Gipfel 1992, fast genau heute vor fünf Jahren, und bei Habitat II in Istanbul im letzten Jahr beschlossen haben. Das Recht der Bauleitplanung und der Raumordnung wird für ganz Deutschland vereinheitlicht, übersichtlicher und einfacher gestaltet; Landes-, Regional- und Stadtplanung werden besser aufeinander abgestimmt, Städtebau und Wohnungsbau besser miteinander verbunden und gemeinsamen Zielsetzungen unterstellt.
Dies ist eine nüchterne Feststellung dessen, was wir hier tun. Wir sollten nicht darüber nachdenken, ob das nun „Jahrhundertgesetzqualität" hat oder nicht. Es handelt sich jedenfalls um eine sehr wichtige Weiterentwicklung.
Lassen Sie mich auf sechs Anliegen zu sprechen kommen, die ich mit diesem Gesetz verbinde.
Erstens. Ein einheitliches Städtebaurecht für ganz Deutschland wird geschaffen. Das Gesetz schafft sieben Jahre nach der deutschen Einheit endgültig ein gemeinsames Städtebaurecht für alle 16 Bundesländer im wiedervereinten Deutschland. Das hört sich heute fast selbstverständlich an. Wenn Sie die vielen Gespräche mit unseren Nachbarn in Mittel- oder Osteuropa verfolgen, dann wissen Sie, welch eine große Leistung es ist, daß wir zwei ganz unterschiedliche Vorstellungen von Stadtentwicklung und Planung miteinander verbinden konnten. Den vielen Praktikern vor Ort sei Dank dafür, daß das heute möglich ist.
Es ist nicht selbstverständlich, und deswegen habe ich es an den Anfang gesetzt.
Die Bundesregierung hat auf die Herausforderungen, die sich aus der Wiedervereinigung ergeben, mit dem Einigungsvertrag und dem Maßnahmengesetz zum Baugesetzbuch unverzüglich reagiert. Man denke noch einmal darüber nach, warum es notwendig war, ein Maßnahmengesetz zu machen. Deswegen lassen Sie mich ganz deutlich feststellen: Gerade die deutsche Einheit hat uns allen die selbstkritische Prüfung abverlangt, ob wir nicht in der alten Bundesrepublik Deutschland auch im Bauplanungsrecht Freiräume für Eigeninitiative und gemeindliche Entfaltungsspielräume schrittweise und oft unbemerkt aufgegeben haben. Die deutsche Einheit hat sehr deutlich gemacht, daß es notwendig war, das zu überprüfen. Sie hat auch die Frage aufgeworfen, ob wir uns nicht mit bürokratischen Verkrustungen und damit verbundenen längeren Genehmigungsverfahren, mit Überreglementierungen und mit den schwerfälligen Entscheidungsprozessen abgefunden hatten. Es ist deswegen festzuhalten: Auch ohne deutsche Einheit wäre eine Entrümpelung des Bauplanungsrechtes notwendig gewesen. Das ist durch den Prozeß der deutschen Einheit beschleunigt worden. Das ist wahr.
Wenn ich das sage, habe ich hohen Respekt vor denen, die dieses Baurecht entwickelt haben. Ich möchte feststellen: Es ist schließlich nicht so schlecht, daß wir es gänzlich umkrempeln müssen. Wenn ich mir die Städte und Gemeinden in Deutschland ansehe, dann sehe ich sehr viel engagiertes Handeln derer vor Ort. Wir haben nicht die asiatische oder amerikanische Stadtentwicklung, sondern wir haben eine sehr sichere und gute Basis für städtische Entwicklung in Deutschland erhalten können.
Das ist die Basis, die ich mit Respekt vor denen, die das vorher gemacht haben, ansprechen will.
Über die großartige und umfassende Verpflichtung zur Umgestaltung der neuen Bundesländer, zur Erneuerung des Wohnungsbestands, zur Sanierung der Innenstädte, zum Aufbau einer fehlenden Infrastruktur oder zur Sanierung und Modernisierung der maroden Infrastruktur spricht die Partei des Demokratischen Sozialismus gar nicht. Aber wir müssen das immer wieder einmal erwähnen.
Die schlichte Notwendigkeit zum kurzfristigen Aufbau neuer Verwaltungsstrukturen gerade bei Städten und Gemeinden, in denen Menschen Verantwortung übernommen haben, die neu in diesen Dingen waren, hat dazu geführt, daß wir hier reagieren. Das ist die Erfahrung, die wir gemeinsam machen konnten.
Wir haben diese Chance genutzt. Wir haben das Städtebaurecht flexibel vom bürokratischen Übermaß entschlackt, wir haben es wirklich vorangebracht. Wir wollen diese Dynamik jetzt für alle 16 Länder nutzen, mehr Freiraum schaffen und die Trennung zwischen öffentlicher und privater Hand im Sinne partnerschaftlicher Zusammenarbeit überwinden.
Damit komme ich zu meinem zweiten Punkt: mehr partnerschaftliche Zusammenarbeit, einfachere Verwaltung, weniger Bürokratie. Die Zukunft verlangt von uns weniger hoheitliches und mehr partnerschaftliches, koordiniertes Handeln. Nur so kann der hohen Veränderungsdynamik in unserer Gesellschaft vor dem Hintergrund der europäischen Einheit und des globalen Wettbewerbs entsprochen werden.
Bundesminister Dr. Klaus Töpfer
Deswegen hatten wir mit dem städtebaulichen Vertrag und dem Vorhaben- und Erschließungsplan eine ganz sinnvolle Weiterentwicklung im Maßnahmengesetz vorgenommen, die wir jetzt in Dauerrecht in Deutschland überführen. Deswegen setze ich diesen Punkt ganz nach vorne.
Verwaltungsmaßnahmen werden vereinfacht, das heißt, den Bürgern mehr Eigeninitiative zutrauen und mehr auf den Sachverstand und die Kompetenz der Kommunen vertrauen. Warum müssen Bebauungspläne, die von Gemeinden aus einem Flächennutzungsplan entwickelt wurden, noch genehmigt werden? Das ist Mißtrauen gegenüber denjenigen, die auf der kommunalen Ebene Entscheidungen treffen.
Lassen Sie es sie doch eigenverantwortlich machen.
Ihre und unsere Kommunalpolitiker stehen doch genauso in dieser Verantwortung. Deswegen, Herr Kollege Schöler, habe ich mir erlaubt zu sagen: Es gibt kein parteipolitisches Baurecht. Die Menschen vor Ort sind in allen Bereichen tätig, und ich traue ihnen zu, daß sie aus einem genehmigten Flächennutzungsplan einen vernünftigen Bebauungsplan ableiten können, so daß er nicht mehr genehmigt werden muß.
Bei den Teilungsgenehmigungen ist es genauso. Hier wurde mit großem Pathos gesagt: Alle Sachverständigen sind dagegen. Die Expertenkommission von Professor Schlichter hat uns gesagt: Streicht sie weg. Der Bundesrat, Herr Kollege Vesper, sagt mehrheitlich: Streicht sie weg. Der Städte- und Gemeindebund sagt: Streicht sie weg. Der Städtetag sagt: Laßt sie stehen.
Es gibt also unterschiedliche Meinungen. Aber lassen Sie uns doch nicht in eine Schwarz-weiß-Diskussion verfallen, Herr Kollege Conradi, und sagen, die einen sind die Dummen, die hören nicht auf die Fachleute, und die anderen, wir, sind natürlich die Klugen und hören darauf. Es gibt unterschiedliche Wertungen.
Deswegen, meine ich, sollte man zunächst sagen: Unabhängig davon, ob es 200 000 oder 300 000 oder 50 000 Teilungsgenehmigungen sind, gilt: Wenn sie nicht notwendig sind, sollte man sie weglassen und mehr Vertrauen in die Entwicklung vor Ort haben. Das ist die Überlegung.
Deswegen: Lassen Sie die großen Sätze weg. Wenn Sie es genauer betrachten, verhält sich das Ganze nämlich etwas anders.
Viele Beispiele aus der alltäglichen Praxis zeigen mir, daß die neuen Instrumente für Eigeninitiative und partnerschaftliches Zusammenwirken von Staat und Bürgern in den Gemeinden angenommen werden. Ich bin schon beeindruckt, wenn mir der Bürgermeister der kleinsten Gemeinde eines oberbayerischen Landkreises, der Gemeinde Lohkirchen in
Mühldorf am Inn - der Kollege Hollerith wird die Gemeinde kennen -, mitteilt, daß dort bereits drei Vorhaben und Erschließungspläne durchgeführt worden sind; einer wurde für die Ansiedlung eines Handwerksbetriebs genutzt.
Dort, Herr Kollege Vesper, wird vor Ort bereits gehandelt. Da fragt keiner: Wann bekomme ich den Planungswertausgleich? Dort wird gesagt: Ich habe das Instrument und nutze es, und der Handwerksbetrieb zahlt mir die Ansiedlungskosten. Deswegen mache ich es.
Wenn Sie, Herr Kollege Vesper, in Nordrhein-Westfalen genausoviel Werbung für diese Instrumente bis in die kleinen Gemeinden machen würden, dann hätten Sie mehr Erfolg, als wenn Sie hier über Dinge Reden schwingen, die wir in den 60er und 70er Jahren bereits zu Recht abgelehnt haben.
Insofern sollten wir das wirklich machen.
Ich will nicht nur auf Lohkirchen eingehen. Ich war vor wenigen Tagen in Bad Vilbel - das ist in Hessen -, dort wird eine kommunale Bodenvorratspolitik bei den vorhandenen Instrumenten betrieben. Die machen dort soziale Bodenpolitik und lassen Familien mit Kindern pro Kind 50 DM beim Bodenpreis nach. Sie machen konkrete Politik mit den vorhandenen Instrumenten. Lassen Sie uns diese jetzt in Dauerrecht überführen. Das wird eine gute Sache, die uns helfen wird.
Ich halte also eine neue Abgabe und einen Planungswertausgleich - Herr Schöler hat es gesagt - auf den ersten Blick natürlich für eine sehr attraktive und plakative Sache. Aber bei solchen Dingen muß man sehr viel genauer hinsehen. Fragen Sie doch bitte einmal nach: Warum soll das jetzt zu mehr Bauland und zu preiswerterem Bauland führen?
Sie haben vorhin gesagt, ich hätte nichts zu meinen Vorstellungen von nachhaltiger Entwicklung gebracht. Planungswertausgleich hilft mir bei Baulükken und im ungeplanten Innenbereich überhaupt nicht, bringt aber ganz im Gegenteil einen Attraktivitätszuschlag für die Ausweisung bisher nicht bebauter Gelände, also genau das, was wir vorher gesagt haben.
Unterhalten Sie sich einmal mit dem Kollegen Ganser! Bei ihm haben wir nämlich gerade in Venedig bei der Architekturbiennale unter der Überschrift „Ohne Wandel Wachstum" eine Ausstellung gemacht. Er sagt, wir müßten mit dem vorhandenen bebauten Gelände auskommen. Unsere Enquete-Kommission dieses Bundestages sagt uns dasselbe. Wenn ich einen Planungswertausgleich einführe, gebe ich Prämien dafür, daß zusätzliche Flächen ausgewiesen
Bundesminister Dr. Klaus Töpfer
werden und daß man nicht zunächst einmal dahin geht, wo es schon Bauland gibt und Recycling gemacht werden kann. Das ist nun einmal so.
Herr Minister Töpfer, gestatten Sie zwei Zwischenfragen?
Ich gestatte sie sehr gerne, Frau Präsidentin.
Zunächst die Kollegin Frau Eichstädt-Bohlig.
Herr Minister Töpfer, glauben Sie nicht auch, daß sich gerade dann, wenn Neubauland durch den Planungswertausgleich verteuert und damit etwas unattraktiver wird, viele Investoren wieder für Baulücken interessieren werden und lieber dort bauen werden, so daß gerade dieses Instrument hilft, im besiedelten Bereich mehr Verdichtung und mehr Konzentration auf die bestehende Infrastruktur zu bekommen, so daß es nicht nur ein Neubaulandausweisungsinstrument, sondern gleichzeitig auch ein Konzentrationsinstrument für den besiedelten Bereich wird?
Frau Kollegin Eichstädt-Bohlig, ich nehme sehr intensiv zur Kenntnis und werde es dem Kollegen Vesper weitergeben, daß Sie der Überzeugung sind, daß der Planungswertausgleich nur eingeführt werden soll, damit er nicht oder nur als Abschreckungssignal genutzt wird. Ich habe den Kollegen Vesper vorhin so nicht verstanden.
Herr Kollege Großmann.
Herr Minister, sind Sie bereit, zuzugeben, daß die etwas knappe Vereinfachung, zu der Sie sich gerade haben hinreißen lassen, uns nicht weiterhilft und daß Herr Vesper ausdrücklich und damit auch die Position der SPD aufnehmend gesagt hat, daß der Planungswertausgleich ein Instrument unter vielen sei, so daß das von Ihnen angegebene Beispiel überhaupt nicht zieht? Sind Sie weiterhin bereit, zuzugeben, daß in unserem Nachbarland, den Niederlanden, mit einem ähnlichen Instrument bodenpreissenkende Wirkungen erzielt worden sind und die Eigentümer sowie die Städte und Gemeinden mit diesem Instrument hervorragend arbeiten können?
Herr Kollege Großmann, zunächst einmal bin ich immer sehr geneigt, dem zuzustimmen, was Sie sagen.
- Ich habe das wirklich ganz ernst gemeint. - Natürlich muß man das sehen. Nur, wenn Sie die Niederlande ansprechen, dann müssen Sie dazusagen, daß die Instrumente, die wir gerade in das Gesetz hineingebracht haben - städtebauliche Verträge, Vorhaben- und Erschließungspläne -, dort nicht vorhanden sind. Daß dort dann ein anderes Instrument intensiver genutzt wird, ist doch selbstverständlich.
Deswegen bin ich der Überzeugung, daß wir uns hier nicht an irgendeiner neuen Abgabediskussion festhaken dürfen. Ich muß doch heute praktische Politik machen können. Wir sind in einer Situation, in der wir große Steuerreformen über Parteigrenzen hinweg für unumgänglich halten und in der wir sagen, daß wir im Steuer- und Abgabenwesen Vereinfachungen vornehmen müssen. Wenn ich in einer solchen Situation mit einer neuen Abgabe komme, dann - da bin ich ziemlich sicher - wirkt sich das nicht gerade sehr produktiv auf die gesamte Diskussion aus.
Es ist meine Überzeugung, daß wir uns mit diesem Instrument auseinanderzusetzen haben. Der Kollege Vesper hat andere Instrumente, die man genauso mit hineinbringen könnte - vom zonierten Satzungsrecht über die Grundsteuer C oder was immer Sie wollen -, gar nicht angesprochen.
- Er hat die Grundsteuer C angesprochen, richtig. - Ich hoffe, Frau Präsidentin, daß das immer noch als Antwort auf die Zwischenfrage gilt; die Uhr läuft unermüdlich weiter.
Nur eine kleine Fußnote dazu: Herr Kollege Vesper, wenn jemand im Vorhaben- und Erschließungsplan ein Baurecht bekommt und es nicht nutzt, geht das entschädigungslos zurück - nur damit das nicht vergessen wird; denn Ihre plakative Darstellung der Entschädigungspflicht bliebe sonst im Raum stehen. Dies wollte ich nur dazu gesagt haben.
Dritter Punkt: Naturschutz durch Bauleitplanung. Ich muß Ihnen wirklich sagen: Das ist eines meiner dringendsten Anliegen. Ich bin noch als Umweltminister dabeigewesen, als wir den Baurechtskompromiß gemacht haben. Ich bin und bleibe der Meinung: Die größere ökologische Wirkung von Kompensationsmaßnahmen für Eingriffe in Natur und Landschaft wird durch die Bauleitplanung und durch die Zusammenfassung im Baurecht erreicht. Ich will erreichen, daß wir endlich einmal die permanente Verdächtigung abbauen, daß dort, wo Baurecht umgesetzt wird, so etwas wie ein „Anschlag" auf den Naturschutz gemacht wird.
Bundesminister Dr. Klaus Töpfer
Wir müssen wieder mehr Vertrauen in diese Bereiche bekommen.
Auch weil letztlich Kostenvorteile entstehen können, ohne daß wir weniger Naturschutz haben, und weil wir zu Vernetzungsplanungen kommen können, ist das eine sinnvolle und vernünftige Regelung. Nebenbei, Herr Kollege Schöler, ist sie auch völlig abgestimmt mit dem Umweltbereich. Das, was Sie angesprochen haben, ist reine Rechtstechnik. Das, was wir noch als § 8 a des vorhandenen Gesetzes beraten, soll rechtstechnisch zu §§ 17 ff. BNatSchG werden.
Darüber werden wir ohne jeden Zweifel rechtstechnisch noch zu einer Klärung kommen.
Der vierte Punkt: die Stärkung der Innenstädte und Stadtteilzentren. Das ist wirklich die zentrale Aufgabe. Deswegen bin ich zunächst einmal den Kolleginnen und Kollegen aus dem 18. Ausschuß außerordentlich dankbar dafür, daß sie Städtebauförderung mit ihren auf eine nachhaltige Stadtentwicklung gerichteten Förderschwerpunkt in das Baugesetzbuch integriert haben. Das bedeutet eine Stärkung der Innenstädte.
Ich muß es noch einmal sagen - das hat nichts mit Sonntagsreden zu tun -: Die Frage der Einkaufszentren ist keine Frage der Innenstädte, sondern eine Frage der grünen Wiese. Wir wollen Einkaufszentren auf der grünen Wiese verhindern. Daß wir sie dann in den Innenstädten nicht bekommen, resultiert allein schon aus den Bodenpreisen und ähnlichen Dingen. Das Halle-Saale-Center zwischen Halle und Leipzig wird nicht in der Innenstadt entstehen. Wenn wir Ihren Vorschlägen folgen, bekommen wir keine Begrenzung, sondern ganz im Gegenteil einen Druck in die Außenbereiche.
Deswegen sage ich noch einmal: Ich will alles daransetzen, damit der Druck des Handels auf die grüne Wiese endlich beendet wird. Das können wir durch das, was wir hier vorgeschlagen haben, wie ich meine, besser erreichen als bisher. Wir brauchen eine Stärkung und keine Veränderung.
Ich möchte das, was wir mit Blick auf den Wohnungsbau im Baugesetz haben, im Wohnungsgesetzbuch mit Blick auf den Städtebau haben. Das muß aus einem Guß sein. Ich möchte wirklich die Neubauaktivitäten in die Städte verlagern. Deshalb müssen diese Dinge als miteinander verbunden betrachtet werden. Das, was wir im Baugesetzbuch und im Raumordnungsgesetz entwickelt haben, muß seine klare Entsprechung im Wohnungsgesetzbuch finden. Ich habe den entsprechenden Entwurf jetzt an die Länder versandt. Es steht dort genauso drin. Wir wollen die Innenstädte, auch wohnungsbezogen, stärken. Ich glaube, daß wir dadurch für die Gesamtentwicklung unserer Städte wirklich einen guten Schritt nach vorne tun.
Der fünfte Punkt: ein neues Raumordnungsrecht für eine nachhaltige Raumentwicklung. Zunächst einmal bin ich außerordentlich dankbar dafür und froh darüber, daß wir zumindest beim Raumordnungsgesetz eine ganz breite Zustimmung gefunden haben. 25 Jahre ist das Gesetz alt. Es wurde wirklich notwendig, daß wir darangingen. Ich finde es gut, daß wir die Planung der Städte und Gemeinden in die Region einbinden, daß wir die Möglichkeit vertraglicher Lösungen an Stelle hoheitlicher Ansätze für die Regionalentwicklung nutzen, daß wir für die Gemeinden in den Verdichtungsräumen die Möglichkeit schaffen, Flächennutzungsplanung und Regionalplanung zusammenzufassen, also einen regionalen Flächennutzungsplan zu entwickeln.
Der sechste Punkt ist sicherlich die Erleichterung für den Strukturwandel in der Landwirtschaft. Das betrifft die Frage der Nachhaltigkeit. Es kann doch niemand glauben, daß es nachhaltig ist, wenn eine Bausubstanz, die dort vorhanden ist, nicht genutzt werden kann. Sie muß außenbereichsspezifisch sinnvoll genutzt werden.
Ich freue mich darüber, daß auch die Kollegen von der SPD-Fraktion der Meinung sind, das kann auch Gewerbe sein. Natürlich muß es sich dabei um ein außenbereichsverträgliches Gewerbe handeln; das möchte ich deutlich unterstreichen.
Lassen Sie mich abschließend eines festhalten: Die Neufassung des Baugesetzbuches und des Raumordnungsgesetzes ist, wie ich glaube, außerordentlich sorgfältig vorbereitet und entwickelt worden.
Eine sehr gute Grundlage ist von der Schlichter-Kommission geschaffen worden, in der unter Vorsitz von Professor Schlichter Vertreter der Länder und der Gemeinden ihre praktischen Erfahrungen eingebracht haben. Ich darf dieser Kommission und ihrem Vorsitzenden von dieser Stelle aus sehr herzlich danken.
Wir haben sechs Monate lang ein sehr breites Planspiel im Praxistext durchgeführt. Ich danke den Städten Leipzig und Karlsruhe, Flensburg und Sankt Augustin, Schopfheim und Bad Zwischenahn sowie den beiden Landkreisen dafür, daß sie so klasse mitgearbeitet haben. Wir haben vieles zusätzlich lernen können und haben es umgesetzt.
Mein Dank gilt natürlich auch den engagierten und sachkundigen Berichterstattern in den Fraktionen. Ich möchte das mit ganz großem Respekt gegenüber dem Kollegen Götz, dem Kollegen Schöler, dem Kollegen Braun und anderen sagen, die hier mitgearbeitet haben. Es war wirklich eine großartige Bestätigung der Sachverständigendiskussion im Parlament - man muß das einmal nachhaltig unterstreichen - bei einer so schwierigen Materie.
Meine Damen und Herren, Sie werden es verstehen, wenn ich Ihnen abschließend sage: Ich danke auch ganz herzlich meinen Mitarbeitern, die dieses mit entwickelt haben und die mir als Newcomer auf diesem Feld erst einmal einige Nachhilfestunden im Baurecht gegeben haben. Ich hoffe, daß ich zumindest bis zur Lehrlingsprüfung gekommen bin. Ihnen
Bundesminister Dr. Klaus Töpfer
jedenfalls gebührt ganz herzlicher Dank für diese gute Arbeit.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Gabriele Iwersen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach so vielen charmanten Worten unseres Bauministers bin ich mit meiner trokkenen Materie natürlich völlig fehl am Platze, zumal ich auch nur über das Raumordnungsgesetz sprechen will, also mir nur einen Teilbereich vorgenommen habe. Aber ich bin natürlich fest davon überzeugt, daß Sie meinen Worten trotzdem andächtig lauschen werden.
- Das will ich auch gar nicht werden; das muß ich ganz ehrlich sagen.
Man muß sich zunächst einmal wundern, daß angesichts des Drangs nach Deregulierung das Raumordnungsgesetz noch erhalten geblieben ist. Werfen wir einmal einen Blick über die Grenzen unseres Landes hinaus auf die Mammutstädte dieser Welt. In Kairo leben 7 Millionen Einwohner, eingebettet in einen Großraum mit zirka 15 Millionen Einwohnern; in Mexiko-Stadt sind es 11 Millionen, wobei man annehmen muß, daß rundherum insgesamt 20 Millionen wohnen. All diese Agglomerationen zeigen: Die Eigendymanik der Bevölkerungsentwicklung und die Wanderungsströme vom Land in die Stadtregionen sind nicht nur ein Zeichen von Entscheidungsfreiheit des einzelnen Bürgers, sondern ein Zeichen von Unvermögen kollektiver Gestaltungskraft, um eine zukunftsträchtige, ökologisch und sozial verantwortbare Entwicklung der Siedlungs- und Freiräume durchzusetzen.
Im Gegensatz dazu steht bei uns der Wille des Gesetzgebers, dem Gesamtraum dieses Landes eine Raumstruktur zu geben, die funktionsfähige Verhältnisse in den besiedelten und unbesiedelten Teilräumen schafft und dabei die Auswirkungen auf die Zukunft zum Leitgedanken macht. Bis dahin sind wir uns sicherlich alle einig, daß dies eine Begründung dafür ist, daß wir ein Raumordnungsgesetz brauchen.
Dieser Gedanke, der die Zukunftsträchtigkeit der Planung beinhaltet, wird durch den Hinweis auf die Nachhaltigkeit zum Ausdruck gebracht - ein Ausdruck, der mich nicht zufriedenstellt; denn auch Zerstörung und Beeinträchtigung des Naturhaushalts oder ganzer Siedlungsräume können äußerst nachhaltig sein.
Eine falsche Weichenstellung kann besonders die Verdichtungsräume in ihrer Siedlungsentwicklung nachhaltig gefährden. Das gilt besonders für die Verkehrsinfrastruktur, die Siedlungsräume zerschneiden oder ungünstige Siedlungsschwerpunkte setzen kann, die wiederum Pendlerströme hervorrufen und neue Umweltbelastungen produzieren. Jeder Supermarkt mit seinem unbegrenzten Parkplatzangebot auf der grünen Wiese, was hier schon häufiger angesprochen worden ist, richtet nachhaltigen ökologischen Schaden an und beeinträchtigt die Funktion der Innenstädte als lebendige Mitte des städtischen Lebensraumes.
Es hat sich bereits herumgesprochen: Das Wort „Nachhaltigkeitsprinzip" als Leitvorstellung soll einer Raumentwicklung dienen,
die die sozialen und wirtschaftlichen Ansprüche an den Raum mit seinen ökologischen Funktionen in Einklang bringt und zu einer dauerhaften, großräumig ausgewogenen Ordnung führt.
So steht es in § 1 Abs. 2. Das heißt, wir sind verpflichtet, das Wort „Nachhaltigkeit" mit einer positiven Bedeutung auszustatten.
Hauptsache, es halten sich auch alle Verantwortlichen daran; dann mag es wohl gehen.
Betrachten wir einmal die Aufgaben und Leitvorstellungen der Raumordnung etwas näher, so ist eigentlich nichts ausgelassen. Von der freien Entfaltung der Persönlichkeit in der Gemeinschaft über den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, die Standortvoraussetzungen für wirtschaftliche Entwicklungen, die langfristig offenzuhaltenden Gestaltungsmöglichkeiten bis hin zur Stärkung der Vielfalt der Teilräume soll alles bedacht werden, um - jetzt kommt es nämlich - „gleichwertige Lebensverhältnisse in allen Teilräumen herzustellen" und
die räumlichen und strukturellen Ungleichgewichte zwischen den bis zur Herstellung der Einheit Deutschlands getrennten Gebieten auszugleichen.
Fromme Wünsche von Gesetzgeber und Planverfassern, denn der Katalog dieser Leitvorstellungen erweist sich leider als Wunschzettel, der spätestens bei der Bindungswirkung der Erfordernisse der Raumordnung nach § 4 des Raumordnungsgesetzes an Nachhaltigkeit verliert, wenn nämlich die „sonstigen behördlichen Entscheidungen" nicht mehr auf raumbedeutsame Planungen bezogen werden, sondern auf den Vollzug in den späteren Jahren.
Bei den Grundsätzen der Raumordnung nach § 2 Abs. 2 lesen wir in Satz 2:
Die dezentrale Siedlungsstruktur des Gesamtraums mit ihrer Vielzahl leistungsfähiger Zentren und Stadtregionen ist zu erhalten. Die Siedlungstätigkeit ist räumlich zu konzentrieren und auf ein System leistungsfähiger zentraler Orte auszurichten.
Gerade dieser Grundsatz, der bereits im alten Raumordnungsgesetz verankert war, hat der Bundes-
Gabriele Iwersen
republik durch gezielte Dezentralisierung eine positive Entwicklung ermöglicht und die Entstehung von Riesengroßstädten, wie ich sie am Anfang erwähnt habe, verhindert, deren Lebensqualität im Verkehrschaos erstickt und deren Naturhaushalt längst zusammengebrochen wäre.
Uns geht es um das System der leistungsfähigen zentralen Orte außerhalb der Ballungsgebiete, der Mittel- und Oberzentren, die ihre Funktion nicht zuletzt durch die Präsenz öffentlicher Einrichtungen mit überörtlicher Funktion ausbauen und erhalten konnten.
Der neue „magere" Staat ist aber gerade wieder auf dem Rückzug aus der Fläche und baut neue, stark zentralisierte Strukturen auf. Bahn und Post haben den Anfang gemacht, Landes- und Bundesbehörden ziehen nach. Die zentralen Orte am Rande der Republik, an der Küste von Nord- und Ostsee oder an den Grenzen zu den Nachbarstaaten, die noch nicht der EU angehören, haben das Nachsehen.
Sie können bei jeder neuen Hiobsbotschaft über den Abbau von Dienststellen, Forschungseinrichtungen und anderen öffentlich finanzierten Arbeitsplätzen nur die Frage stellen, wie sie die verbleibenden Aufgaben sozialer und kultureller Infrastruktur, die sie auch für die Nachbargemeinden vorhalten müssen, aufrechterhalten können, obwohl gerade diese zentralen Orte in der Regel die höchste Arbeitslosigkeit und die am stärksten überschuldeten Kommunalhaushalte aufweisen.
Steht nicht im Raumordnungsgesetz im § 1 unter „Aufgaben der Leitvorstellungen der Raumordnung" : „Gleichwertige Lebensverhältnisse in allen Teilräumen sind herzustellen"? Herzustellen, nicht nur zu planen!
Meine Damen und Herren, das Raumordnungsgesetz ist ein gutes und wichtiges Gesetz. Ich habe es vorhin schon gesagt, und auch Herr Töpfer hat es natürlich schon sehr häufig erwähnt. Aber es ist ein stumpfes Schwert im Kampf um die gleichwertigen Lebensverhältnisse, wenn darüber hinaus staatliches Handeln nur durch fiskalisches Denken bestimmt wird. Die zentralen Orte haben ihre Bedeutung nicht nur für die Wirtschaftsstruktur, sondern sind auch Kristallisationspunkte des sozialen und kulturellen Lebens mit einem eigenständigen Innovationspotential, auf das wir nicht verzichten können, wollen und sollen. Schließlich gibt es auch viele Karrieren, die im Provinztheater angefangen haben.
Im Grunde genommen ist das Raumordnungsgesetz ein Anachronismus, denn Bauminister Töpfer, der sich gern als Schöpfer des neuen Rechts der Raumordnung feiern lassen möchte, müßte längst erkannt haben, daß sich die Regierung, der er angehört, den Zielen der Raumordnung keineswegs verpflichtet fühlt. Das gilt sowohl für den mißlungenen Aufbau Ost wie auch für den Abbau des Solidarzuschlags, und ich zitiere noch einmal: „Die räumlichen und strukturellen Ungleichgewichte sind auszugleichen" . Das hört sich gut an, aber was heißt schon
Raumordnung, wenn der Kanzler und die F.D.P. gerade Steuerentlastung beschlossen haben,
und das, obwohl die öffentlichen Kassen sowieso leer sind und die heutige Steuerschätzung erneut ein Loch von 20 Milliarden Defizit signalisiert? Da gibt es dann eben nichts mehr auszugleichen. Deshalb bewundere ich Ihren Mut, soviel heile Welt planen zu lassen.
Die Raumordnung stellt natürlich auch einen Angriff in die Entscheidungsfreiheit einzelner Bürger dar, besonders wenn ihnen viel Land im Außenbereich gehört und ihnen die Raumordnung keinen Wertzuwachs zubilligt, während der Nachbar am Rande der Stadt für seine saure Wiese plötzlich ein Baurecht bekommt und nun ein gemachter Mann ist. Da wäre zum Beispiel der Planungswertausgleich genau angebracht, um ein bißchen mehr Gerechtigkeit zu schaffen, aber leider ist er hier nicht durchzusetzen.
Die Raumordnung setzt auch der kommunalen Planungshoheit bzw. dem kommunalen Konkurrenzkampf um Zuwachsraten Schranken. Das kann manchmal sehr heilsam sein. Die Beteiligungsrechte der Bürger sind allerdings gering, und die der Kommunen erscheinen mir auch nicht gerade üppig.
Dafür hat die Raumordnung aber die schwierige Aufgabe zu meistern, die Grenzen unterschiedlicher Gebietskörperschaften zu überwinden und die Verflechtungsbeziehungen über Länder- und Staatsgrenzen hinweg zu fördern. Dabei ist die Sicherung der Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts sowohl im besiedelten Bereich als auch im Außenbereich erster und oberster Grundsatz. Das heißt, der Schutz, die Pflege und die weitere Entwicklung der natürlichen Lebensgrundlagen obliegen allen Teilräumen und sind nicht einseitig dem ländlichen Raum abzuverlangen. Der ländliche Raum kann schließlich nicht nur die Ausgleichsfunktion für die im Zusammenhang bebauten Siedlungsgebiete übernehmen, sondern er ist und bleibt auch Lebens- und Wirtschaftsraum der ländlichen Bevölkerung.
Trotz der berechtigten Zweifel an einer ausreichenden Wirkung des Raumordnungsgesetzes auf eine positive Entwicklung im Sinne der Leitvorstellungen begrüßt die SPD-Bundestagsfraktion die Fortentwicklung bzw. die Neuformulierung des Raumordnungsgesetzes, was zu einer besseren Systematik und damit auch zu Überschaubarkeit geführt hat.
Die im § 2 aufgelisteten Grundsätze haben in Teilen sogar etwas Liebenswertes an sich - natürlich nur in Teilen -, bergen sie doch einen schwachen Hoffnungsschimmer für die strukturschwachen Räume, eines Tages doch der gleichwertigen Lebensverhältnisse teilhaftig werden zu können.
Zu schade, daß dieses Gesetz nicht den Zugang zu einer kräftigen Finanzhilfe enthält. Wie soll man folgenden Satz umsetzen: „Dazu gehören insbesondere ausreichende und qualifizierte Ausbildungs- und Erwerbsmöglichkeiten sowie eine Verbesserung der Umweltbedingungen und der Infrastruktur"? Das be-
Gabriele Iwersen
zieht sich auf Räume, in denen die Lebensverhältnisse im Vergleich zum Bundesdurchschnitt wesentlich zurückgeblieben sind oder zurückzubleiben drohen, also auf Gebiete ohne ausreichende eigene Wirtschaftskraft.
Auch folgender Satz findet meine volle Zustimmung: „Eine gute Erreichbarkeit aller Teilräume untereinander durch Personen- und Güterverkehr ist sicherzustellen", wobei ich natürlich an den Schienenverkehr denke, zumal anschließend über die Verringerung der Verkehrsbelastung und die Vermeidung zusätzlicher Verkehre die Rede ist.
Man darf gespannt sein, wieviel Nebenstrecken die Regionalisierung überhaupt überstehen.
Oder hilft da vielleicht die Raumordnung? Ich möchte daran zweifeln.
Meine Damen und Herren, Sie sehen: Dieses Gesetz muß man ganz besonders dem Kanzler ans Herz legen. Vielleicht kann das Herr Töpfer übernehmen. Vielleicht macht der Kanzler es zur Richtlinie seiner Politik.
Wenn alle Kabinettsmitglieder ihre obersten Ziele in der Umsetzung der Leitvorstellung und der Grundsätze der Raumordnung sehen würden und Handlungsfreiheit bei der Verwirklichung hätten, wäre ihre Politik nämlich wahrhaft nachhaltig.
Das fehlt ihr ja schließlich.
Neben diesem vergeblichen Wunsch kann ich nur noch einen etwas realistischeren vorbringen. Wir Sozialdemokraten hoffen, daß die Möglichkeit, dem Regionalplan in verdichteten Räumen zugleich die Funktion eines gemeinsamen Flächennutzungsplanes zuzubilligen, nur dann eröffnet wird, wenn es sich um eine kommunal verfaßte Regionalplanung handelt. Wir verlangen also für derartige Planungen nicht nur die Zustimmung der Gemeinden, sondern auch die Einhaltung sämtlicher verfahrensrechtlicher Vorschriften wie bei einem Flächennutzungsplan, also inklusive Bürgerbeteiligung. Sonst wäre nämlich die kommunale Planungshoheit ein Muster ohne Wert.
Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Ich bin bei meinen letzten Sätzen. Schönen Dank für den Hinweis.
Meine Damen und Herren von der Koalition, daß die Planungshoheit ein Muster ohne Wert wäre, kann doch nicht Ihr Anliegen sein. Unser Antrag gibt Ihnen die einmalige Möglichkeit, hier noch nachzubessern.
Ich bitte Sie deshalb um Zustimmung und danke für Ihre Geduld.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Helmut Wilhelm.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nicht überall, wo Nachhaltigkeit draufsteht, ist auch Nachhaltigkeit und Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen drinnen.
Verbal sind diese Etiketten dem Gesetzentwurf zwar wunderschön aufgeklebt, tatsächlich aber ist wieder einmal der Gaul der Deregulierung mit der Regierungskoalition durchgegangen mit der Folge, daß vom schönen Etikett nicht mehr sehr viel übrigbleibt.
Letztendlich war und ist es offenkundig vorrangiges Ziel, zunächst übergangsweise gedachte Regelungen, wie das Baugesetzbuch-Maßnahmengesetz, in das Dauerrecht zu überführen. So ist der Gesetzentwurf geprägt vom Grundgedanken der Deregulierung, vom Abbau einzelner Bürgerbeteiligungrechte planbetroffener Bürger und vom Abbau der rechtsaufsichtlichen Prüfung für aus dem Flächennutzungsplan hergeleitete Bebauungspläne.
Selbstverständlich haben auch wir Grünen nichts gegen Beschleunigung und Erleichterung der Bauleitplanung. Vorrangig für uns ist aber die Gewährleistung der Grundsätze des Natur- und Umweltschutzes sowie natürlich der Mitwirkungsrechte planbetroffener Bürger.
Dabei zeigt ein Blick in den Bericht der Bundesregierung zum Ergebnis der Wirkungsforschung befristet geänderter städtebaulicher Vorschriften, daß sich für die Mehrzahl der untersuchten Gemeinden „keine nennenswerten Zeitgewinne und Verfahrenserleichterungen" ergeben haben.
Zwar haben sich letztendlich auch diese Gemeinden für die Beibehaltung der Vorschriften ausgesprochen, aber um der „atmosphärischen Wirkung" des Anscheins einer Beschleunigung willen. Klartext: Um Aktionismus vorzutäuschen. Deregulierung also nur als Potemkinsches Dorf. Dafür aber sind uns Natur und Umwelt zu wichtig.
Mit dieser Ansicht befinden wir uns im übrigen in guter Gesellschaft. Selbst der Gutachter der Bundesregierung empfiehlt in eben diesem Bericht, „wegen der überragenden Bedeutung der Bürgerbeteiligung für Qualität und Akzeptanz und der sehr bescheidenen Wirkung andererseits für Beschleunigungen an der alten Regelung des BauGB festzuhalten".
Wir räumen selbstverständlich ein, daß der Entwurf qualitative Verbesserungen enthält - gepaart
Walter Wilhelm
mit deutlichen Verschlechterungen. So da sind: teilweise Abschaffung der rechtsaufsichtlichen Prüfung von Bebauungsplänen, Abschaffung der Teilungsgenehmigung, keine UVP im Raumordnungsgesetz, Verlagerung der Zuständigkeit für Belange des Naturschutzes auf die Planungsbehörden, also gerade auf diejenigen, die primär verändern und eben nicht schützen wollen, und dergleichen mehr.
Wir Grünen wie auch die SPD haben in den Ausschußberatungen eine Vielzahl, wie ich meine, qualitativ guter Änderungsvorschläge gemacht, überwiegend hergeleitet aus den Anregungen der Fachgutachter im Experten-Hearing. Alle, aber auch wirklich alle - und selbst die kleinsten - Änderungsanträge wurden von der Ausschußmehrheit abgebügelt.
Täglich werden in Deutschland 80 bis 100 Hektar Freifläche in Siedlungs- und Verkehrsraum umgewandelt. Folge: großräumige Zerstörung von Natur und Landschaft. Jede neue Baulanderschließung hat Eingriffe in Klima und Atmosphäre, in Boden und Wasserhaushalt, in Natur und Artenvielfalt zur Folge. Zentrale Forderungen von Agenda 21 sind aber die entschiedene Begrenzung von Zersiedelung und eine umweltverträgliche Stadtentwicklung. Das geht halt nun einmal nicht ohne Regularien.
Wir fordern daher besondere gesetzliche Festlegungen insoweit: Vorrang für die Nutzung von Brachen und bislang unbebautem Innenbereich, Überplanung bisher landwirtschaftlich genutzter Freiflächen nur, soweit unbedingt erforderlich, vorrangige Anlage von Siedlungsschwerpunkten an Trassen des ÖPNV, insbesondere der Schiene, um Verkehrsverlagerung zu erreichen und so Verkehrsflächen zu sparen.
Ich erinnere hierbei an den Antrag der Koalitionsfraktionen zum kosten- und flächensparenden Bauen, den wir in der vorigen Sitzungswoche hatten. Aber natürlich auch Minderung des CO2-Ausstoßes soll dieser Gesichtspunkt erfassen.
Die Festsetzung von Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen bei Eingriffen in Natur und Landschaft dürfen nicht auf die Planungsbehörden übertragen werden. Sie müssen bei den Naturschutzverbänden, Entschuldigung, bei den Naturschutzbehörden wie bisher verbleiben.
- Ein bißchen schon.
Es mag ja sein, daß bei Planungsämtern Fachkompetenz vorhanden ist. Aber die Zielrichtung dieser Behörden geht schon rein begrifflich auf Veränderungen. Wenn man eine Truhe beim Spengler bestellt, darf man sich hintennach nicht wundern, wenn man eine Blechkiste bekommt.
Der Schutz des Außenbereichs - schon bisher durchlöchert genug - muß absoluten Vorrang behalten. Wir sind entschieden dagegen, die Zersiedelung durch Ausnahmeregeln weiter voranzutreiben und die Möglichkeit der Außenbereichssatzung ins Dauerrecht zu überführen. Der wohnungspolitische Nutzen ist nach bisheriger Erfahrung gering, die Effekte für Landschaft und Natur unabsehbar.
Notwendig ist auch eine überregionale Abstimmung benachbarter Gemeinden, und zwar mehr, als bereits bisher geboten. Die interkommunale Abstimmung muß so verbindlich organisiert werden, daß die beteiligten Gemeinden kein Überangebot an Bauland schaffen und konkurrierende Nutzungen vermieden werden.
Dies bedeutet aber letztendlich auch, daß es bei der Pflicht zur Vorlage von Bebauungsplanentwürfen an die Rechtsaufsichtsbehörde wie • bisher sein Bewenden haben muß.
Durch das Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetz 1993 wurde die vordem vorgeschriebene Umweltverträglichkeitsprüfung aus dem Raumordnungsgesetz entfernt. Dabei will es die Koalition belassen. Wir nicht! Das Europarecht schreibt die UVP möglichst frühzeitig vor. Erster Entscheidungsschritt ist halt nun einmal häufig das Raumordnungsverfahren. Auch für einen Investor ist es letztendlich natürlich zweckmäßiger, bereits im ersten Planungsschritt auf die Unmöglichkeit seines Vorhabens hingewiesen zu werden als erst später.
Planungsverfahren müssen stärker demokratisiert werden, also mehr statt weniger Bürgerbeteiligung. Verstärkte Einbeziehung der Bürger bringt nicht nur zusätzliche Sachkunde ins Verfahren, sondern kann gerade langwierige Konflikte klären und damit beschleunigend wirken.
Das sind die Kernpunkte unseres - teils mit der SPD abgestimmten - Antrags. Die Novelle des Bau-und Raumordnungsgesetzes war eine Chance. Die Koalition steht davor, diese Chance zu vertun. So geht halt, wie ich fürchte, der angekündigte große Wurf wieder einmal daneben.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Peter Götz.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Novelle des Bau- und Planungsrechts war nicht eine Chance, die vertan worden ist, sondern sie ist eine Chance, die wir ergriffen haben.
Wir schaffen mit der heutigen Verabschiedung des Baugesetzbuches und der Novelle zum Raumordnungsgesetz, lieber Kollege Wilhelm, sehr wohl die Voraussetzungen für eine nachhaltige Siedlungsentwicklung in unserem Land. Wir setzen damit die er-
Peter Götz
folgreiche Wohnungspolitik der vergangenen Jahre im Bau- und Planungsrecht fort.
Diesen Erfolg lassen wir uns von niemandem zerreden.
Wir verabschieden heute ein gutes Gesetz, ein gutes Gesetz für die Bürgerinnen und Bürger, für Investoren, für Kommunen und schließlich für Natur und Umwelt. Deshalb möchte auch ich die Gelegenheit nutzen, danke zu sagen. Ich sage dies als Berichterstatter für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion nach Abschluß vieler Beratungen. Ihnen, Herr Minister Töpfer, und den Damen und Herren Ihres Ministeriums. Ich sage herzlichen Dank für eine gute, solide und sehr konstruktive Zusammenarbeit in diesem Verfahren.
In diesen Dank schließe ich den Vorsitzenden unseres Bauausschusses und vor allen Dingen auch das Ausschußsekretariat ein.
Sie haben uns durch ausgezeichnete Vorarbeit bei nahezu 100 Änderungsanträgen die parlamentarische Arbeit wesentlich erleichtert. Dafür sagen wir Dank.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, die Diskussion war nicht immer einfach, aber wir haben ein großes bau- und planungsrechtliches Bündel geschnürt, das sich sehen lassen kann. Wir haben es geschafft, im Interesse vieler arbeitssuchender Menschen das Bau-und Planungsrecht fitzumachen für das nächste Jahrtausend. Wir haben erreicht, Ökonomie und Ökologie sinnvoll miteinander zu verbinden und damit einerseits die Ziele der Habitat-Agenda von Istanbul und andererseits die berechtigten Anforderungen der Städte und Gemeinden unter einen Hut zu bringen.
Neben den Schwerpunkten, die mein Kollege Dr. Dietmar Kansy am Anfang ausgeführt hat, war eine der wichtigsten Fragen: Wie können Gemeinden kostengünstig Bauland für die Schaffung von Wohnraum und Arbeitsplätzen mobilisieren und gleichzeitig einen qualitativen Ausgleich für den unvermeidbaren Eingriff in die Natur sichern?
Die uralte sozialistische Idee von SPD und Grünen, Bodenwertabschöpfung als neue Finanzierungsquelle zu erschließen, ist sehr wohl, Herr Minister Vesper - ich weiß nicht, ob er noch da ist -
ein Griff in die Mottenkiste der 60er und 70er Jahre.
Der Planungswertausgleich, Herr Kollege Schöler, ist von der Entwicklung längst überholt. Nicht einmal die Städte und Gemeinden wollen ihn.
Ich empfehle Ihnen, sich einmal mit dem Deutschen Städtetag in Verbindung zu setzen und sich zu informieren.
Wir setzen auf Partnerschaft. Ein partnerschaftliches Miteinander ist immer besser, als die Bürgerinnen und Bürger mit neuen Abgaben und neuer Bürokratie zu strapazieren.
Wir wollen die Belastung der Bürger reduzieren. Wir wollen Bürokratie abbauen. Die Verankerung der Planungsleitlinie der Nachhaltigkeit an hervorragender Stelle, in § 1 des Baugesetzbuches, unterstreicht auch die Bedeutung des Umweltschutzes und der nachhaltigen Entwicklung für die Bauleitplanung. Insofern haben wir keinen Nachhilfebedarf.
Durch die Übernahme des planungsrechtlichen Teils der Eingriffsregelung aus dem Bundesnaturschutzgesetz in das Baugesetzbuch wird dieses komplizierte Instrument einfacher anwendbar. Es wird damit auch wirksamer. Ein wichtiges Signal für die planenden Städte und Gemeinden ist die eindeutige Formulierung im Gesetz, wonach die Eingriffsregelung dem planungsrechtlichen Abwägungsgebot unterstellt wird. Das heißt, die Grundsätze der gerechten Abwägung aller öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gelten auch für einen zu erwartenden Eingriff in Natur und Landschaft.
Die Sorge des Bundesrates, der Schutz für Natur und Umwelt würde an Bedeutung verlieren, ist unbegründet. Sowohl das Planspiel, das durchgeführt worden ist, als auch die Anhörung im Ausschuß haben bestätigt, daß die Städte und Gemeinden sehr wohl in der Lage sind, die Ökologie bereits im Vorfeld in ihre Planungen zu integrieren.
Künftig kann die Bauleitplanung wesentlich flexibler als bisher gehandhabt werden. Die Gemeinden haben jetzt die Möglichkeit, eine Ausgleichsmaßnahme nicht nur im Baugebiet selbst, sondern im gesamten Gemeindegebiet auf der Ebene des Flächennutzungsplanes oder auf gemeindeeigenen Grundstücken durchzuführen.
Die räumliche und die zeitliche Entkoppelung von Eingriff und Ausgleich erhöht zusätzlich die Flexibilität und verbessert die Handhabung derjenigen, die vor Ort in den planenden Gemeinden mit diesem schwierigen Instrument umgehen müssen.
Natürlich gewinnt der Flächennutzungsplan dadurch zusätzlich an Bedeutung. Das ist gewollt und
Peter Götz
auch gut so. Die bisherige enge und preistreibende Ausgleichsregelung wird überwunden. Die Konsequenz ist: Kosten- und flächensparendes Bauen wird erleichtert. Dies führt - ganz im Interesse einer nachhaltigen Siedlungsentwicklung - zu einer Verkleinerung der Baugebiete und schont letztlich die Landschaft vor Zersiedlung.
Schon allein deshalb kommt diese neue Regelung auch dem Schutz von Natur und Umwelt zugute. Genehmigungsverfahren können künftig beschleunigt werden. Das ist ein großer Vorteil sowohl für die Städte und Gemeinden als auch für Investoren, ohne daß die Qualität des Naturschutzes darunter zu leiden hätte. Ein Weiteres kommt hinzu: Durch den Verzicht auf eine Verweiskette zwischen dem Bundesnaturschutzgesetz und dem Baugesetzbuch wird diese komplizierte Materie für die kommunale Praxis vereinfacht.
Die Stadtentwicklung - Herr Minister Töpfer hat sie vorhin angesprochen - steht spätestens seit der Habitat-II-Konferenz von Istanbul an einer Wegscheide. Funktionierende Innenstädte sind wichtige Elemente der Standortqualität von Städten und Gemeinden und damit auch der Qualität des Standorts Deutschland.
Durch die Verlagerung der Städtebauförderung aus dem Städtebauförderungsgesetz in das Baugesetzbuch stärken wir die Ziele einer nachhaltigen Stadtentwicklung. Mit den neu definierten Förderschwerpunkten bei der Stadtsanierung konzentrieren wir uns bewußt auf die Umwidmung und die Nutzung innerstädtischer Brachflächen wie Konversionsbrachen, Industriebrachen und Bahnbrachen. Das sind Flächen, die nach meiner Einschätzung in der Zukunft eher zu- als abnehmen werden. Das schont den Außenbereich und wirkt gleichzeitig dem Entstehen von Armutsgettos und auch einer Bedrohung des sozialen Friedens in bestimmten Wohnquartieren nachdrücklich entgegen.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, auch im umfassend überarbeiteten Raumordnungsgesetz wird die Leitvorstellung einer nachhaltigen Raumentwicklung zur Handlungsmaxime gemacht. So wollen wir die Region als räumliche Handlungsebene stärken und die Durchsetzbarkeit von Raumordnungsplänen verbessern. Um unkontrollierte negative Entwicklungen auf der grünen Wiese am Stadtrand zu vermeiden, schreiben wir, beispielsweise künftig vor, daß zur Errichtung von großflächigen Einzelhandelsunternehmen oder Unternehmen insgesamt ein Raumordnungsverfahren durchgeführt werden muß.
Den Ländern wird außerdem die Möglichkeit eröffnet, die Planungsebenen - Regionalplanung und gemeinsamer Flächennutzungsplan - zusammenzuführen. Die Konsequenz ist der Wegfall einer Planungsebene. Auch dies dient der Rechts- und Verwaltungsvereinfachung und spart schließlich Steuergelder.
Lassen Sie mich abschließend zusammenfassen: Mit dem Raumordnungsgesetz 1998 ermöglichen wir eine bessere Abstimmung der Landes-, Regional-und Stadtplanung. Die Planleitlinie der Nachhaltigkeit steht an vorderster Stelle im Gesetz und die naturschutzrechtlichen Eingriffsregelungen werden sinnvoll fortentwickelt. Wir erweitern den Gestaltungsspielraum der Städte und Gemeinden und stärken die kommunale Planungshoheit. Wir machen Ernst mit dem Abbau von Bürokratie und halten keine Sonntagsreden darüber, sondern handeln, wenn es darauf ankommt.
Wir beschleunigen Planungsverfahren. Wir gestalten das Recht der Bauleitplanung und der Raumordnung durch einheitliche Verfahren und Instrumente übersichtlicher und damit einfacher. Wir harmonisieren eine ganze Reihe von Rechtsgebieten und verankern die Städtebauförderung im Baugesetzbuch. Es wurde bereits gesagt: Durch den Wegfall der Sonderregelungen für die neuen Länder schaffen wir ein einheitliches Planungsrecht für ganz Deutschland.
Das Gesetz ist ein wichtiger Schritt zum Abbau von Bürokratie, zur Vereinfachung und Verfahrensbeschleunigung zugunsten von Bürgern und Verwaltung, aber auch zugunsten von Investoren und Bauherren. Wir schaffen gute Rahmenbedingungen für mehr Investitionen und mehr Arbeitsplätze.
Deshalb appelliere ich an Sie, liebe Kolleginnen und liebe Kollegen von der Opposition, sich nicht mit Gewalt an irgendwelche Besitzstände zu klammern
oder neue Abgaben und finanzielle Belastungen für die Bürger, neue Bürokratie zu kreieren.
Ich appelliere an Sie, diesem Reformwerk mutig zuzustimmen.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Peter Conradi.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor 24 Jahren habe ich hier zur 76er Novelle des Baugesetzbuchs gesprochen. Damals erklärte der Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Dr. Oscar Schneider, die Fraktion der CDU/CSU werde der Abschöpfung planungsbedingter Bodenwertsteigerungen zustimmen. Das zu der Behaup-
Peter Conradi
tung, der Planungswertausgleich sei eine „sozialistische" Idee.
Herr Götz, in der Union hat sich vieles geändert. Von dem, was in der Union einmal als sozial galt, ist nicht mehr viel zu spüren. Damals waren die Zeiten anders.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Natürlich. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Bitte.
Ist Ihnen, Herr Kollege Conradi, bekannt, daß sich in den letzten 24 Jahren in dieser Bundesrepublik Deutschland einiges verändert hat?
Ist Ihnen ebenfalls bekannt, daß sich in diesen 24 Jahren das Baurecht zum Teil der Entwicklung angepaßt, zum Teil verändert hat und daß wir bereits eine ganze Reihe von modernen Instrumenten in unserem Baugesetz haben, die wir jetzt als Dauerrecht festschreiben wollen, zum Beispiel den städtebaulichen Vertrag?
Herr Abgeordneter, ich war 20 Jahre lang Berichterstatter für dieses Gesetz; das ist mir alles bekannt. Das Problem aber, daß die Gemeinde einen Bebauungsplan aufstellt und damit ein Grundstück im Wert erhöht und daß diese Werterhöhung ohne Beteiligung der Öffentlichkeit allein dem Eigentümer zukommt, hat sich in den 24 Jahren nicht geändert.
Sie sind für die Bereicherung durch Stadtplanung und nicht für eine gerechte Beteiligung der Offentlichkeit an den Wertzuwächsen.
- Herr Abgeordneter, wenn auch Sie eine Zwischenfrage stellen wollen, bin ich gerne bereit, darauf zu antworten.
Ich will hier einige grundsätzliche Bemerkungen zum Thema „Stadtplanung und Politik" machen. In der Stadtplanung, so will es das Gesetz, sind die öffentlichen und die privaten Interessen gerecht gegeneinander und untereinander abzuwägen. Das heißt: Stadtplanung erfordert den Diskurs der Stadtbürgerschaft über ihr Zusammenleben, über die zukünftige kulturelle, soziale und bauliche Gestalt ihrer Stadt.
Diese Abwägung der unterschiedlichen Interessen findet weithin nicht mehr statt. Die Wirtschaft regiert die Stadt. Die Stadtplanung wird zur Magd der Investoren. Wer Investitionen, wer Gewerbesteuer, wer Arbeitsplätze verspricht, wer mit der Abwanderung droht, der bekommt seinen Bebauungsplan, seine Baugenehmigung. Es wird nicht mehr über unser Zusammenleben in den Städten geredet, nicht mehr darüber, wie wir in unserem Gemeinwesen Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit gewährleisten, was uns soziale Gerechtigkeit bedeutet, wieviel uns Kultur wert ist. Es wird über Globalisierung und Standortwettbewerb geredet. Nicht mehr die Interessen der Menschen, sondern die Interessen der Wirtschaft bestimmen die Stadtplanung.
Wie sieht denn die Realität in den Städten aus? Das Stadtklima verschlechtert sich. Gereiztheit, Haß und Gewalt breiten sich aus. Vielerorts findet eine schleichende soziale Segregation statt. Die Alten und Armen, die Arbeitslosen, vor allem die arbeitslosen jungen Menschen, werden rücksichtslos räumlich und sozial ausgegrenzt.
In vielen Städten liegt der Einzelhandel danieder. Das neue Planungsrecht hat in Ostdeutschland die Errichtung großer Einkaufszentren auf der grünen Wiese ermöglicht und damit den Zusammenbruch des innerstädtischen Einzelhandels bewirkt. Ich bin ja richtig gerührt, Herr Minister, wenn Sie hier mit starken Worten ankündigen, jetzt müsse man etwas gegen das Bauen auf der grünen Wiese tun. Sie haben doch mit Ihrer Politik ermöglicht, daß der innerstädtische Einzelhandel in Ostdeutschland durch die großen Einkaufszentren kaputtgemacht worden ist.
Jetzt, wo der Karren im Dreck steckt, kommen Sie und sagen: Da hätten wir wohl ein anderes Gesetz machen sollen. Diese Einsicht kommt zu spät.
Wegen der Fehlinvestitionen während des Baubooms nach der Deutschen Einheit und wegen der aktuellen Wirtschaftskrise stehen in vielen Städten Läden und Büros leer. Die Verkehrsprobleme, der Dauerstau, die Lärm- und Luftbelastungen nehmen zu. Die Zersiedelung geht weiter. Von einer sinnvollen ökologischen Nutzung der Landschaft ist keine Rede. Seit 1978 - damals auf Betreiben der CDU/ CSU-Mehrheit im Bundesrat und der F.D.P. - wurden die Schutzvorschriften für den Außenbereich Schritt für Schritt gelockert. Die Folgen sieht man auf der Fahrt zu jeder Stadt: Großmärkte, Möbellager, Autowerkstätten, Speditionen, Reifenhandel und Lagerhäuser, als hätte sich die Stadt erbrochen. Rücksichtslos wird der Außenbereich den Gewerbeinteressen geopfert.
Schließlich verengt die Finanznot den Handlungsspielraum der Städte und damit ihre Möglichkeit zur Erhaltung und Verbesserung ihrer Infrastruktur, zum gezielten wirtschaftlichen Umbau, zur Baulücken-und Brachflächenbebauung, zum ökologischen
Peter Conradi
Stadtumbau und zur Altlastenbeseitigung. In dieser Situation wäre eine kritische Bewertung des Planungs- und Bodenrechts notwendig, eine an den aktuellen Problemen orientierte Novellierung des Gesetzes, die die Gemeinden nicht schwächt, sondern ihnen das Rückgrat stärkt, die das Planungs- und Genehmigungsdumping zwischen den Gemeinden erschwert, die eine sorgfältigere Abwägung der Interessen der Menschen, einen rücksichtsvolleren Umgang mit der Natur und eine bessere Planung vorschreibt,
eine Novellierung, die auch den Gemeinden den gerechten Anteil an den von ihnen bewirkten Bodenwertsteigerungen zukommen läßt. Doch von all dem ist in Ihrem Entwurf nicht die Rede. Ihre Parole ist: Es soll nicht besser, es soll schneller und flexibler geplant werden.
Unter dem falschen Etikett, es gehe um eine Stärkung der kommunalen Planungshoheit, werden die Gemeinden in Wirklichkeit den Forderungen der Wirtschaft weit stärker ausgeliefert als bisher. Die staatliche Kontrolle der kommunalen Planung wird abgebaut. Ganz ungeschminkt redet die Bundesregierung davon, die Investoren dürften in ihren Plänen nicht durch unterschiedliche regionale Vorschriften beeinträchtigt werden.
- Das steht in Ihrem Text. Ich sage dagegen: Stadtplanung für Investoren und nicht Stadtplanung für Menschen. - Die kommunale Demokratie wird zurückgedrängt, wenn in den meisten Städten nicht mehr die Stadtbürgerschaft und der von ihr gewählte Rat über Bauvorhaben entscheiden, sondern die Verwaltung.
Es ist schon toll, wenn die Zurückdrängung der Bürgerbeteiligung vom Minister hier als ,,Entrümpelung" bezeichnet wird. Herr Götz redet von Entbürokratisierung, während in Wirklichkeit die Verwaltung zunehmend über Dinge entscheidet, die der Rat entscheiden müßte.
- Herr Dörflinger, darf ich den Satz zu Ende sprechen? - Die Ökonomie erwürgt die Demokratie auch in der Stadtplanung und Kommunalpolitik.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Gerne. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Bitte.
Herr Kollege Conradi, halten Sie es nicht für einen politischen Skandal, wenn sich die Sozialdemokratische Partei Deutschlands als diejenige Partei darstellt, die für Arbeitsplätze und wirtschaftliches Wachstum sorgen will, und Sie dann hier im Zusammenhang in dem Baugesetzbuch eine prononciert wirtschaftsfeindliche Rede halten?
Ich halte keine wirtschaftsfeindliche Rede, Herr Abgeordneter. Ich bestehe vielmehr auf dem Gesetz, das im Rahmen der Stadtplanung die Abwägung zwischen den verschiedenen Interessen vorschreibt, weil Wirtschafts- und Investoreninteressen nicht grundsätzlich Vorrang haben
vor den Interessen der Menschen, die dort wohnen wollen, die Freizeitmöglichkeiten und eine gesunde Umwelt haben wollen. Das heißt: Ich plädiere für die Abwägung, während Sie die Abwägung als Prinzip vorne ins Gesetz hinein schreiben und sie hinten zugunsten derer schwächen, die wirtschaftlich investieren wollen.
Gestatten Sie eine zweite Zwischenfrage, Herr Kollege? - Bitte.
Herr Kollege Conradi, sind Sie nicht mit mir der Auffassung, daß Ihre Interpretation des Gesetzinhaltes eine Verzerrung darstellt und Sie dieses Podium nutzen, um eine ideologisch fixierte, nicht an den Realitäten . orientierte Rede zu halten?
Herr Abgeordneter, ich bin in vielen Städten unterwegs; ich spreche in vielen Städten. Ich kenne die Kollegen Stadtplaner. Ich habe mich kundig gemacht über das, was die Stadtplaner als Fachleute zu diesem Gesetz vorgeschlagen haben. Was ich hier schildere, den Niedergang städtischen Einzelhandels, die Zunahme von Gewalt, die Verbauung des Außenbereichs, das sind Erfahrungen aus den Städten. Ich rede hier nicht ideologisch. Ich weiß, wovon ich rede; ich komme aus dem Fach.
Die Behauptung, es fehle an sofort bebaubaren Grundstücken, hält einer Nachprüfung nicht stand. Allerorten werden Gewerbeflächen wie sauer Bier angeboten. Allerorten gibt es städtische Umnutzungsflächen, die zum Teil seit Jahren brachliegen, die sofort bebaut werden könnten. Warum werden sie nicht bebaut? - Weil sie gehortet werden, weil sie vom Markt zurückgehalten werden und weil Sie als Koalition nicht bereit waren, marktfördernde Instrumente zu schaffen, die die gehorteten Grundstücke endlich auf den Bodenmarkt bringen.
Peter Conradi
Sie haben aus den Fehlentwicklungen der letzten Jahre nichts gelernt. Das zeigt sich auch bei den Lokkerungen im Außenbereich, mit denen die natürlichen Lebensgrundlagen, die wir unter den besonderen Schutz der Verfassung gestellt haben, weiter beschädigt werden.
Was müßte geschehen? Das Baugesetzbuch müßte nicht investorenfreundlicher, es müßte bürgerfreundlicher, umweltfreundlicher, praxisfreundlicher gemacht werden. Es müßte die Stellung der Gemeinden gegenüber der Wirtschaft stärken, nicht schwächen, damit dieser ekelhafte Dumpingwettbewerb zwischen Gemeinden aufhört, bei dem die eine Gemeinde dem Investor sagt: Bei uns kriegst du es billiger; wir machen es dir leichter als die andere. - Den Dumpingwettbewerb anderer Länder gegen uns, den wir in Europa und über Europa hinaus beklagen, erlauben wir unter den Gemeinden, ohne die Gemeinden zu stärken, dem zu widerstehen.
Eine realitätsgerechte, praktikable Bodenbewertung und eine gerechte Bodenbesteuerung sind überfällig, ebenso ein Bodeneigentumsrecht, das spekulationsdämpfende Eigentumsformen, etwa das Erbbaurecht, fördert. Für all das gibt es im Deutschen Bundestag derzeit keine Mehrheit.
Es gab sie auch nicht in der sozialliberalen Koalition. Damals hat die F.D.P. zusammen mit der CDU/CSU-Mehrheit im Bundesrat jeden Versuch eines sozialen Bodenrechts erstickt.
So bleibt den deutschen Städten angesichts der hier vorliegenden unzureichenden Novelle für das Baugesetzbuch nur die Hoffnung auf eine andere, neue Mehrheit für ein soziales Bodenrecht.
„Rettet unsere Städte jetzt!" hieß die Forderung des Städtetags Ende der 60er Jahre. Sie ist heute so aktuell wie damals.
Das Wort hat der Kollege Josef Hollerith, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beraten in zweiter und dritter Lesung das Bau- und Raumordnungsgesetz 1998. Es ist ein gutes Gesetz.
Es schafft Vorrang für Investitionen. Es stärkt und fordert zugleich die kommunale Selbstverwaltung. Ich möchte einige Punkte herausgreifen, die mir hier besonders bedeutsam erscheinen.
Erstens. Kollege Conradi, ich bin überzeugt, daß die Kommunen nach dem Wegfall der Anzeige- und Genehmigungspflicht von aus den Flächennutzungsplänen entwickelten Bebauungsplänen für Gewerbe und Wohnen das im Baugesetzbuch enthaltene Gebot der Abwägung und des Ausgleichs der unterschiedlichen öffentlichen Interessen verantwortlich erfüllen.
Sie können die Ergebnisse von 30 Jahren Bauleitplanung, 30 Jahren Aufsicht staatlicher Behörden in meinem Heimatlandkreis besichtigen. Sie können an der Farbe der Dächer - ob Rot oder Schwarz - und an der Tiefe der Dachvorsprünge feststellen, wer zu der jeweiligen Zeit Kreisbaumeister im staatlichen Bauamt war.
- Das weiß ich nicht. Er war jedenfalls Fachmann, und er war im staatlichen Landratsamt Aufsichts-und Genehmigungsbehörde in der Bauleitplanung. Insoweit gieße ich Wasser in den Wein bei all denen, die meinen, die allmächtige Weisheit staatlicher Bauaufsicht würde alles perfekt regeln.
Ich behaupte, daß die verantwortliche Handhabung der kommunalen Selbstverwaltung mindestens zu den gleichen, wenn nicht zu besseren Ergebnissen führen wird, zumal im Unterschied zu staatlichen Behörden die kommunale Selbstverwaltung der demokratischen Kontrolle unterliegt, weil sie sich nämlich alle vier, fünf oder sechs Jahre den Wählern zu stellen hat.
Herr Kollege Hollerith, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Conradi?
Gern.
Herr Abgeordneter, was würden Sie mir antworten, wenn ich Ihnen sagte, daß die vorzüglich arbeitende bayerische oberste Baubehörde und die vorzüglichen bayerischen Kreisbaumeister in sehr vielen Fällen verhindert haben, daß Gemeinden in Bayern rücksichtslos Landschaft zugebaut haben, daß sich Gemeinden in Bayern den Forderungen ihrer Investoren gebeugt haben, daß also gerade Bayern ein Musterbeispiel dafür ist, daß eine verantwortliche staatliche Bauaufsicht Fehler der Gemeinden unterbinden kann?
Herr Kollege Conradi, ich habe nie in Zweifel gestellt, daß es viele qualifizierte Kreisbaumeister in der staatlichen bayerischen Verwaltung gibt. Ich erkenne an, daß viele SPD-regierte Länder neidisch auf die hohe Qualität der
Josef Hollerith
bayrischen Staatsverwaltung blicken. Das ist völlig richtig.
Auch erkenne ich an, daß die Qualität der bayrischen Landschaft und Natur auch durch die kommunale Selbstverwaltung geprägt ist, ob sie nun mehrheitlich von der CSU oder von der SPD gestellt wird. Gott sei Dank wird sie in den meisten Gemeinden und Städten mehrheitlich von der CSU gestellt. Diese Mehrheiten haben das Ergebnis in bezug auf die Landschaft bewirkt. Insoweit bin ich dankbar, daß Bayern so regiert wird, wie es geschieht.
Ich komme zum zweiten Punkt. Ich bin froh und dankbar, daß das Instrument der AuBenbereichssatzung in den letzten Jahren erprobt werden konnte. Ich kann feststellen, daß die Erprobung dieses Instrumentes eben nicht zu den befürchteten Ergebnissen einer willkürlichen Anwendung, einer Zersiedelung von Natur und Landschaft geführt hat, sondern ganz im Gegenteil: Die Kommunen haben dieses Instrument sehr sorgsam und sehr verantwortlich im Sinne der Erhaltung und Pflege ihrer Strukturen genutzt.
Der Gesetzgeber sagt: Es muß Bebauung von einigermaßen Gewicht vorhanden sein, um überhaupt eine Ausweitung in einer Splittersiedlung zu ermöglichen. Ich bekenne mich sehr dazu - die Praxis hat das auch bestätigt -, daß eine Abwägung zwischen dem sicherlich stattfindenden Eingriff in die Landschaft und dem anderen öffentlichen Belang der Beschaffung von Wohnraum notwendig ist, etwa für die einheimische, ortsansässige Bevölkerung, etwa für weichende Hoferben zu noch vertretbaren Preisbedingungen für Grund und Boden, und damit auch Dorfgemeinschaften und Vereinsstrukturen zu pflegen und zu sichern. Auch dies ist im öffentlichen Interesse. Bei dieser Abwägung, meine ich - so hat es die Praxis jedenfalls gezeigt -, haben sich die Kommunen sehr verantwortlich verhalten.
Drittens. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Kollege Conradi, das Instrument des städtebaulichen Vertrags, das jetzt ins Dauerrecht überführt werden soll, hat sich großartig bewährt. Ich muß daran erinnern: Die Planungshoheit liegt bei den Kommunen.
Kein Eigentümer irgendeines Quadratmeters Boden hat einen Rechtsanspruch darauf, daß dieser Quadratmeter Boden in Bauland überführt wird. Diese Entscheidung obliegt allein den gewählten Stadt-und Gemeinderäten. Sie haben es in der Hand, durch entsprechende Verhandlungen, Gespräche und Verträge die Realisierung des öffentlichen Interesses zu sichern.
Ich war 13 Jahre Mitglied des Gemeinderates meiner Heimatgemeinde. Wir haben, beginnend 1978 -ich bin dort mit 21 Jahren gewählt worden -, mit der damals neuen Mehrheit beschlossen, nur noch Bauland auszuweisen, wenn die Belange des öffentlichen Interesses gesichert bleiben. Wir wußten damals: Wir bewegten uns auf rechtlich schwankendem Boden. Jetzt sind mit dem Instrument des städtebaulichen Vertrages all diese guten Modelle in Dauerrecht überführt. Sie ermöglichen, preiswerten Grund für einheimische Familien mit Kindern und andere öffentliche Interessen zur Verfügung zu stellen.
Insoweit überrascht mich Ihr Beitrag, Kollege Conradi, der meiner Meinung nach einen ganz falschen Ansatz wählt,
weil er von Böswilligkeit und von falschen Interessenlagen ausgeht.
Wir müssen in der kommunalen Selbstverwaltung ein Interesse daran haben, daß wir Investitionen bekommen, daß wir Möglichkeiten der Arbeitsplatzsicherung haben. Wir müssen ein Interesse daran haben, daß Flächen für Wohnbebauung ausgewiesen werden.
Das heißt aber nicht, daß Irrtümer in allen Fällen ausgeschlossen bleiben. Das kann der Bundesgesetzgeber nicht steuern. Natürlich gab es in kommunalen Gremien, in Stadträten ab und zu falsche Erwartungen. Gerade in den neuen Bundesländern wurde mehr Ansiedlungsbereitschaft erwartet, was zu große Ausweisungen von Gewerbegebieten zur Folge hatte.
Eines lassen Sie mich noch sagen, Herr Conradi: Ihre Einschätzung, in der Republik gebe es eine große Zahl von Grundstückshortern, entspricht nicht der Wirklichkeit. Wenn heute ein Investor eine Fläche entwickeln will, dann kauft er sie. Er wird sie im Regelfall fremdfinanzieren und deshalb alles tun, diese Fläche so schnell wie möglich einer vernünftigen wirtschaftlichen Nutzung zuzuführen, damit ihn die Zinslast nicht erdrückt.
Das ist die Realität. Unser derzeitiges Problem ist doch nicht das Horten von Gewerbeflächen. Unser derzeitiges Problem ist, daß wir zu wenige Investoren für diese Gewerbeflächen haben.
Ich komme zum vierten Punkt. Minister Töpfer hat auf ein Beispiel meines Wahlkreises hingewiesen, auf die Gemeinde Lohkirchen. Der Vorhaben- und Erschließungsplan ist ein großartiges Instrument, das wir viel mehr nutzen müssen, für das wir viel mehr werben müssen, damit es genutzt wird.
Fünfter Punkt: die Präklusionswirkung als Instrument der Beschleunigung. Ich bin froh, daß die Nichterklärung, das heißt, wenn die Träger öffentlicher Belange sich nicht binnen vier Wochen erklärt haben, künftig als Zustimmung gilt. Das schafft Tempo; das schafft Beschleunigung bei der Gewährung von Baurechten.
Sechster Punkt. Ich begrüße ausdrücklich die Möglichkeit - Herr Götz hat den Gedanken der Nachhaltigkeit hier zu Recht eingeführt -, die Nutzung bestehender landwirtschaftlicher Gebäude im Außenbereich, die rechtmäßig errichtet worden sind, für verträgliches Gewerbe und für Wohnbebauung um-
Josef Hollerith
zuwidmen. Das ist notwendig, um den dramatischen Strukturwandel in der Landwirtschaft aufzufangen. Das ist auch im Interesse der Ökologie sinnvoll, weil bereits versiegelte Flächen den modernen Anforderungen entsprechend genutzt werden können.
Wir wollen keine Verhältnisse wie in Frankreich, wo sich ganze Dörfer entvölkern, weil keine Umnutzung stattfindet.
Herr Kollege, schauen Sie bitte auf die Uhr.
Danke. - Ich komme zum siebten und letzten Punkt. Aus der Sicht der Freistaaten Bayern und Sachsen bin ich froh, daß wir die Öffnungsklausel für den Eingriff in Natur- und Landschaftsrecht bis zum 1. Januar 2001 beibehalten werden.
Ich appelliere an die Kollegen der SPD. Ich habe in meinem Wahlkreis allen Bürgermeistern unsere Überlegungen zum neuen Bauplanungsrecht vorgestellt - auch den Kollegen der SPD. Ich habe ausnahmslos Zustimmung, die freudige Erwartung, die Hoffnung geerntet, dieses Gesetz möge möglichst schnell Recht werden. Insofern appelliere ich an Sie: Stimmen Sie zu. Lassen Sie es im Bundesrat passieren.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Hannelore Rönsch, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In unserem Lande wird viel von Investitionsstau, von zuviel Bürokratie, von langen behördlichen Verfahren geredet. Wir fragen uns immer wieder, ob unser Standort überhaupt noch reformfähig ist. Dies zeigt sich auch in den aktuellen Tarifverhandlungen. Wir sehen hier die Folgen des internationalen Wettbewerbs, die für unsere Arbeitnehmer und für die Bauindustrie schädlich sind. Wir brauchen Gesetze. Wir brauchen Reformen. Wir brauchen die Zustimmung der Opposition.
Ich habe hier heute allerdings von Herrn Kollegen Vesper gehört, daß er den Vermittlungsausschuß anrufen will. Dem wird sich die SPD sicher anschließen. Deshalb meine ich, daß es für Investoren nicht leicht sein wird, in Deutschland zu investieren und Arbeitsplätze zu schaffen. Überlegen Sie, was Sie damit anrichten.
Die Rede meines Kollegen Conradi, die ich mir angehört habe, war voll von Ideologie, aber sie zeigte mir auch, daß man gar kein Interesse daran hat,
Möglichkeiten für Wirtschaftsansiedlung zu schaffen.
Ich habe mir sagen lassen, Herr Kollege Conradi, daß Sie selbst einmal Beamter in einer staatlichen Baubehörde gewesen sind. Sie müßten doch eigentlich wissen, daß die Planungshoheit bei den Kommunen liegt und daß es in der Hand der Bürgervertreter in den Kommunen liegt, Bauland auszuweisen oder es zu unterlassen.
Daß Ihre Vorstellungen bei den Bürgern nicht unbedingt ankommen, hat ja nun Ihre Kandidatur in Stuttgart gezeigt. Offensichtlich konnten Sie sich mit Ihren Vorstellungen dort nicht durchsetzen; die Bürger haben gegen Sie entschieden.
Sehr verehrter Herr Kollege Braun, ich freue mich mit Ihnen, daß wir heute über diesen Gesetzentwurf abstimmen können, der eine wirkliche Reform im Bereich des Städtebaurechts und des Raumordnungsrechts schafft. Ich hätte mir allerdings gewünscht, daß auch die Opposition heute zustimmt. Daß sie es nicht tut, kann mit Sicherheit nicht daran liegen, daß die Verhandlungen im Ausschuß nicht sachlich gewesen wären. Es stimmt, Herr Kollege Schöler: Ich habe an den Ausschußsitzungen nicht teilgenommen. Aber ich bin Mitglied in der entsprechenden Arbeitsgruppe unserer Fraktion. Da alle Mitglieder unserer Arbeitsgruppe, die auch Mitglieder des Ausschusses sind, in den Sitzungen immer vollzählig anwesend waren, bin ich als stellvertretendes Mitglied nie in eine Sitzung des Ausschusses geschickt worden. Ich nehme auch gleichzeitig meinen Kollegen Conradi in Schutz, von dem ich mir habe sagen lassen, daß auch er an den Ausschußberatungen nie teilgenommen hat.
- Das haben mir meine Kollegen gesagt, die Herrn Conradi in den Ausschußsitzungen nicht gesehen haben. An den Arbeitsgruppensitzungen nehme ich regelmäßig teil. Ich habe mit dem Kollegen Conradi acht Jahre lang im Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau gesessen.
Ich habe mir gedacht, daß eine Zustimmung der SPD nicht allein von der Neidsteuer, der Bodensteuer, abhängen würde, die Sie unbedingt einführen wollen.
Hannelore Rönsch
Einmal ganz abgesehen davon, daß sie natürlich mit verfassungsrechtlichen Bedenken verbunden ist, spricht auch in der Sache sehr vieles dagegen.
Es klingt für die Kommunen ausgesprochen verlokkend, nach Inkrafttreten des Bebauungsplans den Wertzuwachs der begünstigten Grundstücke abschöpfen zu können. Es geht bei diesem Planungswertausgleich sicher gar nicht nur um die Förderung in Höhe von 70 Prozent der planungsbedingten Kosten. Bedenklich ist für mich vor allem, daß die Baukosten in die Höhe getrieben werden und damit Investitionen, die zwingend erforderlich sind, verhindert werden. Es ist für mich ebenfalls sicher, daß der Eigentümer eines solchen Grundstücks diese Abgabe auf den späteren Erwerber abwälzt.
Wir wollen, daß mehr Eigentum geschaffen wird, und deswegen werden wir uns dagegen wenden.
Wenn die SPD immer wieder mit diesem ideologischen Vorschlag zum Baurecht ankommt, dann fragt man sich auch, wie Sie von der SPD diese Abgabe mit Ihrem Umweltprogramm in Einklang bringen und wie Sie dafür die Zustimmung Ihrer Umweltpolitiker finden können. Was sagen denn Ihre Umweltpolitiker dazu? Denn höhere Bodenwertsteigerungen könnte es vor allem im Außenbereich geben, und da wird es dann für die Kommunen besonders interessant. Wenn Sie von der SPD das wollen, dann habe ich überhaupt kein Verständnis dafür, daß Ihre Umweltpolitiker an dieser Stelle nicht intervenieren.
Der Planungswertausgleich ist ein Instrument der 70er Jahre. Er paßt aber auch in die aktuelle Diskussion. Er ist nämlich wieder einmal eine Neidsteuer. Wir werden uns dieser Diskussion nicht anschließen. Das Städtebaurecht bietet heute viel modernere Maßnahmen, um die Eigentümer tatsächlich an den Entwicklungskosten zu beteiligen.
Im Städtebaurecht gibt es schon seit längerem das Instrument der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme, die der Entwicklung von Stadtteilen und Gemeindegebieten dient.
- Die Gemeinde erwirbt alle Grundstücke im Entwicklungsbereich zum Verkehrswert vor der Einleitung der Entwicklungsmaßnahme. Wenn diese Grundstücke nach der Erschließung an Bauwillige veräußert werden, kann auch hier die Gemeinde den Wertzuwachs abschöpfen.
Kollegin Rönsch, gestatten Sie eine Zwischenfrage? - Bitte.
Frau Kollegin Rönsch, ist Ihnen beim Lesen des Antrags der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen aufgefallen, daß wir genau bei der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme keine Abschöpfung vorsehen, weil es da schon gesetzlich geregelt ist?
Das ist gar nicht notwendig. Wir wollen, daß der Differenzbetrag von der Gemeinde zur Finanzierung zum Beispiel von Planungs-, Erschließungs- und Folgekosten eingesetzt werden kann. Ich meine, daß das der richtige Weg ist. Warum können Sie sich dem nicht anschließen?
- Ich habe es Ihnen doch gerade erklärt. Ich will es jetzt wegen der davonlaufenden Redezeit nicht wiederholen, aber Sie können es gerne im Protokoll nachlesen.
Ich glaube, daß Baugebiete so überhaupt erst entstehen können.
Ich will ein weiteres Instrument nennen: den städtebaulichen Vertrag, der diese Aufgabe auf Privatinvestoren überträgt. Mit städtebaulichen Verträgen können die begünstigten Eigentümer dann im Einzelfall sogar in einem höheren Umfang an den Kosten beteiligt werden, als das mit der 70 prozentigen Abgabe beim Planungswertausgleich der Fall wäre.
Darüber hinaus können die Eigentümer von den Kommunen vertraglich auch zur Bebauung verpflichtet werden, und dadurch wird für uns die tatsächliche Bebauung gesichert. Ich glaube, daß dies ein partnerschaftliches Verfahren ist, mit einer Abgabe auf jeden Fall nicht zu vergleichen und einer Abgabe auch vorzuziehen.
Angesichts der ausgedehnten Verpflichtungen der öffentlichen Hand muß heute auch zunehmend überlegt werden, in welchen Bereichen private Unternehmen Aufgaben übernehmen können. Ich sehe in diesem Zusammenhang die Möglichkeit zum Beispiel bei der Städtebauförderung. Private Unternehmen verfügen über ein breites Kapital, das sie auch gerne in Baumaßnahmen anlegen würden. Dafür muß allerdings auch der Wille zu einer Zusammenarbeit mit ihnen bestehen, und es müssen entsprechende Projektmaßnahmen unterbreitet werden. Man darf sich da nicht so investitionsfeindlich verhalten, wie wir es eben bei dem Kollegen Conradi erlebt haben.
Gerade angesichts der hohen Arbeitslosigkeit und der starken Wanderungsbewegungen in den vergangenen Jahren bedarf die innerstädtische Entwicklung besonderer Achtsamkeit. Vielleicht ist es doch
Hannelore Rönsch
auch ganz gut, wenn neben Kommunen und Betroffenen private Unternehmungen ihren reichen Erfahrungsschatz bei Unternehmensentscheidungen in die Entscheidungsprozesse einbringen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Sie sind herzlich eingeladen, bei diesen anstehenden Reformvorhaben mitzuwirken. Sollten Sie allerdings heute wieder versuchen, auf die Fragen keine Antworten zu geben, müssen wir auch bei dieser Reform einfach nur feststellen, daß Sie blockieren und verhindern wollen, daß Sie Investitionen hemmen wollen und daß Sie auf dem Arbeitsmarkt offensichtlich keine Bewegung wünschen.
Ich schließe die Aussprache.Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Baugesetzbuchs und zur Neuregelung des Rechts der Raumordnung. Das sind die Drucksachen 13/6392 und 13/7588 Nr. 1.
- Können Sie das da oben bitte verhindern!
Dazu liegen insgesamt elf Änderungsanträge vor, über die wir zuerst abstimmen.Abstimmung über den gemeinsamen Änderungsantrag der Fraktion der SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/7657: Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt.Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/7650: Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von SPD und PDS bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/ 7670: Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS bei Stimmenthaltung der SPD abgelehnt.Wir stimmen jetzt über insgesamt acht Änderungsanträge der Gruppe der PDS ab. Zunächst der Änderungsantrag auf Drucksache 13/7640: Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der PDS bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/ Die Grünen abgelehnt.Änderungsantrag auf Drucksache 13/7641: Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der PDS abgelehnt.Änderungsantrag auf Drucksache 13/7642: Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Gruppe der PDS bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.Änderungsantrag auf Drucksache 13/7643: Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Gruppe der PDS bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.Änderungsantrag auf Drucksache 13/7646: Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der PDS abgelehnt.Änderungsantrag auf Drucksache 13/7647: Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der PDS abgelehnt.Änderungsantrag auf Drucksache 13/7648: Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der PDS bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.Änderungsantrag auf Drucksache 13/7649: Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der PDS abgelehnt.Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden.Wir kommen zurdritten Beratungund Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen.Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/7651. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von SPD und PDS bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 15759
Vizepräsident Hans-Ulrich KloseWir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/7644. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der PDS bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/ Die Grünen abgelehnt.Beschlußempfehlung des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu einem sozialen und ökologischen Städtebau- und Raumordnungsrecht - das ist die Drucksache 13/7588 Nr. 2 -: Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/6384 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der PDS bei Stimmenthaltung der SPD-Fraktion angenommen.Beschlußempfehlung des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zu dem Bericht der Bundesregierung zu den Ergebnissen der Rechtstatsachen- und Wirkungsforschung bezüglich der neuen und geänderten städtebaulichen Vorschriften - das sind die Drucksachen 13/5489 und 13/7588 Nr. 3 -: Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen.Der Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau empfiehlt unter Nr. 4 seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 13/7588 die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen.Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 13a bis13 g sowie die Zusatzpunkte 2 a und 2 b auf:13. Überweisungen im vereinfachten Verfahrena) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Marlies Dobberthien, Lilo Blunck, Horst Sielaff, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Vorläufigen Biergesetzes- Drucksache 13/6132 —Üb erweisungsvorschlag:Ausschuß für Gesundheit
Ausschuß für WirtschaftAusschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forstenb) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Achten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Errichtung einer Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder"- Drucksache 13/7336 —Überweisungsvors chlag:Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuß für Ernährung Landwirtschaft und Forsten Haushaltsausschuß gemäß j 96 GOc) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Anwendung von Normen für die Übertragung von Fernsehsignalen
- Drucksache 13/7337 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Post und Telekommunikation
InnenausschußAusschuß für WirtschaftAusschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzungd) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Europa-Abkommen vom 10. Juni 1996 zur Gründung einer Assoziation zwischen den im Rahmen der Europäischen Union handelnden Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Slowenien andererseits- Drucksache 13/7447 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Wirtschaft
Auswärtiger AusschußFinanzausschußAusschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Unione) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 24. Juli 1996 auf Grund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union betreffend die Auslegung des Übereinkommens über die Errichtung eines Europäischen Polizeiamts durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften im Wege der Vorabentscheidung
- Drucksache 13/7555 —Überweisungsvorschlag:Innenausschuß
RechtsausschußAusschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Unionf) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 7. April 1994 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Polen über die Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Umweltschutzes- Drucksache 13/7556 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheitg) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 13. Juni 1994 zu dem Übereinkommen von 1979 über weiträumige grenzüberschreitende Luftverun-Vizepräsident Hans-Ulrich Klosereinigung betreffend die weitere Verringerung von Schwefelemissionen- Drucksache 13/7557 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
RechtsausschußZP2 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Bodenabfertigungsdienste auf Flugplätzen- Drucksache 13/7645 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Verkehr InnenausschußRechtsausschußAusschuß für WirtschaftAusschuß für Arbeit und Sozialordnung VerteidigungsausschußHaushaltsausschußb) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Klaus W. Lippold , Dr. Norbert Rieder und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Birgit Homburger, Günther Bredehorn, Dr. Rainer Ortleb und der Fraktion der F.D.P.Elefanten erhalten - neue Lebensräume erschließen- Drucksache 13/7654 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuß für WirtschaftEs handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte.Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.Interfraktionell ist vereinbart worden, die heutige Tagesordnung um die Beratung der Anträge der Fraktion der SPD „Konsequente Verringerung des Einsatzes von Antibiotika in der Tierhaltung" - das ist die Drucksache 13/6553 - und „Umsetzung der Agenda 21" - das ist die Drucksache 13/7679 - zu erweitern. Die Anträge sollen jetzt gleich ohne Aussprache an die Ausschüsse überwiesen werden. Sind Sie mit der Erweiterung der Tagesordnung einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen.Dann kommen wir jetzt zu den Überweisungen. Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Antrag auf Drucksache 13/6553, Einsatz von Antibiotika, zu überweisen, und zwar zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Gesundheit und zur Mitberatung an den Ausschuß für Wirtschaft, den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten sowie den Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union. Gibt es andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Antrag auf Drucksache 13/7679, Agenda 21, zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und zur Mitberatung an den Ausschuß für Wirtschaft, den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung, den Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, den Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus, den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, den Auswärtigen Ausschuß, den Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung sowie den Ausschuß für Verkehr zu überweisen. Gibt es andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 14 a bis 14k auf. Es handelt sich um Beschlußfassungen zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.Tagesordnungspunkt 14 a:14. Abschließende Beratungen ohne Aussprachea) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Zweiten und Dritten Änderung des Europäischen Übereinkommens vom 1. Juli 1970 über die Arbeit des im internationalen Straßenverkehr beschäftigten Fahrpersonals
- Drucksache 13/6440 -
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr
- Drucksache 13/7444 -Berichterstattung:Abgeordneter Wilhelm Josef SebastianDer Ausschuß für Verkehr empfiehlt auf Drucksache 13/7444, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist angenommen.Tagesordnungspunkt 14 b:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Sortenschutzgesetzes- Drucksachen 13/7038, 13/7446 -
Vizepräsident Hans-Ulrich KloseBeschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
- Drucksache 13/7639 -BerichterstattungAbgeordneter Dr. Gerald ThalheimIch bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der SPD-Fraktion und der Gruppe der PDS gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen angenommen.Wir kommen zurdritten Beratungund Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist angenommen; Mehrheitsverhältnisse wie zuvor.Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/7661. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der PDS abgelehnt.Tagesordnungspunkte 14 c bis 14 f:c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen
Veräußerung des ehemaligen NATO-Flugplatzes Lahr an die Stadt Lahr und die Gemeinde Friesenheim- Drucksachen 13/7032, 13/7452 -Berichterstattung:Abgeordnete Karl DillerSusanne JaffkeOswald MetzgerDr. Wolfgang Weng e) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) zu dem Antrag des Bundesministeriums der FinanzenEinwilligung gemäß § 64 Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung in die Veräußerung einer bundeseigenen Liegenschaft in Hongkong
- Drucksachen 13/6946, 13/7543 -Berichterstattung:Abgeordnete Karl DillerSusanne JaffkeOswald MetzgerDr. Wolfgang Weng
f) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Bundesministeriums der FinanzenEinwilligung gemäß § 64 Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung in die Veräußerung der ehem. Carl-Schurz-Kaserne in Bremerhaven- Drucksachen 13/7204, 13/7544 -Berichterstattung:Abgeordnete Karl DillerSusanne JaffkeOswald MetzgerDr. Wolfgang Weng
Wer stimmt für diese Beschlußempfehlungen? - )ie Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußmpfehlungen sind einstimmig angenommen.Tagesordnungspunkte 14 g und h:g) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die BundesregierungHaushaltsführung 1997;Außerplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 10 04 Titel 682 09- Maßnahmen zur Stützung des Schweinemarktes - bis zur Höhe von 14 096 000 DM-Drucksachen 13/7099, 13/7 105 Nr. 2,13/7453 -Berichterstattung:AbgeordneteCarl-Detlev Frhr. von Hammerstein Dr. Wolfgang Weng Ilse JanzKristin Heyneh) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die BundesregierungHaushaltsführung 1997;Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 10 04Titel 682 04 - Von der EU nicht übernommeneVizepräsident Hans-Ulrich KloseMarktordnungsausgaben - bis zur Höhe von 19 591 000 DM-Drucksachen 13/7198,13/7460 Nr. 5,13/7545 -Berichterstattung:Abgeordnete Carl-Detlev Frhr. von HammersteinDr. Wolfgang Weng
Ilse JanzKristin HeyneWer stimmt für diese Beschlußempfehlungen? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlungen sind einstimmig angenommen.Tagesordnungspunkt 14 i:Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 167 zu Petitionen - Drucksache 13/6406 -Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 167 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen.Tagesordnungspunkt 14j:Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 202 zu Petitionen - Drucksache 13/7514 -Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 202 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und PDS bei mir nicht ganz klarem Abstimmungsverhalten der SPD-Fraktion angenommen.Tagesordnungspunkt 14 k:Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 204 zu Petitionen
- Drucksache 13/7516 -Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/7662 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt.Wer stimmt jetzt für die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 204 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen.Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 3 auf:Aktuelle Stundeauf Verlangen der Fraktion der SPDEinschätzung der Ausbildungsplatzsituation und des Handlungsbedarfs durch die BundesregierungIch eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Wolfgang Thierse, SPD.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die neuesten Zahlen der Bundesanstalt für Arbeit sind alarmierend. Bis Ende April dieses Jahres gingen bei ihr 465 000 Meldungen über offene Ausbildungsstellen ein; das sind rund 6 Prozent weniger als im Vorjahr. Zugleich stieg die Zahl der Bewerberinnen und Bewerber um fast 8 Prozent auf über 640 000. Den 162 600 unbesetzten Stellen stehen 348 400 noch nicht vermittelte Jugendliche gegenüber; das sind 8,2 Prozent mehr als 1996. Seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland war diese Kluft noch nie so groß.
Im Westen Deutschlands ging die Zahl der gemeldeten Ausbildungsstellen um 6,4 Prozent zurück. Die Zahl der Bewerber nahm um 8 Prozent zu. Im Osten Deutschlands wurden bisher 66 700 Lehrstellen bei den Arbeitsämtern gemeldet. Das sind 2,2 Prozent weniger als im April vorigen Jahres. Der betriebliche Anteil daran ist gegenüber dem Vergleichsmonat 1996 um über 9 Prozent zurückgegangen. Das heißt, die Wiederverstaatlichung der Berufsausbildung in Ostdeutschland geht ungebremst weiter. Nach wie vor werden dort zwei Drittel aller Ausbildungsplätze staatlich subventioniert. Von über 190 000 gemeldeten Lehrstellensuchenden in Ostdeutschland -7,6 Prozent mehr als im April des letzten Jahres - sind 131 500 junge Menschen noch immer auf der Suche. Jeder jungen Frau und jedem jungen Mann stehen in Ostdeutschland exakt 0,35 Ausbildungsplätze zur Verfügung. Für viele im Osten Deutschlands - vielleicht sogar für die meisten - wird die Suche also ergebnislos bleiben.
Die Dramatik der Lage auf dem Ausbildungsmarkt ist inzwischen offensichtlich auch dem zuständigen Bundesminister klargeworden. In der Vergangenheit hat er die SPD immer wieder der Panikmache bezichtigt, obwohl bereits vor Jahren absehbar war, in welche dramatische Problemlage das Berufsbildungssystem geraten würde.
Dieses Jahr hält er sich zum Glück zurück. Mit Hilfe eines Sonderprogramms will er 15 000 zusätzliche Lehrstellen in Ostdeutschland schaffen. Das ist zu begrüßen; aber das wird nicht reichen.
Die genannten Zahlen sind Beleg für die trostlose Bilanz einer Politik, die sich jahrelang darin er-
Wolfgang Thierse
schöpfte, fruchtlose Appelle an die deutsche Wirtschaft zu richten.
Diese Zahlen sind die Bilanz einer Politik, der angesichts der akut gefährdeten Biographien junger Menschen und des vorhersehbaren Mangels an qualifizierten Facharbeitskräften sowohl das menschliche als auch das ökonomische Maß abhanden gekommen ist. Die Bundesregierung steht mit ihrer „Politik der Unverbindlichkeit" vor einem Scherbenhaufen, wie er größer kaum sein könnte.
Die Frühjahrsbilanz auf dem Ausbildungsmarkt läßt nur einen Schluß zu: Wir brauchen endlich eine grundlegende, auch in Zukunft tragfähige Reform des beruflichen Bildungswesens und seiner Finanzierung.
Die SPD wird sich jedenfalls nicht mit weiteren „Bitte-bitte-Kampagnen" der Bundesregierung zufriedengeben.
Auf Zusagen und Versprechen der Wirtschaft können wir uns nicht verlassen.
Denn allen Beteuerungen zum Trotz hat die Wirtschaft ihre Zusage, 10 Prozent zusätzliche Ausbildungsplätze in den Jahren 1995 und 1996 bereitzustellen, nicht eingehalten.
Das Bundesverfassungsgericht hat 1980 in seinem Urteil zum Ausbildungsförderungsgesetz unmißverständlich zum Ausdruck gebracht, daß es Sache der Arbeitgeber sei, für ein ausreichendes Angebot an betrieblichen Ausbildungsplätzen zu sorgen. Wenn private und öffentliche Arbeitgeber dieser Verpflichtung nicht mehr nachkommen, dann muß der Staat dafür sorgen, daß sie es tun - aber auch dafür, daß sie es können.
Deswegen bestehen wir darauf, einen fairen und gerechten Finanzausgleich zwischen ausbildenden und nicht ausbildenden Betrieben zu schaffen.
Denn die Ungleichheit der Betriebe hat unter dem Strich dazu geführt, daß Ausbildungsplätze vernichtet worden sind und keine neuen entstanden sind. Deswegen wird die SPD-Bundestagsfraktion noch vor der Sommerpause einen entsprechenden Gesetzentwurf über einen fairen Lastenausgleich vorlegen. Denn es ist angesichts der Berufsbildungskatastrophe Zeit, zu handeln. Appelle reichen nicht mehr!
Das Wort hat der Kollege Dr. Rainer Jork, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Spätestens bei der Debatte des Berufsbildungsberichtes am 20. März dieses Jahres war das klar, was wir gerade vom Kollegen Thierse gehört haben: Es gibt ein zunehmendes Ungleichgewicht bei den Lehrstellen zwischen Angebot und Nachfrage.
In den neuen Bundesländern gibt es besondere Schwierigkeiten. Wer sich die „Sozialpolitische Umschau" - eine Veröffentlichung der Bundesregierung - vom 21. April dieses Jahres ansieht, findet dort eine klare Analyse. Deshalb ist das Vorlesen von Zahlen an dieser Stelle aus meiner Sicht sinnlos.
Bereits damals gab es eine gemeinsame Initiative der Bundesregierung, der Wirtschaft und der Bundesanstalt für Arbeit. Herr Thierse, Sie können der Presse entnehmen, daß es in diesem Bereich bereits Ergebnisse gibt. Vielleicht gehe ich darauf noch ein.
Besonders bemerkenswert ist für mich, daß auch die Länder reagieren, und man sollte hier ruhig einmal Nordrhein-Westfalen mit dem Ausbildungskonsens ansprechen. Die Ergebnisse und die Einzelvereinbarungen dazu sind aus meiner Sicht sehr konstruktiv. Ich sage das mit Absicht, weil diesmal nicht nur Sachsen genannt werden soll.
Wir CDU-Abgeordnete der neuen Bundesländer haben am 13./14. April in Berlin eine Klausurtagung abgehalten und dabei aus unserer Sicht sehr wesentliche Maßnahmen vorgeschlagen, die auch unkonventionell sind. Wir sind der Auffassung, daß unkonventionelle Methoden nötig sind, weil wir es mit einer besonderen Situation zu tun haben. In dem Zusammenhang stellen sich für mich folgende Fragen, die auch mit unseren Beschlüssen zusammenhängen:
Warum können zum Beispiel Zulassungsbescheide für das Studium nicht bereits bis zum 20. August des laufenden Jahres ausgegeben werden, damit keine Doppelbewerbungen auftreten?
Warum können nicht Investitionshilfe- und Investitionsvergaberichtlinien an der Bereitschaft zur Schaffung betrieblicher Lehrstellen orientiert werden?
Warum soll nicht eine fälschungssichere Bewerbungskarte eingeführt werden, um Mehrfachbewerbungen zu vermeiden?
Warum können nicht traditionelle Berufe in die Handwerksordnung so aufgenommen werden, daß in diesen Berufen Meisterabschlüsse und Berufsausbildung möglich sind? - Ich habe bei mir im Wahlkreis mit den Stuhlbauern eine entsprechende Berufsgruppe. Ich bitte die Kollegen aus der SPD-Fraktion, uns bei der Behandlung der Anlage A der Handwerksordnung im Wirtschaftsausschuß zu unterstützen.
Warum können nicht die Vergütungshöhen für Lehrlingsentgelte regional so gestaltet werden, daß sie lehrstellenfördernd wirken? - In einem Gespräch mit dem IG-Metall-Vorsitzenden Zwickel in der Arbeitnehmergruppe unserer Fraktion am 22. April
Dr.-Ing. Rainer Jork
kam die bemerkenswerte Aussage, daß bei der Erhöhung der Zahl der Ausbildungsplätze auch differenzierte Erhöhungen der Entgelte möglich seien. Ich halte das für einen wichtigen Denkanstoß.
Warum sollte man nicht befristete Angebote der Berufsfachschulen durch die Kombination mit betrieblicher Ausbildung und mit Abschlußprüfungen vor den zuständigen Kammern aufwerten?
Das sind nur einige Hinweise, die über das hinausgehen, was wir ohnehin im Berufsbildungsbericht lesen.
Am 24. April, also schon bald nach der genannten Klausurtagung, entsprach die Bundesregierung unserem Antrag, angemessen, situationsbezogen und planbar zu fördern. Damit tat sie das drei Monate früher als 1996. Mit 15 000 Lehrstellen zusätzlich, Herr Thierse, und mit 200 Millionen Mark hat sie ihre Arbeit jetzt getan, und zwar frühzeitig und - aus meiner Sicht - gut. Man kann an dieser Stelle auch mal danke schön sagen.
Ich sage das auch deshalb, weil ja, wie wir alle wissen, die Bundesregierung in der Kette der Verantwortung eigentlich das letzte Glied ist, und weil wir - auch das mit Blick auf die Formulierung des Themas der Aktuellen Stunde - immer so tun, als ob hier nur die Bundesregierung in der Verantwortung stehe. Das, was die Bundesregierung getan hat, ist ein Signal für die Tarifpartner, für die Wirtschaft.
Im übrigen, Herr Thierse: Ich habe erst heute gelesen, daß die Deutsche-Bank-Stiftung 1000 zusätzliche Ausbildungsplätze bereitstellen will, daß der VEBA-Konzern 500 zusätzliche Ausbildungsplätze schafft. Das ist für mich auch Wirtschaft, das ist ein Ergebnis dessen, was die Bundesregierung will. Schauen Sie sich mal an, was mit dem Ausbildungskonsens in Nordrhein-Westfalen alles drin ist. Schauen Sie sich auch mal an, was die Kommunen machen. Ich habe hier in meiner Rede am 20. März zum Beispiel auf die Görlitzer Initiative hingewiesen. Das kann als Beispiel gesehen werden.
Ich bitte Sie alle um konstruktive Antworten auf meine sicher oft etwas unkonventionellen Fragen und bitte zu bedenken, daß das Verlangen, das Sie formulieren, eben nicht nur an den Bund geht.
Ich könnte mir gut vorstellen, daß wir auch im Sinne dessen, was in Nordrhein-Westfalen getan wird, auf der Basis eines Konsenses tatsächlich im Interesse der Betroffenen reagieren - und nicht nur ideologisch und formal wie jedes Jahr.
Ich sehe, daß Handlungsbedarf für alle besteht. Ich lade Sie herzlich ein, daß wir uns gemeinsam bemühen, etwas für die Betroffenen zu tun.
Danke schön.
Das Wort hat die Kollegin Antje Hermenau, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die ersten fünf Redner - danach kommen in der ersten Runde noch zwei - sind alle aus den fünf neuen Ländern. Ich möchte Sie aber darauf hinweisen, daß wir heute kein Ostproblem besprechen, denn dieses Problem wird sich auf die alten Bundesländer ausdehnen.
Das wird zwar zum Teil immer noch ein bißchen ignoriert, aber die Probleme stehen ante portas. Nicht umsonst hat sich zum Beispiel Herr Jagoda geäußert; er spricht von einer „dramatischen Situation".
Ich habe mich sehr amüsiert, als ich vor gut einer Woche eine Pressemitteilung aus dem Hause des Herrn Rüttgers lesen konnte, in der von seiten des BMBF die „Liste des Entgegenkommens" aufgeführt worden ist. Sie haben alle möglichen kleinen Zugeständnisse in Richtung Wirtschaft gemacht, um deren Ausbildungsbereitschaft zu erhöhen. Sie selber, Herr Rüttgers, haben gesagt, jetzt sei die Wirtschaft dran. Aber das sagt die Bundesregierung im Prinzip schon seit vielen Jahren.
Die CDA spricht inzwischen von der Bringschuld der Arbeitgeber und davon, daß sie sich eine Umlagefinanzierung auf tariflicher Ebene vorstellen kann. Das sind ja ganz neue Töne aus Ihren Reihen. Die höre ich natürlich gerne.
Wenn Sie, Herr Jork, der Meinung sind, man müsse hier unkonventionelle Vorschläge machen, dann verstehe ich Sie so, daß Ihr Diskussionsbeitrag zum Thema Ausbildungsvergütung ein solch unkonventioneller Vorschlag ist. Denn deren Höhe wird gemeinhin zwischen den Tarifparteien geregelt und hat überhaupt nichts mit der Politik der Bundesregierung zu tun. Wenn Sie das aber in Zukunft mit übernehmen wollen, dann machen wir das eben so.
Herr Thierse hat hier schon Zahlen genannt. Ich gehe davon aus: Wenn wir im September die Restversorgung der Jugendlichen mit Ausbildungsplätzen absehen können, werden wir mindestens 100 000 Lehrlinge haben, die keine Stelle gefunden haben werden. Wahrscheinlich wird es eine noch höhere Zahl sein.
In den Gesprächen mit der Wirtschaft hat sich oft herausgestellt, daß in der jüngeren Managergeneration die Art von Ausbildungsverantwortung, wie sie noch bei älteren Unternehmern zu finden ist, offensichtlich nicht mehr empfunden wird. Es wird von „Jobs" statt von „Berufen" gesprochen. Man spricht von „Training on the job" statt von „Ausbildung". Ich denke, daß deshalb alle Ausbildungsappelle verpuffen werden. Denn sie passen gar nicht mehr in das Denkschema hinein.
Antje Hermenau
Wenn Sie sich überlegen, was die jungen Leute - in der Shell-Studie wurde einiges darüber dargelegt - am meisten umtreibt, dann ist das die Arbeitslosigkeit. Damit ist natürlich auch gemeint, daß sie diese Gesellschaft gar nicht als eine Chancengesellschaft akzeptieren können. Denn eine abgeschlossene Ausbildung wäre die Mindestvoraussetzung dafür, um in dieser Gesellschaft überhaupt Chancen wahrnehmen zu können.
Sie wissen ganz genau, welch schlechte Einkommens- und Beschäftigungschancen Ungelernte haben. Sie lassen es zu, daß sich in diesem Land eine Sockelausbildungslosigkeit festsetzt. Hier steht im Prinzip das Versagen des Staates gegen das Versagen des Marktes. Es ist an der Zeit, daß die Politik in der Lage ist, ein politisches Stoppschild zu formulieren, einen Rahmen zu setzen und zu sagen: Das ist die Grenze; die darf keiner - auch kein Unternehmer - überschreiten. Ich denke, an dieser Formulierung sollten wir in diesem Sommer und in diesem Herbst arbeiten und darüber streiten.
Ich weiß, daß Herr Staatssekretär Kolb vom Wirtschaftsministerium nachher noch etwas dazu sagen wird. Ich gehe davon aus, daß Sie uns noch einmal den ganzen Katalog dessen aufzählen werden, was die Arbeitgeber gerne geändert hätten, damit die Berufsausbildung besser wird.
Die Gewerkschaften haben gesagt, daß sie, wenn die Arbeitgeber in der Lage seien, die Finanzierung der beruflichen Ausbildung endlich auf solide Füße zu stellen, dann auch ihrerseits eventuell zu dem einen oder anderen Kompromiß in die Richtung bereit seien, die die Arbeitgeber vorgeschlagen haben.
Ich wünsche mir solch eine lösungsorientierte Diskussion, weil Sie in der Bundesrepublik Deutschland seit 10 oder 15 Jahren in dieser Debatte feststecken. Keiner rückt von der Stelle. Alle bejammern nur immer die dramatische Situation. Jeder spricht davon, man müßte eine große Revolution beginnen und alles auf einmal ändern. Das Problem ist: Vor solch einer großen Veränderung haben alle Angst, und keiner packt das Problem an.
Ich denke, der Faden, an dem alle anderen Probleme der Berufsausbildung hängen und an dem man ziehen muß, um Bewegung in die Sache zu bringen, ist die Sicherstellung der Finanzierung der beruflichen Ausbildung. Das ist der Rahmen, dessen Vorgabe ich von der Politik erwarte. Dieser Rahmen muß abgesteckt werden.
Wir werden genauso wie die SPD einen allerdings modifizierten - Vorschlag in die Debatte einbringen. Ich halte es für legitim, daß in einer so schwierigen Frage verschiedene Lösungsvorschläge zur Debatte gestellt werden. Was ich allerdings nicht mehr haben möchte, sind irgendwelche Kataloge des guten Willens und des Entgegenkommens von seiten der Bundesregierung. Diese Litanei gibt es, wie ich nachlesen konnte, seit 10 Jahren. Das ist wirklich ermüdend.
Danke schön.
Das Wort hat der Kollege Dr. Karlheinz Guttmacher, F.D.P.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Unsere junge Generation ist das wichtigste Humankapital, das unsere Gesellschaft hat. Deswegen stehen wir alle gleichermaßen in der Pflicht, dafür Sorge zu tragen, daß diese junge Generation eine gute berufliche Ausbildung hat.
Dafür sind die Rahmenbedingungen zu gestalten.
Ich möchte im wesentlichen - es wurde hier angeschnitten, daß die Probleme nicht nur in den neuen Bundesländern, sondern auch in den alten Bundesländern bestehen - auf die Situation in den neuen Bundesländern eingehen. In diesen Ländern wurden den Arbeitsämtern in den ersten sechs Monaten des Berichtsjahres 1996/1997 52 200 betriebliche Ausbildungsstellen gemeldet. - Diese Zahlen sind ernst zu nehmen. Das sind 10 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum. -
Die Zahl der Bewerber um einen Ausbildungsplatz, die sich im Oktober 1996 bis März 1997 in der Berufsberatung meldeten, ist um 7 Prozent auf 181 000 gestiegen. Die Anzahl der bisher unversorgten Bewerber ist im Vergleich zum Vorjahr um 6 Prozent gestiegen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, das nehmen wir sehr ernst.
Besonders die Verlangsamung des wirtschaftlichen Aufholprozesses in den neuen Bundesländern wirkt sich auch auf die Bereitstellung von Ausbildungsstellen aus. Die Zahl der Insolvenzen in den neuen Bundesländern hat zugenommen. Herr Thierse, wenn Sie in diesem Zusammenhang sagen, daß es gut sei, ein Umlagefinanzierungsmodell auch für die kleinen und mittelständischen Unternehmen in den neuen Bundesländern einzuführen
- das haben Sie aber indirekt so mit ausgedrückt -, dann halte ich dies für eine so große Schwierigkeit für die kleinen und mittelständischen Unternehmen, daß Sie damit rechnen müssen, daß die Zahl der Insolvenzen dieser Betriebe zunimmt.
Dies werden wir nicht zulassen.
Dr. Karlheinz Guttmacher
Sie hätten eine andere Möglichkeit in der Hand gehabt. Hätten Sie nicht eine Blockadepolitik in diesem Hause betrieben,
hätten wir die gewerblichen Steuern und die Körperschaftsteuer schon zum 1. Juli 1998 reduziert. Das wäre eine Entlastung für die kleinen und mittelständischen Unternehmen gewesen.
Das hätte ihnen Luft verschafft, Ausbildungsstellen zur Verfügung zu stellen. Das wäre ein richtiger Weg gewesen.
Bei allen Schwierigkeiten, meine Damen und Herren, müssen wir daran festhalten, daß die Verantwortung in der beruflichen Ausbildung bei der deutschen Wirtschaft liegt. Wenn das Kuratorium der Deutschen Wirtschaft für Berufsbildung, in dem alle Kammern und alle Verbände vertreten sind, sich zu einer Erhöhung der Zahl der Lehrstellen bereit erklärt hat, dann müssen wir die Wirtschaft an dieser Stelle auch in die Verantwortung nehmen.
Ich halte es für richtig, daß die Politik - das haben Sie, Herr Thierse, hier auszudrücken versucht - in der Verantwortung steht, die berufliche Ausbildung zu reformieren. Ja, ich darf Sie darauf aufmerksam machen, daß bei den Ausbildungsberufen in den letzten drei Jahren ein seit den letzten 30 Jahren so noch nie dagewesener Modernisierungsschub in Gang gesetzt worden ist. Wir werden pünktlich zum Sommer 1997 14 neue Ausbildungsberufe zur Verfügung stellen. Wir werden etwa 50 Berufsordnungen reformieren.
Ich darf Sie in diesem Zusammenhang auch darauf aufmerksam machen, daß wir schon im vergangenen Jahr die Ausbildereignungsverordnung geändert haben.
Es ist eine Erleichterung, daß nunmehr Betriebsinhaber, aber auch diejenigen Fachkräfte, die ausbilden, sich nicht mehr einer mitunter zeitaufwendigen und abschreckenden Eignungsprüfung unterziehen müssen, sondern daß sie sofort werden ausbilden können.
Im Rahmen der Verbesserung der Praxisnähe in der beruflichen Ausbildung haben wir das Jugendschutzgesetz geändert.
Wir haben die Länder aufgefordert, die Berufsschulzeiten flexibler und berufsorientierter zu gestalten.
Meine Damen und Herren, in den neuen Bundesländern hat es sich sehr bewährt, daß die Lehrstellenentwickler in den letzten Jahren ihre Arbeit aufgenommen haben. Allein in 1996 konnten durch diese Lehrstellenentwickler 12 000 betriebliche Ausbildungsstellen zur Verfügung gestellt werden. Wir werden dies auch in den nächsten Jahren durchführen.
Eine immer zwingendere Ausbildungsform in den neuen Bundesländern sehe ich darin, daß im Verbund ausgebildet wird. Dabei ist der Zweck des Verbundes durch die gegenseitige Nutzung von Ausbildungskapazitäten gegeben. Lassen Sie mich nur an einem winzigen Beispiel aus einem kleinen Kammerbezirk die Auswirkungen dieser neuen Ausbildungsmethode andeuten: Während noch 1995 15 Lehrstellen zusätzlich geschaffen werden konnten, waren es 1996 184, und 1997 wurden bis jetzt 496 Ausbildungsstellen zusätzlich angezeigt. Ich denke, daß dieses einer der wesentlichen Wege sein wird, wie wir auch in den neuen Bundesländern in Kürze Ausbildungsstellen zur Verfügung stellen werden können.
Herr Kollege, schauen Sie bitte auf die Uhr.
Meine Damen und Herren, in dieser Aktuellen Stunde möchte ich all den Betrieben, die ihrer Ausbildungsverpflichtung nachgekommen sind, den Dank meiner Fraktion aussprechen, aber auch alle diejenigen aufrufen, sich in die Ausbildungsverantwortung zu nehmen, die bis jetzt noch keine Lehrstellen zur Verfügung gestellt haben.
Danke.
Das Wort hat die Kollegin Maritta Böttcher, PDS.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Guttmacher, ich kann eigentlich gar nicht glauben, daß Sie ernsthaft selbst an das glauben, was Sie eben gesagt haben.
Jedes Jahr das gleiche in der Debatte, meine Damen und Herren, mit den gleichen Problemen, ohne jegliches Vorankommen. Alle Jahre wieder überrascht der Zukunftsminister mit neuen untauglichen Vorschlägen zur Behebung der katastrophalen Situa-
Maritta Böttcher
tion auf dem Ausbildungsmarkt. Diesmal handelt es sich aber angeblich um die wichtigste Strukturreform seit Bestehen des dualen Systems. Diese wäre wirklich dringend nötig.
Immerhin findet auch Herr Rüttgers das Verhalten der Großunternehmen inzwischen unerträglich und meint, daß sie eigentlich einmal etwas von ihrer Verantwortung gegenüber der Allgemeinheit kapieren müßten. Da könnte man doch hoffen, daß sie durch das Reformpaket der Bundesregierung an ihre Verantwortung erinnert werden. Doch weit gefehlt.
Es gibt wie immer eine neue Gemeinschaftsinitiative, mit der die seit Jahren nicht funktionierenden Appelle an die Unternehmen fortgesetzt werden. Das Sonderprogramm für die neuen Länder soll möglichst schnell in Gang gesetzt werden. Man hofft auf Bündnisse für Ausbildung in allen Regionen mit Lehrstellendefiziten, ruft die Tarifpartner zu entsprechenden Verhandlungen auf und drängt die Länder, die Berufsschulzeiten betriebsfreundlicher zu organisieren.
Alles alte Hüte, Herr Guttmacher, deren Untauglichkeit zur Lösung der anstehenden Probleme in den letzten Jahren mehr als einmal bewiesen wurde.
Doch eine neue Idee gibt es: Die ausländischen Selbständigen sollen ihr ungenutztes Ausbildungspotential ausschöpfen. Ob sie das vollbringen können, wozu die großen deutschen Konzerne und der öffentliche Dienst immer weniger in der Lage sind? Wie im Minderheitsvotum der Arbeitnehmer zum Berufsbildungsbericht 1997 festgestellt wird, ist mittlerweile nicht nur in der Industrie, sondern auch im Handwerk die Ausbildungsbereitschaft so stark gesunken, daß der Fortbestand des dualen Systems aus der Sicht vieler Experten ernsthaft gefährdet scheint.
Es kann also weder eine Lösung sein, an die Ausbildungsbereitschaft der ausländischen Arbeitgeber zu appellieren, noch, von der öffentlichen Hand zu verlangen, die Verantwortung der Wirtschaft wahrzunehmen. Die Politik - hier gebe ich Antje Hermenau recht - muß endlich in anderer Weise ihre Verantwortung wahrnehmen.
Das vom DGB bereits 1995 vorgeschlagene Modell der Umlagefinanzierung sollte umgehend gesetzlich geregelt werden - ich bin gespannt auf die Gesetzentwürfe; wir werden auch einen vorlegen -, denn das ist notwendig, um dem dualen System überhaupt noch eine Chance zu geben. Es muß ein Lastenausgleich zwischen ausbildenden und nicht ausbildenden Betrieben geschaffen werden, um den Rückzug der Unternehmen aus der Ausbildung zu stoppen und die systemwidrige Steuerfinanzierung der Ausbildung zu beenden.
Die Shell-Jugendstudie 1997, die vor zwei Tagen vorgestellt wurde, spricht eine deutliche Sprache: Die gesellschaftliche Krise hat die Jugend erreicht. Die Arbeitslosigkeit ist die größte Sorge der Jugendlichen. Die Angst um den Beruf wird zur prägenden Generationserfahrung. Das, meine Damen und Herren, ist eine neue Qualität. Es wird in beeindruckender Weise nachgewiesen, daß die gravierenden gesellschaftlichen Probleme - vor allem die Arbeitslosigkeit - in einer bisher unbekannten Weise das Lebensgefühl und die Befindlichkeit der Jugendlichen bestimmen. Jugend ist kein Schonraum mehr.
Bereits bei den 12- bis 14 jährigen wird Arbeitslosigkeit zu 18 Prozent als größtes Problem wahrgenommen. Bei den 18- bis 24jährigen liegt dieser Wert bei 50 bis 60 Prozent. Die erschreckendste Bilanz der neuen Untersuchung heißt: Noch nie hat Jugend so skeptisch in die Zukunft gesehen. Die jungen Menschen haben ein sehr klares Bewußtsein von den Zukunftsproblemen der Gesellschaft und begreifen sehr wohl, daß ihre eigenen Möglichkeiten davon betroffen sind. Daher kommen immer mehr berechtigte Zweifel an solchen Versprechen wie „Der Jugend gehört die Zukunft" auf. Zwischen 60 und 90 Prozent stimmen der Problemperspektive zu: Es wird immer weniger Arbeitsplätze geben, Gewalt wird das Leben zunehmend unsicherer machen, die wirtschaftliche Krise wird sich verschärfen, und Technik und Chemie werden die Umwelt zerstören.
Eine wesentliche Erkenntnis der Studie für mich besteht darin, daß Jugendliche offensichtlich jene Probleme als am bedrückendsten bewerten, die in der politischen Rhetorik als Sachzwänge erscheinen. Es darf dann auch niemanden mehr wundern, wenn der Politik nichts mehr zugetraut wird. Den Parlamenten wird der Spiegel vorgehalten, Politiker erscheinen in den Augen der meisten Jugendlichen als Erfüllungsgehilfen der Wirtschaft, und insofern sind sie austauschbar. Wenn man wirklich etwas verändern will, ist demzufolge Engagement in diesem Bereich zwecklos. Die richtigen Ansprechpartner wären eigentlich in der Wirtschaft zu suchen. Genau der Bereich aber, in dem die Wirtschaft ihre Verantwortung gegenüber Jugendlichen in erster Linie wahrnehmen müßte, wäre eine ausreichende Bereitstellung betrieblicher Ausbildungsplätze. Die Reaktionen der Jugendlichen sind der Situation adäquat und haben durchaus nichts mit überzogenem Verantwortungsund Anspruchsdenken zu tun.
Meine Damen und Herren, tun wir etwas! Gerade in der Lehrstellenfrage gibt es noch eine Chance, die Krise durch politisches Eingreifen zu mildern. Es muß nur von allen hier Anwesenden auch wirklich gewollt werden.
Das Wort hat Herr Bundesminister Dr. Rüttgers.
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die Lage auf dem Lehrstellenmarkt ist ernst, ja sie ist mehr als ernst. Im vergangenen Jahr ist es uns Gott sei Dank gelungen, auf dem Lehrstellenmarkt einen Ausgleich von Angebot und Nachfrage zu erreichen.
Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers
In diesem Jahr ist es noch offen, ob uns dies gelingt. Die Bundesregierung bleibt bei ihrer Auffassung, daß jeder junge Mann und jede junge Frau, der bzw. die kann und will, auch in diesem Jahr eine Lehrstelle angeboten bekommen muß. Es wäre nicht meine Gesellschaft und keine menschliche Gesellschaft, wenn es uns nicht gelingt, jungen Menschen Chancen zu geben.
Als ich nun davon hörte, daß die SPD beantragt hat, nachdem wir noch vor wenigen Wochen über den Berufsbildungsbericht diskutiert haben, heute eine Aktuelle Stunde zur Lehrstellenproblematik durchzuführen, habe ich mich gefreut, weil ich dachte, es habe jemand eine neue Idee und versuche, aus den teilweise ritualhaften Debatten der letzten Jahre auszusteigen. Verehrter Herr Kollege Thierse, außer Sprüchen nichts gewesen;
es war die übliche Mischung aus Vorwürfen und Unverbindlichkeiten, die dann immer von der seit 20 Jahren von der SPD erhobenen Forderung gekrönt wird, endgültig und endlich die Ausbildungsplatzabgabe einzuführen.
Damit die Position klar ist: Mit der Bundesregierung wird es keine Verstaatlichung des deutschen Berufsbildungssystems geben,
denn eine Ausbildungsplatzabgabe führt zwangsläufig in diese Richtung.
Nachdem ich nun meine Position markiert habe, will ich Sie, Herr Thierse, wenn Sie meinen, es so dokumentieren zu müssen, und Ihre Fraktion fragen: Wo ist denn bitte der seit fast einem Jahr angekündigte Gesetzentwurf der SPD-Bundestagsfraktion?
Woran liegt es denn, daß er immer noch nicht vorliegt? Warum beantragen Sie eine Aktuelle Stunde, anstatt endlich Ihren Gesetzentwurf vorzuführen? Wahrscheinlich wissen Sie genau, daß dieser Versuch letztlich untauglich ist.
Ich möchte gerne wissen - das kann ja vielleicht einer der Kollegen von der SPD hier einmal erklären -, wie mit einem Gesetzentwurf - Sie haben gesagt, er werde bis zur Sommerpause vorliegen; Herr Scharping hat, glaube ich, schon viermal erklärt, er werde demnächst vorliegen -, wenn er denn bis zur Sommerpause vorliegt, in diesem Jahr noch irgendeine Lehrstelle geschaffen werden soll. Wir brauchen in diesem Jahr Lehrstellen und nicht irgendwelche ideologischen Forderungen, die in irgendwelchen Papieren niedergelegt werden.
Ich bleibe dabei: Solange Sie sich der Realität in der Berufsbildungspolitik verweigern, ist jeder junge Mensch, der sich auf die SPD verläßt, verlassen.
Es gibt leider neben den großen Problemen, die wir haben, immer noch zu wenige, die den Ernst der Lage verstanden haben.
Ich habe überhaupt keine Probleme, mich hier hinzustellen und weiterhin an jeden zu appellieren, er möge bitte Lehrstellen zur Verfügung stellen; denn jede Lehrstelle, die auf diesem Weg zur Verfügung gestellt wird, hilft nicht mir, sondern irgendeinem jungen Menschen in Deutschland. Das ist mir wichtiger als die ideologischen Debatten, die hier von seiten der SPD geführt werden.
Die Bundesregierung braucht sich vor keinem Vorwurf zu fürchten; denn wir haben in den vergangenen Wochen und Monaten das größte Modernisierungsprogramm für die berufliche Bildung seit Bestehen des Berufsbildungsgesetzes vorgelegt.
Dies hat nicht nur dazu geführt, daß wir im Bereich der Berufsbilder zu erheblichen Modernisierungen gekommen sind.
Dies hat nicht nur dazu geführt, daß es im vergangenen Jahr drei neue Berufsbilder gab, in diesem Jahr 14 geben wird und daß im kommenden Jahr fünf neue Berufsbilder folgen werden. Dies hat nicht nur dazu geführt, daß eine Vielzahl ausbildungshemmender Vorschriften abgeschafft worden ist. Dies hat vielmehr in einer konkreten, am Interesse der Betriebe und der jungen Leute orientierten Aktion seinen Niederschlag gefunden.
Bei aller Besorgnis, die ich in diesem Bereich nach wie vor habe, finde ich es doch mehr als ermutigend, daß unsere gemeinsame Aktion mit der Bundesanstalt für Arbeit, Betriebe sowohl in West als auch in Ost aufzusuchen und ihnen bei der Schaffung neuer Lehrstellen zu helfen, dazu geführt hat, daß innerhalb von vier Wochen bundesweit 18 500 Lehrstellen zur Verfügung gestellt werden konnten. Wir haben vor, diese Aktivitäten in West wie in Ost fortzusetzen, und hoffen, damit - Stichwort „Lehrstellenentwickler" - einen Beitrag leisten zu können, das große Ziel auch in diesem Jahr zu erreichen.
Aber, meine Damen und Herren, die Bundesregierung kann dieses Problem nicht alleine lösen, auch die Politik nicht. Wir sind vielmehr darauf angewiesen, daß jeder die Verantwortung wahrnimmt, die
Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers
ihm zukommt. Deshalb fordere ich von dieser Stelle aus Arbeitgeber und Gewerkschaften auf, in diesem Jahr keinen Tarifvertrag ohne eine Vereinbarung für mehr Lehrstellen abzuschließen.
- Gott sei Dank, Frau Odendahl, ist wahr, daß verschiedene Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände dies getan haben, zum Beispiel die IG Chemie, die IG Textil und die ÖTV, leider noch nicht die IG Metall. Als Chef der größten Gewerkschaft hätte es Herrn Zwickel gut angestanden, mit gutem Beispiel voranzugehen.
Ich fordere die Kammern auf, dafür zu sorgen, daß die noch immer vorhandenen speziellen Lehrlings-und Ausbildungsgebühren auf die allgemeinen Gebühren umgelegt werden. Dies würde zu einem Lastenausgleich zwischen denjenigen, die ausbilden, und denjenigen, die nicht ausbilden, führen. Ich glaube, es ist ein wichtiger Punkt, daß sich diejenigen, die, egal aus welchen Gründen, etwa weil es keine Berufsbilder gibt, nicht ausbilden können, daran beteiligen, daß andere Betriebe Ausbildung betreiben. Damit wir uns richtig verstehen: Das ist ein völlig anderer Ansatz als die Schaffung einer neuen Umlage.
Sie werden uns erst einmal erklären müssen, warum der Bäckermeister, der für eine zur Verfügung gestellte Lehrstelle keinen Lehrling findet, über eine Umlage die Ausbildungsplätze der Deutschen Bank mitfinanzieren soll, bei der die Auszubildenden Schlange stehen. Die Frage werden wir noch miteinander diskutieren.
Ich fordere die großen Unternehmen in Deutschland auf, Ausbildung zur Chefsache zu machen.
Es gibt leider im mittleren Management - ich nenne hier Roß und Reiter - noch immer Leute, die glauben, im Grundgesetz oder in der Bibel stünde, daß, wenn, gleich aus welchen Gründen - das ist heute nicht unser Thema -, Arbeitsplätze abgebaut werden, gleichzeitig die Lehrstellen abgebaut werden müssen. Dies ist nicht so. Es muß ein unternehmenspolitischer Beschluß her, daß Lehrstellen geschaffen werden.
Ich fordere den Deutschen Gewerkschaftsbund auf, endlich selber auszubilden und seinen Verzicht auf Ausbildung aufzugeben.
- Es ist eine Frage der Glaubwürdigkeit, ob ich mich
zum Thema Lehrstellen äußere, selber aber keine
einzige Lehrstelle zur Verfügung stelle. Wer das macht, verliert jede Glaubwürdigkeit. - Ich fordere den Deutschen Gewerkschaftsbund auf, dafür zu sorgen, daß wir auch bei der Differenzierung der Lehrlingsvergütung einen Schritt weiterkommen. Ich fordere die Betriebe der Informations- und Kommunikationstechnologie und der Medien auf, die jetzt zur Verfügung stehenden neuen Medienberufe auch anzubieten. Ich fordere die Kommunen, die Kreise auf, die dazu notwendigen Angebote im Bereich der Berufsschulen nicht erst in vielen Monaten, sondern schnell zu schaffen.
Wenn jeder seine Verantwortung wahrnimmt, wenn jeder ein Stück beiträgt, dann haben wir vielleicht eine Chance, noch in diesem Jahr einen Ausgleich zu schaffen. Wir sollten uns anstrengen. Es geht um die Interessen unserer jungen Leute.
Das Wort hat der Kollege Stephan Hilsberg, SPD.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Minister Rüttgers, die Demagogie, die Sie hier vorgeführt haben, vermag Ihre Hilflosigkeit nicht zu überdecken.
Vielleicht muß ich Ihnen, dem ehemaligen Parlamentarischen Geschäftsführer, eine Nachhilfestunde geben, was der Zweck von Aktuellen Stunden ist. Sie sind dazu da, gesellschaftliche Mißstände zu thematisieren. Wenn der Ausbildungsnotstand kein gesellschaftlicher Mißstand ist, dann weiß ich nicht, was überhaupt einer ist.
Um auch das ganz klar zu sagen: Für die Ausbildungsmisere sind schließlich nicht wir verantwortlich, sondern das ist Ihr Werk. Sie haben in der letzten Zeit die Regierungsgewalt gehabt. Wozu das geführt hat, kann jeder Jugendliche sehen, der mit vielen Bewerbungen zur Zeit versucht einen Ausbildungsplatz zu bekommen.
Was Sie seit einigen Jahren betreiben, ist nichts anderes als Krisenmanagement.
Stephan Hilsberg
- Könnten die Kollegen ein bißchen ruhiger sein?
Ich will zum Kern der Sache kommen. Wir haben seit 1991 regelmäßig eine Reihe von Vorschlägen jedes Jahr neu unterbreitet. Dazu gehören Schaffung von Ausbildungsverbünden, Schaffung neuer Ausbildungsberufe und konzertierte Aktionen. Wir sind ja froh, daß Sie diese Vorschläge endlich aufgegriffen haben. Aber das ist viel zu spät geschehen. Erst vor ein bis zwei Jahren damit anzufangen reicht nicht aus.
Inzwischen befürchten wir, daß auch die von Ihnen eingeleiteten Maßnahmen nicht mehr ausreichen werden, um die Schere zwischen Angebot und Nachfrage rechtzeitig zu schließen, denn wir haben es mit völlig neuen Trends innerhalb der Wirtschaft zu tun. Sie stellen doch fest, daß die Unternehmen anfangen, nur noch für den eigenen Bedarf auszubilden, so daß das Ausbildungsproblem in Wirklichkeit ein wirtschaftliches Problem ist. Bei 5 Millionen Arbeitslosen ist es auch völlig klar, daß die Unternehmen, die nur noch für den eigenen Bedarf ausbilden, überhaupt nicht mehr genügend Lehrstellen zur Verfügung stellen. Das ist doch das eigentliche Problem, mit dem Sie zu tun haben.
Vorschläge wie die von Ihnen, Herr Jork, sind völlig unzureichend. Es geht nicht darum, zwischen den Jugendlichen, die das Abitur machen, und denen, die einen Ausbildungsplatz suchen, zu differenzieren und diese zu motivieren, sofort zu studieren. Denn es gibt sehr viele Berufe mit einer Facharbeiterausbildung, für die es sehr wichtig und günstig ist, ein Abitur zu haben. Das betrifft beispielsweise das gesamte Bankenwesen. Mit einer rechtzeitigen Studienzulassung werden Sie also nichts erreichen.
Ich warne auch sehr davor, die Vergütungshöhe, das Lehrgeld, hier in der politischen Arena zur Debatte zu stellen; denn das ist eine Sache der Tarifpartner und muß es auch bleiben. Wer bei den Lehrgeldern aber einmal die Schleusen öffnet, der kann sehr leicht erleben, daß die Lehrlinge irgendwann in der Zukunft zuzahlen müssen, damit sie eine Lehrstelle bekommen.
Wir sind bereit, konstruktiv mit Ihnen zusammenzuarbeiten. Im Interesse der Jugendlichen ist jede konstruktive Maßnahme, die Sie einleiten, zu unterstützen. Darüber unterhalten wir uns mit Ihnen in konstruktiver Weise. Aber es geht um mehr. Es geht auch darum, die Wirtschaft wieder zu bewegen, den Solidaritätsgedanken in bezug auf die Bereitstellung von Lehrstellen mit einzubeziehen; denn es kann doch nicht sein, daß in Zukunft die Betriebe entscheiden, was der gesellschaftliche Bedarf an Ausbildungsplätzen ist.
Wir haben die Situation, daß durch geburtenstarke Jahrgänge immer mehr Jugendliche einen Ausbildungsplatz suchen, als die Betriebe selber zur Verfügung stellen. Das ist die Situation. Hier müssen Sie ein Lösungsmodell finden. Appelle reichen in keiner Weise aus. Daß Sie hier mit einem krankhaft guten Gewissen durch die Lande ziehen und so tun, als könnte jeder Jugendliche sicher sein, eine Lehrstelle zu finden, wird unsere Unterstützung nicht finden.
Deshalb haben wir einen Gesetzentwurf vorbereitet, dessen Eckpunkte inzwischen bekannt sind. Es ist nicht unser Zeitproblem; es ist Ihr Zeitproblem. Wir legen den Gesetzentwurf rechtzeitig vor. Qualität geht vor, denn es geht um die Lösung eines der größten Probleme in unserem Lande.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Werner Lensing, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die sich verschärfende Situation bei den Lehrstellen ist natürlich ein Abbild der angespannten Lage auf dem Arbeitsmarkt. Aber ich möchte zunächst einmal an das anknüpfen, was gerade Kollege Hilsberg gesagt hat. Wenn es Sinn macht, in einer Aktuellen Stunde Bewußtsein für die jeweilige Situation zu schärfen, dann sollten wir bitte auch folgendes bewußt zur Kenntnis nehmen: Natürlich steht es mir nicht zu, irgendwelche Zahlen schönzureden; ich mache das auch nicht; dafür ist die Situation zu ernst. Doch angesichts dieses ernsten Themas gehen wir zu wenig ehrlich miteinander um.
Daher möchte ich gegenüber der Opposition feststellen: Sie sollte ehrlicherweise anerkennen, daß wir alle die Ausbildungssituation verbessern wollen und keiner die gesamtgesellschaftliche Problematik alleine lösen kann, auch nicht die Opposition.
Wenn dem so ist, dann ist es unredlich, daß die Opposition in dieser schwierigen Situation ausschließlich die Regierung verantwortlich machen will. Das ist zu schlicht, Herr Thierse; ich hätte nicht erwartet, daß Sie Ihren Beitrag auf diesem Niveau leisten.
Weiß doch ein jeder in diesem Hohen Hause, daß die
Politik zwar eine Verbesserung der Rahmenbedin-
Werner Lensing
gungen erwirken, nicht aber auch nur einen einzigen Arbeitsplatz in der Wirtschaft einrichten kann. Kollegin Hermenau hat das vorhin unfreiwillig bestätigt.
Zur Wahrheit gehört weiter, daß wir unseren Auszubildenden am ehesten helfen, wenn wir die Konjunkturvoraussetzungen verbessern, das heißt - wie wir alle wissen - den Wirtschaftsstandort Deutschland weiter stabilisieren und zugleich die Lohnnebenkosten senken.
Aber traurige Tatsache ist - es gehört zur Wahrheit, das zu benennen -, daß die SPD alle diesem Zweck dienenden Reformmaßnahmen der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen im Bundesrat verzögert, behindert, ja sogar verhindert hat.
Diese Verweigerungsstrategie der Bundesratsmehrheit hilft - ob Ihnen, Herr Kubatschka, das gefällt oder nicht - keinem einzigen Jugendlichen, der eine Ausbildungs- und Beschäftigungsmöglichkeit sucht.
Vielmehr schadet sie ihm.
Zudem - Herr Minister Rüttgers hat das angedeutet - greift die Opposition mangels eigener überzeugender Konzepte - das verstehe ich noch - zum xtenmal in die Mottenkiste staatlicher Zwangsabgaben für Nichtausbilder.
Wir könnten jetzt alle Maßnahmen aufzählen, die wir ergriffen haben. Das will ich an dieser Stelle nicht tun. Aber ich erwarte von Ihnen, wenn die Situation so ernst ist, wie sie nun in der Tat ist, was ich gar nicht bestreite, daß Sie in der Ehrlichkeit, die ich jetzt einfordern möchte, nicht hingehen und alle diese Maßnahmen bei Ihren Argumenten von vornherein ignorieren.
Das ist einfach unredlich.
Deswegen möchte ich darauf zurückkommen, was Herr Minister Rüttgers Ihnen eben angeboten hat. Das ist keine Einzelnummer des zuständigen Fachministers. Vielmehr stehen die beiden Koalitionsfraktionen voll dahinter.
- Kollege Tauss, wenn Sie hier nicht nur lauthals lamentieren wollen, sondern konkret gemeinsam mit uns handeln, so lade ich Sie alle in Anlehnung an die Ausführungen von vorhin zu den Aktionen ein, die wir gemeinsam durchführen müssen.
Lassen Sie uns in der Tat gemeinsam Gewerkschaften und Unternehmer zumindest bedrängen, zukünftig keine Tarifverträge ohne eine wirksame Lehrstellengarantie abzuschließen.
Lassen Sie uns gemeinsam die Kammern dafür gewinnen, die Ausbildungsbetriebe von den Kammergebühren zu entlasten.
- Aber Herr Kollege, verstehen Sie denn kein Deutsch? Doch ich will mich jetzt nicht darauf einlassen, um Sie zu schonen.
Lassen Sie uns gemeinsam die Erkenntnis vermitteln, daß in einer Reihe von Gewerken - Dachdecker, Maler, Lackierer, Gerüstbauer - die Ausbildungsvergütungen nicht mehr vertretbar sind. Sie müßten vielmehr gesenkt oder zumindest eingefroren werden.
Warum? Nicht weil wir etwas gegen die Lehrlinge haben, Frau Hermenau, sondern weil die Kleinunternehmen, die wir auch für die Lehrlingsausbildung gewinnen wollen, allein für die Vergütung bis zu 80 Prozent der Ausbildungskosten hergeben müssen.
Lassen Sie uns gemeinsam den DGB auffordern, selbst mehr auszubilden - das haben wir gehört - und - das möchte ich hinzufügen - nicht ausgerechnet noch die Bildungsabteilung zu reduzieren.
Lassen Sie uns schließlich gemeinsam darauf hinwirken, daß die Akzeptanz der Lehre als Bewährungssituation für Betriebe, Elternhaus und Schulen noch deutlicher gefördert wird.
Schlußbemerkung. Im übrigen gehe ich bei allen gegenwärtigen Schwierigkeiten von einem - so will ich es einmal nennen - realistischen Optimismus aus, da gerade die zyklische Entwicklung der Vergangenheit immer wieder gezeigt hat, daß bei einer konjunkturellen Aufwärtsbewegung auch Ausbildungsstellen neu und zusätzlich auf dem Markt angeboten werden.
Ich danke Ihnen, vor allen den Mitglieder der Opposition, für Ihr erbauliches Interesse, mit dem Sie dankenswerterweise meine viel zu kurzen Ausführungen begleitet haben.
Das Wort hat Herr Staatssekretär Kolb.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Situation auf dem Lehrstellenmarkt ist angespannt. Hier gibt es nichts zu beschönigen. Wir brauchen 1997 13 000 Lehrstellen mehr als im Jahr 1996.
Aber wer glaubt, daß er in dieser gegebenen wirtschaftlichen Situation mit dem Zwangsinstrument der Ausbildungsplatzabgabe mehr Lehrstellen und das dann auch noch umgehend in diesem Jahr schaffen kann, der ist meines Erachtens auf dem Irrweg, weil eine solche Abgabe nicht nur eine weitere Belastung für den Standort Deutschland wäre. Vielmehr legt sie nach meiner Überzeugung die Axt an die Wurzeln des dualen Systems, mit dem wir so erfolgreich dastehen und um das wir in der ganzen Welt beneidet werden.
Was wir brauchen, ist vielmehr freiwilliges Engagement. Unternehmerische Initiative und soziale Verantwortung sind gefragt. Nur damit läßt sich in diesem Jahr die drohende Lehrstellenlücke überwinden.
Wenn Sie hier eine so negative Bilanz im Hinblick auf das Versprechen, 10 Prozent mehr Ausbildungsplätze zu schaffen, ziehen, dann sollten Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, nicht übersehen, daß dieses Versprechen in wichtigen Bereichen der Wirtschaft eingehalten, teilweise übertroffen worden ist. Ich denke etwa an Bereiche des Handwerks, wo diese Verantwortung überaus ernst genommen wird.
Ich kann nicht erkennen, daß man die Betriebe, die ihrer Verantwortung gerecht geworden sind, an anderer Stelle bestrafen sollte.
Ausbildung ist ein Stück Zukunftssicherung für unsere Jugend. Sie ist eine Verpflichtung unserer Gesellschaft. Die Bereitstellung einer ausreichenden Zahl von Ausbildungsplätzen liegt in der Eigenverantwortung und auch im Eigeninteresse letztendlich der deutschen Wirtschaft. Unser im internationalen Vergleich sehr hohes Bildungsniveau, insbesondere in der beruflichen Bildung, zählt gerade zu den positiven Standortfaktoren. Dieser Standortvorteil muß gesichert und ausgebaut werden.
Was sind hier die Aufgaben der Bundesregierung, speziell des Bundeswirtschaftsministers? Zunächst müssen wir Ausbildungshemmnisse abbauen. Erste Schritte sind hier gemacht. So wurde das Jugendarbeitsschutzgesetz geändert, damit erwachsene Jugendliche an Berufsschultagen wieder in den Betrieb kommen, und die Vorschrift über die Eignung der betrieblichen Ausbilder ist flexibilisiert worden. Weitere Schritte werden hier folgen müssen.
Ich widerstehe, Frau Hermenau, der Versuchung, das an dieser Stelle im Detail auszuführen, weil meine Redezeit zu knapp bemessen ist. Aber ich halte es für wichtig - das will ich hier sagen -, daß, nachdem wir eine weitreichende Reform der beruflichen Bildung beschlossen haben, jetzt auch die Länder die Berufsschulzeiten endlich flexibler und betriebsfreundlicher organisieren und für eine bessere Ausbildungsreife der Schüler sorgen. Gerade was die Flexibilisierung der Berufsschulzeiten anbelangt, sollte das positive Beispiel Niedersachsens, wo nach einer entsprechenden Änderung die Zahl der Ausbildungsplätze deutlich erhöht werden konnte, die Länderminister, die hier in der Verantwortung stehen, nachdenklich machen. Natürlich müssen auch die Tarifpartner über die Höhe von Vergütungen und die Schaffung von Lehrstellen sprechen.
Ich denke, besonders wichtig ist, daß - wir tun dies - die Ausbildungsberufe modernisiert und flexibilisiert werden. Der Bundesminister für Wirtschaft hat hierzu als wichtigster Fachminister im Sommer 1996 drei neue Medienberufe geschaffen sowie 13 modernisierte Ausbildungsordnungen in Kraft gesetzt. Im Sommer des Jahres 1997 werden 14 neue Berufe geschaffen, darunter vier aus dem zukunftsträchtigen Bereich Informations- und Telekommunikationstechnik, sowie 33 modernisierte Ausbildungsordnungen in Kraft treten. Für die Zukunft, ab 1998, werden jetzt bereits weitere drei neue Berufe erarbeitet und 14 bestehende Ausbildungsordnungen modernisiert. Zirka 30 weitere Vorschläge für neue Berufe werden gegenwärtig gemeinsam mit den Sozialpartnern geprüft.
Ich halte neben der Schaffung neuer Berufe gerade auch die Modernisierung für wichtig. Es kommt darauf an, daß der auf dem Papier stehende Ausbildungsrahmen der betrieblichen Praxis auch tatsächlich entspricht. Das erleichtert es den Betrieben, wirklich auszubilden.
Der Bundesminister für Wirtschaft wird die Förderprogramme „Ausbildungsplatzbewerber" und „Ausbildungsplatzberater" wie auch das ERP-Darlehens-Programm zur Finanzierung zusätzlicher Ausbildungsplätze fortsetzen.
Schließlich werden wir bei der anstehenden Neuordnung der Handwerke, also der Überarbeitung der Anlage A zur Handwerksordnung, darauf achten, daß die Ausbildungsmöglichkeiten des Handwerks erweitert werden. Wir wollen eine zukunftsgewinnende Neuordnung der Handwerke, nicht nur einen Erhalt oder eine Fortschreibung des Status quo. Es zeichnet sich ab, daß durch eine Überarbeitung gerade auch der Anlage A in vielen Bereichen zusätzliches Ausbildungspotential geschaffen werden kann.
Meine Damen und Herren, Ende Mai werden Herr Bundesminister Dr. Rüttgers und Herr Bundesminister Dr. Rexrodt gemeinsam zirka 110 000 Unternehmen und freiberufliche Praxen anschreiben und bitten, ihr Ausbildungsengagement auszuweiten, damit in diesem Jahr jedem ausbildungsbereiten Jugendlichen eine Lehrstelle angeboten werden kann.
Auch ich bin zuversichtlich, daß dies gelingt, wenn alle Beteiligten mitziehen. Ich will hier ausdrücklich die Unternehmer und die Freiberufler ansprechen. Ich bin zuversichtlich, daß es gelingt, weil Ausbil-
Parl. Staatssekretär Dr. Heinrich L. Kolb
dung für einen Unternehmer nach wie vor eine der interessantesten Investitionen in die Zukunft ist und bleibt.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat die Kollegin Sabine Kaspereit, SPD.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 348000 junge Menschen unseres Landes bewerben sich auf 162 000 Stellen. Für 185 000 dieser jungen Menschen bedeutet das, auf eine Berufsausbildung vorerst verzichten zu müssen.
Allein in Ostdeutschland finden 107 000 keinen Ausbildungsplatz. In Ostdeutschland kommt derzeit auf fünf unversorgte Bewerber nur ein freier Ausbildungsplatz. Diese Situation wird durch die Zahl der Altnachfragen, also durch die Bewerber, die sich in Warteschleifen befinden, verschärft. Das möchte ich zur Illustration des Begriffes „angespannte Lage" sagen, Herr Kollege Kolb.
Diese Fakten sind für mich Anlaß, noch einmal auf die Lage in den neuen Ländern einzugehen. Der Zusammenbruch der Ausbildungsstrukturen in den neuen Ländern ist im wesentlichen eine Folge des wirtschaftlichen Strukturwandels nach dem Einigungsprozeß, aber auch die Konsequenz einer unzureichenden Bundespolitik.
Sofortprogramme als Feuerwehreinsätze zeugen nicht gerade von Weitsicht bei der Bundesregierung. Gerade auf dem Gebiet der Bildung und Ausbildung kennt man den langfristigen Bedarf.
Industrie, Handwerk und Dienstleistung sind nicht weit genug entwickelt, um Ausbildungsplätze in ausreichender Zahl zur Verfügung zu stellen. Zudem zielt das Engagement größerer Unternehmen eher darauf ab, sich durch Kostensenkungen im Personalbereich gesundzuschrumpfen, statt Ausbildungsplätze als unternehmensbezogene und gesamtgesellschaftliche Zukunftsinvestitionen zu begreifen. Die Verantwortung für ein ausreichendes Angebot an betrieblichen Ausbildungsplätzen liegt bei den Arbeitgebern.
Aber das eben Gesagte verdeutlicht, daß der Markt allein, Herr Kollege Kolb, keine heilsamen Kräfte entfaltet, sondern im Gegenteil die Folgekosten seiner Rationalisierung auf den Staat und damit auf die Bürger und die noch verantwortungsbewußten Unternehmen abwälzt.
Dort, wo Versprechen, Lehrstellen einzurichten, nicht eingehalten werden und Appelle nicht fruchten, zeigt sich, wie wichtig und notwendig unser Vorschlag ist, die Berufsbildung mit dem Ziel eines gerechten Leistungsausgleichs zwischen ausbildenden und nicht ausbildenden Betrieben zu finanzieren.
Die Anstrengungen der neuen Bundesländer waren in den letzten Jahren gewaltig. Sie haben mehr als ihren Beitrag geleistet. In Spitzengesprächen mit Arbeitgebern, Kammern, Gewerkschaften und dem Landesarbeitsamt hat beispielsweise das Land Sachsen-Anhalt versucht, die katastrophale Lage beim Lehrstellenangebot wenigstens zu entschärfen. 100 Millionen DM hat das Sozialministerium von Sachsen-Anhalt 1996 für die Ausbildungsförderung ausgegeben. Die gleiche Summe steht auch für 1997 an. Das Land Sachsen-Anhalt - das ist in den anderen neuen Bundesländern nicht anders - ist damit am Rande seiner Möglichkeiten angelangt.
Die geringe Zahl der Ausbildungsbetriebe bildet zudem im wesentlichen nur noch für den Eigenbedarf aus. Daraus folgt zwangsläufig, daß die quantitative Ausbildungsplatzsicherung inzwischen zu zwei Dritteln öffentlich finanziert wird. Das hochgelobte und weltweit anerkannte duale System wird damit konterkariert.
Die Ausbildung wird in die Hand des Staates gelegt, obwohl, wie ich bereits sagte, die Verantwortung und das eigentliche Interesse an qualifizierten Mitarbeitern bei den Arbeitgebern liegen muß. Die Anstrengungen der Länder können, sollen und wollen nicht das duale System ergänzen oder ersetzen. Aber die Länder sehen andererseits auch die Gefahrenpotentiale, die durch arbeits-, berufs- und perspektivlose Jugendliche heraufbeschworen werden können. Deshalb nehmen sie gezwungenermaßen auch in Kauf, daß es bei überwiegend überbetrieblicher Ausbildung zu Fehlallokationen kommen kann. Denn so gut die überbetriebliche Ausbildung auch sein mag, so besteht doch immer die Gefahr einer nicht bedarfsgerechten Ausbildung.
Schließlich - das ist ein weiterer Aspekt dieser Misere - können wir nicht auf Existenzgründerwellen hoffen, wenn der betriebliche Eigenbedarf an Auszubildenden zum Maßstab der Dinge wird. Wenn wir nicht umgehend für die Verbesserung der Situation auf dem Ausbildungssektor Sorge tragen, können in der Konsequenz wegen des Mangels an Existenzgründern auch wiederum keine Ausbildungsplätze geschaffen werden. Das ist ein Teufelskreis. Wir haben viele Vorschläge gemacht, mit denen man diesen Teufelskreis durchbrechen kann. Die Zeit reicht nicht aus, sie alle aufzuzählen. Sie, Herr Lensing, haben sie gemeinsam mit der F.D.P. - Sie benutzen das Wort „gemeinsam" ja so gern - abgelehnt.
Einen Antrag möchte ich jedenfalls noch ausdrücklich nennen: unseren Antrag „Gemeinschaftsinitiative Ausbildungsplatzsicherung", der die Notwendigkeit einer Strategie für die neuen Bundesländer in den Mittelpunkt stellt. Es ist unser wirtschaftspolitischer Auftrag, den Standort Deutschland mit qualifizierten Arbeitskräften abzusichern, weil gerade dies einer der wichtigsten Standortvorteile Deutschlands war und bleiben muß. Wir haben die moralische
Sabine Kaspereit
Pflicht, die wirtschafts- und strukturpolitischen Versäumnisse der Bundesregierung nicht auf dem Rükken der jungen Menschen unseres Landes abzuladen.
Alles, was von politischer Seite falsch angegangen wird, wird uns und unseren Kindern nicht nur wirtschaftlich, sondern auch sozial und innenpolitisch gewaltig auf die Füße fallen.
Perspektivlosigkeit ist der Nährboden für Gewalt, Kriminalität und vor allem auch für gewisse politische Entwicklungen, die wir im europäischen Integrationsprozeß am allerwenigsten gebrauchen können.
Ich fordere Sie von der Bundesregierung auf: Erkennen Sie den Handlungsbedarf! Gehen Sie auf unsere Vorschläge ein, damit wir nicht in unschöner Regelmäßigkeit jedes Jahr vor dem gleichen Problem stehen!
Das Wort hat die Kollegin Marion Seib, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Daß die SPD für den heutigen Tag eine Aktuelle Stunde zur Ausbildungsplatzsituation beantragt,
hat offenbar den wahltaktischen Zweck, der Bundesregierung einmal mehr die Verantwortung für etwas aufzuhalsen, was in Wirklichkeit in allem anderen, aber nicht in deren alleinigem Verantwortungsbereich liegt.
Ihr Vorwurf an die Adresse der Bundespolitik, meine Damen und Herren von der SPD, Ihre Behauptung der Staat sei es, der vorrangig für Lehrstellen sorgen müsse - welch ein zentralistischer Ansatz -,
ist nicht nur sachlich falsch, sondern auch höchst unredlich. Sie wissen doch ganz genau, daß die zugegebenermaßen ernste Lage auf dem Lehrstellenmarkt ein gesamtgesellschaftliches Thema ist, das alle Beteiligten angeht, dessen sich alle in einer Gemeinschaftsinitiative annehmen müssen.
Im besonderen Maße sind hier natürlich die Tarifpartner, die Gewerkschaften, die Kammern, die Länder, die Regionen, die Kommunen und vor allem auch unsere Wirtschaftsbetriebe gefordert. Die Tarifpartner müssen Maßnahmen zur Erhöhung des Lehrstellenangebots in ihre Verhandlungen einbeziehen.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund muß endlich selbst mehr Lehrstellen anbieten,
: Bürofachkräfte!)
anstatt diese immer nur von anderer Seite zu fordern. Die Kammern müssen dafür sorgen, daß Ausbildungsbetriebe von Kammergebühren entlastet werden. Der Einsatz von Lehrstellenentwicklern, Ausbildungsberatern und Lehrstellenakquisiteuren in den Kammern muß fortgesetzt und intensiviert werden. Die Länder müssen weiter auf eine flexiblere und betriebsfreundlichere Organisation der Berufsschulzeiten hinwirken. Der zweite Berufsschultag muß so in die Ausbildung eingebaut werden, daß er den jungen Erwachsenen nützt und den Betrieben nicht schadet. Die Regionen und Kommunen, alle Landräte und Bürgermeister müssen für eine enge Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft, Gewerkschaften, Politik und Verwaltung sorgen, um gemeinsam die Lehrstellensituation vor Ort zu verbessern.
Wirtschaftsförderung ist und bleibt die beste Lehrstellenförderung, auch auf kommunaler Ebene.
Erlauben Sie mir an dieser Stelle, meine sehr geehrten Damen und Herren von der SPD, Sie daran zu erinnern, daß an all diesen Stellen auch Ihre Parteifreunde Verantwortung tragen.
Nicht zuletzt steht die Wirtschaft in der Pflicht. Die Unternehmen müssen den Spielraum, den die besseren Konjunkturaussichten bieten, vorrangig für mehr Stellen nutzen. Wir sind uns einig: Ausbilden ist Investition in die Zukunft.
Was indes die SPD fordert, eine Ausbildungsplatzabgabe, einen Lastenausgleich oder wie Sie das auch immer nennen, ist hochgradig kontraproduktiv. Diese stellt eine zusätzliche Belastung für unsere Betriebe dar, treibt die Kosten weiter in die Höhe, führt zu zusätzlichem Bürokratieaufwand und verschlechtert damit die Voraussetzungen für die Einstellung von Lehrlingen. Eine solche Abgabe geht - hier spreche ich als mittelständische Unternehmerin -
an den betrieblichen Realitäten völlig vorbei.
Richtig ist der Weg, den die Bundesregierung eingeschlagen hat.
- Wir bilden aus, jedes Jahr 20 Lehrlinge. Deswegen weiß ich, wovon ich rede.
Sie hat in den vergangenen beiden Jahren die Rahmenbedingungen durch zügig umgesetzte Reformen
Marion Seib
deutlich verbessert: durch Änderung der Ausbildereignungsverordnung, durch die Novellierung des Jugendarbeitsschutzgesetzes - ich will mich nicht weiter wiederholen -, durch einen Modernisierungsschub bei den Ausbildungsberufen etc.
Aber machen Sie doch endlich mit beim Ausbilden!
Wir machen mit. Mit dem vom Bundeskabinett verabschiedeten Reformprojekt „Berufliche Bildung, flexible Strukturen und moderne Berufe" stellen wir uns den Herausforderungen des nächsten Jahrhunderts. Es sieht bei Erhaltung des bewährten dualen Systems - darauf lege ich größten Wert - die Öffnung der Ausbildungsordnungen für technische und organisatorische Neuerungen vor, ermöglicht neue Formen der Arbeitsteilung zwischen Betrieben und Berufsschulen und erleichtert eine stärkere Orientierung der Rahmenlehrpläne an den Bedürfnissen der betrieblichen Praxis, und nicht zuletzt fördert es die Entwicklung neuer zukunftsfähiger Berufe.
Das einzige, was die SPD noch anzumahnen hat, liegt im theoretischen Bereich. Sie will Erklärungen zum Beruflichkeitsprinzip und zum Konsensprinzip. Wir und die Jugendlichen wollen ohne theoretische Diskussion eine qualitätsgerechte duale Berufsausbildung. Wir haben mit unseren Vorschlägen längst den Weg zum Konsens zwischen allen Verantwortlichen eingeschlagen, während Sie noch immer versuchen, einen Keil zwischen die an der Berufsausbildung Beteiligten zu treiben.
Ich stelle abschließend fest: Die Bundesregierung hat ihre Hausaufgaben gemacht. Kommen auch Sie aus Ihrer Schmollecke, und geben Sie den Jugendlichen praktische Unterstützung!
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Kollege Heinz Schmitt, SPD.
Verehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich erlebe das Stück, das da heißt „Die unendliche Geschichte der fehlenden Lehrstellen", nun zum drittenmal in meiner ersten Wahlperiode im Deutschen Bundestag - fast schon ein Ritual.
Wieder einmal stehen Tausende junger Menschen an, eine Lehrstelle zu bekommen. Wieder einmal fehlende Tausende von Ausbildungsplätzen, und wieder einmal erschöpft sich die Antwort der Bundesregierung in Appellen an die Wirtschaft.
- Auch dieses Jahr, Herr Lensing, dominiert wieder das Prinzip Hoffnung.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ein Ritual auf diesem brisanten Gebiet können wir uns nicht leisten, und wir dürfen uns damit auch nicht abfinden. Wir ringen um den Erhalt der Rentensysteme, wir reden über den Erhalt der Sozialsysteme, wir reden von Zukunft, von neuen Märkten und innovativen Produkten. Aber wer soll das denn eigentlich bewerkstelligen? Ich habe das Gefühl, daß einige in dieser Diskussion zwar ständig die Jugendlichen auf ihrer Rèchnung haben, aber nur eine Seite dieser Medaille sehen oder auch sehen wollen.
Der Generationenvertrag und zukünftiger Wohlstand kommen der heutigen Erwachsenengeneration zugute, aber leisten müssen dies in Zukunft gerade die heutigen Jugendlichen. Ein Generationenvertrag ohne die konsequente Unterstützung der jungen Generation ist unvollständig und zum Scheitern verurteilt. Die Gefahr, daß die Jugend einen Generationenvertrag, der einseitig läuft, nicht mehr akzeptiert, ist konkreter, als viele dies wahrhaben wollen.
Dieser Tage wurde die 12. Shell-Jugendstudie vorgestellt. Danach werden die eigenen Chancen von jungen Leuten immer ungünstiger eingeschätzt; persönliche Erwartungen an die Zukunft sind voller Pessimismus. Perspektivlosigkeit auf dem Ausbildungs-und Arbeitsmarkt rangiert bei jungen Menschen mittlerweile ganz oben auf der Werteskala.
Das heißt, gerade in der Lebensphase kreativen Aufbruchs, in der junge Leute antreten mit Hoffnungen und Erwartungen in die Zukunft, mit eigenen Lebensvorstellungen, mit der Absicht, Familien zu gründen, Traditionen fortzusetzen, einen Platz in der Gesellschaft zu finden, stolz darauf zu sein, für sich selbst zu sorgen und etwas beizutragen, gerade in dieser Lebensphase kümmern sich Politik und Wirtschaft zuwenig um Lösungen. Gerade in dieser Lebensphase leisten Politik und Wirtschaft zuwenig Hilfe.
- Die Bundesregierung.
Gerade in diesem Lebensabschnitt werden die Weichen entscheidend gestellt. Eine Verunsicherung und Verängstigung großer Teile einer Generation kann sich eine Gesellschaft auf Dauer nicht leisten. Integration oder Ausgrenzung, Mitmachen oder Rückzug: Auf diese Entscheidung junger Menschen hat die Politik, haben wir und Sie maßgeblichen Einfluß.
Ein Klima der Perspektivlosigkeit schon in der Jugend begünstigt das Abrutschen in Gewalt und Kriminalität. Die Jugendkriminalität ist allein im letzten Jahr um 12,3 Prozent gestiegen. Es wundert daher nicht, daß wir auf einer Jugendkonferenz in Rheinland-Pfalz als Ergebnis herausgearbeitet haben: Ausbildung oder Jugendkriminalität heißen die Alternativen. Davor dürfen wir die Augen nicht verschließen.
Heinz Schmitt
Ich möchte Ihnen, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Regierungskoalition, die Mahnung des Bundespräsidenten ans Herz legen, der sagt: Wir müssen Bildung und Ausbildung zum Megathema der nächsten Jahre machen.
Wir haben gestern in der Fragestunde erörtert und gehört, daß einige Kammern bereits umsteuern und ausbildende Betriebe intern entlasten. Nehmen Sie sich daran ein Beispiel, Herr Minister Rüttgers!
Die Richtung muß sein, Betriebe, die ausbilden, zu unterstützen und Anreize für die Schaffung zusätzlicher Lehrstellen zu bieten. Die Bundesregierung hat gestern und heute betont, daß sie auf Freiwilligkeit der Betriebe setzt. Ich bin skeptisch, daß die jetzigen Maßnahmen der Kammern auf der Basis von Freiwilligkeit ausreichend sein werden.
Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, lehnen weiterhin regulierende Eingriffe ab. Aber wenn die aufrüttelnden Prognosen der Jugendforscher gerade angesichts der steigenden Kriminalität unter Jugendlichen eintreten, werden Sie später nicht um staatliches Eingreifen herumkommen. Ich fürchte, sie sind dann zu spät und am falschen Ende.
Das Wort hat der Kollege Karl-Heinz Scherhag, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach all den polemischen Vorträgen möchte ich jetzt sachbezogene Argumente nennen. Es steht jemand vor Ihnen, der seit 30 Jahren ausbildet, und zwar in großem Umfang, und der auch in diesem Jahr viele Lehrstellen über den Bedarf hinaus zur Verfügung stellt.
Deshalb sollten wir das Thema mit aller Ruhe und Sachlichkeit angehen. Das Thema ist viel zu ernst, als daß wir auf dem Rücken der Jugendlichen Polemik machen sollten.
Herr Staatssekretär Kolb sprach gerade von der Veränderung der Anlage A der Handwerksordnung. Wir haben in den letzten Monaten in der Koalitionsgruppe besonders an der Anlage A sehr stark gearbeitet, um sie im Hinblick auf mehr Lehrstellen zu verändern. Ich sage das deshalb so konkret, weil ich Ihnen an einem Beispiel verdeutlichen kann, wie man mehr Lehrstellen auf Grund einer Veränderung schaffen kann.
Ich lade die SPD und auch die anderen Fraktionen ein, uns dabei zu helfen, daß das Gesetz zum 1. Januar 1998 in Kraft treten kann, damit wir dann mehr Lehrstellen anbieten können.
- Herr Tauss, hören Sie wenigstens zu!
Mein Beispiel: Wir legen das Kfz-Gewerbe und die Kfz-Elektrik zusammen. Bisher gibt es in Deutschland 48 000 Kfz-Betriebe, aber nur 3000 Kfz-Elektrikbetriebe. Da sich das Verhältnis innerhalb unserer Branche verändert hat - Sie kennen die Fahrzeuge -, brauchen wir im Bereich der Kfz-Mechanik mindestens in jedem Betrieb einen Elektrogesellen. Wenn Sie sich vorstellen, daß 3000 Kfz-Elektrikbetriebe 48000 Gesellen hervorbringen sollen, dann müssen Sie mir einmal sagen, wie das gehen soll.
Wir machen jetzt eine Verordnung, in der wir feststellen, daß in Zukunft auch die Kfz-Betriebe Kfz-Elektriker ausbilden können. Das bedeutet, daß wir einen großen Nachfragebedarf im Bereich der Lehrstellen haben. Ich sage Ihnen voraus: Wenn wir in diesem Jahr die Veränderung der Anlage A durchziehen - ich bin guter Hoffnung, daß wir das gemeinsam tun -, dann wird es uns gelingen, mindestens 30 000 Lehrstellen im Vorgriff zur Verfügung zu stellen, zusätzlich zu denen, die es bisher gibt. Das ist ein sehr konkreter Vorschlag, den ich auf andere Berufe, die in dieser Überarbeitung ebenfalls eine Rolle spielen, überspielen kann und bei dem ich sagen kann: Hier gibt es ganz konkrete Möglichkeiten.
Zweiter Punkt. Ich bin gerne bereit, auch darüber nachzudenken und dies vorzutragen, was die Lehrlingseinschreibegebühren und die Lehrlingskosten betrifft. Ich bin der Meinung, daß die Kammern - Sie wissen, ich bin im Ehrenamt Kammerpräsident - hier aufgerufen sind, diese Verteilung vorzunehmen und diese Kosten in den Haushalt einzustellen, damit dann alle automatisch an den Kosten dieser überbetrieblichen Ausbildung und den Lehrlingseinschreibegebühren beteiligt sind. Auch dies ist konkret. Hier können wir eine ganze Menge tun.
Lassen Sie mich hier noch eine Zahl nennen. Hier wird schwarzgemalt, daß die Wirtschaft und das Handwerk in den letzten Jahren ihrer Verpflichtung nicht nachgekommen seien. Im Bundesgebiet gab es 1995 615 348 Lehrstellen und 1996 627 278 Lehrstellen, das heißt eine Steigerung von 11930 Lehrstellen oder 2 Prozent, und dies unter den schwierigen Bedingungen der wirtschaftlichen Lage. Wir müssen auch erkennen, daß Handwerksbetriebe oder kleine und mittelständische Betriebe dort, wo die Industrie abwandert, vor große Probleme gestellt wurden. Wir müssen also die Rahmenbedingungen ändern. Ich fordere Sie, liebe Kollegen von der SPD, auf: Verschließen Sie sich doch nicht unseren Reformen! Ich bitte Sie: Machen Sie mit! Die Lage ist viel zu ernst.
Lassen Sie mich noch ein Beispiel bringen. Ich bringe Ihnen in der „Aktion Plus" zentrale und regionale Instrumente für Aktivitäten der Ausbildungsplatzsteigerung. Es gibt von den Kammern und den Wirtschaftsorganisationen inzwischen ein Papier mit über 16 Punkten. Ich will nur einen der wichtigsten nennen: Werbung durch gezielte Ansprache der Betriebe, zum Beispiel von Betriebsinhabern, Personal-und Ausbildungsleitern. Ich kann Ihnen sagen: Dies
Karl-Heinz Scherhag
ist der größte Erfolg, den wir bisher haben. Wir haben durch diese Aktion alleine im Kammerbezirk Koblenz bereits 400 zusätzliche Lehrstellen geschaffen. Wenn ich dies einmal auf die 53 Kammern oder auf die Industrie- und Handelskammern in Deutschland beziehe, dann bin ich der Meinung, daß hier noch viel Potential vorhanden ist. Wir haben die Chance, die Lehrlinge in diesem Jahr auch hier unterzubringen.
Um eines möchte ich Sie bitten: Machen Sie nicht auf Belastungen und Zusatzbelastungen der Betriebe!
Ich sage Ihnen das vorweg: Sie machen zwei große Denkfehler. Erstens. Sie bringen die Betriebe, die in der Lage sind, zusätzlich auszubilden -
Achten Sie bitte auf die Zeit.
- ja -, dazu, daß sie vielleicht warten, bis sie Hilfe erhalten. Zweitens. Die anderen Betriebe, die belastet werden, werden sich sehr schnell überlegen, ob sie dies machen können. Ich bitte Sie wirklich: Machen Sie nicht auf Schwarzmalerei! Helfen Sie mit, diese Lage zu bereinigen! Helfen Sie den Kammern, den Organisationen und den Betrieben, mehr Lehrstellen zu finden!
Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Franz Thönnes, SPD.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für praktische Beispiele, Herr Scherhag, sind wir immer zu haben.
Ich fand auch sehr faszinierend, was Sie gerade gesagt haben. Das sind positive Ansätze. Aber sagen Sie Ihren anderen Kolleginnen und Kollegen einmal, sie sollen endlich mit den Textbausteinen 324 und 325, mit denen sie uns Blockade vorwerfen und Gemeinsinn bei der SPD einklagen, aufhören.
Die Menschen im Lande wissen doch langsam, daß Sie die einzige Zukunftsblockade für die Entwicklung sind.
Deswegen gibt es auch immer eine schöne Differenzierung. Ich danke all denjenigen und auch Ihnen, der Sie gerade gesagt haben, Sie bilden aus. Das ist gut. Man muß allen danken, die in diesem Lande ausbilden.
Man muß aber auch mit dem Finger auf diejenigen zeigen, die ausbilden könnten und es nicht tun.
Sie machen Kniefälle mit, Sie senken Standards ab und führen Änderungen herbei, und die Wirtschaft läßt Sie in Teilen im Regen stehen; das ist die Realität.
Wir haben neue Berufe eingeführt. Wir beschleunigen die Reform in den einzelnen Berufen. Das Jugendarbeitsschutzgesetz ist geändert worden; die Berufsausbildereignungsverordnung ist geändert worden; die Länder haben den Berufsschulunterricht flexibilisiert. Die Politik hat ihren Beitrag zum größten Teil geleistet. Jetzt sind die Teile der Wirtschaft endlich dran, die bislang nicht ausgebildet haben.
Deswegen geht es eigentlich um die Verweigerer, die dazu beitragen, daß Berufsausbildung mittlerweile vergesellschaftet wird. Es geht darum, sie wieder zu reprivatisieren und darauf zu achten, daß die einzelbetriebliche Verantwortung wieder Platz greift.
Die Schaffung von Ausbildungsplätzen kostet den Staat und diejenigen, die Beiträge an die Bundesanstalt für Arbeit zahlen, mittlerweile 2 Milliarden DM, um einen Ausgleich für die Jugendlichen zu schaffen, die keinen Ausbildungsplatz erhalten. Hier wäre Entlastung nötig.
Seit 1992 ist jeder sechste Ausbildungsplatz gestrichen worden. 0,73 Ausbildungsplätze sind zur Zeit das Angebot für einen Bewerber. Das ist nicht nur eine statistische Frage. Gehen Sie einmal hinaus, und diskutieren Sie mit den Schulklassen! Gestern waren zwei Schulklassen aus Bremerhaven hier. Von 59 Hauptschulabgängern haben ganze 14 bislang einen Ausbildungsplatz. Ich komme aus einem wirtschaftlich sehr prosperierenden Raum nördlich von Hamburg; da brummt es wirklich. Aber was ist die Realität? Es gibt Angebote von 0,5 bis 0,9 Ausbildungsplätzen pro Bewerber; so sieht die Alltagssituation aus. Und Sie verschärfen diese Lage noch.
Wir Abgeordnete bekommen Brandrufe von den Arbeitsämtern. 535 lernbehinderte Jugendliche in Neumünster suchen zum 1. Oktober einen Ausbildungsplatz. Wissen Sie, was die Antwort des Arbeitsamtes ist? Wir haben kein Geld, weil die Zuschüsse von der Bundesanstalt für Arbeit nicht kommen. Das ist Ergebnis Ihrer Politik.
Das gleiche gilt für Stormarn.
Das ganze Jugendaufbauwerk ist ab 1. Juli gefährdet. Das Arbeitsamt sagt: Wir kriegen kein Geld von der BA. Ihre Haushaltspolitik, über die BA transfe-
Franz Thönnes
riert in die Region, trägt dazu bei, daß junge Menschen keine Zukunft haben.
Sie appellieren hier immer an die Tarifvertragsparteien. Sagen Sie doch auch endlich einmal, daß immer zwei dazugehören,
nämlich auch die Arbeitgeber, die zur Schaffung von Ausbildungsplätzen bereit sein müssen. Fordern Sie nicht immer, daß die Ausbildungsvergütungen gesenkt werden. Sie sind ja sowieso die Senker: Sie wollen die Löhne senken; Sie wollen die Ausbildungsvergütung senken; Sie wollen die Sozialhilfe senken. Das bringt keine Zukunftsperspektive.
- Ja, auch das kann man noch machen.
Ich denke, jeder von uns arbeitet in seiner Region, wie Sie, Herr Scherhag, gesagt haben, und redet mit denjenigen, die ausbilden könnten; das ist gut. Die Tarifverträge gehören dazu. Statten Sie die Bundesanstalt für Arbeit mit genügend Personalstellen aus, damit sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter um die Vermittlung junger Menschen kümmern können. Gestern in der Fragestunde wurde deutlich: Es ist noch nicht einmal klar, welche steuerlichen Auswirkungen, welche steuerlichen Präferierungen Berufsausbildung hat. Lassen Sie uns gemeinsam im Ausschuß darüber reden.
Ich will hinzufügen: So toll sieht die Zukunft gar nicht aus. Lassen Sie uns doch einmal darüber sprechen, wie sich Ausbildung nach Feststellungen des Bundesinstituts für Berufsbildung in den nächsten drei Jahren entwickeln wird: im Handwerk 26 Prozent minus, in der Industrie 22 Prozent minus und im Handel 23 Prozent minus, und so könnte man weitermachen. Wir gehen nicht ruhigen Zeiten entgegen. Deswegen ist es notwendig, daß wir auch darüber diskutieren, wie wir eine solidarische Finanzierung erreichen.
Herr Scherhag, Sie haben vorhin Beispiele aus Ihrer Praxis genannt. Ich habe mit Bauunternehmern geredet. Wissen Sie, was sie mir gesagt haben? Das mit der Umlage ist eine tolle Sache; daran sind alle gleichermaßen beteiligt; wir wollen so was; wir sind dafür.
Also kann das, was wir vorschlagen, doch kein Teufelszeug sein.
Unsere Jugend braucht eine Zukunft, und diese Zukunft kann zum Teil mit einer gerechten, solidarischen Finanzierung auch erreicht werden. Wenn Herr Hundt, der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, sagt, daß es möglich sein müßte, die Ausbildungsvergütungen in den Betrieben zu senken, in denen überdurchschnittlich viele Auszubildende ausgebildet werden, dann hat er immerhin das Umlageprinzip akzeptiert, und es stellt sich nur noch die Frage: Zahlen das die Auszubildenden oder - Herr Kolb, wie Sie es gesagt haben - zahlt das die Wirtschaft, um ihrer Verantwortung nachzukommen? Das ist die zentrale Frage dabei.
Wir brauchen mutige Unternehmer; wir brauchen eine Regierung, die vor der Wirtschaft nicht einknickt, sondern ganz deutlich sagt, daß dann, wenn die Wirtschaft nicht in der Lage ist, mehr Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen, eine gesetzliche Regelung greift. Die jungen Menschen brauchen eine Zukunft. Schauen wir uns die Shell-Studie an, die gestern veröffentlicht worden ist. Junge Menschen haben große Zukunftsängste. Das ist das Resultat Ihrer 15jährigen Regierungsverantwortung. Wir müssen den jungen Menschen eine Perspektive geben und ihnen genügend Ausbildungsplätze zur Verfügung stellen, um ihnen den Eintritt in das Berufsleben zu ermöglichen.
Das Wort hat der Kollege Christian Ruck, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! 13 000 Ausbildungsplätze mehr als im letzten Jahr zur Verfügung zu stellen, das ist 1997 für Staat, Gesellschaft und Wirtschaft eine gewaltige Herausforderung.
Doch auch in den letzten Jahren wurde im Lehrstellenbereich trotz aller Unkenrufe und Schwarzmalerei ein großer Kraftakt in gemeinsamer Anstrengung erfolgreich bewältigt. Es war in den letzten Jahren immer so, daß wir im Frühjahr die Katastrophenmeldungen zu hören bekamen und im Herbst Angebot und Nachfrage noch zur Deckung bringen konnten - wenn es auch Jahr für Jahr schwieriger wurde. Deswegen müssen wir und alle anderen Beteiligten heuer und in den nächsten Jahren die Anstrengungen erhöhen. Dabei ist die Verbesserung unseres Ausbildungssystems ein wichtiger Punkt.
Herr Thönnes, ich möchte Sie gerne zitieren, weil Ihre Kollegen vorhin etwas ganz anderes sagten, nämlich daß die Politik - insbesondere die Bundesregierung und die Koalition - nichts getan habe. Sie haben hingegen gesagt, die Politik habe ihre Aufgabe getan.
- Das Wort „unzureichend" haben Sie nicht gesagt.
Aber gut, wir können uns über viele Details unterhalten.
Dr. Christian Ruck
Es ist doch eine ganze Menge geschehen. Viele, auch Minister Rüttgers und Herr Guttmacher, haben darauf hingewiesen, daß es bei der Aktualisierung und der Schaffung neuer Berufsbilder zu einem Durchbruch gekommen ist. Bei den Ausbildungsordnungen hat sich doch wirklich etwas getan; und auch bei der Entbürokratisierung und der Flexibilisierung, die gerade vom Handwerk immer wieder eingefordert wurde, haben wir eine Menge erreicht.
Manches kann man aber nicht vom Bundestag aus anordnen, zum Beispiel die gute Idee mit den Ausbildungsverbünden. Das ist gerade für kleinere Betriebe, die nicht die ganze Palette der Ausbildung selber zur Verfügung stellen können, ein gutes Mittel. Diese Ausbildungsverbünde haben sich genauso wie die Akquisitoren bewährt. Allerdings sind das Dinge, die lokal und regional entstehen müssen. Dazu sind jede Region und jede Stadt aufgefordert.
Eines unserer größten Probleme ist die Zukunft der weniger begabten Auszubildenden und der rund 15 Prozent der Jugendlichen eines Jahrgangs, die keinen beruflichen Abschluß schaffen. Ich plädiere in diesem Zusammenhang noch einmal für einen erheblich stärkeren block- oder modulhaften Aufbau der einzelnen Ausbildungsordnungen, die eine stärkere Differenzierung für die unterschiedlichen Begabungen innerhalb eines Berufsfeldes ermöglichen.
Wir müssen erkennen, daß an ein und demselben Ausbildungsplatz oft ein Teil der jungen Menschen zum Beispiel durch eine Theorieüberfrachtung des Lernstoffes überfordert ist, ein anderer Teil hingegen unterfordert ist. Dann sind aber beide entmutigt. Das ist einer der Hauptgründe für die nach wie vor viel zu hohe Zahl von Ausbildungsabbrechern.
Den Befürchtungen der Gewerkschaften in dieser Hinsicht, Herr Tauss, möchte ich entgegnen: Ich glaube, es ist besser, einen soliden Berufsabschluß auf etwas niedrigerem Niveau und mit etwas geringerer Bezahlung zu haben, als letztendlich an zu hohen Qualifikationshürden gescheitert zu sein und arbeitslos zu werden.
Die berufliche Ausbildung zu verbessern ist eine Sache, die Ausbildungsplätze bereitzustellen die andere. Es gibt zahllose gute Initiativen, die zum Teil auch schon genannt wurden, so zum Beispiel die Initiative des Bayerischen Verbandes der Metall- und Elektroindustrie. Entscheidend ist auf diesem Gebiet aber, daß Arbeitgeber und Arbeitnehmer bei den Tarifverhandlungen wirklich zu Potte kommen, und zwar mit dem Ziel, das Lehrstellenangebot zu erhöhen.
Ich betone noch einmal: Staatliche Zwangsmaßnahmen, etwa in Form einer Ausbildungsplatzabgabe, lehne ich ab, solange sich die Wirtschaft zu ihrer Verantwortung für den eigenen Fachkräftenachwuchs bekennt. Das geschieht nicht nur, weil wir vor allem den Betrieben, denen das Wasser bis zum Hals steht, weitere Kosten ersparen wollen. Das geschieht auch deshalb, weil ein solches umlagefinanziertes und in höherem Maße überbetriebliches System eine viel größere Gefahr von Fehlsteuerungen am Bedarf vorbei in sich birgt.
Andererseits möchte ich auch daran erinnern, daß unser duales Ausbildungssystem einer der größten Standortvorteile der deutschen Wirtschaft ist. Wer heute über den Ausbildungsplatz als Kostenfaktor klagt, übersieht, daß uns nach allen vorliegenden Prognosen schon in wenigen Jahren ein spürbarer Fachkräftemangel droht und auf unser Wirtschaftswachstum sowie auf die deutschen Unternehmen voll durchschlägt.
Meine Damen und Herren, letztlich entscheidend für die Ausbildungsplatzsituation ist, ob es uns gelingt, den Wirtschafts- und Investitionsstandort Deutschland wieder zu stärken. Herr Thönnes, deshalb gilt vor allem auch für die Opposition: Wer mehr Lehrstellen will, darf sich den nötigen Reformen, insbesondere in der Steuerpolitik, nicht länger verweigern.
Die Aktuelle Stunde ist damit beendet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben eine Unterbrechnung der Sitzung beantragt. - Diesem Antrag wird entsprochen, wobei ich darauf aufmerksam mache, daß Einverständnis darüber besteht, die heutige Sitzung um 20 Uhr zu beenden. - Ich sehe, darüber besteht Konsens.
Ich unterbreche die Sitzung für etwa eine Stunde.
Meine Damen und Herren! Die Sitzung ist wieder eröffnet.
Es liegt eine Wortmeldung zur Geschäftsordnung vor. Ich erteile dem Vorsitzenden der Fraktion der SPD, Rudolf Scharping, das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die SPD-Bundestagsfraktion beantragt eine Erklärung der Bundesregierung zu den Ergebnissen der Steuerschätzung, zu den beabsichtigten Konsequenzen, zur wirtschaftlichen und finanziellen Lage unseres Landes.
Diese Erklärung der Bundesregierung ist notwendig geworden, weil die Steuerschätzungen erneut in enormem Umfang hinter den bisherigen Prognosen zurückbleiben - für den Bund, die Länder und die Gemeinden in diesem Jahr um rund 18 Milliarden DM. Das bedeutet, daß der Bund 9,1 Milliarden DM weniger Steuereinnahmen haben wird, gleichzeitig aber für die bisher unterschätzte Arbeitslosigkeit bis zu 10 Milliarden DM mehr aufwenden muß.
Rudolf Scharping
Das bedeutet, daß wir es heute mit dem Offenbarungseid einer unseriösen Politik zu tun haben,
wobei die Opposition die drohenden Fehlentwicklungen immer korrekt vorausgesagt hat
und dafür beschimpft worden ist.
Das bedeutet, daß Ihre Politik Deutschland in eine ausweglose Lage' bringen wird, wenn nicht endlich Korrekturen erfolgen.
Deshalb erwarten wir, daß ein kompetentes Mitglied der Bundesregierung - also besser nicht der Bundesfinanzminister - Auskunft über das gibt, was sie tun will.
Wir beantragen das auch deshalb, weil es nicht hinzunehmen ist, daß der Bundesfinanzminister möglicherweise die Bundespressekonferenz informiert, während hier der Deutsche Bundestag tagt.
Wir stehen vor den Ergebnissen einer Politik, die hohe Arbeitslosigkeit, enorme Steuerbelastungen, viel Bürokratie und leider auch immer stärker wachsende Verschuldung bedeutet. Deshalb erwarten wir, daß die Bundesregierung hier erklärt, daß für das Jahr 1997 ein neuer Haushalt in Gestalt eines Nachtragshaushalts aufgestellt wird.
Deshalb erwarten wir, daß die Bundesregierung ihre mittelfristige Finanzplanung korrigiert; denn gegenüber den Steuerschätzungen vom Mai 1995 - wenige Monate nach der Bundestagswahl - bleiben nach diesem Ergebnis die Steuereinnahmen des Gesamtstaates in 1998 um 180 Milliarden DM zurück.
Im Jahre 1999 sollen sich die Lücken sogar auf 250 Milliarden DM belaufen, die Rechnungen über Ihre Steuerreform eingeschlossen. Das ist ein finanziell unverantwortlicher Zustand, der der sofortigen Korrektur bedarf.
Wir sind auch gerne bereit, die Vorlage eines neuen Haushaltsplanentwurfs in den nächsten drei bis vier Wochen zu erwarten, notfalls auch eine Woche später, wenn dieser Haushaltsplanentwurf dann von einem kompetenteren Finanzminister vorgelegt wird. Denn dieser Finanzminister schadet dem Ansehen der Bundesrepublik Deutschland, den wirt-
schaftlichen Entwicklungen, und er ist in seinem Amt nicht mehr tragbar, meine Damen und Herren.
Wir erwarten drittens, daß die Bundesregierung noch in diesem Jahr Vorschläge zur Senkung der Lohnnebenkosten, für einen fairen Finanzausgleich und für eine solide Steuerreform macht, damit die Wirtschaft in Deutschland endlich vorankommt und die Konjunktur im Interesse der Menschen, die hier leben und arbeiten, besser wird.
Wir erwarten schließlich, daß die Bundesregierung aufhört, mit immer neuen gefälschten und immer unseriöseren Zahlen die wahre Lage des Landes zu verschleiern.
Das, was Sie bisher gemacht haben, ist im Hinblick auf die Verläßlichkeit der Politik und deren Glaubwürdigkeit nicht mehr tragbar. Es wird auch nicht dadurch tragbarer, daß Sie die Ergebnisse Ihrer Politik mit immer neuen Privatisierungserlösen zu bemänteln suchen.
Deshalb erwarten wir die Vorlage einer Erklärung durch die Bundesregierung, eine neue Weichenstellung in der Wirtschafts- und Finanzpolitik, die Entlassung des Bundesfinanzministers und die Aufstellung eines neuen Haushaltes.
Ebenfalls zur Geschäftsordnung erteile ich dem Abgeordneten Hörster das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn ich den Kollegen Scharping richtig verstanden habe, handelte es sich bei seiner Rede um die Begründung eines Geschäftsordnungsantrages. Was er genau will, hat er aber nicht gesagt.
Ich vermute, es geht um die Änderung der Tagesordnung und um die Aufnahme eines neuen Tagesordnungspunktes.
Joachim Hörster
Herr Scharping, die Formalien und die klare Aussprache gehören nun einmal zu unserem Einmaleins. So kann man mit der Tagesordnung nicht umgehen.
In diesem Zusammenhang kann man nicht die Sozialverhältnisse von Mexiko und Deutschland vergleichen. Und in der Finanzpolitik darf es schon gar keine Unschärfen zwischen Brutto und Netto geben.
Herr Scharping, meines Wissens waren Sie einmal Ministerpräsident. Ich möchte Ihnen dazu noch sagen, daß die Steuerschätzungen von Sachverständigen des Bundes, der Länder, der Gemeinden, der Bundesbank und anderen gemacht werden und daß sie keine Alleinveranstaltung der Bundesregierung sind, weswegen alle an der Steuerschätzung Beteiligten auch die Verantwortung für die Zahlen tragen.
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Daher ist es unsachlich, die Bundesregierung für diese Zahlen in Haftung zu nehmen.
Wenn Sie das tun, dann sind die Länderfinanzminister der Sozialdemokraten und viele andere mehr genauso in Haftung zu nehmen.
Daß es Ihnen in Wahrheit gar nicht um die Sache geht, wird aus folgendem deutlich. Die Koalitionsfraktionen haben vor mehr als drei Wochen bei der Vorbereitung der Sitzungswoche und der Tagesordnung für den heutigen Tag Fraktionssitzungen für heute abend um 8 Uhr anberaumt, weil sie wußten, daß heute die Ergebnisse der Steuerschätzung bekannt werden und sie in einer ruhigen und sachlichen Aussprache die Ergebnisse dieser Schätzung bewerten wollten. Sie hätten alle Möglichkeiten in der Hand gehabt, zum gleichen Zeitpunkt mit den Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und Ihrer eigenen - so sie denn kommt - und PDS zu tagen und die Ergebnisse vernünftig zu bewerten. Darum geht es Ihnen aber überhaupt nicht. Ihnen geht es im Grunde genommen nur um die Show, weil Sie selbst gar nicht in der Lage sind, innerhalb der Kürze der Zeit eine vernünftige Bewertung der Ergebnisse dieser Steuerschätzung vorzunehmen.
Da wir unsere Entscheidungen sauber und gründlich vorzubereiten pflegen, werden wir Ihren Antrag ablehnen.
- Daß ausgerechnet Sie lachen, finde ich sehr bemerkenswert, weil Sie es trotz der monatelangen Diskussionen bis heute noch nicht geschafft haben, ein
eigenes durchgerechnetes Steuerkonzept vorzulegen.
Sie müssen sich vom Deutschen Gewerkschaftsbund im Interesse der Schaffung von mehr Wachstum und Beschäftigung ermahnen lassen, das spätestens im Monat Mai noch nachzuholen. Sie haben allen Anlaß, über gründliche Beratungen, die andere verantwortungsvoll vornehmen, zu lachen.
Wir werden deswegen den mutmaßlichen Geschäftsordnungsantrag, den ich Ihnen, Herr Scharping, unterstellt habe, ablehnen und möchten, daß die Sitzung so weiterläuft wie vorgesehen. Wir von der Fraktion der CDU/CSU möchten für uns in Anspruch nehmen, in unserer Fraktionssitzung in aller Ruhe und mit Sachlichkeit die Ergebnisse der Steuerschätzung zu beraten.
Ebenfalls zur Geschäftsordnung erteile ich nun dem Abgeordneten Fischer das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir unterstützen den Antrag der SPD,
daß die Tagesordnung geändert wird und sich die Bundesregierung jetzt vor dem Deutschen Bundestag in der laufenden Sitzung zu den Ergebnissen der Steuerschätzung und den Konsequenzen, die sie daraus ziehen will, äußert.
Ich frage Sie, meine Damen und Herren, erstens nach Ihrem Selbstverständnis als Parlamentarier.
Ich versuche mir einmal vorzustellen, was bei einer vergleichbaren Situation in Großbritannien, in der eine Royal Commission einen zusammenbrechenden Haushalt dokumentiert, passieren würde, wenn der zuständige Finanzminister - egal welcher Partei er angehört - nicht sofort ins Unterhaus ginge, das parallel dazu tagt, sondern seine Stellungnahme auf eine der späteren Sitzungswochen verschieben würde.
Ich frage auch, welches Selbstverständnis die Liberalen in diesem Haus haben und ob wir uns die Debatten über eine Parlamentsreform in Zukunft nicht schenken können, wenn wir gleichzeitig eine solche
Joseph Fischer
Selbstentmachtung gegenüber der Regierung betreiben.
Das Haushaltsrecht ist nämlich das vornehmste Recht des Parlamentes gegenüber der Regierung; Sie sind gegenwärtig dabei, dieses aus sehr durchsichtigen Gründen abzutreten.
Zweitens frage ich Sie, was denn in diesem Land noch passieren muß, damit nicht vor der Bundespressekonferenz, sondern hier im Deutschen Bundestag der Bundesfinanzminister und der Bundeskanzler angesichts einer dramatischen Haushaltsentwicklung Stellung nehmen.
Ich stelle mir vor, eine rot-grüne Bundesregierung
würde wie Sie einen Buchungstrick versuchen, indem die Goldreserven buchhalterisch nach oben gerechnet werden. Dann würden Sie hier doch einen Tanz aufführen, und zwar zu Recht, meine Damen und Herren. Sie sind es, die den Italienern und anderen eine kreative Buchführung im Zusammenhang mit dem Maastricht-Vertrag vorgeworfen haben.
Was Sie gegenwärtig betreiben, ist der Gipfel der Unsolidität.
Wir verlangen von Ihnen, daß Sie endlich alle Haushaltsrisiken offenlegen. Es sind nicht nur die 18 Milliarden DM für Bund, Länder und Gemeinden. Für die kommenden Jahre sind zirka 32 Milliarden DM eingerechnet. Was ist denn mit der Einkommensteuerreform, die Sie vorschlagen? Sie wird doch weitere Löcher in den Haushalt reißen. Was ist mit den Risiken auf dem Arbeitsmarkt, die notwendige Zuschüsse für die Bundesanstalt für Arbeit in diesem Jahr erforderlich machen? Das geht weit über die 8,1 Milliarden DM hinaus. Das alles müssen Sie hier endlich einmal offenlegen. Wie absurd ist es angesichts dieser Situation, an einer Senkung des Solidaritätszuschlags festzuhalten?
Das alles wollen wir von dieser Bundesregierung hier und heute wissen.
Wenn diese Bundesregierung nicht den Mut hat - das, was wir gerade von Herrn Hörster abgeliefert bekommen haben, ist ein beschämendes Dokument -, vor dem Deutschen Bundestag dieses Haushaltsdebakel zu vertreten, dann heißt das, daß sie kneift.
Sie werden aber der Offenlegung der Zahlen nicht entkommen.
Sie hangeln sich weiter von Notlösung zu Notlösung. In Wirklichkeit haben wir es mit einem zusammenbrechenden Haushalt zu tun.
Deswegen erwarten wir jetzt eine Änderung der Tagesordnung, erwarten wir jetzt die Abgabe einer Regierungserklärung. Wenn dieses Parlament sich selbst ernst nimmt, dann muß es dem zustimmen.
Ebenfalls zur Geschäftsordnung spricht jetzt der Abgeordnete van Essen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Alles Wortgeklingel der Herren Scharping und Fischer kann doch nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Opposition geschlafen hat.
Wir haben uns, weil wir den Termin der Bekanntgabe der Steuerschätzung kannten, seit Wochen seriös auf die Debatte über die Ergebnisse der Steuerschätzung vorbereitet.
Wir haben vor Wochen eine Fraktionssondersitzung für 20 Uhr vorbereitet und mit der Opposition darüber gesprochen, wie die heutige Tagesordnung gestaltet wird. Obwohl die Opposition das wußte, hat es keinerlei Antrag in diese Richtung gegeben. Deshalb bestehen wir darauf, mit diesen Fragen weiterhin seriös umzugehen.
Wir haben keine Angst vor einer parlamentarischen Debatte.
Wenn Sie es wünschen, sind wir selbstverständlich bereit, mit Ihnen darüber zu sprechen, ob wir morgen unter Berücksichtigung der Dinge, die durch die Beerdigung des ehemaligen Bundestagspräsidenten Kai-Uwe von Hassel vorgegeben sind, eine solche Debatte durchführen. Ich biete Ihnen solche Gespräche ausdrücklich an.
Ihren Antrag aber, jetzt hier eine Show zu veranstalten - das ist den Problemen nun wirklich nicht angemessen -, werden wir mit Nachdruck ablehnen.
Ich bitte einen Augenblick um Ruhe. - Zur Geschäftsordnung erteile ich dem Abgeordneten Gysi das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Weder die Debatte über eine Tagesordnung noch die Debatte über die Änderung einer Tagesordnung ist eine Showveranstaltung. Hier geht es vielmehr darum, der Aktualität der Politik zu entsprechen.
Ich sage Ihnen ganz deutlich - das ist eine grundsätzliche Frage -: Wenn eine Steuerschätzung für 1997 und 1998 ein Minus in Höhe von 50 Milliarden DM ergibt
und der zuständige Bundesminister eine Pressekonferenz macht, statt sich im Parlament zu verantworten, dann heißt das, wir ersetzen die Parlamentarische Demokratie durch eine Zeitungsdemokratie.
Sie wollen seriös über verschiedene Tagesordnungspunkte weiterverhandeln. Aber alle Dinge, um die es noch in den Tagesordnungspunkten geht, kosten Geld. Keiner weiß, wieviel Geld in den Kassen ist. Wie sollen wir eigentlich hier seriös entscheiden und Politik machen, wenn darüber keine Rechenschaft abgelegt wird?
Nein, das geht nicht.
Sie haben im letzten Jahr einen Haushalt vorgelegt, von dem Sie damals schon wußten, daß er falsch ist.
Sie haben eine Steuerreform vorgelegt, von der Sie wissen, daß sie zu Mindereinnahmen von über 50 Milliarden DM führt. Sie haben bisher nicht erklärt, wie Sie diese Mindereinnahmen ausgleichen wollen. Sie wollen die Bevölkerung diesbezüglich erst nach den Wahlen über Ihre wirklichen Ziele unterrichten. Das können wir nicht hinnehmen. Ein Haushalt, dem schon jetzt im Jahre 1997 18 Milliarden DM fehlen, ist im höchsten Maße unseriös. Das ist das eigentlich Entscheidende.
Wir wollen eine Antwort auf die Frage haben, zu wessen Lasten Sie diese Lücken ausgleichen wollen und welche Substanz Sie verkaufen wollen. Darauf hat auch die Bevölkerung, die wir hier repräsentieren, einen Anspruch.
Wenn Sie nicht bereit sind, dazu Stellung zu nehmen, hat das einen einzigen Grund: Sie können es nicht. Dann reicht allerdings, Herr Scharping, der Rücktritt des Bundesfinanzministers nicht aus, weil es in Wirklichkeit beweist, daß das gesamte Kabinett am Ende ist. Dann sollte man das auch einräumen.
Gerade weil ich aus der DDR komme, möchte ich Ihnen eine Erfahrung übermitteln.
- Warten Sie erst einmal ab. - Ich weiß, wie das ist, wenn eine Regierung über Jahre nicht zugibt, daß sie gescheitert ist.
Das verschlimmert den Schaden. Man muß das auch einräumen können; damit kann man nämlich den Schaden begrenzen.
Angesichts der Steuerschätzung wäre heute der Tag, zu sagen: Entweder legen Sie ein Konzept vor, oder Sie müssen einräumen, am Ende zu sein. Dann müssen wir den Weg freimachen für einen Neuanfang in dieser Gesellschaft, in dieser Bundesrepublik Deutschland.
Ich habe noch eine Bitte an die SPD. Wenn die Änderung der Tagesordnung nicht durchkommen sollte und eine Zweidrittelmehrheit nicht zu erreichen ist, weil die Regierungsfraktionen kneifen, dann bitte ich eine der Fraktionen im Hause - wir sind ja leider keine -, den Antrag auf Herbeirufung eines Mitglieds der Bundesregierung zu stellen. Dann müssen wir es eben so herum versuchen.
Der Waigel muß hierhier und sagen, was er vorhat, was er verkloppen will und wie er seine Lücken schließen will. Diese Antwort wird er dem Parlament heute und nicht irgendwann geben müssen.
(Die Regierungsmitglieder verlassen die
Regierungsbank und nehmen die Abgeordnetenplätze ein)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Mitglieder der Bundesregierung, die gleichzeitig ein Bundestagsmandat haben, nehmen die Plätze ein, die sie als Abgeordnete einnehmen müssen, wenn sie abstimmen wollen.
Es ist ein Geschäftsordnungsantrag auf Änderung der Tagesordnung gestellt worden. Ich lese Ihnen den entsprechenden Abs. 3 des § 20 vor:
Nach Feststellung der Tagesordnung dürfen andere Verhandlungsgegenstände nur beraten werden, wenn nicht von einer Fraktion oder von anwesenden fünf vom Hundert der Mitglieder des Bundestages widersprochen wird oder diese Geschäftsordnung die Beratung außerhalb der Tagesordnung zuläßt.
Das ist ein Minderheitenrecht. Da die Fraktionen von CDU/CSU und F.D.P. widersprochen haben, ist damit dieser Antrag obsolet.
Zur Geschäftsordnung der Abgeordnete Struck.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Genau zu diesem Zeitpunkt ist der Bundesfinanzminister in der Bundespressekonferenz und gibt eine Erklärung zu den Steuerlöchern ab.
- Wenn Sie darüber auch noch klatschen, dann sollten Sie sich schämen, daß Sie ein solches Selbstverständnis als Parlamentarier haben.
Meine Damen und Herren, das Parlament hat einen Anspruch darauf, daß hier und nicht im Saal der Bundespressekonferenz Klarheit darüber geschaffen wird, wie diese katastrophale Finanzsituation gelöst werden soll.
Ich beantrage deshalb gemäß § 42 der Geschäftsordnung, daß der Bundesfinanzminister unverzüglich hier im Plenum zu erscheinen hat.
Zur Geschäftsordnung spricht jetzt der Abgeordnete Hörster.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nachdem die Aufsetzung des Tagesordnungspunktes eben abgelehnt worden ist, ist es eigentlich mißbräuchlich, die Herbeizitierung des Bundesfinanzministers zu verlangen.
Aber der Kollege van Essen hat Ihnen angeboten, wenn Sie es wollen, morgen,
nachdem unsere Fraktionen über die Steuerschätzung beraten haben, im Plenum des Deutschen Bundestages über den Sachverhalt zu diskutieren.
Ich frage Sie jetzt: Wollen Sie auf dieses Angebot eingehen, ja oder nein? Wenn es Ihnen um die Sache geht, müssen Sie auf dieses Angebot eingehen, weil Sie den Koalitionsfraktionen nicht das Recht nehmen dürfen, über die Ergebnisse der Steuerschätzung sachlich zu beraten, bevor sie in eine Debatte gehen.
Solange Sie dieses Angebot nicht annehmen, müssen wir den Herbeizitierungsantrag ablehnen.
Ebenfalls zur Geschäftsordnung der Abgeordnete Schulz.
Meine Damen und Herren! Herr Kollege Hörster, das ist keine mißbräuchliche Anwendung der Geschäftsordnung, sondern unser gutes Recht,
auch Ihr gutes Recht, falls sich die Rollen hier einmal ändern sollten. Es ist sehr wichtig, daß es das gibt.
Diese Bundespressekonferenz des Bundesministers der fehlenden Finanzen ist angekündigt. Er wartet offensichtlich darauf, daß wir hier zum Ende kommen, um dann in der Bundespressekonferenz zu reden. Wir möchten, daß er hierher kommt, daß er das, was er dort zu sagen hat, hier sagt. Hierher gehört das und nirgendwo anders!
Davon rücken wir nicht ab. Wir bestehen darauf und warten so lange, bis dieser Bundesfinanzminister hierher kommt.
Ebenfalls zur Geschäftsordnung der Kollege van Essen.
Auch der Kollege Schulz hat die berechtigte Frage des Kollegen Hörster, zu welchem Tagesordnungspunkt der Kollege Waigel hier reden soll, nicht beantwortet.
Wir haben den Antrag auf Erweiterung der Tagesordnung gerade abschlägig entschieden. Damit ist für uns klar, daß wir diesem Antrag ebenfalls nicht folgen werden.
Zur Geschäftsordnung der Kollege Gysi.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! § 42 der Geschäftsordnung regelt ausdrücklich das Recht einer jeden Fraktion, die Herbeirufung eines Mitglieds der Bundesregierung zu beantragen.
- Moment! Dieser Antrag ist jetzt von der SPD-Fraktion gestellt worden.
Wenn Sie sagen, mit einem Tagesordnungsantrag vorher sei das faktisch erledigt, oder wenn Sie erklären, das sei die mißbräuchliche Wahrnehmung eines Rechts, dann negieren Sie die Geschäftsordnung dieses Deutschen Bundestages.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Mir ist es inzwischen klargeworden. Wenn Sie das immer noch nicht verstanden haben, dann ist es allerdings höchste Zeit, daß Sie zurücktreten. Er soll darüber reden, wie er die Lücke von 18 Milliarden DM in diesem Jahr und von weiteren Milliarden im nächsten Jahr auffüllen will. Das soll er hier seriös darstellen. Er soll das nicht der Presse, sondern dem Parlament erklären, das darüber zu entscheiden hat.
Ich frage mich, welche Vorbereitung die Fraktion der CDU/CSU dafür braucht. Wieso müssen Sie darüber beraten?
Die Bundesregierung steht hier gegenüber dem gesamten Parlament in Verantwortung, diese Fragen zu beantworten. Deshalb soll der Bundesminister hierherkommen.
Das ist ein völlig berechtigtes Anliegen dieses Parlaments. Wenn Sie das torpedieren, dann sind Sie nichts weiter als eine Hilfstruppe des Ministers, aber nehmen Ihre Funktion als Parlamentarierinnen und Parlamentarier nicht wahr.
Es ist nach § 42 unserer Geschäftsordnung, Herbeirufung eines Mitglieds der Bundesregierung, beantragt worden, den Minister Waigel herbeizurufen. Über diesen Antrag lasse ich jetzt abstimmen. Wer ist für diesen Antrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dieser Antrag ist mit den Stimmen der CDU/CSU und F.D.P. bei einer Enthaltung gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen, SPD und PDS abgelehnt worden.
Ich rufe den Zusatzpunkt 4 auf:
Beratung des Antrags des Abgeordneten Alois Graf von Waldburg-Zeil und der Fraktion der CDU/CSU, des Abgeordneten Dr. R. Werner Schuster und der Fraktion der SPD, der Abgeordneten Dr. Uschi Eid und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abgeordneten Dr. Irmgard Schwaetzer und der Fraktion der F.D.P.
Zur Lage in Zaire
- Drucksache 13/7672 -
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden jetzt sofort eine Abstimmung durchführen. Ich bitte Sie, deswegen sitzenzubleiben. Es ist nämlich interfraktionell vereinbart worden, die Reden zu Protokoll zu geben.*) Ich muß Sie fragen, ob Sie damit einverstanden sind. - Das ist so der Fall. Dann verfahren wir so. Dann kann ich gleich die Aussprache beschließen.
Wir kommen zur Abstimmung über den gemeinsamen Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und F.D.P. zur Lage in Zaire, Drucksache 13/7672. Wer stimmt für diesen gemeinsamen Antrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen von CDU/CSU, F.D.P., SPD, Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Gruppe der PDS angenommen worden.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 a bis 7 c auf: Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und des Innenausschusses zu den Anträgen der PDS: Änderung der Rahmenvereinbarung von Bund und neuen Ländern zur Erfüllung des Treuhandauftrages und Vermögen der Parteien und Massenorganisationen der DDR sowie Beratung des Antrags der Gruppe der PDS zu wirtschaftlichen und ökologischen Alternativen in den neuen Bundesländern.
Ich warte einen Moment, bis hier Ruhe und Übersicht herrschen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin gerade informiert worden, daß es eine Vereinbarung gibt, den eben aufgerufenen Tagesordnungspunkt 7 a bis 7 c zurückzustellen und Tagesordnungspunkt 8 vorzuziehen. Daher stelle ich Tagesordnungspunkt 7 zurück. Er wird also noch aufgerufen.
Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 8 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordnten Ulla Schmidt , Irmingard Schewe-Gerigk, Vera Lengsfeld, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und weiteren Abgeordneten eingebrachten Entwurfs eines ... Strafrechtsänderungsgesetzes - §§ 177 bis 179 StGB (... StrÄndG)
- Drucksache 13/7324 -
Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
- Drucksache 13/7663 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Horst Eylmann Erika Simm
Jörg van Essen
*) Die Reden werden in einem Nachtrag zu diesem Protokoll abgedruckt.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Ich weise darauf hin, daß wir nach der Aussprache über den Gesetzentwurf namentlich abstimmen werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich warte mit der Eröffnung der Aussprache, bis Ruhe herrscht. Ich bitte, auch den Gang in der Mitte frei zu machen. Ich verstehe, daß es noch viel zu besprechen gibt; aber machen Sie das bitte außerhalb des Saales. -
Ich eröffne jetzt die Aussprache und erteile das Wort der Abgeordneten Ulla Schmidt.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich weiß, daß es nach der Debatte, die wir eben geführt haben, schwierig ist: Trotzdem glaube ich, daß es dem Thema angemessen wäre, wenn wir uns noch eine Stunde Zeit nehmen könnten, um über ein Gesetz zu beraten, das seit fast drei Jahrzehnten hier im Deutschen Bundestag behandelt wird und, wie ich hoffe, heute zu einem guten Abschluß kommt.
Wir waren uns damals und sind uns wohl auch heute darüber einig: Nicht alle Widerwärtigkeiten im Leben - vom Zusammenleben kann bei dem Thema Vergewaltigung in der Ehe letztendlich nicht die Rede sein - können durch den Gesetzgeber aus der Welt geschafft werden.
Wir sind uns mehrheitlich auch darüber einig, daß wir mit den Mitteln des Strafrechts dennoch deutlich machen müssen, was gesellschaftlich akzeptiert bzw. nicht akzeptiert wird.
Die Frauen in unserem Land werden heute mit großer Aufmerksamkeit die Abstimmung im Deutschen Bundestag verfolgen. Sie werden anerkennen, daß heute selbstbewußte Frauen und mutige Männer ohne Wenn und Aber eines deutlich machen: Vergewaltigte Ehefrauen werden ohne gesetzliche Einschränkung geschützt.
Das hat Folgen für die Opfer, die Täter und die ganze Gesellschaft. Wir alle kennen die Untersuchungsergebnisse des niedersächsischen Kriminologischen Forschungsinstitutes. Danach ist die Gefahr, vom eigenen Lebensgefährten vergewaltigt zu werden, drei- bis viermal so hoch wie die Gefahr, einem Fremdtäter in die Hände zu fallen.
Frauen, für die die Gefahr zur Realität geworden ist, denken und fühlen das gleiche. Sie schämen sich. Sie haben Angst vor der Reaktion ihrer Umwelt. Sie können sich die Hand reichen, egal in welchem Land sie leben, egal welcher Gesellschaftsschicht sie angehören, egal wie alt sie sind.
Auch die Männer sind in ihrem Handeln identisch. Sie wollen die Frauen erniedrigen und sich ihrer Männlichkeit vergewissern. Viel zu viele Männer wissen, daß das Schweigen der Frauen ihr bester Schutz ist.
Dieses Schweigen ist auch einer der Gründe, warum es immer noch Männer und Frauen gibt, die sich nicht vorstellen können, daß sich solche Gewalt hinter den gut verschlossenen Wohnungstüren abspielt. Shakespeare hatte recht, als er sagte - ich zitiere:
Es gibt mehr Dinge im Himmel und auf Erden, als eure Schulweisheit sich träumen läßt.
Deshalb hilft kein Ignorieren und kein ungläubiges Kopfschütteln. In Deutschland wird jede siebte Frau in ihrem Leben einmal vergewaltigt; in den meisten Fällen war der Täter der Ehemann. Es wird also höchste Zeit, daß wir Ehefrauen schützen, und das ohne Einschränkung. Unser aller Ziel muß sein, klarzustellen, daß mit dem Gang zum Standesamt kein wie immer gearteter rechtsfreier Raum entsteht.
Die Ehefrauen müssen mit der uneingeschränkten rechtlichen Unterstützung rechnen und die Täter mit dem Strafrecht. Für mich ist es ein großer Unterschied, ob ein gewalttätiger Ehemann sich mit dem Schutz der Widerspruchsklausel nahezu gestärkt fühlen kann oder ob das öffentliche Rechtsbewußtsein ihm deutlich macht, daß Sexualität und Liebe nichts mit sexualisierter Gewalt zu tun haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben im Deutschen Bundestag lange darüber diskutiert, für viele, insbesondere für die betroffenen Frauen, viel zu lange. Aber dennoch: Ich hoffe sehr, daß sich der lange Weg und die vielen Umwege gelohnt haben und nun zu einem guten Ergebnis führen. Wenn wir heute mit einem breiten Konsens die Gleichstellung der Strafbarkeit der Vergewaltigung in und außerhalb der Ehe beschließen, dann ist dieser Deutsche Bundestag seiner politischen Aufgabe gerecht geworden.
Ich wünsche mir sehr, daß wir bei unserer heutigen Abstimmung gemeinsam deutlich machen: Nichts ist unmöglich, wenn es das Richtige ist.
Zum Schluß möchte ich Ihnen noch einen Satz eines Journalisten aus der heutigen Ausgabe der „Aachener Nachrichten" mit auf den Weg geben. Er sagte - ich zitiere -:
Die heutige Verabschiedung des Gesetzes, das diese Punkte regelt, beruhigt mich sehr. Weniger als Mann, sondern vielmehr als Mensch.
Ulla Schmidt
Vielen Dank.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Eylmann.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Gesetzesentwurf ist im Rechtsausschuß unverändert geblieben. Es ist genauso gekommen, wie ich es Ihnen in der letzten Sitzungswoche gesagt habe. Dieses Ergebnis hätten wir auch schon in der letzten Sitzungswoche haben können, wenn Sie bereit gewesen wären, gleich in die zweite und dritte Lesung einzutreten. Es war alles erörtert, alles besprochen, alles diskutiert, nicht einmal, sondern unzählige Male in den letzten Jahren.
Das gilt auch für die Problematik des § 179 StGB. Bereits vor einem Jahr hatte die SPD-Fraktion in einem Zusatzantrag klargestellt, daß es sich dabei um einen Auffangtatbestand handelt, der nur noch das ergänzen soll, was nicht ohnehin unter die Tatbestände der §§ 177 und 178 fällt. Genau das habe ich hier in der letzten Sitzungswoche anläßlich der Erörterung dieses Tagesordnungspunktes ausgeführt.
Ich habe Verständnis dafür, daß alle Fragen, die mit dem Schutz von Behinderten zu tun haben, mit großer Aufmerksamkeit und Sensibilität behandelt werden. Mein Verständnis nimmt aber ab, wenn ich sehe, daß bei der Diskussion dieser Frage diejenigen schweigen, die genau wissen, daß von einer Diskriminierung der Behinderten zu keinem Zeitpunkt die Rede sein konnte.
Wir haben jetzt, um jede Fehlinterpretation auszuschließen, in die Begründung unserer Beschlußempfehlung eine Art Kommentierung des § 177 StGB aufgenommen. Mehr können wir nun wirklich nicht tun.
Meine Damen und Herren, der heutige Tag ist in der jahrzehntelangen Auseinandersetzung um den Vergewaltigungsparagraphen insofern nahezu ein historisches Datum, als nun heute der Bundestag endgültig und abschließend beschließt, daß die Vergewaltigung der eigenen Ehefrau auch im Rechtssinne eine Vergewaltigung ist und als solche bestraft wird.
Ich habe mir die Rede herausgesucht, die ich 1987, also vor zehn Jahren, zum ersten Male zu diesem Thema an dieser Stelle gehalten habe. Ich habe festgestellt, daß ich von dem, was ich damals gesagt habe, heute eigentlich nichts zurückzunehmen habe.
Ich will nur noch drei Gesichtspunkte nennen, die ich auch damals angesprochen habe. Erstens: Es gibt keinen Grund, die Vergewaltigung der eigenen Ehefrau in irgendeiner Weise zu privilegieren. Das ist der entscheidende Grund für diese Gesetzesänderung.
Wir tragen heute mit dem alten § 177 StGB ein strafrechtliches Fossil zu Grabe, das aus dem vergangenen Jahrhundert in unsere Zeit noch immer hineingeragt hat.
Es wird Zeit, daß das geschieht. Diejenigen nicht unbekannten Namen aus Rechtswissenschaft und Publizistik, die nach meiner Rede vor einigen Jahren dies noch kritisiert haben, können heute nicht sehr stolz auf das sein, was sie damals zu Papier gebracht haben.
Zweitens: Meine Damen und Herren, ich habe damals gesagt, daß es von dem Willen der Frau abhängt, ob es zu einer Verurteilung des Täters kommt, innerhalb wie außerhalb der Ehe, und daß wir das zu respektieren haben. Das gilt völlig ohne Rücksicht auf eine Widerspruchslösung, denn wenn eine vergewaltigte Frau den Täter nicht anzeigt, kommt es auch zu keinem Verfahren, jedenfalls von ganz wenigen Ausnahmefällen abgesehen. Das Dunkelfeld ist groß: Von vielleicht 300, 400 Vergewaltigungen innerhalb der Ehe wird eine angezeigt. Ich habe mich noch gestern mit einer jungen Kriminalbeamtin unterhalten, die mir sagte, sie habe in den letzten Jahren keine einzige Anzeige aus dem Frauenhaus bekommen, obwohl das doch kein rechtsfreier Raum war, wie meine Vorrednerin sagte. Auch bisher konnte die Vergewaltigung in der Ehe mit bis zu fünf Jahren wegen schwerer Nötigung bestraft werden.
Weil die Widerspruchsregelung deshalb von drittrangiger Bedeutung ist, appelliere ich auch an diejenigen in meiner Fraktion, die bisher für die Widerspruchsregelung gestritten haben, das Fehlen dieser Regelung nicht zum Anlaß zu nehmen, gegen das Gesetz zu stimmen. Je breiter die Mehrheit, meine Damen und Herren, um so größer ist die Signalwirkung des Gesetzes im Sinne einer positiven Generalprävention.
Im übrigen kommt es wie in der Vergangenheit auch in Zukunft darauf an, die betroffenen Frauen durch Gewährung von Hilfe und Schutz in die Lage zu versetzen, selbstverantwortlich und ohne unzulässigen Druck zu entscheiden, ob sie Strafanzeige erstatten und aussagen wollen.
Eine letzte Bemerkung: Ich warne davor, in erster Linie vom Strafrecht zu erwarten, daß es die Aggression auch innerhalb der Ehe zurückdrängen kann. Auf dem Deutschen Anwaltstag ist gerade in einer brillanten Analyse dargelegt worden, daß wir die Funktion des Strafrechts bei der Steuerung gesellschaftlicher Fehlentwicklungen häufig überschätzen. Es gilt, in unserer Gesellschaft die Gewalt, wo immer sie auftritt, zu ächten.
Horst Eylmann
Um einmal konkret zu werden: In dieser Woche macht ein Nachrichtenmagazin in der Bundesrepublik mit der Schlagzeile auf: „Macho verzweifelt gesucht ..." „Frauen hassen Softies", heißt es dort. „Frauen stehen auf böse Typen." „Wo sind die Typen, die die Liebste wie einst Clark Gable ... die Treppe hochschleifen?" Die Verfasserin ist eine Frau.
Natürlich ist das keine Propagierung der ehelichen Gewaltanwendung. Es wird hier nur widergespiegelt, was in der Gesellschaft gesprochen wird. Aber wenn in der Gesellschaft diese Primitivpsychologie - Softie oder Macho, es gibt nichts dazwischen - betrieben wird und wenn man das Verhältnis der Geschlechter nach den Grundsätzen des „Machismo" beschreibt, muß man sich nicht wundern, wenn man damit ein Klima erzeugt, in dem auch Gewalt gedeiht.
- Sie versprechen sich nur etwas vom Strafrecht. Sie sollten es besser wissen.
Wir tun heute das Notwendige, das längst überfällig war. Wie vor zehn Jahren kann ich feststellen, daß damit nur ein Schritt auf einem langen Wege getan ist. Die Bekämpfung von Aggression und Gewalt, wo immer sie auftreten, ist eine Daueraufgabe von Gesellschaft und Politik.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Irmingard Schewe-Gerigk.
- Das tue ich gerne: Ich gratuliere im Namen des ganzen Hauses zum Geburtstag.
Recht herzlichen Dank. Das größte Geschenk machen Sie mir gleich mit der Abstimmung.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! „Am Ende unseres Jahrtausends soll nun endlich das Mittelalter zu Ende gehen. " So bezeichnet heute die „Westdeutsche Allgemeine Zeitung" den heutigen Tag. Nach 25jähriger Debatte im Deutschen Bundestag soll nun die Vergewaltigung in der Ehe genauso unter Strafe gestellt werden, wie das seit mehr als 100 Jahren für die außereheliche Vergewaltigung gilt.
Die Frage, warum das so lange gedauert hat, ist naheliegend. Zu lange war in vielen Köpfen, daß es eine Vergewaltigung in der Ehe gar nicht geben könne, weil sich die Ehefrau mit dem Jawort zum
Beischlaf verpflichtet habe, der Mann sich also nur nehme, was ihm ohnehin zustehe.
Ich habe heute einen Brief erhalten, in dem die Vergewaltigung der Ehefrau bei sogenannter Beischlafverweigerung der Ehefrau gerechtfertigt wird. Auch die vorgebrachten Argumente, eine Ehefrau könne einen Schwangerschaftsabbruch erwirken, wenn sie angäbe, vom Ehemann vergewaltigt worden zu sein, sind durch den jetzt geltenden § 218 entkräftet. Was bleibt also an Argumenten außer einer verächtlichen Haltung gegenüber Ehefrauen, die ihrem Ehemann jederzeit verfügbar sein sollen? Hier kann das Gesetz Zeichen setzen.
Es macht den Ehemännern unmißverständlich klar, daß es sich bei der ehelichen Vergewaltigung nicht um ein Kavaliersdelikt, sondern um ein Verbrechen handelt. Es macht der Polizei deutlich, daß sie die Anzeige einer Frau jetzt ernst nehmen muß und die Vergewaltigung nicht länger als Familienstreitigkeit abtun kann.
Nicht zuletzt stärkt es den vergewaltigten Frauen den Rücken. Sie können nun sicher sein, daß die Justiz ein derartiges Verhalten strafrechtlich verfolgt. Dabei reicht das Strafrecht - Herr Eylmann hat es gesagt - bei weitem nicht aus, um den zum großen Teil schwer traumatisierten Frauen die notwendige Hilfe zu bieten. Sie brauchen eine psychosoziale Betreuung, eine sichere Unterkunft und die Möglichkeit, ein eigenständiges wirtschaftlich unabhängiges Leben zu führen.
Und die Männer? Daß sie ihre Gewaltbereitschaft als ihr Problem ansehen und sich damit auseinandersetzen, steckt noch in kleinen Ansätzen. In der Regel sind es doch die Frauen und nicht die gewalttätigen Ehemänner, die nach sexualisierten Übergriffen allein oder mit den Kindern die Wohnung verlassen und ein Frauenhaus aufsuchen.
Aber nun gibt es schon vor der Verabschiedung des Gesetzes Unkenrufe, es sei ein Arbeitsbeschaffungsprogramm für Juristinnen und Juristen. Auch wenn das Strafverschonungsrecht für Ehemänner ein Ende findet, gehe ich nicht davon aus, daß jetzt mit einer Prozeßflut zu rechnen ist.
Von 350 000 Frauen - Herr Eylmann, Sie sagten, es seien so wenig - die in den Jahren 1987 bis 1991 von ihren Ehemännern vergewaltigt wurden, zeigten nur 4 Prozent die Tat an. Zu viele Frauen leben noch in der wirtschaftlichen Abhängigkeit vom Ehemann, haben Angst vor weiterer Gewalt, suchen die Schuld bei sich und ertragen ihr Schicksal, auch, um den Kindern eine heile Welt vorzuspielen. Die Hoffnung, die ich mit diesem Gesetz verbinde, ist aber, daß sich Frauen ihrer Rechte bewußt werden und sie nutzen.
Über den vorliegenden Gesetzentwurf sind alle Argumente ausgetauscht. Die Gründe für die Streichung der Widerspruchsklausel sind eindeutig: Es widerspricht dem Anliegen der Reform, keine Unterschiede zwischen außerehelicher und ehelicher Ver-
Irmingard Schewe-Gerigk
gewaltigung machen zu wollen und gleichzeitig im Strafrecht ein Sonderrecht für Ehemänner vorzusehen. Es gibt kein anderes Offizialdelikt, bei dem das Opfer über die Strafverfolgung entscheiden kann.
Schon bei der ersten Lesung habe ich darauf hingewiesen, daß dieser Gruppenantrag für meine Fraktion ein Kompromiß ist, um nun endlich einen Schlußstrich unter einen jahrzehntelangen Streit zu ziehen. Ich will die Argumente nicht alle wiederholen, sondern nur einen Punkt ansprechen:
Das Ziel, während der Beratung in den Ausschüssen auch noch Änderungen beim § 179 StGB sowohl in der diskriminierenden Sprache als auch beim Strafmaß herbeizuführen, konnte nicht erreicht werden. Zwar ist im neuen Text jetzt aus der „seelischen Abartigkeit" eine „seelische Störung" geworden, der Begriff „Schwachsinn" findet sich jedoch immer noch im Text.
Auch für die Anpassung des Strafmaßes des § " 179 StGB an das des § 177 StGB fand sich keine Mehrheit. Das heißt, die gleiche Tat kann mit einem anderen Strafmaß belegt werden, wenn das Opfer völlig widerstandsunfähig ist und keinen eigenen Willen bilden kann.
Auch wenn der Justizminister in einem persönlichen Eilbrief Montag nacht an einen ausgewählten Kreis festgestellt hat, daß der Schutz geistig und körperlich behinderter Menschen vor sexualisierter Gewalt durch die Neufassung des § 177 StGB gegeben ist, sind hier doch Zweifel angesagt.
Ein Blick in die Begründung des neuen Tatbestandmerkmals, auf das sich der Justizminister bezieht, wo es heißt: „Ausnutzen einer Lage, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist", zeigt, daß hiermit insbesondere Fälle gemeint sind, „in denen der Täter das Opfer an einen Ort verbringt, an dem es keine fremde Hilfe erwarten kann". Daß hierdurch der Schutz eingeschränkt Widerstandsfähiger verbessert werden soll, ist in diesem Begründungstext nicht enthalten. Zwar sind jetzt die entsprechenden Passagen im Bericht des Rechtsausschusses enthalten, die Praxis zeigt jedoch, daß Berichte äußerst selten zur Rechtsauslegung herbeigezogen werden.
Auch das wissen Sie. Die Begründung wird herbeigezogen, die Berichte sind relativ unverbindlich.
Auch wenn die Interpretation des Justizministers an vielen Stellen dem Anliegen der Menschen mit Behinderung entgegenkommt, sollten wir doch für eine juristische Klarheit im Gesetz sorgen. Herr Justizminister - nein, sein Staatssekretär ist da -, wenn Sie davon ausgehen, daß es des § 179 demnächst wahrscheinlich nicht mehr bedarf, dann hätten wir doch den § 177 gleich entsprechend fassen sollen. Denn findet ein Gericht nun zwei Paragraphen für die gleiche Tat vor, muß es sich doch überlegen, was den Gesetzgeber dazu bewogen hat und welche Anwendungsbereiche überhaupt noch verbleiben.
Ich sehe das Kapitel nicht als abgeschlossen an. Noch in dieser Legislaturperiode gibt es zwei Möglichkeiten der Novellierung: einmal bei der Strafrahmenharmonisierung und zum anderen bei dem bereits dem Bundesrat vorliegenden Entwurf des § 174 c bzw. 179. Ich bin sehr froh, Herr Eylmann, daß Sie gegenüber dem WDR gesagt haben, daß auch Sie glauben, daß im Rahmen der Strafrahmenharmonisierung hier eine Anhebung möglich ist. Wir sollten dies nutzen.
Bevor ich zum Schluß komme, möchte ich mich bei all den Kollegen und Kolleginnen bedanken, die es möglich gemacht haben, daß dieser Gruppenantrag nun wahrscheinlich doch eine große Mehrheit finden wird. Es war ein großes Stück Arbeit, aber es macht auch Mut.
Vielen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Leutheusser-Schnarrenberger, F.D.P.
Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Auch wenn es, formal betrachtet, nur um einen einzigen Paragraphen geht, den § 177, geht es doch heute um sehr viel mehr. Von daher ist dieser Tag wegen dieser Debatte bestimmt auch ein historisch ganz bedeutender Tag.
Denn - das ist schon beim letzten Mal, aber auch heute von den Vorrednerinnen und Vorrednern gesagt worden - seit über 25 Jahren beschäftigen wir uns mit dem Thema der Vergewaltigung in der Ehe und haben die unterschiedlichen Argumente und Rechtspositionen zum Schutz von Ehe und Familie sowie zur Gleichbehandlung von Frauen, die in der Ehe vergewaltigt werden, ausgetauscht, begründet und immer wieder betont.
Heute bin ich froh, daß es auf Grund der Äußerungen, die hier, aber auch in den letzten Tagen zu vernehmen waren, doch so aussieht, daß jetzt mit breiter Mehrheit der Gruppenantrag beschlossen werden wird. Es ist wichtig, diese jahrzehntelange Debatte so abzuschließen. Das ist auch ein Zeichen dafür, daß sich ein so langer Weg letztendlich lohnt, weil man doch mit guten Argumenten überzeugen kann und weil sich auch diejenigen, die vielleicht vor einem oder einem halben Jahr noch eine andere Position vertreten haben, jetzt diesen guten Argumenten und Gründen anschließen werden.
Es geht - Herr Eylmann hat das richtig betont - darum, daß Ehemänner nicht strafrechtlich privilegiert werden, daß die Tatsache, verheiratet zu sein,
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
nicht ein Grund ist, strafrechtlich anders behandelt zu werden, wenn denn - da sind wir uns einig - die Tat bewiesen werden kann. Daß dann im Verfahren die Strafprozeßordnung und das Zeugnisverweigerungsrecht gelten, ist ganz normal und üblich. Das gilt auch bei anderen Delikten, die in der Ehe begangen werden. Das war in der letzten Debatte aus meiner Sicht der entscheidende Grund, zu sagen, daß in dieser Frage, der Vergewaltigung in der Ehe, nicht die Widerspruchsregelung als absolutes Novum eingeführt werden soll.
Wir haben uns in den letzten Tagen - gerade auch gestern in den Ausschüssen - noch einmal juristisch, politisch und emotional mit der Frage beschäftigt, wie denn das Verhältnis von § 177 zu § 179 ist. Ich bin, Frau Schewe-Gerigk, anders als Sie nicht der Auffassung, daß die Aufnahme dieses Textes, wie der Vorsitzende des Rechtsausschusses es vorgetragen hat, in die Beschlußempfehlung - mit einer besonderen Bemerkung - ohne Auswirkung ist. Das sind Rechtsmaterialien, die natürlich in der Rechtspraxis herangezogen werden. Wenn man sich fragt, was denn der Wille des Gesetzgebers war - das ist ja die entscheidende Frage bei der Auslegung des Begriffs „Ausnutzen einer hilflosen Lage" -, dann wird, wenn der Text nicht sowieso schon in den Kommentierungen steht, auf diese Materialien zurückgegriffen.
Von daher ist es gut, daß wir diesen Weg gewählt haben. Ich glaube, das erleichtert heute auch das Abstimmungsverfahren. Ich denke, wir werden ein gutes Ergebnis bekommen.
Wenn andere Anlässe bestehen, werden aktuell auftretende Probleme immer mit einbezogen und erörtert werden. Ich sehe, daß im Moment doch vieles dafür spricht, zu sagen, der § 179 sollte so bestehenbleiben, um bloß keine Strafbarkeitslücke auftreten zu lassen und um zu sehen, wie sich die Rechtsprechung entwickelt.
Ich verbinde aber mit dem heutigen Tag nicht die Hoffnung und auch nicht die Erwartung, daß es jetzt zu möglichst vielen Verurteilungen kommt und daß das nun die Erfolgsbilanz dieses langen Beratungsund Gesetzgebungsprozesses sein sollte. Wenn von dieser Beschlußfassung ausgeht - auch in die Bevölkerung -, daß Vergewaltigung in der Ehe ein Verbrechen ist, und wenn sich dieser Beschluß bewußtseinsändernd auswirken kann, dann hätten wir sehr viel Präventives erreicht. Darauf setze ich.
Ich möchte nicht in einem Jahr eine Bilanz anhand der Strafverfolgungs- und Strafverurteiltenstatistik ziehen. Von daher war es richtig, daß wir nicht in irgendeiner Form befristete Regelungen aufgenommen haben, weil man ja gar nicht weiß, wie man den Erfolg solcher Regelungen messen kann.
Zum Schluß noch eine Bemerkung: Natürlich ging es auch in dieser Frage um Gleichbehandlung von Frauen und um Gleichberechtigung. Wenn gesagt wird, daß mit dem alten § 177 ein Fossil zu Grabe getragen wird und daß eine Bastion fällt, was die Gleichberechtigung angeht, dann ist alles das richtig. Ich muß sagen, ich freue mich wirklich, daß wir zusätzlich als Geburtstagsgeschenk für eine Kollegin diese Debatte heute abschließen können.
Vielen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Christina Schenk, PDS.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe bereits in der vorangegangenen Plenardebatte zum Ausdruck gebracht, daß die Verabschiedung des heute zur Abstimmung stehenden Gesetzentwurfes zur Vergewaltigung in der Ehe eine sehr deutliche Verbesserung gegenüber der jetzigen Situation mit sich brächte. Endlich wären dann eheliche und außereheliche Vergewaltigung strafrechtlich gleichgestellt.
Allerdings - das will ich ebenso deutlich sagen - weist der Gesetzentwurf auch einige Schwächen auf. Dazu zählt vor allem das immer noch unterschiedlich hohe Strafmaß bei Vergewaltigung von widerstandsunfähigen und widerstandsfähigen Personen. In der Ausschußberatung hat das gestern eine ziemlich große Rolle gespielt. Für die Vergewaltigung einer Person, die - ich zitiere aus dem vorliegenden Gesetzentwurf - „wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung, wegen Schwachsinns oder einer schweren anderen seelischen Störung zum Widerstand unfähig ist" oder aber körperlich nicht dazu in der Lage ist, Widerstand zu leisten, ist ein deutlich geringeres Strafmaß vorgesehen als bei der Vergewaltigung anderer Personen.
Nun wird eingewandt, daß die Strafvorschrift im § 179 nicht generell für alle behinderten Menschen vorgesehen ist, sondern lediglich für diejenigen, die tatsächlich widerstandsunfähig sind. Die von mir zitierten Merkmale im § 179 lassen aber durchaus den Schluß zu, es ginge hier um den Tatbestand der Vergewaltigung auch von behinderten Menschen. Behinderte Menschen sind aber nicht per se oder qua ihrer Behinderung unfähig zum Widerstand. Bisher wurde eine behinderte Frau, zumindest solange sie - ich zitiere aus den entsprechenden Kommentaren - „noch eine Hand heben" konnte, fast immer als widerstandsfähig angesehen. Das behinderte Opfer mußte dementsprechend beweisen, daß es sich hinreichend gewehrt hat.
Behinderungsbedingte Funktionseinbußen wurden nicht selten den Tätern zugute gehalten. Wegen angeblich mangelnder Gegenwehr wurde dann häufig der Tatbestand der Vergewaltigung verneint. Auch eine Anerkennung der Widerstandsunfähig-
Christina Schenk
keit erfolgte in solchen Fällen oft nicht, so daß nicht einmal der § 179 zur Anwendung kam.
Die wenigsten behinderten Frauen passen in das Schwarzweißbild der Rechtsprechung, zumindest in das der bisherigen: In den meisten Fällen sind sie weder vollständig widerstandsunfähig, noch erfüllen sie bei einer Vergewaltigung die bisherigen Anforderungen an die körperliche Gegenwehr für den § 177 StGB. Mit der Erweiterung der Tatbestandsbeschreibung in dem heute zur Abstimmung vorliegenden Gesetzentwurf, nämlich „Ausnutzen einer Lage, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist", besteht die Hoffnung, daß behinderten vergewaltigten Frauen in Zukunft mehr Gerechtigkeit widerfährt. Ich begrüße ausdrücklich - das sehe ich ähnlich wie Frau Leutheusser-Schnarrenberger -, daß die Frage des Geltungsbereiches des § 177 StGB in der Beschlußempfehlung des federführenden Ausschusses eine explizite Erläuterung erfahren hat, da dies - ich hoffe das zumindest - für die Kommentierung von Gesetzesvorschriften von nicht unerheblicher Bedeutung ist.
Unabhängig davon bleibt allerdings die Tatsache bestehen, daß das Strafmaß in § 179 StGB geringer als das in § 177 StGB ist. Das ist eine klare Wertung: Vergewaltigung widerstandsunfähiger Menschen ist weniger strafwürdig als die Vergewaltigung solcher, die zum Widerstand fähig sind. Das wird nach vorherrschender Meinung damit begründet, daß der Täter bei widerstandsunfähigen Personen ein geringeres Maß an krimineller Energie aufwenden müsse. Diese Sicht spiegelt jedoch ausschließlich die Täterperspektive wider. Der Schutz des Opfers und die Folgen der Tat für das Opfer bleiben bei dieser Sichtweise völlig außen vor. Bei Eigentumsdelikten wird das interessanterweise anders gesehen. In § 243 StGB wird das Ausnutzen der Hilflosigkeit als Regelbeispiel des besonders schweren Falls des Diebstahls definiert und führt dementsprechend zur Strafverschärfung.
Trotz des eben beschriebenen Mangels im Gesetzentwurf wird ihm die Gruppe der PDS zustimmen. Die Situation vieler betroffener Frauen, insbesondere die von Ehefrauen, wird sich verbessern; davon bin ich überzeugt. Außerdem gibt es die Hoffnung, daß sich auch für behinderte Frauen etwas zum Positiven hin verändert.
Danke schön.
Das Wort hat die Kollegin Beatrix Philipp, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte mit einem Satz beginnen, den Herr Eylmann eben zum Schluß seiner Ausführungen gebracht hat, nämlich daß man sich etwas vom Strafrecht verspreche. Ich sage ausdrücklich: Ja, das stimmt. Wie mit vielen anderen Gesetzen werden auch mit diesem Gesetz der Wunsch und die Hoffnung verbunden, daß das in Zukunft ausbleibt, was - so glaube ich -jeder schon erlebt hat, nämlich daß ein gewisses Stammtischniveau erreicht wird, wenn von Vergewaltigung in der Ehe die Rede ist. Leider Gottes ist es im Moment noch immer so, daß nicht nur an Stammtischen recht locker mit diesem Thema umgegangen wird, sondern - ab und zu - auch in diesem Hause, nur halt nicht so laut.
Deswegen muß mit diesem Beschluß einhergehen, daß wir dafür Sorge tragen, daß die Ernsthaftigkeit dieses Themas rüberkommt, und daß immer mehr Männer empört sind, wenn ganz locker gesagt wird: „Na ja, wenn eine Frau nein sagt, meint sie es vielleicht doch nicht so! " Das sind ja keine Dinge, die ich mir ausgedacht habe,
sondern die kennt eigentlich jeder. Leider passiert so etwas trotzdem noch immer viel zu häufig.
Die heutige Debatte und auch die letzten Debatten zu diesem Thema haben gezeigt, daß Gewalt in jeder Form zu ächten ist.
Das gilt ganz besonders für die Vergewaltigung. Liest man alte Plenarprotokolle, so erkennt man, daß wir in der Tat erheblich weitergekommen sind. Frau Schmidt und auch Herr Eylmann haben auf die Leidensgeschichte dieses Themas ausdrücklich hingewiesen. Es hat viele Jahre gedauert und vieler Anläufe bedurft, bis Vergewaltigung auch in dem ansonsten zu Recht geschützten Raum der Ehe so benannt und nicht nur als Körperverletzung, Beleidigung oder Nötigung unter Strafe gestellt wurde. Das ist ein qualitativer Unterschied, den wir nicht wegdiskutieren lassen dürfen.
Durch den hier zu beratenden Gesetzentwurf wird die Würde des Menschen und, da die Frau in den meisten Fällen Opfer ist, insbesondere die Würde der Frau in den Vordergrund gestellt. Begriffe wie eheliche Rechte und Pflichten haben sich dieser Bedeutung unterzuordnen.
Auch das ist, glaube ich, wichtig, weil in den Köpfen häufig noch vieles anders ist.
Vergewaltigung in der Ehe, so glaube ich, ist eine besondere Form von Gewalt. Sie hat nicht unbedingt mit Kraft, mit physischer Überlegenheit zu tun, sie ist Ausdruck von Rücksichtslosigkeit, Herrschsucht, grenzenlosem Egoismus. Sie entwürdigt, demütigt und verletzt die Frau. Gerade in einer Ehe, die im Prinzip auf Dauer angelegt ist, die von Vertrauen lebt, von Liebe, von gemeinsamer Verantwortung,
Beatrix Philipp
von Respekt, Toleranz und gegenseitiger Rücksichtnahme, in einer solchen Beziehung muß Vergewaltigung als ein besonders strafwürdiges Unrecht gelten.
Vergewaltigung liegt immer dann vor, wenn der Wille der Frau, ihr sexuelles Selbstbestimmungsrecht, nicht respektiert wird.
Und dennoch: Obwohl wir uns, wie gesagt, in der Hauptsache einig sind, war nach dem Koalitionsentwurf eine Regelung vorgesehen, nach der die Tat nicht weiter verfolgt werden mußte, wenn Opfer und Täter verheiratet sind und das Opfer der Strafverfolgung widerspricht - die sogenannte Widerspruchsklausel. Zwar sollte auch nach dem Koalitionsentwurf - das war schon eine Verbesserung; das will ich wohl zugestehen -, wenn ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung bejaht würde, diese dennoch stattfinden können. Aber auch diese Möglichkeit reichte mir persönlich und einigen anderen in meiner Fraktion von Anfang an nicht aus. Da hat es auch keiner Instrumentalisierung durch die SPD bedurft, wenn ich das in aller Bescheidenheit sagen darf; das brauchen wir nämlich nicht.
Ein solches besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung dürfte zum Beispiel dann unterstellt werden, wenn der Täter besonders brutal vorgegangen war, die Tat besonders schwere Folgen hatte oder der Täter einschlägig vorbestraft ist. Gewalt aber, meine Damen und Herren, kann in vielfältiger Weise ausgeübt werden und ist nicht immer nur eine physische Angelegenheit und ist auch nicht immer sofort erkennbar. Wer nicht davor zurückschreckt, seine sexuellen Wünsche unter Verletzung des sexuellen Selbstbestimmungsrechtes seiner Frau durchzusetzen, wird - davon bin ich überzeugt - auch nicht davor zurückschrecken, Gewalt oder zumindest Druck auszuüben, um sie zum Widerspruch zu bewegen.
Nun mögen sichtbare Folgen der Ausübung von körperlicher Gewalt den Staatsanwalt veranlassen, das besondere öffentliche Interesse zu bejahen, oder er erkennt, daß der erhobene Widerspruch erzwungen war. Aber, wie gesagt, psychisch ausgeübte Gewalt muß eben nicht so offenkundig sein.
Und noch etwas: Gerichtliche Verfahren ziehen sich oft sehr lange hin, Ermittlungsverfahren in schwer aufklärbaren Fallen oft ein Jahr oder länger. Der Widerspruch - so war es im Koalitionsentwurf vorgesehen - sollte bis zum Beginn der Hauptverhandlung erhoben werden können. Er setzte damit das Opfer von Beginn der Ermittlungen an bis zum Beginn der Hauptverhandlungen, wie gesagt, viele Monate, der Gefahr gewaltsamer Einflußnahme durch den Täter aus. Frauen, die sexuelle Gewalt in der Ehe - aus welchen Motiven auch immer - über sich ergehen lassen, sind aber schwache Frauen bzw. in einer schwachen Position. Deshalb müssen wir die Frauen schützen, und sie bedürfen im besonderen Maße des Schutzes durch unsere Rechtsordnung. Zwar wird es nach wie vor - darüber bin ich mir und darüber sind wir uns alle im klaren - möglich sein, Druck auszuüben - das wird auch geschehen, weil es das Zeugnisverweigerungsrecht, das Aussageverweigerungsrecht, gibt -, aber dann sind wir - und das, meine ich, ist ein ganz wesentlicher Unterschied - schon in einem anderen Stadium des Prozesses.
Meine Damen und Herren, die CDU/CSU-Fraktion hat in der zurückliegenden Beratung dem Hauptanliegen Rechnung getragen und einen Gesetzentwurf vorgelegt, der die Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe stellte. Er enthielt allerdings diese Widerspruchsklausel. Mit mir zusammen hatten noch andere von Anfang an Bedenken hinsichtlich dieser Klausel. Wir haben unsere Bedenken aber schließlich zurückgestellt, weil es ohne diese - meine und andere - Stimmen aus meiner Fraktion gar keine gesetzliche Regelung zur Vergewaltigung in der Ehe gegeben hätte.
Nunmehr ergibt sich aber die Möglichkeit, dieses Gesetz - wortgleich im übrigen mit dem ursprünglichen Text des Koalitionsentwurfes; das muß man ja nun fairerweise sagen - ohne Widerspruchsklausel zu beschließen, und deshalb stimme ich jetzt auch dieser Fassung zu.
Ich will aber hinzufügen: Ich respektiere die Meinung derer, die glauben, mit der Widerspruchsklausel dem Erhalt der Ehe noch einmal eine Chance zu geben, obwohl ich diese Meinung nicht teile, wie ich ausgeführt habe.
Frau Schmidt, hier gehört es zur Redlichkeit, daß man darauf hinweist, daß auch die Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und SPD ursprünglich der Meinung waren, die Widerspruchsklausel sei gerechtfertigt. Erst im Laufe der Beratungen sind die Oppositionsfraktionen von dieser Auffassung abgerückt. Das ist eben auch bei uns der Fall.
- Es ist nie zu spät. Ja, eben.
Ich bin mir auch bewußt, daß dieses Gesetz, wie im übrigen jedes andere, die Möglichkeit des Mißbrauchs beinhaltet. Auch das ist ein Argument, das man nicht unter den Tisch fallen lassen darf. In der Abwägung jedoch, ob Vergewaltigung in der Ehe prinzipiell strafbar sein sollte oder aber ob ein solches Gesetz, weil es möglicherweise mißbraucht werden könnte, nicht beschlossen wird, ist meine Entscheidung und die vieler Kolleginnen und Kollegen eindeutig für die Bestrafung der Vergewaltigung in der Ehe. Vergewaltigung in der Ehe muß wie Vergewaltigung in jeder anderen Beziehung bestraft werden. Davon sind wir alle überzeugt.
Vielen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Dr. Edith Niehuis, SPD.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Viele von uns erinnern heute daran, daß wir an diesem Tag durch die Annahme des Gruppenantrages mit großer Mehrheit - so hoffe ich inständig - eine parlamentarische Debatte beenden, die über 25 Jahre gedauert hat. Wenn ich die Zeitungen lese, stelle ich fest: Die Kommentare von der „FAZ" bis zur „taz" fordern uns im Parlament auf, die Vergewaltigung in der Ehe endlich strafrechtlich der außerehelichen Vergewaltigung gleichzustellen.
Umfragen zeigen: Die Erwartung in der Bevölkerung ist gleichermaßen. Die öffentliche Meinung hat sich mittlerweile gewandelt. Auch das können wir als einen Erfolg unserer intensiven Debatte ansehen.
Als die Diskussion vor etwa 25 Jahren anfing, war der § 177 des Strafgesetzbuches schon 100 Jahre alt. Das heißt, 100 Jahre lang hatte unser Strafrecht ein bestimmtes Bild vom Zusammenleben der Geschlechter geprägt und gestützt - ein Bild, das die Vormachtstellung des Mannes festigte, die für die Gesellschaft im Großen wie auch im Kleinen im Hinblick auf die Ehe galt. Reichsgerichte von damals scheuten sich nicht, dem Ehemann zuzugestehen, daß er seine Frau zu Geschlechtsverkehr mit Gewalt zwingen darf. Diese Tradition wurde von Generation zu Generation weitergetragen und hat im Strafrecht bis heute überdauert.
Wir haben heute die Gelegenheit, diese menschenunwürdige Tradition, der Gewalt anhaftet, unter der sehr viele Frauen bitter gelitten haben und noch leiden, gesetzgeberisch zu durchbrechen. Lassen Sie uns diese Gelegenheit wahrnehmen!
Viele Argumente sind im Laufe der letzten Jahre ausgetauscht worden, darunter auch Argumente, die vom Kern dessen, worum es geht, manchmal sogar ablenken sollten. Es hat eine lange Zeit gedauert, bis wir uns über den Gewaltbegriff einigen konnten. So manche vergewaltigte Frau hatte vor Gericht keine faire Chance, weil sie nicht glaubhaft machen konnte, während der Straftat mit Gefahr für Leib und Leben bedroht worden zu sein. Ungerechtfertigte Freisprüche für Gewalttäter waren die Folge. Es ist darum außerordentlich wichtig, daß wir heute gemeinsam beschließen, diesen engen Begriff der Gewalt zu erweitern.
Es darf doch nicht weiter gelten, daß sich eine Frau halb totschlagen lassen muß, damit sie eine Vergewaltigung glaubhaft machen kann. Mit der Ergänzung, daß auch die Ausnutzung einer hilflosen Lage die Straftat begründen kann, kommen wir der Wirklichkeit näher und geben damit der vergewaltigten
Frau den strafrechtlichen Schutz, den sie vom Gesetzgeber erwarten kann.
Längst überfällig ist eine weitere Ergänzung des § 177, die wir heute ebenfalls vornehmen wollen. Es reicht nicht aus, nur den erzwungenen Beischlaf als Straftatbestand zu erwähnen. Dazu gehören vielmehr auch alle anderen ähnlichen sexuellen Handlungen, die das Opfer besonders erniedrigen.
Auch wenn wir wissen, daß die große Mehrheit der Opfer einer Vergewaltigung Frauen sind, ist es notwendig, die Sexualstrafrechtsparagraphen geschlechtsneutral zu verfassen. Denn auch Männer können Opfer sein und bedürfen des Schutzes des Gesetzgebers.
Ich begrüße ausdrücklich, daß die bisherigen Abstimmungen gezeigt haben, daß wir diese Ergänzungen des Strafrechts mit großer Mehrheit wollen. Mittlerweile gibt es im Bundestag auch eine große Mehrheit dafür, die Vergewaltigung innerhalb der Ehe ebenso strafbar zu machen wie die außereheliche Vergewaltigung. Aber an dieser Stelle haben wir noch immer einen Diskussionsbedarf.
Sie wissen, die SPD hatte in ihrem ersten Entwurf - Frau Philipp, Sie haben das gesagt - hinsichtlich der Vergewaltigung in der Ehe eine Versöhnungsklausel vorgesehen. Die Mehrheit der SPD-Bundestagsfraktion war zunächst der Meinung, man müsse dem Gericht die Möglichkeit geben, die Strafe zu mildern oder von der Strafe abzusehen, wenn dies im Interesse der Ehe geboten erscheine, die Ehefrau es mit dem Partner noch einmal versuchen wolle, der gewalttätige Partner eventuell eine Therapie mache. Es gab auch damals schon kritische Stimmen gegen diese sogenannte Versöhnungsklausel.
Nach der Anhörung des Rechtsausschusses zu diesem Thema Ende 1995 haben wir die Versöhnungsklausel allerdings gestrichen. Das nämlich, was zunächst im positiven Sinne als Sonderrecht für die Ehe oder die Ehemänner aussah, entpuppte sich als ein Sonderrecht für gewalttätige Ehemänner, und dies darf es doch nicht geben.
Das von den Koalitionsfraktionen vorgesehene Widerspruchsrecht der Ehefrauen ist um vieles schlimmer als die Versöhnungsklausel, und insofern, Herr Eylmann, ist dies eben keine drittrangige Frage. Gewalt, auch sexualisierte Gewalt, findet nicht in intakten Ehen statt, sondern in schon ausgesprochen gefährdeten Ehen. Eine Ehefrau zeigt erfahrungsgemäß einen Ehemann nur an, wenn die Gewalt unerträglich eskaliert ist. Diese Frau, die schon lange Opfer ist, soll nach der Widerspruchsregelung die Möglichkeit bekommen, ihre Anzeige zurückzunehmen. Es liegt doch auf der Hand, daß auf diese Frau durch
Dr. Edith Niehuis
den angezeigten Ehemann oder durch andere Familienmitglieder Druck oder Gewalt ausgeübt wird, damit sie diesen Schritt, die Anzeige zurückzunehmen, auch tut. Das Widerspruchsrecht hat nichts mit einem Selbstbestimmungsrecht der Frauen zu tun, sondern ganz im Gegenteil: Es ist ein Sonderrecht für gewalttätige Ehemänner zu Lasten der Frauen.
Sie hatten in Ihrem Koalitionsentwurf vor, dieses äußerst fragwürdige Sonderrecht nicht nur für Delikte wie Vergewaltigung einzuführen, sondern auch noch für Nötigung und Körperverletzung. Solch ein Sonderrecht gehört nicht in ein Strafgesetzbuch.
Eines bitte ich Sie ebenfalls zu bedenken: Psychologinnen weisen ausdrücklich darauf hin, daß der Widerspruch keine Hoffnung auf ein besseres Eheleben danach macht. Ganz im Gegenteil: Das dadurch zum Ausdruck gekommene Verzeihen der Gewaltanwendung ermutigt zu weiterer Gewalt, heizt die Gewaltspirale in der Familie geradezu an. Dabei sind es dann nicht nur die Ehefrauen, die Opfer dieser Gewaltspirale sind, sondern auch die Kinder, die in diesem gewalttätigen Umfeld groß werden und damit von Kindesbeinen an Gewalt als Mittel zur Konfliktlösung kennenlernen. Wir alle wissen, daß dies verherende Auswirkungen auf die Persönlichkeitsentwicklung von Kindern haben kann. Solch eine Situation dürfen wir nicht durch rechtliche Rahmenbedingungen unterstützen.
Das sind die Gründe, meine Damen und Herren, warum wir so sehr darauf bestanden haben, daß heute ein Gruppenantrag vorgelegt wird, der keine Widerspruchsregelung enthält.
Dieser Gruppenantrag ist ein Kompromiß. Sie wissen, wir favorisieren nach wie vor eine gesetzliche Regelung, die sexuelle Nötigung und Vergewaltigung nicht zu einem einheitlichen Tatbestand zusammenfaßt, wie im Gruppenantrag vorgesehen. So ist der bisherige selbständige Tatbestand der Vergewaltigung nur noch ein in der Regel besonders schwerer Fall der sexuellen Nötigung.
Wir stellen unsere Bedenken zurück und schließen uns der Vorlage der Regierungskoalition an, weil wir möchten, daß diese überfällige Strafrechtsänderung heute mit großer Mehrheit beschlossen werden kann.
Um allerdings jegliche Unklarheit zu beseitigen, möchte ich eine Entschließung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hier besonders erwähnen, auch auf Grund einiger Debattenbeiträge vorher. Wie der Bundesjustizminister gehen wir davon aus, daß der erweiterte Gewaltbegriff in § 177 -das Ausnutzen einer hilflosen Lage - auch darauf zielt, den Schutz geistig oder körperlich behinderter Menschen, deren Widerstandsfähigkeit eingeschränkt ist, vor erzwungenen sexuellen Übergriffen zu verbessern. Der § 179 wird von uns als zusätzlicher Strafschutz verstanden, um möglicherweise noch verbleibende Strafbarkeitslücken zu schließen. Ich glaube, diese Klarstellung ist heute besonders wichtig.
Lassen Sie mich zum Schluß den vielen danken, die diese langwierige Debatte über Jahre hinweg verfolgt und uns beharrlich aufgefordert haben, den § 177 zu ändern. Insbesondere möchte ich natürlich den Frauenverbänden danken. Sie haben sich eingemischt, sie waren nicht passiv, sondern Teil einer lebendigen Demokratie. Dieses Engagement ist vorbildlich und sollte von uns ausdrücklich gewürdigt werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, viele haben uns geschrieben und gesagt, was sie von uns erwarten, nämlich den Gruppenantrag mit großer Mehrheit zu beschließen. Lassen Sie uns das heute auch tun!
Das Wort hat die Präsidentin, Frau Professor Rita Süssmuth.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich entschuldige mich zunächst, daß ich erst jetzt zur Debatte komme; aber wir haben bis eben im Ältestenrat über die weitere Tagesordnung beraten.
- Es geht weiter. Wir haben morgen ab 15 Uhr eine Sitzung.
Zurück zum Tagesordnungspunkt. - Für mich ist dies der Abschluß einer Debatte, die mehr als 20 Jahre währt. Ich bin seit zwölf Jahren dabei. Damals habe ich erste Referentenentwürfe mit vertreten, mit vorangetrieben. Immer wieder hieß es: Dieses Gesetz wollen wir nicht.
Hierbei geht es nicht um irgendeine zweitrangige Sache, sondern für mich geht es um nicht weniger als um ein Kernstück der Menschenrechts- und Gleichberechtigungspolitik, weil es im tiefsten Kern um die Würde von Frauen geht.
Ich sage hier noch einmal: Die Debatte und der Weg waren unendlich lang, so wie wir es bei Frauenfragen häufig erleben. Offenbar ging es um einen sehr tabuisierten Bereich. Permanent wurde die Ehe gegen den Schutz der Frau ausgespielt. Wo aber müßte der Schutz der Frau größer sein als gerade in
Dr. Rita Süssmuth
der Ehe? Deswegen waren diejenigen, die sich für eine gesetzliche Regelung ausgesprochen haben, immer dann, wenn gesagt wurde, das gebe es im Strafrecht schon, der Meinung, gerade dort müsse klargestellt werden, daß Gewalt im intimsten Bereich zwischen zwei Menschen absolut nichts verloren hat. Sie hat nirgendwo etwas verloren, und in diesem Bereich ist sie mit allen uns zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zu ächten.
Wenn in diesem Zusammenhang auch in der öffentlichen Diskussion das Wort vom Seelenmord verwandt worden ist, dann, denke ich, ist etwas sehr Wichtiges angesprochen worden. Das geht sehr viel tiefer als äußere Verletzungen. Das trifft den Kern des Menschen.
Lange Zeit ist gesagt worden, dies sei ein Kavaliersdelikt und die Frauen hätten den Männern zur Verfügung zu stehen. Dies ist völlig abwegig. Ich halte es für verächtlich, daß wir so lange brauchten, um das Selbstverständliche zu tun. Viele haben dazu beigetragen.
Ich möchte auch sagen, daß ich nicht hier stehe, um mein Abstimmungsverhalten im vergangenen Jahr zu verbergen. Ich habe geraume Zeit - wenn auch nicht aus innerer Überzeugung, sondern um das Gesetz zum Abschluß zu bringen - der Widerspruchsregelung zugestimmt. Ich sage nicht, daß das der beste Weg war. Ich möchte - bei allem Respekt davor, was in Beziehungen zwischen Menschen möglich sein muß: Versöhnung, Zeugnisverweigerungsrecht - ausdrücklich unterstreichen: Die Erfahrungen zeigen, daß es eben nicht einmalige Gewalt, daß es kein Ausrutscher ist, sondern daß dies Wiederholungstaten sind, in die auch die Kinder einbezogen werden. Gerade der Aufschrei derjenigen, die am meisten unter Gewalt leiden und sagen: „Wir wollen dieses Widerspruchsrecht nicht, weil es uns erneut unter Druck setzt", ist für mich so überzeugend, daß ich meine: Es hat sich gelohnt, daß viele darum gerungen haben, daß wir als Frauen in diesem Gruppenantrag zu einer gemeinsamen Lösung kommen.
Sie werden verstehen, daß ich hier insbesondere meiner Kollegin Irmgard Karwatzki danke,
die durch ihr Engagement und den Beschluß des Landesverbandes Nordrhein-Westfalen der Frauenunion maßgeblich Einfluß auf unsere politisch-parlamentarischen Entscheidungen genommen hat.
Ich will nicht zurückschauen, sondern nach vorne schauen. Ich bin froh, daß wir - auf Grund der kooperativen und immer wieder neu in Angriff genommenen Initiativen von Ulla Schmidt - eine gute Lösung gefunden haben.
Dies geht weit mehr, als wir es gegenwärtig sehen, in die Geschichte der Frauenpolitik und, wie ich hoffe, der Partnerschaftspolitik ein; denn es handelt sich um ein Stück Bewußtseinsbildung. Es geht uns Frauen nicht ums Strafrecht. Das Strafrecht ist dafür da, um durch Bewußtseinsbildung ein Rechtsgut zu schützen. Um das Rechtsgut der Unverletzbarkeit der Person, der Achtung ihrer Würde und der Ächtung jeder Gewalt geht es uns. Wir wissen, daß durch Strafe wahrscheinlich den wenigsten geholfen ist. Sie hat aber eine abschreckende und bewußtseinsbildende Wirkung. Wenn wir in dieser Debatte und der nachfolgenden namentlichen Abstimmung heute endlich zu einem Mehrheitsbeschluß kommen, ist das ein wichtiges Kapitel. Dies schließt die Absicht von uns allen ein, Widerstandslose nicht schlechter zu stellen als diejenigen, die Widerstand leisten können. In diesem Sinne möchte ich danken, auch dafür, daß wir die Möglichkeit erhalten haben, das zu tun, was wir unserer Überzeugung nach tun möchten.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Erika Simm, SPD.
Sehr verehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte nicht zuletzt deswegen noch einmal einiges zu der Problematik des * 179 StGB sagen, weil ich aus einigen der bisherigen Beiträge den Eindruck gewonnen habe, daß noch immer manches ein wenig unklar ist.
Ich möchte vorausschicken, weil ich denke, daß es gut ist, Fehler einzugestehen, daß wir uns im Rahmen dieser Reform des Sexualstrafrechtes mit dem §179 - „Sexueller Mißbrauch widerstandsunfähiger Personen" - lange Zeit nur eher beiläufig befaßt haben. Wir haben sie als bloße Folgeänderung wahrgenommen und es dabei ein Stück weit an der notwendigen Aufmerksamkeit und Sensibilität dieser besonderen Opfergruppe, die durch § 179 StGB geschützt wird, fehlen lassen. Ich erkläre das für meine Person; ich habe das nachträglich erkannt. Uns hat das in den letzten Monaten Kritik, manchmal sogar heftige Kritik, eingetragen. Dabei möchte ich anmerken, daß einiges an dieser Kritik unberechtigt war, weil außer acht gelassen wurde, daß wir durch die Neufassung des § 179 Strafgesetzbuch gerade auch den Schutz kranker und behinderter Menschen, die sich nicht wehren können, wesentlich verbessert haben. Berechtigt ist diese Kritik, wenn sie daran ansetzt, daß auch in der neuen Formulierung noch immer der Begriff des Schwachsinns gebraucht wird, der zweifelsfrei diskriminierend ist, und daß ein geringes Strafmaß im § 179 ein geringeres Unrecht als bei der sexuellen Nötigung und Vergewaltigung signalisiert.
In der Debatte der ersten Lesung erfolgte die Anregung und wurde die Erwartung ausgesprochen, daß sich der Rechtsausschuß noch einmal mit dem § 179 befassen und Änderungen vornehmen würde. Das ist so aus verschiedenen Gründen nicht geschehen. So sollte das Projekt „Gruppenantrag" nicht gefährdet
Erika Simm
werden. Auch hatte ich sehr stark das Bedürfnis, daß wir in Ruhe beraten. Dazu hatten wir keine Zeit.
Auf das, was wir getan haben, ist schon mehrfach hingewiesen worden. Wir haben eine Klarstellung, eine Hilfe zur Auslegung des § 177, in den Ausschußbericht - das ist die richtige Stelle, um so etwas anzubringen - aufgenommen, aus der sich ergibt, daß ein Großteil der Menschen, von denen behauptet wird, sie würden durch § 177 nicht hinreichend geschützt, erfaßt wird.
Halten wir noch einmal fest: Durch die vorgesehene Erweiterung des § 177 StGB um die Tathandlung des Ausnutzens einer hilflosen Lage des Opfers wird eine Vielzahl von Fällen erfaßt, die bisher unter § 179 gefallen sind. Das Opfer befindet sich danach nämlich auch dann in einer hilflosen Lage, wenn es sich wegen einer körperlichen Behinderung nicht wehren kann. Gibt es zu erkennen, daß es mit der vom Täter beabsichtigten sexuellen Handlung nicht einverstanden ist, und setzt sich der Täter einfach darüber hinweg, so macht er sich einer sexuellen Nötigung oder einer Vergewaltigung schuldig und wird nach der neuen Vorschrift entsprechend bestraft.
Durch § 177 in der neuen Fassung nicht geschützt sind somit nur Opfer, die nicht fähig sind, einen entgegengerichteten Willen zu bilden oder so zu artikulieren, daß er wahrnehmbar wird. Hier, denke ich, sollten wir noch einmal ansetzen. Ich war der Meinung, wir wären überfordert gewesen, dies in einer einzigen Ausschußsitzung sauber zu formulieren, weil wir noch einiges andere zu erledigen hatten.
Wir haben auch Anlaß zu einer erneuten Beschäftigung damit. Es gibt bereits einen Gesetzentwurf des Bundesjustizministers, der § 179 in einem anderen Zusammenhang aufgreift. Ich würde dafür plädieren, daß wir uns bemühen, eine Tatbestandsformulierung zu finden, die nicht mehr an der Widerstandsunfähigkeit anknüpft, weil durch die Änderung von § 177 dies nicht mehr das entscheidende Kriterium für die Unterscheidung zwischen den Opfergruppen des § 177 und des § 179 ist. Bei § 179 geht es, wie gesagt, um Opfer, die nicht in der Lage sind, einen entgegengerichteten Willen zu bilden und diesen zu artikulieren.
Ich bitte Sie herzlich, wieder mitzuhelfen, daß wir konsensual zu einer guten, neuen Regelung des § 179 kommen - und das bald. Wir sollten eine Regelung finden, die diesen besonders hilfs- und schutzbedürftigen Opfern einen umfassenden Strafrechtsschutz gewährt.
Ansonsten bitte ich Sie ganz herzlich: Stimmen Sie dem Gruppenantrag zu! § 179 ist kein Grund, das nicht zu tun. Helfen Sie mit, daß wir endlich ein seit 20 Jahren verfolgtes Ziel erreichen, nämlich die
Gleichbehandlung sexueller Gewalt innerhalb und außerhalb der Ehe.
Das Wort hat Frau Ministerin Karin Schubert, Sachsen-Anhalt.
Sehr verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Trotz der sensiblen Problematik, über die der Bundestag heute entscheiden soll, und der auch mir bekannten inflationären Verbreitung großer Worte möchte ich ganz bewußt - wie auch meine Vorredner Herr Eylmann und Frau Leutheusser-Schnarrenberger - das Wort von einer „historischen Entscheidung des Bundestages" benutzen.
Wie Sie wissen, habe ich mich im Bundesrat, im Landtag von Sachsen-Anhalt, aber auch in einem Brief an alle Abgeordneten der Regierungskoalition und in vielfältiger anderer Weise von Anfang an vehement gegen die Widerspruchsklausel ausgesprochen, weil ich der Auffassung war und bin, daß sie weder dem Schutz der Ehe dient noch die Interessenlage der Opfer in angemessener Weise berücksichtigt.
Wer durch eine Vergewaltigung den Wert und die Bedeutung der ehelichen Lebensgemeinschaft in gröbster Weise mißachtet, kann nicht gleichzeitig den Schutz jener Verfassungsregelung für sich beanspruchen, die er durch seine Tat verletzt.
Vergewaltigung unabhängig davon, wo und wie sie geschieht, ist ein schweres Verbrechen und fordert den uneingeschränkten Schutz durch die dazu berufenen staatlichen Stellen.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf, für dessen Zustandekommen ich an dieser Stelle allen daran beteiligten Abgeordneten des Deutschen Bundestages danken möchte, geht nach jahrelanger, jahrzehntelanger quälender Diskussion von dieser Stelle endlich ein notwendiges, deutliches und unmißverständliches Signal aus, das da lautet: Mit der Eheschließung wird die Frau nicht zum Objekt des Mannes.
Kein Ehemann hat einen Anspruch oder gar ein Recht auf die Ehefrau, auch nicht auf deren Körper. Gewalt in der Ehe ist nicht länger Privatsache, denn die Institution der Ehe ist kein rechtsfreier Raum mehr.
Mit diesem Gesetz, durch das vergewaltigte Frauen nicht mehr einem Gewissenskonflikt oder psychischen Druck ausgesetzt werden können, weil sie auf die Behandlung des Strafverfahrens - wie bei jedem anderen Verbrechen - keinen Einfluß mehr haben, wird die Institution der Ehe gestärkt und end-
Ministerin Karin Schubert
lich auch das Selbstbestimmungsrecht der Frauen umfassend geschützt.
Die wichtige und notwendige breite Zustimmung dieses Hohen Hauses, die ich mir wünsche und erhoffe, wäre ein historisches Signal an unsere Gesellschaft zur umfassenden Ächtung sexueller Gewalt in jeder Form. Auf dieses Signal - das weiß ich auch aus unzähligen Gesprächen mit Frauen und anderen Opfern sexueller Gewalt - warten sehr viele Menschen, zu deren Vertretung wir hier berufen sind. Nutzen wir diese Stunde! Ich bitte Sie darum.
Im übrigen finde ich die Unruhe dieses Hauses gegenüber der nicht vorhandenen Unruhe im Bundesrat sehr positiv, zeigt sie mir doch, daß jetzt endlich eine genügend große Anzahl von Männern auch aus den Reihen der CDU/CSU und F.D.P. im Hause ist, um diesem Gesetz eine deutliche Mehrheit zu verschaffen.
Ich danke Ihnen.
Ich schließe die Aussprache.
Bevor wir zur Abstimmung kommen, bitte ich einen Augenblick um Aufmerksamkeit. Auf der Ehrentribüne haben drei amerikanische Jugendliche Platz genommen. Sie gehören zu den 400 amerikanischen Schülerinnen und Schülern und jungen Berufstätigen, die im Rahmen des Parlamentarischen Patenschafts-Programmes ein Jahr in Deutschland gelebt haben.
Warum erwähne ich das heute ausnahmsweise? Ich erwähne es, verehrte Kolleginnen und Kollegen, weil mit dieser Gruppe die Zahl von 10 000 Teilnehmern erreicht und überschritten wird.
Stellvertretend für alle diesjährigen Stipendiaten des Parlamentarischen Patenschafts-Programms möchte ich heute hier begrüßen: die 9999. Teilnehmerin, Kristina Bass aus Kalifornien,
die 10 000. Teilnehmerin, Nicole Myers aus Pennsylvania,
und den Teilnehmer 10001, Brian Blake aus Connecticut.
Das Parlamentarische Patenschafts-Programm, das 1983 vom amerikanischen Kongreß und dem Deutschen Bundestag ins Leben gerufen wurde, trägt mit seiner besonderen Konzentration auf junge Menschen dazu bei, daß das enge Verhältnis zwischen unseren beiden Ländern auch in Zukunft - in unserer gemeinsamen Zukunft - gestärkt wird.
Wir wissen alle, daß beide Länder, die Vereinigten Staaten von Amerika und die Bundesrepublik Deutschland, vor erheblichen Herausforderungen stehen. Sowohl dort wie hier gibt es beachtliche Haushaltsprobleme. Gleichwohl nutze ich diese besondere Gelegenheit, um von hier aus an unsere Kolleginnen und Kollegen im amerikanischen Kongreß wie an uns selber zu appellieren, dieses Programm unbedingt im bisherigen Umfang fortzuführen.
Ich nutze die Gelegenheit auch, um mich bei den Kolleginnen und Kollegen des Bundestages sehr herzlich für Bereitschaft zu bedanken, immer wieder neue Patenschaften für deutsche und amerikanische Stipendiaten zu übernehmen.
Für morgen wünsche ich den Stipendiaten viel Freude. Möge Ihnen das nun bald zu Ende gehende Austauschjahr in Deutschland in guter Erinnerung bleiben und sie beflügeln, die guten Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern auch zu ihrer eigenen Sache zu machen. Herzlich willkommen!
Bevor wir zur Abstimmung kommen, teile ich mit, daß die Kollegin Maria Eichhorn, die Kollegin Sigrun Löwisch und der Kollege Dr. Max Stadler Erklärungen nach § 31 Abs. 1 unserer Geschäftsordnung zu Protokoll geben.*)
Dann kommen wir jetzt zur Abstimmung über den von den Abgeordneten Ulla Schmidt, Irmingard Schewe-Gerigk, Vera Lengsfeld, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und weiteren Abgeordneten eingebrachten Entwurf eines Strafrechtsänderungsgesetzes. Das ist die Drucksache 13/7324. Der Rechtsausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/7663, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen.
- Ich will versuchen, bei diesem Gewusel die Abstimmung durchzuführen. Wenn es nicht geht, muß ich Sie bitten, wieder Platz zu nehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung von der großen Mehrheit der Abgeordneten des Deutschen Bundestages bei einigen Gegenstimmen aus den Reihen der CDU/ CSU und einigen Stimmenthaltungen aus den Reihen der CDU/CSU angenommen.
Dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Die Fraktion der SPD verlangt namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Darf ich fragen, ob alle Urnen besetzt sind? - ich gehe davon aus, daß alle Urnen besetzt sind. Dann eröffne ich die Abstimmung. -
*) Anlage 2
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Darf ich fragen, ob alle anwesenden Mitglieder des Hauses ihre Stimmkarte eingeworfen haben? -
Nochmal die Frage: Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimmkarte nicht abgegeben hat? - Das scheint nicht der Fall zu sein.
Bevor ich die Abstimmung schließe, weise ich noch einmal vorsorglich darauf hin, daß das Präsidium gestern nochmals ausdrücklich festgestellt hat, daß nach Schluß der Abstimmung abgegebene Stimmkarten nicht als gültige Stimmen gewertet werden können.
Ich schließe jetzt die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.
Ich halte es, verehrte Kolleginnen und Kollegen, für angemessen, wenn wir die Sitzung des Bundestages fünf Minuten bis zur Bekanntgabe des Stimmergebnisses unterbrechen. -
Ich unterbreche die Sitzung für fünf Minuten.
Die unterbrochene Sitzung wird fortgesetzt.
Ich gebe das von den Schriftführern und Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den von den Abgeordneten Ulla Schmidt, Irmingard Schewe-Gerigk, Vera Lengsfeld und weiteren Abgeordneten eingebrachten Entwurf eines Strafrechtsänderungsgesetzes - §§ 177 bis 179 StGB - bekannt. Das sind die Drucksachen 13/ 7324 und 13/7663. Abgegebene Stimmen: 644. Mit Ja haben gestimmt: 471.
Mit Nein haben gestimmt: 138. Enthaltungen: 35. Damit ist der Gesetzentwurf angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 643 davon:
ja: 470
nein: 138
enthalten: 35
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Peter Altmaier
Anneliese Augustin Heinz-Günter Bargfrede Franz Peter Basten
Dr. Wolf Bauer
Dr. Sabine Bergmann-Pohl Dr. Heribert Blens
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen Wolfgang Bosbach
Monika Brudlewsky Hartmut Büttner
Dankward Buwitt Peter Harry Carstensen
Wolfgang Dehnel Gertrud Dempwolf Renate Diemers Dr. Alfred Dregger Rainer Eppelmann Horst Eylmann
Ilse Falk
Jochen Feilcke Ulf Fink
Dirk Fischer
Leni Fischer Herbert Frankenhauser
Erich G. Fritz
Michaela Geiger Wilma Glücklich Peter Götz
Hermann Gröhe Claus-Peter Grotz
Horst Günther Manfred Heise
Dr. Renate Hellwig Peter Hintze
Hubert Hüppe Peter Jacoby
Michael Jung Ulrich Junghanns
Dr. Harald Kahl Steffen Kampeter Dr.-Ing. Dietmar Kansy Manfred Kanther Irmgard Karwatzki Peter Keller
Eckart von Klaeden Dr. Bernd Klaußner Ulrich Klinkert Norbert Königshofen Eva-Maria Kors Hartmut Koschyk Manfred Koslowski Thomas Kossendey Andreas Krautscheid
Arnulf Kriedner Heinz-Jürgen Kronberg Dr.-Ing. Paul Krüger Werner Kuhn
Karl Lamers
Dr. Norbert Lammert
Vera Lengsfeld Werner Lensing Christian Lenzer Peter Letzgus
Editha Limbach Walter Link Wolfgang Lohmann
Julius Louven Sigrun Löwisch
Erich Maaß Dr. Dietrich Mahlo
Günter Marten Wolfgang Meckelburg
Dr. Angela Merkel Rudolf Meyer
Hans Michelbach Meinolf Michels Dr. Gerd Müller Johannes Nitsch Claudia Nolte
Dr. Rolf Olderog Norbert Otto Dr. Gerhard Päselt Anton Pfeifer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp Ronald Pofalla Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff Thomas Rachel Helmut Rauber
Christa Reichard Dr. Bertold Reinartz
Erika Reinhardt
Dr. Heinz Riesenhuber
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Norbert Röttgen
Volker Rühe
Dr. Jürgen Rüttgers
Ortrun Schätzle
Dr. Wolfgang Schäuble Heinz Schemken
Andreas Schmidt Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Rupert Scholz
Reinhard Freiherr von
Schorlemer
Dr. Erika Schuchardt Frederick Schulze
Diethard Schütze
Dr. Christian Schwarz-Schilling
Marion Seib Wilfried Seibel Rudolf Seiters Bärbel Sothmann Dr. Rita Süssmuth
Dr. Susanne Tiemann
Dr. Klaus Töpfer Gottfried Tröger Wolfgang Vogt
Dr. Horst Waffenschmidt Kersten Wetzel
Bernd Wilz
Willy Wimmer Matthias Wissmann
Michael Wonneberger
Elke Wülfing Cornelia Yzer
SPD
Brigitte Adler Gerd Andres Robert Antretter
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett Klaus Barthel Ingrid Becker-Inglau
Hans Berger Hans-Werner Bertl Friedhelm Julius Beucher Rudoll Bindig
Arne Börnsen Anni Brandt-Elsweier
Dr. Eberhard Brecht Edelgard Bulmahn
Ursula Burchardt Hans Martin Bury
Hans Büttner Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Peter Conradi
Dr. Herta Däubler-Gmelin Christel Deichmann
Karl Diller
Dr. Marliese Dobberthien Peter Dreßen
Rudolf Dreßler Freimut Duve Ludwig Eich Peter Enders Gernot Erler Petra Ernstberger
Annette Faße Elke Ferner Lothar Fischer
Vizenräsident Hans-Ulrich Klose
Gabriele Fograscher Iris Follak
Norbert Formanski Dagmar Freitag Anke Fuchs Katrin Fuchs (Verl) Arne Fuhrmann Monika Ganseforth Norbert Gansel Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser Uwe Göllner
Günter Graf Angelika Graf (Rosenheim) Dieter Grasedieck
Achim Großmann Karl Hermann Haack
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann Manfred Hampel Christel Hanewinckel
Alfred Hartenbach Dr. Liesel Hartenstein
Klaus Hasenfratz
Dr. Ingomar Hauchler
Dieter Heistermann Reinhold Hemker Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks Monika Heubaum Uwe Hiksch
Reinhold Hiller Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann Frank Hofmann (Volkach) Ingrid Holzhüter
Erwin Horn
Eike Hovermann Lothar Ibrügger Wolfgang Ilte
Barbara Imhof Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate Jäger
Jann-Peter Janssen Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung Sabine Kaspereit Susanne Kastner
Ernst Kastning Hans-Peter Kemper Klaus Kirschner Marianne Klappert Siegrun Klemmer Hans-Ulrich Klose
Dr. Hans-Hinrich Knaape Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper Nicolette Kressl Volker Kröning Thomas Krüger Horst Kubatschka Eckart Kuhlwein Helga Kühn-Mengel Konrad Kunick Christine Kurzhals Dr. Uwe Küster Werner Labsch Brigitte Lange
Detlev von Larcher Waltraud Lehn Robert Leidinger
Klaus Lennartz Dr. Elke Leonhard
Klaus Lohmann Christa Lörcher
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß Winfried Mante Dorle Mani
Ulrike Mascher Christoph Matschie Ingrid Matthäus-Maier Heide Mattischeck Markus Meckel
Ulrike Mehl
Herbert Meißner Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer Ursula Mogg
Siegmar Mosdorf
Michael Müller Jutta Müller (Völklingen) Christian Müller (Zittau) Volker Neumann (Bramsche) Gerhard Neumann (Gotha) Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese Doris Odendahl
Günter Oesinghaus Leyla Onur
Manfred Opel Adolf Ostertag Kurt Palis
Albrecht Papenroth Dr. Winfried Penner Dr. Martin Pfaff Georg Pfannenstein Dr. Eckhart Pick Joachim Poß
Rudolf Purps
Karin Rehbock-Zureich Margot von Renesse
Renate Rennebach Otto Reschke Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter Günter Rixe
Reinhold Robbe Gerhard Rübenkönig Marlene Rupprecht Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch Dieter Schanz
Rudolf Scharping Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer Siegfried Scheffler Horst Schild
Otto Schily
Dieter Schloten Günter Schluckebier
Horst Schmidbauer
Ulla Schmidt Dagmar Schmidt (Meschede) Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt
Dr. Emil Schnell Walter Schöler Ottmar Schreiner Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert Richard Schuhmann
Brigitte Schulte
Volkmar Schultz
Ilse Schumann
Dr. R. Werner Schuster Dietmar Schütz Dr. Angelica Schwall-Düren Ernst Schwanhold
Rolf Schwanitz Bodo Seidenthal Lisa Seuster
Horst Sielaff
Erika Simm
Johannes Singer
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Wieland Sorge
Wolfgang Spanier Dr. Dietrich Sperling Jörg-Otto Spiller Ludwig Stiegler Dr. Peter Struck Joachim Tappe
Jörg Tauss
Dr. Bodo Teichmann
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim Wolfgang Thierse Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Siegfried Vergin
Günter Verheugen
Ute Vogt
Karsten D. Voigt Josef Vosen
Hans Georg Wagner
Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Reinhard Weis Matthias Weisheit Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen Jochen Welt
Hildegard Wester Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Norbert Wieczorek Helmut Wieczorek
Heidemarie Wieczorek-Zeul Dieter Wiefelspütz
Berthold Wittich
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben Hanna Wolf
Heidi Wright Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley
BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN
Gila Altmann Elisabeth Altmann
Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Angelika Beer
Matthias Berninger Annelie Buntenbach Amke Dietert-Scheuer Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Uschi Eid
Andrea Fischer Joseph Fischer (Frankfurt) Rita Grießhaber
Gerald Häfner Antje Hermenau Kristin Heyne Ulrike Höfken Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt
Oswald Metzger Kerstin Müller Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Egbert Nitsch Cern Özdemir
Gerd Poppe
Simone Probst Halo Saibold Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk Wolfgang Schmitt
Ursula Schönberger Waltraud Schoppe
Christian Sterzing
Manfred Such Dr. Antje Vollmer Ludger Volmer
Helmut Wilhelm Margareta Wolf (Frankfurt)
F.D.P.
Ina Albowitz
Dr. Gisela Babel
Günther Bredehorn Gisela Frick
Rainer Funke
Hans-Dietrich Genscher Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Dr. Klaus Kinkel
Detlef Kleinert Dr. Heinrich L. Kolb Jürgen Koppelin
Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger Lisa Peters
Dr. Günter Rexrodt Dr. Klaus Röhl
Cornelia Schmalz-Jacobsen Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Dr. Irmgard Schwaetzer
Dr. Max Stadler
Dr. Dieter Thomae Jürgen Türk
Dr. Wolfgang Weng
PDS
Wolfgang Bierstedt Petra Bläss
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter Heinrich Graf von Einsiedel Dr. Ludwig Elm
Dr. Dagmar Enkelmann
Dr. Ruth Fuchs Dr. Gregor Gysi Hanns-Peter Hartmann
Dr. Uwe-Jens Heuer Dr. Barbara Höll
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Dr. Willibald Jacob Ulla Jelpke
Gerhard Jüttemann
Dr. Heidi Knake-Werner
Rolf Köhne
Rolf Kutzmutz
Dr. Christa Luft Heidemarie Lüth
Dr. Günther Maleuda Manfred Müller Rosei Neuhäuser
Dr. Uwe-Jens Rössel Christina Schenk Steffen Tippach Klaus-Jürgen Warnick
Dr. Winfried Wolf
Gerhard Zwerenz
Fraktionslose
Kurt Neumann
Nein
CDU/CSU
Brigitte Baumeister Meinrad Belle
Dr. Joseph-Theodor Blank Dr. Norbert Blüm
Dr. Wolfgang Bötsch Klaus Brähmig
Rudolf Braun Georg Brunnhuber Manfred Carstens (Emstek) Hubert Deittert
Albert Deß
Wilhelm Dietzel Hansjürgen Doss Maria Eichhorn Wolfgang Engelmann
Heinz Dieter Eßmann
Anke Eymer
Klaus Francke Dr. Gerhard Friedrich Hans-Joachim Fuchtel Norbert Geis
Dr. Reinhard Göhner
Dr. Wolfgang Götzer Joachim Gres
Kurt-Dieter Grill Wolfgang Gröbl Manfred Grund Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein
Gottfried Haschke
Gerda Hasselfeldt
Otto Hauser Hansgeorg Hauser
Klaus-Jürgen Hedrich Helmut Heiderich Detlef Helling
Ernst Hinsken Josef Hollerith
Dr. Karl-Heinz Hornhues Siegfried Hornung Joachim Hörster
Georg Janovsky Helmut Jawurek Dr. Dionys Jobst Dr.-Ing. Rainer Jork
Bartholomäus Kalb Volker Kauder
Hans-Ulrich Köhler
Manfred Kolbe
Rudolf Kraus
Wolfgang Krause Reiner Krziskewitz
Dr. Hermann Kues Dr. Karl A. Lamers
Helmut Lamp
Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann Dr. Klaus W. Lippold
Heinrich Lummer Dr. Michael Luther Erwin Marschewski Dr. Martin Mayer
Dr. Michael Meister Friedrich Merz
Elmar Müller Engelbert Nelle
Bernd Neumann Friedhelm Ost
Eduard Oswald
Dr. Peter Paziorek Angelika Pfeiffer Dr. Gero Pfennig Dr. Winfried Pinger Dr. Hermann Pohler Dr. Bernd Protzner Dieter Pützhofen Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer Peter Rauen
Otto Regenspurger Klaus Dieter Reichardt
Hans-Peter Repnik Roland Richter
Roland Richwien
Dr. Erich Riedl Klaus Riegert
Franz Romer
Hannelore Rönsch
Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith Adolf Roth Dr. Christian Ruck
Roland Sauer Hartmut Schauerte Karl-Heinz Scherhag Gerhard Scheu
Norbert Schindler Dietmar Schlee
Bernd Schmidbauer Christian Schmidt Hans-Otto Schmiedeberg Hans Peter Schmitz
Michael von Schmude Wolfgang Schulhoff Dr. Dieter Schulte
Clemens Schwalbe Wilhelm Josef Sebastian Horst Seehofer
Heinz-Georg Seiffert Johannes Selle
Jürgen Sikora
Johannes Singhammer Wolfgang Steiger
Erika Steinbach
Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten
Dr. Gerhard Stoltenberg Max Straubinger
Matthäus Strebl
Michael Stübgen
Egon Susset
Michael Teiser
Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Gunnar Uldall
Dr. Theodor Waigel
Dr. Jürgen Warnke Hans-Otto Wilhelm Dr. Fritz Wittmann
Dagmar Wöhrl
Peter Kurt Würzbach Wolfgang Zeitlmann Benno Zierer
Wolfgang Zöller
F.D.P.
Hildebrecht Braun
Dr. Karlheinz Guttmacher Dr. Burkhard Hirsch
Roland Kohn
Uwe Lühr
Günther Friedrich Nolting Dr. Rainer Ortleb
Enthalten
CDU/CSU
Jürgen Augustinowitz Hans-Dirk Bierling
Renate Blank Paul Breuer
Klaus Bühler Werner Dörflinger Susanne Jaffke
Dr. Egon Jüttner Herbert Lattmann Eduard Lintner
Dr. Manfred Lischewski Rudolf Meinl Hans-Wilhelm Pesch
Ulrich Petzold Rolf Rau
Dr. Norbert Rieder Dr.-Ing. Joachim Schmidt
Gerhard Schulz Margarete Späte Andreas Storm
Alois Graf von Waldburg-Zeil Gert Willner
F.D.P.
Jörg van Essen
Dr. Olaf Feldmann
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich
Dr. Wolfgang Gerhardt Joachim Günther Ulrich Irmer
Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Dr. Otto Graf Lambsdorff Helmut Schäfer
Dr. Hermann Otto Sohns Carl-Ludwig Thiele
Dr. Guido Westerwelle
Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des Europarates und der WEU, der NAV, der OSZE oder der IPU
Abgeordnete(r)
Behrendt, Wolfgang SPD
Dr. Probst, Albert, CDU/CSU Siebert, Bernd, CDU/CSU Terborg, Margitta, SPD
Ich muß jetzt um ein wenig Aufmerksamkeit bitten, weil aus bekannten Gründen der Ablauf der Plenarsitzung improvisiert werden muß.
Ich rufe jetzt - ich kann wohl sagen: in Abstimmung mit den Parlamentarischen Geschäftsführern - die Tagesordnungspunkte 7 a bis 7 c auf:
a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Christa Luft, Wolfgang Bierstedt, Rolf Kutzmutz und der Gruppe der PDS
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Änderung der Rahmenvereinbarung von Bund und neuen Ländern zur Erfüllung des Treuhandauftrages
- Drucksachen 13/2571, 13/5162 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Werner Schulz
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses zu dem Antrag des Abgeordneten Dr. Gregor Gysi und der weiteren Abgeordneten der PDS
Vermögen der Parteien und Massenorganisationen der DDR
- Drucksachen 13/78, 13/6774 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Hartmut Büttner Fritz Rudolf Körper
Manfred Such
Dr. Guido Westerwelle
Maritta Böttcher
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Christa Luft, Wolfgang Bierstedt, Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der Gruppe der PDS
Für eine wirtschaftliche und ökologische Alternative in den neuen Bundesländern
- Drucksache 13/7519 —
Überweis ungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft
Finanzausschuß
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung war für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Mir ist mitgeteilt worden, daß die folgenden Kolleginnen und Kollegen ihre Debattenbeiträge zu Protokoll geben: Dr. Hermann Pohler, Manfred Hampel, Gerald Häfner, Jürgen Türk und der Parlamentarische Staatssekretär Kolb.*) Ich gehe davon aus, daß das Haus damit einverstanden ist. - Das ist so.
Ich erteile jetzt das Wort der Kollegin Christa Luft, PDS.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, daß dem jetzt zu behandelnden Thema in jedem Fall ein volles Haus angemessen wäre. Denn es geht hier um die unmittelbaren Belange von 20 Prozent der deutschen Bevölkerung, und letztlich sind 100 Prozent der deutschen Bevölkerung von dem betroffen, was sich in den neuen Bundesländern tut und tun wird.
*) Die Reden werden in einem Nachtrag zu diesem Plenarprotokoll abgedruckt
Im Jahre 7 der deutschen Einheit gehören sehr traurige Fakten zur ökonomischen und sozialen Realität in den neuen Bundesländern. Ich darf nur daran erinnern, daß die Arbeitslosigkeit dort offiziell doppelt so hoch ist wie in den alten Bundesländern und die Unterbeschäftigung etwa 30 Prozent beträgt. Die Ausbildungsplatzmisere schreit zum Himmel; darüber haben wir heute in der Aktuellen Stunde gesprochen. Fast jeder vierte Jugendliche im Alter zwischen 16 und 24 Jahren ist auf Sozialhilfe angewiesen. Das möge man sich vorstellen. Die Industrie ist bis auf einen kümmerlichen Rest geschrumpft. Es gibt noch ganze 50 Unternehmen, die mehr als 1000 Beschäftigte haben. Der Exportanteil beträgt 2 Prozent, der Forschungsanteil an den gesamtdeutschen Werten 3 Prozent. Private Handwerksbetriebe - dies sage ich auch den Kolleginnen und Kollegen von der F.D.P. -, private Einzelhändlerinnen und Einzelhändler, private Gewerbetreibende, die den Staatssozialismus überlebt haben, stehen jetzt massenhaft vor der Pleite. Die Kommunen sind hoch verschuldet. Ich spare mir weitere Aufzählungen; man könnte sie hier noch eine Weile fortführen.
Nein, meine Damen und Herren, Einwände der Art, die von der Regierung und von den Koalitionsfraktionen bevorzugt sind, dies alles sei eine Hinterlassenschaft der DDR, fruchten nicht mehr. Das hilft Ihnen nicht mehr.
Sie müssen schon eine ganz gehörige Portion Verantwortung bei sich suchen, denn Sie haben der Treuhandanstalt und den Nachfolgeorganisationen das ostdeutsche Terrain gewissermaßen zur Flurbereinigung überlassen, im Interesse der Konkurrenz. Selbst ein so exponierter CDU-Vertreter wie Lothar Späth hat kürzlich die Treuhandanstalt in folgender Weise bezeichnet: Er hat gesagt, sie habe fünf Jahre lang keine Aufbauhilfe geleistet, sondern sie habe Beerdigungshilfe geleistet.
Das ist für mich zwar keine neue Erkenntnis, aber ich muß diesem CDU-Mann leider zustimmen. Ich füge nur hinzu: Dieses Beerdigungsinstitut hat unter den Augen der Bundesregierung gearbeitet.
Die neuen Länder sind ein tragisches Beispiel dafür, wohin es führt - Herr Kolb, ich bitte, dies auch Herrn Bundesminister Rexroth zu übermitteln -, wenn man Wirtschaftspolitik in der Wirtschaft stattfinden läßt. Selbst jetzt, da das Kind im Brunnen liegt, geht das Hick und das Hack um ein neues Förderkonzept weiter. Das ist nicht nur blamabel für die Regierung, sondern es verunsichert auch die wirtschaftlichen Akteure in den neuen Ländern. Hier in Bonn regiert seit langem nicht mehr der Sachverstand, hier regiert nur noch das ausufernde Haushaltsloch. Der heutige Tag ist abermals ein Beweis dafür.
Dr. Christa Luft
Es reicht jetzt überhaupt nicht mehr, über die eine oder die andere Fördermilliarde zu streiten, so wichtig ein verläßlicher und auch umfänglicher Finanzrahmen natürlich ist. Es reicht auch nicht, die neue Qualität der Förderpolitik in der Umlenkung von den Sonderabschreibungen hin zu Investitionszulagen zu sehen. Das alles ist zwar richtig, wird aber vom Grundsatz keine durchschlagende Wirkung zeitigen.
Verfehlt wäre es auch, wenn man die Förderpolitik weiter nur am Maßstab der alten Länder orientiert und eine nachholende Entwicklung forciert. Muten Sie den Ostdeutschen doch bitte nicht länger den Reform- und den Modernisierungsstau zu, den Sie hier in den alten Ländern schon seit ewigen Zeiten konservieren.
Was wir für eine wirtschaftliche und ökologische Wende in den neuen Bundesländern übrigens nicht erst seit heute, sondern seit langem für notwendig halten, haben wir noch einmal konzentriert in unserem Antrag vorgestellt. Es gilt, endlich das in den Mittelpunkt von Wirtschafts- und Finanzpolitik zu rücken, wovon wirkliche Initialzündungen für einen selbsttragenden Aufschwung in den neuen Bundesländern ausgehen könnten. Denn darauf kommt es an.
Frau Kollegin Dr. Luft, gestatten Sie eine Zwischenfrage aus Ihren Reihen?
Ja, bitte.
Frau Kollegin Luft, halten Sie es dem Thema für angemessen, daß 80 Prozent der hier anwesenden Abgeordneten Privatgespräche führen und nicht zuhören?
Ich glaube, das ist ihnen peinlich. Ich stimme Ihnen voll zu, daß das eine ziemliche Ungehörigkeit ist. Sie würden sich am liebsten Watte in die Ohren stecken, um sich diese Dinge nicht anhören zu müssen.
Ich meine, es geht um die sofortige Auflage eines langfristigen öffentlichen ökologischen Zukunftsinvestitionsprogramms, das einen Zeitraum von etwa 15 Jahren umfassen müßte und Mittel, die auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene verausgabt werden, bündelt.
Die in den neuen Bundesländern zur Zeit am Boden liegende Bauwirtschaft würde von einem solchen Zukunftsinvestitionsprogramm einen Push bekommen. Im übrigen ist die Bauwirtschaft in den neuen Bundesländern ein ganz hervorragendes Beispiel dafür, um zu zeigen, wie hohl die These ist, daß in den neuen Bundesländern die Löhne der Produktivität davongelaufen sind und deshalb die ökonomische Misere dort entstanden ist. In der Bauwirtschaft der neuen Länder ist die Produktivität nicht geringer als in den alten Ländern, und die Löhne sind noch viel niedriger. Dennoch ist die Bauwirtschaft notleidend. Überlegen Sie sich also auch diese These endlich einmal!
Wir fordern endlich den Einstieg in einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor, und zwar nicht, damit dort die traditionellen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen fortgesetzt werden, sondern als ein Segment auf dem ersten Arbeitsmarkt.
Dazu haben wir einen speziellen Antrag eingebracht, der in Bälde diskutiert wird.
Beenden Sie auch den Privatisierungsdruck auf die Kommunen! Geben Sie ihnen eine sichere Perspektive für die Finanzausstattung, und verunsichern Sie die Kommunen nicht ständig mit Ihren unausgegorenen Steuerplänen! Die Kommunen könnten dann als Wirtschaftsfaktor wirksam werden, sie könnten als Auftraggeber und damit als Arbeitsplatzschaffer vor allem für kleine und mittlere Unternehmen in Erscheinung treten.
Das Argument, das alles sei unbezahlbar, kann man schlechterdings nicht gelten lassen. Hätten Sie 1991/92 auch nur ein Zehntel der inzwischen in der Tat üppig geleisteten Transfergelder für ein Zukunftsinvestitionsprogramm aufgewendet, dann wären wir heute nicht in diesem tiefen Loch, in dem wir uns befinden. Es geht darum, Schwerpunkte zu setzen, politisch zu arbeiten und nicht ideologische Dogmen zu pflegen.
Natürlich sind auch ganz neue Finanzierungsquellen zu erschließen. Ich meine damit zum Beispiel die Realisierung der Nachforderungen aus der Privatisierung der Banken der DDR. Entsprechend einem Bundesrechnungshofsbericht vom September 1995 geht es immerhin um etwa 20 Milliarden DM, die zur Debatte stehen.
Zu denken ist auch an die Auflage eines mindestens fünfjährigen Investitionsprogramms der Kreditanstalt für Wiederaufbau mit Krediten mit einem jährlichen Volumen in Höhe von 15 Milliarden DM und einer Zinsverbilligung von 2,5 Prozent für öffentliche Investitionen in den neuen Ländern.
In Frage käme ebenfalls die anteilige Nutzung von Mitteln aus einer befristeten Abgabe auf große Geld-und Immobilienvermögen der privaten Haushalte, der Versicherungsgesellschaften sowie der Kreditinstitute.
Was aber auf keinen Fall passieren darf, ist, daß das Thema Aufbau Ost wie ein Strohfeuer im Wahlkampf verbrennt und sich anschließend überhaupt nichts verändert. Das werden wir von der Partei des Demokratischen Sozialismus mit ganzem Engagement zu verhindern wissen.
Danke schön.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft zu dem Antrag der Gruppe der PDS zur Änderung der Rahmenvereinbarung von Bund und neuen Ländern zur Erfüllung des Treuhandauftrages. Das ist die Drucksache 13/5162.
Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/2571 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen?
- Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Gruppe der PDS angenommen.
Beschlußempfehlung des Innenausschusses zu dem Antrag der Gruppe der PDS zum Vermögen der Parteien und Massenorganisationen der DDR. Das ist die Drucksache 13/6774.
Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/78 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen?
- Die Beschlußempfehlung ist bei den Mehrheitsverhältnissen wie zuvor angenommen.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 13/7519 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-Joachim Hacker, Dr. Herta Däubler-Gmelin, Hermann Bachmaier, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Mehr Rechtssicherheit und Rechtsschutz für Nutzer von Freizeitgrundstücken in den neuen Bundesländern
- Drucksache 13/7304 -
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Uwe-Jens Heuer, Klaus-Jürgen Warnick, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS
Begrenzung des Anstiegs der Nutzungsentgelte für Erholungsgrundstücke in Ostdeutschland auf ein sozial erträgliches Maß
- Drucksache 13/7532 -
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung war für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Ich eröffne die Aussprache und teile dem Plenum mit, daß die Kollegen Hans-Joachim Hacker, Dr. Michael Luther, Franziska Eichstädt-Bohlig, Joachim Günther, Klaus-Jürgen Warnick und der Parlamentarische Staatssekretär Funke ihre Debattenbeiträge zu Protokoll geben.') Die Reden werden in einem Nachtrag zu diesem Plenarprotokoll abgedruckt. Sind Sie mit dem Verfahren einverstanden? - Das ist der Fall.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/7304 und 13/7532 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das scheint der Fall zu sein. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 9 a und 9 b auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften für Opfer der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR
- Drucksache 13/6496 -
- Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Rolf Schwanitz, Hans-Joachim Hacker, Christel Deichmann, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung rehabilitierungs- und häftlingshilferechtlicher Vorschriften
- Drucksache 13/4162 -
- Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Gerald Häfner, Andrea Fischer und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsstellung der Opfer der SED-Diktatur
- Drucksache 13/3038 -
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
- Drucksache 13/7491 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Geis Dr. Michael Luther
Hans-Joachim Hacker Gerald Häfner
Jörg van Essen
bb) Berichte des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksachen 13/7497, 13/7496, 13/ 7495 -
*) Die Reden werden in einem Nachtrag zu diesem Plenarprotokoll abgedruckt.
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Berichterstattung: .
Abgeordnete Gunter Weißgerber Manfred Kolbe
Oswald Metzger
Dr. Wolfgang Weng
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des
Berichts des Rechtsausschusses
- zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/ CSU und F.D.P.
Verbesserung der Rehabilitierung und Entschädigung von Opfern der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR
- zu dem Antrag der Abgeordneten Rolf Schwanitz, Hans-Joachim Hacker, Ernst Bahr, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Verbesserungen bei der Rehabilitierung von SED-Unrecht über die Verlängerung von Antragsfristen hinaus
- Drucksachen 13/4568, 13/2445, 13/7491-
Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Geis Dr. Michael Luther
Hans-Joachim Hacker Gerald Häfner
Jörg van Essen
Zum Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen liegen ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD sowie zwei Änderungsanträge und ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.
Ich weise darauf hin, daß wir im Anschluß an diese Debatte über zwei Änderungsanträge namentlich abstimmen werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Dr. Michael Luther, CDU/CSU.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag hat bereits in seiner letzten Legislaturperiode mit dem Ersten und Zweiten SED-Unrechtsbereinigungsgesetz dem Anliegen der Rehabilitation von im Sozialismus politisch Verfolgten Rechnung getragen. Heute beschäftigen wir uns erneut mit diesem Thema. Vorausgegangen sind in meiner Fraktion eine Vielzahl von Gesprächen mit Opferverbänden, mit Landesbeauftragten für das Stasi-Unterlagengesetz und mit Vertretern der Bürgerbewegung. Wir kennen also die Forderungen wie zum Beispiel die nach Erhöhung der Haftentschädigung und Einbindung der Hinterbliebenen von Hingerichteten.
Ich sage für mich ganz persönlich: Ich halte diese Wünsche auch für legitim. Aber - die Frage muß gestellt werden - was bedeuten sie, und welche Folgerungen ergeben sich daraus? Wie bewerten wir zum Beispiel Haft? Bei der Begründung von 300 DM Haftentschädigung haben wir uns 1992 nach der Höhe der Entschädigung für KZ-Häftlinge nach dem Bundesentschädigungsgesetz gerichtet. Will man Haft in Stasigefängnissen mit dem ungerechtfertigten Aufenthalt in bundesdeutschen Gefängnissen gleichsetzen, muß man wesentlich mehr als 600 DM je Haftmonat verlangen. Zu bedenken sind dann allerdings die Rückwirkungen auf die BEG-Entschädigungen.
Eine Entschädigung bei vollstreckten Todesurteilen erfordert die Definition von fiktiven Haftzeiten. Die Frage ist: Wieviel ist ein Leben wert? Berücksichtigt werden müssen dann auch die ansonsten zum Beispiel durch Folter in Haft Umgekommenen, die nach kurzer Haftzeit Entlassenen und in unmittelbarer Folge der Haft Gestorbenen sowie die in den Sonderlagern nach 1945 zu Tode Gekommenen. Was geschieht dann mit Hinterbliebenen im allgemeinen? Wie sieht es mit Verschleppten östlich von Oder und Neiße aus? Was soll zum Beispiel mit den Ungarn- Deutschen geschehen, die zu jahrelanger Zwangsarbeit in Rußland herangezogen wurden? Oder was geschieht mit Rußland-Deutschen, die, weil sie Deutsche waren, jahrelang verurteilt, verschleppt oder durch Rußland deportiert wurden?
Das sind alles Fragen, die in diesem Zusammenhang beachtet werden müssen und die 1992 von uns schon einmal diskutiert wurden. Selbst wenn wir das alles aufgreifen und in die Haftentschädigung einbeziehen - ich halte das durchaus für wünschenswert -, stellt sich die Frage, ob das die Hilfe bringt, die ehemalige politische Opfer heute benötigen. Ich kenne Fälle, wo jemand nur kurz im Gefängnis war und später ohne Haft durch Stasispitzel und SED-Schergen diskriminiert, schikaniert, diffamiert und entwürdigt wurde und nicht wieder auf die Beine gekommen ist. Solchen Menschen würde allein die Erhöhung der Haftentschädigung nur wenig helfen.
Deshalb haben wir uns in der Koalition nach intensiver Diskussion auf einen anderen Weg für die Unterstützung von Opfern politischer Verfolgung verständigt. Erstens. Die Haftdauer gibt nur bedingt Aussage darüber, wie es den Opfern heute geht. Deshalb sollen finanzielle Mittel in erster Linie für die Opfer bereitgestellt werden, die heute noch finanziell und wirtschaftlich schlechtgestellt sind. Zweitens. Weil die konkreten einzelnen Verfolgungsschicksale nur schwierig in einer gewissen Vollständigkeit zu erfassen sind und weil das konkret erfahrene Leid von der Haftzeit und von anderen Faktoren abhängt, soll hier besonders die Stiftung für ehemalige politische Häftlinge besser helfen können.
Das haben wir in dem Antrag der Koalition vom 8. Mai 1996 angeregt, und das steht im Gesetzentwurf, den wir heute abschließend beraten. Das Gesetz soll Verfolgungsopfern, wenn die Verfolgungszeit mehr als drei Jahre betrug und wenn die wirtschaftliche Lage besonders beeinträchtigt ist, eine monatliche Unterstützungsleistung in Höhe von 300 DM, Rentnern 200 DM, gewähren. In der „wirtschaftlichen Lage besonders beeinträchtigt" heißt, wenn das Einkommen geringer als die Hilfe in besonderen Lebenslagen ist.
Dr. Michael Luther
Nach dem Gesetz liegt die Einkommensgrenze für Alleinstehende in den alten Bundesländern derzeit bei zirka 1500 DM, im Osten bei 1300 DM, für ein Ehepaar ohne Kind bei rund 2500 DM bzw. 2200 DM und für ein Ehepaar mit zwei Kindern bei rund 3700 DM bzw. 3300 DM. Hat also der politisch Verfolgte ein geringeres Einkommen, dann kann er monatlich 300 bzw. 200 DM mehr bekommen. Wer über dieser Einkommensgrenze liegt, bekommt nicht etwa nichts, sondern entsprechend weniger. Ich denke, das wird vielen ehemaligen politisch Verfolgten effektiv hellen.
Ich hatte schon ausgeführt, daß das gesetzliche Erfassen all dieser Opfergruppen sehr schwierig ist. Sehr gute Erfahrungen haben wir dagegen mit der Stiftung für ehemalige politische Häftlinge gemacht. Deshalb sollen die Stiftungsrichtlinien und die finanzielle Ausstattung so gestaltet werden, daß mehr Opfer unterstützt werden können. Dieses Instrument soll besonders den Witwen von Hingerichteten zugute kommen. Ich denke, daß Unterstützungsleistungen bis zu 8000 DM im Jahr möglich sind und zielgerichtet helfen werden.
Als ein wichtiges Problem haben wir die Praxis bei der Anerkennung von gesundheitlichen Haftschäden erkannt. Norbert Blüm hatte sich bereits 1995 an die Länder mit der Bitte gewandt, die bestehenden rechtlichen Möglichkeiten voll auszuschöpfen und bestehende Probleme bei der Rechtsanwendung in sachgerechter Weise zu lösen. Gesundheitsschäden aus Haftzeiten sollen grundsätzlich von besonders gut geschulten Gutachtern nach Möglichkeit zentral beurteilt werden. Die Situation hat sich infolge dieser Initiative verbessert. Deshalb halte ich es für sinnvoll, den eingeschlagenen Weg weiter zu beschreiten.
Wir haben im Gesetz auch die moralische Rehabilitierung aufgenommen. Zwangsausgesiedelte sollen bei der Vermögensrückgabe für nicht rückgebbares totes und lebendes Inventar früher enthaltene Entschädigungen nicht zurückzahlen. Außerdem werden die Antragsfristen noch einmal durchgängig verlängert.
Mit diesem Gesetz tun wir einen wichtigen Schritt zur Verbesserung der Situation von politischen Opfern aus der ehemaligen DDR. Ich hätte mir mehr gewünscht; aber man muß auch über finanzielle Möglichkeiten reden, auch wenn das an dieser Stelle schmerzt. Trotzdem: Mich belastet es, wenn es den politischen Opfern heute schlechtgeht. Mich bedrückt, wenn politische Opfer nicht wieder auf die Beine kommen konnten. Deshalb halte ich den eingeschlagenen Weg, heute das monatliche Einkommen zu verbessern, für richtig. Wenn finanzielle Mittel aufgewendet werden, dann sollten sie für so eine Sache eingesetzt werden.
Ich bin am Ende meiner Redezeit angelangt. Vielleicht noch eine letzte Bemerkung: Ich denke, wir werden uns in diesem Hause wieder über das Thema der politischen Verfolgung in der DDR unterhalten müssen. Es ist ein Stück deutsche Geschichte. Wir sollten diese deutsche Geschichte hin und wieder hier im Bundestag behandeln, um darauf aufmerksam zu machen, durch was sie entstanden ist: durch Sozialismus und Diktatur in der DDR.
Danke. •
Das Wort hat der Kollege Hans-Joachim Hacker, SPD.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Dr. Luther, ich greife Ihren letzten Gedanken auf: Ja, wir werden uns hier noch weiter mit diesem Problem beschäftigen müssen. Aber in dieser Legislaturperiode wird sich der Deutsche Bundestag vermutlich zum letztenmal mit der Frage der Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften für Opfer politischer Verfolgung in der ehemaligen DDR beschäftigen.
Deswegen und weil die meisten der Betroffenen im fortgeschrittenen Alter sind, warten heute Zehntausende in der SBZ und in der DDR politisch Verfolgte auf Entscheidungen dieses Hauses, mit denen ihr Schicksal gerecht bewertet wird und mit denen angemessene Ausgleichsleistungen geregelt werden; denn von Angemessenheit und gerechter Bewertung der Schicksale der Betroffenen in den geltenden Un-rechtsbereinigungsgesetzen kann bislang nicht gesprochen werden.
Wir werden heute Zeugnis dafür ablegen, wie das vereinte Deutschland die Zusagen von führenden Vertretern der Politik einlöst, daß die Auflehnung gegen kommunistische Gewalt nicht vergessen wird und daß Verfolgungsschicksale nicht geringer bewertet werden als Schäden an materiellen Gütern. Die Unausgewogenheit der Wiedergutmachung von Vermögensschäden und Schäden durch politische Verfolgung und der daraus resultierende Protest waren für die SPD-Bundestagsfraktion Veranlassung, mit den Verbänden der Opfer, mit einzelnen Betroffenen und vor allen Dingen auch mit den Behörden, die die Vorschriften in den neuen Ländern umsetzen müssen, zu sprechen. Umfangreiche Gespräche wurden geführt. Wir haben Anhörungen durchgeführt und die Defizite aufgenommen. In realistischer und pflichtbewußter Abwägung der Erfolgschancen für Verbesserungen haben wir am 19. März 1996 einen Gesetzentwurf auf Drucksache 13/4162 eingebracht. Der Ihnen vorliegende Bericht und die Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses erfassen jedoch nur Teilkomplexe, so daß Ergänzungen dringend erforderlich sind, die dem Hause heute von der SPD vorgelegt werden.
Meine Damen und Herren, die von der Koalition vorgelegten Vorschläge und die in den Berichterstattergesprächen erreichten Präzisierungen werden durch die SPD-Bundestagsfraktion mitgetragen. Das bezieht sich konkret auf das Verwaltungsrechtliche Rehabilitierungsgesetz, das durch einen § 1 a ergänzt wird, mit dem Rehabilitierungen möglich werden, wenn keines der in § 1 Abs. 1 Satz 1 des Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes genannten Rechtsgüter - Vermögen, berufliche Entwicklung, Gesundheit - beeinträchtigt wurde, jedoch die
Hans-Joachim Hacker
Maßnahme mit tragenden Grundsätzen eines Rechtsstaates schlechthin unvereinbar ist und aus Gründen der politischen Verfolgung zu einer schweren Herabwürdigung der Betroffenen im persönlichen Lebensbereich geführt hat.
Bereits in den Beratungen zum Zweiten SED-Unrechtsbereinigungsgesetz im Jahre 1994 hatte die SPD-Bundestagsfraktion eine entsprechende Regelung gefordert. Insofern ist es ein Fortschritt, daß es auch durch Mitwirkung der Enquete-Kommission „Überwindung der Folgen der SED-Diktatur" gelungen ist, diese Formulierung zu vereinbaren.
Die Befreiung der Zwangsausgesiedelten von der Verpflichtung zur Rückzahlung von Entschädigungsbeträgen für nicht mehr vorhandenes totes und lebendes Inventar ist richtig.
Im Geltungsbereich des Beruflichen Rehabilitierungsgesetzes werden Leistungen für Schüler bei Verfolgung vor dem Ende der Schulpflicht und Maßnahmen zur bevorzugten beruflichen Fortbildung und Umschulung geregelt. Des weiteren werden soziale Ausgleichsleistungen eingeführt, die die Lebenssituation ehemals politisch Verfolgter heute verbessern. Im Bundesausbildungsförderungsgesetz wird die Möglichkeit des vollständigen Erlasses von Bankdarlehen eingeführt.
Meine Damen und Herren, die Defizite sind jedoch offensichtlich und fordern zwingend eine Ergänzung des vorliegenden Gesetzentwurfes. Drei Regelungsbereiche, die im Gesetzentwurf der SPD-Fraktion enthalten sind, müssen dringend in das zu verabschiedende Gesetz übernommen werden. Deshalb stellt meine Fraktion heute einen Änderungsantrag zur namentlichen Abstimmung.
Es handelt sich dabei erstens um die notwendige Erhöhung der Kapitalentschädigung auf einheitlich 600 DM je angefangenen Haftmonat, zweitens um eine Regelung zur Anerkennung von Ansprüchen auf Beschädigtenrente bei Minderung der Erwerbsfähigkeit um 25 vom Hundert, wenn die Freiheitsentziehung vor dem 1. Januar 1970 mehr als ein Jahr betrug, und drittens um die Öffnung des Häftlingshilfegesetzes für die verschleppten Deutschen jenseits von Oder und Neiße.
Meine Damen und Herren, die Bedeutung der drei Regelungsbereiche muß ich den Mitgliedern dieses Hauses nicht mehr erläutern. Ihnen ist doch bekannt, welche Schieflage zwischen den Haftentschädigungen für die im „Gelben Elend" Inhaftierten und der Haftentschädigung für Herrn Stoph, der aus Krankheitsgründen nicht verurteilt wurde, besteht. Ihnen ist ferner bekannt, daß der Kausalzusammenhang zwischen den menschenverachtenden Haftbedingungen und dem Krankheitsbild des dadurch geschädigten politischen Häftlings nach vier Jahrzehnten oftmals nicht nachgewiesen werden kann. Schließlich wissen Sie, welches Schicksal die verschleppten Deutschen jenseits von Oder und Neiße, vor allen Dingen Mädchen und Frauen, auf dem Transport und in den Arbeitslagern ertragen haben.
Aus all dem erwächst für uns nun die Verpflichtung, heute auch Rechtsansprüche für diese Opfergruppen zu regeln. Ansonsten bleibt alles wieder nur Stückwerk.
Meine Damen und Herren, mir fällt es schwer nachzuvollziehen, daß von der Koalition - Herr Dr. Luther, Sie haben das heute wieder gemacht - immer wieder fiskalische Begründungen für die Leistungsbeschränkungen angeführt werden. Ich meine, die Bundesregierung hätte allen Grund gehabt, in anderen Regelungsbereichen zu sparen. Dazu hätten wir unsere Zustimmung gegeben.
Ich kann auch nicht nachvollziehen, daß von Ihnen, Herr Häfner, für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen dieser Gesetzentwurf als „Durchbruch" bezeichnet wurde. Ich beziehe mich auf Ihr Interview in der „Berliner Zeitung" vom 16. April 1997 und auf Ihre Aussagen im Rechtsausschuß, wo Sie erklärt haben, es sei nicht das Optimum, aber ein guter Kompromiß. Es ist eben kein guter Kompromiß, Herr Häfner. Wenn Sie bei dieser Bewertung bleiben, kann ich Ihren Gesetzentwurf, der Vorschläge enthielt, die weit über die Vorschläge der SPD-Bundestagsfraktion hinausgingen, leider nur als einen Fensterantrag bezeichnen.
Richtig und angemessen ist der Gesetzentwurf der Regierungskoalition auch nicht, Herr Professor Heuer, wie Sie im Rechtsausschuß ausgeführt haben. Richtig und angemessen wäre es gewesen, wenn Ihre Partei im Zusammenhang mit der Diskussion um die Verbesserung der Situation der Opfer politischer Verfolgung in der DDR einer der in Deutschland ansässigen Stiftungen eine angemessene Unterstützung gewährt hätte.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die von mir kritisierten Defizite können auch nicht durch den vorgelegten Entschließungsantrag ausgeglichen werden. Abhilfe und damit Gerechtigkeit für die zwischen 1945 und 1989 politisch Verfolgten schaffen nur klare Rechtsansprüche. Deshalb bitte ich Sie ganz herzlich: Treten Sie dem Änderungsantrag der SPD-Bundestagsfraktion bei!
Danke schön.
Das Wort hat der Kollege Gerald Häfner, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Name des Gesetzes, über das wir heute hier erneut sprechen und dann auch abstimmen werden, ist im Grunde ein Euphemismus. Unrecht läßt sich nicht bereinigen. Es läßt sich auch nicht wiedergutmachen oder sonstwie aus der Welt schaffen. Unrecht, vor allem staatliches Unrecht, kommt nicht wie ein Unwetter über die Menschen, sondern dieses Unrecht hat Namen, hat Gesichter, und es hat Hunderttausende von Opfern. Genauso gibt es Hunderttausende von schamlosen und feigen Tätern.
Gerald Häfner
Das heißt doch, wir alle werden weiter mit den Folgen dieses Unrechts leben müssen - die Opfer mit den schweren Traumata, mit den Verletzungen an Leib und Seele, die durch keine nachträglichen staatlichen Leistungen irgendwie wieder aus der Welt geschafft werden könnten, wenn sie auch sicher gelindert werden können.
Die Täter werden mit der quälenden Stimme ihres schlechten Gewissens leben müssen, sofern sie, was ich hoffe, ein solches Gewissen haben.
Und wir alle müssen mit der Tatsache leben - auch wenn sich hier jede Gleichsetzung meines Erachtens verbietet, weil sie maß- und geschmacklos wäre -, daß kurz nach der schlimmsten Diktatur auf deutschem Boden in großen Teilen unseres Landes erneut eine Diktatur möglich war, daß erneut Hunderttausende zu Bütteln eines terroristischen staatlichen Systems gegen die Menschen und noch viel mehr Menschen zu Opfern dieses staatlichen Terrors geworden sind.
Wir alle werden noch lange an den Folgen zu tragen haben. Was wir hier heute tun, ist nur ein kleiner Teil des Versuches, das uns heute Mögliche zu schaffen. Aber es ist ein wichtiger Maßstab für die Qualität eines Rechtsstaates, inwieweit er bereit und in der Lage ist, die Täter konsequent zur Rechenschaft zu ziehen und umgekehrt den Opfern rückhaltlos zur Seite zu stehen, ihnen in Anerkenntnis ihrer schuldlosen Verletzungen alle nur mögliche Anerkennung, Rehabilitierung, Entschädigung und Hilfe zukommen zu lassen.
Ich meine, daß die Bundesrepublik Deutschland hier bislang zwar einiges getan hat, aber in meinen Augen doch viel zuwenig, teilweise peinlich wenig. Deshalb ist diese Novelle heute dringend nötig.
Nun komme ich zu dem Punkt, den Sie gerade angesprochen haben. Sie sagen, wenn das stimme, was ich der Zeitung gesagt habe, daß dies ein Kompromiß sei, mit dem man leben könne, dann sei unser Gesetzentwurf nur ein Schaufensterantrag gewesen. Umgekehrt wird ein Schuh daraus, Herr Hacker. Es ist so, daß wir sehr viel mehr wollten und immer noch wollen. Sie wissen das genau. Ich stehe auch nicht an zu verschweigen, daß es mir sehr schwerfällt, hier zu reden, weil immer noch viel zuwenig erreicht wurde.
Gleichzeitig muß man aber sagen - weil Sie das wissen, Herr Hacker, will ich es deutlich sagen-: Ich habe damals mit allen Kollegen gesprochen und allseits zu hören bekommen: Das ist gelaufen, das kannst du vergessen, da läßt sich nichts mehr machen.
Dann haben wir uns hingesetzt, haben einen umfangreichen Gesetzentwurf geschrieben, während Sie der Meinung waren, das sei zu spät, das sei zu schwierig, das sei zu kompliziert.
Dann hat die SPD nachgezogen, nach vielen weiteren Monaten hat die Union nachgezogen, und dann gab es wieder den Beginn von Verhandlungen. Am Anfang war der Koalitionsantrag ein Versuch, die
Probleme eher zu verschleiern, als sie anzusprechen. Am Ende dieser Gespräche - und am Ende waren es wirklich Gespräche, bei denen wir einander zugehört haben und aufeinander zugegangen sind - ist etwas herausgekommen, was uns zwar viel zuwenig ist - das gebe ich gerne zu -, was aber für viele der betroffenen Opfer eine deutliche Verbesserung ist. Ich fände es schaufenstermäßig und falsch, dies zu verschweigen. Ich werde deshalb das, was in dem Antrag der Koalition enthalten ist, nicht ablehnen, auch wenn ich ihm nicht zustimmen kann.
Wir werden uns der Stimme enthalten und unseren Gesetzentwurf hier ebenfalls einbringen und weiter aufrechterhalten, womit wir deutlich machen, was nötig gewesen wäre und was man noch zusätzlich machen könnte. Ich weiß aber zugleich, daß das, was wir im Laufe der Gespräche erreicht haben - das sage ich jetzt ad personam, verbunden mit Dank an die Kollegen, die sich an den Gesprächen beteiligt haben -, das Maximum dessen war, was in dieser Koalition herauszuholen und zu erreichen ist. So sind die politischen Verhältnisse in diesem Haus.
Deshalb ist dies noch immer ein tragbarer Kompromiß. Wir werden ihn nicht ablehnen, sondern uns bei der Abstimmung enthalten. Wir werden aber unseren eigenen Entwurf aufrechterhalten, um deutlich zu machen, was alles fehlt und was noch nötig wäre.
Sie haben die Probleme der Kapitalentschädigung und der Nichtberücksichtigung vieler Personengruppen angesprochen. Deshalb und weil meine Redezeit hier außerordentlich kurz ist, werde ich das jetzt nicht noch einmal tun, möchte aber auf einen Punkt kurz eingehen, den wir in unserem Antrag auch angesprochen haben. Das ist das Problem der Zersetzungsmaßnahmen.
Sie wissen, daß in der ehemaligen DDR in einer perfektionistischen Form, wie es das vorher und nachher nirgendwo gegeben hat, Menschen zu Opfern staatlicher Zersetzungsmaßnahmen geworden sind mit dem Ziel, sie bis zu ihrer Vernichtung hin fertigzumachen, sie zu diskreditieren, im sozialen Umfeld zu isolieren usw. Diese Menschen fallen bisher aus der geltenden Entschädigungs- und Rehabilitierungsregelung völlig heraus.
Wir wollen, daß diese Zersetzungszeiten so wie Haftzeiten - aber ohne Urteil - behandelt werden und daß diese Menschen - deshalb haben wir diesen Vorschlag für § 1 a des Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes gemacht - endlich ebenfalls in den Kreis derer einbezogen werden, die Anspruch auf Entschädigungsleistungen haben.
Lassen Sie mich alles in allem am Schluß sagen: Es ist zwar wenig, was wir heute vorlegen, aber ein Fortschritt für die Opfer und die Betroffenen, der auf halbem Wege stehenbleibt. Trotzdem bin ich froh und stolz, daß wir dies hier erreichen konnten. Wir werden uns bei der Abstimmung über den Koalitionsantrag der Stimme enthalten. Wir bitten Sie dennoch - auch wenn ich geringe Hoffnung habe -, dem Gesetzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen zuzustimmen, der eine klarere, verbindlichere und vor
Gerald Häfner
allen Dingen angemessenere Regelung für alle betroffenen Opfergruppen vorschlägt.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat Herr Professor Rainer Ortleb, F.D.P.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kollege Luther hat sich schon ausführlich Details des Koalitionsentwurfes zugewandt und auch die entsprechenden Begründungen vorgetragen, so daß ich dazu nichts mehr Grundlegendes hinzufügen möchte. Ich möchte aber noch einmal betonen, daß die Ursache für diese heute vorgelegte Novellierung ja gerade ist, daß wir im Laufe der Anwendung dieses Gesetzes seine Mängel in der Zielrichtigkeit erkannt und demzufolge Verbesserungen in dieser Richtung zu erarbeiten versucht haben. Es ist natürlich schwer, alle berechtigten Forderungen tatsächlich erfüllen zu können, insbesondere dann, wenn sie materiellen Gehalt haben.
Gestatten Sie mir, daß ich, insbesondere auf meinen Vorredner, Herrn Häfner, eingehend, hier betone, daß derjenige, der einmal an einer Veranstaltung von Opferverbänden teilgenommen hat, in der Regel so viel Erschütterung erfahren hat, daß man alles geben möchte, was nur irgendwie möglich ist. Nur ist die Realität häufig komplizierter. Dies ist schwerer machbar, als man manchmal denkt.
Wir sollten uns vor allen Dingen darauf konzentrieren, wo es nur geht, die wirklich kapitalen Schäden, angefangen von Hinrichtungen bis zu schweren psychischen oder physischen Schäden, gutmachen zu wollen. Ich darf aber auch daran erinnern, daß zahlreiche Menschen gravierende Veränderungen ihres Lebensweges erfahren haben, ohne daß sie dabei psychisch oder physisch geschädigt wurden, denen aber ein anderes Leben quasi aufoktroyiert wurde, als sie es vorhatten.
Ich will zwei Beispiele nennen: Ich hatte als Bundesminister für Bildung und Wissenschaft mit einem Eingabefall eines jungen Mannes zu tun, wo es um eine BAföG-Angelegenheit ging. Dieser Mann ist von Grenzsoldaten der DDR bei dem Versuch, die Grenze über den Wasserweg zu verlassen, gestellt worden. Gott sei Dank kam es nicht zum Schußwaffengebrauch. Er hat nur die entsprechenden üblichen Folgen wie Jugendhaft usw. tragen müssen. Er war damals noch Jugendlicher. Sein Bildungsweg ist daraufhin ein anderer geworden. Ich bedaure, daß das Massengesetz BAföG damals einfach keine Ausnahmeregelung hergab, etwas Besonderes für diesen jungen Mann zu tun.
Ein anderes Beispiel: Ein Lehrer hat mir einen längeren Brief geschrieben, in dem er mir seine veränderte Lebensbahn in Verdienstausfall umgerechnet hat. Er ist als Lehrer wegen politischer Äußerungen im Dienstamt strafversetzt worden. Da ergab sich eine erkleckliche Summe. Der Brief schloß damit, daß er das Geld nicht einfordern könne und wolle, daß er aber darauf aufmerksam machen wolle, daß es auch solche Dinge gegeben hat.
Ich möchte diesen einfacheren Beispielen einen Appell zur Hilfe durch jedermann dort, wo das möglich ist, anschließen. Ich sehe zum Beispiel, daß ein Bildungsweg von einem Professor vielleicht gründlicher und besser begleitet werden kann, wenn er weiß, daß er hier etwas Nachhilfe im wahrsten Sinne des Wortes leisten muß, oder daß ein Dienstvorgesetzter einen solchen Knick im Lebenslauf oder andere Schäden, die geblieben sind, mit in die Wertung nimmt, wenn es darum geht, für welche Laufbahn der oder die Betreffende vorgesehen ist. Es gibt also viele Möglichkeiten kleiner Zivilcourage, hier das eine oder andere noch zu glätten und dabei zu helfen; denn es bleibt bei allem Bemühen der schale Geschmack, daß geschehenes Unrecht nicht ungeschehen gemacht werden kann.
Ich möchte abschließend nochmals betonen, daß der nun zu vollziehende Schritt ein Schritt in die Richtung zur Besserung ist. Aber wenn Sie meine ehrliche Antwort hören wollen: Auch ich bin nicht mit dem zufrieden, was wir bisher leisten konnten und geleistet haben.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Kollege Uwe-Jens Heuer, PDS.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ganz offensichtlich - das ist hier gesagt worden - gibt es Lücken und Mängel hinsichtlich der Rehabilitierung und Entschädigung von Opfern strafrechtlicher, beruflicher und verwaltungsrechtlicher Verfolgung in der DDR. Die vorliegenden Gesetzentwürfe und Anträge wollen konkrete Verbesserungen vor allem für diejenigen bringen, die sich verfolgungsbedingt in einer schwierigen Situation befinden. Wir unterstützen dieses Anliegen, so insbesondere auch die Verdoppelung des Monatsbetrages der Ausgleichsleistungen auf 300 DM bei der beruflichen Rehabilitierung und den Wegfall der zeitlichen Begrenzung sowie eine konsequentere und wirkungsvollere Einbeziehung von Schülerinnen und Schülern in die Wiedergutmachung.
Bedauerlich ist für uns, daß der im Entwurf der SPD-Fraktion vorgesehenen Kapitalentschädigung auf durchgängig 600 DM von den Koalitionsparteien nicht entsprochen wird. Die in der Beschlußempfehlung ausgesprochene Erwartung, daß die Bundesregierung die im Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz vorgesehenen Unterstützungsleistungen ausbaut, erscheint mir doch recht absonderlich. Koalitionsparteien und Bundesregierung sind ja schließlich keine getrennten Welten. Wenn die Koalitionsparteien diese Erwartung haben, dann sollte doch eigentlich die Bundesregierung ihr auch hier und heute durch eine gesetzliche Leistungsverbesserung im Sinne des zur namentlichen Abstimmung vorlie-
Dr. Uwe-Jens Heuer
genden Änderungsantrages der Fraktion der SPD entsprechen. Diese Möglichkeit besteht ja.
Was den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu den Zersetzungsmaßnahmen und den Konsequenzen in bezug auf Kapitalentschädigung betrifft, sind wir nicht in der Lage, ihm zuzustimmen, weil wir meinen, daß die Voraussetzungen vage sind und daß es Schwierigkeiten bei der gerichtlichen Entscheidung über die analoge Anwendung von Freiheitsentziehung auf diese Fälle geben würde. Wir meinen, der Antrag bietet keine tragfähige Lösung für das zweifellos bestehende Problem.
Meine Damen und Herren, ich möchte darauf aufmerksam machen, daß es auch in bezug auf die alte Bundesrepublik noch Fragen bezüglich der Auseinandersetzung mit massiven Ungerechtigkeiten in den Zeiten des Kalten Krieges mit etwa 10 000 Opfern einer strafrechtlichen politischen Verfolgung gibt.
Meine Damen und Herren, vielleicht kann ich Sie in diesem Zusammenhang in einer für die gemeinsame Zukunft wichtigen Frage doch zu einer Überlegung bewegen: Am 24. April erklärte Václav Havel vor diesem Hause, daß „nur eine Gemeinschaft, welche die Wahrheit über ihre eigene Geschichte erkennen kann und darf, ... tatsächlich eine freie Gemeinschaft" sei. Dazu gehöre auch, „daß ich den anderen sehe, mich in seine Lage hineinzuversetzen, in seine Erfahrungen hineinzufühlen und in seine Seele hineinzuschauen vermag".
Die Bundestagspräsidentin zitierte am gleichen Tag den Bundeskanzler mit der Aufforderung: „Wir dürfen nicht Gefangene der Vergangenheit bleiben, sonst hätte die Vergangenheit letztlich gesiegt. "
Was ist der Grund, daß alles das, was für Deutsche und Tschechen gilt, für Deutsche und Deutsche nicht gelten soll?
Wir beschließen heute über die Rehabilitierung von Opfern politischer Verfolgung in der DDR. Es gab aber auch Millionen von Menschen in der DDR, die loyal oder positiv zu diesem Staat standen, und es gab in der alten Bundesrepublik Menschen, die in der DDR den besseren deutschen Staat sahen. Auch ihre Geschichte ist Teil deutscher Geschichte. Nur wenn wir unsere gemeinsame deutsche Vergangenheit annehmen, die Geschichte des anderen verstehen wollen, werden wir eine gemeinsame Zukunft haben.
Das Wort hat der Herr Bundesminister Professor Schmidt-Jortzig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Unrecht von 40 Jahren SED-Diktatur läßt sich nicht ungeschehen machen. Das Leid der Opfer läßt sich nicht löschen. Die verlorenen Jahre lassen sich nicht nachholen. Deshalb lassen sich 40 Jahre DDR auch nicht im Wege des Schadenersatzes aufarbeiten.
Oft sind die Folgen des Unrechts weder in Geld zu messen noch überhaupt durch Geld wiedergutzumachen. Deshalb hat der federführende Rechtsausschuß den Vorschlag der Enquete-Kommission „Überwindung der Folgen der SED-Diktatur" aufgegriffen und die Möglichkeit einer moralischen Rehabilitierung, so fragwürdig dieser Begriff ist, vorgesehen. Ich begrüße das sehr.
Die Rehabilitierung soll die Rechtsstaatswidrigkeit gravierender Unrechtsmaßnahmen des SED-Regimes feststellen. Den Opfern wird von seiten des Staates klar und eindeutig bescheinigt, daß ihnen Unrecht geschehen ist. Für viele Menschen ist das wichtig, wird doch ihre Ehre wiederhergestellt, ihr Selbstwertgefühl gestärkt und ihre Position in der Gesellschaft gefestigt.
Meine Damen und Herren, in den meisten Fällen lassen sich aber die Folgen erlittenen Unrechts durch Geld mildern. Deshalb bin ich froh, daß es uns trotz der schwierigen Situation der öffentlichen Haushalte - des Bundeshaushaltes in diesem Falle - gelungen ist, Leistungsverbesserungen vorzusehen. Sie sind nicht optimal, aber angesichts der knappen Kassen das Beste, was herauszuholen war.
Die zusätzlichen Mittel müssen wir aber auf diejenigen konzentrieren, die sich noch heute - verfolgungsbedingt - in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage befinden. Verbessert werden deshalb die Ausgleichsleistungen, die das Gesetz über die berufliche Rehabilitierung für diese Betroffenen vorsieht. Die monatlichen Ausgleichsleistungen werden auf 300 DM verdoppelt. Die Einkommensgrenzen werden erheblich angehoben, damit deutlich mehr Verfolgungsopfer Leistungen erhalten, und auch Rentner, die bislang allein auf den Nachteilsausgleich in der Rentenversicherung angewiesen waren, werden in den Kreis der Anspruchsberechtigten einbezogen.
Diese Anhebung der Einkommensgrenzen im Gesetz über die berufliche Rehabilitierung eröffnet die Möglichkeit, auch die Unterstützungsleistungen des Gesetzes über die strafrechtliche Rehabilitierung spürbar auszubauen.
Die Bundesregierung wird das Erforderliche zusammen mit der Stiftung für ehemalige politische Häftlinge umsetzen. Dabei denken wir nicht allein an die ehemaligen politischen Häftlinge selbst, sondern gerade auch an die Hinterbliebenen, in erster Linie an die unmittelbar vom Schicksal des Inhaftierten betroffenen Ehegatten und an die Hinterbliebenen der Todesopfer.
Meine Damen und Herren, ein größerer finanzieller Spielraum wäre im Interesse der Opfer wünschenswert, aber ich muß in diesem Hause nicht die Situation der öffentlichen Haushalte schildern.
Damit die vorgelegten Verbesserungen greifen können, bitte ich um Ihre Zustimmung zum Gesetz-
Bundesminister Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
entwurf der Koalition. Denn jeder Monat Verzögerung kostet die Verfolgungsopfer bares Geld.
Vielen Dank.
Ich erteile dem Abgeordneten Dr. Dietrich Mahlo das Wort.
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Wir beraten heute über eine Novellierung des SED-Unrechtsbereinigungsgesetzes. Das Terrain ist kompliziert. Wir haben schon in der Vergangenheit versucht, in einem breiten Spektrum zu helfen. Dabei wissen nicht immer alle, die heute mitreden, den Überblick zu behalten. Wir werden aber heute erfreulicherweise eine deutliche Besserstellung der Geschädigten beschließen. Obgleich ich die billige Geringschätzung des bisher Geleisteten zurückweise, ist ehrlicherweise einzuräumen, daß von einer wirklich angemessenen und ausreichenden Entschädigung auch in der Zusammenschau noch nicht gesprochen werden kann, zumindest nicht im Vergleich zu Zahlungen, die wir an anderer Stelle leisten oder geleistet haben, und zu dem, was wir immer gesagt haben, auch nicht angesichts dessen, was die betroffenen Menschen durchgemacht haben. Hier dürfte noch nicht das letzte Wort gesprochen sein.
Zu den Alternativen der SPD, deren Forderungen übrigens in einer Fülle von Punkten entsprochen wird, ist das Notwendige bereits gesagt worden. Wir werden am Verhalten im Bundesrat und im Vermittlungsausschuß sehen, was Show war und was ehrlich gemeint ist.
Solange in der augenblicklich angespannten Situation nicht alle Wünsche erfüllt werden, ist der nun eingeschlagene Weg, zunächst und vor allem dort zu helfen, wo die Not am größten ist, der einzig richtige. Das ist ein Gebot der Vernunft.
Das Zustandekommen des Gesetzes ist mehr als anderen einem Mann zu danken, der mit realistischer Nüchternheit, beharrlich und in aller Stille an Verbesserungen gearbeitet und diese vorbereitet hat, nämlich unserem Kollegen Michael Luther. Ich erlaube mir, dies hier anerkennend und dankbar anzumerken.
Vielen Dank.
Ich erteile das Wort nun dem Abgeordneten Rolf Schwanitz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der heutigen Debatte sprechen die Bundesregierung und die Koalition von CDU/CSU und F.D.P. ihr letztes Wort zu den ungerechten und unzureichenden Regelungen des Ersten und des Zweiten SED-Unrechtsbereinigungsgesetzes. Damit sollen heute zugleich alle berechtigten Hoffnungen der Opfer von politischer Verfolgung in der SBZ und DDR beerdigt werden und nach dem Willen der Koalition möglichst rasch in Vergessenheit geraten.
Die SPD-Bundestagsfraktion wird sich an diesem perfiden Spiel nicht beteiligen, sondern wir reden hier Klartext. Dies möchte ich in vier Punkten gegenüber der Öffentlichkeit festhalten:
Erstens. Bei den mühseligen und von der Koalition immer wieder verschleppten Verhandlungen über eine Verbesserung der Unrechtsbereinigungsgesetze waren die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen nicht zu einer substantiellen Verbesserung der Gesetze bereit. Unser Gesetzesvorschlag, der bekanntlich bereits Anfang 1996 in das Parlament eingebracht wurde, war ausdrücklich ein offenes Angebot an die Koalition,
die unzureichenden Regelungen in den Gesetzen wenigstens in einigen wichtigen Punkten zu verbessern. Im Gegensatz dazu verhielt sich die Bundesregierung völlig passiv; auch die Koalitionsfraktionen waren nicht bereit, die Unrechtsbereinigungsgesetze in ihrem Kernbereich zu verändern. Was heute als Gesetz der Koalition auf den Weg gebracht werden soll und bereits hier im Parlament von einigen Abgeordneten bejubelt und gefeiert worden ist, geht am Kern der Probleme, an den Entschädigungsansprüchen der Opfer völlig vorbei und verbessert lediglich marginal die Zuwendungen für heute in Not geratene Opfer des SED-Regimes. Der bereits früher von uns kritisierte Trend, daß durch dieses und die früheren Gesetze die Rehabilitierungsleistungen nicht in erster Linie eine Frage der gesellschaftlichen Anerkennung von politischer Verfolgung sind, sondern zu einer Unterabteilung der Sozialhilfe verkommen, wird durch diese von der Koalition eingebrachten Gesetzentwürfe nachdrücklich verstärkt.
Zweitens. Es ändert sich auch durch dieses Gesetz an den sonst unzureichenden Regelungen der Gesetze nichts. Die Rehabilitierung und die kümmerlichen Wiedergutmachungen bleiben damit eine offene Wunde auf dem Weg zur inneren Einheit Deutschlands.
Die Unrechtsbereinigungsgesetze tragen so auch weiterhin kaum etwas zur inneren Befriedung bei. Es bleibt bei den unzureichenden Regelungen für die Anerkennung gesundheitlicher Haftschäden. Es bleibt bei der Ausgrenzung ganzer Opfergruppen, der Internierten und Verschleppten östlich von Oder und Neiße mit späterem Wohnsitz in der DDR. Es bleibt bei den lächerlichen Ansprüchen für Hinterbliebene der Todesopfer, der in den Haftanstalten gestorbenen, der an der Grenze erschossenen oder der durch die DDR-Justiz aus politischen Gründen zum Tode verurteilten Personen. Es bleibt beim Skandal der Entschädigung von Stoph im Verhältnis zu der seiner Opfer. All diese schweren und oft besprochenen Mängel des geltenden Rechts werden nicht geändert und sollen nach dem Willen der Koalition
Rolf Schwanitz
auch künftig fortbestehen. Das ist unerträglich. Dies machen wir nicht mit, meine Damen und Herren.
Drittens. Die Koalition hat in den zurückliegenden Wochen und Monaten mit ihrem Gesetzentwurf die Opferverbände erneut getäuscht und mißachtet. Wenn der CDU-Bundestagsabgeordnete Luther, der hier gerade noch einmal gelobt worden ist, noch im November in einem Brief an die Vereinigung der Opfer des Stalinismus ankündigt, die ursprünglich mit dem Ersten und dem Zweiten SED-Unrechtsbereinigungsgesetz angedachten, aber nicht ausgeschöpften finanziellen Mittel sollten mit diesem Gesetz den Opfern auf jeden Fall zur Verfügung gestellt werden - das wären 700 bis 800 Millionen DM gewesen -, gleichzeitig aber bereits diesen kümmerlichen Gesetzentwurf der CDU/CSU in der Schublade hat, der noch nicht einmal 20 Millionen DM zugunsten der Opfer enthält, dann ist dies eine der übelsten politischen Täuschungen, die ich in den letzten Jahren in diesem Hause erlebt habe.
Diese Ignoranz Bonner Politiker der Christlich-Demokratischen Union gegenüber den Mängeln und Lücken der Unrechtsbereinigungsgesetze ist nicht länger hinnehmbar, schreibt der Vorsitzende des CDU-Kreisverbandes Cottbus. Dem ist nichts hinzuzufügen, meine Damen und Herren.
Viertens. Der Gesetzentwurf der Koalition ist auch eine vertane Chance, das unerträgliche Ungleichgewicht zwischen der Wiedergutmachung von Freiheitsschäden auf der einen und der Wiedergutmachung von Eigentumsschäden auf der anderen Seite endlich abzumildern. Während durch den Grundsatz „Rückgabe vor Entschädigung" und durch das 20 Milliarden DM schwere Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz Eigentumsschäden mit massiven Vermögensleistungen ausgeglichen werden, bleibt es für die politisch . Verfolgten für die Schäden an Freiheit, Leib und Leben bei dem kümmerlichen Leistungsangebot.
Wenn der Bundesjustizminister einmal mit dem gleichen Interesse und mit der gleichen Energie an die Verbesserung der Unrechtsbereinigungsgesetze herangegangen wäre, wie er permanent nach der Stärkung der Alteigentümeransprüche ruft, dann wären wir bei den politischen Verfolgten bereits einen wesentlichen Schritt vorangekommen, meine Damen und Herren.
Statt dessen heißt die Devise auch weiterhin „Eigentum geht vor Freiheit" - eine bittere Botschaft, die für viele ehemalige politisch Verfolgte den Glauben an den Rechtsstaat und die Hoffnungen auf die Vereinigung in Deutschland zerstört.
Meine Damen und Herren, wer Rehabilitierung nicht als Frage der Gerechtigkeit und der Anerkennung, sondern als Nothilfeproblem begreift, wer ganze Opferverbände, ganze Opfergruppen dauerhaft ausgrenzt und massive Rechtsmängel kennt, sie dennoch nicht behebt, wer zuläßt, daß sich gefährliche Erfahrungen wie „Eigentum geht vor Freiheit" und „Täter kommen vor Opfer" als neue prägende Erkenntnisse im Bewußtsein der Menschen festsetzen, der handelt nicht nur ungerecht gegenüber einzelnen, sondern stellt die Aufarbeitung der zweiten Diktatur in Deutschland grundsätzlich in Frage.
Deshalb lehnen wir diesen Gesetzentwurf ab.
Ich schließe damit die Aussprache.
Ich möchte zunächst die Geschäftsführer erinnern, daß verabredet worden ist, die Reden zu Tagesordnungspunkt 5 zu Protokoll zu geben. Wir haben noch nicht alle Reden hier. Ich bitte, daran zu denken.
Wir treten dann in die Abstimmungen ein, und zwar in der Weise, daß zunächst zwei namentliche und eine nicht namentliche Abstimmung folgen. Wir müssen dann die Auszählung dieser namentlichen Abstimmungen abwarten, ehe wir bei diesem Gesetzentwurf weiter abstimmen können. Wir werden also in der Zwischenzeit einige weitere einfache Abstimmungen durchführen können.
Ich komme zunächst zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Gesetzentwurf zur Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften für Opfer der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR. Das sind die Drucksachen 13/6496 und 13/7491 Buchstabe a. Dazu liegen drei Änderungsanträge vor, über die zuerst abgestimmt werden muß. Der erste ist der Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/7502. Die Fraktion der SPD hat dazu namentliche Abstimmung beantragt.
Ich bitte also die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Darf ich fragen, ob alle Urnen besetzt sind? - Das ist der Fall. Ich eröffne die namentliche Abstimmung. - Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch abgeben will? - Dann bitte ich, das zu tun.
Ich darf die Kollegen darauf aufmerksam machen, daß unmittelbar nach dieser Abstimmung eine zweite namentliche Abstimmung folgt. Dann gibt es eine Reihe weiterer Abstimmungen. Am Schluß der Plenarsitzung gibt es eine dritte namentliche Abstimmung zu einem anderen Tagesordnungspunkt. Jetzt folgt unmittelbar noch eine weitere namentliche Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und mache darauf aufmerksam, daß keine weiteren Stimmen angenommen werden dürfen.
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird später bekanntgegeben.*)
Wir setzen die Abstimmungen fort. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/ 7656. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen verlangt auch zu diesem Antrag namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, wieder die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind alle Urnen besetzt? - Ich eröffne die Abstimmung.-
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Ich mache darauf aufmerksam, daß nach Schluß der Abstimmung keine Stimmen mehr entgegengenommen werden können. - Dann schließe ich hiermit die Abstimmung.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird später bekanntgegeben.**)
Wir setzen die Beratungen und Abstimmungen fort. Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/7655. Wer für diesen Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Antrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Stimmenthaltung des Hauses im übrigen abgelehnt worden ist.
Bevor wir über den Gesetzentwurf weiter abstimmen können, müssen die Ergebnisse der beiden namentlichen Abstimmungen vorliegen. Deswegen stimmen wir zunächst über die anderen Vorlagen ab.
Ich rufe jetzt zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD zur Verbesserung rehabilitierungs- und häftlingshilferechtlicher Vorschriften, Drucksache 13/4162, auf. Der Rechtsausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/7491 Buchstabe b, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse über den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/ 4162 abstimmen und bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition bei Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt worden ist.
Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Ich komme nun zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Verbesserung der Rechtsstellung der Opfer der SED-Diktatur, Drucksache 13/3038. Der Rechtsausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/7491 Buchstabe c, diesen Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse über den
*) Seite 15813 A **) Seite 15815 C
Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/3038 abstimmen und bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Stimmenthaltung des Hauses im übrigen abgelehnt worden ist.
Da der Gesetzentwurf in zweiter Beratung abgelehnt ist, entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Nun rufe ich die Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/ CSU und F.D.P. zur Verbesserung der Rehabilitierung und Entschädigung von Opfern der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR auf. Das sind die Drucksachen 13/4568 und 13/7491 Buchstabe d. Der Rechtsausschuß empfiehlt, den Antrag für erledigt zu erklären. Wer dieser Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Antrag bei Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit den Stimmen des übrigen Hauses angenommen worden ist.
Dann rufe ich die Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD zu Verbesserungen bei der Rehabilitierung von SED-Unrecht über die Verlängerung von Antragsfristen hinaus auf. Das sind die Drucksachen 13/2445 und 13/7491 Buchstabe e. Der Ausschuß empfiehlt, auch diesen Antrag für erledigt zu erklären. Wer der Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! -Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß auch diese Beschlußempfehlung bei Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit den Stimmen des übrigen Hauses angenommen worden ist.
Der Rechtsausschuß empfiehlt unter Buchstabe f seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 13/7491 die Annahme einer Entschließung. Die Fraktion der SPD verlangt dazu getrennte Abstimmung.
Wer Nr. 1 der Entschließung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß Nr. 1 mit den Stimmen der Koalition bei Stimmenthaltung des übrigen Hauses angenommen worden ist.
Dann rufe ich Nr. 2 der Entschließung auf. Wer Nr. 2 der Entschließung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß Nr. 2 der Entschließung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Fraktion der SPD bei Stimmenthaltung des übrigen Hauses angenommen worden ist.
Damit ist die Entschließung insgesamt angenommen worden.
Ich gebe das von den Schriftführern und Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/7502 zu dem Ent-
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
wurf eines Gesetzes zur Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften für Opfer der politischen Verfolgung der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. bekannt. Abgegebene Stimmen 627. Mit Ja haben gestimmt 298. Mit Nein haben gestimmt 328. Es gab eine Enthaltung. Der Änderungsantrag ist damit abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 626 davon:
ja: 298
nein: 327
enthalten: 1
Ja
CDU/CSU
Gerhard Scheu
SPD
Brigitte Adler Gerd Andres Robert Antretter
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett Klaus Barthel Ingrid Becker-Inglau
Hans Berger Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher Rudolf Bindig
Anni Brandt-Elsweier
Dr. Eberhard Brecht
Edelgard Bulmahn
Ursula Burchardt
Hans Martin Bury
Hans Büttner Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Peter Conradi
Dr. Herta Däubler-Gmelin Christel Deichmann
Karl Diller
Dr. Marliese Dobberthien Peter Dreßen
Freimut Duve Ludwig Eich Peter Enders Gernot Erler Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Dagmar Freitag Anke Fuchs
Katrin Fuchs
Arne Fuhrmann Monika Ganseforth
Konrad Gilges Iris Gleicke Günter Gloser Uwe Göllner
Günter Graf Angelika Graf (Rosenheim) Dieter Grasedieck
Achim Großmann Karl Hermann Haack
Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Manfred Hampel Christel Hanewinckel Alfred Hartenbach
Dr. Liesel Hartenstein Klaus Hasenfratz
Dr. Ingomar Hauchler Dieter Heistermann Reinhold Hemker Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks Monika Heubaum Uwe Hiksch
Reinhold Hiller Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Frank Hofmann Ingrid Holzhüter
Erwin Horn
Eike Hovermann Lothar Ibrügger Wolfgang Ilte
Barbara Imhof
Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate Jäger
Jann-Peter Janssen Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung Sabine Kaspereit Susanne Kastner
Ernst Kastning
Hans-Peter Kemper Klaus Kirschner Marianne Klappert Siegrun Klemmer Hans-Ulrich Klose
Dr. Hans-Hinrich Knaape Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper Nicolette Kressl Volker Kröning Thomas Krüger Horst Kubatschka Eckart Kuhlwein Helga Kühn-Mengel Konrad Kunick
Christine Kurzhals Dr. Uwe Küster
Werner Labsch
Brigitte Lange
Detlev von Larcher Waltraud Lehn
Robert Leidinger Dr. Elke Leonhard
Klaus Lohmann Christa Lörcher
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß Winfried Mante Dorle Marx
Ulrike Mascher Christoph Matschie Ingrid Matthäus-Maier Heide Mattischeck Ulrike Mehl
Herbert Meißner Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer Ursula Mogg
Siegmar Mosdorf
Jutta Müller Christian Müller (Zittau) Volker Neumann (Bramsche) Gerhard Neumann (Gotha) Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese Doris Odendahl
Günter Oesinghaus Leyla Onur
Manfred Opel Adolf Ostertag Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Winfried Penner
Dr. Martin Pfaff Georg Pfannenstein
Joachim Poß
Rudolf Purps
Karin Rehbock-Zureich Margot von Renesse
Renate Rennebach Otto Reschke Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Günter Rixe
Reinhold Robbe Gerhard Rübenkönig Marlene Rupprecht Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch Dieter Schanz
Rudolf Scharping Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer Siegfried Scheffler Otto Schily
Dieter Schloten Günter Schluckebier
Horst Schmidbauer
Ulla Schmidt Dagmar Schmidt (Meschede) Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt
Dr. Emil Schnell Walter Schöler Ottmar Schreiner Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert Richard Schuhmann
Brigitte Schulte Volkmar Schultz (Köln)
Ilse Schumann
Dr. R. Werner Schuster Dietmar Schütz Dr. Angelica Schwall-Düren Ernst Schwanhold
Rolf Schwanitz Bodo Seidenthal
Lisa Seuster
Horst Sielaff
Erika Simm
Johannes Singer
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Wieland Sorge
Wolfgang Spanier Dr. Dietrich Sperling Jörg-Otto Spiller Ludwig Stiegler
Dr. Peter Struck Joachim Tappe Jörg Tauss
Dr. Bodo Teichmann
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim Wolfgang Thierse Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Siegfried Vergin
Ute Vogt
Karsten D. Voigt Hans Georg Wagner
Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Reinhard Weis Matthias Weisheit Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen Jochen Welt
Hildegard Wester Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Norbert Wieczorek Helmut Wieczorek
Heidemarie Wieczorek-Zeul Dieter Wiefelspütz
Berthold Wittich
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Hanna Wolf
Heidi Wright Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley
BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN
Gila Altmann Elisabeth Altmann
Volker Beck (Köln) Angelika Beer
Matthias Berninger Annelie Buntenbach Amke Dietert-Scheuer Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Uschi Eid
Andrea Fischer Joseph Fischer (Frankfurt) Rita Grießhaber
Gerald Häfner
Antje Hermenau Kristin Heyne
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt Oswald Metzger Kerstin Müller
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
Winfried Nachtwei Christa Nickels
Egbert Nitsch Cem Özdemir
Gerd Poppe
Simone Probst Halo Saibold Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk Albert Schmidt Wolfgang Schmitt
Ursula Schönberger Waltraud Schoppe Christian Sterzing Manfred Such
Dr. Antje Vollmer Ludger Volmer
Helmut Wilhelm
PDS
Petra Bläss
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter Heinrich Graf von Einsiedel Dr. Ludwig Elm
Dr. Dagmar Enkelmann
Dr. Ruth Fuchs
Dr. Uwe-Jens Heuer Dr. Barbara Höll
Dr. Willibald Jacob Ulla Jelpke
Gerhard Jüttemann
Dr. Heidi Knake-Werner
Rolf Kutzmutz
Dr. Christa Luft Heidemarie Lüth
Dr. Günther Maleuda Manfred Müller Rosel Neuhäuser
Dr. Uwe-Jens Rössel Christina Schenk Steffen Tippach Maus-Jürgen Warnick
Dr. Winfried Wolf
Gerhard Zwerenz
Fraktionslose
Kurt Neumann
Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam
Peter Altmaier
Anneliese Augustin Jürgen Augustinowitz Dietrich Austermann Heinz-Günter Bargfrede Franz Peter Basten
Dr. Wolf Bauer
Brigitte Baumeister Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank Renate Blank
Dr. Heribert Blens Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm . Friedrich Bohl
Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch
Klaus Brähmig
Rudolf Braun Paul Breuer
Monika Brudlewsky Georg Brunnhuber Klaus Bühler Hartmut Büttner
Dankward Buwitt
Manfred Carstens Peter Harry Carstensen
Wolfgang Dehnel Hubert Deittert Gertrud Dempwolf Albert Deß
Renate Diemers Wilhelm Dietzel Werner Dörflinger Hansjürgen Doss Dr. Alfred Dregger Maria Eichhorn Wolfgang Engelmann
Rainer Eppelmann Heinz Dieter Eßmann
Horst Eylmann Anke Eymer
Ilse Falk
Jochen Feilcke Ulf Fink
Leni Fischer
Klaus Francke Herbert Frankenhauser
Dr. Gerhard Friedrich
Erich G. Fritz
Hans-Joachim Fuchtel Michaela Geiger Norbert Geis
Michael Glos
Wilma Glücklich
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer Joachim Gres Kurt-Dieter Grill Wolfgang Gröbl Hermann Gröhe Claus-Peter Grotz Manfred Grund
Horst Günther Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein
Gottfried Haschke
Gerda Hasselfeldt
Otto Hauser Hansgeorg Hauser
Klaus-Jürgen Hedrich Helmut Heiderich Manfred Heise
Detlef Helling
Dr. Renate Hellwig Ernst Hinsken Peter Hintze
Josef Hollerith
Dr. Karl-Heinz Hornhues Siegfried Hornung Joachim Hörster
Hubert Hüppe Peter Jacoby
Susanne Jaffke Georg Janovsky Helmut Jawurek Dr. Dionys Jobst Dr.-Ing. Rainer Jork
Michael Jung Ulrich Junghanns
Dr. Egon Jüttner Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter
Dr.-Ing. Dietmar Kansy Manfred Kanther Irmgard Karwatzki Volker Kauder
Peter Keller
Eckart von Klaeden Dr. Bernd Klaußner Ulrich Klinkert Hans-Ulrich Köhler
Manfred Kolbe Norbert Königshofen Eva-Maria Kors Hartmut Koschyk Manfred Koslowski Thomas Kossendey Rudolf Kraus
Wolfgang Krause Andreas Krautscheid
Arnulf Kriedner Heinz-Jürgen Kronberg Dr.-Ing. Paul Krüger
Reiner Krziskewitz Dr. Hermann Kues Werner Kuhn
Dr. Karl A. Lamers
Dr. Norbert Lammert
Helmut Lamp Armin Laschet Herbert Lattmann Dr. Paul Laufs Karl-Josef Laumann
Werner Lensing Peter Letzgus Editha Limbach
Walter Link Eduard Lintner
Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann
Julius Louven Sigrun Löwisch Heinrich Lummer Dr. Michael Luther
Erich Maaß Dr. Dietrich Mahlo
Erwin Marschewski Günter Marten
Dr. Martin Mayer
Wolfgang Meckelburg Rudolf Meinl
Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz
Rudolf Meyer
Hans Michelbach Meinolf Michels Dr. Gerd Müller
Elmar Müller Engelbert Nelle
Bernd Neumann Johannes Nitsch Claudia Nolte
Dr. Rolf Olderog Friedhelm Ost
Eduard Oswald
Norbert Otto Dr. Gerhard Päselt Dr. Peter Paziorek Hans-Wilhelm Pesch Ulrich Petzold
Anton Pfeifer
Angelika Pfeiffer Dr. Gero Pfennig
Dr. Friedbert Pflüger Beatrix Philipp
Dr. Winfried Pinger Ronald Pofalla
Dr. Hermann Pohler Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff Dr. Bernd Protzner Dieter Pützhofen Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer Rolf Rau
Helmut Rauber
Peter Rauen
Otto Regenspurger
Christa Reichard Klaus Dieter Reichardt
Dr. Bertold Reinartz Erika Reinhardt
Hans-Peter Repnik Roland Richter
Roland Richwien Dr. Norbert Rieder
Dr. Erich Riedl Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer
Hannelore Rönsch
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith Adolf Roth Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck Volker Rühe
Dr. Jürgen Rüttgers Roland Sauer Ortrun Schätzle
Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Heinz Schemken Karl-Heinz Scherhag Norbert Schindler Dietmar Schlee
Ulrich Schmalz
Christian Schmidt Dr.-Ing. Joachim Schmidt (Halsbrücke)
Andreas Schmidt Hans-Otto Schmiedeberg Hans Peter Schmitz
Michael von Schmude Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr von
Schorlemer
Dr. Erika Schuchardt Wolfgang Schulhoff
Vizenräsident Dr. Burkhard Hirsch
Dr. Dieter Schulte
Gerhard Schulz (Leipzig) Frederick Schulze
Diethard Schütze Clemens Schwalbe
Dr. Christian Schwarz-Schilling
Wilhelm Josef Sebastian Horst Seehofer
Marion Seib
Wilfried Seibel Heinz-Georg Seiffert
Rudolf Seiters Johannes Selle Jürgen Sikora
Johannes Singhammer Bärbel Sothmann Margarete Späte Wolfgang Steiger Erika Steinbach
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten
Dr. Gerhard Stoltenberg Andreas Storm
Max Straubinger Matthäus Strebl Michael Stübgen Egon Susset
Dr. Rita Süssmuth Michael Teiser
Dr. Susanne Tiemann
Dr. Klaus Töpfer Gottfried Tröger
Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Gunnar Uldall Wolfgang Vogt
Dr. Horst Waffenschmidt
Dr. Theodor Waigel
Alois Graf von Waldburg-Zeil Dr. Jürgen Warnke
Kersten Wetzel
Hans-Otto Wilhelm Gert Willner
Bernd Wilz
Willy Wimmer Matthias Wissmann
Dr. Fritz Wittmann Dagmar Wöhrl Michael Wonneberger
Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach
Cornelia Yzer Wolfgang Zeitlmann
Benno Zierer Wolfgang Zöller
F.D.P.
Ina Albowitz
Dr. Gisela Babel
Hildebrecht Braun
Günther Bredehorn Jörg van Essen
Dr. Olaf Feldmann Gisela Frick
Paul K. Friedhoff Horst Friedrich
Rainer Funke
Hans-Dietrich Genscher Dr. Wolfgang Gerhardt Joachim Günther
Dr. Karlheinz Guttmacher Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Dr. Burkhard Hirsch Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Detlef Kleinert Roland Kohn
Dr. Heinrich L. Kolb Jürgen Koppelin
Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger Uwe Lühr
Günther Friedrich Nolting
Dr. Rainer Ortleb Lisa Peters
Dr. Günter Rexrodt Dr. Klaus Röhl
Helmut Schäfer Cornelia Schmalz-Jacobsen Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Dr. Irmgard Schwaetzer
Dr. Hermann Otto Sohns Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele Dr. Dieter Thomae Jürgen Türk
Dr. Wolfgang Weng
Dr. Guido Westerwelle
Enthalten
CDU/CSU Vera Lengsfeld
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 624 davon:
ja: 45
nein: 322
enthalten: 257
Ja
CDU/CSU
Vera Lengsfeld
SPD
Waltraud Lehn
BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN
Gila Altmann Elisabeth Altmann (Pommelsbrunn)
Marieluise Beck Volker Beck (Köln)
Angelika Beer
Matthias Berninger
Annelle Buntenbach
Amke Dietert-Scheuer Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Uschi Eid
Andrea Fischer Joseph Fischer (Frankfurt) Rita Grießhaber
Gerald Häfner
Antje Hermenau
Kristin Heyne
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt
Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt
Oswald Metzger
Kerstin Müller
Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Egbert Nitsch Cem Özdemir
Gerd Poppe
Simone Probst
Halo Saibold
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk Albert Schmidt Wolfgang Schmitt
Ursula Schönberger
Waltraud Schoppe Christian Sterzing Manfred Such
Dr. Antje Vollmer Ludger Volmer
Helmut Wilhelm
PDS
Rolf Köhne
Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam
Peter Altmaier
Anneliese Augustin Jürgen Augustinowitz Dietrich Austermann Heinz-Günter Bargfrede Franz Peter Basten
Dr. Wolf Bauer
Brigitte Baumeister Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank Renate Blank
Dr. Heribert Blens Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm Friedrich Bohl
Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch Klaus Brähmig
Rudolf Braun
Paul Breuer
Monika Brudlewsky Georg Brunnhuber Klaus Bühler Hartmut Büttner
Dankward Buwitt
Manfred Carstens Peter Harry Carstensen
Wolfgang Dehnel Hubert Deittert
Gertrud Dempwolf Albert Deß
Renate Diemers Wilhelm Dietzel Werner Dörflinger Hansjürgen Doss Dr. Alfred Dregger Maria Eichhorn
Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des Europarates und der WEU, der NAV, der OSZE oder der IPU
Abgeordnete(r)
Behrendt, Wolfgang, SPD Dr. Probst, Albert, CDU/CSU Siebert, Bernd, CDU/CSU Terborg, Margitta, SPD
Ich gebe das von den Schriftführern und Schrift- führerinnen ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag des Abgeordneten Gerald Häfner und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/7656 zu dem eben genannten Gesetzentwurf bekannt. Abgegebene Stimmen 626. Mit Ja haben gestimmt 45. Mit Nein haben gestimmt 325. Enthaltungen 256. Damit ist der Änderungsantrag abgelehnt.
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
Wolfgang Engelmann
Rainer Eppelmann Heinz Dieter Eßmann
Horst Eylmann Anke Eymer Ilse Falk
Jochen Feilcke Ulf Fink
Leni Fischer
Klaus Francke Herbert Frankenhauser
Dr. Gerhard Friedrich
Erich G. Fritz Hans-Joachim Fuchtel Michaela Geiger Norbert Geis
Michael Glos Wilma Glücklich
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Joachim Gres Kurt-Dieter Grill Wolfgang Gröbl Hermann Gröhe Claus-Peter Grotz Manfred Grund
Horst Günther Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein
Gottfried Haschke
Gerda Hasselfeldt
Otto Hauser Hansgeorg Hauser
Klaus-Jürgen Hedrich Helmut Heiderich Manfred Heise
Detlef Helling
Dr. Renate Hellwig
Ernst Hinsken Peter Hintze
Josef Hollerith
Dr. Karl-Heinz Hornhues Siegfried Hornung
Joachim Hörster Hubert Hüppe Peter Jacoby Susanne Jaffke Georg Janovsky Helmut Jawurek Dr. Dionys Jobst Dr.-Ing. Rainer Jork
Michael Jung
Dr. Egon Jüttner Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb
Steffen Kampeter Dr.-Ing. Dietmar Kansy Manfred Kanther Irmgard Karwatzki
Volker Kauder Peter Keller
Eckart von Klaeden
Dr. Bernd Klaußner
Ulrich Klinkert Hans-Ulrich Köhler
Manfred Kolbe Norbert Königshof en Eva-Maria Kors Hartmut Koschyk Manfred Koslowski
Thomas Kossendey
Rudolf Kraus
Wolfgang Krause Andreas Krautscheid
Arnulf Kriedner Heinz-Jürgen Kronberg Dr.-Ing. Paul Krüger
Reiner Krziskewitz Dr. Hermann Kues Werner Kuhn
Dr. Karl A. Lamers
Karl Lamers
Dr. Norbert Lammert
Helmut Lamp Armin Laschet Herbert Lattmann Dr. Paul Laufs Karl-Josef Laumann
Werner Lensing Peter Letzgus Editha Limbach
Walter Link Eduard Lintner
Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann
Julius Louven Sigrun Löwisch Heinrich Lummer Dr. Michael Luther
Erich Maaß Erwin Marschewski
Günter Marten Dr. Martin Mayer
Wolfgang Meckelburg Rudolf Meinl
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel Friedrich Merz
Rudolf Meyer
Hans Michelbach Meinolf Michels Dr. Gerd Müller
Elmar Müller Engelbert Nelle
Bernd Neumann Johannes Nitsch
Claudia Nolte Friedhelm Ost Eduard Oswald Norbert Otto
Dr. Gerhard Päselt Dr. Peter Paziorek Hans-Wilhelm Pesch
Ulrich Petzold Anton Pfeifer Dr. Friedbert Pflüger
Dr. Winfried Pinger Ronald Pofalla
Dr. Hermann Pohler Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff
Dr. Bernd Protzner Dieter Pützhofen Thomas Rachel Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer Rolf Rau
Helmut Rauber Peter Rauen
Otto Regenspurger
Christa Reichard Klaus Dieter Reichardt
Dr. Bertold Reinartz
Erika Reinhardt Hans-Peter Repnik Roland Richter Roland Richwien Dr. Norbert Rieder
Dr. Erich Riedl Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber Hannelore Rönsch
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Dr. Klaus Rose Kurt J. Rossmanith
Adolf Roth
Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Volker Rühe
Dr. Jürgen Rüttgers
Roland Sauer Ortrun Schätzle
Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Heinz Schemken Karl-Heinz Scherhag Gerhard Scheu Norbert Schindler Dietmar Schlee
Ulrich Schmalz
Christian Schmidt Dr.-Ing. Joachim Schmidt
Andreas Schmidt Hans-Otto Schmiedeberg Hans Peter Schmitz
Michael von Schmude
Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr von
Schorlemer
Dr. Erika Schuchardt Wolfgang Schulhoff
Dr. Dieter Schulte
Gerhard Schulz (Leipzig) Frederick Schulze
Diethard Schütze (Berlin) Clemens Schwalbe
Dr. Christian Schwarz-Schilling
Wilhelm Josef Sebastian Horst Seehofer • Marion Seib
Wilfried Seibel Heinz-Georg Seiffert
Rudolf Seiters Johannes Selle Jürgen Sikora
Johannes Singhammer Bärbel Sothmann Margarete Späte Wolfgang Steiger Erika Steinbach
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten
Dr. Gerhard Stoltenberg Andreas Storm
Max Straubinger Matthäus Strebl Michael Stübgen Egon Susset
Dr. Rita Süssmuth Michael Teiser
Dr. Susanne Tiemann
Dr. Klaus Töpfer
Gottfried Tröger
Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Gunnar Uldall
Wolfgang Vogt Dr. Horst Waffenschmidt Dr. Theodor Waigel
Alois Graf von Waldburg-Zeil Dr. Jürgen Warnke
Kersten Wetzel
Hans-Otto Wilhelm Gert Willner
Bernd Wilz
Willy Wimmer Matthias Wissmann Dr. Fritz Wittmann Dagmar Wöhrl
Michael Wonneberger Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach Cornelia Yzer
Wolfgang Zeitlmann Benno Zierer
Wolfgang Zöller
F.D.P.
Ina Albowitz
Dr. Gisela Babel
Hildebrecht Braun
Günther Bredehom Jörg van Essen
Dr. Olaf Feldmann Gisela Frick
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich
Rainer Funke
Hans-Dietrich Genscher Dr. Wolfgang Gerhardt Joachim Günther
Dr. Karlheinz Guttmacher Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Dr. Burkhard Hirsch Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Detlef Kleinert Roland Kohn
Dr. Heinrich L. Kolb Jürgen Koppelin
Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger Uwe Lühr
Günther Friedrich Nolting
Dr. Rainer Ortleb Lisa Peters
Dr. Günter Rexrodt Dr. Klaus Röhl
Helmut Schäfer Cornelia Schmalz-Jacobsen Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Dr. Irmgard Schwaetzer
Dr. Hermann Otto Sohns Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele Dr. Dieter Thomae Jürgen Türk
Dr. Wolfgang Weng
Dr. Guido Westerwelle
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
Enthalten
CDU/CSU
Dr. Dietrich Mahlo Angelika Pfeiffer
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Robert Antretter Hermann Bachmaier Ernst Bahr
Doris Barnett
Klaus Barthel
Ingrid Becker-Inglau Hans-Werner Bertl Friedhelm Julius Beucher Rudolf Bindig
Anni Brandt-Elsweier
Dr. Eberhard Brecht Edelgard Bulmahn Ursula Burchardt Hans Martin Bury
Hans Büttner Marion Caspers-Merk • Wolf-Michael Catenhusen Peter Conradi
Dr. Herta Däubler-Gmelin Christel Deichmann
Karl Diller
Dr. Marliese Dobberthien Peter Dreßen
Rudolf Dreßler
Freimut Duve
Ludwig Eich
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger Annette Faße
Lothar Fischer Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski Dagmar Freitag Anke Fuchs Katrin Fuchs (Verl) Arne Fuhrmann Monika Ganseforth Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Günter Graf Angelika Graf (Rosenheim) Dieter Grasedieck
Achim Großmann Karl Hermann Haack
Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Manfred Hampel Christel Hanewinckel Alfred Hartenbach
Dr. Liesel Hartenstein Klaus Hasenfratz
Dr. Ingomar Hauchler Dieter Heistermann Reinhold Hemker Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks Monika Heubaum Uwe Hiksch
Reinhold Hiller Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Frank Hofmann Ingrid Holzhüter
Erwin Horn
Eike Hovermann Lothar Ibrügger Wolfgang Ilte Barbara Imhof Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate Jäger Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung Sabine Kaspereit Susanne Kastner
Ernst Kastning Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner Marianne Klappert Siegrun Klemmer Hans-Ulrich Klose
Dr. Hans-Hinrich Knaape Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Nicolette Kressl Volker Kröning Thomas Krüger Horst Kubatschka Eckart Kuhlwein Helga Kühn-Mengel
Konrad Kunick Christine Kurzhals Dr. Uwe Küster Werner Labsch Brigitte Lange Detlev von Larcher Robert Leidinger Dr. Elke Leonhard
Klaus Lohmann Christa Lörcher
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß
Winfried Mante Dorle Marx
Ulrike Mascher Christoph Matschie
Ingrid Matthäus-Maier
Heide Mattischeck Ulrike Mehl
Herbert Meißner Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer Ursula Mogg
Siegmar Mosdorf
Jutta Müller Christian Müller (Zittau) Volker Neumann (Bramsche) Gerhard Neumann (Gotha) Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese Doris Odendahl
Günter Oesinghaus
Leyla Onur
Manfred Opel Adolf Ostertag Kurt Palis
Albrecht Papenroth Dr. Wilfried Penner Dr. Martin Pfaff Georg Pfannenstein Joachim Poß
Rudolf Purps
Karin Rehbock-Zureich Margot von Renesse Renate Rennebach Otto Reschke
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter Günter Rixe
Reinhold Robbe
Gerhard Rübenkönig Marlene Rupprecht Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch Dieter Schanz
Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer Siegfried Scheffler Otto Schily
Dieter Schloten
Günter Schluckebier Horst Schmidbauer
Ulla Schmidt Dagmar Schmidt (Meschede) Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt Dr. Emil Schnell
Walter Schöler
Ottmar Schreiner
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert Richard Schuhmann
Brigitte Schulte Volkmar Schultz (Köln) Ilse Schumann
Dr. R. Werner Schuster Dietmar Schütz Dr. Angelica Schwall-Düren Ernst Schwanhold
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Lisa Seuster
Horst Sielaff
Erika Simm
Johannes Singer
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Wieland Sorge
Wolfgang Spanier Dr. Dietrich Sperling Jörg-Otto Spiller
Ludwig Stiegler
Dr. Peter Struck
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Dr. Bodo Teichmann Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher
Adelheid Tröscher Siegfried Vergin
Ute Vogt Karsten D. Voigt (Frankfurt) Hans Georg Wagner
Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Reinhard Weis Matthias Weisheit Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen Jochen Welt
Hildegard Wester Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Norbert Wieczorek Helmut Wieczorek
Heidemarie Wieczorek-Zeul Dieter Wiefelspütz
Berthold Wittich
Dr. Wolfgang Wodarg Verena Wohlleben Hanna Wolf Heidi Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel Peter Zumkley
PDS
Petra Bläss
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter Heinrich Graf von Einsiedel Dr. Ludwig Elm
Dr. Dagmar Enkelmann
Dr. Ruth Fuchs Hanns-Peter Hartmann
Dr. Uwe-Jens Heuer Dr. Barbara Höll
Dr. Willibald Jacob Ulla Jelpke
Gerhard Jüttemann
Dr. Heidi Knake-Werner
Rolf Kutzmutz
Dr. Christa Luft Heidemarie Lüth
Dr. Günther Maleuda Manfred Müller Rosel Neuhäuser
Dr. Uwe-Jens Rössel Christina Schenk Steffen Tippach Klaus-Jürgen Warnick
Dr. Winfried Wolf
Gerhard Zwerenz
Fraktionslos
Kurt Neumann
Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des Europarates und der WEU, der NAV, der OSZE oder der IPU
Abgeordnete(r)
Behrendt, Wolfgang, SPD
Dr. Probst, Albert, CDU/CSU Siebert, Bernd, CDU/CSU Terborg, Margitta, SPD
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
Ich bitte nun diejenigen, die in zweiter Beratung dem Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen auf den Drucksachen 13/6496 und 13/7491 Buchstabe a in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Gesetzentwurf in zweiter Lesung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Fraktion der SPD bei Stimmenthaltungen des übrigen Hauses angenommen worden ist.
Wir treten in die
dritte Beratung
und Schlußabstimmung ein. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Gesetzentwurf in dritter Beratung mit demselben Stimmenverhältnis angenommen worden ist.
Wir kommen jetzt noch zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/7553. Wer dem Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Entschließungsantrag mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion der SPD bei Stimmenthaltung der Gruppe der PDS und gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt worden ist.
Damit sind wir am Ende dieses Tagesordnungspunktes.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 10a und 10b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Volker Beck , Angelika Beer, Annelie Buntenbach, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/Die GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Entschädigung von Fahnenflüchtigen, Wehrkraftzersetzern und Wehrdienstverweigerern unter dem NS-Regime
- Drucksache 13/4409 -
Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
- Drucksache 13/7669 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Geis Dr. Herta Däubler-Gmelin Detlef Kleinert Volker Beck (Köln)
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses
- zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Kröning, Dieter Wiefelspütz, Dr. Herta Däubler-Gmelin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Unrechtsurteile wegen „Fahnenflucht/Desertion", „Wehrkraftzersetzung" oder
„Wehrdienstverweigerung" während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft
- zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Beck , Winfried Nachtwei, Christa Nickels, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Rehabilitierung, Entschädigung und Versorgung für die Deserteure, Kriegsdienstverweigerer und „Wehrkraftzersetzer" unter dem NS-Regime
- Drucksachen 13/354, 13/353, 13/7669 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Geis Dr. Herta Däubler-Gmelin Detlef Kleinert Volker Beck (Köln)
Es liegen je ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS vor. Ich weise darauf hin, daß wir über einen Teil des Anderungsantrages der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen nach der Debatte - ich gehe davon aus, daß das kurz vor 20 Uhr sein wird - namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei für die Fraktion der SPD 121/2 Minuten und für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sieben Minuten zur Verfügung stehen sollen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Abgeordneten Norbert Geis.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Geschichte von 1933 bis 1945 holt uns immer wieder ein. Wir haben dies in den letzten Monaten und Wochen erneut erfahren. Wir sollten uns allerdings davor hüten, heute, 50 Jahre danach, aus sicherer Entfernung und in wohlgeordneten Verhältnissen mit dem moralischen Zeigefinger auf die Generation von 1933 bis 1945 zu deuten. Pauschale Urteile helfen niemandem; sie mißachten den Einzelfall und setzen so neues Unrecht.
Als der Entwurf der Entschließung der Fraktionen der CDU/CSU, der F.D.P. und der SPD in der Öffentlichkeit bekannt wurde, wurde der Vorwurf laut, damit würden die Deserteure pauschal rehabilitiert; es würden all diejenigen, die im Krieg geblieben sind, die nicht desertiert sind, von uns ins Abseits gestellt und als die Versager der Geschichte von 1933 bis 1945 abqualifiziert. Genau das wollen wir mit der Entschließung nicht. Die Ehre der Soldaten, die bis zum Schluß ihre Pflicht erfüllt haben, die vielleicht schwere Verwundungen erlitten haben, die im Gefängnis oder lange Zeit in Kriegsgefangenschaft gewesen sind, die ihr junges Leben eingebüßt haben, bleibt unangetastet. Ihnen gilt nach wie vor unser voller Respekt.
Norbert Geis
In diesem Entschließungsantrag wird auch nicht die Wehrmachtsjustiz pauschal als Terrorinstrument der Nazis verurteilt. Das wäre auch unangebracht und abwegig; denn Hitler hat gegen diese Militärjustiz getobt und hat deshalb den Volksgerichtshof und die Standgerichte eingeführt. Es kann aber kein Zweifel darüber bestehen, daß viele Urteile der Militärgerichte, aber auch natürlich viele Urteile der ordentlichen Gerichtsbarkeit in jener Zeit krasse Fehlurteile gewesen sind. Es besteht auch kein Zweifel darüber, daß es der Justiz insgesamt nicht gelungen ist, das Recht gegen die Gewaltherrschaft Hitlers durchzusetzen, was allerdings auch anerkanntermaBen - das müssen wir in aller Demut eingestehen - sehr schwierig gewesen wäre.
Weil das so ist, hat das Bundessozialgericht schon 1991 in einem Urteil die Vermutung geäußert, daß alle Todesurteile wegen Wehrkraftzersetzung und Desertion als Unrechtsurteile zu gelten haben.
Dieser Entwurf einer Entschließung geht über diese Todesurteile hinaus und sagt: Alle Urteile wegen Wehrkraftzersetzung und wegen Fahnenflucht sind Unrecht gewesen. Nun wissen wir aber - dem Rechtsausschuß haben mindestens 200 Akten mit Einzelentscheidungen vorgelegen -, daß viele Deserteure auch deshalb geflohen sind, weil sie vorher Unrecht getan haben, weil sie beispielsweise der Zivilbevölkerung Verbrechen zugefügt haben und weil sie befürchtet haben, ihrem gerechten Urteil entgegenzugehen. Das ergab sich ganz eindeutig aus den dem Rechtsausschuß vorgelegten Akten.
Deshalb kann nicht pauschal gesagt werden, die Deserteure seien insgesamt rehabilitiert, und deshalb steht im Entwurf der Satz: Anderes gilt, wenn nach unseren heutigen Rechtsmaßstäben eine damalige Handlung ebenfalls zu verurteilen wäre. Dann gilt der Grundsatz, daß solche Urteile rechtmäßig gewesen sind.
Natürlich wissen wir - dem können wir ja nicht ausweichen -, daß heute, 50 Jahre nach dem Krieg, nicht mehr in die Wirren der damaligen Kriegszeit hinein ermittelt werden kann, um festzustellen, ob ein konkretes Urteil rechtmäßig war oder nicht. Dies ist auch in der Entschließung so festgehalten. Wenn allerdings ganz offensichtlich ist, daß ein Urteil vorliegt, das zu Recht ergangen ist, weil beispielsweise ein Verbrechen vorausgegangen ist oder weil ein Soldat, der eingeteilt war, das Leben von Flüchtlingen beim Rückzug vor anstürmenden Feinden zu schützen, in diesem Augenblick geflohen ist, dann hat er auch nach unseren heutigen Maßstäben zweifellos verwerflich gehandelt. Wenn dies offensichtlich ist, wenn sich dies aus der Aktenlage ergibt, dann kann der Bundestag dazu nicht sagen, das sei heute rechtmäßig. Und das tut er auch nicht.
Auch die Rehabilitierungsstelle - die Oberfinanzdirektion Köln, die dafür vorgesehen ist - kann sich nicht so verhalten. Sie kann nicht die Augen verschließen, wenn ihr ein solcher Fall vorliegt. Sie kann nicht wissentlich entschädigen, wenn sie genau weiß, daß hier ein Fall vorliegt, der eigentlich nicht entschädigt werden kann. Das muß man dieser Behörde zubilligen. Sie muß sich natürlich das Urteil vorlegen lassen, und wenn Akten da sind, muß sie die Akten beiziehen. Aber sie ist nicht verpflichtet, 50 Jahre zurückzuermitteln, ob das jeweilige Urteil auch rechtmäßig war oder nicht.
Herr Kollege Geis, Sie müssen zum Schluß kommen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Grünen versuchen mit ihrem Änderungsantrag, die beiden Sätze, daß anderes gilt, wenn die damalige Handlung auch heute Unrecht wäre, und daß 50 Jahre danach nicht mehr weiter recherchiert werden kann, aus dem Entschließungsantrag herauszustreichen. Wir sind gegen diesen Änderungsantrag, weil damit die Pauschalierung festgeschrieben wäre. Und das wollen wir nicht. Es war eine lange Diskussion, und wir haben viele gegensätzliche Standpunkte ausgetauscht.
Herr Kollege Geis, Sie müssen zum Schluß kommen.
Ich bin am Ende.
Wir haben dennoch zu einer gemeinsamen Regelung gefunden. Dies verdient Anerkennung, und deshalb signalisiere ich für die CDU/CSU-Fraktion Zustimmung.
Danke schön.
Ehe ich das. Wort weitergebe, möchte ich Sie noch um etwas bitten: Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir behandeln hier ein schwieriges Thema. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie es den Rednern erleichtern würden, ihre Gedanken vorzutragen, indem Sie Ihre vielleicht notwendigen anderweitigen Gespräche nicht im Raum führten.
Ich gebe der Abgeordneten Herta Däubler-Gmelin das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie haben recht, Herr Präsident: Es ist ein schwieriges Thema, über das wir heute reden. Die Rede des Kollegen Geis hat das sehr deutlich gemacht. Ich will sie jetzt gar nicht weiter kommentieren, sondern nur sagen: Es ist ganz gut, daß wir über einen Text abstimmen und nicht über Interpretationen.
Wir haben ausdrücklich gesagt, es gibt keine Einzelfallprüfungen. Sosehr der eine oder andere Ihren Motivationen zuneigen mag oder sie bekämpfen mag, fest steht: 50 Jahre nach dem Ende der Nazizeit und 50 Jahre nach diesem schrecklichen Krieg gibt es keine Einzelfallprüfungen mehr. Das ist der Sinn dieser Erklärung. Ich finde es gut, wenn wir das herausstellen.
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Meine Damen und Herren, es ist eine Schande, daß wir uns 50 Jahre nach dem Naziregime immer noch mit den Verwüstungen, die dieses Regime hinterlassen hat, auseinandersetzen müssen. Das will ich freilich auch sagen:
Die Bundesrepublik Deutschland besteht jetzt schon nahezu fünf Jahrzehnte. Wir sind ein rechtsstaatliches Gemeinwesen, und wir sind stolz darauf. Wenn man aber feststellen muß, wieviel von dem schrecklichen Unrecht jener Jahre bis heute nicht aufgearbeitet wurde, dann verläßt einen der Stolz relativ schnell. Es ist schon wichtig, daß man dann sagt: Wir müssen tun, was wir heute können; es ist in den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik Deutschland einfach zuviel liegengeblieben. Zu dem, was liegengeblieben ist, gehört natürlich das traurige Kapitel der NS-Justiz, gerade auch der Wehrmachts- und Kriegsgerichte.
Ich will an dieser Stelle daran erinnern, was Adolf Arndt schon in den 50er Jahren gesagt hat. Auch damals gab es die Unlust, das NS-Unrecht aufzuarbeiten und Wiedergutmachung da einzusetzen, wo es noch ging. Er hat damals gesagt, es müsse endlich die Einsicht Platz greifen, daß die Befehle der nationalsozialistischen Machthaber nicht das Recht jener Zeit, sondern das Unrecht jener Zeit gebildet hätten, und daß dieses Unrecht und sonst nichts um des Rechts willen der Grund für jeden Wiedergutmachungsanspruch sei.
Adolf Arndt hat hinzugefügt, es bedürfe der Erkenntnis, daß Unrecht schändet, und zwar denjenigen, der es verübt, und denjenigen, in dessen Namen es verübt wird. Er hat ferner gesagt, daß genau aus diesem Grund - Recht wiederherzustellen - unsere rechtsstaatliche Gemeinschaft die Verpflichtung hat, Wiedergutmachung zu üben und den Verletzten, den Opfern die Versöhnung mit ihrem Volk und ihrem Staat zu ermöglichen.
Ich glaube, es ist gut, wenn wir uns bei dieser Debatte daran erinnern und wissen, daß diese Aufforderung von Adolf Arndt bis heute eigentlich immer nur bruchstückweise verwirklicht wurde, und das immer nur auf einem relativ kleinen gemeinsamen Nenner.
Gerade im Bereich NS-Justiz, Wehrmachts- und Kriegsgerichte hat es ziemlich lange gedauert, bis der Bundesgerichtshof - das ist eineinhalb Jahre her - einem Teil der NS-Militärjustiz Herr Geis, ich glaube, daß wir uns in der Wertung völlig einig wären - wenigstens den Schleier der Rechtmäßigkeit vom Gesicht gerissen und die Richter als „Blutrichter" und ihre Tätigkeit als „Terror" bezeichnet hat. Gleichzeitig hat er der beschönigenden Spruchpraxis vieler bundesrepublikanischer Gerichte in den 50er Jahren ein Ende gesetzt.
Viele von uns haben allerdings einen etwas schalen Geschmack auf der Zunge, wenn wir uns ins Gedächtnis zurückrufen, daß diese Bereinigung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs aus den 50er Jahren aus Anlaß der rechtlichen Aufarbeitung von Unrecht in der DDR und nicht als direkte Aufarbeitung des Unrechts der Nazizeit geschehen ist.
Wir, der Bundestag, haben jahrelang über die Rehabilitierung der sogenannten Wehrkraftzersetzer, der Kriegsdienstverweigerer und Fahnenflüchtigen des Zweiten Weltkriegs gestritten - viel zu lange. Heute sind wir endlich einen Schritt weiter; heute haben wir eine Erklärung, in der wir, wie ich hoffe, mit großer Mehrheit feststellen, was längst hätte festgestellt werden müssen: daß der Zweite Weltkrieg ein Angriffs- und Vernichtungskrieg, ein vom nationalsozialistischen Deutschland verschuldetes Verbrechen war - das ist so - und daß die von der Wehrmachtsjustiz während des Zweiten Weltkriegs gefällten Urteile - Herr Geis, Sie haben das schon erwähnt - Unrecht, nicht Recht waren.
Wer sich dem Verbrechen des Angriffskriegs entzogen hat und dann wegen Unrechtstaten verurteilt wurde, der war kein Krimineller, sondern der war im Recht. Und das sagen wir heute auch. Ich stimme Ihnen darin zu, daß das keine Desavouierung derjenigen ist, die das nicht getan haben, weil ihre Vaterlandsliebe mißbraucht wurde, oder die geglaubt haben, ihre Pflicht zu tun.
Ein Weiteres, das diese Entschließung feststellt, geht weit über die Frage von Recht und Unrecht hinaus und hat auch mit dem Zeigefinger nichts zu tun, sondern ist eine Selbstverständlichkeit: Der Deutsche Bundestag bezeugt den Opfern und ihren Familien Achtung, Respekt und Mitgefühl. Ich finde es gut, daß es zu dieser Erklärung gekommen ist.
Damit wir nicht wieder in diesen allgemein üblichen Fehler verfallen, immer dann von Opfern zu reden, wenn es um Menschen geht, nur weil wir die Distanz zu diesen Opfern aufrechterhalten wollen, weil wir uns eigentlich mit ihrem Leid und ihrem Schicksal nicht auseinandersetzen wollen, will ich noch einige, um die es heute geht, mit Namen und mit ihrem Schicksal in Erinnerung rufen.
Der Deutsche Bundestag bezeugt mit dieser Erklärung zum Beispiel Franz Jägerstätter und seiner Familie Achtung und Mitgefühl. Franz Jägerstätter wurde 1943 durch ein sogenanntes Feldurteil des Reichskriegsgerichtes „wegen Zersetzung der Wehrkraft" zum Tode, zum Verlust der Wehrwürdigkeit und der bürgerlichen Ehrenrechte verurteilt und dann hingerichtet, also ermordet. Er hatte seinem Einberufungsbefehl keine Folge geleistet und seinem militärischen Vorgesetzten gesagt, er lehne den Kampf mit der Waffe aus religiösen Gründen ab, da ihm sein christlicher Glaube die Tötung von Menschen verbiete.
Es hat bis in diesen Monat, bis in den Mai 1997, gebraucht, bis dieses schändliche Unrechtsurteil endlich aufgehoben wurde. Heute ist Franz Jägerstätter mehr als 50 Jahre tot. Aber der Deutsche Bundestag, wir alle, hoffen, daß seine Angehörigen die Bekundung von Achtung und Mitgefühl durch den Deutschen Bundestag heute noch entgegennehmen wol-
Dr. Herta Däubler-Gmelin
len. Es ist wenig genug, was wir jetzt noch tun können.
Zwei andere junge Leute aus diesem Kreis der NS-Opfer sind Ludwig Baumann und Kurt Oldenburg. Beide waren im Jahre 1942 gerade um die 20 Jahre alt, der eine etwas jünger, der andere wenige Monate älter. Beide waren Gefreite. Sie wollten den verbrecherischen Angriffskrieg, den sie als solchen reali- siert haben, nicht länger mitmachen und auch nicht mehr verantworten. Sie sind von der Fahne gegangen. Sie sind von Marinekriegsgerichtsräten, die mehr als doppelt so alt waren und die akademische Titel hatten, zum Tode verurteilt worden, und zwar wegen Fahnenflucht, Wachvergehen sowie schwerem Diebstahl an Pistolen und Munition verbunden mit Sachbeschädigung durch Einbruch in das Munitionslager. Sie kamen in die Todeszelle, dann in die Strafbataillone. Kurt Oldenburg hat nicht überlebt. Ludwig Baumann hat überlebt und hat sich sein ganzes weiteres Leben, auch in der Zeit der so rechtsstaatlichen Bundesrepublik Deutschland, mit giftigen Angriffen auseinandersetzen müssen, die wir noch heute, aus welchen Gründen auch immer, gelegentlich hören: Sie und die über 20 000 anderen, die zum Tode verurteilt und hingerichtet worden sind, seien Kriminelle gewesen, Ehrlose, Feiglinge.
Die Flucht von der Fahne ist und bleibt das schimpflichste Verbrechen, das der deutsche Soldat begehen kann.
Das ist ihnen immer wieder entgegengeschallt, übrigens auch in der Bundesrepublik. Dabei stammen diese Worte aus dem sogenannten Feldurteil aus der Nazizeit, das sie zum Tode verurteilt hat. Das war nicht Recht, das war Unrecht.
Mit dieser Entschließung heute wollen wir dazu beitragen, Ludwig Baumann, Kurt Oldenburg und all denen ihre Ehre wiederzugeben, die sie bisher verloren zu haben glaubten, und ihnen deutlich sagen, daß das, was sie getan haben, richtig war.
Ich beziehe das ganz deutlich auch auf die Taten, die zwangsläufig mit der Desertion verbunden waren. Auch sie waren kein Unrecht, übrigens gerade nicht, wenn wir, wie wir das in die Erklärung hineingeschrieben haben, das tun, was wir heute tun müssen, nämlich rechtsstaatliche Maßstäbe anlegen. Deswegen bestehen wir auch auf diesem Satz.
Wir stellen fest, daß die NS-Urteile damals im Gegensatz zu uns nicht nach Recht und Unrecht gefragt haben, auch nicht nach den Motiven. Wie gesagt: Es hat bis zum Mai dieses Jahres gedauert, bis ein Urteil des Berliner Landgerichtes Franz Jägerstätter genau das bescheinigt hat. Dieser junge Mann wäre sogar bereit gewesen, Sanitätssoldat zu werden. Das interessierte die Nazi-Richter nicht. Das Todesurteil war programmiert.
Deswegen lassen Sie uns noch einmal feststellen, daß das Sichentfernen, das Sichentziehen aus diesem verbrecherischen Angriffskrieg eben nicht Unrecht war und daß diese Feststellung zugleich keine Desavouierung derjenigen bedeutet, die sich aus mißbrauchter Vaterlandsliebe anders verhalten haben.
Aber lassen Sie uns auch feststellen, daß Ludwig Baumann und seine Mitstreiter auch in der Bundesrepublik um ihre Ehre und um ihre Rehabilitierung kämpfen müssen, und daß der Deutsche Bundestag es auch ihrer Hartnäckigkeit zu verdanken hat, daß wir heute zu dieser Erklärung gekommen sind.
Lassen Sie mich am Schluß noch ein Wort zu der Abfassung unserer Entschließung sagen. Es gibt sicher auch Kritik an ihrem Wortlaut. Das ist begreiflich. Das zeigt auch, daß dieser Komplex der deutschen Geschichte wirklich noch nicht so aufgearbeitet worden ist, wie es schon längst der Fall sein sollte. Einige Formulierungen - das will ich offen einräumen - tragen natürlich den Kompromißcharakter offen auf der Stirn. Das ist so, wenn man sich einigen will und wenn man mit einer Ehren- und Rehabilitierungserklärung nicht vollends warten will, bis auch noch der letzte damals Verurteilte, der die Schrecken des Krieges überlebt hat, gestorben ist.
Wir halten diesen Kompromiß für vernünftig, daran besteht kein Zweifel. Wir sind der Meinung, daß wir auch der achten Synode der Evangelischen Kirche Deutschlands, die uns auf den Weg der Einigung verholfen hat, für ihre hilfreiche Handreichung vom letzten November zu Dank verpflichtet sind.
Lassen Sie mich noch einen letzten Satz zu der Entschließung sagen. Ich habe bisher kaum über die Entschädigung geredet. Ich habe das mit Absicht nicht gemacht, und zwar einfach deshalb, weil wir wissen, daß eine materielle Entschädigung Unrecht, Leid und Schmerzen dieser Männer und ihrer Angehörigen sowieso kaum - eigentlich gar nicht - wiedergutmachen kann. Die Entschädigung, die wir - allerdings mit voller Absicht und ohne Einzelfallprüfung - vorgesehen haben, muß deshalb symbolisch bleiben.
Meine Damen und Herren, es ist eine Schande, daß dieser Beschluß erst heute erfolgen kann. Es ist jedoch gut, daß er heute erfolgen kann. Wir gehen davon aus, daß wir die Bundesregierung nicht nur ermahnen, sondern daß die Bundesregierung ihren Teil schnell, ohne Verzögerungen und ohne Einzelfallprüfungen jetzt erfüllen wird.
In einem halben Jahr werden wir uns in diesem Hause wohl wieder treffen, um ein weiteres Kapitel aus dieser Zeit zu überdenken und, wenn es geht, aufzuarbeiten. Dann wird es darum gehen, die unterschiedlichen Bereiche der NS-Justiz zu durchleuchten, in denen immer noch Unrechtsurteile den Schein formaler Gültigkeit haben. Auch diese Urteile werden wir dann aufheben müssen.
Herzlichen Dank.
Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Volker Beck.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Über zwei Jahre hat der Rechtsausschuß. des Deutschen Bundestages nun im dritten Anlauf über die Rehabilitierung und Entschädigung der Wehrmachtsdeserteure beraten. Herausgekommen ist ein beschämendes Ergebnis, das vor der Geschichte keinen Bestand haben kann. Das hat die Rede von Norbert Geis erneut gezeigt.
Zwar erkennt der Rechtsausschuß in seiner Beschlußempfehlung an: Der Zweite Weltkrieg war ein Angriffs- und Vernichtungskrieg, ein vom nationalsozialistischen Deutschland verschuldetes Verbrechen. Der Rechtsausschuß scheut sich aber, die Konsequenz unmißverständlich zu ziehen. Die Wehrmacht hat einen verbrecherischen Angriffskrieg geführt, einen verbrecherischen Auftrag gehabt, war auf einen Verbrecher, nämlich Adolf Hitler persönlich, vereidigt, und sie war als Organisation an den Verbrechen des nationalsozialistischen Deutschlands beteiligt. Das hat Reemtsmas Ausstellung jüngst noch einmal in Erinnerung gerufen.
Die Wehrmacht hatte also keinen legitimen Anspruch auf den Gehorsam ihrer Soldaten. Wer sich ihr entzog, entzog sich damit der Unterstützung des größten Verbrechens, das dieses Jahrhundert gesehen hat; er hat recht gehandelt und verdient damit uneingeschränkt unseren Respekt und unsere Hochachtung.
Wer das anders sieht, hat geistig immer noch nicht die Schützengräben des Zweiten Weltkrieges verlassen.
Es geht nicht um die Verurteilung einer ganzen Generation von Wehrmachtssoldaten, die aus falsch verstandener Vaterlandsliebe, aus Pflichtgefühl oder wegen der Unmöglichkeit zur Flucht ihren Dienst geleistet haben. Aber die Feststellung, daß sie für die falsche Sache, auf der falschen Seite gekämpft haben, kann man ihnen nicht ersparen.
Die Entschließung, meine Damen und Herren, schränkt die Rehabilitierung ein: Sie soll nicht greifen, wenn die „zugrunde liegende Handlung auch heute Unrecht wäre". Dies ist ein Schlag ins Gesicht der Opfer.
Bei den Waldheim-Prozessen in der DDR haben wir als Bundestag gesagt, diese Urteile seien alle aufzuheben, sie seien Unrecht gewesen. Selbst die Verurteilungen von Kriegsverbrechern wurden damit wegen rechtsstaatlicher Mängel zu Recht aufgehoben. Hiergegen wurden keine Bedenken laut; das Motto lautete: Anderes gilt, wenn sie auch heute Unrecht wären. Hier besteht eine skandalöse Diskrepanz.
Die Bundesvereinigung der Opfer der NS-Militärjustiz und ihr Vorsitzender Ludwig Baumann, den Sie hier zitiert haben, Frau Däubler-Gmelin, sind daher zu Recht enttäuscht und wütend über den Text des Rechtsausschusses. Sie empfinden nicht, daß ihnen mit diesem Text ihre Ehre wirklich wieder zurückgegeben wird. Sie werden weiterkämpfen müssen, und sie werden uns dabei an ihrer Seite haben.
Meine Damen und Herren, Sie suggerieren mit Ihrer Entschließung, es gäbe Urteile wegen der drei Tatbestände Wehrkraftzersetzung, Kriegsdienstverweigerung und Fahnenflucht, die heute noch als rechtsstaatlich unbedenklich bewertet werden könnten. Ansonsten macht dieser „Anderes gilt"-Satz überhaupt keinen Sinn. Ich möchte insbesondere Sie von der CDU, die auf diesem Satz bestanden haben, fragen, ob für Sie ein Fall denkbar ist, daß eine Verurteilung zum Tode wegen des Tatbestands der Wehrdienstverweigerung durch die NS-Justiz in einigen Fällen doch rechtsstaatlich in Ordnung gewesen sein könnte. Ich finde, eine solche Unterstellung ist ein Skandal, und ich erinnere Sie daran, daß selbst Ihr Sachverständiger, Professor Seidler, in der Ausschußanhörung die ausnahmslose Rehabilitierung der Wehrdienstverweigerer gefordert hat.
Die Streichung der Einschränkung dieses Satzes „Anderes gilt ... " ist erforderlich, um zweifelsfrei festzustellen, daß von der Regelung ausnahmslos alle Urteile wegen der genannten drei Tatbestände umfaßt sind und als NS-Unrecht klassifiziert werden. Eine Einschränkung wie die in der Beschlußempfehlung wäre allenfalls statthaft, wenn es um alle Urteile der NS-Militärjustiz ginge, also auch um Verurteilungen wegen Diebstahls, Totschlags, Unterschlagung etc.
Für uns ist es auch unangemessen, auf eine Einzelfallprüfung nur aus schlichten Praktikabilitätserwägungen zu verzichten. Vielmehr sagen wir, die Wehrmacht habe keinen legitimen Anspruch auf Gehorsam gehabt, weshalb niemand Unrecht begangen haben könne, wenn er sich ihr entzogen hat. Er ist zu Unrecht verurteilt worden und muß dafür rehabilitiert werden.
Meine Damen und Herren, zur Entschädigung muß man drei Punkte anmerken. Sie ist unzureichend und hartherzig. Obwohl alle Härtefallregelungen im Rahmen des BEG und AKG keine Antragsfristen vorsehen, schaffen Sie hier wieder eine enge Antragsfrist, die wir im Ausschuß gerade einmal urn ein halbes Jahr verlängern konnten.
Zweitens ist der Betrag von einmalig 7500 DM für das erlittene Unrecht völlig unangemessen. Wir fordern eine auf gesetzliche Sozialleistungen nicht an-
Volker Beck
zurechnende Grundrente in Höhe von 500 DM im Monat.
Drittens erinnere ich Sie an den Erlaßentwurf des Bundesfinanzministeriums. Dort werden alle Hinterbliebenen selbst von dieser Minimalzahlung der 7500 DM ausgeschlossen, wenn die Deserteure vor dem Beschluß des Deutschen Bundestages gestorben sind. Damit schließen Sie die Hinterbliebenen all derjenigen aus, bei denen die Urteile vor 1945 vollstreckt wurden. Ferner schließen Sie alle aus, die innerhalb der 50 Jahre gestorben sind, in denen wir als Bundestag diese historische Frage schlicht verpennt und verbaselt haben oder sie böswillig nicht entscheiden wollten. Diesen Menschen wird das jetzt zugerechnet; sie können deshalb jetzt keine Entschädigung bekommen.
Meine Damen und Herren, es liegt dem Bundestag ein Bundesratsentwurf vor, der all diese Fragen viel angemessener regelt. Der Bundesrat schlägt vor, die Urteile wegen dieser Bestimmungen gesetzlich und damit rechtsverbindlich aufzuheben. Eine solche Entschließung kann dies überhaupt nicht. Ich hoffe inständig, Herr Minister, daß wir im Rahmen des von Ihnen geplanten Gesetzes zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Strafrechtspflege dazu kommen werden, hier Rechtsklarheit zu schaffen, und damit die unvollkommene Erklärung, die heute verabschiedet werden soll, korrigieren können.
Meine Damen und Herren, ich richte noch einmal einen dringenden Appell an Sie, dem Antrag, über den wir nachher namentlich abstimmen werden, zuzustimmen.
Ich meine, es gibt hier im Hause an sich eine Mehrheit für eine vorbehaltlose Rehabilitierung der Deserteure. Wir haben es im Ausschuß erlebt. Das ging bis weit in die Reihen der CDU/CSU-Fraktion hinein. Diesem Antrag könnten Sie zustimmen. Wenn hier hingenommen wird, daß einige Abgeordnete der Union den Entschließungsantrag insgesamt ablehnen können, weil sie gar keine Rehabilitierung wollen, dann nehmen Sie sich bitte die Freiheit, Ihren wirklichen Ansichten Ausdruck zu geben. Rehabilitieren Sie die Wehrmachtsdeserteure vorbehaltlos jetzt. Ich meine, sie hätten wirklich verdient, daß ihnen nun endlich die Ehre zurückgegeben wird.
Vielen Dank.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Detlef Kleinert.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Es wäre, Herr Beck, eigentlich gut, wenn man so fundamentalistisch, so völlig einseitig ohne Abwägung all dessen, was uns in den Jahren umgetrieben hat, an die Sache herangehen könnte wie Sie.
Aber so ist es nun einmal nicht. Es gibt nach einer langen Reihe von Kriegen, die in Europa früher leider, leider, einmal geradezu üblich waren, einen letzten, den furchtbarsten von allen, an dem dieses Land die meiste Schuld getragen hat. Das wissen wir. Aber bis dahin hat sich doch eine Tradition entwickelt, in der sich viele Menschen - so wie Frau Däubler-Gmelin vorhin gesagt hat - unter Mißbrauch ihrer Vaterlandsliebe in einer Art und Weise eingesetzt haben, die bei dem Versuch, den einen, die wir ja sehr wohl im Augen haben, gerecht zu werden, nicht ungerecht behandelt werden dürfen. Und dieser Zwiespalt ist es gewesen, der uns so lange Jahre mit der Frage beschäftigt hat, wie wir unsere gemeinsame Überzeugung umsetzen, daß die Kriegsgerichte in zunehmendem Maße Unrecht gesprochen haben, daß ihre Urteile überhaupt keine Wirksamkeit entfalten können und dürfen.
Sie, Herr Beck, haben sich an diesen Verhandlungen längere Zeit hindurch beteiligt, und Sie haben sich genau wie Frau Däubler-Gmelin, wie Herr Kröning, wie Herr Geis, wie Rupert Scholz - mich darf ich auch erwähnen - darum bemüht, der enormen Schwierigkeit gerecht zu werden, die zwischen diesen beiden Polen besteht.
Herr Dregger und Otto Graf Lambsdorff gehören zu den wenigen, die an diesem letzten Krieg als Soldaten in vorderster Linie noch beteiligt waren. Otto Graf Lambsdorff hat etwas ganz Einfaches gesagt. Und wenn wir nun zum Abschluß unserer langjährigen Bemühungen kommen wollen, dann bitte ich Sie doch, auch alles zu berücksichtigen, was in dem Zusammenhang eine Rolle spielt und auch das folgende mit zu bedenken. Qtto Graf Lambsdorff hat gesagt: Wenn der rechts und der links von mir gegangen wären, dann wäre ich heute nicht hier. Das ist eine ganz fundamentale Erkenntnis von jemandem, der dabei gewesen ist. Und uns Nachgeborenen steht es nicht an, hier zu theoretisieren und zu sagen, das gilt alles nicht, was diese Menschen an Lebenserfahrung gehabt haben.
Anders herum, wir weigern uns doch nicht, all dem zu folgen, was Sie darstellen. Wir weigern uns überhaupt nicht. Darum haben wir schließlich diese Entschließung des Rechtsausschusses hier zustandegebracht und vorgelegt. Wir erkennen sehr wohl die Nöte, das Unrecht und die Beleidigung, die denjenigen widerfahren sind, die desertiert sind, insbesondere denjenigen, die aus Gewissensgründen desertiert sind.
Wir haben uns bemüht, das wenigstens einigermaßen - mehr können Nachgeborene gar nicht tun - in diesem Bericht zusammenzufügen, mit dem wir uns nach unserem Entschluß zu den Schandurteilen des Volksgerichtshofes eindeutig zu den Urteilen der Kriegsgerichte äußern. Wir haben versucht, beide Seiten zu betrachten. Wenn man das nicht tut, schafft man nur neuen Unfrieden. Das kann doch nicht das Ziel einer solchen Bemühung sein.
Deshalb bin ich sehr dankbar, daß wir heute in einer großen Runde das Wenige, was wir tun können - wir alle wissen, daß das zuwenig ist -, gemeinsam tun. Deshalb werden wir zustimmen. Wir werden
Detlef Kleinert
nichts aufarbeiten können. Das kann man nie. Wir stellen uns der Sache. Wir haben uns immer wieder mit den Fakten befaßt.
Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Wir kommen nun dazu, unsere Ansicht hier gemeinsam - darauf legen wir größten Wert - so zum Ausdruck zu bringen, wie das in der Beschlußempfehlung formuliert ist. Das ist wenig, aber auch sehr viel.
Herr Kollege, Sie müssen zum Abschluß kommen.
Deshalb bitte ich Sie, so wie auch wir zuzustimmen.
Ich gebe dem Abgeordneten Gerhard Zwerenz das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich theoretisiere nicht, und ich habe nur drei Minuten Redezeit. Ich habe als erstes festzustellen, daß es erstaunlich und erfreulich ist, daß in diesem Hause jetzt eine gewisse Einigkeit herrscht, wenn am Anfang der Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses die Erkenntnis Platz greift, daß es sich beim Zweiten Weltkrieg um einen Angriffs- und Vernichtungskrieg, um ein vom nationalsozialistischen Deutschland verschuldetes Verbrechen, gehandelt hat. Hier, so scheint mir, ist die Wehrmachtsausstellung durchaus aufklärend wirksam gewesen. Dazu kann man nur gratulieren.
Außer Punkt 1 der Beschlußempfehlung, um den es hier geht, ist auch Punkt 2 im Tatbestand richtig festgestellt.
In Punkt 3 beginnen die alten Inkonsequenzen, mit denen sich die Schändlichkeiten bei der Behandlung der Wehrmachtsdeserteure fortsetzen. Wer mit dem Dritten Reich nie gebrochen hat, wer den Krieg bis zu seiner letzten Sekunde fortsetzte, besaß und besitzt alle Rentenrechte, und nur die Deserteure - das mag richtig sein; das will ich gar nicht in Zweifel ziehen - galten als bestrafte Kriminelle. Sie sollen nun mit einer geradezu gummiparagraphenhaften Einmalzahlung abgefunden werden. Dies ist skandalös.
Die Gruppe der PDS kann dem nicht zustimmen, verweist auf ihren eigenen Änderungsantrag sowie auf den der Grünen und unterstützt ausdrücklich den Protest der Bundesvereinigung der Opfer der NS-Militärjustiz. Wer sich dem Angriffs- und Vernichtungskrieg der Nazis widersetzte, hat recht getan. Die NS-Militärterrorurteile müssen von Anfang an ohne jegliche Einschränkung für null und nichtig erklärt werden.
Der rechtspolitische Sprecher der Union, Norbert Geis, bekämpfte die Rehabilitierung der Deserteure über lange Zeitvehement. Denjenigen, die sich dem Krieg nicht entzogen haben, dürfe nicht der Eindruck vermittelt werden, unrecht getan zu haben - so der Tenor seiner früheren Rede. Der Münchener Bundeswehr-Hochschulprofessor Seidler spricht gar davon, daß die Rehabilitation der Deserteure das künftige Verhalten von Bundeswehrsoldaten präjudizieren könne.
Herr Kollege Zwerenz, Sie müssen zum Abschluß kommen.
Ich werde meinen Vorrednern nicht folgen und meine Zeit überziehen. Ich weiß, drei Minuten und nicht mehr. Es tut mir leid, daß ich nicht das sagen konnte, was ich eigentlich sagen wollte. Aber man wird es ja nachlesen können.
Ich gebe das Wort dem Bundesminister der Justiz, Professor Dr. Schmidt-Jortzig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich begrüße es außerordentlich, daß wir bei diesem schwierigen Thema einen Kompromiß gefunden haben.
Mit ihrem gemeinsamen Entschließungsantrag beweisen die Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und der F.D.P., daß die diese Republik seit Jahrzehnten tragenden Parteien und Fraktionen in zentralen Fragen an einem Strang ziehen. Das Ringen war mühsam; es war schmerzhaft; es war quälend; aber es hat ein Ergebnis gebracht, und das ist aller Ehren wert.
Meine Damen und Herren, die jetzt gefundene Lösung ist nach meiner Überzeugung der richtige Weg, den hier angesprochenen Opfern und ihren Familien Achtung und Mitgefühl zu bezeugen. Mit dem vorliegenden Antrag bekennen wir uns klar und eindeutig zum Unrecht der deutschen Kriegsführung im NS-Reich.
In jener Situation mußten deutsche Soldaten zwischen Pflichterfüllung und dem Widerstand gegen eine verbrecherische Führung hin- und hergerissen sein. Manche, wie die. Männer und Frauen des 20. Juli 1944, haben sich in dieser Situation zum aktiven Widerstand durchgerungen. Das war bewundernswert, aber konnte und kann sicherlich nicht als allgemeine Norm gesetzt werden.
Heute nun rehabilitieren wir selbst jene Männer, die sich zu einem so weitreichenden aktiven Schritt nicht entschließen konnten und mochten, die sich aber doch dem Dienst für das Unrechtsregime einfach entzogen haben.
Bundesminister Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Herr Beck, ich finde es schade, daß Sie hier zu diesen schwierigen Fragen mit der ganzen moralischen Selbstgefälligkeit des Heutigen antreten, um die schwierigen Verhältnisse damals aus den. Wirklichkeiten heraus zu begreifen. Damit können Sie diesem Thema nicht gerecht werden.
Meine Damen und Herren, diese Entschließung ist ein weiterer wichtiger Schritt zur Rehabilitierung der Opfer des Nationalsozialismus. Sie kann aber nicht der letzte Schritt sein. Diesen letzten Schritt würde man meines Erachtens erst mit einem Gesetz über die unmißverständliche, einheitliche und definitive Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege gehen. Ich habe das auch schon öffentlich so geäußert.
Der Fall Jägerstätter, von dem Sie, Frau Kollegin Däubler-Gmelin schon berichtet haben, hat in meinen Augen wieder einmal eindrucksvoll gezeigt, daß ein solches Gesetz nötig ist, um auch dem letzten Widerständler oder dem letzten NS-Opfer die volle Wieder-ins-Recht-Setzung zu gewähren bzw. dieses bereits erfolgte Faktum - denn es ist ja in den Ländern, in den Besatzungszonen größtenteils geschehen - für heute absolut unübersehbar zu machen.
In einem solchen Gesetz sollten nicht nur die Urteile des Volksgerichtshofes, sondern auch Urteile von Standgerichten, Todesurteile des Reichskriegsgerichtes ebenso wie der übrigen Militärgerichte und/oder der Sondergerichte, aber auch Urteile der ordentlichen Strafgerichte, soweit sie auf spezifischem NS-Unrecht beruhten, förmlich aufgehoben werden.
Das Unrecht läßt sich zwar nicht rückgängig machen. Das Leid der Opfer läßt sich nicht ungeschehen machen. Die Todesurteile sind vollstreckt. Wir können dieses schreckliche Geschehen also nicht wieder gutmachen. Wir sollten es aber als unsere Pflicht ansehen, jedenfalls die dieses Geschehen formal legalisierenden Urteile vor aller Augen und demonstrativ aufzuheben.
Vielen Dank.
Ich gebe dem Abgeordneten Eckart von Klaeden das Wort.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag beschließt heute die Rehabilitierung und Entschädigung der Opfer von Verurteilungen wegen der Tatbestände Kriegsdienstverweigerung, Desertion, Fahnenflucht und Wehrkraftzersetzung. Diese Rehabilitierung kommt spät, für viele zu spät.
Der heutige Antrag fällt zudem in eine schwierige geschichtspolitische Situation. Vor wenigen Monaten noch hat die sogenannte Goldhagen-Kontroverse Aufmerksamkeit beansprucht. Vor wenigen Wochen noch hat der Deutsche Bundestag über die Ausstellung „Die Verbrechen der Wehrmacht" diskutiert. Diese Diskussionen haben bei mir zum Teil einen faden Nachgeschmack hinterlassen. Damit meine ich ausdrücklich nicht die Debatte im Deutschen Bundestag. Aber zum Beispiel der öffentlich erhobene und unzutreffender Vorwurf an Goldhagen, er habe die Kollektivschuldthese wiederholt, erweckte insbesondere im Ausland den Eindruck, daß seine Arbeit tatsächlich von der Novität und Einzigartigkeit sei, die er selbst behauptet. Das ist sie meiner Ansicht nach nicht. Aber die aufgeregte Kritik hat eben den Eindruck erweckt, daß er auch hier einen wunden Punkt berührt habe. Gelassenheit oder - wie es der Bundespräsident formuliert - Unverkrampftheit ist daher auch in der Debatte, die wir jetzt führen, angesagt.
Dabei habe ich allerdings leicht reden. Ich habe meinen Wehrdienst in einem freien Land antreten können, in einem Land, in dem das Recht auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen und das Verbot des Angriffskrieges Verfassungsrang haben. Für mich bestand während meines Wehrdienstes kein Wertungswiderspruch zwischen soldatischer Pflichterfüllung und dem Wofür des Dienstes, wie es der frühere Generalinspekteur der Bundeswehr, Ulrich de Maizière, einmal formuliert hat.
Bis es soweit kommen konnte, haben auch die Soldaten der Wehrmacht einen hohen Blutzoll gezahlt. Daß es soweit kommen konnte, haben wir, habe ich auch denjenigen zu verdanken, die aus der Erfahrung als Soldaten der Wehrmacht und aus der Erfahrung des Staatsterrorismus an den Aufbau des demokratischen Deutschlands - zunächst im Westen - gegangen sind. Ich nenne hier ausdrücklich unseren Ehrenvorsitzenden Alfred Dregger.
Es ist richtig, daß der Verbrecher Adolf Hitler für seinen völkerrechtswidrigen Krieg keinen Gehorsam einfordern konnte. Allein deshalb müssen diejenigen, um die es heute geht, rehabilitiert und - soweit das überhaupt möglich ist - entschädigt werden.
Damit, meine ich, ist aber die moralische Bewertung ihres Verhaltens noch nicht abgeschlossen. Zur Wahrheit gehört auch, daß das hier in Rede stehende Verhalten in vielen Fällen kein passiver Widerstand war. Der Widerstand der Männer des 20. Juli 1944, Stauffenbergs, Treskows und anderer, war nicht ein Mehr im Vergleich zu dem heute zu rehabilitierenden Verhalten, sondern etwas anderes. Es war unter anderem auch soldatische Pflichterfüllung im besten Sinne.
Wenn ich nun abschließend den Versuch unternehme, mir die Situation der Soldaten meines Dienstgrades und meiner militärischen Ausbildung - Oberleutnant und Panzerzugführer - zum Beispiel in den letzten Kriegsmonaten an der Ostfront zu vergegenwärtigen, so verdienen diejenigen - ich finde, das gehört auch hierher - höchsten Respekt, die bei den ihnen anvertrauten Soldaten, teilweise unmittelbar von der Schulbank in die Schützengräben geschickt, ge-
Eckart von Klaeden
blieben sind, die sich um einen geordneten Rückzug bemüht haben und die die Zivilbevölkerung, insbesondere die Flüchtlinge, zu schützen suchten.
Unser Volk hat in dieser Zeit erneut einen Teil seiner Besten verloren. Ihr Andenken darf durch den heutigen Entschließungsantrag nicht berührt werden und wird nicht berührt.
Vielen Dank.
Damit schließe ich die Aussprache.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir haben in der Zwischenzeit verabredet, daß nach diesem Tagesordnungspunkt nur noch die Abstimmung zu dem Ergebnis des Vermittlungsausschusses stattfindet und daß wir die anderen beiden Punkte der Tagesordnung auf den morgigen Teil der Sitzung verschieben. Dazu ist nämlich eine ganze Reihe von Abstimmungen fällig, wie übrigens auch zu diesem Tagesordnungspunkt.
Ich stelle zunächst fest, daß eine Reihe von Erklärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung zu Protokoll gegeben worden sind, und zwar von den Kollegen Dr. Dregger*), Frau Steinbach, Freiherr von Stetten und Wilz.**)
Außerdem liegt nach § 31 GO eine gemeinsame Erklärung folgender Abgeordneter vor: Augustinowitz, Dietzel, Dr. Lamers , Janovsky, Augustin, Michels, Reichardt (Mannheim), Kossendey, Braun (Auerbach), Susset, Schulze, Köhler (Hain-spitz), Graf von Waldburg-Zeil, Klaußner, Meinl, Rose, Sikora, Paziorek, Richter, Riegert, Seiffert, Sauer (Stuttgart), Hauser (Esslingen), Sebastian, Willner, Teiser, Wilhelm (Mainz), Krause (Dessau), Kauder, Schockenhoff, Königshofen, Brunnhuber, und Deittert.***)
Ferner gibt es eine gemeinsame Erklärung der Abgeordneten Christian Schmidt, Koschyk, Wöhrl, Geiger, Hasselfeldt, Zeitlmann, Protzner und Mayer ****) und schließlich eine gemeinsame Erklärung der Abgeordneten Riedl, Rossmanith, Hinsken, Götzer, Straubinger, Hollerith, Blank, Gröbl, Jawurek, Waldburg-Zeil, Uelhoff, Lummer, Zierer, Götz, Jobst, Zöller, von Hammerstein, Reinhardt, Singhammer und Ramsauer.*****)
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Entschädigung von Fahnenflüchtigen, Wehrkraftzersetzern und Wehrdienstverweigerern unter dem NS-Regime auf Drucksache 13/4409. Der Rechtsausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/7669 unter Buchstabe a, diesen Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse über diesen Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/4409 abstimmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition bei Stimmenthaltung der Fraktion der SPD gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt worden ist. Da der Gesetzentwurf in zweiter Beratung abgelehnt wurde, entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Wir kommen zur Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD zu Unrechtsurteilen wegen „Fahnenflucht/Desertion", „ Wehrkraftzersetzung " oder „ Wehrdienstverweigerung" während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft auf Drucksache 13/7669 Buchstabe b. Der Rechtsausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/354 für erledigt zu erklären. Wer der Empfehlung des Rechtsausschusses folgt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses bei einer Stimmenthaltung angenommen worden ist.
Ich rufe die Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Rehabilitierung, Entschädigung und Versorgung für Deserteure, Kriegsdienstverweigerer und „Wehrkraftzersetzer" unter dem NS-Regime auf Drucksache 13/7669 Buchstabe c auf. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/353 abzulehnen. Wer der Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses mit den Stimmen der Koalition bei Stimmenthaltung der Fraktion der SPD gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen worden ist.
Der Rechtsausschuß empfiehlt unter Buchstabe d seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 13/7669 die Annahme einer Entschließung. Zu dieser Entschließung liegen zwei Änderungsanträge vor. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen verlangt zu ihrem Änderungsantrag getrennte Abstimmung. Wir stimmen deshalb zunächst über die Nummer 1 des Änderungsantrages auf Drucksache 13/7671, zu der die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen namentliche Abstimmung verlangt, ab.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung.
Ich möchte die Kollegen darauf aufmerksam machen, daß nach dieser namentlichen Abstimmung noch Abstimmungen über die Entschließung insgesamt und über ein Ergebnis des Vermittlungsausschusses stattfinden. Erst dann kann ich die Sitzung schließen.
Darf ich fragen, ob noch Kollegen im Hause sind, die ihre Stimme abgeben wollen? - Ich mache die Schriftführer noch einmal darauf aufmerksam, daß
*) Anlage 3 **) Anlage 4 ***) Anlage 5
****) Anlage 6
*****) Anlage 7
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
nach Schluß der Abstimmung hier im Plenum keine weiteren Stimmkarten mehr angenommen werden dürfen. Wir haben mehrfach darauf hingewiesen. Die Abstimmung als solche kann angefochten werden, wenn dagegen verstoßen wird.
Ich frage also noch einmal, ob ein Mitglied im Hause ist, das seine Stimme noch abgeben will. - Dann schließe ich die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung gebe ich nachher bekannt. *)
Wir setzen nun die Abstimmungen fort. Ich bitte die Kollegen, wieder Platz zu nehmen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Nummern 2 und 3 des Änderungsantrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/ 7671. Wer diesem Änderungsantrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß dieser Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion der SPD bei zwei Stimmenthaltungen gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt ist.
Dann rufe ich auf die Abstimmung über den Änderungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/ 7674. Wer diesem Änderungsantrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß dieser Änderungsantrag abgelehnt worden ist mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion der SPD bei Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Gruppe der PDS.
Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen Abstimmung müssen wir hier unterbrechen.
Ich bitte um Ihr Einverständnis, daß wir den Zusatzpunkt 5 aufrufen können. Das ist die Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses. Damit können wir die Zeit der Auszählung der namentlichen Abstimmung überbrücken. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch.
Dann rufe ich den Zusatzpunkt 5 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Zweiten Gesetz zur Neuordnung von Selbstverwaltung und Eigenverantwortung in der gesetzlichen Krankenversicherung
- Drucksachen 13/6087, 13/7264, 13/7569, 13/7660 -
Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Peter Struck
Wünschen Sie Berichterstattung, Herr Dr. Struck?
- Das ist nicht der Fall. Wird das Wort zu Erklärungen gewünscht? - Auch das ist nicht der Fall.
*) Seite 15828 B
Dann kommen wir zur Abstimmung. Der Vermittlungsausschuß empfiehlt, unter Aufhebung des Gesetzbeschlusses vom 20. März 1997 den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. abzulehnen. Wer der Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 13/7660 zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt worden ist.
Damit ist der Zusatzpunkt 5 erledigt. Die anderen Punkte 5 a und 5 b sowie den Punkt 11 werden wir in der morgigen Plenarsitzung behandeln und darüber abstimmen.
Ich bitte Sie nun um einen Augenblick Geduld bis zur Vorlage des Ergebnisses der namentlichen Abstimmung.
Ich unterbreche die Sitzung.
Die Sitzung ist wieder eröffnet.
Der Abgeordnete Heuer möchte eine Erklärung zur Abstimmung abgeben. Da wir ohnehin einen Augenblick Zeit haben, erteile ich das Wort dem Abgeordneten Heuer zur Abgabe einer Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung.
Danke schön, Herr Präsident.
Ich möchte begründen, warum ich nicht für diese Entschließung gestimmt habe, sondern ihr widersprochen habe. Ich tue das deswegen, weil sich in der Erklärung ein tiefer Widerspruch befindet.
Dem Absatz 1 kann ich meine Zustimmung geben. Ich meine aber, daß vor allem die Absätze 3 und 4 dieser Grundaussage widersprechen. Der Antrag enthält keine eindeutige Rehabilitierung der Opfer. Die Urteile werden nicht unterschiedslos für null und nichtig erklärt.
In für mich nicht nachvollziehender Weise wird argumentiert, daß die Urteile einerseits unter Anlegung rechtsstaatlicher Wertmaßstäbe, also nach heutigem Rechtsempfinden, Unrecht waren, daß aber andererseits anderes gilt, wenn bei Anlegung dieser Maßstäbe die der Verurteilung zugrundeliegende Handlung auch heute Unrecht wäre. Damit bleibt im Grunde die moralische und juristische Wertung nach wie vor offen. Das heißt, der Einzelfallprüfung ist nach wie vor Tür und Tor geöffnet. Mit einem gewissen Unterton des Bedauerns wird festgestellt, daß nach mehr als 50 Jahren die eigentlich notwendige Untersuchung jedes Einzelfalls unmöglich sei.
In diesem Krieg wurden Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen. Die Wehrmacht war Instrument dieser Verbrechen. Wer es unternommen hat, dieses Instrument zu schwächen, hat etwas gegen diese Verbrechen getan und verdient Anerkennung. Sein Verhalten war und ist vor der Moral und dem Völkerrecht rechtens. Die drakonischen Urteile
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
wegen dieses Verhaltens sind Unrecht und nichtig von Anfang an.
Herr Kollege Heuer - -
Der letzte Satz.
Ich bitte Sie, sich an die Geschäftsordnung zu halten.
Die Deserteure gehören - deshalb stimme ich gegen die Entschließung - in den Kreis der Kämpfer gegen den Faschismus und der Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.
Ich gebe nun das Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag des Abgeordneten Volker Beck und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Drucksachen 13/7669 Buchstabe d und 13/7671 Nr. 1 bekannt. Abgegebene Stimmen: 615. Mit Ja haben gestimmt: 82. Mit Nein haben gestimmt: 513. Enthaltungen: 20. Damit ist der Änderungsantrag abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 614 davon:
ja: 81
nein: 514
enthalten: 19
Ja
SPD
Klaus Barthel
Friedhelm Julius Beucher Peter Conradi
Konrad Gilges
Uwe Hiksch
Eckart Kuhlwein
Detlev von Larcher Ulrike Mehl
Günter Oesinghaus Adolf Ostertag
Renate Rennebach Dr. Hermann Scheer
Dagmar Schmidt Heinz Schmitt (Berg)
Dr. Angelica Schwall-Düren
BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN
Gila Altmann Elisabeth Altmann
Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln)
Angelika Beer Matthias Berninger Annelie Buntenbach
Amke Dietert-Scheuer Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Uschi Eid
Andrea Fischer Rita Grießhaber Gerald Häfner
Antje Hermenau Kristin Heyne Ulrike Höfken Michaele Hustedt Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt
Oswald Metzger Kerstin Müller Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Egbert Nitsch Cern Özdemir
Gerd Poppe
Simone Probst Halo Saibold Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk Albert Schmidt Wolfgang Schmitt
Waltraud Schoppe
Christian Sterzing
Manfred Such Dr. Antje Vollmer Ludger Volmer
Helmut Wilhelm
PDS
Petra Bläss
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter Heinrich Graf von Einsiedel Dr. Ludwig Elm
Dr. Dagmar Enkelmann Dr. Ruth Fuchs
Hanns-Peter Hartmann Dr. Uwe-Jens Heuer Dr. Barbara Höll
Dr. Willibald Jacob
Ulla Jelpke
Gerhard Jüttemann
Dr. Heidi Knake-Werner Rolf Köhne
Rolf Kutzmutz
Dr. Christa Luft
Heidemarie Lüth
Manfred Müller Rosei Neuhäuser
Dr. Uwe-Jens Rössel Christina Schenk
Steffen Tippach Klaus-Jürgen Warnick Dr. Winfried Wolf
Gerhard Zwerenz
Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam
Peter Altmaier
Jürgen Augustinowitz Dietrich Austermann Heinz-Günter Bargfrede Franz Peter Basten
Dr. Wolf Bauer
Brigitte Baumeister Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank Renate Blank
Dr. Heribert Blens Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm Friedrich Bohl
Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch Klaus Brähmig
Rudolf Braun Paul Breuer
Monika Brudlewsky Georg Brunnhuber Klaus Bühler Hartmut Büttner
Dankward Buwitt
Manfred Carstens Peter Harry Carstensen
Wolfgang Dehnel Hubert Deittert
Gertrud Dempwolf Albert Deß
Renate Diemers
Wilhelm Dietzel Werner Dörflinger
Hansjürgen Doss Dr. Alfred Dregger Maria Eichhorn
Wolfgang Engelmann Rainer Eppelmann Heinz Dieter Eßmann
Horst Eylmann Anke Eymer
Ilse Falk
Jochen Feilcke Ulf Fink
Leni Fischer
Klaus Francke Herbert Frankenhauser
Dr. Gerhard Friedrich
Erich G. Fritz Hans-Joachim Fuchtel Michaela Geiger Norbert Geis
Michael Glos
Wilma Glücklich
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer Joachim Gres
Kurt-Dieter Grill Wolfgang Gröbl Hermann Gröhe Claus-Peter Grotz Manfred Grund
Horst Günther Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein
Gottfried Haschke
Gerda Hasselfeldt
Otto Hauser Hansgeorg Hauser
Klaus-Jürgen Hedrich Helmut Heiderich Manfred Heise
Detlef Helling Ernst Hinsken Peter Hintze
Josef Hollerith
Dr. Karl-Heinz Hornhues Siegfried Hornung Joachim Hörster
Hubert Hüppe Peter Jacoby
Susanne Jaffke Georg Janovsky Helmut Jawurek Dr. Dionys Jobst Dr.-Ing. Rainer Jork
Michael Jung Ulrich Junghanns
Dr. Egon Jüttner Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter
Dr.-Ing. Dietmar Kansy Manfred Kanther Irmgard Karwatzki Volker Kauder
Peter Keller
Eckart von Klaeden Dr. Bernd Klaußner Ulrich Klinkert
Dr. Helmut Kohl Hans-Ulrich Köhler
Manfred Kolbe Norbert Königshofen Eva-Maria Kors
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
Hartmut Koschyk Manfred Koslowski Thomas Kossendey Rudolf Kraus
Wolfgang Krause Andreas Krautscheid
Arnulf Kriedner Heinz-Jürgen Kronberg Dr.-Ing. Paul Krüger
Reiner Krziskewitz Dr. Hermann Kues Werner Kuhn
Dr. Karl A. Lamers
Karl Lamers
Dr. Norbert Lammert Helmut Lamp
Armin Laschet Dr. Paul Laufs
Karl Josef Laumann Vera Lengsfeld Werner Lensing Peter Letzgus Editha Limbach
Walter Link Eduard Lintner
Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann
Julius Louven Sigrun Löwisch Heinrich Lummer Dr. Michael Luther
Erich Maaß Dr. Dietrich Mahlo
Erwin Marschewski Günter Marten
Dr. Martin Mayer
Wolfgang Meckelburg Rudolf Meinl
Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz
Rudolf Meyer
Hans Michelbach Meinolf Michels Dr. Gerd Müller
Elmar Müller Bernd Neumann (Bremen) Johannes Nitsch
Claudia Nolte Dr. Rolf Olderog Friedhelm Ost Eduard Oswald
Norbert Otto
Dr. Gerhard Päselt Dr. Peter Paziorek Hans-Wilhelm Pesch
Ulrich Petzold Anton Pfeifer
Angelika Pfeiffer Dr. Gero Pfennig Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Dr. Winfried Pinger Ronald Pofalla
Dr. Hermann Pohler Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff
Dr. Bernd Protzner Dieter Pützhofen Thomas Rachel Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer Rolf Rau
Helmut Rauber Peter Rauen
Otto Regenspurger
Christa Reichard Klaus Dieter Reichardt
Dr. Bertold Reinartz
Erika Reinhardt Hans-Peter Repnik
Roland Richter Roland Richwien Dr. Norbert Rieder
Dr. Erich Riedl Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer Hannelore Rönsch
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith
Adolf Roth
Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Volker Rühe
Dr. Jürgen Rüttgers
Roland Sauer Ortrun Schätzle
Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte
Heinz Schemken Karl-Heinz Scherhag Gerhard Scheu Norbert Schindler Dietmar Schlee Ulrich Schmalz
Christian Schmidt Dr.-Ing. Joachim Schmidt
Andreas Schmidt Hans-Otto Schmiedeberg Hans Peter Schmitz
Michael von Schmude
Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr von
Schorlemer
Dr. Erika Schuchardt Wolfgang Schulhoff
Dr. Dieter Schulte
Gerhard Schulz (Leipzig) Frederick Schulze
Diethard Schütze (Berlin) Clemens Schwalbe
Dr. Christian Schwarz-Schilling
Wilhelm Josef Sebastian Horst Seehofer
Marion Seib
Wilfried Seibel Heinz-Georg Seiffert
Rudolf Seiters Johannes Selle Jürgen Sikora
Johannes Singhammer Bärbel Sothmann Margarete Späte Wolfgang Steiger Erika Steinbach
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten
Dr. Gerhard Stoltenberg
Andreas Storm Max Straubinger
Matthäus Strebl Michael Stübgen
Egon Susset
Dr. Rita Süssmuth
Michael Teiser
Dr. Susanne Tiemann
Dr. Klaus Töpfer
Gottfried Tröger
Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Gunnar Uldall Wolfgang Vogt
Dr. Horst Waffenschmidt
Dr. Theodor Waigel
Alois Graf von Waldburg-Zei Dr. Jürgen Warnke
Kersten Wetzel
Hans-Otto Wilhelm Gert Willner
Bernd Wilz
Willy Wimmer Matthias Wissmann
Dr. Fritz Wittmann
Dagmar Wöhrl Michael Wonneberger
Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach Cornelia Yzer Wolfgang Zeitlmann
Benno Zierer Wolfgang Zöller
SPD
Brigitte Adler Gerd Andres Robert Antretter
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Anni Brandt-Elsweier
Dr. Eberhard Brecht
Ursula Burchardt
Hans Martin Bury
Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Dr. Herta Däubler-Gmelin Christel Deichmann
Karl Diller
Dr. Marliese Dobberthien Peter Dreßen
Rudolf Dreßler Peter Enders Gernot Erler Annette Faße
Lothar Fischer Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Anke Fuchs
Katrin Fuchs
Arne Fuhrmann Iris Gleicke Günter Gloser
Günter Graf Angelika Graf (Rosenheim) Achim Großmann
Karl Hermann Haack
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Manfred Hampel
Christel Hanewinckel
Alfred Hartenbach
Klaus Hasenfratz
Dr. Ingomar Hauchler
Dieter Heistermann Reinhold Hemker Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks Monika Heubaum Reinhold Hiller Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Frank Hofmann Ingrid Holzhüter
Erwin Horn
Eike Hovermann Wolfgang Ilte Barbara Imhof Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate Jäger Jann-Peter Janssen Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung Sabine Kaspereit Susanne Kastner
Ernst Kastning Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner Marianne Klappert Siegrun Klemmer
Dr. Hans-Hinrich Knaape Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper Volker Kröning Thomas Krüger Horst Kubatschka Helga Kühn-Mengel
Konrad Kunick Christine Kurzhals Dr. Uwe Küster Werner Labsch Brigitte Lange Waltraud Lehn
Dr. Elke Leonhard Klaus Lohmann Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß Winfried Mante Dorle Marx
Ulrike Mascher Christoph Matschie Ingrid Matthäus-Maier Herbert Meißner Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer Ursula Mogg
Jutta Müller Christian Müller (Zittau) Volker Neumann (Bramsche) Gerhard Neumann (Gotha) Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese Leyla Onur
Manfred Opel Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Willfried Penner
Dr. Martin Pfaff Georg Pfannenstein
Rudolf Purps
Margot von Renesse
Otto Reschke Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter Reinhold Robbe
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
Christa Lörcher
Heide Mattischeck
Doris Odendahl
Karin Rehbock-Zureich Günter Rixe
Gudrun Schaich-Walch Jörg Tauss
Hanna Wolf
Gerhard Rübenkönig Marlene Rupprecht Dr. Hansjörg Schäfer Dieter Schanz
Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Siegfried Scheffler Otto Schily
Dieter Schloten
Günter Schluckebier Horst Schmidbauer
Ulla Schmidt Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Regina Schmidt-Zadel
Dr. Emil Schnell
Walter Schöler
Ottmar Schreiner
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert Richard Schuhmann
Brigitte Schulte Volkmar Schultz (Köln) Ilse Schumann
Dr. R. Werner Schuster Dietmar Schütz Ernst Schwanhold
Roll Schwanitz
Bodo Seidenthal
Lisa Seuster
Horst Sielaff
Erika Simm
Johannes Singer
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Wieland Sorge
Wolfgang Spanier Dr. Dietrich Sperling Jörg-Otto Spiller
Ludwig Stiegler
Dr. Peter Struck
Joachim Tappe
Dr. Bodo Teichmann Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim Wolfgang Thierse Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Siegfried Vergin
Ute Vogt Karsten D. Voigt (Frankfurt) Hans Georg Wagner
Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Reinhard Weis Matthias Weisheit Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen Jochen Welt
Hildegard Wester Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier Dr. Norbert Wieczorek Helmut Wieczorek
Dieter Wiefelspütz Berthold Wittich
Dr. Wolfgang Wodarg Verena Wohlleben Heidi Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel Peter Zumkley
F.D.P.
Ina Albowitz
Dr. Gisela Babel
Hildebrecht Braun
Jörg van Essen
Dr. Olaf Feldmann Gisela Frick
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich
Rainer Funke
Hans-Dietrich Genscher Dr. Wolfgang Gerhardt Joachim Günther Dr. Karlheinz Guttmacher Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Dr. Burkhard Hirsch Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Detlef Kleinert Roland Kohn
Dr. Heinrich L. Kolb Jürgen Koppelin
Dr.-Ing. Karl-Hans Laermanr Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger Uwe Lühr
Günther Friedrich Nolting Dr. Rainer Ortleb
Lisa Peters
Dr. Günter Rexrodt Dr. Klaus Röhl
Helmut Schäfer Cornelia Schmalz-Jacobsen Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Dr. Irmgard Schwaetzer
Dr. Hermann Otto Sohns Dr. Max Stadler Carl-Ludwig Thiele
Dr. Dieter Thomae Jürgen Türk
Dr. Wolfgang Weng
Dr. Guido Westerwelle
Fraktionslose
Kurt Neumann
Enthalten
CDU/CSU
Dr. Renate Hellwig
SPD
Ingrid Becker-Inglau Hans-Werner Bertl
Edelgard Bulmahn Freimut Duve Ludwig Eich
Petra Ernstberger Dagmar Freitag Monika Ganseforth Dr. Liesel Hartenstein Nicolette Kressl
Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des Europarates und der WEU, der NAV, der OSZE oder der IPU
Abgeordnete(r)
Behrendt, Wolfgang SPD
Dr. Probst, Albert, CDU/CSU Siebert, Bernd, CDU/CSU Terborg, Margitta, SPD
Wir stimmen jetzt über die Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses auf Drucksache 13/7669 Buchstabe d ab, mit der die Annahme einer Entschließung empfohlen wird. Wer für diese Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Damit stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung mit Stimmen der Koalition und der Fraktion der SPD bei Gegenstimmen aus allen Fraktionen des Hauses und verschiedenen Stimmenthaltungen angenommen worden ist.
- Es gab Gegenstimmen bei der Fraktion der CDU/ CSU, bei der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und bei der Gruppe der PDS; dort gab es auch Enthaltungen.
Bei der Fraktion der SPD gab es nur Zustimmung.
- Auch bei der Fraktion der F.D.P. gab es nur Zustimmung.
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie so großen Wert darauf legen, könnte man auch diese Abstimmung namentlich machen.
Wir sind damit am Ende einer sehr schwierigen Verhandlung, am Ende der heutigen Tagesordnung.
Ich berufe den Bundestag für morgen, Freitag, den 16. Mai, um 15 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen