Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Themen der gestrigen Kabinettsitzung das Steuerreformgesetz 1999 und den Entwurf zur Änderung des Gesetzes über die Deutsche Bundesbank mitgeteilt. Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht hat der Bundesminister der Finanzen, Dr. Theodor Waigel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Bundeskabinett hat gestern den Regierungsentwurf eines Steuerreformgesetzes 1999 beschlossen. Der Zeitplan sieht so aus, daß der Initiativgesetzentwurf der Koalitionsfraktionen, den diese gestern beschlossen haben, bereits am kommenden Freitag gelesen werden kann. Wir, die Koalition, werden alles daran setzen, daß das Gesetzgebungsverfahren noch vor der Sommerpause zum Abschluß gebracht wird. Die zweite und dritte Lesung des Bundestages sind bereits für den 27. Juni 1997 vorgesehen.
Der Gesetzentwurf setzt die Petersberger Steuervorschläge der Reformkommission, in der nicht nur Politiker, sondern auch Sachverständige und Wissenschaftler aus dem Bereich der Wirtschaft und des Arbeitnehmerlagers vertreten waren und die diese Vorschläge auch mitgetragen haben, vollständig um.
Herzstück des Gesetzentwurfs ist eine weitere Absenkung der Steuersätze für alle Einkunftsarten. Eine Absenkung des Einkommensteuerhöchstsatzes für gewerbliche Einkünfte auf 35 Prozent verschafft den Unternehmern im internationalen Standortwettbewerb bessere Rahmenbedingungen. Der Eingangsteuersatz soll auf 15 vom Hundert und der Höchststeuersatz für nichtgewerbliche Einkünfte auf 39 vom Hundert in einem linear-progressiven Tarif mit einer proportionalen Eingangsstufe abgesenkt werden.
Das steuerfreie Existenzminimum liegt bei rund 13 000 DM. Die Besteuerung des Einkommens zwischen 13 000 und 18 000 DM ist dann mit einheitlich 15 Prozent auch beschäftigungspolitisch positiv, weil es einen Anreiz zur Arbeitsaufnahme gibt. Danach kommt der linear-progressive Tarif, ansteigend von 22,5 auf 39 Prozent. Das ist ein Steuersatz, der dann sehr nahe bei dem liegt, was voriges Jahr schon der sachkundige Finanzminister von Nordrhein-Westfalen, Herr Schleußer, mit 40 Prozent angedeutet hat, und das bei einem zu versteuernden Einkommen von 90 000 bzw. 180 000 DM.
Die Absenkung der Körperschaftsteuer für einbehaltene Gewinne auf 35 Prozent und für ausgeschüttete Gewinne auf 25 vom Hundert ist ein wichtiges Signal für ausländische Investoren.
Das Gesamtvolumen der Tarifentlastung beträgt im Entstehungsjahr 84 Milliarden DM. Die Gegenfinanzierung, Mehreinnahmen aus der Verbreiterung der steuerlichen Bemessungsgrundlage, beträgt im Entstehungsjahr 45 Milliarden DM. Es soll eine Nettoentlastung von bis zu 30 Milliarden DM geben. Die Restfinanzierung - das ist der klare politische Wille; das weiß auch jeder - muß durch eine Umschichtung von direkten zu indirekten Steuern durchgeführt werden.
Die kassenwirksamen Ausfälle im ersten und zweiten Jahr der Geltung des Gesetzes sind Folge der massiven Tarifsenkung, wohingegen sich die Gegenfinanzierung, zum Beispiel die Senkung der AfA-
Sätze, erst über die Nutzungsdauer eines Wirtschaftsgutes aufbaut. Man darf Steuerausfälle also nicht mit zusätzlichem Defizit durch die Steuerreform gleichsetzen.
Zur Umschichtung habe ich das Notwendige gesagt. Vor allen Dingen halte ich es für wichtig, daß der Selbstfinanzierungseffekt einer solchen Reform gesehen wird, der auch vom RWI prognostiziert wird und der in den Vereinigten Staaten und in den skandinavischen Ländern zu einer guten Steuerstruktur, auch im Einkommen- und Körperschaftsteuerbereich, geführt hat. Wichtig für uns ist, daß damit die Gleichmäßigkeit der Besteuerung, vor allen Dingen auch durch das Stopfen von Steuerschlupflöchern, verstärkt Eingang findet und alle Steuerpflichtigen bei der Gegenfinanzierung betroffen sind. Rein äußerlich ergibt sich das ja bereits durch die Neustrukturierung des Einkommensteuergesetzes, indem hier
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
eine systematische Neugliederung stattfindet und damit ein übersichtliches Einkommensteuergesetz entsteht.
Ich bedanke mich für den Bericht und rufe zunächst dazu auf, Fragen zu den Themenbereichen zu stellen, zu denen soeben berichtet worden ist.
Das Wort hat als erster der Kollege Detlev von Larcher.
Herr Finanzminister, wir hatten am vergangenen Donnerstag eine Anhörung im Finanzausschuß. Dort haben die angehörten Experten Ihrem Steuerreformkonzept ein denkbar schlechtes Zeugnis ausgestellt.
Es ist gesagt worden, daß das Anliegen, so früh wie möglich für Investitionen und Arbeitsplätze zu sorgen, glatt verfehlt werde. Dieser Meinung waren RWI, DIW, das Kieler Institut für Weltwirtschaft, das ZEW. Sogar Herr Professor Eekhoff, der zuerst gefragt wurde, hat von keiner Beschäftigungswirkung gesprochen. Professor Walter von der Deutschen Bank hat gesagt: Wenn jemand mit diesem Gesetz die kurzfristige Schaffung neuer Arbeitsplätze verspreche, handele es sich schlicht um eine Mogelpakkung.
Einen Tag vorher haben Sie in der öffentlichen Sitzung des Finanzausschusses uns allen noch vorgeschwärmt, wie arbeitsplatzwirksam Ihr Gesetzentwurf sei. Meine Frage ist: Wie beurteilen Sie das jetzt im Lichte der Expertenanhörung? Was läßt Sie vermuten, daß das Gesetz 1999 Auswirkungen auf einen Durchbruch bei der Reduzierung der Arbeitslosigkeit haben wird?
Herr Minister, bitte.
Ich bin Ihnen dankbar, Herr Kollege von Larcher, daß Sie am Schluß darauf hingedeutet haben, daß die Anhörung zur ersten und nicht zur zweiten Stufe stattfand. Sonst hätte ich Sie nämlich fragen müssen, ob Sie in einer anderen Veranstaltung waren als in der, über die berichtet wurde.
Sie müssen also schon zwischen der Anhörung und der Diskussion über den ersten Entwurf einerseits und dem trennen, was wir andererseits jetzt als Kabinett, als Regierung und als Fraktionen vorgelegt haben.
Insofern hat sich der Sachverstand aus Wissenschaft, Wirtschaft und anderen überwiegend positiv geäußert. Er ist natürlich um so wichtiger, als es mit dieser umfassenden Steuerreform, mit dem neuen Tarif, der in der ersten Stufe überhaupt noch nicht verwirklicht werden konnte, auch mit einer notwendigen Nettoentlastung zum zweiten Schritt kommen muß.
Ich glaube, Herr von Larcher, Ihre Frage hat sich fast erübrigt durch die Vorlage des Frühjahrsgutachtens der wissenschaftlichen Forschungsinstitute, die gestern völlig übereinstimmend davon gesprochen haben, wie notwendig diese Reform ist und daß sie sich nicht nur wachstums- und investitions-, sondern auch beschäftigungspolitisch gut auswirken wird.
Das war ein Gemeinschaftsgutachten, also ein Gutachten aller Forschungsinstitute. Ich nehme nicht an, daß Sie sich auf die Dauer dem geballten Sachverstand der Bundesrepublik Deutschland allein oder mit Teilen Ihrer Fraktion entgegenstellen können.
Ein Letztes noch. Ich glaube, Herr von Larcher, es wäre gut, wenn Sie sich mit Ihren sozialdemokratischen Kollegen in einigen europäischen Ländern in Verbindung setzen würden. Dort, wo erstens konsolidiert und zweitens eine Steuerpolitik nach diesem Muster gemacht wurde, hat sich neben der Konsolidierung ein positiver Beschäftigungseffekt herausgestellt. Das gilt für die skandinavischen Länder, aber auch für andere.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Minister, ist Ihnen entgangen oder hat man es Ihnen nicht berichtet - denn Sie waren ja nicht dabei -, daß in der Anhörung, die tatsächlich zu Ihrem ersten Entwurf stattgefunden hat, die Experten aber doch zum Gesamtpaket Stellung genommen haben. Sie haben beides miteinander verbunden.
Ich habe nicht behauptet, sie hätten gesagt, man solle die Steuerreform nicht machen. Auf die Frage nach der Wirkung in bezug auf die Arbeitsplätze wurde einhellig die Meinung geäußert, es gäbe sie nicht oder nur ganz knapp und wenn, dann überhaupt nur langfristig.
Etwas anderes steht in dem Gemeinschaftsgutachten auch nicht. Nun stelle ich Ihnen die Frage, die Sie mir vorgeworfen haben: Wollen Sie denn entgegen allem wirtschaftlichen Sachverstand, der die Beschäftigungswirkung auch schriftlich bestreitet, weiter die Behauptung aufrechterhalten, diese Steuerreform wäre das Mittel zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit?
Sowohl der Sachverständigenrat - bereits in seinem Gutachten 1996/97 - wie die Forschungsinstitute jetzt wie auch die betroffenen Kreise der Wirtschaft und der Wissenschaft haben sich klar dafür ausgesprochen.
In der Kommission, die die Petersberger Beschlüsse vorbereitet hat, war zum Beispiel der Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats, waren wichtige Vertreter der Wirtschaft, war ein wichtiger sachkundiger Vertreter aus dem Arbeitnehmerbereich. Sie alle haben diese Reform als notwendig und rich-
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
tig bezeichnet. Insofern verstehe ich nicht, warum Sie gegen all diese Kräfte eine solche Reform verhindern wollen.
Es folgt der Kollege Michelbach.
Herr Bundesfinanzminister, die meisten Wirtschaftsforschungsinstitute und alle Wirtschaftsverbände haben bei der Anhörung gesagt, daß es durch eine umfassende Einkommensteuerreform zu einer durchgreifenden Verbesserung der Produktions-, Investitions- und Beschäftigungsbedingungen kommen wird.
Es gab nur zwei oder drei kritische Ansätze.
Herr Bundesfinanzminister, es gibt aber auch widersprüchliche Äußerungen von SPD-Politikern zur Steuerreform, die sich von den Petersberger Vorschlägen eigentlich nicht fundamental unterscheiden. Trotzdem hat die SPD die Steuergespräche heute scheitern lassen.
Wie beurteilen Sie die Äußerungen Gerhard Schröders, der sagte: Wir müssen auf jeden Fall dazu kommen, daß es eine Nettoentlastung gibt. Wörtliches Zitat:
Einen Blockadekurs kann sich die SPD auf Dauer nicht leisten.
Wie beurteilen Sie dies in Verbindung mit der Blockadehaltung der SPD bei den bisherigen Gesprächen, und wie bewerten Sie die Äußerungen von Finanzminister Schleußer aus NRW, der gesagt hat: Eine Steuerreform, die diesen Namen verdient, muß mit einer deutlichen Senkung sowohl des Eingangs- als auch des Spitzensteuersatzes verbunden sein?
Ich wundere mich, daß sich der Vorsitzende der SPD, Herr Lafontaine, und auch hier Herr von Larcher über den Sachverstand und die Meinung wichtiger Mitglieder ihrer Fraktion und ihrer Partei hinwegsetzen. In der Tat hat Finanzminister Schleußer - ich kann es jetzt nicht wörtlich zitieren - im letzten Jahr einen Tarif mit etwa 20 Prozent Eingangssteuersatz und 40 Prozent Spitzensteuersatz vorgeschlagen. Herr Lafontaine hat das in einer Fernsehsendung in einer Sekunde weggewischt.
Von Herrn Bürgermeister Voscherau gibt es Vorschläge zur Verbreiterung der Bemessungsgrundlage. Auch diese sind sehr schnell eingezogen worden. Es gibt ferner Äußerungen von Herrn Ministerpräsidenten Schröder.
Der Fraktionsvorsitzende der SPD hat bei anderer Gelegenheit gesagt, daß es ihm, wenn die anderen
Dinge stimmten, letztlich gleichgültig sei, ob dann der Spitzensteuersatz bei 38 oder bei 40 Prozent liege. Dies zeigt, daß hier Nachhutgefechte geführt werden, die weit hinter das zurückgehen, was die sachkundigen Damen und Herren der SPD bereits vor einem Jahr eigentlich geäußert haben.
Herr Kollege Poß.
Herr Minister, ich denke, daß mein Kollege von Larcher Ihnen die schriftliche Stellungnahme der Institute, die das Gesamtpakt auf seine 'Beschäftigungswirkung hin beurteilt haben und zu dem eindeutigen Ergebnis kamen, daß im Zeitraum der mittelfristigen Finanzplanung Beschäftigungswirkungen jedenfalls nicht zu erwarten sind - später schon -, und ebenso die schriftliche Stellungnahme der Institute zur Steuerstrukturreform, die, was unbestritten ist, notwendig ist, zur Verfügung stellen wird, damit Ihre Behauptungen, die den Tatsachen nicht entsprechen, die Öffentlichkeit nicht weiterhin beschäftigen.
Ich möchte aber zu einem anderen Gesichtspunkt kommen. Sie haben sich zur Finanzierung der Steuerreform geäußert, die Sie erst gestern - obwohl Sie uns immer „Blockade" vorwerfen - im Kabinett beschlossen haben. Für das Jahr 1999 ergibt sich ein Einnahmeausfall, der noch größer ist, als er im Referentenentwurf vorgesehen war, nämlich von 57 Milliarden DM. Hinzu kommen dann die zusätzlichen Steuerausfälle in zweistelliger Milliardenhöhe, die im Zusammenhang mit der Steuerschätzung Mitte Mai bekannt werden.
Sie haben in der letzten Woche bei uns im Finanzausschuß ausdrücklich angekündigt, daß die Mehrwertsteuer zur Finanzierung herangezogen wird.
Wie gedenken Sie diese riesigen Finanzierungslücken zu schließen, wobei übrigens sowohl der nordrhein-westfälische Finanzminister Schleußer als auch der niedersächsische Ministerpräsident Schröder einer Meinung dahin gehend sind, daß sie von den öffentlichen Haushalten nicht zu verkraften sind? Beide sprechen von der Notwendigkeit einer soliden Finanzierung. Wie wollen Sie also diese Lükken schließen, und warum haben Sie eigentlich nicht, wie angekündigt, die Mehrwertsteuererhöhung ausdrücklich in Ihren Gesetzentwurf geschrieben? Ich habe heute morgen, als ich Ihren Gesetzentwurf bekommen habe, gesucht. Unter „Umsatzsteuer" in einer Fußnote 11, Position 103, Seite 50 heißt es nur:
Verringerung des Defizits durch Umschichtung von direkten zu indirekten Steuern.
Im Artikel 9 ist eine Änderung des Umsatzsteuergesetzes vorgesehen. Dort stehen aber bisher lediglich Änderungen von Warenbezeichnungen, wie zum Beispiel die Änderung der Warenbezeichnungen „Porree" in „Porree/Lauch" und „Blumenkohl" in „Blumenkohl/Karfiol" . Das ist das, was ich im Ge-
Joachim Poß
setzentwurf gefunden habe. Warum haben Sie es nicht so beschlossen, wie es angekündigt war?
Sie brauchen mir die Äußerungen der Institute nicht zuzuschicken, ich habe sie gestern ganz durchgelesen; sie stehen mir zur Verfügung. Ich gebe sie gerne weiter. Aber Sie sollten Ihre Fraktion nicht übermäßig belasten. Ich habe sie bei mir und auch ganz gelesen.
In bezug auf die Einnahmeausfälle sollten Sie zwischen der Steuerschätzung, die die Situation 1997/98 und die mittelfristige Finanzplanung beschreibt, und den Einnahmeausfällen trennen, die 1999 tabellarisch entstehen können. Bei solchen Einnahmeausfällen können wir im Finanztableau nicht berücksichtigen, was an Selbstfinanzierung entstehen wird, so wie es sich in anderen Ländern ebenfalls ergeben hat. Sie kennen ja entsprechende Annahmen.
Zum zweiten: Wir haben die indirekten Steuern zwar quantifiziert, aber nicht die Steuerart dargestellt, weil wir in die heutigen Gespräche mit der SPD noch gewisse Hoffnungen setzten und es ja auch bei der SPD gewisse Festlegungen gibt. Ich habe mich letzte Woche auch auf keine Steuerart festgelegt. Ein Punkt Mehrwertsteuererhöhung, das ist wahr. Diese Größenordnung ist notwendig und auch begründbar. Wir wollten aber mit der SPD, die im Zusammenhang mit indirekten Steuern andere Vorstellungen hat, ins Gespräch kommen, nachdem ja immerhin Schröder - ich glaube, er war es - erreicht hat, daß in ihre Vorstellungen beide indirekten Steuern, sowohl die Mehrwertsteuer als auch die Mineralölsteuer, aufgenommen wurden.
Sie müssen wenigstens bereit sein, eine Mehrwertsteuererhöhung in der Größenordnung von einem Prozentpunkt mitzutragen. Am Schluß des Gesetzgebungsverfahrens wird das natürlich auch im Gesetz stehen. Diese Größenordnung ist jetzt schon bekannt und von uns politisch immer wieder vertreten worden. Wenn man bis zu 30 Milliarden DM Entlastung, in der Aufteilung von etwa 12 bis 13 Milliarden DM für den Bund, 12 bis 13 Milliarden DM für die Länder und den Rest für die Kommunen, für möglich und vertretbar hält, ist auch diese Mehrwertsteuererhöhung bei einem konsequenten Konsolidierungskurs vertretbar und möglich. Trotzdem werden wir 1998 und 1999 unter dem Kriterium von maximal 3 Prozent Defizit des Maastrichter Vertrages liegen. Auch wenn wir bei dieser Gelegenheit angesichts eines weiteren Fortschritts der Konsolidierung nach unten über ein Jahr eine gewisse Stagnation bei der Rückführung der Defizite hinnehmen müßten, dann wäre das im Rahmen einer mittelfristigen Sanierung vertretbar. Sie wissen, daß die -Institute und auch andere zum Ausdruck gebracht haben, daß eine solche Politik im ersten Jahr in bezug auf die kassenmäßige Wirksamkeit gewisse Probleme mit sich bringt, aber in der mittelfristigen Sicht zur Konsolidierung der Staatshaushalte einen größeren Beitrag erbringt, als wenn man sich so statisch wie die SPD verhält.
Herr Kollege Schindler.
Herr Minister Dr. Waigel, ich darf Sie in bezug auf die Äußerungen des Kollegen Larcher zur Anhörung beruhigen. Er hat vielleicht nicht zugehört, als der Vertreter des DIHT in seiner Kernaussage deutlich machte, daß dann, wenn dieser erste Teil der Unternehmensteuerreform kommt, - -
-Ich habe Sie nicht unterbrochen, und man sollte es fairerweise auch nicht tun, Herr Kollege. Sie machen dies ja öfters; dafür müßte man Sie öfter rügen.
Die Kernaussage von Herrn Kühn lautete: Wenn dieser erste Teil kommt, brauchen wir - so lautete die Rückmeldung aller unserer Mitglieder - keine Verlagerung von Standorten aus Deutschland heraus mehr zu überlegen.
Aber meine Frage an Sie, Herr Minister Dr. Waigel: Da sich ja dieser Tage die Blockadehaltung der SPD im aktuellen Fall Gewerbekapitalsteuer zeigt, hätte ich gerne eine kurze Information darüber, wie sich diese Blockadehaltung tatsächlich auswirkt. Zur Zeit läuft ja das Vermittlungsverfahren
Am Freitag kommt es zu einer Entscheidung im Bundesrat. Bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt weiß ich nicht, wie sich das Ergebnis abzeichnet. Ich nehme an, daß es zur Anrufung des Vermittlungsausschusses kommt, entweder über den Bundesrat oder, wenn das nicht erfolgen sollte, natürlich durch uns. Denn es ist niemandem vermittelbar, daß eine investitionsfeindliche Substanzsteuer in einer Zeit, in der Investitionen so wichtig sind, beibehalten wird bzw. - in den neuen Bundesländern - eingeführt werden müßte. Insofern hoffe ich, daß es zu einer übergreifenden Initiative gerade der neuen Bundesländer kommt. Für die alten Bundesländer ist es aber von gleicher Bedeutung.
Ich sehe das Problem der Kommunalfinanzen, auch in den neuen Bundesländern, die schon für 1997 mit einem Ausgleich rechneten. Wir können aber nichts dafür, daß die Reform nicht zum 1. Januar 1997 gekommen ist. Natürlich kann eine Gegenfinanzierung nicht rückwirkend für etwas stattfinden, das seine Wirkung nicht entfacht hat. Wir haben unsere Bereitschaft erklärt, den Kommunen durch großzügige Kreditprogramme der KfW zu helfen. In einem entsprechenden Gespräch im Vermittlungsausschuß werden wir versuchen, auf die Situation der Ostkommunen einzugehen, weil uns die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer in Westdeutschland und ihre Nichteinführung in Ostdeutschland ein so
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
wichtiges Signal für Investitionen und Arbeitsplätze ist, daß wir alles daran setzen, zu einer Einigung zu kommen. Es gibt viele in der SPD, die sich früher dafür ausgesprochen haben. Aber in diesem Zusammenhang paßt es zur neuen Strategie der SPD, wieder ein neues Investitionshindernis errichten zu wollen.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Barbara Höll.
Herr Waigel, Sie haben gestern im Kabinett den Entwurf des Gesetzes zur Steuerreform verabschiedet. Ich habe eine Frage zum Tarifverlauf: Gibt es außer der Publikumswirksamkeit noch einen anderen Grund, warum Sie von dem linear-progressiven Tarifverlauf abgewichen sind und einen Stufentarif einfügen? Der Öffentlichkeit kann man damit natürlich verkaufen, man fange mit einem Eingangssteuersatz von 15 Prozent an. Sie erwähnen aber nicht, daß bereits ab einem Einkommen von 18 000 DM ein Sprung auf 22,5 Prozent erfolgt und damit eine wesentlich höhere Durchschnittsbelastung entsteht, als wenn man - bei einem höheren steuerfreien Existenzminimum - mit einem Steuersatz von zum Beispiel 17, 18 oder 19 Prozent anfängt. Es ist mir unklar, warum das Prinzip durchbrochen wurde.
Natürlich wäre es schöner, von Anfang an einen linear-progressiven Tarif zu machen. Das würden sicher alle Beteiligten gerne machen. Wenn man aber weiß, daß in diesem Einkommensbereich ein Prozentpunkt etwa 8 Milliarden DM kostet, kommt jeder, der sich mit dem Thema unvoreingenommen beschäftigt, sehr schnell an die Grenzen der Finanzierbarkeit. Darum gibt es auch in den Vorschlägen der SPD kaum einen Ansatz mit einem Eingangssteuersatz von unter 20 Prozent.
15 Prozent Einkommensteuer im Bereich knapp oberhalb des steuerfreien Existenzminimums - also etwa von 13 000 DM bis 18 000 DM - sind ein relativ niedriger Steuersatz und geben damit einen Anstoß zur Aufnahme von Beschäftigung, die sich im Verhältnis zu dem, was man an Sozialhilfe oder Lohnersatzleistungen bekäme, lohnt.
Auch der sich daran anknüpfende Tarif von 22,5 Prozent liegt unter dem bisherigen Eingangssteuersatz von 25 Prozent und nur knapp über dem, was die SPD als Eingangssteuertarif - etwa 20 Prozent - vorschlägt. Ministerpräsident Schröder, für den ich Sie allerdings nicht in Verantwortung nehmen möchte
- das muß man fairerweise tun; wahrscheinlich ist das für beide Seiten richtig und wichtig -, hat hier im Bundestag von einem „sehr interessanten Modell" gesprochen. Bisher hat es auch in Kreisen der Linken in Deutschland wenig Kritik gefunden. Ich nehme an, daß wir weitgehend dafür bewundert werden, daß uns diese gute Lösung mit dem Eingangssteuersatz eingefallen ist.
Zusatzfrage.
Ich muß eine Nachfrage stellen. Sie haben gerade über Arbeitsplatzeffekte Ihrer Steuerreform gesprochen. Soll ich das jetzt so verstehen, daß Sie meinen, daß Menschen nicht arbeiten, weil die Steuer zu hoch ist, und das bei einer Massenarbeitslosigkeit von offiziell fast 5 Millionen Menschen und inoffiziell 7 Millionen Menschen in Deutschland? Das muß doch den Menschen, die ohne Arbeit sind und arbeiten wollen, als blanker Zynismus entgegenschlagen. Vielleicht habe ich das auch falsch verstanden.
Ich glaube nicht, daß das etwas mit Zynismus zu tun hat, wenn man feststellt, wie die menschliche Natur ist, bei allem Verständnis für das schwere Los der Arbeitslosigkeit, das von den allermeisten als ein nicht selbstverschuldetes Los betrachtet wird. Aber es ist natürlich ein bestimmtes Abstandsgebot notwendig. Es gibt auch Parteien in anderen Ländern, die darauf hingewiesen haben, daß ein solcher Abstand notwendig ist und Sozialhilfe oder Lohnersatzleistungen nicht über oder in der Nähe des realen Arbeitslohnes liegen dürfen, um nicht negative Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt zu haben. Mit Ausnahme Ihrer Gruppe und Ihrer Partei ist das bei der Diskussion in Deutschland eigentlich Allgemeingut.
Kollegin Dr. Hendricks.
Herr Bundesfinanzminister, ich will auf die Antworten zurückkommen, die Sie eben auf die Fragen meines Kollegen Poß gegeben haben. Wir können politisch unterschiedlicher Meinung sein, aber hinsichtlich der Grundrechenarten, des Subtrahierens und Addierens, sollten wir uns vielleicht verständigen können. Ich will das an einem Beispiel aufzeigen. Wenn Sie in Ihrem Gesetzentwurf feststellen, daß Sie für 1999 mit einer ungedeckten Finanzierungslücke von 57 Milliarden DM rechnen, und wenn Sie zugleich sagen - was Sie zwar nicht in den Gesetzentwurf schreiben, aber doch offiziell, auch dem Finanzausschuß, mitteilen -, daß Sie die Mehrwertsteuer um einen Punkt anheben wollen - das bringt, wie wir alle wissen, rund 15 Milliarden DM - und daß eine Nettoentlastung von 30 Milliarden DM erfolgen soll, dann muß die Rechnung für mich lauten: 57 Milliarden DM minus
Dr. Barbara Hendricks
15 Milliarden DM sind 42 Milliarden DM, das heißt, es bleiben noch immer 12 Milliarden DM, bis man bei den 30 Milliarden DM ankommt, die Sie als Nettoentlastung angegeben haben.
Ich akzeptiere, daß Sie sagen, Sie können nicht ganz genau quantifizieren, wie hoch der Selbstfinanzierungsanteil einer solchen Steuerreform ist. Daß es einen Selbstfinanzierungsanteil gibt, ist auch in der Wissenschaft unbestritten, und ebenso bestreitet das niemand von uns. Aber die Fragen lauten: Rechnen Sie ernsthaft damit, daß der Selbstfinanzierungsanteil einmal die Größenordnung von 12 Milliarden DM haben könnte, und wenn ja, wann? Können Sie darüber hinaus sagen, wie Bund, Länder und Gemeinden die von Ihnen ungedeckt versprochene Nettoentlastung von 30 Milliarden DM finanzieren sollen? Haben Sie vor, in Leistungsgesetze einzuschneiden und auch die Länder zu solchen Einschnitten zu zwingen? Wie also wollen Sie Ihr Versprechen einlösen?
Wir sollten zunächst einmal korrekt feststellen, daß in der von Ihnen genannten Summe der Solidaritätszuschlag enthalten ist, für den in der mittelfristigen Finanzplanung Vorsorge getroffen worden ist.
- Ja, gut. Aber wenn man schon über Tabellen spricht, dann muß man auch bereit sein, sie einzubeziehen. Auch das gehört zu den Grundrechenarten, deren Kenntnis Sie verlangen und die ich von Ihnen ebenfalls verlangen darf. - Wenn Sie das einrechnen und einen Punkt Umsatzsteuer hinzunehmen, sind Sie sehr schnell bei den etwa 30 bis 32 Milliarden DM, über die wir gesprochen haben. Wir müssen im ersten Jahr einen Ausgleich finden und ihn in die Nettokreditaufnahme einpassen sowie auch die Umfinanzierung entsprechend vornehmen, weil sich die Gegenfinanzierung über die Reduzierung der degressiven Abschreibung erst später aufbaut. Aber wenn Sie einen Punkt Mehrwertsteuer und die 8 Milliarden DM, die im Finanzplan enthalten sind, einrechnen, dann kommen Sie in die Kategorie, die wir immer dargestellt und nie verschwiegen haben.
Was die Selbstfinanzierung anbelangt: Sie hat in den Vereinigten Staaten und in den skandinavischen Staaten dazu geführt, daß der Anteil der Einkommensteuer am Steueraufkommen nach der Steuerreform nicht geringer war als zuvor. Bei Modellrechnungen wird von einer ansteigenden Selbstfinanzierungsquote bis etwa ein Drittel ausgegangen - so auch beim RWI -, die sich vor allen Dingen durch ein gestiegenes Wachstum erklärt. Ich glaube in der Tat: Wenn wir den Mut zu einer solch umfassenden Reduzierung der Steuersätze hätten, dann würden diejenigen Millionäre, über die Sie sich zum Teil beklagt haben, sie würden keine Steuern zahlen, eher bereit sein, in Deutschland den Höchststeuersatz zu zahlen, als bisher.
Ich setze darauf, daß durch eine verbesserte Steuerstruktur auch der Erklärungspflicht stärker nachgekommen wird und wir keine Negativentwicklung, sondern, im Gegenteil, sogar eine Positiventwicklung bei der Einkommensteuer bekommen werden.
Das sind Dinge, die sich nicht in Mark und Pfennig ausrechnen lassen, die sich aber in anderen Ländern bewährt haben. Ich verstehe eigentlich nicht, warum die Erfahrungen in anderen Ländern, unabhängig davon, ob dort Konservative, Liberale oder Sozialdemokraten regieren, im Deutschen Bundestag von Ihrer Seite so selten als Beispiel, als Kooperationsmodell herangezogen werden.
Zusatzfrage.
Ich will auf diesen immer wiederkehrenden Vorwurf nicht näher eingehen. Es gibt aber Länder, in denen bezüglich einer Kooperation anders verfahren wird, nicht mit der Brechstange und nicht nach dem Motto „Koste es, was es wolle". Das hochgelobte Beispiel der Niederlande sieht anders aus. Und es liegt an Ihnen, daß es hier eben nicht funktioniert, nicht so wie in den Niederlanden.
Jetzt noch eine Zusatzfrage zu den Zahlen, die Sie gerade genannt haben. Sie haben Ihre Aufrechnung gemacht und geschlußfolgert - ich zitiere Ihre Worte -: Und da sind wir schon bei den 30 oder 32 Milliarden DM, von denen wir immer gesprochen haben. In Ihren weiteren Ausführungen haben Sie gesagt: 8 Milliarden DM durch die Senkung des Solidaritätszuschlages; 15 Milliarden DM durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer um einen Punkt. 15 plus 8 sind nach meiner Rechnung 23. 32 besteht zwar aus denselben Ziffern wie 23. Sind Sie aber nicht mit mir der Auffassung, daß es für die Höhe einer Zahl nicht unwesentlich darauf ankommt, an welcher Stelle die Ziffern stehen?
Jedenfalls dürfte Ihnen bekannt sein, daß die Ziffer für den Soli allein beim Bund und nicht bei den Ländern steht. Darum dürfen Sie Ihr Klagelied nicht für die Länder anstimmen; die Länder sind davon nicht berührt. Ich sage es noch einmal: Dies ist bereits im Finanzplan des Bundes enthalten. Darum ändert Ihre letzte Bemerkung überhaupt nichts an dem, was ich vorher zu der Zahlenaddition gesagt habe.
Jetzt ist der Kollege Seiffert an der Reihe.
Herr Minister, diese Woche ist die Gewerbekapitalsteuer aktuell. Demnächst steht der 15. Mai, der zweite Vorauszahlungstermin in diesem Jahr für die Gewerbekapitalsteuer, an.
Deshalb meine Frage: Können Sie sich vorstellen, daß die Kommunen vor allem in den neuen Bundesländern zum 15. Mai rechtssichere Vorauszahlungsbescheide erlassen können - und dazu sind sie ver-
Heinz-Georg Seiffert
pflichtet -, wenn jetzt die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer abgelehnt wird?
Es gibt dazu aus den Ländern unterschiedliche Mitteilungen. Einige Länder sagen, sie seien dazu nicht in der Lage; andere wollen das tun.
Es wäre jedenfalls das falsche Signal für die Investitionen und das falsche Signal auch für die Betriebe, die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer abzulehnen - das vor allen Dingen deswegen, weil unsere Auffassungen bei den großen Punkten, wie ich meine, relativ nahe beieinander liegen.
Über die grundsätzliche Absicherung des Anteils der Umsatzsteuer für die Kommunen, im Grundgesetz fixiert, gibt es keinen Streit. Auch was die Ertragshoheit anbelangt, sind wir bereit, eine Formulierung im Grundgesetz zu akzeptieren, die die Ertragshoheit der Kommunen für die verbleibende Gewerbeertragsteuer gewährleistet.
Was die Beteiligung der Kommunen anbelangt, haben wir über die entsprechende Aufteilung viele Gespräche auch mit den kommunalen Spitzenverbänden geführt. Die kommunalen Spitzenverbände haben 2,3 Prozent verlangt; das entspricht einem Anteil von etwa 11 Prozent am gesamten Gewerbesteueraufkommen. Wir hatten ursprünglich 1,9 Prozent angeboten. Wir waren bereit, das Angebot auf 2,1 Prozent zu erhöhen, und sind den Kommunen damit, glaube ich, sehr entgegengekommen.
Wenn man weiß, daß die Mehrwertsteuer, die eine relativ konjunkturunabhängige Steuer ist, in absehbarer Zeit wahrscheinlich nicht sinken wird, weiß man meiner Meinung nach auch, daß das mit einer qualitativen Verbesserung der kommunalen Finanzausstattung verbunden ist. Warum man einem solchen Gesetzentwurf jetzt, um dieser Unsicherheit in den neuen Bundesländern entgegenzuwirken, nicht zustimmt, kann ich nicht verstehen.
: Wir wollten die Aussetzung!)
Mir liegen noch eine ganze Reihe von Fragen vor. Ich werde die Befragung der Bundesregierung deshalb um 15 Minuten verlängern. Für die Fragestunde gibt es nicht so viele Fragen.
Jetzt ist die Kollegin Heyne an der Reihe.
Herr Minister, Ihr Einkommensteuerreformmodell wirkt auf den ersten Blick so, als ob es fast alle begünstigt -vor allen Dingen, wenn man Einzelfallbeispiele errechnet. Sie selber haben aber eingeräumt, daß es eine erhebliche Lücke in der Gegenfinanzierung gibt und daß eine Umverteilung auf Verbrauchsteuern notwendig sein wird. Ich möchte gerne wissen: Inwieweit stellen sich, wenn man das gesamte Steuerpaket nimmt - Einkommensteuer und Anhebung der Verbrauchsteuern -, Bezieher niedriger Einkommen möglicherweise schlechter als heute?
Wenn es sich erweisen sollte, daß die Eigenfinanzierung geringer ausfällt, als Sie heute hoffen, Sie also noch größere Anteile an Gegenfinanzierung auftun müssen - entweder über die Verbrauchsteuer oder über Einsparungen -, geraten Sie dann nicht in die Gefahr, daß Sie Ihre Steuerreform gerade von den Beziehern niedriger Einkommen oder unterer und mittlerer Einkommen finanzieren lassen? Wenn sich das herausstellen sollte: Welche Maßnahmen werden Sie ergreifen?
Ich glaube, Frau Kollegin Heyne, daß heute unbestritten ist, daß die Umsatzsteuer - vor allen Dingen angesichts des ermäßigten Steuersatzes - keine Umverteilungssteuer mehr ist. Auch bei einer Erhöhung ist sie sozial sehr ausgewogen und wirkt symmetrisch.
Natürlich haben wir auch ausgerechnet, was auf Kleinverdiener, Familien mit mehreren Kindern an Belastung zukäme, wenn wir die Umsatzsteuer erhöhten. Diese Belastung hält sich in einem sehr bescheidenen Rahmen und ist unterproportional zu der Belastung, die sich für Besserverdienende aus einer Erhöhung der Umsatzsteuer und einer Beibehaltung des ermäßigten Steuersatzes ergibt. Längst ist die Umsatzsteuer nicht mehr - wie in den 50er oder 60er Jahren - eine Umverteilungssteuer zu Lasten der Familien mit mehreren Kindern.
Zusatzfrage? - Bitte.
Ich bin erstaunt, daß Sie meinen, eine Progression, wie wir sie bei der Einkommensteuer haben, sei bei der Umsatzsteuer möglich. Weil der Steuersatz für jeden gleich ist, ist die Belastung der Bezieher niedriger Einkommen natürlich höher.
Sie haben meine Frage leider nicht beantwortet. Falls die Eigenfinanzierung nicht in dem Maße ausfällt, wie Sie sich das erhoffen: Welche Maßnahmen werden Sie ergreifen, um die Bezieher geringer Einkommen zu schützen?
Ich glaube, Frau Kollegin, Sie haben nicht verstanden, was ich vorhin gesagt habe. Wenn der ermäßigte Steuersatz bleibt, werden die Preise für die Güter des täglichen Lebens, die für die Familien mit mehreren Kindern von besonderer Bedeutung sind, nicht erhöht, während andere Dinge, die stärker konsumiert werden, einer höheren Umsatzbesteuerung unterliegen.
Alle Erfahrungen zeigen - das bestätigen auch sozialdemokratische Finanzminister -, daß die Umverteilungsgesichtspunkte im Rahmen einer Erhöhung der Umsatzsteuer, die Sie ansprechen und die auch früher schon angesprochen worden sind, heute nicht mehr zutreffen.
Jetzt Herr Kollege Professor Dr. Pfaff.
Herr Bundesminister, stimmen Sie zu, daß die Investitions- und Arbeitsplatzeffekte einer Senkung der Lohnnebenkosten von den meisten empirisch arbeitenden Wissenschaftlern, auch von den Finanzwissenschaftlern - Sinn, Jacobs, das ZEW usw. - als sehr viel höher eingeschätzt werden als die in relativ geringem Umfang erwarteten Beschäftigungseffekte des Steuerpaketes, das Sie vorgelegt haben?
Stimmen Sie zu, daß die Erhöhung der Verbrauchsteuern bei stagnierender Binnennachfrage ein falsches Signal für die Konsumenten und Gift für die Konjunktur ist?
Stimmen Sie zu, daß die internationale, die amerikanische Erfahrung, die Sie angesprochen haben, zeigt, daß die Selbstfinanzierungseffekte, die durchaus denkbar und möglich sind, nach fünf Jahren einsetzen und nach zehn Jahren aussetzen?
Ich teile Ihre Meinung, was die Umfinanzierung der Lohnnebenkosten anbelangt, nicht. Der Sachverständigenrat hat sich in seinem Gutachten sehr kritisch damit auseinandergesetzt. Eine gewisse Umfinanzierung von Lohnnebenkosten ist, meine ich, dann vertretbar, wenn dies im Zusammenhang mit einer Strukturreform der sozialen Sicherungssysteme steht. Sonst bestünde nämlich die Gefahr oder die Wahrscheinlichkeit, daß jedes Jahr aufs neue die gestiegenen Sozialkosten Mehrwertsteuer-, Mineralölsteuer- oder andere Steuererhöhungen bedingte. Darum ist beides unabdingbar miteinander verzahnt.
Die Vorstellungen der SPD, was die Umfinanzierung der Lohnnebenkosten anbelangt, führen zu einer Senkung der Lohnkosten insgesamt von etwa 1 Prozent. In der Situation, in der wir uns befinden, in der weltweit nicht ein Nachfragemangel besteht, ist die entscheidende Frage, ob wir bei den Produktionskosten gegenüber den anderen Ländern mithalten können, und liegt, wie ich meine, der Hauptpunkt in der Senkung ebendieser Produktionskosten. Dabei sind die Lohnnebenkosten ein Faktor, die Lohnkosten als Ganzes ein größerer und Abgaben und Steuern neben anderen Ausgaben der dritte, ganz entscheidende Faktor.
Diesen Gesamtzusammenhang herzustellen müßte das Entscheidende sein und nicht einen Punkt herauszunehmen, ihn zu isolieren und ihn hier unabhängig von Strukturreformen und der notwendigen Senkung der Steuersätze anzuführen.
Zusatzfrage.
Trifft es nicht zu, daß diese Senkung um 1 Prozent, die Sie angesprochen haben, im White book von Jacques Delors, also von der Europäischen Union, ebenfalls als Maßnahme empfohlen wird und diese Forderung von unserer Seite im wesentlichen übernommen wurde und daß zum zweiten die Umfinanzierung zur Senkung der Lohnnebenkosten nicht zwingenderweise weitere Reformen, die die Ausgabendynamik zum Beispiel in der gesetzlichen Krankenversicherung oder vielleicht die korrekte Finanzierung der gesamtgesellschaftlichen Aufgaben in der Rentenversicherung - ich denke an die über 10 Milliarden DM durch das Fremdrentengesetz, die 400 Millionen DM durch das SED-Unrechtsbereinigungsgesetz oder die 4 Milliarden DM Auffüllbeträge Ost - betreffen, verhindert?
Richtig ist, Herr Professor Pfaff, daß über die Frage der Lohnnebenkosten und ihrer Umfinanzierung über höhere Energiesteuern oder was auch immer in Europa seit Jahren diskutiert wird. Wir waren auch immer der Meinung, daß dies im europäischen Zusammenhang erfolgen müsse, weil wir vor allem in Grenzgebieten keine einseitige Erhöhung der Energiekosten hinnehmen sollten, die dann möglicherweise im angrenzenden Land, zum Beispiel in Frankreich, nicht nachvollzogen würde.
Mit einer Umfinanzierung muß dringend eine Strukturreform unter Berücksichtigung der demographischen Komponente und eine Reduzierung der Kostendynamik verbunden sein. Eine isolierte Umfinanzierung nähme den Druck weg. Bisher habe ich aus den Kreisen der Sozialdemokratie immer gehört, dies müsse miteinander verbunden werden. Wer dies nicht tut und den Druck wegnimmt, macht die indirekten Steuern zu einer Reservekasse, die dann möglicherweise in immer kürzeren Abständen hergenommen würde, ohne daß eine entscheidende Reform stattfände und ohne daß damit eine Senkung der Staatsquote, eine Senkung der Steuer- und Abgabenquote verbunden wäre. Man muß sich auch über die Auswirkungen bezüglich der Verteilungsgerechtigkeit unterhalten, was die Bevölkerungsschichten anbelangt, die keine Entlastung bei ihren Versicherungsbeiträgen erfahren. Darüber ist, wie ich meine, noch nicht zureichend nachgedacht worden.
Jetzt der Kollege Selle.
Herr Minister, die Reformvorhaben, die anstehen, werden ja unternommen, um etwas für den Wirtschaftsstandort Deutschland zu tun. Wir brauchen ein einfacheres und gerechteres Steuersystem; aber wir stehen auch im Wettbewerb mit den Steuersystemen der anderen Länder. Wie verändert sich die Stellung Deutschlands im Wettbewerb, wenn die Steuerreform durchkommen sollte, und wie beeinflußt die Erhöhung der Kaufkraft die Stellung Deutschlands im Wettbewerb?
Mit einer solchen Reform lägen wir im guten Mittelfeld der konkurrierenden Industrieländer, während
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
diese jetzt mit zum Teil wesentlich geringeren Steuersätzen aufwarten.
Wir in Deutschland sind insofern noch in einer Sondersituation, als rund 90 Prozent der Betriebe nicht in der Rechtsform der Aktiengesellschaft firmieren. Wir sind es dem Mittelstand, dem Handwerk und vielen anderen schuldig - im Gegensatz zu anderen Gesellschaftsformen haften diese Unternehmer persönlich in vollem Umfang -, daß deren gewerbliche Einkünfte nicht schlechtergestellt sind als zum Beispiel die der Aktiengesellschaften. Daraus resultiert, wie ich meine, eine Pflicht zur Rechtsformneutralität auch bei der Besteuerung gewerblicher Einkünfte und bei der Höhe des Körperschaftsteuersatzes.
In bezug auf die Steuersätze stehen wir dann in einem guten Wettbewerbsverhältnis. Aber man muß auch über die anderen Punkte nachdenken: Erschweren wir die Investitionen, indem wir die Abschreibungsbedingungen über Gebühr verschlechtern? Natürlich ist die Reduzierung der degressiven Abschreibung für die Investitionstätigkeit eine harte Nuß. Aber mit Steuersätzen von etwa 25 bis 35 Prozent befinden wir uns dann immer noch im Mittelfeld der konkurrierenden Industrienationen.
Man muß beachten: Abschreibungen bedeuten immer Liquidität, während der Wegfall bzw. die Reduzierung von Steuern Ersparnis, damit mehr Eigenkapitalbildung und eine erhöhte Investitionsbildung bedeuten. Insofern ist das für die Investitionen der Zukunft, für den Wirtschaftsstandort Deutschland mit Sicherheit der richtige Weg.
Herr Kollege Schild.
Herr Bundesminister, welche Überlegungen haben dazu geführt, daß die Leibrenten aus der gesetzlichen Rentenversicherung nunmehr - abweichend von der bisherigen Besteuerung nach Ertragsanteilen - grundsätzlich zu 50 Prozent versteuert werden sollen?
Erstens zwei Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts - aus den Jahren 1980 und 1992 -, die eine Harmonisierung der Besteuerung der Renten, Pensionen und Erwerbseinkommen angemahnt haben.
Zweitens. Jedesmal wenn der Grundfreibetrag erhöht wird, führt dies im Bereich der gesetzlichen Renten zu einer Freibetragswirkung, die mindestens um das Dreifache erhöht ist. Das kann auf die Dauer mit Sicherheit nicht verfassungskonform sein. Mit der Systematik, die wir jetzt anbieten, erreichen wir im Grunde wieder das Maß der Besteuerung vor dem Jahressteuergesetz 1996.
Drittens. Wenn man berücksichtigt, daß der Anteil des Arbeitgebers von der Steuer freigestellt wird, dann, so meine ich, ist es auch systematisch richtig, etwa die Hälfte zu besteuern. Demgegenüber brachte die Besteuerung nach dem Ertragsanteil ein eher zufälliges Ergebnis.
Ein Letztes: Auch die horizontale Gerechtigkeit ist gewährleistet, wenn künftig Sozialrenten von Alleinstehenden bis zu etwa 2 600 DM, von Verheirateten bis zu etwa 5 200 DM nicht mit einer Mark versteuert werden müssen. Erst darüber hinausgehende Beträge werden sehr bescheiden, mit einem Eingangssteuersatz von 15 Prozent, besteuert. Das ist auch systematisch gerechtfertigt.
Ich hielte es für besser, Herr Kollege, wenn wir zu einer gemeinsamen Überzeugung kämen, um so etwas zu verwirklichen, als uns in absehbarer Zeit vom Bundesverfassungsgericht sagen lassen zu müssen, daß dies nicht mehr verfassungskonform sei und anders geregelt werden müsse.
Ich darf Ihnen zu Ihrer Beruhigung noch sagen, daß ein maßgeblicher Finanzpolitiker Ihrer Partei, dem ich diese Systematik vorgetragen habe, geantwortet hat: Das alles stimmt; dem stehen aber Parteibeschlüsse entgegen. Ich bin gerne bereit, Ihnen den Namen des Kollegen später zu nennen, den ich, weil ich den Kollegen keiner Verfolgung unterziehen lassen möchte, jetzt in diesem Zusammenhang nicht erwähnen kann.
Eine Zusatzfrage, bitte. - Wir sind jetzt zwar schon über die 15 Minuten hinaus; aber ich lasse die Fragen zu.
Herr Minister, wäre dieses vor allen Dingen durch das Bundesverfassungsgericht vorgegebene Erfordernis nicht auch zu realisieren gewesen, wenn man dem Vorschlag der Bareis-Kommission zur steuerlichen Behandlung der Alterseinkünfte gefolgt wäre? Hätte dieser Vorschlag nicht den Charme gehabt, der gleichen steuerlichen Behandlung aller Altersvorsorgesysteme Rechnung zu tragen?
Sie haben natürlich recht: Wenn Sie die Vorschläge der Bareis-Kommission voll verwirklichten und zum vollen Korrespondenzprinzip kämen, dann stellten Sie sozusagen die volle steuersystematische Gerechtigkeit her. Nur, wenn Sie jetzt alle Beiträge abzugsfähig machten und alle Renten, die erst später entstehen, der Besteuerung unterziehen wollten, dann kämen Sie zu Einnahmeausfällen für die öffentliche Hand, die weit über das hinausgehen würden, was die Vorredner Ihrer Fraktion zum Ausdruck gebracht haben. Insofern halte ich das partielle Korrespondenzprinzip, wie wir es angewandt haben, für pragmatisch. Letztlich ist dies auch von der Wissenschaft in diesem Bereich als eine mögliche Lösung akzeptiert worden.
Jetzt der Kollege Seiffert.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Minister, zumindest bis unsere konkreten Vorschläge zur Steuerreform auf dem Tisch gelegen haben, war man sich im ganzen Hause einig, daß unser Steuerrecht kompliziert, undurchschaubar und daher ungerecht ist.
Heinz-Georg Seiffert
Könnten Sie darlegen, wie die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage zu einem gerechteren Steuersystem führt?
Das wird sich, Herr Kollege, bereits beim Steuergesetz zeigen, das nicht mehr ein endloses Buchstabenwerk ist. Schon dies ist ein Vorteil. Man muß sich einmal vorstellen, daß unser gegenwärtig geltendes Einkommensteuergesetz letztlich aus dem Jahre 1934 stammt.
Zwei weitere Dinge sind bereits vorher passiert. Der Wegfall der Vermögensteuer entlastet die Steuerverwaltungen von einer der aufwendigsten Steuerformen. Wir haben zuvor auch den sehr arbeitsintensiven § 6 b, der die Eigenheimförderung betrifft, ebenfalls vernünftig, wie ich meine, gestaltet.
- Entschuldigung, natürlich.
Dies in Verbindung mit einem neuen Einkommensteuerrecht - mit dem Wegfall von vielen Vergünstigungen und Ausnahmetatbeständen - gibt in der Tat die Möglichkeit auch für die Steuerverwaltung, zu Einsparungen zu kommen oder sich in diesem Bereich verstärkt dem zu widmen, was ebenfalls sehr wichtig wäre, nämlich regelmäßige und vernünftige Betriebsprüfungen.
Herr Kollege Ilte, bitte.
Herr Minister, Sie haben auf die Fragen der Kollegen Schindler und Seiffert heute zur Gewerbekapitalsteuer geantwortet. Ihre Antworten haben mich etwas stutzig gemacht. Ich habe in diesem Zusammenhang noch eine Frage. Ist mein Eindruck richtig, daß, entsprechend dem Finanztableau des Gesetzentwurfes, der gegenwärtig im Bundesrat behandelt wird, in Ostdeutschland eine geschätzte Belastung der Unternehmen von 400 bis 500 Millionen DM entstehen würde und die Gegenfinanzierung dieser Maßnahme laut Finanztableau des Gesetzentwurfes mit 1 bis 1,1 Milliarden DM durch Absenkung der degressiven AfA im Osten erfolgen wird? Die Auswirkungen werden in Ostdeutschland in den nächsten vier bis zwölf Jahren - das ist sicherlich richtig - zu spüren sein.
Da drängt sich mir die Frage auf, ob man es so sehen kann, daß die ostdeutschen Unternehmen durch Ihren Gesetzentwurf mit zirka netto 500 bis 600 Millionen DM die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer im Westen zu bezahlen haben. Ist dies das investitionsfreundliche Klima in Ostdeutschland?
Ich entnehme Ihren Worten, daß Sie ebenfalls von einer unzumutbaren Belastung für die Betriebe im Osten ausgehen. Das war für uns immer der Grund, alles daran zu setzen, daß die Gewerbekapitalsteuer dort nicht erhoben werden muß.
Was nun die Ausfälle der Einnahmen auf Grund der Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer anbelangt, ist zu sagen: Wir haben die Belastung, die auf die Kommunen zukäme, immer dargestellt.
Was die Absenkung der degressiven Abschreibung anbelangt - ich kann die finanziellen Auswirkungen für den Osten nicht quantifizieren -, ist zu sagen: Wir sind bereit, den Kommunen im Osten in einem Vermittlungsverfahren noch weiter entgegenzukommen, um damit die schwierige Situation des Jahres 1997 zu bewältigen. Wie ich aber informiert bin, ist kein Ministerpräsident im Osten über die Einführung der Gewerbekapitalsteuer, wenn sie denn käme, glücklich. Der eine oder andere Finanzminister bzw. die eine oder andere Finanzministerin mag das vordergründig vielleicht ganz gerne in Angriff nehmen wollen. Strukturell wäre dies aber ein Nachteil.
Bezüglich der anderen Punkte, die die konkreten Auswirkungen anbelangen, bin ich gerne bereit, Ihnen genauere Informationen zuzuleiten. Ich kann Ihnen dies jetzt nicht aus dem Kopf bestätigen.
Zusatzfrage? - Bitte.
Meine Frage drehte sich nicht um die Situation der Kommunen, sondern um die der Betriebe. Denn es drängt sich mir der Eindruck auf, daß entsprechend dem Finanztableau des Gesetzentwurfes, wenn er denn beschlossen wird, die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer im Westen künftig durch Ostbetriebe finanziert werden soll. Herr Minister, ich möchte darum bitten, mir Informationen darüber schriftlich zuzuleiten.
Ja, das werde ich tun.
Dann beende ich an dieser Stelle die Befragung der Bundesregierung, also Tagesordnungspunkt 1. Die 22 Minuten, die wir im Rahmen der Regierungsbefragung überzogen haben, werden bei der Zeit, die für die Fragestunde zur Verfügung steht, abgezogen werden.
Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 2 auf: Fragestunde
- Drucksache 13/7454 -
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz auf. Die Frage 1 wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung auf. Die Frage 2 wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung auf. Auch die Frage 3 wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Dann rufe ich jetzt den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau auf. Herr Bundesminister Dr. Klaus Töpfer ist anwesend.
Ich rufe die Frage 4 des Kollegen Otto Reschke auf:
Wie groß wird die geplante Hauptnutzfläche des SchürmannBaus nach seiner Fertigstellung im Jahre 2001 sein, und wie groß ist der Raumbedarf der „Deutschen Welle" im Schürmann-Bau bei volldigitalisiertem Sendebetrieb?
Herr Kollege Reschke, ich darf Ihre Frage wie folgt beantworten: Nach derzeitigem Planungsstand beträgt die nachgewiesene Hauptnutzfläche in den Neubauten an der Kurt-Schumacher-Straße ohne die Bauten auf dem für die Deutsche Post AG vorgesehenen Teilgrundstück 33 250 Quadratmeter. Sie entspricht damit exakt dem genehmigten Raumbedarf der Deutschen Welle. Die Digitalisierung des Sendebetriebes ist dabei in vollem Umfang berücksichtigt.
Zusatzfrage? - Bitte.
Bei der Frage der Nutzung durch die Deutsche Welle spielt natürlich die Weiterbauplanung, die von bestimmten Raumanforderungen der Deutschen Welle und dem im SchürmannBau zur Verfügung stehenden Raumangebot ausgehen muß, eine entscheidende Rolle.
Zunächst einmal möchte ich daher die Zusatzfrage stellen: Plant der Architekt Schürmann - das Büro Schürmann & Partner - zur Zeit überhaupt den Weiterbau der Hochbauten? Hat er wirklich einen Vertrag, die Weiterbauplanung zu betreiben?
Der Bauminister erklärte nämlich hier in diesem Hause im Rahmen der Fragestunde am 12. März dieses Jahres, daß eine grundsätzliche Einigung erzielt worden sei. Vor dem Hintergrund Ihrer Angaben zum Bezugstermin und der Notwendigkeiten auf Grund des Druckes der Deutschen Welle haben Sie, Herr Minister, damit den Eindruck erweckt, der Vertrag bestehe und die Planung habe begonnen.
Wenn kein Vertrag besteht, dann hielte ich es für eine grobe Täuschung des Parlaments, wenn Sie uns damals nicht offen gesagt haben, daß es bei den Verhandlungen bezüglich Planung und ähnlicher Dinge Schwierigkeiten gibt. Gibt es also einen Vertrag? Plant Schürmann weiter? Ist eine schriftliche Einigung erzielt worden, um das Raumprogramm tatsächlich auch planerisch umzusetzen?
Herr Kollege Reschke, zunächst einmal bin ich geradezu dankbar, daß Sie diese Frage noch einmal aufgreifen. Es wäre aber vielleicht sinnvoller gewesen, wenn man diese
Frage erst hier erörtert und nicht am Tage zuvor die in der Frage enthaltenen falschen Behauptungen in Pressemeldungen veröffentlicht hätte.
Dies vorausgeschickt, möchte ich folgendes noch einmal sagen: Ich habe in diesem Hause eindeutig und klar - ich habe das Protokoll vorliegen - gesagt, daß in der Zwischenzeit eine grundsätzliche Einigung - auch über den Architektenvertrag - erzielt worden ist. Mir liegt vom gestrigen Tag ein Schreiben des Architekturbüros Schürmann vor - wir haben natürlich noch einzelne Teilbereiche zu erörtern, weil wir die Interessen des Bundes wahrzunehmen haben; auch daran sollten Sie vielleicht denken -, in dem abschließend gesagt wird:
Da die von uns angeführten Punkte nichts Neues enthalten, sollte es möglich sein, sich darüber kurzfristig zu verständigen. Die erforderliche Basis für die Weiterarbeit scheint ja im wesentlichen gefunden.
Dies ist eine grundsätzliche Einigung, die mir schriftlich noch einmal bestätigt worden ist. Ich habe in diesem Hohen Hause also das gesagt, was Sachstand war. Sie hätten damals die Gelegenheit gehabt nachzufragen. Ich gehe davon aus, daß Sie den Sachverhalt genauso interpretiert haben.
Zweite Zusatzfrage.
Wenn Sie gestatten, Herr Präsident, möchte ich noch folgendes anmerken. Meine Äußerung bezieht sich auf einen Bericht im „Kölner Stadt-Anzeiger" . Dort war zu lesen, daß der Architekt keinen Vertrag hat und daß dem Architekten Fehlplanung vorgeworfen wird. Bei meiner Äußerung handelt es sich also um ein Zitat, Herr Minister.
Meine zweite Zusatzfrage bezieht sich darauf, ob denn der Nutzer, die Deutsche Welle, überhaupt nach Bonn kommt. Herr Minister, ich stelle diese provokative Frage, obwohl ich keinen Zweifel aufkommen lassen möchte, daß ich das gerne wünsche. Wenn ich richtig mitgeschrieben habe, sprachen Sie eben von einer Fläche von 33 250 Quadratmetern.
Der Bauminister hat gestern erklärt, - -
Herr Kollege, ich muß Sie einmal unterbrechen. Das Verhältnis von Frage zu Zusatzbemerkungen beträgt in Ihrem Fall 1 zu 4. Es soll in einer Fragestunde aber genau umgekehrt sein. Sie müssen zur Frage kommen. Die Fragen sollen kurz, präzise und möglichst ohne Zusatzbemerkungen sein.
Meine Zusatzfrage lautet: Wann genau wird die Prüfung der Alternativstandorte abgeschlossen sein und sich das Kabinett mit dem Ergebnis befassen? Ihre Pressesprecherin sprach von den nächsten Wochen.
Vor dem Hintergrund, daß die Weiterbauplanung mit einem klaren Raumprogramm und mit klaren Inhalten betrieben werden muß - beispielsweise soll
Otto Reschke
der Fernsehbereich nach Berlin gehen -, frage ich: Wann ist die Entscheidung des Kabinetts zu erwarten? Warum muß das Kabinett überhaupt neu entscheiden, da Sie immer wieder betonen, daß der Beschluß über den Umzug der Deutschen Welle von Köln nach Bonn am 11. Oktober 1995 gefaßt wurde? Oder geht es doch woandershin?
Zunächst noch einmal zu der Frage der Planungsleistungen des Architekturbüros. Es sind zwei Teilbereiche - auch das hatte ich das letzte Mal bereits vorgetragen - zu unterscheiden.
Erstens: die Sanierungsplanung. Diese ist vom Architekturbüro Schürmann bis einschließlich der Leistungsphase 4 der HOAI vorgelegt worden. Diese ist Grundlage des Zustimmungsverfahrens. Nebenbei bemerkt, Herr Kollege Reschke: Diese ist auch vom Regierungspräsidenten, entgegen Ihrer Erwartung, in der Zwischenzeit akzeptiert worden. Die Zustimmung ist erteilt worden. Diese Planung ist bis Phase 4 im Architektenbüro Schürmann gelaufen und darüber hinaus abstimmungsgemäß Ingenieurbüro Obermeyer. Auch dies habe ich in der Öffentlichkeit so vertreten.
Zweitens. Für den Weiterbau der Obergeschosse liegt bereits eine entsprechende Grundlagenermittlung und Vorplanung des Architekturbüros Schürmann vor. Diese war bis einschließlich Phase 2 der HOAI Grundlage für die Kostenschätzung, die dann vom Haushaltsausschuß auf der Grundlage einer Decklung auf 480 Millionen DM vorgenommen worden ist. Ich habe hier das letzte Mal schon vorgetragen, daß es dringend notwendig ist, diese weiter zu überarbeiten. Wir haben eine Arbeitsgruppe eingerichtet, um in der Frage der Einhaltung des Kostenansatzes auf der sicheren Seite zu sein. Dies ist auch ein wichtiger Punkt im Zusammenhang mit der abschließenden Gestaltung des Architektenvertrages. Ich gehe davon aus, daß Sie diese Punkte genauso werten und würdigen.
Ich kann noch einmal unterstreichen, was Sie schon in Ihrer Zusatzfrage angesprochen haben. Das Kabinett hat im Oktober 1995 den Beschluß gefaßt, in dem fertiggestellten Schürmann-Bau die Deutsche Welle unterzubringen. Dies ist vom Haushaltsausschuß im Jahre 1996 bestätigt worden. Der Beschluß ist nicht revidiert worden.
Ich habe das letzte Mal bereits darauf hingewiesen, daß es in Kenntnis des Urteils des Bundesarbeitsgerichtes hinsichtlich der Asbestbelastung notwendig war, kurzfristig nach nutzbaren Alternativen zu suchen. Die Suche ist jetzt abgeschlossen. Die Alternativen werden abschließend ausgewertet und dann dem Kabinett vorgelegt.
Ich rufe die Frage 5 des Kollegen Reschke auf:
Wie viele Quadratmeter Hauptnutzfläche gehen durch Rückbaumaßnahmen am Schürmann-Bau im Zuge der Ende April beginnenden Sanierung gegenüber der ursprünglichen Planung verloren, und ist geplant, im Rahmen des Weiterbaus weitere Gebäudeteile abzureißen?
Herr Präsident! Herr Kollege Reschke, ich beantworte Ihre Frage wie folgt:
Durch Rückbaumaßnahmen im Zuge der Sanierung geht keine Hauptnutzfläche verloren. Im Rahmen der Sanierung und des Weiterbaus ist geplant, das stark geschädigte Haus 2 abzubrechen und mit einer geringeren Gebäudetiefe und einer optimierten Grundrißstruktur neu zu errichten. Dadurch werden etwa 1 800 Quadratmeter Hauptnutzfläche hinzugewonnen.
Es ist ferner geplant, die stark geschädigte dreigeschossige neue Tiefgarage abzubrechen und aus wirtschaftlichen Gründen durch eine neue zweigeschossige Tiefgarage zu ersetzen. Durch den Entfall des 3. Untergeschosses gehen rund 9 300 Quadratmeter Nebennutzfläche verloren. Danach hatten Sie zwar nicht ausdrücklich gefragt, aber ich möchte es ergänzend erwähnen.
Zusatzfrage.
Wenn Sie mir die Nebenbemerkung gestatten: Ich bedanke mich für die Ergänzung.
Zusatzfrage: Trifft es zu, daß im Bauministerium wiederum über den vollständigen Abriß der zur Debatte stehenden Hochbauten nachgedacht wird, und wann wird die Unterbringung der Deutschen Welle mit allen technischen Anforderungen im SchürmannBau - sie ist bislang durch klare Planunterlagen noch nicht nachgewiesen - eindeutig nachgewiesen sein, Herr Minister?
Auch diese Frage, Herr Kollege Reschke, hatte ich Ihnen bereits beim letztenmal beantwortet. Sie wissen, daß der Umzugszeitraum im Jahre 2000 beginnt und daß der Umzug bis 2001 abgeschlossen sein wird. Dies können Sie in den Antworten vom 12. März 1997 ganz genau nachlesen; ich habe dem nichts hinzuzufügen.
Weitere Zusatzfrage.
Herr Minister, Sie haben eben als Raumprogramm 33 250 Quadratmeter angegeben. Stimmt dieses Raumprogramm? Die Fernsehabteilung, die im Rahmen der Planung der Deutschen Welle ursprünglich komplett nach Bonn kommen sollte, soll nun nach Berlin verlagert werden. Stimmt diese Nutzflächenangabe noch, oder welche Auswirkungen hat die Verlagerung der Fernsehabteilung nach Berlin?
Interessant war, daß Sie mir soeben unterstellten, daß wir diese Fernsehabteilung nach Berlin verlagern. Ich darf darauf hin-
Bundesminister Dr. Klaus Töpfer
weisen, daß für diese Frage die Deutsche Welle und das Bundesministerium des Innern zuständig sind.
Die 33 250 Quadratmeter beziehen sich auf die Verlagerung der Deutschen Welle - inklusive des Fernsehbereiches, der gegenwärtig in Köln ist. Sie wissen aber sicherlich auch, Herr Kollege Reschke - das haben Sie auch mehrmals erläutert -, daß der größte Teilbereich des Fernsehens der Deutschen Welle bereits seit längerer Zeit mit insgesamt rund 400 Mitarbeitern in Berlin ansässig ist. Ich bestätige Ihnen nachträglich noch einmal, daß dem so ist. Der Raumbedarf in Bonn bezieht sich exakt auf dieses eine Fernsehstudio aus Köln.
Keine Zusatzfrage. Dann danke ich dem Herrn Bundesminister.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern auf. Zur Beantwortung ist Herr Parlamentarischer Staatssekretär Eduard Lintner anwesend.
Die Fragen 6 und 7 werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 8 der Kollegin Annelie Buntenbach auf:
Welche Gruppierungen und Einzelpersonen rufen nach Kenntnis der Bundesregierung zu dem Aufmarsch unter dem Motto „Arbeitsplätze zuerst für Deutsche" am 1. Mai 1997 in Leipzig auf, und wie bewertet die Bundesregierung den erneuten Versuch der rechtsextremen „Nationaldemokratischen Partei Deutschlands" und der „Jungen Nationaldemokraten" (JN), einen Aufmarsch durchzuführen, mit dem nach Vorstellungen des JN-Vorsitzenden Holger Apfel der „Erfolg von München" unterstrichen und ausgebaut werden soll, um nach einem weiteren Erfolg „Stück für Stück die Straße zurück" zu erkämpfen, hinsichtlich seiner Verfassungsschutzrelevanz einer Gefährdung der inneren Sicherheit (zit. nach Presseinformation des „Bündnis gegen Rechts", Leipzig, vom 24. März 1997)?
Frau Kollegin Buntenbach, die Antwort lautet: Nationaldemokratische Partei Deutschlands und Junge Nationaldemokraten rufen in Flugblättern und „Nationalen Info-Telefonen", wie sie es nennen, sowie im Internet zur Teilnahme an der 1.-Mai-Demonstration in Leipzig auf. Weitere öffentliche Aufrufe, insbesondere aus dem neonazistischen Bereich, sind hier bislang nicht bekanntgeworden.
Die Bundesregierung nimmt mit Sorge zur Kenntnis, daß sich die NPD nach ihrer Großdemonstration am 1. März 1997 in München im Aufwind sieht. Bund und Länder sind aufgerufen, diesen Bestrebungen entschieden entgegenzutreten. Insbesondere die Länder sind gefordert, in ihrem Zuständigkeitsbereich die gesetzlichen Möglichkeiten des Versammlungsrechts konsequent durchzusetzen.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wie bewertet denn die
Bundesregierung den geplanten Aufmarsch im Hinblick auf einen Motivationsschub für die gewalttätige Neonaziszene und ihr Umfeld, die Forderung der NPD „Arbeitsplätze zuerst für Deutsche" auch durch Gewalt umzusetzen? Wir haben ja jetzt schon - das ist sehr besorgniserregend - vermehrt Überfälle etwa auf ausländische Bauarbeiter zu beobachten. Die Frage ist also, wie die Bundesregierung auf dieses Problemfeld reagieren wird.
Frau Kollegin Buntenbach, zunächst einmal habe ich bereits in der Antwort zum Ausdruck gebracht, daß wir mit Sorge zur Kenntnis nehmen, daß sich die entsprechenden Organisationen im Aufwind fühlen. Zu welchen Aktivitäten das letztlich führen wird, kann ich nicht voraussagen. Die Bundesregierung ist, soweit sie zuständig ist, gewappnet. Zum anderen entfalten wir seit Jahr und Tag Aktivitäten, um vorbeugend gegen das SichAusbreiten solcher Gedanken einzuschreiten und uns zu wehren.
Weitere Zusatzfrage?
Nun zeigt sich gerade bei dieser Demonstration - das hat sich auch schon im Verfassungsschutzbericht 1996 gezeigt -, daß sozial- und wirtschaftspolitische Themen im Mittelpunkt neonazistischer Agitationen im Jahr 1996 standen und offensichtlich auch weiterhin stehen werden. Dazu habe ich jetzt die Frage, wie die Bundesregierung verschiedene Äußerungen auch konservativer demokratischer Politiker bewertet, in denen bereits länger hier lebende Migranten und Zuwanderer für die Arbeitslosigkeit verantwortlich gemacht werden, hinsichtlich genau der Gefahr, daß sich Neonazis auf diese Aussagen beziehen und dadurch ein politisches Klima entsteht, das dann, ähnlich wie 1992/93 in der Asyldebatte, ein gewisses öffentliches Verständnis für Gewalttaten gegen Migranten nahelegt und zur Motivation der Neonaziszene beitragen könnte. Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung, um das politische Klima dementsprechend zu verbessern?
Frau Kollegin Buntenbach, den Ursachenzusammenhang, den Sie zu konstruieren versuchen, sehe ich überhaupt nicht. Daß ausländerrechtliche Themen natürlich insbesondere von neonazistischen Gruppen immer wieder zur Polemik genutzt und für ihre Zwecke mißbraucht werden, steht außer Frage. Dafür gibt es zahlreiche Beispiele. Aber nun quasi in einer gedanklichen Volte zu dem Zusammenhang zu kommen, den Sie hier unterstellen, das vermag ich nicht nachzuvollziehen.
Eine Zusatzfrage der Kollegin Höll.
Herr Staatssekretär, wie bewerten Sie in diesem Zusammenhang den Vorfall von Freitag nacht um 21 Uhr, als fünf PDS-Mitglieder beim Kleben von Plakaten zum Aufruf zur Teilnahme an einer Demonstration des Deutschen Gewerkschaftsbundes am 1. Mai von Rechtsextremisten überfallen wurden - sie waren durch Kleidung und Habitus eindeutig auszumachen -, die mit Fahrzeugen Patrouille in der Stadt gefahren sind? Das ist doch ein eindeutiges Zeichen dafür, daß trotz des Verbotes von seiten der NPD und damit verbundener Kreise versucht wird, die Demonstration am 1. Mai durchzuführen und daß inzwischen auch zur Gewalt gegenüber friedlichen Menschen gegriffen wird.
Frau Kollegin, wir haben stets - und wir werden das auch weiterhin stets tun - jede Art von Gewalt, gegen wen auch immer, verurteilt. Dementsprechend ist die Bundesregierung natürlich empört über solche Übergriffe.
Ich rufe jetzt die Frage 9 der Kollegin Annelie Buntenbach auf:
Welche verfassungsschutzrelevanten Erkenntnisse hat die Bundesregierung darüber, wie die Rechtsextremen auf das Verbot durch die Stadt Leipzig hinsichtlich eines möglichen anderen Veranstaltungsortes oder einer Ignorierung bzw. Umgehung des Verbotes reagieren werden, und wie reagiert die Bundesregierung darauf politisch und im Rahmen ihrer Zuständigkeiten?
Frau Kollegin, die Antwort lautet: Nach dem Verbot der Demonstration muß damit gerechnet werden, daß die NPD das Verwaltungsgericht anrufen wird. Sollte das Verbot Bestand haben, werden es NPD und JN, wie in der Vergangenheit, vermutlich auch befolgen. Möglicherweise wird die NPD jedoch versuchen, in Sachsen oder einem anderen Bundesland eine Ersatzveranstaltung durchzuführen. In seiner Ansage vom 16. April erklärt das Nationale Info-Telefon Rheinland: Sollte die Demonstration in Leipzig verboten bleiben, stünden auf jeden Fall Ausweichmöglichkeiten zur Verfügung, die zu gegebener Zeit bekanntgegeben würden. Marschiert werde auf jeden Fall.
Soweit bei Bundesbehörden, insbesondere beim Bundeskriminalamt und beim Bundesamt für Verfassungsschutz, entsprechende Informationen anfallen, werden diese unverzüglich an die zuständigen Landesbehörden zur Umsetzung weitergeleitet. Die für den Vollzug des Versammlungsgesetzes zuständigen Länder werden sorgfältig darauf zu achten haben, ob NPD und JN eine derartige Ersatzveranstaltung planen, und hierauf entsprechend zu reagieren haben.
Zusatzfrage?
Eine Zusatzfrage möchte ich stellen, Herr Staatssekretär. Ich möchte wissen, welche Maßnahmen die Bundesregierung denn jenseits dieser ordnungsrechtlichen Elemente, die Sie eben angesprochen haben, gegen diesen geplanten Neonaziaufmarsch ergreifen wird, also ob sie zum Beispiel eine Gegendemonstration unterstützen oder dazu aufrufen wird oder ob sie zum Beispiel an Busunternehmen appellieren wird, keine Neonazis nach Leipzig oder gegebenenfalls zu Ersatzveranstaltungsorten zu fahren. Welche Aktionsmöglichkeiten sehen Sie da, und welche wird die Bundesregierung wahrnehmen?
Frau Kollegin Buntenbach, die Bundesregierung pflegt an Demonstrationen jedweder Art nicht teilzunehmen. Daher sehe ich keinen Anlaß, mich mit dem Gedanken der Teilnahme an einer Gegendemonstration zu befassen. Im übrigen habe ich bei meinen Antworten auf Ihre erste Frage schon darauf hingewiesen, daß es seit längerer Zeit verschiedene Aktivitäten im präventiven Bereich gibt, um dem Sich-Ausbreiten solchen Gedankengutes entgegenzuwirken.
Ansonsten wird natürlich insbesondere versucht, was die Informationen angeht, die gewonnen werden, auf dem laufenden zu bleiben, um beispielsweise die Art der Reaktion auf ein eventuelles verwaltungsgerichtliches Verbot rechtzeitig und schnellstmöglich zu erkennen.
Zusatzfrage? - Das ist nicht der Fall. Damit haben wir den Bereich des Bundesministeriums des Innern abgeschlossen, weil die Fragen 10 und 11 ebenfalls schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Die Fragen aus dem Bereich des Bundesministeriums der Finanzen werden ebenfalls alle schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen zum Bereich des Bundesministeriums für Verkehr. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Johannes Nitsch bereit.
Ich rufe die Frage 20 der Kollegin Elke Ferner auf:
Kann die Bundesregierung Pläne bestätigen, die Aufgaben der Magnetschwebebahn-Fahrweggesellschaft künftig von der Deutschen Bahn AG - entweder direkt oder in Form einer Tochterunternehmung der Deutschen Bahn AG - übernehmen zu lassen?
Herr Präsident! Frau Ferner, im Zuge der derzeit erstellten Wirtschaftlichkeitsuntersuchung werden vielfältige Überlegungen angestellt, die alle Bereiche des Magnetschwebebahnprojekts betreffen. Ich darf auf die Ausführungen verweisen, die Minister Wissmann dazu im Verkehrsausschuß gemacht hat.
Eine Zusatzfrage?
Herr Kollege Nitsch, die Frage ist ja konkret, ob daran gedacht ist, daß die Deutsche Bahn AG entgegen den bisherigen Vorstellungen als
Elke Ferner
Eigentümer, Gesellschafter oder wie auch immer die Fahrweggesellschaft des Transrapid, für die ursprünglich der Bund zuständig sein sollte, in ihren Unternehmensbereich übernimmt.
Die Frage ist: Ist das so? Ist das so geplant? Ja oder nein?
Wir stellen vielfältige Überlegungen an, ich sagte es bereits. Auch seitens der DB AG wird ein größeres Interesse am Betrieb des Transrapid deutlich.
Sie haben ja heute im Verkehrsausschuß Herrn Dürr befragen können. Ich weiß nicht genau, weil ich zu dem Zeitpunkt nicht mehr da war, was er ausgeführt hat. Ich kann aber bestätigen, daß sein Interesse am Betrieb der Magnetschwebebahn sehr groß ist. In die Fahrweggesellschaft wird er nicht hineingehen.
Eine Zusatzfrage?
Wenn Sie gestatten, Herr Präsident, möchte ich noch zusätzlich fragen: Welche Gründe haben denn dazu geführt, daß der vom BMV zur Fahrweggesellschaft beurlaubte Beamte inzwischen wieder in das BMV zurückgekehrt ist?
Frau Ferner, Sie wissen, daß wir mit der PBDE eine sehr schlagkräftige Projektierungs- und Managementgesellschaft in Berlin haben. Es ist bereits jetzt eine Kooperation mit der Magnetschwebebahn-Fahrweggesellschaft vereinbart. Wir sind dabei, diese Zusammenarbeit auszuweiten.
Eine Zusatzfrage der Kollegin Faße.
Herr Staatssekretär, können Sie mir in meiner Meinung folgen, daß es Probleme gegeben haben muß, um die Bahn AG in eine neue Verantwortung zusammen mit der Fahrweggesellschaft zu bringen? Das macht so eine Bahn AG ja nicht aus Jux und Tollerei. Das Interesse, das heute bekundet wird, muß doch auf Probleme zurückzuführen sein.
Nein, ich würde, wie ich bereits ausgeführt habe, das Gegenteil behaupten. Die Deutsche Bahn AG sieht hier ein sehr gutes Geschäftsfeld; sie sieht die Möglichkeit, die Magnetschwebebahn in ihr Zugprogramm zu integrieren und auch Erlöse einzufahren, die das Ergebnis verbessern könnten.
Eine Zusatzfrage der Kollegin Altmann, bitte.
Herr Nitsch, Herr Dürr ist heute morgen im Verkehrsausschuß etwas konkreter gewesen, und zwar mit der Aussage: Die Bahn weiß, wie man die Strecke baut.
Wie bewerten Sie diese Aussage im Zusammenhang mit den eventuellen Plänen, in die Fahrweggesellschaft einzusteigen? Wenn das so sein sollte, können Sie dann wirklich gewährleisten, daß die Bundesregierung die vollständige Kontrolle über die Mittelverwendung auf jeden Fall behält?
Ihre Frage schließt sich sehr gut an die Frage von Frau Faße an. Die DB AG hat Interesse daran, den Transrapid zu betreiben, weil sie Möglichkeiten dafür sieht, ihn in ihre Fahrplankonzepte einzubauen. Daß Schwierigkeiten irgendwelcher Art, von denen Sie sprechen, die Bahn in diese Situation gebracht haben, schließe ich aus; das gibt es nicht. Maßgeblich ist einfach das wirtschaftliche Interesse der Bahn selbst.
Zu der anderen Frage: Natürlich wird der Bund die Kontrolle über die zu verausgabenden Mittel behalten und auf einen Rückfluß von Nutzungsentgelten an keiner Stelle verzichten.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Kunick.
Herr Staatssekretär, können Sie ausschließen, daß zukünftig Investitionsmittel, die für Eisenbahnschienenwege vorgesehen sind, für die Finanzierung der Transrapidstrecke umgewidmet werden?
Herr Abgeordneter Kunick, ich glaube, das läßt schon die Bundeshaushaltsordnung nicht zu.
Herr Kollege Kubatschka.
Herr Staatssekretär, ist bei den Verhandlungen mit der Bahn bereits darüber gesprochen worden, die Bahn müsse Teile des Fahrweges aus eigenen Mitteln finanzieren?
Nein. Nach meinem Kenntnisstand - ich denke, er ist ziemlich vollständig - gibt es ein solches Ansinnen nicht.
Dann rufe ich jetzt die Frage 21 der Kollegin Elke Ferner auf:
Welche Auswirkungen erwartet die Bundesregierung von dieser Umstrukturierung der Magnetschwebebahn-Fahrweggesellschaft für den Bundeshaushalt einerseits und die Deutsche Bahn AG andererseits?
Frau Abgeordnete Ferner, einer der wesentlichen Grundsätze des Transrapidprojekts war von Anfang an, daß sich Industrie und Bund die Planungskosten je zur Hälfte teilen. Daran hat sich nichts geändert. Ebenso gilt nach wie vor, daß der Bund den Fahrweg finanziert und dementsprechend die anteiligen Planungskosten trägt.
Eine Zusatzfrage.
Sie haben gerade von der Finanzierung gesprochen. Können Sie mir denn erklären, wie die 6 Milliarden DM für die Trasse, die in verschiedenen Tickermeldungen umhergeistern, zu verstehen sind? Beziehen Sie sich auf den Preisstand 1993, oder ist das der aktualisierte Preisstand?
Die 6,1 Milliarden DM beziehen sich auf den Preisstand von heute, das heißt Preisbasis 1996.
Ihre zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist denn gewährleistet, daß mit diesen 6,1 Milliarden DM die Transrapidstrecke, wie geplant, mit allen Haltestellen und mit der im Raumordnungsverfahren gefundenen Trassierung so gebaut wird, wie immer behauptet wird?
Ich gehe davon aus und bin sicher, wenn ich andere Bauprojekte vergleiche, daß die Kosten nicht steigen werden.
Eine Zusatzfrage, Frau Kollegin Faße.
Herr Staatssekretär, können Sie etwas dazu sagen, wie weit die Zusammenarbeit der Fahrweggesellschaft und der Bahn bis heute gediehen ist?
Frau Faße, ich würde es gerne sagen; aber im Moment laufen noch die Abstimmungen; wir sind nicht fertig damit. Deswegen kann ich Ihnen gegenüber in diesem Stadium noch keine verbindlichen Aussagen machen.
Frau Kollegin Altmann.
Herr Nitsch, kann ich Ihre Aussage hinsichtlich der Finanzierung des Fahrwegs so verstehen, daß es nicht zu einer Quersubventionierung kommt, daß also der Bund den gesamten Fahrweg lediglich aus dem vorgesehenen Titel „Transrapid" finanziert, und schließen Sie zum Beispiel eine Konstruktion aus, bei der die DB AG, in welcher Form auch immer, den Bau des Fahrwegs übernimmt, dafür 6,1 Milliarden DM überwiesen bekommt und dann den Rest eventuell aus Eigenmitteln, die dann wieder durch einen anderen Titel finanziert werden, zuschießt? Können Sie eine solche Konstruktion ausschließen?
Der Bund wird sich streng an das halten, was in den einzelnen Haushaltsjahren vom Bundestag festgelegt wird.
Zusatzfrage, Kollege Kubatschka.
Herr Staatssekretär, solche Pläne fallen ja bekanntlich nicht vom Himmel, auch nicht bei der CDU/CSU, trotz des „C" im Namen. Wer ist jetzt eigentlich die treibende Kraft bei diesen Plänen?
Der Erfolg hat immer viele Väter.
Es ist in diesem Prozeß, den wir, Industrie, Bahn und Bund, seit Ende 1996 miteinander geführt haben, am Ende schlecht festzustellen, wer den besten Gedanken gehabt hat. Ich kann Ihnen aber versichern, daß der Bund einen erheblichen Anteil an dem Konzept hat, das Minister Wissmann demnächst vorstellen wird.
Zusatzfrage, Kollege Kunick.
Haben Sie, Herr Staatssekretär, denn mittlerweile die genauen Kosten für einen Zwei-Spuren-Fahrweg, für die Haltepunkte, also Investitionen in die Schiene, und für den Betrieb ermittelt? Das ist ja Voraussetzung dafür, daß verantwortlich beschlossen werden kann, ob man in das Projekt einsteigt oder nicht. Oder sind all die Aussagen, die wir bisher hören, nur schöne Erklärungen vor dem Hintergrund einer großen Kostenunsicherheit?
Nein. Wir haben die exakten Kosten ermittelt. Wir werden sie in wenigen Tagen veröffentlichen. Ich habe ja in der Regierungsbefragung der letzten Woche den Termin genannt. Dazu stehe ich weiterhin. Wir werden das Zahlenmaterial zu dem genannten Termin vorlegen. Ende dieses Monats liegt Ihnen alles vor, was wir zugesagt haben.
Ich rufe jetzt die Frage 22 der Kollegin Gila Altmann auf:
Aus welchem Grund wurde der Chartervertrag für den Hochseeschlepper ,,Oceanic" zum 30. April 1997 gekündigt, und auf welche Art und Weise gedenkt die Bundesregierung die Sicherheitslücke in der Deutschen Bucht zu schließen, die entsteht, wenn sowohl die Auswertung des von der Hamburger Schiffsbau-Versuchsanstalt und der Schiffsbau-Versuchsanstalt erstellten Gutachtens noch nicht abgeschlossen ist, wie auch eine einvernehmliche Abstimmung mit den Küstenländern sowie eine Unterrichtung des Ausschusses für Verkehr des Deutschen Bundestages über das weitere Verfahren nicht mehr im April vorgenommen werden kann?
Frau Altmann, Herr Präsident, ich bitte darum, die Fragen 22 und 23, da sie in einem sehr engen Sachzusammenhang stehen, zusammen beantworten zu dürfen.
Sind Sie einverstanden? - Gut. Dann rufe ich jetzt auch die Frage 23 auf:
Wie gedenkt die Bundesregierung mit dem Beschluß der Umweltministerkonferenz Nord vom 17. April 1997 umzugehen, wonach mit „Auslaufen des Chartervertrages über den Einsatz des einzigen Hochseeschleppers ,Oceanic' in der Deutschen Bucht Ende April 1997 kein vergleichbarer Hochseebergeschlepper zur Verfügung steht" und die „Mehrzweckschiffe des Bundes ,Mellum', ,Scharhörn' und auch die im Bau befindliche ,Neuwerk' auf Grund ihrer Mehrzweckkonstruktion nicht mit einem Hochseeschlepper vom Typ der ,Oceanic' vergleichbar sind und nicht genug Kraft aufbringen, um einen Großtanker sicher bei Sturm zu halten", und deshalb die Umweltministerkonferenz Nord den Bund bittet „jederzeit ausreichende Schlepperkapazität vorzuhalten, die geeignet ist, alle in der Deutschen Bucht verkehrenden Schiffe auch bei Sturm zu halten, und die Vorsorgemaßnahmen für die Notschleppkapazität mit den Küstenländern abzustimmen"?
Das Bundesministerium für Verkehr wird die „Oceanic" als zusätzlichen Hochseeschlepper bis zur Umsetzung der Schlußfolgerungen aus dem Gutachten für weitere drei Monate in der Deutschen Bucht stationieren. Obwohl das Gutachten der Hamburgischen Schiffsbau-Versuchsanstalt eine Notschleppkapazität von 165 Tonnen durch einen oder mehrere Schlepper nur für das Winterhalbjahr empfiehlt, haben wir uns entschieden, diese Gesamtleistung zur Vermeidung auch des kleinsten Restrisikos ganzjährig vorzuhalten.
Mit der Indienststellung der „Neuwerk" steht dann zusammen mit dem bundeseigenen Mehrzweckschiff „Mellum" die genannte Gesamtpfahlzugleistung zur Verfügung.
Zusatzfrage?
Verfolgt die Bundesregierung weiterhin die Absicht, den Chartervertrag vom Gesamtergebnis des Gutachtens abhängig zu machen? Wenn ja, möchte ich nach dem Zeitplan fragen: Wann ist mit dem Ergebnis zu rechnen, und in welcher Form wird es dann dem Parlament bzw. dem Verkehrsausschuß präsentiert?
Ich darf gleich mit dem letzten Teil anfangen, Frau Altmann. Wir werden das Ergebnis dem Verkehrsausschuß bis Ende dieses Monats zustellen, so daß es in der nächsten Plenarsitzungswoche zur Verfügung steht und, wenn gewünscht, debattiert werden könnte.
Die Bundesregierung wird nach Auswertung dieses Gutachtens die Gesamtpfahlzugleistung durch die „Mellum" und das noch in Bau befindliche Schiff „Neuwerk" sicherstellen. Das sind zwei Schiffe mit 110 Tonnen Pfahlzugleistung, die entsprechend dem Gutachten geeignet sind, die Schlepperkapazität sicherzustellen.
Zweite Zusatzfrage.
Wie gedenkt die Bundesregierung den Beschluß der Umweltministerkonferenz vom 7. April 1997 nach Ablauf der jetzt neu abgeschlossenen Dreimonatscharter umzusetzen? Darin ist ja die Forderung aufgestellt, jederzeit - also ganzjährig - ausreichende Notschleppkapazitäten vorzuhalten.
Die Bundesregierung beabsichtigt, parallel zu der Verlängerung des Vertrages für die „Oceanic" eine europaweite Ausschreibung herauszugeben, die die Anschlußschleppkapazität bis zur Indienststellung der „Neuwerk" sichert.
Dritte Zusatzfrage.
Mit der Praxis der letzten Monate, den Vertrag jeweils monatlich oder sogar nur wöchentlich zu verlängern, ist die Gefahr heraufbeschworen worden, daß zu dem Verlängerungstermin nicht immer ein geeigneter Schlepper zur Verfügung steht und so eine Sicherheitslücke entsteht. Wie will die Bundesregierung diese Situation zukünftig vermeiden, wenn zum Beispiel das Ausschreibungsverfahren nicht rechtzeitig abgeschlossen sein kann?
Sollte dieser Fall, der unwahrscheinlich ist, eintreten, wird dennoch keine Lücke entstehen. Denn es ist genügend Schleppkapazität vorhanden, die gechartert werden könnte.
Vierte Zusatzfrage.
Können Sie Aussagen über die Kriterien machen, die die europaweiten Ausschreibungen beinhalten werden? Mich interessieren dabei besonders Pfahlzug, Schlechtwettertauglichkeit, Ausbildungs-
Gila Altmann
stand sowie Erfahrung der Besatzung und als letztes der Preis.
Natürlich wird der Preis eine Rolle spielen. Wir werden an den wirtschaftlich günstigsten Anbieter vergeben; wir werden eine Mindestpfahlzugleistung von 110 Tonnen fordern. Wir werden eine ausreichende Beherrschung der spezifischen Seesprachen und natürlich auch volle Schlechtwettertauglichkeit voraussetzen.
Zusatzfrage der Kollegin Faße.
Herr Staatssekretär, habe ich Sie richtig verstanden, daß, bis eine Ausschreibung und ein Ergebnis vorliegen, die „Oceanic" eine Verlängerung erhält, danach diese Ausschreibung für den Winterzeitraum gilt und schließlich, wenn im nächsten Jahr „Neuwerk" und „Mellum" fertig sind, nur für den Winter ein Hochseeschlepper - jeweils per europaweiter Ausschreibung - gechartert werden soll?
Teilweise richtig, teilweise nicht ganz, Frau Faße. Wir werden die „Oceanic" - der Erlaß ist heute hinausgegangen - bis Ende Juli 1997 chartern. In der Zwischenzeit wird nach den Kriterien, die ich gerade Frau Altmann erläutert habe, ausgeschrieben. Diese Charterung gilt bis zu dem Zeitpunkt, zu dem die „Neuwerk" einsatzbereit ist. Dann haben wir die „Mellum" und die „Neuwerk"; diese beiden Schiffe erfüllen dann ganzjährig und ohne weitere Charterung die Voraussetzungen für die Notschleppkapazität.
Ich möchte einmal nach dem Inhalt des Gutachtens fragen. Es kursieren unterschiedlichste Auslegungen dieses Gutachtens. Aber wenn ich richtig informiert bin, ist dort für die Winterzeit ein Pfahlzug von 165 Tonnen vorgesehen. Sie sprechen jetzt aber davon, daß „Mellum" und „Neuwerk" jeweils 110 Tonnen haben. Die Möglichkeiten zweier Schiffe kann man aber mit denen eines starken Schiffes nicht vergleichen. Ich möchte gerne wissen, wie Sie diese Entscheidung verantworten wollen.
Das ist ganz einfach: Wenn Sie ein Vektorparallelogramm anfertigen und zwei 110-Tonnen-Pfahlzüge parallel laufen lassen, dann haben Sie 220 Tonnen Pfahlzugleistung. Das ist mathematisch richtig, und die Kräfteparallelogramme funktionieren auf diese Weise.
- Warum können die nicht parallel fahren?
- Selbst wenn Sie bestimmte Winkel einbauen, haben Sie noch immer eine Gesamtpfahlzugleistung, die weit über 165 Tonnen liegt. Insofern - das ist übrigens auch in der Zusatzbewertung, die der Germanische Lloyd erstellt hat, so ausgesagt - sind die erforderlichen Pfahlzugkräfte der zusammenwirkenden Fahrzeuge „Mellum" und „Neuwerk" mindestens genauso stark wie die Pfahlzugkraft der „Oceanic".
Dann rufe ich jetzt die Frage 24 des Kollegen Egbert Nitsch auf:
Ist die Bundesregierung bereit, in Schutzmaßnahmen - z. B. Lärmschutzmaßnahmen - zu investieren, nachdem der neu entstandene Transitverkehr aus/nach Dänemark, die Bahnstrecke Hamburg-Flensburg „von heute auf morgen" angeblich um 30% stärker belasten wird, und hält die Bundesregierung die Deutsche Bahn AG für verpflichtet, Schutzmaßnahmen durchführen zu lassen?
Herr Kollege Nitsch, eine Steigerung der Zugzahlen erfüllt nicht den Tatbestand der wesentlichen Änderung nach der Verkehrslärmschutzverordnung. Damit läßt sich daraus auch kein Rechtsanspruch auf Lärmvorsorgemaßnahmen ableiten. Dies bedeutet gleichzeitig, daß der Bund unter Beachtung des Haushaltsrechts und des Gebots der Wirtschaftlichkeit derartige Lärmschutzmaßnahmen nicht finanzieren darf. Das ist also nicht in unser Ermessen gestellt.
Auch Einzelmaßnahmen wären wegen der politisch präjudizierenden Wirkung nicht vertretbar. Eine Forderung nach Lärmschutz im vorliegenden Fall, in dem die Voraussetzungen für Lärmvorsorge nicht erfüllt sind, könnte nur unter der Voraussetzung gedacht werden, daß sich Dritte, zum Beispiel das Land, der Kreis oder die Kommunen, gleichzeitig verpflichten, die Kosten zu übernehmen.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ich möchte Sie nicht auf den Schwur unserer vielleicht gemeinsamen ostpreußischen Vorfahren festlegen. Aber wenn eines Tages eine Kanalquerung in Rendsburg stattfinden soll, muß man doch mit erheblichen Geschwindigkeitserhöhungen auf der Strecke rechnen - die direkt durch meinen Wahlkreis geht, so daß ich eine Antwort mitbringen muß. Es wäre nett, wenn Sie mir schriftlich geben könnten, was die Kanalquerung Rendsburg ausmacht.
Darf ich nachfragen, was genau Sie schriftlich haben möchten?
Ich möchte Sie jetzt nicht mit der Frage nach der Kanalquerung Rendsburg überrollen. Ich wollte wissen - das ist ja im Gespräch -, wie weit die Planungen für die Rendsburger Hochbrücke sind. Ich bin damit einverstanden, wenn Sie mir das sofort mündlich beantworten können. Andererseits nehme
Egbert Nitsch
ich das gerne schriftlich, wenn eine mündliche Beantwortung jetzt nicht möglich ist.
Ich werde die Antwort schriftlich geben, weil Ihre ursprüngliche Frage etwas anders war.
Keine Zusatzfrage mehr? - Dann rufe ich die Frage 25 des Kollegen Egbert Nitsch auf:
Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung, um die Akzeptanz der Anwohnerinnen/Anwohner für den ökologisch sinnvollen und wichtigen Schienenverkehr in solchen Fällen zu erhalten und zu verstärken?
Herr Nitsch, Lärmschutzmaßnahmen an vorhandenen und im Sinne des Bundes-Immissionsschutzgesetzes nicht wesentlich geänderten Schienenwegen sieht das Gesetz nicht vor; ich sagte das bereits. Die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen Lärmsanierungsmaßnahmen durchgeführt werden können, ohne daß dies gesetzlich vorgeschrieben ist, ist mit dem Ergebnis geprüft worden, daß erhebliche Investitionen erforderlich wären, für die zusätzliche Mittel des Bundes oder Dritter im Moment nicht zur Verfügung stehen. Für das Bundesministerium für Verkehr bleibt die Lärmsanierung an bestehenden Schienenwegen unter dem Gesichtspunkt der Förderung des umweltfreundlichen Verkehrsmittels Eisenbahn gleichwohl ein wichtiges verkehrs- und umweltpolitisches Ziel.
Zusatzfrage? - Keine Zusatzfrage.
Dann danke ich Ihnen, Herr Staatssekretär, und rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie auf. Zur Beantwortung der Fragen 26 und 27 steht der Parlamentarische Staatssekretär Neumann zur Verfügung, zur Beantwortung der anderen Fragen die Parlamentarische Staatssekretärin Wülfing.
Ich rufe jetzt die Frage 26 des Kollegen Horst Kubatschka auf:
Wie hat die Bundesregierung sichergestellt, daß bei der mit 10% vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie geförderten größten dachintegrierten Photovoltaikanlage der Welt auf der Neuen Messe München die Fertigung der monokristallinen Siliziumzellen eines deutschen Herstellers in Deutschland und nicht im Ausland gewährleistet ist?
Die Bundesregierung fördert das Vorhaben mit bis zu 1484 082 DM. Da die Bundesregierung nicht vorschreiben kann, wo die Solarzellen gefertigt werden, beschränkt sich die Zuwendung auf im Inland gefertigte Komponenten. Solarzellen, die aus der Siemens-Fertigung in den USA stammen, sind von der Förderung ausdrücklich ausgeschlossen.
Zusatzfrage?
Herr Staatssekretär, heißt das, daß die Verträge so ausgestaltet sind, daß es, wenn die Solarzellen aus den USA kommen, keine Förderung gibt?
Ja. Für diesen Teil gibt es keine Förderung.
Das heißt, Sie haben in den Verträgen zwischen diesen Solarzellen und dem übrigen Teil unterschieden und fördern nur den übrigen Teil, dessen Kosten sicher genauso groß sind. Würden Sie mit dieser Maßnahme nicht die Produktion der Solarzellen in den Vereinigten Staaten und somit nicht in Deutschland fördern?
Nein. Erstens gehe ich davon aus, daß wir noch immer über die Anlage auf der Neuen Messe München reden.
Zweitens gehe ich davon aus, daß Sie als der für diesen Bereich mit zuständige bayerische Abgeordnete nicht daran interessiert sind, daß diese Anlage nicht zustande kommt. Diese Besorgnis war indirekt der Frage zu entnehmen.
Drittens wiederhole ich das, was ich gesagt habe. Eine solche Anlage besteht aus mehreren Teilen: aus den Solarzellen, den gesamten Modulen und dem gesamten System. Da die Solarzellen, die für diese Anlage benötigt werden, aus einer Siemens-Produktion in den USA kommen, andere Teile nicht, kann dieser Teil bei unserer Förderung nicht bedacht werden; denn gemeinsam mit Ihnen wollen wir Produktionen, die im Ausland stattfinden, nicht indirekt oder direkt fördern. Deshalb bezieht sich unsere Förderung nur auf den anderen Teil. Dabei möchte ich Sie darüber in Kenntnis setzen, daß der Anteil an der Gesamtanlage, der den Solarzellenbereich betrifft, maximal 25 Prozent ausmacht.
Im übrigen waren und sind wir daran interessiert, daß das Projekt in München insgesamt zustande kommt. Es stellt nämlich technologisch eine besondere Herausforderung dar und hat FuE-Bedarf. Deshalb fördern wir es, wie ich bereits ausführte, mit rund 1,4 Millionen DM.
Kann ich die Frage 27 aufrufen?
Ich habe nur zwei Möglichkeiten nachzufragen.
Ich war mir nicht ganz sicher, ob das eine Frage war oder zwei.
Wenn Sie es als eine Frage ansehen, dann - -
Metadaten/Kopzeile:
15446 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. April 1997
Da Sie nun
schon zugegeben haben, daß es zwei Fragen waren, kann ich keine weitere Zusatzfrage zulassen.
Nächstes Mal gestehe ich nichts.
Es ist ein alter Ratschlag: Ein Geständnis ist immer ein Problem.
Ich rufe Frage 27 auf:
Ist die Bundesregierung bereit, Personalstellen für den geplanten Forschungsreaktor in Garching bereitzustellen, wie dies der Präsident der Technischen Universität München fordert?
Eine solche Forderung liegt der Bundesregierung nicht vor.
Im übrigen wurde dem Parlament wiederholt dargelegt, daß das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie unbeschadet der Mitfinanzierung nach dem Hochschulbauförderungsgesetz 160 Millionen DM während der Bauphase und 80 Millionen DM für die ersten zehn Betriebsjahre des Forschungsreaktors zur Verfügung stellen wird. Das BMBF sieht sich nicht in der Lage, weitergehende Finanzierungswünsche zu erfüllen.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, hat der Bund schon bisher eine Unterstützung bei den Personalkosten im Bereich der Neutronenforschung in München geleistet? Bezogen auf Ihre Antwort frage ich Sie: Wieso macht sich der Präsident der Technischen Universität München, Herr Herrmann, solche Hoffnungen auf Förderung?
Als Vertreter der Bundesregierung kann ich nicht sagen, was möglicherweise im Kopf des Präsidenten der TU München vor sich geht und welche Hoffnungen er sich macht. Ich kann mich nur mit dem Sachverhalt auseinandersetzen. Die Antwort dazu habe ich Ihnen gegeben.
Ich ergänze sie dadurch, daß ich sage: Die seit langem zugesagten 160 Millionen DM sind im wesentlichen für Bau- und apparative Erstausstattung vorgesehen. Theoretisch könnten hiermit auch Personalkosten in einem geringen Umfang abgedeckt werden. Das ist bei dieser Summe aber Sache der bayerischen Landesregierung bzw. des zuständigen Staatsministeriums.
Ich habe eine zweite Summe genannt: 80 Millionen DM. Die sind von uns seit langem für die sogenannte erste Betriebsphase, also für die ersten zehn Jahre ab Inbetriebnahme im Jahre 2001/2002 zugesagt. Hier-
für gibt es logischerweise noch keine Einzelregelung.
Mit diesem Betrag könnten auch Personalkosten abgedeckt werden. Das ist aber nicht unser Thema.
Unsere Zusage bezieht sich auf die beiden von mir genannten Summen. Auf zusätzliche Forderungen - ich kann nicht genau interpretieren, was der Präsident der TU München meint - können wir nicht eingehen.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, das ist nicht nur im Kopf des Präsidenten Herrmann vor sich gegangen; er hat es auch schriftlich formuliert. Er hat an die Dekane geschrieben:
Die Hochschulleitung wird versuchen, eine Unterstützung bei der Bereitstellung von Personalstellen durch den Bund und die anderen Bundesländer zu erlangen, ...
Er hat also keinerlei konkrete Vorstellungen gehabt. Vielleicht war das bei ihm eine geistige Luftnummer.
Das kann ich mir bei einem Präsidenten gerade der TU München nicht vorstellen. Sicherlich hat der Präsident Wünsche. Diese Wünsche hat er geäußert; das ist gar nicht zu bestreiten. Die sind diesem Schreiben wie auch der „Süddeutschen Zeitung", die darüber berichtet hat, zu entnehmen.
Ich antworte Ihnen: Die Erfüllung entsprechender Personalwünsche, die möglicherweise zusätzlichen Finanzbedarf auslösen, ist von unserer Seite aus nicht realistisch. Wir haben nicht vor, Gelder über die vereinbarten Summen hinaus zu bewilligen, was nicht ausschließt, daß der Präsident der TU entsprechende Wünsche hat.
Der eigentliche Ansprechpartner für den Universitätspräsidenten ist ohnehin die bayerische Landesregierung. Die wird sich mit diesen Wünschen sicherlich auseinandersetzen müssen.
Zusatzfrage der Kollegin Probst.
Herr Staatssekretär, Sie sprachen eben von den langfristigen Finanzzusagen. Da stellt sich die Frage, wieviel Gelder aus der Verbundforschung schon 1997 in den FRM II fließen.
Aus welcher Verbundforschung? - Soweit mir bekannt ist, ist erst in den letzten Monaten der erste Spatenstich erfolgt. Soweit mir bekannt ist, wird derzeit irgendwo eine Betondecke gezogen, so daß direkte Forschung an diesem Reaktor logischerweise noch gar nicht stattfinden kann. Mir ist auch nicht in Erinnerung, daß wir beschlossen hätten, schon im vorhinein Mittel für die Forschung am
Parl. Staatssekretär Bernd Neumann
FRM II zur Verfügung zu stellen; wohl aber betrifft das Mittel zur Vorbereitung der Arbeit von Hochschulgruppen. Diesen FRM II gibt es noch gar nicht.
Dann rufe ich jetzt die Frage 28 des Kollegen Heinz Schmitt auf:
Welche zahlenmäßige Entwicklung gibt es bei der Antragstellung auf Fördermaßnahmen nach dem Aufstiegsförderungsgesetz im Vergleich zu vorangegangenen Jahren , und sind die im Haushalt bereitgestellten Mittel ausreichend, um eine Förderung aller Antragsteller zu gewährleisten?
Herr Kollege Schmitt, Sie fragen nach der zahlenmäßigen Entwicklung des Meister-BAföG. Das Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz ist entgegen der Absicht der Bundesregierung nicht im Dezember 1995 verabschiedet worden, sondern erst Ende April 1996 nach den Verhandlungen im Vermittlungsausschuß und dem Scheitern im ersten Anlauf. Rückwirkend in Kraft getreten ist es dann zum 1. Januar 1996.
Leider haben sich einige Länder für ihre Vollzugsvorbereitungen sehr viel Zeit genommen. Das konnte nicht ohne Auswirkungen auf die Zahl der Anträge sowie Anzahl und Umfang der Bewilligungen bleiben. Während zum Beispiel in Baden-Württemberg die ersten maschinellen Bescheide bereits im Juli erteilt worden sind, haben sich zum Beispiel SachsenAnhalt und das Saarland bis November und Dezember Zeit gelassen. Brandenburg hat erste Zahlungen sogar erst im Januar 1997 geleistet, weil sich die Landesregierung von Brandenburg schon mit der Frage der Zuständigkeit eines Ressorts zu lange beschäftigt hat.
Im Jahr 1996 sind nach Auskunft der Länder rund 38 000 Förderanträge gestellt worden. Auf Grund der in nahezu allen Ländern sehr zeitaufwendigen Vollzugsvorbereitungen sind bis zum Jahresende 1996 nur in etwa 13 000 Fälle beschieden worden. Gemäß der letzten Länderumfrage - Stand: 13. März 1997 - sind die Bearbeitungsrückstände in den ersten Monaten des Jahres 1997 deutlich abgebaut worden. Von den insgesamt seit Verkündigung des Gesetzes gestellten 45 000 Förderanträgen sind inzwischen 31 000 bearbeitet. Es ist davon auszugehen, daß sich das Gesamtbild durch die in diesen Tagen in den Ländern erfolgenden Rechnungsläufe für den Monat Mai 1997 weiter verbessert.
Infolge der späten Verabschiedung des AFBG und der eben schon genannten langwierigen Vorbereitungen bei den Ländern ist im Haushalt 1996 nur ein verhältnismäßig geringer Teil, nämlich 13,45 Millionen DM, der vom Bund zur Verfügung gestellten Haushaltsmittel von insgesamt 100 Millionen DM abgeflossen. Für die Monate Januar bis April 1997 haben die Länder mit rund 17,2 Millionen DM bereits mehr Bundesmittel ausgegeben als im ganzen vergangenen Jahr. Auf Grund der Erfahrungen der zurückliegenden Monate kann davon ausgegangen werden, daß die für 1997 zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel des Bundes zur Deckung der in diesem Jahr zu erwartenden Ansprüche auf Förderung nach dem AFBG ausreichen.
Zusatzfrage?
Frau Staatssekretärin, plant die Bundesregierung angesichts dieser Zahlen - Sie haben von 100 Millionen DM pro Jahr gesprochen - insbesondere auch im Hinblick auf die Förderhöhe von 800 Millionen DM nach dem Arbeitsförderungsgesetz in Zukunft eine Erhöhung der Bundesmittel, oder glaubt die Bundesregierung, daß die derzeitigen Mittel für die Meisterförderung ausreichen?
Sie haben nach dem Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz gefragt, nicht nach AFG-Mitteln von der Bundesanstalt für Arbeit. Ich kann nur für den Bereich antworten, nach dem Sie gefragt haben. Dazu habe ich gesagt, daß wir der Meinung sind, daß auf Grund der jetzt erfolgten Anträge und Bescheide die Haushaltsmittel von 100 Millionen DM auch für 1997 ausreichen.
Eine weitere Zusatzfrage dazu?
Nein.
Dann rufe ich die Frage 29, ebenfalls vom Kollegen Heinz Schmitt, auf:
Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung bezüglich der Dauer des Antragsverfahrens für das „Meister-BAföG", und gibt es eine Häufung nicht bearbeiteter Anträge, die auf eine ungenügende personelle, technische oder finanzielle Ausstattung zurückzuführen ist?
Herr Schmitt, Sie fragen nach der Dauer des Antragsverfahrens. Auf Grund der eben schon dargestellten Schwierigkeiten der Länder beim Vollzug des AFBG haben im vergangenen Jahr erhebliche Verzögerungen bei der Antragsbearbeitung bestanden. Dabei ist es häufig zu Bearbeitungszeiten von mehreren Monaten gekommen. Diese Anlaufschwierigkeiten sind aber nach Angaben der Länder inzwischen weitgehend behoben. Sofern nicht besondere Umstände des Einzelfalles - verspätete Angaben oder nachträgliches Einreichen von Unterlagen - eine längere Bearbeitungszeit erfordern, wird derzeit über Förderanträge in einem Zeitraum von vier bis sechs Wochen entschieden.
Zusatzfrage?
Frau Staatssekretärin, es heißt, weitere Korrekturmaßnahmen insbesondere bei den Behörden der ausführenden Länder, um den Antragsstau abzubauen und insbesondere um die Bearbeitungszeit zu verkürzen, seien nicht vorgese-
Heinz Schmitt
hen. Ich kenne die Zahl von unserer Handwerkskammer in der Pfalz: Von 40 000 gestellten Anträgen ist es erst bei 5 000 zur Auszahlung gekommen. Ich frage also konkret: Sind Korrekturmaßnahmen geplant, um die Zeiten für Genehmigungsverfahren zu verkürzen?
Die Auskünfte, die Sie von Ihrer Kammer bekommen haben, beruhen auf Zahlen vom November 1996.
Ich habe schon eben dargestellt, wie schwierig es war, die ersten Bescheide in den einzelnen Landratsämtern zu bearbeiten. Mein Haus wird aber weiterhin dafür sorgen - das ist nicht erst seit gestern so -, daß diejenigen, die diese Anträge vor Ort bearbeiten, ständig von einem Kreis von Fachleuten beraten werden.
Keine Zusatzfragen mehr? - Ich danke Ihnen, Frau Staatssekretärin.
Die Fragen 30 bis 33 aus dem Geschäftsbereich des Bundeskanzleramtes werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Zur Beantwortung steht Herr Staatsminister Dr. Werner Hoyer zur Verfügung.
Die Fragen 34 bis 36 sollen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 37 des Kollegen Gernot Erler auf:
Welche Informationen hat die Bundesregierung zur Behinderung und Verfolgung der politischen Opposition in Belarus seitens der Regierung von Präsident Lukaschenko?
Herr Kollege Erler, mit dem Erlaß des sogenannten Dekrets Nr. 5 vom 5. März dieses Jahres hat Präsident Lukaschenko die Versammlungsfreiheit erheblich eingeschränkt. Nach dem Dekret, das sich auf die von Präsident Lukaschenko illegal durchgesetzte Verfassung vom November 1996 stützt und daher nach Auffassung der Bundesregierung keine Legitimität für sich beanspruchen kann, können Organisatoren oder Teilnehmer an nicht genehmigten Demonstrationen mit hohen Geldstrafen oder Haft bestraft werden.
Ferner hat die von Präsident Lukaschenko kontrollierte Exekutive auch angefangen, über sogenannte Finanzkontrollen Druck auf private, zum Teil humanitäre Institutionen auszuüben.
Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, kann ich aus Ihren Äußerungen entnehmen, daß die Bundesregierung immer noch das sogenannte Rumpfparlament als das einzig legitimierte Parlament in Belarus anerkennt und sie entsprechend entschlossen ist, die Persönlichkeiten, die in diesem Rumpfparlament versammelt sind, gegen Übergriffe durch die Staatsmacht zu schützen?
Bei den durchaus nicht unbegrenzten Möglichkeiten, die die Bundesrepublik Deutschland gemeinsam mit ihren Partnern in der Europäischen Union dort hat, ja.
Eine weitere Zusatzfrage dazu.
Herr Staatsminister, ist Ihnen bekannt, daß in letzter Zeit auch Parlamentarier aus diesem einzig legitimierten Parlament, dem sogenannten Rumpfparlament, durch Kräfte der Legislative verfolgt worden sind, daß sie geschlagen worden sind, daß also schwere Übergriffe gegen diese Personen stattgefunden haben?
Ja, das ist uns leider bekannt. So waren zum Beispiel die Abgeordneten des von Präsident Lukaschenko aufgelösten Parlamentes Grib und Znawets die, wenn man so will, ersten einheimischen Opfer des Dekretes, als sie wegen ihrer Rolle bei den Verfassungstagsdemonstrationen vom 14. und 15. März zu einer Geldstrafe bzw. zu Haftstrafen verurteilt worden sind. Diese Fälle sind uns in der Tat bekannt.
Sie haben auch eine Rolle gespielt anläßlich der sehr klaren Demarchen, die es sowohl in Minsk als auch in Bonn gegeben hat, insbesondere beim Gespräch des Politischen Direktors des Auswärtigen Amtes mit dem weißrussischen Botschafter am 17. April.
Zusatzfrage des Kollegen Hilsberg.
Die Republik Belarus ist ja Mitgliedstaat der OSZE. Für diese gibt es verbindliche Richtlinien und Rechtsvereinbarungen. Ist die Bundesrepublik bei Lukaschenko vorstellig geworden und hat gegen die Einschränkung der Grundrechte protestiert?
Eindeutig, sowohl vor Ort als auch hier in Bonn, wobei neben dem Hinweis auf die Verpflichtungen, die Weißrußland im Rahmen der Vereinten Nationen und der OSZE eingegangen ist, natürlich insbesondere der Appell an Präsident Lukaschenko ergangen ist, die derzeitige Offensive gegen Oppositionspolitiker, Medien und private - insbesondere humanitäre - Institutionen zu beenden, inhaftierte Politiker freizulassen und entsprechende Verfahren einzustellen sowie schließlich den in dem Ratsbeschluß der Europäi-
Staatsminister Dr. Werner Hoyer
schen Union enthaltenen Empfehlungen zu entsprechen. Es wird Zeit, daß Weißrußland auf den Weg zur Verfassungsmäßigkeit zurückkehrt.
Dann rufe ich die Frage 38 des Kollegen Gernot Erler auf:
Teilt die Bundesregierung die Befürchtungen der weißrussischen Opposition, daß es am 11. Jahrestag der Katastrophe von Tschernobyl am 26. April 1997 zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Regierung und Opposition kommen kann, und welche bilateralen und multilateralen Möglichkeiten zum Schutz der politischen Opposition in Belarus gibt es aus Sicht der Bundesregierung?
Herr Kollege, nachdem bereits am 26. April 1996 während des seit 1989 in Minsk traditionellen jährlichen Tschernobyl-Marsches die weißrussischen Ordnungskräfte brutal gegen oppositionelle Demonstranten vorgegangen waren, sind auch dieses Jahr harte Zusammenstöße leider nicht auszuschließen.
In enger Abstimmung mit unseren Partnern in der Europäischen Union verfolgt die Bundesregierung kontinuierlich die aktuelle politische Entwicklung in Weißrußland. Sie setzt sich dabei mit Nachdruck für die Wahrung demokratisch-rechtsstaatlicher Grundsätze ein, zu deren Einhaltung sich Weißrußland als OSZE-Mitglied, wie wir gerade gehört haben, verpflichtet hat.
Auf deutschen Vorschlag findet am 23. April, also heute, eine außerordentliche Sitzung der zuständigen Arbeitsgruppe der Europäischen Union statt. Die Bundesregierung unterstützt darüber hinaus maßgeblich die entsprechenden Bemühungen des dänischen OSZE-Vorsitzenden zur Wiederherstellung demokratischer Verhältnisse.
Wie ich soeben bereits erwähnte, hat auf Weisung von Bundesminister Kinkel der Politische Direktor des Auswärtigen Amtes, Ministerialdirektor Ischinger, am 17. April den weißrussischen Botschafter einbestellt und ihm deutlich gemacht, daß insbesondere die angedrohte Schließung der Stiftung „Den Kindern von Tschernobyl", die mit zahlreichen humanitären Organisationen in Deutschland aufs engste zusammenarbeitet, negative Auswirkungen auf die bilateralen Beziehungen zwischen beiden Ländern hätte. Diese Haltung hat auch der deutsche Botschafter in Minsk dem weißrussischen Außenminister gegenüber dargelegt.
Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, welche Erfahrungen hat die Bundesregierung in den letzten Monaten mit Vorhaltungen, Ermahnungen und Bitten an die weißrussische Führung gemacht? Es gab schon im Zusammenhang mit dem Referendum und danach zahlreiche Maßnahmen des Europarats, der OSZE und auch der Europäischen Union. Gibt es irgendein Anzeichen dafür, daß die belorussische Führung diesen Dingen in ihrem Verhalten in irgendeiner Weise Rechnung trägt?
Zu Ihrer ersten Frage: Bisher haben wir mit entsprechenden Initiativen keine guten Erfahrungen gemacht. Wir sind bisher sehr enttäuscht worden.
Zu Ihrer zweiten Frage: Es wird erforderlich sein, weiterhin am Ball zu bleiben und Druck auszuüben. Das kann nur über eine gemeinsame Aktion der Mitglieder der Europäischen Union und darüber hinaus Wirkung haben. Hierzu ist die Bundesregierung entschlossen und bereit.
Bitte.
Herr Staatsminister, Sie haben in Ihren Antworten besonders den Strang der europäischen Partner hervorgehoben. Bekannt ist aber auch, daß die russische Führung einen erheblichen Einfluß auf Minsk hat, daß Herr Lukaschenko zum Beispiel in der Staatsduma gefeiert und jüngst bei der Unterzeichnung einer Art Unionsvertrag im Kreml empfangen worden ist. Gibt es vielleicht auch eine Möglichkeit, über Moskau einzuwirken, damit es in drei Tagen nicht zu einer Katastrophe bzw. zu schweren Zwischenfällen in Minsk kommt?
Selbstverständlich wird auch dieser Weg beschritten. Welche Tragfähigkeit ein solcher Versuch hat, läßt sich gegenwärtig nicht genau absehen, weil in Minsk die Haltung gegenüber dem russischen Einfluß durchaus widersprüchlich ist, wenn, wie Sie beschreiben, auf der einen Seite Präsident Lukaschenko in der Staatsduma gefeiert wird und auf der anderen Seite sich die weißrussische Führung durchaus über übermäßigen Einfluß aus Rußland beschwert.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Dann rufe ich jetzt die Frage 39 des Kollegen Stephan Hilsberg auf:
Was weiß die Bundesregierung über Praktiken bei der Vergabe von Einreisevisen nach Deutschland für russische Staatsbürger, die in Rußland über Beauftragte abgewickelt werden, u. a. den Verein „W.", bei denen Situation der Antragsteller dahin gehend ausgenutzt wird, daß von ihnen durch die Beauftragten zwingend ein Betrag eingefordert wird, der die von der Botschaft erhobenen Gebühren um ein Vielfaches übersteigt?
Herr Kollege Hilsberg, bei den deutschen Auslandsvertretungen in Rußland müssen Antragsteller grundsätzlich persönlich vorsprechen. Wegen der großen Entfernungen im Lande nehmen allerdings die Auslandsvertretungen Visaanträge auch über Beauftragte entgegen. Hierbei handelt es sich aber lediglich um eine Erleichterung für den Antragsteller.
Von den Auslandsvertretungen wird niemandem nahegelegt, an Stelle einer persönlichen Vorsprache eine Agentur einzuschalten. Manche Antragsteller wenden sich vielmehr von sich aus an diese Organisationen, die dann für ihre Dienste ein Honorar for-
Staatsminister Dr. Werner Hoyer
dern. Der Antragsteller kann natürlich frei entscheiden, ob er auf ein solches Angebot eingeht oder nicht.
Bei der Beurteilung der Höhe der Honorare muß natürlich auch in Rechnung gestellt werden, daß die Vermittler oft über Tausende von Kilometern nach Moskau reisen, dort übernachten und anschließend wieder zurückreisen müssen. Das an sich übersteigt natürlich die von der Botschaft erhobene Gebühr - bei einem Visum für einen Aufenthalt bis zu drei Monaten beträgt sie 20 DM - um ein Vielfaches.
Zusatzfrage.
Kann die Bundesregierung denn bestätigen, daß von Vermittlerorganisationen, wie zum Beispiel der fraglichen „Wiedergeburt", im Einzelfall Gebühren in Höhe von 200 Dollar erhoben werden?
Ich kann die Zahl nicht bestätigen, aber die Größenordnung in der Tat.
Herr Staatsminister, welche Möglichkeiten hat denn die Bundesregierung, andere Organisationen mit der Abwicklung dieser Visaanträge zu beauftragen?
Ich glaube, es würde die Möglichkeiten der Auslandsvertretungen übersteigen, ihrerseits den Aufbau eines Agenturservices zu fördern oder diesen selber aufzubauen. Wenn entsprechende zuverlässige Organisationen vorhanden sind, haben wir nichts dagegen, daß solche Dinge geschehen. Wir sollten allerdings klar sagen, daß wir es für den besseren Weg halten, daß die Antragsteller, wenn irgend möglich, persönlich in den Generalkonsulaten oder der Botschaft in Moskau vorsprechen.
Zusatzfrage, Kollege Erler.
Herr Staatsminister, ich hatte schon früher Gelegenheit, die Bundesregierung zu diesen Vorgängen und zu der Entwicklung der Zahlen der Antragsteller aus den GUS-Staaten zu befragen. Aus der Antwort, die ich von Ihnen erhalten habe, geht hervor, daß die Zahlen der Antragsteller aus den GUS-Staaten - zwar in unterschiedlicher Weise, aber signifikant für Rußland und die Ukraine - etwa seit 1994 stark - zum Teil um mehr als die Hälfte - zurückgegangen sind. Gibt es seitens der Bundesregierung einen Anlaß, darüber nachzudenken, ob das nicht auch mit den Praktiken bei der Visavergabe zu tun hat, oder ist in der Bundesrepublik eine Reduzierung der Zahl der Besucher aus den GUS-Staaten erwünscht?
Eine Einschränkung des Besucherverkehrs liegt sicherlich nicht im Interesse der Bundesrepublik Deutschland. Diesen Eindruck hat bisher auch noch keiner erweckt. Dafür, daß der Rückgang der Zahl der Anträge etwas mit den rein praktischen Problemen, die für den Antragsteller mit der Stellung des Antrages verbunden sind, zu tun haben könnte, sehe ich keinen Anhaltspunkt. Denn auf Grund der Verbreiterung des Netzes von Auslandsvertretungen auf dem Gebiet der früheren Sowjetunion sind die Dinge - ich betone: etwas - entschärft worden.
Dann rufe ich jetzt die Frage 40 des Kollegen Stephan Hilsberg auf:
Welches Verhältnis nimmt die Bundesregierung zu dem politischen Schaden ein, der für das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland in Rußland dadurch entsteht, daß sie den Verein „W." finanziell unterstützt, obwohl dieser Verein auf russische Visaantragsteller für eine Besuchsreise nach Deutschland, die auf die Vermittlungsdienste von „W." angewiesen sind, erheblichen finanziellen Druck ausübt?
Herr Kollege Hilsberg, wie gerade dargestellt, steht es den Antragstellern frei, das Angebot des von Ihnen genannten Vereins auszuschlagen und die Visa persönlich zu beantragen. Insofern übt der Verein keinen Druck auf die Antragsteller aus.
Im übrigen muß ich auch feststellen, daß der genannte Verein in der Russischen Föderation im Zusammenhang mit Visumsanträgen bisher kaum in Erscheinung getreten ist.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsminister, wie mir bekannt ist, sehen die Antragsteller das anders. Sie befinden sich in einer Notlage. Meinen nicht auch Sie, daß die Erfahrung, sich in bezug auf einen Visumsantrag bei der deutschen Botschaft in einer Erpressungssituation zu befinden, unmittelbar mit dem Ansehen der Bundesrepublik Deutschland in Rußland in Verbindung gebracht wird? Schaden solche Praktiken nicht unserem Ansehen in Rußland?
Man muß solche Dinge an konkreten Fällen festmachen. Ich bin dankbar, wenn mir solche konkreten Fälle genannt werden. Dann kann man ihnen nachgehen.
Ich glaube, wir sollten uns grundsätzlich davor hüten, eine Organisation, die eine solche Hilfe in einer für den Antragsteller schwierigen Situation anbietet, in irgendeiner Form pauschal zu verurteilen oder ihr vorzuwerfen, sie würde überhöhte Honorare verlangen. Man muß das im Einzelfall untersuchen und überlegen, ob der Antragsteller möglicherweise auch andere Wege hätte wählen können.
Zusatzfrage.
Eine ganz einfache Frage: Warum ist es nicht möglich, die Antragstellung über den Postweg abzuwickeln?
Das wäre durchaus eine wünschenswerte Alternative. Allerdings sind die Realitäten des russischen Postsystems nicht so, daß man diesen Weg empfehlen könnte.
Zusatzfrage, Herr Kollege Erler.
Herr Staatsminister, wären Sie bereit, mir hier vor dem Hohen Haus oder gegebenenfalls schriftlich mitzuteilen, wie sich Realität und Soll voneinander unterscheiden? Nach dem Soll sollte die Bearbeitung dieser Anträge, zum Beispiel in der Russischen Föderation oder auch anderswo, nicht länger als vier Arbeitstage dauern. Könnten Sie mir mitteilen, wie die tatsächliche durchschnittliche Bearbeitungszeit ist?
Weil Sie nach konkreten Fällen gefragt haben, will ich Ihnen sagen: Es ist inzwischen gang und gäbe, daß Abgeordnete des Deutschen Bundestages durch persönliche Intervention bei den Auslandsvertretungen dafür sorgen, daß eingeladene Künstler, Wissenschaftler und andere Gäste aus der Russischen Föderation noch rechtzeitig zu Ereignissen in die Bundesrepublik kommen. Es kann ja wohl nicht die Zielvorstellung der Bundesregierung sein, daß dies zur Praxis wird.
Herr Kollege, Sie können davon ausgehen, daß mich ein regelmäßiger Blick auf meinen eigenen Schreibtisch in die Lage versetzt, die Brisanz des Themas zu erkennen. Ich kann Ihnen zwar jetzt nicht unmittelbar Zahlen nennen, aber ich bin gerne bereit, sie nachzuliefern.
Sie wissen, daß die Situation unserer Auslandsvertretungen, insbesondere in Mittel- und Osteuropa und noch gravierender auf dem Gebiet der früheren Sowjetunion, ausgesprochen kritisch ist, daß dort die Rechts- und Konsularabteilungen eine gewaltige Arbeitslast zu bewältigen haben. Sie tun dies angesichts der begrenzt vorhandenen Mittel bewundernswert gut. Wir haben aber ganz erhebliche Engpässe, um deren Beseitigung sich Außenminister Kinkel nach allen Kräften bemüht.
Wir appellieren an die Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Bundestages, in den Haushaltsverhandlungen dafür zu sorgen, daß dieser Bereich bei den Jahr für Jahr stattfindenden Personaleinsparungsrunden um Himmels willen ausgenommen wird. Wir können sonst diese Last nicht mehr in einer für die Antragsteller akzeptablen Weise bewältigen.
Alle Fragen beantwortet? - Es gibt keine weiteren Zusatzfragen. Ich danke Ihnen, Herr Staatsminister.
Die Fragestunde ist beendet.
Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 1 auf: Aktuelle Stunde
Haltung der Bundesregierung zu den Konsequenzen aus dem neuesten Sonderabfallskandal in Bayern
Die SPD-Fraktion hat diese Aktuelle Stunde verlangt.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Marion Caspers-Merk, SPD.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist ein trauriger Anlaß, daß wir uns im Deutschen Bundestag zum wiederholten Male mit der illegalen Abfallentsorgung beschäftigen müssen.
-Es ist interessant: Ihr Zwischenruf zeigt, daß man das Thema nicht aufgreifen und darüber reden will. Natürlich ist Ihnen das unangenehm, Herr Kampeter, weil wir sehr schnell auf die Versäumnisse der Bundesregierung zu sprechen kommen werden und müssen.
Wir haben bereits vier- oder fünfmal über dieses Thema diskutiert. Nur hat sich leider an der unvollständigen Rechtslage nichts geändert. Wir hatten illegale Abfallexporte nach Ungarn; wir hatten Giftmüllsäcke an deutschen Autobahnen. Derzeit läuft in Frankfurt eines der größten Umweltverfahren der Republik, in dem kriminelle Machenschaften und ein bundesweites Netz von kriminellen Entsorgungen aufgedeckt wurden.
Ich halte für einen Skandal, wenn auf der einen Seite eine Art Mafia-Struktur aufgedeckt wird, die auf Grund der Riesengewinne vergleichbar ist mit der Mafia im Bereich des Drogen- und Menschenhandels, und auf der anderen Seite Vollzugslücken, aber auch Rechtslücken ausgenutzt werden, um Mensch und Umwelt zu schädigen. Das ist der eigentliche Skandal.
Wir hatten jüngst in Nürnberg wieder einen Skandal, der durch eine sehr engagierte Staatsanwaltschaft aufgedeckt wurde.
Marion Caspers-Merk
Ihr gebührt das Verdienst, die Sache beim Namen genannt zu haben. Es ist schließlich auch für uns wichtig, daß solche Dinge aufgedeckt werden, damit in Zukunft der Vollzug überall dort gestärkt wird, wo es machbar ist.
Herr Kollege Friedrich, weil Sie von Nürnberg reden: Es ist ganz interessant,
daß der SPD-Umweltreferent in Nürnberg an Hand von vier Punkten nachweist, welche konkreten Forderungen er an die Bundespolitik hat.
- Diese ganz konkreten Forderungen an die Bundespolitik vermitteln uns den Eindruck, daß Sie schon gar nicht mehr zuhören. Sie schaffen dort das Umweltdezernat ab und hören sich noch nicht einmal die Argumente an, weil dann nämlich der Finger in die Wunde Ihres Versagens gelegt werden würde.
Der Umweltreferent in Nürnberg hat nachgewiesen, daß es an rechtlichen Regelungen fehlt. Es fehlt erstens nach wie vor eine vollzugsfreundliche Altautoverordnung. Zweitens fehlt eine Elektronikschrottverordnung. Drittens fehlt eine bundesweit gültige TA Shreddermüll, in der eindeutige Höchstbelastungsgrenzen festgelegt werden. Viertens kritisiert er insbesondere, daß die Behörden auf Grund Ihrer Privatisierungsorgie mit den Vollzugsproblemen allein gelassen werden; denn es ist nicht mehr klar, wie ordnungsgemäße Verwertung überhaupt aussieht.
Er hat in einem Schreiben, in dem er uns zum Handeln auffordert, festgestellt, daß sich ein Abfallerzeuger, wenn er eine Verwertung nur behauptet, damit weitgehend der behördlichen Kontrolle entzieht.
Seit dem 7. Oktober 1996 gilt das sogenannte vereinfachte Entsorgungsnachweisverfahren, wodurch die Kontrolle erschwert wird. Dadurch wird es für die Behörden immer schwieriger, den Vollzug einigermaßen vernünftig zu organisieren.
Im Gegensatz zu Ihnen, die Sie als Koalition ja handeln müßten, haben wir etwas gemacht: Wir haben eine Altautoverordnung vorgelegt und Eckpunkte dazu formuliert. Sie haben bislang lediglich eine freiwillige Selbstverpflichtung vorgelegt, hinsichtlich derer selbst die EU-Kommission in ihrer Beurteilung zu dem Ergebnis kommt, dies sei ein Vertrag zu Lasten Dritter, der nachverhandelt werden müsse.
Beim Bereich Elektronikschrott haben Sie überhaupt nichts vorgelegt. Bislang gibt es lediglich eine Informationsrichtlinie, die nur 3 Prozent des Problems, nämlich den Computerschrott, betrifft. Die großen Mengenströme hingegen werden bei Ihnen überhaupt nicht erfaßt. Ich bin sehr stolz, daß die SPD-Bundestagsfraktion gestern Eckpunkte für eine Elektronikschrottverordnung einstimmig beschlossen hat.
Wir fordern darüber hinaus, daß der Vollzug bei der Verwertung nach dem Kreislaufwirtschaftsgesetz thematisiert wird. Auch dazu haben wir rechtliche Initiativen ergriffen. Wir werden Sie zwingen, Farbe zu bekennen.
Wir fordern Sie deshalb auf: Sorgen Sie durch Ihr Handeln für Rechtssicherheit, indem die seit sechs Jahren angekündigten Verordnungen endlich in Kraft treten!
Hören Sie mit den freiwilligen Selbstverpflichtungen auf, die im Prinzip noch nicht einmal das Papier wert sind, auf dem sie stehen! Sorgen Sie dafür, daß durch eine ungerechtfertigte Standortdiskussion, in der immer wieder die Umweltstandards als Argument genannt werden, nicht der Eindruck in der Öffentlichkeit entsteht, als wären unsere Umweltstandards zu hoch! Sie sind richtig. Wir müssen sie anwenden. Wir sollten alle unterstützen, die gegen illegale Abfallentsorgung und illegalen Mülltransport vorgehen.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Steffen Kampeter, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Daß der SPD-Umweltreferent in Nürnberg, von seiner eigenen Verantwortung ablenkend, jetzt in andere Richtungen zeigt, mag menschlich verständlich sein.
Wenn aber etwas bei der Auseinandersetzung über diese Abfalltransporte und illegalen Ablagerungen erwähnenswert ist, dann ist es der Punkt, daß wir es vor allen Dingen mit einem Vollzugsproblem zu tun haben. Das muß am Anfang dieser Debatte einmal klargestellt werden.
Wir haben in den vergangenen Jahren eine Vielzahl von neuen Regelungen im Abfallrecht beschlossen. Ich weiß nicht, wo der SPD-Umweltreferent von Nürnberg lebt. In Mittelfranken, das ist schon klar. Aber die meisten, die etwas mit Abfallrecht zu tun haben, sagen in Richtung Bonn: Nun laßt uns erst einmal in Ruhe diese Dinge vollziehen und macht keine neuen Vorschriften. Das ist, glaube ich, eher der richtige Ruf aus der Praxis.
Steffen Kampeter
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion läßt sich im Bereich Tatort Umwelt von niemandem überbieten,
wenn es darum geht, rechtliche Regelungen zu schaffen, die geeignet sind, Umweltstraftäter zur Ordnung zu rufen und dort zu verurteilen, wo es notwendig ist. Das war auch ein Hauptanliegen, als wir vor drei Jahren die Novellierung des Abfallrechts in Deutschland vorangetrieben und das neue Kreislaufwirtschaftsgesetz verabschiedet haben.
Frau Kollegin Caspers-Merk, wenn Sie heute die Behauptung aufstellen, das neue, vereinfachte Nachweisverfahren des Kreislaufwirtschaftsgesetzes führe zu weniger Kontrolle, dann führen Sie die deutsche Öffentlichkeit in die Irre. Die Fälle, über die wir heute reden, sind nach dem alten Nachweisverfahren, das Sie offensichtlich als besser empfunden haben, erfolgt. Dabei haben sich die Beamten allerdings darauf beschränkt, Papiere zu kontrollieren. Sie haben einen enormen Papierwulst kontrolliert, und es ist ihnen nichts aufgefallen. Ein Beispiel dafür sind die Nürnberger Transporte. Wir wollen, daß die Beamtinnen und Beamten weniger die Papiere, sondern mehr die Betriebe kontrollieren.
Deswegen haben wir mit dem neuen Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz die Bürokratie verringert und die Kontrollmöglichkeiten intensiviert.
Frau Kollegin Caspers-Merk, Sie haben kritisiert, das umdeklariert wird. Mit dem Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz haben wir diese Umdeklarationsmöglichkeiten beim Müll verhindert.
Wir haben die internationalen Abfalltransporte neu geregelt. Das war richtig so.
Wie erklären Sie es sich denn sonst, Frau Kollegin Caspers-Merk, daß Ihre Fraktion diesem Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz zugestimmt hat.
- Frau Kollegin Caspers-Merk, die Elektronikschrottverordnung oder die Altautoverordnung hätte bezüglich der Kontrolle von Abfalltransporten überhaupt nichts gebracht.
Ich will Ihnen auch sagen: Die Zertifizierung verhindert natürlich nicht die kriminelle Energie, die bei den bestimmten Unternehmen dahintersteckt. Wir können mit der Zertifizierung Qualitätsstandards setzen, aber wir können damit nicht kriminelle von nicht kriminellen Unternehmern bzw. Unternehmen trennen. Deswegen, glaube ich, erwecken Sie falsche Hoffnungen.
Wir brauchen einen ordnungsgemäßen Vollzug. Wir brauchen gut ausgestattete Umweltpolizeien in den Ländern. Wir brauchen fleißige Umweltreferenten, die auch einmal vor Ort in den Betrieben aufpassen. Wir brauchen einen leistungsfähigen Umweltvollzug. Dafür haben wir - gemeinsam mit Ihnen - mit den rechtlichen Möglichkeiten die Voraussetzungen geschaffen.
Ich will auch zu der Behauptung einiges sagen, das Thema der Aktuellen Stunde betreffe einen Skandal in Bayern. Die Ermittlungen in dem Zusammenhang laufen in Bayern, in Baden-Württemberg, in Rheinland-Pfalz, in Hessen, in Niedersachsen, in Sachsen-Anhalt und anderswo. Daraus einen bayerischen Skandal zu machen mag zwar Ihrem parteitaktischen Wunschdenken entsprechen,
zeigt aber, daß Vollzugsdefizite auch in anderen Teilen dieses Landes vorhanden sind. Wenn es denn schon ein bayerischer Skandal ist, wäre es vernünftiger, von einem fränkischen zu sprechen, denn Nürnberg liegt in Mittelfranken.
Ich stimme Ihnen zu - damit will ich schließen - in der Forderung, daß wir dringend eine Altautoverordnung brauchen. Wir müssen die Selbstverpflichtung der Industrie zur Verwertung von Altfahrzeugen flankieren. Wir brauchen die Qualitätsstandards, die die Altautoverordnung bringt.
Aber wer verzögert eigentlich die Beratung der Altautoverordnung im Bundesrat? Ich höre immer nur, daß sich die Beratung von Woche zu Woche verschiebt, weil sich die Umweltminister der SPD nicht auf ein einheitliches Konzept einigen können.
Wer im Bundesrat die Beratung verzögert und hier im Bundestag anmahnt, daß die Verordnung noch nicht vorliege, der sollte erst einmal seine Hausaufgaben machen. Wir haben sie gemacht. Deswegen unterstützen wir weiterhin die Umweltpolitik dieser Bundesregierung.
Das Wort hat der Kollege Jürgen Rochlitz, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie viele Müllskandale werden wir denn noch in den 80 Wochen Merkelscher Umweltpolitik erleben? Wird das Umweltministerium in diesen verbleibenden 80 Wochen bis zur Bundestagswahl noch die Kraft finden,
Dr. Jürgen Rochlitz
endlich die Gesetzeslücken für die Müllmafia zu schließen.
Oder werden wir weitere 80 Wochen Hilflosigkeit, Schuldzuweisungen an die Länder und, Herr Kampeter, Schulterklopfen in den eigenen Reihen erleben? Wann endlich werden im Umweltministerium die Fakten zur Kenntnis genommen und Maßnahmen ergriffen?
Schon seit über sieben Jahren sind die Probleme mit dem Auto- und Elektroshredder bekannt. Schon das Töpfer-Ministerium wollte mit einer ShredderVerordnung die dubiose Praxis reglementieren. Dabei ist es leider geblieben.
Das damalige Abfallrecht, das bis letzten Herbst noch Geltung besaß, ermöglichte es, Abfälle per Federstrich oder Telefonaten zu Wirtschaftsgütern zu machen. So manche Behörde, so manches Landesumweltministerium war dankbar für soviel Flexibilität. Und die Müllmafia nutzte diese Möglichkeiten gnadenlos aus.
So wurde zum Beispiel im Mannheimer Hafengebiet die Lagerung von Zigtausenden Tonnen hochbelasteten Shreddermülls möglich, und zwar als Wirtschaftsgut und ohne Basisabdichtung oder sonstige Deponiesicherheiten. Auch Brände und Selbsterhitzungen erzwangen nicht den rechtzeitigen Abtransport als Sondermüll vom ungeeigneten Gelände vor dem Konkurs des mafiosen Unternehmens.
Mit der damaligen Rechtslage tun sich auch heute noch die Staatsanwälte schwer. Die Umweltgefährdung ging nämlich schon damals vom Bundesrecht aus. Dem Verbleib von so manchen Tausenden Tonnen Sondermüll, die in den offiziellen Bilanzen nicht mehr aufgeführt werden, müßte nachgegangen werden; denn der Rückgang zum Beispiel von Sonderabfallmengen um 50 Prozent oder von Shredderabfällen in Baden-Württemberg um 75 Prozent - von 60 000 Tonnen im Jahre 1990 auf 15 000 Tonnen im Jahr 1993 - muß durchaus kein abfallwirtschaftlicher Erfolg sein, wie immer wieder behauptet wird.
Herr Kampeter, allerdings ist auch bei der heutigen Rechtslage auf der Basis des Kreislaufwirtschaftsgesetzes Vorsicht angebracht. Es ist nämlich nicht so - wie Sie jetzt ausgeführt haben -, daß gewissermaßen die Umdeklaration nicht mehr möglich wäre. Zwar kann mit dem neuen Begriff „Abfall zur Verwertung" ein besserer Überblick über die Abfallströme gewonnen werden,
doch auch hier sind Tür und Tor noch offen für eine dubiose Verwertungspraxis. Ich verweise allein auf die Untertageverfüllung von Bergwerksstollen mit Sondermüll als sogenanntem Bergwerksversatz. Die Grauzone zwischen behördlicher Praxis und mafiosem Vorgehen ist durch das neue Kreislaufwirtschaftsgesetz also keineswegs aufgehellt.
Das Umweltministerium ist dem Bundestag in folgenden Punkten immer noch Vorlagen schuldig geblieben. Erstens. Aufstellung von ökologischen Kriterien für die Verwertung. Zweitens. Aufstellung von ökologischen Kriterien für die Produktverantwortung bei den Auto- und Elektrokonzernen zur Förderung des Einsatzes umweltverträglicher Materialien. Drittens. Eine Shredderverordnung, die Andienungspflichten und Entsorgungspfade, Grenzwerte und Bestimmungsmethoden festschreibt. Viertens. Eine ökologische Altauto-Rücknahmeverordnung, die über das Feigenblatt einer absolut unzureichenden Selbstverpflichtungserklärung der Autokonzerne hinausgeht.
Die 70 000 Tonnen Shreddermüll, meine Damen und Herren, sind aber nur die Spitze des Eisbergs; denn mehr als zehnmal soviel, nämlich über 1 Million Tonnen brennbarer Sonderabfälle, sind seit 1993 bundesweit aus der geordneten Entsorgung verschwunden. Sie wurden illegal oder halblegal exportiert, umdeklariert, verbuddelt oder verbrannt.
Zu dieser Situation kommt noch die Heuchelei der Politiker aller Couleur, die gern den schlanken Staat predigen und dann angesichts der Bilder von öltriefenden Müllkippen eine mangelhafte staatliche Überwachung und Kontrolle beschreien. Fragen Sie doch einmal die überlasteten Beamten und Angestellten in den Gerichten, den Staatsanwaltschaften, beim Zoll, bei der Polizei: Personal, zumal fachkundiges, Geld und Material werden immer knapper, während sich die Giftmüllmafia bequem einrichtet.
Und mitten im Skandal vor allem auch die Bundesregierung, die nicht nur mit dem neuen Abfallgesetz den Grundstein für eine Vielzahl neuer Skandale gelegt hat. Über deregulierende Verordnungen soll mit weniger Staat mehr Eigenüberwachung stattfinden. Waren früher Abfallströme über Begleitscheinsysteme noch ungefähr verfolgbar, erhalten die Entsorgungsfachbetriebe nun wesentliche Prüf-, Nachweis- und Transporterleichterungen, womit dem Mißbrauch Tür und Tor geöffnet ist.
Wir fordern die Bundesregierung auf, endlich Konsequenzen aus dieser unendlichen Geschichte der Giftmüllskandale zu ziehen. Legen Sie den Grundstein für eine intensive, verbesserte Überwachung der Unternehmen als Giftmüllproduzenten durch ausreichendes und qualifiziertes Personal!
Schaffen Sie endlich einen wirtschaftlichen Anreiz für die Vermeidung von Sonderabfall und ökologische Kriterien für den Einsatz von Materialien und ihr Recycling! Unterstützen Sie die Einrichtung von Ermittlungsgruppen für Sondermüll, wie in Hessen,
Dr. Jürgen Rochlitz
durch eine bundesweite Vernetzung im Bundeskriminalamt!
Wenn Sie den Müllverschiebern das Handwerk legen wollen, dann müssen Sie endlich handeln, und zwar in diesem Sinne.
Danke schön.
Das Wort hat die Kollegin Birgit Homburger, F.D.P.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist ja mal wieder typisch, was hier vonstatten geht. Es läuft wieder eine Aktuelle Stunde, ohne daß man schon über alle Hintergründe informiert wäre und die Kenntnisse hätte, die überhaupt eine Beurteilung zuließen.
Es ist mal wieder typisch, daß eine kriminelle Müllschieberei stattfindet und Sie gleich die Gelegenheit nutzen, um zu versuchen, das der Bundesregierung in die Schuhe zu schieben.
Sie sollten besser einmal die kriminellen Machenschaften beklagen und für Verbesserungen im Vollzug sorgen, anstatt immer wieder Alibiveranstaltungen abzuhalten.
Die bisher bekanntgewordenen illegalen Ablagerungen von Sonderabfällen auf nicht geeigneten Deponien werden von uns natürlich genauso verurteilt. Umweltkriminalität ist schließlich kein Kavaliersdelikt und muß konsequent verfolgt und bestraft werden.
Es ist auch ein Skandal, wenn es tatsächlich zutreffen sollte, wie ja berichtet wird, daß kurz nach der Wiedervereinigung die Unwissenheit und Unerfahrenheit von Behörden in den neuen Ländern ausgenutzt wurde, um illegal Sonderabfälle auf Hausmülldeponien einzulagern. Es wäre auch skandalös, wenn es tatsächlich zuträfe, wie es berichtet worden ist, daß sich einige Verantwortliche hätten bestechen lassen.
Aber ob das alles stimmt, das wissen wir nicht; wir kennen es im Moment nur aus der Zeitung. Ich würde es deswegen auch ein bißchen mit Vorsicht behandeln. Ich hätte es besser gefunden, man hätte in Ruhe abgewartet und sich einen ordentlichen Bericht vom Umweltministerium geben lassen, in dem die Tatsachen, wenn man sie dann zusammengetragen hätte, aufgelistet worden wären, anstatt sich hier
heute damit auseinanderzusetzen und den Versuch zu machen, Panik zu verbreiten und es der Bundesregierung in die Schuhe schieben zu wollen.
Herr Rochlitz, Sie haben es wieder bezweifelt - wir haben das hier schon mehrfach besprochen -: Die illegalen Müllschiebereien, die vorgekommen sind, sind unter dem alten Abfallrecht und nicht nach dem neuen Kreislaufwirtschaftsgesetz passiert.
Wir haben genau dieses Schlupfloch gestopft.
Die Umdeklarierung in Wirtschaftsgut ist nach dem neuen Recht nicht mehr möglich. Das war Sinn und Zweck der Novelle bzw. des neuen Abfallrechts.
Wir haben es schon x-mal erörtert - Sie werden es wahrscheinlich nie verstehen; ich kann es nur jedesmal wieder erläutern -: Der Vollzug war und ist Ländersache, und die Abfallüberwachung ist ebenfalls Ländersache.
Sie fordern genügend Personal; auch das ist Ländersache. Das haben wir Ihnen ebenfalls schon x-mal erklärt; auch das ist nicht unsere Sache.
Das, was wir von der Bundesebene dazu tun konnten, haben wir getan. Wir haben nämlich durch ein entsprechend vereinfachtes Verfahren, durch eine Entbürokratisierung der Abfallnachweisverfahren, im Kreislaufwirtschaftsgesetz dafür Sorge getragen, daß die Behörden vor Ort im Vollzug zukünftig nicht mehr nur Papier über den Tisch schieben, sondern wirklich Zeit gewinnen, um vor Ort in den Betrieben zu prüfen. Das ist doch das Wesentliche. Die Entlastung, die wir von der Bundesseite aus haben initiieren können - dabei geht es nicht um eine Reduzierung in bezug auf Umweltstandards, sondern um eine Entlastung der Behörden, so daß sie vor Ort überprüfen können -, haben wir vorgenommen.
Der Rest ist Ländersache und bleibt Ländersache; das müssen Sie einfach mal kapieren.
Die SPD wirft uns wieder vor, wir würden die Altautoverordnung nicht erlassen. Frau Caspers-Merk, diese haben wir hier am 12. Dezember 1996 beschlossen.
Wo liegt denn das Ding? Im Bundesrat. Und jetzt stellt sich angesichts dieses Skandals Frau Martini, Umweltministerin in Rheinland-Pfalz, hin und sagt, sie will, daß die Straßenverkehrs-Zulassungs-Ord-
Birgit Homburger
nung geändert wird und daß zukünftig für die Abmeldung eines Autos eine Annahmeerklärung eines zertifizierten Verwerters her muß. Dazu kann ich nur sagen: Genau das beabsichtigen wir doch mit dem Ding, das im Bundesrat nicht fertig wird.
Das, was Sie von seiten der SPD hier abliefern, ist also wirklich ein Trauerspiel.
- Der Herr Kollege Kampeter ruft zu Recht dazwischen: „Das ist noch milde ausgedrückt." - Sie haben überhaupt kein Material für eine vernünftige Auseinandersetzung.
Ich sage auch einmal ganz deutlich: Ob gesetzliche Änderungen notwendig sind, kann man erst beurteilen, wenn die Vorgänge wirklich aufgeklärt sind. Für voreilige Forderungen von Ihrer Seite besteht überhaupt kein Grund.
Jetzt noch eine letzte Bemerkung zur TA Shredderabfall. Auch das ist eine Sache, die seinerzeit letztlich an den Ländern gescheitert ist. Aber das ist überhaupt nicht der Punkt, an dem man ansetzen muß. Sie dürfen nicht bei der Frage ansetzen, wieviel Milligramm pro Kilo PCB nach dem Shreddervorgang hinten herauskommen, sondern müssen es bei der Frage tun, was vorne bei der Produktion passiert. Genau das will man mit der Altautoverordnung erreichen. Dazu hat die Wirtschaft eine Selbstverpflichtung abgegeben, auch eine zur Reduzierung des Abfalls aus dem Bereich der Altautos. Das sind ja alles Dinge, die zwischenzeitlich passiert sind.
Kurz zusammengefaßt: Das Vorgehen der SPD ist mal wieder eindeutig. Es geht ihr nicht um die Sache, sondern um die Show. Ich kann hier nur sagen, Nervosität war noch nie ein guter Berater.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Eva Bulling-Schröter, PDS.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wieder einmal ein Umweltskandal, den wir hier im Plenum behandeln. Im Oktober 1995 ging es um 43 Fässer mit giftiger Blausäure an Bayerns Autobahnraststätten; dieses Mal dreht es sich um 70 000 Tonnen Sondermüll.
Wenn Frau Merkel jetzt da wäre - aber Frau Homburger hat es ja schon gesagt -, würde wieder einmal darauf verwiesen, daß dieses vor Inkrafttreten des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes vom 8. Oktober geschehen ist. Das trifft zwar in diesem Fall zu, aber schauen wir einmal, welche Ausreden es beim nächsten Umweltskandal gibt.
Bund und Länder stehen wieder einmal hilflos vor einem Problem; wieder einmal wird die Situation heruntergeredet und von schwarzen Schafen gesprochen. Schauen wir uns einmal an, was die Presse dazu schreibt:
Die Ermittlungen gegen die Bande von Shreddermüllverschiebern laufen in Nürnberg seit 1994, aber die zuständigen Ministerien in Sachsen und Sachsen-Anhalt - die Empfängerländer der gefährlichen Ladungen - erfuhren davon erst letzte Woche aus der Zeitung.
Das ist schon sehr seltsam.
Was die Ermittlungen angeht, muß die Nürnberger Polizei einräumen, es gebe leider eine gewisse Rechtsunsicherheit bezüglich des Grenzwertes für den krebserregenden und erbgutschädigenden Stoff PCB im Shreddermüll. Dadurch entstehe für die Ermittlungen eine enorme Beweisproblematik. Mehrere Verfahren seien auf Grund der komplexen Rechtslage niedergeschlagen worden, denn die Definition von Shreddermüll als Sondermüll sei schwierig, so auch der Geschäftsführer des Schrott-Recycling-Verbandes in Köln. Das heißt, es gibt hier eine Rechtsunsicherheit, die behoben werden muß.
Jetzt schauen wir uns einmal die Situation der Wirtschaft in diesem Lande an. Dauernd wird über den Standort Deutschland, über Wettbewerbsfähigkeit und über diese ganzen Dinge gesprochen; soziale Standards und Umweltstandards aber werden verringert. Dazu kommt die ganze Frage der Selbstverpflichtungen. Frau Merkel bemüht sich ja sehr, nur ist die Lobby sehr viel stärker. Was dabei herauskommt, sieht man jetzt ja wieder.
Durch diese ganze Politik werden große Gewinne in diesem Land erzielt. Es gibt sehr viele Konzerne, die auf Grund dieser Politik nach 1945 einzigartige Gewinne erzielt haben. Andere Firmen aber machen nicht so große Gewinne.
Was passiert dann? Man transportiert eben illegal Müll und erzielt die gewünschten Gewinne, die inzwischen höher als im Kokainhandel sind. Das rentiert sich natürlich.
Jetzt zu Bayern: Es wurde gesagt, die Länder seien schuld. Herr Rochlitz hat klargestellt, daß dort Personalbedarf besteht. In Bayern gibt es zwar genügend Personal im Vollzug, aber das macht ganz andere Dinge: Es bespitzelt Sozialhilfeempfänger und schiebt Asylbewerber in der Frühe um 3 Uhr ab. Hier wäre das Potential, endlich einmal Umweltkriminelle -
Eva Bulling-Schröter
- ich rede jetzt von Bayern! - zu beobachten. Andere Dinge werden in Bayern ja sehr wohl beobachtet. Hier gäbe es endlich einmal eine Möglichkeit dazu.
Jetzt noch ein Wort zu Nürnberg: Es wurde der Nürnberger Umweltreferent erwähnt. Noch niemand hat darüber gesprochen, daß die CSU nach ihrem Sieg bei den Kommunalwahlen im letzten Jahr als erstes das Umweltreferat aufgelöst hat.
Das Umweltreferat wurde in das Bau- und Wirtschaftsreferat eingegliedert. Hier sieht man, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, was Sie von Umweltpolitik halten, wenn Sie das Umweltreferat in Nürnberg als erstes auflösen.
Ich meine - die Kolleginnen und Kollegen der anderen Oppositionsparteien haben es schon gesagt -: Wir brauchen wasserdichte Verordnungen und Gesetze, die machbar sind, und natürlich auch Vorschriften, die diese Skandale verhindern, indem lükkenlose Nachweise dafür verlangt werden, wohin die Abfälle gehen. Ich möchte hier nur Hubert Weiger, den Chef des Bundes Naturschutz in Bayern zitieren. Er hat gesagt, Umweltverbrechen müssen genauso wie Mord und Totschlag geahndet werden.
Danke.
Ich erteile jetzt dem Parlamentarischen Staatssekretär Walter Hirche das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Caspers-Merk, über die Inkonsequenz Ihrer Darstellung war ich überrascht.
Sie haben dem Bund vorgehalten, er habe bestimmte Dinge nicht gemacht. Ich spreche deshalb von Inkonsequenz, weil Sie nach dem, was Sie ausgeführt haben, eigentlich eine Verfassungsänderung fordern müßten, so daß der Bund das alles in bundeseigener Verwaltung und somit mit Vollkompetenz machen kann.
Ich möchte dann einmal sehen, wie die Länder dazu stehen.
Auf diesen Punkt werde ich noch zurückkommen. Denn der Vollzug, um den es hier geht, ist ausschließlich Ländersache. Es wird sich für Sie noch als Bumerang erweisen, daß Sie glauben, dieses Thema immer im Bundestag einbringen zu müssen. Man kann viel besser in den Ländern darüber reden, welche Versäumnisse vor Ort begangen worden sind.
Zudem wissen Sie, daß es sich um Vorgänge aus den Jahren 1991 bis 1994 handelt, also aus der Zeit vor dem Inkrafttreten der jetzigen rechtlichen Regelungen, mit denen alle Konsequenzen aus dem früher ungenügenden Abfallrecht gezogen worden sind. Die bestehenden bundesrechtlichen Vorgaben sind ausreichend, aber sie können - das werden Sie zugeben müssen - keinen ausreichenden Schutz gegen kriminelle Machenschaften leisten. Diese würden bedauerlicherweise selbst dann auftreten, wenn Sie hier und dort Veränderungen vornehmen würden.
Das geltende Recht läßt eine Entsorgung, wie sie von der Polizei berichtet wird, nicht zu. Die Vollzugsbehörden der Länder hätten eine solche Entsorgung bei vorheriger vollständiger Kenntnis zweifellos unterbunden. Deswegen muß davon ausgegangen werden, daß die Vollzugsbehörden entweder nicht beteiligt oder durch Vorlage manipulierter Unterlagen bewußt getäuscht wurden. Gegen kriminelle Machenschaften kann nur das Strafrecht helfen, das im Falle der umweltgefährdenden Abfallbeseitigung im übrigen eine Freiheitsstrafe von bis zu 10 Jahren vorsieht und somit durchaus eine Regelung bereithält.
Ich darf darauf hinweisen, welche Maßnahmen beschlossen worden sind. Erstens. Die Bundesregierung hat den Entwurf der Altautoverordnung beschlossen. Er liegt aber seit Dezember 1996 im Bundesrat und wird dort von den SPD-regierten Ländern blockiert. Das Inkrafttreten der Verordnung vor der Sommerpause ist dadurch gefährdet. Die dringend notwendige Verbesserung der Altautoentsorgung und die damit einhergehende Schadstoffverringerung der Shredderabfälle und eine intensive Überwachung der Shredderbetriebe werden durch die schleppende Behandlung im Bundesrat verzögert. Ich wünschte mir, daß die SPD-Fraktion die Hälfte der Energie, die sie bei Diskussionen im Bundestag aufbringt, auf den Bundesrat verwendet, wenn sie Interesse daran hat, daß sich der Vollzug in der Praxis wirklich verbessert.
Zweitens. Nach dem neuen Kreislaufwirtschaftsgesetz und der hierzu erlassenen Nachweisverordnung - Sie wissen das ganz genau - bezieht sich die Kontrolle neben der Beseitigung auch auf die Verwertung der Abfälle. Wir haben im neuen Abfallrecht - das waren doch alle Fraktionen gemeinsam - durch die Einführung der Begriffe „Abfall zur Beseitigung" und „Abfall zur Verwertung" dafür gesorgt, daß die Überwachungsstränge vollständiger vorhanden sind und daß ein einfaches Umdeklarieren in „Wirtschaftsgut", womit wir es im vorliegenden Fall wahrscheinlich zu tun haben, nicht mehr stattfindet.
Parl. Staatssekretär Walter Hirche
Es ist längst die richtige Konsequenz gezogen worden. Die nun auftauchenden Abfälle geben der Gesetzesänderung insofern recht.
Für Entsorgungsfachbetriebe und für überprüfte Entsorgungsunternehmen ist ein besonderes Verfahren eingeführt worden. Ich glaube, daß gerade dieses Verfahren dem beklagten Personalmangel Rechnung trägt. Jetzt ist es nämlich möglich, Betriebe vorab zu zertifizieren und ihnen damit die volle Verantwortung zu geben. Das bedeutet, daß die Umweltvollzugsbehörden vor Ort endlich von dem Papierkram befreit sind, bei dem Unterlagen sozusagen nur auf formale Stimmigkeit durchgesehen wurden. Jetzt hat man Zeit für Vor-Ort-Prüfungen. Genau diese Deregulierung, mit der die Leute in den Amtsstuben von unnötigen Aufgaben befreit worden sind, schafft die Möglichkeit, diese Leute zur Prüfung zum Beispiel von Shredderanlagen vor Ort einzusetzen. Das heißt: Nach dem neuen Gesetz kann jetzt die Prüfung der faktisch ablaufenden Entsorgungsvorgänge stattfinden. Illegale Entsorgungsabsichten oder Fälschung von Unterlagen können damit im Vorfeld erkannt werden, weil man sich auf die unsicheren Kantonisten konzentrieren kann. Ich denke, daß das neue Recht damit deutliche Fortschritte erzielt hat.
Drittens. Die Technische Anleitung Siedlungsabfall muß durch Anpassung der Zulassungsbescheide und Überwachung der Deponien von den Ländern mit Nachdruck umgesetzt werden.
Auch hier stellen wir fest -ich denke zum Beispiel an Niedersachsen -, daß bestimmte Dinge von den Ländern nicht so umgesetzt und in der Praxis gehandhabt werden, wie das auf Bundesebene festgelegt worden ist.
Bei Beachtung dieser Regelungen ist auszuschließen, daß vermischte oder umdeklarierte Abfälle, wie von der Polizei ermittelt, auf ungeeigneten Deponien abgelagert werden.
Viertens will ich etwas zur Technischen Anleitung Shredderabfall sagen. Frau Caspers-Merk, ich habe schon gestaunt, mit welchem Mut oder, sagen wir, welcher Tollkühnheit Sie dieses Thema hier angesprochen haben. Die Bundesregierung hat doch Anfang der 90er Jahre vorgeschlagen, eine Technische Anleitung Shredderabfall zu machen, um den PCB- Anteil bei der Ablagerung auf Deponien zu begrenzen. Das ist auf den Widerspruch und Widerstand der Länder gestoßen. Weil wir nach dem Kooperationsprinzip vorgehen, haben wir das erst einmal gestoppt. Nun kommen Sie von der SPD-Seite und machen uns den Vorwurf, daß wir das nicht weiterbetrieben hätten.
Ich nehme diese Debatte gerne zum Anlaß, den Weg, den die Bundesregierung schon lange beschritten hätte, jetzt zu beschreiten und auf die Länder zuzugehen. Ich hoffe, daß nach Ihrer Intervention heute die Länder morgen vielleicht anders regieren. Dann hätte diese Debatte ein Ergebnis gehabt,
nämlich die Bewegung auf der SPD-Seite in Richtung mehr Kontrolle in diesem Zusammenhang.
Ich darf zusammenfassen: Die Rechtslage war klar. Sie ist weiter verschärft worden. Aber auch künftig müssen natürlich die Länder für den Vollzug zuständig sein und die kriminellen Machenschaften unterbinden wollen. Das wird nicht in jedem Einzelfall gelingen. Aber die Vorwürfe der SPD, die Selbstverpflichtung begünstige solche Umweltdelikte,
ist absurd. Denn unsere Regelungen schaffen erst den Kontrollfreiraum vor Ort. Wir warten auf die Zustimmung der mehrheitlich SPD-geführten Bundesländer zur Altautoverordnung und zu einer künftigen Shredderabfall-Verwaltungsvorschrift. Dann werden wir weitersehen. Insofern war es mir ein Vergnügen, die Nachlässigkeiten, die durch die Länder und die SPD-Politik der letzten Jahre entstanden sind, hier aufzuzeigen.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Susanne Kastner, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man muß an dieser Stelle endlich einmal mit der Mär von der Blockadepolitik der SPD-geführten Länder aufräumen.
Ich will das im Detail machen.
Herr Kollege Kampeter und Herr Kollege Hirche, Sie können das zwanzigmal wiederholen: Es entspricht schlicht und ergreifend nicht der Wahrheit. Wenn Sie nämlich darüber reden, daß die SPD im Bundesrat die Altautoverordnung blockiert, dann müssen Sie ehrlicherweise auch sagen, daß Sie nicht bereit sind, dabei die freiwillige Verpflichtung zurückzunehmen. Wir wollen eine ordentliche Verordnung.
Wenn Sie nicht einmal Mindeststandards vorschlagen, dann können Sie auch nicht erwarten, daß wir von seiten der SPD-Fraktion unsere Länder überreden, daß sie diesem nicht genügenden Vorschlag von Ihnen zustimmen. Das kann man einfach nicht machen.
Susanne Kastner
- Frau Kollegin Homburger, bleiben Sie einmal ruhig. - Tatsache ist auch: Frau Umweltministerin Merkel drückt noch immer beide Augen zu, weil nicht sein kann, was nicht sein darf.
Über die Altautoverordnung haben wir gesprochen. Jetzt kommen wir zur Technischen Anleitung Shredderabfall. Herr Kollege Hirche, erstens hat das, was Sie Anfang 1990 eingebracht haben, auch Bayern boykottiert. Gehen Sie doch einmal zum Herrn Umweltminister Goppel und fragen Sie ihn, warum er gegen diese Technische Anleitung Shredderabfall war.
Zweitens wissen Sie ganz genau, daß in der Technischen Anleitung Shredderabfall keine Mindeststandards festgeschrieben sind. Sie sind aber schlichtweg Voraussetzung; ansonsten kann nämlich alles verwertet werden.
Es ist nun einmal so, Frau Kollegin Homburger, daß wir zwar über das Kreislaufwirtschaftsgesetz ein Loch gestopft haben, Sie aber ein anderes aufgemacht haben, weil Sie die Mindeststandards nicht festgeschrieben haben.
Das führt dazu, daß - -
- Herr Kollege Kampeter, daß das kriminelle Machenschaften sind, wissen wir auch. Die Methode ist natürlich immer dieselbe - das wissen wir ja -: Der Sondermüll wird umdeklariert,
] Das geht
nicht mehr!)
Begleitpapiere werden gefälscht, Stoffgruppen werden vermischt - und schon ist aus dem teuren Sondermüll ganz normaler Hausmüll geworden, der dann auf den Hausmülldeponien billig entsorgt werden kann.
- hinterher, Herr Kollege Kampeter - der Deponien. Zweitens werden die Gesundheit des Menschen und die Umwelt stark gefährdet.
Ich denke, an dieser Stelle ist es wichtig, den Ermittlungsbehörden in Bayern, in Nürnberg, für ihr Engagement zu danken.
Es kann aber doch nicht angehen, daß die Justiz die Fehler auszubaden hat, die die Politik in Bonn weiterhin begeht.
Ich denke, es ist schlichtweg notwendig, einmal die Forderung der SPD in Bayern aufzugreifen, Spezialkommissare für Umweltfragen einzusetzen, die solchen illegalen Giftmülltransporten dann ernsthafter auf der Spur sind.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, verantwortlich ist man nicht nur für die Dinge, die man tut, sondern auch für die Dinge, die man nicht tut. Es ist deshalb dringend an der Zeit, daß Sie sich der Verantwortung stellen und Ihre Ankündigungen endlich in verbindliche Verordnungen umsetzen. Das zur Zeit herrschende Durcheinander zum Beispiel im Bereich der Altautos - ich sage das noch einmal - trägt leider mit dazu bei, daß die illegale Entsorgung zu einfach und zu lukrativ ist.
Danke schön.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Vera Lengsfeld, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Nachdem ich dieser Aktuellen Stunde jetzt geraume Zeit zugehört habe, sind meine Unklarheiten noch immer nicht beseitigt.
Es ist hier von Frau Caspers-Merk und von Herrn Rochlitz von Gesetzeslücken geredet worden, wobei beide nicht gesagt haben, wo die überhaupt bestehen. Bei mir hat sich der Eindruck verfestigt, daß wir hier heute nicht über Gesetzeslücken reden, sondern über Bildungslücken.
Ich frage mich aber, ob die SPD nicht einen anderen Weg der Nachhilfe finden konnte als ausgerechnet über eine Aktuelle Stunde im Bundestag.
Ich wäre mehr als willig gewesen, Ihnen diesen Nachhilfeunterricht zu erteilen. Ich habe auf meinen Blättern all die Verordnungen aufgelistet, die hier beschlossen worden sind, seitdem ich beim Bundestag bin, und die nachweisen, daß gar keine Gesetzeslükken bestehen. Weil aber von meinen Vorrednern schon verschiedentlich darauf hingewiesen worden
Vera Lengsfeld
ist, wie die Gesetzeslage ist, möchte ich etwas anderes tun, nämlich auf die Presseerklärung von Frau Caspers-Merk und anderen eingehen. Diese hat mich nämlich an einer Stelle doch sehr frappiert. Da steht:
Nach Aussagen der Nürnberger Polizei ist die Abfallpolitik sowohl der Bundesregierung wie der bayerischen Staatsregierung gekennzeichnet durch unklare Bestimmungen und damit der Chance von Umdeklarationen, des Rückzuges des Staates aus Kontrolle und Überwachung...
Aus der letzten Legislaturperiode bin ich von der SPD gewöhnt, daß sie erst das Verfassungsgericht fragen muß, ehe sie außenpolitische Entscheidungen zu treffen wagt. Aber daß die SPD ihren umweltpolitischen Standard jetzt nach den Maßgaben der Nürnberger Polizei ausrichtet, verwundert mich schon etwas;
denn nach meinem Verständnis ist die Polizei dazu da, Gesetzesbrüche festzustellen. Die haben in diesem Fall ganz exakt und ganz eindeutig vorgelegen. Die Polizei hat diese Gesetzesbrüche zu verfolgen. Aber über Umweltstandards zu philosophieren ist, glaube ich, nicht Aufgabe der Polizei. Es ist ein Armutszeugnis von Politikern, daß sie sich hinter Beurteilungen der Polizei verstecken müssen.
- Bringen Sie mich nicht aus dem Konzept.
Mich verwundert auch diese inhärente Forderung nach immer mehr Staat in den Durchführungsverordnungen nicht mehr. Das sind Töne, die wir in letzter Zeit - -
Frau Abgeordnete, einen Moment bitte. Das Wort hat jetzt die Frau Abgeordnete Lengsfeld, bitte schön.
Ich spreche, falls das bei der lebhaften Diskussion in Vergessenheit geraten sein sollte, noch immer über die Presseerklärung von Frau Caspers-Merk und über ihre Forderung nach mehr Staat in der Durchführung. Mich verwundert das nicht; denn die Forderung nach mehr Staatsdirigismus ist aus den Reihen Ihrer Partei in letzter Zeit immer häufiger zu hören - erst in jüngster Zeit von Minister Dewes, SPD, im „ND". Ich denke, daß das genau der falsche Weg ist.
Mich wundert auch die Abneigung gerade der Linken gegenüber freiwilliger Selbstverpflichtung. Sie hat nämlich etwas mit dem mündigen Bürger zu tun. Eigentlich ist es ein emanzipatorisches Konzept, mündige Bürger zu fordern.
Daß diese mündigen Bürger in der Umweltpolitik von der SPD ausgerechnet jetzt nicht gewollt werden, finde ich schon sehr erstaunlich.
Die CDU fordert die freiwillige Selbstverpflichtung; also fordert sie auch den mündigen Bürger. Paradox, daß die Linke das nicht macht, obwohl sie die Forderung ständig auf ihren Fahnen trägt. Über diesen Widerspruch sollten Sie mal nachdenken.
Ich bin jedenfalls der Meinung, daß die bestehende Gesetzeslage ausreichend ist und daß diese Vorfälle, über die wir heute diskutieren, die wir alle bedauern und von denen wir alle wünschen, daß es sie in Zukunft nicht mehr geben wird, ausgeschlossen werden können, wenn die bestehenden Gesetze eingehalten werden.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Marlene Rupprecht. Es ist die erste Rede, die Frau Rupprecht im Deutschen Bundestag hält.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eigentlich dachte ich, daß wir hier im Hohen Hause sind und der Polemik bei einem solch ernsten Thema nicht bedürfen.
Aber, Frau Kollegin, Sie meinen, die 70 000 Tonnen, die wir hier ansprechen, seien nichts. Ich denke, 70 000 Tonnen, die verschoben und irgendwo in Sachsen-Anhalt und in Sachsen aufgefunden wurden, sind Menge genug, um hier darüber zu reden und zu fragen: Was ist Sache? Was müssen wir ändern, damit dies nicht wieder vorkommt?
Ich denke, diese 70 000 Tonnen sind nur die Spitze eines Eisberges. Wenn man die Zahlen ab den 90er Jahren anschaut, stellt man nämlich fest, daß die umweltgefährdenden Abfallbeseitigungen kontinuierlich zunehmen. 1995 registrierte die Polizei weit über 24 500 Fälle. Ein Ende ist nicht abzusehen. 1996 mußten bereits rund 29 000 Fälle registriert werden.
Ich denke, das ist kein Wunder - nachdem die F.D.P. mit ihrem ideologischen Kreuzzug für Privatisierung, Rückzug des Staates den Boden für illegale Müllaktivitäten und damit für neue Betätigungsfelder der international organisierten Kriminalität bereitet hat.
Marlene Rupprecht
Meine Damen und Herren, Sie können auch durch Geschrei Ihre Verantwortung nicht abgeben.
Die haben Sie. Sie werden eines Tages nicht von mir, sondern von Ihren Kindern, von den Menschen gefragt werden: Wo haben Sie gestanden, als es darum ging?
Sie können uns hier eine wunderbare Show abliefern. Aber Sie haben den Menschen draußen, Ihren Wählern, Rechenschaft abzulegen, wie Sie mit diesen Dingen umgehen. Und Sie gehen fahrlässig damit um.
Ich spreche hier als Sozialdemokratin,
aber nicht nur, sondern vor allem auch als Betroffene. Bereits seit 1990 pflegen Firmen bei uns in Nürnberg und Umgebung, aber nicht nur dort, eine recht laxe Abfallbeseitigung. Ich brauche die Skandale - Giftmüllfässer an der Autobahn und Shreddermüll - nicht noch einmal zu nennen. Dem Nürnberger Umweltreferenten, dem ich sehr dafür danken möchte, daß er sich so engagiert eingesetzt hat, daß das aufgedeckt wurde,
kann man keine Vorwürfe machen, weil er schlicht und ergreifend kaum Möglichkeiten hat einzugreifen.
Wir alle hier haben die Verantwortung, gesetzliche Regelungen so zu treffen, daß diese Verantwortungslosigkeit von Firmen nicht möglich ist.
- Wenn Sie das noch ein paarmal hören wollen, dann fragen Sie meine Kollegen. Die haben es Ihnen vorhin aufgelistet, die aus den anderen Fraktionen ebenfalls.
Sie müßten den Umdeklarierungen, all den Dingen, die noch möglich sind, endlich einen Riegel vorschieben, damit die Zahlen nicht steigen,
damit für Ihre Versäumnisse - Sie sollten sich nicht gerade darüber freuen, daß Ihre Versäumnisse zu solchen Kriminalitätszahlen führen - nicht die Steuerzahler aufkommen müssen
und in der Zukunft unsere Kinder. Da müssen wir rechtzeitig etwas verändern.
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Dr. Peter Paziorek, CDU/CSU- Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Rupprecht, es wäre sehr interessant gewesen, von Ihnen konkret zu hören, wie durch Gesetzesänderungen in Bonn kriminelle Akte der Umdeklarierung, der Fälschung von Unterlagen bei Leuten, die fälschen wollen, verhindert werden können.
Wenn Sie hier konkret nachgewiesen hätten, wie das geht, dann wären wir heute sicherlich etwas schlauer geworden.
Aber bei den Aussagen, die hier von der Opposition gemacht worden sind, hat man wirklich den Eindruck: Sie wollen einen umweltpolitischen Skandal parteipolitisch für sich ausnutzen,
obwohl noch gar nicht klar ist, wie diese Sache, die in der Tat umweltpolitisch nicht nur bedenklich ist, sondern als Skandal bezeichnet werden kann, im einzelnen abgelaufen ist. Es wäre sicherlich viel besser gewesen, wir hätten diesen Punkt hier beraten, wenn alle Ermittlungsergebnisse umfassend auf dem Tisch liegen.
Deshalb sage ich ganz deutlich: Wir sind den Polizei- und Ermittlungsbehörden, der Staatsanwaltschaft dankbar für das, was sie in den letzten zwei Jahren an sorgfältiger Ermittlung geleistet haben. Denn es gibt Aufklärungsbedarf in der Sache.
Wir müssen uns überlegen, was hier und da im Vollzug zum Beispiel auf der Länderebene noch geändert werden kann. Das will ich gar nicht abstreiten. Aber es kann doch nicht sein, daß Sie hier von vornherein erklären: Die Umweltbehörden vor Ort, auf der kommunalen Ebene, können überhaupt nichts dafür; denn sie haben überhaupt nicht die Möglichkeit, Kontrollen durchzuführen.
Frau Rupprecht, jetzt will ich Sie einmal ganz konkret fragen: Woher haben Sie dieses Verwaltungswissen? Wo gibt es eine gesetzliche Bestimmung, daß diese Kontrollen vor Ort nicht durchgeführt werden können? Als jemand, der lange genug in der Kommunalverwaltung tätig war, kann ich nur sagen: Da sind Sie einer Fehlinformation aufgesessen.
Dr. Peter Paziorek
Überlegen Sie sich doch bitte noch einmal in Ruhe, welche Verantwortung auch hier die Behörden vor Ort haben und ob sie sie wahrgenommen haben! Wenn Sie von der Opposition so argumentiert hätten, wären wir heute sicherlich ein Stückchen weiter.
Sie haben die Altautoverordnung angesprochen. Die Altautoverordnung liegt seit Mitte Dezember im Bundesrat. Die Fachausschüsse des Bundesrates haben dieser Altautoverordnung zugestimmt, nur der Umweltausschuß bis jetzt noch nicht. Deshalb verstehe ich nicht, daß Sie, Frau Caspers-Merk, hier fordern, die Bundesregierung solle eine Altautoverordnung vorlegen.
In Ihren Presseerklärungen weisen Sie darauf hin, Shreddermüll müsse ordnungsgemäß als Sondermüll deklariert und entsorgt werden. Da haben Sie recht. Aber wie sieht denn die gesetzliche Lage aus? -Nach der TA Sonderabfall ist Shredderabfall mit erster Priorität in Sonderabfallverbrennungsanlagen zu behandeln.
Dazu ein Beispiel: Die Firma Thyssen aus Duisburg hatte vor, eine solche Sonderabfallverbrennungsanlage zu bauen. Die geschätzten Kosten für diejenigen, die diese Anlage nachher benutzen, beliefen sich auf 600 DM pro Tonne. Diese Anlage, die schon genehmigt war, ist nicht in Bau gegangen, weil die Kosten zu hoch waren und zum Beispiel holländische Shredderunternehmer den Markt bei uns in Nordrhein-Westfalen abgegrast haben. Als Alternative sollten, so ist überlegt worden, weil das billiger ist, bestehende Kraftwerke und zum Beispiel auch ein Zementwerk in meinem Wahlkreis als solche Sondermüllverbrennungsanlagen benutzt werden.
Ich muß zugeben, daß es in der SPD Kräfte vor Ort gibt, die sagen, darüber müsse man nachdenken. Aber aus Ihrem Bereich, Herr Rochlitz, werden Bürgerinitiativen gegründet, die solche Anlagen von vornherein, obwohl die Untersuchungsergebnisse noch gar nicht abgeschlossen sind, als unrealistisch und damit als nicht einsatzfähig bezeichnen.
Das ist typisch für die Situation: Sie sagen, da sei ein umweltpolitisches Problem. Daraufhin wird ein Vorschlag gemacht, wie es gelöst werden könnte, wie zum Beispiel Shredderabfälle tatsächlich umweltgerecht beseitigt werden könnten, und dann versuchen die Bedenkenträger vor Ort aus Ihrer Partei, einen solchen umweltpolitisch sinnvollen Weg kaputtzumachen.
Das ist doppelzüngig. Sie können das nicht hier als Problem darstellen und sich vor Ort weigern, solche Probleme tatsächlich einer Lösung zuzuführen.
Wenn Sie uns dann mit „Defiziten im Vollzug" kommen, dann müssen Sie sich an die eigene Nase packen und bedenken, welche Schwierigkeiten Sie hinsichtlich des Umsetzens dieser Probleme in der Kommunalpolitik vor Ort bereiten.
Ich fasse zusammen: Es ist richtig, daß wir nachprüfen müssen, was wir noch tun können, um der kriminellen Energie den Weg weiter zu erschweren.
Das riesige Problem dabei ist, daß Sie von vornherein Schuldzuweisungen an eine staatliche Stelle richten, die gar nicht für den Vollzug zuständig ist, während andere, zum Beispiel ein Umweltreferent aus der SPD, der dort zuständig ist, bei Ihnen generell keine Schuld haben.
Das ist kein sachlich begründbarer Weg in der Umweltpolitik. Halten Sie doch in diesen Fragen manchmal lieber die Luft an!
Überlegen Sie nach sauberen Recherchen, wo wir tatsächlich den Hebel ansetzen müssen!
Sie beschweren den ganzen Weg ja dadurch, daß Sie von vornherein nur Kästchendenken zulassen. Deshalb sage ich: Warten wir einmal ab, was tatsächlich vor Ort herauskommt, und schauen wir es uns an. Dann können wir im Bundestag sicherlich darüber diskutieren, was wir noch besser machen können.
Herr Abgeordneter, die Redezeit ist vorbei. Kommen Sie bitte zum Ende!
Danke schön. - Eines geht sicherlich nicht: Sie können die heute geltende gesetzliche Lage nicht heranziehen, um angesichts von Fehlentwicklungen aus den Jahren zwischen 1990 und 1993 der Union Vorwürfe zu machen. Da galt diese gesetzliche Regelung noch überhaupt nicht. Das bitte ich zukünftig zu berücksichtigen.
Vielen Dank, Frau Präsidentin.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Frau Dr. Liesel Hartenstein, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sonderabfallentsorgung hat in der Bundesrepublik einmal recht gut funktioniert. Heute zeigt sich, daß nicht nur riesige Grauzonen entstanden sind, sondern daß wir uns - das muß man noch einmal deutlich sagen - im Eiltempo auf dem Rückmarsch befinden. Das ist nun einmal so.
Dr. Liesel Hartenstein
Ich muß feststellen, daß es nichts hilft, Herr Kollege Paziorek, wenn der Bund versucht, den Schwarzen Peter einfach den Ländern zuzuschieben. Sie können sich nicht aus der Verantwortung stehlen. Denn die Bundesregierung hat es durch hartnäckige Untätigkeit seit Jahren versäumt, die nötigen Regelungen zu schaffen.
Das rächt sich bitter. Billigentsorgung ist, wie wir wissen, Trumpf. Das spart Kosten, das bringt Gewinne. Es ist doch erschreckend, daß heute nur noch 10 bis 20 Prozent der anfallenden Sonderabfälle tatsächlich in den genehmigten Sonderabfallverbrennungsanlagen ankommen. Sie haben ja gesagt, wohin das alles wandert. Kann das so bleiben? Ich denke, nicht. Ähnliches gilt übrigens für die Untertagedeponien. Dort werden bis zu 50 Prozent weniger angeliefert als früher. Die kriminellen Praktiken, die hier eingerissen sind, bedrohen nicht nur unsere Umwelt, sondern kosten auch Arbeitsplätze.
Natürlich, Herr Paziorek, gab es auch früher Umweltkriminalität und üble Geschäftemacherei. Wer wollte das bestreiten? Aber tun Sie doch nicht so, als ob 70 000 Tonnen illegal verschobene giftige Abfälle ein Pappenstiel wären. Darüber muß man doch reden.
Ich kann der Bundesregierung den Vorwurf nicht ersparen, daß sie solchen Machenschaften indirekt Vorschub leistet, weil sie alles schleifen läßt und die Hände in den Schoß legt. „Leichtes Spiel für die Müllschieber - Das Zaudern des Gesetzgebers in Bonn begünstigt die Umweltkriminalität", Überschrift in der „Stuttgarter Zeitung" vom 18. April 1997. Die „Stuttgarter Zeitung" steht nicht in dem Ruf, der Opposition besonders wohlgesonnen zu sein.
Es ist aber so: Nach dem alten Abfallgesetz -natürlich sind die Vorgänge unter dem alten Abfallgesetz entstanden -
sind viele Abfälle nicht unter das Abfallregime gefallen. Das stimmt. Es gab auch keine genaue Unterscheidung zwischen Abfall und Wertstoff. Das war ein großes Manko. Aber Sie haben dieses große Manko nicht behoben.
Was haben Sie denn mit dem Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz gemacht?
- Wenn Sie Unsinn machen, dann sagen Sie: mit unserer Zustimmung. Machen Sie doch erst einmal etwas Rechtes! Dann bekommen Sie aus vollem Herzen unsere Zustimmung.
- Hören Sie zu: Sie haben keine besseren Kontrollmöglichkeiten durch die Behörden eingeführt, und Sie haben die Vollzugstauglichkeit nicht sichergestellt. Statt dessen sind die Überwachungsverfahren dereguliert worden. Alles wird nun nämlich in die Hände der Abfallerzeuger selbst gelegt. Nach dem neuen Gesetz - Frau Homburger, auf besonderen Druck der F.D.P.; ich erinnere mich sehr gut - kann künftig jeder Abfallbesitzer selber entscheiden, wo und von wem er seine Sonderabfälle entsorgen läßt.
Eigenverantwortung solle gestärkt werden, haben Sie behauptet. „Privatisierung der Entsorgung" heißt die Losung. Der Wettbewerb solle blühen.
Er wird blühen, und er wird vermutlich noch schlimmere Auswüchse zeigen als heute. Denn wie sollen in Zukunft die zuständigen Länderbehörden die Entsorgungswege kontrollieren? Vor-Ort-Prüfungen? Lieber Herr Hirche, ich kann nur sagen: Das ist eine Good-will-Erklärung, die Sie da abliefern. Wer soll denn das leisten? Sie bräuchten dazu Legionen von Beamten. Das ist nicht machbar.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat ausreichende Ermächtigungsgrundlagen für die Rechtsverordnungen im Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz. Wir als Opposition haben ein ums andere Mal Anträge eingebracht, die Sie abgeschmettert haben. Wir haben gestern in der Fraktion einen weiteren Antrag beschlossen, der exakt diese Probleme aufgreift. Laßt uns darüber im Ausschuß doch einmal sachlich beraten!
Wir fordern endlich klare Regelungen: Verbot der Vermischung von schadstoffhaltigen und unschädlichen Abfällen - § 7 Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz -,
Festlegung der Andienungspflichten, das heißt Regelung, für welche Sonderabfälle die Länder Andienungspflichten erlassen können - § 13 -, klare Definition, was Abfall und was Wirtschaftsgut ist, damit das Schlupfloch für illegale Umdeklarierungen endlich zugestopft wird.
Dr. Liesel Hartenstein
Dazu müssen Sie die Grenzlinien zwischen Abfall zur Beseitigung und Abfall zur Verwertung endlich klar ziehen, sonst funktioniert das nicht.
- So ist das. Wir reden im Ausschuß weiter.
Machen Sie endlich ernst damit! Das ist unser Appell. Nur dann kann die kriminelle Energie skrupelloser Geschäftemacher endlich gebremst werden.
Danke schön.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Christa Reichard, CDU/CSU- Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich frage mich, wozu diese Aktuelle Stunde heute eigentlich dienen soll. Was wollen Sie wirklich von der Regierung?
Es dürfte Ihnen doch klar sein, daß die Bundesregierung kriminelles Handeln ablehnt. Staatssekretär Hirche hat dies deutlich gemacht, und ich habe keinen Redner gehört, der solches Handeln in irgendeiner Weise gutgeheißen hätte.
Zu diesem Thema bedarf es in diesem Hause auch keiner Aktuellen Stunde.
Die Aufklärung von kriminellen Straftaten ist in diesem Falle durch die Polizei erfolgt und in der vergangenen Woche der Öffentlichkeit mitgeteilt worden. Das ist zwar in der Tat nicht sehr früh, aber in Ordnung. Denn eine zu frühe Information der Öffentlichkeit hätte den Erfolg der Ermittlungen in Frage gestellt.
Nun werden Verhandlungen vor Gericht erfolgen. Die Richter werden nach Recht und Gesetz urteilen und die Täter zur Verantwortung ziehen.
Der Freistaat Sachsen, als dessen Abgeordnete ich hier spreche, ist bei einigen Deponien mitbetroffen. Die Behörden in Sachsen waren übrigens seit langem in die Ermittlungen einbezogen. Wir alle wissen, daß Sondermüll ordnungsgemäß entsorgt werden muß und daß das nicht ganz billig ist. Hier haben schwarze Schafe ein Geschäft gewittert. Ich bin sehr froh, daß dieser Ring von Firmen nun endlich aufgeflogen ist.
Die Vorfälle zählen zu dem Bereich der schweren Umweltkriminalität. Als solche sind sie auch zu verstehen. Die Polizei hat in Sachsen auf fünf Deponien und einem Steinbruch wegen illegaler Ablagerung ermittelt. Die Betonung liegt auf „illegal". Das bedeutet nach dem Duden, der wahrscheinlich auch nach der Rechtschreibreform noch das gleiche dazu feststellt, „gesetzwidrig". Das heißt, die gesetzliche Regelung war und ist vorhanden. Es ist strafbar, gegen geltendes Recht zu verstoßen. Dies muß nicht erst durch zusätzliche Gesetze klargestellt werden. Bestehende Gesetze sind einzuhalten!
Die sächsischen Umweltbehörden haben die Ermittlungen der Kriminalpolizei lange unterstützt. Es wurde zügig gearbeitet. Mögliche Gefährdungen der Umwelt wurden untersucht und bereits erste Maßnahmen eingeleitet.
An dieser Stelle meine Anerkennung für die erfolgreiche Arbeit der Polizei und die zügige Arbeit der sächsischen Umweltbehörden!
Was erschreckend ist - das erschreckt uns alle -, ist das Ausmaß der Müllschiebereien, die wir nicht nur in diesem Falle zur Kenntnis nehmen müssen, und die Tatsache, daß es sich offenbar um einen organisierten Zusammenschluß von Firmen handelt.
Nach gängiger Vollzugspraxis der Länder wird Shredderabfall auf Deponien abgelagert. Als besonders überwachungsbedürftiger Abfall unterliegt er obligatorisch dem Nachweisverfahren. Der Betreiber einer Deponie muß also dafür geradestehen, daß seine Deponie für die Entsorgung dieses Abfalls zugelassen ist. Das muß ihm die Behörde bestätigen. Jeder Entsorgungsvorgang muß dokumentiert werden. Die TA Siedlungsabfall regelt dies. Gegen gefälschte Papiere aber sind auch Behörden machtlos. Noch schwieriger wird es, wenn Behördenmitarbeiter in diese Machenschaften verstrickt sind. Auch dies ist Kriminalität.
Die in Sachsen bekanntgewordenen Fälle und wohl auch die anderen stammen aus der Zeit zwischen 1991 und 1993. In dieser Zeit befanden sich die Umweltbehörden in den neuen Ländern im Aufbau. Das war sicher auch ein Grund dafür, daß die Überwachung noch nicht so funktioniert hat, wie dies heute der Fall ist. Heute wäre eine solche Ablagerung wesentlich schwieriger.
Um dies zu verdeutlichen, nenne ich Ihnen ein paar Zahlen: 1990 gab es in Sachsen 1800 Deponien. 1992 waren es nur noch 80. Diese Deponien hatten auf Grund völlig unzureichender Standards keine Abdichtungen. Es war vor der Wende üblich, Sondermüll und Hausmüll zu mischen, um Einträge in das Grundwasser gering zu halten. Für Westgeld wurde noch zusätzlich Sondermüll angenommen und in
Christa Reichard
diese ungesicherten Deponien gebracht. Deshalb war es möglicherweise so, daß Anfang der 90er Jahre die Sensibilität im Osten für die Gefährlichkeit der Ablagerung noch nicht auf Westniveau war.
Alle Deponien, die unter Gefahrenverdacht stehen, werden ständig überwacht. Die Sickerwässer sind unter Kontrolle. Besorgte Bürger haben die Möglichkeit, sich bei den zuständigen Umweltfachämtern über die Situation vor Ort zu informieren.
Ich meine, illegale Müllentsorgung wird nicht durch neue Gesetze und auch nicht durch eine Aktuelle Stunde des Deutschen Bundestages beseitigt.
Den beteiligten Kriminellen möchte ich von diesem Pult aus sagen: Betrachten Sie Ostdeutschland nicht als die billige Müllhalde der Nation. Das wird Sie teuer zu stehen kommen.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Gerhard Friedrich, CDU/CSU- Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe fast amüsiert gehört, was ein Kommunalpolitiker aus Nürnberg empfiehlt. Da ich die mittelfränkischen Kommunalpolitiker sehr gut kenne, kann ich Ihnen einmal sagen, was die - egal welcher Partei sie angehören - zum Thema Abfall vor drei Jahren zu mir gesagt haben und was sie jetzt zu mir sagen.
Bisher haben sie immer gesagt: Wir haben zuviel Abfall; ihr versagt beim Vermeiden. Jetzt sagen sie: Wir haben zuwenig Brennstoff; können wir nicht ein bißchen an der Verpackungsverordnung drehen, damit der Kunststoff wieder in die mittelfränkischen Müllverbrennungsanlagen kommt?
Man kann sich diese Aussagen logisch nur folgendermaßen erklären: Die Kommunalpolitiker haben vor Ort ein Problem, und wir sind immer schuld. - Die nehme ich also alle nur begrenzt ernst.
Es ist hier schon gesagt worden, daß es sich nicht um ein Problem der Gesetzgebung und der Verordnungen handelt.
Ich gebe Ihnen ein praktisches Beispiel. Wenn Sie das Fehlen von Rücknahmeverordnungen beklagen, haben Sie recht.
Die Rücknahmeverordnungen lösen aber dieses Problem nicht. Im Verpackungsbereich haben wir die Rücknahmeverordnung, und der Kunststoff wird weltweit verschoben. Haben Sie das vergessen? Dazu haben Sie doch auch schon Aktuelle Stunden beantragt.
Die Rücknahmeverordnung sorgt nur dafür, daß ein Hersteller zum Beispiel dem Elektronikschrottbetrieb die Kosten und den Aufwand finanziert. Dieser Betrieb nimmt die Geräte auseinander, sortiert und schaltet einen Entsorgungsbetrieb ein. Der Entsorgungsbetrieb stellt fest - das ist das Problem -: Die ordentliche gesetzmäßige Entsorgung wird immer teurer; wenn ich den Abfall verschiebe oder billig verbuddle, kann ich die immer größer werdende Differenz in die eigene Tasche stecken. - Das heißt, die Rücknahmeverordnung löst andere Probleme - darum bin ich ja dafür -, aber nicht dieses Problem.
Frau Caspers-Merk, auch ich habe m den „Nürnberger Nachrichten" einige Außerungen von Experten zu diesem Skandal - und es ist ein Skandal - gehört. Ich kann nur den Kopf schütteln. Ich will nur ein Beispiel nennen: Der Grenzwert, dessen Fehlen von unserer Kollegin aus Ingolstadt beklagt wurde, stellt nur ein Hilfsmittel dar, zu entscheiden, welcher Müll auf die Sondermülldeponie muß und welcher Müll als Shreddermüll auf die Hausmülldeponie darf. All diese „Müllsorten" sind überwachungsbedürftig und überwachungspflichtig. Das heißt, der Grenzwert ist nicht das eigentliche Problem.
Frau Caspers-Merk, nachdem ich in einer Viertelstunde zwar nicht die volle Wahrheit, aber doch einiges erfahren habe, empfehle ich Ihnen, Ihrem Umweltreferenten in der Stadt Nürnberg folgende Fragen zu stellen.
- Das ist doch nicht das Problem. Er ist übrigens nicht einmal der allerschlechteste. Aber hier hat sein Amt offensichtlich versagt.
Stellen Sie ihm einmal die Frage, wie viele Mitarbeiter er zur Überwachung der Entsorgung im gewerblichen Bereich in Nürnberg eingesetzt hat. Ich habe den Verdacht, es war einer.
Er hat aber wahrscheinlich eine ganze Reihe von Abfallberatern, weil man mit denen besser Pressekonferenzen abhalten und eine Schau abziehen kann. Es sind Leute, die buntes Papier verteilen. Für die Überwachung gibt es in Nürnberg nach meinen heutigen Informationen - dem können wir einmal gemeinsam nachgehen - nur einen Mitarbeiter. Der muß die unzähligen Formblätter, die wir ihm zumuten, in die Hand nehmen.
Jetzt fragen Sie einmal diesen Umweltreferenten der SPD in Nürnberg, ob sein Beamter nur Papier
Dr. Gerhard Friedrich
kontrolliert oder auch Betriebe. Ich habe den Eindruck, der Mann hat doch nur Zeit, sich die Formblätter anzuschauen und sie abzuheften.
Damit klar ist, daß dies nicht nur ein Problem Nürnbergs ist: Ich höre auch aus anderen Ämtern Ähnliches. Noch mehr Formblätter bedeuten, noch mehr Papier zu sammeln. Aber die Bediensteten in diesen Ämtern sollen weniger Formblätter, sondern mehr Betriebe und Deponien kontrollieren. Das ist unser eigentliches Problem.
- Das ist doch aber auch ein Problem von Nürnberg. Und die geben uns Ratschläge, mein Gott!
Dann höre ich, daß die Überwacher die Betriebe bitten, Analysen zu schicken.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist zu Ende.
Ja, Frau Präsidentin. - Dann fertigen die Betriebe extra Abfall an, analysieren ihn, und das Protokoll wird wieder zu den Akten genommen.
Das ist wunderbar, diesen Abfallberater sollten wir uns in der Stadt Nürnberg halten.
Vielen Dank.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit ist die Aktuelle Stunde beendet.
Wir sind am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Donnerstag, den 24. April 1997, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.