Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Themen der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Tierschutzbericht 1997, Änderung des Tierschutzgesetzes und Zweite BSE- Schutzverordnung.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht hat der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Jochen Borchert.
Vielen Dank, Frau Präsidentin.
Die Bundesregierung hat heute den Tierschutzbericht 1997 gebilligt. Ein solcher Bericht ist nach dem Tierschutzgesetz alle zwei Jahre dem Deutschen Bundestag zuzuleiten. Er wird jetzt zum fünften Mal vorgelegt. Er verdeutlicht, was bisher erreicht wurde und welche Aufgaben noch vor uns liegen.
Der diesjährige Tierschutzbericht zeigt zum Teil erfreuliche Tendenzen auf: Die Zahl der in Deutschland eingesetzten Versuchstiere ging in den Jahren 1994 bis 1995 weiter zurück. Die Haltungsbedingungen landwirtschaftlicher Nutztiere wurden durch Inkrafttreten weiterer Bestimmungen schrittweise verbessert. Nach langwierigen Verhandlungen ist es uns gelungen, die Zustimmung des Bundesrates zu einer EU-konformen nationalen Tierschutztransportverordnung sowie zu einer modernen TierschutzSchlachtverordnung zu erhalten. Auch mit der Novellierung des Tierschutzgesetzes sind wir vorangekommen.
Zu den wichtigsten Themen des Tierschutzberichtes: Die Zahl der in Versuchen verwendeten Wirbeltiere hat sich von 1991 bis 1995 von rund 2,4 Millionen auf etwa 1,6 Millionen verringert. Das ist ein Rückgang um etwa 30 Prozent in vier Jahren. Ich erwarte weitere Fortschritte bei der Einschränkung von Tierversuchen, nicht zuletzt wegen der staatlich unterstützten Forschung zur Entwicklung von Ersatz-
und Ergänzungsmethoden. In internationalen Gremien setzt sich die Bundesregierung weiterhin mit Nachdruck dafür ein, daß gesetzlich vorgeschriebene Tierversuche - wo immer dies im Hinblick auf den Verbraucherschutz möglich ist - verringert und durch andere Methoden oder Verfahren ersetzt werden.
Fortschritte wurden im Berichtszeitraum auch auf der europäischen Ebene gemacht. Im Juni 1995 konnte sich der Rat der Europäischen Union auf eine Richtlinie über den Schutz von Tieren beim Transport und im Dezember 1996 über einen besseren Schutz von Kälbern verständigen. Gerade die europäische Tiertransportrichtlinie wird dazu beitragen, daß sich Bilder und Filme, wie wir sie in der Vergangenheit beim Transport von Tieren immer wieder gesehen haben, in Zukunft nicht wiederholen. Vielmehr ist der Tiertransport in allen europäischen Ländern einheitlich geregelt; Tiere müssen nach einheitlichen Maßstäben transportiert werden. Über die Abhängigkeit der Exporterstattung von einem tierschutzgerechten Transport wird das auch bis in die Empfängerländer - die Drittländer - sichergestellt.
Während es uns aber im Bereich des Tiertransportes nicht ganz gelungen ist, unsere Vorstellungen durchzusetzen - wir wollten eine noch stärkere Beschränkung der Transportzeiten -, konnten wir die Richtlinie über den Schutz von Kälbern, wenn auch mit langen Übergangszeiten, weitgehend an die strengen nationalen Bestimmungen anpassen.
Trotz der bisher erreichten Fortschritte beim Tierschutz sind auch künftig erhebliche Anstrengungen sowohl auf nationaler wie auf europäischer Ebene erforderlich, um das Schutzniveau der Tiere weiter zu verbessern. Auf europäischer Ebene steht hier neben dem Tiertransport derzeit vor allen Dingen die Haltung von Legehennen im Vordergrund. Die Kommission ist verpflichtet, hierzu einen Bericht vorzulegen. Der Bericht ist seit 1993 überfällig; ich hoffe, daß er nun endlich bald vorgelegt wird.
Die Bundesregierung hat im Oktober 1996 den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Tierschutzgesetzes verabschiedet. Der Gesetzentwurf greift vor allem diejenigen Bestimmungen auf, die den Tierschutz spürbar verbessern und in der letzten
Bundesminister Jochen Borchert
Legislaturperiode zwischen Bundestag und Bundes - rat unstreitig waren. So wird unter anderem der Personenkreis, der Sachkunde nachweisen muß, ausgedehnt. Eine ausreichende Qualifikation derjenigen, die Tiere halten, betreuen, züchten, ausbilden, transportieren oder töten, ist für den Tierschutz unverzichtbar.
Zu dem von der Bundesregierung vorgelegten Entwurf hat der Bundesrat zahlreiche Änderungen beschlossen. Das Bundeskabinett hat heute die Gegenäußerung der Bundesregierung zu dieser Stellungnahme des Bundesrates verabschiedet. Der Entwurf kann jetzt dem Bundestag zur weiteren Beratung zugeleitet werden. Die Berücksichtigung einiger der vom Bundesrat gefaßten Beschlüsse würde nach Auffassung der Bundesregierung die im Regierungsentwurf vorgenommene sorgfältige Abwägung zwischen dem Schutz der Tiere und den Ansprüchen der Menschen gefährden. Auch anderen Vorschlägen des Bundesrates kann sich die Bundesregierung nicht anschließen, während sie einige Forderungen des Bundesrates übernimmt, vor allen Dingen dort, wo sie der Präzisierung der Vorschriften dienen.
Das Bundeskabinett hat auch dem Vorschlag zugestimmt, den Entwurf der Zweiten BSE-Schutzverordnung dem Bundesrat zuzuleiten. Wie Sie wissen, verendete am 27. Dezember 1996 ein Galloway-Rind im Landkreis Höxter unter den für BSE typischen zentralnervösen Störungen. Die Untersuchungen haben dann ergeben, daß BSE nachgewiesen werden konnte. Der Nachweis erfolgte in der Bundesforschungsanstalt für Viruskrankheiten der Tiere in Tübingen.
In der daraufhin einberufenen Sitzung des Zentralen Krisenstabes auf der Ebene der Amtschefs am 22. Januar 1997 bestand Einvernehmen, daß anzunehmen ist, daß die aus dem Vereinigten Königreich und der Schweiz nach Deutschland eingeführten Rinder infektiöses Agens aufgenommen haben. Es besteht somit Ansteckungsverdacht. Ich habe daraufhin auf Wunsch der Bundesländer am 27. Januar eine Eilverordnung mit dem Ziel erlassen, alle aus dem Vereinigten Königreich und der Schweiz nach Deutschland importierten Tiere zu töten.
Durch die jetzt beschlossene Zweite BSE-Schutzverordnung sollen die Regelungen der als Eilverordnung erlassenen BSE-Schutzverordnung vom 27. Januar 1997 mit Zustimmung des Bundesrates in eine unbefristete Regelung überführt werden. Dies betrifft die Anzeigepflicht bei der zuständigen Behörde für diejenigen, die ein Rind halten, das aus dem Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland oder aus der Schweiz oder von einem solchen Tier stammt, das unmittelbar von den importierten Tieren abstammt, sowie die von der zuständigen Behörde anzuordnende Tötung für die importierten Tiere.
Die Bundesregierung hatte in der Sitzung mit den für Veterinärfragen zuständigen Amtschefs der Länder am 22. Januar vorgeschlagen, auch die direkten Nachkommen zu töten. Dieser Beschluß fand keine Mehrheit. Wir haben uns darauf verständigt, daß nach Feststellung der Identität des verendeten Tieres
für die direkten Nachkommen die gleichen Regelungen gelten. Wir warten jetzt ab, bis die Identität geklärt ist, um dann für die F1-Generation ebenfalls die gleichen Regelungen zu erlassen. Bis dahin stehen diese Tiere unter amtlicher Beobachtung. Es besteht für diese Tiere ein Schlachtverbot.
Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Minister Borchert.
Die erste Fragestellerin ist Frau Klappert.
Herr Minister, Sie haben eben die Tierschutztransportverordnung sehr positiv bewertet. Ich möchte gerne von Ihnen wissen, wie Sie das Interview von Herrn Fischler gestern in der „Süddeutschen Zeitung" beurteilen. Dort hat er gesagt, strengere Bestimmungen seien von den Mitgliedstaaten verhindert worden, auch von Deutschland.
Ich kenne den Kommentar von Herrn Fischler. Er hat insofern recht, als strengere Regelungen von Mitgliedstaaten, aber nicht von Deutschland, verhindert worden sind. Deutschland und die Kommission haben in diesem Punkt gemeinsam, auch mit anderen Ländern, für weitergehende Regelungen gekämpft. Weitergehende Regelungen waren nicht durchsetzbar. Die Vorschläge Deutschlands gingen über den Vorschlag der Kommission noch hinaus.
Zusatzfrage.
Meine Zusatzfrage lautet: Wann werden die notwendigen Kontrollstationen in der Bundesrepublik tatsächlich eingerichtet?
Ich wäre dankbar gewesen, wenn Herr Kommissar Fischler in seinem Interview vor allen Dingen darauf hingewiesen hätte, daß die Kommission die notwendigen Durchführungsbestimmungen für einen Teilbereich der Tierschutztransportverordnung bis heute nicht erlassen hat, obwohl sie seit längerem dazu verpflichtet gewesen wäre. Ich befürchte, daß die verspätete Zuleitung der Richtlinien den Aufbau der Versorgungsstationen wie auch die Konkretisierung der Anforderungen an die Transportfahrzeuge verzögert, weil die Länder beides erst dann vornehmen können, wenn die Kommission ihrer Verantwortung gerecht geworden ist und diese Bestimmungen vorgelegt hat.
Herr Kollege Hirsch.
Herr Minister, wir begrüßen wirklich jede denkbare Verbesserung des Tierschutzes. Man muß aber auch die Frage stellen und beantworten, was eine Regelung zur Verbesse-
Dr. Burkhard Hirsch
rung des Tierschutzes bringt, wenn sie in der Wirklichkeit nicht durchgesetzt werden kann.
Der Bundesrat hat mit eindrucksvollen Belegen aus der Rechtsprechung nachgewiesen, daß dem Tierschutzgesetz widersprechende, selbst grausamste Tierversuche möglich sind, wenn derjenige, der sie durchführt, subjektiv meint, daß sie vertretbar und notwendig seien. Darf ich Sie fragen, warum unter diesen Gesichtspunkten die Bundesregierung dem dringenden Vorschlag des Bundesrates nicht gefolgt ist, den Tierschutz als Staatsziel in das Grundgesetz aufzunehmen, obwohl auch die Gemeinsame Verfassungskommission des Bundes und der Länder mit absoluter Mehrheit eine solche Empfehlung beschlossen hatte?
Herr Kollege Hirsch, Sie kennen sehr genau den Verlauf der Debatte zur Änderung des Grundgesetzes im Jahre 1994. Wir haben sehr intensiv darüber diskutiert und haben in einer anschließenden Entschließung noch einmal deutlich gemacht, daß für uns in dem Art. 20a „Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen" auch der Tierschutz enthalten ist. Aus diesem Grunde sind wir bei der Regelung, die wir 1994 gemeinsam im Parlament beschlossen haben, geblieben.
Die Praxis zeigt auch, daß es in der Vergangenheit möglich war, die Interessen des Tierschutzes durchzusetzen. Ich denke, wenn wir mehr Tierschutz, gerade auch im Bereich der Tierversuche, erreichen wollen, müssen wir dies durch eine weitere Verbesserung der Regelungen, wann Tierversuche zugelassen werden, durchsetzen. Wie auch immer wir diese Regelungen gestalten, werden wir aber den Konflikt zwischen der Freiheit der notwendigen Forschung und den berechtigten Ansprüchen an den Tierschutz nicht völlig auflösen können.
Ich glaube, daß wir mit der jetzigen Regelung eine durchaus zufriedenstellende Lösung gefunden haben. Für mich ist im Augenblick entscheidend, zu erreichen, daß wir auf der europäischen Ebene, etwa im Europäischen Vertrag, Tierschutz als Ziel aufnehmen, um den Tierschutz auf der europäischen Ebene mit mehr Nachdruck durchzusetzen.
Zusatzfrage? - Bitte.
Herr Minister, nach der Entstehungsgeschichte des Staatsziels Umweltschutz ist über jeden Zweifel erhaben, daß der Tierschutz von diesem Staatsziel nicht erfaßt wird. Nachdem der Bundesrat im Gegensatz zu Ihrer Äußerung mit Blick auf die Rechtsprechung belegt hat, daß eine Verbesserung der Tierschutzbestimmungen in der Verfassungswirklichkeit nicht durchgesetzt werden kann, wenn der Tierschutz kein Staatsziel ist, frage ich: Will die Bundesregierung nicht wenigstens zur Kenntnis nehmen, daß der Tierschutz zum Beispiel nach einer Volksabstimmung in die Verfassung der Schweiz aufgenommen worden ist und auch in die Länderverfassungen von Berlin, Brandenburg,
Sachsen und Thüringen ausdrücklich aufgenommen worden ist? Will die Bundesregierung daraus keine Konsequenzen ziehen?
Herr Kollege Hirsch, ich bestätige erstens, daß der Tierschutz auch in die von Ihnen aufgeführten Verfassungen aufgenommen worden ist. Anders beurteile ich die Ergebnisse der Praxis seit der Reform unserer Verfassung 1994. Die Rechtsprechung hat gezeigt, daß der Tierschutz auch in der Verwaltungspraxis gegenüber den konkurrierenden Anforderungen durchgesetzt werden kann.
Herr Susset.
Herr Bundesminister, nachdem sich laut Ihres Berichtes das Kabinett sowohl mit dem Tierschutzgesetz als auch mit dem Tierschutzbericht befaßt hat und heute auch die Zweite BSE-Schutzverordnung im Kabinett verabschiedet wurde, möchte ich vor dem Hintergrund dessen, was wir heute vormittag in einer gemeinsamen Sitzung erfahren haben, fragen: Ist nun durch die Zweite BSE-Schutzverordnung sichergestellt, daß die Bundesländer nicht so unterschiedlich handeln können, wie es uns heute vormittag dargestellt wurde? Es ist ja immer schön, wenn wir aus der Bundesrepublik den anderen Nationalstaaten - ob England oder anderen - Vorschriften machen, wie sie ihre Probleme zu lösen haben, wenn dann aber andererseits festzustellen ist, daß in diesem Bereich innerhalb der Bundesrepublik Deutschland unter Umständen 16 unterschiedliche Handhabungen möglich sind.
In diesem Zusammenhang also meine Frage: Ist durch diese Zweite Verordnung eine Vereinheitlichung sichergestellt? Wenn nicht, könnten wir innerhalb Europas unser letztes Ansehen verlieren, was die Fähigkeit betrifft, unsere Probleme so zu lösen, wie wir es von den anderen erwarten.
Herr Kollege Susset, nachdem die Bundesländer immer vehement kritisiert haben, wir würden nicht konsequent und drastisch genug vorgehen, gehe ich davon aus, daß alle Bundesländer im Bundesrat dieser Verordnung zustimmen werden. Wenn sie im Bundesrat beschlossen ist, sind alle Bundesländer verpflichtet, diese Verordnung umzusetzen, das heißt, die Tötung der importierten Tiere durchzuführen, damit diese Gruppe von Tieren, von der ein potentielles Risiko ausgeht, durch die Tötung und Vernichtung so beseitigt wird, daß damit keine Risiken mehr verbunden sind.
Ich gehe gleichzeitig davon aus, daß die Bundesländer noch einmal sehr sorgfältig überprüfen, ob sie alle Tiere erfaßt haben. Es ist Aufgabe der Bundesländer, Kontrollen durchzuführen und die Tiere zu erfassen. Die Veränderung der Zahlen seit der Diskussion über dieses Thema zeigt, daß offensichtlich noch nicht alle Tiere erfaßt worden sind. Hier ma-
Bundesminister Jochen Borchert
chen sich Halter strafbar, die die Tiere nicht melden. Ich hoffe, daß die Bundesländer jetzt konsequent alle Tiere erfassen.
Gleichzeitig wird mit der Verordnung erreicht, daß die Nachzucht dieser Tiere unter Beobachtung gestellt wird. Auch alle diese Tiere müssen erfaßt werden. Für diese Tiere besteht ein Schlachtverbot. Wenn dies einheitlich und konsequent von allen Bundesländern umgesetzt wird - dazu sind die Bundesländer dann verpflichtet -, haben wir in Deutschland ein einheitliches Vorgehen. Dies würde auch der Beschlußfassung des Krisenstabes entsprechen, der alle Länder zugestimmt haben. Vor Ort hört es sich dann gelegentlich etwas anders an.
Eine Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, vom Vertreter eines Bundeslandes wurde heute bei der Anhörung auch das tierschutzrechtliche bzw. das ethische Problem als möglicher Hinderungsgrund einer Schlachtung dargestellt. Ist dieser Frage in dieser Verordnung so Rechnung getragen, daß in den Ländern nicht wieder aus tierschutzrechtlichen Gründen unter Umständen andere Entscheidungen getroffen werden können?
Auch bei einer sorgfältigen Abwägung zwischen der ethischen Frage, ob man Tiere in dieser Zahl töten und vernichten darf, und den Anforderungen an einen vorbeugenden Gesundheitsschutz ist es erforderlich, die Tötung im Interesse des Gesundheitsschutzes vorzunehmen. Wir alle müssen uns vor allem daran erinnern, wie vehement eine große Zahl von Bundesländern etwa von den Briten gefordert hat, sehr viel konsequenter vorzugehen. In der Debatte, als es um Forderungen an Großbritannien ging, haben Fragen der Ethik keine Rolle gespielt. Auch vor diesem Hintergrund werden wir uns in Europa fragen lassen müssen, ob wir bereit sind, BSE bei uns in Deutschland mit der gleichen Konsequenz zu bekämpfen. Wir können dann nicht auf einmal sagen: Die Fragen des Tierschutzes werden bei uns höher gewichtet, und es hat auf einmal der Verbraucherschutz einen geringeren Stellenwert. Deswegen werden meines Erachtens alle Bundesländer diese Verordnung umsetzen.
Herr Dr. Wodarg.
Herr Minister Borchert, sind Sie mit mir der Meinung, daß die Zahl der getöteten Tiere kein Maßstab für die Sicherheit ist, die man durch diese Maßnahme erreicht? In diesem Zusammenhang besteht für mich die Frage: Weshalb lassen Sie nur solche Rinder töten, die aus der Schweiz kommen? In der Schweiz sind insgesamt 256 BSE-Fälle beobachtet worden. Weshalb lassen Sie Rinder aus Frankreich leben? Weshalb überprüfen Sie nicht auch Rinder, die aus Frankreich oder Portugal importiert wurden? Denn in Frankreich sind bisher 50 und in Portugal ca. 70 BSE-Fälle aufgetreten. Auch in Irland ist eine große Zahl von Rindern - ca. 130 - an BSE erkrankt. In der Schweiz wie in Irland, Frankreich und in den anderen Ländern hat es BSE-Fälle immer deshalb gegeben, weil Tiermehl verfüttert wurde. Die Ursache ist überall die gleiche. Ich verstehe nicht, wieso in diesem Fall die Schweiz unterschiedlich behandelt wird. Im Falle Englands kann man dies anders bewerten, aber bei der Schweiz verstehe ich es nicht.
Herr Kollege Wodarg, niemand hat erklärt, die Sicherheit für den Verbraucher bzw der Verbraucherschutz hänge von der Zahl der getöteten Tiere ab, sondern wir haben immer gesagt, daß Tiere bestimmter Gruppen, bei denen wir damit rechnen müssen, daß sie infiziert worden sind, getötet werden. Wir sind uns, wenn ich Ihre Frage richtig verstehe, einig in dem Punkt der Tötung der Tiere, die aus Großbritannien importiert worden sind. Auch bei der Schweiz handelt es sich um ein Land, in dem BSE durch die Verfütterung von Tierkörpermehl in einem erheblichen Umfang auftritt. Die Europäische Union, also auch Deutschland, hat auf die Bekämpfung von BSE in der Schweiz keinen Einfluß. Deswegen haben wir hier besondere Maßnahmen gegenüber der Schweiz ergriffen, um sicherzustellen, daß für den Verbraucher in Deutschland von der Schweiz keine Risiken ausgehen. Wir müssen bei den aus der Schweiz importierten Tieren davon ausgehen, daß durch die Verfütterung von Tierkörpermehl in einem erheblichen Umfang Tiere infiziert worden sind.
Bei den anderen von Ihnen genannten europäischen Staaten haben wir ein einheitliches Verfahren zur Bekämpfung von BSE im Rahmen der Europäischen Union. Die Bestände, aus denen die Tiere, die an BSE erkrankt sind, stammen, werden getötet, um jedes Risiko auszuschalten. Darüber hinaus haben wir in einer nationalen Verordnung geregelt, daß bei Importen von Fleisch und lebenden Tieren sowohl aus den Mitgliedstaaten wie auch aus Drittländern durch ein amtstierärztliches Attest bescheinigt werden muß, daß diese Tiere nicht aus Großbritannien und der Schweiz stammen und daß diese Tiere aus Beständen stammen, die frei von BSE sind, so daß Risiken ausgeschaltet sind.
Der Hauptgrund für die unterschiedliche Behandlung der Schweiz auf der einen Seite und Frankreichs, Portugals und anderer EU-Staaten auf der anderen Seite liegt aber natürlich darin: Neben der unterschiedlichen Zahl der Fälle, die man sehen muß, ist es so, daß wir bei den Mitgliedstaaten im Rahmen der europäischen Regelungen Einfluß auf die Bekämpfungsmaßnahmen haben, in der Schweiz aber nicht.
Zusatzfrage?
Gern. - Auf die Schweiz haben Sie nicht so viel Einfluß. Es gibt aber auch andere Länder in direkter Nachbarschaft Deutschlands, auf die Sie keinen Einfluß haben. Ich
Dr. Wolfgang Wodarg
denke an die Länder im Osten Deutschlands. Sie haben mir geantwortet, daß in den letzten sechs Jahren erhebliche Mengen Tiermehl, und zwar 800 000 Tonnen, in diese Länder gegangen sind, worunter auch englisches Tiermehl war, so daß man davon ausgehen kann, daß in den letzten Jahren dort auch britisches Tiermehl verfüttert worden ist.
Sie wissen, daß wir im Jahr etwa 200 000 Rinder aus Polen importieren dürfen und daß das sogar mit einer Prämie belohnt wird. Was tun Sie, um hier dem Verbraucher Sicherheit zu geben, daß zum Beispiel in Polen oder in anderen östlichen Nachbarstaaten kein Tiermehl an Mastrinder verfüttert worden ist? Wie wollen Sie den unterschiedlichen Maßstab in der Schweiz und in Polen, die unterschiedliche Sicherheit, die Sie dem Verbraucher geben, rechtfertigen?
Es steht sicher fest, daß Polen Tiermehl importiert hat, wahrscheinlich auch in einem großen Umfang Tiermehl aus Großbritannien. Nach meiner Kenntnis ist Tiermehl in Polen aber nicht an Wiederkäuer verfüttert worden. Dafür spricht auch, daß es in Polen bisher keinen einzigen BSE-Fall gibt. Polen unterliegt einer Meldepflicht wie andere Länder auch und würde daher jeden BSE-Fall innerhalb kürzester Frist, innerhalb von 24 Stunden, melden. Da bisher kein BSE-Fall gemeldet worden ist, haben wir keinerlei Hinweise darauf, daß es in Polen Risiken gibt. Aber auch für den Import aus Polen gilt natürlich, daß wir jeweils eine amtstierärztliche Bescheinigung verlangen, daß diese Tiere aus Beständen stammen, in denen kein BSE vorgekommen ist. Insofern muß man einen Unterschied zwischen Polen und der Schweiz sehen: In Polen gibt es bisher keinen bekanntgewordenen BSE-Fall, in der Schweiz gibt es eine große Zahl von BSE-Fällen.
Herr Bredehorn.
Herr Minister, trotz Tierschutzgesetz und Tierschutztransportverordnung gibt es immer wieder skandalöse Vorfälle bei den Tiertransporten und insbesondere beim Export von Tieren. Auf der anderen Seite weiß ich, auch aus eigener Erfahrung, daß man Zuchttiere vernünftig durch die ganze Welt transportieren kann. Wie ist es mit dem Ansatz, den ich schon einige Male vorgestellt habe, die Transportkostenerstattung nicht zu zahlen oder stark einzuschränken, wenn Tiertransporte in unverantwortlicher Weise durchgeführt werden? Sind Sie da weitergekommen?
Es gibt in einem Schreiben die Zusage des Kommissars, daß er jetzt möglichst schnell eine Regelung vorlegen und umsetzen will, die besagt, daß die Ankunft der Tiere im Drittland von Mitarbeitern der Europäischen Union kontrolliert wird, daß bescheinigt werden muß, daß diese Tiere bis zur Ankunft im Drittland tierschutzgerecht transportiert worden sind, und daß bei Verstößen gegen das Tierschutzrecht die Exporterstattung nicht
gezahlt wird. Ich glaube, dies wäre ein wichtiger Hebel, mit dem beim Transport von Lebendtieren in Drittländer Tierschutz durchgesetzt werden kann. Ich hoffe, daß wir dies in Kürze umsetzen und daß wir damit an einem wichtigen Punkt den Druck auf alle Länder weiter erhöhen können, einen tierschutzgerechten Transport sicherzustellen.
Zusatzfrage? Günther Bredehorn : Ja, gerne.
Herr Minister, Sie haben ja an Hand der Zahlen den Rückgang des Verbrauchs von Tieren bei Tierversuchen geschildert. Man hört allerdings von manchen Wissenschaftlern, die Bedenken haben, daß wir eine so stringente Regelung in bezug auf die Tierversuche haben, und die meinen, daß dadurch die Forschung in Deutschland teilweise gefährdet sei. Wie steht die Bundesregierung dazu?
Wir werden im Interesse der Forschung auch in Zukunft Tierversuche benötigen; wir sind etwa im medizinischen Bereich, bei der Entwicklung von Medikamenten auch in Zukunft auf Tierversuche angewiesen. Wir bemühen uns, die Zahl der Tierversuche weiter zu reduzieren, indem wir intensiv die Forschung zur Entwicklung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden unterstützen. Aber ich glaube, daß wir im Interesse der Gesundheit der Menschen, der Entwicklung von neuen Medikamenten und Behandlungsverfahren auch in Zukunft auf Tierversuche nicht völlig verzichten können. Wir können immer nur versuchen, ihre Zahl weiter einzuschränken. Dies hängt auch von den Fortschritten bei den Ersatz- und Ergänzungsverfahren, die entwickelt werden, ab.
Ich bitte um Verständnis dafür, daß ich vor den vier Wortmeldungen, die noch zu den angekündigten Berichten vorliegen, entsprechend unseren Regeln auch Zeit für freie Fragen einräume. Ich unterbreche Ihre Befragung, Herr Minister.
Zu einer freien Frage der Kollege Conradi.
Danke schön, Frau Präsidentin.
Die Bundesregierung hat nach dem breiten öffentlichen Protest gegen das Übergangsgeld für die ausscheidende Parlamentarische Staatssekretärin Yzer angekündigt, sie werde diese Angelegenheit rückwirkend bereinigen. Nun war ich bisher der Auffassung, daß Gesetze nicht von der Bundesregierung geändert werden, sondern vom Parlament. Wenn ich mich da irre, wäre ich für einen Hinweis dankbar.
Vor allem aber möchte ich wissen, wie die Regierung das machen will: Wann darf das Haus mit einem Gesetzentwurf rechnen, der, so wie die Bundesregierung angekündigt hat, die Frage der Übergangsgelder rückwirkend anders löst?
Herr Kollege Conradi, das Bundeskabinett hat heute Eckwerte beschlossen, auf Grund deren der Bundesinnenminister unverzüglich einen entsprechenden Gesetzentwurf vorlegen soll, der dann selbstverständlich hier vom Hause beraten und verabschiedet werden muß. Danach ist vorgesehen, daß künftig eben auch Erwerbseinkünfte aus privater Berufstätigkeit - und zwar ohne Abstriche, also voll - angerechnet werden sollen. Das soll für alle amtierenden Mitglieder der Bundesregierung und für die Parlamentarischen Staatssekretäre gelten. Eine Rückwirkung ist aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht möglich. Deshalb werden die von Ihnen angeführten Fälle individuell gelöst werden.
Zusatzfrage? - Bitte.
Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer meiner Fraktion, Herr Dr. Peter Struck, und ich haben im Herbst letzten Jahres auf Beschluß unseres Fraktionsvorstandes der Bundesregierung unseren Vorschlag für ein Ministergesetz vorgelegt, bevor wir ihn hier eingebracht haben, und die Bundesregierung gebeten, zu prüfen, ob sie unserem Gesetzentwurf, der morgen zur ersten Beratung ansteht, zustimmt. Die Bundesregierung hat erklärt, das tue sie nicht. Was hat den Sinneswandel der Regierung bewirkt? Ist es der öffentliche Protest, der bewirkt, daß sie nun mit einem Gesetzentwurf überkommt? Denn das Parlament hat ja die Regelung, die Sie eben skizziert haben, für sich schon 1995 beschlossen.
Herr Kollege Conradi, hier bewegen wir uns auf einem anderen rechtlichen Feld. Sie erinnern sich, daß diese Frage damals in die Problematik der Versorgung des öffentlichen Dienstes eingebunden werden sollte, die ja ansteht. Deshalb hat man sich schon mit dieser Frage befaßt, und es ist daran gearbeitet worden. Die Lösung wird jetzt zeitgerecht auf den Weg gebracht.
Danke. - Zum vorher behandelten Bereich jetzt Herr Hornung.
Herr Bundesminister Borchert, angesichts des Verbraucherschutzes, der uns ganz besonders am Herzen liegt, und vor allen Dingen angesichts der schweren wirtschaftlichen Schäden, die die Landwirtschaft zu tragen hat, möchte ich fragen: War es nicht schon möglich - auch in der Vergangenheit -, auf freiwilliger Basis Tiere im Zusammenhang mit BSE zu töten? Das ist bereits vor zwei Jahren zum Beispiel in Baden-Württemberg der Fall gewesen, so daß das Problem in dieser Weise abgewickelt werden konnte.
Ist es darüber hinaus möglich gewesen, daß Tierhalter in den Bundesländern auf Grund der Eilverordnung - das ist im Sinne der Bundesregierung und auch in unserem - Tiere freiwillig töten konnten, obwohl einzelne Gerichte dies untersagt hatten?
Ich kann berichten, daß sich in Baden-Württemberg bereits 80 Prozent der Tierhalter freiwillig gemeldet haben, ihre Tiere anzudienen, weil die Tiere seit über anderthalb Jahren in Quarantäne sind, gefüttert werden müssen und nicht verwertet werden können, was für die Landwirtschaft einen riesigen Einnahmeverlust bedeutet.
Was wir für richtig und notwendig halten, ist, daß die Emotionen in diesem Zusammenhang in unserem Land endlich abgebaut werden müssen.
Schon in der Vergangenheit war es möglich, daß die Bundesländer in eigener Zuständigkeit Tiere gegen Entschädigung töten ließen. Die Umsetzung der Eilverordnung, der BSE-Schutzverordnung, ist in den Bundesländern sehr unterschiedlich durchgeführt worden. Hierzu gibt es auch unterschiedliche Gerichtsurteile.
Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg hat die Tötung vorläufig untersagt. Es hat bemängelt, daß eine solche Verordnung nicht als Eilverordnung, sondern mit Zustimmung des Bundesrates als Dauerverordnung hätte erlassen werden können.
Das Oberverwaltungsgericht Koblenz, das in einem anderen Verfahren vor einiger Zeit eine Verordnung des Landes zur Tötung von Tieren aufgehoben hatte, hat in diesem Fall der Tötung der Tiere zugestimmt.
Die Bundesländer haben die Eilverordnung bisher sehr unterschiedlich umgesetzt. Es gibt Bundesländer, in denen die Tiere bereits getötet worden sind. Es gibt Bundesländer, in denen die Tötung durchgeführt wird, wenn die Besitzer der Tiere damit einverstanden sind. Es gibt Bundesländer, die, auch wenn es in ihrem Bereich keine diesbezüglichen Urteile gibt, die Tötung ausgesetzt haben und die BSE- Schutzverordnung abwarten, die der Bundesrat demnächst verabschieden wird.
Zusatzfrage?
Ich habe noch eine Frage zum Tierschutz. Herr Bundesminister, die Landwirtschaft ist sehr daran interessiert, daß dem Tierschutz beim Transport der Tiere Rechnung getragen wird, und zwar auch aus eigenem Interesse; das kann man ganz deutlich sagen. Einerseits handeln die Landwirte dem Tier zuliebe; auf der anderen Seite weiß jeder Landwirt: Wenn Tiere nicht sachgerecht transportiert werden, leidet die Fleischqualität und damit natürlich der Preis und das Ansehen als solches.
Wir kennen die Bilder, die auch über das Fernsehen verbreitet werden. Am Rande möchte ich fest-
Siegfried Hornung
stellen: Ich sehe schon seit zehn Jahren immer dasselbe Bild. Aber ganz abgesehen davon: Was hat die Bundesregierung bislang unternommen, um den Tierschutz beim Transport von Tieren sicherzustellen?
Wir haben Tiertransporte in Deutschland in der Vergangenheit bereits intensiver kontrolliert. Wir haben vor allen Dingen auch auf der europäischen Ebene immer wieder versucht, frühzeitig weitergehende Regelungen durchzusetzen. Wir können Probleme im Zusammenhang mit Tiertransporten nicht nur national lösen, sondern müssen dies im europäischen Maßstab tun. Denn mit rein nationalen Maßnahmen erreichen wir nichts, können wir Tiertransporte nicht für ganz Europa regeln.
Deswegen - ich glaube, das ist völlig unstrittig - war es gerade die Bundesregierung, die in Europa immer wieder für weitergehende Regelungen gekämpft hat, die wir endlich durchgesetzt haben. Das europäische Recht wird jetzt in einer nationalen Verordnung umgesetzt.
Mit dieser Verordnung werden Tiertransporte in Europa geregelt. Es werden Anforderungen an die Transportfahrzeuge gestellt, und es gibt Bestimmungen zu den Transportzeiten. Es gibt für die üblichen Transportfahrzeuge eine strikte Begrenzung der Transportzeit. Auch das Abladen der Tiere auf den Versorgungsstationen ist geregelt.
Längere Transportzeiten sind erlaubt für Spezialfahrzeuge, wie sie bereits beim Transport von Zuchtrindern eingesetzt werden. Gerade das Beispiel des Transportes von Zuchttieren zeigt, daß Tiere auch über lange Strecken tierschutzgerecht transportiert werden können, wenn Fahrzeuge und Transportbedingungen den Anforderungen genügen. Ich gehe davon aus, daß diese Verordnung dazu führt, daß Tiere in Zukunft in steigendem Umfang in Spezialfahrzeugen transportiert werden.
Dadurch, daß Erstattungen beim Export vom tierschutzgerechten Transport abhängig gemacht werden, wollen wir erreichen, daß die Tiere bis in die Empfängerländer tierschutzgerecht transportiert werden. Ich bin sicher, daß wir damit erreichen, daß es die Bilder und Berichte, wie wir sie aus der Vergangenheit kennen, in Zukunft, wenn alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union diese Regelung umgesetzt haben, nicht mehr geben wird.
Es ist jetzt auch Aufgabe der Bundesländer, die Tiertransporte in den Ländern selbst entsprechend zu kontrollieren. Transporte - auch Transittransporte - können jetzt kontrolliert und auf die Einhaltung der Tierschutzbestimmungen überprüft werden.
Die nächste Frage hat Frau Kollegin Leonhard.
Herr Bundesminister, im letzten Tierschutzbericht der Bundesregierung wird darauf verwiesen, daß eine Expertengruppe eingesetzt werden soll, die sich mit dem Problem der sogenannten Qualzüchtung beschäftigen soll. Meine Frage: Liegen schon Ergebnisse vor, und wenn ja, welche Konsequenzen wurden daraus gezogen?
Die Expertengruppe arbeitet noch. Bei dem Problem der Qualzucht müssen wir, auch in Zusammenarbeit mit den Verbänden, eingreifen, um zu verhindern, daß Zuchtziele so gestaltet sind, daß den Tieren über die Züchtung Schmerzen und Leiden zugefügt werden. Wir werden dies, sobald alle Ergebnisse dazu vorliegen, regeln und bemühen uns bereits im Vorfeld mit den Verbänden, die Zucht durch Einflußnahme auf die Zuchtziele so zu gestalten, daß die Qualzucht verhindert wird. Wir werden dies auch mit weitergehenden Vorschriften unterbinden.
Eine Zusatzfrage? - Dann der Kollege Michels.
Herr Minister, letztlich ist ja der Tierschutzbericht Grundlage der Diskussion. Meine Frage: Gibt es europa- bzw. weltweit ein anderes Land, dessen Parlament sich ähnlich wie wir in Deutschland alle zwei Jahre mit einem Tierschutzbericht befassen kann?
Wir sprachen eben darüber, den Tierschutz allgemein in den Verfassungsrang zu erheben. Wir waren am Montag dieser Woche mit einer interfraktionellen Arbeitsgruppe in Wuppertal und haben dort mit einem Teil der forschenden Wirtschaft diskutiert. Dort wurde uns zu vermitteln versucht, daß die jetzige Wirkung des Tierschutzgesetzes auf die Zulassung von Tierversuchen - auch hinsichtlich des zeitlichen Rahmens - schon an der Grenze ist und daß schon heute neue Entwicklungen teilweise ins Ausland verlegt werden.
Meine Frage: Wie sind die Erkenntnisse der Bundesregierung in bezug darauf, daß die Durchführung von Tierversuchen - deren Notwendigkeit Sie eben bestätigt haben - eventuell nicht gewährleistet werden kann und uns dadurch Zukunft verlorengeht?
Zu der ersten Frage, Kollege Michels: Wenn ich das Kopfschütteln der Mitarbeiter richtig verstanden habe, gibt es kein anderes Land, in dem ein Tierschutzbericht vorgelegt wird. Ich bitte aber um Verständnis, daß ich dies nun nicht definitiv, mit letzter Genauigkeit für weltweit alle Länder sagen kann. Aber ich glaube, wir sind das einzige Land, das einen solchen Bericht vorlegt.
Zu der zweiten Frage, mit der Sie einen sehr schwierigen und sehr wichtigen Punkt ansprechen: Wir müssen auf der einen Seite bestrebt sein, den Einsatz von Tieren bei Versuchen immer weiter zu reduzieren, Tierversuche streng zu regeln und zu kon-
Bundesminister Jochen Borchert
trollieren. Aber hier besteht ein Spannungsfeld. Denn wir brauchen Tierversuche auf der anderen Seite dort, wo es noch kein Ersatz- oder Ergänzungsverfahren gibt, um wissenschaftliche Fortschritte im Interesse der Menschen für die Zukunft möglich zu machen.
Es besteht natürlich die Gefahr, daß Forschungsbereiche abwandern, weil Tierversuche bei uns im Vergleich zu anderen Ländern zu sehr verbürokratisiert werden. Das ist immer eine Gratwanderung: auf der einen Seite Tierversuche im Interesse des Tierschutzes möglichst weitgehend zu begrenzen, auf der anderen Seite Tierversuche im Interesse der Forschung und der Menschen, die auf diese Forschung angewiesen sind - etwa bei der Krankheitsbekämpfung -, im nötigen Umfang möglich zu machen, sie nicht so stark zu reglementieren, daß Forschung in andere Länder abwandert.
Es gibt durchaus Signale, daß Forschung in bestimmten Bereichen in andere Länder abwandert, weil Tierversuche bei uns stärker als in anderen Ländern mit Auflagen versehen sind und reglementiert werden.
Zusatzfrage? - Herr Kollege Heinrich.
Herr Minister, ich möchte noch einmal auf die Verankerung des Tierschutzes als Staatsziel im Grundgesetz zurückkommen. Wir haben vorhin gehört, daß die Bundesländer den Tierschutz bereits in ihre Verfassung aufgenommen haben. Wir haben von Ihnen gehört, daß Sie es nicht für richtig halten, das als Staatsziel im Grundgesetz aufzunehmen. Gleichzeitig betonen Sie aber die Notwendigkeit, dieses Ziel im EG-Vertrag aufzunehmen.
Daraus ergibt sich ja ein erheblicher Widerspruch bzw. eine sehr unterschiedliche Betrachtungsweise: Auf der europäischen Ebene heißen Sie die Verankerung des Tierschutzes gut, während Sie dieses Ziel in unsere Verfassung nicht aufnehmen wollen. Was ist die Begründung dafür?
Der EG-Vertrag besitzt keinen Verfassungsrang. Es besteht ein Unterschied zwischen dem Vertrag, in dem wir die Ziele der Europäischen Union definieren, und der Frage, ob wir den Tierschutz als Staatsziel in die Verfassung aufnehmen.
Ich setze mich dafür ein, den Tierschutz in den EG- Vertrag aufzunehmen, damit wir auch dort den Tierschutz verankern und bei sehr unterschiedlichen Regelungen und sehr unterschiedlichen nationalen Gestaltungen in den einzelnen Mitgliedstaaten der Europäischen Union für den Tierschutz in Europa mehr erreichen. Es wäre schon wichtig, den Tierschutz im EG-Vertrag zu verankern, damit wir bei der Umsetzung auf europäischer Ebene einen stärkeren Rückenwind haben, um Tierschutz auch gegen andere Positionen durchzusetzen.
Zusatzfrage.
Herr Minister, die Tatsache, daß der EG-Vertrag mit unserer Verfassung nicht vergleichbar ist, ist mir sehr wohl bewußt. Aber die Zielrichtung ist doch wohl die gleiche, nämlich dem Tierschutz einen entsprechenden Rang einzuräumen. Es würde mich interessieren, welches die Nachteile sind, die Sie befürchten, wenn das Tierschutzrecht in dieser Form verankert würde. Befürchten Sie Nachteile auf der Forschungsseite? Wo befürchten Sie effektiv Nachteile? Ihre Befürchtung muß ja einen Grund haben.
Ich befürchte Nachteile auf der Forschungsseite, weil der Tierschutz als Staatsziel noch stärker mit der Notwendigkeit der Forschung konkurriert. Die Freiheit von Lehre und Forschung ist ebenfalls im Grundgesetz verankert. Es würde zu einer anderen Gewichtung führen und die Gefährdung mit sich bringen, daß Forschung bei uns in Deutschland stärker als bei der jetzigen Regelung eingeschränkt wird.
Ich glaube, daß wir mit den jetzigen Möglichkeiten des Tierschutzes in der Lage sind, die Abwägung so vorzunehmen, daß wir auf der einen Seite den Belangen des Tierschutzes Rechnung tragen und daß auf der anderen Seite Forschungen in einem Umfang in Deutschland möglich sind, wie es dringend notwendig ist.
Es kommt eine Frage der Kollegin Höfken.
Das möchte ich doch noch einmal hinterfragen. Auch wenn der Tierschutz in die bundesdeutsche Verfassung käme, wäre es doch so, daß der Grundsatz der Abwägung zwischen den Anliegen der Forschung und denen des Tierschutzes immer noch gilt. Wir müssen zur Zeit mit dem Problem leben, daß auf Grund der verfassungsrechtlichen Situation die Freiheit der Forschung immer über dem Tierschutz steht und damit auch die Abwägung nicht erfolgt. Mit der Aufnahme des Tierschutzes in unsere Verfassung soll ja erreicht werden, daß eine gleichberechtigte Abwägung zwischen diesen beiden Bereichen möglich ist.
Insofern bitte ich Sie noch einmal zu erklären, wieso Sie dann eine Gefahr für die Forschung sehen.
Frau Kollegin Höfken, die Abwägung wird jetzt schon vorgenommen. Sie erfolgt in einer Art und Weise, bei der den Belangen des Tierschutzes Rechnung getragen wird, aber auch die Forschung möglich ist.
Die Verwaltungspraxis und auch die Rechtsprechung zeigen, daß es auch ohne Verankerung des Tierschutzes als Staatsziel nicht dazu kommt, daß Forschungsanträge genehmigt werden, die gegen die Interessen des Tierschutzes gerichtet sind. Viel-
Bundesminister Jochen Borchert
mehr wird diese Abwägung vorgenommen. Bei einer Verankerung des Tierschutzes als Staatsziel würde in einer Reihe von Bereichen die Abwägung möglicherweise anders erfolgen. Wir haben mit der jetzigen Praxis gute Erfahrungen gemacht.
Zusatzfrage? Ulrike Höfken : Nein.
Damit ist die Zeit für die Befragung der Bundesregierung zu dem zentralen Thema abgelaufen. Ich bedanke mich beim Herrn Minister.
Sind der Bundesregierung noch zu anderen Bereichen Fragen zu stellen? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Befragung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf: Fragestunde
- Drucksache 13/6931 -
Die Fragen 1 und 2 der Abgeordneten Lüth *) werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Post und Telekommunikation. Die Frage 3 des Abgeordneten Wolfgang Behrendt wird ebenfalls schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau auf. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Günther zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 4 des Abgeordneten Warnick auf:
Beabsichtigt der Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, Dr. Klaus Töpfer, trotz seiner bisherigen Beteuerungen, daß das soziale Mietrecht nicht beschnitten wird, den Vorschlägen der Fraktion der F.D.P. zur Novellierung des Wohnraummietrechtes zu folgen (siehe Interview mit dem wohnungspolitischen Sprecher der Fraktion der F.D.P., Hildebrecht Braun, in der Tageszeitung „Neues Deutschland" vom 4. Februar 1997:... Der ist längst auf meiner Seite. Wir arbeiten eng zusammen ...")?
Herr Kollege Warnick, bei Interviews von Bundestagskollegen findet, wie Ihnen sicher bekannt ist, keine Vor- bzw. Nachzensur statt, schon gar nicht, wenn es sich um ein Interview des wohnungspolitischen Sprechers der F.D.P. mit einer so bekannten Zeitung handelt. Herr Braun hat daher allein zu vertreten, was er in der Öffentlichkeit zu sagen hat.
Ich darf aber das „wir" interpretieren und es auf die Zusammenarbeit in der Koalitionsarbeitsgruppe zur Mietrechtsvereinfachung beziehen, die mit Un-
*) aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit
terstützung des Bundesministeriums der Justiz und des Bundesbauministeriums zur Zeit Reformvorschläge zum Mietrecht erarbeitet. Das ist auch der Ort, an dem koalitionsinterne Diskussionen geführt werden.
Ihre Zusatzfrage.
In diesem Interview wurde von Herrn Braun auch gesagt, daß die Ängste der Mieter durch den im Westen von der SPD und im Osten von der PDS dominierten Mieterbund geschürt werden. Herr Braun ist immerhin Mitglied einer Koalitionsfraktion, und was er dort äußert, hat, denke ich, eine gewisse Bedeutung. Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Abgeordneten Braun?
Ich habe Ihnen bereits dargelegt, daß dies eine persönliche Auffassung des Herrn Braun ist und ich bei diesem Interview nicht dabei war.
Zweite Zusatzfrage.
Zum Mietrecht: Wann wird nach Ihrer Auffassung die Bundesregierung dem Bundestag einen Gesetzentwurf zum Mietrecht vorlegen, und ab wann können Mieter und Vermieter nach Ihrer derzeitigen Einschätzung mit einem neuen in Kraft gesetzten Mietrecht rechnen? Auch dies war ja Inhalt dieses Interviews.
Wir gehen davon aus, daß noch in diesem Jahr die Entwürfe für das Mietrecht vorgelegt werden. Endgültig wird dies in der Koalitionsarbeitsgruppe entschieden. Federführend ist der Rechtsausschuß.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich bedanke mich, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie auf. Die Frage 5 der Abgeordneten Probst wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Die Frage 6 des Abgeordneten Behrendt wird schriftlich beantwortet; die Frage 7 des Abgeordneten Wallow wird ebenfalls schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich komme zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Die Frage 8 des Kollegen Klaus Hagemann wird
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich komme zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Johannes Nitsch zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 9 des Abgeordneten Kubatschka auf:
Zeigt nach Ansicht der Bundesregierung die Tatsache, daß die bislang einzige Container-Schiffs-Linie zwischen Wien und den Benelux-Staaten zukünftig die Container per Nachtzug zwischen Regensburg und Ludwigshafen transportieren wird und dies damit begründet, die Passage des Main-Donau-Kanals sei aufgrund seiner 52 Schleusen zu zeitraubend und dabei könnten wegen der Brückendurchfahrten nur zwei Container-Lagen gestapelt werden, während es an der Donau drei seien, daß die Donau zwischen Straubing und Vilshofen für den Containerverkehr offensichtlich auch ohne einen Ausbau schon besser geeignet ist als der Main-Donau-Kanal, und daß im Hinblick auf die Containerschiffahrt somit nicht die Donau zwischen Straubing und Vilshofen die gravierendste Engstelle auf der Strecke zwischen der Nordsee und dem Schwarzen Meer ist, sondern der Main-Donau-Kanal?
Bitte schön.
Nach Durchführung des in der Entscheidung vom 17. Oktober 1996 erläuterten ersten Ausbauschritts wird die Strecke StraubingVilshofen von Containerschiffen bei mittlerem Containerfüliungsgrad nahezu ganzjährig dreilagig durchfahren werden können. Da der Containerverkehr nach der streckenbezogenen Prognose für das Jahr 2010 mit 1,1 bis 1,2 Millionen Tonnen jedoch nur 12 Prozent des gesamten Transportaufkommens ausmachen wird, wäre eine Beschränkung der Engpaßbetrachtung auf den Containerverkehr in der Frage des Ausbaubedarfs nach Auffassung der Bundesregierung nicht sachgerecht. Ausschlaggebend für diesen Ausbaubedarf ist die Verbesserung der Abladebedingungen für Massenguttransporte, die auch längerfristig den weitaus überwiegenden Verkehrsanteil im Wasserstraßentransport behalten werden.
Herr Kollege Kubatschka, haben Sie eine Zusatzfrage?
Natürlich, weil meine Frage nicht beantwortet wurde; allerdings ist die Zusatzfrage weniger wortreich. Darum noch einmal: Zeigt nicht die Tatsache, daß die Brückendurchfahrten auf dem Main-Donau-Kanal nur mit zwei Containerlagen, auf der Donau hingegen mit drei Containerlagen und auf dem Rhein sogar mit vier Containerlagen möglich sind, daß beim Bau des Main-Donau-Kanals die Bedürfnisse des Containerverkehrs nicht ausreichend berücksichtigt wurden?
Ich habe in meiner Antwort gesagt, daß die Haupttransportleistung auf dieser Wasserstraße in den Massengutverkehren liegen wird und der Containerverkehr auch langfristig nur 12 Prozent der gesamten Transportmenge ausmachen wird.
Es ist damit auch gesagt, daß der Main-Donau-Kanal, auf dem nur zweilagige Containertransporte möglich sind, natürlich nicht die attraktive Straße für Containerverkehre ist, vor allen Dingen dann nicht, wenn es schnell gehen soll.
Ihre zweite Zusatzfrage.
Gibt es der Bundesregierung im Hinblick auf die Frage einer eventuellen Schaffung weiterer Staustufen nicht zu denken, und welche Schlußfolgerungen zieht sie daraus, daß die Flußstrecken Wien - Regensburg und Ludwigshafen - Benelux, die mit wenigen bzw. gar keinen Staustufen ausgestattet sind, weiterhin mit Schiffen bedient werden, während der Main-Donau-Kanal umgangen wird?
Ich betone noch einmal: Die Auslastung des Kanals durch Containerverkehr beträgt nur ungefähr 12 Prozent. Das heißt, ich kann die ganze Betrachtung jetzt nicht auf die Beantwortung von Fragen des Containerverkehrs abstellen, sondern ich muß das gesamte Aufkommen von Transportgütern auf dieser Wasserstraße in Betracht ziehen. Unter diesen Gesichtspunkten erfolgt der Ausbau.
Zusatzfrage, Herr Schily.
Herr Staatssekretär, kann ich Ihre Antwort so verstehen, daß der Anteil von 12 Prozent Containerverkehr daran liegt, daß der Bedarf nicht höher ist, oder liegt das daran, daß die Möglichkeiten des Schiffsverkehrs, bezogen auf Container, auf diesem Schiffahrtsweg so gering sind?
Herr Schily, die Zahl, die ich für das Jahr 2010 genannt habe, ist die Bedarfsprognose: 1,1 bis 1,2 Millionen Tonnen.
Herr Kollege Brecht, bitte schön, Ihre Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie der Meinung, daß der Containerverkehr möglicherweise zunimmt, und sind Sie dann bereit, Ihre bisherige Auffassung zu ändern?
Ich wäre nicht unzufrieden, wenn der Anteil der Containerverkehre auf dieser Wasserstraße ansteigen würde.
Es gibt hierzu keine weitere Zusatzfrage.
Dann rufe ich die Frage 10 des Abgeordneten Brecht auf:
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
Kann die Bundesregierung bestätigen, daß der Bundesminister für Verkehr, Matthias Wissmann, bei seinem Amtsantritt keine Finanzierungsplanung für die vier Abschnitte der Bundesstraße B 6 n zwischen der niedersächsischen Landesgrenze und Dessau vorgefunden hat, obwohl der Bau dieser Straße als vordringlich eingestuft wurde, und wie glaubt die Bundesregierung, dennoch die nötigen Finanzmittel aufbringen zu können, um ihren eigenen Ankündigungen bzgl. der Realisierung des Bauvorhabens gerecht zu werden?
Herr Dr. Brecht, das Gesamtvolumen der Maßnahmen des vordringlichen Bedarfs im Bedarfsplan für die Bundesfernstraßen im Land Sachsen-Anhalt einschließlich der B 6 n war Grundlage für die Ermittlung der sogenannten Landesquote, nach der die entsprechenden Baumittel aus dem Bundeshaushalt auf die einzelnen Bundesländer aufgeteilt wurden.
Die Landesquote für Sachsen-Anhalt, 7,7 Prozent, berücksichtigt somit die gesamten im Bedarfsplan enthaltenen Kosten der B 6 n in Höhe von 1,3 Milliarden DM.
Der Bedarfsplan ist jedoch kein Finanzierungsplan, auch wenn bei seiner Aufstellung die damals geltenden finanziellen Rahmendaten zugrunde gelegt wurden. Er ist in seinem ganzen Umfang ein Planungsinstrument.
Der Vollzug der vordringlichen Maßnahmen des Bedarfsplans für die Bundesfernstraßen wird letztlich durch den Ablauf der Planung, hier insbesondere durch das Planfeststellungsverfahren, ferner durch die finanziellen Rahmenbedingungen sowie nicht unwesentlich durch die verkehrspolitische Relevanz der einzelnen Projekte bestimmt.
Nach Maßgabe dieser genannten Parameter ist die Bundesregierung entschlossen, mit dem Bau der B 6 n noch in diesem Jahr zu beginnen.
Ihre Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wann gedenkt die Bundesregierung, voraussichtlich die Linienbestimmung der vier Abschnitte der B 6 n abzuschließen und nach der entsprechenden Planfeststellung tatsächlich die Mittel bereitzustellen, um den Bau dieser B 6 n voranzutreiben?
Herr Dr. Brecht, Sie wissen, daß wir diese sehr wichtige und auch sehr schwierige Bundesstraße in verschiedene Abschnitte unterteilt haben. Wann die Linienbestimmung für den letzten Abschnitt erfolgt, kann im Moment niemand sagen,
weil zunächst die verkehrlichen Untersuchungen im Lande Sachsen-Anhalt selbst laufen.
Wir haben für einen ersten Bauabschnitt Baurecht. Wir werden Mitte dieses Jahres für einen zweiten
Abschnitt Baurecht haben. Wir werden der Landesregierung Sachsen-Anhalt jetzt vorschlagen, daß aus dem Mittelabschnitt ein weiterer Abschnitt, der westliche des Mittelabschnitts, herausgetrennt wird, um die Linienbestimmung durchführen und einen durchgehenden Zug von Stapelburg bis zur Kreisstraße 346 bauen zu können.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie haben gesagt, daß Mitte dieses Jahres im Mittelabschnitt Baurecht bestehen wird, aber nur für einen kleinen Teil die Baumöglichkeit auch tatsächlich besteht. Ich darf Sie fragen, ob Ihnen eine Studie bekannt ist, die zu dem Schluß kommt, daß zu den am schlechtesten erschlossenen Regionen Deutschlands der Raum südlich von Chemnitz und der Raum des nördlichen Harzes gehören. Angesichts einer Arbeitslosigkeit von 25 bis 26,3 Prozent in diesem Raum darf ich Sie noch einmal fragen, ob es nicht Möglichkeiten gibt, andere Finanzquellen durch Umschichtungen im Bundeshaushalt bereitzustellen, um möglichst rasch nach der Linienbestimmung und dem Planfeststellungsverfahren mit dem Bau weiterer Abschnitte innerhalb des Mittelabschnittes und des Westabschnittes zu beginnen.
Ich darf bezüglich der Einleitung zu dieser Frage richtigstellen, daß im östlichen Abschnitt des Westabschnitts Mitte dieses Jahres Baurecht bestehen wird.
Im übrigen sind Landesregierung und Bundesregierung einer Meinung, daß diese Straße für die Entwicklung des Nordharz-Raumes von ausschlaggebender Bedeutung ist. Die Bundesregierung hat sich in den Auseinandersetzungen mit der Landesregierung in den letzten Monaten insbesondere dafür eingesetzt, daß in diesem Jahr mit den Bauarbeiten auf der B 6 n begonnen wird und daß wir nicht, wie die Landesregierung vorhatte, zunächst alle Ortsumgehungen, die auch wichtig sind, bauen und erst dann mit dieser Straße anfangen. Es war gerade die Bundesregierung, die diesen Punkt durchgesetzt hat.
Wir haben auch versucht, andere Vorhaben im Lande Sachsen-Anhalt zurückzustellen, um mehr Mittel für die B 6 n zur Verfügung zu haben. Sie wissen, das ist aus bestimmten Gründen gescheitert.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Dann rufe ich die Frage 11 des Abgeordneten Dr. Brecht auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung der Landesregierung von Sachsen-Anhalt, daß andere Maßnahmen des Vordringlichen Bedarfs, die bereits begonnen oder fertig geplant sind, nicht ausgesetzt werden können, um die fehlende finanzielle Untersetzung der B 6 n auszugleichen?
Bitte schön.
Herr Dr. Brecht, die Bundesregierung ist der Auffassung, daß bereits begonnene Maßnahmen in einem bauwirtschaftlich gebotenen Zeitraum fertigzustellen sind. Das heißt, wo angefangen worden ist, muß fertiggebaut werden, und zwar, wie gesagt, in einem bauwirtschaftlich möglichst vertretbaren Zeitraum. Wir sind natürlich dankbar, daß die Landesregierung Sachsen-Anhalt diese Auffassung teilt.
Ihre Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, glauben Sie, daß angesichts der von Ihnen jetzt genannten Summe von 1,3 Milliarden DM Gesamtvolumen Umschichtungen der Mittel für Ortsumgehungen mit relativ kleinem finanziellen Umfang tatsächlich geeignet sind, den Bau der B 6 n voranzutreiben?
Herr Dr. Brecht, das sind keine Umschichtungen. Wir haben - ich hatte Ihnen das auf Ihre erste Frage hin geantwortet - die Gesamtbaumaßnahmen in die Landesquote einbezogen, so daß alle Maßnahmen - auch die 1,3 Milliarden DM für die B 6 n - in der Landesquote enthalten sind. Deshalb kann nicht davon gesprochen werden, daß die B 6 n aus Umschichtungen gebaut wird.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, mir ist zu Ohren gekommen, daß die Bundesregierung zusätzlich zu den Verkehrsprojekten Deutsche Einheit ein Projekt in die Finanzierung aufgenommen hat, und zwar eine südliche Ortsumgehung von Leipzig, eine Region, die verkehrstechnisch relativ gut erschlossen ist, mit Zusatzkosten von 60 Millionen DM. Halten Sie angesichts der dramatischen Verkehrssituation im nordöstlichen Harz eine solche zusätzliche Aufnahme für gerechtfertigt?
Herr Dr. Brecht, die Information, die Sie haben, ist unkorrekt. Es handelt sich bei dem Vorhaben um die A 38, die sogenannte Südharz-Autobahn, die in wesentlichen Teilen das Land Sachsen-Anhalt bedient. Wir müssen diese Autobahn aber an die weiterführenden Bundesstraßen bzw. Autobahnen anschließen, da sonst der Verkehr in Sachsen-Anhalt stehenbleibt. Bei diesen 50 Millionen DM handelt es sich um Mittel für den Südanschluß an die A 9.
Eine Zusatzfrage, Herr Kubatschka.
Herr Staatssekretär, warum ist die Bundesregierung nicht dem Vorschlag der Landesregierung von Sachsen-Anhalt gefolgt,
durch eine Vorfinanzierung des Gesamtbrückenprojektes Lutherstadt Wittenberg aus dem Etat des Verkehrsprojektes Deutsche Einheit Nr. 8 Spielräume für die Finanzierung der B 6 n zu schaffen?
Herr Kubatschka, Sie sind im Haushaltsrecht sicherlich gut bewandert. Wenn ich Ihnen jetzt sage, daß das VDE Nr. 8 ein Schienenwegeprojekt ist, dann wird Ihnen insbesondere als SPD-Kollege sicherlich angst vor Ihrer eigenen Mannschaft werden, wenn Sie vorschlagen, Schienenmittel in den Straßenbau umzuschaufeln.
Dann rufe ich die Frage 12 des Kollegen Dr. Winfried Wolf auf:
Treffen Medienberichte zu, daß es üblich sei, „Ballast-Uran'' in Tragflächen von Flugzeugen einzubauen, und betrifft dies auch Passagiermaschinen der zivilen Luftfahrt?
Herr Dr. Wolf, es trifft zu, daß Uran als Ausgleichsgewicht zur Vermeidung von Flattererscheinungen in Seiten-, Höhen- und Querrudern älterer Flugzeuge eingebaut ist. Es handelt sich um die Modelle Boeing 747 und DC 10, hierbei sowohl Fracht- als auch Passagierflugzeuge. Der Grund liegt in dem hohen spezifischen Gewicht von 18,7 Kilo pro Kubikdezimeter und dem kleinen zur Verfügung stehenden Bauvolumen. Es werden Mengen von 200 bis 500 Kilo für diese Zwecke eingebaut. Seit 1981 wird jedoch anstelle von Uran Wolfram verwendet.
Zusatzfrage.
Können Sie ausschließen, daß bei Verkehrsmaschinen ausländischer Linien heute noch im gleichen Maß Uran als Ballast verwendet wird?
Nein, das kann ich natürlich nicht. Ich kann nicht ausschließen, daß das irgendwo eingebaut wird. Aber ich sehe darin keine Gefahr.
Zweite Frage.
Ist Ihnen die Aussage des El-Al-Sprechers zu dem Unglück in Amsterdam bekannt, wonach das schwere Uran, das bei vielen Flugzeugen als zusätzlicher Ballast verwendet wird, nicht strahlungsfähig sei, und was ist damit gemeint, daß das Uran nicht strahlungsfähig sei?
Ja, das ist mir bekannt. Die Erklärung ist eine einfache physikalische. Das Uran 238, das den Ausgangsstoff dafür darstellt, ist ein nicht spaltbares Produkt. Sie wissen, man muß
Parl. Staatssekretär Johannes Nitsch
aus Uran 238 über Hochzentrifugierung das Uran 235 gewinnen. Im Uran 238 sind durchschnittlich ungefähr 7,5 Promille Uran 235 enthalten. Als Abfallprodukt der Gewinnung des spaltbaren Stoffes bleibt Uran 238 mit einem sehr kleinen Anteil an Uran 235 übrig. Das strahlt praktisch nicht mehr bzw. kann durch einfache Ummantelung so abgeschirmt werden, daß es nicht mehr strahlt; in einem Meter Abstand jedenfalls entspricht die Strahlung dann der natürlichen Strahlung, die uns umgibt.
Zusatzfrage, Kollege Schily.
Herr Staatssekretär, warum ist man denn davon abgekommen, das Uran zu verwenden?
Herr Dr. Schily - -
Aber die Frage bleibt dieselbe.
Herr Schily, auch diese Frage ist wieder technisch zu beantworten. Das Uran oxydiert sehr stark und muß deshalb ummantelt werden. Die Oxydationsschicht bzw. die Ummantelung muß gewartet werden. Das ist bei Wolfram nahezu nicht nötig. Wolfram ist praktisch wartungsfrei und hat außerdem ein spezifisches Gewicht von 19,1, liegt also noch um 0,4 Zähler über Uran 238.
Frau Dr. Enkelmann.
Herr Staatssekretär, wurden oder werden möglicherweise auch andere radioaktive oder giftige Stoffe als Ballast in Flugzeugen verwendet?
Das ist eine Frage, die ich jetzt so beantworten möchte, daß ich mit höchster Wahrscheinlichkeit annehme, daß das nicht der Fall ist. Ich kann mir das nicht vorstellen. Es liegt uns jedenfalls keinerlei Information vor. Ich schließe es einfach aus.
Keine weitere Zusatzfrage? - Dann rufe ich die Frage 13 des Kollegen Dr. Wolf auf:
Gibt es solches „Ballast-Uran" auch in Flugzeugen der Lufthansa oder anderer deutscher Fluglinien, und welche Strahlenschutzmaßnahmen sind dafür vorgesehen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Dr. Wolf, solches „Ballast-Uran" ist auch in Maschinen der deutschen Luftfahrtunternehmen wie der Lufthansa eingebaut.
Spezielle Strahlenschutzmaßnahmen sind nicht erforderlich, da es sich, wie ich das bereits erklärt habe, um sogenanntes abgereichertes Uran 238 handelt, bei dem bis auf einen im Promillebereich liegenden Restanteil die radioaktiven Anteile entzogen worden sind. Die Strahlung ist so gering, daß sie bereits bei einem Abstand von einem Meter von der in der Natur vorhandenen radioaktiven Strahlung überdeckt wird. Eine Gesundheitsgefährdung kann daher ausgeschlossen werden.
Ihre erste Zusatzfrage.
Unterstellt, die physikalischen Belehrungen - das ist jetzt positiv gemeint - sind richtig, habe ich keine Zusatzfrage.
Keine weiteren Zusatzfragen? - Dann schließe ich diesen Geschäftsbereich. Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns Staatsminister Dr. Hoyer zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 14 des Abgeordneten Köhne auf:
Mit welchem Material soll der Forschungsreaktor Garching II in München, dessen Bau die Bundesregierung fördert, zukünftig betrieben werden, wenn die Produktion von waffentauglichem Nuklearmaterial verboten worden ist ?
Bitte schön.
Herr Kollege Köhne, wir kommen auf die Frage 22 in der Drucksache 13/6797 zurück.
Der Forschungsreaktor Garching II soll mit hochangereichertem Uran betrieben werden. Unter den Verbotstatbestand des sich gegenwärtig in der Aushandlung befindlichen Übereinkommens über ein multilaterales verifizierbares Verbot der Produktion von Spaltmaterial für Kernwaffen oder andere Kernsprengkörper wird die Verwendung von spaltbarem Material, also hochangereichertem Uran oder Plutonium, dann nicht fallen, wenn es zur friedlichen Nutzung in Forschungsreaktoren, Kernkraftwerken, Nuklearreaktoren oder in Satelliten verwendet wird.
Erste Zusatzfrage.
Sehen Sie nicht, wenn Sie dieses hochangereicherte Uran weiter benötigen, einen Glaubwürdigkeitswiderspruch zu Ihrer in dieser Frage erfreulichen Außenpolitik?
Diesen Widerspruch sehe ich nicht. Ich würde
Staatsminister Dr. Werner Hoyer
ihn dann sehen, wenn es eine nicht hinreichende Kontrolle für die für zivile Zwecke vorgesehenen Forschungsmaterialien im Hinblick auf eine Proliferation im militärischen Bereich gäbe. Da über die IAEO diese Sicherheit nach unserer Auffassung gewährleistet ist und daran auch nach internationalen Standards offensichtlich kein Zweifel besteht, sehe ich diesen Widerspruch nicht.
Zweite Zusatzfrage?
Nein.
Die Fragen 15 und 16 des Abgeordneten Dr. Jüttner werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Frage 17 der Abgeordneten Dr. Leonhard:
Welchen Stellenwert mißt die Bundesregierung der Außenwirtschaftsförderung durch die deutschen Vertretungen im Ausland und insbesondere durch qualifiziertes Personal bei?
Frau Kollegin Leonhard, der Stellenwert der Außenwirtschaftsförderung und der Außenwirtschaftspolitik wird innerhalb des Gesamtbereichs der auswärtigen Politik immer höher. Wirtschaftliche Fragen treten immer mehr in den Vordergrund. Das hat auch Konsequenzen für den Charakter der Arbeit unserer Auslandsvertretungen weltweit.
Deshalb ist es zwingend notwendig, entsprechend qualifiziertes Personal zu haben. Über die Hälfte der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des höheren Dienstes sind bereits in Wirtschaftsfragen im weitesten Sinne tätig. Deswegen tun wir alles, um unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in diese Richtung zu qualifizieren und auch weiterzuqualifzieren.
Erste Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, ist der Bundesregierung bewußt, daß unsere Hauptkonkurrenten auf den Exportmärkten - beispielsweise die USA und Japan - eine erheblich konzentriertere und aggressivere Außenhandelspolitik betreiben?
Das ist uns sehr bewußt. Sicherlich sind wir selber auf diesem Gebiet auch noch weiter entwicklungsfähig. Allerdings muß ich dazusagen, daß Möglichkeiten des auswärtigen Dienstes, in diesem Bereich noch stärker tätig zu werden, natürlich nur dann bestehen - vorausgesetzt, man will ganz wesentliche andere Bereiche der auswärtigen Politik, wie zum Beispiel die auswärtige Kulturpolitik, nicht darunter leiden lassen -, wenn sie von der Personal- und von der Haushaltsseite her zu realisieren sind.
Das, was der auswärtige Dienst in den letzten Jahren an Einschränkungen hingenommen hat, weil er die Ziele der Bundesregierung bei der Haushaltskonsolidierung insgesamt mittragen wollte, ist enorm und führt dazu, daß wir in diesem Bereich sicherlich nicht mehr allzuviel über das hinaus machen können, was wir uns zu tun bemühen, nämlich aus dem Vorhandenen möglichst viel herauszuholen. Das, was die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unter diesen Umständen leisten, ist sehr beachtlich. Es wird auch von der Wirtschaft zunehmend anerkannt, daß der auswärtige Dienst in dieser Hinsicht in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte gemacht hat.
Zweite Zusatzfrage.
Das möchte ich bestätigen. Dazu aber die Frage: Besteuern unsere Konkurrenten auf den Exportmärkten die Auslandsbezüge der zur Außenwirtschaftsförderung eingesetzten Diplomaten? Wenn nein: Kann ich davon ausgehen, daß Sie, der Sie die Vorzüge des auswärtigen Dienstes kennen, nicht zulassen werden, daß eine extreme Ungleichbehandlung entsteht?
Das Bild der auswärtigen Dienste unserer Partner- oder Konkurrentenländer ist sehr vielfältig. Der Vergleich mit diesen Diensten ist anzustellen, aber auch der Vergleich mit der Privatwirtschaft. Es sind in diesem Bereich schwierige Fragen zu beantworten, die sich sicherlich auch im Zusammenhang mit dem Steuerreformgesetzgebungsverfahren ergeben werden.
Gewiß haben wir die gleichen Ziele im Kopf, nämlich zum einen die sozialen Angelegenheiten der Angehörigen des auswärtigen Dienstes entsprechend zu berücksichtigen - das ist ein ganz wichtiges Thema - und zum anderen die Funktionsfähigkeit des auswärtigen Dienstes aufrechtzuerhalten und dort zu steigern, wo sie noch zu steigern ist. Das setzt eine vernünftige Regelung voraus.
Zusatzfrage, Dr. Brecht.
Herr Staatsminister, ist die Bundesregierung bereit, im Rahmen einer geplanten Neuordnung des auswärtigen Dienstes die Besetzung von Stellen in den deutschen Botschaften und Auslandsvertretungen nach einem Verfahren vorzunehmen, das sicherstellt, daß qualifizierte Mitarbeiter für die Außenwirtschaftsförderung in solchen Regionen eingesetzt werden, die für uns besonders interessant sind? Welche anderen Kriterien gibt es? Gibt es schließlich Anstrengungen der Bundesregierung, im Rahmen der EU eine solche Außenwirtschaftsförderung voranzutreiben, um den Haushaltszwängen zu entgehen?
Grundsätzlich ist im Bereich der Außenwirtschaftspolitik natürlich die Europäische Union zuständig; die Kommission ist auf diesem Feld sehr aktiv. Was die Außenwirtschaftsförderung angeht, ist es
Staatsminister Dr. Werner Hoyer
im wesentlichen Sache der deutschen Wirtschaft und der Bundesregierung, etwas zu tun. Wir bemühen uns, unsere Auslandsvertretungen so schlagkräftig wie möglich zu machen und dabei entsprechende Prioritäten zu setzen. Die Prioritäten ergeben sich aus den wirtschaftlichen Interessen der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Wirtschaftsunternehmen.
Ich muß dazu allerdings noch einmal sagen: Eine Schwerpunktsetzung unter reduzierten haushaltsmäßigen und stellenmäßigen Möglichkeiten kommt dann an ihre Grenzen, wenn wir den hohen Stellenwert, den zum Beispiel die auswärtige Kulturpolitik einnimmt, nicht beeinträchtigen wollen und nicht übersehen wollen, daß die Arbeit unserer Auslandsvertretungen im Hinblick auf die Rechts- und Konsularangelegenheiten erheblich mehr und nicht weniger geworden ist. In Fragestunden hier im Hause haben wir uns schon oft darüber unterhalten, wie schwierig die Bewältigung der Antragsströme an einigen Auslandsvertretungen ist.
Dann rufe ich die Frage 18 der Kollegin Dr. Leonhard auf:
Wie beabsichtigt die Bundesregierung, eine ausreichende Anzahl qualifizierter Bewerber fur den auswärtigen Dienst und damit für eine leistungsfähige Außenwirtschaftsförderung sicherzustellen, wenn die Attraktivität einer Tätigkeit im auswärtigen Dienst im Vergleich zu einer Beschäftigung in der freien Wirtschaft infolge der durch die Steuerreformkommission geplanten mindestens 20prozentigen Verringerung der Auslandsbezüge abnimmt?
Frau Kollegin Leonhard, inwieweit eine Verringerung des Auslandseinkommens durch zusätzliche Besteuerung für Bedienstete des Auswärtigen Amtes beabsichtigt ist, läßt sich zum gegenwärtigen Stand der Beratungen über den Bericht der Steuerreformkommission noch nicht genau sagen. Der Vorschlag der Kommission ist auch insofern nicht ganz präzise; er spricht von „der Auslandszulage". Im Zuge der Erstellung eines Referentenentwurfs im Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen wird es nun darum gehen, das zu präzisieren. In diesem Bereich sind natürlich unsere Bemühungen angesiedelt. Insofern wäre es jetzt zu früh, Einzelheiten zu besprechen.
Generell muß gesagt werden, daß eine Verringerung der Auslandszulage netto natürlich die Attraktivität von Auslandsdienstposten erheblich beeinträchtigen würde. Daher kann aber auch erst über Einzelheiten gesprochen werden, wenn genau festgelegt ist, welche Besteuerung für Auslandsbezüge vorgesehen ist. Sie wissen, daß wir bisher noch nicht einmal einen Referentenentwurf haben, der Basis der Beratungen innerhalb der Bundesregierung sein könnte.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, kann die Bundesregierung angesichts einer zunehmend problematischeren Bewerbersituation auf finanzielle
Anreize zur Steigerung der Attraktivität des auswärtigen Dienstes gegenüber der freien Wirtschaft, die wesentlich höhere Auslandsbezüge zahlt, verzichten?
Der Vergleich mit der privaten Wirtschaft ist immer außerordentlich schwierig. Das gilt für alle Bereiche des öffentlichen Dienstes und für Auslandsverwendungen erst recht. Im Kern stimme ich Ihnen aber zu. Gerade in dem von Ihnen beschriebenen Bereich des auswärtigen Dienstes ist es wichtig, die Attraktivität zu wahren. Dazu gehört die finanzielle Absicherung unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zweifellos.
Im übrigen geht es auch darum, die Leistung, die der auswärtige Dienst in den verschiedenen Bereichen seiner Auslandstätigkeiten erbringt, entsprechend zu würdigen. Es ist, glaube ich, an der Zeit, diese Würdigung vorzunehmen. Das hat dann auch finanzielle Konsequenzen, aber nicht nur.
Zweite Zusatzfrage.
Meine letzte Frage zielt darauf ab, ob die große Zahl schwieriger Dienstorte nach Kürzung der Bezüge durch Besteuerung noch voll besetzbar sein wird und die Funktionsfähigkeit des auswärtigen Dienstes darunter leiden könnte.
Uns leiten ganz klar zwei Kriterien bei der Bewältigung der Herausforderung, die der Bericht der Steuerreformkommission für uns gebracht hat. Das eine ist die Situation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter selber. Hier gilt es, soziale Härten zu verhindern. Zweites Kriterium ist, die Funktionsfähigkeit des auswärtigen Dienstes zu bewahren oder zu steigern und dort keine Einbrüche zu riskieren. Das wäre im Interesse des Landes unverantwortlich.
Keine weiteren Fragen.
Dann kommt die Frage 19 des Abgeordneten Gernot Erler:
Welche Auswirkungen haben die seit Januar 1997 geltenden neuen Einfuhr- und Zollbestimmungen der Republik Ukraine auf humanitäre Hilfslieferungen aus der Bundesrepublik Deutschland, und welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, negative Auswirkungen, wie z. B. die Einstellung von Hilfslieferungen durch Wohltätigkeitsverbände, als Folge dieser neuen Bestimmungen zu vermeiden?
Herr Kollege Erler, mit einem Gesetz vom 17. Dezember 1996 hat die Ukraine für Waren aus humanitären Lieferungen die bisherige Zoll- und Abgabenfreiheit gestrichen. Unser Botschafter, Dr. Heyken, demarchierte sofort, und der stellvertretende ukrainische Premierminister Kuras versicherte in einem Gespräch, das Gesetz werde nicht angewandt werden. Auch die EU-Partner und die US-Bot-
Staatsminister Dr. Werner Hoyer
schafter wiesen die ukrainische Regierung auf die problematische Gestaltung des Gesetzes hin.
Nunmehr soll das Gesetz überarbeitet werden. In der überarbeiteten Fassung soll eine Passage enthalten sein, die die Abgabenfreiheit von humanitären Hilfslieferungen festschreibt. Damit bliebe mittelfristig die bisherige Praxis gewahrt. Die umfangreiche und wertvolle private humanitäre Hilfe, der die Bundesregierung wegen ihrer Bürgernähe und der durch sie ermöglichten unmittelbaren Zusammenarbeit zwischen den Menschen beider Staaten auch eine große politische Bedeutung beimißt, könnte fortgesetzt werden. Wir werden uns nach Kräften in diese Richtung bemühen.
Ihre erste Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, mir ist nicht ganz erklärlich, warum die ukrainische Botschaft, wenn das Gesetz noch nicht gültig ist, dann doch mit einem Schreiben vom 21. Januar 1997, das an die humanitären und wohltätigen Vereine Deutschlands gegangen ist, davon abgeraten hat, bis März dieses Jahres Transporte von Hilfsgütern in die Ukraine durchzuführen, und Ihr Haus dieses Schreiben - was auch sinnvoll ist - offenbar an diese Vereine weitergeleitet hat. Hier gibt es offensichtlich doch schon eine Auswirkung dieses Gesetzes, obwohl es noch nicht gültig ist. Können Sie das aufklären?
Ganz bewußt gibt das Auswärtige Amt keine eigene Empfehlung, entsprechende Hilfslieferungen zu unterlassen. Aber es wäre leichtfertig, die humanitären Organisationen nicht darauf hinzuweisen, daß ein Risiko besteht. Da das „Memorandum of Understanding" zwischen Deutschland und der Sowjetunion vom 28. November 1990, das sich auch mit der Zoll- und Abgabenfreiheit von humanitären Lieferungen befaßt, kein verbindlicher Text im völkerrechtlichen Sinne ist, haben wir ein rechtliches Restrisiko. Das müssen wir denjenigen, die sich dankenswerterweise um diese humanitäre Hilfe bemühen, auch sagen. Um so wichtiger ist es, daß wir sehr schnell mit der ukrainischen Seite zu einer Lösung des Problems kommen. Dabei sind wir.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, Sie haben dankenswerterweise schon Ihre persönliche Einschätzung dieses Gesetzes gegeben. Ich teile diese in vollem Umfang, besonders wenn man an die Empfängerkreise denkt, die durch einen Ausfall oder eine Unterbrechung der Hilfslieferungen - Stichwort: Kinder von Tschernobyl oder andere - betroffen sind.
Wie erklären Sie, daß ein solches, den ukrainischen Interessen letztlich schädliches Gesetz zustande kommt, obwohl es intensive Beratungsbeziehungen zwischen Westeuropa und der Ukraine gibt?
Ich denke hier an die technische und Beratungshilfe durch das Tacis-Programm; ich denke an das deutsche Transform-Programm, das auch in sehr starkem Maße Beratung im rechtlichen Bereich bietet. Wie kann ein solches Unglück passieren, obwohl wir so viele Mittel in diesem Bereich aufwenden?
Mir ist dies in der Tat sehr unverständlich. Ich kann auch das Argument, daß der humanitäre Charakter der Lieferungen bisweilen schon in den Bereich von Investitions- oder Ausstattungshilfe hineingeht, in dieser Form nicht akzeptieren. Ich weiß aus eigenem Engagement auf diesem Gebiet, daß es eine ganze Reihe von humanitären Aktionen gibt, die enorme Geldmittel aufbringen und ein enormes persönliches Engagement hervorbringen, bei denen es sich aber eindeutig um humanitäre Hilfe handelt. Daher habe ich für diese neuerliche Infragestellung der Steuer- und Zollbefreiung kein Verständnis.
Wir kommen zur Frage 20 des Abgeordneten Erler:
Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über Unregelmäßigkeiten bei der Auszahlung der Gelder aus dem in Kiew errichteten Fonds „ Versöhnung und Verständigung", über die in jüngster Zeit, besonders im Hinblick auf die „Gradobank", in ukrainischen Veröffentlichungen berichtet wurde?
Der ukrainische nationale Fonds „Versöhnung und Verständigung" - das ist ein Fonds einer unter der Aufsicht der ukrainischen Regierung 1993 gegründeten selbständigen Körperschaft, dem von Deutschland ein Betrag von 400 Millionen DM zur Entschädigung von NS-Opfern übergeben wurde - kann derzeit keine Zahlung an die Empfänger leisten. Die Ursache ist die Zahlungsunfähigkeit des mit der Verwaltung der Stiftungsmittel beauftragten privaten Kreditinstituts „Gradobank".
Ihre erste Zusatzfrage, Herr Kollege.
Herr Staatsminister, ich gehe davon aus, Sie sind sich mit mir darüber einig, daß dies eine skandalöse Entwicklung ist, da es doch hier darum ging, Opfer aus der Nazizeit über einen Fonds zu entschädigen. Ich selbst habe im Bundestag mehrfach auf die Schwierigkeiten mit diesem Fonds hingewiesen.Ich frage Sie jetzt: Was hat denn die Bundesregierung zwischen Dezember 1993, als die ersten Zahlungen an diesen Fonds erfolgten, und dem Ende des letzten Jahres, als immer noch keine Auszahlung erfolgt war, getan, um genau das zu verhindern, was jetzt eingetreten ist, nämlich die Zahlungsunfähigkeit - ein nur noch strafrechtlich zu würdigendes Vorgehen? Inzwischen laufen auch strafrechtliche Prozesse gegen die Fondsverwalter und gegen die „Gradobank". Was hat die Bundesregierung unternommen, um ihrer Verantwortung gerecht zu werden? Wir wollten ja nicht, daß sich irgendwelche I Leute an diesem Fonds bereichern, sondern Zweck
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Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. Februar 1997 14041
Gernot Erlerder Zahlungen war, daß die Opfer entschädigt werden.
Zunächst einmal teile ich die von Ihnen vorgenommene Würdigung des Vorfalles. Zum zweiten bin ich gerne bereit, Ihnen das gesamte Dossier zur Verfügung zu stellen, in dem die Bemühungen der Bundesregierung seit Beginn dieser Probleme nachzulesen sind. Ich will das nicht alles hier vortragen.
Es ist daran zu erinnern, daß diese Vereinbarung noch zu Zeiten der Sowjetunion zustande gekommen ist. Damals bestand noch nicht die Möglichkeit, zum Beispiel durch Beteiligung von Deutschen in Aufsichtsgremien dafür zu sorgen, daß eine bessere Kontrolle von außen erfolgt. Die Vereinbarung wurde eben zu einer Zeit getroffen, als diese Möglichkeit nicht so unmittelbar umsetzbar war, wie dies heute der Fall wäre.
Es hat anschließend seitens der Bundesregierung, insbesondere unseres Botschafters vor Ort, sehr engagierte Bemühungen gegeben - sie werden fortgesetzt -, dafür zu sorgen, daß eine entsprechende Übernahme der Liquiditätsprobleme der „Gradobank" durch andere ukrainische Institutionen erfolgt. Wir hoffen, auf diesem Gebiet tatsächlich Fortschritte machen zu können, um sicherzustellen, daß die Auszahlung aller von der Bundesrepublik Deutschland zur Verfügung gestellten Mittel bis Ende des Jahres 1997 gewährleistet werden kann.
Wir nehmen den Vorgang außerordentlich ernst.
Zweite Zusatzfrage.
Zu Ihrer gerade erfolgten Antwort gestatten Sie mir die Anmerkung, daß die Einrichtung des Fonds und die Zahlungen im Jahre 1993 schon deutlich in die Phase der Unabhängigkeit der Republik Ukraine fallen.
Ich möchte noch eine Frage in bezug auf das weitere Vorgehen an Sie richten. Es gibt jetzt eine ukrainische Planung, durch ein kompliziertes Refinanzierungsverfahren über eine andere seriöse Bank, nämlich über die Agrarindustriebank AB Ukraina - es dauert aber noch mehrere Monate, bis die Refinanzierung erfolgt ist; wahrscheinlich bis zum Ende des Jahres -, doch noch die restlichen Auszahlungen vorzunehmen. Sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, diesen peinlichen Verzögerungsprozeß im Hinblick auf die Entschädigung der Opfer zu stoppen, zum Beispiel durch eine Art Zwischenfinanzierung oder irgendeine Maßnahme, die den Fonds wieder auffüllt, und die Anspruchsberechtigten auszuzahlen?
Die Vermeidung von weiterer Verzögerung steht für die Bundesregierung obenan. Denn wir sind uns natürlich darüber im klaren, daß es ja schließlich darum geht, den Opfern Zahlungen zukommen zu lassen, die dringlichst darauf warten, daß diese Zahlungen erfolgen. Deshalb gibt es immer wieder hochrangige Demarchen der Bundesregierung, insbesondere durch Botschafter Heyken, bei der ukrainischen Regierung und dem Fonds „Versöhnung und Verständigung" . Wir gehen davon aus, daß die ukrainische Regierung ihre Zusagen umsetzt. Sie hat Vorkehrungen zugesagt, die die Auszahlung aller von der Bundesregierung zur Verfügung gestellten Mittel bis Ende 1997 gewährleisten sollen. Wir wären nicht gut beraten, die ukrainische Regierung aus dieser Verantwortung zu entlassen.
Dann kommt die Frage 21 des Kollegen Dr. Helmut Lippelt:
Welche Konsequenzen wird die Bundesregierung aus der Haltung der iranischen Regierung gegenüber Regimekritikern für ihre wirtschaftliche Zusammenarbeit mit dem Iran ziehen, und ist die Bundesregierung darüber derzeit im Gespräch mit den europäischen Partnern?
Herr Kollege Lippelt, die Bundesregierung stimmt ihre Iranpolitik eng mit den europäischen Partnern ab. Wir sind mit ihnen eng im Gespräch, insbesondere über das Mykonos-Verfahren und den Schriftsteller Sarkuhi. Der Ausgang des MykonosVerfahrens und das Ergebnis der Bemühungen um Sarkuhi bleiben abzuwarten. Es mag sein, daß dann eine neue Bewertung stattfinden muß. Gegenwärtig können wir in diesem Zusammenhang noch nicht alle Fragen beantworten.
Ihre erste Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, es ist zweifellos richtig, daß die Bundesregierung nach dem Urteil im Mykonos-Prozeß vor neuen Bewertungsproblemen stehen wird. Da ich aber davon ausgehen darf, daß Sie den bewegenden Brief von Faradj Sarkuhi mit dem Ziel Deutschland, der in der Presse veröffentlicht wurde, gelesen haben, und da Sie sicherlich den Zynismus, mit dem dieser Brief bewertet wurde, wahrgenommen haben, frage ich Sie: Glauben Sie, daß sich das alles so hinziehen läßt und daß nicht Zwischenschritte, die deutlich machen, daß wir auf solche Fälle reagieren, angebracht wären?
Herr Kollege Lippelt, aus diesem Grunde ist Bundesminister Kinkel in der Angelegenheit Sarkuhi, wie Sie wissen, außerordentlich engagiert. Wir hoffen, daß wir hier bald eine vollständige Aufklärung erhalten. Bevor diese vorhanden ist, erscheint es mir voreilig, zu endgültigen Bewertungen und Konsequenzen zu kommen.
Ihre zweite Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, würden Sie sich im Namen der Bundesregierung dann zumindest von den Aussagen
Dr. Helmut Lippelt
unseres gemeinsamen Kollegen Möllemann distanzieren, der nach einer vor kurzem beendeten Iran-Reise von Aufträgen in Milliardenhöhe am Horizont deutsch-iranischer Wirtschaftsbeziehungen sprach und dazu aufforderte, diese auszubauen?
Ich habe nicht die Absicht, Äußerungen von Kollegen des Deutschen Bundestages zu kommentieren. Man muß aber einmal darauf hinweisen, daß der Handelsaustausch mit dem Iran im Gegensatz zu dem, was mancher, der uns in diesem Zusammenhang Vorwürfe macht, sagt, außerordentlich begrenzt ist. Die Vorstellung, daß der Iran ein ganz besonders präferierter oder in unserer Exportstatistik besonders hochstehender Partner wäre, trifft einfach nicht zu.
Eine Zusatzfrage, Dr. Brecht.
Herr Staatsminister, ist Ihnen bekannt, daß die Westdeutsche Landesbank im Iran ein sehr großes Projekt in einer strategisch wichtigen Branche mitfinanziert, und wie bewerten Sie diesen Vorgang?
Ich kenne den Vorgang nicht und bewerte ihn deswegen gar nicht. Ich bin gerne bereit, der Sache nachzugehen und mit Ihnen dann darüber zu sprechen.
Eine Zusatzfrage, Dr. Wolf.
Sie haben darauf hingewiesen, daß sich Herr Außenminister Kinkel um eine schnelle Aufklärung im Fall Sarkuhi bemühen würde. Ist Ihnen bekannt, daß Herr Sarkuhi schon zweimal verschwunden ist - das zweite Mal nun seit vier Wochen - und daß Sofortmaßnahmen notwendig wären, wenn auf das Leben und Überleben dieses Schriftstellers Einfluß genommen werden soll?
Erstens ist es mir bekannt, und zweitens hat es wenig Sinn, über die Bemühungen, die gerade unter dem Gesichtspunkt, der im zweiten Teil Ihrer Frage steckt, stattfinden, jetzt größere öffentliche Debatten zu führen.
Zusatzfrage,
Frau Dietert-Scheuer.
Die Frage vom Kollegen Lippelt zielt auch auf die Absprache unter den europäischen Partnern bezüglich der Iran-Politik ab. Da ist die Politik des sogenannten kritischen Dialogs mit klar formulierten Zielen und Anforderungen vereinbart. Teilen Sie meine Einschätzung, daß sämtliche Zielvorgaben, die gemacht worden sind - das betrifft einerseits den Bereich Menschenrechte, Religions- und Meinungsfreiheit und andererseits den Bereich Außenpolitik, nämlich keine Störung des Nahost-Friedensprozesses eintreten zu lassen -, nicht eingehalten und keine Erfolge erzielt werden, was sich zum einen an der verstärkten Verfolgung von Regimekritikern, Journalisten und Schriftstellern und der Zunahme von Todesurteilen an Bahais und zum anderen an Hand von israelischen Berichten über eine erhebliche Zunahme von Waffenlieferungen an die Hisbollah im Libanon zeigen läßt? Welche Konsequenzen werden daraus gezogen?
Frau Kollegin, ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß wir noch nicht bei Ihrer Frage 23 sind. - Herr Staatsminister, wenn Sie trotzdem antworten wollen, bitte schön.
Der Europäische Rat, auf dessen Beschluß der sogenannte kritische Dialog zurückgeht, hat seinen diesbezüglichen Beschluß nicht zurückgenommen. Vielleicht wird er eines Tages zu einer entsprechenden Bewertung kommen; das würde ich jetzt noch nicht vorherzusagen wagen. Jedenfalls sind wir über das Ergebnis des kritischen Dialoges, der sicherlich auch nicht in der Intensität angelaufen ist, wie man ihn sich hätte vorstellen können, keineswegs glücklich; das kann man nun wirklich nicht sagen. Gleichwohl möchte ich eine Neubewertung der Situation in dem gegenwärtigen Stadium nicht vornehmen.
Zusatzfrage von dem Kollegen Schily.
Herr Staatsminister, ist die Bundesregierung im Rahmen ihrer Gespräche mit den europäischen Partnern auch der Frage nachgegangen, ob Angehörige iranischer Botschaften in Europa in terroristische Aktivitäten verstrickt sind, und welche Konsequenzen - falls sich solche Hinweise bestätigen sollten - wird die Bundesregierung daraus ziehen?
Die erste Frage kann ich nicht beantworten. Die zweite Frage ist so hypothetisch, daß es unverantwortlich wäre, sie hier zu beraten. Aber da die Antwort auf die erste Frage eine wichtige Grundlage dafür wäre, bin ich gerne bereit, mich diesbezüglich zu erkundigen und das Gespräch mit Ihnen zu suchen.
Dann rufe ich die Frage 22 des Kollegen Dr. Lippelt auf:Teilt die Bundesregierung die Einschätzung des iranischen Zentralbankchefs Mohsen Nourbakheh, daß die Zusammenarbeit der europäischen Staaten mit dem Iran die Auswirkungen
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Vizepräsident Dr. Burkhard Hirschder US-Sanktionen weitgehend auffangen konnte ?
Nach Kenntnis der Bundesregierung, Herr Kollege Lippelt, hat sich lediglich Israel dem US-Embargo angeschlossen.
Haben Sie eine Zusatzfrage, Herr Kollege?
Herr Staatsminister, ich hatte in dieser Frage auf die iranische Einschätzung des Umfangs des Warenaustausches mit Europa als Ersatz für den ausgefallenen Warenaustausch mit den Vereinigten Staaten abgestellt. - Ist das klar, haben Sie dazu - -
Wenn ich ergänzen darf, um das Problem gleich zu beseitigen: Was die Frage bezüglich der Einschätzung des Zentralbankchefs hinsichtlich der Zuammenarbeit der europäischen Staaten mit dem Iran und der möglichen Kompensation dieser Zusammenarbeit im Hinblick auf die Auswirkungen der US-Sanktionen angeht, muß man sagen, daß dies wissenschaftlich fundiert, seriös nicht beantwortbar ist. Wir verfügen einfach nicht über die erforderlichen Informationen zur wirtschaftlichen Lage des Iran, um das präzise beantworten zu können. Denn festzustellen ist und bleibt, daß der Iran mit einer sehr großen Zahl von Partnerstaaten Handelsbeziehungen unterhält.
Die zweite Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, darf ich dann, an diese Frage anknüpfend, aber auch mich auf Ihre Antwort auf meine vorige Frage beziehend, einfach fragen - ich habe hier den Zeitungsausschnitt zitiert und darf davon ausgehen, daß Sie ihn auch gelesen haben -: Können Sie mir sagen, wieso in die „Herald Tribune" auf Seite 1, Frontseite, die Schlagzeile gerät, daß Europa und Japan in den letzten 18 Monaten zusammen Kredite in Höhe von 5 Milliarden Dollar für 50 Projekte, die im Iran laufen, gegeben haben, und wie wollen Sie diese Information mit Ihren vorher gegebenen Antworten vereinbaren?
Faktum ist, daß der Handelsaustausch mit dem Iran ein außerordentlich bescheidenes Niveau hat; Faktum ist, daß es Altschulden des Iran gegenüber der Bundesrepublik Deutschland oder Staatsbürgern der Bundesrepublik Deutschland gibt, und Faktum ist - jetzt greife ich teilweise vorweg und nenne Dinge, die als Antwort auf die spätere Frage von Frau Kollegin Dietert-Scheuer zu nennen sind -, daß die Bundesregierung in den letzten 18 Monaten Ausfuhrbürgschaften, also staatliche Kreditbürgschaften, für Geschäfte mit dem Iran im Auftragsvolumen von
150 Millionen DM gewährt hat. Ich sage das, um die Größenordnung in den richtigen Rahmen zu stellen.
Zusatzfrage von Dr. Wolf.
Herr Staatsminister, Sie haben in Ihrer vorletzten Antwort gesagt, daß Sie keine präzisen Angaben in bezug auf den Vergleich zwischen den USA auf der einen und Japan und Europa auf der anderen Seite machen könnten. Können Sie vielleicht die Antwort auf die Frage schriftlich nachreichen, wie hoch auf dem Höhepunkt der US- amerikanischen Exporte nach Iran das absolute Volumen dieser Exporte war und wie hoch ihr prozentualer Anteil am iranischen Handel war, und auf die Frage, welches absolute Volumen heute die Exporte der BRD und Japans haben und welchen relativen Anteil am Handel Irans sie haben? Das wäre der adäquate Vergleich.
Ich bitte um Verständnis dafür, daß ich mir vorbehalte, diese Frage nicht eindeutig mit Ja zu beantworten. Diese Frage geht nach meiner Auffassung weit über den von der Frage des Kollegen Lippelt markierten Zusammenhang hinaus.. In der Frage ist es darum gegangen, ob die Auswirkungen der US-Sanktionen im Handel mit dem Iran durch europäische Lieferungen kompensiert oder überkompensiert worden sind. Das war die Frage. Die Beantwortung der Frage, welches Volumen zu einem gegebenen Zeitpunkt im Handel zwischen den Vereinigten Staaten und dem Iran und zwischen anderen Staaten und dem Iran gegeben war, setzt eine solide statistische Recherche voraus, und ich weiß nicht, ob ich da für mein Haus der richtige Ansprechpartner bin.
Ich rufe die Frage 23 der Kollegin Dietert-Scheuer auf:
Wie vereinbart die Bundesregierung die lt. „Herald Tribune" vom 3. Februar 1997 gewährte umfangreiche wirtschaftliche Unterstützung der Regierung in Teheran mit der zunehmenden Verfolgung von Kritikern des Regimes, wie sich z. B. an dem Komplott gegen den Schriftsteller Faradj Sarkuhi oder der Erhöhung des Kopfgeldes gegen Salman Rushdie zeigt ? *)
Ich habe teilweise schon einige Dinge vorweggenommen, die zur Beantwortung Ihrer Frage, Frau Kollegin, gehören. - Der Handelsaustausch mit dem Iran betrug 1995 3,52 Milliarden DM. Das heißt also, von breiter wirtschaftlicher Unterstützung, wie das in der Frage gesagt wird, kann nicht die Rede sein.
Die Bundesregierung setzt sich im übrigen zusammen mit den europäischen Partnern mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln dafür ein, daß die Maßnahmen gegen Salman Rushdie aufgehoben werden und dem Schriftsteller Sarkuhi Gerechtigkeit widerfährt.
*) s. auch Frage 38
Ihre erste Zusatzfrage, bitte.
Unabhängig von der Frage, ob man ein gegebenes Handelsvolumen insgesamt nun als besonders groß ansieht oder nicht, ist nicht zu leugnen - das geht auch aus dem von Herrn Lippelt genannten Artikel der „International Herald Tribune" hervor -, daß diese Wirtschaftsbeziehungen für den Iran doch von einer sehr großen Bedeutung sind. Es stellt sich die Frage, inwieweit sich die Bundesregierung bemüht, diese für den Iran wichtigen Beziehungen in der Weise zu nutzen, daß sie an Verbesserungen im Menschenrechtsbereich geknüpft werden.
In der Tat ist das ja das Ziel. Wenn die Bundesregierung und die Partner in der Europäischen Union ein Handelsembargo nicht für ein zweckmäßiges Mittel halten, dann deshalb, weil wir nach wie vor die Hoffnung haben, daß es die Möglichkeit einer Einflußnahme auf Iran gibt.
Die zweite Zusatzfrage.
Es sieht aber so aus, daß diese wirtschaftlichen Beziehungen mit leicht zunehmendem Umfang aufrecht erhalten und Kredite weiter vergeben werden, obwohl sich gerade in letzter Zeit die Menschenrechtslage deutlich verschlechtert hat. Wie können Sie das mit Ihrer Zielsetzung vereinbaren, durch die Verknüpfung von Wirtschaftsbeziehungen mit Menschenrechtsfragen Einfluß auf die Einhaltung der Menschenrechte zu nehmen?
Wir sind wegen der Entwicklung der Menschenrechtslage im Iran zweifellos besorgt, halten es aber für unsere Pflicht, den Versuch zu unternehmen, darauf Einfluß zu nehmen. Ein Handelsembargo erscheint uns nicht der richtige Weg, mit dem wir Fortschritte erzielen könnten - so wenig wir über die Fortschritte befriedigt sind, die bisher haben erzielt werden können.
Die nächste Zusatzfrage kommt vom Kollegen Schily.
Herr Staatsminister, Sie haben davon gesprochen, daß Sie gegen die gegen Salman Rushdie ausgesprochene Fatwa alle Ihnen zu Gebote stehenden Mittel einsetzen. Meine Frage lautet: Welche sind das? Welche Hoffnungen verbinden Sie damit, daß der Einsatz dieser Mittel auch Erfolg haben wird?
Herr Kollege Schily, mehr als einen Überzeugungsversuch bei den zuständigen iranischen Stellen und Persönlichkeiten zu unternehmen und den
durch das Angebot einer konkreten Zusammenarbeit und eines konkreten kritischen Dialoges zu unterlegen, kann man seriöserweise nicht machen. Aber dieser ernstzunehmende Versuch wird gemacht.
Zusatzfrage von Herrn Kollegen Lippelt.
Herr Staatsminister, warum folgen Sie nicht dem dänischen Beispiel? Dänemark hat bekanntlich, nachdem die Regierung der Meinung war, die Zusage der Aufhebung der Fatwa mündlich bekommen zu haben, und auf schriftlicher Ausführung bestand, die sie nicht bekam, in aller Öffentlichkeit erklärt, daß für Dänemark der kritische Dialog erledigt sei.
Dann muß Dänemark die entsprechende Initiative im Europäischen Rat ergreifen, damit dieser seine Entscheidung zu diesem Punkt widerrufen kann. Insofern bewegt sich die Bundesregierung bisher konsequent innerhalb des Rahmens, der vom Europäischen Rat gesteckt worden ist.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Dann rufe ich die Frage 24 des Kollegen Egbert Nitsch auf:
Trifft es zu, daß die zuständigen kolumbianischen Behörden bereits vor zehn Jahren im Rahmen von Ermittlungen gegen Werner Mauss und dessen damaligen Wohnungsgeber, den damaligen stellvertretenden kolumbianischen Generalstaatsanwalt, wegen der Weiterleitung von Schutzgeldern der Firma M. an die Guerillagruppe ELN durch Werner Mauss Rechtshilfeersuchen zwar an die Bundesregierung gerichtet haben, diese Ersuchen aber aus formalen Gründen seitens der deutschen Stellen nicht beantwortet wurden?
Herr Kollege Nitsch, ich kann Ihre Frage kurz beantworten: Nein.
Haben Sie eine Zusatzfrage? - Bitte schön.
Zu dem damaligen Auskunftsersuchen der kolumbianischen Justizbehörden möchte ich fragen: Inwieweit ist das von seiten der Bundesregierung wahrgenommen bzw. beantwortet worden? Hat man überhaupt erwogen, Informationen bzw. Rechtshilfe in diesem damaligen Verfahren zu geben, da man doch schon wußte, daß Herr Mauss in dieses Verfahren involviert war?
Ich habe kein entsprechendes Rechtshilfeersuchen von vor zehn Jahren finden können. Deswegen habe ich die Frage auch so kurz und knapp beantwortet. Gefunden habe ich, daß die Bundesregierung auf diplomatischem Wege ein von der kolumbianischen Justiz an die deutsche Justiz gerichtetes
Staatsminister Dr. Werner Hoyer
Rechtshilfeersuchen aus dem Jahre 1989 um Vernehmung von Werner Mauss erhalten hat. - Es ging also nicht um ein Ermittlungsverfahren gegen Herrn Mauss, sondern um eine Vernehmung von Herrn Mauss im Jahre 1989. - Das Rechtshilfeersuchen ist 1992 von der deutschen Justiz unerledigt auf diplomatischem Wege an die kolumbianischen Behörden zurückgegeben worden, weil der deutschen Justiz eine ladungsfähige Anschrift von Herrn Mauss nicht bekannt war.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, würde es Ihnen helfen, wenn Sie von uns Grünen die Unterlagen zum damaligen Gerichtsverfahren bekämen, die die Weisheit der Bundesregierung in diesem Punkte vielleicht noch etwas erhellen könnten, so daß die damalige Situation noch heute geklärt werden könnte? Dürfte ich Ihnen diese zustellen?
Ich bin für jede Form der Erleuchtungshilfe außerordentlich dankbar.
Zusatzfrage von Herrn Schily.
Herr Staatsminister, auf welchem Wege ist das Rechtshilfeersuchen zurückgesandt worden? Über welche Stellen? Lag es im Rahmen der Möglichkeiten der Bundesregierung, die Anschrift von Herrn Mauss ausfindig zu machen?
Davon gehe ich nicht aus. Damals ist der normale diplomatische Weg eingehalten worden - zumindest entnehme ich das den mir vorliegenden Unterlagen. Die Bundesregierung hat damals nicht feststellen können, welche Gründe dafür vorgelegen haben, daß die zuständige Landesjustiz, Baden-Württemberg - das Amtsgericht Stuttgart, wenn ich mich recht erinnere -, nicht in der Lage war, eine ladungsfähige Anschrift von Herrn Mauss zu finden. Das ist eindeutig Sache der Justiz.
Bitte, Herr Kollege Wolf.
Sie haben festgestellt, daß es damals keine zustellungsfähige Anschrift von Herrn Mauss gegeben habe. Habe ich die früheren Fragestunden richtig in Erinnerung, wonach Herr Schmidbauer antworten mußte, daß die Bundesregierung zu dem damaligen Zeitpunkt für Herrn Mauss auch „Alias-Pässe" ausgestellt hat? Wie wurden
diese „Alias-Pässe" zugestellt? Etwa in einem „toten Briefkasten"? An welche Adresse?
Auf dem Gebiet bin ich nicht firm. Von daher müssen wir die Frage an die zuständige Adresse weiterleiten.
Herr Kollege Wolf, Ihre Frage bezog sich auf den Vorgang vor zehn Jahren, wenn ich das richtig verstanden habe.
Dann sind wir am Ende dieses Geschäftsbereiches. Ich bedanke mich, Herr Staatsminister.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern auf. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Eduard Lintner zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 25 des Abgeordneten Wilhelm Schmidt auf:
Ist es richtig, daß auf Regierungsseite inzwischen sowohl vom Bundesministerium der Finanzen als auch vom Presse- und Informationsamt der Bundesregierung Organisationsuntersuchungen vorgenommen worden sind und daß solche Untersuchungen bei drei weiteren Ressorts laufen und bei sieben weiteren Ressorts bevorstehen, obwohl Bundesminister Friedrich Bohl kürzlich im Rahmen der Beantwortung von Fragen an die Bundesregierung zur Benutzung von BGS-Hubschraubern und zu Regierungs-Betriebsausflügen die Einholung eines derartigen Gutachtens durch die Fraktion der SPD kritisiert hat?
Herr Kollege Schmidt, die Antwort lautet wie folgt: Alle Ressorts sind nach dem Beschluß des Bundeskabinetts vom 7. Februar 1996 verpflichtet, ihre Organisatinsstruktur für die Zeit nach den anstehenden Umzügen zu überprüfen.
Inzwischen haben alle Ministerien und das Bundespresseamt entsprechende Organisationsprüfungen begonnen, einige sogar abgeschlossen und die Umsetzung in Angriff genommen. Teilweise werden diese Prüfungen von den Organisationsreferaten der Ressorts selbst oder von besonders eingerichteten internen Projektgruppen durchgeführt; teilweise wird externer Sachverstand eingekauft.
Im Bundesministerium des Innern wurde im April 1996 eine Projektarbeit im Rahmen des Organisationsreferates aufgenommen, die die Aufgabenwahrnehmung des Hauses kritisch beleuchtet mit dem Ziel, zum Zeitpunkt des Berlin-Umzuges eine optimierte Organisationsstruktur erreicht zu haben.
Das Bundesministerium der Finanzen entwickelte 1994 bis 1996 mit externer Unterstützung das Organisationskonzept „BMF 2000". Nach den Vorschlägen werden Aufbauorganisationen deutlich gestrafft sowie weitere Effektivitäts- und Effizienzpotentiale aufgezeigt. Darüber hinaus werden damit die organisatorischen Grundlagen für die Aufteilung der Arbeitseinheiten auf die künftigen Dienstsitze Bonn und Berlin geschaffen.
Parl. Staatssekretär Eduard Lintner
Beim Presse- und Informationsamt der Bundesregierung wurde in den Jahren 1995 und 1996 als Pilotprojekt des Bundesministeriums der Finanzen mit externer Unterstützung ein voll ausgebildetes Controllingsystem einschließlich der zugrunde liegenden Kosten- und Leistungsrechnung entwickelt. Daneben empfahl der Berater Maßnahmen zur Optimierung der Aufbau- und Ablauforganisation. Als Ergebnis wird die Arbeit des Amtes durch das neuentwickelte Steuerungssystem in vielfältiger Weise optimiert. Es wird außerdem erwartet, daß die Kosten des Projekts durch die effizientere Aufgabenwahrnehmung mittelfristig ausgeglichen werden.
Herr Kollege Schmidt, Ihre erste Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie noch einmal mit der Aussage des Staatsministers Bohl vom 29. Januar konfrontieren? - Ich zitiere:
Ich habe gelesen, daß der SPD-Fraktion ein 88 Seiten starkes Papier einer Hannoveraner Unternehmensberatung vorliegen soll, das die bessere Koordination der Abläufe innerhalb der SPD-Fraktion behandelt. Vielleicht wäre es besser, einfach einmal einen Ausflug zu machen, anstatt eine Unternehmensberatung zu beauftragen.
Wie sehen Sie Ihre Antwort auf meine Frage im Lichte dieser damaligen Äußerung?
Herr Kollege Schmidt, die Antwort kann nur bezogen auf den Einzelfall gegeben werden. Herr Bohl hat Ihnen in diesem Einzelfall eine Empfehlung gegeben. Zu welchem Ergebnis Sie dann kommen, bleibt natürlich Ihnen überlassen.
Zweite Zusatzfrage.
Jetzt wieder ernsthaft - ich bitte um Verständnis, daß ich das in diesen Zusammenhang gebracht habe -: Sie haben angedeutet, daß diese Organisationsuntersuchungen im Zusammenhang mit den Veränderungen des Umzugs Richtung Berlin stehen. Wann kann man denn auch im Hause, das heißt zum Beispiel in der Personal- und Sozialkommission sowie im Ältestenrat selbst, davon erfahren, damit die Abstimmungsprozesse, die die Bundestagsverwaltung und andere Einrichtungen in bezug auf den Umzug vorzunehmen haben, miteinander koordiniert werden?
Herr Kollege Schmidt, soweit Personalbewegungen in Betracht kommen, findet diese Abstimmung ja laufend statt - in einer vorhandenen Gesprächsrunde und in einem Beraterkreis. Diesbezüglich ist Koordinierung ohnehin gegeben.
Soweit Sie daran interessiert sind, spezielle Erkenntnisse in den einzelnen Häusern mitgeteilt zu bekommen, bin ich gerne bereit, dafür zu sorgen, daß die einzelnen Häuser aufgefordert werden, Ihnen die Ergebnisse mitzuteilen.
Zusatzfrage, Kollege Schily.
Herr Staatssekretär, haben Sie einmal versucht, bei diesen Organisationsuntersuchungen die Kritik des Bundesrechnungshofes einzubeziehen?
Herr Kollege Schily, das ist meistens Auslöser solcher Untersuchungen. Wenn solche Untersuchungen laufen, dann - das ist selbstverständlich - werden solche Aspekte mit einbezogen.
Dann rufe ich die Frage 26 des Kollegen Schmidt auf:
Welche Kosten sind für die Organisationsuntersuchungen beim Bundesministerium der Finanzen und beim Presse- und Informationsamt der Bundesregierung entstanden, und wie hoch sind die für die weiteren anstehenden Untersuchungen veranschlagten Kosten?
Für die externe Unterstützung bei der Entwicklung des Organisationskonzeptes „BMF 2000" wurden zirka 360 000 DM aufgewendet. Die Kosten für das Projekt beim Presse- und Informationsamt der Bundesregierung betragen 985 000 DM.
Für fünf Ressorts werden 1997 Mittel für externe Beratung bei der Entwicklung der Zielstrukturen in Höhe von insgesamt 1,15 Millionen DM bereitgestellt.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir sagen, ob sich das, was dort an externer Beratung stattfindet, auf eine Firma bezieht oder ob es mehrere Firmen sind, die damit beauftragt werden?
Herr Kollege Schmidt, ich kann das deshalb nicht beantworten, weil verschiedene Ressorts in eigener Zuständigkeit solche Dinge einleiten. Ich kann Ihnen jetzt nur eine Zusammenfassung bieten, da ein Ressort ja antworten muß. Ich gehe einmal davon aus, daß es sich durchaus um verschiedene Firmen handelt - wobei ich Ihnen nicht sagen kann, um wie viele.
Können Sie uns darüber noch einen Überblick verschaffen? Es I reicht aus, wenn Sie mir das schriftlich geben.
Selbstverständlich sind wir zu jeder Auskunft bereit. Es gibt überhaupt keinen Anlaß, das geheimzuhalten.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Die Frage 27 von Herrn Wallow, die Frage 28 von Herrn Such und die Fragen 29 und 30 von Herrn Körper werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 31 des Kollegen Dietmar Schlee auf:
Liegen der Bundesregierung konkrete Erkenntnisse vor, daß nunmehr, nachdem die deutsche Ostgrenze intensiver bewacht wird, eine Verlagerung und ein verstärktes Einsickern von organisierter Kriminalität aus dem skandinavischen Raum erfolgt?
Herr Kollege Schlee, konkrete Erkenntnisse über ein verstärktes Einsickern von organisierter Kriminalität aus dem skandinavischen Raum in die Bundesrepublik Deutschland, nachdem die Ostgrenze nunmehr intensiver bewacht wird, liegen der Bundesregierung nicht vor. Die bisher vorliegenden Zahlen zum Bundeslagebild „Organisierte Kriminalität in der Bundesrepublik Deutschland 1996" lassen eine solche Tendenz jedenfalls nicht erkennen.
Ihre Zusatzfrage, Herr Kollege Schlee.
Herr Staatssekretär, da es konkrete Erkenntnisse, wie Sie sagen, offensichtlich nicht gibt, frage ich Sie, ob es Anhaltspunkte gibt oder ob es bisher überhaupt keine Informationen zu einer solchen Entwicklung gibt?
Es ist schwierig, darauf ganz genau zu antworten. Es ist so, daß wir natürlich immer beobachten, wo sich Kriminalitätsströme und -lagebilder verändern und neu ergeben. Natürlich gibt es Erkenntnisse darüber, daß beispielsweise im Bereich Rauschgift der Ostseeraum verstärkt mit einbezogen wird. Aber über solche und ähnliche Hinweise hinaus haben wir keinen Grund zu der Annahme, daß es zu einem verstärkten Strom von organisierter Kriminalität über Skandinavien zu uns kommt.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wären Sie bereit, mir bis etwa September/Oktober die dann vorliegenden Erkenntnisse zu dieser Frage schriftlich zu übermitteln?
Herr Kollege Schlee, selbstverständlich, wobei ich Sie bitte, dann wieder auf uns zuzukommen.
Ich rufe die Frage 32 des Kollegen Schlee auf:
Teilt die Bundesregierung die Sorge, daß sich aus Struktur und Grenzkontrollwesen der einheitlichen skandinavischen Paß- und Zollunion Sicherheitsrisiken für Westeuropa ergeben können, weil die Nicht-EU-Länder Norwegen und Island auch dem Schengener Abkommen nicht angehören, und wie will die Bundesregierung ggf. dieser Gefahr begegnen?
Die Sorge, daß sich aus Struktur und Grenzkontrollwesen der Nordischen Paßunion Sicherheitsrisiken für Westeuropa ergeben, teilt die Bundesregierung nicht.
Im Interesse der Schaffung eines europäischen Sicherheits- und Freizügigkeitsraumes unter Einbeziehung der skandinavischen Staaten haben sich die Schengener Vertragsstaaten und die Staaten der Nordischen Paßunion darüber verständigt, daß die EU-Mitgliedstaaten Schweden, Dänemark und Finnland dem Schengener Abkommen beitreten und die Nicht-EU-Mitgliedstaaten Norwegen und Island durch ein besonderes Kooperationsabkommen mit dem Schengener Verbund assoziiert werden. Daran, daß es zu dieser Verständigung kam, hat nicht zuletzt Deutschland maßgeblichen Anteil. Die entsprechenden Beitrittsübereinkommen mit Schweden, Dänemark und Finnland sowie das Kooperationsabkommen mit Norwegen und Island sind auf der Tagung des Exekutivausschusses der Schengener Vertragsstaaten am 19. Dezember letzten Jahres in Luxemburg unterzeichnet worden. Als nächster Schritt ist nunmehr deren Ratifizierung erforderlich.
Durch die Kooperationsabkommen mit Norwegen und Island wird erreicht, daß diese beiden Staaten grundsätzlich alle Schengener Bestimmungen übernehmen und anwenden, ohne jedoch formal den Status als Vollmitglieder im Schengener Verbund zu erhalten. Dadurch wird gewährleistet, daß die Schengener Standards auch in bezug auf Grenzsicherheit und polizeiliche Kooperation in allen skandinavischen Staaten gleichermaßen Anwendung finden - unabhängig von ihrer EU-Mitgliedschaft. Dies liegt natürlich auch im Interesse der skandinavischen Staaten, die auf diese Weise die Nordische Paßunion erhalten können.
Ihre Zusatzfrage, bitte. - Keine. Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Dann sind wir am Ende dieses Geschäftsbereiches.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz auf.
Hier werden alle Fragen, die Fragen 33 und 34 von mir, die Frage 35 des Kollegen Warnick und die Frage 36 des Kollegen Such schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft auf. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Kolb zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 37 des Kollegen Nitsch auf:
Sind der Bundesregierung Presseberichte bekannt, denen zufolge Werner Mauss einem Hinweis aus der Bundesrepublik Deutschland zufolge 15 000 Gewehre, Pistolen und andere Waffen sowie 200 000 Schuß Munition an Rebellenorganisationen in Kolumbien geliefert haben soll, und von welcher deutschen Behörde sind in dieser Sache Ermittlungen aufgenommen worden?
Herr Kollege Nitsch, der Bundesregierung sind Presseberichte mit den in der Frage angesprochenen Behauptungen bekannt. Sie verfügt aber über keine Erkenntnisse, die diese Behauptungen bestätigen. Auch über staatsanwaltschaftliche Ermittlungen in den Ländern gibt es keine Informationen. Die Bundesanwaltschaft ermittelt in diesem Zusammenhang nicht.
Bitte, Ihre Zusatzfrage.
Es ist nun kein einfacher Vorwurf, daß Herr Mauss mit Waffen gehandelt haben soll. Diese Vorwürfe sind an sich uralt, sie tauchen schon jahrelang in Presseberichten auf. Meinen Sie nicht, daß, wenn sich die Affäre ausweitet, die Bundesregierung in dieser Angelegenheit doch einmal nachfragen sollte, inwieweit Herr Mauss in Waffenhandel in Richtung Kolumbien mit verschiedenen Guerillaorganisationen involviert war?
Herr Kollege Nitsch, selbstverständlich ist die Bundesregierung bereit, ernstzunehmenden Hinweisen auf mögliche Rechtsverstöße nachzugehen. Ich sage noch einmal: Es gibt bisher keine Erkenntnisse, daß die in den Presseberichten aufgestellten Behauptungen zutreffend sind oder solche ernstzunehmende Hinweise seien. Im Einzelfall würde das dann durch die jeweiligen Bundesbehörden zu geschehen haben. Ich denke schon, daß diese Bereitschaft besteht.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Schily, bitte.
Herr Staatssekretär, haben Sie Ihre Antwort auf die soeben gestellte Frage mit dem Kollegen Schmidbauer abgestimmt?
Herr Kollege Schily, die Antworten für die Fragestunde werden regelmäßig
innerhalb der Bundesregierung abgestimmt. Das ist auch in diesem Falle geschehen.
- Mit dem Kanzleramt, mit allen anderen Ressorts, die einschlägig betroffen sind.
Dann kommt die Zusatzfrage von Herrn Dr. Wolf.
- Herr Kollege Schily, Sie haben nur eine Zusatzfrage. Ich bitte sehr um Nachsicht. Ich mache da keine Ausnahme.
Herr Dr. Wolf, bitte schön.
Sie haben angekündigt, daß Sie im Falle von präzisen, seriösen, ernsthaften Mitteilungen aktiv werden würden. Nun sind die Zitate aus den Meldungen der spanischen Nachrichtenagentur EFE und der „Nassauer Neue Presse" relativ präzis und seriös. Auch die Zahl „15 000" Waffen - damit soll eine kleine Armee ausgestattet werden - ist relativ präzis. Ich frage nochmals: Ist illegaler Waffenhandel nicht ein Offizialdelikt, bei dem selbsttätig aktiv gehandelt werden müßte und die entsprechenden Ermittlungsbehörden einschreiten müßten, nachdem die Angaben jetzt vorliegen?
Herr Kollege, präzis wird ein Hinweis nicht dadurch, daß Zahlen genannt sind, vielmehr muß es auch für diese Hinweise eine ernstzunehmende Quelle geben. Ich bin aber wirklich - ich will Ihnen das gern sagen - überzeugt, daß die entsprechenden Stellen in jedem Fall sofort tätig werden, wenn entsprechende Hinweise vorliegen, deren Charakter aber über die reine Andeutung deutlich hinausgehen müßte.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Schwanhold.
Herr Staatssekretär, der Kollege Schmidbauer ist in ständigem Kontakt mit Herrn Mauss gewesen. Deshalb will ich die Frage noch einmal präzisieren: Ist Ihre Antwort von vorhin mit Herrn Schmidbauer abgestimmt?
Herr Kollege Schwanhold, zunächst einmal will ich wiederholen, was ich gesagt habe: Es findet eine Abstimmung zwischen den Ressorts statt. Wie dies im Einzelfall geschieht oder im konkreten Einzelfall geschehen ist, entzieht sich mei-
Parl. Staatssekretär Dr. Heinrich L. Kolb
ner Kenntnis. Ich kann Ihnen diese Frage leider nicht beantworten.
Herr Kollege Schily, ich bitte Sie!
Ich rufe Frage 38 der Kollegin Amke DietertScheuer auf:
Wie hoch ist der Anteil der Bundesrepublik Deutschland an den staatlichen Kreditbürgschaften an den Iran, die lt. „Herald Tribune" vom 3. Februar 1997 in den letzten 18 Monaten von Europa und Japan in Höhe von 5 Milliarden US-Dollar geleistet wurden, und welche Projekte werden mit deutscher Unterstützung finanziert? *)
Frau Kollegin DietertScheuer, die Bundesregierung - diese Zahlen hat Staatsminister Hoyer in Beantwortung einer Zusatzfrage in dieser Fragestunde quasi schon genannt - hat in den letzten 18 Monaten Ausfuhrbürgschaften, also Hermes-Deckungen, für Geschäfte in einem Gesamtauftragswert von 150 Millionen DM gewährt. Diese Bürgschaften werden auf der Basis von zwei Plafonds erteilt, von denen der eine Deckungsmöglichkeiten für das kurzfristige Geschäft in Höhe von 50 Millionen DM, der andere die Absicherung des mittel- und langfristigen Geschäfts in Höhe von 100 Millionen DM vorsah. Beide Plafonds sind inzwischen voll ausgeschöpft.
Sie werden Verständnis haben, daß Angaben zu Einzelgeschäften dem § 30 Verwaltungsverfahrensgesetz unterliegen, also der Geheimhaltung, und folglich einzelne Projekte hier nicht mitgeteilt werden können.
Ihre erste Zusatzfrage, bitte.
Ist es so, daß in dem Bericht der „International Herald Tribune" vom 3. Februar 1997 genannt wird: Sie werden benutzt für Projekte „in energy, power generation, railroad and infrastructure"?
Dabei interessiert mich jetzt insbesondere: Werden im Energiebereich auch Projekte im Bereich der Kernenergie finanziert, zum Beispiel der Weiterbau des Kraftwerks Busher oder anderer Kernkraftsprojekte?
Frau Kollegin DietertScheuer, ich habe Ihnen gerade gesagt, daß ich nach § 30 Verwaltungsverfahrensgesetz gehindert bin, Auskünfte zu einzelnen Projekten zu geben.
Keine weiteren Zusatzfragen.
*) s. auch Frage 23
Die Fragen 39 und 40 der Kollegin Gila Altmann werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Dann sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs. Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung auf. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Horst Günther zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 41 des Kollegen Weiermann auf:
Wird die Bundesregierung die gesetzliche Änderung, durch die seit dem 1. Januar 1997 die Mittel für die Förderung lernbehinderter Schüler gestrichen wurden und auf Grund derer fast alle Schüler, die Lernbehinderten-Schulen besuchen, ohne jede Fördermöglichkeit und damit dann ohne Ausbildung bleiben, rückgängig machen, und wann wird dies geschehen?
Herr Präsident! Herr Kollege Weiermann, sind Sie einverstanden, wenn ich die Fragen 41 und 42 zusammen beantworte, weil es da einen Zusammenhang gibt? - Vielen Dank.
Dann rufe ich auch die Frage 42 des Abgeordneten Wolfgang Weiermann auf:
Wird die Bundesregierung die benötigten finanziellen Mittel für diese zwingend gebotene Gesetzeskorrektur, die eine weitere Benachteiligung der ohnehin Benachteiligten abwenden soll, zur Verfügung stellen, und in welcher Höhe wird dies geschehen?
Der Deutsche Bundestag, Kollege Weiermann, hat in seiner Sitzung am 31. Januar 1997 das Arbeitsförderungs-Reformgesetz mit neuen Regelungen zur Arbeits- und Berufsförderung Behinderter beschlossen. Rechtsanspruchsleistungen sollen danach mit Wirkung ab 1. April dieses Jahres auch Abgänger aus Sonderschulen für Lernbehinderte von den zuständigen Arbeitsämtern erhalten, wenn sie aus behinderungsbedingten Gründen besondere Förderlehrgänge zur Berufsvorbereitung besuchen oder ihre Beruf sausbildung in einer Einrichtung für Behinderte, zum Beispiel in einem Berufsfortbildungswerk, absolvieren müssen.
Ist trotz einer Behinderung eine betriebliche Ausbildung möglich und wird zur Absicherung des Ausbildungsverhältnisses ein Ausbildungszuschuß beantragt, ist diese Leistung auch weiterhin - wie schon vor Inkrafttreten des Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetzes - in das Ermessen des Arbeitsamtes gestellt.
Eine Förderung im Rahmen der Rehabilitation setzt immer voraus, daß es sich bei den zu fördernden Personen tatsächlich um Lernbehinderte handelt. Lernbeeinträchtigte und sozial benachteiligte Jugendliche werden auch weiterhin nicht der Rehabilitation, sondern der Benachteiligtenförderung gemäß § 40 c Arbeitsförderungsgesetz zugeordnet. Sie erhalten auch künftig Ermessensleistungen im Rahmen ver-
Parl. Staatssekretär Horst Günther
fügbarer Haushaltsmittel. Diese sind für 1997 allerdings so bemessen, daß in diesem Bereich auch ohne Rechtsanspruch auf die erforderlichen Leistungen eine sachgerechte Förderung durch die Dienststellen der Bundesanstalt für Arbeit möglich ist.
Gestatten Sie, Kollege Weiermann, daß ich bei dieser Gelegenheit auch darauf hinweise, daß es im übrigen Aufgabe der Länder ist, durch zielgerichtete Förderung behinderten und benachteiligten Jugendlichen bereits während der Schulzeit und im Rahmen der Berufsschule die Qualifikationen zu vermitteln, die eine Ausbildung und Beschäftigung dieses Personenkreises so weitgehend wie möglich auch ohne zusätzliche Hilfen der Bundesanstalt für Arbeit gewährleisten.
Wenn ganze Entlaßjahrgänge aus Sonder- und Förderschulen erst eine von der Bundesanstalt für Arbeit zu finanzierende Vorförderung absolvieren müssen, um überhaupt eine Berufsausbildung beginnen zu können, oder ihnen eine duale Berufsausbildung nur deshalb versagt bleibt, weil keine adäquate Förderung durch die Berufsschule gewährleistet ist, so weckt dies Zweifel daran, daß die Länder ihre Auf gaben im Schulbereich erfolgreich erfüllen.
Ihre zweite Frage beantworte ich wie folgt: Der Bundesanstalt für Arbeit stehen 1997 für individuelle Leistungen zur Rehabilitation rund 4 Milliarden DM zur Verfügung. Bei Rechtsanspruchsleistungen kann die Bundesanstalt für Arbeit im Bedarfsfall in einem bestimmten Umfang auch Deckungsmöglichkeiten innerhalb ihres Haushalts nutzen.
Herr Kollege, Sie haben nun vier Zusatzfragen, die Sie stellen könnten. Bitte schön.
Herr Staatssekretär, ab dem 1. Januar 1997 ist, wie Sie wissen, eine Veränderung der Art eingetreten, daß aus einer Pflichtleistung für Lernbehinderte letzten Endes eine Ermessensleistung geworden ist. Das heißt, daß zuständige Amt hat in seinem Ermessen zu entscheiden, ob es, wenn finanzielle Möglichkeiten gegeben sind, zu einer Hilfestellung kommen kann oder nicht.
Dadurch entsteht, wie Sie wissen, der Fall, daß die durch ihre Lernschwäche schon einmal Benachteiligten ein zweites Mal benachteiligt werden, weil keine finanziellen Mittel vorhanden sind und sie damit keine Möglichkeit bekommen, sich auf die Berufsausbildung entsprechend vorbereiten zu lassen. Das ist in dem sozialpolitischen Ablauf der letzten Jahre ein Skandal. Ist das richtig so, wenn sich an dieser Situation auch nach Ihren jetzigen Aussagen nichts geändert hat?
Herr Kollege Weiermann, ich sagte schon, daß für 1997 - das schließt natürlich die Monate von Januar bis März ein - genügend Mittel zur Verfügung stehen, um diesen jungen Menschen zu helfen. Ich gehe davon aus, daß bei Engpässen in bestimmten Arbeitsamtsbezirken durch Austausch mit anderen über die Bundesanstalt in Nürnberg ausgeholfen werden kann. Wenn Sie besondere Problemfälle haben, bin ich gerne bereit, Ihnen behilflich zu sein.
Ihre zweite Frage.
Ich habe in den Monaten Januar und Februar vor Ort feststellen können, daß die entsprechenden Mittel in den einzelnen Arbeitsamtsbezirken nicht vorhanden sind, daß abschlägige Bescheide ergehen und daß die Spitze der Bundesanstalt für Arbeit nur die Aussage getätigt hat, zu überprüfen, ob nach den Pflichtleistungen, die zu finanzieren sind, gegebenenfalls noch soviel Mittel zur Verfügung stehen, um nach der neuen Rechtslage ab dem 1. Januar 1997 auch Kann-Leistungen zu finanzieren. Damit wird ein großer Teil derer, die bisher für die Berufsausbildung vorgeschult werden konnten, sozusagen außen vor bleiben, weil die Mittel bislang nicht zur Verfügung stehen.
Kollege Weiermann, ich gehe auf der einen Seite davon aus, daß es in den genannten Monaten keine Schulabgänger gibt, weil das keine klassischen Entlassungsmonate sind. Ich weiß aber auf der anderen Seite, daß die Arbeitsämter - vielleicht auch auf Weisung von Nürnberg - auf Grund der Umstellung von Pflicht- auf Kann-Leistungen in einem bestimmten Zeitraum und der großen Vorbelastungen, die in 1996 angefallen sind, sehr restriktiv verfahren. Deshalb hatte ich soeben angeboten, uns bei besonderen Engpässen zu unterrichten, damit wir der Sache nachgehen können.
Ihre dritte Frage.
Ich komme gerne auf Ihr Angebot zurück und möchte die dritte Frage gleichzeitig als letzte Frage ansehen: Ist Ihnen bekannt, daß der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung in seiner Januarsitzung bei Übereinstimmung aller Fraktionen dem Antrag zugestimmt hat, die alte rechtliche Situation - wie vor dem 1. Januar 1997 - wiederherzustellen, und ist Ihnen auch bekannt, daß der Ausschuß gleichzeitig Mittel dafür in Vorschlag gebracht hat?
Ja, das ist mir bekannt. Es ist auch beschlossen worden, daß ab 1. April 1997 bei den Lernbehinderten wieder eine Pflichtleistung einsetzt, wie ich das soeben vorgetragen habe. Die Mittel stehen in ausreichendem Umfang zur Verfügung. Wenn ich die Zahlen von 1996 betrachte, kann ich feststellen, daß die Mittel in diesem Bereich noch nicht einmal ausgeschöpft worden sind. Insoweit reichen die vorgesehenen Mittel so-
Parl. Staatssekretär Horst Günther
wohl für die Maßnahmen nach § 40 c des Arbeitsförderungsgesetzes als auch für die Lernbehinderten in jedem Falle aus.
- Bitte schön, gerne.
Zusatzfrage von Herrn Kollegen Schmidt.
Herr Staatssekretär, haben Sie das, was Sie soeben mit der Notwendigkeit umrissen haben, daß diese Dinge durch die Länder geregelt werden - das sei Aufgabe der Länder, so haben Sie sich ausgedrückt -, mit den Ländern abgestimmt, und welchen Umfang macht das in summa eigentlich aus, was auf die Länder in der nächsten Zeit an neuen zusätzlichen finanziellen Belastungen zukommt?
Ich habe nicht von finanziellen Belastungen für die Länder gesprochen. Ich habe meine Antwort auch nicht mit den Ländern abgestimmt, Herr Kollege Schmidt. Ich habe nur gesagt: Wenn nicht so viele junge Menschen ohne eine ausreichende Schulbildung entlassen würden, brauchte die Bundesanstalt für Arbeit nicht mit Beitragsgeldern für besondere Lehrgänge nachzubessern, um diese jungen Menschen erst einmal ausbildungsfähig zu machen. Ich habe, wenn Sie so wollen, auf die Lerninhalte und die Möglichkeiten, die die Länder den Schulen geben, abgezielt.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Dann rufe ich die Frage 43 des Kollegen Schily auf:
Teilt die Bundesregierung die Rechtsauffassung, wonach es nach den Vorschriften des Sozialgesetzbuches unzulässig ist, wenn ein Sozialamtsbediensteter auf ein polizeiliches Ersuchen ohne richterliche Übermittlungsanordnung eine Terminvereinbarung in der Dienststelle mitteilt bzw. wenn die Sozialbehörde Aufenthaltsanfragen der Polizei speichert oder sonst vermerkt und der Polizei künftige Aufenthalte des Betroffenen in der Sozialbehörde mitteilt?
Herr Kollege Schily, im Bereich des Sozialdatenschutzes hat sich Anfang der 80er Jahre die Frage gestellt, ob eine Sozialbehörde im Rahmen der Amtshilfe den tatsächlichen Aufenthaltsort eines Betroffenen, der sich gerade bei ihr aufhält, übermitteln darf. Hierzu ist, wie Sie wahrscheinlich wissen, in § 68 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch geregelt, daß „zur Erfüllung von Aufgaben der Polizeibehörden, der Staatsanwaltschaften und Gerichte " usw. die Übermittlung der „derzeitigen Anschrift des Betroffenen" zulässig ist.
Das Kammergericht Berlin hat in einem Urteil aus dem Jahre 1983 festgestellt, daß § 68 SGB X der Verpflichtung nicht entgegenstehe, den Aufenthaltsort des Betroffenen bekanntzugeben. Nach dieser
Rechtsprechung ist der tatsächliche Aufenthaltsort unter dem Begriff „derzeitige Anschrift des Betroffenen" zu subsumieren.
Die Bundesregierung hat diese Auffassung geteilt und dies auch in ihrer Stellungnahme zu einem Vorschlag des Bundesrates zum Ausdruck gebracht. Bei der Neufassung des § 68 SGB X durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Sozialgesetzbuchs von 1994 wurde eine Klarstellung nicht für erforderlich gehalten. Die Bundesregierung prüft allerdings jetzt erneut, ob wegen der von Ihnen aufgeworfenen Fragen gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht.
Ihre Zusatzfrage, bitte schön.
Herr Staatssekretär, das ist nun wieder einmal scharf an der Frage vorbei geantwortet, wie das des öfteren in der Fragestunde geschieht. Ich habe etwas ganz anderes gefragt. Ich habe nicht nach der Verfahrensweise bei dem derzeitigen Aufenthalt gefragt; es ist mir wohlbekannt, was Sie in Ihrer Antwort geschildert haben. Meine Frage lautet vielmehr, ob „es nach den Vorschriften des Sozialgesetzbuches unzulässig ist, wenn ein Sozialamtsbediensteter auf ein polizeiliches Ersuchen ohne richterliche Übermittlungsanordnung eine Terminvereinbarung in der Dienststelle mitteilt bzw. wenn die Sozialbehörde Aufenthaltsanfragen der Polizei speichert oder sonst vermerkt und der Polizei künftige Aufenthalte des Betroffenen in der Sozialbehörde mitteilt". Ich darf Sie darauf hinweisen, daß der bayerische Datenschutzbeauftragte eine solche Verfahrensweise für unzulässig hält. Meine Frage lautet, ob Sie diese Rechtsauffassung, wie sie auch vom bayerischen Datenschutzbeauftragten vertreten wird, für richtig halten.
Herr Kollege Schily, ich hatte Ihnen gesagt, daß die Bundesregierung nicht zuletzt auf Grund Ihrer Frage - insoweit muß dieser Teil im Moment offen bleiben - prüft, ob man diesen Dingen beitreten kann oder nicht. Sie wissen, daß wir dazu die Länder befragen müssen und daß wir den Bundesdatenschutz- und die Länderdatenschutzbeauftragten befragen müssen. Das dauert etwas, so daß ich Ihnen dazu heute keine abschließende Auskunft geben kann.
Noch eine Zusatzfrage, Herr Kollege Schily.
Herr Staatssekretär, ich verstehe, daß Sie sich ein wenig winden müssen. Aber auf der anderen Seite möchte ich endlich einmal die Erfahrung machen, daß ich auf eine präzise Frage eine präzise Antwort bekomme. Es geht mir nicht darum, ob Sie Gesetzgebungsbedarf sehen oder nicht, sondern es geht mir darum, ob die Bundesregierung die Rechtsauffassung teilt, die ich in der Frage sehr genau beschrieben habe. Es müßte der Bundesregierung doch eigentlich möglich sein, in ei-
Otto Schily
I ner solchen strittigen Frage eine klare Antwort zu geben, wie de lege lata die derzeitige Rechtslage nach ihrer Einschätzung aussieht.
Herr Kollege Schily, die Frage nach der derzeitigen Rechtslage stellt sich auf Grund Ihrer präzisen Frage neu, weil diese Frage noch nicht geprüft ist.
Deshalb sind wir dabei, dies zu prüfen. Alles andere ist klar: daß die Sozialbehörde sonst Auskunft geben kann. Aber die Präzisierung, die Sie vorgenommen haben, führt dazu, daß man das im Einzelfall prüfen muß. Das werden Sie doch zugestehen müssen.
Herr Kollege Schily, es gilt der alte Rechtsgrundsatz „Nemo ultra posse obligatur" . Wenn die Bundesregierung sagt, sie weiß es nicht, dann weiß sie es eben nicht.
Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereiches. Ich bedanke mich, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung auf. Zur Beantwortung steht Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Klaus Rose zur Verfügung, den ich in dieser Funktion zum erstenmal herzlich begrüße.
Die Fragen 44 und 45 des Abgeordneten Jürgen Koppelin werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Dann habe ich noch die Frage 46 der Abgeordneten Lydia Westrich aufzurufen:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, daß in einem als Erholungsgebiet genutzten Gelände vier Raketen vom Typ „Smokey Sam" mit der Aufschrift „Danger-Explosive" gefunden worden sind, die von einem nahe gelegenen Militärgelände abgefeuert wurden, und was wird sie unternehmen, daß derartige Vorfälle für die Zukunft ausgeschlossen werden bzw. sich ausschließlich auf militärisches Gelände beschränken (s. „Rheinpfalz" vom 13. Februar 1997)?
Herr Präsident, die Frage der Frau Kollegin Westrich beantworte ich wie folgt. Bei dem aufgefundenen Material handelt es sich um ungiftige Styroporrückstände eines als „Smoket' Sam" bezeichneten Darstellungsmittels zur Einsatzausbildung von Kampf- und Transportflugzeugführern. Dieses Darstellungsmittel ist im Aufbau vergleichbar mit handelsüblichen Feuerwerksraketen.
Der Einsatz von „Smokey Sam" ist nur innerhalb festgelegter militärischer Stellungen zulässig. Den Nutzungsbestimmungen zufolge ist der Abschußort des Darstellungsmittels so zu wählen, daß Rückstände auf ausgewiesenes militärisches Gelände fallen. Bei dem Vorfall im Gebiet Rodalben handelt es sich um eine bedauerliche, durch starken Windeinfluß bedingte Ausnahme.
Die Luftwaffe hat eine Überprüfung eingeleitet. Dies wurde der regionalen Presse bereits am 12. Februar 1997 mitgeteilt. Darüber hinaus hat die Luftwaffe inzwischen alle Nutzer erneut auf die Einhaltung der einschlägigen Bestimmungen für den Einsatz von „Smokey Sam" hingewiesen.
Ihre Zusatzfrage, Frau Kollegin.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß die Region im militärischen Bereich schon einiges mitgemacht hat, wie zum Beispiel das Giftgaslager und den Abtransport durch die Dorfstraßen, Pershing-Lager, Abstürze von Tieffliegem - vom Fluglärm einmal ganz abgesehen -, und können Sie verstehen, daß das Mißtrauen der Bevölkerung gegenüber vielleicht auch harmloseren Vorkommnissen, wie Sie es jetzt noch einmal bestätigt haben, groß ist und daß Offenheit und ausführliche Informationen ganz dringend geboten sind und natürlich auch die Abstellung dieser Vorkommnisse?
Frau Kollegin, daß die Bevölkerung sensibel ist, ist mir bekannt. Wenn in Ihrer Region bisher so viele derartige „Veranstaltungen" stattgefunden haben, kann ich mir vorstellen, daß die Bevölkerung angesichts der Überschrift, wie sie in diesem Falle in der Zeitung zu lesen war, aufgeschreckt ist.
Ich habe Ihnen ja zugesichert, daß die Luftwaffe diesen Vorfall noch einmal genau prüft. Es handelt sich aber wirklich um Styroporrückstände, die nicht gefährlich sind.
Ihre zweite Zusatzfrage.
Dann ist Ihnen vielleicht auch nicht bekannt, daß vor dem Abwurf dieser Styropor-Raketen in dem genannten Gebiet bereits mehrfach sogenannte Düppel, also Täuschmaterial, in Vorgärten, auf Autos, Kinderspielplätzen usw. abgeworfen wurden, die die Bevölkerung sehr irritiert haben, weil sie nicht wußte, aus welchem Material sie bestanden, ob sie giftig waren und woher sie kamen.
Halten Sie es deshalb nicht für gut, gerade in solchen Regionen, die strukturschwach sind und mühsam versuchen, zum Beispiel Fremdenverkehr aufzubauen, von solchen Aktivitäten militärischer Art abzusehen und die Bevölkerung davor zu verschonen? Das Mißtrauen ist wirklich sehr groß.
Frau Kollegin, alles, was sich außerhalb der Bestimmungen, die die Bundeswehr einzuhalten hat, bewegt, wird sicherlich erstens verfolgt und zweitens abgestellt.
Wenn es sich bei dem, was Sie angesprochen haben, was auf Kinderspielplätzen aufgefunden wurde,
Parl. Staatssekretär Dr. Klaus Rose
um fehlgeleitete militärische Geräte handeln sollte, müßte man das prüfen.
Ich sehe und höre keine weitere Meldung zu einer Zusatzfrage. Damit sind wir am Ende der Fragestunde. Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Ich rufe nun den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Entwicklung der Energie-Konsens-Gespräche
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Ursula Schönberger.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Präsident! Unter dem Einfluß der globalen weltweiten Veränderungen erleben wir derzeit natürlich auch in Deutschland als einem der führenden Industrieländer eine Vielzahl sozialer, struktureller und gesellschaftlicher Veränderungen. Ob solche Prozesse sozialverträglich und zukunftsorientiert ablaufen oder nicht, ist in Zeiten wie diesen eine Frage an die Politik.
Wenn man Punkt für Punkt Öl ins Feuer gießt, darf man sich nicht wundern, wenn Spannungen, Verwerfungen und Konflikte entstehen und sich verschärfen. Regierungsfähigkeit, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist mehr als die Fähigkeit, sich trotz sozialer Konflikte im Amt zu halten, und sie kann sich auf Dauer nicht darauf beschränken, den Status quo zu moderieren, statt die Zukunft zu gestalten.
Nun liegt für die Atompolitik, einen Bereich, in dem es seit über 20 Jahren einen Dissens zwischen Politik und Gesellschaft gibt, wie er krasser kaum sein kann, ein Entwurfspapier vor, dessen Urheber perfiderweise als „Arbeitsgruppe für eine Verständigung" zeichnen. Es geht Ihnen, meine Damen und Herren von der CDU und von der SPD, soweit Sie denn damit zu tun haben, aber nicht um eine Verständigung mit den von der Atompolitik Betroffenen, sondern ausschließlich um eine großkoalitionäre Verständigung gegen den erklärten Ausstiegswillen der Mehrheit der Bevölkerung.
Da sind wir, wie es scheint, mitten in eine Regierungsumbildung geraten. Um Regierungsfähigkeit zu beweisen, wird von seiten der SPD so ziemlich alles über Bord geworfen.
Nicht einmal vom minimalen sozialdemokratischen
Konsens, dem Ausstieg aus der Wiederaufarbeitung
und der Plutoniumwirtschaft, ist in diesem Papier noch die Rede, von Restlaufzeiten für Reaktoren - so abenteuerlich sie auch sein mögen - ganz zu schweigen. Statt dessen soll der Bestandsschutz für die laufenden Reaktoren bestätigt werden.
Dafür soll die SPD in den Ländern den sicherheitsorientierten Vollzug des Atomgesetzes aufgeben.
Der Kern des Papiers wie auch der gesamten Konsensdiskussion seit 1992 ist die Absicherung des Betriebes der laufenden Atomreaktoren bei gleichzeitiger Minimierung der Systemkosten, insbesondere im Umgang mit dem Atommüll. Das ist mit uns nicht zu machen.
Was Sie zu Atommüllstandorten festschreiben wollen, ist eine skurrile Zumutung. Nach dem Motto „Wir halten uns alle Optionen offen und suchen uns jeweils die billigste aus" wird sowohl „Konrad" genehmigt als auch Morsleben bis zum Jahre 2005 Weiterbetrieben werden. Im Salzstock Gorleben, dessen Nichteignung längst evident ist, soll die sogenannte Erkundung abgeschlossen, die Entscheidung über den Umgang mit dem hochaktiven und heißen Müll aber auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben werden.
Es ist noch gar nicht so lange her, da hat man den Atomkraftgegnern und -gegnerinnen vorgehalten, sie sollten doch einmal sagen, wo der Atommüll eigentlich hin soll. Heute müssen wir feststellen, daß es die Atomkraftbefürworter und -befürworterinnen und die Energiewirtschaft sind, die keinen Plan haben und lauter Verfahren und Erkundungen für Standorte durchführen, die sie gar nicht gebrauchen können. Statt dessen setzen sie weiter auf das Herumkutschieren und das Verschieben des Atommülls.
Sie können nicht ernsthaft glauben, daß das irgend jemanden beruhigt. Ihre Politikunfähigkeit, Ihre Unfähigkeit, eine sozialverträgliche Lösung überhaupt nur zu suchen, schürt in unverantwortlicher Weise den Konflikt um die Atomenergie.
Wenn Sie vorhaben, Anfang März wiederum ein Heer von Polizistinnen und Polizisten einzusetzen, um einen Castor-Transport mit aller Gewalt gegen die Bevölkerung durchzusetzen, dann mißbrauchen Sie die Ihnen übertragenen Machtmittel des Staates, weil Sie Gewalt einsetzen, statt gemeinsam nach einer gesellschaftlich akzeptierten Lösung zu suchen.
Letztlich stellt sich die Frage an die SPD, was sie bereit ist mitzutragen und wo ihre Schmerzgrenze liegt. Da kommen mir, Kollege Müller, doch Zweifel, wenn Sie sagen, daß sich die SPD in der Atompolitik einig sei und es in der Ausstiegsfrage kein Wackeln gebe. Schließlich gehört doch auch Gerhard Schröder in nicht ganz unbedeutender Position zur SPD.
Ursula Schönberger
Gerhard Schröder erweist sich immer mehr als ein Mann, der die betriebswirtschaftlichen Interessen der Wirtschaft in genialer Weise gegen die subjektive Befindlichkeit durchzusetzen vermag. Die betriebswirtschaftlichen Interessen der heutigen Energiewirtschaft liegen nun einmal nicht in der Stillegung der laufenden Reaktoren.
Sie haben in Ihren Reihen eine aktive Kohlelobby, die bereit ist, sich die Finanzierung der Steinkohle wieder einmal mit einer Zustimmung zur Atompolitik gegenrechnen zu lassen.
Die Verbindlichmachung der großkoalitionären Verständigung in der Atompolitik soll ja - wie schon in den 70er Jahren - über eine Bund-Länder-Vereinbarung erfolgen. Da wird sich dann zeigen müssen, ob Sie von der SPD alte, rückschrittliche Energiestrukturen zementieren oder sich zumindest die Tür für eine zukunftsfähige und ressourcenschonende Energiepolitik offenhalten wollen.
Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Dr. Peter Paziorek.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vielfach geäußerte Vorwurf der Grünen, bei dem Papier für eine Verständigung zur Entsorgung radioaktiver Abfälle handele es sich um das Ergebnis einer Kungelrunde, ist ein weiteres Zeichen dafür, daß bei den Grünen in vielen wichtigen Fragen der Wirtschafts- und Energiepolitik die Vernunft immer noch nicht eingezogen ist. Die Grünen wollen sich - so Frau Hustedt in mehreren Interviews - bei einer konstruktiven Suche nach Zwischen- und Endlagern nur dann beteiligen, wenn klar sei, daß aus der Atomkraft ausgestiegen werde.
Die Grünen argumentieren somit nach der Devise: Entweder ihr tanzt nach unserer Melodie, oder wir werden so lange blockieren, bis die Entsorgungssituation einen für unser Land bedrohlichen Zustand angenommen hat. Wer so argumentiert, argumentiert verantwortungslos und belegt, daß er auch zukünftig Verantwortung in Deutschland nicht übernehmen will.
Unbeschadet der unterschiedlichen Auffassungen über die Nutzung der Kernenergie müssen die radioaktiven Abfälle sowohl der kerntechnischen Anlagen als auch der Industrie, der Medizin und der Forschung sicher entsorgt werden. Dabei beginnen wir doch gar nicht bei der Stunde Null. Das Entsorgungskonzept beruht auf einem Beschluß der Regierungschefs von Bund und Ländern aus dem Jahre 1979 und den Grundsätzen zur Entsorgungsvorsorge von 1980.
Ohne die Position dieses Papiers in allen Einzelheiten bewerten zu wollen, kann aus unserer Sicht gesagt werden, daß dieses Papier eine gute Möglichkeit zur Verständigung in den wichtigen Fragen der Entsorgung, der Endlagerung, der Zwischenlagerung und hinsichtlich des Bestandsschutzes der Kernkraftwerke beinhaltet. Sicherlich hätten wir uns zu der Option für eine Weiterentwicklung der Kernenergie eine andere Lösung gewünscht. Doch dieses Papier beschreibt einen Weg, der einen Kompromiß darstellt, bei dem keine Seite ihr Gesicht verliert.
Er übernimmt in wesentlichen Eckpunkten das, was der nordrhein-westfälische Ministerpräsident 1989 als neuen Energiekonsens für seine Partei gefordert hat und was der nordrhein-westfälische Wirtschaftsminister Einert 1991 in einer Diskussion im nordrhein-westfälischen Landtag auch für die SPD als wichtige Eckpunkte dargestellt hat.
Somit geht heute unsere Warnung und auch Aufforderung an die SPD, insbesondere an die SPD in Nordrhein-Westfalen: Lassen Sie sich nicht von den Grünen zu einer Energiepolitik verleiten, bei der Sie bei der dringend klärungsbedürftigen Entsorgungsfrage schon wieder aussteigen, bevor Sie überhaupt eingestiegen sind.
Die Äußerungen des Bundesgeschäftsführers Ihrer Partei, Herrn Münteferings,
- Sie rufen jetzt schon „Sehr richtig"; da scheinen Sie wohl etwas Furcht vor dem zu haben, was jetzt kommt -, darüber hinaus Landtagsabgeordneter in Nordrhein-Westfalen für Ihre Partei, der sagte, das, was in diesem Papier aufgeschrieben sei, sei mit der SPD nicht vereinbarungsfähig, sind insbesondere gegen die Interessen Nordrhein-Westfalens gerichtet. Das muß klar und deutlich gesagt werden.
Vielleicht stand er bei diesen Äußerungen noch ganz unter dem Eindruck des Aschermittwochtreffens seines Bezirks in Schwerte. Aber wenn sich Herr Müntefering mit seiner Ansicht durchsetzen und den verkleinerten Energiekonsens blockieren sollte, wäre dies nicht nur ein Schlag gegen den Industrie- und Wirtschaftsstandort Deutschland, sondern auch eine Torpedierung aller Bemühungen, in Sachen Steinkohlesubventionen ein für den Bergbau zufriedenstellendes Ergebnis zu erzielen.
Ich sage dies deshalb, weil ich mich in den letzten Tagen schon ganz entschieden für eine Größenordnung der Kohlesubventionen bis zum Jahre 2005 eingesetzt habe, die uns berechtigterweise für die Zeit bis 2005 von einem lebensfähigen Bergbau sprechen lassen kann. Unsere Position hat nichts, Kollege Schütz, mit einer sogenannten Geiselhaft der Kohle zugunsten der Atomenergie zu tun.
- Nein, das lohnt sich nicht, Kollege Schütz.
Dr. Peter Paziorek
Einerseits nämlich beinhaltet der vorgeschlagene Kompromiß keine Entscheidung zum Neubau von Atomkraftwerken. Andererseits sind - das gilt für Sie letztlich genauso - Mehrheiten für Subventionen zugunsten der heimischen Steinkohle in einer beträchtlichen Höhe bei der allgemeinen Finanzknappheit nur zu erreichen, wenn diese Entscheidung zugunsten der Kohle in eine Vereinbarung eingebettet ist, die zu vielen offenen Fragen der Energiepolitik endlich einen Modus vivendi darstellt.
Wer gegen diesen möglichen Energiekonsens Stellung bezieht, muß dann den Menschen draußen, zum Beispiel im Ruhrgebiet und im Saarland, sagen, daß er in Bonn eine Politik betreibt, die gegen die Interessen dieser Regionen gerichtet ist.
Es reicht nämlich nicht aus, am vergangenen Freitag in der Menschenkette gestanden zu haben. Vielmehr muß hier in Bonn - das sagt jemand, der dort dabei war, ich war nämlich dabei -
eine Politik gemacht werden, die eine realistische Chance eröffnet, diesen Regionen zu helfen. Das gilt natürlich im gleichen Sinne auch für die Diskussion zum Zwischen- und Endlager in Gorleben. Auch hierzu ist ein Kompromiß möglich, den wir jetzt kurzfristig vereinbaren sollten.
Sagen Sie deshalb ja zu diesem Papier! Sagen Sie deshalb ja zu diesem Energiekonsens! Das wäre gut für Deutschland. Das wäre gut für Nordrhein-Westfalen.
Ich gebe der Abgeordneten Anke Fuchs das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Aktuelle Stunde, die auf Antrag der Grünen zustande gekommen ist, hat eine falsche Überschrift. Sie heißt „Entwicklung der Energie-Konsens-Gespräche", aber diese Energiekonsensgespräche sind gescheitert, weil es unüberbrückbare Gegensätze gibt, weil wir daran festhalten: Wir wollen aus der Kernenergie aussteigen. Deswegen macht es gar keinen Sinn, wenn Sie so tun, als ob wir Energiekonsensgespräche mit dem Ziel Option Kernenergie vereinbart hätten.
Das hat nicht stattgefunden; das wird nicht stattfinden. Deswegen können Sie es sich abschminken, uns einzudreschen, was wir zu tun oder nicht zu tun haben. Wir haben eine Linie, die da heißt: Wir wollen aus vielen Gründen, die Sie alle kennen, heraus aus der Atomenergie. Dabei bleibt es für die Sozialdemokratische Partei. Deswegen wird es in dieser Frage auch keinen Konsens geben können.
Nun kommt die spannende Frage: Worüber kann man sich miteinander unterhalten? Die Kernenergie ist vorhanden; es gibt nuklearen Abfall. Insofern ist die Frage: Welche Gespräche kann es geben, um das Problem der Entsorgung im Einvernehmen zu lösen und aus dem ewigen Streit herauszuholen. Wir sind dazu bereit. Das vielzitierte Papier, an dem ich nicht mitgearbeitet habe, ist bei dem Thema Entsorgung eine gute Grundlage. Auch wenn es so aussieht, als ob diese Gespräche aussichtslos wären, haben wir ein Interesse daran, daß die Entsorgungsfrage gelöst wird. Deswegen sind wir darüber auch zu weiteren Gesprächen bereit.
Die Entsorgungsfrage zu lösen heißt, daß wir uns darüber verständigen können, daß die Entsorgung der nuklearen Abfälle, solange europäische Lösungen nicht angeboten werden können, in Deutschland stattfinden muß. Wir sind damit einverstanden, daß die Option für ein nukleares Endlager anerkannt wird, weil die Reduzierung des Abfallvolumens nach heutigem Kenntnisstand möglich ist. Gleichzeitig begrüßen wir die Ausweitung und Regionalisierung der Zwischenlagerkapazitäten. Das heißt auch: Schaffung neuer Zwischenlagerkapazitäten in Süddeutschland.
Ich hoffe, daß wir gemeinsam an einem Strang ziehen, wenn es darum geht, die Verantwortung nicht auf Niedersachsen zu beschränken, sondern auch in Süddeutschland voranzukommen. Darin stimmen wir mit der Bundesregierung überein. Die Zwischenlager sparen Kosten und reduzieren Transportgefahren.
- Wir sind uns einig darüber - wir wollen dies auch -, Herr Kollege, daß die Zwischenlager nicht auf Niedersachsen beschränkt werden und daß unter dem Gesichtspunkt der Gesamtverantwortung auch die süddeutschen Länder bereit sind, sich an einem Entsorgungskonzept zu beteiligen. So haben auch Ihre Leute in den Gesprächen votiert.
Wir bekennen uns dazu, daß die Entsorgung gesichert werden muß. Wir halten auch daran fest, daß der Entsorgungsnachweis an konkrete Schritte im Hinblick auf die Endlagerung zu knüpfen ist. Dies bietet eine Gesprächsgrundlage, und dabei bleiben wir.
Warum belasten Sie die Gespräche immer mit der Forderung an uns, die Option Kernkraftwerke zu unterstützen? Sie wissen, daß wir das nicht mitmachen werden. Lassen Sie uns deshalb über die Bereiche reden, in denen ein Konsens möglich ist! Lassen Sie uns nicht über das reden, von dem wir von vornher-
Anke Fuchs
ein wissen, daß wir uns nicht aufeinander zubewegen werden!
Ich finde es nach wie vor unerträglich, daß sich die Bundesregierung wiederum ihrer Verantwortung entzieht, den Steinkohlebergbau endlich auf solide Füße zu stellen.
Wir werden nicht zulassen, daß die Bergarbeiter wieder als Geiseln genommen werden. Ich betone das hier.
Wenn Sie an der Menschenkette teilgenommen haben, dann beglückwünsche ich Sie dazu. Sorgen Sie dafür, daß wir für das Jahr 2005 und darüber hinaus verläßliche Zusagen bekommen, damit die Bergleute endlich wissen, wie ihre Zukunft aussieht. Wir können sie nicht länger im Regen stehenlassen.
Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun: Sie drükken sich vor der Verantwortung, wenn Sie weiter so tun, als ob es zwischen Entsorgung und Steinkohlebergbau ein Junktim geben könnte.
Das Fazit ist: In der Entsorgungsfrage sind wir näher beieinander, als es mancher wahrhaben will. Das begrüßen wir ausdrücklich. Eine Option für die Nutzung der Atomenergie in der Zukunft ist mit uns nicht zu machen. Wir fordern Sie auf, endlich zu verläßlichen Bedingungen für die Steinkohlepolitik zu kommen. Dann können wir miteinander darüber diskutieren, wie wir die entsprechenden Schritte verwirklichen können.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Paul Friedhoff.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Grünen haben den Wunsch nach einer Diskussion über die Gespräche, die über die Entsorgung der Kernbrennstäbe geführt werden, geäußert. Sie wollen darüber debattieren, was in den vergangenen Wochen zwischen der Bundesregierung und den Regierungen der Länder Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen auf dem energiepolitischen Feld beraten worden ist.
Mit Ihrem Antrag zu dieser Aktuellen Stunde machen Sie aber auch deutlich, was Sie jenseits der Information auch noch wollen: Sie wollen, wie ich finde, stören. Denn in den Sachstand der Gespräche sind Sie über Ihre Beteiligung an der Landesregierung in Nordrhein-Westfalen doch sicherlich eingebunden. Oder ist dort etwa der Informationsfluß nicht so ganz in Ordnung? Spricht Herr Clement nicht mehr mit Frau Höhn über die anstehenden Probleme? Vielleicht wollen Sie ja auch nur aus Gründen der Machterhaltung den Konflikt in Düsseldorf vermeiden und ihn deswegen nach Bonn abschieben.
Die F.D.P. begrüßt, daß es in den vergangenen Monaten zu vertiefenden energiepolitischen Gesprächen mit der SPD gekommen ist. Von Energiekonsensgesprächen, die das ganze Spektrum der Energiepolitik umfassen, kann sicher keine Rede sein.
Das ist bedauerlich. Es ist aber auch richtig, daß nicht alles zur selben Zeit erledigt werden kann. Auch hier gilt es, einen gemeinsamen Nenner zu finden, und der heißt: Beschränkung auf eine Verständigung, die die Hauptpfeiler und -träger des Energiemixes in Deutschland umfaßt, nämlich Kernenergie und Kohle. Dies ist ein sinnvoller Anfang für Gespräche, die im Moment wohl allein auf diese Bereiche beschränkt werden können.
In Sachen Kernenergie hat man sich auf die Problembereiche der Entsorgung, auf die End- und Zwischenlagerung an den jeweiligen Standorten konzentriert. Thematisiert worden sind aber auch die laufenden Kernkraftwerke. Über den Forschungsreaktor sowie über die Option der friedlichen Nutzung der Kernenergie ist ebenfalls gesprochen worden. Dies ist erfreulich.
In der Breite der Themen sieht die F.D.P. die Bereitschaft der SPD, konstruktiv an der zukünftigen Gestaltung der Energiepolitik mitzuwirken. Mit ihrer Mitarbeit signalisieren die Sozialdemokraten im Gegensatz zu den Grünen erneut ihr Ja zu laufenden Kernkraftwerken. Die SPD verschließt nicht die Augen und erkennt die Bedeutung der Kernkraft und deren Technologie für den Wirtschaftsstandort Deutschland auch über das Hier und Jetzt hinaus an; denn sonst würde darüber nicht gesprochen werden müssen.
- Sie interpretieren die Gespräche, die dort stattgefunden haben, auf Ihre Art und Weise. Lassen Sie das dann auch mich tun.
Aus der Sicht der F.D.P. ist die deutsche Steinkohle zweifellos das größte Sorgenkind. Die Ereignisse der vergangenen Woche haben deutlich gemacht, daß hier ein gewaltiges wirtschaftspolitisches Problem auf eine Lösung wartet.
136 000 DM muß der Steuerzahler für einen nicht wettbewerbsfähigen Arbeitsplatz im Steinkohlebergbau zahlen. Das sind jedes Jahr Subventionen in einer Höhe von mehr als 10 Milliarden DM. Diese Mittel werden den Bürgern und Betrieben unseres Lan-
Paul K. Friedhoff
des genommen, ohne daß ein Arbeitsplatz dauerhaft stabilisiert wird,
ohne daß ein zusätzlicher wettbewerbsfähiger Arbeitsplatz geschaffen wird, ohne daß zukunftsweisende Innovationen angeschoben werden und ohne daß der Strukturwandel damit gefördert wird.
Können wir uns das auf Dauer leisten? Ich meine, nein. Dies sind keine geeigneten Maßnahmen, um den Wirtschaftsstandort Deutschland fitzumachen und die Aufgaben, die vor uns liegen, zu lösen.
Das von den Beamten der Bundesregierung, Niedersachsens und Nordrhein-Westfalens erarbeitete Papier sagt dazu nichts. Das kann es auch nicht. Denn hier ist eine politische Entscheidung gefordert. Hier müssen wir die Prioritäten setzen. Den Menschen allerdings Sand in die Augen zu streuen und Bergarbeitern nicht die Wahrheit zu sagen, halte ich für unverantwortbar.
Die F.D.P. möchte hier Klarheit: Klarheit bei der Entsorgung und auch Klarheit für die deutsche Steinkohle. Für beide Bereiche sind verläßliche Perspektiven unverzichtbar. Hinsichtlich der Entsorgung bedeutet das: Verläßlichkeit durch Fortsetzung der Erkundung von Gorleben und die Sicherung der Standorte Schacht Konrad und Morsleben. Für die deutsche Steinkohle gilt: Verläßlichkeit durch Einhaltung bestehender Verträge, eine Perspektive für den Auslauf des Bergbaus ab 2005, eine aktive Umstrukturierung der Region für wettbewerbsfähige Arbeitsplätze und keine Verschwendung von Steuergeldern für Erhaltungssubventionen.
Eine stärkere finanzielle Beteiligung der Länder als bisher ist für die F.D.P. dabei selbstverständlich. Die F.D.P. hofft, daß das Signal, das von der parteiübergreifenden Runde der Experten ausgeht und sich an einer sachgerechten Problemlösung orientiert, auch in der Sozialdemokratischen Partei, in den Regierungen der Länder und in den Fraktionen gehört wird. Die F.D.P. ist bereit, weiterhin an den Gesprächen mitzuwirken.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Rolf Köhne.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im wesentlichen enthält das Verständigungspapier nichts Neues. Es beschreibt den Status quo, und der ist schlimm genug, Herr Paziorek.
Es wird wieder einmal dokumentiert, daß es ein Entsorgungskonzept eigentlich nicht gibt. Zukünftigen Regierungen wird eine gewaltige Erblast hinterlassen. Was ist, wenn eine - hoffentlich völlig andersartige - Bundesregierung im Jahre 2005 feststellen muß, daß Gorleben als Endlager völlig ungeeignet ist? Was, Herr Paziorek, sagen Sie dann unseren Kindern? Es gibt nur eine verantwortungsvolle Haltung in dieser Frage: Sofort abschalten!
Das ist vielen Menschen in unserem Lande bewußt, und das werden sie Anfang März im Wendland wieder demonstrieren. Ich verhehle nicht: Ich werde trotz Polizei und Verfassungsschutz dort sein.
- Genau, so sehe ich auch aus. Nun zu einigen Details.
Erstens Morsleben. Es ist ziemlich unverfroren, zu schreiben, man wolle die vorliegende Dauergenehmigung für das ERAM per Gesetz um fünf Jahre verlängern. Eine solche Dauerbetriebsgenehmigung gibt es eigentlich nicht. Da eine Auflage bezüglich des Konzeptes für einen sicheren Einschluß nicht erfolgt ist, gilt die alte DDR-Genehmigung seit Dezember 1989 nicht mehr. 1990, im Verlaufe des Vereinigungsprozesses, mochte man das vielleicht noch nicht so gesehen haben. Heute ist das aber bekannt. Wer ein solches Gesetz verabschiedet, verabschiedet ein Sondergesetz und karikiert damit die eigene Gesetzgebung.
Weil nach Morsleben auch der Abriß von Würgassen erfolgen soll, habe ich in diesem Zusammenhang eine Bitte an die Grünen: Wenn ihr es ernst meint, solltet ihr in Nordrhein-Westfalen darauf dringen, ein Verfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung zum Abriß von Würgassen einzuleiten. Ich weiß, daß ihr da einen schweren Stand habt. Aber ihr solltet zumindest gegenüber Minister Clement deutlich und auch öffentlich machen, daß ihr da einen Dissens habt. Es ist auch darauf hinzuweisen, daß dieser Abriß nicht unter Zeitdruck passieren sollte. Nur dann ist Sicherheit einigermaßen gewährleistet.
Ein weiterer Punkt. Heute mußte ich im „Handelsblatt" von dem Grünen-Politiker Trittin lesen,
Voraussetzung sei jedoch, daß der Ausstieg aus der Kernkraft beschlossen werde, und zwar mit verbindlich definierten Restlaufzeiten. Fragt Trittin doch einmal, ob er da eine neue Linie einschlagen will oder ob das ein Mißverständnis war!
Nun zur SPD. Herr Kollege Schütz, Sie haben eben so groß getönt, die große Koalition sei Blödsinn. Aber ich habe doch eine Frage: Wenn Ihr Geschäftsführer Müntefering schreibt, das Kapitel Kernkraftwerk in diesem Papier sei völlig inakzeptabel, dann frage ich Sie: Was steht denn da anderes drin als das, was Gesetzeslage ist, das, was Sie 1994 mit dem Artikelge-
Rolf Köhne
setz - zusammen mit der CDU/CSU - mit beschlossen haben?
- Aber ihr habt das doch mit ausgehandelt.
- Gut!
Ich mache euch einen Vorschlag: Wenn ihr in dieser Sache glaubwürdig sein wollt, dann setzt euch mit den Grünen und mit uns zusammen und erarbeitet ein Konzept für eine Energiewende für die Zeit nach 1998.
- Das ist ein Vorschlag; Sie können darauf eingehen oder auch nicht.
Nun noch eine Schlußbemerkung zum Thema Steinkohle. Die Steinkohle wird nur ohne Atomkraft und mit einem verstärkten Klimaschutzprogramm eine Zukunft haben. Wer sich also auf all diese Erpressungen hier einläßt, hat nichts gewonnen.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat jetzt Bundesminister Rexrodt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Energiekonsensgespräche hat es im Jahre 1993 und im Jahre 1995 gegeben. Sie haben sich jeweils über Monate hinweggezogen. Immer ging es darum, unter Einschluß der Kohle und der Kernenergie einen vernünftigen Energiemix zu finden. Diese Gespräche und diese Versuche sind gescheitert.
- Wenn etwas scheitert, sind immer zwei beteiligt.
Auch heute erreichen wir einen Konsens dann nicht, wenn wir Maximalforderungen und Drohungen aneinanderreihen. Wer den Ausstieg aus der Kernenergie fordert, wer eine hohe Kohleförderung gegen den Markt erhalten will und wer den - ich unterstreiche - bedingungslosen Vorrang für erneuerbare Energien fordert, - wer das so betreibt, gefährdet Arbeitsplätze in Deutschland. Denn so entsteht kein Klima für Zukunftsinvestitionen.
Kein Investor kommt in ein Land, in dem sich die politische Klasse in ideologische Grabenkämpfe verstrickt hat.
Ihnen ist zu sagen: Mit ideologischen Positionen erreicht man auch keine Reduktion der CO2-Emissionen. Vor allem entsteht so kein einziger wettbewerbsfähiger neuer Arbeitsplatz. Für mehr Arbeitsplätze in Deutschland brauchen wir praktikable und wettbewerbsorientierte Antworten auf die Fragen der Energiepolitik, nämlich bei der Steinkohle, bei der Kernenergie, bei den erneuerbaren Energien und auch bei der Organisation der Energiemärkte. Dazu gehört die Liberalisierung bei Strom und Gas.
Ich halte es daher für einen entscheidenden Fortschritt, daß die SPD jetzt angeboten hat, gemeinsam mit der Regierung eine Lösung für die deutsche Steinkohle und die Kernenergie zu suchen. Worauf kommt es jetzt an?
Bei der Steinkohle müssen die Subventionen in den kommenden Jahren deutlich zurückgefahren werden. Darin sind sich die Beteiligten - unter Einschluß der SPD und der IG Bergbau - einig. Kohlesubventionen in Höhe von jährlich 10 Milliarden DM sind nicht länger bezahlbar und vor dem Steuerzahler nicht verantwortbar. Arbeitsplätze, die den Steuerzahler pro Jahr 135 000 DM kosten, sind auch nicht sicher.
Der Bergbau soll einen verläßlichen Finanzrahmen bis zum Jahr 2005 und damit die notwendige langfristige Planungssicherheit erhalten. Dazu gehört auch das Artikelgesetz. Ich betone aber: Rechtlich bindende Zusagen werden eingehalten.
- Es ist ja immer wieder von Ihnen, liebe Frau Fuchs, in Frage gestellt worden, daß wir zum Artikelgesetz stehen. Ich sage: Wir stehen zum Artikelgesetz. Bitte schön, das ist doch ganz einfach. Dennoch kann man darüber reden, ob man mit der Absenkung schon eher beginnt.
- Darüber kann man doch reden. Sie haben das doch angeboten. Wenn der Neigungswinkel flacher wird, das heißt, wenn wir gegebenenfalls länger oder in höherem Ausmaß fördern, kann man auch über den früheren Einstieg sprechen. Das hat auch die IG Bergbau erklärt. Was gibt es da für künstliche Aufregungen?
Meine Damen und Herren, es gilt aber auch: Wir brauchen eine regionalpolitische Flankierung des Subventionsabbaus. Wir werden Bergbau und Bergleute bei der notwendigen Umstrukturierung nicht allein lassen. Aber die Revierländer gehören in die Verantwortung; das sind Nordrhein-Westfalen und das Saarland. Die Entscheidungen dazu werden in den nächsten Tagen und Wochen getroffen.
Bei der Kernenergie muß endlich Schluß sein
Bundesminister Dr. Günter Rexrodt
I mit politischen Blockaden. Ein Drittel unseres Stroms kommt aus der Kernenergie. Für den Industriestandort Deutschland ist sie unverzichtbar. Deshalb sind zwei zentrale Bedingungen zu erfüllen.
Erstens. Die Entsorgung der Kernkraftwerke muß gesichert sein. Das heißt, die Transporte müssen ohne politische Störmanöver ablaufen. Wir müssen uns auch über die Zwischenlagerung verständigen. Und: Die Verfahren für die Endlager müssen zügig zu Ende geführt werden, ohne politische und faktische Störungen.
Ich füge für die Bundesregierung hinzu: Die Option auf die Kernenergie muß offengehalten werden. Das gilt für Forschung und Entwicklung, das gilt auch für das genehmigungstechnische Know-how, das wir in diesem Lande auch deshalb brauchen, weil wir mitsprechen müssen, wenn es darum geht, Kernkraftwerke in anderen Ländern in unmittelbarer Nachbarschaft sicherer zu machen.
Es geht überhaupt nicht - wie hier getan wird - um den Bau neuer Kernkraftwerke. Vielmehr muß das Know-how des Kernkraftwerkbaus durch geeignete Schritte erhalten, gesichert und weiterentwickelt werden.
Außerdem müssen die vorhandenen Kernkraftwerke auf der Grundlage des Atomgesetzes genutzt werden können. Ihr Betrieb muß ohne politisch motivierte Verzögerungen in den Genehmigungsverfahren möglich sein.
Ich habe zusammen mit der Kollegin Merkel zu beiden Fragen wiederholt Gespräche mit der Elektrizitätswirtschaft geführt. Darüber hinaus haben, wie Sie wissen, kürzlich Expertengespräche mit SPD- Vertretern stattgefunden.
Ich möchte abschließend herzlich bitten, an die SPD appellieren, daß die hier gefundenen Ansätze nicht zerredet werden. Es geht nicht nur um die Entsorgungsfragen,
sondern es geht auch um die Fragen der Option auf die Kernenergie. Es geht nicht um die Entscheidung für ein neues Kraftwerk, das heute keiner braucht. Ob es später gebraucht wird und in welcher Auslegung, wird später zu entscheiden sein. Heute werden nicht Entscheidungen zu treffen sein, die die Entscheidungen zu einem späteren Zeitpunkt unmöglich machen.
Regierung und Opposition tragen gemeinsam Verantwortung für Wachstum und Beschäftigung. Wir müssen dieser Verantwortung durch konstruktive Zusammenarbeit in den dringenden energiepolitischen Fragen entsprechen.
Schönen Dank.
Ich erteile das Wort jetzt dem Kollegen Dietmar Schütz.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zur Verteilung der Nachgiebigkeit, Herr Minister Rexrodt: Wir sollen aufgeben, damit Sie die Position weiterschreiben können. Das ist doch keine richtige Lastenverteilung. So kann es nicht gehen.
Wir erleben mit ärgerlicher Regelmäßigkeit jährlich - auch jetzt wieder - die Kräftemobilisierung vor dem nächsten Castor-Transport: auf der einen Seite die Kraftwerksbetreiber mit den ihnen auf Grund des Legalitätsprinzips zuwachsenden Polizeikräften, auf der anderen Seite die Kernkraftgegner und die Demonstranten sowie die ihnen kraft Sachzusammenhangs zuwachsenden gewaltbereiten Trittbrettfahrer.
Diese Situation war und ist in meinen Augen mehr als eine legitime Veranlassung für die Frage: Wie kann man diese fast schon rituelle Konfrontation überwinden?
Dabei, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist die mir nächstliegende Antwort, sofort mit dem Ausstieg aus der Kernkraftnutzung zu beginnen. Dies ist durch die rechte Mehrheit dieses Hauses mit ihrer bekannten Position zur Kernenergie aber verstellt. Das ist eine Blockade, Herr Rexrodt, die Sie, wie ich finde, hätten auflösen können.
Die Fragestellung ist allerdings legitim: Wie kommt man unbeschadet der unterschiedlichen Auffassungen über die Nutzung der Kernenergie zu einem Modus operandi, der keine Festlegung nach der einen oder anderen Seite trifft und diese schlimmen Feldzüge vermeidet? Wir können zu dieser Frage heute möglicherweise leichter ohne Zeitdruck eine Antwort finden als noch vor wenigen Jahren, weil sich einige Parameter in der Einschätzung der Endlager und der Zwischenkonzepte geändert haben.
Erstens können wir von einer deutlich reduzierten Menge der mittel- und hochaktiven Abfälle ausgehen.
Zweitens schafft die direkte Endlagerung vielleicht sogar aller Abfälle, von den schwach- bis zu den hochradioaktiven Abfällen, in einem Lager möglicherweise eine andere Ausgangsbasis.
Drittens ist wegen der erforderlichen Abklingzeit für hochaktive Stoffe die Frage nach einem Endlager für diese Stoffe erst ab dem Jahr 2035 beantwortbar. Insofern ist das Papier mit einer Frist versehen.
Angesichts dieser unstreitigen Ausgangslage eine Arbeitsgruppe auf Arbeitsebene einzusetzen, um mögliche weitere Schritte der jeweiligen Grundposition zu ventilieren, ist, liebe Grüne, kein Verrat am
Dietmar Schütz
Ausstiegsbeschluß und auch kein Kurswechsel in der Atompolitik der Sozialdemokratie.
Eines ist nämlich klar für uns und soll auch klar bleiben: Weder kann die offene Frage der Kohlefinanzierung uns in Geiselhaft für die Atomenergie nehmen, Herr Paziorek, noch können die offene Frage der Entsorgung und ihre ausschließliche Konzentration auf Niedersachsen dazu führen, Zustimmung für eine neue Generation der Kerntechnik, etwa eines EPR-Reaktors, zu erreichen. Dafür kann die SPD nicht zur Verfügung stehen.
Wenn allerdings aus dem diskutierten Arbeitspapier die Zustimmung zu einer dauerhaften Nutzung abgeleitet wird, liebe Grüne, dann geschieht das ohne unsere Zustimmung. Dieses Arbeitspapier hat dafür keine politische Legitimation gehabt. Es gibt keinen Zweifel: Wir stehen weiter zum Ausstieg aus der Kernenergie.
Gleichwohl sind die im Arbeitspapier angestellten Überlegungen, soweit sie Zwischenschritte in der Entsorgung betreffen, unbeschadet der unterschiedlichen Grundauffassung, diskussionswürdig.
Eine einfache Fortsetzung der Entsorgung im Sinne des „Weiter so!" halte ich politisch nicht für verantwortbar:
Erstens. Es ist aus Gründen der regionalen Ausgewogenheit - zu neudeutsch: des Burden-sharings - und aus Prinzipien der Transportoptimierung und -sicherheit richtig, das Zwischenlager in Gorleben nur für norddeutsche Kraftwerke vorzusehen.
Zweitens. Es ist aus gleichen Gründen ebenso richtig, das vorhandene Zwischenlager in Ahaus hinsichtlich der Kapazität für abgebrannte Brennelemente zu erweitern und für andere regional zuordenbare Kraftwerke zu benutzen.
Es ist drittens nicht falsch, bei Bedarf neue Kapazitäten auch in Süddeutschland zu schaffen.
Es wäre viertens - auch das steht in diesem Papier liebe Kolleginnen und Kollegen im Hinblick auf die fragwürdige Genehmigungspraxis in Morsleben auch richtig - da stimme ich Ihnen zu -, schnell zu einer Schließung dieser Lagerstätte zu kommen, damit wir endlich einmal eine richtige Rechtsgrundlage haben.
Fünftens. Wenn wir eine direkte Endlagerung wollen, müssen wir keine Pilotkonditionierungsanlage bauen. Insofern sind die Schritte, die in dem Papier niedergelegt sind, durchaus akzeptabel. Darüber können wir doch reden, Herr Minister Rexrodt. Das
sollten wir auch tun, ohne daß wir gegenseitig unsere Positionen aufgeben müssen:
Der eine will raus aus der Kernkraft, der andere will drinbleiben.
Angesichts der erwähnten Dauerkonflikte - zwischen Demonstranten und Polizeikräften - wären wir gut beraten, auch die Häufigkeit der Castor-Transporte zu beschränken. Das würden wir damit tun. Das kann auch dadurch geschehen, daß die Lagerkapazitäten der Kraftwerke selber ausgebaut werden und somit nicht jedesmal große Straßentransporte nötig werden; denn jeder Castor-Transport, der nicht durchgeführt wird, ist ein Beitrag zur erforderlichen Deeskalation, zur Sicherheit und auch zur Verbesserung der Situation unserer Polizei;
denn unsere Polizisten müssen dann nicht immer den Kopf hinhalten, wenn es der Politik nicht gelingt, Lösungen zu finden. Wir sollten das vielleicht einmal vor Augen haben, wenn wir zukünftig darüber reden.
Ich danke Ihnen.
Ich erteile das Wort dem Kollegen Ernst Hinsken.
Verehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Um es gleich vorweg zu sagen: Nach meiner Auffassung behandelt diese Aktuelle Stunde ein Phantom. Denn es gibt keine Energiekonsensgespräche, über deren Entwicklung man reden könnte.
Die letzten Gespräche dieser Art sind am 21. Juni 1995 ergebnislos abgebrochen worden.
Wenn nun auf der Ebene der Fachbeamten aus den zuständigen Bundesministerien und des Landes Niedersachsen ein Papier entworfen wurde und an die Öffentlichkeit gelangt ist, so kann dies allenfalls eine Grundlage bilden für weitere Gespräche auf politischer Ebene, sofern diese für notwendig gehalten werden. Politisch bewertet oder gewichtet sind diese Vorschläge nicht.
Ich will deshalb auf dieses Papier auch gar nicht eingehen. So wünschenswert eine breit angelegte, parteiübergreifende Verständigung über die Energieversorgung unseres Landes auch wäre - Sie haben das vorhin zu Recht mit angesprochen, Frau Fuchs -, so gibt es eine zwingende Notwendigkeit hierfür zur Zeit nicht.
Fest steht: Wir haben ein gültiges Entsorgungskonzept auf der Grundlage des Beschlusses der Regierungschefs von Bund und Ländern von 1979 und die daran anknüpfenden Grundsätze zur Entsorgung von Kernkraftwerken von 1980. Der Umstand, daß
Ernst Hinsken
rot-grüne Landesregierungen diese in rechtswidriger Weise torpedieren,
ist doch kein Grund, die Grundlagen zu ändern.
Fest steht des weiteren: Ein Endlager für hochradioaktive Abfälle wird nach derzeitigem Stand der Erkenntnisse nicht vor 2035 erforderlich sein. Auch die Frage weiterer Zwischenlager stellt sich akut nicht. Abmachungen zu Lasten Dritter darf es hier nicht geben.
Richtig ist auch, daß trotz dieser verbindlichen bisher nicht aufgekündigten Grundlagen jeder CastorTransport nach Gorleben von bürgerkriegsähnlichen Zuständen begleitet wird. Um es einmal ganz klar und deutlich zu sagen: Diese Transporte sind ohne jeden Zweifel rechtmäßig. Die Chaoten und ihre Helfershelfer, die ohne Rücksicht auf Leib, Leben, Gesundheit oder Umwelt Strommasten umlegen, Bahngleise unterhöhlen oder gar ganz herausreißen, das sind die Kriminellen, meine Damen und Herren, und nicht die Energieversorgungsunternehmen.
Ich stelle mir auch heute, verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Frage, was wohl wäre, wenn die gefahrlose Entgleisung des jüngsten Castor-Transportes nicht in Frankreich, sondern in Deutschland passiert wäre. Ganz sicher hätte es Demonstrationsprozessionen dorthin gegeben.
- Frau Hustedt, Sie wären doch mit dabei. Sie haben doch heute schon wieder den Kampfanzug angezogen, um nicht die Zeit zu versäumen, jederzeit zur Stelle zu sein. - Das Geschäft mit der Angst blüht ja letztendlich immer. Die Medien würden zu guter Letzt darüber auch noch heute berichten, wenn das bei uns und nicht in Frankreich passiert wäre.
Richtig ist ebenfalls, daß die Frage der weiteren Subventionierung der deutschen Steinkohle auf der Tagesordnung steht.
Hier besteht ohne Zweifel Handlungsbedarf. Als Politiker eines revierfernen Landes stelle ich mir ernsthaft die Frage, wie wir unserer Bevölkerung noch klarmachen sollen, daß wir mehr als 100 000 DM jährlich pro Arbeitsplatz in Strukturen pumpen, die so nicht überlebensfähig sind.
Wahr ist auch, daß es nicht um Entscheidung der Frage geht, ob jetzt oder in Kürze ein Kernkraftwerk in Deutschland gebaut wird. Dies will derzeit niemand, und es gibt auch keinen Bedarf hierfür, wie Minister Rexrodt eben gesagt hat. Es ging und geht einzig und allein darum, bei uns die Fähigkeit zu erhalten, auch künftig noch Kernkraftwerke in Deutschland bauen zu können.
Wir wollen, daß uns oder künftigen Generationen die Möglichkeit der Entscheidung für einen Kernkraftwerksneubau belassen bleibt. Damit dieses möglich ist, muß weiter geforscht und entwickelt werden können.
Wahr ist demgegenüber leider, daß „rot-grüne" Ideologen mit ihrer Verweigerungshaltung gegenüber der weiteren friedlichen Nutzung der Kernenergie - wenn auch anders gelagert - zum zweitenmal in diesem Jahrhundert hochqualifizierte Naturwissenschaftler aus diesem Land vertreiben. Hier könnten Sie von der Opposition beweisen - Ihnen kommt es doch angeblich immer auf die Schaffung von neuen zukunftsträchtigen Arbeitsplätzen an -, daß Sie fortschrittlich sind und hierzu einen Beitrag leisten.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend feststellen, daß wir die Zukunft nicht gewinnen werden, wenn wir die Arbeitsplätze des 19. Jahrhunderts erhalten und die Arbeitsplätze des 21. Jahrhunderts gar nicht erst entstehen lassen wollen.
Für die CSU gilt - sofern Energiekonsensgespräche weitergeführt werden - erstens: politisch ungestörter Betrieb bestehender Kernkraftwerke, zweitens: Option, das heißt, reale Möglichkeiten, bei Bedarf sowohl aus Kapazitätsgründen als auch zur Technologiesicherung ein neues Kernkraftwerk zu errichten. Insbesondere EPR muß erhalten und politisch akzeptiert werden. Drittens: Entsorgung muß gesichert werden und die dazu notwendigen Maßnahmen und Verfahren. Insbesondere in Niedersachsen müssen sie ungehindert fortgeführt werden. Das betrifft Castor-Transporte, die zentrale Zwischenlabung in Gorleben und die zentrale Erkundung des Endlagers Gorleben. Ich verstehe die Haltung der Länder Bayern und Baden-Württemberg. Ich schließe mich der Haltung dieser Länder inhaltlich voll an. Ich meine: Lassen Sie uns aufeinander zugehen, um einen vernünftigen zukunftsbezogenen Konsens zu finden. Wir brauchen ihn.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Steffi Lemke.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kollegen und Kolleginnen! Die SPD hält am Ausstieg aus der Kernenergie fest. Ich habe heute positiv aufgenommen, daß Sie dieses noch einmal betont haben. Ich hoffe, daß Sie sich in Folge dieser Äußerungen auch von dem Papier der Arbeitsgruppe öffentlich distanzieren werden.
Frau Fuchs, ich habe heute aus Reihen der SPD sehr unterschiedliche Äußerungen zur Zukunft der
Steffi Lemke
Atomenergie gehört. Ich frage Sie: Was heißt bei Ihnen Entsorgungskonsens? Heißt das Morsleben? Heißt das Wort Konsens Einbeziehung der betroffenen Bevölkerung? Heißt das Castor-Transporte ins Zwischenlager Gorleben? Ich frage Sie, Frau Fuchs. Ich sagte, daß ich sehr unterschiedliche Äußerungen gehört habe, und das nur auf der Bundesebene, nicht einmal auf der Landesebene.
Herr Hinsken, ein Wort an Sie. Sie haben wieder in aus meiner Sicht sehr dumpfer Art und Weise gegen kriminelle Bahnzerstörer polemisiert.
Ich möchte darauf nicht eingehen. Ich heiße die Taten, die dort verübt worden sind, nicht gut. Aber Sie haben offensichtlich die in weitaus größerer Zahl bei Gorleben demonstrierenden Personen, die Bevölkerung, wieder vergessen, die dort zu Tausenden anreisen. Es sind nicht Tausende, die dort Bahngleise zerstören. Ich hätte mir gewünscht, daß Sie auf diese Proteste eingehen, statt auf diese Kriminellen wieder einzuhauen.
Ich glaube, Sie sollten sich in Zukunft mit historischen Vergleichen etwas zurückhalten; denn Ihnen scheint nicht bewußt zu sein, was Sie für Worte gebraucht haben, warum Einstein damals aus Deutschland fortgegangen ist.
Zum vorliegenden Papier zurück. Als ob dieser Entwurf eines Energiekonsenses an sich nicht dubios genug wäre, beinhaltet er zur Krönung auch noch den Weiterbetrieb der Atomruine Morsleben. Die Bundesregierung verschleppt seit Jahren das Planfeststellungsverfahren für Morsleben, um freie Hand für eine Verlängerung der Einlagerung zu haben. Inzwischen pfeifen es nicht nur die Ministerialbeamten von Frau Merkel von den Dächern, sondern auch die Spatzen: Das Endlager Morsleben weist schwere Sicherheitsmängel auf, mit einem positiven Ausgang des Planfeststellungsverfahrens ist nicht mehr zu rechnen. Morsleben muß stillgelegt werden.
Selbst die Bundesregierung will deshalb inzwischen das Planfeststellungsverfahren auf Stillegung beschränken. Die vorgesehene Verlängerung der Dauerbetriebsgenehmigung aus DDR-Zeiten um fünf Jahre ist vor diesem Hintergrund jedoch eine fahrlässige Gefährdung der Gesundheit der Bevölkerung.
Auch das verkleisternde Versprechen, daß die einzulagernde Atommüllmenge nicht mehr zu vergrößern sei, ist der blanke Hohn, denn schließlich hat Frau Merkel die Genehmigung für Morsleben im letzten Jahr bereits auf das Zehnfache der ursprünglichen Einlagerungsmenge und auf das Zehntausendfache der Aktivität erhöht. Des weiteren werden dort Gebinde mit mittelaktiven Abfällen eingelagert, die eine andere Gewichtsklasse aufweisen als die ursprünglich vorgesehenen. Wie sich diese beim sowieso schon umstrittenen Versturzverfahren verhalten, ist völlig ungeklärt.
Bündnis 90/Die Grünen fordert deshalb einen sofortigen Einlagerungsstopp für Morsleben. Ein Weiterbetrieb oder sogar eine Betriebsverlängerung ohne Planfeststellungsverfahren, ohne Öffentlichkeitsbeteiligung, ohne Nachweis der Langzeitsicherheit nach westdeutschem Standard und ohne Schließungskonzept ist unverantwortbar.
Das bisherige Agieren der SPD in den Verhandlungen kommt einer Zusage an die Kernenergienutzung ohne Sicherheitsvorkehrungen gleich. Schröder ist unseres Erachtens für weitere Gespräche untragbar. Ich frage mich überhaupt, wie irgendein niedersächsischer Ministerpräsident dazu kommt, über Morsleben zu verhandeln. An solchen Gesprächen wäre erst einmal das Land Sachsen-Anhalt zu beteiligen, in dem immerhin dieses einzige bundesdeutsche Atommüllendlager betrieben wird.
Die sachsenanhaltische Landesregierung hat zum Weiterbetrieb von Morsleben bereits nein gesagt.
Der sogenannte Energiekonsens ist tatsächlich ein unlauteres Tauschgeschäft. Die Verantwortung wird nach dem Prinzip „Wie schaffe ich es über die nächsten Wahlen?" an die kommenden Generationen abgeschoben. Westdeutsche Arbeitsplätze in der Steinkohle werden gegen die Sicherheitsinteressen der ostdeutschen Bevölkerung und nach dem Sankt-Florians-Prinzip Gorleben gegen Morsleben ausgespielt. Insgesamt ist dieses Papier ein besonders übles Stück deutsch-deutscher Vereinigungsgeschichte.
Daß die CDU auch in Sachen Morsleben das Honecker-Erbe angetreten hat, ist bisher hinlänglich bekannt, daß zumindest die West-SPD ihr ausgerechnet darin nacheifert, hoffentlich noch nicht endgültig.
Das Wort hat jetzt die Bundesministerin Dr. Angela Merkel.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In den letzten Tagen haben uns alle die Zahlen über die Arbeitslosen in der Bundesrepublik Deutschland erschreckt. Ich denke, daß die Bürgerinnen und Bürger von uns mit Recht Lösungen in praktischen Fragen und keine ideologischen Auseinandersetzungen erwarten. Deshalb müssen wir das abklopfen, was wir praktisch lösen können. Da gibt es in der Energiepolitik neben vielen anderen Gebieten einiges zu tun.
Worum geht es? Bei der Kohle - das hat mein Kollege Günther Rexrodt ausgeführt - geht es um die
Bundesministerin Dr. Angela Merkel
Frage, wie berechenbare Bedingungen bis zum Jahre 2005 erzeugt werden.
Wer solche Subventionen und Berechenbarkeit in diesem Bereich fordert, liebe Frau Fuchs, der muß natürlich genau dies auch anderen Bereichen, glaube ich, zugestehen.
Denn diejenigen, die Kohle in Strom umwandeln, betreiben zum Beispiel auch Kernkraftwerke. Ich kann es schlecht erklären, daß wir mit den einen über Berechenbarkeit verhandeln, mit den anderen aber nicht.
Das ist aber kein Vorwurf an Sie, sondern das war nur die Antwort auf die Frage: Was hat das eine mit dem anderen zu tun?
Es gibt kein Junktim; das ist richtig; ich sage das hier ausdrücklich. Aber ich sage auch: Es gibt Bundesländer unterschiedlichster Art, die verschiedene Probleme haben, und es gibt eine Bundesregierung, die sich für die Lösung verschiedener Probleme verantwortlich fühlt. Deshalb haben aus dem oberen Blickwinkel der Energiepolitik die Dinge insgesamt schon etwas miteinander zu tun, ohne daß ein Junktim hergestellt wird, wo kein Junktim hergestellt werden muß.
Darum haben wir die Bereitschaft der SPD begrüßt, über das, was praktisch zu regeln ist, zu sprechen. Genau das ist auf Arbeitsebene geschehen. Politisch wird darüber weiter zu reden sein. Deshalb gibt es diese Aktuelle Stunde. Aber wir haben natürlich auch noch andere Gespräche vor uns.
Die Frage ist doch jetzt: Was müssen wir bis zum Jahre 2005 entscheiden, und was müssen wir nachher entscheiden? Wenn wir bereits alle Entscheidungen bis zum Jahre 2005 getroffen hätten, dann wäre ich wirklich froh.
Wir können uns weder ungeklärte Entsorgungsvorhaben leisten, noch können wir gegen die bestehende Rechtslage den Ausstieg aus der Kernenergie durchführen.
- Ich sage ja nur: Die Rechtslage ist im Kohlebereich und im Kernenergiebereich erst einmal so, wie sie ist. - Wir gehen einmal von den Ausgangspositionen aus und sagen: Wir wollen weder Milliardenverluste in der Volkswirtschaft, noch wollen wir keinen Fortschritt bei den Entsorgungsfragen, zumal uns hier der Zusammenhang über den Entsorgungsvorsorgenachweis klar vorgegeben ist.
Wir wollen natürlich auch nicht - das sage ich jedenfalls für die Bundesregierung -, daß der Industrie verboten wird, zu forschen und zu entwickeln. Ich halte es für notwendig, daß eine Industrie, die forscht und entwickelt, auch ein Recht darauf hat, zu erfahren, ob es im Zusammenhang mit solchen Forschungs- und Entwicklungsarbeiten möglich ist, Genehmigungen nach dem Atomgesetz, das in Deutschland gilt, zu bekommen, oder nicht. Auch darüber muß man sprechen können.
Deshalb sage ich: Dieses Arbeitspapier sollte weiter eine Grundlage für Gespräche sein. Dieses Arbeitspapier umfaßt alle Bereiche der Entsorgung, die in Rede stehen.
Ich sage dies auch vor dem Hintergrund, daß wir uns überlegen müssen, woher im Sicherheitsbereich eigentlich die Gefährdungen für die Bundesrepublik Deutschland kommen. Jeder, der sich einmal mit unserer Umgebung, mit Mittel- und Osteuropa, beschäftigt hat, weiß, daß die Bundersepublik Deutschland bei der Frage der Verbesserung der Sicherheit der in Mittel- und Osteuropa bestehenden Kernkraftwerke eines der führenden Länder ist.
Meine Damen und Herren, für mich ist es eine ziemlich dramatische Vorstellung, daß wir in den Gesprächen mit den G-7-Ländern sagen: Wir machen in der Sicherheitsfrage gar nichts mehr; wir kennen überhaupt nur noch den Ausstieg. Dann sagen die uns nämlich: Liebe Leute, wir sehen überhaupt nicht ein, daß ihr uns noch einen einzigen Ratschlag gebt. Das halte ich für ein zumindest bedenkenswertes Argument; denn es geht in der Tat in Deutschland zur Zeit nicht um den Neubau von Kernkraftwerken. Das ist bis zum Jahre 2005, wie uns immer wieder gesagt wird, kein Thema.
Nun ist hier wieder die Frage gestellt worden: Warum beschäftigen wir uns mit Morsleben? Ich sage Ihnen nur eins: Wenn wir über Entsorgungsfragen sprechen würden, uns aber nicht mit Morsleben beschäftigen würden, wären wir eine schlechte Bundesregierung. Denn auch dort gibt es etwas zu lösen.
Das Arbeitspapier enthält etwas, was Frau Heidecke von dieser Bundesregierung eigentlich gar nicht hätte erwarten können - deshalb verstehe ich ihr Geschrei nicht -, nämlich daß ein Planfeststellungsverfahren auf Stillegung beschlossen wird.
Dann ist - lassen Sie mich weiterreden! - in diesem Arbeitspapier festgelegt - das haben wir auch für die Wismut gemacht -, die im Einigungsvertrag stehenden Fristen zu verlängern, weil man nach westdeutschem Recht das Planfeststellungsverfahren bis zum Jahre 2000 nicht zu Ende bekommen wird. Sie werden allemal dafür sorgen, daß wir das Planfeststellungsverfahren nicht zu Ende bekommen, weil Sie im großem Ausmaß die Bürgerbeteiligung unterstützen. Dagegen habe ich nichts, es verkürzt allerdings nicht die Verfahren.
Deshalb tun wir gut daran, schon heute festzulegen, wie wir die Fristen verlängern.
Wir haben in diesem Arbeitspapier ganz klar auch gesagt, es solle keine Einlagerung über das Inventar
Bundesministerin Dr. Angela Merkel
hinaus geben, das heute schon als Selbstbeschränkung dort festgelegt ist.
- Wir haben überhaupt nichts vergrößert.
Das ist der Stand. Wenn Frau Heidecke behauptet, die Bundesregierung habe jahrelang nichts gemacht, dann spricht sie die Unwahrheit;
denn sie weiß, daß im Jahre 1992 der Antrag auf Planfeststellungsverfahren gestellt wurde. Das ist dem Land Sachsen-Anhalt bekannt.
Meine Damen und Herren, Herr Müller von der SPD hat vor wenigen Tagen gesagt: Ich kann mir vorstellen, daß man in der Bundesrepublik Deutschland zu einer Verständigung kommt, wenn man drei Zielsetzungen berücksichtigt: Klimaschutz, Energieeinsparung, Effizienzsteigerung. Das sind alles Ziele, die ich teile. Ich füge aber noch hinzu: Versorgungssicherheit und Erzeugung von Strom in Deutschland und nicht Nutzung von Strom aus der Steckdose von irgendwo her.
Wenn wir Wirtschaftlichkeit, Versorgungssicherheit, Effizienz und Umweltverträglichkeit miteinander diskutieren, dann sollte es eigentlich mit dem Teufel zugehen, wenn wir nicht praktische Lösungen für die anstehenden Fragen fänden. In diesem Sinne hoffe ich auf die weiteren notwendigen politischen Gespräche. Wir haben eine gute Grundlage.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Michael Müller.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Friedhoff hat davon gesprochen, daß die SPD die Wahrheit nicht zur Kenntnis nehmen wolle. Ich vermute, daß der eigentliche Punkt ein ganz anderer ist: Es gibt offenkundig unterschiedliche Wahrheiten.
Ich glaube, daß es um grundsätzliche Unterschiede geht. Es geht nämlich darum, daß Sie nicht begriffen haben, daß mit der Verlängerung der bisherigen Energiepolitik keine Zukunft zu gewinnen ist. Das ist der eigentliche Punkt, um den es geht.
Sie sind in dieser Frage zutiefst strukturkonservativ. Sie sind, obwohl Sie in der Öffentlichkeit das Gegenteil sagen, nicht in der Lage, aus der Notwendigkeit von Klimaschutz, Einsparungen und Effizienzsteigerungen die notwendigen Konsequenzen zu ziehen. Sie halten an einem Energieträger fest, der bei der Lösung dieser Frage keinen Beitrag leisten
kann, nämlich an der Atomenergie. Das ist der eigentliche Punkt, um den es geht.
- Doch, genau das ist der Punkt, und da liegen die Unterschiede, Herr Friedhoff.
Beispielsweise ist in der Kopplung von Kohle mit Effizienz- und Einspartechnologien ein interessanter Zukunftsweg zu sehen. Ich frage mich aber: Wollen Sie etwa behaupten, mit der Atomenergie könnten Sie Effizienzrevolution und Energieeinsparung bewerkstelligen? Das glauben Sie doch selbst nicht. Ihr Denkansatz ist falsch. Sie meinen, Sie könnten einen Energieträger gegen einen anderen Energieträger austauschen. Dieser Ansatz ist falsch. Es geht vielmehr um eine andere Struktur der Energieversorgung, nämlich um die, die ins Zentrum Energieeinsparen, Effizienzsteigerung und den Aufbau der solaren Energieträger stellt und dann fragt: Was ist dafür notwendig? Das ist eine völlig andere Denk- und Sichtweise. Hierin liegt der entscheidende Konflikt zwischen uns.
Meine Damen und Herren, Sie sagen, es würden rote oder rot-grüne Ideologen verhindern, daß man sich verständigen kann. Ich glaube, Sie haben noch immer nicht begriffen, daß auch die Mehrheit der Bevölkerung nein sagt zur Atomenergie. Das heißt, es gibt in der Bevölkerung einen Energiekonsens; aber es ist nicht Ihrer. Darin liegt Ihr Problem.
- Herr Hinsken, ich weiß nicht - ich kenne Sie zuwenig -, ob Sie wirklich der große Experte in energietheoretischen Fragen sind. Ich habe nicht den Eindruck; ich will das vorsichtig sagen.
- Na ja, das mag sein.
- Ja, ja, Herr Hinsken, deshalb verstehe ich auch ein bißchen was von Ingenieurwissenschaften. Aber das macht ja nichts. Ich will auf dieser Ebene nicht debattieren. In den Enquete-Kommissionen Klima haben wir uns auf eine Erneuerungsstrategie - über die Fraktionsgrenzen hinweg - verständigt, und zwar deshalb, weil wir über ein konkretes Zukunftsproblem diskutiert und nicht ideologische Machtauseinandersetzungen für die Öffentlichkeit geführt oder in Wahrheit um durchsichtige Interessen gerungen haben. Es ging jetzt um eine Interessenauseinandersetzung und nicht um die reale Lösung von Problemen. In der Enquete-Kommission Klima haben wir über konkrete Probleme geredet, und deshalb war eine Verständigung möglich. Heute reden wir nicht über
Michael Müller
Probleme, sondern wir bauen mit der Atomenergie Hürden auf, die nicht überwindbar sind.
Wir verkennen nicht, daß die SPD in drei entscheidenden Fragen Verantwortung mittragen muß, und deshalb sind wir zu Gesprächen bereit.
Die erste Frage ist die Zukunft der heimischen Kohle. Wir sagen ganz eindeutig: Auch die heimische Kohle steht vor weitreichenden Strukturveränderungen.
Niemand streitet das ab. Ich sage Ihnen aber: Wie die Strukturveränderungen ablaufen, ob sie insbesondere regional- und sozialverträglich ablaufen, liegt daran, welches Ziel in der Energiepolitik besteht. Das ist ein Zusammenhang.
Die Neuordnung kommt nicht von selbst. Vielmehr müssen wir entscheiden, welche energiepolitische Zukunft wir wollen. Dann erst kann man auch für die heimischen Energieträger eine sinnvolle Zukunftsperspektive entwickeln.
Zweiter Punkt: Wir bekennen uns zu der Verantwortung für die Entsorgung. Die Position unserer Fraktion ist immer noch: Wir wollen eine nationale Entsorgungspflicht. Denn es kann nicht sein, daß wir Gefährliches produzieren und dann anderen Ländern die Konsequenzen überlassen. Das wäre unverantwortlich.
Weil das so ist, müssen wir konstruktive Wege finden, die das Problem insgesamt lösen, und keine Scheinlösungen.
Erster Schritt hierbei: Hören Sie mit den CastorTransporten jetzt auf! Sie sind nichts anderes als eine Provokation, sie sind kein Beitrag zur Lösung des Problems.
Zweiter Schritt: Wir sind dafür, über die Entsorgung, aber auf einer anderen Basis, zu reden. Das heißt, wir müssen bisherige Wege der Entsorgung in Frage stellen, zu sicheren Einschlußmöglichkeiten kommen und auch die bisherigen Standorte anders behandeln, wo bislang von Ihnen nach dem Motto „Friß oder stirb!" operiert wird. Das geht nicht.
Der dritte Punkt, wo wir eine gemeinsame Verantwortung haben, ist der Klimaschutz. Ich finde es hochinteressant, daß in dem Papier nicht ein einziger Satz zu erneuerbaren Energien und Energieeinsparung steht. Wer einen Konsens will - ich wiederhole das -, der muß ernsthaft darüber reden, wie wir auf diesem Feld Schritte nach vorne machen. Sonst kann es keinen Energiekonsens geben.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Ulrich Petzold.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Verehrter Herr Müller! Konsensgespräche zwischen Demokraten sollten eigentlich etwas ganz Normales sein. Daß aus solchen Konsensgesprächen heraus Kompromisse erzielt werden, hat jahrzehntelang die Bundesrepublik ausgezeichnet. Der Konsens der Demokraten in den für unsere Bevölkerung wichtigen Fragen war manchmal unsere Schwäche, aber in der Regel unsere Stärke. Konsens heißt dann aber auch gemeinsame Verantwortung, also auch gemeinsame Verantwortung zum Beispiel in der Frage der Energieversorgung.
Nun spitzt sich die Frage des Energiekonsenses zur Zeit sehr auf die Fragen Steinkohle und Kernkraftwerke sowie deren Entsorgung zu. Lassen Sie mich bitte daran erinnern, daß wir durch die Wiedervereinigung in Deutschland mit der mitteldeutschen Braunkohle einen weiteren wichtigen Energieträger haben.
Zwar liegt hierzu der Grundkonsens vor, daß wir diese Braunkohle weiter nutzen, schon allein um Arbeitsplätze zu erhalten. Durch den Zwang, Wirtschaftlichkeit und ökologisch vertretbare Verhältnisse bei der Braunkohlenverstromung herzustellen, mußten jedoch besonders hohe Investitionen in der Stromwirtschaft der neuen Bundesländer vorgenommen werden, die jetzt dort die Strompreise außerordentlich stark belasten. Die ansonsten wirtschaftliche Energieversorgung mit Braunkohle wird für den Abschreibungszeitraum so teuer, daß insbesondere für Stromsondervertragskunden die neuen Bundesländer als Standort uninteressant werden.
Ich mahne deshalb dazu, die Braunkohlenverstromung in den Energiekonsensgesprächen nicht zu vernachlässigen. Es ist nicht zu übersehen, daß vor Ort in den Braunkohlerevieren Gruppierungen versuchen, ihr parteipolitisches Süppchen zu kochen.
Verunsicherung der Bevölkerung durch unhaltbare polemische Behauptungen schaden nicht nur unserem politischen System, sondern unserem Gemeinwesen insgesamt. Die Äußerungen der Umweltministerin von Sachsen-Anhalt zum Endlager Morsleben in den letzten Tagen sind dafür ein schlimmes Beispiel. Nicht nur, daß sie die Medienmeldung der Einlagerung von Kernbrennstoffen nicht dementiert; sie erweckt mit ihren Kommentaren über die Einlagerung von gefährlichem radioaktivem Müll geradezu den Eindruck, daß hier eine Zeitbombe tickt.
Zur Klarstellung: Der gefährlichste radioaktive Müll in Morsleben, der in nächster Zeit auch entfernt und dort nicht endgelagert wird, sind Kobalt-60Quellen, mit denen zur DDR-Zeit Brunnen bestrahlt wurden, um sie keimfrei zu machen. Dieses so bestrahlte Wasser wurde dann der Bevölkerung der DDR bis 1990 als Trinkwasser angeboten.
Ansonsten kann ich jedem nur empfehlen, sich zu informieren, was schwach- und mittelradioaktive Ab-
Ulrich Petzold
fälle sind, und mir dann zu sagen, ob wir weiter Nuklearmedizin in der Bundesrepublik haben wollen.
Falls ja, werden wir Einvernehmen über die Endlagerung dieser Abfälle herstellen müssen.
Daß man Konsensgespräche zu Energiefragen auch in einer sachlichen und ruhigen Atmosphäre führen kann, haben die Wirtschaftsminister der neuen Bundesländer und die Bundesregierung - hier insbesondere das Bundeswirtschaftsministerium - mit ihren Gesprächen zur Braunkohlenverstromung am Mittwoch und Donnerstag vergangener Woche in Potsdam gezeigt. Ich hoffe, es war der Auftakt, die Braunkohlenverstromung in den neuen Bundesländern in gemeinsamer Verantwortung zu sichern.
Ich erteile jetzt der Abgeordneten Jutta Müller das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum wiederholten Mal reden wir heute über die zukünftige Energiepolitik der Bundesrepublik Deutschland, und zum wiederholten Male werden hier Entscheidungen miteinander verknüpft, die zunächst einmal nichts miteinander zu tun haben.
Wie schon in den vergangenen Jahren wird das Schicksal vieler tausend Menschen und ihrer Familien dazu benutzt, einen ziemlich schäbigen Erpressungsversuch zu starten.
Die Bundesregierung versucht schon wieder, die Bergleute und ihre Familien in die Geiselhaft für ihre Atompolitik zu nehmen. Diese ebenso durchschaubare wie primitive Taktik muß hier wohl nicht besonders bewertet werden.
Ich weise noch einmal auf den netten Antrag der Länder Bayern und Baden-Württemberg im Bundesrat hin. Da findet ein fröhliches Kohle-Mobbing statt. Ich möchte Ihnen nur sagen: Das hat auch eine bitterernste Seite; denn es geht nicht nur um Tonnagen, es geht auch um Menschen.
Herr Hinsken, wenn Sie hier über Subventionen reden, möchte ich Ihnen, gerade weil Sie aus Bayern sind, sagen, daß laut dem Subventionsbericht der Bundesregierung den Kohlesubventionen in Höhe von 9 Milliarden DM rund 17 Milliarden DM für die Landwirtschaft gegenüberstehen.
Das Land Bayern erhält 22 Prozent der gesamten FuE-Ausgaben des Bundes. Das sind 268 DM pro Einwohner. Das Saarland zum Beispiel erhält aus diesen Mitteln 55 DM pro Einwohner. Der Bund könnte sofort 2,5 Milliarden DM einsparen, wenn er das
Land Bayern so schlecht behandeln würde wie das Saarland.
Nun möchte ich noch auf den Kollegen Rexrodt zu sprechen kommen, der uns gerade gesagt hat: Regen Sie sich doch nicht so auf! Wir sind verläßlich in der Kohlepolitik. Wir stehen zu dem Artikelgesetz.
Ich sage Ihnen einmal, warum wir uns aufregen und warum wir Ihnen da auch nicht über den Weg trauen. Die Bergbauländer, die Unternehmen und die IGBE haben mit Ihnen und mit Ihren Vorgängern Verhandlungen geführt - 1982, 1983, 1987, 1989, 1991 und zuletzt im Jahr 1994 -, die ständig bitter für die Betroffenen waren, weil die Fördermengen reduziert wurden und damit auch die Zahl der Arbeitsplätze abnahm. Aber nach jeder Verhandlung hat sich gezeigt, daß das Vertragsergebnis kurze Zeit später wieder in Frage gestellt wurde.
Es hat sich immer wieder erwiesen, daß Verträge mit dieser Bundesregierung das Papier nicht wert sind, auf dem sie stehen.
Als Abgeordnete aus einem Wahlkreis im Saarland, in dem alle verbliebenen Kohlegruben liegen, weiß ich, wovon ich rede, wenn ich Ihnen sage, daß diese Politik verheerende Auswirkungen vor Ort hat. Das Vertrauen in Politik liegt dort nahe Null.
Wissen Sie, was ich an der ganzen Geschichte besonders schlimm finde? Ich finde es ganz besonders schlimm, daß Sie jeden Wortbruch und jeden Vertragsbruch immer wieder damit begründen, daß Sie sagen: Zunächst müssen wir uns noch einmal über die Atomenergie verständigen. Damit wird jedesmal dieser Zirkus eingeleitet, die Erpressung der SPD auf dem Rücken der Kumpels.
Ich komme einmal zur CO2-Problematik, weil Sie dauernd dazwischengerufen haben. Das ist doch Unsinn. Sie wollen die heimische Kohle durch Importkohle ersetzen. Jetzt wollen Sie der staunenden Öffentlichkeit auch noch erzählen, daß weniger CO2 entsteht, wenn man ausländische Kohle verbrennt, als wenn man heimische Kohle verbrennt.
- Den Wortbruch habe ich Ihnen gerade genannt. Den gibt es seit 1982 permanent.
Ich möchte etwas zu dem Kollegen Petzold sagen, der eben gesagt hat, wir müßten die Kohle nur för-
Jutta Müller
dem, um Arbeitsplätze zu erhalten. Das ist ja nun auch Blödsinn. Ich frage Sie: Wer gibt uns denn die Gewißheit, daß es keine Energiekrisen mehr gibt?
Wer gibt Ihnen denn die Gewißheit, daß die Weltmärkte stabil bleiben? Wie soll denn unsere weltweit anerkannte Bergbautechnologie, die auch die Kohlegegner als zukunftsträchtig ansehen, noch vermarktet werden, wenn es keine Steinkohle mehr gibt?
Lassen Sie mich noch eines sagen.
Ich finde es langsam etwas lächerlich, wenn sich der Bundeskanzler bei jeder entsprechenden Gelegenheit hinstellt und sich als Freund der Bergleute und der Steinkohle aufspielt.
Ich sage es Ihnen noch einmal: Seit 14 Jahren haben Sie die Mitarbeiter einer gesamten Branche in Angst um ihre Arbeitsplätze gelassen. Ende des vergangenen Sommers versprach der Kanzler, im Herbst würden verläßliche Entscheidungen getroffen.
Dann hieß es plötzlich: im Dezember. Im Dezember hieß es: im Februar. Der ist nun auch schon fast vorbei.
In Richtung Grüne möchte ich sagen: Ich finde es auch erstaunlich, daß sich beispielsweise die grüne Ministerin Bärbel Höhn am vergangenen Freitag solidarisch in die Menschenkette der demonstrierenden Bergleute eingereiht hat, während - -
- Herr Paziorek auch, gut. Bei den Grünen finde ich es aber bemerkenswert, weil die grüne Abgeordnete Margareta Wolf von dieser Stelle aus erklärt hat: „Auch wir wollen so schnell wie möglich aus der Steinkohle aussteigen. " Das können Sie im Protokoll nachlesen.
Deshalb empfehle ich den Grünen, sich einmal zu überlegen, wie ihre Politik eigentlich auszusehen hat.
Die IGBE hat der Bundesregierung ein faires Verhandlungsangebot gemacht. Wir unterstützen das. Es ist ein Angebot, das den Bergleuten sehr viele Zugeständnisse abverlangt. Ich erwarte nun, daß diese
Bundesregierung endlich Entscheidungen trifft. Geben Sie dem Bergbau und seinen Mitarbeitern Planungssicherheit!
Wenn der Bundeskanzler zu seiner Aussage, er sei für einen lebendigen Bergbau, stehen will, muß endlich gehandelt werden.
Hören Sie - letzter Satz, Frau Präsidentin, entschuldigen Sie bitte - endlich auf, die Verknüpfung zur Kernenergie und zur Atompolitik herzustellen!
Sie erwecken damit - nicht nur bei mir - den Eindruck, daß Sie überhaupt keinen Konsens wollen. Sie wollen den deutschen Steinkohlebergbau zerschlagen
und suchen dafür eine Ausrede und womöglich auch noch jemanden, dem Sie das in die Schuhe schieben können. Das wird mit uns nicht gehen.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Peter Jacoby.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, das, was wir eben gehört haben, war keine Rede zugunsten derer, die sich ehrlich und offen für die Kohle engagieren.
Ich will das mit folgendem Hinweis belegen. Der Vorsitzende der Industriegewerkschaft Bergbau und Energie hat vor einem Jahr auf dem großen Gewerkschaftskongreß seiner Gewerkschaft folgendes gesagt: Wer den Zusammenhang zwischen den unterschiedlichen Energieträgern - unter Einbeziehung der Kernenergie - nicht erkenne und daraus nicht entsprechende Schlußfolgerungen ziehe, der sei - so seine Formulierung - „bekloppt" . Man kann also jetzt nicht hier hinkommen und sein regionalpolitisches Steckenpferd reiten, ohne die Gesamtzusammenhänge zu sehen.
Deshalb ist es wichtig, daß wir in den letzten Wochen feststellen konnten, daß ein Gesprächsfaden wieder aufgenommen worden ist. Jetzt sollten wir das, was Ergebnis dieses Gesprächsfadens ist, weder kleinreden noch überbewerten. Das Präsidium der SPD wollte sich am Montag dieser Woche mit der Frage befassen. Dazu ist es nicht gekommen, weil der Bundesvorsitzende erkrankt ist. Ich denke, das ist zu respektieren. Aber bevor das Präsidium der SPD sich damit befaßt hat, sollte seitens der SPD-
Peter Jacoby
Fraktion das, was mittlerweile bekannt geworden ist, nicht zerredet werden.
Zu dem Thema „Wortbruch" will ich sagen: Als im vergangenen Jahr der energiepolitische Konsens am Vorsitzenden der SPD gescheitert ist, waren es die Regierungsvertreter Rexrodt und Merkel, die dennoch erklärt haben, es bleibe bei den Zusagen aus dem Artikelgesetz bis zum Jahre 2000 - trotz des Scheiterns der Möglichkeit, zu einem Energiekonsens zu kommen.
Als zuvor durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes der Kohlepfennig ausgehebelt worden ist und die Notwendigkeit bestand, das Wirksamwerden des Artikelgesetzes sogar um ein Jahr vorzuziehen und 7 Milliarden DM zu etatisieren, hat die Koalition dem ebenfalls Rechnung getragen. Insofern kann von Wortbruch überhaupt nicht die Rede sein.
Deshalb finde ich: Herr Kollege Müller, man kann die Notwendigkeit einer gemeinsamen Verständigung in der Entsorgungsfrage und das, was schon Gegenstand, ja Ergebnis der Verhandlungen vor einem Jahr war, nämlich die Betonung einer Forschungsoption, jetzt nicht einfach wegdefinieren wollen. Denn in der Tat stellt sich doch die Frage: Wollen wir einen nationalen Ausstieg propagieren, oder wollen wir der Globalisierung auch in diesem Bereich Rechnung tragen, und wollen wir eine Sicherheitspartnerschaft auch für die Zukunft? Insofern sage ich: Nationale Ausstiegsszenarien helfen überhaupt nicht. Sie ändern auch nichts an der Sicherheitslage in Deutschland oder in Europa.
Das ist der falsche Ansatz in dieser Diskussion.
Deshalb bleibt einfach festzustellen, auch nach dieser Aktuellen Stunde: 1979 gab es einen energiepolitischen Konsens unter Helmut Schmidt. Er steht noch heute zu den tragenden Säulen dieses Zusammenhangs.
Schröder war im letzten Jahr nach den Verhandlungen, die er für die SPD geführt hat, ebenfalls bereit, eine Modifizierung dessen zu unterschreiben.
Das ist in der letzten Minute vereitelt worden.
Die Position, daß der eine versucht, jeweils gegen den anderen die unterschiedlichen Energieträger wegzudefinieren, führt nicht zum Erfolg - auch nicht
zum Erfolg dessen, was man an Perspektive zugunsten der Steinkohle zu finden versucht.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Kurt-Dieter Grill.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will zunächst noch einmal sehr deutlich zurückweisen, Frau Müller, daß es hier um Wortbruch geht und daß es Wortbruch gegeben hat. Es ist wirklich wenig zuträglich, wenn Sie in dieser Sprache hier zu einem so ernsten Thema reden.
Herr Kollege Müller, ich bewundere bei Ihnen, daß Sie immer wieder die Chance ergreifen, sozusagen einen Riesenbogen um die Klimakatastrophe zu machen, wenn es um die Kernenergie geht. Wenn ich die Szenarien, die Sie dann beschreiben, wenn es nicht um das Thema „Kernenergie", sondern um das Thema „Klima" geht, wirklich so ernst nehme, wie Sie bei der Frage des Kernenergieausstiegs ernst genommen werden wollen, dann ist die logische Konsequenz Ihrer Klimakatastrophenbeschreibung eigentlich der Ausstieg aus den fossilen Energien. Das ist aber die Konsequenz, die Sie insbesondere bei der Kohle verweigern.
Ich erinnere Sie daran, daß Sie 1993 in der Konsensrunde derjenige waren, der sich einer CO2-Energiesteuer in Deutschland in der Verabredung zum Energiekonsens vehement widersetzt hat.
Sie sind in der Frage der Kohle wirklich nicht glaubwürdig.
Sie sagen, der Denkansatz der Union sei falsch. Könnte es denn möglicherweise sein, daß Ihr Denkansatz falsch ist? Im Zusammenhang mit der Windenergie und anderen erneuerbaren Energien kommt von Ihrer Seite immer wieder das leuchtende Beispiel Dänemark. Dänemark hat einen sagenhaften Ausbau in Sachen Windenergie und anderen erneuerbaren Energien und wird Deutschland immer wieder zum Vorbild hingehalten. Nur, Dänemark hat zur Zeit eine CO2-Bilanz von plus 18 Prozent - Deutschland von minus 18 Prozent.
Frankreich hat im Jahr bei 75 Prozent Stromerzeugung durch die Kernenergie eine Belastung von 6,5 t pro Kopf, wir von 11 t. Bei diesen Zahlen darum herumzureden, daß auch die Kohle in der Klimapolitik gefordert ist, ist doch wirklich schon infam.
Außerdem finde ich es ganz toll, daß Sie es schaffen, so zu tun, als hätte es kein Gespräch zwischen Herrn Lafontaine und Herrn Kohl gegeben, um genau diese Dinge zu besprechen, wie sie jetzt festgelegt sind. Die Beamten haben nicht im luftleeren
Kurt-Dieter Grill
Raum nur auf Sachbearbeiterebene gesprochen. Nehmen Sie dies doch weg! Es geht wirklich um viel zu ernste Sachen, als daß Sie das an dieser Stelle schlechtmachen sollten.
Das gilt auch für Frau Fuchs, die sagt, daß die Entsorgung in Deutschland geregelt werden müsse und daß die Bundesregierung die Bergarbeiter in Geiselhaft nehme.
Frau Fuchs, ich widerspreche Ihnen nachdrücklich. Die revierfernen Länder haben einen Anteil von 60 Prozent Kernenergie. Länder wie Niedersachsen haben 1996 850 Millionen DM in die Kohletöpfe zahlen können, weil wir die Kernenergie hatten. Die Kernenergie hat über 100 Milliarden DM zur Subvention der Kohle beigetragen. Deswegen verlangen wir nichts weiter als die Solidarität der Kohle gegenüber der Kernenergie, so wie die Kernenergie Solidarität gegenüber der Kohle in Deutschland gezeigt hat. Das ist die Realität!
Wenn ich Sie hier reden höre, dann denke ich immer an das, was Helmut Schmidt Ernst Albrecht gesagt hat: Alfred Kübel hat uns Niedersachsen als Entsorgungsland zugesagt; nun vollzieht das!
Historisch gesehen haben Sie sich der Verantwortung für die Entsorgung in Deutschland entzogen, genauso wie die Grünen immer wieder verkünden, die internationale Entsorgung sei moralisch und ethisch unverantwortlich. Aber wo ist Ihre nationale Lösung, Frau Schönberger? Sie beklagen sich über das Provozieren und das Schüren von Ängsten. Sie selber aber sind doch mitten dabei! Ich habe Kenntnis, daß die Grünen vor Ort ein Flugblatt verschikken, in dem sie zum Schienensägen aufrufen. Sie schüren die Ängste in Anzeigen und Kampagnen vor Ort. Sie planen dies alles mit, und Sie solidarisieren sich mit den falschen Leuten vor Ort.
Ist es in Deutschland wirklich so, wie Herr Müller es darstellt, daß jeder Castor-Transport eine Provokation ist? Dies ist eine unwahrhaftige Diskussion, weil nur die Castor-Transporte für Sie eine Provokation sind, die nach Gorleben gehen. Alles andere beurteilen Sie - ich wiederhole es an dieser Stelle - nach
dem Motto „aus den Augen, aus dem Sinn", zum Beispiel die Transporte nach Frankreich. Der Zielort des Castor-Transportes bestimmt bei Ihnen dessen Gefährlichkeit und provokativen Charakter.
- Lieber Herr Schütz, Sie kommen mir gerade recht. Aus Niedersachsen sind 80 Transporte nach Frankreich und England gestartet. Warum hat denn die niedersächsische Landesregierung in bezug auf die Kernkraftwerke Grohnde, Esensham, Stade, Krümmel, Brunsbüttel nicht gesagt: Laßt die Brennelemente in den Kernkraftwerken!? Nein, sie sind nach Frankreich und nach England verschickt worden. Meine Damen und Herren, Sie sind unwahrhaftig gegenüber der Bevölkerung, weil für Sie der Zielbahnhof des Castor-Transportes den Maßstab der Gefährlichkeit für die Bevölkerung darstellt. Sie haben alle Veranlassung, in sich zu gehen, über Moral, Ethik und „Provokation" nachzudenken.
Herr Glogowski hat uns am Anfang gesagt: Bringt den Castor, ich bringe das Zwischenlager. Er hat gegen nur zwei oder drei protestiert, weil er sechs haben wollte. Sie können einmal darüber nachdenken, wer eigentlich provoziert und durch was er provoziert, wenn Sie sich in Erinnerung rufen, daß der Ministerpräsident des Landes Niedersachsen im November 1994 sagt: Liebe Leute, ich kann nicht mehr. Helft mir, geht auf die Straße! - Er hat die Leute auf der Straße, und nun muß er die Polizei dagegensetzen. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik und nicht unserer Politik. Wenn Sie das einsehen, können wir uns über Provokationen gerne in Ruhe unterhalten.
Herzlichen Dank.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit ist die Aktuelle Stunde beendet.
Wir sind am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 20. Februar 1997, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.