Protokoll:
13139

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 13

  • date_rangeSitzungsnummer: 139

  • date_rangeDatum: 15. November 1996

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 13:21 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 13/139 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 139. Sitzung Bonn, Freitag, den 15. November 1996 Inhalt: Abweichung von den Richtlinien für die Fragestunde, für die Aktuelle Stunde sowie der Vereinbarung über die Befragung der Bundesregierung in der Sitzungswoche ab 25. November 1996 12499 A Abwicklung der Tagesordnung 12499 A Tagesordnungspunkt 11: a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Neuordnung von Selbstverwaltung und Eigenverantwortung in der gesetzlichen Krankenversicherung (1. GKV-Neuordnungsgesetz) (Drucksachen 13/5724, 13/6103) . . . 12499 B b) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Neuordnung von Selbstverwaltung und Eigenverantwortung in der gesetzlichen Krankenversicherung (2. GKV-Neuordnungsgesetz) (Drucksache 13/6087) 12499 B Eva-Maria Kors CDU/CSU 12499 D Rudolf Dreßler SPD 12502 B Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) CDU/ CSU 12503 D Monika Knoche BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 12508 A Jürgen W. Möllemann F.D.P. . . . . . 12510 D Klaus Kirschner SPD 12511 D Dr. Martin Pfaff SPD . . 12512 B, 12518 A, 12526 C Dr. Wolfgang Wodarg SPD 12513 C Dr. Ruth Fuchs PDS 12514 B Ulf Fink CDU/CSU 12515 D Klaus Kirschner SPD 12519 C, 12530 B Wolfgang Zöller CDU/CSU 12520 D Ulf Fink CDU/CSU 12521 A Jürgen W. Möllemann F.D.P. 12523 C Horst Seehofer, Bundesminister BMG . 12525 A, 12531 A Karl Hermann Haack (Extertal) SPD . . 12530 D Namentliche Abstimmung 12532 A Ergebnis 12534 A Tagesordnungspunkt 12 a: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Eigentumsfristengesetzes (Drucksachen 13/5586, 13/6122) 12532 B Dr. Michael Luther CDU/CSU 12532 C Hans-Joachim Hacker SPD 12536 C Dr. Michael Luther CDU/CSU . . . 12537 C Franziska Eichstädt-Bohlig BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 12538 C Hildebrecht Braun (Augsburg) F.D.P. . 12539 A Dr. Uwe-Jens Heuer PDS 12539 D Rainer Funke, Parl. Staatssekretär BMJ 12540 C Tagesordnungspunkt 13: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Alterssicherung der Landwirte (Drucksachen 13/4947, 13/6094) 12541 B Siegfried Hornung CDU/CSU 12541 C Ulrike Mascher SPD 12542 C Andrea Fischer (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 12544 B Ulrich Heinrich F D P. 12545 B Petra Bläss PDS 12545 D Rudolf Kraus, Parl. Staatssekretär BMA 12546 D Ulrike Mascher SPD 12547 B Zusatztagesordnungspunkt 10: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Mutterschutzgesetzes (Drucksachen 13/2763, 13/6110) 12548 B b) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Marliese Dobberthien, Christel Hanewinckel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Gleichstellung von Hausangestellten im Mutterschutzgesetz (Drucksachen 13/3533, 13/6110) 12548 B Zusatztagesordnungspunkt 11: Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertragswerk vom 17. Dezember 1994 über die Energiecharta (Drucksachen 13/5742, 13/6029) . . . 12548 D Tagesordnungspunkt 14: a) Erste Beratung des von der Gruppe der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des PflegeVersicherungsgesetzes (Drucksache 13/5002) 12549 A b) Große Anfrage der Abgeordneten Petra Bläss, Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der Gruppe der PDS: Stand der Umsetzung der Pflegeversicherung (Drucksachen 13/3361, 13/ 5258) 12549 A Petra Bläss PDS 12549 B Nächste Sitzung 12551 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 12553* A Anlage 2 Nachträglich zu Protokoll gegebene Rede zum Plenarprotokoll 13/138 vom 14. November 1996 zu Zusatztagesordnungspunkt 9 (Flankenvereinbarung) Dr. Friedbert Pflüger CDU/CSU 12553* C Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zu Zusatztagesordnungspunkt 10 (a - Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Mutterschutzgesetzes, b - Antrag: Gleichstellung von Hausangestellten im Mutterschutzgesetz) Maria Eichhorn CDU/CSU 12554* B Dr. Marliese Dobberthien SPD 12555* B Rita Grießhaber BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 12556* B Sabine Leutheusser-Schnarrenberger F.D.P.. 12556* D Heidemarie Lüth PDS 12557* D Claudia Nolte, Bundesministerin BMFSFJ 12558* C Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zu Zusatztagesordnungspunkt 11 (Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertragswerk vom 17. Dezember 1994 über die Energiecharta) Kurt-Dieter Grill CDU/CSU 12559* C Rolf Hempelmann SPD 12559* D Michaele Hustedt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 12561* B Paul K. Friedhoff F.D.P 12562* A Rolf Köhne PDS 12562* D Dr. Norbert Lammert, Parl. Staatssekretär BMWi 12563* A Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 14 (a - Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Pflege-Versicherungsgesetzes, b - Große Anfrage: Stand der Umsetzung der Pflegeversicherung) Birgit Schnieber-Jastram CDU/CSU . . . 12563* D Uwe Lühr F.D.P. 12564* D Rudolf Kraus, Parl. Staatssekretär BMA 12565* C Anlage 6 Amtliche Mitteilungen 12566* C 139. Sitzung Bonn, Freitag, den 15. November 1996 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordneter) entschuldigt bis einschließlich Becker-Inglau, Ingrid SPD 15. 11. 96 Berger, Hans SPD 15. 11. 96 Borchert, Jochen CDU/CSU 15. 11. 96 Bredehorn, Günther F.D.P. 15. 11. 96 Graf von Einsiedel, PDS 15. 11. 96 Heinrich Frick, Gisela F.D.P. 15. 11. 96 Glos, Michael CDU/CSU 15. 11. 96 Dr. Hartenstein, Liesel SPD 15. 11. 96 Hirche, Walter F.D.P. 15. 11. 96 Dr. Jacob, Willibald PDS 15. 11. 96 Jung (Düsseldorf), SPD 15. 11. 96 Volker Klein (München), CDU/CSU 15. 11. 96 Hans Krautscheid, Andreas CDU/CSU 15. 11. 96 Lemke, Steffi BÜNDNIS 15. 11. 96 90/DIE GRÜNEN Dr. Maleuda, PDS 15. 11. 96 Günther Mosdorf, Siegmar SPD 15. 11. 96 Pfeiffer, Angelika CDU/CSU 15. 11. 96 Dr. Probst, Albert CDU/CSU 15. 11. 96* Dr. Scheer, Hermann SPD 15. 11. 96* Schöler, Walter SPD 15. 11. 96 Dr. Skarpelis-Sperk, SPD 15. 11. 96 Sigrid Dr. Stoltenberg, CDU/CSU 15. 11. 96 Gerhard Thiele, Carl-Ludwig F.D.P. 15. 11. 96 Tippach, Steffen PDS 15. 11. 96 Tröger, Gottfried CDU/CSU 15. 11. 96 Voigt (Frankfurt), SPD 15. 11. 96 ** Karsten D. Wieczorek (Duisburg), SPD 15. 11. 96 Helmut * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zum Plenarprotokoll 13/138 vom 14. 11. 1996 zu Zusatztagesordnungspunkt 9 (Flankenvereinbarung) Friedbert Pflüger (CDU/CSU): Wir ratifizieren heute die sogenannte „Flankenvereinbarung", eine Änderung des Vertrages über die Abrüstung Konventioneller Streitkräfte in Europa (KSE). Meine Fraktion erfüllt das mit großer Genugtuung, da es lange Zeit gar nicht sicher war, ob es gelingen würde, die unterschiedlichen Interessen von Russen, Ukrainern, Türken und der übrigen KSE-Staaten im Kaukasus anzugleichen. Rußland und die Ukraine hatten geltend gemacht, daß sich nach dem Zerfall der Sowjetunion die Sicherheitslage in dieser Region drastisch verändert habe, was eine Nachbesserung des KSE-Vertrages von November 1990 erforderte. Am 31. Mai 1996 ist es nach langen Verhandlungen - unter aktiver Teilnahme Deutschlands - gelungen, eine Vereinbarung zu erzielen. Rußland und die Ukraine dürfen in der entsprechenden Grenzregion mehr Kampffahrzeuge, Kampfpanzer und Artilleriewaffen stationieren als zuvor. Sie dürfen allerdings die 1990 festgelegten nationalen Höchstgrenzen nicht überschreiten. Gleichzeitig hat die KSE-Staatengemeinschaft das Recht zu zusätzlichen Inspektionen erhalten. Der Wert der Flankenvereinbarung liegt darin, daß sie die Stärke der KSE-Vereinbarung zeigt. Keine der beteiligten Staaten hatte ein Interesse, diesen bahnbrechenden Vertrag konventioneller Abrüstung sechs Jahre nach der Unterzeichnung zu brechen. Im Gegenteil: Gerade auch in Rußland zeigte sich neben dem Wunsch nach Nachbesserungen vor allem auch der klare Wille, das gesamte Vertragswerk nicht zu gefährden. Umgekehrt war es richtig, daß die übrigen KSE-Vertragsstaaten auf die legitimen Änderungswünsche aus Moskau eingingen und sie nicht als Versuch interpretierten, quasi durch die Hintertür das Vertragsregime zu verlassen. Es kommt nun darauf an, den KSE-Prozeß auch in Zukunft in seiner Schlüsselrolle in der europäischen Sicherheitspolitik zu festigen. Das geht nicht durch Stillstand, sondern durch Anpassung an die veränderte Situation und Verbesserung seiner Funktionsweise. Es geht darum, die Höchstgrenzen nach Möglichkeit weiter zu senken, die Seestreitkräfte in das Regime einzubeziehen und einvernehmlich die Frage zu klären, welche Auswirkungen die NATO- Öffnung für den KSE-Prozeß haben wird. Dabei wissen alle Beteiligten, daß rechtlich gesehen der NATO-Beitritt ehemaliger Warschauer-Pakt-Länder für den KSE-Vertrag unerheblich ist. Schließlich basiert der KSE-Vertrag gemäß seiner Präambel auf dem Prinzip der Bündnisfreiheit. Auf der Außerordentlichen KSE-Konferenz im Juli 1992 in Oslo ist zudem ausdrücklich festgehalten worden, daß die Zugehörigkeit zu den geographischen Vertragsgruppen und zu militärischen Bündnissen nicht mehr miteinander verknüpft ist. Ein NATO-Beitritt stellt keinen automatischen Wechsel der Vertragsgruppe dar. Dennoch wäre es blauäugig zu verschweigen, daß es unabweisbare politische Wechselwirkungen zwischen NATO-Öffnung und KSE-Anpassung gibt. Aus dem KSE-Prozeß sollten keine zusätzlichen Schwierigkeiten oder Hindernisse für die Aufnahme neuer Staaten in die NATO entstehen, vielmehr sollte der KSE-Vertrag dazu beitragen, daß die NATO-Erweiterung in Rußland nicht als Bedrohung seiner Sicherheit angesehen wird. Darüber wird in den nächsten Monaten ausführlich zu sprechen sein. Wichtig ist und bleibt: Der KSE-Vertrag ist der zentrale Dreh- und Angelpunkt der Abrüstung auf unserem Kontinent und damit ein Instrument der Stabilitäts- und Friedenssicherung. Wir müssen auch in Zukunft sorgsam mit dem Vertragswerk umgehen und es bei allen Anpassungsnotwendigkeiten in seinem Kern bewahren. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zu Zusatztagesordnungspunkt 10 (a - Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Mutterschutzrechts, b - Antrag: Gleichstellung von Hausangestellten im Mutterschutzgesetz) Maria Eichhorn (CDU/CSU): Was lange währt, wird endlich gut. Dieser Satz ist heute bei der Verabschiedung der Änderungen zum Mutterschutzgesetz angebracht. Aber es hat sich gelohnt, die Geduld nicht zu verlieren. Hätten wir den Gesetzentwurf der Bundesregierung schon früher verabschiedet, wäre es nicht möglich gewesen, den Kündigungsschutz für schwangere Hausangestellte mit dem Kündigungsschutz sonstiger schwangerer Arbeitnehmerinnen gleichzustellen. Ich verhehle nicht, daß es bis zuletzt Diskussionen um die Verbesserung des Kündigungsschutzes für schwangere Hausangestellte in meiner Fraktion gegeben hat. Ich bin aber überzeugt, daß diese Regelung, so wie wir sie heute beschließen, notwendig und richtig ist. Die Mutterschutzregelungen für Hausangestellte stammen aus den 50er Jahren, sie sind überholt. Nach mehr als 40 Jahren hat sich die Arbeits- und Beschäftigungssituation im Privathaushalt deutlich verändert. Das Dienstmädchen gehört der Vergangenheit an. Heute beschäftigen wir in Privathaushalten die Zugehfrau, die Tagesmutter, die Hauswirtschafterin und die Haushälterin mit sehr unterschiedlichen Beschäftigungszeiten. Nur noch eine ganz kleine Zahl der Hausangestellten sind Vollzeitbeschäftigte, die überwiegende Zahl der Haushalte beschäftigt Teilzeitkräfte. Bei der Beschäftigung im Familienhaushalt besteht vor allem bei der Betreuung von Kindern oder pflege. bedürftigen Angehörigen ein engeres familiäres Arbeitsverhältnis als auf einem Arbeitsplatz im Betrieb. Dieses Vertrauensverhältnis zwischen den Familienangehörigen und der Hausangestellten wird durch eine Schwangerschaft nicht beeinträchtigt. Daher ist auch kein geringerer mutterschutzrechtlicher Kündigungsschutz berechtigt. Sollte es zu außergewöhnlichen Problemen kommen, hat der Arbeitgeber des Privathaushalts immer noch die Möglichkeit, bei der zuständigen Behörde zu beantragen, daß ausnahmsweise die Kündigung für zulässig erklärt wird. Die Änderung wird sich beschäftigungspolitisch nicht negativ auswirken, wie manche befürchten. Die Fachverbände, die seit Jahren die Gleichstellung fordern, erwarten, daß durch die Beseitigung der Diskriminierung der hauswirtschaftliche Beruf für junge Frauen wieder attraktiver wird. Beschäftigungsprobleme gibt es für hauswirtschaftlich Ausgebildete derzeit nicht, im Gegenteil, hauswirtschaftliche Fachkräfte sind gesucht. Durch die Änderung des § 9 Mutterschutzgesetz entstehen dem Arbeitgeber keine finanziellen Nachteile. In Zukunft werden ihm die Mutterschutzkosten voll erstattet. Bereits heute werden diese Kosten bis zu 80 % von der zuständigen gesetzlichen Krankenkasse ersetzt. Heute geht es um die Schaffung qualifizierter Arbeitsplätze im Privathaushalt. Es sollen sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse entstehen. Die Regelungen im Jahressteuergesetz zur Absetzbarkeit der Aufwendungen für Haushaltshilfen und zur Einführung des Haushaltsscheckverfahrens unterstreichen dieses. Es geht nicht um das Dienstmädchenprivileg - ich hoffe, daß diese Formulierung der Vergangenheit angehört -, sondern um zukunftsorientierte Arbeitsplätze im Dienstleistungsbereich, die im Vermittlungsverfahren gesichert werden müssen. Hier geht mein Appell an Sie, meine Damen und Herren von der SPD, im Vermittlungsausschuß für die Sicherung und den Ausbau dieser Arbeitsplätze zu sorgen. Zu einem qualifizierten Arbeitsplatz im Privathaushalt gehört selbstverständlich auch, daß der Kündigungsschutz wie bei anderen schwangeren Arbeitnehmerinnen gesichert ist und damit auch garantiert wird, daß die Frau anschließend Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub in Anspruch nehmen kann. Was in Unternehmen und auch Kleinbetrieben mittlerweile zur Selbstverständlichkeit geworden ist, darf für den Privathaushalt nicht in Frage gestellt werden. Darüber hinaus ist es unsere besondere, nicht zuletzt durch das Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung zu § 218 vorgegebene Aufgabe, die Rahmenbedingungen für schwangere Frauen und für Familien zu verbessern. Wir nehmen diese Aufgabe sehr ernst. Und beim Mutterschutzgesetz ist der. Handlungsbedarf offensichtlich. Weil der Bedarf an hauswirtschaftlichen Dienstleistungen insbesondere bei berufstätigen Eltern sowie bei älteren Menschen zunehmen wird, konnten wir nicht außer acht lassen, daß dieser Personenkreis zeitweise auch am Wochenende auf die Mitarbeit der Haushaltshilfe angewiesen ist. Deshalb gilt für den Familienhaushalt - wie für viele andere Arbeitsbereiche -, daß Schwangere am Sonntag oder Feiertag beschäftigt werden können, wenn sie dafür einen freien Tag in der Woche als Ausgleich erhalten. Ich begrüße, daß mit der heutigen Verabschiedung der Änderungen im Mutterschutzrecht auch die Ungleichbehandlung von hauswirtschaftlicher und sonstiger Tätigkeit im Familienhaushalt für Teilzeitkräfte beseitigt wird. Es ist nicht einzusehen, warum teilzeitbeschäftigte Hausangestellte, die hauswirtschaftliche Arbeiten übernehmen, vom Anspruch auf Mutterschaftsgeld ausgeschlossen werden sollen. Ich unterstreiche die von Frau Bundesministerin Nolte angesprochene Verbesserung, daß bei Frühgeburten Mütter nicht mehr auf einen Teil der ihnen sonst gesetzlich zustehenden Schutzfristen verzichten müssen. Damit erhalten diese Mütter einen ergänzenden Schutz in einer für Mutter und Kind schwierigen Phase. Mit der Verabschiedung des Gesetzentwurfs werden darüber hinaus die notwendigen Anpassungen an die EG-Mutterschutzrichtlinie vorgenommen. Ich freue mich, daß mit der heutigen Verabschiedung der Änderung zum Mutterschutzrecht ein Anliegen, für das ich mich seit Jahren engagiert habe, endlich umgesetzt wird. Mein herzlicher Dank gilt allen, die uns besonders unterstützt haben, um die letzten Hürden zu nehmen. Ich freue mich auch darüber, daß diese Änderung einvernehmlich erfolgt. Jahrelange Diskussionen werden damit erfolgreich zu Ende geführt. Dr. Marliese Dobberthien (SPD): Eine berufstätige Frau, lange verheiratet, wünscht sich sehnlichst ein Kind. Nach langen Jahren wird sie endlich schwanger. Die Freude ist groß - bis der Arzt ihr verbietet, weiterhin zu arbeiten, und zwar noch vor Beginn der Mutterschutzfrist. Normalerweise kein finanzielles Problem, dank des in langen Kämpfen errungenen Mutterschutzgesetzes. Seine Philosophie lautet: „Gesundheitliche Probleme sind schwierig genug - finanzielle dürfen nicht hinzutreten". Daher braucht keine schwangere Arbeitnehmerin, sei sie Sekretärin, Bandarbeiterin oder Friseuse, bei einem Beschäftigungsverbot finanzielle Einbußen befürchten. Nicht aber unsere Arbeitnehmerin. Sie erhält keine Lohnfortzahlung. Dabei war das Geld fest für die Erstausstattung des Kindes eingeplant. Unsere Schwangere kann die Welt nicht mehr verstehen. 13 Jahre hat sie in Vollzeit gearbeit. Stets hat sie pünktlich ihre Steuern und Sozialabgaben gezahlt. Und jeder fand: „Kinder sind unsere Zukunft". Seit einiger Zeit arbeitet sie jedoch nur noch halbtags. Und nun muß sie feststellen, daß ihr die Lohnfortzahlung verweigert wird - völlig im Einklang mit geltendem Recht. Unglaublich, etwa ein konstruierter Fall? Mitnichten, erreichte uns doch jüngst die Petition einer jungen Mutter, in der sie genau schildert, wie es ihr ergangen ist. Ursache ist, daß diese Frau nicht in einer Fabrik oder einer Behörde arbeitet, sondern in einem Familienhaushalt. Nach geltendem Mutterschutzgesetz werden Hausangestellte, wenn sie einem Beschäftigungsverbot unterliegen, von der Lohnfortzahlung ausgeschlossen. Das jedoch ist nicht die einzige Benachteiligung, die Hausangestellte erleiden. Auch mit dem Kündigungsschutz ist es nicht weit her. Trotz Schwangerschaft darf ihnen nach Ablauf des fünften Schwangerschaftsmonats gekündigt werden - auch völlig legal. Alle anderen Arbeitnehmerinnen sind während der Schwangerschaft und 8 Wochen nach der Geburt vor Kündigungen geschützt. Aus gutem Grund. Nicht so Hausangestellte. Jährlich verlieren schätzungsweise 2 500 bis 3 000 schwangere Hausangestellte ihren Arbeitsplatz während der Schwangerschaft. In einer Zeit, in der Frauen besonders schutzbedürftig sind, in der sie sich vorbereiten, für ein Kind zu sorgen, läßt es der Gesetzgeber zu, daß diese Frauen auf die Straße gesetzt werden. „Auf die Straße gesetzt" gilt manchmal nicht nur im übertragenen Sinn, sondern wörtlich. Denn wenn Frauen im Haushalt ihres Arbeitgebers wohnen, verlieren sie mit der Kündigung möglicherweise nicht nur Job und Einkommen, sondern auch noch ihre Unterkunft. Einer solchen antiquierten frauenfeindlichen Gesetzesregelung gilt es endlich ein Ende zu setzen. Der Geist vergangener Zeiten, als Hausangestellte noch Dienstmädchen waren, als ihnen eine eigenständige Lebensplanung verwehrt wurde, als sie sich in ihren Wünschen und Lebensführung den Vorstellungen des Hausherren anpassen mußten, dieser Geist muß vertrieben werden. Es ist ungeheuerlich, daß erst heute, im Jahre 1996, diese diskriminierenden Bestandteile des Mutterschutzgesetzes gestrichen werden sollen. Dabei ist allen politischen Kräften, die dies hätten ändern können, der Sachverhalt seit längerem klar. Wir haben jedenfalls schon in der vergangenen Legislaturperiode 1992 einen entsprechenden Antrag eingebracht. Passiert ist aber herzlich wenig. Mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln verschleppten die Regierungsfraktionen den Antrag der SPD, bis er mit Ende der letzten Legislaturperiode der Diskontinuität zum Opfer fiel. Immer wieder wurde das Versprechen gemacht, demnächst würde die Regierung einen entsprechenden Gesetzentwurf vorlegen. Fast eine unendliche Geschichte. Doch dann kam die Wende. Die Bundesregierung legte Ende letzten Jahres einen Gesetzentwurf mit mutterschutzrechtlichen Verbesserungen für Hausangestellte vor. Der wesentliche Punkt, nämlich die volle Einbeziehung in den Kündigungsschutz, fehlte jedoch. Also mußten wir wieder drängen, bohren, nachhaken. Wiederum brachten wir einen entsprechenden Antrag ein. Lange Zeit schien es, als würde auch dieser Antrag das gleiche Schicksal wie jener der vorangegangenen Legislaturperioden erfahren. Die Beratung wurde immer wieder vertagt - bis Ende letzter Woche. Nun mußte auf einmal alles schnell gehen. Am Mittwoch dieser Woche berieten die Ausschüsse, zwei Tage später - heute also - Beratung in 2. und 3. Lesung. Das schönste aber war, daß die Regierungsfraktionen endlich ein Einsehen hatten. Es ist dem Wirken der Frauen zu verdanken, daß der Durchbruch gelang. Endlich wieder eine fraktionsübergreifende große Frauenkoalition, trotz nörgelnder konservativer und liberaler Männer aus dem Wirtschaftsausschuß. Die mutterschutzrechtliche Gleichstellung hätte zwar schon viel früher erfolgen können, aber besser später als nie! Nach 4 Jahren langer, zäher Diskussion sind nun auch Regierungsfraktionen bereit, der SPD zu folgen und das ist gut so — zum Wohle schwangerer Hausangestellter. Aber trotz aller Freude und Einigkeit: der Gesetzentwurf weist auch Schwächen auf. Vätern hätte gestattet werden sollen, den Erziehungsurlaub bereits während der Mutterschutzfrist ihrer Frau zu nehmen. Und die Verknüpfung des Kündigungsschutzes mit der Ausweitung des sogenannten „Dienstmädchenprivilegs" ist falsch. Denn die steuerliche Begünstigung derjenigen, die Hausangestellte beschäftigen, kommt nur den Besserverdienenden zugute. Von der Verdoppelung der steuerlichen Abzugsfähigkeit von Hausangestellten auf 24 000,- DM profitieren nur Großverdiener. Kein normaler Arbeitnehmerhaushalt wird die Begünstigung in Anspruch nehmen können. Wir Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen wollen lieber Dienstleistungsschecks nach französischem Vorbild fördern, statt die Hausarbeit bei reichen Leuten. Heute ist aber entscheidend, daß im Mutterschutzgesetz die Diskriminierung von Hausangestellten aufgehoben wurde. Auf Initiative und Drängen der SPD konnte der Durchbruch erzielt werden - zum Wohle schwangerer Hausangestellter. Rita Grießhaber (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Seit 1992 gibt es eine EG-Richtlinie zum Mutterschutz, die eigentlich schon 1994 in nationales Recht hätte umgesetzt werden müssen. Jetzt ist die Koalition im Zeitdruck, da die Richtlinie veröffentlicht ist und die Bundesregierung auf Schadensersatz wegen Nichteinhaltung verklagt werden kann. Die jetzt zur Abstimmung stehenden Anträge sind insbesondere ein Erfolg der Frauen der CDU. Es ist ja außerordentlich selten und deshalb um so erfreulicher, daß Fraueninteressen sich in der Bundesrepublik durchsetzen können. Die Zufriedenheit wird auch durch Einstimmigkeit im Ausschuß noch einmal bestätigt. Das vorliegende Gesetz bietet Verbesserungen in folgenden Bereichen: bessere Schutzfristen für Mütter nach Frühgeburten, höhere Erstattung von Mutterschutzkosten für Kleinbetriebe, Freistellungsregelungen für ärztliche Untersuchung auch für Frauen, die nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert sind, Lohnfortzahlung bei Beschäftigungsverboten, Möglichkeit für Mütter, nach Totgeburt vor Ende der Schutzfrist wieder zu arbeiten. Daß dies alles nicht selbstverständlich ist, zeigt die Stellungnahme des Wirtschaftsausschusses. Hier frage ich mich, welch fragwürdiges Frauenbild dort vertreten wird. Wie verträgt sich das Votum mit dem von der Regierung propagierten Schutz des ungeborenen Lebens, wenn sich der Wirtschaftsausschuß darüber beklagt, daß schwangere Frauen Kündigungsschutz genießen bzw. keine schweren Arbeiten verrichten dürfen? Wahrscheinlich ist dem Wirtschaftsausschuß entgangen, daß inzwischen das Bundesarbeitsgericht eindeutig die besonderen Kündigungsschutzinteressen werdender Mütter geschützt hat und Arbeitgebern, die diesen Kündigungsschutz umgehen wollen, Grenzen gesetzt hat. Ganz nebenbei stellt der Wirtschaftsausschuß auch noch den Kündigungsschutz während des Erziehungsurlaubs in Frage. Das ist lächerlich. Kinder müssen und können sich auch im Kindergarten auf neue Betreuerinnen einstellen, warum sollte das im eigenen Zuhause nicht gehen? Es ist dreist, wie der Wirtschaftsausschuß das tut, ein Junktim zwischen Kündigungsschutz für Hausangestellte und steuerlichen Vergünstigungen, wie sie im Jahressteuergesetz vorgesehen sind, zu fordern. Der Kündigungsschutz ist ein Gebot der Gleichstellung von Arbeitnehmerinnen, ein soziales Recht, das nichts, aber auch gar nichts mit der steuerlichen Abzugsfähigkeit solcher Tätigkeiten zu tun hat. Das Beschwören der Gefahr von Beschäftigungshindernissen für Hausangestellte ist nicht stichhaltig. Wo kämen wir hin, wenn wir illegale Beschäftigungsverhältnisse dadurch bekämpften, daß arbeitnehmerrechtliche Gleichbehandlungsgrundsätze auf gegeben würden? Bisher gibt es während der Dauer des Mutterschutzes keine Möglichkeit für den Vater, Erziehungsurlaub zu nehmen. Der Ausschuß hat einen Prüfauftrag an die Bundesregierung beschlossen, um Möglichkeiten der Abänderung dieser Regelung auszuloten. Wir sollten unseren Blick dabei vor allem auf die skandinavischen Länder richten. Besonders Norwegen hat sehr gute Erfahrungen mit Vaterurlaub gemacht, von denen wir gut lernen können. Ich hoffe, das findet Berücksichtigung in dem beschlossenen Prüfauftrag und hilft uns bei der Vergrößerung der Chancen für frischgebackene Väter. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (F.D.P.): Am Ende einer langen Sitzungswoche beraten wir heute in zweiter und in dritter Lesung das Gesetz zur Änderung des Mutterschutzrechts. Ich freue mich darüber, daß es gelungen ist - für viele überraschend -, diesen Punkt kurzfristig auf die Tagesordnung zu setzen. Zwei Gründe sprechen für den zügigen Abschluß des Gesetzgebungsverfahrens noch in diesem Jahr: Erstens Brüssel und zweitens das Jahressteuergesetz 1997. Zu 1. Vorrangiges Ziel der Gesetzesänderung ist die Umsetzung der EG-Mutterschutzrichtlinie vom 19. Oktober 1992 in nationales Recht. Diese Richtlinie fordert die sachlich und politisch unumstrittene Präzisierung der Verpflichtungen des Arbeitgebers zur Vermeidung von Gefährdungen der Schwangeren an ihrem Arbeitsplatz. Sie erfordert ferner unproblematische Klarstellungen bei der ausnahmsweise zulässigen Kündigung gegenüber der Schwangeren und - ebenfalls unstreitig - eine Regelung der Freistellung nicht krankenversicherter Frauen für Vorsorgeuntersuchungen. Die Bundesregierung ist seit Ende 1994 mit der Umsetzung der Richtlinie im Verzug - die EU hat kürzlich das Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet und dies in ihrem Amtsblatt veröffentlicht. Damit kann jede Frau die Bundesrepublik auf Schadenersatz verklagen, wenn sie geltend machen kann, durch die nicht rechtzeitige Umsetzung der EG-Mutterschutzrichtlinie einen Schaden erlitten zu haben. Zu 2. Mit der Verabschiedung des Jahressteuergesetzes 1997 im Bundestag ist die steuerliche Absetzbarkeit der Lohnzahlungen an Hausangestellte von 12 000 DM auf 24 000 DM verbessert worden. Spätestens mit dieser Regelung, die den Privathaushalt an einen gewerblichen Betrieb annähert, entfällt jede Rechtfertigung, im Mutterschutzgesetz die Hausangestellten gegenüber sonstigen Arbeitnehmerinnen weiter zu benachteiligen. Selbst wenn diese Regelung im Bundesrat keinen Bestand haben sollte, was ich nicht hoffe, ist es an der Zeit, die nicht mehr zeitgemäßen Schlechterstellungen der Beschäftigten in Privathaushalten zu beseitigen. Schon der Regierungsentwurf setzte hier ein deutliches Zeichen, indem er Sonderregelungen für schwangere Hausangestellte, die mit hauswirtschaftlichen Tätigkeiten beschäftigt sind, bei der Sonn- und Feiertagsarbeit abschaffte und auch Teilzeitbeschäftigte im Haushalt einen Anspruch auf Lohnfortzahlung bei mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverboten einräumte. Bis in die gestrigen Ausschußberatungen hinein umstritten war dagegen, ob das Sonderkündigungsrecht für vollerwerbstätige schwangere Hausangestellte gestrichen werden soll. Nach dieser Regelung kann schwangeren Hausangestellten nach Ablauf des 5. Schwangerschaftsmonats gekündigt werden. Auch wenn zum Ausgleich bis zum Beginn der Mutterschutzfrist eine Sonderunterstützung zu Lasten des Bundes in Höhe des bisherigen Arbeitsentgeltes gewährt wird, mutet diese Sonderregelung jedoch wie ein Relikt aus dem vorigen Jahrhundert an. Ich lasse hier offen, ob es jemals gerechtfertigt war, wegen des besonders engen familiären Vertrauensverhältnisses im Falle der Schwangerschaft eine Kündigung zuzulassen. In einer modernen Dienstleistungsgesellschaft, wie wir Liberalen sie anstreben, ist jedenfalls kein Raum mehr für eine - auch verfassungsrechtlich problematische Ungleichbehandlung von schwangeren Hausangestellten mit allen anderen Arbeitnehmerinnen. Denn Arbeitsplätze im Haushalt sind vollwertige Arbeitsplätze. Dies nehmen die Wirtschaftspolitiker offensichtlich nur zögernd zur Kenntnis, obwohl sie immer wieder auf das ungenutzte Beschäftigungspotential in Privathaushalten hinweisen und das Entstehen von 100 000 bis 300 000 neuen Arbeitsplätzen bei verbesserten steuerlichen Rahmenbedingungen prognostizieren. Bei diesen Größenordnungen kann man doch wahrlich nicht von einem Beschäftigungshemmnis sprechen, wenn für wenige hundert bis maximal einige tausend junge Frauen, die während ihres Arbeitsverhältnisses im Privathaushalt schwanger werden, der Kündigungsschutz auf das sonst in der Wirtschaft übliche Niveau angehoben wird. Ich freue mich für die betroffenen jungen Frauen, daß es den Familienpolitikerinnen und Familienpolitikern fraktionsübergreifend gelungen ist, die Bedenken der Wirtschaftspolitiker so weit zurückzudrängen - ich nehme Bezug auf eine Protokollnotiz in der Ausschußempfehlung -, daß wir die Gesetzesänderung heute mit großer Mehrheit beschließen können. Schließlich können auch die Wirtschaftspolitiker Erfolge vorweisen: An Stelle des im Gesetzentwurf vorgesehenen völligen Verbots der Sonn- und Feiertagsarbeit können nunmehr schwangere Hausangestellte auch an Wochenenden beschäftigt werden, wenn sie an anderen Tagen Ruhezeiten erhalten. Auf diese Weise erreichen wir die nötige Flexibilität bei der Beschäftigung in Privathaushalten, die nötige Kinderbetreuung, Pflege und hauswirtschaftliche Dienstleistungen auch an den Wochenenden ermöglicht. Insgesamt werden die Änderungen im Mutterschutzgesetz das Entstehen neuer Beschäftigungsverhältnisse in Privathaushalten fördern und nicht als neues Beschäftigungshemmnis erscheinen. Heidemarie Lüth (PDS): Die nun angestrebte Regelung hat wie viele eine lange Geschichte, sollte die EG-Richtlinie doch bereits 1994 umgesetzt werden. Es sei auch hervorgehoben, daß die durchzusetzende Richtlinie mutterschutzrechtliche Mindestvorschriften enthält, die die Mitgliedstaaten umzusetzen haben. Der mit den Änderungen nun vorliegende Entwurf - als Entwurf aller Fraktionen - hat im Ausschuß auch die Zustimmung der Abgeordnetengruppe der PDS gefunden. Die Frauenpolitikerinnen der Koalition haben sich offenbar gegen die Wirtschafts- und Finanzpolitiker der eigenen Koalition durchgesetzt. Mit dem Entwurf wird Forderungen aus der Diskussion um den § 218 entsprochen wie Forderungen des Bundesverfassungsgerichts von 1993. Durch die kündigungsschutzrechtliche Gleichstellung und die Möglichkeit, Erziehungsurlaub und Erziehungsgeld zu bekommen, haben die in privaten Haushalten arbeitenden Frauen die Möglichkeit, endlich gleiche Rechte wahrzunehmen wie ihre Kolleginnen in anderen Bereichen. Kritische Bemerkungen gibt es aus der Sicht der Abgeordnetengruppe der PDS zu folgenden Punkten: 1. Der Entwurf kommt, siehe EG-Richtlinie, zwei Jahre zu spät. Die nun zur Abstimmung stehenden Regelungen hätten in den vergangenen Jahren schon vielen Frauen das Ja zum Kind erleichtern können. 2. Gesetzliche Veränderungen werden gekoppelt an die steuerliche Absetzbarkeit der Kosten für Hausangestellte von 24 000 DM. Die Absetzbarkeit im Jahressteuergesetz 97 wird geradezu als Junktim für die Abschaffung der Kündigungsmöglichkeit schwangerer Hausangestellter betrachtet. 3. In die Veränderungen einbezogen sind auch Änderungen in § 10 des Lohnfortzahlungsgesetzes. Die Umlage im Umlageverfahren „U 2" wird von 0,5 bis 0,1 % der Gesamtbruttolohnsumme erhöht. Dafür erhalten Privathaushalte und Arbeitgeber, die bis zu 20 Beschäftigte haben, die ehemals anteilig zu zahlenden 20 % der Kosten für den Mutterschutz erstattet. Das ist keine Belastung, sondern eine Entlastung der Arbeitgeberhaushalte - klar auf Kosten aller Versicherten in den zuständigen gesetzlichen Krankenkassen, die dann die vollen Mutterschutzkosten tragen. Es ist eine Umverteilung von unten nach oben mit dem Nebeneffekt, daß davon in diesem Fall die betroffenen Mütter einen Vorteil haben. 4. Die jetzige Regelung, daß schwangeren und stillenden Frauen z. B. auch in privaten Haushalten die Arbeit an Sonn- und Feiertagen zugemutet werden kann, wenn ihnen in jeder Woche einmal eine ununterbrochene Ruhezeit von 24 Stunden im Anschluß an eine Nachtruhe gewährt wird, bleibt kritikwürdig. Aus Frauensicht besonders hervorzuheben ist, daß es nun auch den erhöhten Kündigungsschutz für die in Privathaushalten angestellten Frauen im Rahmen des Mutterschutzes geben wird. Es bleibt zu hoffen, daß das auch so umgesetzt wird, da schon Stimmen laut wurden, erhöhter Kündigungsschutz ist kontraproduktiv für die Anstellung von Frauen. In der Umsetzung der Gleichstellung von Frauen und Männern im Erwerbsleben sind die heute zu beschließenden Fortschritte ein wichtiger Schritt. Es wären sicher Verbesserungen im Mutterschutzgesetz möglich, wenn der Entscheid für Kinder jungen Frauen und Männern erleichtert werden soll: Zu reden wäre über die Aufhebung der Kürzung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall für Schwangere, die ja vor einigen Wochen im Sparpaket durch die Koalition beschlossen wurde. Zu reden wäre über eine Verlängerung des Mutterschutzes überhaupt. Zu reden wäre über eine andere Gestaltung der Arbeitszeiten von Schwangeren und stillenden Müttern - in verschiedenen Gewerben wie auch in privaten Haushalten. Wir stimmen dem Entwurf zu, weil in ihm der Forderung nach Mindestvorschriften der EG-Mutterschutz-Richtlinie entsprochen wird. Wie der Zustand vorher war, wird dadurch deutlich, daß noch nicht einmal den Mindestvorschriften entsprochen wurde. Claudia Nolte, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Schon heute hat das deutsche Mutterschutzgesetz ein hohes Schutzniveau. Und in Verbindung mit dem Bundeserziehungsgeldgesetz steht es im Vergleich zu anderen EU-Staaten gut da. Damit dies so bleibt, müssen wir auf entsprechende Entwicklungen die notwendigen Anpassungen vornehmen. Deshalb beschließen wir heute die Novellierung des Mutterschutzgesetzes, die zum einen die Umsetzung von Mindestvorschriften der EG-Mutterschutz-Richtlinie vorsieht. So die Gleichstellung von sozial- und privatversicherten schwangeren Arbeitnehmerinnen beim Freistellungsanspruch ohne Entgeltkürzung für notwendige ärztliche Vorsorgeuntersuchungen, und die grundsätzliche Gleichstellung der Hausangestellten mit den übrigen Arbeitnehmerinnen beim Mutterschutz, indem das bisherige Verbot der Sonntagsarbeit und der Mehrarbeit für schwangere Hausangestellte beseitigt wird. Teilzeitbeschäftigte schwangere Hausangestellte bekommen zudem künftig bei Beschäftigungsverboten eine Lohnfortzahlung. Über die notwendige Novellierung der EG-Mutterschutz-Richtlinie hinaus verbessern wir die Schutzfristen für Frauen nach Frühgeburten. Ihre psychische und physische Belastung ist besonders groß. Sie brauchen eine entsprechend längere Erholungsphase. Deshalb ist künftig die Schutzfrist um den Zeitraum verlängert, um den sich die Mutterschutzfrist vor der Frühgeburt verkürzt hat. Von der Gesetzesänderung profitieren rund 25 000 Frauen jährlich einschließlich zahlreicher Mütter mit Zwillingen oder Drillingen. Daß wir die Schutzvorschriften für die Arbeitnehmerschaft den rechtlichen, wirtschaftlichen und medizinischen Entwicklungen anzupassen haben, ist wichtig. Aber wir müssen darauf achten, daß sich die Schutzvorschriften nicht gegen die Arbeitnehmerinnen kehren. Und wir müssen genauso darauf achten, daß durch die Verbesserung der Schutzvorschriften keine neuen finanziellen Belastungen für die privaten Haushalte und die Unternehmen entstehen. Lange diskutiert haben wir deshalb über die Streichung des alten eingeschränkten Kündigungsschutzes für vollbeschäftigte schwangere Hausangestellte. Ich begrüße sehr, daß das Parlament beschlossen hat, die bisherige Sonderregelung in § 9 des Mutterschutzgesetzes nicht mehr aufrechtzuerhalten. Gerade die hauswirtschaftlichen Tätigkeiten werden künftig in unserer Dienstleistungsgesellschaft eine zunehmend wichtigere Rolle spielen. Es wäre geradezu paradox, qualifizierten Hausangestellten mit mutterschutzrechtlichen Sondervorschriften oder anderen Benachteiligungen Steine in den Weg zu legen. Um die Angestelltenverhältnisse im Haushalt zu fördern, hat die Bundesregierung das Jahressteuergesetz 1997 auf den Weg gebracht. Unser Jahressteuergesetz wird doppelte Wirkung zeigen: Auf der einen Seite geben wir den Familien die Möglichkeit, neue qualifizierte Arbeitsplätze in ihren Haushalten zu schaffen. Auf der anderen Seite sichern wir die Angestellten ab, da sie nun sozialversicherungspflichtig arbeiten. Durch das Jahressteuergesetz verdoppelt sich der bisherige Höchstbetrag der jährlich abziehbaren Aufwendungen für eine Haushaltsangestellte von 12 000 DM auf 24 000 DM (Art. 12); entfallen die bisherigen Voraussetzungen für den steuerlichen Abzug hinsichtlich der Kinderbetreuung oder Pflege (Art. 12); erleichtern wir durch das (fakultative) Haushaltsscheckverfahren die Abrechnung im Bereich der Sozialversicherung (Art. 23). Jetzt muß die SPD im Vermittlungsausschuß Farbe bekennen, ob sie mitmacht bei dem Beschäftigungsprogramm „Privathaushalt", ob sie für sozial abgesicherte und beitragspflichtige Beschäftigungsverhältnisse in Privathaushalten steht. 50 000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Familienhaushalt zahlen 1997 rund 230 Mio. DM Mehreinnahmen an Beiträgen zur gesetzlichen Sozialversicherung. Auch dies ist sicherlich ein Argument, das für sozialpflichtige Beschäftigungsverhältnisse in Privathaushalten spricht. Zur Entlastung der Betriebe haben wir die Kostenerstattung im geltenden Umlageverfahren auf 100 Prozent erhöht. Damit entlasten wir die Kleinbetriebe noch mehr als bisher von den Mutterschutzkosten. Die gesetzlich festgeschriebenen 100 Prozent sind auch nicht mehr durch das Satzungsrecht der Krankenkassen veränderbar. Der Umlagesatz von ca. 0,1 Prozent der Bruttolohnsumme dürfte nur sehr geringfügig steigen. Die Bundesvereinigung der Fachverbände des Deutschen Handwerks hat diese Verbesserung ausdrücklich begrüßt. Denn die Branchen und Betriebe mit höherem Frauenanteil werden dadurch stärker entlastet. Und gleichzeitig erhöhen sich auch die Einstellungs- und Beschäftigungschancen von Frauen im Handwerk, speziell in gewerblich-technischen Berufen. Kleinbetriebe machen nicht nur 90 Prozent aller deutschen Unternehmen aus. Sie sind zusammen mit den mittelständischen Betrieben auch die wichtigsten Motoren für Wachstum und Arbeitsplätze in Deutschland. Deshalb sind die verbesserten Beschäftigungschancen für Frauen in diesen Bereichen dank des geänderten mutterschutzrechtlichen Umlageverfahrens ein wirklich hoffnungsvolles Signal. Gleichstellung schwangerer Hausangestellter, verbesserter Mutterschutz für Mütter nach Frühgeburten, 100prozentige Kostenerstattung in Kleinbetrieben, das sind die Kennzeichen eines modernen Mutterschutzes in einer modernen Dienstleistungsgesellschaft. Ich bitte Sie, dem Antrag im Interesse der Frauen zuzustimmen. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zu Zusatztagesordnungspunkt 11 (Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertragswerk vom 17. Dezember 1994 über die Energiecharta) Kurt-Dieter Grill (CDU/CSU): Mit der Annahme des Gesetzes zum Vertragswerk der Europäischen Energiecharta leistet die Bundesrepublik Deutschland ihren Beitrag zum Inkrafttreten eines bedeutenden europäischen Vertragswerkes. Gemeinsam mit allen anderen Mitgliedern der EU werden wir dieses Vertragswerk für eine globale Energiepartnerschaft wirksam werden lassen. Die Energiecharta ist aus der Sicht der CDU/CSU der Start in eine gemeinsame Zukunft für die Energiewirtschaft auf der Basis nichtwirtschaftlicher Regeln. Für mich ist die Energiepolitik mit ihrer zentralen Bedeutung für wirtschaftliche und damit zugleich für politische Stabilität eine unabdingbare Klammer der Ost-West-Energiekooperation. Die Ziele des Vertragswerkes: 1. Erhöhung der Energieeffizienz; 2. Ressourcen- und Umweltschonung, gerade in den osteuropäischen Reformstaaten; 3. Modernisierung der Energiewirtschaften in Mittel- und Osteuropa sowie den Staaten der früheren Sowjetunion; 4. Liberalisierung des Handels im Energiebereich; 5. Gewährleistung eines ungestörten Transits, insbesondere bei den leistungsgebundenen Energien, und 6. Garantie eines hohen Investitionsschutzes bei ausländischen Investoren. Dies sind die Kernelemente einer beispielhaften Zusammenarbeit zum Wohle der Menschen in Europa. Für die umfassende Wirkung des Vertrages wäre es wichtig, daß sowohl Rußland wie auch die USA der Energiecharta beitreten. Mit einer darüber hinausgehenden Beteiligung anderer Länder wie der Türkei, Kanadas oder der Mittelmeeranrainer könnte durch die Energiecharta ein Grundgesetz der globalen Zusammenarbeit auf dem Energiesektor entstehen. Die CDU/CSU wird dem Gesetz zustimmen, weil auch dies ein Beitrag zu einer umweltverträglichen klimaschonenden Energiepolitik ist. Rolf Hempelmann (SPD): Der frühere niederländische Ministerpräsident Ruud Lubbers hatte, als er die Energie-Charta anregte, eine richtige Idee: die Energiekooperation Westeuropas mit unseren in Zukunft wichtigsten Energielieferanten in Osteuropa zu intensivieren und auszubauen. Das heute zu diskutierende Vertragswerk ist ein Rahmen für diese Kooperation, der der Ausfüllung bedarf. Wir haben jetzt ein Büro in Brüssel hochrangig besetzt - endlich auch einmal mit einem Deutschen in zentraler Position -, aber wir haben doch relativ wenig Projekte. Dabei gäbe es in Osteuropa enorm viel zu tun. In die Schlagzeilen geraten immer wieder die Umweltverschmutzungen bei der Öl- und Gasförderung, die riesige Landstriche betreffen, die völlig veraltete Fördertechnik, die enorme Energieverschwendung im Wärmesektor, der völlig veraltete Kraftwerkspark und die mit westlichen Sicherheitsanforderungen nicht vergleichbaren osteuropäischen Kernkraftwerke. Betroffen macht mich immer wieder, daß die russische Regierung den Bergleuten ihre Löhne nicht zahlt, zuläßt, daß sie unter lebensgefährlichen Bedingungen arbeiten müssen, von einer längerfristigen Arbeitsplatzperspektive ganz zu schweigen. Der erbärmliche Zustand der Energieversorgung in Osteuropa von der Förderung der Rohstoffe bis hin zur Weiterverarbeitung ist auch unter Klimaschutzgesichtspunkten kaum erträglich. Rußland hat eine CO2-Emission pro Kopf und Jahr von etwa 16 Tonnen, wie die Enquete-Kommission „Schutz der Erdatmosphäre" für das Jahr 1990 ausgewiesen hat. Selbst wenn dies infolge des Wirtschaftsverfalls stärker zurückgegangen sein sollte, so liegt Rußland doch weltweit hinter den USA an zweiter Stelle. Ähnliche Werte sind für Polen, Tschechien, die Slowakei und für die GUS-Nachfolgestaaten zu nennen. Aus Sicht der SPD muß deshalb im Rahmen der Energie-Charta ein zentraler Schwerpunkt die internationale Kooperation im Feld der Energieeinsparung und bei Umweltschutzmaßnahmen sein. Sie alle kennen den Vorschlag der Weltbank, über eine langfristige Energieeffizienzstrategie in den GUS-Staaten auf Kernenergie zu verzichten, wenn die westliche Welt etwa 30 Milliarden Dollar dafür einsetzt. Bis heute ist dieser Vorschlag nicht aufgegriffen worden, obwohl er zwei Dinge miteinander verbindet: Energieeinsparung und Klimaschutz sowie die Verringerung der nuklearen Sicherheitsrisiken in Osteuropa. Eine solche Strategie würde auch den Transfer westlichen Know-hows bei Energieeinsparmaßnahmen, im modernen Kraftwerkssektor, beim Leitungsbau im Energiesparbereich, bei den Nutzern von Energie voranbringen. Das würde westeuropäische Arbeitsplätze sichern können und zur Modernisierung der osteuropäischen Wirtschaft im Sinne einer höheren Energieeffizienz beitragen. Mir sind bis heute keine konkreten Projekte - sei es multilateral, sei es bilateral - bekannt, die diesen Energieeffizienzpfad verfolgen, der doch im Rahmen der Energie-Charta möglich und erwünscht ist. Woran liegt das? Wegen der riesigen Energieverschwendung in Osteuropa ist Energiesparen eine der sinnvollsten Investitionen in eine zu modernisierende Wirtschaft. Sie müßte sich auch leicht finanzieren lassen, da, wie wir alle wissen, Rußland eines der rohstoffreichsten Länder der Welt ist und den Transfer von Know-how und von westeuropäischem Kapital mit Energielieferungen langfristig bezahlen könnte. Wenn wir nicht vollständig von unsicheren politischen Energielieferanten abhängig werden wollen, müssen wir unsere Kooperation mit Osteuropa ausbauen, insbesondere mit Rußland. Dies ist von strategischer Bedeutung, um den heute noch ausreichend diversifizierten Bezug von Energielieferungen für unseren Energiebedarf langfristig zu sichern. Wie Sie alle wissen, will die SPD in keinem Falle auf heimische Energiequellen verzichten. Wir brauchen unsere heimische Stein- und Braunkohle, wir brauchen unser heimisches Gas. Die SPD hält an der Politik der Sicherung eines Versorgungssockels mit heimischen Energiequellen unverändert fest. Wir hoffen, daß in den anstehenden Energiegesprächen die Koalition endlich wieder zu diesen bewährten Prinzipien einer verantwortungsvollen nationalen Energiepolitik zurückkehrt - auch deshalb, weil nur so deutscher Technologieexport aus dem Bergbaubereich in Richtung Osteuropa möglich sein wird. Wir Sozialdemokraten wissen aber auch, daß unser Energiebedarf, insbesondere unsere Abhängigkeit von Öl und Gas, nur mit Hilfe von langfristigen Energielieferverträgen abgesichert werden kann. Deshalb sind die Bestimmungen der Energie-Charta über die Liberalisierung des Handels sinnvoll. Wir sind dafür, diesen Handel auszuweiten zum Zwecke der eigenen Versorgungssicherheit, aber auch um den osteuropäischen Ländern, insbesondere Rußland, beim Aufbau einer funktionierenden Marktwirtschaft in der Energieversorgung zu helfen. Die dramatische Arbeitslosigkeit dort kann etwas abgemildert werden, wenn langfristig stabile Energielieferbeziehungen bestehen. Die Energie-Charta darf aber nicht zum Zwecke von Dumping-Angeboten von osteuropäischem Gas und osteuropäischer Kohle mißbraucht werden. Ich habe die Arbeitsbedingungen der russischen Bergarbeiter angesprochen. Wir müssen uns dagegen wehren, daß die Liberalisierung des Energiehandels einhergeht mit der Ausbeutung der im Energiesektor Beschäftigten in Osteuropa. Es wäre eine menschenverachtende Politik Europas, wenn wir unseren Energiehunger auf Kosten der Lebens- und Arbeitsbedingungen der russischen Kumpels sichern wollten. Der Bundestag muß deshalb über solche Projekte, falls sie denn in Gang gesetzt werden können, genauestens unterrichtet sein. Nach Auffassung der SPD müssen wir die EnergieCharta grundsätzlich ebenso für Projekte der Energieeinsparung und des Umweltschutzes wie für Projekte nutzen, die langfristig unseren Energiebedarf sichern helfen. Es bleibt aber SPD-Politik, daß wir aus Klimaschutzgründen unseren Energieverbrauch absolut senken müssen. Ich warne davor, sich über internationale Verträge die Ressourcen ins Land zu holen und gleichzeitig auf die möglichen Energieeinsparmaßnahmen hier zu verzichten. Ich bedauere, daß die Bundesregierung bis heute alle längerfristigen Projekte für ein umfassendes Klima- und Energiesparprogramm abgelehnt hat, die Förderung von erneuerbaren Energien zurückfährt und eine Novelle zum Energierecht vorgeschlagen hat, bei der Umweltschutz, Energieeinsparung, Least-Cost-Planning und die Förderung umweltverträglicher Energietechnologien absolut zu kurz kommen. Wir haben die Liberalisierung des europäischen Binnenmarktes begrüßt unter der Prämisse einer vollen Reziprozität. Diese droht, bei Verabschiedung der Richtlinie durch das Europäische Parlament, nicht eingehalten zu werden, weil die Länder mit starken Monopolen ihre Märkte nicht ausreichend öffnen wollen. Energiewettbewerb darf aber keine Einbahnstraße werden. Der europäische Energiemarkt darf sich nicht nur in Deutschland abspielen. Das gilt in Richtung Frankreich ebenso wie in Richtung Polen, Tschechien und anderer osteuropäischer Staaten. Wir werden es nicht zulassen, daß weitere Arbeitsplätze im Energiesektor durch unfairen Wettbewerb von außen in ihrer Existenz bedroht werden. Wir werden deshalb bei der nationalen Energierechtsreform auf fairen Wettbewerb, auf ausreichenden Umweltschutz und auf die Sicherung der kommunalen Energieversorgung achten. Wir alle wissen, daß ein europäischer Energiebinnenmarkt nicht in einem Schritt und in wenigen Jahren entstehen kann. Wir treten jedoch dafür ein, daß dieser gemeinsame europäische Energiebinnenmarkt nach Osten hin offen ist, jedoch unter der Leitidee der Umweltverträglichkeit und Energieeinsparung stehen muß. Die begrenzten fossilen Ressourcen und der wachsende Energiehunger der Dritten Welt zwingen dazu, daß die modernen Industriestaaten alle Möglichkeiten zu einer sparsamen Verwendung von Energie ausnutzen. Nur wenn wir uns diesem Ziel verpflichten, wozu die Einhaltung der CO2-Reduktionsziele zählt, handeln wir verantwortlich gegenüber anderen Ländern und nachfolgenden Generationen. Ich wünsche mir deshalb, daß auch die Energie-Charta im Sinne von Umwelt-, Klimaschutz- und Energieeinsparung mit Leben gefüllt wird und die internationalen Kooperationen hier ihren Schwerpunkt haben. Für die Verwirklichung solcher Projekte müssen wir über intelligente Finanzierungsmöglichkeiten nachdenken, damit das westeuropäische Know-how schnellstmöglich in die zu reformierenden Volkswirtschaften Osteuropas gelangen kann. Jede westeuropäische Vorleistung, die mit Energielieferung bezahlt werden kann, wird sich im Interesse beider Seiten auszahlen. Ich möchte deshalb die Bundesregierung auffordern, uns hierfür konkrete Vorschläge zu machen. Als Voraussetzung für solche Kooperationen ist deshalb die Energie-Charta ein geeigneter Rahmen. Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ohne Vorwarnung hat die Bundesregierung das Gesetz zur Energiecharta als Vorlage ohne Beratung eingebracht. Dann wurde das Gesetz am 17. Oktober in erster Lesung ohne Debatte in die Ausschüsse überwiesen. Und die Bundesregierung wollte auch in der zweiten und dritten Lesung keine Debatte. Offensichtlich sollte die Ratifizierung dieser Energiecharta still und heimlich über die Bühne gehen. Auf Grund ihrer Bedeutung für die europäische Energiepolitik ist das jedoch nicht zu akzeptieren, und deshalb haben wir auf einer Debatte bestanden. Mit der Energiecharta wurde die Chance verpaßt, in Europa den Weg in eine nachhaltige und umweltfreundliche Energiepolitik zu beschreiten. An der Schwelle zum 21. Jahrhundert steht die europäische Energiepolitik vor großen Herausforderungen, denen die Charta nicht genügt. Die Verpflichtungen zum Klimaschutz erfordern eine drastische Senkung des Energiekonsums. Wenn der Treibhauseffekt wirksam eingedämmt werden soll, ohne daß wir uns verstärkt atomaren Risiken aussetzen, müssen wir den fossilen Energieträger 01, Kohle und Gas konsequent Schritt für Schritt durch die erneuerbaren Energieträger Sonne, Wind, Wasser und Biomasse ersetzen. Die Energiepolitik der Bundesrepublik Deutschland, der Europäischen Union, aber auch der GUS und der anderen Länder Mittel- und Osteuropas wird diesen Anforderungen nicht gerecht: Der Energierechtsnovelle von Minister Rexrodt und der Energiecharta liegt einzig und allein derselbe Leitgedanke zugrunde: Energie möglichst billig bereitzustellen. Umweltschutz verkommt zu Präambelsprechblasen, die Energieverschwendungswirtschaft wird ungebremst vorangetrieben. Mit den Klimaschutzzielen sind diese Vorhaben also nicht zu vereinbaren. Mit Hilfe der Energiecharta sollen die Rohstoffe des Ostens und von Nordafrika, vor allem die Gas- und Ölressourcen, für die westliche Industrie erschlossen werden. Der Umweltschutz wird in der Energiecharta zwar auch erwähnt, spielt aber de facto keine Rolle. So fordert die Energiecharta zwar die Beachtung der Umweltauswirkungen von Investitionsvorhaben. Aber soviel Umweltschutz wollten die Verfasser der Charta dann doch nicht und haben den Umweltartikel 19 dahin gehend wieder eingeschränkt, daß nur Umweltmaßnahmen durchgeführt werden, die „kostengünstig" sind. Im Zweifelsfall wird der Umweltschutz also immer gegen die Profitinteressen der Unternehmen verlieren. Und das Risiko der Atomenergie in Ost und West - ein besonders wichtiger Aspekt der europäischen Energiepolitik - wird in der Charta überhaupt nicht thematisiert. Eine Energiecharta, die tatsächlich den Aufbruch des Kontinents in eine zukunftsfähige und nachhaltige Energieversorgung einläutet, müßte eine ganz andere Schwerpunktsetzung beinhalten. Erstens muß sie den Charakter einer Energie-Spar-Charta bekommen. In der EU und noch stärker in den Staaten Mittel- und Osteuropas und der GUS liegen gewaltige Einsparpotentiale brach. Allein 30 bis 40 Prozent der in der EU verbrauchten Energien können bis zum Jahr 2010 durch bereits heute verfügbare Techniken eingespart werden - und das ohne Kostensteigerung. In den östlichen Staaten erreichen die Einsparpotentiale 50 bis 75 Prozent. Zweitens muß die Charta eine Solar-EnergieCharta werden. Sie sollte die massive Förderung der umweltfreundlichen Energien in den Mittelpunkt stellen, nicht die der klimaschädlichen. Drittens muß die Charta flankiert werden durch eine Energiesteuer. Viele EU-Staaten haben ja schon Ökosteuern eingeführt. Die EU sollte sich schnellstmöglich dafür entscheiden und im Zuge der Eingliederung der osteuropäischen Staaten diese Schritt für Schritt ebenfalls dazu veranlassen. Alsbald sollten Protokolle zur paneuropäischen Förderung von erneuerbaren Energieträgern und von Maßnahmen zur rationellen Energienutzung beschlossen werden. Wir hoffen, die Bundesregierung setzt sich für entsprechende Protokolle ein. Bislang haben wir kein diesbezügliches Engagement der Bundesregierung festgestellt. Es wird Sie nach diesen Ausführungen nicht wundem, daß Bündnis 90/Die Grünen dem Gesetz zur Energiecharta nicht zustimmen kann. Wir fordern auch die SPD auf, bei ihrem Votum aus dem Wirtschaftsausschuß zu bleiben und das Gesetz abzulehnen. Die Energiecharta ist auch nicht mit den energiepolitischen Zielstellungen der SPD vereinbar. Paul K. Friedhoff (F.D.P.): Mit der heutigen Beratung des Gesetzes zu dem Vertragswerk vom 7. Dezember 1994 über die Energiecharta gibt der Deutsche Bundestag grünes Licht zur Beschleunigung des Ratifizierungsprozesses in Europa. Dieser Schritt ist notwenig, um ein abgestimmtes Verfahren mit unseren Partnern in der EU noch in diesem Jahr auf den Weg zu bringen. Die F.D.P.-Bundestagsfraktion begrüßt deshalb die heutige abschließende Beratung. Mit dem Vertragswerk über die Energiecharta verabschieden wir ein Regelwerk, mit dem die Schaffung einer gesamteuropäischen Energiewirtschaft erreicht werden soll. Neben der Bundesrepublik Deutschland zeichnen weitere 50 Staaten den Vertrag. Dazu gehören ebenso wie die Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion auch Japan, die USA und Australien. Treibende Kraft und wesentlicher Vertragspartner ist jedoch ohne Zweifel die Europäische Gemeinschaft. Sie hat die große Bedeutung des Energiesektors für die wirtschaftliche Entwicklung der mittel- und osteuropäischen Transformationsländer erkannt, die unabdingbare Voraussetzung für ihren Beitritt in die EU ist. Der Energiesektor trägt heute wesentlich zur Stabilisierung der Wirtschaftsentwicklung und damit auch der politischen Situation ist Osteuropa bei. Der Energiesektor dient westlichen Unternehmen als Einstiegsfeld für ihr Engagement auf den östlichen Märkten. Der Energiesektor ist Vorreiter für die weitere zukünftige Zusammenarbeit in anderen Wirtschaftsbereichen. Mit dem Beitritt zur Energiecharta trägt die Bundesregierung zur weiteren Handelsliberalisierung im Energiebereich bei und erleichtert so den Zugang zu den Ressourcenländern. Dies kann im Hinblick auch auf die Versorgungssicherheit und die Gestaltung eines zukünftigen Energiemixes für Deutschland von erheblicher Bedeutung sein. Die F.D.P. befürwortet eine Energiepolitik, die über den nationalen Tellerrand hinausguckt und globale Aspekte vor Augen hat. Die Energiecharta ist ein wichtiger Schritt dazu, sie ist ein internationales Regelwerk. Das Abkommen bietet weitere, dringend erforderliche Chancen für den verantwortungsbewußten Umgang mit der Energie, für die Förderung von Investitionen im Energiebereich. Wir brauchen die Überholung überalteter Energieanlagen und die Neuinstallierung effizienter, umweltschonender Verfahren nicht nur in Osteuropa. Dies gilt insbesondere für die zum Teil maroden Leitungsnetze für leitungsgebundene Energieträger und für die dringend sanierungs- und ersatzbedürftigen Kraftwerke in der ehemaligen Sowjetunion. Die F.D.P. und hier insbesondere ihre Außenminister haben bereits vor Jahren - maßgeblich auf dem G-7-Treffen in München - auf die Nachrüstung der Kernkraftwerke gedrängt. Die erforderlichen Arbeiten sind durch staatliche Gelder und durch Kooperation mit der deutschen Industrie erfolgreich angelaufen. Die Energiecharta bietet eine weitere wichtige Basis für die Fortsetzung dieser Arbeiten. Mit der Verabschiedung der Energiecharta ist eine neue internationale Organisation gegründet worden. Dies war erforderlich, um den Nachfolgestaaten der ehemaligen GUS-Staaten eine Plattform zu schaffen, auf der sie als gleichberechtigte Partner auftreten werden. Ein unabhängiges Charta-Sekretariat war notwendig und mußte gegründet werden. Die F.D.P. begrüßt die Arbeit dieses Büros. Wir unterstützen seine Arbeit. Sie dient als Basis zur weiteren verantwortungsbewußten Zusammenarbeit mit unseren osteuropäischen Partnern. Rolf Köhne (PDS): Das Vorhaben, die Zusammenarbeit auf dem Energiesektor - insbesondere im gesamteuropäischen Rahmen - auf vertragliche Grundlagen zu stellen, ist löblich. Dies gebieten insbesondere die ökologischen Auswirkungen von Energieerzeugung und -verbreitung. Anders als in der „Denkschrift" der Bundesregierung - S. 130 ff. der Drucksache 13/5742 - suggeriert - Reihenfolge der Stabsstriche bei Idee und Zielsetzung -, kam jedoch nur ein simples Investitionsschutz- und Deregulierungsabkommen heraus, sozusagen ein Einfallstor, westeuropäischer Energiekonzerne in die Energierohstoffmärkte Osteuropas, paradoxerweise - oder auch nicht paradox - unter Aufrechterhaltung der Steinkohle-Subventionspraxis Westeuropas. In der - im Streitfall allein bindenden - Energiecharta werden „Umweltaspekte" unter ferner liefen, Teil IV - Andere Bestimmungen, abgehandelt. In diesem Teil geht es nur um unverbindliches „Besteben" - während beispielsweise für Entschädigung für Verluste, Art. 12, und Kriterien für Enteignung, Art. 13, nicht nur Verbindlichkeit, sondern Ausnahmslosigkeit verankert wurden, Art. 24 -, welches auch noch unter dem Vorbehalt der „Kostengünstigkeit" steht. Die zweifellos interessanten Vorschläge und Festlegungen im „Energiechartaprotokoll über Energieeffizienz und damit verbundene Umweltaspekte" - S. 104 ff. - sind letztlich wertlos, als bei Unstimmig- keiten die - rein markt- und dabei profitorientierte - Charta Priorität hat. Bemerkenswerterweise traten USA und Kanada der Charta nicht bei, womit auch das Argument, sie sei Keimzelle für eine globale Energieordnung und müsse daher als Minimalkonsens unterstützt werden, hinfällig ist. Dr. Norbert Lammert, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Der Vertrag, der Ihnen heute zur Zustimmung vorliegt, stellt die Zusammenarbeit zwischen Ost und West im Energiebereich auf eine neue Grundlage. Er füllt völkerrechtlich verbindlich aus, was in der 1991 unterzeichneten „Europäischen Energiecharta" als politische Absichtserklärung zur verbesserten Ost-West-Energiekooperation angelegt war. Bemerkenswert am Energiecharta-Vertrag ist: Er ist das erste Wirtschaftsabkommen nach Ende des Kalten Krieges, das alle Republiken der ehemaligen Sowjetunion, die ehemaligen Staatshandelsländer Mittel- und Osteuropas, die Europäischen Gemeinschaften und ihre Mitgliedstaaten sowie nichteuropäische Mitgliedstaaten der OECD (die Türkei, Japan und Australien) verbindet. Mit dem Vertrag über die Energiecharta ist es gelungen, erstmals für einen bestimmten Sektor ein multilaterales Abkommen über Handel und Investitionen abzuschließen, an dem sowohl Mitglieder als auch Nichtmitglieder von OECD und WTO teilnehmen. Er ist der erste multilaterale Vertrag, der verbindliche internationale Schiedsgerichtsbarkeit als allgemeine Regel vorsieht. Investitionsschutz, Handelsliberalisierung, Transiterleichterungen und Streitschlichtungsverfahren sind die tragenden Säulen des Vertrages. Zum Vertragswerk gehört auch das „Protokoll über Energieeffizienz und damit verbundene Umweltaspekte". Es ist der Initiative der deutschen Verhandlungsdelegation mit zu verdanken, daß es zu dieser Vereinbarung über eine verstärkte Ost-WestZusammenarbeit beim Umweltschutz, bei der Steigerung der Energieeffizienz und bei Ressourcenschonung gekommen ist. Dieses Energiechartaprotokoll liegt Ihnen ebenfalls zur Billigung vor. Das neue Vertragswerk erhöht die Sicherheit der westlichen Energieversorgung. Das ist wichtig und war ein zentrales Motiv für die Initiative zu den Verhandlungen, die ja von Westeuropa ausging. Es wäre aber eine zu sehr verengte Sichtweise, allein darin die Bedeutung des Vertragswerks zu sehen. Entscheidend für den Erfolg der Verhandlungen waren vielmehr die gemeinsamen Interessen von West und Ost. Beide Seiten sind daran interessiert, daß der Energiesektor als Schlüsselbereich zur beschleunigten wirtschaftlichen Entwicklung und damit zur politischen Stabilität in den mittel- und osteuropäischen Reformländern beiträgt, daß dafür die Wege für verstärkte Kooperationen im Energiebereich auf Unternehmensebene geebnet werden und daß es zu einer Modernisierung der Unternehmen in den Reformstaaten kommt. Das wiederum erfordert klare und verläßliche Rechtsgrundlagen für Investoren und Geschäftsleute, einschließlich Kapitaltransfergarantien, Enteignungsschutz und Vereinbarung von fairen Verfahren zur Schlichtung von Streitigkeiten. Die Einführung rechtsstaatlicher und marktwirtschaftlicher Prinzipien in der Energiewirtschaft wird ohne Zweifel nicht auf diesen Sektor beschränkt bleiben. Wettbewerb und Preisdisziplin, Transparenz und Diskriminierungsverbot, Eigentumsschutz und Respektierung unternehmerischer Entscheidungen, um nur einige Prinzipien des Vertrages zu nennen, werden sich stabilisierend und wachstumsfördernd auf die gesamte Volkswirtschaft der Länder im Übergang auswirken. Gemeinsames Interesse besteht auch daran, in den Reformländern die noch weiterhin ineffiziente Nutzung von Energieressourcen - von der Produktion über Transport und Umwandlung bis zum Endverbraucher - zu beenden. Die Verminderung der schädlichen Auswirkungen dieser Energieverschwendung auf die Umwelt steht dabei im Vordergrund. Aber auch das Ziel, die so eingesparten Energiemengen zusätzlich exportieren zu können, um die Devisen für die Bezahlung auch der importierten Energieeinspartechnologien zu verdienen, ist ein vernünftiges Motiv für eine verstärkte Zusammenarbeit. Insgesamt ist es nicht übertrieben zu sagen, daß mit diesem Vertrag eine gesamteuropäische Energiegemeinschaft gegründet worden ist, erweitert noch um Japan und Australien. Angesichts der Bedeutung dieses Vertrages, den bisher bereits 16 Staaten ratifiziert haben, und des Effizienzprotokolls unter den Aspekten Energieversorgung, Investitionsschutz, Handelserleichterung, Außenpolitik und Umweltschutz, bitte ich für die Bundesregierung um Zustimmung des Bundestages zu diesem Vertragswerk. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 14 (a - Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Pflege-Versicherungsgesetzes, b - Große Anfrage; Stand der Umsetzung der Pflegeversicherung) Birgit Schnieber-Jastram (CDU/CSU): Man kann der PDS ja nun wirklich manches vorwerfen, sicherlich jedoch keine allzu zwanghafte Bindung an die nüchternen Zwänge der Sachpolitik. Gerade im sozialen Bereich prahlen ihre Vertreter so ausgiebig mit den Spendierhosen, daß Sozialpolitiker anderer Parteien angesichts dieser Freizügigkeit der blanke Neid überkommt. Allerdings währt die Herrlichkeit nur solange, bis jedem klar wird, daß es sich bei den Spendierhosen der PDS um des Kaisers neue Kleider handelt. Denn die PDS wirft mit immer neuen Milliardenforderungen um sich, weil sie ohnehin weiß, daß sie für die Beträge nie politisch die Verantwortung übernehmen muß. Als Vertreter dieser Partei vor nicht allzu langer Zeit politische Macht besaßen und in wissenschaftlichen Beiräten mitmischten, da zumindest sah die Wirklichkeit für die Bedürftigen anders aus. Im Pflegesystem der ehemaligen DDR fühlte man sich ins 19. Jahrhundert zurückversetzt, und wer diese Zustände erlebt hat, der wird die Errungenschaften der Pflegeversicherung nicht hoch genug preisen können. Deshalb hat es schon etwas reichlich Bigottes, meine Damen und Herren von der PDS, wenn Sie hier Verbesserungen innerhalb der bestehenden Pflegeversicherung in Milliardenhöhe fordern. Sie führen sich als soziales Gewissen auf, obwohl viele Millionen in diesem Lande wissen, daß Sozialismus und Sozialpolitik außer dem Wortstamm nichts gemeinsam haben. Sie spielen hier die Rolle des vermeintlichen Wohltäters, weil Sie wissen, daß Sie für die Folgen nie geradestehen müssen. Glauben Sie denn wirklich, die Sorgen und Nöte pflegebedürftiger Menschen in diesem Land durch einen Ausflug ins Wolkenkuckucksheim beheben zu können? Nehmen Sie doch lieber die Antwort der Bundesregierung auf Ihre Anfrage zur Hand; dort können Sie nachlesen, was sich durch die Pflegeversicherung real für die Pflegebedürftigen verbessert hat: Rund 1,1 Millionen Pflegebedürftige sind Bezieher ambulanter Pflegeleistungen, 400 000 erhalten Pflege in stationären Einrichtungen. Viele ältere Menschen, speziell im stationären Bereich, sind von der Sozialhilfe unabhängig geworden. Natürlich ist nicht alles eitel Sonnenschein, und daß noch Verbesserungen möglich sind, hat nie jemand bestritten. Aber das derzeit Machbare ist umgesetzt, eine großartige Leistung aller Beteiligten, wie ich meine. Tun Sie nun doch nicht so, als wäre das Glas zu einem Viertel noch leer und nichts erreicht! Das Glas ist dreiviertelvoll, und eine Menge ist erreicht! Nun jedoch zu Ihren Vorschlägen im einzelnen: Der Gesetzgeber hat sich bei der Vorbereitung der Pflegeversicherung bewußt für einen Mindestbedarf an Pflege entschieden. Geringfügiger Bedarf kann in der Regel von den Betroffenen selbst abgedeckt werden, so daß die Solidargemeinschaft hier noch nicht gefordert ist. Natürlich kann man die Voraussetzung für Pflegeleistungen noch weiter absenken. Nur: Das kostet Milliardenbeträge. Man kann selbstverständlich auch, wie in einem Ihrer grandiosen letzten Anträge, jedem in Deutschland lebenden Menschen eine Grundversorgung von 1 425 DM garantieren, was beiläufig nur 175 Milliarden DM kostet. Aber hoffentlich sind Sie sich auch bewußt, daß diese Beträge auch von den Beitragszahlern aufgebracht werden müssen. Wenn Sie Arbeitnehmer und Arbeitgeber mit immer neuen Kosten belasten, ist das der sicherste Weg, den Sozialstaat Deutschland in den Ruin zu treiben. In genau dieselbe Kerbe schlägt auch Ihr Vorschlag, die Kompensation des Arbeitgeberanteils in der Pflegeversicherung rückgängig machen zu wollen. Gerade in einer Zeit, in der alle Anstrengungen unternommen werden, die Lohnnebenkosten zu senken, um die Wirtschaft konkurrenzfähig zu halten, ist dieser Vorschlag absolut abwegig und unsinnig. Das ist übelster und zudem noch schlecht getarnter Populismus. Was wollen Sie damit eigentlich bezwecken? Daß die Zahl der Arbeitslosen steigt, damit Sie dies dann um so lauter beklagen können? Ein anderes Motiv kann ich mir nicht vorstellen. Es ist doch Quatsch, wenn Sie behaupten, seit 1960 seien Arbeitsplätze in Deutschland „in nennenswertem Umfang nicht geschaffen worden". In Westdeutschland - von der wirtschaftlichen Lage in der ehemaligen DDR brauchen wir in diesem Zeitraum wohl nicht zu reden - gab es 1994 rund 6 Millionen Erwerbspersonen mehr als im letzten Vollbeschäftigungsjahr 1973. Von 1982 bis 1994 sind netto 2,3 Millionen Arbeitsplätze neu entstanden, und da reden Sie von „keinem nennenswerten Umfang"! Zugegebenermaßen ist es uns, durch die Kosten der Wiedervereinigung und die zunehmende Globalisierung der Märkte bislang nicht gelungen, der Wirtschaft den Aufschwung zu ermöglichen, der für genügend neue Arbeitsplätze nötig ist. Aber diesen notwendigen Aufschwung schaffen wir bestimmt nicht, indem wir der Wirtschaft neue Belastungen auferlegen. Was nun Ihren letzten Vorschlag im Rahmen Ihres Antrages anbetrifft, so ist dies der einzige, der wenigstens zur Diskussion einlädt. Tatsächlich kann man überlegen, den Begriff der ausgebildeten Pflegefachkräfte auf staatlich anerkannte Heilpädagogen oder vergleichbare Gruppen, die behinderte Menschen versorgen, auszudehnen. So hat der Gesetzgeber bewußt für die ambulante Pflege Behinderter die Heilerziehungspfleger als Pflegefachkräfte anerkannt, weil in der Ausbildung dieser Berufsgruppen auch ein pflegerischer Anteil enthalten ist. Dies ist jedoch im Fall der Heilpädagogen nicht der Fall. Im Interesse der Pflegebedürftigen erscheint es mir auch weiterhin richtig, eine weitere Öffnung dieses anerkannten Berufskreises zu unterlassen. Liebe Kollegen, der Antrag der PDS ist eine nette populistische Sozialutopie. Die reale Pflegeversicherung, wie sie besteht und von der Koalition geformt worden ist, ist hingegen bereits kurz nach Ihrem Inkrafttreten eine unverzichtbare Säule des Sozialstaates geworden. Uwe Lühr (F.D.P.): Die 55 Fragen in der Großen Anfrage der PDS wurden ausführlich beantwortet und - wo notwendig - in beigefügten Anlagen erschöpfend erläutert. Die Antwort macht deutlich, daß es keineswegs die vom Fragesteller behaupteten gravierenden Probleme bei der Umsetzung der Pflegeversicherung gibt. Selbstverständlich gab es Anlaufschwierigkeiten sowohl bei der ersten Stufe im April letzten Jahres als bei der zweiten Stufe, der Heimpflege, zum 1. Juli diesen Jahres. Das ist aber bei einem so komplexen Vorhaben wie der Einrichtung eines völlig neuen Zweiges der Sozialversicherung etwas ganz Normales. In der Tat ist die sehr unterschiedliche Begutachtungspraxis des Medizinischen Dienstes bei den stationär Pflegebedürftigen überraschend. Wenn in Bayern, Hessen und im Rheinland knapp 33 Prozent der Pflegebedürftigen in Pflegestufe III eingeordnet wurden, in Sachsen aber nur 12 Prozent, dann ist das allerdings kein Beweis der Benachteiligung der Bürger in den neuen Bundesländern, wie die PDS gerne glauben machen möchte. In Westfalen-Lippe waren es nur überraschende 15 Prozent. Die Ursachenforschung für diese Unterschiede ist noch nicht abgeschlossen. Die bisherigen Erklärungsansätze scheinen nicht auszureichen. Deshalb kann man der Bundesregierung nur zustimmen, wenn sie feststellt, daß weitere Maßnahmen zur Vereinheitlichung der Begutachtung erforderlich sind. Kurz bevor mit der Antwort auf die Große Anfrage gerechnet werden mußte, bringt die PDS noch schnell einen Gesetzentwurf ein, der den konkret formulierten oder zwischen den Zeilen der Frage zu lesenden Unterstellungen noch eins obendrauf setzt: Eine Pflegestufe 0, damit schon allein für den zweimaligen hauswirtschaftlichen Einsatz in der Woche ab 300 DM monatlich gezahlt werden können. Im Gesetzentwurf der PDS wird versucht, in traditioneller Manier die Sehnsucht nach der staatlichen Rundum-Sicherheit in allen individuellen Lebenslagen zu stillen. Die PDS gibt subtil vor, mit ihrem Entwurf eigentlich die ursprünglichen Ziele der Koalitionsfraktionen umzusetzen. Das kann allerdings nicht verfangen. Suggeriert der Begriff Pflegestufe 0 schon die Zweckentfremdung der Mittel der Pflegeklasse, dann ist dieser Eindruck mit der möglichen Beschränkung der Hilfen auf die hauswirtschaftliche Versorgung zwingend. Das ist dann tatsächlich eine Leistungslücke im Gesetz: die Raumpflege auf Verordnung des Medizinischen Dienstes. Und die Finanzierung ist aus Sicht der PDS auch ganz einfach: Die von ihr geschätzten Mehrkosten von etwa 2,8 Milliarden DM sind ohne Beitragserhöhung zu finanzieren. Die Arbeitgeber sowie die Bezieher höherer Einkommen werden solidarisch und real zur Finanzierung der Pflegeversicherung herangezogen. Gerade unsere ostdeutschen Arbeitgeber, insbesondere im aufstrebenden Mittelstand, dürften ihre Begeisterung kaum noch bremsen können ob solcher bahnbrechenden Vorschläge. Das ist nicht Arbeitskostensenkung, das trägt bei zur Arbeitsplatzvernichtung. Als Mitglied der F.D.P.-Bundestagsfraktion kann ich wahrlich nicht sagen, wie das der Bundesarbeitsminister stets zu tun pflegt, daß die Pflegeversicherung das Glanzstück der sozialen Absicherung überhaupt ist. Nein, Sie wissen, daß wir das Ziel der Absicherung des Pflegefallrisikos genauso wollten wie alle in diesem Hause - ausgenommen die PDS. Nur wollten wir eine andere Finanzierung. Dennoch bleibt die Pflegeversicherung auch für uns eine großartige solidarische Leistung unseres Sozialsystems. Allerdings ist es keine Vollkaskoversicherung. Auch hier ist Eigenverantwortung gefragt - ein Begriff, der im Antrag der PDS nicht vorkommt. Die PDS kommt mit ihrem Gesetzentwurf zur Änderung des Pflegeversicherungsgesetzes vom 19. Juni 1996 reichlich spät. Bereits im Frühjahr dieses Jahres, genauer: am 23. Mai 1996 hat nämlich der Bundestag mit großer Mehrheit dem Vermittlungsergebnis zum Ersten SGB-XI-Änderungsgesetz zugestimmt. Eine der Forderungen der PDS - die Einbeziehung der Behinderten in vollstationären Einrichtungen der Behindertenhilfe in den Leistungsbereich der Pflegeversicherung - war im Vermittlungsergebnis enthalten und ist auch so beschlossen worden. Erstaunlicherweise hat die PDS dieses Vermittlungsergebnis abgelehnt. Wegen dieses nicht nachvollziehbaren, widersprüchlichen Verhaltens und weil die gewünschte Regelung bereits Gesetz ist, empfinde ich es - gelinde gesagt - als Zumutung, vom Parlament zu verlangen, sich am Ende einer langen Sitzungswoche mit einem völlig abwegigen und überholten Gesetzentwurf zu beschäftigen. Ein Verzicht auf die erste Beratung und die Rücknahme der Gesetzesvorlage hätte den parlamentarischen Gepflogenheiten entsprochen. Rudolf Kraus, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit: Die Pflegeversicherung ist ein großer Erfolg. Die Zahlen sprechen für sich: Rund 1,2 Millionen Pflegebedürftige erhalten heute Leistungen bei der Pflege zu Hause: 380 000 Menschen in der Pflegestufe I mit 400 DM Pflegegeld oder bis zu 750 DM Sachleistungen im Monat; 581 000 Menschen in der Pflegestufe II mit 800 DM Pflegegeld oder Sachleistungen bis zu 1 800 DM; 139 000 Menschen in der Pflegestufe III mit 1 300 DM Pflegegeld oder Pflegesachleistungen bis zu 2 800 DM. Der größte Erfolg der Pflegeversicherung liegt aber darin, daß die Zahl der Anträge auf stationäre Unterbringung zurückgeht. Die Pflegeversicherung stärkt die Familien, damit sie ihre Aufgaben erfüllen können. Und dies entspricht dem Willen vieler Pflegebedürftiger: Sie lassen sich lieber in vertrauter Umgebung von vertrauten Menschen pflegen. Pünktlich zum 1. Juli ist die 2. Stufe der Pflegeversicherung in Kraft getreten. Damit haben wir unser Ziel erreicht: Die Pflegeversicherung ist komplett. In diesem Bereich hat der Medizinische Dienst bis zum 30. September 1996 113 000 Heimbewohner der Pflegestufe I mit 2 000 im Monat, 175 000 Heimbewohner der Pflegestufe II mit 2 500 DM im Monat und 129 000 Heimbewohner der Pflegestufe III mit 2 800 DM im Monat zugeordnet. Die Medizinischen Dienste der Krankenversicherung (MDK) haben rund 92 Prozent der in Auftrag gegebenen Begutachtungen erledigt. Das sind Fakten, meine Damen und Herren. Rund 30 Milliarden DM jährlich stellt die Pflegeversicherung für einen Bereich zur Verfügung, für den die Sozialhilfe bisher 14 Milliarden DM gezahlt und dabei ihre Leistungen von der Bedürftigkeit der Betroffenen abhängig gemacht hat. Durch die Pflegeversicherung endet für viele Pflegebedürftige und ihre Familien eine Situation, die - vor allem nach erfülltem Arbeitsleben - als unverdient und demütigend empfunden wurde. Die mit stationärer Pflegebedürftigkeit bislang allzuoft verbundene Abhängigkeit von der Sozialhilfe wird in ganz erheblichem Umfang reduziert. Durch die Leistungen der Pflegeversicherung wird die Sozialhilfe in Höhe von mehr als 10 Milliarden DM jährlich entlastet. Das Otto-Blume-Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik hat in einem Gutachten im Auftrag des BMG die Einsparungen in der Sozialhilfe durch die Pflegeversicherung mit 10,4 Milliarden DM für 1997 errechnet. Diese Berechnung deckt sich mit unseren Vorausschätzungen: Wir sind von 10 bis 11 Milliarden DM jährlich ausgegangen. Entschieden möchte ich der immer wieder öffentlich vorgetragenen Behauptung widersprechen, Menschen, die an Demenz, also Altersverwirrung leiden, würden nicht ausreichend berücksichtigt. Tatsache ist - das hat eine Untersuchung der Medizinischen Dienste in Thüringen, Westfalen-Lippe und Rheinland-Pfalz auf der Grundlage von 160 000 Gutachten zu Hause lebender Pflegebedürftiger ergeben -, daß Demenz die häufigste Diagnose in allen drei Pflegestufen ist. Hirnorganische und psychische Erkrankungen stellen in den Pflegestufen I und II über 30 Prozent der pflegebegründenden Erkrankungen dar, in der Pflegestufe III sogar 50 Prozent. Das alles sind Tatsachen, über die niemand hinweggehen kann. Erfreulich ist auch, daß die Pflegeversicherung finanziell auf festen Füßen steht. Die Pflegeversicherung wird bis Ende 1996 ein Finanzpolster von über 8 Milliarden DM haben. Auch für das Jahr 1997 ist von einer weiterhin positiven Finanzentwicklung auszugehen. Trotz dieser erfreulichen Entwicklung ist nicht die rechte Zeit für Begehrlichkeiten. Der Überschuß wird als Sicherheitsreserve für die Zukunft, insbesondere für künftig notwendige Anpassungen der Leistungen benötigt. Die Pflegeversicherung braucht Handlungsspielraum, um die Herausforderungen vor allem durch die demographische Entwicklung meistern zu können. Die Pflegeversicherung funktioniert, die Finanzen sind solide kalkuliert. Das schließt aber nicht aus, daß es Unzulänglichkeiten und einzelne Fehlentwicklungen geben kann, die dann, wenn sie erkannt werden, beseitigt werden müssen. Neue Erkenntnisse, die sich immer wieder ergeben, müssen berücksichtigt werden, damit die Pflegeversicherung bestmögliche Hilfe leisten kann. Vor einigen Monaten haben wir deshalb im 1. SGB XI-Änderungsgesetz Anpassungen vorgenommen, deren Notwendigkeit sich aus unseren Erfahrungen mit der 1. Stufe der Pflegeversicherung ergeben hatte. Nun gilt es, auch Erfahrungen mit der zum 1. Juli 1996 in Kraft getretenen 2. Stufe zu sammeln. Wenn sich auf Grund dieser Erfahrungen Veränderungsbedarf an der einen oder anderen Stelle ergibt, so werden wir uns zu gegebener Zeit solchen Notwendigkeiten im Interesse der Pflegebedürftigen und im Interesse der Pflegeversicherung selbstverständlich nicht verschließen. Anlage 6 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner 704. Sitzung am 8. November 1996 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 GG nicht zu stellen: - Gesetz zur Änderung des Bundesjagdgesetzes und des Waffengesetzes - Gesetz zur sozialrechtlichen Behandlung von einmalig gezahltem Arbeitsentgelt - Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs - Gesetz zur Änderung des Zustimmungsgesetzes zum Wismut-Vertrag - Gesetz zur Anpassung der wohngeldrechtlichen Überleitungsregelungen für das in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannte Gebiet (Wohngeldüberleitungsgesetz - WoGÜG) - Gesetz zu dem Übereinkommen vom 20. September 1994 über nukleare Sicherheit (Gesetz zu dem Übereinkommen über nukleare Sicherheit) - Gesetz zu dem Abkommen vom 30. März 1994 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Kuwait über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen - Gesetz zu dem Vertrag vom 28. Februar 1992 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Litauen über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen - Gesetz zu dem Vertrag vom 21. Januar 1994 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Namibia über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen - Gesetz zu dem Vertrag vom 30. Januar 1995 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Peru über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen - Gesetz zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes und anderer Gesetze (Umsatzsteuer-Änderungsgesetz 1997) Zu dem letztgenannten Gesetz hat der Bundesrat folgende Entschließung gefaßt: Der Bundesrat stellt zu Artikel 1 Nr. 3 Buchst. b und Artikel 2 Nr. 1 des Gesetzes fest, daß die Änderungen des § 3 a UStG und des § 1 UStDV im Zusammenhang mit den Telekommunikationsleistungen auf der Grundlage von Bleichlautenden Anträgen aller EU-Mitgliedstaaten nach Artikel 27 der 6. EG-Umsatzsteuer-Richtlinie erheblichen Zweifel deshalb begegnen, weil diese Vorschrift nicht die Aufgabe hat, das Verfahren zur Änderung von EU-Richtlinien zu ersetzen oder vorwegzunehmen. Da der Bundesrat an dem Verfahren nach Artikel 27 der 6. EG-Umsatzsteuer-Richtlinie nicht beteiligt ist, hat er - anders als bei Richtlinienvorschlägen - keine Möglichkeit zur rechtzeitigen Stellungnahme. Die Bundesregierung wird deshalb aufgefordert, künftig keine Anträge nach Artikel 27 der 6. EG-Umsatzsteuer-Richtlinie mehr zu stellen, die im Ergebnis einer Änderung einer Richtlinie mit Wirkung für alle Mitgliedstaaten gleichkommen. Die jetzt gefundene Lösung führt dazu, daß Telekommunikationsdienstleistungen innerhalb der EU, die an Leistungsempfänger mit Sitz im Drittlandsgebiet ausgeführt werden, gem. § 3 a Abs. 3 UStG nur im Drittlandsgebiet steuerbar sind, so daß es zu einer völlig uneinsichtigen Nichtbelastung mit Umsatzsteuer bei Privatpersonen aus Drittländern kommt, wenn diese im Gemeinschaftsgebiet telefonieren oder andere Telekommunikationsdienstleistungen in Anspruch nehmen. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung daher auf, bei den anstehenden Beratungen auf EU-Ebene einer Richtlinie zur endgültigen Regelung des Ortes der Telekommunikationsdienstleistungen nur zuzustimmen, wenn sichergestellt wird, daß bei Nichtunternehmern der Ort der Nutzung der Telekommunikationsdienstleistung für die Steuerbarkeit maßgeblich ist. Der Vorsitzende des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung hat mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung „Stärkung und Modernisierung der beruflichen Bildung" Drucksache 13/4213 - Unterrichtung durch die Bundesregierung 11. Bericht des Ausschusses für die Hochschulstatistik für den Zeitraum 1. Juni 1992 bis 31. Dezember 1995 Drucksachen 13/4433, 13/4726 Nr. 1.2 - Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EU- Vorlagen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Parlament zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat. Auswärtiger Ausschuß Drucksache 13/5550 Nr. 1.8 Drucksache 13/5555 Nr. 1.13 Drucksache 13/5555 Nr. 1.14 Drucksache 13/5555 Nr. 1.16 Rechtsausschuß Drucksache 13/2306 Nr. 2.57 Haushaltsausschuß Drucksache 13/4678 Nr. 2.38 Drucksache 13/5555 Nr. 2.55 Drucksache 13/5555 Nr. 2.57 Drucksache 13/5555 Nr. 2.69 Ausschuß für Wirtschaft Drucksache 13/4678 Nr. 2.47 Drucksache 13/5555 Nr. 1.4 Drucksache 13/5555 Nr. 1.7 Drucksache 13/5555 Nr. 1.11 Drucksache 13/5555 Nr. 1.20 Drucksache 13/5555 Nr. 2.1 Drucksache 13/5555 Nr. 2.7 Drucksache 13/5555 Nr. 2.11 Drucksache 13/5555 Nr. 2.12 Drucksache 13/5555 Nr. 2.13 Drucksache 13/5555 Nr. 2.15 Drucksache 13/5555 Nr. 2.23 Drucksache 13/5555 Nr. 2.30 Drucksache 13/5555 Nr. 2.43 Drucksache 13/5555 Nr. 2.47 Drucksache 13/5555 Nr. 2.51 Drucksache 13/5555 Nr. 2.52 Drucksache 13/5555 Nr. 2.56 Drucksache 13/5555 Nr. 2.59 Drucksache 13/5555 Nr. 2.61 Drucksache 13/5555 Nr. 2.65 Drucksache 13/5555 Nr. 2.73 Drucksache 13/5555 Nr. 2.93 Drucksache 13/5555 Nr. 2.95 Drucksache 13/5555 Nr. 2.99 Drucksache 13/5555 Nr. 2.102 Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Drucksache 13/5295 Nr. 1.9 Drucksache 13/5555 Nr. 2.2 Drucksache 13/5555 Nr. 2.3 Drucksache 13/5555 Nr. 2.4 Drucksache 13/5555 Nr. 2.8 Drucksache 13/5555 Nr. 2.9 Drucksache 13/5555 Nr. 2.17 Drucksache 13/5555 Nr. 2.18 Drucksache 13/5555 Nr. 2.72 Drucksache 13/5555 Nr. 2.78 Drucksache 13/5687 Nr. 2.8 Drucksache 13/5687 Nr. 2.27 Drucksache 13/5687 Nr. 2.37 Drucksache 13/5866 Nr. 1.6 Ausschuß für Gesundheit Drucksache 13/4636 Nr. 2.2 Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Drucksache 13/5555 Nr. 1.3 Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung Drucksache 13/4466 Nr. 2.48 Drucksache 13/4466 Nr. 2.55 Drucksache 13/5555 Nr. 2.45 Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksache 13/1799 Nr. 3.1 Drucksache 13/4636 Nr. 1.3
Gesamtes Protokol
Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1313900000
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Interfraktionell ist vereinbart worden, daß in der Haushaltswoche vom 26. November 1996 keine Befragung der Bundesregierung, keine Fragestunde und keine Aktuellen Stunden stattfinden. Sind Sie mit dieser Abweichung von der Geschäftsordnung einverstanden? - Das ist der Fall.
Die unter Tagesordnungspunkt 12a vorgesehene zweite und dritte Beratung des Gesetzes zur Verlängerung und Vereinheitlichung sachenrechtlicher Fristen entfällt, weil sie in der Beschlußempfehlung und im Bericht des Rechtsausschusses nicht, wie ursprünglich vorgesehen, enthalten ist.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 11 a und 11 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Neuordnung von Selbstverwaltung und Eigenverantwortung in der gesetzlichen Krankenversicherung (1. GKV-Neuordnungsgesetz -1. NOG)

- Drucksache 13/5724 - (Erste Beratung 128. Sitzung)

Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuß)

- Drucksache 13/6103 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid)

b) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Neuordnung von Selbstverwaltung und Eigenverantwortung in der gesetzlichen Krankenversicherung

(2. GKV-Neuordnungsgesetz - 2. NOG)

- Drucksache 13/6087 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Gesundheit (federführend) Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus Haushaltsausschuß
Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Ich weise darauf hin, daß wir im Anschluß an die Aussprache über das 1. GKV-Neuordnungsgesetz namentlich abstimmen werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Dazu höre ich keinen Widerspruch; wir verfahren so. Als erste in der Debatte spricht die Kollegin Eva-Maria Kors.

Eva-Maria Kors (CDU):
Rede ID: ID1313900100
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Gesetz zur Weiterentwicklung der Strukturreform in der GKV und dem Krankenhausfinanzierungsgesetz 1997 haben wir Gesetze vorgelegt und in diesem Hohen Hause verabschiedet, die sowohl die Verbesserung der Gestaltungsmöglichkeiten und die Stärkung der Finanzverwaltung der Krankenkassen als auch Maßnahmen zur Beitragsstabilisierung vorsahen.
Beide Gesetze sind durch die Blockadepolitik der SPD-geführten Länder im Bundesrat gescheitert. Wenn wir heute also zustimmungsfreie Gesetze vorlegen, dann liegt das einzig und allein an der Opposition; denn daß Handlungsbedarf besteht, dürfte unstrittig sein.

(Beifall des Abg. Wolfgang Zöller [CDU/ CSU])

Staatliche Budgetierungen und Reglementierungen sind, wie die vergangenen Jahre bis zum heutigen Tag gezeigt haben, keine Lösungsinstrumente für die Probleme in unserem Gesundheitswesen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Sie führen durch ständig notwendig werdende Beitragserhöhungen zur Erhöhung der Lohnnebenkosten und damit insbesondere zur Beeinträchtigung der Wettbewerbsfähigkeit unserer Betriebe.
Wenn wir weiterhin den medizinischen und medizin-technischen Fortschritt auch unter Berücksichti-

Eva-Maria Kors
gung der steigenden Lebenserwartung und der demographischen Entwicklung unserer Gesellschaft für unsere Bürgerinnen und Bürger nutzen wollen, kann es nicht so weitergehen wie bisher, ohne letztlich in Rationierung zu enden.

(Editha Limbach [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Unsere beiden heute auf der Tagesordnung stehenden Gesetze zur Neuordnung von Selbstverwaltung und Eigenverantwortung in der GKV beinhalten gesetzlich notwendige Maßnahmen, die die Eigenverantwortung sowohl des einzelnen als auch die der Selbstverwaltung stärken und damit den von der Selbstverwaltung immer wieder geforderten größeren Gestaltungsraum ermöglichen.

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1313900200
Frau Kors, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Pfaff?

Eva-Maria Kors (CDU):
Rede ID: ID1313900300
Nein, ich möchte heute geschlossen vortragen.
Im 1. GKV-Neuordnungsgesetz erschweren wir aus den von mir eingangs genannten Gründen Beitragsanhebungen und verbinden sie mit der gleichzeitigen Erhöhung von Zuzahlungen. Dies machen wir übrigens nicht, um die Versicherten zu ärgern, sondern dies soll die Krankenkassen veranlassen, ihre Aufgaben wahrzunehmen, nämlich ihre Wirtschaftlichkeitsreserven auszuschöpfen und bessere Verträge zu machen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abgeordneten Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.])

Begleitet werden unsere Maßnahmen von einem außerordentlichen Kündigungsrecht, das den Versicherten bei Beitragserhöhungen durch die Krankenkasse einen Wechsel zu einer anderen Krankenkasse ermöglicht. Bei Beitragssenkungen vermindern sich entsprechend die Zuzahlungen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist Logik!)

In den Fällen, in denen die Krankenkassen auf Grund des Risikostrukturausgleichs Beitragserhöhungen vornehmen, wird es - das möchte ich betonen - zu keinen Zuzahlungserhöhungen für die Versicherten kommen. Das haben wir von Anfang an immer gesagt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Das ist nichts Neues, und das ist auch kein Umfallen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Es ist die Unwahrheit verbreitet worden!)

Um insbesondere die chronisch Kranken vor unzumutbaren Zuzahlungen zu schützen, haben wir eine Verbesserung der Härtefallregelung in das Gesetz aufgenommen. Chronisch Kranke müssen, wenn sie länger als ein Jahr wegen der gleichen Krankheit behandelt werden, nach dem 1. Januar 1997 nur noch 1 Prozent und nicht mehr - wie bisher - 2 Prozent von ihrem Einkommen bezahlen.
Die Koalitionsfraktionen werden dieses Gesetz heute in zweiter und dritter Lesung verabschieden. Mit unserem Gesetzentwurf zum 2. GKV gehen wir den eingeschlagenen Weg zu mehr Selbstverwaltung und Eigenverantwortung in der gesetzlichen Krankenversicherung konsequent weiter. Wir müssen uns endgültig von der Vorstellung verabschieden, der Staat könne alle Belange der gesundheitlichen Versorgung der Bevölkerung erledigen. Das ist nicht der Fall; die Beteiligten können es viel besser.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Dr. Wolfgang Wodarg [SPD]: Mit dieser Regierung nicht!)

- Mit der Opposition noch viel weniger!
Das 2. GKV-Neuordnungsgesetz enthält deshalb neben Regelungen im zahnmedizinischen Bereich und dem Krankenhausbereich vor allem die Erweiterung der Gestaltungsmöglichkeiten der Selbstverwaltungspartner.
Lassen Sie mich auf den Krankenhausbereich zu sprechen kommen.

(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Das ist auch notwendig!)

Die Verantwortung für eine zügige Weiterentwicklung der Fallpauschalen und Sonderentgeltkataloge, die erstmals mit der Bundespflegesatzverordnung 1994 vorgegeben wurden, wird den Selbstverwaltungspartnern übertragen.
Die Höhe der Fallpauschalen und Sonderentgelte sowie die Höhe des Zuwachses des Krankenhausbudgets, also die - wie wir es nennen - Veränderungsrate, vereinbaren künftig die Selbstverwaltungspartner.

(Zuruf des Abg. Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU])

- Richtig, Herr Kollege Lohmann, das ist Vorfahrt für die Selbstverwaltung.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Sollte eine Einigung zwischen den Vertragsparteien nicht zustande kommen, dann kann eine auf Bundesebene einzurichtende Schiedsstelle angerufen werden.
Weitere Veränderungen sieht unser Gesetzentwurf im Bereich der Mehr- und Mindererlöse, der Großgeräteplanung und der Pflegepersonalregelung vor. Die von den Krankenhäusern erzielten Mehrerlöse für das Jahr 1997 müssen danach zu 75 Prozent - bisher zu 50 Prozent - des vereinbarten Betrages von den Krankenhäusern erstattet werden. Die Mindererlöse werden von den Kassen zu 50 Prozent - bisher 75 Prozent - ausgeglichen. Die Grollgeräteplanung wird abgeschafft und die Verordnung für die Pflegepersonalregelung aufgehoben. Letztere hat ihr Ziel längst erreicht; denn die Schaffung von 13 000 Perso-

Eva-Maria Kors
nalstellen ist um über 50 Prozent überschritten. Damit ist das Ziel ja wohl mehr als erreicht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Wir haben 26 000!)

Lassen Sie mich jetzt zu einem Thema im Krankenhausbereich kommen, das sich auch in den Gesprächen mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft und dem Verband der Krankenhausdirektoren immer wieder als Knackpunkt herausgestellt hat und für die Krankenhäuser von existentieller Bedeutung ist. Das ist die bisher ungelöste Frage der Übernahme der Instandhaltungskosten der Krankenhäuser.

(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Die Länder haben sich gedrückt!)

1993 hat das Bundesverwaltungsgericht eine Regelungslücke hierzu in der Abgrenzungsverordnung festgestellt. Seit dieser Zeit haben sich die Länder - außer Bayern - aus ihrer Verantwortung für diesen Bereich im Krankenhaus geschlichen. Seit dieser Zeit haben sich aber auch die Instandhaltungsaufwendungen, nach Schätzung der Deutschen Krankenhausgesellschaft: in Milliardenhöhe, aufgestaut. Das ist ein dicker Batzen, der in den Kassen der Länder verblieb.

(Anneliese Augustin [CDU/CSU]: Das ist ein Skandal!)

- Ja, das ist ein Skandal.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, obwohl wir die Verantwortung für die Instandhaltungskosten eindeutig bei den Ländern sehen,

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

dürfen und wollen wir - im Gegensatz zu Ihnen von der SPD - die Krankenhäuser hier nicht im Stich lassen.

(Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: Das mußte einmal gesagt werden! Jetzt steht es im Protokoll!)

Deshalb machen wir die Instandhaltungskosten für die Jahre 1997 bis 1999 pflegesatzfähig. Diese Kosten werden damit pauschal in Höhe eines Betrages von 1,1 Prozent der für die allgemeinen Krankenhausleistungen vereinbarten Vergütung finanziert.
Die den Krankenkassen so zusätzlich zur Verfügung stehenden Mittel von zirka 1 Milliarde DM pro Jahr müssen allerdings - darüber sind wir nicht so glücklich, aber das liegt an den Ländern; ich sage das immer wieder, ob es Ihnen paßt oder nicht - durch die Erhebung eines Sonderbeitrags der Versicherten von jährlich 20 DM für den Zeitraum von 1997 bis 1999 refinanziert werden.
Meine Damen und Herren, damit keine Zweifel aufkommen: Dies gilt für alle Versicherten, also auch für Beamte und Privatversicherte.
Ausgenommen von diesem Sonderbeitrag sind jedoch alle Versicherten mit so geringem Einkommen, daß sie unter die Sozialklausel der gesetzlichen Krankenversicherung fallen, sowie die mitversicherten Familienangehörigen.
Selbstverständlich entfällt dieser zusätzliche Beitrag für die Versicherten, die ihren Wohnsitz in einem Land haben, das die Instandhaltungskosten übernimmt.

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Bayern!)

- Jawohl, Herr Kollege Zöller, ich sage es gerne: zum Beispiel in Bayern.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Aber es ist bisher eben auch nur Bayern.

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wie so oft!)

Es liegt also an den Ländern, ihren Versicherten dieses sogenannte Notopfer - ja, meine Damen und Herren, ich nehme diesen Begriff auf; denn es ist ein Notopfer, das die Versicherten der Länder wegen zu zahlen haben -

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Weil die Länder nicht zahlen!)

zu ersparen. Sie können jederzeit beschließen, die Instandhaltungskosten zu bezahlen und damit die Ersparung des Notopfers wirksam werden zu lassen. Eine hoffnungsvolle Nachricht in diesem Zusammenhang gibt es bereits aus Sachsen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein heftig umstrittener Punkt in unserem 2. GKV-Neuordnungsgesetz ist die Erweiterung der Gestaltungsmöglichkeiten im Hinblick auf die Zuzahlungsregelungen und die Satzungsleistungen.
Wir sind davon überzeugt, daß die Krankenkassen auf Grund der bisherigen, ausgeprägten staatlichen Vorgaben in ihrem Gestaltungsspielraum zu stark eingeschränkt werden. Deshalb wollen wir in den folgenden Bereichen eine Änderung vornehmen: Wir geben der Selbstverwaltung die Möglichkeit zur erweiterten Vertragsgestaltung, zum Beispiel für Modellvorhaben. In ihre Satzung können die Krankenkassen darüber hinaus zukünftig eine Beitragsrückgewähr, einen Selbstbehalt bei Kostenerstattungen, Beitragsermäßigungen sowie die von mir bereits erwähnten Zuzahlungsregelungen aufnehmen.
Lassen Sie mich aber auch zum Thema Zuzahlungen etwas sagen. Wer die hohe Qualität unseres Gesundheitswesens, also den medizinischen und den medizin-technischen Fortschritt, wer also das deutsche Gesundheitswesen als eines der besten in der Welt auch in Zukunft für die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes sichern will, der muß den Mut aufbringen zu sagen, daß dies ohne Zuzahlungen in bestimmten Bereichen - oder anders ausgedrückt: ohne auf Dauer mehr Geld im System zu haben - nicht möglich sein wird.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben darüber hinaus die Möglichkeit eröffnet, Heilmittel, Fahrtkosten, Kuren und Rehabilitationen, häusliche Krankenpflege sowie bestimmte Auslandsleistungen

Eva-Maria Kors
im Rahmen der Satzungsleistungen aufzunehmen, die dann paritätisch getragen werden. Ausgenommen davon sind Anschlußrehabilitationen, Mütterkuren, Rettungstransporte und bestimmte Leistungen, die im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft oder im Rahmen von Sozialversicherungsabkommen übernommen werden.
Wir haben all diese Maßnahmen zur Erweiterung des Gestaltungsrahmens der Krankenkassen in das Gesetz aufgenommen, um den Krankenkassen zusammen mit ihren Vertragspartnern die Möglichkeit zu geben, die Versorgungsstrukturen und Leistungen wirtschaftlicher, patientenorientierter und für die einzelnen Regionen zielgenauer gestalten und anbieten zu können.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich sage mit Nachdruck: Wir haben den Gestaltungsrahmen nicht erweitert, um den Krankenkassen ein Instrument zur Leistungsausgrenzung an die Hand zu geben, und das noch zu Lasten der Behinderten und Kranken.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Dr. Wolfgang Wodarg [SPD]: Glatt gelogen!)

Sollten die Kassen beabsichtigen, das Angebot des Gesetzgebers zu mehr Gestaltungsmöglichkeiten und zu mehr Verantwortung zu mißbrauchen, um Risikoselektion zu betreiben, werden wir zu anderen Überlegungen kommen. Ob es sich zum Beispiel um häusliche Krankenpflege, um den Heilmittelbereich oder um Reha-Maßnahmen handelt: Eine Leistungsausgrenzung wird es mit den Stimmen meiner Fraktion nicht geben.

(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Wolfgang Zöller [CDU/ CSU]: Zustimmung bei der Opposition! Zurufe von der SPD)

- Ihr Verhalten in dieser Debatte ist im Grunde genommen schlimm. Aber wenn Sie unbedingt zur Erheiterung beitragen wollen, ist das in Ordnung.
Wir werden auf jeden Fall diesen Punkt - ob Sie das glauben oder nicht; wir werden es beweisen - im Laufe der parlamentarischen Beratungen und auch am 4. Dezember bei der Anhörung sorgfältig im Auge behalten. Darauf können Sie sich verlassen.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Klaus Kirschner [SPD]: Das war wirklich eine tolle Nummer!)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1313900400
Das Wort hat der Kollege Rudolf Dreßler.

Rudolf Dreßler (SPD):
Rede ID: ID1313900500
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die heutige Debatte zu den von der Koalition vorgelegten Neuordnungsgesetzen in der Krankenversicherung betrifft keinen isolierten, auf die Gesundheitspolitik beschränkten Vorgang.

(Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: Fein beobachtet!)

Diese Gesetze sind, ebenso wie das vorangegangene sogenannte Beitragsentlastungsgesetz, Bestandteil einer durchaus längerfristig angelegten gesellschaftspolitischen Strategie.

(Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: Auch das ist richtig!)

Diese Strategie richtet sich auf eine bewußte Unterhöhlung unserer sozialstaatlichen Ordnung.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN - Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: Das ist falsch! Die Einleitung war gut; der letzte Satz war schlecht! - Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Das nimmt Ihnen kein Mensch mehr ab!)

Die Fundamente unseres Sozialstaates sollen untergraben werden, und zwar so lange, bis er in sich selbst zusammenstürzt. Wer wollte bestreiten, daß die soziale Krankenversicherung eines dieser Fundamente ist, auf denen der Sozialstaat ruht. Die Koalition aus CDU/CSU und F.D.P. taktiert dabei durchaus trickreich, um die Öffentlichkeit von ihrem eigentlichen strategischen Ziel abzulenken. Sie wirft Nebelkerzen und legt Leimruten aus.

(Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: Was machen wir?)

Um eine besonders wirksame Nebelkerze handelt es sich bei den Begriffen und Titeln, mit denen die Koalition ihre einzelnen Gesetzesoperationen belegt.
Im konkreten Fall der heute zur Beratung anstehenden Gesetze soll deren Titel den Eindruck erwekken, als sei es das Anliegen, die soziale Krankenversicherung neu zu ordnen; „Neuordnungsgesetz" also. Überliest man ganz einfach die Titel und kommt direkt zu den Inhalten, so ist von Neuordnung keine Spur zu entdecken. Hier wird nicht neu geordnet, hier wird abgeschafft. Die Neuordnungsgesetze sind tatsächlich Zerstörungsgesetze.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS Widerspruch bei der CDU/ CSU)

Für die Koalition aus CDU/CSU und F.D.P. ist gesellschaftliche Solidarität von untergeordneter Bedeutung. Schlimmer noch: Sie ist störend und soll beiseite geräumt werden. Allerdings kann dieses eigentliche Ziel nicht offen angestrebt werden, weil den Menschen trotz 14 Jahre Kohl-Politik das nicht gleichgültig ist. Ablenkung ist daher angesagt. Zur Ablenkung dienen dann jene Leimruten, die als kalkulierte politische Boshaftigkeit die Menschen in Rage bringen.

(Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: Jetzt ist es aber gut!)

Ein besonders prominentes Beispiel ist die mit dem sogenannten Beitragsentlastungsgesetz vollzogene

Rudolf Dreßler
Abschaffung des 20-DM-Zuschusses zu den Brillengestellen. Das ist für viele ein Ärgernis. Aber es ist kein Punkt, über den sich gesellschaftliche Solidarität definieren ließe.
Während sich nun die Öffentlichkeit über diese Boshaftigkeit lang und breit erregt, räumt die Koalition hinter dem Vorhang der Erregung das ab, was mit Solidarität tatsächlich in ursächlichem Zusammenhang steht, etwa durch Abschaffung des Zahnersatzes als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung im gleichen Gesetz. Das war geschickt gemacht, denn es hat kaum einer gemerkt. Jugendliche erhalten keinen Zahnersatz mehr, hieß es. Egal, denkt da jeder, die brauchen eh keinen. Daß die Regelung aber festlegte, daß nach 1978 Geborene nie mehr, das heißt, für den Rest ihres Lebens, Zahnersatz erhalten werden, sollte dabei untergehen

(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Wieso denn das?)

Auch daß die Gesellschaft irgendwann nur noch aus nach 1978 Geborenen bestehen wird, die Zahnersatzleistung dann also tatsächlich völlig abgeschafft sein wird, sollte übersehen werden. Daß man den Jungen die Zahnersatzleistung wegnimmt, ihnen aber zugleich zumutet, ihn für die Älteren weiter zu bezahlen, sollte ebenso nicht ganz klarwerden.

(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Das ist solidarisch! Gegenruf der Abg. Monika Knoche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was? Das ist solidarisch?)

Daß damit der politische Zwang konstruiert wurde, die Zahnersatzleistung aus Gründen der Belastungsgerechtigkeit über kurz oder lang auch den Älteren wegnehmen zu können, war zwar durchaus beabsichtigt; aber auch das sollte niemandem allzu klarwerden.
Während also die öffentliche Meinung auf einen Nebenkriegsschauplatz gelockt wurde, ist an anderer Stelle zielgerichtet ein Stück gesellschaftlicher Solidarität beseitigt worden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Die Seehofersche Politik des treuen Augenaufschlages ist tatsächlich eine Politik der arglistigen Täuschung.

(Beifall bei der SPD und der PDS)

Deshalb ist bei den heute zur Beratung anstehenden Folgegesetzen mißtrauische Wachsamkeit erste Bürgerpflicht. Dieser Regierung darf man nicht mehr trauen; sie führt die Menschen hinters Licht.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Wenn man das erste und zweite sogenannte Neuordnungsgesetz unter inhaltlichen Gesichtspunkten bewertet und die SPD dabei zu einem negativen Urteil kommt, mag mancher sagen: Na klar, das müssen sie ja, sie sind ja Opposition. Ich werde mir das heute verkneifen und statt dessen die Wertungen anführen, die die gesamte deutsche Presse fast einheitlich diesen beiden Gesetzen zuteil werden ließ.
Auszüge: „Kranke bestraft", sagt die „Neue Osnabrücker Zeitung"; „Besser reich und gesund", kommentiert die „Berliner Zeitung"; „Schleichende Entsolidarisierung", sagt der „Tagesspiegel"; „Auf Kosten der Kranken", schreibt die „taz"; „Kranke sind die Verlierer", sagt die „Frankfurter Rundschau"; „Der Kranke zahlt", erklärt die „Sächsische Zeitung"; „Sägen am System", veröffentlicht die „Zeit"; „Beiträge steigen", sagt das „Handelsblatt".

(Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: Er ist jedenfalls sehr belesen!)

So oder ähnlich geistert es seit Wochen durch die Presselandschaft. Da bleibt eigentlich nur noch eine Alternative: Entweder sind die deutschen Journalisten durchweg von Sinnen und haben die Gesetze nicht gelesen, oder sie haben sie nicht nur gelesen, sondern auch verstanden und ungeachtet aller Nebelkerzen und Leimruten der Koalition als Machwerk enttarnt. Das ist der Punkt.

(Beifall bei der SPD und der PDS)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1313900600
Herr Dreßler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lohmann?

Rudolf Dreßler (SPD):
Rede ID: ID1313900700
Aber mit Vergnügen, mit größtem Vergnügen.

Wolfgang Lohmann (CDU):
Rede ID: ID1313900800
Herr Kollege Dreßler, Sie sprechen gerade von „arglistiger Täuschung" und zitieren aus der Presse. Ich habe gestern gelesen, daß Sie unsere Gesetze unter anderem so kritisieren: Es „drohen den Versicherten 1997 höhere Beiträge und Zuzahlungen, die leicht mehrere tausend Mark erreichen könnten. "
Wenn ich jetzt unter „mehrere tausend Mark" 2 000 DM verstehe - denn 1 000 DM wären ja nicht mehrere tausend Mark -: Kann es sein, daß die arglistige Täuschung von Ihnen versucht wird, indem Sie so tun, als würden Versicherte mit 2 000 DM zur Kasse gebeten, obwohl Sie doch genau wissen, daß es sich auf Grund der Überforderungsklausel dann schon um Versicherte handeln müßte, die deutlich mehr als 100 000 DM verdienen?

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Rudolf Dreßler (SPD):
Rede ID: ID1313900900
Herr Lohmann, Sie geben mir Gelegenheit, Ihren Fraktionskollegen, die sich mit anderen politischen Schwerpunkten beschäftigen müssen, eine kleine Aufklärung über die Hinterlist Ihres Gesetzentwurfes zu geben. Ich komme gleich noch einmal darauf zurück.

(Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: Frage beantworten!)

Frau Präsidentin, ich gehe davon aus, daß die Zeit gestoppt wird. Dann kann ich das nämlich zweimal

Rudolf Dreßler
sagen, schon alleine deshalb, damit es in wacher Erinnerung bleibt.

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1313901000
Herr Dreßler, entweder Sie beantworten jetzt die Frage, dann wird die Zeit gestoppt; wenn Sie sie jetzt nicht beantworten, dann wird auch die Zeit nicht gestoppt.

Rudolf Dreßler (SPD):
Rede ID: ID1313901100
Aber natürlich, ich beantworte die Frage.

(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Jetzt muß ich also wieder aufstehen!)

Die Hinterlist besteht in folgendem Zusammenhang und ergibt für die Betroffenen unmögliche Belastungszustände, die dem einzelnen aber nicht klar sind.

(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Zur Sache!)

- Herr Thomae, ich muß Ihnen einmal eines sagen: Wenn Sie hier ein Machwerk dieser Art vorlegen

(Zurufe von der CDU/CSU und der F.D.P.: Frage beantworten!)

- Sie haben es mit vorgelegt - und einer von Ihnen mich nach den Hintergründen fragt, dann müssen Sie ganz alleine mir überlassen, wie ich diese Frage beantworte, damit es auch allen von Ihnen klar wird. Sie bestimmen das nicht.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS - Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Das ist Stimmungsmache!)

Die Regierung hat hier folgendes vorgelegt, und die Koalitionsparteien tragen es: einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen einer notwendigen Beitragserhöhung der Krankenkassen und dem sich daraus zwanghaft ergebenden Muß für die Krankenkassen, die Zuzahlungen zu erhöhen, und zwar nach einem einfachen Muster: Jede Beitragserhöhung um 0,1 Prozent bewirkt automatisch eine Erhöhung der Zuzahlung bei Arzneimitteln von 1 DM oder von 1 Prozent, falls die Zuzahlung in Prozenten errechnet wird. Sie sollten sich vergegenwärtigen, welche Kosten zusätzlich allein beim Zahnersatz entstehen - nicht, weil die Zahnärzte raffgierig sind, sondern weil es wirklich so teuer ist.

(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Das muß man festhalten!)

- Ja, natürlich. Herr Lohmann, Sie müssen öfter Zeitung lesen, dann finden Sie solche Feststellungen von mir öfter und sind besser informiert.

(Editha Limbach [CDU/CSU]: Sollen wir noch mehr von dem Unsinn hören?)

- Regen Sie sich ab. Ich weiß, daß das Thema für Sie unangenehm ist. Heute morgen wird hier aber klar Schiff geredet, damit das klar ist.

(Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: Klar Schiff geredet, wie geht das denn?)

Eine Beitragserhöhung von 0,1 Prozent ergibt eine Zuzahlungserhöhung von 1 DM. Wenn eine Krankenkasse den Beitrag um 1,5 Prozent anheben muß - es gibt eine Reihe von Krankenkassen, die das müssen -, bedeutet das für den Patienten beim Kauf einer Arzneimittelpackung, bei dem heute eine Selbstbeteiligung in Höhe von 4 DM zu zahlen ist, in Zukunft eine Zuzahlung in Höhe von 19 DM. Was das zusätzlich zu den höheren Kosten des Zahnersatzes und dem Aufschlag von 15 DM auf das Krankentagegeld für einen chronisch Kranken bedeutet, macht deutlich: Das ist ein unmögliches Vorhaben, das Sie hier planen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der PDS Widerspruch bei der CDU/CSU)

Ich muß Ihnen sagen: Sie sollten sich schämen, der deutschen Öffentlichkeit so etwas durch Tricks verborgen zu halten. Wir werden für Aufklärung sorgen, damit diese Machwerke klarwerden und jedermann deutlich wird, was Sie im Gesundheitswesen anrichten.

(Beifall bei der SPD und der PDS sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Widerspruch bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Die sogenannten Neuordnungsgesetze sind eine schlimme sozialpolitische Entgleisung. Sie zerstören die soziale Krankenversicherung, belasten die Beitragszahler, besonders aber die Kranken. Sie sind - im Sinne des Wortes - für die Menschen untragbar.
Unter der wohlklingenden Überschrift „Wir müssen die Krankenversicherung fit machen für die Zukunft" werden in Wahrheit deren soziale Grundlagen zerstört. Wer die Vorschläge aus dem Hause Seehofer aufmerksam prüft, kennt das Ziel: Neuorientierung unserer Krankenversicherung an den Grundlagen der privaten Versicherungswirtschaft mit ihren typischen Elementen: Beitragsrückgewähr, Tarifdifferenzierung, Wahl- und Regelleistungen, um nur drei Beispiele zu nennen. Mit Sozialstaat hat all das wenig zu tun. Das bedeutet das Ende der sozialen Krankenversicherung.
Schritt für Schritt soll in der Krankenversicherung das solidarische Finanzierungselement zugunsten einer risikoorientierten Finanzierung zurückgedrängt werden. Mehr Geld für weniger Leistungen oder - schlimmer noch - der Gesunde zahlt wenig, der Kranke zahlt viel, so heißt dabei das Ergebnis.
Ich bin mir sicher: Sind die solidarischen Ausgleichsmechanismen unserer Krankenversicherung erst einmal zerstört, werden wir sie kaum je wieder instand setzen können.

(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: So etwas können Sie noch nicht einmal im Kindergarten erzählen!)

Daß es dem eigenen Fortkommen abträglich ist, wenn sich Politik bei diesem schlimmen Manöver selbst die Finger schmutzig macht, hat auch Herr Seehofer erkannt. Er überläßt das Geschäft daher gerne der Selbstverwaltung - wohl wissend, daß sie ein solches Geschäft gar nicht betreiben kann, es sei denn um den Preis ihrer Selbstlähmung.

Rudolf Dreßler
„Vorfahrt für die Selbstverwaltung" lautet sein Motto.

(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Das ist die richtige Lösung!)

Die Selbstverwaltung braucht Gestaltungsfreiheit, heißt es bei ihm weiter. Das sind Sprechblasen. Die Wahrheit ist primitiver. Die Selbstverwaltung soll Vorfahrt erhalten, weil der Verkehr im Gesundheitswesen mörderischer geworden ist. Gestaltungsfreiheit erhält sie doch nur dort und nur deshalb, wo und weil ein Watschenmann gesucht wird, der vor den Versicherten für die sozialen Gemeinheiten einstehen soll. Die Regierung drückt sich vor ihrer politischen Verantwortung.

(Beifall bei der SPD und der PDS sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Herr Seehofer will sich vor seiner politischen Verantwortung drücken, weil seine eigentlichen gesellschaftspolitischen Zielvorstellungen im dunkeln geblieben sind. Es gibt aber noch mehr Merkwürdigkeiten, wenn man sich die neue Stufe der Reformüberlegungen anschaut. Das fängt mit der intellektuellen Autorenschaft der Pläne an. Ausweislich eines Tonbandmitschnitts einer Rundfunkstation auf der Bundespressekonferenz, auf der der Bundesgesundheitsminister das neue Paket vorgestellt hat, hat er dazu wörtlich ausgeführt - ich zitiere -:
Mein innigster Dank gilt dem Beitrag, den die F.D.P. in den letzten Monaten zur Humanisierung meines eigenen Erwerbslebens geleistet hat in der Weise, daß sie mir erfreulicherweise sowohl das Denken als auch das Handeln abgenommen hat

(Lachen bei der der SPD Zuruf von der SPD: Unglaublich!)

und wir nur noch die Dinge, die die F.D.P. entwikkelt hat, in der Koalition noch absegnen mußten.
Ich zitiere weiter:
Das war eine wunderschöne Zeit, und insofern habe ich mit dem Ganzen auch nichts zu tun.

(Beifall bei der SPD - sowie bei Abgeordneten der PDS)

Meine Damen und Herren - mit Verlaub, Herr Seehofer, wenn das so ist, was wollen Sie dann eigentlich noch auf der Regierungsbank?

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Ein Minister als gehobener Notariatsangestellter ist nämlich eine Fehlbesetzung.

(Zustimmung bei der SPD)

Sie sollten nach Hause gehen, wenn ohnehin Herr Möllemann und seine F.D.P.-Truppe das Sagen haben.

(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Billiger geht's nimmer!)

Ganz abgesehen davon: Darauf, daß das neue Paket die Handschrift der F.D.P. trägt, wären wir von ganz allein überhaupt nicht gekommen. Daß dieser Hilfsverein für bestimmte Einkommenmilieus mit der sozialen Krankenversicherung nichts am Hut hat, ist ja nicht neu. Neu ist nur, daß die F.D.P. mittlerweile das Kommando im Hause Seehofer übernommen hat, der ja auch noch - koalitionspikanterweise - stellvertretender CSU-Vorsitzender ist.

(Editha Limbach [CDU/CSU]: Was ist daran auszusetzen?)

Vor wenigen Monaten sah das alles noch ganz anders aus, wenn es um die Lieblingsprojekte der F.D.P., wie etwa die Selbstbeteiligung, ging. Originalton Seehofer vor dem Deutschen Ärztetag in Stuttgart:
Ich halte die Selbstbeteiligung der Versicherten für ausgereizt; Selbstbeteiligung hat keine Steuerungswirkung, sondern ist reine Einnahmebeschaffung. Wenn jemand Einnahmen beschaffen will, ist es zutiefst unsozial, daß er die Kranken und chronisch Kranken belastet. Ich bin der Meinung, dann beteiligen wir die gesamte Bevölkerung, alle Versicherten daran.
Da sage ich: Richtig, meine Damen und Herren! Warum ziehen Sie aber nicht die Konsequenz daraus,

(Zuruf von der CDU/CSU: Die chronisch Kranken werden doch entlastet!)

sondern handeln mit den sogenannten Neuordnungsgesetzen wider Ihre richtige Erkenntnis und erhöhen das Selbstbeteiligungsvolumen massiv um fast 40 Prozent, Herr Seehofer,

(Editha Limbach [CDU/CSU]: Bei den chronisch Kranken halbiert es sich doch!)

nämlich von derzeit 13,3 Milliarden DM um 5,7 auf 19 Milliarden DM?

(Zuruf von der CDU/CSU: Was?)

Rund 125 Milliarden DM bringen die Versicherten derzeit an Beiträgen auf. Da setzt Herr Seehofer noch einmal 19 Milliarden als Zusatzsteuer ausschließlich für Kranke - genannt Selbstbeteiligung - drauf. Ich nenne das jedenfalls skandalös! Wenn Sie sich über dieses Gesetz freuen, ist das Ihr Problem!

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Und ich frage, Herr Seehofer, wie ist das mit folgendem Zitat aus Ihrer Stuttgarter Ärztetagsrede:
Wir können doch nicht seit Monaten in der Bundesrepublik eine Diskussion darüber führen, daß die Steuern und Abgaben für die Bevölkerung zu hoch sind, daß sie zurückgeführt werden müssen, nicht nur aus Gründen des Wirtschaftsstandortes

Rudolf Dreßler
Deutschland, und anschließend die Abgaben für chronisch Kranke erhöhen.

(Editha Limbach [CDU/CSU]: Wir haben sie zurückgeführt! Wolfgang Zöller [CDU/ CSU]: Sie haben das ja nicht einmal gelesen!)

Eine solche Politik werde ich - Seehofer -
nicht mittragen, obwohl ich weiß, daß viele Ordnungspolitiker nach wie vor der Meinung sind, daß eine Selbstbeteiligung gewissermaßen das Wundermittel zur Sanierung der gesamten Krankenversicherung sei.
Gilt das nicht mehr? frage ich. Warum tun Sie heute das Gegenteil?

(Zuruf von der CDU/CSU: Eben nicht!)

Wollen Sie die politische Schizophrenie zum neuen Grundsatz für Regierungspolitik machen, oder wie sehe ich das?

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Daß Sie sich über diese Zitate aufregen, das kann ich nicht nur verstehen, das ist auch von mir beabsichtigt, damit Ihnen mal klar wird, worüber Sie hier heute abzustimmen haben. Offensichtlich haben Sie das alles gar nicht gelesen!

(Widerspruch bei der CDU/CSU Editha Limbach [CDU/CSU]: Sie haben es offenbar nicht gelsen, Herr Dreßler!)

Was ist denn auf einmal geschehen, frage ich, daß das, was gestern wahr ist, heute nicht mehr wahr sein soll? Ich will es Ihnen sagen, meine Damen und Herren. Es geht Herrn Seehofer gar nicht um das Gesundheitswesen. Das ist ihm mittlerweile völlig gleichgültig. Es geht ihm nur noch um Machterhalt.

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Ihre eigenen Leute, die das gelesen haben, verstehen ja Ihre Ausführungen nicht mehr!)

Und wenn dabei politische Grundsätze hinderlich sind, was soll's, weg mit ihnen, heißt dann seine Parole.
Am 30. Juli konnten wir in der „Welt am Sonntag" lesen - ich zitiere -:
Ich kenne keine konkreten Pläne der FDP. Ich höre nur von den Vorstellungen, daß mehr Eigenbeteiligung der Patienten oder Differenzierungen nach Regel- und Wahlleistungen der Kassen Schwerpunkte der FDP sein könnten. Aber das ist der falsche Ansatz.
Wenn man die heutigen Gesetzesvorlagen sieht, dann hat Herr Seehofer die politischen Pläne der F.D.P. ganz schnell kennengelernt, und den eigentlich falschen Ansatz hat er ganz schnell zum vermeintlich richtigen ummanipuliert. Die zukünftig geplante Verknüpfung von notwendigen Beitragssatzerhöhungen mit der Erhöhung der Selbstbeteiligung - ich habe in der Antwort auf die Zwischenfrage soeben darauf hingewiesen - ist nicht nur eine sozialpolitische Bankrotterklärung, sie ist auch systematisch für ein solidarisch finanziertes Versicherungswesen von bemerkenswerter intellekteller Qualität.

(Widerspruch bei der CDU/CSU)

Es scheint offensichtlich Leute zu geben, die leben in der Vorstellung, es wäre die Lieblingsübung der Krankenkassen, zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit die Beitragssätze zu erhöhen; deshalb müsse man da politische Bremsen - und funktionierten sie noch so infam - einbauen.
Die Stammkundschaft der gesetzlichen Krankenkassen - das sind ja bekanntlich die Mitglieder der F.D.P.-Bundestagsfraktion; die sind höchstwahrscheinlich alle in der Gärtnerkrankenkasse wegen der Pflege der Landschaft - hat bei der Entdeckung einer solchen Idee übersehen, daß es Gesetzesvorschriften gibt, nach denen sich jede einzelne Krankenkasse zu richten hat. Sie hat nämlich von Gesetzes wegen einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen. Die gesetzliche Verpflichtung zwingt die Kasse zu Beitragssatzerhöhungen, wenn mit den erwarteten Einnahmen die zu erwartenden Ausgaben nicht zu bedienen sein werden. Herr Möllemann, das geschieht nicht aus Jux und Tollerei wie Herr Seehofer seit geraumer Zeit der Öffentlichkeit einzureden versucht, sondern ist die gesetzliche Pflicht der deutschen Krankenkassen. An dieser Pflicht können Sie nicht herummanipulieren, und Sie können nicht die Krankenkassen für einen Zustand verantwortlich machen, den die Politik diesen Krankenkassen aufgebürdet hat.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Man stelle sich die Lage vor, wie die sogenannten Neuordnungsgesetze sie herbeiführen werden: Einer Krankenkasse durch Gesetz die Beitragssatzerhöhung vorschreiben, dann den Mitgliedern der Kasse für diesen Fall eine sofortige Kündigungsmöglichkeit einräumen, dann die Kasse durch eine parallele Zwangserhöhung der Selbstbeteiligung dazu bringen, die Mitglieder gleichsam indirekt auch noch hinauszuwerfen, und dann noch behaupten, das Ganze sei wettbewerbsfördernd. Das nenne ich schlicht pervers.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Man stelle sich vor, diese Regierung hätte in den vergangenen 14 Jahren ihre Steuerpolitik mit solchen Mechanismen versehen, etwa nach der Regel: Jede Steuererhöhung - davon gibt es ja etliche - wird mit einem sofort wirksamen Kündigungsrecht für die deutsche Staatsbürgerschaft verknüpft. Die Bundesrepublik wäre vor zehn Jahren mangels Staatsbürgern geschlossen worden, denn wir alle wären Luxemburger oder Liechtensteiner geworden.
Man muß sich wirklich einmal die Mühe machen, praktisch nachzuvollziehen, zu was die beiden vor-

Rudolf Dreßler
liegenden Gesetze führen werden. Die Krankenkassen werden am Ende des Jahres ein Defizit von 14 Milliarden DM vor sich herschieben. Dazu kommt eine gesetzlich erzwungene Beitragssatzabsenkung von 0,4 Prozent, die noch nicht einmal annähernd durch die erste Tranche der Seehoferschen Gesetzesgrobheiten ausgeglichen wird.

(Zuruf von der CDU/CSU: Der will Spitzenpolitiker sein!)

Um zu verhindern, daß diese Defizite ins Uferlose steigen, werden die Krankenkassen gezwungen sein, massive Beitragssatzerhöhungen vorzunehmen, und zwar Beitragssatzerhöhungen, die nicht auf den Risikostrukturausgleich zurückzuführen sind. Insofern ist die am Mittwoch im Ausschuß für Gesundheit von der Koalition für diesen Sonderfall vollzogene Teilkorrektur weiße Salbe.
Diese Beitragssatzerhöhungen werden flächendekkend sein: von der AOK Bayern bis zum Betriebskrankenkassensystem in Berlin. Ich habe Ihnen soeben die Zahlen im einzelnen genannt und die Beträge, die von den Leuten aufzubringen sind. Ich will sie aber sicherheitshalber wiederholen, damit wir es festhalten: Die tägliche Zuzahlung der Patienten im Falle der Berliner Krankenkassen - 1,5 Prozent Beitragserhöhung stehen an - steigt von 12 DM Krankenhaustagegeld auf 27 DM; die Zuzahlung von Fahrtkosten steigt von 20 DM auf 35 DM, diejenige bei Heilmitteln, soweit es die überhaupt noch auf Kassenrezept gibt, von 10 Prozent auf 25 Prozent der Kosten, die bei Mütterkuren von 12 DM auf 27 DM pro Tag;

(Zuruf von der CDU/CSU: Die sind ausgenommen!)

bei stationärer Rehabilitation steigt sie von 25 auf 40 DM und bei Arzneimitteln von 4 auf 19 DM, von 6 auf 21 DM und von 8 auf 23 DM.

(Widerspruch bei der CDU/CSU Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Wie war das mit den Härtefällen, Herr Dreßler? Sie lügen bewußt!)

Mit Verlaub, meine Damen und Herren, wenn das nicht unparlamentarisch wäre, würde ich die Damen und Herren der Koalition jetzt fragen: Haben Sie eigentlich einen an der Waffel?

(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der PDS)

Aber da das unparlamentarisch ist, beschränke ich mich auf die Feststellung: Wer eine derartige Gesundheitspolitik betreibt, dem gehört der politische Führerschein entzogen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: Sie brauchen sich nicht weiter zu beschränken!)

Ich höre schon die Einrede: Typisch SPD, die nehmen wieder Extrembeispiele. Abgesehen davon, daß das für die Versicherten der Betriebskrankenkassen in Berlin ein reichlich schwacher Trost wäre, entspräche diese Einrede nicht den Tatsachen. Angesichts der aufgelaufenen Defizite werden die Beitragssatzerhöhungen um 1 Prozentpunkt flächendeckend sein.

(Zuruf von der SPD: Das sind Waffelbäkker!)

Die Koalition will die Streichung von Leistungen auf wichtigsten gesundheitspolitischen Feldern durch die Selbstverwaltung der Krankenkassen erzwingen. Denn wenn sie das nicht wollte, warum hat sie dann erst die gesetzliche Möglichkeit dazu geschaffen? Das, was hier heute morgen von der Kollegin gesagt wurde,

(Editha Limbach [CDU/CSU]: War gut!)

widerspricht dem Gesetzestext. Der Gesetzestext besagt eindeutig, daß diese Leistungen von der Selbstverwaltung ausgegrenzt werden sollen, und zwar in einer Höhe von 16 Milliarden DM.

(Widerspruch bei der CDU/CSU)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1313901200
Herr Dreßler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lohmann?

Rudolf Dreßler (SPD):
Rede ID: ID1313901300
Nein, jetzt nicht mehr, Frau Präsidentin. Jetzt wird sich Herr Lohmann anhören, was das bedeutet.
Damit klar ist, was unter anderem auf der Streichliste steht, erwähne ich: häusliche Krankenpflege, Volumen: 3,3 Milliarden DM; Fahrtkosten, Volumen: 1 Milliarde DM; Kuren und Rehabilitation, Volumen: 5,1 Milliarden DM; Heilmittel, physikalische Therapie, Krankengymnastik, Sprachtherapie nach Schlaganfall oder bei stotternden Kindern, Volumen: 5,4 Milliarden DM.
Meine Damen und Herren, ich muß Ihnen sagen:

(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: „Ich habe gelogen"!)

Es ist zynische Politik, was Sie hier machen.
Die SPD-Bundestagsfraktion macht sich gemeinsam mit den Gewerkschaften, den Verbänden des Sozial- und Gesundheitswesens, den Krankenkassen, aber auch gemeinsam mit Millionen sozial verantwortlich fühlenden Menschen in unserem Land zum Sprecher der vielen, die von diesen Maßnahmen betroffen sind. Ich sage Ihnen, auch wenn Sie hier heute morgen dies alles nicht wahrhaben wollen: Denken Sie darüber nach! Ich sage in Richtung von CDU/CSU und F.D.P.: Kommen Sie heute morgen endlich noch zur Vernunft; ziehen Sie diese unanständigen Gesetze zurück!

(Anhaltender Beifall bei der SPD Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der PDS)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1313901400
Das Wort hat die Kollegin Monika Knoche.


Monika Knoche (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1313901500
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Herren und Damen! Es ist an der Zeit, klar einzuordnen, was unter dieser Regierung mit dem Gesundheitswesen geschieht. Wir Grüne betrachten den irrational anmutenden Aktionismus, das öffentliche Jagen und Abstrafen immer neuer Schuldiger mit großem Ernst. Dieses Gesetzesgefuchtel, das sich zu einer neuen politischen Plage für 70 Millionen Versicherte auswächst, verkaufen Sie auch noch als unausweichliche Sparmaßnahme.
Wer den Fehler macht, sich auf die falschen Kostenargumente einzulassen, läuft Gefahr, sich an dem Paradigmenwechsel zu beteiligen. Im Kern zielt die Regierung gegen einen zivilisatorischen Konsens, die solidarische Gesundheitsversorgung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der PDS)

Die Sicherheit der einzelnen Menschen, im Fall von Krankheit gleichgestellt zu sein,

(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Ist gewährleistet!)

ist Voraussetzung dafür, daß die Menschen überhaupt Eigenverantwortung tragen können. Schließlich ist Gesundheitsversorgung kein Konsumgut, auf das man verzichten könnte. Sie ist auch kein Objekt, das man voll oder teilweise versichern kann.
Meine Herren und Damen, haben Sie aus dem Munde des Gesundheitsministers je erfahren, was sein gesundheitspolitisches Credo ist, von welchem Krankheitsverständnis er geleitet wird? Wissen diese Herren und Damen noch, was Kranksein für die existentielle, soziale und psychische Identität bedeutet? Weiß der Minister nicht, wie unschätzbar hoch das Recht auf umfassende gleiche Versorgung zu werten ist? Muß nicht unzweifelhaft gelten, daß Ärztinnen und Ärzte das Notwendige und nicht nur noch das Versicherte verordnen können?
Es ist schlichtweg nicht zu verstehen, warum unser leistungsfähiges und soziales Gesundheitswesen als ein herausragender Standortfaktor nicht verteidigt wird. Ist nicht bekannt, wie viele hochqualifizierte Arbeitsplätze es sichert und schaffen kann? Weiß man in der Regierung nicht mehr, daß es, weil es solidarisch finanziert ist, ein kostengünstiges ist, um das wir weltweit beneidet werden?
Darüber muß gesprochen werden, wenn von Reformen die Rede ist. Das Gesundheitswesen rein fiskalischen Bewertungen zu unterwerfen, seinen kulturellen Wert nicht zu erkennen und es obendrein nach ökonomisch falschen Parametern zu bemessen, das ist angesichts der Folgen, die diese Kürzungsexzesse nach sich ziehen, vermessen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)

Es ist an der Zeit, zu sagen, daß die Antwort auf die Frage, welches Gesundheitswesen wir in Zukunft haben werden, zugleich eine darauf ist, ob es auf einem bürgerrechtlichen Selbstverständnis gründet. Denn
„Gesundheitsreform" kann nur ein emanzipatorisches Projekt sein. Deshalb muß sie von den Versicherten und von den Kranken her gedacht und für sie gemacht werden.

(Beifall der Abg. Dr. Ruth Fuchs [PDS])

Die Regierung ist dabei, ein intaktes Gesundheitssystem zu ruinieren. Die Dramatik liegt nicht in der aktuellen Finanzierungskrise. Die läßt sich mit etwas Mut gegenüber der Pharmalobby, mit gerechter Wut gegenüber marktradikalen Arbeitgebern und mit systemimmanenten Reformen beheben. Das ist keine Frage. Die Dramatik liegt darin, daß die Regierung die Einnahmekrise dazu mißbraucht, einen Systembruch einzuleiten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)

Es ist ein Bruch mit der Basis der hälftigen Arbeitgeberfinanzierung der Kassenausgaben. Es ist ein Zurückschrauben historischer Errungenschaften der Gesundheitsbewegung und ein Verdrängen des emanzipatorischen Gesundheitsbegriffs selber. Für diesen Schritt hat diese Regierung keine demokratische Legitimation. Die Tatsache, daß Sie die Kanzlermehrheit haben, bedeutet nicht, daß Sie auch einen Auftrag der Wählerinnen und Wähler haben.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der PDS Widerspruch bei der CDU/CSU)

Wenn Sie, auf Geheiß der F.D.P. das ganze System verändern, dann heißt das doch, daß Sie selber keine Wertebindungen mehr haben.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der PDS Widerspruch bei der CDU/CSU)

Nirgendwo, weder in der wissenschaftlichen Fachwelt noch bei den Kassen und den Ärztinnen und Ärzten, nicht in den Ländern und nicht in der Breite des Parlamentes haben Sie dafür eine Mehrheit. Was Sie haben, ist lediglich die F.D.P.

(Zustimmung bei der SPD Zuruf von der F.D.P.: Ha! Ha!)

Sie gehen am Bundesrat vorbei. Das mag Ihnen ein machtpolitisches Gefühl der Stärke verleihen. Aber Größe hat es nicht.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der PDS)

Zu den aktuellen Defiziten: Es gibt keine Kostenexplosion. Ihnen geht es auch nicht um sinnvolles Sparen. Es ist nun einmal wahr, daß nicht die Ausgaben unverhältnismäßig gestiegen sind, sondern die Lohnquote gesunken ist.

(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Das ist doch nicht wahr! Es gibt nach wie vor keinen Rückgang auf der Einnahmeseite!)

Es gibt ein Einnahmeproblem, weil es Massenarbeitslosigkeit gibt. Und trotzdem könnten die Kassen

Monika Knoche
gesund sein, wenn Sie unsere Strukturreformen umsetzten.
Ein Vorschlag ist, die Pflichtversicherungsgrenze anzuheben. Das entspricht einem Einnahmezuwachs von zirka 10 Milliarden DM, und es wäre gerecht.

(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Die neue Discokultur, wie Sie es nennen!)

Ein anderer ist, die gesetzesbedingten Mindereinnahmen von 5 Milliarden DM aus Renten- und Arbeitslosenversicherung steuerzufinanzieren. Und Sie müßten die unmäßigen Pharmainteressen zurückweisen, deren Verfolgung Sie bekanntermaßen 3 bis 5 Milliarden DM im Jahr kostet.
Es gibt keine Not, aber die Notwendigkeit, die Ineffizienzen im System zu beseitigen. Die liegen in der fehlenden Verzahnung des ambulanten und stationären Sektors. Das umgehen Sie völlig. Seriöse Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beziffern das Einsparpotential auf nahezu 20 Milliarden DM im Jahr. Und Ihnen fällt nichts anderes ein, als zu Leistungskürzungen für Kranke zu greifen. Das ist einfach unglaublich.
Wer aber das System verändern will, muß nachweisen, daß es nicht reformierbar ist.

(Zuruf von der CDU/CSU: Es wird ja reformiert!)

Diesen Nachweis können Sie nicht erbringen. Deshalb operieren Sie mit ökonomisch unlauteren Zahlenrelationen, sprechen von einer Ausgabendynamik, die es so nicht gibt, und hoffen, daß Ihnen in der Öffentlichkeit Ihre immer falschen Krisendiagnosen irgendwann abgenommen werden. Die Öffentlichkeit weiß aber, daß da etwas Grundsätzliches nicht stimmt. Sie spürt: Wenn Krankheit finanziell bestraft wird, ist etwas mit der Verteilungsgerechtigkeit nicht in Ordnung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)

Es ist niemand anderes als die Regierung selber, die Stimmung gegen das Solidarprinzip macht. Sie spaltet Gesunde und Kranke, sie zwingt die Kassen dazu, nicht mehr im gesundheitlichen Interesse der Versicherten zu handeln. Die Regierung ist verantwortlich, wähnt sich aber bei den weiteren Diskussionen fein raus.
Es wird eine neue Diskriminierung kommen, vor der sich insbesondere Ärmere nicht schützen können.

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Die zahlen überhaupt nichts zu, die Ärmeren! Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Ja, genau das Gegenteil ist richtig!)

Nichts ist für Kranke demütigender, als zu erfahren, daß sie, weil sie nicht voll leistungsfähig sind, mehr zahlen müssen oder als Kostenlast erlebt werden. Eine solche Entwicklung zieht eine Entzivilisierung des Verständnisses von Krankheit und des Umgangs mit Kranken nach sich. Ohne diesen Blick auf das
Ganze wäre auch die schärfste Kritik an diesen beiden Gesetzentwürfen verkürzt, weil sich alles ändert und nichts bleibt, wie es ist, nicht die Kassenleistungen, nicht die Kassenlandschaft, selbst das Arzt-Patient-Verhältnis nicht.
Zum 1. NOG: Mit der Verknüpfung von Beitragssatz und Zuzahlung zahlen ausschließlich Kranke neben den Beiträgen unbegrenzte Strafbeiträge in Form von höheren Arzneimittel- und Krankenhauskosten. Man stelle sich vor, in einer Apotheke müßten von zwei Patientinnen je nach Kasse für ein und dasselbe Medikament die eine 4 DM und die andere 10 DM zuzahlen, und das nur, weil beispielsweise eine neue Entlassungswelle die Versicherten einer Kasse heimgesucht hat oder die Rationalisierungsreserven der Kassen erschöpft sind.

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Die können doch die Kasse wechseln!)

Sie zahlen höhere Beiträge un d höhere Selbstbeteiligung. Für die Kassen heißt das, daß über Härtefallregelungen von Zuzahlung befreite ärmere Versicherte zu einem zusätzlichen Kostenfaktor werden. Was nützt denn dann den Versicherten das Kündigungsrecht? Wie attraktiv sind Sozialkassen dann noch für gutverdienende, freiwillig Versicherte?

(Klaus Kirschner [SPD]: Sehr wahr!)

Sie können doch gleich in die Privatkassen abwandern.

(Zuruf von der SPD: Das wollen die doch!) Das ist es, was Solidarität zerstört.


(Klaus Kirschner [SPD]: Ein Programm für Privatversicherte!)

Es ist eine Abwärtsspirale, die alle GKVen erfaßt und sie zu Leistungsausgrenzungen zwingt. Auf die Suche nach kostengünstigen Kassen geschickt, wird es für die Versicherten überall nur eines geben: höhere Beiträge, höhere Zuzahlungen und immer weniger Leistungen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)

Meine Herren und Damen, es bereitet uns Grünen überhaupt keine Genugtuung, uns in all unseren Prognosen über die systematische Einführung der Zweiklassenmedizin bestätigt zu sehen.

(Zuruf von der CDU/CSU: So etwas Dummes!)

Frühzeitig und eindringlich haben wir davor gewarnt, daß der Wettbewerb, daß Gesundheit auf dem Markt als Totengräber des einheitlichen Leistungskatalogs fungiert, daß die schleichende Amerikanisierung teuer wird und daß Wahlfreiheit zu Ungleichheit degeneriert. Natürlich haben Sie all unsere Reformvorschläge ignoriert, aber große gesellschaftliche Gruppen fordern sie.
Noch etwas zum 2. NOG: Was bedeutet es? Durch die Einführung von Kostenerstattung, Beitragsrückgewähr und Selbstbehalt zahlen künftig Kranke Gesunde aus. Die Garantie des ungeteilten Sachlei-

Monika Knoche
stungsprinzips ist passé. Die Finanzierungsbasis der Solidarkassen wird zusätzlich geschmälert. Es wird ein Kassensterben geben und der Monopolisierung Vorschub geleistet. Es wird ein ganzheitliches vorbildliches Versorgungswesen nur noch für die geben, die es sich leisten können. Die nunmehr als Satzungsleistung deklarierten Heilmittel und häusliche Krankenpflege werden auf Dauer ein ruinöses Luxusangebot für jene Kassen werden, die um die sogenannten schlechten Risiken werben.

(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Eine bewußte Falschmeldung!)

So heißen dann Kinder mit Behinderungen, Parkinson-Erkrankte, Rheumatikerinnen und andere. Soziale Kassen gehen im Konkurrenzkampf unter. Diese Art der Selbstverstümmelung als Akt der Kassenselbstverwaltung zu erzwingen ist einer humanistischen Gesundheitspolitik nicht würdig.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Noch schlimmer als Herr Dreßler!)

Es soll aber die historische Einordnung nicht vergessen werden. Die Solidarkassen haben sich auf der Basis der hälftigen Finanzierung durch die Arbeitgeber als die ökonomisch und sozial überlegenste und stabilste Gesundheitssicherung erwiesen. Sie sind, weil sie weitgehend frei von steuer- und haushaltspolitischen Einflüssen der Regierungen geblieben sind und weil sie den Versicherten gehören, auch immer sozialen Zielen verpflichtet geblieben. Alle Versicherten konnten an den medizinischen, psychosozialen und ganzheitlichen Entwicklungen und einer umfassenden Gesundheitsversorgung teilhaben. Sie wollen das auch heute noch. Es sind die Kassen, meine Herren von der CDU, die sagen: Es ist eine gefährliche Form, über Gestaltungsleistungen Risikoselektion zu betreiben.

(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Frau Knoche, wo ist denn Ihr Konzept?)

Die Kassen sagen: Es hilft nicht, zu beteuern, daß man das nicht will. Fakt ist, daß es so wird.

(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Es wird so nicht!)

Es wird eine gesellschaftliche Brisanz entfacht, die ohne Vergleich ist.

(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Die wird von Ihnen geschürt, Frau Knoche! Das ist wahr!)

Damit kein Irrtum bleibt: Bundesminister Seehofer weiß ganz genau, wohin er das Gesundheitswesen treibt.

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Führt!)

Vorgestern stellte er sich erneut an die Spitze aller Kürzungskommissare. Ob er seine Untaten

(Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: „Untaten"! Das ist eine Diktion hier!)

an anderen Orten damit relativieren will, sei dahingestellt. Er streicht freiwillig seinen minimalen disponiblen Haushaltsteil um sage und schreibe 60 Prozent. Das heißt, Modellprojekte für Psychiatrie, präventive Drogenpolitik, Aidsprävention und vieles mehr, viele wissenschaftlich begleitete Selbsthilfeprojekte, stehen vor dem Aus.

(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Sie sind der Meinung, es darf nirgendwo gespart werden!)

Den Kassen hat er Prävention und Gesundheitsförderung bereits gestrichen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Ist auch wieder falsch, was Sie sagen!)

Mit Gesundheitsförderung hat das alles nichts mehr zu tun. Der Minister hat Gesundheitspolitik schlichtweg satt.

(Zuruf von der CSU/CSU: Daß er Sie satt hat, kann man verstehen!)

Als Fachminister ist er gescheitert. Sein Machtstreben ist aber unbegrenzt. Er hat keine Skrupel, die Interessen der Gesunden und der Kranken zu verraten.
Danke.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1313901600
Das Wort hat der Kollege Jürgen W. Möllemann.

Jürgen W. Möllemann (FDP):
Rede ID: ID1313901700
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Lage legt heute sein Gutachten für 1996/1997 vor. Er wird dabei dem Vernehmen nach darlegen, daß wir nach seiner Einschätzung im kommenden Jahr ein Wachstum von 2,5 Prozent haben werden, aber gleichzeitig eine steigende Arbeitslosigkeit. Die Zahl der offiziell arbeitslos Gemeldeten wird nach seiner Prognose im nächsten Jahr die 4-Millionen-Grenze überschreiten.

(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Wer ist denn an der Regierung?)

Das heißt, sie wird in Wahrheit natürlich deutlich höher liegen, wenn man diejenigen hinzurechnet, die in Umschulung, Weiterbildung, AB-Maßnahmen oder Vorruhestand sind.
Vor diesem Hintergrund unterhalten wir uns in diesen Wochen bei verschiedensten Tagesordnungspunkten dieses Parlaments über die Kernfrage, wie es uns gelingen kann, zu verhindern, daß noch mehr Menschen ihren Arbeitsplatz verlieren, und dafür zu sorgen, daß von den vier Millionen oder - wenn wir die vorhin Genannten hinzurechnen - mehr als fünf Millionen Menschen möglichst viele wieder die Chance bekommen, einen Arbeitsplatz zu erhalten.

(Zuruf von der SPD: Das wollen Sie doch gar nicht! Gegenrufe von der CDU/CSU: Eine Gemeinheit! Eine Unverschämtheit!)


Jürgen W. Möllemann
- Ich will Ihnen jetzt einmal etwas sagen, verehrter Kollege. Ich habe mir angehört, wie Sie heute, vor Erregung und Empörung triefend, Begriffe wie „unanständig",

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS Zuruf von der SPD: Richtig! Wolfgang Zöller [CDU/ CSU]: „Pervers"!)

„pervers", „Untaten" und ähnliches verwendet haben. Es ist nicht in Ordnung, wenn Sie unser Ringen um den besten Weg zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit damit verderben,

(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der CDU/CSU)

daß Sie sagen: Da sitzt der Anstand, dort die Unanständigkeit. Sie zerstören damit ein vernünftiges Beratungsklima.

(Widerspruch bei der SPD)

Wir können uns in der Sache wirklich streiten und einen Wettbewerb um die besten Konzepte austragen. Aber wenn Sie unsere Konzepte als „Unanständigkeit", „Perversität" und „Untaten" benoten,

(Zurufe von der SPD: Jawohl! Das ist unsere Aufgabe!)

dann muß ich Ihnen sagen: Damit kann man einen vernünftigen Dialog nicht mehr führen. Ich bitte Sie herzlich: Lassen Sie das!

(Widerspruch bei der SPD)

Herr Dreßler, an Ihre Adresse und auch an die Ihres Nachbarn eine ganz spezielle Bemerkung: Sie haben vorhin die F.D.P. als „Hilfsverein" zur Bedienung bestimmter Einkommensschichten diskreditiert.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS Zuruf von der SPD: Genauso ist es!)

Ihr Nachbar Scharping hat nichts dabei gefunden, sich durch diesen von Ihnen so genannten - was mit Beifall bedacht wurde - „Hilfsverein" zum Ministerpräsidenten wählen zu lassen. Ich finde es unanständig, daß Sie bei Bedarf Parteien diskreditieren, bei denen Sie anderntags einkommen, damit Sie eine Mehrheit bekommen können. Sparen Sie sich solche Bemerkungen!

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Zuruf des Abg. Rudolf Scharping [SPD])

- Herr Kollege Scharping, Sie wissen ganz genau, daß Herr Dreßler mit dieser Bemerkung Mist gebaut hat, und Sie sollten ihm das sagen.

(Heiterkeit bei der F.D.P. und der CDU/CSU Lachen bei der SPD Zuruf von der SPD: Sie waren auch schon besser!)

Zurück zum Ausgangspunkt. Wir stellen uns die Frage, wie wir eine der Ursachen für die steigende Arbeitslosigkeit - das sind nach dem Urteil aller Sachverständigen und aller Institute die im internationalen Vergleich zu hohen Lohnkosten und Lohnnebenkosten - eingrenzen können. Darum geht es hier.
Wir können die Lohnzusatzkosten nicht begrenzen, wenn wir nicht ganz konkret die obligatorischen Beiträge zu den vier sozialen Sicherungssystemen begrenzen. Anders ist es nicht zu machen. Wir müssen also versuchen, eine unbegrenzte Beitragsexplosion in der Arbeitslosenversicherung, Rentenversicherung, Krankenversicherung und Pflegeversicherung zu vermeiden. Darüber reden wir hier. Die Frage ist: Wie kann man verhindern, daß - so wie jetzt - die Beiträge zur Rentenversicherung auf Grund der demographischen Entwicklung erneut steigen und daß das gleiche künftig unbegrenzt auch bei der Pflegeversicherung, der Arbeitslosenversicherung und der Krankenversicherung geschieht?
Heute unterhalten wir uns darüber, wie wir das bei der Krankenversicherung vermeiden können. Wir glauben, daß das Verhältnis zwischen Solidarität und Subsidiarität bei den sozialen Sicherungssystemen insgesamt nicht mehr stimmt, daß wir die Allgemeinheit für zu viele Leistungen in Anspruch nehmen, die stärker individuell verantwortet werden müssen, und daß wir dann, wenn wir dem nicht entgegenwirken, für die Allgemeinheit ständig steigende, obligatorische Sozialversicherungsbeiträge haben werden.
Wir haben in allen Beratungen darüber gesprochen - heute führen wir die Diskussion über das gleiche Thema zum wiederholten Mal -, was an Instrumenten zur Verfügung steht, um eine ungebremste Explosion der Beiträge zu vermeiden. Wir setzen darauf, daß beispielsweise die Transparenz, also die Offenlegung der Kosten, eine wichtige Voraussetzung dafür ist, daß man mit den Kosten sorgfältig umgeht. Das heißt praktisch: Wir wollen, daß den Patienten künftig über alle Leistungen, die erbracht werden, Rechnung gelegt wird, damit eine Kontrolle stattfinden kann, und zwar von seiten der Patienten gegenüber den Leistungserbringern. Und wir wollen natürlich auch, daß auf diese Weise das Kostenbewußtsein gestärkt wird.

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1313901800
Herr Möllemann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kirschner?

Jürgen W. Möllemann (FDP):
Rede ID: ID1313901900
Bitte.

Klaus Kirschner (SPD):
Rede ID: ID1313902000
Herr Kollege Möllemann, wenn es wirklich Ihr ernsthaftes Bemühen ist, die Beitragssatzsteigungen in den Griff zu bekommen: Können Sie dem Hohen Hause erklären, wie hoch die Sozialleistungsquote ist, wie hoch die Krankenversicherungsausgaben gemessen am Bruttosozialprodukt, sind? Sie sind seit 1982 gleichgeblieben oder sogar leicht gesunken. Können Sie dem Hohen Hause weiter erklären, daß die Beitragssätze durch den Rückgang der Lohnquote, gemessen am Volkseinkommen, gestiegen sind und nicht, weil wir zu hohe Ausgaben der gesetzlichen Krankenversiche-

Klaus Kirschner
rung haben? Diese sind, gemessen am Bruttosozialprodukt, nämlich nicht gestiegen.

(Rudolf Dreßler [SPD]: Das war eine schwere Frage!)


Jürgen W. Möllemann (FDP):
Rede ID: ID1313902100
Nein, die Frage war noch einigermaßen nachvollziehbar. Ich war gerade dabei, den Sachverhalt in seinem Zusammenhang darzustellen.
Wir haben heute gegenüber der Mitte der 80er Jahre eine offenkundig deutlich gesunkene Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft. Wir schaffen es nicht mehr, die Menschen, die heute arbeitslos sind, in Arbeit zu bringen, wenn wir die Wettbewerbsfähigkeit nicht steigern, das heißt, wenn wir nicht die Rahmenbedingungen für diejenigen, die in Deutschland produzieren, und zwar unabhängig davon, ob sie Waren, Ideen oder Dienstleistungen produzieren, durch Senkung der Steuern - hierzu ist in den nächsten Tagen und Wochen eine Entscheidung fällig -, durch Reduzierung und Begrenzung von Lohnzusatzkosten und durch die Beschleunigung von Entscheidungsverfahren verbessern. Darüber reden wir hier.
Es nützt nichts, zu sagen: Aber wir hatten doch so eine wunderschöne Situation. - Dies war in einer Zeit, in der wir offenkundig unter geringerem Wettbewerbsdruck standen. Es nützt auch nichts, durch Träumereien - darauf komme ich gleich an anderer Stelle noch einmal - davon abzulenken, daß jetzt entschieden werden muß, ob wir wieder wettbewerbsfähig werden wollen oder nicht; sonst verspielen wir noch mehr als möglicherweise nur die eine oder andere Detailregelung in der einen oder anderen Sozialversicherung.

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1313902200
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Pfaff?

Jürgen W. Möllemann (FDP):
Rede ID: ID1313902300
Bitte.

Prof. Dr. Martin Pfaff (SPD):
Rede ID: ID1313902400
Herr Kollege Möllemann, ist Ihnen bekannt, daß für die internationale Wettbewerbsfähigkeit nicht allein die Lohn- und die Lohnnebenkosten, sondern auch die Lohnstückkosten verantwortlich sind, und daß diese bei uns in den letzten zwei Jahrzehnten nominal ungefähr um das 2,5fache - in anderen Ländern um das Fünffache - gestiegen sind bzw. nach Berücksichtigung der Wechselkursveränderungen ungefähr gleichgeblieben sind? Ist Ihnen bekannt, daß die Sozialleistungsquote insgesamt seit 30 Jahren stabil geblieben ist, abgesehen von der falschen Finanzierung der deutschen Einheit, die Sie über die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler vorgenommen haben, und daß die Exportüberschüsse in den letzten Jahren, obwohl Sie die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft beklagen, zugenommen haben? Wie können Sie das erklären?

Jürgen W. Möllemann (FDP):
Rede ID: ID1313902500
Lieber Herr Kollege, jeder von uns hat neben den Erörterungen hier im
Parlament mehr oder weniger intensiv die Gelegenheit, sich mit Kolleginnen und Kollegen zum Beispiel auch aus den eigenen Parteiverbünden im internationalen Bereich zu unterhalten.
Ich hatte gerade in den vergangenen Tagen aus einem ganz anderen Anlaß die Möglichkeit, mit einer großen Zahl von Kolleginnen und Kollegen aus verschiedenen Ländern zu sprechen. Die schauen mit einer gewissen Faszination auf uns und fragen: Wann merkt ihr Deutschen eigentlich, daß ihr auf einer Insel der Seligen zu leben glaubt, während eure Wettbewerbssituation jeden Tag schlechter wird?
Warum gehen Ihre Kolleginnen und Kollegen in den skandinavischen Ländern, in denen die Sozialdemokraten regieren, eigentlich hin und reduzieren drastisch den Aufwand für die Sozialversicherungen, für den Sozialbereich und stärken die individuelle Verantwortung? Sie tun das, weil sie erkannt haben, daß sie in dem Bereich überdreht hatten. Wir wollen diesen Fehler nicht machen, so lange zu warten, bis wir noch höhere Preise in Form von noch höherer Arbeitslosigkeit zahlen; wir wollen jetzt handeln.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Wenn Sie uns dabei nicht unterstützen wollen, ist das Ihr Ding. Ich frage mich aber, warum Ihre Kolleginnen und Kollegen dort, wo sie regieren, den gleichen Weg gehen wie wir und warum Sie ihn kritisieren.

(Abg. Dr. Martin Pfaff [SPD] meldet sich zu einer weiteren Zwischenfrage)

- Nein, ich möchte jetzt gern ein paar Überlegungen im Zusammenhang vortragen können.
Die zweite Überlegung - neben der Zielsetzung Transparenz, Durchschaubarkeit, Rechnungslegung - ist das von Ihnen hier angesprochene Stichwort Selbstbeteiligung, Zuzahlung. Es ist richtig, daß wir Freien Demokraten der Meinung sind - dazu hatten wir koalitionsintern eine kritische Diskussion -, daß wir Instrumente der Selbstbeteiligung brauchen, um zu verhindern, daß die Inanspruchnahme der solidarischen Versicherung überzogen wird.
Wir haben - ich glaube, die Lebenserfahrung jedes einzelnen bestätigt das - beobachtet, daß ein Appell an vernünftiges, solidarisches Verhalten aller kaum dazu führt, daß sich auch alle danach richten. Dann ärgern sich diejenigen, die sich vernünftig verhalten, darüber, daß andere es nicht tun. Die Hoffnung, eine Aussicht auf für alle sinkende Beiträge werde das Verhalten in Richtung auf behutsamen Umgang mit solidarischer Leistung verbessern, haben wir nicht. Wir glauben, daß es individuelle Steuerungsinstrumente, individuelle Anreize, individuelle Sanktionsmechanismen braucht, damit solidarische Leistungen nicht über Gebühr in Anspruch genommen werden, also insofern schon Steuerung.
Dafür sehen wir nicht nur konkrete Zuzahlungsmechanismen, also Selbstbeteiligung im engeren Sinne, vor, sondern auch die Formen der Selbstbeteiligung, die es in anderen Versicherungsbereichen schon gibt, also den Selbstbehalt und die Rückerstattung. Ich glaube, es ist vernünftig, daß wir das tun.

Jürgen W. Möllemann
Damit schafft man ökonomische Anreize für vernünftiges Vorgehen.
Ein dritter Punkt in diesem Zusammenhang ist mir wichtig. Herr Kollege Dreßler, daß Sie hier mit Stentorstimme Ihre Empörung artikulieren - was sich allmählich verbraucht, weil Sie das bei jedem Thema in der gleichen Weise machen und es niemanden mehr sonderlich beeindruckt -, befreit uns nicht davon, nachzufragen, ob das, was Sie sagen, stimmt. Was Sie gesagt haben, war mit Ihrer Intention, Aufklärungsarbeit zu leisten, an zwei Stellen schwer vereinbar.
Sie wissen genau, daß wir in diesem Zusammenhang eine Regelung haben, die die chronisch Kranken schützt. Sie haben hier so getan, als wollten wir die chronisch Kranken genauso behandeln wie die übrigen. Das ist nicht der Fall.

(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Im Gegenteil! Zuruf von der SPD)

- Dann haben Sie den Gesetzestext nicht gelesen. Es ist einfach unwahr, was Sie gesagt haben. Wir schützen die übrigen Kranken.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Außerdem haben Sie hier so getan, als wollten wir nicht auch die Einkommensschwächeren schützen. Wir haben eine Überforderungsregel, die gegenüber derjenigen, der Sie in Lahnstein selbst zugestimmt hatten - die sah nämlich eine Zuzahlung, eine Selbstbeteiligung von bis zu 2 Prozent des Einkommens vor -, auf 1 Prozent reduziert ist. Sie können doch nicht etwas, was die Hälfte vom Volumen ausmacht, nur weil es von uns kommt, als schlimmer bezeichnen als das, was Sie selbst mit beschlossen haben und was doppelt so hoch war.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Das ist nicht in Ordnung. Das können Sie so nicht machen.
Wir haben viertens den Wettbewerb zwischen den Kassen bewußt gewollt und setzen ihn auch durch. Da werden Sie mit Ihrer sogenannten Aufklärungsarbeit, wenn die Qualität nicht besser wird, als wir das heute erlebt haben, vor die Wand laufen und nichts ändern. Es ist ganz einfach so - auch diese Beobachtung konnte man machen -, daß das sichere Gefühl „Ich habe meinen Versichertenstamm, und der läuft mir auch nicht weg" nicht gerade zur Leistung stimuliert.
Das Wissen darum, daß man sich um Versicherte bemühen muß, wird die Kassen nach unserer Einschätzung dazu bringen, sich um mehr Service und bessere Leistungen zu bemühen. Wenn man den Wettbewerb will, dann muß man zwei Gedanken automatisch einbeziehen: Erstens muß es Gestaltungsräume für den Wettbewerb geben. Dazu haben wir die sogenannten Gestaltungsleistungen einbezogen.
Es ist klar - Sie haben darauf mit Hohngelächter reagiert -, daß wir mit Gestaltungsleistungen nicht meinen: keine Leistungen. Wir meinen aber sehr wohl eine Differenzierung des Angebots. Ich weiß nicht, warum das schädlich sein soll, wenn es gleichzeitig mit dem Recht eines jeden Versicherten verbunden ist, eine andere Kasse zu wählen, wenn ihm das Gesamtpaket einer Kasse einschließlich der Gestaltungsleistungen nicht paßt. Dann werden wir sehen, daß der Wettbewerb einer um Attraktivität sein wird, weil man auf diese Weise die Versicherten gewinnt oder behält.
Das zweite, das in diesem Zusammenhang zu sagen ist, ist, daß die heutige Systematik des Risikostrukturausgleichs mit Wettbewerb natürlich nicht dauerhaft vereinbar ist. - Jedenfalls nach meiner Interpretation ist das so; darüber gibt es unterschiedliche Meinungen. - Wenn man will, daß es Wettbewerb gibt, dann muß aus meiner Sicht nach einer Übergangszeit dieses Instrument mindestens degressiv angelegt werden und am Ende - vielleicht begrenzt auf die Rentneranteilsproblematik - auslaufen, weil sonst diejenigen Kassen, die effizient wirtschaften, dauerhaft die Negativleistungen anderer Kassen ausgleichen müssen. Das ist nicht gerade ein Anreiz zu besonders vernünftigem Verhalten. Darüber wird noch zu reden sein.

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1313902600
Herr Möllemann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wodarg?

Jürgen W. Möllemann (FDP):
Rede ID: ID1313902700
Ja, bitte.

Dr. Wolfgang Wodarg (SPD):
Rede ID: ID1313902800
Herr Möllemann, Sie haben gerade die Situation der Krankenkassen geschildert und gesagt, daß der Wettbewerb den Krankenkassen guttut und zu einer Leistungssteigerung führen soll. Weshalb haben Sie den Krankenkassen jetzt Instrumente in die Hand gegeben, die es ihnen ermöglichen, die sogenannten schlechten Risiken, die teuren Kranken hinauszugraulen? Das wird vor allem chronisch Kranke treffen. Ist das Ihre Art von Wettbewerb: Wer zuerst die chronisch Kranken rausgrault, der überlebt am Markt?

Jürgen W. Möllemann (FDP):
Rede ID: ID1313902900
Da Ihre Frage rhetorisch gemeint war und nicht von gutem Willen gekennzeichnet ist, kann ich sie nicht beantworten. Auf dieses Niveau begebe ich mich nicht mehr, Herr Dr. Wodarg.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich wollte eine letzte Bemerkung an die Adresse von uns allen machen: Ein Problem haben wir weder mit dem ersten Gesetz, das wir heute abschließend beraten, noch mit dem zweiten, das wir noch beraten wollen, im Griff. Das ist ein Problem, das uns in diesen Tagen sehr beschäftigt.
Durch die im Augenblick noch systemimmanente Art der Berechnung der Wertigkeit von Leistungen in den ärztlichen Heilberufen, also mit Punktwerten, die noch dazu gleitende Punktwerte sind, schaffen wir - das kann ich nachvollziehen - ein Maß an Mißmut bei den Heilberufen, das ich verstehen kann, das wir in Rechnung stellen müssen und bei dem wir zu Veränderungen kommen müssen. Wer heute als nie-

Jürgen W. Möllemann
dergelassener Arzt - ein Freiberufler - eine Leistung erbringt, kennt im Moment der Leistungserbringung nicht den Wert dieser Leistung.

(Dr. Wolfgang Wodarg [SPD]: Den Wert schon, nicht den Preis!)

- Sie haben recht, es war eine falsche Wortwahl. Ich meinte: den Preis dieser Leistung. Natürlich: Den Wert der Leistung kennt der Arzt schon, aber den Preis nicht.
Ich finde, wir müssen zu einem System kommen, bei dem die ärztliche Leistung auf der Grundlage klarer Vereinbarungen einen Preis in Mark und Pfennig hat, den der Patient und der Arzt kennen und der dem Arzt auch zusteht.
Heute sind viele ärztliche Praxen, gerade junger niedergelassener Ärzte, auf Grund des Themas Budget in einer schwierigen Situation. Wir hoffen, daß sich die Situation auf Grund des Instrumentariums, über das wir in diesen Tagen beraten, entspannen und verbessern wird. Aber ich vermute, daß wir auf dieses Thema noch einmal werden zurückkommen müssen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1313903000
Als nächste spricht Frau Dr. Ruth Fuchs.

Dr. Ruth Fuchs (PDS):
Rede ID: ID1313903100
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In diesem Jahr wird das Defizit der Krankenkassen mindestens wieder die Rekordsumme von 10 Milliarden DM erreichen. Neben den objektiven Ursachen für steigende Ausgaben schlägt vor allem auch jene Kostendynamik, die aus den unverändert bestehenden Struktur- und Steuerungsfehlern des Gesundheitswesens in Ambulanz, Krankenhaus, Arzneimittelversorgung und anderen Bereichen resultiert, wieder voll durch und prägt erneut die Situation der gesetzlichen Krankenversicherungen.
Im Gesundheitswesen selbst nehmen Unsicherheit, Wirrwarr und zum Teil chaotische Verteilungskämpfe zu. Die Arzneimittelbudgets werden 1996 in fast allen KV-Bezirken deutlich überschritten. Das ist weder einfach den Ärzten noch den Krankenkassen geschuldet, sondern in erster Linie Ergebnis der sattsam bekannten Mißstände auf diesem Gebiet. Wenn sich niedergelassene Ärzte dazu veranlaßt sehen, die Zahl bestimmter Leistungen von einem Quartal zum anderen in fachlich nicht mehr nachvollziehbarer Weise um ein Vielfaches zu erhöhen, dann ist das Ausdruck eines Honorarverteilungskampfes, der auch für die Patienten immer bedrohlichere Züge annimmt.
Sinnvolle Lösungen für die Vergütungsproblematik aber sind nach wie vor nicht in Sicht. Die Krankenhäuser, die ebenfalls immer noch kein brauchbares Finanzierungssystem haben, stöhnen unter einer völlig undifferenzierten Budgetierung. Sie sehen sich in sinnwidriger Weise erneut dazu gezwungen, an dem zu sparen, was eigentlich das Wichtigste für das Funktionieren eines guten Krankenhauses ist: an der pflegenden Hand der Schwester und an Ärzten, die Zeit zur Zuwendung für die Patienten haben.
Massive Frustration und zunehmende Proteste der Betroffenen gehören heute zur Bilanz der Regierung seit dem Gesundheitsstrukturgesetz. Dabei, Herr Minister, haben Sie bekanntlich 1992 nicht ohne Fortune begonnen. Inzwischen ist klar: Sie haben damals zwar die Chance, zu einer Strukturreform zu kommen, mit rascher Hand ergriffen. Aber die ernsthafte Einsicht, daß dies der wichtigste Schritt zur Erhaltung der Vorzüge einer solidarischen Krankenversicherung und zur Konsolidierung ihrer Finanzen war und ist, und die daraus resultierende Standfestigkeit hatten Sie nicht.
Heute haben Sie sich weit von Ihrem eigenen Ansatz entfernt. Deshalb können die Zeitungen Ihnen auch reihenweise Zitate vorhalten, die Sie nun zwangsläufig nach dem Motto behandeln müssen: Was schert mich mein Geschwätz von gestern? - Mit anderen Worten: Diese Regierung hat die Möglichkeit, das zu tun, was im Gesundheitswesen am dringlichsten ist, nämlich zu einer Korrektur falscher Anreize und Strukturen zu kommen, unwiderruflich verschenkt. Beitragssatzerhöhungen als ein Weg, über den die Krankenkassen bisher letztlich ihre Defizite ausgleichen konnten, verbieten sich heute mit Recht, wenn vorher nicht wirklich alle Wirtschaftlichkeitsreserven ausgeschöpft wurden. Unter diesen Umständen bleibt für den, der die Chance der echten Reform verspielt hat, tatsächlich nur noch der Ausweg, die Versicherten und Patienten weiter und noch drastischer als bisher finanziell zu belasten.
In dieser Situation läßt die Koalition nun den Vorhang aus Taktik und Finessen fallen und bekennt sich erstmals offen zu dem, was sie verdeckt schon lange im Visier hat: zu einer - wie sie selbst es nennt - Richtungsentscheidung im Gesundheitswesen. Allerdings heißt diese neue Richtung weniger Staat und mehr Markt, also Neoliberalismus in diesem klassischen Bereich unverzichtbarer sozialstaatlicher Verantwortung. Ungeachtet aller Warnungen und ungeachtet aller abschreckenden amerikanischen Erfahrungen sollen nun Markt und Konkurrenz auch hierzulande das Gesundheitswesen bestimmen. Dabei ist seit langem bekannt: In dem Maße, in dem Marktkräfte in diesem Bereich vorankommen, verschwindet das soziale Element. Die ersten Anzeichen einer solchen Entwicklung, zum Beispiel in Form von Versuchen zur Risikoselektion, werden heute bereits sichtbar. Die hier zur Debatte stehenden Gesetze zur Fortführung der sogenannten dritten Stufe der Gesundheitsreform sollen den Absichten der Koalition nun auch das erforderliche rechtliche Fundament geben.
Da Sie eine Stärkung der Solidargemeinschaft und die damit verbundenen Einnahmeverbesserungen von vorneherein ablehnen, besteht die Grundidee Ihrer Gesetze darin, Beitragserhöhungen dadurch zu erschweren, daß sie automatisch mit steigenden Zuzahlungen und sofortigem Kündigungsrecht der Versicherten gekoppelt werden. So soll den Kassen zur

Dr. Ruth Fuchs
Bewältigung ihrer Finanznot letztlich nur der Weg der Leistungsausgrenzung und Zuzahlungserhöhung offenbleiben - dies allerdings künftig in eigener Entscheidung. Auf diese Weise würden die Kassen selbst zum Ausführungsorgan einer zunehmend unsolidarischen Gesundheitspolitik. Das wäre die vollkommene Perversion des Grundgedankens, unter dem sie einmal ins Leben gerufen wurden.
Dazu wird der bisherige, vom Gesetzgeber bestimmte einheitliche Leistungskatalog deutlich reduziert und in wichtigen Teilen in das Ermessen der einzelnen Kassen gestellt. Häusliche Krankenpflege, Kuren und Rehabilitationen, Heilmittel und Fahrkosten werden zwar weiterhin paritätisch finanziert, können aber als sogenannte Gestaltungsleistungen von den Kassen nach Art und Inhalt verändert werden. Das heißt, daß sie eingeschränkt oder sogar gestrichen werden können.

(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Das letzte können sie nicht!)

Andere Leistungen, beispielsweise die Gesundheitsförderung sowie Heilmittel wie Bandagen oder Einlagen, können die Kassen zwar per Satzung weiterhin übernehmen, ihre Finanzierung aber muß - ohne die Arbeitgeber - allein von der Versichertengemeinschaft getragen werden.

(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Das war gewollt!)

Im Risikostrukturausgleich finden Gestaltungs-
und Satzungsleistungen sinnigerweise keine Berücksichtigung, was die Kassen bei entsprechender Finanznot dazu drängen wird, zuerst diese Leistungen aufzugeben.
Nachdem mit dem Beitragsentlastungsgesetz die Zahnprothetik für die junge Generation ganz gestrichen worden ist, folgen nun weitere massive Abstriche bei der sozialen Qualität der Versorgung mit Zahnersatz. Die bisherigen prozentualen Zuschüsse der Kassen werden durch Festzuschüsse, also lediglich durch eine Minderversorgung, ersetzt. Alles andere, das heißt Umfang und Preis der Leistung, muß der Patient künftig mit dem Zahnarzt aushandeln. Damit wird es künftig nur noch der Geldbeutel des einzelnen sein, von dem die Qualität der prothetischen Versorgung abhängt.

(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Das ist nicht wahr!)

Gleichzeitig werden die Patienten damit sehr nachhaltig an das Funktionieren von Regel- und Wahlleistungen gewöhnt.
Die zugleich neu geschaffene Option, daß die Versicherten generell von der medizinischen Sachleistung zur Kostenerstattung übergehen können, wird nebenbei auch im ärztlichen Sektor die Möglichkeit schaffen, die Patienten schrittweise an ein System von billigen Pflicht- und teureren Wahlleistungen heranzuführen. Mit Selbstbehalten im Rahmen der Kostenerstattung sowie Beitragsrückzahlung werden weitere Elemente einer Privatversicherung in die sozialen Krankenversicherungen eingeführt. Gemeinsam mit den vorgesehenen Zuzahlungserhöhungen führt auch das zur weiteren Untergrabung der paritätischen Finanzierung und des Solidargedankens insgesamt.
Wie man es auch dreht und wendet: Immer bewirken diese gesetzlichen Vorhaben, daß eine zunehmende Zahl von Leistungen, die bisher Bestandteil des Pflichtkatalogs waren, künftig ganz oder teilweise privat bezahlt werden müssen und somit für viele Menschen nicht mehr erschwinglich sein werden.
Fazit: Diese Gesundheitsreform zielt auf einen grundsätzlichen Systemwechsel ab. Im Ergebnis wird das Gesundheitswesen noch bürokratischer und noch teurer werden. Besonders schlimm ist, daß vor allem diejenigen, die der medizinischen Versorgung am meisten bedürfen, chronisch Kranke, ältere und behinderte Menschen, die schlechtesten Chancen haben werden, diese Hilfen in ausreichendem Maße oder überhaupt zu erhalten.
Auf der anderen Seite werden sich die Umsatz- und Gewinnchancen der Pharmaindustrie und der Hersteller von medizinischen Geräten trotz knapper Solidarkassen sogar noch erhöhen. Andere, zum Bespiel die Anbieter von Heil- und Hilfsmitteln, Logopäden, Physio- und Ergotherapeuten oder ambulante Pflegekräfte, die keine so starke politische Lobby haben, werden dagegen in den Regen gestellt.
Für die Bevölkerung dieses Landes aber endet mit diesen Gesetzen die Ara einer sozialen Krankenversorgung, die im großen und ganzen jeder und jedem nach medizinischem Bedarf zur Verfügung gestanden hat. Damit wird wieder ein Stück schon einmal erreichten zivilgesellschaftlichen Fortschritts und erkämpfter Humanität zu Grabe getragen.
Die uns heute von den Koalitionsparteien vorgelegten Gesetzentwürfe lehnen wir ab.

(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Das ist schade!)

Der Entschließungsantrag von Bündnis 90/Die Grünen findet unsere volle Zustimmung.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der PDS und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1313903200
Als nächster spricht Ulf Fink.

Ulf Fink (CDU):
Rede ID: ID1313903300
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Rudi Dreßler hat schon sehr heftig in die Tasten gegriffen.

(Klaus Kirschner [SPD]: Was hat er?)

Ich erinnere mich noch sehr gut - mein Gedächtnis ist nicht so kurz; es ist kein dreiviertel Jahr her - an die Beratung des Entwurfs des Bundessozialhilfegesetzes. Er hat damals von einem Anschlag auf das System, von der Ausbeutung der Armen und dergleichen mehr gesprochen. Dann hat es aber kein halbes

Ulf Fink
Jahr gedauert, bis er diesem Gesetzentwurf selbst zugestimmt hat. Genauso war es.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Rudolf Dreßler [SPD]: Das ist doch unverschämt!)

Der 16. November ist ein Tag, der in die Geschichte der SPD eingegangen ist. Es ist fast genau ein Jahr her, daß die SPD auf ihrem Parteitag Herrn Scharping als Vorsitzenden gestürzt hat - jemanden, der zwei Jahre zuvor noch als Hoffnungsträger angesehen worden ist. So anständig gehen Sie mit Ihren Leuten um. Das muß ich einmal sagen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Klaus Kirschner [SPD]: Reden Sie doch zur Sache!)

Der Bundesgesundheitsminister versucht, unter den gegebenen - zugegebenermaßen schwierigen - Umständen, die nicht zuletzt auf die unterschiedlichen Mehrheiten im Bundestag und Bundesrat zurückzuführen sind, ein freiheitliches und leistungsfähiges Gesundheitswesen bezahlbar zu halten. An diesem Versuch ist nichts zu kritisieren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Zu kritisieren ist aber, daß der von der SPD dominierte Bundesrat jede vernünftige Zusammenarbeit verweigert.

(Klaus Kirschner [SPD]: Das ist ja unglaublich!)

Wir müßten über diesen Gesetzentwurf heute gar nicht debattieren, wenn der Bundesrat den ursprünglichen Gesetzentwurf, den wir vorgelegt haben, nicht abgelehnt hätte.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wir hatten vorgeschlagen, daß eine Beitragssatzanhebung bei den Kassen nur mit einer Dreiviertelmehrheit beschlossen werden darf. Das war doch eine vernünftige Regelung.

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das war die Alternative!)

Sie haben sie abgelehnt. Nur aus diesem Grund müssen wir uns heute überhaupt mit dem sogenannten Handicap-Modell, also der Kopplung von Beitragssatzerhöhung und Selbstbeteiligung, beschäftigen. Das ist doch die Wahrheit!

(Klaus Kirschner [SPD]: Handicap-Modell: Das ist ja was ganz Neues!)

Daß Sie diese Regelung jetzt kritisieren, nenne ich schlicht scheinheilig.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Zuruf von der F.D.P.: Das ist noch höflich ausgedrückt!)

Wir könnten das heute noch machen. Aber ich sehe bei Ihnen weit und breit niemanden, der die Kraft hätte, bei Ihnen das Ruder herumzureißen.
Was soll ein verantwortlicher Bundesgesundheitsminister angesichts der Tatsache unternehmen, daß in den Krankenhäusern der Kalk von den Wänden rieselt, weil niemand die Instandhaltungskosten mehr bezahlt?

(Klaus Kirschner [SPD]: Notopfer!)

In diesem Fall muß der Bundesgesundheitsminister, ungeachtet aller Finanzierungsprobleme, zuerst darauf achten, daß dieser Zustand beendet wird. Das schuldet er seinem Amtseid.
Wir alle, auch Sie von der Opposition, wissen doch, daß der richtige Weg wäre, die Länder würden aus Steuermitteln die Instandhaltungskosten bezahlen.

(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Wie früher auch! Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Und wie Bayern!)

Mit Ausnahme von Bayern - die Kollegin Kors hat es eben gesagt - erfüllt kein Bundesland diese Verpflichtung. Kein einziges von der SPD regiertes Bundesland ist bereit, seinen Verpflichtungen nachzukommen. Wenn Sie, Rudi Dreßler, schon Klartext reden, dann muß ich fragen: Warum kommt NordrheinWestfalen seiner Verpflichtung nicht nach? Herr Wodarg, warum kommt Schleswig-Holstein seiner Verpflichtung nicht nach? Rheinland-Pfalz - Herr Scharping ist im Moment nicht hier - kommt seiner Verpflichtung nicht nach. Hessen kommt seiner Verpflichtung nicht nach.

(Klaus Kirschner [SPD]: Wie ist das mit Sachsen? Rudolf Dreßler [SPD]: Lies doch einmal das Gerichtsurteil!)

Zu den Kollegen des Bündnisses 90/Die Grünen möchte ich sagen: Auch Sie tragen in einer Reihe dieser Bundesländer Mitverantwortung. Aber Sie sind keinen Deut besser.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Kein einziges Land, in dem Sie Mitverantwortung tragen, ist bereit, sich dieser Verpflichtung zu unterwerfen.

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Hier schön reden und dort schlecht handeln!)

Aus diesen Gründen ist es deshalb nicht glaubwürdig, den Bundesgesundheitsminister zu kritisieren, nur weil er zuerst an die Patienten und die Krankenhäuser und erst dann an die „Reinheit der Finanzierungsprinzipien" denkt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Eine Tatsache ist unbestritten: Die Sozialausgaben können nicht mehr so wachsen wie in der Vergangenheit. Was sind dann die Alternativen? - Wenn man bei der gesetzlichen Krankenversicherung nicht spart, müßte man bei der Rentenversicherung, der Arbeitslosenversicherung oder der Pflegeversicherung sparen. Ich frage Sie ernsthaft: Wollen Sie die Renten kürzen? - Wir wollen das nicht. Wollen Sie das Arbeitslosengeld kürzen? - Wir wollen das nicht. Wollen Sie die Pflegeleistungen kürzen? - Wir wollen das nicht.
Wenn man sich diese Alternativen vor Augen hält, dann kommt man an einer Kostendämpfung im

Ulf Fink
Krankenversicherungswesen und auch an einer maßvollen Selbstbeteiligung überhaupt nicht vorbei.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Durch die Sozialklausel wird dafür gesorgt, daß derjenige, der wenig Einkommen hat, überhaupt keine Selbstbeteiligung bezahlen muß.

(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Da hat Herr Dreßler bewußt die Unwahrheit gesagt!)

Wer als Alleinstehender weniger als 1 650 DM verdient, braucht keinen Pfennig zuzuzahlen.

(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Herr Fink, können Sie das für die SPD wiederholen?)

Wer unter 6 000 DM im Monat verdient, braucht nicht mehr als 2 Prozent seines gesamten Einkommens zu bezahlen.

(Klaus Kirschner [SPD]: Eine Krankensteuer!)

Wir haben in diesem Gesetz auch dafür gesorgt, daß dieser Anteil für chronisch Kranke auf 1 Prozent gesenkt wird. Ich nenne das einen Fortschritt und keinen Rückschritt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Da werden von Rudi Dreßler Horrorzahlen von Beitragssteigerungen von mehr als 2 Prozent in die Welt gesetzt. Er verschweigt dabei völlig, daß die Versicherten, die das nicht mitmachen wollen, das Recht haben, die Kasse dann zu verlassen.

(Klaus Kirschner [SPD]: Das ist ja toll!)

Er hat natürlich immer das Berliner Beispiel erwähnt, wissend, daß das kein Problem ist, das auf diese Art und Weise gelöst werden kann, sondern nur durch eine gezielte Finanzhilfe zugunsten der Berliner Ortskrankenkasse. Darum bemühen wir uns. Da könnten Sie mithelfen, statt hier solche Zahlen in die Welt zu setzen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wenn man sich einmal die Gesamtrelationen vor Augen hält, dann kommt man zu einem ganz anderen Ergebnis. Hätten wir das, was heute vorliegt, schon in Lahnstein beschlossen, was wäre dann geschehen? Ich kann Ihnen einmal die durchschnittlichen Beitragssätze der gesetzlichen Krankenversicherung vorlesen: 1993 13,42 Prozent; 1994 13,35 Prozent; 1995 13,18 Prozent; 1996 13,46 Prozent. Das heißt also, wäre damals das heutige Gesetz in Kraft gesetzt worden, hätte es keinen einzigen Pfennig mehr an Selbstbeteiligung gegeben. Das ist doch die Wahrheit, und das sollten Sie den Menschen sagen.

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das wollen sie doch nicht!)

Es gibt Rationalisierungsreserven im deutschen Gesundheitswesen; das ist doch ganz unbestritten. Es ist auch meine Ansicht, daß es die vornehmste
Aufgabe der Politik ist, zuerst die Rationalisierungsreserven in Anspruch zu nehmen,

(Klaus Kirschner [SPD]: Deshalb haben Sie die Positivliste wieder gestrichen?)

bevor Beiträge unter Selbstbeteiligung erhöht werden. Das bleibt die vornehmste Pflicht der Politik.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Klaus Kirschner [SPD]: Dann machen Sie mal Vorschläge!)

In den letzten Jahren hat sich die Gesundheitspolitik ausschließlich diesem Ziel gewidmet. Aber in den vergangenen Jahren sind auch die Grenzen dieses Weges deutlich geworden. Mit globaler Budgetierung haben wir in der Vergangenheit das erreicht, was mit diesem Mittel zu erreichen ist. Sehr viel mehr ist mit diesem Mittel nicht drin. Wenn man mehr erreichen will, dann braucht man andere Mittel. Diese Mittel wirken nicht kurzfristig.
Zum Beispiel das Krankenhauswesen: Mit 80 Milliarden DM ist das der gewichtigste und teuerste Bereich unseres gesamten Gesundheitswesens. Eine bessere Verzahnung von ambulanter und stationärer Versorgung

(Klaus Kirschner [SPD]: Machen Sie das doch mal!)

hilft aber nur, wenn man bereit ist, dann auch den überbordenden stationären Sektor zurückzunehmen. Man muß also bereit sein, Krankenhäuser zu schließen.

(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Da sind die Länder gefragt!)

An dieser unangenehmen Wahrheit kommt keiner vorbei.
Wer hat denn die Verantwortung für die Krankenhäuser? Es sind wiederum die von Ihnen regierten Länder, die an dieser Stelle bisher keine Bereitschaft gezeigt haben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wenn es ernst wird, ist von Ihnen weit und breit nichts zu sehen.

(Klaus Kirschner [SPD]: Sie kennen doch unsere Gesetzentwürfe?)

Dabei wissen Sie ganz genau: Im Gesundheitswesen gilt das Saysche Gesetz, nach dem sich jedes Angebot seine Nachfrage schafft. Sie können noch so viele Krankenhäuser haben, sie sind immer gefüllt. Ohne Veränderung des Angebotes geht es nicht.

(Klaus Kirschner [SPD]: Wer war denn Senator in Berlin!)

- Ich habe damals Krankenhäuser geschlossen. Ich habe den politischen Mut aufgebracht. Ich habe in Berlin eine ganze Universitätsklinik geschlossen. Den Mut müssen Sie erst einmal aufbringen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1313903400
Herr Fink, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Pfaff?

Ulf Fink (CDU):
Rede ID: ID1313903500
Ja, natürlich.

Prof. Dr. Martin Pfaff (SPD):
Rede ID: ID1313903600
Herr Kollege Fink, ist Ihnen bekannt, daß das deutsche Krankenhaus, gemessen an den Ausgaben pro Kopf oder auch am Volkseinkommen, in keiner Weise überbordend ist, sondern daß es eigentlich als letztes Auffangbecken für viele ungelöste Probleme der Gesellschaft dienen muß und daß zum zweiten die von Ihnen gegeißelten Länder durch Gerichtsurteil hinsichtlich der Instandhaltungskosten eine klare Weisung bekommen haben, daß dies nicht Aufgabe der Länderfinanzierung ist?

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Weil Sie die Änderung des Gesetzes abgelehnt haben! Seien Sie doch ehrlich!)

Ich frage mich wirklich, Herr Kollege Fink, wie Sie hier für solche Dinge als ein Sozialpolitiker mit einem Namen noch im Brustton der Überzeugung auftreten können. Das ist wirklich etwas, das ich nur schwer verstehen kann.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ulf Fink (CDU):
Rede ID: ID1313903700
Wenn es so wäre, daß die Länder die Instandhaltungskosten durch Gerichtsurteil nicht bezahlen dürften,

(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Sie dürfen wohl!)

dann frage ich Sie verzweifelt: Wieso kann denn Bayern sie bezahlen? Es kann sie doch bezahlen. Das kann offenbar nicht stimmen.
Zum anderen Thema. Auch Sie wissen - wir haben uns darüber öfter unterhalten -: Natürlich muß der ambulante Bereich gestärkt werden, wenn man den stationären Bereich zurücknimmt. Das ist doch ganz selbstverständlich. Daß wir in der Bundesrepublik Deutschland etwa 40 000 bis 50 000 Krankenhausbetten zuviel haben, kann doch auch von Ihnen nicht ernsthaft bestritten werden.

(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Das schreibt der Herr Dreßler ja auch! Jetzt aber darf er es nicht mehr schreiben!)

Weil wir wußten, daß es den verantwortlichen Politikern in den Ländern sehr schwerfällt, Krankenhäuser zu schließen - das ist eine unangenehme Aufgabe -, haben wir in unserem ursprünglichen Gesetzentwurf vorgeschlagen, daß die Krankenkassen als Financiers ein echtes Mitbestimmungsrecht erhalten, was Zahl und Struktur der Krankenhäuser angeht. Ich frage Sie: Wer hat denn diesen Vorschlag abgelehnt? Wiederum der Bundesrat mit SPD-regierter Mehrheit.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Was wollen Sie denn nun eigentlich? Wollen Sie die
Wirtschaftlichkeitsreserven des Gesundheitswesens
nutzen, oder wollen Sie dies nicht? Nur zu allem nein zu sagen hilft dem Gesundheitswesen nicht und schon gar nicht den Beitragszahlern.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich könnte Ihnen hier noch eine ganze Menge zur Ausbildung von Ärzten sagen. 10 000 pro Jahr werden ausgebildet. Ginge es nicht vielleicht auch mit 5 000 oder 6 000? Diese Frage richtet sich wiederum an die Landeskultusminister, die dafür die Verantwortung tragen. Ich könnte Ihnen noch sehr viel mehr zu diesem Thema sagen.
Zum Thema Arzneimittelbudget: Wir müssen dafür sorgen, daß die Probleme, die in 1995 und 1996 entstanden sind, nicht zu Lasten des einzelnen Hausoder Kinderarztes ausgetragen werden. Deshalb begrüße ich es sehr, daß die Überschreitungen in den kommenden Jahren ausgeglichen werden können, damit kein niedergelassener Arzt um seine Existenz fürchten muß. Das begrüße ich ausdrücklich.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU Klaus Kirschner [SPD]: Da kommt noch eine ordentliche Belastung auf uns zu!)

Hinsichtlich des Gesamtthemas muß man sich aber folgendes fragen: Ist es denn wirklich so, daß in der Bundesrepublik Deutschland zuwenig Medikamente verordnet werden? Man hat fast den Eindruck, daß das das eigentliche Problem ist. Wir wissen doch: Die Weltmeister im Schlucken von Medikamenten sind die Deutschen. Pro Jahr werden nicht genutzte Arzneimittel in einem Wert von über 3 Milliarden DM weggeworfen. Das ist das Thema in Deutschland!

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1313903800
Herr Fink, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Pfaff?

Ulf Fink (CDU):
Rede ID: ID1313903900
Ja.

Prof. Dr. Martin Pfaff (SPD):
Rede ID: ID1313904000
Verehrter Herr Kollege Fink, es ist zwar nicht ganz richtig, was Sie sagten;

(Zurufe von der CDU/CSU: Doch!)

die Nachbarländer konsumieren pro Kopf sehr viel mehr Arzneimittel. Das ist aber nicht der Punkt. Unterstellen wir einmal, daß Ihre Analyse richtig wäre, daß die Ursachen der Ausgabenexpansion - die Analyse, die Sie hierzu vorgetragen haben, ist ja nicht falsch - in den Überkapazitäten im ambulanten und vor allem im stationären Bereich - vielleicht sollte man noch hinzufügen: in den fehlsteuernden Anreizen der Finanzierung - liegen. Wenn das Ihre Analyse ist, dann frage ich Sie aber: Wie kommen Sie dann auf die Therapie, dieses System über Erhöhungen der Zuzahlungen, Kostenerstattungen und Beitragsrückerstattungen finanzieren zu wollen?

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht! Sie haben es immer noch nicht kapiert!)


Dr. Martin Pfaff
Das ist doch völlig abwegig. Diagnose falsch, Therapie noch fälscher - das ist das Problem dieses Gesetzes.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der PDS)


Ulf Fink (CDU):
Rede ID: ID1313904100
Ich sage dazu: Bei jeder Politik müssen Sie einen Policy-Mix vornehmen. Das wissen Sie genausogut wie ich. Wenn Sie wirklich bereit wären, diesen Erkenntnissen Konsequenzen folgen zu lassen, dann wäre es Ihre vornehmste Pflicht, auf die von Ihnen regierten Länder einzuwirken, endlich bereit zu sein, nicht länger einen Obstruktionskurs zu fahren. Das müßten Sie machen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir müßten über Gestaltungsleistungen und ähnliches hier nicht groß sprechen, wenn Sie in den Ländern Ihre Pflicht wirklich tun würden.
Ich wiederhole, was die Kollegin Eva-Maria Kors vorhin gesagt hat: Es wird mit uns keine Leistungsausgrenzung der häuslichen Krankenpflege für chronisch Kranke und Behinderte geben. Es wäre auch wirklich merkwürdig. Heiner Geißler war es gewesen, der in den 70er und 80er Jahren dafür gesorgt hat, daß wir von der Orientierung lediglich auf das Krankenhaus weggekommen sind und statt dessen der häuslichen Krankenpflege einen großen Stellenwert eingeräumt haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wir waren es doch, die die Sozialstation erfunden haben. Rheinland-Pfalz war das erste Land, das sie eingeführt hat. Da haben Sie doch nur von Krankenhäusern und ähnlichem geträumt! Glauben Sie denn, wir ließen es zu, daß dieses wichtige Instrument etwa dadurch entfiele, daß bestimmte Krankenkassen sagen, wir wollen das Leistungsausgleichssystem? Das ist doch mit uns überhaupt nicht zu machen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das weiß auch jeder!)

Das ist doch ein infamer Vorwurf von Ihnen. Das lassen wir nie mit uns machen! Es ist doch unmöglich, so etwas zu sagen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Nein, wir müssen in der Gesundheitspolitik den Weg finden zwischen einem lediglich marktwirtschaftlich orientierten System, wie er in den Vereinigten Staaten von Amerika gegangen wird - das im übrigen sehr teuer ist, viel teurer als unseres -, und einem staatlichen Warteschlangensystem à la Großbritannien. Zwischen diesen beiden Extremen müssen wir durch.
Unser Weg ist ein schwieriger Weg, aber er ist ein notwendiger Weg. Wir werden ihn nicht ohne die Selbstverwaltung und auch nicht ohne ein gegliedertes System von Krankenkassen gehen können. Und da haben auch und gerade die vielgescholtenen Ortskrankenkassen ihren Platz; denn als regionale Kassen haben sie einen sehr unmittelbaren Bezug zu den Problemen der Versicherten. Das ist Subsidiarität. Wir brauchen nicht nur bundesweit operierende Kassen. Dazu gehört auch - das ist meine Überzeugung - die paritätische Finanzierung, weil sie in dem Punkt eine Interessenidentität von Arbeitgebern und Arbeitnehmern offenbart. Das ist ein wichtiger Bestandteil des sozialpartnerschaftlichen Modells der Bundesrepublik Deutschland.
Wir werden diesen Weg trotz aller Kritik gehen; denn es ist ein vernünftiger Weg.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1313904200
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Klaus Kirschner.

Klaus Kirschner (SPD):
Rede ID: ID1313904300
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Fink, nun muß ich Sie eigentlich gleich zu Beginn fragen

(Zuruf von der CDU/CSU: Loben!)

- fragen! -: Sie haben hier einen Gesetzentwurf eingebracht, den Entwurf eines zweiten ,,GKV-Notordnungsgesetzes",

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Neuordnungsgesetzes!)

und da steht drin „Gestaltungsmöglichkeiten im Satzungsrecht, unter anderem häusliche Krankenpflege". Dann heißt es:
Beitragssatzanhebungen, die aufgrund von höheren Aufwendungen für diese Gestaltungsleistungen erforderlich werden, sind ausgeschlossen.
Nun frage ich Sie: Gilt eigentlich das, was Sie in Ihrem Gesetzentwurf drin haben, oder kündigen Sie hier schon wieder einen anderen Gesetzentwurf an?

(Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: Nein, was drin steht, gilt! Aber eben nur, was drin steht!)

Das wollen wir hier einmal festhalten.
Das gilt genauso für den Herrn Kollegen Fink wie auch für Sie, Herr Kollege Möllemann: Alles Reden und Debattieren über die Notwendigkeiten von angeblich sinnvollen Einsparungen in der gesetzlichen Krankenversicherung kann nicht vertuschen, daß es Ihnen an Gestaltungskraft und am Willen zu Reformen fehlt!

(Beifall bei der SPD Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Ausgerechnet bei Möllemann!)

Es ist nichts anderes als semantische Sprachverdrehung, was Sie als „Versichertenrechte erweitern" oder als „Vorfahrt für die Selbstverwaltung" bezeichnen. Das Gegenteil ist nämlich richtig.

(Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: Das geht jetzt ein bißchen weit!)

Sie provozieren auf eine unglaublich perfide Art und Weise,

(Widerspruch bei der CDU/CSU)


Klaus Kirschner
daß kranken Menschen in Zukunft - hören Sie doch zu! - medizinisch notwendige Leistungen vorenthalten werden.

(Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: Müssen Sie jetzt so reden oder wie?)

Das trifft vor allem die Alten, die unsere Republik aufgebaut haben. Auf deren Rücken wollen Sie die Beiträge senken, indem Sie die Zuzahlungen erhöhen und notwendige medizinische Leistungen zur Disposition stellen. Das steht in Ihrem Gesetzentwurf drin.

(Beifall bei der SPD Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Da haben Sie die „Bild"-Zeitung gelesen!)

Sie begründen Ihre Leistungsstreichungen und höhere Zuzahlungen unter anderem damit, daß „steigende Beitragssätze die Abgabenbelastungen der Arbeitnehmer erhöhen und damit die verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte verringern". Hier steht es wortwörtlich drin.
Meine Damen und Herren, das zu schreiben müßte Ihnen doch die Schamröte ins Gesicht treiben. Wer regiert denn dieses Land seit 14 Jahren?

(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Zum Glück wir! Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: Das wird auch noch ein bißchen dauern!)

Sie sind es doch selbst, die diese Abgabenlast zu verantworten haben, und nicht irgendein Anonymus.
Ihre Politik der Umverteilung des Volkseinkommens - hören Sie genau zu, Herr Kollege Möllemann

(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Der will aber nicht!)

- dann soll er es bleiben lassen -

(Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: Ich höre zu!)

zu Lasten des Lohnanteils und Ihr Versagen bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit hat doch die Beitragssätze in die Höhe getrieben.

(Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: Sie reden schon genug, nun sagen Sie mal was!)

Hätten wir heute noch den gleichen Lohnanteil am Volkseinkommen wie 1982, zu dem Zeitpunkt, als Kohl zum ersten Mal zum Kanzler gewählt wurde, würde der Beitragssatz - hören Sie genau zu! - der gesetzlichen Krankenversicherung statt bei durchschnittlich 13,4 bei 12 Prozent liegen.
Sie brauchen mir das ja alles nicht zu glauben. Sie können es im „Statistischen Taschenbuch" des Bundesgesundheitsministers nachlesen. Dort steht schwarz auf weiß: Die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung sind, in Prozent des Bruttosozialproduktes gemessen, nicht gestiegen, sondern verharren bei 6 Prozent. Das ist doch die Ursache der Beitragssatzsteigerung. Das heißt, die von Ihnen beklagte Kostenexplosion im Gesundheitswesen ist eine Erfindung der Politik. Lassen Sie mich deutlich hinzufügen: Die Beitragsexplosion ist allerdings das Ergebnis Ihrer Politik.
Wenn Sie nun noch den Arbeitgeberbeitragssatz festschreiben wollen, laden Sie die Folgen Ihrer Politik ausschließlich bei den beitragszahlenden Versicherten ab. Das heißt, die Arbeitnehmer zahlen für Ihre Politik mehrmals: mit einem Rückgang des Anteils am Volkseinkommen, mit höheren Beitragssätzen, mit höherer Selbstbeteiligung und zum vierten mit Leistungsausgrenzungen bei Krankheit.

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1313904400
Herr Kirschner, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Klaus Kirschner (SPD):
Rede ID: ID1313904500
Gleich, Herr Kollege Zöller.
Ich will es an einem Beispiel verdeutlichen - das ist mir wichtig -: Nehmen wir einmal einen Arbeitnehmer mit 4 000 DM Bruttogehalt. Der Beitragssatz seiner Kasse liegt bei 13 Prozent. Sein Arbeitnehmeranteil beträgt damit 260 DM. Wenn Sie nun den Arbeitgeberbeitragssatz einfrieren und gleichzeitig die Kasse den Beitragssatz um einen Prozentpunkt erhöhen muß, bedeutet dieses für den Arbeitnehmer monatlich 40 DM an Stelle von sonst 20 DM mehr.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das macht niemand!)

Das heißt, er zahlt plötzlich 300 DM Beitrag monatlich. Gleichzeitig - das ist doch der von Ihnen eingebaute Mechanismus - steigt die Selbstbeteiligung bei Arzneimitteln um 10 DM; das wären 18 DM beim teuersten Arzneimittel.

(Eva-Maria Kors [CDU/CSU]: Wer macht das denn?)

Wenn er für 14 Tage ins Krankenhaus muß, steigt die Zuzahlung um 140 DM zusätzlich; wenn er eine Reha-Kur antritt - falls es die dann überhaupt noch gibt -, steigt die Zuzahlung von 525 DM auf 735 DM. Das sind die Folgen des Mechanismus, den Sie in dieses Gesetz hineinschreiben, und der von Ihnen geplanten Festschreibung des Arbeitgeberbeitragssatzes.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Wo denn, Herr Kollege? Auf welcher Seite denn?)

- Sie müssen Ihren eigenen Gesetzentwurf lesen, Herr Kollege Hornung.

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1313904600
Jetzt hat Herr Kollege Zöller das Wort.

Wolfgang Zöller (CSU):
Rede ID: ID1313904700
Herr Kollege Kirschner, Sie haben vorhin in Ihren Ausführungen den Anschein erweckt, als wäre das ganze Finanzierungsproblem ein Problem der Einnahmen, und haben es mit der sinkenden Lohnquote begründet. Können Sie mir bestätigen, daß dies überhaupt nicht der Fall sein kann? Es spricht nämlich folgende Zahl dagegen: 1991 haben die Krankenkassen 180 Milliarden DM eingenommen und 1995 - man höre und staune! -256 Milliarden DM. Sie haben also 42 Prozent mehr

Wolfgang Zöller
eingenommen. Das kann also nicht das Problem sein. Stimmen Sie den Zahlen zu?

Klaus Kirschner (SPD):
Rede ID: ID1313904800
Verehrter Herr Kollege Zöller, ich denke, Sie haben mir nicht zugehört. Ich habe wortwörtlich gesagt: Die Kostenexplosion im Gesundheitswesen ist eine Erfindung der Politik. Außerdem habe ich gesagt: Die Tatsache der Beitragsexplosion ist ein Ergebnis Ihrer Politik, deren Ursache darin liegt, daß ein Rückgang des Lohnanteils am Volkseinkommen zu verzeichnen ist. Die Beitragssätze orientieren sich aber an den Löhnen. Bei gleicher Sozialleistungsquote, in diesem Fall der gesetzlichen Krankenversicherung - das verzeichnen wir seit 14 Jahren -, bedeutet ein Rückgang des Lohnanteils eine automatische Steigerung der Beitragssätze. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik.

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das war keine Antwort auf meine Frage! Rechnen sollte man schon können! Horst Schmidbauer [Nürnberg] [SPD]: Milchmädchenrechnung der CDU/CSU!)

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Fink?

Klaus Kirschner (SPD):
Rede ID: ID1313904900
Ja, bitte.

Ulf Fink (CDU):
Rede ID: ID1313905000
Herr Kirschner, ich zitiere aus dem „Statistischen Taschenbuch 1996" des Bundesarbeitsministeriums. Könnten Sie mir die Zahlen bestätigen, wonach die Lohnquote im Jahr 1960 bei 60 Prozent, im Jahr 1980 bei 75,8 Prozent, im Jahr 1990 bei 69,6 Prozent und im Jahr 1995 bei 71,6 Prozent lag?

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Haben die unterschiedliche Bücher?)


Klaus Kirschner (SPD):
Rede ID: ID1313905100
Nein, ich beziehe mich auf dieselben Statistiken wie der Kollege Fink, sowohl auf die Statistik des Bundesarbeitsministers als auch auf die des Bundesgesundheitsministers. Es stehen ja in diesen Statistiken sehr viele vernünftige Dinge.

(Beifall des Abg. Wolfgang Zöller [CDU/ CSU])

Ich sage nicht, daß die Politik vernünftig ist; ich sage nur, daß das, was in der Statistik steht, vernünftig ist. Wir dürfen beides nicht miteinander verwechseln.
Tatsache ist, daß seit 1982 der Lohnanteil am Volkseinkommen um über fünf Prozent zurückgegangen ist.

(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Die Einnahmen sind um 40 Prozent gestiegen!)

Herr Kollege Fink, Sie können hier so lange, wie Sie wollen, aus der Statistik zitieren: An dieser Tatsache kommen auch Sie nicht vorbei.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1313905200
Herr Kirschner, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Fink?

Klaus Kirschner (SPD):
Rede ID: ID1313905300
Nein. Ich möchte, daß sich der Kollege Fink wieder setzen und sich so erholen kann.

(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Jetzt geht es ihm wie Herrn Dreßler! Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Wie Herr Dreßler! Er kneift!)

Ich will mit der Aufzählung dessen fortfahren, was Sie da alles planen. Denn das I-Pünktchen Ihrer Unfähigkeit, die soziale Krankenversicherung mit echten Reformen weiterzuentwickeln, ist Ihr sogenanntes Notopfer Krankenhäuser.

(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Nun, Klaus, sei still!)

Gab es vor Jahrzehnten das Notopfer Berlin, soll nun dieses Notopfer folgen. Herzlichen Glückwunsch kann ich dazu nur sagen.

(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Wo sind die Länder?)

Jetzt fehlt nur noch die blaue Sonderbriefmarke, die Sie dafür herausgeben.
Sie sollten diese Idee noch ausbauen. Ich schlage Ihnen beispielsweise vor, im Winter von den Krankenhauspatienten ein Notopfer Heizungskosten in Form von direkten Energiezuzahlungen oder mit einer Ölkanne pro Tag Krankenhausaufenthalt in Form von Sachleistungen erbringen zu lassen.

(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Es wird den Patienten nichts genommen! Eben nicht!)

Weiter wäre daran zu denken, daß die Patienten ein Notopfer Essenskosten erbringen. Hier wäre vorstellbar, daß die Patienten oder die Angehörigen das Essen in dem berühmten Henkelmann mitbringen.

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie sollten Ihre Reden wieder selber schreiben!)

Da dieser sicherlich nicht mehr in ausreichender Zahl in den Haushalten vorhanden ist, hätte dies den Vorteil, daß damit ein zusätzlicher Beschäftigungs- und Innovationsschub ausgelöst würde.

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Da müssen Sie jetzt selber lachen!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, der gesundheitspolitische Unsinn, den Sie hier vertreten, ruft bei mir - bitte entschuldigen Sie - nur noch bitteren Sarkasmus - anders kann ich das nicht ausdrükken - und eine breite Front der Ablehnung hervor. Was der Bundesgesundheitsminister sprachlich vermittelt - daß für Außenstehende die tatsächlichen Auswirkungen jeder einzelnen Maßnahme auf den ersten Blick gar nicht erkennbar sind -, sind in Wirklichkeit drastische Einschnitte bei medizinisch notwendigen Leistungen. Sie nennen das „Gestaltungsfreiheit der Krankenkassen". In Wirklichkeit

Klaus Kirschner
treiben Sie ein perfides Spiel: Sie lassen den Krankenkassen nur die Freiheit, zu Lasten kranker Menschen Leistungen aus dem Leistungskatalog zu streichen oder die Zuzahlungen weiter zu erhöhen. Denn das Milliardendefizit der gesetzlichen Krankenversicherung haben Sie zu einem erheblichen Teil herbeigeführt.
Man braucht auch hier kein Prophet zu sein, um zu erkennen, daß häusliche Krankenpflege, Kuren- und Reha-Leistungen, Fahrtkosten, Sprachheilbehandlung, Ergotherapie, Krankengymnastik usw. schon bald auf Grund Ihrer Politik aus dem Leistungsspektrum verschwinden werden.

(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Klaus, das glaubst Du doch selber nicht!)

Es handelt sich doch um eine Schrittvariation, die Sie hier machen.
Erstens. Die Gestaltungsleistungen müssen vollständig abgebaut werden - es steht doch in Ihrem Gesetzentwurf -, wenn die Beiträge deswegen erhöht werden müssen. Das steht in Ihrem Gesetzentwurf. Behaupten Sie doch nicht etwas anderes, was gar nicht im Gesetzentwurf steht!

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Hierzu eine Anmerkung: Die Mehrzahl der Krankenkassen hat heute bereits eine Beitragsunterdeckung. Beitragssatzerhöhungen sind also im Regelfall unausweichlich, zumal ja auch noch der Beitragssatz zum 1. Januar 1997 - so sieht es Ihr Gesetz vor - um 0,4 Beitragssatzpunkte gesenkt werden muß.
Zweitens. Gestaltungsleistungen werden im Risikostrukturausgleich nicht berücksichtigt. Die Krankenkasse, die Gestaltungsleistungen anbietet, würde allein auf Grund dieser Tatsache „wirtschaftlich unverantwortlich" handeln.
Drittens. Mit dem Instrument der Gestaltungsleistungen wird eine Auswahl über Angebotsstrukturen stattfinden. Das Motto lautet also zukünftig: Wer zuerst Leistungen für chronisch Kranke streicht, der hat einen Wettbewerbsvorteil. Genau dies bauen Sie in die gesetzliche Krankenversicherung ein; Herr Möllemann hat es im übrigen vorhin auch klar und deutlich gesagt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das wirklich Hinterhältige an dieser Politik ist, daß eine Kasse, wenn sie im Interesse ihrer Mitglieder ihren gesundheitspolitischen Auftrag erfüllt und als Krankenversicherung sinnvolle und wirtschaftliche Leistungen in der Satzung für Risikopatienten anbietet, Angst haben muß, von weiteren Risikopatienten gewählt zu werden. In der Folge steigen die Kosten. Da die Kassen aber in einem harten Wettbewerb stehen, besteht die Gefahr, daß diese sinnvollen Leistungen aus dem Leistungskatalog gestrichen werden. Sie, Herr Seehofer, wollen offensichtlich die gesetzliche Krankenversicherung - darauf ist das angelegt - auf eine Grundversorgung reduzieren. Damit gehen Sie den Weg in die Zwei-Klassen-Medizin.

(Rudolf Dreßler [SPD]: Sehr wahr!)

Wie bedrohlich Ihre Politik für die betroffenen kranken Menschen ist - das darf auch nicht den vielen Krankengymnasten, Logopäden, Kurfachkräften, Pflegern, ambulanten Pflegediensten usw. vorenthalten bleiben -, möchte ich mit einem Beispiel, wie es tagtäglich in der Praxis zu finden ist, verdeutlichen:

(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Sie verunsichern die täglich aufs neue!)

Denken Sie doch einmal an einen alten Patienten, der nach Behandlung eines Schlaganfalls aus dem Krankenhaus in seine häusliche Umgebung entlassen wird.

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Bei dem wird überhaupt nichts geändert!)

Auf Grund ärztlicher Verordnung erhält er häusliche Krankenpflege in Form der Grund- und Behandlungspflege sowie hauswirtschaftliche Versorgung, um einen längeren Krankenhausaufenthalt zu vermeiden.

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Auch zukünftig! Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Genau das!)

Dieser Patient steht exemplarisch für eine Vielzahl von Patienten, die wegen der Verkürzung der Verweildauer im Krankenhaus, die wir doch alle befürworten, auf die notwendige ambulante pflegerische Versorgung angewiesen ist.

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das kann man sogar noch ausbauen!)

Häusliche Krankenpflege ist somit eine grundlegende Voraussetzung zur Erreichung des politischen Ziels, vollstationäre Krankenhausbehandlung zu vermeiden bzw. zu verkürzen

(Beifall des Abg. Wolfgang Zöller [CDU/ CSU])

und dadurch Kosten zu senken.

(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Genau das wollen wir!)

Genau dies stellen Sie in Ihrem Gesetzentwurf zur Disposition.

(Beifall bei der SPD)

Reden Sie sich doch nicht heraus! Mit Ihren Gesetzesvorschlägen provozieren Sie willkürlich die Kürzung medizinisch notwendiger Leistungen

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Nein, wir fordern sie auf, mehr zu tun in dem Bereich!)

und belasten damit den Kranken mit zusätzlichen Kosten von Hunderten von Mark. Das ist doch die Politik. die Sie mit Ihrem Gesetzentwurf einleiten.
Ganz zu schweigen davon-, daß Sie die mühsam aufgebauten ambulanten Pflegedienste und Sozialstationen in den finanziellen Ruin treiben. Das ist weder im Interesse der kranken Menschen noch wirtschaftlich. Es bringt Arbeitslosigkeit für alle die Menschen, die gerne ihren Dienst am Patienten leisten.

Klaus Kirschner
Da hilft Ihnen auch nicht - damit richte ich mich besonders an den Bundesgesundheitsminister - Ihre Protokollnotiz zu dem Gesetz, im Gegenteil. Das muß man sich einmal vor Augen halten: Da rennt der Bundesgesundheitsminister durch die Lande und verkauft seine Vorschläge als Gestaltungsfreiraum der Krankenkassen. Und bei der Kabinettsbefassung erklärt er dann sinngemäß: Wenn aber die Krankenkassen diesen Gestaltungsfreiraum - der ja in Wirklichkeit ein Ausgrenzungsfreiraum ist -

(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Das haben Sie gesagt! Rudolf Dreßler [SPD]: Die Wahrheit!)

nutzen würden, dann müsse er neu nachdenken.

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das ist unverschämt!)

- Ich weiß gar nicht, warum Sie sich eigentlich aufregen.

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie haben den Minister falsch zitiert!)

- Sie müssen das nachher schon nachlesen. Dann werden Sie es verstehen. Sie müssen mit beiden Ohren zuhören.

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das werden Sie zurücknehmen, Kollege!)

Dazu fällt mir nur ein: Hier versucht ein Brandstifter sich gleichzeitig als Feuerwehrmann.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Die Versicherten der Krankenkassen und vor allem die kranken Menschen sollten noch eines wissen: Herr Seehofer, Sie hängen am Gängelband der kleinen F.D.P. Und die muß - ich zitiere den Kollegen Möllemann -

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Aber hoffentlich richtig!)

Gesundheitspolitik wieder zu einem ihrer Schwerpunkte machen. Es geht um Freiberufler wie Zahnärzte, Ärzte und Apotheker - eine klassische Klientel der F.D.P.
Stimmt doch, Herr Kollege Möllemann?

(Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: Ja, haben Sie etwas gegen die Leute?)

Nein, meine Damen und Herren von der F.D.P., es geht nicht um die Befriedigung der ,,Cash-Wünsche" Ihrer Schmusepartner. Es geht um die medizinische Versorgung kranker Menschen. Sie steuern mit Ihrem Kurs voll auf amerikanische Verhältnisse zu.

(Peter Dreßen [SPD]: Leider wahr!)

Jeder weiß, daß in den USA nun wirklich die Aussage zutrifft: Wenn du arm bist, mußt du früher sterben.

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1313905400
Herr Kirschner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Möllemann? - Bitte.

Jürgen W. Möllemann (FDP):
Rede ID: ID1313905500
Herr Kollege Kirschner, mir ist nicht ganz klar geworden, was Sie daran zu kritisieren haben, daß sich die F.D.P. für legitime Anliegen freier Berufe einsetzt.

(Lachen bei der SPD)


Klaus Kirschner (SPD):
Rede ID: ID1313905600
Was ich daran kritisieren wollte? Lieber Herr Kollege, ich kann nachvollziehen, daß Sie dies nicht verstehen wollen, weil Sie natürlich dieser Meinung sind. Sie haben klipp und klar gesagt: Es geht Ihnen darum, die Einkünfte von Freiberuflern wie Zahnärzten, Ärzten und Apothekern - eine klassische Klientel der F.D.P. - zu Lasten der kranken Menschen zu verbessern und nichts anderes.

(Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: Das habe ich nicht gesagt!)

- Das haben Sie zwar nicht gesagt, aber es ist die Konsequenz Ihrer Politik, lieber Herr Kollege Möllemann.

(Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P. Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das gibt es doch gar nicht! Jetzt wird es langsam schäbig!)

- Herr Kollege Zöller, was plustern Sie sich denn so auf?

(Beifall bei der SPD)

Ansonsten sind Sie doch wesentlich vernünftiger. Im Plenum erkenne ich Sie jetzt gar nicht mehr wieder. Im Ausschuß sind Sie ein völlig normaler Mensch. Hier tun Sie so, als ob. Bleiben Sie auf dem Boden!

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Hier bin ich normal!)

Ich will noch einmal zum Vergleich Bundesrepublik Deutschland und USA kommen. Unser Gesundheitswesen ist leistungsfähiger als das amerikanische. Lassen Sie sich dies wirklich sagen: Wir benötigen für die flächendeckende gesundheitliche Versorgung der Gesamtbevölkerung 8,6 Prozent des Bruttosozialprodukts. In den USA sind 15 Prozent der Menschen völlig ohne Krankenversicherungsschutz. 15 Prozent haben nur einen sehr eingeschränkten Krankenversicherungsschutz. Das heißt, in den USA sind es fast 80 Millionen Menschen, die einen unzureichenden oder gar keinen Krankenversicherungsschutz haben. Dort werden 14,2 Prozent des Bruttosozialprodukts für die gesundheitliche Versorgung benötigt. Das heißt, dort sind die Kosten bei einer solchen Unterversorgung um 50 Prozent höher als in der Bundesrepublik Deutschland. Ich frage Sie: Ist das Ihr Ziel?

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Nein!)

Lassen Sie mich noch ein Weiteres sagen. Ich will vor allen Dingen zum Bereich der Zahnmedizin kommen. Was Sie hier machen, ist, daß Sie den Schutz

Klaus Kirschner
der Versicherten vor finanzieller Überforderung an die Zahnärzte verkaufen.

(Beifall bei der SPD Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Sie haben es nicht gelesen!)

Der Freie Verband der Zahnärzte und die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung - da dürfen Sie sicher sein - werden Sie dafür zu Ehrenmitgliedern ernennen, daß Sie die Patientenrechte liquidieren und letzten Endes den Zahnärzten mehr Geld bringen. Um nichts anderes geht es bei dieser Politik.
Mit dieser Politik des Ausstiegs aus der Sachleistung bei der Zahnprothetik werden Sie die Geister bei dem Teil der Ärzteschaft auf den Plan rufen, der bei geringer werdenden Verteilungsspielräumen für sich ebenfalls den Ausstieg aus dem solidarisch finanzierten Sachleistungssystem fordert. Auch hier geht es letzten Endes um nichts anderes als um Geld, das die Patienten dann zusätzlich bezahlen sollen.
Ich stelle fest: CDU/CSU und F.D.P. begeben sich auf die Reise in ein anderes, für die Krankenversicherten eindeutig schlechteres, weil teureres und qualitativ minderwertiges Krankenversicherungssystem.

(Beifall bei der SPD Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: Das ist keine Feststellung! Das ist eine Behauptung, und zwar eine falsche!)

Dies alles geschieht, obwohl der Bundesgesundheitsminister am 4. Februar 1996 in der „Welt am Sonntag" festgestellt hat - ich zitiere -: „Wir können 25 Milliarden Mark sparen - aber wir haben versagt. " Richtig, Herr Seehofer, da kann ich Ihnen nur recht geben. Sie haben versagt. Anstatt die Rationalisierungsreserven im System, die Sie selbst aufgezeigt haben, auszuschöpfen, kassieren Sie bei den Kranken ab.

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch)

Ich will noch einmal ein Zitat von Herrn Seehofer bringen. Er sagt:
Ich kenne keine konkreten Pläne der F.D.P. Ich höre nur von den Vorstellungen, daß mehr Eigenbeteiligung der Patienten oder Differenzierung nach Regel- und Wahlleistungen der Kassen Schwerpunkte der F.D.P. sein könnten. Aber das ist der falsche Ansatz.
So stand es am 30. Juli dieses Jahres in der „Welt am Sonntag".
Der richtige Ansatz ist eine Neuordnung der sozialen Krankenversicherung aus einem Guß. Hier hat die SPD bereits im Herbst letzten Jahres ihre konkreten Vorstellungen präsentiert, mit denen erstens Geld im Versorgungssystem der sozialen Krankenversicherung eingespart werden kann, ohne - das ist das Entscheidende - medizinisch notwendige Leistungen zu streichen. Gleichzeitig wird die Versorgung der Patienten verbessert.
Die Kernpunkte unserer Vorschläge beinhalten eine globale Anbindung der Krankenkassenausgaben an die volkswirtschaftliche Leistungsfähigkeit durch ein Gesamtbudget sowie eine Mobilisierung von vorhandenen Wirtschaftlichkeitsreserven durch eine bessere Verzahnung von ambulanter und stationärer Behandlung, eine rationale Arzneimitteltherapie und die Stärkung hausärztlicher Versorgung. Das haben Sie abgelehnt.
Nun möchte ich noch einmal Herrn Seehofer zitieren, der am 30. Juni 1996 - da haben Sie die Katze aus dem Sack gelassen, was Ihr Gesetz betrifft - in einem „Spiegel"-Interview gesagt hat:
Anders als die F.D.P. finde ich Selbstbeteiligungen nicht erstrebenswert; wir benutzen sie nur als Druckmittel. Wenn eine Kasse ihre Beiträge erhöht, wird sie gleich doppelt unattraktiv für ihre Mitglieder ...
Meine Damen und Herren, einen solchen ruinösen Wettbewerb lehnen wir ab.

(Beifall bei der SPD)

Die SPD will einen Wettbewerb um effiziente Versorgungsstrukturen, um effiziente Versorgung der Patienten. Hier fordern wir Innovation von Krankenkassen, Ärzten, Pharmaindustrie. Dazu ist bei Ihnen Fehlanzeige zu vermelden.
Unser Konzept - da unterscheiden wir uns von Ihnen - mit einem Globalbudget beinhaltet - -

(Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: Wo ist denn Ihr Konzept? Sie haben überhaupt kein Konzept vorgelegt!)

- Herr Kollege Möllemann, kennen Sie nicht einmal die Gesetzentwürfe, die im Gesundheitsausschuß vorliegen?

(Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: Die schon, aber kein Konzept!)

Ich habe Verständnis, daß Sie die nicht kennen, denn Sie sind fast nie da. Das ist doch der entscheidende Punkt.

(Beifall bei der SPD)

Sie sind es, die dafür verantwortlich sind, wenn Patienten bei Erhöhung der Beiträge um einen Prozentpunkt in Zukunft für ein Medikament 18 DM oder pro Krankenhaustag 22 DM oder für 14 Tage Krankenhaus 308 DM, für Fahrten zum Krankenhaus 30 DM oder bei einer stationären Reha-Kur oder Vorsorgekur, soweit sie überhaupt noch gewährt werden, 735 DM bezahlen müssen. Meine Damen und Herren, das ist die Konsequenz Ihrer Politik, und diese lehnen wir ohne Wenn und Aber ab.
Ich bedanke mich.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1313905700
Ich gebe nun dem Bundesminister Horst Seehofer das Wort.


Horst Seehofer (CSU):
Rede ID: ID1313905800
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist beinahe unglaublich, was täglich, auch in dieser Diskussion, an Unwahrheiten und Verzerrungen immer wieder behauptet wird. Da beschäftigt sich der Kollege Klaus Kirschner mehrere Minuten mit einem Thema, das überhaupt nicht Gegenstand der beiden vorliegenden Gesetzentwürfe ist. Er erweckt den Eindruck, die Koalition würde heute die Festschreibung des Arbeitgeberbeitrags im Gesetz beschließen. Da diskutieren wir seit 120 Minuten über die Zukunft der deutschen Gesundheitspolitik, und ich habe während dieser 120 Minuten nicht in einer Minute von der Opposition gehört, wie sie sich eigentlich die Zukunft der deutschen Gesundheitspolitik vorstellt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das hat Herr Kirschner die ganze Zeit vorgetragen! Das Wichtigste ist, daß Sie endlich aufhören, Politik zu machen! Das wäre der größte Gewinn für die Gesundheitspolitik!)

Herr Kollege Dreßler, Sie zitieren mich heute mehrfach völlig aus dem Zusammenhang gerissen, unter anderem mit einer Äußerung vor der Bundespressekonferenz. Ich würde das hier normalerweise nicht einführen. Ich führe es nur ein, um einmal deutlich zu machen, was Kollege Dreßler unter kollegialem Umgang versteht. Ich habe als Reflex auf die pausenlosen Kommentare und Veröffentlichungen, ich hätte gewissermaßen nur Vorstellungen übernommen, die der Koalitionspartner mir vorgelegt hätte, in der Bundespressekonferenz gesagt: Dann hatte ich sehr schöne drei Monate, das war eine Humanisierung des Erwerbslebens und wunderbar.
Ich habe mich mit dem Kollegen Dreßler anschließend im Bundestagsrestaurant getroffen und mit ihm darüber gesprochen. Er kann also nicht von einem Mißverständnis ausgehen. Er kennt die Begründung, die Intention meiner Einlassungen genau. Daß er trotzdem hier im Bundestag wieder aus dem Zusammenhang herausgerissen wider besseres Wissen den Eindruck erweckt, der Seehofer war mit der Vorlage der F.D.P. einverstanden und hat sie nur unterschrieben, ist einfach zutiefst unkollegial, Herr Kollege Dreßler.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Es wurde wieder einmal gesagt, die Krankenkassen in Deutschland leisteten immer weniger für die gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung. Daß wir im weltweiten Vergleich eine hohe Qualität der medizinischen Versorgung haben, ist allgemein bekannt und unbestritten. Aber ich möchte vor dem Hintergrund der Behauptungen, daß die Krankenkassen in Deutschland immer weniger für den sozialen Schutz ihrer Versicherten täten und dies angeblich politisch verursacht sei, einmal auf folgendes hinweisen. Wir haben 1991 innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland insgesamt 173 Milliarden DM für Leistungen für kranke Menschen ausgegeben. Diese Summe hat sich Ende 1995 auf 228 Milliarden DM für Leistungen innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung erhöht. Das sind 55 Milliarden DM mehr innerhalb von .drei Jahren oder 30 Prozent mehr Krankenversicherungsschutz für 72 Millionen Versicherte. Bei aller Strenge in der Auseinandersetzung: Nie zuvor wurde in Deutschland mehr von der Krankenversicherung für den sozialen Schutz von kranken Menschen ausgegeben als heute.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) 30 Prozent mehr seit 1991!

Deshalb ist das Geschreibe und Gerede, wir hätten ein marodes Gesundheitswesen, nicht richtig. Wir haben im weltweiten Maßstab die höchste Qualität, die beste Versorgungssicherheit und den umfassendsten sozialen Schutz im Falle der Krankheit. Ich möchte mit keinem Land auf dieser Erde tauschen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Außer Herr Dreßler!)

Gesundheit ist für den Menschen das höchste Gut. Aber es eignet sich - das haben wir heute wieder erlebt - sehr gut für Nebelkerzen, für Mißbrauch, für das Schüren von Ängsten. Vieles wird mit Dingen vermischt, die mit dieser Reform gar nichts zu tun haben. Ich gehe einmal auf die aktuelle Diskussion zu der Arzneimittelversorgung und dem Arzneimittelbudget in der Bundesrepublik Deutschland ein und möchte hier wenigstens den Gutwilligen sagen, wie die tatsächliche Lage ist.
Es gab in der Bundesrepublik Deutschland - jewells für den Westen und für den Osten - nur in einem Jahr - im Westen 1993 und im Osten 1994 - ein gesetzlich festgelegtes Arzneimittelbudget. Seit 1993 im Westen und 1994 im Osten ist es alleine Kompetenz und Aufgabe der Selbstverwaltung, also der Ärzte und Krankenkassen, alljährlich zu vereinbaren, welcher Umfang an Arzneien und Heilmitteln zur Versorgung der Bevölkerung in einer bestimmten Region notwendig ist. Dies liegt jetzt alleine in der Kompetenz der Selbstverwaltung.
Die Mehrheit der Kassenärztlichen Vereinigungen und der Krankenkassen haben seit 1993 bzw. 1994 von dieser Möglichkeit nicht Gebrauch gemacht. Der Bundesgesundheitsminister hat Mitte des Jahres 1995 Ärzte, Länderaufsichten und Krankenkassen schriftlich darauf aufmerksam gemacht: Macht von dieser Möglichkeit der Selbstverwaltung Gebrauch, weil es sonst in der Zukunft zu Überschreitungen von Arzneimittelbudgets mit Regressen für Ärzte kommt. Die Mehrheit der Kassenärztlichen Vereinigungen und der Krankenkassen haben - ich sage das noch einmal - bis zu diesem Monat, bis zum November 1996, von dieser Möglichkeit nicht Gebrauch gemacht.

(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Aha!)

Das liegt nicht am Gesetzgeber, sondern an der Selbstverwaltung. Nicht der Gesetzgeber ist für die Auseinandersetzung um die Arzneimittelversorgung in der Bundesrepublik Deutschland verantwortlich, sondern die Selbstverwaltung, die alleine in voller Kompetenz und ohne jede gesetzliche Beschränkun-

Bundesminister Horst Seehofer
gen die Höhe des Arzneimittelverbrauchs festlegen könnte.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Es muß kein notwendiges Medikament verweigert werden, etwa durch gesetzliche Sparmaßnahmen. Es können in diesen Arzneimittelbudgets das Alter der Versicherten, die Veränderungen der Versichertenzahlen, die Veränderungen der Arzneimittelpreise, Unwirtschaftlichkeiten und Innovationen auf dem Arzneimittelmarkt berücksichtigt werden. Der Gesetzgeber war sogar so großzügig, zu sagen: Wenn sich die beiden Partner in ihrer Kalkulation des Arzneimittelverbrauchs für ein Jahr einmal täuschen sollten, können sie Abweichungen in den Folgejahren verrechnen.

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Beschluß mit der SPD!)

Deshalb ist die Wahrheit die: Nicht der Gesetzgeber, sondern die Ärzte und Krankenkassen haben alleine zu entscheiden, wie der Arzneimittelverbrauch in den Regionen ist. Das ist ihre Kompetenz. Deshalb ist es völlig falsch, die Politik dafür verantwortlich zu machen, daß Ärzte und Krankenkassen in der Bundesrepublik Deutschland in den letzten Jahren partiell nicht gehandelt haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Zum Thema Krankenhausinstandhaltung.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Hochinteressant!)

Darunter fallen die baulichen Aufwendungen für Dachsanierungen, Fassaden, Brandschutz, Sicherheit. Das Bundesverwaltungsgericht hat Anfang 1993 entschieden, daß die gesetzliche Grundlage aus den 80er Jahren nichtig ist. Seit diesem Zeitpunkt haben sich die Länder - mit Ausnahme von Bayern - aus der Krankenhausinstandhaltung zurückgezogen. Die Behauptung ist falsch, daß die Länder nicht mehr zahlen könnten oder dürften. Sie wollen in ihrer großen Mehrheit nicht bezahlen.

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das ist es!)

Herr Professor Pfaff, selbst wenn Ihre Argumentation, daß sie nicht zahlen dürfen, zutreffen würde, frage ich Sie, warum die SPD im Bundesrat 1993 einen Gesetzentwurf, den wir eingebracht haben, mit der klaren rechtlichen Grundlage, daß die Länder zahlen sollen, abgelehnt hat, warum Sie 1995 mit Ihrer SPD-Mehrheit im Bundesrat einen zweiten Anlauf, daß die Länder zahlen sollen, abgelehnt haben und warum Sie 1996 die Verhandlungen zwischen einer Delegation der SPD und der Koalition zu diesem Thema nach zweieinhalb Stunden beendet haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1313905900
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Horst Seehofer (CSU):
Rede ID: ID1313906000
Ja.

Prof. Dr. Martin Pfaff (SPD):
Rede ID: ID1313906100
Herr Minister, ist es nicht richtig, daß Sie der Kapitän des Schiffes sind und jetzt die Heizer dafür verantwortlich machen, daß dieses Schiff vom Kurs abgekommen ist?

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Dümmer geht es nicht!)

Ist es nicht richtig, daß wir gemeinsam in Lahnstein angetreten sind, um die Ausgabendynamik zu brechen? Haben Sie nicht gerade von diesem Pult im Brustton des Stolzes verkündet, daß es ein Erfolg wäre, daß es Ihnen nicht gelungen ist, die Ausgaben zu steuern? Ist es nicht richtig, daß die einzelnen Krankenkassen sehr beschränkte Möglichkeiten der Steuerung haben, weil Sie sie ihnen bisher verweigert haben, und daß die Krankenkassen eigentlich selbst gesagt, haben: Die Politik ist wegen der Verschiebebahnhöfe schuld an den Überschreitungen? Sie sind vor allem an dieser Entwicklung schuld. Warum gestehen Sie das nicht offen und ehrlich ein?

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Horst Seehofer (CSU):
Rede ID: ID1313906200
Meine Damen und Herren, ich möchte darauf aufmerksam machen, um welch ernsthaftes Problem es bei der Krankenhausinstandhaltung geht. Wenn wir dieses Problem weiterhin ungelöst ließen, würde das beispielsweise bedeuten, daß in den Krankenhäusern notwendigste Investitionen für die Sicherheit und für den Brandschutz nicht erfolgen könnten. Wenn im ersten Krankenhaus - was wir nicht wollen und nicht hoffen - irgend etwas passiert, Patienten und andere Menschen dadurch gefährdet werden, ist das Problem da. Darum geht es hier.
Hier tritt der Professor Pfaff auf, geht nicht auf das Problem ein, sondern schwätzt über politische Verantwortlichkeiten. Herr Professor Pfaff, hätte die SPD im Bundesrat dem Gesetzentwurf zugestimmt, hätten wir dies schon längst erledigt. Es ist unverantwortlich, was Sie hier tun.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Was sollen die Menschen eigentlich denken, wenn hier Politiker pausenlos darüber reden, wer eigentlich zuständig wäre. Die Bundesländer haben die Zustimmung verweigert. Ich könnte es mir jetzt mit der Koalition einfach machen und sagen: Die Länder haben sich verweigert. - Den Patienten in den Krankenhäusern und den Krankenhausträgern wäre damit aber nicht geholfen.
Wir nehmen politische Verantwortung wahr. Wir schlagen eine Lösung vor, ohne damit die Arbeitskosten zu belasten. Es ist eine Lösung, die auch auf die soziale Schutzbedürftigkeit von Versicherten Rücksicht nimmt, indem alle Versicherten von dem Krankenhausbeitrag befreit sind, die über ein unzureichendes Einkommen verfügen - das sind acht Millionen Menschen -, und alle Menschen, die beitragsfrei familienversichert sind, ebenfalls zu dieser Krankenhausinstandhaltung nicht herangezogen werden. Dies ist Wahrnehmung von Verantwortung: ein Pro-

Bundesminister Horst Seehofer
blem unter Beachtung der sozialen Schutzbedürftigkeit der Menschen lösen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Herr Professor Pfaff, Sie haben die Möglichkeit, auf die von Ihrer Partei geführten Länder einzuwirken. In den Bundesländern, in denen die Krankenhausinstandhaltung ab 1997 aus den Landeshaushalten finanziert wird, kommt es nicht zu einer Belastung der Krankenversicherungen mit Kosten für Krankenhausinstandhaltung. Deshalb appelliere ich heute an alle 15 Bundesländer, in den nächsten Monaten dafür Sorge zu tragen, daß sie ihrer Pflicht nachkommen, nämlich die Krankenhausinstandhaltung aus den Länderhaushalten zu finanzieren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Rudolf Dreßler [SPD]: Schwach, ganz schwach!)

Zu dem Thema Gestaltungsleistungen.

(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Das ist gut!)

Meine Damen und Herren, wir müssen begreifen, daß der Weg der letzten 20 Jahre mit immer neuen Reglementierungen, immer neuen Paragraphen und immer neuen Budgetierungen einfach die Grenze seiner Wirksamkeit erreicht hat. Wir laufen eigentlich immer den tatsächlichen Entwicklungen hinterher.
Deshalb ist und bleibt der alte Grundsatz richtig: Man soll einer größeren Einheit - in unserem Falle dem Staat - nichts übertragen, was eine kleinere Einheit, nämlich die Selbstverwaltung, genausogut erledigen kann.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Deshalb kann unser Grundsatz nur lauten, daß wir die Selbstverwaltung stärken, daß wir ihr mehr Kompetenzen und Handlungsspielräume geben. Es ist doch das Erfolgsmodell des deutschen Gesundheitswesens, daß wir weder die Privatisierung der Krankheitsrisiken mit all den sozialen Verwerfungen, wie sie die Amerikaner haben, noch die Verstaatlichung mit dem Ergebnis haben, daß in der gesetzlichen Krankenversicherung zwar alle gleich sind, aber auch gleich arm.
Unser Erfolgsmodell ist die Selbstverwaltung. Wenn wir dieses Prinzip ernst nehmen, müssen wir auch bereit sein, den Krankenkassen und den Selbstverwaltungen mehr Kompetenzen zu übertragen. Das tun wir. Wir haben aber von der ersten Minute an klargestellt, daß Gestaltungsleistungen kein Mittel zur Leistungsausgrenzung sind, sondern ein Mittel, Leistungen treffsicherer und effizienter zu gestalten. Das ist unser Ansatzpunkt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich bin den Krankenkassen sehr dankbar, daß sie gestern und heute auch in Interviews und Veröffentlichungen klarstellen, daß das, was die Opposition ständig behauptet, mit der Realität nichts zu tun hat. Der Chef der Barmer Ersatzkasse erklärt heute in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung":
Wir wollen keine generelle Kürzung der Leistungen vornehmen. Wenn wir die häusliche Krankenpflege streichen würden, blieben die Patienten länger im Krankenhaus, so daß es für die Kassen insgesamt teurer würde.
Die Betriebskrankenkassen erklärten gestern:
Befürchtungen über Streichungen von Gestaltungsleistungen sind unbegründet.
Meine Damen und Herren, das ist die Wahrheit.

(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: So ist es! Dr. Wolfgang Wodarg [SPD]: Sie wissen, daß das nicht stimmt!)

Den Sinn der Gestaltungsleistungen, Herr Kollege Dreßler, möchte ich Ihnen einmal an einem Beispiel deutlich machen.

(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Das ist auch notwendig!)

Wir haben in Deutschland das Problem, daß die Häufigkeit von Krankenhausaufenthalten ständig steigt. Das liegt an der steigenden Lebenserwartung; das liegt auch daran, daß der ambulante Bereich nicht immer optimal - gerade an Wochenenden und nachts - besetzt ist.
Deshalb muß es doch unser gemeinsames Anliegen sein, die häusliche Krankenpflege in der Bundesrepublik Deutschland in Zukunft so zu organisieren, daß es einem Menschen bei bestimmten Indikationen durch eine Kombination von sozialpflegerischer Betreuung und hausärztlicher Versorgung ermöglicht wird, zu Hause gepflegt und betreut zu werden, womit eine Krankenhauseinweisung vermieden wird.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Da ist in Deutschland noch nicht alles zum Besten bestellt. Viele Menschen, die im Krankenhaus liegen, sind auf sich gestellt, wenn es um die Versorgung nach der Krankenhausentlassung geht. Da sind die Krankenkassen aufgerufen - ich denke, sie werden auch reagieren -, mit Ärzten, mit Sozialstationen, mit Schwestern und Pflegern Verträge zu machen, ein Angebot für ihre Versicherten zu gestalten, damit ein Kranker nicht lange nach der nächsten Sozialstation und nach dem nächsten Arzt suchen muß, sondern eine umfassende Paketlösung für die häusliche Krankenpflege vorfindet.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Das ist Gestaltung in der Bundesrepublik Deutschland.
Zu den Fahrtkosten. Wir haben in den letzten Wochen unheimlich oft erklärt: Wir wollen, daß der Nierendialyse-Patient, der Chemotherapie-Patient auch in der Zukunft umfassend seine Fahrtkosten erstattet bekommt. Aber Sie wissen wie wir, daß es auch Menschen gibt, die ihre Eigenverantwortung so verstehen, daß sie sich zu Lasten der Krankenversicherung mit einem Taxi zum Arzt fahren lassen, ohne daß sie gehbehindert sind, ohne daß sie liegend transportiert

Bundesminister Horst Seehofer
werden müssen, ohne daß sie einer Betreuung durch einen Rettungssanitäter bedürfen. Auch das ist eine Zerstörung der Solidarität, wenn Eigenverantwortung nicht wahrgenommen wird.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Nicht erst heute oder vor zwei Tagen, sondern nachdem wir den Gesetzentwurf das erste Mal im Kabinett behandelt haben, sind wir gemeinsam mit den zuständigen Koalitionsabgeordneten vor die Bundespressekonferenz gegangen und haben bereits vor über vierzehn Tagen öffentlich erklärt: Gestaltungsleistung heißt nicht Leistungsausgrenzung.
Ich wiederhole hier, daß weder die Heilmittel noch die häusliche Krankenpflege, noch die Rehabilitation, noch die Kuren als Leistungen aus der gesetzlichen Krankenversicherung ausgegrenzt werden. Wer trotz dieser klaren politischen Aussage weiterhin zu Demonstrationen aufruft oder hier anderes behauptet, tut das wider besseres Wissen. Die Vermutung liegt nahe, daß er dies nicht aus sachlichen, sondern aus ganz niederen parteipolitischen Motiven tut.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1313906300
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Pfaff?

Horst Seehofer (CSU):
Rede ID: ID1313906400
Ja.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1313906500
Bitte, Herr Kollege.

Prof. Dr. Martin Pfaff (SPD):
Rede ID: ID1313906600
Herr Bundesminister, ist Ihnen der Vermerk des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung an Ihr Haus bekannt, in dem exakt behauptet wird, daß dieses Gesetz die häusliche Krankenpflege und die ambulante Rehabilitation betrifft, und zwar dadurch, daß diese jetzt als Satzungsoder Gestaltungsleistungen vorgesehen sind? Ich zitiere:
Von dieser Umgestaltung ist auch die stationäre medizinische Rehabilitation betroffen.
Am Ende steht:
Es ist absehbar, daß dies zu einer Verlagerung der
Belastungen in die Pflegeversicherung führt.
Das ist doch eine unehrliche Argumentation. Haben Sie doch zumindest die Courage, offen zu Ihrer Politik der Leistungseinschränkung zu stehen.

(Beifall bei der SPD)

Das wäre im Gegensatz zu dem, den Leuten ein X für ein U vorzumachen, wenigstens eine redliche Politik.

Horst Seehofer (CSU):
Rede ID: ID1313906700
Herr Professor Pfaff, Sie wissen doch auch von mir persönlich, daß das, was Sie jetzt wieder behaupten, von der Koalition ausdrücklich ausgeschlossen wird. Es darf eben nicht zu einer Leistungsverschiebung in die Pflegeversicherung kommen. Wir werden das auch sicherstellen. In dieser Sache bin ich mit dem Kollegen Norbert Blüm völlig einig.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU Rudolf Dreßler [SPD]: Das steht doch im Gesetz!)


Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1313906800
Herr Minister, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?

Horst Seehofer (CSU):
Rede ID: ID1313906900
Nein, jetzt nicht mehr.
Zur Beitragsgestaltung in der gesetzlichen Krankenversicherung. Es ist hier von den Vorrednern der Koalition bereits mehrfach gesagt worden: Wir können uns höhere Lohnnebenkosten in der Bundesrepublik Deutschland wegen Unwirtschaftlichkeiten in der gesetzlichen Krankenversicherung einfach nicht mehr leisten. Deshalb ist das erste Gebot, daß wir innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung durch Erschließung aller Wirtschaftlichkeitsreserven dafür sorgen, daß es in der Bundesrepublik Deutschland wegen Unwirtschaftlichkeiten in der Krankenversicherung keine Beitragserhöhungen mehr gibt, wie das in der Vergangenheit der Fall war.
Es kann doch nicht sein, daß für den Anstieg von 40 Prozent bei den Kuren, bei den Fahrtkosten von 45 Prozent, bei manchen Heil- oder Hilfsmitteln von 20 Prozent und 30 Prozent Beitragserhöhungen durchgeführt werden. Das wäre sozial zutiefst ungerecht. Es gibt eine Kasse, die in Niedersachsen Fotoapparate an ihre Versicherten verteilt hat. Wir können doch in Deutschland nicht soweit kommen, daß für Kranke kein Medikament zur Verfügung steht, aber Gesunde von der Krankenkasse Fotoapparate überreicht bekommen. Das ist Realität gewesen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Das erste Gebot lautet also: keine Beitragserhöhungen wegen Unwirtschaftlichkeiten.
Das zweite Gebot lautet: Wenn es zu Beitragserhöhungen kommt, dann kann nicht die volle Wucht der Beitragserhöhung auf die Lohnnebenkosten überwälzt werden; dann brauchen wir ein Stück mehr Eigenverantwortung und Zuzahlung in der Bundesrepublik Deutschland. Das müssen wir den Menschen sagen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich sage das vor dem Hintergrund, daß wir all die Menschen, die sich eine höhere Zuzahlung auf Grund ihres Einkommens nicht leisten können, ohnehin von dieser Zuzahlung ausnehmen. Jetzt sage ich zum wiederholten Male: Für keinen Sozialhilfeempfänger, keinen Arbeitslosenhilfeempfänger, keinen BAföG-Empfänger, kein Kind und kein Rentnerehepaar mit einer Rente von weniger als 2 200 DM wird für Arzneimittel, für Heilmittel oder für Fahrtkosten

Bundesminister Horst Seehofer
auch nur eine einzige Mark an Zuzahlung in der Bundesrepublik Deutschland fällig. Diese Menschen sind davon völlig befreit, und das sind immerhin 8 Millionen Menschen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wir haben eine Obergrenze von 2 Prozent - deshalb, Herr Kollege Dreßler, ist es bewußt irreführend, was Sie in die Öffentlichkeit setzen - bei den Zuzahlungen für Arznei- und Heilmittel und Fahrtkosten. Das heißt, selbst jenen Menschen, die auf Grund ihres Einkommens von der Zuzahlung nicht völlig befreit sind, mutet der Gesetzgeber - das gilt bereits seit 1989 - nicht mehr als 2 Prozent ihres Einkommens an Zuzahlungen zu. Jetzt verbessert die Koalition das noch dadurch, daß wir sagen: Bei einem chronisch Kranken reduziert sich diese Obergrenze auf 1 Prozent.
Herr Kollege Dreßler, das Beispiel, das Sie gewählt haben, war ein Alleinstehender mit 2 000 DM monatlich. Als chronisch Kranker zahlt dieser Mensch nicht mehr als 20 DM dazu. Dafür bekommt er aber auch im weltweiten Maßstab eine optimale medizinische und pflegerische Betreuung. Meine Damen und Herren, das ist doch sozial verantwortlich.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Ich sage Ihnen allen Ernstes: Wenn wir nicht bereit sind, einen höheren Anteil des verfügbaren Einkommens ohne Belastung der Arbeitskosten für die medizinische Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland aufzuwenden, werden wir weder die Versorgungsqualität noèh das Versorgungsniveau, das wir heute Gott sei Dank in Deutschland haben, halten können.
Die Alternative einer dauerhaften Budgetierung wäre die unsozialste Lösung, die man sich vorstellen kann; denn das wäre die Rationierung. Rationierung von notwendigen Gesundheitsleistungen würden bedeuten, daß wir ebenso wie in anderen hochindustrialisierten Ländern, beispielsweise Großbritannien, Wartelisten im Krankenhaus bekämen. In Großbritannien müssen Sie bis zu einem Jahr warten, wenn Sie nicht gerade ein Akutfall sind. Dort wird ab einem bestimmten Alter die medizinische Versorgung zu Lasten des staatlichen Gesundheitswesens nicht mehr durchgeführt. Dann könnten wir notwendige Therapien in der Bundesrepublik Deutschland nicht mehr solidarisch finanzieren. Die unsozialste Form von Gesundheitspolitik ist die Rationierung notwendiger Gesundheitsleistungen, und das wollen wir nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Unruhe)


Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1313907000
Herr Minister, ich muß Sie einen Augenblick unterbrechen. - Meine Herren Kollegen, es geht nicht, daß Sie hier im Raum herumstehen und eine Fülle privater Unterhaltungen führen. Ich möchte Sie ersuchen, den Raum zu verlassen, wenn Sie nicht die Absicht haben, der Debatte zu folgen; oder ich unterbreche die Sitzung.
Herr Minister, bitte fahren Sie fort.

Horst Seehofer (CSU):
Rede ID: ID1313907100
Vielen Dank, Herr Präsident.
Das ist genau die Richtungsentscheidung, um die es jetzt geht. Sind wir bereit, die Wirtschaftlichkeitsreserven im Gesundheitswesen auszuschöpfen? Dafür treten wir ein. Sind wir bereit, der Bevölkerung zu sagen, daß wir, wenn eine Rationierung von notwendigen Gesundheitsleistungen vermieden werden soll, auch einen höheren Teil des verfügbaren Einkommens für die gesundheitliche Versorgung unserer Bevölkerung aufwenden müssen? Daran führt kein Weg vorbei.

(Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: So ist das!)

Wir können uns die einfachste Lösung aus der Vergangenheit, immer neue Ansprüche mit immer höheren Sozialversicherungsbeiträgen zu finanzieren, wegen der Arbeitsplätze, wegen des Wirtschaftsstandorts Deutschland, aber auch wegen der leistungsbereiten Arbeitnehmer, die nicht einen immer höheren Teil ihres Arbeitseinkommens durch höhere Beiträge verlieren wollen, nicht mehr leisten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Das, was wir vorschlagen, ist geeignet, die hohe Leistungsfähigkeit des deutschen Gesundheitswesens und den notwendigen Schutz innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung auf hohem Niveau fortzuentwickeln. Wir sichern die Qualität der medizinischen Versorgung. Der soziale Schutz bleibt gewährleistet. Die Eigenverantwortung ist maßvoll und berücksichtigt die Leistungsfähigkeit der Menschen. Sie nimmt auch Rücksicht auf das soziale Schutzbedürfnis.
Mit am wichtigsten aber ist mir, daß wir in der Bundesrepublik Deutschland ja sagen zum medizinischen Fortschritt und uns nicht durch falsche staatliche Planwirtschaft, Budgetierung und Reglementierung vom medizinischen Fortschritt, der im Kern ein Segen für die Menschen ist, abkoppeln.

(Abgeordnete der SPD halten rote Abstimmungskarten hoch Zuruf von der SPD: Rote Karte!)

Qualität erhalten, sozialen Schutz gewährleisten und Teilhabe am medizinischen Fortschritt in der Bundesrepublik Deutschland - das ist die Grundlage unserer Gesundheitsreform und nicht das, was aus einem bösen Willen heraus und mit einer gehörigen Portion Agitation ständig behauptet wird, nämlich daß wir Behinderte und chronisch Kranke bestrafen wollten. Es ist unser großer Auftrag, daß wir gerade jene Menschen, die sich selbst helfen wollten, aber selbst nicht helfen können, umfassend sozial schützen und sie aus den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung nicht ausgrenzen.
Wenn wir diese beiden Reformen durchführen, werden wir in wenigen Monaten schon erleben, daß all das, was hier behauptet wird, in der Praxis nicht

Bundesminister Horst Seehofer
eintritt, so wie das meiste, was 1992/93 behauptet wurde - der Niedergang der deutschen Krankenhauslandschaft, der Medikamentenversorgung, der Apotheken, der Krankengymnasten und der Masseure -, nicht eingetreten ist. Wir in der Bundesrepublik Deutschland wollen das bewährte Solidarprinzip und unsere medizinisch qualitativ hochwertige Versorgung erhalten. Dafür werden wir in den nächsten Monaten kämpfen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1313907200
Ehe ich das Wort zu zwei Kurzinterventionen erteile, möchte ich folgendes sagen: Herr Kollege Dr. Thomae, Sie haben, wie ich aus dem Stenographischen Protokoll ersehe, vorhin dem Kollegen Dreßler in einem Zwischenruf zugerufen: „Sie lügen bewußt!"

(Unruhe bei der SPD)

Nun möchte ich angesichts der Schärfe der Formulierungen, deren sich der Kollege Dreßler normalerweise befleißigt, davon absehen, Ihnen einen formalen Ordnungsruf zu erteilen.

(Unruhe bei und Zurufe von der SPD)

Aber ich bitte alle Kollegen des Hauses sehr darum, sich hier keiner Ausdrucksweisen zu bedienen, die den Tatbestand der Beleidigung erfüllen. Das ist unparlamentarisch und gilt für alle Seiten. Ich werde das hier nicht dulden.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das gilt aber besonders für Herrn Thomae! Anhaltende Unruhe)

- Ich möchte die Kollegen, die hier private Unterhaltungen führen, bitten, die Verhandlung nicht zu stören, weil ich ansonsten die Sitzung unterbrechen werde.
Ich gebe nun dem Abgeordneten Kirschner das Wort zu einer Kurzintervention. Bitte schön.

Klaus Kirschner (SPD):
Rede ID: ID1313907300
Herr Minister Seehofer, Sie haben gerade in Ihrer Rede ausgeführt: Wer behauptet, daß die häusliche Krankenpflege durch den vorliegenden Gesetzentwurf ausgeschlossen wird, handelt wider besseres Wissen unredlich.
Uns allen liegt ein Entwurf des 2. GKV-Neuordnungsgesetzes, Bundestagsdrucksache 13/6087, vor. Auf Seite 72 steht in der Begründung Ihres Gesetzentwurfes unter „Gestaltungsmöglichkeiten im Satzungsrecht" wortwörtlich:
Zukünftig können die Krankenkassen nachfolgende Leistungen nach Art und Umfang gestalten:
- häusliche Krankenpflege,
- Fahrkosten mit Ausnahme von Rettungstransporten,
- Kuren und Rehabilitationen ...,
- Heilmittel,
- Auslandsleistungen Zwei Sätze weiter heißt es:
Beitragssatzanhebungen, die aufgrund von höheren Aufwendungen für diese Gestaltungsleistungen erforderlich werden, sind ausgeschlossen.
Ich stelle hiermit fest, Herr Kollege Seehofer, daß Sie in diesem Gesetzentwurf ausdrücklich festlegen, daß, wenn Beitragssatzanhebungen für die Gestaltungsleistungen, die ich aufgeführt habe, notwendig sind, solche Gestaltungsleistungen nicht mehr möglich sind. Das steht dort klar und deutlich.

(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Das steht da nicht drin!)

Herr Kollege Seehofer, dies steht in Ihrem Gesetzentwurf. Sie können sich drehen und wenden, wie Sie wollen: Sie müssen hier erklären, daß dies nicht mehr gilt bzw. daß Sie bereit sind, hier entsprechende Änderungsanträge einzubringen. Bis heute jedenfalls steht dies so in Ihrem Gesetzentwurf.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Monika Knoche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und der Abg. Dr. Barbara Höll [PDS])


Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1313907400
Herr Minister, wenn Sie einverstanden sind, gebe ich zunächst das Wort zur zweiten Kurzintervention. Sie können dann beide zusammen beantworten.
Ich gebe dem Abgeordneten Karl Haack das Wort zu der zweiten Kurzintervention.

Karl Hermann Haack (SPD):
Rede ID: ID1313907500
Herr Bundesgesundheitsminister, ich melde mich in folgender Angelegenheit: Sie haben in Ihren Eingangsworten zur Strukturreform des Gesundheitswesens eine Argumentation zur Ablenkung von den politischen Problemen gebraucht, indem Sie den gesetzlichen Krankenkassen die Schuld geben.
Ich beobachte und lese Ihre Einlassungen in der Presse regelmäßig und stelle fest, daß Sie zunehmend eine Hetze gegen die gesetzliche Krankenversicherung betreiben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Sie bauen ein Feindbild auf, das mich in fataler Weise an die Weimarer Republik erinnert.

(Zurufe und Lachen bei der CDU/CSU Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Karl Hermann Haack!)

Als in der Weimarer Republik die soziale Sicherheit zur Disposition stand, bedienten sich das rechte und das liberale Lager der Hetze gegen die sozialen Sicherungssysteme und gegen die Männer und Frauen, die dort damals tätig gewesen sind.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das können Sie in der Sozialgeschichte nachlesen.
Ich möchte für mich, für meine Partei und für die Fraktion in diesem Hause feststellen, daß wir diese Art der Argumentation, den Aufbau eines solchen

Karl Hermann Haack (Extertal)

Feindbildes, ablehnen. Wir fordern Sie eindringlich auf, das zu unterlassen und auch einmal positive Worte für die Arbeit der gesetzlichen Krankenversicherung in der Gesamtheit zu finden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1313907600
Herr Minister, Sie können antworten. Bitte.

Horst Seehofer (CSU):
Rede ID: ID1313907700
Herr Kollege Kirschner, Sie haben heute mehrfach das Argument gebraucht: Wenn wegen der Gestaltungsleistungen Beiträge nicht erhöht werden dürfen, dann würde das den Umkehrschluß aufzwingen, daß sie gewissermaßen auszugrenzen sind, wenn Beitragssatzerhöhungen notwendig sind. Das ist falsch.
Diese Passage im Gesetzentwurf bedeutet, daß diese Leistungen jährlich nicht stärker ansteigen sollen als die Einnahmeentwicklung in der gesetzlichen Krankenversicherung. Nichts anderes wird dadurch ausgedrückt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Dann schreiben Sie das doch hinein! Weitere Zurufe von der SPD)

- Nachdem die Krankenkassen selbst öffentlich erklärt haben - das war gestern -, daß sie Gestaltungsleistungen nicht ausgrenzen werden, fürchten Sie, daß Ihre Gedankengebäude und Ihre Argumentationen zusammenbrechen. Jetzt interpretieren Sie etwas in ein Gesetz hinein, was dort gar nicht steht.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Herr Kollege Haack, ich habe in meiner Rede ausdrücklich gesagt: Von allen denkbaren Alternativen ist für mich die Selbstverwaltungslösung in der Sozialversicherung die beste Lösung, auch wenn es daran - wie in einer parlamentarischen Demokratie üblich - vereinzelt Kritik geben mag. Denn die Privatisierung und auch die Verstaatlichung sind nicht besser. Die Deutschen haben aus guten Gründen einen gesunden Mittelweg eingeschlagen, der sich bewährt hat und den wir weitergehen werden.
Auf Grund dieses Beitragsdrucks und dieser Ausgabendynamik, die wir in der Bundesrepublik Deutschland in der Krankenversicherung haben, muß der verantwortliche Ressortminister - vor allem dann, wenn Sie ihn für steigende Beiträge politisch verantwortlich machen - öffentlich sagen: Die Krankenkassen sollen in den Bereichen, in denen sie disponible Ausgaben haben, mit gutem Beispiel in bezug auf das Sparen vorangehen; denn sie sind nicht Eigentümer der Beiträge, sondern Treuhänder der Beiträge.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich nenne zwei Beispiele, bei denen Kritik erlaubt sein muß - bei aller Bejahung der Selbstverwaltung und auch hohem Respekt vor der Tätigkeit der Krankenkassen. Wenn auf der einen Seite die gesamte öffentliche Hand ihre Verwaltungskosten einfriert oder zurückführt, wie ich es gestern im Haushaltsausschuß für mein Ressort und auch für andere Ressorts erleben durfte, und auf der anderen Seite die Verwaltungskosten der Krankenkassen in Westdeutschland in den ersten sechs Monaten 1996 um annähernd 6 Prozent steigen, dann muß ich die Krankenkassen auffordern, diese Kostensteigerung auf ein normales Maß zurückzuführen. Für diese Steigerung reichen die Beitragsmittel nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich könnte dieses Beispiel fortführen, was ich aber aus Zeitgründen nicht tun will.
Herr Kollege Haack, ein zweites Beispiel. Es gibt einen Zuwachs von 17 Prozent beim Gesundheitsmarketing unter dem Deckmantel der Gesundheitsförderung.

(Peter Dreßen [SPD]: Das haben Sie doch provoziert!)

Ich will all die Maßnahmen, die darunter fallen, nicht aufzählen. Ich habe heute schon ein Beispiel genannt, daß eine große Krankenkasse in einem Bundesland die Bevölkerung aufgefordert hat: Fordert Werbematerial bei uns an, dann bekommt ihr einen Fotoapparat.

(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Und dann noch einen japanischen Fotoapparat!)

Dies ist nur ein Beispiel für die Auswüchse, die in diesem Sektor mit einem Zuwachs von 17 Prozent nach zweistelligen Steigerungsraten in den letzten Jahren stattfinden.
Soll ich angesichts dieser Tatsachen wegschauen und sagen, daß das in Ordnung sei? Ich werde vielmehr sagen: Liebe Krankenkassen, verwendet dieses Geld nicht für die Freizeitgestaltung und Hochglanzbroschüren, sondern für die kranken Menschen in der Bundesrepublik Deutschland!

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1313907800
Damit schließe ich die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. eingebrachten Gesetzentwurf zur Neuordnung von Selbstverwaltung und Eigenverantwortung in der gesetzlichen Krankenversicherung, Drucksachen 13/5724 und 13/6103. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden ist.

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
Dann treten wir in die
dritte Beratung
und Schlußabstimmung ein. Die Fraktion der SPD verlangt namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind die Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? - Dann schließe ich die Abstimmung.
Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekanntgegeben.*)
Wir setzen die Beratung fort. - Da wir noch einige Abstimmungen vorzunehmen haben, bitte ich Sie, die Plätze wieder einzunehmen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Drucksache 13/6123. Wer dem Entschließungsantrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Entschließungsantrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS bei Stimmenthaltung der Fraktion der SPD abgelehnt worden ist.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 13/6087 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

(Unruhe bei der PDS)

- Ich darf die Abgeordneten der PDS fragen, ob sie an den Beratungen noch teilnehmen wollen. - Sonst würde ich Sie wirklich bitten, das Haus zu verlassen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12a auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Eigentumsfristengesetzes (EFG)

- Drucksache 13/5586 - (Erste Beratung 125. Sitzung)

Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuß)

- Drucksache 13/6122 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Michael Luther Dr. Dietrich Mahlo
Hans-Joachim Hacker
Dr. Uwe-Jens Heuer
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
*) Seite 12534 A
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Luther.

Dr. Michael Luther (CDU):
Rede ID: ID1313907900
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute steht das Eigentumsfristengesetz zur Abstimmung. Dem Umfange des Eigentumsfristengesetzes nach lohnt es sich kaum, darüber zu sprechen. Auf einer A4-Seite hat der Inhalt des Gesetzes Platz. Wer es liest, kann es ohne weitere Unterlagen allerdings nicht verstehen, da es sich nur um Verlängerungen von Fristen einer Reihe von Gesetzen handelt.
Trotzdem steckt dahinter ein brisantes Thema. So müssen wir alle feststellen, daß sich sechs Jahre nach der deutschen Einheit in den neuen Bundesländern aus rechtlicher Sicht noch lange nicht Normalität eingestellt hat. Jedoch habe ich den Eindruck, daß in den alten Bundesländern die Meinung um sich greift, daß in den neuen Bundesländern nun schon normale Verhältnisse herrschten. Anders ist aus meiner Sicht die Diskussion der letzten Tage zum Thema Nutzerschutzgesetz und Wohnraummodernisierungssicherungs-Gesetz, die heute hier mitbehandelt werden sollten, nicht zu verstehen.
Die „FAZ" gibt am 4. November 1996 einem Artikel folgende Überschrift: „Privateigentum soll noch ,Volkseigentum' werden". In einem anderen Artikel wird zu einem Formulierungsvorschlag aus der Diskussion um das Nutzerschutzgesetz polemisiert, ohne die Hintergründe für unser Bestreben zu kennen. Eine noch viel schlimmere Überschrift wird am 12. November 1996 im „Handelsblatt" formuliert: „Der Deutsche Bundestag: Honeckers williger Vollstrecker?".
Dem Bundestag wird unterstellt, er wolle heute enteignen. Das wollen wir nicht. Niemand kann ernsthaft behaupten, daß wir das vorhatten. Wer sich jedoch mit dem Thema nicht beschäftigt, wird es auch nicht verstehen.
Interessant ist ein Schreiben der „FAZ" an mich, in dem sie auf meinen Leserbrief zu dem obengenannten Artikel antwortet - ich zitiere -:
Im übrigen ist die Sache so kompliziert, daß auch Ihr Leserbrief nicht weiter erhellend wirken würde.

(Heiterkeit bei der F.D.P. Hildebrecht Braun [Augsburg] [F.D.P.]: So kann man es machen!)

Es besteht noch nicht einmal die Bereitschaft, sich mit diesem Thema zu beschäftigen. Wer sich mit den rechtlichen Problemen in den neuen Bundesländern nicht beschäftigen will, wird die deutsche Einheit nicht gestalten können.
Ich möchte deshalb heute die Gelegenheit nutzen, auf die reale Gefahr des Nichthandelns einzugehen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir brauchen Vorschriften, die Investitionen, Nutzungsrechte und Eigentum in den neuen Bundesländern sichern. Es geht nicht an, daß deutsche Gerichte heute den Versuch unternehmen, das Verwaltungs-

Dr. Michael Luther
handeln der ehemaligen DDR auf ihre Rechtsstaatlichkeit hin zu überprüfen. Die DDR war ein Unrechtsstaat und eine Diktatur. Die Herrschenden in der DDR konnten willkürlich entscheiden. Sie gaben sich dafür zwar Regeln und Gesetze; sie waren aber nicht verpflichtet, diese einzuhalten.
Deshalb hat der Einigungsvertrag in seinem Art. 19 klar festgestellt, daß Verwaltungsakte grundsätzlich bestehen bleiben. Sie können aber aufgehoben werden, wenn sie mit rechtsstaatlichen Grundsätzen oder den Regelungen des Vertrages unvereinbar sind.
Auf Grund dieser Tatsache hat das Bundesverwaltungsgericht festgestellt, daß sich die Wirksamkeit eines Enteignungsaktes nach den tatsächlichen Verhältnissen in der ehemaligen DDR bestimmt. Eine Rückgängigmachung von faktisch enteignenden Maßnahmen sei nur möglich, soweit dies durch besondere Vorschriften wie im Vermögensgesetz zugelassen worden sei. Damit erteilt das Bundesverwaltungsgericht eine eindeutige Absage an diejenigen, die den Enteignungsakt, den verwaltungstechnischen Vorgang, heute auf verwaltungstechnisch exakte Ausführungen hin überprüfen wollen. Wir wollen und brauchen auch diese Verwaltungsakte nicht zu heilen, die entschädigungslose Enteignungen betreffen; denn nicht nur das Bundesverwaltungsgericht, sondern auch der BGH geben hier gemäß dem Einigungsvertrag dem Vermögensgesetz den Vorrang.
Die Menge von Verwaltungsakten, die uns beschäftigen, sind bei Enteignungen von sogenanntem öffentlichem Interesse aufgetreten. Ich nenne hier das Aufbaugesetz, das Bergbaugesetz, das Straßenbaugesetz, und es gibt noch viele andere. Diese Enteignungen erfolgten nach den DDR-üblichen Entschädigungssätzen.
Es ist allerdings den Akten zu entnehmen, daß die Behörden mitunter aus politischen Erwägungen aufgefordert waren, ausländischen Eigentümern, also im Westen lebenden Bürgern, den Enteignungsbeschluß nicht zuzustellen. Sollen nun diese Enteignungen auf Grund eines solchen Mangels unwirksam sein - so der Bundesgerichtshof -, hätten auch keine Nutzungsrechte verliehen werden können. Wurde infolge eines Aufbaubeschlusses das Grundstück mit Häusern bebaut, dann ging dieses Eigentum an den alten Eigentümer über.
Was bedeutet das? Die Leipziger Wohnbaugesellschaft berichtet, daß ihr in der letzten Zeit eine Vielzahl von Grundstücken durch Grundbuchkorrektur aus dem Bestand gegangen ist. Die ostdeutschen Wohnungsunternehmen können deshalb meines Erachtens nicht abschätzen, wo bei den ihnen zugeordneten Grundstücken bei der Entstehung von Volkseigentum Formmängel vorhanden sind, wo sie dann noch problemlos investieren können, was mit bereits getätigten Investitionen ist. Was ist, wenn solche Grundstücke für Industrieansiedelungen an Investoren weitergegeben wurden?
Spricht sich diese Situation erst einmal herum, wer wird dann ehemals volkseigene Grundstücke für Investitionen erwerben wollen?
Meine Damen und Herren, das sind die Fragen, die ich mir stelle und die auch die Brisanz des Problems beschreiben. Ich denke, wir können die Sache nicht so laufen lassen. Wir müssen dringend etwas tun. Wir müssen schnell handeln. Deshalb fordere ich Sie auf, mitzuwirken, daß wir bis zum Jahresende eine gesetzliche Regelung zu diesem Thema hier im Haus verabschieden können.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1313908000
Herr Kollege, darf ich Sie bitten, zum Thema zu sprechen. Wir sprechen über das Fristengesetz und nicht über das Nutzerschutzgesetz. Ich wollte Ihnen das nur sagen.

Dr. Michael Luther (CDU):
Rede ID: ID1313908100
Herr Präsident, vielleicht darf ich zur Erklärung dazu sagen: Wir haben das Eigentumsfristengesetz anderthalb Jahre im Zusammenhang mit dem Nutzerschutzgesetz diskutiert, und die interessierte Öffentlichkeit erwartet, daß wir dieses Gesetz verabschieden.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1313908200
Ich möchte Sie bitten, beim Thema zu bleiben.

Dr. Michael Luther (CDU):
Rede ID: ID1313908300
Lassen Sie mich noch einen Satz zu dem sagen, was ich eben gesagt habe.
Es geht dabei nicht um den nachträglichen Vollzug von Enteignungen. Es geht darum, sicherzustellen, daß der Einigungsvertrag eingehalten wird.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1313908400
Herr Kollege, ich möchte Sie bitten, beim Thema zu bleiben, bei der Tagesordnung!

Dr. Michael Luther (CDU):
Rede ID: ID1313908500
Meine Damen und Herren, wir konnten nicht mit allen Regelungen bis zum Jahresende warten. Deshalb haben wir die Regelung des Eigentumsfristengesetzes, die auch Gegenstand dieses bisherigen Gesetzespaketes war, abgekoppelt.
Der Bundesrat hat einen ähnlich lautenden Gesetzesvorschlag auf den Weg gebracht, der sich aus meiner Sicht damit weitestgehend erledigt hat. Auch hier geht es um die realen Rechtsprobleme in den neuen Bundesländern. So waren selbständiges Gebäudeeigentum und dingliches Nutzungsrecht in den Grundbüchern der neuen Bundesländer für viele Grundstücke nicht eingetragen. Die Grundstücke erwecken also den Anschein, lastenfrei zu sein. Deshalb darf für derartige Rechte der öffentliche Glaube des Grundbuches vorübergehend nicht geltend gemacht werden. Die Inhaber dieser Rechte sollen diese bis zum 31. Dezember 1996 eintragen lassen. Das war bis heute oftmals aus technischen Gründen nicht möglich. Eine Nichtverlängerung kann katastrophale Auswirkungen haben, da somit ein Haus

Dr. Michael Luther
mit dem faktisch unbelasteten Grundstück wegveräußert werden könnte.
Deshalb werden mit dem Eigentumsfristengesetz im Sachenrechtsbereinigungsgesetz, im Meliorationsanlagengesetz, im EGBGB und in einer Reihe anderer Gesetze Übergangsfristen um drei Jahre verlängert.
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie um Zustimmung zu dem Eigentumsfristengesetz, und ich bitte Sie um die aktive Unterstützung, damit wir die begonnene Diskussion zu den anderen Regelungen zügig zu Ende bringen können.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1313908600
Ehe wir mit der Beratung fortfahren, gebe ich das von den Schriftführern und Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis der namentlichen Schlußabstimmung zum 1. GKV-Neuordnungsgesetz bekannt. Abgegebene Stimmen: 623. Mit Ja haben gestimmt: 319. Mit Nein: 304. Keine Enthaltungen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 623; davon:
ja: 319
nein: 304
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Peter Altmaier
Anneliese Augustin Jürgen Augustinowitz Dietrich Austermann Heinz-Günter Bargfrede Franz Peter Basten
Dr. Wolf Bauer
Brigitte Baumeister Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank Renate Blank
Dr. Heribert Blens Peter Bleser
Friedrich Bohl
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch Klaus Brähmig
Rudolf Braun (Auerbach)

Paul Breuer
Monika Brudlewsky Georg Brunnhuber Klaus Bühler (Bruchsal) Hartmut Büttner

(Schönebeck)

Dankward Buwitt
Manfred Carstens (Emstek)

Peter Harry Carstensen

(Nordstrand) Wolfgang Dehnel Hubert Deittert Gertrud Dempwolf Albert Deß

Renate Diemers Wilhelm Dietzel Werner Dörflinger Hansjürgen Doss Dr. Alfred Dregger Maria Eichhorn
Wolfgang Engelmann Rainer Eppelmann Heinz Dieter Eßmann Horst Eylmann
Anke Eymer
Ilse Falk
Jochen Feilcke Dr. Karl H. Fell Ulf Fink
Dirk Fischer (Hamburg) Leni Fischer (Unna)
Klaus Francke (Hamburg) Herbert Frankenhauser Dr. Gerhard Friedrich Erich G. Fritz Hans-Joachim Fuchtel Michaela Geiger
Norbert Geis
Dr. Heiner Geißler Wilma Glücklich
Dr. Reinhard Göhner Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer Joachim Gres Kurt-Dieter Grill Wolfgang Gröbl Hermann Gröhe Claus-Peter Grotz Manfred Grund
Horst Günther (Duisburg) Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein
Gottfried Haschke (Großhennersdorf)

Gerda Hasselfeldt
Otto Hauser (Esslingen) Hansgeorg Hauser

(Rednitzhembach) Klaus-Jürgen Hedrich Helmut Heiderich Manfred Heise

Dr. Renate Hellwig
Ernst Hinsken Josef Hollerith
Dr. Karl-Heinz Hornhues Siegfried Hornung
Joachim Hörster Hubert Hüppe Peter Jacoby Susanne Jaffke Georg Janovsky Helmut Jawurek Dr. Dionys Jobst Dr.-Ing. Rainer Jork
Michael Jung (Limburg) Ulrich Junghanns
Dr. Egon Jüttner Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb
Steffen Kampeter Dr.-Ing. Dietmar Kansy Manfred Kanther Irmgard Karwatzki
Volker Kauder Peter Keller
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert Hans-Ulrich Köhler

(Hainspitz) Manfred Kolbe Norbert Königshofen Eva-Maria Kors Hartmut Koschyk Manfred Koslowski

Thomas Kossendey
Rudolf Kraus
Wolfgang Krause (Dessau) Arnulf Kriedner Heinz-Jürgen Kronberg Dr.-Ing. Paul Krüger
Reiner Krziskewitz
Dr. Hermann Kues Werner Kuhn
Dr. Karl A. Lamers

(Heidelberg) Karl Lamers

Dr. Norbert Lammert Helmut Lamp
Armin Laschet Herbert Lattmann Dr. Paul Laufs Karl-Josef Laumann
Werner Lensing Christian Lenzer Peter Letzgus Editha Limbach
Walter Link (Diepholz) Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold

(Offenbach)

Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann

(Lüdenscheid) Julius Louven Sigrun Löwisch Heinrich Lummer Dr. Michael Luther

Erich Maaß (Wilhelmshaven)

Dr. Dietrich Mahlo Erwin Marschewski Günter Marten
Dr. Martin Mayer

(Siegertsbrunn) Wolfgang Meckelburg Rudolf Meinl

Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz
Rudolf Meyer (Winsen) Hans Michelbach Meinolf Michels
Dr. Gerd Müller
Elmar Müller (Kirchheim) Engelbert Nelle
Bernd Neumann (Bremen) Johannes Nitsch
Claudia Nolte
Dr. Rolf Olderog Friedhelm Ost
Eduard Oswald Norbert Otto (Erfurt) Dr. Gerhard Päselt Hans-Wilhelm Pesch Ulrich Petzold
Anton Pfeifer
Dr. Gero Pfennig
Dr. Friedbert Pflüger Beatrix Philipp
Dr. Winfried Pinger Ronald Pofalla
Dr. Hermann Pohler Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff
Dr. Bernd Protzner Dieter Pützhofen Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer Rolf Rau
Helmut Rauber
Peter Harald Rauen Otto Regenspurger
Christa Reichard (Dresden) Klaus Dieter Reichardt

(Mannheim)

Dr. Bertold Reinartz Erika Reinhardt Hans-Peter Repnik Roland Richter
Roland Richwien Dr. Norbert Rieder
Dr. Erich Riedl (München) Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer
Hannelore Rönsch

(Wiesbaden)

Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith Adolf Roth (Gießen) Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck Volker Rühe
Dr. Jürgen Rüttgers Roland Sauer (Stuttgart) Ortrun Schätzle
Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Heinz Schemken Karl-Heinz Scherhag Gerhard Scheu
Norbert Schindler Dietmar Schlee
Ulrich Schmalz

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt (Fürth)

Dr.-Ing. Joachim Schmidt

(Halsbrücke)

Andreas Schmidt (Mülheim) Hans-Otto Schmiedeberg Hans Peter Schmitz

(Baesweiler) Michael von Schmude

Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr von
Schorlemer
Dr. Erika Schuchardt Wolfgang Schulhoff
Dr. Dieter Schulte

(Schwäbisch Gmünd) Gerhard Schulz (Leipzig) Frederick Schulze Diethard Schütze (Berlin) Clemens Schwalbe

Wilhelm Josef Sebastian Horst Seehofer
Wilfried Seibel Heinz-Georg Seiffert
Rudolf Seiters Johannes Selle Bernd Siebert Jürgen Sikora
Johannes Singhammer Bärbel Sothmann Margarete Späte Carl-Dieter Spranger Wolfgang Steiger Erika Steinbach Andreas Storm
Max Straubinger Matthäus Strebl Michael Stübgen Egon Susset
Dr. Rita Süssmuth Michael Teiser
Dr. Susanne Tiemann
Dr. Klaus Töpfer
Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Gunnar Uldall Wolfgang Vogt (Düren)

Dr. Theodor Waigel
Alois Graf von Waldburg-Zeil Dr. Jürgen Warnke
Kersten Wetzel
Hans-Otto Wilhelm (Mainz) Gert Willner
Bernd Wilz
Willy Wimmer (Neuss) Matthias Wissmann
Dr. Fritz Wittmann Dagmar Wöhrl Michael Wonneberger
Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach Cornelia Yzer Wolfgang Zeitlmann
Benno Zierer Wolfgang Zöller
F.D.P.
Ina Albowitz
Dr. Gisela Babel Hildebrecht Braun (Augsburg)

Jörg van Essen
Dr. Olaf Feldmann
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich
Rainer Funke
Hans-Dietrich Genscher Dr. Wolfgang Gerhardt Joachim Günther (Plauen) Dr. Karlheinz Guttmacher Dr. Helmut Haussmann Ulrich Heinrich
Dr. Burkhard Hirsch
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Detlef Kleinert (Hannover) Roland Kohn
Dr. Heinrich L. Kolb
Jürgen Koppelin
Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Uwe Lühr
Jürgen W. Möllemann Günther Friedrich Nolting Dr. Rainer Ortleb
Lisa Peters
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Klaus Röhl
Helmut Schäfer (Mainz) Cornelia Schmalz-Jacobsen Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Dr. Irmgard Schwaetzer
Dr. Hermann Otto Sohns Dr. Max Stadler
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen)

Dr. Guido Westerwelle
Nein
SPD
Robert Antretter
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Klaus Barthel
Wolfgang Behrendt Hans-Werner Bertl Friedhelm Julius Beucher Rudolf Bindig
Lilo Blunck
Arne Börnsen (Ritterhude) Anni Brandt-Elsweier
Tilo Braune
Dr. Eberhard Brecht Edelgard Bulmahn
Ursula Burchardt
Hans Martin Bury
Hans Büttner (Ingolstadt) Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Peter Conradi
Dr. Herta Däubler-Gmelin Christel Deichmann
Karl Diller
Dr. Marliese Dobberthien Peter Dreßen
Rudolf Dreßler
Freimut Duve
Ludwig Eich
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger Annette Faße
Elke Ferner
Lothar Fischer (Homburg) Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski Dagmar Freitag Anke Fuchs (Köln) Katrin Fuchs (Verl) Arne Fuhrmann Monika Ganseforth Norbert Gansel Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Angelika Graf (Rosenheim) Dieter Grasedieck
Achim Großmann Karl Hermann Haack

(Extertal)

Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Manfred Hampel Christel Hanewinckel Alfred Hartenbach Klaus Hasenfratz
Dr. Ingomar Hauchler Dieter Heistermann Reinhold Hemker Roll Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks Monika Heubaum Uwe Hiksch
Reinhold Hiller (Lübeck) Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann (Chemnitz) Frank Hofmann (Volkach) Ingrid Holzhüter
Erwin Horn
Lothar Ibrügger Wolfgang Ilte
Barbara Imhof
Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate Jäger
Jann-Peter Janssen Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Sabine Kaspereit Susanne Kastner Ernst Kastning
Hans-Peter Kemper Klaus Kirschner Marianne Klappert Siegrun Klemmer
Dr. Hans-Hinrich Knaape Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper Nicolette Kressl Volker Kröning Thomas Krüger Horst Kubatschka Eckart Kuhlwein Konrad Kunick Christine Kurzhals Dr. Uwe Küster Werner Labsch Brigitte Lange
Detlev von Larcher Waltraud Lehn
Robert Leidinger Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard Klaus Lohmann (Witten) Christa Lörcher
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß (Herne)

Winfried Mante Dorle Marx
Ulrike Mascher Christoph Matschie
Ingrid Matthäus-Maier
Heide Mattischeck Markus Meckel Ulrike Mehl
Herbert Meißner Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer (Ulm) Ursula Mogg
Michael Müller (Düsseldorf) Jutta Müller (Völklingen) Christian Müller (Zittau) Volker Neumann (Bramsche) Gerhard Neumann (Gotha)
Dr. Edith Niehuis Dr. Rolf Niese Doris Odendahl
Günter Oesinghaus
Leyla Onur
Manfred Opel Adolf Ostertag Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Willfried Penner
Dr. Martin Pfaff Georg Pfannenstein
Dr. Eckhart Pick Joachim Poß
Rudolf Purps Hermann Rappe

(Hildesheim)

Karin Rehbock-Zureich Margot von Renesse
Renate Rennebach Otto Reschke Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Günter Rixe
Reinhold Robbe Gerhard Rübenkönig Marlene Rupprecht
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch
Dieter Schanz Rudolf Scharping Bernd Scheelen Siegfried Scheffler Horst Schild
Otto Schily
Dieter Schloten Günter Schluckebier
Horst Schmidbauer

(Nürnberg)

Ulla Schmidt (Aachen) Dagmar Schmidt (Meschede) Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt (Berg)

Dr. Emil Schnell Gisela Schröter Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann (Delitzsch)

Brigitte Schulte (Hameln) Reinhard Schultz

(Everswinkel) Volkmar Schultz (Köln)


Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
Ilse Schumann
Dr. R. Werner Schuster
Dietmar Schütz (Oldenburg)

Dr. Angelica Schwall-Düren Ernst Schwanhold
Rolf Schwanitz Bodo Seidenthal Lisa Seuster
Erika Simm
Johannes Singer
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Wieland Sorge
Wolfgang Spanier Dr. Dietrich Sperling Jörg-Otto Spiller Antje-Marie Steen Ludwig Stiegler
Dr. Peter Struck Joachim Tappe Jörg Tauss
Dr. Bodo Teichmann Margitta Terborg Jella Teuchner -
Dr. Gerald Thalheim Wolfgang Thierse Dietmar Thieser Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Siegfried Vergin
Günter Verheugen Ute Vogt (Pforzheim)

Josef Vosen
Hans Georg Wagner Hans Wallow
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis (Stendal)

Matthias Weisheit Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen (Wiesloch) Jochen Welt
Hildegard Wester Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Norbert Wieczorek Heidemarie Wieczorek-Zeul Dieter Wiefelspütz
Berthold Wittich
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben Hanna Wolf (München)

Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel Peter Zumkley
BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN
Gila Altmann (Aurich) Elisabeth Altmann

(Pommelsbrunn) Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln) Angelika Beer
Matthias Berninger Annelle Buntenbach Amke Dietert-Scheuer
Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Uschi Eid
Andrea Fischer (Berlin) Joseph Fischer (Frankfurt) Rita Grießhaber
Gerald Häfner
Antje Hermenau
Kristin Heyne
Michaele Hustedt
Dr. Manuel Kiper
Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack Vera Lengsfeld
Dr. Helmut Lippelt
Kerstin Müller (Köln) Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Egbert Nitsch (Rendsburg) Cem Özdemir
Gerd Poppe
Simone Probst
Dr. Jürgen Rochlitz
Halo Saibold
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk Rezzo Schlauch
Albert Schmidt (Hitzhofen) Wolfgang Schmitt (Langenfeld)
Ursula Schönberger Waltraud Schoppe
Werner Schulz (Berlin) Marina Steindor
Christian Sterzing
Manfred Such
Dr. Antje Vollmer
Ludger Volmer
Helmut Wilhelm (Amberg) Margareta Wolf (Frankfurt)
PDS
Wolfgang Bierstedt
Petra Bläss
Eva Bulling-Schröter Dr. Ludwig Elm
Dr. Dagmar Enkelmann Dr. Ruth Fuchs
Andrea Gysi
Dr. Gregor Gysi Hanns-Peter Hartmann Dr. Uwe-Jens Heuer Dr. Barbara Höll
Ulla Jelpke
Gerhard Jüttemann
Dr. Heidi Knake-Werner Rolf Köhne
Rolf Kutzmutz
Dr. Christa Luft Heidemarie Lüth
Manfred Müller (Berlin) Rosel Neuhäuser
Dr. Uwe-Jens Rössel Christina Schenk Klaus-Jürgen Warnick Dr. Winfried Wolf
Gerhard Zwerenz
Der Gesetzentwurf ist damit angenommen.
Nun gebe ich das Wort dem Abgeordneten Joachim Hacker.

Hans-Joachim Hacker (SPD):
Rede ID: ID1313908700
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man könnte die heutige Beratung unter das Motto „Der Berg hat gekreißt und ein Mäuschen geboren" stellen; denn heute sollte in zweiter und dritter Lesung das Nutzerschutzgesetz in der Fassung der Formulierungshilfe für ein Wohnraummodernisierungssicherungsgesetz verabschiedet werden. In buchstäblich letztet Runde hat die Koalition lediglich Entscheidungsfähigkeit für das Eigentumsfristengesetz signalisiert.
Ohne die Bedeutung des Eigentumsfristengesetzes abwerten zu wollen, muß ich doch feststellen: Der Befreiungsschlag aus den selbstgelegten Fesseln im Vermögensrecht wird auch heute wieder nicht geführt, weil die Regierungskoalition glaubt, auf die Hardliner in ihren Reihen Rücksicht nehmen zu müssen. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion empfiehlt die Annahme des Eigentumsfristengesetzes, weil wegen fehlender Eintragung dinglicher Nutzungsrechte von Mitbenutzungsrechten und selbständigen Gebäudeeigentums ins Grundbuch erhebliche Risiken entstehen würden, wenn nach dem 31. Dezember 1996 der öffentliche Glaube des Grundbuches in den neuen Ländern zum Tragen käme.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die ursprünglich vom Gesetz bestimmte Frist für die Eintragung dieser Rechte hat sich als zu kurz erwiesen. Eine Verlängerung der Ausnahme von der rechtlichen Vermutung der Richtigkeit und Vollständigkeit des Grundbuches sowie im weiteren von den Wirkungen des Zwangsversteigerungs- und Zwangsverwaltungsverfahrens sowie von Fristen im Sachenrechtsbereinigungs- und Meliorationsgesetzes um drei Jahre ist insofern dringend geboten.
Bedauerlich aus Sicht der SPD-Bundestagsfraktion und nach meiner Kenntnis auch aus der Sicht der neuen Länder ist es, daß die Koalition nicht bereit war, die Regelung über die Sicherung der Ansprüche des Landesfiskus auf Bodenreformland zu verlängern. Das Auslaufen dieser Übergangsregelung zum 31. Dezember 1996 hat zwar nicht den Verlust der Ansprüche zur Folge, jedoch führt die Nichtverlängerung automatisch zu zusätzlichem Aufwand und zusätzlichen Kosten im Verwaltungsverfahren in den neuen Ländern. Beides ist kontraproduktiv für die Reduzierung des Verwaltungsaufwandes in den neuen Ländern.
Meine Damen und Herren, in Kenntnis der Konflikte um die ungelösten Eigentumsfragen in den neuen Ländern - das steht direkt in Verbindung mit dem heute zu verabschiedenden Eigentumsfristengesetz - hat die SPD-Bundestagsfraktion in den zurückliegenden Jahren mehrfach Initiativen in den Deutschen Bundestag eingebracht, insbesondere deswegen, um die um sich greifende Umgehung von Restitutionsausschlußregelungen im Vermögensgesetz über den Zivilrechtsweg zu unterbinden. Ich erinnere an den Antrag der SPD-Bundestagsfraktion vom 15. März 1995 und auch daran, daß dieses Anliegen der SPD-Bundestagsfraktion von den betroffenen Ländern aufgegriffen und vom Bundesrat ein ei-

Hans-Joachim Hacker
genständiger Gesetzentwurf zu diesem Problem vorgelegt worden ist. Der Fairneß wegen will ich an dieser Stelle auch anmerken, daß auch die PDS aktiv geworden ist. Sie hat in ihrem Entwurf wesentliche Regelungsbereiche aus dem Gesetzentwurf des Bundesrates übernommen.
Die kurze Zeit erlaubt es mir nicht, auf alle Details der genannten Gesetzesinitiativen einzugehen, die in einer inneren Einheit mit dem Eigentumsfristengesetz stehen.
Deswegen nur die zentrale Botschaft: SPD und Bundesrat wollten durch Beseitigung gegenwärtig bestehender Grauzonen im Vermögensrecht Klarheit im Sinne des sozialen Friedens und im Sinne der Gerechtigkeit in den neuen Ländern schaffen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

Dieses ist auch im siebenten Jahr der deutschen Einheit nach wie vor wichtig, da Inkonsequenzen bei den Regelungen im Vermögensrechtsbereich, für die diese Bundesregierung und die sie tragende Koalition verantwortlich sind, weiterhin für Zündstoff in den neuen Ländern sorgen und die innere Einheit belasten.
Meine Damen und Herren, wir wollten seit 1990 durch klare gesetzliche Regelungen die redlichen Nutzer und Erwerber von Grundstücken schützen. Dieses war ein zentrales Anliegen unserer parlamentarischen Initiativen in dieser und der zurückliegenden Legislaturperiode. Ich frage mich, warum die Koalitionsfraktionen nicht bereit waren und nicht bereit sind, durch einen Sprung über den ideologischen Schatten endlich einen Beitrag zur Anerkennung der eindeutigen Bestandsschutzregelungen in der Gemeinsamen Erklärung der beiden deutschen Regierungen vom 15. Juni 1990 zu leisten.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1313908800
Verehrter Herr Kollege, ich muß auch Sie darauf aufmerksam machen - es tut mir leid, wenn Sie das in Ihrer Rede anders vorbereitet haben -: Wir reden hier tatsächlich nicht über das Nutzerschutzgesetz, sondern über das Eigentumsfristengesetz. Darum bitte ich Sie, sich an dieses Thema zu halten.

(Iris Gleicke [SPD]: Also, das eine ist von den anderen abgekoppelt worden, und zwar erst am Dienstag! Weitere Zurufe von der SPD)

- Nein, ich bin nicht bereit, darüber zu diskutieren. Ich bitte Sie, sich an das Thema zu halten.

Hans-Joachim Hacker (SPD):
Rede ID: ID1313908900
Vielen Dank. Herr Präsident, da beide Regelungskomplexe ja in einem direkten Zusammenhang zueinander stehen,

(Hildebrecht Braun [Augsburg] [F.D.P.]: Das ist doch überhaupt nicht der Fall!)

ist es mir nicht möglich, daß ich mich an jeder Stelle nur auf eine Thematik begrenze. Es handelt sich um Regelungskomplexe, die sich überlappen.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1313909000
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Luther?

Hans-Joachim Hacker (SPD):
Rede ID: ID1313909100
Herr Dr. Luther, bitte.

Dr. Michael Luther (CDU):
Rede ID: ID1313909200
Herr Hacker, eine Frage: Sind Sie mit mir einer Meinung, daß in die Diskussion des Nutzerschutzgesetzes die Eigentumsfristen mit einbezogen werden müssen, daß sie im unmittelbaren Zusammenhang mit der Diskussion des Nutzerschutzgesetzes stehen und daß man deshalb auch auf das Nutzerschutzgesetz eingehen muß?

(Beifall bei Abgeordneten der SPD Iris Gleicke [SPD]: Natürlich, so ist es auch!)


Hans-Joachim Hacker (SPD):
Rede ID: ID1313909300
Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Luther. Ich bin der gleichen Auffassung. In den Berichterstattergesprächen, die sich mittlerweile über Monate hingezogen haben, ist ja gerade dieser innere Zusammenhang dargestellt worden. Ich verweise auch auf das, was uns das Bundesministerium der Justiz zugearbeitet hat. Das stellt ja die Klammer für diesen Regelungskomplex dar.

(Hildebrecht Braun [Augsburg] [F.D.P.]: Das ist doch erkennbar eine andere Materie!)

Auf der Tagesordnung unserer heutigen Sitzung stand ja das Nutzerschutzgesetz.
Ich kann das nur bestätigen, was Sie, Herr Dr. Luther, gesagt haben.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1313909400
Herr Kollege Hacker, halten Sie sich daran! Ich lasse hier nicht über die Handhabung der Geschäftsordnung diskutieren, auch nicht auf diesem Wege. Ich bitte Sie, sich an das Thema zu halten, sonst muß ich Ihnen das Wort entziehen.
Bitte, fahren Sie fort.

Hans-Joachim Hacker (SPD):
Rede ID: ID1313909500
Herr Präsident, ich habe versucht - -

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1313909600
Ich darf Sie noch einmal bitten - ich lasse mit mir nicht diskutieren -: Reden Sie zum Thema!

Hans-Joachim Hacker (SPD):
Rede ID: ID1313909700
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die gesetzlichen Regelungen sind das eine. Wir haben heute einen deutlichen Fortschritt erreicht. Das begrüße auch ich. Ich freue mich, daß wir uns, was das Eigentumsfristengesetz angeht, auch mit der Bundesregierung einig sind. Ich beziehe mich auf die entsprechenden Vorschläge aus dem Bundesjustizministerium.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU Norbert Geis [CDU/CSU]: Das darf ja einmal bekannt gegeben werden!)


Hans-Joachim Hacker
Ich bin optimistisch, daß es uns gelingen wird, weiterhin anstehende Regelungskomplexe - das darf ich hier sicherlich ansprechen, Herr Präsident - in den nächsten Wochen einer Lösung zuzuführen.
Ich beziehe mich dabei auch auf eine Aussage des Parlamentarischen Staatssekretärs, Herrn Funke, in der „Süddeutschen Zeitung" vom 5. November. Er führt aus:
Auch der kleinste rechtliche Mangel werde heute als Grund herangezogen, vor Gericht einen Rückübertragungsanspruch zu begründen. Dies stehe nicht im Einklang mit der Grundentscheidung des Einigungsvertrages.
Weiter führt er aus: Nur bei rechtsstaatswidrigem Eigentumsentzug während der DDR-Zeit soll das korrigiert werden.
Damals haben die Bundesregierung und die Regierung der DDR grundsätzlich im Einigungsvertrag vereinbart, daß die bestehenden Gegebenheiten übernommen werden sollten.
Ich glaube, bei der Diskussion über das Eigentumsfristengesetz müssen wir uns auch noch darüber verständigen, welche Aufgaben von uns zu lösen sind. Ich möchte alle dazu aufrufen, sich insbesondere dreier Komplexe anzunehmen. Das ist zum einen die Beseitigung von Investitionssperren in restitionsbelastetem Wohnungsbestand. Diese Thematik haben wir in den Berichterstatterrunden in den letzten Wochen intensiv diskutiert. Weiter möchte ich an dieser Stelle dafür werben, daß wir eine Klarstellung vorsehen sollten, daß NS-Geschädigte endlich auch mittelbares Eigentum zurückerhalten. Nachdrücklich möchte ich dafür eintreten, daß wir redlichen Nutzern und Erwerbern von Grundstücken in einem Umfang Rechtsschutz gewähren, der der Lebensrealität und Rechtswirklichkeit in der DDR gerecht wird.
Daraus sollen keine falschen Schlüsse gezogen werden - das will ich deutlich sagen -: Wir wollen in keiner Weise irgendeinen Schutz unlauterer Machenschaften in das Gesetz einführen. Denn solche Ausschlußregelungen beinhaltet gegenwärtig schon das Vermögensgesetz. Dabei soll es auch bleiben.
Gestatten Sie mir, an dieser Stelle auf einen Vorgang einzugehen, der sich in den letzten Tagen in den neuen Ländern abgespielt hat und der auch über die Medien weit verbreitet wurde. Ich hätte den Vorgang, der sich in dem brandenburgischen Dorf Liebenberg abgespielt hat, auch gerne dem Bundesfinanzminister vorgetragen.
Dort wurde, wie die „Frankfurter Rundschau" darstellt, nach Feudalherrenart ein gesamtes Dorf mit Sack und Pack, das heißt mit Schloß, Gutshof, Sägewerk, Felssteinkirche, Dorfstraße, 1 360 Hektar Land und 50 kleinen Häusern für 320 Bewohner, verkauft. Ich frage mich, warum die Beamten des Bundesfinanzministeriums oder der nachgeordneten Einrichtungen nicht zuerst auf die Idee gekommen sind, diese Grundstücke den Bewohnern dieses Ortes anzubieten. Das hätte Vertrauen geschaffen. Die Verfahrensweise, ein ganzes Dorf in Brandenburg öffentlich auszuschreiben, hat dagegen Vertrauen gravierend zerstört. Warum? Weil es an Ausverkauf erinnert.
Ich rufe Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, heute nochmals auf, ergänzend zu den Regelungen im Eigentumsfristengesetz mit uns gemeinsam, noch in diesem Jahr, Regelungen zu schaffen, die in den neuen Ländern Investitionsblockaden beseitigen, für die NS-Geschädigten Rechtsschutz bringen und denjenigen dienen, die noch Eigentumskonflikte in den neuen Ländern bestreiten müssen, zum Schutz der redlichen Erwerber und der redlichen Nutzer.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der F.D.P. und der PDS)


Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1313909800
Nun gebe ich das Wort der Abgeordneten Franziska Eichstädt-Bohlig.

Franziska Eichstädt-Bohlig (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1313909900
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Das hilflose Verfahren und das unentschiedene Hin und Her mit den Problemen der Klärung der Eigentumsfragen im Osten ist wirklich schon mehr als peinlich. Auch die Debatte, wie sie hier geführt wird, zeigt letztlich, wie wenig Regierung und Koalition in der Lage sind, Klarheit und Gerechtigkeit in die Grundbesitzverhältnisse zu bringen.
Der Berg der Gesetze zum Eigentumsrecht ist inzwischen so unübersichtlich geworden, daß er dem Gesetzgeber schlicht über den Kopf gewachsen ist. Die von Anfang an falschen Weichenstelllungen holen uns hier im Parlament wieder ein. Aber ausbaden müssen es die Menschen in Ostdeutschland. Das sollten wir, so denke ich, sehr ernst nehmen.

(Beifall bei der PDS)

Wir, das Berichterstattergremium, haben - auf diesen Punkt möchte ich mich heute beschränken - wegen der vielfältigen Probleme die Beratung des Eigentumsfristengesetzes vorgezogen, damit die zum 1. Januar auslaufende Frist klar verlängert werden kann. Alle Fraktionen sind sich darüber einig, daß es höchste Zeit ist, das zu machen. Wir wissen auch alle, daß das dringend nötig ist.
Insofern nur einen Satz: Wir stimmen dem Gesetz zu.
Bei der Abstimmung über den Bundesratsgesetzentwurf werden wir uns enthalten, nicht weil wir gegen die Initiative des Bundesrates sind, sondern weil sie in weiten Teilen das gleiche enthält, wir aber nur einem Gesetz das klare Votum geben wollen
Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS sowie der Abg. Hannelore Rönsch [Wiesbaden] [CDU/ CSU])



Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1313910000
Nun gebe ich dem Abgeordneten Hildebrecht Braun das Wort.

Hildebrecht Braun (FDP):
Rede ID: ID1313910100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Eichstädt-Bohlig, wenn Sie von einem „peinlichen Hin und Her" in den Eigentumsfragen der neuen Bundesländer sprechen, kann ich Ihnen überhaupt nicht beipflichten. Daß wir hier ernsthaft beraten und dafür Zeit brauchen, zeigt nur, daß wir die Themen ernst nehmen und das Problem erkennen.

(Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wo ist denn Ihre Fraktion bei den Berichterstattergesprächen, Herr Braun? Sie machen doch gar nicht mit!)

Es ist sehr, sehr schwierig, die Eigentumsfragen in die Reihe zu bringen. Wer es sich hier zu einfach macht, begeht einen Fehler und sorgt für neues Unrecht. Das kann nicht richtig sein.

(Beifall bei der F.D.P. Iris Gleicke [F.D.P.]: Sie machen es sich einfach!)

Wir sprechen heute nicht über das Nutzerschutzgesetz, sondern über das Eigentumsfristengesetz. Zu meiner Freude sind wir uns über die Parteigrenzen hinweg in diesem Hause einig, daß dieses Gesetz notwendig ist. Wir haben feststellen müssen, daß die Schwierigkeiten bei der Festlegung der Grundstücksgrenzen in Deutschlands Osten so groß sind, daß wir die Dinge eben nicht innerhalb der Zeitvorgabe des Gesetzgebers von 1993, nämlich bis Ende 1996, bereinigen können. Das ist in bezug auf die praktische Abfolge wirklich zu kompliziert.
Wer selbst einmal das Problem hatte, daß die Fälligkeit eines Kaufpreises davon abhing, daß die grundbuchmäßigen Voraussetzungen zu schaffen waren, der versteht, wovon wir hier eigentlich sprechen.
Daß wir Vermessungen von Grundstücken in großer Zahl und Messungsanerkennungen brauchen, die wieder einem förmlichen Verfahren unterliegen, daß wir die Mitarbeit der Katasterämter brauchen, ist den meisten Menschen gar nicht bekannt. Es ist aber notwendig, damit die Grundbücher wirklich in Ordnung kommen. Nur so können sie den öffentlichen Glauben für sich in Anspruch nehmen, den wir im Westen seit vielen Jahren natürlich den Grundbüchern zuteil werden lassen. Das ist eine wichtige Grundlage der Wohnungswirtschaft und des Eigentums an Grund und Boden. Wir wollen natürlich möglichst bald dazu kommen, daß der öffentliche Glaube an die Angaben des Grundbuchs im ganzen Deutschland übereinstimmend gilt.
Wir haben aber einfach sehen müssen, daß wir die Frist, bis dieser Zustand hergestellt sein wird, bis zum Ende dieses Jahrhunderts verlängern müssen, sonst würden wir neue Fehler machen; denn es ist ganz klar, daß wir nicht über den gutgläubigen Erwerb von Grundstücken auf Grund der Angaben im Grundbuch bestehendes Gebäudeeigentum untergehen lassen können oder auch das von Nutzungsrechten. Das darf nicht sein. Deswegen sind diese Veränderungen nötig.
Ich möchte für die Schwierigkeiten der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in den entsprechenden Ämtern in den neuen Bundesländern um Verständnis bitten, denn sie sind erst seit relativ kurzer Zeit mit diesen Problemstellungen vertraut und bekommen natürlich, wie auch alle anderen, erst nach Jahren die Routine, die schnelle Entscheidungen in solchen Dingen überhaupt erst möglich macht.
Auch sollten wir festhalten, daß die personelle Ausstattung dieser Ämter mittlerweile wirklich in Ordnung ist. Man kann niemandem mehr Vorwürfe machen, sondern wir müssen, ob wir wollen oder nicht, damit leben, daß bestimmte Vorgänge in den neuen Bundesländern in diesen Bereichen noch etwas länger dauern, als wir dies selbst für möglich erachtet haben.
Wir werden bis zum Ende des Jahrhunderts diese Altlast, die daraus resultiert, daß die Grundbücher 40 Jahre nicht vernünftig fortgeführt wurden, erledigt haben. Wir freuen uns darauf, denn dann haben wir auch in diesem Bereich im gesamten Land Rechtseinheit.
Wir wollen heute durch das Gesetz verhindern, daß neues Unrecht entsteht; eben deshalb, weil bei Zwangsversteigerungen beispielsweise plötzlich Gebäudeeigentum untergehen würde. Das kann so nicht richtig sein. Wir müssen das verhindern. Daher heute dieses Gesetz.
Vielen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1313910200
Nun erteile ich dem Abgeordneten Professor Heuer das Wort.

Dr. Uwe-Jens Heuer (PDS):
Rede ID: ID1313910300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Eigentumsfristengesetz ist zusammen mit einer ganzen Reihe von anderen Fragen seit einem Jahr in der Diskussion. Seit mehr als einem Jahr liegen zwei Entwürfe von Nutzerschutzgesetzen vor, einer von der Gruppe der PDS und ein etwas halbherziger vom Bundesrat.
Die Regierung sah längere Zeit keinen Handlungsbedarf, ein gerechter Ausgleich der Interessen sei gegeben. Auch der Rechtsausschuß ließ sich Zeit. Doch die Stimmen der Betroffenen wurden immer lauter und deutlicher. Das Justizministerium ließ dann den Koalitionsfraktionen am 25. Juni eine sogenannte Formulierungshilfe zugehen, die sowohl die Eigentumsfristenregelung wie auch eine ganze Reihe anderer Fragen unter dem sehr langen Titel „Wohnraummodernisierungssicherungsgesetz " enthielt. Darin waren sowohl die Fristenregelung wie auch einige Vorschriften zur Heilung von Formfehlern und anderes mehr enthalten.
Nach der Anhörung im Rechtsausschuß wurde vom Justizministerium am 11. Oktober ein weiterer Änderungsvorschlag nachgeschoben, der einige weitere Verbesserungen für die Nutzer enthielt. Das

Dr. Uwe-Jens Heuer
alles war ein geschlossenes Paket, was wir in den lang dauernden Berichterstattergesprächen diskutiert haben und wo wir, so schien es, zu einem positiven Ende gekommen waren.
Dann kam am 4. November 1996 ein Artikel in der „FAZ", in dem der Regierung nicht weniger vorgeworfen wurde als die Absicht zur nachträglichen Enteignung der Alteigentümer. Als das noch nicht reichte, folgte diesem Verdikt am 12. November 1996 ein Artikel im „Handelsblatt" unter der Überschrift: „Der Deutsche Bundestag: Honeckers williger Vollstrecker?". Das war eine Anleihe an Goldhagens Buch, Titel „Hitlers willige Vollstrecker".
Der Entwurf des Justizministeriums einschließlich der Eigentumsfristenregelung wird als „unglaubliches Projekt" verrissen und der Bundestag aufgefordert, es „mit Abscheu" abzulehnen, „das Gesetz auch nur anzufassen, geschweige denn sich damit zu befassen". Die maßlose ideologische Aufblähung - immerhin wird der Deutsche Bundestag, also wir, mit Honecker und indirekt mit den Helfershelfern Hitlers in Verbindung gebracht - verdeckt die dahinterstehenden sehr realen Interessen, und zwar die Interessen von Alteigentümern und ihren Anwälten. Es soll dabei bleiben, daß ihr ehemaliges Eigentum auch mit zivilrechtlichen Tricks zurückerobert werden kann.
Daraufhin gab es erregte Diskussionen auch in den Berichterstattergesprächen, und es gab unterschiedliche Auffassungen innerhalb der Koalition. Noch ist nicht klar, wie sich die Koalition entscheiden wird. Immerhin hat ein Mann wie der Justizminister Reitmann aus Sachsen, von dem mich vieles trennt, wie Sie wissen, erklärt, daß mit diesem Herangehen wesentliche Grundlagen des Einigungsvertrags negiert werden. Ich möchte auch den Auffassungen von Herrn Luther nachdrücklich zustimmen, der ebenfalls auf diese Problematik hingewiesen hat.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

Ich bin sicher, daß die Betroffenen jetzt ebenfalls mobil machen werden.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1313910400
Herr Kollege Heuer, ich möchte auch Sie bitten, sich wie Ihre Vorredner an die Tagesordnung zu halten.

Dr. Uwe-Jens Heuer (PDS):
Rede ID: ID1313910500
Der vielbeschworenen inneren Einheit Deutschlands steht diese Verfahrensweise schroff entgegen. Sie bestätigt eher Günter Gaus, der sagt - nachzulesen in der „Berliner Zeitung" vom 9./10. November 1996 -: „Die Vereinigung der beiden deutschen Nachkriegsgesellschaften ist mißglückt. "
Ich stimme dem Eigentumsfristengesetz nachdrücklich im Namen der PDS zu.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das beruhigt!)

Ich hoffe, wir werden im Dezember weiter diskutieren. Ich hoffe, daß dann Sachlichkeit wieder eingezogen ist.
Danke schön.

(Beifall bei der PDS)


Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1313910600
Nun gebe ich dem Parlamentarischen Staatssekretär Rainer Funke das Wort.

Rainer Funke (FDP):
Rede ID: ID1313910700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin froh darüber, daß die Ausschüsse einstimmig empfohlen haben, den Entwurf der Koalition für ein Eigentumsfristengesetz anzunehmen und den parallelen Entwurf des Bundesrates abzulehnen, soweit er vom Koalitionsentwurf abweicht. Das Ziel beider Entwürfe, sowohl des Entwurfs der Koalition als auch des Entwurfs des Bundesrates, für ein Eigentumsfristengesetz ist dasselbe. Es geht darum, die sogenannten eigentumsrechtlichen Fristen im Beitrittsgebiet um drei Jahre zu verlängern. Im Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch und anderen Gesetzen waren von Anfang an Ausnahmen vom öffentlichen Glauben des Grundbuchs für Rechtspositionen vorgesehen, die unter Geltung des Zivilgesetzbuches der DDR entstanden waren. Das war auch notwendig, weil diese Rechtspositionen sämtlich außerhalb des Grundbuchs wirksam begründet werden konnten und im Grundbuch nicht eingetragen werden mußten, also eine andere Regelung gefunden worden war als in unserem Bürgerlichen Gesetzbuch.
Hätten wir im Einigungsvertrag keine Ausnahmen vorgesehen, hätten all diese Rechtspositionen bei nächster Gelegenheit, zum Beispiel bei einem Verkauf des Grundstücks, untergehen können. Wir mußten deshalb den Nutzern die Möglichkeit einräumen, die Eintragung ihrer Rechte nachzuholen. Bei der gesetzlichen Befristung waren wir indessen davon ausgegangen, daß die Nutzer in der Lage sein würden, dies bis zum 31. Dezember 1996 zu beantragen. Das ist leider nicht der Fall. Die Nutzer stehen oft vor der Schwierigkeit, daß sie nicht wissen, welches Grundstück von ihrem Recht betroffen ist. Genau das müssen sie aber wissen, wenn sie die erforderlichen Eintragungen beantragen, denn diese müssen im Grundbuchblatt für das Grundstück und nicht etwa im Gebäudegrundbuchblatt vorgenommen werden. Wir müssen aus diesem Grunde die Fristen verlängern. Eine Verlängerung bedeutet aber auch, daß uns das Grundbuch von Grundstücken in den neuen Ländern in den nächsten drei Jahren immer noch keinen vollständigen Aufschluß über die Rechtsverhältnisse an den Grundstücken geben kann.
Dieser Zustand darf kein Dauerzustand werden. Deshalb sieht der Koalitionsentwurf - das ist ein wichtiger Unterschied zu dem Bundesratsentwurf - nicht nur die Verlängerung der Fristen vor. Vielmehr wird auch die Ermächtigung an das Bundesministerium der Justiz gestrichen, diese Fristen noch bis zum Ablauf des 31. Dezember 2005 zu verlängern. Dies wollen die Bundesländer beibehalten. Das können wir uns aber nicht leisten. Wir müssen so schnell wie irgend möglich - in Anführungsstrichen - normale Verhältnisse, also die Verhältnisse, wie wir sie

Parl. Staatssekretär Rainer Funke
in der Bundesrepublik alt haben, erreichen. Die Betroffenen müssen sich hierauf einstellen. Die Zeit bis zum Ablauf des 31. Dezember 1999 ist - da sind wir uns alle einig - lang genug.
Noch in einem zweiten Punkt unterscheidet sich der Koalitionsentwurf vom Bundesratsentwurf. Der Entwurf des Bundesrates sieht die Verlängerung zweier weiterer Fristen vor: der Frist für Widerspruchsverfahren bei der Anlegung von Gebäudegrundstücken und der Frist für ein Sicherungsverfahren für Bodenreformgrundstücke des Landesfiskus. Dies hält die Bundesregierung weder für geboten noch für sachgerecht.
Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen, daß Sie mir zugehört haben und diesem Entwurf aller Voraussicht nach jetzt zustimmen werden. Er ist für die Rechtssicherheit in den neuen Bundesländern notwendig.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der F.D.P.)


Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1313910800
Damit schließe ich die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. eingebrachten Entwurf eines Eigentumsfristengesetzes, Drucksache 13/5586. Der Rechtsausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/6122, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Gesetzentwurf in zweiter Lesung einmütig angenommen worden ist.
Wir treten in die
dritte Beratung
und Schlußabstimmung ein. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Gesetzentwurf in dritter Lesung mit der gleichen Mehrheit angenommen worden ist.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Alterssicherung der Landwirte
- Drucksache 13/4947 - (Erste Beratung 113. Sitzung)

Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung (11. Ausschuß)

- Drucksache 13/6094 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Rudolf Meyer (Winsen)

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Abgeordneten Siegfried Hornung das Wort.

Siegfried Hornung (CDU):
Rede ID: ID1313910900
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beraten heute die Änderung des Gesetzes über die Alterssicherung der Landwirte. Diese Gesetzesänderung ist wegen erheblicher Anlaufschwierigkeiten bei der Gewährung des Beitragszuschusses notwendig geworden. Durch die Agrarsozialreform 1995 ist das Beitragszuschußrecht in der Alterssicherung der Landwirte zum 1. Januar 1995 umfassend neu geregelt worden.
Verwaltung und Landwirte hatten sich auf eine Vielzahl neuer Regelungen der landwirtschaftlichen Alterssicherung und insbesondere des Zuschußrechts einzustellen. Die Landwirte sind mit einer Fülle von Formularen und Anträgen beim Vollzug des Agrarsozialreformgesetzes konfrontiert worden, bei denen eine Vielzahl von Fristen zu beachten war. Daher ist es verständlich, daß es zu den bekannten Anlaufschwierigkeiten gekommen ist.
Zu den Neuregelungen gehört auch die Verpflichtung der Landwirte, beim Antrag auf Beitragszuschuß den jeweils aktuellen Steuerbescheid spätestens zwei Monate nach seiner Ausfertigung der landwirtschaftlichen Alterskasse vorzulegen. Rund 33 000 Landwirte - das sind ungefähr 10 Prozent der Zuschußberechtigten - haben diese Vorlagefrist - vielfach aus Unkenntnis, aus falscher Einschätzung der Auflage - versäumt, was zum Ruhen des Beitragszuschusses führt und zur Rückforderung der gezahlten Zuschüsse verpflichtet. So steht es im Gesetz. Dies ist völlig unabhängig von dem neuen Steuerbescheid, selbst wenn der aktuelle Einkommensteuerbescheid den gewährten Beitragszuschuß bestätigt oder sogar noch zu einem höheren Zuschuß berechtigen würde. Trotzdem muß der betroffene Landwirt bei Überschreitung der Frist sämtliche Zuschüsse zurückzahlen.
Für viele zuschußberechtigte Landwirte war die Tragweite derartiger Bestimmungen trotz der klaren Information - das muß man sagen - durch die landwirtschaftlichen Alterskassen und die Bauernverbände, denen hier in keiner Weise ein Vorwurf gemacht werden kann, wohl nicht ganz erkennbar.
Diese Situation ist schon im zeitigen Frühjahr 1996 durch die Alterskassen erkannt worden, die mit der Bearbeitung der zahlreichen Anträge relativ schnell vorangekommen waren. Die Beitragsentlastung war nur ein Teil der Gesetzesänderung zum 1. Januar 1995. Ich erinnere an die Bäuerinnenrente - nahezu die doppelte Mitgliedschaft -, an Beitragsbefreiungstatbestände für Versicherungen und viele andere Bereiche, die wir - ebenfalls mit verschiedenen Fristen - in dieses Gesetz hineingenommen haben.
Der Ernährungsausschuß hat sich bereits vor der Sommerpause dieses Jahres mit den Fachexperten auseinandergesetzt, was jetzt durch den federführenden Ausschuß mit der Anhörung verfestigt wurde. In

Siegfried Hornung
der Sache hat sich seit Beginn 1996 nichts geändert. Auch die mehrfach angesprochene Vergleichbarkeit mit anderen Sozialgesetzen konnte von keinem Sachverständigen bestätigt werden.
Deshalb wollen wir mit der Gesetzesnovelle bei grundsätzlicher Beibehaltung des geltenden Rechts die Anlaufschwierigkeiten mildern, die sich bei der Umsetzung der Regeln zum Beitragszuschuß für die Alterssicherung der Landwirte ergeben haben. Diese Beitragsentlastung für einkommensschwache Bäuerinnen und Bauern war wohlgemerkt der politische Wille des ganzen Hauses.
Mit der vorgesehenen Neuregelung sollen die Beitragszuschußempfänger, die die Zweimonatsfrist zur Vorlage des Einkommensteuerbescheides versäumt haben, für einen begrenzten Zeitraum, nämlich für die Jahre 1995 und 1996, so gestellt werden, als hätten sie den Einkommensteuerbescheid innerhalb von zwei Monaten nach seiner Ausfertigung vorgelegt.
Danach führt die Fristversäumung nicht automatisch zum zeitweiligen Ruhen des gesamten Zuschusses. Statt dessen wird der Zuschuß auf der Grundlage des verspätet vorgelegten Einkommensteuerbescheides zeitgerecht neu berechnet und damit auf der Basis der tatsächlichen Einkommensverhältnisse festgelegt.

(Christel Deichmann [SPD]: Das ist doch keine Sozialleistung! Das ist doch das mindeste!)

Auf die Rückforderung der wegen Fristversäumung zuviel gezahlten Beitragszuschüsse wird verzichtet, und von den Beitragszahlern bereits vorgenommene Rückzahlungen werden erstattet. Ich betone: Die Gesetzesänderung führt nicht dazu, daß Landwirte unberechtigt erhaltene Zuschüsse behalten können. Zu Unrecht gezahlte Zuschüsse müssen zurückgezahlt werden.
Damit entfällt auch der teilweise geäußerte Vorwurf, daß einige ihre Beitragsentlastung gestalten wollten. Den Vorschlag der Verbände, daß die Finanzverwaltung den Steuerbescheid im Rahmen der Amtshilfe direkt an die Alterskassen übersenden solle, möchte ich gerne aufgreifen. Dies muß aber von den zuständigen Finanzbehörden geprüft werden.
Der Koalitionsentwurf sorgt nunmehr dafür, daß die Beitragszuschüsse, wie vom Gesetzgeber gewollt, den Landwirten einkommensabhängig zugute kommen. Daher entstehen gegenüber den bei der Agrarsozialreform veranschlagten Kosten keine Mehraufwendungen.
Meine Damen und Herren, mit dieser Gesetzesänderung werden die Anlaufprobleme des Agrarsozialreformgesetzes praxisgerecht gelöst und für die betroffenen Landwirte einschneidende soziale Härten vermieden. Wir haben ein einfaches und übersichtliches Gesetz vorgelegt. Sie brauchen jetzt nur noch zuzustimmen. Die Koalition wird das tun.
Ich habe bewußt versucht, den Sachverhalt hier in einer sehr nüchternen und sachlich betonten Art und Weise vorzutragen. Ich bin überzeugt, daß der, der genau hingehört hat, aus der großen Anzahl von Äußerungen, die wir in der Anhörung vernommen haben, keine anderen Ergebnisse und Schlüsse zieht.
Recht herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1313911000
Ich gebe das Wort der Abgeordneten Ulrike Mascher.

Ulrike Mascher (SPD):
Rede ID: ID1313911100
Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Ich greife gern das Petitum für eine sachliche Beratung auf und unterdrücke deswegen die beiden Zeitungsausschnitte, die ich mitgenommen habe und die sehr unerfreuliche Überschriften hinsichtlich Ihres Begehrens haben.

(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Die Redakteure haben es auch nicht verstanden!)

Ich will die Debatte nicht anheizen.

(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das ist lobenswert!)

- Gut, ich möchte das jetzt nicht weiter ausführen.
Wir haben von seiten der SPD versucht, uns sehr intensiv mit dem Anliegen der Landwirte und des Bauernverbandes auseinanderzusetzen. Die SPD hatte im Agrarausschuß eine Anhörung beantragt. Wir haben auch eine Anhörung im federführenden Sozialausschuß durchgeführt, allerdings erst vor kurzem, weil wir sowohl dem Deutschen Bauernverband als auch dem Bundesrechnungshof, der dieses Verfahren moniert hatte, die Gelegenheit geben wollten, ihre Positionen klarzumachen, und weil wir uns ein Bild davon machen wollten, ob es Argumente gibt, dem Gesetzentwurf der Regierung zuzustimmen.
Ich muß Ihnen sagen: Beide Anhörungen haben wirklich keine Erkenntnisse gebracht, die es uns ermöglicht hätten, dem Gesetz zuzustimmen.
Man muß sich mal anschauen, was in der Altersversicherung der Landwirte abläuft. Da besteht im Gegensatz zur gesetzlichen Rentenversicherung die Möglichkeit, bei niedrigen Einkommen Zuschüsse zur Verbilligung der Einheitsbeträge zu erhalten. Landwirtschaftliche Ehepaare mit Gesamteinkünften von bis zu 80 000 DM können nach einem einmalig zu stellenden Antrag Beitragszuschüsse erhalten. Dadurch wird ihr Monatsbeitrag entsprechend des Einkommens von 311 DM auf bis zu 62 DM abgesenkt. Dieser niedrigste Nettobeitrag von 62 DM wird bei Einkünften eines Ehepaares von bis zu 32 000 DM erreicht.
Wenn man das mit Einkommensgrenzen in anderen Sozialleistungssystemen - zum Beispiel beim Wohngeld oder beim Erziehungsgeld - vergleicht, stellt man fest, daß diese Grenzen nicht gerade niedrig sind. Gleichwohl hat die SPD diesen Zuschüssen zugestimmt, weil wir auch den vielen Landwirten mit geringem Einkommen hellen wollen. Ich sage das hier ganz ausdrücklich, weil draußen gern so getan wird, als würde sich die SPD gegenüber den Landwirten feindselig verhalten.

Ulrike Mascher
Grundlage für die Bemessung der einmal beantragten und dann fortlaufend gezahlten Zuschüsse sind die Einkünfte nach dem jeweils aktuellen Einkommensteuerbescheid. Erhält der zuschußberechtigte Versicherte vom Finanzamt einen neuen Einkommensteuerbescheid, so ist dieser nach spätestens zwei Monaten der Alterskasse vorzulegen. Wird diese Frist versäumt, hat das die Folge, daß rückwirkend zu zahlen ist. Das hat mein Vorredner schon ausgeführt.
Während in vielen Alterskassen dabei keine oder nur geringe Probleme aufgetreten sind, gibt es - regional unterschiedlich - eine erhebliche Anzahl von Fällen, in denen die rechtzeitige Vorlage des Einkommensteuerbescheids versäumt worden ist, obwohl die Versicherten sehr deutlich und vielfach auf die Rechtslage hingewiesen worden sind. Das ist uns jedenfalls von den Alterskassen und den beratenden Bauernverbänden immer wieder versichert worden.
Mir liegt zum Beispiel eine großgedruckte, auf einem Einzelblatt festgehaltene Erklärung vor, die der Antragsteller unterzeichnen mußte. Da heißt es:
Erteilt das Finanzamt einen neuen Einkommensteuerbescheid, werde ich diesen unverzüglich, spätestens aber bis zum Ablauf des zweiten auf das Datum des Bescheides folgenden Kalendermonats vorlegen. Mir ist bekannt, daß bei Versäumung dieser Frist ein Beitragszuschuß nicht mehr gezahlt werden kann und für diesen Zeitraum bereits gewährte Zuschüsse zurückgefordert werden.
Das mußte unterschrieben werden. Das ist, glaube ich, an Eindeutigkeit nicht zu übertreffen.
Die landwirtschaftlichen Alterskassen haben sich aber noch mehr Mühe gegeben. Sie haben zum Beispiel in Oberfranken und Mittelfranken einen Aufkleber in Leuchtfarben gedruckt, der auf alle Einkommensakten geklebt werden sollte. Da heißt es:
Vergißmeinnicht - Vom Einkommensteuerbescheid sofort Kopie fertigen und an Alterskasse senden! Erst dann abheften!
Daß es in diesem Bereich keine ausreichende Beratung gegeben hat, daß das in der Flut der Neuregelungen, der Formulare übersehen werden mußte, ist nur schwer nachzuvollziehen. Wir müssen auch feststellen, daß nur etwa 10 Prozent der Zuschußberechtigten in allen Alterskassen Probleme haben.
Die Alterskassen sind verpflichtet, zuviel gezahlte Beitragszuschüsse zurückzufordern, wobei auch Ratenzahlung und Stundung gewährt werden kann. Kein Landwirt wird also um seine Existenz gebracht. Die Gesamtsumme der zurückzufordernden Zuschüsse beläuft sich aber immerhin auf etwa 32 Millionen DM. Bis zum Mai, also bis zum Ruhen der Rückforderungen wegen des Gesetzentwurfs der Koalition, waren bereits 10 Millionen DM zurückgezahlt worden.
Nach dem Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen soll nun die Zwei-Monats-Regelung generell bis Ende 1996 ausgesetzt werden. Warum diese Aussetzung so lange dauern soll, ist mir nicht ganz einsichtig.
Die SPD lehnt dieses Amnestiegesetz ab.

(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Geben Sie es zu: mit Schmerzen!)

Die Beitragszuschüsse in der Landwirtschaft sind im Bereich der Sozialversicherung wirklich ziemlich einzigartig. Stellen Sie sich einmal vor, wir hätten eine ähnliche Subventionierung bei den Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung. Das ist unvorstellbar. Das wäre auch völlig unfinanzierbar.
Ich denke, daß es deswegen auch berechtigt ist, an die Zahlung der Zuschüsse strenge Maßstäbe zu binden. Ich weiß, daß die Zwei-Monats-Regelung im Gesetzgebungsverfahren auch vom Deutschen Bauernverband im Hinblick auf die gesellschaftliche Akzeptanz der Zuschüsse und auch auf die Akzeptanz innerhalb der gesamten Landwirtschaft gebilligt und akzeptiert worden ist.
Es gibt auch eine Vorgeschichte zu der Zwei-Monats-Regelung; denn bereits seit 1990 haben der Rechnungsprüfungsausschuß und der Bundesrechnungshof die Notwendigkeit der Rückforderung von Beitragszuschüssen nach dem alten Recht moniert. Damals waren die Landwirte ihren Mitwirkungspflichten in einem ganz erheblichen Umfang nicht nachgekommen.

(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Dort hat aber die Alterskasse jeweils nachgefragt! Das ist der Riesenunterschied!)

- Ja. Aber daß es dabei Probleme gegeben hat, war der Anlaß, die Zwei-Monats-Regelung einzuführen.
Nun ist es nicht so, daß eine strenge Mitwirkungspflicht mit Folgen völlig einmalig ist. Wir kennen das im Rentenrecht, wir kennen das im Arbeitsförderungsgesetz. Mir liegt ein interessanter Fall in dieser Woche aus dem Petitionsausschuß vor. Da hat die Sekretärin eines kleinen Arzneimittelunternehmers die Frist versäumt, um einen Antrag für die Verlängerung der Zulassung eines Medikamentes zu stellen. Die Frist ist abgelaufen, und die Firma muß jetzt 750 000 DM für die unvermeidliche Neuzulassung des Medikamentes berappen. Wollen Sie dabei auch eine Amnestie fordern?
Die PDS hat in der Beratung eines Antrages, mit dem etwa 30 000 Rentner in den neuen Bundesländern von der Rückzahlung zu Unrecht erhaltener Sozialzuschläge befreit werden sollten, all die Argumente, die die Koalition heute vorbringt, angeführt: neue gesetzliche Regelung, Unübersichtlichkeit der Situation, keine Böswilligkeit bei der Entgegennahme der Sozialzuschläge. Die PDS ist damit bei Ihnen, den Koalitionsfraktionen, komplett gescheitert. Konsequenterweise hat sie sich jetzt enthalten. Möglicherweise stimmt sie heute auch zu.
Es gibt also in vielen Bereichen des Sozialrechts strenge Mitwirkungspflichten. Man kann nicht sagen, daß die Landwirte lediglich eine lästige Formalie nicht beachtet haben. Ich habe schon darauf hingewiesen, daß die Landwirte die Möglichkeit haben,

Ulrike Mascher
die Beiträge stunden zu lassen oder in Raten zu zahlen.
Ich kann für die SPD nur erklären: Wir werden in diesem Fall Ihrem Gesetzentwurf nicht zustimmen. Das heißt aber nicht, daß die Sozialpolitiker der SPD sich nicht für die Situation der sozial Schwerbelasteten eingesetzt haben.

(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Entweder - oder!)

- Nein, nein, Herr Heinrich! - Ich denke, wir haben bei der Agrarsozialreform gezeigt, daß wir uns für die eigenständige Sicherung der Landfrauen einsetzen. Wir haben die Befreiungsmöglichkeiten bei dieser Reform im Konsens mit Ihnen erweitert. Wir haben die Durchlässigkeit der landwirtschaftlichen Alterssicherung und der Rentenversicherung durch eine wechselseitige Anrechnung von Versicherungszeiten verbessert. Wir haben mit dazu beigetragen, daß bei der Reform der Arbeitsförderung die zunächst geplante Streichung des Arbeitslosengeldes für Nebenerwerbslandwirte wieder entfallen ist. Wir haben einen Gesetzentwurf vorgelegt, das Gesetz zur Förderung der Einstellung der landwirtschaftlichen Erwerbstätigkeit um drei Jahre zu verlängern, weil wir die soziale Flankierung der Agrarreform weiterhin brauchen.
Ich habe den Eindruck, daß Sie dem FELEG nicht zustimmen wollen. Dabei geht es auch um 25 bis 30 Millionen DM. Jetzt wollen Sie hier aber auf die Rückforderung von 32 Millionen DM verzichten.
Die SPD setzt sich auch weiterhin für die berechtigten Anliegen der Landwirte ein. Die geplante gesetzliche Heilung nicht wahrgenommener Mitwirkungspflichten, die gesetzlich klar geregelt sind, über die ausreichend aufgeklärt wurde und deren Kenntnisnahme jeder Betroffene gesondert bestätigen mußte, kann unsere Zustimmung leider nicht finden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD Zuruf des Abg. Egon Susset [CDU/CSU])

- Ich habe überhaupt kein schlechtes Gewissen. Ich hätte das auch wesentlich schärfer formulieren können. Wenn Sie sehen, wie wir in der gesetzlichen Rentenversicherung um alle möglichen Beiträge ringen - hier gibt es eine sehr großzügige Zuschußregelung für Geringverdiener in der Landwirtschaft -, dann würde ich mich an Ihrer Stelle sehr zurückhalten, vom schlechten Gewissen der SPD zu reden. Denjenigen, der das schlechte Gewissen hat, will ich woanders suchen.

(Beifall bei der SPD)


Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1313911200
Nun gebe ich der Abgeordneten Andrea Fischer das Wort.

Andrea Fischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1313911300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, heute geht es nicht um Gewissensfragen. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung soll heute etwas recht Ungewöhnliches im deutschen Sozialrecht geschehen: Obwohl eine Mitwirkungspflicht der Versicherten zwingend vorgeschrieben ist, sollen die Folgen einer Verletzung dieser Mitwirkungspflicht ausgeschlossen werden.

(Dr. Gerald Thalheim [SPD]: Amnestie!)

Sie haben recht: Die Neuregelungen der Alterssicherung für Landwirte waren umfangreich, viele neue Anträge und Fristen waren zu beachten. Gerade weil wir Verständnis dafür haben, daß die Umstellung für die Landwirte nicht immer einfach war, haben wir nicht zuletzt in der Anhörung versucht, genau zu prüfen, ob es auf Informationsmängel zurückzuführen war oder ob es unübersichtliche Formalitäten gewesen sind.
Diese Frage möchte ich genauso eindeutig beantworten, wie die Kollegin Mascher das gerade getan hat: Die Informationen waren zahlreich, sie waren gut aufbereitet, und die Landwirte haben die Kenntnisnahme von den Fristen für die Einreichung ihrer Bescheide einzeln unterschreiben müssen, so daß man auch nicht sagen kann, es sei im Kleingedruckten untergegangen.
Es mag auch sein, daß einzelne Kassen oder Buchstellen Fehler gemacht haben; das ist jedoch ein Konflikt zwischen dem Landwirt und seinem Berater, der gegebenenfalls zivilrechtlich ausgetragen werden muß.
Jetzt sagen Sie von der Koalition, daß Sie niemanden besserstellen wollten, als er nach den Buchstaben des Gesetzes sowieso gestellt wäre. Sie wollen nur die negativen Folgen einer Fristversäumnis verhindern. Das haben wir wohl verstanden, doch genau das ist das Problem. Wir können nicht nur von den finanziellen Auswirkungen der Fristversäumnis für den einzelnen Versicherten reden, wir müssen uns auch dem Gerechtigkeitsproblem stellen, das damit einhergeht.
Das will ich genauer erklären: Für die Erlangung staatlicher Leistungen schreibt das Sozialgesetzbuch eine Mitwirkungspflicht vor. Im Bereich der Alterssicherung für Landwirte ist diese Mitwirkung besonders wichtig, da der Einkommensnachweis schwieriger ist als bei abhängig Beschäftigten. Die strenge Neuregelung im Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte, wonach der Einkommensteuerbescheid innerhalb von zwei Monaten vorzulegen ist, war eine Schlußfolgerung aus zuvor aufgetretenen Schwierigkeiten bei der Einkommensfeststellung.
Es gibt also erstens einen besonders gewichtigen Grund für die enge Fristsetzung bei der Vorlage des Steuerbescheids. Zweitens - das ist der entscheidende Punkt - entspricht diese Mitwirkungspflicht dem, was von allen verlangt wird, die staatliche Transfers erhalten.
Auch wenn sich selbstverständlich - darüber haben wir in der Anhörung auch diskutiert - das Alterssicherungsrecht für die Landwirte systematisch von anderen Sicherungssystemen unterscheidet, in einem Punkt ist es vergleichbar: Wer die Bedingungen zur Erlangung einer Leistung nicht erfüllt, kann sie nicht erhalten oder muß sie gegebenenfalls zurückzahlen.

Andrea Fischer (Berlin)

Das ist in unseren Augen die entscheidende Frage nach der Gerechtigkeit. Wie soll man den Landwirten, die die Fristen eingehalten haben, erklären, warum die anderen, die sie nicht eingehalten haben, von den Folgen der Nichteinhaltung befreit werden sollen? Wie erklärt man all den anderen, die staatliche Leistungen bekommen, warum eine Gruppe von den Folgen eines Versäumnisses befreit werden soll?
Aus der Sicht der betroffenen Landwirte ist der ganze Vorgang zweifelsohne unerfreulich. Aber wir können die grundlegenden Regeln der Sozialpolitik nicht in Einzelfällen außer Kraft setzen. Wie sollen wir dann in anderen Fällen unser Beharren auf Einhaltung der Regeln rechtfertigen?
Das Eingehen auf den Einzelfall steht hier im Konflikt zu den für alle gültigen Verfahrenswegen. Wir können daher dem Gesetzentwurf nicht zustimmen, weil er eine Gruppe von Leistungsempfängern besser behandelt als andere.

(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Was sagt denn die Frau Kollegin Höfken dazu?)

Wer dieser Regelung zustimmt, wird gegenüber jeder weiteren Gruppe, die von den Folgen ihrer Versäumnisse befreit werden möchte, in große Begründungs- und Rechtfertigungsschwierigkeiten kommen.
Deswegen sind es grundsätzliche sozialpolitische Erwägungen, die uns dazu veranlassen, den Gesetzentwurf der Koalition abzulehnen. Wir haben den Eindruck, daß hier ein Einzelfall für eine besonders durchsetzungsstarke Gruppe geschaffen werden soll.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1313911400
Ich erteile dem Abgeordneten Ulrich Heinrich das Wort.

Ulrich Heinrich (FDP):
Rede ID: ID1313911500
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Diese Novelle ist notwendig, weil auf Grund eines sehr komplizierten Gesetzes Fristversäumnis entstanden ist, was wir hiermit heilen. Wir sind der Meinung, daß es keine Einzelfallregelung ist; vielmehr, Frau Kollegin Fischer, haben über 10 Prozent der Versicherten das nicht richtig verstanden. Die große Zahl von über 30 000 Versicherten, die das nicht verstanden haben, ist Anlaß für uns, dies zu heilen.
Nun kann man die Dinge rein puristisch betrachten. Wenn man sich die Situation der Betroffenen einmal ansieht, dann ist festzustellen: Das Fristversäumnis geht natürlich zu ihren eigenen Lasten. Es ist keinesfalls damit in Verbindung zu bringen, daß wir hier heute eine Amnestie für Leute machen, die sich selbst einen Vorteil verschaffen wollten. Das muß hier deutlich gesagt werden; denn ein solcher Unterton klingt in den Sätzen immer mit, in denen das Sozialversicherungssystem der Landwirtschaft mit dem der gesetzlichen Rentenversicherung oder anderen Sozialversicherungssystemen verglichen wird.
Frau Kollegin Mascher, Sie haben die Beitragszuschüsse hier als ein politisches Novum herausgehoben. Damit haben Sie recht; es ist sonst nicht üblich. Aber das gesamte System der Sozialversicherung der Landwirte ist nicht mit dem anderer vergleichbar. Wenn Sie das sagen, dann müssen Sie gleichzeitig auch sagen, daß wir in der Landwirtschaft einen Einheitsbeitrag und eine einheitlich hohe Rente bzw. Leistung haben. Auch das ist in der gesetzlichen Rentenversicherung selbstverständlich nicht der Fall.
Wenn Sie die Höhe des Zuschusses bemängeln, dann muß ich Sie darauf hinweisen, daß bei der Ermittlung der Höhe des Zuschusses nicht allein das Erwerbseinkommen aus der Landwirtschaft, sondern alle sieben Arten von steuerpflichtigen Einkommen zugrunde gelegt werden. Ich bitte Sie schon, dies zu berücksichtigen; denn dies ist ein riesengroßer Unterschied.
Erst recht möchte ich darauf hinweisen, daß wir, wenn wir es mit einer Materie zu tun haben, die die Landwirtschaft, betrifft, nicht Äpfel mit Birnen vergleichen dürfen. Es ist wohl das allerletzte, was eine Sozialpolitikerin tun kann, wenn sie unser System in der Landwirtschaft mit dem der gesetzlichen Rentenversicherung vergleicht und daraus dann ableitet, daß hier ohnehin Sondervergünstigungen enthalten sind und diese Sondervergünstigungen nun auch noch denen gewährt werden sollen, die sie selber eigentlich verwirkt haben. So kann man nicht argumentieren.

(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der CDU/CSU)

Ich erzähle Ihnen einmal von einer Frau, die mir vorgestern geschrieben hat. Sie wußte nicht, daß wir das jetzt beraten, daß diese Novelle jetzt zur Beratung ansteht, sondern sie hat mir als eine Bürgerin in meinem Wahlkreis geschrieben. Sie hat mir erzählt, daß sie ein Familieneinkommen von 17 000 DM hat und daß jetzt Rückforderungen von mehr als 3 000 DM an sie gestellt werden. Sie hat ein jährliches Familieneinkommen von 17 000 DM! Das liegt unter Sozialhilfeniveau. Und da wollen Sie als Sozialpolitikerin sagen, daß das keine Berücksichtigung zu finden hat? Ich muß schon sagen, das geht mir doch zu weit. Solche Schwierigkeiten gibt es in mehr als 30 000 Fällen.
Ich bitte also darum, daß wir zum einen die Tatsachen nicht verdrehen und keine falschen Vergleiche anstellen und zum anderen auch im Rahmen unserer sozialpolitischen Verantwortung der großen Zahl von Leuten, die bei Gott nichts zu verschenken haben, sondern deren Einkommen unter Sozialhilfeniveau liegen, eine entsprechende Genugtuung zuteil werden lassen.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1313911600
Ich gebe der Abgeordneten Petra Bläss das Wort.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1313911700
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem heute zu verabschieden-

Petra Blass
den Gesetz beweist die Bundesregierung, daß sie auch kulant handeln kann.
Bei Landwirten, die Beitragszuschüsse zur Alterssicherung erhielten, jedoch nicht fristgemäß ihre Steuererklärung vorlegten, wird von den im Gesetz eigentlich vorgesehenen Sanktionen abgesehen. Sicher liegt ein Großteil der Schuld bei den Betroffenen selbst. Aber Anlaufschwierigkeiten beim Alterssicherungsgesetz der Landwirte einkalkulierend, rettet sie nun eine Übergangsregelung für 1995 und 1996 vor finanziellen Einbußen.
Insbesondere für Landwirte in den neuen Bundesländern, die nach Wieder- oder Neueinrichtung ihrer Wirtschaft neben vielem anderen Neuen mit einer sich verändernden Alterssicherung konfrontiert wurden, sind die drohenden Sanktionen, wie mir der Landesbauernverband Sachsen-Anhalt mitteilte, existentiell.
Diese Kulanz ist hervorhebenswert, weil die Bundesregierung in jüngster Vergangenheit - Frau Kollegin Mascher hat bereits darauf verwiesen - mit Empfängerinnen von Sozialzuschlägen in den neuen Bundesländern ganz anders umgesprungen ist. Hier war die Problemlage rechtlich weitaus schwieriger.

(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das ist nicht vergleichbar!)

- Das ist nicht unmittelbar vergleichbar. Ich finde aber, es ist im nachhinein geradezu ein Argument, auch diesen Betroffenen diesbezüglich diese Rechte zuzugestehen.

(Beifall bei der PDS)

Je nach Rentenzugangsjahr waren die Verweise auf die vorbehaltliche Zahlung des Sozialzuschlags nur mehr oder weniger deutlich, zum Teil gar nicht im Rentenbescheid vorhanden.
Es gab ältere Bürgerinnen, die, durch Medienhinweise aufmerksam gemacht, zur Rentenstelle gingen und anzeigten, daß sie mit dem Partnereinkommen wohl über die zulässige Grenze gekommen sind. Die meisten wurden damals nach Hause geschickt mit der Auskunft, doch froh zu sein, den Zuschlag weiterhin zu erhalten.
Wer sich seinen Besuch beim Amt hatte quittieren lassen, war vor Gericht chancenreich, die Rückzahlungsforderung von Tausenden von Mark abwenden zu können. Doch wer von den hochbetagten Menschen ist schon diesen Schritt gegangen? Viele haben sich damals auf ein Abstottern in 20-DM-Raten eingelassen.
Die meisten hatten die Aufstockung der eigenen Rente auf anfangs 600 DM und zuletzt 674 DM für die alltägliche Lebensführung verbraucht. So wäre es mehr als kulant, es wäre human gewesen, hier von den Rückforderungen abzusehen.
Nicht zuletzt waren die Auslöser der Überzahlung die Rentenkassen, die zum Abgleich mit dem Partnereinkommen technisch und vom Datenbestand her noch nicht in der Lage waren. Und es gab keine große Klebzettel-Hinweisaktion wie jetzt bei den Landwirten.
Es ist ja begrüßenswert, wenn sich die SPD jetzt derart vehement für die Sozialzuschlagsempfängerinnen einsetzt. Diese Engagement hätte ich mir nur nicht erst heute gewünscht, sondern bereits im Januar 1995, als wir mit einem Antrag, Drucksache 13/ 274 - Sie sehen, es handelt sich um eine sehr frühe Nummer -, die Rückforderungen zu stoppen versuchten. Das ganze Jahr über war der Antrag der PDS im parlamentarischen Geschäft. Keiner hat sich gemeinsam mit uns für einen großzügigen Stopp in einer Ausnahmesituation engagiert.

(Beifall bei der PDS)

Wir werden den heutigen Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung der Alterssicherung der Landwirte nicht ablehnen, sondern uns der Stimme enthalten.
Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, meine Damen und Herren, daß sowohl auf der Pro- als auch auf der Kontra-Seite die Argumente ein klein wenig an den Haaren herbeigezogen worden sind.
Wir meinen, die Zeit ist überfällig, daß die Bundesregierung eine ähnlich kulante Lösung für die Sozialzuschlagsempfängerinnen schafft. Jüngste Sozialgerichtsurteile belegen, daß hier Handlungsbedarf besteht.

(Beifall bei der PDS)


Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1313911800
Nun gebe ich dem Parlamentarischen Staatssekretär Rudolf Kraus das Wort.

Rudolf Kraus (CSU):
Rede ID: ID1313911900
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Mascher, Sie haben in Ihrer Rede darauf hingewiesen, daß die Zeitungen auch heute wieder außerordentlich unerfreuliche Überschriften haben. Ich habe einen solchen Zeitungsausschnitt hier. Daran zeigt sich, daß die Zeitungen schlicht und einfach falsch berichten.

(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Richtig!)

In der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" steht die Überschrift: „Koalition: Landwirte sollen falsche Zuschüsse zur Alterskasse behalten". Weiter steht dort - ich muß dies hier vortragen, weil dadurch das Problem klar wird -:
Bedingung ist ..., daß die Landwirte ihren Einkommensteuerbescheid innerhalb von zwei Monaten den Alterskassen vorlegen. Versäumen sie diese Frist, ruht der Anspruch auf einen Beitragszuschuß. Wird dies später festgestellt, ist das zuviel gezahlte Geld zurückzuzahlen.
Sehen Sie, genau das ist der Punkt, der die Leute auf die falsche Fährte führt.

(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Richtig!)

Das ist nur die halbe Wahrheit. Selbstverständlich
muß der zuviel gezahlte Betrag zurückgezahlt werden. Darüber gibt es keinen Zweifel. Es muß aber

Parl. Staatssekretär Rudolf Kraus
eben auch der nicht zuviel gezahlte Betrag zurückgezahlt werden. Das, Frau Mascher, ist eine ganz ungewöhnlich strenge Regelung im Sozialrecht. Diese Regelung, die auf Wunsch der Alterskassen eingeführt worden ist, hat für die betroffenen Menschen eine weitreichende Konsequenz.
Wir sind trotzdem dafür, daß man diese Bestimmung zunächst beibehält und sie nach einer Übergangszeit von zwei Jahren aufhebt. Das scheint nicht richtig verstanden worden sein, sonst würde von Ihnen nicht das Beispiel AFG angesprochen werden, Frau Mascher. Dort ist in § 231 festgehalten, daß jemand, der nicht unverzüglich Änderungen in seinen Einkommensverhältnissen dem Arbeitsamt mitteilt, Bußgeld zu zahlen hat.
Diesem konkreten Punkt bin ich nachgegangen: Ich habe in einem für einen Bezirk verantwortlichen Arbeitsamt angerufen und mir berichten lassen, wie die Praxis ausschaut. Dabei hat sich herausgestellt, daß in diesem Bezirk im Jahre 1995 621 derartige Fälle aufgetreten sind. In 385 Fällen war die Angelegenheit mit einer Verwarnung von seiten des Arbeitsamtes erledigt. In 142 Fällen mußten Verwarnungsgelder bezahlt werden. Nur in 94 Fällen kam es zu einem Bußgeldbescheid. Das Bußgeld - jetzt hören Sie genau zu; das Verwarnungsgeld ist noch geringer - bewegt sich dort im Durchschnitt bei 150 DM. Das heißt, die Sanktionen, die aus solchen Fristversäumnissen entstehen, sind im Agrarsozialrecht ungleich härter und strenger geregelt als in anderen vergleichbaren Gesetzen. Es ist daher gerechtfertigt, daß wir in diesem Bereich vorübergehend einen anderen Maßstab anlegen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Auch Frau Fischer hat gesagt, daß hier etwas völlig Ungewöhnliches geschieht. Das ist richtig, Frau Fischer. Aber warum soll sich der Gesetzgeber schämen, wenn er etwas korrigiert, was er als überzogen erkannt hat? Die Größe eines Parlaments zeigt sich darin, daß es in der Lage ist, eine solche Korrektur anzubringen.

(Beifall des Abg. Karl-Josef Laumann [CDU/CSU])


Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1313912000
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Mascher?

Rudolf Kraus (CSU):
Rede ID: ID1313912100
Aber gerne.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1313912200
Bitte schön.

Ulrike Mascher (SPD):
Rede ID: ID1313912300
Herr Staatssekretär, können Sie dem Parlament und der Öffentlichkeit erklären, warum der Bundesrechnungshof so strikt darauf beharrt, daß diese Regelung in der landwirtschaftlichen Alterversorgung beibehalten wird? Können Sie bestätigen, daß diese Rückzahlungen erfolgen, weil die Mitwirkungsrechte - dies trifft für Ihre Fraktion zu; auch der Bundesrechnungshof hat aus langjähriger
Erfahrung diesen Eindruck - als bloße Formalie behandelt und nicht ausreichend ernst genommen werden, obwohl im Bereich der landwirtschaftlichen Alterskasse eine besonders großzügige Regelung vorgesehen ist?

Rudolf Kraus (CSU):
Rede ID: ID1313912400
Frau Mascher, ich kann mir das nur so erklären, daß der Bundesrechnungshof diese Regelung primär nach formalen Gesichtspunkten beurteilt. Aber dieses Parlament ist keine Zusammenkunft von Mitarbeitern aus der Rechnungsabteilung oder der Buchhaltung. Die Mitglieder des Parlamentes müssen vielmehr einen politischen Willen ausdrücken. Deshalb muß man den zur Verfügung stehenden Spielraum unter Abwägung aller Gesichtspunkte nutzen. Wenn ich das tue, kann ich den von uns vorgelegten Gesetzentwurf gut begründen, weil primär eine politische Entscheidung getroffen wurde.
Ich möchte mit meinem Beitrag fortfahren. Frau Fischer, Sie haben gesagt, daß diese heutige Entscheidung ungewöhnlich ist. Ja, das ist richtig. Aber ungewöhnlich streng, darauf will ich auch noch einmal hinweisen, ist auch das Verfahren, das diesem Gesetzentwurf zugrunde liegt. Das Verfahren ist wesentlich strenger, als dies in vergleichbaren Gesetzen der Fall ist. Deswegen sind die Regelungen für eine Übergangszeit vertretbar.

(Vorsitz : Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer)

Es hat mich immer maßlos gekränkt, wenn von seiten der Opposition manchmal der Eindruck verbreitet wurde, daß ausgerechnet in der Gegend, aus der ich komme, die Anzahl der Fälle mit Fristversäumnis besonders groß ist. Ich habe zwischenzeitlich festgestellt - lassen Sie mich dies mit einer gewissen Genugtuung sagen -, daß die Fristversäumnisse ein bundesweites Phänomen sind. Diese Tatsache bedeutet sozusagen eine Rehabilitierung derjenigen, die aus meiner Heimat stammen.

(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Im Saarland 20 Prozent! In Schleswig-Holstein 30 Prozent!)

- Ich hätte das auch gerne erwähnt; aber der zuständige Mann aus dem Saarland ist nicht da. Deswegen wollen wir uns das sparen.
Frau Mascher, man sollte wirklich noch einmal an die Opposition appellieren. Die Agrarsozialpolitik ist meines Erachtens wirklich in guter, kollegialer Weise diskutiert worden. Wir sind zu einem vernünftigen Konsens gekommen; das war nicht immer leicht. Insgesamt war es mit Sicherheit sehr positiv.
Es ist sehr schade, daß diese relativ kleine sachgerechte Korrektur jetzt nicht von uns gemeinsam getragen werden kann. Aber selbst wenn Sie jetzt dagegen stimmen: Vielleicht können wir die Argumente und vor allem die ungewöhnliche Strenge dieses Vorgehens und die erheblichen Auswirkungen, die auch Herr Heinrich geschildert hat, noch einmal überdenken. Auf die Dauer wird man sicher nicht

Parl. Staatssekretär Rudolf Kraus
umhin können, diese Vorschriften streng anzuwenden. Es steht diesem Parlament gut an, während der Einführungszeit eine Regelung vorzusehen, die einfach aus dem Gefühl für soziale Gerechtigkeit begründbar ist.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1313912500
Ich schließe damit die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Gesetzes über die Alterssicherung der Landwirte, Drucksache 13/4947. Der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung empfiehlt auf Drucksache 13/6094, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltung? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der PDS angenommen worden.
Dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltung? - Der Gesetzentwurf ist damit in dritter Lesung mit demselben Stimmenverhältnis angenommen worden.
Ich rufe die Zusatzpunkte 10a und b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Mutterschutzrechts
- Drucksache 13/2763 - (Erste Beratung 104. Sitzung)

Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (13. Ausschuß)

- Drucksache 13/6110 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Marliese Dobberthien Maria Eichhorn
Rita Grießhaber
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Heidemarie Lüth
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (13. Ausschuß) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Marliese Dobberthien, Christel Hanewinckel, Ingrid Becker-Inglau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Gleichstellung von Hausangestellten im Mutterschutzgesetz
- Drucksachen 13/3533, 13/6110 - Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Marliese Dobberthien Maria Eichhorn
Rita Grießhaber
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Heidemarie Lüth
Es ist vorgeschlagen worden, die Reden zu Protokoll zu nehmen.*)
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall.
Wir kommen damit zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Mutterschutzrechts, Drucksachen 13/2763 und 13/6110, Nr. 1. Ich bitte die, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltung? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen worden.
Dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Wer zustimmen will, den bitte ich, sich zu erheben. - Das ist das ganze Haus. Es gibt keine Gegenstimmen und keine Enthaltung. Der Gesetzentwurf ist damit angenommen worden.
Beschlußempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Antrag der Fraktion der SPD zur Gleichstellung von Hausangestellten im Mutterschutzgesetz, Drucksache 13/6110, Nr. 2. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/3533 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltung? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen worden.
Der Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend empfiehlt unter Nr. 3 seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 13/6110 die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltung? - Auch diese Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen worden.
Ich rufe den Zusatzpunkt 11 auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertragswerk vom 17. Dezember 1994 über die Energiecharta
- Drucksache 13/5742 - (Erste Beratung 131. Sitzung)

Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft (9. Ausschuß)

- Drucksache 13/6029 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Ursula Schönberger
Auch hier ist gebeten worden, die Reden zu Protokoll geben zu können.**)
*) Anlage 3 * *) Anlage 4



Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Sind Sie damit einverstanden? - Dann ist das so beschlossen.
Wir kommen also wiederum gleich zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem Vertragswerk über die Energiecharta. Der Ausschuß für Wirtschaft empfiehlt auf Drucksache 13/6029, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltung? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen worden.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 14 a und b auf:
a) Erste Beratung von der Gruppe der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des PflegeVersicherungsgesetzes (PflegeVG-ÄndG)

- Drucksache 13/5002 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung (federführend)

Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Gesundheit
Haushaltsausschuß
b) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Petra Bläss, Dr. Barbara Höll, Dr. Heidi Knake-Werner, weiterer Abgeordneter und der Gruppe der PDS
Stand der Umsetzung der Pflegeversicherung - Drucksachen 13/3361, 13/5258 -
Die Redner der CDU/CSU, F.D.P., SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen bitten darum, ihre Reden zu Protokoll geben zu können.*)

(Clemens Schwalbe [CDU/CSU]: Auch die Regierung!)

- Auch der Vertreter der Regierung möchte seine Rede zu Protokoll geben.
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall.
Ich eröffne die Aussprache und gebe der Abgeordneten Petra Bläss, die für die PDS sprechen möchte, das Wort. Wir hören Ihnen noch zu.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1313912600
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann es mir nicht verkneifen: Freitag um eins macht jeder seins. Denn es steht ein PDS-Tagesordnungspunkt auf dem Programm - der einzige, wohlgemerkt, den wir in dieser Woche auf der Tagesordnung hatten.
Wir sollten heute über die Antwort auf eine Große Anfrage der PDS zum Stand der Umsetzung der Pflegeversicherung und über unseren Entwurf zur Änderung des Pflegeversicherungsgesetzes debattieren. Beides hängt eng miteinander zusammen. Im Zusammenhang mit der Großen Anfrage erhielten wir manche Antworten, die mit der Frage nichts zu tun hatten, und manchmal beantwortete die Bundesregierung auch Fragen, die niemand gestellt hatte. Bei
*) Anlage 5 einer Reihe von Fragen konnte die Bundesregierung nur deshalb halbwegs positiv antworten, weil die Behinderten- und Sozialverbände sowie der Vermittlungsausschuß einige wenige der beabsichtigten miesen Lösungen verhindert haben.
Die Antworten - auch das, was man zwischen den Zeilen lesen kann - zeigen: Mit der Pflegeversicherung wurde der Weg zu einer Zwei-Klassen-Pflege beschritten. Da die Pflegeversicherung nur die Grundleistungen abdeckt, werden nur Begüterte ergänzende Hilfen dazu kaufen können. Wir halten diese Entwicklung für sehr verhängnisvoll.
Deshalb legen wir einen Gesetzentwurf vor, der eine andere Richtung einschlagen soll. Herr Blüm machte uns dazu Hoffnungen. Denn im März dieses Jahres antwortete die Bundesregierung auf eine Frage von uns, was mit Überschüssen geschehe - ich zitiere -:
In der sozialen umlagefinanzierten Pflegeversicherung ist gewährleistet, daß Überschüsse unmittelbar den Versicherten zugute kommen. So werden sich ergebende Finanzierungsspielräume vorrangig für Leistungsanhebungen genutzt werden.
Ein halbes Jahr später scheint das nicht mehr wahr zu sein. Letzte Woche in der Aktuellen Stunde verkündete Herr Blüm, daß die Pflegeversicherung am Ende des Jahres zwar eine Rücklage von 8,7 Milliarden DM hat - das sind übrigens immerhin fast vier Monatsausgaben -, daß es jetzt für Leistungsanhebungen aber keinen Spielraum gebe.
Wir erwarten eine Stellungnahme seitens der Regierung dazu, was nun gilt. Wir meinen: Die Probleme, die es an allen Ecken und Enden mit der Pflegeversicherung gibt, harren dringend einer Änderung.

(Beifall bei der PDS)

Die Bundesregierung hatte sich selbst das Ziel gesetzt: Ablösung der Sozialhilfe bei Pflegebedürftigkeit als Regelfinanzierung. Das war 1993 und 1994 die Ankündigung.
Die Realität sieht anders aus. Fast zwei Jahre nach Inkrafttreten der ambulanten Pflege gibt es keine zuverlässigen Aussagen zu den Einsparungen bzw. zum Rückgang der Sozialhilfeabhängigkeit bei Pflegebedürftigkeit. Der Berliner Senat kommt sogar zu dem Schluß, daß seine Ausgaben im Bereich der ambulanten Pflege mit Wirksamwerden der Pflegeversicherung - wenn auch geringfügig - anwachsen werden.
Im stationären Bereich will uns die Bundesregierung durch Jonglieren mit Zahlen anderes weismachen. So wird in vorliegender Antwort ausgeführt, daß der Kostenanteil für Unterkunft und Verpflegung 30 bis 37 Prozent der Pflegesätze der Einrichtungen beträgt. Dargestellt wird dann, daß der Pflegesatz in den alten Bundesländern 4 000 DM und in den neuen Bundesländern 3 400 DM beträgt. Dann wird haarscharf gegengerechnet, daß bei einer durchschnittlichen Leistung der Pflegeversicherung von 2 500 DM pro Monat in Ostdeutschland ein Einkom-

Petra Blass
men von 1 100 DM ausreicht, um von der Sozialhilfe unabhängig zu werden.
Die kühne Schlußfolgerung der Bundesregierung lautet auf dieser Grundlage: Aufs Ganze gesehen wird durch die Leistungen der Pflegeversicherung die Unabhängigkeit von der Sozialhilfe weitgehend erreicht.
Da kann ich nur fragen: Kennt diese Bundesregierung ihre eigenen Gesetze und die von ihr in Auftrag gegebenen Studien nicht?
Bei Pflegestufe 0 ist die Sachlage völlig klar. Die Sozialhilfeabhängigkeit bleibt, so wie sie bisher bestand, und das wird aller Voraussicht nach für über 25 Prozent der bisherigen Bewohnerinnen und Bewohner zutreffen.
Bei der Pflegestufe 1 gibt es gegenwärtig bis Ende 1997 noch pauschal 2 000 DM von der Pflegeversicherung, danach weniger.
Eine Gegenüberstellung für Ostdeutschland deckt derzeit eine Differenz von 1 400 DM auf. Damit ist zweifelsfrei klar, daß 1 100 DM Einkommen im Durchschnitt nicht ausreichend sind. Ziehe ich noch die Daten über die Einkommen aus der Studie „Hilfe- und Pflegebedürftige in privaten Haushalten" heran, die ausweisen, daß 65 Prozent der alleinlebenden pflegebedürftigen Menschen ein Einkommen unter 1 000 DM im Monat haben, ist die Situation noch zugespitzter.
Ich kann mir nicht vorstellen, daß sich die Einkommenssituation pflegebedürftiger Menschen in privaten Haushalten so stark von der Situation in Einrichtungen unterscheiden sollte. Ich meine, daß man diesen Menschen wenigstens etwas frei verfügbares Geld zugestehen sollte.

(Beifall bei der PDS)

Fazit: Eine Mehrheit - nach unseren Informationen über 50 Prozent - wird von der Sozialhilfe allein aufgrund ihrer Pflegebedürftigkeit abhängig bleiben.
Die PDS schlägt deshalb als einen ersten Schritt zum wirksamen Abbau von Sozialhilfebezug vor, eine Pflegestufe 0 und ein Mindestpflegegeld von 300 DM pro Monat in der Pflegeversicherung vorzusehen.

(Beifall bei der PDS)

Aufgrund der Finanzsituation ist ein derartiger Schritt möglich.
Der zweite Änderungsvorschlag betrifft die Behandlungspflege. In allen einschlägigen Veröffentlichungen und Stellungnahmen wird betont, daß das Vorgehen, die Kosten der Behandlungspflege zu Lasten der Pflegeversicherung zu berechnen, systemwidrig ist. Daß diese Regelung 1999 überprüft werden soll, ändert nichts an der Tatsache. Bis dahin sind durch die jetzige Verfahrensweise Tatsachen geschaffen worden, die eine Rücknahme dieser Regelung fast unmöglich machen werden.
Wir meinen, die Entscheidung, die medizinische Behandlungspflege in Heimen den Pflegekassen zuzuweisen, ist nicht nur ungerecht, sondern ordnungspolitisch unhaltbar.
Während ein ambulant gepflegter Mensch auf der Grundlage des SGB V diese Leistung ganz selbstverständlich erhält, bekommt eine Heimbewohnerin oder ein Heimbewohner diese Leistung nicht, obwohl alle Krankenversicherungsbeiträge entrichten. Der Anspruch der Bewohnerinnen und Bewohner auf Krankenversicherungsleistungen wird folglich von der Bundesregierung willkürlich reduziert. Die pauschalen Leistungen der Pflegekassen zur Deckung der pflegebedingten Kosten reichen in den meisten Fällen nicht aus. Jede zweite Leistungsempfängerin bzw. jeder zweite Leistungsempfänger hat durchschnittlich Zusatzkosten von 653 DM im Monat selbst zu tragen.
Der Vorschlag der PDS, die medizinische Behandlungspflege der gesetzlichen Krankenversicherung zuzuordnen, hat zum Ziel, die Pflegeversicherung von sachfremden Leistungen zu befreien.
Nebenbei wird damit die Chance, noch mehr Menschen mit der Pflegeversicherung aus der Sozialhilfeabhängigkeit herauszuholen, größer.
In unserem Gesetzentwurf fordern wir letztlich, die Finanzierung der Pflegeversicherung auf solidarische Grundlagen zu stellen. Nun wird mir sicher wieder die Sorge um den „Standort Deutschland" entgegengehalten. Aber ich frage Sie: Was haben die Spargesetze, die Gesetze zur Entlastung der Unternehmen real gebracht?
Zum Abschluß noch ein paar Bemerkungen zum Pflegebereich als Bereich der Erwerbsarbeit.
Die Voraussage des Bundesarbeitsministers, daß die Pflegeversicherung ein großes Arbeitsbeschaffungsprogramm sein wird, erweist sich zunehmend als Luftbuchung. In Mecklenburg-Vorpommern beispielsweise wurden im Zusammenhang mit der ersten Stufe der Pflegeversicherung landesweit zirka 30 Arbeitsplätze neu geschaffen. Und alle Informationen mit Einführung der zweiten Stufe signalisieren einen Abbau von Arbeitsplätzen im Pflegebereich.
Für äußerst bedenklich halte ich, daß sich die Bundesregierung in einer Antwort, wenn auch verdeckt, aber unübersehbar gegen eine tarifliche Entlohnung der Beschäftigten im Pflegesektor ausspricht. Zitat: „Eine starre Bindung an Tarifverträge liefe weitgehend auf eine Erstattung der Personalkosten hinaus."
Diese Aussage war gar nicht erfragt, aber sie bestätigt alle Signale. Mit der Pflegeversicherung wird begonnen, die tarifliche Entlohnung im sozialen Bereich - so sie überhaupt noch besteht - zu unterlaufen. Berücksichtige ich noch, daß in diesem Bereich vorwiegend Frauen beschäftigt sind, so bestätigt sich einmal mehr die ausgesprochene Frauenfeindlichkeit dieser Bundesregierung.

(Beifall bei der PDS)

Der von Bündnis 90/Die Grünen vorgelegte Entschließungsantrag setzt unser Anliegen fort, Klarheit und Änderung im Pflegebereich zu schaffen. Daher

Petra Bläss
unterstützen wir ihn. Wir hoffen, daß auch unser Gesetzentwurf in seriöse Sacharbeit einfließt.

(Beifall bei der PDS)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1313912700
Das war die letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt. Ich schließe damit die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfes auf Drucksache 13/5002 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Es ist beantragt worden, den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/6124, der ebenfalls Gegenstand dieses Tagesordnungspunktes war, zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung und zur Mitberatung an den Ausschuß für Gesundheit zu überweisen. Damit sind Sie auch einverstanden? - Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Wir sind damit am Schluß unserer Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Dienstag, den 26. November 1996, 11 Uhr, ein.
Ich wünsche den wenigen Kolleginnen und Kollegen, die noch da sind, und den vielen Besuchern auf der Tribüne ein schönes Wochenende.
Die Sitzung ist geschlossen.