Protokoll:
13172

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 13

  • date_rangeSitzungsnummer: 172

  • date_rangeDatum: 24. April 1997

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 21:31 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 13/172 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 172. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 24. April 1997 Inhalt: Begrüßung des Vorsitzenden des Großen Staatshurals der Mongolei und seiner Delegation 15475 A Erweiterung und Abwicklung der Tagesordnung 15475 B Absetzung von Tagesordnungspunkten 15475 D Nachträgliche Ausschußüberweisung . 15475 D Zur Geschäftsordnung Ute Vogt (Pforzheim) SPD 15476 A Joachim Hörster CDU/CSU 15476 D Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 15477 B Jörg van Essen F.D.P. 15478 B Gerhard Zwerenz PDS 15478 D Tagesordnungspunkt 3: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 26. Juli 1995 auf Grund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union über die Errichtung eines Europäischen Polizeiamts (Europol-Gesetz) (Drucksache 13/7391) . . 15479 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 2: Antrag der Abgeordneten Christian Sterzing, Manfred Such und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Statt Europol - Mehr Sicherheit vor Kriminalität durch Verbesserung direkter polizeilicher Zusammenarbeit unter demokratischer und rechtlicher Kontrolle (Drucksache 13/7490) 15479 D Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär BMI 15480 A Otto Schily SPD 15481C, D Fritz Rudolf Körper SPD 15482 A Christian Sterzing BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 15483 B Dr. Max Stadler F D P. 15484 D Ulla Jelpke PDS 15486 A Dietmar Schlee CDU/CSU . . . 15487A, 15489 C Dr. Burkhard Hirsch F D P. 15489 A Hans-Peter Kemper SPD 15490 A Hans-Eberhard Urbaniak SPD . . . 15490 B Tagesordnungspunkt 4: Erste Beratung des von den Abgeordneten Ulla Schmidt (Aachen), Irmingard Schewe-Gerigk, Vera Lengsfeld, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und weiteren Abgeordneten eingebrachten Entwurfs eines ... Strafrechtsänderungsgesetzes - §§ 177 bis 179 StGB (Drucksache 13/7324) . . 15492 B Ulla Schmidt (Aachen) SPD 15492 B Ilse Falk CDU/CSU 15494 C Irmingard Schewe-Gerigk BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 15496 B, 15498 C Horst Eylmann CDU/CSU 15497 B Norbert Geis CDU/CSU 15498 B Sabine Leutheusser-Schnarrenberger F.D.P 15498 D Christina Schenk PDS 15500 A Claudia Nolte, Bundesministerin BMFSFJ 15501 A Hanna Wolf (München) SPD 15501 D Horst Eylmann CDU/CSU 15503 B Dr. Edith Niehuis 15505 A Tagesordnungspunkt 14: Überweisungen im vereinfachten Verfahren a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 15. März 1996 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Kasachstan über den Luftverkehr (Drucksache 13/7323) 15505 C b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung (Drucksache 13/7383) . . . 15505 D c) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundeserziehungsgesetzes (Drucksache 13/7384) . . . 15505 D d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung statistischer Rechtsvorschriften (3. Statistikbereinigungsgesetz) (Drucksache 13/7392) 15505 D f) Antrag der Abgeordneten Steffi Lemke, Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Verfassungsrechtliche Problematik der Altschulden landwirtschaftlicher Betriebe in den neuen Bundesländern (Drucksache 13/4011) 15506 A g) Antrag der Abgeordneten Dr. Gerald Thalheim, Anke Fuchs (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Zusammenhang mit den Altschulden der Landwirtschaft in den neuen Ländern und dem dazu ergangenen Prüfauftrag des Bundesverfassungsgerichts an die Bundesregierung (Drucksache 13/7442) 15506 A h) Antrag der Abgeordneten Dr. Jürgen Rochlitz, Gila Altmann (Aurich), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: 20 Jahre nach Seveso; 10 Jahre nach Sandoz - mehr Sicherheit bei Chemikalien (Drucksache 13/5202) 15506 A i) Antrag des Bundesministers der Finanzen: Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung in die Veräußerung bundeseigener Grundstücke in Köln, Raderberggürtel (Funkhaus der ehemaligen Rundfunkanstalt „Deutschlandfunk") (Drucksache 13/7349) 15506 B j) Antrag des Bundesministeriums der Finanzen: Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung in die Veräußerung einer Teilfläche der ehemaligen US-von-Steuber-Wohnsiedlung in Frankfurt am Main (Drucksache 13/7356) 15506 B k) Antrag des Bundesministeriums der Finanzen: Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 Bundeshaushaltsordnung in die Veräußerung bundeseigener Liegenschaften im Wert über 30 Mio. DM; Strausberg, Am Herrensee 13-20, 24-28, 34-48, Am Marienberg 17-28, 57-62, Am Annatal 21-28, 34-48 (Drucksache 13/7358) 15506 C Zusatztagesordnungspunkt 3: Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Deutsche Bundesbank (Drucksache 13/7493) 15506 C b) Antrag der Abgeordneten Monika Ganseforth, Elke Ferner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Verbesserung des Schutzes vor Fluglärm (Drucksache 13/7498) 15506 D Tagesordnungspunkt 15: Abschließende Beratungen ohne Aussprache a) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 23. Januar 1996 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland, der Regierung der Französischen Republik, der Regierung des Großherzogtums Luxemburg und dem Schweizerischen Bundesrat, handelnd im Namen der Kantone Solothurn, Basel-Stadt, BaselLandschaft, Aargau und Jura, über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Gebietskörperschaften und örtlichen öffentlichen Stellen (Drucksachen 13/6202, 13/7308) . . . 15507 A b) Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung des Nachweises der Eigentümerstellung und der Kontrolle von Luftfahrtunternehmen für die Aufrechterhaltung der Luftverkehrsbetriebsgenehmigung und der Luftverkehrsrechte (Luftverkehrsnachweissicherungsgesetz - LuftNaSiG) (Drucksachen 13/6820, 13/7246, 13/7462) 15507 B c) Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Cem Özdemir, Kerstin Müller (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Keine Stimmungsmache gegen Aussiedler zulassen (Drucksachen 13/3892, 13/7239) 15507 C d) Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament - aufgrund von Artikel 8 Abs. 6 der Richtlinie 92/81/EWG des Rates - über die Lage bei den Steuerbefreiungen und Steuersatzermäßigungen aus besonderen politischen Erwägungen nach Artikel 8 Abs. 4 der Richtlinie 92/81 sowie über die obligatorische Steuerbefreiung für Mineralöle, die als Kraftstoff für die Luftfahrt mit Ausnahme der privaten nichtgewerblichen Luftfahrt verwendet werden, und über die fakultativen Befreiungen und Ermäßigungen für Mineralöle, die für die Schiffahrt auf Binnenwasserstraßen mit Ausnahme der privaten nichtgewerblichen Schifffahrt verwendet werden, nach Artikel 8 Abs. 1 Buchstabe b und Abs. 2 Buchstabe b derselben Richtlinie Vorschlag für eine Entscheidung des Rates zur Ermächtigung bestimmter Mitgliedstaaten, ermäßigte Verbrauchsteuersätze oder Verbrauchsteuerbefreiungen für Mineralöle mit bestimmten Verwendungszwecken beizubehalten, gemäß dem Verfahren nach Artikel 8 Abs. 4 der Richtlinie 92/81/EWG (Drucksachen 13/6766 Nr. 2.14, 13/7319) 15507 D e) Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zu der dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsache vor dem Bundesverfassungsgericht 2 BvE 1/97 (Drucksache 13/ 7443) 15508 A f) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft zu der Verordnung der Bundesregierung: Aufhebbare Einhundertdreiunddreißigste Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste - Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz (Drucksachen 13/6699, 13/6760 Nr. 2, 13/7298) 15508A g) Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Haushaltsführung 1997; Außerplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 10 04 (apl.) Titel 681 02 - Erstattung von Kosten für tierseuchenbedingte Beihilfeaktionen - bis zur Höhe von 74 675 000 DM (Drucksachen 13/6944, 13/7105 Nr. 1, 13/7300) 155088 h) bis k) Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersichten 197, 198, 199, 200 zu Petitionen (Drucksachen 13/7435, 13/7436, 13/7437, 13/ 7438) 15508C Zusatztagesordnungspunkt 4: Weitere abschließende Beratung ohne Aussprache Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Amateurfunk (Amateurfunkgesetz 1997) (Drucksachen 13/6439, 13/7448) . . . 15508 D Tagesordnungspunkt 10: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Mitteilungen der Justiz von Amts wegen in Zivil- und Strafsachen (Justizmitteilungsgesetz) (Drucksachen 13/4709, 13/7489) 15509 A Tagesordnungspunkt 5: Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Handlungsrahmen der Bundesregierung für eine Initiative zum kosten- und flächensparenden Bauen (Drucksachen 13/2247, 13/7465) 15509 C Margarete Späte CDU/CSU 15509 C Volkmar Schultz (Köln) SPD 15511 B Helmut Wilhelm (Amberg) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 15513 B Hildebrecht Braun (Augsburg) F.D.P. . 15514 B Klaus-Jürgen Warnick PDS 15515 C Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister BMBau 15516 C Gabriele Iwersen SPD 15519 B Dr. Klaus Töpfer CDU/CSU 15520 C Gert Willner CDU/CSU 15521 C Zusatztagesordnungspunk 5: Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zu dem Ersten Gesetz zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes und anderer Gesetze (Drucksachen 13/2746, 13/3475, 13/3720, 13/3728, 13/3937, 13/3949, 13/4686, 13/4759, 13/4866, 13/7510) . 15522D Dr. Heribert Blens CDU/CSU 15522 D Brigitte Lange SPD 15524 A Kerstin Müller (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 15524 D Ulrich Irmer F.D.P 15525 C Dr. Heidi Knake-Werner PDS 15526 B Zusatztagesordnungspunkt 6: Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses - zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. - zu dem Antrag der Abgeordneten Otto Schily, Günter Verheugen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD - zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Gerald Häfner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - zu dem Antrag der Abgeordneten Gerhard Zwerenz, Heinrich Graf von Einsiedel, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944" (Drucksachen 13/7162, 13/7175, 13/ 7120, 13/7188, 13/7506) 15527 B Dr. Rupert Scholz CDU/CSU 15527 C Freimut Duve SPD 15529 A Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 15530 A Dr. Max Stadler F D P. 15531 A Heinrich Graf von Einsiedel PDS . . . . 15531 D Namentliche Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. (Drucksache 13/7162) 15533 A Ergebnis 15533 D Namentliche Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD (Drucksachen 13/7175, 13/7506 b) 15533 B Ergebnis 15536A Namentliche Abstimmung über den Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Drucksachen 13/7120, 13/7506 c) 15533 B Ergebnis 15540 C Namentliche Abstimmung über den Antrag der Gruppe der PDS (Drucksache 13/7188) 15533 C Ergebnis 15545 A Tagesordnungspunkt 6: a) Antrag der Abgeordneten Albert Schmidt (Hitzhofen), Gila Altmann (Aurich), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das Schienennetz in Deutschland sichern (Drucksache 13/7283) . . 15538 A b) Antrag der Abgeordneten Albert Schmidt (Hitzhofen), Helmut Wilhelm (Amberg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mißbilligung des Bundesministers für Verkehr wegen Nichteinhaltung seiner Verpflichtungen nach den §§ 5 und 7 des Bundesschienenwegeausbaugesetzes (Drucksache 13/6857) 15538 A c) Antrag der Abgeordneten Dr. Winfried Wolf, Dr. Dagmar Enkelmann, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS: Aufstellung eines Bundesverkehrswegeplans für eine Politik der Verkehrswende (Drucksache 13/5164) . . . . 15538 C d) Beschlußempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Kristin Heyne, Albert Schmidt (Hitzhofen), Gila Altmann (Aurich) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Erstellung eines Schienenbauplanes als Anlage zum Bundesverkehrshaushalt (Drucksachen 13/4874, 13/5870) 15538 C e) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr zu dem Antrag der Abgeordneten Albert Schmidt (Hitzhofen), Gila Altmann (Aurich), Helmut Wilhelm (Amberg) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Finanzierung der Schienennahverkehrsinfrastrukturen sicherstellen (Drucksachen 13/5198, 13/7367) . . . 15538 C f) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht zum Ausbau der Schienenwege 1996 (Drucksache 13/6929) . 15538 D Dr. Dionys Jobst CDU/CSU 15539 A Elke Ferner SPD 15542 D Albert Schmidt (Hitzhofen) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 15547 A Dr. Dionys Jobst CDU/CSU 15547 C Dirk Fischer (Hamburg) CDU/CSU . . 15548 A, B Horst Friedrich F.D.P. 15549 D Albert Schmidt (Hitzhofen) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 15550 B Dr. Winfried Wolf PDS 15552 A Dirk Fischer (Hamburg) CDU/CSU . . 15553 B Hans-Eberhard Urbaniak SPD 15555 A, 15556 A Annette Faße SPD 15556 A Lothar Ibrügger SPD 15556 D Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär BMV 15558 C Tagesordnungspunkt 7: Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege (strafrechtlicher Bereich) (Drucksache 13/4541) 15560C Hermann Leeb, Staatsminister (Bayern) 15560 D Hermann Bachmaier SPD 15562 B Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 15564 B Detlef Kleinert (Hannover) F.D.P. . . . 15565 B Dr. Uwe-Jens Heuer PDS 15566 D Norbert Geis CDU/CSU 15567 D Alfred Hartenbach SPD 15569 C Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, Bundesminister BMJ 15571 D Tagesordnungspunkt 9: Antrag der Abgeordneten Dr. Wolfgang Wodarg, Gerd Andres, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Neuordnung der sozialmedizinischen Begutachtung (Drucksache 13/6587) 15573 A Tagesordnungspunkt 11: Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Ludwig Elm, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Tag des Gedenkens an die Befreiung vom Nationalsozialismus (Drucksache 13/7287) 15573 B Dr. Ludwig Elm PDS 15573 B Erika Steinbach CDU/CSU 15574 B Siegfried Vergin SPD 15574 D Dr. Uwe-Jens Heuer PDS 15576 A Erika Steinbach CDU/CSU 15576 C Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 15576 D Nächste Sitzung 15577 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 15579* A Anlage 2 (Zwangs-)Therapie für Sexualstraftäter und die dafür zur Verfügung stehenden Einrichtungen MdlAnfr 1 - Drs 13/7454 - Dr. Elke Leonhard SPD SchrAntw PStSekr Rainer Funke BMJ . . 15579* C Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Alfred Dregger (CDU/CSU) zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Innenausschusses zu den Anträgen: Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944" -Drucksachen 13/7162, 13/7175, 13/7120, 13/7188, 13/7506 - (Zusatztagesordnungspunkt 6) 15579* D Anlage 4 Erklärung der Abgeordneten Christa Reichard (Dresden) (CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung über den Antrag der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Gerald Häfner, Annelie Buntenbach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944" - Drucksache 13/7120 - . . . 15581* D Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 9 (Antrag: Neuordnung der sozialmedizinischen Begutachtung) Andreas Storm CDU/CSU 15582* A Dr. Wolfgang Wodarg SPD 15583* A Marina Steindor BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 15585* B Dr. Gisela Babel F.D.P 15585* D Dr. Ruth Fuchs PDS 15586* B Rudolf Kraus, Parl. Staatssekretär BMA . . 15586* D Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt 11 (Entwurf eines Gesetzes über den Tag des Gedenkens an die Befreiung vom Nationalsozialismus) Dr. Max Stadler F D P. 15587* C 172. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 24. April 1997 Beginn: 9.00 Uhr
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    *) Anlage 6 Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Antretter, Robert SPD 24. 4. 97 * Behrendt, Wolfgang SPD 24. 4. 97 Bindig, Rudolf SPD 24. 4. 97 * Blunck, Lilo SPD 24. 4. 97 Bühler (Bruchsal), Klaus CDU/CSU 24. 4. 97 * Dr. Feldmann, Olaf F.D.P. 24. 4. 97 * Fischer (Unna), Leni CDU/CSU 24. 4. 97 * Haack (Extertal), SPD 24. 4. 97 ' Karl Hermann Hoffmann (Chemnitz), SPD 24. 4. 97 Jelena Horn, Erwin SPD 24. 4. 97 * Junghanns, Ulrich CDU/CSU 24. 4. 97 * Koppelin, Jürgen F.D.P. 24. 4. 97 Kriedner, Arnulf CDU/CSU 24. 4. 97 * Maaß (Wilhelmshaven), CDU/CSU 24. 4. 97 * Erich Marten, Günter CDU/CSU 24. 4. 97 * Michels, Meinolf CDU/CSU 24. 4. 97 * Dr. Pfaff, Martin SPD 24. 4. 97 Dr. Probst, Albert CDU/CSU 24. 4. 97 * von Schmude, Michael CDU/CSU 24. 4. 97 * Schönberger, Ursula BÜNDNIS 24. 4. 97 90/DIE GRÜNEN Schuhmann (Delitzsch), SPD 24. 4. 97 Richard Siebert, Bernd CDU/CSU 24. 4. 97 * Such, Manfred BÜNDNIS 24. 4. 97 90/DIE GRÜNEN Terborg, Margitta SPD 24. 4. 97 * Vosen, Josef SPD 24. 4. 97 Wallow, Hans SPD 24. 4. 97 Dr. Wittmann, Fritz CDU/CSU 24. 4. 97 * Zierer, Benno CDU/CSU 24. 4. 97 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Antwort des Parl. Staatssekretärs Rainer Funke auf die Frage der Abgeordneten Dr. Elke Leonhard (SPD) (Drucksache 13/7454 Frage 1): Wie bewertet die Bundesregierung die unübersehbare Diskrepanz zwischen dem im Regierungsentwurf zur Neuregelung des Strafvollzugrechtes zum Ausdruck kommenden Willen zu einer erweiterten Anwendung des Instrumentes der (Zwangs-)Therapie für Sexualstraftäter und der unzulänglichen - weniger als 900 Haftplätze in Sozialtherapeutischen Anstalten stehen mehr als 2 600 wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern oder Vergewaltigung inhaftierten Tätern gegenüber, anstelle der dringend erforderlichen mindestens 120 Sachverständigen stehen gegenwärtig lediglich 40 zur Verfügung - und für eine sinnvolle Therapie ungenügenden Ausstattung der einschlägigen Einrichtungen? Der Bundesregierung ist die in der Frage beschriebene Diskrepanz zwischen den in den Ländern vorhandenen Therapieplätzen in sozialtherapeutischen Anstalten und der Anzahl der für die Behandlung von Sexualstraftätern erforderlichen Kapazitäten sowie die unzureichende Anzahl der Gutachter bekannt. Der Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten sieht für behandlungsfähige und behandlungsbedürftige Sexualstraftäter, die zu mehr als 2 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt sind, eine zwingende Verlegung in sozialtherapeutische Anstalten vor. Die hierfür erforderlichen Therapieplätze sind von den Ländern zu schaffen. Weiterhin wird bei Verurteilten, bei denen nicht auszuschließen ist, daß Gründe der öffentlichen Sicherheit einer vorzeitigen Entlassung entgegenstehen, die Einholung eines Sachverständigengutachtens vor der Entscheidung über die Aussetzung des Strafrests zur Bewährung ausdrücklich gesetzlich vorgeschrieben. Dabei ist der Bundesregierung bewußt, daß diese Maßnahmen viel Geld kosten werden. Sie ist der Überzeugung, daß Tätertherapie die beste Vorbeugung gegen Rückfall ist. Die Bundesregierung geht davon aus, daß die Länder, entsprechend ihres auf der Justizministerkonferenz im November 1996 gefaßten Beschlusses zur Verstärkung der Behandlungs- und Therapiemöglichkeiten für Sexualstraftäter die hierfür erforderlichen sachlichen und personellen Mittel bereitstellen werden. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Alfred Dregger zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Innenausschusses zu den Anträgen: Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944" (Zusatztagesordnungspunkt 6) Erstens. Die Ausstellung, über die wir heute unter Tagesordnungspunkt 7 abstimmen, ist eine Privatveranstaltung, die auch hinsichtlich der behaupteten Tatsachen keiner Kontrolle unterliegt. Ihre Glaubwürdigkeit bedarf daher der Überprüfung. Ich habe eine solche durch das Militärgeschichtliche Forschungsamt der Bundeswehr angeregt. Die Ausstellung wirft ferner die Frage auf, was die Aussteller legitimiert, Millionen von Menschen, die sie nicht kennen, ihrem Urteil zu unterwerfen und sie dabei seelisch brutal zu verletzen, ohne einen personenbezogenen Nachweis ihrer Vorwürfe erbringen zu können. Zweitens. Wie ein Volk nach einem verlorenen Krieg mit seinen Soldaten umgeht, das sagt viel aus über seine moralische Substanz, über seine Würde und über seine innere Stärke oder Schwäche. In meiner Truppe, der 6. Rheinisch-Westfälischen Infanteriedivision, hat es solche Verbrechen, wie die Ausstellung sie schildert, nicht gegeben. Die meisten deutschen Soldaten, die Leib und Leben für unser Land risikiert haben, können mit Recht sagen, daß sie selber an den Verbrechen Hitlers nicht beteiligt waren und sich auch nicht in sonstiger Weise schuldig gemacht haben. Drittens. Auf den Beginn des Krieges und die Art der Kriegführung hatten die meisten der über 18 Millionen Soldaten der Wehrmacht nicht den geringsten Einfluß, was übrigens in gleicher Weise für die Soldaten der ehemaligen Kriegsgegner gilt. Soldaten waren immer und überall die Opfer des Krieges. Bedeutende Entscheidungen trafen nicht sie, sondern die großen Kriegsherren, wie Hitler und Stalin, Roosevelt und Churchill, die allein die politische Macht und die Befehlsgewalt hatten. Der schreckliche Bombenkrieg gegen die deutsche Zivilbevölkerung wurde nicht von den britischen und amerikanischen Bomberbesatzungen beschlossen, sondern von den politischen und militärischen Führungen Großbritanniens und der USA. Viertens. Fest steht, daß das deutsche Volk den Krieg ebenso wenig gewollt hat wie die anderen Völker, die in ihn hineingezogen wurden. Anläßlich der Verabschiedung der letzten russischen Soldaten aus Deutschland am 31. August 1994 erklärte Präsident Jelzin in Berlin, das deutsche Volk sei an diesem Krieg nicht schuld. Man habe in Moskau immer zu unterscheiden gewußt zwischen dem großen deutschen Volk und der verbrecherischen Clique, die sich seiner bemächtigt hatte. Diese Feststellung ist richtig. Auch wir Deutsche unterscheiden selbstverständlich zwischen dem großen russischen Volk, dem wir uns in vielfacher Weise verbunden fühlen, und seiner verbrecherischen Führung unter Stalin. Zur Zeit ist der Generalstaatsanwalt Rußlands dabei, Zehntausende von ehemaligen deutschen Kriegsgefangenen, die von sowjetischen Militärtribunalen zu Unrecht verurteilt wurden, zu rehabilitieren, womit er eine Absprache zwischen Präsident Jelzin und Bundeskanzler Kohl realisiert. Ich bekunde meinen Respekt vor Jelzin und der russischen Regierung. Seriöse Zeitgeschichtler (z. B. Joachim Fest oder Sebastian Haffner) haben bestätigt, daß die Wehrmacht keine NS-Organisation war, wie es SA, SS, Gestapo und SD gewesen sind. Die Wehrmacht war eine Organisation des Staates, war immer ein „feldgrauer Strang im braunen Geflecht" (Gillessen) des NS-Staates - bis hin zum 20. Juli. Hitler selbst hat sie zu allen Zeiten mit Argwohn beobachtet, weil er sich ihrer nicht sicher sein konnte. Wahr ist, daß die Nationalsozialisten schreckliche Verbrechen begannen haben, für die meisten Menschen, auch für mich, unvorstellbare Verbrechen. Das gilt insbesondere für die Ausrottungsmorde an den deutschen und europäischen Juden. Wahr ist, daß auch Soldaten der Wehrmacht an solchen Verbrechen beteiligt waren. Es ist aber ebenso wahr, daß die große Masse der deutschen Soldaten keinen Anteil daran hatte. Sie haben nicht an den Fronten gekämpft, um hinter diesen das Vernichtungswerk der NS-Einsatzgruppen zu ermöglichen. Dieses fand übrigens unter größter Geheimhaltung statt, weil Hitler wußte, daß das deutsche Volk ihm auf diesem Weg nicht zu folgen bereit gewesen wäre. Nein, die Soldaten haben nicht für Hitler gekämpft, sondern für Deutschland, das unter dessen Führung und infolge seiner verbrecherischen Politik in große Not geraten war. Es ist aber auch wahr, daß in der Wehrmacht Disziplin herrschte. Plünderungen und Vergewaltigungen wurden schärfstens bestraft. Massenvergewaltigungen z. B. hat es bei der deutschen Wehrmacht nicht gegeben, und schon gar nicht wären solche von der Führung hingenommen oder gar von ihr begünstigt worden. Es gab auch in der Wehrmacht keinen der Propaganda Ilja Ehrbenurgs vergleichbaren Aufruf zu Verbrechen und Gewalttaten gegen die Zivilbevölkerung. Fünftens. Wir haben uns nicht nur mit einem verlorenen Krieg auseinanderzusetzen, sondern auch mit deutscher Schuld und mit Verbrechen, die von Deutschen begangen worden sind. Niemand, außer ein paar verwirrten Idioten, leugnet das. Es ist aber auch wahr, daß kein Volk mit seinen Kriegsverbrechern so streng umgegangen ist wie das deutsche Volk. Die meisten anderen Kriegführenden haben ihre Kriegsverbrecher umgehend rehabilitiert. Deshalb sage ich in aller Klarheit: Diejenigen, die trotzdem versuchen, die deutsche Wehrmacht unterschiedslos als verbrecherische Organisation darzustellen, sagen nicht die Wahrheit, sie verletzten und verleumden. Die Kritiker der Wehrmacht sollten im übrigen bedenken, daß nicht einmal das Nürnberger Siegergericht die Wehrmacht verurteilt hat und daß unsere ehemaligen Kriegsgegner der Wehrmacht vielfach ein hervorragendes Zeugnis ausgestellt haben. Ich nenne General de Gaulle, General Eisenhower, Marschall Schukow und den großen britischen Militärschriftsteller Liddel Hart. Sechstens. Das hohe Ansehen der deutschen Soldaten wirkte über das Kriegsende hinaus. Es waren kriegsbewährte Wehrmachtsoffiziere, die auf Wunsch der Alliierten und im Auftrage Adenauers die neue Bundesehr aufstellten. Sie nahmen sich die großen preußischen Reformer Schamhorst, Gneisenau usw. zum Vorbild und schufen eine Bundeswehr, die zur modernsten Truppe Europas wurde. Ihr Leitbild des Bürgers in Uniform ist inzwischen von anderen Seiten übernommen worden. Die heutige Debatte über die Wehrmacht - es ist ja nicht die erste - findet Jahrzehnte zu spät statt. Inzwischen ist diese Wehrmachtsgeneration so dezimiert, daß es für sie schwer geworden ist, sich gegen Vorwürfe zu verteidigen. Das gilt um so mehr, als ihr von seiten des Staates bedauerlicherweise keinerlei Ehrenschutz mehr gewährt wird. Siebtens. Auf eine weitere Tatsache möchte ich hinweisen: Bei den Soldaten des Zweiten Weltkrieges und ihren Angehörigen geht es nicht um eine kleine, abgrenzbare Gruppe unseres Volkes, sondern mehr oder weniger um die gesamte Bevölkerung der damaligen Zeit. Fast alle Männer waren eingezogen, und natürlich waren auch die Mütter, die Schwestern, die Töchter, die Freundinnen und Ehefrauen der Soldaten mitbetroffen. Es geht also in dieser Frage um unser Verhältnis zu einer ganzen Generation unseres Volkes. Wer versucht, die gesamte Kriegsgeneration pauschal als Angehörige und Helfershelfer einer Verbrecherbande abzustempeln, der will Deutschland ins Mark treffen. Aus solchem Selbsthaß kann nichts Gutes entstehen, kein rationales, berechenbares Verhalten in der Politik und keine wirkliche Versöhnung. Dieser Selbsthaß führt weg von dem, was eigentlich das Wichtigste ist und im Zentrum stehen sollte: von der wirklich tiefempfundenen Trauer um die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft, von der Einsicht in das menschliche Leid, das damals grundgelegt wurde und bis heute nachwirkt, und - um ein Beispiel heranzuziehen - von dem unermeßlichen Verlust, den die Nazis durch die Vernichtung der deutschen Juden vor allem auch Deutschland zugefügt haben. Achtens. Wie man Vergangenheit fruchtbar aufarbeiten kann, hat uns der verstorbene französische Präsident Mitterrand am 8. Mai 1995 in Berlin in beeindruckender Weise gezeigt. Er hat damals aus Anlaß des 50jährigen Endes des Zweiten Weltkrieges gesagt: Ich bin nicht gekommen, um den Sieg zu feiern, über den ich mich 1945 für mein Land gefreut habe. Ich bin nicht gekommen, um die Niederlage der Deutschen zu unterstreichen, weil ich die Kraft, die im deutschen Volk ruht, kenne, seine Tugenden, seinen Mut - und wenig bedeuten mir in diesem Zuammenhang die Uniformen und selbst die Ideen, die in den Köpfen der Soldaten damals gewohnt haben, die in so großer Zahl gestorben sind. Sie waren mutig, sie nahmen den Verlust ihres Lebens hin, für eine schlechte Sache, aber ihre Haltung hatte damit nichts zu tun. Sie liebten ihr Vaterland. Es ist notwendig, daß uns das klar wird. Europa, das bauen wir, aber unsere Vaterländer lieben wir. Bleiben wir uns selbst treu. Verbinden wir die Vergangenheit mit der Zukunft, und wir werden in Frieden den Geist dieses Zeugnisses an jene weitergeben können, die uns nachfolgen. Mitterrands Maßstab sollte auch für die deutsche Politik gelten. Neuntens. Und noch eines sollten wir nicht vergessen: Die Vertriebenen- und Soldatenverbände haben sich als erste mit unseren ehemaligen Kriegsgegnern zunächst im Westen, dann auch im Osten um Versöhnung bemüht und dazu mit großem Erfolg beigetragen. Ihnen gebührt dafür unser aller Dank und Anerkennung. Das alles gehört zu den Friedenswerken, durch die das einige Europa geschaffen wird mit dem Ziel, den Frieden tief in den Herzen der Menschen zu verankern. Wenn die Ausstellung wenigstens ein Stückchen eines Beitrages dazu geleistet hätte, dann hätte sie vielleicht noch einen Sinn haben können. Aber das ist nach meinem Eindruck nicht geschehen. Im Gegenteil, die Ausstellung versöhnt nicht, sie spaltet. Sie empört durch die Art ihrer Darstellung die Generation der Großväter und Väter und verwirrt die Generation der Söhne und Enkel. Wer auf diese Weise einen Keil zwischen die Generationen unseres Volkes treibt, der trifft uns im Kern und gefährdet unseren Zusammenhalt. Das ist kein Werk des Friedens, sondern des Unfriedens. Zehntens. Als ältester gewählter Abgeordneter des deutschen Volkes möchte ich in aller Bescheidenheit bitten: Begegnen wir der Kriegs- und Aufbaugeneration - sowohl den Toten als auch den Lebenden - mit Anstand und Fairneß, wie es unsere ehemaligen Kriegsgegner mit Selbstverständlichkeit tun und wie es nach dem Kriege auch in unserem Lande weitgehend der Fall war. Ich meine, darauf hat diese Generation, die wahrscheinlich mehr gelitten und geleistet hat als jede andere, einen Anspruch. Anlage 4 Erklärung der Abgeordneten Christa Reichard (Dresden) (CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung über den Antrag der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Gerald Häfner, Annelie Buntenbach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944" - Drucksache 13/7120 - Mein Votum ist in der Abstimmungsliste nicht vermerkt. Ich erkläre, daß mein Votum Nein lautet. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 9 (Antrag: Neuordnung der sozialmedizinischen Begutachtung) Andreas Storm (CDU/CSU): Auf den ersten Blick scheint der in die heutige Debatte eingebrachte Vorschlag zur „Neuordnung der sozialmedizinischen Begutachtung" einen Beitrag zur Verbesserung der Transparenz und der Effizienz im Bereich der sozialen Sicherung zu leisten. Aber nicht jeder gutgemeinte Vorschlag hält auch einer kritischen Prüfung stand. Deshalb gleich zum Kern des Problems: Es ist ja in der Tat so: Viele Leistungen von Sozialversicherungsträgern werden erst nach gutachterlichen ärztlichen Stellungnahmen gewährt. Und es ist auch richtig, daß der Versicherte oder Versorgungsberechtigte sich nicht selten mehreren gutachterlichen Untersuchungen unterziehen muß. Denn wechselt die Zuständigkeit von einem Sozialversicherungsträger zu einem anderen, so ist häufig eine erneute gutachterliche Stellungnahme erforderlich. Ob allerdings die Bildung von regionalen sozialmedizinischen Zentren hier wirklich ein sinnvoller Weg sowohl zur Verbesserung der Übersicht für den betroffenen Versicherten als auch zur Kosteneinsparung im Sozialsystem darstellt, daran habe ich sehr starke Zweifel. Denn der Gedanke, den gutachterlichen ärztlichen Sachverstand in wenigen regionalen Zentren zu bündeln, geht an den praktischen Erfordernissen vorbei. So gibt es zum Beispiel für manche Fragen auf dem Feld der Berufskrankheiten nur wenige Spezialisten. Während sich beispielsweise Hauterkrankungen oder Erkrankungen durch Lärm regelmäßig durch jeden Facharzt beurteilen lassen, können andere Krankheiten, zum Beispiel bestimmte Krebserkrankungen, häufig nur von solchen Fachleuten beurteilt werden, die mit der Einzelfallproblematik besonders vertraut sind. Es ist deshalb sachlich weder notwendig noch machbar, für eine gesamte Region eine Gutachterstelle mit einer Facharztbesetzung zu schaffen, die die ganze Breite des benötigten Fachwissens abdeckt. Ein Zweites gilt es zu bedenken: Ärzte, die mit gutachterlichen Stellungnahmen für den Medizinischen Dienst und andere Einrichtungen befaßt werden, sind in besonderem Maße auf die in ihrer langjährigen medizinischen Praxis erworbenen und ständig aktualisierten Erfahrungen angewiesen. Mit der Bildung von regionalen sozialmedizinischen Diensten wäre die große Gefahr verbunden, daß die Gutachtertätigkeit von der medizinischen Praxis getrennt würde. Eine solche Entkoppelung der gutachterlichen Tätigkeit und der Entwicklung des aktuellen medizinischen Erkenntnisstandes müßte sich selbstverständlich auch in der Qualität der Gutachten niederschlagen. Dies kann nicht im Interesse der Versicherten sein. Fraglich ist auch, wieso in einem sozialmedizinischen Zentrum die Unterbringung der Patienten kostengünstiger sein soll als nach dem bisher praktizierten Verfahren. Umfassende Untersuchungen von Patienten fordern derzeit in der Regel etwa zwei bis drei Tage stationären Aufenthalt im Krankenhaus zur fachärztlichen Untersuchung. In vielen Fällen reicht sogar ein eintägiger Besuch beim zuständigen - und das ist entscheidend - am Wohnort oder in unmittelbarer Nähe ansässigen Facharzt. Diese Wohnortnähe ist für den Patienten von besonderem Vorteil. Aber auch im Hinblick auf die Kosten ist es nicht einleuchtend, daß ein regionales sozialmedizinisches Zentrum kostengünstiger sein soll als der Facharztbesuch vor Ort. Und bedenken Sie: Viele Patienten, insbesondere ältere Menschen, müssen die Mühen einer längeren Anreise zu einem regionalen sozialmedizinischen Zentrum in Kauf nehmen. Dieses könnten Sie nur umgehen, wenn Sie mit Ihrem Vorschlag eine flächendeckende Absicherung erreichen wollten. Dann müßte der Begriff der Region also sehr klein gefaßt werden. Damit würden aber die Kosteneinsparungseffekte endgültig verlorengehen. Völlig richtig dagegen ist Ihre Überlegung, daß unnötige Doppeluntersuchungen nicht nur eine physische und psychische Belastung der Patienten darstellen, sondern auch aus Kostengründen zu vermeiden sind. Solche Doppeluntersuchungen stellen immer wieder ein großes Ärgernis dar. Aber um Doppeluntersuchungen zu vermeiden, ist ja bereits in § 96 des SGB X eine angemessene Regelung vorgesehen. Dort heißt es: „Veranlaßt ein Leistungsträger eine ärztliche Untersuchungsmaßnahme oder eine psychologische Eignungsuntersuchungsmaßnahme, um festzustellen, ob die Voraussetzungen für die Sozialleistung vorliegen, sollen die Untersuchungen in der Art und Weise vorgenommen und deren Ergebnisse so festgehalten werden, daß sie auch bei der Prüfung der Voraussetzungen anderer Sozialleistungen verwendet werden können. " Weiter heißt es: „Durch Vereinbarung haben die Leistungsträger sicherzustellen, daß Untersuchungen unterbleiben, soweit bereits verwertbare Untersuchungsergebnisse vorliegen. " Bei den bevorstehenden Ausschußberatungen müssen wir uns darüber unterhalten, ob diese gesetzliche Regelung bereits in ausreichendem Maße in der Praxis umgesetzt wird. Hier kann ich mir durchaus vorstellen, daß wir über geeignete Maßnahmen zur besseren Abstimmung zwischen den Leistungsträgern kommen müssen. Allerdings wird es sich auch in Zukunft nicht vermeiden lassen, daß die betroffenen Versicherten im Vorfeld der Leistungsgewährung mehrere Untersuchungen über sich ergehen lassen müssen. Dies liegt darin begründet, daß die einzelnen Leistungsträger unterschiedliche Leistungsvoraussetzungen haben. Da macht es einen Unterschied, ob die medizinische Untersuchung etwa eine generelle Arbeitsunfähigkeit, eine Verminderung der Erwerbsfähigkeit oder die Feststellung von Berufskrankheiten prüfen soll. Wir müssen also sicherstellen, daß die bereits bei den vorangegange- nen Untersuchungen gewonnenen Erkenntnisse im Bedarfsfalle an die anderen zuständigen Leistungsträger weitergegeben werden. Eine zentrale Erfassung sämtlicher Untersuchungsdaten einer Person, auf die alle Leistungsträger einer Region Zugriff haben würden, dürfte allerdings gegen das Verbot zur Bildung einer Zentraldatei mehrerer Leistungsträger für Daten der ärztlich untersuchten Leistungsempfänger nach § 96 SGB X verstoßen. Auch aus diesem Grund ist die Bildung von regionalen sozialmedizinischen Diensten kein geeigneter Weg, um die Transparenz und Effizienz im Bereich der sozialen Sicherung zu erhöhen und unnötige Belastungen für die betroffenen Menschen zu vermeiden. Dennoch bin ich der Auffassung, daß wir bei den Ausschußberatungen noch einmal gemeinsam intensiv darüber beraten müssen, ob die wenig übersichtliche Vielfalt sozialmedizinischer Zuständigkeiten nicht auf anderem Wege vereinfacht werden kann. Die CDU/CSU-Fraktion ist hierbei für vernünftige Vorschläge offen. Dr. Wolfgang Wodarg (SPD): Schade, daß dieses für Millionen Menschen so wichtige Thema, welches in der Bevölkerung gerade zur Zeit erhebliche Betroffenheit auslöst, erst zu so später Stunde in unserem Hause debattiert wird. Aber immerhin - wir pakken es an. Das ärztliche Gutachterwesen in Deutschland, die sozialmedizinische Begutachtung, versteht nur, wer sich lange Zeit und intensiv damit befaßt hat. Es wirkt chaotisch und ist selbst für die beteiligten Mediziner häufig unübersichtlich und widersprüchlich. Gestern bei einer Expertenbefragung zum Thema Rehabilitation bekannten die Vertreter der Spitzenverbände, der Rentenversicherungen und der Krankenversicherungen einmütig, daß niemand von ihnen über die Antragslage zur Rehabilitation, über die Bewilligungsquoten oder über den Anteil der angetretenen Kuren in Deutschland vollständig Bescheid weiß. Es konnten immer nur Zahlen über die eigenen Aktivitäten geliefert werden. Nicht nur wir, die politischen Entscheidungsträger, sind angesichts dieses Flickenteppichs aus oft nicht vergleichbaren Statistiken in unserer Orientierung behindert. Auch - und das wiegt noch viel schwerer - die betroffenen, kranken, behinderten, pflegebedürftigen Menschen sind fassungslos, wenn sie versuchen, in diesem Dschungel von Kostenträgern und Gutachtern ihre Rechte als Versicherte oder Anspruchsberechtigte wahrzunehmen. Aus meiner langjährigen Tätigkeit als sozialmedizinischer Gutachter kann ich hiervon ein Lied singen. Mein Auftraggeber war oftmals das Sozialamt, die letzte Auffangstation in der Reihe unserer sozialen Sicherungssysteme. Damals erhielt ich oft mühsam und erst nach Wochen und wiederholter Rückfrage Berge von Vorgutachten und habe mit Entsetzen die Leidensgeschichte der Betroffenen nachvollzogen, die vor einer Berentung oder vor einer Rehabilitation x-mal geröntgt, zigmal zur Ader gelassen, viele Stunden dem Streß von Wartezimmern und Vertrauensärzten ausgesetzt waren. Ein kleines Beispiel mag das erläutern: Eine Krankenschwester, Ende vierzig, wird von ihrem Hausarzt wegen therapeutisch nicht beherrschbarer Rückenschmerzen immer wieder krankgeschrieben. Sie ist arbeitsunfähig, weil sie während ihrer Tätigkeit schwer heben und tragen muß und dieses schmerzbedingt nicht mehr leisten kann. Nachdem sie mehrfach über längere Zeit ausgefallen ist, wird sie auf Anregung ihres Arbeitgebers dem Medizinischen Dienst der Krankenkassen vorgestellt (Vertrauensarzt). Der bestätigt die Arbeitsunfähigkeit und weist den Hausarzt darauf hin, daß es sich hier um eine möglicherweise berufsbedingte Erkrankung handelt, die als solche meldepflichtig gegenüber den Berufsgenossenschaften ist. Der Hausarzt schickt sie zum Orthopäden, der mit Hilfe von Röntgenaufnahmen und einer Computertomografie das Rückenleiden genauer beschreibt und zur Vermeidung weiterer Fehlbelastungen rät. Nach Vorlage der Befunde meldet der Hausarzt den Verdacht einer Berufserkrankung bei der Berufsgenossenschaft. Einige Wochen später kommt die Vorladung vom Vertrauensarzt der Berufsgenossenschaft, der die bereits vorliegenden Röntgenaufnahmen des Orthopäden für unzureichend hält und erneut eine umfangreiche Diagnostik mit zusätzlichen Aufnahmen veranlaßt. In seinem Gutachten bestätigt er, daß die Krankenschwester in ihrem Beruf aus gesundheitlichen Gründen nicht weiterarbeiten kann und daß ein Kausalzusammenhang mit der beruflichen Vorbelastung gegeben scheint. Er empfiehlt aber vor Gewährung einer Berufsunfähigkeitsrente den Versuch einer stationären Rehabilitationsmaßnahme. Nach einigen Wochen wird diese durchgeführt. Sie bringt unserer Patientin eine gewisse vorübergehende Erleichterung. In einer erneuten Begutachtung durch die Klinik wird nach der Entlassung zwar die Besserung konstatiert, die vollständige Wiederherstellung der Berufsfähigkeit jedoch angezweifelt. Schon vor Wiederaufnahme der Arbeit als Krankenschwester treten die Beschwerden in abgeschwächter, die Arbeitsfähigkeit aber weiterhin ausschließender Form erneut auf. Unsere Patientin läßt sich also wieder krankschreiben. Nach einigem Hin und Her und mit Hilfestellung des Hausarztes wird ihr von der Berufsgenossenschaft eine Berufsunfähigkeitsrente zugestanden. Die Patientin wird außerdem an das Arbeitsamt verwiesen, damit sie sich umschulen lasse. Das Arbeitsamt schickt sie zum eigenen arbeitsamtsärztlichen Dienst, der die gesundheitlichen Voraussetzungen und Chancen einer Umschulung prüfen soll. Erneut Wartezimmer, erneut Untersuchungen, erneut Blutabnahme - zum Glück kein Röntgen! Nach einiger Zeit trifft bei der Patientin die Mitteilung des Arbeitsamtes mit der traurigen Nachricht ein, daß auf Grund der Arbeitsmarktlage und auf Grund ihres fortgeschrittenen Alters in Anbetracht ihrer Minderbelastbarkeit eine berufliche Rehabilitation durch die Arbeitsverwaltung wenig Aussicht auf Erfolg habe und deshalb nicht finanziert werden würde. Ratlos läßt sich die Patientin durch ihren Hausarzt weiter krankschreiben. Inzwischen sind einige Monate vergangen. Die Gutachter des Medizinischen Dienstes der Krankenkasse begnügen sich in dieser Zeit mit den auf Nachfrage und durch Vermittlung des Hausarztes zugeschickten Kopien der Fremdbefunde. Der Hausarzt rät der verzweifelten Frau, die inzwischen auch finanziell sehr unter Druck geraten ist, sicherheitshalber die Rente einzureichen. Dies tut sie und erhält nach einigen Wochen einen Termin beim Medizinischen Dienst der Rentenversicherung. Hier wird sie, weil die Befunde angeblich ohnehin alle zu alt seien und es um eine ganz wichtige Entscheidung gehe, erneut vollständig durchuntersucht: Röntgen, Blutentnahme, EKG, Lungenfunktionsprüfung und Sonographie inklusive. Weil sie inzwischen häufig mutlos und verzweifelt ist, wird sie zusätzlich einem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie vorgestellt, der befragt wird, ob psychosomatische Ursachen oder zum Beispiel eine Depression hier im Spiele sind. Bis alle Befunde erhoben sind und alle Berichte vorliegen, vergehen einige Tage. Eine Kopie des Gutachtens trifft nach vier Wochen beim Hausarzt ein, dem die Einleitung ambulanter Rehabilitationsmaßnahmen empfohlen wird. Das Krankschreiben geht im übrigen weiter, nur unterbrochen von wiederholten Vorstellungen beim Medizinischen Dienst der Krankenkassen. Immer wieder Wartezimmer, immer wieder Fragen, immer wieder Untersuchungen, trotz des Hinweises der Patientin, daß doch alles schon so oft untersucht worden sei. Nachdem sie von der Krankenkasse ausgesteuert ist, ihre familiäre und finanzielle Situation sich parallel zu ihrer gesundheitlichen verschlechtert hat, muß sie Leistungen der Sozialhilfe in Anspruch nehmen, woraufhin sie dem Amtsarzt vorgestellt wird, der im Auftrage des kommunalen Kostenträgers der Sozialhilfe erneut die Anspruchsberechtigung ärztlich überprüft. Er macht das sehr gründlich und will die Patientin nicht unnötig belasten, das heißt, er fordert nach einer genauen Anamnese die zahlreichen Vorgutachten an. Hierzu sind viele Schreiben, Mahnungen, Telefonate, Schweigepflichtsentbindungen und andere Formalitäten erforderlich, bis der beachtliche Stapel von Krankenakten, Berichten und Röntgenbildern schließlich vor ihm auf dem Tisch liegt. Beschwerde gegen die Gutachten hat die Patientin nicht eingelegt. Auch sind ihr weitere durch Sozialgerichte angeregte Gutachten erspart geblieben. Die Geschichte ist hier aber trotzdem noch nicht zu Ende, und wir wünschen der Patientin frischen Mut und einen neuen Anfang, denn das, was sie bisher erlebt hat, war der Dschungel der deutschen Sozialmedizin, und jetzt kann es eigentlich nur besser werden. Und damit hier was besser wird, hat die SPD-Fraktion den Ihnen vorliegenden Antrag in den Bundestag eingebracht. Ist Ihnen eigentlich aufgefallen, daß jeder, der hier in Deutschland Kostenträger ist, sich seine eigenen Gutachter hält? Und wenn unsere Patientin jetzt auch noch privat versichert wäre, so hätte auch diese mit Sicherheit ihre eigenen Gutachter. Auch Haftungsansprüche Dritter würden durch weitere Gutachter geklärt werden. Da die Gutachter von ihren Gutachten leben und die Gutachten nach Umfang und zum Teil nach Einzelleistungen bezahlt werden, belasten sie nicht nur die Patientin gesundheitlich, sondern bedeuten auch eine erhebliche finanzielle Belastung unserer sozialen Sicherungssysteme. Was will die SPD mit ihrem Antrag? Wir wollen erreichen, daß die immer gleichen Fragen der Sozialmedizin nach Umfang und Ursache von Schädigung, nach positivem und negativem Leistungsbild, nach Rehabilitationsbedarf, Behandlungsbedarf und nach den medizinischen Grundlagen für Entschädigungsleistungen so gestellt werden, daß alle relevanten Kostenträger damit etwas anfangen können und nicht jeder von ihnen immer wieder von vorn anfängt. Was das für Patienten/Patientinnen bedeutet, haben Sie hoffentlich anhand meiner kleinen Krankengeschichte beispielhaft nachvollziehen können. Unnötige Röntgenaufnahmen, Blutentnahmen und andere körperliche Belastungen können als Körperverletzung strafrechtlich geahndet werden. Mich wundert, daß das nicht schon häufiger geschehen ist. Doch für das System, in dem dieses alles zur Normalität geworden ist, sind wir Politiker verantwortlich, und wir haben die Chance, hier etwas zu ändern. Die SPD schlägt vor, die sozialmedizinischen Dienste aller Kostenträger regional in Sozialmedizinischen Zentren zusammenzufassen. In einem solchen Sozialmedizinischen Zentrum soll sich nicht jeder Kostenträger seinen eigenen Gutachter halten. Vielmehr beteiligen sich alle Kostenträger ideell, finanziell und organisatorisch an einem solchen Gutachterzentrum. Hierdurch können die Kosten für Gutachten gesenkt werden, und gleichzeitig kann die Qualität der Begutachtung in einem solchen gut ausgestatteten Zentrum verbessert werden. Dort tätige sozialmedizinische Teams aus Internisten, Neurologen, Orthopäden und gegebenenfalls anderen Fachärzten können ihre Stellungnahmen unter der ärztlichen Aufsicht erfahrener Sozialmediziner zu einem ganzheitlichen Bild zusammenfügen und die für alle Kostenträger relevanten Fragen umfassend beantworten. Dieses geschieht in unvergleichbar kürzerer Zeit und kann gegebenenfalls durch Nachuntersuchungen ergänzt werden. Die Begutachtung geschieht also schneller, eine Qualitätssicherung wird möglich. Was für die Begutachteten, was also für unsere Patientin der Vorteil ist, liegt auf der Hand: weniger belastende Untersuchungen, ein klares gutachterliches Bild ihrer gesundheitlichen Situation, abgestimmte Vorschläge zu einer umfassenden Rehabilitation und damit eine Entscheidungsgrundlage für alle beteiligten Kostenträger. Hier kann endlich ein am Wohle des Patienten orientierter Rehabilitationsplan aufgestellt werden. Die Vorteile unseres gegliederten sozialen Sicherungssystems können durch die Vorteile einer solchen Kooperation für beide Seiten, für Kostenträger und für Versicherte, ergänzt werden. Ich weiß, daß diese Vision noch weit entfernt ist vom traurigen Alltag der Sozialmedizin in Deutschland. Doch je knapper das Geld wird, je häufiger die Kostenträger Absagen erteilen, desto kritischer werden auch die Betroffenen. Gehen Sie einmal in eine Versammlung zum Thema Pflegeversicherung, und hören sie sich einmal die Urteile über den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung an. Dort wird sehr klar der Zusammenhang gesehen, daß „die ja ihre eigenen Gutachter haben", und die Vorwürfe liegen auf dem Tisch, daß die Gutachterdienste mißbraucht werden, um mit den vorhandenen Geldmitteln auszukommen oder - was schlimm wäre - sich sogar noch eine finanzielle Reserve zu erwirtschaften. Meine Fraktion und ich, wir wollen objektive Gutachter, die materiell unabhängig von den Kostenträgern nur aus medizinischer Sicht begutachten und die von den Kostenträgern gestellten Fragen beantworten. Sie sollten unabhängig sein, unabhängig von den Kostenträgern, aber auch unabhängig von dem Umfang der durch sie erbrachten Einzelleistungen. Wir wissen aus der kurativen Medizin nur allzugut, daß Einzelleistungsvergütungen zu Verlockungen führen, die sich auch im Bereich des Gutachtenwesens negativ auswirken können. Mit unserem Antrag fordern wir die Bundesregierung auf, erste Schritte zu tun, um Rahmenbedingungen zu schaffen, unter denen modellhaft ein solches Sozialmedizinisches Zentrum seine Arbeit aufnehmen kann. Ich weiß, daß es auch auf Länderseite Interesse daran gibt und daß hier mit Kooperation zu rechnen ist. Bitte helfen Sie mit, die ersten Schritte in diese richtige Richtung zu tun. Wir werden gemeinsam die Teufel, die im Detail stecken, erkennen und sie bekehren, damit Krankheit und Behinderung nicht schon auf Erden zur Hölle werden. Marina Steindor (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir beraten heute abend einen Antrag aus den Reihen der Sozialdemokratie, der im Forderungsteil nur zwei Sätze enthält. Aber wie so oft steckt der Teufel im Detail. Was harmlos daherkommt, hat manchmal mehr Folgen als erwartet. Daß dies hier so ist, gestehen die Antragsteller schon dadurch ein, daß sie erst einmal Modellversuche fordern. Unser Sozialrecht hat eine lange Geschichte hinter sich und ist mit unzähligen Einzelgesetzen verändert worden. Darüber hinaus gibt es in Gesundheitsfragen unterschiedliche Versicherungssysteme wie die Krankenversicherung, Unfallversicherung, Pflegeversicherung etc.; teilweise bezahlt auch die Rentenversicherung medizinische Leistungen. Jede Versicherung unterhält einen eigenen Gutachterdienst. Der Bürger kann diesem Wirrwarr nicht mehr folgen. Viele Zuständigkeiten sind nicht von vornherein ersichtlich, weil historisch bedingt und nicht logisch. Vor allen Dingen wird er aber davon irritiert, daß die Leistungsträger zunächst klären, ob sie überhaupt zuständig sind, ob die Leistung nicht von einer anderen Sozialversicherungssparte bezahlt werden müßte. Dann fühlen sich die Bürgerinnen häufig verschaukelt. Sie haben das Gefühl, daß sie zwischen den Behörden hin- und hergeschoben, vielleicht sogar abgeschoben werden sollen. Die Entscheidungen ziehen sich dann oft lange hin. Ich habe mir anläßlich der Arbeitsplatzprobleme, die durch das sogenannte Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz im Kur- und Rehabilitationswesen ausgelöst worden sind, diesen Bereich der Sozialversicherung näher angeschaut. Dabei kann man noch auf die historisch bedingten Relikte von Schichtunterschieden zwischen Arbeitern und Angestellten treffen. Man kann in der Rehabilitation auch entdecken, daß es für dieselbe gesundheitliche Fragestellung unterschiedliche Meßlatten und Rehabilitationsanstrengungen gibt. Es ist dort auch historisch das Bestreben gewachsen, daß jede Institution Rehabilitationsanstrengungen unternimmt, um die Patienten aus ihrem Zuständigkeitsbereich in die Kostenträgerschaft einer anderen Sozialversicherung zu schieben. Ich bin der Auffassung, daß dies nicht mehr in unsere Zeit paßt, daß die Strukturen redundant sind. Deshalb habe ich am Ende meiner Rede zur Rehabilitation die Forderung nach einer Gesetzes- und Zuständigkeitsentrümpelung erhoben. Diese in langen gesellschaftlichen Prozessen gewachsenen Strukturen mit einem Wirrwarr an Zuständigkeiten und Einzelregelungen, Kostenträgern, Institutionen, Genehmigungen, Zuzahlungen, Qualitätsregelungen sollten überprüft werden. Man sollte hier nicht heilige Kühe pflegen, sondern die Synergien entwickeln, Standards vereinheitlichen. Aber man muß sich auch bewußt sein, daß dies bereits versucht worden ist und an gesellschaftlichem Widerstand und der Behäbigkeit der gewachsenen Institutionen gescheitert ist. Man sollte im vollen Bewußtsein dieser Mammutaufgabe trotzdem versuchen, einen gemeinsamen sozialmedizinischen Dienst einzurichten, eine gemeinsame einheitliche Rehabilitation zu entwickeln und vielleicht sogar einen einheitlichen Kostenträger. Aber man sollte auch ehrlich sagen, daß dies einen Umbau unseres Sozialsystems bedeutet. Diese Fragen werden wir in den Ausschüssen zu beraten haben. Dr. Gisela Babel (F.D.P.): Die SPD fordert die Einrichtung regionaler sozialmedizinischer Zentren. Das, was heute im Gewand eines Antrages der SPD daherkommt, ist 1982, als das SGB X verabschiedet wurde, schon einmal diskutiert worden. Aus guten Gründen wurde die Einrichtung sozialmedizinischer Dienste abgelehnt. Neue Argumente gibt es nicht. Die F.D.P. lehnt daher den Antrag der SPD ab. Vor allem an einem hat sich seit 1982 nichts geändert. Jeder Sozialleistungsträger hat andere Aufgaben. Entsprechend unterschiedlich und spezifisch sind die durchzuführenden Untersuchungen. Im heutigen System ist gewährleistet, daß die Sozialleistungsträger auch die medizinischen Daten erhalten, die sie brauchen. Bei der Einheitsuntersuchung, die die SPD vorschlägt, ist dies nicht mehr sicher. Selbst- 15586* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 172, Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1997 verständlich bedarf die Zusammenarbeit der Sozialleistungsträger bei der medizinischen Begutachtung gewisser Regeln. Hierfür gibt es den § 96 SGB X, der den rechtlichen Rahmen der Zusammenarbeit vorgibt. Dort steht, daß ärztliche Untersuchungen so vorzunehmen sind, daß sie möglichst von allen Sozialleistungsträgern verwandt werden können. Es ist festgeschrieben, daß Doppeluntersuchungen unterbleiben sollen. Es ist auch festgeschrieben, daß die Untersuchungen nach einheitlichen Kriterien vorgenommen werden sollen. Der rechtliche Rahmen ist damit flexibel und ausreichend. § 96 SGB X ist eine sinnvolle Vorschrift, die seinerzeit unter der Federführung des sozialdemokratischen Arbeitsministers erarbeitet und mit Ländern und Sozialleistungsträgern abgestimmt wurde. Sicher - für den Einzelnen ist es nicht immer einfach, zu erkennen, ob in seinem Fall nun die Krankenkasse, die Berufsgenossenschaft, die Bundesanstalt für Arbeit oder wer auch immer zuständig ist. In diesen Fällen besteht aber ein Auskunfts- und Beratungsrecht gegenüber der jeweiligen Krankenkasse. Falsch gestellte Anträge werden an den zuständigen Träger weitergeleitet. Die Verwirklichung des SPD-Antrages hätte nur eines zur Folge, nämlich mehr Sozialbürokratie. Es müßten neue Behörden, neue Stellen und neue Instanzen geschaffen werden. Der Einzelne stünde nicht mehr nur den Sozialleistungsträgern, sondern auch noch einer vorgeschalteten Behörde, den sozialmedizinischen Diensten, gegenüber. Mehr Bürokratie aber bedeutet auch höhere Kosten. Deshalb können wir dem SPD-Antrag nicht zustimmen. Schließlich äußert die SPD in ihrem Antrag den pauschalen Verdacht, die ärztlichen Gutachter seien parteilich wegen ihrer Abhängigkeit von den Sozialleistungsträgern. Es ist für mich überhaupt nicht nachvollziehbar, woher Sie den Mut nehmen, allen sozialmedizinischen Gutachtern pauschal zu unterstellen, sie erstellten zugunsten der Sozialleistungsträger Gefälligkeitsgutachten. Die F.D.P. geht jedenfalls davon aus, daß die Gutachter ihre Arbeit genauso gewissenhaft und fachlich fundiert leisten, wie man es von ihnen erwartet. Sie sprechen einen üblen pauschalen Verdacht aus, der gerade wegen seiner Pauschalierung alle Gutachter trifft. Solche Diffamierungen sollten Sie sich in Anträgen, die Sie dem Deutschen Bundestag zur Beratung vorlegen, sparen. Die F.D.P. lehnt ihren Antrag jedenfalls in allen Punkten ab. Dr. Ruth Fuchs (PDS): Die Arbeit der ärztlichen Gutachter geht für Versicherte und Patienten oft mit weitreichenden Konsequenzen einher. Das gilt nicht nur für Entscheidungen über eine vorzeitige Erwerbsunfähigkeit oder über die Anerkennung einer Berufskrankheit. Ihre Tätigkeit beeinflußt in beträchtlichem Maße auch das Leistungsgeschehen selbst - denken wir nur an das zunehmend wichtige Feld der Steuerung und Koordinierung der verschiedenen Maßnahmen der medizinischen und beruflichen Rehabilitation. Vor allem die bisher oft unzureichende Verknüpfung der medizinischen Reha-Maßnahmen mit den berufsfördernden Ausbildungs- und Umschulungsprozessen verlangt ein besseres Zusammenwirken der unterschiedlichen Kostenträger und stellt auch entsprechende Anforderungen an die sozialmedizinische Begutachtung. Zum einen geht es also um Korrektheit und Rechtssicherheit bei der Gewährung von oft existentiell wichtigen Leistungsansprüchen, zum anderen aber auch um die Qualität von angewandten Heilverfahren und ihr medizinisches und soziales Gesamtergebnis. Neben die Begutachtungsfunktion ist so auch immer stärker die Notwendigkeit ärztlich-sachverständiger Beratung der Kostenträger, der Patienten und der behandelnden Ärzte getreten. Vor diesem Hintergrund ist der Stellenwert eines gut funktionierenden sozialmedizinischen Begutachtungswesens sicherlich weiter gewachsen. Dem steht gegenwärtig noch immer das überaus unrationelle Nebeneinander der verschiedenen ärztlichen Dienste gegenüber, die von den großen Sozialleistungsträgern, anderen Versicherungen und vom öffentlichen Gesundheitsdienst getrennt voneinander unterhalten werden. Diese Struktur - mit ihrer Unübersichtlichkeit für die Menschen, ihren künstlich eingegrenzten Zuständigkeiten und letztlich auch mit ihrer ökonomischen Ineffizienz - bleibt deutlich hinter der Aufgabenentwicklung zurück. Hinzu kommt: die Gutachter müssen unparteiisch und nur ihrem ärztlichen Gewissen verpflichtet arbeiten können. So richtig es ist, daß dieser Grundsatz gesetzlich fixiert wurde, sosehr bedarf er zusätzlicher Verankerung und Absicherung durch Institutionen, die auch der Form nach unabhängig, das heißt den Kostenträgern nicht direkt zugeordnet sind. Der vorliegende Antrag der SPD-Fraktion greift also ein seit langem schwelendes Problem auf, bei dem es auch unserer Meinung nach notwendig und möglich ist, zumindest schrittweise zu adäquaten Lösungen zu kommen. In diesem Sinne sollte er im Ausschuß konstruktiv beraten werden. Rudolf Kraus, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Die Forderung der Fraktion der SPD, den rechtlichen Rahmen für die Einrichtung regionaler Sozialmedizinischer Zentren zu schaffen, war bereits bei der Erarbeitung des 3. Kapitels des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch über die Zusammenarbeit der Leistungsträger, das 1982 verabschiedet und Gesetz geworden ist, Gegenstand umfangreicher Erörterungen. Die sozialdemokratisch geführte Regierung kam zu dem Ergebnis, den gesetzgebenden Körperschaften eine Vorschrift über die Errichtung Sozialmedizinischer Dienste nicht vorzuschlagen. Auch heute gibt es noch gute Argumente, die gegen einen solchen Weg sprechen. Jeder Zweig der sozialen Sicherung hat seine spezifische Aufgabe. Rentenversicherungsträger haben Rehabilitationsmaßnahmen zur Besserung oder zur Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit und, falls solche Maßnahmen keinen Erfolg haben, Renten wegen vorzeitiger Minderung der Erwerbstätigkeit zu erbringen. Die Arbeitsämter sollen geeignete Maßnahmen zur Wiedereingliederung in das Arbeitsleben finden. Kausale Leistungssysteme wie die Kriegsopferversorgung oder die Unfallversicherung haben die Aufgaben, die Verknüpfung zwischen der körperlichen Beschädigung und den Kriegsereignissen oder den Auswirkungen des Arbeitslebens nachzuvollziehen. Diese bereichsspezifischen Aufgaben erfordern auch spezifische Untersuchungen. Gerade bei den kausalen Leistungssystemen sind hierfür besondere Fachkenntnisse erforderlich. Daher ist in § 96 des Zehnten Buches SGB X bestimmt, daß die Leistungsträger ihre Untersuchungsmaßnahmen oder psychologische Eignungsuntersuchungen zur Feststellung der Leistungsvoraussetzungen so vornehmen und festhalten müssen, daß die Ergebnisse auch von den anderen Sozialleistungsträgern verwendet werden können. In § 76 SGB X ist ausdrücklich festgelegt, daß Untersuchungsergebnisse von einem Träger an den anderen Träger übermittelt werden dürfen, wenn der Betroffene der Übermittlung nicht widerspricht. Ferner hat der Gesetzgeber seinen Willen zum Ausdruck gebracht, daß der eine Träger seine Arbeiten auf die Befunde des anderen Trägers stützt. Inwieweit diese Bestimmung durch Vereinbarungen zwischen den Leistungsträgern mit Leben erfüllt worden ist, wird Gegenstand der Diskussionen im zuständigen Ausschuß sein müssen. Die Versicherten oder Versorgungsberechtigten stehen aber keinem unübersichtlichen Gewirr sozialmedizinischer Zuständigkeiten gegenüber. Der einzelne mag zwar einer Mehrheit von Leistungsträgern gegenüberstehen. Jedem Leistungsträger sind aber die Wege vorgegeben, auf denen er die medizinischen Untersuchungen durchzuführen hat. Ist der Leistungsträger festgestellt, ergibt sich hieraus automatisch, wie und von welchen Ärzten die medizinische Untersuchung durchzuführen ist. Richtig ist, daß es nicht immer einfach ist, den zuständigen Träger zu ermitteln. Um hier zu helfen, bestimmt § 15 SGB I, daß in Zweifelsfällen die Krankenkassen Auskunft erteilen, welche die zuständige Stelle ist. Außerdem besteht ein Anspruch auf Beratung, bei dessen Erfüllung auch der zuständige Leistungsträger bestimmt werden muß. Wird der Antrag bei einem unzuständigen Träger gestellt, muß dieser ihn an den richtigen weiterleiten. Der Antrag der SPD stützt sich ferner auf den Verdacht gegen die ärztlichen Gutachter, sie seien parteilich aufgrund ihrer beruflichen Abhängigkeit gegenüber den Leistungserbringern. Hier muß auf die Berufsordnung für die deutschen Ärzte hingewiesen werden, wonach der Arzt, auch der angestellte Arzt, bei seinem ärztlichen Tun nur seinem Gewissen unterworfen ist. Es besteht nach Ansicht der Bundesregierung kein Grund, an der Gewissenhaftigkeit der deutschen Ärzte im Zusammenhang mit der Begutachtung für Sozialleistungen zu zweifeln. Lassen Sie mich zum Schluß noch ein Wort zur Aufsichtsfrage sagen. Der Antrag der SPD-Fraktion will die Sozialmedizinischen Zentren unter die gemeinsame Aufsicht von Krankenkassen, Behörden und regionalen Versicherungsträgern stellen. Die Aufsicht muß aber nach Auffassung der Bundesregierung in einer Hand sein. Dafür spricht die allgemeine Lebenserfahrung. Beim Zusammenspiel verschiedener Aufsichtsbehörden besteht die Gefahr, von dem Beaufsichtigten gegeneinander ausgespielt zu werden. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 11 (Entwurf eines Gesetzes über den Tag des Gedenkens an die Befreiung vom Nationalsozialismus) Dr. Max Stadler (F.D.P.): Ob in früheren Jahren die Betrachtungsweise weit verbreitet gewesen ist, daß der 8. Mai 1945 als militärische Niederlage des Deutschen Reichs in die Geschichte eingeht, mag dahingestellt bleiben. Jedenfalls hat sich auch in der Bundesrepublik Deutschland längst die zutreffende Auffassung durchgesetzt, daß der 8. Mai 1945 den Zusammenbruch des Dritten Reichs und damit die Befreiung von der nationalsozialistischen Diktatur markiert. Spätestens seit der historischen Rede des damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker ist diese Erkenntnis Allgemeingut geworden. Die Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte, insbesondere auch mit dem NS-Regime, gehört selbstverständlich zu den Kernaufgaben der politischen Bildung und auch zur geistigen Führungsaufgabe aller demokratischen Parteien. Vor allem Jugendliche, die ihre persönliche Situation als perspektivlos empfinden, sind leicht verführbar für rechtsextremes Gedankengut. Die Erinnerung an die Verbrechen der NS-Zeit aufrechtzuerhalten ist daher genauso wichtig wie die Aufklärung über Ursachen und Folgen der Nazidiktatur. Dies geschieht auch auf vielfältige Weise. Bisweilen hat es lange gedauert, ehe man sich der Herausforderung gestellt hat, die eigene Geschichte aufzuarbeiten. In meiner Heimatstadt Passau wurde ein Mahnmal zugunsten der Nazi-Opfer, dessen Errichtung der Stadtrat schon im Jahr 1946 beschlossen hatte, erst im Jahre 1996 realisiert. Aber alles in allem besteht nach meiner Beobachtung eine große Bereitschaft in der deutschen Öffentlichkeit, sich immer wieder mit der Zeit von 1933 bis 1945 auseinanderzusetzen. Dabei wird oft an historische Daten angeknüpft, etwa an den 20. Juli zur Erinnerung an den Widerstand gegen Hitler. Der 27. Januar ist nunmehr Gedenktag für die Opfer des Holocaust. Am Volkstrauertag wird der Opfer der Weltkriege gedacht. Der 23. Mai als Tag der Verkündung des Grundgesetzes bietet jeweils Anlaß, in der zeithistorischen Betrachtung den Kontrast herzustellen zwischen dem Verfassungsstaat Bundesrepublik Deutschland und dem Unrechtsregime der Nazis. Schließlich erinnern wir uns am 3. Oktober, dem Tag der Deutschen Einheit, an die Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit. Dieser Feiertag bietet Anlaß, sich nicht nur mit der Geschichte der DDR zu befassen, sondern auch mit dem Zweiten Weltkrieg als Ursache für die deutsche Spaltung. Selbstverständlich zählt auch der 8. Mai zu denjenigen Daten, die in besonderer Weise zur Erinnerung an die Nazi-Zeit und den Zweiten Weltkrieg herausfordern. Dies kann aber auch geschehen und geschieht auch, ohne daß der 8. Mai zu einem offiziellen Gedenktag erklärt wird. Feiertage und andere Anlässe zum Gedenken an die jüngste Vergangenheit gibt es genug. Entscheidend ist, wie Politik, Publizistik und Bildungseinrichtungen damit umgehen. Niemand hindert uns daran, den 8. Mai in diesem Sinne zu nutzen.
Gesamtes Protokol
Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1317200000
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.
Bevor ich in die Tagesordnung eintrete, möchte ich auf der Ehrentribüne den Vorsitzenden des Großen Staatshurals der Mongolei, Herrn Dr. Gonchigdorj, den Parlamentspräsidenten, mit seiner Delegation ganz herzlich begrüßen.

(Beifall)

Zu dem, was Ihnen und Ihren Mitstreitern seit der letzten Wahl auf dem Wege zur Demokratie gelungen ist, können wir Sie nur beglückwünschen. Wir hoffen, daß gerade auf dieser Grundlage unsere parlamentarischen Beziehungen noch enger werden und daß Ihr Weg in den demokratischen Rechtsstaat und die soziale Marktwirtschaft ein erfolgreicher wird. Herzlich willkommen in Deutschland!

(Beifall)

Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:
2. Beratung des Antrags der Abgeordneten Christian Sterzing, Manfred Such und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Statt Europol - Mehr Sicherheit vor Kriminalität durch Verbesserung direkter polizeilicher Zusammenarbelt unter demokratischer und rechtlicher Kontrolle - Drucksache 13/7490 -
3. Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren (Ergänzung zu TOP 14)

a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Deutsche Bundesbank (6. BBankGÄndG) - Drucksache 13/7493 -
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Monika Ganseforth, Elke Ferner, Wolfgang Behrendt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Verbesserung des Schutzes vor Fluglärm - Drucksache 13/7498 -
4. Weitere abschließende Beratung ohne Aussprache (Ergänzung zu TOP 15)

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Amateurfunk (Amateurfunkgesetz - AFuG 1997) - Drucksachen 13/ 6439, 13/7448-
5. Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zu dem Ersten Gesetz zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes und anderer Gesetze - Drucksachen 13/ 2756, 13/3475, 13/3720, 13/3728, 13/3937, 13/3949, 13/4686, 13/4759, 13/4866, 13/7510-
6. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses (4. Ausschuß)

- zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P.
- zu dem Antrag der Abgeordneten Otto Schily, Günter Verheugen, Walter Kolbow, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
- zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Gerald Häfner, Annelie Buntenbach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
- zu dem Antrag der Abgeordneten Gerhard Zwerenz, Heinrich Graf von Einsiedel, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS
Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944" - Drucksachen 13/7162, 13/7175, 13/ 7120, 13/7188, 13/7506-
7. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Haltung der Bundesregierung zum Verkauf von fünf ausgemusterten U-Booten der Bundesmarine an Indonesien
Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll - soweit erforderlich - abgewichen werden.
Des weiteren ist vereinbart worden, den Tagesordnungspunkt 8 - Montanunion-Vertrag - sowie den Tagesordnungspunkt 14 e - Bodenabfertigungsdienste auf Flugplätzen - abzusetzen. Unter Punkt 10 der Tagesordnung - zweite und dritte Beratung des Justizmitteilungsgesetzes - soll der Gesetzentwurf ohne Debatte verabschiedet werden.
Außerdem mache ich auf eine nachträgliche Ausschußüberweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam:
Der in der 170. Sitzung des Deutschen Bundestages am 18. April 1997 überwiesene nachfolgende Entschließungsantrag soll nachträglich zusätzlich dem Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und dem Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union zur Mitberatung überwiesen werden:
Entschließungsantrag der Abgeordneten Dr. Gerald Thalheim, Anke Fuchs (Köln), Horst Sielaff, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD zu der Großen Anfrage der Abgeordneten Horst Sielaff, Dr. Gerald Thalheim, Anke Fuchs (Köln), weiterer Abgeodneter und der Fraktion der SPD: Zukunft der Landwirtschaft im Zusammenhang mit der EU-Agrarreform, der Osterweiterung und GATT/
WTO - Drucksachen 13/4205, 13/5333, 13/7431- überwiesen:
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (federführend)

Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
Sind Sie mit den Vereinbarungen einverstanden? - Das ist der Fall. Dann verfahren wir so.
Die Fraktion der SPD hat fristgerecht beantragt, die heutige Tagesordnung um die Beratung des gemeinsamen Antrags der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen - 60. Jahrestag der Bombardierung von Guernica/Gernika - zu erweitern. Wird zu diesem Geschäftsordnungsantrag das Wort gewünscht? - Ich sehe, das ist der Fall. Frau Kollegin Vogt.

Ute Vogt (SPD):
Rede ID: ID1317200100
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die baskische Stadt Guernica wurde am 26. April 1937 durch den Angriff der deutschen Legion Condor fast völlig zerstört. Am kommenden Samstag jährt sich dieser Tag der Zerstörung zum 60. Mal. Es ist die Pflicht des Deutschen Bundestages, sich auch diesem Teil der deutschen Vergangenheit zu stellen und sich damit auseinanderzusetzen.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Welcher Zeitpunkt wäre dafür geeigneter, als die Sitzungswoche unmittelbar vor dem Jahrestag? Deshalb beantragen wir, den Antrag „60. Jahrestag der Bombardierung von Guernica/Gernika" in die heutige Tagesordnung aufzunehmen.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Sicher, das Thema Guernica wurde in den letzten Jahren schon häufiger im Bundestag beraten. Ich würde sagen: Der Bundestag hat sich damit befaßt. Eine wirkliche Auseinandersetzung aber mit den Geschehnissen und vor allem mit der Verantwortung der deutschen Legion Condor hat immer noch nicht stattgefunden.
Der Luftangriff auf Guernica war eine der ersten gezielten Vernichtungsaktionen, deren Opfer eine wehrlose Zivilbevölkerung war. Er ist damit zum historischen Mahnmal moderner Kriegsführung geworden, über das wir nicht hinwegsehen können.
Bis zum heutigen Tag warten die Menschen in Guernica auf ein Wort des Bedauerns oder eine Entschuldigung für ihr unbeschreibliches Leid. Selbst als im Jahre 1988 beschlossen wurde, eine Geste des Friedens gegenüber Guernica zu zeigen, war von einer Anerkennung der Schuld oder von einer deutschen Verantwortung leider keine Rede. Wortreich und einstimmig wurde damals die Städtepartnerschaft zwischen Pforzheim und Guernica begrüßt, eine tatsächliche Unterstützung durch die Bundesregierung hat aber nie stattgefunden.
Sehr geehrte Damen und Herren, es kann doch nicht angehen, daß der Deutsche Bundestag und die Bundesregierung die Verantwortung für die Aussöhnung allein einer mittelgroßen badischen Stadt überlassen.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Nach jahrelanger Untätigkeit wurde zwar im vergangenen Jahr ein Beitrag von drei Millionen DM zum Bau einer Sporthalle in Guernica beschlossen, aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, das kann doch nicht die Friedensgeste gewesen sein, zu der der Bundestag die Bundesregierung bereits damals aufgefordert hat. Den Menschen in Guernica geht es nicht um eine Zahlung oder irgendeine finanzielle Unterstützung; entscheidend ist für sie, daß wir Unrecht zugeben und daß wir uns dafür auch entschuldigen.
Wir reden viel über ein gemeinsames Haus Europa und viel vom gemeinsamen Frieden.

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1317200200
Frau Vogt, reden Sie bitte zum Antrag!

Ute Vogt (SPD):
Rede ID: ID1317200300
Ja. - Es ist beschämend, daß die Mehrheit des Deutschen Bundestages überhaupt in einer Geschäftsordnungsdebatte darüber reden muß, ob zu diesem Thema eine Debatte stattfinden kann.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Und es wäre noch beschämender, wenn wir am Wochenende bei den Gedenkfeierlichkeiten in Guernica sagen müßten, daß dieses Ereignis dem Deutschen Bundestag noch nicht einmal eine Diskussion wert war.
Deshalb bitte ch Sie herzlich und eindringlich um Ihre Zustimmung zu einer Diskussion zu diesem Thema und zur Aufsetzung des Antrages.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1317200400
Als nächster spricht der Kollege Joachim Hörster.

Joachim Hörster (CDU):
Rede ID: ID1317200500
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich halte es für gut und vernünftig, wenn zwei Städte, deren Zivilbevölkerung im Zweiten Weltkrieg das Gleiche erfahren hat, nämlich die Bombardierung, eine Partnerschaft miteinander gründen und diese auch pflegen und im Gedenken an all das, was in diesem schrecklichen Krieg passiert ist, versuchen, die Weichen für eine friedvolle Zukunft der Völker zu stellen.
Doch darum, Frau Kollegin Vogt, geht es ja in Ihrem Antrag nicht. Ihr Antrag ist im wesentlichen inhaltsgleich mit dem, was schon früher, nämlich 1987, hier in diesem Hohen Hause behandelt worden ist, und Ihre Darstellung, daß sich der Bundestag mit Guernica nicht befaßt habe, ist schlicht falsch.

(Zuruf von der SPD: Sie haben nicht zugehört!)

Wir haben Anträge vom 25. Mai 1987 und vom 16. Juni 1987 gehabt, wir haben eine Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses vom 26. Oktober 1988 zu diesem Thema und haben 1988 hier eine Plenardebatte gehabt, und es gibt eine Entscheidung,

Joachim Hörster
daß die Bundesrepublik Deutschland der Stadt Guernica als Geste der Versöhnung drei Millionen DM zur Errichtung einer Sportanlage zur Verfügung stellt.

(Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: Das ist nicht eine Frage des Geldes!)

Der Stadtrat von Guernica hat zunächst einmal am 12. Februar 1997 einstimmig beschlossen, diese, Zuwendung anzunehmen, und hinsichtlich der Ausführung der Sportanlage ist dann im Stadtrat von Guernica eine mehrheitliche Entscheidung getroffen worden, was der Kommunalpolitik ja gelegentlich entspricht.

(Ute Vogt [Pforzheim] [SPD]: Es geht gar nicht ums Geld!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben des 50. Jahrestages des Endes des Zweiten Weltkrieges gedacht. Ich glaube, daß wir uns alle noch daran erinnern. Wir haben ein sehr eindrucksvolles Gedenken in diesem Hohen Hause gehabt, als der Bundespräsident verkündet hat, daß der 27. Januar zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus erklärt wird.
Ich finde, wer will, daß wir uns in unserem Volk regelmäßig und mit konzentrierter Aufmerksamkeit an all das erinnern, was im Namen des Nationalsozialismus geschehen ist, der muß die Aufmerksamkeit auf diesen Tag konzentrieren. Ich habe es für einen glücklichen Vorgang gehalten, in diesem Jahr zum Beispiel die Rede des früheren Senatspräsidenten und Ersten Bürgermeisters der Stadt Hamburg, von Dohnanyi, zu diesem Gedenktag zu hören. Ich habe die herzliche Bitte, daß die Antragsteller sie auch einmal nachlesen. Da ist alles zum Nationalsozialismus gesagt.

(Lachen bei Abgeordneten der SPD)

Deswegen finde ich, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß die Debatte, die Sie heute wollen, und die Anträge, die Sie stellen, in der Sache nicht weiterführen. Sie sind nicht in die Zukunft gerichtet und helfen auch nicht, das Verständnis für die Opfer des Nationalsozialismus, in welcher Form auch immer, wachzuhalten oder zu wecken.

(Zuruf von der SPD: So schwach war der noch nie!)

Deswegen, meine sehr verehrten Damen und Herren, werden wir diesen Aufsetzungsantrag ablehnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1317200600
Herr Abgeordneter Beck, bitte.

Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1317200700
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir beantragen die Aufsetzung des gemeinsamen Antrags von SPD und Bündnis 90/Die Grünen zum 60. Jahrestag der Bombardierung von Gernika.
Der 60. Jahrestag des Luftangriffs der deutschen Legion Condor auf die baskische Stadt ist bereits übermorgen, am 26. April. Wegen dieses Gedenktages ist jetzt, in dieser Sitzungswoche, der einzig angemessene Zeitpunkt, über das Thema Gernika in diesem Hause zu diskutieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)

Die heutige Tagesordnung ist ein einziges Verschieben, Aufsetzen, Absetzen, und der einzige Tagesordnungspunkt, der es Ihnen nicht wert war, hier nach diesen vielen zusätzlichen Vereinbarungen eine Aufsetzung zu erfahren, ist dieser. Das ist ein Politikum.
Herr Hörster, es geht hier nicht um einen weiteren Gedenktag. Es geht hier um ein Bekenntnis zu Schuld und Verantwortung. Das ist in dieser Frage vom Bundestag noch nicht abgegeben worden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)

Deshalb können Sie nicht alle Fragen mit diesem Gedenktag, den wir alle gemeinsam begrüßen, den wir gemeinsam beschlossen und durchgesetzt haben, hier abhaken. Gerade jetzt, im unmittelbaren Vorfeld des Jahrestages, wartet man im Baskenland auf ein klärendes Wort aus Deutschland.

(Unruhe bei der CDU/CSU)

Wenn wir dieses Datum ohne ein klärendes Wort verstreichen lassen, werden die immer noch offenen Wunden weiterhin nicht heilen können.
Am 26. April 1937 haben deutsche Kampfflugzeuge einen mörderischen Luftangriff auf Gernika geflogen. Wolfram Freiherr von Richthofen, zum Zeitpunkt der Bombardierung Gernikas Stabschef der Legion Condor, schrieb darüber in sein Tagebuch:
Guernica, Stadt von 5 000 Einwohnern, buchstäblich dem Erdboden gleichgemacht ... Ein voller technischer Erfolg ... Bombenlöcher auf Straßen noch zu sehen, einfach toll.
Gernika war zum Zeitpunkt des Angriffs voll von Flüchtlingen. Keiner weiß daher, wie viele Menschen in dem Flammenmeer der deutschen Brandbomben umkamen. Die baskische Regierung nannte die Zahl von 1654 Toten und 889 Verwundeten. Bereits am 31. März 1937 hatte ein ähnlicher Terrorangriff auf den baskischen Marktflecken Durango 300 Tote gefordert.
Die historische Forschung hat längst bewiesen: Gernika wurde von der deutschen Legion Condor gezielt bombardiert. Die Zerstörung der heiligen Stadt der Basken war ein bewußter Akt des Terrors, um den Widerstand dieses Volkes gegen den Faschismus zu brechen. Ich bin beim Nachlesen der Gernika-Debatte vom September 1995 wirklich entsetzt gewesen, daß das noch in dieser Wahlperiode von einem Redner der CDU/CSU-Fraktion bestritten wurde.
Gernika war ein Probefeld für Görings Luftwaffe. Der Angriff auf Gernika war Vorbild für Coventry, Rotterdam und Warschau. Er war der Auftakt für neue Formen des Luftkrieges und damit auch ein Auslöser für die späteren Antworten der Alliierten im Zweiten Weltkrieg, für Hamburg, Köln und Dresden.
Seit zehn Jahren beschäftigt sich der Bundestag nun mit einer Geste des Friedens gegenüber Ger-

Volker Beck (Köln)

nika. Es war Petra Kelly, die hier in der 11. Wahlperiode den Stein ins Rollen brachte und einen entsprechenden Beschluß im Bundestag erwirkte. Seit diesem Beschluß sind viele Jahre ins Land gegangen, mit ebensoviel Hin und Her, mit allerlei Verzögerungen, mit Verschleppungstaktiken und wahrscheinlich Mißverständnissen von allen Seiten.
Nach vielen gescheiterten Ideen und Projekten wurde schließlich als Ausgestaltung der Geste des Friedens die Förderung einer Sportanlage für Gernika vereinbart. Seit kurzem ist das Geld für diese Anlage auch endlich überwiesen. Gernika hat es angenommen. Es ist gut, daß zumindest dieser Abschnitt des Kapitels damit nun abgeschlossen ist.
Was aber jenseits aller finanziellen Fragen immer noch aussteht, ist eine klare und deutliche Stellungnahme des Bundestages zur historischen Dimension dieses Verbrechens an der baskischen Bevölkerung, des ersten Verbrechens der deutschen Wehrmacht vor Beginn des Zweiten Weltkriegs.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)

Was aussteht, ist ein ausdrückliches Bekenntnis zur deutschen Schuld und eine Entschuldigung gegenüber der Stadt Gernika, ihren Bürgerinnen und Bürgern, den Überlebenden des Terrorangriffs und den Nachkommen der Opfer. Das ist mit einem Gedenktag für alle Opfer des Nationalsozialismus nicht zu erledigen.
Wir wollen, daß der Bundestag die historischen Tatsachen ausdrücklich benennt. Eine solche Erklärung ist es auch, die der Bürgermeister von Gernika immer wieder einfordert. Eine solche Erklärung, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, kostet kein Geld; sie kostet nur Überwindung. Ein klares Bekenntnis, eine klare Entschuldigung ist längst überfällig. Jetzt, in dieser Woche, muß der Bundestag daher über Gernika diskutieren. Wenn wir den 60. Jahrestag verstreichen lassen, ist wieder eine Chance zur Versöhnung vertan. Lassen Sie das nicht zu!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1317200800
Herr Abgeordneter van Essen.

Jörg van Essen (FDP):
Rede ID: ID1317200900
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dieses Haus ist in der Meinung überhaupt nicht auseinander, daß der Untaten des Nationalsozialismus regelmäßig auch im Parlament gedacht werden muß. Ich habe zu denen gehört, die sich für die Proklamierung des 27. Januar zum zentralen Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus und damit auch die in Guernica eingesetzt haben. Diesen Gedenktag haben wir erst zweimal begangen. Er ist in uns noch nicht so verankert - die Beteiligung der Opposition bei der Veranstaltung im Januar hat dies überdeutlich gemacht -, wie es seine Bedeutung zu Recht fordert.

(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der CDU/CSU)

Es dient diesem wichtigen Anliegen nicht, wenn nun von der Opposition Plenardebatten zu weiteren Jahrestagen gefordert werden.

(Ute Vogt [Pforzheim] [SPD]: Entschuldigungen werden gefordert!)

Nicht die Quantität, sondern die Qualität des Gedenkens ist gefragt.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Es ist im übrigen interessant, daß zunächst auch SPD und Grüne im Ältestenrat eine Debatte abgelehnt haben.

(Ute Vogt [Pforzheim] [SPD]: Eine Gedenkbfeier!)

Ich vermag auch sonst keinen Anlaß für den beantragten parlamentarischen Gedankenaustausch zu erkennen.
Mit der Stadt Guernica ist verabredet, daß gemäß ihrem Wunsch eine Sporteinrichtung zur Hälfte aus Deutschland finanziert wird. Es gibt damit keine aktuell zu diskutierenden Probleme.
Nachdenklich muß machen, daß der Bürgermeister von Guernica die deutsch-spanische Parlamentariergruppe nachdrücklich gebeten hat, nicht an den Veranstaltungen zum 60. Jahrestag in Guernica teilzunehmen.

(Staatsminister Helmut Schäfer: So ist es!)

Es ist das gute Recht der Opfer, das zu fordern und allein zu trauern.

(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der CDU/CSU)

Wir sollten es respektieren; wir sollten Fingerspitzengefühl beweisen und mit den Menschen in Guernica der Vergangenheit still gedenken und daraus Schlußfolgerungen für die Zukunft ziehen.
Guernica hat nicht nur Anspruch darauf, daß man sich mit der Stadt so intensiv beschäftigt, daß man in einem parlamentarischen Antrag den Namen der Stadt richtig schreibt, sondern auch darauf, nicht als Gegenstand innenpolitischer Auseinandersetzungen vermarktet zu werden. Wir lehnen deshalb den Antrag ab.
Vielen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1317201000
Das Wort hat der Abgeordnete Gerhard Zwerenz.

Gerhard Zwerenz (PDS):
Rede ID: ID1317201100
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Obwohl SPD und Grüne die erste Initiative der PDS im Ältestenrat nicht unterstützt haben, hält die Gruppe der PDS eine Diskussion des Guernica-Falls und -Skandals für dringend notwendig, weil sowohl das Bombardement als auch die äußerst nachlässige Handhabung einer Geste der Schuldanerkenntnis durch den Deutschen Bundestag nur zwei Seiten derselben Medaille sind, nämlich daß Parteienstreit jeweils favorisiert wird, wo Vernunft und Humanität vorangehen sollten.

(Beifall bei der PDS)




Gerhard Zwerenz
Wir begründen unsere Zustimmung zum Antrag mit fünf Punkten:
Erstens. Mit den Bomben auf Guernica begann die Barbarei des modernen Luftkriegs, dies steht fest. Wer die 30 000 Toten von Dresden oder die 18 000 von Pforzheim kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs beklagt, aber die mehr als 1000 Toten von Guernica 1937 verschweigt, der propagiert eine deutsche Unschuld, die es so nicht gegeben hat.
Zweitens. Es sollte geklärt werden, weshalb von Abgeordneten und Militärs Guernica bagatellisiert wird, und zwar dauerhaft bagatellisiert wird. Heute grassiert wieder die Sage des Bundeswehrgeneralmajors a. D. Schreiber mit dem schönen Vergleich, auf Guernica seien doch nur 30 Tonnen Bomben abgeworfen worden, auf Dresden 1945 hingegen 4000 Tonnen. Da wird eine bombige Rechenkünstlerei angestellt, und sie fällt auf fruchtbaren Boden auf der rechtslastigen Seite dieses Landes. Der hirnrissige Vergleich zeigt: Der Mann hat im Krieg und nach dem Krieg Karriere gemacht, aber ihm kam das menschliche Maß abhanden. Mit menschlichem Maß kann man solche Rechnungen nicht aufstellen.
Drittens. Mit der Rückkehr der Legion Condor wurde von Partei und Wehrmacht eine Paradepropaganda für den bevorstehenden zweiten großen Weltkrieg begonnen. Unsere jungen Generationen von damals, deren schweres Schicksal jetzt doch so oft beklagt wird, sind damals kriegstauglich gemacht worden. Wir sind propagandistisch zugerichtet worden mit den großen Parademärschen, mit dem großen Rückgriff auf die großen „Heldentaten" der deutschen Soldaten der Legion Condor in Spanien.
Danach dann wurde ein Mann wie Johannes Trautloff Generalleutnant der Bundeswehr, Herr Schlichting wurde stellvertretender Inspekteur der Bundeswehr-Luftwaffe, Heinz Trettner wurde Generalinspekteur der Bundeswehr. Ich frage: Entschuldigte sich einer dieser Herren jemals auch nur ein einziges Mal ganz persönlich für das, was er in Spanien gegenüber der Zivilbevölkerung als Kommandant oder als Bomber angerichtet hat?

(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Viertens. Begründete wenigstens einer der 5000 deutschen Freiwilligen der internationalen Brigaden die Bundeswehr mit? Gibt es neben den vielen Angehörigen der Legion Condor, die dann die Bundeswehr mitbegründet haben, einen einzigen Kämpfer der internationalen Brigaden? Das sind die Fragen, die zu beantworten wären. Wenn es nicht so ist, dann frage ich mich, ob das Guernica-Gemälde von Picasso überhaupt Eingang gefunden hat in die Köpfe unserer führenden Bundeswehroffiziere.
Minister Waigel nannte die PDS neulich wieder „geistige Nachfolger von Henkern und Menschenschindern".

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P. Zurufe der PDS)

Da applaudieren Sie. Sie sollten sich schämen, da zu
applaudieren. Was sind nun eigentlich die Nachfolger derer, die als Legion-Condor-Bombenwerfer in Spanien Zivilisten umgebracht haben? Welche Nachfolger sind denn das? Höchstens ungeistige Nachfolger; ich würde das aber gar nicht so sagen.

(Michael Glos [CDU/CSU]: Jetzt geht's aber los!)

Von Hemingway über Arthur Koestler, von Alfred Kantorowicz bis George Orwell und bis André Malraux gab es überall internationale Kulturleute, die für die Republik und gegen Franco gekämpft haben. Ich stelle mir vor, André Malraux wäre vielleicht unter Adenauer Minister geworden. Das wäre eine bessere Statur gewesen als der Staatssekretär Globke.

(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir sehen uns in der Nachfolge dieser Verteidiger der spanischen Republik und nicht als Nachfolger derer, die Franco mit an die Macht gebombt haben. Das ist der Unterschied.

(Beifall der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1317201200
Wir kommen zur Abstimmung. Wer stimmt für den Aufsetzungsantrag der Fraktion der SPD? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Aufsetzungsantrag ist mit den Stimmen der CDU/CSU und der F.D.P. abgelehnt.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 3 sowie Zusatzpunkt 2 auf:
3. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 26. Juli 1995 auf Grund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union über die Errichtung eines Europäischen Polizeiamts (Europol-Gesetz)

- Drucksache 13/7391-
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuß (federführend)

Rechtsausschuß
Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
ZP2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Christian Sterzing, Manfred Such und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Statt Europol - Mehr Sicherheit vor Kriminalität durch Verbesserung direkter polizeilicher Zusammenarbeit unter demokratischer und rechtlicher Kontrolle
- Drucksache 13/7490 -Überweisungsvorschlag:
Innenausschuß (federführend)

Rechtsausschuß
Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Bevor ich den ersten Redner aufrufe, möchte ich warten, bis im Saal wieder Ruhe eingekehrt ist. Darf

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
ich die Damen und Herren, die nicht teilnehmen, bitten, den Saal zu verlassen. Die übrigen möchte ich bitten, Platz zu nehmen.
Bitte schön, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Eduard Lintner.

Eduard Lintner (CSU):
Rede ID: ID1317201300
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Europäische Polizeiamt, kurz Europol genannt, auf dessen Errichtung sich die Mitgliedstaaten der Europäischen Union im Übereinkommen vom 26. Juli 1995 geeinigt haben, bildet für die Bundesregierung einen Eckpfeiler ihrer Politik der stetigen Stärkung der Verbrechensbekämpfung auf europäischer Ebene.
Bemühungen, die Zusammenarbeit der europäischen Polizeibehörden zu verbessern, gibt es ja bekanntermaßen seit längerem. Dementsprechend hat der Europäische Rat auf seiner Tagung in Maastricht im Dezember 1991 die Errichtung dieses Europäischen Polizeiamtes beschlossen. Die Grundlagen dafür wurden 1992 im Maastrichter Vertrag geschaffen. Unter deutschem Ratsvorsitz wurde im Jahr 1994 schließlich der entscheidende Impuls für die Ausarbeitung des Europol-Übereinkommens gegeben. Nach diesem Übereinkommen wird Europol als eine europäische Zentralstelle für den Austausch polizeilicher Erkenntnisse und ihre Auswertung aufgebaut. Aufgabe von Europol wird es nicht sein, die Arbeit der nationalen Polizeibehörden zu ersetzen; es geht vielmehr darum, die Arbeit vor Ort durch Europol noch effektiver zu gestalten.

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1317201400
Darf ich die Herren im Mittelgang auffordern, dem Redner die nötige Aufmerksamkeit zu schenken.

Eduard Lintner (CSU):
Rede ID: ID1317201500
Europol wird sich zunächst auf die Bekämpfung einiger Schwerpunktbereiche der Kriminalität beschränken. Zu erwähnen sind Drogenhandel, Menschenhandel, Nuklearkriminalität, Kfz-Verschiebung sowie Schleuserkriminalität einschließlich der hiermit verbundenen Geldwäsche.
Spätestens zwei Jahre nach Inkrafttreten des Übereinkommens wird Europol auch die Zuständigkeit für terroristische Straftaten erhalten. Der Ministerrat kann zudem weitere schwerwiegende Kriminalitätsformen Europol zur Bearbeitung zuweisen, zum Beispiel Straftaten im Bereich Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Zur Unterstützung der Zentralstellenfunktion wird bei Europol ein Computersystem eingerichtet, dessen Hauptkomponenten den schnellen Austausch sowie die zentrale Analyse von polizeilichen Informationen ermöglichen werden.
Das vorliegende Vertragsgesetz enthält neben den Ratifizierungsbestimmungen die notwendigen Bestimmungen für die innerstaatliche Anwendung des Übereinkommens; das betrifft konkret die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern. Das Europol-Gesetz bestimmt das Bundeskriminalamt als nationale Verbindungsstelle zwischen Europol und den
zuständigen Ortsbehörden sowie die Einzelheiten dieses polizeilichen Dienstverkehrs. Die Länder werden in diese Zusammenarbeit unmittelbar einbezogen. So haben die Landeskriminalämter das Recht, über das Bundeskriminalamt online auf das Informationssystem von Europol zuzugreifen. Im übrigen erhalten sie auch die Möglichkeit, mit den deutschen Europol-Verbindungsbeamten unter bestimmten Voraussetzungen direkt Kontakt aufzunehmen.
Das Gesetz enthält zudem Bestimmungen zur Datenschutzkontrolle sowie zur Wahrnehmung der Fachaufsicht über Europol. Vertreter aus den Bundesländern erhalten Zugang zu den entsprechenden Gremien. Gleichzeitig wird aber auch die notwendige koordinierende Funktion des Bundeskriminalamtes als nationaler polizeilicher Zentralstelle gewahrt.
Insgesamt, so meinen wir, wird durch das Gesetz eine sehr ausgewogene Regelung geschaffen, die auch den bundesstaatlichen Erfordernissen bei der Umsetzung des Übereinkommens gerecht wird.
Im Rahmen der Regierungskonferenz zur Revision des Maastrichter Vertrages werden im übrigen gegenwärtig weitere operative Befugnisse für Europol beraten. Hier wird an die Forderung der Bundesregierung, bereits aus dem Jahre 1991 stammend, angeknüpft, denn Deutschland strebt eine Dynamisierung des Ausbaus von Europol an, die in einem möglichst konkreten Zeitplan umgesetzt werden soll. Die Bundesregierung hat hierzu in die Beratungen dieser Regierungskonferenz konkrete Vorschläge eingebracht.
Wir streben - kurz gesagt - an, daß Europol künftig befugt sein soll, Ermittlungen der nationalen Polizeibehörden anzuregen und zu koordinieren. EuropolBedienstete sollen zum Beispiel künftig zur Beratung nationaler Behörden entsandt werden dürfen, auch gemeinsame Ermittlungsgruppen sollen gebildet werden, und schließlich soll Europol auch befugt werden, an einem europäischen Fahndungssystem teilzunehmen.
Bei weiterführenden Überlegungen, langfristig Europol auch hoheitliche Aufgaben mit exekutiven Befugnissen zu geben, müssen aber noch vorrangig offene Fragen aus dem Justizbereich geklärt werden. Gegenwärtig existiert bekannterweise noch kein europäisches Strafrecht, vor allem keine einheitlichen Tatbestände für schwerwiegende Formen internationaler Kriminalität, für die Europol zuständig ist.
Es fehlen außerdem Grundnormen für ein europäisches Strafprozeßrecht. Für eine europäische Polizei wäre es deshalb unzumutbar, und es würde erhebliche Erschwernisse bei den Ermittlungen bedeuten, in den einzelnen Mitgliedstaaten auf der Grundlage von 15 verschiedenen Rechtsordnungen arbeiten zu müssen.
Meine Damen und Herren, der Antrag der Grünen, die Ratifizierung der Europol-Konvention abzulehnen, gibt mir Gelegenheit, noch auf einige auch in Presseorganen aufgestellte Behauptungen einzugehen. Dazu ist festzustellen: Die Schaffung einer polizeilichen Zentralstelle in Europa kann nicht durch

Parl. Staatssekretär Eduard Lintner
den Ausbau der bilateralen Zusammenarbeit ersetzt werden. Bei der bloßen bilateralen Zusammenarbeit auch zwischen mehreren Staaten fehlt es eben an einer Stelle, in der die jeweiligen Erkenntnisse zusammenfließen, um den Gesamtüberblick über die jeweilige untersuchte kriminelle Struktur zu gewinnen. Sobald mehr als zwei Staaten betroffen sind, kann der Ausbau der von den Grünen so genannten „direkten" Zusammenarbeit nicht weiterhelfen, und daß eine bestimmte Straftat mehr als zwei verschiedene Mitgliedstaaten betrifft, ist nach den bisherigen Erfahrungen nicht ungewöhnlich, sondern geradezu der Normalfall.
Entgegen der Behauptung der Grünen besteht eine große Anzahl von Sicherungen zur Wahrung der parlamentarischen, der justitiellen und datenschutzrechtlichen Kontrolle von Europol. Ich will nur ein paar davon nennen.
Zunächst zur justitiellen Kontrolle. Europol erfüllt im Rahmen von nationalen Ermittlungsverfahren eine Unterstützungsfunktion. Damit liegen die Sachherrschaft und ebenso die Kontrolle weiterhin bei den deutschen Ermittlungsbehörden und bei der deutschen Staatsanwaltschaft.
Die parlamentarische Kontrolle durch das Europäische Parlament wird im übrigen durch regelmäßige Unterrichtungen sichergestellt, wobei das Europäische Parlament selbstverständlich auch die allgemein bekannten Rechte ausüben kann. Darüber hinaus muß dem Europäischen Parlament nach der Europol-Konvention jährlich ein Sonderbericht über Europol vorgelegt werden.
Die nationalen Parlamente sind natürlich beteiligt. So darf ich für den Deutschen Bundestag an den Artikel 23 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem Beteiligungsgesetz von 1993 erinnern.
Zur datenschutzrechtlichen Kontrolle von Europol wird eine gemeinsame Kontrollinstanz eingerichtet. Diese Instanz befindet über Beschwerden bei Auskunfts-, Berichtigungs- und Löschungsansprüchen von Bürgern. Sie hat die Befugnis zu rechtskräftigen Entscheidungen, was zum Beispiel über die Befugnisse des deutschen Bundesbeauftragten für den Datenschutz weit hinausgeht.
Außerdem wird jeder Mitgliedstaat dazu verpflichtet, eine nationale Kontrollinstanz einzurichten, die die datenschutzrechtliche Kontrolle über die nationalen Europol-Daten ausübt. Schließlich ist zu erwähnen, daß der Bundesbeauftragte für den Datenschutz dauernd beteiligt war. Die Beteiligung ging so weit, daß er sogar an den Sitzungen teilgenommen hat.
Der Bürger kann schließlich zur Ausübung der gerichtlichen Kontrolle vor den nationalen Gerichten Schadenersatz-, Unterlassungs- und auch Widerrufsansprüche einklagen. Der Europäische Gerichtshof ist darüber hinaus für Personalstreitigkeiten der Europol-Bediensteten und in letzter Instanz für Streitigkeiten zwischen den Mitgliedstaaten zuständig.

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1317201600
Herr Staatssekretär Lintner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schily?

Eduard Lintner (CSU):
Rede ID: ID1317201700
Bitte schön, Herr Kollege Schily.

Otto Schily (SPD):
Rede ID: ID1317201800
Herr Staatssekretär, Sie haben mit Recht darauf hingewiesen, daß es entgegen einigen verkürzten Darstellungen in der Presse solche Kontrollinstanzen und auch diese gemeinsame Kontrollinstanz gibt. Könnten Sie uns darüber Auskunft geben, wie die Verfahrensgesetze zu diesen Zuständigkeiten der Gemeinsamen Kontrollinstanz aussehen werden?

Eduard Lintner (CSU):
Rede ID: ID1317201900
Herr Kollege Schily, das geht weit über die Redezeit hinaus, die mir zugestanden worden ist. Da Sie die einzelnen Bestimmungen sehr gut kennen und an dem Prozeß ständig teilgenommen haben, verweise ich Sie auf Ihre eigenen Kenntnisse.
Sie können sicher sein, daß für das, was ich hier als datenschutzrechtliche Bestimmungen sehr allgemein und global angesprochen habe, das Niveau des Datenschutzrechts in Deutschland maßgeblich war, so daß für unsere Bürger vergleichsweise überhaupt kein Mangel zu erkennen ist und für die übrigen europäischen Staaten häufig ein Fortschritt festzustellen ist.

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1317202000
Gestatten Sie eine Zusatzfrage?

Eduard Lintner (CSU):
Rede ID: ID1317202100
Ja.

Otto Schily (SPD):
Rede ID: ID1317202200
Herr Staatssekretär, es geht nicht um die Aufbesserung meiner Kenntnisse. Wir sind hier auch nicht etwa in der Volkshochschule, sondern es geht um eine Debatte und ein wichtiges Gesetz. In der Grundrichtung sind wir einig. Aber ich glaube, die Öffentlichkeit hat einen Anspruch darauf, zu erfahren, wie die Verfahrenswege sein werden und wie ein solcher Rechtsschutz, der in einer solchen gemeinsamen Kontrollinstanz enthalten ist, aussieht. Da wir ein Parlament auch so verstehen sollten, daß seine Debatte in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird, sollten Sie uns hier schon Auskunft darüber geben, wie die Verfahrensseite aussieht. Das kann ja in sehr geraffter Form geschehen.

Eduard Lintner (CSU):
Rede ID: ID1317202300
Herr Kollege Schily, ich darf es wiederholen. Ich habe darauf hingewiesen, daß jeder deutsche Bürger beispielsweise Anspruch darauf hat, sich an die Kontrollinstanz von Europol zu wenden, die in der Europol-Konvention vorgesehen ist. Er kann Schadenersatzansprüche gegenüber den eigenen Gerichten anmelden und, und, und.

Parl. Staatssekretär Eduard Lintner
Bitte haben Sie Verständnis dafür, daß ich im Rahmen von zehn Minuten Redezeit und einer Gesamtdebattendauer von einer Stunde nicht in der Lage bin, Ihnen die verfahrensschutzrechtlichen Feinheiten darzulegen. Das muß zunächst einmal genügen. Im übrigen gibt es ja während der Debatte noch vielfach Gelegenheit, sich mit der Materie gezielt und detailliert zu befassen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß kommen. Ich meine, daß es in Kenntnis all der Vorkehrungen in dieser Europol-Konvention, die ich erwähnt habe, eigentlich für niemanden hier in diesem Hohen Hause einen plausiblen Grund gibt, der Ratifizierung des Übereinkommens nicht zuzustimmen. Ich finde, nur ein uneingeschränktes Ja ist in dieser Materie sachgerecht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1317202400
Als nächstem erteile ich dem Abgeordneten Fritz Körper das Wort.

Fritz Rudolf Körper (SPD):
Rede ID: ID1317202500
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mehr als fünf Jahre liegt der Beschluß des Europäischen Rates zurück, ein Europäisches Polizeiamt zu errichten. Zwei Jahre sind vergangen, seitdem die Mitgliedstaaten der Europäischen Union dieses Europol-Übereinkommen unterzeichnet haben.
Erst im Sommer letzten Jahres kam das Auslegungsprotokoll dazu, mit dem der Europäische Gerichtshof in die Auslegung des Übereinkommens einbezogen werden sollte. Da gibt es die Schwierigkeit: Nicht alle Mitgliedstaaten haben dem zugestimmt; offensichtlich gehen die Engländer wieder einen Sonderweg.
Jetzt müssen die nationalen Parlamente dieses Übereinkommen ratifizieren. Leider geht in Europa nicht alles so schnell, wie man es sich wünschen würde. Aber wir sollten mit dieser Kritik ein bißchen vorsichtig sein; denn wenn man bedenkt, daß das BKA-Gesetz vom Volkszählungsurteil bis zur Vorlage des Regierungsentwurfes fast elf Jahre gebraucht hat, stellt man fest, daß auch bei uns die Mühlen langsam mahlen.
Wie es bei einer solchen Einrichtung leider unvermeidlich ist, beschränken sich die Kontrollmöglichkeiten der nationalen Parlamente auf die Verantwortlichkeit der jeweiligen Regierung für ihr Verhalten im Ministerrat und in den Europol-Organen. Da der Europol-Haushalt sowie die Ernennung von Direktoren und deren Stellvertretern eines einstimmigen Ratsbeschlusses bedürfen, kann sich die Regierung wenigstens insoweit nicht hinter anderen Mitgliedstaaten verstecken. Das Europäische Parlament erhält nur einen jährlichen Bericht des Ratsvorsitzenden über die durchgeführten Arbeiten und wird zu etwaigen Änderungen des Übereinkommens gehört. Nach unserer Auffassung wäre es besser, Europol unterstünde einem weisungsbefugten Mitglied der
Kommission, das vom Vertrauen des Europäischen Parlamentes abhängig ist.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

So aber wird der angemessene Umfang parlamentarischer Verantwortlichkeit der Exekutive nicht erreicht. Doch diesbezügliche Fortschritte - das muß man der Fairneß halber hinzufügen - sind ohne die Vergemeinschaftung der Innen- und Rechtspolitik nicht zu erwarten.
Auch der Rechtsschutz bleibt hinter dem zurück, was gemeinschaftsrechtlicher Standard ist. Während der Bürger in bestimmten Fällen die Organe der Gemeinschaft unmittelbar beim Europäischen Gerichtshof verklagen kann, treten in unserem Falle beim Schadenersatz für rechtsfehlerhafte Datenverarbeitung die Mitgliedstaaten an die Stelle von Europol. Immerhin wird der Europäische Gerichtshof in fast allen Mitgliedstaaten im Wege der Vorabentscheidung tätig werden können. Auch entscheidet der Beschwerdeausschuß der unabhängigen gemeinsamen Kontrollinstanz über Ersuchen um Auskunft, Berichtigung und Löschung von Daten in gerichtsförmiger Weise. Aber ich sage ganz deutlich: Dieser Beschwerdeausschuß ist kein Gericht.
In diesem Zusammenhang unterstütze ich ausdrücklich die Forderung des Bundesrates, bei den Durchführungsbestimmungen für die Arbeitsdateien zu Analysezwecken den Umfang der Datenverarbeitung unter sorgfältiger Abwägung zwischen den Belangen des Datenschutzes und dem berechtigten Interesse der Öffentlichkeit am Schutz vor Verbrechen möglichst einzuschränken.
Manche sprechen voreilig vom europäischen FBI. Aber mit dem Abstand von der Sache wächst nicht nur der Idealismus, sondern auch die Unkenntnis.

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das stimmt! Das ist oft so!)

- Liebe Frau Kollegin Matthäus-Maier, gut so.
Operative Befugnisse von Europol sind durchaus diskutabel, wahrscheinlich auch sinnvoll, aber derzeit nicht ohne weiteres vorstellbar, solange die Strafverfolgung in jedem Mitgliedstaat nach anderen Vorschriften erfolgt und die Befugnisse von Polizei und Staatsanwaltschaft von Staat zu Staat verschieden sind. Wenn Europol selber operativ tätig werden könnte, müßte auch von der vorgesehenen strafrechtlichen Immunität der Bediensteten abgegangen werden; denn dann wäre Europol weniger eine internationale Organisation als vielmehr eine Polizei.
Europol wird Informationen zusammenführen und analysieren, um die nationalen Polizeien auf dem Gebiet schwerwiegender Formen internationaler Kriminalität zu unterstützen. Dazu gehören der illegale Drogen- und Nuklearhandel, der Menschenhandel, die Schleuserkriminalität und auch die Autoschiebereien.
Bestimmte Straftaten terroristischer Art folgen spätestens zwei Jahre nach Inkrafttreten des Übereinkommens. Schließlich kann der Ministerrat die Zu-

Fritz Rudolf Körper
ständigkeit innerhalb eines Kataloges erweitern, jedoch - das muß man betonen - nur einstimmig.
Es liegt in der Natur völkerrechtlicher Verträge, daß das Parlament das, was die Regierung ausgehandelt hat, entweder ratifiziert oder nicht; das heißt, es sagt entweder ja oder nein.
Bei allen Unzulänglichkeiten, die man ansprechen muß: An der Ratifikation des Europol-Übereinkommens wird kein Weg vorbeiführen. Denn die Vernetzung der Kriminalitätsbekämpfung in Europa ist dringend erforderlich. Bei zwei Dritteln der registrierten Fälle von organisierter Kriminalität in Deutschland liegt nämlich eine internationale Tatbegehung und Tatbeteiligung vor. Ich bin deshalb der Auffassung, daß das Vertragswerk nicht an Streitigkeiten über die von den Ländern behauptete Zustimmungsbedürftigkeit scheitern darf oder gar von der Zustimmung sämtlicher Länder nach der Lindauer Absprache abhängen soll.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, eine sorgfältige Abstimmung zwischen Europol und Interpol scheint erforderlich, der mit dem europäischen Verbindungsbüro in diesem Teil der Welt viel Aufmerksamkeit zuteil wird. Sinnvolle Ergänzung statt Doppelarbeit ist vonnöten. Beim Europol-Vorläufer, der Europol-Drogeneinheit, soll es dazu ein internes und interessantes Arbeitsdokument geben, das uns bisher aber nicht zugänglich ist.
Da bei der internationalen Tatbegehung im übrigen nicht nur in Deutschland nicht selten Zusammenhänge mit den osteuropäischen Staaten auftauchen, sind unserer Auffassung nach dringend Überlegungen erforderlich, wie diese Region - sprich: Osteuropa - in geeigneter Weise an Europol angebunden werden kann. Dieser Schritt muß erfolgen.
Europol darf nicht davon ablenken, daß auf internationaler, aber auch auf nationaler Ebene noch vieles getan werden muß, was die Bekämpfung der Kriminalität in wirksamer Art und Weise angeht. Da wir gern Arbeitsteilung machen, geht mein Kollege Hans-Peter Kemper noch darauf ein.
Wir sind jedenfalls der Auffassung, daß das Europol-Übereinkommen noch gründlich beraten werden muß - auch in einem konstruktiven Dialog mit den Ländern -, damit wir hier zu vernünftigen Ergebnissen kommen.
Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1317202600
Das Wort hat der Kollege Christian Sterzing.

Christian Sterzing (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1317202700
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es geht in dieser Debatte nicht um die Frage, wer für oder gegen mehr Sicherheit für die Menschen in Europa ist. Es geht in dieser Debatte auch nicht darum, wer für oder gegen eine verstärkte polizeiliche Zusammenarbeit in Europa ist.
Worum es in dieser Debatte gehen sollte, sind nach unserer Auffassung zwei Fragen, nämlich ob Europol nötig ist und ob dieses Europäische Polizeiamt, so wie es geplant ist, den grundrechtlichen und rechtsstaatlichen Ansprüchen genügt. Auf beide Fragen ist die Bundesregierung eine befriedigende Antwort bislang schuldig geblieben.
Natürlich hat die Öffnung der Grenzen in Europa wachsende Probleme mit der Kriminalitätsbekämpfung mit sich gebracht. Aber brauchen wir für die wirksame Verfolgung einen zentralistischen Apparat in Den Haag, der teuer und zudem nicht zu kontrollieren ist?
Nein, es gibt eine Fülle von internationalen, auch multilateralen Organisationen und gemeinsamen Ermittlungseinrichtungen, in denen die direkte polizeiliche Zusammenarbeit über die Grenzen hinweg praktiziert wird, auch erfolgreich. Es wäre wichtiger, diese Instrumente direkter polizeilicher Zusammenarbeit weiter auszubauen, weiterzuentwickeln, zu verfeinern und zu effektivieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Konvention schafft für dieses europäische Kriminalamt einen weitgehend rechts- und kontrollfreien Raum. Dieses europäische Kriminalamt hängt gleichsam freischwebend im Raum.
Das Europäische Parlament hat keinerlei Kontrollrechte. Herr Lintner, auch Sie müßten deutlich sagen, daß das Europäische Parlament lediglich Anhörungsrechte hat. Es hat keinerlei Einfluß auf Europol, weder auf die Aufgabenstellung noch auf die Arbeitsweise, weder auf die Finanzen noch auf die rechtlichen Rahmenbedingungen.
Auch die Kommission ist gegenüber Europol machtlos, ebenso der Ministerrat. Er ernennt gerade einmal den Direktor und den Stellvertreter. Ansonsten aber darf Europol, so der Konventionstext, „von keiner Regierung, Behörde, Organisation oder nicht Europol angehörenden Personen Weisungen entgegennehmen".
Es wird lediglich einen Verwaltungsrat aus von Mitgliedstaaten entsandten Regierungsvertretern geben, ein aufgeblähtes Gremium von 64 Personen, das selbst nach Aussagen von Jürgen Storbeck, der dieses Amt seit Jahren aufbaut, nicht in der Lage sein wird, die Arbeit wirksam zu kontrollieren. Auch diesem Verwaltungsrat ist jede Einflußnahme auf die konkrete Aufgabenerfüllung verwehrt.
Europol ist damit niemandem Rechenschaft schuldig. Wo bleibt da die demokratische Kontrolle? In einem so sensiblen Bereich staatlicher Tätigkeit wird auf parlamentarische Kontrolle völlig verzichtet. Hier werden nach unserer Auffassung demokratische Prinzipien wie Gewaltenteilung und Gewaltenkontrolle aufgegeben und fundamentale rechtsstaatliche Standards unterlaufen. Das können wir, das kann eigentlich auch dieser Bundestag nicht widerspruchslos hinnehmen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abgeordneten Ulla Jelpke [PDS])


Christian Sterzing
Datenschutz ist ein weiterer gravierender Mangel von Europol. Wir lassen uns nicht weismachen, daß Europol nur Daten sammelt, sie analysiert und möglicherweise weitergibt und daß das alles ungefährlich ist. Diese Verharmlosung der Europol-Tätigkeit wird von keinem Datenschützer ernstgenommen. Die Datenschutzregelungen der Konvention sind nämlich äußerst unbestimmt. Da wird gesammelt, was verfügbar ist. Es sind der Sammelwut real keine Grenzen gesetzt. Nicht nur über Straftäter und Verdächtige, nein, auch über Risikopersonen, über potentielle und tatsächliche Zeugen, über Informanten, Opfer und über Kontaktpersonen können Daten gesammelt und gespeichert werden, auch über rassische Merkmale, über die sexuelle Orientierung von Personen. Die Weitergabe dieser Daten an Drittstaaten, die Zusammenarbeit mit Geheimdiensten - all das ist möglich. Das sind weitere sehr sensible Punkte, wo nach unserer Auffassung ein ausreichender Datenschutz dringend erforderlich ist.
Angesichts der unterschiedlichen Datenschutzniveaus in Europa droht Europol insofern zu einer gigantischen Datenwaschanlage zu werden.
Sicherlich, vieles soll noch in Protokollen geregelt werden. Nichts aber haben wir Parlamentarier bislang davon gesehen. Wenn etwas geschieht, dann erfahren wir es aus der Presse. Es hat natürlich seinen Grund, Herr Lintner, warum Sie auf die zu kurze Redezeit hinweisen, um auf die weiteren Verfahrenseinzelheiten einzugehen. Sie sollten hier sagen, daß es diese Verfahrensregelungen zur Datenschutzkontrolle noch nicht gibt. Sie sind noch in der Verhandlung, es wird noch diskutiert. Wir müssen der Presse entnehmen, daß noch strittig ist, ob überhaupt und in welcher Weise solche Kontrollen justizförmig durchgeführt werden sollen. Überlegt wird, ob sich diese Behörde quasi durch ihr eigenes Personal kontrollieren lassen soll. Diese Geheimnistuerei weckt natürlich Mißtrauen und macht uns hellhörig.
Im Grunde aber kommt es noch schlimmer: Sie verkaufen uns hier praktisch die Katze im Sack. Die Konvention ist darüber hinaus im Grunde schon veraltet; sie ist überholt. Auf der Regierungskonferenz wird darüber verhandelt, wie weitere Kompetenzen an Europol übertragen werden. Es sollen operative Kompetenzen sein.
Das alles geschieht auf Betreiben der Bundesregierung und ist praktisch schon weitgehend beschlossen. Eine Öffnungsklausel soll die Möglichkeit geben, ohne die lästigen Ratifizierungsprozesse den Ministerrat allein über die Erweiterung von Kompetenzen entscheiden zu lassen. Es ist ein Blankoscheck, den Sie von uns fordern. Aber den werden Sie von uns nicht bekommen.
Es hat ja auch ein Bundesverfassungsgerichtsurteil zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung gegeben, zu dessen Schutz wir Parlamentarier verpflichtet sind. Es gibt auch ein Bundesverfassungsgerichtsurteil zu Maastricht, das uns verpflichtet, für die demokratische Legitimation europäischer Institutionen zu sorgen. Das sollen wir bei Europol nun plötzlich alles vergessen. Diesem Ansinnen werden wir gewiß nicht nachkommen.
Also, um diese Fragen sollte es gehen. Aber die Debatte, so wie sie in der Öffentlichkeit geführt wird, läuft eigentlich in eine andere Richtung. Da wird ein beängstigendes Bild von einer quasi explodierenden Kriminalität, von grenzüberschreitenden Mafia-Cliquen an die Wand gemalt. Dem gegenüber steht der machtlose Dorfpolizist, der, gefesselt von Rechtsstaat und nationalen Grenzen, nicht in der Lage ist, diese Kriminalität wirksam zu bekämpfen.
Damit wird Stimmung erzeugt. Die durch den Rechtsstaat gefesselte Polizei soll nun befreit werden. Die Antwort darauf soll Europol lauten, am besten ein europäisches FBI. Aber die unbequemen Fragen, die Fragen nach den Ursachen der Kriminalität werden ausgeklammert. Europol ist also Ausdruck eines sehr konservativen Verständnisses von Kriminalpolitik und entpuppt sich als Manöver zur Ablenkung von den tatsächlichen Schwierigkeiten. Es geht doch in Europa um materielle Sicherheit, um Arbeitsplätze, um Beschäftigung. Es geht nicht ausschließlich um innere Sicherheit. Sie wollen die innere Sicherheit zum Wahlkampfthema machen. Europol und die Verhandlungen auf der Regierungskonferenz werden zu diesem Zwecke genutzt.
Das ist ein Ersatzthema; es soll ablenken von dem Versagen Ihrer Politik in vielen anderen Bereichen. Organisiertes Verbrechen braucht organisierte Verfolgung. Da sind wird uns einig. Aber die Antwort heißt nicht Europol. Kriminalität muß wirksamer bekämpft werden, aber demokratisch legitimiert und kontrollierbar, mit einer alternativen Konstruktion intensiverer, direkter polizeilicher Zusammenarbeit, die den Grundsätzen der Subsidiarität, der Gewaltenteilung und Gewaltenkontrolle und die den datenschutzrechtlichen und rechtsstaatlichen Ansprüchen genügt.
Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDIS 90/DIE GRÜNEN)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1317202800
Als nächster spricht der Kollege Dr. Max Stadler.

Dr. Max Stadler (FDP):
Rede ID: ID1317202900
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Ratifizierung des Europol-Übereinkommens ist außen- und europapolitisch von größter Bedeutung. Mit der Konvention vom 26. Juli 1995 demonstrieren die Mitgliedstaaten der Europäischen Union ihren Willen und ihre Fähigkeit, auf einem Gebiet verstärkt zusammenzuarbeiten, wo dies die Bürgerinnen und Bürger ganz besonders erwarten: bei der Bekämpfung schwerer internationaler Kriminalität.
Europa ist in der Tat, Herr Sterzing, mehr als ein Wirtschaftsraum oder eine Freihandelszone. Die EU hat vielmehr auch die Aufgabe, ergänzend zu den nationalen Sicherheitsbehörden Strukturen zu schaffen, mit denen die innere Sicherheit auf europäischer Ebene gewährleistet wird. Die Europol-Konvention ist dafür ein wichtiger Zwischenschritt. Sie ist ein Erfolg für alle, die am Zustandekommen betei-

Dr. Max Stadler
ligt waren, insbesondere auch für Außenminister Klaus Kinkel und Staatsminister Werner Hoyer.

(Beifall bei der F.D.P.)

Gleichwohl fordern Bündnis 90/Die Grünen die Ablehnung der Ratifizierung aus zwei Gründen: Erstens. Es bestehe kein Bedarf an einer Zentralstelle. Vielmehr solle die direkte bi- und multilaterale Zusammenarbeit aufgebaut werden.
Meine Damen und Herren, wir meinen, die Schaffung einer europäischen polizeilichen Zentralstelle ist dringend notwendig. Nur die Zusammenarbeit auf einer solchen Ebene ermöglicht die Zusammenführung und Konzentration der Erkenntnisse einzelner Polizeibehörden in einer Stelle.
Zweitens - dieser Einwand ist der eigentlich zu diskutierende - wird von Bündnis 90/Die Grünen moniert, die Konvention entspreche nicht den durch das Grundgesetz vorgegebenen Standards organisatorischer, parlamentarischer und gerichtlicher Kontrolle. Damit werden in der Tat Fragen problematisiert, die auch ein grundsätzlicher Befürworter von Europol kritisch stellen muß.
Die Ausführungen des Kollegen Sterzing soeben haben mich an einen berühmten Aufsatz aus früheren Zeiten erinnert, der den Titel trug: „Die Befreiung des Prozeßrechts vom prozessualen Denken". Kollege Sterzing hat hier in den Raum gestellt, durch die Europol-Konvention komme es gewissermaßen zu einer Befreiung des Polizeirechts vom rechtsstaatlichen Denken.
Wir meinen, daß diese Schlußfolgerung nicht zutrifft:
Erstens. Es existiert eine gerichtliche Kontrolle - in gewissem Umfang; das ist zuzugeben. Die Bürger können vor den nationalen Gerichten Schadenersatz-, Unterlassungs- und Widerrufansprüche einklagen. Bei Fragen der Auslegung des Europol-Übereinkommens - das ist besonders wichtig - wird der Europäische Gerichtshof im Rahmen von Vorabentscheidungsverfahren eingebunden.
Zweitens. Kernstück der Diskussion ist zu Recht die datenschutzrechtliche Kontrolle, auf die die F.D.P. besonderen Wert legt. Die Konvention sieht die Bildung einer gemeinsamen Kontrollinstanz vor. Diese Instanz ist ausschließlich dafür zuständig, datenschutzrechtliche Kontrolle bei Europol auszuüben. Sie befindet über Beschwerden bei Auskunfts-, Berichtigungs- und Löschungsansprüchen von Bürgern. Sie hat gemäß Art. 24 Abs. 7 des Gesetzentwurfes die Befugnis zu Entscheidungen, die gegenüber allen Betroffenen rechtskräftig sind. Dies geht über die Befugnisse des deutschen Bundesbeauftragten für den Datenschutz deutlich hinaus, der nur eine Anregungs- und Prüfungskompetenz besitzt.
Auf der anderen Seite beinhaltet dies den Pferdefuß, daß eine rechtskräftige Entscheidung einer derartigen Kommission oder eines Ausschusses keiner weiteren gerichtlichen Überprüfung zugänglich ist. Akzeptabel ist diese Letztentscheidung daher nur, wenn diese Ausschüsse unabhängig in einem gerichtsförmlichen Verfahren entscheiden. Genau dies ist der Fall.
Insbesondere darf es keine Weisungen im Einzelfall geben. Damit kommt diesem Verfahren und den Entscheidungen der Ausschüsse dieser Kontrollinstanz eine gerichtsähnliche Qualität zu, so daß der Rechtsschutz als noch ausreichend angesehen werden kann.
Zudem wird jeder Mitgliedstaat der EU dazu verpflichtet, eine nationale Kontrollinstanz einzurichten, die die datenschutzrechtliche Kontrolle ausübt.
Drittens. Die Konvention sichert eine justitielle Kontrolle. Europol - es ist besonders wichtig, daß dies hier klargestellt wird - ermittelt im Rahmen von nationalen Ermittlungsverfahren. Damit liegt die Sachherrschaft bei deutschen Ermittlungsverfahren weiterhin bei der deutschen Staatsanwaltschaft. Der gewohnte rechtsstaatliche Standard von Ermittlungsverfahren bleibt somit gewahrt.
Viertens. In gewissem Umfang gibt es auch eine parlamentarische Kontrolle. Dem Europäischen Parlament muß nach der Konvention jährlich ein Sonderbericht über Europol vorgelegt werden. Es ist im Rahmen unserer Beratungen zu prüfen, inwieweit auch die Bundesregierung verpflichtet werden soll, das deutsche Parlament in regelmäßigen Abständen über die Arbeiten, aufgetretene Mängel, gemachte Erfahrungen und Verbesserungsabsichten zu unterrichten.
Fünftens. Schließlich ist die Organisationskontrolle zu nennen. Dazu wird ein Verwaltungsrat eingesetzt. Dieser verfügt über umfassende Befugnisse und prüft auch datenschutzrechtliche Probleme. Insbesondere hat er maßgebende Rechte bei der Aufstellung der sogenannten Dateistatuten.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir meinen, daß die Konvention in der Gesamtschau all dieser Einrichtungen einem ausreichenden Kontrollstandard entspricht, so daß ihr zugestimmt werden kann.
Dasselbe gilt im Grundsatz auch für Art. 2 des Gesetzentwurfs, also für die deutschen Durchführungsbestimmungen. Man wird im Ausschuß aber noch darüber sprechen müssen, ob die Fassung von § 8 schon der Weisheit letzter Schluß ist. Soll denn wirklich eine Straftat nach § 353 b StGB, also bei Geheimnisbruch, nur auf ein Strafverlangen des Direktors von Europol hin und mit Ermächtigung der Bundesregierung verfolgbar sein? Das erscheint mir doch sehr problematisch.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ein weiterer zentraler Punkt der politischen Diskussion bedarf dagegen jetzt noch keiner abschließenden Erörterung. Noch handelt es sich bei Europol „nur" um eine zentrale Nachrichtensammel- und -auswertungsstelle ohne eigene exekutive oder operative Befugnisse. Man kann geteilter Meinung sein, welche Richtung die spätere Fortentwicklung von Europol nehmen soll. Zu denken wäre daran - das würde ich favorisieren -, daß lediglich die Zuständigkeit für die Datensammlung auf weitere Straftatbestände ausgedehnt wird.

Dr. Max Stadler
In der politischen Diskussion werden vielfach aber auch eigene operative Aufgaben für Europol gefordert. Dann wird sich freilich die Frage nach der Bindung von Europol an die nationalen Polizeigesetze und Strafprozeßordnungen mit aller Deutlichkeit stellen. Diese Bindung und die Sachleitung durch die nationale Staatsanwaltschaft müssen nach meiner Meinung in jedem Fall gewährleistet sein. Allerdings ist dies eine Diskussion, die erst nach Verabschiedung des heute vorliegenden Gesetzentwurfes in der weiteren Europol-Debatte zu führen sein wird.
Zusammenfassend kann man also sagen: Der heutige Gesetzentwurf stellt einen Zwischenschritt dar - allerdings einen sehr wichtigen -, dem eine die eigentlichen Probleme beinhaltende Europol-Diskussion noch folgen muß.
Vielen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1317203000
Frau Abgeordnete Ulla Jelpke.

Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1317203100
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Europol-Konvention - das wissen Sie von der Regierungskoalition ganz genau - ist längst kalter Kaffee. Herr Stadler, auch Sie wissen, daß auf der Konferenz der Regierungschefs der EU in Dublin im Dezember 1996 als eine der wichtigsten Aufgaben die Ausweitung der Europol-Kompetenzen vorgeschlagen wurde.
So soll Europol möglichst bald die Möglichkeit zur Durchführung sogenannter operativer Aktionen eingeräumt werden. Europol-Beamten soll folglich ein eigenes Ermittlungs- und Vernehmungsrecht eingeräumt werden, bis hin zur Möglichkeit eigenständiger verdeckter Ermittlungsarbeit. Eine sogenannte hochrangige Gruppe wurde in Dublin eingesetzt, deren Aufgabe die Erarbeitung eines Aktionsprogramms zur Bekämpfung der sogenannten organisierten Kriminalität war.
In einem von dieser Gruppe am 2. April 1997 vorgelegten Entwurf wird es hinsichtlich der Übertragung operativer Kompetenzen für unerläßlich gehalten, die Europol-Konvention zu verändern, sprich: zu erweitern. Insofern irrte der deutsche Leiter der Europäischen Drogenbekämpfungsbehörde, Storbeck, als er noch in der letzten Woche dem Europa-Ausschuß des Deutschen Bundestages weismachen wollte, operative Ermittlungen von Europol seien bereits nach dem vorliegenden Konventionsentwurf möglich.
Ich frage Sie: Auf welcher rechtlichen Grundlage sollen eigentlich die operativen Aktionen durchgeführt werden? Nach welcher Maßgabe sollen zum Beispiel Telefone durch Europol abgehört und verdeckte Europol-Spitzel eingesetzt werden? Dies frage ich vor dem Hintergrund, daß Europol in einem polizei- und strafverfahrensrechtlichen Vakuum hängt. Es unterliegt keiner Weisungsbefugnis. Europol ist keiner Staatsanwaltschaft und keinem Parlament, sondern allein sich selbst gegenüber verantwortlich. Da nützt es nichts, wenn im nachhinein alljährlich ein Bericht verfaßt wird, Herr Stadler.
Die Geringschätzung parlamentarischer Rechte durch die Bundesregierung ist hier ganz offenkundig. Bevor der Ratifizierungsprozeß der Europol-Konvention überhaupt begonnen hat, wird mit dem geplanten Ausbau operativer Kapazitäten eine Erweiterung von Kompetenzen vorweggenommen, die bislang in der Europol-Konvention nicht vorgesehen waren.
Das fängt ja gut an, wird unsere Zustimmung aber nicht finden, zumal auch schon der vorliegende Konventionsentwurf völlig inakzeptabel ist. So sollen die „Eurocops" unter anderem Daten über die „rassische Herkunft" , über die politischen oder religiösen Anschauungen eines oder einer Betroffenen bis hin zu Angaben oder Mutmaßungen über das Sexualleben sammeln und analysieren. - Der Kollege Sterzing hat das hier schon erwähnt.
Ich weiß, Sie werden mir jetzt vorhalten, daß sich auch in der Bundesrepublik die Polizei in ihrem Erfassungsbogen KP 8 - ich habe das schon mehrfach im Innenausschuß angesprochen - rassistischer und sexistischer Erfassungskriterien bedient.
Herr Lintner, ich frage Sie: Wie soll man, wenn man solche Daten erfaßt, in diesem Land Rassismus und Fremdenfeindlichkeit eigentlich ernsthaft bekämpfen wollen?
Die Datensammelwut von Europol soll sich nicht auf Beschuldigte und verdächtigte Personen allein beschränken. Auch „mögliche Zeugen", ja selbst „mögliche Tatopfer" sollen in Europol-Dateien landen. Das halte ich für skandalös.
Bei der Qualität der zu speichernden Informationen will man bei Europol auch nicht allzu wählerisch sein. So soll auch mit sogenannten weichen Daten gearbeitet werden, deren „Wahrheitsgehalt nicht überprüft werden kann" . Das ist, kurz gesagt, Datenschrott.
Das hängt nicht zuletzt damit zusammen, daß bei Europol nicht nur polizeiliche Daten zusammenfließen sollen. Vielmehr sollen auch Geheimdienste Daten anliefern, aber auch abrufen. Hierbei wird nicht nur auf Schlapphüte der EU zurückgegriffen. Auch beispielsweise der Geheimdienst des Folterstaats Türkei soll Daten abrufen bzw. eingeben können. Das ist meiner Meinung nach angesichts des Krieges, den die türkische Regierung gegen die Kurden in der Türkei führt, besonders skandalös.
Meine Damen und Herren, es kann doch nicht angehen, ausgerechnet im Polizeibereich eine Behörde zu schaffen, bei der auf der einen Seite das Trennungsgebot von Polizei und Geheimdiensten unterlaufen wird, während auf der anderen Seite die Anordnungs- und Kontrollrechte von Staatsanwaltschaften, die der nationalen Parlamente wie auch die des Europäischen Parlamentes systematisch untergraben werden.
Insofern werden wir der Europol-Konvention nicht zustimmen und jeglichen Widerstand, den es in den Länderparlamenten, aber auch vor Gericht oder bei

Ulla Jelpke
außerparlamentarischen Aktivitäten gibt, unterstützen.
Danke.

(Beifall bei der PDS)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1317203200
Als nächster Debattenredner spricht der Kollege Dietmar Schlee.

Dietmar Schlee (CDU):
Rede ID: ID1317203300
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor vier Wochen haben wir in diesem Hause das neue BKA- Gesetz verabschiedet. Heute beraten wir über die Ratifizierung der Europol-Konvention. Sie sehen: Die innere Sicherheit hat einen hohen Stellenwert.
Das Europäische Polizeiamt muß endlich aus dem Stadium einer Vorläuferbehörde heraustreten und seine umfassendere polizeiliche Tätigkeit voll aufnehmen. Ich registriere mit Genugtuung - ich wende mich an die Bundesregierung -, daß wir mit der Einleitung des Ratifizierungsverfahrens nach Großbritannien an zweiter Stelle stehen, insgesamt in der ersten Reihe der Länder, die das Ratifizierungsverfahren in Gang gesetzt haben. Das bedeutet, daß wir den vereinbarten Zeitplan bis Ende des Jahres 1997 einhalten können.
Richtig ist natürlich, daß wir Europol dringend brauchen, nicht etwa, weil die nationalen Polizeien bei uns oder in anderen Ländern der Gemeinschaft zu schlecht wären. Wir brauchen Europol, weil die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität allein mit nationalstaatlichen Mitteln nicht mehr wirksam bekämpft werden kann.
Wer diese Art von Kriminalität effektiv bekämpfen will, das heißt, wer die Drogenmafia in ihrer Substanz treffen will, wer Menschenhändlern und Kinderschändern das Handwerk legen will, muß der Infrastruktur der organisierten Kriminalität zu Leibe rükken.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Nur dem dient Europol, sonst überhaupt nichts. Alles das, was da hineingeheimnist worden ist, ist einfach daneben.
Nach dem Übereinkommen von 1995 ist Europol als polizeiliche Zentralstelle für den Informationsaustausch innerhalb der Mitgliedstaaten und für Verbrechensanalysen bei schwerwiegenden Formen von Kriminalität konzipiert. Europol gewährleistet mit seinem Informationssystem und den Analysedateien, daß polizeiliche Erkenntnisse eines Mitgliedslandes praktisch zeitgleich auch allen andern Ländern zur Verfügung stehen. Das ist ein ganz wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Das heißt doch gar nichts anderes als zusätzliche Informationen und damit mehr Leistungsfähigkeit für die Polizei sowie die Vermeidung paralleler Ermittlungen in den Mitgliedstaaten. Das bedeutet eine zielgerichtete Analysearbeit, bei der wir bisher doch in allen Ländern nachhaltige Defizite haben.
Europol besitzt nach seiner gegenwärtigen Konzeption keine exekutiven Befugnisse. Das, was dazu gesagt worden ist, ist schlicht und ergreifend falsch.
Die Aufgabe von Europol wird also auch nicht sein, die Arbeit der nationalen Polizeibehörden in Teilbereichen zu ersetzen. Daran denkt doch überhaupt niemand. Es geht um eine Effizienzsteigerung unter den neuen Gegebenheiten, in diesen neuen kriminalgeographischen Räumen, wo wir einfach anders reagieren müssen, als das in der Vergangenheit bei ganz anderen Rahmenbedingungen notwendig war.
Wir steigern die Effizienz der Polizei. Das ist etwas, was die Polizeibeamten im Grunde flehentlich bei uns erbitten. Wir sollten dem doch endlich Rechnung tragen. Wie gesagt: Es wird zunächst keine exekutiven Befugnisse geben.
Ich will - Herr Körper, Sie haben das angesprochen - natürlich auch feststellen, daß wir über kurz oder lang vor der Frage stehen werden, ob und inwieweit Europol nicht zusätzlich auch operative Befugnisse erhalten soll. Man braucht nun wirklich kein Prophet zu sein, um das vorauszusagen. Nun tun wir uns hier außerordentlich schwer. Nicht weil wir als Bundesrepublik Deutschland hier besondere Probleme sehen, sondern wenn Sie an Frankreich, Großbritannien und an andere denken, dann werden Sie feststellen, daß diese das eben ein bißchen anders als wir sehen.
Deshalb, meine ich, müssen wir zu neuen Formen finden. Da sind Formen möglich, die nationale Polizeihoheit nicht preisgeben. Ein Einstieg wäre etwa die Entsendung von Europol-Mitbareitern zur Beratung und Unterstützung der nationalen Polizeibehörden bei ganz bestimmten Ermittlungskomplexen, bei denen Europol besonders viel einbringen kann. Oder man kann sich natürlich auch über eine Koordinierungsbefugnis für Europol unterhalten. Man wird sehen, ob dabei eine Art Weisungskompetenz innerhalb der EU-Staaten durchsetzbar ist. Aber ohne eine entsprechende Weisungskompetenz wird alles halt ein bißchen Stückwerk bleiben, vermute ich. Man wird sich in den EU-Gremien über diese Frage noch einmal zu unterhalten haben.
Ich glaube auch, daß wir relativ rasch zu einer Art Task Forces kommen sollten, die sowohl aus nationalen Beamten als auch aus Europol-Mitarbeitern bestehen werden. Das wäre ein Zwischending. Herr Kollege Stadler, was eine Änderung der Polizeigesetze und der Strafprozeßordnungen europaweit für eine Herausforderung bedeutet, kann man unschwer erahnen.
Ich begrüße es deshalb sehr, daß sich die Mitgliedstaaten inzwischen darauf verständigt haben, bei der nächsten Regierungskonferenz Fragen dieser Art - so will ich es einmal nennen - zu erörtern. Ich finde schon, daß die Bundesrepublik Deutschland, daß die Bundesregierung doch ein paar weiterführende Vorschläge einbringen sollte, Herr Staatssekretär.
Meine Damen und Herren, ob wir diese Weiterentwicklung von Europol wollen oder nicht, liegt, glaube ich, nur bedingt in unserem Ermessen. Die Kriminalität entwickelt sich weiter. Jeden Tag haben wir, haben die Polizeien es mit neuen Herausforderungen zu tun, und darauf wird man mit neuen Organisationsformen antworten müssen. Das erwarten natürlich auch die Bürger von uns.

Dietmar Schlee
Das Vertragsgesetz zur Ratifizierung enthält alle notwendigen Regelungen. Ich finde es absolut sachgerecht, daß das Bundeskriminalamt als sogenannte nationale Stelle für Europol festgelegt wird und darüber hinaus auch alle weiteren nationalen und internationalen Instanzen.
Es ist vorhin der Datenschutz angesprochen worden. Der Bundesdatenschutzbeauftragte hat hier zwei Funktionen: eine nationale Funktion als nationale Kontrollinstanz für Europol, was die Daten angeht, und er arbeitet in den Kontrollgremien Datenschutz von Europol mit. Das halte ich für einen sehr, sehr guten Ansatz zur Lösung der Probleme, die wiederholt beschrieben wurden.
Besondere Bedeutung messe ich - lassen Sie mich das mit großem Ernst sagen - der quantitativen und der qualitativen Beteiligung von Vertretern der Bundesländer bei. Das gilt sicherlich in erster Linie für die Europol-Gremien und die Europol-Arbeitsbereiche. Da müssen, meine ich, Vertreter der Bundesländer mitarbeiten und in diese Arbeit eingebunden sein, wenn wir die Arbeit auch zwischen dem Bund und den Ländern effizient machen wollen.
Ich meine, es geht auch nicht an, daß nur BKA-Beamte als Verbindungsbeamte zu Europol gehen, sondern es müssen auch Beamte aus den Ländern gerade in diese Gremien aufgenommen und in diese Arbeit von Europol eingebaut werden, wenn wir auch innerhalb dieser Republik zu einer effizienten Zusammenarbeit kommen wollen.
Meine Damen und Herren, die Regelung des Gesetzentwurfes über den polizeilichen Dienstverkehr macht nach wie vor Probleme. Das ist vorhin im Beitrag des Kollegen Schily ein bißchen angeklungen. Da gibt es noch offene Fragen. Das kann man ja ernsthaft nicht wegdiskutieren. Das ist ein Punkt, den wir vor vier Wochen im Zusammenhang mit der Verabschiedung des BKA-Gesetzes hier erörtert haben. Da geht es um die Außenkompetenz der Polizeien der Bundesländer, um diesen Bereich zunächst einmal anzusprechen. Da sind wir, glaube ich, in dem BKA-Gesetz alles in allem, Herr Kollege Graf, ganz ordentlich zu Stuhle gekommen. Das könnte, meine ich, ein Lösungsmodell für das sein, was wir am Ende in dieses Ratifizierungsgesetz hineinschreiben werden.
Ich glaube, daß der Gesetzentwurf, was den Ausgleich zwischen den Länder- und den Bundesinteressen angeht, den Ländern doch bereits relativ weit entgegengekommen ist. Das muß man, glaube ich, sagen. Wenn Sie daran denken, daß die Landeskriminalämter - wenn auch nur über das Bundeskriminalamt - in diese Systeme von Europol hineingehen können und daß sich auch jedes einzelne Bundesland unter bestimmten Voraussetzungen an die deutschen Verbindungsbeamten bei Europol wenden kann, dann ist das, glaube ich, schon etwas, was die Dinge in der Praxis befördert und damit natürlich auch den anderen Mitgliedstaaten deutlich macht - das ist auch ein ganz wichtiger Punkt -, daß wir in diesem Lande eine außerordentlich effizient und gut arbeitende Polizei haben. Die Polizeien in Bund und Ländern stehen in den nächsten Jahren im besonderen Blickfeld der anderen Mitgliedstaaten, die immer wieder über eine Föderalisierung ihres Polizeiwesens nachdenken. Da kommt es natürlich schon darauf an, daß wir die Dinge entsprechend darstellen und effizient gestalten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, morgen wird im Bundesrat das BKA-Gesetz beraten. Ich möchte von dieser Stelle aus an die Bundesländer appellieren, dem Gesetz am Ende zuzustimmen; denn wir brauchen ein verabschiedetes, ein vom Bundesrat akzeptiertes BKA-Gesetz, weil in diesem Ratifizierungsgesetz ja immer wieder auf Bestimmungen des BKA-Gesetzes Bezug genommen wird.
Wenn das morgen scheitern würde, müßten wir die Dinge noch einmal in einem ganz anderen Licht diskutieren. Das wäre sicherlich alles andere als sachgerecht. Aber ich gehe davon aus, daß der Bundesrat das von uns verabschiedete Gesetz am Ende doch passieren lassen wird.
Ich möchte mich, Herr Staatssekretär, noch in einem anderen Punkt an die Bundesregierung wenden. Es ist jetzt eine Vielzahl von Vorarbeiten zu machen. So müssen die notwendigen Durchführungsbestimmungen in den europäischen Gremien endgültig ausgehandelt werden.
Ich möchte darum bitten, daß die offenen Fragen so rasch wie möglich einer Beantwortung zugeführt werden, denn sonst können sich auch die Polizeien im Bund und in den Ländern auf das, was dann kommen wird, nicht rasch genug einstellen.
Meine Damen und Herren, in einer Schlußbemerkung möchte ich mich noch an die Kolleginnen und Kollegen vom Bündnis 90/Die Grünen wenden. Sie haben den Entschließungsantrag vom 22. April vorgelegt, und Sie haben, Herr Sterzing, eben noch einmal deutlich gemacht, daß Sie diese Europol-Konvention nicht akzeptieren, daß Sie der Ratifizierung nicht zustimmen werden.
Ich möchte nur festhalten, daß die Vorstellungen, die Sie dazu entwickelt haben, die in diesem Antrag und in seiner Begründung stehen, so einfach nicht richtig sind. Die Begründung ist in vielen Punkten schlicht und ergreifend falsch, und Sie gehen in Ihrem Antrag immer wieder von falschen Sachdarstellungen aus.
Sie haben schon dem BKA-Gesetz nicht zugestimmt und sich damit sicherheitspolitisch in dieser Republik isoliert. Jetzt stimmen Sie auch der Ratifizierung der Europol-Konvention nicht zu. Das ist nichts anderes als eine Isolierung auch innerhalb der Europäischen Union.
Es gibt ganz wenige, die nicht akzeptieren wollen, daß wir auf diese Art und Weise vorangehen müssen. Sie erkennen offensichtlich die Zeichen der Zeit nicht.
Meine Damen und Herren, die Menschen in Europa erwarten Sicherheit und wirksamen Schutz vor wachsender Kriminalität. Dabei kommt Europol auch, was die Integration der osteuropäischen Staaten angeht - Herr Körper hat es angesprochen -, eine ganz, ganz wichtige Bedeutung zu.

Dietmar Schlee
Wir brauchen ein starkes und effektives Europäisches Polizeiamt. Wir brauchen es schnell, und ob die Grünen zustimmen oder nicht, wir werden es schaffen. Darauf können Sie sich verlassen.
Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1317203400
Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Burkhard Hirsch.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1317203500
Herr Kollege Schlee, ich will wie Sie eine wirksame europäische Zusammenarbeit und natürlich die Ausdehnung der Zuständigkeit von Europol über den Bereich der Drogenbekämpfung in andere Kriminalitätsbereiche hinein. Das wird hier vorgesehen.
Aber im übrigen muß ich doch sagen, daß mich Ihr reichhaltiges Beruhigungsvokabular eher beunruhigt.
Wie wird der Bürger eigentlich berührt? Doch nicht nur durch eine weltweite Zusammenarbeit. Gehen wir einmal in die Details. Mir liegt der Entwurf eines Protokolls über Datensammlungen vom 3. April 1997 vor. Darin wird vorgesehen, daß Europol darüber entscheidet, ob bei tatfernen Personen, also Zeugen, Opfern, Hinweisgebern, Kontakt- und Begleitpersonen, was immer das sein mag, verdatet werden kann: der Lebensstil, Art und Weise des Lebens, rassische Herkunft, politische, religiöse und andere Überzeugungen, sexuelle Gewohnheiten.
Wollen wir das in diesem Umfang? Weiter: Wie ist die Rechtskontrolle des einzelnen?
In einem weiteren Entwurf eines Protokolls über Vorrechte von Mitarbeitern von Europol vom 15. April 1997 ist in Art. 2 die Rede davon, daß die Archive „unverletzbar" sind.
In Art. 8 heißt es:
Mitglieder des Organs der Europol sowie Mitglieder des Personals genießen die folgenden Immunitäten, und zwar auch nach ihrem Ausscheiden aus dem Dienst: Immunität vor gerichtlicher Verfolgung jeglicher Art in bezug auf das gesprochene oder geschriebene Wort und in bezug auf Handlungen, die sie im Rahmen ihrer offiziellen Funktionen erfüllen. Diese Immunität gilt auch, wenn sie als Mitglieder des Europol-Organs oder als Mitarbeiter ausgeschieden sind.
Ferner heißt es dort:
... Unantastbarkeit aller ihrer offiziellen Unterlagen, Dokumente und anderen offiziellen Materials.
Das sind ja Rechte, von denen manche Beamte geradezu träumen. Es ist doch traumhaft, daß sie für Worte und Handlungen eine völlige Immunität auch nach ihrem Ausscheiden genießen. Das ist geradezu
phantastisch. In welchem Land gibt es das eigentlich für die Polizei?
Ich bin für wirksame Polizeiarbeit. Aber die Kontrollen müssen der Intensität entsprechen, mit denen der Bürger, auch der unbeteiligte Bürger, der in Verdacht gerät, belastet werden kann. Was ich allerdings bisher dazu lese, reicht mir nicht aus. Die parlamentarische Kontrolle - Herr Kollege Stadler hat das eindrucksvoll dargestellt - ist vorhanden; aber es ist nur ein Hauch von Kontrolle. Der EuGH ist nicht oder nur in einer sehr mittelbaren Weise beteiligt. Ich finde aber schon, daß der weitere Ausbau von Europol, den ich - ich sage es noch einmal - will, nur dann akzeptabel ist, wenn die parlamentarischen und die gerichtlichen Kontrollen der Intensität entsprechen, mit der diese Behörde in das Leben einzelner Bürger eingreifen kann.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1317203600
Es folgt die Antwort durch Herrn Kollegen Schlee.

Dietmar Schlee (CDU):
Rede ID: ID1317203700
Herr Kollege Hirsch, zu Ihrem Beitrag in aller Kürze folgendes.
Die erste Bemerkung: Natürlich freue ich mich, daß Sie noch einmal deutlich gemacht haben, daß uns Europol, was die innere Sicherheit in Europa angeht, weiterbringt. Es ist, glaube ich, ganz wichtig, daß wir von diesem Ansatzpunkt aus über die übrigen anstehenden Fragen miteinander diskutieren.
Die zweite Bemerkung: Ich habe vorhin deutlich gemacht, daß es - ich habe auch den Einwand von Herrn Schily aufgenommen - in bezug auf die Durchführungsbestimmungen, was die gerichtlichen und die parlamentarischen Möglichkeiten angeht, noch offene Fragen gibt. Herr Hirsch, das kann man nicht wegdiskutieren. Ich habe auch dem Kollegen Lintner gesagt, daß die Verhandlungen über die Durchführungsbestimmungen in einer Vielzahl von Bereichen - Sie haben eine ganze Reihe angesprochen - rasch vorangetrieben werden müssen. In ein paar Bereichen, die Sie angesprochen haben, kann man noch nichts Abschließendes sagen. Bei ihnen ist man, weil es Einwendungen - nicht von uns, sondern von anderen Ländern - gegeben hat, noch nicht so rasch vorangekommen, wie wir dies alle gerne hätten.
Heute findet erst die erste Lesung statt. Das Ratifizierungsgesetz wird jetzt an die Ausschüsse überwiesen. Wir werden dort die Möglichkeit haben, auch solche Fragen, wie Sie sie angesprochen haben, dort im Detail miteinander zu diskutieren. Darüber, daß wir rechtsstaatlich einwandfreie Lösungen wollen, brauchen wir beide uns wirklich nicht zu unterhalten.

(Joseph Fischer [Frankfurt] [Bündnis 90/DIE GRÜNEN]: Na ja!)

Die letzte Bemerkung: Lieber Herr Hirsch, ich kann mir überhaupt keine Beamten vorstellen, die etwas wollen, was nicht Recht und Gesetz entspricht.

Dietmar Schlee
Vielleicht war das ein falscher Zungenschlag, oder ich habe es akustisch falsch verstanden.
Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1317203800
Das Wort hat der Kollege Hans-Peter Kemper.

Hans-Peter Kemper (SPD):
Rede ID: ID1317203900
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Schlee, lassen Sie mich zunächst einmal ganz kurz zu Ihrem Appell kommen, den Sie in unsere Richtung und in Richtung Bundesrat eben so flehentlich hier in den Raum gestellt haben. Sie können ganz beruhigt sein, genau wie wir wird auch der Bundesrat dem BKA- Gesetz zustimmen, weil es ein vernünftiges Gesetz ist. Würde die Regierungskoalition öfter einmal vernünftige Gesetze vorlegen, würde auch der Bundesrat öfter zustimmen können.

(Beifall bei der SPD)

Was Europol angeht, so kann es überhaupt keinen Zweifel an der Notwendigkeit funktionierender polizeilicher Organisationen auf der europäischen Ebene geben. Der Umfang der internationalen Kriminalität mit sich durchaus deutlich verfestigenden mafiosen Strukturen ist größer geworden. Wir brauchen neue Bekämpfungsstrategien und neuartige Möglichkeiten, über Ländergrenzen hinweg zusammenzuarbeiten. Genau hier ist Europol die richtige Konsequenz. Europol ist die logische Konsequenz aus einem Raum, in dem die Grenzen weggefallen sind.
Wir haben einen einheitlichen Wirtschaftsraum, wir haben - so Gott will und Theo Waigel kann - demnächst einen einheitlichen Finanzraum. Wir haben keinen europäischen Sicherheitsraum; das muß man ganz deutlich sagen. Die Mängel können auch nur teilweise durch Europol beseitigt werden. Es ist aber wichtig, daß die einzelnen europäischen Staaten ihre Bereitschaft zu einer vernünftigen Zusammenarbeit erklären.

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1317204000
Herr Kemper, gestatten Sie eine Zwischenfrage Ihres Kollegen Urbaniak?

Hans-Peter Kemper (SPD):
Rede ID: ID1317204100
Ja bitte!

Hans-Eberhard Urbaniak (SPD):
Rede ID: ID1317204200
Herr Kollege Kemper, es heißt in der Zielsetzung, daß diese Entwicklung - Schengener Übereinkommen - ein weiterer bedeutender Baustein auf dem Weg zur europäischen Einheit bei gleichzeitiger Gewährleistung der inneren Sicherheit sein soll. Ich frage mich jetzt, weil man in vielen Veranstaltungen und in den Diskussionen mit den Bürgern immer wieder darauf angesprochen wird: Wie bringt es der Staat fertig, die Kriminalität, die sich in immer mehr Facetten äußert, zurückzudrängen, die Täter zu verfolgen und die eigentlichen Nester, in denen sich so etwas entwickelt, lahmzulegen? Glauben Sie, daß wir mit diesem Ansatz, bei dem die Aufgaben sukzessive weiter auf Europol
konzentriert werden, auch tatsächlich dieses Ziel erreichen? Werden wir damit die innere Sicherheit verstärken? Haben wir, wie Kollege Hirsch sagte, über diese Institution die politische und parlamentarische Kontrolle?

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1317204300
Herr Urbaniak, wie viele Fragen werden Sie noch stellen?

(Heiterkeit)


Hans-Eberhard Urbaniak (SPD):
Rede ID: ID1317204400
Ich komme jetzt zum Schluß meiner Fragen und beziehe mich auf die Vielzahl der Kollegen, die hier große Erfahrung haben. Wie beurteilen Sie meine Fragestellung für die Praxis?

Hans-Peter Kemper (SPD):
Rede ID: ID1317204500
Vielen Dank, Herr Urbaniak. Meine ganze Rede muß dazu herhalten, Ihre Fragen zu beantworten; das will ich vorab einmal sagen. Aber einige Bemerkungen möchte ich trotzdem dazu machen. Es gibt sicherlich - das ist auch in der Polizei, aus der ich komme, völlig unumstritten - keine einzelne Maßnahme, die in der Lage ist, die innere Sicherheit zu gewährleisten. Der Kollege Sterzing hat eben darauf hingewiesen, daß dazu auch die soziale Prävention gehört, die Vermeidung von Straftaten, und die Beantwortung der Fragen, wie Kriminalität entsteht und was wir tun können, um die Kriminalitätsentstehung zu vermeiden. Das ist sicherlich noch zu kurz gekommen.
Ein weiteres Instrument, um die organisierte Kriminalität besser in den Griff zu bekommen, ist zum Beispiel der Vermögenseinzug. Wir müssen an das kriminell erworbene Vermögen der Straftäter kommen.
Ein weiterer Bereich sind die auf der europäischen Ebene agierenden Sicherheitseinrichtungen. Schengen haben Sie selbst genannt, Europol und Interpol sind weitere Bereiche. Diese drei Ermittlungsbereiche tragen sicher dazu bei, die Kriminalität zu bekämpfen.
Ich will abschließend sagen, daß auch folgendes deutlich werden muß: Es kann nicht so sein, daß die nationalen Grenzen innerhalb Europas für die Straftäter zwar längst weggefallen sind und die Straftäter hinüber- und herüberwechseln, wie sie wollen, um ihre Straftaten zu begehen und um die organisierte Kriminalität in Schwung zu bringen, daß aber für die Polizeibeamten nach wie vor die Ermittlungstätigkeit an der jeweiligen nationalen Grenze endet.

(Beifall bei der SPD)

Ich denke, es ist deutlich geworden, daß es nur durch einen Zusammenschluß der Nationalstaaten zu einer vernünftigen Zusammenarbeit kommen kann. Deshalb ist es wichtig und richtig, daß dieses Abkommen von den Parlamenten der einzelnen Mitgliedstaaten ratifiziert wird. Es gilt, dem internationalen Drogenhandel, der Nuklearkriminalität, dem Schleuserunwesen und Menschenhandel sowie der Kraftfahrzeugkriminalität entschieden entgegenzutreten. Es ist klar, daß sich die meisten Aufgabenbereiche, die Europol langfristig wahrnehmen soll,

Hans-Peter Kemper
noch in der Aufbauphase befinden. Erste zaghafte Schritte sind durchaus schon getan worden.
Ich will nicht verhehlen, daß unsere Erwartungen weitergehen. Europol ist jetzt eine Stelle der Nachrichtensammlung und -auswertung. Es soll Analysen fertigen und die nationalen Polizeien unterstützen. Europol soll aber langfristig auch Exekutivaufgaben bekommen und operativ im europäischen Sicherheitsbereich tätig werden. Ich will es noch einmal ganz deutlich sagen, weil es gestern auch in der „Süddeutschen Zeitung" gestanden hat: Wir stellen uns vor, daß die Europol-Polizisten langfristig von Sammlern zu Jägern werden sollen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir wollen diesen Prozeß natürlich streng rechtsstaatlich begleiten. Das steht völlig außer Frage. Wir wollen aber langfristig kein Institut in Europa, das Kriminalitätsbekämpfung nach dem Motto betreibt: Knicken, Lochen, Abheften. Das darf nicht sein, davon haben wir schon genug.

(Beifall bei der SPD)

Herr Lintner, die hiermit verbundenen Schwierigkeiten sind uns durchaus bewußt. Herr Stadler hat es schon angesprochen: Wir brauchen ein einheitliches europäisches Rechtssystem und einheitliche Vorschriften in der Strafverfolgung. Das wird schwierig genug. Ich will hier weder auf die Frage, ob es sich um ein zustimmungspflichtiges Gesetz handelt, noch auf die tatsächlichen oder behaupteten Mängel bei den Kontrollmechanismen eingehen. Darauf hat sich mein Kollege Fritz Körper spezialisiert; er hat, wie auch Herr Stadler, etwas dazu gesagt, und Herr Kollege Hirsch hat in seiner Kurzintervention ganz deutlich gemacht, wo noch Schwachstellen liegen.
Ich will mehr auf Probleme eingehen, die sich in der Praxis ergeben. Wir haben heute Einrichtungen - das habe ich bereits dem Kollegen Urbaniak gesagt - in den Bereichen Schengen, Interpol und Europol. Alle drei haben ihre eigenen Kontrollmechanismen, ihre eigenen Informationsstränge und ihre eigenen EDV-Systeme, die allerdings untereinander nicht vernetzt sind. In der Praxis fehlt es an klaren Abgrenzungen zwischen Arbeits- und Aufgabenbereichen zum Beispiel von Europol und Interpol. In vielen Bereichen decken sich diese Aufgaben. Hierbei muß man wissen, daß Interpol 80 Prozent seiner gesamten Tätigkeiten in Europa abwickelt und nur 20 Prozent im Rest der Welt. Interpol hat also seinen geographischen Schwerpunkt dort, wo eigentlich auch Europol arbeiten soll.

(Zuruf von der SPD: Ressourcenverschwendung!)

Das muß sich ändern, denn sonst wird die Notwendigkeit von Europol fraglich.
Europol ist jung und hat erhebliche Akzeptanzprobleme. Das will ich gar nicht bestreiten. Auch in den Köpfen der Polizisten ist Europol noch nicht richtig verhaftet. Wir müssen daran arbeiten, daß Europol stärker in den Vordergrund gerückt wird. Es muß klargemacht werden, daß die gewachsenen Strukturen, die es zum Beispiel bei der Zusammenarbeit der Polizei im kleinen Grenzverkehr gibt, nicht zerstört, sondern nur ergänzt werden sollen. In der Praxis wird vergessen, daß es Europol überhaupt gibt. Ich will es einmal mit einem Vergleich deutlich machen: 1994 gab es bei Europol etwa 1 000 Anfragen. Diese Zahl der Anfragen hat sich in den darauffolgenden Jahren jeweils um 500 gesteigert, so daß wir nun bei 2 000 Anfragen angekommen sind. Im Vergleich dazu hatte Interpol im Jahr 1994 zu den gleichen Bereichen 200000 Abfragen. Daran kann man sehen, wie erdrückend Interpol zur Zeit noch gegenüber Europol im europäischen Bereich ist.
Einen großen Vorteil hat Europol allerdings gegenüber allen anderen Organisationen: Europol hat sehr geringe Reaktionszeiten. Anfragen werden sehr schnell und sehr genau beantwortet. Das hängt natürlich zum einen mit der geringen Anzahl der Anfragen, aber zum anderen auch mit den engen Kontakten, die die einzelnen Europol-Beamten untereinander haben, zusammen. Es gibt eine Art runden Tisch in der Verbrechensbekämpfung bei Europol. Die Nachrichten und ebenso die Informationen werden dort also sehr schnell verteilt.
Trotz aller Schwierigkeiten ist die Errichtung Europols ein Schritt in die richtige Richtung, aber die Schritte, die wir getan haben, sind noch sehr unsicher. Europol steckt noch in den Kinderschuhen. Ich will deshalb auch einige kritische Bemerkungen in Richtung F.D.P. machen.
Ich habe vor wenigen Tagen in der Zeitung gelesen, Europol sei das Sahnehäubchen bei der Bekämpfung der internationalen Kriminalität. Wer das zum jetzigen Zeitpunkt behauptet, hat meiner Meinung nach entweder keine Ahnung, oder er will den Leuten Sand in die Augen streuen.

(Beifall bei der SPD)

Ich möchte noch auf einen anderen Punkt eingehen, der nur bedingt mit Europol, wohl aber mit der europäischen Verbrechensbekämpfung zu tun hat.
Ich komme aus einem Bereich, in dem die grenzüberschreitende Kriminalität hoch ist. Das ist ein Grenzbereich zu den Niederlanden. Dort ist mir folgendes untergekommen: Es gibt in den Niederlanden Diebstähle von Kraftfahrzeugen, die mit gefälschten Papieren in die Bundesrepublik gebracht und dort vom Kraftfahrt-Bundesamt mit legalen deutschen Papieren versehen werden, obwohl sie im Schengener Informationssystem gespeichert sind und demzufolge in unserem Datenbestand als gestohlen geführt werden.
Woran liegt es, daß das Kraftfahrt-Bundesamt im Prinzip gestohlene Fahrzeuge wäscht? - Das liegt daran, daß deutsche Verwaltungsstellen, hier das KBA, keinen Zugriff auf den Fahndungsbestand im SIS, im Schengener Informationssystem, und damit auch keinen Zugriff auf unseren Fahndungsbestand haben. Das heißt, in Deutschland werden Fahrzeuge, die europaweit als gestohlen zur Fahndung ausgeschrieben sind, zugelassen.

Hans-Peter Kemper
Diesbezüglich muß nachgebessert werden, denn die besten Fahndungssysteme nützen uns nichts, wenn die entscheidenden Schnittstellen darauf keinen Zugriff haben.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dietmar Schlee [CDU/CSU])

Wir werden deshalb einen Vorstoß unternehmen, das Schengener Durchführungsübereinkommen in diesem Punkt zu verbessern. Wir werden dabei von der AG Kripo auch unterstützt.
Ich will es nochmals zusammenfassend sagen: Es muß trotz aller Mängel sichergestellt werden, Europol, die Unterzeichnerstaaten des Schengener Abkommens und Interpol müssen daran mitwirken, daß die grenzüberschreitende Kriminalität bekämpft wird. Da, wo die Grenzen fallen, müssen die Grenzen auch für die Polizei durchlässiger werden. Hier liegen die großen Herausforderungen, aber nicht zuletzt auch die Chancen von Europol.
Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1317204600
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/7391 und 13/7490 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Ulla Schmidt (Aachen), Irmingard Schewe-Gerigk, Vera Lengsfeld, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und weiteren Abgeordneten eingebrachten Entwurfs eines ... Strafrechtsänderungsgesetzes - §§ 177 bis 179 StGB (. . . StrÄndG)
- Drucksache 13/7324 -
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß (federführend)

Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Auch hier höre ich keinen Widerspruch. Wir verfahren so.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Ulla Schmidt.

Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1317204700
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Die Frau meines Freundes verweigert ihm schon seit anderthalb Jahren den Geschlechtsverkehr. Wenn er sich denn jetzt sein Recht nimmt, bezeichnen Sie das auch als Vergewaltigung?
- So wurde ich letztens in einer Veranstaltung gefragt. - „Ja" , habe ich geantwortet, „denn es gibt
kein Recht, sich gewaltsam etwas zu holen, was freiwillig nicht gegeben wird. "

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)

Tagtäglich sind Frauen und Mädchen Opfer von Gewalt, egal, ob sie auf dem Land oder in der Stadt wohnen, ob sie arm sind oder reich. Sexuelle Gewalt und Vergewaltigung sind überwiegend im sozialen Nahbereich zu finden. Gewalt in der Familie und in der Ehe ist keine Privatsache, auch wenn das anscheinend noch viel zu viele Menschen glauben.
Immer noch höre ich von vergewaltigten Ehefrauen: Na ja, aber eigentlich darf man sich ja nicht verweigern, wenn man verheiratet ist und der Mann etwas will. - Diese sogenannte eheliche Pflicht existiert immer noch in den Köpfen, obwohl es dafür längst keine gesetzliche Grundlage mehr gibt. In § 1353 BGB heißt es - ich zitiere -:
Die Ehe wird auf Lebenszeit geschlossen. Die Ehegatten sind einander zur ehelichen Lebensgemeinschaft verpflichtet.
Die Formulierung ist klar. Daraus läßt sich nicht, auch wenn das wiederum immer noch viele Ehemänner glauben, eine Pflicht zum Geschlechtsverkehr ableiten. Es gibt keine Verfügungsgewalt des Mannes über den Körper der Frau. Die Ehefrau ist nicht sein Besitztum.

(Beifall bei der SPD und der PDS)

Trotzdem ist es offenbar immer noch so, daß Männer und Frauen glauben, mit dem Eingehen der Ehe hätten Frauen ihr sexuelles Selbstbestimmungsrecht aufzugeben.
Im Deutschen Bundestag wurden zur Reform des Sexualstrafrechts zu den §§ 177 bis 179 des Strafgesetzbuches mittlerweile viele Gesetzentwürfe beraten. Unser Ziel war und ist es, die Diskriminierung von Ehefrauen im Sexualstrafrecht zu beseitigen.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS sowie der Abg. Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.])

Heute legen wir Ihnen einen gemeinsamen, überfraktionellen Gesetzentwurf vor, der zwar immer noch ein Kompromiß ist, aber eine wesentliche Regelung nicht mehr enthält: die Widerspruchsklausel.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Ich freue mich - das sage ich aus voller Überzeugung - über die Frauen in der Regierungskoalition, die den Mut aufgebracht haben, zu ihrer Meinung zu stehen, und innerhalb der Regierungskoalition einen Umdenkungsprozeß eingeleitet haben.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die eigene Meinung trotz Widerständen aufrechtzuerhalten, Mitstreiterinnen und Mitstreiter zu gewinnen ist nicht immer leicht. Dazu bedarf es vieler

Ulla Schmidt (Aachen)

Überzeugungsarbeit, die wir von meiner Fraktion mit vollem Herzen geleistet haben, bei der wir aber deshalb noch lange nicht auf offene Ohren gestoßen sind.
An dieser Stelle danke ich allen Frauenorganisationen, Verbänden, den Gewerkschaftsfrauen, den organisierten und nichtorganisierten Frauen, die sich vehement zu Wort gemeldet haben. Sie sagten Ihnen alle: Die Widerspruchsklausel ist eine Verhöhnung der Ehefrauen, die Opfer sexualisierter Gewalt ihrer Ehemänner wurden.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Daß sich an dieser Stelle so massiv Widerstand regte, hat seinen guten Grund.
Ich richte jetzt meine Worte an meine Kolleginnen und Kollegen aus der Regierungskoalition, die immer noch glauben, mit der Widerspruchsklausel den Stein der Weisen gefunden zu haben. Sie berufen sich dabei auf Art. 6 des Grundgesetzes: Schutz von Ehe und Familie. „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. " Das sagt uns Art. 1 des Grundgesetzes. Der Schutz durch staatliche Gewalt soll aber mit der Widerspruchsklausel in der Ehe nur ein bißchen gelten. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, ein bißchen Schutz, ein bißchen schwanger und ein bißchen Frieden, das gibt es nicht.
Das Verwerfliche an der Widerspruchsklausel ist, daß Sie Art. 6 unseres Grundgesetzes - Schutz von Ehe und Familie - dazu mißbrauchen, Gewalttaten in der Ehe zu schützen. Wenn Sie an der Widerspruchsklausel festhalten, lösen Sie die Konkurrenz zwischen zwei staatlichen Aufgaben des Grundgesetzes, Art. 1 und Art. 6, aber weder zum Schutz der Frauen noch zum Schutz von Ehe und Familie, sondern einseitig zum Schutz der Täter.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Ich bitte Sie ganz herzlich, einmal darüber nachzudenken. Ebenso bitte ich Sie, darüber nachzudenken, wohin denn eine halbherzige Reform des Sexualstrafrechts gehen soll. Geschlecht darf nicht vor Recht gehen. Ich bin fest überzeugt: Sie werden alle Ihrer Verantwortung nicht gerecht, wenn Sie Regelungen zugunsten des gewalttätigen Ehemannes einführen.
Bis zur Abstimmung über den Gesetzentwurf, den wir vorgelegt haben, sind noch drei Wochen Zeit, die wir nutzen wollen, um möglichst viele von Ihnen zu überzeugen, weil es wichtig ist, daß wir hier eine breite Mehrheit haben.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS sowie der Abg. Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.])

Ich appelliere an alle: Nutzen Sie diese Zeit. Reden
Sie mit den betroffenen Frauen. Hören Sie sich an,
was Frauen oft jahrelang über sich ergehen lassen.
Verfolgen Sie ihren Leidensweg: Sie schweigen, sie erdulden, und sie fühlen sich zu Unrecht schuldig. Bitte denken Sie auch an das Leiden der Kinder und deren Traumatisierung, und lassen Sie nicht zu, daß mit der Widerspruchsklausel die Gewaltspirale verlängert wird. Ich appelliere deshalb an Sie: Stellen Sie sich den Tatsachen. Eine Gewaltbeziehung wird nicht durch die Widerspruchsklausel geheilt.
Ich bitte Sie um noch etwas: Stellen Sie sich einmal auf die Seite der Ehefrauen, und versuchen Sie nachzuvollziehen, was passiert. Die Ehefrau hat, bis sie Anzeige erstattet, das Schrecklichste, die Vergewaltigung, bereits erfahren. Zumeist dauert es Monate, bis sie Hilfe von außen holt. Endlich entschließt sie sich, Anzeige zu erstatten. Über das Vorgefallene zu sprechen, über die Demütigung Rede und Antwort zu stehen fällt den Frauen schwer. Wird sie dann noch gezwungen, ihren Widerspruch einzulegen, beginnt die Seelenforschung durch den Staatsanwalt. Ihm soll sie nun glaubhaft versichern, die Vergewaltigungen seien nicht so schlimm gewesen, oder sie habe sich das Ganze nur ausgedacht, oder sie sei wegen ihrer Kleidung, ihres Auftretens, weil sie müde war oder sich schon lange verweigert hatte, selber schuld. Vielleicht sagt sie aber auch, ihr Ehemann hätte voller Reue gesagt, so etwas käme nie wieder vor. Vielleicht ist sie überzeugend, vielleicht aber auch nicht.
Haben Sie sich einmal ausgemalt, was mit dem Opfer, der Ehefrau, passiert, wenn der Widerspruch fehlschlägt, weil der Staatsanwalt ihr nicht glaubt und die Strafverfolgungsbehörde ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung für gegeben hält? Der Ehemann wird das geringe schauspielerische Talent seiner Ehefrau mit nochmaliger Gewalt honorieren. Der gegnerische Anwalt wird den mißlungenen Versuch, Widerspruch einzulegen, genüßlich dazu nutzen, die Frau im Prozeß dahin zu bringen, wo sie mit der Widerspruchsklausel auch hin sollte. Er wird erst dann zufrieden sein, wenn die Glaubwürdigkeit erschüttert ist bzw. deutlich wird, die Frau wisse gar nicht, was sie wolle, oder alles habe wahrscheinlich gar nicht stattgefunden.
Diesen Anwürfen sind vergewaltigte Ehefrauen schon heute ausgesetzt. Daran würde sich mit der Widerspruchsklausel überhaupt nichts ändern. Was glauben Sie denn, warum manche Frauen wiederholt ins Frauenhaus gehen? Sie gehen zweimal oder dreimal hin und kehren wieder zum Ehemann zurück, immer mit der Hoffnung, die Beziehung werde sich zum Positiven verändern, bis sie endlich die traurige Gewißheit haben: Ein Mann, der seine Frau mißhandelt und vergewaltigt, hört nicht damit auf, wenn die Frau zu ihm zurückkehrt. Das geht vielleicht ein paar Wochen oder ein paar Monate gut, selten länger. Manchmal dauert es nicht einmal einen Tag, bis die Gewaltspirale wieder in Gang gesetzt wird.
Die damit verbundenen Widersprüche und Hoffnungen haben Ehefrauen hinreichend schmerzhaft erfahren. Diese Frauen können auf weitere Demütigungen sehr gut verzichten.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Ulla Schmidt (Aachen)

Was sie brauchen, ist die Fürsorge des Staates, und zwar die unwiderrufliche. Eine Strafrechtsreform ohne Widerspruchsklausel ist ein deutliches Signal an die Gesellschaft, an die Männer und die Frauen.

(Vor s i t z: Vizepräsidentin Michaela Geiger)

Es ist ein Signal, daß der Staat Normen setzt, in denen klar zum Ausdruck kommt: Ehefrauen werden vom Gesetzgeber ohne Ausnahme geschützt, Ehemänner haben keine Sonderrechte. Diese Botschaft wird ankommen, denn sie ist unmißverständlich und klar. Sie ist unmißverständlich für jeden Polizisten, der die Anzeige aufnehmen muß. Sie ist unmißverständlich für jeden betroffenen Ehemann, der sonst, von Angst, Wut und Aggression getrieben, so lange auf seine Ehefrau einwirkt, bis sie von der Widerspruchsklausel Gebrauch macht. Sie ist aber auch unmißverständlich für jede Ehefrau dahin, daß Gewalt kein privates Problem, sondern ein Verbrechen ist. Auch das ist wichtig, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)

Mit dem eingebrachten Gesetzentwurf sind wir Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Regierungskoalition, entgegengekommen. Wir greifen damit erneut das Votum des Bundesrates und des Vermittlungsausschusses auf.
Unsere Idealvorstellungen sind in dem Gesetz nicht verwirklicht. Das betrifft vor allem § 179. Der sexuelle Mißbrauch widerstandsunfähiger Personen wird nach dem vorliegenden Gesetzentwurf geringer bestraft. Da ich weiß, daß breite Teile dieses Hauses das nicht wollen, würde ich mir wünschen, daß wir diese darin enthaltene Diskriminierung in den Ausschußberatungen noch ändern.
Ich bin mir bewußt, daß sexuelle Gewalt in der Ehe mit einer Strafgesetzänderung ohne Widerspruchsklausel nicht gänzlich verhindert werden kann. Von einer Strafandrohung läßt sich längst nicht jeder Mann abschrecken. Aber Frauen müssen wissen, daß in diesem Parlament Anwälte und Anwältinnen für sie sitzen, daß sie mit dem Schutz des Gesetzgebers rechnen können. Frauen innerhalb und außerhalb der Ehe haben ein Recht auf sexuelle Selbstbestimmung. Meine Kolleginnen und Kollegen, dieses Recht ist unteilbar.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)

Sexuelle Gewalt hat immer auch etwas mit der Geringschätzung von Frauen und mit männlicher Überlegenheit zu tun. Damit sind Sexualität und Gewalt verhängnisvoll miteinander verbunden. Doch - auch das sage ich hier - gibt es zum Glück auch andere Männer: Männer, die Beziehungskonflikte ohne sexuelle Gewalt lösen, Männer, die weder die Zurschaustellung von Überlegenheit noch die Unterwerfung von Frauen brauchen, und Männer, die gemeinsam mit Frauen Partnerschaften eingehen.
In einer Partnerschaft und schließlich in einer Gesellschaft, in der die Gleichstellung der Geschlechter verwirklicht ist, wird die Bereitschaft zu Gewalt abnehmen. Dort, wo Frauen respektiert und geachtet werden, ist die Geschlechterhierarchie abgebaut. Das ist die beste präventive Maßnahme. Wie weit wir davon noch entfernt sind, zeigt die heutige Debatte.
Ich hoffe und wünsche mir, daß wir es im Deutschen Bundestag mit diesem Gesetzentwurf endlich schaffen, verheiratete und nicht verheiratete Frauen gleichzustellen. Das wäre ein Beitrag im Sinne unseres Grundgesetzes. Das wäre auch ein Beitrag zum Schutz von Ehe und Familie. Dann würde dieses Parlament tatsächlich Partei für die Opfer ergreifen und sich als Anwalt der Frauen verstehen.
Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Michaela Geiger (CSU):
Rede ID: ID1317204800
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Ilse Falk, CDU/CSU-Fraktion.

Ilse Falk (CDU):
Rede ID: ID1317204900
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum Inhalt ist schon einiges gesagt worden und wird heute sicherlich noch vieles gesagt werden. Deshalb ist es mir wichtig, am Anfang dieser neuen Runde in einer sehr langen Debatte noch einmal etwas zu dem sehr schwierigen Weg zu sagen, den dieser Gesetzentwurf gegangen ist, bis er heute in einen fraktionsübergreifenden Gruppenantrag einmünden konnte.
Ich will damit für viele Kolleginnen und Kollegen das Wort ergreifen, die sich sowohl mit dem Verfahren als auch damit schwertun, nunmehr eine Wendung hin zu dem vorliegenden Antrag zu vollziehen. Sie werden sich diese Wendung überlegen. Vieles wird davon abhängen, wie die Debatte in den nächsten Wochen verläuft.
Warum ist die Sache so gelaufen, wie sie gelaufen ist? Zunächst müssen wir uns vergegenwärtigen, daß die langjährige Diskussion einen Zeitraum umfaßt, in dem sich der Umgang der Gesellschaft mit solchen Themen erheblich verändert hat. Nach großer anfänglicher Skepsis -zumindest in unserer Fraktion -, Vergewaltigung in der Ehe überhaupt als ein justitiables Delikt zu akzeptieren, konnte das Thema dann aber doch mehr und mehr aus der Tabuisierung befreit werden. Die Bereitschaft wuchs, sich ernsthaft damit auseinanderzusetzen. Es begann ein intensives Ringen um eine sachgerechte, juristisch einwandfreie und für die Exekutive anwendbare Lösung mit dem Ziel der strafrechtlichen Gleichstellung von Vergewaltigung innerhalb und außerhalb der Ehe.
Viele Vorschläge kamen in diesen Jahren auf den Tisch, wurden abgewogen, mit Sachverständigen erörtert und wieder verworfen. Manchen packte das Grausen bei dem Gedanken, daß nun doch das eintreten würde, was wir immer verhindern wollten, daß nämlich der Staatsanwalt bis ins eheliche Schlafzimmer ermitteln müßte.

Ilse Falk
Als Berichterstatterin zu diesem Gesetzentwurf im Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und zugleich als stellvertretendes Mitglied im Rechtsausschuß habe ich an vielen Diskussionen teilgenommen und weiß daher, wie schwer es manchen Kolleginnen und Kollegen fiel, sich überhaupt darauf einzulassen, und wie schwierig es zugleich war, alle Aspekte zu berücksichtigen.
Schließlich durften auch bestimmte Zielsetzungen nicht außer acht gelassen werden. So war es zum Beispiel eines unserer erklärten Ziele, einen Weg zu finden, der der nach unserer Verfassung besonders geschützten Lebensform Ehe auch in einer solch verfahrenen Situation unter bestimmten Bedingungen noch eine Chance einräumte. Das Ergebnis war der heute vorliegende Entwurf plus einer Widerspruchslösung. Hierfür gab es in unserer Fraktion ebenso wie beim Koalitionspartner eine große Mehrheit; entsprechend wurde das Verfahren auf den Weg gebracht.
Für den weiteren Abstimmungsprozeß galt, was auch für alle anderen Gesetzgebungsverfahren gilt, die nicht als Gewissensentscheidungen eingestuft werden, nämlich daß davon auszugehen sei, daß sich bei der Schlußabstimmung alle Fraktions- und Koalitionsmitglieder dieser koalitionsinternen Mehrheit anschließen würden.
Diese Regelung ist für Außenstehende oft nur schwer nachvollziehbar. Tatsächlich aber bedeutet sie nichts anderes, als daß man akzeptiert, daß sich die Kollegen und Kolleginnen aus den Fachausschüssen sachgerechter mit dem zur Abstimmung anstehenden Gesetz befaßt haben, als einem selbst dies oft möglich ist. Es bedeutet allerdings für einzelne auch, sich einer mehrheitlich gefundenen Meinung unterzuordnen und eigene Bedenken zurückzustellen, soweit das eigene Gewissen und somit auch die Sache es zulassen. Ich denke, das wird in anderen Fraktionen nicht anders gehandhabt.
Wie üblich galt auch in diesem Fall: Wer dennoch von dieser Mehrheitsmeinung abweichend abstimmen will, hat dies dem Fraktionsvorsitzenden anzuzeigen. Diese Regelung hat nichts mit Fraktionszwang zu tun, sondern mit Fairneß im Umgang miteinander. Ein Fraktionsvorsitzender muß kalkulieren können und gegebenenfalls das Verfahren rechtzeitig stoppen, wenn abzusehen ist, daß die erforderliche Mehrheit nicht zustande kommt.
Genau dies ist in den zurückliegenden Monaten geschehen. Das heißt: Immer mehr Kollegen und vor allem Kolleginnen haben zum Ausdruck gebracht, daß sie den Gesetzentwurf mit der Widerspruchslösung nicht mittragen möchten und können, und haben dringend um nochmalige Überprüfung des vorgelegten Entwurfs gebeten bzw. auf ihre Absicht hingewiesen, anders als die Mehrheit der Fraktion zu stimmen.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Dies hat die Fraktionsführung akzeptiert. So finden wir uns noch einmal in der ersten Lesung des Gesetzentwurfs, diesmal ohne Widerspruchslösung.
So dargestellt, klingt das alles logisch und verhältnismäßig einfach. Häufig aber fällt es schwer, diesen Weg der Vernunft zu gehen, weil wir inzwischen viel zu oft erleben, daß seitens der Opposition versucht wird, Minderheiten in unseren eigenen Reihen zu instrumentalisieren, um parteitaktisch daraus Gewinn zu ziehen.

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Der Steuergipfel, gutes Beispiel! Weitere Zurufe von der SPD)

Oft hat das mit Sachanliegen wenig oder gar nichts mehr zu tun. Deshalb ist immer größte Skepsis angeraten, ehe eine Fraktionsführung der Minderheit in der eigenen Fraktion - hören Sie gut zu; das ist das konkrete Problem - ermöglicht, mit Hilfe der Oppositionsstimmen die Mehrheit der eigenen Fraktion zu überstimmen.
Nach reiflichem Abwägen ist man zu dem Ergebnis gekommen, daß im vorliegenden Fall wirklich die Sachargumente entscheidend sind und nicht parteitaktische Überlegungen, mit der Konsequenz der Freigabe der Abstimmung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin eine leidenschaftliche Verfechterin der freien Meinungsäußerung - sprich: meines Rechts, nach meinem Gewissen abstimmen zu dürfen und nur diesem verpflichtet zu sein. Dieses Recht ist für mich eines der wichtigsten Grundrechte einer Demokratie. Deshalb ist es mir besonders wichtig gewesen, hier den Entscheidungsprozeß so ausführlich darzustellen.
Natürlich bin ich Realistin genug, zu sehen, daß nur die wenigsten Entscheidungen wirklich Gewissensentscheidungen sind. Selbst im vorliegenden Fall kann man sich ja trefflich streiten, ob es sich tatsächlich um eine solche handelt oder ob es nicht doch vielmehr darum geht, sich für eine sachgerechte Lösung zu entscheiden. Aber ich gebe gerne zu, daß sich die hier zu treffende Entscheidung für viele meiner Kolleginnen zunehmend zu einer Gewissensfrage entwickelt hat.
Deshalb appelliere ich eindringlich an alle, fair mit denjenigen umzugehen, die sich dem so vorgelegten Entwurf aus guten Gründen nicht anschließen können, genauso wie mit denjenigen, die vorher anders gestimmt haben und sich nun anschließen. Letztere verhalten sich damit nämlich genauso wie diejenigen, die vorher gegen ihren Willen der Widerspruchslösung zugestimmt haben, ebenfalls, weil sie endlich eine strafrechtliche Gleichstellung haben wollten.
Das ist doch der zentrale Punkt: daß es endlich ein Gesetz geben wird, das die strafrechtliche Behandlung der Vergewaltigung innerhalb der Ehe mit der Vergewaltigung außerhalb einer Ehe gleichstellt.

(Beifall der Abg. Cornelia Schmalz-Jacobsen [F.D.P.])

Daß wir zumindest das wollten, darüber hat es, so glaube ich, nie wirklich einen Dissens gegeben.
Vielleicht könnte an diesem Beispiel einmal deutlich werden, daß Abstimmungsergebnisse auch Ent-

Ilse Falk
scheidungsfindungsprozesse widerspiegeln, in denen die Beteiligten Argumente abwägen, verwerfen oder für gut befinden und in denen manchmal ursprüngliche Mehrheiten nicht gehalten werden können, weil es offensichtlich nicht gelungen ist, die Bedenken der anderen zu zerstreuen.
Ich persönlich bin nach wie vor der Meinung, daß es gute Gründe gab, mit der Widerspruchslösung einigen wenigen Ehepaaren - ich bin überzeugt, daß es, entgegen vielen Äußerungen, die wir gehört haben, immer nur ganz wenige gewesen wären - eine Chance zur Versöhnung zu eröffnen und damit den besonderen Bedürfnissen einer Ehe Rechnung zu tragen.
Ich habe damit nicht ausreichend überzeugt, und ich kann nur hoffen, daß nun nicht das Zeugnisverweigerungsrecht in derselben Weise instrumentalisiert wird, wie es dem Widerspruchsrecht unterstellt wurde. Noch vielmehr kann ich hoffen, daß nun in Kürze der Weg frei ist, daß Ehemänner, die ihre eigenen Frauen mit brutaler Gewalt zu dem zwingen, wovon sie glauben, daß es ihr Recht und deren eheliche Pflicht sei, nunmehr ihrer gerechten Strafe zugeführt werden.
Weil ich das will, werde ich bei der Schlußabstimmung dem vorgelegten Entwurf zustimmen. Ich glaube allerdings nicht, daß es besonders hilfreich ist, wenn Sie, Frau Schmidt, nun noch massiv versuchen, innerhalb unserer Fraktion Einfluß zu nehmen.
Ich hoffe, daß das mit dieser Rede deutlich geworden ist. Der Worte sind genug gewechselt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie der Abg. Hanna Wolf [München] [SPD])


Michaela Geiger (CSU):
Rede ID: ID1317205000
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Irmingard Schewe-Gerigk, Bündnis 90/Die Grünen.

Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1317205100
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Durch den heute eingebrachten Gruppenantrag wird es möglich, eine Vergewaltigung in der Ehe nun tatsächlich so zu bestrafen wie außerhalb der Ehe. Das ist vernünftig.
Es gibt eine Reihe von Gründen gegen die Einführung einer Widerspruchsklausel. Ich nenne Ihnen nur drei:
Erstens. Es wäre rechtssystematisch äußerst unsauber, bei einem Verbrechen - eine Vergewaltigung ist ein solches - dem Opfer die Entscheidung über die Strafverfolgung zu überlassen, zumal es sich um ein Offizialdelikt handelt. Oder käme jemand von Ihnen auf die Idee, bei einem Banküberfall dem Bankdirektor die Entscheidung zu überlassen, ob der Räuber angeklagt wird?

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist ja etwas anderes, Frau Kollegin! Lachen und Zurufe bei der SPD)

Zweitens. Es wäre absolut einmalig und in keiner Weise nachvollziehbar, im Strafgesetzbuch ein Sonderrecht für Ehemänner zu verankern.

(Unruhe Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Vorsicht, Herr Geis!)

Drittens - und das ist der für mich gewichtigste Grund -: Das Widerspruchsrecht wäre ein Druckmittel in der Hand des gewalttätigen Ehemannes. Ein Ehemann, der seine Frau vergewaltigt, wird doch keine Skrupel haben, sie unter Druck zu setzen. Er wird ihr sagen, daß diesmal nun wirklich das letzte Mal gewesen sei, damit sie die Anzeige zurückzieht.

(Anhaltende Unruhe)


Michaela Geiger (CSU):
Rede ID: ID1317205200
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Geis?

Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1317205300
Nein. Außerdem möchte ich feststellen, daß ich bei diesem Geräuschpegel meine Rede hier nicht fortführen kann.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich fange noch einmal an: Der Ehemann wird ihr sagen, daß es diesmal nun wirklich das letzte Mal gewesen sei, damit die Frau die Anzeige zurückzieht. Psychologen und Psychologinnen kennen das Phänomen: Die Gewaltspirale dreht sich. Es steht nicht zu befürchten, daß ohne Widerspruchsklausel Ermittlungen gegen den Willen der Frau durchgeführt werden. Sie kann schon jetzt nach § 52 der Strafprozeßordnung das Zeugnisverweigerungsrecht in Anspruch nehmen. Das Verfahren wird dann in der Regel eingestellt.
Eine Mehrheit der Bevölkerung ist gegen diese Klausel. Eine Mehrheit in diesem Hause sieht das ebenso. Dieser Mehrheit müssen wir Geltung verschaffen.
Zu den anderen Bestimmungen, die in dem Gesetzentwurf enthalten sind, ist zu sagen: Sie können mir glauben, daß es den Bündnisgrünen nicht leichtgefallen ist - besonders auch mir nicht -, diesem Gruppenantrag zuzustimmen. Dies ist für uns ein Kompromiß mit dem Ziel, die Widerspruchsklausel endgültig zu kippen. Dies ist auch deshalb ein Kompromiß, weil die zusammengefaßten Tatbestände „sexuelle Nötigung" und „Vergewaltigung" in der Rechtspraxis dazu führen können, daß durch bestimmte Faktoren oder auch Vorurteile eine Vergewaltigung zu einer Nötigung heruntergestuft werden kann.
Die allergrößten Probleme habe ich allerdings damit, daß bei sexuellem Mißbrauch und Vergewaltigung Widerstandsunfähiger noch immer eine niedrigere Eingangsstrafe vorgesehen ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Irmingard Schewe-Gerigk
Das betrifft Menschen mit körperlicher oder geistiger Behinderung und Personen im Koma oder unter Drogeneinfluß. Es ist doch ein Skandal, daß der Gesetzgeber das sexuelle Selbstbestimmungsrecht von Menschen mit Behinderung geringwertiger einstuft als das von Menschen ohne Behinderung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Wenn Sie, Herr Eylmann, sagen, der Täter brauche ein geringeres Maß an krimineller Energie, um eine behinderte Frau zu vergewaltigen, so sage ich Ihnen: Dies ist diskriminierend und eine moralisch besonders verwerfliche Tat. Bei Eigentumsdelikten zum Beispiel sehen Sie das doch auch anders. Dort wirkt sich die Ausnutzung der Hilflosigkeit des anderen strafverschärfend aus. Hier ist es reduzierend. Ein Blick in den Art. 3 Abs. 3 des Grundgesetzes wäre sicherlich notwendig, wonach niemand auf Grund seiner Behinderung diskriminiert werden darf.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Es ist doch so einfach, hier Abhilfe zu schaffen.

Michaela Geiger (CSU):
Rede ID: ID1317205400
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Eylmann?

Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1317205500
Bitte sehr.

Horst Eylmann (CDU):
Rede ID: ID1317205600
Frau Kollegin Schewe-Gerigk, ich weiß nicht, ob Sie an unserer Anhörung teilgenommen haben. Ich will Ihnen das Argument eines anerkannten deutschen Rechtslehrers vortragen.

(Zurufe von der SPD: Frage!) - Das war schon eine Frage.


(Lachen bei der SPD)

Frau Kollegin, Sie haben gesagt, bei den Vermögens- und Eigentumsdelikten sei das Strafmaß in diesem Fall anders. - Wenn jemand einer Frau mit Gewalt eine Handtasche wegnimmt, dann ist das ein Raub. Der Raub wird wesentlich schärfer bestraft als Diebstahl. Wenn ein Mann einer debilen Frau die Handtasche abschwatzt, dann ist das ein Diebstahl und kein Raub. Das ist die gegenwärtige Rechtslage. Ich kann mich nicht erinnern, daß Sie bisher eine Änderung verlangt haben.
Darf ich Sie fragen, ob Sie einen Gesetzesentwurf auch für diesen Fall planen?

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Finden Sie das angemessen? Weiterer Widerspruch bei der SPD)


Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1317205700
Hen Kollege Eylmann, ich wundere mich sehr über Ihre Frage. Es geht doch nicht darum, der Frau
die Tasche abzuschwatzen. Wenn der betreffende Mann der Frau die Tasche mit Gewalt entfernt, dann wird es doch sicherlich so sein, daß das Strafmaß entsprechend aussehen wird.
Ich wundere mich darüber, daß Sie gar nichts zur kriminellen Energie sagen. Denn dieses Argument ist überhaupt nicht haltbar. Es gab in der Anhörung mehrere Sachverständige, die betont haben: Die moralische Verwerflichkeit, eine behinderte Person zu vergewaltigen, die sich nicht wehren kann, ist so groß, daß in diesem Falle das Argument der kriminellen Energie aufgehoben wird, das Strafmaß also ebenfalls bei zwei Jahren liegen muß, wie es bei Personen ohne Behinderung ist. Ich finde, da haben diese Sachverständigen recht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Es wäre eigentlich sehr einfach, auch hier Abhilfe zu schaffen. Von den Strafrechtlern und Strafrechtlerinnen habe ich gerade gesprochen. Wir haben im Strafgesetzbuch die Möglichkeit, entweder den § 177 um den Straftatbestand des § 179 zu ergänzen und dann § 179 ganz zu streichen. Oder wir passen das Strafmaß des § 179 an das des § 177 an. Das ist eine Kleinigkeit. Hierüber können wir uns verständigen. Wir sollten in der Ausschußberatung in der nächsten Sitzungswoche versuchen, hierüber eine Einigung herbeizuführen. Es kann auch nicht in Ihrem Sinne sein, daß das Strafrecht Menschen mit Behinderung oder Kranke weniger schützt als andere.
Zu einem anderen Thema. Das Gesetzgebungsverfahren zu den §§ 177 ff. StGB ist für mich auch ein Lehrstück in Sachen Demokratie. Es zeigt, daß sich Abgeordnete in entscheidenden Abstimmungen einem auf sie ausgeübten Fraktionsdruck widersetzen und sich nur ihrem Gewissen verpflichtet fühlen. Es zeigt aber auch, daß Beharrlichkeit und überzeugende Argumente letztendlich eine vermeintliche Minderheitsposition zu einer Mehrheitsposition machen können.
Ich will nicht verschweigen, daß auch ich erheblichem Druck ausgesetzt war, einer Vollstreckungsklausel oder einer Absenkung der Mindeststrafe um des Fraktionsfriedens willen zuzustimmen. Darum kann ich es sehr gut nachvollziehen, wie schwer es die Frauen in der Regierungskoalition hatten, seinerzeit unter Druck gegen die eigene Überzeugung zu stimmen.
Hätte der Bundesrat, meine Damen und Herren von der Koalition, Ihre damalige Entscheidung mitgetragen, so hätten die Ehemänner mit der Widerspruchsklausel ein Mittel in der Hand, ihre Ehefrauen unter Druck zu setzen, die Anzeige zurückzuziehen. Nun wird es ja allem Anschein nach gelingen, eine freie Entscheidung herbeizuführen und ein besseres Gesetz zu beschließen. Die Initiatorinnen des Gruppenantrages haben hieran, so glaube ich, einen nicht unerheblichen Anteil.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Irmingard Schewe-Gerigk
Wir haben Ihnen, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, einen Gesichtsverlust ersparen wollen, indem wir hier über den Einspruch des Bundesrates nicht abstimmen lassen. Wir wissen, daß die Abstimmung hierüber die Kanzlermehrheit verfehlt hätte, was von einigen zugleich als Kanzlersturz hochstilisiert werden würde. Uns geht es hier aber um die Sache der Frauen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)

Ich möchte mich bei allen Kolleginnen, auch bei Kollegen der Koalition dafür bedanken, daß sie mutig die Sache der Frauen vor die Disziplin der Fraktion stellen wollen. Aber, ich glaube, ohne die große Unterstützung der vielen Fraueninitiativen - seien es autonome Frauenhäuser, Beratungsstellen oder Notrufe -, aber auch ohne die Hilfe der kirchlichen Frauenverbände wäre die Freigabe dieser Abstimmung nicht möglich gewesen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Mit Ihrer Zustimmung zu diesem Gruppenantrag tragen Sie dazu bei, daß Vergewaltigung in der Ehe nicht länger als Kavaliersdelikt oder Familienstreitigkeit angesehen werden kann, sondern als ein Verbrechen gegen die Menschenwürde.
Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Michaela Geiger (CSU):
Rede ID: ID1317205800
Ich erteile das Wort zu einer Kurzintervention dem Kollegen Norbert Geis.

(Zuruf von der SPD: Muß das sein?)


Norbert Geis (CSU):
Rede ID: ID1317205900
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Strafgesetzbuch unterscheidet zwischen verschiedenen Lebenssachverhalten. Wir sollten hier nicht den Fehler machen, alles in einen Topf zu werfen.

(Zuruf von der SPD: Das machen wir nicht!)

Das haben Sie ja nicht gemacht, denn Sie haben in Ihrem ersten Gesetzentwurf mit der Einführung der Versöhnungsklausel versucht, der besonderen Situation der Ehefrau gerecht zu werden. Sie haben dann nach der Anhörung diese Versöhnungsklausel aus gutem Grund aus Ihrem Gesetzentwurf herausgenommen, weil die Anhörung eben ergeben hat, daß sie technisch-juristisch, wenn auch nicht vom Ansatz her, falsch gewesen ist.
Hinsichtlich des Aussageverweigerungsrechts der Ehefrau verhalten Sie sich nicht anders. Wenn Sie konsequent wären, dann müßten Sie jetzt auch das Aussageverweigerungsrecht der Ehefrau aus dem Gesetzbuch streichen. Das tun Sie aber aus gutem Grund nicht; denn mit dem Aussageverweigerungsrecht soll der Ehefrau die Privatsphäre gesichert werden. Das ist der Grund des Aussageverweigerungsrechts.
Mit der Widerspruchsklausel wollten wir nichts anderes, als dieses Aussageverweigerungsrecht gewissermaßen auszufalten und der Ehefrau die Möglichkeit zu geben, es erst gar nicht zum Ermittlungsverfahren - wir wissen, es kann mit sehr vielen Zwängen und auch Demütigungen verbunden sein; das ist die Regel - kommen zu lassen. Das war die Grundüberlegung. Ich sehe nach wie vor, daß diese Überlegung im Sinne der Frau richtig gewesen ist.

(Christa Nickels [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sehen die meisten Frauen anders!)


Michaela Geiger (CSU):
Rede ID: ID1317206000
Frau Abgeordnete Schewe-Gerigk, Sie haben die Möglichkeit zu einer Antwort.

Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1317206100
Mit der Versöhnungsklausel hat Herr Kollege Geis offensichtlich die SPD angesprochen.
In der Anhörung haben alle Sachverständigen gesagt: Eine Ehe, in der es zu einer Vergewaltigung kommt - es braucht mehrere Vergewaltigungen, bis eine Frau ihren Ehemann tatsächlich anzeigt -, ist nicht mehr zu retten. Sie ist kaputt. Das war die Begründung dafür, daß die SPD die Versöhnungsklausel hat fallen lassen.
Herr Geis, ich würde gerne etwas zum Aussageverweigerungsrecht sagen. Sie haben gesagt: „Dieses gibt es doch schon", und haben gefragt: Wollen Sie das abschaffen? - Das Aussageverweigerungsrecht ist kein Sonderrecht für Ehefrauen. Wir wehren uns dagegen, daß hier Sonderrechte für Ehefrauen oder Ehemänner eingeführt werden. Vom Aussageverweigerungsrecht kann jede verwandte Person, die betroffen ist, Gebrauch machen. Das wollen wir so lassen. Das ist ausreichend. Es ist doch eigentlich ein Argument dafür, die Widerspruchsklausel nicht noch zusätzlich einzuführen.
Danke.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Michaela Geiger (CSU):
Rede ID: ID1317206200
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, F.D.P.-Fraktion.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP):
Rede ID: ID1317206300
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es geht heute um ein wichtiges Thema. Wann ist das im Bundestag nicht der Fall? Aber es geht nicht um Kanzlersturz oder um Aufstand in den Fraktionen, sondern darum, nach einer über 20 Jahre währenden Debatte, die nach wie vor sehr stark emotionalisiert ist und in der es nach wie vor sehr unterschiedliche Positionen gibt, dieses Gesetzgebungsvorhaben zu einem guten Abschluß zu bringen, zu einem Abschluß, den letztendlich auch diejenigen mittragen

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
können, die aus Überzeugung eine andere Auffassung vertreten.
Im Bundestag ist es das gute Recht eines jeden Abgeordneten, seine Meinung zum bisherigen Verfahren, zur Historie und zu verschiedenen Abstimmungsergebnissen - ich denke auch an die Empfehlung des Vermittlungsausschusses vor nicht allzu langer Zeit - Revue passieren zu lassen und darzustellen, wie schwierig Meinungsbildungsprozesse sind. Es ist eigentlich nicht nur das gute Recht, sondern es ist die klassische Aufgabe eines Abgeordneten, das im Plenum darzulegen.
Ich verhehle nicht, daß ich froh bin, daß jetzt mit dem vorliegenden Gruppenantrag wirklich die Möglichkeit da ist, Vergewaltigung in der Ehe so unter Strafe zu stellen, daß es kein Sonderrecht, keine bisher im Strafrecht sich nicht wiederfindende Ausgestaltung gibt. Das wäre der Fall, wenn die Widerspruchsregelung in das Strafrecht aufgenommen würde.
Ich spreche hier nicht nur für mich, sondern auch für zwei weitere Kolleginnen der F.D.P.-Fraktion, für Frau Schwaetzer und Frau Frick. Ich kann hier aber ebenfalls für viele andere in der F.D.P.-Fraktion das Wort erheben, vor allen Dingen für diejenigen, die am Ende der Debatte sagen werden: Ja, wir stimmen diesem Gruppenantrag zu.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es war bei uns in der Fraktion nicht so, daß Druck ausgeübt wurde, daß wir nicht die Gelegenheit gehabt hätten, unsere Argumente sachlich, aber natürlich auch sehr kontrovers in die interne Diskussion einzubringen. Der F.D.P.-Fraktion war klar, daß dieser Gruppenantrag letztendlich nicht von ihr blokkiert wird. Ich freue mich über jede Stimme auch aus dem Regierungslager, die diesen Gruppenantrag mit unterstützt. Manchmal hätte ich mir gewünscht, diese Stimmen wären etwas früher gekommen; dann stünden wir heute hier nicht.

(Beifall bei der F.D.P., der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Ein Blick in die Historie sei mir erlaubt. Daß dieser Gruppenantrag in dieser Ausgestaltung des Straftatbestandes heute hier überhaupt beraten werden kann, ist ganz entscheidend Verdienst der F.D.P. Denn sie hat diesen Entwurf in den Punkten des Straftatbestandes - wie Ausdehnung auf den ehelichen Bereich, einheitlicher Straftatbestand, Ausdehnung auf andere erniedrigende Vergewaltigungsformen, auch das Ausnutzen einer hilflosen Lage zu sexuellen Handlungen - geschlechtsneutral formuliert und eingebracht. Das war Grundlage der Beratungen. Daran ändert dieser Gruppenantrag kein Wort. Die Kolleginnen und Kollegen der F.D.P.-Fraktion sind ja gerade für diesen Weg, Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe zu stellen.

(Beifall bei der F.D.P.)

Es geht um einen einzigen - natürlich um einen wichtigen - Punkt, nämlich die Widerspruchsregelung, die mit dem Gruppenantrag aus diesem Entwurf gestrichen werden soll. Es ist in der letzten Debatte über den Koalitionsentwurf viel über die Widerspruchsregelung gesagt worden. Für mich gibt es einige Gründe, gegen diese Widerspruchsregelung zu votieren und weshalb ich mich dafür eingesetzt habe, daß wir heute diese Debatte noch einmal und wirklich sachlich unter Akzeptieren der Meinung anderer führen können.
Es gibt im ganzen Strafgesetzbuch, auch nicht bei anderen Delikten, die in der Ehe begangen werden - Vermögensdelikte, Eigentumsdelikte -, keine Sonderregelung, die dem Opfer - was nicht nur die Frau sein muß, aber bei der Vergewaltigung ist es eben in den meisten Fällen die Frau - die Möglichkeit gibt, zu entscheiden, ob es letztendlich zu einer Strafverfolgung oder zu einer Weiterführung der Strafverfolgung kommt oder nicht.
Auch die Ausgestaltung der jetzigen Widerspruchsregelung, nämlich bei einem besonderen öffentlichen Interesse die Möglichkeit zu eröffnen, doch trotz Widerspruch das Verfahren weiterzuführen, ist meiner Meinung nach in sich widersprüchlich und auch eine Regelung, die so nicht in die Systematik unseres Strafrechts hineinpaßt. Denn ist nicht bei jedem Verbrechen - wir haben bei Vergewaltigung in der Ehe die Mindeststrafandrohung von zwei Jahren aufgenommen - immer ein besonderes öffentliches Interesse gegeben, weshalb es verfolgt wird? Muß nicht gerade der Staat seinem Anspruch auf Durchsetzung der Strafe nachkommen? Muß man deshalb nicht nach Wegen suchen, die ermöglichen, besondere Situationen im Einzelfall sehr wohl einzubringen? Dazu gibt es die Strafzumessung. Aber letztendlich dem Opfer die Möglichkeit, die Chance oder - so sage ich einmal - fast die Notsituation zu verschaffen, hier zu entscheiden, ob eine Strafverfolgung gegen den Ehepartner durchgeführt werden soll oder nicht, ist mit dieser Systematik unseres Strafrechts und mit dieser Pflicht des Staates zur Durchsetzung des Strafanspruches meiner Auffassung nach nicht in Einklang zu bringen.

(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P., der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ein zweiter Aspekt ist natürlich der, daß mit einer Widerspruchsregelung diese notwendige Reform eigentlich auf halbem Wege stehenbleiben würde; denn alle haben wir in den letzten Debatten immer gesagt - das war Einigkeit -, daß hier im Grundsatz nicht mehr zwischen der Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe und außerhalb der Ehe unterschieden werden soll. Aber mit dieser Widerspruchsregelung für eine Vergewaltigung in der Ehe würde natürlich auf halbem Weg stehengeblieben. Ich werbe dafür, jetzt doch diesen Weg möglichst zu Ende zu gehen.
Mir liegt sehr an einer Diskussion, die sachlich ist, die nicht von Vorwürfen des einen gegenüber dem anderen geprägt ist, wo man um die Empfindlichkeiten weiß, die es bei einem Thema einfach gibt, das sehr lange in unserer Gesellschaft tabuisiert worden ist. Es bedurfte langer Zeit, bis man in unserer Gesellschaft offen über die Tatsache geredet hat, daß

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
jede siebte Frau - so haben es Untersuchungen ergeben - im Alter zwischen 20 und 59 Jahren wenigstens einmal im Leben Opfer einer Vergewaltigung wird. Das hätten wir vor 15 Jahren hier so nicht sagen können. Von daher ist das Schneckentempo der Meinungsbildung natürlich nicht zu widerlegen, aber sie ist auf einem guten Weg.
Zum Schluß ein Wort dazu, weshalb auch ich mich für diesen Gruppenantrag eingesetzt habe. Ich denke, daß es ganz wichtig ist, in einem Punkt, der wesentlich, aber mit Sicherheit nicht entscheidend für die Koalition ist, zu seiner Auffassung zu stehen. Es gibt viele Kolleginnen und Kollegen in der F.D.P. - zwei haben den Gruppenantrag mit unterschrieben -, die das genauso bewerten und beurteilen. Ich bin froh, daß sich gerade auch der Vorsitzende der F.D.P.-Fraktion für die Freigabe der Abstimmung ausgesprochen hat, so daß es jetzt eben für viele aus einer anderen Fraktion leichter ist, sich zu diesem Gruppenantrag zu bekennen.
Recht herzlichen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Michaela Geiger (CSU):
Rede ID: ID1317206400
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Christina Schenk, PDS.

Christina Schenk (PDS):
Rede ID: ID1317206500
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vergewaltigung und sexuelle Nötigung sind die Verbrechen, von denen Frauen am meisten bedroht sind. Zwei Drittel dieser Verbrechen finden im sozialen Nahbereich statt, und die meisten der betroffenen Frauen fühlen sich im eigenen Haus nicht mehr sicher. Das muß sich ändern.
Ich begrüße es sehr, daß jetzt ein fraktionsübergreifender Gesetzentwurf zustande gekommen ist, der die außereheliche und die eheliche Vergewaltigung endlich gleichstellt. Nach einem sehr langwierigen Diskussionsprozeß in diesem Hohen Hause hat es nun den Anschein, als seien wir endlich vor einem Durchbruch. Zwar bleibt der Gesetzentwurf weit hinter dem zurück, was die PDS an dieser Stelle gefordert hat, dennoch würde seine Verabschiedung insgesamt eine deutliche Verbesserung im Vergleich zum geltenden Recht bedeuten. Zum Beispiel wurde die Definition des Tatbestandes der Vergewaltigung erweitert, und auch die Annahme des minder schweren Falles einer Vergewaltigung ist nicht mehr so einfach wie nach geltendem Recht.
Ich möchte hier nicht noch einmal auf die Einzelheiten eingehen, auch die in den früheren Debatten und in der jetzigen genannten Argumente gegen die Widerspruchsklausel möchte ich nicht wiederholen. Dazu, denke ich, ist in diesem Haus mittlerweile alles gesagt worden.
Ich will nicht verhehlen, daß ich die Entwicklung in der Debatte über die §§ 177 bis 179, insbesondere über das Problem der ehelichen Vergewaltigung, durchaus erstaunlich finde. Der Fortschritt allein in dieser Legislaturperiode ist ja enorm. Immerhin sind nach Versöhnungs-, Vollstreckungs- und Widerspruchsklausel jetzt sämtliche Sonderregelungen vom Tisch. Dabei sah es ja zeitweilig sogar nach einer massiven Verschlechterung aus, denn die Koalition hatte ja die Absicht, bei der Widerspruchsklausel noch schwere und einfache Körperverletzung einzubeziehen. Wenn eine Frau von dieser Widerspruchsklausel Gebrauch gemacht hätte - warum und aus welcher Situation heraus auch immer -, wäre eine Körperverletzung im Zusammenhang mit einer Vergewaltigung ohne strafrechtliche Folgen geblieben. Das hätte eine unerträgliche Verharmlosung von Gewalt gegen Frauen bedeutet.
Positiv ist auch - zumindest war es den Medien so zu entnehmen; das ist auch heute in der Diskussion deutlich geworden -, daß die Regierungskoalition die Abstimmung freigegeben hat und damit eine sachbezogene Entscheidung nicht länger blockiert ist. Es ist ja in diesem Hohen Hause nicht eben häufig zu erleben, daß Sachverstand über parteipolitische Profilierungsinteressen siegt.

(Beifall bei der PDS)

Meine Damen und Herren, nach meinem Eindruck hat insbesondere das Engagement der Gegnerinnen und Gegner der Widerspruchsklausel im außerparlamentarischen Bereich dazu entscheidend beigetragen.

(Beifall bei der PDS sowie der Abg. Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Die Briefe an alle Abgeordneten, aber wohl vor allem an die der CDU/CSU-Fraktion und der F.D.P.-Fraktion kommen aus einem Spektrum, das vom autonomen Frauenhaus bis zur katholischen Frauengruppe reichte. Immer wieder haben sich kompetente Frauen in die Diskussion eingemischt, was zunächst dazu führte, daß die SPD auf die Versöhnungsklausel verzichtet hat, die Grünen von der Vollstreckungsklausel Abstand genommen haben und nun offenbar die konservative Seite dieses Hauses nicht mehr geschlossen auf der Widerspruchsklausel besteht. Ich denke, das ist ein sehr schöner Erfolg der außerparlamentarischen Bewegung gegen jede Art von Sonderrecht für vergewaltigende Ehemänner.

(Beifall bei der PDS sowie der Abg. Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Eines - das will ich auch deutlich machen und mich dem anschließen, was in dieser Hinsicht schon gesagt worden ist - bleibt dringend veränderungsbedürftig, unabhängig davon, ob wir das jetzt auf die Reihe bekommen oder erst später. Das ist das geringere Strafmaß bei einem besonders schweren Fall sexualisierter Gewalt gegen widerstandsunfähige Personen. Es wäre sehr schön, wenn sich in der verbleibenden Zeit hier etwas bewegen würde.
Ich will noch zu einem anderen Punkt kommen. Ich will nicht darüber lamentieren, daß die PDS - wie immer - nicht gefragt wurde, als es um das Zustandekommen dieses Gruppenantrages ging. Aber festhalten möchte ich diesen Umstand schon; denn ob es Ihnen gefällt oder nicht, die Stimmen der PDS werden

Christina Schenk
notwendig sein für eine sichere Mehrheit. Das ist wieder ein Beispiel für den Umgang mit uns, dafür, daß Rote-Socken-Kampagnen einer sachbezogenen Arbeit im Interesse betroffener Menschen nicht dienen.
Abschließend, meine Damen und Herren, möchte ich Ihnen sagen, daß die Abgeordneten der PDS dem Gruppenantrag zustimmen werden.

(Beifall bei der PDS sowie der Abg. Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Michaela Geiger (CSU):
Rede ID: ID1317206600
Das Wort hat jetzt Bundesministerin Claudia Nolte.

Claudia Nolte (CDU):
Rede ID: ID1317206700
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir führen die Diskussion über die Strafbarkeit von Vergewaltigung in der Ehe nun schon sehr lange, zu lange. Aber eines hat diese Diskussion zumindest schon bewirkt: daß die Realität von Gewalt innerhalb der ehelichen Beziehungen kein Tabuthema mehr ist.
Nach einer Untersuchung im Auftrag meines Ministeriums - Frau Leutheusser-Schnarrenberger hat schon darauf verwiesen - gibt jede siebte Frau im Alter zwischen 20 und 59 Jahren an, schon einmal in ihrem Leben vergewaltigt worden oder einer sexuellen Nötigung ausgesetzt gewesen zu sein; davon drei Viertel im sozialen Nahbereich. Das heißt, daß sexuelle Gewalt für Frauen mit 14,5 Prozent davon Betroffenen eine größere Gefahr ist als jede andere Form von Gewaltdelikten, wie beispielsweise Körperverletzung mit Waffen, Wohnungseinbruch oder Raub.
Ich habe mich deshalb von Anfang an in diesem Hause, in meiner Fraktion und auch innerhalb der Bundesregierung dafür eingesetzt und habe dafür gekämpft, daß wir endlich zur Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe kommen. Die Ehe ist kein rechtsfreier Raum, die Frau ist kein Objekt des Mannes, und das muß klargestellt werden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Da war Überzeugungsarbeit zu leisten. Das ist wahr. Aber wir haben letztlich als Koalition einen Gesetzentwurf eingebracht, der diesen Mißstand endlich beseitigen sollte. Es spricht für sich, daß der Gruppenantrag, den wir heute diskutieren, diesen Gesetzentwurf in wesentlichen Teilen voll übernommen hat.
Ich habe es sehr bedauert, daß sich die inhaltliche Auseinandersetzung letztlich ausschließlich auf das Widerspruchsrecht für die Frau konzentriert hat und daß damit seit einem Jahr verhindert wurde, daß dieser Gesetzentwurf in Kraft treten konnte.

(Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Das hatte doch Gründe!)

Mit der sogenannten Widerspruchsklausel sollte sichergestellt werden - das ist auch oft genug begründet worden -, daß es nicht gegen den Willen der Frau, gegen ihre eigene Entscheidung zu einem Ermittlungsverfahren kommt. Für mich zumindest muß ich sagen, daß der Intimbereich einer Ehe halt nicht mit jedem anderen beliebigen Bereich vergleichbar ist.

(Beifall bei der CDU/CSU Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Gewalt ist keine Intimität!)

- Ich denke, das ist der Intimbereich in einer Ehe.
Sie wissen, daß unser Antrag vorgesehen hatte: Wenn der Verdacht bestände, daß die Frau nur auf Grund von Druck ihres Mannes den Widerspruch einlegt, wenn der Ehemann mit besonderer Brutalität vorgegangen ist oder schon als Gewalttäter bekannt war, dann hätte die Staatsanwaltschaft den Widerspruch ignorieren und weiter ermitteln müssen.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: So ist es!)

Es ist ausdrücklich vorgesehen worden, daß der Staatsanwalt Letztentscheidungsrecht hat.
Ohne Widerspruchsklausel hat die Frau die Möglichkeit - darauf ist verwiesen worden -, vom Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch zu machen. Auch hier könnte man schließlich befürchten, sie würde ausschließlich auf Druck des Mannes davon Gebrauch machen.
Ich hätte die Option des Widerspruchsrechts für die Frau gern gesehen; aber ich habe immer gesagt, daß ich kein Verständnis dafür habe, daß dieses Gesetz nur deshalb blockiert wird, weil wir uns in dieser Frage des Widerspruchsrechts nicht einig werden. Das gilt letztendlich aUch für mich. Ich habe es öffentlich schon betont und wiederhole es hier noch einmal: Ich werde diesem Gruppenantrag zustimmen, weil ich will, daß wir die zwanzigjährige Diskussion endlich befriedigend beenden und Vergewaltigung in der Ehe strafrechtlich sanktionieren.
Ich hätte das Gesetz am liebsten heute schon verabschiedet und auf die Beratungen in den Ausschüssen verzichtet, weil dieser Gesetzentwurf in seinen wesentlichen Teilen den parlamentarischen Prozeß schon durchlaufen hat. Aber Sie von der SPD wollten dies nicht. So kann ich nur an Sie appellieren: Lassen Sie uns zügig, lassen Sie uns schnell in den Beratungen vorankommen, damit dieser Gesetzentwurf beschlossen werden kann!
Wer als gewalttätiger Ehemann das Vertrauen, auf das eine Ehe aufbaut, zerstört, der verdient keinen Schutz, sondern muß bestraft werden. Denken Sie an die Frauen, die diesen Gewalttaten ausgeliefert sind, die ein unvorstellbares Schicksal haben. Machen wir deshalb die Vergewaltigung in der Ehe endlich zu einem eigenen Straftatbestand!

(Beifall bei der CDU/CSU)


Michaela Geiger (CSU):
Rede ID: ID1317206800
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Hanna Wolf, SPD-Fraktion.

Hanna Wolf (SPD):
Rede ID: ID1317206900
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Alle Tiere sind gleich, aber einige Tiere sind gleicher als andere.

Hanna Wolf (München)

In diesem Zitat aus George Orwells „Farm der Tiere" erkennen wir unschwer die Satire auf eine fehlgelaufene Demokratie. Ich möchte das Zitat auf unsere bisherige Gesetzeslage zur Vergewaltigung übertragen: Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich, aber verheiratete Männer sind gleicher als andere.
Die §§ 177 bis 179 des Strafgesetzbuches zur Vergewaltigung privilegieren tatsächlich verheiratete Männer; darauf wurde schon mehrfach hingewiesen. Die von der Regierungskoalition vorgesehene sogenannte Widerspruchsregelung hätte diese Privilegierung sogar noch ausgeweitet auf andere Körperverletzungen, die mit der Vergewaltigung in der Ehe im Zusammenhang stehen. Die gleichen Tatbestände werden jedoch außerhalb der Ehe ohne Einschränkung verfolgt.
Wenn der Trauschein über die Straffähigkeit einer Tat entscheidet, muß sich jeder gesunde Menschenverstand spontan sagen, daß da etwas nicht stimmt. Jeder juristische Verstand hätte sofort wissen müssen, daß ein solches Gesetz mit unserer demokratischen Verfassung nicht übereinstimmt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Die Gleichheit vor dem Strafgesetz ist in diesem einzigartigen Fall bis heute ausdrücklich aufgehoben.
Gegen die bisherige Fassung des Gesetzes kämpft die SPD in diesem Parlament seit 25 Jahren. Deswegen erlauben Sie mir einen kleinen historischen Rückblick.
1972 hat mein Kollege Hans de With im Rahmen der Reform des Sexualstrafrechts unseren ersten Antrag in den entsprechenden Sonderausschuß eingebracht. Er wurde abgelehnt. Obwohl die Frauenhäuser bereits genügend Erfahrungen öffentlich gemacht hatten, wurde unser zweiter Versuch 1983 ebenfalls abgelehnt.
Bei unserem dritten Versuch 1987 wurde zur Ablehnung ins Feld geführt, daß eine eheliche Vergewaltigung behauptet werden könnte, um eine Abtreibungsindikation zu erlangen. So zynisch wurde in diesem Parlament diskutiert, Herr Geis. Diese Stimmen kamen hauptsächlich aus der CSU. 1993 versuchten wir es zum vierten Male vergeblich.
In dieser Legislaturperiode sind wir nun bei unserem fünften und hoffentlich letzten Versuch. Die Mehrheit scheint sich nun endlich gedreht zu haben. Wie bei dem anderen großen sogenannten Frauenthema, dem § 218, wird die Abstimmung über einen Gruppenantrag endlich freigestellt.
Ich möchte hier ausdrücklich meiner Kollegin Ulla Schmidt dafür danken, daß sie nach unseren vielen Abstimmungsniederlagen noch einmal versucht hat, in Form des uns vorliegenden Gruppenantrages eine Lösung herbeizuführen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Die Brücken sind gebaut: Die SPD verzichtet auf ihren Entwurf und akzeptiert den Entwurf der Regierung als Grundlage, vorausgesetzt, die Widerspruchsregelung ist gestrichen. Ich appelliere nun an alle: Gehen Sie über diese Brücke, stimmen Sie diesem Gruppenantrag zu! Eine Vergewaltigung ist eine Vergewaltigung, ganz gleich, in welchem Verhältnis Täter und Opfer zueinander stehen. Nicht dieses Gesetz zerstört die Ehe, sondern der Täter.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Ich verweise auf die in Peking beschlossene Aktionsplattform. Danach verpflichten sich alle Unterzeichnerländer, daß sie - ich zitiere -
wirksamen Schutz vor Verbrechen garantieren, die gegen Frauen gerichtet sind oder sie unverhältnismäßig häufig betreffen, unabhängig von der Beziehung zwischen Täter und Opfer, und daß sie eine wirksame Strafverfolgung gewährleisten.
Ich verweise auch auf den schleswig-holsteinischen Landtag. Er hat sich einstimmig, also auch mit den Stimmen von CDU und F.D.P., gegen die Widerspruchsklausel ausgesprochen. Diese Widerspruchsklausel war auch der Grund für den Einspruch des Bundesrates.
Ich verweise ferner auf die vielen Briefe von Organisationen und Einzelpersonen, die wir erhalten haben, wie zum Beispiel vom Deutschen Juristinnenbund, dem Deutschen Frauenrat, den Landfrauenverbänden, der Landesarbeitsgemeinschaft der Autonomen Frauenhäuser Baden-Württemberg, den bundesweiten Frauennotrufstellen, dem Forum Menschenrechte der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen, allen Gewerkschaften, auch der Hausfrauengewerkschaft usw.
Stellvertretend möchte ich aus einem Brief zitieren, den Sie alle erhalten haben müssen und den ich Ihnen nochmals in Erinnerung rufen möchte. Es ist ein Brief des Katholischen Frauenbundes Regensburg. Ich zitiere:
Wir sprechen uns ausdrücklich gegen das geplante Widerspruchsrecht in dem Vergewaltigungsgesetz aus. Wir geben Ihnen zu bedenken, daß jede Frau, die sich nach einer ehelichen Vergewaltigung für die Anzeige entscheidet, sich der daraus resultierenden Konsequenzen bewußt ist und in dieser Lage die volle staatliche Unterstützung benötigt...
Es darf nicht angehen, daß gefährliche Mißhandlungen in der Ehe strafrechtlich nicht verfolgt werden können, nur weil das Opfer mit dem Täter verheiratet ist. Da meistens ein Abhängigkeitsverhältnis zum Täter besteht, kann die Frau eventuell zu einem Widerspruch genötigt werden. Von dem geplanten Gesetz erwarten wir uns vielmehr eine gewisse Abschreckung auf potentielle Täter.
Weiter darf ein Gesetz ein Opfer nicht auch noch
von außen erpreßbar machen. Wichtig sind dabei
die Kinder als Leidtragende, die in Familien, in

Hanna Wolf (München)

denen die Mütter sexuell von ihrem Mann mißhandelt werden, leben.
Soweit der Brief des Katholischen Frauenbundes Regensburg.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich glaube, er hat mit den letzten Anstoß gegeben, um jetzt auch in der Koalition das Nachdenken zu beschleunigen.
Eigentlich kann es also niemanden mehr geben, der sich all diesen Appellen verschließt. Einige starke Frauen hat es in der Regierungskoalition ja auch bisher schon gegeben, die ihrer Vernunft gefolgt sind und den Weg zum Gruppenantrag mit bereitet haben. Denen danke ich ausdrücklich.
Seit die Abstimmung freigegeben wurde, reibe ich mir allerdings ein wenig die Augen, wenn ich sehe, wer hier nicht alles zu spät kommen möchte. Aber sei es drum, Frau Nolte: Wir freuen uns über jede Stimme.
Frauen mögen ja in ihrem Langmut verzeihen, aber sicherlich nicht vergessen, welch langes, zähes und kräftezehrendes Ringen es regelmäßig bedeutet, wenn ein Mißstand abgestellt werden soll, der speziell Frauen betrifft.
Noch drei Wochen bis zur Abstimmung. Ich hoffe, wir schaffen eine überwältigende Mehrheit in diesem Parlament.
Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Michaela Geiger (CSU):
Rede ID: ID1317207000
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Horst Eylmann, CDU/CSU- Fraktion.

Horst Eylmann (CDU):
Rede ID: ID1317207100
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich gestehe Ihnen offen, daß mir nicht mehr viel Neues einfällt. Ich bin seit 12 oder 13 Jahren Berichterstatter für § 177. Ich habe mindestens ein Dutzend Reden in diesem Hause gehalten und unzählige Diskussionen und Gespräche geführt, in denen ich versucht habe, für die Gleichstellung dieser beiden Vergewaltigungsformen zu werben.
Es sind ja nicht nur diese 12 oder 13 Jahre. Frau Wolf, Sie haben auch nicht recht. Es ging ja nicht 1972 los. 1970 hat das Bundesland Hessen im Bundesrat einen Antrag gestellt, das Wörtchen „außerehelich" zu streichen. Das Bundesland Hessen wurde seinerzeit nur vom Freistaat Bayern unterstützt. Alle anderen Länder, auch die sozialdemokratisch regierten, standen dagegen.
Manchmal denke ich daran, man sollte eine Geschichte der Änderung des § 177 des Strafgesetzbuches schreiben.
Wenn ich einmal Zeit habe, möchte ich das tun. Es wird weithin eine Satire werden; es kann gar nicht anders sein. 27 Jahre Streit um einen Paragraphen im Strafgesetzbuch! Es geht ja gar nicht darum, daß man etwas strafbar macht, was vorher nicht strafbar war. Es geht nur darum, daß eine Vergewaltigung, die vom eigenen Ehemann begangen wird, als solche und nicht nur als Nötigung bestraft wird. 27 Jahre - die große Steuerreform ist ein Kinderspiel dagegen.

(Heiterkeit im ganzen Hause)

Warum hat das denn so lange gedauert? Gräbt man etwas tiefer, dann stößt man natürlich auf die meist unterschwellig gebliebene ungeheure Beharrungskraft männlicher Rollenvorstellungen, die sich in Jahrhunderten im kollektiven Bewußtsein der Männer festgesetzt haben.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die Männer können ja auch nichts dafür, daß sie jahrhundertelang in dieser Gesellschaft gelebt haben. Ich bitte Sie! Die standen natürlich einer vorurteilsfreien Betrachtung des Problems im Wege.

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Da hält sich das Mitleid in Grenzen!)

- Nun seien Sie nicht böse, Sie müssen auch einmal ein bißchen Ironie ertragen können.
Dann kam in den letzten Jahren noch - ich will Ihnen gerne gestehen, daß das natürlich auch eine Reaktion auf diese männliche Uneinsichtigkeit gewesen ist - der Streit um die Widerspruchsklausel hinzu.
Jetzt, meine Damen, räumen Sie einmal offen ein, wie es denn gewesen ist. Sie wissen, daß es von Anfang an in allen Fraktionen und in allen Kreisen Überlegungen gegeben hat, im Tatbestand der Vergewaltigung Vorkehrungen dagegen zu treffen, daß die Strafverfolgungsbehörden gegen den Willen einer vergewaltigten Ehefrau den Intimbereich der Ehe ausleuchten, und gewisse Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß die Ehefrau, wenn sie es will, die Ehe fortsetzen kann. Zunächst gab es eine Strafantragslösung. Dieser Weg war schlecht möglich, weil es sich um ein Verbrechen handelt und man die Verfolgung eines Verbrechens nicht von einem Strafantrag abhängig machen kann. Die Überlegung, von Strafe abzusehen, kam von Ihrer Fraktion; das dürfen Sie, Frau Schmidt, nicht vergessen. Dann gab es die Strafvollstreckungslösung, die vom Deutschen Juristinnenbund ausgearbeit worden ist, und die mehrfach modifizierte Widerspruchslösung. Schließlich wollte man überhaupt keine Sonderregelung mehr.
Ich räume offen ein, daß es natürlich Gründe pro und contra eine Widerspruchslösung gibt. Mit zwei Hauptargumenten, die Sie gebracht haben, habe ich mich nie anfreunden können. Die Erpressungslage ist völlig unabhängig davon. Es gilt nun einmal, Frau Schewe-Gerigk, immer noch die Strafprozeßord-

Horst Eylmann
nung. Eine vom Ehemann vergewaltigte Ehefrau hat ein Aussageverweigerungsrecht; eine Frau, die nicht mit dem Täter verheiratet ist, nicht. Das stimmt nun einmal. Sie können auch da sagen, das sei eine Ungleichbehandlung. Bleiben wir doch auf einer vernünftigen Argumentationsebene!
Ich konnte auch nie die Auffassung nachvollziehen, daß eine Ehefrau, der eine Möglichkeit des Einflusses auf den Fortgang des Strafverfahrens gegeben wird, diskriminiert werde und es eine Verhöhnung der Ehefrau darstelle. So geht es doch nicht. Ich hätte bessere Argumente gewußt. Was Frau Leutheusser-Schnarrenberger hier gesagt hat, hatte ja Gewicht. Sie müssen aber schon selber sehen, daß Sie die richtigen Argumente bringen.
Eines möchte ich Ihnen noch sagen: Tragen Sie nicht so dick auf, indem Sie sich bei den Abweichlern bedanken. Wir alle in diesem Haus wissen, daß jede Fraktion immer nur die Abweichler der anderen Fraktionen liebt.

(Hanna Wolf [München] [SPD]: Was heißt hier Abweichler?)

- Natürlich sind es Abweichler. Das ist doch kein ehrenrühriger Begriff. Ich weiß, wovon ich rede.
Für mich war das aber keine Gewissensfrage. Bitte nehmen Sie mir das ab. Ich war nämlich immer der Meinung - das vor dem Hintergrund einer 35jährigen praktischen Erfahrung als Anwalt -, daß diese Widerspruchslösung in der Praxis von völlig untergeordneter Bedeutung geblieben wäre. Und eine Frage, deren praktische Auswirkung nach meiner Einschätzung gegen Null tendiert, kann man nicht zu einer Gewissensfrage machen.
Nun stellt sich die Situation so dar, daß wir die Widerspruchslösung nicht durchsetzen können, weil wir dafür die Kanzlermehrheit brauchen, die wir in dieser Frage nicht haben.

(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist auch gut so!)

Völlig unabhängig davon habe ich immer die Meinung vertreten, daß man nicht wegen eines drittrangigen Absatzes in einem Paragraphen des Strafgesetzbuches, dessen praktische Auswirkungen äußerst gering sind, die Kanzlermehrheit mobilisieren sollte. Die Politik muß ein Gespür für Wichtiges und Unwichtiges behalten. Die Relation der eingesetzten politischen Mittel zum angestrebten Zweck muß außerdem einigermaßen stimmen.
Also: Die Widerspruchslösung ist tot. Sie ruhe in Frieden!

(Parl. Staatssekretärin Irmgard Karwatzki: Amen!)

Es gibt einen Entwurf ohne Widerspruchslösung. Dieser Entwurf wird Gesetz werden. Ich werde dafür stimmen. Das fällt mir relativ leicht, weil ich die Bedeutung der Widerspruchslösung für außerordentlich
gering einschätze. Daraus kann man natürlich auch schlußfolgern, daß man sie auch weglassen kann.

(Beifall der Abg. Hanna Wolf [München] [SPD])

Ich sage allen, deren Herz ein wenig mehr an dieser Widerspruchslösung gehangen hat: Wir müssen dieses nun schon fast drei Jahrzehnte andauernde Spiel beenden. Wir müssen zu einer Lösung kommen. Wenn sie von einer breiten Mehrheit getragen wird, freue ich mich sehr darüber.

(Peter Dreßen [SPD]: Die hätten Sie schon früher haben können!)

- Das weiß ich nicht. Das müssen Sie auch nicht ausgerechnet mir sagen, denn man weiß auch in Ihrer Fraktion, wie sehr ich mich schon vor längerer Zeit für eine Lösung eingesetzt habe.
Da Sie das nun schon anschneiden, lassen Sie mich folgendes sagen: Ich bedaure sehr, daß wir heute nicht zu einer Lösung kommen, was mit Zweidrittelmehrheit möglich gewesen wäre.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir hätten heute mit einer ganz breiten Mehrheit dieses Gesetz verabschieden können, wenn Sie es gewollt hätten. Aber nun wollen wir auch einmal ehrlich sein: Sie wollen den Sieg auskosten und wollen die Sache ein weiteres Mal ins Plenum bringen.

(Widerspruch bei der SPD)

- Natürlich, es gibt doch keinen anderen vernünftigen Grund.
Wir werden die Beratungen über dieses Gesetz im Rechtsausschuß in fünf Minuten erledigen, und dann kommen wir wieder hier her und stimmen darüber ab. Warum nicht heute?

(Zuruf der Abg. Ingrid Matthäus-Maier [SPD])

Wenn es überhaupt eine Fallgestaltung gibt, für die sich die Regelung der Geschäftsordnung eignet, dann doch diese.
Ihre Rechtspolitiker im Rechtsausschuß wären auch dieser Meinung gewesen, nicht aber die Geschäftsführung; die weiß nichts vom Charme eines Blitzsieges, sie liebt mehr den Grabenkampf,

(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

wo die politischen Fortschritte auf Millimeterpapier bemessen werden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, zum Schluß noch ein Wort.

Michaela Geiger (CSU):
Rede ID: ID1317207200
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Niehuis?

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das ist unter Ihrem Niveau heute! Joachim Hörster [CDU/CSU]: Ach?)





Horst Eylmann (CDU):
Rede ID: ID1317207300
Ja, gern. Gern. Vizepräsidentin Michaela Geiger: Bitte schön.

Dr. Edith Niehuis (SPD):
Rede ID: ID1317207400
Herr Kollege Eylmann, Sie haben die Frage des Zeitpunktes der zweiten und dritten Lesung angesprochen.
Ist Ihnen denn entgangen, daß die Kollegin Frau Schewe-Gerigk und auch Kollegin Schmidt noch einmal auf den § 179 und darauf aufmerksam gemacht haben, daß die Veränderung der Formulierung zum Gewaltbegriff in § 177 eventuell Konsequenzen für § 179 haben sollte? Meinen Sie nicht, daß es sich doch lohnt, im Ausschuß noch einmal zumindest über diesen Punkt ernsthaft nachzudenken?

Horst Eylmann (CDU):
Rede ID: ID1317207500
Wir haben, Frau Kollegin, bereits im Anschluß an die Anhörung diese Problematik erörtert. Auch das Justizministerium war der Meinung, daß der § 179 als Auffangtatbestand bestehen bleiben sollte, wobei in den Ausführungen von Frau Schewe-Gerigk völlig unberücksichtigt geblieben ist, daß durch die Neufassung des § 177 der § 179 weitgehend leerläuft, denn es heißt jetzt im § 177, daß auch eine Vergewaltigung unter Ausnutzen einer Lage, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist, als Vergewaltigung bestraft wird, und damit fallen insbesondere alle schwerwiegenden Fälle nach § 179 auch unter die Regelung des § 177.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Es ist immer sehr publikumswirksam zu sagen, das sei eine Diskriminierung der Behinderten. Das ist es wirklich überhaupt nicht. Auch hier plädiere ich für eine vernunftgemäße Argumentation auf dem Boden der herkömmlichen Kriterien des Strafgesetzbuches.

(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Kennen Sie das Gutachten von Herrn Hemken eigentlich?)

- Natürlich, ich habe alles von diesem Verfasser gelesen. Das ist ernst zu nehmen, aber es gibt doch auch Gegenstimmen. Sie dürfen nicht immer nur das zur Kenntnis nehmen, was Ihnen gefällt.
Ein Schlußwort: Vergewaltigungen in der Ehe sind nun sicherlich nicht die Regel, aber sie sind auch keine Seltenheit; das ist schon gesagt worden. Die meisten Vergewaltigungen ereignen sich im sozialen Nahraum.
Wir wollen natürlich eine Änderung des Bewußtseins der Ehemänner erreichen. Wir werden das allein durch dieses Gesetz nicht schaffen. Es wird wegen der Beweislage wenig Verurteilungen und wenig Strafverfahren geben, aber ich hoffe, daß es einige geben wird, und ich hoffe auch, daß dann die Gerichte keine unangemessene Milde walten lassen.
Ein Straftatbestand wirkt, solange er nur im Gesetzbuch steht, wenig. Es müssen auch Verurteilungen erfolgen, das Gesetz muß angewandt werden,
und ich hoffe, daß dies dann seine Wirkung nicht verfehlen wird.
Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Michaela Geiger (CSU):
Rede ID: ID1317207600
Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 13/7324 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe auf Tagesordnungspunkte 14 a bis 14 d, 14 f bis 14 k sowie Zusatzpunkte 3 a und 3 b:
14. Überweisungen im vereinfachten Verfahren
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 15. März 1996 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Kasachstan über den Luftverkehr
- Drucksache 13/7323 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Verkehr (federführend) Finanzausschuß
b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung
- Drucksache 13/7383 -
Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuß
c) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundeserziehungsgeldgesetzes
- Drucksache 13/7384 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend (federführend) Rechtsausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Haushaltsausschuß

(3. Statistikbereinigungsgesetz -3. StatBerG)

- Drucksache 13/7392 -
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuß (federführend)

Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Gesundheit
Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung,
Technologie und Technikfolgenabschätzung



Vizepräsidentin Michaela Geiger
f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Steffi Lemke, Ulrike Höfken, Werner Schulz (Berlin), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Verfassungsrechtliche Problematik der Altschulden landwirtschaftlicher Betriebe in den neuen Bundesländern
- Drucksache 13/4011-
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (federführend)

Rechtsausschuß
Haushaltsausschuß
g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Gerald Thalheim, Anke Fuchs (Köln), Rolf Schwanitz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Zusammenhang mit den Altschulden der Landwirtschaft in den neuen Ländern und dem dazu ergangenen Prüfauftrag des Bundesverfassungsgerichts an die Bundesregierung
- Drucksache 13/7442 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (federführend)

Rechtsausschuß
Haushaltsausschuß
h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Jürgen Rochlitz, Gila Altmann (Aurich), Franziska Eichstädt-Bohlig, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN
20 Jahre nach Seveso; 10 Jahre nach Sandoz - mehr Sicherheit bei Chemikalien
- Drucksache 13/5202 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (federführend)

Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung,
Technologie und Technikfolgenabschätzung
i) Beratung des Antrags des Bundesministeriums der Finanzen
Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung in die Veräußerung bundeseigener Grundstücke in Köln, Raderberggürtel (Funkhaus der ehemaligen Rundfunkanstalt „Deutschlandfunk")

- Drucksache 13/7349 -
Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuß
j) Beratung des Antrags des Bundesministeriums der Finanzen
Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung in die Veräußerung einer Teilfläche der ehemaligen US-von Steuben-Wohnsiedlung in Frankfurt am Main
- Drucksache 13/7356 -
Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuß
k) Beratung des Antrags des Bundesministeriums der Finanzen
Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 Bundeshaushaltsordnung in die Veräußerung bundeseigener Liegenschaften im Wert über 30 Mio. DM;
Strausberg, Am Herrensee 13-20, 24-28, 34-48,
Am Marienberg 17-28, 57-62, Am Annatal 21-28, 34-48
- Drucksache 13/7358 -
Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuß
ZP3 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren

(Ergänzung zu TOP 14)

a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Deutsche Bundesbank (6. BBankGÄndG)

- Drucksache 13/7493 -
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuß (federführend)

Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuß
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Monika Ganseforth, Elke Ferner, Wolfgang Behrendt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Verbesserung des Schutzes vor Fluglärm
-Drucksache 13/7498 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Verkehr (federführend)

Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Gesundheit
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus
Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen.
Der Gesetzentwurf des Bundesrates zur Änderung des Bundeserziehungsgeldgesetzes auf Drucksache 13/7384 soll dem Haushaltsausschuß zur Mitberatung und nicht gemäß § 96 der Geschäftsordnung überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 15 a bis 15 k und 10 sowie Zusatzpunkt 4 auf. Es handelt sich um die Beschlußfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprachen vorgesehen sind.

Vizepräsidentin Michaela Geiger
Tagesordnungspunkt 15 a:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 23. Januar 1996 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland, der Regierung der Französischen Republik, der Regierung des Großherzogtums Luxemburg und dem Schweizerischen Bundesrat, handelnd im Namen der Kantone Solothurn, BaselStadt, Basel-Landschaft, Aargau und Jura, über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen den Gebietskörperschaften und örtlichen öffentlichen Stellen
- Drucksache 13/6202 - (Erste Beratung 145. Sitzung)

Beschlußempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuß)

- Drucksache 13/7308 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Karl-Heinz Hornhues
Der Auswärtige Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/7308, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen von CDU/CSU, F.D.P., SPD und Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der PDS angenommen.
Tagesordnungspunkt 15b:
Zweite und Dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung des Nachweises der Eigentümerstellung und der Kontrolle von Luftfahrtunternehmen für die Aufrechterhaltung der Luftverkehrsbetriebsgenehmigung und der Luftverkehrsrechte (Luftverkehrsnachweissicherungsgesetz - LuftNaSiG)

- Drucksachen 13/6820, 13/7246 - (Erste Beratung 154. und 166. Sitzung)

Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr (15. Ausschuß)

- Drucksache 13/7462 -
Berichterstattung: Abgeordneter Lothar Ibrügger
Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Sicherung des Nachweises der Eigentümerstellung und der Kontrolle von Luftfahrtunternehmen, Drucksachen 13/ 7246 und 13/7462 Buchstabe a. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.
Dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist der Gesetzentwurf einstimmig angenommen.
Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr zu dem von den Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. eingebrachten Entwurf eines Luftverkehrsnachweissicherungsgesetzes, Drucksache 13/7462 Buchstabe b. Der Ausschuß empfiehlt, den Gesetzentwurf auf Drucksache 13/6820, der dem soeben verabschiedeten Gesetzentwurf der Bundesregierung entspricht, für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist damit einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 15 c:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses (4. Ausschuß) zu dem Antrag der Abgeordneten Cem Özdemir, Kerstin Müller (Köln), Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Keine Stimmungsmache gegen Aussiedler zulassen
- Drucksachen 13/3892, 13/7239 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Hartmut Koschyk Jochen Welt
Cem Özdemir
Dr. Max Stadler
Ulla Jelpke
Der Aussschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/3892 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist die Beschlußempfehlung einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 15 d:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses (7. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament - aufgrund von Artikel 8 Abs. 6 der Richtlinie 92/81/EWG des Rates - über die Lage bei den Steuerbefreiungen und Steuersatzermäßigungen aus besonderen politischen Erwägungen nach Artikel 8 Abs. 4 der Richtlinie 92/81 sowie über die obligatorische Steuerbefreiung für Mineralöle, die als Kraftstoff für die Luftfahrt mit Ausnahme der privaten nichtgewerblichen Luftfahrt verwendet werden, und über die fakultativen Befreiungen und Ermäßigungen für Mineralöle, die für die Schiffahrt auf Binnenwasserstraßen mit Ausnahme der privaten nichtgewerblichen Schiffahrt verwendet werden, nach Artikel 8 Abs. 1 Buchstabe b und Abs. 2 Buchstabe b derselben Richtlinie
Vorschlag für eine Entscheidung des Rates zur Ermächtigung bestimmter Mitgliedstaaten, ermäßigte Verbrauchsteuersätze oder Verbrauchsteuerbefreiungen für Mineralöle mit bestimmten Verwendungszwecken beizu-

Vizepräsidentin Michaela Geiger
behalten, gemäß dem Verfahren nach Artikel 8 Abs. 4 der Richtlinie 92/81/EWG
- Drucksachen 13/6766 Nr. 2.14; 13/7319 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Friedrich Merz Christine Scheel
Reinhard Schulz (Everswinkel)

Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU, F.D.P., SPD und Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der PDS angenommen.
Tagesordnungspunkt 15 e:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses (6. Ausschuß)

zu der dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsache vor dem Bundesverfassungsgericht 2 BvE 1/97
- Drucksache 13/7443 -
Berichterstattung: Abgeordneter Horst Eylmann
Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist die Beschlußempfehlung mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie vorher angenommen.
Tagesordnungspunkt 15 f:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft (9. Ausschuß) zu der Verordnung der Bundesregierung
Aufhebbare Einhundertdreiunddreißigste Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste
- Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz -- Drucksachen 13/6699, 13/6760 Nr. 2, 13/7298 -
Berichterstattung: Abgeordneter Siegmar Mosdorf
Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen von CDU/CSU, F.D.P., SPD und PDS bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 15 g auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung:
Haushaltsführung 1997;
Außerplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 10 04 (apl.) Titel 681 02 - Erstattung von Kosten für tierseuchenbedingte Beihilfeaktionen - bis zur Höhe von 74 675 000 DM
- Drucksachen 13/6944, 13/7105 Nr. 1, 13/ 7300 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Carl-Detlev Frhr. von Hammerstein Jürgen Koppelin
Ilse Janz
Kristin Heyne
Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist die Beschlußempfehlung mit demselben Stimmenverhältnis wie vorher angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 15 h auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuß)

Sammelübersicht 197 zu Petitionen
- Drucksache 13/7435 -
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist die Sammelübersicht 197 mit den Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und SPD bei Enthaltung der Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 15i auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuß)

Sammelübersicht 198 zu Petitionen
- Drucksache 13/7436 -
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist die Sammelübersicht 198 mit demselben Stimmenverhältnis angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 15j auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuß)

Sammelübersicht 199 zu Petitionen - Drucksache 13/7437 -
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist die Sammelübersicht 199 mit demselben Stimmenverhältnis angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 15 k auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuß)

Sammelübersicht 200 zu Petitionen
- Drucksache 13/7438 -
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist die Sammelübersicht 200 mit den Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der PDS angenommen.
Ich rufe Zusatzpunkt 4 auf:
Weitere abschließende Beratung ohne Aussprache

(Ergänzung zu TOP 15)

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Amateurfunk (Amateurfunkgesetz - AFuG 1997)

- Drucksache 13/6439 - (Erste Beratung 154. Sitzung)


Vizepräsidentin Michaela Geiger
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Post und Telekommunikation (17. Ausschuß)

- Drucksache 13/7448 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Hermann Pohler Gerhard Rübenkönig
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU, F.D.P., SPD und Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Stimmen der PDS angenommen.
Dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist der Gesetzentwurf mit dem gleichen Mehrheitsverhältnis angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 10 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Mitteilungen der Justiz von Amts wegen in Zivil- und Strafsachen

(Justizmitteilungsgesetz - JuMiG) - Drucksache 13/4709 -


(Erste Beratung 110. Sitzung)

Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuß)

- Drucksache 13/7489 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Horst Eylmann Alfred Hartenbach
Jörg van Essen
Gerald Häfner
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist der Gesetzentwurf damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen.
Dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist der Gesetzentwurf mit demselben Mehrheitsverhältnis angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/7513. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist der Entschließungsantrag mit den Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS abgelehnt.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 5 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (18. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Handlungsrahmen der Bundesregierung für eine Initiative zum kosten- und flächensparenden Bauen
- Drucksachen 13/2247, 13/7465 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Volkmar Schultz (Köln) Margarete Späte
Dazu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Abgeordnete Margarete Späte, CDU/CSU-Fraktion.

Margarete Späte (CDU):
Rede ID: ID1317207700
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren!
Das Geheimnis auch der großen und umwälzenden Aktionen besteht darin, den kleinen Schritt herauszufinden, der zugleich auch ein strategischer Schritt ist, indem er weitere Schritte einer besseren Wirklichkeit nach sich zieht.
Das ist ein Zitat von Gustav Heinemann.
Mit Blick auf die Aktivitäten der Bundesregierung zum kosten- und flächensparenden Bauen ist dem ganz offensichtlich so. Die Bundesregierung hat diesen besonderen Schritt mit dem Kostensenkungsbericht und der Vorlage des Handlungsrahmens getan. Die seitdem in Gang gesetzten Entwicklungen und erreichten Teilerfolge können sich sehen lassen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Nun gilt es, diese Entwicklung zu befördern, den Schritt zu tun, der weitergehende, noch ausstehende und notwendige Veränderungen zugunsten der Durchsetzung des kosten- und flächensparenden Bauens ähnlich strategisch provoziert. Mit der vorliegenden Entschließung können wir diesen nächsten Schritt um so fester und konsequenter tun, je mehr von Ihnen ihm zustimmen.
Es war mir als Berichterstatterin ein besonderes Anliegen, die Bemühungen der Bundesregierung, kosten- und flächensparendes Bauen in Deutschland voranzutreiben, nicht nur zur Kenntnis zu nehmen, sondern zu dokumentieren, zu begleiten, weitere Anregungen zu geben und Forderungen zu formulieren.
Es ist an der Zeit, den Handlungsrahmen zu einem klaren Handlungskatalog aufzustocken, der eine konzertierte Aktion und Verantwortung auf allen Ebenen einfordert und die Bemühungen der Bundesregierung untermauert und stärkt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Margarete Späte
Wir waren uns alle einig darin, daß der Handlungsrahmen der Bundesregierung als dynamischer Prozeß gesehen und behandelt wird und daß sich der Bauausschuß der Thematik als Legislaturthema widmet. Dies haben wir bislang getan und werden es weiter tun.
Daß wir den Entschließungsantrag gerade jetzt vorlegen, hat besondere Gründe. Zum einen ist es an der Zeit, Bilanz zu ziehen; zum anderen stehen wir vor drängenden aktuellen Erfordernissen, die ausdrücklicher als bislang Eingang in unsere Kostensenkungsinitiative finden müssen. Es geht um die Bewältigung der konjunkturellen und strukturellen Probleme in der Bauwirtschaft sowie um die Sicherung und die Schaffung von Arbeitsplätzen, nicht nur auf dem Bau, sondern auch im baunahen Dienstleistungsbereich.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Unser Hauptaugenmerk bei der Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen gilt vor allem der Senkung der Lohnnebenkosten. Im Baubereich bieten sich jedoch - befördert durch die Kostensenkungsinitiative - zusätzliche Möglichkeiten, die wir konsequent ausschöpfen müssen, ganz gezielt und besser heute als morgen.
Wenn wir es schaffen, die Baukosten für ein Eigenheim tatsächlich so weit zu senken, daß sich alle, die bislang nur im Traum Häuslebauer waren, diesen erfüllen können, wenn wir es schaffen, durch günstige Neubauten und insbesondere kostengünstige Sanierungen eine zum Verbraucher durchschlagende Kostensenkung gerade auch auf dem Mietwohnungsmarkt zu bewirken, dann haben und befördern wir eine Basis, mehr Beschäftigte am und durch den Bau in Lohn und Brot zu bringen.
Und nicht nur das: Ein erweiterter Markt unterschiedlicher Standards provoziert ein Mehr an Möglichkeiten, auch an Arbeitsmöglichkeiten und damit an Arbeitsplätzen. Daß diese Arbeitsplätze in Deutschland geschaffen werden und bleiben, dafür müssen wir uns einsetzen. Das ist nicht nur Aufgabe der Finanz-, Wirtschafts- und Sozialpolitiker; sondern auch wir Baupolitiker werden das unsere dazu beitragen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Festzustellen ist, daß die Bundesregierung im Rahmen ihrer Baukostensenkungsinitiative Erhebliches erreicht hat und bereits mit einer großen Zahl meßbarer Teilerfolge aufwarten kann. Diese haben wir im Entschließungsantrag ausdrücklich benannt.
Es hat sich in den letzten Jahren ein Bewußtseinswandel vollzogen, der in Anbetracht der vergleichsweise kurzen Zeit erfreulich und sensationell ist. Noch vor zwei, drei Jahren wurden bestimmte Themen nur hinter vorgehaltener Hand diskutiert. Heiße Eisen waren insbesondere ein Rütteln an der Vergabepraxis, an der HOAI und an der Handwerksordnung, ganz zu schweigen davon, daß auch nur irgend jemand in diesem Zusammenhang die Monopolstellung der Versorgungsbetriebe kritisch beim Namen genannt hätte.
Heute aber - und zum Glück - sind diese zugegeben schwierigen Themen auf der Tagesordnung, nicht zuletzt dank der Arbeit der Bundesregierung und von Minister Töpfer, der mit dem Koordinierungsausschuß „Baukostensenkung" die beteiligten Parteien an einen Tisch geholt hat.
Mit unserem Entschließungsantrag fordern wir ein, daß möglichst bald der Sache dienliche Vereinbarungen zugunsten von Kostensenkung und Arbeitsplätzen vorgelegt werden. Billiganbieter, die über Preisdruck und mit nur geringem Arbeitskräftepotential das Rennen machen, wollen wir so alle nicht. Das muß jetzt definitiver Bestandteil der Baukostensenkungsinitiative des Bundestages werden. Oder wollen wir zusehen, wie, überspitzt ausgedrückt, Generalunternehmer mit Planungsbüros in Indien und Fertigungskräften aus Sibirien unsere heimische Bauwirtschaft im Preiskampf unterwerfen?
Ökologisches und kosten- und flächensparendes Bauen bietet dem Mittelstand und dem heimischen Handwerk eine neue große Chance. Doch es ist nicht zuletzt unsere Aufgabe, hier unterstützend tätig zu werden. Deshalb ist ein ganz wichtiger Bestandteil unseres Entschließungsantrags, das mittelständische Handwerk in die Lage zu versetzen, von unserer Initiative zu profitieren. Es geht um Hilfestellung bei der Entwicklung eines preisgünstigen Marktsegments und bei der Entwicklung eines breiteren Leistungsangebots aus einer Hand, mit allem, was dazugehört: Bildung von Anbieter- und Arbeitsgemeinschaften, Zusammenschlüsse entsprechend engagierter freier Architekten und Ingenieure, Vereinbarung von Bauteams, effizientere Baustellenlogistik, neuorientierte Ausbildungsziele oder auch die Informations- und Baudatenverarbeitung im Sinne effektiverer Kooperation.
Die Bundesregierung ist aufgefordert, entsprechende Weichenstellungen vorzunehmen. Ein adäquates Mittel, welches sowohl das ökologische als auch das kosten- und flächensparende Bauen in seiner Konsequenz und Effektivität befördern kann, ist der Gebäudepaß. Die Entwicklung eines Gebäudepasses, eine Art Kfz-Schein für Bauwerke, steckt noch in den Kinderschuhen. Deshalb fordern wir den Gebäudepaß im Entschließungsantrag ausdrücklich ein.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Er ist ein exzellentes Beispiel und exzellentes Bindeglied zwischen ökologischem und kosten- und flächensparendem Bauen.
Mit größer werdendem Markt unterschiedlicher Standards - und diesen Markt wollen wir - ergibt sich sowohl für Produzenten als auch für Verbraucher die Notwendigkeit, zwischen den unterschiedlichen Angeboten vergleichen zu können.
Der Gebäudepaß als Weiterentwicklung des Wärmebedarfsausweises mit Material-, Bau- und Verbrauchsdaten in leicht verständlicher Form könnte hier Hilfestellung leisten. Er würde der Verbesserung der Markttransparenz und der Verminderung von Streitfällen dienen. Er würde dazu beitragen, das leider noch immer bestehende Vorurteil abzubauen,

Margarete Späte
ökologisches und kosten- und flächensparendes Bauen wären nicht zu vereinbaren. Auf diese Weise könnte unserer Initiative ebenfalls zum Durchbruch verholfen werden.
Mit unserem Entschließungsantrag mahnen wir ausdrücklich die derzeit drängendsten Möglichkeiten und Lösungswege an und erwarten, daß gleichgerichtete Anstöße von Bund, Ländern und Gemeinden kommen, was durch eine Beschlußfassung im Plenum des Deutschen Bundestages an Gewicht und an entsprechender Nachprüfbarkeit und Kontrollmöglichkeit gewinnt.
Unserem Ziel, daß mehr Bürgerinnen und Bürger unseres Landes, auch die mit nicht so hohem Einkommen und Eigenkapital, insbesondere junge Familien mit Kindern, etwas für ihre private Vermögensbildung tun und sich die eigenen vier Wände tatsächlich leisten können, sind wir bereits ein großes Stück näher gekommen.

(Geit Willner [CDU/CSU]: Das ist richtig!)

Damit haben wir Verantwortung übernommen. Deshalb werden wir unser Ziel konsequent weiter verfolgen und, wo nötig, auch verteidigen.
Ausdruck dessen ist der vorliegende Entschließungsantrag, der Auftakt sein soll, den Prozeß der weitergehenden Entwicklung im ökologischen und kosten- und flächensparenden Bauen im Plenum des Deutschen Bundestages konsequent zu begleiten und aktuellen politischen Erfordernissen anzupassen.
Auf Grund seiner interdisziplinären Natur ist dieser Themenbereich Schlüssel für notwendige Veränderungen im Baubereich. Wir müssen uns diesen Veränderungen stellen und Veränderungen wollen. Damit werden wir nicht überall auf Gegenliebe stoßen. Vielleicht aber ist gerade das ein Grund, zielstrebig Neuerungen anzukurbeln und einzufordern, was wir hier und heute tun.
Wer nichts verändern will, wird auch das verlieren, was er bewahren möchte. Lassen Sie uns gemeinsam verändern, um zu bewahren und neu zu schaffen, durch gemeinsame Anstrengungen für eine Kostensenkungsinitiative bei Bau-, Boden- und Erschließungskosten, die sich im Neubau und im Bestand niederschlagen und beim Bürger tatsächlich in Mark und Pfennig ankommen! Stimmen Sie unserem Entschließungsantrag zu!
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Michaela Geiger (CSU):
Rede ID: ID1317207800
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Volkmar Schultz, SPD-Fraktion.

Volkmar Schultz (SPD):
Rede ID: ID1317207900
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ein Blick in den Immobilienteil der Tageszeitungen am vergangenen Wochenende hat mir noch einmal eines deutlich gemacht: Das kosten- und flächensparende Bauen in Deutschland ist längst noch keine Selbstverständlichkeit geworden. Das Traumhaus-Geklingel geht unvermindert weiter und weckt Erwartungen, die nicht erfüllt werden können. 95 Prozent aller Angebote für Einfamilienhäuser liegen erheblich über dem Maß, das von den Experten der Banken und Bausparkassen als Anreiz für Familien mit mittlerem Einkommen für den Erwerb von Wohnungseigentum angesehen wird.
Von den durchgreifenden Veränderungen, die uns die Bundesregierung in ihrem Handlungsrahmen vollmundig angekündigt hat, von Produktinnovationen, von Prozeßinnovationen, vom Abbau bürokratischer Hemmnisse und Bestimmungen ist bisher wenig umgesetzt und in die Praxis eingeflossen.
Ein bezeichnendes Beispiel für die Situation: Im sogenannten Branchendialog, den die Regierung - hochrangig - kürzlich mit den .Verbänden der Bauwirtschaft geführt hat, ist zumindest in den entsprechenden Veröffentlichungen von kosten- und ressourcensparendem Bauen mit keinem Wort die Rede.
Das Ergebnis ist schon deprimierend: Wer im Jahre 1996 in einem kleinen Dorf im Rhein-Sieg-Kreis auf eigenem erschlossenem Grundstück ein Einfamilienhaus von 96 Quadratmetern plus Garage errichten ließ, hatte Baunebenkosten von 58 000 DM zu bewältigen. Die setzten sich wie folgt zusammen: Architektenhonorare: 30538 DM; Gebühren für Grobabstekkung, Feinabsteckung und spätere Katastereinmessung des Gebäudes: 3 028 DM; Statik: 6 800 DM; Gasanschluß: 2 339 DM; Wasseranschluß: 2 109 DM; Kanalanschluß: 7 205 DM; Elektroanschluß: 3 873 DM.
Die kommunalen Gebühren waren mit 1 191 DM recht bescheiden. Dafür stellt dann die Bauberufsgenossenschaft für unentgeltlich geleistete Arbeitsstunden von Familienangehörigen 788 DM in Rechnung. Es lebe die Reichsversicherungsordnung!

(Beifall bei der SPD)

Summa summarum: 57 835 DM.
Mit Verlaub gesagt, Herr Töpfer, es klingt ein bißchen zynisch, wenn Sie in Ihrer Schrift „Bauen für Einsteiger - Eigenes Haus für weniger Geld" als besonders klugen Tip für Häuslebauer folgendes bereithalten: Versuchen Sie unbedingt, die Anbieter von Telefon-, Gas-, Wasser- und Elektrizitätsanschlüssen zur Abstimmung ihrer Arbeiten zu bewegen. - Herr Minister, daran haben sich schon Generationen von Kommunalpolitikern die Zähne ausgebissen.
Frau Kollegin Späte, Sie brauchen mit Ihrem Hinweis auf die Konkurrenzsituation nicht bis Sibirien zu schauen. Wer im selben Jahr, 1996, in einem ähnlich kleinen Dorf in Frankreich auf einem erschlossenen Grundstück ein ähnlich kleines Häuschen bauen ließ, der mußte nicht 58 000 DM Nebenkosten kalkulieren, sondern ganze 8 000 DM. Darin war - das will ich zugeben - freilich kein Gasanschluß enthalten, sondern nur Strom, Wasser und Abwasser, sämtliche kommunalen Gebühren und eine, wenn auch kleine, Umweltsteuer für Flächenverbrauch.

Volkmar Schultz (Köln)

Der Bauunternehmer bietet ein Haus samt Planung, Statik und Einmessung mit zehnjähriger Gewährleistungsfrist. Bei uns sind das in der Regel nur zwei Jahre. „Honi soit qui mal y pense" - ein Schelm, der Böses dabei denkt!
Herr Minister Töpfer, was ist nach zweieinhalb Jahren eigentlich aus Ihren Ankündigungen geworden, eine wirklich kostendämpfende, kostensparende HOAI zu schaffen, mit den Versorgungsunternehmen zu kostensenkenden Maßnahmen zu kommen, zu neuen Handwerks-, Standes- und Gebührenordnungen zu kommen und alte Zöpfe abzuschneiden? Nein, ich sage Ihnen: Das Interessenkartell gegenüber dem Häuslebauer funktioniert munter weiter.

(Achim Großmann [SPD]: Leider wahr!)

Den Glanz einzelner Lichtblicke, die es in diesem trüben Bild hin und wieder auch gibt, genießt der Bundesbauminister sichtlich. In den nächsten Tagen weiht er ganz persönlich eine kostengünstig erstellte Wohnsiedlung in Sachsen ein. Wir alle - bundesweit - sind dazu eingeladen. Den Bürgermeister wird es freuen. Ihm sei es auch gegönnt. Das pfiffige Unternehmen sei an dieser Stelle auch ausdrücklich gelobt. Aber aus diesem Vorgang wird doch eines wieder deutlich: Kostengünstiges Bauen ist noch immer eine Ausnahme. Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer.
Meine Damen und Herren, jedermann weiß, wie wichtig die Grundstückskosten sind. Eine jahrzehntelange Spekulation mit Bauland hat sie in Deutschland in extreme Höhen wachsen lassen. Die von der Regierung angekündigte verbilligte Abgabe von bundeseigenem Bauland erweist sich als Bluff. Es häufen sich sogar die Hinweise darauf, daß die Behörden geradezu als Preistreiber auftreten. Auch von dem ebenfalls angekündigten Bund-Länder-Baulanderschließungsprogramm ist recht wenig zu sehen.
Unsere Regierung aber ist nie um einen guten Tip verlegen. In der bereits erwähnten Broschüre wird empfohlen, von einem Grundstück von 600 Quadratmetern à 400 DM auf eines von 400 Quadratmetern à 400 DM auszuweichen, also statt 240 000 DM „nur" 160 000 DM für das Grundstück auszugeben. Man werde dadurch, so der Spartip, 80 000 DM einsparen. Wer hätte das gedacht!

(Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Das ist wahr!)

Herr Töpfer, kommen Sie sich nicht wirklich ein bißchen komisch vor mit solchen Spartips? Ich frage Sie: Wer schreibt eigentlich so etwas für wen?

(Achim Großmann [SPD]: Der schreibt sonst Büttenreden! Gegenruf des Abg. Dr. -Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Na, na!)

Wissen Sie nicht, daß kostensparendes immer auch flächensparendes und ressourcensparendes Bauen sein sollte? Wissen Sie nicht, daß die Menschen in den sogenannten Hochpreisgebieten - in der Bundesrepublik leben dort immerhin 30 Millionen Menschen - über Grundstücke von 150, 200 oder maximal 250 Quadratmetern für preisgünstige Reihenhäuser nachdenken und diese bereits für unerschwinglich
halten? Von der Grunderwerbsteuer und ihrer Erhöhung steht übrigens in Ihrer Broschüre nichts.
Auch an anderer Stelle finden wir nichts zum Planungswertausgleich, zur Grundsteuer C, zum kommunalen Satzungsrecht und zur städtebaulichen Maßnahme,

(Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Sehr richtig!)

die die Koalitionsparteien selber in das Baurecht eingeführt haben, von der Sie jetzt aber nichts mehr wissen wollen. Im Gegenteil: Kommunalpolitiker der CDU bezeichnen diese Entwicklungsmaßnahme als „sozialistische Enteignung" .
Nein, die Bundesregierung gibt bisher keine Antworten auf Kosten- und Ressourcenprobleme, auf die damit zusammenhängenden Innovations- und Technologiefragen und auf Fragen der Handwerksordnung, der Bauorganisation sowie des Bauablaufes. Das steht bei Ihnen in schönen Absichtserklärungen - auch in Ihrem jetzt vorliegenden Antrag, den ich doch eher als einen Jubelantrag, Frau Kollegin Späte, bezeichnen möchte. Das ist ja vielleicht alles gut gemeint; aber gut gemeint ist längst nicht gut genug.

(Beifall bei der SPD Hildebrecht Braun [Augsburg] [F.D.P.]: Wir jubeln ja auch über den Antrag!)

Es kann ja sein, daß das alles sehr schwer von der Regierung zu organisieren ist.

(Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Das ist wohl so!)

Aber dort, wo der Staat tatsächliche konkrete Einwirkungsmöglichkeiten hätte, wo nach Ihrer eigenen Auffassung Leitfunktionen für das Kostensparen bestehen, da treten Sie hart auf die Bremse, nämlich beim öffentlich geförderten Mietwohnungsbau. Da kürzen Sie gegen Null. Da wollen Sie mit sogenannten Reformen die direkte Förderung möglichst ganz aushebeln und den Ländern auch noch Vorschriften machen. Da wollen Sie auch die steuerliche Förderung so weit zurücknehmen, daß von allen Seiten dramatische Kostensteigerungen vorausgesagt werden.
Statt im steuerlich geförderten Wohnungsbau in eigener Verantwortung und im Sozialwohnungsbau gemeinsam mit den Ländern eine behutsame, differenzierte Kostenbegrenzungsstrategie zu entwickeln, so wie wir es x-mal in Anträgen vorgeschlagen haben, betreiben Sie eine Mietwohnungsbauvernichtungsstrategie und damit längerfristig eine dramatische Mietenerhöhungsstrategie.

(Beifall bei der SPD Hildebrecht Braun [Augsburg] [F.D.P.]: Was soll dieser Verbalradikalismus?)

- Das ist so. Alle Experten geben uns in dieser Frage recht. Das wissen Sie doch.

(Hildebrecht Braun [Augsburg] [F.D.P.]: Alle SPD-Experten!)

- Nein, durch die Bank alle Experten.

Volkmar Schultz (Köln)

Da werden Zwecklegenden aufgebaut, nämlich die Objektförderung sei preistreibend. Das Gegenteil ist der Fall. Unabhängig von parteipolitischen Konstellationen gilt: Wenn Sie heute nach Bayern oder nach Nordrhein-Westfalen schauen, werden Sie dort gerade im sozialen Mietwohnungsbau technische Innovation und günstige Kostenergebnisse vorfinden, die noch vor drei Jahren für undenkbar gehalten worden sind.

(Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Das kriegt die F.D.P. nicht mehr mit, weil sie keine Kommunalpolitiker mehr hat!)

Die hier erreichten Erfolge auch auf den frei finanzierten Mietwohnungsbau und auf den Bau von Eigentumswohnungen zu übertragen - darauf kommt es uns an -, das wäre des Schweißes der Edlen wert. Wir könnten dann auch in den Ballungsgebieten eine bessere Wohnungsversorgung - übrigens auch mit Eigentum -, jedoch ohne die schwerwiegenden Folgen der Suburbanisierung erreichen. Herr Minister Töpfer, ich erinnere Sie in diesem Zusammenhang an Ihre feinen Reden zur Nachhaltigkeit der Stadtentwicklung.
Wir haben mit unserem Entschließungsantrag konkrete Vorstellungen entwickelt. Wir bitten Sie, dem zuzustimmen. Die Anträge zeigen, daß wir immer noch am Anfang der Diskussion um das kostensparende Bauen stehen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)


Michaela Geiger (CSU):
Rede ID: ID1317208000
Das Wort hat jetzt Helmut Wilhelm, Bündnis 90/Die Grünen.

Helmut Wilhelm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1317208100
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen begrüßt den Bericht der Kommission zur Kostensenkung im Wohnungsbau. Mit Genugtuung haben wir dort nämlich zur Kenntnis genommen, daß hohe Baukosten nicht etwa, wie von der Bundesregierung immer wieder nahezu gebetsmühlenartig behauptet - sie hat deshalb immer wieder Deregulierung sozusagen gepredigt, und sie hat sich leider auch im Bauausschuß im Zusammenhang mit der Novelle zum BauROG durchgesetzt -, insbesondere das Ergebnis hoher Normierung im Baubereich, also im Baugesetzbuch des Bundes und in den Baugesetzen der Länder, seien. Dazu komme ich später noch.
Unter diesen Umständen begrüße ich, daß die Fraktionen von CDU/CSU und F.D.P. in ihrem Antrag nunmehr den Handlungsspielraum zur Kostensenkung auch anderswo suchen und so zu teils auch für uns tragbaren Ansätzen kommen. Dazu gehört: Gebäudepaß der verwendeten Materialien, Wärmeschutz gemäß Wärmeschutzverordnung, Energieeinsparung, Einsatz staatlicher Förderung mit Kostenobergrenzen, Kostendämpfungsanreiz für Architekten durch HOAI-Novelle und dergleichen.
Ganz und gar Bauchschmerzen bekomme ich allerdings, wenn als Heilmittel - ebenfalls ähnlich gebetsmühlenartig wiederholt - verstärkte Bauflächenausweisung zur Kostendämpfung durch Angebotserhöhung gefordert wird. Vergessen wird dabei nämlich folgendes: 1992 verständigte sich die Staatengemeinschaft in Rio, die Ressourcen der Erde künftig behutsam und so zu nutzen, daß auch künftigen Generationen Freiräume und Entfaltungschancen gegeben werden. Eine zentrale Forderung der Agenda 21 ist die entschiedene Begrenzung von Zersiedelung und Suburbanisierung. Sie fordert eine umweltverträgliche Stadtentwicklung und Flächennutzung sowie fiskalische Anreize zur Kontrolle der Bodennutzung. Dies bedeutet aber das glatte Gegenteil verstärkter Baulandausweisung.
Immerhin: Schon heute werden täglich 80 bis 100 Hektar Freifläche für Siedlung und Verkehr umgenutzt und so geopfert. Dennoch besteht kein Widerspruch zwischen Bodenschonung und Kostensenkung. Wie es geht, hat zum Beispiel der Besuch des Bauausschusses in der Siedlung Hannover-Langenhagen gezeigt.
Siedlungsbau ist bei geringem Flächenverbrauch - das gilt insbesondere für die Verkehrsflächen - möglich. Hier liegen echte Einsparungsmöglichkeiten: weniger Erschließungsstraßen, Gebietsausweisung an ÖPNV -, insbesondere Schienentrassen, also weniger Verkehr, weniger Parkplätze, weniger Straßenfläche, geringgehaltene Baufläche, Nutzung von Brachen in den Städten, zoniertes Satzungsrecht für die Gemeinden zur Aktivierung baureifer Grundstücke, Wiedereinführung der Grundsteuer C zur Aktivierung von Baulücken und damit letztendlich weniger teure Erschließung, als auf der grünen Wiese erforderlich wäre.
Unsere Fraktion wie auch die SPD haben hierzu bei der Novelle des Baugesetzbuches Gesetzesanträge gestellt, die der Mehrheit dieses Hauses aus CDU/CSU und F.D.P. zum Opfer gefallen sind. Wir fragen daher: Wie verträgt sich das eigentlich? Will man Baukostensenkung wirklich? Bitte schöpfen Sie doch den gesamten Handlungsrahmen zur Baukostensenkung aus! Wir werden unsere Änderungsvorschläge zum BauROG im Plenum erneut einbringen. Wir werden auch Vorschläge zur Änderung des Steuerrechts machen.
Das bisherige System der steuerlichen Förderung macht nämlich hohe Baukosten attraktiv und treibt so Bau- und Bodenpreise und damit letztendlich natürlich auch die Mieten in die Höhe. Große Fördervolumina fließen in den Neubau auf der grünen Wiese und begünstigen so Zersiedelung und flächenfressenden Autoverkehr. Wir wollen berechenbare Rahmenbedingungen für solide, an kostensparendem Bauen und an einer langfristigen Nutzung orientierte Investoren schaffen. Hierzu gehören - wie auch im CDU-F.D.P.-Vorschlag - Kostenobergrenzen bei der Förderung.
Einsparpotentiale beim Bau sind aber letztendlich wertlos, wenn sie, etwa durch Verwendung mangelhafter Materialien und minderer Energienutzung, zu schnellem Verschleiß und höherem Energiebedarf führen; so auch der Bericht des Bauausschusses über die Studienreise in die USA, hier insbesondere die

Helmut Wilhelm (Amberg)

Ergebnisse beim Besuch des New Jersey Institute of Technology.
Nachhaltigkeit ist auch hier ein wichtiger Faktor gegenüber schnellen Scheinerfolgen. Deshalb müssen Energiekennzahlen für Gebäude eingeführt, die Energieberatung verbessert und die EU-Richtlinie zum Energie-Contracting umgesetzt sowie eine Novellierung der Wärmeschutzverordnung mit Einführung des Niedrigenergiestandards bei Neubauten vorgenommen werden.
Über eine ökologische Steuerreform müssen wirksame Anreize zur Senkung von Energieverbrauch und CO2-Ausstoß bei der Gebäudenutzung und zur Verringerung der Automobilität - und damit des Verkehrsflächenbedarfs - bei individuellen Standortentscheidungen gegeben werden.
Zugegeben: Eine mit den Grundsätzen der Nachhaltigkeit vereinbare Kostensenkung bedarf multipler Ansätze und der Ausschöpfung des gesamten Handlungsrahmens. Ich finde es schade, daß sich die Koalition im Bauausschuß - trotz einiger guter Ansätze - dem Angebot der Opposition zur Zusammenarbeit verweigert hat.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Michaela Geiger (CSU):
Rede ID: ID1317208200
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Hildebrecht Braun, F.D.P.-Fraktion.

Hildebrecht Braun (FDP):
Rede ID: ID1317208300
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Erstens. Die Stadt München hat für Feuerwehrmitarbeiter Wohnungen an einer sehr verkehrsreichen Straße im Stadtzentrum zu einem Quadratmeterpreis von 8 900 DM erstellt - 8 900 DM! -, weil Feuerwehrleuten billige Wohnungen zur Verfügung gestellt werden sollten.
Zweitens. Sozialer Wohnungsbau, speziell der herkömmlichen ersten Förderrichtung, ist trotz der bescheidenen Standards oft sehr viel teurer als freifinanzierter Wohnungsbau mit höheren Standards. Das ist zwar etwas, was die Kollegen von der SPD nur ganz ungern hören; aber sie müssen ganz einfach einmal nachlesen, zu welchem Preis bis zum heutigen Tag sozialer Wohnungsbau erstellt wird. Sie werden sehen, daß diese Angabe stimmt.

(Achim Großmann [SPD]: In Köln unter 1 600!)

Das Thema „Preiswertes Bauen, Sparen beim Bauen" ist uralt. Es hat in vielen Legislaturperioden den Bundestag beschäftigt. Es hat auch alle Landtage beschäftigt. Man muß sagen: Sehr erfolgreich waren wir in unserem Bemühen bisher nicht, sonst könnte es nicht sein, daß die Preise für Häuser und Wohnungen bei uns nahezu doppelt so hoch liegen wie zum Beispiel in unserem Nachbarland Holland.
Aber es sind jetzt Ansätze gemacht worden, die in der Tat in die richtige Richtung gehen. So wurde in der letzten Legislaturperiode eine Kommission damit
beauftragt, die verschiedenen Möglichkeiten zusammenzustellen. Diese Kommission hat hervorragend gearbeitet. Das Gutachten der „empirica", das von Bauminister Töpfer vor einiger Zeit der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, gibt nun wirklich einen Handlungsrahmen, der mögliche Potentiale für deutliche Kostensenkungen erschließt. Natürlich wollen und werden wir in diese Richtung gehen.
Ich darf schon an dieser Stelle sagen: Ein wichtiger Beitrag zur Kostensenkung wäre es, wenn eine Kurzfassung dieses Handlungsrahmens in großer Zahl allen Bauträgern und Bauwilligen zur Verfügung gestellt würde. Ich bin davon überzeugt, wir könnten hier einen wichtigen Beitrag auch im Einzelfall leisten, um das Ziel zu erreichen, das wir alle haben. Wir wollen, daß mehr Menschen in unserem Land sich die eigenen vier Wände leisten können. Das geht nur über billigeres Bauen. Außerdem wollen wir, daß die Mieten niedrig bleiben. Auch das geht nur über billigeres Bauen. So sollten wir doch eigentlich alle an einem Strang ziehen. Das, was die Koalition heute in ihrer Entschließung vorgelegt hat, ist sehr wohl geeignet, genau diesen Zweck zu erfüllen.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Ich möchte auf eines hinweisen, was eigentlich typisch deutsch ist; da müssen wir ein bißchen an uns selber arbeiten. Es scheint mir, daß die Deutschen immer mit Blick auf den Tourismus des Jahres 2500 arbeiten. Wir machen so breite, dicke Mauern, daß sie locker die nächsten Jahrhunderte überstehen. Ich freue mich ja auch über mittelalterliche Gebäude in Rothenburg ob der Tauber oder wo immer. Aber ist es wirklich richtig, noch immer so zu bauen, als wollten unsere Urururenkel in denselben Grundrissen und unter denselben Bedingungen leben, wie wir es tun?
Tatsache ist doch, daß sich schon in der Zeit, die wir selber nur als Lebensspanne aufweisen können, die Ansprüche beispielsweise an sanitäre Anlagen rapide geändert haben. Es wäre einfach falsch, wenn man uns zwänge, in die Grundrisse der 20er Jahre oder auch der 50er Jahre noch einziehen zu müssen. Nein, wir müssen uns daran gewöhnen, daß wir für eine Generation, maximal für zwei Generationen bauen. Aber dann ändern sich wieder die Vorstellungen. Deswegen wäre es richtig, wenn wir uns nicht von vornherein darauf verstünden, gleich für die Ewigkeit bauen zu wollen.
Wir werden uns daran gewöhnen müssen, viel mehr vorgefertigte Teile zu verwenden. Wir können erprobte gute Grundrisse in vielen Wohnungen verwenden. Wir müssen nicht immer wieder das Rad neu erfinden. Auch das wird das Bauen deutlich verbilligen. Wir werden uns auch überlegen müssen, ob wirklich jeder Deutsche einen Keller haben muß oder ob es nicht auch ohne Keller geht; denn der Keller ist bekanntlich der teuerste Ort im ganzen Haus. Die Holländer und die Amerikaner verzichten auf Keller, und selbst die Kanadier verzichten regelmäßig auf Keller, also Menschen, die in einem Land leben, das sehr viel kältere Jahreszeiten aufweist, als es bei uns der Fall ist. Müssen die Treppenhäuser in der Tat so üppig ausfallen, wie es bei uns üblich ist, oder ließe sich hier nicht eine ganze Menge sparen?

Hildebrecht Braun (Augsburg)

Natürlich, unsere Bauordnungen verhindern hier eine Entwicklung, die wir dringend brauchen. Es kommt immer wieder vor, daß Amerikaner aus Siedlungen ausziehen, in denen sie jetzt 40 Jahre gut gewohnt haben, und daß dann die Deutschen daraus Sozialwohnungen machen wollen. Als erstes müssen wir dann riesige Investitionen leisten, weil die Standards, die für die Amerikaner offenbar gut ausgereicht haben, nach unseren Bauordnungen nicht ausreichen. Das ist eine groteske Geschichte,

(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der CDU/CSU)

die aber wirklich deutlich macht, daß wir Deutschen uns hier einen Luxus leisten, von dem wir allmählich Abstand nehmen müssen.
Der deutsche Perfektionierungswahn artikuliert sich in einer Regelungswut, die sensationell ist. Da ist es unsere Aufgabe, die der Baupolitiker des Bundestages, mit dazu beizutragen, daß dieser Regulierungswust, der ja auch entmutigt, wenn es darum geht, die Entscheidung für das Bauen treffen zu sollen, eingedämmt wird. Weniger Gesetze, das wäre gerade in diesem Bereich mehr.
Die Kommission mit ihrem Bericht über Kostensenkung hat viele Vorschläge gemacht. Es war jetzt einmal eine Kommission, die nicht für den Papierkorb gearbeitet hat, sondern sie hat eine Leistung erbracht, die sich für Tausende und für Millionen von Menschen bei uns segensreich und positiv auswirken wird. Dafür wird jetzt auch das Bauministerium unter Minister Töpfer sorgen. Wir wissen, daß es eines seiner wichtigsten Anliegen ist, hier wirklich etwas vorwärts zu bringen und das Bauen zu verbilligen.

(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der CDU/CSU)

Wir haben gerade gestern im Ausschuß die Novellierung des Baugesetzbuches abgeschlossen. Ein wichtiger Teil dessen, was wir dort erledigt haben, ist, Bauen zu erleichtern, leichter Baulandausweisungen vorzunehmen. Es ist für den Neubau leider nötig, Kollege Wilhelm. Wir haben dort aber auch planungsvereinfachende Modelle festgeschrieben. Diese werden sicherlich auch dazu beitragen, daß die Dinge besser werden.
Ich möchte allerdings mit zwei Sätzen noch zwei Punkte ansprechen dürfen, wenn es recht ist, Frau Präsidentin.

Michaela Geiger (CSU):
Rede ID: ID1317208400
Herr Abgeordneter, das geht leider nicht mehr. Die Zeit ist abgelaufen.

Hildebrecht Braun (FDP):
Rede ID: ID1317208500
Wenn Sie es mir nicht gestatten, dann haben Sie natürlich irgendwo recht. Dann bedanke ich mich dennoch für Ihre Geduld. Wir werden alle an diesem Thema „billiger bauen" massiv weiter arbeiten.
Vielen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Michaela Geiger (CSU):
Rede ID: ID1317208600
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Klaus-Jürgen Warnick, PDS.

Klaus-Jürgen Warnick (PDS):
Rede ID: ID1317208700
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vieles von dem, was Kollegin Späte als Regierungsforderung vorgetragen hat, ist zweifelsohne richtig. Ich frage mich bloß immer: Wer hat hier im Hause die politische Macht? Warum reden Sie nur? Warum handeln Sie nicht? Sie könnten es doch.

(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)

Es ist schon grotesk: Einerseits gibt es hier ein gegenseitiges Schulterklopfen und eine Beweihräucherung durch die Regierungskoalition. Andererseits müssen wir gleichzeitig feststellen, daß die anvisierten Ziele bisher verfehlt wurden. Der Grund besteht meiner Meinung nach darin, daß diese Bundesregierung die ideologische Brille nicht aus dem Gesicht bekommt.
Tatsache ist, daß in Deutschland zu teuer gebaut wird. Dafür gibt es viele Ursachen. Aber dies sind nicht die Lohnkosten, selbst dort, wo noch tarifgerecht bezahlt wird. Tatsache ist, daß in Deutschland die Siedlungs- und Verkehrsfläche Tag für Tag - je nachdem, welcher Informationsquelle ich vertraue - um mehr als 70, 100 bzw. 120 Hektar zunimmt. Dies sind ungefähr 100 Fußballfelder pro Tag. Gleichzeitig werden die Kommunen von der Bundesregierung aufgefordert, noch mehr Bauland auszuweisen.
Allein im Umland Leipzigs wurde in den letzten Jahren Bauland für rund 100 000 Menschen ausgewiesen. Geht man vom Wohnraumbedarf und der Struktur der Umlandgemeinden aus, wäre Bauland für zirka 30 000 Menschen ausreichend gewesen. Wir alle können uns ausmalen, welche fatalen Folgen die Abwanderung von 70 000 Einwohnern aus der Halbmillionenstadt Leipzig ins Umland hat. Dabei gehören die neuerbauten Wohnungen - es handelt sich überwiegend um Mietwohnungen, welche im Umland von Leipzig gebaut wurden - nach Untersuchungen der TU Dresden zu 86 Prozent westdeutschen Kapitalanlegern, die durch Sonderabschreibungsgeschenke angelockt wurden. Es ist also nichts mit der Erhöhung der Wohneigentumsquote für breite Schichten der Bevölkerung, schon gar nicht für Ostdeutsche.
Tatsache ist, daß in den letzten Jahren trotz hoher Fertigstellungszahlen im Wohnungsbau und einer Ausweitung der vorhandenen Wohnfläche auf 37 Quadratmeter pro Kopf sowohl die Mieten als auch die Zahl der Wohnungs- und Obdachlosen überdurchschnittlich gestiegen sind. Tatsache ist, daß eine Senkung der Baukosten, der Baunebenkosten und der Grundstückskosten nicht nur zu preiswerterem Wohneigentum, sondern auch zur Senkung der Wohnkostenbelastung von Mieterinnen und Mietern führen kann. Tatsache ist auch, daß dank der Politik der Bundesregierung das Anlegen von Kapital und das Spekulieren mit Boden und Immobilien sehr profitabel war und ist und daß damit vorrangig das Geschäft von Banken und Bausparkassen floriert.

Klaus-Jürgen Warnick
Ergebnis und Ziel eines kosten- und flächensparenden Bauens kann nicht einzig und allein die Erhöhung der Eigentumsquote und die Vermögensbildung sein, sondern die Schaffung und Sicherung von bezahlbaren und menschenwürdigen Wohnungen für alle, und dies unter Berücksichtigung der ökologischen Belange. Um die Bauwirtschaft bräuchte uns nicht bange zu sein. Es gibt noch genug zu tun. Wir brauchen - regional unterschiedlich - auch weiterhin jährlich mindestens 500 000 neue Wohnungen. Wir brauchen die Bauwirtschaft, um den Wohnungsbestand in Ost und West umfassend ökologisch zu sanieren und zu modernisieren. Dabei ist den Erkenntnissen und Verpflichtungen aus der Konferenz in Rio vor fünf Jahren und der Habitat-II-Konferenz in Istanbul 1996, aber auch den Einschätzungen der Enquete-Kommission „Schutz des Menschen und der Umwelt" des Bundestages im unlängst vorgelegten Zwischenbericht Rechnung zu tragen.
Statt konsequent in der Boden- und Siedlungspolitik sowie in der Wohnungsbauförderung umzusteuern, jettet Minister Töpfer von einer Eigenheimsiedlung zur anderen, um das freistehende Einfamilienhaus oder maximal vielleicht noch das Reihenhaus als das Ideal zu preisen. Vergeblich meine Suche in der Presse nach einer Meldung, wonach sich Kollege Töpfer in ähnlicher Weise für kostengünstiges Bauen in Genossenschaften und kommunalen Wohnungsunternehmen engagierte.
Es bleiben noch viele Fragen. In der Beschlußempfehlung betont die Koalition, daß es wichtig ist, die Bauordnungen der Länder in Anlehnung an die Musterbauordnung in breitem Umfang zu vereinheitlichen. Warum schaffen wir nicht für Bund und Länder eine einheitliche Bauordnung? Warum dauert es so lange, vernünftige Vorschläge wie die Einführung von Gebäudepässen - Kollegin Späte hat es ja genannt - umzusetzen? Warum werden die Erfahrungen der Bauwirtschaft der DDR so wenig genutzt? Kollege Braun sprach von mehr vorgefertigten Teilen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sind das die Plattenbauten?)

Das gab es alles schon in der DDR.

(Vorsitz: Vizepräsident Hans-Ulrich Klose)

Warum wird nicht schnellstmöglich eine Einführung von Kostenobergrenzen bei den nicht geringen steuerlichen Förderungen im sogenannten freifinanzierten Wohnungsbau durchgesetzt? Ist dies alles fehlender Wille oder nur Unvermögen?
Das Fazit: Es gibt keinen Grund für Jubel von seiten der Regierung. Die vorliegende Beschlußempfehlung der Regierungskoalition wird dem Anliegen nicht gerecht. Sie geht nicht weit genug und wird deshalb nicht unsere Zustimmung finden.
Der Entschließungsantrag der SPD wird von der PDS unterstützt.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der PDS)


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1317208800
Das Wort hat Herr Bundesminister Dr. Klaus Töpfer.

Prof. Dr. Klaus Töpfer (CDU):
Rede ID: ID1317208900
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich erinnere mich noch sehr gut an meine erste Rede als Bundesbauminister an dieser Stelle.

(Achim Großmann [SPD]: Und an meinen Zwischenruf!)

Ich habe damals einige Aussagen über das gemacht, was zu tun ist, auch die Aussage, es sei eine wichtige Aufgabe, daß wir kosten- und flächensparender bauen. Kollege Großmann weiß schon, worauf ich hinaus will. An dieser Stelle hat er nämlich - zweieinhalb Jahre ist es her - laut und vernehmlich dazwischengerufen, nein, nicht dazwischengerufen,

(Zuruf von der CDU/CSU: Doch!)

sondern als Zwischenruf den Hinweis eingebracht, das hätten alle meine Vorgänger auch schon gesagt. Ich habe mir da erlaubt zu fragen, ob es deswegen falsch geworden sei. Das hat er nicht bejaht.

(Hildebrecht Braun [Augsburg] [F.D.P.]: Das ist die Kontinuität in der Politik!)

Nun habe ich mir die Mühe gemacht, bei meinen Vorgängern nachzufragen oder nachzuforschen,

(Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Alles wegen Großmann!)

und Sie haben recht. Von Hans-Jochen Vogel über Karl Ravens, über Dieter Haack, über Oskar Schneider, über Gerda Hasselfeldt bis zu Irmgard Schwaetzer haben sich in der Tat alle mit kosten- und flächensparendem Bauen beschäftigt. Ich erwähne sie alle, damit nicht der Eindruck entsteht, wir könnten hier auseinandergehen und sagen, der eine ist parteipolitisch dafür und der andere dagegen. Es wäre hervorragend, wenn wir uns hierbei einmal parteiübergreifend einigen könnten. Das wäre wirklich ganz sinnvoll,

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)

damit vielleicht beim nächsten Zwischenruf gesagt werden könnte: Es ist sicherlich ein unglaublich umfangreiches und vielleicht sogar in einer Legislaturperiode nicht abzuschließendes und zu bewältigendes Thema, ein Thema, das wir permanent weiter verfolgen müssen, wie dies meine Vorgänger auch gemacht haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Das ist doch die Situation, meine Damen und Herren, und ich dachte natürlich, Herr Kollege Schultz, sie wären auch darauf eingegangen; denn selten genug liest man in einem Entschließungsantrag der SPD unter anderem - ich sage unter anderem, denn es ist genug Kritik drin -, der Deutsche Bundestag verkenne nicht, daß sich die Bundesregierung in Ein-

Bundesminister Dr. Klaus Töpfer
zelbereichen bemüht hat, preisdämpfend auf die Baukostenentwicklung einzuwirken.

(Hildebrecht Braun [Augsburg] [F.D.P.]: Vier minus!)

Gestern hat der Kollege Braun im Ausschuß gemeint, wenn an anderer Stelle so etwas gesagt wird, ist es zumindest aus dieser Wertung heraus drei minus bis vier plus. Ich will gar nicht so weit gehen, meine Damen und Herren.

(Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Daß Sie damit schon zufrieden sind!)

- Ach Gott, mit Blick auf die Opposition, Herr Kollege Catenhusen, sind wir mit kleinen Dingen zufrieden. Das ist ganz anders, wenn man mit unseren eigenen Kollegen darüber zu sprechen hat.
Und dann sagt man, es sei eine Schwalbe in Sicht. Sehen Sie, es ist eine großartige Sache, daß die Verbraucherzentrale so ein Buch herausgegeben hat. Darin sind allein 170 Schwalben, und ich bin der Verbraucherzentrale sehr dankbar dafür, daß sie das macht, daß sie das vervielfältigt, was wir mit unserer Ausstellung „Junges Haus" tun, wobei wir Partner aus der Wirtschaft haben. Und ich bin einer in Deutschland weit verbreiteten Tageszeitung herzlich dankbar, daß sie das aufgegriffen und gesagt hat, wo man sich darüber informieren kann.
Meine Damen und Herren, es gibt einen schönen Satz, den man mir einmal bei der Einladung zu einer Umweltpreis-Verleihung mitgegeben hat. Er heißt: Es ist nichts überzeugender als eine Idee, für die die Zeit gekommen ist.
Das ist jetzt wirklich die Situation; denn alle meine Vorgänger haben so eine gute Voraussetzung nicht gehabt. Das muß ich deutlich sagen. Wir sehen, daß die Baunachfrage, wenn wir nicht kostensparend und kostensenkend wirken, wirklich zurückgeht. Vom kosten- und flächensparenden Bauen können in der gegenwärtigen Situation alle nur profitieren, auch die Bauwirtschaft.
Es geht nicht um die Frage, ob wir teuer oder kostensparend bauen, sondern es geht darum, ob gebaut oder nicht gebaut wird.

(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: So ist es!)

Wir wollen - damit komme ich zu den Bürgerinnen und Bürgern -, daß sie eine bessere Versorgung mit Wohnungen bekommen, wenn wir kostensparender bauen. Das ist nicht der Billigbau, das ist nicht die Wegwerfarchitektur, sondern das intelligente Nachdenken darüber, wo wir Kosten einsparen können.
Auch darin unterscheiden wir uns etwas. Wir haben die ganz große Chance, eine große Steuerreform zu machen, die wirklich an die Ursachen herangeht. Es ist nur eine sehr, sehr statische Betrachtung, wenn wir sagen: Wenn wir die Abschreibungsmöglichkeiten im Wohnungsbau verändern, bedeutet das im gleichen Maße einen Anstieg der Kosten und damit einen Anstieg der Mieten.
Das ist sehr statisch, denn wir sind uns ganz sicherlich einig darüber, daß die hohen Kosten, vor allen Dingen die hohen Preise im Wohnungsbau in Deutschland ein gutes Stück durch die Steuerstruktur, durch das Steuersystem, das wir haben, verursacht worden sind.

(Achim Großmann [SPD]: Das ist richtig!)

Daß es so ist, Herr Kollege, können Sie daraus ersehen, daß der Quadratmeter Wohnfläche, der in den neuen Bundesländern gebaut wird, deutlich teurer ist als der in den alten Bundesländern, und jeder weiß, daß das etwas mit dem Sondergebietsgesetz zu tun hat.

(Volkmar Schultz [Köln] [SPD]: Ja natürlich, das sind auch unsinnig hohe Abschreibungen!)

- Also, wissen Sie, die unsinnig hohen Abschreibungen, die wir gegenwärtig in den alten Bundesländern haben, die das auch mittragen, liegen bei der degressiven AfA bei 5 Prozent. Und GDW, BFW, Haus und Grund und andere protestieren dagegen und sagen, wir würden damit die Mieten erhöhen.
Denken wir darüber einmal wirklich etwas dynamischer nach und nicht nur unter dem Gesichtspunkt, was heute ist und was morgen sein kann. Dazwischen liegt die Intelligenz derer, die anfangen, über Kostensenkung nachzudenken, weil sie sonst die Wohnungen, die sie bauen, nicht vermieten könnten. Das ist doch der Zusammenhang.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Achim Großmann [SPD]: Das liegt nicht an den 5 Prozent!)

Sicherlich, meine Damen und Herren, geht es jetzt darum, diese Chancen zu nutzen. Wie können wir sie weiter nutzen? Ich unterstreiche das, was Kollege Braun gesagt hat. Die Kommission, die Frau Kollegin Schwaetzer eingerichtet hat, hat hervorragend gearbeitet. Es war eine gute Grundlage. Sie hat die Dinge auch etwas relativiert. Herr Wilhelm hat es ja gesagt.
Es steht darin: 5 Prozent Kosten könnte man durch den Abbau technischer Regeln, Normen und Bauordnungen sparen. Die allgemeine Erwartung ist, daß es da mehr zu sparen gibt. Ich mache keinen Hehl daraus: Ich bin auch dieser Meinung. Da gibt es mehr zu sparen.
Warum? Weil ich der Meinung bin, daß an vielen Stellen in der Kommission nicht gefragt worden ist, ob es nicht auch sinnvoll ist, bei den Normen das, was man als Zwangskonsum hineingeschrieben hat, etwas zu senken.
Nehmen Sie den Lärmschutz. Warum muß bei jeder Baumaßnahme, die wir haben, das höchste Niveau des Lärmschutzes gefordert werden? Machen wir eine Bandbreite. Lassen wir die Bürger selbst entscheiden, in welchen Bereichen sie leben wollen. Geben wir ihnen den Gebäudepaß dazu, damit sie wissen, was für eine Wohnung, was für ein Haus sie bauen. Dann sollen sie selbst entscheiden, was sie erreichen können. Dann können wir an vielen Stellen die Angebotspalette erweitern.

Bundesminister Dr. Klaus Töpfer
Meine Damen und Herren, wir haben natürlich mehr gemacht als einzelne Modellprojekte. Sehen Sie, deswegen liegt ja diese Sitzung so außerordentlich günstig. Gestern sind im Bauauschuß die Novelle des Baugesetzbuches und das Raumordnungsgesetz verabschiedet worden. Darüber freue ich mich sehr, und ich hoffe, daß wir diese in zweiter und dritter Lesung bald beraten und beschließen können.
Warum erwähne ich sie? Sehen Sie, viele Dinge, die vordergründig kritisiert werden, sind dort verändert. Wir haben zum Beispiel darin so etwas wie ein Entsiedlungsverbot, also ein Gebot, Böden wieder zu nutzen. Wir haben die Notwendigkeit des Flächenrecyclings, Herr Wilhelm, jetzt im Baugesetzbuch ganz anders formuliert.
Ich unterstreiche noch einmal - nebenbei, ich habe das auch in meiner ersten Rede hier gesagt -, daß der Bauminister auch dringlich daran interessiert ist und die Frau Kollegin Merkel intensiv unterstützt, damit wir ein Bodenschutzgesetz bekommen, eine gesetzliche Regelung für die Sanierung von Flächen, damit wir keine industriellen Brachflächen haben, sondern sie sanieren und wieder in die Nutzung hineinnehmen können.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das steht im Baugesetzbuch jetzt mit drin. Es steht jetzt drin, daß wir die Städtebauförderung einsetzen wollen, um brachliegende Flächen wiederzugewinnen und intensiv zu nutzen. Wir sprechen vom flächensparenden Bauen.

(Zuruf des Abg. Achim Großmann [SPD])

- Wissen Sie, ich habe volles Verständnis dafür, daß Sie nicht sagen können: Da hat er etwas Neues gebracht; das überzeugt uns. Aber man muß doch sehen, es gibt nie wieder eine so gute Gelegenheit wie jetzt.
Die Bahn AG braucht weniger Flächen. Wenn wir nach Flächen fragen, Herr Wilhelm, betrifft das nicht immer nur die Ausweisung von neuen Flächen. Wir haben uns schon sehr genau angesehen, was die Enquete-Kommission vorgeschlagen hat. Wir wollen das in Einklang mit dem bringen, was in Istanbul bei Habitat II gesagt worden ist. Deswegen sind solche Dinge in das Baugesetzbuch gekommen.
Das geht, nebenbei, so weit - Herr Götz hat es gestern bei den Beratungen im Ausschuß gesagt -, daß wir etwa den § 35 um die Nutzung im Außenbereich vorhandener Bausubstanz erweitert haben. Denn damit wird häufig kein Neubau notwendig, sondern die vorhandene Bausubstanz im Außenbereich kann besser genutzt werden. Das, was wir in der Novelle des Baugesetzbuches machen, geht also eindeutig in die richtige Richtung.
Natürlich haben wir in einer breit verteilten Informationsschrift nicht die städtebaulichen Verträge und die Vorhaben und die Erschließungspläne aufgeführt. Es ist gut, daß sie jetzt durch die Novelle deutsches Dauerrecht werden und in allen Fällen angewandt werden können. Aber ich frage mich, ein wie breiter Kreis in der Bundesrepublik Deutschland, der sein Einfamilienhaus plant, heute weiß, was wir mit einem städtebaulichen Vertrag machen. Das muß man doch nun wirklich nicht in eine solche Broschüre schreiben. Wenn das die einzige Kritik ist, die wir dabei erhalten sollen, können wir sie ganz gut vertragen und kommen ganz gut über die Runden.
Meine Damen und Herren, dies sind Dinge, die auf den Weg gebracht sind und die weitergeführt sind.
Ich sage noch einmal: Prima, daß wir diese engagierte, über alle Fraktionen hinwegreichende Arbeit am Baugesetzbuch so weit gebracht haben. Wir werden Weiteres zu tun haben, und zwar glücklicherweise. Denn als ich zum erstenmal hier sprach, war die fünfte Novelle der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure noch nicht durch den Bundesrat; ich will das nur gesagt haben. In der Zwischenzeit ist sie durch. Sie enthält zwar noch nicht so viele Anregungen für kostensparendes Bauen, wie wir es vielleicht gerne hätten. Aber man muß auch ganz deutlich sehen, daß dies nun wirklich eine umfassende, auch mit den Berufsverbänden zusammen zu leistende Arbeit ist. Ich möchte es nicht an den Berufsverbänden vorbei machen. Denn wir sollten uns eines klar machen: Die Honorarordnung für Architekten und Ingenieure ist nicht deswegen zu novellieren, weil wir diesen Berufsgruppen ihre Honorare neiden, sondern weil wir ihnen die Honorare sichern wollen und zugleich Anreize schaffen wollen, damit sie intelligenter für kostensparendes Bauen arbeiten. Es richtet sich nicht gegen die auf diesem Gebiet ohnedies in hartem Wettbewerb untereinander Stehenden, sondern es geht darum, daß wir die Anreize etwas anders legen. Dazu brauchen wir Sie; das kann man nicht alleine machen. Ganz abgesehen davon liegt die Federführung beim Wirtschaftsministerium. Das will ich nur der Vollständigkeit halber erwähnen, damit es im Protokoll richtig abgedruckt wird.
Wir werden uns natürlich weiterhin mit der Handwerksordnung und insbesondere mit der Anlage A zur Handwerksordnung zu beschäftigen haben, auch dies wiederum zusammen mit den Betroffenen und nicht gegen sie.
Ich habe die letzte ISH, die Internationale Fachmesse für Sanitär, Heizung, Klimatechnik in Frankfurt eröffnet. Dabei gab es einen einzelnen Stand, an dem die Klempner wirklich engagiert dafür argumentierten, daß ihr Berufsstand erhalten bleibt.

(Günter Rixe [SPD]: Ja, eben!)

Daher kann ich jetzt nicht hierhin kommen und sagen: Wir machen mit einem Federstrich die Anlage A zur Handwerksordnung nicht mehr. Nein, ich möchte es mit dem Handwerk machen, damit wir Bauteams bilden können, die wiederum da logistische Einsparungen vornehmen, wo wir gegenwärtig vieles beklagen. Dies sind Dinge, die wir noch zu bewirken haben.
Lassen Sie mich noch eines zum Abschluß sagen: Natürlich hat das mit Boden und Bodenpreisen massiv etwas zu tun. Ich glaube, wir sind bei den Bauwerkskosten schon weiter als bei den Bodenkosten.

(Achim Großmann [SPD]: Das hätte man auch im Baugesetzbuch lösen können!)


Bundesminister Dr. Klaus Töpfer
Jetzt will ich, weil es kritisiert wurde, darauf zu sprechen kommen, was die Bundesrepublik in der Zwischenzeit mit eigenen Grundstücken gemacht hat. Bis Ende 1996 kam die verbilligte Veräußerung bundeseigener bebauter und unbebauter Grundstücke zur Förderung des sozialen Wohnungsbaus in insgesamt 471 Fällen zur Anwendung, wobei eine Fläche von etwa 620 Hektar unter Gewährung von Preisnachlässen veräußert wurde. Der Einnahmeausfall für den Bund betrug 518 Millionen DM. Ich habe dem Kollegen Waigel ganz herzlich dafür zu danken, daß er in einer solchen haushaltstechnischen und haushaltspolitischen Situation 518 Millionen DM Preisnachlässe bei Bundesliegenschaften gewährt hat, um den sozialen Wohnungsbau mit zu fördern. Das ist eine prima Sache.
Ich wünsche, daß wir das weitermachen können. Wir haben noch sehr viele Liegenschaften aus der militärischen Konversion und anderem. Wenn wir das weiterführen können, ohne auf die Probleme zu stoßen, die Herr Braun zu Recht erwähnt hat, dann könnten wir sehr viele Beispiele für kostengünstiges und flächensparendes Bauen liefern. Auch die Umweltpolitik wird das ganz sicherlich positiv beeinflussen.
Ich danke Ihnen sehr herzlich.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1317209000
Das Wort hat die Kollegin Gabriele Iwersen, SPD.

Gabriele Iwersen (SPD):
Rede ID: ID1317209100
Herr Präsident! Herr Minister! Meine Damen und Herren! Nach so vielen guten Vorlagen brauchte ich eigentlich mein Manuskript gar nicht zu verwenden. Aber irgendwie muß ich es ja abarbeiten; denn ich habe leider nur ein paar Minuten. Ich möchte auch noch auf einige Aspekte eingehen, die hier noch nicht zur Sprache gekommen sind.
Erst einmal muß ich anmerken, daß offensichtlich - was heute hier nicht so erschien - überhaupt keine Eile besteht, endlich flächen- und kostensparendes Bauen in die Tat umzusetzen; denn die Vorlage, über die wir heute reden, ist immerhin schon aus dem August 1995. Irgendwie wird es doch sehr gemächlich angegangen.
In der Diskussion über das Baugesetzbuch - weil der Herr Minister das hier mit soviel Vehemenz vorgetragen hat - sprachen wir überwiegend über die Nachhaltigkeit. Als ich Herrn Braun habe zuhören müssen, hatte ich den Eindruck, daß Sie die Nachhaltigkeit schon völlig aus Ihrem Gedächtnis gestrichen haben. Oder sie stand in einem anderen Schrieb, den Sie uns beim nächsten Mal vortragen werden.

(Achim Großmann [SPD]: Bei der Bodenpolitik haben sie alles niedergestimmt!)

In der gesamten Baupolitik ist eigentlich kein zusammenhängender Faden zu sehen. Trotzdem lassen Sie mich bei aller Würdigung des Handlungsrahmens sagen, daß er durchaus positive Ansätze enthält, die geeignet erscheinen, durch Koordinierung
der am Baugeschehen Beteiligten ein abgestimmtes Vorgehen, mehr Markttransparenz, mehr Wettbewerb und mehr Kostenbewußtsein zu fördern.
„Die Stärkung des Wettbewerbs durch geregelte transparente Verfahren der Ausschreibung ist eine wesentliche Voraussetzung für kostensparendes Bauen", heißt es wörtlich in dem Handlungsrahmen. Den Punkt habe ich mir herausgegriffen, um hier noch einen Beitrag zu leisten. In der Zwischenzeit hat nämlich das Bauministerium an anderer Stelle, nämlich bei den Oberfinanzdirektionen, seine Karten auf den Tisch gelegt, genauer gesagt, einen Erlaßentwurf in Umlauf gebracht betreffend eine Richtlinie zur kostensparenden und innovativen Vergabe nach VOB, Teil A. Das betrifft zwar nur die Aufträge der öffentlichen Hand, aber die sollte ja immer Vorbildcharakter haben.
Ziel ist die verstärkte Anwendung der funktionalen Ausschreibung nach § 9 Nr. 10 VOB, Teil A. Das heißt, der Bieter muß außer der Ausführung der Bauleistung auch den Entwurf für das komplette Bauvorhaben mitliefern. Der Bauherr verzichtet damit ganz bewußt auf die treuhänderische Stellung des Architekten auf seiner, also des Bauherren, Seite. Das sollte gerade der öffentliche Auftraggeber nicht tun; denn damit begeht er einen gravierenden Fehler.

(Beifall bei der SPD)

Der Architekt sitzt bei diesem Verfahren, das Sie, Herr Minister, jetzt fördern wollen, im Boot des Generalübernehmers, während der Einfluß des Bauherrn mit der Herstellung des Raumprogramms, der Leistungsbeschreibung inklusive Vorgaben für qualitative Standards und dergleichen absolut beendet ist. Sollte der Spareffekt vielleicht allein darin bestehen, daß eine Beschränkung der Bauherrenmitsprache vorgesehen ist?
Als einziges taugliches Mittel, das ich in diesem Erlaßentwurf ausfindig machen konnte, muß ich die Festsetzung von Kostenobergrenzen anführen. Damit könnte wirklich noch etwas Positives zu machen sein.
Die von mir eben beschriebene Art der Ausschreibung kann in der Regel nur bei beschränkten Ausschreibungen angewendet werden. Zwar wird ein öffentlicher Teilnahmewettbewerb vorgeschaltet, aber dann ist wegen der Beschränktheit der Ausschreibung natürlich nicht mehr, sondern weniger Wettbewerb da, zumal der Auftraggeber die von allen Bietern zu erbringenden Planungsleistungen für Statik, Entwurf, Fachplanung und was sonst noch alles hinzukommt einheitlich und angemessen vergüten muß. Auch dies steht in der VOB, Teil A, und zwar in § 20. Es werden dann sicherlich nicht mehr Bieter aufgefordert als unbedingt nötig. Die VOB schreibt von drei bis acht Teilnehmern. Und das soll mehr Wettbewerb sein? Das glaube ich nicht.
Um sich mittelstandsfreundlich zu zeigen, fordert der Erlaß, daß Bietergemeinschaften von kleinen und mittleren Unternehmen, die berühmten KMUs, in Verbindung mit Architekten- und Ingenieurbüros bei der Aufforderung zur Angebotsabgabe angemessen zu beteiligen sind. Ob sie auch Aussicht auf einen

Gabriele Iwersen
Auftrag haben, muß ich allerdings sehr bezweifeln; denn als Generalübernehmer können sich auch Unternehmen beteiligen, die keine Bauleistung mit dem eigenen Betrieb erbringen. Sie müssen nur nachweisen, daß sie für die Durchführung der Baumaßnahmen konkreten Zugriff auf Baukapazitäten haben.

(Günter Rixe [SPD]: Das kann doch wohl nicht wahr sein!)

Das widerspricht im übrigen dem § 8 Abs. 2 Nr. 1 VOB, wiederum im Teil A, wo ausdrücklich gefordert wird, die Unterlagen an Bewerber abzugeben, die sich gewerbsmäßig mit der Ausführung von Leistungen der ausgeschriebenen Art befassen. Das trifft auf Generalübernehmer überhaupt nicht zu, denn die holen sich ja die Leistung von einem Subunternehmer. Es könnte also höchstens auf Generalunternehmer bezogen werden.

(Iris Gleicke [SPD]: Die sind meist sehr teuer!)

Bei dem vom Bauministerium favorisierten Modell können Sie dreimal raten, wer am Ende den Zuschlag für die Bauausführung bekommt: entweder die dem Generalübernehmer zur Verfügung stehenden Subunternehmen vom anderen Ende Europas oder Leiharbeiter aus den befreundeten, östlich angrenzenden Nachbarstaaten, mit Sicherheit aber keine deutschen Baufacharbeiter mit Anspruch auf ein ganzjähriges Einkommen, auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und auf Urlaub.

(Zuruf von der SPD: So ist es!)

Der Kostenspareffekt liegt also nicht in der innovativen Vergabe, wie Sie es nennen, sondern in der bewußten Entscheidung, Sozialdumping zu nutzen und einheimische Bauhandwerksbetriebe sowie ihre Facharbeiter aus der Konkurrenz um öffentliche Aufträge geradezu auszuschließen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Daß noch im Januar eine viel absurdere Vergabevariante aus dem Hause Töpfer per Entlaßentwurf in die Oberfinanzdirektionen flatterte, brauche ich eigentlich gar nicht mehr zu erwähnen, weil der Aufschrei der Architekten- und Ingenieurkammern - das sind immerhin Pflichteinrichtungen - so laut war, daß er ausnahmsweise Erfolg hatte. Das Bauministerium hat völlig verschreckt den Versuch abgebrochen, Architekten- und Ingenieurgruppen zu sogenannten Totalübernehmern zu machen, also vom Freiberufler zum gewerblichen Unternehmer umzufunktionieren.

(Peter Conradi [SPD]: Sie haben das zunächst zurückgezogen! Sie wollen es noch immer!)

-Das wird immer schlimmer; der Aufschrei wird nicht leiser sein.
Dabei sollte die bauausführende Firma als Subunternehmer der Architekten und Ingenieure auftreten, die ihrerseits als Totalübernehmergesellschaft den Zuschlag für die schlüsselfertige Errichtung des Gebäudes bekommt, falls sie in der Lage ist, eine bankmäßig abgesicherte Vertragserfüllungsbürgschaft für das Gesamtprojekt vorzulegen.

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1317209200
Frau Kollegin Iwersen, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Töpfer?

Gabriele Iwersen (SPD):
Rede ID: ID1317209300
Der Abgeordnete Töpfer möge fragen.

(Peter Conradi [SPD]: Vorsicht, Herr Töpfer, ich habe die Unterlagen des Bauministeriums hier!)


Prof. Dr. Klaus Töpfer (CDU):
Rede ID: ID1317209400
Frau Kollegin Iwersen, da Sie all dies so freundlich vortragen, sind Sie doch sicherlich auch darüber informiert, daß dieser Entwurf bereits zweimal intensiv mit der Bundesarchitektenkammer erörtert worden ist, daß die daran anknüpfenden Fragen aufgegriffen worden sind und daß wir bei keiner einzigen Vergabe wirklich so vorgegangen sind? Ganz im Gegenteil haben wir das bei dem einzelnen Generalunternehmerauftrag, in enger Abstimmung mit der Handwerkskammer Berlin und mit dem Mittelstandsarbeitskreis des Bundeswirtschaftsministeriums gemacht.

Gabriele Iwersen (SPD):
Rede ID: ID1317209500
Herr Minister, Sie werden sicherlich verstehen, daß auch ich engen Kontakt mit der Architektenkammer pflege. Schließlich bin ich da Mitglied. Dort hört sich der Bericht völlig anders an, als Sie uns hier gerade weismachen wollen. Es ist zwar richtig, daß die geplante Totalübernehmergesellschaft ersatzlos aus dem Erlaß gestrichen worden ist. Ich habe es ja eben gesagt, daß es eigentlich überflüssig wäre, dies noch vorzutragen, weil es schon auf Grund des Aufschreis gekippt worden ist.

(Peter Conradi [SPD]: Zunächst!)

Es diente mir dazu, zu zeigen, welche Wege und welche Ziele Sie eigentlich verfolgen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es ist wichtig, daß man das hier noch einmal laut und deutlich sagt und auch zu Protokoll gibt.

(Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Sie müssen sich etwas dabei gedacht haben!)

Ich werde natürlich auch das Protokoll über Ihren Beitrag, Herr Abgeordneter Töpfer, gerne an die Architektenkammer weitergeben. Wir werden dann bei dem nächsten Frühstück, das mit der Architektenkammer ansteht und bei dem vielleicht auch Sie anwesend sind, darüber sprechen, welche Vorstellungen realitätsbezogener sind.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Hildebrecht Braun [Augsburg] [F.D.P.]: Wir legen noch ein Frühstücksei dazu!)

Herr Präsident, ich hoffe, daß das nicht auf meine Redezeit angerechnet worden ist.


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1317209600
Nein.

Gabriele Iwersen (SPD):
Rede ID: ID1317209700
Schönen Dank.
Ich wollte noch eine rhetorische Frage stellen. Sie sei mir gestattet. Worin soll eigentlich der Kostenspareffekt bestehen? Bei dem gewaltigen Risiko hätte der irregeleitete Totalübernehmer erst einmal einen erheblichen Zuschlag nehmen müssen, um überhaupt Geld für die Abdeckung dieses Risikos zu haben. Man kennt das von den Generalübernehmerzuschlägen, die erhoben werden müssen, weil die Generalübernehmer Risiko in einem ganz anderen Rahmen übernehmen. Bei Generalunternehmern ist das genau das gleiche.
Der Verdacht liegt nahe, daß der Erlaßentwurf nur zwei Ziele verfolgt, nämlich die Zerschlagung der Existenzgrundlage freischaffender Architekten und Ingenieure und das Verdrängen mittelständischer Bauhandwerksbetriebe, die durch den weitgehenden Verzicht auf getrennte Vergabe nach Fachlosen an öffentlichen Bauaufträgen nur noch als Subunternehmer ohne Bindung an die Regeln der VOB beteiligt werden können.

(Iris Gleicke [SPD]: Genau so ist es!)

Darüber täuscht auch nicht die Beteuerung des Bundesbauministeriums hinweg, daß der Mittelstand die Bauunterhaltung machen könne. Ich frage Sie, Herr Minister, ob Sie damit die Ausbildungsbereitschaft des Bauhandwerks endgültig zum Erliegen bringen wollen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Oder sind Ihnen die Konsequenzen Ihrer Erlässe überhaupt nicht bewußt?
Kostensparendes Bauen ist mit Sicherheit ein richtiges Ziel, um Wohnraum für Familien zu schaffen, die kein Interesse und kein Geld haben, Häuser für die Ewigkeit zu bauen. Deshalb möchte ich Zweifel an dem Vorschlag für einen zusätzlichen Gebäudepaß anmelden. Das ist aber nur ein Zweifel. Bitte betrachten Sie es also nicht gleich als totale Ablehnung. Wenn der Gebäudepaß mehr als ein Stück unverbindliche Information sein soll, dann schafft er neue Probleme, neue Kosten und neue Formalitäten. Wer soll verpflichtet werden, diesen Paß auszustellen? Soll er zu neuen Gewährleistungsansprüchen führen, falls die Angabe im Paß nicht mit der Realität übereinstimmt? Soll vielleicht ein staatlich anerkannter Sachverständiger gegen gutes Honorar den neuen Paß ausstellen? Oder war das alles gar nicht so ernst gemeint?
Ich bedauere jedenfalls, daß diese Uraltvorlage des Handlungsrahmens nach mehr als anderthalb Jahren Liegezeit nun zu einem nicht zu Ende gedachten Beschlußvorschlag der Koalitionsfraktionen geführt hat. Aber vielleicht trieb Sie ja die Angst, daß noch mehr untaugliche Erlässe aus dem Bundesbauministerium die Diskussion erschweren könnten. Deshalb lege ich Ihnen den Entschließungsantrag der SPD ans Herz und bitte um Verständnis, Frau Späte, daß wir Ihrem Antrag nicht zustimmen können.
Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1317209800
Das Wort hat der Kollege Gert Willner, CDU/CSU.

Gert Willner (CDU):
Rede ID: ID1317209900
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Thema kosten- und flächensparendes Bauen ist höchstaktuell und geht den Bund, die Länder, die Gemeinden, die Wohnungswirtschaft und alle künftigen Bauherren an. Denn kosten- und flächensparendes Bauen hat nur dann eine Chance, wenn sich Bauherren und die öffentliche Hand kostenbewußt verhalten. Die Förderung des kostengünstigen Bauens ist ein Beitrag zur Erleichterung der schwierigen Situation der Bauwirtschaft und schafft und sichert Arbeitsplätze.
Positive Wirkungen - das haben wir schon gehört - gehen insbesondere von der neuen Eigenheimförderung aus, die auch weiterhin für eine hohe Nachfrage nach Eigenheimen sorgt und einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung der Bauinvestitionen leistet. Wesentliches Ziel einer sachgerechten Wohnungsbaupolitik muß daher nach wie vor eine Verstärkung der Wohnungseigentumsförderung sein. Das entlastet den Staat, kann als weitere Säule der Altersvorsorge dienen und stärkt das Selbstverantwortungsprinzip.
Haushalte mit mittleren Einkommen haben eine reale Perspektive für die Vermögensbildung. Jährlich könnten sich etwa 100 000 Mieterinnen und Mieter im Alter von 25 bis 40 Jahren unter Berücksichtigung der neuen Eigenheimzulage zusätzlich Wohnungseigentum leisten, wenn die Objektpreise auf etwa 350 000 DM abgesenkt werden könnten - fürwahr ein lohnendes Ziel.
In vielen Regionen ist die Knappheit von Bauland zum entscheidenden Engpaß für das kostensparende Bauen geworden. Da die Städte und Gemeinden für die Bereitstellung und die Ausweisung von Bauland verantwortlich sind, kommt ihnen für den Erfolg des kosten- und flächensparenden Bauens eine wichtige Rolle, wenn nicht die Schlüsselrolle zu.
Wer in Deutschland ein Eigenheim baut, muß dafür durchschnittlich sieben bis neun Jahresgehälter aufbringen. In den Niederlanden kommt man mit vier Jahreseinkommen aus. Daran wird die Bedeutung des kostensparenden Bauens deutlich.
Die Novelle zum Baugesetzbuch, die wir gestern im Ausschuß behandelt haben, mit dem Ziel, daß sie möglichst bald, nämlich termingerecht zum 1. Januar 1998, in Kraft tritt, wird eine zügigere Bereitstellung von Bauland und das Flächenrecycling ebenso ermöglichen wie eine kostengünstige Erschließung. Als weitere wichtige Stichpunkte nenne ich den Verzicht auf das Anzeigeverfahren für alle Bebauungspläne, die aus dem F-Plan entwickelt werden, Abrundungssatzungen, die Zulassung von Nutzungsänderungen zugunsten von Wohnbauvorhaben im

Gert Willner
Außenbereich sowie die Regelung des städtebaulichen Vertrages und des Vorhaben- und Erschließungsplanes jetzt als Dauerrecht und natürlich die Nutzung von Brachflächen.
Diese Instrumente können aber nur dann die erhoffte Wirkung entfalten, wenn sie von den Städten und Gemeinden konsequent genutzt werden.

(Margarete Späte [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Dazu gehört der Hinweis: Je weniger Festsetzungen, desto flexibler ist Baugeschehen möglich. Das Ziel heißt: Besser planen, kostengünstiger bauen.
Keine praktikable Lösung ist aus der Sicht der CDU/CSU die von. der SPD geforderte Wiedereinführung der Grundsteuer C und das zonierte Satzungsrecht für Gemeinden. Das ist einer der grundsätzlichen Unterschiede zwischen CDU/CSU und SPD: Sie wollen neue Steuern einführen und verstorbene Steuern wiederbeleben. Genau dies wollen wir nicht. Auch die Expertenkommission Wohnungsbau hat festgestellt, daß ein zoniertes Satzungsrecht für die Bereitstellung von Bauland und erst recht für das Angebot an Wohnraum geringe Auswirkungen haben würde. Erst bei hohen Steuerbelastungen wäre eine spürbare Wirkung zu erwarten. Bei der Anwendung wäre mit hohem Verwaltungsaufwand zu rechnen, so die unabhängigen Experten. Wir wollen keine neuen Steuerlasten. Wir wollen keine neue Bürokratie. Wir wollen Steuerentlastung. Wir wollen Bürokratieabbau.
Der von uns vorgelegte Vorschlag sieht einen Handlungsrahmen mit sehr konkreten Punkten vor, von denen ich nur einige ganz besonders nennen möchte.
Erstens. Ich erwähnte es eben: Das Baugesetzbuch muß wie geplant zum 1. Januar 1998 in Kraft treten, damit die dort vorgesehenen und dargestellten Instrumentarien so schnell wie möglich den Gemeinden und Städten ihre praktische Arbeit erleichtern und die Planungen beschleunigen.
Zweitens. Die Gemeinden sind gefordert, deutlich mehr geeignetes Bauland für den Wohnungsbau, auch für den sozialen Wohnungsbau, bereitzustellen und auch die Chancen für Flächenrecycling dabei zu nutzen.
Drittens. Die Länder und die Bauwirtschaft sind gefordert, die Initiative für kostengünstiges Bauen zu unterstützen und eigene Initiativen zu entwickeln.
Viertens. Diese Forderung geht an den Bund: Bei der Wohnungsfürsorge muß kosten- und flächensparendes Bauen konsequent praktiziert werden.
Die Länder sollten prüfen, für ihren Bereich ein Instrument einzuführen, das in Schleswig-Holstein hervorragende Erfolge aufzuweisen hat, nämlich eine Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen. Diese Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen hat in jahrzehntelanger Arbeit den Nachweis erbracht, daß Baukosteneinsparungen zwischen 16 und über 30 Prozent möglich sind. Sie hat den Nachweis erbracht, daß Ausschreibungsergebnisse mit einer Kostengrenze von 2 000 DM und darunter erzielt werden können.
Lassen Sie uns hier im Hause an einem Strang ziehen. Das Thema kostengünstiges und ressourcensparendes Bauen darf keine Eintagsfliege sein und muß einmal jährlich zum Controlling auf den Tisch des Hauses gelegt werden.
Gemeinden, Länder und der Bund dürfen sich ihrer gemeinsamen Verantwortung nicht entziehen. Die Wohnungswirtschaft kann dieses Anliegen vorbildlich unterstützen.
Auf einen Nenner gebracht: Erstens. Mehr Wohnungen für weniger Geld! Zweitens. Gute Qualität zu tragbaren Kosten! Drittens. Kosten senken, keine Zeit verschenken!
Stimmen Sie dem Antrag der CDU/CSU und der F.D.P. zu! Im Ausschuß hat es dazu keine Gegenstimme gegeben. Wir haben bis auf das Thema Steuern eine ganze Reihe von Gemeinsamkeiten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1317210000
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung zu dem Handlungsrahmen der Bundesregierung für eine Initiative zum kosten- und flächensparenden Bauen. Das sind die Drucksachen 13/2247 und 13/7465. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der SPD-Fraktion bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/7499. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt.
Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 5 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zu dem Ersten Gesetz zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes und anderer Gesetze
- Drucksachen 13/2746, 13/3475, 13/3720, 13/3728, 13/3937, 13/3949, 13/4686, 13/4759, 13/4866, 13/7510 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Heribert Blens
Herr Blens, Sie wünschen das Wort zur Berichterstattung. Bitte, Herr Kollege.

Dr. Heribert Blens (CDU):
Rede ID: ID1317210100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Vermittlungsausschußergebnis, das Ihnen vorliegt, und das, was noch

Dr. Heribert Blens
dazugehört - ich komme gleich darauf zurück -, ist in verschiedener Hinsicht vielleicht etwas überraschend. Das erste ist: Der Vermittlungsausschuß hat ein gutes Jahr gebraucht, um dieses Ergebnis zustande zu bringen. Das ist ungewöhnlich. Das zweite, vielleicht auch Ungewöhnliche in diesen Tagen, ist, daß selbst in Fragen, die zwischen den Fraktionen dieses Hauses und den hier vertretenen Parteien höchst umstritten sind, ein Kompromiß möglich ist, und zwar dann, wenn nicht in erster Linie gefragt wird: Wer gewinnt? Wer verliert? Wer verliert das Gesicht? Wessen Wählern nützt das eine oder das andere?, sondern vor allem nach der Frage gehandelt wird: Was ist in der Sache richtig und vernünftig? Dann kommt man zu Einigungen und Ergebnissen. Ich bin sicher, das überzeugt auch die Wähler am meisten.
Das dritte Ungewöhnliche ist, daß wir Ihnen hier nicht nur eine Gesetzesänderung vorschlagen - diese haben Sie vorliegen -, sondern der Vermittlungsausschuß auch eine Empfehlung ausgesprochen hat, die sich an die Bundesländer richtet. Wir können diese Empfehlung nicht in Gesetzesform gießen, weil dafür die verfassungsrechtliche Grundlage fehlt. Es fehlt die Gesetzgebungskompetenz des Bundes. Diese Empfehlung hat keinen rechtlich zwingenden Charakter. Aber ich kann den Ländern nur empfehlen, ihr, auch im eigenen Interesse, nachzukommen.
Zum Gesetz selbst: Wir schlagen vor, die Leistungen erstens für Asylbewerber, zweitens für sogenannte geduldete Ausländer - das sind Ausländer, die an sich ausreisen müssen, das aber aus bestimmten Gründen nicht können oder nicht tun und hier geduldet werden - und drittens für Bürgerkriegsflüchtlinge, die von dem Beschluß des Bundestages zu diesem Gesetz überhaupt nicht erfaßt waren, für die Dauer von drei Jahren auf das Niveau des Asylbewerberleistungsgesetzes abzusenken; das liegt etwa 20 Prozent unter dem Niveau der Sozialhilfe.
Der Bund verzichtet - auch das ist Inhalt unseres Vorschlages - auf die Übertragung der Finanzierung der Freifahrten für Schwerbehinderte im öffentlichen Personennahverkehr auf die Länder. Außerdem verzichtet der Bund nach unserem Vorschlag auf die Abschaffung der sogenannten originären Arbeitslosenhilfe. Wenn beide Dinge so, wie es im Bundestagsbeschluß steht, verwirklicht worden wären, hätte das für den Bund eine Einsparung von 1,4 Milliarden DM bedeutet.
Auf der anderen Seite haben wir bei unserem Vorschlag berücksichtigt, daß die Länder und Gemeinden durch die Absenkung der Leistungen für die drei Ausländergruppen, die ich eben genannt habe, in den nächsten fünf Jahren bei sehr vorsichtiger Berechnung Einsparungen von mindestens 2,5 Milliarden DM haben werden.
Das war einer der Gründe dafür, daß wir gesagt haben - das ist Inhalt der Empfehlung, die wir an die Länder aussprechen -: Aus diesen Einsparungen sollen die Länder einen Teilbetrag zur Verfügung stellen - in den nächsten fünf Jahren insgesamt 750 Millionen DM -, um in Bosnien Wohnungen instand zu setzen, Wohnungen zu bauen und die sozialen Folgeeinrichtungen für zurückkehrende Bürgerkriegsflüchtlinge zu schaffen. Nach den Berechnungen des UNHCR und sehr vorsichtigen Kostenschätzungen könnten in Bosnien mit diesem Betrag Wohnungen für 135 000 bis 200 000 Menschen geschaffen werden.
Wir halten den Vorschlag, den wir machen, und die Empfehlung für praktikabel, weil wir den Ländern empfehlen, dieses Geld nicht über irgendwelche Bürokratien - seien es europäische oder deutsche oder bosnische -, sondern über Hilfsorganisationen, die bereits Erfahrungen im Wohnungsbau haben, dorthin zu leiten.
Wir halten den Vorschlag auch deshalb für sinnvoll, weil nicht nur Wohnungen für zurückkehrende Bürgerkriegsflüchtlinge geschaffen werden, sondern weil dort durch den Bau und die Instandsetzung von Wohnungen auch Arbeitsplätze geschaffen werden. Die Leute müssen nicht nur Wohnungen, sondern auch Arbeit haben.
Wir halten den Vorschlag für humanitär richtig und sind im übrigen der Meinung, daß er sich auch für die Länder bezahlt macht.
Wenn man die Situation der Bürgerkriegsflüchtlinge hier in Deutschland realistisch betrachtet, muß man, glaube ich, zu dem Ergebnis kommen, daß die erforderliche Rückkehr der Flüchtlinge in nennenswertem Umfang - die Rückkehr ist wichtig, um bei der deutschen Bevölkerung die Aufnahmebereitschaft für vergleichbare Notfälle in der Zukunft zu erhalten - nicht mit den Zwangsmitteln des Ausländerrechtes erreicht werden kann. Zu glauben, daß man 250 000, 230 000 Menschen abschieben könne - mit dem Flugzeug oder sonstwie -, ist eine Illusion.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)

Wir müssen auf die freiwillige Rückkehr setzen. Dies setzt eine Rückkehrbereitschaft voraus. Die Rückkehrbereitschaft hängt natürlich wesentlich davon ab, daß die Leute ein Dach über dem Kopf haben, wenn sie in ihr Land zurückkehren. Deshalb machen wir diesen Vorschlag.
Es gibt einige Länder - es waren zwei -, deren Vertreter schon im Vermittlungsausschuß erklärt haben, daß sie es für falsch hielten, eine solche Empfehlung zu geben, und die schon mehr oder weniger deutlich angekündigt haben, daß sie ihr nicht nachkommen werden. Wenn es wirklich so käme, würde ich das bedauern. Ich halte das Argument, der Vermittlungssausschuß sei für so etwas nicht zuständig, das sei ein Eingriff in den Föderalismus, in die Rechte der Länder, zwar für rechtlich richtig; aber ich meine, das, was wir vorschlagen, ist politisch richtig, ist human, ist vernünftig.
Ich sage noch einmal, es liegt im Interesse der Länder; denn wenn die Leute freiwillig zurückkehren, sparen die Länder viel Geld. Man sollte sich nicht auf juristische Spitzfindigkeiten zurückziehen.

(Beifall bei der F.D.P.)


Dr. Heribert Blens
Ich kann an die Bundesländer, und zwar an alle, nur appellieren, dieser Empfehlung nachzukommen, die diesen Kompromiß, den wir Ihnen heute vorschlagen, möglich gemacht hat.
Als Vorsitzender des Vermittlungsausschusses und als Berichterstatter rate ich allen - ich denke, das kann man guten Gewissens tun -, diesem Kompromißvorschlag zuzustimmen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1317210200
Das Wort für eine Erklärung hat die Kollegin Brigitte Lange, SPD.

Brigitte Lange (SPD):
Rede ID: ID1317210300
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das, was Herr Blens als Verzicht bezeichnete, wäre für die Länder eine Zumutung gewesen, nämlich die Streichung der originären Arbeitslosenhilfe sowie die Verlagerung der Kosten für die unentgeltliche Beförderung von Schwerbehinderten im öffentlichen Personennahverkehr.
Wir sind froh, daß die Länder dadurch nicht belastet worden sind. Gleichwohl ist unsere Hoffnung gering, daß Sie diese Anträge nicht schon bald wieder auf den Tisch legen werden; denn von wie kurzer Dauer mit Ihnen gefundene Kompromisse sind, wird an dem übriggebliebenen Teil, dem Asylbewerberleistungsgesetz, deutlich.
Sie werden sich daran erinnern, daß das Asylbewerberleistungsgesetz Teil eines sehr, sehr schmerzlichen Kompromisses insbesondere für die SPD-Fraktion gewesen ist. Wir haben Ihnen deutlich machen wollen, daß man für Menschen, die in demselben Gebiet, innerhalb unserer Grenzen, leben, kein unterschiedliches Existenzminimum definieren kann; damit sind wir erfolglos geblieben. Wir haben dann nach langem Ringen dem Kompromiß zugestimmt, daß ausschließlich an Asylbewerber für die Dauer des Verfahrens abgesenkte Leistungen, also weniger als der Sozialhilfesatz, gezahlt werden können, längstens aber für ein Jahr. Sie verlangen jetzt, dies auf drei Jahre auszudehnen; das können wir nicht mitmachen.
Auch die Forderung, Bürgerkriegsflüchtlinge in den Kreis der Empfänger einzubeziehen, verletzt den damals gefundenen Kompromiß. Sie werden sich daran erinnern, daß der Bund zugesagt hatte, mindestens die Hälfte der Kosten für Bürgerkriegsflüchtlinge zu übernehmen. 14 Milliarden DM haben die Länder allein getragen, obwohl die Aufnahme von Bürgerkriegsflüchtlingen nicht allein eine Sache der Länder ist. Diesen Teil des Kompromisses haben Sie nicht erfüllt. Wir sind auch deshalb nicht bereit, diese Empfehlung des Vermittlungsausschusses mitzutragen.
Ein Weiteres stimmt uns außerordentlich skeptisch und bestärkt unsere Ablehnung. Das babylonische Stimmengewirr zur Sozialhilfe, das wir in den letzten Wochen insbesondere aus Ihren Reihen gehört haben, die Sorgen von Henn Waigel, seine Haushaltslöcher zu stopfen, seine Sorge, das steuerfreie Existenzminimum nicht zu hoch geraten zu lassen, und insbesondere die Sorgen des Herrn Blüm, sein Rentenkonzept durchzubringen, was erwarten läßt, daß künftig noch mehr Rentner unter die Sozialhilfegrenze fallen werden, lassen uns vermuten, daß es Ihnen wichtig sein könnte, einen Unterschied zwischen Renten und Sozialhilfe in der Weise herzustellen, daß Sie die Sozialhilfesätze wieder absenken. Es könnte sein, daß Sie meinen, daß man, wenn man einem Teil der Menschen, die bei uns wohnen, drei Jahre lang eine niedrigere Leistung als die Sozialhilfe zumutet, argumentieren könnte, dies sei der Satz, der insgesamt für die Sozialhilfe gefunden werden kann. - Ich möchte Sie warnen, zu vermuten, daß Sie bei den Sozialdemokraten Zustimmung dafür gewinnen können.
Wir können aus den genannten Gründen nicht die Länder kritisieren, daß sie sich hier anders verhalten. Sie stehen finanziell wirklich mit dem Rücken an der Wand. Auch das, was Sie mit Ihrem verschlimmbesserten AFG vorhaben, wird die Kassen der Kommunen und Länder erneut belasten, wird immer wieder Sozialhilfeempfänger produzieren. Wir stimmen dieser Regelung aber auch aus ganz grundsätzlichen Erwägungen nicht zu.
Danke.

(Beifall bei der SPD)


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1317210400
Das Wort hat die Kollegin Kerstin Müller, Bündnis 90/Die Grünen.

Kerstin Müller (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1317210500
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine alte Erfahrung lautet: Die Humanität einer Gesellschaft ist daran zu erkennen, wie human sie mit den Schwächsten der Gesellschaft umgeht. Das Ergebnis des Vermittlungsausschusses, die Verschärfung des Asylbewerberleistungsgesetzes, ist in dieser Hinsicht leider kein Ruhmesblatt. Im Gegenteil: Auf Kosten der Schwächsten dieser Gesellschaft sollen jetzt die Kassen von Bund und Ländern saniert werden. Ich kann hier für meine Fraktion klar sagen: Das werden wir nicht mitmachen. Wir werden deshalb diesem Ergebnis des Vermittlungsausschusses nicht zustimmen.
Kennzeichnend für das nunmehr seit über einem Jahr laufende Vermittlungsverfahren war allein die Diskussion der unterschiedlichen Finanztableaus des Bundes und der Länder. Menschliche Schicksale wurden auf den zählenden Nenner gebracht und in Tableaus gepreßt. Humanität spielte keine Rolle. Ich meine, gerade darum aber sollte es uns gehen.
Ich will nicht verschweigen, daß das Ergebnis des Vermittlungsausschusses auch Punkte beinhaltet, die wir partiell mittragen können. Wir begrüßen natürlich die Erklärung des Bundes, die Streichung der originären Arbeitslosenhilfe in dieser Legislaturperiode nicht mehr zu thematisieren. Ich habe allerdings meine Zweifel, ob sich die Koalitionsfraktionen an diese Selbstverpflichtung der Bundesregierung halten; denn angesichts der schlechten Erfahrungen, die wir in der Vergangenheit gemacht haben, ist Skepsis wirklich angebracht.
Allerdings ist der Preis, den auch die SPD-geführten Länder für diese Änderung zu zahlen bereit sind,

Kerstin Müller (Köln)

hoch: Nun sollen auch Bürgerkriegsflüchtlinge unter den Geltungsbereich des Gesetzes fallen. Die damit einhergehende Kürzung der Sozialhilfe um 20 Prozent unterhalb des für deutsche Bürger gesetzlich festgeschriebenen Existenzminimums bedeutet aus unserer Sicht eine unerträgliche Stigmatisierung von Flüchtlingen zu Menschen zweiter Klasse. Deshalb können wir einer solchen Verschärfung nicht zustimmen. Deshalb waren wir auch in der Vergangenheit gegen das Asylbewerberleistungsgesetz.
Bund und Länder haben sich also darauf geeinigt: Flüchtlinge und Bürgerkriegsflüchtlinge sollen den Preis dafür zahlen, daß Deutschen die originäre Arbeitslosenhilfe nicht gestrichen wird. Damit werden die Schwächsten der Gesellschaft gegeneinander ausgespielt. Das finden wir zutiefst inhuman. Wir werden nicht zustimmen; aber auch die rot-grün-geführten Länder im Bundesrat werden dem nicht zustimmen.
Etwas anders sehe ich allerdings den Vorschlag zur Einrichtung eines Fonds für den Wiederaufbau von Wohnraum und der sozialen Infrastruktur in Bosnien-Herzegowina. Ich habe diesem Teil deshalb im Vermittlungsausschuß auch zugestimmt. Ich bin nämlich der festen Überzeugung, daß dies ein Schritt in die richtige Richtung ist. Es ist zwar falsch, das Geld für diesen Fonds den hier lebenden Flüchtlingen wegzunehmen. Das findet nicht unsere Zustimmung. Hier lebende Flüchtlinge können nicht dafür verantwortlich gemacht werden, daß etliches in Bosnien-Herzegowina noch nicht funktioniert.
Aber es ist völlig klar: Ohne Fortschritte beim Wiederaufbau wird der Rückkehrprozeß nicht in Gang kommen. Wir wünschen uns alle, daß die Flüchtlinge zurückkehren: freiwillig, an ihre Heimatorte, in Sicherheit und Würde - aber eben freiwillig. Ich glaube, daß ein solcher freiwilliger Rückkehrprozeß nur vorankommen wird, wenn wir an diesem Wiederaufbau arbeiten. Viele wollen zurück. Aber sie gehen erst dann zurück, wenn sie dort eine Zukunft sehen, wenn die Bedingungen im Land sich verändern.
Es ist richtig - dieses Argument ist auch im Vermittlungsausschuß gekommen -: Es gibt Gelder bei der EU, bei der Weltbank. Aber Fakt ist, diese Gelder fließen eben nicht. Ich bin deshalb inzwischen der Überzeugung, daß wir einen anderen Weg gehen müssen: Wir müssen für bilaterale Hilfen finanzielle Mittel freimachen, im Bund, in den Ländern, in den Gemeinden. Das ist der einzige Weg. Wenn die EU nun einmal nichts macht, dann müssen wir selbst tätig werden.
Deshalb finde ich den Fonds eine gute Idee. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung. So können wir den freiwilligen Rückkehrprozeß in Gang setzen. Nur so sehe ich eine Chance, daß die Beschlüsse der Innenministerkonferenz wieder revidiert werden, mit denen man leider immer noch auf Zwangsabschiebung setzt.
Danke.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1317210600
Das Wort hat der Kollege Ulrich Irmer, F.D.P.

Ulrich Irmer (FDP):
Rede ID: ID1317210700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die F.D.P.-Fraktion wird dem Kompromiß zustimmen, der im Vermittlungsausschuß gefunden wurde. Ich sage allerdings ganz ehrlich, das wir das nicht sehr gerne tun. Wir tun es, weil uns die Gebote der Vernunft dazu zwingen.
Was mich zum Beispiel nachhaltig stört, ist, daß die SPD-Fraktion hier so tut, als sei sie zuständig für die Moral und für die Humanität, während die SPD-regierten Länder im Bundesrat natürlich herzlich gerne diesem Kompromiß zustimmen, ungeachtet aller Humanität, ungeachtet aller Moral - einfach weil sie dadurch Geld sparen. Die Frau Kollegin Müller von den Grünen sagt, die Länder mit rot-grünen Regierungen würden nicht zustimmen. Gleichwohl werden sie die Ersparnisse gerne einstreichen wollen.
Das ganze Verfahren im Vermittlungssausschuß hat sich deshalb so lange hingezogen, weil sich zwar alle darüber klar waren, daß überall gespart werden muß - bei Bund und Ländern -, aber die SPD-dominierte Länderseite nicht bereit war, auch dem Bund zuzugestehen, daß wir herzlich gerne eine Kompensation haben wollten.
Das Ergebnis führt jetzt dazu, daß die Länder und Kommunen erhebliche Einsparungen tätigen können, der Bund aber nach wie vor zahlt, und zwar für etwas, was Sie immer wieder kritisieren. Ich verstehe überhaupt nicht, daß Sie auf der einen Seite behaupten, es sei ein großer Triumph, daß die originäre Arbeitslosenhilfe weiterhin vom Bund gezahlt werden muß, aber auf der anderen Seite immer gegen versicherungsfremde Leistungen vom Leder ziehen. Das ist widersprüchlich.
Wenn es je offensichtlich war, daß es versicherungsfremde Leistungen gibt, dann doch bei der sogenannten originären Arbeitslosenhilfe: Aus diesem Topf wird Arbeitslosengeld gewährt, ohne daß ein Pfennig für die Leistungen der Sozialkassen gezahlt wurde. Diese Widersprüche muß man vor Augen haben.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Wir verwahren uns dagegen, daß die Länder dem Bund legitime Sparmöglichkeiten verweigern. Wir stimmen diesem Kompromiß in erster Linie deshalb zu, weil der Appell an die Länder ergeht - einige Länder haben sich dazu auch bereit erklärt -, zum Wiederaufbau der sozialen Infrastruktur in BosnienHerzegowina beizutragen. Hier besteht nämlich ein unmittelbarer innerer Zusammenhang mit den Leistungen für Bürgerkriegsflüchtlinge.
Jedermann weiß, daß die Umsetzung des zivilen Teils des Dayton-Abkommens unzureichend ist. So gut dankenswerterweise die militärische Implementierung funktioniert, so große Rückstände gibt es auf der zivilen Seite zu beklagen, die die eigentlich entscheidende ist. Denn militärische Präsenz wird auf die Dauer gar nichts nützen können, wenn es nicht gelingt, in Bosnien-Herzegowina eine Aufbauarbeit

Ulrich Irmer
zu leisten, die die Menschen davon abbringt, bei nächster sich bietender Gelegenheit wieder mit Waffengewalt übereinander herzufallen. Hier können wir einen wichtigen Beitrag leisten. Das ist auch die Voraussetzung dafür, daß die Bürgerkriegsflüchtlinge freiwillig in ihre Heimat zurückkehren, und vor allem die Voraussetzung dafür, daß nicht erneut vor Ort Kämpfe ausbrechen und sich neue Flüchtlingsströme zu uns in Bewegung setzen.
Es ist vom Berichterstatter, dem Vorsitzenden des Vermittlungsausschusses, Herrn Blens, darauf hingewiesen worden, daß es hierfür keine rechtliche Verpflichtung der Bundesländer gibt. Das ist völlig richtig. Das weiß auch jeder, der jetzt zustimmt. Wenn sich einzelne Länder an diese Vereinbarungen nicht halten, dann wird man ihnen rechtlich keinen Vorwurf machen können. Es handelt sich hier nicht um eine rechtliche Verpflichtung, sondern um ein Gentlemen's Agreement. Der Vorwurf wird also nicht lauten, die Länder hätten uns hier geunkt oder hinter die Fichte geführt. Der Vorwurf wird allenfalls lauten: Bei denjenigen, die nicht zahlen, handelt es sich nicht um Gentlemen. Den Vorwurf würden wir allerdings laut und deutlich erheben.
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, dem Kompromiß trotz aller Bedenken zuzustimmen, insbesondere weil der Teil bezüglich des Aufbaus, zu dem sich die Länder bereitfinden wollen, wichtig, bedeutend und unerläßlich ist, um die Flüchtlingssituation vernünftig zu regeln.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1317210800
Das Wort hat die Kollegin Dr. Heidi Knake-Wemer, PDS.

Dr. Heidi Knake-Werner (PDS):
Rede ID: ID1317210900
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nun ist der unsägliche Finanzpoker zwischen Bund und Ländern endlich entschieden. Über ein Jahr wurde zu Lasten von Schwerbehinderten, Arbeitslosen sowie Asylbewerberinnen und Asylbewerbern gefeilscht. Nach dem hier abzustimmenden Ergebnis des Vermittlungsausschusses sind wieder einmal die Asylbewerberinnen und Asylbewerber sowie die Flüchtlinge auf der Strecke geblieben.
Ihnen soll künftig die Sozialhilfe um 20 Prozent gekürzt werden, und das auf die Dauer von drei Jahren. Die PDS findet dieses Ergebnis des Vermittlungsausschusses nicht nur unakzeptabel, sondern lehnt diese Politik der geteilten Menschenwürde ab und wird gegen den Kompromißvorschlag des Vermittlungsausschusses stimmen.

(Beifall bei der PDS)

Dies tun wir, obwohl wir es begrüßen, daß die Fahrgelderstattung für Behinderte vom Bund übernommen wird und damit eine einheitliche Regelung erhalten bleibt.
Wir stimmen gegen das Ergebnis des Vermittlungsausschusses, obwohl die originare Arbeitslosenhilfe bestehenbleibt. Das ist angesichts der dramatisch schlechten Beschäftigungslage auch bitter notwendig. Die Streichung dieser Sozialleistung hätte die Kommunen mit weiteren Kosten im Rahmen der Arbeitslosigkeit unangemessen hoch belastet. Frau Kollegin Lange, das ist eben der Unterschied: Die Kommunen werden entlastet; das hat mit den Ländern zunächst einmal nicht soviel zu tun.
Diese Streichung wäre ein unverantwortlicher Vorgang gewesen. Ich bin froh, daß sie verhindert worden ist. Lieber Kollege Irmer, was an dieser Leistung versicherungsfremd ist, müssen Sie einmal erklären. In unserem Versicherungssystem existiert noch immer das Solidarprinzip. Darin sind auch Arbeitslose eingeschlossen, die vorher noch nicht haben einzahlen können. Sie müssen einmal begreifen, was Solidarität bedeutet.
Ich sage hier aber auch ganz deutlich: Was mit diesem Kompromiß eingehandelt wurde - ich wende mich damit auch an die SPD; denn Sozialdemokraten waren wohl an der Aushandlung dieses Kompromisses beteiligt -, ist inhuman und, wie ich finde, zutiefst blamabel. Hier liegt ein Kompromiß vor, der über die ursprüngliche Regierungsvorlage noch hinausgeht. Bei mehr als einer halben Million Betroffener, die unter das Asylbewerberleistungsgesetz fallen, werden jetzt diese zwanzigprozentigen Kürzungen vorgenommen, und das für drei Jahre. Alle Bürgerkriegsflüchtlinge sind von dieser Kürzung betroffen.
Sie wissen genau, daß niemand hierzulande mehrere Jahre von einer Sozialhilfe, die um 20 Prozent gekürzt würde, leben kann. Sie kennen die möglichen Folgen: Kleinkriminalität, illegale Beschäftigung, Mißbrauch und Abhängigkeit von Drogen. Sie wissen, was das vielerorts praktizierte Sachleistungsprinzip für Folgen hat: komplette Ignoranz hinsichtlich der kulturellen Eigenheiten und vor allen Dingen des Rechts auf individuelle Lebensgestaltung.
Ich will noch eines sagen: Es ist ja nicht nur die 20 prozentige Kürzung, die in diesem Gesetzentwurf enthalten ist. In diesem Gesetzentwurf ist auch die Regelung der medizinischen Versorgung enthalten, die nur noch die Behandlung von akuten Notfällen zuläßt. Das ist derartig menschenunwürdig, daß man ihn allein schon deshalb ablehnen muß.
Es wird eine Politik fortgesetzt, die eklatant gegen die Menschenwürde verstößt, weil sie hier in Deutschland lebenden Ausländerinnen und Ausländern zumutet, unterhalb des Existenzminimums zu leben. Ausländerinnen und Ausländer werden gegen Deutsche ausgespielt. Das ist wahrlich ein Zweiklassenrecht reinsten Wassers, und es ist zutiefst ausländerfeindlich.
Mit der Kürzung der Sozialhilfe für die genannten Gruppen sollen - das hat Herr Blens hier noch einmal betont - 2,5 Milliarden DM eingespart werden. Bei den Anhörungen haben insbesondere die Vertreter der kommunalen Spitzenverbände Einsparungen in diesen Größenordnungen deutlich angezweifelt.
Unabhängig davon ist zu sagen: Es geht Ihnen gar nicht allein um die Einsparungen. Sie wollen mit der

Dr. Heidi Knake-Werner
drastischen Verschlechterung der materiellen Bedingungen für Asylsuchende und Kriegsflüchtlinge auch abschrecken. Sie wollen diejenigen abschrekken, die immer noch kommen und auf Zuflucht und Hilfe in Deutschland hoffen. Wie anders ist es sonst zu erklären, daß sich ausgerechnet die Innenminister bereits im Oktober 1996 auf die 20prozentige Kürzung der Sozialhilfe verständigt haben? Aus dieser Kürzung wird die tiefere Absicht deutlich.
Zum Abschluß sage ich deutlich: Mich tröstet angesichts der unmenschlichen Verschärfung des Asylbewerberleistungsgesetzes nicht, daß ein Teil des Geldes in einen Fonds für den Wiederaufbau in Bosnien fließen soll. Es paßt durchaus in Ihr Konzept - auch das hat Herr Blens hier in aller Deutlichkeit geschildert -, Anreize für die Rückkehr bosnischer Flüchtlinge zu schaffen. Dennoch finde ich es richtig, Mittel für den Wiederaufbau in Bosnien bereitzustellen. Ich halte es aber für schlicht skandalös, dazu die Ärmsten der Annen zur Kasse zu bitten.

(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1317211000
Wir kommen jetzt zur Abstimmung. Der Vermittlungsausschuß hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, daß im Deutschen Bundestag über die Änderung gemeinsam abzustimmen ist. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses auf der Drucksache 13/7510? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, Sie wissen, um 15.30 Uhr wird der Präsident der Tschechischen Republik, Václav Havel, hier im Plenarsaal vor den Mitgliedern des Deutschen Bundestages und des Bundesrates eine Ansprache halten. Ich unterbreche deshalb jetzt die Plenarsitzung. Sie wird voraussichtlich gegen 13.30 Uhr fortgesetzt. Der Wiederbeginn wird rechtzeitig durch Klingelzeichen angekündigt.

(Unterbrechung der Sitzung von 13.58 bis 17.31 Uhr)


Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1317211100
Die unterbrochene Sitzung ist wiedereröffnet.
Ich rufe den Zusatzpunkt 6 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses (4. Ausschuß)

- zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/ CSU und F.D.P.
- zu dem Antrag der Abgeordneten Otto Schily, Günter Verheugen, Walter Kolbow, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
- zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Gerald Häfner, Annelie Buntenbach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
- zu dem Antrag der Abgeordneten Gerhard Zwerenz, Heinrich Graf von Einsiedel, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS
Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944"
- Drucksachen 13/7162, 13/7175, 13/7120, 13/7188, 13/7506 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Erika Steinbach Freimut Duve
Volker Beck (Köln)

Cornelia Schmalz-Jacobsen Ulla Jelpke
Ich weise darauf hin, daß wir im Anschluß an die Aussprache über die vier Anträge jeweils namentlich abstimmen werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und die Gruppe der PDS je fünf Minuten erhalten werden. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem Abgeordneten Professor Dr. Rupert Scholz.

Dr. Rupert Scholz (CDU):
Rede ID: ID1317211200
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir zunächst eine Vorbemerkung. Nach der für uns alle bewegenden, außerordentlich eindrucksvollen Debatte am 13. März in diesem Hohen Hause bedaure ich es ausdrücklich, daß wir uns mit dieser Thematik heute unter Abstimmungsaspekten erneut auseinandersetzen müssen.
Die Geschichte der Wehrmacht im Dritten Reich ist unendlich vielschichtig. Sie ist von unendlich vielen ebenso rechtlichen wie persönlichen, ebenso objektiven wie subjektiven Gesetzlichkeiten und Betroffenheiten geprägt, so daß eine Beurteilung mit dem Anspruch absoluter Wahrheit und absoluter Richtigkeit ausgeschlossen ist. Gerade dies hat die Debatte vom 13. März in eindrucksvoller Weise gelehrt, und gerade dies hat auf die Debatte in unserem Lande um die strittige Ausstellung in wahrhaft stilbildender Weise Einfluß genommen.
Wir waren am 13. März gut beraten, daß wir nach dieser so wichtigen und, ich wiederhole es, für mich stilbildenden Debatte nicht zur Abstimmung, also nicht auf die zwangsläufig gegensätzlichen Mechanismen der Abstimmung über kontroverse Anträge, übergegangen sind. Leider stehen wir aber heute nun doch vor der Notwendigkeit, über die damals eingebrachten kontroversen Anträge kontrovers abzustimmen.
Leider ist dies der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vorzuhalten, die unter den Fraktionen dieses Hauses als einzige nicht bereit war, auf entsprechende Abstimmungen zu verzichten. Die Union, die F.D.P. und auch die SPD haben sich in vorangegangenen Gesprächen intensiv darum bemüht, die Debatte vom 13. März nicht durch solche Abstimmungen mit all

Dr. Rupert Scholz
ihren Gegensätzlichkeiten nachträglich zu verwässern.

(Dr. Dagmar Enkelmann [PDS]: Dann hätte man gemeinsame Anträge stellen müssen!)

Dieses Hohe Haus wäre wahrhaftig gut beraten, wenn es die Debatte vom 13. März buchstäblich für sich selbst stehen ließe, mit all ihren vielfältigen Facetten, ihren vielfältig zum Ausdruck gebrachten persönlichen Betroffenheiten und persönlichen Schicksalen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Jeder von uns hat, sei es persönlich, sei es in der Familie, sei es unter Freunden, Opfer des Zweiten Weltkriegs zu beklagen. Jeder von uns ist durch die schreckliche Tragödie des Zweiten Weltkriegs mit getroffen oder zumindest mit betroffen. Auch mein Vater ist in Stalingrad gefallen. Ich habe versucht, diese Debatte und die Gesamtproblematik auch mit den Augen meines Vaters, den ich als Kind allerdings kaum noch habe kennenlernen können, zu sehen. So betrifft auch mich das Ganze, wie die meisten hier im Haus, ganz, ganz persönlich.
Gerade deshalb bin ich für die Debatte vom 13. März dankbar. Sie hat nicht nur jene schreckliche Tragödie, die unser ganzes Volk getroffen hat, so eindrucksvoll nachgezeichnet. Sie hat darüber hinaus auch in ihrem Gesamtbild jene vielschichtigen, vielfältigen und naturgemäß auch vielfältig unterschiedlichen Facetten verdeutlicht.
Dies alles, meine Damen und Herren, läßt sich aber nicht in mehr oder weniger abstrakte Entschließungsanträge fassen. Deshalb bedaure ich noch einmal, daß es uns nicht gelungen ist, bei der Debatte vom 13. März zu verbleiben, in der gebotenen Achtung vor dem anderen und dem gemeinsamen Wissen um jene schreckliche Tragödie gemeinsam innezuhalten, gemeinsam zu verharren und dies auch gemeinsam zu bewahren.
Obwohl auch wir bereit gewesen wären, wie ich bereits gesagt habe, auf unseren Antrag, den Antrag der Koalitionsfraktionen, zu verzichten, spreche ich nunmehr - leider ist die Situation so - für unseren Antrag.
Meine Damen und Herren, der Zweite Weltkrieg gehört zu den furchtbarsten Tragödien der deutschen und europäischen Geschichte. Millionen auch deutscher Soldaten, deutscher Zivilisten sind ihm zum Opfer gefallen. Verantwortlich für diese Tragödie ist das Verbrecherregime des Nationalsozialismus. Unzählige deutsche Soldaten sind dieser Tragödie zum Opfer gefallen. Unzählige deutsche Soldaten haben in diesem Krieg aus Pflichtbewußtsein und Treue zu ihrem Vaterland gehandelt. Ihnen gebührt unser Respekt.
Unser Respekt gebührt ihnen vor allem deshalb, weil es hier auch um uns selbst geht, über alle Generationen hinweg. Keine Generation ist berechtigt, über die eigenen Väter, die eigenen Großväter einseitig den Stab zu brechen, ist berechtigt, eine solche Tragödie in pauschale Schuld- oder Unschuldzuweisungen aufzulösen. Denn auch hierin liegt eine große
historische Tragödie für unser Volk: Dies ist buchstäblich nicht möglich. Dies wäre nicht gerecht und hieße im Grunde auch, statt zu versöhnen zu spalten.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Gerade deshalb, meine Damen und Herren, verwahren wir uns mit Entschiedenheit gegen jede einseitige oder pauschale Verurteilung der Angehörigen der Wehrmacht.
Andererseits begrüßen wir jeden Versuch zur historisch wahrhaftigen und gerechten Aufarbeitung der Geschichte des Zweiten Weltkriegs und damit auch der Geschichte der Wehrmacht. Dies alles ist schon vielfältig geschehen, und dies alles wird uns noch lange in unserer neueren Geschichte wie Gegenwart und sicherlich auch Zukunft begleiten. In diesem Kontext ist natürlich auch jene strittige Wehrmachtsausstellung zu sehen.
Ich mache kein Hehl aus meiner persönlichen Auffassung, daß ich diese Wehrmachtsausstellung in vielem für nicht gerecht, nicht wahrhaftig halte. Aber ich habe mir diese Ausstellung angesehen. Ich habe versucht, sie vor allem mit den Augen meines Vaters zu sehen, und bin gerade auf der Grundlage dessen - das will ich hier sehr offen sagen - in manchen schweren Zweifel, aber auch in manchen Zorn über gegebene Einseitigkeiten verfallen.
Dies ändert indessen nichts daran, daß auch diese Ausstellung Ausdruck der Meinungsfreiheit ist, daß auch diese Ausstellung den Anspruch auf Toleranz besitzt; denn jedermann ist aufgerufen, sich sein persönliches Urteil zu bilden.
Ein solch persönliches Urteil kann aber nicht durch eine Abstimmung im Deutschen Bundestag ersetzt werden. Der Deutsche Bundestag hat individuale Meinungsfreiheit zu achten und zur öffentlichen Toleranz aufzurufen. Private Initiativen wie jene Ausstellung stehen aber gerade in einem liberalen, in einem pluralistischen Rechtsstaat nicht zur Zensur an, weder im positiven noch im negativen Sinne.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der F.D.P. und der Abg. Dr. Dagmar Enkelmann [PDS])

Erst recht ist jede Form der links- oder rechtsextremistischen Agitation im Zusammenhang mit solchen Ausstellungen mit Nachdruck zu verurteilen. Der Deutsche Bundestag ist buchstäblich nicht zur Parteinahme in solchen Fragen historischer Auseinandersetzungen berechtigt.

(Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Richtig!)

Deshalb, meine Damen und Herren, ist es richtig, daß unser Präsidium entschieden hat, die genannte Ausstellung nicht in den Deutschen Bundestag aufzunehmen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Seien wir uns darüber im klaren - seien wir ehrlich in dieser Frage -: Letztendlich geht es hier um buchstäblich Unabstimmbares.

(Widerspruch bei der SPD)


Dr. Rupert Scholz
Gerade dies bringt auch unser Antrag zum Ausdruck, und gerade deshalb werbe ich für die Annahme des Antrags der Koalitionsfraktionen.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1317211300
Ich gebe dem Abgeordneten Freimut Duve das Wort.

Freimut Duve (SPD):
Rede ID: ID1317211400
Herr Präsident! Es geht um Aufklärung. Keine der großen kulturellen und intellektuellen Traditionen hat den Gedanken der parlamentarischen Demokratie stärker bestimmt als die Aufklärung. Mit unserer Vergangenheit muß auch das Parlament in diesem Geiste der Aufklärung umgehen. Aufklärung aber braucht Erinnerung und Erfahrung.
Deshalb haben gerade die von subjektiven Erfahrungen geprägten Reden bei der Debatte vom 13. März so sehr zu einem Stil und Klima im Geiste der Aufklärung beitragen können. Dieser Stil und dann auch der gegenseitige Respekt bei unseren Berichterstattergesprächen heben sich - ich muß das sagen - auf gute Weise ab von den oft persönlichen Verunglimpfungen, denen in der Öffentlichkeit der Gründer des Hamburger Instituts für Sozialforschung, dem wir diese Ausstellung zu verdanken haben, ausgesetzt war.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS sowie des Abg. Dr. Max Stadler [F.D.P.])

Jan Philipp Reemtsma hat am 13. April in der Frankfurter Paulskirche eine angemessene und souveräne Form gefunden, damit umzugehen. Er hat still gesprochen von - Zitat - „Gesprächen, Briefen, Beschimpfungen, Dank, Morddrohungen, Bekenntnissen" und nüchtern dann hinzugefügt, all dies sei auch Material, das der Analyse des zeitdiagnostischen Bemühens harrt.
Nicht allzuoft begegnen wir Bürgern unseres Landes, die, vielleicht auch wegen ihrer persönlichen Lebensgeschichte, so engagiert ihr ganzes Leben und, wie in diesem Fall, auch ihr Erbe in den Dienst eben jener Aufklärung gestellt haben, der sich wichtige Teile des Bürgertums der Weimarer Republik verweigert hatten. Jan Philipp Reemtsma fühlt sich dieser großen Tradition der Aufklärung verpflichtet - der Aufklärung im Denken, aber auch der Aufklärung über deutsches Handeln in unserem Jahrhundert. Dafür sollten wir, unabhängig von unserer Beurteilung über die von ihm ausgestellten Inhalte, danken und danken können.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der F.D.P. und der PDS)

Denn zu verteidigen gegen die oft unsäglich peinlichen persönlichen Schmähungsversuche, auch des Namens seiner Familie, brauchen wir ihn nicht.

(Beifall bei der SPD und der PDS sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Unsere Bemühung hier im Parlament muß darauf gerichtet sein, das Klima des Respekts, das wir in der Debatte und bei den Berichterstattergesprächen erreicht haben, zu erhalten. Die Debatte am 13. März hatte eine eigene Dynamik entwickelt, mit sehr viel persönlichen und ernsthaften Redebeiträgen. Deshalb hatten wir uns zu dem Versuch entschieden, die vorgelegten Anträge durch eine gemeinsame Entschließung zu ersetzen. Das ist nicht zustande gekommen.
Aber Konsens bestand über die Absicht, dem am 13. März erlebten Klima auch durch unsere Entschließung eine angemessene Form zu verleihen. Das aber bedeutet, daß die inhaltliche Aussage zur Ausstellung, die ja im Bundestag ganz unterschiedlich beurteilt wurde, begrenzt wird auf die Frage des Umgangs mit Ausstellungen, wissenschaftlichen Arbeiten und Literatur.
Ich war - das will ich hier hervorheben - sehr positiv überrascht davon, daß eine Kollegin der Union in diesen Gesprächen den Vorschlag gemacht hat, einen wichtigen Teil des Antrags der Grünen, nämlich jenen Teil, der die Verbrechen konkret benennt, in den gemeinsamen Antrag zu übernehmen. Für diesen Schritt möchte ich Frau Steinbach aus Frankfurt, die in der Sache eine ganz andere Meinung hat, sehr herzlich danken. Das ist ein wichtiger Schritt, der zwar in den Berichterstattergesprächen getan wurde, aber auch hier im Plenum beachtet und gewürdigt werden sollte. Aber die Entschließung ist nicht zustande gekommen.
Wie gehen wir mit unserer Geschichte und ihren unterschiedlichen Darstellungen um? Vielleicht sind wir während der Beratung bei dieser Frage an eine Grenze gestoßen, die wir vorher so nicht empfunden hatten. Vielleicht war eine Klärung dann doch nicht möglich. Wesentlich bleibt, daß wir uns unter den Fraktionen über Elemente des Stils beim Umgang mit unserer Geschichte einig waren und, wie ich hoffe, einig bleiben, wobei vor allem zwei Punkte wichtig sind:
Erstens. Es kommt weder - dies ist von den Organisatoren der Ausstellung auch nicht unternommen worden - zu einer pauschalen Schuldzuweisung noch zu einer pauschalen Schuldbefreiung. Zweitens. Eine solche Vergangenheit, unsere deutsche Vergangenheit, darf eine Generation später nicht zu parteipolitischen Instrumentalisierungen genutzt werden.

(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)

Das Leid von Millionen von Menschen darf kein Stoff sein, aus dem wir Heutigen und die künftigen Nichtbetroffenen ihre Waffen schmieden. Das wäre ein weiterer Mißbrauch des Leids der Opfer.
Die würdige Form der Ausstellungseröffnung in der Frankfurter Paulskirche - ich bedaure, daß die CDU-Politiker Frankfurts nicht die Möglichkeit sahen, die eindrucksvolle Rede von Herrn Bubis und die Rede von Herrn Reemtsma anzuhören - hat bewiesen: Nach dem 13. März dieses Jahres können

Freimut Duve
und sollten wir die Ausstellung auch in Bonn, am Sitz des Parlaments,

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

unserem vornehmsten Institut der Aufklärung, zeigen. Dazu sollten wir gemeinsam in angemessener Form bereit sein.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS sowie des Abg. Dr. Otto Graf Lambsdorff [F.D.P.])


Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1317211500
Ich gebe dem Abgeordneten Volker Beck das Wort.

Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1317211600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Auseinandersetzung um die Ausstellung und die Rolle der Wehrmacht ist sachlicher und differenzierter geworden. Die Bundestagsdebatte vor Ostern hat ihre Wirkung auf die Öffentlichkeit und die Diskussion hier im Parlament nicht verfehlt. Sie war bestimmt von Nachdenklichkeit und einer sehr persönlichen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Es wurde miteinander gesprochen. Das allein ist ja schon bemerkenswert.
Leider hat diese Nachdenklichkeit aber zu keinen konkreten Ergebnissen in der Sache geführt. Am 11. April dieses Jahres hat der Ehrenvorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Herr Alfred Dregger, die Wehrmachtausstellung im Pressedienst der Unionsfraktion erneut in unfaßbarer Weise beschimpft: Die Ausstellung in der Frankfurter Paulskirche sei „Blasphemie", „eine Entwürdigung der Weihestätte der deutschen Demokratie ".
Auch der Versuch einer gemeinsamen EntschlieBung zur Rolle der Wehrmacht im Dritten Reich ist gescheitert. Das ist für viele gerade aus meiner Generation unverständlich. Die Öffentlichkeit hat einen Anspruch darauf, zu erfahren, woran eine Einigung scheiterte.
Über zwei Thesen war eine Verständigung nicht möglich: Erstens. Im vorgeschlagenen Text wurde als verantwortlich für die Millionen Opfer von Krieg und Völkermord allein die Führung des NS-Regimes benannt, wozu dann auch Teile der Wehrmachtsführung zu zählen sind. Zweitens. Gleichzeitig war man nicht bereit, anzuerkennen, daß die Wehrmacht als Organisation an den Verbrechen beteiligt war.
Meine Damen und Herren, gerade wenn wir aus der Vergangenheit Lehren für die Zukunft ziehen wollen, müssen wir uns dem ganzen Ausmaß dieses moralischen Debakels unserer jüngsten Geschichte stellen. Verantwortung kann nicht einfach abgeschoben werden nach dem Motto: Hitler war an allem schuld.
Verantwortung ist mehr als Schuld im strafrechtlichen Sinne. Haben nicht auch Hitlers antisemitische Wählerinnen und Wähler Verantwortung für den Mord an europäischen Juden zu übernehmen? Sind die bürgerlichen Parteien frei von Verantwortung?
Schließlich haben sie sich Hitler nicht gerade mit allen Mitteln in den Weg gestellt. Hat nicht das Schweigen der Mehrheit der Deutschen zur Entrechtung der Juden, zu den Nürnberger Gesetzen oder zur Reichspogromnacht den Weg zum Holocaust für die Nazis freigemacht? Das sind Fragen, denen man sich stellen muß.
Wir von der jungen Generation müssen uns freilich vor Selbstgerechtigkeit hüten.

(Dr. Rupert Scholz [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

Wir waren nicht dabei. Wir wissen nicht, wie wir uns verhalten hätten. Aber wir haben das Recht, diese Fragen zu stellen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)

Verantwortung läßt sich nicht einfach auf die NS- Führung reduzieren und abschieben. Die Wehrmacht war an den Naziverbrechen aktiv und als Gesamtorganisation beteiligt. Dies auszusprechen bedeutet aber keineswegs ein nachträgliches Pauschalurteil über eine ganze Generation ehemaliger Soldaten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der PDS)

Diese beiden zentralen Ausgangspunkte der Ausstellung hat Ignatz Bubis in seiner Eröffnungsrede in der Frankfurter Paulskirche zu Recht betont.
Die Legende von der sauberen Wehrmacht ist unhaltbar. Die Ausstellung selbst illustriert mit Filmplakaten, Landserheften und Buchtiteln, wie dieser Mythos in der frühen Bundesrepublik entstanden ist. Die historischen Befunde sind dagegen eindeutig: Mit dem Kommissarbefehl, mit der ,,Partisanenbekämpfung", mit der Verordnung des Obersten Kommandos der Wehrmacht zur Behandlung von Kriegsgefangenen wurde die systematische und massenhafte Ermordung von Kriegsgefangenen, Zivilisten und vor allem der Juden in Osteuropa eingeleitet und legitimiert. Alle Grundsätze internationalen Kriegsrechts wurden mit dem Überfall auf die Sowjetunion außer Kraft gesetzt.
Der Zweite Weltkrieg war ein verbrecherischer Angriffs- und Vernichtungskrieg. Die Wehrmacht war nicht eine x-beliebige Armee. Sie war eine der Säulen des nationalsozialistischen Herrschaftssystems. Bei der Wehrmacht als Organisation gibt es keine Ehre zu retten. Es gilt vielmehr, ihre Beteiligung am Völkermord an den Juden, Sinti und Roma, an der Erschießung von Gefangenen und an Massakern in den besetzten Gebieten beim Namen zu nennen. Diese Wahrhaftigkeit sind wir den Opfern schuldig.
Meine Fraktion beantragt, unseren geänderten Antrag in der Ausschußfassung um folgende Ziffer V - die Berücksichtigung dieser Ziffer ist uns im Laufe des Verfahrens entgangen - zu ergänzen: Der Deutsche Bundestag begrüßt, daß die Ausstellung des Hamburger Instituts für Sozialforschung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944" zu einer öffentlichen Diskussion über die Rolle der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg geführt hat.

Volker Beck (Köln)

Ich meine, diesem Antrag muß man auf jeden Fall zustimmen. Auch die gute Debatte im Deutschen Bundestag wurde durch diese Ausstellung ausgelöst. Ohne sie hätte es diese Diskussion nicht gegeben.
Ich bedaure, daß wir noch nicht zu einer gemeinsamen Haltung in dieser Frage gekommen sind.
Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)


Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1317211700
Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Dr. Max Stadler.

Dr. Max Stadler (FDP):
Rede ID: ID1317211800
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vor sechs Wochen hat sich das Plenum des Deutschen Bundestages schon einmal mit der Thematik befaßt. Mittlerweile ist die Wehrmachtsausstellung in München geschlossen und in Frankfurt eröffnet worden. 80 000 Besucher wurden in München gezählt; eine eindrucksvolle Bilanz.
Der Erfolg einer solchen Ausstellung kann freilich nicht alleine an Zahlen gemessen werden. Aber es war zu beobachten, daß sehr viele junge Menschen unter den Besuchern waren. Sicherlich sind viele von ihnen durch die Ausstellung dazu angeregt worden, sich erstmals mit der Rolle der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg kritisch auseinanderzusetzen. Viele haben wahrscheinlich den Impuls erhalten, sich grundsätzlich mit dem Dritten Reich und der Nazidiktatur zu befassen.
Daher bleibt es bei dem, was Otto Graf Lambsdorff trotz mancher kritischer Einwände, die er ebenfalls formuliert hat, in der Plenumsdebatte vom 13. März 1997 festgestellt hat - ich zitiere wörtlich -:
Die Ausstellung ist notwendig. Es ist richtig, daß es sie gibt.
Mehr ist nicht nachzutragen.
Es ist am 13. März alles gesagt worden, was zu sagen war. Und dies ist in eindrucksvoller Form in einer Debatte geschehen, die in Stil und Inhalt nicht wiederholbar ist. Aus diesem Grund war die F.D.P. der Auffassung, daß ein zweiter Durchgang kein Gewinn für das Parlament ist. Selbstverständlich wollten und wollen wir uns nicht der Auseinandersetzung über das Thema entziehen. Aber wir hatten die Vorstellung, daß eine Wiederaufnahme die Wirkung der ersten Debatte abschwächen könnte.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Dieser Vorschlag hat bei den anderen Fraktionen zwar breite Resonanz, aber keine einhellige Zustimmung gefunden. Auch sind alle Bemühungen, zu einem gemeinsamen Antrag zu kommen, gescheitert. Es ist müßig, nachträglich die Verantwortlichkeiten dafür zu diskutieren. Wir bedauern jedenfalls, daß eine mit Würde und Stil geführte Debatte um die Rolle der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg nun beendet wird mit einer streitigen Abstimmung über vier
unterschiedliche Anträge, wie sie bei einem x-beliebigen Gegenstand der Tagesordnung üblich und richtig sein mag.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wenn dem aber so ist, wird die F.D.P. dem gemeinsamen ursprünglichen Antrag der Koalition zustimmen. Selbstverständlich - Herr Duve, hinsichtlich unserer Anträge waren wir ja ganz nahe beieinander - enthalten auch die anderen Anträge zutreffende und bedenkenswerte Gedankengänge. Ich verzichte aber bewußt darauf, zu jeder unterschiedlichen Nuance Stellung zu nehmen.
Wir meinen, daß der Koalitionsantrag alles Wesentliche zur Thematik aussagt. Er nennt die Verantwortlichkeit des Nationalsozialismus für den Zweiten Weltkrieg und für die zahllosen und schweren Kriegsverbrechen. Er benennt die Beteiligung der Wehrmacht, verwahrt sich aber zu Recht gegen eine pauschale Verurteilung der Angehörigen der Wehrmacht. Er begrüßt jeden Versuch zur historisch wahrhaftigen und gerechten Aufarbeitung der Geschichte des Zweiten Weltkrieges.
Was sonst noch zu sagen war, ist, wie schon erwähnt, von Rednern aller Fraktionen und Gruppen des Hohen Hauses am 13. März gesagt worden. Ich möchte dem daher nur einen persönlichen Wunsch anfügen, von dem ich weiß, daß er von vielen Mitgliedern des Bundestags geteilt wird. Es wäre gut, wenn die Wanderausstellung im Haus der Geschichte in Bonn gezeigt würde,

(Beifall bei der F.D.P., der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

und es wäre gut, wenn sie auch hier in Bonn, so wie in München und Frankfurt, viele junge Menschen zur Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte anregen würde.
Vielen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1317211900
Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Heinrich Graf von Einsiedel.

Graf Heinrich von Einsiedel (PDS):
Rede ID: ID1317212000
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ignatz Bubis nannte in der Frankfurter Paulskirche die sich jetzt seit Monaten hinziehende Debatte um die Ausstellung über die Verbrechen der Wehrmacht gespenstisch. Wie recht hat er! Es geht eben nicht um persönliche Betroffenheit, wie hier eben behauptet wurde, und schon gar nicht um pauschale Urteile. Das ist eine infame Unterstellung, die nichts anderes bezweckt, als Emotionen zu wecken.
Hier stehen nicht die 18 Millionen Deutschen zur Debatte, die die Uniform der Wehrmacht trugen. Zur Debatte steht die Wehrmacht als Machtapparat, als Institution, als eine der beiden tragenden Säulen des

Heinrich Graf von Einsiedel
verbrecherischen Dritten Reiches, als die sie sich stets selbstgefällig bezeichnet hat.

(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die Wehrmacht wurde im Verlauf des Krieges, den sie selbst schon vorbereitet hatte, lange ehe Hitler an die Macht kam, zu dem einzigen entscheidenden Machtfaktor des Nazireiches, der den ganzen Laden noch drei Jahre lang um den Preis unermeßlicher Opfer auf allen Seiten zusammenhielt. Die Wehrmacht hat sich nach dem Tode Hindenburgs in vorauseilendem Gehorsam freiwillig selbst auf Hitler vereidigt und dann Millionen Deutschen diesen perversen Eid auf einen Verbrecher abverlangt.
Die Wehrmacht hat als Institution alle internationalen Rechtsbrüche Hitlers begeistert begrüßt und blitzartig durchgeführt: von der Remilitarisierung des Rheinlandes über die Entsendung einer Art Krisenreaktionskraft in den spanischen Bürgerkrieg, die Annexion Österreichs, den Bruch des Münchener Abkommens, die Überfälle auf acht europäische Nachbarn bis hin zum Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion, mit dem endgültig alle bis dahin gültigen Regeln des Krieges, jedes Maß von Menschlichkeit, Völkerrecht und Soldatenehre schon Wochen vor Beginn des Überfalls außer Kraft gesetzt wurden.
Alle Kriegsverbrechen in diesen überfallenen Ländern geschahen im Gefolge der Wehrmacht. Sie war es, die den SS-Mördern den Weg durch ganz Europa freigeschossen hat. Wenn sie denn nichts anderes getan hätte als dies, schon dann wäre sie auch für die Morde in ihrem Rücken, in ihrem Hinterland verantwortlich.
Die Wehrmachtsausstellung zeigt nur einen kleinen Ausschnitt von Verbrechen, an denen die Wehrmacht beteiligt war, durch Duldung oder auch aktiv als Täter. Nicht alle Täter waren willige Vollstrecker. Sie wurden zu Tätern unter einem echten oder vermeintlichen Befehlsnotstand. Aber wer gab denn die Befehle? Eben die Wehrmacht, und eine unbarmherzige Justiz sorgte mit Zehntausenden von Todesurteilen dafür, daß fast jeder Befehl ausgeführt wurde.
Wie können die kaltherzigen Kriegsherren, die Marschälle, Generäle und sonstigen höheren Offiziere sich auf die Unschuld der Soldaten berufen, die sie oft gegen besseres militärisches Wissen und Gewissen in so fürchterlich blutige, von vornherein verlorene Schlachten in den Tod getrieben haben?

(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die Ehre der unschuldig Gefallenen verteidigt gerade der, der den Hauptschuldigen, den willigsten Vollstrecker Hitlers - und genau das war die Wehrmacht - anklagt.

(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ebenso dreist ist es, sich bei der Verteidigung der Ehre der Wehrmacht, die sie schon verloren hatte,
ehe der Krieg begann, auf die wenigen Militärs zu berufen, denen endlich im Sommer 1944 das Gewissen geschlagen hat und die versucht haben, dem blutigen Gemetzel ein Ende zu setzen. Sie sind im Kampf gegen Hitler gefallen, nicht für ihn. Das ehrt sie. Aber sie eignen sich nun wirklich nicht als Ehrenschild für die Wehrmacht als solche. Im Gegenteil: Sie haben der Welt offenbart, welch ungeheure Verantwortung die Wehrmacht für alles trug.
Am 11. September 1943, wenige Stunden vor seinem Tode, schrieb der 18jährige Offiziersanwärter Wolfgang Heinz aus Nürnberg, der zwei Tage zuvor auf Befehl im Rahmen der Taktik der verbrannten Erde zum Brandstifter in einem ukrainischen Dorf geworden war:
Wir draußen wollen bestimmt ein baldiges Ende des ganzen Saustalles. Wozu für ein Regime die Knochen herhalten, das es gar nicht wert ist, denn es hat ja seine Lebensunfähigkeit durch diesen Krieg bewiesen. Sie sollen Schluß machen mit diesem Hinmorden der jungen Leute, jetzt, wo es vielleicht noch Zeit ist. Aber die Herren haben ja kein Gewissen. Sie scheuen sich, für ihre Taten einzustehen.
Ja, die Herren der Wehrmacht hatten kein Gewissen. Sie scheuten sich damals, für ihre Taten einzustehen, und ihre selbsternannten Verteidiger scheuen es heute noch, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen.

(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Dieser 18jährige Jüngling, der unschuldig mitschuldig geworden war und sein junges Leben hingeben mußte, war in seiner Einsicht vielen im heutigen Deutschland um über 50 Jahre voraus.

(Beifall bei der PDS)

Ich hoffe, die große Mehrheit in diesem Hause gehört nicht zu diesen Deutschen und stellt sich entschlossen hinter diese Ausstellung, die hilft, eine Legende zu entlarven: die Legende von der sauberen Wehrmacht.

(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1317212100
Ich schließe die Aussprache.
Der Abgeordnete Dr. Alfred Dregger gibt eine Erklärung zur Abstimmung nach § 31 der Geschäftsordnung zu Protokoll.*) - Ich stelle Ihr Einverständnis fest.
Bevor wir mit den Abstimmungen beginnen, teile ich folgendes mit. Der Innenausschuß hat in seiner Beschlußempfehlung vorgeschlagen, zu den vier ihm überwiesenen Anträgen eine Beschlußfassung des Plenums herbeizuführen, und zwar teilweise zu der ursprünglichen Fassung der Anträge, teilweise zu
*) Anlage 3

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
einer vom Ausschuß geänderten Fassung. Darüber hinausgehende Beschlußempfehlungen hat der Innenausschuß nicht abgegeben. Ich nehme an, daß Sie mit diesem Verfahren einverstanden sind, so daß wir in die Abstimmungen eintreten können. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. auf Drucksache 13/7162. Die Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. verlangen namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung. -
Sind noch Mitglieder des Hauses anwesend, die ihre Stimme abgeben wollen? - Das ist offensichtlich nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekanntgegeben.*)
Wir setzen die Beratungen fort und stimmen jetzt über den Antrag der Fraktion der SPD ab.
Einen Augenblick! Die Abstimmung ist geschlossen. - Ich darf die Schriftführer um Aufmerksamkeit bitten, sonst unterbreche ich die Sitzung. Die Abstimmung ist geschlossen!
Wir treten in die nächste Abstimmung ein. Wir stimmen jetzt über den Antrag der Fraktion der SPD auf den Drucksachen 13/7175 und 13/7506 Buchstabe b in der vom Ausschuß geänderten Fassung ab. Die Fraktion der SPD verlangt namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, wieder die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung. -
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat?

(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Noch eine ganze Menge!)

Ich frage nochmals, ob noch ein Mitglied des Hauses anwesend ist, das seine Stimme nicht abgegeben hat. - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekanntgegeben. **)
Wir setzen die Abstimmungen fort und treten ein in die Abstimmung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in der vom Ausschuß geänderten Fassung mit der soeben vorgetragenen Ergänzung. Das sind die Drucksachen 13/7120 und 13/ 7506 Buchstabe c. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen verlangt namentliche Abstimmung. Sind die Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung. - Ich frage, ob noch ein Mitglied des Hauses anwesend ist, das seine Stimme nicht abgegeben hat. - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich auch diese Abstimmung.***)
*) Seite 15533C **) Seite 15535 D
***) Seite 15540 C
Damit treten wir in die Abstimmung über den Antrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/7188 ein. Auch hier ist namentliche Abstimmung beantragt.
Ich frage, ob alle Urnen besetzt sind. - Ich eröffne die Abstimmung. -
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Beratungen geben wir später bekannt. *)
Ich darf die Kolleginnen und Kollegen bitten, Platz zu nehmen oder, sofern sie den weiteren Beratungen nicht folgen wollen, das Haus zu verlassen. - Das gilt auch für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. bekannt, Drucksache 13/7162. Abgegebene Stimmen: 585. Mit Ja haben gestimmt: 301, mit Nein 283 bei einer Enthaltung. Damit ist der Antrag angenommen worden.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 583; davon
ja: 301
nein: 281
enthalten: 1
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Peter Altmaier
Anneliese Augustin Jürgen Augustinowitz Dietrich Austermann Heinz-Günter Bargfrede Franz Peter Basten
Dr. Wolf Bauer
Brigitte Baumeister Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank Renate Blank
Dr. Heribert Blens Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch Klaus Brähmig
Rudolf Braun (Auerbach)

Paul Breuer
Monika Brudlewsky
Georg Brunnhuber Hartmut Büttner

(Schönebeck)

Dankward Buwitt
Manfred Carstens (Emstek) Peter Harry Carstensen

(Nordstrand) Wolfgang Dehnel Hubert Deittert Gertrud Dempwolf Renate Diemers Wilhelm Dietzel Werner Dörflinger Hansjürgen Doss Dr. Alfred Dregger Maria Eichhorn Wolfgang Engelmann

Rainer Eppelmann Heinz Dieter Eßmann
Horst Eylmann Anke Eymer
Ilse Falk
Jochen Feilcke Ulf Fink
Dirk Fischer (Hamburg)

Klaus Francke (Hamburg) Herbert Frankenhauser
Dr. Gerhard Friedrich
Erich G. Fritz Hans-Joachim Fuchtel Michaela Geiger Norbert Geis
Michael Glos Wilma Glücklich
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Joachim Gres Kurt-Dieter Grill Wolfgang Gröbl Hermann Gröhe
*) Seite 15544 D

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch Claus-Peter Grotz
Manfred Grund
Horst Günther (Duisburg) Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein
Gottfried Haschke

(Großhennersdorf) Gerda Hasselfeldt

Otto Hauser (Esslingen) Hansgeorg Hauser

(Rednitzhembach) Klaus-Jürgen Hedrich Helmut Heiderich Manfred Heise

Detlef Helling Ernst Hinsken Peter Hintze
Josef Hollerith
Dr. Karl-Heinz Hornhues Siegfried Hornung Joachim Hörster
Hubert Hüppe Peter Jacoby
Georg Janovsky Helmut Jawurek Dr. Dionys Jobst Dr.-Ing. Rainer Jork
Michael Jung (Limburg) Dr. Egon Jüttner
Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter Manfred Kanther Irmgard Karwatzki Peter Keller
Eckart von Klaeden
Dr. Bernd Klaußner
Ulrich Klinkert Hans-Ulrich Köhler

(Hainspitz) Manfred Kolbe Norbert Königshofen Eva-Maria Kors Manfred Koslowski Thomas Kossendey Rudolf Kraus

Wolfgang Krause (Dessau) Andreas Krautscheid Arnulf Kriedner
Dr.-Ing. Paul Krüger Reiner Krziskewitz Dr. Hermann Kues Werner Kuhn
Dr. Karl A. Lamers

(Heidelberg)

Dr. Norbert Lammert Helmut Lamp
Armin Laschet Herbert Lattmann Dr. Paul Laufs Karl-Josef Laumann
Vera Lengsfeld Werner Lensing Christian Lenzer Peter Letzgus Editha Limbach
Walter Link (Diepholz) Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold

(Offenbach)

Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann

(Lüdenscheid) Julius Louven

Heinrich Lummer Dr. Michael Luther Dr. Dietrich Mahlo Erwin Marschewski Günter Marten
Dr. Martin Mayer

(Siegertsbrunn) Wolfgang Meckelburg Rudolf Meinl

Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz
Rudolf Meyer (Winsen) Hans Michelbach
Dr. Gerd Müller
Elmar Müller (Kirchheim) Engelbert Nelle
Bernd Neumann (Bremen) Johannes Nitsch
Claudia Nolte
Friedhelm Ost
Eduard Oswald Norbert Otto (Erfurt) Dr. Gerhard Päselt Dr. Peter Paziorek Hans-Wilhelm Pesch Ulrich Petzold
Angelika Pfeiffer Dr. Gero Pfennig
Dr. Friedbert Pflüger Beatrix Philipp
Dr. Winfried Pinger Ronald Pofalla
Dr. Hermann Pohler Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff
Dr. Bernd Protzner Dieter Pützhofen Thomas Rachel Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer Rolf Rau
Helmut Rauber Peter Rauen
Otto Regenspurger
Christa Reichard (Dresden) Klaus Dieter Reichardt

(Mannheim)

Dr. Bertold Reinartz Erika Reinhardt Hans-Peter Repnik Roland Richter
Roland Richwien Dr. Norbert Rieder
Dr. Erich Riedl (München) Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer
Hannelore Rönsch

(Wiesbaden) Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose

Kurt J. Rossmanith Adolf Roth (Gießen) Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck Volker Rühe
Ortrun Schätzle
Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Karl-Heinz Scherhag Gerhard Scheu Norbert Schindler Dietmar Schlee
Ulrich Schmalz Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt (Fürth)

Dr.-Ing. Joachim Schmidt

(Halsbrücke)

Andreas Schmidt (Mülheim) Hans-Otto Schmiedeberg Hans Peter Schmitz

(Baesweiler)

Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr von
Schorlemer
Dr. Erika Schuchardt Wolfgang Schulhoff
Dr. Dieter Schulte

(Schwäbisch Gmünd) Gerhard Schulz (Leipzig) Frederick Schulze


(Sangerhausen) Diethard Schütze (Berlin) Clemens Schwalbe

Wilhelm Josef Sebastian Horst Seehofer
Marion Seib
Heinz-Georg Seiffert
Rudolf Seiters Johannes Selle Jürgen Sikora
Johannes Singhammer Bärbel Sothmann Margarete Späte Wolfgang Steiger Erika Steinbach
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten
Dr. Gerhard Stoltenberg Andreas Storm
Max Straubinger Matthäus Strebl Michael Stübgen Egon Susset
Dr. Rita Süssmuth Michael Teiser
Dr. Susanne Tiemann Gottfried Tröger
Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Gunnar Uldall Wolfgang Vogt (Düren)

Dr. Theodor Waigel
Alois Graf von Waldburg-Zeil Dr. Jürgen Warnke
Kersten Wetzel
Hans-Otto Wilhelm (Mainz) Gert Willner
Bernd Wilz
Willy Wimmer (Neuss) Matthias Wissmann
Dagmar Wöhrl Michael Wonneberger
Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach Cornelia Yzer Wolfgang Zeitlmann Wolfgang Zöller
F.D.P.
Ina Albowitz
Dr. Gisela Babel Hildebrecht Braun (Augsburg)

Günther Bredehorn Jörg van Essen
Gisela Frick
Paul K. Friedhoff Horst Friedrich
Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt Joachim Günther (Plauen)

Dr. Karlheinz Guttmacher Dr. Helmut Haussmann Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Dr. Burkhard Hirsch Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Ulrich Irmer
Detlef Kleinert (Hannover) Dr. -Ing. Karl-Hans Laermann Dr. Otto Graf Lambsdorff Sabine LeutheusserSchnarrenberger Uwe Lühr
Günther Friedrich Nolting Dr. Rainer Ortleb
Lisa Peters
Dr. Klaus Röhl
Helmut Schäfer (Mainz) Cornelia Schmalz-Jacobsen Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Dr. Hermann Otto Sohns
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele Dr. Dieter Thomae Jürgen Türk
Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen)

Dr. Guido Westerwelle
Nein
SPD
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett Klaus Barthel Ingrid Becker-Inglau
Hans Berger Hans-Werner Bertl Friedhelm Julius Beucher Arne Börnsen (Ritterhude) Anni Brandt-Elsweier
Dr. Eberhard Brecht
Ursula Burchardt Hans Martin Bury
Hans Büttner (Ingolstadt) Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Peter Conradi
Dr. Herta Däubler-Gmelin Christel Deichmann
Karl Diller
Dr. Marliese Dobberthien Peter Dreßen
Rudolf Dreßler Freimut Duve Ludwig Eich Gernot Erler Petra Ernstberger
Annette Faße

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
Elke Ferner
Lothar Fischer (Homburg) Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski Dagmar Freitag Anke Fuchs (Köln) Katrin Fuchs (Verl) Arne Fuhrmann Monika Ganseforth Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Günter Graf (Friesoythe) Angelika Graf (Rosenheim) Dieter Grasedieck Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann
Manfred Hampel Christel Hanewinckel Alfred Hartenbach Dr. Liesel Hartenstein Klaus Hasenfratz
Dr. Ingomar Hauchler Dieter Heistermann Reinhold Hemker Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks Monika Heubaum Uwe Hiksch
Reinhold Hiller (Lübeck) Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Frank Hofmann (Volkach) Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann Lothar Ibrügger Wolfgang Ilte
Barbara Imhof
Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate Jäger
Jann-Peter Janssen Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung (Düsseldorf) Sabine Kaspereit Susanne Kastner
Ernst Kastning Hans-Peter Kemper Klaus Kirschner Marianne Klappert
Dr. Hans-Hinrich Knaape Walter Kolbow
Nicolette Kressl Thomas Krüger Horst Kubatschka Eckart Kuhlwein Helga Kühn-Mengel Konrad Kunick Christine Kurzhals Dr. Uwe Küster Werner Labsch Brigitte Lange
Detlev von Larcher Waltraud Lehn Robert Leidinger
Klaus Lohmann (Witten) Christa Lörcher
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga Dieter Maaß (Herne) Winfried Mante
Dorle Marx
Ulrike Mascher
Christoph Matschie Ingrid Matthäus-Maier Heide Mattischeck Markus Meckel
Ulrike Mehl
Herbert Meißner Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer (Ulm) Ursula Mogg
Siegmar Mosdorf
Jutta Müller (Völklingen) Christian Müller (Zittau) Gerhard Neumann (Gotha) Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Günter Oesinghaus Leyla Onur
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth Dr. Willfried Penner Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein Dr. Eckhart Pick
Joachim Poß
Rudolf Purps
Karin Rehbock-Zureich Margot von Renesse Renate Rennebach Otto Reschke
Bernd Reuter
Günter Rixe
Reinhold Robbe
Gerhard Rübenkönig Marlene Rupprecht Dr. Hansjörg Schäfer Dieter Schanz
Rudolf Scharping Bernd Scheelen
Siegfried Scheffler Horst Schild
Otto Schily
Günter Schluckebier Horst Schmidbauer (Nürnberg)

Ulla Schmidt (Aachen) Dagmar Schmidt (Meschede) Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt (Berg) Dr. Emil Schnell
Walter Schöler
Ottmar Schreiner Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert Brigitte Schulte (Hameln) Reinhard Schultz

(Everswinkel)

Volkmar Schultz (Köln) Ilse Schumann
Dr. R. Werner Schuster Dietmar Schütz (Oldenburg) Dr. Angelica Schwall-Düren Ernst Schwanhold
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal Lisa Seuster
Horst Sielaff
Erika Simm
Johannes Singer
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Wieland Sorge
Wolfgang Spanier Dr. Dietrich Sperling Jörg-Otto Spiller Ludwig Stiegler
Dr. Peter Struck Joachim Tappe
Jörg Tauss
Dr. Bodo Teichmann Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim Wolfgang Thierse Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Siegfried Vergin
Günter Verheugen Ute Vogt (Pforzheim)

Karsten D. Voigt (Frankfurt) Hans Georg Wagner
Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Reinhard Weis (Stendal) Matthias Weisheit Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen (Wiesloch) Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Norbert Wieczorek Helmut Wieczorek (Duisburg)

Heidemarie Wieczorek-Zeul Dieter Wiefelspütz
Berthold Wittich
Dr. Wolfgang Wodarg Hanna Wolf (München)

Heidi Wright
Dr. Christoph Zöpel Peter Zumkley
BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN
Gila Altmann (Aurich) Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Angelika Beer
Matthias Berninger Annelie Buntenbach Amke Dietert-Scheuer Dr. Uschi Eid
Andrea Fischer (Berlin) Joseph Fischer (Frankfurt) Rita Grießhaber
Gerald Häfner
Kristin Heyne
Michaele Hustedt Monika Knoche Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt
Oswald Metzger
Kerstin Müller (Köln) Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Egbert Nitsch (Rendsburg) Cem Özdemir
Gerd Poppe
Simone Probst
Halo Saibold
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk Rezzo Schlauch
Albert Schmidt (Hitzhofen) Wolfgang Schmitt (Langenfeld)
Waltraud Schoppe
Werner Schulz (Berlin) Marina Steindor
Christian Sterzing
Dr. Antje Vollmer
Ludger Volmer
Helmut Wilhelm (Amberg) Margareta Wolf (Frankfurt)
PDS
Wolfgang Bierstedt Petra Bläss
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter Heinrich Graf von Einsiede Dr. Ludwig Elm
Dr. Dagmar Enkelmann
Dr. Ruth Fuchs Hanns-Peter Hartmann
Dr. Uwe-Jens Heuer Dr. Barbara Höll
Dr. Willibald Jacob Ulla Jelpke
Gerhard Jüttemann
Dr. Heidi Knake-Werner Rolf Köhne .
Rolf Kutzmutz
Dr. Christa Luft Heidemarie Lüth
Dr. Günther Maleuda Manfred Müller (Berlin) Rosel Neuhäuser
Dr. Uwe-Jens Rössel Christina Schenk Steffen Tippach Klaus-Jürgen Warnick
Dr. Winfried Wolf
Gerhard Zwerenz
Enthalten
SPD
Hans-Ulrich Klose
Dann gebe ich das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD bekannt, Drucksachen 13/7175 und 13/7506 Buchstabe b. Abgegebene Stimmen: 594. Mit Ja haben gestimmt: 229, mit Nein 307 bei 58 Enthaltungen. Damit ist der Antrag abgelehnt.

Vizenräsident Dr. Burkhard Hirsch
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 594; davon
ja: 228
nein: 308
enthalten: 58
Ja
SPD
Hermann Bachmaier Ernst Bahr
Doris Barnett
Klaus Barthel
Ingrid Becker-Inglau Hans Berger
Hans-Werner Bertl Friedhelm Julius Beucher Arne Börnsen (Ritterhude) Anni Brandt-Elsweier
Dr. Eberhard Brecht Edelgard Bulmahn Ursula Burchardt Hans Martin Bury
Hans Büttner (Ingolstadt) Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Peter Conradi
Dr. Herta Däubler-Gmelin Christel Deichmann
Karl Diller
Dr. Marliese Dobberthien Peter Dreßen
Rudolf Dreßler
Freimut Duve
Ludwig Eich
Gernot Erler
Petra Ernstberger Annette Faße
Elke Ferner
Lothar Fischer (Homburg) Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski Dagmar Freitag Anke Fuchs (Köln) Katrin Fuchs (Verl) Arne Fuhrmann Monika Ganseforth Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Günter Graf (Friesoythe) Angelika Graf (Rosenheim) Dieter Grasedieck Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann
Manfred Hampel Christel Hanewinckel Alfred Hartenbach Dr. Liesel Hartenstein Klaus Hasenfratz
Dr. Ingomar Hauchler Dieter Heistermann Reinhold Hemker Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks Monika Heubaum Uwe Hiksch
Reinhold Hiller (Lübeck)

Stephan Hilsberg Gerd Höfer
Frank Hofmann (Volkach) Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann Lothar Ibrügger Wolfgang Ilte
Barbara Imhof Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate Jäger
Jann-Peter Janssen Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung (Düsseldorf) Sabine Kaspereit Susanne Kastner
Ernst Kastning Hans-Peter Kemper Klaus Kirschner Marianne Klappert Siegrun Klemmer
Dr. Hans-Hinrich Knaape Walter Kolbow
Nicolette Kressl Thomas Krüger Horst Kubatschka Eckart Kuhlwein Helga Kühn-Mengel Konrad Kunick Christine Kurzhals Dr. Uwe Küster Werner Labsch Brigitte Lange Detlev von Larcher Waltraud Lehn Robert Leidinger Klaus Lennartz
Klaus Lohmann (Witten) Christa Lörcher
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga Dieter Maaß (Herne) Winfried Mante Dorle Marx
Ulrike Mascher Christoph Matschie Ingrid Matthäus-Maier Heide Mattischeck Markus Meckel
Ulrike Mehl
Herbert Meißner Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer (Ulm) Ursula Mogg
Siegmar Mosdorf
Jutta Müller (Völklingen) Christian Müller (Zittau) Gerhard Neumann (Gotha) Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Doris Odendahl Günter Oesinghaus Leyla Onur
Adolf Ostertag Kurt Palis
Albrecht Papenroth Dr. Willfried Penner Dr. Martin Pfaff Georg Pfannenstein Dr. Eckhart Pick Joachim Poß
Rudolf Purps
Karin Rehbock-Zureich Margot von Renesse Renate Rennebach
Otto Reschke
Bernd Reuter
Günter Rixe
Reinhold Robbe
Gerhard Rübenkönig Marlene Rupprecht Dr. Hansjörg Schäfer Dieter Schanz
Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Siegfried Scheffler Horst Schild
Otto Schily
Günter Schluckebier Horst Schmidbauer (Nürnberg)

Ulla Schmidt (Aachen) Dagmar Schmidt (Meschede) Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt (Berg) Dr. Emil Schnell
Walter Schöler
Ottmar Schreiner
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert Brigitte Schulte (Hameln) Reinhard Schultz

(Everswinkel)

Volkmar Schultz (Köln) Ilse Schumann
Dr. R. Werner Schuster Dietmar Schütz (Oldenburg) Dr. Angelica Schwall-Düren Ernst Schwanhold
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Lisa Seuster
Horst Sielaff
Erika Simm
Johannes Singer
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Wieland Sorge
Wolfgang Spanier Dr. Dietrich Sperling Jörg-Otto Spiller
Ludwig Stiegler
Dr. Peter Struck
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Dr. Bodo Teichmann Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim Wolfgang Thierse Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher
Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Siegfried Vergin
Günter Verheugen Ute Vogt (Pforzheim)

Karsten D. Voigt (Frankfurt) Hans Georg Wagner
Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Reinhard Weis (Stendal) Matthias Weisheit Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen (Wiesloch) Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier Dr. Norbert Wieczorek Helmut Wieczorek

(Duisburg)

Heidemarie Wieczorek-Zeul Dieter Wiefelspütz
Berthold Wittich
Dr. Wolfgang Wodarg Hanna Wolf (München) Heidi Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel Peter Zumkley
BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN
Dr. Manuel Kiper Dr. Helmut Lippelt
F.D.P.
Dr. Burkhard Hirsch
PDS
Dr. Dagmar Enkelmann Harms-Peter Hartmann Gerhard Jüttemann
Dr. Christa Luft
Dr. Günther Maleuda Manfred Müller (Berlin)

Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam
Peter Altmaier
Anneliese Augustin Jürgen Augustinowitz Dietrich Austermann Heinz-Günter Bargfrede Franz Peter Basten
Dr. Wolf Bauer
Brigitte Baumeister Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank Renate Blank
Dr. Heribert Blens Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch Klaus Brähmig
Rudolf Braun (Auerbach) Paul Breuer
Monika Brudlewsky Georg Brunnhuber Hartmut Büttner

(Schönebeck)

Dankward Buwitt
Manfred Carstens (Emstek) Peter Harry Carstensen

(Nordstrand)

Wolfgang Dehnel Hubert Deittert
Gertrud Dempwolf Renate Diemers Wilhelm Dietzel Werner Dörflinger

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
Hansjürgen Doss Dr. Alfred Dregger Maria Eichhorn
Wolfgang Engelmann Rainer Eppelmann Heinz Dieter Eßmann Horst Eylmann
Anke Eymer
Ilse Falk
Jochen Feilcke Ulf Fink
Dirk Fischer (Hamburg) Klaus Francke (Hamburg) Herbert Frankenhauser
Dr. Gerhard Friedrich Erich G. Fritz Hans-Joachim Fuchtel Michaela Geiger Norbert Geis
Michael Glos
Wilma Glücklich
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer Joachim Gres
Kurt-Dieter Grill Wolfgang Gröbl Hermann Gröhe Claus-Peter Grotz Manfred Grund
Horst Günther (Duisburg) Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein
Gottfried Haschke

(Großhennersdorf) Gerda Hasselfeldt

Otto Hauser (Esslingen) Hansgeorg Hauser

(Rednitzhembach) Klaus-Jürgen Hedrich Helmut Heiderich Manfred Heise

Detlef Helling Ernst Hinsken Peter Hintze
Josef Hollerith
Dr. Karl-Heinz Hornhues Siegfried Hornung Joachim Hörster
Hubert Hüppe Peter Jacoby
Georg Janovsky Helmut Jawurek Dr. Dionys Jobst Dr. -Ing. Rainer Jork
Michael Jung (Limburg) Dr. Egon Jüttner
Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter Manfred Kanther Irmgard Karwatzki Peter Keller
Eckart von Klaeden Dr. Bernd Klaußner Ulrich Klinkert Hans-Ulrich Köhler

(Hainspitz)

Manfred Kolbe Norbert Königshofen Eva-Maria Kors Manfred Koslowski Thomas Kossendey Rudolf Kraus
Wolfgang Krause (Dessau) Andreas Krautscheid
Arnulf Kriedner Dr.-Ing. Paul Krüger Reiner Krziskewitz Dr. Hermann Kues Werner Kuhn
Dr. Karl A. Lamers

(Heidelberg)

Dr. Norbert Lammert Helmut Lamp
Armin Laschet Herbert Lattmann Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann Vera Lengsfeld Werner Lensing Christian Lenzer Peter Letzgus
Editha Limbach Walter Link (Diepholz) Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold

(Offenbach)

Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann

(Lüdenscheid) Julius Louven Heinrich Lummer Dr. Michael Luther Dr. Dietrich Mahlo Erwin Marschewski Günter Marten

Dr. Martin Mayer

(Siegertsbrunn) Wolfgang Meckelburg Rudolf Meinl

Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz
Rudolf Meyer (Winsen) Hans Michelbach
Dr. Gerd Müller
Elmar Müller (Kirchheim) Engelbert Nelle
Bernd Neumann (Bremen) Johannes Nitsch
Claudia Nolte Dr. Rolf Olderog Friedhelm Ost Eduard Oswald
Norbert Otto (Erfurt) Dr. Gerhard Päselt Dr. Peter Paziorek Hans-Wilhelm Pesch Ulrich Petzold Angelika Pfeiffer
Dr. Gero Pfennig
Dr. Friedbert Pflüger Beatrix Philipp
Dr. Winfried Pinger Ronald Pofalla
Dr. Hermann Pohler Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff
Dr. Bernd Protzner Dieter Pützhofen Thomas Rachel Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer Rolf Rau
Helmut Rauber Peter Rauen
Otto Regenspurger
Christa Reichard (Dresden) Klaus Dieter Reichardt

(Mannheim)

Dr. Bertold Reinartz
Erika Reinhardt Hans-Peter Repnik
Roland Richter Roland Richwien Dr. Norbert Rieder
Dr. Erich Riedl (München) Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer Hannelore Rönsch

(Wiesbaden) Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose

Kurt J. Rossmanith Adolf Roth (Gießen)

Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Volker Rühe
Ortrun Schätzle
Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Karl-Heinz Scherhag Gerhard Scheu Norbert Schindler Dietmar Schlee
Ulrich Schmalz Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt (Fürth) Dr.-Ing. Joachim Schmidt

(Halsbrücke)

Andreas Schmidt (Mülheim) Hans-Otto Schmiedeberg Hans Peter Schmitz

(Baesweiler)

Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr von
Schorlemer
Dr. Erika Schuchardt Wolfgang Schulhoff
Dr. Dieter Schulte

(Schwäbisch Gmünd) Gerhard Schulz (Leipzig) Frederick Schulze


(Sangerhausen) Diethard Schütze (Berlin) Clemens Schwalbe

Wilhelm Josef Sebastian Horst Seehofer
Marion Seib
Heinz-Georg Seiffert
Rudolf Seiters Johannes Selle Jürgen Sikora
Johannes Singhammer Bärbel Sothmann Margarete Späte Wolfgang Steiger Erika Steinbach
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten
Dr. Gerhard Stoltenberg Andreas Storm
Max Straubinger Matthäus Strebl Michael Stübgen Egon Susset
Dr. Rita Süssmuth Michael Teiser
Dr. Susanne Tiemann Gottfried Tröger
Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Gunnar Uldall Wolfgang Vogt (Düren)

Dr. Theodor Waigel
Alois Graf von Waldburg-Zeil Dr. Jürgen Warnke
Kersten Wetzel
Hans-Otto Wilhelm (Mainz) Gert Willner
Bernd Wilz
Willy Wimmer (Neuss) Matthias Wissmann Dagmar Wöhrl
Michael Wonneberger Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach Cornelia Yzer
Wolfgang Zeitlmann Wolfgang Zöller
F.D.P.
Ina Albowitz
Dr. Gisela Babel Hildebrecht Braun

(Augsburg) Günther Bredehorn

Jörg van Essen Gisela Frick Paul K. Friedhoff Horst Friedrich Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt Joachim Günther (Plauen)

Dr. Karlheinz Guttmacher
Dr. Helmut Haussmann
Ulrich Heinrich Walter Hirche Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Ulrich Irmer
Detlef Kleinert (Hannover) Roland Kohn
Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Uwe Lühr
Günther Friedrich Nolting
Dr. Rainer Ortleb Lisa Peters
Dr. Klaus Röhl
Helmut Schäfer (Mainz) Cornelia Schmalz-Jacobsen Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Dr. Hermann Otto Sohns
Dr. Max Stadler Carl-Ludwig Thiele
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
Dr. Wolfgang Weng

(Gerlingen)

Dr. Guido Westerwelle
PDS
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter Heinrich Graf von Einsiedel Dr. Ludwig Elm
Dr. Willibald Jacob Klaus-Jürgen Warnick Gerhard Zwerenz
Enthalten
SPD
Hans-Ulrich Klose

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN
Gila Altmann (Aurich) Marieluise Beck (Bremen)
Volker Beck (Köln)

Angelika Beer Matthias Berninger
Annelie Buntenbach
Amke Dietert-Scheuer
Dr. Uschi Eid
Andrea Fischer (Berlin)

Joseph Fischer (Frankfurt)

Rita Grießhaber Gerald Häfner Antje Hermenau Kristin Heyne Ulrike Höfken Michaele Hustedt Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack Steffi Lemke
Oswald Metzger Kerstin Müller (Köln)

Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Egbert Nitsch (Rendsburg)

Cem Özdemir Gerd Poppe
Simone Probst Halo Saibold Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt (Hitzhofen)

Wolfgang Schmitt

(Langenfeld)

Waltraud Schoppe Werner Schulz (Berlin)

Marina Steindor Christian Sterzing Dr. Antje Vollmer Ludger Volmer
Helmut Wilhelm (Amberg) Margareta Wolf (Frankfurt)
F.D.P.
Dr. Otto Graf Lambsdorff
PDS
Wolfgang Bierstedt Petra Bläss
Dr. Ruth Fuchs
Dr. Uwe-Jens Heuer Dr. Barbara Höll Ulla Jelpke
Dr. Heidi Knake-Werner
Rolf Köhne
Rolf Kutzmutz
Heidemarie Lüth Rosel Neuhäuser
Dr. Uwe-Jens Rössel Christina Schenk Steffen Tippach
Dr. Winfried Wolf
Die anderen Auszählungen liegen noch nicht vor. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a bis f auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Albert Schmidt (Hitzhofen), Gila Altmann (Aurich), Elisabeth Altmann (Pommelsbrunn), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Das Schienennetz in Deutschland sichern - Drucksache 13/7283 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Verkehr (federführend)

Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung,
Technologie und Technikfolgenabschätzung
Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus Haushaltsausschuß
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Albert Schmidt (Hitzhofen), Helmut Wilhelm (Amberg), Gila Altmann (Aurich), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN
Mißbilligung des Bundesministers für Verkehr wegen Nichteinhaltung seiner Verpflichtungen nach den §§ 5 und 7 des Bundesschienenwegeausbaugesetzes
- Drucksache 13/6857 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Verkehr (federführend)

Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus Haushaltsausschuß
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Winfried Wolf, Dr. Dagmar Enkelmann, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS
Aufstellung eines Bundesverkehrswegeplans für eine Politik der Verkehrswende
- Drucksache 13/5164 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Verkehr (federführend)

Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Haushaltsausschuß
d) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) zu dem Antrag der Abgeordneten Kristin Heyne, Albert Schmidt (Hitzhofen), Gila Altmann (Aurich) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Erstellung eines Schienenbauplanes als Anlage zum Bundesverkehrshaushalt
- Drucksachen 13/4874, 13/5870 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Hans Georg Wagner Bartholomäus Kalb
Kristin Heyne
Jürgen Koppelin
e) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr (15. Ausschuß) zu dem Antrag der Abgeordneten Albert Schmidt (Hitzhofen), Gila Altmann (Aurich), Helmut Wilhelm (Amberg) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Finanzierung der Schienennahverkehrsinfrastrukturen sicherstellen
- Drucksachen 13/5198, 13/7367 -
Berichterstattung: Abgeordneter Peter Letzgus
f) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht zum Ausbau der Schienenwege 1996 - Drucksache 13/6929 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Verkehr (federführend)

Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus
Zum Bericht der Bundesregierung zum Ausbau der Schienenwege 1996 liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.
Außerdem hat Bündnis 90/Die Grünen einen Änderungsantrag zur Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr zu ihrem Antrag zur Sicherstellung der Finanzierung der Schienennahverkehrsinfrastrukturen eingebracht.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch.
Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem Abgeordneten Dr. Dionys Jobst.


Dr. Dionys Jobst (CSU):
Rede ID: ID1317212200
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Es geht heute in dieser Verkehrsdebatte um eine Reihe von Anträgen der Grünen und der PDS zur Bahn sowie um den Bericht des Bundesverkehrsministers zum Schienenausbau der Bahn. Hinter diesen Anträgen verbergen sich aber grundsätzliche Fragen der Verkehrs- und Bahnpolitik. Die Antragsteller fordern eine Verkehrswende und eine andere Bahn.
Dies, meine sehr verehrten Damen und Herren, wäre eine verkehrspolitische Rückentwicklung zum Schaden der Bahn.

(Widerspruch bei der SPD)

Es ist unbestritten, daß wir zur Bewältigung der Verkehrsprobleme eine leistungsfähige, moderne Bahn brauchen.

(Beifall des Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Sie ist ein umweltfreundliches Verkehrsmittel, sie muß mehr Verkehr auf die Schiene bringen. So leistet sie einen wichtigen Beitrag, daß die Mobilität in unserem Lande für Menschen und Wirtschaft gewährleistet bleibt und der Verkehr weiterhin Akzeptanz findet. Staus, Streß der Autofahrer, Belastungen der Menschen in den Ortslagen können dadurch abgebaut werden. Dies ist unsere verkehrspolitische Zielsetzung, die wir weiter verfolgen werden.
Welche Bahn brauchen wir nun? Die Bahn kann sicherlich nur dort tätig werden, wo Schienen liegen. Wir wollen keine Schrumpfbahn, wir wollen die richtige Bahn.

(Zuruf von der SPD: Sehr gut!)

Eine Bahn mit dem Zuschnitt aus dem vorigen Jahrhundert, wie sie die Grünen fordern, hat keine Zukunft.

(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Lächerlich!)

Die Wende der Verkehrspolitik nach dem Strickmuster der Grünen und der PDS würde die Bahn erneut ins Abseits fahren wie vor der Bahnreform. Die geforderte Flächenbahn würde an den Realitäten des Verkehrs vorbeiführen und hätte keine Chancen im Wettbewerb. Die Ideologie in der Verkehrspolitik ist kein guter Ratgeber.
Die Haltung der Grünen ist auch heuchlerisch. Jeder Kilometer Nebenbahn soll erhalten und reaktiviert werden. Wo neue Strecken zum Nutzen des Schienenverkehrs gebaut werden, leisten die gleichen Leute erheblichen Widerstand. Dieses Doppelspiel schadet der Bahn, wir lassen dies auch nicht durchgehen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Mit der Bahnreform haben wir einen großen Wurf gemacht. Sie hat eingeschlagen. Sie war dringend notwendig. Erinnern wir uns: 1993, vor der Bahnreform, hatten Bundesbahn und Reichsbahn ein Defizit von 17 Milliarden Mark und haben 68 Milliarden Mark Schulden angehäuft mit rasant steigender Tendenz. Die Bahn AG hat seit der Privatisierung beachtliche Erfolge vorzuweisen. Der Vorstandsvorsitzende der Bahn AG, Herr Dürr, hat gestern im Verkehrsausschuß darüber vorgetragen und diese unbestrittenen Erfolge dargelegt. Mit der Bahnreform ist eine Wiedererstarkung der Bahn gelungen. Sicherlich gibt es noch einen gewissen Nachholbedarf. Im Güterverkehr sind die Erwartungen nicht eingetroffen. Schwertransporte auf langen Strecken und insbesondere im internationalen Verkehr müssen verstärkt auf die Schiene. Wir brauchen gerade die Güterbahn, und hier muß die Wettbewerbsfähigkeit verbessert werden.
Auch wenn es noch so oft behauptet wird: Es gibt keinen generellen Streckenstillegungsplan der Bahn AG. Das war gestern auch eine klare Aussage des Vorstandsvorsitzenden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die in die Welt gesetzten Stillegungsparolen sind unverantwortlich. Sie haben nur zum Ziel, Unsicherheit und Verwirrung zu stiften. Auch der Ansatz der Grünen mit ihrer Verkehrspolitik ist falsch. Soviel Schiene wie nötig, muß die Devise sein, nicht Nebenstrecken um jeden Preis. Die Strecken müssen angenommen werden, ihre Bedienung muß wirtschaftlich, raumordnungspolitisch, verkehrspolitisch sinnvoll sein. In der Fläche ist nicht immer die Schiene das zweckmäßigste Verkehrsmittel; Pkw, Lkw, Omnibusse sind dort unschlagbar und unverzichtbar.
Die Nebenbahnen waren sicherlich große Pionierleistungen im vorigen Jahrhundert. Mangels Wettbewerb spielten die Kosten beim Betrieb nur eine nachrangige Rolle. Mit dem Siegeszug des Autos hat sich das nachhaltig verändert.
Die Bahn muß sich auf ihre Vorteile konzentrieren. Das ist der Fernverkehr, das ist der öffentliche Personennahverkehr in den Ballungsräumen. Dies ist ihr Terrain. Mit der Regionalisierung des öffentlichen Personennahverkehrs haben wir eine weitreichende Entscheidung getroffen, und der Bund stellt beträchtliche Finanzmittel zur Verfügung, in diesem Jahr allein 12,1 Milliarden DM.
Eine gute Straße bis in das letzte Dorf war einmal die Forderung. Dies haben wir erreicht. Eine Eisenbahnstrecke in jede Gemeinde wäre Unsinn. Die Bahn muß selber entscheiden, welche Strecken sie braucht, und der Bund wird seiner Verantwortung für die erforderliche Infrastruktur der Bahn gerecht.

(Elke Ferner [SPD]: Überhaupt nicht!)

Bundesverkehrsminister Wissmann hat den Bericht zum Ausbau der Schienenwege 1996 für die Jahre 1994 und 1995 vorgelegt. Es sind eindrucksvolle Zahlen darin enthalten. 1994 beliefen sich die Investitionen bei der Bahn auf 8,5 Milliarden DM, davon 3,3 Milliarden in den alten Bundesländern und 5,2 Milliarden in den neuen Bundesländern. 1995 wurden 9,2 Milliarden DM investiert, davon 3,8 Milliarden in den alten Bundesländern und 5,4 Milliarden in den neuen Bundesländern. 1994/95 wurden 900 km Schiene in den alten Bundesländern und 1300 km in den neuen Bundesländern gebaut.

Dr. Dionys Jobst
Diese Leistungen können sich sehen lassen. Sie sind auch der Beweis, daß Bundesregierung, CDU/ CSU und FDP zu unserer Bahn stehen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei der FDP)

Den Fünfjahresplan für den Ausbau der Schienenwege für die Jahre 1998 bis 2002 hat uns der Bundesverkehrsminister zugeleitet. Pro Jahr werden 7,2 Milliarden DM investiert. Dazu stellt die Bahn in diesem Zeitraum 6,4 Milliarden DM zur Verfügung, so daß der Fünfjahresplan ein Planungsvolumen von 42,4 Milliarden DM hat.

(Elke Ferner [SPD]: Ich wollte, wir hätten das Geld schon!)

Damit erhält die Bahn ein modernes Schienennetz mit Hochgeschwindigkeitsstrecken. Sie wird in die Lage versetzt, ihre Produktivität zu erhöhen, die Leistungsfähigkeit zu verbessern und die Attraktivität zu steigern.
Die Bahn der Zukunft, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, wird eine andere Bahn sein, als sich die Antragsteller dies vorstellen. Sie muß ein umfassender Dienstleistungskonzern sein, marktorientiert, kundennah und mit modernen Technologien.

(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Sie muß die Zusagen, die sie macht, einhalten!)

Grundvoraussetzung ist natürlich die erforderliche Infrastruktur, ein gutes Schienennetz. Die spezifischen Systemvorteile der Bahn und die anderen Verkehrsträger müssen zu einem integrierten Transportsystem gebündelt werden. In dieser Form ist die Bahn maßgeschneidert für die nationalen Aufgaben und auch für den europäischen Markt. Sie kann unter Beweis stellen, daß sie große Mengen von Menschen und Gütern schnell und zweckmäßig über große Entfernungen transportieren kann.
Ein entscheidender Schlüssel für die Wiedererstarkung der Bahn liegt in der Nutzung der Informationstechnologie.
Die Bahn ist auf Grund unserer Politik auf dem besten Wege, die gestellten Aufgaben zu erfüllen

(Elke Ferner [SPD]: Nicht mit dieser Regierung!)

und mehr Verkehr zum Nutzen der Kunden, der Umwelt und der gesamten Gesellschaft auf die Schiene zu holen. Die Prognosen des Ifo-Institutes für das Jahr 1997 für die Verkehrsentwicklung sind erfreulich. Danach werden die Personenkilometer bei der Eisenbahn um 3 Prozent steigen, während beim Inchvidualverkehr ein Anstieg von nurmehr 1,2 Prozent zu verzeichnen ist. Dies ist eine gute Entwicklung.

(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist ja peinlich!)

Ich möchte dem Vorstand der Bahn AG, allen Mitarbeitern, unseren Eisenbahnern, den Betriebsräten und Gewerkschaften für die erbrachten Leistungen und dafür, daß sie unsere Zielsetzungen mittragen, unseren Dank aussprechen und sie ermuntern, den Prozeß der Bahnreform mit uns weiter fortzusetzen.
Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1317212300
Zunächst gebe ich das von den Schriftführern und Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksachen 13/7120 und 13/7506 Buchstabe c bekannt.
Abgegebene Stimmen: 592; mit Ja haben gestimmt: 80; mit Nein haben gestimmt: 302; dabei gab es 210 Enthaltungen. Der Antrag ist damit abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 591; davon
ja: 80
nein: 301
enthalten: 210
Ja
SPD
Klaus Barthel
Hans-Werner Bertl
Peter Conradi
Konrad Gilges
Dr. Barbara Hendricks
Günter Rixe
Marlene Rupprecht
Ilse Schumann
Dr. Angelica Schwall-Düren Hanna Wolf (München)

BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN
Gila Altmann (Aurich) Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Angelika Beer
Matthias Berninger Annelie Buntenbach Amke Dietert-Scheuer Dr. Uschi Eid
Andrea Fischer (Berlin) Joseph Fischer (Frankfurt) Rita Grießhaber
Gerald Häfner
Antje Hermenau Kristin Heyne
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt Dr. Manuel Kiper Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt Oswald Metzger Kerstin Müller (Köln) Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Egbert Nitsch (Rendsburg) Cem Özdemir
Gerd Poppe
Simone Probst
Halo Saibold
Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Rezzo Schlauch
Albert Schmidt (Hitzhofen) Wolfgang Schmitt

(Langenfeld)

Waltraud Schoppe Werner Schulz (Berlin)

Marina Steindor Christian Sterzing Dr. Antje Vollmer Ludger Volmer
Helmut Wilhelm (Amberg) Margareta Wolf (Frankfurt)
PDS
Wolfgang Bierstedt Petra Bläss
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter Heinrich Graf von Einsiedel Dr. Ludwig Elm
Dr. Dagmar Enkelmann
Dr. Ruth Fuchs
Hanns-Peter Hartmann
Dr. Uwe-Jens Heuer Dr. Barbara Höll Ulla Jelpke
Gerhard Jüttemann
Dr. Heidi Knake-Werner
Rolf Köhne
Rolf Kutzmutz
Dr. Christa Luft Heidemarie Lüth
Dr. Günther Maleuda Manfred Müller (Berlin)

Rosel Neuhäuser Dr. Uwe-Jens Rössel Christina Schenk Steffen Tippach
Klaus-Jürgen Warnick
Dr. Winfried Wolf
Gerhard Zwerenz

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam
Peter Altmaier
Anneliese Augustin Jürgen Augustinowitz Dietrich Austermann Heinz-Günter Bargfrede Franz Peter Basten
Dr. Wolf Bauer
Brigitte Baumeister Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank Renate Blank
Dr. Heribert Blens Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch Klaus Brähmig
Rudolf Braun (Auerbach) Paul Breuer
Monika Brudlewsky Georg Brunnhuber Hartmut Büttner

(Schönebeck)

Dankward Buwitt
Manfred Carstens (Emstek) Peter Harry Carstensen

(Nordstrand)

Wolfgang Dehnel Hubert Deittert
Gertrud Dempwolf Renate Diemers Wilhelm Dietzel Werner Dörflinger Hansjürgen Doss Dr. Alfred Dregger Maria Eichhorn
Wolfgang Engelmann Rainer Eppelmann Heinz Dieter Eßmann Horst Eylmann
Anke Eymer
Ilse Falk
Jochen Feilcke
Ulf Fink
Dirk Fischer (Hamburg) Klaus Francke (Hamburg) Herbert Frankenhauser Dr. Gerhard Friedrich Erich G. Fritz
Hans-Joachim Fuchtel Michaela Geiger Norbert Geis
Michael Glos
Wilma Glücklich
Dr. Reinhard Göhner Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer Joachim Gres
Kurt-Dieter Grill Wolfgang Gröbl Hermann Gröhe Claus-Peter Grotz Manfred Grund
Horst Günther (Duisburg) Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein
Gottfried Haschke

(Großhennersdorf) Gerda Hasselfeldt

Otto Hauser (Esslingen) Hansgeorg Hauser

(Rednitzhembach) Klaus-Jürgen Hedrich Helmut Heiderich Manfred Heise

Detlef Helling Ernst Hinsken Peter Hintze
Josef Hollerith
Dr. Karl-Heinz Hornhues Siegfried Hornung Joachim Hörster
Hubert Hüppe Peter Jacoby Georg Janovsky Helmut Jawurek Dr. Dionys Jobst
Dr.-Ing. Rainer Jork Michael Jung (Limburg) Dr. Egon Jüttner
Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter Manfred Kanther Irmgard Karwatzki
Peter Keller
Eckart von Klaeden
Dr. Bernd Klaußner
Ulrich Klinkert Hans-Ulrich Köhler

(Hainspitz) Manfred Kolbe Norbert Königshofen Eva-Maria Kors Manfred Koslowski Thomas Kossendey Rudolf Kraus

Wolfgang Krause (Dessau) Andreas Krautscheid Arnulf Kriedner
Dr.-Ing. Paul Krüger Reiner Krziskewitz
Dr. Hermann Kues Werner Kuhn
Dr. Karl A. Lamers

(Heidelberg)

Dr. Norbert Lammert Helmut Lamp
Armin Laschet Herbert Lattmann Dr. Paul Laufs Karl-Josef Laumann
Vera Lengsfeld Werner Lensing Christian Lenzer Peter Letzgus Editha Limbach
Walter Link (Diepholz) Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold

(Offenbach)

Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann

(Lüdenscheid) Julius Louven Heinrich Lummer Dr. Michael Luther

Dr. Dietrich Mahlo Erwin Marschewski Günter Marten
Dr. Martin Mayer

(Siegertsbrunn)

Wolfgang Meckelburg Rudolf Meinl
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel Friedrich Merz
Rudolf Meyer (Winsen) Hans Michelbach
Dr. Gerd Müller
Elmar Müller (Kirchheim) Engelbert Nelle
Bernd Neumann (Bremen) Johannes Nitsch
Claudia Nolte Dr. Rolf Olderog Friedhelm Ost Eduard Oswald
Norbert Otto (Erfurt)

Dr. Gerhard Päselt Dr. Peter Paziorek Hans-Wilhelm Pesch
Ulrich Petzold Angelika Pfeiffer Dr. Gero Pfennig
Dr. Friedbert Pflüger Beatrix Philipp
Dr. Winfried Pinger
Ronald Pofalla
Dr. Hermann Pohler Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff
Dr. Bernd Protzner Dieter Pützhofen Thomas Rachel Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Rolf Rau
Helmut Rauber Peter Rauen
Otto Regenspurger
Klaus Dieter Reichardt (Mannheim)

Dr. Bertold Reinartz
Erika Reinhardt Hans-Peter Repnik
Roland Richter Roland Richwien Dr. Norbert Rieder
Dr. Erich Riedl (München) Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer Hannelore Rönsch

(Wiesbaden) Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose

Kurt J. Rossmanith Adolf Roth (Gießen) Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck Volker Rühe
Ortrun Schätzle
Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Karl-Heinz Scherhag Gerhard Scheu Norbert Schindler Dietmar Schlee
Ulrich Schmalz Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt (Fürth) Dr.-Ing. Joachim Schmidt

(Halsbrücke)

Andreas Schmidt (Mülheim) Hans-Otto Schmiedeberg Hans Peter Schmitz

(Baesweiler)

Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr von
Schorlemer
Dr. Erika Schuchardt Wolfgang Schulhoff
Dr. Dieter Schulte

(Schwäbisch Gmünd) Gerhard Schulz (Leipzig) Frederick Schulze


(Sangerhausen)

Diethard Schütze (Berlin) Clemens Schwalbe
Wilhelm Josef Sebastian Horst Seehofer
Marion Seib
Heinz-Georg Seiffert
Rudolf Seiters Johannes Selle Jürgen Sikora
Johannes Singhammer Bärbel Sothmann Margarete Späte Wolfgang Steiger Erika Steinbach
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten
Dr. Gerhard Stoltenberg Andreas Storm
Max Straubinger Matthäus Strebl Michael Stübgen Egon Susset
Dr. Rita Süssmuth Michael Teiser
Dr. Susanne Tiemann Gottfried Tröger
Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Gunnar Uldall Wollgang Vogt (Düren)

Dr. Theodor Waigel
Alois Graf von Waldburg-Zeil Dr. Jürgen Warnke
Kersten Wetzel
Hans-Otto Wilhelm (Mainz) Gert Willner
Bernd Wilz
Willy Wimmer (Neuss) Matthias Wissmann
Dagmar Wöhrl Michael Wonneberger
Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach
Cornelia Yzer Wolfgang Zeitlmann Wolfgang Zöller
SPD
Reinhold Robbe
F.D.P.
Ina Albowitz
Dr. Gisela Babel Hildebrecht Braun

(Augsburg) Günther Bredehorn

Jörg van Essen Gisela Frick
Paul K. Friedhoff Horst Friedrich

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt Joachim Günther (Plauen) Dr. Karlheinz Guttmacher Dr. Helmut Haussmann Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Dr. Burkhard Hirsch
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Ulrich Irmer
Detlef Kleinert (Hannover) Roland Kohn
Dr. -Ing. Karl-Hans Laermann Uwe Lühr
Günther Friedrich Nolting Dr. Rainer Ortleb
Lisa Peters
Dr. Klaus Röhl
Helmut Schäfer (Mainz) Cornelia Schmalz-Jacobsen Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Dr. Hermann Otto Sohns Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen)

Dr. Guido Westerwelle
Enthalten
SPD
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Ingrid Becker-Inglau
Hans Berger
Friedhelm Julius Beucher Arne Börnsen (Ritterhude) Anni Brandt-Elsweier
Dr. Eberhard Brecht
Ursula Burchardt
Hans Martin Bury
Hans Büttner (Ingolstadt) Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Dr. Herta Däubler-Gmelin Christel Deichmann
Karl Diller
Dr. Marliese Dobberthien Peter Dreßen
Rudolf Dreßler
Freimut Duve
Ludwig Eich
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Annette Faße
Elke Ferner
Lothar Fischer (Homburg) Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Dagmar Freitag
Anke Fuchs (Köln)

Katrin Fuchs (Verl)

Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Günter Graf (Friesoythe)

Angelika Graf (Rosenheim) Dieter Grasedieck Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann Manfred Hampel Christel Hanewinckel Alfred Hartenbach Dr. Liesel Hartenstein Klaus Hasenfratz
Dr. Ingomar Hauchler Dieter Heistermann Reinhold Hemker Rolf Hempelmann Monika Heubaum Uwe Hiksch
Reinhold Hiller (Lübeck) Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Frank Hofmann (Volkach) Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann Lothar Ibrügger Wolfgang Ilte
Barbara Imhof
Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate Jäger
Jann-Peter Janssen Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung (Düsseldorf) Sabine Kaspereit Susanne Kastner
Ernst Kastning Hans-Peter Kemper Klaus Kirschner Marianne Klappert Siegrun Klemmer Hans-Ulrich Klose
Dr. Hans-Hinrich Knaape Walter Kolbow
Nicolette Kressl Thomas Krüger Horst Kubatschka Eckart Kuhlwein Helga Kühn-Mengel Konrad Kunick Christine Kurzhals Dr. Uwe Küster Werner Labsch Brigitte Lange
Detlev von Larcher Waltraud Lehn Robert Leidinger Klaus Lennartz
Klaus Lohmann (Witten) Christa Lörcher
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga Dieter Maaß (Herne) Winfried Mante Dorle Marx
Ulrike Mascher Christoph Matschie Ingrid Matthäus-Maier Heide Mattischeck Markus Meckel
Ulrike Mehl
Herbert Meißner Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer (Ulm) Ursula Mogg
Siegmar Mosdorf
Jutta Müller (Völklingen) Christian Müller (Zittau) Gerhard Neumann (Gotha)
Dr. Edith Niehuis Dr. Rolf Niese Doris Odendahl
Günter Oesinghaus
Leyla Onur
Adolf Ostertag Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Willfried Penner
Dr. Martin Pfaff Georg Pfannenstein
Dr. Eckhart Pick Joachim Poß Rudolf Purps
Karin Rehbock-Zureich Margot von Renesse
Renate Rennebach
Otto Reschke Bernd Reuter Gerhard Rübenkönig
Dr. Hansjörg Schäfer
Dieter Schanz Rudolf Scharping
Bernd Scheelen Siegfried Scheffler
Horst Schild Otto Schily
Günter Schluckebier
Horst Schmidbauer

(Nürnberg)

Ulla Schmidt (Aachen) Dagmar Schmidt (Meschede) Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt (Berg)

Dr. Emil Schnell Walter Schöler Ottmar Schreiner
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert Brigitte Schulte (Hameln) Reinhard Schultz

(Everswinkel)

Volkmar Schultz (Köln)

Dr. R. Werner Schuster Dietmar Schütz (Oldenburg) Ernst Schwanhold
Rolf Schwanitz Bodo Seidenthal
Lisa Seuster Horst Sielaff Erika Simm
Johannes Singer
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Wieland Sorge
Wolfgang Spanier Dr. Dietrich Sperling Jörg-Otto Spiller Ludwig Stiegler
Dr. Peter Struck Joachim Tappe Jörg Tauss
Dr. Bodo Teichmann Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim Wolfgang Thierse Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Siegfried Vergin
Günter Verheugen Ute Vogt (Pforzheim)

Karsten D. Voigt (Frankfurt) Hans Georg Wagner
Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Reinhard Weis (Stendal) Matthias Weisheit Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen (Wiesloch) Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Norbert Wieczorek Helmut Wieczorek (Duisburg)

Heidemarie Wieczorek-Zeul Dieter Wiefelspütz
Berthold Wittich
Dr. Wolfgang Wodarg
Heidi Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel Peter Zumkley
F.D.P.
Dr. Otto Graf Lambsdorff Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Nun erteile ich das Wort der Abgeordneten Elke Ferner.

Elke Ferner (SPD):
Rede ID: ID1317212400
Herr Präsident! Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen!

(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Unterstelle uns nicht wieder, die Staatsbahn zu fordern!)

-Ich muß sagen, lieber Albert Schmidt, bei dem Mißbilligungsantrag, den Bündnis 90/Die Grünen gestellt hat, muß ich die Nachsicht, die gewaltet hat, eigentlich bewundern. Wenn man nämlich die Verkehrspolitik von Herrn Wissmann und insbesondere seine Bahnpolitik der letzten Jahre analysiert, müßte

Elke Ferner
der Antrag eigentlich heißen: Mißbilligung der gesamten Amtsführung des Bundesverkehrsministers.

(Beifall bei der SPD und der PDS sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Aber anstatt die Bahnreform als Chance zu nutzen, mißbrauchen Verkehrs- und Finanzminister in trauter Eintracht die Bahn als bequeme, wenn auch illegale Sondermülldeponie zur Entsorgung ihrer Haushaltsprobleme. Deshalb verfolgt die Bundesregierung gegenüber dem Parlament das Motto: Täuschen und tarnen!
Im Februar wurde nach mehrmaligem Drängen von unserer Seite der längst überfällige Bericht zum Ausbau der Schienenwege vorgelegt; eigentlich sollte er jährlich vorgelegt werden. Im April folgte dann der neue Fünfjahresplan für die Jahre 1998 bis 2002. Wenn man sich dann die Mühe macht, diese beiden Berichte miteinander zu vergleichen, muß man sich erst einmal durch ein Dickicht von Desinformation wühlen, um wirklich Beachtenswertes herauszufinden.

(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist wahr! Zuruf von der SPD: Lauter Nebelkerzen werden da gelegt!)

Desinformation deshalb, weil die Reihenfolge der Projekte variiert und die Numerierung zwischenzeitlich geändert wurde, so daß ein schneller Zahlenvergleich nicht möglich ist. Dennoch sind die Ergebnisse höchst interessant.
Auf wundersame Weise haben sich zwischen Februar und April bei einer Fülle von Projekten die Gesamtkosten reduziert, bei einzelnen Projekten sogar um dreistellige Millionensummen. Diese Kostenreduzierung ist um so merkwürdiger, da es sich einerseits um die Preisbasis von 1993 und andererseits um die von 1997 handelt. Man kann nur mutmaßen, daß der Heilige Geist schon zu Ostern über den Verkehrsminister gekommen ist. Die sprunghafte Korrektur der Gesamtkostenannahmen in so kurzer Zeit nach unten ist aber wohl kaum zu erklären. An den allgemeinen Preissteigerungsraten kann es nicht gelegen haben, denn die Kosten einiger Projekte sind auch gestiegen. Ich kann Ihnen, wenn diese mysteriöse Kostenreduzierung einen Trend darstellen sollte, nur empfehlen: Strecken Sie die Projekte doch noch ein wenig weiter, dann gibt es sie zum Nulltarif, und vielleicht kriegt Herr Waigel noch etwas für seine Haushaltslöcher.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Der Vergleich macht auch deutlich, daß es massive Streckungen, die Sie immer bestritten haben, bei vielen Projekten des Dreijahresplanes gegeben hat.

(Zuruf von der SPD: Der Minister ist weg!)

- Herr Wissmann hat eben gesagt, er habe noch einen anderen Termin. Insofern wenden wir uns stellvertretend an den Herrn Staatssekretär. - Diese massiven Streckungen haben Sie bisher immer geleugnet. Bei vielen Anfragen, die viele Kollegen und Kolleginnen von mir zu Projekten in ihrer Region an Sie gerichtet haben, wurde immer behauptet: Der Dreijahresplan steht, und es wird auch alles so finanziert.
- Das Gegenteil war der Fall.
Ich möchte einmal ganz kurz die Zahlen des Projektes, das meine Region sehr interessiert, nennen, um deutlich zu machen, wie hier gelogen wird.

(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Es ist ja unglaublich, was Sie hier erzählen! Weitere Zurufe von der CDU/CSU und der F.D.P.)

- Nein, es ist überhaupt nicht unglaublich, es ist wahr.
Die POS, Paris - Ostfrankreich - Südwestdeutschland, stand im alten Dreijahresplan mit 204 Millionen DM. Im neuen Fünfjahresplan sehen wir, daß in der Vergangenheit gerade 76 Millionen DM verbaut wurden. Der Löwenanteil dieser Maßnahme, nämlich 490 Millionen DM, wird sogar erst nach dem Jahr 2002 veranschlagt. Das heißt im Klartext, daß diese Maßnahme auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben wird. Das ist beispielhaft für viele andere Maßnahmen in der Republik. Hier müssen Sie, wenn Sie schon nicht finanzieren wollen, wenigstens den Regionen die Wahrheit sagen.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Aber dann liest man, daß laufende Projekte fortzuführen sind, „wobei einzelne Vorhaben auf Grund der verkehrlichen Entwicklung zeitlich gestreckt werden können". Da muß ich sagen: Es ist ganz schön frech, was da steht. Das hat überhaupt nichts mit der verkehrlichen Entwicklung zu tun; das hat etwas mit der Haushaltskatastrophe zu tun, die Sie, liebe Kollegen und Kolleginnen von der Bundesregierung, gemeinsam mit den Koalitionsfraktionen angerichtet haben.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Ich sage Ihnen: Die Zukunft läßt noch Schlimmeres erwarten. Ich nenne hier ein paar Beispiele.
Gestern hatten wir im Ausschuß Herrn Dürr; der Vorsitzende hat es schon gesagt. Wir haben gestern auch in der Fragestunde noch einmal zu dem leidigen Thema Transrapid nachgehakt. Hier verstärkt sich wirklich der Eindruck, daß mehr und mehr Risiken auf die Bahn verschoben werden sollen, damit der Bund das Risiko, das er trägt, auf ein Bundesunternehmen verlagern kann. Ich kann Ihnen sagen: Mit der SPD wird es so etwas nicht geben. Wenn die Wirtschaftlichkeitszahlen da sind, werden wir sehen, ob und wie und wann etwas mit diesem Projekt passiert und was überhaupt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Ein weiteres Beispiel. 20 Prozent der Mittel für den Schienenpersonennahverkehr - so wurde es mit den Ländern im Rahmen der Bahnreform vereinbart. Was ist passiert? - Überhaupt nichts. Die Länder haben

Elke Ferner
sich, weil der Bund nicht bereit war, seine gesetzliche Verpflichtung zu erfüllen, ersatzweise für drei Jahre pauschal mit 1,5 Milliarden DM einverstanden erklärt. Im neuen Fünfjahresplan sind gerade einmal 1,8 Milliarden DM für fünf Jahre vorgesehen. Dann geht die übliche Milchmännchenrechnung weiter: Dieses und jenes, zum Beispiel Nahverkehrsanteile auf Fernverkehrsstrecken, wird hinzugerechnet. Das ist dann das, was die Länder nach der Bahnreform aus den 20 Prozent der Mittel, die für den SPNV bestimmt sind, bekommen sollen.
Jetzt aber ein Wort zu den Grünen. Die Anträge, die hier vorliegen, nämlich auf eine Teilung der Netzverantwortung, entsprechen nicht dem Geist der Bahnreform und werden von uns nicht unterstützt.

(Beifall bei der SPD Horst Friedrich [F.D.P.]: Bravo!)

Vielmehr ist nach wie vor die volle Netzverantwortung des Bundes notwendig. Wir sind gerne bereit, den Verkehrsminister aus seiner Verantwortung zu entlassen, weil er ihr nicht nachkommt, aber nicht den Bund.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

Im Fünfjahresplan sieht man wieder, daß Äpfel mit Birnen verglichen werden. Denn da wird so getan, als sei der Fünfjahresplan ein Finanzierungsplan. Das ist er aber nicht, genauso wenig wie der Bundesverkehrswegeplan. Vielmehr geht es nur in dem Maße voran, wie in jedem Jahr Haushaltsmittel zur Verfügung stehen.
Damit sind wir beim dritten Beispiel. Von 1994 an wurden die Ansätze für den Schienenhaushalt kontinuierlich zurückgefahren, während der Straßenbautitel exakt gleichgeblieben ist. Das ist keine Schienenvorrangpolitik, das ist eine weitere Benachteiligung der Schiene. Herr Kollege Jobst, da können Sie reden, wie Sie wollen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Reden hören wir Sie immer gerne. Aber Sie tun das Gegenteil.
Schaffen Sie auch Klarheit darüber, wie diese 3,7 Milliarden DM investive Altlasten in den Streckenbau und in die Bereinigung des Sachanlagevermögens gesteckt werden, damit diese Täuscherei endlich aufhört, bei der man sagt: Da kommen ja noch 3,7 Milliarden DM für den Streckenaus- und -neubau hinzu. Es ist nicht der Fall.
Beispiel Nummer vier. Die Bahn erfüllt die Aufgaben des Bundes jetzt in zunehmendem Maße mit Eigenmitteln. Wir als Bund sind eigentlich für den Schienenaus- und -neubau zuständig - zumindest für den Bedarf, den wir hier festgestellt haben - und nicht die Bahn. Es gab eine Vereinbarung mit BMF und BMV, in der noch von 6,9 Milliarden DM die Rede war. Herr Vorsitzender, Sie haben recht: Im neuen Fünfjahresplan stehen nur noch 6,4 Milliarden DM. Da fragt man sich: Wo bleiben die 500 Millionen DM?

(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Die bekommt der Transrapid!)

Ist das noch ein Abschiedsgeschenk an Herrn Dürr? Geht es Herrn Waigel vielleicht doch besser, als alle glauben? Wir warten gespannt auf Aufklärung.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Es gibt weitere Beispiele. Ich nenne hier nur stichwortartig: Darlehensfinanzierung statt Baukostenzuschüsse. Wir werden sehr bald die Zeit erleben, daß die Bahn wieder mehr an den Bundeshaushalt zahlt, als wir für den Streckenaus- und -neubau aus dem Bundeshaushalt ausgeben. Auch die Wunderwaffe Telematik ist eben von Herrn Jobst genannt worden. Da gibt es einen völlig absurden und irrelevanten Streit zwischen Bahn und Verkehrsministerium, weil gesagt wird: Die Leittechnik gehört nicht zum Fahrweg, sondern zum Betrieb. - Die Bahnlobby - zumindest die Systemindustrie - sagt nichts dazu. Ich möchte gerne erleben, was los wäre, wenn auch Verkehrsbeeinflussungsanlagen oder Verkehrsampeln zum Betrieb gerechnet würden. Dann würde die gesamte Autolobby kopfstehen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Auch die Rahmenbedingungen sind nicht in Ordnung.
Deshalb fordere ich Sie auf: Legen Sie jährlich fristgerecht einen Schienenbaubericht vor, und machen Sie jährlich eine Anlage zum Haushalt, wie bei den Straßen, in Form eines Schienenbauplans! Überarbeiten Sie den Bedarfsplan! Setzen Sie einen klaren Investitionsschwerpunkt bei der Schiene! Erfüllen Sie endlich die Infrastrukturverantwortung des Bundes, indem Schnittstellen ausgebaut werden, indem die 20-Prozent-Quote erfüllt wird und indem wirklich mehr Chancen für den Güterverkehr geschaffen werden! Schaffen Sie die Möglichkeit, daß beim kombinierten Verkehr auch Zuschüsse an Dritte mitfinanziert werden, damit hier endlich Investitionen in Gang kommen!

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Rolf Kutzmutz [PDS])

Beenden Sie Ihre rückwärtsgewandte Betonpolitik und Ihre Blockadepolitik bei der Schiene! Herr Minister, Sie sollten die Zeit nutzen, solange es noch geht, um sich wenigstens einen guten Abgang zu verschaffen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1317212500
Ich gebe zunächst das Ergebnis der vierten namentlichen Abstimmung - das war über den Antrag der Gruppe der PDS, Drucksache 13/7188 - bekannt. Abgegebene Stimmen: 591. Mit Ja haben gestimmt: 47. Mit Nein haben gestimmt: 511. Enthaltungen: 33. Damit ist auch dieser Antrag abgelehnt.

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 591; davon
ja: 47
nein: 511
enthalten: 33
Ja
BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN
Gila Altmann (Aurich)

Volker Beck (Köln)

Angelika Beer
Annelie Buntenbach
Amke Dietert-Scheuer Dr. Uschi Eid
Andrea Fischer (Berlin) Michaele Hustedt
Dr. Manuel Kiper
Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack Oswald Metzger
Egbert Nitsch (Rendsburg) Simone Probst
Irmingard Schewe-Gerigk Albert Schmidt (Hitzhofen) Werner Schulz (Berlin) Christian Sterzing
Helmut Wilhelm (Amberg)

PDS
Wolfgang Bierstedt Petra Bläss
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter Heinrich Graf von Einsiedel Dr. Ludwig Elm
Dr. Dagmar Enkelmann
Dr. Ruth Fuchs
Hanns-Peter Hartmann
Dr. Uwe-Jens Heuer Dr. Barbara Höll
Dr. Willibald Jacob Ulla Jelpke
Gerhard Jüttemann
Dr. Heidi Knake-Werner
Rolf Köhne
Rolf Kutzmutz
Dr. Christa Luft Heidemarie Lüth
Dr. Günther Maleuda Manfred Müller (Berlin)

Rosel Neuhäuser
Dr. Uwe-Jens Rössel Christina Schenk Steffen Tippach Klaus-Jürgen Warnick Dr. Winfried Wolf Gerhard Zwerenz
Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam
Peter Altmaier
Anneliese Augustin
Jürgen Augustinowitz Dietrich Austermann Heinz-Günter Bargfrede Franz Peter Basten
Dr. Wolf Bauer
Brigitte Baumeister Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank Renate Blank
Dr. Heribert Blens Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm
Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch Klaus Brähmig
Rudolf Braun (Auerbach) Paul Breuer
Monika Brudlewsky Georg Brunnhuber Hartmut Büttner

(Schönebeck)

Dankward Buwitt
Manfred Carstens (Emstek) Peter Harry Carstensen

(Nordstrand)

Wolfgang Dehnel Hubert Deittert
Gertrud Dempwolf Renate Diemers
Wilhelm Dietzel
Werner Dörflinger Hansjürgen Doss
Dr. Alfred Dregger Maria Eichhorn
Wolfgang Engelmann Rainer Eppelmann Heinz Dieter Eßmann Horst Eylmann
Anke Eymer
Ilse Falk
Jochen Feilcke
Ulf Fink
Dirk Fischer (Hamburg) Klaus Francke (Hamburg) Herbert Frankenhauser Dr. Gerhard Friedrich Erich G. Fritz
Hans-Joachim Fuchtel Michaela Geiger
Norbert Geis
Michael Glos
Wilma Glücklich
Dr. Reinhard Göhner Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer Joachim Gres
Kurt-Dieter Grill
Wolfgang Gröbl
Hermann Gröhe
Claus-Peter Grotz Manfred Grund
Horst Günther (Duisburg) Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein
Gottfried Haschke

(Großhennersdorf) Gerda Hasselfeldt

Otto Hauser (Esslingen) Hansgeorg Hauser

(Rednitzhembach)

Klaus-Jürgen Hedrich
Helmut Heiderich Manfred Heise Detlef Helling Ernst Hinsken Peter Hintze
Josef Hollerith
Dr. Karl-Heinz Hornhues Siegfried Hornung Joachim Hörster
Hubert Hüppe Peter Jacoby
Georg Janovsky Helmut Jawurek Dr. Dionys Jobst Dr.-Ing. Rainer Jork
Michael Jung (Limburg) Dr. Egon Jüttner
Dr. Harald Kahl
Bartholomäus Kahl
Steffen Kampeter Manfred Kanther Irmgard Karwatzki Peter Keller
Eckart von Klaeden Dr. Bernd Klaußner Ulrich Klinkert Hans-Ulrich Köhler

(Hainspitz)

Manfred Kolbe
Norbert Königshofen Eva-Maria Kors
Manfred Koslowski Thomas Kossendey Rudolf Kraus
Wolfgang Krause (Dessau) Andreas Krautscheid Arnulf Kriedner
Dr. -Ing. Paul Krüger Reiner Krziskewitz Dr. Hermann Kues Werner Kuhn
Dr. Karl A. Lamers

(Heidelberg)

Dr. Norbert Lammert Helmut Lamp
Armin Laschet
Herbert Lattmann Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann Vera Lengsfeld
Werner Lensing
Christian Lenzer Peter Letzgus
Editha Limbach
Walter Link (Diepholz) Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach)

Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid)

Julius Louven
Heinrich Lummer Dr. Michael Luther Dr. Dietrich Mahlo Erwin Marschewski Günter Marten
Dr. Martin Mayer

(Siegertsbrunn) Wolfgang Meckelburg Rudolf Meinl

Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz
Rudolf Meyer (Winsen) Hans Michelbach
Dr. Gerd Müller
Elmar Müller (Kirchheim) Engelbert Nelle
Bernd Neumann (Bremen) Johannes Nitsch
Claudia Nolte
Dr. Rolf Olderog
Friedhelm Ost
Eduard Oswald
Norbert Otto (Erfurt) Dr. Gerhard Päselt Dr. Peter Paziorek Hans-Wilhelm Pesch Ulrich Petzold
Angelika Pfeiffer
Dr. Gero Pfennig
Dr. Friedbert Pflüger Beatrix Philipp
Dr Winfried Pinger
Ronald Pofalla Dr. Hermann Pohler
Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff Dr. Bernd Protzner Dieter Pützhofen Thomas Rachel Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Rolf Rau
Helmut Rauber Peter Rauen
Otto Regenspurger
Christa Reichard (Dresden) Klaus Dieter Reichardt

(Mannheim)

Dr. Bertold Reinartz
Erika Reinhardt Hans-Peter Repnik
Roland Richter Roland Richwien Dr. Norbert Rieder
Dr. Erich Riedl (München) Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Hannelore Rönsch (Wiesbaden) Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Dr. Klaus Rose Kurt J. Rossmanith
Adolf Roth (Gießen)

Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Volker Rühe
Ortrun Schätzle
Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Karl-Heinz Scherhag
Gerhard Scheu Norbert Schindler Dietmar Schlee Ulrich Schmalz Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt (Fürth)

Dr.-Ing. Joachim Schmidt

(Halsbrücke)

Andreas Schmidt (Mülheim) Hans-Otto Schmiedeberg Hans Peter Schmitz

(Baesweiler)

Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr von
Schorlemer
Dr. Erika Schuchardt

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
Wolfgang Schulhoff
Dr. Dieter Schulte (Schwäbisch Gmünd)

Gerhard Schulz (Leipzig) Frederick Schulze (Sangerhausen)
Diethard Schütze (Berlin) Clemens Schwalbe
Wilhelm Josef Sebastian
Horst Seehofer Marion Seib
Heinz-Georg Seiffert
Rudolf Seiters Johannes Selle Jürgen Sikora Johannes Singhammer
Bärbel Sothmann Margarete Späte Wolfgang Steiger Erika Steinbach Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten
Dr. Gerhard Stoltenberg Andreas Storm
Max Straubinger Matthäus Strebl Michael Stübgen Egon Susset
Dr. Rita Süssmuth Michael Teiser
Dr. Susanne Tiemann
Gottfried Tröger
Dr. Klaus-Dieter Uelhoff
Gunnar Uldall Wolfgang Vogt (Düren)

Dr. Theodor Waigel
Alois Graf von Waldburg-Zeil
Dr. Jürgen Warnke
Kersten Wetzel
Hans-Otto Wilhelm (Mainz)

Gert Willner
Bernd Wilz
Willy Wimmer (Neuss)

Matthias Wissmann
Dagmar Wöhrl Michael Wonneberger
Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach
Cornelia Yzer Wolfgang Zeitlmann
Wolfgang Zöller
SPD
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Klaus Barthel
Ingrid Becker-Inglau
Hans Berger
Friedhelm Julius Beucher Arne Börnsen (Ritterhude) Anni Brandt-Elsweier
Dr. Eberhard Brecht
Ursula Burchardt
Hans Martin Bury
Hans Büttner (Ingolstadt) Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Dr. Herta Däubler-Gmelin Christel Deichmann
Karl Diller
Dr. Marliese Dobberthien Peter Dreßen
Rudolf Dreßler
Freimut Duve Ludwig Eich
Gernot Erler
Petra Ernstberger Annette Faße Elke Ferner
Lothar Fischer (Homburg) Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski Dagmar Freitag Anke Fuchs (Köln) Katrin Fuchs (Verl) Monika Ganseforth Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser Uwe Göllner
Günter Graf (Friesoythe) Angelika Graf (Rosenheim) Dieter Grasedieck Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann
Manfred Hampel Christel Hanewinckel Alfred Hartenbach Dr. Liesel Hartenstein Klaus Hasenfratz
Dr. Ingomar Hauchler Dieter Heistermann Reinhold Hemker Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks Monika Heubaum Uwe Hiksch
Reinhold Hiller (Lübeck) Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Frank Hofmann (Volkach) Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann Lothar Ibrügger Wolfgang Ute Barbara Imhof Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate Jäger Jann-Peter Janssen Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung (Düsseldorf) Sabine Kaspereit Susanne Kastner
Ernst Kastning Hans-Peter Kemper Klaus Kirschner Marianne Klappert Siegrun Klemmer
Dr. Hans-Hinrich Knaape Walter Kolbow
Nicolette Kressl Thomas Krüger Horst Kubatschka Eckart Kuhlwein Helga Kühn-Mengel Christine Kurzhals Dr. Uwe Küster Werner Labsch Brigitte Lange Detlev von Larcher Waltraud Lehn Robert Leidinger Klaus Lennartz
Klaus Lohmann (Witten) Christa Lörcher
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga Dieter Maaß (Herne) Winfried Mante
Dorle Marx
Ulrike Mascher
Christoph Matschie Ingrid Matthäus-Maier Heide Mattischeck Markus Meckel
Ulrike Mehl
Herbert Meißner
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer (Ulm) Ursula Mogg
Siegmar Mosdorf
Jutta Müller (Völklingen) Christian Müller (Zittau) Gerhard Neumann (Gotha) Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Doris Odendahl
Günter Oesinghaus Leyla Onur
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth Dr. Willfried Penner Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein Dr. Eckhart Pick
Joachim Poß
Rudolf Purps
Karin Rehbock-Zureich Margot von Renesse Renate Rennebach Otto Reschke
Bernd Reuter
Reinhold Robbe
Gerhard Rübenkönig Dr. Hansjörg Schäfer Dieter Schanz
Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Siegfried Scheffler Horst Schild
Günter Schluckebier Horst Schmidbauer (Nürnberg)

Ulla Schmidt (Aachen) Dagmar Schmidt (Meschede) Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt (Berg) Dr. Emil Schnell
Walter Schöler
Ottmar Schreiner
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert Brigitte Schulte (Hameln) Reinhard Schultz

(Everswinkel)

Volkmar Schultz (Köln) Dr. R. Werner Schuster
Dietmar Schütz (Oldenburg) Ernst Schwanhold
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Lisa Seuster
Horst Sielaff
Erika Simm
Johannes Singer
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Dr. Dietrich Sperling Jörg-Otto Spiller Ludwig Stiegler
Dr. Peter Struck Joachim Tappe Jörg Tauss
Dr. Bodo Teichmann
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim Wolfgang Thierse Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Siegfried Vergin
Günter Verheugen
Ute Vogt (Pforzheim)

Karsten D. Voigt (Frankfurt) Hans Georg Wagner
Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Reinhard Weis (Stendal) Matthias Weisheit Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen (Wiesloch) Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Norbert Wieczorek Helmut Wieczorek

(Duisburg)

Heidemarie Wieczorek-Zeul Dieter Wiefelspütz
Berthold Wittich
Dr. Wolfgang Wodarg
Hanna Wolf (München)

Heidi Wright Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley
F.D.P.
Ina Albowitz
Dr. Gisela Babel Hildebrecht Braun

(Augsburg) Günther Bredehorn

Jörg van Essen Gisela Frick
Paul K. Friedhoff Horst Friedrich Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt Joachim Günther (Plauen)

Dr. Karlheinz Guttmacher
Dr. Helmut Haussmann Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Dr. Burkhard Hirsch
Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Ulrich Irmer
Detlef Kleinert (Hannover) Roland Kohn
Dr. -Ing. Karl-Hans Laermann Dr. Otto Graf Lambsdorff Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Uwe Lühr
Günther Friedrich Nolting Lisa Peters
Dr. Klaus Röhl
Helmut Schäfer (Mainz)


Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
Cornelia Schmalz-Jacobsen
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Dr. Hermann Otto Sohns
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele Dr. Dieter Thomae Jürgen Türk
Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen)

Dr. Guido Westerwelle
Enthalten
SPD
Hans-Werner Bertl Peter Conradi
Arne Fuhrmann
Hans-Ulrich Klose Konrad Kunick
Günter Rixe
Marlene Rupprecht Otto Schily
Ilse Schumann
Dr. Angelica Schwall-Düren
BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN
Marieluise Beck (Bremen) Matthias Berninger Joseph Fischer (Frankfurt) Rita Grießhaber
Gerald Häfner
Antje Hermenau Kristin Heyne
Ulrike Höfken
Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt Kerstin Müller (Köln) Winfried Nachtwei Christa Nickels
Cem Özdemir
Gerd Poppe
Halo Saibold
Rezzo Schlauch Wolfgang Schmitt (Langenfeld)

Waltraud Schoppe Marina Steindor Dr. Antje Vollmer Ludger Volmer
Margareta Wolf (Frankfurt)

Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Albert Schmidt.

Albert Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1317212600
Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Ausführungen von Heinz Dürr gestern im Verkehrsausschuß zum Thema Stilllegungen bei der Deutschen Bahn AG haben leider keinen Grund zur Entwarnung gegeben, auch wenn heute wieder dieser Eindruck erweckt worden ist, Herr Kollege Jobst.
Ich wiederhole erst einmal die Fakten, die Heinz Dürr vorgetragen hat. Während seit den Jahren 1993/94 in Deutschland 1 200 Kilometer Strecke stillgelegt wurden, sollen es in den nächsten zwei Jahren, bis 1999, weitere 2 000 Kilometer sein, das heißt ein schrittweiser Rückzug der Bahn aus der Fläche in beschleunigtem Tempo. Wenn es so weitergeht, daß jedes Jahr 1 000 Kilometer Strecke stillgelegt werden sollen, dann sind das nach zehn Jahren 10 000 Kilometer, und dann sind wir genau bei den 30 000 Kilometern Netz anstatt der 40 000 Kilometer, die wir heute haben. Das wäre nicht nur eine verkehrspolitische, sondern auch eine ökologische und eine ökonomische Katastrophe. Denn so viel, wie Sie an Strekken stillegen, können Sie an Straßenbau überhaupt nicht mehr bezahlen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)

Daß wir uns richtig verstehen: Es ist völlig legitim, daß die Deutsche Bahn AG als Aktiengesellschaft Rentabilitätsberechnungen über ihr Streckennetz anstellt.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1317212700
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Jobst?

Albert Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1317212800
Sehr gerne.

Dr. Dionys Jobst (CSU):
Rede ID: ID1317212900
Herr Kollege Schmidt, weil Sie gerade bei den Behauptungen von den Streckenstillegungen sind: Darf ich Sie darauf hinweisen, daß Herr Dürr nicht von Streckenstillegungen gesprochen hat, sondern davon, daß Strekken überprüft werden sollen? Ich habe mir das Protokoll mitgenommen. Dort heißt es, daß geprüft wird, ob diese Strecken noch für den öffentlichen Verkehr benötigt werden und ob sie in anderer Form weiterbetrieben werden können.

Albert Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1317213000
Herr Vorsitzender des Verkehrausschusses, das war zwar keine Frage, aber ich gehe trotzdem gerne darauf ein.
Auch ich war in der gestrigen Sitzung. Herr Dürr hat in der Tat gesagt: Wir werden über diese Strekken mit den Ländern reden müssen. - Das muß er auch, weil § 11 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes vorschreibt, daß vor der Stillegung ein Angebot an Dritte - das wären hier die Länder als Aufgabenträger im Nahverkehr - erfolgen muß. Das ist die Vorstufe der Stillegung.

(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Aber nicht zwingend!)

Es ist für jeden, der etwas vom Fach versteht, klar, wohin hier die Post abgeht. Herr Dürr hat dies in den unmittelbaren Zusammenhang mit den 1 200 stillgelegten Streckenkilometern der letzten Jahre gestellt. Dies können Sie auch in den dpa-Meldungen, direkt von der Bundestagspressestelle aus, nachlesen. - Wie gesagt: Wenn es so weitergeht, dann bekommen wir ein Problem in der Fläche.
Ich habe davon gesprochen, daß Rentabilitätsberechnungen durchaus sinnvoll und notwendig sind. Nur muß die Deutsche Bahn AG dann auch daran denken, daß Nebenstrecken als Zubringerstrecken für die Haupt-, für die Regional- und für die Fernstrecken eine enorme Bedeutung haben. Gefragt ist nicht stupides Streckenrechnen, das Betrachten einer einzelnen Strecke. Gefragt ist vielmehr Netzdenken, die Betrachtung des Gesamtsystems Schiene in der Synergie von Nahverkehrs- und Fernverkehrsnetzen.
Das hat Herr Dürr angedeutet, und das ist der Ansatzpunkt, über den wir uns durchaus einig sind. Ich behaupte doch gar nicht, daß ich in jedem Punkt anderer Meinung bin als Herr Dürr.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1317213100
Herr Kollege Schmidt, darf ich Sie noch einmal unterbrechen? - Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Kollegen Fischer?

Albert Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1317213200
Aber gerne.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1317213300
Bitte.


Dirk Fischer (CDU):
Rede ID: ID1317213400
Herr Kollege Schmidt, ist Ihnen entgangen, daß entgegen Ihrer Behauptung und dem Eindruck, den Sie zu erwecken versuchen, der Vorstandsvorsitzende der DB AG zu der Frage, ob es die angebliche Liste bezüglich der Stillegungen gebe, geantwortet hat, diese Behauptung sei völlig unsinnig?

Albert Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1317213500
Herr Fischer, es ist mir überhaupt nichts von dem entgangen, was Herr Dürr gestern gesagt hat; ich habe sehr aufmerksam hingehört. Diese Liste, die es angeblich nicht gibt, habe ich vorgelegt; es gibt sie tatsächlich. Nur habe ich immer dazu gesagt, daß es sich um eine Liste handelt, wonach Strecken der Kategorie A, 5 000 Kilometer des Netzes, überprüft werden und kurzfristig Dritten zur Übernahme angeboten werden sollen und für Strekken der Kategorie B mittelfristig versucht wird, Maßnahmen zu finden, um die Erlössituation auf diesen Strecken zu steigern. Wenn dem nicht so ist, dann werden die Fragen einer Übergabe, eines Abstoßens an Dritte und letztlich die Stillegung ernsthaft zu prüfen sein.
Das eigentliche Problem bei diesen 12 000 Strekkenkilometern ist ein ganz anderes; das hat Herr Dürr gestern leider nicht dementiert. In diese 12 000 Kilometer, die im Moment untersucht werden, soll nämlich nichts mehr investiert werden. Was heißt es, wenn ich in eine Strecke nichts mehr investiere? Das heißt, daß ich sie dem Verfall preisgebe und daß eines Tages der technische K.o. dieser Strecke erfolgen muß. Das ist das eigentliche Drama bei den momentanen Überlegungen.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1317213600
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?

Albert Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1317213700
Ich bitte darum.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1317213800
Ich halte die Uhr an.

Albert Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1317213900
Ja.

Dirk Fischer (CDU):
Rede ID: ID1317214000
Herr Kollege Schmidt, könnten Sie mir den Grund Ihrer Verweigerung der Kenntnisnahme nennen, die darin besteht, daß Sie angeblich eine Liste vorgelegt haben, die aber nach Ausführungen von Herrn Dürr nur die Stufe 1, also eine Voruntersuchung von Zuführungsstrecken zum Hauptnetz, beinhaltet, und würden Sie zur Kenntnis nehmen, daß für eine sachgerechte Bewertung auch die Stufen 2, 3 und 4 erforderlich sind, die besagen, welche Netzwirkung eine Zuführungsstrecke insgesamt hat, wie die Entwicklung einer solchen Strecke in der Zeitachse zu bewerten ist und welche Optimierungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, bevor man in die Nähe solcher Gedanken kommen kann, die Sie geäußert haben? Ich frage mich und Sie: Warum verweigern Sie die Kenntnisnahme dieser Fakten?

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Albert Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1317214100
Herr Fischer, von einer Verweigerung der Kenntnisnahme kann keine Rede sein; das ist doch überhaupt nicht strittig.

(Horst Friedrich [F.D.P.]: Der Witz war gut!)

Das Problem ist folgendes - ich sage es noch einmal -: Herr Dürr hat in der Bilanzpressekonferenz der Deutschen Bahn AG Ende Februar selbst gesagt, daß von den gegenwärtig 40 000 Kilometern Netz nur noch in 28 000 Kilometern in vollem Umfang investiert wird. Auf den restlichen 12 000 Kilometern - und davon sprechen wir - werde das nicht mehr geschehen. Dieses Voraburteil ist gefährlich; denn dann kann ja nichts mehr daraus werden. Das ist der strittige Punkt. Meine Bedenken sind gestern leider nicht ausgeräumt worden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der PDS)

Wenn Sie gestatten, würde ich nun gerne in meinen Ausführungen fortfahren. Wie kommt es denn im Einzelfall zur Stillegung einer Strecke? Das ist ja kein Ereignis, das plötzlich vom Himmel fällt. Ein Beispiel, das gestern angesprochen wurde, war die Strecke Dessau-Wörlitz. Herr Dürr hat gesagt, das sei eine Strecke, die im Moment pro Jahr nur 120 000 DM an Erlösen einbringt. Es stehen aber Investitionen in Millionenhöhe an, zum Beispiel wegen maroder Brückenbauwerke.
Bei einer ganzen Reihe von anderen Strecken besteht genau die gleiche Situation. Solche Brückenbauwerke müssen eben instand gehalten und manchmal erneuert werden. Diese Investitionen kommen doch nicht plötzlich und unerwartet. Sie sind seit Jahren absehbar, weil lange Zeit nichts mehr getan worden ist. Wenn die Brücken kurz vor dem Zusammenbrechen sind, dann bleibt natürlich nur noch die technische Stillegung. Das ist das Problem. Wir müssen verhindern, daß es soweit kommt.
Die eigentliche Abwärtsspirale schaut so aus: Zunächst sind da eine marode Infrastruktur und veraltete Fahrzeuge. Dies führt zu Langsamfahrstrecken und zu unattraktiven Fahrzeiten. Die Folge sind weniger Fahrgäste und geringe Erlöse aus dieser Strecke. Schließlich investiert man nichts mehr, weil man sagt, die Strecke habe eh keine Zukunft. Eines Tages erfolgt der endgültige Verfall bzw. die Stilllegung.
Lassen wir die Frage der Stillegungen einmal beiseite, und werfen wir einen nüchternen Blick auf die konkreten Vorschläge, die wir in unseren Anträgen formuliert haben. Wir haben vorgeschlagen:
Erstens. Bei der Überprüfung der Wirtschaftlichkeit von Strecken dürfen nicht nur betriebswirtschaftliche Gesichtspunkte eine Rolle spielen. Künftig müssen genauso ökologische und soziale Be-

Albert Schmidt (Hitzhofen)

lange einbezogen werden. Das heißt, es muß eine Positivspirale in Gang gesetzt werden: Modernisierung von Strecken, neue Fahrzeuge, attraktive Fahrzeiten. Dann wird es auch mehr Fahrgäste und eine bessere Erlössituation geben.
Wir haben zweitens vorgeschlagen - diejenigen, die einen Wahlkreis vertreten, möchte ich bitten, jetzt sehr genau hinzuhören -: Die Programmhoheit für den Schienennahverkehr muß bei den Bundesländern liegen. Warum sollte es mittelfristig nicht eine abgestufte Zuständigkeit wie beim Straßennetz - es gibt ja nicht nur Bundesstraßen - geben? Wir fordern eine Regionalisierung der Infrastruktur, Herr Dr. Jobst, nicht nur bei der Bestellung von Verkehrsleistungen. Das allerdings wird nur funktionieren, wenn die Bundeslander dafür Finanzmittel des Bundes bekommen. Denn daß man nur die Aufgabe delegiert, ohne das Geld mitzureichen, wird natürlich nicht gehen.
Bei einem einzigen Punkt - drittens - wenden wir uns tatsächlich gegen die bisherige Bahnreform, die wir ansonsten ja nur fortentwickeln, nicht revidieren wollen: Die geplante Fahrweg AG ist nach. unserer Auffassung ein Konstruktionsfehler. Wir halten es für eine Illusion, daß eines Tages bei der Fahrweg AG schwarze Zahlen - zumindest eine Null - erwirtschaftet werden. Damit werden Streckenstillegungen ja geradezu provoziert.
Wir meinen: Der Fahrweg gehört wie bei der Straße in die öffentliche Hand, aber nicht in Form einer Behörden- oder Staatsbahn, sondern zum Beispiel in Form einer Infrastruktur GmbH, also eines privatwirtschaftlich organisierten Wirtschaftsunternehmens, an dem Bund und Länder beteiligt sind. Diese Gesellschaft sollte nach dem Ergebnis der Bahnreform ihre Verantwortung gemäß Art. 87 e Grundgesetz, nämlich der Gemeinwohlverantwortung im Schienenverkehr, wahrnehmen, indem sie die Infrastruktur unter konkurrierenden Eisenbahnunternehmen ausschreibt, erhält und betreibt.
Dadurch erhöhte sich die staatliche Verantwortung. Gleichzeitig gäbe es mehr Wettbewerb in der Infrastruktur, letztlich mit dem Ergebnis von Kostensenkungen, einem Innovationsschub und günstigeren Preisen im Personen- und Güterverkehr.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Daß die Deutsche Bahn AG als De-facto-Monopolist davon zunächst einmal nichts wissen will, sollte uns nicht daran hindern, von unseren politischen Gestaltungsmöglichkeiten in diesem Punkt Gebrauch zu machen.
Wie dringend der Reformbedarf noch ist, zeigt im übrigen nicht nur der schon angesprochene Schienenbaubericht, dieses flache und wenig liebevoll erstellte Ding, das die Bundesregierung nun nach mehrfachen Aufforderungen endlich vorgelegt hat, sondern auch der Fünfjahresplan Schiene.
Es sind ja nicht nur, wie Frau Kollegin Ferner gesagt hat, Fernverkehrsprojekte auf die lange Bank geschoben worden. Ich darf in diesem Zusammenhang an ein besonderes Problem erinnern: Ein Fernverkehrsprojekt, das völlig unumstritten ist, nämlich das Nadelöhr zwischen München und Augsburg, sollte - so ist hundertmal versprochen worden - viergleisig ausgebaut werden. Es sollte eigentlich schon fertig sein. Dieses Vorhaben ist ins nächste Jahrtausend verschoben worden. Das ist ein Skandal. Denn dieser versprochene Ausbau ist wirklich notwendig. Da muß schnellstens etwas geschehen. - Herr Oswald, jetzt dürfen Sie applaudieren.

(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Tja!)

Nun aber zu den Nahverkehrsprojekten: Von 80 mit
den Ländern vereinbarten Nahverkehrsmaßnahmen
sind bis heute - das geht aus dem Fünfjahresplan
Schiene hervor ganze zwei fertiggestellt: weitere
sieben sind in Bau. In Nordrhein-Westfalen ist bis heute keine einzige Mark für Nahverkehrsprojekte angekommen. Das zeigt: Es ist höchste Zeit, effektivere Strukturen zu schaffen, weitere Reformschritte zu gehen.
Begreifen Sie unsere Vorschläge als eine Chance! Lassen Sie uns gemeinsam diskutieren und in den Ausschüssen beraten, was das bessere Konzept ist, welches die besseren Ideen sind! Wir brauchen, Herr Dr. Jobst, den Wettbewerb von Ideen und nicht abgestandene Ideologien von vorgestern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der PDS)


Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1317214200
Ich gebe dem Abgeordneten Horst Friedrich das Wort.

Horst Friedrich (FDP):
Rede ID: ID1317214300
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Fast wäre man veranlaßt, zu sagen: „Gut gebrüllt, Löwe", wenn man an Ihren letzten Satz, Herr Kollege Schmidt, denkt. Die Tragik des Albert Schmidt ist allerdings, daß er seine Zahlen immer zu früh veröffentlicht. Ab und zu vergißt er dann die Gegenposition darzustellen.
Wer also über Streckenstillegungen spricht, der sollte fairerweise auch darauf hinweisen, daß Strekken in einer Länge von 750 Kilometern neu gebaut werden. Auch das steht in dem Bericht der Bundesregierung. Leider Gottes steht in den Zeitungen nur, daß Strecken in einer Länge von 2 000 Kilometern hinsichtlich der Möglichkeit ihrer Stillegung untersucht werden. Daß aber 750 Kilometer neu gebaut werden, ist nicht genannt worden.
Herr Kollege Schmidt, ich glaube, gestern ist ziemlich deutlich geworden: Es besteht eine gewisse Gefahr, wenn man Berichte, die einem von wem auch immer zugespielt werden, veröffentlicht, ohne sich vorher zu vergewissern, welche Unterschriften sie tragen. Da kann man ab und zu auch einmal ganz al-

Horst Friedrich
leine im Wald stehen. Das Unglück ist Ihnen leider widerfahren.

(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der CDU/CSU Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen Sie sich mal keine Sorgen! Die Tragik des Albert Schmidt ist nicht so tragisch!)

Zu den Anträgen, die hier vorliegen, könnte man sagen: Im Dutzend billiger ist einfacher. Denn es vergeht kaum eine Woche, ohne daß uns ein oder mehrere Anträge des Kollegen Schmidt vorgelegt werden, wobei das Wort „billig" nicht nur auf den Materialwert, sondern leider des öfteren, was die Bahnreform angeht, auch auf den Inhalt zu beziehen ist. Es ist ja kein Geheimnis, daß die Grünen treu dem Glauben anhängen, der Staat müsse und könne alles richten.

(Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer will denn Wettbewerb bei der Bahn, Sie oder wir?)

Wie sehr muß es Sie deshalb wohl schmerzen, daß der Deutsche Bundestag vor nunmehr dreieinhalb Jahren die Bahnreform auf den Weg gebracht hat!

(Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben nicht zugehört!)

Ziel war und ist es noch, die Deutsche Bahn AG zu einem privatwirtschaftlich organisierten und eigenverantwortlichen Unternehmen umzustrukturieren und die Rolle des Staates als Verkehrsdienstleister zurückzuschrauben.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ein Unternehmen Deutsche Bahn AG, welches in einem expandierenden und zunehmend internationalisierten Verkehrsmarkt weitgehend frei von politischer Einflußnahme und gewinnorientiert, eine wichtige Rolle spielen muß, das ist das Ziel und nicht der Salto rückwärts zu dem, was wir hatten.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1317214400
Herr Kollege Friedrich, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schmidt?

Horst Friedrich (FDP):
Rede ID: ID1317214500
Beim Kollegen Schmidt immer.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1317214600
Herr Kollege Schmidt, das müssen Sie nicht ausnutzen. Bitte.

Albert Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1317214700
Keine Angst, ich stelle nur eine einzige Frage.
Herr Kollege Friedrich, könnten Sie mir einen einzigen Grund nennen, warum wir - Wettbewerb müßten gerade Sie als Freier Demokrat für eine tolle Idee halten - ausgerechnet die Hauptdeterminante, nämlich die Infrastruktur, vom Wettbewerb ausnehmen, indem wir das Monopol durch die Fahrweg AG, die allen anderen die Preise diktieren kann, nach wie vor
noch zementieren? An wen wollen Sie sich denn wenden, wenn Sie eine Trasse bestellen wollen? - An den Monopolisten, an die Fahrweg AG. Warum soll denn in diesem Bereich kein Wettbewerb stattfinden?

Horst Friedrich (FDP):
Rede ID: ID1317214800
Herr Kollege Schmidt, wir sollten nicht Äpfel und Birnen vermischen.

(Widerspruch bei der SPD)

Sie haben den Antrag gestellt, den Nahverkehrsbereich anders zu strukturieren. Hier bin ich gänzlich anderer Auffassung als Sie. Ich habe im Verkehrsausschuß mehrfach deutlich gesagt, daß wir über den Bereich Infrastruktur vor der Auflösung in Teile insgesamt noch einmal nachdenken müssen.

(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sehr gut!)

In welche Richtung das geht, ist etwas anderes. Ich glaube aber, das sollte man fein säuberlich trennen. In Ihrem Antrag steht etwas zum Nahverkehr. Da sind wir genau anderer Meinung als Sie.

(Beifall des Abg. Georg Brunnhuber [CDU/ CSU] Uwe Lühr [F.D.P.]: Gut geantwortet!)

Nun versuchen die Anhänger der Staatsbahn mit wortreichen Anträgen immer wieder, die Restauration des Status quo vor 1994 zu erreichen - und das, obwohl sich der Staat als Bahnbetreiber nun wahrlich nicht mit Ruhm bekleckert hat. Es liegen nun genug Geschäftsberichte der Deutschen Bundesbahn vor, aus denen hervorgeht, daß die Einnahmen, die Verkaufserlöse, noch nicht einmal die Personalkosten decken konnten.

(Elke Ferner [SPD]: Das ist jetzt aber auch Äpfel mit Birnen vergleichen!)

Wollen Sie denn zu diesem Status quo wirklich zurück?
Die Bahnreform kam zum richtigen Zeitpunkt. Sie war mehr als notwendig. Insgesamt können wir mit den bisherigen Ergebnissen durchaus zufrieden sein, wenn man sieht, wie lange es gedauert hat, bis wir überhaupt so weit waren.
Heinz Dürr hat vor mehr als einem Jahr gesagt, daß die Bahn „nach dem Verlassen der Reparaturwerkstatt Bahnreform langsam an Fahrt gewinne". Vor allzu großem Optimismus hat er gewarnt. Ein Umsatz aber von mehr als 30 Milliarden DM in 1996, ein Konzernergebnis von knapp 700 Millionen DM, um 10 Prozent gestiegene Verkehrsleistungen, 16 Prozent mehr Fahrgäste, Investitionen in Höhe von 41 Milliarden DM zwischen 1994 und 1996, das ist mehr, als die versammelten deutschen Bahnen vorher überhaupt auf den Weg gebracht haben.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Der AG-Effekt durch Entschuldung und Ansätze einer Verschlankung hat sich nun doch wahrlich positiv ausgewirkt. Das sollte man einmal öffentlich zugeben. Man sollte nicht dauernd zu denjenigen gehören, die sagen: Es ist alles noch immer furchtbar

Horst Friedrich
schlecht. Laßt uns doch endlich einmal die Erfolge als solche bezeichnen!

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Was ist mit dem Güterverkehr? Abwärts!)

Trotz dieser Erfolge haben die Deutsche Bahn AG und der Schienenverkehr noch immer mit Problemen zu kämpfen. Das ist ein offenes Geheimnis. Größtes Manko dabei ist die Stellung der Bahn auf dem Güterverkehrsmarkt. Trotz insgesamt steigender Transportmengen und nicht unerheblicher Anschubfinanzierungen verzeichnet die Bahn hier einen Umsatzrückgang von fast 5 Prozent.
Zwar habe man - ich zitiere wieder Herrn Sinnekker, das zuständige Vorstandsmitglied - „die Kostensituation dem Rückgang des Volumens anpassen können", aber trotzdem sind die Gründe für die Verluste offensichtlich: Die Produkte der Bahn AG im Güterverkehr sind noch zuwenig anwendungsorientiert, was durch den Verlust mehrerer Großkunden bestätigt wird. Die Flexibilität im Kargo-Bereich erinnert sehr oft an eine Behörde. Die Verknüpfung mit anderen Verkehrsträgern kommt nur ganz langsam in Schwung, und nicht zuletzt fährt die Bahn im Geschäftsbereich Stückgutverkehr, wo er noch vorhanden ist, noch immer sozusagen in der logistischen Steinzeit herum. Es muß doch zu denken geben, wenn von einer Mark Umsatzerlös im Stückgutverkehr mehr als 50 Pfennig Defizit auflaufen. Dann muß man doch als AG zumindest einmal nachdenken.
Die Deutsche Bahn AG muß sich im Bereich des Güterverkehrs auf ihre Stärken besinnen: den Transport großer Stückzahlen auf langen Strecken. Sie muß ihre Produkte in enger Zusammenarbeit mit anderen Transportdienstleistern entwickeln, anbieten und strategische Allianzen mit den rund 100 nicht bundeseigenen Eisenbahnen schließen. Es kann doch auf keinen Fall darum gehen, eine Front zwischen den Verkehrsträgern aufzubauen, was dummerweise von gewisser Seite immer wieder versucht wird.

(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Es geht um die Herstellung von Chancengleichheit im Wettbewerb der Verkehrsträger!)

Selbst die Bahn AG setzt auf den Lkw, der auch in Zukunft unverzichtbar bleiben wird. Mehr als vier Fünftel aller Straßentransporte, Herr Kollege Schmidt, finden im Nahverkehrsbereich statt. Sie könnten auf der Schiene überhaupt nicht ausgeführt werden. Das bestätigt selbst Herr Sinnecker, der Chef des Güterbereichs der Bahn; er fängt an, diese Erkenntnis umzusetzen. Nicht einer künstlich wettbewerbsfähig gemachten Bahn, sondern einem ordentlichen Verkehrsträgermix gehört die Zukunft - übrigens nicht nur auf dem Güterverkehrsmarkt.
Die Bahn muß in der Lage sein, unrentable Bereiche zu schließen. Sie muß ihre Leistungen in anderen Feldern optimieren. Ebensowenig wie der Erhalt nachweislich defizitärer Abteilungen wie des Stückgutverkehrs macht es Sinn, mit aller Gewalt das bestehende Streckennetz von mehr als 40 000 Kilometern im Besitz der Bahn zu lassen. Auch wenn sich die Horrormeldungen über das Schienenschlachten - ich habe das ja schon ausgeführt - als Luftblasen erwiesen haben, muß man feststellen, daß die Bahn nichts anderes getan hat, als unter betriebswirtschaftlichen Vorgaben zu prüfen - dies sehr wohl unter dem Netzaspekt und nicht nur unter dem früheren Teilstreckenaspekt -, auf welchen Teilen ihres Netzes Gewinne eingefahren werden und auf welchen nicht. Man kann sich über diese Art der Öffentlichkeitsarbeit streiten; sie muß aber erlaubt sein.
Von März 1994 bis heute sind etwas mehr als 4 Prozent des Streckennetzes außer Betrieb genommen worden, dort, wo ohnehin kein nennenswerter Schienenverkehr mehr stattfand. Was macht die Schiene für einen Sinn, wenn das Motto lautet: „Stell dir vor, es ist Bahn, und keiner geht hin! "?

(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig! Zurufe von der SPD: Oh! Oh!)

Unrentabel bleibt nun einmal unrentabel. Daran können auch die Versuche der Grünen nichts ändern, das Schienennetz unter staatliche Aufsicht zu stellen und nebenbei den Ländern ein großes Stück aus dem Investitionskuchen zu schneiden. Zudem sollen sich die Länder direkt mit der Bahn AG über Infrastrukturprojekte verständigen. Sie machen es sich zu einfach; denn Ihre Vorschläge gehen zu Lasten des Bundes. Er soll lediglich die Rolle des Dukatenesels spielen. Das wird nicht stattfinden.
Selbstverständlich haben die Länder die Möglichkeit und nach der Regionalisierung des Schienenpersonennahverkehrs sogar die Aufgabe, mit der Bahn über die Ausgestaltung des Personennahverkehrs zu sprechen. Zusätzliche Infrastruktur sollten sie dann aber auch bezahlen.

(Elke Ferner [SPD]: Das steht doch im Gesetz!)

Im übrigen besitzen die Länder seit dem 1. Januar 1994 die Aufgaben- und Ausgabenverantwortung für den Schienenpersonennahverkehr und somit die Möglichkeit, die Auslastung des bestehenden Schienennetzes zu beeinflussen.
Voraussetzung für einen attraktiven Schienenverkehr ist eine leistungsfähige Infrastruktur, das heißt, Aus- und Neubau wo nötig, Erhalt bestehender Strecken wo möglich und optimaler Einsatz der Ressourcen allerorten. Der Bahnchef hat gestern entsprechende Überlegungen vorgelegt. Er hat endlich das umgesetzt, was verkehrspolitisch sinnvoll ist. Er hat Maßnahmen zur Anpassung der Geschwindigkeit und Vorrangnetze vorgesehen, also genau das, was funktioniert und was Sinn macht.
Über die Auslastung des Netzes haben wir uns schon mehrfach unterhalten; die Zahlen sind gestern noch einmal bestätigt worden: 60 Prozent des Verkehrs sollen auf 25 Prozent des Netzes und 90 Prozent auf gut der Hälfte des Netzes stattfinden. Diese Zah-

Horst Friedrich
len müssen doch zu entsprechenden Überlegungen führen, ohne die Netzwirkung zu vernachlässigen.

(Elke Ferner [SPD]: Wollen Sie jetzt die Hälfte stillegen oder was?)

- Liebe Kollegin Ferner, Sie sollten nicht immer Aussagen sofort ins Gegenteil verkehren.

(Elke Ferner [SPD]: Aber es hat doch einen Grund, daß Sie das so sagen!)

Ich habe lediglich die Fakten aufgezählt und gesagt, die Bahn ist verpflichtet nachzudenken; denn sie ist eine AG.
Bahn pur ist ebensowenig eine Lösung wie die bloße Konzentration auf Hochgeschwindigkeitsstrekken. Das kann nicht das Ziel sein. Ein durchaus sinnvoller Mix ist notwendig, aber bitte immer unter den Prämissen der AG und mit möglichst wenig politischer Beteiligung.
Danke sehr.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1317214900
Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Dr. Winfried Wolf.

Dr. Winfried Wolf (PDS):
Rede ID: ID1317215000
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich befürchte, wir müssen in unserer Kritik an der vorherrschenden Verkehrspolitik und insbesondere an der Schienenverkehrspolitik viel weiter gehen, als wir bisher gegangen sind. Wir haben Ende letzten Jahres eine Broschüre veröffentlicht, in welcher „DB AG" übersetzt wird mit „Deutsche Bahn AbwicklungsGesellschaft" .

(Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Witzig!)

Genau darum geht es: Schiene wird derzeit beschleunigt abgewickelt.
Inzwischen liegt der Bericht des Bundesrechnungshofs, datiert auf Januar 1997, vor. Dieser bestätigt viel von dem, was wir beschrieben und befürchteten; teilweise geht er darüber hinaus.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das stimmt nicht! Das ist kein Bericht des Bundesrechnungshofs!)

Dieser Bericht kommt, wie die „Süddeutsche Zeitung" schreibt, einer „vernichtenden Bilanz" der Bahnreform gleich. Unter anderem wird dokumentiert, daß die Deutsche Bahn AG ihre Fahrgaststatistik, Herr Friedrich, ausgesprochen „kreativ" gestaltete,

(Horst Friedrich [F.D.P.]: Auch die „Süddeutsche" hat nicht immer recht!)

so daß der behauptete Anstieg der Fahrgastzahlen - zumindest in der angegebenen Höhe, wie die DB AG sagt - nicht zutrifft. Er belegt, daß bei vergleichbar gestalteten Bilanzen die Deutsche Bahn AG heute ein größeres Defizit aufweist als zuvor die Bundesbahn, was die logische Folge von
einem Kurs auf Schrumpfbahn und auf Hochgeschwindigkeit oder Höchstgeschwindigkeit ist.
Herr Dürr sagte gestern übrigens auch: „Wir wollen die modernste Bahn betreiben, nämlich den Transrapid. " Wenn das umgesetzt wird, ist klar, was das bundesweit bedeuten muß. Bezüglich der Bilanz der Deutschen Bahn AG hat übrigens auch Professor Aberle ähnliches vor dem Wirtschaftsrat der CDU gesagt. Er sagte, die Bilanz der Deutschen Bahn AG sei „geschönt" - Zitat aus der „Deutschen Verkehrszeitung".
Die desaströse Bilanz der Verkehrspolitik wird abgerundet von den hier viel zitierten bahninternen Listen, nach denen knapp 30 Prozent des Schienennetzes zumindest für eine Stillegung zur Diskussion gestellt werden. Kollege Jobst und Kollege Fischer, es waren konkrete Listen, es sind konkrete Strecken, es ist eine real existierende Vorlage der DB AG. Es ist gesagt worden: Die Summe dieser Strecken ist identisch mit dem, was auf der Bilanzkonferenz von Herrn Dürr gesagt wurde.
Vor diesem Hintergrund ist der heute zur Debatte stehende Bericht der Bundesregierung zum Ausbau der Schienenwege leere Willenserklärung. Die Anträge der Grünen kritisieren zu Recht die Verkehrspolitik der Bundesregierung und fordern tatsächlichen Schienenwegeausbau. Wir gehen weiter und verweisen in unserem Antrag unter anderem auf die Weigerung von Minister Wissmann, einen neuen Bundesverkehrswegeplan aufzustellen. Er tut dies nicht, um den Bankrott der behaupteten Orientierung pro Schiene nicht dokumentieren zu müssen. Denn nichts stimmt an dem Rahmen des letzten Bundeswegeverkehrsplans: Es gab eine Planübererfüllung bei Straße und Luft, das Planziel bei der Schiene wurde voll verfehlt.
Interessanterweise heißt es nun im Antrag der Bündnisgrünen:
Schon nach wenigen Jahren hat sich als schwerwiegender Konstruktionsfehler der Bahnreform herausgestellt, ... der privatwirtschaftlich handelnden DB AG bzw. einer späteren Fahrweg AG ... das Schienennetz zu übertragen.
Nun haben die Grünen der Bahnreform zugestimmt, einschließlich dieses „schwerwiegenden Konstruktionsfehlers". Dagmar Enkelmann hat damals unsere Ablehnung der Bahnprivatisierung auch damit begründet, daß privates Profitinteresse in Widerspruch geraten muß mit der Notwendigkeit, Infrastruktur vorzuhalten.
Die Forderung der Bündnisgrünen, die Notbremse zu ziehen, wird von uns geteilt. Die Grünen stellen nun die Forderung auf, zumindest die Schienenwege aus der Privatisierung auszugliedern und in eine von Bund und Ländern gehaltene Gesellschaft zu übertragen. Auch dazu sagen wir ja und fügen ganz still und leise hinzu: Das sagen wir seit einem Jahr und zwei Monaten - festgehalten im Antrag auf ein Schienenwegesicherungsgesetz vom 8. Februar 1996, abgelehnt von den Grünen.

Dr. Winfried Wolf
Es kommt jetzt - über unsere parlamentarischen Aktivitäten hinaus - darauf an, daß in der breiten Öffentlichkeit bei Initiativen im Verkehrsbereich, bei Gewerkschaften dargestellt wird, daß Bundesregierung und Bahnmanagement dabei sind, dem Schienenverkehr irreparablen Schaden zuzufügen, und es kommt darauf an, daß unsere Alternativen aufgezeigt werden.
Mit diesem Ziel wurde soeben ein Appell vorgestellt, der vom Arbeitskreis Verkehr und Umwelt, von der Grünen Liga und von einzelnen Persönlichkeiten wie dem CDU-Stadtrat und Hotelier Andreas Kleber, dem Städte- und Verkehrsplaner Professor Heiner Monheim, Peter von Oertzen und natürlich auch Politikern von Grünen und PDS aus diesem Hause vorgestellt wurde. Der Titel ist „Manifest der 1 435 Worte".
In diesem wird, in Anlehnung an die Normalspur von 1435 Millimetern, der jetzt noch bestehende Normalstandard des Schienenverkehrs verteidigt. Das Manifest plädiert dafür, die Schieneninfrastruktur aus der Deutschen Bahn AG auszugliedern als Voraussetzung für das gemeinsame Ziel einer Flächenbahn und einer Politik der Verkehrswende. Wir sollten mit diesem Manifest und diesen Anträgen der Grünen unsererseits konstatieren: Notwendig ist ein Stoppsignal für die schienenfeindliche Politik des Verkehrsministeriums. Es ist vor allem höchste Eisenbahn für eine Politik von Flächenbahn und von Verkehrswende.
Danke schön.

(Beifall bei der PDS und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1317215100
Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Dirk Fischer.

(Georg Brunnhuber [CDU/CSU]: Jetzt kommt wieder Fachwissen! Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt kommt Transrapid pur!)


Dirk Fischer (CDU):
Rede ID: ID1317215200
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Zunächst muß ich feststellen, daß die vorliegenden Anträge von Bündnis 90/Die Grünen die Unkenntnis oder die Ignoranz der mit der Bahnreform verfolgten Ziele aufzeigen.
Zwar haben die Grünen gestern im Verkehrsausschuß die Ziele der Bahnreform und die Umgestaltung der Bahn in ein Wirtschaftsunternehmen begrüßt. Doch was muß man eigentlich davon halten, wenn gleichzeitig mit den Anträgen quasi eine Rückkehr zum alten Zustand gefordert wird,

(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Stimmt doch nicht! Lesen Sie doch mal den Antrag!)

das heißt zur Zuordnung der Trasse hin zum Staat?
Dazu sagte Herr Dürr im Ausschuß, dies sei unternehmerisch total falsch. Das heißt, Ihnen fehlt die Fähigkeit zu ordnungspolitisch konsequentem Denken und Handeln.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich sage Ihnen: Diese Koalition verwirklicht eine saubere Ordnungspolitik und keinen Schleuderkurs. Das ist vielleicht der Unterschied zwischen uns.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Elke Ferner [SPD]: Das ist überhaupt keine Ordnungspolitik!)

Meine Damen und Herren, es ist aus meiner Sicht auch unerträglich, daß Teile interner Voruntersuchungen veröffentlicht und dann falsch interpretiert werden, um die Öffentlichkeit gezielt zu verunsichern und zu desinformieren, dann den Beweis aber nicht selbst anzutreten, sondern Dritten die Exkulpationslast zuzuweisen.

(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ich kann Ihnen die Liste zuschicken!)

Ich meine, dies ist ein ganz schlechter Stil und eigentlich peinlich für alle Abgeordneten, die darauf Wert legen, eine seriöse politische Arbeit zu leisten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich möchte noch einmal ins Gedächtnis rufen: Einer der Kernpunkte der Bahnreform ist die Umstrukturierung der Behördenbahn in ein privatrechtlich organisiertes Unternehmen mit Ausgliederung der Geschäftsbereiche Fahrweg, Personenverkehr und Güterverkehr zum 1. Januar 1999. Dann werden eigenständige Aktiengesellschaften gebildet. Der Vorstandsvorsitzende, Herr Dürr, hat gestern ausdrücklich versichert, daß der Zeitplan zwar straff ist, aber erfüllt wird. Wir werden diesen Schritt umsetzen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Weitere Ziele der Umstrukturierung sind die Schaffung von Wettbewerb auf dem Schienennetz, die Sanierung und Entschuldung, die Sicherstellung einer zukunftsorientierten Schieneninfrastruktur durch den Bund

(Elke Ferner [SPD]: Das ist leider nicht wahr!)

und die Regionalisierung des SPNV. Der Bund hat die Bahn damit auf den richtigen Weg gebracht.

(Georg Brunnhuber [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Wir haben gestern im Urteil von Herrn Dürr gehört: „Die Bahnreform hat angeschlagen." Wir freuen uns darüber; denn wir haben dieses Werk auch parlamentarisch breit getragen.
Es ist auch ein großer Erfolg für das Land, den wir hier hervorheben müssen. Nach drei Jahren Bahnreform macht der Konzern bereits 6 Prozent mehr Umsatz, liegen die Verkehrsleistungen rund 10 Prozent höher, und die Fahrgastzahl stieg um 16 Prozent.

Dirk Fischer (Hamburg)

In diesen drei Jahren wurden 41 Milliarden DM investiert, so viel wie vorher durch DB und Reichsbahn zusammen in zehn Jahren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Gemessen an der Fortschreibung des Status quo vor der Bahnreform ist dem Steuerzahler bislang ein Betrag von 16 Milliarden DM erspart worden. Die neue Bahn ist somit auf einem guten Weg.
Die Ziele, mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen und den Steuerzahler zu entlasten, sind fristgerecht erreicht worden. Immerhin hat der Gesetzgeber für die gesamte Umsetzung der Bahnreform, für die Transformation einen Zeitraum von zehn Jahren angesetzt,

(Georg Brunnhuber [CDU/CSU]: So ist es!)

so daß wir noch längst nicht am Ende der Bemühungen angelangt sind.
Meine Damen und Herren, die Bilanz der ersten drei Jahre ist nach Pressemeldungen beim Rechnungshof auf Kritik gestoßen. Gestern hat Herr Dürr die Kritik als aus seiner Sicht wenig qualifiziert bezeichnet. Wir werden uns natürlich mit dem Bericht des Bundesrechnungshofes und der Stellungnahme des BMV im Ausschuß befassen.

(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Schlampig, inkompetent!)

Wir werden sehr sorgfältig und kritisch Inhalt und Rolle des Bundesrechnungshofes gegenüber der Bahn prüfen und darüber diskutieren.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)

Heute ist speziell über die Schieneninfrastruktur zu diskutieren. Hier unterstützt der Bund die Bahn massiv. Der Haushaltsansatz 1997 in Höhe von 7,2 Milliarden DM wird mittelfristig bis zum Jahr 2002 fortgeschrieben. Dies weist der vorliegende Fünfjahresplan des BMV so aus.

(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Früher waren es 10 Milliarden DM!)

Damit ergibt sich für diesen Zeitraum ein Investitionsvolumen von 36 Milliarden DM. Hinzu kommen Mittel der Bahn mit einem Ansatz von 6,4 Milliarden DM. Der Kollege Dr. Jobst hat das schon erwähnt.
Ich werfe Ihnen, Kollegin Ferner, vor, daß Sie verschweigen, was der Bund seinerseits getan hat, um die Eigeninvestitionsfähigkeit der Bahn zu stärken. So kann nämlich Jahr für Jahr über 1 Milliarde DM zusätzlich für Investitionen gewonnen werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Warum verschweigen Sie das und erwecken den völlig falschen Eindruck, als habe der Bund die Investitionen nicht in dieser Weise gefördert?
Es wird also ein Gesamtplanungsvolumen von 42,4 Milliarden DM erreicht. Das sind immerhin etwa 50 Prozent mehr Investitionsmittel pro Jahr als in den
Jahren vor der Bahnreform. In einer Zeit äußerster haushaltspolitischer Enge und Sparanstrengung leistet diese Koalition mit dieser Bemühung einen Beitrag für das deutsche Schienennetz, den es - so sage ich es einmal - in der Geschichte noch nie gegeben hat.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich bin mit der Aufzählung der positiven Fakten noch gar nicht am Ende. Natürlich dürfen die erheblichen Mittel, die der Bund den Ländern aus dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz auch für den OPNV und seine Investitionen zur Verfügung stellt, sowie die Mittel zur Regionalisierung des Schienenpersonennahverkehrs nicht unerwähnt bleiben. Sie machen in diesem Jahr zusätzlich die Summe von 15,4 Milliarden DM aus und werden bis 2000 noch auf einen Jahresbetrag von 16,8 Milliarden DM ansteigen. Ich glaube, man kann mit Fug und Recht sagen: Diese Mittel des Bundes tragen dazu bei, das Schienennetz im Bestand zu erhalten und weiter auszubauen.
Gestern und heute ist doch ganz klar geworden: Es gibt überhaupt keine großangelegte Stillegungsaktion. Das ist schon gesagt worden. Frau Ferner hat der Aussage von Herrn Dürr ausdrücklich zugestimmt, daß das mehrstufige Konzept der Untersuchung der Bahn, also den Kosten-Nutzen-Faktor der einzelnen Strecken unter Berücksichtigung der Netzwirkung zu ermitteln und zu beurteilen, richtig ist. Ich zitiere Frau Ferner wörtlich - ich habe gestern mitgeschrieben, weil mir ihre Worte wichtig waren -:
Die SPD hält es nicht für richtig, jetzt eine Diskussion über Streckenstillegungen loszutreten.
Ich finde, sie hat recht gehabt.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!)

Für dieses schöne Zitat, Frau Kollegin Ferner, verzeihe ich Ihnen auch falsche, überzogene Formulierungen in Ihrer Rede wie „gelogen" oder „frech".

(Lachen der Abg. Elke Ferner [SPD])

Ich finde, das sind Formulierungen, die Sie runterziehen. Das müssen Sie sich doch überhaupt nicht antun.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Meine Damen und Herren, diese Koalition aus CDU/CSU und F.D.P. hat nicht nur die Bahn reformiert, sondern auch eine Umkehr der Verkehrspolitik der 70er Jahre vollzogen. Die damalige Verkehrspolitik der SPD setzte den Schwerpunkt auf den Ausbau der Autobahnen - mit der Zielsetzung, möglichst jedem Ort seinen eigenen Autobahnanschluß zu bauen.

(Elke Ferner [SPD]: Wir sind lernfähig im Gegensatz zu Ihnen!)

Logische Konsequenz war die Vernachlässigung der Schieneninvestitionen, was im Wettbewerb der Verkehrsträger zwangsläufig zu Lasten der Bahn gegangen ist.

Dirk Fischer (Hamburg)

Unter all diesen Aspekten habe ich überhaupt kein Verständnis dafür, daß der Bundesverkehrsminister, der die Bahnreform politisch umgesetzt und diese Wende in der Verkehrspolitik herbeigeführt hat, nach dem Antrag der Grünen mißbilligt werden soll. Das ist Unfug! Das ist unerträglich! Wir werden das ablehnen und zurückweisen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1317215300
Herr Kollege Fischer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Urbaniak?

Dirk Fischer (CDU):
Rede ID: ID1317215400
Ja.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1317215500
Bitte, Herr Urbaniak.

Hans-Eberhard Urbaniak (SPD):
Rede ID: ID1317215600
Herr Kollege Fischer, können Sie sich, was die Frage der Autobahnanschlüsse angeht, daran erinnern, was der damalige Bundesverkehrsminister Seebohm gerade im norddeutschen Raum an Anschlüssen gemacht hat? Jedes Dorf hat seinen Anschluß bekommen.

(Georg Brunnhuber [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht!)

Sie sollten das einmal richtig interpretieren. Nun aber zum Bericht.

(Zuruf von der CDU/CSU: Frage!)

Bisher haben Sie den kombinierten Schienenverkehr nicht erwähnt. Ich nehme an, daß Sie gleich am Ende Ihrer Rede sind; daher muß ich die Frage jetzt stellen. Von Ihnen bzw. von Ihren Haushaltsleuten gibt es leider keine Initiative, Private für den kombinierten Verkehr - insbesondere in Kanalhäfen, wo wir die Chance hätten, Schiene, Straße und Kanal zu verbinden - auszustatten. Sie haben im Ausschuß für Verkehr dazu einen Beschluß gefaßt, und Ihre Kollegen im Haushaltsausschuß haben

(Zurufe von der CDU/CSU: Frage!) diesen Beschluß nicht durchgeführt.


Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1317215700
Herr Kollege Urbaniak, Sie müssen sich kurz fassen.

Hans-Eberhard Urbaniak (SPD):
Rede ID: ID1317215800
Warum geben Sie das Geld nicht für den kombinierten Verkehr aus?

Dirk Fischer (CDU):
Rede ID: ID1317215900
Herr Kollege Urbaniak, zum einen haben Sie inhaltlich etwas völlig Falsches gesagt.

(Zuruf von der CDU/CSU: Typisch!)

Zu Zeiten von Herrn Seebohm waren wir im Gesamtnetz noch gar nicht in der Lage und meilenweit davon entfernt, jedem Dorf seinen Autobahnanschluß zu bauen.

(Georg Brunnhuber [CDU/CSU]: So ist es!)

Aber wenn ich Aussagen des hochehrenwerten und verdienstvollen Georg Leber anspreche, so möchte ich darauf hinweisen, daß dieses ehrgeizige Ziel von diesem Verkehrsminister geäußert worden ist. Ich schätze ihn viel zu sehr, als daß ich das mit einer aktualisierten Kritik verbinden möchte.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Herr Kollege Urbaniak, zum zweiten bin ich dagegen, falsche Fronten zu errichten. Sie können in aller Ruhe und sicher davon ausgehen, daß die Koalition im Verkehrsausschuß alles in ihrer Macht Stehende tut,

(Lachen der Abg. Elke Ferner [SPD])

privates Kapital für Verkehrsinvestitionen wo auch immer nur möglich, sei es an den Schnittstellen, sei es in der Strecke, zu aktivieren.
Ich kann nur eines sagen: Wir würden gerne hier und dort mal einen Schritt weitergehen; aber wir wissen natürlich auch, daß die Haushaltszwänge mit der Erzeugung von Schattenhaushalten uns Grenzen aufzeigen.

(Zustimmung bei Abgeordneten der CDU/ CSU Gila Altmann [Aurich] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein Offenbarungseid! Elke Ferner [SPD]: Bei Schattenhaushalten sind Sie Weltmeister!)

Aber ich habe überhaupt nichts dafür übrig, daß man so tut, als gebe es hier prinzipielle Unterschiede. Diese Koalition kämpft die Sachen doch durch. Wir stehen doch unter der Kritik der Opposition, auch Ihrer eigenen Fraktion, daß wir Konzessionsmodelle gemacht haben.

(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das hat doch damit nichts zu tun!)

Wir haben die kuriose Situation, daß Herr Lafontaine und Herr Scharping Autobahn-Privatfinanzierungsmodelle nach dem Konzessionsmodell in das Land gezogen haben

(Elke Ferner [SPD]: Falsche Antwort! Setzen, sechs!)

und wir im Verkehrsausschuß von Frau Ferner und ihren Kolleginnen und Kollegen dafür kritisiert werden. Das ist doch die Wahrheit in diesem Hause.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU Dr. Klaus Röhl [F.D.P.]: So sind Sie!)


Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1317216000
Herr Kollege Fischer, ungeachtet der Tatsache, daß Ihre Redezeit fast abgelaufen ist, sind noch zwei Zwischenfragen gewünscht, und zwar von Frau Kollegin Faße und Herrn Urbaniak. Lassen Sie diese zu?

Dirk Fischer (CDU):
Rede ID: ID1317216100
Gerne, ja.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1317216200
Frau Kollegin Faße, Ihre Frage, bitte schön.


Annette Faße (SPD):
Rede ID: ID1317216300
Herr Fischer, ich möchte auf die Situation beim kombinierten Verkehr und die Öffnung für Dritte kommen. Wie stark schätzen Sie Ihre Kollegen im Verkehrsausschuß und im Haushaltsausschuß ein? Wir wollen in diesem Jahr nicht wieder das gleiche Dilemma haben wie bei den letzen Haushaltsberatungen. Ich denke, wir haben in der Argumentation bessere Karten.

(Georg Brunnhuber [CDU/CSU]: Frage!)

Wie schätzen Sie denn dieses Mal die Chancen ein, sich gegenüber den Haushältern und damit gegenüber Herrn Waigel durchzusetzen?

Dirk Fischer (CDU):
Rede ID: ID1317216400
Frau Kollegin, ich bin da absolut gelassen. Wir wissen, wo unser Ziel ist. Das Ganze ist auf einem sehr guten Wege. Manche Dinge, vor allem besonders gute, brauchen Reifezeit. Ich bin in dieser Frage ganz unaufgeregt.

(Zustimmung bei Abgeordneten der CDU/ CSU)


Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1317216500
Herr Kollege Urbaniak, Sie können jetzt Ihre Frage stellen.

Hans-Eberhard Urbaniak (SPD):
Rede ID: ID1317216600
Herr Kollege Fischer, ich frage Sie ganz sachlich: Sie haben im Verkehrsausschuß den Antrag gestellt, den kombinierten Verkehr auch für private Bereiche - ich nannte Kanalanschlüsse - zu unterstützen, und zwar aus dem hierfür vorgesehenen Titel.

(Georg Brunnhuber [CDU/CSU]: Dafür sind wir ja!)

Warum haben Sie das, was Sie im Verkehrsausschuß beschlossen haben, im Haushaltsausschuß nicht durchgesetzt?

(Elke Ferner [SPD]: So ist das!)

In den Kanalhäfen können wir unsere Tonnagen nicht optimal verfrachten. Hätten wir die Mittel, könnten wir die Einrichtungen bauen. Es liegt doch an Ihnen, den eigenen Beschluß nicht durchgesetzt zu haben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Dirk Fischer (CDU):
Rede ID: ID1317216700
Ich persönlich bin da ganz gelassen.

(Lachen bei der SPD Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war nicht die Frage!)

Im übrigen geht es nicht nur um rein private Investitionen. Sie wissen aus einer gewissen Liste, daß es kommunale Investitionsträger gibt, die hierzu bestimmte Vorstellungen haben. Ich glaube, daß wir die Frage gründlich diskutieren sollten und auch durchaus positiv eingestellt sind, dort zu einem befriedigenden Ergebnis zu kommen, damit die bereitgestellten Mittel am Ende auch in die Schnittstellen investiert werden können.
Herr Präsident, lassen Sie mich folgendes zum Abschluß sagen. Ich hatte hier die große Freude, in der Bahnpolitik eine Summe überragend wichtiger, aber auch eindrucksvoller Erfolge und Anstrengungen des Bundes nachzuweisen. Staatliche Verkehrspolitik und Eisenbahnpolitik, unternehmerische Anstrengungen der Mitarbeiter und des Managements der DB AG wirken zusammen, um ein neues und positiveres Eisenbahnzeitalter zu entwickeln.
Deswegen glaube ich, daß die Erfolgsbilanz unseres Bundesverkehrsministers Wissmann für sich spricht. Sie weist neben dem Jahrhundertwerk der Bahnreform eine Vielzahl weiterer Highlights aus. Hier ist kein Grund zur Mißbilligung, sondern allenfalls zur Belobigung.

(Beifall bei der CDU/CSU Elke Ferner [SPD]: Ach, Herr Fischer!)

Dem Minister ist es gelungen, trotz der erheblichen Sparzwänge des Bundeshaushaltes das Investitionsniveau im Verkehrshaushalt nahezu unverändert hochzuhalten.

(Vorsitz : Vizepräsident Hans-Ulrich Klose)

Dies verdient unsere Anerkennung. Wir können ihn nur ermuntern und ihn dabei unterstützen, diesen Weg unbeirrt fortzugehen. Die Bundesrepublik Deutschland kann auf diesen Verkehrsminister und seine Arbeit stolz sein.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Zurufe von der SPD: Oh, nein!)


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1317216800
Das Wort hat der Kollege Lothar Ibrügger, SPD.

Lothar Ibrügger (SPD):
Rede ID: ID1317216900
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Beschreibung des Fleißes der Eisenbahnerinnen und Eisenbahner der Deutschen Bahn AG brauchen wir uns nicht gegenseitig zu übertreffen. Hinsichtlich der Frage des Fleißes des Bundesverkehrsministers gibt es mit Sicherheit unterschiedliche Auffassungen. Hinsichtlich der Frage der Pflichterfüllung des Bundesverkehrsministers gibt es allerdings eine ganz klare Auffassung der SPD, die besagt, daß Pflichten, die die Bahnreform der Bundesregierung auferlegt hat, nicht eingehalten werden.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Dies ist Gegenstand unserer Debatte heute und im Verkehrsausschuß.
Die Bahnreform ist von einer großen Mehrheit hier im Deutschen Bundestag verabschiedet worden. Die Deutsche Bahn AG ist ein gemeinsames Kind von Bundestag und Bundesrat. Sie ist aus der entsprechenden Verfassungsreform - lieber Kollege Fischer, der Bundesverkehrsminister kann weder das Grundgesetz ändern noch die Gesetzgebung ersetzen; dies tun wir hier alle gemeinsam in unserer Verantwor-

Lothar Ibrügger
tung - als ein Unternehmen hervorgegangen, das wir in seiner Leistungsfähigkeit steigern wollen.
Es soll ein Schienensystem in Deutschland aufgebaut werden, das auch der veränderten Lage Deutschlands im europäischen Verkehrssystem gerecht wird. Da gibt es gemeinschaftlich viele Aufgaben zu erfüllen. Die Deutsche Bahn AG ist und bleibt unser gemeinsames Kind und das Eigentum von 80 Millionen Mitbürgerinnen und Mitbürgern.
Es ist die Deutsche Bahn AG von uns allen, die wir hier sitzen. Man hatte eben einmal bei den Worten unseres verehrten Vorsitzenden den Eindruck, CDU/ CSU und F.D.P. stünden zu unserer Bahn, als sei sie eine Parteibahn. Das ist sie nicht, und das soll sie auch nicht werden.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit darauf lenken, ob den Pflichten, die wir gemeinsam, Bundesrat und Bundestag, überwiegend einstimmig in das Bundesgesetzblatt hineingeschrieben haben, nachgekommen wird. Ich zitiere § 5 Abs. 2 des Gesetzes über den Ausbau der Schienenwege des Bundes:
Zur Verwirklichung des Ausbaus nach dem ersten Bedarfsplan stellt das Bundesministerium für Verkehr einen Dreijahresplan auf. Spätestens nach Ablauf von drei Jahren nach Inkrafttreten des Eisenbahnneuordnungsgesetzes vom 27. Dezember 1993 legt das Bundesministerium für Verkehr einen neuen Bedarfsplan vor.
Dieser Bedarfsplan, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat nach unserem gemeinsamen Verständnis Gesetzesrang. Es kann und darf nicht in das Belieben der Bundesregierung gestellt werden,

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

ob sie es aus Zweckmäßigkeitserwägungen oder anderen, wie auch immer gearteten Gründen für erforderlich hält oder nicht, ihrem gesetzlichen Auftrag nachzukommen.
Auch den Tag einer Bundestagswahl legen wir für alle verbindlich fest. Käme die Bundesregierung auf die Idee, den Tag der Wahl in ihr Belieben zu stellen, löste dies mit Sicherheit auch Ihren Protest aus. Dies steht nicht zur Disposition der Bundesregierung. Wie Helmut Schmidt häufig auch von dieser Stelle aus gesagt hat, gebietet es der gemeinsame Gehorsam gegenüber der Verfassung, solchen Pflichten nachzukommen. Die Kontrollfunktion des Parlamentes wird anderenfalls verhindert. Dies ist ein Verstoß gegen die Gewaltenteilung und geht weit über das hinaus, was hier ansonsten zum Schienenverkehrsnetz zu sagen ist.

(Beifall bei der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ohne ausreichende Kenntnis der relevanten Fakten kann kein Parlament Entscheidungen vorbereiten und treffen. Das gilt für jeden von uns. Der Bundestag kann ohne Kenntnis relevanter Fakten weder verhandeln noch
Beschlüsse fassen, noch den Aufgaben ordnungsgemäß nachkommen, die ihm die Verfassung stellt.
Hier muß ich eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in unser aller Erinnerung zurückrufen:
Eine Beratung verfehlt ihren Zweck, wenn über den Beratungsgegenstand nur unzureichende Informationen zur Verfügung stehen.
Wenn Sie lediglich Globaltitel für den Ausbau von Schienenwegen in den Bundeshaushalt einstellen, dann wird der Auftrag zur Information nicht erfüllt. Deswegen wollen wir sichergestellt wissen - wir stimmen dem Antrag der Grünen ausdrücklich zu -, daß wir hier im Parlament genauso wie beim Straßenbauplan einen Schienenbauplan als Anlage in den Bundeshaushalt einstellen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es ist Aufgabe und Pflicht der Bundesregierung, Parlamentariern Rede und Antwort zu stehen und die zur Ausübung unseres gemeinsamen Mandates erforderliche Information zu beschaffen. Nur dann können wir sachgerechte Entscheidungen treffen. Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, verstehen Sie auch die Empörung der SPD und sicherlich auch der Grünen, gemeinsam eine Bahnreform verabschiedet zu haben, gesetzliche Verpflichtungen normiert zu haben, wobei dann von dieser Bundesregierung beliebig beurteilt wird, ob sie dem Parlament Rechenschaft ablegt oder nicht. Dies ist ein schwerwiegender Verstoß gegen das Informationsrecht des Deutschen Bundestages.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Ich frage Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU und F.D.P.: Wären Sie schon jetzt in der Opposition: Würden Sie bei einem solchen Antrag wirklich, wie im Haushaltsausschuß geschehen, dagegen stimmen? Würden Sie das auch tun, wenn Ihnen auf diese Weise auch als Mitglied der Opposition die Möglichkeit genommen würde, sachgerecht zu entscheiden? Deswegen verstehen wir hier und im Haushaltsausschuß überhaupt nicht, daß dem Begehren auf einen Schienenbauplan widersprochen wurde.
Ich appelliere an unser gemeinsames Selbstverständnis als Parlamentarier; denn wie auch immer Sie es drehen und wenden wollen: Die Regierung von heute ist die Opposition von morgen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Horst Friedrich [F.D.P.]: Das haben wir schon mehrfach gehört!)

Sie müssen dann doch auch Ihren Aufgaben nachkommen können. Die SPD legt großen Wert darauf, daß diesem Parlament die Informationen geleistet und geliefert werden, die für eine sachgerechte Entscheidung erforderlich sind.
Dazu gehören auch Folgewirkungen der Bahnreform, die wir nicht verschweigen dürfen; denn wir haben sie gemeinsam beschlossen. Der erste Punkt:

Lothar Ibrügger
Es besteht gegenwärtig ein Streit mit der Deutschen Bahn AG über tausend Überführungsbauwerke im Eigentum von Kommunen. Als wir die Bahnreform beraten haben, sprachen wir von 4 Millionen DM jährlichem Unterhaltungsaufwand. Nach dem gegenwärtigen Stand der Untersuchungen sind wir bei über 115 Millionen DM angekommen. Die SPD will und wird die Kommunen nicht alleine lassen, wenn es darum geht, diese von der Bahnreform nicht ausreichend berücksichtigte Problemsituation ausbaden zu müssen.
Deswegen wollen wir - ebenso wie in Westdeutschland - auch in Ostdeutschland Hilfestellung leisten, daß die Gemeinden, die durch überaus hohe Rechnungen für Bahnwegssicherungsanlagen und für Unterhaltungsrückstände herangezogen werden, nicht alleine gelassen werden. Dies ist von uns gemeinsam in dieser Größenordnung nicht bedacht worden. Ich sage das so ausdrücklich in dieser Runde.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das gleiche gilt für die Gefahrenabwehr an Schienenwegen. Wir dürfen die örtlichen Feuerwehren in ihrer Leistungskraft nicht überfordern, wenn es durch die Bahnreform zu folgendem gekommen ist: Seit 1. Januar 1994 sind die Kommunen in Deutschland für die Gefahrenabwehr auch auf Schienenwegen zuständig. Nur, viele wissen es in dieser umfassender Form bis heute noch nicht. Wir wollen dafür sorgen, daß die Leistungskraft örtlicher Feuerwehren im Zusammenwirken mit Bundesregierung, Deutscher Bahn AG und mit Unterstützung des Deutschen Bundestages dazu führt, daß es an den Schienenwegen - Unfälle haben wir in jüngster Zeit genug gehabt; vor Katastrophen sind wir glücklicherweise bewahrt worden - auch als Folge der Bahnreform zu mehr Sicherheit kommt.
Ein letzter Punkt, der auch zu den Pflichten der Bundesregierung gehört. Ich sprach schon davon, daß Deutschland durch die Einheit und die Öffnung nach Osteuropa in eine veränderte Situation im Verkehrssystem gekommen ist. Deutschland ist zur Verkehrsdrehscheibe innerhalb Europas geworden. Dabei will die SPD vor allem die Schiene stärken. Infrastrukturentscheidungen von heute entscheiden auch über die Marktchancen von morgen.

(Beifall bei der SPD)

Jede in das Schienennetz investierte Mark überwindet die Spaltung Europas, jede in das Schienennetz investierte Mark dient der Energieeinsparung, jede in das Schienennetz investierte Mark dient auch der Umwelt. Deswegen schafft nach Überzeugung der SPD die Investition in die Schienenwege und in das System Arbeitsplätze. Sie sichert Innovation in einer weltweit anerkannten Eisenbahntechnik. Wir wollen das fördern und rufen jeden guten Willens auf, uns dabei zu begleiten.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1317217000
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Manfred Carstens.

Manfred Carstens (CDU):
Rede ID: ID1317217100
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal möchte ich sagen, daß die drei Redner der Koalition - alle bewährte und gestandene Verkehrspolitiker - mittlerweile die Angriffe und Vorwürfe der Opposition auf gekonnte Weise zurückgewiesen haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich bin dem Kollegen Ibrügger dankbar dafür, daß er am Schluß seiner Rede noch einmal darauf hingewiesen hat, daß es unsere Bahn sei.

(Dr. Uwe Küster [SPD]: Hier spricht der Oberlehrer, der Schiedsrichter!)

Bislang hatte ich den Eindruck, daß man das Gegenteil meinte, um sich von dem gemeinsamen Beschluß von vor einigen Jahren langsam zu verabschieden und zu distanzieren. Das wäre wirklich zu schade gewesen. Das ist durch die Ausführungen des Kollegen Ibrügger, für die ich mich noch einmal ausdrücklich bedanke, geheilt worden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich kann mich an die Ausführungen des Vorstandsvorsitzenden der DB AG, Heinz Dürr, von gestern noch gut erinnern. Nach langer Debatte - das hat ja über drei Stunden gedauert - gab es für ihn und seine Ausführungen viel Beifall, auch auf Seiten der Opposition. Das spiegelte sich hier heute überhaupt nicht wieder, als wenn man im Ausschuß etwas anderes sagt, als man im Plenum glaubt, sagen zu müssen.

(Elke Ferner [SPD]: Das stimmt ja überhaupt nicht!)

Insofern meine ich auch, daß es nicht angemessen ist, bei unseren Plänen, die wir hier für die heutige Debatte vorgelegt haben, von Desinformation zu reden. Sie werden schon noch, Frau Ferner, wenn Sie sich eingelesen haben, mit den Ausführungen fertig werden. Das werden Sie dann auch im Ausschuß bestätigen.
Desinformation, das ist etwas ganz anderes. Wenn Oskar Lafontaine bis heute vormittag oder bis gestern den Eindruck erweckt hat, er würde einen Steuerkompromiß anstreben, dann war das Desinformation.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Zuruf von der SPD: Bleiben Sie doch mal bei der Sache!)

Das ist Desinformation. Und Illusion ist, wenn die Opposition glaubt, die nächste Bundestagswahl gewinnen zu können.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

Wir haben heute ein ernstzunehmendes Thema zu behandeln.

(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wem sagen Sie das!)


Parl. Staatssekretär Manfred Carstens
Ich will mich dem auch noch zuwenden. Wir haben von der Kollegin Ferner einige Vorwürfe gehört, die ich aufgreifen möchte, zum Beispiel zum Thema POS; da werde nicht viel getan. Gerade der Ast, der über Saarbrücken in Richtung Frankreich führt, wird in besonderer Weise ausgebaut.
Nun stimmt es, daß wir im letzten Dreijahresplan 204 Millionen DM eingeplant hatten. Ausgegeben worden sind in der Zwischenzeit nur 76 Millionen DM. Das ist also weniger, etwa ein Drittel.

(Zuruf von der SPD: Mach keinen Quatsch!)

Aber das, was wir uns auf dieser Strecke vorgenommen haben, wird voll und ganz zügig umgesetzt. Was sollte die Opposition dagegen haben, wenn wir unsere Ziele zum festgesetzten Datum erreichen und dafür weniger Geld ausgeben müssen, als wir eingangs gedacht haben?

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das ist doch überhaupt nicht zum Vorwurf geeignet, sondern man sollte sich lieber freuen, daß die Leistungen schneller erbracht werden als angenommen und daß das Ganze im Vorlauf der ersten Jahre für den Bundeshaushalt und für die Belastung des Titels, der hierfür zur Verfügung steht, günstiger wird.
Dann möchte ich nur der Klarheit halber mit Blick auf den Titel „Kombinierter Verkehr" auf etwas hinweisen. Der Kollege Fischer hat schon dazu Stellung genommen.

(Zuruf von der SPD: Nein, hat er nicht!)

Es ist gelegentlich der Eindruck vorhanden, als seien da Gelder nicht abgeflossen. Das meint man oftmals. Aber das ist ein Irrtum. Diese Gelder sind nicht liegen geblieben, sie sind nicht in irgendeinen Tresor bei der DB AG gewandert, sondern dieses Geld ist lediglich nicht für den kombinierten Verkehr, wohl aber für den Ausbau der Schienenstrecken verwandt worden, insofern sehr sachgerecht, sehr fachgerecht. Wir wollen uns aber bemühen, schnellstmöglich auch den kombinierten Verkehr in Gang zu bringen und auch für Dritte zu öffnen.
Herr Kollege Urbaniak, ich kenne Ihr Anliegen, ich stehe voll und ganz dahinter und hoffe mit Ihnen, daß wir es bald umsetzen können.

(Hans-Eberhard Urbaniak [SPD]: Wir sind dabei!)

- Das ist prima. Also doch unsere Bahn, so wie ich mir das vorgestellt habe.
Dann darf ich noch auf folgendes eingehen: Wir sollten nicht den Fehler machen und in erster Linie von Streckenstillegungen reden. Ich kann mir gut vorstellen, daß die DB AG die eine oder andere Strecke nicht aufrechterhalten kann. Es wäre ja wohl auch noch schöner, wenn wir um jeden Preis, bei welchen Kosten auch immer, jede Strecke aufrechterhalten wollten.

(Gila Altmann [Aurich] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber den Transrapid bauen!)

Das ist ja gar nicht vorstellbar.
Aber wir haben bei der DB AG Hunderte von Kilometern neu gebaut, wir haben Tausende von Kilometern neu elektrifiziert, Hunderte von Bahnhöfen sind schmuck neu gestaltet. Es gibt ganz vorzügliche Ausbaupläne für die Strecke Köln-Frankfurt, für die Strecke Nürnberg-Ingolstadt. Ich denke an die Verkehrsprojekte Deutsche Einheit, ebenso an die Strecke Stuttgart-Augsburg-München, wo es jetzt auch sehr bald - allerdings etwas spät - losgehen soll.

(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das sagen Sie seit Jahren!)

Ich denke an andere Strecken in Norddeutschland. Wir haben die Strecke quer durch Schleswig-Holstein bis hin nach Flensburg elektrifiziert.

(Elke Ferner [SPD]: Was hat das Land denn dazugezahlt?)

Wir wollen die Amerika-Linie, die die Nordseehäfen über Bremen und Hannover mit Berlin verbindet, ganz elektrifizieren.

(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Dann brauchen wir keinen Transrapid mehr!)

Das sind doch Zukunftsthemen der Bahn AG und nicht das Gerede über dieses oder jenes, was möglicherweise noch besser werden kann. Es soll nichts, was noch besser werden kann, so bleiben, wie es ist. Wir wollen uns bemühen, die Dinge umzusetzen, so schnell und so gut es geht.
Ich möchte, weil die Zeit dahinrinnt und - wie ich sehe - die Mehrheit bei der Koalition vorhanden ist,

(Beifall bei der CDU/CSU)

noch auf einen Punkt eingehen, der hier eine gewisse Rolle gespielt hat und den ich sehr ernst nehmen möchte, nämlich die Ausführungen des Kollegen Ibrügger zur Vereinbarkeit mit den gesetzlichen Vorgaben. Das ist ein ernstzunehmendes Thema, dem ich mich noch zuwenden möchte.
Wir haben - das ist Tatsache - bereits vor einigen Wochen, genau: am 4. Februar 1997, der Bundestagspräsidentin für das Jahr 1996 den Bericht zum Ausbau der Schienenwege des Bundes übersandt. Der Bericht liegt vor als Bundestagsdrucksache 13/6929.

(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ein Jahr zu spät!)

Er enthält die Ausführungen zu 1994 und 1995. Ich bitte dabei zu berücksichtigen, daß er erstmalig erstellt wurde, daß in einem gewaltigen Umfang Vorarbeit erbracht werden mußte.

(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Dafür ist der Bericht ziemlich schmal ausgefallen!)

Der Bericht 1997 über die Ausbaumaßnahmen 1996 wird derzeit vorbereitet und nach der Sommerpause vorgelegt werden. Ich sage auch für die Zu-

Parl. Staatssekretär Manfred Carstens
kunft zu, daß der Bericht jeweils im folgenden Jahr vorgelegt werden wird.

(Gila Altmann [Aurich] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber mit vernünftigen Zahlen!)

Das ist auch kein großes Problem, wie mir scheint.
Der Fünfjahresplan Schiene für die Jahre 1998 bis 2002 ist Ihnen am 17. April 1997 übersandt worden. Er liegt also auch vor; zwar etwas spät, aber er liegt vor. Frau Ferner, Sie hatten gemeint, man hätte Probleme mit dem Lesen dieses Fünfjahresplanes. Insofern war es ja auch nicht ganz so eilig; Sie können sich jetzt in Ruhe einlesen.

(Elke Ferner [SPD]: Das habe ich schon getan! Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist mit dem Bedarfsplan?)

Dann haben wir - und das ist entscheidend - in diesem Zusammenhang folgendes zu sehen: Wir sehen nach Abstimmung innerhalb der Bundesregierung - der Innenminister und der Bundesjustizminister sind beteiligt und auch wir als federführendes BMV - keine Veranlassung, auf der Aufstellung eines Bedarfsplanes und seiner Verabschiedung durch Gesetz zu bestehen.

(Elke Ferner [SPD]: Guck an! Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht aber im Gesetz!)

Das habe ich schon Anfang des Jahres im Verkehrsausschuß persönlich mitgeteilt, und wir werden dazu in Kürze auch den schriftlichen Bericht vorlegen, in dem das in allen Einzelheiten genau begründet wird. Das ist abgestimmt - ich sage es noch einmal - mit dem Justizminister und mit dem Innenminister, also mit den Verfassungsressorts, so daß ich überzeugt davon bin, daß, wenn der schriftliche Bericht vorliegt, auch Sie der Meinung sind, daß es unnötige Arbeit wäre, das noch einmal vorzulegen, was allen bekannt ist. Daß Sie von uns nicht überflüssige, sondern gute Arbeit fordern, das unterstelle ich auch der Opposition.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1317217200
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/7283, 13/6857, 13/5164 und 13/6929 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Der Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/7512 soll an dieselben Ausschüsse überwiesen werden wie der Bericht der Bundesregierung zum Ausbau der Schienenwege 1996. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Erstellung eines Schienenbauplanes als Anlage zum
Bundesverkehrshaushalt; das ist die Drucksache 13/ 5870. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/4874 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Sicherstellung der Finanzierung der Schienennahverkehrsinfrastrukturen; das ist die Drucksache 13/6367. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/5198 abzulehnen.
Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag auf Drucksache 13/7518? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Stimmenthaltung der PDS abgelehnt.
Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Ausschusses, den Antrag abzulehnen? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 7 auf:
Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege (strafrechtlicher Bereich)

- Drucksache 13/4541 -
Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuß
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. Gibt es Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Staatsminister Hermann Leeb, Bayern.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1317217300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundestag befaßt sich heute mit einem für die Strafrechtspflege wichtigen Gesetzentwurf. Dieser ist vom Strafrechtsausschuß der Justizministerkonferenz in langen Beratungen erarbeitet und vom Bundesrat vor mehr als einem Jahr, am 1. März 1996, beschlossen worden. Die Bundesregierung hat im Mai 1996 Stellung genommen. Ich begrüße es als Beauftragter des Bundesrates für diesen Gesetzentwurf, daß sich der Deutsche Bundestag nunmehr mit dem Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege im strafrechtlichen Bereich befaßt.
Der Gesetzgeber muß handeln. Alternativen gibt es nicht. Lassen Sie mich dies kurz begründen: Kaum jemand bestreitet, daß die Beschleunigung und Straffung von Strafverfahren ein drängendes Problem ist. Die Strafjustiz arbeitet zunehmend am

Staatsminister Hermann Leeb (Bayern)

Rande der Belastbarkeit. Mit personellen Verstärkungen können wir angesichts der aktuellen Haushaltssituation nicht rechnen. Im organisatorischen und technischen Bereich haben die Länder vieles vorangebracht. Wir sind dabei, noch mehr zu tun.
Allein mit organisatorischen und technischen Maßnahmen werden wir die Schwierigkeiten aber nicht in den Griff bekommen. Auch Entkriminalisierung kann kein Lösungsansatz sein. Nach meiner festen Überzeugung ist es unverantwortlich, strafbares Unrecht aus Gründen der Justizentlastung straffrei zu stellen. Die Opfer von Straftaten erwarten Schutz vom Staat, auch durch das Strafrecht.
Die Lösung muß deshalb im Verfahrensrecht liegen. Auf dieser Erkenntnis baut der Entwurf mit seinen Änderungsvorschlägen auf. Das Ziel der Entlastung der Strafjustiz und der Verfahrensstraffung ist nicht neu, ebensowenig der Ansatz im Verfahrensrecht. Schon das Rechtspflegeentlastungsgesetz vom 11. Januar 1993 hat das Ziel verfolgt, das Strafverfahren zu straffen, auf diesem Weg Ressourcen zu gewinnen und so vor allem Anforderungen der deutschen Wiedervereinigung aufzufangen. Auch das Verbrechensbekämpfungsgesetz vom 28. Oktober 1994 enthält Regelungen, die das Strafverfahren beschleunigen und straffen sollen. Die Erfahrungen seither haben jedoch gezeigt, daß ein durchschlagender Erfolg nicht erreicht worden ist. Notwendig ist ein Bündel zusätzlicher Maßnahmen, die in ihrer Summierung Entlastung und Beschleunigung erwarten lassen.
Ich will aus den zahlreichen Änderungsvorschlägen im Länderentwurf einige wenige herausgreifen.
Erster und aus meiner Sicht wichtigster Punkt ist der folgende: Von zentraler Bedeutung sind Vereinfachungen im Rechtsmittelrecht. Der Entwurf will den Widerspruch im geltenden Recht beseitigen, daß bei Verfahren, die beim Amtsgericht ihren Ausgang nehmen, drei Instanzen zur Verfügung stehen, bei gewichtigen Sachen, die erstinstanzlich vom Landgericht verhandelt werden, aber nur zwei. Der Entwurf geht dieses Problem zunächst dadurch an, daß er in Anlehnung an das Jugendstrafrecht ein Wahlrechtsmittel einführt. Dem Beschuldigten und der Staatsanwaltschaft soll entweder Berufung oder Revision zustehen.
Weiterer wesentlicher Aspekt ist die Ausdehnung der durch das erste Rechtspflege-Entlastungsgesetz eingeführten Annahmeberufung. Es hat sich gezeigt, daß die Beschränkung der Annahmeberufung auf die eher seltenen Verurteilungen, in denen ein Angeklagter zu einer Geldstrafe von nicht mehr als 15 Tagessätzen verurteilt worden ist, zu keiner spürbaren Entlastung führt. Vorgeschlagen wird deshalb die Ausdehnung der Annahmeberufung auf Verurteilungen bis zu 90 Tagessätzen. Damit wird der Großteil aller Verurteilungen zu Geldstrafen erfaßt, mehr als 95 Prozent dieser Verurteilungen.
Meine Damen und Herren, manchem mag dieser Vorschlag überzogen vorkommen. Ich kann daran allerdings nichts Verwerfliches finden. Die Grenze ist in Anlehnung an das Bundeszentralregistergesetz
gezogen worden. Die Annahmeberufung wird nach dem Entwurf auf den Bereich beschränkt, in dem eine Verurteilung nicht in das Führungszeugnis aufgenommen wird.
Dem Amtsrichter vor Ort wird entgegen manchen Befürchtungen keine Beliebigkeit ermöglicht. Es geht schlicht darum, daß über Berufungen, die offensichtlich unbegründet sind, in einem einfacheren Verfahren entschieden werden soll. Nach den Erfahrungen von Gerichten und Staatsanwaltschaften gibt es nun einmal nicht wenige Berufungen, die offensichtlich unbegründet sind. Für mich persönlich sind die 90 Tagessätze im übrigen kein Dogma, weder in der einen noch in der anderen Richtung.
Ein zweiter Punkt. Unter anderem, aber nicht nur in Großverfahren können die im Entwurf vorgeschlagenen Änderungen beim Beweisrecht Bedeutung erlangen. Aufgegriffen wird zunächst ein Vorschlag zur Ablehnung eines Beweisantrages wegen Prozeßverschleppung, der schon im Gesetzentwurf zum ersten Entlastungsgesetz enthalten war. Nach Einschätzung des Bundesrates ist dieser Vorschlag moderat und zur Entlastung geeignet.
Hinzu kommen Vereinfachungen im Bereich der Verlesungsmöglichkeiten. Hier wird überflüssiger Bürokratismus im Strafverfahren abgebaut.
Lassen Sie mich einen dritten Punkt ansprechen. Neben Änderungen strafprozessualer Vorschriften enthält der Entwurf Änderungen des Ordnungswidrigkeitenrechtes. Auch die Bundesregierung hat zur Reform des Ordnungswidrigkeitenrechtes zwischenzeitlich Überlegungen vorgestellt, die mit denen, die im Länderentwurf vorgesehen sind, durchaus Ähnlichkeit haben. Die Bundesregierung bleibt freilich auf halbem Wege stehen.
Ordnungswidrigkeitenverfahren sind regelmäßig Massenverfahren. Sie belasten die Justiz ganz erheblich. Durch die Heraufsetzung der Wertgrenzen für Rechtsmittel kann bewirkt werden, daß ein behördlicher Bußgeldbescheid in weniger bedeutsamer Sache im Regelfall nur noch von einer Instanz geprüft wird. Das halten wir für hinnehmbar, weil mit der Verhängung einer Geldbuße kein mit der Strafe vergleichbares sozialethisches Unwerturteil verbunden ist.

(Detlef Kleinert [Hannover] [F.D.P.]: Das wissen die Betroffenen nur nicht!)

Meine Damen und Herren, eine solche Regelung geht nicht nur zu Lasten der Betroffenen. Auch für die Staatsanwaltschaft kappt der Entwurf Rechtsmittelmöglichkeiten. Ein Betroffener könnte also im Einzelfall durchaus profitieren.
Mit diesen Beispielen soll es sein Bewenden haben.
In der Koalitionsvereinbarung für die 13. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages haben die Koalitionsparteien unter anderem folgendes vereinbart:
Im Bereich des Verfahrensrechts werden das Ordnungswidrigkeiten- und Strafverfahrensrecht mit dem Ziel einer Beschleunigung und verbesserten Effizienz novelliert.

Staatsminister Hermann Leeb (Bayern)

Dieses Ziel, dem auch der Bundesratsentwurf verpflichtet ist, gilt unverändert und ist aktuell. Die Förderung beschleunigter Verfahren allein macht es nicht obsolet.
Durch das Verbrechensbekämpfungsgesetz aus dem Jahr 1994 ist sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung getan worden. In der Praxis wird das beschleunigte Verfahren erfreulicherweise auch häufiger angewendet. Allein in Bayern ist - im Vergleich der Jahre 1995 und 1996 - eine Steigerung von 25 Prozent zu verzeichnen. Die Verabschiedung der Bestimmungen über die Hauptverhandlungshaft durch den Deutschen Bundestag wird uns in diesem Zusammenhang weiter voranbringen.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Hoffentlich!)

Das ist allerdings meine persönliche Auffassung, nicht diejenige des Bundesrates insgesamt, wie ich ausdrücklich feststellen möchte.
Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, es ist notwendig, daß wir uns nicht allzuviel vom beschleunigten Verfahren versprechen. Es mag zwar sein, daß es sehr rasch erreicht, daß die Strafe der Tat auf dem Fuße folgt, aber auch das Strafbefehlsverfahren ist durchaus praktikabel und im Grunde weniger aufwendig. Das sollten wir nicht ganz vernachlässigen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Entwurf zu einem Zweiten Gesetz zur Entlastung der Rechtspflege im strafrechtlichen Bereich greift ein wichtiges Problemfeld auf. Konstruktive und rasche Beratungen sind ein Gebot der Stunde.

(Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Spricht er eigentlich für den ganzen Bundesrat oder nur für Bayern?)

Namens der Bundesländer appelliere ich an den Deutschen Bundestag, seiner Verantwortung gerecht zu werden und das Gesetzgebungsvorhaben baldmöglichst, jedenfalls noch in dieser Legislaturperiode, abzuschließen.
Sachwidrig wäre es, wenn man unter Hinweis auf noch nicht vorhandene Erkenntnisse oder die Erforderlichkeit weiterer wissenschaftlicher Untersuchungen die Handlungsmöglichkeiten ungenutzt ließe. Aus der Koalitionsvereinbarung entnehme ich, daß die Zeit auch nach Ansicht des Bundesjustizministeriums reif ist zum Handeln, sowohl im Ordnungswidrigkeitenrecht als auch im Strafrecht.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und darf um zügige Beratung des Gesetzentwurfes bitten.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1317217400
Das Wort hat der Kollege Hermann Bachmaier, SPD.

Hermann Bachmaier (SPD):
Rede ID: ID1317217500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der heute in erster Lesung zu beratende Gesetzentwurf des Bundesrates, der das Ziel einer weiteren Entlastung der Rechtspflege im
strafrechtlichen Bereich verfolgt, verdient eine differenzierte Betrachtung.

(Ulrich Irmer [F.D.P.]: Ich habe jetzt endlich begriffen, was Lesung bedeutet!)

- Jetzt warten Sie doch einmal!
Es wäre allerdings wünschenswert gewesen, wenn die Bundesländer mit ihren zum Teil weitreichenden Vorschlägen wenigstens so lange abgewartet hätten - Herr Leeb, das kann ich Ihnen nicht ersparen -, bis einigermaßen gesicherte Erkenntnisse über die Folgen des Ersten Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege aus dem Jahre 1993 und der zum Teil einschneidenden Maßnahmen des sogenannten Verbrechensbekämpfungsgesetzes aus dem Jahre 1994 vorliegen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Die bislang vorliegenden Daten lassen keine gesicherten Rückschlüsse darauf zu, ob und in welchem Umfange diese beiden Gesetze mit ihren zum Teil gravierenden und rechtsstaatlich auch bedenklichen Eingriffen zu einer meßbaren Entlastung der Strafrechtspflege geführt haben bzw. führen.
Ständige Eingriffe in unser gewachsenes Strafprozeßrechtssystem führen zu gefährlichen Verunsicherungen aller am Strafprozeß Beteiligten und gefährden letztlich die grundrechts- und friedenssichernde Aufgabe des Strafverfahrens. Ständige und bisweilen geradezu hektische Eingriffe tragen eher zur Mehrbelastung der Justiz als zu ihrer Entlastung bei.
Ungeachtet dieser grundsätzlichen Bedenken enthält der Entwurf des Bundesrates allerdings auch einige begrüßenswerte Verbesserungen und Vorschläge, die einer vertieften Diskussion im Rechtsausschuß bedürfen. Allerdings enthält - das muß ebenfalls gesagt werden - der Entwurf auch gravierende Einschnitte im Beweisantragsrecht und vor allem im Bereich der Rechtsmittel, die nach dem Vorschlag des Bundesrates drastisch eingeschränkt werden sollen.
Um dies vorab zu sagen: Mit uns Sozialdemokraten wird es keine weiteren substantiellen Eingriffe in die Rechte der Verteidigung und auch keinen weiteren Abbau bzw. keine weitere Erschwernis im Bereich der Rechtsmittel gegen Strafurteile geben.

(Detlef Kleinert [Hannover] [F.D.P.]: Mit uns schon gar nicht!)

Nun zu einigen Vorschlägen im Entwurf des Bundesrates. Die vorgesehenen erweiterten Einstellungsmöglichkeiten und die Einbeziehung des TäterOpfer-Ausgleichs in den erweiterten Auflagenkatalog des § 153 a StPO halten wir für einen guten und sinnvollen Weg, nicht nur die Strafrechtspflege zu entlasten, sondern auch flexibel im Einzelfall angemessen auf strafrechtlich relevantes Fehlverhalten zu reagieren. Dies ist ein vernünftiger und das Legalitätsprinzip letztlich nicht in Frage stellender Weg, dem Einzelfall so gerecht zu werden, daß damit mehr als bislang auch den berechtigten Belangen der Opfer Rechnung getragen wird.

Hermann Bachmaier
Die Abschaffung der Regelvereidigung stellt einen guten und sinnvollen Weg dar, den Belangen der Praxis Rechnung zu tragen, ohne daß dadurch irgendwelcher rechtsstaatlicher Schaden entstünde.
Diskussionswürdig sind sicherlich auch die vorgesehenen Vereinfachungen im Ermittlungsverfahren. Anders als die Bundesregierung begrüßen wir die lediglich fakultative Hinzuziehung eines Protokollführers sowie den Vorschlag, die Unterbrechung der Hauptverhandlung zu erweitern.
Nachhaltige Bedenken allerdings haben wir nach wie vor gegen die nun wiederum vorgebrachten Vorschläge des Bundesrates zur Einschränkung des Beweisantragsrechts. Dies gilt um so mehr, als das formelle Beweisantragsrecht durch das Verbrechensbekämpfungsgesetz und im Bereich des Verfahrens nach Einspruch gegen einen Strafbefehl bereits weitgehend beseitigt worden ist. War dieses Vorgehen des Gesetzgebers bedenklich genug, so sollten jetzt nicht noch weitere Einschränkungen im Bereich des formellen Beweisantragsrechts vorgenommen werden. Es handelt sich beim Beweisantragsrecht schließlich um einen Lebensnerv der Verteidigerrechte im Strafprozeß.
Nicht hinnehmbar sind auch die Vorschläge des Bundesrates zur vorgesehenen erheblichen Beschneidung der Rechtsmittel, vor allem gegen die Urteile der Amtsgerichte. Die Bundesregierung hat sicherlich recht - auch das muß einmal gesagt werden -, wenn sie in ihrer Stellungnahme darauf hinweist, daß die Ausweitung der Annahmeberufung von bislang 15 auf 90 Tagessätze die Gefahr in sich trägt, daß fast alle amtsgerichtlichen Verurteilungen zu Geldstrafen faktisch unanfechtbar werden.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Detlef Kleinert [Hannover] [F.D.P.])

Dadurch, daß das formelle Beweisantragsrecht schon heute, wie bereits erwähnt, im beschleunigten Verfahren und vor allem auch in dem für die gesamte Alltagskriminalität außerordentlich wichtigen Bereich des Einspruchsverfahrens nach Erlaß eines Strafbefehls, beseitigt ist, ergäben sich rechtsstaatlich geradezu fatale Folgen für den gesamten mit Geldstrafen zu ahndenden Bereich der mittleren und kleineren Kriminalität, also auch für den gesamten Bereich der Verkehrskriminalität. Die weitaus größte Zahl der Menschen, die in aller Regel nur einmal wegen Alltagsverfehlungen, unter anderem im Straßenverkehr, mit den Gerichten in Berührung kommen, würden ein rechtsstaatlich weitgehend amputiertes Strafverfahren erleben, in dem sie kaum eine Chance haben, von den auch ihnen zustehenden elementaren Verteidigungsrechten Gebrauch zu machen.

(Beifall bei der SPD)

Sie wären letztlich nur noch Objekt und nicht mehr mitgestaltendes Subjekt eines Strafverfahrens.
Aus meiner langjährigen anwaltlichen Erfahrung weiß ich auch, daß es der Qualität der Rechtsprechung nicht gerade zuträglich ist, wenn Gerichtsurteile kaum noch einer Rechtsmittelkontrolle unterliegen. Allein die Tatsache, von Rechtsmitteln im Ernstfall Gebrauch machen zu können, hat eine rechtsstaatlich wohltuende Wirkung auf jedes Strafverfahren.
Wir sollten auch nicht so locker, wie es häufig geschieht, lediglich vermeintlich objektive Kriterien an die Bedeutung eines Strafverfahrens anlegen. Ein Verkehrsstrafverfahren, das für die Beschuldigten letztlich meist mit einer Geldstrafe weit unter 90 Tagessätzen endet, hat oft außerordentlich weittragende Bedeutung für den weiteren Berufs- und Lebensweg eines Verurteilten. Nicht selten sind damit existentielle Folgen verbunden. Man denke nur an die Fälle, in denen die Fahrerlaubnis bei Menschen auf dem Spiel steht, die einen Führerschein zur Ausübung ihres Berufes benötigen. Zahlreiche weitere Beispiele ließen sich ohne Schwierigkeiten anfügen.
Wir sollten deshalb sehr zurückhaltend dabei sein, Betroffene in den unterschiedlichen Strafverfahren mit höchst unterschiedlichen Rechten auszustatten. Es müssen allen, die in ein Strafverfahren verwickelt sind, substantiell möglichst die gleichen Rechte zustehen.
Erhebliche Bedenken haben wir auch gegen die im Entwurf vorgesehenen erweiterten Anwendungsmöglichkeiten für das Strafbefehlsverfahren. Ich habe bereits im Rahmen der Beratungen des ersten Rechtspflege-Vereinfachungsgesetzes darauf hingewiesen, daß insbesondere Beschuldigte im Bereich der Umwelt-, Steuer- und sonstigen Wirtschaftskriminalität aus einer erweiterten Anwendungsmöglichkeit des Strafbefehlsverfahrens ihren Nutzen ziehen werden.
Wenn nach dem Willen des Bundesrates Strafbefehlsverfahren in Zukunft auch außerhalb der Zuständigkeiten der Amtsgerichte Anwendung finden sollen, wird das verstärkt dazu genutzt werden, Verfahrensabsprachen zwischen Verteidigung und Staatsanwaltschaft zu treffen. Es kann unschwer prognostiziert werden, daß durch diese Art der scheinbar ökonomischen Verfahrensgestaltung manch einer in den Genuß einer weitaus geringeren Strafe kommen wird, der bei einer gründlich durchgeführten öffentlichen Hauptverhandlung eine gravierend höhere und dann nicht zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe zu erwarten hätte.

(Beifall bei der SPD)

Vor allem clevere Beschuldigte, denen die entsprechenden Ressourcen und Mittel zur Verfügung stehen, werden diejenigen sein, die aus dieser vermeintlich verfahrensökonomischen Gestaltung des Strafverfahrens ihren Nutzen ziehen werden. Der Gerechtigkeit im Strafverfahren wird diese Erweiterung nicht gerade dienlich sein, um es behutsam auszudrücken.
Eine Entlastung der Justiz im Bereich des Strafrechts darf nicht länger nur im Bereich des Verfahrensrechts gesucht werden. Vielmehr ist das materielle Strafrecht darauf zu prüfen, ob nicht manches,

Hermann Bachmaier
was bisher unter Strafe gestellt ist, besser im Ordnungswidrigkeitenrecht aufgehoben wäre

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das wollen wir nicht!)

oder ob es zur Strafe bessere und billigere Alternativen gibt.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

So hat zum Beispiel der Bundesrat zu Recht vorgeschlagen, die Beförderungserschleichung aus dem Strafrecht herauszunehmen. Weiter muß ernstlich geprüft werden, ob nicht durch eine materiellrechtliche Geringfügigkeitsklausel im Strafrecht die Strafverfahren deutlich entlastet werden könnten. Dies wurde in der Anhörung des Rechtsausschusses vom 6. November 1996 von einigen Sachverständigen wohlbegründet gefordert.

(Beifall bei der SPD)

Das wäre ein erheblicher Schritt in Richtung Schwerpunktbildung beim Einsatz der Justiz. Insofern steckt in der allseits beklagten Überlastung der Justiz vielleicht auch eine große Chance. Sie zwingt uns, ernsthaft darüber nachzudenken, wie wir das Strafrecht, das als Ultima ratio ausgestaltet und gedacht war, wieder auf ein Kernstrafrecht zurückführen können.
Herzlichen Dank, meine Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Norbert Geis [CDU/CSU]: Zügig und schnell, aber es waren einige Fehler enthalten!)


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1317217600
Das Wort hat der Kollege Volker Beck, Bündnis 90/Die Grünen.

Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1317217700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur drei Jahre hat der Bundesrat gebraucht, um nach Inkrafttreten des ersten Rechtspflege-Entlastungsgesetzes den hier vorliegenden zweiten Aufguß zu beschließen.
Einige der Vorschläge waren bereits Gegenstand der damaligen Beratungen; sie fanden im Bundestag zu Recht keine Mehrheit. Andere Vorschläge, wie etwa die Ausweitung der Annahmeberufung, satteln auf das neu Eingeführte drauf und schränken in bekannter Salamitaktik die Rechte der Angeklagten weiter ein.
Für Bündnis 90/Die Grünen ist das nicht zustimmungsfähig. Die Qualität des Strafverfahrens ist entscheidend für die Qualität der Entscheidung. Hier werden die Weichen dafür gestellt, daß am Ende niemand unschuldig verurteilt wird. Jeden Versuch, um der Entlastung der Justiz willen die Qualität des Strafverfahrens zu beeinträchtigen, weisen wir zurück.
Ich möchte nicht auf Einzelaspekte eingehen - dazu werden wir im Ausschuß Gelegenheit haben -,
sondern auf die Grundprobleme des Entwurfs zu sprechen kommen. Hier werden den Prozeßbeteiligten wie in einem schlechten Drehbuch Rollenbilder zugeschrieben, die mit der Realität nicht übereinstimmen.
Der Entwurf geht von der Vorstellung aus, daß die Gerichte in ihrem Streben nach Gerechtigkeit die Belange der Prozeßbeteiligten, insbesondere das Verteidigungsinteresse des Angeklagten, in hinreichendem Maße berücksichtigen und von Fehlvorstellungen und Vorverständnis frei sind. Wie sonst könnte man es für erstrebenswert halten, daß Strafgerichte über ihre eigene Befangenheit selbst weitgehend frei entscheiden? Wie sonst könnte man befürworten, daß Gerichte Umfang und Art der Beweisaufnahme weitgehend unabhängig vom Willen der Parteien bestimmen sollen? Auf der anderen Seite wird dem Angeklagten und dessen Verteidigung unterstellt, ihr Hauptbestreben bestehe darin, Sand ins Getriebe der Justiz zu streuen.
Gegen diese Rollenzuschreibung wehrt sich die Anwaltschaft zu Recht seit langem. Daß die ihr eingeräumten oder vielmehr verbliebenen Rechte systematisch mißbraucht werden, konnte bislang von niemandem wirklich nachgewiesen werden.
Die dem Entwurf zugrunde liegende Vorstellung, es schon recht zu machen, wird von vielen Richtern und Staatsanwälten geteilt. Vermutlich reagieren diejenigen, die ihre Arbeit sorgfältig und engagiert verrichten, im Einzelfall verärgert, wenn sie mit nach ihrer Auffassung unsinnigen Verfahrensanträgen behelligt werden, zwingt doch deren Durchsetzung die Richter stets zu einer aus ihrer eigenen Einschätzung ineffektiven und überflüssigen Verfahrensgestaltung.
Einfluß auf die Gestaltung des Verfahrens zu nehmen ist jedoch die Aufgabe von Verfahrensrechten. Ihre Durchsetzung wird immer erst dann praktisch, wenn Richter und Staatsanwälte das Begehren eines Prozeßbeteiligten nicht teilen.
Verfahrensrechte sollten die Sichtweise des Angeklagten in den Prozeß einbringen. Den Angeklagten muß daher die Möglichkeit eingeräumt werden, ein nach ihrem eigenen Vorverständnis sinnvolles prozessuales Vorgehen auch dann zu erzwingen, wenn es nach dem Vorverständnis des Gerichts zunächst einmal überhaupt nicht erforderlich ist.

(Detlef Kleinert [Hannover] [F.D.P.]: Was heißt das?)

Jeder Richter muß sich bewußt sein, daß auch seine eigene Beurteilung der Erforderlichkeit weiterer Sachverhaltsaufklärung der Natur der Sache nach subjektiv ist. Sie ist immer auch durch ein bestimmtes Vorverständnis vom aufzuklärenden Geschehen bestimmt. Und schließlich: Niemand ist vor Fehleinschätzungen gefeit, auch die Justiz nicht.
Gerade im Strafprozeß mit seinen einschneidenden Folgen für das Leben der Angeklagten müssen wir diese Gefahr weitestgehend minimieren. Eine Preisgabe dieser Grundsätze verändert unseren Strafprozeß vom Grunde auf. Sie ist auch um der Entlastung

Volker Beck (Köln)

willen nicht zu rechtfertigen. Hierfür müssen wir um Verständnis werben; sonst beschäftigen wir uns in spätestens zwei Jahren mit einer Neuauflage dieses Entwurfs.
Es wäre nun aber selbstgerecht, den Ländern die alleinige Verantwortung für die desolate Situation im Justizbereich zuzuschieben. Die Bundesebene kann sich von ihrer diesbezüglichen Verantwortung nicht freisprechen. Schließlich sind es gerade die Bundesgesetze, deren Anwendung die Kapazitäten von Justiz und Polizei bindet.
Wir sollten aufhören, uns damit zu beschäftigen, wie wir den Strafprozeß durch weitere Einschränkungen der Rechte der Angeklagten bis zur Unkenntlichkeit verschlanken. Statt dessen sollten wir uns endlich einmal ernsthafte Gedanken darüber machen, ob alles und jedes, womit wir unser Strafrecht gegenwärtig überfrachten, auch wirklich dort hingehört. Mehr Augenmaß in der Kriminalpolitik beinhaltet zugleich ein enormes Entlastungspotential. Dies setzt allerdings voraus, daß die Regierungskoalition endlich Schluß macht mit ihrem Festhalten an der Kriminalisierung von Bagatelldelikten.
Auch der gesundheitspolitisch unsinnigen, undifferenzierten Verfolgung von Drogendelikten muß endlich ein Ende bereitet werden. Wir fordern eine Umkehr in der Drogenpolitik: weg von Strafverfolgung und Gefängnis, hin zu glaubwürdiger Aufklärung und Prävention.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)

Illegaler Drogenhandel und Beschaffungsdelikte wie Straßenraub und Wohnungseinbruch bedrohen die öffentliche Sicherheit. Gleichzeitig boomt das Geschäft der organisierten Drogenbosse. Die Legalisierung der weichen Droge Haschisch ist längst überfällig. Erforderlich ist aber auch die Straflosstellung des Besitzes harter Drogen zum Eigenkonsum und eine staatlich kontrollierte Abgabe an Süchtige.

(Jörg van Essen [F.D.P.]: Naiv!)

Eine derartige Umkehr in der Drogenpolitik schützt die Allgemeinheit vor Beschaffungskriminalität und dämmt die Gewinne der organisierten Kriminalität ein. Sie fördert die Gesundheit von Abhängigen, und letztlich entlastet sie auch die Justiz. Was hält uns also noch davon ab, das Notwendige in die Wege zu leiten?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS Jörg van Essen [F.D.P.]: Ich beneide Sie um Ihre Naivität!)


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1317217800
Das Wort hat der Kollege Kleinert, F.D.P.

Detlef Kleinert (FDP):
Rede ID: ID1317217900
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Herr Kollege Beck, mit der Entkriminalisierung könnte man weiterkommen, wenn man das wirklich im Interesse des Friedens in dieser Gesellschaft betreiben würde. Aber ich bin ganz sicher, daß Sie bei auch noch so nebensächlichem Umsägen von Bäumen mit soundso viel Umfang unnachsichtiger auf Bestrafung bestehen würden als bei beiläufigem Gebrauch von Heroin, das Menschenleben ruiniert. An der Stelle kommen mir gewisse Bedenken hinsichtlich der Ausgewogenheit Ihrer Vorstellungen, im materiellen Strafrecht etwas zu ändern.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Herr Minister Leeb, wir haben gerne gehört, daß die Länder personell und organisatorisch einiges geleistet haben, um sich der ewigen Vorwürfe aus diesem Hause bei solchen Gelegenheiten zu erwehren. Es handelt sich natürlich nicht um die zweite Novelle, sondern um die zehnte oder zwölfte. Wir zählen das nicht mehr so genau mit, weil das Zählen da gar keinen Sinn mehr macht; es geht immer so weiter.
Daß von Ihrer Seite inzwischen einiges geschehen ist, ist in Bayern festzustellen - in ausgewählten Oberlandesgerichtsbezirken. Der Rechtsausschuß des Bundestages hatte das Vergnügen, sich davon überzeugen zu können. Wir danken für die Gastfreundschaft.

(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P., der CDU/CSU und der SPD)

Auch in kleinen Teilen der Staatsanwaltschaft - also hier einschlägig - im Umkreis von Stuttgart ist das der Fall. Im übrigen befinden sich die Dinge wohl noch in ministerieller Planung. Das ist nicht das, was uns in der Sache helfen kann. Da helfen nur Taten. An denen fehlt es weithin.
Deshalb haben wir es hier mit dem soundso vielten Entwurf zu tun, der versucht, über Beschränkung von Rechtsmitteln und Rechten von Bürgern, Angeklagten und Beschuldigten Entlastung zu schaffen, und der damit das, was wir Rechtsstaat nennen, erheblich in Gefahr bringt.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)

Nicht die Entkriminalisierung von Ladendiebstahl und Beförderungsbetrug ist das Allheilmittel, sondern gescheite Möglichkeiten, das ein bißchen vorzusortieren. Lassen Sie in bezug auf den Ladendiebstahl oder beim Beförderungsbetrug die Verbände sich doch einmal selber darum kümmern, erst den fünften Verstoß und dann die anderen vier gesammelten Verstöße mitanzuzeigen. Ich habe nichts dagegen, daß sich die Betroffenen erst einmal damit befassen und daß dann gegen das Bündel von gesammelten Verstößen nicht mehr so leicht Einwendungen möglich sind, wie das bisher im Einzelfall zu geschehen pflegt. Das aber sind Dinge, über die wir im einzelnen weiter beraten müssen und die in sechs Minuten nicht zu erledigen sind.
Entscheidend ist: Der Beweisantrag wegen Prozeßverschleppung soll abgelehnt werden. Wer bestimmt das? Wem gefällt das? Wem gefällt das nicht? Ich teile nicht die Ansicht von Herrn Beck, daß der Angeklagte das Recht hat, das Verfahren in seinem

Detlef Kleinert (Hannover)

Sinne zu gestalten. Das geht doch wohl etwas über die staatliche Pflicht zur Rechtsgewährung hinaus.

(Zustimmung bei der F.D.P.)

Daß zum Beispiel sämtliche umweltpolitischen Grundsätze dargelegt werden, bevor man zur Klärung der Frage kommt, ob die Eisenbahn zum Stoppen gebracht worden ist oder nicht, ist für die übrigen Rechtssuchenden und für die große Zahl unserer Bürger uninteressant.

(Beifall bei der F.D.P. sowie des Abg. Norbert Geis [CDU/CSU])

Deshalb werden wir das auch nicht einführen. Wir wollen aber - Herr Minister Leeb, das ist nun der Punkt, an dem unsere Ansichten auseinandergehen - Prozeßverschleppung auch nicht als einen völlig allgemeinen Begriff zur Behinderung von Rechten der Bürger, die volle Rechte besitzen, solange ihre Schuld nicht bewiesen ist, und natürlich ihrer berufenen Vertreter im Prozeß hinnehmen.

(Beifall bei der F.D.P.)

Bevor ich aber dauernd darüber meckere, was wir alles nicht wollen, stelle ich etwas fest, was wir privat schon einmal besprochen haben: Man muß in neuen Bahnen denken. Ich wiederhole meinen mehrfach gemachten Vorschlag, das Revisionsverfahren um tatsächliche Elemente zu ergänzen.

(Beifall bei der F.D.P.)

Das heißt im Klartext: Wenn der Bundesgerichtshof der Meinung ist, das Landgericht habe einen wichtigen Zeugen nicht gehört, dann soll sich der Bundesgerichtshof, bevor die Sache noch einmal neun Monate beim gleichen oder einem anderen Landgericht läuft, den Zeugen kommen lassen. Dann wird er vielleicht sehen, daß das Landgericht den richtigen Sinn für die Bedeutung dieses Zeugen gehabt hat. Auch so etwas gibt es noch. Die Folge davon wird dann nämlich sein, daß das Landgericht sich freier fühlt, auch einmal Beweisanträge abzulehnen.
Wir können das hier formulieren, wie wir wollen. Aus lauter Verantwortungsgefühl geht ein Vorsitzender Richter oder die ganze Kammer her und hört noch einen und noch einen Zeugen, obwohl sie überzeugt sind, daß man sie nicht mehr benötigt. Dies geschieht aus lauter Angst, der Bundesgerichtshof könnte den ganzen Prozeß ad absurdum führen, und man wäre verantwortlich für die daraus entstehenden Kosten, die häufig in die Millionen gehen. Deshalb halte ich die Durchflechtung der reinen Rechtsrevision mit einer Tatsachenrevision für ein viel besseres Mittel, den psychologischen Hemmnissen in diesem Zusammenhang entgegenzutreten, und mache damit einen konstruktiven Vorschlag.

(Zurufe von der F.D.P.: Sehr gut!)

Ich will einen weiteren Vorschlag machen. Es ist immer wieder erstaunlich: Wenn man einen Urteilstenor verkündet hat - in Strafsachen ist das vielleicht auch erforderlich; darüber sprechen wir zur Zeit -, wird auch noch eine kurze mündliche Begründung gegeben. Anschließend sitzt der Berichterstatter da und knobelt an dem Urteil. Warum dauert es so lange, bis es fertig ist? Das liegt daran, daß eine ordentliche schriftliche Begründung vorher nicht vorhanden war und daß es ganz ungewöhnlich schwierig ist, zu einem falschen Tenor hinterher eine richtige Begründung zu erfinden.

(Heiterkeit und Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)

An dieser Tatsache leiden die Verfahren sehr häufig. Deshalb bin ich dafür, daß man Urteile in diesem Lande grundsätzlich nicht verkünden darf, wenn die Begründung nicht komplett vorliegt.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das wäre eine Sache, die man ohne weiteres machen kann und die einfach der Wirklichkeit entspricht.
Ich darf auch einmal auf gewisse Visionen zu sprechen kommen. Es ist ein ganz großer Unterschied, ob wir diejenigen, die bei der Fülle der Verfahren als junge Richter dringend gebraucht werden, verpflichten - man nimmt sie moralisch in die Pflicht; Richter kann man arbeitsmäßig bekanntlich zu fast gar nichts verpflichten; man nimmt sie aber wenigstens moralisch in die Pflicht -, eine Fülle von Dingen zu bearbeiten, die ihnen neu sind und die deshalb nicht in angemessener Weise bewältigt werden können, oder ob man wie in den angelsächsischen Ländern dazu übergeht, wirklich erfahrene Juristen als Krönung ihrer Lebenslaufbahn als Richter zu gewinnen. Ich sage „zu gewinnen" und weiß, daß ich damit auch gewisse finanzielle Dinge anspreche. Aber wenn ich einem Richter das Gehalt von anderthalb Richtern gebe, habe ich die anderen anderthalb gespart. So wäre es denkbar und rechnerisch richtig.

(Heiterkeit bei der F.D.P.)

An solche Visionen sollten wir - obwohl ich weiß, daß das in der Ferne liegt - bei solchen Gelegenheiten erinnern, bevor wir darangehen, das, was wir derzeit haben, und auch die Vorschläge des Bundesrates nur zu kritisieren. Wir wollen sie konstruktiv beraten.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Sehr gut! Norbert Geis [CDU/CSU]: Bravo!)


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1317218000
Das Wort hat der Kollege Dr. Uwe-Jens Heuer, PDS.

Dr. Uwe-Jens Heuer (PDS):
Rede ID: ID1317218100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist leider bei Gesetzentwürfen üblich geworden, unter der Rubrik „Alternativen" das Wort „keine" einzutragen. Herr Minister Leeb hat noch einmal ausdrücklich bestätigt, daß es zu dem vorgelegten Entwurf keine Alternativen gäbe.
Das Problem, das hier aufgeworfen worden ist, ist in unserem Kreis unstrittig. Die Justiz ist außerordentlich belastet. Der Rechtsanspruch auf Justizgewährung ist angesichts dieser Belastung eklatant ge-

Dr. Uwe-Jens Heuer
fährdet. Strittig ist allerdings die Antwort auf die Frage, wie dieses Problem zu lösen ist.
Der Gesetzentwurf des Bundesrates folgt in Übereinstimmung mit dem ersten Entlastungsgesetz vom Januar 1993 einem meines Erachtens völlig untauglichen Modell. Mittels zahlreicher Änderungen insbesondere der Strafprozeßordnung, des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten, des GVG usw. soll das Verfahren beschleunigt bzw. effektiviert werden.
Es gibt überlegenswerte Neuregelungen; das ist wahr: so die Anpassung der Vereidigungsregeln an die Rechtspraxis, die Öffnung des Katalogs des § 153 a StPO und anderes. Bei vielen Überlegungen aber teile ich die Auffassung des Strafrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins, der erklärt hat, die Effektivierung würde zum Vorwand genommen, „nun mit einem kurzen Prozeß unter Preisgabe von Grundrechtsverletzungen - der Unverletzlichkeit der Freiheit von Person, des Anspruchs auf rechtliches Gehör ... , des Gleichheitsgrundsatzes und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und des Übermaßverbots - nur noch rasch Vergeltung zu üben".
Meiner Meinung nach könnten zwei andere Maßnahmenkomplexe wirklich Entlastung bringen:
Erstens sind dies die Vorschläge von Bündnis 90/ Die Grünen und auch der PDS - Herr Beck hat dazu gesprochen - zur Entlastung und Effizienzsteigerung der Justiz durch Entkriminalisierung und Depönalisierung sowie durch Einbeziehung anderer materieller Regelsysteme. Es geht dabei um die Rückführung und Begrenzung des Strafrechts auf seinen rationellen Kern als Ultima ratio. Dies verlangt allerdings auch eine Flankierung der Strafrechtspolitik durch eine Einflußnahme auf das soziale und psychologische Bedingungsgefüge, aus dem Kriminalität nachwächst. Mir ist klar, daß es eine langfristige Aufgabe ist. Aber wir sollten dieser Aufgabe mehr Aufmerksamkeit widmen.
Zweitens - das betont auch die Bundesregierung - geht es darum, die Ineffektivität von Verfahrensabläufen und des Personaleinsatzes zu überwinden. Wesentliche Teile der Struktur, der Arbeitsweise und Arbeitsorganisation der Justiz stammen aus dem 19. Jahrhundert. Es dominiert der Aktenvorgang. Die Ineffektivität, besonders auch die lange Verfahrensdauer, wird eben nicht von den Strafverteidigern verursacht, sondern sie ist maßgeblich auf eine überholte Arbeitsweise zurückzuführen. Das macht auch die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen deutlich.
Es sollte zu denken geben, den Weg des Abbaus von Beschuldigten- und Verteidigungsrechten fortzusetzen, wie dies der vorliegende Entwurf tut. Der Bundesjustizminister hat bei der Eröffnung des letzten Juristentages die weitgehende Wirkungslosigkeit der entsprechenden Gesetze unter dem Aspekt der Entlastung eingeräumt. Er hat erklärt - Zitat aus dem Bulletin vom 2. Oktober 1996, Seite 825 -:
Auch 20 Jahre intensiv betriebene Entlastung der Strafjustiz haben nur einen eher bescheidenen Ertrag gebracht.
Das wird auch in der Antwort der Bundesregierung auf die bereits erwähnte Große Anfrage wiederholt.
Fast drei Jahre nach dem Inkrafttreten des ersten Rechtspflege-Entlastungsgesetzes wird mitgeteilt, daß es über die Auswirkungen keine empirisch gesicherten Erkenntnisse gibt. Das hat der Kollege Bachmaier heute auch gesagt. Warum soll denn jetzt wieder etwas gemacht werden, wenn wir über die realen Auswirkungen des ersten Rechtspflege-Entlastungsgesetzes bisher nicht informiert werden können?
Eine ganze Reihe von Regelungen sind in meinen Augen auch eher kontraproduktiv, so zum Beispiel die unverzügliche Geltendmachung der Richterablehnung über eine Änderung des § 25 StPO, mit der voraussehbaren Folge „vorsorglicher" Ablehnungsanträge. Auch die Wirkungen einer Öffnung des Katalogs des § 153 a StPO - diese halte ich für richtig - werden weitgehend bescheiden sein.
Ich halte das alles für bedenklich, insbesondere auch die Ausdehnung der Annahmeberufung auf Strafen bis zu 90 Tagessätzen, auf Fahrverbot und Entziehung der Fahrerlaubnis bis zu neun Monaten. Das würde - das ist hier auch schon gesagt worden - das Recht auf Überprüfung von Urteilen durch die zweite Instanz wesentlich einschränken. Der Obergang zu einer Praxis des „kurzen Prozesses" im Bereich der Massen- und Bagatellkriminalität wäre die Folge. Ein weiteres Beispiel betrifft die erneut vorgeschlagene Regelung einer Verschärfung der Bestimmung über die Ablehnung eines Beweisantrages wegen Prozeßverschleppung „nach der freien Würdigung des Gerichtes".
Ich meine, das wird in diesem Haus weitgehend so gesehen, so daß ich hoffe, daß sehr vieles von den Vorschlägen nicht das Licht der Welt erblickt. Vieles muß abgelehnt werden. Allerdings bin ich natürlich der Meinung, daß wir das Ganze sorgfältig prüfen müssen.
Danke schön.

(Beifall bei der PDS)


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1317218200
Das Wort hat der Kollege Norbert Geis, CDU/CSU.

Norbert Geis (CSU):
Rede ID: ID1317218300
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Heuer, wir beschäftigen uns sicherlich noch ausgiebig mit der Frage der Straffung des Arbeitsablaufs in den einzelnen Gerichten. Wir haben uns schon damit beschäftigt. Es ist in einzelnen Ländern auch schon sehr viel Erfolg zu verzeichnen; in anderen Ländern wiederum nicht, da gibt es unterschiedliche Handhabungen. Aber heute geht es um die Frage, ob wir mit Hilfe des Strafprozeßrechtes eine Straffung und eine Steigerung der Effizienz solcher Strafverfahren erreichen können.
Der Entwurf beginnt mit der Begründung, das Strafrecht leiste einen großen Beitrag zur Aufrechterhaltung unserer Gesellschaftsordnung. In einer so hochdifferenzierten und hochsensiblen Gesellschaft, wie wir sie haben, spielt das Strafrecht natürlich eine

Norbert Geis
entscheidende Rolle. Aber auf der anderen Seite darf nicht übersehen werden, daß mit jedem Strafurteil direkt, stark und in höchstem Maß in die Rechte des einzelnen eingegriffen wird. In keinem anderen Bereich wird der einzelne von der Staatsgewalt so stark betroffen wie im Bereich des Strafrechts durch das strafrechtliche Urteil und durch den Strafvollzug.
Deswegen kann das Strafverfahren nur nach strengen Regeln ablaufen; diese schreibt die Strafprozeßordnung vor. Deshalb muß man auch sehr vorsichtig sein, wenn diese strengen Regeln verändert werden sollen. Es geht bei den Regeln der Strafprozeßordnung also um die Wahrung der Rechte des einzelnen. Aber es geht doch in der Praxis - das können wir doch nicht übersehen - vor allem auch darum, daß der Verteidiger und der Angeklagte oft genug den Versuch unternehmen, mit Hilfe der Mittel der Strafprozeßordnung die Wahrheitsfindung nicht zu ermöglichen. Das ist so, und das muß man, glaube ich, auch sehen.
Wir können die Gerichte einem solchen Zustand nicht hilflos aussetzen; auch das ist wahr. Deswegen haben wir das Problem auch immer wieder - und immer wieder neu - hier auf dem Tisch. Wie wird denn verfahren? Erst werden viele Beweisanträge gestellt, es wird eine harte Konfliktverteidigung geführt. Am Ende steht dann, weil Richter und Staatsanwalt mürbe geworden sind, ein Deal.
In großen Verfahren steht der Deal doch schon am Anfang. Da unterhält man sich doch schon vorher darüber, wie man es macht und was herauskommen soll. Oft stehen - das wissen wir doch, das brauchen wir nicht zu verschweigen - das Urteil und das Strafmaß schon fest, bevor der Prozeß überhaupt beginnt, und der Prozeß wird zu einer Farce. Das wollen wir vermeiden. Deswegen müssen wir uns natürlich Gedanken darüber machen, wie wir die Strafprozeßordnung verbessern können. Da hat sich der Bundesrat, wie ich meine, jetzt schon große Verdienste erworben, und das wollen wir auch nicht abstreiten.
Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe schon gesagt: Die Rechte des einzelnen werden stark betroffen. Das führt wiederum zu großen Prozessen, das wiederum führt zu großer Richterbelastung und zu großer Belastung der Staatsanwaltschaften.
Ist es aber richtig zu sagen: Wir entlasten die Staatsanwaltschaften, indem wir entkriminalisieren? - Herr Bachmaier, Sie haben das Thema aufgebracht. Herr Kleinert hat diesen Gedanken bereits zurückgewiesen. Ich bin nicht der Auffassung, daß wir den Schutz des Eigentums, den Schutz des Besitzes zugunsten einer Beschleunigung von Verfahren oder zugunsten vielleicht auch der Entlastung der Justiz in Frage stellen sollten. Das halte ich für den falschen Weg.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Es geht doch um die Wahrung der Rechtsordnung, und gerade bei den Regeln der Strafprozeßordnung geht es um die Wahrung der Rechtsordnung. Gerade bei der Bewertung der Bagatellkriminalität, des Kaufhausdiebstahles geht es um die Wahrung der
Rechtsordnung. Wir sollten nicht meinen, mit Hilfe von Entkriminalisierung die Rechtsordnung wahren zu können. Das wäre der falsche Weg.
Das gleiche gilt natürlich auch für den Drogenmißbrauch; wir sehen das. Aber was geschieht denn beim Drogenmißbrauch? - Am Anfang stehen die leichten Drogen, dann sind es die harten Drogen, dann kommt es zur völligen Zerrüttung der eigenen Gesundheit, und am Schluß ist das frühe Ende da.

(Dr. Barbara Höll [PDS]: Blödsinn!) Das kann unmöglich unsere Aufgabe sein.

Wir dürfen durch Entkriminalisierung nicht die Rechtsordnung gefährden; wir müssen uns andere Wege überlegen. Deswegen stellt sich natürlich die Frage, wie das möglich sein soll.
Der Entwurf beinhaltet Vorschläge in drei großen Bereichen, zum ersten die Einschränkung des formellen Beweisantragsrechts, zum zweiten Maßnahmen, die dem Mißbrauch der Richterablehnung entgegenwirken, und zum dritten die Beschränkung der Rechtsmittel. Alle Redner haben hier betont, wie schwierig es ist, das Beweisantragsrecht einzuschränken. Aber wir wissen natürlich auch, daß gerade das Beweisantragsrecht ein Mittel ist, um die Gerichte mürbe zu machen.
Ich erwähne einen Fall, der neulich durch die Zeitung ging. Bei einem großen Prozeß soll der Verteidiger vorher gesagt haben - ich habe das nur aus der Zeitung entnommen -: Wenn das Gericht das Verfahren nicht einstellt, dann werde ich 400 Beweisanträge stellen. - Das Gericht hat sich auf diesen Deal Gott sei Dank nicht eingelassen. Was ist geschehen? - An jedem Verhandlungstag sind 40 oder 50 Beweisanträge gestellt worden. Der Prozeß hat sich über drei Jahre hingezogen. Am Schluß ist ein Schöffe krank geworden, und der Prozeß mußte ausgesetzt werden.
Das dient nicht der Wahrung unserer Rechtsordnung. Wir können es uns nicht erlauben, die Gerichte in einem derartigen Maß hilflos solch einer Konfliktverteidigung auszusetzen.
Auf der anderen Seite sehe ich natürlich das Problem, Herr Minister Leeb, daß der Beweisantrag das schärfste und das wichtigste Mittel der Verteidigung ist. Sie ist am Ermittlungsverfahren nicht beteiligt, und mit Hilfe des Beweisantrages kann ein Verteidiger eine fehlgelaufene Ermittlung vielleicht doch noch korrigieren. Er kann mit Hilfe des Beweisantrags vielleicht auch einen von ihm für falsch gehaltenen Prozeßverlauf korrigieren. Es kann darauf ankommen, ob er einen Zeugen bringt, der dann wirklich die Wahrheit ans Tageslicht bringt.
Deshalb müssen wir mit der Einschränkung des Beweisantragsrechts ganz vorsichtig sein. Das ist ein wichtiges Mittel auch wiederum zur Wahrung der Rechtsordnung. Wir müssen immer darauf bedacht sein, daß im Prozeß kein Unrecht geschieht, und das kann geschehen - das wissen wir auf der anderen Seite ja auch, weil wir alle nur Menschen sind, weil wir fehlen können.

Norbert Geis
Die Richterablehnung ist natürlich auch ein beliebtes Mittel der Konfliktverteidigung. Aber was ist denn auf der anderen Seite, wenn der Anwalt einen Richter vor sich hat, von dem er glaubt, er sei bef angen, es ihm aber nicht nachweisen kann? - Er paßt natürlich auf, ob der Richter sich nicht irgendwann eine Blöße gibt, und stellt dann einen Antrag auf Richterablehnung an, später einen zweiten, einen dritten und einen vierten. Oft geschieht dies ja auch im Interesse des Angeklagten deshalb, weil er sich auf diese Weise die Möglichkeit der Revisionsbegründung schaffen will, denn wir wissen ja, daß beim Verfahren der Richterablehnung immer wieder Fehler passieren, und das wiederum führt zur Revisionsbegründung.
Nun kann man sagen, das sei ein Mißbrauch von Rechtsmitteln. Ich sehe das nicht so, denn die Revision bietet ja wiederum die Chance, vielleicht doch der Wahrheit näher zu kommen. - Hier werden immer zwei Pole sein, die mit verschiedenen Voraussetzungen an einen solchen Prozeß herangehen und auch mit anderen Voraussetzungen dann wieder aus dem Prozeß herauskommen, weil der eine zufrieden ist und der andere sein Urteil hat und vielleicht nicht zufrieden ist.
Der dritte Punkt ist die Einschränkung der Rechtsmittel. Wir kennen den Vorschlag aus dem Entwurf, die Grenze für die Annahmeberufung von 15 Tagessätzen auf 90 heraufzusetzen. Das würde bedeuten - so entnehme ich es der Begründung des Entwurfs -, daß bei 97 Prozent der Geldstrafen nur noch die Annahmeberufung möglich wäre. Aber die Annahmeberufung - das wissen wir auch - ist zu einem hohen Prozentsatz ein verlorenes Rechtsmittel. Ich kann Ihnen den Prozentsatz jetzt nicht genau nennen; ich habe versucht, ihn herauszufinden. Es gibt verschiedene Zahlen dazu. Jedenfalls werden viele - wahrscheinlich die meisten - Annahmeberufungen nicht zulässig sein, weil das Gericht entscheidet, sie nicht anzunehmen. Natürlich ist das ein Problem.
Es wird aber noch ein anderes Problem aufgeworfen. Das betrifft den Vorwurf, daß wir in kleineren und mittleren Strafsachen drei Instanzen haben - das Amtsgericht, das Landgericht und die Revisionsinstanz -, bei großen Strafsachen hingegen, bei denen der Betroffene durch den Staat in seiner Existenz bedroht ist, nur eine Tatsacheninstanz und darüber dann direkt die Revisionsinstanz. Auch dazu gibt es Änderungsüberlegungen.
Natürlich kann man die Vielzahl der Berufungsfälle durch die Annahmeberufung reduzieren. Aber es bleibt die Frage, ob das der richtige Weg ist. Wir stellen uns vor - das haben wir in Vorgesprächen auch schon entsprechend erörtert -, die Grenze auf 30 Tagessätze festzulegen. Damit würden immer noch über 60 Prozent der Geldstrafen von der Annahmeberufung erfaßt sein. Das wäre immer noch viel, aber es wären eben keine 97 Prozent.
Natürlich kann man sich auch Gedanken darüber machen, ob man nicht den immer wieder gemachten Vorschlag, nur zwei Instanzen einzurichten, verwirklicht. Das bringt natürlich wiederum das Problem mit sich, daß wir das beschleunigte Verfahren, das wir
erst mit dem Verbrechensbekämpfungsgesetz eingeführt haben, wieder aufgeben müßten. Das wollen wir nicht - nicht, weil wir es eingeführt haben und es deswegen gerne behalten möchten, sondern weil wir glauben, daß es sinnvoll ist.
Wir meinen, daß man darüber nachdenken sollte, das amtsgerichtliche Verfahren insgesamt als eine Art beschleunigtes Verfahren durchzuführen. Wenn der Betroffene mit seinem Urteil zufrieden ist, weil er nichts anderes erwartet hat -viele geben sich zumindest mit dem zufrieden, was sie vom Gericht an Strafe erhalten -, dann geht er nicht in die Berufung. Ginge er in die Berufung, dann hätte er eine richtige zweite Tatsacheninstanz. Möglicherweise ist diese von Fachleuten diskutierte Idee der richtige Weg. Darüber müssen wir nachdenken. Wir meinen, Herr Minister Leeb, daß wir dem Gesetzentwurf des Bundesrates offen gegenüberstehen sollten und daß wir die Vorschläge offen miteinander diskutieren sollten.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1317218400
Das Wort hat der Kollege Alfred Hartenbach, SPD.

Alfred Hartenbach (SPD):
Rede ID: ID1317218500
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Staatsminister! Sehr geehrter Herr Minister! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Verehrter Kollege Kleinert, ich möchte Ihre Visionen ganz an den Anfang meiner Rede stellen. Sie sind sicherlich richtig und gut. Auch ich habe schon erlebt, daß an einem Oberlandesgericht die Pause zur Beratung nach einer mündlichen Verhandlung fünf Minuten dauerte. Hinterher wurde das fertige Urteil verkündet; Tenor und Gründe stimmten überein. Sicherlich ist auch das nicht die richtige Sache. Ihre Visionen eignen sich allenfalls für Oberlandesgerichte, weil diese Zeit haben, und für mehrtägige Strafkammerverhandlungen, nicht aber für die Amtsrichter und Schöffen. Ich stelle mir vor: Ich berate und verkünde das Urteil dann eine Woche später. Wie das klappen soll, darüber müssen wir beide uns einmal in Ruhe unterhalten. Dazu bin ich gerne bereit -in Ihrem Büro.

(Heiterkeit)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie wissen es, und ich weiß es aus eigener langjähriger Erfahrung, daß in der Justiz hart gearbeitet werden muß und daß große Teile der ordentlichen Justiz sehr stark belastet sind.
Sehr verehrter Herr Staatsminister Leeb, wir teilen die Sorgen der Justizministerien der Länder, die befürchten, daß Verfahren vor den Gerichten nicht mehr effizient gefördert werden können. Wir begegnen dem Vorhaben des Bundesrates, die Justiz wirkungsvoll zu entlasten, mit großem Verständnis. Wir wollen gern helfen, wo wir Entlastungsmöglichkeiten sehen, nicht nur in dieser Gesetzesvorlage.
Wir haben vor längerer Zeit von seiten der SPD- Bundestagsfraktion ein Änderungsgesetz zum Ordnungswidrigkeitenrecht vorgelegt, das in wesentli-

Alfred Hartenbach
chen Punkten mit der Vorlage des Bundesrates übereinstimmt, in vielen jedoch weiter geht und mehr bringt, das wir schon eingehend beraten haben und dessen Wirksamkeit zur Entlastung der Justiz von Fachleuten aus der gerichtlichen Praxis bejaht, ja, teilweise sogar sehr stark unterstützt wurde.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Jörg van Essen [F.D.P.] und Detlef Kleinert [Hannover] [F.D.P.])

Sehr geehrter Herr Bundesjustizminister, wir wären so weit, dieses Gesetz verabschieden zu können, wenn nicht in Ihrem Haus gewisse Bedenken gegen einige bahnbrechende Vorschriften geltend gemacht würden, wie zum Beispiel die variable Vollstreckung eines Fahrverbots bei Ersttätern. Ich würde Sie bitten - das sage ich hier klar und deutlich -, daß Sie sich dafür einmal persönlich einschalten, damit wir in dieser Sache etwas weiter vorankommen.

(Detlef Kleinert [Hannover] [F.D.P.]: Das ist wahr! Jörg van Essen [F.D.P.]: Sehr guter Vorschlag!)

Wenn wir über Entlastungen reden, müssen es solche sein, die tatsächlich etwas bewirken und nicht nur auf dem Papier stehen. Der vorliegende Entwurf bietet Ansätze, über die man reden kann, über die man nachdenken kann und bei denen wir auch zu einem Ergebnis kommen werden, das den wesentlichen Anliegen gerecht werden kann.
Einerseits kann eine Entlastung der Justiz, vornehmlich der Gerichte, eintreten, andererseits geschieht dies nicht zu Lasten der Rechte von Beschuldigten und damit auf Kosten der Gerechtigkeit.
Der Entwurf enthält aber auch Vorschläge, die überhaupt keine Entlastung versprechen, allenfalls in geringem Umfang, dafür aber erhebliche Eingriffe in Rechte der Beschuldigten und der Verteidigung darstellen und in Teilen den Grundsatz eines fairen Verfahrens nicht mehr garantieren können.
Es wird zu einer erheblichen Verschlechterung des Prozeßklimas kommen, da sich der ohnehin schwächere Teil - das sage ich sehr deutlich als langjähriger Amtsrichter - weiter benachteiligt sieht und diese Benachteiligung durch eine besonders pointierte, möglicherweise auch aggressive Prozeßtaktik ausgleichen wird. Besonders die erhebliche Verschärfung der Zulassung der Berufung und der Revision wird mit Sicherheit zur Justizverdrossenheit, ja bis hin zur Staatsverdrossenheit führen. Mein Kollege Bachmaier hat sehr eindrucksvoll gesagt: Es sind oftmals die einfachen Verfahren der durch und durch ordentlichen Bürger, die in diese Mühle hineingeraten und dann auf eine Art und Weise behandelt werden, die diese einfachen Leute überhaupt nicht mehr verstehen können.
Wir müssen eines wissen: Ein Strafverfahren kann man nicht mit einem Bußgeldverfahren vergleichen. Wer nun glaubt, die Bürger unseres Landes würden solche Verschlechterungen klaglos schlucken, verkennt die Realitäten. Eine derartige Beschneidung von Rechtsmitteln wird zu einer vermehrten Belastung anderer Gerichtszweige führen, vornehmlich des Bundesverfassungsgerichts.
Ich kann keine Gründe finden, die für eine Begründung der Berufung und eine Benennung der Beweismittel sprechen. Ganz überwiegend werden im Berufungsverfahren die erstinstanzlichen Beweisaufnahmen wiederholt. Nur in seltenen Fällen werden neue Beweismittel benannt, und dann oft von beiden Seiten so rechtzeitig, daß sich jeder Beteiligte darauf einstellen kann. Es wird also keine Straffung und keine Beschleunigung der Verfahren bringen.
Für die nicht anwaltlich vertretenen Angeklagten würden wir nur wieder neue, weitere Hürden aufbauen, die nicht dazu beitragen, das Vertrauen der Menschen in die Justiz zu festigen. Der erstrebte Erfolg aber wird sich nicht einstellen. Vom linken Anwalt bis zum konservativen Anwaltsnotar wird die Einschränkung des Beweisantragsrechts abgelehnt.

(Detlef Kleinert [Hannover] [F.D.P.]: Ich vermute, auch linke Anwaltsnotare, wenn sie es nur schaffen! Heiterkeit)

Die Änderung soll lauten:
Wenn der Antrag nach der freien Würdigung des Gerichts zum Zwecke der Prozeßverschleppung gestellt wird, kann das Gericht dies zurückweisen.
Das ist eine erhebliche Änderung gegenüber dem bisherigen Recht und ein besonders schmerzhafter Eingriff in die Rechte von Angeklagten und der Verteidigung. Dabei müssen wir wissen, daß nur ein geringer Teil der Strafverfahren vor den Landgerichten - man redet von nicht einmal 5 Prozent - tatsächlich so - das möchte ich jetzt in Anführungszeichen setzen - „konfliktbeladen" ist, daß hier diese Vorschrift Anwendung finden müßte. Bei den Amtsgerichten handelt es sich um eine zu vernachlässigende Größe. Alle anderen Verfahren werden ganz überwiegend in Ruhe und mit großer Sachlichkeit verhandelt.
Ich habe nun die große Sorge, daß in naher Zukunft auch in einfachen Verfahren von der erleichterten Möglichkeit der Zurückweisung Gebrauch gemacht wird und damit wiederum tiefe Einschnitte in rechtstaatliche Verfahren erfolgen. Dieser Freibrief für Gerichte provoziert nur die Rechtsmittelfreudigkeit, übrigens zu Recht. Ich bin sehr sicher, es wird bald eine neue, gefestigte Rechtsprechung der Obergerichte geben, die diesen scheinbaren Verfahrensbeschleuniger relativieren wird. Es bleibt also alles beim alten, und deswegen teile ich hier ganz ausnahmsweise die Auffassung der Bundesregierung.
Der Bundesrat kann allerdings Unterstützung in einigen anderen Punkten erwarten, nämlich beim Absehen von der Vereidigung, bei der vereinfachten Durchführung der Beweisaufnahme beim Urkundsbeweis, soweit es sich um Rechnungen oder Feststellungen eines Vermögensschadens handelt, nicht jedoch dann - darauf weise ich hin -, wenn die Ermittlungsbehörde Feststellungen über ihre durchgeführten Ermittlungen vorlesen will. Auch ist die Hinzuziehung eines fakultativen Urkundsbeamten der Geschäftsstelle, des Protokollführers, gut und richtig.

Alfred Hartenbach
Anders als die Bundesregierung bin auch ich der Meinung, daß man das Wahlrechtsmittel Berufung oder Revision durchaus einer ernsthaften Prüfung unterziehen sollte. Es reicht aus, wenn eine Tatsacheninstanz, möglicherweise noch eine zweite durchgeführt wird. Es mag nun richtig sein, wenn die Bundesregierung sagt, daß dies nicht zu großen Einschränkungen führen wird. Aber andererseits klagt die Praxis darüber, daß sie in vielen Fällen fertige Urteile schreibt, hinterher die Revision aber nicht begründet oder gar zurückgenommen wird. Dies ist für mich vertane Zeit.
Wir sollten uns aber in diesem Gesetz nicht auf punktuelle Entlastungsmöglichkeiten beschränken. Wir sollten bei dieser Gelegenheit auch - ich wiederhole es - erneut über Entkriminalisierung von Bagatelldelikten nachdenken. Wir müssen in dieser Situation auch alle Binnenressourcen der Justiz überprüfen:

(Bundesminister Dr. Edzard Schmidt-Jortzig: Sehr richtig!)

darüber, ob etwas zu vereinfachen ist, ebenso wie über Umverteilung, Einsatz intelligenter Technologien oder neue Wege überhaupt.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Detlef Kleinert [Hannover] [F.D.P.] und Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wir müssen über die Aufgabenverteilung in der Justiz neu reden. Warum soll man nicht einiges auf andere Ebenen verlagern, vom Rechtspfleger auf den mittleren Dienst und Angestellten, vom Richter auf den Rechtspfleger? Wir haben doch zum Beispiel die auch aus Ihrem Land kommende Novellierung des Zwangsvollstreckungsrechts, zu dem wir, wie ich denke, sehr vernünftige und gute Vorschläge gemacht haben, die eine andere Verteilung der Arbeitsbelastung bewirken. Lassen Sie uns doch darüber einmal nachdenken.
Der Rechtspfleger muß doch nicht die eidesstattliche Versicherung abnehmen. Er muß auch nicht jeden Pfändungs- und Überweisungsbeschluß ausstellen. Wir tun bei der Mobiliarvollstreckung heute noch so, als befänden wir uns im Jahre 1871 und hätten gerade Versailles hinter uns.
Oder nehmen wir die freiwillige Gerichtsbarkeit: Muß der Richter den Erbschein nach Testamenten erstellen? Muß er die Eintragung im Handelsregister bei GmbHs und Aktiengesellschaften vornehmen? Das kann der Rechtspfleger genausogut. Wir haben bestens ausgebildete Rechtspfleger mit Fachhochschulausbildung, Spezialisten auf hohem Niveau.

(Jörg van Essen [F.D.P.]: So ist es! Sehr richtig!)

In diesem Zusammenhang komme ich noch einmal zu den Kosten. Drei Rechtspfleger verursachen die Kosten von zwei Richtern. Ein Rechtspfleger bringt aber auf den eben genannten Gebieten genau die gleichen Leistungen wie ein Richter.
Lassen Sie uns bitte auch einmal über die Dreistufigkeit des Justizaufbaus nachdenken. Auch hier ist eine Menge herauszuholen.
Dann noch eines, was mir sehr am Herzen liegt.

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1317218600
Aber knapp bitte.

Alfred Hartenbach (SPD):
Rede ID: ID1317218700
Wir lernen in der Ausbildung immer: Wem steht ein Anspruch zu? Wie muß ich jemanden sachgerecht verurteilen? Wir lernen nie: Wie bewältige ich einen Konflikt? Wir lernen nichts zur Fähigkeit der Prozeßführung, zum Prozeßmanagement und vor allem nichts zur Menschenführung. Dies muß man sich mühsam aneignen. Ich denke, auch hier kann man eine ganze Menge herausholen, um Prozesse zu straffen, zu vereinfachen und zu beschleunigen.
Nun kommt mein letzter Satz, Herr Präsident.

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1317218800
Nein, Herr Kollege, das kann ich nicht akzeptieren.

Alfred Hartenbach (SPD):
Rede ID: ID1317218900
Dann bedanke ich mich trotzdem für Ihre Großmut, daß Sie mich so lange haben reden lassen, und bitte Sie alle sehr herzlich: Lassen Sie uns in einen fruchtbaren Dialog eintreten!
Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1317219000
Das Wort hat der Bundesminister Dr. Schmidt-Jortzig.

Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (FDP):
Rede ID: ID1317219100
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! Die Entlastung der Strafrechtspflege ist sicher ein wichtiges Anliegen. Aber ich bin mir nicht so sicher, ob der Weg, nämlich der hier zu beratende Antrag, wirklich der richtige ist.
Der Gesetzgeber hat sich bereits - darauf hat Herr Kollege Kleinert schon nachhaltig hingewiesen - in den letzten 20 Jahren immer wieder bemüht, das Strafverfahren mit zahlreichen Entlastungsnovellen zu vereinfachen und zu straffen. Der zuletzt eher bescheidene Erfolg dieser Bemühungen hat gezeigt und zeigt bis zum Beweis des Gegenteils, daß die Reformmöglichkeiten weitgehend ausgeschöpft sind.

(Beifall des Abg. Detlef Kleinert [Hannover] [F.D.P.])

Allerdings werden die von Gesetzes wegen bestehenden Möglichkeiten der Verfahrensbeschleunigung durch die Praxis auch nicht immer ausreichend genutzt, so etwa im Fall - auch das ist schon angedeutet worden - des im Verbrechensbekämpfungsgesetz von 1994 verbesserten beschleunigten Verfahrens. Ich will mir aus Zeitgründen ersparen, darauf näher einzugehen.
Jedenfalls gilt es, in Struktur, Organisation und Abläufen der Gerichtsbarkeit noch immer reichlich

Bundesminister Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Entlastungsmöglichkeiten aufzusuchen und auszuschöpfen und erst dann nach dem Gesetzgeber zur Veränderung und Beschneidung von Verfahrensrechten zu rufen. Das soll selbstverständlich nicht heißen, daß wir über eine sinnvolle Novellierung des Strafprozeßrechts nicht nachdenken könnten und müßten. Ich wäre der letzte, der sich sachgerechten Vorschlägen zur Justizentlastung verschließen würde.
Auf eines will ich aber ausdrücklich hinweisen: In diesem Feld nach den vielen und - wie schon sattsam betont wurde - nicht sehr erfolgreichen Vorversuchen müssen wir uns vor hektischem Gesetzesaktionismus jetzt an dieser Stelle wirklich hüten.

(Ulrich Irmer [F.D.P.]: Ein beherzigenswerter Grundsatz! Der gilt überall!)

- Wie recht Sie haben, lieber Herr Kollege Irmer! Erst recht gilt er nach oder im fünften Versuch nach vier nicht erfolgreichen. Da sollte man dann wirklich eine sorgfältige Bestandsaufnahme und eine präzise Analyse der Mängel unseres Strafverfahrens vorschalten.
Ich will nur auf ein oder zwei Einzelheiten noch eingehen, die mir Beispiel dafür zu sein scheinen, daß es eben bei einem Mangel einer solchen sorgfältigen Bestandsaufnahme doch leicht zu Ungereimtheiten kommt. So mag man darüber nachdenken, ob vielleicht, Herr Kollege Hartenbach, Aufgaben des Protokollführers auf die Richter übertragen werden können. Aber der Vorschlag zu § 273 Abs. 2 StPO scheint mir denn doch kurzsichtig zu sein. Denn der hier vorgesehene Verzicht auf das Vernehmungsprotokoll in der Haupthandlung vor dem Amtsgericht führt dazu, daß in der Berufungsinstanz keine verwertbaren Protokolle mehr vorliegen. Dadurch müssen dann erstinstanzliche Zeugen, deren Aussagen heute noch verlesen werden können, in der Berufungsinstanz erneut geladen und vernommen werden. Es liegt auf der Hand, daß damit zusätzlicher Aufwand und Kosten entstehen. Man entlastet das Amtsgericht und belastet das Berufungsgericht. Das kann nicht gut und sinnvoll sein.
Und als zweites - auch dazu wurde schon einiges gesagt - zum Stichwort Annahmeberufung. In der geplanten Ausweitung der Annahmeberufung scheint mir äußerst Bedenkliches zu liegen;

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

denn sie soll ja bis zur Schwelle von 90 Tagessätzen ausgeweitet werden. Die würden dann rund 97 Prozent der verhängten Geldstrafen erfassen und damit faktisch zur Unanfechtbarkeit der überwiegenden Mehrzahl amtsgerichtlicher Urteile führen. Herr Bachmaier, Sie haben schon darauf hingewiesen. Das kann so nicht vernünftig sein.
Ist es im übrigen ganz grundsätzlich wirklich gerechtfertigt, den Blick immer wieder auf den Angeklagten, seine Rechtsmittel und Verteidigungsbefugnisse zu lenken, wenn es um die Frage geht, wie das Strafverfahren konzentriert, beschleunigt und vereinfacht werden kann? Um hierauf eine fundierte Antwort geben zu können, habe ich im vergangenen Jahr eine breit angelegte rechtstatsächliche Untersuchung in Auftrag gegeben. Ich habe schon an anderer Stelle meine Verwunderung darüber ausgedrückt, daß es eine solche Untersuchung bislang nicht gab. Dadurch soll Klarheit geschaffen werden, welche Faktoren in den letzten Jahren denn tatsächlich zu Verzögerungen und Friktionen im Ablauf des Strafverfahrens geführt haben.
Eine weitere und weitergehende Untersuchung zur Reform der Rechtsmittel ist ebenfalls in Vorbereitung. Sie wird zeigen, ob und gegebenenfalls wo das deutsche Rechtsmittelsystem im internationalen Vergleich wirklich hypertrophiert ist und ob unsere Rechtsmittel im Strafverfahren reformbedürftig sind. Da können dann auch solche Ideen, wie sie hier schon vorgetragen wurden, Herr Kleinert, Herr Hartenbach, mit Einfluß bekommen; denn auch da sollten wir, glaube ich, auch grundsätzlich herangehen und eine Reform des Systems der Rechtsmittel einmal erörtern.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich denke, daß wir diese Untersuchungen abwarten sollten, bevor wir die x-te, jedenfalls die zweite Reform dieser Art hier angehen.
Lassen Sie mich rasch noch folgendes sagen, dann können Sie gerne zu Worte kommen. - Er will gar nicht, der Versuch wird gar nicht gestartet, ich bedauere das sehr, lieber Herr Bachmaier.
Bevor wir anfangen, Gesetze zu ändern, sollten wir auf jeden Fall - auch das unterstreiche ich - alle Möglichkeiten nutzen, die Modernisierung des Justizapparates vorher auszuschöpfen. Daß es da zahlreiche Schwachstellen gibt, auch dazu ist hier schon viel gesagt worden, von der Dreistufigkeit bzw. noch Vierstufigkeit bis zu den Arbeitsabläufen in altvorderen Gerichten. Man muß da gar nicht fürchterlich Phantasie walten lassen, sondern bloß einmal die Augen für die Wirklichkeit öffnen.
Lassen Sie mich zusammenfassen: Die Strafrechtspflege befindet sich in einer schwierigen Phase der Anpassung an die enger gewordenen finanziellen Rahmenbedingungen. Darüber gibt es ja überhaupt keine Debatte, darüber sind wir uns einig. Wenn wir den derzeitigen Standard der Rechtsgewährung aufrechterhalten wollen, sollten wir aber zunächst die vorhandenen gesetzlichen Entlastungsmöglichkeiten ausschöpfen und auch die Binnenreserven der Justiz nutzen, denn da gibt es noch etliche.
Ich möchte ausdrücklich davor warnen, allzu schnell das Strafverfahrensrecht zu ändern, ohne vorher zuverlässig geklärt zu haben, wo Entlastungs-
und wo Beschleunigungsmaßnahmen wirklich notwendig sind, wo man Gesetzesänderungen braucht und wo man eben nicht vielleicht schon nach geltender Rechtslage zum Ziel kommen könnte.
Vielen Dank.

(Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1317219200
Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfes auf Drucksache 13/4541 an den Rechtsausschuß vorgeschlagen. Gibt es andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Wolfgang Wodarg, Gerd Andres, Doris Barnett, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Neuordnung der sozialmedizinischen Begutachtung
- Drucksache 13/6587 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung (federführend) Ausschuß für Gesundheit
Es war eine Aussprache von einer halben Stunde vorgesehen. Ich eröffne die Aussprache, um dem Haus sodann mitzuteilen, daß sämtliche Redner ihre Beiträge zu Protokoll geben. Es handelt sich um die Kollegen und Kolleginnen Andreas Storm, Dr. Wodarg, Marina Steindor, Dr. Gisela Babel, Dr. Ruth Fuchs und Parlamentarischer Staatssekretär Kraus. *)
Darf ich das Haus fragen, ob es mit dieser Verfahrensweise einverstanden ist? - Das ist der Fall. Dann schließe ich die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 13/6587 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Dann rufe ich auf Tagesordnungspunkt 11:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Ludwig Elm, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Tag des Gedenkens an die Befreiung vom Nationalsozialismus
- Drucksache 13/7287 -Überweisungsvorschlag:
Innenausschuß
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Ludwig Elm, PDS.

Dr. Ludwig Elm (PDS):
Rede ID: ID1317219300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Geschichte war am heutigen Tag von Anbeginn gegenwärtig, vor allem im Höhepunkt mit Präsident Václav Havel, aber auch in den Kontroversen um den 60. Jahrestag der Bombardierung von Guernica und um die Wehrmachtsausstellung. In gewisser Weise schließt unser Anliegen mit der folgenden Beratung unmittelbar an diese Debatten an, wenn wir sie auch in ihrer exemplarischen Bedeutung verstehen.
*) Anlage 5
Wir beantragen mit dem eingereichten Gesetzentwurf, den 8. Mai zum alljährlichen Tag des Gedenkens an die Befreiung vom Nationalsozialismus zu erklären. Das bereits einmal 1995 unterbreitete Anliegen wird durch einen wesentlichen neuen Aspekt bestätigt. Von diesem Jahr an wird der 8. Mai in Israel als offizieller Gedenktag zur Erinnerung an den Kampf der Juden gegen die Nazis begangen. Die Initiative dazu ging vor allem von israelisch-jüdischen Kriegsveteranen aus, die im Zweiten Weltkrieg auf der Seite der Alliierten gegen Hitler-Deutschland und seine Verbündeten gekämpft haben. Die israelische Entscheidung bestärkt uns in der Überzeugung, daß das Jahrhundertereignis der Befreiung vom Faschismus und der Beendigung des Zweiten Weltkrieges in Europa vor allem auch und endlich im Land der Täter seinen selbstverständlichen Platz in der Gedenkkultur erhalten sollte.

(Beifall bei der PDS)

Uns ist die Würdigung der 50. Wiederkehr dieses Tages in der Bundesrepublik und in vielen Ländern gegenwärtig. Jedoch die Rückbesinnung im Abstand von Dekaden wird dem national-, europa- und weltgeschichtlichen Rang jenes Anlasses ebenso wenig gerecht wie dem Erfordernis, in einem unablässigen und generationsübergreifenden Diskurs das Wissen um jene Geschehnisse mit seinen Mahnungen und teuer bezahlten Lehren wachzuhalten.
„Der entscheidende Punkt ist", äußerte Karl Jaspers 1965, „ob man anerkennt: der Nazistaat war ein Verbrecherstaat, nicht ein Staat, der auch Verbrechen begeht. " Er fuhr fort, sich dies vor Augen zu halten, sei die Voraussetzung jeder weiteren Argumentation. Er folgerte daraus - ich zitiere -:
Die Einsicht in die Notwendigkeit der sittlichpolitischen Revolution seit 1945, der uneingeschränkte Wille zum Abbruch der Kontinuität zu dem Verbrecherstaat, die Erkenntnis und der Wille zur Neugründung, das alles ist die Voraussetzung für uns, wenn wir eine Zukunft haben.
Das Urteil wie die Schlußfolgerung sind unverändert gültig.
Sie sind hilfreich in den heutigen Kontroversen. Das erfahren wir alltäglich in der Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus, aber auch mit neu auflebendem völkischen Nationalismus und dreist zunehmenden Bestrebungen eines nationalistischen und vielfach pronazistischen Geschichtsrevisionismus.
Vom Bezug auf den 8. Mai ist der auf den antinazistischen und antimilitaristischen Hauptinhalt des Potsdamer Abkommens nicht zu trennen. Es gibt am allerwenigsten in diesem Land eine historisch-politische und moralische Legitimation, dieses Abkommen der Mißachtung und der Vergessenheit anheimfallen zu lassen.
Wer in der Geschichte des Deutschen Reiches bis 1945 Normalitäten entdeckt, zu denen unter den veränderten Bedingungen nach 1990 zurückzukehren sei, der kündigt den von Jaspers gültig formulierten Imperativ des radikalen und unwiderruflichen Ab-

Dr. Ludwig Elm
bruchs zur nationalsozialistischen Vergangenheit und damit auch den möglichen und wünschenswerten parteienübergreifenden antifaschistischen Konsens.
Der eigentliche Beweis, daß der Bruch und das Neubeginnen nach 1945 radikal genug waren, ist von der größer gewordenen Bundesrepublik mit ihrer gewachsenen Verantwortung und mit ihren neuen Handlungsspielräumen erst noch zu erbringen.
Meine Damen und Herren, übermorgen jährt sich zum 60. Mal der Tag der Bombardierung Guernicas durch die Legion Condor. Er erinnert an die Rolle Nazi-Deutschlands bei der Niederwerfung der Spanischen Republik und an seine planvolle Vorbereitung von Eroberungs- und Ausrottungskriegen größerer Dimension. Die heutige Debatte hat uns nicht zufällig daran erinnert, daß es sich um ein weiteres Kapitel unzureichend aufgearbeiteter Geschichte handelt.
Das alljährliche Gedenken am Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus kann und wird dazu beitragen, daß heutige und nachwachsende Generationen sich der ideell-moralischen Herausforderung bewußt bleiben und sich ihr als einer politischen Selbstverständlichkeit stellen.

(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Es würde den Tag der Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar in notwendiger und besonderer Weise als unsere Teilhabe an einem internationalen Gedenktag, dessen Ursprung und Anlaß in der deutschen Geschichte liegen, ergänzen. Seine Leitbilder wären das fortdauernde Bemühen, faschistischen Ungeist und Terror, Militarismus und Völkermord von den Quellen und Grundlagen her dauerhaft zu überwinden und jegliche Wiederkehr auszuschließen.
Ein Motiv wäre schließlich vor allem das Anliegen, die weltgeschichtliche Befreiungstat der Anti-HitlerKoalition und des gesamten antifaschistischen Widerstands im In- und Ausland in der Erinnerung und in den Maximen des politischen Handelns zu bewahren.
Danke.

(Beifall bei der PDS)


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1317219400
Das Wort hat die Kollegin Erika Steinbach, CDU/CSU.

Erika Steinbach-Hermann (Plos):
Rede ID: ID1317219500
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am 8. Mai 1945 erfolgten die Befreiung Deutschlands und Europas von der nationalsozialistischen Diktatur und die Beendigung des Zweiten Weltkrieges, für Millionen Europäer und auch für Deutsche eine Erlösung. Für Millionen Deutsche folgte aber nach der nationalsozialistischen Diktatur nahtlos eine zweite Diktatur, die kommunistische Diktatur in der DDR, wiederum mit KZs. Man braucht nur nach Buchenwald zu fahren, um es dort zu besichtigen.

(Dr. Uwe-Jens Heuer [PDS]: Das ist eine Unverschämtheit!)

- Sie kennen wohl die Realitäten in der früheren DDR nicht! - Für Millionen Deutsche folgten Kriegsgefangenschaft, Flucht und Vertreibung. Die Nachbeben des Hitlerschen Blutbades in Europa waren für uns Deutsche schrecklich und sehr schmerzlich: das Vaterland geteilt und in Trümmern, Schutt und Asche liegend.
Erlöst von allen Diktaturen waren wir erst mit dem Fall der unmenschlichen Mauer. Mit dem Fall der Mauer, hinter der ein Teil Deutschlands bis vor wenigen Jahren unter der DDR-Diktatur zu leiden hatte, folgte die Befreiung von zwei Diktaturen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Deswegen ist der 3. Oktober unser angemessener Gedenk- und nationaler Feiertag.
Der Befreiung von den KZ-Leiden gedenken wir am 27. Januar, der seit zwei Jahren der Gedenktag für diese schwer geschlagene Opfergruppe unserer Mitbürger und Leidender aus ganz Europa ist. Allen Opfern von Krieg und Gewaltherrschaft gilt unsere Erinnerung, auch zur Mahnung für die kommenden Generationen, daß so etwas nie wieder geschehe, am Volkstrauertag. Hier gedenken wir aller Opfer von Krieg, Leiden und Gewaltherrschaft beider Weltkriege.
Den Antrag der PDS lehnen wir ab. Wir meinen, die PDS täte gut daran, wenn sie selber einmal den Antrag stellen würde, der Opfer der kommunistischen Diktaturen zu gedenken.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1317219600
Das Wort hat der Kollege Siegfried Vergin.

Siegfried Vergin (SPD):
Rede ID: ID1317219700
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Der 8. Mai hat für uns Deutsche historische Bedeutung, denn mit dem Sieg der alliierten Armeen über die Nazi-Diktatur erhielt das deutsche Volk die Chance eines demokratischen Neubeginns. Mit dem Tag der Kapitulation des Deutschen Reiches endete eines der graumsamsten Kapitel der Menschheitsgeschichte. Durch die Befreiung der Konzentrations- und Vernichtungslager in den letzten Kriegswochen war das ganze Ausmaß der Verbrechen deutlich geworden.
Bei allem Respekt vor den schicksalsbedingten unterschiedlichen Empfindungen des einzelnen bei Kriegsende steht für mich außer Zweifel, daß der 8. Mai aus der Sicht von heute nur als Tag der Befreiung wahrgenommen werden kann.

(Beifall bei der SPD und der PDS)

Erstmals klar ausgesprochen hat dies Richard von Weizsäcker in seiner Rede zum 8. Mai 1985. Daß dies trotz des unseligen Aufrufs rechtskonservativer Politiker und Wissenschaftler in der „FAZ" am 7. April 1995 unter dem Stichwort „8. Mai 1945 - Gegen das Vergessen" auch von einer Mehrheit der Deutschen in Ost und West so gesehen wird, belegt eine ForsaUntersuchung von Anfang 1995, in der es zusammenfassend heißt: 72 Prozent der Deutschen empfan-

Siegfried Vergin
den den 8. Mai als Tag der Befreiung von der NaziDiktatur. Nur 11 Prozent sahen in dem Tag eine Niederlage.
Die Unterzeichner des genannten Aufrufs wehrten sich dagegen, den 8. Mai „einseitig" als Tag der Befreiung zu charakterisieren, da er doch auch „den Beginn von Vertreibungsterror und neuer Unterdrükkung im Osten und den Beginn der Teilung unseres Landes" bedeutet habe. Unterschlagen wurde dabei, daß die Entwicklungen nach 1945 Folge des NS-Terrors waren und der sogenannte Vertreibungsterror gegen Deutsche mit der Vertreibung insbesondere jüdischer Bürger aus Deutschland durch die Nazis begonnen hatte.
Meine Damen und Herren, angesichts der Diskussion um ein angemessenes Datum für den ursprünglich so genannten Holocaust-Gedenktag wurde von Ignatz Bubis zunächst der 8. Mai ins Gespräch gebracht. Nach sorgfältiger Abwägung aller möglichen Daten - genannt wurde auch der 9. November in Erinnerung an die Reichspogromnacht 1938 - wurde auf Wunsch aller Fraktionen durch den Bundespräsidenten am 3. Januar 1996 der 27. Januar, der Tag der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz, als Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus proklamiert. Ich meine: zu Recht.
Denn Auschwitz steht nicht nur als Symbol für den Holocaust. Auschwitz war einerseits Vernichtungslager, in dem vor allem Juden, Sinti und Roma vergast wurden. Auschwitz war andererseits Arbeitslager, in dem Menschen aus allen Nationen, die unter das Joch der Naziherrschaft geraten waren, gequält und geschunden wurden, wobei Zehntausende starben.
Bundespräsident von Weizsäcker hat in seiner Rede zum 8. Mai 1985 erstmals von der Befreiung gesprochen. Er hat zugleich die unterschiedlichen Opfer der Nazibarbarei benannt. Nach langen parlamentarischen und öffentlichen Auseinandersetzungen ist es 1993 gelungen, auch an der Neuen Wache als nationaler Gedenkstätte des Bundes eine Gedenktafel anzubringen, deren Wortlaut sich eng an den Text der Weizsäcker-Rede anlehnt.
Meine Damen und Herren, die Entscheidung für den 27. Januar als Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus hat meine Partei begrüßt. Damit wurde auch einer Anregung der SPD-Projektgruppe „Bekämpfung von Rechtsextremismus und Gewalt" vom September 1995 gefolgt, die zu bedenken gab, ob die Exklusivität des Gedenkens an eine Opfergruppe bewahrt oder an einem solchen Tag nicht aller Opfer des Nationalsozialismus gedacht werden solle. Wer die Intention des Bundespräsidenten richtig aufnimmt, weiß, daß kein gespaltenes Gedenken an die Opfer gewollt ist und eine Hierarchisierung der Opfer untereinander abgelehnt wird.
Der vorliegende Gesetzentwurf der PDS zur Einrichtung eines Gedenktages am 8. Mai nimmt den Gesetzentwurf vom 15. März 1995 mit einer Ergänzung in der Begründung wieder auf. Die Wortwahl des PDS-Gesetzentwurfs spiegelt damals wie heute nur allzu deutlich die SED-Vergangenheit wider. Die DDR hat am 8. Mai mit pompösen Gedenkveranstaltungen jährlich der „Opfer von Faschismus und Militarismus" gedacht, sich dabei aber einer wahrhaftigen Auseinandersetzung mit der deutschen Vergangenheit und damit auch der eigenen Gegenwart entzogen.

(Beifall bei der SPD und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die Funktionäre in Partei und Staat mißbrauchten das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus zur eigenen Herrschaftslegitimierung.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)

Ich habe registriert, daß die PDS in der Überschrift und in § 1 nicht mehr vom „Faschismus", sondern vom „Nationalsozialismus" spricht. In der Begründung aber wird zur alten Diktion zurückgekehrt.
Die SPD-Fraktion stimmt aus formalen Überlegungen der vorgesehenen Überweisung an den Innenausschuß zu. Im anstehenden Verfahren werden wir aber darlegen, daß wir für einen weiteren Gedenktag keinen Bedarf sehen.
Ich warne schon jetzt vor einer Inflationierung offizieller Gedenktage zum gleichen Komplex. Durch die Ritualisierung und Institutionalisierung von Gedenken werden insbesondere junge Leute kaum erreicht. Oft ist eine Abwehrhaltung gegen vermeintliche Schuld die Folge.

(Walter Hirche [F.D.P.]: So ist es!)

Die vernünftige Gestaltung des 27. Januar in den kommenden Jahren -, auch das muß gesagt werden - ist eine Aufgabe aller Demokraten. Daneben wird jede regionale und individuelle Initiative, ob am 8. Mai, am 9. November oder auch an anderen Tagen des Gedenkens an nationalsozialistisches Unrecht, natürlich ausdrücklich begrüßt.
In diesem Jahr wurde der 27. Januar erstmals am Tag selbst begangen. Die Reden der Bundestagspräsidentin und des Gastredners, Dr. Klaus von Dohnanyi, enthielten viel Bedenkenswertes, das der Nacharbeit bedarf. Die Diskussion mit Schülerinnen und Schillern im Wasserwerk über die Frage „Was gehen uns als junge Menschen heute noch die Verbrechen des Nationalsozialismus und der Holocaust an?" weist - trotz aller kritischen Kommentierungen in den Zeitungen - in die richtige Richtung. Sie kann der Bestandsaufnahme dienen. Beides reicht aber nicht aus, junge Leute auch künftig in größerer Zahl zu erreichen. Das muß aber unser Ziel sein.
Ich hatte bereits im Vorfeld der Entscheidung für den 27. Januar darauf hingewiesen, daß an der inhaltlichen Gestaltung Vertreter von Parteien, NS- Verfolgte, Gedenkstättenexperten, aber vor allem Jugendorganisationen beteiligt werden sollten. In Teilen ist dies geschehen.
Offenbar sensibilisiert die bisherige Auseinandersetzung mit der Vergangenheit nicht ausreichend für die Gefahren von heute. Gefordert scheint mehr Gegenwartsbezug zu sein und nicht allein Gedenken. Nur so läßt sich aus der dunklen Vergangenheit eine Brücke zur Zukunft schlagen. Gefordert, meine Da-

Siegfried Vergin
men und Herren, sind aber auch glaubwürdige Vorbilder heute.
Lassen Sie uns als Parlament unseren Beitrag zur sinnvollen Ausfüllung des Gedenktages für die Opfer des Nationalsozialismus leisten! Verlieren wir uns nicht in einer Inflation auf dem Kalender stehender Gedenktage!
Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1317219800
Das Wort zu einer Kurzintervention erhält Kollege Dr. Heuer.

Dr. Uwe-Jens Heuer (PDS):
Rede ID: ID1317219900
Frau Steinbach, daß wir Geschichte unterschiedlich sehen, ist eine Tatsache, ist selbstverständlich und zu akzeptieren. Wogegen ich mich wende, ist die Absolutheit Ihrer Aussage, nicht Ihre Kritik an der DDR. Vieles an Kritik ist berechtigt, aber die Absolutheit Ihrer Aussagen kann ich nicht billigen. Ich finde, sie ist nicht hilfreich für ein Gespräch und für den Versuch, miteinander zu leben.
Sie haben gesagt, in Ostdeutschland schloß sich an die NS-Diktatur nahtlos eine andere Diktatur an; die KZs wurden wieder eingerichtet. Dieser „nahtlose Anschluß" ist in meinen Augen einfach nicht wahr. Ich habe diese Zeit erlebt. Die Interniertenlager waren schlimm. Daran besteht kein Zweifel. Aber die Interniertenlager hatten einen anderen Charakter als die Konzentrationslager. Es gab auch Interniertenlager der anderen Alliierten, wo ebenfalls viele Menschen umgekommen sind.

(Walter Hirche [F.D.P.]: Aber reihenweise sind die Leute umgebracht worden in Sachsenhausen!)

- Sie hatten einen anderen Charakter. Sie waren eine Fortsetzung, und sie sind nur aus dem Krieg heraus zu verstehen.

(Ina Albowitz [F.D.P.]: Geschichtsklitterung ist diesem Land noch nie gut bekommen!)

In ganz Deutschland haben Menschen versucht, nach 1945 aus der Zeit des Faschismus zu lernen. Sie haben versucht, daraus Lehren zu ziehen. Es waren unterschiedliche Lehren.
Ich räume Ihnen natürlich ein, daß vieles in der DDR zu ihrem Ende geführt hat. Das ist wahr. Aber die Menschen in Ostdeutschland, die nach 1945 einen anderen Weg gegangen sind, waren nicht nur Kommunisten. Es waren Kommunisten, Sozialdemokraten, Liberaldemokraten und Leute aus dem christlichen Lager, die versucht haben, einen anderen Weg zu gehen, aus dieser Zeit Schlußfolgerungen zu ziehen. Das können Sie den Leuten nicht absprechen.
Heute ist von Frau Süssmuth gesagt worden, wir sollten nicht Gefangene der Vergangenheit sein. Sie machen uns zu Gefangenen der Vergangenheit, wenn Sie die Schlachten immer weiter schlagen wollen, statt miteinander zu arbeiten.
Ich habe die Bundesrepublik Deutschland niemals als einen faschistischen Staat bezeichnet. Ich habe das immer für falsch gehalten. Ich bin der Meinung, wir müssen diese Staaten aneinander messen. Die Auseinandersetzung hat bewiesen: Die Bundesrepublik Deutschland hat sich aus vielen Gründen als überlegen erwiesen. Aber auch in der DDR ist der Versuch gemacht worden, aus der Geschichte Lehren zu ziehen. Wir sollten das respektieren, einander respektieren und nicht Gefangene der Vergangenheit sein.

(Beifall bei der PDS)


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1317220000
Frau Kollegin Steinbach, bitte.

Erika Steinbach-Hermann (Plos):
Rede ID: ID1317220100
Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, nichts zu sagen; aber es läßt sich leider nicht vermeiden.
Herr Heuer, die einzelnen Menschen im Osten und im Westen sind letztendlich nicht das System. Daß Menschen sich menschlich und unmenschlich verhalten können, erlebt man immer wieder. Deshalb kann man Schuld im Grunde genommen auch nur individuell aufarbeiten. Aber wenn es um die Herrschaftssysteme geht, dann muß man schon sagen: Die DDR war eine Diktatur, und die KZs wurden sofort neu instrumentalisiert. Gehen Sie doch einmal durch Buchenwald! Der Alptraum Buchenwald ist erhalten geblieben.
Es ist das Tragische, daß die Menschen von einer Knechtschaft in die andere geraten sind. Das war bitter für diese Menschen. Deshalb wurden sie mit dem 8. Mai nicht frei. Zunächst einmal haben sie das natürlich geglaubt und gehofft; aber sie gerieten dann wieder in diktatorische Hände.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1317220200
Das Wort hat
jetzt der Kollege Volker Beck, Bündnis 90/Die Grünen.

Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1317220300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kurz zu Ihnen, Frau Steinbach: Man kann einerseits sagen, daß es eine Kontinuität der Unfreiheit gab. Trotzdem muß man andererseits immer im Ausmaß und in der Art differenzieren, wie sich diese beiden Diktaturen ausgestaltet haben. Das Ausmaß des Unrechts ist nicht gleichzusetzen. Daß man sich dagegen wehrt, halte ich für legitim,

(Beifall bei der PDS)

bei aller notwendigen Kritik, die man an der DDR üben muß,

(Walter Hirche [F.D.P.]: Aber reden Sie einmal mit den Überlebenden von Sachsenhausen!)

denn die PDS macht sich die Antwort zu diesem Teil
der Vergangenheit manchmal zu leicht und schenkt
sich manche Antworten. Es wäre in der Tat ein biß-

Volker Beck (Köln)

chen mehr Selbstkritik auch im Umgang mit dem verordneten Antifaschismus in der DDR angebracht, um solchen Vorschlägen der PDS einen ernsthafteren Charakter zu geben.

(Beifall des Abg. Wolf-Michael Catenhusen [SPD])

Ich will Ihnen kurz in vier Punkten unsere Position zu dem vorliegenden Gesetzentwurf der PDS schildern. Erstens. Der 8. Mai 1945 war und ist für uns der Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus. Daß dies zum Konsens unserer Gesellschaft wird, daran wollen wir gemeinsam arbeiten. Ich finde es völlig inakzeptabel, wenn manche in diesem Datum noch immer den Tag der Niederlage der Deutschen sehen. Die Niederlage der deutschen Demokratie war der 30. Januar 1933. Hiernach waren Humanität und Kultur nur noch in Opposition zum Regime der Nationalsozialisten zu bewahren. Die bedingungslose Kapitulation des Deutschen Reiches setzte dem Völkermord an Juden, Sinti und Roma und den Völkern Osteuropas sowie dem millionenfachen Töten in diesem Krieg endlich ein Ende. Die verbrecherische Diktatur des Nationalsozialismus war damit beendet.
Zweitens. Der Bundespräsident hat den 27. Januar zum Gedenktag für alle Opfer des Nationalsozialismus erklärt. Das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus sollte gerade im Land der Täter einen besonderen Stellenwert einnehmen. Es sollte im Zentrum stehen. Dieses Gedenken ist Mahnung, uns mit Rassismus, Antisemitismus und Minderheitenfeindlichkeit, mit religiöser und politischer Intoleranz auseinanderzusetzen. Dies erfordert, daß der Benachteiligung und Diskriminierung von Minderheiten durch Staat und Gesellschaft mit rechtlichen Schritten und pädagogischen Maßnahmen konsequent entgegengetreten wird.
Drittens. Gedenken muß sich vor allem am Umgang mit den Opfern messen lassen. Hier haben wir mit dem 27. Januar einen Prüfstein gesetzt, dessen wir uns erst noch würdig erweisen müssen: bei der Einbeziehung der osteuropäischen Juden in den Artikel-2-Fonds, bei der Anerkennung des Schicksals der vergessenen Opfer, der Deserteure, Homosexuellen, Zwangssterilisierten, Behinderten und der sogenannten Asozialen. Für mich haben die Rehabilitierung aller Opfer und die Sorge für die Überlebenden eindeutig Vorrang vor weiteren offiziellen Gedenkveranstaltungen.
Viertens. Der vorliegende Entwurf überzeugt mich auch in der Form nicht. Die jährliche Durchführung einer Gedenkveranstaltung des Bundestages gesetzlich festzuschreiben erscheint mir nicht seriös. Ich finde es sogar albern.
Vorschläge zum Gedenken sollten angemessen angegangen werden und gründlich durchdacht sein. Der Streit um das Denkmal für die ermordeten Juden Europas und die Forderung nach Denkmälern für die anderen Opfer zeigen, wie schwierig es ist, eine angemessene Form für die notwendige Auseinandersetzung mit unserer Geschichte zu finden. Wir müssen uns auch vor so leeren Ritualen wie unendlich vielen Gedenkveranstaltungen hüten.
Die Initiative der PDS sollte Anlaß sein, diese Debatte um sinnvolle Formen des Gedenkens zu erweitern. Als Lösungsweg halte ich sie allerdings für ungeeignet.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie der Abg. Ina Albowitz [F.D.P.])


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1317220400
Der Kollege Dr. Max Stadler, F.D.P., gibt seinen Redebeitrag zu Protokoll.*) Ich gehe davon aus, daß das Haus damit einverstanden ist. - Das ist so. Dann schließe ich die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 13/7287 an den Innenausschuß vorgeschlagen. Gibt es andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 25. April 1997, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.