Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Interfraktionell ist vereinbart, die heutige Tagesordnung um den Zusatzpunkt 1 zu erweitern. Sind Sie mit der Erweiterung der Tagesordnung einverstanden? - Das ist der Fall.
Dann rufe ich Zusatzpunkt 1 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Bundesregierung Einsatz deutscher Streitkräfte zur Evakuierung deutscher Staatsbürger und unter konsularischer Obhut befindlicher Staatsangehöriger anderer Nationen aus Albanien
- Drucksache 13/7233 -
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuß Rechtsausschuß
Verteidigungsausschuß
Der Antrag auf Drucksache 13/7233 soll ohne Aussprache zur federführenden Beratung an den Auswärtigen Ausschuß und zur Mitberatung an den Verteidigungsausschuß und den Rechtsausschuß überwiesen werden. Sind Sie mit der Überweisung einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 1 auf: Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der gestrigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Steuerreformgesetz 1998. Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht hat der Bundesminister der Finanzen, Dr. Theodor Waigel.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Bundeskabinett hat gestern den Regierungsentwurf eines Steuerreformgesetzes 1998 beschlossen. Es handelt sich um die erste Stufe der Steuerreform. Der Gesetzentwurf setzt in einem ersten Reformschritt die Vorschläge der Steuerreformkommission um, die schon ab 1. Januar 1998 wirksam werden sollen. Es geht um die Senkung der Steuersätze bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer für gewerbliche Einkünfte und um die Zurückführung des Solidaritätszuschlages um zwei Prozentpunkte. Das ist ein wichtiges und frühzeitiges Signal für inländische und ausländische Investoren. Die Finanzierung der Tarifsenkung erfolgt im Unternehmensbereich aufkommensneutral.
Der Zeitplan sieht so aus, daß der Initiativgesetzentwurf der Koalitionsfraktionen am kommenden Freitag beraten werden soll, die zweite und dritte Lesung am 13. Juni 1997 stattfinden sollen und die abschließende Beratung im Bundesrat dann am 4. Juli 1997.
Einzelpunkte sind - ich habe sie schon genannt -: Senkung des Solidaritätszuschlages von 7,5 vom Hundert auf 5,5 vom Hundert; Senkung der Körperschaftsteuersätze für einbehaltene Gewinne von 45 Prozent auf 40 Prozent, für ausgeschüttete Gewinne von 30 Prozent auf 28 Prozent und für ermäßigt besteuerte Gewinne - das betrifft unter anderem die Sparkassen - von 42 Prozent auf 37 Prozent; Senkung des Einkommensteuerhöchstsatzes für gewerbliche Einkünfte von 47 Prozent auf 40 Prozent. Das Entlastungsvolumen beträgt insgesamt 15,1 Milliarden DM. Davon entfallen 7,5 Milliarden DM auf die Rückführung des Solidaritätszuschlages und 7,6 Milliarden DM auf die Senkung der Steuersätze für gewerbliche Einkünfte.
Die Maßnahmen zur aufkommensneutralen Gegenfinanzierung sind bekannt: Einführung eines Wertaufholungsgebots nach vorangegangener Teilwertabschreibung; Rückstellungen für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften; eine realitätsnahe Bewertung von Rückstellungen, insbesondere Schadensrückstellungen; schließlich eine Absenkung der degressiven AfA von 25 vom Hundert auf 22 vom Hundert der Anschaffungs- oder Herstellungskosten.
Letzte Woche haben wir in einem Referentenentwurf das Gesamtkonzept der Steuerreform vorgelegt. Wir sind damit im Zeitplan. Wir wollen eine Beschlußfassung hierzu im Kabinett schon am 23. April. Dann könnte der Bundestag das Gesetz am 9. Oktober 1997 verabschieden. Im Bundesrat wäre eine
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
Verabschiedung am 7. November 1997 möglich. Damit kann die Steuerreform selbst dann, wenn es zu einem Vermittlungsverfahren kommen sollte, bis Ende dieses Jahres unter Dach und Fach sein.
Unsere Haltung zur aktuellen Diskussion ist die: Wir sind weiterhin gesprächsbereit, so wie es bei dem letzten Gespräch der Dreierkommissionen von Koalitionsparteien und SPD vereinbart wurde. Nachdem die von der SPD gesetzte Bedingung „Lösung der Kohlefrage", die mit der Steuerreform in keinem Zusammenhang steht, zwischenzeitlich weggefallen ist, dürfte auch von seiten der SPD kein Grund bestehen, einen weiteren Fortgang der Gespräche zu verweigern.
Ich nehme an, Frau Präsidentin, daß ich innerhalb der 5-Minuten-Frist geblieben bin.
Ja, Herr Bundesminister, Ihr Beitrag war sogar kürzer.
Ich bitte jetzt, zunächst Fragen zu dem Themenbereich zu stellen, über den soeben berichtet wurde. - Das Wort hat der Abgeordnete Joachim Poß.
Herr Minister, zu Ihrer letzten Bemerkung: Die SPD ist natürlich nach wie vor gesprächsbereit, nur nicht unbedingt zu den von Ihnen sozusagen vorgegebenen Konditionen.
Vernünftige Gespräche setzen, glaube ich, ein beidseitiges Einverständnis über das voraus, was zu erörtern ist.
Nun will ich zu Ihrem Bericht kommen: Ich habe zunächst die Frage, ob es nicht eher den Tatsachen entspricht, daß der von Ihnen vorgeschlagene Abbau des Solidaritätszuschlages um 2 Prozentpunkte zum 1. Januar 1998 eigentlich die Rückführung einer Steuererhöhung, einer Sondersteuer bzw. Ergänzungsabgabe nach unserer Finanzverfassung, ist. Wenn dem so ist - an dieser Tatsache kann eigentlich kaum gezweifelt werden -: Warum wird dann in Ihrem Gesetzentwurf die Rückführung dieser Steuererhöhung unter der Rubrik „Senkung der Steuersätze" ausgewiesen? Es geht ja um eine Rückführung einer zeitlich befristeten Steuererhöhung. Sie verkaufen sie als Steuersenkung.
- Das wundert mich bei Ihnen nicht, Herr Weng.
Herr Bundesminister.
Zunächst zur Eingangsbemerkung, Herr Kollege Poß: Es handelt sich nicht um Konditionen, sondern
um Konzepte, die wir vorgelegt haben. Diese vermissen wir bei Ihnen bisher schmerzlich.
Aber das muß ja auch nicht die Aufgabe der Opposition sein, sondern es ist ihr gutes Recht, unser Konzept zu kritisieren. Sie haben aber bisher unserem umfassenden Zwei-Stufen-Konzept kein anderes entgegenstellen können. Es fehlt bei Ihnen - neben verständlichen Einwänden - an der entsprechenden Gegenfinanzierung, an einem in sich geschlossenen Konzept.
Wir sind aber zu Gesprächen bereit. Wir haben übrigens, als Ihre drei Kollegen damals das Gespräch verlassen haben, keine Konditionen gestellt, sondern wir haben vereinbart, das Gespräch fortzusetzen. Ich hoffe, daß das bald gelingt.
Zum zweiten: Da ich Sie als einen Fachmann kenne und schätze, ist mir eigentlich nicht Marge-
worden, was Sie sagen wollen. Daß der Solidaritätszuschlag ein Zuschlag auf Zeit ist, war nie bestritten; daß aber eine Senkung des Solidaritätszuschlags auch zu einer Senkung der Steuerlast führt, wird, glaube ich, bei Anwendung der Gesetze der Logik niemand bestreiten können.
Herr Abgeordneter Poß, wir haben so viele Fragewünsche; deswegen bitte ganz kurz, normalerweise hätten Sie nur eine Frage.
Ich habe zwei Fragen. Oder bestehen Unklarheiten in bezug auf die Geschäftsordnung? Nach meinen Informationen habe ich zwei Fragen. Ich habe davon eine gestellt.
Ich habe jetzt festzustellen, daß dem Bundesfinanzminister der Unterschied zwischen einer Senkung der Steuersätze und der Rückführung einer zeitlich befristeten Steuererhöhung nicht bekannt ist. Ich finde es nicht gut, daß dem Bundesfinanzminister ein solcher hinlänglich bekannter Unterschied nicht geläufig ist. Das läßt keine guten Rückschlüsse zu, Herr Bundesfinanzminister.
Ich frage aber noch einmal - auch im Hinblick auf das Versprechen des Bundeskanzlers, den Solidaritätszuschlag bis Ende 1999 zurückzuführen -: Ist nach der Ankündigung Ihres großen Entwurfs und der Vorlage des Meinen Entwurfs klar, daß entgegen der Zusage des Bundeskanzlers der Solidaritätszuschlag nicht vollständig bis Ende 1999 zurückgeführt wird, und ist der Grund dafür die von der Bundesregierung vorgesehene Nettoentlastung bei der Reform der Einkommensbesteuerung?
Es finden zwei Stufen der Rückführung des Solidaritätszuschlages statt: erstens durch die Rückführung um zwei Prozentpunkte zum 1. Januar 1998 und zweitens durch die Auswirkung der großen Steuerreform zum 1. Januar 1999. Diese führt als Schattenwirkung durch die Akzessorietät gegenüber den Ein-
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
kommensteuersätzen ebenfalls zu einer weiteren Reduzierung des Aufkommens des Solidaritätszuschlages um etwa 2 Milliarden DM, so daß innerhalb von zwei Jahren schon eine beachtliche Rückführung stattfindet. Das Aufkommen muß natürlich im Zusammenhang mit der Gesamtsteuerreform und der Senkung der Steuersätze gesehen werden.
Die nächste Frage hat der Abgeordnete Jürgen Koppelin.
Herr Bundesminister, da Sie ein eventuelles Vermittlungsverfahren angesprochen haben, darf ich Sie fragen, ob im Kabinett darüber gesprochen wurde, wie mit der Haltung des Bundesrates umzugehen ist und wie man diese einzuplanen hat. Anders gefragt: Ist auch im Kabinett deutlich geworden, daß durch die Haltung des Bundesrates die geplante Steuerreform zu dem von der Koalition geplanten Termin eventuell nicht durchgeführt werden kann?
Wir haben folgendes Problem, Herr Kollege Koppelin: Wenn wir ein Vermittlungsverfahren benötigen, kommen wir in den November hinein. Es wäre natürlich für die Konjunktur, für die Wirtschaft und für die Investitionen wünschenswert, wenn zu einem früheren Zeitpunkt die Beschlußfassung und Inkraftsetzung dieser Reform erfolgen könnte. Im Interesse der Arbeitnehmer in Deutschland wäre es wünschenswert, daß Vorzieheffekte mit günstigen Abschreibungssätzen in diesem Jahr und natürlich auch im nächsten Jahr - aber am günstigsten in diesem Jahr - stattfinden. Je klarer ist, daß die erste Stufe zum 1. Januar 1998 und die zweite Stufe zum 1. Januar 1999 stattfinden, je wirksamer wäre dies für die Konjunktur und für die Investitionen.
Insofern würden wir es für richtig und für sinnvoll halten, wenn es vorher zu einer Einigung mit der SPD-Mehrheit im Bundesrat käme, um nicht erst ein Vermittlungsverfahren im November abwarten zu müssen. Aber wenn es nicht anders geht, werden wir auch ohne Einigung handeln, um damit klar erkennen zu lassen: Die Koalition ist entschlossen, ihre richtige Konzeption, die auch in der Fachwelt und in der Presse Anerkennung gefunden hat, durchzusetzen und notfalls in einem Vermittlungsverfahren entsprechend zu verwirklichen.
Bitte schön, Herr Abgeordneter Koppelin, Ihre zweite Frage.
Ich möchte weiter fragen: Haben Sie im Kabinett im Rahmen der Beratung der Steuerreform auch zur Gegenfinanzierung Stellung genommen? Wie ist das im Kabinett aufgenommen worden? Sind die Zahlen eindeutig, was die Gegenfinanzierung angeht?
Die Zahlen sind klar. Wir werden, was die Abschreibungen anbelangt, nur wenige Prozentpunkte der
degressiven Abschreibung für die Gegenfinanzierung verwenden, so daß wir in diesem Bereich noch auf einem hohen Niveau gegenüber der internationalen Konkurrenz stehen.
Die anderen Maßnahmen betreffen weitgehend Rückstellungen, die aber nicht die Investitionen, die getätigt werden können, belasten. Über die Zahlen gab es keine Divergenz. Im Gegenteil - aber das betrifft jetzt nicht diesen Gesetzentwurf -: Beim großen Entwurf werden wir die Gegenfinanzierung sogar in einem größeren Volumen gewährleisten, als dies früher beabsichtigt war.
Die Gegenfinanzierung findet im Unternehmensbereich statt. Die Behauptung, daß quasi die „kleinen Leute " gegenfinanzieren müßten, um Steuererleichterungen für Unternehmen, Unternehmer oder Besserverdienende zu ermöglichen, ist falsch, um nicht zu sagen demagogisch. Ich nehme aber an, von den anwesenden Mitgliedern der SPD-Fraktion wird dies auch niemand behaupten.
Die nächste Frage hat der Abgeordnete Volker Kröning. Bitte, stellen Sie nur eine Frage, weil wir viele weitere Fragesteller haben.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zum Kollegen Koppelin, der das Verfahren angesprochen hat, das sowohl Bundestag als auch Bundesrat betrifft, gestatten Sie mir nur die kurze Bemerkung, daß zu dem Gesetzentwurf, der heute offiziell auf den Weg gebracht wird, bereits vom Finanzausschuß des Bundestages für den 17. April 1997 eine Anhörung terminiert worden ist. Es wird keinerlei Verzögerung auf seiten des Parlaments oder gar auf seiten der Opposition geben.
- Ich nehme an, unsere sehr effektive Koordinierung wird auch das sicherstellen.
Wir haben oft genug darauf hingewiesen, daß auch wir gewillt sind, zum Jahre 1998 eine Steuerreform aus einem Guß zu verwirklichen. So geht die Frage an Sie zurück: Wie wollen Sie das alles verfahrensmäßig gewährleisten?
Aber die eine kurze Frage, die Sie, Frau Präsidentin, angemahnt haben, betrifft noch einmal die Gegenfinanzierung. Mir fällt auf, Herr Bundesminister, daß Sie den Blick immer wieder zum einen auf die erste Stufe beschränken, dann aber zum anderen auf die zweite Stufe erstrecken. Sie haben eben mit Recht zur Gegenfinanzierung die zweite Stufe mit in den Blick genommen.
Unsere Frage lautet in diesem Zusammenhang: Wie wollen Sie die in Ihrem am Freitag vorgestellten Gesetzentwurf ausgewiesene Finanzierungslücke von 56 Milliarden DM im Jahr 1999 sowie die von jeweils 52 Milliarden DM in den Jahren 2000 und 2001
Volker Kröning
decken? Die deutsche Öffentlichkeit ist daran interessiert, endgültig konkret Ihre Deckungsvorschläge zu erfahren.
Sie wissen, Herr Kollege und geschätzter früherer Senator, daß bei dieser Frage nach dem Aufkommens- und dem Kassenjahr unterschieden werden muß. Was das Aufkommensjahr betrifft, wird die Lücke sogar geringer sein als ursprünglich vorgesehen. Was das Kassenjahr anbelangt, haben wir gesagt, daß neben der Lücke, die wir ausgewiesen haben, eine Nettoentlastung durch entsprechende Gestaltung der Haushalte von Bund, Ländern und Kommunen in der Größenordnung von etwa 30 Milliarden DM stattfinden muß und auch stattfinden kann. Der Rest ist durch Umschichtung von indirekten Steuern zu decken.
Insofern begrüße ich, daß in dem Schreiben Ihres Parteivorsitzenden, was die indirekten Steuern anbelangt, sowohl die Mehrwertsteuer als auch andere indirekte Steuern ins Gespräch gebracht worden sind.
Noch ganz kurz, Herr Kröning? - Bitte, aber wir wollen ja alle drannehmen.
Herr Bundesminister, das ist ein hilfreicher Hinweis, weil Sie damit offenbar implizit anerkennen, daß, wenn miteinander gesprochen wird, über beide Themen gesprochen wird.
Die Bereitschaft der SPD, in diesem Zusammenhang auch über die indirekte Besteuerung zu reden, ist - zugespitzt - ausschließlich auf die Senkung der Lohnnebenkosten bezogen.
Es gibt, Herr Kollege, zwei Punkte. Das Entscheidende ist immer: Wie schaffen wir Arbeitsplätze? Dem dienen unsere Vorschläge zur Steuerreform. Wir sind in dem Zusammenhang bereit, darüber zu sprechen, wie eine Senkung der Lohnnebenkosten durch eine Umschichtung stattfinden kann.
Die nächste Frage hat die Abgeordnete Gerda Hasselfeldt.
Herr Minister, mit dem vorliegenden Gesetzentwurf ist vorgesehen, daß die Sätze für die Körperschaftsteuer im ersten Schritt auf 40 Prozent gesenkt werden und der Höchststeuersatz für die gewerblichen Einkünfte ebenfalls auf 40 Prozent. Demgegenüber bleibt zunächst der Höchststeuersatz für die nichtgewerblichen Einkünfte noch bei 53 Prozent. Für diese erste Senkung besteht über die Parteigrenzen hinweg weitgehend Konsens.
Wie bewerten Sie nun aus rechtlicher Sicht, insbesondere aus verfassungsrechtlicher Sicht, diese Spreizung der Steuersätze auf der einen Seite für die gewerblichen Einkünfte und auf der anderen Seite für die nichtgewerblichen Einkünfte?
Frau Kollegin, dies ist steuersystematisch und verfassungsrechtlich eine berechtigte Frage. Ich glaube, daß eine Spreizung von 13 Prozent zwischen dem Spitzensteuersatz für gewerbliche Einkünfte sowie bei Körperschaften und dem Höchststeuersatz für nichtgewerbliche Einkünfte in dieser Größenordnung höchstens für ein Jahr hinnehmbar und nur begründbar ist durch die Mehrbelastung der anderen Einkunftsarten durch die Gewerbesteuer.
Auch das aber kann kein hinreichender Grund dafür sein, über einen längeren Zeitraum hinweg eine solche Spreizung aufrechtzuerhalten. Die Gründe liegen einmal in dem, was das Bundesverfassungsgericht und die Wissenschaft bzw. die Steuersystematik dazu gesagt haben. Sie liegen aber auch in den beachtlichen Ausführungen, die der Kollege Poß, Finanzminister Schleußer und andere damals im Rahmen des Standortsicherungsgesetzes zu diesem Punkt gemacht haben.
Wir haben uns das bei der Beratung dieses Gesetzentwurfes und auch bei der Beratung des großen Entwurfes gut überlegt und wollen die vom Kollegen Poß vorgebrachten Gesichtspunkte einbringen, so daß ab dem Jahre 1999 nur eine begrenzte Spreizung möglich ist. Wenn der Kollege Poß bereits die damalige Spreizung zwischen 47 und 53 Prozent bzw. 45 und 53 Prozent sehr scharf kritisiert und höchste verfassungsrechtliche Bedenken angemeldet hat, bin ich davon überzeugt, daß er dann angesichts des Steuersatzes für gewerbliche Einkünfte, den sein Parteivorsitzender, Ministerpräsident Lafontaine, in Höhe von 35 Prozent als richtig empfunden hat, für eine noch geringere Spreizung im Rahmen niedrigerer Steuersätze eintritt.
Dies wäre jedenfalls das Ergebnis der Systematik seiner Gedankengänge, das muß meines Erachtens auch bei der Gesamtkonzeption eingebracht werden, und es wäre im Sinne eines konstruktiven Miteinanders von Opposition und Koalition.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Detlev von Larcher.
Herr Minister, die Koalition preist diese Reform ja als das Mittel zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit an. In der Begründung zu diesem Gesetzentwurf kann man lesen, daß es darum geht, so früh wie möglich für Investitionen und Arbeitsplätze zu sorgen.
Ich frage Sie: In welchem Umfang erwarten Sie eigentlich durch die geplanten Maßnahmen das Entstehen neuer Investitionen und zusätzlicher Arbeitsplätze? Oder noch konkreter: Wie viele Arbeitsplätze
Detlev von Larcher
werden durch Ihr Gesetz, wenn es so verabschiedet würde, in welchem Zeitraum entstehen?
Herr Kollege von Larcher, ich glaube, niemandem kann es gelingen, detailliert zu sagen, daß durch diese oder jene Maßnahme genau so oder so viele Arbeitsplätze entstehen. Das wäre vermessen.
Das RWI hat sich mit dieser Frage beschäftigt und schätzt den Wachstumseffekt der Gesamtsteuerreform - ich beziehe auch das mit ein, was ab dem 1. Januar 1999 umgesetzt werden soll - zusätzlich in Höhe von etwa 0,5 Prozent
- ich darf das doch wohl sagen - und einen Investitionsschub von zusätzlich 1,5 Prozent.
Der entscheidende Vorteil liegt darin, daß wir durch den zeitlichen Verzug der Veränderung der Abschreibungen ganz bewußt einen Vorzieheffekt schaffen wollen. Das hat sich in der Vergangenheit immer als richtig und vernünftig erwiesen. Der kluge Unternehmer kann jetzt auf der Grundlage relativ günstiger degressiver Abschreibungssätze investieren, um dann ab 1. Januar 1998 und noch stärker ab 1. Januar 1999 auf Grund niedrigerer Ertragsteuersätze den Gewinn einer solchen Investition einzufahren. Die dadurch angestiegenen Investitionen führen zu mehr Arbeitsplätzen, nachdem wir ja bereits bei den Ausrüstungsinvestitionen und auch bei den Aufträgen im Januar eine bessere Entwicklung zu verzeichnen hatten.
Wir haben uns auch sehr angelegentlich erkundigt, Herr von Larcher, was Ihre Kollegen in anderen Ländern dazu sagen. Ihre sozialdemokratischen Kollegen in Skandinavien zum Beispiel sind voll des Lobes bezüglich einer solchen Reform und haben uns ebenfalls empfohlen, eine Verbreiterung der Bemessungsgrundlage und eine Senkung der Steuersätze vorzunehmen. Es gibt ja auch in Ihrer Fraktion tüchtige junge Ökonomen, die an solchen Vorlagen gearbeitet haben, die sehr beachtlich dem nahekommen, was wir jetzt und auch für die Zukunft vorschlagen.
Ganz kurz, Herr von Larcher.
Herr Minister, diese Hoffnung auf den klugen Unternehmer haben wir schon von Ihnen gehört, als Sie am Pult standen. Normalerweise erfolgen Investitionsplanungen allerdings längerfristig.
Aber ich möchte noch einmal ganz konkret fragen: Wie viele Arbeitsplätze wird das, was Sie als ersten Teil bezeichnen, was also jetzt als Gesetzentwurf vorliegt, bringen?
Das kann niemand beziffern. Wenn wir das beschließen und nicht verhindern, wird das zu einem Vorzieheffekt und zu einer größeren Attraktivität des Standortes Deutschland führen, weil niedrigere Steuersätze selbstverständlich gerade - aber nicht nur - für ausländisches Kapital anziehend sind. Das ist genau das, was uns die letzten Jahre gefehlt hat.
Die nächste Frage hat Dr. Uwe-Jens Rössel.
Herr Bundesfinanzminister, ich konnte Pressemeldungen der letzten Tage entnehmen, daß Sie offensichtlich bereit sind, von Ihrem Vorschlag abzurücken, die Zuschläge auf Nachtschichten sowie Sonn- und Feiertagsarbeit zu besteuern, oder zumindest erhebliche Modifizierungen vorzunehmen. Können Sie diese Meldungen bestätigen? Und welche Position haben Sie zu dem Vorschlag des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, durch die Arbeitgeber eine Pauschalbesteuerung dieser Zuschläge vornehmen zu lassen, also zu der 10-ProzentRegelung?
Das, was die Steuerreformkommission vorgeschlagen hat und was in den Petersberger Beschlüssen, in dem Zukunftstarif, enthalten ist, ist steuersystematisch richtig. Das wissen auch die Steuerpolitiker der SPD ganz genau. Wenn ich mich recht erinnere, war das auch in den Vorschlägen von Herrn Voscherau enthalten. Ob es auch in den Vorschlägen von Herrn Schleußer enthalten war, weiß ich nicht mehr genau. Ich glaube es; aber ich will das nicht aus dem Gedächtnis rekapitulieren. Das kann also nicht so falsch sein, wenn es auch die Vorschläge eines so klugen Mannes wie Herrn Voscherau enthalten.
Dabei geht es nicht darum, daß Menschen, die nachts bzw. an Sonn- oder Feiertagen arbeiten, nicht mehr verdienen sollten. Die entscheidende Frage ist nur, ob das besteuert wird oder nicht, ob sozusagen die Solidargemeinschaft der Steuerzahler das erbringt oder nicht. Wir haben, da wir die Bedenken natürlich kennen und eine Einigung mit der SPD anstreben, auch in dem letzten Dreiergespräch gesagt, daß man darüber nachdenken kann, so etwas in Stufen in Gang zu setzen, um den Tarifpartnern adäquate Lösungen zu ermöglichen. Das schiene mir ein gangbarer Weg, um das Ziel zu erreichen. Insofern sollten wir uns zunächst um diese Vorschläge kümmern und hier nach Lösungen suchen, bevor wir über die Pauschalbesteuerung diskutieren.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Norbert Schindler.
Herr Minister, wenn man vor einigen Tagen den Ministerpräsidenten Gerhard Schröder in diesem Hohen Hause gehört hat, wenn man beobachtet, wie sich Lafontaine draußen verhält
- jawohl, ich nehme das gerne mit - und wie sich
Herr Scharping bemüht, dann muß man feststellen:
Bei allen drei Führern kommen einem doch Zweifel,
Norbert Schindler
I wo die Willensbereitschaft ist. Wie stark schätzen Sie die Willensbereitschaft der Opposition ein, in dieses ernste Thema intensiv einzusteigen? Ich habe da meine Zweifel.
Herr Abgeordneter, Ihre Zweifel sind nicht unberechtigt. Es gibt täglich sehr unterschiedliche Vorstellungen.
Man braucht täglich mehrere Mappen, um die verschiedenen Vorstellungen der SPD zu Steuerfragen ordnen zu können. Ich habe mit großem Interesse gelesen, was Ministerpräsident Schröder heute dazu gesagt hat. Davon unterscheidet sich etwas, was im Brief von Ministerpräsident Lafontaine steht. Der Herr Erste Bürgermeister Voscherau hat gesagt, er sei nur bereit zu verhandeln, wenn er auch einen klaren Auftrag habe und das gedeckt sei. Das läßt unterschiedliche Strömungen erkennen. Ich schließe nicht aus, daß die Strömungen doch noch zusammengefaßt werden können. Es ist aber natürlich schwer, mit einer politischen Kraft zu verhandeln, in der so unterschiedlich agiert wird und in der so unterschiedliche Vorstellungen zu dem Thema bestehen.
Insofern empfiehlt es sich immer mehr, auf das in sich geschlossene und vernünftige Konzept der Bundesregierung und der Koalition einzugehen.
Die nächste Frage hat die Abgeordnete Frau Dr. Barbara Hendricks.
Herr Minister, ich freue mich zunächst darüber, wie sehr Sie uns alle heute wegen unseres steuerpolitischen Sachverstandes loben. Ich stelle fest: Die Regierung kann ohne die Sozialdemokraten nicht mehr funktionieren. Das haben Sie gerade eingeräumt.
Jetzt will ich aber auf die von Ihnen in den gesamten steuerlichen Maßnahmen vorgesehenen Finanzierungslücken zurückkommen. Im Rechnungsjahr 1999 sehen Sie ein Minus von 56 Milliarden DM, in den beiden darauffolgenden Jahren jeweils eins von 52 Milliarden DM vor. Nach dem, was Sie eben auf die Frage meines Kollegen Kröning gesagt haben, wird nicht klar, wie Sie diese Lücken decken wollen.
Gehen wir zunächst von dem aus, was Sie selbst vorgeschlagen haben: Eine Erhöhung der Mehrwertsteuer um 1 Prozent würde maximal 15 Milliarden DM ausmachen. Bleiben 41 Milliarden DM übrig. Sie sagen, Sie wollen eine Nettoentlastung von 30 Milliarden DM. Dazwischen liegen 11 Milliarden
DM. Das mögen nach Ihrem Verständnis Peanuts sein. Diese sind schon mal gar nicht gedeckt.
Ebenfalls nicht gedeckt sind die 30 Milliarden DM an Nettoentlastung. Und das ist die Frage an Sie: Wie sollen die 30 Milliarden DM an Nettoentlastung finanziert werden? Wie soll auf allen Ebenen, auf der des Bundes, der Länder und der Gemeinden, der Spielraum für eine 30-Milliarden-DM-Nettoentlastung geschaffen werden? Und wann wird die Bundesregierung welche gesetzlichen Maßnahmen ergreifen, um dies auf der Ausgabenseite zu ermöglichen?
In den finanzstatistischen Reihen kann der Selbstfinanzierungseffekt einer solchen Reform gar nicht berücksichtigt werden.
- Nein, das ist nicht der Glaube. Im übrigen kritisieren Sie damit sehr stark Ihre Kolleginnen und Kollegen in anderen Ländern. Gerade der schwedische Kollege hat mir erst vor einiger Zeit - -
- Es gab Zeiten, in denen das Modell Schweden den Sozialdemokraten Deutschlands wie ein zweiter Himmel erschien.
Aber wenn jetzt Schweden mit seiner sozialdemokratischen Regierung auch nur genannt wird, höre ich Zwischenrufe mit einem beleidigenden Unterton,
den ich gegenüber dem schwedischen Ministerpräsidenten und seinem Finanzminister entschieden zurückweisen muß.
- Herr Kollege Weng, ich bin Ihnen dankbar: auch gegenüber der Königin. Auch sie hat solche Zwischenrufe nicht verdient.
Aber zurück: Die Kollegen dort haben gesagt, daß die Befürchtungen, daß nach einer solchen Steuerreform - sie haben es fast genauso gemacht, wie wir es vorhaben - Steuerausfälle entstehen, nicht bestätigt worden sind. Im Gegenteil: Es ist eine bessere Steuerstruktur entstanden. Auch Beispiele aus den Vereinigten Staaten und aus dem Vereinigten Königreich zeigen, daß danach das Einkommensteueraufkommen nicht geringer wurde, sondern gleichgeblieben, zum Teil sogar gestiegen ist - bei wesentlich niedrigeren Spitzensteuersätzen.
Wir müssen natürlich diese Selbstfinanzierung, die Verbesserung der Konjunktur, schon 1997 und 1998 entsprechend einrechnen. Von daher wird es möglich sein, die reale Nettoentlastung zu finanzieren.
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
Das wird auf Bund, Länder und Kommunen verteilt. Soweit ein Rest bleibt, muß er - darüber haben wir keinen Zweifel gelassen - über eine Umschichtung indirekter Steuern gedeckt werden.
Für die indirekten Steuern hatten Sie bisher eine Mehrwertsteuererhöhung um 1 Prozentpunkt angenommen. Ich sage noch einmal: Das macht 15 Milliarden DM aus. Bleiben 41 Milliarden DM.
Können Sie mir ergänzend sagen, wie hoch das Wirtschaftswachstum sein muß, damit die Selbstfinanzierung 41 Milliarden DM im Jahr beträgt?
Das hängt nicht nur vom Wirtschaftswachstum ab, sondern auch von der Steuerstruktur. Das ist das Entscheidende. Die Steuerstruktur hat in den letzten Jahren stagniert. Das hing damit zusammen, daß bei gestiegenem Wachstum natürlich wegen der zu hohen Steuersätze in Deutschland legale und leider auch illegale Steuervermeidungsstrategien genutzt wurden. Genau das werden wir durch die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage verhindern und damit höhere Steuereinnahmen ermöglichen. Das ist nach der Erfahrung anderer Länder mit einer solchen Steuerreform möglich. Auch ein Beispiel aus unserem Land, aus den 80er Jahren, verdeutlicht das: Es gab bei der Grunderwerbsteuer viele - ich weiß nicht, wie viele - Ausnahmetatbestände zwischen 0 und 7 Prozent. Als wir einen einheitlichen Steuersatz von 2 Prozent einführten, wurde befürchtet, das werde zu einem großen Ausfall führen. Das Gegenteil ist eingetreten. Das Steueraufkommen im Bereich der Grunderwerbsteuer war höher als zuvor.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie einverstanden sind, verlängere ich die für die Befragung der Bundesregierung vorgesehene Zeit um 10 Minuten. Wir haben auch noch zwei freie Fragen.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Frau Dr. Barbara Höll.
Herr Finanzminister, Sie haben ja angekündigt, daß es sich bei der Steuerreform um eine große Steuerreform handelt. Ich habe mit einer sehr großen Erwartungshaltung Ihren Entwurf durchgeblättert und habe gehofft, dort etwas in bezug auf die Individualisierung des Steuerrechts zu finden, die aus steuersystematischen und auch aus anderen Gründen geboten erscheint.
Ich verweise auf die Äußerungen des Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion, Herrn Schäuble, der ja gesagt hat, das Finanzamt hat eigentlich nicht zu interessieren, wie Menschen zusammenleben. Diese Individualisierung des Steuerrechts habe ich in Ihrem
Entwurf schmerzlich vermißt. Sie würde eine wirkliche Modernisierung des Steuerrechts bedeuten. Ich hätte gern Auskunft über die Gründe, warum das nicht erfolgt ist.
In bezug auf diesen Punkt, Frau Kollegin, bin ich jetzt etwas überfragt. Ich weiß auch nicht, wie damit die Investitionskraft der Bundesrepublik Deutschland und die Schaffung von mehr Arbeitsplätzen vorangebracht werden können. Aber ich werde mich gern noch einmal mit diesem Thema beschäftigen.
Eine Zusatzfrage? - Bitte.
Ich möchte mir erlauben, Sie darauf hinzuweisen, daß es dazu seit 1988 eine EU-Empfehlung gibt. Es wäre im Rahmen einer europäischen Harmonisierung auch des Steuerrechts Zeit, eine Verwirklichung anzugehen. Nach durchaus seriösen Berechnungen wären bei einer Abschaffung des Ehegattensplittings - bei einer entsprechenden Kompensation - Steuermehreinnahmen in Milliardenhöhe möglich.
Ihre Meinung dazu ist falsch. Wir werden das Ehegattensplitting nicht abschaffen. Es dient einer familienfreundlichen Politik; und es wird vor allen Dingen den Frauen gegenüber gerecht, die aus Gründen der Familie und der Kindererziehung auf eine Erwerbsarbeit verzichtet haben und deswegen im Steuerrecht auch gerecht beurteilt werden müssen. Eine Abschaffung des Familiensplittings wäre nach meiner festen Überzeugung verfassungswidrig.
Wir kommen jetzt zu der Frage des Abgeordneten Horst Schild.
Herr Bundesminister, Sie haben den Zusammenhang zwischen Entstehungsjahr und Haushaltsjahr angesprochen. Welche Zahlen sind für die Haushalte des Bundes, der Länder und der Gemeinden entscheidend, die im Entstehungsjahr im Gesetzentwurf ausgewiesenen Finanzierungslücken oder die in den einzelnen Rechnungsjahren ausgewiesenen Finanzierungslücken?
Kurzfristig spielt das Kassenjahr die entscheidende Rolle - deswegen muß das Kassenjahr beim Ausgleich der Gegenfinanzierung berücksichtigt werden -, während die langfristige Sicht natürlich die des Entstehungsjahres ist.
Eine Zusatzfrage? - Danke.
Dann kommen wir zu den Fragen zu übrigen Bereichen von aktuellem Interesse. Die erste Frage hat die Kollegin Dr. Angelika Köster-Loßack. Bitte schön.
Ich möchte fragen, welche Rechtsgrundlage für die gesonderte Erfassung von Betrieben wegen Zugehörigkeit zur Scientology-Organisation durch die Bundesanstalt für Arbeit besteht und welche datenschutzrechtlichen Probleme daraus entstehen. Ich wäre für eine Bewertung der Bundesregierung in diesem Zusammenhang dankbar.
Herr Staatssekretär, bitte schön.
Ja, vielen Dank. Wir sehen seitens des Bundesarbeitsministeriums keine datenschutzrechtlichen Probleme. Wir sind gehalten, auch im Rahmen des Arbeitsförderungsgesetzes die Rechtsordnung der Bundesrepublik im Auge zu behalten. In diesem Rahmen ist die Erfassung in Nürnberg korrekt.
Eine weitere Frage?
Zu dem gleichen Bereich: Auf welche Initiative hin wurde mit der gesonderten Erfassung von Scientology-Unternehmen und der Kennzeichnung dieser Betriebe mit einem „S" begonnen?
Die Initiative ging vom Bundesarbeitsministerium aus. Wir haben mit dem Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit und den Rechtsexperten darüber gesprochen und sind zu diesem Ergebnis gekommen.
Eine weitere Frage von dem Abgeordneten Volker Beck.
Meine Frage betrifft den gleichen Themenkomplex. Ich wüßte gern, nach welchen Kriterien die Bundesanstalt für Arbeit - nach Kenntnis der Bundesregierung - einen scientologynahen Betrieb definiert und wie viele Betriebe sie in dieser Richtung schon kategorisiert und einschlägig zugeordnet hat.
Wenn Sie einverstanden sind, liefere ich Ihnen die Anzahl gern nach. Ich habe sie im Moment nicht im Kopf. Die Definition der Betriebe erfolgt nach besonderen Kriterien, die ich Ihnen ebenfalls gern zustellen werde.
Haben Sie eine Zusatzfrage, Herr Kollege?
Eine Zusatzfrage zu diesem Komplex erübrigt sich, weil ich die Kriterien hier gern näher diskutiert hätte. Wenn aber Sie selbst, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, sie nicht kennen, zeigt das natürlich, daß hier einiges an Klärungsbedarf besteht.
Mit Erlaubnis des Präsidenten würde ich gern einem Vertreter des Auswärtigen Amtes zu einem anderen Themenkomplex eine Nachfrage stellen. Ich weiß aber nicht, ob ich damit - -
Bitte.
Im Maastricht-II-Vertrag ist ein Diskriminierungsverbot für verschiedene Gruppen vorgesehen gewesen. Die niederländische Präsidentschaft hat aus der neuesten Vorlage zwei Kriterien herausgenommen, nämlich die zum Thema „Sexuelle Ausrichtung und Identität" sowie die zum Thema „Behinderung" .
Ich möchte gern wissen, was von seiten der Bundesregierung geplant ist, um die Erweiterung dieses Antidiskriminierungsartikels um Homosexuelle und Behinderte durchzusetzen, und wie sie diesen Schritt der niederländischen Präsidentschaft erklärt und beurteilt.
Wer möchte darauf antworten?
Die Frage geht an das Auswärtige Amt.
Herr Staatsminister Hoyer.
Herr Kollege, Sie haben mich erwischt. Ich war so in die Vorbereitung der Fragestunde vertieft, daß ich Ihre Frage nicht mitbekommen habe.
Ich bin gern bereit, die Frage zu wiederholen.
Ich wäre Ihnen sehr dankbar.
Es ist vorgesehen, in den Maastricht-II-Vertrag ein Diskriminierungsverbot aufzunehmen. Die Vorlage, die Gegenstand der Diskussion ist, wurde von der niederländischen Präsidentschaft dahin gehend verändert, daß unter anderem die Kriterien „Behinderung" sowie „Sexuelle Ausrichtung und Identität" herausfallen. Ich wollte die Haltung der Bundesregierung zu diesen beiden Kriterien erfragen.
Darüber hinaus möchte ich fragen, was die Bundesregierung zu tun gedenkt, um eine Erweiterung dieses Diskriminierungsverbotes für Homosexuelle und Behinderte hier voranzubringen.
Unabhängig von der Frage, inwiefern man bei dem Diskriminierungsverbot unterschiedliche Ge-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1997 14845
Staatsminister Dr. Werner Hoyerwichtungen vornehmen will, sind wir daran interessiert, das Diskriminierungsverbot möglichst weit zu fassen. Insofern ist der neue niederländische Vorschlag bei uns zunächst einmal auf Reserve gestoßen. Es hat in der Regierungskonferenz darüber seither keine weiteren Beratungen gegeben. Es gibt aber keine Veranlassung, davon auszugehen, daß die Bundesregierung von ihrer bisherigen Linie abweichen wird.
Zusatzfrage?
Kann ich davon ausgehen, daß Einigkeit in der Bundesregierung besteht, beide Kriterien in dieses Diskriminierungsverbot aufzunehmen?
Ich würde grundsätzlich davon ausgehen, muß allerdings dazu sagen, daß wir dieses Thema in der Ressortabstimmung innerhalb der Bundesregierung bisher nicht erneut aufgegriffen haben, so daß ich mir eine endgültige Beantwortung der Frage seitens der Bundesregierung bis zu diesem Zeitpunkt vorbehalten muß.
Dann rufe ich zu einer weiteren Frage den Abgeordneten Peter Dreßen auf. Bitte schön.
Ich möchte auf die Frage zurückkommen, die vorhin zu Scientology gestellt worden ist. Herr Staatssekretär, werden Arbeitnehmer überhaupt in einen Betrieb vermittelt, wenn man sicher ist, daß dieser zu Scientology gehört? Wenn ja: Erhalten die Arbeitnehmer, wenn sie die Annahme der Arbeit in einem solchen Scientology-Betrieb verweigern, laut AFG oder AFRG ab morgen eine entsprechende Sperrfrist?
Wenn ich Ihre Frage richtig verstanden habe, Kollege Dreßen, gehen Sie davon aus, daß die Bundesanstalt für Arbeit, wenn sie solche Betriebe erfaßt hat, dort keine Arbeitnehmer zuweisen wird.
Wenn sie das nicht tut, kann sie auch keine Sperrfristen verhängen. Es wäre unlogisch, wenn das geschehen würde.
Herr Abgeordneter, Ihre Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, gehe ich richtig in der Annahme, daß Sie in diese Betriebe keine Arbeitnehmer vermitteln?
Nach den Erkenntnissen, die mir vorliegen, gehe ich davon aus.
Vielen Dank. Die Zeit für die Befragung ist abgelaufen. Es liegen auch keine weiteren Fragen vor. Ich beende damit die Befragung der Bundesregierung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf: Fragestunde
- Drucksache 13/7217 -
Die Fragen 1 und 2 des Kollegen Adolf Ostertag zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Die Fragen 3 und 4 aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Post und Telekommunikation des Abgeordneten Karl-Josef Laumann werden ebenfalls schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Dann kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie. Die Frage 5 des Abgeordneten Wolfgang Behrendt wird nach Ziffer 2 Satz 2 der Richtlinien für die Fragestunde ebenfalls schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Dann rufe ich den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung auf. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Horst Günther zur Verfügung.
Ich rufe Frage 6 der Abgeordneten Waltraud Lehn auf:
Wie erklärt die Bundesregierung, daß die Strahlenbelastungen bei CT-Untersuchungen in Deutschland im europäischen Vergleich sehr hoch sind, z. B. bis zum dreifachen des in Großbritannien gemessenen Wertes?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Kollegin Lehn, bei einem europäischen Vergleich der Strahlenbelastung bei CT- Untersuchungen handelt es sich nicht um die Belastung des einzelnen Patienten, sondern um die durchschnittliche Dosis pro Patient und Jahr bei allen Röntgenuntersuchungen. Die niedrigere Belastung in Großbritannien liegt im wesentlichen darin begründet, daß dort die Untersuchungsfrequenz erheblich niedriger ist als in der Bundesrepublik Deutschland. Kein Grund ist in der aparatemäßigen Ausstattung zu sehen, da die CTs in der Bundesrepublik Deutschland dem Stand der Technik entsprechen und dieses von den atomrechtlichen Behörden und von Sachverständigen wiederkehrend überwacht wird.
Ihre Zusatzfrage, bitte schön.
Ich möchte dazu im Moment keine Zusatzfrage stellen.
Dann rufe ich Ihre Frage 7 auf:
Welche Maßnahmen setzt die Bundesregierung ein, um im Interesse eines wirkungsvollen Patientenschutzes die Strahlenbelastung in der Röntgendiagnostik zu kontrollieren und zu reduzieren?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Frau Kollegin Lehn, die Geräte zur Röntgendiagnostik unterliegen dem europäischen und somit auch dem deutschen Recht über Medizinprodukte. Nach den EWR-einheitlichen „Grundlegenden Anforderungen" sind die Hersteller verpflichtet, die Produkte so zu konzipieren und herzustellen, daß die Strahlenexposition von Patienten, Anwendern und sonstigen Personen so weit verringert wird, wie dies mit den für die jeweiligen therapeutischen oder diagnostischen Zwecke angezeigten Dosiswerten vereinbar ist.
Die Einhaltung dieser Vorschrift wird durch staatlich benannte und überwachte Prüfstellen vor dem Inverkehrbringen überprüft. Nach dem erstmaligen Inverkehrbringen erfolgt die Überwachung auf der Basis der Euratom-Richtlinien, die mit der Röntgenverordnung und der Strahlenschutzverordnung in deutsches Recht umgesetzt wurden. Außerdem ist im Rahmen der Umsetzung neugefaßter Euratom-Richtlinien in nationales Recht eine weitere Verbesserung der Fachkundeanforderungen an verantwortliche und beauftragte Personen, zum Beispiel Ärzte, vorgesehen.
Hinsichtlich organisatorischer Maßnahmen wird darauf hingewiesen, daß auch mit dem Röntgenpaß versucht wird, die Strahlenbelastung der einzelnen Patienten zu verringern.
Frau Kollegin, Ihre Zusatzfrage.
Ich möchte gerne wissen, wie Sie folgende Aussage aus Ihrem eigenen Hause - zitiert aus einem Schreiben an einen Radiologen - bewerten:
Ich stimme Ihnen insofern zu, daß der Einsatz von radiologischen Untersuchungsmethoden, die eine deutlich höhere Strahlenbelastung mit sich bringen, in erster Linie unter Abrechnungsgesichtspunkten und nicht unter Indikationsgesichtspunkten erfolgt.
Das werde ich überprüfen. Es hat aber mit Ihrer Frage, in der Sie Vergleiche mit Großbritannien anstellen, eigentlich nichts zu tun.
Es kann sein - das ist nicht abzustreiten -, daß in Deutschland durch eine bessere Bildqualität der Apparate, mit denen natürlich eine bessere Diagnose zu erstellen ist, weil ja sonst oft nicht erkennbar ist, was
im Inneren eines Menschen stattfindet, im Vergleich zu Großbritannien eine etwas höhere Dosis entsteht.
Ihre zweite Zusatzfrage.
Ich habe gefragt, was die Bundesregierung tut, um im Interesse eines wirkungsvollen Patientenschutzes die Strahlenbelastung in der Röntgendiagnostik zu kontrollieren und zu reduzieren. Die Zusatzfrage, die ich eben gestellt habe - sie bezog sich also nicht auf meine erste Frage, sondern auf die zweite -, steht in genau diesem Zusammenhang.
Frau Kollegin, ich habe den Sachzusammenhang nicht gerügt. Sie können Ihre Fragen stellen.
Teilen Sie die Auffassung, daß ein patientenorientierter Strahlenschutz durch die Tatsache, daß die Bewertung nach durchgeführten Scans erfolgt, zur Zeit in der Bundesrepublik nicht gegeben ist?
Das kann ich nicht bestätigen. Ich werde das aber im einzelnen untersuchen und Ihnen mitteilen.
Frau Ganseforth, Ihre Frage.
Herr Staatssekretär, ich möchte Sie fragen, was Sie von der Bewertung der Strahlenschutzkommission des Bundesumweltministeriums halten. Ich habe einer Mitteilung der dpa vom 27. April 1995 entnommen, daß in Deutschland mehr als in den USA geröntgt wird und ein Expertengremium eine strengere Rechtfertigung von Röntgenuntersuchungen sowie verschärfte Vorschriften für die Qualität der von Ärzten eingesetzten Geräte fordert.
Es ist möglich, daß in Deutschland mehr geröntgt wird als in den USA. Die Ursachen dafür können aber vielfältiger Natur sein. Wir haben in Deutschland ein wesentlich verbessertes Gesundheitswesen. Wir haben mehr Leistungen an Patienten in Deutschland. Das kann sich auch im Röntgenbereich wiederfinden.
Inwieweit das Röntgen für den Patienten schädlich ist, müßten die Ärzte wissen. Das kann die Politik nicht bestimmen. Die zuständigen Gremien beschäftigen sich ständig mit der Frage, inwieweit Röntgenstrahlen schädlich sind und wie man die Qualität verbessern kann. Ich habe bereits gesagt, daß wir mit dem Röntgenpaß Hinweise zu geben versuchen, damit in Deutschland nicht zu oft geröntgt wird.
Ich gebe Ihnen aber recht: Das ist ein immer wieder zu untersuchender Bereich.
Eine weitere Zusatzfrage von Frau Kollegin Schwall-Düren.
Herr Staatssekretär, wie beurteilt die Bundesregierung die seit dem 1. Januar 1996 nach dem EBM geregelte Honorierung computertomographischer Leistungen, wonach CT-Radiologen je nach Behandlungsfall festgesetzte Scans einhalten müssen?
Die Bundesregierung hält das für richtig.
Der Kollege Büttner ist der nächste.
Herr Staatssekretär, ist es nicht gerade Aufgabe der Gesundheitspolitik, zu überprüfen und erforschen zu lassen, ob eine Überdosierung oder eine Überinanspruchnahme von strahlenschädigenden Maßnahmen im therapeutischen und diagnostischen Bereich stattfindet? Muß sie nicht entscheiden, welche Folgerungen daraus für die abgeleiteten Beschlüsse gezogen werden müssen, sei es Honorierung oder anderes?
Meinen Sie nicht, daß man das, wie Sie es soeben gesagt haben, nicht allein den Ärzten überlassen kann, sondern daß es gerade vornehmste und wichtigste Aufgabe einer Bundesgesundheitspolitik ist, solche Fehler aufzuklären und entsprechende Rahmenbedingungen zu schaffen?
Herr Kollege Büttner, wir haben sogenannte Benannte Stellen, die bei den Ländern angesiedelt sind. Ich habe keine Zweifel, daß die Länder ihre diesbezüglichen Aufgaben erfüllen.
Jetzt kommt die Kollegin Schmidt-Zadel.
Herr Staatssekretär, verfügt die Bundesregierung über Informationen - wenn ja, über welche - und kann sie benennen, welche wissenschaftlichen Forschungen sich mit dem Problem der CT-bedingten Strahlenbelastungen beschäftigen und welche Forschung sich mit dem Schutz der Patienten befaßt, um diesen zu gewährleisten?
Ich gehe davon aus, daß es solche wissenschaftlichen Untersuchungen gibt, Frau Kollegin, Sie sind mir im Augenblick aber nicht bekannt. Ich bin gern bereit, Ihnen das nachzuliefern.
Es gibt keine weiteren Fragen.
Die Frage 8 des Abgeordneten Manfred Grund ist zurückgezogen worden.
Die Fragen 9 und 10 der Kollegin Elisabeth Altmann werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 11 des Kollegen Peter Dreßen auf:
In welcher Gesamthöhe entstehen schätzungsweise Kosten für die Pflegeversicherung, wenn für Pflegepersonen während eines Urlaubsanspruchs in Anlehnung an das Bundesurlaubsgesetz sowie im Krankheitsfalle Rentenversicherungsbeiträge durch die Pflegeversicherung abgeführt würden?
Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Dreßen, während der maximal vierwöchigen Urlaubs- oder Verhinderungspflege nach § 39 SGB XI ruhen, wie Sie wissen - das ergibt sich auch aus Ihrer Frage -, die Ansprüche auf Rentenversicherungsbeiträge für die Pflegeperson. Eine Weiterzahlung dieser Beiträge würde pro Jahr Mehraufwendungen von schätzungsweise 35 bis 40 Millionen DM ausmachen.
Ihre Zusatzfrage, bitte, Herr Kollege.
Herr Staatssekretär, sieht die Bundesregierung gerade angesichts der wirklich geringen Summe, gemessen am Gesamthaushalt der Pflegeversicherung, und angesichts der Tatsache, daß 2 Milliarden DM pro Jahr an Überschuß da sind, nicht Handlungsbedarf, und wird sie nicht ein entsprechendes Gesetz vorbereiten, um diesen unwürdigen Zustand für die Pflegepersonen zu beenden?
Kollege Dreßen, ich möchte zunächst einmal feststellen, daß das kein unwürdiger Zustand ist. Sie wissen, daß es sich hier um kein ordentliches Arbeitsverhältnis handelt. Wenn es sich um ein solches handeln würde, wäre die Zahlung während des Urlaubs oder in sonstigen Verhinderungsfällen natürlich gewährleistet. Das ist aber bewußt nicht so konzipiert worden. Sie wissen genau, daß ein normales Versicherungsverhältnis auch Nachteile für die Pflegeperson mit sich bringen würde. Wir haben den jetzigen Rechtsstatus bewußt gewählt, der allerdings die Zahlung im Verhinderungsfalle ausschließt.
Ihre zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß einzelne Pflegekassen die Beiträge zur Rentenversicherung sogar tageweise streichen, und zwar bereits dann, wenn am Abend fünf Stunden fremd gepflegt wird, also Sachleistungen in Anspruch genommen werden? Ich halte das für einen unmöglichen Zustand; ich muß das wiederholen.
Kollege Dreßen, wenn wir so etwas grundsätzlich tun, muß das auch tageweise gelten. Inwieweit hierbei die Stundenzahl eine Rolle spielt, werde ich prüfen. Das habe ich nicht im Kopf. Es ist möglich, daß ab fünf Stunden ein ganzer Tag berechnet wird. Aber wir können keine Verfügung dieser Art erlassen und dann sagen: Einzelne Tage bleiben außen vor. Das wiederum würde zu einem anderen Rechtsstatus führen.
Dann rufe ich die Frage 12 des Kollegen Peter Dreßen auf:
In welchem Umfang werden nach Informationen der Bundesregierung Arbeitsplätze im Bereich von Fortbildung und Umschulung durch die zurückhaltende Bewilligungspraxis der Arbeitsämter im Kontext des von der Bundesregierung durchgesetzten Haushalts 1997 der Bundesanstalt für Arbeit verlorengehen?
Herr Kollege Dreßen, in einzelnen Arbeitsamtsbezirken ist es im Zusammenhang mit der quartalsmäßigen Zuweisung der Mittel für die individuelle Förderung der beruflichen Fortbildung und Umschulung zu gewissen Unsicherheiten bei der Bewilligung von Förderleistungen gekommen. Es ist davon auszugehen, daß mit der Zuweisung der Mittel für das zweite Quartal diese Unsicherheiten vor Ort behoben werden, nachdem die Mittel gestern bewilligt worden und die Zuweisungen erfolgt sind.
Insoweit entkräftet die Mittelzuweisung auch Aussagen einzelner Träger, daß sie in mehr oder weniger großem Umfang Entlassungen vornehmen müßten. Uns liegen keine konkreten Zahlen darüber vor, in welchem Umfang dies geschehen ist oder noch geschehen könnte. Ich denke, da muß man abwarten. Ich glaube, daß die Mittelzuweisung jetzt eine andere Situation mit sich bringt.
Ihre Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ich bin auf diese Frage gekommen, nachdem ich von einer Schule, die lernbehinderte Hauptschüler weiterbildet und zu einem Berufsabschluß führt und von einer karitativen Einrichtung getragen wird, eingeladen worden war. Diese muß jetzt ihren Kurs schließen, weil sie die Kürzungen, die mit dem AFRG verbunden sind, nicht mehr verkraften kann. Ich halte es für schwierig, daß ausgerechnet in diesem Bereich auf Grund der Kürzungen bei Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen nicht weitergearbeitet werden kann. Es wurde gleich von 5 Prozent Kürzungen gesprochen. Aber Sie müssen sehen, daß es nicht 5 Prozent sind. Denn in dem alten Lehrgang kann man nicht mehr kürzen, er läuft ja schon. Also muß man im neuen Lehrgang praktisch 10 Prozent kürzen. Hinzu kommt noch die entsprechende Lohnsteigerung, so daß Sie bei 14, 15 Prozent sind. Damit sind diese Kurse nicht mehr tragbar und werden eingestellt.
Deshalb noch einmal die Frage: Sehen Sie hier nicht Handlungsbedarf, damit gerade in diesem Bereich die Kürzungen, die Sie vorgesehen haben, nicht stattfinden?
Soweit Sie das Nachholen des Hauptschulabschlusses meinen: Wir sind der Auffassung, daß sich die Länder hier mehr engagieren müssen. Das, was Sie in bezug auf die 5 Prozent gesagt haben, liegt im Bereich der Rehabilitation. Wir gehen davon aus, daß hier bei Maßnahmen für Jugendliche keine Teilnehmerzahlen zurückgefahren werden müssen. Wir haben mit den einzelnen Trägern vielmehr Übereinkunft dahin gehend erzielt, daß sie diese 5 Prozent in anderen Bereichen, zum Beispiel bei Verwaltungskosten und Maßnahmekosten, einsparen.
Wenn der Bundestag morgen hier endgültig einen entsprechenden Beschluß faßt, dann gibt es in diesem Bereich ab 1. April wieder einen Rechtsanspruch. Damit wird die Unsicherheit beseitigt, die für drei Monate dadurch entstanden war, daß hier im Plenum und dann im Vermittlungsausschuß eine Beschlußfassung verweigert wurde. Dadurch können die Träger klarer sehen, wie sie ihre Planungen ausrichten.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wären Sie bereit, zum Beispiel der Einrichtung Sankt Elisabeth in Freiburg, die nun tatsächlich die dargestellten Probleme hat und nicht mehr weitermachen kann, wenn sie Ihnen ihren Fall schildert, ganz konkrete Hilfestellung zu geben? Denn das Arbeitsamt Freiburg hat dieser Institution mitgeteilt, sie müßten 5 Prozent streichen. Sankt Elisabeth ist ein Internat für lernbehinderte Jugendliche, die die Hauptschule nicht ganz geschafft haben und die dort mit sehr großem Erfolg erst zum Hauptschulabschluß und hinterher noch zu einer Berufsausbildung gebracht werden. Ich denke, da wird gerade an der verkehrten Ecke gespart. Diese Einrichtung, die von der Caritas getragen wird, wird ihren Kurs einstellen müssen, weil sie mit den gekürzten Mitteln nicht mehr zu Rande kommt.
Unabhängig davon, Herr Kollege Dreßen, daß wir die Mittel für den Bereich des Nachholens des Hauptschulabschlusses in der Tat gekürzt haben, bin ich selbstverständlich bereit, jeden Einzelfall zu überprüfen, weil wir damit auch die Chance haben, Dinge, die nicht ganz richtig dargestellt werden, richtigzustellen. Daran haben wir selbst ein großes Interesse. Wenn Sie mir diesen Fall schildern, werden wir das genau prüfen und Ihnen eine Antwort dazu geben.
Es gibt keine weiteren Fragen. Dann können wir diesen Geschäfts-
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
bereich abschließen. Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Ich rufe dann den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung auf. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Bernd Wilz zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 13 des Kollegen Dr. Hansjörg Schäfer auf:
Wie steht die Bundesregierung zu Berichten, daß Bundeswehrsoldaten zunehmend logistische Tätigkeiten bei der amerikanischen Dienststelle 21st TAACOM in Kaiserslautern verrichten, die nicht zum Aufgabenbereich der Bundeswehr gehören und normalerweise von ortsansässigen Zivilbeschäftigten durchgeführt werden sollten?
Herr Präsident, ich beantworte die Frage des Kollegen Schäfer wie folgt: Die Bundeswehr unterstützt die US-Streitkräfte in Deutschland bereits seit Dezember 1995 im Zusammenhang mit der Verlegung, dem Einsatz und der Rückverlegung der Implementation Force, also IFOR, die in der Vergangenheit tätig war, und der Stabilization Force, SFOR, die gegenwärtig tätig ist. Die qualifizierte militärische Unterstützung umfaßt im wesentlichen Mittlerleistungen für die Bereitstellung ziviler Verkehrs-, Transport- und Umschlagleistungen, die ergänzende Unterstützung durch Verkehrs-, Transport- und Umschlagleistungen mit eigenen Mitteln der Bundeswehr sowie die Einrichtung und den Betrieb eines sogenannten Marschunterstützungspunktes.
Rechtsgrundlage für die zu erbringenden Unterstützungsleistungen ist ein entsprechendes deutschamerikanisches Abkommen, das die gegenseitige logistische und sonstige Unterstützung in Europa, angrenzenden Gewässern und Nordamerika im Frieden sowie in Krise und Krieg regelt.
Diese Hilfeleistungen sollen sicherstellen, daß die US-Truppenteile möglichst zeitgerecht aus, durch oder nach Deutschland verlegen bzw. zurückverlegen können, die materielle Ausstattung der im Rahmen von IFOR bzw. SFOR eingesetzten US-Truppenteile und ihre Versorgung aus Deutschland heraus bei dringendem Bedarf verbessert werden, der Friedensbetrieb in den US-Standorten in Deutschland aufrechterhalten wird und die Familien der eingesetzten Soldaten im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten betreut werden.
Die gegenseitige Unterstützung im Rahmen der Durchführung von NATO-Operationen wie IFOR bzw. SFOR ist gängige und bewährte Praxis im NATO-Bündnis. Sie beruht auf dem Prinzip der Reziprozität, ist grundsätzlich in deutschem Interesse und gehört zum Aufgabenbereich der Bundeswehr. Sie ist überdies Ausdruck der Bündnissolidarität.
Die Zuständigkeit für diese Unterstützungsleistungen der Bundeswehr liegt beim Heeresführungskommando, das auf Antrag der zuständigen US-Kommandobehörde - hier geht es um die 21st TAACOM - in Kaiserslautern tätig wird. Dem 21st TAACOM obliegt bereits vor Antragstellung die pflichtgemäße Prüfung, daß die erbetenen Leistungen mit den zur Verfügung stehenden US-seitigen militärischen und
zivilen Ressourcen nicht, nicht zeitgerecht oder nicht in der erforderlichen Qualifikation erbracht werden können. Die deutschen Soldaten ersetzen also nicht die „ortsansässigen Zivilbeschäftigten", sondern die derzeit im Einsatz befindlichen US-Soldaten. Außerdem decken sie teilweise den durch den SFOR-Einsatz bedingten Zusatzbedarf der US-Streitkräfte ab.
Das Heeresführungskommando kontrolliert durch ständige Dienstaufsicht vor Ort in Kaiserslautern, daß die gewährte Unterstützung für US-Streitkräfte auf ausschließlich qualifizierte militärische Leistungen beschränkt bleibt und nur fehlendes militärisches US-Fachpersonal teilweise ersetzt wird.
Ich bitte um Nachsicht dafür, Herr Präsident, daß die Antwort etwas umfassender war.
Umfassendere Antworten sind manchmal willkommener als zu kurze.
Herr Dr. Schäfer, Sie haben eine Zusatzfrage.
So umfassend die Antwort war, sie genügt mir dennoch nicht. Ich habe dazu eine Zusatzfrage.
Mir liegt ein Brief der Betriebsvertretung der 21st TAACOM in Kaiserslautern vor. Darin wird aus einem Arbeitgebergespräch zitiert:
Seit Beginn der Bosnien-Mission hat sich die Anzahl der Bundeswehrsoldaten in unserer Dienststelle auf über 200 Personen erhöht. Zu Anfang verrichteten sie nur Tätigkeiten im Rahmen der Bosnien-Mission. Mittlerweile werden sie für ganz normale logistische Tätigkeiten im Rahmen unserer Dienststelle eingesetzt.
Diesem wurde von dem zuständigen Stabschef der Amerikaner, der an diesem Arbeitgebergespräch teilnahm, nicht widersprochen.
Wie stellt sich die Bundesregierung zu dieser Aussage?
Herr Kollege, ich habe eben darauf hingewiesen, daß das Heeresführungskommando ständig überprüft und in Koordinierungsbesprechungen abgleicht, daß wir nur das tun, was ersetzt werden muß, weil Soldaten von Deutschland woandershin - jetzt konkret Bosnien-Herzegowina - verlegt worden sind, oder was zusätzlich durch den SFOR-Einsatz an Tätigkeiten notwendig ist. Mir liegen die von Ihnen angesprochenen Erkenntnisse nicht vor.
Ich füge hinzu: Es handelt sich in der Tat, wie Sie sagen, um annähernd 200 Soldaten. Wir achten gewissenhaft darauf, daß nicht zusätzliche Routine etwa in dem Sinne eintritt, daß damit für zivile Angestellte kein Raum bleibt.
Eine zweite Zusatzfrage.
Metadaten/Kopzeile:
14850 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1997
Ist die Bundesregierung der Meinung, daß durch den Einsatz der Bundeswehrsoldaten in solch großem Umfang die Arbeitsplätze von zivilen Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen vor Ort gefährdet sind? - Auf diese Frage hat der eben erwähnte Stabschef geantwortet: Es könnte sein.
Herr Kollege, ich bitte um Nachsicht, daß ich nicht bejahen oder verneinen kann, was irgendein US-Stabschef von sich gibt. Ich war an dem Gespräch auch nicht beteiligt.
Ich bestätige noch einmal: Unser Anliegen ist es in keiner Weise, die ortsansässigen Zivilangestellten um irgend etwas zu bringen. Ganz im Gegenteil: Deutsches Interesse ist, daß unsere Beschäftigten hier eine sichere Grundlage haben und behalten. Wir wollen das tun, wozu wir im Rahmen des Abkommens verpflichtet sind. Ich glaube, das ist deckungsgleich, und das entspricht der Solidarität auf gegenseitiger Basis.
Ich biete aber ausdrücklich an: Wenn Sie konkrete Hinweise bekämen oder wenn solche Aussagen nachweisbar wären, würde ich dem nachgehen und Sie entsprechend unterrichten.
Es gibt hierzu keine weiteren Fragen.
Dann rufe ich die Frage 14 des Kollegen Jürgen Koppelin auf:
Sind Informationen zutreffend, wonach der Staatssekretär im Bundesministerium der Verteidigung, Dr. Peter Wichert, den Inspekteur des Heeres, Generalleutnant Willmann, abgemahnt hat, weil ein in Bosnien stationiertes Bataillon, das dem Inspekteur untersteht, von seiner Heimatgarnison Pakete mit Lebensmitteln und Tageszeitungen erhalten hat?
Herr Präsident, ich darf diese Frage sehr kurz beantworten: Informationen, wonach der Staatssekretär des Bundesministeriums der Verteidigung, Dr. Peter Wichert, den Inspekteur des Heeres, Generalleutnant Willmann, abgemahnt haben soll, treffen nicht zu. Alle Entscheidungen zu dem Vorgang sind im Einvernehmen zwischen meinem Kollegen und dem Inspekteur des Heeres ergangen.
Herr Koppelin, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, hat es ein Gespräch zwischen dem Staatssekretär Dr. Wichert und dem Inspekteur des Heeres gegeben, in dem es um das Thema Vorteilsannahme ging? Wenn ja, was war der Anlaß für das Gespräch?
Es ist zutreffend, Herr Kollege Koppelin, daß beide Herren ein Gespräch miteinander geführt haben. Ich habe gestern abend
sowohl mit General Willmann als auch mit meinem Kollegen Wichert telefoniert. Bei deren Gespräch ist es um die Frage gegangen, wie die Rechtsgrundlagen sind, wie die Vorschriften aussehen, wenn bestimmte Schenkungen stattfinden. Dieses Gespräch ist sehr einvernehmlich geführt worden.
Zweite Zusatzfrage.
Könnten Sie mir dann einmal erläutern, warum man überhaupt über das Thema Vorteilsannahme im Hause gesprochen hat? Ist es nicht doch so, daß der Inspekteur des Heeres, wenn nicht abgemahnt, so doch zumindest ermahnt worden ist?
Herr Kollege Koppelin, wir pflegen auf der Hardthöhe einen sehr vernünftigen, ausgewogenen und menschlichen Umgang. Klare Aussagen werden selbstverständlich zur Kenntnis genommen. Aber hier geht es weder um Abmahnungen noch Ermahnungen, sondern um den Austausch der Meinungen und der Bewertungen.
Hintergrund war in der Tat die Fragestellung: In welchem Umfang ist es möglich, Spenden zu geben oder zum Beispiel Soldaten vor Ort zu erfreuen? Darüber ist gesprochen worden, aber in ganz normalem Umfang.
Weitere Frage.
Sie sprachen von dem Umgang: Kann der Umgang so gewesen sein, daß der Herr Staatssekretär eine bestimmte Auffassung hatte, die der Inspekteur des Heeres dann zur Kenntnis nehmen mußte?
Herr Kollege Koppelin, ich habe eben dargestellt, daß die beiden Herren zu einer einheitlichen Beurteilung und Bewertung dieser Fragestellung gekommen sind. Im übrigen darf ich darauf hinweisen, daß die Bundeswehr Vorschriften hat. Diese Vorschriften gelten für uns alle gleichermaßen. Ich sehe überhaupt keine Divergenz zwischen den beiden Herren - ganz im Gegenteil: General Willmann hat mir gestern noch einmal bestätigt, daß es ein sehr umfassendes, ausgewogenes Gespräch war. Von einer Abmahnung, Ermahnung oder ähnlichem kann nicht die Rede sein.
Zusatzfrage des Kollegen Büttner.
Bei der von Ihnen angesprochenen Frage der Vorteilsannahme möchte ich nachhaken. Ist es nach Ansicht der Bundesregierung auf der einen Seite eine Vorteilsannahme, wenn eine Stadt den Soldaten ihrer Garnison, die im Auslandseinsatz tätig sind, durch Sammlungen, die zu
Hans Büttner
Hause sowieso stattfinden, aus Anlaß eines Bürgerfestes oder zu Weihnachten Zeitungen oder irgendwelche einmaligen Zuwendungen zukommen läßt, aber auf der anderen Seite keine Vorteilsannahme, wenn zum Beispiel der Bundeskanzler die Bürger unseres Landes zu einem Sommerfest einlädt, für das private Firmen Bewirtung und Betreuung übernehmen?
Herr Kollege Büttner, ich darf zunächst darauf hinweisen: Eine Vorteilsannahme im strafrechtlichen Sinne setzt voraus, daß man eine Gegenleistung erwartet. Eine solche Gegenleistung ist mir in keiner Weise bekannt. Eine solche Vorstellung ist auch nicht nachvollziehbar. Insofern sehe ich keine Vorteilsannahme.
Bei solchen Problemen geht es darum zu klären, wie die rechtliche Vorschriftenlage auf unserer Seite - das heißt, im BMVg für die Bundesregierung - ist. Dazu gibt es zwei einschlägige Fragestellungen. Die eine ist, inwieweit es die Bundeswehr zulassen kann, daß wettbewerbsähnliche Vorgänge stattfinden können; die andere, wie Zuwendungen über Gebühr ein entsprechendes Verhalten auslösen könnten, selbst wenn eine solche Gegenleistung nicht erwartet ist.
Es ist folgendes ganz einfach zur Kenntnis zu nehmen: Auf .der einen Seite besteht bei vielen Bürgern in Deutschland viel guter Wille. Wir sind dankbar und glücklich darüber, wenn sie sagen: Jawohl, wir wollen das Engagement unserer Soldaten anerkennen. Auf der anderen Seite müssen wir aber die Vorschriftenlage, die wir nun einmal haben, beachten. Die Soldaten haben ein Handbuch dabei, in dem steht, was geht und was nicht geht.
Damit rufe ich die Frage 15 des Kollegen Koppelin auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, daß es sich hierbei um eine sog. Vorteilsnahme handeln soll, die zu der Abmahnung des Inspekteurs des Heeres führte?
Herr Staatssekretär.
Wie ich eben bereits ausgeführt habe, erfolgte keine Abmahnung des Inspekteurs des Heeres. Die Annahme von Sachspenden aus dem Bereich der gewerblichen Wirtschaft ist nach den Bestimmungen der Bundeswehr nicht zulässig - auch nicht für Einsatzkontingente der Bundeswehr im Ausland. Es soll schon der Anschein vermieden werden, die Bundeswehr ermögliche entgegen dem Gebot der Wettbewerbsneutralität einzelnen Firmen Werbung oder gewähre eine Sonderbehandlung.
Für die Aufgabenerfüllung des Bundes - auch der Streitkräfte - gilt der Grundsatz, daß alle erforderlichen Haushaltsmittel in den Bundeshaushalt einzustellen sind. Ein Einsatzverband im Ausland ist daher grundsätzlich nicht auf Sachspenden angewiesen. Eine Ausnahme von dieser Entscheidungspraxis wäre nur bei einem überwiegend dienstlichen Interesse gerechtfertigt, das in dem geschilderten Fall nicht vorlag.
Zu der Frage der Vorteilsannahme im strafrechtlichen Sinne habe ich eben bereits die Antwort gegeben.
Ihre erste Zusatzfrage, Herr Koppeln.
Herr Staatssekretär, um es klar zu fragen: Trifft es denn zu, daß ein in Bosnien stationiertes Bataillon Pakete und Tageszeitungen erhalten hat, daß das im BMVg als Vorteilsannahme angesehen wird und daß der Herr Staatssekretär Dr. Wichert den Inspekteur des Heeres, Generalleutnant Willmann, gebeten hat - ich nehme einmal Ihre Darstellung -, das künftig einzustellen?
Herr Kollege Koppelin, ich habe Zweifel, ob das nicht eine Zusatzfrage zu einer Frage ist, die schon abgeschlossen ist, nämlich zu Frage 14. - Aber, Herr Staatssekretär, wenn Sie antworten möchten, bitte schön.
Ich weise noch einmal darauf hin: Eine Vorteilsannahme im strafrechtlichen Sinne liegt nicht vor. Insofern kann das auch gar nicht Sachgegenstand gewesen sein. Hier geht es darum, daß unsere Vorschriften beachtet werden. Das ist einfach die Fragestellung. Hier dürfen keine falschen Eindrücke entstehen. Ich habe auf die Wettbewerbsneutralität hingewiesen. Es darf nicht der Eindruck entstehen, als ob wir zuließen, daß innerhalb der Bundeswehr Werbung für den einen oder anderen gemacht werden könnte. Dies geht nicht.
Das zweite ist: Es ist immer im Einzelfall und individuell festzustellen, was der einzelne darf oder nicht darf.
Ihre zweite Frage.
Herr Staatssekretär, verstehe ich Sie richtig, daß es, wenn der Verteidigungsminister Rühe mit Dosenbier aus seiner Heimatstadt - wie zum Beispiel im Fall Somalia - kommt und es dort präsentiert, keine Vorteilsannahme ist?
Es ist zunächst einmal davon auszugehen, daß der Bundesminister der Verteidigung keine Vorteilsannahme auslösen will.
Zu dem weiteren, Herr Kollege Koppelin, will ich Ihnen ein Beispiel nennen: Wenn ich nach Bosnien oder wo auch immer hinginge, fünf Fässer Bier ohne Aufdruck, um welche Bierfirma es sich handelt, selber kaufen und bezahlen würde und sagen würde:
Parl. Staatssekretär Bernd Wilz
„Das ist mein Geschenk an euch", dann wäre dies
zulässig.
- Ich glaube, Herr Kollege Koppelin, die Soldaten würden sich sehr freuen, von mir Bier zu bekommen.
Vielen Dank. Es ist ja immer die Frage, ob für eine Büchse Bier irgendeine Gegenleistung verlangt wird. Das ist ja wohl nicht der Fall.
Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereiches. Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Damit rufe ich den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr auf. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Johannes Nitsch zur Verfügung.
Die Frage 16 des Abgeordneten Behrendt wird nach den Richtlinien schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Damit komme ich zur Frage 17 des Abgeordneten Dr. Winfried Wolf:
Aus welchen Gründen hat die Bundesregierung die rechtzeitige Einleitung des Planfeststellungsverfahrens für den Bau der Eisenbahnlinie Wolgast Hafen und Wolgast Fähre unterlassen, wenn ihr - nach eigenem Bekunden - klar war, daß das Planfeststellungsverfahren für die Eisenbahnlinie wesentlich mehr Zeit in Anspruch nehmen würde als die Plangenehmigung für die Straßenbrücke im Zuge der B 111 und somit die gleichzeitige Inbetriebnahme nicht gewährleistet werden kann?
Ich beantworte die Frage folgendermaßen: Bauträger der neuen Eisenbahnstrecke zwischen den Bahnhöfen Wolgast Hafen und Wolgaster Fähre ist die Deutsche Bahn AG, die nach dem Vorliegen aller planungsrelevanten Daten die Planfeststellung bei dem zuständigen EisenbahnBundesamt beantragt hat. Dieses leitete das Planfeststellungsverfahren ein, sobald alle Unterlagen vollständig waren.
Die örtlichen Gegebenheiten erforderten hier allerdings einerseits eine schnelle Realisierung der Straßenverbindung über den Peenestrom, da die Tragfähigkeit der Brücke bereits auf 16 Tonnen herabgesetzt war und Fahrzeuge mit einem höheren Gewicht einen Umweg über Zecherin - das sind ungefähr 100 Kilometer Umweg - in Kauf nehmen mußten und auch die Schiffahrtsverhältnisse eine Verbreiterung der Durchfahrt erforderten, so daß wir beim Straßenbau sehr schnell handeln mußten.
Andererseits erforderten die Untersuchungen für den Neubau einer Eisenbahnverbindung sehr zeitaufwendige Diskussionen über Varianten; es war zum Beispiel die Frage zu klären, ob wir die Karniner Eisenbahnbrücke im Zuge der Verbindung Ducherow-Stettin wieder in Betrieb nehmen; eine andere Frage betraf die Streckenführung zwischen Wolgast Hafen und Wolgaster Fähre über die Schloßinsel, eine Optimierung der Streckenführung auf der Schloßinsel; schließlich war zu entscheiden, ob eine
höhengleiche oder höhenfreie Kreuzung mit der B 111 ausgeführt wird.
Deshalb mußte der Bau der Straßenbrücke zeitlich vorgezogen werden. Die Gründe habe ich genannt. Es war lediglich bei der Konstruktion der Brücke noch möglich zu berücksichtigen, daß ein Eisenbahngleis hinzukommt.
Herr Kollege Dr. Wolf, Ihre erste Zusatzfrage.
Zu welchem Zeitpunkt hält es die Bundesregierung nach der jetzigen Planungssituation für möglich, daß die Schiene auf der Wolgaster Brücke integriert ist und eine durchgehende Verbindung von der Usedomer Bäderbahn über die Brücke möglicherweise bis nach Züssow realisiert wird?
Die Verbindung zur Usedomer Inselbahn befindet sich ja zur Zeit im Planfeststellungsverfahren. Ich hatte das ja in der schriftlichen Antwort auf Ihre Frage von der vergangenen Woche schon dargelegt. Der Antrag wurde Anfang Juli 1996 gestellt. Da wir bei solchen Verhältnissen mit einem mindestens zwölfmonatigen Planfeststellungsverfahren zu rechnen haben, können wir im Spätsommer dieses Jahres den Planfeststellungsbeschluß erwarten, so daß wir im Herbst Baurecht haben und diese Verbindung nach anderthalb Jahren Bauzeit dann Mitte bis Ende 1999 existiert.
- Bis zur Wolgaster Fähre. Das ist der Bereich des Planfeststellungsbeschlusses.
War das eben Ihre zweite Zusatzfrage?
- Vorsicht! Jetzt Ihre zweite Zusatzfrage.
Darf ich, Herr Staatssekretär, Ihrer ersten Antwort auf meine schriftlich gestellte Frage entnehmen, daß Sie davon ausgehen, daß jedenfalls die Karniner Eisenbahn definitiv nicht wiederhergestellt wird und damit nur die Strecke über Wolgast Hafen und Wolgaster Fähre die Verbindung zum Beispiel nach Berlin wäre?
Herr Abgeordneter Dr. Wolf, das ist eine Frage, die sicherlich nicht nur von deutschen Interessen bestimmt werden dürfte. Ich kann nicht für alle Zeit ausschließen, daß diese Verbindung nicht wieder aufgebaut wird, aber wenn sie aufgebaut wird, dann wird dies sicherlich nur unter Berücksichtigung der Interessen der polnischen Seite geschehen.
Dann rufe ich die Frage 18 des Abgeordneten Dr. Wolf auf:
Kann die Bundesregierung als hundertprozentige Eigentümerin der Deutschen Bahn AG den Bericht des Bundesrechnungshofs vom 21. Januar 1997 bestätigen, wonach die positiven Bilanzen der Deutschen Bahn AG für die Jahre 1994 und 1995 allein durch im Vergleich zu vorausgegangenen Bilanzen der Deutschen Bundesbahn veränderte Berechnungsgrundlagen zustande gekommen seien, und wie reagiert die Bundesregierung im Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG insbesondere auf die Aussage des Bundesrechnungshofs, wonach das Ergebnis der Deutschen Bahn AG bei vergleichbaren Berechnungsgrundlagen wie vor Gründung der Deutschen Bahn AG allein im Jahr 1995 noch um 650 Mio. DM hinter dem Ergebnis von 1993 zurückgeblieben sei?
Herr Staatssekretär, bitte.
Herr Abgeordneter Wolf, die klare Antwort lautet: nein. Die Bundesregierung ist der Meinung, daß das Ergebnis des Jahres 1995 der Deutschen Bahn AG nicht hinter dem Ergebnis des Jahres 1993 zurückgeblieben ist. Man sollte dazu auch noch bemerken, daß sich diese größte Unternehmensreform der Nachkriegsgeschichte nicht nach so kurzer Zeit abschließend beurteilen läßt. Ich meine, daß wir schon einen Zeitraum von mindestens zehn Jahren brauchen werden.
Trotzdem läßt sich sagen, daß die Geschäftsergebnisse der ersten drei Jahre sehr zufriedenstellend sind. Ich darf zum Beispiel anführen, daß der DB- AG-Konzern in diesen Jahren 6 Prozent mehr Umsatz als im letzten „Behördenjahr" zu verzeichnen hat, daß die Verkehrsleistungen kontinuierlich gestiegen sind und
daß allein im Bereich der Erneuerung, der Sanierung und des Ausbaus des Netzes in den Jahren 1994 bis 1996 26 Milliarden DM investiert wurden.
Ihre erste Zusatzfrage.
Meine Frage geht von der Grundlage aus, daß die in der Frage involvierten Behauptungen vom Bundesrechnungshof aufgestellt wurden. Der Bundesrechnungshof hat diese Behauptungen konkret untermauert. Er sagt - um nur den Bereich der Fahrgastzahlen und der Zuwächse des Fahrgastaufkommens zu nehmen -, daß die Zuwächse des Fahrgastaufkommens nur durch die Integration der S-Bahn-Verkehre, vor allem den in Berlin, und durch die Tatsache entstanden seien, daß berechtigte Personen, die gratis mit der Bahn fahren, früher nicht in den Statistiken enthalten waren, jetzt aber enthalten sind. Das sind konkrete Unterstellungen.
Jetzt sagen Sie trotzdem, daß eine De-facto-Fälschung der Fahrgaststatistiken - Steigerung der Fahrgastzahlen bei gleicher Grundlage im Vergleich der Deutschen Bundesbahn mit der Deutschen Bahn AG -, die der Bundesrechnungshof unterstellt, nicht vorhanden ist.
Die Bundesregierung wird zu dem Bericht des Bundesrechnungshofes nach eingehender Prüfung noch Stellung nehmen. Die Bundesregierung kann aber auf folgenden Punkt verweisen. Wir hatten schon im Jahr 1993 Modellrechnungen aufgestellt: erstens eine Zahlenreihe für den Fall „Alles so lassen, wie es ist; Status-quo" und zweitens eine Zahlenreihe für den Fall „Wir führen die Reform durch". Wenn man die jetzigen Aufwendungen des Bundes und dazu die Nettokreditaufnahme der DB AG betrachtet, dann läßt sich bereits heute ablesen, daß wir - die DB AG weist 16 Milliarden DM aus - weniger Aufwand haben, als aus den Zahlenreihen des Status-quo-Modells abzulesen ist.
Unsere bisherigen Berechnungen ergeben, daß mindestens 16 Milliarden DM weniger Aufwand eingetreten sind. Das ist aus unserer Sicht der untere Bereich. Ich denke, wenn wir mit unseren Berechnungen am Ende sind, dann können wir diesen Wert mindestens bestätigen. Es geht nicht nur um Fahrgaststatistiken, sondern auch um finanzielle Aufwendungen.
Ihre zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie waren so galant und haben die Frage nach den Fahrgastzahlen nicht beantwortet. Deswegen präzisiere ich sie und verschwende meine zweite Frage für die Wiederholung der ersten; es ist meine letzte.
Im Rahmen einer Kleinen Anfrage, die wir an die Bundesregierung gerichtet haben, haben wir auf Ungenauigkeiten des statistischen Werkes „Verkehr in Zahlen" hingewiesen. Die Antwort der Bundesregierung lautete unter anderem: Das hat etwas mit der Berliner S-Bahn zu tun, aber das ist geheim. Das ist aber Quatsch; es ist in Berlin alles veröffentlicht.
Ich frage noch einmal: Kann es sein, daß die angeblich gestiegenen Fahrgastzahlen der Deutschen Bahn AG dadurch zustande kamen, daß im Gegensatz zur Statistik der Deutschen Bundesbahn S-
Bahn-Verkehre und Fahrten von Personen, die gratis fahren, jetzt eingerechnet werden, und in dem Fall, daß sie nicht eingerechnet worden wären, im besten Fall eine Stagnation des Fahrgastaufkommens in den letzten drei Jahren festzustellen gewesen wäre?
Ich muß mich erst einmal entschuldigen. Ich hatte Ihre erste Zusatzfrage so verstanden, daß Sie meine Ausführungen über die 6 Prozent Zuwachs bei den Verkehrsleistungen in Frage stellten. Deshalb bin ich auf die Darstellung der finanziellen Situation ausgewichen.
Ihre jetzige zweite Zusatzfrage kann ich Ihnen aus dem Stand nicht beantworten. Ich habe dazu kein Zahlenmaterial und im Moment auch kein fundiertes Hintergrundwissen. Diese Frage würde ich Ihnen gerne schriftlich beantworten, wenn Sie einverstanden sind.
Zusatzfrage, Dr. Küster.
Herr Staatssekretär Nitsch, Sie haben eben einen Vergleich angestellt: Das erste Unternehmensjahr brachte im Vergleich zum letzten „Behördenjahr" ein Umsatzplus von 6 Prozent. Welcher Anstieg der Verkehrsleistung steckt dahinter, und zwar, in Prozent ausgedrückt, so daß ich eine Vergleichszahl habe? Auf welchen Größen beruht der Umsatzzuwachs?
In diesem Zeitraum, den wir hier zu betrachten haben, hat der DB-Konzern 6 Prozent mehr Umsatz als im letzten „Behördenjahr" gemacht. Berechnet sind diese 6 Prozent aus Personen- und Tonnenkilometern. Das sind die Verkehrsleistungen, die hier zusammengefaßt wurden.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Köhne.
Herr Staatssekretär, sind die Angaben des Bundesrechnungshofes sachlich falsch? Wenn ja, in welchem Punkt?
Ich habe an keiner Stelle behauptet und kann auch jetzt nicht sagen, daß die Zahlen sachlich falsch sind. Sie haben immer Bezüge, die wir jetzt auseinandernehmen müssen: Was wird worauf bezogen? Das wird in der Stellungnahme der Bundesregierung zum Bericht des Bundesrechnungshofes stehen.
Wir - ich habe versucht, das in meinen Antworten deutlich zu machen - sind sehr nachdrücklich der Meinung - ich glaube, Sie werden das alle bestätigen -, daß sich bei der DB AG im Vergleich zu dem, was wir vorher hatten, einiges getan hat, daß diese Reform ein notwendiger Schritt war, der den Bund finanziell erheblich entlastet hat und den Bürgern wesentlich mehr an Verkehrsleistungen und Verkehrskomfort bringt.
Keine weiteren Fragen. Wir sind am Ende dieses Geschäftsbereiches. Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Bevor ich den nächsten Geschäftsbereich aufrufe, will ich bekanntgeben, daß wir wahrscheinlich gegen 15 Uhr mit der Aktuellen Stunde, also dem nächsten Tagesordnungspunkt, beginnen können.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Walter Hirche zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 19 der Abgeordneten Ursula Schönberger auf:
Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus dem im Auftrag des Bundesamtes für Strahlenschutz erstellten Gutachten der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe über die „Standsicherheit von Hohlräumen und Schächten des Endlagers für radioaktive Abfälle (ERA) Morsleben", das zu dem Ergebnis kommt, daß die Integrität der Salzgesteinsbarriere zwischen abbaubedingten Hohlräumen und dem Salzspiegel nicht gewährleistet ist?
Herr Präsident! Frau Abgeordnete, das Gutachten ist Teil der vom BfS in Auftrag gegebenen Arbeiten mit dem Ziel, die bisher von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, also der BGR, getroffene Aussage, wonach die Standsicherheit und die Integrität des Grubengebäudes gegeben sind, rechnerisch zu untermauern. Es enthält dazu wissenschaftliche Überlegungen, die noch nicht zum Abschluß gekommen sind.
Entgegen der in der Frage zum Ausdruck kommenden Bewertung ist die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe nach den bis heute vorliegenden Erkenntnissen der Auffassung, daß die Standsicherheit des Grubengebäudes der Schachtanlage Bartensleben und die Integrität der Salzbarriere im nördlichen Teil des Zentralbereichs für mehrere Jahrzehnte über die Betriebsphase hinaus bis zur endgültigen Verfüllung gegeben sind.
Diese Arbeiten der BGR werden mit dem Ziel fortgesetzt, an Stelle der bisher in den Berechnungen enthaltenen Annahmen eine realitätsgetreuere, durch Rechnungen untermauerte Beurteilung der Integrität der Salzbarriere zu ermöglichen. Die Bundesregierung schließt nicht aus, daß nach Vorliegen der Ergebnisse unter Einbeziehung weiterer Aspekte eine Verfüllung des Zentralbereichs als zweckmäßig angesehen werden kann. Von daher ist vorsorglich mit der Planung solcher Maßnahmen begonnen worden.
Frau Kollegin Schönberger, Ihre erste Zusatzfrage.
Herr Hirche, Sie haben jetzt den Eindruck erweckt, daß die Bundesastalt für Geowissenschaften und Rohstoffe keine Bedenken hinsichtlich der Stabilität der Grube Bartensleben geäußert habe. Tatsächlich ist es aber so, daß in dieser Untersuchung berechnet worden ist, daß die Auflockerung so groß ist, daß der errechnete Gesteinsdruck in dem Zentralbereich der Deckschicht kleiner ist als der Wasserdruck von oben. Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe empfiehlt, zur Stabilität des Grubengebäudes möglichst schnell mit der Verfüllung der Hohlräume in der Bartenslebener Hauptmulde zu beginnen. Wieso wird das in Ihren Ausführungen nicht berücksichtigt? Welche konkreten Schritte machen Sie jetzt?
Frau Abgeordnete, zunächst darf ich feststellen, daß das, was ich gesagt habe, in Abstimmung - nach nochmaliger Rücksprache - mit den Erkenntnissen der BGR erfolgt ist. Die BGR hat, insbesondere nachdem verschiedene Pressemeldungen
Parl. Staatssekretär Walter Hirche
und Behauptungen aufgetaucht sind, dem Eindruck widersprochen, der hier verbreitet worden ist, mit dem Hinweis darauf, daß eine Fehlinterpretation der im BGR-Bericht beschriebenen Ergebnisse vorliege.
Es ist so, daß in diesen Darstellungen sehr sorgfältig zwischen dem unterschieden wird, was die Standsicherheit - hier wird noch einmal zwischen der globalen, zonalen und lokalen Standsicherheit unterschieden - betrifft, und dem, was das Problem der Integrität der Salzbarriere betrifft. Zu dem letzteren Punkt ist in der Tat gesagt worden, daß Auflockerungen in bestimmten Bereichen festgestellt worden sind, daß deswegen - genau das habe ich ausgeführt - weitere Berechnungen angestellt werden und daß durch die Verfüllung eventuellen Problemen, die theoretisch auftreten könnten, auf jeden Fall vorgebeugt werden kann.
Ihre zweite Zusatzfrage.
Welche konkreten Auswirkungen kann - wenn diese Auflockerungen tatsächlich dazu führen, daß Wasser von oben durch die Salzbarriere dringt - der Zutritt von Wasser nach Meinung des Bundesumweltministeriums auf den Zustand des Endlagers und auf die Kontamination von Grundwasser und Biosphäre haben?
Frau Kollegin, ich darf noch einmal darauf hinweisen, daß die BGR in einer Zusammenfassung der Ergebnisse, die dem Bergamt Staßfurt in einem ausführlichen Gutachten zur Verfügung gestellt worden sind, feststellt, daß in der Betriebsphase und in den Jahrzehnten danach Probleme solcher Art in keiner Weise auftreten und daß diese im übrigen dann durch Verfüllung gelöst werden können. Es wird keine Gefahr darin gesehen, daß solche Laugenzuflüsse in der von Ihnen beschriebenen Form auftreten.
Zusatzfrage, Herr Kollege Köhne.
Herr Staatssekretär, wenn ich Sie richtig verstanden habe, dann haben Sie in Ihrer Antwort auf die Frage gesagt, daß bis zu einer Verfüllung für mehrere Jahrzehnte Standsicherheit gegeben ist und daß an dem Problem Verfüllung noch gearbeitet wird. Wie erklären Sie sich dann die definitive Aussage des Herrn Staatssekretär Klinkert vor ungefähr einem Jahr in der Fragestunde, Morsleben sei die nächsten 10 000 Jahre sicher?
Da ist überhaupt kein Widerspruch. Die Sicherheit ist durch die Maßnahmen, die ergriffen
werden, gegeben. Ich habe eben sehr deutlich ausgeführt, daß die Probleme, die gegeben wären, wenn dort nach wie vor Hohlräume blieben, durch die Verfüllung, die in einem Konzept erarbeitet wird, beseitigt werden können. Insofern ist hier kein Widerspruch zu den Aussagen, die Herr Kollege Klinkert gemacht hat.
Herr Kollege Küster.
Herr Staatssekretär, sehe ich es richtig, daß wir zwei Probleme haben, zum einen die Standsicherheit und zum anderen die Integrität des Salzstocks? Darauf aufbauend die Frage: Die Standsicherheit, so haben Sie gesagt, können Sie garantieren. Die Integrität wird jedoch nur für einige Jahre bzw. Jahrzehnte gewährleistet. Hier geht es aber nicht um Jahrzehnte, sondern um Jahrhunderte, für die Sicherheit gewährleistet sein muß. Mit anderen Worten: Können Sie nach den jetzigen Erkenntnissen davon ausgehen, daß die Sicherheit an diesem Lager für die notwendige Zeit gewährleistet ist?
Die Fachleute gehen davon aus. Es sind zwar zwei getrennte Sachverhalte, die aber doch in gewisser Weise zusammenhängen, und zwar über das Stichwort Auflockerung, das eben schon in einer Frage der Kollegin Schönberger gefallen ist. Der Auflockerung soll durch Verfüllung entgegengewirkt werden, die in erster Linie Standsicherheit bewirkt. Dadurch wird zugleich das Problem beseitigt, das unbedingt beseitigt werden muß, nämlich daß Laugen- oder Wasserzutritt erfolgt. Auf diese Weise ist dann auch die Integrität sichergestellt.
Zusatzfrage der Kollegin Lemke.
Herr Staatssekretär, wenn eine Verfüllung der Hohlräume notwendig wird, so hat das Auswirkungen auf das Stillegungsverfahren und damit auch auf das Planfeststellungsverfahren. Ich würde von Ihnen gern wissen, ob Sie beabsichtigen, für diesen Fall eine Änderung des Planfeststellungsverfahrens beim Umweltministerium von Sachsen-Anhalt zu beantragen.
Frau Kollegin, wir haben hier zwei verschiedene Verfahren: das atomrechtliche Verfahren - in dem Zusammenhang findet ein Planfeststellungsverfahren statt, zu dem entsprechende Unterlagen erarbeitet werden - und ein Verfahren, das sich mit der bergrechtlichen Seite befaßt. Alles, was zum Thema Verfüllung gehört, gehört in den Zusammenhang der bergrechtlichen Erwägungen. Dazu bedarf es keiner Erweiterung oder Änderung des Planfeststellungsverfahrens; das kann nach Bergrecht vorgenommen werden.
Ich rufe jetzt die Frage 20 der Kollegin Ursula Schönberger auf:
Welche Konsequenzen zieht das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit aus der Studie „ERA Morsleben: Verfüllen und Verschließen des Grubengebäudes und der Schächte, Stillegungskonzepte für die Nachbetriebsphase", die lt. Bericht von „Kennzeichen D" vom 5. März 1997 so viele Fragen aufwirft, daß man sich aus heutiger Sicht nicht sicher sein kann, daß ein zuverlässiger Abschluß des Bergwerks gelingt?
Herr Präsident! Frau Schönberger, die in der Frage zum Ausdruck kommende Bewertung wird nicht geteilt. Auch nach Sicht der Gutachter liegt eine eindeutige Fehlinterpretation durch „Kennzeichen D" vor, auf die das ZDF vor Ausstrahlen der Sendung übrigens hingewiesen wurde. Vielmehr zeigt das Gutachten als Teil des BfS-Auftrags, nämlich Verfüll- und Verschließkonzepte zu entwickeln, daß es Material- und Verschlußalternativen gibt, die den sicheren Einschluß der radioaktiven Abfälle gewährleisten können. Nach heutigem Sicherheitsstand besteht kein begründeter Zweifel daran, daß die Schutzziele zur Langzeitsicherung eingehalten werden. Ich darf noch einmal sagen, daß diese Schutzziele darin bestehen, daß auf keinen Fall über 0,3 Millisievert Strahlung erfolgt. Das ist die mittlere Schwankungsbreite, die wir in Deutschland natürlicherweise haben.
Zusatzfrage.
Ich sehe, daß das Bundesumweltministerium die Ergebnisse der Gutachten anders wertet.
Nichtsdestotrotz ist es so, daß nach bundesdeutschem Atomrecht im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens, also vor Genehmigung und Inbetriebnahme eines Endlagers, ein Konzept für die spätere Stillegung bzw. Schließung des Endlagers vorgelegt werden muß. Wenn jetzt bezüglich der Schließungskonzeption doch Probleme auftauchen - diese zu leugnen halte ich für sehr kühn; immerhin sind es große Probleme -, ist dieses Endlager nach bundesdeutschem Recht eigentlich gar nicht planfeststellungsfähig. Welche Konsequenzen ziehen Sie daraus?
Frau Kollegin, ich muß leider zunächst etwas zu Ihrer Eingangsthese sagen. Das Bundesumweltministerium stützt sich auf die Aussagen der Gutachter. Alles, was ich gesagt habe, hängt damit zusammen. Das, was Sie an Thesen in die Öffentlichkeit bringen, bezieht sich ebenfalls auf Teilpassagen des Gutachtens. Nun erscheint es mir in solchen Fällen am geeignetsten, die Gutachter zu fragen, wie sie selber ihre Passagen verstanden wissen wollen; denn in der Regel legen die Leute, die zitiert werden, Wert darauf, richtig zitiert zu werden. Deswegen habe ich dies hier vorgetragen. Es ist also keine Eigeninterpretation des BMU, im Unterschied zu der Interpretation - diesen Hinweis darf ich mir erlauben -, die Sie an die Aussagen der Gutachten knüpfen.
Morsleben ist auf Grund der Situation „Wiedervereinigung und Einigungsvertrag" , wie Sie wissen, bis zum Jahr 2000 als Endlager nutzbar. Es läuft momentan ein Planfeststellungsverfahren für die Zeit danach, einschließlich der Stillegung. Ich denke, wir haben in unserem Rechtsstaat all diese Themen gerichtlich „ausgepaukt". Mit dem Urteil aus dem Jahre 1992 ist festgestellt worden, daß alle rechtlichen Voraussetzungen gegeben sind.
Auch wenn Sie versuchen, durch politische Schrägdarstellungen dieses Thema in Zweifel zu ziehen: Angesichts der rechtsstaatlichen Situation wird Ihnen das auch durch weitere Zusatzfragen nicht gelingen.
Gleichwohl haben Sie eine zweite Zusatzfrage.
Danke, Herr Präsident.
Gibt es Ihnen nicht zu denken, Herr Hirche, wenn sogar Ihre eigenen Gutachter - es sind schließlich nicht irgendwelche kritischen Gutachter, sondern Ihre eigenen -, wie Sie selbst zugestanden haben, in Teilbereichen zu dem Schluß gelangen, daß es Probleme gibt? Dies betrifft sowohl das Gutachten, das vorher angesprochen wurde, als auch das, das jetzt angesprochen ist.
Läßt es Sie nicht vielleicht doch etwas nachdenklich werden, wenn jemand - wer auch immer, ob es kritische Gutachter sind oder Ihre eigenen - offensichtliche oder errechenbare Mängel an diesem Endlager herausfindet und Sie darüber hinweggehen und einlagern, soweit Sie dies unter Ihrer eigenen Aufsicht machen können?
Frau Kollegin, ich freue mich darüber, daß Sie der BGR diese Autorität bescheinigen. Ich freue mich auch darüber, hier sagen zu können, daß die Gutachter der Auffassung sind, daß Sie Ihre Arbeit fehlinterpretieren.
Im übrigen geht die Bundesregierung selbstverständlich nicht nur den Stellungnahmen nach, die von den eigenen Bundesbehörden vorgelegt werden, sondern auch denen aus Bereichen, die wir als von vornherein kernenergiekritisch einschätzen. Es ist einfach geboten, all diesen Stellungnahmen nachzugehen.
Ich sage aber: Hier liegt von Ihrer Seite eine Fehlinterpretation des BGR-Gutachtens vor. Ich bleibe dabei.
Zusatzfrage, Herr Kollege Köhne.
Herr Staatssekretär, ist es nicht so, daß schon die Strahlenschutzbehörde der DDR
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1997 14857
Rolf KöhneZweifel an den Möglichkeiten und Konzepten für einen sicheren Einschluß nach der Einlagerung haben mußte und deshalb mit der damaligen Betriebsgenehmigung aus dem Jahre 1986 eine Auflage zur Erarbeitung eines neues Konzeptes verbunden hat, die im Dezember 1989 hätte erfüllt sein müssen, bis heute aber nicht erfüllt ist?
Herr Kollege, war das die Frage?
Ja.
Gut. Entschuldigung, ich hatte das nicht ganz verstanden.
All diese offenen Fragen sind ja in den Gerichtsverfahren, die dazu durchgeführt wurden und deren Ergebnisse zur Verfügung stehen, überprüft worden. Sie sind befriedigend aufgeklärt worden. Deswegen hat es 1992 das Urteil gegeben, nach dem die Einlagerungen bis Mitte 2000 fortgeführt werden können. Es ist ganz selbstverständlich, daß wir in diesem Zusammenhang laufend weitere Untersuchungen machen. Das, was die BGR jetzt vorgelegt hat - das will ich ausdrücklich sagen -, bezieht sich auf einen Schnitt durch den Salzstock, in bezug auf den gerechnet worden ist. Es ist veranlaßt worden, weitere solche Schnittberechnungen vorzunehmen, damit die Erkenntnis über den Zustand des Salzstocks weiter verbessert werden kann. Das ist ganz selbstverständlich. Die Ergebnisse müssen im übrigen auch in das laufende Planfeststellungsverfahren eingehen. Ich darf an dieser Stelle hinzufügen: Dieses Gutachten ist unter anderem erstellt worden, weil das Bergamt Staßfurt darum gebeten hat, zusätzliche Erkenntnisse zu liefern.
Eine Zusatzfrage der Kollegin Lemke.
Herr Hirche, Sie haben in Ihrer Antwort auf die erste Zusatzfrage der Kollegin Schönberger ausgeführt, daß Morsleben laut Einigungsvertrag bis zum Jahre 2000 betrieben werden kann und nach Auffassung des BMU auch betrieben werden soll. Wie erklären Sie die Diskrepanz zu der Tatsache, daß das laufende Planfeststellungsverfahren - auch nach Ihren eigenen Aussagen - bis zum Jahr 2000 gar nicht mehr abgeschlossen werden kann?
Es ist im Jahre 1989 von einer unrealistisch schnellen Prüfung der ganzen Verfahren ausgegangen worden. Ich denke, es stellt dem Rechtsstaat Bundesrepublik ein gutes Zeugnis aus - auch wenn uns das manchmal im Zusammenhang mit der Standortfrage Probleme macht -, wenn wir uns die Dinge sorgfältig anschauen und nicht einfach darüber hinweggehen, weil es bestimmte Fristen gibt. Wir werden es auch in Zukunft so halten, daß die Klärung von mit der Sicherheit zusammenhängenden Fragen auf jeden Fall Vorrang vor der Einhaltung von Zeitplänen hat.
Ich rufe die Frage 21 der Kollegin Steffi Lemke auf:
Wann ist mit der Überstellung der im „Kennzeichen D''-Bericht vom 5. März 1997 bekanntgegebenen Informationen über die Standsicherheit des Endlagers Morsleben an die Genehmigungsbehörde zu rechnen?
Herr Präsident! Frau Kollegin! Entgegen der Darstellung im ZDF lagen die in der Sendung „Kennzeichen D" angesprochenen Unterlagen und Gutachten der Genehmigungsbehörde des Landes Sachsen-Anhalt bereits längere Zeit vor der Sendung vor und waren Gegenstand von Erörterungen zwischen Bund und Land. Obwohl übrigens die Redaktion vor der Sendung auf diesen Sachverhalt hingewiesen wurde, wurde die - dem entgegengesetzte - falsche Behauptung in der Sendung aufrechterhalten.
Zusatzfrage?
Können Sie eine Aussage dazu treffen, was mit dem in der „Kennzeichen D"-Sendung erwähnten zweiten Gutachten „ERA-Morsleben: Verfüllen und Verschließen des Grubengebäudes und der Schächte, Stillegungskonzepte für die Nachbetriebsphase" ist? Wann wurde es dem Umweltministerium in Sachsen-Anhalt zugestellt?
Zu diesem Gutachten, das Professor Wittke 1994 erstellt hat, ist zu sagen, daß es dem Umweltministerium des Landes Sachsen-Anhalt 1996 zugegangen ist.
- In der zweiten Jahreshälfte.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 22 der Kollegin Steffi Lemke auf:
Gibt es im Rahmen der bisherigen Untersuchungen zum Planfeststellungsverfahren Morsleben Erkenntnisse, die über den Stand der im „Kennzeichen D"-Bericht vom 5. März 1997 bekanntgegebenen Informationen hinausgehen?
Im Zusammenhang mit der Erarbeitung von Planunterlagen für das Planfeststellungsverfahren sind eine Reihe von Arbeiten aufgenommen worden, die zu für das Verfahren verwendbaren Erkenntnissen geführt haben. Auf der Grundlage dieser Erkenntnisse werden Planunterlagen erstellt, zum Beispiel die geologische und hydrogeologische Standortbeschreibung.
Parl. Staatssekretär Walter Hirche
Weitere Untersuchungsprogramme laufen derzeit. Einen Schwerpunkt bilden dabei die Arbeiten für eine langfristige Sicherheit nach dem Verschließen des Endlagers. Nach wie vor geben die Erkenntnisse und Beurteilungen keinen Anlaß für begründete Zweifel an der Sicherheit des Endlagers während der Betriebs- und Nachbetriebsphase. Insbesondere untermauert die in der vorigen Frage angesprochene Fortführung der Arbeiten der BGR, daß kein Anlaß besteht, die Stabilität und Integrität des Endlagers Morsleben in Zweifel zu ziehen.
Ich wiederhole, daß bedauerlicherweise die Information von „Kennzeichen D" insofern nicht zutreffend war.
Zusatzfrage?
Trifft es zu, daß die Vorhabensbeschreibung des Bundesamtes für Strahlenschutz für das Planfeststellungsverfahren für Morsleben dem BMU bereits seit einem dreiviertel Jahr vorliegt und nicht an die zuständige Planfeststellungsbehörde in Sachsen-Anhalt weitergeleitet wurde?
Uns liegen Unterlagen vor; das kann ich bestätigen. Wir beabsichtigen, die Planunterlagen dem zuständigen Landesministerium 1998 vollständig zu übersenden.
Weitere Zusatzfrage?
Welche Gründe führen Sie an, daß diese Unterlagen der Planfeststellungsbehörde nicht zeitnah zugeführt werden, damit das Planfeststellungsvorhaben vorangetrieben werden kann? Es ist ja nicht einzusehen, daß es durch das Sammeln der Unterlagen im BMU verzögert wird.
Es gibt immer wieder Diskussionen darüber, was besser ist. Wir haben festgestellt, daß das Einreichen von Teilunterlagen offenkundig dazu genutzt wird, zu sagen: Es liegt noch immer nicht alles vor. Deswegen ist entschieden worden, die restlichen Planunterlagen vorrangig zusammen zu übersenden.
Zusatzfrage, Herr Kollege Köhne.
Herr Staatssekretär, würde es die Glaubwürdigkeit Ihrer Aussagen nicht unterstreichen, wenn Sie die Gutachten, um die es hier geht, der Öffentlichkeit zugänglich machen würden?
Herr Kollege, derzeit findet ein Meinungsaustausch mit dem Vorsitzenden des Umweltausschusses des Deutschen Bundestages statt, in welcher Weise das geschehen kann.
Kollegin Schönberger.
Es gibt bekanntermaßen das Problem, von dem wir vorhin gesprochen haben, daß sich das Planfeststellungsverfahren unerwartet verzögert. Sehen Sie es nicht auch so, Herr Staatssekretär Hirche, daß Sie das Planfeststellungsverfahren durchaus beschleunigen könnten, wenn Sie wenigstens die Vorhabensbeschreibung des Bundesamtes für Strahlenschutz und die bis jetzt vorliegenden Unterlagen zur Prüfung an die Genehmigungsbehörde Sachsen-Anhalt weiterleiten würden? Dann könnte das Land, das Genehmigungsbehörde ist, zumindestens mit den Unterlagen, die bisher da sind, arbeiten, was durchaus zu einer Beschleunigung statt zu einer weiteren Verzögerung des Planfeststellungsverfahrens führen könnte.
Zunächst einmal will ich darauf hinweisen, daß die beiden Gutachten, über die wir heute gesprochen haben, dem Land Sachsen-Anhalt längst vorliegen: Das Gutachten Wittke ist dem Umweltministerium im zweiten Halbjahr 1996 zugegangen. Das BGR-Gutachten - das finde ich am bemerkenswertesten - ist dem Bergamt Staßfurt im Januar dieses Jahres zugeleitet und mit dem Umweltministerium von Sachsen-Anhalt erörtert worden. Auch diese Tatsache ist von „Kennzeichen D" falsch dargestellt worden. Ich bedauere das außerordentlich. Diese Gutachten liegen dem Land Sachsen-Anhalt also vor.
Man hat mir gerade eine Übersicht über die Unterlagen gereicht, die an das Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Raumordnung des Landes SachsenAnhalt gegangen sind. Ich will sie auf Grund der Zeitknappheit nicht im einzelnen verlesen. Es sind 24 Unterlagen, die dem sachsen-anhaltinischen Ministerium zwischen Ende 1994 und Ende 1995 übersandt worden sind.
Auch stehen wir zu verschiedenen Fragen in Fachgesprächen mit dem Bergamt Staßfurt. Die Diskussion ist also durchaus nicht abgebrochen.
Keine weiteren Zusatzfragen. Damit ist der Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit erledigt. Ich danke dem Herrn Staatssekretär.Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau auf. Sämtliche Fragen dieses Geschäftsbereichs - die Fragen 23 und 24 des Abgeordneten Warnick sowie die Fragen 25 und 26 der Abgeordneten Iwersen -
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1997 14859
Vizepräsident Hans-Ulrich Klosewerden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Ich rufe den Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes auf und begrüße Herrn Staatsminister Dr. Hoyer.Die Fragen 27 und 28 des Abgeordneten Dr. Jüttner werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Ich rufe die Frage 29 der Kollegin Angelika Graf auf:Welche Vorbereitungen haben die bosnischen Behörden nach Kenntnis der Bundesregierung getroffen, um aus Deutschland abgeschobene Personen aufzunehmen, und welche Vorbereitungen haben sie getroffen, um Rückkehrer, die nach Erteilung einer Abschiebeandrohung nach Bosnien-Herzegowina zurückkehren und dort über keine Unterkunft verfügen, nach der Ankunft längerfristig unterzubringen?
Frau Kollegin Graf, die zuständigen Flüchtlingsbehörden in Bosnien und Herzegowina sind nach Einschätzung der Bundesregierung ihrer nach dem Rückübernahmeabkommen bestehenden Verantwortung für die Aufnahme, Verteilung und Weiterleitung der Rückkehrer bislang nicht in ausreichendem Maße gerecht geworden. Die Notwendigkeit leistungsfähiger Aufnahmestrukturen wird von deutscher Seite bei der in Kürze geplanten Tagung des gemeinsamen Ausschusses auf Expertenebene in Sarajevo angesprochen werden. Dieser Ausschuß ist im Rückübernahmeabkommen extra vorgesehen.
Zusatzfrage.
Unter dieser Maßgabe, Herr Staatsminister, möchte ich Sie fragen: Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung, daß die Behauptungen des bayerischen Innenministeriums stimmen, die in der „SZ" vom 18. März erwähnt wurden, nach denen zumindest bei der Erstaufnahme der Zwangsheimkehrer Unterkünfte zur Verfügung stehen? Was sind denn das für Unterkünfte? Gilt das für alle im kommenden Jahr Rückzuführenden? Das Land Bayern möchte meines Wissens 20 000 Flüchtlinge zurückschicken.
Frau Kollegin, ohne Vorwarnung auf den Bezug eines konkreten Artikels in der „Süddeutschen Zeitung" kann ich die Frage natürlich nicht präzise beantworten. Nur, man muß sich bei allen Fragen betreffend die Rückführung von Flüchtlingen nach Bosnien-Herzegowina darüber im klaren sein, daß wir es dort mit ausgesprochen schwachen Verwaltungsstrukturen zu tun haben. Von daher ist die Organisation, die Zuverlässigkeit des Aufnahmeverfahrens nicht in dem Maße gewährleistet, in dem wir uns das wünschen.
Trotzdem stehen wir natürlich unter einem enormen Druck, bei der Rückführung voranzukommen und in den Zielgebieten für stabile Verhältnisse zu sorgen. Insofern kann man eine generelle Aussage dieser Art sicherlich nicht treffen. Vielmehr muß man konsequent an diesem Werkstück weiterarbeiten, um die Rückführung verantwortbar zu ermöglichen.
Zusatzfrage.
Es tut mir leid, daß ich noch einmal auf denselben Artikel Bezug nehme. Aber diese Aussagen sind leider erst in letzter Zeit gefallen.
Der Geschäftsführer der Renovabis-Stiftung, die sich mit der Situation der Flüchtlinge in Osteuropa beschäftigt, Pater Eugen Hillengass, hat gesagt, in Bosnien sei die Lage schon allein wegen der Wohnungsnot und der Übernahme fremder Wohnungen explosiv und mit der Zwangsrückführung werde die innerbosnische Situation noch explosiver. Wie beurteilen Sie das?
Ich beurteile es gar nicht, weil ich mich dagegen wehre, daß solche generellen Aussagen gemacht werden.
Eine Reihe von Innenministern der Länder, darunter auch der bayerische Kollege, hat gerade eine Reise nach Bosnien-Herzegowina unternommen, um sich von der sehr differenziert zu beurteilenden Lage ein Bild zu verschaffen. Ich denke, wir müssen im Hinblick auf die Rückführungsstrategie und die konkreten Entscheidungen dazu differenziert vorgehen. Es gibt Regionen und einzelne Orte, in denen die Rückführung ausgesprochen schwierig sein wird, insbesondere dann, wenn religiöse Probleme dazukommen. Eine generelle Aussage, wie sie der von Ihnen angesprochene Pater gemacht hat, kann man nicht als für ganz Bosnien-Herzegowina geltend stehenlassen.
Bitte, Herr Kollege Büttner.
Hat die Bundesregierung von den Ländern eine Übersicht erhalten, aus der hervorgeht, aus welchen Gebieten und Städten die Flüchtlinge, die noch bei uns in Deutschland leben, stammen? Denn dies wäre wohl Voraussetzung, um entsprechende Verwaltungsmaßnahmen einleiten zu können.
Ohne daß ich in den Geschäftsbereich des Innenministers eingreifen möchte, was mir nicht zusteht, muß ich darauf hinweisen, daß hierin natürlich eine Schwäche des Rückführungsverfahrens liegt. Denn diese differenzierten Aussagen seitens der Länder - dies betrifft alle Länder - im Hinblick auf die Struktur der Gesamtgruppe der Rückzuführenden haben wir nicht.
Die Frage 30 des Abgeordneten Freimut Duve wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Ich rufe jetzt die Frage 31 des Kollegen Volker Neumann auf:
Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung über das Ausmaß von Zwangsarbeit in Burma vor, und wie lauten die Ergebnisse und Empfehlungen der Untersuchung der FU-Kommission über Verstöße Burmas gegen die Genfer Übereinkommen vom 25. September 1928 und vom 7. November 1956 und die Übereinkommen Nr. 29 und Nr. 105 der Internationalen Arbeitsorganisation?
Herr Kollege Neumann, Zwangsarbeit ist das gravierendste Menschenrechtsproblem in Myanmar. Sie kommt in den verschiedenen Ausprägungen routinemäßig bei praktisch allen überregionalen und vielen lokalen Infrastrukturmaßnahmen zum Einsatz. Sie existiert zum Beispiel als Rekrutierung von Zivilpersonen zu Trägerdiensten für das Militär, für den Bau von Straßen, Eisenbahnstrecken sowie für den Bau von zivilen und militärischen Anlagen. Die Dauer der Zwangsarbeit richtet sich hierbei nach den jeweiligen Projekten.
Es ist nicht festzustellen, daß Zwangsarbeit nur gegenüber den ethnischen Minderheiten zur Anwendung kommt. Allerdings ist zu beobachten, daß in den Grenzgebieten Zwangsarbeit besonders oft und übrigens leider auch in besonders brutaler Form praktiziert wird.
Unterschiedlich sind auch die Methoden der Rekrutierung der Zwangsarbeiter. Neben Fällen, in denen Personen wahllos auf der Straße aufgegriffen werden, ist der üblichere Weg, alle Haushalte etwa eines Dorfes zur Stellung einer Arbeitskraft aufzufordern. Manchmal gibt es die Möglichkeit, sich von dieser Verpflichtung freizukaufen.
In einer weiteren Variante wird der Dorfälteste verpflichtet, eine bestimmte Arbeit bis zu einem vorgegebenen Termin fertigzustellen, wobei es ihm überlassen bleibt, wie er dieser Aufforderung nachkommt.
Schließlich werden auch Sträflinge zur Zwangsarbeit eingesetzt.
Im Juni 1995 ist auf Drängen des UNHCR ein Geheimbefehl des State Law and Order Restoration Council erlassen worden, der bei überörtlichen Projekten bestimmt, daß Zwangsarbeiter zu bezahlen seien. Es besteht jedoch Grund zu der Annahme, daß Zwangsarbeiter weiterhin keinerlei Entgelt für ihre Dienste erhalten.
Die EU-Kommission hat auf Grund einer Beschwerde des Internationalen Bundes Freier Gewerkschaften und des Europäischen Gewerkschaftsbundes eine Untersuchung zur Zwangsarbeit in Myanmar durchgeführt. Die in diesem Zusammenhang befragten Zeugen bestätigen die oben geschilderten unerträglichen Verhältnisse in Myanmar.
Weiterhin ist davon auszugehen, daß Zwangsarbeit von der Zentralorganisation des SLORC gesteuert wird. Frauen und Männer sind gleichermaßen betroffen. Die Kommission schlägt daher vor, der Union Myanmar die Zollpräferenzen für gewerbliche Waren
so lange zu entziehen, wie noch Zwangsarbeit vorkommt.
Habe ich es richtig verstanden, daß Sie die Fragen 31 und 32 im Zusammenhang beantwortet haben?
Indirekt habe ich die Frage 32 bereits mitbeantwortet. Ich bin aber gern bereit, auf die Frage 32 gesondert einzugehen: Die Frage ist mit einem klaren Ja zu beantworten.
Wir können uns ja so einigen, daß der Kollege Neumann vier Zusatzfragen hat. Einverstanden?
Da die Erkenntnisse der Bundesregierung die gleichen sind wie die, die mir vorliegen, habe ich keine Zusatzfragen. Meine zweite Frage, die Frage 32, hätte ich allerdings gern mit einem einfachen Satz beantwortet.
Dann rufe ich die Frage 32 des Abgeordneten Neumann auf:
Wird sich die Bundesregierung beim Treffen des EU-Ministerrates am 24. März 1997 dafür aussprechen, daß Burma die nach dem Allgemeinen Präferenzsystem der Europäischen Union gewährten Zollpräferenzen wegen des Einsatzes von Zwangsarbeit entzogen werden, und falls nein, welche Gründe sprechen für die Bundesregierung dagegen?
Ja.
Das reicht mir aus.
Die Fragen 33, 34, 35 und 36 werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 37 des Kollegen Dr. Schäfer auf:
Was ist der Inhalt des Schreibens der amerikanischen Dienststellen zu dem Thema GSA , das Staatsminister Dr. Werner Hoyer während der Fragestunde am 12. März 1997 bei der Beantwortung der Frage 38 angesprochen hat?
Herr Kollege Schäfer, bei dem angesprochenen Schreiben handelt es sich um eine Verbalnote der Botschaft der Vereinigten Staaten von Amerika, mit der auf eine Anfrage des Auswärtigen Amts geantwortet wird. Die Verbalnote beschreibt in allgemeiner Form die Dienste, die die GSA für die US-Streitkräfte in Deutschland erbringen soll.
Sie nennt zudem den Zeitplan, den die US-Seite für die Implementierung ansetzt. Es handelt sich hierbei um die Neuorganisation und das künftige Management des nichttaktischen Wagenparks. Diese
Staatsminister Dr. Werner Hoyer
Maßnahmen sollen im Zeitraum vom 1. Oktober 1996 bis zum 1. April 1999 umgesetzt werden.
Zusatzfrage.
Nehmen die Amerikaner in diesem Schreiben zur Rechtsposition der Beschäftigten bei der GSA Stellung?
In dem Schreiben wird die Rechtsfrage berührt, aber nicht abschließend Stellung genommen. Da wir uns im Hinblick auf die Gesamtproblematik der GSA-Tätigkeiten in Deutschland und auf die Statusfrage noch in Gesprächen mit der amerikanischen Seite befinden, bin ich zu einer endgültigen Wertung dieser Aussage innerhalb dieses Schreibens gegenwärtig nicht in der Lage.
Eine weitere Zusatzfrage.
Ich merke sehr wohl, daß ich Sie heute nicht dazu bewege, zu dieser Rechtsposition Stellung zu nehmen. Wann gedenken Sie denn, Herr Staatsminister, uns darüber zu informieren? Ich weiß, daß die Gespräche in der nächsten Woche stattfinden. Wann können wir denn mit Informationen, auch bezüglich der Stellung der Bundesregierung zur Rechtsposition der Zivilbeschäftigten, von Ihrer Seite rechnen?
Herr Kollege, ich habe schon in der Fragestunde der letzten Woche deutlich gesagt, daß wir ganz klar die Interessen der deutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vertreten und den Amerikanern deutlich machen, daß wir dieses Thema bald erledigt haben wollen, und zwar in unserem Sinne.
Wir sind darüber auch in engen Abstimmungsgesprächen mit den anderen Bundesressorts. Sie können sich vorstellen, daß diese Frage insbesondere die Kolleginnen und Kollegen im BMF, im BMA und im Bundesministerium der Verteidigung berührt. Das war bereits Gegenstand Ihrer Frage an den Kollegen Wilz.
Es gibt keine weitere Zusatzfrage.
Die Fragen 38, 39 und 40 werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Ich danke Ihnen, Herr Staatsminister.
Ich rufe jetzt den Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Staatssekretär Dr. Horst Waffenschmidt zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 41 der Kollegin Angelika Graf auf:
Wie schätzt die Bundesregierung mit Blick auf die gängige Rückführungspraxis, insbesondere durch das Bundesland Bayern, den Bericht des Auswärtigen Amts vom 30. Januar 1997 und die Warnungen des UNHCR vom Dezember 1996 ein, woraus sich ergibt, daß ethnisch gemischte Familien und Deserteure aus bestimmten Teilgebieten nahezu nirgends in Bosnien sicher sind, und warum werden für bosnische Flüchtlinge, die zu dem oben genannten Personenkreis gehören, keine neuen Duldungen ausgestellt?
Frau Kollegin, zu Ihrer Frage 41 möchte ich folgende Antwort geben: Mit dem Beschluß der Innenministerkonferenz vom 26. Januar 1996 über eine in Phasen gestaffelte Rückführung wurden für einzelne Gruppierungen aus dem Personenkreis der ehemaligen bosnischen Bürgerkriegsflüchtlinge Sonderregelungen vorgesehen.
Nach eingehender Diskussion wurde für ethnisch gemischte Familien bewußt keine Sonderregelung getroffen. Nach allen zur Verfügung stehenden Informationen, insbesondere auch Informationen des Auswärtigen Amtes, besteht zumindest in den städtischen Zentren, in denen auch während des Bürgerkrieges viele ethnisch gemischte Familien verblieben sind, keine Gefahr für diesen Personenkreis, so daß eine Rückkehr in ihr Heimatland möglich ist. Der jüngste Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 30. Januar 1997, auf den Sie in Ihrer Frage eingehen, gibt keinen Anlaß zu einer anderen Bewertung. Lediglich in der Republik Srpska haben Angehörige der herrschenden Volksgruppe in einer ethnisch gemischten Ehe mit starker Diskriminierung zu rechnen. Das ist also ein besonderes Gebiet.
Für Kriegsdienstverweigerer und Deserteure sind für den Gesamtstaat Bosnien und Herzegowina Amnestieregelungen getroffen worden. Zwar führt der Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 30. Januar 1997 hierzu aus, daß sich diese Regelungen in der Republik Srpska faktisch nicht durchsetzen lassen. Jedoch gilt insgesamt der Grundsatz - darauf bitte ich jetzt achtzugeben -, daß die Unmöglichkeit, in die engere angestammte Heimat zurückzukehren, keinen weiteren Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland rechtfertigen kann. Wer seine engere Heimat verloren hat, muß eine neue im übrigen Gebiet seines Heimatstaates suchen. Es wird dem Flüchtling also zugemutet, sich in seinem Heimatstaat, in den er zurückkehren soll, eine künftige Bleibe aufzubauen, statt - als Alternative dazu - ständig in der Bundesrepublik Deutschland zu bleiben.
Im übrigen möchte ich darauf hinweisen, daß alle Entscheidungen, zu denen Sie hier Fragen stellen, in die Zuständigkeit der Bundesländer fallen. Die Länder haben im Rahmen der Gesamtvereinbarungen, die in der Innenministerkonferenz getroffen worden sind, jeden Einzelfall zu würdigen und in ihrer Verantwortung die Entscheidungen über Abschiebung zu treffen.
Zusatzfrage? - Keine Zusatzfrage.Die Frage 42 des Kollegen Gernot Erler wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Metadaten/Kopzeile:
14862 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1997
Vizepräsident Hans-Ulrich KloseDann rufe ich jetzt die Frage 43 der Kollegin Heide Mattischeck auf:Erhalten bosnische Flüchtlinge, die im Rahmen von Kontingenten oder als ehemalige Insassen von Straflagern in Deutschland aufgenommen wurden, Ausreiseaufforderungen und Abschiebedrohungen, und wenn ja, welche Regelungen gibt es für vergewaltigte Frauen?
Zur Frage 43 möchte ich gerne folgendes bemerken: Die Durchführung des Ausländergesetzes, Frau Kollegin, und damit auch die Rückführung der bosnischen Bürgerkriegsflüchtlinge - ich durfte das gerade schon erwähnen - ist eine Sache, die in die Zuständigkeit der Länder fällt.
Die Innenministerkonferenz hat am 26. Januar 1996 Grundsätze für eine in Phasen gestaffelte Rückführung bosnischer Bürgerkriegsflüchtlinge beschlossen. Nun müssen sich alle entsprechend diesem Phasenplan verhalten. Nach diesem Phasenplan erhalten ehemalige bosnische Bürgerkriegsflüchtlinge Ausreiseaufforderungen. Hierbei steht die Förderung der freiwilligen Rückkehr im Vordergrund aller Bemühungen. Im Einzelfall werden aber auch Abschiebeandrohungen erlassen.
Die geltende Beschlußlage sieht für einzelne Personengruppen Sonderregelungen vor. So sind traumatisierte Personen, die sich deshalb in ärztlicher Behandlung befinden, von der ersten Phase der Rückführung der Flüchtlinge ausgenommen worden. Der besonderen Situation vergewaltigter Frauen kann somit Rechnung getragen werden. Derzeit erfolgen Beratungen auf der Ebene der Ausländerreferenten zu weiterem Handlungsbedarf hinsichtlich der zweiten Rückführungsphase. Besonderes Augenmerk wird auch hier auf die weitere Behandlung der Personen zu richten sein, für die Sonderregelungen der ersten Rückführungsphase bestehen.
Sie sehen also, man gibt sich Mühe, auf die jeweilige Personengruppe einzugehen.
Wollen Sie eine Zusatzfrage stellen? Bitte, Frau Kollegin Graf.
Herr Staatssekretär, ich meine, Sie sind in Ihrer Antwort nicht auf die Frage nach den Insassen von Straflagern eingegangen, und auch die Frage, inwieweit zum Beispiel bei traumatisierten Frauen alleine die Abschiebeandrohung ein Aufbrechen dieses Traumas bewirkt, ist von Ihnen nicht entsprechend gewürdigt worden. Ich würde Sie bitten, dazu noch einmal Stellung zu nehmen.
Liebe Frau Kollegin, die Entscheidung darüber, wie man sich jetzt im einzelnen innerhalb des Handlungsrahmens, der gemeinsam festgelegt wurde, verhält, obliegt der jeweiligen Verwaltung; das kann nicht der Zentralstaat Bundesrepublik Deutschland für alle Fälle festlegen. Wir haben aber Vertrauen zu den zuständigen Landes- und Kommunalbehörden dahin gehend, daß sie auf die
persönliche Situation der jeweils Betroffenen eingehen. Das wissen wir auch aus unserer Betreuungsarbeit als Abgeordnete des Deutschen Bundestages. Wir denken schon, daß die Länder - wir kennen ja auch das entsprechende Bemühen - auf die jeweilige Situation eingehen werden.
Dann rufe ich jetzt die Frage 44 der Kollegin Heide Mattischeck auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß ehemalige inhaftierte vergewaltigte Frauen und andere Opfer schwerster Menschenrechtsverletzungen in allen Aufnahmeländern der EU ein dauerhaftes Bleiberecht genießen, und wie ist die Haltung der Bundesregierung zu einer dauerhaften Aufenthaltsregelung für diesen Personenkreis in Deutschland?
Die aufenthaltsrechtliche Situation von Flüchtlingen aus Bosnien-Herzegowina in den anderen Aufnahmeländern der EU ist unterschiedlich. Über die Entscheidungspraxis im Einzelfall liegen keine Erkenntnisse vor. Diese wären für die Rückführung aus Deutschland aber auch ohne Belang, weil das Ausländerrecht in den einzelnen Aufnahmeländern der EU unterschiedliche Strukturen hat. Wir dürfen in dem Gesamtprozeß, liebe Frau Kollegin, natürlich auch nicht übersehen, daß wir rund 400 000 dieser armen Flüchtlinge aufgenommen haben, während andere Länder nur über wenige Flüchtlinge und ihr Schicksal zu entscheiden haben. Gleichwohl ist jedes Schicksal wichtig.
Ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht kann für Personen aus dem Kreis der ehemaligen bosnischen Bürgerkriegsflüchtlinge nicht generell in Betracht kommen; das wissen wir sicherlich. Allen Beteiligten war nämlich von vornherein klar, daß nur vorübergehend - im Hinblick auf den Bürgerkrieg im ehemaligen Jugoslawien - ein Aufenthalt aus humanitären Gründen gewährt würde. Es konnte nicht in Aussicht gestellt werden und auch heute kann nicht die Aussicht eröffnet werden, daß sich die Flüchtlinge in der Bundesrepublik Deutschland auf Dauer aufhalten und eine dauerhafte Existenz aufbauen können.
Eine Zusatzfrage.
Inwieweit ist die Bundesregierung im Zusammenhang mit diesen Fragen im Gespräch mit Vertretern des UNHCR?
Wir sind in vielfältigen Gesprächen mit der Behörde, die Sie gerade ansprachen, genauso wie mit den Ländern und im Gedankenaustausch mit anderen Ländern der EU. Das führt aber zu keinem anderen Ergebnis als zu dem, das ich Ihnen vorgetragen habe. Denn es läuft im Grunde, liebe Frau Kollegin, immer auf die Beurteilung des Einzelfalls hinaus. Dafür sind nach der Verfassungsordnung unseres Landes nun einmal die jeweiligen Behörden der Länder und Kommunen zuständig.
Keine weitere Zusatzfrage.
Die Frage 45 wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Dann rufe ich jetzt die Frage 46 des Kollegen Manfred Such auf:
Inwieweit trifft der Bericht der ARD zu, daß der aktuell mit deutschem Haftbefehl gesuchte Helmut Groebe unbehelligt im Norden von Miami Beach ein Lokal betreibe sowie als V-Mann auch von der US-amerikanischen Drogenpolizei DEA beschäftigt werde, weil deren Fragen nach Vorstrafen, verbüßter Haft und Integritätsbedenken gegen Groebe vom Bundeskriminalamt wider besseres Wissen verneint worden seien, und wie bewertet die Bundesregierung - auch hinsichtlich einer möglichen Strafvereitelung im Amt - den Umstand, daß das Bundeskriminalamt trotz des mit dieser Anfrage verbundenen Hinweises auf Groebes Auslandsaufenthalt daraufhin offenbar keinen internationalen Haftbefehl nebst entsprechenden Rechtshilfeersuchen veranlaßt hat, um ihren ehemaligen V-Mann in Miami festnehmen zu lassen?
Herr Kollege Such, zur Frage 46: Dem Bundeskriminalamt liegen keine Erkenntnisse darüber vor, ob der genannte Helmut Groebe zur Zeit als V-Mann der US-amerikanischen Drogenpolizei DEA eingesetzt ist. Es trifft aber zu, daß er derzeit in Miami ein Restaurant betreibt.
Am 19. Dezember 1996 wurde durch das zuständige Amtsgericht in München dem genannten Helmut Groebe für die Dauer seiner Zeugeneinvernahme vor der 4. Strafkammer des Landgerichts München II einschließlich hierfür notwendiger Einreise in das Bundesgebiet und unverzüglicher Ausreise sicheres Geleit gemäß § 295 der Strafprozeßordnung erteilt. Für den Erlaß eines internationalen Haftbefehls und entsprechender Rechtshilfeersuchen sind ausschließlich die Justizbehörden zuständig.
Eine Zusatzfrage?
Herr Staatssekretär, ich stelle zunächst fest, daß meine schriftlich eingereichten Fragen noch nicht gänzlich beantwortet sind. Aber ich gehe davon aus, daß Sie sie mir noch schriftlich beantworten werden. Ich habe zwei Zusatzfragen, bei denen ich, wenn Sie sie jetzt nicht beantworten können, um schriftliche Beantwortung bitte.
Als erstes habe ich die Frage: Was hat die Bundesregierung bzw. was haben die zuständigen Stellen, also das Bundeskriminalamt, bisher unternommen, um Groebes habhaft zu werden und damit auch zu verhindern, daß er aus finanziellem Eigennutz weiteren Personen Schaden zufügt, wie das in dem Fernsehbericht zum Ausdruck gekommen ist?
Herr Kollege Such, ich habe Ihnen eben schon darlegen können: Ich habe für den Kollegen Lintner die Beantwortung der Fragen kurzfristig übernehmen müssen, weil er einen schweren Krankheitsfall in seiner Familie hat. Ich
konnte in der Kürze der Zeit nicht die Informationen bekommen, die Sie im Augenblick gerne von mir hören wollen. Ich habe Ihnen aber zugesagt: Ich werde mich darum bemühen, Ihre Fragen so schnell und so gut zu beantworten, wie das nur geht.
Dann darf ich Ihnen gleich meine zweite Zusatzfrage in diesem Zusammenhang stellen: Trifft es zu, daß der Paß von Herrn Groebe regelmäßig verlängert wurde, und trifft es zu, daß dem zuständigen Konsulat keine Mitteilung darüber gemacht worden ist, daß ein Haftbefehl gegen ihn vorliegt?
Ich gehe davon aus, daß auch das schriftlich beantwortet wird.
Auch dies wird so gemacht, wie ich es dem Kollegen Such zugesagt habe.
Gilt das dann auch für die Frage 47, die jetzt ansteht?
Die Frage selber kann ich jetzt beantworten, aber die Zusatzfragen würden behandelt wie die anderen vorher.
Dann rufe ich auch die Frage 47 des Abgeordneten Such auf:
Inwieweit trifft der Bericht der ARD zu, daß Helmut Groebe 1992 in München und Frankfurt 23 Kilo Kokain, die er zuvor offenbar bei der DEA entwendet hatte, im Auftrag des von dieser Herkunft wissenden Bundeskriminalamts (BKA) zum Verkauf anbot und daß Groebe nach der prompten Beschlagnahme des Stoffs bei den Käufern pro Kilo 4 000 DM Honorar vom BKA erhielt, und inwiefern beruht der Umstand, daß das BKA entgegen seiner presserechtlichen Auskunftsverpflichtung dem Autor des ARD-Berichts die erbetene Stellungnahme verweigerte, darauf, daß dieser Journalist nicht zum Kreis der vom BKA bevorzugten „Vertrauensjournalisten" gehört?
Das Bundeskriminalamt führte 1992 sowohl ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main wegen des Verdachts des international organisierten Rauschgifthandels gegen eine bolivianische Staatsangehörige und gegen andere Tatverdächtige als auch ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft München.Das in diesen Verfahren sichergestellte Kokain stammt nach den Erkenntnissen des Bundeskriminalamtes von einer bolivianischen Kokainhändlergruppierung. Es liegen keine Erkenntnisse vor, daß das Kokain durch die Vertrauensperson aus sichergestellten Beständen der DEA entwendet oder von der DEA an die Vertrauensperson übergeben worden ist.Die in dem Verfahren eingesetzte Vertrauensperson wurde nach den gemeinsamen Grundsätzen für die Bezahlung von Informationen und V-Personen bei der Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität entlohnt.
Metadaten/Kopzeile:
14864 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1997
Parl. Staatssekretär Dr. Horst WaffenschmidtDas Bundeskriminalamt hat auf entsprechende Anfrage des Autors des ARD-Berichts diesem mitgeteilt, daß zu den kriminaltaktischen Maßnahmen keine Presseauskünfte erteilt würden, um das kriminaltaktische Vorgehen der entsprechenden Behörden zu sichern.
Die Zusatzfragen stellen Sie am besten gleich beide.
Ist es richtig, daß der für Herrn Groebe verantwortliche V- Personenführer des Bundeskriminalamtes heute Rauschgiftverbindungsbeamter in Argentinien ist, und welche Maßnahmen disziplinarer Art hat das Bundeskriminalamt eingeleitet, um zu verhindern, daß dieser Beamte von dort weitere dubiose Rauschgiftlieferungen bzw. sogenannte kontrollierte Lieferungen nach Deutschland initiiert?
Herr Präsident, Herr Kollege Such, zu diesen Fragen werde ich in dem Maße antworten, wie ich Ihnen das eben versprochen und zu den anderen Zusatzfragen ausgeführt habe.
Die Fragen 48 und 49 werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich rufe jetzt den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen auf. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Hansgeorg Hauser bereit.
Ich rufe die Frage 50 der Kollegin Heidemarie Lüth auf:
Ist es richtig, daß die Förderung kinderreicher und junger Familien nicht zu den als besonders förderungswürdig anerkannten gemeinnützigen Zwecken gehört und deshalb Spenden, die für diesen Zweck bestimmt sind, keine Spenden im Sinne des § 10b des Einkommensteuergesetzes und des § 9 des Körperschaftsteuergesetzes sind?
Herr Präsident, die gestellte Frage beantworte ich wie folgt: Es trifft zu, daß die Förderung kinderreicher und junger Familien als solche nicht als eigenständiger spendenbegünstigter Zweck anerkannt ist.
Die Unterstützung kinderreicher und junger Familien kann jedoch unter bestimmten Umständen, insbesondere bei entsprechender Bedürftigkeit, unter die mildtätigen Zwecke, die Förderung der Jugendpflege und Jugendfürsorge, die Förderung der Erziehung oder die Förderung der Zwecke der Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege eingeordnet werden. Dazu zählen unter anderem die Arbeiterwohlfahrt, das Diakonische Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland, der Deutsche Caritasverband, der Paritätische Wohlfahrtsverband oder das Deutsche Rote Kreuz. Für alle diese Zwecke könnten Spenden geleistet werden.
Zusatzfrage.
Ich bedanke mich für die Beantwortung der Frage.
Meine erste Zusatzfrage: Sehen Sie eine Diskrepanz zwischen Ihrer Beantwortung meiner Frage und den Bemühungen des Ministeriums für Familie, Senioren; Frauen und Jugend, einen wahren Familienleistungsausgleich zu erreichen?
Frau Kollegin Lüth, es ist ein Unterschied, ob man einen Familienleistungsausgleich - um den sich das Familienministerium bemüht - installiert oder ob man für solche Familien einen freien Zugang zu Spenden jedweder Art ermöglicht. Ich glaube, es wäre nicht der richtige Weg, das ganz allgemein freizugeben und direkte Spenden zu ermöglichen, ohne daß Bedürftigkeit, Einkommen oder sonst irgend etwas in irgendeiner Weise geprüft werden. Das würde, wenn beispielsweise das Argument „kinderreich" zählen sollte, dann sicherlich bedeuten, daß jede Familie, die eine bestimmte Anzahl von Kindern hat, Zugang zu solchen Spenden hätte - egal, wie hoch das Einkommen ist. Wir halten das nicht für richtig.
Weitere Zusatzfrage.
Sehen Sie einen Handlungsbedarf in der Richtung, bestimmte Kriterien zu erarbeiten - wie es in anderen Bereichen wie Denkmalpflege, Heimatpflege oder Tierschutz möglich ist -, so daß man unter bestimmten Bedingungen die von mir in der Frage genannte Lösung der Probleme über das Steuerrecht begünstigen könnte?
Frau Kollegin Lüth, die Regelung in der Anlage 7 zu den Einkommensteuerrichtlinien, in der ein Verzeichnis der allgemein als besonders förderungswürdig im Sinne des § 10 b des Einkommensteuergesetzes - des „Spendenparagraphen" - anerkannten Zwecke zu finden ist, ist meines Erachtens so angelegt, daß bereits alle die Zwecke, die Sie angesprochen haben, berücksichtigt werden. In dieser Anlage sind Zwecke und Organisationen, über die solche Spenden geleistet werden können, genannt.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Die Fragen 51 und 52 werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereiches. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Die Fragestunde ist beendet.
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 2 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der SPD
Haltung der Bundesregierung zu aktuellen Mißständen am Bau durch Lohndumping, Scheinselbständigkeit und illegale Beschäftigung trotz Entsendegesetz
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Wolfgang Thierse.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am vorigen Freitag war ich in Berlin bei den demonstrierenden Bauarbeitern. Ich bin einige Stunden mit ihnen marschiert; das war Zeit genug, ihre Stimmung wahrzunehmen - eine Stimmung zwischen Verzweiflung und Wut, hart am Rande der Aggressivität. Vor diesem Hintergrund halte ich es für eine respektable Leistung der IG - BAU, daß diese Kundgebungen und Demonstrationen einen außerordentlich friedlichen Charakter hatten. Man muß das wirklich mit Respekt bewerten.
Es gibt Anlaß genug für Protest; so sichtbar wie in Berlin ist dieser Anlaß nirgendwo sonst. Sie wissen es: Berlin ist der größte Bauplatz Europas. An jeder Ecke wird gebaut. Aber zugleich gibt es über 40 000 arbeitslose Bauarbeiter in Berlin und Brandenburg; in ganz Deutschland sind es über 400 000 - ein unerträglicher Widerspruch.
Es gibt für diese Situation sichtbare und unübersehbare Gründe: Neben der Abschaffung des Schlechtwettergeldes, von der auch Minister Töpfer inzwischen sagt, sie sei ein Fehler gewesen - darüber diskutieren wir morgen -, sind es vor allem das Lohndumping und die illegale Beschäftigung, die für die Arbeitslosigkeit ursächlich sind.
Insbesondere auf ostdeutschen und Berliner Baustellen gibt es de facto ein 8-DM-Limit. Die meisten Bauarbeiter erhalten nicht mehr als 8 DM pro Stunde. Gerade ist noch eine andere Zahl veröffentlicht worden: Auf einem Drittel aller Baustellen in Deutschland gibt es illegale Beschäftigung. Ich habe von 8 DM gesprochen. Zur Erinnerung: Nach dem Entsendegesetz ist von den Tarifparteien ein Mindeststundenlohn Ost von 15,64 DM vereinbart worden. Vielfach erhalten ausländische Arbeitskräfte noch nicht einmal die 8 DM. Nimmt man die Arbeits- und Lebensbedingungen hinzu, ist der Tatbestand einer geradezu brutalen Ausbeutung erfüllt.
Durch Ausbeutung verschaffen sich Bauunternehmen gegenüber anderen Wettbewerbsvorteile - zum Nachteil einheimischer Bauarbeiter, die arbeitslos werden oder bleiben, zum Schaden der ausländischen, der illegalen Bauarbeiter und zum Schaden des Staates, dem Steuern und Sozialabgaben entzogen werden.
Wie ist die übliche und üble Praxis? Sie besteht darin, daß die Tarife systematisch unterlaufen werden. Ein Generalunternehmer macht ein Angebot zu einem Preis, von dem jeder weiß, daß er legal nicht einzuhalten ist. Er beauftragt dann Subunternehmen, die mit Dumpinglöhnen und illegaler Beschäftigung diesen Preis realisieren. Laut Gesetz muß aber dem Generalunternehmen nachgewiesen werden, daß es Dumpinglöhne leichtfertig bei den Subunternehmern in Kauf genommen hat. Wie soll man das aber machen, wenn der Subunternehmer den Auftrag wiederum bis zum sechsten, siebten, achten Subunternehmer weiterleitet?
Der Tatnachweis ist in rechtsstaatlich einwandfreier Weise meist nicht zu erbringen. Beim Eintreffen der Ermittler sind die illegal Beschäftigten oder gar die Baustelle weg, oder der Aufenthaltsort der ausländischen Bauarbeiter ist nicht zu ermitteln. Beweiserhebungen bei den Subunternehmen, die oft in einem anderen Bundesland ihren Sitz haben, dauern viel zu lange und kommen deshalb zu spät. Bußgeldbescheide an ausländische Unternehmen können nicht vollstreckt werden. Die Strafen sind gegenüber dem durch Ausbeutung erzielbaren Gewinn viel zu niedrig.
Angesichts einer solchen Situation ist es, gelinde gesagt, beschämend, wenn der Bauminister in einer Presseerklärung mitteilen läßt:
So müsse sich die Branche mit der ausländischen Billiglohnkonkurrenz auseinandersetzen. Töpfer verwies in diesem Zusammenhang auf die Zuversicht des Baugewerbes, dieses Problem bei geeigneten Gegenmaßnahmen wie Qualifizierung der Bauarbeiter, Kostenreduzierung und Verbesserung der betrieblichen Ablauforganisation bewältigen zu können.
Herr Töpfer, sagen Sie dies einmal einem arbeitslosen Bauarbeiter in Berlin oder anderswo. Er wird Sie nicht nur auslachen, fürchte ich.
Wir sehen, das Entsendegesetz greift nicht. Wir brauchen schärfere Regelungen, eindeutige Verantwortung, also Haftung der Generalunternehmen, strengere und höhere Strafen, mehr Kontrollen, mehr Tariftreue - gerade bei öffentlichen Aufträgen; sie müssen an die Einhaltung der Tariftreue gebunden sein - und mehr Kontrollen, auch bei den Bundestagsbauten. Wenn es stimmt, was man sich in Berlin erzählt, daß auch dort illegal Beschäftigte arbeiten -
- ich sage: wenn es stimmt -, dann ist das besonders anstößig. Deswegen brauchen wir energischere Maßnahmen zur Bekämpfung von Lohndumping und illegaler Beschäftigung und nicht mehr nur Redensarten.
Das Wort hat der Kollege Heinz Schemken, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich darf zusammen mit denen, die die Lage auf dem Bau bedauern, sagen, daß sie in der Tat dramatisch ist. Da beißt keine Maus einen Faden ab.
Das ist allerdings regional sehr unterschiedlich.
Insbesondere an den Großbaustellen, wo die Struktur der Auftragnehmer und der Firmen teilweise unübersichtlich ist, kann eine Übersicht über legale und illegale Arbeitsverhältnisse oft kaum gewonnen werden. Das trifft insbesondere auch für die Baustelle Berlin, die ja die größte Europas sein soll - auch ich gehe davon aus -, zu. Ich verstehe auch das Schicksal der arbeitslosen Bauarbeiter in Berlin und habe Verständnis für ihre Empörung.
Auf der einen Seite arbeiten Zehntausende in Dumpinglohnverhältnissen, auf der anderen Seite gibt es in derselben Stadt Arbeitslosigkeit.
Wir wissen doch, daß sich die Bundesanstalt für Arbeit bemüht und mit nachdrücklicher Kontrolle versucht, dies einzugrenzen. Oft umgeht aber auch der Hauptunternehmer, sicherlich meist wissentlich - ich sage das ausdrücklich -, manchmal vielleicht auch unwissentlich, das Entsendegesetz. Wir haben es eingeführt; es müßte doch wirken. Es war ja unser gemeinsamer Wille, dies zu tun. Man kann ihm nur durch nachdrückliche Kontrollen, wenn es, insbesondere auch bei den Mindestlöhnen, unterlaufen wird, Geltung verschaffen. Dies ist eben nur durch stärkere Kontrollen möglich.
Nun fordern Sie in den letzten Tagen die Wiedereinführung des Schlechtwettergeldes.
Die SPD möchte das Schlechtwettergeld auf Bundesratsebene einführen. Es ist sicherlich in einer Zeit, in der der Zusammenhang zwischen Beiträgen und Lohnnebenkosten herzustellen ist, nicht sinnvoll, das über diesen Weg zu tun. Es würde wieder unmittelbar den Arbeitnehmer treffen, da auf Grund der Beiträge die Lohnnebenkosten in die Höhe getrieben werden.
Es trifft wieder denjenigen, der arbeitslos ist oder wird.
Wir sind deshalb der Meinung, daß die Verhandlungsrunde, so wie sie jetzt begonnen hat, dazu führen muß, daß an die Stelle dieses Schlechtwettergeldes - wir haben Verständnis für die Situation der Bauarbeiter in dieser Zeit - ein Jahresarbeitszeitkonto und ein Jahresverdienstkonto treten. Die Einführung dieser Regelung, die stattfinden muß, kann die Sicherheit - zusammen mit den weiteren Abfederungen, die in der jetzigen Regelung mit Hilfe der Tarifpartner enthalten sind - ermöglichen.
- Im Bereich des Landschafts- und Gartenbaus wird dies bereits praktiziert.
Eine Reihe von Unternehmen haben natürlich die Tarifverträge nicht eingehalten. Vielmehr wurden Arbeitnehmer im Einvernehmen in die Arbeitslosigkeit geschickt. Wir kennen diesen Vorgang. Deshalb haben wir sicherlich auch einen so dramatischen Anstieg der Arbeitslosigkeit, was die Bauwirtschaft angeht.
Dies ist sehr bedauerlich. Aber es wird ja das Arbeitslosengeld gezahlt, soweit die Vorversicherungszeiten und die Verfügbarkeit gegeben sind. Ich sage das hier ausdrücklich, weil wir wissen, daß der Streit um die Vorschriften, die nicht eingehalten werden, auf dem Rücken derjenigen ausgetragen wird, denen gekündigt wird.
Es gibt sicherlich auch positive Ansätze, die wir in dieser Stunde registrieren sollten. Dazu gehört das Konjunkturprogramm der Bundesregierung.
Wir würden uns wünschen, daß die Länder auf Grund ihrer Kompetenz in der Regionalpolitik mitmachen würden. Wir brauchen einen Pusch in der Bauwirtschaft; das wissen wir alle. Die vorhandenen Probleme haben nichts damit zu tun, daß die Regelungen nicht stimmen würden. Wir brauchen vielmehr eine Konjunktur in der Bauwirtschaft.
Diese Konjunkturspritze, so hoffen wir, bringt den Erfolg, wie uns Fachleute sagen. Es können immerhin an die 300 000 Stellen in der Bauwirtschaft geschaffen werden. Allein im Bereich der Bauinvestitionen werden 125 000 neue Arbeitsstellen vorausgesagt. Wie wollen Sie aus dem Tal in der Bauwirtschaft herauskommen, wenn Sie nicht die notwendigen Dinge, die von uns jetzt aufgegriffen werden, tun, indem Sie die Wirtschaft ankurbeln und Investitionen schaffen?
Wir wollen hoffen, daß bei stärkerer Kontrolle und bei Einhaltung der Richtlinien, wie wir sie vorgegeben haben, auch die Bauhandwerker in Arbeit kommen, die jetzt vom Schicksal der Arbeitslosigkeit betroffen sind.
Schönen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Annelie Buntenbach, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Zustände auf dem Bau sind inzwischen schlimmer als je zuvor, und der Protest dagegen wird immer
Annelie Buntenbach
lauter. Ich hoffe, daß bald auch diejenigen, die in diesem Parlament noch die Mehrheit stellen, diesen nur allzu berechtigten Protest nicht mehr überhören können.
Über 400 000 Bauarbeiter sind ohne Arbeit. Das ist für diese Branche eine Arbeitslosenquote von 28 Prozent. Durch die Abschaffung des Schlechtwettergeldes sind viele wieder in die Saisonarbeitslosigkeit gezwungen - wie in den 50er Jahren. Auf den Baustellen herrscht übelstes Lohn- und Sozialdumping: Oft liegen die Löhne nach wie vor bei 5 bis 10 DM die Stunde; die Unterbringung ist miserabel; von Arbeits- und Unfallschutz ist keine Rede.
Zwischen General- und Sub- oder Sub-Sub-Unternehmern, Arbeitnehmern aus Werkvertragskontingenten und aus der EU blühen nach wie vor Scheinselbständigkeit und illegale Leiharbeit. Inzwischen sind mehrere Fälle öffentlich geworden, in denen portugiesische oder türkische Arbeiter von den Unternehmen, die sie ins Land geholt haben, nicht ordnungsgemäß gemeldet worden sind. Wenn sie dann um ihren Lohn geprellt werden, haben sie statt einer Unterstützung und Vertretung ihrer Rechte gegenüber solchen Betrügern eher noch die Abschiebung zu erwarten.
Hier müssen wir die Rechtsstellung gerade der ausländischen Kollegen stärken und sicherstellen, daß die Arbeitgeber dabei belangt werden -
nicht nur der Generalunternehmer, der die Schuld auf den Sub- oder den Sub-Sub-Unternehmer abwälzen kann. Vielmehr ist die Durchgriffshaftung längst überfällig.
Nachdem es ewig gedauert hat, bis das Entsendegesetz überhaupt in Kraft treten konnte, weil Sie, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, es ja unbedingt an die Allgemeinverbindlicherklärung der Tarifverträge und damit an die Zustimmung der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände binden wollten, nachdem das Gesetz jetzt doch in Kraft getreten ist, liegen erste Zahlen aus den Kontrollen der Bundesanstalt für Arbeit vor. Die sind ganz erschreckend: Mehr als ein Drittel der geprüften Arbeitgeber zahlen nicht die vorgeschriebenen Mindestlöhne; die Hälfte hat die erforderliche Anmeldung nicht geleistet; über die Hälfte steht im Verdacht der illegalen Leiharbeit.
Diese Zahlen beziehen sich allein auf die Arbeitgeber mit Sitz im EU-Ausland. Sie sagen überhaupt noch nichts über das Gebaren von Generalunternehmen, Sub- oder Sub-Sub-Unternehmern und dergleichen mehr aus. Darüber weiß die Bundesregierung nichts. Sie will offensichtlich darüber auch nichts wissen. Dafür ist der Hauptstadtumzug leider das beste Beispiel. So - das muß ich hier ganz deutlich sagen - machen Sie den Potsdamer Platz zur echten Provokation für die Kollegen.
- Die Bundesregierung kann noch nicht einmal die simpelsten Fragen beantworten, die ihr gestellt worden sind.
Zum Beispiel: Wieviel Menschen arbeiten eigentlich im Zuge des Hauptstadtumzuges auf den Baustellen? Wo kommen sie her? Sind sie sozialversichert? Über all das können oder wollen Sie keine Auskunft geben.
Daß es schwer ist, in der freien Wirtschaft von politischer Seite aus Regeln durchzudrücken, die auch den gewünschten Erfolg haben, wissen wir alle. Aber hier handelt es sich um Aufträge der öffentlichen Hand. Hier hat der Bund Einfluß und damit auch mehr Verantwortung.
Sagen Sie mir einmal:
Wer soll denn all die Appelle ernst nehmen, daß Sozialversicherungspflicht, Arbeitsrecht und Tarife eingehalten werden sollen, wenn man sich bei den eigenen Projekten gar nicht darum schert?
Natürlich ist es möglich - viele Gemeinden und Länder haben es gemacht -, die Vergabe von öffentlichen Aufträgen von der Einhaltung der gesetzlichen und tariflichen Bestimmungen abhängig zu machen , und zwar bis zum letzten Sub-Sub-Sub-Unternehmen. Es ist nicht nur möglich, sondern längst überfällig. Genau das weiter zu unterlassen ist schlichtweg verantwortungslos.
Wenn - Herr Schemken hat das vorhin noch einmal gesagt - Herr Kohl dann öffentlich ankündigt, daß ein Investitionsprogramm aufgelegt werden muß, besonders im Baubereich - ich halte das im Grundsatz für völlig richtig -, dann ist das unter diesen Bedingungen - die wollen Sie ja offensichtlich nicht ändern - keine Beruhigung für die Kollegen, sondern ein ausgesprochen schlechter Witz.
Wenn die Katastrophe auf dem Bau so weiterläuft, wenn Kollegen mit anderer Herkunft und Hautfarbe zum Lohn- und Sozialdumping mißbraucht werden können, dann müssen Sie, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, sich darüber klar
Annelie Buntenbach
sein, daß Sie die Tür sperrangelweit für rassistische Propaganda aufmachen.
Wir alle wissen, daß es schon mehrere üble Überfälle auf ausländische Kollegen gegeben hat, gerade aus dem rechtsextremen Spektrum. Neonazis sehen hier die Chance, Konflikte anzuheizen und sich als Vollstrecker eines angeblich deutschen Volkswillens aufzuspielen. Dem müssen wir die Grundlage entziehen und den falschen Feindbildern viel deutlicher entgegentreten.
Wenn Sie, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, den Kollegen nicht jedes Zutrauen zur Politik nehmen wollen, dann sorgen Sie endlich gemeinsam mit der Opposition dafür, daß das Entsendegesetz wirksam wird, das gleichen Lohn für gleiche Arbeit durchsetzen kann und daß der Bau nicht länger das Experimentierfeld für eine Politik des freien Falls von Tarifen und sozialen Standards bleibt.
Das Wort hat die Kollegin Dr. Babel, F.D.P.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Alles, was die SPD in ihrem Antrag zu Mißständen auf deutschen Baustellen benennt - Lohndumping, Scheinselbständigkeit und illegale Beschäftigung -, beschreibt die Realität. Gleichzeitig - das wird diese Diskussion zeigen - wird auch die sehr eingeschränkte Einflußmöglichkeit des Gesetzgebers deutlich.
Es gibt Arbeitnehmer aus europäischen Nachbarstaaten, die auf deutschen Baustellen zu ihren heimatlichen Stundenlöhnen beschäftigt werden. Es gibt sogenannte Selbständige, die im Grunde eher die Kriterien abhängig Beschäftigter erfüllen. Es gibt in Deutschland auch illegale Beschäftigung von Arbeitnehmern ohne Arbeitserlaubnis und ohne Aufenthaltserlaubnis.
Der Ruf nach dem Gesetzgeber zur Behebung dieser Mißstände liegt nahe. Alles, was die sogenannten Mißstände ausmacht, ist aber bereits gesetzlich verboten. Dies gilt zuallererst für illegale Beschäftigung.
Die Gesetze, die der Bekämpfung der illegalen Beschäftigung dienen, kann ich gar nicht alle aufzählen. Sie sind ständig verschärft und die Bußgelder ständig erhöht worden.
Auch das sogenannte Lohndumping ist gesetzlich verboten. Seit dem 1. Januar 1997 gilt das Entsendegesetz. Niemand auf deutschen Baustellen darf im Westen für weniger als 17 DM pro Stunde und im Osten für weniger als 15,64 DM pro Stunde beschäftigt werden. Entsandte Arbeitnehmer müssen angemeldet werden. Die Urlaubsbedingungen sind einzuhalten. Auch die Bußgelder - bis zu einer Höhe von 100 000 DM - sind saftig.
Die Opposition kann uns nicht vorwerfen, daß auf den Baustellen nicht kontrolliert werde. Am 14. Januar 1997 haben 2 650 Mitarbeiter der Bundesanstalt für Arbeit und des Zolls 4 500 Arbeitgeber nach 14 500 Arbeitnehmern überprüft.
Am 4. März 1997 haben mehr als 3 000 Kontrolleure 18 000 Mitarbeiter bei 4 650 Arbeitgebern überprüft. Dabei sind erhebliche Verstöße gegen die gesetzlichen Vorschriften festgestellt worden.
Viele Arbeitgeber melden ihre Arbeitnehmer nicht an. Die Arbeitserlaubnisse fehlen. Die Mindestlöhne werden zum Teil um bis zu 7 DM pro Stunde unterschritten. Dabei glaube ich, daß viele Verstöße gar nicht aufgedeckt werden. Die Möglichkeiten, das Entsendegesetz zu umgehen, sind nahezu unendlich.
Ich habe bereits in der vergangenen Debatte bei der Diskussion zum Entsendegesetz auf folgendes hingewiesen: Wenn jetzt hier wieder - auch Sie, Herr Thierse, hatten es gesagt - mehr Kontrollen gefordert werden, dann nenne ich Ihnen einige Fälle, angesichts deren Sie beantworten sollten, wie Sie Kontrollen durchführen wollen. Wir wollten mit diesem Gesetz ja nicht gezielt Ausländer als Arbeitnehmer treffen. Das geht auch aus den Stellungnahmen nicht hervor. Wir wollten vielmehr die Wettbewerbsbedingungen bei der Einstellung von deutschen und ausländischen Arbeitnehmern etwa gleichsetzen, um die Chancen der Deutschen zu sichern.
Nehmen wir also einen von diesen berühmten Subunternehmern. Wie kann das laufen, wenn ein Portugiese, ein Subunternehmer, seine Arbeitnehmer beschäftigt? Offiziell zahlt dieser 17 DM pro Stunde. Ich nehme an, daß die ersten deutschen Worte, die diese Arbeitnehmer lernen, „ 17 DM" sind. Auf die Frage, was bekommt ihr, werden sie antworten: 17 DM. Für die Unterkunft in jämmerlichen Containern verlangt der Arbeitgeber 1 000 DM. Diese bekommt der Arbeitgeber; er zieht es vom Lohn ab. Oder er macht es noch ein bißchen unauffälliger: Er läßt es in Portugal auf ein Konto einzahlen.
Wie wollen Sie das kontrollieren? Sie können es nicht. Deswegen erwecken Sie nicht den Eindruck - wir sind uns über die Mißstände einig -, als könnten Sie durch gesetzgeberische Maßnahmen diese Misere irgendwie verändern.
- Sie können es nicht. Ich sehe auch nicht, daß die
Verwaltung mehr tun könnte. Ich appelliere allen-
Dr. Gisela Babel
falls an die Tarifpartner, daß bei ihnen das Nachdenken einsetzt.
Die Arbeitslosigkeit unter deutschen Bauarbeitnehmern ist vor allem eine Folge der Löhne und der Lohnnebenkosten.
Die liegen in der Tat in dieser Branche weit über denen der meisten anderen Branchen. Die vereinbarten Mindestlöhne überschreiten zum Teil deutlich die Löhne für Facharbeiter in anderen Bereichen.
Trotz aller Appelle gelingt es nicht, tarifliche Arbeitszeitkonten zur Überbrückung des Winters zu vereinbaren. Statt dessen wird hilflos und klagend auf Bonn gezeigt. Wir hier haben unsere Aufgaben erledigt. Auch die Verwaltung tut das Ihre. Es wird aber Zeit, daß auch Tarifpartner einen Beitrag zur Lösung dieser schwierigen Probleme auf den Tisch legen.
Ich bedanke mich.
Das Wort hat der Kollege Manfred Müller, PDS.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Frau Babel, Ihr Appell an die Tarifvertragsparteien soll doch wohl nicht heißen, daß diese Löhne vereinbaren sollen, die dem Niveau entsprechen, das hier zur Rede steht, also zwischen 5 DM und 10 DM, um dieser Konkurrenz zu entgehen?
Es darf ja wohl nicht wahr sein, daß dieser in anderen Feldern so starke Staat sich außerstande sieht, dieser moderneren Lohnsklaverei, die sich am Potsdamer Platz und auf vielen anderen Großbaustellen inzwischen durchgesetzt hat, anders Herr zu werden als mit dem Appell an die Tarifvertragsparteien, mit den Löhnen so weit runterzugehen, daß die Kolleginnen und Kollegen, die bereit sind, für 8 DM zu arbeiten, wieder konkurrenzfähig sind.
Alle haben gesagt, die Lage sei in der Tat dramatisch. Aber von den Regierungsfraktionen ist - außer: mehr Kontrollen - an keiner Stelle der Hinweis gekommen, wie der Lage Herr zu werden ist.
2 500 Kontrolleure der Arbeitsverwaltung müssen inzwischen auf den Baustellen eingesetzt werden, um die schwarzen Schafe unter den Unternehmern aufzuspüren. Daß trotz dieses gewaltigen Aufwandes, der auch noch durch Personal von Zoll und Polizei ergänzt wird, keine Besserung eintritt, liegt auch an der Halbherzigkeit der Bundesregierung. Die Entsenderichtlinie weist derart viele Schlupflöcher auf, daß die Kontrolleure permanent genarrt werden - das ist hier, auch von Ihnen, Frau Babel, schon gesagt worden -: Doppelte Verträge, Scheinselbständigkeit, fingierte Lohnlisten, unbezahlte Überstunden und skandalös überhöhte Abzüge für Unterbringung und Verpflegung sind an der Tagesordnung. Zudem müssen die Unterlagen nicht auf der Baustelle verfügbar sein, so daß sich die Kontrolleure auf die Aussage von sprachunkundigen Bauarbeitern verlassen müssen, die häufig nur den einen auswendig gelernten Satz aufsagen können: „Ich bekomme 17 DM."
Die Bundesregierung ist gutgläubig und blauäugig gegenüber den Bauunternehmern. Die Bundesregierung muß die gesetzlichen Rahmenbedingungen verändern. Nicht nur beim Schlechtwettergeld, sondern gerade auch bei der Entsenderichtlinie ließ sich die Koalition von einer einzigartigen Gutgläubigkeit gegenüber den Unternehmern leiten. Sie steht in einem auffälligen Mißverhältnis zur kleinlichen Kontrolle, mit der hierzulande Arbeitslose sowie Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger seit Jahren denunziert werden.
Ich darf vielleicht einmal daran erinnern, womit die Kampagne der Bundesregierung gegen 100prozentige Lohnfortzahlung begann. Man hat einige angeblich schwarze Schafe genommen und ein in der Praxis bewährtes Gesetz geändert, um dieser schwarzen Schafe Herr zu werden. Man hat wegen nur weniger schwarzer Schafe alle Kranken bestraft und alle Arbeitnehmer unter Druck gesetzt. Diese Initiative der Bundesregierung damals wünschte ich mir für die wirklichen schwarzen Schafe in der Bauwirtschaft.
Sie können hier auch hervorragend mit den Verbänden der Bauwirtschaft zusammenarbeiten. Herr Dr. Karl Robl, Hauptgeschäftsführer des Zentralverbandes des Deutschen Baugewerbes, hat am 14. März im Hessischen Rundfunk gesagt:
... es muß wieder verstärkt die Fachlosvergabe an den Mittelstand erfolgen, es muß eine Tariftreueerklärung da sein, wo eine Firma sich verpflichtet, Tarife einzuhalten, und das muß verstärkt kontrolliert werden.
Wenn die Kontrolle ergibt, daß der Hauptunternehmer schuld ist, dann muß die Durchgriffshaftung ermöglicht werden, die es inzwischen auch in anderen Bereichen gibt, damit nämlich dort durchgegriffen wird, wo die eigentlichen Schuldigen sitzen.
Das Subunternehmertum ist das entscheidende Einfallstor für Verstöße gegen die Entsenderichtlinie. Uns scheint, daß dem Mißbrauch auf diesem schwer kontrollierbaren Feld nur durch zwei Maßnahmen zu begegnen ist: Erstens müssen Generalunternehmer in vollem Umfang für von ihnen beauftragte Subunternehmer haften. Zweitens stimmen wir der Forde-
Manfred Müller
rung nach einer verstärkten direkten Vergabe an mittelständische Unternehmen zu.
Es ist ein Skandal, daß das Lohndumping auf den Berliner Baustellen des Bundes offenbar besonders kräftig blüht. Denn bis heute weigert sich die Bundesregierung, eine Tariftreueerklärung abzugeben, obwohl der Berliner Senat eine solche Erklärung sehr wohl von seinen Auftragnehmern verlangt. Ich bin jetzt gespannt auf das, was Herr Töpfer auf die Anregung auch aus den Reihen der Koalitionsfraktionen zu sagen hat.
Danke schön.
Das Wort hat der Staatssekretär Horst Günther.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir sind uns sicher einig - in besonderer Weise gilt das, Kollege Thierse, natürlich auch für Berlin und die neuen Bundesländer -, daß wir es im Baugewerbe mit einer äußerst schwierigen Situation zu tun haben. Das ist struktur- und auch konjunkturbedingt. Mit dem starken Abebben des Baubooms von 1992 bis 1994 hat ein enormer Existenzkampf unter den Unternehmern der Bauindustrie eingesetzt, der noch stark anhält. Vor diesem Hintergrund gibt es enorme Verwerfungen, die man nur verurteilen kann.
- Natürlich „Existenzkampf". Wenn einer mit Lohndumping anfängt, zieht der nächste nach. Das sind Verwerfungen, die man nicht gutheißen kann. Deshalb habe ich Verständnis für die Unruhe unter den Bauarbeitern, auch dafür, daß sie versuchen, sich dagegen zu wehren.
Die Bundesregierung hat sich aber nichts vorzuwerfen, wenn festgestellt werden soll, ob es genügend Instrumente gibt, diesem Mißbrauch entgegenzuwirken. Nur wissen Sie auch: Man kann gar nicht so viel kontrollieren, wie auf den Baustellen passiert. Ich kann Ihnen nur empfehlen, solche Kontrollen selbst einmal mitzumachen, um die Schwierigkeiten zu sehen, die vorhanden sind, Mißbräuche überhaupt dingfest zu machen. Das muß man doch einmal deutlich sagen.
Ich bedaure sehr, daß wir diese Dinge in einer Aktuellen Stunde nicht so vertiefend diskutieren können, um die wirklichen Ursachen und die Probleme bei der Bekämpfung des Mißbrauchs deutlich zu machen. Es geht nämlich um mehr als nur darum, in einer Aktuellen Stunde zu sagen: Das Arbeitnehmerentsendegesetz hat Scheinselbständigkeit, Lohndumping und illegale Beschäftigung nicht in den Griff bekommen. Erstens ist das Gesetz erst zweieinhalb Monate alt, und niemand ist in der Lage, schon jetzt festzustellen, ob das Gesetz greift oder nicht.
Zweitens hat das Entsendegesetz mit Scheinselbständigkeit und illegaler Beschäftigung wenig zu tun. Diese Phänomene waren schon weit früher vorhanden und haben ganz andere Ursachen. Deshalb bitte ich sehr, diese Bereiche voneinander zu trennen.
Schauen wir einmal, was das Entsendegesetz leisten kann! Ich habe die neueste Überprüfung der Bundesanstalt für Arbeit vorliegen. Sie hat am 4. März - zum zweitenmal, auf Bitten des Bundesarbeitsministeriums hat bereits am 14. Januar eine bundesweite Razzia stattgefunden - festgestellt, daß rund 170 von etwa 500 geprüften Arbeitgebern mit Sitz im EU-Ausland etwa 900 Arbeitnehmer unter dem Mindestlohn auf Baustellen beschäftigt haben. In einem gravierenden Einzelfall erhielten 32 Arbeitnehmer seit Jahresbeginn 7 DM in der Stunde weniger als vorgeschrieben. Allein dadurch konnte dieser Arbeitgeber fast 100 000 DM einsparen, was, meine Damen und Herren, bei der Festsetzung der Geldbuße berücksichtigt wird.
Nun kann man darüber sprechen, ob Geldbußen ausreichen oder nicht. Auch mir wäre es viel lieber, wenn die Anzeigen, die seitens der Bundesanstalt für Arbeit ständig stattfinden, von den Justizbehörden besser bearbeitet würden und wenn auch einmal Gefängnisstrafen verhängt würden. Das findet nicht statt, weil die Justiz erklärt, sie sei überlastet. Man muß also immer objektiv sehen, was angeboten und was getan wird.
Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen noch eines: Das Problem wäre nicht vorhanden, wenn die Arbeitgeber diese Art von Beschäftigung nicht durchführten. Auch hier muß man einmal ansetzen. Ich erwarte eigentlich, daß die Beteiligten in den Unternehmen einmal besser hinschauen. Ich hätte mir auch mehr Hilfe direkter Art von der Baugewerkschaft und den Betriebsräten gewünscht. Sie hätten Hinweise darauf geben können, was in den Unternehmen geschieht.
- Die Bundesregierung kann diese Verantwortung, Frau Enkelmann, nicht allein übernehmen, weil andere beteiligt sind, auf die wir gar keinen Zugriff haben. Die Einstellung von Menschen, zu welchen Bedingungen auch immer, ist doch nicht Sache der Bundesregierung. Das liegt in der Eigenverantwortung der Unternehmer. Deshalb muß mit einem unverantwortlichen Aufwand kontrolliert werden. Er ist deshalb unverantwortlich, weil er so viel Geld kostet.
Wir haben mittlerweile die Zahl der Beschäftigten in diesem Bereich von 50 auf 2 450 erhöht. Wir haben allein in Berlin 150 Kontrolleure beschäftigt und 74 vom Zoll. Ich danke an dieser Stelle einmal allen, die mithelfen, der Berliner Polizei ebenso wie der im gesamten Bundesgebiet. Sie unterstützen uns immer nach Kräften. Ohne sie würden wir gar nicht auskommen.
Parl. Staatssekretär Horst Günther
Das sind also auch Kapazitätsfragen, meine Damen und Herren.
Wir brauchen für jede Baustelle viel Polizei. Sie steht nicht immer in dem Umfang zur Verfügung, wie es wünschenswert wäre.
Sie müssen dies einmal objektiv sehen und diese Dinge mit einbeziehen, bevor Sie hier pauschale Beschimpfungen gegen die Bundesregierung ablassen.
Wir tun alles, was möglich ist. Wir haben die Zahl der eingesetzten Kräfte verstärkt und haben die Qualität unserer Arbeit verbessert. Leider, leider - das muß ich sagen - haben wir auch große Erfolge auf dem Gebiet der Bekämpfung von illegaler Arbeit und Leiharbeit.
Wenn Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, die Schwarzarbeit ansprechen, dann kann ich Ihnen bescheinigen, daß sie viel zu wenig bekämpft wird. Wenn im Land Hessen nur sechs Personen für die Bekämpfung der Schwarzarbeit zur Verfügung stehen - das ist nämlich Ländersache; ich bitte Sie, das nicht zu übersehen -, dann kann ich nur sagen: Mit so wenigen Kräften kann man Schwarzarbeit nicht bekämpfen.
Deshalb sage ich noch einmal: Alle müssen mithelfen, diese Mißstände abzustellen. Wer sich davonstiehlt, macht sich mitschuldig.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Hans Büttner, SPD.
Es ist schon einigermaßen amüsant, daß sich diese Regierung für nichts verantwortlich und für nichts zuständig erklärt. Ich habe einmal gelernt, daß der Gesetzgeber die Gesetze macht und auf ihre Ausführung und Einhaltung die Exekutive zu achten habe. Das ist nun einmal diese Regierung. Deswegen ist sie für die Mißstände, die wir hier haben, verantwortlich.
Sie ist auch deswegen dafür verantwortlich, weil sie in der Anlage des gesamten europäischen Einigungsprozesses nur der Angebotstheorie gefolgt ist und gemeint hat, wenn man das Kapital stärke, werde das genügend Arbeitsplätze schaffen und ausreichen, den Wirtschaftskreislauf in Gang zu bringen. Genau das ist nicht eingetreten. Durch Sie sind die Menschen aus den Betrieben hinausgeworfen worden. Sie haben das Kapital gestärkt und subventionieren es dadurch noch weiter, daß Sie für die Millionen Arbeitslosen in Europa Arbeitslosengeld be-
zahlen müssen, bei uns allein für 400 000 Bauarbeiter.
Sie sorgen für die deutschen Unternehmer und subventionieren Großunternehmer, die das in erster Linie mißbrauchen, die in Portugal oder anderswo Tochterfirmen gründen und dann über diese Firmen bei uns ausländische Arbeitnehmer zu Dumpinglöhnen einsetzen. Das ist die Realität. Bezahlt wird das durch die mittelständischen Bauunternehmer und die Arbeitnehmer hier, die diese Politik durch ihre Beiträge für die Arbeitslosenversicherung, aus der die dann entlassenen Bauarbeiter in Deutschland Leistungen beziehen, subventionieren. Das ist das Ergebnis dieser Politik, die Sie in Deutschland und in Europa fortsetzen, obwohl sie falsch ist.
Aus folgendem läßt sich ableiten, wie ernst diese Regierung insgesamt - ich will durchaus nicht bestreiten, daß das Arbeitsministerium versucht, noch das meiste in den Griff zu bekommen - dieses Problem nimmt. Meine Kollegin Buntenbach hat ja schon auf meine Anfrage hingewiesen, die ich in bezug auf die Verhältnisse in Berlin an die Bundesregierung gerichtet habe. Der zuständige Minister dieser Bundesregierung, die für die Bundesbauten in Berlin verantwortlich ist, ist nicht in der Lage, mitzuteilen, wieviel Firmen dort im Auftrage des Bundes tätig sind, wieviel deutsche und wieviel ausländische Firmen es sind und wieviel Arbeitnehmer eingesetzt sind. Dabei weiß jeder Fachmann im Baubereich, daß ein Bauleiter, ein Projektleiter einen genauen Ablaufplan vorliegen hat, in dem steht, zu welchem Tag und zu welchem Termin welche Leistungen von welcher Firma durchgeführt werden. Aber diese Regierung und ihre Bauleitung sind dazu nicht in der Lage und können diese Daten, die eine effektivere Kontrolle durch die Arbeitsämter möglich machen würden, den betreffenden Behörden nicht zur Verfügung stellen.
Woran liegt das? Liegt das an Dummheit, an Trägheit oder an Absicht, weil man nämlich wirklich effektive Kontrollen gar nicht will,
weil man will, daß auf dem Umweg über Mindestlöhne und Lohndumping die Großunternehmen weiter subventioniert werden? Unfähigkeit, Unwille oder Absicht - etwas anderes kann man doch nicht unterstellen.
- Ich unterstelle das nicht den Ländern, sondern dem Bund, der auch im Hinblick auf seine eigenen Bauten nicht in der Lage und nicht bereit ist, diese einfachen Auskünfte zu geben. Das sind die Fakten.
Hans Büttner
Ein zweiter Punkt. Herr Günther hat gerade kritisiert, daß die Gewerkschaften nicht genügend mitmachten. Ich sage Ihnen: Gerade die Baugewerkschaft hat alle ihre Betriebsräte und alle Personalräte und Funktionäre aufgefordert, solche Meldungen abzugeben, die dann gesammelt werden. Nur, wenn Sie durch Ihre Gesetze dazu beitragen, daß in Subunternehmen und auch in Großunternehmen keine Betriebsräte mehr gebildet werden können, wenn Sie die gesetzlichen Rahmenbedingungen so verschlechtern, daß das erschwert wird,
dann frage ich mich, wie Sie eine solche Behauptung aufstellen können.
Letzter Punkt, Herr Staatssekretär. Auf meine Behauptung, daß die Regierung es nicht will, weisen Sie darauf hin, daß die Justiz träge ist. Das trifft zwar zu, aber die Regierung trägt ihren Teil dazu bei.
Sie erinnern sich: Ich habe im letzten Jahr erst durch einige Anfragen herausgefunden und von Ihnen bestätigt bekommen, daß ausländische Arbeitnehmer von außerhalb des EU-Raums - in diesem Fall nicht im Baubereich - illegal eingesetzt waren. Drei Monate hat die Bundesregierung immer wieder gesagt, diese Arbeitnehmer seien legal oder halblegal da. So wurde es zum Beispiel auch den Landesarbeitsämtern mitgeteilt. Dann wundert man sich, wenn die Justiz hinterher sagt: Eine strenge Verurteilung ist nicht möglich, weil die öffentliche Hand nicht klar Auskunft gegeben hat.
Auch dieses Verhalten spricht dafür, daß Sie eine scharfe Kontrolle und Einhaltung dieser Regelung nicht wollen. Deswegen gehören Sie als Regierung eigentlich in den Ruhestand versetzt; denn eine Regierung, die Gesetze nicht einhält und nicht umsetzen will, hat ihre Aufgabe verfehlt.
Das Wort hat der Kollege Dr. Ramsauer, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, wir sollten diese Aktuelle Stunde heute nachmittag in dem Bewußtsein führen, daß uns vielleicht viele der arbeitslosen Bauarbeiter in Deutschland zuhören.
- Ja, in der Tat. - Ich kann Ihnen sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD: Wenn diese arbeitslosen Bauarbeiter hören, daß Sie hier nur mit gegenseitigen Schuldzuweisungen und Anklagen arbeiten,
dann werden sie sich ganz enttäuscht abwenden.
In einer Auseinandersetzung wie heute nachmittag sollte vielmehr klar zum Ausdruck kommen, worum es uns geht. Uns geht es darum, daß arbeitslose deutsche Bauarbeiter wieder Arbeitsplätze auf deutschen Baustellen finden. Darüber müssen wir nicht nur heute, sondern auch morgen nachmittag reden, wenn es um eine vernünftige Ausgestaltung der Schlechtwettergeldregelung geht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, Sie unternehmen schlicht und einfach den Versuch, die Koalition und die Bundesregierung in bezug auf illegale Beschäftigung, in bezug auf Lohndumping und in bezug auf das Entsendegesetz in ein schlechtes Licht zu rücken.
- Sie versuchen das. Was soll das? - Das möchte ich zurückweisen.
Lieber Kollege Hans Büttner, ich habe mir drei Punkte aus deiner Rede aufgeschrieben. Zu den Vorwürfen, wir fühlten uns für die Probleme nicht zuständig, wir würden resignieren, wir wollten überhaupt keine Kontrollen, kann man nur in aller Deutlichkeit sagen: Das sind völlig unbegründete Vorwürfe. Ich weise sie zurück.
Ich möchte auch an den Vorschlag der SPD erinnern, gesetzliche Mindestlöhne einzuführen. Mit gesetzlichen Mindestlöhnen hätten wir kein einziges der derzeit bestehenden Probleme besser gelöst. Wir hätten bei diesen streckenweise vorhandenen mafiaartigen Strukturen, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen, die gleichen, wenn nicht erheblich schlimmere Probleme.
Eines muß man auch sagen: Lieber Kollege Thierse, mit der Teilnahme an Demonstrationen löst man überhaupt kein Problem.
Es ist überhaupt komisch, wenn man als Mitglied des Deutschen Bundestages, als Teil des Gesetzgebers, an Demonstrationen quasi gegen sich selbst teilnimmt.
Was soll das überhaupt? Es wäre viel sinnvoller, sich mit uns hinzusetzen und über vernünftige Vorschläge nachzudenken.
Wir verurteilen die Mißstände, die es im Baubereich gibt. Herr Staatssekretär Günther und einige andere Kolleginnen und Kollegen haben dargelegt, was die Kontrollen der Bundesanstalt für Arbeit am Anfang dieses Monats erbracht haben. Natürlich müssen die Strafrahmen voll ausgeschöpft werden. Bis zu 100 000 DM müssen verhängt werden, auch wenn behauptet wird, es nütze nicht viel.
Was ist zu tun? Ich möchte noch einmal unterstreichen: Wir erwarten auch die Mithilfe von denen, die vor Ort auf den Baustellen tätig sind, von Gewerk-
Dr. Peter Ramsauer
schaftsfunktionären, die wir dazu einladen, zu sagen und zu melden, wenn sie Mißstände beobachten.
Das hat nichts mit Denunziantentum zu tun, sondern damit, einen Sumpf auszutrocknen, den es in dieser Branche leider Gottes gibt und den man nicht verniedlichen darf. Ich lade Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, dazu ein.
Ich habe zusammen mit dem Kollegen Hinsken zur Jahreswende den Vorschlag unterbreitet, Schritte gegen den ungeheuer starken Zustrom von Arbeitskräften aus Nicht-EU-Ländern einzuleiten, die auch auf deutsche Baustellen gehen. Ich bitte Sie herzlich darum, diesen Weg nicht von vornherein aus ideologischen Gründen zu verwerfen, sondern ihn ernsthaft mit uns zu diskutieren. Denn wir können es uns nicht leisten, daß in jedem Jahr 200 000 oder 250 000 Menschen zusätzlich auf unseren Arbeitsmarkt strömen, während wir uns gleichzeitig über das Ansteigen der Arbeitslosenzahl beklagen.
Ich bin auch bereit, über folgendes nachzudenken: Sollten sich die Werkvertragskontingente dauerhaft als ein trojanisches Pferd für illegale Beschäftigung erweisen,
dann müssen wir auch an diese Regelung noch einmal ran. Ich gebe zu, daß es um gewisse außenpolitische Rücksichtnahmen geht. Aber wir Sozial- und Arbeitsmarktpolitiker können nicht immer die Probleme abräumen, die mit Rücksicht auf andere fachpolitische Gegebenheiten entstehen. Ich sage deshalb ganz klar: Über die Frage von Werkvertragskontingenten lasse ich sehr gerne mit mir reden.
Noch ein gutes Beispiel aus Bayern, das auch andere Länder nachvollzogen haben: Wir haben im Rahmen des Bündnisses für Arbeit in Zusammenarbeit mit dem DGB in Bayern bei einer Vielzahl von Fällen, in denen die öffentliche Hand - nicht nur der Freistaat Bayern - als Bauherr auftritt, eine Tariftreueerklärung und eine Nachunternehmererklärung bei öffentlichen Aufträgen eingeführt. Das ist ein ganz konkretes Beispiel dafür, daß man etwas tun kann. Ich lade alle öffentlichen Auftraggeber dazu ein, gleiches zu tun.
Meine Damen und Herren, kehren wir zurück zu einer sinnvollen und sachlichen Diskussion! Wir stehen in der Verantwortung vieler deutscher arbeitsloser Bauarbeiter.
Indem wir uns nur gegenseitig die Schuld zuweisen, lösen wir die Probleme nicht. Ich bitte Sie von der Opposition, die ideologischen Scheuklappen abzulegen und mit uns, mit der Koalition, Wege zu gehen,
die vielleicht nicht von vornherein in Ihr ideologisches Raster passen.
Das Wort hat der Bundesminister Dr. Klaus Töpfer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich nehme gerne das auf, was vorhin zur Beachtung in dieser Diskussion gesagt wurde. Wir sollten zunächst einmal feststellen, daß das, was hier zu diskutieren ist, weit über den Bereich der Baupolitik hinausreicht und zu einem gesellschaftspolitischen Thema geworden ist.
Wir alle tun gut daran, dies in Ernsthaftigkeit zu erörtern, damit nicht falsche Signale dort ankommen, wo wir sie alle, die wir in diesem Hause sitzen, nicht haben wollen.
Ich sage dies mit vollem Ernst, weil ich weiß, daß viele von Ihnen das exakt genauso sehen.
Um zu vermeiden, daß wir die Probleme nicht bewältigen und wir die Ausländerfeindlichkeit bewirken, der wir gerade entgegenwirken wollen, müssen wir uns fragen, auf welchen Ebenen wir zu sinnvollen Lösungen kommen können. Eine Möglichkeit wäre die gesetzliche Ebene. Frau Babel hat zu Recht gefragt: Wo sollen wir zusätzlich gesetzlich tätig werden? Ich kann das nur unterstreichen: Für die Schwarzarbeit ist das - bis hin zu den Sanktionen - geregelt. Es ist also eine Frage der Kontrolle.
In bezug auf die Regelungen des Entsendegesetzes kommt jetzt die Zeit, in der wir die Wirksamkeit erproben können. Die letzten zwei Monate konnte sie nicht erprobt werden, weil die Leute bei dem schlechten Wetter nicht auf der Baustelle waren. Also können wir doch festhalten: Durch Änderungen auf Gesetzesebene ist das im Moment nicht in den Griff zu bekommen.
Zu der zweiten Möglichkeit, den Kontrollen, hat der Kollege Günther genau das gesagt, was zu sagen war. Es wird intensiv kontrolliert.
Herr Kollege Thierse, weil Sie darauf Bezug genommen haben, zitiere ich ein kleines Stück:
Der Strukturwandel am Bau ist in vollem Gange. Seine Bewältigung erfordert verstärkt Innovationen sowie Forschungs- und Entwicklungsaktivität. Träger des Strukturwandels und der Innovation sind die am Bau Beteiligten.
Bundesminister Dr. Klaus Töpfer
Dann heißt es weiter:
Diesem dient in erster Linie die Novellierung der Handwerksordnung, die vermehrte Leistungen aus einer Hand ermöglicht.
Dies ist nicht aus einer meiner Presseerklärungen, sondern aus einer Erklärung, die wir im letzten Baubranchengespräch gemeinsam mit der IG BAU verabschiedet haben. Die IG BAU selbst hat festgestellt: Wir können dem mittel- und langfristig nur begegnen, wenn wir unsere Mitarbeiter so qualifizieren, daß sie nicht in Konkurrenz zu Niedriglohnarbeitskräften stehen.
Deswegen ist das kein Ausweichen vor dem Problem.
Wir müssen uns darüber im klaren sein: Das Entsendegesetz kann uns über eine bestimmte Strecke hinweghelfen. Diese müssen wir aber nachdrücklich nutzen, um zu qualifizieren und Innovationen durchzubringen, damit die Baustelle zu einer High-techEinrichtung wird. Dort kann dann nicht jeder Handlanger, woher er auch kommen mag, arbeiten.
Dann, Herr Kollege Müller, brauchen wir nicht einen Stundenlohn in Höhe von 8 oder 10 DM; denn dann ist die Produktivität dieses Arbeitnehmers so, daß er höhere Löhne verdient. Das ist der Zusammenhang. Das ist keine Ablenkung von Problemen, sondern ein notwendiger Hinweis.
Ich nehme das zweite auf. Es wird immer gesagt, Generalunternehmer seien schlimm. Der Präsident der Handwerkskammer Koblenz wird das verstehen. Ich habe vor wenigen Tagen in einer Stadt bei Mannheim vor einer großen Mittelstandsvereinigung geredet. In der dazugehörenden Ausstellung habe ich einen Stand der HGS gesehen. Ich habe gefragt: Wer ist denn das?
Wissen Sie, wer das ist? Das ist die Handwerkergemeinschaft Schriesheim. Das sind zehn selbständig bleibende Handwerker, die gesagt haben: Wir schließen uns zusammen und bieten unser Bündel von Leistungen aus einer Hand an. Das ist der Generalunternehmer im handwerklichen Bereich.
- Ich habe doch nur ein Beispiel genannt.
Wenn ich also frage: Wie können wir es erreichen, daß bei Ausschreibungen auch Arbeitsgemeinschaften von kleinen und mittleren Unternehmen berücksichtigt werden? Dann zielt das genau darauf, was wir gegenwärtig auf den Baustellen erleben. Ich bin sehr der Überzeugung, daß wir das erreichen müssen.
Ich will das an einem zweiten Beispiel aufgreifen.
- Sehen Sie, es ist immer gut, eine Aktuelle Stunde durchzuführen; dann kann man die Aha-Erlebnisse auch ausleben.
Ich will ein Weiteres sagen: Es ist vorhin zu Recht darauf hingewiesen worden, daß die Bundesregierung in dieser Woche beschlossen hat, eine den Haushalt nicht belastende zusätzliche Investition in Höhe von 25 Milliarden DM auf den Weg zu bringen. Sie müssen sehen: Welche Teilbereiche sind das? Das ist zum Beispiel das KfW-Programm zur CO2-Minderung. Am 31. Dezember letzten Jahres waren daraus schon 1,52 Milliarden DM belegt, und zwar durch Darlehenszusagen - man höre und staune! - für insgesamt 34 400 einzelne Fälle mit insgesamt 111 500 Wohnungen.
Warum sage ich das? Das ist ein klassisches Programm, mit dem der kleine und mittlere Unternehmer, der Handwerksbetrieb vor Ort die Aufträge erhält und nicht der Sub- oder Großunternehmer auf anderer Ebene.
Wir wollen das Programm so schneiden, daß es in kleinen Losen in Anspruch genommen werden kann. Das hilft dem Mittelstand unmittelbar. Denn dort, wo kleine und mittlere Unternehmen tätig sind, stellt sich die Frage von ausländischen Subunternehmen kaum. Dort sind fast durchweg deutsche Arbeitskräfte vorhanden.
Herr Thierse, das Riesenproblem besteht darin, daß wir nicht nur Schwierigkeiten mit den Arbeitnehmern haben, sondern auch mit kleinen und mittleren Unternehmen, die auch künftig ihre Chance im Wettbewerb erhalten müssen. Deswegen sage ich, beides muß zusammen gesehen werden: Die Kontrolle vor Ort - sie ist selbstverständlich; das wurde von Herrn Günther vom Arbeitsministerium bereits gesagt -, aber auch die Auftragsvergabe, die gerade kleine und mittlere Unternehmen in die Lage versetzt zu arbeiten; beides sind flankierende Maßnahmen.
Ich sage mit allem Nachdruck: Das, was vor uns steht, ist zu einer parteipolitischen Auseinandersetzung mit ganz großen Überschriften nicht geeignet.
Wenn wir hier etwas erreichen wollen, dürfen wir keine falschen Signale geben. Wir müssen uns zusammensetzen und insbesondere fragen: Wo können wir besser kontrollieren? Setzen wir uns mit der Gewerkschaft und den Arbeitgebern zusammen! Das haben wir bereits im Branchendialog und an vielen anderen Stellen getan. Ich glaube, damit wird mehr geholfen als mit plakativen Überschriften, die zu mehr Ärger als Lösungen führen.
Ich danke Ihnen sehr herzlich.
Das Wort hat der Kollege Dieter Maaß, SPD.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Schwerpunkt dieser Aktuellen Stunde, Herr Minister Töpfer, sind die katastrophalen Auswirkungen der falschen und unsozialen Politik der amtierenden Bundesregierung auf den Baustellen in Deutschland.
Mit Ihrem zwanghaften Drang, soziale Schutzgesetze aufzuheben, und einer hemmungslosen Deregulierung treiben Sie, meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, Hunderttausende von Männern und Frauen am Bau in die Arbeitslosigkeit. Die eindrucksvolle Demonstration der Bauarbeiter in der vergangenen Woche in Berlin hat dies einer breiten Öffentlichkeit deutlich gemacht. Den Organisatoren dieser weitgehend friedlichen Proteste spreche ich als Gewerkschafter meine besondere Anerkennung aus.
Diese Proteste richteten sich nämlich zielgenau an die verantwortliche Bundesregierung und die sie tragenden Parteien CDU, CSU und F.D.P. und nicht gegen die ausgebeuteten ausländischen Arbeitnehmer auf unseren Baustellen.
Wir Sozialdemokraten haben Ihnen während der Beratung über die Abschaffung des Schlechtwettergeldes und über das Entsendegesetz genau diese Entwicklung vorausgesagt.
Es bereitet wahrlich keine Genugtuung, recht behalten zu haben. Wir fordern Sie auf: Ändern Sie Ihre Politik, die bisher nur zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit geführt hat und darüber hinaus auch zu Konkursen und Pleiten von Baubetrieben!
Die „Süddeutsche Zeitung" schreibt mit Datum vom 11. März dieses Jahres: „Baugewerbe rechnet im laufenden Jahr 1997 mit Verlust von 80 000 Arbeitsplätzen. Rund 7 000 mittelständische Bauunternehmen werden nach Angaben des Zentralverbandes des Deutschen Baugewerbes 1997 in Konkurs gehen. " Machen Sie eine Politik, die Arbeitsplätze schafft! Der Baubereich bietet sich dazu als erstes an.
Ich möchte in diesem Zusammenhang an die Branchengespräche der Bauwirtschaft mit den Ministern Töpfer, Rexrodt und Wissmann Ende Februar dieses Jahres erinnern. Vertreter der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt und der Bauindustrie fordern gemeinsam mehr Anschubfinanzierung für notwendige Infrastrukturmaßnahmen. Denn öffentlich initiierte Bauinvestitionen haben eine herausragende Nachfragefunktion.
Dazu gehören zum Beispiel die Städtebaufördermittel. Ich verweise dabei auf einen Antrag, den wir Sozialdemokraten bereits im Sommer 1996 gestellt haben, diese Städtebaufördermittel auf 1 Milliarde DM anzuheben. 1 Milliarde DM würde zirka 7 bis 8 Milliarden DM weitere Investitionen bewirken. Dies sichert Arbeitsplätze für rund 100 000 Beschäftigte im Baugewerbe, wie eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung feststellt. Der Rückzug des Bundes aus dem sozialen Wohnungsbau gibt auch für die Beschäftigung in der Bauindustrie das falsche Signal.
In dem soeben erwähnten Branchengespräch sind weitere Vorschläge für mehr Beschäftigung am Bau gemacht worden: Ein 30 000-Dächer-Programm für Solarenergie wird angeregt, ferner der Ausbau leistungsfähiger Schienennetze, die Verbesserung der kommunalen Infrastruktur, wie zum Beispiel die Reparatur der überalteten Kanalnetze. Um solche Projekte umzusetzen, sind Planungen und Finanzierungen erforderlich. Hierzu bedarf es mutiger finanz-
und wirtschaftspolitischer Entscheidungen.
Das gestern von der Bundesregierung verabschiedete Konjunkturprogramm ist nur ein kleiner Schritt in die richtige Richtung, obwohl Sie jetzt viel Getöse darum machen werden. Ich darf Sie jedoch daran erinnern, daß Sie jahrelang Konjunkturprogramme gescheut haben wie der Teufel das Weihwasser.
Die Quittung für diese verfehlte Politik sind 4,6 Millionen offizielle bzw. 6 Millionen inoffizielle Arbeitslose.
Ihr jetziges Miniprogramm wird wenig bewirken. Es kommt zu spät; denn viele Kommunen haben inzwischen keinen finanziellen Spielraum mehr für die notwendigen Investitionen. Zinserleichterungen allein helfen da wenig. Ihr Sparprogramm sowie Lohn- und Sozialdumping in Deutschland werden den erwünschten Erfolg Ihres Konjunkturprogramms zunichte machen.
Wir fordern Sie auf: Stellen Sie den Kampf gegen die Arbeitslosigkeit endlich ins Zentrum Ihrer Politik! Damit lösen Sie im wesentlichen die Probleme, die Thema dieser Aktuellen Stunde sind.
Das Wort hat der Kollege Manfred Grund, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir beschäftigen uns in dieser Aktuellen Stunde mit Mißständen am Bau. Es gibt wohl niemanden in diesem Hause, der diese beklagenswerte Situation nicht vor Augen hätte. Dazu gehören, wie im Antrag formuliert, Lohn-
Manfred Grund
dumping, Scheinselbständigkeit und illegale Beschäftigung ebenso wie untertarifliche Bezahlung oder eine schlechte Zahlungsmoral - und hier auch zunehmend eine schlechte Zahlungsmoral der öffentlichen Hand.
Zur beklagenswerten Situation im Baubereich gehört auch, daß bei Bauaufträgen, die europaweit auszuschreiben sind, einheimische Baufirmen kaum eine Wettbewerbschance haben. Zu den Mißständen zählt ebenso die zunehmende Schwarzarbeit. So wird auch Klage darüber geführt, daß Bauarbeiter, die aus dem aktiven Erwerbsleben ausgeschieden sind, zum Beispiel Vorruheständler, Baubrigaden bilden und jeden Morgen zu einer anderen Baustelle abgeholt werden und somit legale Arbeitsplätze vernichten.
Es gibt zahlreiche Mißstände und ebenso viele Regelungen und Handlungen des Gesetzgebers; wir hörten heute davon. Trotz Entsendegesetz beklagen wir Lohndumping und einen entsprechenden Mißbrauch, der stattfindet. Dabei haben wir gerade mit dem Entsendegesetz versucht, um unsere deutschen Baustellen einen künstlichen Schutzzaun zu ziehen, um die Bauwirtschaft vor einer Billigkonkurrenz zu schützen, die, soweit es sich um Baubetriebe und Bauarbeiter aus dem EU-Bereich handelt, völlig legal ihre Arbeitskraft und ihre Arbeitsleistung zu ihren Konditionen hier anbieten.
Es ist eine Illusion, zu glauben, wir könnten die niedergerissenen nationalen Grenzen auf Dauer durch Schutzzäune um unsere Baustellen herum ersetzen. Die deutsche Bauwirtschaft wird sich dem Wettbewerb stellen müssen. Er findet heute mit Niedriglöhnen statt und morgen wahrscheinlich in Form von billig angebotenen Fertighäusern, die hier nur noch in wenigen Stunden montiert werden müssen.
Mit einem zeitlich befristeten Entsendegesetz und mit der Definition eines Mindestlohns versuchen der Gesetzgeber und auch die Tarifvertragsparteien, den Wettbewerbsdruck zu mildern und der Bauwirtschaft Zeit zur Anpassung zu geben. Diese Anpassung ist notwendig. Wenn der Stundenverrechnungssatz eines deutschen Bauarbeiters das Dreifache des entsprechenden Satzes eines portugiesischen Bauarbeiters beträgt, dann muß das deutsche Bauunternehmen die dreifache Produktivität erbringen, um im Wettbewerb zu bestehen. Vor diesem legalen Wettbewerb - von einem solchen reden wir im Moment - kann auf Dauer kein Entsendegesetz schützen, zumal - auch davon haben wir gehört - die Kontrolle große Probleme aufwirft.
Zwei Wochen nach Inkrafttreten des Entsendegesetzes ergab die erste bundesweit durchgeführte Kontrollaktion der Bundesanstalt für Arbeit und der Hauptzollämter, daß die Mindestlöhne nicht eingehalten werden. Auch die zweite Kontrolle zeigte ähnliche Mißstände. Bei der ersten Kontrolle wurden 4 500 Arbeitgeber überprüft und 14 000 Arbeitnehmer befragt.
Wer die Situation auf Großbaustellen kennt - die meisten werden sie kennen -, weiß, wieviel Kontrollkräfte für solche Aktionen notwendig sind. Doch selbst drastische Bußgelder - auch davon hörten wir - von bis zu 100 000 DM schrecken nicht vom Unterlaufen des Entsendegesetzes ab.
Es bleibt die Notwendigkeit der verschärften Kontrolle. Andere - so oftmals auch Angehörige der Industriegewerkschaft BAU - haben dabei schon mitgeholfen. Daneben gilt es konsequent gegen Schwarzarbeit vorzugehen. Schwarzarbeit ist kein Kavaliersdelikt. Mit Schwarzarbeit wird nicht nur der Fiskus umgangen, sondern dadurch werden auch die Sozialversicherungskassen und damit die Beitragszahler betrogen.
Die Bauwirtschaft - dies gehört mit zum Problem - kämpft mit Überkapazitäten in einer Zeit nachlassender Baukonjunktur. In den neuen Bundesländern werden 1997 voraussichtlich rund 115 Milliarden DM am Bau investiert, nach 117 Milliarden DM im Jahre 1996. Die öffentliche Hand - mittels Infrastrukturmaßnahmen - und auch private Investoren haben an diesen Investitionen ihren Anteil. Mit der Verbesserung der Bausparförderung und mit der Umstellung der Eigenheimförderung von § 10e auf die Wohnungsbauzulage, mit der Förderung des sozialen Wohnungsbaus - 1996 haben der Bund und die Länder 16 Milliarden DM für den sozialen Wohnungsbau aufgebracht - und mit der bereits abgeschlossenen Verwaltungsvereinfachung für die Städtebauförderung, die in diesem Jahr so früh wie noch nie auf den Weg gebracht worden ist, hat die Bundesregierung den notwendigen Rahmen für Bauinvestitionen geschaffen. Dazu gehört auch das mehrfach angesprochene 25-Milliarden-DM-Investitionsprogramm über die Kreditanstalt für Wiederaufbau. Wir rechnen damit, daß dadurch 125 000 Arbeitsplätze im Baubereich und in der Infrastruktur gesichert werden können.
Bei den Infrastrukturmaßnahmen ist es erklärtes Ziel, daß bereits beim Bau unsere einheimischen Mittelständler und unsere einheimische Bauwirtschaft partizipieren können.
Wir halten daran fest, Investitionen anzuschieben, Bauvorhaben zu ermöglichen und zu erleichtern sowie den Mißbrauch effizienter zu bekämpfen.
Das Wort hat der Kollege Winfried Mante, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Europa ist in aller Munde. Alles redet von Vertiefung und Erweiterung der Europäischen Union und vom Ausbau der Zusammenarbeit an den Grenzen.
Wenn ich aber in diesen Tagen in meinem Wahlkreis Frankfurt/Oder-Eisenhüttenstadt, also unmittelbar an der Grenze zu Polen, vor Beschäftigten der Bauindustrie über die Notwendigkeit und Chancen grenzüberschreitender Zusammenarbeit reden müßte, wäre die Reaktion der Kumpel sicherlich nicht sehr freundlich. Angesichts von 45 000 arbeits-
Winfried Mante
losen Bauarbeitern allein in Berlin und Brandenburg wäre das aus meiner Sicht auch zu verstehen.
Das nationale Entsendegesetz, an das wir noch 1996 so viele Hoffnungen geknüpft hatten, wird seinem Zweck nicht gerecht. Mehr noch: Es wird mit allen nur denkbaren Tricks unterlaufen.
In Berlin und Brandenburg - wir haben es heute gehört - scheint es besonders kriminell zuzugehen. Die Beispiele reichen vom Arbeiterstrich aus fahrenden Bussen bis hin zu Baustellenunterkünften auf dem Niveau von Elendsquartieren. Daß selbst Bundestagsbaustellen vom Lohndumping betroffen sein sollen, setzt dem Faß die Krone auf.
Es ist nicht zu bestreiten: Die Zustände auf den Baustellen in Deutschland schreien zum Himmel. Der Beispiele wurden heute bereits genügend genannt. Eines will ich aber doch noch hinzufügen: Es macht keinen Sinn, alles auf die Schwarzarbeiter aus den nichteuropäischen Ländern abzuschieben. Sie werden - ob EU oder nicht EU - gleichermaßen ausgebeutet.
Es ist festzuhalten: Das größte Lohndumping - so das Landesarbeitsamt Brandenburg - kommt nicht aus Polen und nicht aus Tschechien, sondern aus Italien, Portugal und Großbritannien. Die weit unter Tarif bezahlten Bauarbeiter aus Portugal, Italien oder England sind aber immer noch besser dran als die völlig rechtlosen, weil oft illegalen Polen, Rumänen oder Russen.
Was unsere deutschen Bauarbeiter auf den europäischen Großbaustellen in Deutschland wirklich in Rage bringt, sind nicht die ausländischen Kollegen, sondern ist die kollektive Ignoranz der Gesetzeslage durch die Unternehmen,
die nicht das geringste Unrechtsbewußtsein an den Tag legen. Auch die offensichtliche Tatenlosigkeit der Träger politischer Verantwortung wird zum eklatanten Ärgernis.
Wir haben allerdings nicht nur Vollzugsdefizite in Deutschland, wir haben auch Defizite in Brüssel, speziell mit Blick auf die Entsenderichtlinie der Europäischen Union und die Arbeitsmarktpolitik. Wir brauchen endlich eine aktive europäische Sozial- und Beschäftigungspolitik, die als verbindliche Regelung in den EU-Vertrag aufgenommen werden muß. Aber die Bundesregierung ist nicht einmal bereit, dieses Thema bei der Regierungskonferenz zur Sprache zu bringen, und das angesichts von 20 Millionen Arbeitslosen in der Europäischen Union.
Arbeitslosigkeit und ihre Folgen sind längst kein nur nationales Problem mehr. Beschäftigen Sie sich endlich, meine Damen und Herren von der Koalition,
mit der zentralen Frage der Europapolitik: dem Abbau der Massenarbeitslosigkeit!
Die europäische Integration braucht Menschen, die sich im besten Sinne europäisch verständigen und zusammenwachsen. Für nationale Egoismen und Fremdenfeindlichkeit, für frühkapitalistische Ausbeutungsformen ist kein Platz mehr in einem Europa, das nach Vertiefung, ja Erweiterung drängt.
Die Länder Mittel- und Osteuropas schauen voller Hoffnung, aber auch voller Vertrauen Richtung Westen und Europäische Union. Dieses Vertrauen dürfen wir nicht enttäuschen.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Hannelore Rönsch, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als die SPD die Aktuelle Stunde über die Situation am Baumarkt und die Lebenssituation der Bauarbeiter eingereicht hat, habe ich gedacht: Na ja, jetzt kommen endlich Konzepte, wie man der Arbeitslosigkeit in Deutschland Herr werden kann.
Sie haben jetzt über eine Stunde Zeit gehabt, einmal einen Lösungsansatz vorzutragen. Bisher ist eigentlich nur das Übliche gekommen, mit einer Ausnahme: Es hat mich innerlich empört und ausgesprochen gewundert, daß bei fast jedem Redner eine EU- Feindlichkeit zu spüren war
und daß Haß gegen EU-Arbeitnehmer geschürt wird, die in der Bundesrepublik Deutschland arbeiten.
Ich möchte Sie bitten, Ihre Beiträge noch einmal nachzulesen und das eine oder andere gedanklich oder öffentlich zurückzunehmen.
Herr Thierse, Sie sind Berliner; Sie haben von den Baustellen des Bundes in Berlin gesprochen. Ich wünschte mir, Sie würden sich einmal dort informieren.
Hannelore Rönsch
Es kann nicht sein, daß man fahrlässig von illegalen Arbeitnehmern auf den Baustellen des Bundes spricht. Sie wissen genau, daß es - vielleicht mit der einen oder anderen Ausnahme - legale Arbeitnehmer aus EU-Ländern sind, die bei den Töchtern deutscher Großunternehmen, die im Ausland sitzen, arbeiten.
Wollen Sie zwischen Deutschen und EU-Ausländern trennen?
Lieber Herr Kollege Büttner, Sie waren es doch, der sagte, die Bundesregierung subventioniere Bauunternehmen aus dem EU-Ausland. Was soll denn dieser Unterschied? Wollen wir Europa, die Wirtschaftsunion rückgängig machen?
Selbstverständlich wollen wir weiterhin Unternehmen zu Submissionen in Deutschland zulassen, auch wenn sie ihren Sitz zum Beispiel in Portugal haben.
Herr Kollege Maaß, Sie haben Investitionen beim Bau begrüßt. Da fragt man sich doch: Haben Sie das mit Ihrem Fraktionsvorsitzenden abgesprochen? Am 13. März sagte Herr Scharping in der ZDF-Fernsehsendung „Was nun?" wörtlich, er wolle die Vergünstigungen im Wohnungsbau „auf den Prüfstand stellen" . Heißt das, er will dort keine Mark mehr investieren?
Hat er mit den Wohnungsbauern in seiner Fraktion gesprochen?
Ich wünsche mir, daß Sie einmal mit einer Zunge sprechen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, wir müssen uns darauf einrichten, daß die Baukonjunktur, die durch die Wiedervereinigung - Gott sei Dank - hochgepuscht wurde, sich jetzt verstetigt.
Wir werden nicht mehr die jährlichen Zuwächse wie seit dem Jahr 1990 haben. Das kann es gar nicht geben.
Herr Kollege Kansy, nicht quer durch die Bänke rufen! Zwischenrufe ja, aber sonst nicht!
Bitte.
Aktion erzeugt Reaktion, Herr Kollege Kansy.
Also: Ich denke, daß die Baukonjunktur sich ein Stück verstetigt und wir nicht mehr die Zuwächse wie seit dem Jahr 1990 haben. Ab diesem Zeitpunkt konnten wir in den neuen Bundesländern mit Unternehmen und mit den Bauarbeitern - -
- Selbstverständlich auch aus dem Westen. Mit Bauunternehmern aus dem Westen konnten wir in den neuen Bundesländern bauen. Was ich den Bauunternehmern zum Vorwurf mache, ist, daß sie aus dieser guten Zeit keine entsprechenden Rücklagen gebildet haben.
Folgendes sage ich ganz besonders an die Kollegen aus den Gewerkschaften. Herr Büttner, an dieser Stelle wünsche ich mir, daß Sie im Bundestag wirklich zuhören könnten. Das tun Sie selten, aber probieren Sie es doch einmal, weil Sie Gewerkschaftskollege sind. Man muß zur Kenntnis nehmen, daß heute auf dem Bau durchschnittlich nicht einmal 50 Prozent aller Tage des Jahres gearbeitet wird - inklusive 25 Krankheitstagen, 30 Urlaubstagen, Bildungsurlaub und Schlechtwettertagen. Natürlich muß man darüber nachdenken, ob man das den Bauarbeitern in einer Situation, wie wir sie heute am Baumarkt haben, weiter in dieser Größenordnung gestatten kann und sollte.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Bundesregierung hat jetzt ein Konjunktur- und Investitionsprogramm mit einem Umfang von 25 Milliarden DM aufgelegt. Sie sind sehr herzlich eingeladen, doch einmal mit uns zu überlegen, wie man dem Lebensschicksal dieser Bauarbeiter gerecht wird. Mit Sicherheit wird man es nicht durch das, was die Opposition heute mittag hier geboten hat.
Arbeiten Sie bei der Steuerreform, der Rentenreform und der Gesundheitsreform mit! Helfen Sie mit, daß die Lohn- und Lohnnebenkosten niedriger werden! Dann tun Sie auch etwas für die Bauarbeiter.
Das Wort hat die Kollegin Renate Rennebach, SPD.
- Augenblick einmal. Ich muß etwas klarstellen - dabei ermahne ich den Kollegen Dr. Kansy nur sehr ungern -: Es verhält sich so, Zwischenrufe sind üblich, aber nicht diese Rufe von Bank zu Bank, weil das einfach zu sehr stört. Er war nicht der einzige Beteiligte, aber er ist der Prominenteste.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es liegt jetzt eine Aktuelle Stunde fast hinter uns, in der uns Redner der Regierungskoalition mitgeteilt haben, daß sie a) nichts wissen und b) von uns erwarten, daß wir handeln. Wo haben Sie die letzten 14 Jahre regiert?
Frau Rönsch, Sie fragen uns, wann denn unsere Konzepte kommen. Seit fünf Jahren reden wir davon, daß wir Modelle brauchen, daß ein Entsendegesetz auf den Tisch kommen muß und
daß Arbeitnehmer in unserem Land nicht nur wettbewerbsfähig miteinander sein müssen, sondern Chancengleichheit haben müssen. Das ist nämlich das Problem. Es betrifft Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die in Deutschland gemeldet sind; dabei benutze ich nicht das Wort von Herrn Ramsauer, der von deutschen Arbeitnehmern auf deutschen Baustellen geredet hat. Wenn Sie angesichts solcher Aussagen gleichzeitig unsere Offenheit für Europa einfordern, dann bekomme ich Angst und keine europäischen Gefühle und behaupte, daß Sie diese europäischen Gefühle erst recht nicht haben. Da Sie uns aber immer genau das vorwerfen, was Sie selber nicht tun wollen, paßt das genau in das Konzept.
Herr Schemken fing an, blauäugig davon zu reden, man müsse alles wieder richten. Herr Töpfer verbreitet Hoffnung, indem er den Bauarbeitern in Berlin signalisiert, Sie würden das Schlechtwettergeld wieder einführen und müßten darüber reden. Aber es kommt nichts als heiße Luft und enttäuschte Hoffnung für die Kolleginnen und Kollegen.
- Frau Rönsch, ich werde mit keinem Konzept kommen, da wir die Konzepte in den vergangenen fünf Jahren längst auf den Tisch gelegt haben.
Wo waren Sie denn in der Zeit? Wenn Sozialdemokraten und Mitglieder der Opposition Ihnen Konzepte auf den Tisch gelegt haben, haben Sie nein gesagt, weil SPD, Grüne oder sonst etwas darüber stand. Das ist doch Ihre Strategie.
Wir fordern Tariftreue und ein Entsendegesetz ein, das seinen Namen verdient, indem es Chancengleichheit zwischen Arbeitnehmern herstellt und nicht dafür sorgt, daß ordentlich gemeldete Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die hier Steuern und Sozialabgaben zahlen, ausgeschlossen werden und überhaupt keine Chance mehr haben. Das wollen wir ändern. Sie wollen Menschen bei 8 DM gleichschalten. Sie sagen: 30 Tage Urlaub sind zuviel. Sie fragen überhaupt nicht danach, welche Bedürfnisse Menschen haben.
Ein anderer Kollege von Ihnen fordert mehr Produktivität auf dem Bau, um die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Sie wissen überhaupt nicht, wovon Sie reden. Sie wissen gar nicht, daß Menschen dazu veranlaßt werden, doppelte Schichten für einen Lohn zu leisten, der nicht einmal mehr zum Lebensunterhalt ausreicht, und gezwungen werden, Überstunden zu niederen Löhnen unterhalb des Tarifes zu machen, und daß sie auf Kurzarbeit gesetzt werden, wenn sie sich weigern.
Wir leben in einer Republik, wo Lug und Trug an der Tagesordnung sind. Einige Leute aus dieser Regierung schaffen genau die Voraussetzungen dafür. Sorgen Sie dafür, daß wir wieder ein faires Miteinander und Tarifvertragstreue haben, daß wir Mitbestimmung von Betriebsräten wirklich durchsetzen und nicht einklagen, wenn es gerade einmal paßt!
Eines kann ich Ihnen sagen: Ich war auf der Bauarbeiterdemonstration in Berlin. Ich war am Montag da; Kollege Thierse, Kollege Scheffler und andere wie Herr Lafontaine waren am Freitag da; am Donnerstag war Herr Müntefering da.
Die Aussage der Kolleginnen und Kollegen, die dort demonstriert haben, war: Leute, ihr sitzt auf einem Pulverfaß; ein Pulverfaß, das in der Warteschleife ist. Ich warne Sie, Kolleginnen und Kollegen von der Regierungskoalition; ich warne Neugierige: Zündeln Sie nicht mehr an dem Pulverfaß, sonst explodiert es früher, als wir wollen.
Renate Rennebach
Die Kollegen wollen keine Ausländerfeindlichkeit; die Kollegen wollen mit ihren türkischen und anderen Kollegen zusammenarbeiten. Aber sie wollen gleichen Lohn für gleiche Arbeit.
Sie wollen nicht, daß andere ausgebeutet werden, damit bei ihnen Lohndrückerei stattfinden kann.
Es tut mir leid, meine vorbereitete Rede habe ich nicht gehalten. Sie war bestimmt gut. Aber das mußte ich mir von der Seele reden, weil das, was Sie alle gesagt haben, eine Unsäglichkeit war.
Das Wort hat der Kollege Karl-Heinz Scherhag, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit Schuldzuweisungen, Beschimpfungen und Polemik bekommen wir keine Arbeitsplätze, auch nicht am Bau.
Die Situation am Bau ist dramatisch. Wer geglaubt hat, daß dieses Problem mit den Entsendegesetzen oder mit anderen Hilfen gelöst wird, der hat sich eben geirrt. Wir haben immer gesagt - trotzdem bin ich dafür eingetreten, das Entsendegesetz befristet einzuführen -: Die Entsendegesetze lösen nicht unsere Probleme am Arbeitsmarkt, in Europa und am Bau.
Wir haben zuwenig Arbeit am Bau. Das ist unser Hauptproblem. Wir brauchen mehr Aufträge. Wir müssen einfach einmal zur Kenntnis nehmen, daß viele Gesetze, die wir in den letzten Jahren beschlossen haben, im Grunde genommen Behinderungsgesetze für Arbeit am Bau waren.
Ich baue zur Zeit selbst und weiß genau, was es heißt, heute eine Investition für mehr Arbeitsplätze und Wohnungen zu tätigen. Ich will Ihnen das an einem Beispiel verdeutlichen: Für eine Investition von 2 Millionen DM im Baubereich müssen Sie zunächst einmal Kosten für Bodenuntersuchungen, Kosten für Erschließung, Kosten für Bereitstellung von Ausgleichsflächen, Gebühren für Genehmigungen, Gebühren für Statiker und Prüfstatiker, Gebühren für Ingenieure und Architekten, Gebühren für Gutachter usw. tragen. Hinzu kommen noch die Kosten auf Grund der überzogenen Umweltvorschriften. Sie haben noch keinen einzigen Stein gemauert, und trotzdem haben Sie bei einer Investition von 2 Millionen DM schon 500 000 DM Kosten. Das sind 25 Prozent der Baukosten.
Wenn wir so weitermachen, dann nutzen uns Schuldzuweisungen und Beschimpfungen nicht. Wir müssen einfach mehr Möglichkeiten schaffen, damit sich Investitionen in unserer Republik wieder lohnen. Dies ist eine wesentliche Voraussetzung.
Die Problematik geht ja weiter. Wir haben Landesbaugesetze. Ich weiß nicht, wer von Ihnen überhaupt jemals mit einem Bauamt zu tun hatte. Ich habe dort am Montag wieder einen ganzen Vormittag verbracht, obwohl wir eine Genehmigung haben. Zum Teil ist es eine Bauverhinderungsbehörde, mit der wir zu tun haben. Ich muß Ihnen ganz offen sagen: Das ist unser Hauptproblem am Bau, nicht die Fremdarbeiter, nicht die Kollegen, nicht die Bauarbeiter aus den EU-Staaten.
Ich komme zum zweiten Problem, meine lieben Kollegen von der SPD. Viele Jahre haben wir versucht, mit Ihnen gegen die Schwarzarbeit vorzugehen. Sie haben nichts, aber auch gar nichts gegen die Schwarzarbeit getan. Sie haben sich um die Kollegen gekümmert, die Arbeit hatten, aber nicht um die Kollegen, die arbeitslos waren.
Dies müssen Sie zur Kenntnis nehmen: Sie haben nichts gegen die Schwarzarbeit getan.
- Das ist die Wahrheit. Natürlich. Sie haben gesagt, das seien Kleinigkeiten. Sie haben noch eines nicht getan: Sie haben bis heute noch nichts in bezug auf die Zumutbarkeitsregelung getan. Alles das sind Dinge, die uns am Bau und in der Beschäftigung Erschwernisse bringen.
Meine Damen und Herren, so können wir keine Politik miteinander machen. Ich fordere Sie auf: Hören Sie auf mit der Polemik! Hören Sie auf mit der Hetze! Ich habe Ihren Ministerpräsidenten Schröder in Berlin gehört: Das war nichts anderes als Aufhetzen der Bauarbeiter.
Ich sage Ihnen ganz deutlich: Wenn Sie nicht gemeinsam mit den Unternehmern und den Bauarbeitern eine Lösung suchen,
wenn Sie uns nicht mithelfen, die Vorschriften abzuschaffen und zu vereinbaren, werden wir nicht mehr Arbeitsplätze schaffen können.
Karl-Heinz Scherhag
Ich bitte Sie im Interesse der Bauarbeiter, der arbeitslosen Bauarbeiter und im Interesse der Unternehmen, die kurz vor dem Konkurs stehen:
Helfen Sie mit, gemeinsam Lösungen zu suchen, damit wir hier weiterkommen! Hören Sie auf mit Ihrer Polemik!
Die Aktuelle Stunde ist beendet. Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Donnerstag, den 20. März 1997, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.